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Full text of "Geschichte der deutschen städte und des deutschen bürgerthums"

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7 Pt 
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THE GIFT OF 
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(Class of 1828), 





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Geſchichte 
der deutſchen Städte 


und 


des deutſchen Bürgerthums. 


Don 


J. W. Barthold, 


Profeſſor der Geſchichte zu Greifswald. 


Dritter Theil. 


Vom Ende des großen Zwiſchenreichs (1273) bis zum Hoͤhe⸗ 
flande der Zunftfämpfe (1332). 


EEE RE — — 


CXeipzig, 
2. D Beigel. 
1851. 


En 
es 335,13 


⸗6600 Hg SR. 


Inhalt. 





Biertes Bud. 
Erſtes Kapitel. 


Allgemeines Bild des flädtifhen Lebens am Schluffe des 13. Jahrh. Mars 
nihfaltigfeit der Berfaffungen. Bauliche Eriheinung. Einfache Häus- 
lichkeit. Luxusgeſetze. Deffentliches Leben. Bildende Kunft. Geiftige Bil⸗ 
dung. Schulen. Boefle. Schaufpiele. Das Königreich der fahrenden Leute. 
Bürgerlicher Meiftergefang. Die Maifpiele. Turniere. Schützenhöfe. 


Volksfefſte. Die Schattenfeiten. Unficherheit. Todesſtrafe. Kampfrecht. 


Wolluſt. Frauenhäufer. Die Klöfter der Büßerinnen. . 


Zweites Kapitel. 


König Rudolf von Habsburg umd die Städte bis zur Rückkehr des Könige 
ans Defterreich (1281). Berfall der öffentlichen Sicherheit nad gutem 
Anfange. Unruhen in Schwaben. Fall Ditalars von Böhmen. Wien 
reihöfret 1278. Fruchtloſe Landfriedenseinigungen am Rhein. Unruhen 
in Koblenz. Erzbiſchof Siegfried von Köln. Parteilampf. Tod des Grafen 
Bühelm V. von Jülich in Aachen. 1278. Sieg des Erzbiſchofs. 1280. 
Etand in Wehtfalen. Soeſt. Thüringen. NRiederfahlen. Die Echlacht bei 
Srofee. 1278. Bermwirrung Rorbveutfchlands. Die Landfriedensbündniſſe 
des Königs fett 1281. Nene Kämpfe mit älteren Feinden, Abnahme 
des koͤnigl. Anfehens. Widerfetzlichkeit der Reichsftänte. Tile — 
der falſche Friedrich. 1285. Sorge für einzelne Städte, 


Drittes Kapitel. 


Erzbiſchof Siegfried und die Kölner. Erbſtreit um Limburg. Die Schlacht 
bei Vorringen, 1288. Zuſtand Norddeutſchlands. Lübeck. Die Hanſa. 
Rofioder Landfriede, 1284. Thüringer Landfriede, 1287. Erfurt. Ans 
fang der Zunfthändel. Rudolf in De 1290. Wiens Unfreihelt. Tod 
des Könige Rudolf, 1291. . . ee er ae Ar 


Seite 


54 


93 


vi Inhalt. 


Viertes Kapitel. 

Seite 
König Adolf von Naſſau. Berfall des Landfriedens. Verpfändung des 
Meichöguts. Unruhe in den Städten. Unthat Siegfrieds von Köln, 1294. 
Adolf in Thüringen und Meißen. Zunfterhebung zu Braunfchweig. Strafe 
der Berhanfung. Beſchräukung der Schöffen in Magdeburg. Erzbiſchof 
Wigbold von Köln. Adolfs Entfegung und Tod, 1298. König Albrecht 
von Defterreih und die Kurfürften. Politik in Bezug auf die Städte, 
Köln aus dem Banne, 1299. Umfchlag der Politik gegen die Kurfür- 
ften, 1300. Aufhebung der Rheinzölle. Unterwerfung der rheinifhen Kur- 
fürften, 1302. Hauspolitik Albrechts. Die Eidgenoſſen. Flandriſcher 
Krieg. Die Sporenſchlacht, 1302. Rückwirkung auf die deutſchen Städte. 
Trier. Speier. Soeſt. Ciſenach. Die märkiſchen Städte. Berlin. Bran⸗ 
denburg. Görlitz. Zittau. Lübeck und der nr Norden. Tod König 

Albrechts. 1291—1308. . . .» a Beer 2 


Fünftes Kapitel. 


Kaifer Heinrih VII. Unruhen im Zwifhenreih. Erzbifhof Balduin von 
Trier. 1308. Politik des Königs gegen die Städte. Reichstag zu Speler. 
Aufkand in Wien. Eberhard von Wirtemberg der Landfriedensbrecher. 
Thüringen. Beſchränkung des Junkerregiments in Erfurt. Aachen verur- 
theilt. Der Römerzug König Heinrihe. 1310 — 1313. Innere Wirren 
im Reiche. Die Städte Baierns ſelbſtſtändig. Sieg von Gamelsorf. Die 
wendifhen Hanfeftädte gegen die Krone Dänemarl, Wismar. Noftod. 
Kampf der wendifhen Serftädte gegen Erich Menved. Sieg und Fall der 
popularen Berfaffung Roftods. Aufblühen der Städte Preußens. Danzig 
an ven Orden. Marienburg Ei ded Ordensflantes. 1308-1314, . 1783 


Sechstes Kapitel. 


Doppelwahl. König Ludwig der Baier und Friedrich der Schöne. Parteiung 
unter den Städten. Schwankender Kampf. Ermüdung. Herzog Leopold 
vor Speier. 1320. Die Gefhlechter für Habsburg. Kölns Berfaffung ge» 
ändert. 1321. Schlacht bei Mühldorf. 1322. Bleichgültigfeit Nord⸗ 
deutſchlands. Stralfund gegen Dänemark ñegreich. 1316. Selbſtſtändig⸗ 
keit der märkifchen Städte nach Waldemard Zode, 1320. Brandenburg an 
Baiern. Ludwig undankbar gegen die Städte. Verpfändungen. Erſter 
Gebrauch des Schießpulvers. Entſchieden gbibellinifche Haltung des Bür- 
gerthums, befonders der Zünfte, gegen den römifchen Stuhl. Bann über 
Ludwig. Erzbifhof Burkhard von Magdeburg ermordet. 1325. Austrei⸗ 
bung der Pfaffen. NRömerzug Ludwigs. Wachsthum der Zunftherrſchaft 
zu Speier und Mainz. Treue der Städte im rüganifchen Erbfolge- Kriege. 
13144 1333... 22218 


Vierte Bud. 


Bom Ende des großen Zwifchenreichs bis auf ben Höheftand ber 
Kämpfe zwifchen Gejchlechtern und Zünften (unter Ludwig dem 
Baier 1273—1332). 


Erftes Kapitel, 


Allgemeines Bild des ſtaͤdtiſchen Lebens am Schluffe des 15. Jahrh. Mannichfals 
tigfeit der Berfaffungen. Bauliche Ericheinung. Einfache Häuslichkeit. Luxusge— 
ſetze. Deffentlihes Leben. Bildende Kuuft. Geiftige Bildung. Schulen. Boefie. 
Schaufpiele. Das Königreich der fahrenden Leute. Bürgerlicher Meiftergefang. Die 
Maifpiele. Turniere. Schüpenhöfe. Volksfeſte. Die Scattenfeiten. Unfidyerheit. 
Zodesftrafe. Kampfrecht. Woluft. Frauenhäuſer. Die Klöfter der Büßerinnen. 


In den beiden letzten Büchern hat der Verfaſſer ſich bes Aufgabe 
müht, überwiegend die Befchichte der Entwickelung des Bürgers ſchichte. 
thums, wie fte fih im politifhen Xeben darftellt, den 
äußeren Bortfhritt, die Bewegung, zu ſchildern; doch konnte 
er auch nicht unterlaflen, bedeutfante Züge des inwendige- 
ten Zuflandes an geeigneter Stelle in fein Gemälde zu ver⸗ 
weben, wie er ed denn ald Aufgabe der Geſchichtſchreibung er⸗ 
mißt, die Vergangenheit als eine Gefammterfcheinung zur An⸗ 
ſchauung zu. bringen. Der Leſer begehrt nemlich nicht allein 
zu wiflen, wie unfere altdeutichen Bürger tagefahrteten, Raths⸗ 
und Gemeinde» Befchlüffe faßten, mit Fürſten und Adel fi 
herumfihlugen, erworbene Rechte durch Faiferliche Urkunden 
befefligten, über Land und Meer Handelöverbindung anfnüpfe 
ten, Münfter und Siechhäufer bauten; er möchte mit eigenen 
Augen ſchauen, wie es in Stadt und Gaflen, auf Thor und 
Binnen ausfah, wie Schöffen, ehrbare Gefchlechier, une 


Barthold, Etädtewefen IH. 


2 Dritter Theil. 


1. Rap. ner, Altbürger und Handwerker im Häuslichen ſich gebehrdeten, 
im Beiertagskleide fowohl wie im Alltagswamſe, wie fie wohn- 
ten und gefellig unter einander verfehrten, welches die heitere 
Seite eines drangvollen, ernften, faft finfteren politifchen Da- 
feind war; er möchte wiſſen, ob nicht auch andere Gedan⸗ 
fen, als auf Erwerb von Recht und Beſttz, auf Strauß und 
inneren Hader, finnige Seelen zur Blüthezeit der ſchwäbi— 
chen Poefte befchäftigten, und ob nicht die höhere Bildung, 
welche die weftlichen Völker in Folge der Kreuzzüge überfa= 

“men, auch in nüchternen Kaufmannsfeelen, unter Wagniß und 
Abenteuer, unter der harten Arbeit des Zünftlers ſich Fund 
gethan? Dergleichen und andered Mannichfache wollte der Ge⸗ 
fchichtfchreiber zugleich mit dem politifchen Leben in mark« 
vollen Zügen anſchaulich machen, wie e8 denn zufammenge- 
hört, und im Spiegel des Stroms nicht allein folge Burgen, 
bethürmte, zinnenreiche Städte, Brücken in fühngefprengten 
Bogen voll geichäftiger Wanderer, Laftwagen und Saumthiere 
ſich abbilden, fondern auch die Uferweiten und Gebüfche, der 
leitende Fifchernachen und das kleine Leben der Natur und 
menschlichen Treibens. Aber wad der Blick des beſchaulichen 
Zandfahrers in jeiner Zujammengebörigfett überſieht, das 
muß binterdrein, auf Koften der unmittelbaren Lebendigkeit, 
der Verſtand des Beſchreibers trennen und zerlegen, ord⸗ 
nungsmäßig zufanımenftellen und, folder Unvollkommenheit 
feiner Kunft geftändig, auch der Verfaſſer einer Befchichte Der 
deutfchen Städte den häuslichen und gefelligen Zuſtand ums 
ferer Bürger, ihre fittliche Erfcheinung und geiflige Bil 
dung nebft allem, was der politifchen Geſchichte abgewandt 
und ihr entzogen, doch fo ergöglich und Ichrreich ift, in einem 
befonderen Kapitel zufammenfaflen. Solche Umſchau recht⸗ 
fertigt die neue Entwickelungsperiode, der das Stadteweſen, 





Biertes Bud. 3 


nad) dem Ende des vielgeftaltenden Zwiſchenreichs, unter König 1. Kar. 
Rudolf von Habsburg entgegengebt; wir werben uns jedoch 

nicht peinlih an die flarre Jahreszahl 1273 Halten, fondern 

auch ſolche Züge aufnehmen, welche, obgleich zufällig erft bet 
fpäteren Jahren beurfundet, in den Zufammenhang bes ho⸗ 
henftaufifchen Jahrhunderts gehören, deſſen Gepräge vervoll⸗ 
fändigen. 

Um aber audy den feften äußeren Rahmen, die politifche uener- 
Grundform, in welche unfere Hunderte beutjcher Stadtgemein⸗ te 
den ſich glücklich hineingearbeitet hatten, zu vergegemmärtigen, aa 
möffen wir uns auf bie allgemeinften Züge beſchränken, weil"""3"- 
die unüberfehbare, eigenfinnige Mannichfaltigfeit der einzel- 
nen Oemeindeverfafjungen nöthig machen würde, alle gleich⸗ 
zitigen Städte in ihrer Befonderheit hier aufzuführen. Wie 
aemlich in der Unzahl deutſcher Städte und Flecken, unter 
ten Zaufenden alter Kirchen, die wir, nicht ohne Bug und 
Recht, „gothiſche“ nennen, ſich nicht 3 wei finden, welche einan« 
der ganz gleich, eine das Nachbild der anderen, wären ; obgleich 
die Form des einfachen oder doppelten Kreuzes, des Langhau⸗ 
ſes und Duerhaufes, des Schiffs mit hohen oder niederen Ab⸗ 
ſeiten, des hohen Chords mit aͤußerem Umgange, des einfa- 
hen, doppelten oder mehrgegliederten Thurmſyſtems, bei allen 
wieberfehrt und Die Abweichungen auf wenige ganz beftimmte 
Aufriffe ſich zurückführen laſſen: fo gab es im weiten heiligen 
römischen Heiche nicht zwei Stadtgemeinben mit ganz 
gleiher Verfaſſung. Mögen einer großen Schweſterſchaft 
Rechtsſatzungen und Willküren, Raths⸗ und Gemeinheitsver⸗ 
foffung, die wir die kölniſche, oder lübiſche oder ſoeſtiſche nen⸗ 
nen, gleichmäßig zu Grunde Tiegen, oder Magdeburgs Vorbild 
unverfennbar an ihnen haften, oder nad) des breisgauifchen 
Sreiburgs, Uns und bes ſelbſteigenen Worms! bürgerlicher 

1* 


4 Dritter Theil. 


1. Ray. Entfaltung eine ehrerbietige, fügfame Nachbarſchaft die ein- 
fachften Verhaͤltniſſe gemodelt haben: immer entftand in jeder 
einzelnen Tochter etwas Eigenthümliches, abgejehen von 
den Namen und Titeln der Aemter und Würden, Die oft bei 
den nächiten Nachbarn das Entgegengefehte bebeuteten oder 
gar wunderlich der Sache ſelbſt widerfprachen. Beſteht doch 
gerabe in fo fcheinbarer Regel⸗ und Gefeglofigkeit das Wefen 
des deutſchen Mittelalterd und laſſen doch immer aus dem 

Ban phantaftifchen Gewirre die herrſchenden Gedanken ſich heraus⸗ 

—— finden. Wollen wir nun dieſes Charakteriſtiſche auf bie po⸗ 
ben. litiſche Geftaltung der deutſchen Städte gegen den Schluß des 
13. Sahrhundert3 anwenden, fo fagen wir: hei allen ift das 
ſtehende, erbliche, Iebenslängliche, auf eine geringe Zahl alt» 
bürgerlicher Gefchlechter beſchränkte, Schöffenthum, jener Reſt 

‚ der urfprünglichen freien Volksgemeinde, mehr oder weniger 
zurüdgemwichen, während e8 bis gegen Ende ded 12. Jahrhun- 
derts Gericht und Verwaltung neben und in einander hand⸗ 
habte; aus den mittleren Gefellfhaftsfchichten, freien Grund⸗ 
befigern, Kaufleuten, höheren Gewerbtreibenden, ift dem 
Schöffenregimente eine jährlich abwechfelnde wählbare Obrig- 

feit zur Seite getreten, welche erſt die polizeitichen Gefchäfte, 

die Aufficht über die Zünfte, die Sorge für das Gemeingut 

und ben politifchen Verkehr nach außen in Anſpruch nahm, 
dann aber auch des Gerichts fich bemeiftert, indem fie entwe⸗ 

der die Nichtgewalt der Schöffen für gewifle Kreife rechtlicher 
Verhältniffe theilte, oder die Schöffenbant nebft deren Vor⸗ 
fiter, dem Scultheißen, aus ihrer Mitte befebte, oder im 
glücklichſten Falle das Gericht als Stadtgeriht in eigener 
arte Vollmacht ausübte. „Rathleute, Gefchworne, Gemeinderäthe, 
ns. Benannte‘ und noch jonft verfchieden heißen Diefe neuen Stadt⸗ 
häupter; Bürgermeifler, Stadtpfleger, Rathsmeiſter, Stätt« 


Biertes Buch. 5 


meiſter, ihr jährlich wechſelnder Vorſtand. In einigen merke 1. Ray. 
würdigen Städten Oberdeutſchlands ruft Die Rührigkeit der 
Zunfte und Staliend Vorbild den Volkshaupemann an die 
Spige erft der Zünftbant im Rathe, dann zu gebieterifcher 
Stellung. — Das unbequeme Amt des Voigtes, Burggrasdoigt u u. 
fen, welches an die frühere Abhängigkeit der unfreien Ges heiß. 
meinde erinnert, ift zum Theil von den Stäbten erworben, 
odes, wo es noch vom früheren Landherrn, oder dem Kaifer 
beftellt wird, nur ein Name, oft im Erbbeflte ‚einzelner ade⸗ 
figer Familien, und allein noch wegen der Gefälle und baaren 
Hebungen wichtig, welche ihm zuftehen. In derfelben Weife, 
durch Kauf oder Pfandſchaft, durch Befchent, haben die freis 
fen Gemeinden des Schultheißenamtes, des vorfigenden Rich⸗ 
ters fich erledigt; Namen und die damit verfnüpften Einkünfte 
baften noch; in Städten, welche unmittelbar zum Reiche ges 
hören, deren Zahl um 1300 eine viel größere.war, .. hießen 
diefe, vom Kaifer aus der Mitte ber Altbürger, oder mit.ihrer 
Beiftimmung jährlich oder auf mehre Jahre ermählten Behör⸗ 
den Heichsichultheigen, auch Meichöpfleger. Sie, in der Re⸗ 
gel namhafte Ritter, laſſen fih durch ihre Richter vertreten 
und verwalten, ohne hemmenden Einfluß auf Die Gemeinde, bie 
Refte bes Reichsgutes. Uber die Rathleute, deren Amt feiner 
Natur nach ein unbefoldetes, ein Ehrenamt, ziehen fih allmä⸗ 
lig, verftärft durch Ritterbürger, welche das Stadtrecht gewon⸗ 
nen haben und für die ewigen Kriegshändel unentbehrlich 
find, als ein .beuorzugtes, abgeichloffenes Altbürgerthum, als 
die „Rathsgemeinde,“ im Gegenfag der „‚Bürgergemeinde,‘“ 
zuſammen, fprechen dad Regiment für fih an, bilden eine 
Ariſtokratie des Adels, der Geburtäredkte, des Reichthums 
und Beſitzes. Sie ergänzen ſich, jährlich zur Hälfte oder in 
beſtimmtem Zahlenverhältnifie ausjcheidend, aus ihrer Mitte ; 


6 Dritter Theil. 


I. Kap. die mannichfaltigſten Arten der Rathsküren, die aber inmer 
Ratte, dem Einfluß der größeren Gemeinde fünfilig begegnen, bilden 
fh aus. Am weiteiten hat eine Bürgergemeinde fich aufge- 
fchwungen, derdie Modification der Rathsküre wenigftens mit- 
telbares Eingreifen geflattet; von einem Antheile der Zünfte 

ift in unferer Periode, bis auf Eßlingen und Ulm, Bafel, kurz 

vor Ablauf des Jahrhunderts, noch nirgend Die Rede; doch 

find in der zeitweife freieften Stadt, in Soeft, wie wir beim 
Jahre 1259 fahen, die Wahlcollegien durch Die Geltung ber 
Burrichter fo zufammengefeht, daß ein erbliches Patriciat fich 
nicht bilden fann. Die Zahl der Nathleute ift ungleich; fte 
ſchwankt zwifchen 10— 836. Je größer fie in einer verhältniß- 
mäßig Eleineren Gemeinde ift, je unverfennbarer haben bie 
niederen Zünfte politifche Rechte erworben, und ftehen als 
äußerer, größerer, weiterer Rath, als Ausſchußmänner, dem 
inneren, engeren, gewaltausübenden Rathe controllirend zur 
©eite. In den Städten joeftifcher und lübiſcher Verfaſſung 

ift die Zahl der Rathsglieder gewöhnlich 24, von denen im 
zweiten Jahre die eine Hälfte ausfcheidet, ald alter Rath nur bei 
wichtigen Gefchäften des nächſten Sahres am Negiment Theil 
nimmt, während ber neue, ſitzende Math die Iaufenden Unger 
legenheiten verwaltet; vor Ablauf einer gewifien Friſt dürfen 

die beim Beginn des dritten Jahres ganz ausgeſchiedenen 
nicht wieder gewählt werden. Der Antritt eines neuen Ra⸗ 
thes, immer auch verbunden mit einer Ergänzung der als alter 
Rath ausgefchiedenen Glieder, fteht an beftimmtem Heiligen- 

tage feſt; die Stätte der Feier ift in einer offenen Halle, „einer 
Laube,“ in der Nähe der Hauptpfarrfirche, wo, wie 3.38. zu 
Mühlhauſen in Thüringen, auf Steinftufen ein umfchloffener 

Sur, Raum fih erhob, und bei gegenfeitiger. Eidesleiftung der 
gorahe. Mathleute und der Gemeinde die Steinbilder des Erlöſers, 





Biertes Bud. 7 


der Heiligen und des Kaifers vom Söller des Kirchengies1. Kap. 
bels gleichſam als Zeugen herabblickten. &emeiniglich wer⸗ 
den die Willküren, die Statutargeſetze, deren Mannichfaltig⸗ 
keit den örtlichen Bedürfniſſen gemäß iſt, als bindende Bes 
ſchlüſſe der Geſammtgemeinde verlefen, deren Aufrechthaltung 
in der Bur⸗ (Bürger⸗) Sprache angelobt. — Mit dem Laufe 
des 13. Jahrhunderts haben die erweiterten Beziehungen rei⸗ 
cher, maͤchtigerer Staͤdte eine geordnete Vertheilung der Raths⸗ Manz, 
geſchäfte, die Beſtellung beſonderer Aemter erfordert; zumal igten 
iſt ein des Kaiſerrechts und des Latein kundiger Rathaſchrei⸗ Ratbt- 
ber, deſſen das einfache zwölfte Jahrhundert noch nidht bes 
dırfte, ein Notarius nöthig. Maßgebend für alle Städte 
lübiſchen Rechts bis nach Efthland hinauf ift eine Aufzeich⸗ 
nung Albrechts von Bardewiek, verdienten Rathskanzlers von 
Lübe im Jahr 1298. Bürgermeifter waren damals zwei; 
Kämmerer zwei, beögleichen zwei Weinmeifter, zwei Stadt- 
voigte, zwei Marktmeifter, zwei Wettemeifter, welche ben 
„Wetteſtab“ führten, für polizeiliche und geringere Bergehun« 
gen die ‚Wette‘, Geldbuße erkannten. Den „Kanzler“ kennen 
wir; ein Rathmann bewahrte die Trefefammer, ‚worin ber 
Stadt Handveſten Liegen (dad Archiv, fpäter bei St. Marien).“ 
Herr Johann Kleindynft ,‚bewahrte die Bücher, darin ber 
Stadt Rechte gefchrieben ſtehen;“ ein Flamand (von Douay) 
und ein Eingeborner „der Stadt Armbrüfte und Geſchütz,“ fo 
wie den Marftall, aus mehr ald AO Hengiten beftehend ; zuſam⸗ 
men aber ſaßen im Rathe fiebzehn Männer. Bürgermeifter- 
und Rathöherrnuerzeichnifie reichen in den widhtigeren Städten 
bis in das erſte Viertel des 13. Jahrhunderts hinauf; in 
Rotenburg an der Tauber zählte das Collegium im Jahre 
1230 ſechzehn Glieder. Maͤrkiſche Städte, die wie Salzwe⸗ 
bel im Jahre 1273 unter einem Iandesherrlichen Boigte ſtan⸗ 


8 Dritter Theil. 


1. Ray. den, hatten gemeinhin zwei Bürgermeifter und zehn Rathlente; 


A A⸗ 
ben 


- Reit» 
Be 


Berlind und Kölns Rathsſtuhl und Schöffenbant blieben bis 
zum Jahre 1307 noch getrennt; fo wie in den meißniſch⸗thü⸗ 
ringifchen Städten bi8 über die Regierung Heinrichs des Er⸗ 
lauchten hinaus (1288). Freiberg und Leipzig galten hier 
als die freieften Gemeinweſen; aber noch unter landeöherrli- 
chen Voigten; Eislebend Schöffenbanf gewann durch Rechts⸗ 
funde den Rang eines thüringifchen Oberhof; Erfurts innere 
Berhältniffe geftalteten fich unter wiederholten Kämpfen mit 
dem Stuhl zu Mainz reichsſtädtiſch. Im allgemeinen war die 
Berfaffung niederdeutſcher Städte freier; in Franken, Schwa- 
ben und im Elſaß, unter unmittelbarer Aufficht des Kaiſers, 
bildete das Patrizierthum entjchiedener ſich aus und rief das 
Rechts⸗ und Madıtbewußtfein der Zünfte beftigere Stürme 
hervor. — | 
Während auch die größeren Iandesherrlichen Städte das 


- Befteuerungsredht handhabten und die Ziefe, das Ungeld, zu 


öffentlichen Bebürfniffen, wie z.B. Mauernbau, Umfeftigung, 
von allen Einfafjen, auch Beiftlichen und Juden, einforberten, 
zahlten fie noch an den Grundherrn eine beftimmte jährliche 
‚„Urbare”, einen Wurtzins oder Häuferfhoß, als Erfah des 
Ertrages, welchen der ftädtifche Boden dem Beſitzer früher ein⸗ 
gebracht hatte; die Iandesherrliche Bede als ordentliche Steuer 
tritt erſt im fpäterer Zeit heraus. Mit dem Selbfivertheidi- 
gungsrecht betraut, halfen die Lanbftäbte in den Fehden des 
Grundherrn nur in geringer Entfernung, falls fle nicht frei- 
willig oder im eigenen Intereffe den Fürften auf weiteren Zü⸗ 
gen begleiteten. Die Städte „des Reichs“ unterlagen der 
jährlichen, beſtimmten Reichsſteuer, deren wachfenden Betrag 
unwirthlihe Kaifer oft ihren eigennügigen Helfern aus bem 
Herrenftande zuwiefen, verpfändeten, und durch Die Bererbung 











Biertes Bud. 9 


folder Pfandfchaft die Breiheit eimft reihäunabhängiger est. Aa. 
meinden verfümmerten, endlich gar aufboben. Bon gefegli- 

her Berpflichtung der Bürger zum Meichäheerdienfte über eine Reihe: 
Tagereife hinaus vernehmen wir felten; doch wie zulegt im dienf. 
Jahre 1239 die wackeren, pfaffenfeindlichen Städte Augsburg, 

Um, Donauwerth, Laufingen, Nördlingen, Auflich, Mur⸗ 

nau am Staffelfee, Onolsbah (Anspach), Dinkelsbühl, 
Gemünd, Lenteröheim, Hall, Nürnberg, Weigenburg, Gre⸗ 
ding, jegt theild unbedeutende Marktflecken, ihre Mannſchaft 

bis nad) Zombardien zuſchickten, werben wir in Rudolfs und 
Ludwig ded Baiern großen Tagen die Mitterbürger und Zünft« 

Ir Süd⸗ und Weſtdeutſchlands am Landfriedenswerfe und am 
legten großen Kampfe für des Reichs Ehre und Unabhängigkeit 
geſinnungs voll fich betheiligen fehen. — Vervielfacht bei ftei- 
gendem Kunſtfleiße und Verkehre, ftanden die Zünfte, Tängft 
waffengeübt, in unferer Beriode, zumal in Niederdeutichland, 

nod unter firenger Aufficht des Raths und empfingen von 

ihm das Gefeg für innere Gliederung. — 

Gehen wir, nach diefer allgemeinen Schilderung ber Bud 
politiſchen Verhaͤltniſſe, auf das Aeußere unferer Gtäbte erinte 
über, fo fehen wir das ganze Weichbild der felbfiftändige- 
en mit einem Graben, einer Landwehr umgogen, deren 
Zugänge feſte Thürme, Warten bezeichnen. Wächter lug⸗ 
ten aus ihnen nad den Landſtraßen aus, und meldeten 
durch Zeichen jede Gefahr oder das Herannahen reifender 
Kaufmannszüge, denen in unficherer Zeit, wie unter unauf⸗ 
börlihen Nachbarfehden gewöhnlich, ein bewaffnetes Ge⸗ 
leit enigegenging, war bad Geleit durch die naͤchſtgeſeſſenen 
Seren nit vertragemäßig übernommen. Hohe, oft dop⸗ 
pelte Mauern, Graben und Wall vor ihnen, umgürteten Die gerepi. 
Wohnflätte eines flreitbaren Gefchlechtes, das immer des An⸗ 94 


10 Dritter Theil. 


1. Kap. griff3 gewärtig fein mußte. Die Anwendung des Feuerge⸗ 
—ſchuützes bei Belagerungen machte erft im 15. Jahrhundert aus⸗ 
gebaute Zingel, Baftionen, nothwendig. Damals genügten 
Mehrthürme und Weichhäufer, welche in gemefienem Ab⸗ 
ftande, in mannichfacher Bauart, rund, eckig, fpik, flach, die 
zinnenteihen Mauern krönten. Soeſt zählte deren zur Zeit 
feiner Blüthe gegen 36, die äußeren und inneren Thore une 
gerechnet, über deren ntebrig gewölbten Eingängen nicht allein 
Gefängnifie, auch Kapellen der Schugheiligen ſich erhoben. 
Inwendig an der Mauer und in genau gemeſſener Entfernung, 

wie zu Hannover, Köln? durfte nicht gebaut werden; vergleis 

: den Anbauten droheten Gefahr bed Verraths ober hinderten 
das Befteigen der Zinnen. In denjenigen Städten, welche 
allmälig aus Dörfern, Anftedelungen unterhalb von Klöftern, 
Pfalzen, Burgen entflanden, vermißte man jede planmäßige 
Eintheilung der Straßen und Gaflen; fie wanden ſich ge« 
frümmt, oft im Sade-endend, in labyrinthifchem Gewirre Hin, 

wie zumal in Köln, Nürnberg, Erfurt, Soeſt, Lübeck, Stral⸗ 
fund, Mainz, noch jetzt. Einige, wie Motenburg an ber Tau⸗ 

ber, Hatten fi ringfürmig erweitert, vergleichbar den Jahres⸗ 
ringen des Baumes; andere, wie Magdeburg, Straßburg, 
Augsburg, zeigten ben Wachsthum in planmäßig umfchloffenen 
Räumen nach einer Seite, etwa als Neuftadt, und gaben hier 

in breiteren, geraden Zeilen die verfländige Anlage zu ertennen. 

Oft blieb der Kern der Stäbte, jenes Labyrinth von engen Gaͤß⸗ 
lein, durch Mauern, Gräben und Thore von den jüngeren Stadt- 
theilen getrennt, wie jene unter gefonderter Raths⸗ und Ge- 
meinbeverfaflung ; feit ben Zünftkaͤmpfen ſchloß man fogar ein⸗ 
zelne Gafſen durch Thore, oder hing Nachts Sperrletten ein, Ge⸗ 

Stra, ordnete Anlage und gerader Straßenzug ward fhon im 13. Ihet. 
ven. hei Städten bezweckt, welche von Anfang an als ſolche entſtan⸗ 


Biertes Bud. 11 


ben; fo lehrt und ber Grundriß ſelbſt des alten breisgautfchen 1. aan. 
Freiburgs, daß die ſchoͤpferiſchen Zähringer den Raum der einzel- 
nen Bauſtellen, Hoftäthen, nach Breite und Tiefe zumeſſen lie⸗ 
Ben. In Betracht der Größe der wichtigeren deutſchen Städte bes 
merfen wir, daß am Ende des 13. Jahrhunderts faft alle, ohne 
die offenen DBorftädte, in dem Umkreis erwachfen waren, ber 
nach faft ſechs Jahrhunderten in feiner Abgefchlofienheit dem 
Auge Tundbar wird. — Gewöhnlicher Angabe zufolge jollen 
ſelbſt die wichtigften Städte unferes Vaterlandes erft lange 
nah dem Borgange von Paris, deſſen altgefchichtlicher Koth 
auf König Philipp Augufte Befel um 1185 durch Stein⸗ Srübes 
dämme überwältigt wurde, gepflafterte Straßen erhalten ha⸗ oe 
ben und in vielen erft das 14., 15. Jahrhundert zu fo uner- 
läglicher Bedingung wohnlichen Zufammenlebend und bes 
Verkehrs gefchritten fein. Dem widerſpricht aber der verftän- 
dige, arbeitfame, nicht Eoftenfchene Gemeinſinn unferer Alt« 
bürger, die Spur verſunkenen Straßenpflafters tief unter der 
neueren Oberfläche, endlich eine Reihe verbürgter Zeugnifle. 
Schon im 12. Jahrhundert legte man die Marftflätten zu 
Köln durch bauliche Borfehrung troden; Steinftraßen werden 
in Köln, in Erfurt, in Straßburg, ja in dem Fleineren, aber 
gewerbthätigen heififchen Frankenberg urfundlih genannt; 
wenn zu Sorft, im 16. und 17. Jahrhundert wegen feiner 
ungangbaren, morafligen Straßen berüdtigt, bereits im Jahre 
1377 ein Gemeindeſchluß jeden Gauspefiger, die Fußpfade 
längs feinem Erbe mit ‚Steinen und Grant“ zu befefligen, 
und „unzerbrochen zu bewahren‘, verpflichtete, die ſtaͤdtiſche Un⸗ 
terbehörbe, die „„Hoverer‘' (fpäterer uneigentlich Hauptleute, ei- 
gentlih Hofleute), Darüber wachte, waren bie anderen ‚„Wa- 
genwege’‘, mit denen man es wie „vor Alters“ auf Gemein- 
befoften hielt, gewiß ſchon ſeit Engelbrechts J. Tagen (ſ. 1225) 


12 Dritter Theil. 


1. Rap.in gutem Stande. Weil dad deutſche Bürgertfum aus ber 
Berfumpfung und Verarmung ded 17. Jahrhunderts erft 
wieder im 18. Jahrhundert, Soeſt fogar erft im 19. Jahr⸗ 
hundert fi) zu heben begann, mochte man aus Scham an 
die kluge Werkihätigfeit der früheften Vorfahren nicht glau⸗ 
ben. Finden wir fchon im 12. Jahrhundert die Handhabung 
einer firengen Baupoltzei, Verbote gegen das „Uebergezimbre“ 
in Köln, gegen „Ueberhang“ der Gebäude in Straßburg ; 
erfahren wir beim Jahre 1292, dag ein Künfller das flie⸗ 
gende Wafler der Brüſch durch Straßburgs Gaffen leitete, 
vermittelft einer Wafferfunft von folder Höhe, daß der „Er⸗ 
finder und Meifter” von ihr ſich zu Tode fiel; daB tes thü- 
ringifhen Mühlhaufens Straßen durch die fünftliche Leitung 
der Schwemmnotte 1292 gleichzeitig gereinigt und getraͤnkt 
wurden; daß in Köln Aquaeducte (Adochte) uralt waren: ſo 
zweifeln wir nicht, daß Straßenpflaſterung fo künſtlichen An⸗ 
falten lange voranging, da dieſe ohne jene nicht ausführbar 
waren. — Das Rathhaus, auch wohl. Bürgerhaus‘ ges 
nannt, vagte über bie Gebäude weltlichen Gebrauchs hervor ; 
auf feinem ſchlanken Thurme, welcher nach italieniſcher Weife, 
oder wie der „Belfroy“ in nordfranzöflfchen Städten, oft abs 
gefondert fland, hing die Glocke mit den Glöcklein, die zur 
Raths⸗, zur Gemeindeverfammlung oder fonft eraflen Dingen 
viefen; auf ihm Iugte der Wächter ins Weichbild aus; der 
ſchlanke „Berlach“ in. Augsburg, ein grauer Zeuge finfterer 
Begebenheiten, ſtammt mindeſtens aus dem 12. Jahrhundert; 
befannt find die „Marktthürme“ mittelbeuticher Städte. — 
Aber dennoch dürfen wir uns nicht ein glänzendes Bild von 
der Stattlichkeit und Wohnlichkeit unferer Bürgerhäufer ent⸗ 
werfen; reger Gemeinſinn hatte mehr Freude an hochgethürm⸗ 
ten, weiten, prachtvollen Münftern, Pfarrkirchen, Kapellen, 


Biertes Bud. 13 


an Bauwerken für Zwede der Barmherzigkeit, für die öffente 1. Kav. 
liche Sicherheit, zum Schmud des Buͤrgerthums durch Rath⸗ 
häufer, Kaufhallen, Lauben, Zunfthäufer, an fteinernen Brük⸗ 

fen, ald daß der Bürger jelbflfüchtig nach auffälliger Zier und 
befonderem Behagen der eigenen Wohnung trachtete. Jahr⸗ 
hunderte hindurch beftanden die Bürgerhäufer nur aus Fachwerk, 

dem urfprünglichen Bauerhaufe gemäß mit dem Giebel nad 

der Straße, obere Stockwerke (Ueberhänge) über Die unteren vor⸗ 
tretend, und fo die ſchmalen Gaſſen noch mehr verengend, die fh 

in der Höhe faft berührten und kaum den Himmel hinein⸗ 
blicken liegen. Sn leichte, beengte Bauart begünftigte die un« 
geheuren Feuersbrünſte, welche alle unfere Städte in ſchreck⸗ 
licher Wiederkehr, gleich den rufitichen, heimfuchten, aus de⸗ 

nen fie aber auch eben fo ſchnell fidy wieder erhoben. Brady» 

ten die Kreuzzüge feit 1147 und die unter den Hohenflaufen 

nie unterbrocene Verbindung mit Italien einen merklichen 
Umſchwung in Sitte, Bildung und Lebensweife der Deutfchen 
hervor; jo erkennen wir die Solgen bed regen Verfehres mit „,, 
ber Fremde aud in der bürgerlichen Baukunſt. Aus dem inter 
Morgenlande ahmten die Bürgerpilger jene zierlichen Erker, Bauart. 
Eckthürmchen und Söller nach, welche die hängenden Giebel 
verdrängten; Italien Ichrte die Anwendung fefteren Materi« 

als und die ſtolzen Thürme patrizifcher Stadtburgen. Eine 
Kolmarer Chronik des 13. Jahrhunderts fagt ausdrücklich 

von Straßburg und Bafel, „Mauern und öffentliche Gebäude 
jeien bis dahin gering gewefen, noch geringer die Bürgerhäu« 

fer, ohne Feſtigkeit, mit wenigen und fleinen Benftern, des 
Lichtes entbehrend.” Worms, deſſen prangenden Gemeinde⸗ 
palaft, Köln, deffen folge Mheingaife wir Tennen, mögen am 
früheften den neuen Geſchmack des Steinbaues auch auf bür- 
gerlihe Wohnungen angewandt haben ; wenn das große Erb» 


14 Dritter Theil. 


4. Ray. beben im Jahre 1356 „„Bierfamine und Wipfel“ von den Dä« 
chern fchleudern Eonnte, fand gewiß ſchon um 1250 der Rauch 
“ einen anderen Ausgang, als durch eine Oeffnung des Dachs 
oder durch die Thüren. Im Norden ging das lobreiche Lü- 
beck in gefeglicher Empfelung der Ziegeln und Schiefer zu 
Mauer und Dad) zeitig voran; Binnenflädte, wie Göttingen 
und Soeft, ſelbſt München, gewährten bei fefteren Neubauten 
öffentliche Beihülfe: dennoch hat Holzbau und fenergefährliche 
Bedachung noch in fehr fpäte Zeit fortgedauert und Stein- 
häuſer pflegten als felten dem beneideten Beftger den Eigen⸗ 
namen zu erwerben. Eine Schilderung ber gewerbthätigen 
Stadt Tranfenberg in Heffen vom Ende des 13. Jahrhunderts 
fagt: die Käufer waren von gefdmittenem Hol; gemacht, vom 
mit „ſchönen Vorgefperren”, köſtlich durchſchnitten und mit 
verzinnten (72) Spangen beſchlagen; die Stuben hinten hin⸗ 
aus; vorn ein weiter Raum, mit viereckigen Steinen ge⸗ 
pflaftert. Die Haͤuſer hatten mehrentheils zwei Thüren 
(Thürme?) wie zu Frankfurt ; viele zwei Keller mit gehauenen 
Steinen gepflaftert und in der Mitte einen tiefen fleinernen 
von Sarg, welcher ein Fuder Weins faßte, damit, wenn einem 
Seen Faſſe der Boden audfuhr, der Wein behalten würde. Die 
Häujer waren auch hübſch „überſetzt““, inwendig mit hübſchen 
Kanımern und Lauben durchbaut, mit fehöner Malerei und mit 
Bildwerk. Die Gaffen waren vollbebaut. Um das Mathe 
Haus flanden Mebgerfiharnen, Brodbänke und Kaufbuden für 
andere Waaren in langen doppelten Reihen, beim Ablaßmarkt 
die Krambuden über den Kirchhof bis zu fernen Gaflen Hin. 
So fröhliches Gedeihen ſchwand, als der Landgraf, wegen der 
b. Eitermutter, feinen Hof in Marburg aufſchlug; ‚da brach 
man die Steinwege ſelbſt am Maerkte und in ber RER: 
auf und machte Miftftästen dahin.’ 





Diertes Bud. 15 


Die Häusliche Einrichtung trug dag Gepraͤge der Einfalti. Rap. 
bed Zeitalters ; der Hausrath, ohne Putz, war dem einfachften Einfach⸗ 
Bedürfniß gemäß und roh gearbeitet. Selbſt das verfei⸗ beit ber 
nerte, reiche Welſchland in der Zeit vor Dante (um 1250) lichteit. 
beflig fih unfreiwillig noch der ärmlichften Einfachheit; beim 
Mahle aßen Mann und Frau aus einem Teller, Eannten keine 
hölzernen Gabeln ; ein ober zwei Becher dienten der ganzen Fa⸗ 
mille ; Fackeln und Laternen Teuchteten bei Nacht den Schmau- 
jenden; Kerzen von Unfchlitt gab es nicht. Wie bäuerlich 
müflen wir und den Zufchnitt des deutſchen Bürgerhaufes 
vorftellen, wenn berichtet wird, daß der Künftler in Schlett« 
fladt, welcher im Elſaß zuerft die Glaſur irdener Gefäße an⸗ 
wandte, im Jahre 1283 flarb! In den Magdeburger Sta- 
tuten, weldye in Die Satzungen unzähliger Städte übergin- 
gen, zählt uns die Beftimmung des Sachſenſpiegels über die 
„Gerade“ Die Habfeligfeiten der Hausfrau auf: außer Scha- 
fen und Gaͤnſen die Kaften (Truhen) mit gewölbtem Dedel; 
„alles Garn, Betten, Pfühle, Kiffen, Leilach, Tifchlafen, 
Sandquelen, Babelaken, Berken, Leuchter, Leinen, alle weib- 
lichen Kleider, Bingesringe, Armgold, Pſalter und alle Bü- 
her, die zum Bottesbienft gehören, die Frauen zu leſen pfle- 
gen“, Seflel, Teppiche, Umhänge; manderlei „Kleinode‘, 

3. B. Bürfte, Scheere, Spiegel! Die Sapung umfafte das 
höchſte Map deſſen, was die reichfte Frau befitzen durfte; 
einfachere Beftimmung iſt: die Frau nahm vorher weg: alles 
was fle beim feierlichen. Kirchgange an fi trug. — No 
bis auf die Zeit Karla V. und die merflicheren Folgen der 
Entdeckung neuer Erdiheile, ihrer Schäge, unt die Neubele- 
bung des Kunſtfleißes dauerte in fonft anfehnlichen, doch dem 
Welthandel entlegenen beutfhen Binnenftädten fo ärmliche 
Beſchraͤnkung, daB z. B. felbft in vermögenden Käufern, von 


16 Dritter Theil. 


1. aav.-Mathöherren und Aerzten, der Sohn des Hauſes mit feiner 
jungen Frau im Hinterſtübchen bei den Eltern wohnte, ohne 
eigene Wirthichaft bei ihnen zur Koft ging. 

Grüße Dennoch aber fand ſelbſt ſchon jenes Jahrhundert ge= 
— ſetzliche Beſchränkung der Prunkliebe und Schwelgerei nöthig, 
in denen derbe Genuß⸗ und bäueriſche Putzſucht bei feſtli⸗ 
dem Anlaß fi zu ergeben liebten. Auf das erfle Luxusge⸗ 
jeb ſtoßen wir bei den fröhlichen, praffenden Wormfern ſchon 
im Sabre 1220. „Ritter, Richter und NRathleute, mit Bei- 
flimmung der gefammten Gemeinde‘, unterfagen, nebft an⸗ 
derem noch nicht hieher Gehörigen: die Gaftmäler und Gelage, 
welche, nach der Eirchlichen Beftattung, im Haufe des Geflorbe- 
nen gehalten zu werben pflegten, „und ſich mehr zu Hochzeiten 
als zu Trauerfeften eigneten“; als Bruch floß bei Uebertretung 
der Stabtbaufaffe die Summe von 30 Schillingen zu. Die gleiche 
Strafe büßten diejenigen, welche nadı der Abreiſe ihres Freundes 
oder Verwandten, in defien Haufe, oder anderwärts auf defien 

Worms. Koften ſich gütlich thaten. Dem Abreifenden oder Heimfehrenden 
felbft war ein Schmaus geftattet. Zunächſt drang der Rath zu 
Braunſchweig, wie bald darauf der von Breslau, aufweifes Maß⸗ 
halten bei Hochzeiten. Die firengen Niederſachſen duldeten nicht 
mehr als 12 Schüfleln, „ſo lieb einem ein Pfund Pfennige‘, 
und „drei Spielmann ber Stadt’’ dazu; die Breslauer (um 1290) 
30 Schüffeln und vier Spielleute. Zu Speft, wo die Stände be⸗ 
flimmter felbft bei vorwaltender demofratifcher Richtung fich 
geſchieden, ging man noch gemefjener zu Werke und bedingte 
rechnend den Hochzeitlichen Aufwand nad) der Mitgift der Braut 
und dem Vermögen des Bräutigamd. Ungefähr gegen das 
Ende des 13. Jahrhunderts feßte alter und neuer Rath feft: 
beim Verlöbniß Feinen Weinfauf zu trinken; boch dürfe ber 
Blüdliche der Braut ein Paar Schuhe und ein Paar Golz⸗ 


Biertes Bud. 17 


fchuhe jenden. Im polizeilihernften Göttingen war man imi. za. 
Jahr 1354 fo weit, daß der Bräutigam auch wohl den Braut 

jungfern ein Paar Schuhe und desgleichen Holzſchuhe fpenten 

durfte, wogegen Die Braut mit linnenen Kleidern und einem Ba- 
belafen fich dankbar erwies. Beſaß in Soeft die Erwählte nicht 
höheren Brautſchatz als 80 Mark, fo durfte fie am Ehrentage 

niht ein rothſcharlach Gewand tragen; am Abend vor der 
Hochzeit tranken höchftens 24 Mann im Hoczeithaufe und bes 
gnügten fich mit einem Gerichte „alten Käſes““, wofür der Gaſt 
einen Pfennig zahlte; beim Feſtmahle ſelbſt waren den Reich- 

fien 50 Schüfleln, aber nur fünf Gerichte, jede Schüffel 12 
Pfennige werth, geflattet. — Der erfle Morgen bes jungen 
Ehepaares fah Die Fortſetzung der Feſte und derber Trinkluft, 

fo auch der dritte Tag. — Im blühenden Gewerb=- und Fa⸗ Sieger 
briforte Soeft, wohin Reichthümer aus überfeeifchen Ländern " 
zujammenftrömten, würde und im 13. Jahrhundert die Aerm⸗ 
lichfeit der Tracht, „rothe Tuchröde für Bräute, und Holze 
ſchuhe“, befremden : wüßten wir nicht aus dem Munde des Ahn⸗ 

herrn Dantes, daß Bellinzion Berti,des anſehnlichſten Geſchlech⸗ 

tes der Florentiner, noch den ledernen Gürtel mit einer Spange 

von Bein befeſtigte, die Nerli und Vecchi noch nicht einmal in 
grobes Tuch, ſondern in lederne Koller fich kleideten. Raths⸗ 

und Schöffentrachten mögen in Köln, Lübeck, Bremen, — eine 
Urkunde v. J. 1111 iſt erdichtet, — in Magdeburg ſchon eigen⸗ 
thümlich, doch noch nicht die fpätere Tuch» oder Sammtſchaube, 

mit Fuchspelz gefüttert, die güldene Kette geweſen fein; dennoch 

aber dürfen wir nach kunſtloſen, plumpen Zeichnungen, welche 

uns aus dem 13. Jahrh. überkommen ſind, nicht ſchließen, daß 

die bald ſchlottrigen, weiten, bald engen Kleider dem Wechſel 

der Mode nicht unterworfen geweſen wären. Mit langen 


Schleppen gingen ſchon in Caͤſarius von in Tagen 
Barthold, Stäpdtewefen IH. 


18 Dritter Theil. 


1. Rap. (1220) die Frauen in Mainz zur Kirche, troß des geiftlichen 
Fluchs über den Pfauenfchweif, „ven Tanzplat der Teufels 
hen; hätten die Frauen ſolcher Schwänze bedurft, fo würde 
die Natur fle mit etwas der Art verjehen haben.’ Die Wie- 
nerinnen blieben in Pracht und fchleppenden Gewändern nicht 
zurüc, doch mögen es nur Ritterfrauen und Bräulein gewefen 
fein, welche der chevaleresfe Narr, Ulrich von Lichtenftein, auf 
feinem phantaftifchen Umzuge in der Hofftadt-der Babenberge 
erblickte. Dennoch fällt und auf, daß die öfterreichifchen 
Bauern in Neidhard Fuchs Tagen durch modiſches Spreigen 
in Kleidern des luſtigen Dichterd Groll erregen fonnten. Mit 
dem vierzehnten Jahrhundert, befonders in Folge der Kriege 
der Balois und ihrer Nebenbuhler auf Englands Thron, einer 
Fehde, an der unzählige deutjche Hitter und Söldner fich be= 
theiligten, zur Zeit der erſten großen Söldnergefellfchaft 
(Cameraderie), gelangten die bizarrften, wunderlichiten Mo- 
den, doppelte Farben an demfelben Kleite, langſchleppende 
Aermel, Gugeln, unanftändig enge Hofen, kurze Wämſer 
faum bis an die Hüften, leicht auch nad) Deutſchlands ehrbar⸗ 
ften Städten, und machten firenge, aber wenig befolgte Klei- 
berordnungen nöthig. 1246 bedingte fich ein Graf von Ho= 
henlohe urkundlich, in Anwefenheit des römifchen Königs 
Konrad, von einem vornehmen Bürger zu Augsburg, Dem er 
feinen dortigen Wohnhof zu Lehn gab, als jährliche Anerken⸗ 
nung ein Paar Hojen von feinem Wollenzeuge. 

Was das Haus Tem reifigen Kaufmann, dem Altbürger, 
dem Handwerker, welder im Freien, auf der Gaſſe, oder auch 
wohlauf der „Bank, der Brüde‘ neben den Genofjen fein ©e= 
ihäft trieb, an bequemen Genuß verfagte, das erfegten reichlich 

Refent-bie Anftalten, welche den öffentlichen Gejellfchaftsleben überall 

Leben. fich aufthaten. Von den Trinkftuben der Sunfer, ihren pran⸗ 








Viertes Bud. 19 


genden Gelags⸗ und Tanzhäuſern mit mancherlei wunderlist. Kap. 
den Namen, geben wir dad Bild erft fpäter,; einen allgemeis 
aeren Charakter trugen die Rathskeller, Höfe, Gemeindefäle, 
Zunfthäufer, welche, an baulicher Zier das Bürgerhaus über- 
ragend, dem lebensſfrohen Gefchledhte an Feiertagen fich öffne⸗ 
ien. Die ernflhafteften Borfommnifle des bürgerlichen Les 
bens gaben dem Deutfchen Anlaß zu Schmaus und Trinkge⸗ 
Ingen. Die vornehmen Altbürger, die rathöfähigen Gefchlech- 
. tr im Norden verkehrten beim Weine in den Gebaͤulichkeiten 
des Rathhauſes, im Rathskeller, fpäter im „Artushofe“, 
und begingen dort ihre Rathsköfſten, herkömmlich von 
aͤffentlichem Gute; die Zünftler mehr bein Bier im Ge⸗ 
ſammtzunfthauſe oder auf ihrer Gildeſtube. In Soeft führte 
der Tummelplatz gejelliger Luft der Rathsverwandten den 
fremden Namen „Rumenei“ und fland, als Stadtweinkeller, 
nahe bei der „Gefreitheit“ des Münſters; das Gefellichafts- 
haus der Zünfte hieß „up dem Sele“ (Beele), entweder von 
Saal, oder vom englifdhen „to sell”. „Dienſte“ (servitia) Dienk? 
sannte man die bräuchlicden Schmäufe, welche neue Rathéher⸗ 
ten ihren Amtsgenoſſen zu leiflen hatten; ſolche „Dienſte“ 
verlangten auch alle älteren Zunftglieder von Neuaufgenom- 
menen: ſie wurden feierliher und Eoftfpiellger in den Ka⸗ 
Inndshäufern des 14. Jahrhunderts. Wenn man im Verei⸗ 
nigungöbriefe der Herren von Gohenlohe und Weindberg über 
die gemeinfchaftliche Megierung der Stadt Dehringen vom 
Jahre 1252 Tiefet: daß die Schultheißen dreimal im Iahre 
dem Iandeöherrlichen Voigte mit 32 Rittern, jeder Ritter mit 
zwei Knechten, „drei Dienfte” thun follten; fo verſteht der un⸗ 
befangene Leſer gewiß eine Art Triegeriiher Mufterung oder 
perfönlicher Geſtellung mit den Waffen, fo oft der Voigt den 
ungebotenen Gerichtätag hielt; die Dienfle bezogen fich aber 
2* 


20 Dritter Theil. 


1. Rop.auf hinlaͤngliche Bewirthung „mit Nindfleifh und Schwei⸗ 


nefleifch”, mit Wein Abends und Morgens, wozu der Schult- 
heiß das Nöthige ftellte; das Stroh und Heu in den Herber- 
gen, wo bie Ritter ſchliefen, gaben die Pfaffenhöfe; die Lich- 
ter die Küfteret. 

Ein würbigerer Gegenftand des Wetteiferö aller deut⸗ 


ſchen Städte gegen einander, felbft der mindermächtigen gegen 


die reichften, war der Aufbau und innere Schmuck jener zahl- 
reichen Gotteshäufer, jene Werke Firchlicher Baufunft, welche 
der andächtige Gemeinftnn im 13. Jahrhundert entweder ſchon 
vollendete, oder im Grundriß zur Vollendung künftigen Ges 
ſchlechtern hinterließ. Es ift nicht unfere Aufgabe, in diefen 
faft unerſchöpflichen Stoff einzugehen; die Andeutung ge= 
nüge, daß, was unfere an öffentlichen Bauwerfen verarmten 
Städte heute noch Vortrefflihes im reihen Spitbogenftil 
aufzumweifen haben, und was ihnen oft allein, wie den Soe⸗ 
ftern, Rotenburgern, Heilbronnern, Mühlhäufern, als Zeug- 
niß früheren Glanzes geblieben ift, feinen Urfprung dem 13. 
Jahrhundert verdankt. Und wie wenig fehen Die geſchmacklos 
umgebauten, ärmlich geflictten, mit fpäterem Trödel ausgefüll⸗ 
ten, im Gewölb erniedrigten, in Gtebel und Dach abgeftumpf- 
ten, an Firſt und Strebpfeilern Fahlen Münfter und Pfarr» 
Firchen, ihrer jugendlichen, ebenmäßigen Pracht noch gleich! 
Wie find faft alle jene himmelhohen Thürme, falls fie 
nicht als ewige Steinpyramiden, Iuftig durchbrochen fh erho⸗ 
den, nad) Feuersbrünſten und Orkanen heut zu Tage zuſam⸗ 
mengedrüct, mit kümmerlichem Nothdache eingedeckt, oder 
mit unförmlich gebuckelten, zwiebelartigen, unpaffenden Hau⸗ 
ben verjehen! Wie ganz anders kündigte eine Stadt, mit 
Mauer- und Thorthürmen, überragt von zahlreichen höheren 
oder niedrigeren Spigen und Giebeln, je nachdem ein Dom⸗ 


Biertes Bud. 21 


ftift, eine Haupipfarrkirche, ein befcheidenes Branzisfanerklost. aa. 
Rer, dergleichen nebft einem Dominikanerklofter auch unbedeu⸗ 

tende Orte umſchloſſen, fle trug, oder eine demüthige Kapelle, Baht 

im 13. bis zum Jahrhundert des großen deutichen Krieges Kirchen. 

dem fernen Wanderer ſich an! Soeſt, das in neuerer Zeit 
bis ‚zum größten wetfälifchen Dorfe“ herabſank, zählt deſ⸗ 
fen ungeachtet noch jetzt ſechs bethürmte Kirchen und Kapellen ; 
in feiner Blütheperiode zehen flattliche Gotteshäufer in allen 
Stilübergängen vom 11. Iahrhundert bis zum 14., und gegen 
28 Kapellen, die Siehhäufer, Pilgerberbergen, Dariengärten 
und andere Anftalten kirchlichen Sinnes nicht gerechnet. Das 
heilige Köln, das goldene Mainz ald Sit des Primats in 
Germanien, Megensburg voll uralten Ehreiferd in Bauten 
bairiſcher Andacht, Erfurt, das ſchmucke Abbild vom vheini« 
ſchen Erzfiiftäflge, Magdeburg, die Metropole des geſamm⸗ 
ten deutfchen Slavenlandes, müſſen, die ebene Lage abgerech⸗ 
net, damals den Bergleih mit dem jetigen Prag geboten 
haben! 

Sp jehen wir, den befcheitenen Bedürfniffen des Le— Kunft 
bens abgewandt, die Kunft im Heiligen am liebften fich be-Stävten. 
thätigen. Bor anderen die Goldſchmidtskunſt, welche Föftliche 
Schreine für die Leiber der Heiligen, Monftranzen, gebilderte 
Kelche, Kreuze mit der Geſtalt des Erlöfers ſchuf. Aus dem erſten 
Diertel des 14. Jahrh. ſtammt der, jet ſeiner verarmten 
Kirche entfremdete Patroklus⸗Kaſten non Speft, ein hölzerner 
Schrein, mit getriebenem vergoldeten Silberblech überzogen, 
soll apoftolifcher Geftalten in zierlichen Niſchen; nahe 150 
Jahre älter ald St. Sebalds Grab inNürnberg und die Guß⸗ 
werke Peter Viſchers. Kölns Goldſchmiede hatten den Preis 
vor anderen bis nach Stalien hin; Wichmanns, des Erzbiſchofs 
von Magdeburg, Tundige Meifter goſſen das eherne Thor, 


22 Dritter Theil. 


1. Ray. weldes die Domkirche St. Sophia von Nowgorad ſchmückt 
und der Unfenntniß als Arbeit byzantinifcher Künftler gilt. 
Kölns Schilderer — Maler — ftanden mit denen von Ma- 
ſtricht ſchon in Wolframd von Eſchenbach Tagen in hohem 
Rufe; ein Mönch in Mainz fertigte für die Abtei Heiſterbach 
„Kreuzbilder von wunderfamer Schönheit‘ (vor 1233). Die 
Grabdenfmäler berühmter Männer boten den Anlaß, bie 
Kunft des Steinmegen mit ber ded Malers zu verbinden. 
Bon folden Werken ift aus früher Zeit nur wenig in ben 
Hallen obers und weftdeutfcher Klofterfirchen erhalten; kaum 
eins fommt aber an Vollendung demjenigen gleich, welches 
finnige Liebe dem milden Heinrich) von Breslau im Chore der 
herrlichen Kreuzfirche jener Stadt erhob (um 1295). Ber 
wandt mit ber Richtung auf das Heilige war die Kunft des 

Bappen Siegeljchneidend. Die Städte bebienten ſich feit Dem Ende bed 

Eiegel. 12. Jahrhunderts überall eines befonderen Wappens, welches 
gemeinhin das reichverzierte Bild des Patrond der Hauptkirche 
enthielt. Lübecks Siegel zeigt bedeutfam das Schiff aufhoher 
Fluth, der alte Steuermann mit fpiger Kappe leitet das Fahr⸗ 
zeug durch die Wogen; ein Jüngling am Tauwerk weifet auf 
den Beiftand nach oben. Köln hat als älteftes Wappen der 
h. Petrus, mit den Schlüffeln figend auf dem Stuhle; feit den 
innerliden Stürmen im Jahre 1270 daflelbe herrliche Bilb 
unter fpigbogigem Baldachin mit frommer Umſchrift, welche 
die h. Stadi als „treue Tochter der römifchen Kirche‘ be= 
zeichnet. Soeft, „die Stadt der Engern‘, fertigte Urkunden 
ſchon feit 1159 mit dem Bilde des, Schlüffel und Kirche hal⸗ 
tenden, Apoftelfürften aus; Münden feit 1274 mit Benno, 
dem Mönchsknaben; Magdeburg hatte feit uralter Zeit mit 
räthjelhafter Anfpielung auf feinen Namen die Jungfrau 
über den Zinnen fi erwählt; das Nibelungiiche Worms 


Viertes Bud. 23 


zeigte im Siegel ber frübeften Rathsgemeine den Lindwurm; 1. Kay. 
it er Siegfrieds Dradje oder deutet er auf noch graueres 
Heidenthum bin? Die ehemalige Römercolonie am Xech, 
Augsburg, brauchte, mit Hinblid auf die Römerwelt, feit 
1246 urfundlih „das Pyr“, einen Tannenapfel, ober eine 
Zirbelnuß, deren Urbild man bei St. Ulrich aufgrub. Reichs⸗ 
freie Städte ftellten gern ben Eaiferlichen Adler über ihren 
Thorthurm, und unterſchieden ſich vor den Mitfchweftern durch 
Abzeichen, etwa wie Muͤhlhauſen in Thüringen dur das 
Mühleiſen. — Breiburg im Breisgau wollte wachfame Frei⸗ 
beit fchon in feinen Wiegentagen durch den Wächter mit dem 
Stierhorn zwifchen den Hohen Thorthürmen Fundgeben ; unter 
Drangfalen ter Nahbargrafen um 1258 fegte e8 im Siegel 
zwei Wächter auf die zwei äußeren Thürme des dreifach bes 
thürmten, breigeöffneten Ihores; fie Iugten nach verſchiede⸗ 
nen Seiten aus. Frankfurt, „des Meiches erkorene Pfalz‘, 
blieb beim Bilde des Weltherrichers ; Braunſchweig befam den 
Xöwen vom gewaltigen Welfen; Hamburg mit vielen an⸗ 
deren Städten behagte das dreifach bethürmte Stabtthor; 
Berlins ältefter Bär ſchritt aufrecht zum Angriff, und trug 
nit, dahintrabend auf allen Vieren, Halsband und Kette, 
das Zeichen fpäterer Bezähmung durch den zweiten Hohenzol⸗ 
lern. Die Stadtwappen unferer Städte bieten reichen Stoff 
ernfihafter Betrachtung. — 

Daß auch die Künſte der Mechanik finnreicher Bürgerluſt , 
dienten, lehrt der oben erwähnte Keierzug ber „edlen Kölner’ nit. 
beim Empfange der Kaiferbraut (1235); herrliche Schiffe, von 
Thieren getragen, bie unter rings übergehängten ſeidenen 
Decken verborgen waren, fuhren auf trockenem Lande; in den 
Schiffen faßen Geiftlihe, welche unter Orgelklang liebliche 
Geſaͤnge ertönen ließen. — 


24 Dritter Theil. 
1. Ray. Andaͤchtige Kunftliche beeinträdhtigte jedoch die eigent⸗ 


Seiten: liche geiſtige Bildung nicht, obgleich ſie mehr in der Poeſte 
ze — des Jahrhunderts ihren Ausdruck fand. Die Kunſt zu leſen 
thume. und das Latein zu verſtehen, feheint unter den Bürgern nicht 
fo jelten gewefen zu fein, als felbft unter dem dichtenden Rit⸗ 
terflande: ift doch ſchon im Sachjenfpiegel ein Büchervorrath 

als Erbantheil der Frauen genannt, die alfo allerdings für 
Kirche und Haus Iefen fonnten. Befondere Stabtfchulen ne= 

ben den LZebranftalten, welche für junge Kleriker an allen 
Säulen, Domftiften beftanden, erwähnt an vielen Orten das 13. Jahr⸗ 
hundert. So erwirkte fich Lübeck im Jahre 1252 vom römi«- 
"Shen Stuhle dad Recht, eine Stadtſchule bei St. Marien an- 
zulegen, und erlangte im Jahre 1262 ‚nach fleifiger Bitte‘ 
dafjelhe für die St. Jacobspfarre vom Biſchof. Hannover 

übte fhon im Jahre 1280 als altherkömmlich mit den Burg- 
mannen zu Lauenrode die Befugniß, geeignete Männer zur 
erledigten Stelle des Schulmeifter8 vorzufchlagen ; fo Göttin⸗ 

gen und manche andere Gemeinde in Niederfachfen und Weſt⸗ 
falen, wie 3. B. das Eleine, aber rührfame Medebach ſchon im 
Sabre 1275 feinen Lehrer zum Lefen und Schreiben anftellt. 
Begreiflicher Weife jehen wir die Geiftlichleit bemüht, Die 
Anlegung von freien Schulen zu erfehweren oder zu verhindern, 

nicht fowohl aus Furcht, an ihrem Einkommen einzubüßen, als 

weil ja ohne die Schule die Städte als Heerd der Ketzerei gal⸗ 

ten. — Der berühmte Sit der Schulweisheit In den niederen 
Landen war das h. Köln, noch ehe es ald Univerſttät prangte: 

auf den Bildungsanftalten Kölns firömten fähige Jünglinge 

aus den nörbliden Reichen, feldft aus Polen und Schweden 
zufammen ; dort glänzte ja der Ariftoteles und Plinius des 
Mittelalters, Albertus Magnus; nad ihm Johann Duns, ges 
nannt Scotus, als Meifter aller Wiffenfchaften, und kurz 


Biertes Bud. 25 


vor ihm der Dominikaner Thomas von Aquino, ‚der Vater! Kar. 
ber theologischen Moral.” Schon im Jahre 1222 gab es 

in Köln Lehrer der Heilkunde, wie wir denn überhaupt in 
wohlgeordneten Städten bereit8 öffentliche Aerzte treffen. — 
Selbft Heine ſchwaͤbiſche Städte boten die Mittel zur gelehrten 
Borbildung; wir kennen den boshaften Schulmeifter zu Eß⸗ 
Iingen; der Feine Flecken Isny, noch unter gräflicher Hoheit, 
fonnte gleichwohl ermöglichen, daß eines Beckers Sohn, Hein- 

rich, aus ihrer Mitte nad) Paris, der Univerfttät der gefamm« 

ten Iateinifchen Welt, zog, um fpäter als hochbetrauter Math 

und Bifchof am Hofe König Rudolfs fich auszuzeichnen. Sp 
durften denn auch am Schluffe unferer Periode fähige Bürger 

und Rathaſchreiber den Mönchen das Amt des Ehronikanten 

mit Geſchick entnehmen: Herr Albrecht von Bardewiek, Lü⸗ 

becks Kanzler, verfaßte eine Denkſchrift über die nächften Er⸗ 
eigniffe feiner Zeit (1298), mit Hinblid auf den blutigen 
Hader Adolfs von Naflau und Albrechts von Oeſterreich; Silk 
Meifter Gottfried Hagens, Stadtſchreibers von Köln, Ieben- Ehroni- 
dige Reimchronik Tennen wir bereits; in Straßburg ergriff 
Gottfried von Endmingen die Feder, um auf Antrieb Des 
‚langen Ellenhard”, eines flreitbaren und wachſamen Alt- 
bürgers, die Waffenthat von Hausbergen fpäteren Geſchlech⸗ 

tern umfländlih zu verkünden. Nur von Soeft vermifjen 

wir befremdlich ſelbſt die bürftigften Jahrbücher, bei einer 
Fülle von Urkunden. — 

Aber wiffenfchaftlicher Ernft trat zurück Hinter den Mu⸗ 
fenkünften, weiche in die nüchternen Bürger- und Kaufmanns⸗ 
feelen einzogen, und mit ihrer Bethätigung im öffentlichen 
Leben dem Städteweien des 13. bis zum 15. Jahrhundert Pad, 
ein durchaus heitered Bepräge gewähren würden, wollten wirtligsber 
nicht gleich die Nachtfeiten jener Zeit gewiffenhaft gegenüber- N 


26 Dritter Theil. 


4. Kap. ftellen. Als die Kreugzüge feit König Konrad III., die Ber- 
bindung mit den romanifhen Völkern, und die Erkundung 
bed fernen Morgenlandes mit feinen Wundern die vielgeftale 
tige Ritterpoeſte, das romantifche Epos, hervorgerufen, erflang 
auch in ſtaͤdtiſchen Genoſſenſchaften die Erinnerung an alte 
Helden und ihre Fahrten wieder, die im deutſchen Bauernvolf 
überhaupt nie verftummt war. Wiffen wir Doch, daß im To⸗ 
desjahre Kaifer Heinrichs VI. der alte Dietrich von Bern auf 
fhwarzem Roſſe feinen Umritt ſpukhaft in der Mofelgegend 
hielt und das bevorftehende Elend verkündete. Waren die 
Städte unfered DBaterlandes erfüllt mit einer Unzahl von 
Die „Spielleuten‘‘, ein Iufliges Gefindlein, das, im allgemeinen 
Ieute. als „„gerende, fahrende Leute‘ bezeichnet, mit Fiedel, Harfe, 
Pfeife und Zinfe, mit Gaufelfünften, Poflenreifen und 
Bänfelfängeret fein Brod, läſtig genug für das ruhige, fpar- 
fame Bürgerhaus, erwarb; fo hatte fich Doch überwiegend ber 
hohe und niedere Adel der erwecklichen Kunft bemädhtigt und 
ehreifrig von jenem Völkchen zu trennen gewußt, bis die pro⸗ 
fatihe Gleichgültigkeit der Zeit in Rudolf von Habsburg 
ihren Ausdrud fand, und alle Eoft- und Iohnfuchenden Jün⸗ 
ger faft in eine Klaffe warf. Iene „Spielleute“ waren ja 
ſchon durch den Sachſenſpiegel als rechtlo8 audgefchieden, und 
batten vor dem Richter Feine Genugthuung für bie höchſten 
Unbilden; fie trieben e8 aber auch fo arg, daß ber Rath zu 
Worms fih im Jahre 1220 gemüßigt fah, feinen Gaft- 
wirtben und Herbergsvätern bei Strafe die Zulaffung von 
Gauflern und Oauflerinnen, Schaufpieleen und Pofientrei- 
bern (Garciones, Garçons) zu verbieten, damit „Freiherrn, 
Grafen, Ritter, fremde Kaufleute und ehrbare Gäfte aller 
Art“ nicht Ueberlaft von den Zudringlichen erlitten. Die Stadt 
Goslar hatte, befonders feindfelig, in ihren von König Fried⸗ 





Biertes Bud. 27 


rich II. im Jahre 1219 beflätigten Statuten „Gaukler und. san. 
Spielleute“ erblos gemacht, Die Habe verfiorbener dem Reichs⸗ esan- 
koigte zugewiefen; zumal waren bie weiblichen Glieder dieſer rehtios 
zahlreichen Zunft anrüdig, „ Schaufpielerinnen‘‘, deren Lebens⸗ 
wandel als Tänzerinnen nicht erbaulich fein mochte. Dennoch 

aber Eonnte die Bürgerluft der Ausgefloßenen nicht entbehren ; 

die Gemeinden berechtigten wohl zunächft Stadtkinder zum 
Erwerb; wir trafen „Spielleute der Stadt’, drei an der Zahl, 

auf Hochzeiten in Braunſchweig; im thüringifchen Mühlhau- 

fen waren bei gleicher Feftlichfeit bis ſechs Spielleute, „welche 
Tänze und eigen machen“ und „zweie, welche Brod, Unrat (?) 

und Senf den Bäften zutragen“, erlaube. — Welde Be- 
wandtniß e8 mit den Schaufpielern gehabt habe, tft dunkel; 
dürfen wir gleich unter befannten ſceniſchen Spielen zu Eije= 

nach fogenannte Myfterien verftehen, deren Darfteller ficher 
überwiegend Geiſtliche waren, jo macht uns irre, daß in einer 
ſächſiſchen Stadt einmal der Blig firafend ind Theater ein- 
flägt, im Sabre 1207 jeder, der zu Regensburg ein offenes 
Schauſpielhaus hält, geächtet wird und fein Haus ſelbſt Der 
Stadt ald Buße verfällt. Demnach müflen wir in unjeren 
Städten Geſchmack und Neigung zu dramatifchen Spielen ir- 
gend einer Art vermuthen. 

Wenn nun aber König Rudolf auf dem Reichstage zu & Di 
Negendburg (1281) „Lotterpfaffen mit langem Haare‘ (fal=" ae 
ſche Meßpfaffen) und Spielleute gar außerhalb des Landfrie- Ente 
dens feßte, und darob genug geicholten wurde; fo gab eine 
Gefeuftrenge der Art ein mal den Grund, daß die aus der 
Gefellfchaft geſtoßene Zunft fih unter eigenthümlicher, ergötz⸗ 
licher Form abzuſchließen und zu fchügen fuchte, anderjeits, 
daß die edlere Gattung der bürgerlichen Spiellente, die „ge⸗ 
zenden” Dichter, in ein ehrbares Geſellſchaftoband ſich ſicher⸗ 


28 Dritter Theil. 


4. Ray. ſtellten. Die erftere wunberliche Erfcheinung ift das „König⸗ 
thum der Bahrenden Leute im Elſaß“, das Pfeifferrecht zu Rap⸗ 
poltftein; die zweite jene frühe Ausbildung des bürgerlichen 

Penn Meiftergefangs, deren Spuren bis ind 13. Jahrhundert hin⸗ 
zus Naufreichen. — In Betreff des Erſten beſchraͤnken wir uns 
— “auf die Andeutung, daß beſonders Alemannien an beiden 
Ufern des Rheins bis in die Pfalz hinunter von ſang⸗ und 
fpiellufligem Volke bewohnt war; eine jeltfame Geigenart 
fand man ja in uralten ſchwäbiſchen Gräbern, und ‚‚Valfer der 
Fiedler” iſt unvergefien. Ungewiß, ob fchon im 12. Jahr- 
hundert, aber fiher im 13., empfing das Herengefchlecht der 
Rappoltfteine, welches, einheimifch oder fremd aus Welfchlant, 

in den Tagen der falifihen Kaifer am rebenbedeckten Fuße 

des Waflchen (dev Bogefen) auf Gipfel und Rücken eines 
Berges drei im ganzen Obereljaß firhtbare Burgen — das 
Wahrzeichen der köſtlichen Landſchaft — erbaute und das 
Städtlein NRappoltöweiler gründete, vom Meiche die Lehns⸗ 
herrlichkeit über alle Fahrenden Leute vom Sundgau ab- 
wärts bis hinter Hagenau und ſchuf fein Geigenfünig- 
thum bei ähnlichen Verhältnifien, wie unter ben Plan 
tagenet8 und Valois die „Könige der Minftrel8 und Jong- 
leurs“ an die gefunfene Achtung der Volföbarden und Sän- 

ger des Heldenlieded erinnerten. So traten die überall 
als rechtlos, feldft aus dem Tirchlichen Verbande geftoßenen 
„Muſtker“ unter einen ritterlichen Schirmherrn, der fle gegen 
Unbilde vertheidigte, ihnen in Zunftftreitigfeiten Recht ſprach, 

und nad Gebür dafür ein jährliche Schutz⸗ und Voigtgeld 
forderte. Meicht gleich die Urkunde über das wunderliche 
Reichslehn, dem jedoch das 16. Jahrhundert noch Seltfame- 

res zur Seite flellte, nur bis zum Iahre 1400, in weldem 
Marimin von Rappoltflein, gemeinhin Schmaßmann ge= 


Viertes Bud. 29 


nannt, „den Dienft und Oberkeit der Spielleute, das Amt, 1. Kap. 
das Königreich Fahrender Leute zwifchen dem Hagenauer Forft = 
und der Bird, dem Ahein und der Virſt“, Henjelin feinem 
Pfeifer und fahrenden Danne lieh, nachdem Heinzmann Ger⸗ 

ber der Pfeifer von Krankheit feines Lebens wegen „daſſelbe 

nicht mehr verforgen mag’ ; fo fpricht doch dieſe Urkunde, „daß 
Schmaßmanns feel. Bater Bruno und Ultvorderen, als lange 

daß niemand verdenket“, jolches rechte Exrblehn vom h. römi⸗ 

ſchen Meiche innegehabt, für das höhere Altertfum der Fami⸗ 
lienwürde. Mit welden Gebräuchen das Königreich päter 
gehandhabt wurde, wie fich die Tuftige Zunft ausgebildet, wo 

fie ihre Parlamente, ihre ernftfröhlichen Jahresfeſte gehalten, 
welche Rechte und Pflichten das Glied derfelben überfam; 

wie noch am Ende des 17. Jahrh. nach dem Erläfchen der 
Herren von Rappoltftein, jener denfwürdigen Pfleger 3. J. 
Speners des Patriarchen des älteren Pietismus, bie Pfalzgra= 

fen von Birkenfeld durch Ludwig XIV. ihre Lehnsanſprüche 
fiher ftellten und ihr Amt ausübten, bleibt einer fpäteren 
Schilderung. — 

Während das Königreih der Bahrenden Leute in Ale— gurger⸗ 
mannien gedieh, hatte ber bürgerliche Meiftergefang zeitüblich „Rz, 
in Zunft und Schule Iobefam ſich ausgebildet. Schon im beſans. 
Anfang des 13. Jahrhunderts fehen wir fo holdſeliger Kunft 
befliffene Bürger auf Landgraf Hermanns Hofburg im Wette 
ftreit bei einander. Jene Meifter find keineswegs erbichtete 
Perfönlichleiten: Bieterolf erſcheint gleichzeitig in Erfurts 
und anderer thüringifcher Städte Urkunden; andere, wie jelbft 
Heinrid von Ofterdingen, heißen ausdrücklich Bürger von 
Eifenad. Die Tölniihen Handelöherren zeigen ja im Ge⸗ 
dicht Rudolfs von Ems ſich als fo Höflich= gebildete, feine 
Weltlente, und bewegen FG im Umgang mit Biſchöfen und 


30 Dritter Theil. 


4: Rap. Kürten fo frei und voll Selbſtgefühls, daß fie meinen: „auch 
für eine Königstochter ſei es zuletzt nicht das fchlimmfte Loos, 
ein reiches Kaufweib zu Köln zu werden.’ Die reiflgen Bür- 
ger niederdeutfcher Handelsſtädte erfcheinen aber, der nüchters 
nen banflichen Befchäftigung, des eflen Aufenthalts in den 
Bitten, Haͤringsſalzereien an Schonend Küfte, im traurigen 
Kaufhofe zu Naugarden ungeachtet, erftens ald Bewahrer ber 
germanifhen Heldenjage. Merfwürdig genug entlehnte 
der Verfaſſer der isländifchen Wilfinafaga den Stoff von 
„Chriemhild, Siegfried, Hagen, König Esel, dem Berner Diet- 
rich“, den Erzählungen niederfächfticher Schiffer, reifiger Kauf- 
leute aus Bremen und Münfter, das verflingende Bewußtfein 
des Nordens wieder auffrifchend, und verlegten — unerflärlich, 
falls nicht prahlerifche Lüge, — folche Gewährdmänner des Sa- 
gabichters den Schaupla des Nibelungenliebes „Etzelburg“ 
nach unferem Speft am „Hellwege“, ja ließen in ihrem noch 
fpätbefannten „Schlangenthurme“ am, Wurmgarten‘ König 
Günther som böfen Gewürme fterben, Zweitens vermittel- 
ten unfere gewinnfüchtigen Kaufleute aud) den fremdartis 
gen Stoff von der Tafelrunde, von König Artus, vom Ge⸗ 
heimniß des h. Graald aus romanifhen Landen. Artus 
war zu Soeft ſchon im 13. Jahrhundert ein Eigenna⸗ 
men; die „Rumenei“, das Gefellihaftähaug der Rathsver⸗ 
wandten, verräth (von Rom?) einen ebenjo poetifchen Ur⸗ 
jprung, ald König Arndt's Hof in Stralfund und Danzig; 
endlich war e8 ein Bürger von Augsburg, Otto der Bogener, 
jener „Hoſenzinſige“ des Grafen von Hohenlohe, welcher 
Herrn Ulrich son Thürnheim aus Welſchland das Bud) „den 
fortgefegten Willehalm von Orenſe“ mitbrachte. Zum Schlufie 
nennen wir Heren Rüdiger von Maneſſe, Zürichs funftfinni- 
gen Ritterbürger, welcher zu Anfang des 14. Jahrhunderts 





Biertes Bud. 31 


die unfchägbare Sammlung der fchwäbifchen Minnebichter verst. Rap. 
anflaltete. Weiter in diefen Gegenfland einzugeben, die Ge⸗ 
fchichte der Zwölf bürgerlichen Meifterfänger zu verfolgen, ift 
nicht unfere Aufgabe; wir erinnern nur an Brauenlob (den 
jungen Meißener), an Rumeland, Hermann Damen, Regen» 
bogen, den Schulmeifler von Ehlingen, an Janſen Enentel, 
„Wiens hausgeſeſſenen Bürger‘, welche ſämmtlich unjerer Zeit 
und unferen Städten gehören, an den fahrenden Freidenker 
Freydank, an Konrad von Würzburg, und dag Meifter Ru⸗ 
melands „Zeche“ zu Braunfchweig auf eine Singftube oder 
Sängerfägule lange vor Straßburg, Mainz und Nürnberg 
binweift. — 

Solche Uebung ter Gefangeskunft Hinter den büfteren Die 
Mauern unferer Städte färbte Tängft nicht nur das Leben Des frice. 
Nitterbürgerd und Stadtjunfers, fondern auch ded Kleinbür- 
gerd und Handwerksmannes mit gemüthlichem, poetifchen 
Schimmer. Aus den freien Bauer- und Landleben war in 
die dumpfen Gaflen eingezogen die Luft an der Natur, bie 
Erinnerung an uralte, heidniſche Feſtlichkeit, und erheiterte in 
des Frühlings Wiederkehr das Dafein eines arbeitöfeligen, 
hartgewöhnten, immer der Nothwehr gewärtigen, Geſchlechtes. 
Noch ehe wir den „Maiſpielen“, , Maigräventhümern‘ in ihrer 
finnigen Bröplichkeit, fo wie in der Anwendung des Grund⸗ 
gedankens auf die fpäteren Schügenbrüberjchaften, urkundlich 
begegnen ; ſehen wir überall in deutſchen Städten das Früh⸗ 
lings⸗, da8 Pfingſtfeſt, mit Jubel und Tanz im Freien be⸗ 
gehen. Als Leopold, der glorreihe Babenberger, geſchieden 
(1230), klagten die Bürger Wiens, „wer folle ihnen jet den 
Reigen fliften, im Herbſt und im Maien, wer ihnen den Reigen 
fingen, wie der vieltugendhafte Mann viel dicke hat gethan?“ 
Sie waren ja gewöhnt an den Teutfeligfien Verkehr mit ih⸗ 


32 Dritter Theil. 


1. Kav. rem Herzoge, der wohl am Chriftabende durch die feſtlich er- 


Grund» 
gedanfe 


leuchteten Straßen ritt und, alsbald erkannt, durch Gilden 
und Zünfte, von den hoffährtigen Hausgenofjen (Münzern), 
den Kaufleuten, Wildwerfern, Krämern bis auf bie Fleiſch⸗ 
hader und Becker herab, in jubelnden Aufzügen begrüßt, und 
von jedem nach feines Gewerbes Ertrage beſchenkt wurde, 
Die Kölner Zunftgenofien fahen wir vom lärmenden Pfingft- 
reigen in des böſen Konrads von, Hochſtaden Tagen zum blu⸗ 
tigen Waffentanze fchreiten; die Straßburger Tiebten am 
erſten Mai auch ein luſtiges Schifferftechen auf dem Rhein, ob 
dem im Jahre 1286 mit viel Zufchauern die Brüde zuſammen⸗ 
flürzte. Dergleihen gab es auch zu Utrecht, Köln; immer 
aber blickte bei Maitanz und Glimpf der Gedanke ded Kam— 
pfes mit einer unheimlihen Macht hindurch. Diefe-dichteri- 
ſche Grundlage, welche wir dur zahllofe Verhüllungen ima 
mer erkennen, war: bie heibnifchen Germanen von Drontheim, 
dem jütifchen Aalborg, dem fihottifchen Niederland, vom bal⸗ 


». Mabtifchen und deutſchen Meere bis zum Sömmering, an bie 


ſpiele. 


Quellen der Donau und die Alpen hinauf, dachten ſich den 
Winter als einen feindſeligen, ungeſchlachten Rieſen mit ſei⸗ 
nen Geſellen, den Sommer als einen holden, noch knabenhaf⸗ 
ten, aber ſtarkmüthigen Jüngling, welcher gewaffnet in den 
Wald zog, den gehaßten Gegner zu ſuchen und zu überwältt« 
gen. Unbelaufcht vom Beobachter mögen Jahrhunderte Hin 
durch, im chriftlichen Zeitalter, die Hirten und das junge Volt 
des Dorfes bei jährlichen Wiederkehr des Maimonats die heid⸗ 
nifche Vorftellung der Niederlage des Winters Durch den Som⸗ 
mer in Scheinkämpfen verfinnliäht Haben; der Knabe, welcher 
als Sommergott, einen Laub⸗ oder Blumenfranz um Stirn, 
über Schulter und Bruft, an der Spike bewaffneter Genofſen 
in den Wald gezogen war, fehrte nach dem Siege mit Subel 





Biertes Bud. 33 


heim. Das Gefolge führte, zum Beweife des Sieges, einel. Rap. 
Laſt von „Maien“, grüne Birkenzweige, ind Dorf, pflanzte 

auch wohl einen hohen, glattgefchälten Baum, den Maibaum, 

mit grüner Krone auf den Gemeindeplag, und verlebte den 

Tag unter Leibesübung und Spiel, mit Tanz, Gefang, 
unter dem Genufje son Speife und Trank. Es ward auch 
wohl durch Darreihung des Kranzes an einen der Jünglinge 

ein Maikönig, Blumenkönig, Maigräne gewählt, der 

ſich ine „Maiin“ unter den Mädchen erfor. Diefe Sitte war 

aus dem Dorfe mit den eingebürgerten Bauern in die Stadt 
gezogen, vergaß aber allmälig umter veränderten Beziehungen 

den ſchönen heibnifchen Mythus, die Bekämpfung des Geg⸗ 
nerd, und behielt nur den befränzten Sieger. Unter dem 
Landvolke behauptete fih Dagegen noch lange die urfprüng- 

liche Vorftelung in derben Wettkämpfen mit dem jcheußlich 
vermummten Unbold, während in den Stäbten der Auszug 

der im 14. Iahrhundert gebildeten Schügenbrübderfchaften dar- 
aus hervorging, man den bumten Frühlingsvogel von der 
Stange herabſchoß, den beſten Schügen befränzte. Die „Her⸗ 
ven”, die Rathsariſtokratie, begingen fpäter ein Maigräpen- 
thum, eine Maifahrt, einen Mairitt für fich unter feftlicher 
Nufterung des waffengeübten Volkes; in der Frühe des erften 
grünen Maitags ritt der jüngfte Nathöherr, einen befränzten Das 
ihönen Knaben voran, mit den flattlich geputzten Rathsver⸗ aisra. 
wandten in den Wald hinaus, führte den „Mai ein, und um. 
that fih Abends mit Weib und Sippfchaft im laubgeſchmück⸗ 

ten Rathhaufe oder im König-Arendshofe gütlich bei feftlicher 

Koft und bei Tanz. So treffen wir das Matgräventhum in 
Niederfachfend bedeutenden Städten, in Weflfalen und am 
Niederrhein im 16. Sahrhundert; die erfte Kundwerdung, bei 
Lübeef3 Selbftbefreiung von däniſcher Botmäßigkeit, im Jahre 

Barthold, Etädtemefen IH. 3 


34 Dritter Theil. 


1 Rap. 1226, iſt verdächtig; die Soeſter, Lübecks und Straljunds, 


Das 
Balyer: 


feit zu 
@rfurt. 


wie der wendifchen Hanjeftädte geehrte Vorbilder, ritten auch 
unter furdhtbarer Kriegsnoth (1447), „als man pflegte nad 
alter Sitte und Gewohnheit‘, auf St. Walpurgis — das 
war der rechte Tag —, in den Mayen, „und fehrten „aus dem 
Arnsberger Walde‘, unter den grünen Maien jehr kraus, mit 
Freuden heim.” Nur in Thüringens Gauptfladt, zu Erfurt, 
der ‚Stadt heidniſcher Bauern‘‘, können wir aus dem 13. 
Jahrhundert die Sitte in ihrer tiefen poetifchen Beziehung 
nachweiſen, und beobachten, wie der heidnifche Mythus, dem 
fpäteren Gefchlechte verdunfelt, nach neugefdhichtlicher Grund- 
lage umhertappte. Die Befugniß der Bürger, am Walpur⸗ 
giömorgen im „Walperzuge‘‘ unter wehenden Fahnen, gerü= 
ftet, mit Muſik, voran den alten Walper » Herrn, die 
Diener und Spielleute befränzt, in bie „Wagweide“, kur⸗ 
mainzifhen Gebiets, audzuziehen, vier grüne Eichen zu fällen, 
zu Ehren der Rathsmeiſter, war urkundlich feit dem Jahre 
1310 bis in die erfte Hälfte des 18. Sahrhunderts in Erfurt 
geübt worden; aber fchon im 14. Jahrhundert wußte niemand 
den Urfprung des eigenthümlicdhen Volksfeſtes. Doch erfen- 
nen wir ihn deutlich in der Sage: „ein feſtes Raubſchloß auf 
der Kuhweide, defien Inhaber die Bürger hart bejchädigten, 
fei durch einen dort gefangenen, der Stadt verwiefenen Flei- 
ſcher den Erfurtern verrathen und von ihnen erobert worden, 
während die Räuber auf ſchneeweißen Rofien auf Beute 
audgeritten. Cine zweite Sage ergänzt die poetifchen Zu⸗ 
thaten, welche den Unholden auf Pferden in der Winterfarbe 
fehlten; Kaifer Rudolf Habe das Raubſchloß Dienftberg an 
der Wagweide mit Hülfe der Erfurter im Mai 1289 zerbro- 
hen, alles drinnen erfchlagen, bis auf die Edelfrau und ihre 
zwei Söhne, welche fie mit Geſchmeide behing und ihnen durch 





Biertes Bud. j 35 


Fußfall vor dem Kaifer das Leben erwirfte. Die Gerettetent. Kap. 
babe man auf Pferden nach der Stadt gebracht, und pflegte noch 
fpät beim Walperszuge zwei Knaben, mit güldenen Ketten ge= 
ihmüdt, zu Pferde in die Stadt zu führen. Wir verftehen 
den vollen Sinn: die eidgrauen Ritter, die fehönen triumphi⸗ 
renden Stnaben, und das Lied von ‚Eichen ohne Gerten”, 
teren man fi bein: Streit mit den Näubern bediente, von dem 
„zhälelein, wo rothe Rofenblätterlein fanden‘. — In fol- 
her Weile feierten nicht allein bie Ritterdichter den Wonne⸗ 
mond mit unerjchöpften Xobe, und befränzten das Haupt 
harmlofer Gäfte, wie König Ulbreht am 1. Mai 1308 dem 
mordfinnenden Neffen den jchönften Kranz bot; wie im fröhs 
lichen Florenz war das Maifeft dem Bürger unferer Städte 
das liebſte unter allen, ein weltliches Pfingfifeft. 
Hier vergaß man den poetijchen Gedanken; Eraufe Laune und Turniere 
üppige Bhantafte ließ bei anderen Spielen die Poeſie Her. Städten. 
ſtändlich er durchblicken, was und zunächft auf das ftäbtifche 
Kriegsweſen führt. Nitterliche Abkunft der Rathsgeſchlechter, 
die Einbürgerung des Nachbaradeld und Nachahmungstrieb 
hatten die vornehmen Stadtbewohner im 13. Jahrhundert mit 
den ritterlichen LZuftbarfeiten befannt gemacht, Die ſich ja ges 
räufchooll und prächtig unter ihren Augen zu ergeben pflegten. 
Der Unterſchied zwifchen Reichsminiſterialen, ftädtifchen Burg⸗ 
mannen und Pfalzbeamten war ausgeglichen, und ritterbürtige 
Schultheißen, Stabtpfleger, Rath⸗ und Städte-Bürger-Meifter, 
reiche Erbichöffen, ftellten fi ungerügt dem Land = und Kof- 
adel zur Seite. So nahmen die Overfloße, die Scherfgin, 
die Patrizier anderer alten Städte, in Nitterfünften geübt, 
ohne Weiteres an den Turnieren, Buhurten, „Hochzeiten“ 
Theil, welche Kaifer, Fürften und Herren, erhöhter Luft, Bes 
auemlichkeit und feenifcher Pracht halben, auf ihren Märkten, 
3* 





36 j Dritter Theil. 


1. Rap. vor ihren Thoren ausſchrieben. Ungefchichtlich ift Das Turnier, 
welches Kaifer Heinrich VI. zu Nürnberg kurz vor feiner letz⸗ 
ten Fahrt nach Italien beging, und angeblich den dortigen 
Sefchlechtern den Adel verlieh; ficher find frühe Turniere zu 
Eifenah, Nordhauſen, Köln, und jenes mörderifche Lanzen= 
brechen zu Neuß, das Nachbild der Mongolenſchlacht, wo Herr 
Gerhard Scherfgin den Preis gewann. Zu Lübeck, deſſen 
Marftall ſtets 30 „Orſe“, jchwere bedeckte Streithengfte, um⸗ 
ſchloß, war der TZummelplag des rauhen Nachbaradels; beſorgt 
um gute Sitte, Zucht und Frieden, welche bei ſolchen Ver- 
fammlungen häuflg litten, da jelbft Gewalt gegen Brauen, 
Entführungen, blutiger Hader und Feuersbrunſt nichts Uner⸗ 
hörtes waren, befal Kaiſer Friedrich II. im Jahre 1230, 
dem Rathe, ſtreng über Mißbräuche zu wachen, ja die gefähr- 
liche Luftbarfeit ganz zu unterfagen. Sie unterblieben, ob⸗ 
wohl aud von der Kirche als Leib und Seele bedrohend ver- 
boten, keineswegs; die Mitte des 13. Jahrhunderts war fogar 
der Höheftand derfelben. Wir fennen die blutigen, gewalt- 
famen Ereigniffe, welche Graf Johann von Holftein im Jahre 
1261 durch Friedbruch auf Lübecks weihnachtlihen Kampf- 
fpielen verſchuldete. 

Blenene, - Unter der Auflöfung des großen Zwifchenreich8 und den ſtäd⸗ 
fer. tiſchen Kriegen gegen Adel und Herrn hatten die Bürger wie nach 
Beruf, fo auch nach ihren Waffen entichiedener fich getrennt und 
geordnet; Glevener oder Kunftofler hießen die Gejchlechter 

und reicheren Bürger, welche mit der Lanze, der Gleye, und in 

voller Rüftung, wie Die Herren von Straßburg bei Hausbergen, 

Die Kölner fo oft gegen den Erzbifchof oder die Zünftler, foch⸗ 

ten; der fremdartigen Benennung Kunflofler, Kunftabler liegt, 

aus dem älteften Lehnsweſen erborgt und umgefchaffen, daß 

Wort Comes stabuli, die vornehme Würde des Connetable 





Viertes Bud. 37 


zu Grunde. Im 14. Jahrhundert bezeichnete „Kunftofler-1. Kap 
fiube” die Zunft der Edelleute und rathsfähigen Bürger; 
Handwerker, welche zu feiner Innung gehörten, ftanden unter 
dem Gerichtszwange der Kunftoflerftube, nannten fih auch 
wohl wie zu Straßburg Kunftofler, und verloren den fchein- 
bar vornehmen Rang, wie fie berechtigt wurben eine eigene 
Zunft zu bilden. Neben jenen Glevenern oder Kunftoflern 
beftand die Kraft des Bürgerthums in ben bewaffneten Zünf- 
ten, die, im Beſitz eigener Banner und Zeughäufer, unter fich 
als Genofjen abgetheilt unter Oberalten, Zunftmeiftern als 
Führern,gegen den Feind auszogen, gewifje Stadtthore, Wachen, 
heile der Mauern bejegten, vertheidigten, falls nicht, wie in 
lombardiſchen Städten, der Auszug nach Thor⸗, Kirch⸗Spren⸗ 
geln, Straßenvierteln geordnet war. Innig durchdrangen Baffen 
fih jegt die verfihiedenen Richtungen des Zunftweieng ; Zünft 
Pracht des Gottesdienſtes, Berforgung der Armen, Vollſtrek⸗ 
fung der Zunftpolizei und Wehrhaftigkeit. Wie jeder Neu- 
bürger überhaupt, mußte ber zünftige Meifter mit Waffen 
verjehen fein; Diefe waren von der verfchiedenften Art und den 
wunderlichften Namen; im gewöhnlichen Leben auf Markt und 
Gaffe, zumal vor Gericht, war das. Tragen derfelben, vers 
fhiedene Gattungen von Mefjern, Eurzen Schwertern abge- 
ıechnet, verboten; auf Reiſe und Fahrt ging dagegen jeder⸗ 
mann bewehrt. Als Waffe, bie am geeignetften fich der Fauſt Die 
des Zünftlerd bot, hatte das 13. Jahrhundert die Armbruft pruft. 
überfommen, deren Erfindung dem Morgenlande gehört, 
obgleich Die erſte Erwähnung derfelben, in dem Kreuzzuge 
Gottfried’, die „Tzangra“ den Lateinern zufihreibt. Des neuen 
gefährlichen Werkzeugs, das die Mauren und ihre hriftlichen 
Gegner, die Aragonier und Katalanen, zuerft im Weſten ger 
handhabt, und welches im vergrößerten Maßſtabe als „Blide“, 


38 Dritter Theil. 


1. Ray. bei Belagerungen, auf Kriegsfchiffen gefürchtete Anwendung 
fand, bemädhtigte fih überall in romanifchen und germant- 
ſchen Ländern das Bürgerthum; ed galt, von der Kirche ver- 
flucht, als Tegerifh; vom Adel gemieden als heimtückiſch, 
unritterlih. Immer auf dem Fuße der Nothwehr machten 

fich die deutfchen Bürger mit meifterlicher Luft das Fünftliche 
MWehrmittel zu eigen, vervollfommneten die „Arbaleſta“ zur 
kunſtvollen Borrichtung des „Stahles“ und gebrauchten fie mit 
ſchrecklichem Nuten von den Zinnen ihrer Städte, wie Die 
Kölner, die Ulmer, im Jahre 1246; auf ihren rheinifchen 
Wehrſchiffen nach dem Bundesvertrage vom Jahre 1254, in 
offener Feldſchlacht, wie im Jahre 1262 die Straßburger bei 
Hausbergen, ald Herr Klaus Zorn der Alte, Hauptmann der 
„inneren“ Bürger, die 300 Schüten geſchickt anwies, ab⸗ 
wechjelnd in Rotten zu fpannen und zu zielen. Unter dem 
Schutze des h. Sebaftian, der als Märtyrer den Pfeilen er- 
legen, des h. Mori& und anderer ritterlicher Batrone, fchloffen 
Schüpen: fi) fpäter Die Liebhaber der Armbruſt auch als Firchliche Brüder- 
ihaften. [haft zunftmäßig an einander ; fo entflanden die Schügengilden, 
deren e8 in jedem größeren Orte mehre geben Tonnte, ber 
Kaufleute, der Handwerker. Städte, wie Braunfchweig, von 
beſonders tüchtiger Wehrfaffung gingen in Ausbildung des 
Schügenwejend voran; dort gab es fhon im Jahre 1268 eine 
Schügenftraße; die Seeftäbte Iegten ſich zeitig auf dieſen wich- 
tigen Zweig der Kriegsart, nahmen Armbruftmeifter in Sold, 
bewahrten, wie Lübeck, dies ,Geſchütz“ (Schos), Armbruft und 
Blide der Gemeinde, unter bejonderen Rathöherren, wie fte 
denn auch am früheften das Feuergefchüß fich aneigneten. Im 

der fertigen Hand des Zünftlers blieb der Stahl noch Jahr⸗ 
hunderte hindurch neben dem Feuerrohr in Anwendung; das 
Stahlſchießen nah dem Vogel auf hoher Stange vereinigte 





Biertes Bud. 39 


mit männlicher Waffenfreudigkeit und gefelliger Luft die Reſte 1. Kar. 
der Poefte, welche aud dem Leben zu weichen drohte, den wel⸗ 
fenden Maifranz, und läßt nod in dem traurigen Reforma- 
tionsjahrhundert bei gefeierten, fangreichen Geſellenſchießen das 
trauliche, tapfere, wißige, ehrbare Gepräge des mittelalterigen 
Bürgerthums abipiegeln. Wir erinnern nur an I. Fiſcharts 
„Glüdhaftes Schiff.“ 

Mit den fremden, romanijchen Dichterftoffen jehen wir 
am Schlufſe des 13. Jahrhunderts unfer Bürgerwehrfpiel in 
ergöglicher Verbindung. Die närrifhe Phantafterei eines — 
Ulrichs von Lichtenſtein, etwa wie er als Frau Venus, als ger mu 
König Artus abenteuernd durch die Lande zog, überall zum — 
Lanzenbrechen herausforderte und maßloſen Prunk trieb, hatte 
auch unter den kühleren Sachſen und Thüringern gezündet, die 
ja eben ſo gern den Titurel und Parcival laſen. So hatte i. J. 
1226 Waldmar von Seitenſtedt, ein Miniſterial des Landgra⸗ 
fen von Thüringen, verkündet, er werde ſich auf St. Walpurgen 
bei Merſeburg in einen „Foreis — in einen poetiſch zugerichteten 
„Forſt“ als Lieblings⸗Tummelplatz irrender Ritter, auslegen, 
und auf dem Wege von Eiſenach dorthin ein ſchönes Fräulein, 
welche einen Falken auf der Hand, einen Rüden hinter ſich führte, 
geleiten, um täglich je drei Lanzen zu brechen, mit dem Gelübde, 
feinem Objleger Waffen, Rüftung, die Schöne mit Jagdvogel 
und Hund abzutreten. Unbeftegt und unverwundet gelangte 
er, obgleich unterwegs aus allen Landen angefprengt, in ſei⸗ 
nen „Forſt“ und wieder heim. Auch Goslars ernite Bür- 
ger waren flatutenmäßig auf fo finnvertwirrendes Treiben, 
einen, Foreis“ in ihrem Weichbilve, gefaßt; felbftthätig ernft 
dagegen griffen die Kunftofler von Magdeburg im Jahre ihres 
ruhmvollſten Sieges gegen den übermüthigen Marfgrafen 
(1279) das poetifche Ding an. Aufgeregt durch fo ritterliche 


40 Dritter Theil. 


- 


1. Rap. Eindrüde baten fie aus ihrer Mitte den tapferen Bruno von 
Stövenbeck, namhaften Minnefänger, cin recht beſonderes 
Freubdenfpiel zu exrfinnen. Kerr Bruno gab den Gedanken 
zum „Graal“, Ind mit feinen, wohlgejegten Briefen die Kauf- 
herren von Godlar, Hildesheim, Braunfchweig, Quedlinburg, 
Halberftadt und andere Nachbaren zu Pfingften nad Magbe- 
burg. AS Dank und Preis des Waffenfampfes war ein 
ſchönes Mädchen audgejegt, Sophia geheißen, nad) irgend 
einer unklaren poetifchen VBorftellung aus dem Sagenfreife des 
h. Graald. Aber au andere Spiele, vielleicht nicht auf 
Lanzenftechen, fondern auf andere bürgerliche Künſte berech— 
net, ein Schütenhof, ein Roland, die Tafelrunde, „Schil⸗ 
dekenbom“ fcheinen das Volk gelodt zu haben. Alsbald fan- 
den die Geladenen fich zahlreich ein; die Goslarer mit verded- 
ten Rofjen, die Braunſchweiger in Grün, andere in befonderer 
Rüftung und Kleidung. Zwei Kunftofler empfingen die Gäfte, 
fie mit ihren Speeren beftehend, indem jene ohne Strauß nicht 
einziehen wollten. Inzwifchen erhoben fih auf der „Marſch“, 
jener Elbinjel dem Dom gegenüber, Zeltreihen und „Pave⸗ 
lunen“; bier war der Graal bereitet, fland aud der Schilder- 
baum, woran die Kunftofler ihre Wappenſchilder hingen. 
Bolgenden Tags, nad Mefje und Mittagsmahl, zog man hin- 
aus, befchaute den Graal und erlaubte jedem Bremden den 
Schild des Gefellen zu berühren, den er beftehen wollte. Zu⸗ 
legt verdiente ein alter Kaufmann aus Goslar die fehwer- 
erworbene Schöne, „führte fie mit heim, fteuerte fe ehrlich 
aus und gab ihr fo viel, daß fle ihr wildes Leben nicht mehr 
übte.‘ Leicht mochte Sräulein Sophia, ihres ungewöhnlichen 
Namend ungeachtet, eine ‚‚fahrende‘ Frau fein; fchwerlich 
aber lag der Preidausfegung, Die etwa als Befreiung eines 
unglücklichen Fräuleins aus der Gewalt häßlicher Niefen oder 


Viertes Bud. 41 


unhöfliher Ritter verftanden werben muß, bie gleichzeitig viel«1. Kav. 
beihätigte Abſicht unter, eine reuige Magdalena zu verforgen. 
Der Magdeburger Schöffendronif zufolge fhrieb Bruno von 
Stövenbeck, der Erfinder des Graals, von dieſem Spiele ein 
Buch in deutſcher Sprache, wie erdenn, der Literargefchichte ganz 
unbefannt, auch andere gute Gedichte verfaßte. Spätere Wieder- 
holungen dieſes Freudenſpiels, ein gaftliher Prunk mehr der 
Iandfahrenden Krämer und Kaufleute in beftimmterer Form eines 
Schützenhofes, bewahrten zwar Die Benennung, aber dem profats 
ſchen Volke fo unverftändlich, daß Daraus ein, Grölfeſt“ entfland 
und den Namen durch Ungefchlachtheit und Völlerei rechtfertigte. 
Auch Straßburgs Gefchlechter hielten im Mai die „Rontofel.“ 
An vielen anderen Tagen erging ſich die Volköluft in Anpere 

theils finnreichen, theild getümmelvolleaußgelafjenen Feſten. fette. 
Beiondere Zunftfpiele, in denen die jungen Gefellen ihre ges 
fährlichen Bertigfeiten zeigten, wie die uralten Schwert und 
Vechtertänge, Umzüge von Brüderjchaften in bizarren Aufpuß, 
macht das 13. und 14. Jahrhundert noch nicht kenntlich. Um 
Faſtnacht war überall ein tolles Wefen; in Göttingen tanzte 
man von Weihnachten bid auf die Faftenzeit auf Markt und 
Gaſſen, auf dem Kaufhaufe (dem fogenannten Ballruß), bis 
acht Tage nah Pfingften auf dem „Froudenberge.“ Seit 1352 
follte niemand „Schoduvel“ (Schauteufel) d. i. mit verdeck⸗ 
tem Antlige, laufen; eine Art Maskenſpiel, wie wir es ale 
„Schempart“ — von Schemen, Larven, nicht vom „ſchönen 
Barte’’ benannt — noch ſpät in Nürnberg finden. Aufzüge 
mancher Art, finnvolle oder launige Symbolik rechtlicher Ver⸗ 
haͤltniſſe und politifcher Beziehungen, wunberliche Lehnsacte, 
befhäftigten mit müßigem Ergögen die Oeffentlichkeit, er⸗ 
freuten die Gaffer, gaben Anlaß zu erwünfchten Gelagen. So 
war Das ‚‚Pfeifergericht”, das und Goethe ald anmutbigen 


42 Dritter Theil. 


1. Rap. Meft mittelalteriger Sitte feiner Baterfladt und Nürnbergs 
befchreibt, an vielen andern Orten, in Münden, in Worms, 
in Heilbronn gebräuhlid. Welcher Volksjubel in der reben- 
gefegneten Nedarftadt, wenn zur Michaeliömeffe der erfte 
Nürnberger Kaufmann mit feinen Säumern gereift fam, durch 
feinen Einfpännigen Abends vorher die Erneuerung der Zoll⸗ 
freiheit verfündigte und am Morgen, zu Ehren Nürnbergs, 
die Menge unter Geleit der Stadtpfeifer mit Schalmei, Baß 
und „Pommer“ (Oboe) auf das Rathhaus zog, wo der Nurn⸗ 
berger dem ftäbtifchen Zöllner „ein Pfund Pfeffers, zween 
weiße Handſchuhe und ein Stäblein“ überreichte: die Würze 
als etwas Köftliches, die Handichuhe, um aus der Kerne Die 
Hand ungefälfchter Breundfchaft zu reichen, Das Stäblein zum 
Zeichen wanbellofer Treue. Ein Gaftmahl auf Koften der 
Heilbronner beendete die Feierlichkeit. Lächeln mag über bie 
Symbolik der weißen Handſchuhe, wer nicht weiß, daß Die 
römischen Legionen ihre Verbrüderung durch Denkmünzen mit 

dem Zeichen eingejchlagener Hände verfinnlichten. 
— Um aber das Bild des geſelligen, öffentlichen, wie gei— 
file —* ſtigen Lebens unſerer mittelalterigen Städte nicht in zu hellen 
—28 Farben, zu heiteren Umrifſen zu halten, rücken wir die dunklen 
Dinten zuſammen. Das Verzeichniß der Bußen und Strafen 
in den Statuten, die peinliche Geſetzgebung, die rohe Ge⸗ 
waltſamkeit im alltäglichen Verkehre, die gährende Leiden— 
ſchaftlichkeit, die blutigen Hinrichtungen, endlich eine geſchlecht⸗ 
liche Unſittlichkeit, welche alle Vorſtellungen überſchreitet, laſſen 
die Nachtſeiten eines Daſeins erblicken, welches die Gefahr des 
Leibes und Lebens, Mißhandlung, Beraubung, Niederwerfung, 
Verſchmachten im Thurme der Raubburgen, nicht aus dem 
Sinne verlieren konnte, ſobald es ſich über die ſtaͤdtiſche Land— 
wehr hinausgewagt. Außer acht bleiben ung, als Ausnahms⸗ 








Biertes Bud. 43 


ereigniffe, die gleichwohl regelmäßig wiederkehrten, biei. Ra. 
Screen allgemeiner Beueröbrünfte, die grauenvollen Hun⸗ 
gersnöthen, Die Verheerungen der Seuchen, die Verbreitung 
des Ausſatzes, der, Miſelſucht“, deren Brutheerde unfere engen 
Städte, ungeachtet der „Sonderſtechenhäuſer“ und mitleiblofer 
Achtung der unglüdlichen Kranken; wir rechnen hierher nicht 
ven unbegreiflihen Wahnſinn der Geißler, der feit 1260 
fihauerlich die Städte Durchzieht; die Iudenverfolgungen, Ju⸗ 
benmorde, gemeinhin wegen „bed gefchlachteten Chriſtenkindes.“ 
Alltägliches Liegt in Fülle vor. Alle Willküren und Statuten, — 
Bürgerſprachen des 13. Jahrhunderts verrathen den Charakter " 
eines Geſchlechtes, welches, weit entfernt von Der befungenen 
Sittlichkeit, Ehrbarkeit des chriſtlichen Mittelalters, aus dem 
Buftande freier Beweglichkeit des einfamen Bauernlebens, 
unvermittelt und plößlich, in Die engeren Berührungen bes 
Stadtlebend eingepferdt ift, und deshalb mit unnachfichtiger 
Strenge gegen Ausbrüde der Roheit, Ausjchweifungen aller 
Art, perfönlidhe Händel, denen Wald und Feld früher we⸗ 
nig Anlaß bot, gehütet werden muß. Die Eingänge aller 
Stadtrechte und Skraen beflimmen die Strafen gegen leibliche 
Beichädigungen, blutrünftige Schläge, Verwundung mit ſtum⸗ 
pferen oder edigen (fcharfen) Waffen, gegen Todtſchlag; 
Geldbußen, Verbannung, Hinrichtung, felten Gefängniß, nie 
eine körperliche Strafe. Man follte nad) Inhait diefer Sagun- 
gen wähnen, eine fromme deutſche Bürgergemeinde hätte nur 
aus trunfenen Bauerkerlen befanden. Welche Unflätheret 
mußte das ehrbare Wettegericht in Göttingen vor Augen ha= 
ben, wenn e8 — das Hofieren in den Stadtweinkellern 
mit einer Buße — einem Pfund Pfenninge — belegte! 
Das Verbot des Tragens mörderifcher Waffen war fo 
hoch nöthig und doch die Unficherheit auf den Gaffen der volf- 


44 Dritter Theil. 


4. Rap. reichften Städte zur Nachtzeit fo groß, daB nach Bruder Alberts 
Under son Beham Zeugnig, vom Jahre 1262, jeder, der zu Köln 
beit in d. auf der Gaſſe fehreitend ohne Leuchte oder ohne Geleit unver- 


— Perſonen betroffen wurde, in beliebige Strafe 
des Richters verfiel, Ten Kopf verlor, wenn er ſich gerauft 
hatte; mit Weibern wurde noch unglimpflicher verfahren. 
Der mädhtigfte und edelfte Bürger büßte bei Anklage der Ber- 
untreuung, des Raubes oder des Mordverſuchs, das Leben am 
Galgen; aus Gnade und auf Fürbitte vornehmer Sippen be= 
gnügte fich der Richter mit Der Enthauptung des Verbrechers. 

— Graͤßliche Hinrichtungsarten mehrten ſich mit der Veraltung 
des Wehrgeldes; Falſchmünzer wurden in Oel geſotten, aber 
zur Verlängerung ber Bein inzwiſchen mit Waſſer abgekühlt. 

Sant Schon gegen Anfang des 13. Jahrh. fam das Kampfrecht 
als gerichtliches Lieberführungsmittel, als Gottedurtheil, in 
allen Handelsftädten bei bürgerlicher Anflage außer Brauch; 
und ward wohl nur auf die Anklage des Mordes beſchränkt. 
Dennoch theilten die Schöffen von Magdeburg, nad Inhalt 

des Sachfenfpiegeld, den Tochterſtädten Die umftändlichften 
Borfhriften mit. Sobald einer feinen Genoffen mit Kampf⸗ 
recht „grüßen wollte, mußte er beim Richter dazu Urlaub 
gewinnen, die empfangene Wunde oder Narbe aufweiien, den 
Tampfwürdigen Friedbruch erörtern, und erwirfte jo die „Ge⸗ 
währe”. Der „baß“ Geborene durfte dem geringer Geborenen 
den Kampf verweigern, aber nicht umgekehrt. Blutsverwandte 
ließ man nicht zum Fechten; die Stunde nad Mittag war 
zum Kampfrecht nicht geeignet. Der Richter lich dem Be- 
fhuldigten Schild und Schwert, wenn er ihrer bedurfte, und 
beftellte zwei Srohnboten zur Auffiht. Die Kämpfer beflei- 
deten ſich, fo viel fle wollten, mit Xeder und Linnen; Haupt 
und Füße blieben entblößt; die Hände deckten dünne Hand- 


Biertes Bud. 45 


ſchuhe. Nah Wahl ein Schwert, ohne Ortband oder in dert. na. 
Sand, eins am Gürtel, mit einem hölzernen oder ledernen 
Schilde, doch nicht ohne den eifernen Buckel, im ärmellofen Mod, 

unter Friedhaltung des Umflandes bei Verluſt des Halſes, bei 
getheiltem Sonnenſchein, gingen Die Kämpfer auf einander los; 

jeder hatte einen Mann zur Seite, der ‚‚feinen Baum’ trug, 

um auf des Richters Geheiß beim Fall oder bei Berwundung 

„den Baum unterzufteden.‘ Wurde der Befchuldigte über« 
wunden, jo erfolgte die Vollſtreckung des Rechtsſpruchs; ward 

er fieghaft, jo entlieh man ihn der Wette und Buße. Stellte 

fi) der Angeklagte nicht auf die Dreimalige in feinem Haufe er- 

folgte Ladung des Frohnboten und zweier Schöffen, fo that der 
Kläger zwei Schläge und einen Streich in den Wind und hatte 

damit das Urtheil erfochten. — Zu Köln beauffichtigte der A 
Burggraf zu Pferde den „Warf“, den umfchräntten Kampf ſitten. 
rum, und verwaltete dad Nichteramt unter Kaiferdbann ; fo 
erneuerte der Vertrag vom Jahre 1169 das alte Weisthum 

der Richerzechheit. In Berlin vollzog man das Gottesurtheil 

nah Maßgabe des Sahjenfpiegels; die Ritterbürtigen in 
Rüftung mit Meffern und Schwertern; gewöhnliche Bürger 

in rothen Kleidern, oder in Leder und Linnen gehällt. Da 

man jhon im 11. Jahrhundert Kämpfer um Lohn für fi 
ftelfen durfte, verlor der altgermanifche Brauch allmälig feine 
Bedeutung, ward auch wohl mit befonderer Genehmigung bed 
Kaijers abgefchafft ; das Verfahren der Eidhelfer trat an Stelle, 

im 14. und 15. Jahrhundert die Folter, das. traurigfle Mittel, | 
die Wahrheit zu erforfchen. Je mehr die uralte Vorftellung „Die 
vom priefterlichen Strafrecht aus ben Seelen wich, und das pein= rihter. 
liche Recht, die Leibesſtrafe, das Wehrgelb verbrängte, um fo 
Khimpflicher ward das Gefchäft des Nachrichters, und der Diener 

der Gerechtigkeit als mit Blutſchuld behaftet, rechtlos, jelbft 


46 Dritter Theil. 


1. Ray. aus der kirchlichen Gemeinichaft geftoßen. Zu Bafel am ab⸗ 
gelegenen Kohlenberge mußten Henker, Folterer, Die Todten⸗ 
gräber der Peftleichen, gleichſam als eine Bariafecte, die 
nur unter einander fich verheirathen fonnte und vom bürger⸗ 
lichen Gerichte auögefchloffen war, beifammen wohnen. Sie 
hielten unter einander das Gericht „der Barfüffigen‘, vor 12 
Schöffen aus ihrer Mitte, die mit nadten Beinen, in Lum⸗ 
pen, unter der Linde auf dem Kohlenberge faßen. Ihr Schult- 
heiß mit dem Wetteftab durfte, während der ganzen Sitzung, 
ſelbſt nicht im härteften Winter, den rechten Fuß aus einem 
Kübel voll Wafler ziehen! Diejer jeltfame Areopag beſtand 
noch im Jahre 1586. 

Bonuft. Greller noch als dieſe Dinge bezeichnen die Satzungen 
zum Schuß weiblicher Keufchheit oder beirogener Männer die 
Roheit, zügellofe Luft, den Ausbruch faft thieriſcher Wolluſt, 
die buhlerifchen Künfte, denen die Altſaſſen unferer Stäbte 
ergeben fcheinen. Vertraͤglich mit dem Geifte nicht verfeiner- 
ter Zeitalter war, Daß die Bürger von Lippflabt, — welches 
Bernhard, Edler Herr zur Lippe, der tapfere, treue Vaſall 
Heinrichs des Löwen, kurz vor feinem Abſchiede von der Welt, 
eor der Fahrt zum heidniſchen Livlande, wo er als Bilchof 
und Heiliger ftarb, um 1190 gründete —, aus dem Soefler 
echte nad) freier Wahl die Sagung aufnahmen: den Ehren 
ſchänder ihrer Tochter oder nahen Verwandtin um hohe Geld⸗ 
fummen zu ftrafen, den ertappten Ehebrecdher entweder auf der 
Stelle zu töbten, oder ihm eine haare Entfhädigung abzu- 
preflen. Bon geringer Achtung gegen das weibliche Geflecht 
und einer Sittenverderbnig, welche man den kaum hundertjäh- 
rigen flädtifchen Anfledelungen nicht zutrauen follte, zeugen Die 
argwöhntichen Beftimmungen bei der Klage von Frauen über 
erlittene Gewalt; man ließ ſie nicht zum Eide, und ſchützte 


Viertes Bud). 47 


zu®ien, Braunfchweig und anderwärt3 ben reifenden Kauf⸗1. Kay. 
mann gegen weiblichen Betrug; ſchlimm allerdings ift, daß 

man ſchon von überführten Kupplerinnen lieft, welche als 
„Verſchünder“ anderer Frauen lebendig begraben werben fol« 

Im, alfo einen Beruf vorfindet, welcher erſt als eine Folge uns 
fttlich verfeinerter Gefellfchaftszuftände gedacht werden kann. 

Aber ein Grauen wandelt und an, wenn wir die unmenfchliche a 
Strenge vernehmen, welche man erſann, um wehrlofe Keuſch⸗ Bematt 
beit vor Gewalt zu fchügen; vergleicht man die Sagungen®eldern. 
gegen „Nothnumpft“ (Nothzucht), an der Spige zahlreicher 
Statuten der jüngften Gemeinden, mit den älteflen Volkäge- 
jegen, jo möchte man wähnen, es habe fein unreinered, un 
feufcheres, brutaleres Volk gegeben, als die belobten Altdeut⸗ 
hen, und fein glimpflicheres Mittel ausgereicht, um von fo 
viehiſchem Angriffe abzuſchrecken. Wir zweifeln, ob mehr 
fttliche Empörtheit vor feltenen Fällen die Strafe eingab, oder 

ob, wie in Betreff der Selbftrache, Die befchleunigte Art des 
Zufammenziehend unvorbereiteter Bevölkerung in engverbun« 

dene Lebensverhaͤltniſſe, ſolche Barbarei nöthig machte. In den 
Sapungen des thüringifchen Mühlhauſens, die der deutſchen 
Sprache nach dem Anfange des 13. Jahrhunderts entflammen, 

ald die Stadt, noch ganz jung, unter Sachſens und Thüringens 
Wirren an Bewohnern wuchs, lautet ed: iſt einem Weibe, 

bei dem ein Mann wider ihren Dank und wider ihren Willen 
gelegen, folches leid, fo joll fie fi wehren mit Geſchrei und 

joll es danach zur Hand fündigen mit zerrifienem Gewande, 

mit gewundenen Händen, mit weinenden Augen und mit bes 
ſtaͤubtem Haare und fo den Richter auffuchen. Wird der Dann 

auf der That ergriffen und mag die Frau felbdritte mit ihren 
Geſchreigenoſſen, Mann oder Weib, die ihre Treue und Ehre 
bewahrt haben, ſolches vorbringen, jo geht es ihm an den 


48 Dritter Theil. 


1 sap. Hals. Wollen aber die Leute, die ihr Gefchrei gehört hatten, 
aus Arglift es nicht bekennen, fo foll fie der Richter bei ihrem 
Eide zwingen, die Wahrheit auszufagen. Geſchieht Die That 
auf einer Hofftätte, find da Leute darauf und verleugnen fie 
der Frauen Noth, werden fte überführt durch drei ihrer Nach⸗ 
barn, feien ed Mannsnamen oder Weibsnamen, fo foll man 
ihnen wallendes Blei in die Ohren gießen, die Hofftätte nie⸗ 
derreißen und nie wieder bebauen; aller Beſitz des Uebelthä- 
terd wird vernichtet, und foll weder dem Richter nod) jemand 
nügen. Iſt Ader die Schandftätte, jo foll er nie wieder Frucht 
tragen. Schreit die Frau, fo follen alle, die es fehen oder 
bören, zu Rechte folgen, der Ackermann mit der Ruthe, der 
Pferdeführer mit der Geißel, der Hirte mit feiner Keule 
und mit feinem frummen Stabe, und follen Pflug und Pferde 
und Vieh flehen laſſen. Thun fie es nicht und werben ſie 
von der Frau felbdritte überführt, fo büßen fie ihr hartes 
Gehör und ihren harten Sinn ebenfallg mit wallendem Blet! 
Welche widerfpruchönolle, graufame Abſchreckungstheorie an 
einem Orte, wo ber offenbare Todtſchläger in feinem Haufe 
oder in des Nachbaren Tag und Nacht ficher war, felbft der 
Dieb, wie in Soeſt und Kaflel, die gewaltfame Ergreifung 
durch den Befchädigten nicht zu fürchten Hatte. 

Branen- Um fo duldfamer und nachflchtiger erwieſen fich jene 

ſtrengen Altvordern gegen Eäufliche Befriedigung der Wolluft, 
und begünftigten offen durch Schuß und Recht eine Sitten- 
Iofigfeit, deren unbefangen frecher Höheſtand jeden befehren 
muß, wer das Mittelalter ald die Blüthezeit der Ehrbarkeit 
und Zucht zu preifen gewöhnt if. So viel genauere Kunde 
in die Zuftände unferer Städte hinaufreicht, finden wir auch 
an Eleineren Orten die feile Liebe faft Flöfterlih, unter Ob— 
Hut der Obrigkeit, ja zum Vortheil derjelben, zünftig getrieben 


Biertes Bud, 49 


und eine Schamloſigkeit ſolchen Gewerbes, welche nur dadurch! Rar._ 
am Häßlichen verliert, Daß das Lafter ungeſchminkt, gemein⸗ 
fundig, ohne erheuchelte Sprödigfeit am hellen Tage fich dar⸗ 
bietet. Laſter, wie die Tugend äußerten ſich kräftiger im 
deutfchen Mittelalter. In der Benennung „Srauenhäufer‘ 
und „fahrende Frau’, „gemeine Frau’, flatt der derberen 
eigenthümlichen Bezeichnung, welche erft das Iahrhundert des 
Proteflantismus in Schwung brachte, finden wir keinesweges 
eine ſchamhafte Sprache in ſchamloſer Zeit, fondern bedenklich 
ben Urfprung aus einer noch früheren Periode, zumal das 
ſchöne Wort Srau im Jahrhundert des ſchwäbiſchen Minnelte- 
des und gefleigerten Mariendienftes höhere Bedeutung gewon⸗ 
nen. Das „Frauenhaus“ ald Name feheint noch aus vorkar⸗ 
lingifher Zeit zu ſtammen. Auf den Pfalzen, Meierhöfen, 
Kammergütern der fränkifchen, Iombarbifchen, angelfächflichen 
Könige, der alemannijhen und baierifhen Herzöge gab es grauen⸗ 
wohlverwaßrte ‚„Srauenhäufer‘, Srauenzimmer im urfprüngs dimmer. 
lihen Sinne (Gyneceen), deren Bewohnerinnen, Leibeigene 
Mädchen und Frauen, für den Bedarf des Hofes und Gefin- 
des Linnengeräth, wollene Gewänder anfertigten; das leicht⸗ 
finnige Zehen dieſer „Kleidermägde““, Spinnerinnen im Ges 
wahrfam, reiste zu gewaltfamem Einbruch und zu Liebes⸗ 
händeln des berbfinnlichen Männervolkes. Schon in den 
alemannifchen Gejegen wird die Buße aufgeführt, wer der 
Obsrmagd, oder den anderen Dirnen Gewalt anthat; felbft 
in dem heiligen Palafte des großen Karls zu Aachen, in ben 
„Schruen“ giug e8 nicht züchtig zu, und der Kaifer mußte in 
KRapitularien ſtrenge Aufficht und Zucht durch befondere Mi- 
uifterialen einfchärfen. Nun finden wir gerade in Städten, 
welche aus Zöniglichen Pfalzen erwuchſen, wie Ulm, Frank⸗ 
furt, Straßburg zuerft der Srauenhäufer ald 
Barthold, Stadteweſen III. 


50 Dritter Theil. 
1. sav. feiler Sinnenluft erwähnt; es Eonnte leicht nach Auflöfang der 





PBalatinatverfaffung dieſer Name, abgefehen von ber früßeren 
Beflimmung der Frauenzimmer (Urbeitshäufer),auf Pie „‚tHd- 
sichten Tochter“, fahrenden Frauen übergehen, weiche gemein- 
fam dem Gewerbe nachlebten, und in Städten, wo Hoftage, 
Reitchoverſammlungen eine Menge junger Sefollen vereinig⸗ 
ten, ober lebhafter Marktverkehr, wie zu Wien, Braumſchweig, 
Köln, den Zufluß von Fremden begünftigte, ımter Schub 
und Brieden der Obrigkeit, unter Obhut eines Frauenwir⸗ 
thes oder einer „Aebtiſſin“, in Käufern, welde ver Ge— 
meinde zinften, eine eigene, berechtigte Zumft bildeten. 
Diefe Ableitung wird um fo wahrſcheinlicher, ale wir zu Ulm 
Die „Brauen” ordnungsmäßig dem Wirthe taͤglich Garn ſpin⸗ 
nen fehen. Zwar macht und erft das 14. Jahrhundert mit 
den obrigfeitlihen Ordnungen der Frauenhaͤuſer bekannt, und 
führen Die reicheren Geſchichtsquellen von Städten, wie Paris: 
und London, die ‚Bordelle‘, — eine an fih wnanftößige 
Bezeichnung, da fle nur leichte Wohnungen ‚von Borben‘‘ 
bebeutet, erft auf das 12, Jahrhundert zurück; allein die Sache 
war viel älter al& die früheften Nachrichten, und wahrſchein⸗ 
lich beſtanden ſchon gleichzeitig, beſonders tm 13. Jahrhun⸗ 
dert, in allen größeren, wie auch nur mäßig bevölberten deut⸗ 
ſchen Städsen Frauenhäuſer ganz unanſtößig, ja „zu befferer 
Bewahrung der Ehe und Ehre der Jungfrauen““. Wiederum 
Beie geftel fi das Mittelalter in fo grellen Gegenfägen, daß man 
ee daſſelbe charakterlos nennen möchte, laͤge nicht eben in ſolchen 
Widerſprüchen das romantiſche Grundweſen jener ſeltſamen 
Zeit. Während auf der einen Seite ehrbare Stadwaͤter bie 
gemeinen Weiber, wie zu Braunſchweig und Frankfurt, unter 
bie Aufſicht des Henkers und Büttels ſtellten, fie deffen 
Beſoldung zuſammenſchoſſen, in Frankfurt a. M. mit Dem 





Biertes Bud. 51 


„Stöder’ über ihr trauriges Gewerbe zu Dingen hatten, man ih⸗1. Kay. 
nen ſchimpflich Abzeichen an Kleidern, Schleier und Kappen auf- 
nöthigte, wie zu Zürid und Bern, ihnen in Hamburg feit 1292 
die Kleider und den Schmuck ehrlicher Weiber verbot, König Ru⸗ 
dolf im Jahre 1278 fie in Defterreich rechtlos machte, wie auch 
Herzog Heinrich von Nieberbaiern zu Landshut fle ungeftraft 
mißhandeln ließ: ſo zogen anderwärts, wie zu Mainz, die. Herren 
von den ‚„‚armen Töchtern‘ ein Gefälle, wurden Grafen mit dem 
Ertrage der Frauenhäufer belehnt, Iuden gefällige Gemeinde⸗ 
oberhäupter die mit Blumen gejchmücten Buhlerinnen zu 
Rathsmahlzeiten und Taͤnzen, lichen ihnen das Bürgerrecht, 
ftellten ihre Haͤuſer, als gefreite Orte, unter jo unverbruͤchli⸗ 
den Frieden, daß z. B. die Ulmer einen Bürger von Memmin- 
gen, der ehreifrig feine Schweſter in Nördlingen aus dem 
Sranenhaufe geholt und getödtet hatte, auf ihrem Gebiete ge⸗ 
fangen nahmen und mitleid8los enthaupten ließen. Ihren be⸗ 
eideten Wirthen waren Waffen erlaubt, den Dirnen Spiele und 
kirchliche Feierzüge geftattet, Suden und Pfaffen, als Ver⸗ 
fürzung des allgemeinen Rechts, der Beſuch der Frauen 
haͤuſer“ bei Strafe unterfagt, und die Buhlerinnen, wie liebe 
Mitbürgerinnen, Zunftgenoffinnen überhaupt unter väter« 
lichen Schirm geftellt. Wie die fahrenden Brauer am fran« 
zöftfchen Königehofe unter einem Marfchall, ehrenhaften Am⸗ 
te8, flanden, Tiehen ihnen Katfer und Kurfüsften auf Reichs⸗ 
tagen, fogar auf Kirchenserſammlungen ihren gnaͤdigen Schug. 
Kaiſer Siegiemund wußte es den Bernern im Sabre 1414 
freundlichen Dan und „rühmte vor Fuͤrſten und Herren”, daß 
der Math fein Ritters und Hofgefolge „in dem Gäßkein der 
fhönen Frauen“ drei Tage lang unentgeltli zu empfangen 
befolen-; gleich ertenntlich für gleiche Gaſtlichkeit war ber ernſte 
Voigt der h. Kirche und mühſame Arbeiter, ihren Zwift zu 
4 * 


52 Dritter Theil. 


1. Rap. heilen, im Jahre 1434 in Ulm. So dauerte denn in Der 


en 
Frau⸗ 


——— 
ſern. 


unbefangenſten Weiſe die Unſitte, deren polizeiliche und ge- 
ſellſchaftliche Durchbildung im 15. Iahrhundert ihren Höhe- 
fland erreichte, Elöfterlich gehegt, Bi8 zur Reformationszeit und 
auf die Verbreitung der Luftfeuche fort. Erft die Sitten- 
firenge der Reformatoren und die ärztliche Beforgniß wirften 
vereint aufihre Unterdrüdung hin. Während ihrer Blüte wa⸗ 
ren bie Srauenhäufer der Tieblingaftt jeglicher Lebensluſt, des 
Tanzes, des Weinzapfens, auch, wiewohl häufig verboten, des 
Spield mit Würfeln und im Brett. Denn nad) altgermani=- 
ſchem Hange war die Spielwuth fo eingerifien, das „Dop⸗ 
peln“, daß nicht felten junge Leute ihre gefammte Habe, ihre 
Kleider verwürfelten, und nadt aus dem Frauenhauſe fort- 
wandelten. Wird in großen Städten, wie im Jahre 1306 
zu Negensburg, wo diefe Wirthichaft auf befonderd geordnetem 
Fuße ftand, von ernften Maßregeln geredet, der „Ruffian“ 
in die Schwemme geworfen, fo galt e8 unbefugten Kupp- 
lern und fremden Weibern. Wir zählen die volfreichen 
Städtenicht auf, Denen Srauenhäufer, im 14. Jahrh. urkundlich, 
gewiß ſchon im 13. nicht mangelten; beifptelähalber nennen 
wir von Eleineren Orten Aaken an der Elbe, Oberehenheim 


Grauen und Schwabach. Wie Die Brauenwirthe, nad ihrem Eide, 
Baare. „die Stadt mit Brauen zu verſehen“, am liebften ihren Be⸗ 


darf in der Fremde warben; wie in Venedig die Schwahben- 
dDirnen, für Londons Lordmajor die Blämifihen, ale belichte 
Waare galten: fo für den Norden die Mädchen aus Sachen. 
Schrieb gleich das hanfiſche Gefeg den ledigen Kaufgefellen 
im finftern Stahlhof zu London, in den traurigen Kaufhöfen 
zu Bergen und Naugarden das firengfte Coelibat vor: fo er- 
laubte dennoch Roſtocks ehrbarer Rath im Sabre 1267. fo 
ihmählihe KRaufmannfchaft, daß vier Schiffspatrone aus dem 


Diertes Bud. 53 


Hafen vierzig fahrende Frauen nach Schonen ausführen Eonn«1. Rav. 
ten, um dort auf den ‚Bitten‘ der Häringsfänger und Saͤl⸗ 
zer ihr ſchmutziges Gewerbe erfledlicher zu treiben. Gottes 
Rache verjenkte fie im Meere, während alle zugleich ausgeſe⸗ 
gelten Schiffe glücklich zum Ziele gelangten. — Aber bievie er 
fittfiche Krankheit der Zeit fand auch in ihr das Heilmittel, nen. 
und wie in unferen Städten daſſelbe Geſchlecht der tobendften 
Außgelaffenheit und wilder Luftgier fich ergab, um unmittelbar 
darauf in Andacht und Zerfnirfchung faft zu vergehen, fo er« 
weckte dad Mitleid ſchon im Anfang des 13. Jahrh. in Frankreichs 
und Deutfchlands fündhaft-üppigen Städten fromme Seelen, 
um die Gefallenen zu befehren, zu retten, und durch Vorforge 
vor Rüdfall zu bewahren. Es entflanden die Klöfter der 
Büßerinnen, Reuerinnen, Magdalenenſchweſtern, nicht zu ver⸗ 
wechſeln mit den Beghinen, unjchuldigerer Weltluft abge- 
jagten Frauen, welde ſich unter Hlöfterlicher Zucht in ftillen 
Beghinenhäufern zufammenfanden. Der Anfang ſchien den 
Mönchen nicht zu behagen ; im Jahre 1229 erbauten die Bür« 
ger von Köln, verleitet wie es heißt von einem falſchen Bru⸗ 
der Rudolf, der fpäter vom PBapft verdammt wurde, den ge= 
gemeinen Frauen, die in ſich gingen, ein Haus auf dem Wein⸗ 
gelände des Kloſters St. Pantaleon, und brachen ben 
darob erzürnten Ordendgeiftlichenihre Wohnung innerhalb der 
Stadt. Branffurt, Nürnberg, Regensburg und Wien, wo 
es Hoch noth war, folgten fo frommem Beifpiele. Ein reicher 
Kaufmann zu Speier vereinigte im Jahre 1302 Die „thörichten“ 
Weiber, ſchaffte ihnen die Tradıt der Buße und ihren Leibed- 
unterhalt; noch gottfälliger that ein Schüler Heinrich von 
Hohenberg. Er verfammelte zu Kolmar im Jahre 1303 die 
Luftdirnen in einem Haufe, erbettelte ihre Nothdurft, hüllte 
fie in weiße lange Gewänder von grobem Zeuge, und legte 


34 Dritter Theil. 


2. Kap. ſolche Anſtalten in mehren Städten, jede von zehn bis zwan⸗ 


Wahi K. 
Rudolfs 


von 
Habs⸗ 
burg. 


zig Frauen, an, durch Gaben ver Barmherzigkeit „ſie verſar⸗ 
gend, fo gut er vermochte.” Bald finden wir auch, daß ein⸗ 
zelne Zünfte, wie Die Weber zu Ulm, die Pietiften jenes Jahr⸗ 
hunderts, voll fittlichen Gefühls ihren Genofjen den Beſuch 
des Srauenhaufes verboten. Uber fo erbarmende Xiebe, die 
jelbft, wie zu Goslar, Vermächtniſſe für Gebefjerte, ja jelbft 
Heirathsgut ausſetzte, konnte die finnliche Lebensfülle einer 
Zeit nicht abfehwächen, die, wie jo vieles andere, als häßticher 
Auswuchs am altdeutfchen Bürgerthum offen liegt. — 


Zweites Rapitel. 


König Nudolf von Habsburg und die Städte bis zur Rückkehr des Königs aus 
Defterreih (1281). Verfall der Öffentlichen Sicherheit nad) gutem Anfange. Un⸗ 
ruhen in Schwaben. Fall Ditafard von Böhmen. Wien reichöfrei 1278, Frucht⸗ 
Iofe Landfriedendeinigungen am Rhein. Unruhen in Koblenz. Erzbifchof Siegfried 
von Köln. Partelkampf. End des Grafen WilhelmV. von Rülich in Aachen. 1278. 
Sieg des Erzbiſchofs. 1280. Stand in Weftfalen. Speft, Thüringen. Nieder- 
fachfen. Die Schladt bei Froſee. 1278. Verwirrung Norddeutfchlandse. Die 
Landfriedensbündniffe des Königs feit 1281. Neue Kämpfe mit Älteren Feinden. 
Abnahme des Lönigl, Anſehens. Widerfeglichkeit der Reichsſtädte. Tile Kolup, 
der falfche Briedrih. 1285. Sorge für einzelne Städte. 


Als nach dem Tode des Titulsrkaifers, Richards von 
Cornwallis (April 1272), das deutfche Volk zum vollen Be- 
wußtfein des Öffentlichen Elends gelangt war, auch die Für- 
ften, vom römifchen Stuhle gemahnt, Tebhafter ihrer Pflicht 
gedachten, dem zerrütteten Neiche ein eingeborenes Oberhaupt 
zu geben, verftrichen unter fteigender Aufregung dennoch an= 
derthalb Iahre, ehe der Entſchluß zur Reife kam. Beunruhigt 
durch Furcht vor zwiefpältiger Macht, erneuerten die Genoffen 
bed rheinijchen Bundes, Mainz, Worms, Oppenheim und 








Biertes Bud. 55 


vie Städte Der Wetterau, zu Mainz am 3. Februar 1273 bier ae 
eiblige Berkindung, nur den einmüthig erforenen König 
enzuerdennen, und einigten ſich zugleich, böfer Zeit gemärtig, 
zum gegemfeitigen Schub bes Landfriedens in ihren Marken. 
Der 29. September 1273, der Wahltag in Frankfurt, weldgen 
alle Wahlfürſten perfönlih oder durch Machtboten beſucht, 
endete die lange Spannung, und verkündete, nicht ohne vor⸗ 
gängige Capitulation und erklecklichen Gewinn der eigennützi⸗ 
gen Wähler, nicht unnorbereitet, den Grafen Rudolf von 
Habsburg, Landgrafen im Elſaß, Kriegahauptmann und Voigt 
vieler Städte und Stifter, welche feinen geringeren Lanpbeilg 
machtvoll erweitenten, ala Richter und Oberherrn der beutichen 
Delt. Unfer Graf, als kluger Bürgerfreund befaunt, gefürch⸗ 
tet wegen feiner Kriegserfahrenheit, rüſtete fich eben unter 
Waſfenruhe, als Helfer der vertriebenen Sternträger, zur Be⸗ 
Ingerung Bafels, als ihm der gewandte Vermittler, Burggvaf 
Friedrich von Mürnberg, vie Wahlurkunde überbrachte. Seine 
Erhebung reitete die zwiefpältige Gemeinde son Berberben! 
Rudolf, fogleih allgemeinen Frieden verfümdend, gab feine 
Gefangenen frei, ſchloß eine Abkunft mit den Sittichen, welche 
bie Sterner wieder aufzunehmen verfprachen, mit Biſchof Hein⸗ 
ri, der gieichwehl, betroffen über die Wendung der Dinge, 
fi mit. den Worten vor die Stirn ſchlug: „Sitze feft, Herr⸗ 
gott, fonft wird Audolf di bald von deinem Sige jagen.“ 
Ohne Säumen nad) Frankfurt und von da nach Aachen zur 
Krönung gezogen, begann Rudoelf, gekrönt am 24. October, 
feine. Huldigungsrundreiſe durch das Reich, Gnaden fpendend 
ober utkundlich erneuernd, zumal bemüht feinen ſelbſtſüchtigen 
Wählern, nit ohne ‚Schmälerung des Reichsguts, zu ges 


en. | 
König Nudolf, verftändig im Gebraud feiner Mittel, 


56 Dritter Theil. 


2. Rap. erreichte während einer neungehnjährigen Megierung das Er 


Allge⸗ 


meiner 
Charak⸗ 
ter feines 


Negi- 
ments, 


reihbare. Er gewährte, fo weit fein Arm ſich ſtrecken 
fonnte, dem außeinander gewichenen deutſchen Stante einen 
Mittelpunkt gefeglicher Kraft und polltifchen Willens, half 
unterbrüdten Städten zur früheren Selbftfländigfeit, befeftigte 
aufftrebende Gemeinden, die wie die ſchwabiſche auf halbem 
Wege fanden, in der Reichsunmittelbarkeit, rief die altfreien 
Städte zur Berathung auf Hof⸗ und Reichstage, gebot dffent- 
lichen LZandfrieden, begünftigte die Haltung deſſelben durch Die 
Erlaubniß einzelner Landfriedensbüntniffe, war aber dennoch 
außer Stande, die alte Herrlichkeit wieder herzuftellen: Lieber 
Thüringen bahnte fih fein Anfehen einmal den Weg ſelbſt 
in das ſlaviſche Deutichland, aber ohne dauernden Erfolg ; in 
Niederbeutichland, in Weftfalen, wieberholte fich dieſelbe wilde 
Fehdewuth, wie nur immer in Wilhelms oder Nicharbs Ta⸗ 
gen: Rudolfs Gewalt befchräntte ſich auf Die oberen Länder, 
Helvetien, Schwaben, Elfaß, Pfalz, Baiern, Franken, kaum 
über Ihüringen hinaus; unter fpröder Landeöherrlichkeit der 
fächftfchen, niederrheinifchen, ſlaviſchen Fürſten gewöhnte fich 
ſchon damals die deutſche Welt an die Gegenfähe des, Reichs“ 
und der felbfifländigen Provinzen im Norden, Often und 
Weſten. Rudolfs Herrjchaft endete mit Verzichtleiſtung auf 
deutfche Einheitspläne; alles fiel wieder unter einander. Nur 
das Eine hatte er für alle Zeiten erlangt, was eine verftän- 
dige Nachwelt als unſchätzbaren Vortheil erachten muß: Die 
Bereinigung ber abgetrennten öſterreichiſchen Marken als 
Hauserbe, zugleih um einem Tünftigen Kaiſergeſchlechte zur 
Grundlage der Macht zu dienen, und die Kaiſerwürde nicht 
gar zum Spott werden zu laffen, und dann, um im Zuſam⸗ 
menhalt Oefterreih8 mit den undeutfchen Kronen ein Boll« 
were gegen bie Oëmanen zu erheben, deren Vordrängen 


Biertes Bud. 57 


hundert Jahre nach Rudolf die Chriſtenheit ſchreckte, und2 Ra. 
Deutſchland, das in feiner il ll webrlofe, zunaͤcht 
bedrohete. 

In Bezug auf die Städte loben wir Rudolfs allgemei⸗ le 
nen Willen, rügen aber politifche Ungleichheit und oft unedle gen, Sie 
Berechnung feines Vortheils. Auch ihm mangelte die Feſtig⸗ 
keit vorurtheilsfreier Orundfäße ; font fand zumal noch in 
feiner @ewalt, der unserholen Fund gewordenen fürftlichen 
Landesherrlichkeit die vereinigten freien Stadtgemeinden ale 
Gegengewicht son Heilfamer Wirkung gegenüber zu flellen. 
Rudolf von Habsburg that nur nothgebrungen etwas zur des 
ſchraͤnkung ber fäbtifchen Adelsherrſchaft, zeigte zuweilen nicht 
übel Luft, den Fürſten für den Augenblick gefällig, zu ben 
freibeitömörderifchen Befchlüfien von Ravenna zuruͤckzukehren. 
Reutfelig und von Perſon voffsthümlich, voll guter proferiicher 
Eigenihaften, mußte er gleihwohl die Liebe des Bürgerthums 
auf die Dauer einbüßen, da Bigennug, harte politifche Maß⸗ 
regeln, Selderpreffungen, die weniger feine Reichsnerwaltung 
als feine Hauspolitik und ſeine Leichte Wirthſchaft, bei land⸗ 
fundiger Kargheit gegen fich felbft, nöthig machten, mehrmals 
die treuften Städte zu offenem Aufftande trieben, und Die Er⸗ 
ſcheinuug mehr ald eines falfhen Friedrichs die Abgunſt 
der öffentlichen Meinung bezeugte. — 

Schwer hält es, die Geſchichte unferer Städte mit dem 
perfönlichen Walten des Könige, noch fchwerer, mit dem feis 
ner Nachfolger, in Beziehung zu bringen, weil ein großer 
Theil von ihnen dem Einfluffe des Reichs entzogen blieb 
und fremden politifgen Verhältnifien unterlag. Da jedoch 
die Fortentwicklung des Bürgerthums gleihmäßig durch 
Deutfehlands große Schickſale, deſſen letzte Kämpfe gegen 
den römifhen Stuhl, feine Katferzwifte, bedingt wird, ein 


BßB Dritter She. 


2 aap. Ercigniũ als Auftoß von den Alpen und nom Rhein bis an 


3 


De Nordſee und das fernfle baltifche Meer fortwirkt: ſo verfol⸗ 
gen wir in der Darftellung möglichft das Geſetz ber Sleich⸗ 
zeitigfett, auf Die Gefahr hin, einen Stoff zu zerfpkittern, der 
als Geſchichte der deutſchen Städte nochwendig non fpräbder 
Natur if. Das gemeinſame Leben werden wir forgfältig ind 
Auge fallen; ift doch innere, geiftige, ſittliche Gemeinſamkeit 
das einzige Zeishen unferer nationalen Einheit, Das Einzige, 
was und als Ganzes erfennen läßt. — 

Schon zu Aachen, bald nad) der Krönung und dem Kö— 


ri Huigsmahl an altgeheiligter Stätte, empfing Burggraf Fried⸗ 


as: 


rih von Nürnberg durch den erneuerten Lehnabrief eine 
Bund, welche Nürnberg unſichere Berhältnifie noch bedenke 
licher madte. Der Gohenzolleen, durch einen Theil dr 
Meraniſchen Exbichaft in Oberfranken bis zum Gebirg hinauf 
reichsſsfürſtlich begütert, ward gewifiermeßen erſt jeht als 
Reichsfürſt anerkannt und fein Burggrafenthum über Die 
gleichnamigen Aemter in Magdeburg, Köln, Altenburg, Mei- 
Ben, Regensburg, Augsburg erhöhet. Auch für die weibliche 
Nachfolge erhielt Friedrich mit der Burggrafſchaft die Bur g⸗ 
grafenfefte, wohl zu unterfcheiden non ber Reich« feſte, 
an ber fie unmittelbar Iag, Die Hut bes Thores beim Schloffe, 
das Landgericht, dad Recht, das Stadtgericht durch feinen Amt⸗ 
mann neben dem Schultheißen mit zu befegen; zwei Drittel 
der Gebühren, jährliche Gefälle von jedem Schmiebe, eiusa 
Haͤuſerſchoß auf der füblichen Seite der Brüde und — 


8 befvemdlich — von den dortigen Wohnftätten Frohndienſte 
zur Erndtezeit. — Kölns heimlich großlender Erzbiſchof, 


Engelbrecht II, Hoffte, als Lohn für feine beifällige Wahl⸗ 
flimme, durch den Dankbaren Gelegenheit zu gewinnen, an den 
Bürgern, den trinmphirenden Berächtern des Oberbirten, fich 











Biertes Bub. 1). 


su rachhen. Gr empfing zwar die Ermeesumg feimeh Bande? am. 
befiges von Kaiſerswerth und der Binkinfte der Reichtftadt 
Dortmund, and die Bufichesung, „der König werde Rhein 
und Motel nicht cher überschreiten, heuer er ihn mit den Bür- 
gern ausgeſöhnt und feine Rechte in ver Stadt Gergeftellt 
habe.“ Uber zugleich erwiekte auch Die Stadt Die Erneuerung 
ihrer Brioilegien, wie die bangen Bürger von Kaiſerswerth 
und Dortmund, und fiperte fich Köln den Töniglichen Schug ver 
jeder Gewaltthat, bereit, den Landfrieden zu beſchwören und 
vor Dem Reihe Net zu nehmen, endlich zu aller Zeit ſicheres 
Geleit ihrer Sendboten zum Beſuch von Hoftagen und bie 
Biefe fürs Gemeindebedürfniß. So flarb denn, unter kirch⸗ 
lichen und anderen Gefdäften, Engelbrecht II. ungefühnt im 
Jahre 1275. Seines Nachfolgers, Siegfrieds Grafen von 
Weſterburg, Bläne, Rachſucht und Schidfale werden. und 
auf Kölns unruhpvollſten, blutigſten Tage zurüdführen. Ihn 
hatte Gregor X. im April 1275 vergeblich bevollmächtigt, Ken 
Grafen von IJülih und deſſen Land von der Laft des Inter 
dicts zu befreien. — Wachen, nad) defien Boigtei jener Graf, Aachen. 
zum Verderben feines Beiclerhtes, lüſtern war, hatte fich durch 
den noch parteilofen König ermächtigen lafien, im Reichs⸗ 
gericht den lauernden Nachbarn von Jülich, deſſen Voigt und 
Schultheiß, zu vertreten, den zum Kampfrecht geladenen Fried⸗ 
brecher ſelbſt zu richten, falls er nicht erſchiene und die Vor⸗ 
ſteher des Reichsgerichts ihre Pflicht verfäumten. Sp wurte 
die Saat blutiger Dinge ausgeftreu. — Am Oberrhein 
angelangt, zumal im jubeladen streuen Worms, zu Speier, im 
Elſaß bei alten Freunden, beilätigte Rudolf ben ſelbſt von 
Züri herbeigeſtrönten Senbboten die Privilegien ihrer 
Städte, führte in Baſel die Stenmer feierlich ein, und gab, ald 
Heinrich von Neuenburg, aus Bram und Haß über das Glück 


60 Dritter ‚Theil. 


2. Rap.feines alten Feindes, des Grafen von Habeburg, gefterden, der 


Lübeck. 


Stadt ſeinen Beichtvater und Geheimſchreiber, den tüchtigen, ge⸗ 
lehrten Bürgerfohn aus Jsny, Heinrich, genannt Gürtelknopf, 
oder Knoderer, von dem knotigen Seile des Barfüßermönchs, 
zum Biſchof (Octbr. 1274). Wegen ihrer Treue fanden die 
Berner Gnade für Entfremdung von Reichseinkünften während 
des erledigten Königfluhls und wegen ber zerflörten Reichö- 


burg Nidef, Wie die Bürger burgundifcher Städte hatten 


auch die Mühlhäufer in Thüringen zwiſchen 1256—58 bie 
Reichsburg über ihrer Stadt nebſt den Höfen der Burgman- 
nen zerbrochen, mit den letzteren, als bevorzugten Neubürgern, 
fich verföhnt, auch bald des fernen Königs Huld theilhaftig. 
Alles verhieß zumal den Stammlanden des Königs eine heitere 
Bufunft; denn willig hörte der kundige Fehdeheld Die Klagen 
der Kaufleute über Linficherheit der Heerftraßen, den Drud 
ber Zölle und vertröftete die Hoffnungsvollen auf den erften 
großen Reichötag zu Nürnberg. Bis an den Saum der deut⸗ 
fhen Welt, nach Lübeck, welches in den jüngften Jahren, fo 
gut ed ging, fich felbft geholfen, und die Schutzvoigtei der 
Welfen gegen Ertrag der Reichögefälle noch im März 1273 
auf vier Jahre erſtreckt Hatte, ging fo freudige Verheißung. 
Heinrich von Fürftenberg, Rudolfs Bevollmächtigter, fand zur 
Huldigung Rath und Bürgerichaft bereit, zog die Reichs⸗ 
fteuer mit Fluger Berechnung ein; dafür ward Den geladenen 
Boten freied Geleit über des Reichs Boden, gnädiges Gehör 
bei perfünlicher Leiftung des Treueides, die Zuftcherung, „ohne 
ihren Willen feinen Reichſsvoigt ihrer Stadt zu ernennen, und 
in allen Reichöangelegenheiten ihren Rath zu vernehmen.’ 
Gleihwohl befremdet, daß (Nov. 1274) der deutſche König, 
Steuer und. Eid fordernd und erlangend, „die beſonders lie⸗ 
ben, unverpfändbaren Pfleglinge des h. Reichs“ in den Schirm 








Biertes Bud. 61 


des Königs Magnus von Norwegen empflelt, „weil die 2 Kar. 
Lübecker dem Herzen des Reichs weit entlegen.“ Solches 
Mißtrauen in die eigene Kraft, doch gepaart mit Hoheitsan⸗ 
jprüden und Steuerforderung, ließ fich nur durch die augen 
bliklich Beengte Rage des deutſchen Königs rechtfertigen. Denn 

er jollte, auf Antrieb des frommen Gregor X., einen Kreuz« 

zug übernehmen, und im Herzogthum Schwaben, dad König Shwa- 
Alfons von Kaflilien ald Erbe der Hohenftaufen für fih for- 

derte, der König dagegen als erledigtes Reichsgut anfah, 

mit den ſchwäbiſchen Grafen, mit dem trogigen Könige der 
Böhmen, Ottakar, drohte ernfllihe Verwidelung. Die alle 

zeit getrenen Bürger zu gewinnen, ordnete er Die Rechte Ulms, 
Eßlingens, wo wir auf die erſten Spuren bed Zunftregiments 
ſtoßen, Ueberlingens, Lindaus, und berief am 15. Mai 1274 

auch das fränkiſche Rotenburg, das fh aus der Pfandſchaft der 
Grafen von Hohenlohe felbft gelöfet, zum Genuß der alten 
Freiheit. Er nahm alle Einwohner, deren abliges Negiment 

wir Eennen, in bed Meiches befonderen Schuß, wies ihre Kla- 

gen an das Heimifche Gericht, flärkte das dortige Landgericht bei 
feinen guten Gewohnheiten, verfügte, daß die Aechter ber 
Stadt in Die Gedenkbücher der Töniglichen Gerichtshöfe ein- 
gezeichnet werden follten, behielt fich die Bede, mit Ausnahme 

des fleinernen Hauſes des Schultheißen, vor, und gewann auch 

der Züricher, jener waderen Anhänger der Kaiſerherrſchaft, 

treue Zuneigung. Selbft Schweinfurt erftand aus dem, Elen⸗Sqhwein⸗ 
de’, wir wiflen nicht, wie? yom Joche ber Grafen von Henne⸗ ” 
berg und des Bifchofs von Winzburg befreit. Nach jo löb⸗ 

licher Ankündigung hielt Rudolf jeinen erften großen Doftagneigstag 
zu Rürmberg (Nov. 1274), der „lieben Stabt‘‘, deren St. er 
Sebaldskirche ſchon die, ſchöne“ hieß, und deren St. Lorenzkirche 

in Bau war. Aus dem Reichsabſchiede iſt wichtig, daß er 


64 Dritter Theit. 


2. Ray. 21. November 1276 non dem gebeugten Przeuhbliden mit 


Fall 


Ottakars 


von 
Böhmen 


Wien 


reichsfrei. 


Verzichtung auf das Erbe weiland der Babenberger und auf 
die Mark Eger erkauft wurde. Prachtvoll in Wien am 26. 
Nov. eingezogen, verficherte Rudolf den Bürgern, unter denen 
Paltrams Geſchlecht und Freunde noch mädhtig, feine Gnade, 
erregte aber alsbald Mipfallen, indem er zur Beflreitung der 
Kriegskoſten eine drückende Steuer auf die neuen Reichslande 
ausjchrieb, eine Maßregel, welche der auf fünf Jahre beſchwo⸗ 
rene Zandfrieden nicht milderte. Der Bollzug des Friedens 
drohte alsbald mit einem Kriege auf Leben und Tod, und 
bielt den König in Wien feft. Ein finfterer Geift ging durch 
die Gemüther; um Pfingften 1278 ftand Ottakar, unerwartet 
für Rudolf, unter den Waffen. Sid, der Bürger Wiens wie 
Neuburg zu verfichern, nachdem er den Anhang Paltrıms 
geächtet hatte, belgbte Rudolf am 20. Juni 1278 die Treue 
der Hauptftadt, nahm fie in feinen und des Reichs befonderen 
Schutz, und beftätigte und vermehrte die Freiheiten, melde 
ihr Katfer Friedrich, 1237 und 1247, verliehen. Als Zuge⸗ 
ſtändniß Achtdeutfchen Bürgerthums galt: einem jeden folle 
das Haus als feflefte Burg und Zufluchtäftätte dienen, und 
dem hierin Angegriffenen frei ſtehen, ſich auf alle Weife, jelbft 
mit Armbruft und Bliden, zu vertheidigen. Zu dem glänzenden 
Erfolge der königlichen Waffen. auf dem Marchfelde, am 26. 
Aug. 1278, weldyer ven mächtigften, rubmreichften König: der 
Czechen in feinem, Blute fah, Hatten auch bed Habsburgers 
Stammlande ehrenhaft beigewagen; Biſchof Heinrich von Ba⸗ 
ſel war im Juli mit 200 Helmen zu guter Stunde nach Oeſter⸗ 
reich zezogen; desgleichen Kaarad Werner von Hadſtatt, Land⸗ 
voigt im Elſaß; Zürich ſchickte die gleiche Zahl gewappneter 
Bürger. Mit Freude empfingen die Städte des Elſaß und 
ber Wetterau durch heimkehrende Bürger, wie den Schult- 


Diertes Bud. 65 


heißen Siegfried von Kolmar, jo glückliche, ehrenhafte Kunde2. Kar. 
wie NRitterfchlag und Befchenkung ihrer tapferen Streiter. 
Unterdefien den öfterreichifchen Marken eine neue Zeit 
fih aufthat, ber deutſche Bürgerfinn fich wieder belebte, auch 
die Wiener, zur unmittelbaren Neichöftadt erhoben, die Sorg⸗ 
falt vergaßen, welche der ſlaviſche Herrſcher ihrem Leiblichen 
Wohl und der äußeren Zierihrer Stadt gewidmet, und Rudolf, 
alle ängftlichen Berhältnifie der nenen Reichslande zu ordnen, 
bis in das fünfte Jahr außerhalb des Reiches blieb : droheten dem 
Bielbefchäftigten, fo umfichtig er war, die Fäden der Reichs⸗ 
regierung zu entfchlüpfen und fiel Deutfchland aller Orten in 
blutige Geſetzloſtgkeit zurück. Erſt ald er Flug die Einleitung 
getroffen, vor verdienteren Bewerbern feinen Söhnen den koft⸗ 
barften Herzogshut zuzuwenden, als Böhmens wire Verhält- 
niffe geordnet waren, Tehrte Rudolf, auf der Mittagshöhe fei« 
ner ritterlichen Ihaten wie vom glorreihften Römer— 
zuge, um Pfingflen 1281 nad) Deutfchland zurüd, um die 
verfäumte, ſchwere Pflicht des Oberrichters und Friedensvoig⸗ 
te8 nachzuholen. Auch ohne der „Kurfürſten“ Willebriefe 
galt Defterreidh ſchon ald Erbgut der Habsburger; Rimboto, 
„der Stadtrichter“ und die mäcitigften Bürger Wiens Hatten 
fhon am 24. Mai 1281, mit fliller Verzichtleiftung auf bie 
Reichdunmittelbarkeit, dem Könige Rudolf und feinem „Erſt⸗ 
gebornen“, Albrecht, als „wahren Herren“, Treue und Hold⸗ 
ſchaft geſchworen, und ſich deſſelben Majeſtätsverbrechens, 
deſſen Paltram Watzo, feine Brüder und Söhne, ſchuldig 
erklaͤrt, wenn ſie oder die Rathmaͤnner mit den Geädhteten in 
irgend eine Berbindung ſich einließen. Nach einem Borbefchlufie 
bes Reichſstags zu Nürnberg, 9. Auguft, welcher frühere An⸗ 
ſprüche aller Parteien befeitigte, und nach der Einwilligung jedes 


einzelnen Kurfürften wurden auf dem Reichötage zu Re 
Barthold, Städterwefen III. 


66 Dritter Theil. 


2.20.27. Dec. 1282, Rudolfs beide Söhne, Albrecht und Mudolf, 
mit dem Herzogthum Oeſterreich feierlich belehnt, am 1. Juni 
1283 der unmilde Albrecht, auf Verlangen ber Stände, zum 
a, alleinigen Herrn beftimmt, welder denn des flogen Wiens 
reich. nicht nach Würden erkannte und fchlaff vertheidigte Reichs⸗ 
unmittelbarfeit im Jahre 1288 vernichtete, 
Verfall Aller Vorkehrungen des ſorglichen Königs ungeachtet, 
d. —* "des Landfriedens zu Straßburg, welchen die rheiniſchen Stände 
im Sept. 1276 befchworen, der Einjegung von Reichsvoigten 
und Landfriedengrichtern, dergleichen der vornehmſte, Friedrich 
Graf von keiningen, „Meifter, Rathmaͤnner und alle Bürger‘ 
von Straßburg am 10. Auguft 1277 zu einer Tagefahrt nad 
Mainz einlud, entbrannten während Rudolfs Abwefenheit 
Privatfehden ſelbſt am Rhein in großartiger Weife, entflan- 
den neue Burgen und Raubſchlöſſer, und herrichte, zumal im 
Elſaß und in Schwaben, ein Zuftand gänzlicher Auflöfung. 
Dem friedliebenven Heinrich von Geroldseck war i. J. 1273 der 
friegsluftige Konrad von Lichtenberg als Bifchof von Straßburg 
gefolgt und fehdete mit großen und Eleinen Nachbarn, während 
gleichwohl Erwins Werk den Bürgern übertragen aufitieg. Des 
Königs Sohn, Albrecht, zu Enfisheim haushaltend, überzog 
jelbft die Züricher, i. 3. 1278, feindlich ; die Kolmarer, unter 
inneren Bürgerhändeln, hatten blutige Sträuße mit den Herren 
von Rappoltſtein; wir vernehmen auch nach der Rückkehr des 
wachſamen Biſchofs von Bafel im Elfaß nur von Mord und 
Gewaltthat. Der Fehdeknaͤuel zerrte fih über ben Rhein; 
Graf Egon von Fürftenberg bedrängte Breiburg, überfiel des 
Reichs Bürger auf des Königs Straßen, bis bie flreitbaren, 
ohne Hülfe von Haböburg, jelbft zu den Waffen griffen und Die 
alte Stammburg Zähringen brachen. Graf Eberhard von Wür⸗ 
temberg fehdete gegen Eßlingens Gemeinde, feine alte Gegnerin ; 





Biertes Bud. 67 


andere Grafen unter ſich; es war hohe Zeit für unmittelbares 2. av. 
Einſchreiten des Königs. Am Mittelrhein hatten zwar, im 
Juni 1278, zu Hagenau Pfahgraf Ludwig der Strenge, bie — 
Grafen von Hohenberg, von Katzenelnbogen, von Leiningen — 
mit Mainz, Straßburg, Baſel, Worms, Speier, Kolmar, 
Schlettſtadt, Hagenau, Weiflenburg, Oppenheim, Bingen, 
Oberwefel, Boppart und ben Städten ber Wetterau einen 
Sandfrieden auf zwei Jahre gefchlofien, bejonders gegen un⸗ 
befugte Bollerhebung am Strome; aber in ihrer Mitte war 
zumal Speier ber Tummelplatz wüſten Laͤrmens. Bilchof 
Briedrih von Bolanden (1272—1302) hatte zwar die Rechte 
der Stadt beſchworen (1280), nichts deſtoweniger aber durch 
Eingriffe die Bürger veranlaßt, neue Mauern und Thürme 
aufzuführen, und auch die Domherrnfurien in die Befeſtigung 
zu ziehen, Als fie dem Klerus den Weinverfauf verboten, 
bannte der erzürnte Kirchenfürft die Bürger, und hieß bie 
Geiftlichkeit auswandern. Dabei war im Weichbilde ſolche 
Noth vor Raͤubern, daß die Stadt den tapferen, felbft gegen 
die eigenen Sippen ftrengen, Ritter Johann von Lichtenflein 
um 100 Bfund Heller jährlich ald Hauptmann in Dienft nahm 
(1280) und mit deſſen Hülfe die Raubburg Lichtenflein zer- 
Rörte. Drei Sabre blieb der Klerus außerhalb; auch als König 
Rudolf im 3. 1284 den Streit außgeglichen, der Stadt aber 
die Befeftigung beim Münfter überlaffen, wiederholte der Bi- 
ſchof, mit perfönlicher Beleidigung des Könige, feine Feind⸗ 
ſeligkeit, floh im Jahre 1286 aus feinem biſchöflichen Site, 
welchen dann inzwifchen der Erzbiſchof yon Mainz verwaltete. 
Der Unwille Friedrichs von Bolanden, feine Fehdeluſt gegen 
die Bürger, die auf ben apoſtoliſchen Stuhl ſich beriefen, 
dauerte mit geringer Unterbrechung bis an feinen Tod (1302), 
und bewirkte endlich, daß die Gemeinde den „alten Rath“ der 12 
: 5* 


68 Dritter Theil. 


2. Rap. Rittermäßigen zur Aufnahme von Zunftverorbneten nöthigte. 
— Ebenſo brannten an den Grenzen des Erzftifts Köln, 
wie zwifchen Erzbiſchof Werner von Mainz und dem gebannten, 
fpäter auch geächteten Zandgrafen von Heffen, bie unheilvollſten 
Tehden fort, und flanden in naher Verbindung mit den Un⸗ 

unruhen ruhen in Weſtfalen. Koblenz, die Hofftadtd es Erzbiſch. von 

Koblenz · Trier, durch das Domkapitel 1.3.1276 zu einem Ungelde, der 
Zieſe, berechtigt, um, wie ſchon Arnold im Jahre 1258 ge⸗ 
ſtattet, ihre Befeſtigungswerke zu vervollſtaͤndigen, begann 
jetzt dem ungeiſtlichen Oberhirten, Johann von Vinſtingen, zu 
trotzen und drohete ihn, im Jahre 1281, gar zu ermorden. 
Aber der Erzbiſchof, dem nahe beim Ueberfahrtsthor ein feſtes 
Schloß offen ſtand, wollte den Ungehorſam der Ritterbürger 
nicht dulden, zog mit Heereskraft herbei, und zwang zwar die 
Stadt zur Ergebung, mußte jedoch geſchehen laſſen, daß er⸗— 
wählte Schiedsrichter, Werner von Mainz, Siegfried von 
Köln und der Gebietiger des deutfchen Ordens durch Aleman⸗ 
nien, im Sommer 1281, dahin theidigten, daß Ritter, Schoͤf⸗ 
fen und Bürger von Koblenz, die weltliche Herrfchaft von Trier 
anerfennend und dem, der Kirche ſchaͤdlichen Bündniffe ent⸗ 
fagend, in ungeftörtem Genuſſe ihrer Breiheiten blieben, und 
gleich befugt ihre Befeſtigungswerke vollenden könnten, als der 
Erzbifchof feine Burg an der Moſel. Schon nach zwei Iahren 
war, befonders durch ben Bewaltfinn der Gefchledhter, folcher 
Briede von Koblenz wieder gebrochen, bi der verftärkte Ein⸗ 
flug der Reichsriiäter und benachbarte Grafen den Zwift da⸗ 
hin endeten: Schöffen und Bürgergemeinde, an gewöhnter 
Stätte, auf dem Hofe vor St. Florian verfammelt, aͤchteten für 
immer die adeligen Unrußeftifter und deren Anhang aus den 
Bünften, und fegten feft: wer durch zwei ehrbare Zeugen ber 
Stadt überführt würde, gegen ben Erzbiſchof und deſſen Schult« 


Biertes Bud. 69 


heißen Durch Verſchwörung, Nechiöfränkung,, ober Widerſetz⸗ 2. Kav- 
lichkeit beim beliebigen, bewaffneten oder unbewaffneten Ein- 

ritte des Oberherrn fi} vergangen zu haben, follte mit Leib 

und Gut dem Gebieter verfallen jein (1283). So ſchien 
Koblenz, wie Trier, feit König Wilhelms Tagen herabgekom⸗ 

wen; die Erneuerung des Schlufies von Ravenna hatte hier 

die Gemeindeverfaffung unterdrückt. 

Ein unfäglihes Gewirre der Keidenfchaften, diplomati⸗ — 
ſcher Raͤnkeſucht, Gewaltthat und Landesbeſchaͤdigung bot der rhein. 
Sprengel des Erzſtifts Köln, und führte gegen das Ende der 
Regierung Rubolfs, wie zur Beſchaͤmung belobter Königswürde, 
in ungeheurer Schlacht die tragifche Erledigung herbei. Erz 
biſchof Siegfried, Graf von Wefterburg, hatte fih mit ben 
Waffen auf dem Stuhl von Köln behaupten mäflen, auf 
nachdem Bapft Gregor X. feinen Nebenbuhler, Konrad, Gra⸗ 
fen von Berg, verworfen, und ibm König Rudolf, im April 
1275, die Regalien ertheilt. Unerwartet milde nach heißen 
Vorgängen früherer Sahre, löſte ber neue Gebieter, kraft 
päpflicher Ermächtigung, im Juni 1275, den Kirchenbann, 
welcher feit Engelbrechts IL Tagen über „Richter, Schöffen, 
Rath und Gemeinde von Köln‘ gelaftet hatte, „weil ber 
Kirche vollkommen genug geſchehen ſei“, gelobte gleich darauf 
auch unverletzliche Beobachtung der ſtaͤdtiſchen Freibriefe, ſchloß 
aber ſchon wenige Wochen fpäter mit dem Herzoge Walram von 
Limburg zu Neuß, mit den Erzbiſchöfen von Mainz und TrlerSiegnien 
zu Valendar, mit der Stadt Paderborn, die fich keck gegen Köln. 
ihren alten Biſchof Simon aufgelehnt, ein Buͤndniß, letzteres auf 
sehn Jahre zwiſchen Ruhr und Weſer gültig, und einigte ſich im 
Det. 1275 mit Biſchof Konrad von Osnabrück, welcher ihm, 
innerhalb zehn Tage nach der Mahnung, mit Hundert Rittern 
gegen Graf Wilhelm von Sülih, Gottfried von Arnsberg, 


79 Dritter Theil. 


2. Kap. das Haus Mark und ihre Verbündeten zu Hülfe zu ziehen ge⸗ 
Iobte. So fehen wir den alten blutigen Hader aus Konrads 
von Hochſtaden Zeit wieder erwacht; Jülich mit Kölns Bürgern 
verbunden, welche ſich umfonft dem Reiche zu Recht erboten, 
des Königs Schuß erwirkt hatten. In Weftfalen fcheint ſchon 
im Februar 1276 der ftreitbare Erzbifchof über einzelne Vaſal⸗ 
len, wie über Ritter Goswin von Nüdenberg, die Oberhand 
davongetragen zu haben; beide Theile flärkten fih durch neue 
Bünbdniffe und fchienen nur die Entfernung des wohlwollenden 
Königs nach Oeſterreich abzuwarten. Noch im März 1277 
jehen wir den Erzbifchof und den Grafen Wühelm ihre 
Streithändel dem Schiedsgerichte geiftliher und weltlicher 
Perſonen, unter letzteren auch Junkherrn aus Köln, anheims 
geben; aber mit dem erſten Frühling ſchaaren ſich zu Deutz 

— (7. April) Simon, Biſchof von Paderborn, der Land⸗ 

graf von Heſſen, die Grafen von Jülich, Berg, Mark, Arns⸗ 
berg und faſt alle Herren in Weſtfalen und am Niederrhein 
gegen Siegfried; Köln und Lüttich ſchließen ſich eng an ein⸗ 
auder. Dennoch unterlag Graf Gottfried von Arnsberg 
im Winter der Meberwältigung durch den reifigen Erzbi⸗ 
fchof und befannte fih am 21. Ianuar 1278 als defien Diener 
auf Lebenszeit; Mord wie natürlicher Tod zerflörten das ge⸗ 
raͤuſchvolle Bündnig von Deus. Biſchof Simon flarb in 
demjelben Jahre, Graf Engelbrecht von der Mark ward mench⸗ 
Terifch erſchlagen; am furchtbarften endete Graf Wilhelm von 
Jülich durch die Kauft wüthender Zünftler. 

Die Stadt Aachen, durch Schultheiß, Schöffen, Rath⸗ 
leute, Bürgermeifter und Beigeordnete vertreten, Hatte, 
aus Furcht vor dem Grafen von Jülich, verfländig auf 
bes Erzbiichofd und des Herzogs von Limburg Seite ihren 
Play gefunden, und zumal im Jahre 1275 mit beiden ihr 


Viertes Bud. 71 


Waffenbündniß erneuert. Ja die heilige Pfalzſtadt Kaiſer 2. aar. 
Karls bequemte ſich in Sommer 1277, als der höchſte Voigt 

des Reichs aͤngſtlich mit Ottakar theidigte, den Herzog Jo⸗ 

hann son Brabant und Lothringen als Schutzherrn förmlich 
anzunehmen. Der Brabanter ſchützte fie jedoch nicht, als Graf 
Wilhelm V., im Einverfländnig mit Berräthern drinnen, 
Rats vom 16 — 17. März 1278 mit 468 Nittern und an⸗ 

derem Gefolge das kölniſche Thor offen fand, und mit dem 
Siegesruf: Julia, Julia unfere Herrin! die ſchlafende Stadt 
erweckte. Aber der Schultheiß und wackere Zünftler, vers San bes 
mittelft Durchbrochener Hauswände mit einander heimlich ver⸗ En 
Rändigt, ſchloſſen die Thore, fürzten plöglich über die einge« 
ſchlichenen Ritter ber, erfählugen ihrer Die meiften, verfolgten 

den Anftifter des Verraths, den Grafen mit drei feiner Söhne 

bis ins Weißfrauenkloſter, wo er mit den Söhnen mitleidslos 

von Mebgern niedergeftochen wurde. Noch fpät ‚bezeichnete 

ein Kreugbogen mit emwiger Lampe die blutige Stätte; ob 
Aachen durch Wilhelms Freunde, den Brabanter, bebrängt 
wurde, wifjen wir nicht genau, wohl aber, daß im Jahre 
1279 der Schultheiß mit einem Genofjen vom Voigte (?) 
König Rudolfs in der Kirche! erfchlagen wurde. Erzbiſchof 
Siegfried jubelte undriftlich über den Fall des Erbfeindes 
jeines Stuhles, benußte mitleidslos das grauenvolle Ereig- 

niß, und fah im Sommer defjelben Jahres auch den Grafen 
Adolf VII. von Berg, ben von der Mark und andere Feinde 
Frieden ſuchen. So gebieterifch ward Siegfrieds Stellung, er des 
daß die ſaͤmmtlichen Stiftskapitel zu Köln im nächften Jahre eifepof. 
(1278) fi zur Erklärung gebrungen fühlten, „nur zwangs⸗ 

weife hätten fie zwölf Jahre früher die Urkunde beftegelt, 
welhe die Sefangennahme feines Vorfahren, Engelbrechts, 

vor der Welt rechtfertigte!“ Inzwifchen flieg dennoch ‚der Dom, 


72 Dritter Theil. 


2. gap. in Folge reichen Ablaſſes, zu würbdigerer Zier auf, und fand 
Siegfried, nach Jülichs Verheerung, ſich fo reich, daß er im 
Auguft 1279 die Fölnifche Burggrafichaft, über Hundert Jahre 
das Erblehn der Edelherren von Arberg, mit allen Dienften und 
Gefaͤllen einlöfte, für Die Schuld Dagegen einigen Prälaten und 
Geſchlechtern zu Köln feine dortigen Gefälle verpfändete. Im 
Sommer deſſelben Iahres einigte er fih mit Herzog Johann 
von Brabant und den Brafen von Kleve und Geldern zur Auf⸗ 
rechthaltung der öffentlichen Sicherheit zwifchen Rhein und Den- 
der, Mans und Rhein, hob Die Geleitszölle, Die er zumal beim 
neuen Thurm son Worringen, zur Kränkung der Kölner, ein- 
gefordert, auf, und ſchloß zum Zeichen des Friedens Die Hache- 
ner und Kölner ein, das fcheinhare Friedenswerk gleich darauf 
auch durch Die Sühne mit der Wittwe und den Söhnen des erfchla= 
genen Grafen von Jülich befrönend (Det. 1279). Bet ſolchen 
Siegen der Zandeöherrfchaften durften verpfändete Reichsſtaͤdte, 
wie die altfränkifche Pfalz Duisburg, nicht an Herſtellung deuten, 
wie Frankens und Schwabens Gemeinwefen dur ben König 
erlangt. Nah Walrams, des unbeerbten Herzogs von Lim⸗ 
burg, Tode (1280) fiel Duisburgs Pfandſchaft an den Grafen 
Rainald I. von Geldern, den Gemal der Tochter des Verſtor⸗ 
benen, Irmengardis; der Exzbifchof Siegfried brachte durch 
Kauf au die Voigtei im Stift Hervorden an feinen Stußl; 
aber mit dem 3. 1282 verfchürzten fih über dem Erbhandel 
von Limburg alle Dynaftifchen Interefien und alle Streitfragen 
zwilchen Städten und Serren zwiſchen Mans und Rhein in 
einen ſo unentwirrbaren Knoten, daB nur dag Schwert am 
Bluttage von Worringen ihn löſen konute. 

Die niederrheinifchen Zwiſte faben wie tief nach 
Weſtfalen verzweigt; Biſchof Eberhard, feit 1272 Gerhards 
Nachfolger in Münfter, erlebte unruhige Tage, Irrungen 


Viertes Bud. 73 


mit feiner Stadt, mit der er das Stadigericht nebft allen? Kar. 
Bußen, bis auf die Exbfälle, die Hefte der Hofverfaflung 
son Mimigardenord, theilte (1277); mußte die Thürme des 
Bispingshofes, gleich den anderen Thürmen, den Bürgern 
überlafien,, fo wie gegen Kauf den Ertrag der Brauereien. 
Glücklich benutzte Soeſt die anfangs ſchwankenden Umflände 
bed Erzbiſchofs, um vollere Freiheit zu gewinnen, oder dieſchwung. 
Abhängigkeit ganz zu beſeitigen. Die wohlgeordnete, faſt 
einzig dem okrati ſche Gemeinde, mit Köln im beften Verneh⸗ 
men, war noch mit dem Voigtamte behaftet, welches in aller⸗ 
lei Sebungen aus den vier Schultenhöfen beftand, und, ein 
uraltes Eigenthum der Kirche von Köln, dennoch, wie wir 
fahen, im erblichen Beftge der Orafen von Arnsberg war, Die als 
taiferliche Grafen die Einkünfte und Richtgewalt an Ritter 
außlichen. In Sorge um die Behauptung ſolchen Amts dem 
fiegreicden Erzbiſchof gegenüber, verkaufte Graf Ludwig im 
Gebr. 1279 k. St. feine Voigtei mit Iahrgeld von 12 Mark, 
Bann und Gericht als Lehn an die Stadt, und übertrug daſ⸗ 
felbe 12 namhaften Bürgern als Vertretern der Gemeinde, 
zugleich auch feine Freiſtühle in Soeſts Umgegend zurüdziehend, 
und gelobend, die Einwohner nicht außer ihren Mauern vor 
diefelben zu Inden. Die Gaugrafichaft mit ben walten Mal« 
flätten, som Fluſſe Salttappe bis gegen die Lippe Hin, alſo 
die fpätere Börde, Hatte die Stadt fehon inne. Aber folde 
Ausdehnung ihrer Befugnifle mißflel dem Erzbiſchof Sieg⸗ 
fried, der ja Aehnliches den Kälnern nicht geſtatten wollte; es 
kam zu Reibungen und felbft zum Kirchenbann, welden ber 
Oberhirt ohne Weiteres gegen die Bürger ausiprad (im J. 
1280), fie beſchuldigend, baß fie feinen Biſchofohof mit ber 
Kapelle, an der Stelle belegen, wo fihon im Jahre 1225 bie 
Soefter Engelbrechts I. Zwingburg gebrochen hatten, feindlich 


74 Dritter Theil, 


2. Ray. betreten und geplündert Hätten. Die Gemeinde berief ſich, 
vor dem Prälaten von St. Patroflus, auf den römiſchen Stuhl; 
es entftand ein weitläufiger Proceß, deffen Ausgang wir 
nicht kennen, aber für einen glimpflichen halten müſſen, indem 
Siegfried im Nov. 1281 jenen Verkauf der Voigtei durch 
den Grafen von Arnsberg unter eigenthümlichen Abänderun- 
gen guthieß. Die Bürger gaben bie Urkunde in die Hände 
des Erzbiſchofs; dafür wurde das Breigericht, Das „ſtille Ding”, 
außerhalb der Mauern und Landwehren verlegt und die Stadt 
von bemfelben gefreit; Das öffentliche Voigtding Dagegen, 
welches der Graf von Arnsberg zu halten pflegte, blieb bei 
dem Großrichter von Soeit, den der Erzbifchof und feine 
Nachfolger immer aus der Zahl der Bürger wählen wollten, 
Diefer fölnifhe Groß richt er, den Die Bürger obenein aus ihrer 
Mitte erwählten, befaß, feines Titeld ungeachtet, nur geringe 
Gewalt, indem alle wichtigeren Händel an das Stadtgericht 

Setimübergingen. Doch erhoben die Grafen von Arnsberg noch 

—* ſpater Anrecht an die Reichvoigtei. Der erſtarkte Einfluß 
der Reichsſatzungen nad Rudolfs Heimkehr machte ſich übri⸗ 
gens auch in Soeſt durch Beſchraͤnkung der Rathsgliederzahl 
merkbar; im April 1283 beſchloſſen Bürgermeiſter, Rath und 
Gemeinde, den Rath von 36 Perfonen auf 24 zu befchränfen, 
doch unter Geftattung, daß die Wahlherren jeden brauchbaren 
Mitbürger kieſen dürften, falls er auch nicht ſchon Burrichter 

‚Bader. „gewegen fei. — In Paderborn, deifen Gemeinde fchon jeit 

der Simons des Biſchofs Tagen mit bem Klerus gehadert, den 
a alten Herrn audgetrieben, Die Geiftlidhen vor ihr Gericht ge= 
laden hatte, zogen, nad einem Ausgleichungsverfuche des 
Biſchofs Otto, Grafen von Nittberg, im Jahre 1281, die 
erhitzten Zünftler vor das Schloß Neuhaus, und hatten es 


Biertes Bud. 75 


bereits gebrochen, als Otto mit feinen Bafallen fie überrafchte, 2. aan. 
und ihrer fünfhundert erſchlug. 

Merkte man am Nheinftrom und an der Weiler eines 
beutfchen Könige Wirkſamkeit wenig, fo ging es in Thürin⸗ 
gen und Meißen noch bunter her. Leber Hefien zog ſich der 
alte Hader mit Mainz nad Thüringen, und Das uneinige 
Haus der Wettiner, Heinrichs des Erlauchten Söhne und 
Verwandten, auch bei Ottakars und Rudolfs Kampfe bethei⸗ 
ligt, verfegten das Land in Heillofe Verwirrung, zumal als 
Albrecht der Unartige mit feinen eigenen Söhnen, Friedrich 
dem Sebtfjenen und Diezmann, wiederum häplich zerfiel. Mitten 
im Gebränge lagen die Erfurter; im I. 1278 war der Zwies Erfurt. 
ſpalt zwifchen dem Erzbifhof Werner und ber Stadt dahin 
verglichen, Daß fowohl die fläbtifchen Behörden in Bezug auf 
bad Marftmeifteramt, die Münze und Gerichte, die Schults 
heißen, als auch die erzbifchöflichen Beamten in ihren bisheri⸗ 
gen Rechten blieben und die Bürger Feine dem Erzſtifte ſchäd⸗ 
lihen Saßungen machen follten. Als im Jahre 1275 benach⸗ 
barte Srafen die Zufuhr fperrten, die Kaufleute nieberwarfen, 
half den Bebrängten Here Werner mit Heeresmacht; aber mit 
dem Jahre 1279 brach wieder ein ernftliches Berwürfniß aus. 
Die Stadt verbündete fih mit dem Landgrafen Albrecht und 
den Grafen von Gleichen, und ald der Exzbifchof den Kirchen 
bann über Die Ungehorfamen verhängte, veröffentlichten Die 
beiden Bürgermeifter und zwölf Rathsherren die kecke Satung, 
dab feine liegenden Gründe in und vor ber Stabt an Geifl« 
lihe verkauft, verſchenkt ober vermacht werben dürften: fie 
trugen bie Firchliche Strafe gleihmüthig bis ins dritte Jahr 
(1282). Wie die Grafen von Gleichen, war Graf Otto 
son Orlamünde ber Stadt Bürger (Juli 1280) gegen einen 
Sahresjold non 50 Mark Silber. Das Landfriedensge⸗ 


76 Dritter Theil. 


2. Ray.richt, welches im Jahre 1281 in Thüringen geſchloſſen fein 
fol, und in welches Landgraf Albrecht nebſt feinem Bruder 
Dietrich die Erfurter aufnahm, war nur eine einfeitige Land⸗ 
friedendeinigung, dergleichen wir viele in anderen Theilen 
des Reichs gefunden. Das merkwürdige thüringifche Land⸗ 
friedensgericht ift erft ein Werk Rudolfs und zunächft feines 
waderen ‚„„Barfüßerd‘‘, Heinrichs, Biſchofs von Baſel, der 
dann auf den Stuhl von Mainz erhoben war. 

Im Gebiet zwifchen Elbe und Wefer, nach der Ober und 
der Oſtſee zu, wird vollends nichts von neuer Königögewalt 
berfpürt, außer machtloſen Siegelbriefen des fernen Ober» 

Auroif®paupted. Um fo unbeilsoßer hier die Zuſtaͤnde, da daB 

ala Ärmächtige Haus ber Anhalter, dem Reiche der Praemysliben 

—38 verwandt und in der Lauſitz benachbart, tief in die Kämpfe 

Stavien Audolfd und Ottakars verflochten war. Seiner Schwäche 
fih bewußt, und um wenigftens die Leifeften Fäden vor⸗ 
läufig zu behalten, übertrug der König unter den Hüflungen 
zum entjcheidenden Kriege gegen Ottakar im Herbſt 1277 
aus Wien den Herzögen Albrecht von Sachſen und Albrecht 
von Braunfchweig, jenem Schutzvoigte und Freunde Lübecks, 
die Behütung ‚feiner und des Reiches“ Städte Lübeck, Gos⸗ 
lar, Mühlhauſen, Nordhaufen, aller Feſten, Burgen, Dörfer, 
Stäbte, Minifterialen, mit allen Einkünften in Sachſen, 
Thüringen und Slavien, und der ausgedehnten Befugniß, 
alles nach beftem Willen zu ordnen, Reichsgut und Einkünfte 
aus der Entfremdung wieder herbei zu ſchaffen, über alle 
Händel zu rihten. So weit gemeſſenes Bicariat, ſolche Ver⸗ 
zihtung eigenen Regiments mochte als Baum für die Mark⸗ 
grafen von Brandenburg gelten, welde, dem Bortheile Hek$- 
burgs entgegen, machtvoll um fig griffen. Doch gerade uns 
ter den Augen der Reichsvicare ereigneten ſich die gewaltſam⸗ 


Viertes Buch. 77 
fen Dinge; die reichöfreien Städte mußten fidh ſelbſt ſchützen2. ar. 





ober der Macht fih beugen. Um Magdeburgs Stuhl ent Ehre 
brannte die hHeftigfte Fürſtenfehde. Erzbiſchof Konrad II. —— 
(1266 bis 1277), dankbar von den Herzogen von Sachſen Yısde 
als Helfer anerkannt, weil er die armen Herren aus der Schult⸗ 
haft der Bürger losgekauft, betheiligte ſich an dem unglück⸗ 
lichen Zuge des Markgrafen Dietrich, der den Bürgern von 
Leipzig im Jahre 1273 dad Münzrecht überlaffen, gegen deſ⸗ 
ien Bruder, den Landgrafen Albrecht von Thüringen (1276), 
und farb im Ianuar 1277, belobt als Erbauer und Ver⸗ 
Ihönerer des erzbifchäflichen Palaftes in Magdeburg. Als 
nach feinem Tode eine Partei der Domherren den Markgrafen 
Erih von Brandenburg als Nachfolger wünſchte, die andern mit 
den Bürgern den Domherrn Bufio son Querfurt begünftig- 
ten, begannen Otto der „Minneſinger““, als Bruder Erichs, 
und Herzog Albtecht von Braunfchweig, ber Reichsdicar, 
als Better, gekränft über ſolche Zurückſetzung, eine erbitterte 
Fehde, bis beide Bewerber verzihteten und Graf Gün⸗ 
ther son Schwalenberg erforen wurde. Gereizter gegen 
ihre Bürger, erhoben Otto und Markgraf Konrad, während 
ihre Bettern in Böhmen Fritten und theidigten, verbunden 
mit den Buelfen, jo wie mit den Herzögen von Sachſen, einen 
ernften Krieg, den Günther nur mit Hülfe feiner tapferen 
Bürger befand. Mach der Niederlage der Sachſen bei Aken 
(November 1277) fiel Markgraf Otto mit Märfern, Böhmen, 
Pommern, dem Fürften von Diügen und anderen Bundesge⸗ 
noffen, verheerend ins Erzſtift; Bruder und Sippen berjelben 
Hänfer fanden einander parteit gegenüber. Im Lager vor 
Froſe (ISannar 1278) vermag fih der Minnefinger, „andern 
Tages in Magdeburg ringnziehen, den Hohen Dom zum Pfer- 
deſtall zu machen.“ Seine erſten Späher hatten keine Be⸗ 


18 Dritter Theil. 
2. Ray.megung in ter Stadt gemerkt; in ber Brühe bes 10. 





Januars Tief aber die Kunde ein, „die Bürger feien auf, überall 
ertönen Zinken, Pfeifen und Kriegsmuſik, würden Fackeln 
geihwungen.” Mit der Sahne des h. Mauriz, im Geleite 
der Domherren vor das Rathhaus gezogen, hatte ber weibliche 
Biſchof Arm und Reich beſchworen, mit aller Kraft die Hei⸗ 
estahtmath zu beſchützen; begeiftert für ihre Sade, nad Sturm- 
Sroſe. glodengeläut, firömten, die Kunftofler geharniſcht zu Roß, 
die Zünftler und Kleinbürger zu Fuß, mit Keulen, Schwertern 
und Spießen, aus den Thoren ind Feld und fanden draußen 
wadere Helfer, den Grafen Otto von Anhalt, treue Stifts⸗ 
vafallen und mehre thüringifche Herren. Gemuftert, in 
Schlachtreihen geftellt, unter dem Banner des Stiftäheiligen, 
flürzten die Magdeburger zum Angriff, flegten im beißen, blu⸗ 
tigen Treffen, fingen den übermüthigen Markgrafen mit 300 
Gewappneten, und führten ihn von der Wahlftatt nad) Mag⸗ 
deburg, in Ketten ihn fo lange bewahrend, bis man ihn auf 
dem Hofe von Querfurt in einen, aus ftarfen Bohlen gefer- 
tigten Kaften fperren Eonnte. Lange Jahre blieb dieſer glor- 
reiche Tag durch Almofenfpenden gefeiert. — Um viertau⸗ 
fend Mark Silber, welche ein alter Diener des Vaters des 
Gefangenen als verborgenen Nothpfennig in der Kirche zu 
Angermünde nachgewiefen haben foll, wahrfcheinlicher in Folge 
der Beſtechung der Domberren, entkam ber Geftrafte fo un⸗ 
leidlichem Kerker, hinterbrein mit flolgem Spotteüber den nie= 
bern Preis; vielleicht, daß auch Herzog Albrecht, der vom Harz 
herangedrungen, durch Unterhanblung mit zur Auslöfung des 
Vetters beigetragen. Alsbald fland aber der Erbitterte mit 
neuem Aufgebot, zu welchem ex mit Konrad feinem Bruder 
auch den alten, geprüften Herzog Barnim I. von Pommern 
unter verfänglichen Bedingungen vermodht (1. Juni 1278), 


Biertes Bud. 79 


vor der Burg Stapfınt; da traf ihn jener Pfeil aus einer. Kar. 
ſtarlen Armbruft Durch den Helm ins Haupt, von welchen der 
Pinnefinger den zweiten Beinamen führt, und mußte er au 

bier aus dem Felde weichen. Schon trennten ſich, Friede 
begehrend, die Herzöge von Sachſen; hartnädig verfolgte ber 
Markgraf die ungerechte Sache, jah das Bürger und Stifts⸗ 

beer flegreich an der Elbe und am Harze, bi, des ungeiſtli⸗ 

Gen Kampfes müde, Erzbischof Günther, die Treue der Bür⸗ 

ger belobend, feinen Hirtenftab niederlegte (noch im Jahre 
1278). Sein Nachfolger, Bernhard Graf von Wölpe, erbte 

den ſchleppenden Krieg gegen den bartnädigen Fürftenbund, 

ſetzte ihn mit Hülfe der fireitbaren Gemeinde, bis ind Braun 
ſchweigiſche fort, erlitt aber vor Hildesheim auch einmal em⸗ 
pfindlihe Niederlage. Um Faften im Jahre 1280 ohne Er- a 
folg vor Schönebed, dann eben fowillig vor Schloß ReninKrieg um 
unweit Deſſau gezogen, obſchon fie die Koſten faft allein tru⸗ en, 
gen, jahen die Bürger hier häßlichen Zwiefpalt unter ihren 
fürftlihen Bundesgenojien, die Gefangennahme des älteren 
Dietrih, Markgrafen von Meißen, jo wie feines Neffen, 
Friedrichs des Gebifienen, durch den Erzbiſchof felbft; nad 
einem empfindlichen Waffenunglüd bei Wefenberg nahm Bern⸗ 

hard endlich die Theidigung des Markgrafen Albrecht an. 
Allein auch nach dem Frieden ſetzte Markgraf Dietrich, um die 
erfahrenen Unbilden zu rächen, Die Verheerung bes Saal⸗ 
kreiſes, zu unfäglihem Schaden des Stiftes, fort, bis unter 
ſteigender Noth der Erzbiſchof, eine Reiſe nach Rom antre⸗ 

tend (Februar 1281), vom Schauplatz wich, dann die Erhe⸗ 
bung des mehrmals verſchmaͤheten Markgrafen Erich auf Mag⸗ 
deburgs Stuhl zwei Jahre fpäter (1283) den weitverzweigten 
Krieg unter den Vorboten einer frieblicheren Zeit endigte, und 
der Brandenburger die Ungunſt der Bürger in aufrichtige 





80 Dritter Theil. 


2. Rap. Liebe umzuwandeln verfland. Wie mitten unter ſolcher Zer- 
rüttung die Bürgerluft um fo ritterlicher und poetifcher ſich er⸗ 
ging, haben wir an dem Graalfefte zu Magdeburg im Jahre 
1279 erfehen; aber das wachſende Bewußtfein der Streitbare 
feit der Zünftler mußte auch bald den Umfturz ererbter Schöf- 
fengewalt und bevorzugter Kunftofler zur Folge haben. 

So jehen wir denn auch unter Herzog Albrechts Reichs⸗ 
vicariat in fächflfhen, thüringifchen und flavifchen Rändern 
feinen Segen des wiedererftandenen Königthums in Rudolfs 
acht erften Megterungsjahren ; der Guelfe flarh, ein zwiefpäls 
tiges Gefchlecht Hinterlaffend, im Herbft des Jahres 1279; 
unter feinen Städten regte fi zumal Göttingens Freiheits⸗ 
eifer, deren Bürger gleich Teck die Burgen des Landesherrn 
als der Raubritter brachen, bei der ihnen angemutheten Mit- 
huldigung für die Herzoge Albrecht I. und Dtto von Lüne⸗ 
burg (1292) fih ausbedungen, „entflände Zwietracht unter 
den Landesherren, beiden Theilen ihre Thore zu verichließen, 
feinem irgend Hülfe zu leiſten.“ Fürſtliches Anſehen war 
unter wiederholter Iheilung des guelfiichen Erbes jo geſun⸗ 
fen, daß e8 bei Beflätigung flreitiger Privilegien Göttingens 
im Jahre 1288 nicht auf frühere Urkunden, fondern 
allein auf den Eid des alten und neuen Rathes ankam. 
Erſt der Brandenburger unzähmbarer Gewaltfinn gab dem Kö- 
nige, als er fein Voigtamt felbft wieder zur Hand genommen, 
ehrenvollen Anlaß, im Jahre 1283, auf Anrufen bedrängter 
Meichötreuen, den Segen des Landfriedens auch jenfeits der 
Elbe und Ober zu verfündigen. 

König, Zu Pfingften 1281 über Baiern ind Reich gefommen, 

KA begann Rudolf fein ernfted Werk in Regensburg mit dem 

fhtüge. baterifchen Landfrieden (Juli 1281). Ludwig, Pfalzgraf am 
Rhein, mit Borliche auf feiner Burg über Heidelberg weilend, 


Biertes Bud. 81 


die nebft der mäßigen Stadt aus Feuersbrünſten wieder ent=2. zay. 

fanden, einigte fi, dem königlichen Schwiegervater treu er⸗ 

geben, nebft feinem flörrigen Bruder Heinrih und den Bi⸗ 

Höfen des Landes Baiern, denen von Salzburg, Bamberg, Frei⸗ 

fing, Eichſtaͤdt, Augsburg, Paffau, Briren, zu fo löblichem 

Werke. Gleich darauf erbliden wir den König zu Nürnberg, on 

wo er (10. Juli) beurfundet, wie die von Kaifer Friedrich II. Rönig, 

auf dem großen Koftage zu Mainz (1235) geſetzten Rechte 

und Verordnungen, nad der Beſchwörung derſelben durch alle 

„Franken“ im Schottenmünfter, auf fünfIahre zu halten freien. 

In dem Grade ſchien die Gefellfhaftsverfaffung aus den Fu⸗ 

gen geriffen, daß Rudolf, ohne Neues zu fchaffen, erft den 

Werth ded Alten wieder hervorhob. Wie ernft aber der Kö⸗ 

nig auch kleinere Unbilden nahm, erfuhr, dem ftrengften Ge⸗ 

richte nahe verfallen, Heinrih Schorlin, ein Kriegsmann des 

Biſchofs Heinrih von Bafel, und der erfte im Streit auf dem 

Marchfelde. Die Verunehrung der Tochter feines Wirths, 

bes fhönften Mädchens Nürnbergs, forderte durch den Volks⸗ 

mund des Königs Nechtiprug. Rudolf, in Hoffnung, es 

werde ſich jemand ins Mittel fchlagen, verzog das Urtheil, das 

dem Veraͤchter des Gaftrechtes Leicht an den Hals gehen fonnte. 

Im Zorn ſprach er endlich, ich werde ihn richten, und an die⸗ 

ſem Orte, fo lange ich Iebe, „werde ich immer richten. Doc 

war der Ausgang glimpflib: Vermaͤhlung der Gefchmäheten 

und Ausftattung mit 200 Mark, welche Adel und Volk bei« 

fieuerten, da fie des Königs Liebe für den Tapferen erkannten. 

Heinrich Schorlin ward im I. 1297 Schultheiß zu Bafel. — 
Bolle zehn Jahre hindurch fehen wir jet den Habsbur⸗ 

ger von einem Reichslande ind andere ziehen, um Landfrie⸗ 

denseinigungen aufzuridhten, von den Ständen beſchwören zu 


lafien, über die Beobachtung des Geſetzes zu wachen, Richter 
Barthold, Städtewefen III. 6 


82 Dritter Theil. 


2. aa. zu beftellen, felbſi im Gericht zu fügen, mit Heereskraft Die 
Vollſtreckung des Urtheils felbft handhaben. So ernfte 
Thätigkeit wird aber vielfach gehindert und unterbrochen durch 
die Fehden mädhtiger Fürften und Herren, die Widerfeglichkeit 
von Gemeinden: furdhtbare, blutige Kämpfe entſchieden Rechts⸗ 
fragen, welde dem Aus ſpruche des Königs zuflanden; fo 
los und loderift das allgemeine Band, daß immer alles wieder 
zerbrödelt, wenn das Auge des Richters auf einer anderen 
Landſchaft rubet, fein Strafarm entfernte Friedbrecher erreicht. 
Am Abende feines mühenollen Lebens erkennt der wadere 
Mann das DVergebliche feiner Arbeit; ein Träftiges Gefühl 
von Recht und Ordnung, die Macht des Geſetzes wird nirgend 
wahrgenommen ; Bertrauen auf öffentliche Zuflände, Glücks⸗ 
behagen, Sicherheit als Ausdruck der Gefammtheit bleibt 
gleich fern. Es war auch ſchon damals aus unferem Bater- 
Iande im Ganzen nicht8 zu machen; nur einzelne Iheile fonn= 
ten einen leiblihen Zuftand bei ſich erwirfen, Durch geipannte 
Wachſamkeit und durch Anſchluß an den Nachbarn. Mit Recht 
durfte fchon Freidank Klagen, „die Fürſten zwängen mit 
Gewalt, Feld, Stein, Waller und Wald; Könnten fie und 
den Sonnenfdhein verbieten, au Wind und Negen, Man 
müßte ihnen Zins mit Golde wägen.”’ Wie zerriffen und un« 
bindbar die Theile den Mittelpunkt flohen, ermeflen wir daraus, 
daß Rudolf nicht daran denken durfte, durch eine große Geſetz⸗ 
gebung das Reich als eine Einheit zu umfaflen; er mußte 
fi begnügen, die „ewigen“ Befchlüffe Kaiſer Friedrichs II. 
welche, die Selbfthülfe bannend, für Friedbruch und offene 
Gewalt ordentlichen Rechtsgang, Unterfuchung vor dem Rich⸗ 

Derihieter, Verhör vor Zeugen feftftellten, für einzelne Reichsgebiete 

zandft. zeitweife zu erneuern, die Sagungen beſchwören zu Taflen, 
Hofe und Landfriebenärichter zu fegen, höchſtens Nachbaren, 


Biertes Buch. 83 


wie Schwaben und Baiern, zur gegenfeitigen Rechtsver⸗2. am. 
folgung zu verpflidten. So flörrig und ungeduldig war der 
deutſche Volksgeiſt, daß dieſe Landfrieden vertragsweiſe nur 
wenige, beſtimmte Jahre Geltung gewannen, gleichſam als 
Waffenſtillſtand. Executive Gewalt übte der König überall nur, 
wohin er perſönlich zog; ohne ein oberes Tribunal, ein 
Reichskammergericht, welches erſt zwei Jahrhunderte fpäter ein 
Iöblicher Enkel, doch auch nur der Idee nad fchuf, zerran« 
nen alle wohlmeinenden Beflrebungen. Im Jahre 1281 
folgten drei ſolcher Verfprechungen auf beftimmte Zeit, die 
aber fchlecht genug befolgt wurden; ber Landfrieden für 
Baiern zu Negendburg (Juli), der zu Nürnberg für Franken im 
Deebr. auf fünf Iahre, der zu Mainz für das Rheinland, von 
Konflanz bis ins Unbeflimmte „den Strom hernieder“, als 
ſchäͤme fidh, der Gewaltzuflände am Niederrhein fundig, die 
Geſetzgebung ihrer anerkannten Schwäche. Im September 
des Jahres 1282, nach einem Kriegszuge gegen den Erzbir 
ſchof von Köln und der Zerftörung zweier Raubburgen, ſchwu⸗ 
ren rheiniſche Bürften und Herren nachträglich, da fie ſich dem 
Mainzer Tage nicht geftellt Hatten. Schon auf dem Hoftage zu 
Augsburg (December 1282) war der König nebſt dem will 
fährigen Pfalzgrafen Ludwig gedrungen, die Ritter, Minifte- 
rialen und Städte in Schwaben und Baiern zu verpflichten, 
die Einigung zu halten, und, mit Beflimmung der Richter, 
die Beftrafung derjenigen feitzufegen, welche Näuber, die aus 
einem Lande ins andere kaͤmen, bei fih aufnähmen. Für 
Oberſchwaben war der Reichsvoigt zu Augsburg mit folder 
Gewalt betraut. Im Brühling des Jahres 1284 widerrief 
Audolf den Hoftag, welchen er nach Nürnberg ausgeſchtieben, 
und verfuchte flatt defien zu Sohannis ein Reichsaufgebot, zur 
Handhabung des allgemeinen Landfriedens. Bald darauf 
6* 


84 Dritter Theil. 


2. rap. (Juli) befchied er die Boten der rheinifhen Städte nad 


Allge: 


Worms, um fle von neuem ſchwören zu laflen, und die Stadt 
Würzburg zu belagern, wo zwifchen Bifchof und Bürgern, den 
BZünften, Hader ausgebrochen. Das Jahr 1285 verſtrich un⸗ 
ter den ängftlichften Ereigniffen, welche die finfende Macht des 
Königs, die offene Widerfeglichkeit felbft der treueften Städte, 
Rudolfs Mangel an politifcher Volksthümlichkeit grell be= 
leuchteten. Unfriedlich waren bie Jahre bis 1287, in wel- 
chem der König während ded Nationalconciliums den Main 
zer Frieden vom Jahre 1235 wiederum beflätigte, auf Drei 
Jahre neu beſchwören ließ; zugleich ward hier der merkwür⸗ 
dige Landfrieden reichögefetlich anerkannt, welchen der neue 
Erzbifchof von Mainz, unfer Seinrich der Barfüßer, in Thü⸗ 
ringen aufgerichtet, wie wir im BZufammenhange berichten 
werten. Im April des Iahres 1288 beſchworen wiederum 
zu Kolmar der Biſchof von Straßburg und die Landherren 
den öffentlihen Frieden; die nachdrücklichſte Thätigkeit des 
Königs bezeichnete im Jahre 1290 feinen faft ein Jahr langen 
Aufenthalt in Thüringen; Schwabens und Frankens Raub⸗ 
ſchloͤſſer, 70 an der Zahl, brach er zulegt wandernd in den 
Grund, erneuerte endlih im April 1291 die Satzungen des 
Tages von Würzburg auf ſechs Jahre, und beſchloß, unter 
der Vereitlung des Plans, feinem Sohn die Nachfolge zu 
fihern, würdig jein Heldenleben mit dem @rabesritt nad 
Speier. — 

Im allgemeinen wurden allen diefen Landfriedenswerken 


Char bie Beflimmungen Kaifer Friedrichs II. zu Grunde gelegt, 
—* doch auch manche als wichtig für Sittenpolizei und oͤffentliches 


Leben hinzugefügt. Als neu erkennen wir die Friedloſigkeitser⸗ 
klaͤrung für „Lotterpfaffen mit langem Haar“ und „Spielleute“ 
(1281). Wohl mag der Aerger unbelohnter „gerender Leute”, 


Viertes Bud. 85 


zumal der Täfterliche Unmuth des Schulmeifters von Eflingen, 2. aa. 
der fhon bei des Habsburgers Erwählung gefungen: ‚Gott, 
nun fieh zu Deinen Reiche, Alfo daß er dir nicht erfchleiche 
Deinen Himmel ohne Wehr; ’’ aus fo fchmählicher Ausftoßung 
der niederen Singer, fo wie aus des armen Königs Kargheit 
entiprungen fein. Andere Satzungen lehrten haͤßliche Vor⸗ 
urtheile und Standesunterſchiede; wer einen edlen Mann 
feindlich heimfuchte, fiel in die Acht und büßte dem Gekränk⸗ 
ten 10 Pfund Heller für fein Lafter, dem Richter 5 Pfund, 
den Schaden nidyt gerechnet; ein heimgefuchter Bauer ems 
yfing nur ein Pfund. „Schützen“, d. 5. Armbrufter zu 
Pferde, durfte ald Geleit nur mit ſich führen, wer 30 Pfund 
Gülte befaß oder ein Richter war. Wer öffentlich „‚reifet‘‘ 
(fehdet) wider jemand, der den Frieden geichworen hat, foll 
enthauptet werden! Jeder Richter mußte den Friedbrief 
deutſch gefchrieben bei fidh Haben; zum Gericht durfte niemand 
im Harnifch oder mit Armbruft fommen. Flüchtete ein Acch- 
ter in eined Mannes Haus, fo mußte diejer Sorge tragen, 
damit jener ohne Schaden auskomme; Pfändung ohne Krohn 
boten galt als Friedbruch; „wer Meſſer in den Hofen ober 
anderdwo verloren trägt‘, dem ſchlug man die Hand ab! 
Unter gefährlichen Fehden, welche beſonders die Verwal⸗ Behden 
tung des Herzogthums Schwaben beim Reich und die Einzie⸗ Königs. 
hung des dort am meiften zerjplitterten Reichsguts immer 
wieder erneuerten, gegen die Grafen und die Bürger von Frei⸗ 
burg im Jahre 1281, welche Iettere das Schloß Zähringen, 
dad Rudolf für fi anſprach, wieder aufbauen mußten, im 
Jahre 1283 zu Gunften des Bifchof3 von Bafel gegen ben 
Grafen von Mömpelgard, mit Philipp Grafen von Savoyen, 
befonderd gegen den Grafen Eberhard von Wirtemberg im 
Jahre 1286, wobei Stuttgart fieben Wochen lang belagert und 


2. Kay. 


Reichs⸗ 

ſtädte in 

Schwa⸗ 
ben. 


Heil⸗ 
bronn. 


86 Dritter Theil, 


zwar feiner Mauern beraubt wurde, aber dennoch dem troßigen 
Grafen auch im folgenden Jahre Schuß gewährte; vergaß 
Rudolf nicht, außer jenen allgemeinen, zum Beften der Städte 
erfonnenen Maßregeln, viele Gemeinwefen aud im einzelnen 
mit Nechten und Freiheiten zu begnadigen. So gewannen 
zunächſt die Städte im aufgelöften, nicht zum Königsgute ge= 
fchlagenen Herzogthum Schwaben und Alemannien überhaupt 
die fefte Begründung ihrer Reichsfreiheit; Pfullendorf, aus» 
gebrannt wahrfcheinlich in Folge einer Nachbarfehde, Bibrach, 
Memmingen, Kaufbeuern, Weil, Gmünd, Ravensburg, 
Wimpfen und viele andere, in Kaifer Friedrichs II. Tagen als 
bemauerte Orte kaum bemerkbar, hoben keck ihr freied Haupt, 
vom Könige vielfach begünftigt (1280 — 86), damit ſie nicht an 
die Landherren fielen. Nur Nördlingen fand in Ungunſt; 
im Jahre 1281 erhielt der Graf von Dettingen die Pfand⸗ 
fhaft der dortigen Neichöfteuer, während Rudolf anderen, viel 
jüngeren Städten Unverpfändbarfeit zugeftchert. Heilbronn, feit 
841 eine Karolingifche Pfalz an den Eöftlichen Geländen des 
Neckars, wo vielleicht ſchon Nömer, früh gewiß die Aleman⸗ 
nen Neben gepflanzt, tritt, bißlang wenig bemerkt, unter Aus 
bolfs Walten als wohlgeorbnete Reichsſtadt ans Licht. Im 
unbeftimmter Zeit an das Stift Würzburg gefallen, weldes 
bie St, Michaeliskicche, neben St. Kilian Heilbronnd Haupt⸗ 
pfarre, geftiftet, unter Auflöſung der Palatinatverfaffung in 
Heinrich VII. Tagen ein Zehn des jungen Königs (1225), von 
Kaiſer Friedrich H. gleichzeitig mit Eflingen und Reutlingen 
ummauert, mit Grundeigenthum ausgeflattet, bereits in regem 
Berfehr mit Nürnberg, dankte Heilbronn dem Könige Rudolf 
feine geordnete Berfaffung, um dem Wirtemberger zu wider- 
ſtehen. Das Iahr 1282 verfündete den Bürgern ihr eigen- 
thümliches Recht, marktpolizeiliche Befimmungen, welde 


Viertes Buch. 87 


den Beſtand der Zuͤnfte, auch der Tuchmacher, bezeugen, end⸗ 2. Kar. 
lich, jedoch ohne Schmälerung des Voigtes und Schultheigen, 
die Befugniß, aus den Ehrbaren und Tüchtigen zwölf Rath» 
mannen zu wählen, deren vier aus ihrer Mitte monatlich alle 
Getchäfte unter dem Schultheißen beforgen follten. An nam⸗ 
haften Rittergefchlechtern, früheren Palaftminifteria len, fehlte 
es nicht; fie, mit den Altfreien als ehrbare Gefchlechter ver- 
wachjen, befegten das Schultheigenant, die Schöffe n« wie bie 
Rathsbank, an deren Sige jedoch erft um 1314 ein Bürger- 
meifter urfundlih wird. Im Jahre 1288 zu einer Kauf- 
mannsmefle, wie Rotenburg ſchon im Jahre 12 82, unter 
Königsgeleit berechtigt, durch feine ritterlihen Bürger zur Frei⸗ 
beit künftiger Tage herangebildet, prangte das meinreiche Heil⸗ 
bronn denfwürdig, gleich Notenburg, unter den freien Stäb- 
ten Frankens und Schwabens bis in bie fpätefte Zeit. — 

Eine nicht geringe Zahl folder neuen Schöpfungen, die 
Ausftattung von Dörfern und Flecken mit Stadtrecht, mochte 
die Anſprüche der Geiftlichfeit nicht felten fhmälern. Sol« 
her Beforgniß für die Zufunft zu begegnen, erflärte Rudolf 
feierlich zu Hagenau im Jahre 12832, dergleihen Gnadener- 
weife follten dem Reiche, der Kirche und der Geiftlichkeit 
nicht zum Schaden ausfchlagen. — 

Band der Habsburger an Schwabens Bürgergemeinden Habs: 
zuverläffige Stüge in Kriegädrangfalen, und gefährdete. hier geile 
feine Hauspolitif nicht den Freiheitseifer, ſo muß das unver⸗ — 
holene Streben feines Geſchlechts, im Elſaß und im hohen 
Alemannien die unabhängigen, durch den Fall der Hohenſtau⸗ 
fen emancipirten Städte zu Landftädten herabzudrücken, Die voig« 
teilichen Befugniffe des erforenen, befoldeten Bürgerhaupt« 
manns zu mißbrauchen, eine erblice Tandgraffchaft Elſaß 
zu errichten, entſchiedene Auflchnung bewirkt haben. Schon in 





88 Dritter Theil. 


2. Rap. der höchſten Noth vor Ottakar verweigerten Bern, Kolmar und 
Hagenau dem altbelobten Freunde den Zuzug; wir Fennen 
dagegen Zürichs muthige Bereitfchaft und Bafeld Ritterlichkeit. 
Diefe Stadt bevorzugte der Habsburger, ald wollte er frühere 
Unbilden fühnen, weilte dort gern, ließ die Leiche feiner erften 
Gattin aus Wien dorthin führen (1281) und, wie verfihie- 
dener jung verftorbener Kinder, prachtvoll im Münfter beflat- 
ten; im Jahre 1285 freiete er „Minderbaſel“ höher und 
fchlichtete wohlgefinnt im Jahre 1286 böfen Hader zwilchen 
ehrbaren Nittern und „Bürgern.” — Auffällig dage⸗ 
gen Faufte Rudolf die Voigtgewalt über Straßburg von den 
Lichtenbergern (1283); nicht minder befremdend, daß in 
Straßburg, wo die Zahl der Geſchlechter ſchon drüdend, im 
Jahre 1281 „viele Unedlen zu Rittern, Kunftoflern erhoben 
wurden‘; im folgenden Jahre verglich er die blutig hadern⸗ 
den Mühlhäuſer; Nitter des Elſaß folgten dem Könige bis 
nah Mainz. Noch im Jahre 1284 wurde Rudolfs junge 
Königin, Ifabella von Burgund, in Kolmar glorreich aufge= 
nommen, mit Kleinoden bejchenft; um Pfingiten des Jahres 

Auftand 1285 Dagegen ſehen wir bie Bürger, welde dem Könige in 

eins. einem Jahre 30,000 Pfund gefteuert hatten, in vollen be= 
waffneten Aufftande, weil er fogar ven dreißigften Theil ihrer 
Habe begehrte; ihr Schultheig, Walther Röffelmann, Sohn 
jened waderen Johanne, vom Könige in fein Amt berufen, 
mit dem Reichsvoigte ſchon früher veruneinigt, widerjeßte fich 
mit der Gemeinde; ja die Hagenauer jagten den Reichsvoigt 
bes Breisgaus und Nieterelfag, Otto von Ochfenftein, ob⸗ 
gleih Schweflerfohn des Königs, ſchimpflich aus der Burg 
und verweigerten beharrlich ven Gehorjan. Während Rudolf 

— im Juni die widerſpenſtige Stadt Kolmar umlagerte, drohete 

Er eine ſeltſame Erfcheinung, „der falſche Friedrich“, welcher in 





Biertes Bud. 89 


niederebeinifchen und niederbeutichen Ländern ſchon Tange um⸗2. Kay. 
hergefchlichen, dem Anfehen des Königs faſt unvermeiblichen 
Schaden, umd lehrt, wie geringe Volksthümlichkeit 
Rudolf, fo Gürgerfreundlich und leutſelig feine Perfon, fei- 
ned Landfriedenswerkes ungeadtet, bei einem großen Theile 
dev Neichsfläbte gewonnen. Der Glaube an den wiederers 
fiehenden Kaifer Friedrich II., der vor länger als 30 Jahren ge⸗ 
forben, lebte jchon längft in unzufriedenen Gemüthern: an 
verfchiedenen Enden bes Reichs war ein „falſcher Friedrich” 
umgegangen, jo im Jahre 1284 der Eremitenmönd Heinrich; 
da trat das Gefpenft Feder am Niederrhein auf, und bewegte 
viele Bürgergemeinden, ald wären die Zuflände in des Hohen 
ftaufen Tagen befier gewefen, zum Abfalle. Selbſt in Lüs 
bet muß es nicht geheuer gewefen fein; denn im Tone ber 
Sorge mahnte Rudolf aus Katferäberg, unweit Kolmar, am 
14. Juni 1285 Voigt, Rathmänner und Gemeinde zu ſtand⸗ 
bafter Treue. Die Gefahr drang aber jhon näher; ein ge⸗ 
wandter Betrüger, von nicht gewöhnlichen Eigenfchaften, hatte 
bereitö im Sprengel von Köln, wo die Saat böfer Dinge 
aufging, die Molle des erjehnten Kaiferd nicht ohne Erfolg 
geipielt; Fürſten und Herren, Geiftliche und Weltliche hatten 
gläubig fich ihm geneigt, zumal die Juden ihn wie einen welt« 
lien Meſſias begrüßt, was vielleicht Die grauenvolle Verfols 
gung mit verſchuldete, die der König im nächften Jahre über 
die Armen ergeben ließ, und fie aus den Städten des Mittel« 
rheins, der Wetterau, bis ‚über dad Meer’ vertrieb.” An⸗ 
geblih aus Köln verwiefen, fand der Betrüger in Neuß feier⸗ 
liche Aufnahme, faß zu Gericht über Fürſten und Herren, 
mahnte den Bifchof von Utrecht, den Grafen Blorenz von Hol⸗ 
Iand, vor feinen Stuhl, fertigte Siegelbriefe, 3. B. für die 
Aebtiffin von Eſſen aus. Als Erzbischof Siegfried Herbeifam, 


90 Dritter Theil, 


2. Rap. dem Unwejen ein Ende zu machen, verſperrten die berüdten 
Bürger ihm ihre Thore, ein Schimpf, der nad) ded Königs 
und der Reichögetreuen Ausſpruch den Verfall des Leibes und 
Lebens der Neußer, das Erlöſchen aller ihrer Privilegien und 
Freiheiten, verichuldete und fie der Gnade des Biſchofs an⸗ 
heim gab. Wie es fcheint nicht fowohl aus Neuß vertrieben, 
fondern um mit fteigender Kedheit nah Frankfurt ſich zu be⸗ 
geben und einen Hoftag zu halten, gelangte der Afterfaifer, 

Der nad alten Nachrichten Tile Kolup genannt, gen Weglar, bie 
rich zweite Reichsſtadt ver Wetterau, und fand ſowohl bei den Bür« 

Besian.gern, denen gleichfalls der dreigigfte Pfennig abgefordert war, 
als bei den Burgmannen der Neichöfefte Kalsmund willige 
Aufnahme. Gleiche Entfremdung vom belobten, aber geld- 
bedürftigen Könige zeigten Friedberg, Gelnhaufen, Frankfurt, 
feit den 9. Mai mit Weglar auf 10 Jahre verbüntet, und 
andere Städte; ja die Auflehnung Kolmars und Hagenau's 
ftand mit der Verheißung des Betrügers in inniger Verbin⸗ 
dung. Anfangs hatte Rudolf das Gerücht über den „Thoren“ 
verachtet; als aber jett ein großer Theil des deutſchen Volfes 
zu wanfen begann und nur mittelcheinifche Städte, beſonders 
Speier, Wormd, Oppenheim und Mainz, ihre Treue bewähr- 
ten; als „ſein Schifflein mächtig ſchwankte“, folgte der Kö⸗ 
nig erfchroden dem Rathe Friedrichs, Grafen von Leiningen, 
bes beeideien Bürgers der Mainzer und Wormfer, und Eber⸗ 
hards von Kabenelnbogen, gab Kolmard Umlagerung auf, 
und eilte rheinabwärts, unterwegs die Bürger jener Städte, 
die ohne Zweifel mit den Waffen ſich ihm angefchloffen, wegen 
ihrer Standhaftigkeit felbft son feinem Hofgerichte exi- 
mirend (Ende Juni), Sobald nun der wahre König vor 
Weplar fich zeigte, verlor das Geſpenſt feine Furchtbarkeit; 
die Bürger hatten ſich ſchon am 22. Juni bereit erflärt, den 





Viertes Bud. 91 


verlangten dreißigſten Pfennig zu zahlen, gegen Beftätigung 2. Kar. 
ihrer $reiheiten, unter dem Gelöbniß ber vermittelnden Stätte 
Mainz, Worms und Speier, „dem Könige nicht beizuftehen, 
falld er vertragsbrüdig würde”; waren dann aber Durch eine 
zweibeutige urkundliche Berficherung der Burgmannen von 
Kalsmund, 28. Juni, ‚keinen Widerfacher der Weplarer auf⸗ 
zunehmen’‘, mit Ausnahme des Königs in Perſon, wieder er⸗ 
muthigt. Seht über den Anzug des Königs erfehroden, ließen fle 

die Vermittlung vornehmer Freunde zu, und lieferten den After« 
faifer aus, doch erft als Rudolf im Anfang Juli vor der Stadt 
ſich lagerte. Berlaffen von feinen Hofleuten ward der Betrüger 
mit einem Diener gemartert, und als Bälfcher, ‚Zauberer‘ 
und Keber unweit der Stadt verbrannt. Begütigt mit der 
Buße der Berführten oder Gedemüthigten, nad) Urtheil über 

die Neuer und Beſtrafung abtrünniger Edlen, begab Rudolf er. 
fi vor Kolmar zurüd und nahm auch dieſe Stadt, den —* 
eifrigen Schultheißen Walther Röffelmann entſetzend, gegen 

die Zahlung von 2200 Mark zu Gnaden auf. Der neue 
Schultheiß dankte ſeinem ſtrengen Amte bald ab, und gleich 

nach Rudolfs Tode wußte Herr Walther des Dienſtes ſich wie⸗ 

der zu bemeiſtern. So ging Rudolf als Sieger aus dieſer 
Gefahr Hervor, erzwang den breißigflen Pfennig und die fläb- 
tifche Heerfolge auf allen Zügen, mußte jedoch fo behutfam 
verfahren, Daß er den Speirern, als Bürgen feines Vertrag 

mit Wetzlar, nachließ, „ihn nicht zu unterflügen, falls er gegen 

fein Gelöbniß handele.” Das Schutzbündniß, welches die 
Städte der Wetterau noch im December 1285 fdhloffen, ein 
Sonder-Landfrieden, ‚der den König in feiner Weiſe betraͤfe“, 

zeigt jedoch geringes Vertrauen auf die beſchworenen Landfrie⸗ 
denögebote. — Ueber Tile Kolup ſelbſt ſchwebt noch Dunkel, 

ob er als Werkzeug dem Groll der Städte Ausdrud lieh, oder 


92 Dritter Theil. 


2.Rop. ob niederrheinifche Herren das Gaufelipiel anflifteten. Dem 
Habsburger zum Verdruß ließ das Gerücht ſchon im folgen 
ben Jahre den erjehnten Kaifer wieder aufleben; im fernen 
Lübeck wagte gleich darauf ein anderer Betrüger diefelbe Rolle, 
fand, zu Roß durch die Gaſſen ziehend, Beifall beim Volke, 
bi er vor dem älteften Rathsherrn, einem Zeugen ber 
Tage Friedrichs, verſchwand. Selbft noch im Jahre 1295 
fonnte ein falfcher Briedrih in Eßlingen von den Bürgern 
verbrannt werden. Die träumerifche Erinnerung des deut- 
fchen Volkes vom goldenen Zeitalter der Hohenftaufen, in 
Verbindung mit den eben erzählten Thatfachen, bat den rit« 
terlichen Ahnheren in den Vordergrund gefchoben, und läßt 
auf Schloß Trifeld oder Kiffhäufer den Rothbart bis zum 
neuen Werbetage unferes Baterlandes fchlafen. — 

Sorge Da eine ftädtifche Reichsburg und deren Befehung mit 

Reihe tüchtigen Burgmannen dem ſchwankenden Anſehen des Königs 

pürger. als Anhalt gegen das verdroffene Bürgerthum diente, wachte 
Rudolf forgjam über ſolche Stügen, die aber auch zu brechen 
droheten, indem zwifchen Bürgergemeinde und Burgmannen, 
wie zu Oppenheim, Friedberg, manderlei Gemeinfchaft ob» 
waltete. Solche zum Beten des Königthums zu befeftigen, 
nachdem er früher die Bürger von Oppenheim vom Schöffen» 
ſtuhl und der Rathsbank ausgeichlofien, bildete er im Jahre 
1287 wiederum, wie in früheren Zeiten, ben Stabtrath 
aus 16 Bürgern und 16 Mittern, den Schöffenftuhl aus je 
fieben. Dafür gelobten beide Beftandtheile der Gemeinde, ber 
Zerſtörung ber Reichsburg zuallen Tagen fich zu widerſetzen, und 
bei fünftiger Doppelwahl feinen der Gegenkönige einzulaflen. 

Aufftand Weniger gefügig und nicht Teicht einzufchüchtern waren 

Berner. die Bürger von Bern; fie hatten ben Könige im Jahre 1285 
ben Beiftand gegen den Grafen von Mömpelgard, wie früher 





Viertes Buch, 93 


gegen Ottakar, verweigert; nad) Beendigung des zweiten 2. Ra. 
Krieges mit Eberhard von Wirtemberg und der gräulichen 
Verfolgung der Juden am Nhein, die Rudolf endlich — 
um 20,000 Mark, wie e8 heißt, — in Schutz nahm, fuchte 
et Anlaß, die trogigen Berner zu ftrafen, welche ſich an „ſei⸗ 
nen Kammerknechten“ vergriffen hatten. Im Mai des Jahres 
1288 fammelte er 30,000 Mann zu Roß und Fuß und um- 
Ingerte die flarfe Tochter Zähringifcher Pflege. Aber der 
Bär wehrte ſich grimmig, daß der König, fo fhonungslos 
er flürmte und brannte, auch nad} einem zweiten Angriff im 
Auguft verunehrt abziehen mußte. Sonft hätten die Berner 
wohl höher ihren Judenmord den Könige büßen mäflen, als 
die Oberwefeler und Bopparter, welche wegen ber Blutrache 
für „den guten Werner”, den gemorbeten Knaben, 2000 Mark 
Silber erlegten, und als die Andernacher, deren Iuden die Burg 
als Zufluchtsftätte angftvoll verteidigt hatten. Glücklicher war 
im April 1289 des Königs Sohn, Herzog Aubolf; er Iodte 
die Bürger von Bern, wenige Reuter gegen die Stadt aus⸗ 
Ihidend, in den Hinterhalt an der Schloßhalde ; ald nun jene 
wie erboßte Bienen ordnungslos aus den Thoren flürzten, 
erihlugen die Ritter Habsburgs ihrer viele und thaten ihnen 
ſolchen Schaden, daß mit Mühe Nitter Walo von Greyerz, 
„derBiderbe’’, den Reſt des zerrifienen Banners aus dem Ge- 
dränge rettete. Bald theidigten die Berner um leidlichen Frie⸗ 
den; aber das Anjehen, welches der deutſche König am Bur- 
gundifchen Saume bes Reichs durch machtvolle Bezwingung 
Pfalzgrafen Otto's von Burgund, des Erzbiſchofs von Bilanz 
und ihrer Bafallen gewann, ging ſchmachvoll in des Reiches 
inneren Marken gleichzeitig verloren. Die Schlacht auf der 
Heide von Worringen (5. Suni 1288) war bittere Berhöhnung 
des Landfriedenskönigs. 





94 Dritter Theil. 


Drittes Kapitel, 
GErzbiſchof Siegfried und die Kölner, Erbftreit um Limburg. Die Shladht bet 
Worringen, 1233. Zufand Norddeutſchlands. Lübeck. Die Haufa. Roftoder 
Landfriede, 1284. Thüringer Landfriede, 12837. Erfurt. Anfang der Zunft» 
händel. Rudolf in Erfurt, 1290. Wiens Unfreibeit. Tod des Königs Ru- 
dolf, 1291. 

Wir ziehen aud jenem Knänel nur den Faden, welcher 

die Geſchichte der Städte, befonderd Kölns, verbindet. 
Sieb Frohlockend über den Fall des unserfühnlichften Gegners 
und bie feines Stifts, des Grafen Wilhelm von Jülich, auf der Höhe 
feiner Macht, ſah Erzbifchof Siegfried der Zeit entgegen, 
welche ihm Rache brächte an den übermüthigen Bürgern, und 
Kölns edle Freiheit unter feinen Fuß gäbe. Aber ein Wetter 
z09 von mehren Seiten gegen den ungeiftlichen Hirten auf; 
König Rudolf, dem Kurfürften — fo dürfen wir ihn und die 
Wähler von jet an nennen — abgeneigt wegen defien frühes 
rer Befreundung mit Ottakar, kam, Landfrieden gebietend 
und das Reichsgut einforbernd, im Juni 1282 an den Mittel» 
rhein, entſchied den Lehnsbeſttz des Herzogthums Limburg zu 
Gunſten der Erbtochter des Verftorbenen und ihres Gemahls, 
des Grafen Rainald von Geldern, des Schwagers Adolfs von 
Berg, verſchob, des neuen Herzogs Gehorſam erwartend, Die 
Löſung der Frage, ob auch Pfalz und Stadt Nimwegen und 
Duisburg, jene verjährten Pfandftüde Limburgs vom Reiche, 
auf Rainald übergehen follten, und verlangte Dagegen gebie= 
terifch vom Erzbifchofe die Ruckgabe des Reichsguts, zumal 
u des Schloſſes Kaiſerswerth. Statt deffen rückte Siegfried, 
gegen eben verbündet mit dem Biſchofe Eberhard von Muͤnſter und 
den weflfälifchen Grafen, welche des Kölners Feinde, die Bi- 
fhöfe von Osnabrück und Paderborn zu fürdten hatten, dem 
Landfriedensvoigte fe mit 1300 Lanzen entgegen. Aber 
feine Schlöffer am Rhein und an der Mofel fielen, und be- 


Diertes Bud. 95 


Ihamt mußte er die neuen Zölle, welche er auf Reichsboden 3. Kav 
zum Verdruß der Kölner angelegt, einziehen (Sommer 1282), 
geſchmeidig im Herbft zu Boppart nebft Heinrich, Erzbifchof 
von Trier, dem Bwingheren von Koblenz, dem rheinifchen 
Landfrieden beitreten, felbft die Voigtei über Eſſen in Frage 
ftellen, und den Spruch aus des Königs Munde hinnehmen: 
feine vollfreie Stadt, wie Neuß, dürfe von geiftlichen Landes⸗ 
herren vor ein auswärtiges Gericht gelaven werben. — BleichEröfreit 
darauf, noch vor Ende des Jahres, vief jedoch der Tod der burg. 
finderlofen Erbin von Limburg die politischen Leidenſchaften ber 
betheiligten Fürſten wach; Graf Adolf von Berg, als nächſter 
männlicher Sippe, erfannte Rainalds wenn aud nur lebens⸗ 
länglichen Befig, nach Rudolfs Ausſpruch, nicht an; zu ohnmäch⸗ 
tig, um gegen den Erzbiſchof, den ihm feindlichen Lehnsherrn 
limburgifcher Schlöffer,, fein Hecht zu vertheidigen, trat er an 
Johann son Brabant und Lothringen, einen der erften Tur⸗ 
nierhelden der Zeit, auch geprieienen Minnefinger, Obervoigt 
von Aachen, Limburg, angeblich ald Schenkung unter Leben 
ben, doch für eine hohe Summe, ab. Sogleich gliederten die 
Barteten ſich neu; als ter Brabanter, mit Adolf von Berg 
verbündet, in das Gebiet von Limburg, dad Mainald inne 
hatte, einflel, verpfändete der Letztere dem Erzbiichofe das 
Schloß Wafjenberg und verband fich mit ihm gegen die „Raäͤu⸗ 
ber feines Erbes‘, wie er ſchon mit den Grafen son Lügelburg 
und Jülich, dann auch mit dem Grafen Dietrih von Kleve 
fi) geeinigt. So mußte auch Aachen, früher zu Köln geneigt, 
auf die andere Seite, zu feinem Schutzherrn von Brabant 
treten, und, kaum um ſchweres Gelb mit den Söhnen Wil⸗ 
helms gefühnt, neue Drangfale über fih ergehen lafien, indem 
Herzog Johann den geeigneten Waffenplag beſetzte, die Partei 
des Schultheißen von Aachen, als kölniſch gefiunt, unterdrückte, 


96 Dritter Theil. 


3. Rap. aber auch zur rechten Zeit die Stadt fchüßte, bis im Juli 1284 
im vorläufigen Waffenſtillſtande ein Schiebögericht den Streit 
zu Sanden nahm. Noch war es nicht zum offenen Bruce 
zwiſchen Köln und dem Erzbiſchofe gekommen, auf dem rech⸗ 
ten Rheinufer fogar noch fo leidliche Ruhe, daß Graf Adolf, 
in der Nähe feiner Burg Solingen geflüchtete Bewohner von 
der Maas und der rechten Rheinfeite aufnebmend, den Grund 
zu jener gebeihlichen Gewerbthätigfeit, zumal in Metallen, 
legen konnte. Aber mit dem hohen Sommer deffelben Jahres 
brach der Krieg furdhtbarer aus, ſchwur Herzog Ratnald, im 
Bunde mit Siegfried, gegen Brabant, Berg und die Grafen 
von der Mark auch ‚feine nächfte Mage’ zu beftehen, trat 
Bifhof Konrad von Osnabrück entfchloffener zum Erzbiſchof. 
Um dieſe Zeit befeftigte Siegfried den Flecken Worringen, 
zwei Meilen unterhalb Kölns, berüchtigt als Wahlort des 
Pfaffenkönigs Wilhelm in Konrads von Hochſtaden Tagen, 
legte einen Mauththurm dicht am Strome an und bedeutete den 
Voigt auf die Frage: wovon er Schloß und Leute erhalten 
ſollte? „es laufen vier Heerftraßen an ber Burg vorüber.“ 

Borrin-Um den Kölnern zu ſchaden, begünftigte der Erzbiſchof Die 

an „treuen Bürger‘ von Bonn, machte auch die Schöffen der 
Stabt fteuerpflichtig und erlaubte ihr, „da fle von Tag zu Tag 
wüchſe“, die Bildung eined Stadtraths von zwölf Altbürgern 
(1285). So verlieh er aud dem Orte Brühl, wo er ein 
Schloß befaß, fläbtifche Verfaffung, und fhärfte jedem Bürger 
bei Strafe ein, fih mit Harniſch und Waffen zu verfehen. 
Eben trieb der Afterkaifer in Neuß fein unheimliches Weſen; un- 
ter Anberaumung einer Zagefahrt mit den Neußern weilt Sieg⸗ 
fried im Juni 1285 gehorfam beim Könige in Mainz; glei 
darauf aber fihließt er mit dem Erzbifhof Eri von Magde⸗ 
burg, mit Volrad, Bifchof von Halberftadt, den Grafen von An⸗ 


Biertes Bud. 97 


halt und allen „Edelherren vom Harz, die im Landfriedens⸗8. Kay. 
bunde‘‘ chen, auf zwei Jahre einen Vertrag, um ihm mit 300 
bedeckten Rofſen gegen Sold bis zum heine zu dienen (Iuli 
1285). Noch finden wir ihn zu Köln, aber unter lauten 
Klagen der Bürger über feine Zöllner; mit dem Grafen son 
ver Mark Hat er Stillftand; ſchon aber zieht Die Stadt ihren 
alten Waffenbürger, den Grafen von Katzenelnbogen, wieder 
an fih, und gewinnt am älteften Sreunde, dem Grafen Adolf 
von Berg, Rüdhalt, indem diefer gelobt (Nov. 1286) an bei- 
den Rheinufern zwiſchen Aheindorf und Zündorf nie eine Feſte 
erbauen zu lafien. Auch zu Neuß erhöht Siegfried die Zoll« 
pladerei, nur die Duisburger ausnehmend, mäßigt ſcheinbar 
auf dem Nationalconeil und Landfriedenstage zu Würzburg, 
im Srühling 1287, fein hochfahrendes Wefen vor dem Könige, 
welcher zur Schlihtung des Streits wegen Limburg auf 
Pfingften eine Zufammenkunft in Boppard anordnet, aber 
wegen „hochwichtiger Dinge des Reichs‘ — es waren bie Jus 
benhändel mit den Bernern — den Tag bis auf den heben 
Sommer verfchiebt; gebietend, in der Zwifchenzeit den Stand 
der Dinge nicht zu ändern. Der Exrnft des Tages zu Würge ie, 
burg oder unbekannte Umftände, vielleicht bie Vermitte⸗ und bie 
lung der Könige von Frankreich und England, welde ein” 
Schiedögericht antrugen, dämpften den Gewaltfinn des Erz⸗ 
biſchofs fogar ſo weit, Daß er am 16. Juni 1287 Richter, 
Shöffen, Rath und Bürgergemeinde von Köln zu Land und 
Wafter von allen neuen Zöllen, welche er zur Abwehr feindli« 
cher Gewalt und ünerjchwinglicher Kriegskoſten wegen angelegt, 
auch von dem Andernacher, frei erflärt, doch unter eiblicher 
Angabe des Kaufherrn und Schiffer vor einer gemifchten 
Behörde, zwei Geifllichen und den jedesmaligen beiden Bür- 
germeiftern, daß die Waaren ihre eigenen feien; ie Ende 
Barthold, Städteweien III. 


98 Dritter Theil. 


3. Ray. des Krieges mit Brabant jollten diefe neuen Mauthen eingehen, 
auch wolle er die Rechte und Freiheiten der Bürger aufrichtig 
bewahren, kein Arges gegen fle erfinnen umd die etwaigen 
Vergehen eines Mitbürgers nicht an anderen rächhen. Was im 
Winter 1287— 1288 fo friedliche Ausfichten vericheuchte, ob 
Adolf von Berg, dem Iangjährigen Handel ein Ende zu ma⸗ 
hen, über den Rhein zum Brabanter zu floßen gedachte, aber 
durch einen wüthenden Anfall des Erzbiſch. auf fein Gebiet, und 
die Abwehr defielben fowie tiefen Schnee zurüdgehalten wurde ; 
wie urplötzlich das Berhältnig zu den Kölnern auf die Schneide 
des Schwerteß geftellt wurde, wiſſen wir nicht. Die kölniſchen 
Prälaten bezeugten jpäter im Verhör: nah Oſtern 1288 
(28. März) hätten die Kölner fi) mit dem Herzoge von Bra⸗ 
bunt, dem Grafen Waleram von Jülich, Propfte zu Aachen, 
den Grafen von Berg, von der Mark und vielen weftfälijchen 
und rheinifchen Herren, des Erzbifchofs Todfeinden, öffeni- 
lich verfchhworen, feien nach Sturmgeldute im Volksaufgebot 
andgezogen und hätten unter Raub und Brand die Burg 
Worringen belagert, nachdem fie den Herzog von Brabant zu 
Hülfe gerufen. in anderer Zeuge behauptete, die Bürger 
hätten, unter dem Borwande des Friedens, den Erzbiſchof ge⸗ 
beten, den Herzog zur Vermittelung ohne Waffen nad Köln 
kommen zu laſſen; als er ſolches geftattet, jei Johann von 
Brabant unangefagt ins Land gefallen, und habe in Köln 
das Bündniß mit der Stadt geichlofien. So viel ift urfunt- 

Ausbruglih: am 17. März 1288 gelobte Waleram von Bergheim, 

arieges. des Geſchlechts von Jülich, dem Erzbifchof feinen Beiftand 
gegen Brabant und die Feinde des Stifts, und am 5. Mai 
verpflichtete fich Nitter Gerhard, Edelvoigt von Köln, jenes 
Rutgers von Alpen Sohn, der Stadt als treuer Mitbürger 
in allem zu willfahren, lag alfo der Bruch ſchon offen. Nach 








Biertes Buch. 99 


den Chroniken von Brabant — die Eölnifchen find gerade 3. Kar. 
üßer die wichtigfte Ihat fehr dürftig — erfuhr Johann von 
Brabant, daß Die Gegner zu Pfingften (15. Mat), auf Val⸗ 
fenburg im Limburgiſchen verfammelt, unter bem Borwande, 
mit Brabant zu theidigen, die Abſicht verbargen, das Land des 
Herzogd zu verberben, und eidlich fi} verpflichtet Hätten, 
Limburg in die Sand des Grafen von Lügelburg, als nächften 
Sippen Rainalds, zu ftellen, und ihn darin gegen jedermann 
zu behaupten. Darauf fei der Brabanter mit ſtattlicher Ritter⸗ 
fhaft über die Mans gezogen, aber zu fpät gekommen, um bie 
Berfammlung zu überrafchen, und voll Zorn am Tage nad 
Pfingften dem Erzbifchofe, als Haupt des Bundes, über Heins⸗ 
berg und Waffenberg nachgefolgt. Am Rhein angelangt, Sohann 
tränfte er fein Roß im Strome, vermüflete die Weinberge umBrabant 
Brühl, Meß zum Hohne der Feinde Braden und Falken aus lande. 
Brabant holen und jagte einige Tage Iuftig im Thiergarten 
des Kurfürften, während feine Treuen aus Brabant zu ihm 
fliegen, fo wie die verbündeten Grafen, zumal Adolf von Berg 
mit feiner Ritterfchaft und den bergifchen Bauern. Gleichzeitig 
langten aber auch die Boren von Köln an, Tlagten über bie 
Näubereien und die Unfiherheit der Straßen von Worringen 
aus, und baten den ‚Herzog von Lothringen“‘, als „Obervoigt 
der Heerfiragen zwifchen Maas und Rhein“, und ihren ge⸗ 
ihworenen Bürger, mit ihrem Beiftande das Neſt zu zer⸗ 
fören. Wie nun der Schirmherr willig in ihre Weichbild 
gekommen, zogen fle mit ihrem Banner vor Worringen und 
begannen ergrimmt die Belagerung. — Inzwifchen Hatte auch 
Siegfried Zeit gehabt, feine Bundesverwandten aufzubieten, 
alle Grafen und Herren weit und breit aus dem Rheinlande 
bis an bie Lahn hinauf, aus Weflfalen und Gelderland, die 
Grafen von Lützelburg und auch den tapferen Grafen Adolf 

7* 


100 Dritter Theil. 


3. Kap. yon Naſſau, den fpäteren deutſchen König. Sie jubelten, 
„den Wallfiich auf das Trodene gelodt zu haben, wo er nim⸗ 
ner entrinnen Tönne.” Die gewaltige, fafl dreimal Aber- 
legene Heeresmadht, etwa 40,000 Dann, zog am A. Juni über 
Bergheim und Bebburg heran, worauf der Brabanter die Be⸗ 
zwingung Worringend aufgab und freudig ſich ind Feld ftellte. 

8 ‚Bufolge einer alten Sage führten Die Bürger von Köln, ge⸗ 

geriht möchtet durch König Rudolf, auf defien Geheiß bie Schlüfſel 

gen. ihrer Stadt auf einem Wagen zwei Meilen außerhalb ihrer 
Mauern ins Feld, „damit, wer in offenem Streite die Schlüf- 
felgewönne ober behielte, Gebieter der Stadt ſei.“ Schweigen 
zwar die alten Nachrichten, fo ſieht es doch dem ritterlichen 
Geifte unferes Bürgertbums nicht ungleich, zur kecken Heraus⸗ 
forderung des Gottesgerichts in einem, über hundertjährigen 
Streite, die Schlüffel ihrer Stadt, auf einen Fahnenwagen 
gefchmiedet, als Preis der Tapferkeit auf die Heide von Wor⸗ 
ringen geftellt zu haben. — In der Frühe des Sonnabends, 
5. Juni, fang der Erzbifchof Die Mefle in Brauweiler und be= 
reitete fi auf das blutige Werk. Da fandten die frommen 
Bürger dem Hirten einen Boten: „Herr, wir wollen euch und 
eurem Volke auf zwei Tage Mundvorrath reihen, wenn ihr 
unferer Tieben rauen Geburtstag und den folgenden Tag 
des Herren und in Ruhe feiern laſſet!“ Schon war der Biſchof, 
beihämt durch ſolche Mahnung, im Begriff, Die Schlacht zu 
verſchieben, ald der Hohn des ungeduldigen Grafen Heinrich 
von Lügelburg den kirchlichen Sinn unterdrüdte, und Sieg⸗ 
fried feinen geiftliheren Söhnen entbot, zur Schlacht fich fertig 
zu machen. 

—— Wir enthalten uns einer Schilderung dieſer durch die 

ringen. ganze Chriſtenheit berufenen Schlacht bei Worringen, in 
deren Ausmalung nahe und ferne, frühere und fpätere Zeit⸗ 


Biertes Bud. 101 


genoffen, wie jelbft der Florentiner Giovanni Villani, ſich 3. Kar. 
gefallen Haben; am reichten und eigenthümlichften, einem 
Sroiffart gleih, Bruder Ian von Heelu, welcher fie „en vers 
Thiois“ (in niederdeutfchen Heimen) zu Ehren Johanns be- 
fang. Wir berichten nur den Antheil der Kölner und den 
Ausgang. Die Bürger flanden, mit den Bauern von Berg, 
welche Keulen und Morgenfterne ſchwangen im dritten Haufen 
des Brabanters, bei den Grafen von Berg, von der Mark und 
den rheinifchen und weftfälifchen Streitgenoffen. Die Schlacht 
dauerte unter ritterlichen Zweikaͤmpfen, bei foldher Erbitterung, 
dag die anflürmenden Haufen ſich mehrmals gegenjettig durch⸗ 
brachen, von 6 Uhr früh bis Nachmittags. Der ältere Graf 
von Lützelburg, des fpätern Kaiferd Vater, vermeidend ‚fein 
eigen Blut — den Better von Berg — auf den Tod zu be= 
ſtehen“, machte fih an den Brabanter, und ward, in blutiger 
Umarmung mit diefem, rüdlings durchbohrt. Lützelburgs 
Banner ſank; der Tag neigte fih mit dem Falle des Fürften 
zur Entfcheidung. Denn wie Graf Adolf von Berg, der feit- 
wärtd mit den Seinen gehalten, das heißefte Getuͤmmel inne 
wurde, drang er unter dem Rufe: Berge Romerike! den 
Streitenden mit feiner Ritterfchaft, den Kölnern und den nie⸗ 
derrheinifchen Bauern, in den Nüden, und überwältigte nad 
dem bartnädigftien Widerftande die Haufen Rainalds und 
Siegfriets, welcher fein Banner, auf einem Wagen, mit 
einem hohen Thurm voll Ritter, tief in die Schaaren der 
Brabancond geleitet: Aus Furcht in der Bürger Hand zu fal- 
Ien, wollte Siegfried fich einem Bafallen des Herzogs ergeben; 
aber Graf Adolf riß die Toftbare Beute an ſich und eilte mit 
ihr über den Rhein nah Monheim. Als auf) Adolf von 
Naffau und Rainald von Geldern den Ueberwindern ihr 
Schwert gereicht, ruhete um 2 Uhr Nachmittags der entfeg- 





10% Dritter Theil. 


3. Rap. liche Streit. Die Sieger Ipbten Gott; denn in langen Jah⸗ 
ren war Fein Sieg gleich dieſem erfochten. Allein eilfyundert 
Nitter des Erzbischofs Tagen auf der Wahlftatt; auch mancher 
Brabancon; flebenhundert Witwen trauerten in Köln. „Die 
Bürger hatten fi, ald billig war, ala des h. römischen Reichs 
getreue in Sonderheit gefreite Gliedmaßen erwiefen, und die 
nicht unter der geiftlihen Gewalt des Biſchofs flanden, und 
behielten von der Zeit bis noch her Anno 1499”, ſpricht die 
Chronif derh. Stadt Köln, „daß fle fih [reiben und find 

EiegderHerren der Stadt von Köln und freie Bürger.” So herrlichen 

— Sieg nicht zu vergeſſen, bauten ſie in St. Severins Straße 
eine Kapelle zu St. Bonifazius Ehren, auf welchen Tag der 
Streit gefhah, und feierten ihn noch alle Jahr mit Proceſſton 
und Hochmeſſe. — Damals aber brachen fie nod) Die Burg 
Worringen und zwei andere in den Grund, und führten Bli- 
ben, Kriegögeräthe und Gefangene, ja die Steine zur Befefti- 
gung heim. Den Herzog empfingen fle mit großer Pracht 
in ihrer Stadt, ſchenkten ihm ein ſchönes Haus, den hochge⸗ 
freieten „Hof von Brabant”, und rühmten fi ihres Mitbür- 
gers. Der angeblihe Wagen mit den Schlüffeln im Zeughauſe 
ift verfhwunden: Dagegen bie foftbaren Glasgemälde in ten 
Senftern des hohen Domchors, der im Jahre 1322 eingeweiht 
wurde, prangen noch an derfelben Stelle und erinnern mit 
den Wappen son Brabant und Jülich und der Geſchlechter 
Overſtolz, Hardenvuft, Lyskirchen, an die That der Väter, wie 
an König Rudolf rihterlihe Ohnmacht. 

: ., 2imburg blieb dem Haufe Brabant, denn Rainalb ent- 
jagte feinem Rechte, gewann die Sreiheit in Paris und erhielt 

u durch frieſiſche Voigteien Entſchädigung von Rudolf. Böfer 

Kerker. war das Geſchick des Erzbiſchofs in der Hand des Grafen von 
Berg... Sollen wir dem Beitgenoffen in Oeſterreich, Ottokar 


Piertes Bud, 103 


von Horneck, glauben, fo lag Siegfried auf Schloß Neuen 3. sa. 
burz, „Tag und Nacht im Helm, Bruſtharniſch, das Schwert 
zur Seite ; brachte man ibm fein Effen, fo wurde der Helm 
abgebunden; zum Schlafe mußte er die ſchwere Hauptzier 
wieder anthun.“ Gedenken wir ber Zeit ; Ugolino della Gherar⸗ 
desca, Kapitan von Pifa, lag vom Auguft 1288 ab im Thurn 
der Gualandi, und flach im März 1289 mit Söhnen und En- 
feln des Hungertodes, auf Geheiß eines Erzbiſchofs! 
— Die Bürger von Köln, welche alle Einkünfte nes Fürſten 
in Befchlag nahmen, ihre Gefangenen gegen Löfegeld auf 
Urfehde etlichen, hätten gern den böfen Gebieter, der alle 
Pläne und tückiſchen Anidhläge gegen ihre Freiheit von Kon« 
rad von Hochſtaden und Engelbrecht in der Seele trug, auf 
Lebenslang in ber Haft des Grafen von Berg geſehen. Aber 
obgleich König Rudolf, eben zum burgundiſchen Zuge gerüflet, 
des vornehmen Wahlfürften fich nit annahm, mußten fle Die 
Ahndung der Kirche fürchten. So fam denn im eilften MO noir. 
nate der Gefangenſchaft, am 19. Mai 1289, beſonders ker. 
Betrieb des Hohen Stiftsklerus der Vertrag zu Stande, wel⸗ 
her den Erzbiſchof gegen die verfprochene Summe von 12,000 
Mark, die Anerkennung der Rechte des Grafen Adolf, bedeu⸗ 
tende Opfer an Städten und Burgen, gegen angelobte Ab⸗ 
wendung tes kirchlichen Forns, freigeb. Am gleichen Tage 
wurde mit Berg, Brabant, deſſen Herzog in neue Fehde mit 
dem Grafen Guido von Blandern geratben, mit dem Grafen 
von der Mark, der inzwiſchen im kölniſchen Weflfalen wacker 
ingegriffen, mit dem Grafen von Jülich gefriedet. Selbſt 
die Kölner, doch erſt nach einem Monate, 183. Iuni 1289, 
mußte der Erzbiſchof, mit verbiſſenem Grimme, in die Sühue 
einfließen, und obenein darauf dad Schiedogericht des Brafen 
Adolf über die nach ber Schlacht von ben Bürgern aut erz 








104 Dritter Theil. 


3. aap. biſchoͤſlichen Eigenthum verübte Gewalt anerfennen, Schöffen, 


— 


Rath und Gemeinde aller Anſprüche ledig erklären. Alle 
Diefe Urkunden vollzog der untreue Mann; denn er wußte 
wohl, was inzwifchen im Werke war. Schon am 5. Augufl 
1289 hatte Papft Nicolaus IV. dem Grafen befolen, den Erz⸗ 
bifchof und alle Gefangene frei zu geben, und den Biſchöfen 
von Worms, Straßburg, fo wie dem neuen Erzbifchofe von 
Trier, Boemund, Nachfolger des firengen Heinrichs von Bin- 
fingen (1286), aufgetragen, dem Bruder beizuftehen. Der 
Ausgang diefes Procefies war vorauszufehen; Nicolaus IV. 
entband am 18. Ianuar 1290 den Erzbifchof aller feiner in 
dee Gefangenfchaft geleifteten Eide und Berfpreihungen, 
drohete den Entfremdern des kirchlichen Guts mit dem Fluche. 
Siegfried, der, nad) feiner Hauptftadt nicht zurückgekehrt, zu 
Engerd am 10. März 1290 den Bund mit Mainz und Trier 
erneuerte, konnte des günftigften Ausfalles des pfäfftichen Ver⸗ 
hörs gegen die Kölner, Juli 1290, gewärtig fein; unter Dem 
16. Juli erfolgte bereit8 der Bann des römifchen Stuhles, 
den die frommen Bürger fieben und ein halbes Jahr, bis zum 
Megierungsantritt des Nachfolgers Siegfriebs, ſtandhaft 
ertrugen. 

Das Ausfterben der Herzöge von Limburg gewährte den 


bur 
Beide. einft freien Duisburgern nur auf Eurze Zeit Erlöfung von ber 


Pfandihaft; durch König Rudolf im Febr. 1290, wie es 
ſchien, gegen alle Anfprüde des Grafen von Geldern und 
Adolfs von Berg fichergeftellt, fiel ihrien wenige Monate darauf 
in Folge Habsburgifcher Hauspolitit das Loos neuer Ent⸗ 
fremdung vom Reiche und vererbte ſich dann die merovingiſche 
Pfalz als Landfladt an die Grafen von Kleve. — Anderer- 
feits verdankt jenen blutigen Creigniffen von Worringen eine 
Bierde niederrheiniſcher Städte, der wechfelvolle Hofſitz fürſt⸗ 


Biertes Bud. 105 


licher Herrlichkeit und heiterer Künfte, ihren Urſprung. In 3. Kar. 
ber Freude des Sieges erhob Graf Adolf von Berg am 18. „ Düfte, 
Auguft 1288 dad Ländliche Düffeldorf, Die jegige „‚Altfkabt‘‘ Slan 
mit ihrem Außenbezirke, au ſchon mit dem Hofe Pempelfort, 

zu ftäbtifihen Mechten, wies die acht Schöffen an Ratingen 

als Oberhof, und ſchmückte das bedächtig geordnete Gemein⸗ 
wefen, zum Andenken des Tages von Worringen, mit einer 
Collegiatkirche. Noch ange unbedeutend blieb Elberfeld, Elberfeld. 
wie jenſeits des Rheins Krefeld, ein Flecken bis ins 16. 
Sahrhundert. Der Gründer des bergifchen Kunftfleißes, Graf 
Adolf, ſah noch Schönes erblühen, che die Rache des ruch⸗ 

loſen Priefterfürften von Köln ihn ereilte (1295). 

Merkten Weftdeutichlands Städte fo wenig, daß es einen Rudolf 
König im Reiche gab, fo zeigt dagegen das ſprödere Nord⸗ "eu 
beutfchland vorübergehend nicht unfruchtbare Beziehungen zum * 
nationalen Mittelpunkte. Lübeck, um welches die Geſchichten Lübed. 
unſerer hanſtſchen Gemeinweſen ſich reihen, trug ſeit des 
Pfaffenkonigs Tagen freiwillig die Voigtei Herzog Albrechts 
von Braunfchweig, ſchloß fi} aber bald an den neuen König 
an, fo foflfpielig und unwirkſam der Schub des fernen 
Herrſchers, der ja ſelbſt im Jahre 1274 die gehorfamen Bür« 
ger der Befihirmung norbijcher Kronen empfal; zugleich ge= 
lobend, ihnen wider ihren Willen keinen Boigt zu fegen und 
ihre Unserpfändbarkeit anerfennend (1274). Der Bund der 
Seeflädte, fo ſtark gegliedert und vollberedhtigt, entnahm gern 
den Urkunden des Königs die Erlaubnif (1275), daß die 
Kaufleute, die nach Preußen, Livland und ‚in andere, dem 
Reihe unterworfene”, Orte handelten, zu ihrem Frommen 
und Nuten Morgenſprachen und Einigungen anordnen dürfe 
ten; bie Lübecker bezahlten ja pünktlich Meichöfteuer und 
Schutzgeld an die Guelfen, die ihnen dann zur Roth auch mit 


3. Kup. 


Reiche⸗ 
vicariat 
im 
Norden. 


106 Dritter Theil. 


den Waffen beiſprangen. Freilich gegen die Ruflen in Pleskow 
und NRovgorod Fonnte ten Kaufleuten der heimiſche Beiſtand 
nichts fruchten. Als im Jahre 1277 der Trog Ottakars ben 
König überwiegend in Anſpruch nahm, übertrug er aus Wien 
(Sept. 1277) dem Herzoge Albrecht II. von Sachſen, feinem 
Eidam, und Albrecht von Braunfdweig den Schutz feiner 
Reste in Lübeck, Goslar, Mühlhaufen und Nordhauſen, das 
Vicariatamt in Thüringen, Sachſen und Slavien, geflattete 
aber zugleich den Markgrafen Otto V., Albrecht II. von Bran⸗ 
denburg, von der Ottoniſchen Linie, den Waffengenoffen des 
Böhmenfönigs, Geldhebungen in Lübeck, und verwidelte 
die Angelegenheiten der Seeſtädte bedenklicher, indem er nad) 
Albrechts von Braunfchweig Tode (Sept. 1279) unter Zer- 
würfniflen Lübecks mit feinem Bifchofe, mit Zurückſetzung ber 
Söhne des Guelfen, Heinrichs des Wunderlichen, Albrechts 
und Wilhelms, fo wie Ottos tes Strengen son Lüneburg, 
ihres DVetterd, dem Geſammthauſe Anhalt gefährliche Befug- 
nifle anvertraute. Denn im Jahre 1280, ald Pommern und 
Niederfachlen im magteburgifchen Wahlfriege der Marfgrafen 
Gewaltſinn erfuhren, beftellte Rudolf, noch mit Defterreiche 
Händeln befchäftigt, zugleich den Herzog Albrecht von Sachſen 
und die Markgrafen Johann IL, Dtte IV. (den Minnefinger) 
und deren Bruder, Konrad, zu Voigten über Lübeck und Die 
Reichsſtaͤdte in Sachen und Thüringen, und fleigerte durch 
die Ansprüche jo vieler gewinnſüchtiger Herzen die Verwirrung. 
Während Kübel und die wendiſchen Schweſtern in ihren 
nechſten Marken ftch kaum behaupteten, knüpfte ſich jedoch das 
Tnufmännijche Band der Hanſe mit entlegenen Städten feſter 


‚Bas umd feſter. Um 1280 — 1281, ald nach dem Tode Marga- 
Sanja. veihad von Konfltantinopel (1278) über das Lehn non Reichs⸗ 


Wandern folgereicher Streit ausbrach und geordnete Verkehrs⸗ 


Vierte Bud 107 


verhälthfje mit der Weſtſee wankten; als Bremen, länger als 3. Ray, 


14 Jahre aus der Hanja in London ausgeftoßen, in alte 
echte wieder eintrat ; den deutichen Kaufleuten, den Inhabern 
ber Gildehalle, unter König Edward J., fogar die Vertheidigung 
des Bifchofäthored zuerkannt wurde; ber Dänenkönig Erid 
Blipping (1278), der von Norwegen, Magnus Logabätter 
bie deutjche Betriebsſamkeit zu begünfligen nicht müde fchies 
nen — neben den Rübedern finden wir immer die Wismarer, 
Roſtocker, Stralfunder, Greifswalder, jet auch die Stettiner 
namentlich aufgeführt — ; als Wisbys ſpröde Kaufmannsge⸗ 
nofjenfchaft zum Schuß der Oftfee Lübecks Beiſtand unum⸗ 
gänglidh erachtete (1280); als auf der einen Seite Riga und 
Reval, Elbing und Ihoru, im inneren Deutfchland Halberfladt, 
Halle, Magdeburg, Stendal, Quedlinburg, Goslar, Hildes⸗ 
heim, in Weſtfalen außer Soeſt, dem altbefreundeten, Mün⸗ 
ftir, Osnabrück, Lippfladt, und viele andere, am Rhein Köln, 
Koesfeld und eine Reihe holländifcher Städte als lebenskräf⸗ 
tige Gliedmapen des Bundes fi fund thun, im Süd⸗Weſten 
der Handel mit Frankreich, Spanien und Portugal, im Norb- 
often der mit Rußland die Faufmännifche Diplomatie bejchäf- 
tigte; finden wir mit Bedauern, daß unfere Städte der Fried⸗ 
lofigfeit in unmittelbarer Nähe zu. unterliegen drohen: 
finden wir, daß die Befleger nordifcher Könige gegen Nachbar» 
fürften u. Nachbaradel mühſelig ihr Gedeihen vertheidigen. Die 
übermüthigften Briedbrecher waren die Markgrafen von Bran« 
denburg aus Johanns Linie. Barnims des Guten von Pom⸗ 
mern Söhne (j. 1278), dar Otto IV. und Konrad in ben 
Kampf mit Günther, Erzbiſchof von Magdeburg, gezerrt, 
ſahen ihre beften Städte an ber Ober und an ber märkifchen 
Brenze, Garz, Stargard, au Brandenburg fallen, als Bürgm 
des unerfüllten Dienfivertrags ihres Vaters, und ſelbſt das 


Noth 


durch die 


Marks 
grafen. 


108 Dritter Theil 


3. Roy. ſtarke, ganz deutſche Stettin Bebrängt. Im Herbſt 1280 
riefen die Stettiner die „Herren Rathleute”’ Lübecks zur 
Bundeshülfe gegen die Brandenburger, „ihre gemeinfamen 
graufamen Tyrannen.“ Die Noth einigte fehnell zwiftige 
Nachbarn, wie die Stralfunder und Greifswalter, fühnte 
alten Neid; Herzog Johann, der Reichsvoigt, welcher kei⸗ 
nen fälligen Schutzzins vergaß, konnte und wollte gegen Die 
Markgrafen nicht helfen; die ihrerfeitö durch Die eigenen 
Städte, wie felbft Prenzlau, zur Verzichtung auf die unbe- 
ftreitbarften Herrenrechte gedrängt, des Schadens fih am 
Reichsgut zu erholen gedachten, defien Hüter fle jein jollten. 
— Im Frühling 1282 hatte Lübeck von den anmaßungsvollen 
Reichsvoigten, welche unter dem Vorwand des Schutzes Die 
herrliche Stadt zur märfifchen Landſtadt machen wollten, müh⸗ 
fam einen WBaffenftillftand erwirft; da fündigte Rudolf, im 
fernen Schwaben vom Hülfsgeſchrei feiner treuen Bürger er⸗ 

in reiht, als Richter fh an. Er erklärte am 15. Mai 1282 

smvors.aus Ulm die Schutzvoigtei der drei Markgrafen, „als der Stadt 
nicht heilſam“, für erlöfhen, was freilich jene nicht gleich 
gelten laſſen wollten, Hartnädig auf dem beftehend, ‚was 
ihnen der römifche König zugewiefen.‘ Aber die Entfcheidung 
blieb nicht aus, zumal ſchon im Auguft Graf Günther von 
Schwarzburg als Empfänger rüdfländiger Stadifteuer ſich 
meldete, zugleich ald Bermittler zwifchen Lübed und dem ans 
deren Schugherrn, dem Herzoge von Sachſen. Als auch des 
Königs wiederholte Erklärung gegen die Markgrafen, und deffen 
Sinweifung, „Die Herzoge von Sachſen feien feine Stellvertre- 
ter“, nichts fruchtete; Die Tagefahrt, von Rudolf den Lübeckern, 
Goslarern auf Pfingften ausgefchrieben, ‚um perfönlich zu Ge⸗ 
richt zu figen”, nicht abgehalten werden konnte, weil inzwifchen 
der reifige König für das Bisthum Baſel im fernen Burgund 


Biertes Bud, 109 


focht; verhieß er auch unferem Norden den Segen bes Land- 3: tu. 
friedens, deſſen Die oberen Länder bereits genofien, Im Mai 
1283 geftattete Herzog Albrecht den Lübeckern, mit den Für⸗ 

ſten und Städten Staviens, obgleich Dermalen feinen Feinden, 

ein Landfriedensbündniß zu fhließen, und im Juni 1283 er- 
blicken wir zu Rofto eine flattliche Berfammlung von Herren, Rofteder 
Bafallen und Boten, zumal der fogenannten wenbifchen Städte, Frieden. 
auch Stettins, Demmins und Anklam, um nad) dem Borbilde 

der oberen Lande, nicht ohne unmittelbare Einwirkung des 
Königs und defien Hofrichters , jo heilfames Werk hinauszu⸗ 
führen. Wir finden alle Beftimmungen ber früheren Land» 
frieden, Landrichter, zehnjährige Dauer; auch der Bauern, 

ald des Friedens theilhaftig, ift erwähnt; an die Möglichkeit 

eine Bundeöfrieges zur See vorfehrend gedacht. Der Bund 

aller Fürſten, Vaſallen und Städte zwifchen Elbe und Ober ift 

aber ganz eigentlich als Nothwehr gegen die Markgrafen ge⸗ 
Ihlofien, und Herzog Albreht von Sachſen zum oberften 
Landrichter erwählt, um mit Beiflgern aus den Städten jähr⸗ 

lid viermal zu Gericht zu figen. Doch würde diefer zu Ro⸗ 

ſtock befchworene, gleichzeitig bis an Die Leine und über den 

Harz hin erweiterte Landfrieden, bei dem Widerflreite der 
fürftlichen Intereflen und ver Raubſucht des Adels, ſchwerlich 

viel gefrommt haben, nahm anders nicht die Hanſa, dem Aus⸗ 

lande gegenüber bereitö verfaffungsmäßig ein Ganzes, auch 

die Beſchützung der Landfirafen in ihre flarfe Hand. 

Nur Pommernd Herzoge feinen den Anſprüchen ber. Auf⸗ 
Narkgrafen preisgegeben, deſſen Landſtädten Dagegen derd.erädte 
Genuß des Friedens gefihert (1284). Gelehnt an den Bund, na. 
erwirkten fie, wie Stralfund vom Fürſten von Rügen, im J. 

1290, wie Greifswald, im Jahre 1296, Breiheit von ber 
herresfolge außerhalb ihrer Mauern, Ausfchluß der Juden 


110 Dritter Theil 


2. 2:5. com Siadtrechte, räumten ihre Nark von fürflien Turgen, 
und erlangten ein Regale nad Tem anteren. — So wenig 
Ernfi zeigten aber tie Fürften, Die Lübecker zumal unver- 
fümmert Geim Landfrieden zu laſſen, daß ſelbſt Herzog 
Albrecht II., nie fäumig, ſchon vor dem Berfall das Schutz⸗ 
geld einzufsrtern, vom Könige Rutolf abgemahnt wer- 
den mußte (Suni 1284), gegen jeine Pflicht als Bewahrer Des 
Friedens um Belt tie Sache ter Lübecker zu verlaffen und 

Krieg deren Brandenburgern Beifland zu leiten. Verbot der Lant- 

* frieden den Städtern, in Händeln gegen ihre Fürſten zunächſt 

— zur Selbſthülfe zu ſchreiten, ſo gab er ihnen dagegen volle 
Freiheit, die Waffen gegen auswärtige Mächte ohne Anfrage 
zu ergreifen. Das erfuhr Erich Magnusſon, ter neue König 
von Norwegen, welcher im Kriege mit Grid Slippinz, Dem 
Dänen, jeit tem Nov. 1284 einem Gliede des Landfrietens- 
bundes zwiſchen Oder und Elbe, die Kaufleute ter Städte zu 
mißhandeln gewagt Hatte. Nachdem die wendiſchen Stätte 
bie Getreideausfuhr nah Norwegen verboten, ging ihre Kriegs- 
flotte, unterflügt von Wisby und Riga und geführt vom 
Orlogshauptmann der Borderflabt, in die See, fperrte Die 
Häfen jenes Königreichs, landete verwüflend und nöthigte 
den unberathenen jungen Herrſcher, die Bermittelung tes 
Königs Magnus von Schweden zu ſuchen. Zu Kalmar kamen 
demnach im Herbſt 1285 die Gewaltboten beider Theile zu⸗ 
jammen; Erih Magnusſon mußte fih nicht allein zur Her⸗ 
ausgabe aller Schiffe, die er zu Bergen in Befchlag genommen, 
verpflichten, 6000 Mark Scadenerfah bezahlen, die alten 
Rechte der deutfchen Kaufleute beflätigen und mehren, ſondern 
den Städten auch freigeben, im alle eined Krieged Norwegens 
mit Dänemark diefer Krone nach Belieben beizuſtehen. Solch 
erfte Probe gemeinfchaftlicher Waffen, welche die Hanſe als 


Biertes Duck. 111 


Shiebörichter des Nordens ankündigte und felbft Englands 3. gap. 
flogen König, Edward I., ſtutzig machte, flärkte ihr Selbſt⸗ 
fändigfeitögefühl gegen die Landesherren und ihre Ungeduld, 
daheim die Ausiibung des Meftes fürfllicher Gewalt zu tragen. 

Doch blieben fie, zumal die Lübeder, dem fernen Könige Rus 

dolf mit Treue zugethan, verjagten den falfchen Friedrich, und 
zahlten, nachdem auf dem Tage zu Würzburg am 25. Mai 

1287 alle Herren des Wendenlandes dem großen Landfrieden 
beigetreten, fo unverbrofien die Reichsſteuer, daß fe im Jahre 

1290 zehn Jahre voraus hatten. 

So friſch entwidelte fih Das deutfche Bürgerthum, dank⸗ 
bar gegen den wohlgefinnten Pfleger, am nördlichen Saume 
bes Reiches, und manche Raubburg ſank vor den vereinten 
Waffen. Weit ungünftiger geftalteten ſich die öffentlichen 
Dinge dem Herzen des Reiches fo viel näher, in der Harz⸗ 
gegend und zumal unerfreuli in Ihüringen. Jenes Raub« — 
neſt Herlingsberg unweit Goslar, das ſeit Beginn des Jahr⸗date 
hunderts die Straßen unſicher gemacht, ſtand jetzt unter 
Heinrich dem Wunderlichen, dem älteften Sohne Herzog 
Albrechts von Braunfchweig, der, unzufrieden über die Theis 
lung mit feinen Brüdern, Wilhelm zu Braunfchweig und 
Albrecht, feinen Burgmannen gegen die Hildesheimer alle Un⸗ 
bilden geftattete. Da zog, 1.3.1284, auf Anbringen der Bürger, 
jener Bund der Harzgrafen und Serren, welchen wir als eine 
Landfriedensgenofſenſchaft zu Erzbiſchof Siegfrieb von Köln 
treten ſahen, mit dem Erzbischof von Magdeburg ald Haupt 
des Landfriedens und mit beiden Brüdern Heinrichs zur Be⸗ 
zwingung des Raubneſtes aus, Tieß aber die geiftlichen Herren, 
den son Magdeburg und Halberftadt, bei einem Veberfalle im 
Stich, fo dag Erich nur durch das Löſegeld feiner Magdeburger 
wieder frei am. Erft im Jahre 1291 brach ein neues Auf- 


112 Drister Theil 
3.20. gebot des Bereind tie Zelienburg in ten Grund, daß man 


Taum nody ihre Etelle nadmeijen Tann. 
Ikine In :Ihüringen unt Reisen bare Autolis tüchtigſter 


Reiten Berather, der Berfüßerbiihof Grinric, mandges Gute Sezweitt, 
und beifällig Borbereitung zum Lantfrieden getroffen: doch 
war alleö wieder über einanter geflürg, unt verlangte drin» 
gent des Königs perfönlide Anweſenheit. Das umielige Ge⸗ 
ſchlecht der Wettiner zerriß das ganze Land durch einen Haber;; 
Erzbiſchof Werner von Mainz hatte im April 1284 jeine un- 
ruhigen Tage beſchloſſen, tie beionters aud das Stiftsgut in 
Helen, Briglar, erfahren; ta gelangte Biihof Heinrich von 
Bafel, ob durch Borichub jeines föniglihen Gönners allein 
oder durch diplomatiſche Künfte? nad) zweijähriger Erledigung 
auf den Stuhl zn Mainz, und empfing zu Eplingen, Sept. 
12586, das Gebot ald Vertreter des Königs in ten thüringi- 
ſchen Landen tie Ruhe berzuftellen. Ja folgenden Jahres erhob 
Audolf ven ernfigefinnten Mann zum Bicar in dem Lande 
Meißen, wo Markgraf Dietrich von Landsberg i. J. 1284 ge⸗ 
ſtorben, Heinrich der Erlauchte, zu Dresden hofhaltend, feine 
frühe Theilung bereute und im Febr. 1238 jenem nadhfolgte. 

eanrrı DaB Auftreten des Barfüßerbiihofs ſchien vorübergehend eine 

trirnGüpne zwijchen Albrecht dem linartigen und feinen Söhnen, 
 Briedrih und Diezmann, zu bewirken; im Jahre 1287 zu Er⸗ 
furt verſammelt, empfingen die Herren und Städte Thürin⸗ 
gene, bis auf Nordhaujen, dad wegen Zerflörung der Reichs⸗ 

fefte die Ungnade des Königs verfchuldete, das Heiljame Geſetz 

des Landfriedend, den der König gleich darauf in Würzburg 
beftätigte und auf fünf Iahre erfixedite. Dieſes Landfriedens- 

werk in Thüringen, dem zu Erfurt auch Biſchof Bruno von 
Naumburg, Biſchof Heinrich von Merſeburg und Zriebrich, 
Markgraf von Landsberg, Dietrichs Sohn, eiblich beitraten, 


Viertes Bud. 113 


ertannte den, Vruder Heinrich“, Erzbiſchof von Mainz, wiedass. Kar. 
alte Siegel Iautet, als Neichönicar und Hauptmann des Frie⸗ 
dens in Thüringen, und ftellte, wohl zu unterſcheiden von dem 
alten Landdinge der Landgrafen in Thüringen, alle Angele⸗ 
genheiten des öffentlichen Friedens unter des Erzbiſchofs und 
zwölf erwählter Friebenspfleger Entſcheidung. Die Beifiger 
des „Friedenshauptmanng“ wurden zu gleichen Theilen er- 
wählt aus den Herren Thüringens, den Minifterialen und den 
freien Städten, Erfurt, das zwei Pfleger, Mühlhauſen und 
Nordhaufen, die jedes jährlich einen ſtellten. Der Verſamm⸗ 
Iungsort dieſes Sriedensgerihtö, das fih bis In das leyte 
Drittel des 14. Jahrhunderts erhielt, war wechſelud, Halb 
Erfurt, Gotha, bald auch ein kleinerer Ort, während das alte 
Landding, über allgemeinere Rechtsangelegenheiten entſchei⸗ 
dend, ſeine feſte Malſtatt in Mittelhauſen hatte. 

Leider aber ſtarb der gute Bruder Heintich““, den Pfaf⸗ 
fen wegen ſeiner Strenge verhaßt, nicht unbeliebt bei den 
Erfurtern, mit denen er fich über ſtreitige Dinge gütlich ver⸗ 
tragen, jedoch die Gerichtsbarkeit über die Zünfte der Fleiſcher 
und Becker, über die Zahl der Hausgenoſſen ſich vorbehalten 
hatte, ſchon am 18. März 1288, und erfl nad ſchleppenden 
Wahlhändeln beftieg Gerhard von Eppflein den Stuhl von 
Mainz. Der neue Etzbiſchof hatte nichts eiliger zu thun,@neiid. 
als zwei vornehme Prälaten mit Vollmacht nach Erfurt abzu⸗ — — 
ordnen (Oct. 1289), um neue Zwiſtigkeiten auszugleichen. Erfurter. 
Eine Reihe vertragsmäßiger Feſtiſetzungen über Verkauf von 
‚freiem Erbe, Münze, Schlagſchatz, Geldwechſel, Gewicht, Ab⸗ 
gaben, die Zahl der Hausgenofien, „die da wirken mit Sammer 
und Zange‘, über Zollfäge, den Schultheißen im Brühl (der 
ländlichen Borftabt), enthalten in einem Konkordate zwiſchen 
dem Erzbiſchofe und der Stadt, verräth nicht die a 


Barthold, Etädtewefen III, 


114 Dritter Theil 


3. Kay. Stürme, welche inzwiſchen droheten. Ihr Charalter war son 
anderer Art, das Zeichen einer neuen Zeit. Um in feinem 
Sinne Ordnung zu ſchaffen, den Landfrieden in Thüringen 
fefter zu gründen und die häßlichen Wirren der Wettiner zu 
ſchlichten, kam König Rudolf, den Oberrhein verlaffend, am 
14. Dee. 1289 mit vielen Fürſten und Herren nad Erfurt, 
und weilte dort fafl ein Jahr, unter denfwürdiger Geſchäf⸗ 
tigkeit. 

— Jener neue Streit war aber, längſt vorbereitet, im 

ger Innern. ber Stadt ſelbſt ausgebrochen, und verkündete eine 
blutige, unruhvolle Zukunft: der Kampf der nieberen Ge⸗ 
meinde gegen die abgefdhloffene Rathögemeinde, der Zünfte 
gegen die Geſchlechter. Anftoß zu jo nachhaltiger Bewegung, 
deren Schwingungen ein volles Jahrhundert durdhliefen, 
gab nit fowohl Italien an und für ih, als daß vielmehr 
das Heimathland der Gemeindeverfafſung, unter ber Fort⸗ 
dauer des Zwiſchenreichs und der gewaltigen Parteiung zwi- 
hen Buelfen und Shibellinen, früher ald Deutfchland, wie 
gleichzeitig Flandern, die Verhaͤltniſſe ausbildete, früher Den 
Boden bereiten konnte, auf weldem auch in diefer Form der 
gemeinfame germanifche Geift fi bethätigte. Auch nach 
dem Falle der Hohenflaufen Hatte die politifche Zerriffenheit 
Welſchlands den kriegeriſchen Sinn der Städte Lombardiens 
und Toscanas wach erhalten, und ber Adel des Reichthums 
und der Geburt, verflärkt durch die unterbrüdten oder einge- 
bürgerten Reichsvaſallen und Minifterialen, ald Führer in 
Schlachten und auf Volksauszügen, als richtende und verwal- 
tende Obrigkeit eine bevorzugte, der Gemeinfreiheit gefährliche 
Stellung eingenommen. Solchen Uebermuth empfanden 
ſchmerzlich die Zünfte, deren Fauſt die Unabhängigkeit von 
dem deutſchen Joch erfochten. Auch in entjchieden guelfifchen 


Biertes Buch. 115 


Städten, wie Mailand, verriet der Adel, feiner Natur nad, 3. Kar. 
Himeigung zum Ghibellinenthum, und wie er oft unter fi 
gefpalten und zu blutigen „Geſchellen“ und Spänen auf ben 
friedlichen Gafſen bereit, das Behagen des Bürgers verfcheuchte, 
die Armen bebrängte; fo gefellte zu ſolcher Laft fich auch Die 
Furcht, unter die Botmäßigkeit der gehafiten „‚ Barbaren’ zurüd 
zufallen. So hatte Denn die Volksgemeinde, der „popolo“, Ruhe . 
vor Störung und Abhülfe der Unbilden gefucht, indem fie ſeuie. 
theilß die Vertretung ihrer Rechte einem tapferen, beliebten 
Ritter als Capitano del popolo übertrug, alfo einen Gegen⸗ 
ſtaat ſchuf, theils, wie i. 3. 1282 Die Priori dell’ Arti in Flo- 
ren, — die Borfteher der Zünfte, keineswegs nothwendig immer 
Iunftgenoffen, — mit Ausſchließung des Adels, an die Spike 
des Gemeinweſens ftellte und in dieſer Weiſe eine demokrati⸗ 
(de Verfafſung ausbildete, die dann freilich, wie in Mailand, 
in eine „Signoria”, Alleinherrfchaft ausartete. Das ſüdliche 
Deutſchland, in engem Faufmännifhen Verkehre mit Italiens 
Städten, wie Zürich, Bafel, Ulm, deren gegliederte Zünfte 
gleihwohl vom Stadtregimente noch ausgefchlofien, hatte biefe 
werdenden Dinge aufmerkſam beobachtet; da die Zünftler auch 
hier in allen Fehden den Ausfchlag gaben und ihre Macht zu 
fühlen begannen, verfpärten fie zeitig auch Die Luft, den über⸗ 
müthigen Geſchlechtern das Heft der Dinge nicht ausfchließlich zu 
überlaffen, zunaͤchſt aber ihre Rechte durch Vertretung im 
Stadtrathe zu fehirmen. Schon vor und im Zwiſchenreiche 
begann, unbemerkter von der Geſchichte, diefes Ringen, er- 
wahte flärker unter König Rudolf; wenn gleich baffelbe 
nit den heißen Athem der welſchen Zunftkaͤmpfe verrieth, 
jo bat es doch nicht an flürmifchen Greigniffen gefehlt. 
Weltliche wie geiftliche Machthaber, in Sorge vor ber Demo- 
ratie, Die das Ende auch ihrer Herrſchaft drohete, waren 
8* 


116 Dritter Theil. 


3. Ray. de6helb nit müßig, Die Bunftuerfaffung, wo es anging, 
ganz zu vernidhten. Berner, Erzbiſchof von Mainz, der zu 
Erfurt, ſcheinbar nur aus markwolizeilichen Gründen, wie 
Dttakar in Wien, diejenigen Bünfte aufgehoben, welche die 
erfien Lebensbebürfnifie lieferten, wollte auch gern mit ber Er⸗ 
neuerung des Verbot von Ravenna gegen die Semeinderäthe, 
im Sinne beflelben, das gefammte Innungsweſen unter» 
drücken, konnte aber fo wenig das Eine wie das Andere durch 
Aubolfs Urkunde durchfegen. Nach dem norböftlichen Deutſch⸗ 
ande war dies politiſche Streben der Bilden noch nicht ge⸗ 
brungen; die Rathmaͤnner hielten die Zünfte in wachſamer 
Hut; es find zuerft die Mailänder Niederſachſens, Die 
Braunfhweiger, und dann die Magdeburger, welche keck 
und ungeflüm ihre Zeit wahrnahmen. Begünftigt wurbe Das 
Streben der Zünfte nach Untheil an der Nathögewalt durch | 
den allgemeineren Gebrauch der deutfihen Sprache in Urkun⸗ 
den und öffentlichen Verhandlungen ; der Schmied und Schu⸗ 
Ber Eonnte der fremden Gelahrtheit entbeßren, und dennoch 

— aufmerkſam dem Verlauf der Geſchaͤfte folgen. Bei ſolchem 

a Drange der Dinge wear dad Benehmen vieler Fürſten glei 
unwürdig, wie Friedrichs I. in Bezug auf die Gemeindener- 
fafjung bifchöfliches Städte ; fie gewährten und nahmen wieder, 
wie es der Vortheil des Augenblicks gebot. So Biſchof | 
Berthold von Würzburg; im Jahre 1279 flellte er „wegen 
ihrer Dienfie, die fie bei Bezwingung einer Raubburg be⸗ 
wieſen“, die früher aufgehobenen Zünfte wieder her; wenige 
Monate darauf unterdrückte er fie wiederum, ‚wegen des Ge⸗ 
ſchreis des Klerus und des Volks über Die Störung des Kaufe 
und Wandels.” Wie bie frühere Reichsgeſetzgebung war 
Rudolf den Zünften nicht Hold, erneuerte er im Jahre 1278 
für dad unterworfene Wien das Verbot nicht der Fleiſcher, 


Viertes Bud. 117 


Beer und Fiſcher allein, fonbern alles Innungen; aber 3. Kar. 
bald mußte er feinen Sinn ändern, als ex fih vom Rutzen, 
zumal von der Widerſtandsfähigkeit derſelben und ihrem Eifer, 
den Landfrieden zu handhaben, überzeugte. So richtete er fie Rudolf 
zu Goblar wieder auf und legte in Ehlingen, zum Zaum a 
Birtemmbergers, fo entidieben feinen Sinn an den Tag, daß 
He Bürger rühmend nachſagten: „König Rudolf von Rom hat 
duch Frieden und Zucht geſetzt, daß man zu Eplingen Zunft 
und Zunftmetfter haben ſoll.“ Als politifge Einrichtung und 
Grundlage der Bürgerlichen Geſellſchaftsordnung, wie fle in 
oberen deutſchen Städten auch die nicht zünftig en Bewohner 
in beſtimmter Gliederung umfchloß, ſcheint Rudolf oder fein 
fuger Biſchof Heinrich, die Zunftrechte in Bafel, der König 
unbeftzeitbar in Ulm begründet zu haben. Im Bafel, deſſen 
Junferzwiftigkeiten wir kennen und deſſen Bhufte am früheften 
ausführliche Urkunden erwirkten, finden wir auch am frübeften 
(1271) des Zunftmeifters, gleich nah dem Mathe, in 
Urkunden erwähnt; „ber Zunftmeifter, in der Einheit genannt 
der Oberzunftmeifker, war aber verfhleden von den Zunft 
meiſtern, jener, ein ritterlih geborner, freigewählter, ober 
vom Rathe gefehter Vertreter der Bünfte, ein Tribun im 
romiſchen Sinne, gleichſam ein Volkshauptmann (Capitano 
del popolo); die Zunftmeifler nur die ſelbſt zünftigen Vor⸗ 
fieher ihrer Körperfchaft. Peter Reich, welcher Heinrich Sun 
dem „Barfüßer” auf dem Biſchofsſtuhle folgte (1236 — Baſel. 
1290), giebt durch feine Berfügung über das Stadtregiment 
die Bedeutung des Öberzunftmeifters, lange vor Aufnahme 
der Zunftratbähernen in den Rath (1336%), zu erkennen. 
Er, der zu den Stemern gehörte, ordnete an: wenn in 
einem Sabre ein Sittich Bürgermeifter wäre, müſſe in dem» 
felben der Oberzunftmeifter aus den Sternern fein, und im 


118 Dritter Theil 


2.0ur.folgenben Jeher umgefcher ; ferner deß glekdpeirl Bitter als 


ehrbare Bürger in ten Bath geforen werben tellten. Die 
Zahl iſt wicht angegeben. der Zunftrathäherren nad} nicht er⸗ 
wähnt. Ungewiß bleibt die Zeitbefimmung über das Geſetz 
der „Rathöfiefer. Nach Inhalt deſſelben wählte der alte 
Rath zwei Gotteshauddicnfimänner und vier „Bürger“ im 
älteren Sinne; dieſe geiellten ſich zwei Domberren bei, und 
ſolche acht Kiefer ernannten den neuen Rath, der nur aus 
Aittern und ehrbaren Bürgem, „Bürgern von der hohen 
Stube”, weldye den Rang ver den Zünfllern behaupteten, 
gebildet war, ehe als dritte Rathsbauk, im Jahre 1370 
ans 15 Männern beſtehend, die Selbfiveriretung ber Berufd- 
zunfte fi geltend machte. — Biſchof Peter handhabte jein 
Gebieterrecht noch jo rüdfichtölos, daß er dem Barteihaupte 
Des „Volks⸗ im Rathe mit Augenausftechen drohte, ihn aus 
dem Nathe ſtieß; gleiche Geſinnung hegte, an der Spitze der 
Nittergemeinde, der tapfere Peter Scaler. — Haben im 
adeligen Bafel, unter Oeſterreichs Einfluß, die Zünfte als 
foldhe bis ind 14. Jahrhundert hinein vom Stadtregimente 
fern gehalten werden können, fo gewannen im gewerbihä- 
tigen Ulm dagegen, das denkwürdig feine Freiheit gegen 
Die fpäteren Nachſtellungen des Herzogs von Defterreich, 
Haupts des Stadtadels, gerade durch die Wachſamkeit 
der Zünfte ruhmvoll rettete, unter Rudolfs Genchmi- 
gung, die Innungen, laͤngſt ein vollſtändig organifirter 
Wehrfland, vor Ablauf des 13. Sahrhunderts Antheil an der 
Megierung. Als Volkshauptmann (Gonfaloniere), Ober- 
zunftmeifter findet fi bein Jahre 1292 urkundlich ein Ge⸗ 
ſchlechter, in doppelter Cigenſchaft, als Kriegsbefehlshaber und 
als buͤrgerſchaftlicher Verwaltungsbeamter. Die Zunftmeiſter 
nahmen die dritte Bank im Rathe ein, nannten den Volks⸗ 


Biertes Bud. 119 


hauptmann, als Borfland, ihren Mitbürger, und waren, wenns. Kay. 
auch nicht ſaͤmmtlich durch Beruf zünftig, es doch mindeftens ‚Iunft- 
zur Hälfte; fo daß die dritte Rathabank aus zwölf Betfigern, Ratbe. 
6 aus den Geſchlechtern und 6 aus den Bünften, unter Vorfig 

bes Volkshauptmanns und Stabtbannerheren., beflanden zu 
haben fcheint. In Freiburg im Breisgau fleht mit dem Jahre 
1293 die Zunftverfaflung politifch gewichtig da; Reutlingen 

und Weil, wie Eplingen, genießen ber Vertretung. In ber 
föniglichen Stadt Frankfurt a. M. hatte geräufchlo® das Stei-Brauffurt. 
gen der Sultur und bed Wohlftandes der Zünfte auch die 
Bedeutung berjelben in dem Grade gehoben, daß fie, nad 
Auflöfung der Balatinalverfaffung und der Berpfändung ber 
Pfalz, früh wenigftens ald Gewerbepolizei zum Rathe 
zugezogen wurden. Die erfte Spur der jpäteren, gefeglichen 
dritten Rathsbank ericheint ſchon beim Sahre 1266 urkund⸗ 

lich, noch deutlicher beim Jahre 1284. Getrennt von ber 
Schöffenbant und dem Stabtrath als dem Vorſtand der „en⸗ 
geren Gemeinde‘, entſchieden die zugezogenen Zünfte in Ge⸗ 
werbefachen. Finden ſich gleich fhon früh unter den Schöffen 
Genoſſen mit unleugbaren Zunftnamen, wie lateinifch Becker, 
Fleiſcher, Weber, Kürſchner, fo waren dies doc keine Ge⸗ 
werbtreibenden, fondern Geſchlechter, welche zufällig 

von ihren Wohnhäufern unter den Zünftlern ihre Benennung 
überfommen. Die berühmten Holzſchuher in Nürnberg, ob» 
gleich fle einen Holzſchuh im Wappen führten, waren feines» 
wegs Abkömmlinge eines Holzſchuhmachers, und „Meiſter Jo⸗ 
bann der Kürſchner“ zu Frankfurt im Jahre 1306 nicht ein 
Kürſchnermeiſter, ſondern der. ältere Bürgermeifter mit dem 
Iateinifhen Geſchlechtsnamen Pellifes. Der Schultheiß zu 
Frankfurt, als Föniglicher Beamter und Bannerträger im 
Dienfle der Stadt, wird allmälig aus dem Stabtrath entfernt, 


120 Dritter Theil. 


3. Ray. und weicht dem Bürgermeifter, als erfiem Borfleher der Stadt, 
die feit 1304 als freie Gemeinde ohne ihn Vündniß ab 
fließt. Die Schöffen unter dem Schultheig machen zwar in 
allen außergerichtlichen Handeln und im Gefammtrarhe Die 
erfte Abtheilung aus, ergänzen ſich ſelbſt und geben aus ihrer 
Mitte den älteren Bürgermeifter ; allein die Bank der Gemeinde, 
die Rathsherren ald zweite Banf aus der Bürgergemeinde, 
ift in fleigendem Anſehen, hat die Berwaltung und befegt 
die jüngere Bürgermeiſterſtelle; die Dritte Rathsbank, die 
Zunftbanf, „die Handwerksgenoſſen“, ſteht in Frankfurt lange 
vor dem Ausbruch der Zunftunruhen geſetzlich, doch nur für 
gewifie Fälle im Nath entfheidend, da. Das Auftreten Kul- 
mann Zaans, eines Tuchmachers, als Rathmann i. 3. 1325 
und deiien Erhebung zum Bürgermeifter im Jahre 1335, 
bezeichnet Die Orundveränderung des ftaatörechtlichen Zuſtandes. 
In größeren SHandelöflädten, wie Augsburg, Nürnberg, 
Straßburg, bewahrt dad Geſchlechterthum fein Vorrecht Länger 
und büßt es zum Theil unter furdtbaren Auffländen gegen 
die Mitte des 14. Jahrhunderts ein. Köln am Rhein beſchließt 
erft am Ende des 14. Jahrhunderts den blutigen Reigen, und 
verkündet den Ablauf diefer Entwidelung ; aus Wachfamkeit 
vor den Tücken feines Erzbifchofs noch innerlich friedfam, als 
Erfurt in Mitteldeutichland den Bortritt begann. 

aindoit Rudolf traf, als er in Thüringens Hauptſtadt einzog, 

Bath und Gemeinde im offenen Hader. Schon im Jahre 
1283 foll Bolrad von Gotha an ber Spige des niederen Bolts 
ein unfaͤgliches Blutbad gegen Die Adeligen und Reichen ver 
Stadt im Schilde geführt Haben; jet erfahren wir nur: 
daß ter König gleich nad feiner Ankunft vor dem Peters: 
Lofter zu Gericht ſaß, während das Volt um den Berg fid 
lagerte, er Rath und Gemeinde verfühnte und die Anftifter 














Biertes Bud. 121 


ber Zwietracht, acht an der Zahl, auf dem Markte enthaupten, 3. Kar. 
die Köpfe zum warnenden Beispiel am Ratbhaufe auf eiferne 
Rägel fpießen ließ, die noch im 17. Jahrhundert ſichtbar 
waren. In ihren Vorrechten beftätigt, ‚warteten‘ die 20 
adeligen Rathaherren, die zwei Stättemeifter an der Spige, dem 
günftigen Gebieter, fleißig auf“, der denn, ein eben jo wenig 
erfrenlicher Anblick, ſchon am 20. Der. 29 auf Schloß Il⸗ 
menau gefangene Räuber, ihre Geburt unangejehen, öffentlich : 
binzurichten befal. Auf fein Geheiß, und aud wohl unter 
feiner Leitung, übten die Grafen von Gleichen und die Reuße 

mit den Bürgern von Erfurt den Landfrieden jo fhonnngslos, 

daß fie in kurzer Zeit bis Sangerhaufen, Weißenfels hinunter 

66 Raubburgen brachen, die Gefangenen am Leben firaften. 

Das behagte denn den Bürgern gar wohl und mochten fie dem 
fitengen Riöter, welcher jalomonifche Weisheit in ihrer Mitte 
kundgethan, deshalb fpäter felbft den Urfprung ihres Mai⸗ 
fampfs, „des Walperauszugs“, andichten. Als unvergefienes 
Beifpiel Eöniglicher Herablaffung, Sitteneinfalt und Fröhlich“ 

keit erzählten rühmend die Erfurter: einen vollen Krug Biers 

in der Hand, habe Rudolf ein auf offener Straße ausge⸗ 
sufen: „wol in, wol in, ein gut Bier bat Herr Seyfried von 
Buttſtädt aufgethan!“ — Bon des Könige Thätigfeit in —28 
Thüringen bemerken wir zu unſerem Zwecke: daß er dem Burg⸗ Ih in 
grafen Dietrich von Altenburg das dortige Burgamt auf ewig 
verlieh, das Lantfriedendgeieh gegen Zoll⸗ und Geleits- 
gelderhebung ohne Erlaubniß des Reichdoberhauptes ein- 
fehärfte, Die Bürger von Mühlhaufen und Nordhaufen we- 

gen der von ihnen laͤngſt zerflörten Reichsburgen wieder zu 
Gnaden aufnahm. Die Innungen zu Goslar, welche jeit Kaifer 
Friedrichs H. Verbote erneuert und von Rudolf feibft abges 
ſchafft waren, ftellie er wieder ber, mit der Erklärung: „auf 


122 Dritter Theil. 


3. Ray. infländiges Dringen Einiger, In dem Glauben, zu nügen, habe 
er die Gilden aufgehoben, jegt aber ſich von ihrer Nüplichkeit 
überzeugt, und wolle nicht den Bortheil Weniger dem Wohl 
der Geſammtheit vorziehen.” Daß die Aufhebung nicht die 
unruhigen „Waldleute“ (Bergfnappfchaft) allein betroffen 
habe, lehrt die urkundliche Wiebererneuerung der Schneider- 
zunft. Uber die Glanztage Goslars, das den Landfrieden 
noch befonders vor dem Könige beſchworen, und dem Grafen 
Otto von Anhalt als Friedenspfleger in Sachſen empfolen 
war, waren dahin, zumal die Kaiferpfalz ausbrannte, zu 
deren baulichem Wefen die Juden früher das Meifte beitragen 
mußten. Ferner verſöhnte Rudolf, nicht auf die Dauer, den 
Landgrafen Albrecht den Uinartigen mit feinem Sohne Friedrich 
dem Gebifjenen; unlöblich dagegen bezeichnete ex feiner Toch⸗ 
ter Margaretha Bermählung mit dem Grafen Dietrich von 

ar Kleve, indem er, zum böfen Beifpiele, die Reichsſtadt Duis⸗ 
sieve. burg für die Mitgift im Betrage von 2000 Mark verpfändete; 
nicht ficherte e8 die alte Pfalz, daß der Pfandinhaber die Un⸗ 
gehorfame für erlittenen Schaden zu befriedigen, ihre Verträge 
mit anderen Städten zu achten gelobte (Sept. 1290) ; der fönigl. 
Eidam ward außerdem zur Pfandhuldigung von Nimwegen, 
Daventer, Doesburg berechtigt. — Für das Gedeihen der 
ſchleſiſchen Städte ſchien es gefährlich, daf Rudolf nad) dem 
ode des hochgelobten Herzogs Heinrih von Breslau (23. 
Juni 1290), der kurz vorher In den Thronwirren der Piaften 
mit Hülfe feiner Breslauer Bürger die Stadt Krakau einge 
nommen hatte, dem jungen König Wenzel von Böhmen das 
Herzogthum als Reichslehen verlieh; doch war Böhmen jelbft 
fo deutſch, daß in Prag die ezechifche Sprache faft verſtummte, 
und aud bes Praemysliden wirkliche Beflkergreifung das 
eingewurzelte deutſche Leben in Schleften nicht geftört haben 


Biertes Buch. 123 


würde. — Helmſtaͤdts Bürger, die den Abt von Verben, ihren 3. Ay. 
Grundherrn, ermordet hatten, von der Acht Iosfprechend, die 
Statuten der Nordhaͤuſer beflätigend, ſchied Rudolf, nad 
ernfler Mahnung an die Bürger, Eintracht zu bewahren, und 
als Landfriedenshauptmann in Thüringen Gerlah, Edlen von 
Brauberg, Voigt der Wetterau, beftellend, am 1. Ron. 1290 
aus Erfurt. Auf dem Wege über Ultenburg zog er das Pleiß- 
nerland, feit nahe 50 Jahren im Pfandbeſitz der Wettiner, 
wieber zum Reiche, und kam, gegen 70 Raubburgen zerftörend, 
ins Oberland. Dem Gedanken an einen Römerzug nicht fo 
fern, als man gewöhnlid glaubt, machte ex im Febr. 1291 
die Züricher, die willig feine Schulden in Erfurt bezahlt, 
auf zwei Jahre von aller Reichsſteuer frei, „es fei denn, daß 
er zur Kaijerkrönung fahre”, nahm zu Speier im April 
nochmals Fürſten, Landherren und Städte eidli in Pflicht, 
den Würzburger Landfrieden noch ſechs Jahre zu halten, und 
ſchrieb endlich auf den Mai einen Hoftag nad Frankfurt aus, Be 
um, im DVBorgefühl feines nahen Endes, die Nachfolge im. far. 
Reiche feinem erfigeborenen, jegt einzigen Sohne, Albrecht, zu 
fidern. Aber die Kurfürflen, zumal Gerhard von Mainz, 
wollten von einem jo mächtigen Könige, wie Defterreichd Her⸗ 
zog, nichts wifjen; ein ohnmädhtiger diente mehr ihren Plänen. 
Auch wandte fi die öffentliche Meinung der Bürger dem 
finfteren Zwingherrn Oeſterreichs ab, der, ächtem beutfchen 
Weſen abgeneigt, unter wilden Fehden mit den Nachbarn, 
eben die Reſte freien Bürgertbums in Wien gebrochen hatte, Bien 
Albrecht, ohne Achtung für fremdes Recht, fuchte Längft dieſen Kan, 
Anlaß, fo nachgiebig Wiens Vornehmen ſich bereits dem " 
habsburgiſchen Anftnnen erwiefen. Es gab aber auch eine 
freiheitseifrige Partei, welche dem Herzog Fed entbot, „fle 
würde ihm nicht dienen, falls er ihre Freibriefe nicht aner⸗ 


124 Dritter Theil. 


An. fenne.” Gämähend erhob fi das Belt gegen das Hefgr- 
finde ; die Zünfte, nicht weniger als 50 an der Zahl, darunter 
auch tie Schilter (Maler), traten zuiammen; Die Schufler ver⸗ 
mapen fi des Schwurß: „mit ihren böhernen Leiten den 
Burggraben auszufüllen.” Der Herzog in ber Burg that, 
als zerachte ertie Bürger, unt antwortete auch auf ihr drohendes 
Geind: „nicht ein Haar lafle ex fh aßtringen!-- Miltgefinnte 
Käthe zurüdweiienb, zog er mit jeinem Hefe flugs auf den 
Kablenberg, füntigte der Stadt jeine Huld auf, veriperrte alle 
Wege zu Land und Waller; nit auf eines Ackers Weite 
Dusften tie Bürger heraus, nicht ihr Bich audtreiben. Die 
Bafallen umlagerten die Stadt, zufrieden, daß die Bürger 
Knechtſchaft gleich ihnen trügen. Wie Albrecht gerollt, er⸗ 
wedte Theurung und Mangel alsbald BWipbehagen und Ge⸗ 
ſchrei. Beſonders drückte Mangel an Holz, „manche fiföne 
flare Frau mußte des Bates entbehren.” Die ärmeren Hand⸗ 
werfer, zuerft in Roth, droheten den Reichen Auslieferung an 
den gemeinjamen Feind, wenn fie ihnen nicht ihre Kornfaften 
und Weinkeller offneten. Kurze Zeit ließen fie jih durch 
Konrad den Breitenfelder, der auf Steyers und Defterreichd 
Ritterſchaft rechnete, vertröflen, rotteten aber dann jich eines 
Morgens wie eine finflere Wolfe zufammen, Tod droßend, 
wenn nicht Die Meichen in 6 Tagen ſich des Herzogs Huld gewön- 
nen. Da ritt der Abt des Schottenkfoflerd zuerft zur Herzogin 
und gewann fie, dem Gemal zur Annahme der Borichaft zu 
bewegen. Elifaberh erwirkte freied Geleit für drei Tage, nicht 
zu Unterhandlungen, „ſondern um des Herzogs Befele zu 
vernehmen.” Das fdriftliche Begehren der vornehmſten Bür- 
ger, „Albrecht möge den Sandveften gemäß handeln‘, ihr 
Erbieten an die ſchwaͤbiſchen Raͤthe, ſelbſt eine höhere Abgabe 
als bisher zu Teiften, falls der Herzog nur ihre Privilegien 


Biertes Du. 125 


betktigen wollte, erhheltgum Befcheid : keine Minne und Gähee, 3. Kur. 
fie überliefern denn alle Briefe ſelbſt und brechen die Ring⸗ 
mauer an zwei Stellen! Trauer nnd Schrecken bei reich und 
arm; man fuchte die Nahrungsloſen ausguweiien. Im Rath⸗ 
hauſe mit den BZwölfmännern der Gemeinde verfammelt, 
während draußen die Menge tobte, flritten die Reichen mit 
den Bertretern der Armen, beſchuldigten ſich gegenfeitig, bis 
der Zom der tobenden Bünftler, ihre Morddrohung, dem 
Entſchluß fchleuniger Friedmachung erzwang. Keine mildere 
Bedingung fand Raum; barfuß, mit bloßem Haupte, Gnade 
Hchend auf den Kahlenberg gezogen, überreidhten die Bürger 
ihre Handueften. Albrecht ließ fie nach der Reihe verleſen, Fre 
und alle in Gegenwart der Boten und der Öfterveichtichen, een, 
Herren zerreißen, welche feine Eigenmacht zu beſchraͤnken ſchie⸗ 
nen. Ueberdies mußten „Richter, Meifter, Hathlente, Ge⸗ 
ſchworene“ zu Neuburg am 19. Febr. und zu Wien am 27. 
Gebr. 1288 den Herzog als ihren Erbherrn eidlich anerkennen, 
jeder geheimen Verbindung, allen vom König Rudolf ver- 
liehenen Privilegien, entfagen, die angeſehenſten Männer nod) 
befondere Gehorſamsbriefe ausftellen, endlich ihre Ringmauer 
an zwei Orten bis auf den Grund breden. Mit Furdt fah 
man nachmals die Wiener dem finfteren Herrfcher dienen; Die 
Art, wie fie ihre Reichsfreihett aufgaben, durfte den mittel- 
alterigen Sinne unwürdig dünfen, zumal noch das 15. Jahr⸗ 
hundert Tleinere Städte Weſtdeutſchlands, wie Soeft, den 
ungleichen Kampf gegen ihre Unterbrüder fiegreih aufnehmen 
ſah. — Solche Erinnerung, die an Albrechts Namen haf⸗ 
tete, machte den Reichsbürgern die Verwerfung deſſelben 
gewiß nicht leid; dennoch Sollten fie ihn kennen lernen! — 
König Rudolf, noch zu Mainz, wo dad Volk, wie zu Eßlin⸗ 
gen, derbe Schwaͤnke vom leutſeligen Gerrfcher den Enteln zu 


126 Dritter Theil. 


3.Ray. erzählen Hatte, die Gründung der Stabt Staveren, einer 
.ſchnellwůchſigen Tochter der Hanſa, gutheißend, ward in Ger⸗ 
Tod. mersheim (14. Juli) des nahen Todes gewiſſer, wie er denn 
ſchon einige Tage früher „feine lieben Bürger, die Straß⸗ 
burger”, unter denen feine Glüdsfonne zuerſt geleuchtet, „ge⸗ 
fegnet hatte.” Er ſprach: „wolauf nad) Speier, da mehr 
meiner Borfahren find, die auch Könige waren, daß niemand 
mid hinzufahren braucht, will ich felbft zu ihnen reiten”, und 
farb zu Speier „eines vernünftigen Todes“ am 15. Juli 
1291. Sein Leichnam wurde im Münfter, neben Philipp, 
den: letzten Könige, weldyer als ſolcher auf deutſcher Erde fein 
Grab gefunden, beftattet; fein Gedaͤchtnißſtein überdauert Die 
Berwüflung durch die Franzoſen, findet ſich aber nicht mehr 
in der Kathedrale der Eniferlichen Todten, ſondern — in ber 
Antiquitätenhalle! — „Gleicher Trieben wie zu feinen Zeiten 
war vorher niemals in Alemannien gefehen; ſogleich aber, 
wie er feine Augen fchloß, wurde der Landfrieden dur das 
ganze Königreich gebrochen und aufgelöft, als wennin di e⸗ 

fen Landen niemals ein Frieden geweſen wäre.“ 





Viertes Kapitel, 
König Adolf von Raffau. Verfall des Landfriedens. Verpfändung des Reichsguts. 
Unruhe in den Städten. Unthat Siegfrieds von Köln, 1294. Adolf in Thürin⸗ 
gen und Meißen. Zunfterhebung zu Braunfhweig. Strafe der VBerhanfung. 
Beſchränkung der Schöffen in Magdeburg. Erzbiſchof Wigbold von Köln. Adolfs 
Entfegung und Tod, 1298. König Albrecht von Oeſterreich und die Kurfürften. 
Bolitit in Bezug auf die Städte, Köln aus dem Banne, 1299. Umſchlag der 
Politik gegen die Kurfürften, 1300. Aufhebung der Rheinzölle. Unterwerfung der 
rheiniſchen Kurfürften, 1302. Hauspolitik Albrechts. Die Eidgenoffn. Flandri⸗ 
ſcher Krieg. Die Sporenfhladt, 1302. Rüdwirkung auf die veutfchen Städte. Trier. 
Speier. Soeft. Ciſenach. Die märifhen Städte. Berlin. Brandenburg. "Börlig. 
Zittau. Lübeck und der Hanfifhe Rorden. Tod König Albrechts. 1291 — 1308. 


Unmittelbar nah Rudolfs Tode brach Graf Ulrich von 
"Birtemberg den befchworenen Landfrieden an Albrecht, Grafen 





Biertes Bud. 127 


von Hohenberg, bes Königs Schwager, bem vornehmſten 4 aan 
Reichsvoigt in Schwaben, und zwang ihn zur Theidigung; 
fiel Rudolf, der ältefte Sohn des Pfahgrafen Ludwig und 
Berwalter von Oberbaiern, die Augsburger an, in feinem 
Namen das Schirmredht über Stadt und Bisthum forbernd. 
Die Bürger begaben ſich unter den Schup des Markgrafen von 
Burgau; als darauf Rudolf ihnen durch die Burg bei Füßen 
den Lech fperrte, zogen fie aus, zerflörten die Feſte, und ge⸗ 
wannen nach gegenfeitiger Verheerung den alten Pfalzgrafen 
zum Frieden (Febr. 1292). Der Abt von St. Ballen und der un⸗ 
ruhige Bifchof von Speier, durch den König vertrieben, Tehrten 
zurück; Bischof Rudolf von Konſtanz ficherte feine Vormund- 
ſchaft über Kiburg gegen Albrechts von Oeſterreich herriſche 
Anfprühe durch Bündnig mit der Stadt und allen Gegnern 
Habsburgs, mit den unzufriedenen Bürichern, zumal mit dem 
Erzbiſchofe Konrad von Salzburg, ber fih daheim des über« 
mütbigen Nachbarn in Defterreih Faum erwehrte. Darum 
Waffengetümmel in Oberfjhwaben, Niederlage der Büricher, 
Konflanzer, ald Albrecht von Habsburg felbft, Die Krone hoffend, 
nah Sranffurt zog. Inzwijchen aber war, erfl Monate lang 
nad Rudolfs Tode, in Folge jener früheren Befreundung mit 
Siegfried son Köln, die Aufmerkfamkeit der Kurfürften auf 
ven Grafen Adolf von Naffau, felbftgeftändig „einen Heren Hol 
geringen Guts“, geleitet, und gegen das Beſtreben des fried⸗sewahlt. 
liebenden alten Pfalzgrafen Ludwig dur die Gewandibeit 
des eigennügigen Erzbifchofd Gerhard von Mainz, die Stim⸗ 
menmehrheit für feinen Neffen, den tapferen, aber als König 
würdeloſen und ſchmachvoll unwirthlihen Mann gewonnen 
(5. Mai 1292). So lange alle Fürſten an der Wahl Theil Hatten, 
wählten fie einen Großen ; denn die Bielen wollten einen Herrn 
und Schirmer, widmeten einem Mädtigeren lieber Ge⸗ 


128 Dritter Theil. 


4. Roy. horſam, als einem Gleichen; die auf Sieben verminderten 
Wahlfürften dagegen zogen einen ſchwachen König vor, 
weil fie ihm nicht zu gehorchen gedachten, ſondern unter ihm 
nur ihr gewinnſüchtiges Spiel zu treiben. Adolfs kurze Regie⸗ 
rung, der Zerfall des Kandfriedens, die heillofe Wirthſchaft 
mit der VBerpfändung bed Reichsguts, beſonders der Reichs⸗ 
ſtädte, förderte, als ein wiebergefehrtes Zwifchenreih, das 
Selbfigefühl des Bürgertfums, dad wieder auf eigene Kraft 
angewiejen wurde, und leitet und in den offeneren Kampf der 
BZünfte gegen die Rathsgeſchlechter, der Gemeinde gegen ben 
Stadtabel. 

Der „Pfaffenkönig“, vorher fo arm, daß man ihn zu 
Brankfurt „mit zwei Knaben umgehen fah bei allen Krämern, 
einen Zaum zu kaufen“, hatte während der Wahlzeit auf Borg 
bei ben Reichsſtädtern gelebt ; um feine Schuld gemahnt, wollte 
er die Juden zur Bezahlung nöthigen; allein der muthige 

en Sgultheiß trat folhem Begehren Eräftig entgegen. Noch vor 
der Krönung verpfändete Adolf, leichtfinnig mit dem vorhan⸗ 
denen Rechte fchaltenn, weil er Größeres für. fein Haus zu 
erwerben dadıte, dad nach Friedrich Tuttas Tode (Aug. 1291) 
thatfächlich Heimgefallene Pleißnerland mit Altenburg, Zwidau 
und Chemnit, fo wie Stadt und Burg Eger, an König Wenzel 
von Böhmen ; verpflichtete fih „mit leiblihem Eide“ ven 
Erzbiichöfen für die Unkoften jeiner Wahl, als fei er nur ein 
armer Rittersmann, und gab dem Bfalzgrafen Lubwig, 
welcher feine Tochter Mathildis an Herzog Otto von Braune 
fhweig und Lüneburg auszufleuern hatte, mit den Willebrie- 
fen der Fürften, die Befugniß, entweber Lübeck oder Goslar 
mit allem Zubehör als Unterpfand für bie Mitgift auszuſetzen! 
Reiche der Ertrag von Goslar nicht Hin, fo follte näher befege- 
ned Reichsgut den Ausfall decken! In Erwartung bifer Zu—⸗ 


. Biertes Bud. 129 
funft Hatten aber bereitö die Lübecker gleich nach Rudolfs a. aa, 





Tode (Sept. 1291) die Schutzvoigtei ihrer Stadt, ‚‚wie fle en 
einft Heinrich der Löwe, dann die Braunfchweiger und anderener Hut. 
dürften bejeffen‘’, für jährlih 600 Bfund Keller an Hein« 
rih IL, Herrn zu Medlenburg, übertragen, und beeilten ſich 
nicht, dent Gebote des Verletzers alter Unverpfändbarkeit zu 
gehorfamen. — Bu Aachen, am 24. Juni 1292, gekrönt, 
verbürgte ſich Adolf gleich unköniglich der Habſucht des Erz⸗ 
biihofs von Mainz, und verſprach ihm die Städte Mühlhau⸗ 
jen und Nordhauſen ale Reichsamtmann einzugeben. Aachens 
Schultheißenamt verpfändete er dem Grafen Walram von 
Jülich, und, in großartigem Stile, dem Herzoge Johann von 
Brabant den Zoll zu Kaifergwerth, die Reichseinkünfte zu 
Aachen, Sinzig, Dortmund und Duisburg, nebft allem Königs» 
gut zwischen der Mofel und dem Meere! Zwar erneuerte 
Adolf ganz unverfänglic zu Köln, dem er feine Privtlegten 
betätigte, die Sagungen des Würzburger Landfriedens, ‚mit 
Rath der Fürften, Grafen und freien Städte; that das 
Bleihe zu Eßlingen für Schwaben, den flörrigen Sinn felbft 
Ulrichs des Wirtembergers beugend; ging aber diefe Wirth 
daft fo fort, wie gleich darauf Duisburg, Dortmund und 
Sinzig auch dem Erzbifchof Siegfried zugewieſen wurden, fo 
mußten alle freien Gemeinwefen zu Landſtaͤdten herabfinfen, 
wenn auch nebenbei Sagenau, Frankfurt, wo, an Stelle des 
waderen Judenſchutzherrn Heinrich, Volrad ald Günftling des 
Königs im Schultheißenamte erfcheint ; ferner Kolmar, Straß⸗ 
burg, Worms, Lübeck, felbft Mühlhauſen im Elfap mit ber 
Gnade, ‚nur ein bort feßhafter Bürger folle ihr Schultheiß 
werden‘, endlich Goslar, Urkunden für hergebrachte Rechte und 
Breiheiten empfingen. In ſteigender Gunfterfchien Siegfried von 
Köln, der freilich ungeheure Summen angeblich ” fordern 
Barthold, Etädtewefen II. 





130 Dritter Theil 


4 Ras. hatte; am meiften ernietrigte aber ter Ritterfönig fein Anfe- 
hen sor Gerhard ron Rainz, mit tem er „alle Bortheile welde 
der vor des Königs Stuhl ſchwebende ältere Rechtsſtreit gegen 
tie Bürger und Iuden von Mainz abwerfen würde, gleich 
zu theilen gelobte.” Kein Bunter, daß in wachſamen, 
freiheitäeifrigen Städten , wie Friedberg, ſich bald Getümmel 
erhob, die Mainzer, welche im Juli 1293 tem Grafen von 
Katenelnbogen Bürgerredht rerlichen, fi feine Kriegshulfe 
gegen alle Feinte ausbedungen, und im Auguft 1293 mit 
Worms und Speier ſich serbünteten, ‚‚Teinem Könige zu ge- 
borfamen, der nicht ihre Freiheiten und Rechte beſtegle.“ Die 
Ermenerung des Bundes vom Jahre 1254 galt offenbar Dem 
Könige und den Biſchöfen, als ihren nächſten Befhäbigern. 
Bergebend ſuchte Peter, Biihof von Bafel, des Barfüpers 
Nachfolger, ald Obmann der eilf Friedenspfleger im Eljaß, 
des Königs Hülfe gegen Adolfs freche Voigte zu Selz (1294). 

AuftanoDie heifblutigen Kolmarer warfen ſich zuerft in die Waffen. 

Koimar. Herr Walther Röffelmann, nach Rudolfs Tode mit Gewalt 
in das Schultheigenamt eingedrungen und blutig über den | 
Stadtadel ſchaltend, hatte dem neuen Könige unter der Be⸗ | 
dingung gehultigt, daß Dtto von Odhfenftein, der Landvoigt, 
ihm im Namen defjelben gelobte, jener würde ihm das Amt 
Lebenslang laſſen, die Verbannten nicht zurüdführen, die 
Statt nit mit Waffenmacht betreten. Als der Schultheiß 
aber dennoch mit Adolf in Zwieſpalt gerieth, er fh klüglich 
mit dem Biſchof Konrad von Straßburg, dem Anhänger 
Habsburgs, verfühnt; übergaben beide dem Anfelm Herrn 
von Rappoltflein, jenem alten Neider König Rudolfs, heim- 
hi die Stadt. Da z0g denn der Naflauer mit Heereskraft 
herbei, belagerte erft NRappoltftein, umſchloß Kolmar einen 
Monat Tang, bis Hunger einen Aufitand der niederen Be⸗ 








Biertes Bud. 131 


sölferung erregte, dieſe den trotzigen Machthaber verjagte, Kav. 
und dem Könige die Schlüfſel überreichte. Unter Martern 
führte der Sieger den Schultheißen, dem er das Leben ver⸗ 
bürgt, im Lande umher; Herr Anfelm ward auf bie Reichs⸗ 
fee Achalm gefangen gejegt; ſchon rüfteten fih die Straß⸗ 
burger auf einen Bejuch des böfen Gaſtes, als nod zur 
sehten Zeit ihr Bifchof um Gnade bat. Aus Schwaben, wo er 
des ungebefierten Friedbrechers Eberhard von Wirtemberg ge⸗ 
idont, und aus dem Elſaß an den Mittelrhein gezogen, ſchlich⸗ 
tete Adolf als Schiedsrichter den Streit der Mainzer gegen 
ten Erzbifchof dahin, daß dieſe ihm 5500 Marf zahlten (Kebr. 
1294); der Stadtrath zu Mainz beſtand damald aus dem 
Kimmerer, dem Schultheißen, zwei Richtern und zwölf Rath» 
mannen. Dann finden wir den König rheinabwärts fahrend, 
zu hohem Dienfte dem Erzbifchof Siegfried verpflichtet. DieferSicafried 
hatte inzwiſchen feines Schadens an den getrennten Gegnern Koͤln. 
fih erholt, feine Rheinzölle zu Kaiſerswerth, Bonn und an⸗ 
dere zu handhaben bereit, und fann auf Rache an Adolf von 
Berg; deshalb ging denn der Unfrieden Durch den gefammten 
Sprengel von Köln, Auch Rainald von Geldern erlangte 
des Königs Beiftand gegen feine Widerfacher; aber wenngleich 
alles gefeglihe Ordnung zur Schau trug, durfte doch der 
Erzbiſchof Siegfried ein ruchlofes Bubenſtück ungerügt aus⸗ 
führen. Der alte Graf von Berg hatte e8 abgelehnt, den 
Befehdern des Kölner Stifts in Weftfalen, wo der Graf von 
Arnsberg auch der Soefter nit ſchonte, beizufiehen. Zum 
Lohn dafür legte Siegfried, als Gaft auf Schloß Bensberg 
empfangen, feinem argwohnlofen Wirth, der ihn ehrerbietig 
bis gen Deutz begleitere, eine Falle, und ließ den Ueberwaͤl⸗ 
tigten in einen ſcheußlichen Kerker ſtecken. Wenn auch die 
Dualen, welche der Erzbifchof, zur Sättigung ererbter Rache, 
9% 


132 Zritter Iperi 


4. 2.0 Unziudiichen übte, uberırichen tarzefiräı ünt, in veidht doch 
doas Glaubliche aus, dem Kirheniuräcn in Dans Göllen- 
trichter eine Stelle neben Erzkiibei Aunızıci ven Bile, dem 
Berserher Vigelines, zu hen. Die Trchungen des Herzogs 
Johann von Brabanı vermocbien nad 13 Monaten ten Schand⸗ 
lien, jeine Beute herauszugeben; doch Rark Graf Apelf, ven 
Bingern des Funtleisigen Rieterrheind unrergepli, kurze 
Beir darauf (1295). — Bis dahin bare Arolf von Naſſau 
neh mit einiger Mäbigung fh vor jibem Saure bewahrt; 
der kopfloje un? unchrlidde Bunt mit Guylants Könige gegen 
Philipp IV. con Sranfreih, ſeine Gier na Bergrößerung 
feiner Hausmadhı beidworen den, minteflens ritterlichen, Fall 
2, jeines Königıhums herbei. Im GHerbfi 1294 brach er mit 
2: 7x rauberiſche Rütergefintel in Ihüringen ein, das durch 
Albrechis Haß gegen jeine Söhne, zumal nad dem erbloien 
ode Briedris von Meißen, der Diimarf und Laudsbergs 
(1291), die Segnungen tes Friedens bereits eingebüßt. Der 
König ſprach Meigen als erledigtes Lehn an, oder erfaufte 
eö um geringen Breis vom entarteten Lantgrafen Albrecht, 
bejoltete jeine Miethlinge mit dem Gelde, dad er von Eng- 
lands Könige als Helfer gegen Frankreich empfangen, ädhtete, 
im Einverfländnig mit dem ſchändlichen Bater, deſſen Söhne, 
Friedrich und Diezmann, welche Dad Stammerbe der Wettiner 
nicht fahren laffen wollten. Mitleidlos wurde Thüringen bis 
Eisleben hinunter gemißhandelt, der Reichöfladt Nordbauſen 
geboten, dem Landgrafen für 2000 Mark, die der König ihm 
ſchulde, zu Huldigen (Oct. 1294). Mühlhauſen, gezwungen 
den König mit feinem bungrigen Gefolge aufzunehmen, wußte 
mannhaft jo wilder Bäfte fich zu entlebigen; kaum entrann 
das Beihänberhaupt den ergrimmten Reihöbürgern. Dennoch 
finden wir ihn in Dex. 1294 als Sieger in Leipzig, umgeben von 


Viertes Bud. 183 


ſtatilicher Fürſtenzahl, felbft den Ottonen Brandenburgs. Kar. 
Die Bürger der Kauffladt, denen zum Verdruß der alte Lands 

graf die Weichbilvs - Gerichte an den Bifchof von Merfeburg 
serfauft, konnten fih der Schwaben und Rheinlaͤnder nicht 
erwehren, fo tapfer fle für Diezmann, ihren Erbheren, im 9. 
1292, zumal Herr Heinrih Stern, gegen den Markgrafen 
Heintich, den Bruder Erichs von Magdeburg, gefochten. Im 
Januar 1295 Hoftag haltend in Norbhäufen und Mühlhaufen, a 
blickte Adolf mit gebieteriichem Auge auf die Lübecker, die 

eben wichtige Handelsfreiheiten von Philipp IV. von Frank⸗ 

reich erwirkt hatten, dem abgefagten Feinde des deutfchen Kö⸗ 

nigs ihre Handelsſchiffe als Kriegäflotte gegen England borg⸗ 

ien, ımd deſſen ungeachtet gegen Norwegens ſiegelbrüchigen 
König, im Verein mit Holländifchen Städten, wie mit dem faum 

drei Jahre alten Staveren, zumal mit den „wendiſchen“ feh⸗ 

deten, und bereitö ein ariftofratifched Geſetz gegen die Aufleh⸗ 

nung der Zünfte als unverbrüchlichen Willen ded Bundes 
bandhabten. So neugefräftigt konnte Lübecks Rath und Ge- 
meinde ruhig Die Ungnade hinnehmen, mit welcher das Gräflein 

son Raffau die Ungehorfamen bedrohete und nebenbeithnen den 
Darfgrafen Otto ald Boigt beftellte. Noch im Januar 1295 

309 Adolf, in Thüringen als Friedenshauptmann Heren Ger⸗ 

ad) von Brauberg, ber Müblhäufer, ‚feiner Lieben Mitbütger“, 

wohl beſoldeten Schirmvoigt, beftätigend, nach Oberdeutſch⸗ 

Iand, um den Krieg gegen Philipp zu betreiben, verpfändete 

dem Grafen von Dettingen die Schultheißenämter kleiner 
fränfischer und fchwäbifcher Reihsgemeinden, kehrte aber, ſtatt 

zum Soldheren, Edward I. son England, mit feinen Mieth⸗ 
lingen zu: ftoßen, nad Thüringen zurüd, Tegte der Hungen ‚Smeite 
Landgrafen Erbe von neuem wüfte, Hinterdrein den Dienſtman⸗ u 
nen und Städten Thüringens, „welche feinen Landfrieben pe-Deisen. 


134 Dritter Theil. 


4. Rar: fchworen haben”, Schuß und Gnade verheißend. So unehrlich 
war e3 aber gemeint, daß ber „freudige“ Ritter Friedrich, 
Albrechts Sohn, auf Königsgeleit zum Weihnachtsfeſte in 
Altenburg erfchienen, nur durch die Selbftaufopferung eines 
Bürgers. von Breiberg dem Morbeifen der Schwaben entging. 
Nach der Einnahme von Chemnig und Freiberg, deſſen Bürger 
fih 16 Monate lang, bis auf den Verrath eines fchändlichen 
Infaffen, gewehrt, nachdem auch die Burg den Stürmenden er- 
legen, und bie tapfere Beſatzung mit dem Leben ihre Treue 
gebüßt (Januar 1296), ſchien der Krieg um Meißen beendet. 
Aus Thüringen fcheidend, wendete der Landbezwinger Gnaben- 
blidde den Zwidauern und Erfurtern zu, die von ihrem Erz= 
bifchofe gegen Zahlung von 1000 Mark die Münze, das 
Marktmeifter- und Schultheißenamt auf eilf Jahre, dann „die 
Judennügung‘ an ſich gebracht (1294), aber bald des Ge— 
bieters Huld durch Befteuerung geiftlicher Häufer auf lange 
Beit verloren hatten. Adolf dagegen, fihon in Spannung mit 
dem Mainzer Wahlheren, nahm fie, die gedrohte Strafe er» | 
laſſend, in feinen Schug (Mai 1296), hielt dann im Som» 
mer ein Parlament in Frankfurt, mit Nüdficht auf den fran- 
zöſtſchen Krieg, und begann fein verhängnißvolles Jahr 1297 - 
am unteren Rheinſtrom. | 

Be Die Gewaltthaten, welche der deutſche König fd erlaubte, 

Sünhe indienen als Schlüffel, um flürmifche Erſcheinungen, befonders 
fSweig. in Norddeutfchland, zu erklären. — Als Herzog Wilhelm von 
Braunfchweig, einer der theilenden Söhne Albrechts, im Jahre 

1292 unbeerbt geftorben war, glaubte fein Bruder Heinrich 

der Wunderliche von Grubenhagen den Nachlaß allein fich 
aneignen zu können, blieb in der gemeinfchaftlihen Stadt 
Braunfchweig, und benugte die Spannung der Gildenvorfteher 

mit den Rathmaͤnnern, welche für das Recht Albrechts des Fet⸗ 


Dierties Bud. 135 


ten von Göttingen eiferten, feinen Eigenwillen Durchzufegen. 4. Rap. 
Auf feine Ermunterung bildeten Die Zünfte einen neuen Rath 
aus zwölf Männern, ihren Meiftern, machten den Lauenthurm 
zum Gemeindehaufe, huldigten dem Wunderlichen, jeden mit 
dem Tode bedrohend, der zu widerſtehen wagte. Die vers 
drängten „Herren“ wandten fi} aber nicht allein an Herzog 
Albrecht von Göttingen, die Herflellung der Ruhe forbernd, 
fondern , nach flillgetroffener Uebereinkunft für ſolche Auflch- 
nung ber Bünfte, auch an die Berfammlung der Seeftäbte, 
und deren Haupt. Allmaͤlig ald Vorort anerkannt, mit fers 
nen Mächten, wie wir fahen, in diplomatiſcher Verbindung, 
zum Kriege gegen Erich von Norwegen bereit, und im Bes 
griff, die fpröden Alderleute des Kaufhofes zu Naugarden 
mit Beiffimmung der Schwefterfläbte von ber Sübderfee His 
an die Düna, Kölns, Dortmunds, Paderbornd, Lemgos, 
Osnabrücks, Soeſts, Lippftadts, Münftere, Minden, Her⸗ 
fordens, Hamburgs, Stades, Magdeburgs, Halles, Goslars, 
Hildesheims, Hannovers, Lüneburgs, Kiels, ſo wie der 
„wendiſchen Staͤdte,“ Elbings, Danzigs und Rigas, dem Aus⸗ 
ſpruch des Oberhofs in allen Händeln lübiſchen Rechts ge⸗ 
fügig zu machen, ſäumte der Rath von Lübeck nicht, im Som: and 
mer 1292 nad) einer Tagefahrt Die Hildesheimer zu mahnen, Ribte an 
alle Verbindung mit den wegen ihrer Frevel „verhanſeten“ fhmeig. 
Braunfchweigern aufzugeben. Auch Herzog Albrecht hatte ber 
Städte Dazwiſchenkunft verlangt, zumal Heinrich der Wunder- 
liche durch Briefe vor Oftern 1292 Ritterſchaft und Bürgerge- 
meinden feines Bruders wendig zu machen geſucht. Die neuen 
Beſchlüfſſe der Hanfe, zu Lübeck vereinbart, Tauteten aber: „jeder 
Kaufmann ihres Rechts in Flandern, Holland oder Brabant 
müfle jede Gemeinfhaft mit den Ausgeſtoßenen meiden; in 
feiner Stadt, wo ein Braunfchweiger weile, dürfe felbft einen 


136 Dritter Theil. 


4. Kap. Monat nachher irgend ein Verkehr, kein Gewandſchnitt, 
ftattfinden, bis die Verbrecher ſchuldige Buße gethan; jol- 
he habe man auch den Grafen von. Blandern und den 
Städten Dpern, Gent und Brügge verkündet.“ Eingeſchüch⸗ 
tert durch Diefen Ernft, Tießen die Verhanſeten es gefcheben, 
daß Herzog Albrecht mit feinem Gefolge heimlich fich in bie 
Stadt ſchlich, die Thore bejehte, die aufihrem Rathhaufe 
verfammelten Zwölfer hart als Meuterer und Mörder befchul- 
Digte. Nur einer von ihnen, Hand Drafe, war Flug genug, 
unter dem Borwande, die Bindebriefe Herzog Heinrichs zu 
juchen, fich zu entfernen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen ; 
nebit 40 angejehenen Zünftlern rettete er den unberaibenen 
Anflifter ind Freie. Die Uebrigen, bis in die zehnte Woche 
gefangen gehalten, veruriheilte das peinliche Gericht zum Gal- 
gen, und vollzog das Urtheil unnachſichtig, unter ihnen an 
„Barthold dem ſtolzen Kürſchner;“ Die Andgewichenen wur: 
den für immer geächtet (Michaelid 1294). Der alte Rath, 
wieder eingejeht, gpferte im Feierzuge dem Altar des h. Bla⸗ 
find zeiche Gaben, worauf Albrecht die Huldigung empfing 
und anı 10. December 1294 Rath uns Gemeinde von Braun⸗ 
ſchweig, im die Hanfe wieder aufgenommen, bem Beſchluſſe 
wegen des Oberhofs heitraten. — Aber böſes Gift vererbte 
nach fo blutiger Unterdrückung fick im Die Gemüther der Zünft⸗ 
ler, und furchtbarere Stürne erſchütterten bald vie Gemeinde 
an der Oder. — 

vränenig Was ben Bürgern einer landesfürſtlichen Stadt nicht ges 

Sören lungen, mußte siner anderen Schweſter ker Hanfe, Deren Gebie- 

Benno ter ein Erzbiſchof, van Lübeck nachgeſahen werden. Magdeburg, 
urkundlich im Bunde der Seeſtädte, im leiblichen Frieden mit fei- 
nem Prieſterfürſtan Erich, empfand glekhgeisig mic Erfurt und 
Braunſchweig das Wehen einer neuen bemofsasifchen Zeit. Als 











Viertes Bud. 137 


mf Betrieb der Gewandſchneider⸗ Kürſchner⸗ und Kramer-In- e. an. 
nungsmeifter alle Berfonen, weldhegum „Hexen“ in irgend einem 
Dienſtverhaͤltniß ſtanden, vom Rathe ausgeſchloſſen waren, ver⸗ 
langten fie von den Schöffen auch die Räumung ihres Sitzungs⸗ 
zimmers im Rathhaufe und die Uebergabe des Stadterbebuches. 
Abgewieſen mit ſolchem Anſinnen, luden ſie die Schöffen in das 
nach dem Brande vom J. 1293 neuerbaute Rathhaus, beſchul⸗ 
digten ſte gröblich, forderten Erfatz, und beſtanden, der Vermitt⸗ 
Iungöverfuche des Ratho ungeachtet, fo lange auf ihrem Wil⸗ 
len, bis jene da8 Stadterbebuch auslieferten und nie wieder voll⸗ 
fündig diefen wichtigen Zweig der Verwaltung überfamen. 
Kühn weiter forticdyreitend, ermwirkten die Tribunen durch Kauf 
die Abtsetung des Burggrafen- und Schultheißenamtes, vom 
Herzog Albrecht II. von Sachſen und von Dietrich von Eckersdorf. 
Im Juni 1294 entfagte der Herzog dem Gerichtsbaune inner» 
Halb der Mauern Magdeburgs und verpflichtete ſich der Erz⸗ 
biſchof, dad mit dene Belde der Bürger erfaufte Burggrafen⸗ 
amt wie wieder zu verleihen, fondern felbft zu verwalten, bie 
Bürger mit dem Schulzenamte zu belehnen, ben Rathmaͤnnern 
und Fünfneiftern (dev Gewandfchneider, Kramer, Kürfchner, 
Leinwandſchneider, Schufter) die Beftellung der Schöffenbanf zu 
überlafien, falld Die gegemwärtigen Schöffen nicht gegründete 
Einrede erhüben. Nachdem die Bürger das Schultheißenamt 
dem Erzbiſchof unser ker Bedingung, „dafſelbe einem vom 
Nathe erwählten Maune auf ein halbes oder ganzes Jahr za 
übertragen‘, zurückgeſtellt, warb in biefes Weite der Zunfts sun 
meifler „der Kürſchner“ Schultheiß, und beichräntte ſich —— in 
Gerichesbarkeit ver Schöffen, denen man noch das uralte Mechtong aus 
des Ergänzung der Bank laffen mußte, allmaͤlig auf Die pein=Bünften. 
lichen Falle. Lübeck kümmerte fich nicht um Die weſentliche 
Umgeflattung der Verhaͤltniſſe zu Magdeburg, deſſen Rath 


138 Dritter Theil. 


4 Rop.jegt aus zwei Bürgermeiftern, zehn Rathmaäͤnnern und fünf 
Zunftmeiftern Beitand, die fich zwar fchon im Jahre 1238 ge= 
nannt finden, aber erft im Sabre 1281 eine befondere Raths⸗ 
banf gebildet zu Haben ſcheinen. Die Entwidlung ging, nit 
ohne Blut, vorwärts; feit 1328 werfchwindet der Nittertitel 
tm Verzeichniß der Bürgermeifter. Die Schöffen, durch einen 
Befchlug im Jahre 1336 ganz aus dem Rathe verbrängt, be= 
hielten jedoch noch immer in Rechtöangelegenheiten ihr Gewicht, 
hatten ſeit 1294 ein eigened Sigungshaus und bewahrten 
ihren Ruf ald Nechtsbelehrer bis in das 17. Jahrhundert. 
Halles Schöffenbank fland Der Magdeburger an Anfehen nahe. 
— Dem Vorgange des Oberhofd in Befchränfung der lebens⸗ 
länglichen Schöffengewalt folgten bald die Töchterfläbte. — 

ie In den Kreis der Zunftbewegungen aus König Adolfs 

mo inunruhvollen Tagen möchten wir auch jenes dunkle Ereigniß 
berg. ziehen, welches in Nürnbergs Chroniken beim Jahre 1298 ge⸗ 
meldet wird, aber urfundlicher und genealogijcher Sicherheit 

entbehrt. Die volferfüllte Stadt an der Pegnit hatte ſchon 

unter Rudolf Hlutig befämpfte Erhebungen einzelner Zünfte 

geſehen; da follen nun die Söhne eines Burggrafen, welder 

vor der Stadt bei St. Jacob ein Iagdzeughaus und einen 

Stall für die Mente gehabt, auf das Waidwerk Hinausreitend, 

verfchuldet Haben, „daß ihre wüthenden Rüden ein Kind er- 

biſſen, deſſen Vater, ein Senſenſchmidt, wie er bie Leiche bed 

Kindes den Beftien kaum abgedrungen, das Volk der Vor⸗ 

fladt, die Loder und Tuchmacher bewegte, fich zufammen zu 

rotten, Die zwei jungen Herren mit Sämmern, Stangen und 

Spießen anzugreifen und grimmiger Weiſe zu erfchlagen. Der 

alte Burggraf habe den Muthwillen nicht rächen können, 

dod mit Nachſehen des Raths allen Bürgern in jener Bor- 

ſtadt einen jährlichen Zins auferlegt.” Dieſe Geſchichte be⸗ 


Biertes Bud. 139 


flieht ſchwer mit der Geſchlechtskunde; kaum denkbar als Exr« 4. Kar. 
dihtung, bezeichnet fie immer bie gereizte Stimmung der 
Zünfte gegen ihre Bebränger. — Bu Freiburg im Breisgau, 
deſſen mörderiſche Zünftler wir bald kennen werben, beftand 
im Jahre 1293 bei noch leidlichem Verhaͤltniſſe zwijchen Ges 
meinde und Grafen, neben den doppelten Vier und Zwan⸗ 
zigern geregelte, wehrbafte Zunftserfaffung. Die Zunftmei⸗ 
fer mochten um ber Stabt oder Herrfihaft Noth ausfahren, 
nad Belieben Einigungen machen; doch wählte der Graf den 
Bürgermeifter aus den Bürgern, bis in Folge häßlicher Dinge 
Achtung und Gewalt des Grafengefchlechts von Jahr zu Jahr 
ih minderte. — 

Inzwifchen König Adolf am Rhein umherzog unter wi⸗ Kölnd 
derſpruchsvoller Geſchaͤftigkeit, die Bürger von Köln, weldhe, © Gr 
eined Angriffs gewärtig, den Grafen Gerhard von Jülich mit 
hohem Lohne zur Geftellung ihres Aufgebot3, „um den Land⸗ 
frieden ‚zu handhaben”, im Januar 1296 verpflichtet hatten, 
durch Androhung auch der Reichsacht ängfligte ; durch Laͤnder⸗ 

Hier auch die ſchwabiſchen Grafen von fich abwandte: ſam⸗ 
melte fich das Unwetter über dem Haupte des Leichtfinnigen, 

und verfauften ihn bie Fürften, übelgelaunt, daß ihr Spielzeug 

fh zu fühlen beginne, auf der Hochzeit zu Prag (Pfingften 
1297) an den finfterlauernden Habsburger. Ungewarnt lei⸗ Eine 
tete Adolf zu Neuß, dem gebannten Site des Erzſtifts fern, de 
die Wahl des Nachfolgers Erzbiſchof Siegfrieds, der im April 
1297, ungeftraft wegen des Friedbruchs an Adolf von Berg, 

fein beſcholtenes Leben beendigt und fein Grab in Bonn ge= 
funden Hatte. Wigbold von Holte, vom armen Adel Weft- 
falens, überkam, unter Beiftand des Erzbifchofs Boemund von 
Arlerund des Königs, den Kurhut von Köln (Mai 1297), ein 
bejahrter, friedlich gefinnter Herr, der gleichwohl an Untreue 


140 Dritter Theil. 


4. gap. und Raͤnkefucht feinen Mitwählern nicht naihſtrhen wollte. — 
Er begann mit freundlicher Zuſicherung gegen bie Kölner, Die 
er auch hielt, aber Zwieſpalt mit ihnen nicht vermeiden fonnte, 
fo wenig als mit feinen Landéleuten in Wehfalen. Als 
wohlgeordnetes und flreitbares Gemeinweſen machte fi Bri⸗ 
lon, ein uralter Ort, bemerkbar; im Jahre 1290 beflätigte 
ihm Erzbiſchof Siegfried alle Rechte und guten Gewohnhei⸗ 
ten und ermahnte die Bürger zur tapferen Bertheibigung der⸗ 
ſelben; im Jahre 1296 empfing Hagen, dad ‚alte Dorf““, vom 
Orafen Ludwig von Arnsberg das Stadtrecht von Lippe, d. i. 
von Soeft, welches letztere, bei verminderter Zahl der Rath⸗ 
männer, in Krieg und Zrieden ald Mufter einer freien, ruͤh⸗ 
rigen, flreitbaren, ben Armen mildthätigen, ven Nachbarn ver- 
ſöhnlichen Stadt gelten konnte. — 

— Für die drohende Zukunft und in allen leichtſtnnigen 
—* Verwickelungen hatte König Adolf keine zuverlaͤſſtgeren Helfer, 
Adolf. als die Wittelsbacher in der Pfalz und in Oberbaietn. Dem 

alten, firengen Pfalzgrafen Ludwig, zu Heidelberg im Jahre 
1294 geftorben, war fein älterer Sohn Rudolf, ald Regent 
auch für den unmimdigen Ludwig, im baieriſch⸗pfaͤlziſchen 
Erbe gefolgt und. hatte fh in demſelben Iahre mit Abdolfs 
Tochter vermählt. Wie in der Aheinpfalz, hatten auch Ober- 
baiernd Städte, der böfen Feindſchaft mit den Herzögen im 
Niederbaiern ungeadhtet, an Geheihen, freilich als Landftädte, 
zugenommen; Regensburg, republikaniſch erſtarkt, ſah oft Die 
uneinigen Herten in feinen Mauern, behauptete feine Rechte, 
erweiterte Die Mauern nad der Donau Hin; Münden, von 
einem Stadtrathe ficher feit 1289 regiert, erwirkte Durch 
Nudolf im I. 1294 das Recht, den eigenen Richter ſelbſt zu 
beftellen, ſah ein Rathhaus und neue Pfarrkirchen, viele Klo⸗ 
ſter erfichen, auch das Sonderſtechenhaus am Gaſteig, und be⸗ 





Biertes Dud. 141 


reitete ſich vor, des Hnffiges eines deutſchen Kaiſers würdig 4 Kar. 
zu werden. — — Gerzeg Mubolf, dem Schwiegervater fo 

treu anbängig, ala fein Bater dem Habsburger, ſaͤumte nicht, 

den König für den unaufſchieblichen Zug gegen Philipp IV. 

zu unterfküßgen; für ſolche Zuſage empfing er die Stadt Mem⸗ 
ningen als Pfand, fo wie Biſchof Manegold von Würzburg 

die freie Frankenſtadt Windsheim. Ehe Englands königlicher Avoıre 
Söldling zum Niederrhein aufbrah (September 1297), traf gegen 
er, in der Ahnung, wie widtig für ihn die treue Gefinnung Geil. 
der Wormſer und Speierer fein würde, mit beiden Gemeinden 

ein gegenjeitiged Schugbündnig, welches den Bund mit Mainz 

nit aufhob, und auf bauge Zukunft deutete. Auch Freiburg 

im Breidgau, das die Laſt feiner vesjchuldeten Herren nicht 
länger tragen mochte, und offen mit Graf Egon III. zerfallen, 
einem Angriff der Freunde und Schwaͤher beffelben entgegen» 

jab, ward an Adolfs Sache gefmüpft; die Zuneigung mancher 
Rheinſtadt gewonnen, weil ihren Verkehr die an Erzbiſchof 
Gerhard verlichenen Zölle am nächſten bebrängten, und die 
offentundige Feindſchaft zwifchen dem übermüthigen „Königs⸗ 
macher“ in Mainz und dem Neffen, als er fich fefter auf dem 
Köntgsftuhle fühlte, Abhülfe des Drucks verhieß. Denn in« 
zwilchen reifte der Blan der tüdifchen Horchzeitögäfte von Prag, 

an die Stelle des verachteten Naffauerd den Habsburger zu 
erheben. Im Iahre 1292 voll bitteren Unmuths aus Frank⸗ 

furt geichieden, nicht begütigt durch des Nebenbuhlers Will« 
führigfeit, der ihm allein unbeirrtes Fauſtrecht zugefagt, 

haite Albrecht inzwifchen in Oberjchwaben fein Stammerbe ers 
weitert, in Oeſterreich durch despotiſche Mittel fih geſtaͤrkt und 

zog im Maͤrz 1298 mit einem Heere heran, den gefrönten König en erde 
som Throne zu flürgen. Daß in dem traurigen Kampfe, wel⸗ aba 


gegen 


her an der Oberdonau entbrannte, bie öffentliche Meinunggisient. 


142 Dritter Theil. 


4. Kar. der Bürger für Adolf fich erklärte, Hatteer nicht ſowohl verbient, 
als dag vielmehr den Städten, auß Furcht vor dem unmilden 
Habsburger, der Wechfel der Gewalt gefährlicher fhien als die 
Fortdauer der gerade vorhandenen, und bürgerliches Rechtsge⸗ 
fühl ſie belebte. Noch bis zulett trat Adolf die Freiheit und die 
Wohlfahrt von Städten nieder, die ihm ihre Treue bewährt. 
Sp gab er die Neichöbürger Oppenheims, der widtigften 
Heichöburg, noch im März 1298 unter den Fuß feines Vet⸗ 
ters, des Grafen von Kabenelnbogen ; die Heilbronner, welche 
ihn oft freundlich in ihre Mauern aufgenommen, mit den 
Reichseinkünften in die Hände des ihnen ſchon zu nahe be= 
güterten Herrengefchlechtö der Grafen von Weinsberg. Um 
Ulm, deſſen Zünfte zum rechtmäßigen Könige ſich hinneigten, 
während die Gefchlechter Habsburgifch waren, wich Albrecht 
dem ſchlachtbegierigen Gegner aus, bedacht nur nach Mainz 
zu kommen, wo die falſchen Wahlfürſten ſich zu einer Erhe⸗ 
bung einigen wollten. Ihm den Weg nach Straßburg zu 
ſperren, wo Biſchof Konrad und die alte Liebe der Bürger für 
Habsburg fich regten, lagerte Adolf ſich bei Breiſach. Doch 
dem Gegner gelang von den Waldftädten her bei Freiburg mit 
Graf Egon, mit dem Bijchofe von Straßburg und 4000 Mann 
zu Roß und zu Buß aus der Stadt, fich zu vereinigen, was 
den König veranlaßte, mit Dem Aufgebot von Kolmar, Schlett- 
fladt, Neuburg, Mühlhaufen, Breiſach und Kaiſersberg am 
linken Ufer der Elz fih aufzuftellen. Nach vierzehntägigem 
Gegenüberfichen beider bei Kenzingen wandte fi Albrecht nach 
dem befreundeten Straßburg; ihm folgte der König, Die 
Stiftslande verwüftend, rheinabwärts, ging bei Speter auf 
das linke Ufer (Juni 1298) und begütigte durch Gnadener⸗ 
bietungen die anhänglichen Bürger der Stadt (22. Juni), waͤh⸗ 
rend in Mainz Erzbiſchof Gerhard, in Vollmacht auch Wig⸗ 


Biertes Bud. 143 


bolds von Köln und Böhmens, Albrecht von Sachſen mit Boll« 4. Kar. 
macht des anderen weltliden Kurfürften, ohne den treuen RR. Moor me 
dolf von der Pfalz, mit ſchmutziger Habſucht am 23. Juni Den’entfeht.. 
rechtmäßigen König entfegten. Noch ftanden die Bürger von 
Speier, Worms, Frankfurt und Oppenheim unter dem Banner 

des „Reichs“; ja auch die Mainzer, jo mächtig der Exrzbifchof 

in ihrer Mitte, mieden den unmittelbaren Kampf gegen 

das entwürdete Reichsoberhaupt. Voll Entrüftung gegen den 
Pfalzgrafen Rudolf, der von Alzei aus ihre Kaufleute nieder⸗ 
geworfen, baten fie jedoch Albrecht um Beiftand, rüdten Tags 
darauf gewappnet, ‚im ganzen Harniſch, aber zu Fuß, mit 
einem Karroſch von großer Pracht, mit breiter Sturmfahne, 
darin gar köſtlich gewirkt der h. Diartin, wie er dem Armen 
feinen Mantel theilt, mit Bliden, Katzen, Tummlern Hinter 
ſich“, vor Alzei und zwangen die Stadt, „entſchütte fle nicht 

ihr Pfalzgraf binnen acht Tagen’, fih zu ergeben, kehrten 
aber, dem Habsburger dankend, heim, ohne mit den Kron⸗ 
ftreit fi weiter zu betheiligen. So fiheinen, im Herzen be= 

irrt durch der Wahlfürften Abfall und des Habsburgers Er⸗ 
hebung, auch die Wormfer und andere Reichsbürger gethan 

zu haben. Denn am Tage von Göllheim (2.3uli 1298), ei» 

nem ritterlichen Buhurt, erfahren wir nichts von Adolfs Fuße mo An 
volk, den Bürgern; die Schlaht beendete mit dem Tode Ira 
Naſſauers den ſchmaͤhlichen Streit um das Reich. — 

Der entſcheidende Sieg Albrechts von Defterreich daͤmpfte 
fhnell alle Theilnahme, welche fi hie und da in Deutfchlande 
Städten für Adolf geregt hatte; Pfalzgraf Rudolf vergaß den 
erfhlagenen Schwiegervater und bald erinnerte nur das ver- 
fhleuderte Neichögut, die Sorge verpfändeter Städte, ihre 
Freiheit wieder einzulöfen, daran, daß ein König Adolf 
geweſen fei. Der neue König, in befonnener Würdigung der 


144 Dritter Theil 


4: Ray. Umflände die frühere Wahl zu Mainz für ungültig erach⸗ 
tend, befeftigte fi durch eine neue Wahl (27. Juli), ward zu 
en feierlich gefeönt, ſah aber, wie fein Vorgänger, ſich ge= 
Aachen gt, vorläufig den guten Willen der Kurfürften durch 
pflißtet anſehnliche Summen und Privilegien zu erfaufen. So zumal 
den der drei geiftlichen Wähler, welche den Gewinn aus Adolfs 
Anfängen fih zu ſichern firebten. Wigbold von Köln, ber 
ihn gekrönt, erhielt auf Lebenszeit Burg und Zoll zu Kaiſers⸗ 
werth verheißen, dad Schultheißenamt von Dortmund „als 
Pfleger der Stadt’; nur mußte erft Kaiſerswerth, welches der 
Vitzthum Ludwig von Sonnenberg auf eigene Fauſt beiegt 
bielt, erobert werden, wozu die Bürger von Köln und Duis⸗ 
burg mit Rath und That beizuftehen gebrungen wurden. — 
Solche Begünftigung der Pfaffenfürften, vie Beftätigung ihrer 
drüdenden Mauthen, mochte dem Kaufmann wenig bebagen ; 
doch bewies bald der gefürdhtete Habsburger, daß er auch der 
Bürger gedachte, fobalt fein Vortheil mit dem ihren Hand tn 
Sand ging. Pörderung des Verkehrs auch nad) fernen, un⸗ 
deutſchen Landen ließ an Albrecht eine gewiffe großartige 
Staatswirthſchaft nicht verfennen; aber ungefättigte Hereſch⸗ 
fucht wollte eben nur dem Gehorjam und der Berzichtleiftung 
auf eigenes Recht folche Vortheile zuwenden. Mit Kraft 
bandhabte der neue König den Landfrieden, den er ſelbſt am 
höch ſt en gebrochen. Auf dem glänzenden Hoftage zu Nürn- 
berg erneuerte er (November 1298) Die Sabungen feines Va⸗ 
ters, feßte dort zu St. Sebald feiner Gemahlin die Krone 
aufs Haupt und demüthigte den flörrigen Böhmenkönig. Wie 
weiland Kaiſer Friedrich I. willig, durch Urkunden die Rechte 
altfreier, dienftwilliger, fleuerzahlender. Gemeinweſen zu be» 
feftigen, hielt er anderfeit8 an dem Grundfage feit, daß bi- 
ſchöfliche Städte den geiftlichen auch als weltlichen Gerren ge⸗ 





Biertea Bud. 145 


hörten. So entfchied er zu Gunſten Bischof Bernhards zu Baffau, 4. Kap. 
deſſen Bürger ſtch „einen Rath ſelbſt gewählt, ein. Stadtſtegel 
angenommen und durch Aufhängung einer Rathsglocke“ als 
Reichsſtadt aufgufchwingen dachten. — Uber die That von Göll⸗ 

heim mußte ihre herben Früchte tragen, und wilde Aufregung 
fleigern, bie ſich vom Ahein bis zur Wefer, Saale und zum Böh⸗ 
merwalde verbreitete, und bald als raſende Sudenverfolgung, 

bald als mörberifche Fehde ungezählte Opfer forberte, Waͤh⸗ 

rend Erzbiſchof Wigbold von Köln die Aufhebung des Ban- 

nes, den die heilige Stadt feit 8 Jahren trug, bei Bonifaz VI, Köln 


vom 


erwirkte, und im Januar 1299 vor den gefühnten Bürgern Zaue 
bie erfte Meſſe im hohen Domchore las, aber bald mit ber 
Gemeinde, wie mitdem Grafen von der Mark inZwift gerieth: 

erlag fein ungeiſtlicher Mitbruder, Biſchof Konrad von Straß⸗ 

burg, des Geſchlechts von Lichtenberg, einem fchmählichen Tode. 
Siegreich gegen den Grafen Theobald von Pfirt, der als 
Landvoigt vom Oberelfaß für Adolf gegen die habsburgiſch 
gefiunten Städte gefochten, zog der Bifchof über den Rhein, 

um feinem Schwager, dem Grafen Egon von Breiburg, gegen 

die Bürger beizuftehen, welche dem unwirthlichen Herrn nicht —— 
länger ſteuern wollten. König Albrecht fand nicht Muße, die — 
Belagerung der trotzigen Stadt in Perſon zu beendigen; Der burg. 
Biſchof verharrte zu ſeinem Unglück; denn er wurde bei einem 
Ausfall, ald er eben feine Waffengefährten zum Kampf er- 
munterte, von einem Mepger erkannt und fo gefährlich ver⸗ 
wunbet, daß er gleich darauf (1. Auguft 1299) in Straßburg 
farb. Die Freiburger, der Dränger erledigt, bezeichneten zur 
Sühne die Stelle.mit einem Steinkreuze, geflanden aber auf 

ben Metzgern wegen foldher That den Vortritt vor anderen 
Zünften beim Frohnleichtamsumgange zu. Im Jahre 1300 


warb ber Krieg gerichtet, indem die Stabt verfprach, dem Herrn 
Barthold, Städtewefen II. 10 


146 Dritter Theil. 


4. Ray. jährlich durch 17 Iahre 300 M. zu entrichten; aber des Gra⸗ 
fen Anfehen war unwieberbringlich verigren und ein Gnaben- 
Brief des Königs ſicherte den Freiburgern die alten Rechte. 
Der Höheftand ungeflümer Bewegungen in Deutſchlands Städ- 
ten son ben Alpen bis and Meer war die Folge erfchütbernder 
Ereigniſſe, welche gleichzeitig die Gemüther ber Bürger in 
Schwingung, ja in Ueberſchwingung febten: des Streits Der 
Kirche mit dem Könige von Frankreich; der Siege Albrechts 
über die Erzbiſchöfe am Rhein; der mit Jubel überall begrüßten 
Sieghaftigkeit ver Flandriſchen Zünftler gegen den Adel 
Frankreichs; enblich der offentundigen Herrſchſucht Habsburgs 
und feiner wißfungenen Bläne in Oberfchwaben. — Eine im 
Innerſten gährende Zeit ſah eine ſyſtematiſche Unterdrckungs⸗ 
politik fich bilden, die denn als Gegenwirkung folgenreiche 
Dinge hervorrief. — 

Er Den aufrichtigften Dank durfte König Albrecht von Dem 
= De Kölner erwarten, den er gegen Eberhard von ber Mark in feinem 
Pfandrechte auf Dortmund fügte und im October 1299 die 
Bischöfe von Münfter, Osnabrück, Minden und Paderborn, bie 
Grafen von Geldern, Kleve und Berg, die Bürger von Köln, 
Münfter, Osnabrüd, Minden und Syeflaufforberte, ihrem Erz⸗ 
biſchof zu feinem Rechte zu verhelfen. Jene Staͤdte nebſt Dortmund 
hatten im Juni 1298, als Albrecht und Adolf um das Heich ſtrit⸗ 
ten, ein Landfriedensbündniß mit Wigbold, mit dem Bifchofe von 
Münfter, ſelbſt noch mit dem Grafen Eberhard. von der Mark für 
fünf Jahre aufgeriäitet, und nach Vorſchrift weiland König Ru⸗ 
dolfs eine Anzahl Sriedenspfleger estoren, um WeRfalen vor 
Baufttccht zu bewahren. Aber das Werk war alsbald zerfallen ; bie 
Bürger von Mänfter verhielten ſich müßig, als der Graf von Teck⸗ 
lenburg im Nov. 1299 ihren Oberhirten überſtel; der Markaner 
blieb Die Geißel der weſtfaͤliſchen Praͤlaten, md Wigbold, ſchon 





Biertes Bud. 147 


im Juni 1300 ſogar eines Königlichen Geleitsbriefes bedurftig, au. 
um den Hof zu befuchen, Dem Uebermuthe der Landherren vollends 
preisgegeben, als jein Verhältniß zum Könige umsfchlug. Als 
breit, ſchon grollend auf die Kurfürften, als fte fich ver Abtretung 

der burgundiſchen Krone an feinen Sohn Rudolf, den Buäu- 
tigam der franzöflfchen Prinzeifin, einkimmig widerſetzten, 

— einem ſtaateklugen Blane des Königs, um einen Bundes⸗ 
genoffen gegen ben aberwigigen Stolz Bonifaz’ VII zu gewin⸗ 

nen, und zugleich des Reichs durchbrochene Suͤdwefigrenze zu 
ſichern; — ward noch gereister, als ihm das ſchamloſe Wort 

de Prima von Mainz zu Oberen kam: „er trüge in ſeinem 
Hüfthorn noch mehrer Könige.’ Albrechts Eundbare Bemü⸗ 
hungen, das jeit Mudolfs Tode entfremdete Meichägut wieder 
einzugiegen, in weſſen Hand es ſich auch befände, zumal die 
Rheinzölle als Hauptquell filherer Köntgseinkünfte zu gewin« 

nen ; feine Bereitwilligkett, Die Klagen der Bürger zu hören, 

ieine Weigerung, jene Zwangspflihten nach feiner Wahl zu 
erfüllen, Hatte beveit3 im Herbſt de& Iahres 1300 die geiftli« 

den Fürften zum frechſten Wiberftande aufgerufen. Diether 

von Trier, der Dominikaner, ein Bruder des erichlagenen Rd- 

nigs Adolf, ohne Tanenifhe Wahl vom Bapft Bonifaz VIII. Bund 
aus Haß gegen Albrecht dem Erzflifte aufgedrungen (Januar Eh 
1300), wenige Wochen, nach Boemunds Tode, erſcheint ald bie Rarfir 
Seele des am 14. October 1300 zu Heimbach am Rhein mit 
Wigbold von Koln, Gerhard von Mainz und dem Pfalzgrafen 
Rudolf gefchloffenen Bundes, ‚um ihre Rechte, Freiheiten und 
Güter gegen jeden Angreifer, zumal gegen den Herzog von Oeſter⸗ 

reich, der jezt König der Deutfchen heißt, zu vertheidigen.“ So 
offener Verſchwörung begegnete Albrecht mit den kraͤftigſten Mit⸗ 

teln ; geflügt auf Wilhelm Geafen non Berg, deſſen Gebiet er 
ausnahm, falls ex in den Rheinlanden einen beſonderen Frie⸗ 

10% 


148 Dritter Theil. 


4. Rap. denspfleger einſetzen würde, meldete er bereits am 20. Oeibr. 
den Schultheißen und Schöffen der wetteraufchen Städte, fo 
wie denen von Oppenheim, Boppard und Ober Wefel, alio 
mitten im Sprengel der tüdifhen Gegner: er habe den edlen 
Mann, Ulrich von Hanau, im Vertrauen auf deffen Umſicht, 
Tapferkeit und Treue zu ihrem gemeinichaftliden Voigte er- 
nannt. Mit der Anklage der Bebrüder des Verkehrs beim 
römiſchen Stuhle war es ihm wohl fein Ernft; fidherer zum 
Biele führten die Hulderweifungen an die Städte, wie Fried⸗ 
berg, Wetzlar, Augsburg, Freiburg, befonders Köln, Speier, 
Worms und Straßburg. Die Neichöhöfe bei Dortmund 

Albrechtſprach er, flatt dem Erzbiichofe von Köln, jetzt dem Feinde 

Bunde deffelben, Eberhard von der Mark zu; den „unbeflechlich treuen‘ 

Stävien Bürgern von Köln erlaubte er, gegen alle, welche Zölle, Ab⸗ 
gaben und Geleite unrechtmaͤßig von ihnen erpreßten, ſich mit 
Gewalt zu wehren, verbot die von Lahnftein, Koblenz, An⸗ 
dernah, Bonn, Neuß und Berfe; „die Bürger bürften fid 
unter Königsſchutz an Perſon und Sache der Erheber halten‘ 
(&ebruar 1301). Den Rathmannen und Bürgern von Worms 
und Speter gelobte er für ihren Beiftand gegen feine Feinde 
und bie Störer des befchworenen Friedens feine Hülfe; ohne 
fie wolle er feine Sühne ſchließen; den Gemeinden zu Speier, 
Worms und Mainz erließ er „ihrer treuen Dienfle wegen und 
in Erwartung der Gegenhülfe“, allen Groll, den er wegen zweier 
feiner Minifterialen hegte, von welchen die Bürger in Odern⸗ 
bein den einen enthauptet, den anderen geblendet (Mai 1301). 
Geſtützt auf den Landfrieden, den Albrecht um dieſe Zeit mit 
Den Bischöfen, Landgrafen und Städten des Elfafjes, von ber 
Seh 518 an die Bird, som Rhein bis an den Waftchen, 
srneuerte, worin Befreiung von ungerechten Zöllen eine 
Sauptbedingung, zeigte er endfih aus Speier am 7. Mai 


Biertes Bud. 149 


1301 Bürgermeiftern, Schultgeigen, Schöffen, Rathmännerns. au. 
und Bürgern der Städte Köln, Mainz, Trier, Worms, Speier, Mut, — 
Straßburg, Baſel, Konſtanz an: „einige Jüͤrſten, Herren und Ar 
Edle des Reid, namentlich die drei Erzbiſchöfe am Rhein, 
hätten die alten Zölle über das Maß erhöhet, außerdem, in 
Geiz verblendet, von Bacharach abwärts neue von Reitchſbür⸗ 

gern zu erpreffen fich unterfangen. Mit aller Anſtrengung 

auf Erfüllung feiner Pflicht bedacht, oft den nächtlichen Schlaf 

fih abkargend, um den Meichötreuen Frieden zu ſchaffen, hebe 

er, ven boöhaften Umtrieben der Erzbiſchöfe und aller anderen 

ein Ziel zu ſetzen, alle Zölle, weldye ihnen vom Könige Ru⸗ 

dolf , von anderen feiner Borfahren, oder von ihm ſelbſt ver⸗ 
liehen worden, mit Ausnahme ber vom fleggefrönten Kaiſer 
Friedrich verordnneten, ald verboten auf, ermächtige Die Städte, 
einen allgemeinen Landfriedensbund aufzurichten und den Boll» 
erhebern an genannten Orten mannhaft zu wiberftehen; auch 
diefe Widerrufung der Zölle den Erzbiſchöfen und Domkapi⸗ 

teln befannt zu machen.“ Solches Wort wirkte unglaublich 

auf die züundbaren Gemüther; es fammelte fich ſchnell ein 
Bürgerfreuzzug gegen die habfüchtige Herrfchaft der rheiniſchen 
Kurfürften; zunächſt gegen Rudolf von der Pfalz und be nie 
Mainzer Erzbifhef. Die Augsburger, unter denen Albredit * 

im März hofgehalten, reiche Kleinodien erfauft und mehre 
Geſchlechter, wie einen Langenmantel, zu Rittern gefhlagen — 
erhoben fid) gegen Oberbaiern; fle brachen die Burg Schwa⸗ 

bee, eroberten Zauingen,. Donanwörth, die dann beim Reiche 
blieben, Um Pfingfien ward unter Ulbrechtd Führung Der 
Feldzug gegen die Pfalz und Mainz jelbft begonnen, Heidel⸗ 

berg berannt, die Bergſtraße beſetzt, Alzei erobert, dad Laub 
ihomungslos verwüſtet. Bereits im Juli mußte Rudolf Fries 

den ſuchen, worauf Albrecht bei Oppenheim über den Strom 


ürtten. 


150 Dritter Theil. 


4 Rar. ging, und die Stabt Bingen im Sepibr. belagerte. Die We⸗ 


Unter 


werfun 
Kölns 


zwingung biefer Hauptburg des Stifis von Mainz, nach er» 
folgreicher Anwendung ſtarker Bliden, „Kate und Krebs“, 
zur Erſchütterung der Mauern, iſt eine der denkwärbigften 
Thaten damaliger Kriegskunſt; darauf Berheerung des Rhein⸗ 
gaus, der Güter anderer Eppenſteiner, der Vettern Gerhards. 
Bader halfen die wetterauſchen Städte, nicht unbelohnt vom 
dankbaren Könige; die Mainzer bereiteten drinnen ihrem Erz⸗ 
biſchofe gewiß einen harten Stand. Mit dem Jahre 1302, 
unter Onadenbeweifen an fraͤnkiſche Stäbte, wie Windsheim, 
Weißenburg, Mühlhaufen In Thüringen, nachdem Ger- 
Hard son Mainz am 21. März zu Speier auf Bermittelung 
des Markgrafen Otto von Brandenburg Sühne erlangt, die 
Briefe über den Zoll von Lahnflein und andere Herausgege- 
ben, gögert der Sieger mit dem Angriff auf Köln, vielleicht 
aus Sorge vor Bonifaz VIII.; wir treffen ihn, obgleich er 
ſchon im April einen Reihäheerzug auf Himmelfahrt ausge⸗ 
ſchrieben, im Suni fogar in Köln, entweder friedliche Auöglei- 
tung mit Wigbold fuchend, oder von den frohlockenden Bür- 
gern gerufen; dann aber im Herbfl, nachdem er den Speirern 
für Zuzug Bewaffneter und Zufuhr von Lebensmitteln ver 
heißen, ohne fie nicht mit Trier und Köln zu frieben, im 
uffenen Feldlager, nahe bei Köln. Bereits am 23. 
und 24. October 1302 verfprachen der Erzbiichof und bie 


3 Bürger, zwei Hardevuſt, ein Scherfgin ald Zeugen neben 


Gerhard von Mainz und vielen Bifhöfen und Fürſten, wech⸗ 
fefjeitig ihre Rechte und Freiheiten zu achten; ber alte Herr, 
beffen befte Schlöffer zu Lechenich, Nudenberg und Dorfen, 
gebrochen find, gab das Reichsgut Her, verzichtete auf die Zölle 
zu Andernach, Bonn und anderwärts, bis auf den son Meuf, 
befreite die Bürger von allen Mauthen zu Waſſer und Lande, 








Biertes Bu. 151 


ſtellte Geißein, Unterpfand, verhieß Dem Könige Beiftand ge 4. Run. 
gen jedermann. Nochmals beurkundet Albrecht Die Sühne ber 
Kölner und Wigbolds; „der Rhein war frei’; „bald ſchloß 
ihn wiederum ber Adel, „Hätt' ih den Zoll am Rhein“, 
blieb ſprichwörtlich im Dollamunde als utepifer Wunſch, 
zum Zeichen der Unſchaͤtzbarkeit deſſelben. — Noch vor dem 
Winter warf Albrecht fi auf Diether von Trier, welcher am 
längften Bett gehabt, ſich zur Gegenwehr zu rüften, aber yer⸗ 
geblih im Sommer feine Burgen tapferen Vaſallen überant- 
wortet Hatte. Dietherd Widerſtand war, nach Belagerung 
Boppards oder der son Koblenz, um fo ſchwachmücthiger, als 
in feiner eigenen Haupſtadt ber König die entfchiebenften Hel⸗ 
fer zählte und die Bürgerichaft von Koblenz ſchon im Mär 
1302 für den König, den Beflätiger ihrer neuen Gemeinde⸗ 
ordnung, gewonnen erfiheint. Triers Bürger, nach Vorgang 
flandrifeher und nordfranzöſtſcher Communen ſchon feit an- 
berthalb Jahrhunderten bemüht, freie Gemeindeverfafſung zu 
erringen, zu kühner That entflammt durch bie Ereignifle in 
Flandern und bie „ESporenſchlacht“ (11. Juli), fanden endlich 
am Ziele. Seit kurzem waren fie mit einem Geſchlechte in 
Berbindung getreten, das bald feines rauhen Heimath einen 
gepriefenen Ramen durth die ganze Chriſtenheit erwerben ſollte 
und auf Zrier zwar feinen Glanz abfpiegelie, ber Gemeinde 
aber auch das Gewonnene wieber entriß. Graf Heinrich von 
Lützelburg, der ältefle Sohn jenes Heinrich, Der bei Worringen 
als Bundesgenoſſe Siegfrieds von Köln gefallen, ein Ritter, 
deſſen ſtrenge Handhabung des oͤffentlichen Friedens fpriche, Frier 
woͤrtlich geworden, hatte gleichwohl einen Zollthurm auf einer „ns 
Moſelinfel bei Machern (Grevyenmachern) oberhalb Trier an⸗ 
gelegt, und beiaflete geiſtliche umnd weltliche Perſonen, beſon⸗ 
ders den fahrenden Kaufmann, durch räuberifche Zöllner. 


152 Dritter Theil. 


4 Rap. Als ſich nun, auf Albrechts Kundmachung, bie Bürger erho- 
hoben, „das teuflifhe Werk bis auf den Grund brachen“, 
und die Meierhöfe des Beichädigers heimſuchten, auch viele Ge⸗ 
fangene fortführten, rückte der belobte Graf zornenibrannt 
mit ſeinen Mannen im Juli 1301 gegen die übermüthige 
Stadt. Wie jedoch die Verwüſtung der Abendſeite des Weich⸗ 
bildes die muthigen Bürger nicht fehredite, ging er bei Mer⸗ 
tert über den Fluß und zog verheerend auf die Morgenfeite. 
Schonte er aus heiliger Scheu die Abtei St. Maximin, welche 
das thurmreiche Trier prachtvoll von fern verfündigte, fo ver⸗ 
ödete er um fo mitleidlofer die Weinberge und Felder, Schon 
hatte der Graf zwölf Tage hindurch Trierd fefte Mauern 
durch Verwüſtung der Landichaft zu öffnen gefucht, als eine 
räthfelhafte Zwietracht in feinem Heere zur Nachtzeit ausbrach 
und den Unmuthigen nöthigte, von der ungeftraften Stadt 
abzuziehen. Die Lehre, welche ber Oraf fo früh von dem | 
Bürgerthum erhielt, hat er leider als Kaiſer vergeflen; — - 
damals aber kam es nicht allein zu frieblicher Ausgleichung, 
indem die Trierer dem ritterlichen Nachbarn Ehrenpflichten zu⸗ 
erkannten, ſondern auch noch zu einem näheren, für die Fol⸗ 
gezeit höchſt fruchtbaren Verhaͤltnifſe. Am 2. April 1302 
befiegelten Heinrich, ‚Graf von Lügelburg und La Roche, Mark: 
graf von Arlon“ und ,‚Schöffenmeifter, Schöffen, Rath, Richter 
und Gemeinde zu Trier‘ die merkwürdige Urkunde: Erſterer 
wurde Bürger und gelobte Anhänglichkeit und Beifland, wie 
einem Bürger ziemt; er nahm die Stabt mit Perfon und 
Gütern, zu Land und Wafler, für fein Gebiet ins Geleit, 
gelobte den Trierern in Fehden Träftigften Beiftand mit 50 
Nittern, gegen jedermann, ben deutfhen König und ihren 
Erzbiſchof ausgenommen, letzteren jedoch nur unter Veſchraͤn⸗ 
kung. So oft die Bürger des Grafen bedürften, wolle er 


/ 


Biertes Bud. 158 


kommen ober feine Mäthe ſchicken, auf Koften ber Stadt. Das. ar. 
Bürgerverhältnif ging auf unmündige Erben bes Grafen über, 
beren Vormund daſſelbe zu erneuern verpflichtet war. Bur 
Entgeltung folder Dienfte jchenkte die Gemeinde zu Trier 
erblich das Haus zum Adler in der Brodgaſſe (Ipäter das 
Königshaus genannt), gelobte eine jährliche Summe von 
300 Pfund Heller, aber als unveräußerbares Geldlehn, und 
geftattete dem Grafen abgabenfreien Kauf aller feiner Bes 
dürfniffe innerhalb der Stadt. — Wie Graf Heinrich als 
„Bürger, Schutzvoigt und Bundeöverwandter zu Trier“ die 
erfte Staffel feiner Gluͤcksleiter erftteg, ſchwang ſich Die Stadt, 
unter ber Niederlage des Erzbiſchofs durch den König, aus 
ariftofratifhem Schöffenregimente zu einer faft wilden Des 
mofratie und Zunftherrfchaft auf, wie wir, in Verbindung 
mit anderen Dingen, bald fehen werben. 

Nachdem König Albrecht fo volksthümlich, wie ed fhien, daue, 


olitit 
und ſo kraftvoll ſein Recht gehandhabt, auch vom Papfte —* 
nifaz VIII. anerkannt war, verfolgte er feine hochſtrebenden bumiich. 
Plaͤne in der Heimath, die ihn Leider bald des ſchönen Scheines 
— entfleideten. Sein Blick richtete fich begehrlich auch auf Mit⸗ 
teldeutichland, wie er fhon in Alemannien von den hohen 
Rheinthälern herab, über den Bodenfee bis an die Donau den 
Grund eined neuen öfterreihiichen Fürſtenthums gelegt und 
ſich dadurch die Zuneigung manches Landheren entfrembdet. 
Schon im Sommer 1302 hatte er Dito „mit dem Pfeile‘, 
Markgrafen von Brandenburg, die Guelfen, und alle Bes 
ſchwörer des fächflfhen Landfriedens beauftragt, eine neue 
Burg der Harzgrafen bei Goslar zu befeitigen; jeßt meldete 
er (Januar 1303) den Herzogen von Sachſen und Braun« 
ſchweig, dem Landgrafen von Thüringen, fo wie allen Herren, 
Städten und Gemeinden Sachſens und Thüringens, daß er, 


\ 


154 Dritter Theil. 


‚« Rap.um ben Brieben Diefer Lande beforgt, den Erzbiſchof Gerhard 
von Mainz, „feinen Gevatter“, dahin aborbne, um Fehde 
und Streit zu ſchlichten. Verzichtend auf einen Dem Herzen 
des Reichs entlegenen, jo oft wiedergewonnenen, Dass wieder 
preißgegebenen Theil, jenſeits der Elbe und Eider, an Erich 
Menved, ven kecken Erneuerer dänischer Anmaßung, behielt 
er nur die Stadt Lübeck, die unverdrofien fleuernde, Dem 
Reiche vor, faßte Dagegen nach feines Schwagers Wenzels 
ode (Iuni 1305) und bes legten Prgempäliden, Wenzels 
des Jungen, Ermordung (Auguſt 1306) die böhmiſche Krone 
als winfenden Erwerb feines Haufes ind Auge. Gleichzeitig 
entwickelte er in Thüringen, Meißen, wie in Schwaben und 
in den höchſten Alpenthälern eine fo bereihnete, Doch darch 
herbe Schickſale und den Geift der Neuzeit geflörte Erwerb⸗ 
ſucht, Daß aud das treuherzigfie Bürgertum den Glauben 
aufgab, unmittelbar zu feinem Brommen habe Albrecht Die 
Fürften gedemüthigt, Wir deuten erft die Pläne Habsburgs, 
fo weit fle unfere Städte und freien Gemeinden Oberbeutfch- 
lands berühren, an, und Tehren dann, Rhein und Weſer ab- 
wärts, durch Thüringen und Sachſen zu den Bewegungen 
Norddeutſchlands zurüd, deren Motise wir anderwärts zu 
ſuchen haben. 

-. Schon im Jahre 1304 that Albrecht mancherlei, was 

tädte. Im Jahre 1301 und 1302 ficher unterblieben wäre. So 
hatte er die Reichsſtadt Schweinfurt, die fein Vater fo löblich 
aus dem, Elende“ ihrer Bfandichaft befreit, und welche muthig 
die Ausübung ihrer Rechte gegen Manegold, Biſchof non 
Würzburg, fowohl als gegen den Markgrafen Germann von 
Brandenburg, vertheidigte, in die Acht getban, wie der geift- 
liche Herr in den Bann, angeblich weil fle fih nicht dem Land⸗ 
geriht des Herzogthums Franken in Würzburg unterwerfen 





Biertes Bud. 155 


wollte. Im Jahre 1304 verpfänbete Albrecht die Stabt, auf 4. zur. 
weile jener Markgraf Pfandrecht befaß, mit Burg und Zu⸗ 
behör an Biſchof Undread für 2000 Pfund Geller, fchickte 
ben Landenigt mit einem Heer von Minifterialen und Lanb⸗ 
berven vor Diefelbe, und zwang fle folgenden Jahres, unter 
Bermehrung der Berfakfumme, dem Biſchofe fi zu beugen. 
Den ftörrigen Eberhard, Grafen von Wirtemberg, zu begüti- 
gen, verſprach er zu Ulm 1304, weber Männer noch Weiber, 
die jenem mit Leib oder Gut gehörig, in Die Meicheftäbte 
als Bürger aufnehmen zu laſſen, ein ſchmerzliches Semmniß 
ber Entwickelung im zerrifienen Sthwabenlande, wo Albrecht 
früher Kleinere Orte, wie Buchhorn, Lindau, Ueberlingen, 
Saulgau, Memmingen, Kaufbeuren, Dinfelöbühel, in Kranken 
Windsheim, bei ihren Freiheiten geſchützt hatte. — Unmittel⸗ 
barer gefährdete Habsburgs Arglift die Reichsbürger von Ulm, 
gerechten Kaifern jo treu feit alten Tagen. Graf Konrad von 
Schelklingen und Ritter Burkhard von Ellerbach, bie Wert. iiät 
zeuge Albrechts, fanden Ulms angcjehenften Gefihleihter, Ulrichburge anf 
Konzelmann, und andere vom Etadtadel willfährig, Die freie 
Gemeinde in Defterreihs Hand zu fpielen. Zweimal un 
einem Tage verfuchte Herr Ulrich den Verrath; bie Zünfte, 
befonberd die „Marner“ (Schiffsleute) , retteten durch Wach⸗ 
ſamkeit die Baterfladt, nachdem, wie die Sage geht, die Zunft» 
meifter durch den Birrgermeifter auf den Weinhof befihieden, 
und unter ihnen die adligen Zribunen heimlich hingerichtet 
waren. Als Dan für feine, mißlungenen, Umtriebe empfing ber 
untsene Geſchlechter Pfandſtücke in der habsburgifchen Graf⸗ 
ſchaft Burgau, verlor fie aber nad Albrechts Tode durch 
Dietegen von Kaſtell, den Landvoigt, Reichspfleger zu Nürn⸗ 
berg, Augsburg und Um, „um die Buße, die er verſchuldet 
gegen des Reichs Bürger von Ulm.“ Das Band der Eintracht, 


156 Dritter Theil. 


4 Rap. das Ulms Gemeinwefen durch die Stürme des Zwiſchenreichs 
getragen, war dahin und kehrte erſt, unter Umgeflaltung ber 
Berfaflung, nach vierzigjähriger Gährung wieder. — Was 
Albrecht in Schwaben durchfegte, war, dab Ulm „mit den ehr⸗ 
Baren Leuten“, den Bürgern von Augsburg und ben übrigen 
freien Städten, Eplingen, Reutlingen, Gemünd, Heilbronn, 
Weil, Wimpfen, Hall, Mosbach, Donauwörth, Lauingen, 
Nördlingen, Singen, Bopfingen, Dinteldbühel, Feuchtwan⸗ 
gen, Kirchheim, Günzburg im 3. 1307 unter Defierreich 8 
Landvoigten zu einem Frieden vereinigt wurde. Des Habs⸗ 
burgers großer Plan, in den öfterreichifchen VBorlanden eine 
ritterlihe Militairmonarchie zu gründen, und bie altfreien 
Bolfögemeinden in den hohen Alpenthälern, gleichſam ein 
„offenes Weichbild“, zu Hörigen Bauern herabzuwürbigen, 
endete bekanntlich im Jahre 1308 mit dem Bruch der Zwing⸗ 
burgen, der Vertreibung der Ritter, und der Erneuerung des 

en Bundes der Schwyzer und ihrer Nachbaren. Was die Ur⸗ 

(sert ein Eantone damals thaten, ‚wie fie in Bürgergemeinden fd ab- 

„ipdent, ſchloſſen, nicht ohne Hinblick auf. die Vorgänge in Lombarbien 

gerthums.und Toskana, wie. fie ihre ererbte Freiheit aufblutigen Schlacht⸗ 
feldern gegen die Nitterfchaft Habsburgs verfocdhten: Diente 
anderthalb Jahrhunderte hindurch ſüd- und weſtdeutſchen 
Städten ald Sporn der Nachahmung und geiftiger Hebel; auf 
bie Borgänge hinter dem Bodenfee und dem Vorderrhein 
blidten Schwabens, des Elſaſſes, Frankens und. Rheinlands 
Städte mit Hoffnung und Verzagen. — Auf die freiere Ge- 
flaltung. des nordweft- und norboftdeutfchen Bürgerthums 
wirkten Dagegen gleichzeitig andere gewaltige Ereiguifle, bie 
wir nur anzubeuten haben. 

Die That zu Anagni am 7. Sept. 1303, Der Ball 
Bonifaz’ VIII. deflen hierarchiſcher Hochfinn nahe an Wahnwig 








Biertes Bud, 157 


grenzte, traf im Weſten bes Reichs mit anderen politifchend sur. 
Erjätterungen, wie mit dem Triumphe König Albrechts über Sind: 
die rheiniſchen Kurfürften, dann aber mit dem Siege ber flämi« "E,"" 
hen Volksgemeinden über Frankreichs folge Ritterfchaft zuſam⸗ 
men, und bewirkte mit ihnen einen wunderbaren Aufſchwung 
bemofratifchen Sinnes, als fampfbereiter Kraftgegen den Blan, 
welchen Defterreich, Die letzten der Altkapetinger und die Fürften 
indgemein brüteten. — Die Händel Flanderns ſtammten noch a 
aus König Rudolfs Tagen. In Margareibad von Konflan Arie. 
tinopel letzten Hegierungsjahren hatten ihre Städte Die höchfte 
mittelalterige Blüthe erreicht; der Welthandel im Hafen von 
Danıme, jene beifpiellofe Gewerbthätigfeit verbreiteten Wohl⸗ 
habenheit und das Gefühl bürgerlicher Freiheit unter ben 
unteren Volksklaſſen. Guido von Dampierre, Margaretbas 
Nachfolger (1279-1305), von König Rudolf im. 1282, 
weil er die Muthung feiner deutſchen Lehen, Reichsflanderns, 
unterlaffen, geächtet, jedoch von feinem fchlauen Neffen Johann 
von Avesnes, Grafen von Hennegau, dem der deutſche König 
die Reichslehen zuerkannt, nicht aus dem Herzen feiner Unter« 
thanen verdrängt: behauptete fich vor geiftlichen und weltlichen 
Gerichten, galt auch den deutſchen Seeftäbten als rechtmäfiger 
Gebieter, ward von Bonifaz VI. gefhügt, lieb ſich aber, 
feit er im Jahre 1294 feine Tochter dem Sohne König Ed⸗ 
wards von England verlobt, im Vertrauen auf biefen und 
König Adolf in den Krieg gegen Philipp IV. ein. WPreid- 
gegeben vom Papfte und feinen Bundesgenoffen, im Unfrieden 
mit den Schöffen und Räthen von Gent, jenen ariftofratifchen 
Neununddreißig, fah Guido in feinen Städten, unter Frank⸗ 
reichs Schuß, die mächtige Bartet der Reichen, der, Liliarden“, 
erwachfen, feine Tochter, des englifchen Prinzen Braut, in Paris 
feftgebalten. Ex ſelbſt ward feines franzoöſiſchen Lehns verluftig 


158 Dritter Theil. 


4 Ray.erflärt; Flauderns wichtige Drie, durch Philipps Zuge 
ſtändniffe gewonnen, fielen Dem Oberlehnsherrn zu. Nach 
einem kurzen Waffenſtillſtande auch von Englands Känige 
verrathen, deſſen Heer nur durch einen blutigen Kampf der 
Bürger verhindert werden konnte, Gent zu plündern, gab ſich, 
als auch Damme fich den Franzoſen ergeben, Bent ihm nicht mehr 
Sicherheit bot, der Graf in die Hand Karls von Valois 
(1300), und ward wider Bertrag mit feinen Söhnen. erfler 

Bra Ehe in Fraukreich gefangen gehalten. König Philipp, noch 

gefangen im Mai 1300 mit großer Pracht nah Flandern gezogen, 
empfing als Graf in Gent und Brügge bie Huldigung; bie 
Neichen boten alle Mittel auf, die Thronkefleigung des neuen 
Herrn zu fetern, fo daß jelbft der Königin Johanna Eifer- 
fucht rege warb durch Die Kleiderpracht der Frauen von Brügge; 
fe fand hier 600 Königinnen! Nur eine Kaffe der Be⸗ 
wohner Flanderns theilte Die Freude nicht, „das Volk“, Die 
Urbeitfamen, Gewerbtreibenden; fie murrten in Gent nach des 
Königs Einritte, der Abgabenlaft unterliegend. Als politi- 
she und nationale Parteiung flellten fih Hier nicht Bolt 
und Übel, fondern die Reicheren und die Gewerbszünfte, 
Tuchmacher, Bleifder, einander gegenüber. Jene Familien 
blieben, ungeachtet des jährlichen Schöffenwechfeld , die herr⸗ 
fhenden; die ärmeren Klafien, die im Grafen ihren geborenen 
Beichüger erprobt, fahen jetzt ihre Bebrüder mit dem König⸗ 
Grafen eng verbunden. Die Zahl ber Unzufriedenen wuchs, 
und noch im Iahre 1800 Tam es in Brügge, deſſen Schöffen 
die Zünfte zwingen wollten, den Aufwand für den Empfang bes 
Königs auf ihre Rechnung zu nehmen, zum Ausbruch. Pieter 
de Koning, Zunfthaupt der Weber, ſechzigiaͤhrig, unanfehulich 
von Geftalt, aber Hug, entſchloſſen, der „lauteſte Redner“, 
ward durch die Schöffen ind Gefängniß geworfen, vom Volt 





Biertes Bud. 159 


befreit; da befchlofſen die Bornehmen, die Liltarden, Den 4 Ra. 
Trotz der Handwerker zu brechen, und im Einverfländniife mit 

dem Karten, folgen Statthalter, Jaques de Chatillon, im 

Juni 1301 auf das Zeichen mit der Glocke das Volk zu über 

fallen und blutige Rache zu nehmen. 

Allein der „PBösel” ärzte, wohl unterrichtet, über bie Aufſtand 
Gegner her, jagte fie auf die Burg bei St. Donat, erfkürmte Prüsse. 
biejelbe und trieb, nicht ohne Bhutvergießen, die Uebrigen aus 
der Stadt. Noch fand fi ein gütlicher Ausweg: das fran⸗ 
zöftfehe Heer drohete heran ; deshalb follte Denn jeber des Auf⸗ 
ruhrs Schuldige mit Pieter de Koning die Stadt verlaffen 
türfen, ımd dann aus Flandern für immer verbaunt fein, 
Auf diefe Weiſe Brügge's Herr geworden, ließ Ehatillon bie 
Mauern nieberreißen, Die Wallgräben ausfüllen, Tegte einen 
Zwinger an, was, wie die Einziehung mehrerer Privilegien, 
freilich auch den Reichen höchlich mißftel; aber das Parlament 
in Paris verachtete ihre Klagen; bie Laſten trug der geringe 
Bürger. Da fiodte Arbeit und Gewerbe, und die Sehnſucht 
nach dem früheren Zuftande erwachte. Unter ſolchen Vorgän- 
gen arbeiteten bed gefangenen Grafen Söhne zweiter Ehe, 
Johann und Ouido von Namur, mit den Sippen und Freun⸗ 
ben des Hauſes Dampierre an der Befreiung des Vaterlandes; 
im Einverfländnifje mit ihnen kehrte Pieter de Koning und 
fein Anhang nach Brügge zurück; das Bolt fiel dem Kühnen 
zu; eingeſchüchtert mußten bie Liliarden ihn gewähren laffen 
und wien mit bem Bath aus der Stadt. Eine Zwie⸗ 
tracht zwiſchen Volk und Reichen, welche im März zu Gent 
wegen ber Steuern entfland, indem die gerüfleten Zünftler 
unter ihrem Banner hervorbrachen, unter Beckenklang, weil 
man ihnen Die Glocken verſperrt, Schöffen und Ritter auf 
dad Grafenſchloß bei St, Pharahild drängten, viele beim 


160 Dritter Theil. 


4. gay. Sturm erſchlugen, die Uebrigen zur Urfehde zwangen, nährte 


die Hoffnung der Brüggelingen, entzündete aber auch bie 
Wuth des Statthalterd. in Hader des Fleiſchers Johann 
Breyel zu Male mit dem Gefinde des Landooigts gab ſchnell 
dem Volke ein zweites Haupt; als Chatillon glaubte, ernſt⸗ 
lichere Maßregeln ergreifen zu müfjen, riefen die Brüggelingen 
die Grafen Gutdo von Namur und Wilhelm von Jülich, des 
alten Guido Enkel, herbei, empfingen fie freudig, wie auch 
Damme und Ardenburg ; doch mißlang noch die Verbindung mit 
den Gentern, wo die Liliarden noch zu mädjtig und. der Statt- 
halter Elüglih mehr Glimpf blicken ließ. Als um Kortryk 
inzwifchen fih ein anfehnliches Heer ſüdflandriſchen Adels 
fanımelte, z0g fih Wilhelm von Jülich in die Seeftäbte, fand 
eine neue Auswanderung von 5000 Unzufriedenen in Brügge 
flatt (14. Mai 1302), und Tehrte Ehatillon mit 1700 Lan⸗ 
zen und vielem Fußvolk zurüd (24. Mai 1302). Trotz ber 
friedlichen Unterhandlungen traf er Anftalten zu firenger 
Strafe, mit Zäffern soll Striden verfehen, um dad Volk zu 
benfen, worauf aber die Brüggelingen noch in der Nacht den 
Ausgewanderten fund thaten, ‚läge ihnen am Wohl ihrer 
Meiber und Kinder, fo möchten fie ſchnell heimkehren und 


Bieterdeiinen gegen ihre Beinde Helfen.” Schon vor Tagesanbruch 


Franzo⸗ 
ſeumord 


in 
Brügge. 


famen Pieter de Koning und Breyel mit 7000 Mann herbei, 
drangen durch die Thore und Mauerlüden, fperrten alle 
Ausgänge und fielen dann überall über die Franzoſen her. 
Mer die einem franzöflfchen Munde unmöglichen Looſungs⸗ 
worte: Scildt ende Vriend nicht ausfprechen Eonnte, ward 
erſchlagen; Chatillon und fein gehaßter Kanzler entrannen dem 
Morde duch Vorſchub ihrer Wirthe nach Kortryk; die. flämifche 
Vesper koſtete 3500. Franzoſen das Leben. Darauf flellte 


ſich Wilhelm. von Jülich an die Spige des Buͤrgerheeres; bie 











Viertes Bud. 181 


eilliarden wichen aller Orten, bis auf die Burg von St. Omer 4. rap. 
und bis auf Bent, wo fle.nech die Oberhand behielten, ſeibſt 
eis auch Budo vom Namur mis dentſcher Mannſchaft herbei⸗ 
gefommen. Während nun die Bürger Kortryk umlagerten, 
rückte Graf Robert von Artois, vom Könige auf Ehatillons 
Borficllung mid entbaten, mit einem Heer von 50,000 
Hann, der Blüthe des franzöſtſchen Adels, zum Entfage her⸗ 
bei. Ihnen gegenüber vor ben Bauern der Stadt das Heer 
flamãndiſcher ‚Handwerker, gegen 60,000 Mann, nur von 
wenigen Adligen geführt, Bieter de Koning und Johann 
Breyel, ‚Die neuen Ritter‘ des Grafen nicht geredinet. Eine 
befannte Thatfache ift, daß am 11. Juli 1302 die folgen Sporn · De 
träger Frankreichs von den Bünftlern fo ſchrecklich gefchlagen (lage. 
wurden, wie einſt Barus im Walde von Teutoburg; über 
20,000 ließen bei Kortryk ihren Leib, und 7000 Sporen ſchickte 
Wilhelm von Jülich an die Kirche von Maſtricht, daher die 
Schlacht noch jegt im Volksmunde die Sporenſchlacht heißt. 
Eine wichtige Folge war, daß Tags darauf auch in Gent die 
Liliarden blutig unterlagen und Johaun von Dampierre, 
Guidos Älterer Bruder, nach vierzehn Tagen die Regierung 
übernahm. Obgleich Philipp im September ein neues Heer 
nach Flandern führte, das neben 20,000 Reifigen auch aus 
60,000 Mann zu. inf beſtand, fo mied er Doch die Schlacht 
und fehrte, für fein eignes Leben bange, unverrichteter Dinge 
beim. Nach einem Waffenſtillftande im Herbſt 1303 fandte 
der ſtolze König den. gefangemen alten Grafen als Friedens⸗ 
vermittler nach: Flandern, ber aber, treu feinem Worte, na 
erfolgisien Unterhandlungen in feine Haft zurüdfehrte, und 
bald darauf. ſtarb (1305). Ein Frieden, im Ort. 1304 ges 
ihloffen, als auch bei „Mond en Pevele“ Franfreihe Banner 


gewichen, obgleich inzwiſchen der jüngere Guido ein u 
Bartbold, Staͤdteweſen III. 


162 Dritter Theil | 


4. 2.2. Geetreffen bei Zierilzee gegen Die franzöfliife unb hellänbifäe | 
Sieite unter dem Genucher Rinieri de’ Geimalki verlern 
Hatte (Hug. 1304), endete den idleupenben Arieg. Die Gruf⸗ 
ſchaft wurde ihrem alten Herrn mit unverfingien Freifeiten und | 
Nechten wicber gegeben ; Philivp erlangte nur eine aufchalide 
Gchtbuße und das walleniiche Slanbern als linterpfand bi 
zum vellläntigen Frieden, welcher nady einem diplomatiſchen 
Kriege und mehren Aufflänten in Brügge erſt im Jahre 1320 
zu Stande fam. Das Bürgerthum hatte den einge 
borenen Fürſtenſtamm behauptet! 

Die Aufmerkfamfeit der gefammten lateiniſchen Ehriften- 
beit ruhete auf dieſen flandriſchen Bergängen; zumal abıı 
empfanden die wefldeutichen Städte und die hanſiſchen, von 
der See bis tief ins Binnenland, vermöge ihres nie unter 
brocgenen Verkehrs mit Gent, Brügge, Arbenburg und Dam- 
me, in erhöheten Bewußtſein der zunftigen Bevölferung ben 
Sieg der Handwerker ald einen gemeinfamen. Dem 

ae Schauplage zunaͤchſt in Trier, wo im Jahre 1303 die Zünfte, 

on u felt Dietrichs von Wied Negierung aur gebulbet, in politifche 
are Genoſſenſchaften traten, Schöffenmeifter und Richter verad- 
teten, die Steuern verweigerten, endlich die Schöffengeſchlech⸗ 
ter aus der Stadt jagten. Dietber, ohne Anſehen im Stifte 
und bein Reiche, ſuchte ein Gleichgewicht herzuftellen,, indem 
er den Bünften eine Rathsbank geflattete; im Herbſt 1304 
erſcheinen Biſchof und Gemeinde als gleichberechtigte Barteien, 
„fich gegenfeitig Kriegshülfe zufagenb” ; fordere ber geiftliche 
Gebieter den Beiftand ber Bürger, fo müfle er perfönlich mit 
ihnen zu Felde ziehen; das Geſchlecht des Bonifaz, des frühe 
en erzbifhöflichen Obervoigts, ift bis ins dritte Glied vom 
Rathsamte ausgeſchlofſen. Gleich Darauf friebet die Gemeinde 
ſelbſtſtaͤndig, unter Vermittelung des Grafen Heinrich von 


Biertes Bud. 163 


Lützelburg, mit ihrem Feinde, Richard von Dhaun, ber4. Kur. 
wahrfcheinlih den Ausgewiejenen mit den Waffen geholfen; 
fle nimmt im Jahre 1305 den Grafen Johann von Sponheim, 
wie Sreiburg im Breisgau den Grafen von Hohenberg, zum 
Mitbürger und Schirmberen, gleich dem Grafen von Lützel⸗ 
burg, auf. Das Beifpiel der Kathedralftadt ahmten die Kos 
blenzer nad, und fielen offen vom Exzbifchofe ab, ber bie 
Schwächeren jedod mit feinen DVafallen und Söldnern fo 
nachdrücklich heimfuchte, daß fie ſich ihm beugten. Mit Schul« 
ben beladen und geringgefchägt flarb der fehdeluflige Domini» 
faner im Nov. 1307, und hinterließ feinem Nachfolger, dem 
berühmten Balduin, Grafen von Lützelburg, die nicht geringe 
Arbeit, feinen Hofflg zum früheren Gehorfam zurücdzuführen. 
In Speier reifte die Frucht bürgerlicher Gleichberechti⸗ — 
gung unter inneren und äußeren Stürmen. Biſchof Friedrich, 
welcher der Gemeinde ſo viel Ueberlaſt gethan, war im Anfang 
des Jahres 1302 geſtorben; ſein Nachfolger, Sibotho, des 
Geſchlechts von Lichtenberg, wählte die ungünftigfte Zeit, die 
Tage des Kampfes König Albrechts und der Reichsbürger 
gegen die rheiniſchen Kurfürften, um die Händel feines Vor⸗ 
gängerd aufzugreifen. Als er die Huldigung der Stadt vor 
der Beflätigung ihrer Privilegien verlangte, beſchloß der Rath, 
das böfe Spiel des Kirchenfürften durchfchauend, unter freu- 
Diger Beiftimmung der Zünfte, die flädtifchen Gefälle der 
Geiſtlichkeit einzuziehen, vor allen auf dem Verbote des Wein- 
verfaufs durch die Pfaffheit zu verharren. Die Flucht des 
gefammten Klerus, bis auf die Predigermönde und einige 
Schüler, gab das Zeichen zu einem verheerenden Kriege, wel⸗ 
hen die Parteinahme des Adels für den Bifchof und einiger 
Sold-Ritter für die Bürger über das ganze Weichbild und 


den bifchöflichen Sprengel fieben Monate hindurch verbreitete. 
11* 


164 Dritter Theil. 


4.Rer. Unterlagen gleigeitig die folgen Erzbiſchöfe am Rein: fo 


mußte wohl der Blihef von Speier feine Rettung im ber 
Eähne jungen. Ein Schiedsgericht, mad) einer Tagefahrt auf 
freiem Felde (6. Sept. 1302) vor tem „Schifferſtatter Walde“, 
zweien Ritter von Seiten bes Klerus, zweien rittermäßigen 
Bürgern von Rain; und Worms von Seiten der Stadt, über- 
tragen, fand Abkunftsmittel und Frieden ; ihr Spruch erfannte 
der Geiſtlichkeit Die Befugniß zu, nur zwiſchen Oflern und 
Bfingtten ihr Gewächs an Wein innerhalb der Stadt zu 
verzapfen,, den übrigen Theil des Jahres daſſelbe anter fi 
allein zu trinken. Der Rechtshandel, weldher sor dem heiligen 
Stuhle ſchwebte, warb von beiden Seiten aufgegeben, den 
Pfaffen ihre fläbtiiche Gebühr wieder geftattet, endlich ben 


Predigermönden und Schülern, welche der Stabt „in dieſer 


Mißhelle gefungen”, die Firchliche Strafe erlaffen. Nicht zu⸗ 
frieden geftellt durch ſolche Siege, nöthigten die Bürger am 
16.. Sept. 1303, neun Tage nad) der Gewaltthat son Anagnt 
und gewiß nicht ohne Einflup berfelben, ihren Bifhof zum 
demüthigen Gelöbniß: ‚‚alle ihre Freiheiten zu firmen, alle 
Zugeſtändniſſe feines Borgängerd zu beflätigen, enblich, weder 
In Perfon noch durch feine geiſtlichen Richter irgend einen Bin- 
ger der Stadt zu bannıen, ohne daß derfelbe im Wege Rech⸗ 
tens überwunden ſei.“ Sp gewann die Pfalzfladt der Satier 
durch einmüthiges Handeln Sicherheit vor bifchöflicher Argliſt, 
und erzwang für die Fünftigen Jahrhunderte Die Befkärigung 
ihrer Rechte vor der Huldigung; zugleich aber ward der alte 
Kath, aus Befchlechtern und Hausgenofien beſtehend, durch 
Billigkeitsgefühl, Klugheit oder Furcht? vermocht, das Regi⸗ 
ment mit den Zünften zu theilen. Im Sommer 1304, unter 
neckenden Fehden mit dem Nachbaradel, beſchworen die „Her⸗ 
sen’, die Hausgenoſſen und die 13 Zünfte, auf dem Hofe 


Viertes Bug. 165 


zwiſchen dem Retſcher und der St. Lorenzlayelle verſammelt, 4. Rev. 
die neue Berfaffung, kraft welcher der Math in Zukunft aus 
24 Berfonen, 11 aus der Bank der Gefchlechter und der Haus⸗ 
geuoſſen, und der Zunftbanf von 13 Gliedern, beftehen, Die 
beiben Bürgermeifter aus ber Mitte beider Stände gemählt 
werden follten. Dieſe anfcheinenb friebfiche Vereinbarung, 
weldhe zumal den Kürſchnern, Bädern, Schneiden, Fiſchern, 
Webern, Hütern neben den Rheinkaufleuten mehr als gleichen 
Antheil an der Obrigkeit einräumte, erlitt im Jahre 1313 
wefentliche Störung, bis bie große, demokratiſche und kirch⸗ 
liche Bewegung bes Jahres 1330 wiederum den Umichwung 
der Zunftherrſchaft herbeiführte. 

Auch über andere Gemeinden Süd⸗ und Mitteldeutſch⸗ 
lands, wie über Augsburg, wo ein Geſchlechter, Sibotho Stolz⸗ 
hirſch, als Führer der Zünftler der Stadt verwieſen wurde, 
hören wir dunkle Nachrichten von Zunfthändeln (1303), alles 
aber nur Vorzeichen der allgemeinen Gaͤhrung des 3. 1330. 

Die Kölner verhielten fi ruhiger, noch ermübet von 
den Stürmen eines halben Jahrhunderts und, bei gemäßigter 
Schöffraverfaſſung, allein voor äußerer Nachſtellung auf 
der ‚Hut; in den weilfälifchen Stiftslanden dagegen jeben wir 
den armen Erzbiſchof Wigbold mühlam vor den Feinden ſich 
bergen, Die Lönig Albrecht dem lingehorfamen auf den Leib 
gehetzt. Im Gerbft de Jahres 1302 war in WBeftfalen ſolche 
Unfigerbeit ver Wege, daß der Erzbiſchof deshalb den Bri- 
Ionesn eslaußbte, fi der Ladung aller auswärtigen Gerichte zu 
entziehen. Das nächte Jahr verihaffte den Soeftern, jener —— 
jeit dem 3. 1259 durchaus demokratiſchen Gemeinde, Freiheit Scui- 
vor dem letzten unbedeutenden Reſte unmittelbarer Amtoge⸗ 
walt des kälniſchen Gebieters. Das Schultenamt (Schuli⸗ 
beißenamet) beſtaud noch dem Namen nach, und brachte ſeinen 


166 Dritter Theil. 


4. Ray. müßigen Inhaber baare Gefälle, welche auf den 3 Schulten⸗ 
höfen beruheten. Als nun im Anfange des Jahres 1303 


Graf Eberhard von der Mark die Burg Hoveſtadt an der Xippe, 


den älteften Herrenfig Engernd, belagerte, verlieh Wigbold | 


das Rheinland mit feinen Stiftävafallen, fand jedoch die Veſte 
fhon erobert. Um am Gegner fi zu rächen, bebusfte der 


Erzbifchof der Beihülfe Soeſts; willig gewährten xeiche Bür- 
ger ihm Lebensmittel und Geld, zum Betrage von 1000 Mark, | 


wofür er ihnen nicht allein Bürgen ftellte, fondern auch 
den Schlagfhat der Münze und das Schultenamt verpfändete, 
mit Ausnahme gewifier Aecker und Höfe in unmittelbarer 
Nähe der Stadt. Sp war denn mit der Voigtei auch diefes 
uralte Recht Kölns erlofchen; das Schultengericht ging an das 
Stadtgericht über, und wenn ſich auch noch vornehme Männer, 
Ritter, mit dem Titel „ Schulten von Soeſt“ finden, fo ent⸗ 
behrten fie jedoch jeder richterlichen Gewalt in der Stadt und 
trugen nur jene Einkünfte von den Bürgern zum Lehen. Zwar 
führte der Landmarichall von Weftfalen in feinem Zinsver⸗ 
zeichnifje noch mancherlei Hebungen auf, Leiflungen an Lebens» 
mitteln, Saußgeräthen, fo oft der Erzbifchof in feinen Bis 
ſchofshof einzog; doch wie dieſe Obliegenheiten faft lacherlich 
zufammenfdirumpften, und mehr eine Laſt als Dienft und 
Gunft für den Kurfürften wurden, erfahren wir fpäter unter 
der Negierung des herrfchfüchtigen Dietrihs von Moeurs. — 
Wigbold flarb gleich nach der Verpfändung, wie es fcheint 
belagert, in Soeſt am 28. März 1304 und fand fein Grab bei 
St. Patroflus; ihm folgte auf dem Stuhle von Köln, nad 
längeren Wahlunruben, Heinrih von Virneburg (1306), 
während welcher die „Herren“ von Soeſt mit Biſchof Otto 
von Münfter, dem Nachfolger des bebrängten Eberhard, frie- 
beten, und Johann von Plettenberg, „Marſchall von Weſt⸗ 








Biertes Bud. — 167 


falen’’, um Pfingflen 1305 einen einjährigen Landfrieden 4. Kan. 
mitSoeft und dem anderen Stäbten feines Anıtöfprengels, fo 
wie mit Paberbornd und Münfters Biſchöfen aufrichtete. 

Auch in Thüringens Städten regte ſich gleichzeitig ein Thürin- 
friſcheres Leben. Zwar hatte König Albrecht beim Untritt Städte 
feiner Herrfihaft Wengel II. von Böhmen zu „ſeinem und des 
Reis’ Hauptmann In Meißen, der Oſtmark und im Pleißner⸗ 

Ind erhoben ; aber die vertriebenen Söhne Albrechts des Un⸗ 
artigen, namentlich Friedrich, dem ein edler Bürger Zreibergs 
gleich einen „ganzen Schmelzguß Silbers‘ angeboten, hatten 
fi) ihres Erbes wieder bemächtigt; Gerhards, bes „könig⸗ 
lichen Gevatiers“, Friedensſendung war durch deſſen Tod 
(Februar 1305) unterbrochen worden, nachdem er wenigſtens 
die Erfurter, Rudolfs gelehrige Schüler im Zerſtören von 
Raubburgen, ſeines langen Grolls um 1600 Mark erledigt 
(1299); der berühmie Peter Aichſpalt aus Trier, Arzt und 
Kanzler der Lützelburger, vom Biſchofoſitze zu Baſel, den er ſeit 
1293 inne gehabt, durch des Papſtes Willkür auf den Stuhl 
von Mainz erhoben, 1.3.1306, hatte mit Königs» und Fürften- 
bändeln vollauf am Rhein zu thun, um für Thüringen bes 
fonder& forgen zu können. So fand denn auch hier ein wirrer . 
Zuſtand flatt, als König Albrecht gleich dem Vorgänger das 
zerbröckelnde Erbe ber Wettiner anſprach. In merkwürdigerẽEiſenach. 
Stellung finden wir die Bürger Eiſenachs, Kreuzburgs und 
Frankenſteins. Ohne Anhänglichkeit an Die eingedrungenen 
Wettiner, in der Hoffnung, falls Thüringen unter den König 
kaͤme, als freie Reichoſtadt fich aufzufchwingen, erfauften bie 
Eiſenacher vom Landgrafen Albrecht erft die Erlaubniß, bie 
‚Klemme, jene Zwingburg innerhalb ihrer Mauern, niebers 
zureißen, berisfen fich dann auf ihren Eid an dag Reich, und 
forderten auf dem Hoftage zu Fulda (Suli 1306) den König 


188 Dritter Theil. 


4. Ray. auf, des Reichs Medit geltend zu machen, jo wie ihnen gegen 
ihre Bedränger, die jungen Landgrafen, zu helfen. Solche 
Sprache vernahm der Gabshurger gern; er aͤchtete die chen 
Albrechts, der unterbeffen auch die Wartburg an feine ver- 
wegenen Söhne eingebüft, und fandte, durch Wenzels Tod 
nach Böhmen gerufen, den Getreuen feinen Hanptmann, 
Edlen von Wildenau, Bruder Des Abts vom Fulda. Bon den 
Erfurtern, Mühlhaͤuſern und Nordhauſern unterflüpt, wachten 
fich die Eiſenacher an die Bezwingung Der. beruühmten Land⸗ 
grafenburg oberhalb ihrer Stadt ; aber Drinnen war ber freudige 
Friedrich, der nicht allein die Stürme der kecken Bürger ab- 
ſchlug und mit Hülfe des Herzogs Heinrich von RMaunſchweig 
Vorrath an Lebensmitteln hineinfchaffte, ſondern auch im 
Ausfall den königlichen Hauptmann ſelbſt gefangen nahm. 
Das Gelüſt Der Eifenacher nach Unmittelbarteit, nicht abgelühlt 
durch den Sieg, welchen dad tapfere Briiberpnas, Friedrich 
und Diezmann, mit Hülfe der Bürger Leipzigs und ber Staͤdte 
des Ofterlandes, uber bie „Schwaben Lei Lucka ummeit 
Altenburg (31. Mai 1307) erfochten, entbraume ſtaͤrker, als 
ver König gleich nad) diefer Niederlage ein Reichdaufgebot 
gegen Thüringen esgehen ließ, uoch vor ber Cendte uerwirikend 
durh Thüringen zog, aber dann durch dad. Oſterlaud nad 
Böhmen fih wandte. Pit ihm war ‘Beter, der neue Krgbi- 
hof von Mainz, ten Erfurt threrbietig empfing, aber: buch 
die Aufnahme des Landgrafen Albrecht und den Kauf allerlei 
Guts von dem ungebeſſerten Greife, ſich Bald einen ſchweren 
Stand gegen Friedrich bereitete. ‚Der dunkle Vorgang in 
ber Chriſtmette der Thomaskirche zu Leipzig, Me Ermardung 
des Sandgrafen Diezmanns, lachtt. den utzerſattlichen Mabs⸗ 
burger im Januar 1308 in Perſon und. Fiſcnach; aber. ver⸗ 
geblich rief er die Edlen des Landes, Fräedrichs als Ars. ein⸗ 








Biertes Bud. 169 


zigen Erben Anhänger, an feinen Hof; er fonnte die bangen 4. Kur: 
Eiſtnacher nur auf jeine Rückkehr mit dem Reichsheer ver⸗ 
tröften, welche jedoch die mörderifchen Schwerter feined Neffen 
Johann und ber Berfchworenen am Maifeft deſſelben Jahres 
für immer verritelten. — linmittelbar darauf, am 22. Mai, 
unterwarfen fich die Eifenacher, der Straflofigkeit für Ver⸗ Eifenag 
gangenes umd ihrer Gerechtfame verfichert, dem verſöhnlichen, graͤfiich. 
jetzt umbeftrittenenkandgrafen ; auch Dresvens , ‚Bürgermeiftern, 
geſchworenen Bürgern und der Stadtgemeine“, beflätigte er die 
Freiheiten, welche Markgraf. Heinrich, Friedrich Tuta ihnen ver⸗ 
lichen, als Erbe Friedrich des Kleinen im voraus anerkannt. 
— Brandenburgs Hauptſtaͤdie hoben um biefelbe Zeit merk⸗ 
i$ ihr Haupt, begünfligt durch Die Todesfälle, welche Hinter 
einander das Eampfluflige Geſchlecht Sohanns 1. und Otto's III. 
binwegrafften. Tief verflochten in alle Gändel der Przemys⸗ 
liden, Habsburger und aller Nachbarfürſten bis über die 
Weichſel hinaus, bald zu Berwefern der Koͤnigsrechte in Sach⸗ 
fen und Slavien ernannt, Daun wieder entſetzt, hatten die 
Markgrafen durch zu große Geſchaͤftigkeit nah außen ihre 
eigenen Städte und Stände, derer Geldhülfe fie immer be⸗ 
durften, zu kühneren Anfprüchen bereihtigt. . Das Gebiet der 
Rarfgrafen, durch die Neumark über Kaffuben bald bis Dan⸗ 
zig erweitert, ſchloß exft mit dem böhmifchen Gebirge ab. Die 
Niederlanfig hatte der bedrängte Diezmann, noch im Iabre 
1298 Beförderer der Stadt Buben, im Jahre 1303 und 1304 
an Markgraf Hermann, Otto's V. (de Langen, geft. im Jahre 
1298) Sohn, des Habähurgerd Eidam und betrauten Freund 
bis zum Jahre 1804, fo wie an deſſen Better Otto IV. „mit 
dem Pfeile’, verkauft. Hermann war ed, weldher im Nov, Börlig. 
1303 der Stadt Görlig Magdeburger Recht verlieh, die Ge» 
richtsbarkeit bes Föniglähen Voigtes, das Voigtding abſchaffte 


170 Dritter Theil. 


4. sap.und die Hegung des Gerichts an fefter Stätte, unter bem 


Zittau. 


Borfig feines Richters, vor Bürgern und Schöffen abhalten 
ließ. Das Magdeburger Recht, deſſen ſich jetzt Görlitz, ge⸗ 
wachſen an Umfang, als Alt⸗ und Neuſtadt, und an gewerbe⸗ 
thaͤtiger Volksmenge, geſetzlich erfreute, iſt am ausfũhrlichſten 
in dem Rechtsbuche dargelegt, welches die Stadt von Magde⸗ 
burgs Schöffen im Jahre 1304 erhielt. Görlitz prangte 
hinter ſtattlichen Thürmen und fefter Ringmauer, mit Rath⸗ 
Haus, Kirchen und Klöſtern, doch noch nicht mit der berühmten 
Peterskirche. Noch fand über ihr Die Burg, bes Gemein- 
wefend Anfang. Adeliger Geſchlechter ſahen manche in ber 
Stadt; früh auch fehon findet fi ein Stadtrath, im Sahre 
1305 aus 22 Gliedern beſtehend, und urkundlich feit 1296 
ein Bürgermeifter. Bald werben wir Börlig mit den Sech⸗⸗ 
flädien der Oberlaufig in gebieterifchem Bunde erbliden. — 
Das nahe Zittau, unter böhmifcher Pflege als deutfch erwach⸗ 
fen, feit Ottakars Fall ein Pfand der Markgrafen bis 1283, 
dann vom Königreidy Böhmen wieder eingezogen, bevorzugt 
als Jugendheimath von Wenzel II., dennoch wehjelnd wieder 
an die edlen Herren von Leippa, Inhaber des Burgberged, 
verpfändet (1303 — 1319), galt fihon als Hauptort feines 
Bezirks. Alles erſcheint hier deutfchen Gepräges. Feſter Mauer⸗ 
bau, um das I. 1354 ein fleinernes Rathhaus, die merkwür⸗ 
Dige Pfarrkirche zu St. Iohann, eine Iohannitercommende fhon 
um 1300, Bettelmönche, Sudengemeinde, weites Stadtgebiet, 
eine Schule feit 1310, Turniere auf dem Markte, und folde 
Fülle der Bildungsmittel, daß Petrus von Zittau, jener be⸗ 
rühmte Abt des Klofters Königsſaal bei Prag und geiftuollee 
Chronikant, aus der Bürgermitte hervorgehen Eonnte. Ein 
Stadtrath, aus den „Witzigſten“ gewählt, 12 Mitglieder 
zaͤhlend, ſtand zeitig der Verwaltung, nach Erlöſchen bes böh- 








Biertes Bud. 171 


miſchen Burggrafenthums (1255) ein königlicher Erbrichter 4 Rar. 
dem Schöffengerite vor (1303). Fleißige, aber trogige 
Tuchmacher, zünftig gegliedert, ftellen fich zu ihrer Zeit an die 
Spitze ber Bürgerbewegung (1357). — Bon ber Johannei⸗ 

fhen Linie flarb Markgraf Konrad im Sabre 1304, der Bater 
Waldemars, jenes berühmteften aller Anhalter, in welchem 

der Glanz des Geſchlechts noch einmal vor verhängnißvollem 
Erlöſchen aufleudtete. 

Unter den eigentlichen märkifchen Städten tritt, bis Das Betin 
bin nur kundbar durch Eifer feine Feldmark zu erweitern, Die vereint. 
Zunftverhältniffe gebieterifch zu ordnen, auch alte Privilegien 
zu fichern, der Math Berlins und Kölns unerwartet mit poli⸗ 
tiſcher Selbftländigfelt hervor. Um Oftern im Iahre 1307 
treffen Berlin und Köln eine Vereinbarung, welche das An⸗ 
fehen der verfhmolzenen Gemeinweſen bis zur Ausgangs» 
periode mittelalteriger Bürgerfreiheit (1442) ficher ftellte. 

Mit Betätigung des Markgrafen Hermann fegten fie fe: 
„daB die Bürger Kölns jährlich zwei Theile der Rathmannen 
son Berlin, die Berliner Bürger den britten Theil für bie 
Stadt Köln wählen follten; zu den Sieben auf drei Jahre er» 
wählten Schöffen follte Köln 4 für Berlin, letzteres 3 für 
Köln erkiefen, die Bürger beider Städte, mit den Strafgel« 
deru einander behülflich ihre Baulichkeiten beſſern; Stadtzins 
bleibe zur ftäbtifchen Befeftigung, den Dienft an die Herrſchaft 
babe der gemeinfame Schoß zu beftreiten.” So kluge Zu- 
fammenfegung des gemeinfchaftlichen Raths, der aus zwei 
Bürgermeiftern und zehn Mitgliedern beſtand und feine Sitz⸗ 
ungen in einem Gebäude auf ober an der fpäter To genannten 
„Langen Brüde” hielt, mochte eine Nachwirkung der Vorgaͤnge nun: 
Magbeburgs fein. Unter Erzbiſch. Burkhard II.(1295— 1305) deburg. 
waren im Iahre 1301 die zehn Zunftmeifler, angeblich nach 


172 Dritter Theil. 


“non. ſieben unruhnollen Jahren, bezlichtigt, dad Regiment an 
äh reißen zu wollen, auf Urtheil des Erzbiſchofs und bes 
Raths auf dem alten Markte lebendig serbramnt wor- 
ben. Unter Heinrich II., des Geſchlechts von Anhalt, forder- 
ten Bürgermeijter und Rathmannen von den Prälaten bie 
Schlüſſel zur „Herrenpforte“ hinter tem Dome mit jo nach⸗ 
drücklichen Worten, und ließen, auf deren Weigerung, bie 
Sturmgloden auf St. Johannis fo mahnend ertönen, daß 
Erzbifhof und Domherren erſchrocken willfahrten. Das zermal« 
mende Gewicht des ergrinimten Bürgerthums fiel Daum auf Hein⸗ 
richs Nachfolger, Burkhard Ul. Edelherrn zu Querfurt (1307 — 
1327). — Der Tod des Markgrafen Hermann (Anfang 1308) 
mit Hinterlaflung eined unmündigen Sohnes, Johann (V.), uns 
ter Fehde mit den Mecklenburgern, ferner die Vormundſchaft 
Waldemars, müſſen die politiſche Beforgnig aller märfifchen 
Städte erweckt haben ; denn in der Faſtenzeit 1308 erflärten 
die Sendboten Frankfurts a.d. Oder, mit den der andern maͤrki⸗ 
ſchen Städte in Berlin verfammelt, daß le mit allen Städ- 
ten bed Markgrafen Iohann eine Verbindung eingegangen 
feien, um fid) mit Rath und That gegen Gewalt und Unrecht, 
das einer von ihnen wiberführe, beizuſtehen. Berlin und 
Köln beurkundeten daflelbe, während Markgraf Waldemar im 
fernen Soeft die Bürger vom Strandrechte befreite, wie ihm als 
zeitigem Gebieter der Küſte Kaffubiens zuſtand. ‘Der Anfang 
des I. 1309, als die Unruhe des Zwiſchenreichs nach Tibrechts 
Ermordung fih zu legen begann, zeigt und einen ohue bie 
Markgrafen aufgerichteten Landfrieden, unter Der. Pflege Dreier 
Edelleute; die Heine Stadt Dahme erklärte ihren Beitritt und 
den Willen der Berfolgung aller geächteten Räuber; Berlin, 

- Köln, Salzwedel und Brandenburg, als Städtebund abge- 
ichloſſen, erhärteten, die Koften für einzelne ergriffene Land- 


h 2 


Biertes Bud. 173 


friedensbrecher müfje jede einzelne dabei thätige Gemeinde be= 4. Aw. 
ſtreiten, bei allgemeinem Friedenobruche, Bei Ladung der @in- 
wehner vor das markgräflihe Landgericht oder bei Gewaltthat 
Raͤchtigerer ſtaͤnden alle überein. Unter foldger Auflöſuug Anden 
der Herrſchergewalt mußte Waldemar, vielleicht ſchon damals ae 
des hochſtre benden Oheims, Dtto’sIV., der der Kaiſerkrone ſich Städte. 
würdig hielt, beraubt, Die bergebrachten Rechte und Freiheiten 
Berlins und Kölns für fich und feinen Münbel (14.Mai 1309) 
beflätigen, und einige Wochen daranf zu Brauffurt den Voig⸗ 
ten feines Gebiets bei Ungnade anbefelen, überall Friedbrecher 
und Aechter aus den Städten der Herrſchaft Iohanns ‚nad 
neuem Rechte“ jenen auszuliefern. 

Das uralte Brandenburg, ale Borort und Muttern 
fladt märfifcher Städte früh anerfannt, auf dem Laudding 
zu Havelberg im Sabre 1170 ala „Kammergut bed Meike“ 
vor anderen mit Bellfreiheit begabt, mußte der Jahrhunderte 
jüngeren Tochterſtadt an der Spree im ange weichen, weil 
feine Bürger, gefchichtlich getrennt, nicht Einfkdht genug bes 
faßen, aus folcher Geſchiedenheit eine gebieterifähe, durch bie 
Rage begünftigte Einheit zu fihaffen. Als Burgmannen auf 
derDominfel des h. Peters und Bauls, einer Stiftung Bt- 
hof Wilmars, um 1179, als Nachkoͤmmlinge jener wendi⸗ 
hen Infaflen Barbuins, ber fpäteren Altſtadt auf dem 
rechten Havelufer, unterhalb der Marienkirche des Harlun⸗ 
gerberges, und ald bevorzugte Bewohner der Neufadt, 
„des deutſchen Dorfes’, auf dem Tinten Ufer, um⸗ 
mauert feit 1196 und früh zünftig betriehfam, verfolgten fe 
einander mit Bitterem Melde, und bildeten in der Abſonde⸗ 
sung ihre Verfaſſung aus; wechſelnd begnabigt von den Mark⸗ 
grafen, denen fle tapfere Dienfte eriwiefen. Zwölf Rathmannen 
and Schöffen finden fi beim 3. 1267 in der Neuftabt; in der 


174 Dritter Theil. 


4. gap. Altſtadt urkundlich im Jahre 1294 ; doch müflen bie Bewe⸗ 
gungen des Jahres 1303 auch dort verfpürt fein, indem wir 
beim Jahre 1306, neben den 12 Hathmannen, dem neuen und 
alten Rath, einen Gemeindeausfhuß, die „Witzigſten“, thätig 
finden. Früh ſchmückte die Neuftadt fih mit dem Nolands- 
bilde, das zum Zeichen der peinlichen ſtaͤdtiſchen Nichtgewalt 
das Schwert führte, und galt ald Oberhof der märkifchen 
Städte, deren Brandenburg das veränderte Recht Magde⸗ 
burgs verliehen. Die Dingftätte, die „Klinke“, war ein Haus 
unweit der langen Brücke, mitten im Strome. Obgleid) Mark 
graf Iohann im Jahre 1315 der Neuftabt den hohen Schöfr 
fenftuhl beftätigte, ihm Königsbann verlieh, und Feine ſtrei⸗ 
tigen Intereſſen zwifchen Rathmannen und Schöffen, wie 
anderswo, obwalttten, da beide eine Körperfchaft bildeten ; fuh⸗ 
ren die Zwillingsftäbte fort, durch getrennte Verwaltung und 
häufige Streitigkeiten fich zu ſchwaͤchen, erfcheinen nicht einmal 
als Mitglied der Hanfe, und räumten widerſtandslos der po⸗ 
litiſchen Ihatkraft der Gemeinde an der Spree die obere Lei⸗ 
tung des maͤrkiſchen Bundes ein. 

Bermittelte in den Wiegentagen eidgenöſſiſcher Sreiheit 
ein erfrifchtes Bewußtſein entlegene deutſche Städte unter ein- 
ander, fo blieb e3 die ruhmreiche Aufgabe der wendiſchen 
Sanfefchweftern, zugleich mit ihrer freien Gemeindeverfafs 
fung des Reiches Grenze zu ſchirmen, welche Gleichgültigkeit 
und Ohnmacht des deutſchen Königs, Eigennutz, Neid und 
Haß der Fuͤrſten und Landherren gegen das Bürgerthum, einer 
anmaßungsvollen Nachbarkrone preisgegeben. König Erid 
Menved von Dänemark, im I. 1286 feinem ermordeten Bater 
Erich Glipping gefolgt, fühlte, unter äußeren Kriegen und 
Pfaffenhändeln, ſich dennoch ſtark genug, feiner Krone Schutz⸗ 
seht über das deutfche Slavien anzufprechen. Nicht karg in 


Biertes Buch. 175 


urtundlichen Zuflcherungen an die wendiſchen Seeftäbte, mit 4 au. 
denen Die hollänbifchen Städte eng verbunden waren, ihnen bie 
Narva, wie Birger der Schweden König die Newa, zum Behuf 
bes zuffifchen Handels auffchließend, behutfamer, fo lange er noch 
mit Norwegen fehdete, trat Erich bald kecker hervor, und fand an 
den deutſchen Fürften und Landherren willige Diener. König 
Adolf Hatte von Lübeck, dad mit feinem uralten Bifchofe Bur⸗ Lübet 
hard in immer wieder auflebenden Proceſſen am römifchen Reid. 
Stuhle hing, bald Geld gefordert, bald mit Berpfändung, 
zulegt mit der Schirmvoigtei ded Markgrafen Otto son Brans 
denburg gedroht (1295), während auch die nahen Herzöge von 
Sachſen in Lauenburg jährliche Schugfummen bezogen, und 
die Reichſsbürger ſich Doch felbft Frieden durch Berflörung 
ſächſiſcher Raubburgen, wie Ratzeburgs, verichaffen mußten. 
Dabei num Unficherheit der Kauffahrt in der Oft- und Nord⸗ 
fee, und, in Verbindung mit den wendiſchen Schweftern, 
jährliche Ausfendung von „Friedenskoggen“, um die Räuber 
zu fangen. — Unter König Albrecht fehienen die Verhaͤltniſſe 
anfangs günftiger; er beftätigte Lübecks Privilegien, that 
Vorſchreiben zum Beften der Lübecker bei den nordiſchen Kö⸗ 
nigen, bei England, dankte ihnen für den Schu des Handels, 
erbot ſich ſogar, fo unftcher feine Stellung zu Bonifaz VIIL., 
zur Bermittelung Lübecks mit dem römiſchen Stuhle, der das 
Interdiet auf die ungeſchreckte Stadt gefchleubert (1298). 
Noch im Iahre 1299 wies er die Reichsſteuer an den Boten 
des Herzogs von Sachen, feines Eidams; im Jahre 1300 
entfhuldigt fich der König, vorläufig den Bebürftigen feinen 
Schirmvoigt fegen zu können, bis er im Dec. 1300 aus Heil⸗ 
bronn den Markgrafen Hermann, feinen anderen Schwieger⸗ 
john, dazu auderfor. Bebrängt im nächften Umfreife, unter 
Spuren bürgerlicher Unruhen, fchreitet jeboch der Vorort 


176 Dritter Theil 


4 am.feewärts feine große Bahn fort; Die gemeinen Hanfetage, 
wie im Sabre 1300, in Angelegenheiten des Verkehrs mit 
Flandern, Dänemark, dem friedlofen Norwegen, ſehen zu 
Lübeck die Sentboten der Städte Slaviens, Preußens, Sach⸗ 
ſens, Weftfalens, wo Osnabrück rührfam, des Rheins und 
GBollands; auch Wladislav Loktief, als neuer König der 
Bolen, im wechſelnden Befig des Stromgebietö ber Nieder⸗ 
weichſel, che die Markgrafen, dann der deutſche Orden, das 
Erbe Meſtwins von Bommerellen (} 1295) an ſich bringen, 
bethätigt fi ald Gönner der Hanja. Aber die deutſche 
Herrſchaft, mit jo theurem Blute gegen die Waldemere erfauft, 
beginnt unter Albrechts Känıpfen mit den Erzbiſchöfen zu 
wanken; Roſtock, ein ſtarkes deutſches Gemeinweſen, wo faum 
20 Jahre früher König Rudolfs Werk verheißlich ausgegan⸗ 
gen, wird im Auguſt 1301 durch Niklas „das Kind“, einen 
ber Fürſten des hadervollen Stammes von Mecklenburg, an 
Erich Menved als Oberherrn abgetreten; ja ein Jahr ſpaäter 

Gürfen verbinden fih, mit Ausfchluß der Städte, die Herzoge von 

oc vu Sihlebwig und Langeland, der Fürft von Rügen, die Grafen 

Nofiod. von Kolftein, die Herren von Medienburg und Werle, mit 
Erich von Dänemark, deſſen Brüdern und'mit ben Markgrafen 
von Brandenburg, Dtto IV. und Konrad, der tänifchen Krone 
zur Unterwerfung Roſtocks beisufichen. Noch Helfen Die 
Schweſtern nidt; ja Lübeck, in Nothſtand auf den Zandftra- 
Ben, fieht feinen Strom durch die bolfteinifchen Thürme bei 

ne Travemünde gefefjelt. Da entjcheidet der deutihe König über 

Abtrerungbie fo drangoolle, wie ehrenreiche Zukunft ber Seefläbte. Im 

roten Berwidelungen feiner Hauspolitik mit Böhmen beftätigt 
er, zu Konflanz am 23. Mai 1304, „auf Anfachen feines 
Breundes Erich, Königs der Dänen und Slaven“, die fchmäh- | 
liche Urkunde des damals nod mit den Guelfen fimpfenden 











Biertes Buch. 177 


jungen Hohenſtaufen, König Friedrichs II., von Meb 1214, 4.2. 
welhe Waldemar dem Sieger das Land jenfeitd der Elde 

und Elbe überließ, „doch mit dem Vorbehalt der Stadt Lü⸗ 

bet und ihres Zubehörs,“ und meldet am 11. Iuli aus 
Frankfurt den Lübeckern: weil Markgraf Hermann von ihm 
abgefallen, follten fe ihm die Summe von 300 Mark, die er 
jährlih auf fie angewiefen, nicht bezahlen. Die Reichsſtadt, 
bevrängt durch Gerhard II., Grafen von Holftein, deffen ge= 
flüchteten Abel fle in Schug genommen, dankt der Bermittes 

fung des däniſchen Königs die Befreiung aus ſchlimmen Häns 

deln, und begiebt fi im Jahre 1307 gegen jährlihe Ent⸗ 
rihtung von 750 Mark Silber auf zehn Jahre unter bie 
Schirmvoigtei der fremden Krone. Ste will nichts Dagegen 
haben, wenn Das Reich ſich dazu verfteht, ihm die Serrichaft 

über Lübeck ganz abzutreten ! Indem nun der König der Slaven 

eine Zwingburg gegen die Roſtocker an der Warnow baute, 
Witzlar von Rügen, im Iahre 1304, außer feiner Infel auch 

das Gebiet von Stralfund als Lehn Erichs anerkannte; für- 
derten die Fürſten des Königs Abficht, jene deutſchen Marken Stenung 
in Krongüter umzuwandeln. Lübeck, zur Zeit ſchwachmüthig, {mfädte ger 
Verein mit Hamburg auf die Anfänge zur Zeit vor Waldemard'nemart. 
Sal zurüdgefehrt, Hatte die deutfche Sache aus engherziger 
Sandelspolitif aufgegeben; da reichten fich im December 1308 

die anderen nordiſchen Seeftäbte, das muthige Roſtock, Die 
verwegene Gemeinde von Wismar, Stralfund und Greifd« 

wald, im Genuß unabhängiger Verfaflung, die flarfe Bun- 
deshand, und bewahrten die Freiheit des deutfchen Nordens, 
welche die Kürften, aus Haß und Neid gegen das felbftflän- 

dige, reiche Bürgertfum, geringfchägten, vor ſchmachvoller 
Unterbrüdung. 


Barthold, Städtewefen II. 12 


173 Drittes Theil. 


Fünftes Kapitel. 


Kaifer Heinrich VH. Unruhen im Zwiſchenreich? Erzbiſchof Balduin von Zrier. 


1308. Politik des Königs gegen die Städte. Reichstag zu ESpeier. Aufftand iu 
Bien. Eberhard von Wirtemberg der Landfriedensbrechet. Thüringen. Befchrän- 
tung des Junkerregiments in Erfurt. Aachen vernrtheitt. Der Römerzug König 
Heinrichs. 1310— 1313. Innere Wirren im Reiche. Die Städte Baieend ſelbſt⸗ 


fändig. Gieg von Bamelddorf. Die wendiſchen Hanſeſtädte gegen die Srone Da 


nemark. Wismar. Roſtock. Kampf der wendifchen Seeftüdte gegen Grich Menved. 


Sjeg und Hal der popularen Berfafiung Moos. Aufblühen der Stäbe Breußend. 


Danzigan den Orten. Marienburg Ei des Ordensſtaates. 1308— 1314. 


— Ein ſo ungeheures Ereigniß, wie hie Ermerdung des 
— — deutſchen Ränigs Albrecht von Oefterxeich in einer gaͤhrunge 
* vollen Zeit (1. Mai 1308), mußte in allen Städten nicht 


allein bange Furcht vor gaͤnzlichem Umſturz mühfem gehand⸗ 
habter Ordnung hervorrufen und zu raſcher Selhfigälfe an 


treiben, ſondern zumal bei unausbleiblicher Unficherheit eines 
Zwifchen reiches der unterbrüdten Bolfäpartei bie Hoffnung 
erwecken, ungehindert zum Ziele eines längfibemußten Stre- 
beng zu gelangen. Solche Erſcheinungen nehmen wir zus 


naͤchſt om Schauplatze ber blutigen That wahr. Zu Baſel, 


deſſen Abel getheilt war und deſſen Biihaf, den mordgefinnten 
Branzofen, Otto von Braufon, Albrecht bitter gehaßt hatte, er⸗ 
hob fi auf die erfle Kunde, welche hie biſchöfliche und bürger- 
liche Beſatzung der eben belagerten „Burg Fürſtenſtein am 
Plauen‘ vor Tode des Hababurgers empfing, ein entſetzliches 





Getümmal; der geiſtliche Hess führte, unter dem Wannen, ber 
guaſel. Stadt, die Bünftfer gegen, die Häufer ber Anhänger Al- 
Wwechts, plnderte diefelben aus, verbannte die Enteganenen, 
namentlich die Schalker und Mönche, auf vierzehn Jahre aus 


der Stadt: und verminderte die Zahl der abeligen Rathäherren 
son acht auf vier, den Geſammtrath mit Gliedern aus den 
BZünften ergänzend. In den hohen Alpenthälern gemgun, bie 


Eidgenofienfchaft den Kern ihres Beftandes. In Schwaben | 





Biertes Buch. 17% 


herrſchte nicht minder Luruhe und Schreden; man ſchloß bie 5. Ra. 
. Ahore, bewachte die Schußburgen, ging Nachbarbuͤndniſſe ein, 
wie zur Zeit des großen Zwiſchenreichs; fo Augsburg, Bit- 
thum und Stadt, Mm, die Pfalzgrafen Rudolf und Ludwig, 
der Biſchof von Eichſtädt. Nur Graf Eberhard von Wir⸗ 
tsmberg frohlockte; nach Albrechts Fall winkte dem geſchwo⸗ 
renen Feinde des Laudfriedens die Erſüllung feiner Gewalt⸗ 
plaͤne gegen die Städte des Reichs. Selbſt in dem Haupt⸗ 
ſige der nennen öſterreichiſchen Erblaude, in Wien, dad der fin⸗ 
ſtere Zwingherr erft als Reichsſtadt gebemäthigt, dann als 
Hborfame Landſtadt mit mäßigen Breißelten ausgeftattet 
hatte, erwachte zeitweife die Hoffmung früherer Selbſtſtaͤndig⸗ 
fit, In anderen ®emeinwefen Deutfchlands ſchüttelten bie 
Zünftfer, jedoch noch ohne dauernden Erfolg, an den Feſ⸗ 
feln, welche Die edlen Mathägefchlechter ihnen angelegt. In 
Straßburg, wo dem friedlich gefinnten Bifhofe Friedrich von Gi.” 
Lichtemberg, welcher nach dem verheerenden Brande im Jahre 
1298 den Ausbau des Münfters der Stadt überlaffen, im 
Jahre 1306 Albrechts Kanzler, Johann, Bifhof von Eich⸗ 
flädt, gefolgt war, gebehrdeten die Junker ſich übermäthiger, 
ungeachtet der geifllihe Ohberhers niederer Herkunft ent» 
ſtammte; denn fie ſchirmte Habsburg in ihren angemaßten 
Rechten. Ma nun während des Iwiſchenreichs, unter ber 
Emte im Jahre 1308, die Handwerker, wacker bezeibt, unge⸗ 
flüm den Verſuch wagten, ſich des gehaßten Klaus Zorn, des 
Schulthaißen, zu entledigen und fi unter ihren Baunem an⸗ 
ſchickten, die Trinkſtube der „ehrbaren Geſchlechter“ am 
„dohen Stege‘ zu überfallen, gewann ihnen ber Ritter mit 
feinen Genoffen den Weg ab, erſchlug ihrer ſechszehn, jagte 
die anderen in die Flucht, und that ihrer viele ewiglich in bie 
Acht, in „die böfe Acht.“ Noch über ein halbes Geſchlechts⸗ 
12 * 


8. Kap. 


Veſel. 


Koͤnig 
Hein- 


180 Dritter Theil. 


alter dauerte die Unterdrückung des geringen Bürgerdin wahr- 
haft unglaublicher Weife fort, ähnlih wie zu Erfurt und an 
anderen Orten. „Wenn ein Schneider oder anderer Hand⸗ 
werfömann einen hochtragenden Edlen um Schuld mahnte, 
empfing er wohl darob Schläge, und Eonnte zu feinem Rechte 
nicht gelangen,” falls er fich nicht, „wie der Bauer auf Den 
Dörfern,’ um Geld in den Schirm eines Junferd gab, Der 
dem Glienten gegen Gewalt und Ungebühr half. So aus⸗ 
drücklich die Reichsgeſetze des dreisehnten Jahrhunderts dieſe 


unwürdige Mundmannſchaft verboten, behauptete fi 


dennoch der ſchmählichfte Gewaltmißbraud und ward den ta- 
pferen Rittern der Duell anfehnlicher jährlicher Gülten. Die 
große Abrechnung der Jahre 1330—1332 vollendete unter 


der Wiederkehr des Streits zwifchen Kaifer und Papfl das 


Werk, welches in Heinrichs IV. Tagen begonnen hatte. 


Mir übergehen, als wiederholte Zeichen der Zeit, andere 


glüdliche oder mißglückte Erhebungen der Zünfte, welche als 





Beweis gelten, daß das Faiferliche Anfehen ein Baum des 


bürgerlichen Freiheitsdranges war: wo Kraft und Muth in 
einem Gemeinwejen ſich einigten, gelang derzur günfligen Zeit 
eines Interregnumd oder einer Doppelwahl geführte Streich. 
So unterlagen noch im nieberrheinifchen Wefel, einer wohl- 
behüteten Stadt der Grafen von Kleve, die Neuerer int Jahre 


1308. Wegen möglicher Unruhen bei der Wahl der Rath⸗ 
mannen und des Bürgermeifterd aus der Mitte der fhöffen 


baren Geſchlechter, denen die „Burmeifter  entgegentraten, 
hob der Landesherr alle Gilden, Brüderfchaften und „Ver—⸗ 
fhwörungen” auf, ohne folden Zwangsmaßregeln auf die 
Dauer Geltung zu verfchaffen. 

So zerrüttetem, angftvollem Zuftande des Reiches ſchien 


zid vr. Die Erhebung des Grafen Heinrih von Lügelburg zum Kö⸗ 


Biertes Bud. 181 


nige, jenes ſchutzherrlichen Bürgers von Trier, Abhülfe zu s. Kav. 
bringen. Unter drohendem Einfluffe des römiſchen Stuhles 
und des Krone Frankreich auf Die Beſetzung bed deutfchen Kö⸗ 
nigthrones, nach dem herkömmlichen Spiele geheimer Raͤnke, 
ward der belobte, aber machtloſe Graf von Lügelburg, mehr 
Franzoſe als Deuticher, am 27.November 1308 zu Frankfurt 
erwählt und am 6. Januar 1309 zu Aachen gekrönt. Naͤchſt 
dem Erzbiſchofe von Mainz, Peter Aspelt oder Aichfpalter, 
dem vertrauten Diener des Tübelburgifchen Haufes, verdankte 
Heinrich VII. ohne Eundbares Verdienft von fpäteren Verehrern 
als fo ſtrenger Schirmherr des Friedens gepriefen, „daß bie 
Saumthiere der Kaufleute, mit Eoflbarem Gute beladen, ohne 
Beleit ficher durch die Wälder feiner Grafichaft zogen,’ die Kö⸗ 
nigöfrone der Ihätigfeit feines jüngeren Bruders, Balbuins, 
des neuen Kurfürften von Trier. Der junge Erzbifhof, der 
hervorragendſte deutſche Kirchenfürft des vierzehnten Jahrhun⸗ 
derts, war auf befondere Empfehlung Clemens’ V. am 7. Der. 
1307 als Nachfolger jenes vielverläfterten Diether von Naſſau 
wählt worden, und hatte, als Schüler der neuen franzöſiſchen 
Staatsweisheit, mit merkwürdiger Geſchicklichkeit verftanden, 
gleich bei ſeinem Eintritte in ſeine Hauptſtadt mit einem Fe⸗ 
derſtriche die Summe jener bürgerlichen Freiheiten zu vernich-Barbuin, 
ten, welche die feit anderthalb Jahrhunderten unzufriebenenfäef vo von 
und flörrigen Bürger von Trier unter Diethers Regiment er= 
kaͤmpft hatten. So unbegreiflichen Sieg lernen wir, ohne bie 
aäheren Umſtaͤnde, die aber fiher von der Waffengewalt des 
ganzen Grafenhauſes herbeigeführt waren, zu fennen, aus der 
Urkunde vom 16.März 1308, welche die gemeinheitliche Frei⸗ 
heit, Das Recht der Rathswahlen, fo wie alle Einrichtungen 
aus Diethers Tagen aufhob, das erblihe Schöffenthum 
als einzige bürgerliche Obrigkeit Herftellte und alle Rechts⸗ 


182 Dritter Theil. 


5.a. handel dem erzbiichöflichen Boigte zuwies, der, wie in Ur 
nolds und Heinrihs Zeit (1242— 1286), unter dent Beiſttze 
Er ber Schöffen richten follte. Berner unterwarf Balduin auch die 
vevertap- Außbürger der Stadt Trier einer landesherrlichen Abgabe, er- 
er laubte dagegen den Schöffen die Erhebung eines Ungelds zum 
Nutzen bed Gemeinweſens, vernichtete endlich alle „verbotenen 
Gilden und Zünfte, welche feit Erzbiſchof Heinrich Tagen fh 
gebildet hätten,” und verfügte gebieteriig über Der Stadt 
Schlüſſel, Pforten und Bewahung. Indem der junge Fürſt, 

fonft von ſtreugem Gerechtigfeitäeifer im Stiftslande, in die⸗ 

jer Weife die gefchichtliche Entwickelung von 70 fruchtbaren 
Jahren verneinte und feine „Hofſtadt“ (Curia) auf den Fuß 

der Sabungen von Ravenna, ja felbft der Beichlüffe Friedrich 
Rothbarts, zurücitellte, daB im Volksbewußtſein längſt ger 
aͤchtete erbliche Schöffentfum auch ala Verwaltungsbehörde 
anordnete, gewährt jolches Verfahren und Aufſchluß über die 
Anſichten jeines Haufes in Betreff des Bürgerihums. Kaiſer 

Boriit Heinrich, der zu feinem Glück nur kurze Zeit regierte, To daß 
scimidafeine irrthuͤmlichen veralteten Regierungsgrundfage in Deutſch⸗ 
tädte. fand nit and Licht traten, ging, ungewitzigt durch Dad Ge⸗ 
ſchick ſeiner Vorfahren, in Die Geſammtpolitik der Sohensftaufen 

ein. Den Geift des Bürgerthumd als den Träger einer neuen 

der Königshoheit förderlihen Ordnung baf Heinrich ſo we⸗ 

nig in Deutſchland als Italien erkaunt: das Trugbild der 
Kaiſergewalt, Das überſpaunte Bewußtſein einer Machtfülle, 

der die Welt längſt entwachſen, lockten den ritterlichen Mann 

über Die Alpen, um ihn zu verderben. Jenes befchränfte 
Gerechtigkeitsgefühl Friedrich Rothbarts verleagnete er zwar 

nit bei den Klagen der Städte; aber wie er einerſeits mit 

dem Reichsgute wirthichaftete gleih Wilhelm unb Adolf, hat 
Seinrih dem Buͤrgerthum Günſtiges nur nach Scheiß feines 


Biertes Bud. 168 


unmittelbaren Vortheils erwieſen. Machtsollen Aufſchwung 5 Rev. 5.0. 
verdauken bie deutſchen Gemeinden nut feitter Abweſenheit in 
Nalten, bie thnen Beit und Befugniß Tieß, ſich und der Ehre 

bes Reicht ſelbſt zu helfen. 

Auf der braͤuchlichen Rundreiſe des neuen Königs benDie der 
Rhein aufwärts Bis nach Deutſch⸗Burgund beftätigte Heinrich bie Era 
alten Freiheitsbriefe, welche ehrerbietige Sendboten der Städte, 
reihe Gebühr entrichtend, ihm vorlegten. Nur die Abgeordneten 
des Rölgen Straßburgs konnten feinen Befcheid erhalten, weber 
m Speier, noch zu Straßburg ſelbſt, als fie im Namen ‚ihrer 
Herten“ die Erneuerung Ihrer Privilegien begehrten; erft zu 
Kolmar fanden fie gnädiges Gehör, nachdem fie, auf den Math 
eines königlichen Geheimſchreibers, die hochtrabende Sprache 
geändert, und nicht fir Die ‚Herren von Straßburg,” fondern 
für „des Königs Bürger und Diener von Straßburg“ ihr 
Gewerbe vorbradhten. „Ich wußte nicht, welche Herren ihr 
meintet, da ihr ſprachet, ihr wäret Der Herren von Straßburg 
Beten. Seit ihr nun fprechet, ihr feid meiner Bürger Boten 
von Straßburg, die kenne ih wohl: man foll euch thun, was 
ihr gefordert habt.“ So det Sinn, wenn auch nicht Die Worte 
Heinrichs, der des Deutſchen Taum mächtig nur frangöftfch re= 
vete: Es handelte fih aber allein um bie uralten Rechte auß 
Raifer Loihars und Philipps son Schwähen Lagen! — 

Eines gefügigeren Königs erfreuten fi die Fürſten, zu⸗ 
mal die Kınfürfien. Ihnen, namentlich den Erzbiſchoͤfen von 
Maing und Trier, gewährte Heinrich flattlide Schenkungen 
vom Reichsſgute als Lohn für ihre Dienfte, in grellem Wider⸗ 
ſpruche mit dem Berfahren feines Vorgängers. So erhielt Bals 
duin zu Koblenz einen reichen Zoll vom jeder Fracht an nn 
und Kaufmannsgütern auf dem Gtrenie „für ewige Seiten,’ — 
debruar 1309; indem der König zwei Jahre darauf auch ae 


5.Rap: 


184 Dritter Theil. 


Köln, Heinrih von Virneburg, die von feinen Vorfahren er 
worbenen, von König Albrecht eingezogenen Zölle zu Ander⸗ 
nad, Bonn und Neuß wieder herftellte, ‚weil Papft Cle⸗ 


mens V: die Kölner Kirche bereits wieber in Beſitz gefegt habe,‘ 


zenl 


"ging für die wichtigfte Verkehrsſtraße Deutfchlands von Ko⸗ | 
blenz bis zum Niederland alled wieder verloren, wad ber Habs⸗ 


burger dem Reiche und der Nation zurüdgewonnen hatte! Ie 
eilfertiger der König der Deutichen feinen Römerzug bes 
trieb, um fo gleichgültiger ward er gegen die Wohlthaten, 
welche eine frühere Zeit namentlich dem Bürgerthum verfchafft; 
bejtätigte er doch jelbft den eigennügigen Rechtaſpruch der Bi- 
fhöfe von Mainz, Köln und Speier, daß kein Fürſt oder Herr 
einer Stadt Sreiheiten ertheilen dürfe, ohne ausdrüdliche Ge- 
nehmigung des Könige. Es galt aber nicht einer Erhöhung 
der Königsmacht, jondern einer Kränfung des Grafen von 
Geldern. 

Im Mai des Jahres 1309 nad Konftanz gekommen, 


ante alſo der Stättenahe, wo der weltfundige Königsmord um Rache 


burg. 


jchrie, verfuhr Heinrich mit zweideutiger Politif gegen das Haus 
Habsburg, deſſen ältefter Erbe, Herzog Sriedrich, fih nicht um 
die Krone beworben, ja fih dem neuen Könige gehorfam er⸗ 
wiejen hatte, jedoch nicht zur Belehnung mit den öfterreichijchen 
Landen gelangen fonnte, ungeachtet eines zweimaligen, ur⸗ 
Eundlichen Verſprechens. Vielmehr erregte der Lügelburger 
den gefürchteten Habsburgern Schwierigkeiten in den Wald» 
ſtaͤdten, und beflätigte am 3. Juli den Leuten im Thal Un⸗ 
terwalden „alle ihre Freiheiten und Nechte, die fie vom Reiche 
erhalten hätten, auch dDieBefreiung vor fremden weltlichen Ge⸗ 
richten.“ Erſt als die Habsburger, aufs aͤußerſte getrieben, 
das Schwert zu ihren Rechte in die Wagfchanle legten, ver- 


dem, franzöftfcher Umtriebe früher verbächtigen, Erzbifchofe von 











Biertes Bud. 185 


handelte ihnen Heinrih die Wahrung feines Worts und 5.2. 
bie Beruriheilung der Königsmörder. 

Unter der Gehorfambezeugung der Städte und Fürften, 
mit Ausnahme weniger, dur Schwaben nad) Franken gezo⸗ 
gen, in löblicher Handhabung des Landfriedens, wie er denn a. 
auf die Klage der Augsburger über Niederwerfung ihrer Kaufe ten. 
manndgüter die adeligen Näuber bis über den Rhein verfol- 
gen und die ergriffenen binrichten ließ, auch den Beraubten 
ihr Eigenthum wiebergab ; hielt Heinrich feinen erſten Reichs⸗ 
tag nicht zu Nürnberg, ſondern ſchrieb ihn, außerhalb ber 
Gewalt der großen Neichöfürften, nach Speier aus, um bie 
unermüblichen Klagen der Bürger über die Unficherheit der 
Reichsſtraßen, die ungerechten Zölle zu Land und Waller, zu 
hören, vor allen Dingen mit den Söhnen König Albrechts 
ind Klare zu Eommen. Auf dem Rückwege Heinrichs an den 
Rhein, zu Heilbronn, Auguft 1309, eröffnete fi feinem Ge⸗ 
ihlechte Die Hoffnung zur glanzuollen Erhebung auf ben Thron 
ber Przemysliden: Die deut ſchen Bürger von Prag, nicht als 
bie legten unter den Bevollmächtigten, fuchten den Schug des 
beutfchen Königs für ihr verwaifted Land. Befonnen ging Hein⸗ 
rich wenigftens auf Albrechts Orundfag, über Böhmen als Lehn 
des Reichs zu verfügen, ein, wie er auch ſchon im Juli zu 
Nürnberg die Trage wegen Thüringens und Meißens aufges 
fapt und den bedrängten Erfurtern Schub und die Zuſendung 
eined Hauptmanns mit zweihundert Schladhthengften gegen 
Sriedrich den Gebiſſenen verheißen hatte. 

Auf dem glanguollen Reichs⸗ und Hoftage zu Speier Reicht“ 
(Auguft, Sept. 1309) erblicken wir nicht allein eine große Zahl Shelr. 
von Fürften, fondern auch von Sendboten der Städte, übers 
wiegend der oberen Lande. Den wilhtigften Ereignifjen diefes 
Zages, der Einigung mit Habsburg und dem Beſchluſſe tes 


186 Dritter Theil. 


3.207. Nömerzuged, ging mit erfhätteender Beterlichkeit die Beſtat⸗ 
tung der Leichname beider erfhlagenen Vorfahren, König 
Adolfs und Albrechts, in Amvefenheit der Wittwen beiber, 
voran (29. Augaft). Die Gebeine der Männer, welche haß⸗ 
entbrannt einander aufXeben und Tod beflanden, barg die ge⸗ 
meinfome KRatfergruft. Weniger die Erfüllung foldher Reli⸗ 
giond» und Ehrenpflidt gegen dad Haus Habsburg, als die 
Eluge Erwägung des beiderfeitigen Beften führte am 17. Sept. 

„Berföhr zur Ausgleihung der Söhne Albreihts und des Könige. Ob⸗ 

"Sabt "gleich Herzog Friedrich an der Spitze eines drohenden Gefol⸗ 
"ges son 700 Rittern trogig die Belehnung mit ſaͤmmtlichen 
Srhlanden forberte, war Die Lage des jungen Fürſten dennoch Ä 
feine günftige. Der hohe Adel von Defterreidh lauerte nur auf 
den offenen Brucd, der Herzoge mit dem Könige, um mitWiend 
mißvergnägten Bürgern das habsburgiſche Joch abzufchütteln. 
Kaum war die Verſöhnung zu Stande gekommen, und hatten 
Friedrich und Leopold für fih und ihre Brüder gegen das Ge⸗ 
laͤbniß, dem König zum Römerzuge, ſo wie zur Eroberung 
Boͤhmens zu helfen, die Belehnung mitihren Erblanden erhal⸗ 
ten, als faſt das ganze linke Donauufer die Waffen ergriff, Ge⸗ 
Kst anf Herzog Dito von Mieberbatern, den verdrängten Kö⸗ 
wig von ingarn, gedachten die Lanbhersen der Hauptſtadt Wien 

Aufruhr und der jungen Sabsburger fich zu bemächtigen, indem ein Bür- 

reih. ger, Berchtold, feines Handwerks ein Schneider, jet aber Hat 
geb und Schützenmeiſter, ihnen zur Nachtzeit ein Thor zu öffnen 
verfprach. Aber der Anſchlag wurbe durch einen treuen Höfdie- 
ner verchtelt. Die Verſchworenen flüchteten mit Ihren baieri⸗ 
Then Bannern ; dad Volk übte Rache, und fo Hatte, zumal 
der Landeshauptmann von Steiermark die enipörten Land⸗ 
herren gebändigt, Friedvich nur untreue Bürger Wiens zu ſtra⸗ 
fen und den böſen Nachbarn in Baiern aus feinen Grenzen 


Biertes Bud. 187 


zu ingen, alß er, in Frieden mit ben Heide, von Speier heint- Ran 
gtüchrt war. 

Auf die Klagen der fchwäbiichen Reichsſtädte nach Speier@berharb 
geladen, war der Beräckter des Landfriedens, Graf Eber hard 3 
von Wirtemberg, gegen den ſchon Rudolf wie Adolf den ſtra⸗ 
fenden Arm erhoben, zwar erſchienen, hatte aber den Mahnun⸗ 
gen des Königs, des Reichs Glieder nicht zu befchädigen, tro= 
ige Worte entgegengefebt, und dann von dem Reichstage mit 
jeinem Sittergefolge ohne Urlaub fich heimgemacht. Darum 
erging uber den Beleiviger Eüniglicher Majeftät, und über Kon⸗ 
ad, Grafen von Dettingen, genannt Schrimpf, der gleichfalls 
die Städte beirängte, des Reichs Acht mit Aburtheilung ber 
ihnen verliehenen Boigteien. Die Vollziehung bes Spruche, 
zumal durch die erzürnten Bürger von Eplingen, blieb jedoch, 
unter der Einleitung wegen Böhmens Bezwingung und bes 
Römerzuges, noch verfchoben. 

Den Bi unverwandt auf Die verhaͤngnißvolle Kronedlid a 
Italiens gerichtet, wohin die Stimme des Dichters, Dantenad 3 Jta- 
Alighieri, uud der Wunfch zweibeutiger ghibellinifiher Ge» 
meinwefen ihnrief, fuhr Heinri in Verſchleuderung des Reichs⸗ 
guts, namentlich in Hingebung freier Städte, im Elſaß Wei⸗ 
ßenburgs und Eelz', in der Rheinpfalz Landau's und Ger⸗ 
mersheims, am Mittelrhein Ober⸗Weſels und Boppards, an 
die voigteiliche Gewalt begünſtigter Fürſten fort, wenn auch 
wiederum einzelne Gemeinden, wie das vielgeprüfte Schwein⸗ 
furt, ſeines Schutzes genoffen. Um Weihnachten 1309 finden 
wir den König in Köln, deſſen Bürger, bereits in Spannung 
mit ihrem Erzbifchofe Geinrich, durch reiche Geſchenke Des ho⸗ 
ben Gaftes Gunſt zu erfaufen ſtrebten. Nach Weſtfalen, wo, 
der ernenten Landfriedensbündniſſe ungenchtet, die linficherheit 
fo offenkundig fortvaneste, daß Erzbiſchof Heinrich im März 


188 Dritter Theil. 


5:Rap. 1310. die Bürger von Soeft auf ſechs Jahre von allen weltlichen 
Gerichten innerhalb feines Herzogthums nur deshalb freiſprach, 
„weil fie ohne Gefahr Leibs und. Guts nit auf Ladungen erſchei⸗ 
nen dürften,‘ wagte ſich das Reichsoberhaupt nicht ; des mitt- 
Ieren und nördlichen Deutfchlands Städte, ſich felbft hingege⸗ 
ben, gewannen aber gerade dadurch die Befugniß, ihre Ver⸗ 
faflung freier auszubilden,. wie wir zunäͤchſt an Thüringens 
Hauptſtadt wahrnehmen. 

Zufände Erfurt3 Gemeinwefen litt an doppelten Gebrechen, an 

uud Ahiveiner übermüthigen Junkerherrſchaft, welche von jenen abligen 
" Burgmännern herſtammte, die Erzbifchof Wilhelm zu Kaifer 
Otto's J. Tagen in der befeftigten Stadt angeftebelt hatte, und 
die fich, wie wir fahen, im Beſitz felbft der jährlich wechfeln- 
den Raths⸗ und Bürgermeifterftellen behauptete, und an dau⸗ 
ernder Fehde mit einem mächtigen Nachbarn. Nachdem König 
Rudolf dad Patrizierthum gegen den Sturm der Zünftler ge= 
fhütt, waren die „Herren von Erfurt” nicht. befiheidener ge⸗ 
worden. Sie fleuerten nicht zu den Bebürfniffen der. Stadt, 
die gerade ihretwegen mit dem Landgrafen Friedrich in Foft- 
ſpieligen und befchwerlidhen Krieg verwickelt war, weil Die 
Geſchlechter jene Lehngüter und Voigteien vom alten Lands 
grafen Albredt an fi) gebracht Hatten, ‚welche der Sohn mit 
dem Schwerte in der Hand als fein unveräußerliches Eigen: 
thum anfprad. Durch Verwandtſchaft, Standesverhältnifie, 
als Inhaber von liegenden Gründen außerhalb des Stadige⸗ 
bieteö mit dem Landadel inniger verbunden, begünftigten bie 
Patrizier die Feinde des. Gemeinwefens : fie bebienten fidy der 
Stadt Söldner, Rüſtung, Kriegsgeräths, und ihres Geleits- 
rechts zu eigenen Angelegenheiten ; hielten ſchlecht Haus mit 
den ftädtifchen Einkünften, fehwelgten und praßten; ja trieben, 
wie Straßburgs Junfer, den Lebermuth fo weit, baß fie in 








Biertes Bud. 189 


ihren Höfen eigene Kerker anlegten, Bürger darin einfperrten, 5.Rav._ 
andere laͤhmten, blendeten, verftümmelten, oder, falls fie Hecht 
ſuchten, Gelb von ihnen, als ihren Mundmaͤnnern, erpreßten. 

Ein Krämer wurde „mit Sporen geritten,‘ ein armer Hut⸗ 
macher an den Haaren durch bie Gaſſen gefhleift und wie ein 

Bieh abgeſchlachtet. Zu dieſen thatfächlichen ober halberdich⸗ — 
teten Uebeln, in welchen ſich überall der Haß der Zünftler ge⸗ Erfurt 
gen die berrichenden Geſchlechter ausſprach, Famen in Erfurt 

noch eigenthümliche Anklagen, 3.8. daß die Bürger den Raths⸗ 
herren „Leidemaͤntel,“ Tange Trauerkleider, bringen mußten, 

jo oft ein Herr flarb. - Bei fo haßwürdigem Regimente waren 

die Herren ſchlechte oder unvorfichtige Kriegsleute. Als der er- 
zürnte Landgraf Friedrich nicht Durch Güte Die von feinem Va⸗ 

ter verſchleuderten Lehnftücke erhalten konnte, nahmen fle zwar 
benachbarte Edelleute in Sold, und brachen hie und ba einige 
Iandgräfliche Burgen, Eonnten aber die Straßen nicht fichern, 

und erlitten mehrfache Einbuße. Wie darauf Friedrich, fonder- 

bar genug, da er zuerft den Frieden geftört, die Erfurter vorcrieg Er- 
das thüringifche Landgericht nach Mittelbaufen lud, flellten fle a 
fich mit ihrer Geiſtlichkeit und mit zahlxeihem Volke ein, fo ga 
dab der Gegner erſchrocken von der Malflatt floh, bei einer rich. 
zweilen Ladung fich aber befier vorſah und durch verſteckte Soöld⸗ 

ner die Ausgezogenen fhmählih mit Prügeln zurüdjagen 

lieg. Solchen Schimpf zu raͤchen, fuchte der Rath Beiftand bei 

ten Städten Nordhauſen, Mühlhaufen und Godlar, Flagte. 
feine Noth dem Könige, der, Thüringen als heimgefallen be⸗ 
trachtend, aus Rotenburg im Juli 1309 tröftlich den Bedräng- 

ten fchrieb, und ihnen, neben dem Grafen Hermann von Weis. 
mar und Orlamünde, auf ihre Koften einen Hauptmann mit 

200 Reifigen gegen den Reichsfeind zu ſchicken verſprach, auch 

alle ihre Rechte und Freiheiten beſtaͤtigte. Zum Helfer der Staͤdte 


iM Dritter Theil. 


5. Kap. hatte ſich bereitd Landgraf Jahann vom Heflen erboten, ber im 
Auguſt auß Speisr die Schußnoigtei über jene Gemeinweſen 
empfing, und zugleich als Befehlahaber des Reichsheeres bie 
Erfurter ſchirmen folkte. Deflenungeadjtei aber dauerte bie 
Beſchaͤdigung des Gebiets won Erfart, unter wuüͤſtem Lär- 
men gegen die Geiſtlichkeit der Stadt, welde vicht zum Kriege 
ſteuerte, fort, Der waffenfreudige TFriedrich ſiagte im Felde, er- 
oberte Weimar, belagerte Erfurt, erſtürmte die Vorſtadt, den 
Brühl, und ängfligte die Bürger durch Feuereinwerfen. Als 
das Jahr 1309 Bei folcher Auflöfung und Beratung der kö⸗ 
niglichen Michtgewalt verfloſſen war, erlannte Die nirbere 
Bürgerſchaft Erfurts, daß allein Umgeflaltung und Be- 
ſchraͤnkung dea Junkerregiments das Gemeinweſen vor gänz 
lichem Untergange retten könne. hen: follte am heil. Drei⸗ 
königstage des Jahres 1310 (6.Iam.) ein neuer Rathsmeiſter 
erwäßlt werben, da kam bie Gemeinde zu Haufen vor das Rath⸗ 
haus und zwang, gewiß nicht ohne mörderiſches Getümmel, 
den alten und neuen Math, öffentlich einen: Brief von fiebzehn 
Artikeln vorzuleſen und Die bittmeife geſtellten Forderun⸗ 
gen zu gewähren. Eingeſchüchtert wichen die. Patrizier, und 
übergaben, die zwei Rathsmeiſter umd zweiundzwanzig Raths⸗ 
herren, am. Sonnabend nad) h. Dreikoönige den: Brief, welcher 

DerBieripegen der vier neuen Tribunen der Bierbrief genannt 

Erfurt. wurde. Das Weſentliche der Zugeſtäͤndniſſe Inutete aber: 
Frieden mit Dem Landgrafen, mit Gewährung feines Rechts, 
ohne Schädigung des guten Leumunds der Stadt; im Falle 
ber Weigerung des Gegners ern ſt lich er Krieg mit Verpflich⸗ 
tung jedes reichen Bürgers, ein Roß zu halten; Zwang gegen 
die widerrechtlichen Beſitzer landgraͤflicher Güter, für ſich ſelbſt 
zu ſtreiten oder zu rechten; öffentliier Verkauf der mit der 
Stadt Wehrkraft gewonnenen Beute; Aechtung der heimlichen 








Biertes Duyd. 191 


Anhänger des gemeinſamen Feindes; Gultigkeit ben Ratha⸗ 5. aap. 
beſchlüſſe gegen ben Cinſpeuch Einzelner; Abſchaffung dea 
neuen Getzota wegen ber „Leibemäntel”; Gefreitheit des 
Saufes jeden Bürgers; öffentliches Geleit "nicht zu Sunflen 
Vornehmer, fondern way in gemeinen Sachen her Stadt und 
des Landes Thüringen; Rücknahme Der van Einzelnen erkauf⸗ 
ten Schoßfseiheit und Gleichhefteuerung Aller; Verwendung 
der Stadsfäldner nur zum gemeinen Beflen; endlich Die Haupt⸗ 
fahe: Befugniß der Meifter der Handwerke und der Gemeinde, 
vier Männer aus ihrer Mitte zu wählen, „um befto gemäch- 
liger und gütiger mancher Hand Sachen und Zweiung im 
Gemeinweſen zu ſchlichten: zu welcher Stunde und Zeit die 
Ekorenen in deu Rath, kaͤmen, um redliche Sache zu entſchei⸗ 
den, ſollten ſie ohne Hinderniß gehört werden.“ 

Dieſe Beſchraͤnkung bes Junfernegimentg dund) bie Bier» ungen 
besten, welche jährlich aus ber Gemeinde und den Gandwerken „fe 
gewählt wurden, und, an der Säule vor ber Rathothüre ſthend, eh er 
eine wahrhaft tribunicifche Gemaltgusuhten, erlangte Die 
Betätigung vom Kurfürften Peter und bewährte ſich als heil⸗ 
fan, zumal die Vierherren von je fünf Jahren, alſo zwanzig 
on der Zahl, als Obervormuünder der Gemeinde einen Außeren 
Rath neben dem innexen zu bilden fortfuhren. Statt zweier 
Rathsmeiſter ſetzte man fpäter vier, und half her Stadt von 
drückender Schuldhürde, obgleih dad Reichsheer unter Lettung 
Johann's von Heflen im Jahre 1310 wicht Sonderlicheq aus⸗ 
richtete, eine Tagefahrt, vom Könige zu Eger im April anbe⸗ 
raumt, den Streit wegen Meißens und Thüringens nicht aus⸗ 
glich, und die Ausſöhnung Erfurts mit dem ſtörrigen Land» 
grafen, under der Berbürgung von zwanzig Grafen und Herren 
im Juli 1310 zu Gotha getroffen, nur biß auf ben Zug bes 
Königs uber die Berge (1311) von Dauer war. Wenigfiensden 


192 Dritter Theil. 


5.Am. inneren Gebrechen und ſchmählichem Gewaltmißbrauch 
hatte Die Gemeinde felbkhefugt fürimmerabgeholfen. 

Kumeit, Beniger glüdte die Nothwehr einer uralten Reichsſtadt, 

Buntaber heiligen Krönungsflätte Aachen. Die Könige Arolf und 
Albrecht Hatten mit der dortigen Voigtei und dem Schulthei⸗ 
Benamte einen vortheilhaften Saudel getrieben, folde Wür- 
ben den Meiftbietenden verlichen, die fih dann durch Eryprei- 
fung an den Bürgern entfchädigten. Der Abt vom Kornelimün- 
fter mochte durch Einmiſchung die Unzufriedenheit verftärft 
oder jonft verichuldet Haben, daß die Gemeinde die Abtei er- 
flürmte, Kirche und Klofter beraubte und in Brand ſteckte, 
wobei einige Gonventualen umlamen. Ein Gericht, welches 
Darauf ber König dem Enzbifchofe von Köln und dem Herzoge 
Johann II. von Lothringen mit Vollmacht übertrug, verur⸗ 
theilte am 29. Det. 1310 die Bürger, dem Grafen Gerhard 
von Jülich und Rainold, Herrn von Valfenburg, ald Inhaber 
ter Voigtei und des Schultheißenamtes, ein bedeutendes 
Sühngeld zu zahlen, und beiden die Verwaltung ihrer Aemter 
durch andere, weldenftediefelben verunterpfändet, ein- 
zuräumen. Die Berwandten und Breunde der Getödteten er- 
hielten gleichfalls eine anfehnlihe Buße; das Klofter ward auf 
Koften der Stadt wieder aufgebaut. Von Abſchaffung jenes 
Mißbrauchs mit einer Rechtsgewalt, die allein Erprefſung zum 
Zwed hatte, auch nur von einer Beſchränkung, war unter dem 
Nitterkaifer nicht die Rede. Und folder Schirmuoigte, die 
nicht fhüsten, folder Schultheißen, welche nicht richteten, 
aber beide, zudringlicher in noch ungeorbneten Gemeinweſen, 
ihre Einfünfte gewaltfan eintrieben und vermehrten, gab 
es faft in allen freien Städten; die Bürger konnten ſich nidyt 
anders retten, wollten fie nicht, wie fo oft gefchah, ganz unter 
bie Botmäßigfeit mächtiger Reichsbeamten fallen, als durch 


Biertesé Buß. 193 


Ledlaufung am hohe Summen, was um diefe Zeit beveitß von 5.Rav. 
vielen Städten gefchehen war, am ſicherſten aber in König Lud⸗ 
wig des Baiern drangovilen Tagen gelang. 

König Heinrich fand nimmer Nüuhe vor dem italieniſchen — 
Abentheuer und wandte nur flͤchtige Aufmerkſamkeit den brin⸗ nen 
gendſten Gehhäften des Neichs zu. Wohl empfal der Reis ' 
tg zu Frankfurt (Inli 1310), zahtreich von Kürften und Her⸗ 
ven, jo wie von Stößten, Die zum Rünterzuge mitwirken muß⸗ 
tn, beſucht, einen allgemeinen Lanbfrieden, erneute bie älteren 
Eandfriebenäwereine, fchärfte auch das Gefetz wegen der Pfal⸗ 
bürger ein; die Gauptiache aber blieb: bie Verfolgung der 
böhmifchen Heirath des jungen Vrinzen Johann, ber auch zum 
Neichsvicar dieſſeits der Alpen auf fünf Jahre ernanut wurde, 
und die Römerfahrt. Im löblichen Widerſpruch mit ber Ver⸗ 
zichtung ſeines Vorgängers auf das. ſlaviſche Rorddeut ſch⸗ 
land zu Gunſten der daniſchen Kenne erhob zwar Oeinrvich im 
Inli 1310 erſt den Markgrafen Johann von Brandenburg 
allein, glei) darauf and) defſen Oheim und Bormund Walde⸗ 
mar, auf fieben Jahre zu Reichſnoigten aber Lübeck, ungeach⸗ 
tet daſſelbe fi unter König Erich Menveds Schatz begeben: 
ed war dein deutſchen Könige aber. nur darum zu thun, durch 
Anweifung der Steuern auf die Markgrafen biefe bei guter 
Raune zu erhalten. Die Anhalter, mit dem bersihfüchtigen 
Dänen verſchwaͤgert und politiſch befreundet, mochten ſich mit 
biefem ſchon abfinden, und Lübecks Kaufleute Bas Doppelte 
Schutzgeld zahlen! Die Belehnung des jungen Bräutigam 
Johann mit dem Konigreiche Bühnen und defſen Bermählung Bi 
mit Eliſabeth ward zu Speier am 30. und 31. Auguft feſtlich Sein. 
bollzogen, dann aber durch eine Reihr von Urkunden, zur Bes 
förderung des Mömerzuges, das Bteich um wichtige Stürke 
ärmer mochte. u auch für Mainz, ee 

Bartbold, Etädiewefen. II 





194 Dritter Theil: 


. aay von Inden, von Beigieien, wie Dorimunds zu Cunſten Kölns ; 
Erlaubniß an den neugefhrfteten Grafen Berthold von Henne» 
berg, im freien Schweinfurt eine Burg zu bauen, Schuldbe⸗ 
tenntniffe und mannichfache Beräußerungen verſchafften dem 
Nacheiferer Friedrich Rothbarts und der Hohenflaufen ein 
weber glänzendes noch auf die Dauer zunerläffigee Römer- 

"ntpeit zugögefolge. Urkundlich ſtellten die Bürger von Speier, deren 

en gemäpigter demofratifcher Berfafiung des Königs wiederholte 

merzuge. Anwejenbeit in ihren Bauern nicht förderlich war, ‚zur Fahrt 
nad) Lamparten“ zehn Ritter und Edelknechte, und ſteuerten 
auch ſonſt noch freiwillig. Auch andere oberdeutſche Städte 
mögen daſſelbe gethan haben; Zürich und Bern wenigftens 
ſchickten jede auf beſtimmte Zeit Hundert Bann, und bie drei 
Waldſtaͤtte Schwyz, Urt und Unterwalden, vergalten bes 
Neichsoberhaupts Fürforge durch wadere Hülfe beim Zuge 
über bad Gebirge. Sonft aber zeigt fi feine Spur von einer 
nationalen Erhebung, und des Lügelburgerd Heer trug mehr 
das Sepräge einer Gefolgeſchaft feiner naͤchſten franzöſtſchen 
Sippen nebft einigen ſchwaäbiſchen und fränkifchen Herren, zu 
denen betraute Bifchöfe und vertragsmäßig Herzog Leopold 
von efterreich ſich gefelkten, als den Charakter der Vertretung 
eines großen, gewaltigen Volks, welches. ein unverjährtes 

Auforuh Hecht mit den Waffen geltend machen wollte. Einem Reichs⸗ 

8 Aahaufgebote ähnlicher ſah das Heer, mit welchem gleichzeitig 
(Sept. 1310) der junge König und Reichsſtatthalter Johann 
zur Bezwingung Böhmens aufbrach, wicht ohne den Beiftand 
ber deutſchen Bürger Prags am Ende bes Jahres die czeihtjche 
Haupiſtadt eroberte und. die Ksone für das Haus Lügelburg 
erwarb. Ein drittes Aufgebot rüftete fh die Reichsacht gegen 
ben trotzigen Grafen Eberhard von Wirtemberg zu vollſtre⸗ 
den, wobei bie ſchwaͤbiſchen Städte, zumal die erbitterten 


Viertes Bud. 195 


Eflinger, geführt vom Lanbuoigte Konrad von Weinsberg, fo 5. rar. 
nachhaltigen Eifer zeigten, daß fle den argen Landfriebensbre- 
cher von einem Felſenneſte auf das andere trieben, bie pran⸗ 
gende Stammburg Wirtemberg in ben @rund brachen. Selbſt neins- 
aus der Veſte Aoperg auf das Gebiet feines Schwagers, Rusan Ser 
bolf6 von Baden, geflohen, harrte Eberhard in Berborgenheit, Bien, 
beſſerer Beiten. "en, 

Aber während Heinrich, feit dem 6. Januar 1311 mit 
der eifernen Krone, und feit bem 29. Juni 1312 mit der Kai⸗ 
ſerkrone gejchmückt, feine kaͤrglichen Hülfsmittel, die Kraft 
feines Gemüths und ſeines Leibes verfchwendete, um wider 
die nationale Entwidelung ber Völker Italiens die Herrichaft 
der Salier und Hohenſtaufen herzuftellen: ber hochgefinnte 
Kämpfer nur ſolche deutfche Angelegenheiten auf bem Per⸗ 
gamente erledigte, die ihm über Die Alpen nachzogen, und er 
fhon am 24. Augaft 1313 im fernen Toscana eines dunfeln 
Todes ſtarb; fiel das Neih an allen Enden in traurige Ge⸗ 
ſetloſtgkeit zurück. So viel das Bürgerthum angeht, verfol« 
gen wir diefe Ereigniſſe rings aus dem aͤußerſten Süpoften Serfall 
und Süden bis an die baltiſchen Kuſten, den Schauplatz denk⸗ Beide 
würdiger Bürgerthaten. 

Don den Erben des gefpaltenen Wittelsbachergeſchlechts m 
war Rudolf, der ältere Sohn Ludwigs des Strengen, in Kö- 
nig Albrechts Tagen der Bedraͤnger feiner mitleidwerthen 
Butter, nach einer Ausgleichung haͤßlichen Haders mit feinem 
füngeren Bruder Lubwig, ein Geführte des. Mömerzuges bis 
in den Sommer 1312. Die Ihellung zu Münden vom 1. 
De. 1310 hatte die Ifar zur Grenze beider Brüder gefebt; 
Rudolfs Antheil war das Gebiet von Münden, das an bür- 
gerliher Ordnung und Stattlichkeit heranwuchs; Die pfaͤlzi⸗ 
{hen Lande blieben füss erfte beiſammen, bis neue Tehden 

13 * 


196 Dritter Theil. 


3. Rap. zwiſchen den uneinigen Brüdern neue Berträge, quch wieder 


EStüdte 
in Nies 
der, 
baiern. 


zeimeeife-tiiar gemeinfame Megierung zur Folge hatten. Linter 
ſolchen Händeln bildete fi in Altbaierns Staͤdten eine poll» 
tifche Gefiunungsfähigkeit, aus, weiche uns. überraſchend in 
Kaifer Ludwigs Tagen begegnet. Ein erwedteres Staasslchen 
gaben Die Gemeinweſen Nieberbalernd Fund, unter ben Wir⸗ 
ren, in welde die Söhne Heinrichs (geft. im Jahre 1290), 
Otto HI. und. Stephan, wit Oeſterreich geriethen. Otto, nad 
dem unglüdlichen Kronabentheuer in Ungarn mit Mühe und 
sol Haß gegen Habsburg heimgefehrt, hatte im Jahre 1309 
den verwüftenden Krieg mit Oeſterreich begonnen, welcher im 
Jahre 1310 das Elend der Bewohner des unteren Iunthales 
ins Unglaubliche ſteigerte. Als Herzog Stephen am 12. Der. 
1310 der Seuche erlegen, vermittelte Eliſabeth, Albrechts 
Wittwe und Mutter Friedrichs von Oeſterreich, die erfchöpfe 
ten Streiter,. und ein Schiedögericht Herzog Ludwigs, vom 
24. März 1311, gewährte der unglücklichen Bevölberung der 
Grenzmarfen wenigftens einen kurzen Frieden. Erdrückt von 
der Laft großer Schulden, erſann Herzog Otto zu Landshut 
bie Abkunft, für eine einzige Abgabe feinen Ständen bie 
niedere Gerichtöharkeit und die Steuerbefreiung zu verkaufen. | 
Reben fiebenzig abeligen Geſchlechtern ergriffen neunzehn Stäbte 
und Märkte, als die namhafteften Bandshut, Straubing, Zaus 
bau, Kehlheim, Braunau, dieſes Mittiel, um in ihren Höfen 
und Marken über alles zu richten, was wicht Todesverbrechen 
war, und empfingen am 15. Juni 1311 bie „ewige Kante 
veſte“ des Verkaufs, welder den Grunbflein der fürſtlichen 
Macht Hinwegriß und in feinen Folgen mehr felbftifihe Rechte 
der „Landſchaft,“ ald Des Volkes, entwidelte. Wenige Mo 
nate Darauf ſchwer erkrankt und in Sorge vor ber Heberwäl- 
tigung feines einzigen Kindleins uud Dex unminbigen Söhne 





BDiestes Buß. 497 


ſeines Bruders Stephan, Heinrich und Otto, durch Pfaffen, 5 Ra. 
Adel und Die Habsburger, berief Otto Die achtbarſten Bürger 
son Landshut und Straubing vor fein Sterbebette, und ließ 
fe bei theurem Gide geloben, bie drei fuͤrſtlichen Waiſen und 
die Pflege des Herzogthums Seinem zu vertrauen, ala Ludwig, 
dem Herzoge von Oberbaiern. Ludwig verdiente mehr ala 
fin ſtoͤrriget, ſtaſterer Bruder Rudolf ſolches Vertrauen des 
ferbenden Vetters; mit: der Kunde vom Tode Otto's (9. Sept. 
1314) gelangte nach Bünchen aber auch bie Nachricht: ber 
Adel Riederbaierns, empört, daß die ummündigen Fürften 
der Obhut des niedrigen Bürgervolks empfohlen 
feien, ginge damit um, bie Herzoge von Oeſterreich, 
Friedrich und Leopold, zu Vormündern zu erwählen. Der 
ſchöne Friedrich Hörte nicht auf die Abmiahnung des Baiern- 
benogs, drohte mit übermüthigen Worten, und fihnell ent» 
brannte in Baiern eiw:äußerer und ein innerer Krieg. Denn 
der erzürute Adel plünderte das But der Städte, die, wie 
„Riäter, Rath und Gemeinde” von Landshut und Strau- 
bing, fhon im Januar 1313 ſich in den Schirm der Herzoge 
von Oberbaiern begeben. Die mutbigen Banner der Bürger 
fießen um Münden zum Heere Ludwigs. Andererſeits ging, Sätast 
nad der Rüftung des Sommess, weldher Kaiſer Heinrich VII. meiß» 
in Bonconvento erben fah, die Ritterfchaft ber Habsburget 
über Jſar und Amber. Am 9. November 1313 überfiel jedoch 
Ludwig, an ber Spike von 700 Heimen unt mit fihönem Fuß⸗ 
bolfe der Städte Landshut, Ingolftabt und Straubing, die 
Gegner, welche Ulrich von Waldjee, der Begwinger ber Re⸗ 
bellen Habsburgs im Jahre 1309, führte, bei Gamelsdorf, 
und gewann die blutige Wahlſtati. Diele Bürger Landshuts 
und Mosburgs wurden bon der Beute reich; der Ingolfkabter 
Seldenmuth zu vereiwigen, mehrte ihnen Ludwig ihr Wappen ; 


3. Kap. 


198 Dritter Theil. 


Die tapferen Landshuter ehrie er, indem er ihnen, flatt der 
drei Eifenhauben, drei Helme ins Schild ſetzte, weil fie, ben 


Lohn verfittern gleich, für dihre drei jungen Zürften geſtritten. So 
ar mannhafterTxene bes nach politiſcher Geltung ringenden Bür- 


Am 
Ober⸗ 
rhein. 


gerthumes für das angeſtammte Fürſtenhaus begegnen wir 
gleichzeitig, als ſelbſt die bevorzugten Shibellinenſtädte Ita⸗ 
liens den Zügel der Kaiſergewalt brachen, in Thüringen, in 
Meigen, in Brandenburg wie in Pommern und in Holflein; 
ruhmvoller Aufopferung für das Reich bei dem hartnäckigſten 
Mideritande, wenn eimmal die Landherren ihre Freiheiten 
antafteten. 

Um Oberrhein bewegte fich das fläbtifche Leben, gewaff⸗ 
net gegen unausbleiblichen Landfriedensbruh, in leidlicher 


- Weife fort; wir finden namentlich vielfache Vereinbarungen. 


— 
ung von’ 
Me. 


8. 


zwifchen den Gemeinweſen über ben Mißbrauch, einen Bürger 
wegen der Schulden feines Mitbürgers in einer anderen Stadt 
mit Haft zu belegen: fo zumal Straßburgs mit Metz, der ur⸗ 
alten Hauptſtadt Auſtraſiens, deren Geſchichte uns fremd 
bleibt, obgleich diefer Vorort Lothringens im Laufe des vier⸗ 
zehnten Jahrhunderts wieder näher zum Reich, deſſen Glied er 
war, herzutrat. Wir erwaͤhnen über Metz nur, daß ſeine Ver⸗ 
fafſung als geſchlofſene Ariſtokratie gewiſſer Schoͤffenfamilien 
fich feſtſezte; daß ſeit 1129 der Maistre Escheviu (Schöffen- 
meiſter, Amman) das Gemeinweien als oberſte Behörde lei⸗ 
tete und der Bifchof auf die jährliche Wahl beffelben allen 
Einfluß einbüßte. Mit dem Anfauge des vierzeßnten. Jahr⸗ 
hunderts nahmen die fünf „‚Paraiges‘ als Adelsgeſellſchaften 
nit allein jenes Amt, fondern auch das höchſte Gericht ber 
Dreizehn, ausſchließlich In Anſpruch; der ſechſte Barnige, der. 
„du Commun,“ blieb nur Antheil an den niederen Zweigen 
ber Verwaltung, So ſtarres Patriziat, vertreten Durch acht bis 








Biertes Bu. | 199 


zehn alte, reiche Geſchlechter, behaupiete fi mit merktwürbiger 5.Ran. 
Bähheit gegen die faft überall flegreichen Zünfte bis zur Ent⸗ 
frmdung ber Stadt vom deutſchen Heide. — 

In Thüringen hatte dad Getümmel nad des Königbrvict 
Aufbruch bald wieder begonnen, obgleich Erzbiſchof Peter von 
Rainz und Graf Berthold son Henneberg, unmittelbar nad 
ihrem Einzuge in Prag, mit Föniglicher Vollmacht dem uner- 
müdlichen Landgrafen Friedrich von Thüringen für verfprochene 
Dienfleiftungen und gute Nachbarſchaft mit Böhmen die Be- 
Ichnung mit feinem Erbe, Thüringen und Meißen, (19. Dec. 
1310) und den Beſitz der Reichspfandſtücke Altenburg, Zwi⸗ 

Sau und Ehemnig, zuerlannten, alſo auf gültige Anſprüche 

des Reiches verzichtet hatten. Denn die Erfurter, in deren 
Mitte der alte Landgraf Albrecht kümmerlich als Läftiger Gaſt 

bis zu feinem Tode, 13. Ron. 1314 weilte, wollten Die errun« 
genen Güter nit ohne Entſchaͤdigung Herausgeben, ſahen den 
Berwüßer wieder vor ihren Mauern, und gewannen Luft 

nit durch den Burggrafen Sriedrich von Nürnberg, den der 
König ober Erzbiſchof Peter ihnen zuſchickte, fondbern durch 

das Mißgeſchick, welches den Wettiner im Januar des Jahres 
1312, unter wüſter Fehde, in die Gefangenſchaft des Mark⸗ 
grafen Waldemar von Brandenburg geführt. Um hohen Preis, „Erfurt, 
die Abteetung der Laußig, bes Oſterlandes, der Mark Landes Rn 
berg und um Berpfändung ſelbſt Leipzigs, deſſen Rath fen vie. 
am 25. April 1312 dem Brandenburger gehuldigt, der Haft 
entronnen, züchtigte Sriedric die Aebte von Fulda und Hers⸗ 

feld, die Befchäbiger feines Laubes während ‚feiner Abweſen⸗ 

beit, ficafte Die. Bürger von Mühlhauſen und Nordhauſen um 
Geld, ſperrte dann der Stadt Erfurt alle Zufuhr, underpreßte, 
zumal die allgemeine Qungereneth. im Jahre 1315 viele tau⸗ 

iend Menſchen in der Stadt hinwegraffte, einen Vergleich, 


200 Dritter Theil. 


5-%ay. entweder 10,000 Mark Silber zu zußlen, oder dir Gerechtſame 


feines Hauſes Heraudzugeben. 


Bape Im Erzſtifte Magdeburg bereiteten böfe Zerwürfniffe ſich 


x — 


a 


vor. Erzbiſchof Burkharbill. begann, nach leidlichem Anfange, 
um Geld zu erpreflen, die Bürger der Hauptitabt mit wertli- 
hen Anfprüden zu nedien, drohete mit dem kirchlichen Banne, 
verkaufte ihnen Tann das JZugeſtändniß unflreithar ältere: 
echte um neue Zahlungen, wie er aud der Stadt Halle 
that, ohne den Willen, ſolche Berträge zu halten. Verſchul⸗ 
dere der treuloje Kichenfürf durch fpätere Sünde den wör- 
deriſchen Haß jeiner Heerde, ſo trifft ihn gleigwogl mit Un⸗ 
recht die Anklage, als Habe er, von der Kirchenverjammlmg 
zu Bienne zurüdgefehrt, ähnlich dem tückiſchen Könige Phi⸗ 
lipp IV. von Frankreich, Die gefangenen Templer jeines Spren- 
geld an einem Tage lebendig verbrennen laſſen! Befanntlid 
ward die Aufhebung des Templerordens überall in beutfchen 
Landen ohne Grauſamkeit, ja zum Theil mit milder Fürſorge, 
ausgeführt. — Die Unbilden, welde fi der Erzbiſchof wih- 


send des Kampfs der beiden Gegenfünige jeit vem Jahre 1314 
gegen jeine Bürger erlaubte, führten, unter neuen Zeichen der 


Zeit, fein grauenvolles Ende herbei. — 

Im nörbliden und nerböfllihen Deutilande, defien 
machtigſte Fürſten, die Murkgtafen von Brandenburg, nur ſo 
writ ſich um das Reich küͤmmerten, als es ihr Vortheil gebot, 
erblicden wir eine um fo feſtere Haltung des Bürgerthuns, 
je nüher wir ben wendiſchen Serftäbten kommen. Gehen in 
der Mark Hatten bie Gemeinweſen, wie Berlin, Köln, Alt⸗ 
amd Reubrandenbusg, in ihrem ‚‚gemeinen Rathe“ und den 
„Geſchwornen“ einen merklich demokratiſchen Anſatz genommen, 
wahrſcheinlich unter Waldemars mißlichiger Vormundſchaft 
für Johann. Hohen Brad politiſcher Selbſtiſtaͤndigkeit offen- 


.Biertes Bun. 801 


barın dann die Dbiten mach ken: Autftenbten bir Anhalter. In mm 
den hanſtſchen Statuen: Meillenburgd und Pemumeend' tuikt 
dieſes Bewußtfein früäger nach ziel Seiten heraus: im Wir 
derſtande gegen Die Unteriodfungspläne einer nordiſchen Sirene, 
und im Kanppfe gegen bie Ranbkäfüsfken, welche unter dem 
Schupe ber fremden Gewalt‘ die Gemeinweien. niedertteten 
wollten, Die ihnen über den Kopf gewachſen. Wiomar, Noftack, — 
Greifewald und Stralfund, wenn auch keine Reichsſtädte, wie Bauer 
Lübeck, das ſich jüngft unter den Schuß des Daänenkünigs ber 
geben, doch im Beſitz wichtiger Hoheitöredhte, der Freiheit vom 
der Heerfolge, des Gerichts ohne andere Berufung als 
an ben Oberhof nah Lübeck, des Widerſtandsrechts bei 
Gefährdung ihres Privilegien durch die Fürften, waren reich 
durch weituerbreiteten. Sechandel, trotzig: auf ihre Waffenen⸗ 
folge und feſten Mauern, voll Argwohn ‚gegen die Landherren, 
die, verarmt durch ernente Erbcheilungen, über ben Hochmuth 
des Buͤrgervolks zu klagen nicht müde wurden. Wir haben des 
verſtaͤndigen Venetianers Marino Sanuto Zeugniß für die 
Macht und Streitbarkeit der Anwohner der Nordſte nad ber 
baltiſchen Kſte. Raſtlos bemmht, um: die Mögltiklelt ver 
Wiedergewinnung des heiligen Landes zu: zeigen, durchwan⸗ 
derte er das ganze Abendland und fand, zur Bezwingumg: Der 
Sarazenen, kein brauchbareres Bat als die Dietmarfchen und 
Frieſen, die Geeländer, die Holſaten, die Bürger son Ham⸗ 
burg, Lübeck, Wismar, Roftodi; Stralfund, Greifswald amd 
Stettin. Merlwürdig genug Hatte der Italiener, dem doch: bie 
Nachtſulle nalieniſcher Seerepubliken vor Augen, mis bes 
eine Bedenken, die norddeutſchen Pilger mödten aus glühens 
der Andacht An fo großer Zahl aufziehen, daß fie ſich die Leis 
tung bes frommen Umernehmens anmaßen und. — 
ſuchht der Venctianer erweclen wurden! | 





202 Dritter Theil. 


Sonute ſich aus den reichen, mit Gurtöbefik ausgeſtatteten, rit- 
tergleicden Familien dennsech kein Patriziat, fein gefchlefienes 


. Obgleich in allen dieſen Städten nad Tüblfgem Rede | 
die Wahl und jährlidte Nathebeſetzung beim Rathe ſelbſt 
Berfaf- fand, die Handwerker grundſẽtzlich ausgeſchloſſen waren, jo | 


Adelöregiment bilden, einerfeits, weil ber Kaufberreuftand, 


die Seele des ſtädtiſchen Lebens, dem Wechſel der Bermögens- 
serhältniffe unterworfen blieb, andererfeits, weil aus den obe⸗ 
ren Zünften, aus der Körperſchaft der Alterleute, allmü- 
lig eine überwachende, beflätigende, eine tribuniciidhe Gewalt 


Die at. erwachſen war. Die Körperfchaft der Alterleute, als Häupter 


ber Zünfte bei politifchen Berfammlungen ohnehin ſtimmbe⸗ 
rechtigt, vertrat. beim Mathe die geſammte niedere Gemeinde, 
und wenn aud) in manden Städten, wie in Stealjund, bie - 


Benofien des Gewandſchneiderhauſes als rathöfähig galten, 


fo hörten fie doch nicht auf, ein verfaflungsmäßiges Ge⸗ 


gengewidht gegen die Willkür der regierenben Bürgermerifter 


einzulegen. Seiner Natur nach mehr auf Erhaltung des 


Beftehenden, auf friedliche Ausgleichung in Handeln wit 
ben Landesherren, in auswärtigen Kriegen, bedacht, wurde 
Der Rath der Reichen, Landbegüterten duch ben ſtürmi⸗ 


— .. — 


ſchen, waghalſigen Freiheitseifer der Zünfte bei gefährlichen 
Verwickelungen zwar oftmals aus feiner vermittelnden Gtel- 
kung vesdrängt, und verdanften bie großastigften politiſchen 


und kirchlichen Ideen ihre Berwirklidung nur ber fiegen- 
den Demokratie; dennod aber bet in den hanſiſchen Stäb- 
sen die. Zunftherrſchaft nie auf bie Dauer ih behauptet, 
iſt nad früheren Satzungen die in einer Bundesfkadt gefahr: 
dete Meihäariftekrmtie Buch gemeinfame Mittel immer 
wieder hergeſtellt, und bie demekratiſche Bewegung bejeis 
tigt worden, nachdem dad Bemeinwefen gerade durch die 


Biertes Bud. 208 
shdfihestisie Aufopferung der Zünfte Chre und Vortheil ers 5.Ray. 


tungen. 

So ſcheiterte, dem Belingen nahe, des Dünen Erich Dien- | erit 
vedo eßrgeiziger Blan, thatſaͤchlich König, ber beutfchen Ela. 3 — 
venlaͤnder zu werden, und bie ihm aufgetragenen deutſchen Lehen land. 
an der Oſtſee in daͤniſches Krongut zu verwandeln, an dem Wi⸗ 
derſtaunde ber Staͤdte überhaupt, beſonders an dem muthigen 
Ehreifer der niederen Benölkerung und einem rechtzeitigen Er⸗ 
wachen würbiger Politik im Markgrafen Waldemar, dem ein⸗ 
zigen großen Meichöfürften an Dänemarks Orenzen. Das Her⸗ 
zogthum Schhleswig, deffen altſaͤchſiſche Vorderſtadt Sähletwig 
nach harten Schickſalen fi wieder aufgeſchwungen und ächt⸗ 
deutſch, auch mit Beſeitigung des landesherrlichen Voigtes, 
ſich ausgebildet hatte, grhorchte noch ben Nachkommen des 
Königs Abel; die Grafſchaft Holſtein war machtlas in ver⸗ 
ſchiedene Linien, eine Wagriſche und eine Reudoburger, Era 
fallen ; Hauburg, wen auch hochgefreit und hauſiſch, dennoch deutis- 
Landſtadt; das erblühende Kiel noch nicht im engeren Vunde 
Die zeihäfseie Bflegetochter der. Hohenſtauſen, Lübech Bette 
fh mübe unter den Schutßz bed Dänen begeben, bei Sicher- 
ſtellung zeiiweifer Handelsvortheile und Oenüſſe ſelbſt mit dem 
Gedanken vertraut, „dem deutſchen Reiche Ad ganz zu ent⸗ 
fremden.“ Der Stamm ber Guelfen war in viele Linien zen 
ſpaltenz die niederſaͤchſiſchen Städte, Braunſchweig, Lüne- 
burg, Böttingen, Hannover, gebichen ohne gemeinfaune Zwecke 
Die Herzoge non Sachſen, dos Geſchlechts Anhalt, am ſich ohne 
bedeutenden Beftg, verhielten ſich als Lauenbarger und Akte 
tenberger uneimig gegen einander wegen ber fireitigen Aun- 
ſtimme. inf Heinrich son Mediienkurg, wie Nicolaus von 
Warle (das Kind von Moſteck), waren Lahnsmannen ber 
nordiſchen Krane ; Roſtock dem erſteren ala Reha, jo lange es 


204 Dritter Theil. 


5.Ray. dem Könige. güftele, überlaffen. Witzlav, Fürſt von Algen mb 
des nahen Fefllandes (Stralfund), ohnehin Bafall Düne- 
marks, Rand mit Erich Aenved im Erboertrage; Hergog Otto 
von Steitin-Bommern beugte ſich den übermäthigen nerbi- 
ſchen Herrſcher; Brandenburg wear diefem yolltifiheng befreun⸗ 
det. Dazu nun bie Abtretungsurfunde König Altreits über 
das Reichsgebirt jenfeit der Elde, weiche feines Machfolgers, 
des wit Stalien ausſchließlich beſchaͤftigten Heinrichs, Verfü⸗ 
gung über Lübecks Voigtei zu Gunſten der Markgrafen wicht 
entfräftete. Bei der zahmen Unterwürſigkeit und Armuth der 
Zandeöherren im ‚Rönigzeiche Slavien,” ihrer Anmuthungen 
an König Erich, den Troy ihrer Städte zu brechen, war es 
um ein wichtiges Stück deutſchen Neichäbobens geſchehen, ohne 
die zähe Widerſtandsfähigkeit und den deutſchen Sinn Wis⸗ 
mars, Roſtocks und Stralſunds. Wir geben in gebrängter 
Kürze den erfien Theil eines zufannmenbängenben Sehe, welche 
ſtegreich für die deutfche Sache erfi in den Tagen ver Kämpfe 
um die Reichskrone (1317) endete. A 
nn Wismar, der Hoffitz Heinrichs des Köwen von MRerklen- 
Samen burg, im. Beflg der wichtigſten Hoheitsrechte, gemeinheitlich⸗ 
feei, ſtark befeftigt, reich als hervorragendes GElied ber Hanſa, 
und fühner Dusch das Bündniß, welches Roſtock, Strubſund 
und Greifswald am 7. December 1308 zur Verfolgung hres 
Mochts auf. fünf Jahre mit ihm ernenert hatten, weigerte 
dem Landesherrn, zu feiner Tochter Bermäßlungsfeler ben Hof⸗ 
halt bei fich aufzenehmen; „das Gefolge des’ Fürſten ſei der 
Sabdt grofaͤhelich Exrgrimmt über ſolche Keclhelt Nagte Hein⸗ 
si die Ktankung dem Landadel auf der Hochzeit zu Sternberg 
(März 1310), und vermochte den Konig Erkch, Yen Roſtocks 
aͤhnliche: Goſtnnung mit: Stoll erfüllte, eine allgemeins Zür⸗ 
ſtenverſamumlung nach dieſer Stadt anzuberaumen. Unter dem 








Biertes Bu 205 


Vormenbe feſtlicher Turniere, Gelage und Cheenaustheilun —— 
gen verſteckte ſich aber der Zweck: ben Hechmuth der wendiſchen 
EtDte zu brechen. Aufmerkſaun auf das gehhaime diplomatiſche 
Getreibe der Nachbarfürſten, beftätigten Me drei Städte auf 
tiner Tagefahrt zu Roſtock am 9. Auguſt 1310 ihr Schatz⸗ 
und Trutzbündniß, und ſelbſt Läbeck trat hinzu, jedoch umter 
der Kerwahrung, gegen ben Rösiguon Diinemark nichts Feind⸗ 
liches zu unternehmen. Als nun im Borfommer 131 — 
während König Heinrich mit den Guelfeuſtaͤdten Lombarbtens 
rang, um Hoftage zwanzig. Fürſten, unter ihnen bie wendi⸗ 
ſchen, die Markgrafen von Weandenburg, Die Herzoge von 
Sahfen und Braunſchmeig, nie Brafen won Golſtein, Die Erz⸗ 
biigöfe von Magtehurg, Bemen: amd Lund, mit vielen Präs 
Inten und einer großen Zahl sim Bittere und Edlen, nebft 
„ſchönen Frauen“ aus allen nordaſchen und beutfihen Landen, 
vor Roſtock eintrafen (12. Intl), witterden Mash und ges 
meine Bürgerichaft Gefahr von den ſarſtlichen Gaͤſten, bes 
ſchloſſen, den Oberichnsherru nur mit einer.befkianmten Zahl Dis 
niſcher Kriegaleute einzulaſſen, und machten Miene, ihre Thore 
mit Gewalt gu ſyerren. Der Nunenkönig, auf dem Gipfel ſei⸗ 
ner Macht, on: ſe i nen Bürgern ſo furih beltidigt, bezwang 
ſeinen Zorn und verlegte das Goflager außerhalb der Stadt, 
nach dem ſogenannten Roſengarten. Unter großen, Pavelunen“ 
son Seiden⸗ und Scharlachdecken, usıter Larbchütten amd klei⸗ 
neren Zelten, beherbergte er in den lauen Machten ber Som⸗ 
merſounenwende Zürften und le; hielt. glanzende Ritter⸗ 
ſpiele, ertheilte Die Mitterwwürbe mit zeigen Beſchenken an 
Waldemar non Brandenburg und viele Herren und Ehle ; lö⸗ 
niglich freigebig auch gegen „gehrende Leute, zumal gegen 
Reifterfänger, bie nach der Sitte ber Zeit, unter ihnen Hein⸗ 
rich Frauenlob, der Meißner, herbeigegogen waren, die Herr⸗ 


206 Dritter Theil. 


ugteit der Finften, Die Gchoͤnheit der Frauen nach neuer Kun 
zu befingen. So dauerte die, Hochzeitdrei Tage, mit ner 
hörten Brunfe und Bullgenuß an Speife und Trauf. Aber 
mitten unter dem Spiele und Gelage beſchloſſen bie Fürften, 
einmüthig in bez Klage über bie Frechheit der Bürger, welche 
furchtlos von ihren Binnen herab den Fürſten zufchauten, her⸗ 
ben Ernſt; ſchon am 7: Jali fand Fürſt Heinrich mit ſtatili- 
dem Kriegsheer vor Wismar, während daäniſche Schiffe den 

— Hafen ſperrten. Doch die tapferen Bürger ſihlugen bie 
" Stürme ab, und die Flotte der Schwefterflähte trieb die 
Dänifche in die hohe See. Solicher, Trog,“ zumal der Ro⸗ 
ſtocker, erfüllte das Raaß des füniglicden Zoms ; in Warne⸗ 
münde felbft anwefend, ernannte Erich gleich Darauf den Für- 
fien Heinrich zu feinem Statthalter in Roſtock gedachte durch 
Baffengewalt erft jene zum Gehorſam zurüdzuführen, und 
ließ deshalb einen billigen Sühnvertrag Wismard mit dem 
Landesfürften durch Vermittelung des Herzogs von Echleswig 
und Nicolaus des Kindes zu. Die Bürger follten ben Treueid 
son neuem ſchwören, die Boigtei nebfl anderen erworbenen 
Hoheitsrechten zurückſtellen, und dem Fürften die Schlüffel 
eines Stadtthors fo Tange überlaflen, bis er an Stelle feines 
zerfiörten Hoflagers ein anderes erbaut Hätte; bagegen Hein⸗ 
rich gelebte, ſammtliche ältere und neuere Rechte und Freihei⸗ 
ten, ſelbſt das Recht des Kriegsbündniſſes, zu beftätigen. So 
entlamen die Wismarer glimpflichen Kaufe dem’ Unwetter, 
weides ſich jet. über Roſtock zufammenzog, das ſchon im 
Herbſt 1311 feinen Hafen -burdy die Bollwerfe Heinrichs des 
Statthalters gefchloffen ſah. Furchtſam drang der Rath auf 
gütliche linterhandlungen ; aber bie mittlere und niebere Bärger- 
ſchaft, Die Kaufleute an der Spige, forderte, alle Unterthaͤnigkeits⸗ 
verhaͤltnifſe zum Könige zu brechen, die Herrfchaft bes angebore- 








Biertes Bud. 207 


nen Hera Ricolaus wieder aufzunehmen und mit Gottes 5. gap. 
Beiftande zu veriheibigen. Ungeſaͤumt führte das bewaffnete 
Bolt den willenlofen Lanbesberen auf die Rathhauslaube, 
zwang den Math, der inzwiſchen vergeblich vor den Dänen fh 
gedemüthigt, dem, Kinde“ zu huldigen, und zerriß den für 
Erich beſchworenen Treubrief. Darauf zogen bie Bürger un⸗ velage⸗ 
ter dem Greifenbanmer mit Bliden und großen Armbrüften ißeae 
vor die Burg am Hafen, eroberten und verbrannten bie 
jelbe, erwiederten keck den Abfagebrief des Königs, und tru⸗ 
gem die Berwüflung in das Gebiet des Fürften Heinrich, wie 
in das Dänische. Während des Winters auf die äußerſte Ge⸗ 
genwehr gerüftet, brachen fle mit rafchem Entichlufje den Thurm 
ihrer BeterBlirche ab und errichteten vom den Steinen ein fe= 
ftes und hohes Bollwerk am öſtlichen Uſer des Stromes uns 
terhalb ihrer Stadt. Weber gefhredit durch bie Beichlag- 
nahme aller deutfchen Waaren, welche in daͤniſchen Staͤdten 
lagerten, noch durch die Hälfe, welche alle wendiſchen Fuͤrſten, 
und ſelbſi die Markgrafen, dem Könige zufagten, ſchickten bie 
Roſtocker, Stealfunder, Greifswalder, ſelbſt die kurz vorher gen 
ſühnten Wismarer ſchon um Often 1312 ihre Orlogſchiffe in 
See, plünderten bie daͤnifchen Küften, verbrannten bie Schloͤſ⸗ 
fer. Als um Iohannis 1312 Heer und Flotte der vereinigten 
Gegner vor den Bolhverfen bei Warnemünde erſchienen, konn⸗ 
ten fle zwar nad) eftfwöchentlicher Umlagerung die Hungernde 
Beſatzung jener Burg zur Theidigung zwingen, nicht aber dem 
Muth der Bürger, kriegtkundiger Kaufleute und Zünftler 
hinter ihren flarfen Mauern, zur Unterwerfung beugen. Denn 
inzwifchen hatte, getümmelvoll und biutig, ein entſchieden de⸗ 
mokratiſches Regiment ſich aufgeſchwungen: bie niebere Bür⸗ 
gerſchaft, voll Verdachts, die Herren des Rathes haͤtten, bange um 
ihre Landgüter, Anhänger der Fuͤrſten, in vielfacher Berbin⸗ 


208 Dritter Theil. 


5.Ray. dung mit der · Ritcterſchaft, Warnemünde nertatben, erhob 
ſich unter Leitung Heinrich Nungens, eines reichen Mannes, 
Aufhand —. Der, viellidht. rin Brutus⸗ Mracchus Reflvds, Durch bie 
fd. Ehrenilen, zu Bumiten der Ariftofzatie, nur als ein Büßgefiunter 
Huführer des. Pobels geflieumpelt wird — und ließ am 17. Sept. 
alle Glieder des Maths, Deren man habhaft werben konnte, 
ergreifen und grauſam hinrichten. Mitleidlos verdammue Der 
Tribun den eigenen Bruder, und trat dann felbſt in die neue 
Körperſchaft, welche mit Billigung des „Kindes von Roſtock“ 
die „Aelteſten der Bürger‘ mit Vollmacht der Alterlente aus 
den Handwerkern erforen. Solche Beſtellung des Begiments, 
während bie „Beſchlechteten und Reichen“ (die Patrizier) ſich 
verkrochen, erklärt denn den. Anſsgang, daß, bei Begiun Des 
Winters, die Sinften und ritterlichen Herren son Roſtocks 
Mällen heimzegen‘ unb Germ Heinrich — die 
Beendigung des Abentheuers überlicßen. 
— Rad fo ruhmvoller und glücklicher Vertheidigung, oben⸗ 
um. "sie während Roſtocks Hauptgegner in der Ferne befthäftigt 
waren, überrafdit und ein für dad flegende Gemeinweſent Eafl- 
fpteliger und nachgiebiger Frieden, den wir, bei der Dunfel- 
Seit der Madrihten, nur als Folge einer Wendung ber in- 
neren Berhältniffe erflägen köÿunen. Wie unter einer gewerb- 
thatigen, leicht erregharen,: tapfesen Bevolberung gewöhnlich, 
machte die Unruhe, das Srenedartige eineß täglichen offe- 
men Waffenkempfes, Die. Luſt Des Wagens, die Reidenfchaft, 
eine fliigmifche Belagermg mit ihren Drangfelen erträgli- 
der, als eine fi hinſchleppende, dem bürgerlichen Be⸗ 
Bagen, bean Befik, Dem Verkeht, dem Handwerk gleich ſchäd⸗ 
liche Kriegaweiſt. So wurhe Dad Wolk ven Roſtock plaͤtzlich 
verdroſſer, erſchlaffte, berechnete die Folgen des jo freudig be⸗ 
gonnenen Aufickmend, und gab in ſolcher Verſtimmung, gewiß 











Viertes Bud. 209 


auch künſtlich Durch die lauernde Adelspartei bearbeitet, den 5. Kur. 
Borfellimgen der Kaufmannfchaft Gchör, welde es durch⸗ 

jegte, Daß einerfeits die tharfräftigften Führer der Demokratie 

der Stadt verwielen, dann aber, zur Herftellung des Briedens, 
Sicherung des Verkehrs und Beflges, Unterhandlungen mit 

dem Fürften Heinrich eröffnet wurden. Indem nun das un» 
dankbare Bolf den neuen Rathsherrn Heinrich Runge nebſt 
fünfzig ſeiner Anhänger aus den Zünften als Verleger bes 
lübiſchen Rechtsbrauchs verbannte, brach der Frieden von 
Polchow, am 6. December 1312 vermittelt und am 18. Dec. 
eidlich fekgeftellt, Dem ganzen Unternehmen Die Spite ab und 
betrog das noch als gültig anerkannte Stadtregiment und die 
Zünfte um ihre Hoffnungen. Roſtock zahlte 14,000 Mark 
Silber, oder deſſen Werth an Warren, dem Könige und dem 
Marfgrafen, gelobte dem erfteren einen neuen Huldigungseid 

zu Händen des Fürſten Heinrich, und wähnte die veränderte 
Verfaffung ficher zu Rellen, indem man fowohl die ausgewi- 
dienen Glieder des älteren Raths, als Die ausg ewieſenen Un⸗ 
ruheftifter von der Rückkehr ausſchlöſſe. Doc alles kam An-Umfäjlag 
vers. Während ein däntfcher, ein brandenburgiſcher und — 
ein mecklenburgiſcher Voigt zur Ausführung des Vertrags —X 
zu Warnemünde ihren Sitz nahmen, ſelbſt Stralſund ge⸗ 

gen Zuftcherung früherer Handelsvortheile zur Geldbuße an 
Erich fich verpflichtete, und der Friedenkvermittler Fürſt Heinrich 

nad) dem fernen Roqquemadourt in Languedoc wallfahrtete (Wins 

te 1312— 1313), ermaß die Gemeinde ihre politischen Fehl⸗ 
griffe, rief den verwiefenen Tribunen Heinrich Runge zurüd und 
jwang den neuen Rath, mit der Stadt Siegel ein PBrivilegium 
außzuftellen, welches, in wohlverſchloſſener Truhe (e. ſ. g. Block) 
aufbewahrt, „das ewige Grundgeſetz einer gemäßigten Volks⸗ 
berrichaft‘ bleiben follte. Die weſentlichſten Beflimmungen 

Barthold, Städteweſen. III. 14 


210 Dritter Theil. 


5.2ay. waren: das Vorſchlags⸗ oder Beflätigungsreiht der Altermän- 
ner bei. der Rathswahl; eine zeitgemäße Berbefierung des Ge⸗ 
richtsweſens, beſonders des Wettegerichts (der Buße um 
Geld), unter Aufficht derfelben Körperfchaft; das Verbot der 
Bürgfchaft von Stadtbewohnern für den Landadel, als einer 

zu nahen Verbindung der Gefchlehter mit den Landherren, 
welche jene dem Gemeinwefen entfremdete; endlich eine gründ= 

liche Reform des Stadthaushalts und des Steuerweiend. Bon 
ausfhlieglicher Handhabung des Negiments duch die 
BZünfte, von einer Verdrängung der altberechtigten Vorneh⸗ 

men aus dem Rathſtuhle, war, wie wir fehen, nicht die Rede. 

— Inzwifchen aber wandten ſich die ausgewichenen Glieder 

des alten Raths, den Frieden zu Polchow für verlegt erach⸗ 

tend, und entfhloffen, mit ihren geheimen Anhängern drin⸗ 

nen, ihre Herrfchaft wieder aufzurichten, an den heimgeferten 
Pilger, und erhielten in einem Vertrage vom 8. Januar 1314 
deſſen Zuſage, „falls fie ihn eins der Stadtthore zu Handen 
brächten und Antheil an der näcdften Rathswahl einräum- 
ten.” Geſchickt wußten jene Herren die Wachfamkeit der Hüter 

zu täufchen, und fchon in der Nacht vom 12. Januar das Stein- 

thor den Dienern und der Nitterfchaft des Fürſten offen zu 
halten. Unbefonnened Gefchrei der Herandringenden Hätte je- 

doch beinahe die Arglift vereitelt ; fchon waren auf den Auf: 
Root Waffen! Feinde vor dem Steinthor! unter Sturmgeläute die 
Se, Schleicher Durch die erwachten Bürger aus der Iohannesftrage 
tung desbid unter dad Thor zurüdgefchlagen; aber den Eingang felbft | 
konnten die Aufgeſchreckten nicht wieder gewinnen. Herr Hein⸗ 
rich, ſchon vor demſelben angelangt, befchwichtigte durch glatte 
Worte den beftürzten neuen Rath und machte das Haupt Des 
Gemeinwefens, Heinrich Runge, für alle Gewaltthat verant- 
wortlich. So treumeinend oder verzagend am Widerfiande, da 








Diertes Bud. 211 


ein Thor dem Rittergefolge bes Fürſten offen land und die 5.2. 
heimlichen Gönner des alten Raths ihrer Stunde harrten, 
ftillte durch Anrede auf dem Markte — bei dem Kack (Schand⸗ 
yfal) jagen bie höhniſchen Berichterftattee — der betäubte, 
verrathene Tribun das fihlagbereite Voll. Cingelafien und 
die Nacht über durch hundert Ritter in feiner Herberge bes 
wacht, verfündigte der Landesherr für den folgenden Tag Ges 
richt und Theidigung nach lübiſchem Brauche zwifchen dem al« 
ten und neuen Rathe. Vor einem Gerichte, deſſen Richter 
und Schöffen aus Üdeligen beftanden, Eonnten die alten Raths⸗ 
herren jeder Anklage getroft ſich ftellen. Niemand wagte ein ar⸗ 
ges Wort, da die entfchlofienften Gegner der Geſchlechter Nachts 
die Stabt geräumt hatten; um fo rüdfichtölofer waren dage⸗ 
gen die Beſchuldigungen des alten gegen den neuen Rath. 
So viele der linruheftifter man habhaft wurde, büßten am 
Galgen ; die Flüchtigen wurden für ewige Zeit verfeftet! Den 
„Block“ mit dem Freibriefe der Alterleute ließ Heinrich auf» 
idlagen, das Privilegium verbrennen, und enblid den alten 
Rath nach dem Rechte, das Herzog ‚Heinrich ber Löwe über 
anderthalb Jahrhunderte früher der jungen Stadt Lübeck ver⸗ 
liehen, ſich felbft vollzählig machen. Nah foldem Siege der 
alten Verfaſſung befal Heinrih am 19. Januar 1314 den 
einundzwanzig Rathsherren den Huldigungseid für den Dä⸗ 
nenkönig von neuem anzugeloben, und trat vertragsmäßig das 
Steinthor wieder ab. Ruhe ſchien wieder eingefehrt ; aber Erbit⸗ 
terung kochte in den Seelen der Zünftler, diefrüher und fpäter 
ſich Luft machte. Wie die durch Fürften, Ritter und Patrizier der 
fremden Krone verkaufte Unabhängigkeit des deutſchen Nordens 
jedoch fhon ein paar Iahre darauf durch Die That einer ande - 
ren wendifhen Seeſtadt, im Bunde mit Branden- 


burg, ruhmsollwiedereingelöft ward, foll bald erzählt werden. 
14* 


212 Dritter Theil. 


8. ap. Ungehindert durth fremde Kronen hatte Das deutſche We⸗ 
fen feit Rudolfs von Habsburg Negierungsanfang zwifchen 
Staͤdte-Weichſel und Niemen fich wieder befeftigt; der Orbensflaat 
wefen in : 
Breusen.ging feiner glänzendften Periode entgegen, was wir, jo viel 
die Städte betrifft, noch anzudenten haben. — Aus hülfloſer 
Lage, nicht ohne wackeren Beiftand der neuen Gemeinwejen, 
wie Elbings, wiederum zur Herrſchaft über die abgefallenen 
Preußen gelangt, hatte der deutſche Orben den blutigen Kampf 
in öftlicher Richtung fortgefegt, im Jahre 1274 auch Die Marien⸗ 
burg an der Nogat erbaut, neben welcher aus einem aͤrmlichen 
Dorfe die Stadt gleichen Namens fih erhob (um 1280); im 
Sahre 1283 war mit Unterwerfung der ſüdöſtlichen Heiden⸗ 
ſtämme der entjegliche Krieg beendet! Raſcher vollendete fich 
jegt die Ummandelung des Volkslebens, obwohl noch lange 
die Stadt das Bild des Dorfs erfennen ließ. Bald unmittel- 
bar Magdeburger Recht, bald das daraus entlehnte Kul- 
mijche, wie für Königsberg und Preußiſch-⸗Holland, das feine 
erften Bürger aus Holland empfangen haben fol, bald Tübi« 
jches Hecht, wie zu Elbing, Srauenberg und Braunsberg, ge= 
währten eine leiſe Verſchiedenheit der bürgerlichen VBerhältnifie. 
Landeigenthum bejaßen alle Städte von Anfang an. Erbliche 
oder auf Lebenszeit gewählte Schultheißen, oft neben ihnen 
nod ein befonderer Stadtrichter, deſſen Stelle aber nie Zehn 
war, entſchieden im Vorfig der Schöffenbanf, deren zu Elbing 
vier, Die Nechtähändel. Jährlich gewählte Nathmänner, Die 
fonft überall, nur nit in Braunsberg, der Beilätigung 
des Ordens bedurften, leiteten Die Berwaltung; anfäfjlger 
Adel fehlte auch diefen Gemeinden nicht. Ueberall, fo nament- 
lid in Ihorn, das mit dem Innern Polend und feewärts 
jelbft mit Branfreih Handel trieb, erhoben ſich Kaufhäufer, 
Hallen; doch ftand das Bauweſen aus Rückſicht auf die Ver- 





Biertes Bud. 213 


theidigung unter Auffiht der Compture, fo wie Klöfter nur 5.Ru. 
mit Bewilligung ded Ordens innerhalb der Städte geftiftet 
werden durften. Merkwürdig bleibt, daß ſich in preußiſchen 
Städten noch feine Spur von Zünften in politifcher Bes 
deutung findet; doch bedingte die Erlaubniß König Rudolfs 
vom Jahre. 1275 für Lübecks Bürger, in Breußen und Lievland 

ter Kaufmannſchaft wegen zufammenzutreten und, „wie fie 
nach gemeinem Rechte befugt find,” Morgenfprachen zu hals 
ten, die Ausbildung der oberen Körperfchaften. Die Kriege 

mit Litthauen, im Jahre 1283 eröffnet, erweiterten den Kreid 
ſtaͤdtiſchen Lebens auf neue Burganlagen, wie zu Ragnit und 
Tilſtt, bis an den Niemen. Der Fall von Akon, des legten 
Bollwerkes hriftlicher Waffen in Syrien (1291) fo wie das 
Erlöfhen des Herzogflammes in Pommerellen mit Meftwin 
(im Jahre 1295) hatten bie feflere Geftaltung des Ordens⸗ 
flaates zu mittelbarer und unmittelbarer Folge. Durch baßpreuben, 
erftere Ereigniß ward Venedig ded Ordens Haupthaus: dasDr ass 
Iegtere lenkte die Aufmerkſamkeit des klugen Hodmeifters 
Siegfried von Feuchtwangen auf Preußen hin, das jetzt als 
Sauptland des Ordens auch den Sit des Hochmeiſters anfpres 
‚ben durfte. Don ältesen Städten blühete Königsberg, feit 
1300 um eine Neuſtadt, den „Löbenicht,“ gewachfen und Ka⸗ 
thedralfirche des Bistums Samland, während der Biſchof 
son Ermland in Heildberg feinen Sig hatte. Audy Thorn war - 
im Aufihwung ; doch beſchied das berechnende Auge des Meis 
ſters feiner der älteren Städte die Ehre und den Vorzug 
feiner Hofbaltung. Die wirren Erbhändel um Pommerellen 
gaben den Ausſchlag. ULF Wenzel, der Leptling der Przemys⸗ 
liden, tm Jahre 1306 dem Meuchelmorde erlegen, hatten fich, 
nach früherer Vereinbarung, die Markgrafen von Branden- 
burg, zumal Dtto IV. und Waldemar, der erwerbluftigfte und 


214 Dritter Theil. 


5.Ray. waffenfreudigfte des Stammes, in daß lockende pommerelliſche 
Erbe eingedrängt. Schon im Lande jenfeits der Perfante 
mächtig, im Einverſtaͤndniß mit dem Haufe der Swenza, der 
Feinde Wladislaws von Polen, rüdten die Brandenburger 

im Sommer 1308 gegen die Weichfelmündung vor und fan 
‚Derorden bie Thore Danzigd ihren Waffen geöffnet; denn Die deut- 
"Bram "schen Bürger jener Hauptftadt Pommerellens, fchon feit 1295 
em in der Hanſa, wie ſie denn gleichfald die Berufung auf den 
Danzig. Oberhof Lübeck anerkannt, längft der polnifchen Herrſchaft 
überdrüfftg, ließen die Markgrafen ein; nur die Burg an ber 
Mottlau blieb noch in der Gewalt Wladislaws. Eine neue 
Wendung der Dinge führte einen Comptur des deutſchen Or 

dend mit hinlänglicher Mannfchaft, unter günftiger Erbietung 

“ son den Polen gerufen, in jene umlagerte Veſte. Währenp 
darauf dad Gefchäft der Königswahl die Markgrafen fern 
hielt, bemächtigten fi Die Burgmannen, nach harten Sträußen 

mit der Brandenburgiichen Beſatzung und den deutfchen Bür- 

gern, audy der Stadt. Dann aber zerftelen die Ordensritter 

mit den polnifihen Waffengefährten und machten dem Spiele 

fe ein Ende, indem fle die Pommern und Polen aus der 
Burg trieben und in der Nacht des 14, Nov. 1308, verftärft 
dur) eiligen Zuzug, unter blutigem Kampfe, wobei 10,000 
Menſchen, zum Theil Bürger, ihr Xeben eingebüßt haben. fol- 

len, aud) die Stadt in ihre Gewalt brachten. Unter fo wüften 
Dingen verfiel, ihrer Mauern beraubt, die Altftadt Danzig, 
welche neben der Neuftabt (dev Rechtſtadt), einer neuen deut⸗ 

jhen Schöpfung der nächſten Jahrzehnte, nie wieder zu Kräf- 

ten gelangt ift. — Bald darauf ergab ſich auch Dirfchau, Def- 

fen Rath und Bürgerfchaft den heimatlichen Boden räumten 
(Bebr. 1309); in Eurgem war der Orden faft des ganzen Er⸗ 

bes Meitwin’s Meifter, und fand, bemüht, einen Rechtstitel 








Biertes Bud. 215 


zu erwerben, den Markgrafen Waldemar, als Vormund Jo⸗ 8. gav. 
hanns, alleinigen Oberherrn der märkifchen Lande, bereit 
(Sept. 1309), ihn das Weichfelland, das bei feiner Entlegen- AR 
heit und den vielnerflochtenen Händeln und ber leichten Geld», — 
wirthſchaft des Brandenburgers ſchwer zu behaupten war, ge⸗ "Biden. 
gen die Summe son 10,000 Mark Silber und Beftätigung 

des Kaufs durch das Reich abzutreten. — Unbekannte Um« 
fände, vielleicht auch die Ausführung des wichtigen Gedan⸗ 

kens des Hochmelfterd, den Sig ded Ordens nad der Marien» 

burg zu verlegen, deren prachtvolle Hofburg feit 1306 ent⸗ 
fand, verzögerten den Abſchluß des Kaufe. Als der neue Marien, 
Meifter in feinen fertigen, prangenden Sit eingezogen (Sept. Pi 
1309), wurde am 12. Iuni 1310 ber Kaufvertrag über kan 
Schlöffer und Gebiet von Danzig, Dirſchau und Schwet aus⸗ 
gefertigt, zu Frankfurt am 27. Juli von König Heinrich bes 
flätigt, und war das ſchöne, lang beftrittene Gebiet von der 
Niederweichfel bis zur Leba hin der deutfchen Sittigung nicht 
allein auf Jahrhunderte geflchert, fondern auch der Schwer- 
punkt einer ächtdeutfchen, für die Culturgeſchichte wie für Die 
Politik gleich wichtigen, Macht an jenen zerbrödelnden Saum 

der germanifchen Welt verlegt. — Seit nun Marienburg, 

kurz vorher eine Grenzburg, in den Mittelpunft des erweiter- 

tm Ordensgebietes gerüdt war, und die Stadt, begünſtigt 
durch ben fürftlihen Hofhalt und bürgerlichen Verkehr, er- 
blühete ; die Städteboten in wichtigen Dingen nicht nach dem 
altberechtigten Kulm, fondern nach der neuen Reſidenz berufen 
wurden, trat auch Kulm wie Ihorn und Elbing dem Range 

nad) zurück; NeusDanzig überflügelte jedoch bald alle 
Schweſtern, und bildete einen Unabhängigfeitdeifer ded Bür⸗ 
gerthums aus, welcher die frebfame, ungefügige Hanſeſtadt 

in verhängnißvollen Tagen an die Spige ber ordensfeindlichen 


216 Dritter Theil. 


5.Kar. Städte erhob. — Für das norübergehente Walten der Branden- 

burger im Often Pommerns zeugt Stolpe, bis dahin ein Flecken 

eu oberhalb des breiteren Fluſſes, den Waldemar und Johann 

on im Jahre 1310 mit Feldmark, lübifchem Rechte und erblichem 

mern. Michteramte als deutihe Stadt außflatteten, Rügenwalde 

gründeten in gleicher Weiſe Vafallen des Markgrafen, und 

inden Die Herzoge von Pommern die Burg Reu-Stettin im 

öden Greuzlande, der Orden, in fünmwefllicher Richtung vor⸗ 

fhreitend, tie Burgen Konitz, Friedland in Bommerellen und 

andere zu Städten gedeihen Tieß, füllte ſich auch die Lücke zwi- 

hen der Neumark, Polen und der Niederweichfel, das heutige 
MWeftpreußen, mit bürgerliden utſchen Anftedelungen. 


Sechſtes Kapitel. 


Dorrelmahl. König Ludwig der Baier und Friedrich der Schöne. Barteiung unter 
den Städten. Schwankender Kampf. Ermüdung. Herzog Leopold vor Speier. 
1320. Die Geichledhter für Habsburg. Kölns Verfafjung geändert. 1321. Schlacht 
bei Mühlvorf. 1322. Gleichgültigkeit Rorddeutſchlands. Etralfund gegen Düne 
mark jiegreih. 1316. Selbfiftändigkeit der märkifhen Städte nad) Waldemars Zope. 
1320. Brandenburg an Baiern,. Ludwig uudankbar gegen die Stüdte. Verpfän— 
dungen. Erfter Gebrauch des Schießpulvers. Entfchieden gbibelliniſche Haltung des 
Bürgerthums, befonders der Zünfte, gegen den römifchhen Stuhl. Banu über Lud⸗ 
wig. Erzbifhof Burkhard von Magdeburg ermordet. 1325. NAustreibung der Pfaf- 
fen. Römerzug Ludwigs. Wachsthum der Zunftherrſchaft zu Speier und Mainz. 
Treue der Städte im rüganiſchen Erbfolge Kriege. 1314— 1330. 


Tod Kai⸗ Unterdeffen hatten die Reichslande im engeren Sinne 
ey den Tod Kaifer Heinrichs VI. (24. Auguf 1313), zu deſſen 
Berfuche, die Freiheit der italienifchen Städte zu brechen, die 
deutſchen Schweftergemeinben gewiß ungern bie Hand Boten, bes 
klagt und — vergeffen ; nur der Haß gegen die angeblichen Mör⸗ 
der deffelben, die Predigermönche, blieb den Bürgern. Der Kö⸗ 
nigsftuhl war vierzehn Monate lang erledigt, ehe eine Doppel- 
wahldie furchtbaren, aber für Geftaltung des Stäbtewefens ewig 
mnvergeßlichen Tage des großen Zwiſchenreichs wieder herbei⸗ 








Biertes Bud. 217 


füßrte. Unter unerläßliher Sorgfalt der Reichsſtädte für 6. Kar. 
mögliche Aufrehterhaltung der Ordnung, verfehrenden Bünd- 
niffen der Rachbaren, um einmüthig einer zwiftigen Wahl zu 
begegnen, unter rajhem Zugriff Mächtigerer auf Schuglofe, 
welchen, als Partei, ter Reichsvicar, der junge König Iohenn 
son Böhmen, nicht rügte, fheiterten die raftlojen Bemühun⸗ 
gendes Hauptes von Habsburg, Herzog Friedrichs des Schönen, 
und feines ritterlichen Bruders Leopold, diesmal ohne Streit 
die deutſche Königäfrone zu gewinnen, an einer überwiegenden 
Stimmenmehrheit. Dad Andenfen an die Gewaltherricaft 
ihres Vaters hatte die Kırfürften von Mainz und Trier ben 
Söhnen entfremdet, und nur Heinrich son Köln war durch 
hohe Erbietungen für Deflerreidh erlauft worden. Als nundorgr 
König Johann wegen feiner Jugend und anderer Verwickelun⸗ 
gen der Iüpelburgifchen Partei nicht zur Wahl geeignet ſchien, 
gewann diejelbe nah einigem Widerfireben unfern Herzog in 
Oberbaiern, Ludwig, ben Sieger von Gamelsdorf, und bes 
sief der Prinas des Reichs, Erzbiſchof Peter von Mainz, Die 
Nitkurfürſten auf den 19. October 1314 nad der herkömm⸗ 
lichen Wahlfätte vor Frankfurt. Habsburgs Anhänger, Ber 
Enbifchof Heinrih durch Stellvertretung, Pfalzgraf Rudolf, 
Ludwigs unfreundlicher Bruder, Heinrich von Kärniben, der 
verdrängse Böhmenkönig, und ber Herzog von Sachſen⸗Wit⸗ 
tenberg, wegen der Kurflimme im Streit mit feinem Better 
in Lauenburg, erſchienen zwar ver Frankfurt, allein hei Sach⸗ 
ienhaufen, auf dem linteu Flußufer, vermarfen, der Nieder 
lage gewärtig, die Einladung auf das Wahlfeld zu kommen 
und riefen, um einen Vorſprusg zu gewinnen, ihren Herzog 
Friedrich als Oberhaupt der Deutichen aus; worauf die Erz⸗ 
biihöfe, Peter von Mainz, Balduin von Trier, Iohenn, ber 
anerkannte Böhmenkönig, die Markgrafen Waldemar umd 


218 " Dritter Theil. 


6. gap. Heinrich von Brandenburg, und der Herzog von Sachſen⸗ 
Lauenburg am Tage darauf den Baiernherzog zum deutſchen 
König erforen. So hatte unfer Vaterland zum Unfegen wie- 
der zwei Gegentönige, von ungleicher Hausmacht, aber durch 
ihre fürftlichen Helfer ziemlich gleich ſtark; beide entichlofien, 
ihr Recht mit dem Schwerte zu vertheidigen; zu einer Zeit, 
als auch der römifche Stuhl, nach ſchwankender Anficht der 
Nichter über Ten deutſchen Kronftreit, unbejegt fland. Denn 
Papſt Clemens V. war am 20. April 1314 geftorben und faft 
drittehalb Jahre verfirichen ohne ein Firchliches Oberhaupt. 
Bor allem kam es jetzt darauf an, weldem Könige die Städte 
ſich zumeigten; ob dem gepriefenen Haupte der Ritter, welches 
zugleich in den oberen Landen die alte Befreundung habsbur⸗ 
gifcher Pfleglinge für fi Hatte, oder dem volksthümlichen, 
bürgerfreundlichen Wittelsbacher? Die Städte hatten Die Ent- | 
ſcheidung in Händen; indem ſie, mehr ſchwankend als unei⸗ 
nig, beide Bewerber um ihre Gunſt buhlen ließen, verzöger⸗ 
ten fie zwar die Entſcheidung auf acht jammervolle Jahre 
(1314—1322), gewannen aber durch Fluge Benutzung der 
Umftände Bebeutenderes für innere Ausbildung und äußere 
Macht. Am fruchtbarften für innere Umgeftaltung und Ehre 
des Bürgerthums wurden dann bie Jahre des großen Kam⸗ 
pfes zwifchen der beleidigten Volkswürde und dem Ueber⸗ 
muthe des römifchen Stuhls (v. 1324— 1338). 

Eine Wir finden nicht, daß der rheinifche Städtebund, welcher 

der Salkrunter der Form der Landfriedendvereine noch immer fortichte, 

rg vonfeine Sagungen gegen zwiftige Königswahl erneuert hätte. 
reih. Die Städte der Wetterau, namentlich Frankfurt, verpflichtet, 
ſelbſt den einftimmig Erwählten nur nad) einer Friſt von 

ſechs Wochen aufzunehmen, erfählofien, auf die Verkündigung 

der Wahl durch die Tügelburgifche Partei, am 22. October 





Biertes Bud. 219 


Ludwig dem Baiern ihre Thore, begrüßten ihn in der Bar⸗ 6. Kap. 
tholomäuskirche als rechtmäßigen Herrſcher, und meldeten fol 
ched Ereigniß der Krönungsftadt Aachen, jo wie „allen Land⸗ 
herren und allen gemeinlih” (25. Oct. 1314). Geleitet von 
einem ftattlichen Heere z0g der Anerfannte darauf rheinwärts 
über Köln, Das, gegen den Willen feine ausgewichenen Erz« 
biſchofs, Ludwig einlieg, nach Aachen, empfing dort am 25. 
November die Krone, wider Herfommen, aus der Hand ber 
Erzbifchöfe von Mainz und Trier, und ſah, am 1. December 
in Köln feierlich eingeholt, Die angefehenften ber rheinifih- 
wetfälifchen Fürſten und Herren hulbigend ſich nahen, wäh» 
rend fein hartnädiger Gegner, mit Mühe nad) Bonn gelangt, 
in wenig glänzender Umgebung, durch Erzbifchof Heinrich 
gefrönt wurde. Der „Koönigsmacher“ von Köln genoß aber 
herbe Früchte von feiner jelbftwilligen Politik: fchon feit dem 
Srühlinge 1313 in Kriegshändeln mit weftfälifhen Landher⸗ 
ten, ſchon vor dem Wahltage durch die Waffen Balduins von Ludwig 
Trier und der Anhänger Lützelburgs beſchaͤftigt, mußte er, — 
ſo hohe Erbietungen Friedrich von Oeſterreich gethan, aus 
der Ferne zuſchauen, wie ſeine geiſtlichen Mitkurfürſten ihres 
Lohnes, der Beſtätigung von Zöllen, Verpfändungen des 
Reichsguts, fi erfreuten, wie König Ludwig die geborſamen 
Bürger von Köln in Schuß nahm, den Schöffen Das Recht der 
Selbftergänzung, der Gültigkeit ihrer Urtheile, auch ohne des 
Burggrafen Vorfts, beftätigte. Um den Widerſacher zu Frän- 
fen, belchnte der Baier den Grafen von Arnsberg fogar mit 
der Jängft erlofchenen und abgefauften Reichsvoigtei in Soeft, 
wohin der Erzbifchof ausgewichen war. Die fefte Hanſeſtadt, 
dem Schauplag des Thronſtreits entlegen, gewährte Sicher« 
heit, und fah gerade in den Tagen allgemeiner Noth den koſt⸗ 
baren Schrein für die Gebeine des Heiligen Patroflus, eine 


220 Dritter Theil 


6. acy. Spende ter Donihersen und noch vorhandenes Meiſterwerk | 


Das 
ber⸗ 


heimiſcher Goldſchmiedekunſt, hervorgehen. 
Zur Vorbereitung des heißen Kampfes galt es noch im 


som „WBinter die Städte zu gewinnen. In den oberen Landen hatte 


burg. 


ulm. 


Sriedrich durch Herzog Leopold die meiften Anhänger. Die 
Städte in Oberſchwaben, zum Theil noch unter Herrſchaft der 
Geſchlechter, gehorſamten dem Ritterfönige; Bern und Solo⸗ 
thurn verhielten ſich parteilos; Dagegen war den Bemühungen 
Habsburgs gelungen, die oberrheiniichen, elſaſſiſchen Gemein⸗ 
wefen mit ihren Bijchöfen, Baſel, Kolmar, Schlettftadt, Ha⸗ 
genau, Landau und Die Kleineren bis Selz hinab auf feine 
Seite zu bringen. Zu Straßburg, deſſen Bifchof Iohenn, als 
verpflichteter Diener weiland König Albrechts, mit Eifer für 
Defterreich warb, ſpalteten fich geiümmelvoll Die Geſchlechter, 
um ihren Fall zu beflemmigen: die Zorne mit ihren Anver- 
wandten begünfligten Zrietrib, die Mülnheime mit den ihren 
den Baiern. Bereits im Frühjahr 1314 ging es lebhaft um 
Straßburg her; mit Hagenau im Bunte brach das Bürger- 
aufgebot benadjbarte Schlöffer, und gab ed bereits „Des Zulaufs 
wegen’ ausgeſchlagene (verbannte) Straßburger, denen Meifter 
und Räthe nur in Hagenau Frieken verbürgten. Zu lim fland 
den öfterreichifch gefinnten Geſchlechtern eine argwöhniſche bai- 
erifche Bartei, die der Zünfte, gegenüber, und drang die Eut⸗ 
zweiung bald bis in das Iunere der Familien, obgleich die 
Stadt als Ganzes für Friedrich auftrat. So auch Memmin- 
gen, Kempten, Kaufbeuern, lieberlingen, zu nahe dem Sig 
öſterreichiſcher Hausmacht, um felbfiftändig zu verfahren. Da- 
gegen waren Stadt und Hohfift Augsburg, ungeachtet ber Be⸗ 
mühungen des Pfalzgrafen Rudolf, Lauingen, Donauwörth, 
Schwäbiih-Hall und Heilbronn mit ungefäljchter Treue für 
Ludwig. In Franken folgte mit befonnenem Exrmeffen vor 








Biertes Bud. 221 


anderen Nürnberg nebft dem Burggrafen dem Banner des 6. Rur. 
volksthümlichen Baiern. Noch kurz vor feinem Tode hatte 
Kaifer Heinrich den anfänglichen Meihöbärgern, in deren — 
Stadt zuletzt ein Reichsheereszug zu ſeiner Hülfe berathen war, Brntene 
aus Bifa herrliche Kreiheiten ertheilt (Juni 1313): Geleits- 

seht des Schultheißen auf den Reichsſtraßen, jährliche eidliche 
Berpflichtung deſſelben vor den Bürgermeiftern, Gültigkeit des 
Statutarrechts, Unveraͤußerbarkeit der Burg inmitten der Stadt 

und Verpflichtung des Inhabers, beim Tode des Königs oder 
Kaiſers die Burg den Bürgern bis zur Wahl eines Fünftigen 
Königs zu übergeben, Befreiung von allen fremden Gerichten. 
Nürnberg hatte in feinen Händeln, wie im jüngſten Steeite 

mit Regensburg, gänflige Eutſcheiduag beider höchſten Reichs⸗ 
behörde gefunden, und, im beſten Verhaͤltniſſe mit dem Burg⸗ 
grafen Friedrich IV., am 8. October 1314 ſich geeinigt, allen, 

durch zwieſpältige Königswahl möglichen Mißhelligkeiten ge⸗ 
meinſam vorzubeugen. Rotenburg an der Tauber ſchloß ſich, 

in gleich richiger Würdigung der Verhältnifſſe, der Sache 
Ludwigs an, und beharrte um ſo ſtandhafter, als König Fried⸗ 

rich den Grafen Kraft von Hohenlohe mit den Gütern des von 
Kaiſer Heinrich geächteten Grafen von Dettingen belehnte, 

ja dem böſen Nachbar Burg und Stadt Rotenburg um 
1500 Pfund als Pfand zuwies. — 

Für Ludwig waren ferner, außer den drei ſchweizeriſchen Städte 
MWaldflätten und Freiburg im Breisgau, alle Städte des Nie-'c u und 
ders und Mittelrheins bis nad) Selz Hinauf, mit unverbrüch- heim, 
licher Treue zumal die Gemeinweſen von Worms und Speier, 
welche noch am 7. December 1314 ſich gelobt, bei zwiefpältk: 
ger Königäwahl „aus einem Wunde und Ruth zu handeln 
und zu than.” Schen im Januar 1315 erwirksen fie die Be⸗ 
flätigung alter und die Verleihung neuer Rechte, als König 


6. Kap. 


könige. 


222 Dritter Theil. 


Ludwig, vom Erzbiſchof Peter von Mainz nachdrücklich empfo⸗ 
len, in ihre Nähe gelangte. Jenſeits des Thüringerwaldes, 
der Werra und Fulda, des Weſerſtroms, begann eine fremde 
Welt; Fürſten und Städte, ohne allen Antheil an dem Kampfe 
der deutfchen Gegenfönige, verfolgten, ald gehörten fie nicht 
zum Reiche, ihre eigenen Händel, und faft ſechs Jahre verſtri⸗ 
hen, ehe auch nur irgend eine fönigliche Urkunde die Ange: 
legenheiten jener weiten deutſchen Länder berührte. 

Sp mußten denn die Reichögebiete am Rhein aufwärts 


bis and hohe Gebirg, Franken, Schwaben und Baiern, den 


wüſten Krieg um die Krone allein tragen, während jedoch eine 
furchtbare Seuche, und in Folge berfelben Mißwachs und 
Hungerdönoth (1315—1318) dad gefammte Deutfche Volt 
von den Alpen bis and Meer heimfuchte. Um Speier fließen bie 
Waffen beider Parteien im Vorjahr 1315 zuerft zufammen; 
Ludwig, ohne die Unterflügung Balduind von Trier im offe 
nen Felde zu ſchwach, vertheidigte fich Hinter dem Judenkirch⸗ 
bofe und den Vorflädten von Speier, warb im Rücken ber 
Gegner fih Freunde an den Städten, erhielt zumal Die Leute 
der Thäler Schwyz, Uri und Unterwalden bei gutem Muthe, 
und wandte fih im April über Wimpfen nad Baiern, um 
feinem feindlichen Bruder Rudolf, dem Helfer Habsburgs, zu 
begegnen, während Friedrich und Leopold zu Turnier und Hoch⸗ 
zeit nach Bafel zogen. Freilich durfte, in feiner Armuth, ber 
Baier nicht allen freien Städten gerecht fein; machtlofer, 
wie Boppard und Ober Wefel, verpfändete er, theuer vers 
pflichtet, an feine Beförderer; ja ſelbſt das alte, tapfere, reichs⸗ 
treue Oppenheim, fo früh dem rheinifchen Städtebund zuges 
fellt, defien Burg als Eöftlihen Schatz des Reichs König Ru 
dolf gehütet, mußte er als Pfand an Peter von Mainz preid- 
geben! Nicht gemindert in feinem Wohlftande, wie die Vollen- 








Biertes Bud. 223 


dung der prachtvollen Katharinenkiche im Jahre 1317, fett 6. Kap. 
1689 eine Ruine, bezeugt, verharrte Oppenheim bis 1353 in 
ber zweiten Berpfändung, um, auf furze Zeit wieder reichs⸗ 
frei, dem Schickſale einer pfälzifchen Landſtadt zu verfallen. 
Bom Oberrhein gefchieden, wo unterdrüdte Bürgerpar- 
teien auf ihn gehofft, Tieß Ludwig jedoch nicht die gefnüpften 
Fäden aus der Hand. Hagenau wie Straßburg, in der Gewalt 
des Habsburgiſchen Landvoigts, des Adels oder des Bifchofs, 
hatten klüglich auch beim Baiern die Beflätigung ihrer Frei⸗ 
heiten erwirft und ſahen ihn forgenvoll fich entfernen. Sei⸗ 
nen Sreunden zum Troft, ſchrieb den Straßburgern Ludwig 
aus Ingolftadt (11. April), dankte ihnen auf ihre Anzeige, fle 
hätten Friedrich nur wie jeden „anderen Gaſt,“ nicht, wie Die 
Geiftlichkeit, ald rechtmäßigen König aufgenommen, und mel⸗ 
dete ihnen feine frohen Ausfichten, die Huldigung der Städte 
auf den Wege nad) München, befonderd feinen Empfang zu 
Nürnberg, von wo er im Mai auch den Waldflätten feinen 
Beiftand verfündigte. Nach der erften Sühne mit dem Pfalz« 
grafen Rudolf, welche der Bifchof von Zreifingen vermittelt, 
und ber erfien Hulderweifung gegen München, deſſen verhetzte eudwig 
Bürger mit dem Niederreißen ihrer Häufer beftraft wurden, Baiern. 
gewann Ludwig die Regensburger, forgte nach Kräften für 
bie Sicherftellung des Verkehrs und des Landfriedend in Bais 
ern, ſah fi dann aber jo unvorbereitet durch Herzog Leopold 
angegriffen, daß er fih in die Grenzburg Briedberg werfen 
mußte. Aus folcher Verlegenheit befreite ihn die Liebe der 
Augsburger; fie führten ihn frohlockend Nachts bei Fackel⸗ 
fchein in ihre wohlserwaßrte Stabt (Juli 1315), und nöthige 
ten duch mannhaften Widerfiand die Verwüſter ihres Ge⸗ 
biets, unter Regengüfjen, über die audgetretenen Gebirgs- 
wäffer, den Weg nach dem Rheine zu ſuchen. — Die blutige 


6.Kay. 





Ezlin- 
gen. 


224 Dritter Theil. 


Niederlage, welche das ſtolze Banner Habsburgs im fpäten 
Herbit (16. November) durch die freien Bauern der Walb- 
ftätte am Morgarten erlitt, erleidsterte die Lage Ludwigs, ſo⸗ 
wie andererjeit3 jene heldennrüthige That der Gemeinen 
auch ſchwäbiſcher Städte, wie Eplingen, ermuthigte, den politi- 
fſchen Zwang abzufgütteln. Jene tapfere, zünftig regierte Stabt, 
Leiterin des Krieges gegen den geächteten Grafen Eberhard, 
hatte anfangs manche Förderung von Friedrich erfahren, follte 
aber die Eroberungen, welche fie über den Wirtemberger ge- 
macht, an Habsburg heraußgeben, und vielleidt auch wieder 
die gehaßte Voigtei Eberhards auf ſich laden; deshalb hatte 
fie ſich ſchon im Auguſt dem Baiern genähert, und ergab fich 
ſchon vierzehn Tage nad) der Schlacht am Morgarten (30. 
Nov. 1315) an Ludwig und „das Hei.” — Dem Abfall 
ſchwaͤbiſcher Städte von Deflerreich folgten für den Baiern 
gänftige Ereigniffe in Franken. Zwar konnte es die Bürger 
nit Inden, dag Ludwig, um den Eigennug fürftlicher Diener 
zu befriedigen, die Reichsſtadt Weißenburg an das Bisthum 
Eichſtaͤdt, Stadt und Gebiet Eger an Johann son Böhmen 
verpfändete; aber unter feinem Banner fland do immer 
Handhabung des Landfriedens zu hoffen. Nürnberg, Roten⸗ 
burg und andere fraͤnkiſche Städte Elagten über Straßenraub, 
welchen fie aus Herrieden und Schillingäfürft, wo Kraft von 
Hohenlohe, Friedrichs Getreuer, hauſete, erbuldeten. Mit 
Hülfe der Städte zog Ludwig im März und April 1316 vor 
die „Räuberhölen‘‘, eroberte und zerflörte diefelben, das Fel⸗ 
jenneft Schillingsfürſt zumal unter dem Beiſtande der Roten⸗ 
burger. Durch To Löhliche Thaͤtigkeit ficherte er fidh die Zunei⸗ 
gung niederſchwaͤbiſcher Städte, und rüdte dann im Herbſt, 
durch Balduin und Johann von Böhmen verftärkt, dem Ge⸗ 
gentönige. vor Eflingen entgegen. Aber in dem Treffen, 











Biertes Bud. 225 


welches fi beim Entſatzverſuche im ſeichten Bette des Neckars 6.Kap. 
entſpann (19. September 1316), erlitten Ludwigs Schaaren 
eine Einbuße; Eplingen mußte fih, wie darauf auch Heils 
bronn, nad) langer Gegenwehr dem Gegenfönige ergeben, der 
gleichwohl Abtrünnige nicht zu firafen wagte. So wichtig 
war der Entfchluß jener Eleinen, aber rührigen und kecken Ge⸗ 
meinwefen, daß der Baier, obwohl der Stadt Schwäblich- Hall 
mädtig, ihr freigab, ‚ein Jahr geruhlich zu figen” und dann 
erſt ihn als römischen König anzuerkennen. — Mangel an 
Zufuhe trennte die Heere vor der Entſcheidung in einer 
Schlacht, die König Ludwig, zu Folge der Verfaffung und Zu⸗ 
ſammenſetzung feines Heeres, deflen bedeutenden Beftandtheil 
die Aufgebote naher Städte bildeten, fo lange es anging, ver⸗ 
mied, während die Brüder von Habsburg an der Spike ihrer 
Nitterfhaft ehrbegierig ein offenes Treffen auffuggten. Leber- Ariege 
haupt war bie Fortführung des Kriegs in Feldzügen unter se 8* 
wehendem Banner für beide Könige unmöglich, weil ihre 
Lehnsleute nur einige Wochen dienten, ſich jeden Verluſt theuer 
bezahlen ließen, und durch eigennützige Berechnungen die 
Lehnsherren zu erſchöpfenden Verpfaͤndungen, am meiſten des 
Reichſsgutes dann auch ihres eigenen, zwangen; die Aufge⸗ 
bote der Städte, wenn nicht ganz erlaffen, nur auf wenige 
Zagereifen fich erſtreckten. Indem aber gleichwohl der fried- 
loſe Zuftand blieb, nahm der Kampf einen um fo verberbli« 
deren Charakter an, da die feindlichen Parteien, fefte Städte 
ſcheuend, fi zu Mord, Brand, Wegelagerung und Zerftörung 
an unzähligen Stellen des offenen Landes begegneten. — 
Die Iahre 1317— 1318 hielten die Könige perfönlich aus» 
einander; Friedrich begann feinen Blick auf Italien zu rich⸗ 
ten; Ludwig fuchte durch Verdrängung feines unverfühnten 
Bruders Rudolf Meifter ganz Oberbaiernd und ber Rhein⸗ 
Barthold, Städtewejen II. 15 


226 Dritter Theil 


6 ææ pfalz zu werden (1317). Er turfie fh ioger an ben Maın 
umb Rhein hinauswazen, um als Reihöcherhaupt zu ſchal⸗ 
ten, die Bünduiffe mit dortigen Fürſten zu erneuern, zu Ba⸗ 
cherach am 22. Juni 1317 mit Main; Trier und Johann von 
Böhmen, ſowie den Stadien Köln, WBerms, Syeier, Aachen und 
Den wetterawildien, einen Laundfricden auf fichen Jahre aufzu- 
richten, alle ungerechien Zölle von Speier bis Antwerpen! aufs 
zuheben, am gefchäftigften jedoch, um Reichägut, wie ſelbſt ben 
Saalhof zu Frankfurt, den Reſt der Pfalz Karls des Großen, 
zu veräußern. Im vorberfien GBetränge der Feinde, aus dem 
nahen Landau aufs höchſte gefährtet, erhielten Pie treuen 
Bürger von Speier zur Entſchädigung jene wehrlos zu ma- 
chende Statt mit Leuten, Gut und allen Reichsrechten als 
Dfand zugewiefen (Oct. 1317) und reizten dadurch zu erneu- 
ten Angriffen. — Das fünfte Jahr des wuſten Kampfes führte | 
den König Friedrich mit dem Erzbiſchofe von Salzburg uner- 
wartet über den Inn, während Herzog Leopold von Weſten | 
her über den Lech herandrang. Ludwig flellte fidh, vereint mit 
feinem jungen Better Heinrich, bei Mühldorf der drohenden 
Gefahr entgegen ; aber plößlicher Kleinmuth und Furcht vor 
einer Berfhwörung ſcheuchten am 29. September 1319 das 
baierifche Heer auseinander; Ludwig warf fih in feine be⸗ 
fefligte Hauptflabt München und Tieß den frohlodenden Ge⸗ 
genfönig Nicderbaiern bid zur Donau verwüſtend durchziehen, 
den jüngeren Haböhurger mit graufamer Brandſchatzung nad 
Schwaben heimfehren. — 

— Von den Mittelpunkten oberdeutſchen Verkehrs traf ſol⸗ 
ches Unwetter am haͤrteſten Regensburg und Augsburg. Die 
awan, Kaufleute der Donauftadt, obgleich ihr Gemeinwefen dem 

Baiern als Herzog und König mit Huldfchaft verpflichtet war, 
hatten im Jahre 1318, damit der Kandel nicht ganz unter 





Biertes Bud. 227 


drückt werde, vom Gegenfönige Schub und Geleit erlangt, ver⸗ 6. Kap. 
weigerten jedoch, auf Anrathen eines entichloffenen Bürgers, 
dem Defterreicher den Durchgang durch ihre Stadt, um aus 
Baiern in den Nordgau zu ziehen, und mußten, jo beweg- 
lid) fie dem „„hochgelobten römifchen Könige‘ fih entſchuldig⸗ 
ten, ihr Gebiet in eine Wüfte fih wandeln fehen. Obenein 
wurden die reichen Waarenlager der Regensburger in Wien 
geplündert. So böfe Erfahrung machte die Anhänger Ludwigs 
im nächften Jahre weifer, d. i. zweideutiger. Die Augöburs 
ger, deren fonft blühender Verkehr nach Italien, wie Ulms, 
unfäglich gelitten, genofjen eine Frucht der Verdroſſenheit und 
Sleihgültigfeit, die, unter hin⸗ und Hergezerrtem Kampfe, 
auch die muthigften Seelen befchlich, nachdem fle vergeblich auf 
einenZag wie der von Göllnheim gewartet. Wie wenig felbft 
den Kurfürften an ihren Königen gelegen war, gaben Peter 
von Mainz, Balduin von Trier und Heinrich von Köln in 
einem Dertrage zu Koblenz im Auguft 1318 jchmählich kund: 
„jeder von ihnen möge dem von ihm geforenen römifchen Kö⸗ 
nige helfen, doch nicht gegen bie beiden anderen; gewönne 
einer von beiden die Oberhand, fo follten fein ober 
feine Wähler fi bei demfelben bemühen, fie oder ihn bei 
Ehren zu erhalten.’ Solche Falſchheit der Erzfürften beim 
Jammer des Volks entjchuldigte denn wohl hinlänglich, daß 
am 2, November 1319 die Augsburger von Friedrichs Land- 
soigt in Oberfchwaben, den Sauptleuten und Pflegern der 
öfterreichifchen Lande und Städte, Ulm, Memmingen und 
Kempten, Stillftand und ſicheres Beleit in Schwaben, Steier, 
Oeſterreich und Baiern zu Waffer und zu Lande, mit2eib und 
But zu wandeln, und von allem Kriegszoll auf den Straßen 
ah Ulm, Memmingen und Kaufbeuem frei zu fein, aus⸗ 
wirkten. 
15 * 


228 Dritter Theil. 


6.20. Ungeachtet ſolcher Lauheit der oberbeutihen Anhänger 
brachte Ludwig im hohen Sommer 1320 am Main und Mit- 
telrhein ein flattliches Heer zufammen, freilich nicht zeitig 
genug, um durch glänzende Waffenthaten die müden Bürger 
von Speier zu entjegen. Denn um Weihnachten bes Jahres 
1319 war Herzog Leopold, aus Oberbaiern heimgekehrt, mit 
dem Aufgebote aller jeiner Ritter und unterthänigen wie zu- 
gewandten Stäbte vor der Rheinflabt erſchienen, um fie end- 

Leopold lich zu überwältigen, und den oberrheiniſchen Verkchröflätten 

Epcier. die lang entbehrte Schifffehrt mit dem Niederlande wieber zu 
eröffnen. Sind aud die prunfhaften Zahlenangaben — 60 
Bannerherrn und 89 Stätte, — die Speierö tapfere und 
ſtolze Sechzehner des Raths den Enfeln in beſonderer Ge⸗ 
daächtnißſchrift vermeldeten, nicht genau zu nehmen, fo geht 
doch Habsburgs augenblickliches Uebergewicht daraus Hervor. 
Außer den Staͤdten öſterreichiſcher Pflege am Bodenſee und 
den ſchwaͤbiſch⸗ alemanniſchen Erblanden werden von frei⸗ 
eren Gemeinweſen genannt: Lindau, Memmingen, Ueberlin⸗ 
gen, Buchau, Konſtanz, Zürich, Winterthur, Zug, Lucern, 
Freiburg im Uechtlande, St. Gallen, Rheinfelden, Waldshut, 
Bafel, Mühlhauſen, die Städte im Sundgau, alle Reichsftäpte 
im Elſaß mit Ausnahme Straßburgs, Landau, das der Speit- 
rer fich wieder erledigt, die Städte im Breisgau, ohne Frei⸗ 
burg, die im Marfgrafenthum Baden ; dann die oberſchwaͤbi⸗ 
ſchen, wie Biberach, Reutlingen, Gmünd, Ulm, Eplingen, die 
wirtembergiſchen; von den rheinpfälzifchen Heidelberg, Pfor- 
heim und Alzei, welche letzteren die entichloffene Thätigfeit ber 
Wittwe des Pfalzgrafen Rudolf (fi. 1319) mit Hülfe ihrer 
Brüder und Vettern von Naffau, als Vormünder ihrer Söhne, 
ber Gewalt des Könige, Oberhaupts der Wittelöbacher, ent- 
rüdt hatte. — Gegen folde Uebermacht vertheibigte fih 











Biertes Bud. 229 


Speier, deſſen Borftäbte Damals noch offen, unter Anführung 6. gap. 
des beftellten Hauptmannes Konrad, Brafen von Weinsberg, 
mehre Monate; duldete die Veröbung des fruchtbaren Gaues, 

bis die „Blume der Ritterſchaft,“ Herzog Leopold am 6. Aus 
guft 1320 mit den „ehrbaren Leuten und Bürgern‘ einen 
Stillſtand bis auf Martini fchloß, welcher die offene Strom⸗ 
fahrt und gegenfeitiges Recht verbürgte. Wie nun darauf Leo⸗ 
pold fein Volk entlaffen hatte, Fam König Ludwig, 4000 
Helme ſtark, mit ihm Johann von Böhmen, Balduin von 
Trier, — Beter von Mainz war vor einigen Wochen geftor- 
ben, — von Frankfurt und Mainz herangezogen, und for⸗ 
derte am 27. Auguft 1320 im Lager vor Landau Meifter, 
Rath und Bemeinde von Straßburg auf, ihm, ald den wah- 

ren römiſchen Könige, und feinem Volke bei feiner Ankunft 

im Elſaß für Geld Speifenorrath zu ftellen. Im geheim und 
offen durch die Partei der Mülnheime eingeladen, rückte Lud⸗ Die ie 8. 
wig bis in Die unmittelbare Nähe ihrer Stabt und jchredte nlgeum 
den Grafen Ulrid) von Pfirt und den Biſchof Johann, welche vurs 
ſich auf die Mahnung des betroffenen Herzogs Leopold mit 
ihrer Ritterfhaft und eilig aufgebotenen Bauernhaufen an 

der Breufch aufgeftellt hatten, über ben Fluß nah Molsheim 
zurück, wo fie angftvoll des Zuzugs der Brüder von Habsburg 
barrten. Linter ſolchen Umftänden wagte fid (Ende Auguft) 

der Baier mit feinem Fürſten⸗ und DVafallengefolge in bie 
Stadt, welche, fo feindfelig die gebieterifche Partei der Zorne, 

mit gutem Scheine, wie fie den Begenkönig eingelaflen, auch 

den König Audwig aufnahm, und ehrerbietig in das Mün- 
fter geleitete. Sich mit Gewalt zu behaupten, war nicht 
rathſam; vielmehr flüchtete der Baier, durch feinen Wirth vor 
Meuchelmord gewarnt, und der Gemeinde, bei dem Hafle des 
Adels, nicht trauend, nach kurzem Verweilen aus ben unbeime 


230 Dritter Theil. 


6. Kap. lichen Mauern. Obenein hatte fih inzwilchen das öfterrei- 
chifche Heer unter Leopold verftärkt, und war felbft König 
Friedrich, auf die erfle Kunde vom Angriff des Gegners auf 
das Elſaß, aus Defterreich herbeigezogen und über Rheinau mit 
dem faft verzagenden Bruder zufammengetroffen, voll freudi⸗ 
ger Begier, in offener Feldſchlacht den Kronftreit zu entſchei⸗ 
den. Solchem Abenteuer, beiden Brüdern gegenüber, mochte 
jedoch Ludwig nicht fein Schickſal anvertrauen; er wid auch 
diesmal, bis Selz verfolgt, rheinabwärts, zum Schmerz ware 
mer Baterlandöfreunde, denen ſchon jeder von beiden Königen 
gleich Lieb war, wenn nur das Unheil der Spaltung auf- 
hörte. Ludwig hatte durch den Feldzug nihtd gewonnen, ald 
Geldnoth und gefteigerte Anforderungen feiner Helfer; in fehr | 
demüthiger Weife fchrieb er am 1. October 1320 aus Frank⸗ 
furt an Klaus Zorn und den Math der Bürger zu Straßburg, 
er trage feinen Unwillen gegen fte, erböte fich, jeden Schaden, 
den feine Diener verurfacht, zu wenden, bitte, zu einem Land⸗ 
frieden mitzuwirken und deshalb einen Ort vorzufchlagen, 
„wohin er fiher kommen könne.” Die beiden nächſten Jahre 
bis zum Herbſt 1322 bielten den König, faft nur auf Ber- 
theidigung feined Erblandes bedacht, in Baiern feft, bis er 

dann, entjehloffen, feiner guten Stunde wahrnahm. 

— Inzwiſchen ſtumpfte fid) der Kampf in fo fern ab, daß 

PER Stände und Städte, von beiden Königen mit lleberbietung be⸗ 
gnadigt, ſich nicht ernftlich befeindeten, und die Entſcheidung 
den Gegenkönigen in Perfon überließen. Durch feine fieghafte 
Haltung hatte Friedrid im Oberlande noch mehr fich befeftie 
get ; zu Ulm im Jahre 1320 anwefend, beichwichtigte er zeit- 
weije die innere Gaͤhrung zwifchen den Zünften, welche unter 
36 Mathäftellen bereits 17 beſetzten, und den öfterreichifch ge 
finnten Patriziern; dennoch fonnten [eßtere, geführt durch ben 





Bierteo Bud. 231 


Bürgermeifter Ulrich Konzelmann, die wenigen baieriſch ges 6. gap. 
finnten Geſchlechter, als Leiter der Volkspartei, verjagen, und 
bie Gemeinde zur Austellung eines Sicherheitsbriefes, einer 
Verſchreibung zwingen, bie jeinerfeit8 Ludwig auf Geſuch der 
Beichädigten fpäter aufhob. Auch die Bürger von Schwähifch- 
Hall fuchten jetzt Friedrichs Huld, der fle vor auswärtigen Gerich- 
ten freite, ihnen alle Steuer auf ein Iahr erließ; die Regens⸗ 
burger, obfchon fie im Jahre 1320 nad einftimmigem Be- 
ſchluß des inneren und äußeren Nathes die Mauer an der 
Donaufeite herabgeführt, fahen defienungeachtet ihren Handel 
auf allen Straßen gefräntt, lagen obenein unter dem. Banne 
des Biſchofs, weil fie einen Verbrecher bis in deſſen Gefreit- 
heit verfolgt Hatten, und wünſchten fih Glück, durch eine Ge- 
fandtfchaft nach Rheinfelden die Gunft Friedrichs für geheime 
Anerkennung defjelben zu erlangen. Nur in Straßburg ſchien Barkel 
ber Anhang Ludwigs bei einem Theile der Gefchlechter und Sa 
bei den Zünften zu wachſen; denn im Jahre 1321 Elagte Klaus ” 
Zorn, der Schultheiß: die alte Pfalz in dem Bronhofe, wo 
bisher der Rath zu figen pflegte, ſei der Trinkſtube der Müln⸗ 
heime, „zum Mühlftein,‘‘ zu nahe, und feine Freunde bei ber 
Entfernung ihrer Trinfftube „zum hohen Stege’ in Gefahr, 
bei Beruneinigung im Rathe überwältigt zu werden. Weiſe 
Sorgfalt vor einem ſolchen „Geſchelle“ veranlaßte dann den 
Bau der Pfalz miiten in der Stadt neben St. Martin; ja 
man baute jeder ber beiden Adelögenoflenfchaften, von denen 
die Zorne 34 Geſchlechter, die der Mülnheime nur 24 zählte, 
eine eigene Treppe und wied den Erhitten befondere Thüren 
zur Rathsſtube an. So ängftliche Vorkehrungsmaßregeln der 
Geſchlechter gegen einander, unter politifher Mündigfeit ber 
Zünfte, deuten auf den nahen Ball des Junkerthums; dennoch 
finden wir, Daß gerade in jenen Tagen tobender Spalrung das 


232 Dritter Theil. 


6. Kay. Berürfnig polizeilicher Ordnung, fefter ſchriftlicher Satzungen 
und Beftimmungen lebhafter beraustrat. In Straßburg baute 
man im Jahre 1321 den Pfennigthurm, um in beffen Ge⸗ 
wölben der Stadt Koftbarfeiten, Briefe und Urkunden vor 
Feuer und Einbruch zu fihern ; zu gleichem Zwecke führten bie 
Erfurter den Thurm am Fiſchmarkt auf; Die Regensburger er⸗ 
ließen im Jahre 1321 einen Bürgerfhwörbrief, voll merf- 
würdiger Statuten in Betreff der guten Sitte und Ordnung; 
den Wienern verlich Friedrich im Jahre 1320 ein Rechtbuch, 
„um darein zu jchreiben alle Rechte, die fle mit gemeinem 
Math und bei ihrem Eide als foldye erfinden.” In Münden, 
wie wir ſehen werben, that das bürgerliche Leben mächtige 
Fortſchritte; in Straßburg hoffte das alte, brüchige Regiment 
fich zu ftärfen, indem es beim Mangel eines Richtbuchs, bei der 
Menge einzelner Briefe und Zebuln, und der Unzuverlaſſigkeit 
im Gebädtniffe aufbewahrter Gewohnheitsrechte, im Jahre 

bt 1322, zwölf „weiſe Herren“ eidlich verpflichtete, nicht. eher 

Straß das Klofter auf dem „Grüne Werbe’ zu verlaflen, bis fie nad) 
beftem Willen der Stadt Rechte und Gewohnheit in einem 
Buche verzeichnet und neue Gefege „dazu gedichtet, Die fleter 
Gemeinheit am nüglichften Däuchten”. So handhabte Straß- 
burg die hohe Freiheit der Statutargefeßgebung; Rath und 
Schöffen beſchwuren den Inhalt des Buches, welches in Mo- 
natöfrift jene „zwölf Weifen” verfaßt hatten. — In Tagen 
innerer Auflöfung einer alten Gefellihaftsordnung, wie zu 
Zeit Ludwigs des Baiern, ift die ſchrift liche Geſetzgebung 
immer am thätigften. — 

Entjchiedener verlor König Friedrich am Niederrhein, wo 
ed ihm gewiß feine neuen Anhänger unter den Bürgern er⸗ 
warb, daß er im Jahre 1320 aus dem fernen Votzen die Frei⸗ 
heit der einmürhigen Vierflädte der Wetterau antaftete, indem 





Biertes Bud. 233 


h 


er den Grafen von NRaffau und den Herren von Ifenburg und 6.Rar. 
Zimburg, feinen Dienern, jenen Dertheidigern der Wittwe des 
Pfalzgrafen Rudolf, 1000 M. auf die Burg Kalmünz und Befra, 
die Stadt Weglar anwies. Auch jein einziger Anhänger en 
ven Kurfürften, Heinrich II. von Köln, hatte fih beugen müf- — 
ſen, und ſchwerlich irgend einen Genuß des ihm auf dem Per⸗ 
gamente verpfändeten Reichsguts gehabt. Denn wenn ſelbſt 

das kleine Boppard, durch den gemeſſenſten Befehl Ludwigs 
dem Erzbiſchof von Trier zugewieſen, ſich ſtraͤubte, dem ſieg⸗ 
reichen Nachbarn zu huldigen, und erſt im Jahre 1327 nach 
Abſchaffung ſeines Gemeinderaths den Waffen Balduins ſich 
ergab: ſo hat gewiß die Hanſeſtadt Dortmund nicht Gehorſam 
erwieſen, als König Friedrich im Jahre 1316 von Eßlingen 
aus dem Erzbiſchof Heinrich die Reichslehn in ihren Mauern 
und Die Graflchaft nach dem erblofen Tode des Brafen Konrad 
übertrug. — Beſchraͤnkt auf den Beſitz von Soeft und weni- 

ger Burgen des Stiftslandes, ganz vereinfamt am Ahein und 
Weſtfalen unter Ludwigs Anhang, reizte Heinrih von Köln 
gleichwohl kurz nach dem verfündigten Landfrieden die Bürger 
von Köln durch Strafenraub aus Brühl, den Grafen Wil- 
helm von Jülich durch einen Angriff auf deflen Pfandſtück 
Zülpich (1317). Bon Hier abgetrieben Durch den Bund ber 
Gegner, fah Heinrich aus der Kerne Schloß und Stäbtlein 
Brühl im Jahre 1318 von Balduin von Trier, Johann von 
Böhmen, allen nieberrheinifchen Grafen, beſonders aber von 
den Kölnern, vier Monate lang belagert, und in Balduin 
Sand gefallen, der ſich verpflichtete, die Burg den Kölnern zur 
Zerſtörung zu übergeben, falls ferner der Landfrieten aus 
derfelben gefränft würde. Hierauf um Geld zu Koblenz mit 

den Siegern verföhnt und abgekühlt in feinem Eifer für 
Sriebrich (1318), verjchuldete der Erzbifhof, feinen Bürgern 


234 Dritter Theil, 


. 


6. gap. wegen ihrer jelbfifländigen Politik geollend, daß Balbuin, als 
Dberhaupt des großen Landfriedendvereind, jemen das 
Raubneft Brühl einräumte, und auch die Bezwingung ande- 
rer Stiftsſchloͤſſer geflattere, während Heinrich in Weſtfalen 
harte Sträuße befand. Auch nad) neuer Ausföhnung des Erz⸗ 
biſchofs mir dem Fürſten blieb er den Kölnern gram, hielt die 
Berfammlungen feines Klerus in Bonn, und fand nicht Mit- 
tel, der Herrfchaft der Schöffen und des Raths beizufpringen, 
welche ſich am wenigften unter kriegeriſchen Borgängen der Bür- 

‚Rehts- gergemeinde erwehren konnte. Noch König Ludwig hatte im 
rung in Jahre 1314 aus Dank für den Gehorfam die Ariftofratie der 
" Schöffengefhledhter, welde mit den Rathsmaͤnnern gemeinjam 
den Raih bildeten, bündig beftätigt; aber, wenn auch einig, 
waren die Geſchlechter dennoch nicht den Stürmen der Zeit 
gewachſen. Denn mit dem Jahre 1321 erfcheint, urkundlich, 
ohne Daß wir andere Umftände kennen als drangvolle Verle⸗ 
genheit der Obrigkeit, neben einem engen, aus zwei Bürs 
germeiftern und funfzehn Rathsherren, des Geſchlechts der 
DOuattermart, Overſtolz, Lieskirchen, Hardevuſten, Grün, 
Juden, Kleingedank, Raitz, Scherffgyn, beſtehenden, jähr⸗ 
lich wechſelnden Rathe ein äußerer Rath von 82 Mit- 
gliedern. Ueber die Bildung des äußeren Rathes wiſſen wir 
nichts näheres, wahrjcheinlich war er aus den Burrichtern her⸗ 
vorgegangen. Die raſche Umſetzung, obwohl die Wahl ber 
Neueintretenden noch ganz in den Händen der Gefchlechter 
blieb, war immer ein Fortſchritt Kölns. Die Entfcheidung zögerte 
noch über flebzig Jahre, ja es trat im Iahre 1341 einmal 
wieder eine Verlängerung des Raths auf zehn Iahre ein, bis 
gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts der Kreislauf fich er- 
füllte, und das lebenslängliche Schöffenthum, vom Rathe losge⸗ 
trennt, mit der Rathsherrſchaft dem Zunftregimente Plab machte. 








Biertes Bud. 235 


Inzwiſchen war auf baierifchem Boden der achtjährige 6... 
Kampf um das Königthum entſchieden, nicht ohne Ruhm des 
zur Selbftkändigfeit erwachten Bürgerthums der heimifchen ° Auis. 
Staͤdte. Mit weiſer und kluger Hand hatte Ludwig ſeine Haupt⸗ Dim 
Radt München, die er ſchon in ihren noch ſichtbaren Ringmau- — 
ern und mit den UAnfägen gemeinheitlicher Verfaſſung vom 
Bruder überfam, zu pflegen verftanden, damit fie würdig werde, 
dem deutjchen König ald Hoffitz zu dienen. Erft auf Abwehr, 
dann auf Bier bedacht, hatte er die Hingmauern von jedem An« 
bau frei gemacht, den Marktplag gefreit, und, „„damiter. Herren, 
Bürgern und Gäften gemäclicher und Iuflfamer werde,” den⸗ 
jelben Durch neue Gebäude zu verengen verboten. Dort erhob 
fd) das Rathhaus; an geeigneter Stelle die Megig; die im 
Streit mit dem Pfalzgrafen Rudolf gebrochenen Häufer er⸗ 
fanden fefler und fchöner. Zur Wehrhaftigkeit und Zierbe ber 
Stadt Fam Aufihwung des Handels, foweit die traurigen Zei⸗ 
ten geflatteten, Ueberlaſſung des einträglichen Salzhanbels, 
eine freie Rechtsverfaſſung, die Befugniß, aller Orten fchäde« 
liche Leute aufzugreifen und mit dem Recht zu überwinden; 
die Ausübung des Pfändungsrechts auch außerhalb des Stadt⸗ 
gebietes. Am wirkfamftenaber, eine ſtarke öffentliche Meinung 
zu erziehen, war die Ausbildung gemeinheitlicher Verfaſſung. 
Schon Rudolf hatte im J. 1294 den Münchnern die Freiheit zu⸗ 
gefichert, feinen Stadtrichter wider der Bürger Rath und Verlan⸗ 
gen zu ſetzen; Ludwig geflattete, Daß die Gemeinde Antheilanden 
Geihäften erhielt, ja wir finden, wie in den freieften deutfchen 
Bemeinwefen, zu Münden, ohne kundbaren Kampf, doch ficher 
unter dem Einfluß der Gefahr von außen, neben dem urjprüngs 
lihen Rath von zwölf Gliedern, als äußeren Rath einen Aus» 
ſchuß aus der Gemeinde von vierundzwanzig Männern, und 
obenein noch ſechsunddreißig außerordentliche Vertreter. Daraus 


236 Dritter Theil. 


6. gap. gebt unbeftreitbar hervor, daß die Zimfte auch mit politifchen 
Rechten ſich abgefchloffen hatten, und fo einen Gemeinfinn und 
ftreitbaren Eifer für Ehre und die Wohlfahrt der Gefanmt- 
heit wach erbielten, welcher, gleichwie in reihöunmittelbaren 
Städten, zur Zeit der Noth ſich ruhmvoll bewährte. 

Shiaht In der Schlacht bei Ampfing oder Mühldorf, welche mit 

u ber Niederlage Habsburgs und der Öefangennahme des ritter- 

ebeder lichen Gegenkönigs am 28. September 1322 endete, fochten 

mau die Städte Ober⸗ umd Niederbaierng, fowie des Nordgaues, 
und mehrten die Banner der nahen treuen Gemeinwefen; von 
Münchens Zünften nad) wohlbezeugter Ueberlieferung am ta- 
pferften die „Sauerbeder.”“ So löbliche, herzhafte That 
ebrte der Sieger durch anfehnliche Gnaden an die Zunft; ber 
faiferliche Adler ſchmückte das Banner und die heiligen Altar- 
gefäße der Beckerbrüderſchaft in der Auguftinerfirde, und am 
Bederhäuscen ‚im Thal auf der Hofbrücke“, wo unter einer 
Linde fie ihre Zuſammenkunft zu halten pflegte, und dann 
eine Berforgungsftätte für alte Zunftglieber entftand, las man 
noch im vorigen Jahrhundert Die Reime: Kaifer Ludwig ganz 
offenbar, Ein frommer Fürſt von Baiern war, Wider ihn 309 
gewaltiglicdh Herzog Friedrich non Oeſterrich Mit einer großen 
Heeresmacht. Bei Mühldorf da geichah die Schlacht. Unglück 
that ob dem Kaifer fchweben, Der Feind hat ihn gar hart um- 
geben, Da foiches die Beckerknecht eriahen, Thäten fie ſich dem 
Kaiſer nahen, Trieben mit ihrer Gegenwehr Zurück das öfter 
reichifch Heer, Und erretteten den Kaifer bald, Gewannen bie 
Schlacht mit großer Gewalt. Darauf der Kaifer ihnen mit 
Bier Den Adler feßte in ihr Panier, Beftättet ihnen auch mit 
großer Kraft Unfer Lieben Frauen Brüderfchaft. — 
Nah diefem großen Siege erkannte fehnell das ganze 
Reich, bis auf Herzog Leopolds Erbgebiet, den Baier als recht⸗ 





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Biertes Bud. 237 


mäßigen König, und diefer konnte auf. dem großen Lehnhofe 6.Rar. 
zu Nürnberg, Mai 1323, feine Gewalt audy über die Lande 
jenfeitö des Thüringer Wales ausdehnen. Irug gleich das 
offene Land in Baiern, Schwaben, Franken und am Rhein bie 
Spuren eines adhtiährigen Kriegsjammers, fo hatten doch die 
Städte in diefer Zeit an innerer Selbftftändigfeit mächtig ge⸗ 
wonnen, Die legten Feſſeln unbequemer Pflichten abgefchüttelt. 
Daß nun in den nähften zehn bis funfzehn Jahren die Ge⸗ 
fhledter- und Rathsariftofratie faft inallen Stätten 
entweder gebrochen wurde, oder ein gemäßigtes Regiment bes 
Raths und der Zünfte eintrat, war die Folge des Zerwürfs 
nifjed mit dem päpftlichen Stuhle! 

Wir haben aber, ehe wir in die Schilderung ber Ge⸗ 
ſchlechter⸗ und Zunftlämpfe eingehen, noch denkwürdige Bür⸗ 
gerthaten aus jenen deutſchen Ländern zu berichten, welche ſich 
mit der großen nationalen Angelegenheit nicht betheiligten. 

In Thüringen, Meißen und Sachſen dauerte bie Mitte 
Fehde zwifchen dem Markgrafen Waldemar und dem Landgra⸗ en 
fen Friedrich bis 1317 fort, und bezeichnet das Erlöſchen der land. 
Anhalter in Brandenburg (1319 — 1320), wichtig au für 
die Städte, Die Periode einer Neubildung Iandeöherrlicher Ges 
biete. Bon freien Städten fühlte Goslar am früheften das 
Bedürfniß, einem deutfhen Könige fich anzuſchließen; Mühl⸗ 
haufen, noch von @efchlechtern regiert, als Helfer der Reichs⸗ 
anfprüche in die Fehde gegen den Landgrafen verwickelt, brach 
mit diefem und: den Gliedern des thüringenichen Landfriedens⸗ 
bundes, nad) der Sühne, manch freches Raubſchloß, und näs 
herte fich erft im Jahre 1323 dem anerkannten Oberbhaupte. 
Auch Nordhaufen that fich fpät herbei, und ging böfer Ans 
fechtung durch das Reich entgegen. Getümmelvoller warb rg 
Magdeburgs Zuſtand. Gegen ben legten erfauften Vertrag, 


—— 


238 Dritter Theil. 


6. Kavp· mitten im Frieden, vom wortbrüchigen Erzbiſchofe Burkard 
geplagt, jagten die Bürger ihn. im Jahre 1314 aus der Statt, 
duldeten gleichmüthig eine Belagerung durch die Nachbarfürs 
ften, plünderten den erzbifchöflichen Palaſt; fperrten dann den 
Kirchenfürften, als er fih in ihre Mauern gewagt hatte, drei 
Wochen, wenn auch nicht in den von ihnen eigens gezimmer- 
ten Holzfaften auf dem Iohannisthurm, doch auf ihrem Rath⸗ 
haufe ein, waren aber, unter DVermittelung des Marfgrafen 
Waldemar, um aus dem Banne zu fommen, am4. April 1315 
gutmüthig genug, durch einen Eoftbaren Bertrag fih wiederum 
täuschen zu lafien. Die Gemeinde zwar ſprach der Erzbiſchof 
fel6ft vom Banne los; die Rathmänner mußten deshalb nad 
dem fernen Avignon zum Bapfte wallfahrten. Defien unge: 
achtet begann er, felbft während der Hungerjahre 1317 und 
1318, das alte, graufame Spiel, bis fich die grollende Stadt 
im Jahre 1323 an König Ludwig wandte und fo aufdasengfte 
und verhängnißvollſte in die Eirchlichen Kämpfe verflochten wurde. 

Lübed An der baltiſchen Küſte ſehen wir herrliche Bürgerkraͤfte 

— ringen, freilich ohne daß das ehrenwerthe Lübeck, gebunden 

— durch fein Schutzverhaͤltniß zum Dänenkönige und überwiegend 
mit dem Verfolg hanſiſcher Dinge beichäftigt, dabei eine Rolle 
fpielte. Die Erfahrung ber legten Jahre konnte den Eugen 
Kaufleuten keineswegs Luft erweden, mit dem beutfchen Kö- 
nige ſich einzulaffen. Sie hatten im Jahre 1318 auf Ludwigs 
Ladung ihre Sendboten nad Nürnberg geſchickt; auf ber 
Heimkehr wurden biefelben durch einen Ritter Konrad von 
Truhendingen, einen Bafallen der Hohenlohe oder Dettingen, 
niedergeworfen. Die Armen zu erlöfen, bemüheten fich Meiſter 
und Rathmannen beim Könige; der aber ſchrieb ihnen im Dec. 
1320 aus Nürnberg: „Graf Berthold von Henneberg, bes 
auftragt nit dem Landfriedensbrecher zu verhandeln, habe bis 











Biertes Bud. 239 


auf ein Löſegeld von 200 Mark gedingt; da jedoch der ehrfame 6. Kap. 


Nitter das Geld nit vom Könige nehmen wollte, fo foll- 
ten die Lübecker daflelbe unnıittelbar an jenen, nebft 420 M., 
die er dem Unterhaͤndler ſchuldig fei, entrichten, und die Ge⸗ 
fommtfumme von ihrer Reichs ſteu er abziehen!’ An Geld 
fehlte ed dem Tübifchen Staatshaushalt fo wenig, daß, er im 
Jahre 1320 vom „milden“ Grafen Johann von Holftein den 
Kauf des Thurmes und der Burg Travemünde beftreiten fonnte. 
Die gehaßte Zwingburg ſchwand fpurlos vom Boden. 

Den Ehrenreigen zu führen übernahm Stralfund an ‚Btral. 
Stelle des erfchlafften Vororts. Stark durch feine Rage, feine Rönla 
Mauern, und 40 Thürme, ſechs Kirchen im Umfang einfchlie- 
gend, geübt in Friedens» wie Kriegsgeichäften, bei jährlich 
umgejegten Rathe, der im Jahre 1287 35 Perfonen zählte, 
unter bedingendem Einfluß der Altermänner der Innungen, 
beſonders der rathöfähigen Gewandfhneider-Gilde 
regiert; von den ſchwachen Fürſten von Rügen, ben 
Vaſallen Dänemarks, faft aller Unterthänigfeit entbunden, 
von der Heeresfolge befreit, zum Widerflandsrechte gegen den 
Landesherrn befugt (1304), hatte Stralfunds Gemeinweſen 
im Jahre 1311—12 muthig zur Sce gegen Erichs Anmaßung 
gefochten; auf dem Sanfetage im Jahre 1312 in günftigen 
Geihäften mit König Hakon von Norwegen die Lübecker ver- 
treten ; da entzündete da8 Bemühen der Stadt, den Nedereien 
ihred Landesherrn, des dänischen Bafallen Witzlav III. fich zu 
entziehen, einen Krieg an der baltiſchen Küfte, welder dem 
fünftlichen Gebäude des dänifch-wendiichen Königthums ein 
Ende brachte. Beim Ausbruch des Kampfes (1314) hatten Die 
Markgrafen Waldemar und Iohann die Hoffnung Ihrer Schütz⸗ 
Iinge noch getäuſcht; die Stralfunder mußten den unerwartet 
verftändigten Fürſten fi beugen, empfingen Dagegen im 


und 


240 Dritter Theil. 


6.Rap. Jahre 1315 für neue Huldigung und 6000 Mark Silber Zu- 


fiherung ihres Stadtrechts, des Statutarrechts, des Oberhofs 
in Lübeck, des Stadtgebiets, unter der Verzichtung des Naths 
und der Altermänner auf fonftige Privilegien. Ungewiß ift, 
ob der Bund des wanfelmüthigen Fürſten Witzlav mit den 
wenbifchen Herren, ihm die übermädhtige Stadt unter den 
Fuß zu bringen (Öftern 1315), die Thätlichkeit der Bürger 
hervorrief, oder ob die Bürger, die Arglift durchſchauend, den 
Shut des Markgrafen, dem Dänemark längft im Wege ſtand, 
erfauften, und zuerft die Waffen ergriffen. Schnell jehen wir 
in den Tagen, als ſich Friedrich der Schöne und Ludwig der 
Baier zum zweitenmale einander mit Heeren näherten, Nord⸗ 
deutichland bis nach Thüringen und an den Harz hinauf, in 
eine märfifh=deutfche Partei zu Gunften Stralfunds und 
Waldemars, und in eine däniſch-ſlaviſche zu Gunften 
Witzlavs und Erichs gefpalten. Eine weit vermittelte Politik 
flellte Die Könige Dänemarks, Schwedens und Norwegens, 
die Askanier, die Holfleiner, die Buelfen, die Gerzoge von 
Sachſen⸗ Lauenburg, die Grafen von Schwerin, den König 
der Bolen, Wladislaw Lokietek, — wegen Bommerellens Wal- 
demars Feind, — die Fürften von Wenden und Mecklenburg, 
fogar ruſſiſche Horden in den gemeinfamen Bund; der Marf- 
graf Hatte nur Pommerns ſchwache Herzoge und die Seeſtadt 
Stralfund, der die wendifchen Bundesichweftern, felbft Greifs⸗ 
wald, allen Beiftand verjagten, zu Kampfgenoffen. — Um 
Mecklenburgs feſte Städte begann Die verwidelte Fehde mit 
werhjelndem Erfolge; der Dünenkönig z0g im Ianuar des 
Jahres 1316 auch ten Erzbifhof von Magdeburg und Thü- 
ringend waffengeubte Landherren, wie die Harzgrafen, in ſei⸗ 
nen Sold; dann rüftete ſich eine däntfche Flotte von 80 gro⸗ 
Ben Schiffen mit einer Bemannung von 7000 Gewaffneten 


Biertes Bud. 241 


gegen Stralfund, deſſen Rath und Altermänner nur noch die 6. Kap. 
Ritterfchaft von Nügen verfafjungsmäßig gegen den wortbrü- 

chigen Oberherrn gewonnen hatten. Während fchwebifche UND ng Son 
dänifche Schiffe Die ſundiſchen Gewaͤſſer fperrten, nahete im Sry 
Juni 1316 das Belagerungäheer unter den Bannern Wig- 

lavs, Erichs von Sachſen, Albrechtd von Braunfchweig, bes 
Herzogs von Schledwig, der Grafen von Holftein und der 
wendiihen Fürſten. Den gefchworenen Helfer der Stadt hielt 

um diefelbe Zeit die Vertheidigung der Marken bejchäftigt. 
Getrieben von Beuteluft und Kampfbegier war Herzog Erich 

von Sachſen der erfle im Lager beim Hainholz, Damals einem 
dichten Walde, welcher weftlich die Stadt umſchloß. Da ſtürz⸗ 

ten fich die Stralfunder mit ihren Waffengenofjen am Abend 

des 21. Juni wie ein gereizter Bienenſchwarm über den hitzi⸗ 

gen Borfämpfer, brachen feine Wagenburg, erfchlugen viele fei- 
neritter, fingen ihn felbft mitanderen, plünderten das Lagersieg „gu 
“ und fehrten mit Sreudenin die Stadt beim. So glüdlicher An⸗ Hole 
fang erhöhete den Muth auch gegen das größere Heer. Nach 

feden Ausfällen hatten die Bürger fchon in wenigen Tagen 

einen Haufen vornehmer Ritter in ihrem Gewahrfam, welche 

am 15. Auguſt dem Rathe und den Altermännern ein Löfe- 
geld von zufammen 8000 Mark Silber geloben mußten. Als 

die ſtrenge Jahreszeit herannahete, zogen die befhämten Herren 
(November 1316) ein jeder feined Weges, worauf die Bürger 

fh des erlittenen Schadens am Gebiete Witzlavs erholten, 

und getroft in die Zukunft blickten, obgleich Markgraf Wal⸗ 

demar felbft im hohen Sommer unweit Granfee dem Gegner 
erlegen und nur mit Mühe vor den Streitärten zweier groben 
Bürger von Greveömülen errettet war. Im Winter 1316—17 
ermaßen die Kriegshäupter befonders ihren Oeltmangel und nä- 


berten fich einander ; der Danenfünig fühlte ſich fo gebeugt, daß er 
Barthold, Städtemejen. IL. 16 





242 Dritter Theil. 


6. gap. den unmittelbaren Landbeſitz in Slavien aufgab. Das grofe 
Unternehmen löfte ſich in eineReihe von Verträgen auf, welde 
der Frieden von Templin (November 1317) in ein Ganzes 
vereinigte. Unbefchädigt, flegreich, mit neuen Privilegien, dem 
Recht der Zollerhehung, dem Münz- und Wechfelrechte, der 
Lehnwaare über alle Schulen, ging die tapfere Seefladt aus 
den Kampfe hervor und baute, fo ehreifrig wie Eunftfinnig, 
von dem reichen Löſegelde des gefangenen Sachfenherzogs und 
der Nitter jenes prangende Rathhaus und den Artushof, den 
ſchmucken Saal für die Hochzeiten und Gelage ehrbarerHathe- 
bürger und Kaufherren. Ein Ausſchuß von Achten zur Ent- 
werfung von Statuten, und die Aechtung einer angefehenen | 
Bürgerpartei, vielleicht der Anhänger des Fürften, deuten auf 
erregte Zuftände im Inneren. — Im November 1319 erftarb | 
mit Erich Menved dad Schutzrecht über Lübeck, nachdem alles, 
was der König feit nahe 20 Jahren an Hoheitsrechten über 
Deutjchland gewonnen, durch Stralſunds Widerftand verloren 
war. Sind wir auch weit entfernt, das fogenannte germa 
niſche Bewußtſein unferer Tage in der Auflehnung der 
Geeftädte gegen Dänemark zu erfennen, fo Ing der Abneigung 
vor unmittelbarer Fremdherrſchaft doch mehr das dunkle 
‚Gefühl der Bürger, zur Deutfhen Geſammtheit zu ge 
hören, zu Grunde, ald das Gelüft, von Tandesfürftlicher Will- 
für, welcher Die dänifche Krone als Stütze diente, ſich ganz zu 
befreien. Bern war jenem Bürgerthume die Abficht, Die ober- 
herrliche Gewalt abzufhütteln; ihre Liebe zum angeflamm- 
ten oder rechtmäßigen Fürftenhaufe, ihre Bereitwilligfeit, mit 
den Waffen die bedrängten Erben deſſelben zu vertheidigen, 

zteiheit bewährten unmittelbar nach jenen dänifchen Ereignifien gerade 

"merichendie fühnften Verfechter ihrer eigenen Rechte. Andererſeits 

ränte, aber handhabten ſie entichloffen die verfaffungsmäßige Befug- 


Viertes Bud. 243 


niß, zeitweife unter den Schuß einer verwandten Fürftenlinie 6. ray. 
fih zu begeben, falls der eigentliche Oberherr, wie etwa Otto, 
Herzog von Stettin, i. 3. 1319, ſte beeinträchtigte oder ihnen 
Beihirmung verfagte. Breilih waren Pommerns Seeftädte 
um 1320 faft im Genuſſe reihsftädtifcher Freiheiten, wenn fle 
auch die jährliche Urbare nicht dem Katfer, fondern dem Lan⸗ 
desheren entrichteten. Das Amt eines Obervoigtes überlebte 
ſich ſelbft, als z. V. Stralfund und Greifswald wie andere 
Gemeinweſen das Hecht erlangten, entweder die Voigte felbft 
zu wählen ober eine ihnen witerwärtige Perfon zu verwerfen. 
Alle hatten unbeftritten freie flatutarijche Geſetzgebung, unter 
Zuzichung der Alterleute der Zünfte. Bei dem großen jähr- 
lihen „Echteding“ wurden die „Beliebungen“, die „Bürgere, . 
Burfprache‘’ vom Rathsſöller verfündet und durch den Eid der 
Alterleute fimmtlicher Gilden und Zünfte erneuert. Den Rath» 
feuten Tag die Vertretung der Gemeinde nad) außen, die Ver- 
waltung des bedeutenden Stadteigenthums, die Anführung 
der Zünfte im Kriege, die Sorge für die Befefligung der 
Stadt ob. Der Rath verlieh die Gewerbsrollen an die Zünfte, 
von denen diejenigen die mächtigften waren, welche, wie die 
Böttiger, vom Seehandel unmittelbaren Vortheil zogen, und 
deshalb durch gemeinfamen Beſchluß der wendifchen Städte, 
auch Hamburgs und Lübecks, 1. I. 1321 einer ftrengeren 
Ordnung unterworfen wurden. Im Kampf am Sainholze hats 
ten Stralfunds „Hutfilzer“ den Vorſtreit; als unruhiges 
Element galt auch in Bommerns Städten die zahlreiche Woll- 
weberinnung; die Fleiſcher, Schufter, Fiſcher traten leicht auf 
bie Seite ehrgeiziger Volfsführer gegen den regierenden Rath. 
Jedoch hat auch in den pommerifchen Städten, fo flürmifche 
Verfuhe aus den Liften der Berwiefenen (dem Liber proscri- 
ptorum) urkundlich find, die Zunftherrichaft nie Befland ge- 
16 * 


244 Dritter Theil. 


6. gap. habt. — Die bündigen Mafregeln der Hanſa und die hoben 
Strafbeſtimmungen der einzelnen Stabtobrigfeiten gegen Auf: 
ruhr und Verſchwörung zügelten am Ende immer wieder die 
demokratiſche Bewegung. 

usfer- Gleichzeitig mit der Höhe des Kampfes um die beutfche Krone 

einbalterbradhte das Erlöfchen des Haufes der Markgrafen von Bran- 

Denburg Denburg aus dem Stamme Anhalt in den Ländern an der Elbe 
und Oder eine nachhaltige Erfchütterung hervor, und beförberte | 
zumal die fländifche Geltung der märfifchen Städte. Als im 
Spätfommer 1319 Waldemar unerwartet ohne Nachkommen | 
ſtarb und feine beiden Neffen bald darauf thatenlos Hinwell- 
ten, griffen alle Nachbarn Haftig in das herrenlofe Reichsle⸗ 
ben zu, das feiner der beiden Könige als heimgefallen an- 
ſprechen durfte. Die Herzoge von Bommern, der Zürft Hein- 
ri von Mecklenburg, Herzog Rudolf von Sachſen, als näd- 
fier Sippe des Kindes Heinrich, fuchten entweder eigennüßig 
die Bormundjchaft zu erringen ober früher, Durch Die gewaltthä- 
tigen Markgrafen erlittenerBerlufte ſich zu erholen. Auch König 
Johann von Böhmen und Landgraf Friedrich von Thüringen 
jäumten nit; der erftere fiel ſchon im September 1319 in 
die Oberlaufig ein und ficherte fih Görlitz und Bautzen; ber 
Thüringer die ihm entfremdeten Städte von Meißen und bed 
Oſterlandes. Vor allem kam es auf die Haltung der eigent- 
lihen märfifhen Städte an. Die der Neumark, des Landes 
Lebus und Frankfurt erfannten im Septeniber 1319 den Her⸗ 
zog Wartislaw von Pommern als Bormund und Befchirmer; 
die der Uckermark und der früher pommerifchen Gebiete bega- 
ben fi} unter medlenburgiihen Schuß, während der ſuͤdliche 
und weftliche Theil der Marken, wie Berlin, Köln und Bran- 
denburg, zu Herzog Rudolf von Sadıfen ſich neigte. So 
herrſchte einige Jahre hindurch, bis nach ter Schlacht von 








Biertes Bud, 245 


Ampfing, eine unbefihreibliche Auflöfung in jenen einft fo 6. Kap. 
blühenden Landſchaften, erftarkte aber das politifche Bewußtjein 

der Bürger. Als auch Heinrich das Kind im I. 1320 geftor- ae 
ben und der Vorwand einer Vormundſchaft für zudringliche Teit her 
Nahbarfürften wegftel, halfen ft} die Bürger nach Gutdünken. vn 
Drei und zwanzig Städte der Mittelmark, nebſt einigen der 
Niederlauftg, unter ihnen Berlin mit Köln, Alt- und Neu- 
Brandenburg, Rathenau, Spandau, Bernau, Branffurt, Gu⸗ 

ben, Luckau und Briegen, verbanden ſich zu Berlin am 24. 
Auguft 1321, ‚ihrem Huldigungseide für Rudolf von Sachſen 
getreu und gemeinfam nachzukommen“, und jchloffen einen 
Landfriedensbund gegen Räuber und Befchädiger, was fle an 
Etendal und die altmärkifchen Städte kundthaten, die ihrer- 

jeitö, wie namentlich Salzwedel, Tangermünde, Gardelegen 

und Werben, ſich gegen ihre Keinde, die „ihre urfprünglichen 
Rechte“ kraͤnken wollten, vereinigt hatten. Die endliche Ent- 
ſcheidung für das Schickſal der Marken, welche der fleghafte 
König Ludwig aus Nürnberg i. I. 1323 verkündete, nahmen 

die Städte gehorfam auf, nit ahnend, welde harte Prüfung 

die Neichötreue ihnen auferlegen würde. 

Eine der wichtigften Folgen des Sieg! von Ampfing war, Subwig 
dag König Ludwig auf dem erften allgemeinen Reichötage und Martgr. 
Lehnhofe zu Nürnberg, wo er aud einen allgemeinen Land venburg, 
frieden verhieß (April 1323), um fein Haus für die Verlufte 
zu entfchädigen, die ihm Die Belohnung eigennüßiger Hel⸗ 
fer verurfachte, die erledigte Markgrafſchaft Brandenburg 
nebft allen mit ihr verknüpften Rechten feinem achtjährigen 
Sohne Ludwig übertrug, und, um dem Knaben im Norden 
eine Stüße zu verſchaffen, ihn im Juli 1323 mit der Tochter 
Chriſtophs, des vielbefcholtenen Nachfolger Erich Menvebe 
auf dem däniſchen Throne (Januar 1320), verlobte. Furcht⸗ 





6.Kar. 


246 Dritter Theil. 


ſam wid Herzog Rudolf von Sachſen, der Wähler tes jebt im 
Gefängniß ſchmachtenden Königs Friedrich, aus jeinem Be⸗ 
ſitzrecht; Der junge Kurfürſt, unter ter klugen Zeitung des 
Grafen Berthold con Henneberg am Ente tes I. 1323 in 
daß zerrifiene Land gefommen, gewann mehr durch Gnaden⸗ 
briefe, ald durch Waffen, die Huldigung der Städte, wie Ber- 
lines, Kölns, Alt= und NReu-Brandendburgs; Prenzlau’s, das 


der Bommernherzog umjonft mit Schenkungen gefödert. Die 


auseinander gezerrien märfijden Gebiete ſchloſſen wieder zu⸗ 
fanımen; jelbft der um die Hoffnung feiner Reichsſtandſchaft 
beirogene Wartislav von Pommern beugte ſich dem Unab⸗ 
wendbaren. Da wurde Norddeutichland, zumal Brandenburg, 
plöglich in jenen Kampf der Guelfen⸗ und Ghibellinenpartei, 
welcher ſeit dem Falle der Hohenſtaufen dieſſeits der Alpen 
verflummt fchien, bineingejchleudert, und gewannen unjere 
Städte, freilich unter gräuelvollen Ereigniffen, das Lob: am 
treueften bei der Ehre des Reichs zu beharren. 

König Ludwig jah ſich jeit dem I. 1324 von einer un- 
erwarteten Seite, vom neuen Papfte auf dem Stuhl zu Avig- 
non, bedroht. Auf Koften des Reichsguts undankbar gegen 
die willigen Opfer der Städte, bemüht, allein feine fürftlichen 
Helfer zu belohnen, Hatte er dem Könige Johann von 
Böhmen, weldher feine Tochter dem Sohne des Landgrafen 
Briedrih von Thüringen, Friedrich dem Ernften, verlobt, das 
Pleipnerlant mit Altenburg, Zwidau und Chemnig verpfän- 
bet, ihm auch ſchönes Reichsgut am Rheinſtrom, fowie die Mark 
Eger von neuem zugewiejen, dann aber den jungen Zandgra- 
fen noch vor dem Tode feines vielgeprüften, grämlichen Vaters 
(ſt. Novbr. 1324) als eigenen Eidam auserforen. Ganz verän» 
dert in feiner Gefinnung gegen die Städte, betätigte ber Baier 
(April 1323) der Reichsſtadt Nordhaufen wie Mühlhaufen, 


Biertes Bud. 247 


gewiß nicht ohne erhebliche Gebühr für die Kanzlei, erft Die 6. Kav. 
bergebrachten Rechte, beurkundete aber dann 14 Tage darauf: —5 — 
daß er ſeinem Eidam Friedrich von Thüringen und Meißen —R 
zum Brautſchatz und zur Heimſteuer feiner Tochter Mechthild ſtaͤdte. 
für 10,000 Marf ©. „feine und des Reichs Städte Mühl⸗ 
haufen und Nordhauſen“ verfegt und eingeantwortet habe, 

„wie ex deſſen nach Recht und alter Gewohnheit der römifchen 
Könige befugt ſei.“ Darüber erhob fih nun zu Nordhaufen 

große Unruhe und Beflürzung, bis der König, dem unheim⸗ 

ih ward vor dem Grollen des erſten päpftlichen Donners, 
vorläufig fich mit der Verpfändung des Reichsſchulzenamts an 

die zudringlichen Harzgrafen zufrieden gab, nur die Juden» 
feuer ſich vorbehielt, und aud Goslar begünftigte, wiewohl 

er die Hälfte bed dortigen Reichsſchultheißenamtes dem bes 
günftigten Grafen von Schwarzburg zuwies. Mückfichtsloſer 
rerfuhr Ludwig gegen näberbelegene und darum leichter zu 
zähmende Reichsſtaͤdte. So erhielt zwar Nürnberg das Recht, 
Landfriedendbrecher auch außerhalb feines Gebiets zu ver- 
folgen und zu ftrafen, zugleich aber wurde das dortige Reichs⸗ 
ihultheißenamt und die Reichsſteuer dem gefährlichften Nach⸗ 

bar, dem DBurggrafen Friedrich 1H., überantwortet. Höher 
ihwang ſich die Macht der Hohenzollern; unter ihrer Pflege er⸗ 
blübete „Regnitz⸗Hof“ ald Stadt Hof, erfland das tapfere 
Wunftedel mit den Freiheiten Egers (1328). Am meiften 
hatte über Ludwigd Unart Rotenburg zu Elagen; Fleinere 
ſchwaͤbiſche Städte, wie Eßlingen, Reutlingen, Rothweil, Weil, 
Gemünd, Tief er, vor Habsburg auf der Hut, in ihrem Bes 
ftande oder verpfändete nur einſtweilen bie jährliche anſehn⸗ 
lihe Reichsſteuer; Rotenburg dagegen, das fo warer für den 
Baiergeftritten, und Feuchtwangen wurden ſchon im Oct. en 
an die alten Gegner, die Grafen von Hohenlohe, verpfändet, piändet. 





248 Dritter Theil. 


6. Kap. und als die Bürger ſich firäubten, im I. 1325, „Chriften un? 
Juden“ ernftlich angehalten, „den edlen Männern von Ho 
henlohe zu huldigen.“ Einer foldren Gemeinde blieb nichts 
übrig, wollte ſie nicht die ganze Entwidelung ihrer Inneren 
Lebenskraft aufs Spiel jegen, als fih aus dem Drud ber 
Verpfändung Ioszufaufen. — 

Auch Ulm, defien widerfpruchövolle inneren Berhältnifie 
wir bejonders zu betrachten haben, warb wegen der Nähe 
des habsburgiſchen Erblandes berüdfichtigt; wie der Kö- 
nig= Serzog die tapferen Bürger von Ingolſtadt und Mün- 
chen durch vielfache Huld fefter verpflichtete, jorgte er auch für 
die Ruhe der wichtigften Donauftadt, Regensburgs, die ja zu 
jeinem Geſchlechte alte Beziehungen Hatte, und dem Gelbbe- 
dürftigen immer den Sedel offen hielt. Bon ihm gehegt, 
erlangten die „‚ehrbaren Gefchlechter und Ritter‘ i. J. 1323 
durch einen Beſchluß des Bürgermeifterö, des Raths und der 
Gemeinde, vertreten durch mehr ald ‚hundert der beften Bür- 

„airifo: ger’, bie Aufhebung jener Schabfteuer, die i. I. 1320 den 

Begend- „eblen Leuten” auferlegt war. Steigende Anſehen der 
Bürgermeifter, welche wider gejegliches Herfommen mehre Jahre 
hintereinander ihr Amt befleideten, fleigerte auch den 
Hebermuth der Geſchlechter und weifingte nahen Stun. — 
Frankfurt fah i. I. 1322, zum Zeichen, daß der Reichsſchuli⸗ 
heiß der karlingeſchen Pfalzftadt aufgehört habe, ein koͤ⸗ 
niglicher Beamter zu jein, das Stabtbanner in der Hand 
deſſelben als bürgerlichen Beamten; Teichter gelang es ben 
Städten im Elſaß, die wegen der Landgraffchaft der Habe: 
burger und ihres Erbguts fehr umfichtig und fanft behandelt 
werden mußten, die Bürde bed Reichsſchultheißen abzufchüt- 
teln. So erhielt Hagenau, das im December 1322 dem Sie⸗ 
ger von neuem gehuldigt, in feinem Schultheißen auch den 








Viertes Bud. 249 


Richter für feine Ausbürger, und vom Könige bie Zuftcherung, 6. Kap. 
daß Fein Straßburger diefes Amt befleiden follte. — Bon 
entlegenen oberdeutfchen Städten hatte ſelbſt Konftanz, deffen 
Biſchof und Rathsariſtokratie den Stürmen ber Zunftgenof- 

fen bang entgegenfahen, dem Baiern ſich angefchloffen; von 
einem mörderifchen Anfalle der habsburgiſchen Partei empfing 

eben Damals die Mordgaffe den Namen (1324). 

Noch faßte König Ludwig, im Beſitz der Reichskleino⸗8 Lud⸗ 
dien und des gefangenen Königs ſicher, nicht den Umfang der Fin 
Gefahr, und hatte fich zu Anfang d. J. 1324 an den Nieder- 
rhein begeben, um ſich (Webruar), nach dem Tode feiner erften 
Gattin, mit Margaretha, der Tochter des Grafen Wilhelm 
von Kolland, zu vermählen, zugleich um den Erzbiſchof Hein- 
rih von Köln zu beobachten, der auch jetzt noch, obgleich in 
Fehde mit ben reichſstreuen Grafen Weflfalens, auf Habs⸗ 
burgs Seite verharrte. Kölns Bürger Hffneten dem anerfann- 
ten Herrſcher die Thore, und mit niegefehener Pracht ward 
das Beilager im „Roſengarten“ unter dem Zuftrömen von 
11,000 ritterlihen Gäſten vollzogen, daher das Volk noch in 
fpäten Tagen jene Hochzeit „Roſenhof“ zu nennen liebte. Als 
auch auf freundliche Einladung der tückiſche Erzbiſchof nicht 
erihien, ſtrafte ihn der Verfühnlihe, indem er Düren von 
deffen Pfandherrſchaft Tosfagte und die Klagen der Bürger 
son Dortmund, das längft vom Erzflifte bedroht war, anhörte. 
Wie er den Bebrängten fihon i. 3. 1323 den Grafen von Wal- 
deck als Beſchützer gegeben, behielt er fle dem Reiche vor und 
ließ die Anfprüde benachbarter Herren auf die Grafſchaft 
Dortmund unterfuhen. Jene uralte ſaſſiſche Stadt, noch von 
Shöffenfamilien gerichtet und verwaltet, wußte ſich als reichs⸗ 
frei, ſelbſt im Beſitz der ſchönen halben Grafichaft, zu be= 
Haupten, und wenn ihr auch 1. J. 1326 der Graf von Sayn 





250 Dritter Theil. 


6.20. als unbequemer Schirmvoigt beftellt wurde, empfing jle dod 
i. 3. 1332 vom Könige die bündigſte Zuflderung ihrer Un⸗ 
mittelbarfeit. 

Crier Eines Kriegsereignified um Meg aus dem I. 1324 er- 

Geh 

— wir nur, um bei den Bürgern den er ſt en Gebrauch 

— einer neuen Erfindung nachzuweiſen, welche, von ihnen ſelbſt 
yervollkommnet, beſtimmt war, einſt Die Unabhaͤngigkeit und 
Freiheit der Städte unter den Fuß fürſtlicher Zwingherren zu 
beugen. Ob die untere Bevölkerung von Metz, angewandelt 
von ghibelliniſchem Eifer, ihren Biſchof Ludwig und die an⸗ 
maßungsvollen Geſchlechter vertrieben hatte, oder ob fie fid 
dem Könige Ludwig nicht hold erwiejen, kann bei der Der: 
wirrung der Dinge, welche d. 3. 1324 fund gab, nidyt ermit- 
telt werten. So viel wiflen wir, dag Balduin, Erzbifchof von 
Trier, Johann, König von Böhmen, und Ferry, Herzog von 
Zothringen, im Auguft 1324 ein Bündniß zur Demütbigung 
der „Bürger“ von Mep fchlofien, im September die Statt 
hart belagerten, aber am 1. October unverrichteter Dinge ab- 
zogen, weil jene und ihre ritterlichen Helfer einen wohl mehr 
ſchreckenden als wirkffamen Gebrauch von ihrer „Artille: 
rie“ gemadt hatten. Die neue Kunft des Feuergewehrs war 
wahrfcheinlich Iange vorher durch die Maurenfämpfe im ſüd⸗ 
lichen Spanien hervorgerufen ; über Italien, wo Florenz fchon 
im Sahre 1326 eherne Gefüge gießen ließ, mochte fie in 
oberdeutfhe Städte gelangt fein. Denn ſchon zwei Jahre vor 
der Schlacht bei Eresch, i. I. 1344, hören wir, daß der Er; 
bifhof von Mainz die „Feuerſchützen“ von Ehrenfeld nad 
Aſchaffenburg beſcheidet; Schießpulver Eommt ſchon tim Jahre 
1356 in Nürnbergs Rechnungen, wie im Haushalt von Braun: 
ſchweig vor. Im J. 1374 brauchte der Biſchof von Würzburg 
bereits „‚Büchfen‘, feine Bürger zu zähmen; gleichzeitig fin- 


Biertes Bud. 251 


ven wir die Bombarben zur Bertheidigung hanſiſcher Orlogfchiffe 6. Kap. 
angewandt, und erfahren bald, daß Ulms wie Braunſchweigs 
waffenfreudige Schützenbrüderſchaften ſich der Eunftreichen Hand⸗ 
büchfen ſtatt des üblichen Stahls (der Armbruft) bei männereh- 
sender Luſtbarkeit bedienten. — So fihmiedete der erfindfame 
Geift Des deutſchen Bürgerthums die Waffen gegen ſich felbft. 

Mit der neuen mörderifchen Kunft wiederholte ſich 
gleichzeitig, nad) längerer Unterbrechung, eine uralte 
Tücke gegen Wohlfahrt und Ehre der Deutfchen. Iohann 
XXII., Franzoſe von Geburt, feit dem 7. Auguft 1316 
auf Dem päpflliden Stuhle zu Avignon, hatte lauernd 
dem Kampfe der Könige zugefhaut; aufgefordert durch 
den bartnädigen Habsburger, fowie” durch die franzöftiche 
Krone, fonft auch durchdrungen vom hierarchiſchen Hodfinndied 
eined Gregor VII., Innocenz III. und des Märtyrerd Bonifaz ee 
VII, begann Johann XXII., verachtend die Baffenentfiheidungsen Lud- 
bei Ynpfing und den Willen des deutſchen Volks, fich als a 
Nichter des erledigten Ihronftreitö zu gebehrden. Den nädh- 
ten Anlaß zum Procefie gab König Ludwigs unkluge Eins 
mijhung in bie italienifchen Händel. Der erften Vorladung 
des unbefugten Ausübers der Königägewalt vor feiner 
Genehmigung durd den b. Stuhl, dem „Proceſſe“, 
welcher (8. October 1323) ohne feierliche Infinuation blos 
an die Kirchthüren von Avignon angefchlagen wurde, folgte, 
ald der Baier mit einer Proteflation fi) begnügte, zwar ein 
Aufſchub des Nechtöverfahrend auf drei Monate (7. Januar 
1324), dann aber der mannhaften und würdigen Sprache des 
jo übermüthig Angegriffenen ihon am 23. März 1324 die 
Bulle mit der Drohung des Banned gegen den Ungehorfamen, 
Wivderfeglihen, die Abmahnung an König Chriftoph von 
Dänemark von ber baterijchen Heirath, und am 11. Juli 1324 


252 Dritter Theil. 


6.Ror. die Verfündigung des eigentlichen Bannes, welcher alle from: 
men Söhne der Kirche ihrer Plicht gegen ten Audgeftoßenen 
Iosjagte, die Verjchmäher des kirchlichen Gehorſams mit ber- 
felben Strafe belegte. | 
„Folgen Unfere Sache ift nicht, da8 Benehmen des deutſchen Kö⸗ 
„ide nigd und der Zürften, den widerſpruchsvollen Gang des un- 
fir die erhörten Handels, die tapfere Verfechtung des Königlichen 
Rechts durch gelehrte Federn und die Predigt der Minoriten, 
zu ſchildern. Wir haben nur die Folgen der tiefen Bewegung 
der deutichen Welt für den jähen Umflurz des ſtädtiſchen 
Junkerthums hervorzuheben. Die Furditbarfeit des römi- 
ſchen Bannfluches hatte zwar ſchon feit der Hohenflaufenzeit 
in Deutſchland fih vermindert; immer gab ed aber noch un- 
zählige Seelen, weldye vor der Entziehung des kirchlichen Tre: 
ſtes erbangten, und aus anfänglicher Ermuthigung in über- 
wältigenden Aberglauben zurüdfielen. Auf ſolche Halbheit, 
der wir leider, ſeines erfünftelten und angelernten Trotzes um⸗ 
geachtet, auch den Wittelsbacher beſchuldigen müffen, war der 
Schlag vorzüglich berechnet; noch zuverfichtlicher aber baute 
die Curie auf die gefinnungdlofen oder dem hierarchijchen In⸗ 
tereſſe eigennützig verfnüpften Kirchenfürften und Hohen Kle⸗ 
riker; endlid auf den erwachten Anhang des Hauſes Habsburg 
unter der Ritterjchaft und die grollenden abligen Gefchledhte 
der Reichsſtädte. Bei jo bedenflichen Verhältnifien begegnet 
dem Beobachter des deutfchen Volks das merkwürdige Wider: 
ſpiel italieniſcher Nationalentwidelung aus den Tagen von 
Aleflandria, Marignano und des Friedens von Koftnig. Bir 
die Furcht vor Knechtung durch den Arm des deutfchen, barba⸗ 
rifchen Königs die freiheitreife italienifche Bürgerwelt und die 
für ihre Gedanken mit der weltlichen Macht kaͤmpfende Kirche 
zu einem unüberwindlichen Bunde aufrief, und ber un- 








Biertes Bud. 253 


billige Druck der Hohenflaufen auf die römiſche Kirche die 6. Kap. 





wunderbare nationale Erhebung Italiens zur Frucht hatte: 
fand der deutſche volfäthümliche König, frech gemißhandelt 
dur Die päpftliche Eurie zu Aoignon, — jenes Werkzeug der 
Arglift der franzöſiſchen Krone, — die Mittel des Widerftan- 
des allein in der Entrüftung und dem nationalen 
Selbfigefühle der mittleren und niederen ſtädti— 
den Bevölkerung. Darum mußte auf deutfchem Bo- 
ven der Kampf der Shibellinen und Guelfen zu Gunſten der 
erfteren eben fo entfchieden ausichlagen, als in Italien das 
Guelfenthum gefiegt hatte. Aber wie auf ber einen Seite 
die Firchliche Macht in Deutfcihland wegen ihrer geiftigen, 
ewigen Wurzel nicht fo ſpurlos gefällt werden Eonnte, als Die 
deutſche weltliche Herrfchaft in Italien; fo Half fih an der im 
Reiche zeitweife zertrümmerten Priefterherrfchaft, der natürli- 
chen Freundin des flädtifchen Adelsregiments, dad Zunft- 
tegiment, die Demofratie, überall empor, und brach fie, 
unter der kirchlichen Erſchütterung, fo muthig die alten Feſ⸗ 
jeln, ald unter ähnlicher Lage der Dinge 150 Jahre früher 
die Städte, ald Anhang des verrathenen, entwürdigten Kai- 
jerd Heinrich IV., die erften politifchen Rechte, die Wehr- 
baftigfeit, errangen. Der Widerwille der deutichen Zünftler 
gegen ben Klerus, welcher ihren belobten Kaifer in den Staub 
treten wollte, warb überall der Hebel, um das Patrizierthum 
aus feinen Angeln zu rütteln; und wenn auch, wie an einzel- 
nen Orten geſchah, der bürgerliche Haufe, im Gewiſſen beirrt, 
fpäter reumüthig Die Sühne der Kirche fuchte, war, wie zu 
Magdeburg und Mainz, das Endrefultat doch immer daſſelbe: 
die Befeitigung des Gefhledhterregiments! 





ade 
Nicht gering, wiewohl nicht gleich thatkräftig, waren inkeit ie 


Deutſchland die geiftlichen Kampfgenoffen des Franzoſen auf. 


Hein 


254 Dritter Theil. 


8. Ray. dem Stuhle zu Avignon: die wenigften aber wagten es, den 


Bann über Ludwig und feine Getreuen zu verfündigen; bie 
es wagten, ereilte der Grimm des mündigen Volks. Per 
Nachfolger Peter Aspelts auf dem Stuhle zu Mainz, Graf 
Matthias von Bucher, den Iohann XXI. gegen den Willen 
bes Domcapitels, dad den Erzbischof Balduin von Trier poftu- 
lirt hatte, erhoben, zögerte mit dem Ausfpruche, fo geneigt er 
dem gefangenen Habsburger war; felbft Johann, Bifchof von 
Straßburg, in Furcht vor feinen Bürgern, mußte durch den 
danferbötigen Papſt befonders ermahnt werben, obgleich den 
Habsburgern hoch verpflichtet, und arbeitete vergeblich (1324) 
an den Seelen der ‚Herren von Straßburg.” Diefe, noch 
aus den Gefchlechtern, entfchuldigten anfänglich ihre Weige: 
rung, die Proceffe gegen Ludwig anfchlagen zu Iaffen, mit dem 
ftarfen Anhange des Gebannten in ihrer Nachbarſchaft, mit 
der Furcht vor mörderiſchem Aufftande unter ihren Bürgern, 
mit der Sorge, ihre Privilegien durch den erzürnten Gewalt- 
haber zu verlieren, endlich mit der Nüdkftcht auf ihren lebhaf— 
ten Verkehr in Eöniglich gefinnten Landen. Im Verlauf des 
aufs höchſte entbrannten Streites zwifchen Reich und Avig- 
non treten dann Straßburgs Zünfte mit_einem Schlage das 
Junkerthum nieder. — Erzbifchof Balduin von Trier, für des 
Königs Sache noch ftandhaft, verhindert felhft durch Gewalt: 
mittel die Bekanntmachung ded Banned in feinem Sprengil. 


Geb, „Dagegen war für Kölns Erzbiſchof, Heinrich, die Zeit gekom⸗ 
va men, fih am Baiern zu rächen. Er durfte den Bann verfün- 


digen, zumal felbft die Bürger von Köln, begierig, ihren al 
ten, zweideutigen Ruhm als andachtsvolle Söhne des römie 
Ihen Stuhl zu erneuern, ſchon im Juli d. 3. 1324 die Lo: 
bederhebungen müßig verdienten, mit welchen Johann XXH. 

fie im April geföbert Hatte. Die Bifchöfe von Lüttich, 











Biertes Buch. 255 


von Würzburg, von Paſſau, Breifingen, beſonders der Erz 6.Raw. 
biihof von Salzburg, brachte ihr Gehorfam gegen ben 
Bapft in ſchweres Gedränge. Die baierifchen Biſchöfe muß» gab ber 
ten, wie ihr Metropolitan, vor Bürgern und Domherren biensgnocn 
Flucht ergreifen; auch gegen den Bamberger halfen dem Kö⸗ 

nige die GStiftöprälaten. Stürmifcher ging ed an anderen 
Orten ber. Obgleich der Adel zu Bafel an Habsburg feft- 

hielt, durfte der neue, vom Bapft eingefegte Bifchof ſich Faum 

in der Kathedralftadt blicken laſſen. Als Iobann XXI. einen 
nambaften Klerifer nad) Bajel ſchickte, um den Proceß zu ver« 
fündigen, flürzten ihn die Bürger von der hohen Pfalz in den 
Rhein Hinunter und fhlugen ihn todt, als er durh Schwims 

men fich zu retten fuchte, inden fie ihm auf Kähnen nachfeg- 

ten. Der bifchöfliche Offizial büßte feinen Haß gegen die 
Barfüßer, des Königs Vertheidiger, gleichfalls mit dem Le⸗ 

ben. Das bärtefte Schiejal traf aber den Erzbiſchof Burk⸗ 

hard von Magdeburg, fo wie die hohen Klerifer der Mark 
Brandenburg, deren Leidenfchaftheiße Bürger von tiefiter Ge⸗ 
müthözerfnirihung leicht zum Frevel am Heiligſten umſchlu⸗ 

gen. Freilich traf auch unfere Norddeutfchen die päpftliche 
Verhegung am empfindlichften. — Weil des trogigen deut⸗ Sun 1° 
hen Königs Sohn, Ludwig der Jüngere, am 24. Juni 1324 (dor 
förmlich mit der Mark belehnt, aus dem neuen Erblande —* 
Wittelsbacher, die Widerſtandsmittel des unerſchrockenen Kir⸗ burg. 
chenverächters ſtärkte, hatte der Papſt ſich zeitig mit dem Erz⸗ 
biſchofe von Magdeburg in Verbindung geſetzt, um durch ihn 

die märkiſchen Stände zu verhetzen. Solches Angriffs gewär⸗ 

tig, war aber auch der König nicht ſäumig, die Städte, wie 
Brandenburg, Berlin, Köln, Prenzlau und Sranffurt, welden 

er am 27. Iuli 1324 gegen eine jährlidhe Abgabe den Zoll 
innerhalb der Stadt überließ, in der Treue für Die neue Herr- 


256 Dritter Theil. 


6. 8ar. fchaft zu befeftigen, weshalb fe denn auf die Abmahnungen 


des päpftlichen Stuhls nicht hörten. Auch der Bürger von 
Magdeburg, die endlich dem deutſchen Oberhaupte die Unbil- 
den ihres geiftlichen Hirten geflagt, hatte Ludwig fich verfichert, 
indem er ihnen ſchon im Auguft 1323 nicht allein ihre Rechte 
und Freiheiten beftätigte, fondern fie auch befonderd Dem 
Schutze feines Sohnes, des Markgrafen von Brandenburg, 
empfal. Dennoh wagte Burkhard, die Procefie in feinem 
Sprengel befannt zu machen, und erregte durch ſchnöde Unges 
rechtigfeit eine folche Erbitterung im gefammten Stiftölande, 
dag Magdeburg und Halle am 5. Vebruar 1324 ein Schup- 
bündniß mit einander eingingen, welches von den figenden 
zwölf Rathmännern, von dem alten und oberalten Rathe un- 
terzeichnet ward, und auch von den neu eintretenden Gliedern 
wie von den Innungsmeiftern beſchworen werben follte. Aud 
Kalbe trat dem Bunde bei; ja Halle vereinigte fih im Mar 
1324 mit dem Grafen von Mansfeld, erließ einen Fehdebrief 
an den Erzbijchof. So loderte im Sommer 1324 eine hef- 


tige Fehde im Stiftälande auf, indem die Städte mit allm 


benachbarten Grafen und Herren, von denen mehre in Magbde- 
burg Bürgerrecht nahmen, für das Heich und für ihr Recht 
gegen den Erzbifchof Die Waffen ergriffen. Ermuthigt durch die 
Dankfjagungsfchreiben Johann's XXI. (30. April 1324) vers 
hängte Burkhard über Die Bürger Magdeburgs, Halle's, Kalbe's 
und Hleinerer Orte, theils als Verächter jeines Amtes, theils ald 
hänger Ludwigs, Bann und Interdict; als ihm jedoch die Ge- 
fahr zu Kopfe wuchs, Ienfte er im Herbft ein und fagte dem 
Bunde am 14. October 1324 Aufhebung der kirchlichen Stra- 
fen und Achtung der alten flädtifchen Freiheiten, unter Ber- 
bürgung des Domcapiteld, zu, Obglejih nun der Papft ihn 
im Januar 1325 ermächtigte, die Städte vom Banne zu erlöfen, 


‚Biertes Bud. 252 


„wenn fie eidlich bewiefen, Teine Anhänger bes gebannten 6. na: 
Königs zu fein”, vertraute der übermüthige Kirchenfürft einem 
Helfer, der eben ſchrecklich fich ankündigte, brach fein Wort 

und verſchuldete, daß auch das Domcapitel von ihm fich los⸗ 

fügte (Juli 1325), und die Verbündeten untereinander gelob+ 

tn, den ſchandbaren Erzbifchof, wo er ſich blicken ließe, zu 
ergreifen. 

Iener neue Parteigänger der Kirche war König Wladis⸗ Einrau 
ao von Polen, der unverföhnte Feind der maͤrkiſchen Herrin un 
haft. Weil er ſchon im Juli 1325 von Johann XXI. wegen in die 
feine Anfalld auf das brandenburgifche Gebiet höchlich bes — 
lobt wurde, muß die furchtbare Entladung des Vollsgrimms 
gegen den tückiſchen Erzbiſchof eine Folge der allgemeinen 
Erbitterung geweſen ſein, welche die graͤuelhafte Verwüſtung 
der Marken durch den Piaſten, ſeine ſchleſtſchen Sippen, zu⸗ 
mal durch feine Hülfsvoölker, die halbheidniſchen Lithauer, Un⸗ 
terthanen Gedeminnes, des Scheinchriſten und gleißnerifchen 
Freundes der wendiſchen Städte, überall hervorrief. Jahr⸗ 
hunderte hindurch blieb den Märkern die Erinnerung an bie 
MWildheit der Heiden, zumal die Sage, wie bie fchöne Ronne 
ihre Keuſchheit vor dem betrogenen Unmenſchen, dem lithaui⸗ 
ſchen Häuptlinge, gerettet. Wahrfcheinlich unter ſolchen Ein- Der 
drüden erihlug und verbrannte das Volk von Berlin an Dervon Ber. 
Thüre der Marienfirhe den Propft Nicolaus von Bernau, Zerlin 
welcher an des ghibellinifchen Bifhofs von Brandenburg "ot. 
Stelle den päpftliden Bann gegen König Ludwig und den 
jungen Markgrafen Eundzuthun gewagt hatte. Ein feltfamer 
Zug bed Haſſes gegen den Priefter ift die alte Erzählung, 
die Heiden felbit hätten den Wanſt des fetten Prälaten auf- 
gefihnitten, um das Schickſal zu befragen! — Yortan trugen 
die Städte, vertreten dur das Meich, zumal Brandenburg 

Barthold, Städtewefen III. 17 


258 Dritter Theil. 


6.Ray. und Frankfurt, jahrelang Bann und Interbict; bie beiden letz⸗ 
teren um fo gleichmüthiger, als fie an der tückiſchen Pfaffheit 
und den barbarifcdhen Landesverderbern ihre Rache gekühlt. 
Nicht ſowohl gleichzeitige Kunde, als fpätere Thatſachen be⸗ 
zeugen, daß die Bürger von Brandenburg die Lithauer und 
Polen bis an die Oder verfolgten, und vereint mit den tapfe- 
ren Stankffurtern nicht allein den Unholden eine blutige Nie 
derlage beim Dorfe Tzſchetzſchnow beibrachten, ſondern auch 
den Biſchof Stephan von Lebus, als pfäfftfchen Mitverſchul⸗ 
der ihrer Drangfale, ftraften. Sie zerflörten Die Stiftskirche 
zu Göritz, verwüfleten die Pfarrkirche zu Frankfurt, den flei- 
nernen Bifchofähof und die Domherrnhäuſer, und follen ven 
Bischof felbft gefangen haben. Sicher ift, daß Frankfurts 
Bürger, wie die Brandenburger, gebannt, aber getröftet dur 
ghihellinifche Seelforger, auch nad endliher Löfung vom 
‚nonn Banne (1334, 1335) Iangiährige Procefie in Avignon hat: 
Bart ten; dag Biſchof Stephan, vom Papft wie vom polniſchen 
Denburg ‚Könige .begünftigt, fih i. 3. 1330 vergeblich, gegen Kaiſer 
Ludwigs Einſpruch, bemühete, fein Domftift an die Pfarrkirche 
St. Marien zu Frankfurt zu verlegen; daß er i. 3. 1339 
nochmals das Interdict über die Stadt verhängte, und er i.9. 
1345 zu Breslau im Eril farb. — Durch den Kaifer, wie 
durch den Markgrafen, im Proceß wegen des erichlagenen Prop- 
ſtes gefihügt, wurden bie Bürger von Berlin und Köln erſt i. J. 
1335 durch den Bifchof von Brandenburg vom Interbict befreit. 
Inzwifchen Hatte fih das Schickſal des Erzbiſchofs 
von Magdeburg erfüllt. Am 29. Auguft 1325, mitten 
unter den Drangfalen der Mark, frehen Muths nad 
Magdeburg gekommen, ward er auf Befel des Raths ſogleich 
in feinem Palafte verhaftet und fireng verwahrt, angeblich um 
ibn vor der Bolfswuth zu fügen, dann aber in der Nacht 





Biertes Bud. 259 


des 21. Sept. 1325 durch Vermummte in einen Kerfer unter 6. Kap. 
dem Rathhaufe geſchleppt und, nicht ohne Einverſtaͤndniß des Ermor- 
gefammten Raths und der verbündeten Städte, mit eifernen De 
Stäben erbarmungslod todtgefchlagen! Faſt ein Jahr lang —* 
blieb der Mord verſchwiegen und kümmerte ſich niemand um 

den Verhaßten: erſt auf die ernſtliche Nachfrage des Domcas 
pitels, im Auguſt 1326, kam die That an den Tag, welche 

die Geſchichte mit Recht nicht dem Grimm der Bürger Magde⸗ 
burgs allein, ſondern der nationalen Erbitterung gegen die 
reichsverraͤtheriſche Pfaffheit zuſchreibt. Alsbald donnerte 

von Avignon her erneuter Bann über die verfluchte Stadt; er 
wiederhallte aber fo machtlos, daß der vom Capitel erwählte 
Nachfolger, Heidenreih, auf der Reiſe nach Avignon von 
reichötreuen Rittern Thüringens niedergeworfen wurde; bald 

nad) feiner Befreiung flarb er zu Ciſenach. Wir fchreiten der 
Zeitfolge vor, um den unerwarteten Audgang der ghibellini- 
ſchen Bürgerthat zu berichten. Otto, der Landgraf von Heſ⸗ 

fen, beflen Geflecht wegen alter Zerwürfniffe mit Kurmainz 
guelfifch gefinnt war, erhielt durch Sohann XXI. den Stuhl 

zu Magdeburg, des zum Beweis er fih „Erzbiſchof von apo⸗ 
ſtoliſchen Gnaden“ ſchrieb. Klüglich ſprach der junge Kite gorıti- 
chenfürſt, um Befig zu gewinnen, am 1. Sept. 1327 die Stans 
von ber Blutſchuld frei und verhieß Verföhnung auch mit dem 
Papfte. Inzwifchen war König Ludwig auf dem Römerzuge; 

fein Stzeit mit Johann XXI. feit feiner Kaiferfrönung auf 
Xeben und Tod entflammt; deshalb ſchwankte er nicht, auf 
Anrufen der Magdeburger, fie für unſchuldig zu erklären 

(16. März 1329), von jeder Strafe frei zu fprechen, mit Ans 
drohung einer Buße von 1000 M. Goldes für jeden, ber fie 
wegen ihrer That beunruhige. Der Katjer nahm felbfi Fei- 


nen Anftand, den Ermordeten einen Rechtsverletzer und 
17* 





260 Dritter Theil, 


Haar. Räuber zu fhelten, ber die Bürger durch Wortbruch und 
geldgierige Bedrückung gezwungen habe, ihn aus ber Welt zu 
fhaffen. Solche Beſchönigung von Seiten des höchſten welt- 

lichen Richters fleigerte jevoch den Zorn des geiftlichen Richters, 
zumal der Math von Magdeburg auch einen fanatifchen Mönd 

ald ergriffenen Brandftifter am Balgen büßen ließ. — End⸗ 

lich führte die Ungebuld der in ihrem Gewiſſen beirrten, des 
kirchlichen Troſtes bedürftigen niederen Bürgerfchaft in einem 
Aufftande er ft den Sturz der, wenn aud) gemäßigten, Raths⸗ 
ariftofratie und der Herrſchaft der „großen Iunungen“, 
dann die Sühne bes römischen Stuhls herbei, brachte aber, 

fehr bezeichnend für den genügfamen, befheidenen 

Geift des deutſchen Zunftweſens, die faſt reichöfreie Heimath 

unter den Fuß des Erzbiſchofs. Am 1. Mai 1330 flanden 

die niederen Zünfte bereit, mit Waffen und Brandfadeln über 
Leben und But der großen Innungen, der Gewandfchneiber 

und Kaufleute, die fi für den Rath, den Urheber des geiſtli⸗ 

hen Fluchs, in Harniſch gefebt, herzufallen, als es dem jun- 
— „gen Erzbifchofe gelang, die erhigten Gemüther zu vereinigen. 
age Der Bertrag vom 8. Mai 1330 verwies die Männer, welde 
Bopllirguf Zeit der Ermordung Burfhardd im weiteren und engeren 
fung. Rathe gefeflen, aus der Stadt, und beftimmte Durch Befchluß 
der Schöffen, Rathmannen, Innungsmeifter und Bürgerge- 
meinde, daß fortan jährlich am erſten Baften-Donnerflage der 
Rathsſtuhl nicht aus jenen reichen, patriziſchen Ständen allein, 
fondern auch aus den „gemeinen Innungen und den gemei- 

nen, nicht zünftigen Bürgern‘ beftellt werden folle.. Die 
vornehmen Gilden (die Gewandjchneider, Krämer, Kürſchner, 
Zeinwandfchneider und Lohgerber mit den Schuflern) erforen 

durch Ausſchüſſe fünf Männer zum Rathsſtuhl; die Kleijcher, 
Lakenmachet, Schmiede, Berker, Brauer, Goldſchmiede, Schil- 





Biertes Bud. 261 


der (Maler) und Schröder (Schneider) in abweihfelnder Ord⸗ 6. gap. 
nung gleichfalls fünf. ald die „fünf gemeinen’ Innungen ; 
alle sehn Erkornen endlich erwählten nach eiblicher Verpflich- 
tung vor bem alten Rathe und den Meiftern auf der „Laube“ 
zwei geſchickte, biderbe Männer aus den gemeinen Bürgern 
zu fih. Das Uebergewicht der ärmeren Bürger im Rathe 
über die Reichen, fleben gegen fünf, wurde noch entſchiedener, 
da nit allein den Innungsmeiftern der fünf großen Gilden 
wit den gemeinen Meiftern eine wöchentliche Controlle des 
Bürgermeifterö zuftand, fondern bei hochwichtigen Dingen die 
fünf Rathmannen von den niederen Zünften nicht eher zu Be⸗ 
fhlüffen bevollmädhtigt waren, bis fle ihre „gemeinen Meiſter“, 
alfo Die Verſammlung derlirbürger, befragt. Die Beamten des 
Raths mußten jährlich zweimal öffentlich Rechenſchaft ablegen; 
Leib und Gut verwirkte jeder Mebertreter des Vertrags; fon« 
berlihe Zuſammenkünfte der Zunftglieder waren ſtreng ver⸗ 
boten. 

So ging unerwartet aus der gegenkirchlichen, ghis Dauer 
bellinifchen Bewegung diejenige volksthümliche Verfaſ⸗ 
fung hervor, welche, ohne wejentlichere Veränderung, als et⸗Magdeb. 
wa Bermehrung des weiten (figenden, alten und oberalten) 
Raths von 36 auf 75 Glieder, drei Jahrhunderte lang, durch 
die Stürme der Neformation, bis auf das ‚trojanifche” Ver⸗ 
haͤngniß des 14. Mat 1631, Ehre, Wohlfahrt, Gewiſſen und 
freudigen Bürgermuth Magdeburgs bewahrt hat. Damals 
wichen Die verbuͤrgerrechteten abligen Bamilien aus der ple⸗ 
bejiſchen Stadt; ber Rittertitel ſchwindet beim Namen der 
Meifter; zur Vollendung ber Demokratie wurben i. 3. 1336 
auch die Schöffen vom Rathe ausgeſchloſſen. Aller Unfriede 
ruhete, als das neue Regiment die Bedingungen der Freiſpre⸗ 
dungsbulle (vom 30. Sunius 1331) — Bau von Altären, 








262 Dritter Theil. 


6.Ray. Stiftung von Seelmefien für Burkhard, Ausichliegung der 
mit Blutfhuld behafteten Rathsherren erfüllte — und von 
Bann und Interdict erlöft wurde. Zwar nahm Magdeburg die 
überlebenden Berwiefenen wieder auf, entfagte aber allen jeit 
1322 bis 1330 gegen das Erzftift geſchloſſenen Verbindun⸗ 
gen (1333) und leiftete, zum Erweife, daß die deutſche 
Bürgerdemofratie, wie von des Kaifers, fo von eined 
Zandesfürften Oberherrlichkeit untrennbar fei, am 26. 
April 1333 vor päpftlihen Bevollmächtigten ſeinem Erzbi⸗ 
ſchofe den erſten Huldigungseid. — 

Br Vor diefer Wendung ber Dinge in Magdeburg erging 

Hg oe ver- ſich König Ludwigs Streit mit dem römischen Stuhle um fo 
heftiger, weil Johann XXII. den Herzog Leopold aud zur offe 
nen Waffenergreifung gegen den Batern aufgerufen. Aber 
auch dieſer Kampf endete zur Beihämung der Curie und der 
franzöfifhen Arglift. Vor dem feſten Schloffe Burgau, aus 
welchem Leopolds Dienftleute die nahen Neichsflädte beſchaͤ— 
digten, hatte Ludwig im Jahre 1325, fo willig ihm Augs- 
burg und andere jchwäbiiche Gemeinweſen mit Bewaffneten 
beiftanden, noch abziehen müflen, als der Habsburger mit 
feiner Macht aus Oberjchwaben und dem Elfaß herandrohete, 
und jelöft Augsburg zum Stillftande ſchreckte. Buelfifche Ges 
finnung erwachte wiederum unter den ſchwäbiſchen Herren, wie 
vor achtzig Jahren ; da befreite Ludwig im April 1325 feinen 
feelenzerbrochenen Gegner aus Trausnig, beſchloß felbft das 
Reich mit Friedrich zu theilen (Septbr. 1325), wie denn wirf« 
Lich die fo lang blutig entzweiten Feinde, jet verbrüdert, ges 
meinſchaftliche Reichshandlungen vollzogen. Johann AXU. 
ſchüttelte ungläubig den Kopf bei der Kunde von fo ſeltſamer 
beutfcher Treue: aber auch Leopold wollte vom beftandlofen 
Spiele nichts wiſſen, obgleich fein Bruder, der Halbkönig, 


Biertes Bud. 263 


ben Habeburgern Schaffhaufen, St. Gallen, Rheinfelden, 6.Rar. 
Mühlhauſen, Kaiferdlautern und Selz aus königlicher Gewalt- 
fülle zugefproden. Don Haß und Kriegsarbeit erſchöpft, be⸗ 
lagerte Leopold zulegt (Oct. 1325) — felbft mit Aufgebot Lu⸗ 
gend und der pflichtigen Städte im Thur⸗ und Aargau — Kol« 
mar, dad bei Ludwigs Landvoigte verharrte, flarb aber bald 
darauf zu Straßburg an einem hitzigen Fieber (28. Febr. 1326). 
— Auch dieſes hartnädigen Gegners erledigt, und gehoben 
durch den Witerfland, welchen faft alle deutſchen Städte dem 
Bannfluche entgegenftellten, behandelte Ludwig dad gebuldige 
Bürgertum wieder viel rüdfichtölofer, und gedachte großer 
Dinge, des Zuges über die Alpen, um, dem Blipfchleuderer 
zu Avignon zum Troß, fich die Katferkrone zu holen. Bwar 
gaͤhrte es heftig im Innern der Städte; die verjagten Bijchöfe 
und Klerifer verfchworen ſich mit den Gefchlechtern; kleiner 
Krieg war überall, wie zwiſchen dem Landgrafen Heinrich von 
Sefien und dem Erzbifchofe von Mainz, wobei die Bürger 
von Marburg, Brankenberg und Gießen, soll Anhänglichkeit Reit 
an den Landesherrn, ihre Kauft tapfer regten; doch konnte der —3 — 
König die zur Zeit mögliche äußere Sicherheit den alten 
Zandfriedensbündnifien, wie ſolche die Straßburger, Mainzer, 
mit ihrem rechtliden Erzbifchofe Matthias wegen unbefug- 
ter Steuerforderung verglichen, auch Die Speierer, Wormjer und 
Oppenheimer i. 3. 1325 erſtreckt hatten, anvertrauen. Dex 
theinifche Bund hielt fich durch die Waffen beim räuberifchen 
Landadel in Achtung, bis mit dem Tode des Erzbiſchofs Mat⸗ 
thias (Septbr. 1328) über Mainz neue Stürme einbraden, 
und auch Hier die Herrſchaft der Geſchlechter zufammenjanf. 
Selbſt Heinrih von Köln erkannte fpät das Verderben, in 
welches ihn feine eigennügige Beharrlichkeit für Habsburg 
gebracht; ein Landfrieden, den fein Marſchall i. I. 1326 mit 


264 Dritter Theil. 


6.Ray. den mannhaftefien Stäbten des Herzogthums Weſtfalen, 
Soeft, Attendorn und anderen errichtet, umfchloß auch die Stadt 
Dortmund, zum Zeichen, daß veinrich die Verleihung a 
Friedrichs aufgegeben. 
re Ehe Ludwig im Januar 1327 über die Alpen zog, um 
zug. als Kaifer den feinerfeitS verworfenen franzöftichen Bapft zu 
zertreten, befriebigte er noch fürſtliche Gläubiger mit Anwei- 
fungen auf die Reichsſteuer geduldiger Städte; am höchſten 
galten bei ihm der Graf von Henneberg, der Burggraf von 
Nürnberg, die Grafen von Schwarzburg, von Dettingen. Mit 
feerem Sedel und geringem Ritter⸗ und Yürftengefolge trat 
Ludwig das italienische Abenteuer an, empfing zu Mailand 
am 31. Mai 1327 die eiferne Krone und ward am 17. Ja⸗ 
nuar 1328 zu Nom von einem fchiömatifchen Biſchofe ge⸗ 
falbt, Dagegen im Namen des römifhen Volks von 
Sciarra Colonna zum Kaifer gefrönt. Haltungslos fortfchrei- 
tend auf jchwindelnder Bahn, Tieß der Volkskaiſer am 
18. April 1328 den „Sacob von Cahors, der fih Johann 
XXI. nenne”, abfegen, ja am 28. April als Ketzer und Hoch⸗ 
verräther zum Tode verurtheilen! und am 12. Mai den from⸗ 
men und gelehrten Minoriten Peter ald Nicolaus V. zum 
Bapfte erwählen. Aber plößlich flürzte er von folcher Höhe 
bes Glücks; die günflige Stimmung der Römer flug um, 
fo daß der Kaiſer am A. Auguft 1328 faft heimlich fih aus 
Rom fchlih. Verrathen von treulojen Ghibellinen, felbft aus 
lombarbifchen Städten ausgeſperrt, weilte Ludwig noch einige 
Monate in Pavia, ſchloß am 4. Auguft 1329 den berühmten 
Saudvertrag der Witteldbacher und kehrte wenige Wochen nad 
dem Tode feines ehemaligen Mitfönigs Friedrich (30. Ianuar 
1330) über Trident nach München zurüd. 
Wohl war es Zeit; denn wenn aud bie Städte bes 


Biertes Bu. 265 


NReichs ſich leidlich halfen und ein mächtiger Landfriedensbund 6. Rap. 
an beiden Seiten bes Mheins, von Straßburg und Freiburg *. — 
an über Zürich bis im die Hohen Alpenthäler erweitert (1329), ee e 
die Gemeinweſen umfchloß, jo hatte doch, unermüdlich im Haß 
gegen den unerbörten Verächter, der greifige Johann XXI. in 
Abwejenheit des Baiern die Firchliche und politifche Zwietracht 
wieder angeſchürt, ſelbſt den Erzbiſchof von Mainz irre ge⸗ 
macht, und die jüngeren Brüder .von Habsburg, Otto und 
Albrecht, gereizt, nochmals den Kampf gegen den Obfleger 

ihres Hauſes zu wagen. Sonft hatte fi das Bürgerthum 
wenig an dem Römerzuge betheiligt und vom fernen Kaiſer 

nur läflige Zumuthungen und Unbilden vernommen. Bu den 
erfieren gehörte die Aufforderung aus Mailand an die Städte 
Zube, Mühlhaufen, Nordhaufen, Goslar und Dortmund, bei 
Berluft ihrer Privilegien Zuzug über die Alpen zu leiften, 

oder, was die Hauptſache war, wegen einer Geldhülfe mit dem 

dazu ermächtigten Grafen von Henneberg fich zu einigen, dem der. Reifer 
König ſchon i. I. 1325 Lübecks Reichsſteuer, im Betrage von 3 — 
600 Pfund, zugewieſen. Empfindlichere Unbilden waren: bie. 
Einräumung der Voigtei von Augsburg an die Grafen von 
Dettingen, des Schultheißenamts von Gellnhaufen an einen 
Ritter aus dem Römerzugsgefolge, Mißliebiges für Ulm, 
Wetzlar und Schlettſtadt, Günftiges nur für Frankfurt, wel 

ches Ludwig ermädtigte (Juni 1329), verpfändetes Reichs⸗ 

gut aller Art an ſich zu Löfen, und auf diefem Wege durch 
Ankauf des Schultheifenamts aus Privathänden feine reichs⸗ 
ſtädtiſche Selbfiftändigfeit zu vollenden. 

Thüringens Reichsſtädten drohete die Vollziehung bet ahi 
Geiraih des Randgrafen Friedrich mit des Kaifers Tochter das Helge 
Schickſal, welchem fie fhon feit 1323 auszuweichen gefucht i Son, 
hatten. Der kaiſerliche Eidam, i. 3. 1329 auch mit Alten» pauken. 


266 Dritter Theil. 


6.Ray. burg und ben Städten deö Pleißnerlandes belehnt, ſprach 
fhon aus alter Politik Nordhauſen und Mühlhaufen, als un 
ter fein Landgrafenthun gehörig, an; nur Erfurt, wo Bürger 
und Pfaffheit haderten, fchien wegen Ludwigs und Friedrichs 
gemeinfamer Freibriefe unantaftbar. — Dagegen kam den ers 
fieren aus Pavia der ernfte Befehl, ihrem Pfandherrn für 
10,000 MR. ©. zu huldigen, und traf befonderd Nordhaufen 
in bedenkliher Bewegung. Am 14. April 1329 hatte eine 
Anzahl ausgewiefener Gejchlechter, die auch hier feit 1324 
mit den Zünften in blutigen Kampf gerathen, verfucht, mit 
Hülfe der benadybarten Grafen Thüringens und des Harzes 
die Vaterfladt zu überwältigen, und das gemäßigte Zunftres 
giment, beftehend aus zwei Bürgermeiftern und 16 Nathmän- 
nern gemifchten Standes, zu flürzen. Schon waren fie zur 
Nachtzeit innerhalb des Altenthored, am St. Blaftusficchhof, 
fhon lagen mit dem waderen Meifter viele Bürger im Blute, 
als durch das Bufammenftrömen ber verzweifelnden Menge 
die Eingedrungenen zurüdgetrieben wurden, und fle zumal 
durch den Muth der Weiber, welde.fochende Maifche von den 
Dächern herabgoſſen, Ziegel auf die Weichenden warfen, eine 
fchmähliche Niederlage erlitten. Vierzehn von den inneren Ber- 
rätbern büßten auf dem Rade; noch i. I. 1360, als man bad 
helle, ſchmucke, Hohe Rathhaus erbaute, verewigten danfbare 
Söhne durch einen Denkftein, und noch fpäter Durch eine große 
jährliche Almofenfpende, die That der Bäter, welche damals 
der erneuten Anfechtung der verbannten Geſchlechter mit Hülfe 
des Adels und des kaiſerlichen Eidams als Pfandherrn un⸗ 
ruhig entgegenblickten. 

en Anderwärtd war während Ludwigs Abwefenheit der 

par, Sieg ber Volksherrſchaft entſchieden oder vorbereitet, wie in 
Speier und Mainz. Wir wiflen, daß in Speier Befchlechter 


Biertes Bud. 267 


und Gaudgenofien ben Bürgervertrag vom Jahre 1304 all» 6.2. 
mälig ungültig gemacht, und flatt des Raths von 24 Glie⸗ 
bern, beftchend aus 11 von den Gefchlechtern und 13 von dem 
Bunftbänfen, dad Regiment der „Sechzehner“ aus erfteren 
allein zur Geltung gebracht hatten, indem fie leicht Die acht 
Beifiger aus ben Zünften überflimmten. Biſchof Emich, des 
Stammes von Leiningen, ein mehr weltlich als geiftlich ge» 
finnter Herr, i. 3. 1314 ziemlich tumultuariſch in den Kathes 
dralfig eingeführt, mochte, wie bie wiederholte Anwefenheit 
König Ludwigs in Speier, ſolchen Verfaſſungsbruch begünftie 
gen und die flürmifche Zeit der Anmaßung Vorſchub lei⸗ 
fien. Als nun im Frühjahr 1327 die Verwirrung fidh fleie 
gerte, indem Johann XXII. den Bifchof Emich und andere Hohe 
Stiftsgeiſtliche als Anhänger des Baiern ercommumnicixte, 
wollten die dreizehn Zünfte die gröbliche Willfür, Befteuerung 
und Ungerechtigkeit der Hausgenoſſen, weldye fich klüglich durch 
Aufnahme brauchbarer Bürger und Handwerker in ihre Ge⸗ 
fellfchaft zu färfen gewußt, nicht länger dulden; ſie verſam⸗ 
melten fih im März 1327 und beſchworen zum Schub des 
Gemeinwefens einen Bundesbrief, „dem Mathe gehorfam zu 
fein und gegen jede Gewalt fi einander beizuftehen.” In 
diefer Weife ald eigentliche Gemeinde conftituirt, feßten bie 
Zunftgenofien den Rath auf 31 Glieder, 16 aus ihrer Mitte 
und 15 aus den Gefchlehtern und Hausgenoſſen feſt. Ob⸗ 
gleich der „alte Rath’ für jetzt fih fügte und fogar den ge⸗ 
forderten Eid ablegte, fuhr er doch fort, ſich als die „Bürger 
Schaft‘, der allein das Regiment zuftehe, jene als Empörer, 
zu betrachten, und in der Stille die Mittel vorzubereiten, um 
in Verbindung mit Herren und Übel der Umgegend die ihnen 
aufgedrungene Herrſchaft zu flürzen. Die gefammte Patri⸗ 
zierpartei übergab die Leitung des Anfchlags einem Fünfer⸗ 


268 Dritter Theil. 


6a. ausoſchuß, in welchem Berthold Fuchs, Bürgermeifler d. J. 
1330, der Gefchäftigfte war, und ließ ſich, um flcher zu gehen, 
am Oftern 1330 vom eben heimgekehrten Kaifer Ludwig alle 
walten, Tängft nicht mehr gültigen Vorrechte der „Münzge⸗ 
noffenfchaft” ala ehemaliger Stadtgebieter im Gchrimen ur⸗ 
kundlich beftätigen. Nach dreijähriger geräufchlofer Ihätig« 
keit fchien den Verſchworenen gegen Ende des Octobers 1330 
die Stunde gefonmen, die ahnungdlofe Bürgergemeinde blu⸗ 
tig unter das alte gehaßte Joch zu beugen. Biſchof Enid 
war im April 1328 geflorben; Berthold von Buche, von 
Johann XXI. für Speier als Nachfolger ernannt, hatte das 
Bisthum Straßburg, Das eben der Tod jenes pfäffifchgefinn- 
ten Johann erledigt, dem verarmten und angefochtenen Sitze 
zu Speier vorgezogen, und Graf Walram von Veldenz, gleich 
falls von der römischen Curie berufen, fühlte feine Ohnmacht. 
Wie ungünflig jedoch für Speiers Stabtadel, der auf Beför⸗ 
derung des päpftliden Stuhls hoffte, das Unternehnen gegen 
der Stadt Freiheit enden mußte,. können wir erſt ermeflen, 
wenn wir die gleichzeitigen Ereigniſſe in Mainz und den Höhe⸗ 
fland des Streites zwiſchen Kaiſer und Papft ins Auge gefaßt 
haben. 

Zunft Im wahrhaft freien Mainz, feit e8 i. 3. 1244 vom 

fung aim guelfiſchen Exzbifchofe Siegfried Gemeindeserfaſſung und einen 

vorsere Math von 24 Männern ertrogt, hatte die vornehme, faft ober- 
richterliche Haltung und Wirkfamkeit der ftädtifchen Behörden 
an der Spike des rheinifchen Bundes, welche ritterliche Würde, 
unabhängigen Reichthum, perfönlichen Einfluß auf Den be⸗ 
nachbarten Adel und kluge Gefchäftsubung verlangte, ſich ent- 
ſchieden patriziſch ausgebildet. Die chrenvolle Stellung eines 
Stadtkämmerers von Mainz und der anderen Aemter, des 
Schultheißen, der Richter, mochte felbf den ſtolzeſten Reichs⸗ 





Viertes Bud. 269 


adel, nicht allein bie Mintſterialen dea Erzftifts, in den Ge⸗ 6. gapr 
meindeverband locken. Mehre Menſchenalter hindurch fcheint 
die Familie der „vom Thurm“, ſonſt im Beſitze anſehnlicher 
Reichslehen, jenes erſte Amt des Kaͤmmerers, das hoͤchſte 
richterliche und verwaltende, erblich bekleidet zu haben. Doch 
waren nicht alle Geſchlechter, welche die „Alten im Thiergar⸗ 
ten“, von ihrer Trinkſtube nahe dem „Paradieſe“, einer Halle 
zwiſchen dem Münſter und dem Biſchofshofe, hießen, ritter⸗ 
bürtig, altadlig und fliftöfähig, nur alle unzünftig. Auch 
die Münzer und Gausgenofien, jene bevorzugten Altbürger, 
vermäblten ihre reifen Töchter nicht ungern an ehrenwerthe 
Männer aus dem Gewerbftande, die dann mit ihren Nachkom⸗ 
men zu den Geſchlechtern gerechnet wurden. So entflanden 
vielleicht einige Hunderte patrizifcher Bamilien, welche ſich in 
der Regel nach ber Lage ihrer Wohnhäufer oder deren wunder» 
lihen Abzeichen und Sinnbildern benannten; wie die „zum 
Froſch, zum Blasofen, zum Maulbaum, zum Berwolf, zum 
Klemann , zum Nebftode, zum Korbe.“ Nächfi denen „vom 
Thurme“, mütterlichen Ahnen der ‚zum Gutenberge“ und des 
Erfinders der Buchdruderkunft, thaten fich Durch Ritterwürde, 
Lehngut und Einfluß die ‚zum Gensfleiſch“ hervor ; burgaͤhn⸗ 
ih Tag ihre Stammhaus, mit der St. Walpurgisfapelle 
den Hof ‚zum Geunsfleiſch“ umſchließend, unweit dem Alt⸗ 
münfternonnenflofter im weftlichen Stadttheile. Dort haufte 
zu unfexer Zeit Ritter Friele zum Gensfleiſch in adliger Herr- 
lichkeit ; Der Pilger war des Geſchlechtes Wappen, vielleicht ſchon, 
feit ein Ahnherr mit Erzbifchof Konrad i. 3. 1197 zum h. 
Grabe gezogen. Nahe ftanden denen ‚zum Gensfleiſch“ die 
„zum Jungen”, „zum Humbracht“, ‚die Gelthus zur jungen 
Alen“; alle Biegen auch wohl die „Unzünftigen‘‘, und beſtell⸗ 
tim aus ihrer Mitte Kämmerer, den Schultheißen, bie vier 
17 ** 


270 Dritter Theil. 


6.Rap. Michter und den Rath von 24 Gliebern. Sie fochten im 


Sarnifch zu Roß; den 29 Zünften war die Behütung der 
Thore und Mauerihürme anvertraut. Das Verdienſt und die 
große Zahl diefer Geſchlechter mochten den Neid der Zünfti- 
gen Iange befchwichtigen, bis eine vafche That der Stabtgebie- 
ter, ähnlich wie die der Magdeburger, den Sturz des Junker⸗ 
thums auch in Mainz herbeiführte. 


zeitie — Exzbifhof Matthias nemlich farb am 10. Septbr. 1328, 
wahl neben als ber rheinifche Städtebund bie fegenvollfte Wirkſam⸗ 


= feit als Landfriedensfchirmer behauptete. Das Domcapftel 
wählte nochmals den Erzbifchof Balduin von Trier; allein Jos 
hann XXII., grollend, daß Balduin ihm nicht unbebingt im 
Streite mit Ludwig gehorche, gab dem Erzftift zum zweiten. 


mal einen Biſchof in der Berfon Heinrichs, Grafen von Virne⸗ 


burg, Betterd des Kurfürften von Köln. So hatte die Main- 


ger Kirche zwei Hirten, deren einer fein. ſchön georbnetes Stift 
Trier nicht aufgeben wollte, auf die Gefahr, Das von Main 


zu erhalten, und deshalb mit dem Titel eines Verweſers ſich 
begnügte, während Heinrich, raſch nach Avignon gereift, vom 
Dapfte das Pallium empfing. Beide bemüht, die Bürger von 
Mainz zu gewinnen, wetteiferten in Gunfterbletungen; Seins 
rich gelobte am 22. April 1329 aus Bonn, niemals willfür- 
lich einen Zoll oder ein Geleitögeld binnen einer Meile um 
die Stadt zu nehmen, nie mit dem Gapitel ſich zu verföhnen, 
ohne daß jenes alle von ihm den Bürgern zu gewährenden Ar⸗ 
tifel unterflegle. Dagegen holten der Domdechant und ber 
Burggraf von Starfenburg am 3. Mai 1329 ‚auf Bitte der 
ehrbaren Leute, der Bürger von Straßburg, Speier, Worms 
und Oppenheim‘, vom Exrzbifchof Balduin Vollmacht ein, zu 
erklären: Balduin, als Herr und Pfleger des Stifts Mainz, 
werde die Zölle zu Gernsheim und Kaftel ablafien, fo lange 


Biertes Bud. 271 


der Landfrieden, den fle unter einander befchworen, ſich er⸗ 6. Kap⸗ 
firede; ex gelobe mit Handhabung jenes Landfriebend die 
Güter der Bürger innerhalb und außerhalb der Grenzen deſ⸗ 
jelben nicht zu befteuern.” Doch die Schritte, welche die Bun⸗ 
desfreunde in guter Abficht für die Vorderſtadt thaten, beſtimm⸗ 
ten die vorſichtigen Bürger von Mainz keineswegs, auf Bale 
duins Seite ſich zu neigen. Sie fürdhteten nicht ohne Grund 
die Macht des Lüpelburgifchen Haufes, welche die gemeinheit- 
lihe Berfaffung von Trier gebrochen und die Stiftävafallen 
unter firengen Gehorfam gebeugt hatte. Die Mainzer ver⸗ 
fperrten darum dem Pfleger des Stifts ihre Thore, nicht aus 
guelfifcher Geſinnung, fondern aus wohlgegründeter Bejorg- 
niß für ihre Freiheiten. Als nun Balduin mit Hülfe eines 
Theils des Domcapiteld und der erzbifchöflichen Minifterialen 
die Städte und Schlöffer des Stifts befegte, den Ort Eltvil 
(Eifeld) im nahen Rheingau, fowie Flersheim am Main be= 
feftigte,, die Rheinſchifffahrt gewaltfam hemmte, Das Stadtge- 
biet verwüflete und mit feinem wie mit jeined Bruders, des 
Böhmenkönigs, Kriegsvolk Anftalt traf, Mainz felbft zu be- 
lagern, ermaßen die Bürger die Gefahr, welche ihnen das Be⸗ 
nedictinerklofter auf dem St. Jacoböberge, unmittelbar vor 
den Mauern ihrer Stadt, wo jeßt die Citadelle ſich erhebt, jo- 
wie das Stift St. Alban, und Kirche nebft den Eurien von 
St. Bietor, dicht vor Weißenau, droheten. Nicht allein waren 
die dortigen Geiſtlichen für Balduin gefinnt; im Falle einer Be⸗ 
lagerung konnte der Stabt beſonders von St. Jacob aus un- 
vermeiblicher Nachtheil zugefügt werden. Unter dem Einfluß 
bes Haſſes, welcher in allen deutichen Städten gegen die Pfaff⸗ 
heit herrſchte, wie 3. B. auch in Erfurt, der zweiten Stadt des 
Erzſtifts, wo Die Bürger, obgleich auf Seiten Balduins, Die 
Mönche, welche nicht „fingen“ wollten, vertrieben, und deö= 


flurm der 
Rainer Auguſt 1329 aus, verjagten erft die feindieligen Benebictiner 


372 Dritter Theil. 


.6.Rap. Halb in ben Bann gerlethen : ſcheuten die Mainzer am wenig 





fien bie äußerſte Gewalt. Sie zogen getümmelvoll am 10. 


von St. Jacob, zerftörten von den Gebäuden fo viel, als in 
der Eile fih thun Tieß, rückten dann vor St. Alban. Als die 
Mönche fich mit Armbrüften wehrten, flürmte, plünderte und 
verbrannte das wüthende Volk ſchonungslos daß herrliche Bau- 
werf und übte das Gleiche gegen St. Victor. Unter foldem 
Ausbruch Yang verhaltenen Grimms flüchtete der gefammte 
Klerus aus der Stadt ind Rheingau und fleigerte dadurch 
die allgemeine Erbitterung. Denn obgleih mehrmals im 
Herbft und Winter 1329— 1330 der Burggraf von Starfen- 
burg, der Visthum im Rheingau und andere hohe GStiftd- 
minifterialen, um die Heiligthümer noch zu retten, vor Zeu- 
gen aus der Bürgerfchaft, die fle auf den Hügel am Kirchhof 
von Walluf geladen, im Namen Balduind und König Johanns 
betheuerten, daß aus jenen Klöftern und Kirchen der Stadt Fein 
Schaden gefchehen follte; trauten die Bürger dennoch nicht und 
verfperrten fi jeden Weg zur Sühne, indem fie die Zerflö- 
rung vollendeten und den ganzen Umfang des Iacobäberges 
durch Wall und Graben mit der Stabtbefefligung vereinigten. 
— Schon am 11. März 1330 bezeugten in einem feierlichen 
Acte diefelben wohlgefinnten Vermittler Die Bergeblichkeit ih- 
rer Mühen und überließen der trotzigen Bürgerſchaft die un- 
geheure Verantwortlichkeit einer That, welche der Kaifer ald 


partetifcher Richter für Balduin, den zuverläfflgften unter den 


Kurfürften, wie der ‚geiftlichen Oberrichter zu ſtrafen berufen 
waren. Im Bewußtfein jo fhlimmer Lage und mindeftens 
beträhtlicher Entfchädigungsfoften gewärtig, hofften bie Pa⸗ 


trizier, welche ald Obrigkeit den Sturm geleitet, einen Shell 


der Verfhuldung der unteren Gemeinde aufzuladen, und lie⸗ 


f 
\ 





Viertes Bud. 278 


fen fi die „vom alten Mainzerſtamme Geborenen‘‘ herab, 6. Ran. 
aus den 29 Zümften erfl 12, dann 22 Männer in ven Rath 
aufzunehmen, ohne daß dadurch ihr Uebergewict gefährdet 
ihien, da fie jene Hohen Aemter und 24 Rathsherren aus 
ihrer Mitte ftellten. Sie ahneten nicht, daß argliftige Gewaͤh⸗ 
rung auch einem feflgegründeten und ehrenhaften Negimente „D Bine 
ein beichimpftes Ende bringen werde. n ne 


Sp wirre Berhältniffe, Sorgen, Zwieipalt und Erbittes 
rung und Nachſtellung in allen Städten, zumal auch eine 
neue habsburgiſche Schilderhebung im Elſaß, fand Ludwig 
vor, als er, entichloffen, mit dem Anfehen des gefrönten Kai— 
ſers im Reiche die geiftlichen und weltlichen Diener feines Geg- 
ner zu erbrüden, im Vorſommer 1330 aus Baiern und 
Schwaben ind innere Reich zog. Die Erfchütterung des kirch— 
lichen Bodens war jo in alle Tiefe gebrungen, daß ein welt« 
liches Gebäude wie dad Patrizierthum, das auf ihn fich ſtützte, 
jählings zufammenfinfen mußte. Doc che wir diefe Reſul⸗ 
tate weniger Iahre in Mainz, Epeier, Straßburg, Hagenau, 
Kolmar, Bafel, Zürich, Lucern, Regensburg und zahllofen 
deutfchen Städten zufammenfaflen, Ienft ein ehrenhafter Kampf 
der Bürger für angeſtammte Sürften und nochmals in den Nor- 
den unſeres Vaterlandes. — 


Herzog Wartislav IV. von Pommern⸗Wolgaſt, verdraͤngt arvgei 
aus ſeiner Vormundſchaft für die märkiſchen Staͤnde, hatte im a 
Sabre 1321 mit dem Fürſten Witzlav von Rügen eine Erb- 
vereintgung gefchloffen, war dann aus Feindſchaft gegen das 
baiertiche Haus, nicht aus kirchlichem Gehorſam, auf bie guel« 
fifche Seite getreten, und hatte nach Dem Tode bes Letztlings 
jenes altſlaviſchen Stammes 1. 3. 1325 durch raſche Beftäti- 
gung: der Brivilegien der rüganifchen Bafallen und Städte 
Barthold, Städtewefen. III. 18 


274 Dritter Theil. 


Gay. das Erbe Wiglavs überlommen. Unter unfiderem Ver⸗ 





Zreue 


hältnifje zu König Chriſtoph von Dänemark, dem Oberlehns⸗ 
herrn der Injel, war er aber im Aug. 1326 mit Hinterlaflung 
zweier unmündigen Söhne und einer ſchwangeren Wittwe in 
Stralfund geftorben, und hatte gleich darauf Chriſtoph, durch 
den Srafen Gerhard von Holflein und Bormund Waldemars 
ton Schleswig vertrieben, um eine Stüße zu gewinnen, den 
Fürſten Heinrih von Medlenburg mit jenem Fürſtenthume 
belehnt (6. Auguft 1326). Berlaffen von ihren naͤchſten 


ei Sippen, durch treulofe Bajallen befehdet, würden bie jungen 
as Erben alten und neuen Befit eingebüßt haben ohne die löb- 


mern. fie Treue und den unerjchrodenen Muth der Bürger von 


Stralfund und Greifswald. Bereits hatten die Mecklenbur⸗ 
ger die Fleineren Städte und ihre Boigteien durch Gewalt und 
Berrath gewonnen, und bofften gleiche Abtrünnigfeit von den 
Bürgern Greifswalds und Demmins, als diefe erflärten, „für 
das Recht ihrer jungen Herren mit Stralfund gedeihen und 
verderben zu wollen.” Sie warben Kriegsvolk, verforgten 
die Burgen mit LZebendmitteln; die Greifswalder pflegten 
lieberoll Die fürftlihe Kinpbetterin; alles geſchah unter 
dem Cinflufje einer populären Verfaſſung, wie wir aus 
der Zahl der Rathmänner, 26 in Greiföwald, 31 in 
Straljund, 28 in Anklam und 20 in Demmin, erkennen. — 
Getaͤuſcht durch den faljchgefinnten Schirmherrn, Gerhard von 
Holflein, der einen Waffenſtillſtand vermittelt, rückten die 
Bürger von Greifswald und Demmin vor die treulofe Stadt 
Loitz (13. März 1327), erflürmten diefelbe und firaften bie 
von den rechtmäßigen Exben abtrünnigen Nathmänner mit 
dem Feuertode. Wie glanzvoll und lauter ſolche Bürgertha- 
ten neben dem Verrathe eines Theils des Adels, der, von 
Mecklenburg gewonnen, den argliftigen Blan erſann, die jun- 


Biertes Bud. 275 


gen Prinzen Nachts aus dem fürftlichen Schloffe zu Wolgaft e.rur. 
zu entführen! Auf die erfle Nachricht von jo unritterlichem 
Anfhlage ließen bie Greifswalder — die Stadt zahlte für 
geheime Kundfchaft allein 2000 M. Pfennige (gegen 10,000 
Thlr.) — die unmündigen Erben nebft der Mutter jogleich durch 
Bewaffnete in ihre Mauern holen. Nachdem im Auguft 1327 

die Medlenburger durch das Bürgeraufgebot und die Söld⸗ 

ner aus Greifswalds Gemarkung vertrieben waren, erlagen 

fe auch im offenen Kampfe am 2. October beim Dorfe Grie⸗ 
benow ; dann wurde ihr Anhang aus Rügen durch bie Stral» „Er, 
junder und Greifswalder vertrieben. Erſt fpät traten en 
Hergoge von Pommern» Stettin, Otto und Barnim „derftguſe zu 
Große”, für die jungen Vettern in Waffen, ſchlugen mit der mal. 
Bürgerwehr die Medienburger unweit Demmin (Brühling 
1328) und nöthigten den Fürften Heinrich, im Frieden zu Bro⸗ 
dersdorf (Juni 1328), gegen eine Abfindungsfumme von 
31,000 M. ©. und gegen Unterpfand einiger Voigteien, auf 
Rügen zu verzichten. — Im Bewußtfein ihrer That ließen Die ehr⸗ 
liebenden Rathmänner von Greifswald die Befchreibung bed 
Krieges in Latein verfaſſen; flifteten, nicht verarmt Durch Höchft 
bedeutende Geldopfer — mehre Gewerke hatten freiwillig 
Summen beigetragen, die ung in Erfiaunen fegen, ein Rath⸗ 
mann allein über 4000 Thaler nach unferem Gelde! — i. J. 
1330 ein anfehnliches Hospital, und ordneten i. 3. 1331 eine 
„Siegesgedächtnißmeſſe““, fo wie Spendung an die Armen am 
fogenannten „Fürſten⸗ oder Weckenfeſte“ an. Vielleicht daß 

die Landesherrſchaft, dankbar für ſolche Treuerweiſung, ſich 

von da ab ſtatt der jährlichen Urbare mit der Darbringung 
eineß geringen Opfergeldes nebft einer Tonne Wein und einer 
Tonne Meth begnügte. — Der deutfchen Treue der Bürger 
Pommerns gegen ihr Fürftenhaus entfprach nicht die Treue 

18* 


276 Dritter Theil. 


6. gap. der Fürſten gegen das Reich; im Kampfe mit Ludwig von 





Dune v: 


deutich 


Soeſt. 


Brandenburg erklärten Otto und Barnim von Stettin im Sep⸗ 
tember 1330 alle ihre Lande als päpftliches Lehen und leiſte⸗ 


ten an Johann XXI. den Bafalleneid ! 
Fachte das übermüthige Oberhaupt der römifihen Kirche 


Erävıe. Die Zwietracht überall in deutfchen Landen an, und Tönnen 


wir überall firchliche und weltliche Fehde, öffentliche Unficher⸗ 
heit, darthun, fo überrafcht den Beobachter gerade aus Kai- 
fer Ludwigs flürmifchen Iahren die Blüthe des Wohlftandes, 
die vermehrte Volkszahl in den Städten, zumal in Altfachfen, 
Meftfalen und am Niederrhein. Städte wie Göttingen, nicht 
ohne Kundgebung des Hafſes gegen die Pfaffheit, vergrößer- 
ten ihren Umfang und ihre Mark, bauten, wie Aachen, präd- 
tige Gemeindehäufer oder neue Münfter ; jo Soeſt, deſſen frieb- 
liche, aber bewaffnete Bürgerthätigfeit damals der Geſchichte 
entbehrt, feine prachtvolle „Marienkirche zur Wieſe“, Leicht 
die ſchönſte Weftfaleng, aut Infchrift ein Werk Johann Schand- 
lers vom Jahre 1343. Zunftkämpfe flauden in Soeft nicht 
zu erwarten, da „gemeine Bürger’ längfl Antheil am Rathe 
hatten, wie in dem glüdlichen Worms vermittelft ihrer Sed;- 
zehner, bei fo löblichem Nechtögefühl ſelbſt gegen die Juden, 
dag auch diefe jährlich einen Rath von Zwölfen und einen 
„Judenbiſchof“ über fich exrkiefen durften. Ohne nad ber 
Unabhängigkeit einer Reichsſtadt zu trachten, bejaß Soeſt, — 
fo zahlreich bevölkert, daß Erzbiſchof Johann „wegen der gro⸗ 
Ben Zahl der jährlih Geftorbenen” die Anlage zweier Kirch⸗ 
höfe außerhalb der 6 Pfarrkicchhöfe geftattete (1323) — fat 
alle Rechte unmittelbarer Gemeinwefen; erfaufte i. 3. 1328 
von dem Edelherrn von Rüdenberg felbft die Freigrafſchaft 
von Rüdenberg zwifchen Soeft und Werle, welche Ritter 
Gosvin i. 3. 1225 dem Erzftift abgetreten. Bis gegen das 





Viertes Bud. 277 


Ende bes Jahrhunderts beftellten die Soefter das allmälig 6.2. 
verdunfelte Gericht „an der Elvericks⸗ (Ulrichs) porten’’ mit 
einheimifchen Bürgern. Neben Soeft blühete tiefer im Bin⸗ 
nenland Attendorn durch unmittelbaren Verkehr mit England, 
weshalb derſelbe Erzbiſchof 1. I. 1328 der Kaufmannsgilde, 
benannt vom h. Nicolaus, dem Patron der Seefahrer, eine 
befondere Kapelle weihete. — Andere bifchöfliche Städte, wie 
das unruhige Paderborn, trugen ungern bie Tirchliche Herr⸗ 
ſchaft. Warburg, erft i. 3. 1260 ald neue Stadt mit Mauern 
und einem Gemeinderath von 2 Bürgermeiftern und 13 Raths⸗ 
herren durch Biſchof Simon erftanden, hatte fhon i. J. 1320 
unter Führung feines Meifters, Johann Geismar, unter offe- 
nem Banner den zufammengerotteten Abel am Dejenberge aus 
dem Felde geſchlagen, und weigerte fih i. J. 1327, dem 
Biihof Bernhard „vor Beftätigung ber Freibriefe” zu hul⸗ 
tigen. Vielleicht war es Johann Geismar, der fonft andäd- 
tige Bürgermeifter, welcher bei diefer Gelegenheit ſtolz auf den 
Hahn des Kirchthurms wies und jagte: „dieſer bier ſieht in 
vier Herren Länder, die ehrbare Gemeinde flellt 1500 Gerü⸗ 
ſtete“. — Bifhof Bernhard war Flüger ald Burkhard von 
Magdeburg; er beftätigte ohne Weiteres. — 

Wohl allgemein bezeichnend für den Zuftand aller deutseimsurg 
fen Städte während Katfer Ludwigs erfler Regierungs⸗ Fapn. 
hälfte ift die Schilderung, mit welcher die Chronik von 
Limburg a. d. Lahn beginnt. „In Zeiten des tugendlichen 
Edelherrn zu Limburg, Gerlach genannt, flund Stadt und 
Burg in großer Ehre und Herrlichkeit, denn alle Gaſſen 
waren voll Leut und Guts, und wurden geachtet, wenn fe 
zu Feld zogen, mehr denn ald 2000 Bürger und bereite 
Leute mit Harniſch und was dazu gehört; und zu Oflern, 
die Gottes Leichnam empfingen, wurden geachtet mehr denn 


278 Dritter Theil. 


6.8ar. 8000 Menſchen.“ Die Schöffen von Limburg Befannten 
freudig ihren „rechten, geborenen Herrn“; aber fie fpraden, 
auch ihm zu Bunften, „kein Urtheil auf Gedenken.“ 
Bürgerliche Freiheit, gleiches Recht, gleiche Pflicht mit willi- 
ger Selbfbefchränkung unter einem Oberherrn blieben dad 
Biel der deutfchen Gemeinwefen. — 


Trud ron 3. B. Hirſchfel d In Leipzig. 





Geſchichte 
der deutſchen Städte 


und 


des deutſchen Bürgerthums. 


m — — — — 


Von 


E W. Barthold, 


Profeſſor der Geſchichte zu Greifswald. 


Vierter Theil, 


Bom Höheftande der Kämpfe zwifchen Zünften und Gefchlechtern 
bis zum Untergange reiheftädtifcher Freiheit und zu dem 
wiebererweckten Gemeindeleben, v. 3. 1332—1808. 


— Bl — 


Leipzig, 
T. O. Weigel. 
1853. 


278 Dritter Theil 


6.80r. 8000 Menſchen.“ Die Schöffen von Limburg befannten 
| freudig ihren „rechten, geborenen Herrn“; aber fie ſprachen, 
auch ihm zu Bunften, „kein Urtheil auf Gedenken.“ 
Bürgerliche Breiheit, gleiches Recht, gleiche Pflicht mit willi- 
ger Selsfdefchränktung unter einem Oberheren blichen das 
Ziel der deutſchen Gemeinwefen. — 


Trudron J. B. Hirfhfeld in Leipzig. 


Geſchichte 
der deutſchen Städte 


und 


des deutſchen Bürgerthums. 


Von 


F. W. Barthold, 


Profeſſor der Geſchichte zu Greifswald. 


Vierter Theil. 


Vom Hoͤheſtande der Kaͤmpfe zwiſchen Zuͤnften und Geſchlechtern 
bis zum Untergange reichsſtaͤdtiſcher Freiheit und zu dem 
wiedererweckten Gemeindeleben, v. J. 1332—1808. 


— — ö —— — — 


Leipzig, 
T. O. Weigel. 
1853. 








Inhalte. 


Fünfte Bud. 


Erftes Kapitel, 
Seite 
Umſchlag des Kampfes zwiſchen Zünften und Geſchlechtern in den ober⸗ 
und mitteldeutſchen Städten unter Kaiſer Ludwig. Ludwig behauptet 
fi durdy das Bürgerthum. Zod des Kaiſers im Jahr 1317. . . 1 


Bweites Kapitel. 


Die Städte unter K. Karl IV. Zunfthändel in Rürnberg. Berpfändun- 
gen. Erſter Etädtefrieg. Zürih. Der ſchwarze Tod und fein Ges 
folge. Die goldene Bulle. Eberhard der Greiner, Landvoigt. Er 
mweiterung der Städtebündniffe Augsburg. Die erfien Engländer. 
Sreiburg. Schlegelfrieg. Bunfikändel in Augsburg. Nürnberg. Branf- 
furt. Wetzlar. Schwabens Verhaälmiſſe bis 1378. Opfer der Städte 
für die Wahl Wenzeld. — 1378. . > 2 2 2 2 2. . 40 


Prittes Kapitel. 


Etädte in Heffen, Thüringen, Meißen, im Braunfhweigihen. Großer 
Aufſtand der Zünfte gegen den Rath, 1371. Die Weberſchlacht in Köln. 
Der weflfäliihe Landfrieden und die Bemen. Bremens Berfaffungsd- 
fampfe. Hamburg. Lübeck. Großer Hanſekrieg, 1370. Karl in Lübeck. 
Die Schöftädte der Laufig. Schleſien. Der Ordensftaat. Deſterreich. 
Karls IV. Iehte That und Tod, 1378.. . . . — a 87 


Viertes Kapitel. 


König Wenzel und die Städte Bünde und Begenbünde Allgemeine 
Kämpfe zwifhen fürftliher Macht und den Gommunen. Schladt bei 
Roosbete. Schlacht bei Sempach. Der große Städtefrieg, 1388. Nie 
derlage der Städte, Landfriede von Eger i. 3. 1389. Die Juden- 
ſchuldtilgung. Dortmund durd die Fürften befehdet. Gefahr des Reichs 
vor den Granpfen. > re 2 187 


vi Inhalt. 


Sünftes Kapitel. 


Städtifhe Bewegung in Niederdeutfchland Bis auf Wenzels Abſetzung. 
Heſſen. Weſtialen. Soeſt. Fall der Iunterberrfhaft in Köln, 1396. 
Trier. Die Hanfa unter bürgerlihen Unruhen. Die Union von Kal⸗ 
mar, 1397. Die Bitalienbrüder. Die Städte des öftlidhen Deutſch⸗ 
lands. König Wenzel und die oberländifhen Städte bis zu feiner 
Abjegung i. 5. 100.0 00 ee. 


Sechſstes Bud. 


Erftes Kapitel. 
Bis auf König Marimilian I. und den Ewigen Landfrieden. — 1495. 


Dweites Kapitel. 
Bom Ewigen Landfrieden zu Worms bid auf den — Bat 
frieden, v. 5. 1495 —155. . .: 2 2 202. ; 8 
Drittes Kapitel, 
Bom Augsburger Betgiondichen big zum a des weftfülifchen 
Friedens, v. J. 1555— 1650. « . . ‘ 0 . . . 
Diertes Kapitel. 


Vom Schluſſe des ee Friedens bis auf die Ace: Städte 
Srunag. v. J. 1650-1808. — 


Seite 


19 


240 


311 


408 


469 





gunftes Bud. 


Vom Höheftande der Kämpfe zwifchen Zünften und Geſchlechtern 
bis zum Siege ber erfleren oder dem Bleichgewichte und dem Tode 
König Wenzels. Vom Jahr 1332 — 1400. 


Erſtes Kapitel, 
Umſchlag des Kampfes zwifhen Zünften und Gefhlehtern in den ober» und 


mitteldentjchen Städten unter Kaifer Ludwig. Ludwig behauptet ſich durch das 
Bürgertbum. Tod des Kaijers im Jahr 1347. 

Unter dem geſchilderten Einfluffe des Streits Kaifer Sau der 
Ludwigs und des päpftlihen Stuhles zu Avignon auf bie Tälchter 
Stimmung des Bürgertfums, und unter der Zerrüttung, Aırken 
aller öffentlichen Verhältniffe des Reichs während der ver-Städten, 
fhiedenen Wendungen deſſelben bis auf den Tod des bald 
müden, bald troßig wieder erflarkten weltlichen Kämpfers, 
vollendete ſich großentheils das Geſchick der Rathsgeſchlech⸗ 
ter, die, wie der Adel überhaupt, auf der welſiſchen Seite 
beharrten. So zunaͤchſt in den mittelrheiniſchen und ober⸗ 
rheiniſchen, wie helvetiſchen und ſchwaͤbiſchen Städten. Die 
Mainzer empfanden bald die gefährlichen Folgen ihres Mainz. 
Kloferfturms und Kirchenbruchs. Die Bundeöftädte, zumal 
Speier, wo die Fehde zwiſchen den Hausgenoſſen und ber 
Gemeinde aufgelodert, Eonnten nicht helfen, als Kaiſer 
Zudwig, im Jannar 1332 mit den Fürſten und Edlen in 
Frankfurt zu Gericht figend, auf die Klage Erzbiſchofs Bal⸗ 
duins von Trier, als Pflegerd des Mainzer Stuhls, und 
ter Stiftsherren gegen ben Frevel der Bürger, die Acht 
und Oberacht gegen biefelben erfannte und fie in die Ent- 


ſchädigungsſumme von 10,000 M. ©. verurtheilte. Stolz 
Barthold, Städteweien. IV. 1 


4 Bierter Theil 


„say. Die großen Tage von Mainz gingen mit dem Falle ter 


Eveier. 


Geſchlechterherrſchaft vorüber, während anderwärts Das 
volksthümliche Regiment den Hohefland der Madit eni- 
wickelte. Das Bertrauen auf den Reichthum des goldenen 
Mainz ſank fo tief, daß es nur von ausländiſchen Tuben 
gegen hohe BZinfen und den feierlichen, yperfönliden Eid 
des Raths, Anleihen erhielt. Heinrih von Virneburg, 
nah Balduins freiwilliger Abtretung vom Reiche ald Erz⸗ 
bifhof anerkannt, unter der ausdrüdlichen Bedingung, «3 
mit dem Kaifer gegen den Papſt zu halten (1337), glaubte, 
im Gefühl feiner Berpflidtung gegen die Bürger, ihnen 
eine Wohlthat zu erweifen, indem er die „ehrbaren Män⸗ 
ner, Kämmerer, Nihter, Bürgermeifter und Gemeinde” 
von dem Eide, welden fie den Juden geſchworen, losſprach! 
— Daß Mainz am früheften von den hodyfreien Städten 
unter den Fuß des geiftlihen Oberherrn gebeugt wurde, 
wollen wir weniger ber Untauglichkeit feiner DVerfaflung, 
oder der Unfähigkeit feiner Bürger Schuld geben, ald dem 
Umftande, daß der Dechant des Kurfürftencollegiums und 
Erzfanzler durch Germanien mehr Mittel beſaß, die im Uns 
frieden gewichenen Geſchlechter zu unterflügen. 

Im nahen Speer erfolgte der Sturz der Hausgenof- 
fen unter nody getümmelvolleren Creignifien. Während 
im geheim jener Ausſchuß der Geſchlechter an Herftellung 
des Alten arbeitete, unterließ er nit, im I. 1330 durd 
König Ludwig, den ungleichen Gönner der Gemeinden, ſich 
die Beftätigung des Inbegriffs aller Tängft verjährten Vor⸗ 
züge und Preiheiten zu erwirten, fammelte dann gegen 
Ende des October 1330 einen flerfen Heerhaufen ritterli- 
Ger Freunde, und gedachte die Vaterſtadt, in deren Mitte 
bie Häupter der Verſchwörung unbefangen verweilten, in 











Fünftes Bud. 5 


der Nacht zum 28. October duch Verrath und Sturm. Ra. 


blutig zu überwältigen. Aber ein waderer Freund aus 
Straßburg warnte in athemlofer Haft die Bedroheten; 
Mauern, Thürme und Thore wurden mit entidhlofienen 
Zünftlern befegt, jo daß die tüdifchen Herren fchimpflich 
und nicht ohne Verluft abzogen, zur Rache nur die offenen 
Vorſtädte verbrannten. Ein kirchliches Feſt beging nod 
im XVII. Jahrhundert das Gedächtniß der Rettung bürger- 
licher Zreiheit; am Vorabend rief ein Stadtdiener durch 
die Gaflen: ‚Heut ift der Abend und morgen ift der Tag, 
da die Stadt Speier verrathen warb.‘ — Hinter ben 
Schuldbewußten, welde zeitig flohen, warb fogleih ein 
Rechtsverfahren nach altdeutfcher Weiſe eingeleitet; durch 
Glockenruf im Hofe St. Georg verfammelt, Tegte die Ges 
meinde fi einen Eid auf, fih binnen drei Tagen von 
dem Verdachte zu reinigen; die Weigerer follten bis ins 
vierte Geſchlecht der Stadt verwieſen fein. Die gerechte 
Strafe an Hab und Gut der Ausgewiefenen, der Vollzug 
des Geſetzes erweckte begreiflich einen äußeren Krieg, indem 
die VBerbannten auf Perfon und Eigenthum ihrer Mitbür- 
ger fahndeten. Endlih traten auch in Speier die Bun⸗ 
desſtädte, Straßburg, Mainz, Worms, Branffurt und 
Oppenheim ind Mittel, unterfuchten ‚‚treffliche, Eluge Send⸗ 
boten“ den Handel und fanden die Auskunft: die Eidver« 
weigerer und Audgewiefenen follten mit Weib und Kind 
fo lange im Banne verharren, bis die Bürgerſchaft durch 
den Bapft oder einen Bifchof ihres Schwurs erledigt ſei; 
die Schulphaften den Schaden vergütet und fih billiger 
Strafe unterzogen hätten. Sodann follte der Math jähr- 
Üh durch 14 Wahlberren je aus den Bürgern und den 
Sausgenofien, mit 14 Männern aus jedem Stande befekt, 


6 Bierter Theil. 


1.Ray. und aus der Mitte beider je ein Bürgermeifter erforn | 
werden, die 14 Monatrichter tagegen bleiben. Kurz vor | 
Neujahr 1331 ward folder Vertrag beflegelt. Einige 
Jahre Hindurdy tHeilten die 13 Zünfte, Gewandjchneider, | 
Kürfchner, Tucher, Rheinkaufleute, Wechsler, Weber, Schmiede, | 
Bäder, Krämer, Weinleute, Holzmenger, Fiſcher, Schuſter 
und Leinweber, die Regierungdgewalt, inzwiſchen Biſchof 
Walther (Walram) die Ledigzählung des Bürgereides von 
fh auf den römifhen Stuhl wies, und die Häupter der | 
Ausgewiefenen, vertragsbrüchig im Stadigebiet weilend, 
und deshalb der Sühne untheilhaftig, bei Bapft Johann XXI. | 
den Auftrag an Bilhof Berthold von Straßburg, den fri- 
heren Bewerber um das Bisthum und unverjöhnlichen Zeind 
des Kaifers, erwirkten (Juni 1332), die Gemeinde von 
Speier des Schwurs zu entbinden, „ben fie in ungerechter 
Sache gethan.” Uber mit nicdhten bequemten fich bie 
Bürger, empört über die falfhen Borgebungen der Patris 
zier, folder Handlung von Seiten des yfäffiih gefinnten 
Hirten von Straßburg, welde einem Bekenntniſſe ftrafba- 
rer Ungerechtigkeit gleih kam; fie hörten auch nicht auf 
Ludwigs und benachbarter Fürſten Verwendung, und jent 
23 Gefchlehtshäupter, welche die Bürgerichaft beim römi- 
fhen Stuhle verleumdet und fih als rechtmäßige Obrig⸗ 
Teit, jene als meuterifche Unterthanen bargeftellt, Tehrten 
nie wieder heim. Die Gleichtheilung der Obrigkeit und 
der Genuß gleidher Rechte behagte dem unverbeſſerlichen 
Patriziat nicht auf die Dauer. Sie betrachteten ihre Vor⸗ 
rechte noch immer nicht als erlofchen, fuchten allmälig bie 
beſchworene Verfaſſung zu untergraben, verftärkten ſich durch 
ehrgeizige, meineidige Zünftler, deren einer, ein Goldſchmied 
und Bürgermeiſter, bei Lebensſtrafe aus dem Burgbanne 





Fuͤnftes Bud. 7 


verwiefen wurde. Um fo gefährlichen Umtrieben ein Ende! Kap. 
zu machen, nöthigte die Bürgerichaft nach Katfer Ludwigs 
Tode (1347), ald Karls IV., des unwürdigen Pfaffenkönigs 
und Adelöfreundes, Walten begann, die Hausgenofien, ihr 
bie Beftätigungäbriefe Kaiſer Ludwigs zuzuftellen, ihre 
Geſellſchaft aufzulöfen, und, wollten fie in der Stadt blei⸗ 
ben, als die fünfzehnte Zunft den auf vierzehn vermehrten 
beizutreten. Die „Zunft der Hausgenofſſen“ blieb zu allen 
gemeinen Dienften verpflichtet, behielt nur die Münze und 
bad Geldwechſelgeſchaͤft und verzichtete auf ſonſtige politifche 
Vorrechte (November 1349). Doc verließen die meiften 
alten Geſchlechter, Haus und But verfaufend, die demo⸗ 
fratifche Heimath, in welcher jährlih am h. Dreifönigstage 
ber alte Rath aus den von Ten 14 Bünften vorgeſchlage⸗ 
nen 56 Männern 28 für das laufende Jahr erwählte, bie 
dann die nächflen zwei Jahre „feierten. Der Hof ‚zum 
Retſcher“, bis dahin das Haus der Münzer, ſchien jet 
nit mehr als Derfammlungdort der Volksvertretung ge⸗ 
eignet, daher der Rath ein flattlihes Gebäude am Mün- 
ſter erfaufte, und zum Rathshofe, fo wie zur Königsher⸗ 
berge, „in der feine Hochzeit und Kurzweil getrieben werden 
ſolle“, beftimmte. So ſchwand, ald drüdendes Patriziat 
verbaßt, eine Obrigkeit, der vor länger ala 150 Jahren 
Kaifer Heinrih VI. in der erwünfcdten Form eines Stadt⸗ 
raths gefeßlichen Beſtand gewährt Hatte. 

Im Elſaß, in Schwaben, in Helvetien, in den oberen aampf 
Ländern überhaupt, wo fih die Gegenfäge: Kalfer und Pr 
volfsthümliche Verfaſſung, Pfaffheit und Adel, um fo Eier 
drangvoller berührten, da jene Theile des Reichs der Sitz 
der Landesherrlichkeit Oeſterreichs, als Vertreters adeliger 
Anmaßung, mußten unter den erneuten Reibungen zwiſchen 


8 Bierter Theil. 


3.8. Wittelsbach und Habsburg die polttifhen Umgeſtaltungen 
noch fchärfer fih ausprägen. In allen Städten flanden 
fih zwei Parteien gegenüber, die fih in Kolmar ſelbſt 
durch äußere Abzeichen, ald Rothe und Schwarze unters 
fhieden. Offenfundig durch Johann XXI. wieder gegen 
den verfegerten Kaljer gewonnen, rüfteten ſich die Brüder 
von Defterreich, Albrecht und Otto, zur Gegenwehr, und 
309, von den Rothen gerufen, Herzog Otto mit flarfem 
Heere aus feinen Erblanden auf Kolmar. Aber auf 
Zudwig, son den Schwarzen, der Mehrzahl der Bürger, 
aufgemahnt, Fam ins Oberelſaß, befchäftigte durch feine 
Anhänger den feindlichen Biſchof Berthold von Straßburg; 
vieleicht würde das Schickſal Friedrichs an feinen Brüdern 
fih erneut haben, wäre nicht König Johann von Böhmen 
aus bem Iombardifchen Abenteuer als Vermittler herbeige- 
eilt (Sommer 1330). Kraft des gleich darauf geſchloſſe⸗ 
nen Vergleichs verpfändete der Kaifer den Habburgern 
Die vier Reichsſtaͤdte Zürich, St. Gallen, Rheinfelden und 
Schaffhaufen, gab aber, als die Züricher Gegenanftalten 
trafen, und bei den drei Waldſtaͤtten Hülfe ſuchten, an 
ihrer Stelle Breifah Hin, für St. Gallen Neuenburg am 
Mhein, und erlangte dadurch fo beftändige Treue der Zü⸗ 
riher, daß fie bis ind 17. Jahr Bann und Interdict ber 

aolmar. Kirche trugen. Auch Kolmar und Hagenau, bisher ſchwan⸗ 
fend und getheilt, traten einmüthig auf des Reichs Seite; 
erftere Stadt, um ſich der Reibungen zwifchen den Rothen 
und Schwarzen zu erledigen, übergab das Regiment auf 
fünf Jahre an neun Gebietiger, unterfagte die Parteifarben 
(1331), vertrieb endlich beide Störer bes Friedend, fo 
freundlih der Kaifer für die Schwarzen ſich verwandte. 
Wichtiger waren die Ereigniſſe, welche in Folge der kirch⸗ 


Fünftes Bud. 9 


lichen Spaltung in zwei elfaßiichen Städten dem Adel die 1. 
Herrſchaft raubten. Als in Hagenau bie zwölf ritterhür« Pa 
tigen Schöffen, feit Gründung der Stadt durch Kaiſer 
Friedrich Rothbart (1164) die erblichen Verwalter, mit 
einander baderten, die Gemeinde bebrüdten, und bie ein 
zelnen Handwerfe für ſich zu gewinnen fuchten, fchritt 
Ludwig in fo wirre Dinge ein und befefligte den Einfluß 
der Zünfte, indem er ihnen rieth, aus jebweber zwei 
Männer in den Rath zu feßen. Durch ven Faiferlichen 
Beflätigungsbrief vom 6. März 1332 wurde dann Ber- 
waltung und Polizei einem Rathe von 24 ehrbaren Män⸗ 
nern aus dem Sandwerferflande übergeben, die ſich jährlich 
um Pfingften erneuerten und dem Kaijer, dem Landvoigt 
und dem Schultheigen Gehorfam ſchwuren. Den Schöffen 
blieb nur die Gerichtäbarkeit anvertraut, und fo verlor fi 
auch Hier der fpröde bohenflaufifhe Grundfag der Bevor⸗ 
mundung des Volks durch den Abel. 

In Strafburg, wo ungeadtet des Biſchofs Berthold Fun 
Haß gegen den gebannten Kaifer, die Pfaffen entweder 
‚fürbaß fingen oder aus der Stadt jpringen‘ mußten, 
geriethen am 20. Mai 1332 hei der Feflichfeit der Martſche 
(Rundtafel) im ochfenfteinifchen Hofe die zwieträchtigen 
Borne, des Papſtes Anhänger, und die Mülnheime, ihre 
alten kaiſerlichen Gegner, trunfenen Muthes in ein bluti- 
ges Gefchelle, erfüllten die Gaſſen mit Mord, felbft den 
zum Frieden mahnenden Meifter nicht ſchonend, und erreg⸗ 
ten durch ihre Heiße Leidenfchaftlichkeit und wegen ihrer 
beiderjeitigen Berbindungen mit‘ dem Landadel, die Sorge 
des zuhigen Gewerbflandes in tem Grade, daß dieſer 
Meifter und Rath mit ber Forderung anging, einem Aus⸗ 
ſchuß von Bürgern die Aufficht über Die Stadt, Die Thor⸗ 


10 Bierter Theil. 


1 Kar. ſchlüſſel, das Siegel und Banner „bis zur Beendigung des 
Streits unter den Gefchlechtern‘‘ anzuvertrauen. Der Rath 
willigte ohne Widerftreben ein; als aber die Gemeinde er- 
maß, daß auch bei ſcheinbarer Ruhe die inneren Feinde ſich im 
Lande verftärfen würden, gebot das eigene Wohl nod 
durchgreifendere Schritte. Um ſich ganz des Regiments zu 
bemächtigen, erwählten die damaligen 10 Zünfte aus ihrer 
Mitte, ftatt der 24 Räthe aus den Gefchlechtern, einen neuen 
Rath; jedes Handwerf gab einen Beifiger; die vier Meifter, 
welche vierteljährlich zu wechfeln pflegten, wurden beibehalten, 
dagegen als Haupt der Stadt ein Ammeifter, als der erſte 
Burkhard Twinger, ernannt, deſſen Gefchäft früher nur ge- 
weſen war, die Schöffen zu verfammeln, wenn man ihre Mei« 
nung einholen wollte. Durch diefe neue Verfafſſung, welche, 
bei wachſender Zahl der Zünfte, deren im Jahr 1338 fchon 
28, und unter jeweiligen Reactionsverſuchen der Gefchlechter, 
in ihrem Grundbeftande für Die Volgezeit unverändert blieb, 
befreite ſich Straßburg vom Drude feiner übermüthigen Jun⸗ 
fer. Denn der neue Rath traf, um den Frieden zu fidhern, 
die Fräftigften Anflalten, hütete Thürme und Ihore, entwaff- 
nete die Troßigen und verbannte im förmlichen Rechtsgange 
die Verfehuldeten auf längere oder fürzere Beit. Um 12. 
Auguft zogen die Gefchlechter zur Stadt hinaus; die vier 
adfigen Trinfftuben ‚zum Hohenftege, zum Mülenfteine, zum 
Schiffe und zum Briefe wurden gebrochen, und jelbft der 
Meifter als Miffethäter verwiefen, weil er ohne des Raths 
Mitwiſſen in guter Meinung am Tage des Geſchelles einzu- 
fpreiten gewagt hatte. 

Solde Umgeftaltung der inneren Verhältniſſe flörte 
nicht das gute Vernehmen zwifchen der Stadt und dem paͤpft⸗ 
lic) gefinnten Biſchof; vielmehr unternahm Berthold einige 





Fuͤnftes Bud. 11 


Monate darauf mit den Bürgern und den Gliedern desi1.R 
oberrheinifchen Landfriedensbundes einen Kriegszug gegen 
Schwanau, die verrufenfte Raubfefte einige Stunden ſüdlich 
von Straßburg. Am 1. Juni 1333 erftürmten die Verbüns 
beten, unter gräuligen Borgängen, die troßig hinter Sümpfen 
belegene Burg, zerflörten ſie bis auf den Grund, und ver- 
bängten ſtrenges Gericht über die adeligen Räuber und ihre 
Helfer. — Später mußte auch der Biſchof fih beugen, und 
handhabten die Städte, überall demofratifch erftarkt, jenen 
1.3. 1334 erneuten Landfrieden, deſſen Bezirk fich ftromab- 
wärts bis unterhalb Mainz erſtreckte. Hart geprüft, nach traurie 
ger Verödung feines Sprengeld, al8 auch die Stadt ihn zu 
serlaffen drohte, bequemte fich der hartnädige Bifchof, dem 
gehaßten Baier zu Huldigen (1338); dankbar erkannte der 
Kaifer zumal Straßburgs kluge und treue Dienfte, verlieh 
ihm eine gefreiete Reichsmeſſe und beförderte den Wohlftand 
der Gemeinwefen, in denen zwar die bürgerliche Freiheit und 
Ordnung ſich befeftigte, bei denen aber auch Gemüthönerwil- 
derung, Rohheit und Unſitte geeigneten Boden fanden. 
So ſchändeten ſich die freieften oberdeutſchen Städte durd 
die graufamfte Sudenverfolgung, theils aus fanatiſchem Haffe, 
theild aus Abneigung gegen die Wucherer, die ihres Erwerbs 
nur für den Augenblick fiher waren. Im Jahr 1337 fand 
der gräuelhafte Gefell, „König Armleder“, in den Städten Sur 
des Elſaß die unbarmherzigften Helfer feiner „Sendung“, ung in 
die Juden auszurotten; nur Freiburg und Strafburgs Nath, Pentih- 
in weldhem (1338) Berthold Swarber, Ritter, ald Meifter, 
Burkard Twinger ald Ammeifter nebft 20 Gefchlechtern 
der Kunftablern, Dagegen 28 Zünftler faßen, gewährte feinen 
Juden einen Schußbrief auf fünf Iahre, Uber neben der 
zaubeiten Gewöhnung des bürgerlichen Lebens bemerken wir 


12 Vierter Theil. 


IR. in der unerläßlichften Thaͤtigkeit deffelben, im Kriegsweſen, 


bereitö jene Bequemlichkeitöliebe, welche, verzeihlich bei thäti« 
gen Handwerkern, die nur aus Noth oder männlichen Ehr- 
eifer die Waffen ergriffen, das Enfelgefchlecht fpäter unfähig 
machte, feine Zreiheit gegen Die harte Zucht zünftiger Kriege: 
leute und Fürftenföldner zu fehirmen. Um den fchwergerüfte- 
ten Bürgern beim Auszug zu entfernten Belagerungen bie 
Mühe des Wegs zu erfparen, ließ der Städtemeifter Ber- 
thold Swarber im. 1334 eine Anzahl niedriger Karren ver: 
fertigen und unter die Zünfte vertheilen, auf deren Tangen 
Zeiterbäumen, wie bei den Brauerwagen, die geharnifihten 
BZünftler rittlings faßen und fo fehneller zum Kampfplag ges 
führt wurden. Die Erfindung des ‚‚fahrenden Fußgängers“ 
fand bald Nachahmung; aber in den Streit auf Haudbergen, 
und an fonftigen Ehrentagen des oberdeutfchen Bürgerthums 


Sahren, waren die Schügen zu Buß Herbeigeftürmt, fah man nur auf 
dem Fahnenwagen, wie in einem beweglichen Kaftelle, erle- 


Baſel. 


ſene Vertheidiger fahren. Die Uebungen und Feſtſpiele der 
Armbruſtſchützen, bald mehr Luſtbarkeit als Kriegsernſt, 
konnten die ſtetige Waffenfertigkeit der müßigen Geſchlechter 
und Glevenbürger nicht erſetzen. Das Ende des Jahrhun⸗ 
derts ſollte erproben, daß auch ſchon damals Kampfbegeiſte⸗ 
rung für eine gerechte Sache oft der höhern Kriegskunſt und 
dem Angriff geregelter Söldner unterliegt. 

In Baſel, der alten Bundesfreundin Straßburgs und 
Helferin vor Schwanau, mußte Johann Senn, Biſchof ſeit 
1334, nicht allein neue Zünfte entſtehen, ſondern alle, zum 
ſchweren Verdruß des Domcapitels, neben ihren Zunftmei⸗ 
ſtern auch durch Rathsherrn vertreten ſehen. Gleiche Urſachen 
hatten um dieſelbe Zeit auch hier gleiche Wirkungen hervor⸗ 
gerufen. Wahrſcheinlich errangen die Handwerker dieſen 








Fünftes Bud. 13 


Sieg kurz vor dem Jahr 1337, weil in demfelben die Don 1-Rar. 
herren mit ſolchen Ausdrücken des Zorns, der Verachtung das 
„Bürgervolk“ vom Stifte ausjchloffen, daß fle eine furz 
vorher ergangene innerliche Umwälzung vorausſetzen Iaffen. 
— Durch den großen Landfrieden Kaifer Ludwigs mit 
allen oberbeutjchen Städten, durch kirchliche und politifche 
Verhältniffe den Straßburgern, wie den helvetifchen Ge- 
meinwefen verfnüpft, Eonnte Bafel, fo flandhaft der Bifchof 
feine oberherrlichen Rechte behauptete, auf halbem Wege 
nicht fill ſtehen. 

Konftanz, das am früheften den noch hofhörigen Kur 
Handwerker in einiger bürgerlichen Ehre erblickt, des geiſt⸗ 
lichen Seren Gewalt zeitig gefchmälert; das reich durch 
Handel, ghibellinifch treu die glanzuolliten Reichsverſamm⸗ 
lungen zu beherbergen pflegte, feit 1321 auf der Waſſer⸗ 
feite ftärfer ummauert; verfpürte in feinen inneren Händeln, 
in feinem Hafſſe gegen König Rudolfs, bes weiland Mit« 
bürgers, unähnliche Enkel, die Luft Der nahen Eidgenoflen- 
haft. Unter firchliher Spaltung, Bann, welden bie 
Bürger, dem Baier zugeneigt, willig trugen, reifte hier bie 
volksthümliche Herrfchaft, blutiger als anderwärts, da ber 
Stadtadel auf den ringsum feßhaften Adel Habsburgs ſich 
fügte. Im Januar 1342 erhoben fih hier die Zünfte, 
bemaͤchtigten fich aller Aemter, die früher die Gefchlechter 
ausihlieplich inne gehabt, und jagten die Mitter aus ber 
Stadt. Mähtig durch Verwandtfchaft, wie dur Bahl, 
niht weniger ald einhundert und fliehen, wußten die Ge⸗ 
ſchlechter um Pfingften des Iahres 1342 ihre Wiederher⸗ 
Rellung zu erlangen, jedoch zwei Zunftmeifter im Nathe 
dulden. Ihre ftille Befchäftigkeit, das Alte durchaus wieder 
zur Geltung zu bringen, rief dann fpäter wieder mörderiſche 


14 Bierter Theil. 


1. Kap. Auftritte hervor, an einem Orte, welchen die tieffinnige 
Myftif eines Heinrih Sufo geweiht zu haben ſchien. Die- 
felben Kämpfe zwijchen Gefchlechtern und BZünften, Ausge⸗ 
wiefenen und ihren Berdrängern, in anderen Städten am 
Bodenjee und deffen Umgegend, in Lindau, Winterthur, 
Dillingen, Biberach, Kempten, bejonders blutige in Scaff- 
haufen, leiten und zu folgereihen Ereignifien in der Nad- 
barfchaft der drei Waldfiätte, denen Furcht und Abneigung 
vor Habsburg, zum Schaden des Reichs, neue Eidgenofien 

2uzern. zuführte. Luzerns Bürger, welche, i. 3. 1291 vom Abt zu Mur- 
bad an Habsburg verfauft, freiwillig gegen Sold dem Herzog 
Otto i. 3. 1330 vor Kolmar gedient, Tiefen fi, übermüthig 
und ungerecht behandelt, als der vierte Ort in den Bund aufneh⸗ 
men, doch ohne Defterreich8 verbrieftes Recht zu fchmälern; fie 
wehrten entjchloffen offenen und geheimen Angriff ab, und nah 
men die Gewalt der Gejchlechter ald großer Rath von 300 acht⸗ 
baren Männern erft in ihre Hand, als fie durch Wachſamkeit 
der ihnen zugedachten Mordnacht (Juni 1333) entgangen. Der 
Kaifer mußte den ewigen Bund ald unſchuldig billigen. 

Zürih. Da wankte denn aud Zürich altfränfifche Verfaſſung in 
ihren Grundveften. Reichsvoigt, Gemeinde, Rath, Schult- 
heiß und Pfaffenrichter verwalteten den Staat, deflen Ur⸗ 
fprung fo recht eigentlich mittelalterlih war. Schon galt 
in den widtigften Dingen des Volks Entſcheidung, und 
wählte alle vier Monate. die Gejfammtheit den Rath, wel- 
her aus 12 Rittern und 24 Bürgern befland und in 
drei Rotten das Jahr hindurch regierte. SchultHeig und 
Voigt richteten; aber fie fonnten ohne des Raths Beiftand 
ihre Sprüche nicht vollziehen. Dennoch mißfiel, daß eine 
Heine Anzahl Geſchlechter fort im erblihen Beflg der Wür⸗ 
ben bliebe; fo befcheiden und ohne ſchroffe Standesunter- 





Fünftes Bud. 15 


ihiede jene Männer, fo trug die Stadt doch ein adeliges 1 Kap 
Gepräge, daB, wenn auch in gewiſſer fittlicher Vornehmheit, 
bei Liche und Pflege ritterlicher Künfte, wie des Minne- 
gelangd, dem überall erwachten demokratifchen Geifte nicht 
länger behagen Fonnte. Als nun aber im Jahr 1335 die 
Vorfieher der Stadt in Parteiung zerfielen, wurden die 
Klagen der Gemeinde über Eigennuß, Hochmuth, fahrläj- 
ſiges Gericht und ſchlechte Haushaltung der Gefchlechter 
laut, und gewannen an Rudolf Brun, felbft einem der 
reihen adeligen Herren, einen entſchloſſenen Stinmführer. 
Beftürzt über die erften flürmifchen Forderungen, zögerten 
die Bedrohten, ſich zu rechtfertigen oder männlich fi zu 
fin; fie flohen großentheils aus der Stadt (Juni) und 
verſcherzten, unfähig, ihre altgefchichtliche Stellung. Ders 
bannt, ihrer Güter beraubt, mußten fie aus der Werne 
zuſehen, als im December 1335 die Gemeinde dem Ritter 
Rudolf Brun, neben einem Nathe aus Rittern, Bürgern 
und Handwerfern, auf Xebenslang die höchſte Obrigkeit 
übergab. Gefchlechter und alle Unzünftige vereinigte man 
in eine „Konſtabel“ (Waffengeſellſchaft), vertraute ihr das 
Stadtbanner, mit dem Vorzuge, daß aus ihr, jedoch unter 
geſetzlichem Einfluß des Bürgermeifters, jährlih 13 Raths⸗ 
berren gewählt wurden. Die 13 Zünfte bildeten 13 Ban 
ner mit wählbaren Bunftmeiftern ald Rathsgliedern, die 
nebft den Rathsherren von der Konflabel und dem Bür⸗ 
germeifter zur Hälfte den halbjährlichen regierenden Rath 
darftellten. — So wurde mit Billigung des Kaiferd, der 
Aebtiſſin und des Abtes beider Münfter, eine Verfaſſung 
angenommen, welcher eigenthümlich bei demokratiſcher 
Grundlage — 14 politiſchen Zünften, gleichſam 14 Eid⸗ 
genofjenfchaften — eine faſt erbliche monarchiſche Gewalt 


16 Bierter Theil. 


1-Rap. zur Spitze diente; denn nah Rudolph Brund Tode foll- 


Bern. 


ten, falls fie noch Iebten, jene vier Ritter, unter ihnen 
Rüdiger Manefle, die dem Volke am früheften beigefallen, 
im Bürgermeifteramte nachfolgen. Zwar will man von 
da ab, flatt jenes feingefitteten Patrizierwejend, den Ein- 
flug handwerksmäßiger Denkart und engen Zunftgeifted in 
Zürichs öffentlichem und fittlihem Leben bemerken; aber jo 
Teidenfchaftlich, zaub, ungeberdig, grobfinnig und oft un⸗ 
verftändig die Ereigniffe der nächſten Iahrhunderte die 
Stadt Rüdiger Maneſſe's erjcheinen Yaffen, blieb Zürid 
doch ein Bollwerk bürgerlicher Freiheit, ein Leitflern für 
das ſchwankende Streben füdbeutfcher Gemeinden. Wie 
einerjeitö der köſtlichſte, biederſte Humor, herzhafte Ver⸗ 
traulichkeit und finnvolle Sitte die Züriher noch im 
XVI. Jahrhundert, in den Tagen des „reifenden Breitopfs“, 
bezeichnete, Hat die blühende Demokratie, fo Heiß und 
ſchonungslos im Kampfe für eine freie Sade, dennod 
am Werke menfchlicher Veredelung im Gebiete des Kirch⸗ 
lihen, wie der Wiflenfchaften und Künfte vor anderen 
lobreich mit gearbeitet. Wer mag in gleichmüthiger Erbul- 
dung des Banns und Interdicts jener Päpfte von Avignon, 
der Veraͤchter unſeres Volks und Reichs, die Väter bed 
fpäteren Proteſtantismus verfennen? 

Als der Sturz der Gefchlechterherrfhaft wie ein Lauf⸗ 
feuer durch die deutfhen Lande Tief, bewahrte von den 
Töchtern Zähringifcher Pflege das adelige Bern nicht allein 
feine innere Ruhe, fondern verherrlichte feine ritterliche 
Berfaffung an dem Tage von Laupen (21. Juni 1339), 
unter Führung Rudolfs von Erlach und dem Beiflande 
der Eidgenofien, als die großen Grafen und reiherren 
som Uechtland, Aargau und faft ganz Kleinburgund einen 











Fünftes Bud. 17 


Anfhlag zur Zerflörung ihres Gemeinwefend gemacht. Tieft- Kar. 
gewurzelte Abneigung gegen Habsburg gefellte Bernd Adel 
den Beftrebungen bewußteren Yreiheitdeifers. 

In den Städten Schwaben, Frankens und der Do— 
nau abwärtd wirkte, nach der legten Sühne mit Habsburg 
(1330), Kaiſer Ludwigs Abfiht, die fügfamen Kräfte 
biefer Herzlande des Reichs gegen Papſt und Pfaffheit zu 
bereinigen, nach demfelben Ziele. Noch ehe die gefammten 
Stände nah Frankfurt, wohin das Reichsoberhaupt Rath 
und Bürgerfchaft felbft mittelbarer Orte im wendiſchen 
Deutfhland, wie Stralfunds und Greifswalds, auf den 21. 
Januar 1331 entboten hatte, ſchuf er zu Augsburg unter 
Herren und Städten in Oberſchwaben und Oberbaiern 
einen „rechten Landfrieden“, gefellte ihnen, zu Ulm, Nieders 
jhwaben, zufammen 22 Städte, Hinzu und fand fo die 
Srundlage feiner Macht. Mit lauterem Willen begünftigte 
er die Reichsſtädte durch Rechte und Rreibriefe, ficherte 
ihnen Die, leider trügliche Unverpfändbarkeit, Half ihnen 
und ſich, freilih auf Koſten der Bürger, gegen die gemein- 
famen Feinde. Uber neue mühfelige Arbeit und unbe= 
ihreibliche Verwirrung begann wiederum, ald Johanns XXII. 
Nachfolger, der Schwache Benedict XII., dem abtrünnigen 
Kügelburger, Johann von Böhmen und dem Valois gefü- 
gig, den kirchlichen Fluch von neuem ausſprach. Gewiß 
theilte fein Stand der deutfchen Welt fo freudig die Be— 
wegung, als das Reichsbürgerthum, wie Ludwig im Deutfch« ar 
ordenähaufe zu Sahfenhaufen, angethan mit den Faijerli- 
hen Bierden, am 8. Auguft 1338 die Beſchlüſſe des Kur- 
vereind von Renſe und des Reichstags Fund that: „bie 
faiferlihe Würde komme unmittelbar von Gott; ein durch 
die Kurfürften zu Sranffurt Erwäßlter ſei ohne Weiteres 

Barthold, Städtewefen. IV. 2 


1 Kay. 


Augd- 
burg, 


ulm, 


18 Bierter Theil. 


König und Kaijer, und alle, die das Entgegengefette be 
haupten, Hochverräther.“ Die Frankfurter, an der Spibe 
tes wetterauiihen Bundes, hatten durch verfländige Treue 
von neuem de3 Baiern Tank perdient; fie waren ibm bis 
Hagenau gegen Habsburg zu Hulfe gezogen (1330), ja 
Hatten ihm Reiter und Schügen bid nad Böhmen gefen- 
det; doch mag Kulmann Zaans, des Tuchmachers, Erhebung 
auf den Rathömeifterfluhl (1335) nicht ohne ſtürmiſche Auf 
tritte erfolgt fein. — Schwer mußten die Stiftöherren zu 
St. Bartholomäus büßen, taß fie in den großen Tagen 
erwachten Nationalftolzes die Bannbullen an die Thüren 


ihrer Kirche geheftet. Nur dauerte folde Erhebung nidt | 


lange, und Ludwigs Halbheit und politifhe Mißgriffe, fo 
wie der Abfall der fürftliden Häufer verſchuldeten, daß 
die Zwietracht wieder um fih griff und nur die Städte 
unverbrüchlich ihre Anhänglichkeit bewahrten. 

Don Schwabens Vororten ſäumten allein Augsburgs 
BZünfte, jo tapfer fie für den Landfrieden fochten, und ein- 
mal im Jahre 1340 beim Bruch naher Raubburgen zu den 
7 bis 8000 Bewaffneten gewiß die größere Anzahl geftell- 
ten, den demofratifchen Drang der Zeit zu benußen ; hodı- 
gefreit durch Ludwig, duldete die Stadt das Geſchlechter⸗ 
regiment noch über 20 Jahre nad dem Tode des Baiern. 
In Ulm dagegen, wie ſchon früher in Eßlingen, vollendete 
fih die Demokratie unter heftiger Gährung, unter Brand 
und Todſchlag, zumal feit das Interdiet über der Stadt 
lag, und die Geſchlechter, unter Ulrich Konzelmanns Füh- 
rung, bei Habsburg neuen Anhalt fanden. Vergeblich 
mühte fih Ludwigs Liebling, der Fräftige Graf Berthold 
von Graisberg, feit 1328 Reichsvoigt und Schultheiß zu= 
gleih, die Gemüther zu beruhigen. Als endlich im Jahr 


Fünftes Bud, 19 
1331 die Ausjöhnung der gefammten Gemeinde mit dem 1. Kay. 





Kaifer zu Stande Fam, die Krafte, Strölin, Nothe zurüds 
chrten, verzieh er den Ulmern alles Geſchehene und forgte 
für die Beflrafung des gemaltthätigen PBarteihauptes ber 
Geſchlechter und ihres Anhanges, die in Münden gefan- 
gen gehalten wurden. Aber die Vereinigung des zwiftigen 
Stadtadels, welcher den Widerſpruch gegen den Baier nur 
aufgab, um den Gegnern im Innern gewachſen zu fein, 
werte die Eiferfucht der Zünfte, die, wohlhabend und im 
Bewußtfein ihrer Bedeutung, eng an einander geſchaart, 
es erft dahin brachten, flatt 12 Stellen im Rathe, deren 
17 zu befeken, je eine aus jeder Zunft. Bereit war 
naͤmlich, aller früheren Verbote ungeachtet, die Zahl ber 
Zünfte fo Hoch geftiegen, und umfaßte alle Bürger, bie 
aiht zu den Geſchlechtern gehörten. Allein völlige Gleich— 
ftellung der bürgerlihen Rechte und eine Mehrheit im 
Rothe von zwei Stimmen ficherte den Handwerkern noch 
nicht das Uebergewicht, fo lange die Schöffen, die gejeglich 
aus den Gefchlechtern geftellten Richter, noch nicht für immer 
aus dem Rathe ausgeſchloſſen waren. Sie glaubten das 
Ziel zu erlangen, wenn fie einen Großen Rath niederſetz⸗ 
ten, der größtentheild aus zünftigen Bürgern beftände. 
Nicht ohne Heftige Kämpfe gelang folder Plan; im Jahr 
1345 mußten Die geängftigten Gefchledhter, um nur den 
Sturm zu beſchwichtigen, von der „Gemeinde der Handwer⸗ 
fer einen Schwörbrief erwirfen, kraft welches biejelben 
gelobten, alle Wege zum Frieden zu fuchen, fo wie aud 
die Gefchlechter einen Eid bei den Heiligen ſchwuren, 
Sreundfchaft und Zucht nach beften Kräften zu fördern. 
Ale Feindfhaft, Haß und Stöße follten hingelegt, alle 


beimlichen Bündniffe, bei zeitweifem Bann und einer Strafe 
2* 


0 Bierter Theil. 


31. Kar. son 10,000 Wauerfteinen an die Stadt, abgethan fein. 
Nebft anderen Sakungen, welde Miptrauen und Vorſicht 
geboten, wurde beflimmt, „kein Einheimifcher dürfe binnen 
der naͤchſten fünf Sabre um die Schultheigenftelle ſich be⸗ 
werben,” ein Beſchluß, der allein den Stadtadel traf, da 
das „Ammanamt“ noch Teinem Zünftigen zu Theil werben 
fonnte, und die Bekleidung der einflußreichften Stelle von 
den Zünften deshalb Tieber einem Auswärtigen gegönnt 
wurde. Andere Sagungen, z. B. gegen den Zufammen- 
Yauf von mehr als zwei Berfonen, lehren uns, daß in Ober- 
fhwabens Vorort die Getümmel der Parteien jo häufig und 
bedrohlich waren, als auf den Gaflen Iombarbifher Städte. 
— Ein zweiter Schwörbrief ungefähr aus derfelben Zeit 
fehrt in hochfahrender Sprache die neue Verfafſſung und 
ſcheint mehr eine Berwilligung von Seite der Zünfte, als 
eine gegenfeitige Mebereinfunft. Das Ziel zweihundertjäh- 
tiger Arbeit war erreiht. Als Gründe der Anordnung 
des Großen Raths werben bezeichnet: Gebietövergrößerung, 
die gefliegene Erweiterung des gewerblichen Lebens und 
die Verhütung ded Bürgerzwiftes. Den Großen Rath bil- 
deten, wie zu Nördlingen und Münden, in gleihem Ver⸗ 
hältnig 40 Männer, 10 aus den Gefchlechtern und 30 aus 
den BZünften; den gefammten Rath 72, nämlich den Flei- 
nen Rath von 32 Hinzugerechnet. Jeder Wählbare mußte 
5 Jahr in Ulm Haushäbig fein; jede Erblichkeit der Raths⸗ 
ftellen hörte auf; in Folge freier Wahl Eonnten oft fonft 
berühmte Gefchledhter im Nathe ganz fehlen. Um Geor- 
gti jährlih zur Wahl der Zunftmeifter für den Kleinen 
Rath und ihrer Rathsmänner für den Großen Rath ange 
mahnt, ftellten die Zünfte, nah Maßgabe der Zahl ihrer 
Glieder oder ihres DVerbienftes um das Gemeinwefen, bald 














Fuͤnftes Buch, 21 


drei, bald zwei oder einen Mann; am Breitage nach Oculii- Kap. 
wählten bie neuen Bunftmeifter, nebft der vom Kleinen Rath 
noch gebliebenen Hälfte der Zunftmeifter und den 30 Neu⸗ 
gewählten bed großen Rath, auf dem Rathhauſe den Bür⸗ 
germeifter, 47 Männer unter Leitung des Altbürgermei« 
ſters. Obgleich Fein Geſetz die Zünftler von dem höchſten 
Amte ausjchloß, findet ſich doch Eein Beifpiel, daß ein ans 
derer ald ein Geſchlechter daſſelbe befleidete. Der Neu 
erwählte ſchickte dann nach alter Sitte jeder Zunft fo viel 
Ofterfladen, al3 fie Glieder im Rathe figen Hatte, in ihre 
Sehe, fette fih auch eine Weile neben den Zunftmeifter, 
jo wie auf Befefligung des öffentlichen Vertrauens berech⸗ 
net war, DaB der Bürgermeifter nah Weihnachten mit 
einem Ausfhuß von Geſchlechtern, den Stadtknechten und 
Stadtpfeifern, der Verſammlung der Zünfte auf dem 
Markte zum neuen Jahre Glück wünſchte. Die Umſetzung 
der Stabtämter, Pfleger, erfolgte ohne Unterfchied aus 
der Mitte des Großen und Kleinen Raths. Ein Zuſtand 
bed Friedens, deſſen Grundlage Achtung gegenfeitiger 
Rechte, ließ die Demokratie Iräftig gedeihen. Nur wenige 
Gefhlechter traten aus dem bürgerlichen Berbande; denn 
bei aller Gleichheit vor dem Gefege ſchonte man ben 
Geburtsrang jener Altbürger, als der Erfämpfer ber 
Freiheit. Ihnen blieb das Hecht zur eigenen Gefell« 
ſchaftsſtube, der anerkannte Titel der „Ehrbarkeit“, allein 
auch eine gewifle vornehme Zurüdhaltung, ungeachtet ihrer 
Betheiligung mit dem Großhandel. Bis zum Jahr 1548, 
ald Kaifer Karl V. das proteftantifche Deutſchland zu ſei⸗ 
nen Füßen ſah, dauerte Ulms Grundserfaffung unveräns 
dert; ihr verdankte Schwabens Vorort den Glanz feiner 
Geſchichte als Haupt des oberdeutfchen Städtebundes, den 


22 Bierter Theil. 


1-2. Ruhm der Streitbarkeit, des Eifers für Reit, die Blüthe 


ulms 
Blüthe. 


des Handels, wie der Gewerbe, und aller dad Leben 
verfchönernden und erheiternden Künſte. Der Voigtei erle⸗ 
digt, auch der Mitgliedichaft des Schultheißen, der nur als 
Borfland des Stadtgerichts der 12 Schöffen feine Stelle 
fand, hatte ſich der Stadtrat als eine frei und unabhängig 
fih bewegende Regierungsbehörde aufgefhwungen. Nach 
Zudwig dem Baier verzichteten die Kaifer gern auf Leitung 
ber bürgerlichen Angelegenheiten Durch eigene Beamte. Der 
Bürgermeifter vereinigte in feiner Perjon die Würde bes 
früheren Kapitan’3 und führte dad Stadtbanner, wenn die 
Stadt gerade Teinen befonderen Hauptmann hatte. Kleiner 
und Großer Rath hielten in der Regel abgefonderte Situn- 
gen; jenem fland die oberfle Leitung der öffentlichen Gefchäfte 
zu, unter ber Aufficht des Großen Raths, als der Gemeinde 
vertretung. Gefebgebung ging aus von dem Gefammtcolle- 
gium mit Zuziehung der ganzen Gemeinde. Erſt fpäter über 
trug man die täglihen, raſch zu erledigenden Gefchäfte dem 
Bürgermeifter und einem Ausjhug aus Geſchlechtern und 
BZünften, den Fünfern, doch ohne Gefährdung der Regierungs⸗ 
rechte des Mathe. Mit dem Jahre 1345 begann auch dad 
fogenannte ‚Rothe Buch“, das Verzeichniß des ungeſchriebe⸗ 
nen Herfommend, und umfaßt die Fortfchritte der Geſetz⸗ 
gebung der folgenden Jahrhunderte. Zölle, Münzen und 
andere Regalien, ſelbſt das Iubdengefälle, die ehemalige 
Pfalz, das Patronat in allen Königsfapellen, waren längſt 
an die Stadt gefommen; das Gebiet derfelben, durch Aus- 
kauf oder Verdrängung reicher Grafenhäufer, faft einem Her⸗ 
zogthume gleih. Die Stadtmauern erweiterten ſich, neue 
Gaſſen entftanden, deren Bevölkerung gegen 60,000 Seelen 
betragen mochte. Die vorfihtig tapfere Gemeinde ließ ben 


Fünftes Bud. 93 


Berftoß gegen die Friedensgeſetze mit ber Lieferung von vier 1-Ran. 
Ien Zaufend Steinen büßen, um davon Mauern und Thürme 
unbezwingliher aufzubauen. Das bewunderungswürdigfte 
Werk diefer Zeit war das Münfter an Stelle der alten, nicht 
mehr genugfam geräumigen Pfarrkirche. Den Grundftein 
des koſtbaren Gebäudes legte man im Jahr 1377 und för⸗ 
derte dad Gotteshaus durch öffentlihe Schenkung und die 
Stiftungen frommer Geſchlechter. ine Steinmepenhütte 
beftand in ihrer geheimnigvollen Verfaſſung früh in 
Um; der Name Matthäus Enfingerd, „Kirchenmeiſters“, 
verdient dem Erwin von Steinbad an die Seite geftellt zu 
werden. Bildhauer, Maler und mannichfahe Künftler, 
Muſiker, Orgler bildete und befchäftigte das reiche, allem 
Schönen holde Gemeinweſen; die Meifterfänger » Brüderichaft 
hielt frommen Sinnes an Sonn= und Feſttagen ihre Sing« 
ſchulen; Anftalten zum Unterricht der Jugend blüheten früh 
und ihre Meifter waren geehrt. So trug der freie Geift, 
welhen ber verfegerte Saft Arnold von Brescia vor 
200 Sahren in Ulm gepredigt, herrliche Früchte. — Aber 
wie männlicher Kriegsmuth die Wohlfahrt und Breihelt des 
Staats erkämpft, konnte auch nur treffliche Kriegsordnung 
dad Gewonnene befchirmen. Erft die Noth, dann das Geſetz, 
tief alle Stadtbewohner, Gefchledhter und Zünftler, zu den 
Waffen. Die fauflfertigeren Handwerfe ftanden ſchon im 
XI. Jahrhundert in befonderen Eriegerifchen Vereinen; wer 
nicht Wehr und Harniſch befaß, gelangte nicht zum Bürger- 
seht. Bei Zügen in die Zerne beftimmte das Loos, — aud) 
der Bürgermeifter mußte mitfpielen, — die Folge; bie 
Geſchlechter dienten zu Roß; auch die sornehmeren Zünfte 
waren zur Stellung verhältnigmäßiger Anzahl Pferde veran- 
ſchlagt. Das XV. Jahrhundert fand Söldner ſchon noth⸗ 


1.Ray. 


24 Bierter Theil. 


wendig zu fähnellen Zügen, weshalb jeder Reubürger durd 
eine Armbruft den Waffenvorrath mehren mußte. Die Ich: 
ten Sahrzehente des XIV. Jahrhunderts führten Büchſengießer, 
Büchſenſchmiede, und andere Werfleute für die neue mörde- 
riſche Geſchũtzkunſt ald wichtige Diener der Stadt auf; und 
den Stahlfchügenbrüderfhhaften, zu Lobe des h. Franciscus, 
gejellten fi bald die kecken Hafenfhügen, geehrte und ge⸗ 
fürchtete Säfte auf fernen Freiſchießen. 

So war, abgejehen von üppigen Auswüchien, der Zu⸗ 
fland Ulms im XIV. Jahrhundert; freie Verfafiung hatte die 
Kräfte des Volks, den Gemeinfinn und die Liebe zum Vater⸗ 
lande geftärft, daß der oberdeutſche Städtebund, in den 
Zagen der Anfechtung durd die vereinte Macht der Fürſten 
und des Adels, unfere Stadt zum Haupt in Kriegd= und 
Briedendgefchäften erfor. Bei Döffingen ſchwang Ulms 
Bürgermeifter, Konrad Befferer, mit fräftiger Hand das 
Bundeöbanner, bis er, der legte auf dem Kampfplage, fter- 
bend dahin fanf. 

Gleichzeitig hatte derfelbe Drang der Dinge alle freien 


> Städte Schwahens zu derfelben Geſtaltung des bürgerlichen 


Lebens entwidelt, und die heillofefte Zeit, unter Begünfti- 
gung des verfolgten Kaiferd, nahe 30 Gemeinden verfihiebener 
Größe den Beftand als Neichsftädten gefichert. Nachdem der 
Kaifer Schaffhaufen und Rheinfelden als Kaufpreis der Sühne 
an Habsburg verliehen, blieben Augsburg, Ulm, Biberach, 
Memmingen, Kempten, Kaufbeuern, Navendburg, Pfullen- 
dorf, Meberlingen, Lindau, Konſtanz, St. Ballen, Zürid, 
Heutlingen, Rothweil, Weil, Heilbronn, Wimpfen, Weind- 
berg, Hall, Eplingen, Gemünd, Donauwörth, wo ber Kaifer 
ftrenge Mittel zum Frieden bandhabte, und Nördlingen. 
Jony entwuchs den Truchſeſſen von Waldburg (1365) und 





Sünftes Bud. 25 


Gundelfingen, Giengen, Wangen, Bopfingen, Aalen, Din- 1.Kar-_ 
felöbühl, Buchau, Leutkirch, fanden auf der Grenze zwilchen 
bevorzugten Töniglihen und reichöfelbftftändigen Gemeinden. 
In Schwähifch- Hall verfühnte Ludwig felbft die heißen Bür⸗ 
gerfämpfe (1340), indem er einen Rath von 26 Männern 
einfebte, die, 12 zugleich Richter, 6 Mitterbürger und 8 Hands 
werker, den Bürgermeifter wählten, und ſich einander ergaͤnz⸗ 
ten. Nur Heilbronn, die alte Pfalzftadt, dem adeligen 
Branken nahe, im Beflg eines ſchönen Gebiets und vielfad 
von Ludwig gefreit, verharrte noch unter den ehrbaren Ge⸗ 
ſchlechtern, bis die Zeit Karls IV. auch hier den Umſchwung 
berbeiführte. 

Daß in den Städten der Erblande des Wittelsbachers, Sirene 
befonders in Mündhen, das mittlere Bürgerthum zur Geltung 
gelangte, faft über die Bedingungen fürftlicher Städte hin⸗ 
aus, entnehmen wir ſchon aus dem baieriſch⸗ſchwäbiſchen 
Landfriedensbunde. Der Hofftg Ludwigs an der Ifar, wür⸗ 
dig durch Neubauten geſchmückt; deſſen Zünfte dem Königs 
herzog fo wader zur Seite geftanden, durfte an Gerechtfamen 
und demofratifcher Ausbildung faft mit reichsfreien Gemein- 
weſen wetteifern. Münden bejaß fein eigenes höchftes 
Gericht ohne Oberhof, den Blutbann, feinen inneren und 
äußeren Rath mit flarker Bürgerfchaftsvertretung, das Um⸗ 
geld, das Statutarrecht, gleichwie Ingolftadt, Wafferburg und 
Landsberg. Die geiftige Breiheit, weldhe der Kaifer in 
feinem Kampfe mit der Hierarchie zur Bundesgenoſſin er- 
for, mußte über alle Berhältniffe einer Stadt ausſtrö⸗ 
men, in deren Klofterfirchen felbft ja ein Wilhelm Ockam, 
ein Michael von Gäfena, die verfegerten Denker, eine 
ruhige Grabftätte fanden. Die bürgerlihen Berhältnifje 
waren laͤngſt fo ſchön geordnet, daß wir bier nichts 


96 Bierter Theil. 


1. Kap · von gewaltfanen Ausbrühen bevormundeter Zünfte er- 


Regens⸗ 
burg. 


fahren. 
In Regendburg dagegen, wo noch alte und neue Be: 
rechtigungen wirre durch einander Tiefen, des Herzogs, bes 


Biſchofs, der Altbürger und Handwerker, Fam die Brut 


bürgerlicher Gleichheit unter dem Einfluffe räthſelhafter Er- 
eignifje zur Reife. Schon im Februar 1330 der Ausbruch 
des Haſſes und Unwillend zwifchen Rath und Gemeinde; 
Vereine und Bündniffe ald Vorzeichen innerer Kriege. Das 
ehrgeizige Gefchlecht der Auer verband ſich unter dem Scheine 
populärer Beftrebungen mit vielen angejehenen Männern 
und allen Handwerkern, und forderte von dem Rath Rechnung 
über der Stadt Gut und Einkünfte, beftellte ein Fünfergericht 
aus ihrer Mitte, um alle Irrungen unter den Verbündeten 
auszugleichen; die Vierer jeden Handwerfd, zufammen 52, 
erlangten Antheil am Regimente, an der Bürgermeifterwahl 
und an der Auffiht über den Stadthaushalt. — Der alte 
Rath wid aus feinem Anfehen, und jenes falſche Parteihaupt, 
die Kaufleute und Handwerker hielten da8 Heft ber Regie 
rung. Briebrich der Auer, unter dem Deckmantel des Volks⸗ 
willens, befeftigte feine Gewalt als Bürgermeifter Durch neue 
Bundeöbriefe, welche die Bürger verpflichteten, ihm beim 
erften Zaut der Eleinen Glode zu Hülfe zu eilen. Ueberall 
Kundſchafter und befoldete Ankläger; Furcht vor Verſchwö⸗ 
rungen, der Groll Berbannter, die Hineinziehung benachbar⸗ 
ter Landherren in bie bürgerliche Fehde, flörten Handel, 
Gewerbe und beſchworenen Landfrieden. Vor den Kaifer 
geladen, erwarb fich der Auer Huld und Sühne, und für bie 
Stadt acht Privilegien an einem Tage (Faſten 1331), meift 
prunfende Beftätigung alter Rechte. Ein Jahr um das an- 
dere Bürgermeifter, gegen dad Geſetz von 1287, vergrößerte 


Fuͤnftes Bud. 27 


ber Auer durch das Schrecken feinen Anhang im inneren 1. 
und äußeren Rathe, umgab fih auf dem Kirchgange mit 
einem Gefolge von 40 Mundmännern. Das Häuflein klar⸗ 
blidender Gegner Elagte nur jchüchtern, im geheim über die 
veränderte Verfaſſung, während noch immer die Zünftler und 
Kaufleute, ſelbſt unter Anhebung der Geiftlichkeit, über den 
Gewaltmißbrauch der Geſchlechter tobten und den wahren 
Feind der Gleichheit und des Friedens nicht erfannten, Uber 
almälig gingen der Gemeinde die Augen auf; eine Rech— 
nungsabnahme im Mai 1333, vor dem ganzen Rathe, den 
Kaufleuten und den Verorbneten der Handwerker vollzogen, 
machte den Stadtgebieter zuerft erbangen; DBergleichdanträge 
wurden abgewiefen; der Verſuch zu ernfllihen Mapregeln 
gegen Aufruhr fruchtete noch weniger, und mit dem Jahre 
1334 ftürzte das willkürliche Regiment weniger edelen Ge⸗ 
ſchlechter jählings zufammen. Zwar entflob Priedrich der 
Auer mit Söhnen und Verwandten der Volkswuth; doc 
hinter dem Gehaßten theilten fih Rath und Gemeinde in die 
gejehgebende Gewalt und rüdten Zünftler an die Stelle der 
früheren Gewalthaber. Ein neued Statut, vom October 
1334, feßte ald Volksbeſchluß feft: Fein Eingeborener folle 
innerhalb der naͤchſten 10 Jahre zum Bürgermeifter genom⸗ 
men werden, jelbft nicht ein mit einer Eingeborenen Ver⸗ 
mälter, damit er nicht mit feinen Breunden die Gemeinde 
bedrücke. Bürgerlich gefinnte Ritter baierifchen Geſchlechts 
befleideten fortan, gegen mäßigen Ehrenfold, die höchfte 
Obrigkeit, nah dem Vorbilde ttalienifher Städte, deren 
Podefta gewöhnlich aus der Fremde berufen wurde. Als bie 
auögewiejenen Auer mit ihren Anhängern von ihren Burgen 
bie Bürger befchädigten, fuchte Ludwig vergeblih Stillſtand 
aufzurichten. Alle fonft maßgebenden Geſichtspunkte verwirr⸗ 


Ausfüh- 


28 Bierter Theil. 


top. ten ſich, Kaiſer, wie Gemeinde geriethen in eine falſche Siel⸗ 


lung, und Regensburgs innere Fehde verflocht fih mit dem 
erwachten Hauszwiſte zwifchen den Herzogen Nieder= und 
Oberbaierns, indem die demofratifche Stadt Ludwigs Vettern 
um Hülfe anrief, den Pfaffen ed nachſah, daß fie Meſſe nidt 
fangen, und feinerfeit3 der Kaifer Die Auer begünftigte. Ja 
der vereitelte Berfuch, Die Stadt durch ein Loch in der Mauer 
in die Gewalt der Berwiefenen zu bringen, ftellte den bürger: 
freundlichen Herrfcher ald Bundesgenoß des verrätherifgen 
Adels Heraus. Der sornehmfte Mitwiffer des Anfchlags 


büßte nad) zwei Jahren mit dem Leben; aber fo wild und 


widerſpruchsvoll die Dinge fi wandten, die durch Auer 
argliftige Herrfchfuht angebahnte demofratifhe Verfaſ⸗ 
fung, die 52 Genannten oder Vierer, fo genannt, weil jede 
der 13 Zünfte 4 Meifler erfor, behaupteten fich als innerer 
Kath im erfämpften Nechte neben den Sedhzehnern. Eine 
zwiefpaltige Biſchofswahl verftärkte die Parteiung, indem ein 
Theil der Bürger dem Burggrafen Friedrich von Nürnberg, 
des Papftes Anhänger, ein anderer dem kaiſerlich gefinnten 
Heinrich von Stein beiflel. Nachgiebig und in leidige Halb 
heit zurüdfallend, ſühnte fi in Jahr 1342 Ludwig mit der 
Regensburgern aus, veripradh, der Ausgewieſenen fi nicht 
weiter anzunehmen, verlieh guimüthig neue Gnaden zur 
Wohlfahrt der Stadt, und duldete ausdrücklich, den Biſchof⸗ 
Burggrafen bei fih ‚in den Ehren zu halten, da fie ihn 
haben wollte.” Am ſchwerſten waren die Auer zu begütigen, 
doch ward auch dieſe Feindſchaft nach neunjähriger Dauer 


Auer. germittelt (1343), freilich mit hohen Gelbfummen, welde 


dem kaiſerlichen Hofe zufloffen. Nah dem Ausfterben des 
niederbaierifchen Zweiges Gebieter des ganzen Herzogtum, 
fam Ludwig im Juli 1344 huldreich nach der altbaieriſchen 


Fünftes Bud. 29 





Reſidenz, in der ihm von den burggräflichen Rechten nur das 1.Rar: 
Schultheißenamt mit der Gerichtöbarkeit über kleinere Ver⸗ 
gehen gehörte, das, ſchon durch ihn der Familie Zahn ver⸗ 
pfündet, im Laufe des Jahrhunderts nebft dem vom Bifchofe 
verfepten Propfteigerichte von der Stadt fäuflich erworben 
wurde, Treu beharrten die Bürger bei dem Freunde in den 
lezten Drangfalen feines Xebens, als farke Bormauer Baierns 
gegen Böhmen, deſſen König im Jahr 1346 eine entwürbdigte 
Krone erlangt hatte. 

Bon den übrigen Ländern des Reichs flanden nur 
Stanfen, Thüringen und der niederrheinifche Kreis in fo 
enger Beziehung zum Schiefal und Streben Ludwigs, daß 
and) ihrer freien Städte yolitiihe Stellung und Haltung 
durch jene bedingt wurde. Deftlih der Wefer, dem Harze 
und der Saale, verfpürte das Bürgerthum, mit Ausnahme 
der Mark Brandenburg, des jüngften Erblandes der Wittels⸗ 
daher, wenig oder gar nicht die Sorgen und Mühen bes 
Reihöoberhauptes. Bon den freien und königlichen Städten unten? 
Frankens, Nürnberg, Rotenburg, Schweinfurt, Weißenburg 
im Nordgau und Windsheim Hatte nur das reiche, gewerb⸗ 
thätige Nürnberg nicht über eine ungleiche Behandlung des 1 
gekrönten Kaiſers zu klagen; die anderen dagegen, beſonders 
die mannhaften Rathsbürger an der Tauber, mußten ſich nad 
Ludwigs Rückkehr vom Römerzuge aus erneuter Verpfaͤndung 
an ihre nächften fürſtlichen Widerſacher mit ſchweren Sum⸗ 
men loskaufen. Merklich unterſcheidet ſich aber bie fränfifche 
Bürgernatur, die Würzburger ausgenommen, durch Gefügig- 
feit in die Herrſchaft der Geſchlechter. Die blühende Stadt 
an der Pegnig, deren erſtes Rathhaus an der jegigen Stelle 
fich erhob (1332 —40), die ſich der Zollfreiheit in 70 namhaf⸗ 
ten Städten, zumal in Münden und am weiteflen Saume 





30 Bierter Theil. 


4.209. der deutfchen Welt bis nach Flandern und Brabant, durch den 
Kaifer erfreute — ein noch vorhandenes Denkmal bezeugt 
die dankbare Liebe — fah die Zahl feiner betriebſamen Zünfte 
jährlich wachfen, aber nur in befcheidenen, gewerbmäßigen 
Kreifen, in Zech- und Tanzftuben fich regen, noch ohne Tauten 
Anſpruch auf politifhe Geltung. Mit anſehnlicher Gebiets- 
erweiterung mehrten fih tie, wenn auch nicht ritterbürtigen, 
Geſchlechter; die Behaim, die Tucher, die Weigel und Großen 
treten im Nathe auf; erft nach des vollsbeliebten Kaiferd 
Tode follte ein gefahrvoller Sturm kundthun, daß in dem 
gemäßigten fränkifchen Blute auch die jchärferen Säfte des 
Bolfslebend vorhanden wären. — Auf Schweinfurtd müh⸗ 
feligem Gemeinweſen laftete Die Reichsburgmannſchaft des na» 

ne ben Grafen Henneberg. In Rotenburg erblicken wir zwar i. 3. 
1333 einen inneren und äußeren Rath, welcher Ießtere, aus 
40 Männern beftehend, fih aus den früheren „Geſchworenen, 
Genannten‘’ gebildet Hatte, und deffen Glieder ald Sicher- 
heitöbeamte, Wachtherren, auch Hauptleute heißen; aber un« 
geachtet die „Ehrbaren“, die erbgeſeſſene Gemeinde, die Bürger 
im altfränfifhen Sinne, um diefe Zeit Die Sandwerfer- 
gemeinde als ‚Bürger‘ anerkennen mußten, und den Ge⸗ 
werbögenofien, ald Zünften gegliedert, die Vertheidigung der 
Mauern anvertraut blieb, fie nah dem Schugbündnip von 
1333 aud die Geſammtheit an auswärtigen Gerichten mit 
vertraten, haben in Rotenburg, der hohenflauftfchen Pfalz, 
die Zünfte nie dauernden Einfluß auf die Verwaltung errin- 
gen Tönnen. Die „Bürger vom Rathe“ hatten fchon das 
Wahlrecht des Reichsſchultheißenamts überfommen, welche 
Würde His in Ludwigs letzte Jahre im erblichen Beflge der 
Edlen von Nortenberg, „Küchenmeifter von Rotenburg‘, 


ſich befand. 


Fünftes Bud. 31 


Sonſt betheiligten fih die Rotenburger, reihätreu und 1-Rar._ 
waffengeübt, mit den großen allgemeinen Landfriedensbünd⸗ 
niffen, nachdem ſie ſich zweimal, zulegt 1335, aus dem Pfand⸗ 
befige der Hohenlohe, und einmal (nad 1331) um 10,000 
Pfund Heller auß der Gewalt des Bifchofs Wolfram von 
Würzburg, gelöft Hatten; aber wenn aud Ludwig, den un 
ihägbaren Werth der Bürgertreue erfennend, den Rotenbur⸗ 
gern die Unpfändbarkeit zuficherte, und fie des Gehorſams 
entband, „follte er fih daran vergeſſen,“ wußten unrebliche 
Nachfolger ſolches Gelühde zu umgehen. Im Jahr 1340 an 
ſchloß der Kaiſer mit den Bifchöfen ron Bamberg, Eichſtädt kur 
und Würzburg, mit dem Abte von Fulda, deffen Bürger, feit 
1332 in wüthendem Zwift, geächtet, i. I. 1333 mit Leib und 
Sut dem geiftlichen Hirten verfielen, mit den weltlichen Her⸗ 
ren Sranfend und den Städten Nürnberg, Rotenburg und 
den Bifchöflihen ein Schug- und Trugbündniß gegen jede 
Fehde bis auf zwei Jahre über feinen Tod hinaus, mit 
Beftellung eined Neunergerihtd; im Jahre 1344 ver⸗ 
einigten fich die Städte Nürnberg, Würzburg, Rotenburg, 
Windsheim und Weißenburg zu gleihem Ziele auf eigene 
Sand, und verharrten, bei erneutem Unheil in Folge des 
heißer entbrannten Kirchenzwiftes, fo verfländig in ihrem 
Intereffe, daß Clemens VI. und fein Gegenfönig bis zum 
Ende des Baiern fein Glied des fränkifchen Städtebundes zu 
berücken vermochten. — Daß auf fränkifchem Boden alte und gen, 
neue Städtepflanzungen unter oberherrlihem Einflufje leicht 
verfümmerten, erfahren wir an Bamberg, beflen fonft zahme 
Bevölkerung das große Jahr 1333 zur Freiheit angeftachelt 
hatte. Des Kaifers Spruch wies dem Bifchofe Thürme und 
Thore zu, das Recht, den Stabtrath und Die Schöffen nad 
Gefallen zu fegen und abzufegen; dad Umgeld von Bier und 


32 Bierter Theil. 


3.0. Mein felbft einzunehmen; in daſſelbe, faft noch engere 
Berhältnig ward Mergentheim, die neue Stadt bes deutſchen 
Ordens, jhon vom Beginn an (1340) gezwängt. Zur Stadt 
erhoben durch Wilhelm Grafen von Kagenelnbogen, gewann 

ar Darmftadt dagegen die Rechtöverfaffung Frankfurts (1330). 
Jenſeits des Thüringer Waldes erhielt nur das ver⸗ 
ans wandtfchaftliche Band zwifchen Landgraf Friedrich dem Exnften, 

Staͤdte. ffeinigem Beſitzer der Wettinifchen Länder, und dem Faifer- 
lihen Schwiegervater, ferner die Hoheit des Stuhls von 
Mainz über Erfurt, das Anſehen des Reichs aufrecht, freilich 
mehr zur Sorge als zum Trofte der freien Städte Norbhau- 
fen, Mühlhaufen und Goslar, wiewohl der Kandfriede Träfti- 

Erfurt. ger gehandhabt werden Fonnte. Ungeachtet Erfurt durch Bal⸗ 
duind von Trier Verwendung 1.3. 1331 die Eaiferliche Beftäti- 
gung feiner Privilegien, und vom Pfleger des Stuhld von 
Mainz die erbetene Hülfe gegen feinen Befchädiger, den Gra- 
fen son Hohenftein, erwirft hatte (1335), verweigerten bie 
Bürger, angewandelt von der allgemeinen Erbitterung gegen 
die Pfaffheit, dem hochmüthigen Kurfürften weiterhin Ver⸗ 
pflegung und Heerfolge, und warfen den Stiftsdechanten in 
einen fehauerlichen Kerker; darauf fperrte Balduin die Stra 
Ben, wied, nah einem vereitelten Verſuche, durch Der: 
rath einiger Rathéherren ſich einzufihleichen, den Handel zur 
Unterſuchung an den Landgrafen, und belagerte, als die nad 
Mittelbaufen Borgeladenen höhniſch mit ſtarker Mannfcaft 
erfchienen, im Verein mit dem Wettiner die Stadt. Da vers 
fagten die Schwefterftäbte Mühlhaufen und Nordhaufen ihren 
Beiftand; aber wenn nur unterflüßt durch die Eleineren Grafen 
Thüringens, wehrte ſich das Bürgervolf, felbft beim Brande 
der Vorſtädte, fo unerfchroden, daß erft die alte Landgräfin 
Elifabetö den Kampf vermittelte, und endlich die Erfurter, 


Fuͤnftes Bud. 33 


gegen Beftätigung ihrer Privilegien, der Anerkennung bes 1. Kap. 
Erftiftöpflegerd und einer Gelbuße ſich bequemten (Sult 
1336). Der Mainzer noch ungeföhnter Haß gegen bie Kle⸗ 
riſei hallte im fchußverwandten Hauptorte Thüringens wieder. 
Als die Predigermönde dem gebannten Kaiſer „weder fingen 
noch läuten mochten‘, ſchloß man fie in ihrem Klofter ein, 
und ließ fle hungern, bis fie fangen. 

Der auf Faiferliches Gebot im Jahr 1338 vollzogenen 
Erneuerung des thüringifchen Landfriedens zwifchen den Gra⸗ 
fen, Herren und den drei freien Städten, an deſſen Spibe ber 
Landgraf mit den Reitern, Schüben, Bliden und Wagen der 
Bürger gegen manches Raubſchloß zog, mußte bie Ausglei- Mübr 
dung Mühlhauſens und Nordhauſens wegen der Pfandſchafts⸗ Rom 
anfprüche des kaiſerlichen Eidams vorangehen. Ohne Zweifel Bora. 
hätte der mächtige Wettiner jene freien Stäbte zu landſäſſigen 
berabgebrückt, Teifteten fle nicht männlichen Widerftand gegen 
ungerechte Veraͤußerung. Mühlhauſen duldete fogar die 
Reichsacht, erſchrak nicht vor der Kriegsrüftung des Landgras 
fen; erſt die erneute Sorge vor den päpftlichen Umtrieben 
auch im deutfchen Norden und der Gehorfam der Reichsbürger 
in der Vertreibung des gehaßten Klerus, brachte den Kaifer 
zur Befonnenheit. Im Jahr 1332 bequemte er fih ber 
Uebereinkunft, daß Mühlhaufen feinem Eidam in beflimmten 
Sriften 5000 M. ©, zahle, und dafür 16 Jahre aller Steuer 
und Reichödtenfte ledig fein folle, verſprach auch, „die Stadt um 
feine Nothdurft“ zu veräußern, Eben fo Faufte Norbhaufen 
fih um 3000 M. ©, und gleiche Verfhonung von Seiten 
bes Meichs aus der Pfandſchaft frei, und erlangten beide 
Städte, die eine im Jahr 1337 für 1000 M. ©. als Pfand 
den Genuß ber Neichögefälle in ihrem Gebiete, fo wie das 
Reichsſchultheißenamt und deſſen Gericht; bie —— Lud⸗ 


Barthold, Städtewefen, IV. 


1.802. 


Goslar. 


34 Bierter Theil. 


wigs bejonderen Schirm und die Iudengefälle. Das Gemein- | 


wejen unter Dem Harze hatte glüdli feine Zunftverfaſſung 
behauptet, die aber haufig in gefährliche Herrſchaft Der nies 
deren Bevölkerung ausſchlug; Mühlhauſens Rathsgeſchlechter 


fuhren Dagegen fort, ihre Handwerker aud) in ihren Innungd- 


verhantlungen zu bevormunden, wenngleidh die um 1330 
verzeichneten Statuten den Beftand des Raths aus 24 Per- 
fonen, 14 aus den Geſchlechtern, je einer aus jedem, und 
10 Sandwerkern, „je nachdem es ſich wohl ziemet und füget,“ 
feftfegten. Die regierende Behörde trat jährlih amı Martins⸗ 
abende ab; doch ward, unter forgfältigen Mapregeln, von ihr 
vorher der neue Rath erforen, der dann die Aemter, ben 
Rathsmeiſter, Kämmerer, Schultheigen und Zöllner erwählte. 
Bei Geſetzvorſchlägen und politifch wichtigen Beſchlüſſen traten 
drei Baare Rathmänner, wohl der figende, der alte und ober⸗ 
alteRath, zuſammen; Doch fehlte es nicht an heftigen Unruhen, 
wie im Jahre 1350, in welchem Sechzehner des Volks dem 
Senate fi} eindrängten. Schon prangte das ſchmucke Stadi⸗ 
haus mit feinen gewölbten Lauben und dem „Reinſtein“, 
einem Tuftigen Kerker, jo benannt, weil er im Jahr 1343 die 
Nitter von Reinſtein ald Gefangene beherbergte. 

Auch Goslar erfuhr empfindlih den Wechfel der Ge⸗ 
finnung Kaifer Lubwigd. Vom übermüthigen Sieger von 
Ampfing an Herzog Heinrich von Braunfchweig verpfänbet, 
dann ledig gefprochen, erlangte die Pfalz der Salier das bes 
benfliche Eatferlihe Gelübde der Unverpfändharkfeit (1331), 
„außer in Fällen dringender Noth,“ die gnädige Erlaubnif, 
fih gegen Räuber felbft fhügen zu dürfen, nachdem das 
läftige Pflegeamt der Sarzgrafen widerrufen war, endlich dad 
Voigtgericht unter Kaiferäbann, und felbft fünfjährige 
Steuerfreiheit (1332), freilich gegen Zahlung von 300 M. ©. 


Sünftes Bud. 35 


an Grafen Berthold von Henneberg, Ludwigs „lieben Helm 1.Rap. 
lihen‘. Sm Jahr 1340 begnadigte der Kaifer die treuen 
Diener und Verfolger feiner Nebenbuhler, für ihre „Heer⸗ 
ſteuer“, mit dem unklaren Chrenrecht des „Heerſchildes“. — 
Nah folcher Sicherftellung der Neihsunmittelbarkeit halfen 
dann die Städte des thüringifchen Landfriedens unter des 
Wettiners Führung wader an der Bezähmung des Raub⸗ 
adels; Erfurt jtand dem Landgrafen aud) gegen die feheelfüch« 
tigen Grafen von Weimar und Schwarzburg freudig bei, und 
erweiterte anfehnlich fein Gebiet, wie denn auch das Kluge 
Berhalten der Stadt während der verhängnißvollen Spaltung 
im Mainzer Erzftifte ihre Unabhängigkeit befeftigte. — Von 
den oberfächftichen Landen verfpürte befonderd der Park 
Brandenburg Gemeinwejen wie den Haß der Kirche, jo auf 
anderjeit8 die Gunft des baierifchen Herrſcherftammes gegen 
dad mittlere Bürgertbum; Berlin - Kö, an der Spige Berlin. 
ber freifinnigen märtifchen Städte, genoß einer gemäßigten 
Bunftverfaffung, die auch wohl der Einfluß des Acht demo⸗ 
kratiſchen Magdeburg in weiterem Umkreiſe vermittelte. | 
Im niederrheiniſchen und weflfälifchen Sprengel bed vum 
Erzſtiftes Köln trat nach dem Tode des geftraften Kaijerfein- 
des, Erzbifchofs Heinrich (1332), unter Walram von Jülich, 
wenn auch nicht Endſchaft der Landfehden, doch ein gedeihli⸗ 
derer Zuſtand der Städte ein. Kölns altbürgerliches Regi⸗ 
ment behauptete fih unangefochten bis gegen den Ablauf des 
XIV. Jahrhunderts; erneuerte Landfriedensbündnifie, an 
denen zumal Soeſt ehrenreich ſich betheiligte, hielten Die bes 
rüchtigte Wildheit des weftfälifchen Adels im Zaume. Ziem⸗ 
lich gleichartig in populärer Verfaſſung, — mit Ausnahme 
bes ariftofratifihen Dortmunds, deſſen Zreiftuhl ald Oberhof 
de3 mächtig anffchreitenden weftfälifchen Vemgerichts allmä- 
3% 


36 Bierter Theil. 


1.80p. fig Geltung errang, zumal als der Rath im Jahre 1343 
Stuhlgere der halben Grafſchaft geworden, — flärkten ſich 
die vier Städte Soeft, Münfter, Osnabrüd und Dortmund, 
unmittelbar Glieder der Hanfa, im hundertjährigen Schwe- 
flerbunde, und fidherten ihre Wohlfahrt durch Kampfbereit- 

Cork. [haft gegen Bijchöfe, Herren und Riütterfchaft. Die Soefter 
Huldigten im Jahre 1332 dem neuen Kurfürfien von Köln 
nicht eher, als bis er ihre Privilegien anerkannt hatte, und 
ließen ſich nicht irren, al8 Kaifer Ludwig im Jahre 1339 den 
jungen Grafen von Arnsberg, Gottfried IV., unter anderen 
altfränkifchen Rechten noch mit der Reichsvoigtei der Stabt 
belehnte. Mufterhafte Ordnung, berber Lebensgenuß ohne 
Ueppigkeit herrſchten im reichen Vororte Engernd; Meifter 
Johann Schendlers preiswürdiger Bau, die Wieſenkirche, er- 
bob fih, als ringsum Uinfegen auf dem Lande Tag, und 
gleichzeitig ward das alte Stadtrecht als „Alte Schrae“ den 
entwidelten Verhältniffen angepaßt. 

Aachen. Aachen am weſtlichſten Saume des Erzſprengels von 
Köln, hochwichtig dem Träger der Kaiſerkrone als Krönungs⸗ 
ſtätte, und darum beſonders durch den Baier vor pfäffifchem 
Einflufle bewahrt, verharrte noch beim Regimente von Schult- 
heißen, Boigten, adeligen Schöffen, und jährlih am 1. Juni 
von den Vornehmen erwählten „Meiern“; fo gewerbthätig 
die Zunft der Tuchmacher, hat fie doch erft unter Karls IV. 
Herrſchaft ernflliches Verlangen nach Theilnahme an der Ber: 
waltung geäußert, aber, fo verfpätet, um fo flürmifchere Er- 
eigniffe herbeigeführt. Die hollaͤndiſche Erbſchaft brachte die 
Witteldbacher in noch engere Berührung mit der Farolingi- 
ſchen Pfalzſtadt; auf Reichsſtagen pflegte Ludwig, freigebig 
mit Privilegien, ängftlich nach der Anweſenheit der Send- 
boten von Aachen zu fragen, das dann, feinen Dominifanern 





Fünftes Bud. 37 


höchſt auffehig, dem Tügelburgifchen Nebenbuhler, fo lange 1. Kav. 
der Baier lebte, flandhaft, wie Köln, den Zugang zum Krö⸗ 
nungsmünfter verſchloß. 

Ein Erzbiſchof und Kurfürft von Trier, wie Balduin Trier. 
son Lügelburg, obenein lange Zeit Pfleger des Erzftiftes von 
Mainz und des Bisthums Speier, der Flügfle Staatswirth 
feined Jahrhunderts, der einflußreichfte Fürſt des Reichs, er⸗ 
werte feiner gedemüthigten Kathedralftabt, fo wie den Kob⸗ 
lenzern wohl nicht die Hoffnung, aud nur den altbürgerli- 
den Gemeinderath wieder zu gewinnen. Adelige Schöffen- 
meifter und Schöffen, von früheren Rechten nur da8 unbe» 
neidete Fehderecht ausübend, und dazu fürftlicher, theuer er⸗ 
faufter Mitbürger bedürftig, weil fle dem Zunftvolke bie 
Waffen nicht anvertrauten, flürgten die einft fo blühende 
Stadt in untilgbare Schulden, verpfändeten für Ehrenfold 
ſelbſt die Marktgefälle, ohne Frucht des Landfriebens, den 
die Kurfürften von Trier und Köln mit den Landherren im 
Jahr 1333 von Weißenburg abwärts den Lauf des Mheins, 
der Saar und Mofel gefchloffen hatten. Balduin ſchützte feine 
Juden nicht fowohl vor der allgemeinen Volkswuth, als daß 
er die Raͤuber und Todtfchläger derfelben in den Rheinſtaͤdten 
firafte; als ruhmvolles Denkmal Iandesherrlicher Bürforge 
erftand im Jahr 1341 eine fleinerne Brüde bei Koblenz über 
die Moſel. 

So lange Kaifer Ludwig die Sreundfchaft des welterfah- Rubwig 
renen Senior3 der Xügelburger erhielt, mochte er dem päpftenuin ı jet 
lihen Grimme kühn die Stirn zeigen und vor ſchmachvoller 
Entfeßung ſicher fein; ald aber feine Ländergier und Berei⸗ 
herungsjucdht zumal wegen Tirols ihm den Erzfürften von 
Irier wendig gemacht, fonnte felbft die bewunderungswür⸗ 
diafte Treue und Ergebenbeit aller Reichsſtädte den gealterten 


28 R Bierter Theil. 


Herrſcher vor joldem Schimpf nicht retten. Im September 
1344, als Ludwig, voll Sehnſucht nad feiner Losſprechung 
vom Bann, tem Reichstage zu Frankfurt Die herabwürdigen⸗ 
den Horderungen des Stuhl3 von Avignon vorlegte, und tie 
zweiteutigen Kurfürften eine Erwieberung im Sinne bes Be- 
jchluffes von Renſe verzögerten, vernahm ver Kaijer aus dem 
Munde der Städteboten, — nad) jenen von Aachen, Augs- 
burg, Ueberlingen und anderen hatte er ausdrüdlich gefragt, — 
ewig wahre Worte. Auf jein Geheiß aus ber allgemeinen Ver⸗ 
fammlung binaudgegangen, um fidy befonderd zu berathen, 
Treneberantworteten fie durch den Spreder, einen Bürger von Mainz, 
— dem er im Jahr 1340 die gleiche Zollfreiheit der Nürnberger zu 
München und an allen namhaften Hebeftätten verliehen : ‚Herr, 
die Städte erfennen, wie der Papft mit feinen Artikeln auf 
die Kränkung des Reichs finnt. Weil nun die Städte nidt 
gedeihen Eönnen, ald mit dem Reiche, und bed Reichs Unter⸗ 
gang ihr Verderben ift, find wir Armen, wenn ber Papſt 
darauf beharrt, mit allen Kräften zu den Mitteln bereit, welche 
die Herren Fürften des Reichs ausdenfen werden, Recht, Ehre 
und Unverieglichkeit des Reiches zu fchirmen.” Alle Boten 
bejahten einmüthig zur Freude des Bekümmerten diefen Ent- 
ſchluß, den über acht Tage darauf die Kurfürften zu Renſe 
unpatriotifh entfräfteten. — Darauf wurde Keinrih, Erz 
biſchof von Mainz, wegen feiner Anhänglichkeit an den Kaijer 
erft in den Kirchenbann gethan, dann am 7. Auguft 1345 
für abgejegt erklärt, Gerlah, Graf von Naffau, an feiner 
Stelle ernannt, und am 11. Juli 1346 im Baumgarten zu 
Renſe, unter böjen Vorzeichen, durch die Stimmen von 
Mainz, Trier, Köln, Böhmen und Sachſen, Karl von Mäh- 
ten zum römiſchen Könige gewählt. Aber Aachen verfperrte, 
wie Köln, dem Pfaffenfönige die Thore, weshalb derſelbe, 


Fünftes Bud. 39 


nah der Flucht vom Schlachtfelde zu Cresch, im November ! Kap. 
1346, zu Bonn die Krone empfing. 

Auch da nod blieb in den Augen aller ehreiftigen®; in; 
Deutfhen der Entſetzte rechtmäßiger König. Während jelbft En 
feines Schwiegerfohn, des Landgrafen Friedrich, Anhänglich- 
feit nur durch hohe Geldfummen erkauft werden konnte, 
erprobte Ludwig wiederum auf der Städtenerjammlung "zu 
Speier (September 1346) die unerfchütterliche Beharrlichkeit 
des Bürgerthums. „Keine Stadt am Nheine, in Schwaben 
und Franken kümmerte fih um Karla Wahl und des römi- 
hen Stuhls Proceffe; niemand wagte bei ihnen ben Kir⸗ 
chenfluch zu verfündigen,” und zumal verficherten die Bafeler, 
jo rückſichtsvoll fonft vor ihrem Bifchof, befonders ihre Zu⸗ 
neigung. Auch Heinrich von Mainz behauptete fih gegen 
Gerlach von Naffau, der nur in Erfurt ſich Eingang erfchlich, 
während Kuno von Falkenſtein mit zwei Domherren auf des 
Kaiferd Geheiß den Sprengel verwaltete. Aber Leider trat 
auch jet überall in den oberen Landen das frechfte Fauſtrecht 
in Folge der doppelten Spaltung wieder ein, und gab ben 
Bundesftädten und erneuten Landfriedensvereinen, von denen 
die Fürften fich getrennt, volle Hand zu thun. Als Feinde der 
öffentlichen Ruhe galten jegt alle Anhänger des Pfaffenkönigs, 
felbft Die Landſtaͤdte der Kurfürften, wie denn unter anderen 
Koblenz Durch Reinhard, Herrn zu Wefterburg, den belobten 
Ninnefinger des. Kaiſers, eine empfindliche Niederlage erlitt. — 
In ungefehmälerter Macht, während der Pfaffenkönig fich in 
feinen Erblanden barg, ftarb Ludwig am 11. Oct. 1347 eined 
plöglichen Todes ; feine Leiche ward, da die Auguftiner Chorher⸗ 
zen furchtſam fich die Ehre verbaten, in der Frauenkirche zu Mün⸗ 
chen beftattet, und über der Afche Des Ahnherrn durch Kurfürft 
Narimiltan 1. ein Eunftreiches Denfmal von Erz errichtet, 


40 Bierter Theil. 


Zweites Kapitel. 


Die Städte unter 8. Karl IV. Zunftbändel in Nürnberg. Berpfändungen. 

Erfter Städtelrieg. Züri. Der ſchwarze Tod und jein Gefolge. Die goldene 

Bulle. ‚ Eberhard der Greiner, Landvoigt. Erweiterung der Städtebündnifie. 

Augsburg. Die erfin Engländer. Freiburg. Schlegelkrieg. Zunfthändel in 

Augsburg. Nürnberg. Frankfurt. Wetzlar. Schwabend Berhältnifie bie 1378. 
Opfer der Städte für die Wahl Wenzels. — 1378. 


—— Wollen wir den Charakter der Zeit und den Zuſtand der 
unge Städte beim Tode Kaiſer Ludwigs überfichtlich bezeichnen, ſo 
war durch den faft allgemeinen Sieg der Zünfte über die Ge- 
ſchlechter die höchſte Blüthe des Bürgerthums entwidelt, und 
das politifche Bewußtfein defielben als Trägers ber öffentli- 
hen Ordnung ausgeprägt. Aber zugleich Hatte die Hand⸗ 
habung eines ſchonungsloſen Strafeiferd gegen ben Raub⸗ 
adel, beflen Burgen vom Fuß ber Alpen bis zur Nordſee 
hundertweis gebrochen wurden, eine jo tiefe Erbitterung der 
Ritter gegen dad Bürgervolk hervorgerufen, jo wie Mißgunſt, 
Neid und gefränfter Stolz der verarmten Fürſten fo unver- 
föhnlich erregt war, daß eben nicht tiefe Einficht dazu gehörte, 
einen allgemeinen Angriff beider gefränkten Stände zu weils 
fügen. Es würde ermüden, wollten wir einzeln die Vernich⸗ 
tungszüge der Stäbtebündbniffe gegen den Adel, die ſchmach⸗ 
volle Hinrichtung von Gliedern der edelſten Gefchlechter, den oft 
herausfordernden Hohn des zünftigen Bürgers gegen ritterliche 
Nachbarn auch nur andeuten; der menfhlichen Natur gemäß 
fteigerte jede Niederlage den Haß, und gewann der Landadel 
anſehnliche Verflärfung auch äußerer Mittel durch die audges 
wichenen Gefchlechter, welche mit ihm gemeinjchaftliche Sache 
machten. Den politifchen Vereinen der Zünfte, den Stuben 
der Junker, den @idgenofjenfchaften der Gemeinde gegenüber, 
überhaupt nach dem Gefelljchaftögeifte der Zeit, gewann ber 
Adel, in feinem innerften Leben von den Fürften und ben 





Künftes Bud. 41 


Bürgern bedroht, die Einfiht, aus unklug ſpröder Verein 2.2. 
zelung heraus in @efellfhaften zu treten, um auch ſeinerſeits, 
bei ter gefährlichen Gliederung des deutfchen Staates, im 
Berein feine Anmapungen, feine als Rechte vererbten 
Unarten zu fügen. Die Keime der bald furchtbar ſich erhe⸗ 
benden Adelsbündniffe Hatten unvermerkt während Ludwigs 
Zeit ſich audgebilbet. 

Die Fürſten und Grafen anderſeits konnten es nichten amd 
vergeſſen, daß die Städte erft feit 200 Jahren auß dem Bere grüne, 
hältniß der Hörigkeit und politifcher Unmündigkeit durch ihre 
Nachricht und Pflege auf einem Boden erwachfen waren, ben 
die hohe Ariftofratie den ihrigen nannte, obgleich die Landes⸗ 
hoheit erft viel fpäteren Urfprungs; ſie bedachten nicht, daß 
überall dad Bürgerthum feine Rechte durch ungezählte Opfer 
verdient hatte, zu gefchweigen ber geſchichtlichen Thatſache, 
daß das ſtaͤdtiſche Weſen nur Wiederherftellung ber. 
uralten freien Bolfögemeinde innerhalb des Weichbilbes, 
der Mauern war, eine Erneuerung unveräußerlidher Mechte, 
denen des Kriegs⸗ und Lehensadels Entftehung, die Vererbli⸗ 
dung des Grafenamtes zeitweije Untergang bereitet hatten. 
Sp eigennüßig und unpatriotifh die Landherren dem bes 
brängten Reichsoberhaupte ihre Dienfte verkauft, waren fie 
doch in Folge der Erbtheilungen und ungeregelter Wirthſchaft 
verarmt, während bie Städte durch Gewerbthätigfeit und 
Handel erblüheten, fo hohe Steuern fie dem Reiche zahlten, 
und oft den mühfamen Erlös ihres Fleißes hingaben, aus wies 
verholter Verpfändung ſich frei zu kaufen. Der Bürger Opfer- 
treue allein bewahrte die Ehre und den Reſt ber Wohlfahrt 
des Reiches; voll Mißgunſt und befhämt mußten die Wähler 
des Pfaffenkönigs ihre Ohnmacht fühlen, da der abgejegte 
Baier ungefehwächten Anſehens fih erhielt, und Markgraf 








2.Rar. 


42 Bierter Theil 


Karl, io beicheiten und verheiplich er ten Stäbten feine Erhe⸗ 
bung angefündigt, überall mit Hohn abgewieſen wurte. 
Noch ein volles Menichenalter hindurch duldete die hohe 
Reichsariſtokratie tie Schmälerung ihrer Herrlichkeit, nachdem 
auf geſetzlichem Wege vermittelft ter Güldenen Bulle ihr 
feine Abhülfe erwachſen; erft als in Folge des Sieged von 
Semwach und allgemeiner Greignijje im geifligen Xeben ber 
germaniſchen und romaniſchen Welt tie Dinge den Anfcein 
gewannen, al3 würde das Reih, mit Erbrüdung des Adels 
und der Fürflen, in eine Eidgenofienichaft ſich auflöfen, jehen 
wir die Bedrohten ũberall mit Energie den Kampf auf Sein 
und Nichtſein beginnen, um im großen Städtefriege zunächſt 
dad Gleichgewicht wieder zu erringen, das dann jedzig 
Jahre fpäter in die landesherrliche Gewalt umzuſchlagen 


Stzeben hegann. If es nicht unglaublih, daß die zünftig re- 


Städte. gierten Gemeinden Ober- und Mitteldeutfchlands von der 


Erfüllung einer uralten Weiffagung träumten: ‚der Schwan- 
berg — bei Wertheim in Franken — werde mitten in die 
Schwytz verfeßt werden;“ d. h. die freie Gemeindever- 
faffung der Waldflätte bis über den Main fi ausdehnen; 
fo blieben Doch audy Die hochfreieſten unter ihnen beim Gehor⸗ 
fan unter Dem Kaifer unerfchütterlidh ftehen, und Tonnten den 
Gedanken republifanifcher Abfonderung nicht begreifen. Frei⸗ 
ih des Adels und der Landherren angemaßte Herrſchaft zu 
breihen, das vielföpfige, zerriffene, gefhändete Reich dem 
Kaifer wieder zuzuftellen, und als der erfte Stand, unter 
billig getheilten Rechten, das Haus der Gemeinen zu bilden, 
war die Abſicht hellblickender Köpfe auf Städtetagen. Doch 
in Verwirklichung derfelben möchten wir nicht etwa eine ind 
Gemeine, Spießbürgerliche verzerrte, den Künſten, Wiffen- 
haften und allem Schönen abholde Geftaltung unferes 


Fünftes Bud. 43 


Baterlandes ahnen, fondern eine dauernde Verbürgung eines 2. Ram. 
würdevollen, jlarfen Staates, den auch vor Eirchlicher Spal⸗ 
tung der länger ald halbtaufendfährige Proteftantismus 
des Bürgerthumd bewahrt haben würde. Nah fo edelem 
Ziele firebten weitherzig, im Genuffe ſchöner Gleichheit, vie 
zünftig entwidelten Städte, ehe ihre Verfafjung in Sonder⸗ 
intereffen verfnöderte. Wir aber können von der Ueberzeu- 
gung nicht laflen, daß ein folcher Staat am menfchenwürbig- 
ften feine Aufgabe löfe, welcher den möglichft größten Kreis 
jeiner Angehörigen mit Geift und Muth für die Oeffentlich 
feit durchdringt und ihm zugleich den Genuß wünſchenswer⸗ 
ther Lebensgüter zufichert. — Ehe jedoch „der Kampf menſch⸗ 
liher Freiheit und Geftttigung gegen bie Anmaßung roher 
Gewalt und Denkart“ entbrannte, hatte die norbdeutfche 
Hanſa, ald Bund der Kaufleute, wenn auch nicht Durch ritter« 
lihe Geſchlechter, doch großentheils durch rathöfähige Tami—⸗ 
lien verwaltet, flegreich ihren Strauß mit dem mädtigften 
Fürften Des Nordens befanden, jenem dritten Waldemar, der 
in löblicher Staatsweisheit feinen Untertanen die natürs 
lihen Vortheile des Verkehrs zuwenden wollte, — 
Kaum hatte Karl von Mähren den Tod des gefürditeten Kali 


Regens⸗ 
Gegners erfahren, als er ſich in das Reich hinauswagte, —* 
um fo eher die Huldigung der nächſten freien Städte, wie bers. 
Nürnbergs und Rotenburgs, empfing, ald er alle Rechte und 
Privilegien ohne Einfpruch beftätigte, die Löfung nom Kir 
chenbann verhieß, und den Bürgern überhaupt ein einmüthi- 
ges Kaiſerthum am Herzen Tag. Nur Schwabens 22 Bun⸗ 
desftädte erneuten fogleih nah Ludwigs Tode in Ulm 
vorfichtig den alten Verein (22. October); ihnen folgten die 
Städte am Bodenfee. Keine, mit Ausnahme Straßburgs, 
bejuchte den Neichstag zu Nürnberg, wohin Fürften und 


44 Bierter Theil 


TAN. Srafen Schwabens und Frankens, zumal die Wirtemberger, 


Baſel 


Borms. 


begierig nach Landvoigteien, Pfandſchaften und Schenkungen, 


Ent zufammenfirömten. Boll Hoffnung, in Straßburg die übri⸗ | 


Surg und 


gen Semeinweien zu gewinnen, 309 Karl an den Rhein; 
aber auch die dortigen Städte weigerten fi, ihn anzuerfen- 
nen, wenn er fie nicht bei ihren Freiheiten ſchũtze und fie aus 
dem Bann brädte. Unter joldyer Bedingung in Bafel aufges 
nonmen, hielt der Pfaffenkönig das chreifrige, hellblickende 
Bolf für feig und verdumpft genug, um gegen ein Elägliches 
Bekenntniß feiner Sünden, Berfluhung des Andenkens Lud⸗ 
wigs und bei dem Gelübde knechtiſcher Unterwürſigkeit unter 
die Kirche, ſich Löſung zu erkaufen. Erſt nach trotziger Ver⸗ 
werfung einer fo ſchmaͤhlich bedingten Freiſprechung gelang 
e8 durch geſchicktes Umgehen des päpflliden Gebots den 
kirchlichen Frieden herzuftellen und die Bajeler zur Hulbigung 
zu vermögen. So aud in Speier, und noch ſtürmiſcher in 
Worms; mit der Kauft zwangen die Bürger dem päpfllichen 
Bollmaditräger unumfdräntte Löfung vom Bann ab. Ja in 
Worms wollte ein Zleifcher, dem die Rechnung für das Hof⸗ 
gefinde nicht bezahlt war, den König nicht ziehen laffen ; der 
Spottwerthe mußte erft Bürgen ftellen! 

Getrieben von der Angft vor einer neuen Königswahl, 
mit welcher das Haus Wittelsbach umging, wandte fi Karl 
aus Mainz, wo der abgefehte Erzbifhof Heinrich ſich nicht 
gewinnen ließ, auf Schwaben zurüd, und erwirkte zu Ulm 
durch die Städteboten das Gelöbniß, ihm zu ſchwören, falls 
er ſich eidlich verpflichtete, Feine Stadt zu verpfänden ober 
fonft vom Reiche zu veräußern. Willig ertheilte ex diefe Ver⸗ 
fiherungsurfunde, die er bald zu umgehen wußte, Hinter dem 
nah Böhmen Heimziehenden erneuerten fich die alten Schuß: 
bündniffe; niemand traute den glattzüngigen Verheißungen. 





Fünftes Bud. 45 


Mährend die wittelsbadhifche Partei fih mit der Wahl Re. 
eines Gegenkönigs mühete und endlich den ritterlichen Grafen 
Günther von Schwarzburg bereit fand, die Holle des Neben⸗ 
buhlers um die Krone zu übernehmen, ängftigte das Gaukel⸗ Dat 
jpiel des falfchen Waldemar die unentfchloflenen Markgrafen, Mala 
des verftorbenen Kaiſers Söhne, und drohten die brandenbur⸗ 
giſchen Städte, obgleich fie, der baieriſchen Herrſchaft nicht 
gar hold, den päpftlihen Bann viele Jahre ertragen, mit 
unzweifelhaftem Abfalle. Die vereinigten ®emeinwefen, 
Berlin Köln, erblüht bei gemäßigter Gemeindeverfaffung, 
unter altem und neuem Rathe, bei Geſchworenen und obrig- 
feitlicher Obhut, zumal über die Wollenweber, fo wie firenger 
Handhabung der Lurusgefehe, hatten von beiden Ludwigen 
vielfache Gunſt erfahren, zulegt noch im Jahr 1347, freilich 
um ihr Geld, Die Sühne wegen des erſchlagenen und ver⸗ 
brannten Probſtes von Bernau erlangt; dennoch öffnete der 
„Rath“, verlockt dur den Erzbifchof Otto von Magdeburg, 
und die Erbietungen der Herzoge von Sachſen und Herren 
von Anhalt, dem Betrüger die Thore, der dann am 22. Sep⸗ 
tember 1348 die Fülle alter und neuer Freiheiten, das 
Bündnißrecht gegen ihn felbft, Hielte ex feine Verfprechungen 
niht, die Verſchonung mit Sölönereinlagerung, den Bruch 
aller neu erbauten feften Burgen mit Hülfe des Städtebun- 
des, rückhaltslos verhieß. Als nun König Karl, bemüht, den 
baieriſchen Anhang zu ſchwächen, den Zälfcher mit den Mar⸗ 
fen belehnte, bewahrten die beſchworene Treue für Lubwig 
nur Spandau, Frankfurt und Briegen, das dafür Treuen- 
Drießen benannt wurde, und erfparten fie fih Befhämung, des 
Landesherrn Ungnade und mannichfaches Unheil, ald das 
unredliche Reichshaupt, nad Erreichung feines Zweckes, bie 
unfähigen Wittelöbacher zu ſchrecken, das politifhe Gaukel⸗ 





46 Bierter Theil. 


za. werk fallen lich und im Rärz 1350 bie märkiſchen Exit 
ermahnte, zum rechtmäßigen Gebieter zurüdzufehren. Ned 
mehrere Jahre tauerte tie Entfremdung, bis entlid Xu: 

wig ter Römer, tem ter ältere Bruter tie Kur abgetreten, 
tur Bersihtung auf mande fürſtlichen Rechte, tie abjil: 
ligen Gemeinden gewann und im einft jo glüdlichen, je 

fo zerrütteten Erbe ter Askanier einen kümmerlichen Arie 

den herſtellte. 

a Ad am anderen Saume ber deutſchen Welt di 
re Qonigsrolle Günthers von Schwarzburg, den am 30.3, 
nuar 1349 die baieriihe Partei erwäßlt, und binnen vr 
fürzter Friſt die Frankfurter in ihre Mauern aufgenom- 
men, tragifh zu Ente ging (14. Suni 1349), lag unſig⸗ 
liches Elend, die furchtbarſte Peſt, welche die neuere Zeit 
fennt, „ber ſchwarze Tod’ mit feinem aberwigigen un 
fheußlichen Gefolge, der Geißlerfahrt und dem Jubenbrant, 

über unferem DBaterlante, und wanften, wie bie Geſtht 

der Natur und bie Politik der Fürften, fo auch altfräntijdt 
Städteverfafjungen auf roftigen Angeln. — An vielen an 
Aufruhr Deren Orten, wie in beiden Mühlhaufen und in elfapilde 
serg. Städten, tobte der Aufruhr; am wildeften in Nürnberg 
Zurüdgeblieben hinter den Bedürfniffen der Zeit, hatt 
Oſtfrankens geehrter Vorort, zur Stärfung der Grmlt 
weniger fchöffenbarer Geſchlechter, die als Schöffen un 
Nathmänner, neben dem willfährigen ‚großen Rath tr 
Genannten”, um Oſtern jährlih die Obrigkeit bejepten, 

und die Handwerker von jeder Theilnahme ausſchloſſen 

am früheften die Partei des volksbeliebten Baiern verlaſſen. 

Ob nun aus Unzufriedenheit über ſolchen Treubruch, ode 
wegen fchlechter Verwaltung und fahrläffiger Rechtspflege— 

oder auf Verhetzung der Inuernden Burggrafen, ober en® 





Fünftes Bud. 47 


fih, was am wahrfcheinlichften ift, weil Markgraf Ludwig AR 
die Stadt für die Sache feines Haufes bearbeitete: genug, 

der überall gährende Haß der Zünfte gegen bie Gefclechter 
erwachte im Junius 1348, und unter der Leitung eines 
Vornehmen, Pfauentritt genannt, bielten Männer der fauft« 
fertigften Sandwerfe ihre Zufammenfünfte bei den Domini⸗ 
fanern, zogen um bie Sonnenwende mit einem Banner 
turd die Gaffen, und bemädtigten fi) des neuen Rath⸗ 
hauſes. Alsbald flüchteten die erſchrockenen Gefchlechter, 

auch der Reichsvoigt, zum Theil durch Vorſchub der Metz⸗ 

ger und Meflerer, und bildete fih, mit Zuziehung einiger 
„ehrbaren“, aber biöher nicht rathsfähigen Familien, ein 
neuer Rath, der zwar die Gabe der Audgewiefenen der 
Volkswuth preisgab, fonft jedoch über Zucht und Ordnung 
wachte. Die Geiftlichkeit wagte nicht, das Interdict auszu⸗ 
Ihrehen; Dagegen begann der Landadel, den Vertriebenen 
verwandt, zumal unter Konrad von Seidel, den Verkehr 
duch Wegelagerung zu flören, und flürzte die Stadt in 
ſolche Geldnoth, daß fie mörderiſch über die bisher treulich 
geſchützzten Juden herfiel. Kaum hatte König Karl des 
Ehwarzburgers ſich entledigt und die Wittelsbacher verföhnt, 

old er dem alten Rathe feinen Beiſtand zuſicherte, und vom 
Rhein mit flarfem Heere gegen bie Empörer heranzog. 
Entmuthigt bei inneren und äußeren Drangfalen, nicht Eräftig 

vom Markgrafen Ludwig vertreten, hofften jene Armen 
duch ein geringes Geldgeſchenk Heim Könige Gnade zu 
erfaufen; aber ihre demüthige Unterwerfung fruchtete nichts. E'ge 2 
Nachdem die am fchwerften Beſchuldigten ins Elend gegan⸗ "air i" 
gen, z0g ber Rächer am 2. October 1349 in Nürnberg ein, bets. 
Rellte den Rath wieder her, hob die neuen Bünfte auf, 

und gab den Ehrbaren Vollmacht, die Auffländiichen an 


z.Rap. Leib und Leben zu frafen. So wurden denn im Herbſte 


Karla 


48 Bierter Theil. 


Hunderte zum Theil bingerichtet, oder ‚bei ihrem Hals 
auf ewige Zeit” verwieſen; auch dur das Verbot des 
MWaffentragend und andere Beſchränkung den Zünftlern der 
Baum angelegt. Zwar bemühte fih der König, welder 
den Werth Nürnbergs, der feinen Erblanden fo nahen 
Stadt, erfannte, die Zuneigung derſelben zu gewinnen, 
fiherte fie gegen die Anmaßung der Burggrafen, und verlieh 
auch unter anderem das Recht, an der Stelle der abgebroche⸗ 





nen Sudenhäufer einen geräumigen Marktplah, „den Her 


renmarkt“, zu errichten, mit der Bedingung, aus der Juden- 





Thule eine Kirche zu Ehren Unſerer Frauen zu bauen; aber 
die Herrfchaft der Gefchlechter war aufs neue befefligt, 
und der im Jahr 1378 an acht Zünfte, Goldſchmiede, 
Tuchmacher, Kürfchner, Schneider, Gerber, Mebger, Bäder 
und Bierbrauer gewährte Antheil an der Regierung durd 
Erwählung der „Jungen Genannten‘‘, war zu unwejentlid, 
um auf die Dauer eine demofratifche Richtung zu fördern. 
Die Mebger und Meflerer, die willigen Diener der Ges 
ſchlechter, bildeten fich nichts Geringes auf die Erlaubniß 
ein, an Faſtnacht öffentlich zu tanzen und den „Schempart 
zu laufen‘, eine volksthümliche Mummerei, die wir ale 
„Schauteufel“ in niederſaͤchſiſchen Städten Iängft Tennen 
gelernt haben. — 


Berpfän- Unmittelbar nach feinem ruhmlojen Siege über den 


dun 


der 


tea. ritterlichen Gegenkönig begann Karl IV., nur auf den Nutzen 


der Gegenwart bedacht, fein treulofes Verfahren gegen bie 
gehorfamen Städte. Schon im Jahr 1349 wurde Roten⸗ 
burg a. d. Zauber um unbenannte Summen an Biſchof 
Albrecht II. son Würzburg, der als anmaßungsvoller ‚Her 
309 von Franken, wie feine Vorgänger, feinen Gerichts⸗ 


⸗ 


Fünftes Bud, 49 


fprengel auszubehnen und die Mechte der Nachbarn zu unter» 2 Ra. 
graben firebte, verpfändet und zur Huldigung aufgefordert. 
Welde Gerechtigkeit konnten die Reichsbürger von einem 
Bürften erwarten, der feine eigene Stadt durch Verhöh⸗ 
nung alter Gewohnheit, durch Kirdhenbann und Acht bei 
Kleinigkeiten, mit furchtbarer Erbitterung erfüllte? Die 
Würzburger, reich durch trefflichen Rebenbau, heißblütig in u 
ununterbroddenen Kämpfen der Parteien und gegen ben 
geiftlihen Gebieter, fo zahlreih, dab fie oft 2 bis 3000 
Gewappneter aufboten, haben dennoch vergeblih nad) eimer 
Unmittelbarfett gerungen, in deren Genuß fie Fleinere frän- 

fiihe Orte erblidten. Das ernflere Auftreten der Rotenbur⸗ 

ger und ihr Rückhalt an den fchwähiihen Städten, ver- 
mochten den Kaifer im Jahr 1353, die Stadt mit dem 
Bifhofe auszugleichen, den auch die blutige Fehde mit — 
Bürgern nachgiebiger gemacht. — Gelnhauſen, der geſchmückte he 
Lieblingsſitz der Hohenflaufen, ein wackeres Glied des veheert 
wetterauifchen Stäbtebundes, mußte im Jahr 1349 einem —— 
Geſchick ſich fügen, welches ihm ben unabwendbaren Ver⸗ 

luſt der Reichsfreiheit in Ausſicht ſtellte. So todtbereit der 
Gegenkönig Günther, hatte er dennoch nur gegen 20000 M. 

S. der Krone entſagt, und anftatt des Baaren die Städte 
Gelnhaufen, Nordhaufen und Goslar, zugleih mit Mühl- 
haufens Reichsgefällen, als Unterpfand erlangt (Pfingften 
1349). Die entfräftete Pfalzſtadt fügte fih und huldigte 

dem Sohne Günthers, Grafen Heinrich, zumal Karl gelobt, 
„falls er fle nicht binnen Jahresfriſt aus der Verftridung 
löſe, in Frankfurt, Friedberg oder Wetzlar fo lange Ein⸗ 
lager zu halten, bis e8 gefchehen.” Dagegen Goslar, Norb- 
haufen und Mühlhaufen widerſetzten ſich der Entfremdung 

vom Reiche und nöthigten ben nie rathlojen en dem 

Barthold, Städteweien. IV. 





50 Bierter Theil, 


2 Rap. Schwarzburger vorläufig die Meichäfteuer, Die Huldigung 
Friedbergs, jo wie die Reichsgefälle Frankfurts zuzumeifen. 
Jene Städte um den Harz machten fi glüdlich los; Mühl— 
haufen erbielt noch im Jahre 1349 eine erneuerte Urkunde 
über Unverpfändbarfeit; Nordhauſen, nachdem es im Auguft 
1349 Beftätigung feiner Privilegien erwirkt, Tieß fih noch 
im Jahr 1353, nachdem ed 2000 Schock Groſchen bezahlt, 
ausdrüclih erklären, daß die Verpfändung an Günther 
Erben erlofchen fei. Aber Gelübde und kaiſerliche Verheißun⸗ 
gen wurden zumal unter den beiden Böhmen, Vater un 
Sohn, ein verädtliches, fpottwerthed Ding. Zum Ueberfluß 
hatte Karl die Nordhauſer von jeder Reichshülfe, auper wenn 
er perfünlih mit dem Reichsbanner in Thüringen erfciene, 
gefreit; demzufolge dienten die Kargen nicht beim Römerzuge, 
und follten die verhängte Acht mit neuen Geldfummen büpen 
(1358), dem fie ſich aber erft nad 10 Jahren bequemt zu 
haben jcheinen (1368). So fiherte nur Muth und Wider: 
ftandsfähigkeit gegen die Tücken des heilig geachteten Reid® 
oberhaupts! Die ohnmächtigen Bürger von Gelnhauſen 
wähnten durch Pergamente wenigftensd ihr außeres Gedeihen 
berathen zu haben, wenn fie auch auf ehrenvolle politiſche 
Selbſtſtaͤndigkeit verzichteten; aber auf Landwirthſchaft br 
fchränft, verarmten fte fichtbar im XIV. Sahrhundert, geriethen 
Durch Verkauf aus der ſchwarzburgiſchen Pfandſchaft im daht 
1435 an die Pfalzgrafen und die Grafen von Hanau; alles 
unter Beflätigung in ſich unhaltbarer und der thatjädligen 
Lage grell wiverfprechender £aiferlicher Privilegien. Ein br: 
dauerungswürdiger Begenftand müßiger Staatsrechtslehret: od 
die Stadt nad) Jahrhunderte langer Berpfändung noch frei um 
unmittelbar fei? ward der jämmerlich entfräftete Ort im daht 
1734 duch einen Reichafammergerichtöfpruch, „mit Vorbehalt 


Fünftes Bud. 54 


der Rechte der Pfandherren,“ wieder in die reichsflädtifche Bant & Lw. 
eingeführt, welcher koſtbaren Ehre die beicheidenen Bürger jes 
dohwillig entfagten, fich unter Kaifer KarlVil. den beiden Pfand⸗ 

berren unterwarfen, und im Jahre 1746 ihre Stabt, welcher 

der Schmuck hohenſtaufiſcher Zeit nur in Ruinen geblieben, unsusgang 
getheilt an HefiensKaflel, Hanau's Erben, fallen ſahen, das den baufent. 
yralziichen Antheilan fidh erhandelte. — Unter anderen, aus der 

Reihe Eöniglicher ſchwindenden, Städten verdunfelte ſich laͤngſt 

die urfreie Pfalz der Merowinger, Duiöburg, von Karl IV. als 

Pfand an Kleve beftätigt; ebenfo Eger feit 1315 an Böhmen, 
Rheinfelden, Schaffhauſen, Breifach und Neuenburg an Defter- 

reich, und Feuchtwangen an die Burggrafen von Nürnberg. 

Aber die Gemeinwefen, in denen die Demokratie wur⸗ Fe 
ilte, erhoben ihren flarfen Naden und flellten fig gegen a: 
jedes Unrecht in Verfaffung. Die Mainzer, vom Könige mit 
Deftätigung aller ihrer Rechte „begnadigt“, fperrten ben 
hohen Stiftöflerus und einige Stiftövafallen, die fich bei der 
Wahl eines Dompropftes Uebergriffe erlaubt, in den Thurm, 
und zwangen den Erzbiſchof Heinrich und feinen Kirchen⸗ 
pfleger, Kuno von Falkenſtein, fih harten Bedingungen zu 
beugen. Im September 1348 ſchwuren „Gewaltbot, Bürger- 
meifter und Rath‘, keinen als Erzbiſchof zu erkennen, der 
niht ihre Privilegien beftätigt habe, und erzwangen die Gel⸗ 
tung felbft des Freibrief3 vom Jahre 1244, da beide Erzbiſchöfe, 
der Raffauer und der alte Heinrich, „ Burfemann‘’ wegen feiner 
Tunkliebe genannt, um die Gunft der Hauptſtadt wetteiferten. 

Eſt des Abgeſetzten Tod (December 1353) und ein theurer 
Vertrag mit Kuno von Falkenflein, verhalfen dem Enkel Kö⸗ 
nig Adolfs zum unangefochtenen Befige des Erzbisthums. 

Im Elfaß, in ganz Schwaben und in den Alpenthäleen 
verbarrte das politifche Leben, unter den Schredniffen. der 

4* 


52 Bierter Theil. 


2. Rp. Natur und des Menichengeiftes, in unermüblicher Spannung, 
a pund erfuhr der zweideutige König die fehmähliche Vereitelung 
R Rail einer Abſichten. Straßburgs Bürger erhoben fih, unter ber 


Grfter 
Städte 
krieg. 


Geißel des ſchwarzen Todes, inneren Krämpfen und grauen⸗ 


voller Judenausrottung, einmüthig gegen die neuen Zölle, 


welche Karl einigen großen Herren und Städten am Rhein 
verliehen, und fperrten vom Anfang 1349 an anderthalb 
Jahre hindurd den Strom mit Ketten und Pfahlwerf, Bis 
die Neuberechtigten der gemeinihädlichen Bergünfligung ent- 
fagten. Aber beflanden gleich alte und füngere Landfriedens⸗ 
bündniffe und Eidgenoflenfchaften unter allen verwandten 
Städten, fo trübte die Leidenfchaftlichkeit einer Franken Zeit 
den Gemeingeift. Die Grafen Eberhard und Ulrich von 
Wirtemberg, in der großen Landvoigtei Niederfhwaben , zu 
der neun Städte nebft Nördlingen und Donauwörth gehörten, 
beftätigt, trogten auf des Königs Dankverpflidtung, und 
trieben durch Mebergriffe gegen eine einzige Stadt den ganzen 
Bund zu den Waffen, als Vorſpiel des großen Stäbtefriegs. 
Anfangs erlittene Stöße des Bürgervolfd, zumal der Eplin- 
ger (November 1349), erbitterten den Bund tm hohen Grade; 
über Franken erweitert, wo Nürnberg jelbft mit Karls 
Genehmigung als Glied eintrat (1350), bot er ſolche Macht 
gegen den Landvoigt auf, daß alle Landherren und Bifchöfe 


erfhrafen und einen Stillfiand vermittelten. Eberhard ber 


Greiner ward durch Schiedsgericht in feine Grenzen gewiefen; 
aber dem erneuerten Kanbfrieden (1353) und den Verheißun⸗ 
gen des Königs trauete niemand; die Fehde wurde nur aus⸗ 
gefegt, um einer anderen Raum zu geben, und bald umfaßte 
der Bund 29 Städte. Jene neue Fehde, welche die nod 
unklaren Gedanken ber deutſchen Bürgerwelt aufhellte, war 
gegen Züri, Der Mordnacht (24. Februar 1350), in wel⸗ 


Fünftes Bud. 58 


der Graf Iohann von Habsburg, mit den geflüchteten Ge 2. Mr. 





ſchlechtern einverfianden, an den Feinden feines Haufes Mache 
nehmen und den gehaßten Bürgermeifter Aubolf Brun flürs 
zen wollte, durch entſchloſſene Wachſamkeit entronnen, waren 
die Züricher in unverfländiger Haft felbft mit Bafel und 
Straßburg, deren Wallfahrer fie auf dem Wege nach Ein« 
fiedeln niedergeworfen, in folche Feindſchaft geratben, daß 
ih jene Städte, nebſt Freiburg und den Bifhöfen, mit 
Oeſterreich, den Erbfeinden des freien Bürgertbums, gegen 
die Schweterfladt verbündeten (1350). Noch vermittelte 
die Königin Agnes, Witwe Johanna von Böhmen; aber 
als Züri, in Sorge vor dem Zorne Herzog Albrecht, Kaum 
zur Eidgenoffenfhaft trat (1351) und Glarus wie Buchen. 
mißhandelt von Habsburgs Voigten, dem Beifpiele folgten, 
waren ed die Städte des elfaßifchen Landfriedens, auch die 
Bafeler, welche dem Banner Albrechts, unter Führung bes 
böfen Bürgerfeindes Eberhard von Wirtemberg, gegen Zürich 
zuzogen (Herbſt 1352) und ihr Blut gegen bie auffeimenbe 
Freiheit vergofien. Mißvergnügt und uneinig trennte fid 
das mannichfach zufammengefegte Heer, Der Habsburger zum 
Schein begütigt durch den Schiedsſpruch: ‚die neuen Eidge⸗ 
noffen behielten fih ihre PRiht an fein Haus vor, und die 
MWalpftätter follten eine öfterreichifchen Unterthanen in ihren 
Bund mehr aufnehmen.” Als nun aber auch Bern (März 
(1353) in den Bund trat, zur Zeit mit Straßburg in Miß⸗ 
helligfeit und fogar in offenen Krieg gerathen, und Glarus 
wie Zug nicht abliegen von der Eidgenoſſenſchaft, fand Her⸗ 
zog Albrecht den König bereit, zu Regensburg den Bürichern 
den Reichskrieg zu verfünden, zumal die trogigen Bürger 
fein Schiedsgericht verwarfen, und ſich befugt hielten, ohne 
Bergünftigung des Reichs fich ewig zu verbünden. Unluſtig, 


54 Bierter Theil. 


Rev doch gehorfam dem Königögebote, vereinigten die ſchwaͤbiſchen 
rg Stäbte ihre Waffen mit Oeſterreich und der Ritterjchaft ger . 
data. gen eine ihrer anfehulichfien Schweftern,; im Augufimonat | 
1354 lagerte ein gewaltige8 Heer, dad Aufgebot aller 
Reichsſtaͤdte, auch der elſaßiſchen, unter denen fih die Straß⸗ 
burger hervorthaten, ſelbſt Bernd, unter Karla und Al⸗ 
brechts Führung, vor Züri, dem nur die treuen, berzhaften 
Waldſtätte zu Hülfe geeilt. Wir erkennen: dem freien 
Bürgerthume ging ded Könige Wort über eigentlichfied 
Snterefie; befangen in alterthümlicher Ehrfurdt vor dem 
Reiche flritten die Stäbte gegen ihren eigenen Urfprung. 
Denn galt es nicht dem natürlichen Rechte der Verbindung 
Schwächerer, um fi) gegen Uebermuth und Unterdrückung 
zu fehirmen? Unterlag Zürich mit feinen Eidgenoſſen, fo 
hatten die Städte den Stab über ihr Bereinigungärecht ge- 
brodhen, und dem Könige wie den Zürften geholfen, vie 
Sagungen Karl des Großen gegen die Schuggilven zu 
vollziehen. So todtbringender Widerſpruch erfüllte Die Be⸗ 
Iagerer mit Nachdenken, und ald nun, wie aus Derab- 
redung, Die Standeögenofien drinnen das Reichsbanner, ben 
fhwarzen Adler im goldenen Felde, von einem hohen Thurme 
flattern ließen, zum Zeichen ihrer Neicyäfreiheit und ihrer 
ungefärbten Treue; da begehrten nicht allein die Städte⸗ 
boten, fondern auch viele Herren im Zelte des Königs 
Srieden. Ihr flilleer Unmuth brach in laute Mißbilligung 
bed ungerechten Unternehmens aus. Karl mußte ſich beifällig 
erklären, wedhalb denn, bis auf Habsburgs nächfte Va⸗ 
fallen, am 14. September 1354 das game Reichsheer aus- 
einander ging. Karl trat nad fo unrühmlicher Reife nod 
in demſelben Herbſt feinen Nömerzug an, um, gleih un- 
geehrt, doch mit der Kaiferfrone und vielem Heiligthume, 











Fünftes Bud. 55 


im näcdften Jahre heimgefehrt (1355), auf dem Wege der 2. Kav- 
Gefeggebung das Vereinsrecht der Städte, zum Vortheil 

der Landherren, zu beicdränfen, und nod eine andere 
Hauptwurzel ihrer Macht abzufhneiden. Aber ald uner- 
ſchütterlicher Rückhalt der Freiheit war der Ewige Bund 

der „Acht alten Orte” geſchloſſen. — 

Unter fo wirren Vorgängen, welche der Zeit das Ge⸗ — 
praͤge der Unklarheit und der treuloſeſten Politik aufdrück- Lod. 
ten, wie wir in des falſchen Waldemars Erſcheinung und Ende, 

im Verlauf des Königthums Günthers und in unzähligen an⸗ 
deren Dingen nachweiſen können, war durch die Länder Europas, 
das Menſchengeſchlecht vielleicht um ein Drittheil vermindernd, 
der Tod geſchritten, und hatte die erkrankte Natur, bis auf 
die furchtbaren Erdbeben, ſtch wieder zur Geneſung ange⸗ 
laſſen. Wir begnügen und mit einzelnen Zügen, die Schreck⸗ 
niffe jener Jahre von 1347 618 1356 zu jchildern. Die 
Geißel, durch unheimliche Naturereignifie verkündet, traf 
in wiederholten Schwingungen ganz Deutichland, zumal das 
engfigende, zahlreiche Städievolf. In Baſel farben viers 
zehntauſend an der Seuche, in Lübeck neuntaufend, in Ers 
furt fechzehntaufend, in Limburg an der Lahn zweitaufend 
fünfhundert, in Bremen, ohne die Vorftädte, fiebentaufend ; 
Barfüßermönde in Deutfchland allein 124,434! Die große 
Maſſe des Volkes, ohne Einfiht in den natürlihen Zus 
ſammenhang, unfähig, fi zu einer höheren Anſicht über 
das ungeheure Schickſal zu erheben, das auf der Welt lag, 
bürdete allgemein den wuchernden Juden die Schuld auf, 
durch Vergiftung der Brunnen den Jammer verurſacht zu 
haben. Wie aus innerer Offenbarung brach überall bie 
grauenvollfte Iudenverfolgung aus, bei der fih Fanatismus 
und Raubſucht innigft vermählten. Gern möchten wir er⸗Judehe 


56 Bierter Theil. 


2.20y. mitteln, ob das verfafiungsmäßige Bürgertfum gefeßlichen 
Sinnes fo mörderifher Wuth fi enthielt; allein gerade 
in aͤchtdemokratiſchen Gemeinwefen gingen die Oräuel von 
der niederen Bevölkerung aus, und ed wettelferten Die armen 
BZünftler mit dem tiefverfchuldeten Landadel und den klei⸗ 
neren Fürften. Wenn wir in ben Seeſtädten, in der en⸗ 
geren Hanfa, blutiger Gewaltſchritte, welche alles Vertrauen 
des Verkehrs austilgten, nicht erwähnt finden, fo erklärt 
ſich ſolche Schonung, daß die überwiegend Taufmänniide 
Richtung jener Gemeinwefen den Juden wenig Raum lieh, 
bei ihnen die Juden flatutenmäßig verbannt waren. Erſt 
bhinterdrein nahm der Kaifer „die verdorbene“ Judenſchaft 
in Schuß, weil die Ermordung feiner unmittelbaren Kam⸗ 
merfnechte ihn eined bedeutenden Theils feiner Meichsein- 
fünfte beraubte. — Um jene finfterfte Seite der mittel» 
alterlihen Welt Tennen zu lernen, und zugleich die milde 
Verſtändigkeit einzelner Stadtregimenter zu würdigen, zeich⸗ 
nen wir die Ereigniffe im Elſaß und in den oberen Lan⸗ 
den, zumal in Straßburg, wo Judenverfolgung mit bürger- 
lichen Kämpfen zufammenftel. — 

Zudem in Einſichtsvolle Männer, wie die Nathäherren in Mainz, 

su gumöln, Regensburg und Straßburg, zweifelten an dem that- 

—— "fächlihen Grunde des Volksgerüchts, an einer weitverzweig⸗ 
ten Verſchwörung der Juden zur Ausrottung der Chriſten⸗ 
heit, und Tießen ſich auch durd die fleißig eingeforderten 
Kundfchaften und die Urgichten gefolterter Juden nicht irren. 
Beihämt durch fo löbliches Zögern, als fchon in vielen 
Städten die Sceiterhaufen rauchten, beflürmten die Nach⸗ 
Sarn mit häßlichen Borwürfen fo behutfame Obrigfeit, hetzten 
Bas Bolt zum Morde, fo daß in Baſel im Ianuar 1349 
alle Juden in einem hölzernen Gebäude auf einer Rheinaue 





Fuͤnftes Bud. 57 


verbrannt wurden, und @leiches in Freiburg gefhah. Som 
entfeßlich gewarnt, blieb den Juden zu Speier, Worms, 
Offenburg, Köln und anderwärts nur die Wahl durch frei⸗ 
willige Anzündung ihrer Käufer fih und die Ihren dem 
Tode zu weihen, ein Fanatismus, welder ald Handlung 
der Selbſtanklage und als Mittel, beneidete Schäge der 
Blünderung zu entziehen, die Menge nur noch flärfer ent⸗ 
flammte. Den Sturm zu befähwidtigen, gab der Rath zu 
Straßburg einige feiner Juden preis, entging aber nicht 
ver ſchändlichſten Berläumdung. Es Hieß: „die drei Meise 
Rer, der Ammeifter nebft zwei Meiftern, welche flatt der 
vier jährlich wechfelnden Meifter feit 1349 das Gemeinwe⸗ 
fen verwalteten, hätten fich von den Juden beftechen laſſen. 
Am 9. Februar 1349 verfammelten fih Die Bürger mit 
fliegendem Banner vor dem Münflter, erflärten das Amt 
jener waderen Menſchenfreunde für verfallen, Häuften man 
cherlei Schmähungen, bis, großgefinnt, jene ihren Würden 
entfagten. Darauf erſt Verabfchiedung des ganzen Rath 
und Wahl eines neuen, fo wie eines Ammeifters für jähr- 
liche Dauer, und von vier Städtemeiftern, welche viertel= 
jährlich wechſeln follten; gleich darauf Die Befriedigung bed 
halb religiöſen, Halb bürgerlichen Haſſes, indem man bie 
in ihre Gaffe eingefperrten Juden am 14. Februar in einen 
hölzernen Bau, über den Gebeinen ihrer Väter errichtet, 
der jegigen „VBrandgaſſe“, zufammenfchleppte und ihre 
Zweitaufend! dem qualvolifien Tode preis gab; mit Aus⸗ 
nahme weniger Abtrünniger oder wider den elterlihen Wil⸗ 
Ien getaufter Kinder. Schuldverſchreibung und Pfandbriefe 
blieben natürlich erlofchen; das vorgefundene baare Geld 
oeribeilte der Rath an die Handwerker. „Ihr Geld und 
ihre Forderungen, nicht die Vergiftung, war die Urſache 





2 Sm. 


Die 
Geißler. 


58 Bierter Theil 


ihres Todes; waren fic arm und niht tier mahmenten Gläu⸗ 
bizer ter Lıntherren, io wiren fe mitt verbrannt wor- 
ten.” — Her Baer Srarber, der abgeſetzte Ammeiſter, 
bupte mit ſeinem Vermegen unt ter Berbummung, trägt 
aber mit feinen Amtsgenoſſen urcerwelfliden Ehrenfran; 
bei der Nachwelt. — Bald daraunf inchte ter Tod nichts 
deſtoweniger die jubenloie Statı beim, md frag jechzehn⸗ 
taujend Meniden, ungefähr Las Drirtel der Bevölkerung. 


Mir Abicheu wenden wir und ven tieien graßlihen 


Geſchichten ab, zumal von dem Bamte, ten Straßburg 
mit vornehmen Kirdenfurfien und bobgebornen Herren am 
Rheinſtrome ſchloß, um fih, far Aus bändigung der bes 
treffenten Pfandſcheine, gegen möaliche Angriffe fiher zu 
ftellen; aud des Kaiſers ernfte Rize, und die Schutzer⸗ 
bietungen feiner Boigte an die Orfer des Hafles mögen 
wir nicht rühmen, weil nicht Menſchlichkeit, nur Eigennutz 
zu Grunde lag. Gegen mäßige Entgeltung empfingen alle 
Städte von den Alpen bis ind Niederlant, in Franken, in 


Thüringen, wo Erfurt und Mühlhauien e8 beionters grob 
getrieben, failerlihe Suhndriefe. Im kaufmänniſchen Dort 


mund entgingen Die Juden durh Shaguny an Engelbrecht IL 
von der Marf dem Verderben; Soeſt fonnte ſich nicht ver- 
fündigen, weil es die gefährliben Nebenbuhler des Ber- 
kehrs nicht Duldete; in Magdeburg loderte, vorher geplün- 
dert, Dad „Judendorf“ mir feinen Bewohnern in Rauch 
auf. — Auch der „Geißler“, jener wahnwitigen Büper, 
welche mitten unter den Schr: Aniffen die Städte mit dem 
eintönigen Geſange totbereiter Schwermuth durdigogen, und 
mit wunderlicher eierlichfeit ihren Rücken zerfleifchten, thun 
wir nicht weiter Erwähnung, da ihr geſpenſtiſches Erſcheinen 
dad Bürgerthum nicht befonders bezeichnet. — Der legte 





Künftes Bud. 59 


Krampf, welder die Natur zur Genefung auffchüttelte, war AK. 
das große Erdbeben am 18. October 1356, in weldem 

vor anderen Städten Bafel ‚verfiel und verbrannte“, TelOft, gen au 
zum Theil das habsburgiſche Münfter, und „um alle Bücher Bald. 
und Briefe kam.“ Acht Tage fland Die verödete Stadt 

in Flammen, um luftig und fleinern, bei verftärften Bunfts 
regimente und ritterlihen Stubengefellfchaften, wieder zu ers 
ſtehen. — Die Todesangft und Verzweiflung des Geſchlechts, 
welches fo unheilvolle Jahre überlebt Hatte, entſchädigte fich 
dann am Erbe abgefiorbener Güter, in Ueppigfeit und ver« 
feinerter Genußſucht. „Da das Sterben, die Geißelfahrt, 
NRomfahrt und Judenſchlacht ein Ende hatten, da hub tie 
Welt wieder an zu Ichen und fröhlih zu fein, und mad)- 

ten Die Mann neue Kleidung.” Auch erwacte die alte 
Sangesluft, und ging das Bürgerthun unzerbroden durch 

jo viel Elend zukünftiger Gefahr entgegen. 

Mit der Katjerfrone, als andädtiger Pilger über bie, Die i 
Alpen heimgefehrt, gedachte Karl ein wohltbätiged Werk Yune. 
zu fördern, und eine im Innerften zerrüttete Zeit zu heilen, 
indem er im Sanuar und December 1356 auf den Reichs» 
tagen zu Nürnberg und Meg die „Goldene Bulle‘ veröfe 
fentlichte. Die Sendboten aller freien Städte waren zwar 
beionder8 geladen; aber der Beirath der Mißtrauiſchen ward 
am wenigjien gehört, ald der Kaifer, den Bürften zu lieb, 
die Saßungen weiland König Heinrichs VII. gegen die Pfal⸗ ann 
bürger bündig erneuerte. Das zu Nürnberg Tuntgethane a 
Kapitel XVI. beginnt mit der Klage von Fürſten und Her- 
ren oder anderen Standes, „daß verjchiedene Bürger und 
Unterthanen das angeborene Band zum Landesherrn trenn- 
ten oder gar frech von fihwürfen, indem fle in anderen Städ⸗ 
ten das Bürgerrecht gewönnen und an verſchiedenen Dertern 








60 Bierter Theil. 


2. Rap. Hätten, gleichwohl aber in den Landen, Städten. und Dertern 
ihrer Obrigkeit ihre Wohnung behielten, und in obge⸗ 
dachter Städte Schub und Freiheit zu fein vermeinten; der⸗ 
gleichen Arglift jet ferner niemand nachzuſehen.“ Aus kai⸗ 
ferliher Gewalt, mit aller Kurfürften Einwilligung, ordnete 
Karl für alle Zukunft an: „dergleichen Unterthbanen, welche 
ihre Landesherrn bdergeftalt hintergehen, follten überall im 
H. Reiche der fo unreblih gewonnenen Rechte und Frei⸗ 
heiten nicht weiter gebrauchen, es wäre denn, daß fie fid 
in den Städten haushältlich niederließen; alle Briefe und 
alles Herkommen, fo alt ſolches auch wäre, ſeien erlofchen 
und dürften fortan nicht ſchützen.“ 

Der gefammte Entwillungsgang ded deutfhen Städte 
weſens bezeugt den Seegen der ausgedehnten Breizügigfeit; 
nur unter dem Schirme der DVerbürgerrechtung Hatte ter 
gedrückte Landmann unwürdiger Leibeigenſchaft fich entziehen, 
und feine arme Habe gegen Raub und Willfür bergen 
können. Rechtlich betrachtet, Tag zwar im Pfalbürgertjum 
allerdings ein Mißbrauch; aber in einer Beit, welche plan« 
mäßige Unterdrüdung des geringen Heftes perſönlicher und 
fachlicher Sreiheit unverholen kundgab, durfte der Mißbrauch 
als Wohlthat des menfchlihen Geſchlechts ſich bewähren. 
Obenein war mandhen Städten, wie Straßburg durch X. 
Dtto IV, und durd Karl früher felbft, das Recht, Pfal- 

umgilenhürger zu haben, feierlich beflätigt, ‚und beruhete auf folder 

eine Verzweigung in das offene Land Wachsthum, Gedeihen 

2.0. w. und politiſche Macht der freien Gemeinweſen. — Erregte 
fo altfränfifche Satzung herbes Mißvergnügen, zumal der 
Straßburger, Freiburger und Bafeler, und verbanden fih 
die 29 Städte Ober- und Nieberfchwahens, welde vor dem 
Nömerzuge den Landfrieden befchworen, ſchon im März 











Fünftes Bud). | 61 


1356 son neuem, „ſich aller redlichen Sachen beholfen zu Rev. 
fein”; fo boten die Vorrechte, welche Karl den Fürften 
verlieh, den Anlaß zu gefteigertem Mißtrauen. Das Ge- 
feg wegen ungerechter Befehbung, ohne Berwahrung der 
Ehre, zeigt fih als ein trauriged Zugeſtaͤndniß kaiſerlicher 
Ohnmacht; ein Schlag, offenbar auf die Unterwerfung und 
Knechtung freier, jedoch Iandesfäffiger Gemeinweien , war 
dagegen das Verbot ihres Verbindungsrechts unter einander, 
Der Welt der Hanfe und den Städten Weſtfalens und Nies 
derſachſens, die allein durch Bünbniffe in der rechtlofen Zeit 
fih behaupten konnten, galt jene Sagung nicht, und er= 
regte deshalb ihnen Feine Unruhen, wohl aber gedachte man 
ver Etdgenofjenfhaft und verwandten Beftrebungen im 
DOberlande den Zodesftoß zu bringen, indem Karl im XV. 
Artikel „die abfcheulichen, und allen heiligen Gefegen wider⸗ 
fireitenben Berfchwörungen, Berfammlungen und Verbrü⸗ 
derungen in Städten und außerhalb berfelben, zwifchen 
Stadt und Stadt, Perfon und Perfon, oder Perfon und 
Stadt, unter Borwand der Schugverwandtichaft oder ſonſt 
einer Farbe, die taraus ohne des Landeöheren Genehmi⸗ 
gung entflandenen ‚„Eidgenoflenichaften, Verträge‘ ald ver» 
derblich“ widerrief! Haltungs⸗ und grundfaglos in feiner 
Reichspolitik, fo voll Elug berechnender Pläne fonft als 
König von Böhmen, erkannte Karl die Gültigkeit der Ber» 
einigungen der Reichsfürſten, „ Städte‘ und „an derer“ zum 
Schug des Briedend und der Sicherheit an, und eröffnete 
dadurch gefeglich den Raum zur ungeheuerlichften Bergefell- 
ſchaftung des Eigennuges, der Willkür und Gewaltthat. 
Stugig geworden über die fehr merkliche Unzufrieden- 
heit ter Städte, durchlöcherte der Kaiſer durch Zugeftänd- 
uiffe an einzelne Gemeinwejen, wie des Rechts des Pfal⸗ 


2.Ray. 





Kart 
egen 
Blins 

gen. 


62 | Bierter Theil. 


bürgerthums an die entfchlofienen Straßburger, feine eigene 
Geſetzgebung, oder überfah den offenfundigften Ungehorjam. 
Das Aus bürger» und Pfalbürgerthum blieb aber eine Haupt- 
urfache des großen Stättefriegg. — Nachdem Karl den 
zehn eidgenofienfchaftlich verbundenen Reichsftädten des Elſaß 
i. 3. 1358 Selz beigefügt, i. I. 1359 den Landfrieden 
der 29 ſchwäbiſchen Städte durch Beitritt des Biſchofs von 
Augdburg und mehrer Grafen verſtärkt Hatte, wohl weil 
Albrecht tes Lahmen Hocgefinnter Sohn und Nachfoger 
(1358) Rudolph IV., der anmaßliche Erzherzog von Defter- 
reich, und die baierifchen Herzoge, erzürnt über die geſchicht⸗ 
lich unbegründeten Vorrechte der Kurfürjten, ihm Sorge 
machten; duldete der Langmüthige in Eplingen zur Reichs 
tagszeit die fchmahlichfte Beihimpfung. Denn als er (1360) 
jein Mipfallen über das demokratiſche Getümmel der Pfal- 
bürger jener Stadt zu erkennen gegeben, flürnte das wilde 
Völkchen das Barfüßerffofler, den Sig des Reichstags, To 
daß der Kaiſer mit Mühe durch den Kloftergarten auf wir- 
tembergifched Gebiet entrann. Erſt nad mehren Monaten, 
als die Frevler niht um Gnade baten, erſchien Karl mit 
dem Aufgebot des Reichs, unter der Hauptmannfchaft des 
Grafen Eberhard von Wirtemberg, vor der ungehorfamen 
Stadt, zwang fie durch Belagerung zur Buße von 100,000 
Gulden, fäete ten Saamen böfer Zwietraht aus, indem 
er aus Dankbarkeit dem ‚Greiner (Zänker) die reichsvoig⸗ 
teilihen Gefälle über Schwabens fämmtliche Städte verlieh. 


- Denn diefer Bürgerfeind, bemüht, nad der Demüthigung 


Eßlingens, feiner ererbten Gegnerin, ald Landvoigt bie 
übrigen Schweftern in Abhängigkeit zu bringen, ergriff 
mit Uri, feinem Bruder, jede Gelegenheit, welche die 
Örtlihen Verhältniffe des zerflüdelten graͤflichen Gebiets in 








Fünftes Bud. | 53 


Fülle gewährten, zu den fühlbarften Plackereien, erneuerte 2 
allen früheren Hader, alle verglichenen Anfprüche, und fperrtegan von 


endlich Die E trafen dem unerläß ichften Verkehr, als die erbit- "gen 
terten Gemeinweſen fih feinen Ianteöherrlihen Forderungen var 
widerfegten. Boll ungefügigen Trotzes gegen die Mahnung — 
des Kaiſers, tem jene ihre Klagen vorbrachten, trat das ben—. 
Brüderpaar mit dem gefränften folgen Habsburger, der fich 
gleich eigenmädtig ‚Herzog und Fürſt von Schwaben und 
Elſaß“ fchrieb, in Bündniß, und entrüfteten den langmü⸗ 
thigen Kaiter fo hoch, daß er tie Verleihung der Land⸗ 
voigtei widerrief, Die Grafen in die Acht that, und alle 
ſchwäbiſchen Städte zu einer Reichsheerfahrt gegen die Ver- 
ächter aufbot. Wie nun im Sonmer 1360 Karl felbft mit 
einem böhmifden Heere, und das Bürgervolk bis vom Bo⸗ 
denfee und rom Rheine her unter Pfalzgraf Ruprechts Zühe 
rung verwüftend um Schorndorf zufammenzog, verſuchten 
die kecken Grafen, dur tüchtige Bafallen unterftügt, zwar 
männliden Widerftand, unterlagen jedoch im Belde (30. 
Auguft 1360) und erlangten die kaiſerliche Huld nur unter 
der Bedingung, ten Bund mit Habsburg abzuthun, dem 
Karfer mit aller ihrer Macht zu helfen und den „Reichs⸗Unter⸗ 
thanen“, den ſchwäbiſchen Städten, zu Hecht zu ſtehen. Auch 
Herzog Rudolf mußte dem Sturme weichen, und Graf Eber⸗ 
hard zu Reutlingen den Yrietensvertrag hinnehmen : „alle 
Straßen offen zu Halten, in Händeln mit den Städten ben 
Rechtsgang vor den ftädtifhen Schultheißen zu fuchen, alle 
neuen Zölle abzuſtellen, überhaupt die hergebrachten Frei⸗ 
heiten der ReichBunterthanen zu achten.” — Auf Karld Zus 
reden beſchloſſen Hüylih die Städte, alle Pfandicaften, 
welche den Grafen verfchrieben waren, mit eigenem Gelde 
„zu des Reichs Nothdurft“ einzulöfen, und empfingen das 


64 Bierter Theil. 


2. für die gnädige Berfidherung, daß die Landvoigtei mit ihren 
Rechten nicht mehr verfegt oder verfümmert werben follte, 
wogegen der Kaifer die ordentliche Berwaltung der oberen 
Lantyoigtei dem Grafen von Helfenftein auftrug, ben Her⸗ 
z0g Briedrih von Ted in die Boigteien von Augdhurg, 
Nördlingen und Kempten wieder einjeßte, nur die über die 
neun Städte unter der Alp keinem landſäſſigen Grafen, 
fondern dem Scultheifen von Gmünd vorläufig anver- 
traute. Was Karl aber diesmal zur Schlichtung Des gro 
Ben Streites der ſchwäbiſchen Städte mit ihrem Erbfeinde 
gethan, fand mehr in deſſen Sorge vor dem Bunde Habk- 
burgs und Wirtembergd jeinen Grund, als in aufrictiger 
Borliebe für das Bürgerthum; denn weflen bie freien Stätte 
von der kaiſerlichen Politik fih zu verjehen hätten, Tonnten 
fie, ohne übertriebenen Argwohn, aus den Ereignifien d. 
I. 1365 ermeffen. 

Nach dem Frieden, welden England und das Haus 

Ze Valois zu Bretigny 1. J. 1360 geſchloſſen, bebroheten un 
Englän- gefchäftigte Söldnerbanden, die „große Compagnie‘, bie 
Eliap. „„Höje Geſellſchaft“ ober die „Engläaͤnder“, wie das Bolt 
fle nannte, unter des „Erzprieſters“, Arnolds von Gervola 
(Springhirih) Führung, das Elſaß mit ihrem furchtbaren 
Beſuche. Beunruhigt durd; das Gerüchte, weldyes den Aben- 
teurern voranging, einigten ſich die oberrheinifdien, zumal 

die elfaßifchen Stände ſchon im Mai 1362 zu Kolmar zu 
einem umfaflenden Bund mit Straßburg, das Taum feiner 
Händel mit Biihof Johann, Bertholds Nachfolger jeit 
1353, erledigt war, mit Freiburg, Baſel und den anderen 
Reichsſtädten, um beite Rheinufer von Mumpelgart bis 
unterhalb Weißenburg zu ſchützen. Aber ber ängfligende 
Sturm zögerte, bis im Juni d. 3. 1365 ber Erzpeiefler 





Fünftes Bud. 85 


mit 40,000 wilden Befellen von Met heramzog, in der 2. aa. 
fundbaren Abftcht, für den Herrn Ingelram von Couch die 
Erbanfprüche feiner Gemahlin, einer Tochter Leopolds von 
Haböburg, jened ritterlihen Bruders Friedrichs des Schö—⸗ 
nen, mit den Waffen geltend zu maden. Der Bolfdmund 
aber behauptete, der Kaifer, eben am päpfllichen Hofe in 
Avignon, Habe die böfen Gäfte zur Demüthigung des Hau⸗ 
8 Habsburg, deſſen Stammältefter, Rudolf IV., eben ge= 
ſtorben, als Söldner herbeigerufen. Als nun die Raäu⸗ 
berſchaaren fich über das Elſaß ergoffen, Landvolk wie Bür« 
ger gräßlich beichädigten, und vor Straßburg erfchienen, 
ergab fih der Werth befeftigter Städte und einer waffen⸗ 
geübten Bevölkerung. So vermaßen fi die fauftfertigen 
Handwerker, wie die Metzger, mit ihren Bannern vor dem 
Münfter verfammelt, des offenen Kampfes gegen die un⸗ 
menſchlichen Plagegeifter, doch fand die Obrigkeit die Kräfte 
m ungleih und harrte des Entfaged durch den Kaifer, 
der nach Dem nahen Selz gekommen. Gemahnt durch 
den ſchimpflichen Vorwurf, den Jammer des Landes ver⸗ 
ſchuldet zu haben, zögerte gleihwohl Karl, bis das Aufs 
gebot der nächſten Reichsſtände und Städte, — felbft Lim⸗ 
purgd Bürgermeifter war mit 24 Pferden herbeigeeilt, — 
{dm ſtark genug dünkte, den Landſchindern unter die Au⸗ 
gen zu ziehen; zeigte aber auch da geringe Luft, bie auf- 
wärts Weichenden mit Nachdruck zu verfolgen. Vielmehr 
hätte ein Streit zwiſchen einem Fatferlihen Beamten und 
einem Straßburger den ob des Pfalbürgertfums grollen- 
den Kaiſer beinahe vermocht, mit feiner fämmtlichen Macht 
über die Ungehorfamen berzufallen. Er ließ den Springe 
birfch ungeftraft einen Vorfprung gewinnen, ungeachtet den 


„zeutichen nichts fo wehe und leid geihah, . daß bie 
Barthold, Städtewefen. IV. 





66 Bierter Theil. 


2.8av. Gefellen ihnen entflohen wären.” Baſels lückenhafte Man« 


ern wurden nur durch die Eidgenoffen und andere Bundes⸗ 
freunde gejchüßt, während Karla Söldner die kümmerlichen 
Nefte der Erndte im Elſaß verdarben, und das zweideu- 
tige Neichdoberhaupt mit den Straßburgern über die Pfal- 
bürger, über jenes böfe Gerücht, „fein Geheiß Habe bie 
Engländer gelodt”, und über andere Dinge ungnädig ha- 
derte. Ein feierlicher Widerruf jenes Gerüchts als Ber- 
läaumdung ftellte fchwerlich dad Bertrauen der Bürger in 
die Faijerlihe Politik wieder her. 

Der Bejuh der ,, Engländer, Lomparden“, feit vier 
Jahrhunderten der erften äußeren Feinde an Deutſchlandé 
MWeftgrenze, war durch ein ſchnelles Aufgebot der naͤchſten 
Stände, zumal der Städte, abgewiefen ; blieb aber ber 
mahnende Borbote Eommenter Gefahren. Welche Beidä- 
mung, nicht der wehrbaften Vaterlandsliebe des alemanni- 
ſchen Bürgerthums, fondern einer treulofen oder unklugen 
oder ſchwächlichen Kaiſer- und Bürftenpolitif, liegt auf der 
Zeit zwifchen jenen erften Engländern, den „Armengecken“, 
dem 3. 1552 und dem Balle Straßburgs i. I. 1681. 

Bald Hatte elfafitiche Gutmüthigfeit die Drangfale ver- 
geffen, zumal Karl mit Pergamenten, auf Koften der Be 
werber, nicht Fargte, und ſich auch fonft Teutfelig zu ge 
berden verſtand. Das Leben der Neichsbürger am Ober 
rhein ergrünte, troß geiftlichen Haders, unaufhörlicher Land⸗ 
fehden und adliger Raubſucht, wie überall in Deutfchland; 


ſrevurg dies Jahrhundert trug leichter Die gewohnte Laſt und fand 

—— Mittel gegen jedes Uebel. Aber unvermerkt erſtarkte Habb⸗ 

burg wiederum in den Vorlanden, und verkündeten ſich 

die Vorzeichen ungeheurer Anfechtung für das freie Bürger⸗ 
thum. Die Pflanzung der Zähringer im Breisgau, Freie 








Fuͤnftes Bud. 67 


burg, nur dem Namen nad feinen unwirthlihen Grafen uns 2. Ram 
terworfen, wechfelnd, nad Drang der Umflände, im Bunde 
mit allen Städten von den Alpenthälern bis nah Mainz 
hinunter, kampfgeübt und voll blühenter Gewerbe, ber 
Oberhof von 32 rechtönerwandten Städten, ward nad dem 
ide des Grafen Friedrih im Jahr 1356 der Tochter des⸗ 
klten, Pfalzgräfin zu Tübingen, vererbt, Lie aber verzich⸗ 
tte, als ihr Oheim, Graf Egon, beim Taiferlichen Hofe 
die Heichöpfandfchaften und die Adchtserklärung der Bürger 
mirkte. Mit Widerwillen einem aufgedrungenen Herrn 
fingegeben fand die Stadt bald in den Waffen gegen Egon 
N, der, als Rath und Gemeinde ihm jegliche Anleihe oder 
Bürgfchaft verfagten, durch Verrath ihrer mädtig zu wer« 
den verſuchte. O weh! Heut Herr zu Freiburg und nim⸗ 
mermebhr! rief Egon, als die Sturmglode und das „Grie⸗ 
ſelhorn“ meldeten, fein nächtliher Anfchlag fet vereitelt 
(24. März 1366). Darauf wilder Krieg und Zerflörung ber 
ſtönen Burg oberhalb der Stadt, und ald die Bürger durch 
ſhonungsloſe Umgriffe auch die Straßburger in Harniſch 
gebracht Hatten, eine blutige Niederlage gegen tie Ueber⸗ 
macht (18. October 1366). Ungebroden erfümpften Die 
Freiburger die „Rachtung““ vom 30. März 1368, und er⸗ 
fnuften um hohe Summen Unabhängigfeit von ihrem Be⸗ 
dränger; aber fle mußten einen neuen Herrn wählen. An 
die Eidgenofienfhaft durften fie ſich nicht anfchliegen, um 
ein Bollwerk der Freiheit Alemanniens zu werden; in freier 
Selbftübergabe unterwarfen fie fih (23. Juni 1368) dem 
Schirme Habsburg, fahen ihre edeliten Söhne bei Sem- 
pach für Leopolts, des Bruder Rudolfs IV., Pläne in 
den Tod gehen, und fanten, als zahme landjäifige Stadt, 


nur die eine Genugihuung, daß, aus Mangel an del, 
5* 


68 Bierter Theil, 


Rap. die Zünfte den Math beiegten, und feit d. 3. 1392 ein 


Die fteis 
ende 


Oberzunftmeifter ald Stadtoberhaupt neben Bürgermeifter 
und Schultheiß trat. 
Sp erftarkte feit Freiburgs Selbftverzichtung Habsburg 


rast und der „Pfauenſchweif“ im Oberlande, gleichzeitig, ale 


bergs. 


das Haus Wirtemberg fih aus feinem Balle erhob, vol 


ungefühnten Grolld gegen die Städte, jeinen unmittelbaren 
Landbefig betriebfam erweiterte, den Kaifer felbft ben &p- 
lingern wendig machte, und endlich die Landuoigtei in Nies 
berfchwaben wieder davontrug. Zwar verhießen Die Rit⸗ 
tergefellichaften, welche, zur Abwehr gegen die landesherr⸗ 
lihe Gewalt und gegen die Ausrottungsverſuche des Bür⸗ 
gerthums, zunftmäßig überall fich bildeten, die „Schlegler", 


fogenannt von ihrer morgenfternartigen Waffe, die „Mar 


tinsvögel“ zunächſt in Schwaben, eine dritte Macht, ein 
neued Gegengewicht zwiſchen Städten und dem fürftlicen 
Landvoigt. Uber der unadlige Anſchlag der Grafen, Wolfe 
von Eberftein und des „gleißenden” Wolf von Wunnen⸗ 
fein, Häupter des Nitterbundes, den gehaßten Greiner im 
Wildbade (1367) durch Ueberfall zu fangen, mißlang, die 
in Heimfen verfammelten Schlegler mußten ſich ergeben, 
und durch Bruch ihrer Burgen gedemüthigt, flärkten fie 


st ſchadenfroh den Grafen, um gegen die Bürger, bes Lan- 


frieg. 


besheren wie des Adels gemeinfame Zeinde, den Kampf 
wieder aufzunehmen. Blöde gehorfam dem Katjer, welder 
ihnen befohlen, dem Grafen zur Aufrechterhaltung des 
Zandfriedend gegen den Adel beizufpringen, — Augsburg 
und Eßlingen thaten fi) befonderd hervor, und Straß⸗ 
burg fchloß fogar einen befonderen Bund mit Wirtemberg 
(1368) — Hatten die Städte geholfen, den Adel zu unter 
jochen, aber dafür fo wenig bei dem Grafen Eberhard 


Künftes Bud. 69 


als bei jenem Dank erworben. Es war, bie Babel vom 2 Kar. 
Pferde, das, neidiſch auf des Hirfches Schnelligkeit, dem 
Panne feinen freien Rücken bot, um das edle Wild zu 
Zode zu beten, und barob in Knechtſchaft fiel. Der ‚glei 
sende Wolf’, den wir, das Geſpenſt des Brutus bei Philippi, 
am Tage von Döffingen wieder finden werden, hatte den 
Frankfurtern geklagt, daß die Straßburger ihm für Eberhard 
abgefagt, „der ihm wider Recht fein Vatererbe genommen.‘ 

Dennoch ſchienen die umfafienden Landfriedensbünd«- 
nifjie, welde der alternde Kaifer nach Beendigung des 
Schlegelfriegs (1371) überall im Reiche aufrichtete, den 
Zufammenftoß ungefühnter innerer Parteien nod zu vers 
hindern, „der Landesherren und der Städte”, in welde 
unfer Baterland zerfallen war, feit die Parteiung zwifchen 
Königthum und Kirche fchlafen gegangen. Nur freilich 
nahm gerade damals das befhämende Volkswort: „traue 
dem Landfrieden nicht!” feinen Urfprung. 

Gewiß in Verbindung mit den neuen Sorgen der 
Bürger vor gefährlicher Zukunft flanden die Zunfthändel 
und Negimentöveränderungen, welche gleichzeitig mit Wir- 
tembergd und Habsburgs Erhebung die letzten zäheften Ge⸗ 
fchlechtöherrfchaften oberdeutſcher Städte betrafen; nur Bei 
gleichartiger Verfaſſung fchien der Bund der Gemeinwefen 
im unausweichlichen Kampfe beftehen zu Eünnen. 

Augsburg, ein edles Glied des Staͤdtevereins, nochn..n, 
von Geichlehtern mit geringer Vertretung ber Zünfte resivane 
giert, Hatte unpolitifch, aber reichötren im Jahre 1368 auf 4 
Karla Geheiß dem Wirtemberger ftattlihe Mannfchaft zum 
Eberfteiner Kriege geſchickt; da entlud fih das Gewitter, 
welches feit 1303 in der Berne getobt. Das Verbot ges 
heimer Zuſammenkünfte unzufriedener Bünftler bei St. Ka- 


710 Bierter Theil. 


Re. tharina beſchwor den Sturm nidt; am Abend des 21. 


October 1368 traten die Zünfte gewaffnet beim Perlach⸗ 
thurm unter ihre 24 Banner, beſetzten Thore und Rath⸗ 


haus, jchidten fodann ſechs Männer aus ihrer Mitte, einen | 


Kaufmann, einen Weber (Hand Weiß den „Wibigen), 
einen Bäder, Kürſchner, Metzger und Brauer, an den figen- 


den Rath, und begehrten — ohne befondere Klage über 


ſchlechten Haushalt, Parteilichkeit oder herriſches Verfahren 
ber Geſchlechter, — mit bündigen Worten Antheil tn der 


Berwaltung, Niederlegung der Stellen, die Schlüffel u 


den Thoren, zur Sturmglode, zum Rathhaus, dad Stadt: 
buch und das Siegel. Nach vergeblihen Beichwichtigungs- 
verſuchen der Stadtpfleger gewährte ber Rath folche For⸗ 
derung; doch, um ſich nicht zu übereilen, kam man über 
ein, der alte Rath folle vorläufig mit 12 Beiflgern aus 
dem Oewerbeflande im Amte bleiben, bis man Kundſchaft 
über die Verfaſſung anderer zünftig regierter Städte einge 
zogen babe. Darauf nun traulihe Ruhe, und nad Rüd- 
kehr der Sendboten au Mainz, Worms, Straßburg, Ba- 
fel, Konftanz und Ulm, als muftergültigen Städten, eine 
gründlide Veränderung de8 Gemeinwefend. Zwar ver- 
zichteten die Zünfte, 17 an der Zahl, auf den zwange- 
weiſen Eintritt ter Gejchlechter in ihre Gliederung, und 
forderten nur durch den Auf des Weibeld die Gefchlechter 
zu freiwilliger Erklärung auf dad Dinghaus, wo dann 
wirklih einige Familien fi trennten, fo daß nur 51 nam 
hafte Gefchlechter blieben; aber die Sieger gaben das Ge⸗ 
wonnene, Schlüffel, Siegel, Stabtbuch, nicht heraus, ſetzten 
gleihe Befteuerung durch, und nahmen außer den 12 Bei- 
geordneten noch 12 Rathsſtellen, alſo mit dem Bürger 
meifter 30 Stellen, in Anfpruch, während die Geſchlechter, 


Fuͤnftes Bud. 71 


ſtatt der früheren 24 Stellen, nur die Hälfte der zünf⸗Kap. 
tigen, 15 erhielten. Jährliche Ausfcheitung zur Hälfte ward 
angeorbnet, und der Große Math, Lie eigentliche Obrigkeit, 
aus dem Kleinen Rathe, einer gewiflen Anzahl von Ge⸗ 
ſchlechtern, und 200 Bünftigen gebildet. Einen der Führer 
der Volksſache, den Kaufmann, wählten die fo Verein⸗ 
barten neben einem Geſchlechter zum Bürgermeifter, ordne⸗ 
ten den demofratifhen Etaat und Prunk durch Zunftmei« 
fierwaßlen, Bwölfer, Wappen und Bahnenzeihen; und 
ſchickten vornehme Boten an den Kaiſer, welcher, nad an« 
fanglihden Bedenken, endlich die Regimentsveraͤnderung ges 
nebmigte. Ein Theil des unzufriedenen Stadtadels war 
jedoch ausgewandert, und bradte das Gemeinwefen mit 
äußeren Feinden in Noth; die Klügeren, geblieben, theilten 
fib in Trinkftuben, und thaten den Willen des Volks, 
welches auch das Geriht, den Schöffenftuhl, an fid 
bradıte, fo daß i. I. 1374 unter 27 Richtern nur 2 Ge⸗ 
fchlechter faßen. Augsburgs volksthüniliche Verfuffung, mit 
allmäliger Verdunflung der Würde des Reichslandvoigts, 
des Stadtvoigts und des bifhöflihen Burggrafen, dauerte 
die DBlüthezeit des Bürgerthums hindurch bis auf Karls V. 
Gewaltfchritt i. 3. 1548. — 

So tief Tag der Drang zur demofratifchen Umbildung 
im Wefen jener Zeit, daß aud Nürnberg, und als bie 
letzte Großſtadt des Reichs, auch Köln fich feiner nicht er- an 
webrten. Der Borort Oſtfrankens, i. 3. 1348 wieter 
ariftofratifh beftellt, ſah ſchwerer Anfechtung durch den 
Burggrafen entgegen, ungeachtet er durch ben Kaifer an 
feinem Krönungdtage mit 15 Urkunden begnadigt war, 
Karl den Aufenthalt unter feinen reihen, gefälligen Bür⸗ 
ern befonderd Tiebte, und dep zum Beweis i. I. 1361 


72 Vierter Theil. 


Ray. feine Gemahlin dorthin zur Niederkunft geführt hatte, da 
mit fein Erfigeborner, der Fünftige König, auf deutſcher 
Erde das Licht der Welt erblide. Schon die Burggrafen 
Johann und Albrecht Haderten mit der Stadt wegen dei 
Geleitörehts und der Wälder; Johanns Sohn, Fries 
drih V., nahm den Streit wieder auf (1361), eben als vei 
Kaifers „liebe eheliche Wirthin“ die Geburt ihres Erben, 
MWenzeld, der zu St. Sebald die Taufe empfing (11. 
April), traulichft fernen Reichſsſtädten gemeldet. Im Gr 
dränge zwifchen dem echte der hochwichtigen Stadt, die 
er Hüglih nit an einen Fürſten gelangen laſſen Eonnte, 
und der Nüdficht auf den Burggrafen, den erforenen Eidam 
und Sproß eined um Lügeldurg verdienten Hauſes, gab 
Karl die erftere preis, indem er die Entfcheidung der Kur- 
fürften über Nürnbergd Händel gut hieß, fchlau berechnend, 
dag jenen doch nichts übrig bliebe, als ſich deſto fefter an 
ihn anzuſchließen, vielleicht gar gänzlich ihm heimzufallen. 
Die Notb und der Hinblid auf die Bundesſtädte trieb zu 
Selbjtvertheidigung; ſchon i. 3. 1363 Tieß fich die Gtadt 
von ihren Bürgern, welche fefte Häufer auf dem Lande 
hatten, das Oeffnungsrecht verfchreiben, und erfühnte fid 
i. 3. 1372 eine Mauer unter ber burggräflichen Amtöburg, 
welche abgejondert vor der Kaifer- und Reichspfalz lag, 
zu erbauen, fo daß niemand aus berfelben in die Statt 
fommen fonnte, und den ‚Lug ind Land‘ zu erriäten, 
einen Thurm, der das Innere jener Feſte überragte. Jene 
Friedrich V., unbefriedigt durch die Sprüche des Kaiſers, 
verharrte, umgeben von bürgerfeindlihem Adel, ald un 
fühnbarer Gegner der Städte, der thätigſte Bundeögenoflt 
des Zänkers von Wirtemberg; weshalb wohl, um vor Au& 
bruch des unvermeidlihen Kampfes inneren Zwift zu ſchlich⸗ 








Fünftes Bud. 73 


ten, 1. 3. 1378 die Geſchlechter, jünaft durch die Volkamer Ra. 
verflärkt, den acht vornehmſten Zünften je einen Sig im 
Rathe willig einräumten. Sechs und zwanzig Glieder, zur 
Hälfte Schöffen, zur Hälfte Rathsherren, fämmtlich aus 
den Geſchlechtern, von denen je zwei während vier Wochen 
den Borfig führten, bildeten bis dahin die Regierungsbe⸗ 
börde; den ‚Kleinen Rath“ jene 26 nebfl den „Genann⸗ 
ten’, acht Beiftgern aus ten Gejchlechtern. Indem nun 1. 
3 1378 aus jeder Zunft ein Glied in den Kleinen Rath 
trat, wurden, zum Unterfihled gegen die „Alten“, dieſe acht 
als die „Jungen Genannten“ bezeichnet. Nahm nun der 
Große Rath urfprünglih nur Gefchlechter, fpäter auch Ges 
werböbürger auf, und fland dieſem die Entfcheidung über 
Steuer, Krieg, Wahl des Kleinen Rathes zu ; fo war der 
unerläßliche Schein einer volfsthümlichen Regierung geret⸗ 
tet, wenn gleih Die Ariflofratie alle Gewalt in Händen 
zu behalten verſtand. — Auf gleichen Umwegen, unter 
dauernden Zunfthändeln, gewaltthätiger Umwälzung , bet 
widerſpruchsvollen Eingriffen der feilen Faiferlihen Politik, 
kam es auch im Hauptorte des rheinischen Frankens wieder 
auf denfelben Buß. Die weiland vornehme Pfalzſtadt 
Frankfurt, Vorderſtadt des wetterauifchen Städtebundes, be» 
reits veichöfelbftftändig, hatte zwar früh eine Zunftbank im 
Rathe, und ſchon 1. I. 1335 einen zunftgenöfflfchen Bür- 
germeifter geduldet; aber immer noch eine ſpröde geſchlech⸗ 
terlige Einrihtung bewahrt, bis unter länger als zehn 
jährigen Händeln und Unruhen (1355—1368) der erwei⸗ Sruhen 
terte Gewerbeſtand erft gefeßmäßig geſichertes Herkommenn Sit 
erzielte, dann offenbar auf das Uebergewicht der Handwer⸗ 
fer audging, und endlich, in Folge ariftofratifcher Umtriebe 
am Hofe, bei ſcheinbarem Gleichgewicht fichen blieb. Weit 





74 Bierter Theil. 


Mahl der Schöffenbank, urfundlicher Sicherheit entbehrten, 
durfte das Verlangen der vierzehn Bünfte — außer ben 
älteren neun rathöfähigen fünf neuerer — nad fahrift- 
licher Ausfertigung ihres Herkommens nit ungebürlidh 
dünfen (1355). Aber die Zünfte, jegt durch die unzünf 
tige Gemeinde verftärkt, verlangten mehr. Der bebrängte 
Rath, in Fehde mit dem Nachbaradel, zeigte ſtch gefügig, 
zumal die Volkspartei an Ulrih, Edlem Herrn zu Hanau, 


kaiſerlichem Landvoigte der Wetterau und als Pfandine 


2.80. in Frankfurt die politifche Umbildung bisher geräuſchlos 
erfolgt war, und die wictigften Berechtigungen, felbft der 


haber auch Oberreihöfchultheißen der Stadt, Vorfchub fand. 
Auf DVermittelung jenes ehrgeizigen Dynaften einigte man 


fih i. 3. 1358 dahin: Handwerker und Gemeinde follten 


jährlich 12 wadere Leute aus ihrer Mitte erkiefen, und 
der Rath Sechs von ihnen zu ſich wählen, bei gleichmäs 
Figer Fähigkett zur Stelle des Bürgermeiftere. Noch war 


die Beſetzung der Schöffenbank ein Vorrecht der Geſchlech⸗ 
ter. Uber i. 3. 1359 erwirkte die Volkspartei beim Kai⸗ 
fer, gleichfalls auf Betrieb des Landvoigts, an benfelben 
den Befel: mit ſechs Schöffen, drei aus den Handwerkern 
und drei aus der Gemeinde, die Schöffenbank auf die ge 
fegliche Zahl von vierzehn zu ergänzen. Weil indeffen die 
alten Schöffen nur zwei Stellen unerledigt gelajfen, be 


gnügte fih Herr Ulrih mit der Wahl zweier Beiftger; ers 
wecte aber durch ſolche Machthandlung bei den Altbürgemn 
Beforgnig um die reikhöftädtifche Unabhängigkeit. Jene 
fonnten immer auf Ten Fäuflichen Kaifer rechnen, beffen 
Begünftigung der BZünfte, der treuen Anhänger feines 
früheren Gegners Ludwig, gewiß nicht lauter war. Seit 
nun i. 3. 1360 Karl aud die Auswahl der Sechs aus 


Bünftes Bud. 75 


ben zwölf Borgefchlagenen dem Mathe genommen, und den 2.2®. 
Zünften wie der Gemeinde zu gleichen Theilen zuerkannt, 
hatten die Zünfte das Uebergewicht; aber ber wirklichen 
Gefahr der Linterbrüdung durch das Volk und zugleich der 
eingehildeten durch den Landvoigt, dem doch die Macht eines 
Eberhard son Wirtemberg fehlte, begann vor anderen Si« 
id von Marburg, „zum Paradieſe“ nad feinem Wohn⸗ 
haufe benannt, einer ber reichften und angefehenften ſchöf⸗ 
fenbaren Männer, und beim Kaifer wohlgelitten, zu bes 
gegnen. Ein wefentlicher Ausſchritt der Ariſtokratie war, Dir 
daß der Kaifer i. I. 1360, auf Vorftellung ber Abgeord⸗ 
neten des alten Raths, der Gemeinde zu Frankfurt erlaubte, 
gleich den Zünften Einigungen unter ſich zu errichten; ſo 
gewannen die Stubengeſellſchaften der freibürtigen 
Shöffenfamilien, welche zu geſelligem Zwecke ſchon in ber 
erſten Hälfte des Jahrhunderts, erweislich ſchon 1353 be⸗ 
ſtanden, rechtliche Anerkennung, politiſche Bedeutung und 
jene zähe Adelstendenz, welche die „Ganerbſchaft Alt⸗Lim⸗ 
burg“, die Geſellſchaften Frauenſtein, Laderam, Löwenſtein, 
ſo benannt von ihren Berfammlungshäufern, zum Theil 
noch bis in die neuefte Zeit dharakterifirt. Herr „Sifrid 
zum Paradieſe“, auf Karld Geheiß 1. 3. 1362 auf bie 
Shöffenbank beförbert, fand aber, als Vorkämpfer der Ges 
ſchlechter, an Heinze „zum Saal’, einem abtrünnigen Stan- 
deögenofien, den der Reichsſchultheiß Ulrich in demfelben 
Jahre zum Unterfehultheißen gemacht, einen jo gewaltthä- 
tigen Gegner, daß der Günftling des Hofes nur durch 
die Flucht nach Prag einem mörderifchen Anfalle entgehen 
fonnte, den jener Volksführer vermittelft anderer Helfer 
aud der Zunftbanf gegen ihn im Schilde geführt (1364). 
In Prog, wohin unter neuen Stürmen aud) andere reiche 





76 Bierter Theil. 


z.Rey. Schöffen ſich begaben, ward jebt die Menction nit mit 





Nechtögründen, fondern mit Geldfpenden eifrigft betrieben. 
Als ungeachtet Eatferlihen Befels die Beflrafung jenes 
Friedbruchs nicht erfolgte, vielmehr, unter äußerer Fehde, 
t. 3. 1364 und 1365 fogar drei Bürgermeifter, zwei aus 
den Handwerkern, im Aufruhr gewählt wurden; audy das 
bündige Gebot Karld, „alle Bürger follten fhwören, Dem 
Kaifer, den Schöffen und dem alten Rathe gehorfam zu 
fein, alle unreblichen Bündniſſe und Gelübde abthun, Heinzen 
zum Saal, und feine Beiftänder abfegen, wirkungslos blieb; 
erging im Jahr 1366 ein Schreiben an den abfichtlich un⸗ 
thätigen Landvoigt, „den Sifrid zum Paradies, Eaiferlichen 
Heimlichen, zum Schultheißen an Heinze Stelle zu erheben‘, 
und übertrug gleichzeitig das zürnende Neihäoberhaupt Dem 
Erzbifchofe von Mainz, Gerlach, ausgedehnte Vollmacht, Die 
Borfälle in Frankfurt zu unterfuchen und zu beftrafen. Den 
Eifer des Kaiſers beflügelte auch eine erkleckliche Geldbuße 
von 8000 &g., welche die zu ihm geflohenen Schöffen und Alt⸗ 
bürger im voraus fo hoc) veranfchlagt und bereitö feinem 
Sedel vorgeſtreckt hatten! Einmal im Zuge, beftätigte Karl am 
4. Sanuar 1366 die alte Verfaffung, alle früheren Rechte und 
Gewohnheiten, widerrief feine eigenen Briefe, verlieh den 
Schöffen wie dem Gefammtrath die Sclbflergänzung ihrer 
Körperichaft, mit Ausftoßung jener Sechs, und vernichtete 
endlich alle Verordnungen, welde feit 1358 in Betreff 
der Schöffenbant und des Raths ergangen waren. Der 
MWiederherftellung des Alten, auch jener zur Zeit ungenügen- 
den Bolfövertretung auf der dritten Raths-, der Zunftbanf, 
bot fich der geiftliche Kurfürft al3 unnachfichtlicher Vollſtrecker. 
Perfönlih Gericht haltend (24. Sanuar 1366), vernahm 
Herr Gerlach aus dem Wunde der „Meiſter“, vieler ehr- 








Bünftes Bud. 77 


baren Leute aus den Zünften, dann von den Schöffen und Re. 
bem alten Rath, daß bie benannten PBarteiführer, zumal 
Heinze zum Saal, ‚wider Kaifer und Reich, Gericht, Schöfe 

fen, Rath und Stadt zu Frankfurt fid) gröblich vergangen 
hätten‘, und lud die fo Beſchuldigten vor feinen Stuhl, 
Diefe aber entwichen Eüglih, wohl ermeflend, daß nad 
folher Einleitung des Rechtsgangs, vor folden Richtern, 

ihre Berurtheilung unausbleiblih ſei. Die Vorflüchtigen 
verfolgte Karl (26. März 1366) im Hffentlichen Briefen, 
zumal an Worms, wo fie, als in einer demokratiſchen 
Stadt, Breiftätte gejucht haben mochten; ihres Bürgerrechts 
entfeßt, ihrer Güter beraubt, verſchwinden fie in Dunkel⸗ 

heit. Ob die vermeintliche Wiederherftellung tes Gleich ya, 335 
gewichts unter den Staͤnden zur bedrohlichſten Zeit ES MATER 
Ehre und Wohlfahrt Frankfurts förderlich geweien, und Die" Aue 
zünftige Bevölkerung, durch ſchwere Eide an das Alte ge⸗ 
bunden, Muth und Unverdroſſenheit haben Tonnte, Gut 

und Blut im großen Städtefrieg daran zu fegen, mag man 

mit Recht bezweifeln. Ungeachtet der Bund der wetteraui⸗ 

ihen Neiheftädte, i. 3. 1364 erneuert, eines Hauptfein⸗ 

des, der Heren zu Solms, Burg und Stadt Li einges 
nommen hatte (1365), mußte die Stadt, entäräftet durch 
innere Unruhe und äußere Fehden, im März 1366 einem 
ungünftigen Frieden mit Philipp von Falkenſtein ſich fügen, 

und wuchfen die nahen Landesherren den Frankfurtern über 

den Kopf. Sifrid zum Paradies dagegen, mit Reichsgut 

und Ehre überhäuft, entfchädigte dad gemeine Wefen, deſſen 
Lebenswurzel er verlegt hatte, dadurch, daß er, zur Vollen- 
dung ber Selbfftändigkeit Frankfurts, no 1. 3. 1366 ne 
mit Karls Genehmigung das Schultheißenamt vom Land- ven 
voigte erblich einlöfete, indem der Kaifer zur Belohnungsetan. 





18 Bierter Theil. 


RP der DBerbienfte feines Getreuen, die Pfandſumme mit 1000 
Gulden aufihlug. Im I. 1372 fanden denn „Rath und 
Bürger‘ es ihrem Vortheil angemefjen, das wichtige Ant 
mit feinen Gefällen von Sifrid einzulöfen, und wieder | 
fäuflih um 8800 Gulden vom geldhungrigen Kaifer an 
fih zu bringen, von weldem Gelde der Fuge Vermittler 
feine Pfandjumme im Betrag von 4800 ©. entridtet er: 
hielt. — Wollen wir glei) das Andenken des berühmten 
Altbürgerd von Frankfurt nicht verunglimpfen, der im Jr 
terefje feine® Standes für den Staat arbeitete; fo wide 
und doch die Politik des Böhmenkönigs an, der grund 
faglos, nach rein perfönlicher Rückſicht, nur feinen Sek 
zu bereichern, mit Treue und Kaiferwort, fo mie mit dm 
Lebensfragen volfreiher Städte fein Spiel trieb, — Ned 
1. 3. 1372 verbot er, Gerlachs des Erzbifchofs Urtheil für 
ewig befräftigend, die Rückkehr der Vorflüchtigen, deren Ver⸗ 
brechen es geweſen, ihrem entfchiedenen politifchen Gegner, 
ald er die vom Kaifer felbft eingeführte DVerfaflung unter 
grub, nachgeſtellt zu Haben; ohne bie-andere Partei zu hi 
ren, war fhon zu Prag die Buße feftgefegt; follte fle erkled—⸗ 
licher ausfallen, fo blieb der Ueberſchuß tem Kläger; be 
trug das Strafgeld weniger, fo follte vom gemeinen Out 
ber unfchuldigen Stadt daB an 8000 ©. Fehlende ergänk 
werden! — 

Be. Auch Weplar, die zweite der Vierſtaͤdte ber Bil 

terau, wenn wir die duch Pfandſchaft behelligte Kat 

ſerpfalz Gelnhauſen noch hinzurechnen, hatte muthig dem 
hohen Gang des Bürgerthums verſucht und ruhmvoll ge 
fochten, war aber durch Liſt und Gewalt wieder zum Alten 
zurüdgeführt ‘worden. Erbittert über die Wirthfchaft dei 
Mathe, welcher in fleglofen Bundeskriegen das Gemein- 








Fünftes Bud. 79 


weien mit Schulden belaftet, verjagte die Gemeinde im. 
unrubevollen Sabre 1368 die Geſchlechter, feßte einen an⸗ 
deren Rath ein, und verfagte Fed die Zahlung von „Leib⸗ 
zucht und Renten”, Sculden, welde im jährlihen Zins⸗ 
betrage von 5000 Gulden! der Stabtfedel von der alten 
Obrigkeit ererbt hatte. So behaupteten fih die Weplarer 
fieben Sabre, und erwarben wegen ihrer Streitbarfeit im 
Felde Hohes Lob. NIE die böfe Nittergefellfchaft der Ster- 
ner, mehr als „2000 Grafen, Mitter und Freiherrn“ aus 
Heffen, Weftfalen, den „Buchen“, aus Franken und der Wet⸗ 
terau, Inhaber von 350 Schlöffern, um d. J. 1372 die Zürften 
arg anheimfuchten, gewann das Bürgeraufgebot von Weklar, 
im Bunde mit dem Grafen von Solms, unweit ihrer 
Stadt (1373) ein fo blutiges, aber entfcheidendes Treffen, 
— die Weiber vertheidigten unterdeß die Thore, — daß 
fie die Grafen von Kagenelnbogen, von Naffau-Dillenburg, 
von Wefterburg, und viele Ritter fingen, und zum Theil 
dinrihteten.. Aber der Helfer, der glattzüngige Iohann 
von Solms, vom vertriebenen Mathe gewonnen, ward ber 
Verderber einer treuberzigen, fo tapferen Demofratie. Un⸗ 
ter dem Scheine der Sühne mit 50 Rittern und dem alten 
Rathe in die Stadt gekommen, bewachte er die neuen 
Rathsherrn in ihren Käufern, und trat mit dem Reichs⸗ 
panier auf den Platz. Die Gemeinde, 500 Gewappnete 
Rark, Gereit ihrer Obrigkeit zu helfen, ftußte, da fte ihre 
Rathsfreunde nicht ſah, legte auf die füßen Friedens⸗ 
worte des Grafen die Wehr nieder, und mußte e8 dann 
geſchehen laſſen, daß der neue Rath eingethürmt, feines 
Gutes beraubt und dreien aus ihm bie Köpfe abgefchla= 
gen wurden. So fland au hier das unfräftige Alte 
in fchwerer Zeit wieder feft. 


80 Bierter Theil. 


— Weit hinauf, bis über die Grenzen unmittelbarer Kaiſer⸗ 
politik, nach Aachen, nad) Köln, nad Niederſachſen, Schleſten 
und der Oberlauſitz, verbreitete ſich unter wechſelndem Er⸗ 
folge die zünftiſche Bewegung, wie ein bewußtloſer Drang, 
während Schwabens und des Oberlandes Eidgenoſſen ein⸗ 

a ‚ trächtig zum Kampf für die gemeine Sache ſich vorbereite- 

et ten, und bie hanfiſche Welt gegen den fremden König 

ham ihre herrlichſten Siege erfocht. — Nie bat unfer Vater 

land ein ftreitbarered Volk, in Feldſchlacht; Belagerung, 
und auf Meerfchiffen, gezählt, als zur Zeit der Zunfthers 
haft in den Städten des Oberlandes, der demokratiſchen 
Eidgenofjenfhaft und des bedingten Rathsherrnregimentt 
in allen banftfhen Gemeinwejen. — 

ur Weit entfernt, durch den treuherzigen Beiftand der 


Irrun⸗ 


gr Stätte im Schlegelkriege gegen dieſelben milder geftimm 


ben. zu werben, und ihnen gegen die räuberifchen Adelsbünd⸗ 


niffe, wie die Gefellfchaften „mit dem Schwerte und mit der 


Krone”, zu helfen, verfland Eberhard vielmehr Die gede⸗ 
müthigte Nitterfchaft für fih gegen das Krämervolf zu 
einigen, und nöthigte dadurch die ſchwäbiſchen Gemeinweſen, 
31 an der Zahl, fi durch den zweideutigen Kaijer einen 
Bundeshauptmann, in der Perfon eines böhmiſchen Frei- 
herein, und dann zur Handhabung des Landfriedens ben 
Grafen von Helfenſtein beflellen zu laſſen. Durch folde 
Anftalten, welde bis ins Elſaß wirkten, aufs Höchſte er- 
bittert,, bejchwur der gefammte Adel des Oberlandes zu 
Weißenhorn eine Gejellfchaft gegen jedermann, mit 
Ausnahme des Kaifers, Wirtembergs und der Wittelöbadrr, 
worüber die Städte mächtig erfchrafen, aber flatt son 
Ederhard Troft zu empfangen, mit Umwillen abgewieſen 


wurden, zumal fie Herrn Ulrich von Helfenſtein aufs neu 


— —— 


Bünftes Bud. 81 


zu Ihrem Hauptmann erwählt hatten, Der Niederwerfunge. a. 
des hochbetrauten Bundeshauptes durch adlige Städtefeinde 
(Mir; 1372), auf Anfliften des Wirtembergers, wie bie 
Ulmer zumal argwöhnten, folgte fogleich ein verheerender 
Anfall auf deſſen Gebiet; aber Adel und Fürft fanden 
fünell bei einander, und ſchon am 4. April erlag das 
Gtädtenolf bei Altheim, unweit Ulm, wo Heinrich Beſſerer 

von Ulm, der Stäbtehauptmann, den Tod fand. Die Augs⸗ 
burger, ſelbſt bedrängt durch ihre ausgewichenen Geſchlech⸗ 

ter im Bunde der Zürften, zumal der baierifchen, hatten 

zur Stunde nicht über die geſchwollene Donau an ihren 
Feind gelangen Können, und fügten ſich den Geldforberun« 

gen Eberhards, um gegen die Baiern defto nachdrücklicher 

zu kriegen; bartnädig widerfland allein Ulm und verfchmä- 

hete e8 auf dem Tage zu Würzburg, 21. Mai, dem kaiſer⸗ 
lichen Ausſpruch fih zu unterwerfen, weil inzwiſchen ihr 
Freund, der Helfenfleiner, in feinem Gefängnig jämmerlich 
ermordet gefunden war, und tief gegründeter Argwohn den 
Oreiner der Unthat beſchuldigte. Endlich beugte fih aud 

die Vorberftabt, vereinzelt im ungleihen Kampfe mit Wir« 
temberg und dem bel, der ungünftigen Entfcheidung Karls, 
welcher Eberhards guten Willen fuchte, um durch ihn die Stäbte 

zu anderem Unbilligen zu zwingen. Raſtlos für a1 112 7 Ph 
Naht und Größe beforgt, Hatte der Kaifer nämlih umgggsr die 
diefe Zeit durch Erbverbrüderung, Diplomatifche Künfte und 
Gewalt den trägen Sproß der Witteldbacher, den Marf- 
grafen Otto son Brandenburg, jo weit umgarnt, daß dies 

fer, unfähig zum Widerflante, am 15. Auguſt 1373, gegen 
Vorbehalt der Kur, weniger Städte und Schlöffer in ber 
Pfalz, und 100,000 Goldgulden, dem Kaufe Lügelburg 


ftine Lande abtrat; gleichzeitig trug Karl fich a dem Ge⸗ 
Barthold, Städteweien. IV. 


82 Bierter Theil. 


2.Rad. danken, fhon bei feinem Leben, zum Kohn der von ihm 


felbft gegebenen Reichsordnung, die Fürſten zur Wahl 
feine Sohnes, Wenzel, zu gewinnen, und Dazu bedurfte 
er hoher Summen, welde allein bet den Städten zu er= 


dan, preffen flanden. Bereit, fo ſchamloſe Schagung einzutrei- 


ung .. 
Städte 


ben, unterhandelte anfangd der alte Mißgönner des Bür« 


gertbums, Eberhard, mit den Städten Schwabend und bes 


ten 


Elſaß; als fie aber, unter Ulms Leitung, mutbig fich wei- 
gerten, überzgog der Graf erſt Eflingen, dann Ulm und 
die übrigen Städte mit mächtigem Heere, und erzwang 
nicht nur die Eaiferliche Steuer, fondern aud bedeutende 


Kriegsfoiten (Winter von 1373/74). Ulm zahlte allein, 


ohne feine Juden, 50,000 Gg., acht andere Städte 70,000; 
Augtburg 36,000; Frankfurt 12,000 ; Memmingen 14,000; 
Konftanz, wo, unter Fehde mit dem Bifchofe und unter inneren 
Kämpfen, der Adel i. J. 1370 ausgewichen und ein neuer 
Rath aus den 19 Zünften gebildet war, feit d. I. 1372 


die Schwertbrüderfchaft das waffenfählge Volk vertrat, 40,000 


G.; und doc ftanden alle fo gemißhandelten Gemeinweſen jede 
beſonders im Freundſchaftsbündniß mit dem gewiffen- 
ofen Reichsoberhaupt! Geirrt über die Mittel, fich der 
Unterdrüdung zu erwehren, gedachten 14 ber fchwäbifchen 
Städte, nachdem Eßlingen nochmals geftraft worden war, 
durch eine Einigung mit dem triumphirenden Grafen felbft 
ſich zu ſchirnen (Iunt 1375), bis die ſchmaͤhliche Vereit⸗ 
lung auch dieſer geſetzlichen Abhülfe die Geduldigen auf 
den früheren Entſchluß der Gewalt zurückführte. Weſſen 
das Bürgerthum vom Kaiſer ſich zu getröſten hatte, er⸗ 
fuhren gleichzeitig die Reichslande jenſeits des Oberrheins. 


Die — Seit zehn Jahren ſtanden die Städte des Elſaß einer 


lander zweiten Heimſuchung dur Ingelram von Couch, deſſen 


Fünftes Buß. "83 


Erbhandel mit Habsburg noch fortdauerte, gewärtig, als 220 
im Herdft d. 3. 1375 der Angriff deffelben großen Jam⸗ 
mer über das unſchuldige Land brachte. Mech, wo no 
immer die Geſchlechter, unter ihrem Maitre Eſchevin und 
den „Treize“, ſich behaupteten, Eaufte um hohe Summen fein 
Gebiet von der Berwüflung durch bie „zweiten Engländer‘ 
frei; die Reichsſtädte des Elſaß dagegen, denen Ingelrams 
Ausfchreiben Eund that, „er Täme mit Genehmigung des 
taiferlichen Regiments, um redhtmäßige Anſprüche in billi⸗ 
ger Weife geltend zu machen‘, boten, zumal Straßburg, bem 
Landvolk ihre offenen Thore, jo daß die Höfe und bie 
Seldfrüchte den Gäſten, Die nur Gold und Kieinode bes 
gehrten, geringe Befriedigung gewährten. Dafür aber vers 
übten fie, 60,000 Mann des bunteften Raubgeſindels, an 
armen Gefangenen die unmenſchlichſten Gräuel, wagten ſich 
jedoch nicht an die feſten Städte, deren Zünftfer bie Maus 
ern befett bielten,.. und den Kranz der Thürme mit Ges 
ſchütz und Büchſen bedediten. Inzwiſchen prunkte der Kais 
ſer im fernen Lübeck und ſuchte die klugen Hanſen zur 
Begünſtigung feiner neuen böhmiſch⸗ märkiſchen Handels⸗ 
politik ſchmeichleriſch zu berüden, während „die Blume ber 
Ritterſchaft““, Herzog Leopold von Oeſterreich, als bie miß⸗ 
trauiſchen Eidgenoſſen ihm ihren Arm verſagten, ſich mit 
feinem Adel in Breiſach einſperrte, und das arme Landvolk 
verderben ließ. Wie die unmenſchlichen Rotten am Ende 
des Novembers aufwärts zogen, weil ihnen ber Strauß 
mit den großen, feften Städten nicht behagte, wandten fie 
fih, eine Wüfte Hinterlaffend, in den Yargau, thaten Hier 
das Gleiche, erlitten aber von den Eidgenoſſen, die von 
Habsburgs Nittern Teinen Anhalt im Felde hofften, mehr⸗ 
fahe Nieberlagen, und zogen um Weihnachten, auch durch 
6 % 


84 ‚Bierter Theil. 


2 aap· Kälte und Mangel vertrieben, wieder ins Elſaß. Baſel, 
das auf Straßburgs Hülfe rechnen durfte, blieb unange⸗ 
fochten; nur der Sundgau büßte von neuem, bis Herzog 
Leopold friedlich ſich mit dem gefährlichen Exrbnehmer ver⸗ 
glih. Einzelne vornehme Gefangene der Straßburger mußs 
ten auf Geheiß des Reihsverwefers frei gegeben 
werden. Wie anderd wäre ber Kampf gewefen, hätte ſich 
feiner Pflicht gemäß der Kaifer an bie Spike des Aufge- 
6013 geftellt! Zum Ehrenftreit für des Reichs Grenze fand 
er zumal ein fo wohlgeordnetes Gemeinwefen, wie Straß⸗ 
burg, bereit, deſſen noch unzünftige Gewerbleute, „bisher 
Kunftofler”, feit 1362 die Zünfte verflärkten, defien Am⸗ 
meifter und vier Städtemeifter feit 1372, um durch größere 
Erfahrung zu nügen, auf 10 Jahre die Verwaltung führ- 
ten, und zwiftige Gefchledhter, wie die Roßheim und Reb⸗ 
flöde, im Baum zu halten verflanden. 

ch Als dem alten Kaijer am 6. Juni 1376 durch un 

Kfm geheure Summen und neue Entäußerung bed Reichsguts 

Eränte. gelungen war, erft die Stimmen der Kurfürften für feinen 
knabenhaften Sohn Wenzel zu erfaufen, erkannten Die Reichs⸗ 
ftädte, To geheim noch die Verträge, daß es abermals 
ihrem Beutel gelten werde, und traten 14 ſchwäbiſche Städte 
unter Ulms Leitung am 6. Juli in ein Bündniß, „um fih 
gegen jedermann zu helfen, der fie befümmern und mit 
Schatzung und Berfegen von ihren Rechten und Freiheiten 
verdrängen werde, das Hecht des H. Reichs ausgenommen; 
Tame eine Korderung von ihrem Herrn, dem Kaiſer ober 
dem römifchen Könige, fo dürfe feine Stadt für fih han⸗ 
deln. Sie serflärkten alsbald ihren Bund auf 17 Städte, 
unter denen Rotenburg, als die Kunde ausging: auch dem 
gehaßten Wirtemberger feien für feine .treuen Dienfle 


Sünftes Bud. 85 


Reichspfandfihaften in Schwaben, für 40,000 Gulden, Her Kas. 
fonder8 die Schuliheißenämter zu Weil, Gemünd und Eß⸗ 
fingen, verfchrieben, mit ber Ermächtigung, alle voigteis 
lichen Gefälle einzulöfen. Entſchloſſen verweigerte die Eis 
nigung dem König Wenzel zu Huldigen, „weil fle abermals 
geihagt würben.” Die Ungeborfamen zu zühtigen, z0g ber 
Kaifer mit dem Aufgebot der Zürften, der Biſchöfe und 
bes Adels zunaͤchſt vor Ulm, konnte aber die flarfe Stadt, irren 
bei der Memmingen und die anderen verharrten, durch belagert. 
Verheerung des Gebiets und Umlagerung fo wenig zwin« 
gen, daß er zur Bermittelung einen Tag nad Nürnberg 
anberaumte. Während des gebotenen Stillftandes verbau⸗ 
ten die Bürger eifrigft ihre Städte, goſſen ſchwere Büchfen, 
um Steinfugeln aus denfelben zu fchleudern, beſonders bie 
Nürnberger und Augöburger, verfahen ſich mit Nothdurfl 
und begannen den Kampf mit Wirtemberg, unbefümmert 
um trüglidhe Tagfahrten, mit überrafchendem Erfolge. Kühn 
zeigten die Bürger ſich jet in offenen Felde, jchlugen 
die Ritterhaufen mehrmals in die Flucht; Reutlingens 
wadere Gefellen fochten unweit ihrer Stadt mit geringem 
Verluſte am 14. Mai 1377 fo erbittert gegen den jungen 
Uri, bes alten Greiners Sohn, daß viele hochgeborene 
Herren niedergeftochen wurden, und Ulrich verwundet auf 
Schloß Achalm fih rettete. Auch Eßlingen ergriff jetzt bie 
Waffen, und mit fehwerem Verluſt jah Eberhard fein Land 
verwüflet, während der Kaifer, in deſſen Namen er ſich 
mit den Reichsbürgern herumfchlug, gemüthlih in feiner 
neuen Hofburg zu Tangermünde faß, und den königlichen 
Knaben Wenzel in Motenburg an der Zauber, feiner er⸗ 
korenen Pfalz,. fein Probeſtück beſtehen Tieß, zunächſt im 
unrubigen Franken den Frieden Herzuftellen. Es waren 


86 Bierter Theil. 


A200. dies haͤßliche Tage für Fürſten und Abel, welde überall 
mac bie ungeflüme Kraft des Bürgers bitter empfanden. So 
Dafel. „5 Baſel, das, Tängft aus feinen Trümmern wieder erſtan⸗ 
den, feinen welchen Bifchof, Iohann von Vienne, und 
gleichzeitig die „Engländer nicht fürdhtete, das Zunftregi⸗ 
ment verflärkte, und im Bewußtfein jugendlicher Freiheit 
bie Gefchlechter in ihren Stuben, ‚zur Müde, zum Brun- 
nen, zum Seufzen“, ihr gefpreiztes Weſen treiben lieh. 
Als aber Herzog Leopold, dur den hülfsbebürftigen Kir 
chenfürſten in den Pfanbbeflg von Kleinbafel geſetzt, allda 
kurz nach dem Abzuge der „Gugler“ (des ‚Heeres Ingelrams 
von Esucy) mit feinen Rittern Faſtnacht hielt (1376) und, 
von Wein erhigt, die ausgelaffenen Herren plötzlich über 
die Brüde auf den Münfterplag fprengten, entbrannte der 
Born des Volks, aus Sorge für ihre ehrbaren Weiber 
und Töchter, fo flammend, daß Leopold kaum entrann, und 
nur das Anſehen des Elugen Öberzunftmeifterd den gefan- 
genen hochgeborenen Grafen das Leben rettete. Strenges 
Gericht wandte bie gefchworene Rache Habsburgs und feines 
Adels ab, und verfländige Handhabung des Rechts ficherte 
die Freiheit. — Wie Dortmund, in Weflfalen als Reichs⸗ 
fladt noch übrig, wegen geheimer neuer Verpfändung an 
den Erzbifchof von Köln, eilf Jahre fpäter die furchtbarſte 
Anfechtung erlitt, berichten wir zu feiner Zeit; von mittels 
Ovpen⸗ Theinifchen Städten kamen Kalfesslautern und Oppenheim, 
ander Die alte Bundesſchweſter, nach wechfelnder Veräußerung an 
bie Stadt Mainz, den Erzbifuf, i. 3. 1375 und 1376 
durch vorgebliche Einlöfung als Pfandſchaft an Kurfürſt 
Ruprecht den Uelteren von der Pfalz, und blieben ſeit 
1378 als Preis der Fäuflichen Kurftimme dem Reiche ent- 
fremdet. Der flarke Bund Arnolds des Waltpobs war ein 








Fuͤnftes Bud. 87 


— Landfrieden geworden. — Inzwiſchen gelang * Kap. tel 
dem römifchen König, mit Vollmacht feines Vaters, welcher 
den Abfall aller Städte fürchtete, zu Rotenburg die ſchwaͤ⸗ 
biſche Einigung mit den Bürften zu verfühnen, indem er@enels 
Gflingen, Reutlingen, Rothweil und Weil der Landpoigteltfstn 
Eherhards entzog, ihnen feierlich Unverpfaͤndbarkeit zuflcherte, 
und das Verbindungsrecht vergönnte, ‚‚fofern fie jemand 
von folher Gnade drängen wollte.” Da erkannten fie denn 
den römischen König, und Huldigten ihm (Juni 1377). 
As aber Eberhard in der ihm verheißenen Entfchädigung 
keinen Erfag für feine Pfandfchaften ſah, der Städte Gü- 
‚ter beichlug, und feine Verbündeten, beſonders der Biſchof 
von Würzburg, eben fo gegen Rotenburg verführen, griffen 
die Städte noch rüftiger zur Wehr, belagerten die vom Bo⸗ 
denfee mit den Eplingern und Meutlingern felbft Stutt⸗ 
gart, und verwüfteten die umliegenden Dörfer. Unter fo 
trauriger Aufgelöftheit des Reichs im engeren Sinne war 
das I. 1378, das letzte der Negierung Kaifer Karls IV., 
halb vergangen; ehe wir berichten, was ber Vater noch 
that, um feinem Sohne die Städte zu Freunden zu machen, 
wollen wir in rafcher Umfchau noch andeuten, was in ben 
unverbundenen Theilen des zerbrödelten Reichs feit dem Iehten 
halben Sahrhunderte das Bürgertbum Schweres erlitt, Gro⸗ 
ßeg ausführte, umd wie es den deutfchen Namen verherrlichte. 


Drittes Kapitel. 
Städte in Heffen, Thüringen, Meißen, im Braunſchweigſchen. Großer Aufftand 
der Zünfte gegen den Math 1374. Die Weberſchlacht in Köln. Der weſtfaͤliſche 
Landfrieden und die Vehmen. Bremens Berfaffungstämpfe Hamburg. Lübeck. 
Großer Hanfefrieg, 1370. Karl in Lübed. Die Sechsſtädte der Lauſitz. Schlefien. 
Der Ordensflaat. Deſterreich. Karls IV. letzte That und Tod. 1378, 


Unter Landgraf Heinrichs II., des Eifernen, faft fünf geile 
zigiährigem Walten (1328— 1377) hatten die heſſiſchen 


88 Bierter Theil. 


a 


AP. Landesſtaͤdte vielfach Gelegenheit zu gemeinheitlidher Kort- 
bildung, und um tapfer ihren gefeblihen Sinn gegen ablige 
Unbilde zu bewähren. Mit dem allgemeinen Ringen bed 
Bürgerthums nad Unabhängigkeit betheiligte ſich von Nach⸗ 
bargemeinden befonderd Fulda (1331— 1332), aber zum Ber: 
luſt feiner Privilegien, da Kaifer Ludwig den Abt unterflügte ; 
die Möglichkeit der heſſtſchen Gemeinwejen, fih vom Zürften 
unabhängig zu machen, ſchnitt Karl IV. ab, indem er i. J. 
1355, zu Gunſten des Landgrafen, die Berufung feiner Bür⸗ 
gerftädte in Ncchtshändeln an auswärtige Oberhöfe ungültig 
erklärte. Dennoch erregten auch Heflend Stätte durch das 
Recht der Selbfthülfe, durd Fleiß und Wohlhabenheit, die 
Eiferfuht der Ritterfchaft. Die Verwaltung blieb zwifchen 
den Nathsſchöffen und den Schultheißen des Landgrafen 
getbeilt; der wachſenden Stadt Kaflel wurden Innungen 
und Brüberfchaften, welche die Waffen wohl zu führen ver- 
flanden, beftätigt; dagegen in Frankenberg, als doppelter 
Zwiefpalt zwijchen dem Amtmann, ritterlihen Standes, 
und den Rathsſchöffen wegen des Wahlrechtö, zwifchen dem 
Rath und den Zünften ausgebrochen, das Wahlrecht ber 
Schöffen zwar beflätigt, aber jeder Zunftverband, mit Aus⸗ 
nahme der Wollenweber, aufgehoben (1368), Am nörd« 
lihen Saume Heffens, in der Nähe der freiheitsathmenden 
Gemeinwefen Weftfalend, finden wir, gleihfalld im bes 
deutiamen Jahre 1368, die erften Schritte Eleiner Städte 
zu förmlichen Bündniffen. — Als i. I. 1366 Otto vr 
Schütz, Heinrichs einziger Sohn, verhängnißvoll geflorben, | 
und Hermann der Gelehrte, des Eifernen Neffe, zur Mite 
tegierung berufen wurde: begann Otto ter Quade, Herzog 
von Braunſchweig zu Göttingen, Schwefterfohn des alten 
Landgrafen, bedenkliche Anſprüche zu erheben, und fand ben 





Fuͤnftes Bud. 89 


heſſiſchen Abel, obgfeih von Heinrih mit Vorliebe behan- Kav. 
delt, bereit, fih ihm anzufchließen, weil jener neugeitige 
Corporationdgeift der Nitterjchaft aus Schwaben auch nad 
Norbweften ſich werbreitet Hatte. Der ſchon erwähnte Bund, D a 
ber Sterner, fo genannt von feinem Abzeichen, einigte td, Sehe ae 
unter Borfhub des Welfen, zu einer furchtbaren Berfihmde 

zung gegen den Landesherrn und die Städter; von frem«- 

den Gemeinwefen halfen Weglar und Hersfeld getreufich 

gegen den gemeinfamen Feind, und Heſſens Städte ver⸗ 
biegen Leib und Gut, als Heinrih, verlaffen von feinem 

Adel, ihnen mit Thränen feine Noth geklagt (Faſtenzeit 
1372). Hersfeld nahm, als die Behde verheerend begann, 

gegm ten Willen feines Abts, der ein Glied der Sterner- 
geſellſchaft, das bedrängte Landesaufgebot in feine Mauern; 
Frankenberg entging durch die Wachſamkeit feiner Bürger, 
welche, auf den Zinnen verharrend, den Weibern den Brand 

ber Neuftadt zu Löfchen überlichen, den Anſchlag der Ueber⸗ 
rumpelung. Das Gleiche that Hademar, und am ruhm«- 
sollften, wie wir wiffen, Wetzlar, fo daß die Kraft der 
Eterner ſich theilte, bis ein Act der Anerkennung der Ge⸗ 
jellfchaft durch einen yarteiifchen kaiſerlichen KHofrichter 

i. 3, 1373 der erlöfhenden adligen Eidgenoſſenſchaft wie⸗ 

ber neues Leben verlieh. 

Thüringen mit Meißen, vereint unter dem Wettiner "ren 
Friebrih dem Ernften bis 1347, Hatte in feinen mühſam Siaͤdte. 
erretteten Neichöftädten, Mühlhauſen und Nordhaufen, und 
in dem bemofratifhen Freiheitsfinne der Erfurter, dieſelben 
Slemente der Unruhe, wie tie oberen Reichslande, und 
diefelbe Noth. Landgraf Friedrich ber Strenge, der ältefle 
der Söhne Friedrichs des Ernſten, ſuchte mit Hülfe des 
Erzbiſchoſs Gerlach von Mainz, Erfurts, und der Reichs⸗ 


90 Bierter Theil. 


Rey. ftädte den Landfrieden befonderd gegen bie räuberlihen 
Welfen zu bewahren, und fchloß, im Sorge vor jenem 
und den Sternern, da dad Haus Heflen auf ſchwachen 
Buße ftand, nebft feinen Brüdern die Hefftfche Erbverbrü⸗ 

Erfurt. derung (1373). Die Erfurter, ſtark durch gute Zucht un 
neue Statuten (1351), fo gröblich fonft in der Judenver⸗ 
folgung, in leidlicherem Berhältniffe mit dem Stuhl zu 
Mainz, fühlten in ihrer Würde ſich gehoben, ald die Gol⸗ 
dene Bulle au ihnen, wie den Müplhaufern, Nürnber⸗ 
gern, Notenburgern und Windsheimern, das Geleitäteät 
des Kurfürften von Sachſen übertrug; fo ſtark war das 
bürgerliche Bewußtfein, daß fle i. 3. 1369 die Leiche de 
Burggrafen Albrecht von Kirchberg, den ein Bürger im 
Ehebrudy erftochen, nach Gerichtöfpruch vor der Stadt füpfen 
ließen. — Unter Erzbifchof Johann von Ligny, einem Slypen 
bes Kaiſers und Nachfolger Gerlachs (1371— 73), erneu⸗ 
erte Karl zu Gunſten der Krone Böhmen den thüringiiäen 
Zandfrieden, in der Ausdehnung bis auf Naumburg; abet 
drei Jahre darauf verfchuldete eine flreitige Wahl des Main 
zer Stuhls einen Umfturz aller mühſam behaupteten Or 
nung. Das Gapitel erfor den Grafen Adolf von Nafe 
(1373); des Landgrafen Friedrichs Bruder, Ludwig „de 
Tänzer”, erhielt dagegen vom Papft Gregor XI. mit bi 
Kaiſers Bewilligung die Provifion jenes Erzftifts (1374) 
Allein Adolf Hatte den größten Theil des Sprengel un 
die drei Meicheftädte Thüringens auf feiner Seite, nammk 
lich Erfurt, das einen Sproß des ſchon übermächtigen Lan 
grafen = Haufes am wenigften als Bifchof begehrte, und I* 
bald den kirchlichen Bann nicht fürdhtete. Die Geiſtlichkeit wid 
aus; und bald erſchien der Bruder des zwiftig Erwaͤhlten 
verheerend vor Erfurt (1375). Selbſt Kaifer Karl, de 








Fünftes Bud. 91 


am 20. April 1376 über die Stadt die Reichsacht audge- 3. Kar- 
ſprochen, benußte feine politiſche Umreife nach dem Hanft-, Cut 
fhen Bororte Lübeck, um auf dem Hinwege bie tapferen""> As 
Erfurter durch fein perjönliches Exfcheinen zu beugen (Juli 
1375). Allein nad faſt fünfmonatlicher Belagerung war 
Waffenſtillftand und vorläufige Einigung ber ganze Erfolg; 
mr daß für einfweilige Aufhebung der. Acht Karl fi 
nah feiner Gewohnheit eine Summe Geldes zahlen ließ. 
Karla Bemahlin, auf ihren Wunſch in die prangende Stabt 
eingeführt, erflaunte ob der Menge des Volks und der 
Bülle an Lebensmitteln; aber neuer Unfälle gewärtig, baute 
die Bemeinde an Wall und Graben, goß eiſerne Stein- 
bühfen, und war, aller Drangfale ungeachtet, für Zwecke 
der höchſten Bildung fo flrebfam und ehrgeizig, daß ſte 
(don t. 3. 1378 in Avignon um Erlaubniß, ein „Stu⸗ 
dium generale’, eine Univerfität, zu errichten, anhielt. — 
Ihr Erzbifchof Hehauptete fih auf feinem Site; Ludwig ber 
Länzer, mit dem Bifchofsftabe zu Magdeburg entſchaͤdigt 
(1382), flürzte fi zu Kalbe an der Saale den Hals ab, 
als er fih und feine Dame aus dem brennenden Tanzjale 
retten wollte. — Mühlbaufens und Nordhauſens Geſchick Fi 
war weniger glänzend ale Erfurts, da der geldhungrige 355 
Kaiſer vielfach Gelegenheit fand, jene vereinzelten Reit" 
Rädte im Norden, zumal Nordhaufen, unverfchämt zu brand- 
Ihagen. — Leipzig, das nad der Theilung der Wettiner Leipzis. 
„3.1382 mit dem Ofterlande den Söhnen Landgraf Fried⸗ 
rih8 zuflel, während Balthafar Thüringen und Wilhelm 
Meißen erhielt, flärkte durch Beichränfung der Vermaͤcht⸗ 
riffe an die Bfaffheit und durch den Erfauf des Markt⸗ 
„Us (1345, 1363) feine innere Wohlfahrt. Leipzigs Schöp⸗ 
yenftuhl war weit berühmt und die Stadt fah in ihrer 


92 Bierter Theil. 


Ray. Mitte Häufig die Landtagsverſammlung, aus ber die Vereh⸗ 
tigung zahmer landfäffiger Städte hervorgieng. — Dresden, 
nur aus der Stadt am rechten Ufer beftchend, bildete langſam 
die Keime gemeinheitlicher Berfaffung aus. — Durd) die Hülfe 

Spal- ihrer Städte hatten bisher die Landgrafen von Heffen, Heinrid 


tung 
unter und Hermann, der allgemeinen Noth fich erwehrt, auch der böfen 


eſſiſche 

Erhnten. Gefelffgaft „son der alten Minne“, die, aus den Trümmern 
der Sterner hervorgegangen, auch jenen Tyrann von Wehlar, 
Johann von Solms, ſich zugefellt; da geſchah es 1. I. 1376, 
daß die nieberheffifchen Gemeinweſen, längft unzufrieden über 
Begünftigung des Adels, um Faften 1376 auf dem Rathhauſe 
zu Kaffel verfammelt, das fürftliche Anfinnen eines allgemei- 
nen Ungelde3 auf viele Erzeugniffe des Landes allgemein ver⸗ 
warfen. Unter fo mißlichen Umfländen, welche auch in land⸗ 
fäfftfchen Städten kecke Abwehr unbilliger Drangfale verkün⸗ 
dete, ftarb Heinrich der Eiferne i. 3. 1377, und vererbte zum 
allgemeinen Brandftoffe der Negierung Wenzels, dem Kampf! 
der Fürften, des Adels gegen bie Neichöftädte, auch den 
lodernden Zunder des Aufruhrs Tandfäfjiger Städte gegen 
die unmittelbare Landesherrſchaft. — Im nahen Gebiet 

m weder Welfen dagegen Hatten Städte wie Braunfchweig, Gil 

— tingen, Lüneburg, thätige Glieder der Hanſa, langſt ein 

faſt unabhängige Stellung. errungen, da Erbtheilung un 
Fehden ihre uneinigen Fürften arm machten, und bie dr 
meinden die Noth der Landesherren. klug benußten, dur 
Pfandfchaft immer neue Güter an fh bringen. So bein 

a Braunſchweig feit 1345 den Antheil Ernſts von Göttingen 
"und Magnus des Frommen von Wolfenbüttel an ber Voig⸗ 
tei wie an den noch nicht mit Stadtrecht begabten Weil: 
bildern de8 Sacks und der alten Wiek, Am öfterften er⸗ 
fuhr Otto der Quade, vom Volk auch der „tobende Hund” 








Fuͤnfteé Dud. 93 


genannt (1367), bderfelbe, deſſen Anhang, die Sterner, 3A. 
Heſſen plagte und deſſen fehbeluftige Gefellen die Reichs⸗ 
flädte Thüringens auf fletem Kriegsfuße erhielten, den Trotz 
feiner Bürger, die, wie die Göttinger, endlich feine Hofburg 
Balrvus zerförten (1370), fo daß er zu Hardegſen fein 
Hoflager aufſchlug. Die neue große Zerrüttung des wel⸗ 
fihen Gefchlechts, nach Erlöfchen des älteren Lüneburgifchen 
Haufes mit Wilhelm i. I. 1369, und der 19 Jahr hin⸗ 
turh mit Erbitterung geführte Erbfchaftäfrieg boten zumal 
fimmtlihen Städten die Gelegenheit, unſchätzbare Freihei⸗ 
ten zu gewinnen. Da Wilhelm, die Erbrechte feines älte-tünebm- 
rm Eidams Herzog Ottos von Sachſen und deſſen Sohneseleuci. 
Albrechts verwerfend, dem Sohne ſeines braunſchweigſchen 
Vetterd, Magnus des Frommen, Ludwig, dem jüngeren 
Eidam, die Nachfolge zugewandt, und, ungeachtet Kaifer 
Rarl die fächftfchen Fürſten begünftigte, nad dem Tode 
tudwigs, auch dem Bruder bdeffelben, Magnus II. „mit der 
Rette’, das Erbe übertragen, war ber Bürgerkrieg unver« 
neidlich. Die Stadt Lüneburg, zu hart mit Abgaben ge⸗ 
rückt, und unzufrieden Aber die Begünftigung des Adels 
ri Magnus, rief die Sachſen ins Land, und wies bie 
raunſchweigiſche Mitterfchaft blutig aus ihren Mauern 
1371). Hannover that das Gleiche, und wie nun Mag- 
us i. 3. 1373 bei Leveſte am Deifter gefallen war, und 
to der Duade von Göttingen fih als Vormund für 
efien minderjährige Söhne im TLüneburgifchen Lande feft 
u fegen fuchte, Eonnte der ſich fortfpinnende Erbfireit nur 
it Hülfe des mächtigen Braunſchweig beendet werben. 
Rto hoffte um fo eher die Stadt zu bezwingen, ba bie 
dacht derfelben gleichzeitig durch einen furdtbaren inneren 
wift "gebrochen war. Die vornehmen Rathsfamilien, nicht 


94 Bierter Theil. 





3.R0H. abgeſchloſſene Adelsgeſchlechter, fondern eine immer aus 
onen angelehenften Gewerbtreibenden ergänzte Altbürgergilbe, 
Zirte inhatten fich feit dem blutig vereitellen Aufruhr der Zünfte 
fhweig. ;, J. 1292 in der Befegung der Rathöftellen behauptet, 
geftügt auf die ihrem Weſen nad „conſervative“ Hanſa, 
und ließen nur in der Gefeßgebung den Antheil der „Wer 
feften‘’ (Wipigften) zu, eines Ausfchuffes, den fle ſelbſt er- 
wählten; da ergriff i. 3. 1374 die zünftige Bewegung ber 
Beit frampfhaft au Braunfchweig. Am 10. Nov. 1373 
hatten die Bürger von Magdeburg, — feit der groben 
Umwälzung der Verfaſſung v. I. 1333 ihrem Erzbilhefe 
Dtto (fl. 1361) treu anhängig, und flegreich gegen den 
räuberifchen Nachbaradel; feit 1362 mit den Markgrafen 
von Brandenburg und anderen Ständen an ber Elbe im 
Zandfriedensbunde, — die Braunfchweiger ſammt dem 
Herzoge Otto, ald Helfer räuberifchen Adels, empfindlid 
geihlagen, und den Herrn ſelbſt mit 60 Mitten un 
ben reichften Bürgern gefangen genommen, als da 
Löfegeld, welches der Rath für die unglücklichen Kriege 
um Oftern 1374 bezahlte, die Klage der Gemeinde, welche 
längft über hohe Steuern unzufrieden gewefen, bebrohlid 
erwedte. Die böfe Geſellſchaft, in welche die Herren von 
Braunfchweig ſich eingelaflen, jener Helfer der Steme, 
dient nicht, ihre Sache zu empfelen. Aber ohne weiter 
überfielen fie die Gildemeiſter, die gewählten Hauptleut 
des Volks, Liegen einige derfelben binrichten, was bem 
die Gemeinde zu folcher Wuth entflammte, daß fie neun 
Bürgermeiftern, unter ihnen dem alten Tile von Danm, 
ber fih in feinem Haufe, den Sieben Thürmen, verfrdt 
hatte, und dem mannhaften Tile Döring, — dad Haut 
abſchlug, den Rath aller vier MWeichbilder abſetzte, un 











Fünftes Bud. ‚95 


die Geſchlechter völlig aus der Stadt verwies, Nur bie 3. Kar. 
alte Wiek blieb ihrem Rathe getreu, und rettete denfelben 
durh Abwerfung der Brüde Hinter der 2. F. Kirche und 
durch Sperrung ihrer Ihore, Männer aus den Zünften, bes 
ſonders @erber, ‚folge, übermüthige Leute”, nahmen den 
Rathsſtuhl ein, und braten ed zwar dahin, daß ihre 
jungen Zandeöherren, die Söhne Magnus H., fih mit ihnen, 
und „wegen der Schicht zwifchen dem alten Rathe und ber 
Gemeinde”, fühnten (Auguſt 1374); aber die Ausgetriebenen 
begaben fih in die benachbarten Städte, fahndeten mit Araun- 


weig 
dem Landadel auf Perſon und Gut der Aufrührer, und ‚ver 


bewirkten auf dem Hanſetage die Ausftoßung ihrer Vater⸗ — 
ſtadt aus dem Bunde. Das Verbrechen derſelben ſchien um 
ſo ungeheurer, als ſie ſich vermeſſen hatte, durch Sendſchrei⸗ 
ben an andere hanſiſche Gemeinen nicht ohne Erfolg gleiche 
Unruhe zu weden. Bis ind achte Jahr trug die zünftig 
verwaltete Stadt die Anfeindung aller Nachbarn, eine gänz« 
liche Rechtlofigkeit des Bürger in der Fremde; vergeblich warb 
Kaifer Karl ihr Fürſprecher; als alle Quellen des Wohls 
fandes verfiegten, bequemte fle fih, wie wir noch andeu⸗ 
ten werden, der demüthigenden Beftrafung durch den all 
gewaltigen Kaufmannsbund. Herzog Friedrich, Magnus II. 
ültefter Sohn, welcher der Bebrängten fi angenommen, 
verdiente den Dank der Braunfchweiger, welchen fie auf 
Felde bei Winfen abflatteten. — 

Wir wenden und jet über die Weſer nach Weftfalen Geödıe 
und dem Niederrhein, um diefelben Zuftände, Unruhen falens. 
der Zünfte in Städten, wo Geſchlechter noch am Ruder 
waren, raͤuberiſche Adelögejellfihaften, wie in den oberen 
MReichslanden Eennen zu Iernen, enblid die eigenthümlichen 
Nittel, welche jene Bevölkerung zur Heilung unjäglicher 


96 Bierter Theil. 


3.Rap. · Uebel erfann. In der älteften und größten Rheinſtadi, 


Unruhen 


in som Köln, wo zuletzt unter Ludwig dem Baiern die ariflofrati- 
mi danſche Verfaſſung ins Schwanken gekommen, hatte unter der 
friedlichen Herrſchaft der Erzbifchöfe, Wilhelm von Gennep 
(1349 — 1362), Adolfs II. (1364) und tes alten Engel⸗ 
bredht II. von der Mark (bis 1368) das Gefchlechterregi- 
ment unangefochten fih behauptet. Bon da ab erneuerten 
fi innere und äußere Kämpfe, als hätte der folgenreihfte 
aller Hanfetage, der zu Köln i. 3. 1367, befchämend bie 
Unvollfommenheit der altfränkifchen Verfaffung vor Augen 
geftellt. Als Kuno von Balfenftein (f. 1362), Der zweite 
Nachfolger jenes berühmten Lützelburgers Baltuin (ft. 1354) 
auf dem Stuhl von Trier, den wir in den Mainzer Bir 
ren, wie überall im Reiche, klug und kraftvoll walten jahen, 
auch nad Engelbrechts IH. Tode die Angelegenheiten des Erz⸗ 
ftift8 Teitete (1369), drang der Senat von Köln auf die 
Befteuerung ber Geiftlichfeit vom Ertrage ihrer Weinberge | 
und ihrer Früchte, weldhe in Die Mauern eingeführt wur 
den, ftellte, wie jene fih weigerte, Hüter an den Scap 
d. heil. drei Könige, und verfchuldete dadurch den Bann 
von Seiten des Stiftéverwalters. Erft auf Vermittelung 
des neuen Kirchenfürften, Friedrichs von Saarwerben, kehrte 
die ausgewichene Geiftlichfeit nach zwei Jahren zurüd, und 
ward der Bannfluh aufgehoben. Aber dem Außeren Frie⸗ 
den ging ein blutiger Kampf zwifchen dem Adel und ber 
Gemeinde zur Seite. Im nahen Aachen hatten i. I. 1368 
die Bünfte vier Hauptleute gegen die ‚Herren gemacht“, 
waren aber unterlegen; zu Pfingften d. 3. 1369 erhob fid 
Auſſtand dagegen in Köln die reiche und mächtige Weberzunft, welde 
Beber. angchli 30,000 Webftühle befchäftigte, begehrte Antheil 
an der Megierung eines Gemeinwefens, zu deſſen Blüthe 








Bünftes Bud. 97 


fie das Meifte beitrug, nachdem fchon längere Zeit dumpfer 3... 
Groll geherrſcht gegen die Herren, welche heut in abliger 
Geſpreiztheit turmirten, und morgen Wein zapften oder 
Gewand fihnitten. Die bewaffneten Haufen fdhüchterten 
aldbald die Gebietes fo ein, daß dieſe erft drei, dann acht 
Rathsherren, Die das Volk des Verraths befchuldigte, in 
ten Thurm legen mußten ; dann erzwangen die Weber den 
Beſchluß, Die Schöffen aus dem Rathe und ber Bürger- 
meifterbant zu floßen, und auch das verbaßte Amt ber 
Riherzechheit zu brechen. Es biltete fi naͤchſtdem ein 
mger Rath aus den Gefchlechtern, und ein ‚weiter‘, au 
den 50 Mann von den Hauptämtern; fo berrichten die 
Zünfte, unter übermiegendem Einfluß der Weber, über 
füngehn Monate, von Johauni 1370 an, als ihre Zü- 
gellofigfeit die übrigen Zünfte nöthigte, von ihnen ji 
Ioszufagen, und mit den „Herren“ die Mebermüthigen blutig 
zu überwältigen. Den Anlaß gab die gewaltfume Befreis 
ung eines. Berbrechers, welden die Schöffen nad Recht 
zum Tode veruxtheilt hatten. In der „Weberſchlacht“, bie Die 
auf allen Straßen und Plaͤten tobte, befonderd auf bem ſchlacht. 
Waidmarkt und dem Griechenmarkt, unterlagen die ver⸗ 
zweifelt Kaͤmpfenden den Geſchlechtern und den Brüderfchaf« 
ten, die unter dem Stabibanner ſich geeinigt hatten; 33 
Häupter der Weber wurden am 21. Noo. 1371 hingerich⸗ 
tet, noch andern Tags Häufer, Kirchen und Klöfter durch⸗ 
geiucht, alle Aufgeipürten ermordet, endlich 1800 berjelben 
mit Weib und Kind verwiefen, ihr Bunftbaus, „ein Pa- 
Iaft‘’, niebesgeriffen. Die Ausgewanderten fanden Auf 
nahme in Nahen, im Bergiſchen und in der Grafſchaft 
Mark, und halfen die dortige Gewerbthätigfeit heben; aber 


Uneinigfeit zwifchen den Schöffen und dem Mathe, welder 
Barthold , Städtewefen. IV. 7 


98 Bierter Theil, 


3°. die Rechte ber erfieren zu befchränten ſuchte, rief einen 

Zins neuen Krieg mit dem Erzbifchof, dem Befchüger des An, 

miedemhervor (1375). Als Friedrich mit feinen Vaſallen den 

biſchoſe. Koölniſchen Handel auf dem Strome und den Landfrafen 
befhädigte, die Stadt in die Reichsacht brachte, ſpertten 
die Kölner ihrerſeits den Mhein oberhalb ihrer Mauem, 
fo daß Kaijer Karl zur Krönung feined Sohnes einen 
Umweg nad) Aachen machen mußte; brannten in mehren 
Anfällen Deug, endlich felbft das dortige Heriberts⸗Münſtet 
nieder, und fehlugen den Belagerer gänzlich in die Fluht, 
ihn mit Tadel und Schwer bis nah Bonn verfolgend. 
Obgleich wegen ihres Kirchenbruchs auch mit dem paͤpftlichen 
Banne belegt, zwangen fie den ohnmächtigen Biſchof i. J 
1377 zum Frieden, - wurden aber erft durch Wenzel von 
der Reichsacht, i. I. 1382 vom Bannfluche befreit. Un 
gefhwächt durch die inneren Mängel yprangte Köln, neh 
unter dem Einfluß feiner Ariftofratie auf die Gründung 
feiner berühmten Hochſchule bedacht, bis endlich auch hie 
die zähefte Gefchlechterherrfchaft zu Grabe ging. 

Zuftand Wir fühlen und aufer Stande, Weftfalens öffentliqhe 

— Verhaͤltniſſe, welche kaum von ber kaiſerlichen Macht be 
rührt wurden, zu ſchildern. Sonderbündniſſe der einzelnen 
Landestheile, wie des kölniſchen Herzogthums Weſtfalen, 
unter dem Marſchalk des Erzbiſchofs, und jener altver⸗ 
fhwifterten Städte, Soeft, Münfter, Paderborn, Odnabrid 
und Dortmund, wurden unermüdlich verfucht, um dem tief 
gerwurzelten Unweſen des Fauſtrechts und abliger Maubiukt 
zu begegnen. Die vielen gleihmächtigen Grafen des Landed, 
aus denen erft allmälig durch glückliche Heirathen und 
tapfere® Zugreifen daB Haus von ber Mark ſich erhob; 
die Armuth des rauhen Adels, die Wohlhabenheit der 








Sünftes Bud. 99 


Städte, denen Weglagerung und offene Brieblofigfeit die3.Ra. 





Adern des hanſtſchen Verkehrs nicht abzufchneiden vermochten, 
unaufbörliche Wahlftreite um die vier Bischümer, ließen e8 
nimmer auch nur zu einem fcheinbaren Gebeihen des Deffent- 
lien fommen. Je tiefered Rechtsgefühl im altfaiftichen 
Gemüthe wurzelte, je hohnvoller war die Praris des Lebens. 
— Mühſam behauptete fih Dortmund als einzige Reichs» 
Radt, nachdem ed einmal König Wilgelm i. I. 1348 an 
Köln verpfändet; die Grafen von der Mark, befonderd 
Engelbrecht III. ( 1348 — 1391) maßten Ted ſich Schutz⸗ 
und Herrenrechte an, und fpielten in Weflfalen überhaupt 
bie Rolle des Greiners. Soeſt Hatte unter ben lebten 
friedlichen Erzbifhöfen eine faft reichsſtändige Unabhängigkeit 
erungen, zumal feit es beim Berkaufe der Graffchaft 
Amsberg an Köln (1369) durch Geldvorſtreckung ſich 
Verdienſte, und anfehnlihe Nießbraͤuche, wie z. B. er⸗ 
weiterte Stuhlherrſchaft erworben. In allen Städten feines 
Gebiets als Dberhofd oder als Vororts war bie Ber 
faffang läͤngſt entſchieden demokratiſch, das Doll deshalb 
um fo flreitbarer, wie zu Lippfladt, Bellen, Attendorn. 
Das Jahrhundert des Zunftunruben ging faft unbemerkt an 
der Hauptſtadt der Engern vorüber, wenn auch bie feit 
1363 bemerkliche Bertretung der unzünftigen Gemeinde 
buch „jene Zwölfe, welche vor den Rath zu geben pflegen‘, 
ein verändertes Gejehgebungsrecht und bürgerliche Bewegung 
erratben laͤßt. Der Nachbaradel hielt Soefts Bürgern feine 
Säufer offen; und bie weflfäliichen Landfriedenäverfamm- 
lungen fanden auf dem Rathhauſe bei St. Patroflus flatt. 
Begnügt mit tharfächlicher Unabhängigkeit, als landſaͤſſige 
Stadt vom Reiche nit verpfändbar, obgleich den Adler 
im Schilde des Schutzheiligen führend, beneidete das Haupt 
7* 


A 


oeſt. 


100 Bierter Theil. 


3.Rar. der Engern die vielfach befümmerten Dortmunder, bie Ne 


Bader 
born. 


Dina» 
brück. 


benbuhler des hanſiſchen Verkehrs, nicht um den Titel der 


Reichsſtadt. Paderborn genoß unter den Biſchöfen, (1326 
bis 1380) Balduin von Steinfurt und Heinrich IV., des 
Stammes der Spiegel zum Defenberg, Ieidlicher Ruhe im In- 
nern; dagegen trieb der Stiftsadel das Raubhandwerk mit 


faft europäifchem Hufe, Osnabrück Eräntelte an dem Zwifte 





zwiſchen Geiftlichfett und Bürgerſchaft fort,. welche ber Er- 
werbjucht jener nicht Grenzen feßen Eonnte, und litt unter - 


fhwachen Briefterfürften durch die Willlür der Amtleute, 


die in Folge eines gröblichen Rechtsübergriffs i. J. 1356 
den Bilhof Johann II. zum Häglichften Bekenntniß feine 


Ohnmacht nöthigten. Der Stiftsverweſer, Dietrich von 


der Mark, erlag mit den Bürgern i. I. 1363 dem An⸗ 


griff der Bundeöfreunde Gerhards son Minden; nod i. I. 


1371 Hatten die Osnabrücker Löfegeld für ihre Gefange 
nen zu zahlen. Unter Meldior non Braunfhweig (1366 - 


bis 1376) flieg die Geſetzloſigkeit aufs Höch ſte, ward in 
Stadt und Land überall geraubt, gebrannt und gemorbet, 
und droheten die Bürger, ſich einen andern Herrn zu wählen, 
da der Bifchof in feindliche Hand gerathen! Jener Diet- 
rih von der Mark warb Darauf vom Kapitel wiederum zum 
bifhöflihen Statthalter erwählt, und gewann dadurch neue 
Anfprüde, weldhe nur durch Fehde erledigt werben konn⸗ 
ten. — Ein anderer Beiniger der Stiftslande blieb der 
Graf von Tecklenburg, dem nad) Melhiord Tode (1376) 
nur im fo erbitterten Kampfe, daß Bürger und Bitter 
ihre Gefangenen ſchonungslos auffingen,, Die Stiftsſchlöſſer 
abgenommen werden fonnten. 


— Etwas erfreulicher ſah ed im Bisthum Münſter unter 
Muͤnſter. Graf Adolf von der Mark (1357—1363) und unter Bi⸗ 


| 


, 
‘ 
j 


| 


Fünftes Bud. 101 


ihof Florenz (v. 1364—1379) aus, welcher Iehtere zumal.3. Ra. 
das Hochſtift aus gänzlichem Verfalle rettete. Gr ſchloß 
die erfle Landesvereinigung (1368), indem er ſich verbind⸗ 
ih machte, einen beftändigen Rath aus dem Domkapitel, 
der Ritterfchaft und dem Math von Münfter an die Seite 
zu nehmen, mit dem er alle Angelegenheiten bed Landes 
beraihe. Die Hauptfladt, thätiged Glied der Hana, von 
Bürgermeiſtern und Nathwännern regiert, hatte zwar noch 
in ihrem Innern die Domimmunität, Die Burg; aber der 
alte biſchöfliche Hof war um 1364 fon feit 70 Iahren 
verlafien; Die Bifchäfe zogen vor, auf ihren. Landſchlöfſern 
Hof zu Halten. Des Biſchofs Florenz Berdienft um den 
großen weftfälifhen Landfrieden, der des Kaiters 
Balten endlich auch im Norbweflen Deutfchlands Eund that, 
heben wir hervor, nachdem wir die Grundlage befielben, 
die Entwidelung des Bemgerihts, und die unbänbige 
Natur des weftfälifchen Adels gefchildert haben. — 

Jene uralten Freigerichte. auf weflfälticher Erde, feit geneu 
der Verminderung der Gemeinfreien nur auf eine geringe kuen 
Birkfamfeit als Stuhl über freieigenes Gut und freie „Aine. 
Berfon beichränkt, mochten mit fehr gewöhnlichen Dingen, 
Auflaffung von Erbgut, Grenzftreitigfeiten, nicht mit pein- 
lihen Faͤllen ſich heichäftigt haben, als die unfägliche Zer- 
rüttung aller Rechtsverhältniſſe, die untragbare Unficherheit 
des Eigenthums, Die Fehdeluſt und Raubfucht des Adels 
ſeit der großen Parteiung unter Kaiſer Ludwig einer un⸗ 
ſcheinbaren Gerichtsverfafſung unerwarteten Aufſchwung und 
furchtbare Bedeutung brachten. Die oberſte Stuhlherrſchaft, 
in früheren Jahren vom Herzoge des großen Sachſenlandes 
im Namen des Reichs verwaltet, war ſeit Heinrichs des 
Löwen Fall getheilt; wie denn der Biſchof von Münſter 





102 Bierter Theil. 


‚3.Rop. ſich Oberften Freigrafen feines Sprengels nannte. Die nicht un⸗ 


Aus 
dehnu 
der w 


s 


bedeutenden Gefälle, welche mit den alterthümlichen Befugnii= 
fen verfnüpft waren, jogar eine Gebühr, weldye der Kaifer 
beim Berfauf unmittelbaren Freiguts beanſpruchte, hatten die 
Städte zeitig veranlaßt, nad der Erwerbung von Freiſtüh⸗ 
Ien zu tradhten. So befaß Soeft jeit d. I. 1328 Die Freie 
grafihaft Rodenberg, gewann nad der Veräußerung ber 
Grafihaft Arnsberg auch näher belegene Freiftühle, und 
lieg fih feinen Freigrafen als Hädtiihen Beamten vom 
Kaifer beftätigen. Dergleichen befaßen Münfter, Osnabrück, 


Paderborn; der Reichsſtadt Dortmund hatte ihre eigen- 


thümliche Verbindung mit der Grafihaft gleihen Namens 
die getheilte Berechtigung zugewandt, ihren Stuhl zu he- 
fegen, dem zeitig die Beltung eines Oberhof zuftand. 
Unvermerft ging während der gefdhilderten Anarchie des 
XIV. Jahrhunderts bei der Vermehrung der Verbrechen unt 
dem Derfall der gewöhnlichen Berichte aus den @lementen 
der älteften Gerichtöverfafjung das Streben nadı einer neuen 
Nechtöpflege wirffamerer Art hervor, und geftalteten fid 
die früheren Breifchöffenbündnifle zu jener vemrichterlichen 
Genofſſenſchaft, die, obgleih an offenkundbaren Malftätten 
und vor aller Welt ihre Gerichte hegend, ihre Mahnungen 
bei den fogenannten „DBemwrogen” für Die Ferne zum 
Begenftande des Schreckens machte. Solhe Ausdehnung 
gelang erftens durch die Unabhängigkeit, weldye die ein- 


n 
der neisgefnen Breiftühle ſich von ben Xeritorlalhesten verſchafflen; 


Gerichte zweiten s, daß fie dem Streben des Erzbiſchofs von Köln, 


fein herzogliches Anfehen über ganz Weflfalen zu erſtrecken, 
entgegen famen, und, obgleich ſte ſich als unmittelbare 
Behörde des Kaiferd barflellten, jenen als Statthalter des 
Kaifere, als Ober- Stuhlheren aller Freigrafen in Weſt⸗ 





Bünftes Buch. 103 


folen und Engern anerkannten; als Träger jo ausichkieg- Am 
licher Gewalt erſcheint der mächtige zweite Kurfürft des 
Reichs um die Mitte des XIV. Jahrhunderts, in Folge bes 
ionderer kaiſerlicher Brivilegien, fogar mit Widerrufung 
von urfundlidyer Verleifung an andere Fürſten; drittens 
endlich wurde die ungeheure, bald in furdtbaren Mißbrauch 
ausortente Marhterweiterung dadurch motivirt, daß Kaifer 
Karl den von ihm heftätigten Landfrieden unmittelbar mit 
dem Bemgerichte in Berbindung ſetzte, und dem auf jenes 
reinörtliche Rechtsverfahren gegründeten Friedensbunde die 
Erlaubniß ertheilte, auch benachbarte Reichsgebiete in fi 
aufzunehmen. Der Erzbiſchof Friedrich von Köln nämlich, 
die Bifchöfe Florenz von Münſter, Heinrich von Pader⸗ 
born, Balthafar non Osnabrück, und Graf Eingelbredt II. 
von der Mark Hatten enblih einen Zuſtand öffentlicher 
Rechtloſigkeit und der unverholenſten Raubſucht der Stär- 
teren gegen Schwache jo unerträglich gefunden, obgleich 
eben ihre gegenfeitige Befehdung das Uebel gefteigert, daß 
fie beim Kaifer um einen allgemein gültigen Landfrieden 
nahfuchten. Die trogigfle Verachtung jedes Geſetzes und 
jeder ſelbſt völferrechtliden oder kirchlichen Satzung, die 
Wildheit, welche der weftfältiche Adel ſich feit einem Jahr-De Adel 
: ef 
hundert angewähnt, ſchien nicht mehr überboten werben zu falens. 
können. Was half ed, dab Biſchof Ludwig von Münfter 
(1310-1357) allein 70 Raubſchlöſſer zerftörte; daß die 
altvereinigten Städte und die Stände bed kölniſchen Her⸗ 
zogthums Weflfalen unter dem Landmarſchalk mit faſt 
findifhem Glauben ihre Bündnifie zum Schirm bes 
Rechtszuſtands erneuerten; bag namentlich bie fireitbaren 
Städte innerhalb ihres Gebieted alle ſchaͤdlichen Burgen 
brachen? die Befugniß der Landherren zur Selbfihälfe fand 





104 Bierter Theil. 


3.80. affein in ber Aufforderung an die Vaſallen, zu brennen 
und zu weglagern, das Mittel, einander, oder Stäbte oder 
bie geiftlichen Fürſten zu befehden. Zwar gewährt Berner 
Rolewinks, Zeitgenofien des folgenden Jahrhunderts, Schil⸗ 
derung feiner ‚lieben Landsleute” die Züge zum Bilde des 
niederen deutfchen Adels überhaupt, and jene harakterifli- 
fhen Denfverfe des aufrichtigen weflfälifchen Sittenmalers 
wurden unbefangen von allen fremden Ehronifanten auf 
die ſittliche Erfcheinung ihrer einheimifchen Ritterſchaft 
übertragen: „Nuten, voven, bat en 18 gheyn fchande, 
Dat doynt die beften son dem Lande”, wogegen Die Bau- 
ern zu antworten pflegten: „Hangen, raden, koppen, fies 
fen en i8 gheyn Sunde, Were dat nit, wy behelden nit | 
in dem Munde‘; jene fo wenig fchmeichelhafte Abbil⸗ | 
dung gewinnt durch gefihichtlidie Ihatfachen eine fchimpfe « 
fihe Wahrheit. Die freche Ueberwältigung eines unter 
kaiſerlichem und kirchlichem Geleite zum Kampfe gegen bie 
heidnifchen Litthauer ziehenden fremden Fürſten geſchah 
zwar um diefe Zeit au an den ewig friedlofen @ren- 
zen Hinterpommernd und Polens durch einen pommerfgen 
Edelmann, und blieb nicht ohne Strafe; dagegen ift wohl | 
nur im Sprengel eines weſtfaäliſchen Biſchofs gefchehen: 
daß eined englifhen Prinzen Heinrichs von Lancafter prun⸗ 
fende Kreuzfahrergefellihaft, 400 Mann flark, unweit Pa⸗ 
derborn son Stiftsvaſallen, des Gefchlechts Der Padberg, 
Plettenberg und Rittberg, niedergeworfen und ihrer reichen 
Fahrniß ſchamlos beraubt wurde (1356), — Im unge⸗ 
wöhnlicher Anwandlung des Gerechtigkeitsgefühls Hatten 
obengenannte Fürſten dem Kaiſer ihre Landesnoth geklagt, 
und dieſer, welcher doch die innerſten Reichsprovinzen in 
die heilloſeſte Verwirrung geſtürzt, verlieh den Weſtfalen 





Fünftes Bud. 105 


am 25. November 1371 zu Bauen ein ewiges Recht: 8. gav 
daß alle Kirchen, Kirchhöfe, alle Hausleute, und alle in Breber 
Leib und Gut daranf ſicher fein follten; beögleichen der „ber 
Pflug mit feinen Knechten und Pferden auf dem Felde, die frieden. 
Kaufleute, Bilgrime und geifllichen Leute auf den Straßen; 
wolle jemand des anderen Feind fein, fo folle er drei Tage 
vorher feiner Ehre bewahren; auch möchten Die vorgenannten 
Herten von ben Städten, die bei ihnen find, jede in den Bund 
aufnehmen, und dieſes Recht beſchwören laſſen; bräche aber 
jemand diefes Recht, fo folle man ihn mit ber That in 
des Reichs und Landes Acht und Bene thun, und er recht⸗ 
los fein, fo daß man ihn in allen Städten und Straßen 
kühnlich angreifen dürfe, und jedermann Bei des Königs 
Bann zu Helfen berufen fei; wer dem Uebelthäter Vorſchub 
kifte, unterläge gleicher Strafe. Auch gebot Karl allen 
Fürſien, Herren und Freigrafen, bie von ihm freie Graf⸗ 
haft haben in Weſtfalen, und allen Freiſchöffen, Rit⸗ 
in, Knechten und Stäbtern, daß man den lebertreter 
dieſes Rechts folle Hängen und hinrichten laſſen, des⸗ 
gleichen feinen Vertheidiger; endlich folle kein Freigraf einen 
Schöffen machen, ex beföle ihm’ denn auf feinen Eid, Dies 
treulih Halten zu wollen, auch Feine andesen, als Freige⸗ 
borne zu Schöffen zu wählen. — Diefer mweitfältiiche 
Zandfrieden, welder den Vemgerichte einen eigenthüms 
lichen Höheren Wirkungsfreis geſetzlich zuwies, warb im 
Juli 1372 von ben 'genammten Fürften,- mit Zuziehung von 
Dortmund, deſſen Freifluhl „des vömifchen Königs heim- 
lihe Kammer”, der „Spiegel® genannt wurde, aufgerich⸗ 
tet, und Städte, wie Soeft, Münfter u. a., ausdrücklich 
aufgenommen. Die Ausdehnung, welche der Bund in wes 
nigen Jahren gewann, die ſchnelle und Eräftige Juſtiz durch 


Freiſtuhl 


zu Soeſt. 


106 Vierter Theil. 


3.Rap. denſelben, bewährten ihn in dem Grade als Beduͤrfniß, 


und übten einen fo wohlthätigen Einfluß auf Achtung des 


Geſetzes und der Gerichte aus, wenn er auch nicht Die Fehden 
verhindern konnte, dag felbft außerhalb der weſtfäliſchen 


Erde große Landfihaften demjelben Heitraten. So auf des 
Zandgrafen Balthafar Betrieb Thüringen, und 1384 durch den- 


felben aufgenommen, die Reichsſtadt Mühlhauſen; ja der Auf 


des Vemgerichts erfcholl einerfeits bis nach Bommern und ber 
Zauftg, andererfeitd bis nah Schwaben, und fand Ned: 
ahmung, unter ganz abweichenden VBerhältnifien und Zweden. 
Dennoch wollten die ehreifrigen Weftfalen die Errichtung 
eined Freiſtuhls, ald das wirffamfte Mittel zur Sicherung 
des Landfriedens, nur auf „rother Erde‘ gelten Laflen, 
begannen aber zeitig den ärgerlidiien Mißbrauch der La⸗ 
dung und Vervemung entfernter Perfonen, ja ganzer Kör- 
perjbaften, in nit vemflrafbaren Dingen, zu welchen aus- 
ſchließlich Friedensobruch, Verrath, Diebſtahl, Notbzudt, 
Meineid, Faͤlſchung und der Art peinliche Bälle gehörten, 
und verſchuldeten fhon unter König Wenzel, falls dieſem 
nicht andere Gründe vorlagen, die Aufhebung des durch ſeinen 
Vater widerruflich verliehenen Landfriedens. Gemeinweſen, 
wie Soeſt, deſſen Greiftugl ,, zwiſchen der Ulrichspforte“ 
dem zu Dortmund und Arnsberg an Anſechen zunächſt ſtand, 
beſchränkten nerfländig den Wirkungskreis ihres beftellten 
Freigrafen; überwiegend nur bie Stühle der kleinen adligen 
Herrn, die Frechheit und der Kigennuß derſelben, brachten, 
alter Reformen in Kapitelsbeſchlüſſen ungeachtet, eine ührem 
Urfprunge nad) wohlthätige Einrichtung in früben Verfall. 
Doch ſelbſt in Betracht feines Geburtslandes, wo ed Tau⸗ 
fenbe der „Wiſſenden“ (Freiſchöffen) gab, darf das Der 
dienſt des Vemgerichts nicht überfhägt werben; ter Abel 











Fünftes Bud. 107 


biieb unverbefferlih, und andere Mittel, als die „peins 3. ae 
lihe Acht““, oder als Die erneueten Landfriedensbündniſſe, 
fiherten dem Bürgerthum fein Gedeihen. — 

Indem unfere Darftellung von Engern und Weftfalen 
ber fi) dem Gebiet der Seeſtädte, der eigentlichen Hanſa, 
nähert, haben wir die Verfafſungsgeſchichte Bremens, feit 
einem vollen Jahrhunderte, im Umrig aufzunehmen, da die 
ganz befondere Entwidelung jenes Gemeinweſens dem Zu⸗ 
ſammenhange mit der Gefchichte der Nachbarſtädte nicht 
tcht fh fügen wollte. Erbichtung und Faͤlſchung von Ur⸗ 
fanden, feit jener gläubig verehrten Kalfer Heinrichs V. 
6.3. 1111, bis auf die Erzeugniſſe fehwedifcher Argliſt 
im XVII. Sahrhunderte, machen die Gefhichte der Königin 
an der Weſer, wo Adalbert als Patriarch des Norden 
geboten, zur bedenklichen Aufgabe. Wir erkannten aber 
Bremen beim I. 1246, laut der Reverialen Erzbiſchof Ger⸗ Bremen. 
bards II, jenes blutigen Kebernerfolgerd und Königs» 
machers, in einer auffallend unvollkommenen Breiheit; Die 
erblübende Handelsſtadt wußte jedoch, im ©egenja der 
banftichen Schweſtern, ihre Schritte zur Ausbildung eines 
demofratifchen Gemeinwefend zu verboppeln, und zumal die 
niederrheinifche Vorderſtadt Köln zu überflägeln. Schon 
1. 3. 1248 verfaßte der Rath ein geſchriebenes peinliches 
Recht; Erzbiſchof Hildebold (1258 — 1273) fuchte die Gunft 
des Bürgerthums im Vertrage von 1259; die Spuren bet: 
Hofrechts und der Brondienfte ſchwanden, indem die Zünfte, 
fit 1262 in unruhiger Bewegung, ber Aufſicht des Voigts 
fh entzogen, und ihr eigene Meiſter und Gerichte erhielten 
(1273); vollends unter Erzbifhof Gieſelbert (1273 — 1306) 
ergriff unbändiger politifcher Drang die mündige Bevölkerung. 
Am geimen Dommerstage 1275 erſcholl der Auf der Freiheit; 


108 Bierter Theil. 


3.Rav. die Hifchöflihe Pfalz ward zerftört und Giefelbert mußte 
mit der minifleriolen Gemeinde entweihen. Erſt i. I. 
1286 verföhnte fih Lie Volkspartei, geleitet durch ihre 
Sechzehn, mit dem Kirchenfürften, beſchräͤnkte gleichwohl vie 
herrſchenden Rathsgeſchlechter; jene Sapung der Hanſa, 
welche den Zünften in Braunfchweig den Nacken brach, fand 
wadhlerfeine Anwendung auf die Weſerſtadt, die ald ſprödes Glied 





hangig des Bundes erſcheint, und als bifhöflihe Stadt in ihren 


Bremens Afthürgern, den minifterialen Gefchledhtern, eine dem freien 
Bürgertfume überhaupt feindliche Partei angegriffen hatte. 
Dunfel ift der Hergang d. 3. 1289, in welchem Gieſel⸗ 


Gert tem Rathe die weltliche Hoheit über die Stadt ein . 


geräumt haben foll, um mit dem geiftliden Regimente 
fi zu begnügen; doch auch der geiftliche Befig warb be⸗ 
Ihräntt. Ein unzweifelhafterer Beweis unabhängiger frei- 


fäbtifher Stellung ift jedoch das Schug- und Trugbünds 
niß, welches i. 3. 1301 der Erzbiſchof jammt der Stift . 


ritterihaft mit Bremen einging. Der Anfang bes XIV. 
Jahrhunderts laßt in einer Stadt an ber Nordſee, die mit 
&landern fo innigen Verkehr hatte, den höchſten Auffchwung 
der Demokratie erwarten. Vremens Gepräge, bei ritter- 
lichen Rathsgeſchlechtern und der ihnen zugeneigten „Witt: 
heit”, bei Oldermaͤnnern als den fechzehn Vertretern der 
Gemeinde, je vier aus jedem Viertel, nebft den Geſchwo⸗ 
senen, war noch ein alterthümlich gemiſchtes; das gefchrie- 
oem Bene „Stadtrecht“ v. 3. 1303 Eonnte den morſchen Staat 
Bremen. nicht lange ſichern, welcher noch eine voigteiliche Gerichts⸗ 
barkeit gewaͤhrleiſtete. Als die Nathsariſtokratie überall in 
ihren Fugen wankte, i. J. 1304, führte die Ermordung 
eines volksthümlichen Rathmannes ritterlichen Geſchlechts, 
Arend von Gröplingen, durch die frevelhafte Hand ergrimm⸗ 


Fünftes Bud. 109 


ter Junfer, zur Vertreibung der herrſchenden Geſchlechter, 3: Rem 
und nah einer Fehde mit dem StiftBadel, der feine näch⸗ 
ſten Schlöfler eingebüßt, zum fiegreihen Frieden (1305). 
Der Berftärfung des Mathe auf 36 Glieder (1306) folgte 
im Jahr, als der ewige Bund der Waldflätte erneuert 
wurde, die namentliche Aechtung ſämmtlicher ausgewichener 
Geſchlechter, dann eine Sühne, welde das ritterlihe Gut 
aus dem flädtifchen Weichbild ausſchied; fobann wuchs ber 
Befeftigungsumfang, indem man t. J. 1310 die Steffens- 
ſtadt ummanerte, eine Landwehr mit Wachtthürmen aufs 
führte; das Landgebiet erweiterte fih den Strom abwärts. 
Dennoch erftarkte auf dem Wege Faufmännifchen Reichthums 
das ariftofratifche Aegiment, Das jet mit jenen beneibeten 
Boldfetten und in bunten Marderfihauben prunfte, t. 93. 
1322 wieder fo weit, daß es die @iltfeope (Gildenſchaft) 
„wegen der damit verfnüpften Koſten“ abichaffte, ohne je» 
boch den BZunftverband aufzulöfen. Uber das Jahr 1330 
mußte, wenn auch außer Verbindung des Kampfed Ludwigs 
mit dem Stuhle zu Avignon, auch in Bremen zu demſel⸗ 
ben Ziele führen. Ein Statut des „Raths, der Weifeften 
mit der Gemeinde“ v. 3. 1330, fordert von einem Rath⸗ 
manne nur freie, ächte Geburt und Beſitz im Werthe von 
32 M., Breiheit von jeder Dienfiverpflichtung, die Aus- 
richtung eined Gafimals am Tage feiner Aufnahme; und 
beffimmt die gewählte Zahl der Glieder aus jedem Bier 
tel auf 9, alſo auf 36 im Ganzen, die ſich aber ſelbſt er⸗ 
ganzen; noch in demfelben Jahre warb ber Rath son ber 
Köre (Wahl) vertrieben, und traten nicht weniger als 114 
Rathmänner auf! Unbekannt find die Ereigniſſe, welche, 
gewiß flürmifh genug, der Volkspartei foldhen Sieg er⸗ 
sangen. Mädtig handhabte das populäre Regiment ben 


110 Bierter Theil. 


3.Kar. Frieden zu Land und zu Waſſer, dehnte den Verkehr Bre- 
mend bejonderd auf der Rordiee aus, brachte das Comptoir 

zu Bergen in Rormwegen zur Blüthe, verfchönerte Die Stadt 

nah wiederholtem Brande mit ſtolzen Kirchen, und bezwang 

die räuberifchen Zriefenflämme. Damals, i. 3. 1345, er- 
— hielt Oldenburg, bis dahin ein Marktflecken mit einer graͤf⸗ 
—99— lichen Burg, das bremiſche Stadt- und Schifffahrtsrecht, 
recht. wie auch Verden, der karlingiſche Biſchofoſttz, in Bremen 
ſeinen Oberhof erkannte. Bald aber erneuerten ſich die 
bürgerlichen Kämpfe, weil einerſeits von neuem ſtörende 
Adelsgeſellſchaften von der bürgerlichen Gleichheit ſich ab⸗ 
ſonderten, wie die üppige, ritterliche Kaſalsbrüderſchaft, 
welche i. J. 1349 friedlos gemacht wurde; andererſeits die 
Demokratie die Beſonnenheit verlor. Dazu brachten, gleich 

dem übrigen Deutſchlande, die erften Regierungsjahre Karls IV. 

auch den Bremern furdtbare äußere Heimfuhung; endlich 

nah Erzbifhef Ottos Tode (1344 — 1349) eine flreitige 
Bifhofswahl! Graf Morig- von Oldenburg, durch einen 
heil der Bürger gegen Gottfried von Arnsberg serwor- 

fen, zog mit einem flarfen Heere vor die Landwehr, ver 
arten, brannte die Vorftadt, und fand auch die innese Stadt ver- 
— theidigungslos, weil eben der ſchwarze Tod Gaſſen und 
Kämpfen: Häujer verödete (1350). ‚Edle Schonung des Siegers gegen 
bie durch ded Himmel! Hand gebemüthigten Bürger ließ 

es zur Sühne fommen, fo Daß Gottfried Erzbifchof blieb, 
Morit Dagegen deſſen Amtmann im Stifte wurde. — Aehn⸗ 

liche Borgänge, wie in Oberbeutfhland, die Aufnahme 

son Hörigen des Grafen von Hoya in die menfcdhenarme 
Stadt, führte gleich darauf zur Fehde mit jenem Dynaſten, 

da die niedere Bevölkerung, nicht der Rath, Gut und 
Blut daran ſetzen wollte, ihre neuen Bürger gegen bie 





Fünftes Bud. 111 


Leibeigenſchaft zu fehirmen (1356). Aber Graf Gerd. brachte 3. A. 
ben zwiftigen Städtern empfindliche Niederlagen bei, weil 

die adligen Söldner ſchlechte Dienfte Ieifleten, bis eine 
Sühne i. 3. 1359 das GEinbürgerungsreht gräflicher Hö⸗ 
rigen befchränkte. lm das Maaß des Unglücks voll zu 
machen, war i. I. 1356 Bremen wegen ded Verdachts, 
einen Kaufmann und Schiffer, weldher in feinem feſten 
Steinhaufe daſelbſt wohnte, wegen Seeraubs geſchützt zu 
haben, aus der Hanſa geftoßen, und verfank, überall im vera 
Verkehr gebrüdt, in Hunger und Elend. Unter laͤſtigen . 
Bedingungen und der Verpflichtung, mit bewaffneten Schif⸗ 

fen fir die Sicherheit ferner Meere und Ströme forgen zu 
helfen, und allen Satungen der Kanfetage ſich zu fügen, 
erwirfte die Stadt erft i. 3. 1358 ihre Wiederaufnahme. 

Die unregelmäßige, ungeordnete Rathswahl, Das Schwan⸗ 

fen der Zahl der Nathöglieter, endlich eine Berminderung 
derfelben, und die erfte namhafte Biüregermeifterwürde, bezeu⸗ 

gen einen unerfseulihen Zuftand bes Gemeinweſens, Die Fort⸗ 
dauer Innerer Zwietracht, Furcht und Rachgiebigfeit des ſtäd⸗ 
tiſchen Regiments, Troy und Frevel bei der Menge. Was es 

mit der „‚granden Cumpauny“, wie ed ſcheint, einer übermüs- 
thigen Stubengejellfchaft, die i. 3. 1365, von der „großen 
Compagnie” im Elſaß den bizarren Namen entlich, für eine 
Bewandtniß hatte, erkennen wir nit recht, da die wir- 
reften Beſtrebungen zufammengriffen. Unter bürgerlühem 
Widerſpruch war i. I. 1363 Albert vom Braunfchweig, 
Sohn Magnus des Frommen, ein üppiger Weldhling und 
Schweiger, dabei hochmüthig und ränkevoll, zum Erzbiſchof 
wählt worden, mit Verlegung der früheren Rechte des 
Brafen Morig; nah Verzichtung jened Stiftsamtmanns cr; 
jatte der Welfe, mit kriegeriſcher Pracht in die Mefkvemaukadt. 





112 Bierter Theil. 


3.809. weiland Adalbert und Gerhards II. eingezogen, eine un 
gewöhnliche Art der Huldigung erlangt. Das Volk murtt: 
über die Nachgiebigkeit des Raths; obenein harrten ned 
viele ärıneren Bürger der Auslöſung in den Thürmen des 
Grafen son Hoya, während die Meicheren ſich mit eigenem 
Gelde losgekauft und vom Stadtiſeckel dafür Eriak for- 
derten. Die Anfündigung eines dazu nöthigen allgemeis 
nen Schoſſes entflammıte bie BZünfte zu mäörderiſchem 
Aufftande, weil fie Die Steuer nicht zu Gunſten der ori 
feren Bürgerfamilien geben wollten. Aber der Rath, mit 
Hülfe der Kaufmannſchaft, ward ber Empörer mähtig, 
ließ in furdtbarer Eile die Häupter hinrichten, und ver 
bannte die übrigen (September 1365). Erſchrocken leiſten 
die Bolföpartei dem Rathe, den fie nur als ihren Auk 
ſchuß zu betrachten gewohnt war, ben Eid des Gehorjams, 
welcher dann auch von allen Neubürgern gefordert wurde. 
Dabei nun Praffen und ritterliche Gefpreistheit des Bür 
gerabels, die Furcht eines nenen Patriziats, Unordnung 
im Staatöhaushalt, und eine durchaus verächsliche Berfün 
lichkeit, jedoch voll Anſprüche an vergangene Medhte, auf deu 
Biihoföftuhle! Im Einverflindniffe mit einen unklare 
oder eigennüßigen Iheile der Bürgerfchaft, zu der auf 

— jener Raubſchiffer auf der „Hollmannsburg“ gehörte, be⸗ 

Bremen. meiſterte ſich der meimeidige, ehrgeizige Welfe um Pfingſten 
1366 zur Nachizeit der Stadt; unter Mord und Brand — 
felöft die. ehrwärbige Rolandsfünle, das Sinnbild Bürger 
licher Selbſtſtaͤndigkeit, ward. zerſtoͤrt, — floh der Rath, 
den Straßentampf aufgebend, zu benachbarten ‚Herren, wäh 
rend die Verblendeten jubelten über die wiebererlangte Brei 
heit, mehr als Hundert aus der Gemeinde in das Regie 
ment fegten, und Abzug des faljchen Erzbijchofs um 20,000 R 





Bünftee Bus. 113 


md gemeinſchaͤbliche Abtretungen erkauften. Aber die Aus⸗8.Kap. 
gewieſenen ſuchten den Beiſtand des wohlgefinnten Grafen 
Chriſtian von Oldenburg, unterhielten Verbindung mit ihrem 
Anhange in der Stadt, wurden am 27. Juni 1366 mit 
Heeresmacht aufgenonmen, und vergalten durch grauenvolle 
Rache die erfahrenen Unbilden. Eine Fehde mit dem trü⸗ 
geriihen Kirchenfürſten, dem feine uneinigen Sippen nicht 
halfen, nöthigte ihn, allen abgedrungenen und eyfchlichenen 
Verträgen zu entfagen, und die äußere Ruhe der Stadt 
war geſichert; aber im Herzen der Bünftler Eochte e8, denen 
mr Beit, als überall die Gewerke emporgefommen, ber 
Rath die frühere Bevormundung zumuthete, und feit d. I. 
1371 die hundert Jahr hindurch felbfiftändigen Verſamm⸗ 
lungen der Aemter durch „Morgenſprachsherren“ bewachte. 
Die Bürgermeifterwürde gewann bie hervorragenbe fläbtifche@ie Der 
Bedeutung, als i. 3. 1371 auch die Steffensftadt, für gleich name, 
athöfähig erklärt, als viertes Duartier Hinzutrat; doch 
jatte der Bürgermeifter aus U. L. %. Kirchipiel den Vor⸗ 
ang, gleichfam ala Präfident. Auch die Stellen der „Kirch⸗ 
Beichworenen” nahm Die junge Ariftofratie für ſich; das 
tue Siegel der Stadt, ber Reichsadler im rothen Schilde 
nit dem Schlüffel auf der Bruft, flatt des karlingiſch⸗ 
irhlihen Wappens, verfündete die Haltung Bremen zu⸗ 
äh dem Nachfolger des H. Willehad gegenüber. Da⸗ 
ei mehrte fih der Befig an Land und Burgen, auf Ko⸗ 
ten des unwirthlichen getftlichen Gebieters; aber Bremend 
teginent ſtand, wie Kölns, als ein Widerſpruch mit bem 
ahrhundert da. — 

Ruhiger und gemeffener war. der Ganz ber Biſchofs⸗ Sun 
abt Ludwigs des Frommen am Ausfluß der Elbe, zumal Tier 


e fih des unbeneideten Vorzugs, einem ——— den 
Barthold, Städtewefen. IV. 





114 Bierter Theil. 


3. Ray. Samen zu geben, feit 1222 glücklich erledigt ſah. Hin 
burg, als hervorragendes Glied der Hanfa an fid bed 
tend, warb zwifchen 1232 und 1355 nice um koſtban 
Kaiferurfunden, trug, noch dankpflichtig, die ſcheinbare A 
Hängigfeit von feinen Grafen, den Schauenburgern, weik 
1. 3. 1292 nit fowohl die fhon anfängliche freie Statt 
verfaffung durch einen Vertrag grimdeten, ald vielmh 
das Herfommen, die Privilegien der Kaifer umd ihn 
Borfahren, beftätigten. Die Rechte des gräflichen Boigtt 
waren fehr gering; fein Antheil an dem Bolksgerichte (Edte 
ding): beſchränkte fich allmälig auf die Beitreibung ber feine 
Herren zuftändigen Bußen, indem ihm fdhon ſeit dem 
älteften Orbealbuh (1270) beim Gericht : zwei Nathähern 
zur Seite faßen. Die fläptifche Verwaltung rußete in dm 
Händen des Raths, welder verfafiungsmäßige Rechte mil 
den Bürgern theilte. Gegen. daB Eindringen eines rittr- 
bürtigen Patriziats Hatte die Stabt früh fig verwahrt; di 
Bargen, Erbauer des Chors der St. Jacobikirche, warn 
nur reihe Handel Sleute; beachtenswerth ift jedoch, um 
ariftofratifche Orundlage Hamburgs zu erfennen,. daß nie ein 
jährlihe gänzlicde Erneuerung des Raths, ſelbſt nicht m 
Ausfcheiden eines Drittels, flattfand; vielmehr ergänzte M 
derſelbe durch freie Selbſtwahl. Am Tag St. Petri Sinhl⸗ 
feier war nur die neue DVerfündtgung der Mitglieder, di 
Umjeßung der Aemter, unter denen das der Mühlhernt 
am wichtigſten, üblich; feit 1292 beſtimmte ber Gehrad 
daß von den 20 Rathsherren jährlih wenigftens 14 ki 
ben. Wie das Gegengewicht der Rathsherrſchaft, and in 
Hamburg die „Wittigſten“, als verfafjungämäßiger Kit 

fich bildete, iſt nicht zu erkennen. Die Alterleute der tot 
nehmften Zünfte, der Wechsler, und anderer „Werkmeiſter“ 





Fünftes Du 41418 


inägen in bie beicheidene Stelle jener dunklen Behorde yes 3: Rh. 
treten fein; doch verharrten die eigentlihen Handwerker tin 

einer ziemlich unterwürfigen Stellung, empfingen ihre Rol⸗ 

Im, ihre Morgenſprachherren, vom Rathe. Erſt fpäter 
gewannen bie Kirchenvorſtaͤnde, bie Kirchgeſchworenen, „Ju⸗ 
raten“, entſchiedenen Einfluß auf den Staut. Der Handels⸗ 

ſiadt an der Elbmündung blieb eine ſehr ſpäte Austobung 

des demokratiſchen Geiſtes beſchieden. — Nicht ohne ſtorende 
Händel: mit dem Domkapitel bei St. Marien, das zumal 

die Anlegung newer Schulen anfeindete, und unter den ge- 
wöhnlihen äußeren Ereigniffen einer felbfiftändigen Stadi⸗ 
gemeinde, Kriegen mit Maubgefindel zu Lande und zu Waſ⸗ 

fer, die wegen: der ererbien Verkuüpfung Hamburgs mit 
Lübeck großartiger exfcheinen, unter Gebietserwerb, wie ber 
Alſter (1306 — 1310), Bereinigung der Alt« und Nen- 
Radt, trat Hamburg in das, verhängnißvolle XIV. Jahr- wir: 
hundert, noch im traulichen Bernehmen mit feinen Erb-3uih, “in 
bern, und mehr leidend. ala thäfig berührt. Durch Die wi« Dur. 
berwärtigen Be.hden des Hauſes Holflein gegen Erich Men» 
veds Nachfolger wegen Schleswigs. Den heißen Zwift des 
Reihe und der Kirche in Ludwigs des Baiern Tagen merkte 

auch die nordifche Stadt an der Unmaßung feines mit dem 
Bannftrahl Tpielenden Klerus (1334 — 1337); geiftfiches 
But wurde beſchlagen, die Erwerbung beffelben beſchränkt; 
ſogar durch Blutvergießen der Dom und St. Petrikirche 
entweiht, und dadurch die Stadt, des kaiſerlichen Schutzes 
bedürftig, unerwartet dem Cinfluſſe des Reichs eröffnet. 
Solches bezeugt der Laudfrieden v. J. 1339, den die Her⸗ 
zöge von Sachſen, die Welfen, die Wittelsbacher in Bran⸗ 
denburg, mit anderen Fürſten und den Biſchöfen, fo wie 
ben hanflihen Sendboten zu Lübeck ſchloſſen; nach mehr 

8* 


116 Bierter Theil. 


3.800. die Gülfe. Gewappneter, weiche Kaiſer Ludwig umb :befich 


Unfrie 


vengamShugreht der Straßen und Ströme. Unfrieden mit dem 


burg8. 


Sohn, der Brandenburger, i. 3..1341 auf Geſuch von 


Hamburg und Lübel, gegen Gerhards II. von Holſtein 
Söhne, weldhe adligen Häubern den Rüden fläckten, zuſchick⸗ 
ten. Als auch König Magnus von. Schweden für bie 
Strafen Partei nahm, flegten die Städter, mit. Beihulfe 
der oberdeutichen Reiſigen, auf ſchwediſchem Boden, und 
handhabten firaffer das ihnen kaiſerlicherſeits anvertraute 


Erbherrn, deſſen Beſitz immer mehr zerramn, unverſoͤhnlicher 
Krieg mit dem Adel, das pochende Bewußtfein bürgerlicher 
Kraft, löſten auch hier die Bande früherer Traulichkeit 
zwiſchen Fürſt und Stadt; nach löblichem Antheil Ham⸗ 
burgs am großen Kampfe gegen Waldemar III., dem 
Karl IV. i. 3. 1354 politiſch unflug den Streit zwiſchen 
dem Klerus und der Stadt zu ſchlichten aufgetragen, Elagte 
Graf Abolf VI. beim Kaiſer über ben Ungehorſam ber 
Bürger, die dann im Det. 1377. ernſtlich vermahnt wur 
ben, ihrem Erbherrn zu huldigen und zu geboren. Alle 
auch hier der Verfuh einer flarfen Gemeinde, bie letzten 
Fäden der Abhängigkeit zu brechen, erklärbar durch die 
Erhebung der bisher langmüthigen:zünftifchen Bevölkerung, 
weldie, wie es fcheint, durch Braunfchweigd Vorgang auf 
geregt, i. 3. 1376 fich zuerſt 'gegen die patriziſche Anma⸗ 
Sung der Nathöfamilien auflehnte, indefien auf die Zu 
funft vertröftet wurbe, da bie. Kaufmannſchaft, vie Seel 
des Hanftfchen Staates, conſervativ im Innerſten, eidlich 
dent. Mathe Beiſtand gegen die Aemter gelobt, son denen 
obenein die Krämer und die. zahlreichen fauftfertigen Bap- 
Kinder fi geiiennt Hatten. . | 

: Dur: — Darſtellung "der algemeinen hauf- 


Fuͤnftes Bud. 317 


füm Schickſale und Thaten eilend, enthalten wir ung, die. Rue 


Lehendereignäffe der’ einzelnen Seeflädte, mit Ausnahme 
des Mafgebendften über Kübel, Stralfund, Noftod und 
einige pommerifche, zu berichten, weil. der gemeinfame 


Charakter überall AG wiederholt. Bis auf Lübeck, aner⸗ nun 
kannt als freie Reichsſtadt, waren alle Gemeinweſen um.snes 
deutſchen Wendenlande fürftlich, aber faft alle dem Landes- Midi 


dern gegenüber fo. frei entwidelt, daß fie an weſentlicher 


Unabhängigkeit viele des oberdeutfihen Reichsſtaͤdte über 
trafen, und obenein vor Derpfändung, Reichsſteuer und 
faiferlicher Willie ſicher warm. Im Betreff ihrer inneren 
Verfaſſung ift ein Zeugniß Lübecks, des geehrten Borortß, 
vom 3. 1340 hochwichtig, daß in allen Töhterflähten deſſel⸗ 


Allge 
meine 


jen grumbfäglich eine gemäßigte Volksherrfchaft anerkanut uns, 


var, wenn gleich die herrſchende kaufmaͤnniſche Richtung dem 
Belde einen Borzug vor reinperfönkicher Bereihtigung ein» 
Aumte. Als das Domkapitel in Hamburg im erwähnten 
Streite vor dem papftlichen Stuhle auf den mit.eikem Bürger- 
neifter geſchloſſenen DBertrag ſich berief, belchrten Lübeckd 
Rathömänner, daß feit „60 Jahren und drüber, nady un 
ordenklicher Bewohnheit, zu Samburg alle erheblichen Staats⸗ 
eichäfte. nur dann Nechtsgültigkeit erlangten, wenn bie 
eitigen ‚Bürgermeifter die Beiſtimmung der Hathäglieder 
ingeholt haͤtten. In Angelegenheiten der höchſten Be⸗ 
eutung bagtgen, etwa in Betreff des Rechts her Stade, 
der den Staat insgeſammt angehend, müßten Bürgern 
teifter und Matholeute den Math... und bie beifälllge Er« 
(ärung ber: Handwerfäälterlemte und: Der ganzen Gemeinde 


inholen; fd würde es unverbrüchlich in Hamburg, in Für 
eck und in den benachbarten Städten gehalten.“ Wir 


ntnehmen: aus; disſem Zeugniſſe, daß in den wenbiidgen 





218 Bierter, Shell, 


+ Ray. Sanfeflädten die Bollöfouneränität :techtlich beſtand, wenn 


Rt . 
u... 


Lũbeck 


gleich die jedesmalige Obrigkeit, im Beſitz des Im 
trauens, gewandt die Fälle vermied, welche die Be 
fragung der Gemeinde nöthig machten. Aber fo umſihtig 
und gemäßigt die „Herren“ ſich betrugen, ergingen dad, 
als es in Oberdeutſchland ruhig geworden, furchtbare Zunft 
ſtürme auch über die feſtgegründetſten Rathsherrſchaften. 
Unter der Herabwürdigung des daäniſchen Reichs dur 
Chriſtopher, der i. I. 1327 als Flüchtling im Lühk 
weilte, und: i. $. 1388. ſtarb, war, wie während der Bir 
zen und. der Aufgelöſtheit aller Staatsgewalt in Walde 
mard IH. Negierungsanfängen, um fo weniger für die Ur 


“ abbängigfeit des beutjchen Wendenlandes zu fürchten, a 
‚die. Berichwägerung des Wittelöbachers in Brandendun 


Gebiets. 


erweites 


rung, 


dem CEhriſtophers⸗Geſchlecht zum Anhalt diente, und it 
kaiſerlichen Gewalt größeren. Einfluß .an der Oftfee ge 
flattete. Lübecks bedrütende Neichäfteuer ward durch Kaiſer 
Ludwig mehrmals unterpfänblid angewiefen, fo dem Or 
fen Berthold von Henmeberg mit ben voigteilichen Red 
(1327);. dann dem Kurfürſten Ludwig ven Brandendun 
(1335. und 1341), ja 1. 3. 1350 durch Karl IV. ſogu 
dem .aufftrebenden, „ſeiner Zeit wartenden“, Waldemar Il 
Aber die Befahr, feine Reichsunmittelbarkeit zu verkleren, 
biteb einem Gemeinwefen von. fo reichen Hülfsquellen fern 
wie Lübeck, das, ungeachtet: es an dee Spige landfriedens— 
mäßig verbundener Städte zur. Veſchirmung. der Land- mm 
Waſſerſtraßen ſtets gerüſtet fein mußte, . dennoch Mittel ge 
nug behielr, t: 3.1359 von dem «Herzoge- von Sufin 
erſt Die Stadt Mölln zu kaufen, dann 1. I. 1363 Berge 
dorf als Pfand an fh zu: ‚bringen.: Außer. den Grufn 
vor Holſtein, den Gegern und Schützern eines Raubadeld 








Sünftes Bud. 419 


ver an Wildheit dem weſtfäliſchen nidss nachgab, ver⸗ > Ar. 
harrte die diplomatiſch⸗ höfliche, an. feineren Genüffen reiche 
Stadt in gutem Vernehmen mit allen Nachbarfürſten, Die, 
wie beſonders bie Markgrafen von Brandenburg, iu ernflen 
Gefhäften, wie zu Schimpf und Glimpf, Dort zu meilen 
liebten, und manch herrliches Mitterfpiel auf bem Plage 
feierte, deſſen eine Seite die hochbethürmte St. Marien⸗ 
firhe, die andere das Rathhaus, aus dem Brande i. J. 
1358 würdiger erflanden, ſchmückte. Ihren heimifchen Kle⸗ 
ws, der die hierarchiſchen Tücken von Avignon nicht um⸗ 
verſucht ließ, konnte das ſtarke Gemeinweſen leicht im 
Zaume halten; aber fo oft auch das bürgerliche Landfriedenb⸗ 
aufgebor Die Raubneſter im Holfteinifhen, im Lauenbur⸗ 
giſchen und in Mecklenburg brach, und ſchonungslos mit 
ihren Inhabers verfuhr; fie wuchfen immer son neuem auf. 
du lockend war, vom Stegreif zu Ieben, den die Strafen 
nad Lübeck, von Kauffahrt winımelnd, ben Verwegenen 
boten. Bon bürgerlichen Unruhen verſpürte der Banfiiche 
Borort bis auf dag Ende der Megierung Katfer Karls fa 
wenig, daß die lübeckiſchen Hessen als bie Säulen wohlge⸗ 
fügter Rathäherrſchaft galten, und. ihr tödeliches Verdam⸗ 
wungdurtheil über zünftifchen Aufruhr fo lange dictatoriſch 
ausfprachen, bis der verhaltene Sturm auch fie niebermarf. 
Schon i. 3. 1367 lehrt die Ermordung eines Rathsherrn Derek 
dur einen grimmen Bürger, daß die Sicherheit des Bein nr 
ſttzes junkerhaften Uebezmuth unter den seichen, althür⸗ 
gerlichen Geſchlechtern erzeugt, und böſe Gedanken im 
Volke geweckt hatte. Es bildete ſich um dieſe Zeit eine 
„höchſte Gilde““, eine adlige Stubengeſellſchaft, doch nad 
Maßgabe einer vem Handel beſeelten Kaufffadt; hie Orei⸗ 
faltigkeis⸗Brüderſchaft, Zir keber⸗ Geſellſchaft, auch Junker⸗ 





120 Bierter Theil, 


ER. konwagnie genannt, deren Geſellſchaftsbuch, ſicher zu fpät, 
d. 3. 1379 als Stiftungsjahr angiebt. Unter gefellicgaft- 
licher und kirchlicher Färbung, — die Brüder verſammelten 
fi zu ernſten Dingen in ihrer Kapelle bei St. Katha⸗ 
tina, — verſteckten fie politifhe Herrſchſucht. Im ihren 
Bufammenkünften wurden die widhtigften Angelegenheiten 
des Staates verhandelt, Lübecks innere und äußere Ver⸗ 
hältniffe geortnet; ihre Kompagnichaus ward die Pflan> 
fhule des Raths; ja man nannte die Stühle der neuer- 
wählten Herren in St. Marien „Zirkelſtühle.“ — Die 
großen drangvollen und flegreichen Zeiten des Hanſekrieges 
gegen Waldemar und die glänzenden . Erfolge deſſelben 
fiherten noch vor der Hand die unvelfsihümlide An 
maßung. 

Gtral- In Stralfund, dad mit Roſtock den nächſten Rang 


fund. 


nach Lübeck tHeilte, glätteten böfe Erfahrungen der Väter 

zeit die fchroffen Seiten des Altbürgerthums, zumal die 
Alterleute ber Wandfchneider, an der Epite des Gewerbe 
ſtandes, herkömmlich die Wortführer der Bürgerfchaft ge 
worden. Seit 1334. war das. Boigteigerit einem Naths⸗ 
Herrn verpfändet, und Die flänbifihe Berechtigung jener vie 
Städte vollfommen audgebildet, welde wir feit 1339 in 
ſtets erneuertem Bunde finden, nemlih Stralfunds, Greifs⸗ 
walds, Anklams und Demmind, Wit keckem Arm fäuber- 
ten fie ihre Bannmeile von abligen Burgen, fchlugen man- 
hen blutigen Strauß mit den Mttern, und vereinbarten, 
nach gleicher Verfaffung firebend, i. I. 1353 eine gemein 
ſchaftliche Rathswillkür. Solche Sinheit war- nöthig, um 
der ſchweren Zeit von 1358 ab gewachſen zu fein, und 
die wendiſchen Seeftäbte vor Europa zu verherrlichen. 

Ro Die Noſtocker, an Wreiheltseifer die wenbifchen Flo⸗ 


Fuͤnftes Bud. 121 


sentiner, nur zaͤher in Bewahrung ihrer Rechte als bie :Ran_ 
Bürger Tokbcanas, Hatten, nad dem blutigen Kalle ihrer 
populären VBerfaflung (1314), und von der daͤniſchen Herr⸗ 
{haft losgeſprochen, i. 3. 1317 dem Fürſten von. Med 
lenburg, Heinrich dem Löwen, dennoch nit cher ben Hul⸗ 
digungdeld gefhworen, als bis er neloht: ‚‚fle bei Gnaden, 
Gerechtigkeit und aller alten Gewohnheit zu laſſen.“ So 
lange der Löwe lebte (fl. 1329), bewies Die Stadt ihm, 
wie feinem Eohne Albrecht, feit 1349 zum Herzoge erhoben, 
zumal dem Enkel, Albrecht, dem unglüdlichen Gegenkönige 
Nargarethas von Kalmar,- berzbafte, aufopfernde Treue, 
ward auch freilich dafür fo belohnt, daß fie in Beflg aller 
Regalien, wie der Münze feit 1325, zu einer wahrhaft 
reiheftädtifgen Unabhängigkeit gelangte. Un der Mündung 
der Warnow war, ſeit dem Bruch des dänifch= branden- 
burgifchen, fein zwingenbes Bollwerk zu fürdten; und 
nicht brauchte Albrecht außerhalb der Mauern fein Beilnger 
mit der ſchwediſchen Prinzeſſin Euphemia zu feiern (1336). 
Auch der bürgerliche Unfriede ſchien beſchwichtigt, und das 
Gemeinweien erwuchs, unter beionnener Nathäherrichaft, 
zu hoher Bedeutung, gefördert zumal durch köſtliche Pri«- 
silegiem der nordifhen Kronen. Der Genuß behaglichen 
Wohlſtandes, welchen kaufmännifche Klugheit auch den Hand⸗ 
werkern vermittelte, die gemeinſame Arbeit, fo wünſchens⸗ 
werthe Lebensgüter gegen die Anfechtung des erſtarkten 
Daͤnenreichs zu behaupten; geringere Verbindung mit den 
zünftig regierten. Städten Oberbeutfchlands,' vor allem die 
Eidgenofienfhaft der ſämmtlichen Kaufberrnftädte zur Si⸗ 
derftellung obrigkeitlicher Gerechtſame, ließen die Strö⸗ 
mung des freieren Bürgergeiſtes nicht in die baltiſchen 
Kuftenſtaͤdte gelangen, bis jene große Bewegung in der 


122 Bierter Theil. 


Rap. kirchlichen und politiſchen Belt, welche, laͤngſt borbertite, 


Höchſte 
Aus⸗ 


im Huffitenfturme ausbrach, mit märderiſcher Wuth gleid- 
zeitig alle hanſtſchen Gemeinweſen niederwarf. 

Mir verſparen die Schilderung.der Blüthe, welche id 
deutſchen Ordenoſtaates Burgerthum unter dem großen Hof 
meifter Winrih von Kniprode (ft. 1382) ‚erreicht hatte, auf 
sine geeignetere Stelle, um aunächft Die bewunderungswürdigen 
gemeinfamen Erfolge Des Hanfebundes, zu Denen Preußens 
vornehmſte Gemeinweten, Danzig, Elbing, Kulm, Thom, 
ſo wie die liolaͤndiſchen gehörten, überfichtlic zu zeidun. 
Seit König Rudolfs beiläufiger Bemühung für die 


büdung Intereſſen des norbdeutſchen Handelsſtandes bei auswärtien 
a Mächten, hatten, wie wir früher geſehen, die hanſiſher 


Hanſa⸗ 


Städte, Lübeck an der Spitze, ihre Vexbindungen niht 
nur für fi allein anknüpfen, befeſtigen und vertheidigen 
müſſen, fondern aud: die ungünſtigſten Berhältnifle pu 
überwinden gehabt, indem gleihgültige oder eigennüßige 
Reichsoberhaͤupter fie. den fremden Kranen preiögaben. Dis 
noch war die Entwicklung der eigentlichen Serfläbte all 
Staatamacht, zumal währenn ber Wien ſeit Crich Mar 
eds Tode (1319), unverkennbar fortgefchritten, Tümmertt 
Eh der Bund. nit um. die Anerfennumg des ensfernten 
Kaiſers, jo wenig als diefer vom. Bunde Kenntniß nahe, 
und fühlte ſich nicht beirrt durch hen Artilel der G. 2. 
welcher nur Reichsſtaͤdten, dergleichen außer Lübeck allein 
Dortmund, Goslar, Mühlkaufen und Nordhauſen, dad 
Vereinsrecht zugeſtand. Die Zahl ber hanfiſchen Schwer 
Fern, die daheim auf verſchiedenen Stufen gemeinheitlihe 
Ausbildung beharrten, aber überwiegend innerer Selb 
Rändigfeit vor ihren Landesherren genoffen, beirug in der 
zweiten Haͤlfte bes XIV. Jahrhunderts meist ‚über SO, wen 








Fünftes Bu 128 


man bie kleineren vhrigen Gemeinweſen hinzurechnet, die I.Men_ 
nicht ſelbſt nuf- Hanſetage berufen wurden, ſon dern ſich 
durch die „Sprache“ größerer Nachb arftädte vertreten ließen. 
Ja man Darf behaupten, daß faſt alle Städte des vörde⸗ 
Hohen und. mittleren Deutſchlands, nen der efihländifhen 
Küfte an bis nach Flandern, von Riederſchleſten, durch Die 
Mark bis an: ben Thüringer Malt und. die Nocbgrange nn 
Heſſens, Durch flilles ader öffentliches: Einverſtaäͤndniß zum Para 
Bunde. gehörten, die Interefſen deffelben::förberten, wenn 
ihre Bürger und. Söldner auch. nicht in hie hanſiſchen Fehden 
gerufen wurden. Es uufaßte aber diefe'norbifce Handelswelt 
drei fogenannte Dritiel:- Dad wendiſche mit dem Vor⸗ 
orte Lübeck, ben mecklenbungiſchen, holſteiniſchen, ponmeri⸗ 
ſchen und vielen niedexſächſtſchen Saädten im Junenlande, 
u denen auch Gamkurg: und Vremen ſich rechneten; auch 
die Städte an der Gübderfee, Hollande, Seelands neigten 
fh damals: noch um Anſchluß dahin ober nah Kölnz 
das Drittel. der weſt fäliſchen mb preußiſchen Seäais, 
an deren Spitze Köln am Mhein ſtand, und welchen hie 
ſechs preußiſchen Staͤdte, Kulm, Thorn, Danzig, Elbing, 
Braunsberg und. Königsberg, ſich unterordneten; und das 
widbyſche oder gothländiſche Drittel, zu dem bie liulän- 
diſchen Städte, Riga, Reval, Dorpat und Bernau ſich 
hielten. Zwar waren alle Länder der Oſtſee, bis tief nad 
Rußland, nach Nowgorod hinein, ſo wie die Menbfer, 
Englands, Schottlands, Flandernd und Fraukreichs Küſten, 
bad Gebiet, auf welchem der. bewehrte, wachfame Handeln⸗ 
geiſt des deniichen Kanfmanns ſich hethätigte; zwar ber 
ihäftipte. Londons Stalhof, die GUdhalle, das Comptoir 

u Brügge, wie der Gef zu Nowgored tauſende von reiſe⸗ 
luſtigen Kaufherren und Geſellen; aber: als. Baſis hei 


124 Bierter Theil. 


Ear reichſten Verkehrs galt die Oſt ſee mit den nachſten Kü- 
fien der vom deutſchen Deere umfpülten- dänifchen Ränder 
und Infeln, Schweden und Norwegen mit dem Comptoit 

egfenezu Bergen. Die Hohe Bedeutung dieſer Küſten für den 
Fiſchfang und den Austauſch binnenländiſchen Kunſtfleißes 
ſtellte die wendiſchen Seeſtädte im engeren Sinne, Kübel, 
Wismar, Roſtock, Stralfund, Greifäwald, und neben 
ignen Anklam, Stettin und Kolderg, an die Spike des 
gefammten Vereins. Was. darum die wendifchen Orte 
„theidigten“, ‚machte alle Genoſſen verbindlich; Denn wer 
von ihnen .nur irgend. Zugang zu. ben Fiſcherlagern Scho⸗ 
nend, von Skanör bis Falſterbo, erlangen konnte, fand 
ſich während des Frühjahrs⸗ und: Herbſtfſtſchfangs an jenen 
reizloſen Küften ein, wo vom erſten Lenze bis zum Spät 
fahr ein wunderbares, uns Saum. begreifliches Leben ſich 
untfaltete. ‚Eine „Vitte“ (Bifcherlager). ſchloß fich an Die an- 
dere; faft -fußbreit war. das Gebiet getheilt, das. nur der 
Berechtigte betreten durfte; hier erhoben ſich Kirchen, Ka⸗ 
pellen zwiſchen abgetheilten Friedhoͤfen; Bier ſchalteten durch 
ihre Voigte die wichtigeren Städte ſelbſt über den Blui⸗ 
bann, und wechſelte lübiſches und daͤntſches Hecht; hieher 
brachten, wie zu einer immerwährenden Meſſe, Kaufleute 
und Handwerker ihre Waaren und Exzeugnijfe zum weite 
zen Austaufh.; denn gedörrte, geſalzene Bifche begehrte die 
gefammte . Chriftenheit als Vaſtenfpeiſe; für fle ‚Boten bie 
Binnenftäbte ihr Gewand, in Wollen und innen, ir 
Schuhwerk und. ihren Hoſenvorrath, ihr Bier und Mal, 
ihren Wein und wäs ſonſt ine. Heimath oder Ihr Fleiß 
m wünſchenswerthen Dingen: lieferte; Waren aber.bie bin⸗ 
nenländifchen. Wege des Kaufmanns nur bei foſtbarem Ge 
deitsrecht und fett. bewehrtem Landfriedendaufgebote zu 





Bünftes Bu 425 


verfelgen, und zog der Bürger nicht mehr fo beſchraͤnkt im a: Rm-_ 
Waffengebrauche, wie in des Mitterkaifer Friedrichs Tagen, 
fondern Tampfgerüflet und in ſſtarker Gefellfchaft feiner 
Strafe; ſo gehörte die Zaͤhheit, Die unermübliche Vereit⸗ 
willigleit des deutigen Kaufmanns zu Geldopfern, end⸗ 

lich die kühlſte diplomatiſche Geduld und Umſicht der Raths⸗ 
ſendboten dazu, die uneinigen, trochigen und habſüchtigen 
Könige des Nordens bei guter Laune zu erhalten, daß ſie 

die Privilegien, die nur immer perjönli waren, beſtätig⸗ 

ten, und die beflätigten auch aufrecht erhielten. Das. Ans 
werben, Zahlen und Verfihern, das Klagen und Haben, 

dad Rauben und Bergewaltigen, das Sühnen und Schlid- 

ten, je mit gebrobeten ober -ausgeführten Kriegsmaßregeln, 
Hindelöfperren, das Ausbringen gemeinfchaftlicher Freibriefe, 

bie dann jebe einzelne Stadt der Sicherheit halber noch 
beſonders fich ausfertigen ließ, find eine widerwärtige Seite 

bes hanfkfchen Lebens, ebenio im Stande, die gemäthliche E 
Vorkellung von nachbarlicher Biederkeit und Treue Des 
Mittelalters zu befebren, als die Landfriedensvereine, Die 
beihworenen Gelübde und Sühnen zwifihen Kaifer, Fürſten, 

el und Bürgern im eigentlichen Reiche. Nicht weniger 
machten der. Handelspolitik die flörrigen,; eigennügigen und 
uneuhigen. Slamänder — beſondera, wagen bed Stamels 

und Comptoirs: zu Brügge — zu ſchaffen; dann wiederum 
Rräubten fidy einzelne Gemeinweſen, wie beſonders Bremen, 

jegen gefaßte Beichlüfle. Darum, fo Lange nidt dad gange 
Daſein der deutſchen Kaufmannämelt bedroht. war, ein 
wiges Streiten und Ausgleichen über Bundesfoßen auf 

en Sanfetagen, welche au häufigen in ben wendiſchen 
Seeftäbten gehalten wurden. Da’ die Grundlage bes Bun-Tnn- 
es Gemeinſamkeit im Grwerben, Vertreten und Verthei⸗ gan. 


126 Biertde Tyeil. 


IRap. digen ber im Muslande angeknüpften GHatbelsinterefen, 
und die Siäerfiellung der Straßen zu Lande und zu Waß— 
fer blieb; hatten’ nur. Die Sonderbündniffe der Nachbarge 
meinden eine politifche ‚Haltung der Landesherrſhaft 
gegenüber. Grundſätzlich half der Bund den in ihrer burger 
lichen Freiheit bedroheten Schweſtern nicht, wie bie ıhi 
aifchen und oberdeutſchen Eidgenoſſen; weil aber die Au⸗ 
gelegenheiten ‘des Verkehrs und die bürgerlühen Rechte fd 
fo nahe berührten, änderten fihb im Berlauf drohenden 
Beiten die Bundesverhältntffe, ließen jedoch, in den Notuln 
nicht fireng gefaßt, Willkür und widerſpruchsvolle Aus 
nahmen zu. Darin fand Einigkeit fet: die altbun 
gerlihe Rathsverfaſſung gegen Gemwaltfchritte, Aufruhr 
der Bünfte zu fügen; das Mittel der Verhanſung 
gegen eine empörte Gemeinde ward nie ohne Erfolg us 
gewandt. ’ 

8. Bil Seit die heillofe Verwirrung des daniſchen Reicht bei 
U. Chriſtophs Leben und nach deſſen Tode bie. Küften Ste 
nens, Hallands und Blelingend an Magnus Smek, Kin 
Schwedens und, feit 1319, auch Norwegens, gebracht, be 
gannen zwar Mifihelligkeiten - wegen Berleihung der bank 
ſchen echte, wurden: jeboch noch zur Germgthuung de 
Seeſtaͤdte ausgeglichen; als :aber ſchwere Häusliche Br 
ſchuldung jenes verüchtlichen Herrſchers und bie Klughei 
bes. ſchleichenden Waldemars HI, die Verhaͤltniſſe im Nov 
den umſtieß, war. dee Kampf des daniſchen Königtkum 
em ſeine Herrlichkeit und: Bebietesfellung jo unvermeidlih 
als in den oberen Heichstanden der Krieg zwifchen Fürfen 
und. den‘ ſtaͤdtiſchen Sidgenofſen. . Ehei och der Frieden M 

= Selfingborg (10. Auguſt 1360) bie Umkehr der Ding, 
den Bıflg Schonent für Waldemar verbürgen Tonnie, hau⸗ 








Künftes Bud. 127 


tn bie Senbboten der Gerflähte in Kopenhagen voll Span⸗2Kas 
nung der ernienerten Freiheitsbriefe; die nöthigen Summen 
waren ſchon vertheilt, da erſcholl mitten unter günftigen 
Ausfihten Die Kunde, Waldemar habe Wiobh, den aͤlteſten 
Sitz des deutſchen Handels im Auslande, mit Kriegsmacht 
angefallen, na tapferem WWiderflande durch Theidigung 
erobert (28. Jull 1361), nichtsdeſtoweniger aber die dor⸗ Eu: 
tige Niederlage geplündert und unfägliche Beute gewonnen, Wisbyo. 
Sole Kunde erfüllte die deutſche Handelswelt mit gerechter 
Erbitterang ; ſogleich verbot eine Tagefahrt (1. Auguſt) zu 
Greifswald die Ausfuhr nah Dänemark und Schonen; 
fisft Die Beiden nordiſchen Könige, Magnus und fein 
Sohn Hakon von Norwegen, kamen, voll Furcht vor dem 
Unwillen ihrer Bölker, nach Greifswald, und fchloffen 
mit den wendifchen und preußifchen Städten einen Waffen 
bund gegen Waldemar. Die Kriegsfolge an Schiffen und 
Rannſchaft ward beſtimmt, 2780 @eräftete auf einer ver⸗ 
bältnifmäßigen Zahl von Schiffen, welde die wendiſchen 
Städte, Hamburg, Kiel und Bremen, das kurz vorher 
wieder in den’ Bund aufgenommen, mit dem erſten Fruͤh⸗ 
jahr in See fehlten. Doch der verheißene Buzug der 
ſchwediſchen und normännifcken Mitter blieb aus; Johann 
Wittenborg, Bürgermeifter von Lübeck und Orlogshaupt⸗ 
mann, eroberte und plumderte zwar Kopenhagen, und ber 
einige Sohn Waldemars, dem nod die Meidyägefälle Lü⸗ 
becks vom Kaiſer verpfändet, fiel töbilich verwundet; aber 
während die Hanſen an Helfinborgs Belagerung ſich mach⸗ 
ten, erlitt Die aufſichtsloſe Flotte (18. Juli 1362) eine 
Niederlage, und: Tehrte mit deur herben Verluſte an Ge» Akbir- 
fangenen der Reſt der hanſiſchen Schiffe zurüd, Solches vanſa. 
Mißgeſchick, welches die neubrüchigen Schweden zunaͤchſt 


428 Bierter Theil. 


3.R0p. gerſchuldet, büßte der unvorſichtige Admiral dahelm mi 
feinem Kopfe. Ein Waffenftillftand ward geſchloſſen; abe 
das Erlittene brannte den Bürgern auf der Gerle; un 
als Waldemar die Bedingungen der Sühne nicht erfüllte, 
der Schwebenkönig von feinem Reichsrathe abgefegt, un) 
Herzog Albrecht von Mecklenburg an beflen Stelle erwählt 
wurde, erneuerte fi der Zufammenftoß. Allmälig fan 
römiſche Sinnedfefligfeit über Die Bürger, während Wal 
demar fein unruhiges Reich verlieg und in Deuticlan, 
am Hofe Kaifer Karls IV., beim Bapft in Avignon fü 
feine eigenen wie für fremde Sache Hülfe warb. Node 
mals wurde die Federkraft des politifihen Geiſtes gehemmt 
durch fürftliche Vermittlungsverfuche, auch wohl beirrt durf 
kirchliche Bedrohung; als jedoch der argliftige Eſtride je 
gerte, den von feinen Neihsräthen vereinbarten Der 
(1364) zu beflegeln, und im Noyember 1365 eine Ir 
kunde nur höchſt unbefriedigende Bedingungen gewählt, 
dutchzuckte politisches Bewußtſein alle Pulſe des ſtaͤdtiſchen 
Lebens. Waldemar, als fremder Herrſcher nach rückfichts⸗ 
loſer gegen die fremden Städte als Eberhard von Wirten⸗ 
berg gegen die Neichäbürger, drohete bei allen feinen Tüden 
und Gewaltihaten dennoch mit dem parteiiſchen Kailt, 
weshalb denn diefe, überzeugt von der Bruchtlofigfeit gi 
licher Mittel, im Herbſt 1367 einen Tag aller Hanſer 
nah dem rbeiniihen Köln anheraumten, um fid übt 
fiebenfach erfahrene Kränkung zu berathen, und den Kampf 
gegen ben übermüthigen. Dänen und den treulofen Nor 
maun, Hakon, jet Woldemars Eidam, zugleich zu be 

ginnen. Bom:11. bis. 19. November 1367 :fehen wir in 

der Beiligen Stadt Köln, wo ingwifchen die Zünfte Ih 
Abhaͤngigkeit zu. fühlen anflugen, die Abgeordneten di 








Künftes Bud. 129 


gefammien nord= und mitteldeutfchen Kaufmannsſchaft gen Rev. 
tümmelooll bei einander; das Lübifche Drittel, die preußi« 
ſchen Städte, die Holländer und übrigen Anwohner der 
Süderfee, um ſich männiglid gegen ihre Feinde zu helfen. 
Die mit Wappnern und Armbruftfhügen und Bliden ge= 
rüfteten Schiffe follten fih um die Ofterzeit 1368 im Ore⸗ 
junde vereinigen ; ewige Brieblofigkeit und Verhanſung 
drohete Einzelnen und Gemeinwefen, melde den gemeinfa- 
men Beſchlüſſen ſich entzogen, oder den Königen Speiſe 
und Waffen zuführten; ein allgemeines Pfundgeld follte 
die Koften deden; doch bedingten die wendifchen Seeflädte 
fh das alleinige Anrecht an die Eroberungen, ba fie bie 
Verpflichtung allein übernommen, welde ihnen der Bund 
mit dem erwählten Schwebenkönige Albrecht, mit den Medi 
lenburgern und Holſteinern, auferlegte. Leider hat bie 
nüchterne Beitgefchichte nicht die feurigen Meden, den per⸗ 
jönlihen Antheil aufbewahrt, welden etwa Herr Gerhard 
bon Attendorn von Kübel, oder Herr Bertram Wulflam 
von Stralfund an den Ereigniffen nahmen. Im Winter 
traf man umſichtig die lebten Borbereitungen, beftellte bie 
Orlogshauptleute, berieth auch Die Maßregeln, um die Für⸗ 
fen, als Vaſallen der däntfhen Krone, wie die Pommern, 
vom Gelüfte, jener zu helfen, zurückzuſchrecken! Als auf 
der Verfammlung zu Lübeck Waldemard fpähende Gefandte 
droheten, „falls die Seeftäbte nicht den vom Könige ans 
beraumten Tag befchidten, müßte er folches dem Papſte, 
den Kaifer und den Fürften klagen“, erwiderten jene: 
„ihrer Ehren würde wohl verwahrt fein, da der König 
ihnen ihre Schiffe und ihr Gut bei Frieden und Sicher⸗ 
heit genommen, thäten fie desgleichen“. Um die Ofterzeit — 


1368 liefen denn, wie verabredet, die Fehdebriefe beim Dana. 
Barthold, Städtewefen. IV. 9 


130 Vierter Theil. 


3. Rap folgen Dänen ein, welde, ba die Zahl der verbundenen 


Städte in faßlicher Weife auf fieben und flebenzig ange- 
geben wurde, den unköniglichen Wig als Antwort hervor- 
lockten: „Seeven und feventigh henfen, befft ſeeven und 
feventigh genfen, Wo mi be genfen nich en bieten, na der 
benfen vrage ick nih en fehlten.” Uber fo vermeffener 
Morte ungeachtet fchiffte Waldemar am 6. April 1368 
mit großen Schägen aus feinem Reihe, und gab dem 
Statthalter und den Reichsraͤthen Vollmacht, das anziehende 
Gewitter zu beſchwören. Er wartete der Dinge am Hofe 
befreundeter deutfcher Fürſten. — 


a Es wäre bier die Stelle, die einzelnen lieber des 
ee, gewaltigen Bundes namhaft zu machen; aber der Mangel 


einer Bundesnotul, die Unbeflimmtheit der Berhältnifie 


bei der allgemeinen Aufregung des deutihen Kaufmanns, _ 


welcher mit Wärme an bem entfcheidenden Kanıpfe fich be⸗ 


theiligte, Geld gab oder fonftigen Vorſchub Ieiftete; end⸗ 
Ih, daß unter die „Sprache“ vornehmer Bundesglieder 
Heine zugewandte Orte ſich verſteckten, machen ein genaues 
Verzeichniß unmöglich. Um jedoch zu beweifen, daß bie 
glanzuollen Erfolge von 1368—1370 eine That nicht der 
einzelnen Seeftäbte allein, fondern des gefammten nord» 
und mitteldeutfchen Bürgerifumd war, weldes ohne Kaiſer 
und Reich für eine Lebensfrage des deutſchen Handels ftritt, 
geben wir folgende fichere Nachweiſung. Die vier Linlän- 
diſchen, ſechs preußifchen, und die wendiſchen Seeſtaͤdte, 
denen Demmin, Stettin, Stargard, Kolberg, Rügenwalde. 
Treptow, Wolgaft, Sreifenberg, Wollin, Golnow, Kamin, 
fih unterordneten, Fennen wir; von Brandenburgifchen er- 
ſcheinen i. 3. 1368 Berlin, Köln, Prenzlau, Branden- 


burg, Srankfurt, Perleberg, Prigwalf, Havelberg, Werben, 





Fuͤnftes Bud. 131 


3 


Ofterburg, Kiritz, Stendal, Gardelegen, Tangermünde, Aw: 
Seehauſen, Salzwedel wenigſtens als betraut correfpon- 
dirend; Schöffen und Rathmänner von Köln am Nhein 
beglanbigten Die Beichlüffe vom 19. November bei Braun- 
ſchweig, Hildesheim, Magdeburg, Hannover, Hameln, Lü⸗ 
neburg, Bremen, Stade, Hamburg und Kiel; entichlofiene 
Kriegführer waren son der Süberfee, aus Holland und 
Seeland, Rampen, Harderwyk, Biridgee, Dordrecht, Sta- 
veoren, Amflerdam, BZütphen, Zwoll, Nymwegen, Benlo, 
Rörmonde, Utreht, Middelborg, Gröningen, Elborg, 
Deventer, Bolsward; vom Niederrhein und aus Weflfalen 
außer Köln, Andernach, Weſel, Emmerih, Duisburg, 
Koesfeld, Münſter, Samm, Osnabrück, Paderborn, Lipp⸗ 
ſtadt, Herford, Minden, Lemgow, Dortmund, Bielefeld; 
unter der Sprache von Soeſt ſtanden das rührige, tapfere 
Brilon, Altendorn, Arnsberg, Balve, Rüthen, Geſecke, 
Verl, Unna, Arnsberg; in Niederſachſen außer den ſchon 
genannten Eimbeck, Göttingen, Nordheim, Goslar, Uelzen; 
Nordhauſen, Mühlhauſen, Quedlinburg, Halberſtadt, Halle, 
Ycheröleben im Gebiet Thüringens; Breslau und Guben, 
jelbft die ſtarke wohlgeordnete deutfche Gemeinde in Kra⸗ 
kau, waren zum Gedeihen und Verderben mit ber Hanſa 
verwandt. Sehen wir nun in berfelben Zeit Die ober« 
laufigifhen Sechsſtaäͤdte zu Schug und Trug verbunden ; 
Erfurt und die heſſiſchen Städte im Verein; enbli den 
großen Bund der ſchwäbiſchen, fränkifchen, elſaſſtſchen, mit« 
telrheinifchen, wetterauifhen Neihsftäbte und der Eidges 
nofien, fo haben wir über zweihundert reicherblühende, 
waffengeübte, durch Mauern und Gräben, hohe Thürme 
geſchützte Gemeinwefen, die, von gleihem Streben beſeelt, 
in Kaijer Karls und König Wenzel Tagen aller Fürften- 
9% 


132 Bierter Theil. 


| 


3.20. und Adelsmacht bie Stimm zu bieten vermochten. Cinen 
Bürgerfland der Art hat fein Reich der Welt gehabt! cine 
fo flreitbare Flotte Deutfchland nie wieder befefien! 

ae Wie in Köln der Beichluß, warf fih im April | 

ana. "1368, eben als der fromme Kaiſer in Italien für den 
Bapft fi) mühete, die Hanfe mit zermalmender Gewalt 
zuerſt auf Norwegen, und fihredte durch Verwüſtung den 
angftvollen Eidam Waldemard zum Stillftande; dann fiel 
fie auf das dänische Reich ſelbſt. Kopenhagen ward er 
obert und geplündert; Seelands Beften fanten unter Raub | 
und Mord; nirgends hier eine Spur kräftigen Widerflan- 
des; ebenfo in den weftlichen Randestheilen. Ohne Prah⸗ 
len, mit mäßigen Worten, meldeten die Hanſen ihre Siege 
den Städten des Inlandes, bis nad) Thüringen, ber Laut 
und Schleften, und forderten die Bürger auf, ihren Fürken 
entgegen zu arbeiten, falls fie dem Dänenkönige beiſtehen 
wollten. Beruhigende Nachrichten, ſelbſt aus Polen, Ken 
ein; Waldemar, umherirrend, mußte auf feiner Hut fein 
weil die Gemeinden, zufolge der Morgenfprachen, jedermann 
geftatteten, jenes heimliche Geldzuträger zu greifen. In 
Herbſte wurde Helfingborg mit ſchweren Koften belaget, 
und die Fortfegung des Krieges, deſſen erfle Frucht bie 
Verleihung Eoftbarer Privilegien Albrechts, des ſchwediſchen 
Wahlkönigs, nicht allein an die wenbifchen, preußiſchen, 
liolaͤndiſchen und füberfeeifchden Städte, fondern als ge 
meinfamen Helfern auch an Köln, Dortmund, Soeſt, Mün⸗ 
fer, Osnabrück, Braunfhweig, Magdeburg, Hildesheim 
Hannover und Lüneburg geweien, auch im Winter betrie 
ben. Das Bewußtfein der Sieger war fo gehoben, di 
fie feſtſetzten: ihre Beſchlüfſe verpflichteten die geſammit 
Kaufmannſchaft des Auslandes, in Flandern wie in England, 


Fünftes Bud. 133 


und deshalb die Fremden vor Verbindung mit Dänemark I-Aw_ 
warnten. Fürſten und Adel erbangten; felbft Markgraf 
Otto von Brandenburg, der einzige muthige Helfer des 
Shwagers, mußte im October 1369 die Waffen nieder 
legen. Die machtvolle Rüfung aud für das britte Kriegbe akut 
jahr, da Helfingborg ſich noch hielt, ſchreckte endlich den MM 
Reihönerwefer und die weltlichen Neichöräthe ; verlafien bon 
isrem Könige, begaben fte fd) im November 1369 nad) Stral- 
iund, wo zuerft unterhandelt wurde, und dann am 24. 
Rai 1370 der vollfommene Frieden auch durch den Bei⸗ 
tritt des hohen Klerus Gültigkeit erhielt. Wahrlih, nie 
bat folder Glanz über Norddeutſchland geftrahlt, als da 
Dänemarks Hochmüthiger Adel und deſſen Pfaffheit in den 
Hallen des ſtralſunder Rathhaufes fo nachgiebig mit ben 
Sendboten aller Seeſtädte von Narwa bis an die Süber- 
fee theidigten! Die geiftlihen und weltlichen Vollmacht⸗ 
träger beflegelten den hanſiſchen Bürgern, daß fle, zum 
Erfag ihres Schadens, auf 15 Jahre zwei Drittel aller Ein- 
nahmen aus den ſchonenſchen Schlöffern und Voigteien bezie- 
ben, und diefelben, nebft Warberg auf Halland, fo lange als 
Pfand inne behalten follten. Die wichtigfte Beflimmung bes 
Rralfunder Friedens, welde Die Ohnmacht des nordifchen 
Reich auch auf die Zufunft übertrug, lautete: der König müfle 
diefe Artikel, wolle er beim Reihe bleiben, mit 
einem großen Siegel befräftigen; würbe der König feinem 
Reiche bei Lebzeiten einen anderen Herrn geflatten, dann 
vollten die Dänifchen Bevollmächtigten ſolches nicht gewäh- 
en, als mit dem Nathe der Städte und bi jener neue 
jerrfcher den Städten ihre Freiheit beftegelt habe! So 
rfocht die Kraftentwidlung des norbdeutichen Bürgerthums 
ie Suprematie über den ſcandinaviſchen Norden, während 


134 Bierter Theil. 


3.2ey. die Fürſten ben gebieterifchen Dünenkönige als Bafallen 
fi beugten; fo gewann der Srundjag Seltung bis ins XVI. 
Jahrhuntert, daß die Nachfolge auf dem Throne Walde⸗ 
mars des Großen in der Hand der Bürger fand! — 

wa Raifer Karl, nad Böhmen zurüdgefehrt, durfte für den 

demar. geremüthigten Gaſt nidyts weiter thun, ald am 27. Juli 
1370 mehren norbdeutfchen FZürften, aud den Pommern, 
aufzutragen, „‚biejenigen Leute, ingeborne und Aus⸗ 
wärtige, welde ihrem natürlidhen Herrn treulos gewor= 
den, vor fih zu laden, und über die Schuldigen die Reichs⸗ 
acht zu verhängen; im November 1370 nahm er den Bes 
trag der Reichögefälle Lübecks, welde er „feinem Tieben 
Bruder’, dem Könige Waldemar, verfhrieben, auf feinen 
eigenen Zoll zu Prag. König Hafon, deffen Krone und 
Neihöfleinodien in Stralfund zum Pfande flanten, er- 
wirkte, unter fchmählichen Belenntniffen, verlängerten Waf⸗ 
fenftillftand. 

en Der Fall des baierifchen Haufes in Brandenburg, und 
die Einverleibung der Marken in die lützelburgiſchen Erb- 
ande (1373), mit Beflätigung aller Privilegien der Städte, 
braten den Kaifer, deſſen flaatswirthichaftlihe Klugheit 
dem feit 50 Jahren vernadhläfftgten Kurftaate fchönes Ge- 
deihen verhieß, in unmittelbare Verbindung zunächſt mit 
Lübeck. Schon i. 3. 1374 hatte Karl ber Reichsſtadt um- 
faffende Onadenbriefe, dem Rathe auch den voigteilichen 
Blutbann ertheilt; unter der Vorbereitung der Wahl feines 
Sohnes unternahm der Bildner der böhmiſchen Großmacht 
jegt eine Umreife durch den deutfchen Norden, unbefümmert 
um die Wirren des Oberlandes, und befuchte, nach jener 
vergeblihen Einſchüchterung Erfurts, im October 1375 
den hanſtſchen Vorort, Des liſtigen Alten nächfte Abfict 





Fünftes Bud. 135 


war aber, Die vorſichtigen Herren von Lübeck durch die fchmei- IR. 





chelhafteſten SGnadenerweifungen zu vermögen, auf Koften 
bed Bundes, mit Veränderung ber hisherigen Verkehrs⸗ 
wege, jeinem Erblande die nordijchen Handelsverbindungen zu 
eröffnen. Während das ‚‚märfifche Landbuch“, ein fhöner 
Beweis ber Orbnungsliebe des Böhmen für feine Erb» 
Iande, verfaßt wurde, und Frieden und Ruhe in Die zer 
riſſenen Marken zurüdfehrten, gedachte Karl die Moldau 
ſchiffbar zu maden, Mähren, Böhmen, die Oberlauftg 
durch den Elbſtrom mit der Oſtſee zu verbinden, und in 
Tangermünde, wo er gern weilte und ſchmucken Stils ein 
Schloß, Rathhaus und die Collegiatkirche erbaut hatte, einen 
Stapelort des hanſiſchen Waarenvertriebd beider Meere 
anzulegen. Obgleih die G. B. alle eigenmäcdtigen Bünd⸗ 
niſſe zwifchen Städten unterfagt, nährte Karl die Hoffnung, 
zum Bortheil feiner Erbländer fih zum Haupte der Hanja 
ernennen zu laflen. Uber die Herren von Lübeck verflan« 
den ed, unter dem Schein der tiefiten Demuth ſolches An⸗ 
finnen abzuwenden, und den hoben Gaſt mit außgefuchten 
Ehren und köſtlicher Bewirthung dennoch bei guter Zaune 
zu erhalten. Ihn und feine Gemahlin nebft den vornehmen 
Fürften und dem Nittergefolge, empfing der Rath, die Geift- 
lichkeit, die Zirklergefellihaft, am 22. October 1375 vor 
dem Thore, in weldes feit Friedrich dem Rothbart kein 
Kaifer eingezogen. Andachtsvoll küßte Karl, im kaiſer⸗ 
lihen Ornate, das vorgehaltene Kreuz, und ritt dann, vor 
ibm ein Rathsherr mit den Stabtfchlüffeln an einem 
Stabe und Herzog Albreht von Sadjen= Lauenburg mit 
dem Reichs ſchwerdt, ber Zitularkurfürft Otto von Bran⸗ 
denburg mit dem Scepter, unter präcdtigem Baldachin, den 
vier Gefchledhter trugen, während zwei Bürgermeifter ben 


136 Bierter Theil. 


3.20. Zaum des Pferdes leiteten, durch Die prangenden Gaflen, 
erft zur Domkirche, dann in feine Herberge. Hinter ihm 
folgte die Kaiferin unter gleichen Ehren; Die bewaffneten 
Zünfte mit ihren Bannern fchloffen den Zug, während die 
Frauen in reihen Gewändern zur Seite ſich reiheten, un) 
Pfeifen und Bungen (Pauken) in bie geiftlichen Gefänge 
fih miſchten. Zehn Tage dauerten die Feſtlichkeiten, die 
NRitteripiele auf Koften der Stadt; Nachts hing vor jedem 
Bürgerhaufe eine Leuchte. Auf das gnaädigſte unterhielt 
fih der Kaifer, obwohl in feiner Abficht getäufcht, mit den 
Rathmaͤnnern, welche beſcheiden den Ehrengruß „Gem“ 
aus feinem Munde ablehnten, mit dem er fie, ala „mr 
nehme kaiſerliche Räthe“, auszeichnete. Hinter ihm drein 
liegen fie, feltfam genug,. das Thor feines Abzugs af 
ewig vermauern, Damit niemand die Stelle betrete, wel 

Kar unddes Kaiferd Fuß geweiht hatte. Aber fo Elug der Ralf 

eubeder fein Benehmen bewachte, verjchuldete dennoch der groft 
Aufwand beim Empfang des Kaiferd jene Unzufriedenheit 
ber Zünfte, die bedrohlich zuerit i. J. 1377 ſich äußette, 
doch Durch gütlihe Mittel noch auf einige Jahre beihwid- 
tigt wurde. Eine Umreife durch die Marken i. 3. 137 
führte den Katfer nochmal! nah der Niederelbe, um mi 
Hülfe der Lübecker und ihrer Bombarden das Schloß Dar: 
neberg zu Gunften feiner Schüßlinge, der Herzoge son 
Sachſen, dem Welfen abzunehmen. Bei diefem Anlıf 
mußte er erfahren, daß feine Faiferliche Einmiſchung in 
eine Angelegenheit der inneren Bundespolizei und hanfiſcher 

——— nichts fruchte. Noch laſtete auf den Braut 

Bram gern wegen ihres Aufruhrd gegen den Rath die Ver 

fung. hanſung mit ihren ſchweren Folgen; zumal benutzte Herz) 
Otto der Quade die Hülfslofigkeit der Bürger, um fie auf 





Fünftes Bud. 187 


das granfamfte zu peinigen, auch aus Haß gegen feine d. A 
ungefügigen Mündel, die Söhne Magnus II, Auf Bitte 
ver Kaufleute der ausgeſtoßenen Stadt, die, faft Leibeigen 
jeworden, das Geſchehene mit dem Drud der Geſchlechter 
mtfhuldigte, fandte der Kaifer im December 1377 ein 
Fürſchreiben für dieſelben an Lübeck; aber gewarnt durch 
ie jüngften Ereignifle in feiner Mitte, beharıte ber Bun⸗ 
zesvorort bei feiner Strenge, bis im fiebenten Jahre nad 
mer blutigen That Die Stadt auf Vermittlung Herzog 
Friebrih8 unter demüthigenden Bedingungen zu Gnaden 
wfgenommen wurde. Gebeugt durch das Mebermaß ber 
Drangfale, gelobten Die Abgeordneten Braunfchweige im 
Auguft 1381 auf dem Hanſetage zu Kübel, den neuen 
Rath zu entfegen, die Aufrührer hinzurichten, bie noch 
Ichenden von den DBertriebenen, jo wie die Geſchlechter in 
Ehren und echten Herzuftellen und zu entihädigen, eine 
Strafjumme zu bezahlen, zur Sühne ber That eine Kapelle 
m da8 alte Rathhaus zu bauen, und in ihr vor jeder 
Rathöfigung Meſſe Iefen zu lafien; endlich bei Fünftigen 
jwiften vor der Hanſe Hecht zu fuchen. Als darauf am 
13. Auguft, unter zahlreicher Bollömenge, zwei Bürger» 
neifter und acht Bürger barhaupt, barfuß, in wollenen 
Bewändern, aus der Marienkirche in ben großen Hanfe- 
aal auf dem Rathhauſe gegangen, und fußfällig vor den 
erſammelten Sendboten Abbitte getban, wurde Braun 
dweig wieder in den Bund aufgenommen. Die St. Aus 
oröfapelle, geihmüdt mit den Wappenſchildern der ent⸗ 
eibten Rathsherren, erhob fih dann als Denkmal der 
Sühne an dem altftädtifchen Rathhauſe, welches, nad) 1270 
baut, in feinem herrlichen, mauriſch⸗ gothifchen Stile 
ih jeßt Die größte Zierde der ehrwürdigen Stadt ifl. — 


138 Bierter Theil. 


3.Ray. Dennoch bleibt, bei aller Demüthigung ber Gemein, 
eine Annäherung der Berfaffung zur Demofratie nicht zu 
verfennen, wenn auch das Waffenbündniß der Lilien 
einen, vente, 1384 gefliftet, ein patriziſches Gepräge trägt und 
vente. heſonders mit Hülfe beflelben Herzog Friedrich das wolfens 
büttelfche Land gewann. Als nah dem Vergleiche zu Han 
nover mit dem fächflihen Haufe neue Feindſeligkeit mit 
den Züneburgern ausbrach, wurden dieſelben befonders mit 
Beiftand der Bürger bei Winfen gejchlagen (1388), und 
empfing der Bürgermeifter auf dem Schlachtfelde die Rit⸗ 
terwürde. Braunfchweig wuchs an Gebiet und faft reihe 
flädtifcher Freiheit, und ordnete, auch als die erzwungent 
„lüneburgifhe Sate“ in fi verfiel, i. 3. 1408 durch den 
fogenannten „Ordinarius“ fein Verhältnig zum Landesherm 
wie feine innere DBerfaffung. | 
. Konnte i. I. 1377 des Kaifers Fürwort die hanſiſche 
mund. Molizei nicht beugen, fo hat der Befuh, mit welden 
Karl gleich darauf auf dem Wege nad Frankreich die weſt⸗ 
fälifhe Reichsſtadt beehrte, zwar pergamentene Gnaden 
in Fülle ausgefchüttet, aber nichtedeftoweniger nad) einem 
Sahrzehend die gläubigen Bürger in furchtbare Noth ge 
bracht. Auf jener legten Umreife durch Engern und Wels 
falen über Soeft nad Dortmund gelangt, November 1377, 
ward das Reichsoberhaupt mit derfelben herfümmlichen Feſt 
lichkeit, wie in Lübeck, empfangen, verrichtete feine Andaft 
in St. Reinolds Münfter, beftätigte und mehrte die Br 
vilegien, fdheuchte den Beind der Stadt, Wilhelm von 
Berg, aus feiner Nähe, und flärfte bei den Bewohnem 
jenen religiöfen Ehrfurchtsſchauer, den unfere Vorfahren, 
fonft fo gleichgültig gegen bie Gebote des fernen Kaiſert. 
gern empfanden. Sie verdroß es nicht, daß der ſtoͤrrigt 








Fuͤnftes Bud. 139 


Herzog Albrecht von Sachen, jener Erbe Lüneburgs, fie dt 
um Geld flrafte, ‚weil das Thor, durch welches der Kai⸗ 
fer einritt, nicht Hoch genug war, und des Mei chömarjchalts 
Lanze in der engen Hauptſtraße an die Vorbauten ſtieß“; 
denn die Sitte gebot, dem höchſten Voigte der Ehriften- 
heit alle Eingänge weit zu Öffnen. Wohl aber fluchten 
die Dortmunder dem Andenken des Kaiſers, ald der grim⸗ 
mige Kriegsanfall des Erzbiſchofs von Köln und der ver⸗ 
ſchworenen Fürften ihnen als Folge erneuter Verpfändung 
erichien, um welche der gleißneriiche Saft ſchon damals die 
Kurſtimme Kölns für feinen verächtlichen Sohn erfauft habe. 
So gallihten Nachgeſchmack verfpürte Die deutſche Bürger- 
weit überall an den Wohlthaten des Stiefvaterd, den wir 
noch auf feinen legten Reichötag zu Nürnberg begleiten werden, 
nachdem wir uns in den Städten feiner deutfchen Erblande, 
im Ordensſtaate und in Oefterreih, umgeblidt. 

Der ächtſlaviſchen Lande, Böhmens und Mährens, 
hohe Blüthe geht uns nichts an, obgleich die uralt berech⸗ 
tigte deutſche Bürgerfhaft zu Prag, wo i. 3. 1348 bie 
Neuſtadt fih erhob und die Univerfität, die erfte auf 
Reichsboden, nad) dem Mufter von Paris ihren Urfprung 
nahm, ſchon damals den mörberifhen Hab der Czechen 
erweckte. Die Marken und Städte Görlig und Bubiffin, Die, 
wie feit feinem Entftehen Bittau, mit dem ſchönſten Theilftadte ber 
der Lauſitz, waren nad dem Erlöſchen des Stammes ‘An. !auft- 
Halt aus unruhigen Wechſel fihon unter Iohann, dem 
Dater Karls, dem Köntgreihe Böhmen einverleibt worden, 
und entfalteten um fo frifcher die deutſchen Lebenstriche, 
ſowohl im Handel und Gewerbfleiß, als in Kunft und 
Bildungsanftalten; am Iuftigften jeboh im bürgerlichen 
Rechtsgefühl und flreitbaren Freiheitseifer. Görlitz, v. I. 





140 Bierter Theil. 


Im 1329 an bis 1636 mit Böhmen verbunden, durch Kaifer 
Karl Hoch begünftigt, genoß der älteren magdeburger Rechts⸗ 
verfaffung, mit Schöffen und gefchlechterlichem, jährlich er- 
neutem Stadtrathe von etwa 20 Gliedern, bis die drei 
oornehmften Innungen, Tuchmacher, Bleifher und Gerber, 
nach vielen Unruhen Untheil an der NRathöftube erlangten. 
Vor feinen Bier Bänken, unter Borfig des Erbrichters, 
ftanden alle Angeklagten des Bezirks zu Recht; ala Ober 
hof galt Magdeburgs Schöppenſtuhl. Bereits hatte fih 
die Stadt in Verfolgung und Beflrafung der Straßen 
räuber und Weglagerer, durch Burgbrechen ein gefürchtetes 
Anfehen verihafft, als t. I. 1346, bei Abmwefenheit des 
unermüblichen Zandfahrers, des Blinden Johann, fünf Tage 
vor jeinem Heldentode bei Bredch, Die Sorge vor feind- 
lihem Angriff den Abſchluß des Bundes der oberlauftgifchen 
Sechs ſtaͤdte, Görlitz', Bautzens, Löbaus, feit 1259 als 
Stadt erwähnt, Kamenz’, ſelbſtſtaͤndig ſeit dem Markgrafen 
Waldemar, Laubans, defien Bewidmung wir nicht Eennen, 
und Zittau, auf Anratben des damaligen Landvoigts 
felbft, am 21. Auguft gefchloffen wurde. Karl begünftigte 
das Unternehmen durch die ausprüdliche Vollmacht, alle ſchäd⸗ 
lien Burgen zu zerflören; feit dann mit Hülfe des Bundes 
der König i. J. 1349 das böhmiſche Raubſchloß auf dem 
Opbin, wo i. 3. 1366 malerifch das Cöleſtinerkloſter, 
ein Lieblingsſitz des weltmüden Lügelburgers , fich auf 
thürmte, zerftört hatte, wurde bie „Acht““, die „Veme“ 
der Sechsſtaͤdte das Schredden aller Raubritter der Umge⸗ 
gend. Görlik, als die reichſte und mächtigfte der Bundes 
ſchweſtern, fland an der Spitze biefes Iaufigifchen Landfrie⸗ 
bend, welcher zumal Die Zünftler im Waffengebraud be⸗ 
denklich übte, aber auch wohl über feine Befugnifle Hinaus- 








Fuͤnftes Bud. 141 


grif. So 1. 3. 1368, als Sörlig durch Lift die anderen !.Rm-_ 
Städte vermochte, den Flecken und das Schloß Neuhaus, 
im Gebiet des Herzogs von Schweibnik, zu brechen, weil 
der neue Straßenzug nah Böhmen die früheren Verkehrs⸗ 
wege veröbete. Auf die Klage der Herzogséwittwe beim 
föniglichen Hofe in Prag zürnte der Erzbiſchof, Karla 
Statthalter, über jene Gewalttfat und verurtheilte bie 
Börliger, als Anftifter, zum Aufbau und einer Geldftrafe; 
ver Eoftfpielige böfe Handel rief ftürmifche Bewegung unter 
den Gewerfen hervor, und ward erft beigelegt, als i. 3. 
1377 Görlitz das neue Städtchen Taufte und ungefäumt 
abbrach. Sp ruheten aud die Bürger nidht, bis fie die 
kandskrone, jenes Schloß auf dem nahen Bergkegel, wel« 
bed weithin das Land Überfchaut und gefährlide Nachbarn 
seherbergte, wenn auch erſt fpät, i. J. 1440, in ihre Gewalt 
raten und in Trümmern Iegten. — Wannigfaltige innere 
ind äußere Beziehungen verflochten die Stadt an der Neiße 
nit Zittau. Letztere, von Böhmen ald deutſche Stadt auf Zittau. 
bren Wunſch getrennt und zu den ‚Städten dieſſeits des 
Yebirgsd‘’ geſchlagen, war aus mehrfacher Verpfändung, 
ulegt aus der Hand des Kurfürflen Rudolf von Sachſen 
urch eigene Loskaufung, endlich unter Karla unmittelbare 
jerrfchaft gelangt (1358), mußte aber auch dann mandier« 
Hi Laften übernehmen, wie den Bau eines Schlößchens 
ir den Katfer, und fuchte durch bundesftäbtifche Beweg⸗ 
hfeit für äußeren Zwang ſich zu entſchaͤdigen. Bis zum 
. 1364 blieben Juſtiz und Verwaltung verfchiebene Bes 
srden; die fleben Schöffen unter dem Erbrichter, der 
tabtrath, um 1360 von zwölf Gliedern auf achtzehn 
mehrt, wurde mit den Bürgermeiflern aus „Witzigſten“ 
wählt; im gedachten Iahre jedoch pachtete die Stadt Die 





142 Bierter Theil, 


3.2ar. Landvoigtei, nebft denn Amt des Eöniglichen Erbrichters, 
und mehrte dadurch ihr Anſehen über ben Gerichts⸗ 
bezirk. Zittau war es befonders, welches eiferfüchtig 
die Zahl der Sechsſtädte bewachte. Als das benachbarte 
Oſtritz unter dem Schutze der Xebtiffin von Marienthal 
fih Stadtreht anmapte, „Bier braute, ein Rathhaus er 
baute”, bewirkten die neidifchen Bürger beim Bunde bie 
Erklärung, jenes Städtchen müſſe fih auch ferner zum 
zittauifchen Weichbilde bekennen, und einen gewaffneten 
Auszug des Aufgebots, weldyer im December 1368 das 
dortige Rathhaus wie die neuen Mauern zerflörte, unge 
achtet Die frommen Brauen von Marienthal diefelben mit 
ihrem Leibe zu deden ſuchten. Darob nun ſchlimmer Han 
del am Hofe zu Prag und Nährung bürgerlicher Unruhen. 
en — Auch in Zittau, wie in Gorlig und Bautzen hatten 
ae die Kriegsfahrten bei blühenden Wohlftande das politiihe 
Aäbten, Bewußtfein der Zünftler, zumal der Tuchmacher, geflei- 


gert; ihr Ehrgeiz regte fih, und blieb nicht Länger befrie 


digt innerhalb der bejchränkten Innungsverfafiung, wie bie 
Görliter denn ſchon gleih nad) König Johanns Tode, zur 
Zeit des Bundesabſchluſſes, die Kurfähigfeit verlangt, aber 
einen ungnädigen Beſcheid von Karl IV. (Sept. 1347) be 
fommen hatten, und bei Strafe Leib und Gutes zum Ges 
borfam an den Rath gewiefen waren. Stärfer verſpürten 
i. 3. 1370 die Sechsſtaͤdte die gemeinfamen Zuckungen 
der deutfchen Bürgerwelt; die Koften des Handels um New 


haus mehrten die Unzufriedenheit der Handwerker, ihr 


Scheelſucht auf die Vorrechte der Gefchlechter. Wieder zu⸗ 
recht gewiefen durch den Kaifer, erhoben fie in Görlt 
1.3. 1372 einen blutigen Aufftand; zwar zwang fle Karls 
Drohbrief ihre Waffen aus den Zeughäufern auf das Rath⸗ 





Fünftes Bud. 143 


haus zu liefern, wurden viele geächtet oder wanderten aus, 3-Ra. 
und wurde dem Nathe die Wahl feiner Mitglieder, fo wie der 
Shöffenbant und der Innungdmeifter zuerkannt (1373); 
doh dauerten Widerfeglichkeit, Aufläufe und Mordtbaten 
das ganze Jahrhundert hindurch, befonders durch das ge⸗ 
haͤſſige Braumonopol der Geſchlechter veranlaßt, und er⸗ 
ſtiegen ihre Höhe unter König Wenzel, bis veränderte 
Rathsverfaſſung die Mipftände zum Theil erledigte. — Die 
Unruhen in Zittau, beſonders von den zahlreihen Tuch 
machern ſchon mit dem XIV. Jahrhundert begonnen, waren 
über fachliche Intereffen, Brauurbare, Stadtwage, 1. I. 
1360 durch den Iohanniter= Romptur, die oberfte geiftliche 
Behörde der Stadt, noch vermittelt worden; auch i. I. 
1361 hatte das „‚gehegte Ding” des firengen Taiferlichen 
Statthalterd die nicht unbilligen Forderungen ber Bünfte 
urüdgewiefen; als bie Nähe Karla t. I. 1367 zunädft 
die Tuchmacher ermunterte, gegen bie Borftellungen des 
Raths in einem Aufzuge von 800 Männern, in Harniſch, 
nit Schwertern und Armbrüſten, den Herrſcher um Er⸗ 
Yörung ihrer Klagen anzugehen. Aber fle kamen zur böfen 
Stunde vor bed Kaifers Herberge unweit Nimes. Vor⸗ 
ver fhon von den Rathsabgeordneten unterrichtet und ge⸗ 
vonnen, fuhr Karl die bewaffneten Befchwerbeführer un⸗ 
limpflih an, warf die Innungsartifel ins Feuer, und 
ntidhied am 14. Juli, daß die Wahl der Gewerbäälteften 
Her Zünfte fortan beim Rathe fliehen, und die Morgen- 
pracden nicht ohne Wiffen und Willen der gefhworenen 
Ibrigkeit flattfinden follten. Solcher Ernft, die Drohung, 
en Unrubigften die Köpfe abſchlagen zu lafien, vermittel- 
en fo ſchnelle Verftändigung, daß beider Parteien Abge⸗ 
rdnete noch defielben Tags im Wirthöhaufe beifammen 


144 Bierter Theil. 


Kap. ſchmauſten. Unter den Vorzeichen bes Huffttenfturmes grollte 
ed wieder heftiger bei den Zünften der, Böhmen benadhbar- 
ten, deutſchen Städte; allein merfwürbig bleibt, daß wir 
in den Ländern wendifch= beutfcher Bevölferung, ungeaditet 
auflodernder zorniger Wuth, jenes nachhaltige TFreiheits 
feuer, jene politifche Ausdauer und Willensklarheit der 
niederen Stände vermiffen, welche den alemannifchen, ſchwä⸗ 


biſchen, auch fränfifchen, rheinifchen und ſaſſtſchen Stamm 


auszeichnen. Sonft hielten die Sechsſtädte, als flarfe po⸗ 


litiſche Körperfhaft, zufammen, bis zum verhängnißvollen 


Pönfall v. 3. 1547. Der ‚‚Kaifertrug‘ in Görlig, un 


verwüftlich gefügt und aufgethürmt, wie Die prachtvolle St. 
Petrt- Kirche im fpäteren gothifchen Stile, bezeugen jenes 


Bürgerthums Willenskraft und religiöfen Eifer im MM. 
Jahrhundert. 


Schleſten, auf drei Seiten von ſlaviſchen Ländern eine 
geengt, aber durch die Erbfeindfchaft feiner vielfach getheil- 


ten BPiaften dem polnifhen Wefen, bis auf den hoben 
Klerus, mit vollem Bewußtfein abgewandt, ging auf dem 
Wege deutfcher Bildung um fo entjchtebener vorwärts, ald 
Ss feine ohnmächtigen Fürften unter unfeligen Brüderkriegen 


‚Stänte fih ber Oberberrfihaft der deutfhen Könige Böhmens 


sure nicht erwehren konnten. Was Johann ton Lützelburg mit 
überlegenem Geifte und Waffengeſchick begonnen, vollendeten 
ſchon mit ererstem Anſpruch feines Sohns Karls diploma⸗ 


tifhe Künfte und Mittelreichthum. Herzog Heinrich IV. von 


Bredlau, ohne männliche Erben und bebrängt don feinem 


Bruder Boleslav von Liegnig,. hatte fih an das Reid 


gewandt, und i. 3. 1324 fein Fürftenthum vom König | 
Ludwig dem Bater als Neichöweiberlehn erhalten; nichts 


beftoweniger fiel daſſelbe nach feinem Tode (ti. 3. 1335) 





Fünftes Bud. 145 


unmittelbar an bie Krone Böhmen, und nach dem Tode 3.Rm- 
heinrichs von Iauer war Boleslav von Schweidnig der ein- 
ige noch freie Piaſt in Schleſten (1346). Aber auch der 
ſtandhafte „Volko“ ward dur Karla Heirathspolitik um⸗ 
garnt, huldigte der böhmiſchen Krone, die darauf Schle⸗ 
ſien i. J. 1355 auf ewig ſich einverleibte. Vor allen 
Städten feines Reichs erfuhr Breslau die Gunſt des neuen 
herrſchers, beſonders in materieller Beziehung, und e8 bildete 
ih, nah Maßgabe des Magdeburger Rechts, unter ben 
Befonderheiten, welche die früheren flavifchen Verhältniſſe 
srerbten, bier wie in allen ſchleſiſchen Gemeinweien ein 
zeordnetes kraͤftiges deutſches Bürgerthum, wiewohl mit 
rwaltender Ariſtokratie, aus. Die Alt» und Neuſtadt 
Breslau, noch getrennte Bemeinwefen, einigten ſich klüg⸗ 
ih i. 3. 1327 und handhabten die jährlihe Wahl des 
ſtaths durch Die abgehenden Glieder; die Erbvoigtei ge⸗ 
angte i. 3. durch Kauf von Privatleuten theilweile an Die 
ſtathskörperſchaft, und das Stadtgericht übte feit 1331 ge⸗ 
etzlih ein ſtrenges Rechtsverfahren über alle im Weich⸗ 
ilde vorkommenden Friedensbrüche. Ein Aufruhr der 
luchmacher, welche über die willkürliche Beſteuerung des 
daths zu klagen hatten, endete i. J. 1333 mit blutiger 
zinrichtung der Häupter; bald darauf zog den Bürgern ihr 
rotziges Auftreten gegen den polniih gefinnten Biſchof 
danker und deſſen Klerus, welche fi nicht der böhmiſchen 
Iberherrfchaft fügen wollten, geichärften Bann zu (1337), 
en fie i. 3. 1343 durch Äußere Bußzeichen verfühnten. 
n demjelben Sabre veranlaßten innere Unruhen den König 
obann, die Macht des Raths zu flärfen, indem er 32 
afehnliche Bürger auf Lebensdauer einfegte, die ſich ſelbſt 


gänzten, und auch den Schöppenftuhl des en 
Barthold, Staͤdteweſen. IV. 


146 Bierter Theil. 


3ER. zur Hälfte, mit 6 aus ber Landſchaft, durch ben Rat 
beftellen ließ; doch trat unter den getümmelvollen Anfin 
gen der Regierung Karls (1349) die alte Kür der 8 jühr 
fihen Nathöherren wieder in Geltung. Der neue Gebie— 
Bredlauger, jegt deuticher König, bald aud Kaifer, hatte fein 
Kari V-Zreude, die Hauptſtadt feiner fchlefifhen Erblande mit 
ſchonert küſtlichen Gebäuden geſchmückt zu fehen. Im wiederholten 
Bränden des fünften Iahrzehend waren in der eigentligen 
Stadt nur die weite St. Elijabethkirche mit ihrem hoben 
Thurme, nebft der St. Maria Magdalena, und ben älte 
ren, unanſehnlichen Gotteshäuſern ftehen geblieben. M 
befferem Gefhmade und fleinern, erhoben ſich jeßt grabm 
Straßen, die geräumigen Ringe mit ihren Kaufhallen un 
Bänfen, und dehnte die Stadt ſüdlich über die Olau ff 
aus. Es entftand die Dorotheenfirche mit ihrem Iuftigen 
Gewölbe, den Auguftinermönden gehörig ; das ſchönfte 
Zeugniß des prunfenderen Kunſtgeſchmacks in Karls Zeiten 
bleibt jedoch das Rathhaus am großen Ringe, ruhend af 
prachtvollen Gewölben, dem „Rathskeller“, kaiſerliche Sält 
umſchließend, und überragt von einem folgen, burchbrodt 
nen Thurme. Gleichwohl verräth Ueberladung mit „Schnör 
keln“ und phantaftifcher Bildnerei ſchon den entartenden 
gothiſchen Stil. Einfacher, ruhiger und wuͤrdiger iſt die 
Kirche „Unſerer Lieben Frau auf dem Sande“, der Ir 
gufliner Chorherren, welche damals unfern der meifterht 
ten Kreuzkirche neu aufftieg, und nebſt dem Dome zu & 
Johann den eigenthündichen religiöſen Charakter der Ir 
felftadt vervollftändigt. Welſche Zierlichkeit wollten fü 
die Zeitgenofjen an der Königin der Oderftädte bemerkt, 
deren Handel, unter dem Schuß der Krone mit vielfahtt 
Zollfreiheit begünftigt, über Böhmen, Ungarn, bis nad 








Fünftes Bud. 147 


Benedig, und bis zur Oſtſee gewinnreich ſich verbreitete. SAP. 
Außerdem behauptete ſich Breslau als Oberhof aller ſchle⸗ 
fihen, mit Magdeburger Recht bewidmeten älteren und 
neueren Städte, felbft jeit 1352 des fernen Olmütz, mit 
Ausnahme von Schweidnig, das, wenn auch längft deutſch, 
et i. 3. 1363 durch feinen Iegten Piaſten jene Rechts⸗ 
serfaffung empfing, enger an den Schöppenſtuhl der Mut- 
terſtadt fih anſchloß, und fein Recht wiederum kleineren 
Gemeinweſen feines Gebiets mittheilte. So wich das pol» 
niſche Recht jelbft aus den Städten Oberſchleſtens und den 
vom Bisthum abhängigen, wenn auch, bei gleicher Grund» 
lage, örtlich, wie überall in Deutfchland, eine große Man⸗ 
nigfaltigkeit fih entwidelte. Im allgemeinen bemerken wir 
über die Städte Schlefiens, daß fie unter den Lützelburgern 
zwar fhönen Raum zur inneren bürgerlichen Selbfiftändig- 
feit und materielle Blüthe gewannen, und Daß dad ges 
meinheitliche Lebendprincip fortſchritt, gleichwohl die ges Charat 
ſchichtlich begründete Gebundenheit an bie Landeöherren fhleil- 
politifiche Unabhängigkeit nicht auffommen Tief. Wir er» Städte, 
fahren bier nichts von Bündniffen der Nachbarſtädte, um 
gegen Schmaͤlerung ihrer Freiheiten und Rechte, gegen 
Unterdrüdung mit den Waffen fih zu fügen; nur ber 
Vorzug Breslaus, die Hauptmannſchaft des gleichnami- 
gen Fürſtenthums im Schoße feines Raths zu verwalten, 
erhöhete deſſen ftändifche Geltung. Weil ferner die ariſto⸗ 
kratiſche Rathsverfaſſung des Landesfürften Hoheit fidherer 
gewährleiftete, fehen wir die Rechte der bevorzugten Alt⸗ 
bürger grundfjäglidh überall gegen die Anſprüche der Zünfte 
in Schuß genommen. Allgemein wechfelte zwar der Rath, 
beffen Gliederzahl fehon gering, alljährlih; aber der ab» 


gehende Rath ernannte den neuen, und befchränfte bie 
10* 


148 Bierter Theil. 


ER. Berechtigung in engem Kreije, indem er die Würde gewöhnlid 


dem oberalten, ber ihn eingefeßt hatte, wieder übertrug. 
Die Wahl des Bürgermeifters fland bei dem Nathe, in ten 
Hauptftädten fpäter beim Landesherrn. In größeren Orten 
bevormundete der Rath ängftlich die Innungen, nahm höchſtens 
einige gefchworene Zunftmeifter für beliebige Befragung zu 
Seite, oder geftattete eine befcheitene Bontrole des Gemeinde 
haushalts durdy Abgeordnete von den Zünften, an einzelnen 
Orten auch wohl durdy die Iebenslänglichen Schöffen als ver⸗ 
meintlihe Bolfövertreter. In Breslau erfchütterte nur ber 
Höheftand der Huffitenflürme die ariftofratifch befeſtigte Ord⸗ 
nung, und erbliden wir fpät einmal die Spur eined Großen 
und Kleinen Rath; in Heineren Städten Dagegen, wie in ten 
rührigen Gemeinwefen der Lande Schweidnig und Liegnig, in 
Ziegnig felbft, dad i. 3. 1353 neue Rechtsverfaſſung vom Her⸗ 
zoge erhielt, in Hainau, in Goldberg, befonderd in Zoewenberz 
(1363— 1365), überrafcht uns ein ehrenwerthed Streben ter 
niederen Gemeinde, welde zumal einfeitige Satzungen ihres 
Mathe, ohne Willen und Wiffen der Handwerkömeifter, ungül⸗ 
tig erklaͤrte. Bei aller Unvollkommenheit des gemeinheitlicen 
Lebens in Schlefiend Städten müflen wir dennoch befennen, 
dag, im Vergleich mit der regen Theilnahme der Gemeinten 
an allem Gemeinjamen, fo wie mit dem Gefühle der Selb: 
fländigfeit und Kraft, die wir aud) dort im Mittelalter wahr: 
nehmen, der fpätere Zufland und öd und tobt erfcheint. — 


a. In den Staat des beutfchen Ordens, welder unter 
vet dem Sochmeiſter Winrich von Kniprode (1351—1382) den 


Ordens. Gipfel der Macht und des inneren Wohlftandes erflieg, 


hatte das deutſche Bürgerthum jede fhöne Frucht feiner 
Heimath gebracht, die Blüthe des Handel und der Ge 
werde, ehrbare Sitte, gemeinheitlie Verfaſſung, kriege⸗ 


Fünftes Bud. 149 


iſchen Muth, Gelflesbildung und politifchen wie kirchlichen ? Kan 
freiheitäeifer,; nur ließ die adelige Grundlage ter Staatd- 
efellichaft und die hanſiſche Richtung der Gemeinweſen 
nd Streben der zünftigen Bevölkerung nirgends Raum 
ewinnen. Neben Thorn, Elbing und Kulm, und der 
Rehtsftadpt Danzig, welde durch die Handfeſte d. J. 
1343 die Altſtadt gänzlich verbunfelte, doch mit jener 
u ungleicher Gliederzahl einen Rathskörper bildete, und 
n diefem Sabre ummauert die mächtig große Oberpfarrfirche 
u St. Marien zu bauen anfing, traten ald hanflihe Bun⸗ 
esſtädte Königsberg, die neue Kathedralſtadt des Bisthums 
on Samland (1333), und Braundberg hinzu. Ungeachtet 
hrer Abhängigkeit von den Orbensgebietigern, nahmen fle 
ahhaltig Theil an dem großen Kriege gegen Waldemar, 
inen Herrfcher, welder mit dem Hochmeiſter in ungeflörs 
m Frieden fand. Winrichs von Kniprode flantöwirth- Ding 
haftlihe Sorgfalt begünftigte und ficherte überdies durch Ruby 
3erträge den Seehandel und den Binnenverfehr des Kaufs 
sannd mit fernen Mächten, mit Holland und Zlandern, 
it England und Frankreich, mit Polen; fo fchiffebelebt 
me Danzigs Hafen, daß bei einem Sturme i. 3. 1351 
zig Schiffe feheiterten; fo volkreich die Städte, daß die 
roße Peſt in Danzig allein 13000 Menfchen in einem 
jahre Hinwegraffen konnte. Auf ehrbare Bürgerzucht bes 
act, gab der Hochmeiſter eine Kleiderordnung für „Bür⸗ 
ermeifter und Rathsherren“, für Die vornehmen ‚‚Kauf- 
eute“ und den niederen Bürgerfland, deren gemeflene Bes 
immungen zwar die Wohlhabenheit der Zeit, ihren Lurus, 
edoch auch eine Iandesfürftliche Gewalt bezeugen, vergleichen 
vir in den Städten des inneren Deutfchlands nicht finden, 
Ein dringenderes Bedürfniß waren bie Friegerifchen Anftal- 


150 Bierter Teil 


3.80. ten, weldie der Hochmeiſter ins Leben rief, um bie ſtädti⸗ 
ſche Bevölkerung für die mühjeligen, biutigen „Reiſen“ 
gegen die heidniſchen Lithauer und für innere Sicherheit 
wehrhaft zu erhalten. Er führte, wie ſchon der älter 
Bolfo von Schweidnig in feinem Fürſtenthume gethan, 
und wie in bes Oberlandes, Weſtfalens und Niederſachſens 
Gemeinweien längſt ublih war, dad Schießen mir ter 
Armbruft nad dem Bogel und das Schügenfönigthum ein, 
ordnete Scießgärten und vergnügliche gefellige Waffen 
übungen an, und bildete fo, um der theuren Söldner zu 
entrathen, ein treffliches Bürgeraufgebot zu den lithauiſchen 
Kriegdreifen und zur Bertheitigung der eigenen Mauern. 
Iede Stadt, zur Stellung einer beflimmten Kriegsmann- 
fchaft unter der Führung der vornehmften Bürger verpflid- 
tet, fo wie zu Hoffen und Wagen, zog in gelonderten Hau: 
fen, welche nad) dem alıdeutfchen heidniichen Frühlingskampfe 
„Raien‘ benannt wurden, auf dad erſte Kriegsgeſchrei und 
nad) ter Muflerung durch den Hausfomthur ind Feld, un 
forgte felbft für Koft und Unterhalt. So wetteiferten bie 
rüftigen Zünftler an manden heißen Tage mit der Ritter 
haft; wenn aud die Gefchidhte vom „Schuhknecht Hans 
von Sagan“, welder, ein Bürger des Kneiphofs, te 
Infelftadt bei Königsberg, in der mörderiihen Schlach 
von Rudau, 17. Zebruar 1370, obgleih am Fuße ver 
wundet, durch Aufredhterhaltung feines Bannerd die Wei: 
chenden zum Kampfe ermuntert haben foll, eine ſpaͤtere 
Sage ift, und das jährliche „Schmedebier” der Eneiphöf- 
ſchen Bürger auf dem Schloffe zu Königs berg einen anderen 
Urfprung haben mag: fo liegt der ehreifrigen Volkserzaͤh⸗ 
lung doch gewiß eine Thatſache zu Grunde. | 

Bermißten wir in ber früheren Periode die Abſchließung 











Fünftes Bud. 151 


ber Sandwerfözünfte in Preußens Städten, und machten 3.:_ 
Äh auch jegt nur die gewerblichen, kirchlichen, gefelligen aurmar, 
und friegertichen Intereſſen derfelben unverfennbar Raum,een, 
jo hatte dagegen der wachſende Handelsreichthum die Bors en 
vehte des Faufmännifchen Adels in den größeren Städten, 

bie Kür der Rathmänner aus der Mitte der vornehmen 
Bürger, Gegenfäge und Trennung zwifchen den Kaufherren 

und dem Gewerbftande, „der Gemeinde“, hervorgebracht, 

bie jedoch nicht in politifhen Zwiefpalt und Verfaſſungs⸗ 
fampfe umſchlugen, fondern allein in gefelliger Abfon- 
derung fi) ausſprachen. Die Gilden der Großhändler und 
Nathöfähigen traten in Thorn, Königsberg, Elbing und 
Danzig ald Stubengenofien zufammen, Artusbrüderfchafe 

ten genannt, von ber ſchmucken Baulichkeit des Artus⸗ 
hofs, in welchem fie ihre Gelage hielten. Unentſchieden 
bleibt, ob der Held der romantich=celtifhen Sage feinen 
Namen den Waffenübungen lieh, welde die wehrhaften 
Kaufberren in ihrem Kauf- oder Gildenhauſe anftellten; 
oder ob das fröhliche Zechen, das übliche Erzählen auß 

dem Gebiete der Nitterpoefle, dem Kompaniehaufe, das zu 
nüchterner Stunde aud als Börfe galt, die romantiſche 
Bezeichnung beilegte, „weil e8 in ihm fo hoch und Iujtig 
herging, wie an König Artus Tafelrunde.” Den Artus Die 
und Junkerhöfen gegenüber verfammelten fih in den Han⸗ böfe. 
belsftädten die Bewerbftände in jogenannten „Gemeingär⸗ 
ten’ zu gefelliger Luft, da die Sagungen der Artushöfe, 

bie „Trinkordnung“ bei ihrem fonft gemüthlichen, auf Sitte 

und Anftand gehenden Inhalte, Handwerföleuten und Kraͤ⸗ 
mern den Zugang verfperrten. Unzufriedenheit und gehei⸗ 
mer Groll über ſolche Vornehmthuerei mochte bei den Zünfe 

ten, die doch mit dem innern Deutichland in Verbindung 


152 Bierter Theil. 


3.Rop. ftanden, nicht ausbleiben; gleihwohl waren fie. dur tm 
Orden fo eng an die flädtifchen Verwaltungsbehoͤrden ge 
bunden, daß wir felbft im XIV. Sahrhundert von feine 
Gährung, Feiner gewaltfamen Erhebung etwas erfahren. 
Innerer Dagegen mußten die Mönchsritter fpät zu ihrem Verderhen 
an fich überzeugen, daß der unabhängige Geift des Hanfliden 
| Bürgerthums, welches, daheim eine unterthänige Commun 
 vemumd an den Willen ber Landesherrſchaft gebunden, draußen 
ganz ſelbſtſtändig mit fremden Königen Frieden ſchloß— 
Bündniſſe einging, und Kriege führte, ihre Gebieterftellun 
ungern ertrug, und daß ein ſchneidender Widerfprug in 
dem künſtlich gefügten Verhältnifie Tag. Beſonders wedten 
die wiederholten Kriegsbürden eine ftille Abneigung de 
Bürger, die, im Jahrhunderte der Kirchenverſammlungen 
zum Haß gefteigert, die deutſchen Gemeinweſen zu einm 
Abfall verleitete, welcher die Wurzeln des germanijgen 
Zebend zu vernichten drohete. Der Ritterſtaat galt dm 
Bürger immer ald Adels- und Pfaffenherrſcheft 
zugleich, und vertrug ſich fo wenig mit der Geflnnung dei 
bemofratifchen und pfaffenfeindlihen Jahrhunderts, welde 
ſonſt Kaifer und gefepliche Landesherren ohne Beſchwer m 
trug, daß felbft verpfändete pommeriſche Städte, wie Stoll 
Bevölkerung (1329 — 1341), willig ihre Habe, die Weit 
ihren Schmuck aufopferten, um vom widerwärtigen Röndk 
ritter befreit zu werden. Die Bürger von Danzig, welät 
durch den Hochmeifter eben i. 3. 1378 das Külmiſche Reit 
empfangen, und zur felben Zeit den Aufbau und die dr 
feftigung der Jungftadt, jener unglücklichen Nebenbuhlerin 
beim Hochmeifter betrieben hatten, erregten fehon 1. 3. 130, 
ald der deutfche Städtefrieg, wie Die germanifdherome 
nische Erhebung der Communen, ſich vorbereitete, ängflidt 





Fuͤnftes Bud. 153 


Sorge ber Drbensgebieter vor geheimen Anfchlägen, ihr AR 
Joh zu brechen. Dennoch war für Preußens Stadt und 

and bis zum Tode des hochverdienten Meifters (1382), 

der auch die flädtifchen Bildungsanftalten, fo befonders in 
Königäberg, Elbing und Marienburg, treu ind Auge ge 

faßt, da& goldene Zeitalter. — 

Die Welt Habsburgs endlich im deutfhen Südoften, Die, 
ſhon ſeit Kaiſer Triedrich Rothbarts Sühnwerk fpröde Dig’ 
den deutſchen Einflüſſen entzogen, haſchte nach dem Ver⸗ 
botenen, oder konnte der neuen Gedankenſtrömung ſich 
nicht erwehren. Aber hart und ſtreng blieb Habsburgs 
auf den Adel geſtütztes Regiment, zumal als Herzog Ru⸗ 
dolf IV. dem gemüthlichen Albrecht i. I. 1358 gefolgt 
war. Die räthjelhafte Natur dieſes Urenkels König Ru⸗ 
dolfß verwundete beilend und heilte verwundend. Er ent- 
agte dem Rechte, fchlechtes Geld zu prägen, forderte da⸗ 
jegen den Bürgern überaus hohe Steuern ab, und führte 
8 Ungeld, die Trankfteuer, ein (1359). In ehrgeizigem 
Betteifer mit Karl IV. entwarf er den Plan zum riefen« Bien. 
näßigen St. Stephansdome und begann den Thurmbau; 

T gründete bie Univerfität zu Wien, die erfte nah Prag 
uf deutfhen Boden, und verbreitete fo ein Licht, zum 
Segen und zur Noth kommender Geſchlechter; er günnte 
einer Reſidenz Wien, welche die dreimal gewährte und 
jeraubte Meichöfreiheit nicht vergeſſen Eonnte, Die Freiheit 
om Weberzinfe, welcher am Haufe haftete, dad ein Adeli⸗ 
jr, für fih abgabenfrei, einem Bürger verkauft hatte, 
nd ſäete durch feine verlegende Aufhebung des Grund» 
eihtes, der Dienfte und Abgaben feiner Städte an bes 
ahbarte Herren für Weingärten und Aeder, eine faft zweis 
undertfährige Uneinigfeit zwilchen Lehnherren und Bür- 





154 Bierter Theil. 


3.8. gern aus. Boll des Iöblihen Grundſatzes, ſchädliche Ge⸗ 
wohnheiten zu verbannen, wandte er benfelben nur auf 
andere, nicht auf fih an, ähnlid den Deöpoten des Mor: 
genlanded. Die Bürger herzoglicher Städte und Märkte, 
wie zumal Steger, genofjen die gemeinfhärlichfien Bor 
rechte; adelige Unterthanen dagegen mochten verderben. — 
Bien erhielt im Juli 1361 zur „Beförderung feines Wohl 
flandes nad gehäuften Unglücksfällen“, das Verbot oder 
die Beichränkung von VBermädtniffen an die Geiftlichkeit, 
Endſchaft der Schagfleuerfreiheit, die zu Gunſten des Kle 
rus, des Adels und .ded Hofgefintes bisher üblich geweſen; 
nochmalige Aufhebung „aller Zehen und Innungen de 
Kaufleute, Handwerker und Arbeiter‘; fcheinbar aus gewerb- 
polizeilihen Gründen, weil zugleich allen Fremden Nieder 
laffung und unbeirrtes Handwerk geflattet wurde. Der 
Stadtrichter empfing auch volle polizeilihe Gewalt, „Zucht 
und Ordnung in der Stadt und in den Vorftäbten zu 
üben’, nur nicht in der Hof- und Herrengaffe! Das Afyl- 
recht der Verbrecher befchränfte das Geſetz auf Die Herzog: 
lihe Burg, das Schottenflofter und St. Stephan. Im). 
1364 erneuerte Rudolf, auf Klagen „des Bürgermeifterd, 
inneren und äußeren Raths und des Ausſchuſſes““, jene? 
Berbot über Zehen und Innungen, und bebrohete bie 
Handwerker, welde, in Nachahmung der Vorrechte dei 
Stadtrathd, Zunftfagungen willfürten: aber Bedenken über 
die Gründe des Herzozs, wie feiner Vorgänger. erregte, 
dag er in allen übrigen Städten den fo ſcharf getabelten 
Zunftzwang unangetaftet ließ. Unerwähnt blieb in Ru 
dolfs Berfaffungsurfunde für Wien, welde im allgemeinen 
die Privilegien der Vorgänger beftätigte, Leopolds de 
Ölorreihen und König Rudolfs, fowie Herzog Albrechts 





Fünftes Bud. 155 


erneuerte Sagung v. I. 1340, „daß jeglichen Bürgers 3.Rr- 
Haus feine Zefte fei”. Lobenswerth war, daß Rudolf 
die Ouültigkeit der Teftamente, die Wiend Bürger vor 
Stadtrath und Zeugen niedergelegt, auch gegen fein eigenes 
Nachtwort ficher flellte; aber der jchlimmere Mißbrauch 
erbte fi) fort, dag die Fürſten reihe Wittwen und Junge 
frauen an ihre armen Höflinge zwangsweiſe verhkiratheten. 
Schon Leopold ter Slorreiche hatte i. 3. 1212 fo abſcheu⸗ 
lihe Hofbefele verboten; Herzog Rudolf glaubte feinen 
Wienern eine großmüthige Gnade durch das Gelübde zu 
erweifen, ihre Kinder mit folder Heirath zu verſchonen, 
boh mit dem bedentlihen Zufage: dag er fih in dieſer 
Angelegenheit eine Fürbitte vorbehalte! Die Gewöhnung 
vererbte ſich als ein fürftliches Borrecht, fo daß ſelbſt ber 
bürgerfreundlihe Kaifer Marimilien I. fogar in freien 
NReihöftädten jene „väterliche“ Sorgfalt anfprad. — Wir 
übergehen Rudolfé peinliche Gefeßgebung, von welcher die 
Etiftungdurfunde der Univerfität eine traurige Probe enthält; 
ber fonderbare Herrfcher fand mit einem Buße tief im 
barbarifchen Mittelalter. 

Dem Frühverftorbenen (1365) folgte in Defterreich Fi 
fein Bruder Albrecht „mit dem BZopfe” (1395), in ben Albrecht 
Ihwäbiihen Exrblanden Leopold; jener ein Fürft von friede 
liherem Sinne, der gleichwohl die Paflauer nöthigte, ihrem 
böfen Bifchofe fih zu beugen (1368), und i. J. 1370 bie 
Juden durch Todesdrohung brandſchatzte. Aber jo ftreng 
und Hug Wiens Richter und Stadtrath, entichieden mehr 
Iandesherrfihe Beamte ald Gemeindevertreter, 
die niedere Bevölkerung überwachten, muß doch i. 3. 1383 bie 
1385 gefährliche Xuft von der Oberdonau her geweht haben. 
Zwei Ritter wurden in den Rath eingeſetzt, und die Bürger« 


156 Bierter Theil. 


2. Kap· älteften entlafien ; 1. 3. 1385 wollte Tein Mann Riditer in 
Wien werten, weshalb der Herzog einen Weber aus Tulln er- 
tor. — So blieben deutſche und flavifche Züge im Gepräge 
bes öfterreichifchen Bürgertbums ; knechtiſche Duldung und Un- 
terwürfigfeit, Unehrbarfeit im Eheflande, Genußfudt, mit je 
aufzudendem Grimme gegen Herabwürdigung menſchlicher und 
bürgerlidfer Rechte, bezeichnen hier das XV. Jahrhundert, in 
welchem dennod wie in den folgenden das germanifche Ele- 
ment des Freiheitseifers zu blutigem Durchbruche kam. 

Beim Ende der Herrfihaft Karls IV. zurüdgewandt 
— dieſer weiten Umſchau in deutſches Bürgerleben, das 
— aller örtlichen Verſchiedenheit ungeachtet ſeinen allgemeinen 

Charakter: tiefer Groll gegen den Raubadel und Nachſtel⸗ 
lungen der Fürſten, aber Unterthänigkeit gegen den 
Kaiſer bei demokratiſcher Durchbildung nicht verkennen 
laßt, finden wir das alte, müde Reichsoberhaupt auf dem 
Tage zu Nürnberg (im Auguft 1378) in Sorge, feinem 
Sohne möchten alle Städte abfällig werden, und deshalb 
im vierten Jahre des Iandfreffenten Kriegd bemüht, einen 
Dergleih zu vermitteln. Der Bertrag, ganz unbaltbar, 
weil Graf Eberhard, vom Kaifer getäufcht, der die biöher 
verpfändeten Landvoigteien dem Pfalzgrafen Friedrich Herzog 
von Baiern als OÖberlandvoigt zugewiefen, nimmer fein 
vermeintlihen Anrechte aufgeben mochte, war die letzte 
politifhe That Karl, der bald darauf (29. November 
1378) in Prag farb, und, mit Recht von den Böhmen 
gefeiert, im deutſchen Reiche den zweideutigften Ruf Hin 
terlich. Ohne Einfiht und Muth, die Uebel der Uneinig 
feit an der Wurzel auszurotten, hat er das Mittel, feine 
Gewalt zu heben, nur in der Entgegenfegung der Reichs⸗ 
fände zu finden geglaubt. 





Bünftes Bud. 157 


Biertes Rapitel, 


König Wenzel und die Städte. Bünde und Gegenbünde. Allgemeine Kämpfe 

zwiſchen fürftliher Mat und den Communen. Schlacht bei Roosbeke. Schlacht 

bei Sempach. Der große Städtefrieg, 1388. Niederlage der Städte. Landfriede 

von Eger i. 3. 1389. Die Indenſchuldtilgung. Dortmund dur die Fürften 
befehdet. Gefahr des Reichs vor den Franzoſen. 

Unter Herrihaft König Wenzeld, der, nicht talent „R- 
los, doch träg, eigenfinnig, unbedacht, geizig, Hähzor- de 
nig, grobem Sinnengenuß ergeben, endlich blutdurſtigem 
Wahnfinne heimfiel, mußte der Groll der Parteien, die 
ſeines Vaters argliſtige Berechnung nicht auseinander 
halten konnte, vollends zum furchtbaren Zuſammenſtoß 
kommen. Ungeachtet des ausdrücklichen Gelübdes, welches 
ihm die Huldigung der Städte verſchafft, „ſte nicht zu 
verpfänden oder vom Reiche zu verkümmern“, verfchrieb er 
ihon auf dem erſten Heichstage die beiden großen Voig⸗ 
teien in Schwaben, welde Karl dem Wittelöbacher zu Han⸗ 
den geftellt, dem Herzoge Leopold als Pfand für 40,000 
Goldgulden, mit der audgebehnten Vollmacht, hohe Ge⸗ 
fälle von den Städten zu erheben, und alle erledigten 
tehngüter an fi) zu bringen (25. Februar 1379). Allein 
die Städte, kundig der Abfiht Habsburgs, das durch 
ie Eidgenofien feinem Stamme Entriffene in Schwaben 
wieder zu erlangen, traten ohne Verzug, 31 an der Zahl, 
inter einander und mit dem Wittelsbacher, als bisherigem 
anduoigte, wie befien Haufe, in Bündniß auf fünf Jahre, 
sahmen nur die auftoßenden Landfriedendfreife, den Gra⸗ 
en Eberhard aus; den Herzog von Defterreih Dagegen 
licht (4. Iuli 1379). Leopolds Maͤßigung ließ die Dinge 
eichehen; er harrte feiner Zeit. Auch die Meichöftäbte 
ed Elſaß — Straßburg, glimpflic behandelt, nicht — traten 


158 Blierter Theil. 


4.209. in ein befondered Schugbündniß ; gleichzeitig aber ſchloſen 
auch die verjchiedenen Adeldgenofjenfchaften, ter St. Gen 
Schild in Oberjchwaben, die Gefellichaft des H. Wilhelm, 
bie des „brimmenden” Löwen im Breisgau, Elſaß, m 
Mheinftrome und im Niederlande, ſich enger an einander, 
theilten fih in Bezirfe und gewannen ein Haupt an dm 
Wirtemberger. In der Wetterau tummelten ſich die „Hör 
ner” mit den Städten; in Heffen erwachten die Ste; 
in Weftfalen, nad der Aufhebung des großen Landis 
dens v. 3. 1371, die Falkner und Bengler. Die gleihen 
Intereffen fchoffen überall in Büntniffe zufammen. © 
flarfe Gegenfige mußten einander in die Höhe ihr 
ben; die fieben Nheinftädte Mainz, Straßburg, Wort, 
Speier, Frankfurt, Hagenau und Weißenburg, Hatten kaum 
ihren Verein erneuert (20. März 1381), da famen 3 
Städteboten aus Schwaben nad Speler, und machten, ur 
geachtet Straßburg, gewarnt durch die unruhige Natur de 
Schwaben, gern die Einmifhung in jene Angelegenheit 
bermied, auf drei Jahre ein Bündnig zum Schuß um 
Trug, den König, das Reich, die Pfalzgrafen, und einige 
andere Zürften und Herren, als früher vereinigte, ausge 
nommen (17. Juni 1381). Diefe 33 muthigen Gemein 

Großer weſen waren Augsburg, Ulm, Konſtanz, Eßlingen, Rat 

Rund z 

—* lingen, Rotweil, Weil, Ueberlingen, Memmingen, Bibraf, 

sub a Ravenbburg, Lindau, St. Gallen, Pfullendorf, Kempten, 
" Raufbeuern, Leutkirch, Iany (das ſich endlich i. 3. 1365 
von dem Truchſeß zu Waltburg losgekauft, und ungenättt 
mancher laͤſtiger Befchränfung in demfelben Jahre vom Sa 
fee unter die Neichöftädte aufgenommen war), Wangen, 
Buhhorn, Gmünd, Hall, Heilbronn, Wämpfen, Bein 
berg, Nördlingen, Dünkelsbühl, Rotenburg, Bopfingen, 


 Zünftes Bud. 159 


Alm, Singen, Weil im Thurgau. Im naͤchſten Jahre, 4 Kar. 
als bereitö in Franken, in der Wetterau, ein Ausrottungs⸗ 
frieg gegen den Raubadel entbrannte, und zumal Roten⸗ 
burg, unter Heinrich Topplers, feines waffenkundigen Haupt⸗ 
mannd, Führung ſich fchlag= und brandfertig erwies; trat 
auch Wetzlar mit Friedberg und Gelnhaufen in den Ver⸗ 
ein. Regensburg, von den Herzogen von Baiern, den 
Söhnen Stephans (fl. 1375), Stephan und Friedrich, mit 
Sudenichagung behelligt, und mit offenem Kriege bedroht, 
hatte zögernd, im Sept. 1381, der Ginlatung Ulms und 
Augsburg Folge geleiftet. Die große verhängnißvolle 
Varteiung gliederte ſich anders, als Graf Eberhard bie 
drei Rittergefellfchaften vermochte, einen Bund zu bilten, 
und die Stätte auf dem Tage zu Ehingen (April 1382), 
um die Zukunft zu fihern, eine friedliche Annäherung an 
diefen Verein fuchten. Als König Wenzel, der unbes 
fümmert um das Reich in Böhmen faß, jenes mächtige 
Bündniß der Stände, der Nittergefellihaften Wirtembergs, 
Leopolds von Oeſterreichs und der Neichsflädte, erfuhr, 
feßte er einen Reichstag nach Nürnberg, überlegte mit den 
übrigen Reichsfürſten, wie die Städte durch gedachten Bund 
ein Uebergewicht erlangten, und ftellte denfelben im März 
1383 einen allgemeinen fürſtlichen und adeligen Verein 
enigegen, dem auch Eberhard und Leopold ſich beigefellten. 
Diejer größere Bund unter des römijhen Königs Leitung 
hätte nun den reichöftädtifchen Verein wiederum bei weitem 
überwogen, zumal da die Auflöiung aller Sonderbündniffe 
geboten war; hätte Wenzel nicht fein eigenes Werk, in 
welhem wieterum die Kürften vorwalteten, fürdten zu 
müffen geglaubt. Ein Gegengewicht gegen dieſe zu finden, 
berief er Fürſten, Herren, und aud die Städte nad Hei⸗ 


* 


160 Bisrter Theil. 


4. Kap. delberg, und brachte am 25. Iuli 1384 Die Heidelberger 


* * ‚Einigung zu Stande, kraft welcher die Städte Augsburg, 


Heidels 
berg. 


Nürnberg und Ulm, im Namen ber jhwäbiihen, fräntis 
fhen und baieriſchen, Mainz, Straßburg und Frankfurt 
für die rheinifchen, elſaſſiſchen und wetterauifchen, ſich 
gegen Kurmainz, Kurpfalz, Wirtemberg und den Burg» 
grafen von Nürnberg, und biefe wiederum gegen jene, 
verichrieben, einander wider alle Angriffe beizufteben, allen 
Schaden abzuwenden; ſonderlich aber follten nad dieſer 
„Stallung“ die Städte der Fürſten Unterthbanen nidt in 
ihren Bund, noch als Pfalbürger aufnehmen; Dagegen bie 
vorigen Bündnifle vorbehalten fein! Indem in ſolcher Weiſe 
zu Heidelberg Fürſten, Herren und Städte der engeren 
Reichslande zu einem allgemeinen Landfrieden, vom Hauen⸗ 
ftein oberhalb Baſel Hi8 zum Böhmer und Thüringer Wald, 
an die Lahn und den Hundsrück, ſich einigten, und ihre 
„Partieen“ die fpätere Kreiseintheilung vorbereiteten, ſchien 
alles friedlich fi zu geflalten; das war aber die trug⸗ 


vollſte Hoffnung. 


ra 
— 


Wir erkennen nemlich in den bisherigen —— 
gen und Schwenkungen der drei Stände und des Königs, 
in ihren Sühnen und Gelößniffen nur gleihfam Schein 
mandvres, ein politifches Puppenfpiel, unterdefien die welt⸗ 
kundige Beindfhaft der Fürſten und des Adels gegen bie 
Gemeinden, ber tiefgegründete und geredjtfertigte Argmohn 
ber Städte gegen jene, und bed römiihen Königs un 
ruhige Ahnung, abgefeßt zu werben, ſich flärften; alle, 
einer den anderen belauerten. Iene Bündniſſe, welche in fo 
buntem Wechfel geichloffen wurden, galten nicht beilbrin- 
gender Einheit, nicht dem Elugen Streben, einander bie 
Wage zu halten, oder die Parteigenoſſen zu ſch ügen, fondern 








Künftes Bulk. 161 


einander zu unterdrüden, zu verberben. Gewifſenhaftigbeit &-Reb- 
des Geſchichtſchreibers nötbigt uns zum Belenntniß, daß 
nach der Weltlage und den gleichzeitinen Errigniſſen des 
germanifchen und romaniſchen Europas, auf das eidg e- 
noffenfhaftliche Bürgerthum feine andere Wohlfahrt 
erblickte, ald indem es fih, doch unter dem Beſtande des 
5. Reiche, zum Meifter der Verhältniſſe aufſchwang, und 
Fürften, nebft Adel und Klerus, den Verbündeten jener beiden, 
unter feinen Buß brachte. Wir werden mit wenigen Zügen 
die Drangfale ſchildern, welche die einzelnen Städte von 
ihren gefhworenen Gegnern erlitten, wm Hinter jenen all« 
gemeinen Schwankungen die bewegenden Kräfte nachzuwei⸗ 
fen: Sorge, Furcht bei unbändigem Selhfigefügl der Städter; 
Neid und Gelüfte der Fürften, die übermüthigen, reichen 
Communen, im Einverfländniffe mit allen ihren Standes» 
genoffen, nieberzutreten, zu knechten! Fangen wir beliebig teen: 
am der Mitteldonau, bei Regensburg an. Im Gedrängedteitadt. 
zwifchen dem Böhmen und den Wittelsbachern, die ſchon 
im erſten Geſchlecht nah Kaiſer Ludwig dem Baier alle 
tofibaren Erwerbungen deſſelben an Lützelburg oder Oefter- 
reich eingebüßt; noch immer mit dem Refte altfränfifcher 
Anrechte der baterifchen Herzoge behaftet; trachtete Regens⸗ 
burg, reich durch unhemmbaren Handel zumal mit Venedig, 
in deſſen deutſchem Kaufhaufe die Bürger von der Donau 
anerkannt allen den Rang abgelaufen, als eine „Freie“ 
Stadt den Reich 8 ſtädten voranzugehen. Stichbaltige Gründe 
für fa Folgen Anſpruch, der unter dem damaligen Ningen 
oberdeutſcher Städte nach unzweifelhafter Reichsfreiheit kund 
wird, laſſen fih aus der Vorzeit nit beibringen; ber 
römiſche Urfprung des mittelalterlichen Regensburgs iſt un⸗ 
beweisbar; und ſelbſt die Merkmale einer „Freien“ Stadt, 
Barthold, Städtewefen. IV. 11 





162 Bierter Theil. 


KR. ihre angeblihen Vorrechte, wollen fi nicht mit der Ge⸗ 
fhichte vereinbaren, wenn gleich die kecke Behauptung, „To 
fei es immer gewefen! im Jahrhundert romantifcher 
Begrifföverwirrung und unfritifhen Glaubens die Stelle 
ſchlagender Beweife einnahm. Im gleiche Reihe mit Regens⸗ 
burg drängten ſich, oder wurden flillichweigend in berjelben 
gelitten: Mainz, Köln, Bafel, Straßburg, Speier, Worms, 
die, obgleich alle Neichsftädte, dennoch in verfchiedenen 
Berbältniffen zu ihren Bifhöfen fanden, und wefentlicher 
Vorzüge entbehrten, dergleichen Regensburg aftenmäßig ſich 
rühmte. Solche find: niemals einem Kaifer oder Könige 
den Treudid gefhworen, niemald über die Berge, auf dem 
Nömerzuge, gedient, oder den Dienft abgelauft; nie bes 
Reichs Bürde getragen, ihm gefteuert zu haben; nie vers 
pfändet werden zu Tönnen; als Freiſtadt mit den Vorder⸗ 
fien zu geben, figen und fliehen, fo oft der Kaifer Die 
Städte fordere; endlich jene vorzügliche Freiheit an Zöllen 
und Mauthen, die jene ſechs allerdings mit der rangfüchtigen 
Donauftadt gemein hatten, diefelbe aber auch mit Nürnberg, 
Augsburg, Züri und anderen theilten, welche mit Dem bes 
fheidenen Gleichmaß der Geltung ſich begnügten. Diefe ver- 
meintlichen, im XIV. und XV. Jahrhunderte behaupteten Un- 
terfchiede verloren ſich nah der Meformationdzeit, Bei 
Bleichgültigkeit oder Unkunde der Enkel. — Ungeadtet 
fo flolger Selbfterhebung, welde dem Kaiſer eine ganz 
unfindbare Stellung der Stadt gegenüber anwies, bes 
wegte ſich Negendburg, die freie Stadt an der Donau, in 
ängftlich zu hütender Lage; aus Furcht vor den Witteld- 
bachern, deren Gebiet fie umgab, lehnte fie Ulms erfe 
Aufforderung, dem Bunde beizutreten, 1. 3. 1379 ab; goß 
dagegen Büchfen, und bewehrte ihre Mauern und Thürme, 





Fünftes Bud. 163 


während ber friedliche Bifchof Konrad den Dombau (1380) 48 _ 
vollendete. Erſt als der wadere, Eluge Hans von Stei- 
nad fein hochbetrautes mehrjährige Bürgermeifteramt ans 
getreten, und Die Herzoge von Baiern mit Eöniglicher Voll⸗ 
macht eine Sudenfchägung anfprachen, näherten fi die Re— 
gensburger, mit einer Belagerung bedroht, der Vorberftadt 
Um (Sept. 1381), und fügten ſich der bundesmäßigen 
Steuer und dem Anfchlage von Söldnern. Nah dem Bei⸗ 
tritt Regensburgs auch zu jenem mißgefügten fürftlichen 
Ritterbündniffe erhielt fih noch ein gutes Vernehmen mit 
den Herzogen , indem biefelben i. I. 1384 den Innungs« 
zwang und bie Gefälle von gewiflen BZünften, ja das 
Schultheißenamt, mit dem fie die Bürger Helehnten, zu 
Bunften der „hochfreien“! Stadt, gegen Geld aufgaben, 
und, verarmt durch fchlechte Wirthichaft, felbft Donauftauf 
i. 3. 1385 den umfichtigen „Herren“ von Regensburg 
wiederfäuflich einräumten; auch ſchützte der Math noch feine 
Juden vor neuer Bezwackung; aber die frechfte Feindſchaft 
des Adels, auch jener ausgewieſenen Auer, nöthigte bie 
Stadt, immer mit Söldnern gefaßt zu fein, und ihre 
Thore und Mauern, wie in offenem Kriege, zu hüten. 
Dbenein war nah Biſchof Konrad Tode (1393) mit der 
Geiftlichkeit der Befteuerung wegen ſchweres BZerwürfniß 
ausgebrochen. Die Entlegenheit der baierifchen Bundes⸗ 
ſtadt von den hülfeifrigen Schweftern in Schwaben und 
am Rhein wies fie in ihren Nöthen zunaͤchſt auf die 
Nürnberger; aber jene „Herren“, empfindlic über Regens⸗ 
burgs Vorrang in Fontego de’ Tedeschi zu Benedig, beeilten 
fih nicht mit bundesmäßiger Hülfe, und ließen Kraft und 
Muth der Nachbarn unter dem fehamlofeften Drud der baieris 
hen Beamten und ritterlicher Weglagerung, unter gaͤnzlicher 
11* 


164 Bierter Theil, 


4. 29. Meihtlofigfeit, Kirchenbann und Gewaltthat, die Härtefle Prü- 
fung beflehen. Der Tag von Sempach fleigerte bann den Geiſt 
der Städter zu ſchwindelnder Höhe; aber die Wittelsbacher 
fhienen noch Austrag der unzähligen Späne zu wünfäen, 
nnd borgten unehrlih bei Bürgern, denen le im geheim 
Verderben geſchworen. 

Be Auch Nürnberg, an der Spige der fränkiſchen Stadte 
Windsheim, Rothenburg, Weißenburg md Schweinfurt, 
mußte allmälig die ernftlichfte Veranlaflung zum muthigen 
Widerftande finden, wenn es auf feine Berhältniffe blickte. 
Schon i. 3. 1381 häuften ſich Hinrichtungen von adligen 
Näubern, und Abfagebriefe; doch erft i. I. 1384 traten 
die behutfamen, Halbgefinnten Batrizier dem großen Bunde 
zu Nördlingen bei, verhießen die pflichtige Anlage an Geld 





und Mannfchaft, und verbürgerrechteten viele adlige Fami-⸗ 


lien, welche dem nahen Unwetter lieber Hinter ſtädtiſchen 
Mauern zufhauen wollten. Dabei zwadten fie ihre Juden 
i. 3. 1385, und überliegen fich friedlichen Gedanken, ald 
Burggraf Sriedrih V., der grimmigfte Neider, fein An- 
recht auf Dienfte der Hofflätten und Schmiedeeflen in der 
St. Laurenzpfarre verfaufte, um zu gelegener Zeit das 
Verkaufte wieder an ſich zu bringen. Zur guten Stumte 
waren aber Thürme und Thore bewacht, und mit neuen 
Bombarden beſetzt, als Burggraf Friedrich V. verabredeter⸗ 
maßen die Befehdung begann (1387). Gern Hätte Wenzel 
feine Tiebe Geburtsftadt unmittelbar unter ſich gebradyt, und 
polterte, von den Füchfen betrogen, feinen Groll Heraus, 
als der Rath zu Nürnberg, nachdem er dem Herrſcher die 
Schlüfſel zum Veftnerthore auf Begehren eingehändigt, nur 
grate das Eine vom Erfreuten, zu jeder Gnade Erbötigen 
zu exbitten Hatte, jene Schlüffel wiederzugeben! 


Fünftes Bud. 165 


Augsburg lebte zu Batern in gleichem Verhältniffe rw 
wie Regensburg; doch war das Bölklein, nach dem Siege zu, 
der Demokratie, noch kecker und veizbarer, und vergalt den Ulm. 
Baiern, fo übel Die Stadt befeftigt, alle Unbilden mit 
Ueberbietung. Die Zünfte zeigten der Banner fih würdig, 
zu denen der Math ihnen „Seide“ mit der Stadt Siegel 
geihenft; luſtig brannten die Dörfer und Flecken im 
Baiernlande, und jemeilige blutige Stöße wurden ver. 
ſchmerzt. Als nun Biſchof Burkarb und der Dompropft 
der Adelsgeſellſchaft beitraten, jagten bie Augsburger bie 
Geiftfichen, welde nicht zu Bürgerrecht fiten wollten, hin- 
aus, und riffen die Pfalz des Bifchofs, Die Höfe der 
Prälaten und Pfaffen nieder. Aecht demokratiſch ging 
Pfaffenhaß und Adelshaß in Augsburg Hand in Hand; 
oh fand des römifchen Könige Gebot, auch wenn es 
Wenzel war, ehrfürdtige Herzen. Ulm, die hochlob⸗ 
fame Borderftadt, vermittelte die Angelegenheiten des Bür« 
gertfums mit Umſicht und Kraft zwiſchen Rhein und Schwa⸗ 
ben, wie mit den Gemeinweſen an den ſchweizeriſchen Eidge⸗ 
noſſen; das demokratiſche Ulm blieb die Seele des Bundes. 
Doch war es nicht leicht, die Stadt Bafel den Umtrieben vaſel. 
ihres Klerus und ihres Ritteradels zu entziehen, der auch 
nach der böſen Faſtnacht! immer wieder an die Spitze des 
Staates fih drängte. Als aber i. J. 1380 Lutold von 
Baͤrenvels, Ritter, Bürgermeiſter und Rath, ſich un⸗ 
befangen in die Löwengeſellſchaft begaben, trieben die 
Sorge vor Herzog Leopolds wachfender Macht, vor ſeinem 
Einfluß auf die Rittergeſchlechter des Raths, endlich die Maͤn⸗ 
jel des Stadthaushalts dazu, der Demokratie neue Stützen 
unterzubreiten. Seit d. I. 1382 finden ſich die Meiſter 
der 15 Zünfte als wirkliche Glieder mis Gig und Stimme 


166 Vierter Theil. 


are im Rathe, fo daB derfelbe aus dem Bürgermeiiter, 
einem Nitter, dem Oberzunftmeifter, den der Bifchof er- 
wählte, vier vom Nitteradel, acht von den Achtbürgern 
(dem Bürgeradel), funfzehn Gewählten aus den Bünften, 
und endlih den 15 Zunftmeiftern beftand. Wie nad zwi⸗ 
fliger Bifchofswahl deſſenungeachtet des Habsburgers Ge- 
walt flieg, und fogar „von Pflichten, gleich anderen des 
Herzogs Städten” im Landfriedendbunde von 1383 verlautet 
wurde, trat Bafel um Pfingften 1394 in den fchwäbhifchen 
und rheinifchen Bund, und entfernte gleichzeitig die wärm- 
ſten Anhänger Leopolds und feines Gegenbiſchofs aus dem 
Mathe. So ängftlih waren die Zeitläufte, daß die Bun- 
besfendboten zu Nürnberg fih vereinbarten, ‚beim Auflauf 
zur Stunde die Anfänger aufs Rad zu ſetzen“, nöthigen- 
ſalls mit Hülfe der nächften Städte. Im J. 1385 mußte der 
Biſchof fein Schultheißenamt in der „mehreren Stadt‘ (Groß⸗ 
Bafel) den Bürgern verpfänden, und ruheten dieſe nicht eher, 
bis fie mit denen von Konflanz, Ulm und Rothweil die 
vier Helvetifchen Städte zum allgemeinen Bunde herbeis 
“gebracht. Endlih um Iohanni defjelben Jahres gewähr 
leifteten die Bafeler Zünfte durch Erhebung eines dritten 
Stabtoberhaupts den demofratifchen Staat für alle Zukunft. 
DerBürgermeifter, ein Ritter, war ja für feine Familie ein 
Vaſall Habsburgs; den Oberzunftmeifter erhob als fein 
Werkzeug der Biſchof; da flellten diegünfte jenen beiden 
einen Ammanmeifter aus ihrer Mitte oder aus ben 
Achtbürgern entgegen, mit der Vollmacht, daß nur in feinem 
Beifein Stadtbriefe erbrocdhen, Botfchaften gehört oder auf 
getragen werben follten, und feiner die „Wachtmeiſter und 
Söldner alle warteten.” Der Nitteradel allein warb von 
folder Würde, zum ſchweren Verdruſſe des Pfauenfchweifs, 


Fünftes Bud. 167 


ausgefihlofien, dann der zeitige Oberzunftmeifter abgeſetzt und 4 Rw- 
verwiefen, und die Annahme jedes Geſchenks, jeder „Miethe“ 
durch Rathsherren fireng verboten. Wir fliehen am Bor 
abende der Schladht von Sempach. Bafel ſchloß jeßt feinen 
Mauern Umfang mit Al Thürmen, und 1099 Binnen 
(1386); der Biſchof Tauerte; die ausgewiefenen Gefchlechter 
wappneten fich für „die Blume der Ritterſchaft“; in ber 
Stadt aber firenges Nügegeriht und Bewachung jedes 
Worts. Die Freifrau von Ramftein, welche fih mit dem 
Bifhofe der Zukunft tröftete, und den Ammeifter Heinrich 
Roſegg, aus der Zunft „zu Weinleuten“, durch die Aeuße⸗ 
rung zu beſchimpfen meinte: ‚Sin Wib fougte mir einen 
Sun’, mußte auf zehn Jahre hinaus. — 

Gleich fieberhafte Aufregung herrſchte im Elſaß, wo ee, 
Leopold8 Fehde gegen Kolmar ſchon i. I. 1381 ernftliche 
Beforgniffe erwedt. Die Stadt Mülhaufen bewahrte nur 
Zufall und eigene Wachſamkeit gegen den burgunbifchen 
Raubgrafen von Varſey, und gerieth, als rüftige Helferin 
des burgbrechenden Landfriedend, mit dem Landadel in ges 
führliches Gedränge. In Straßburg mochte nicht etwa bie 
Furcht der Zünfte vor polttifcher Verwickelung den Beitritt 
zum ſchwäbiſchen Bunde hemmen, als dag vielmehr ein 
wieder erftarktes Sunferregiment im Kampfe für Gemein 
freiheit nicht feine Rechnung fand. Die behutfamen Her⸗ 
ven mußten zu Speter (1381) beitreten, entgingen aber im 
nähften Sahre auch fo nicht einem folgenreihen Angriffe ber 
unzufriedenen Volkspartei. Die zehnjährige Amtsgewalt bes 
Ammeifter8 und der vier Städtemeifter mißfiel wegen des 
wachſenden perfünlichen Einfluffes und der Anmaßung, welde 
bei Iangjähriger Obrigkeit nicht auszubleiben pflegt; i. 3. 
1382 wurde der alte Brauch des jährlichen Regiments ber 





108 Vierter Theil. 


4. Ray. verſchiedenen Meifter wieder Hergeftellt, der Rath mit eilf 
Mdeligen, fiebzehn von den reihen Bürgern (den Ach t bür⸗ 
gern Bafeld) und acht und zwanzig von ben Handwerfen 
beiegt, die dadurch das Liebergewicht fich ficherten, daß ver 
Ammeifter nur aus ihrer Mitte gemäblt werben follte. Als 
aber auch die erflen jährlichen Ammeiſter zu perſönlichen 
Zwecken ihren gefeglihen Einfluß mißbrauchten, und brei 
raͤnkevolle Männer offenbar nad einem Triumvirate fereb- 
ten, twat 1. I. 1385 Kunz von Geispolsheim, abgehender 
Meifter, bei der Rathswahl den Umtrieben jener mit ber 
Drohung entgegen, „bie Handwerker unter fliegendem Ban⸗ 
ner nord Münfter zur Wahl des Meifters zu führen‘, be⸗ 
wirkte den Rücktritt der Herrfchfüchtigen Demagogen und 
ihre Beſtraſung. Einer aus der Zunft der Schiffsleute 
ward Ammeiſter; fo Fräftigte fih, wie zu Bafel, bie 
Demokratie, um zunaͤchſt mandes Schloß am Waflden 
bis in Lothringen hinein zu brechen. — 

— In den Städten am Mittelrhein lebte noch friſch dag 
un Gedaͤchtniß an deu großen Arnold Waltpod, aber nahm, 
unter fihtlihem Einfluß der mühfeligen Kirchenſpaltung feit 
der Doppelwahl 1. 3. 1378, der Gegenſatz des Bürger 
thums gegen Fürſt und Adel Teinenfhaftlich Heiß den Haß 
gegen die Bfaffheit in fih auf. Die verheerende Fehde, 
welche feit 1380 zwifchen Kurfürft Ruprecht dem WUelteren 
son Der Pfalz und dem Erzbiſchofe Adolf von Mainz ent- 
brannt war, Hatte 1. I. 1381 die rheinifchen Städte zu 
einem breijäßzigen Bunde getrieben, und die Erweiterung 
deſſelhen mit den ſchwaͤbiſchen Städten zur Folge gehabt 
(17. Juni1381). Einer heiligen Hermandad gleich durchzogen 
bie Bunbesfüldger das rauberfüllte Land von Lothringens 
Grenzen bis zum Weftrich, Wefterwald, wobei ſich befonbers 








Fünftes Bud. 169 


Frankfurt und die wetterauifchen Schweſtern betheiligten, 4 Eav. 
Iehtere, bei gebrochener Gemeinfreibeit, duch das Ge⸗ 
ſchlehht der Kronberge am Taunus und die Löwengefell« 
ſchaft Hart bebrängt. Brankfurt, noch i. 3. 1387 zum 
Treueid an Schöffen und Math verpflichtet, mußte erft 
ſchwere Eimbuße erleiden, um feine mißmüthigen Bünftler 
zu neuer politiſcher Thätigkeit anzuipornen. Aber mit den 
Erfolgen des Bundes i. I. 1382 entbrannte der Streit 
gegen ben Klerus, als. anerkannten Feind des gemeinen 
Weſens. In Mainz, Worms und Speier konnten Die en 
Ghorherren , wele das Meſſeſtugen eingeftellt, nur durch Klerus. 
die Flucht allgemeiner Verfolgung ſich entziehen; fcheint c# 
bob, ald wenn am Mhein und an der Donau die Predigt 
des ketzeriſchen Pfarrers von Lutterworth aus der Ferne 
vernommen wurde! Aber fo gewaltthätiger Proteflantid- 
mud der bürgerlichen Eidgenofien, unter ber erſten Geiſtes⸗ 
dimmerung der Inteinifchen Chriftenheit, bereitete der guten 
Sache der Menfchheit unvermeidlichen Schaden. Als der 
Isunenhafte Wenzel i. 3. 1383 durd eine Urkunde zu 
Bunften des Erzbifhofs und des Stiftsklerus von Mainz 
erklärte, Die von ihm der Stadt befräftigten Rechte follten 
den Freiheiten der Kirche nicht nachtheilig fein, und bie 
Bürger erbittert ihrer Geifklichkeit engere Schranken ſtell⸗ 
ten; ſprudelten bereitö die Mönche ihr Gift aus, nannten 
den Bund die „abſcheuliche Liga, welche Landesfürften, 
Herren und Ritter für nichts achte, über den Kirchenbann 
und die Strafen des kanoniſchen Rechts Iache, weil er die 
Krgerei pflege und die Geiflichkeit auszutilgen ſtrebe.“ 
So zeitig brachte die Pfaffheit, in ihrer Gewinnſucht ge» 
kraͤnkt, die Volksherrſchaft in ſchlimmen Auf! — Wie ich 
über Die Wetterau und Lahzn die großen Kämpfe durch 





170 Bierter Theil. 


4.20. Sefien und Thüringen nah Weftfalen verzweigten, ober 
vom welfchen Weften her Nahrung gewannen, berichten wir 
in einer befonderen Gruppe der Darftellung, mit dem Ein- 
fluß aus Weften verhielt es ſich aber alfo. 

Auge Das kirchliche und politiſche Leben der germaniſchen 

Kampf und romaniſchen Welt, zu der im XIII. Jahrhundert die 

an deutfhen Slaven getreten, giebt zu Feiner Beit feine 
Gemeinſamkeit überrafchender fund, als in den Ereigniflen 
des neunten Sahrzehends des XIV. Jahrhunderts auf den 
entlegenften Schauplägen. In England erhob fi unter 
K. Richard II. zwar nicht ein Kampf der Städte und Des 
Adels, welden die glüdliche Verfafjung jenes Königreichs 
unmöglich machte; wohl aber ein Aufftand der Armen gegen 
die Reichen, genährt durch die Predigt des Profeflors von 
Orford, John Wyckliffe. Wat Tyler, der Dachdecker, und 
Jack Straw, der Priefter, ſchon Herren Londons und felbft 
des Towers, unterlagen (1381) der Geifteögegenwart bes 
jungen Plantagenet, dem Schwerte der Altbürger, noch mehr 
den Betrugsfünften; aber der kühne Gottesgelehrte von 
Oxford, obwohl feines Amtes 1. I. 1382 entſetzt, flreute 
den Samen für die Zukunft und für ferne Lande aus, 
ftarb ruhig als Pfarrer in Yutterworth (1384). Wer folgt 
ben Gedankenblitzen, welche gleichzeitig in Mainz, Worms 
und Bafel die Gemüther aufhellten und gegen die yfaf- 
fifhe Habfucht entzündeten? wer weift die Wege nach, auf 
welden Wydliffes Lehre nad Böhmen, in ben deutſchen 
Norden gelangte? In Flandern nahm die tiefe Erregt⸗ 
heit des Bürgergeifted die Form des Kampfes zwiſchen Adel 
und DVolföpartei, und, ohne jene religiöfe Beimifchung, 
des Alfitandes gemeinheitlicher Freiheit gegen Fürftenwill- 
für an. Seit 1379 Hinderte der Bund ber Weißmügen 





Fuͤnftes Bud. 171 


zu Gent die Machtanſprüche des Grafen Louis de Male, 4 Kar. 
und rief den jüngeren Artevelde, Philipp, (1382) an bie 
Spike des Volks. Es erfolgte im Mai 1382 die Morde 
nacht zu Brügge, die Rache an den gräflichgefinnten reichen 
Zünften; aber in der Schlacht von Roosbeke (November 
1382) unterlag der Bürgermuth der Vläminger der Oris 
flamme, welche Frankreichs König und Abel gegen die 
Anhänger Papft Urbans VI. entfalteten. Der Adel war 
gerettet, die Freiheit der flädtifchen Bünde niedergetreten. 
Der Eundige Jean Froiffart erklärt: „hätte das Volk (les 
vilains) odgeflegt, fo würden die Gemeinen überall 
fid erhoben und den Üdelausgerottet haben!!“ 
Us Nachwirkung jenes Sieged der Ritterfchaft beugte fich 
(Ianuar 1383) auch die Stadt Parts, wo die Commune mit 
den Zünften gegen den Steuerdrud fi aufgelehnt; im Blute 
der Bläminger bei Moodbefe war das demofratifche Auf⸗ 
fireben der franzöſtſchen Bürgerfchaft erſtickt. — Solder 
Gliederung gemeinbezüglicher Ereigniffe, deren Wechfel von 
Sieg und Niederlage, reihet fih felbfiftändig, aber nicht 
außer Verbindung mit der nachgewiefenen Gebdanfenftrömung, 
der Tag bei Sempach und der große Staͤdtekrieg! 

Unter den entgegengefekten PBarteibeftrebungen hatte ee 
Herzog Xeopold von Defterreih den Genuß der ihm ver⸗ Dinse 
pfändeten Reichsvoigteien angeſprochen, und jahen ſich zu- Ehwa 
mal Schwabend Städte überall von Habsburgs Macht um⸗ 
geben. Der Widerwille flieg mit jeder Steuer, die in des 
Herzogs Kammer floß; da trieben die Städte vom Boden 
fee, vor anderen Konftanz und Bafel, an den fchweizeris 
ſchen Eidgenofjen, Habsburgs und des Pfauenfhweifs Erb⸗ „Die, 
finden, die natürliche Anlehnung zu fuchen. Auf berseftädte 
großen Tagefahrt zu Konſtanz (21. Februar 1385) kam, im Bunde. 


172 Bierter Theil. 


4.809. Widerſpruche mit den Waldſtätten, die felbft gegen Defter- 
reich ein Bündniß mit den fernen, getrennten Reichsſtädten 
nicht begehrten, die Einigung zu Stande. Züri, Bern, So 
Iothurn, Zug und Luzern ſchwuren mit den Frei ſtädten 
Mainz, Straßburg, Worms und Speier, und ben neun 
NReichsftäbten des rheinifchen Bundes, fowie mis ben zwei 
Frei ſtädten Regensburg und Baſel und den 36 Reeiichs⸗ 
fläbten, „welche den Bund in Schwaben halten, freund⸗ 
lihe Gejelihaft und getreues Bündnig auf neun Jahre, 
fo daß bie ſchweizeriſchen Städte nur innerhalb ihres be= 
fchriebenen Kreifes, jene aber auswendig und inwendig bef- 
felben, einander mit Waffenmacht beifländen. Nur freiwillig 
follten die fchweizerifchen den ſchwäbiſchen und rheinijchen 
außerhalb der Ziele gegen Angriff helfen, und wenn bie 
Herrſchaft von Oeſterreich die Reichsſtädte mit Krieg über- 
zöge, nach Vermögen jene vor Schaden bewahren; endlich 
follte Defterreih in feinen Anſprüchen, indgemein oder be⸗ 
fonderd, nur vor dem Bunde gehört werden, nur vor 
ihm Nedt fordern dürfen. 

— Als fünf und fünfzig Städte in ſolcher Weiſe gegen 

ins Habsburg fich vereinbart, mühete fi Leopold, in Zürich 

Bolitit. anwefend, unter den Eidgenoflen des Ewigen Bundes felbt 
Mißgunſt und Trennung zu bewirken, und griff dann im 
Sommer deflelben Jahres einen Span mit den Meidhe 
ftädten auf, die dann vergeblich Die jchweizerifchen Bundes⸗ 
genofjen aufmahnten. Diefe baten zwar unter beifälligen 
Gründen um Erlag, mochten fi jedoch nicht zur unflugen 
Trennung vom Bunde durch des Habsburgers Erbietung 
ködern laffen, Der darauf fihnell das Spiel ummanbte, 
die Reichsſtaͤdte, welde den wenig guten Willen der Schwei- 
zer erkannten, bereit fand, ihren Hader friedlich mit ihm zu 


Fünftes Bud. 173 


fhlihten (Devember 1385), und endikh voll Freuden, die + Mm 
Sache der Bürger geſchwächt zu Gaben, die Schweizer mit 
Uebermuth und Härte zu behandeln begann. Da blies 
der Eidgenofien Trotz die Kriegsflamme ſchnell an. Aller 
Abel in den oberen Randen, der, wollte er nidk unter 
treten werden, bei den Städtern Bürgerrecht nehmen mußte, 
die verbannten Gefchlechter aus den Städten, wie Ba⸗ 
ſeld, ſtroͤmten freudig unter Beopold3 Banner, um zuerft 
das grobe Bauernvolf auszurotten. So fagte auf Eber⸗ 
hard der Greiner mit fernen ſchwäbiſchen Hittergefellen ben 
Eidgenofien ab, nah und nad durch befondere Fehdebriefe 
über 300 Witterbürtige! in Stillftand, den die Reichs⸗ 
Rädte, ihrerfeits mit Geld und Mannichaft bereit, dermit⸗ 
telten, diente nur zur Brit, um Habsburgs Macht zu 
ſtärken. Zürich allein fland bei den Waldflätten, die ſich 
jedoh getrauten auch ohne das Staͤdtevolk an Ihren Feind zu 
gehen. Da gefhah denn am erndteſchwülen Tage des 9. dir. 
Auguft 1386 die Schlacht von Sempach, und ſank Leopoldbe Sem 
mit der Blüthe oberländifchen Adels in den Tod. 

Ein fo furdtbares Gericht ließ den Tag von Nooshele 
vergeffen, und offenbarte alsbald nah und weit feine Folgen. 
Sp fiel die Reichsvoigtei über Baſel durch Leopolds Tod 
an den römifhen König, der fie mit ihrem Banne, fo 
geringfügig an Kb, um 1000 Gulden der Stadt übergab; 
in Isny erloſch vollends mit des Truchſeſſen Tod bei Sem⸗ 
ya der Reſt der Abhängigkeit. Auch in Schwaben 
Städten erflarb das reichsvoigteiliche Pfandrecht mit Leo⸗ 
yolds alle; miſchte ſich aber zu frohen Erflaunen, daß 
die Eidgenoſſenſchaft für fih allein, vhne, wie Zürich be⸗ 
fugt war, ten Bund zu mahnen, des Adels und Habs⸗ 
burg8 Macht gebrochen habe, nod die Sorge, der fortge- 


174 Bierter Theil. 


Rap. ſetzte Krieg möchte ein allgemeiner werden, und veranlaft 


Die 


Faym⸗ 


ihrerſeits erfolgloſe Sühnverſuche. So Fampfgerüftet un 
aufgeregt aber die Gemeinden nach ſolchen Borgängen, 
fo gehoben die Hoffnung auf gleichen Sieg, fo vieliad 
die Späne in allen Städten mit den Fürften und Herm 


Baiernd, Frankens, zumal Schwabens; müflen wir di 


bekennen, daB die Bundesräthe auch jett nicht die Veſon⸗ 
nenheit verloren, fondern den endloſen Zwiſt gütlih zw 
vergleichen bemüht waren. Graf Eberhard Elagte über Be 
einträdhtigung dur Eßlingen; Nothweil und der Markyuf 
von Baden; Augsburg, Nördlingen, Gemünd, Memmir 
gen, Kaufbeuren fanden in offenem Hader mit dem Her 
zoge Sriedrih von Ted, mit dem Grafen von Dettingen; 
Nürnberg mit dem Burggrafen; der Bifchof von Würzbutz 
mit den anderen fränfifchen Städten, Regensburg mit 
Baiern, dur deſſen Amtleute mit Zöllen, Geleit geplagt, 
fogar von den Märkten ausgefchloffen; der Bund indgemein 
mit den Pfalzgrafen am Rhein. Boll wachſamer Sorze 


en atmeldete Um im November 1386 den rheinifhen Schwe 


ben, 


ftern, „es hätten etliche Fürften und Herren im geheim en 


Bündniß, die „Faym“ (Vem) befchworen, und vermehrin 
baffelbe alle Tage; niemand Eenne die „Faymgrafen“ 
als fie felbft unter einander; der vor ſie Geladene dürfe 14 
nicht verantworten, weigere er fich, Die Faym zu beſchwoͤren; 
Zürften und ‚Herren bezweckten mit folhem Verbündniß 
der Ihren im Sande gewaltig zu werden, damit fie ſih 
nicht zu den Städten wendeten“. Alles gegründeten Ri 
trauend und aller Aufreizung ungeachtet, obgleich zum 
Kriege mit Waffenvorräthen, Söldnern und Fampfberitn 
Bürgern gerüftet, während die Mauern der Städte all 
Zuflucht des Landvolks offen fanden, und zur Zei 





Fünftes Bud. 175 


noch des Vorſchubs Wenzels fiher, theidigten bie Bundesräthe 4 Kar. 
zu Mergentheim, und wußten den Ausbruch des Kampfes 

duch Austräge zu Augsburg noch zu vermeiden, vielmehr 

zu verihieben. 

Sp unheilfihwangere Zeit Hätte eines wohlgefinnten, Bene! 
thatkräftigen Kaiſers beburft; aber Wenzel, nicht ohne Eräpte 
Schadenfreude, daß der „Stier“ fo ſchlimm an den „Löwen?uaun- 
gerathen, blieb in Böhmen; „wer ihn ſehen wolle, möge 
zu ihm kommen“. Dann mahnte er wiederum bie Städte 
an Erfüllung der Einigung von Heidelberg, und kam end⸗ 

id nah Nürnberg heraus, um jene ganz auf feine Seite 
zu ziehen. Der faliche Mann, immer in keineswegs grunds 
loſer Vorahnung feines endlichen Schickſals, und darob 
voll Grolls gegen die Fürſten, hob die öſterreichiſche Pfand⸗ 
ſchaft auf, gab den Städten unmittelbar Reichsvoigte aus 
dem Adel, dankte ihnen für den Gehorſam gegen ſeinen 
anerkannten Papft (Urban VI.) und verſprach mündlich und 
ſchriftlich, den Bund nimmermehr abzuthun und fein Leb⸗ 
tag nicht zu widerrufen, die Städte bei allen ihren Ned 
ten und Sreiheiten zu befhirmen. Dagegen gelobten bie 
ehrbaren Sendboten mit Mund und Hand, Regensburg 
und Bajel ohne Eid, „da fie noch nie (?) einem Könige 
geſchworen“, ihrer Huldigungspfliht nachzukommen, „und 
tem römifchen Könige beizuftehen, falld fi jemand gegen 
ihn zum Gegenkönige aufwerfen, und ihn som Reiche ver- 
drängen wollte” (d. 21. März 1387). Begeiftert durch fo 
vertrauliche Königsworte mochten viele von den 37 Städten 
Schwaben? und Frankens, die fo ſchwere Drangfale er- 
duldet und alle ihre theuerften, hochverbürgten Privilegien 
durch Fürften und Adel in Frage geftellt fahen, den ftolzen 
Gedanken erfaffen, unter fliegendem Reichsbanner gegen 





176 Bierter Theil, 


4 Sap ihre Unterbrüder auszuziehen. Da jedoch der Heidelberger 
Landfrieden noch nicht zu Ende gelaufen, fo fünden ir 
öniglihen Räthe im November -1387 zu Mergenlhrin 

Deriras quf der Stäbteverfammlung fih ein, und handelten uk 

ergent- Herzog Stephan von Baiern, mit Albrecht von Oeſterreih 
und dem Burggrafen von Nürnberg, namens Der üdrigen 
Fürften, und mit den Städten Ulm, Augsburg und Kim 
berg, namend der Verbuͤndeten, — Die rheiniſchen Gtäht, 
erbitterter und leidenſchaftlicher, hielten an fih, — um 
jährige Erftredlung jenes Vereins (Anfang Novemb. 1387) 
Die Krone Böhmen mit der Marf Brandenburg und be 
Herzogen von Sachſen wurden aufgenommen, und, ber beih— 
teren Bundeshülfe wegen, Fürſten und Gtäbte in vin 
Parteien, Kreife, getheilt. Böhmen, Vrandenbutg m 
Sachen follten den erſten Kreis; Kurmainz, Köln, di 
NhHeinpfalzgrafen, Heffen und Baden den zweiten; Def 
zeih, Baiern, die Bischöfe von Straßburg, Augsburg m 
Regensburg den dritten; die Bifhöfe und Fürſten Franfın) 
mit Meißen und Thüringen, den vierten bilden; von da 

Städten die fränfifhen, mit denen der Mitteldonau, M 
erften, die vom Bodenſee nebſt Baſel den zweiten, de 
unter der Alp den dritten, die ober der Alp ben vienn 
abfchließen. Die Städte nahmen aus: ihre rheiniſchen &* 
genoffen, und den Erzbiſchof Piligrin von Salzburg, Br 
ernd alten Widerfacher, mit dem fle, feit dem 25. Ih 
wahrfcheinlich ohne Willen der Fürften, zu gegenfeitigt 
Hülfe verbunden waren. Bedächtig Hatten die GSendber 
ſich auch vereinbart, nicht durth Verbürgerrechtung zu vieler 

Briedend. Edelleute ihre Verbindlilhkeit läſtig zu vermehren. Vier⸗ 

duſ¶ darzehn Tage darauf mochten die Herzoge von Baiern erfehnn 

daß ihnen durch den Bund der Städte mit dem Salzbutze 





Fünftes Bud. 177 


ein mächtiger Beind in den Rücken gelegt ſei; ergrimmt, IR. 
ohne Abfage, fahndeten fie fogleih auf die Kauffahrt der 
Bürger, überfielen ungroßmütbig ben alten Erzbifchof, der 

zur Sühne mit Herzog Stephan nah dem Klofter Mei« 
tendaplah gekommen, und nahmen ihn gefangen (27. No⸗ 
vember). Rah fo ſchmählichem Friedensbruche gingen auch 

den gutmüthigſten Bürgern tie Augen auf; überall, wie be= 
jonderd in Straßburg, Bafel, Megensburg und Speier, 
hatten die Zünfte ihr Regiment verftärkt; es warb Klar, 

daß fih die fänmtlichen ober⸗, mittels und weſtdeutſchen 
Fürften und Herren, — wo? if ein Geheimniß, — 

zum verabrebeten Angriff auf das Bürgerthum verfchworen. 
Denn wir finden im nädften Iahre alle Fürften, welche Srier 
die oberdeutfchen Städte bedrängten, auch mit Dortmund vun. 
in Fehde, und felbft den König Karl VI. von Franke 
reih, den Witteldbachern durch die abfcheuliche Iſabeau 
serfhwägert, auf dem Zuge an den Niederrhein. 

Um, Regensburg und Augsburg ſchrieben ſogleich, Brober 
da Krieg jetzt unabwendbar, einen Tag nad Ulm aus; fies. 
ein Gemeinweſen fpornte ehreifrig das andere an, den geift« 
lihen Bundesfreund zu befreien; ein gemeinjamer Fehde⸗ 
brief, voll gerechten Vorwurfs, erging (17. Januar 1388) 
an die treubrüdigen Wittelsbacher. Mehr Volks, Leider 
auch mehr Söldner, ald die Städte je aufgebracht, warfen 
ſich noch vor Ende des Januar 1383 von Ulm aus über 
Augsburg verwüftend auf Baiern, und fammelten fih um 
Regensburg, defien Rath in fo ernfter Zeit allen Zand 
von „Lottern, Spiellenten, Eprehern, Singern und Gei⸗ 
ſern“ unterſagte. Nur die Kalbherzigen Herren von 
Rürnberg wollten an die Nothwendigfeit mannhafter Erhe⸗ 


bung noch immer nicht glauben. Mangel an Lebensmitteln 
Barthold, Gtädtewefen. IV. 12 


178 Bierter Theil. 


IR. und des Winters Strenge gebot den Abzug des Städt: 
volts aus Baiern; es vereinzelte fich eine kurze Zeit de 
Kampf zwiſchen Augsburg und dem Wittelsbacher, welchen 
Graf Eberhard beiſtand. Ja der alte Kurfürft Ruprecht om 
der Pfalz, vor den rheiniſchen Städten auf der Hut, mit 
nochmals die Bermittelung auf, und flimmte die heipefm 
Gegner, die baieriſchen Herzoge, welche felbft vom rom: 
fen Könige einen Fehdebrief erhalten (5. Yebruar 1388), 
und deshalb von Stund an gleißneriſch Wenzels Gun 
fuchten, und die nächſten Städte, zu Neumarkt, 12. Rin 
1388, feinem Schiedsgericht ſich zu unterwerfen. Ehe je 
doch der Spruch Ruprechts, zumal die Erledigung de gr 
fangenen Erzbifhofs, fo wie ein Vergleich zwiſchen de 
fränfifhen Herten und Städten, um Oftern zu Bündın 
vereinbart, vollzogen werden Tonnte, überzeugten fid Ni 
anfangs eingeſchüchterten Fürften, wie wenig Ernſt fie som 
verächtlichen Wenzel zu fürchten hätten, der auf das nr 
fuhen um ein „freundliches Recht zwar bes Piil 
grafen Urtheil nicht umſtieß, und tm Sommer fogar dr 
theinifchen Städte gegen die Baiern aufmahnte, aber, zu 
Zeit der Entfheidung von den Fürſten mit Lugworten be 
ſchwichtigt, bie vertrauensvollen Bürger durch Friedens⸗ 
gebote beirrte, ihre Kraft laͤhmte, und endlich mit dem 
erften ungünftigen Waffenereigniffe fich gar abwandte. © 
Ioderte denn die feit zwanzig Iahren gehütete Kriegäflamn 
im Sommer 1388 in allen Landen, von ber Donau, dei 
Rhein und dem Mein bis nach Weftfalen, auf. Gel 
war zunächft durch der Fürſten Gewaltfinn der Landfrieden 
son Mergentheim; denn fie gedachten nimmer dem Säit 
des Kurfürften nachzuleben; alle Parteien fuchten bed mr 
baltenen Haſſes mit einander ſich zu erledigen. Wie wirt 


Fünftes Bud. 179 


nun auch die Fehden in einander griffen, und gleichzeitige “ Kap. 
Kriegszüge fih bedingten, fo trennen wir doch, des Ver—⸗ 
fändniffes Balder, fünf Gruppen des Kampfes, in Schwas 
ben, Braten, im Elſaß, am Mittelchein und in Weftfalen, 
die heififden Znfammenflöße für ſich abjondernd. — Waͤh⸗ 
rend Regensburg, wegen feiner Entlegenheit von den weft« 
fihen Bundesfreunden verlaffen, auch von Nürnberg, das jebt 
ſelbſt ins Gedraͤnge gerathen, preisgegeben, unverzagt des 
Baiern ſich erwehrte, Hans von. Steinach hohe Ehren er⸗ 
warb, und die Feſte Donauſtauf allen Stürmen widerſtand; 
während Die Augsburger ihren Biſchof, „den Böſewicht“, 
der als Bundesgenoffe Baierns ihre venetianifhen Waaren 
bei Füßen in Beſchlag genommen, durch die Berflörung 
feines Münzhauſes und der noch übrigen bifchöflichen Ge- 
baͤude ftraften; während Pfalzgraf Ruprecht der Jüngere 
Kaufbeuren belagerte, aber mit Verluft feiner Bombarden 
abziehen mußte, um Windsheim und in Franken der Burg⸗ 
graf von Nürnberg mit feinen Verbündeten fih tummelte, 
und der ältere Pfalzgraf, noch nicht durch die Rheinſtaͤdte 
feftgehalten, verwüftend ſich an Heilbronn machte: ftritt in 
der Mitte des Fehdeknaͤuels Graf Eberhard von Wirtem- 
berg gegen Eßlingen und Neutlingen, und fiel hier die 
Entfgeidung. Denn von jenen Städten zu einem gemein Shadt 
famen Zuge aufgemahnt, ſammelte der Bundesrath in Ulm frsen- 
einen reiftgen Zeug mit des Königs Hülfsvölkern, und brachen 
800 Gleven, Armbruſtſchützen, Leichte Meuter, Fußgänger 
und Ungerhftete, etwa 2000 an der Zahl, mit Brand und 
Verheerung ind Wirtembergifche ein; mit ihnen die Nürn- 
berger, unter ihrem Hauptmann, dem Grafen non Henne⸗ 
berg, und der kleinere Anfchlag der rheiniſchen Städte, 


und nicht wenig beſoldete, Ehrbare“ (Edelleute). Aber der alte 
12* 


| 


180 Bierter Theil, | 


are. Eberhard war auf den Stoß gefaßt, und hatte den Pfalz 
grafen Ruprecht, die Baiern, den Markgrafen von Baden, 
die Grafen von Dettingen, den Bifhof von Würzburg, jo 
wie die Nitterfchaft der anderen Herren auf feiner Geite, 
ohne fein eigenes Kriegsvolk, 600 ſchwere Lanzen⸗ und 
2000 Fußknechte. Eben lagen bie Städter bei „Weil 
der Stadt‘, und beflürmten den feften Kirchhof von Döf 
fingen, wohin die Bauern ihre Habe geflüchtet, als Graf 
Eberhard mit feinen Bundesgenofien zum Erſatz erſchien 
(23. Auguſt 1388). Bor allen brannte Ulrich, fein 
Sohn, die Schmad von Reutlingen zu rächen; er flieg mit 
den Seinen vom Hoffe, um mit gleichen Waffen zu Tampfen, 
und flürzte zuerft in die feindlihen Reihen. Aber diele 
fhlugen den Angriff ab, und, verwundet aus dem Gedränge 
getragen, gab Ulrih auf einem Baumftamme figend feinem 
Heldengeift auf. Mit ihm waren brei Grafen und 60 
namhafte Edle, Nitter und Edelknechte gefallen ; bie Städte 
hatten den erften Drud gewonnen. Da vergaß der alte 
Eberhard den Schmerz des Vaters und flürmte, die Seinen 
durch fo ritterlichen Gleichmuth entflammend, auf die ſtutzen⸗ 
den Sieger. Bon einer anderen Seite fprengte eine neu 
Schaar kriegsfreudiger Gefellen Hinzu; an ihrer Spige der 
„gleipende Wolf, Wolf von Wunnenftein. Wirtembergs 
abgefagter Feind, haßte er die Bürger, bie einft fein Hülfe⸗ 
geſuch verſchmaͤht, noch bitterer; obgleich Eberhard feinen 
Beiftand abgelehnt, Tam er zur reiten Stunde herbei, 
mit ihm pfälziiche Mitterfchaft; fo begann bie Schlacht ven 
neuem, Da wandten ſich zuerſt die Nürnberger, — wit 
es heißt war ihr Führer, der Henneberger, beſtochen, — 
auf die Flucht, und vergeblich fuchte Konrad Beſſerer, ge 
meiner Städte Hauptmann und Träger des Hauptbannert, 


Fuͤnftes Bud. 181 


durch fein Beifpiel die Weichenden aufzuhalten. Er fiel, 4 Km 
mit feinem Leibe das Ehrenpfand bedeckend, ähnlich feinem 
Sippen bei Altheim. Taufend fünfhundert der Städtis 
fhen wurden auf dem Schladhtfelde erwürgt, die „ehrbaren“ 
Söldner dagegen um hohes LKöfegeld geſchaͤtzt. Nicht be⸗ 
deutungslos und zufällig iſt folcher Linterfchied der Behand⸗ 
lung; fhlimmften Falles kamen die Söldner um hohe 
Summen davon, und brauchten nicht den Hals einzufegen. 
Unbezweifelt fochten die Zünftler, welche das Fußvolk bil⸗ 
deten, mit tapferem Muthe, hatten aber bie fpätere Kunft 
der Schweizer und der Landsfnechte Marimiltans I. nicht 
gelernt, in enggefetteten Saufen den ſchwer berittenen 
Wappnern zu widerfiehen. Die bequeme Art der Zünft« 
ler, als „fahrendes Fußvolk“ zu tagreifeweiten Unterneh- 
mungen auszuzieben, war nicht zu jeder Zeit anwendbar, 
und fhwächte überhaupt den Eriegerifchen Geiſt. Bei der 
miplihen Auspehnung des großen Bundes mußten vie 
Städte, fo unbeftegbar ihre Wehrverfaffung innerhalb ihrer 
Mauern, auf das Bedürfniß feiler, gefinnungslofer Söld⸗ 
ner und Kriegägefellen von Handwerk zurüdfommen, der⸗ 
Heihen freifih die Eidgenoffen in ihren unzugänglichen 
Alpthälern, bei Sempach und bei Räfels (7. April 1388), 
nicht kannten. Auch verbanden nicht breite, ſchiffbare 
Ströme und Pfade des Meeres Oberdeutſchlands Binnen⸗ 
füdte, wie die Schweftern des hanſiſchen Bundes, deren 
Aufgebot mit Zeug und Moffen ungehindert auf fernen 
Kampfftätten erfcheinen Eonnte, während die Eleinften ober⸗ 
deutſchen Städte, in denen doch ‚gerade das reg ſte politi» 
Ihe Reben, durch die unmittelbar nahen Gebiete mächtige 
m Nachbaren vom Antheil am Ehrenfireite oft ganz aus⸗ 
ghlofien wurden. Zu diefer Niederlage nun das Stoden 


4182 Bierter Theil. 


AR. von Gewerbe und Kauffahrt, das Mißtrauen, welches unter 


Krie 
fortge- 
ſetzi. 


den ſo ſchwer Vereinigten ausbrach, und die Veirrung 
vieler durch Wenzels Abmahnungsbrief noch vom 18. Zuli; 
überhaupt bei ſo zahlreicher Gliederung der Mangel einer 
Seele, welcher den Tag von Sempach anders enden ließ, 
als den von Döffingen. Jedoch nur ein verhängnißvolles 
Zuſammentreffen ungünftiger Waffenereigniſſe vollendete bie 
Niederlage, die vielleicht allein als verneinter Sieg 
gelten fonnte; im Falle das Bürgerthum überwand, möchte 
der Srafen von Wirtemberg und mancher anderer Grafen 
Zandesherrlichfeit ein Ende genommen und die „Eidge⸗ 
nofienfchaft bis an den Schwanberg gereicht haben‘, wäh- 
rend andererfettö nach einer Reihe einzelner mipliher Zufam- 
menftöße auch nicht die Eleinfle Bundesſtadt ihre Reichs⸗ 
freiheit einbüßte. 

Bielmehr richtete der Bund, als der Fürften Kriegs⸗ 
volk jubelnd fih trennte, in feinen Gliedern ſich wieder 
auf, Augsburg und Regensburg hielten die Baiern feſt; 
ald der Burggraf von Nürnberg mit feinen Schwägern, 
von ber ofterländifchen Linie der Wettiner, wit den Bi- 
fhöfen von Würzburg und Bamberg und anderen Herren 
Windsheim Helagerte, und erſt nah 7 Wochen (September 
1388) zum Sturm fohritt, jagten ihm die Nürnberger ab, 
und fielen mit 1000 reifigen Pferden und viel Fußvolk 
die burggräflidden Schlöffer und Städtlein, au den ‚Alten 
Berg’, mit jo fchnellem Erfolge an, verbrannten fo viele 
Dörfer, daß ihr böfer Gegner von Windsheim ungefchaft 
abziehen mußte, um bie Heimath zu retten. Auch Roten⸗ 
burg wie Schweinfurt erwehrien fih des böſen Viſchofe 
Gerhard von Würzburg, fo wie Heilbronn im fchonunge- 
loſen Kriege nur feine Reben, die Pfaffheit die ihren nicht, 





Fünftes Bud. 183 


einbüßte. lim Martini waren bie Bunbesftäbte bei Winds- 4 Kur. 
beim fo flarf im Felde, zumal die Nürnberger, unter beten 
und des Reichs Banner bie übrigen fich fchaasten, daß 
in des Winters Nähe das Kriegsfeuer nochmals überall 
auffoderte. Aber nur die Regensburger erfreuten fich unter 
der umfichtigen Führung ihres Bürgermeifters Hand von 
Steinach eines uhmvollen Streited, indem fie am 13. No⸗ 
vember dreihundert der beften baterifchen Mitter und Knechte, 
die unter Herzog Albrecht höhnend vor ihren Mauern er- 
jdienen waren, gamlih in die Flucht fchlugen, und 40 
abelige Wappner Ichendig fingen. Lange blieb der Tag 
des H. Briccius ein Firhliches Volkofeft. Am Rhein und 
im Elſaß jedoch gingen die Dinge um fo ſchlimmer. — 
Bisher hatten die rheinifchen Städte, beirrt Dusch gan. 
Wenzels widerſpruchsvolle Briefe, die beiden Pfalzgrafen dir.“ 
Ruprecht unbehelligt gelaften, obgleih der alte Kurfürft 
zur Niederlage ded Bundes bei Döffingen wefentlich bei« 
getragen. Sie fiheuten ihn wegen des Vergleichs zu Mer⸗ 
gentheim. Im November jedoch trieben die Vorwürfe der 
fhwäbifchen Eidgenoflen zur That; noch am 18. October 
hatte ber römiſche König den Reichsſtädten ernfihaft gebo« 
ten, die Länder des Pfalzgrafen nicht zu befchädigen; ine 
zwifchen er aber ſelbſt das Feuer wieber angefchüret, fo 
dag Mainz, Worms, Speier, Straßburg und die Schwe⸗ 
fterflädte am 5. November dem Pfalzgrafen abfagten, und 
ſchon Tags darauf mit dem größeren Bunbedanidhlag rau» 
bend und brennend die pfälzifchen Gebiete am linfen Main 
ufer anflelen. Der alte Kurfürft jebod und ſein gleiche 
namiger Neffe entfalteten unerwartete Energie; mit Net 
oder Unrecht klagend, jene hätten ohne Urſache fie ange- 
griffen, rafften fie, nad dem Abzuge der DBerwüfter, ihre 





184 Bierter Theil. 


AR. Mannen zufammen, hetzten ten Elfaffern ihren Landadel 
auf den Hals, und überrafchten zwiſchen Worms ınd Op- 
penheim die rheinifchen Schaaren am Breitage vor Martini 
fo ungewarnt, daß ihre Gleven flüchtig wurden, die Pfäl⸗ 
zer ihrer 200 erfchlugen und 300 fingen. Sechzig arme 
Gefellen, nicht im Stande, ſich auszulöfen, wahrfcheinlid 
Zünftler, die e3 mit Brennen und NRauben nicht ſſchlim⸗ 
mer. getrieben, als ihre adeligen und reicheren Waffenge⸗ 
nofjen, wurden lebendig in einen brennenden Kalkofen 
geworfen. So Herbe Erfahrungen vewirkten, daß das 
Städtevolk während des Winters ſich nicht weiter auf Strei- 
ferei hinauswagte; nur die Straßburger, mit dem Marf- 
grafen Rudolf von Baden in Febde, ruheten auch im Win- 
ter nicht, und vergalten die Verheerung dieſſeits und jen- 
ſeits des Rheins. Die Mainzer dagegen, obwohl felt dem 
30. October 1388 im Freundfihaftsbunde mit ihrem Bi- 
fhofe Adolf, Tiefen widerſtandslos das pfalzgräfliche Heer 
auch ihre nähften Dörfer verwüften. 

Sp lief das. drangvolle Jahr 1383 zu Ente, das 
jenen Landen unverwindlichen Schaden gebradt. Zwölfe 
hundert Dörfer lagen in Aſche; im Wirtembergifchen wie 
im übrigen Schwaben ſah man zehn bis zwölf Meilen 
in der Runde einer Stadt oder einer Burg nirgend ein 
Dorf oder ein Haus. Das Landvolk barg ſich beiberfeits 
hinter den feſten Mauern, und gedachte nicht, feine Weder 
zu beftellen; der Bürger mühete fi) Tag und Nacht auf 
der Wacht. Denn durch Verrath und Ueberfall allein konn⸗ 
ten die Fürſten eine Stadt zu erobern hoffen; nur die 
Nebenpförtlein flanden offen; Argwohn bewadte den Auss 
gang und Eingang. Der Klerus, blich er ja in den 
Städten, feufzte und fluchte; denn er wurde unnachfidtig 





Fuͤnftes Bud. 185 


zu allen Kriegslaften herangezogen. Handel und Berfehr 4A 
durften fi nirgend regen; auf dem Rhein und den Kai⸗ 
ferfiraßen wagte niemand fih ohne Geleit; viel Hrerwege 
ins Niederland verwuchſen mit Gras und Diefteln. Den- 
noch vergingen Monate, che man von ernftlihen Sühne- 
verfuchen der haßentbrannten Parteien hörte; im fernen 
Böhmen ſaß König Wenzel, voll Sorge: „ed möchte ihm 
wie dem Wolfe zwifchen den floßenden Widdern ergehen”. 
Zwar wurden im Anfange d. I. 1389 Tagefahrten in 
Mergentheim, in Bamberg und Rotenburg anberaumt, und 
waren die Stäbte, beihuldigt, dem Ausfpruh des Pfalz 
grafen nit nachgekommen zu fein, soll Argwohns gegen 
Menzel, den jetzt der Sieg der Fürften auf ihre Seite 
führte, dennoch bereit: das Recht zu leiden, wenn nidt 
der Weg der Minne eingefählagen werden Eönne; aber, 
unter unfäglih laſtendem Behdezuflande, Hatten nur bie 
Wittelsbacher mit Megensburg ‚eine Vorrede“ zum Frieden 
vereinbart (3. März). Im Elſaß erhöhete das treulofe Ver⸗ 
fahren des Grafen von Leiningen die Landesgefahr, indem 
er, friedlicher Zufage zum Troz, die Stadt Brumath dem 
Bfalzgrafen in die Hände fpielte, und von da aus bie 
Umgegend von Straßburg mit euer und Schwert ver« 
heerte. Ruprecht der Jüngere felbft erfhien noch im März 
1389 mit weliden und deutſchen Lanzen dicht vor der 
Stadt und beftimmte, als die Bürger auf feine Heraus⸗ 
forderung eingingen, den 4. April und das Feld „zwiſchen 
Galgen und Hausbergen” zur Schlacht; fie unterblich je⸗ 
Doc, weil die Herren nicht Luft Hatten, im Fußkampfe 
die Entfheidung zu wagen. Hauch bei Tag, und Röthe 
des Himmels bei Nacht, zeigte den Straßburgern den Weg, 
welchen nach einigen Tagen die Landverderber gezogen waren. 


186 Bierter Theil. 


ana. Auf dringendes Mahnen ber Stände berief Wenzels 
7 furchtſame Klugheit endlich Zürften und Städte zu Anfang 


Nieder: 
der 


lage 
Kant, 
für 


ter. 


Maimonats nad Eger auf böhmischen Boden. Die rhei- 
nifhen Kurfürflen, die Baiern, Die oberländifchen Grafen 
und Herren, nebſt den Biſchöfen in Perſon erfchienen, 
drangen jo energiich in den haltungsloſen König, welchen 
vergeblih die Städteboten an feine heiligen Zufagen mahn⸗ 
ten, daß er am 2. Mai „Die Stadtebündniffe”, als 
Urſache des Krieges, aufhob, und vorwurfsvoll dad 
Gebot an die Reichsſtädte Schwabeus, bes Elſaß, Baierns, 
Branfens, und der Wetterau ſchickte, bei Verluft aller Frei⸗ 
beiten folde Bündnifle, als wider Gott, wider den 
König und das H. Reich, von Stund an abzuthun, und 
ih nur an ihn, an das H. Reich und an den allge 
meinen Landfrieden zu halten! Beſtürzt Flagten die 
Sendboten, daß Wenzel zum zweitenmale feine iheuern 
Gelöbniſſe gebrochen; die Mehrheit im Reichsrathe ent- 
ſchied, und mit tadelnswerther Nebereilung traten zuerft 
Regensburg, Nürnberg, Weißenburg, dann Schweinfurt 
und Rotenburg dem Befchluffe bei. Ehe aber der allgemeine 
Zandfrieden ind Reich audging, zu deſſen Beihwörung den 
betroffenen Sendboten der ſchwaͤbiſchen und rheinischen Städte 
ein Anftand bis nach Pfingften bewilligt, aber nicht gehal⸗ 
ten wurde; follte auch noch Branffurt mit den Eidgenoſſen 
der Wetterau das herbe 2008 ber anderen Neichöftädte 
theilen. Die Burg der Kronenberge am Taunus, ben 
Waffenplag des Raubadels, zu brechen, zogen unter bem 
Schultheißen als Bannerträger, einem Ritter an der Spige 
der Ehrbaren zu Roß, und unter ritterlihem Führer bad 
Fußvolk, viele Rathöfreunde und Zunftmeifter, 2000 
Bürger und Söldner mit Harniſch, Haube und Bein 


Bünftes Du. 187 


gewand, mit Kriegsichell aus, und begannen (14. Mat) Bm 
den Streit mit Berheerung der Eronbergifhen Höfe und 
Forſten. Als fle eben mit Beute heimkehrten, ereilten 
die Ritter mit 400 Meifigen den langſamen Seereözug 
wilden Eſchborn und Praunheim, trafen die Bürger 
aber fo wohl geordnet, dab fie anfangs unterlagen und 
manchen Edlen ald Gefangenen verloren. Schon wähnten 
die Bürger mit Freuden heimzufabren; da fprengten von 
des Pfalzgrafen Rupredt „Harſt“, der bei Oppenheim 
lag, und feit dem Ende des Aprils das offene Gebiet von 
Mainz, Wormd und Speier verwüftet hatte, 200 Gleven 
mit großem Geſchrei und mit Heerhörnern hervor. Das 
Sandgemenge begann. von neuem; aber einige Glieder ber 
Zünftler, wie es beißt verrathen durch fremde Söld⸗ 
ner, warfen fih in bie Flucht, während obenein die Ge⸗ 
fangenen ihrer Waffen fi bemächtigten und die Bürger im 
Nüden anfltelen. So endlich allgemeine Flucht des flär- 
teren Haufens, mit DVerluft von 100 Todten und 620 
Gefangenen, unter ihnen die Adeligen, der Schultheig mit 
dem Banner! In Bolge der Niederlage die Forderung 
eines unerſchwinglichen Löſegeldes, welches dann den ſchlum⸗ 
mernden Zwieſpalt bei den verbroffenen Zünftlern wieber 
werte, und eine mehr demokratiſche Verfaffung nad ſich 
zog. — 

Sp unterlag auch Hier die nicht ſchlechtere Sade, 
der es leider an wahrheitliebenden, beredten Geſchichtſchrei⸗ 
bern gefehlt hat. Das gehäufte Mißgeſchick galt ald Gottes⸗ 
urtHeil, und gefinnungslofe oder blödbefangene Stadtchro⸗ 
nifanten ſtimmten mit der Pfaffheit, jener bitterfien Fein⸗ 
din demokratiſchen Aufihwungs, in der Berläfterung ber 
„abſcheulichen Liga gegen Kirche, Kaijer und Fürſten“ 


188 Bierter Theil. 


s. Rap. überein. Jener Bürgerwelt war aber die Vorſtellung ben 
gotteingefegter fürfllicher Obrigkeit fo fern, als fie gläubig 
am Kaifer hing, und Hug zwifhen geiftlicher und welt. 
licher Berechtigung des Klerus zu unterſcheiden verfland. 

Inzwifchen hatten auch die übrigen Städte, fo ſchmerz⸗ 
lich der Widerruf ihres Bundes, in Nürnberg den Land⸗ 
frieden befchworen, wollten fie nicht vereinzelt und mit 
Veberlegenen den Kampf fortſetzen. Rotenburg verlor 
buch den Spruch hoher Kirhenfürften fein lang be⸗ 
bauptetes Landgericht an Würzburg, beftand nod eine Be⸗ 
lagerung durch den Burggrafen, des Spruchs Vollfireder, 
und fand feinen Ausweg, ald dem Bebränger auf Lebens⸗ 
zeit die Schirmberrfchaft anzutragen; nur die Seeftädte 
ſtraͤubten fih, der ſtarken fehweizerifchen Eidgenoffenfchaft, 
welche 1.3. 1389 ihren Frieden gemacht, fich zuneigend. 

gond- Der Landfriede von Eger, den die Fürften nach ihrem 


friede 


per. Willen durhführten, wäre ein wohlthätiges Werk gewefen, 
hätten feine Beftimmungen Vollgültigkeit erlangt. Er be 
fal aber die gewöhnlichen, Tängft abgenugten Satzungen 
„som rechtlichen Beiſtande“ der Partieen, und ordnete ein 
Schiedögeriht von vier Männern aus ben Fürften und 
Herren, und gleicher Zahl aus den Städten, mit einem 
königlichen Obmann, an. Für den Ball eined unvermeit- 
lichen Kriegs follten Straßen, Kirchen, die Pfaffheit, Müh—⸗ 
Ien, der Pflug, Ader- und Weinbau, ſicher fein, ber 
Beihädiger als Raͤuber gerichtet werben. Alle Bündniſſe 
der verfihiedenen Stände blieben unterfagt; für die zahllo⸗ 
fen noch ſchwebenden Händel follten gütlihe Rechtstage 
entfiheiden; gegen ungehorfame Städte behielt dagegen die 
Einigung des Königs und der Fürſten ihre Kraft. Pfal⸗ 
und Ausbürger folle niemand halten oder empfangen; endlich 





Bünftes Bud. 189 


der Landfriete auf 6 Jahre über den Rhein, Schwaben, 4% 
Franken, Heflen, Thüringen und Meißen fi erfireden. 

So war der mächtigfte Städtebund gebrochen und ſelbſt 
das Werk Arnold Waltpods in feinem gefeglihen Zuſam⸗ 
menbang aufgelöft, obgleich das ererbte Band nachbarlicher 
Bertraulichkeit die älteften Glieder noch zufammenbielt. Es 
folgte nun eine unüberſehliche Reihe von Tagfahrten, um 
die einzelnen Anſtöße und Brüche zwifchen Städten und 
Fürften audzugleihen. Leberall mußten die Bürger, ob⸗ 
gleich wechjelfeitige Verzichtung auf Brandſchatzung und Ge⸗ 
dinge, die noch nicht erfüllt wären, bebingt war, 
hohe Seldfummen bezahlen, wollten fle anders Frieden ha⸗ 
ben. Boll Hohn und Uebermuth gegen die Bedrängten, mel- 
beten ſich laͤngſt verjährte, bezahlte Anſprüche, habſüchtige 
Schadlosforderungen einzelner Befehder der Staͤdte, welche 
entweder mit Gewalt ihren Willen erzwangen, oder im 
parteiiſchen Schiedsgericht obſiegten. Nirgend eine Spur 
gedeihlichen Friedens; namentlich glaubten die fürſtlichen 
Amtleute ſchamlos an kein Recht, keine Billigkeit gebun⸗ 
den zu ſein. So troſtloſer Zuſtand dauerte einige Jahre, 
bis die Städte vom verhängnißvollen Schlage ſich erholten, 
und das Mißtrauen gegen einander verbannt wurde. 

Ein ädt mittelalterlicher Finanzſtreich hatte inzwiſchen ea: 
auf dem Meichstage zu Nürnberg, September 1390, bie kilgung. 
Berflimmung der Bürger gehoben, und die Geldnoth der 
Fürſten geftillt, welche fonft, ihren eigennügigen Bafallen 
und den Söldnern verſchuldet, noch empfindlicher Die Städte 
gebrüdt haben würden. Die Suden, des römiſchen Kö⸗ 
nigs Kammerknechte, ihm eigen mit allem Erwerb, follten 
als Opfer die fhweren Folgen des Haders fühnen. Die 
Reichsverſammlung beſchloß, mit bereitwilligfter Geneh⸗ 





198 Bierter Theil. 


4 Rp. migung des Königs, eine allgemeine Iudenfchuldent- 
bürdung, fowohl in Betreff des Hauptguts als der Wucher⸗ 
zinfen. Ein offener Brief Wenzels verfündete fo willfom- 
mene Satzung allen engeren Reichalanden, geiftlihen und 
weltlichen Berfonen jeglihen Standes, und befal den armen 
Juden die Herausgabe aller Schuldbriefe und Pfänder ; ver⸗ 
fteht fih, daß der König, dem ohnehin das gefammte Ju- 
denvermögen gehörte, von jeder Summe feinen gebüb- 
renden Antheil beredinete, und auch die Landesfürften, 
für ſich feldft ihrer Mahner erledigt, von den lintertbanen 
Procente ſich ausbedingten. Die wehrlofe Judenſchaft, welde 
ed zwar arg genug getrieben, aber auch ben Geldverkehr 
ermöglicht Hatte, fügte fih ‚der königlichen Ungnade“, 
nur in einzelnen Städten gegen die höchſte Ungerechtigfeit 
gefhüst. Eine Zeit Tang fah man auf Nitterburgen, an 
Fürftenhöfen, in Iunferftuben, und in Raths⸗ und Zunft 
häufern, frohe Geſichter. Auch feiner Stadt Erfurt er 
wirkte, gegen Abtrag, Erzbiſchof Adolfs Nachfolger, Kon- 
rad II., Graf von Weinsberg (1390-1395), ein fried- 
fertiger Priefter, aber harter Steßerverfolger, dieſelbe Ver⸗ 
günftigung, und ſetzte die ehreifrige Stadt in Teickteren 
Stand, ihre hohe Schule um Oſtern 1393 mit Firchlicher 
Beier und herrlichem Gelage zu eröffnen. 

Kö. Ungeachtet König Wenzel i. I. 1392 einem geflvengen 

Haupt. Böhmifchen Ritter, Borzimoy non Swinar, ald Hauptmann 

Als des Landfriedens vie vereinigten Woigteien in Batern, 

unweſen. Schwaben und Elfaß übergeben, war doch das Rheinland 
mit adeligen Räubern gefüllt, „daß fih niemand getrante, 
eine Stunde Feldwegs zu wandern”; auch die Mitterge- 
jellfchaften thaten frech fich wieder auf. Eberhard ber 
Greiner, welder nah dem Streben eines halben Jahr⸗ 





Fünftes Buch. 191 


hunderts aus dem Ueberreſte der unteren Laudvoigtei das 4.RKa 
Band gewoben, welches Reutlingen und Eßlingen fpäter un« 
ter den Schuß feine® Hauſes brachte, tummelte ſich noch zu⸗ 
Iekt im Elſaß, und vererbte, flesbend 1. J. 1393, feine wach⸗ 
jende Landeshoheit auf feinen Enkel, den ‚milden‘ Eber- 
bard. Der Milde flug als Bedraͤnger der Reichsbürger 
nit aus der Art, und befehdete Die Städte am Bodenſee 
fo lange, bis der junge Leopold von Habsburg einen Aus- 
trag vermittelte (1394). Eines einzelnen Mitterd aus Eng⸗ 
land halber, den Bruno von Rappoltftein, der Inhaber des 
„Königreichs über die Geiger”, gefangen und darauf für fi 
Burgrecht in Straßburg gewonnen hatte, entbrannte Dagegen 
ein Reichskrieg, da König Richard H., Wenzeld Schwager, 
feines Bafallen fih annahm. Jene Stadt gerieth in Acht 
und Aberacht, weil fie ihre Schußverwandten ſchirmte, und 
in harte Belagerung durch ben böhmiſchen Landfriedens⸗ 
hauptmann an der Spitze des Biſchofs und vieler Herren, 
welche die Hoffnung beſeelte, ihrer Glaͤubiger in Straß⸗ 
burg gleichen Kaufs Ledig zu werden, wie ber Juden. 
Um Gelderbietung zog endlih Herr Borziwoy ab; eine 
Weinverehrung und herabgeſetzte Straffumme milderte dann 
auh des Königs Zorn (1393). Solche Käuflichkeit ber 
Gnade und Ungnade des noch immer vom Bürgerthum ges 
achteten Königs verfpürten auch Negensburg und andere 
Städte; veraͤchtlich machte er fih aber zuerft den Frankfur⸗ 
ten. Wir deuten nur an, daß wegen des Löfegeldes ber 
Gefangenen von Eſchenborn die gebemüthigten ‚Herren‘ 
fi gezwungen fahen, um die murrenden Zünftler mit dem 
Nothſtande zu fühnen, mit Billigung Wenzeld (1390) ihre 
Körperſchaft von 43 Gliedern mit 20 zu vermehren, von denen 
der Zunftbanf die Hälfte zuflel, In der Art, daß in dreijaͤh⸗ 


192 Bierter Theil. 


429- yigem Wechſel jedes Jahr 21 Nathöherren fäßen. Ash 


wed 


jaunge-bie Schöffenbank ward vervollfländigt; deſſenungeachtet aber 


el 


ingran,brah fo heftiger Zwiſt in der Gemeinde aus, daß Wen⸗ 


rt 
Pal 


Dori⸗ 
munds 


dzel, nad einfeitigem Verhöre der Parteien, i. 3. 13% 


den Eid, welden jeder Bürger, Handwerker oder Einwoh⸗ 
ner den Schöffen und dem Rath zu leiſten verpflichtet war, 
für nichtig und unbindbar erklärte, Taum drei Wochen fpäter 
jedoch feinen Befel wiverrief, einige Rathsmitglieder in 
die Reichsacht that, und endlih, mit Aufhebung je 
Strafen und Erlaß jener Anfprühe, alles alte Herkon⸗ 
men i. 3. 1396 wieder in Kraft ſetzte. Wenigftens hat 
ten die Zünfte unter ſolchem Berwürfniffe zwifchen ihren 
Altbürgern und Schöffen erlangt, daß wir von d. 3. 1397 
bis 1408 neben den beiden Bürgermeiftern aus ben ode 
ren Bänfen einen dritten aus der Zunftbank finden. — 
Frankfurt, die Wahlflätte, war der bevenklichfte Ort fir 
einen vom Bürger veradhteten König. — Für Bafel hatt 
der ungünftige Kampf, außer Geldbußen, noch die miplide 
Folge, daß feit 1390 die Würde des Ammeiſters erlofd, 
und der Nitteradel im Rathe erflarkte, der dann, nad Ein 
Iöfung der biſchöflichen Pfandfchaft über Klein Bafel, wit 
diefem einen Körper zu bilden begann, — 

So ſchwankte hier Altes und Neues. Die ungeheurt 
Spannung, welde feit Wenzeld Regierung auf den ober 
deutfhen Reichslanden Taftete, ließ in den fernften Oſtſee⸗ 


ſtaͤdten in bürgerlichen Aufruhr die Mitleidenpeit verfpürm 


hatte aber auch für die Gemeinde eine fieghafte Parkl 
zur Seite: in Weftfalen, was wir zunächft betrachten, ı@ 
zu zeigen, daß im abwehrenden Kampfe das Bürgerthun 
unbezwinglich blieb. Seit einer Reihe von Jahren ertmp 


Kämpfe. die Hanflihe Stadt Dortmund Verfümmerung und Unbißt 


Sünftes Bud, 193 


durch die Grafen von ter Mark, befonders dur Engel 4 Sm 
brecht III. und deffen Bruder, Dietrich von Dinslaken, jenen 
freitbaren Derwefer des Bisthums Osnabrück. 

Gegen fürftlihe Beinde Half den Dortmundern fo 
wenig ihr gefürdhteter Freiſtuhl ‚auf dem Königähofe an 
der Kinde, der Spiegel, des H. Reichs heimliche Acht und 
Kammer“, als der bejchworene weftfälifche Landfrieden; ja 
1. 3, 1376 wagte Dietrich von Dinslaken, felbft Stuhl- 
herr, fein offenes Spiel mit den Geladenen zu treiben, 
griff dann die Fleinlichften Händel auf, um Geld zu er- 
zwaden, bis die Bürger ungeduldig, 1.3. 1377, Furz bor 
Raifer Karls Testen Bejuhe, mit den Waffen fi einmal 
Ruhe verichafften. Im nächſten Jahre wegen einer Juden 
ſchuldſache von den rechtlichen Bürgern verurtheilt, ſuchte 
der Graf durch Befehdung und durch unritterlichen Ver⸗ 
rath die fefte Stadt in feine Gewalt zu bringen; allein 
die Wachfamen entdeckten den Anſchlag, und liegen von 
den Verführten eine Evelfrau „auf einem Wagen“ ver 
brennen, deren Sohn und den jungen Erbgrafen Konrad 
von Dortmund, des Geſchlechts Lindenhorft, enthaupten, 
ungeachtet Dietrich in einem öffentlichen Ausſchreiben ſich 
und ſechs Helfer als alleinige Mitwiſſer der That be— 
fannt, und jene für unſchuldig erflärt hatte, Auf Wenzeld 
Befel befeßten dann die Bürger den gemeinfchaftlichen Frei— 
ſtuhl allein (1379). 

Bald darauf, unter der heißen Partelung der Stände "seo 
Oberdeutfchlands , vergaßen ber Erzbiſchof Sriedrih von mund. 
Köln, die weftfälifchen Biſchöfe und die Grafen von ber 
Mark den befchworenen großen Landfrieden, welchen auch 
Wenzel feierlich beftätigt. Entweder behauptete ber Kurfürft, 


ein unverjährtes Pfandrecht an die Reichsſtadt zu haben, ober 
Barihold, Städtewefen. IV. 13 








194 Bierter Theil. 


4. Kay. war in wirklichem Beſitz einer Urkunde, Eraft welder Knie 
Karl um 11200 M. ©. da8 einzige noch freie Reid 
gut in Weitfalen für Kölns Wahlftimme zu Gunften fein 
Sohnes heimlich verpfändet hatte, jened Wenzel, du 
im erflen Jahre feiner Regierung der freien Stadt Redte 
urkundlich gewährleiftete! Da nun die Neichöbürger fo 
ſchmählichen Handel nicht anerkannten, waren fle fhoni.). 
1384, zur Zeit de8 großen Nürnberger Kürftenbundes, von 
ihren vereinten Gegnern hart umlagert worden, hatten abrt 
auf diesmal männlich die Angreifer abgetrieben. Im golge 
der Heidelberger Einigung ſchien ein beſſerer Geift auf im 
heillos zerrifjenen Weftfalen zu erwachen; der belobte Bi 
hof von Münfter, Heinrich Wolf von Lüdinghaufen, einigtt 
fih am 29. Juli 1385 mit den Kurfürften von Köln, den 
Bifhöfen von Paderborn und Odnabrüd, den Grafen von 
der Mark, von Walde, Kippe und anderen Herren, mit 
den Städten Soeſt, Münfter, Osnabrück und Dortmund, 
den weftfälifchen Landfrieden, der fich gleichzeitig über Thür 
singen und bis in die Wetterau erweitert, unter eigen 
thümlichen Beftimmungen, denen jedoch ſchmutziger Sc, 
eine Befleuerung des gefriedeten Landmannd, zu 
Grunde lag, zu erneuern. Dem ſo verheißlichen Wert 
eilten aud die Grafen von Sayn, von Diepholz, von Witt, 
von Bentheim, von Ifenburg, die Bifhöfe von Utrecht un 
Minden, der Herzog von Jülich und andere Stände urkund⸗ 
lich beizutreten. War es nun, daß König Wenzel feine al- 
gemeinen Reformen in der Ferne verfuchen wollte, oder aud 
diefen Bund der Stände fürdtete, oder daß die Fürfen 
ihm Böſes von demfelben einraunten; oder endlich, daß 
die Landfriedenögerichte Durch Uebergriffe zu ſchaden droheten: 
genug, das in fich zerfallene Oberhaupt Deutſchlands wi: 


Fünftes Bud. 195 


berief am 10. März 1387 zu Wünburg „mit Math der ta 
Fürften und Getreuen‘ dad Merk feines Vaters, „nwegentr 
der großen Gefährde, die mit demſelben getrieben würde Ai — 
und wies fortan Klagen an ihn ſelbſt und an ſeine Hof⸗ — 
geribte. So war Willkür und Gewaltthar längft ent⸗ 
feffelt, al8 der fürftliche Bund gegen die freien Städte des 
Oberlandes auch im Niederlande überrafchend feine Wirkung 
offenbarte. Als fei nach dem Ausbruch des großen Staͤdte⸗ 
friegö der Reichsbürger Recht und But jedem Angriff preis- 
gegeben, benubte Engelbredht von der Mark ein Schimpf- 
gedicht, das wahrfcheinlich die Dortmunder, wie eins derglei⸗ 
den 1. 3. 1363 aud die Bremer wegen feiner Feldflüchtig⸗ 
feit auf ihn verfaßt hatten. Wie der Graf „Ehre und Treue‘ 
bei Bremen „ſtehen gelaflen”, nannte ihn das Volkslied 
ber Dortmunder „einen Dieb, der nichts Liegen oder an 
der Wand hängen ließe, einen zweifachen Derräther, ber 
fein Land mit „Ruten und Roven“ befommen; ‚fon Hert 
jei voll idel Schelmeret, fon Broft voll Büberei, doch ein 
heiliger Engel im Munde”. Solche Schmach nun follten 
die Bürger, jo wie die Enthauptung des jungen Grafen 
Konrads von Dortmund, feines Vaſallen, jegt büßen, und 
deshalb einigte fich Engelbreht mit dem Erzbifchofe von 
Köln, mit Heinrich von Münfter, dem Herzoge von Braun 
ihweig, Dito dem Duaden, und allen weftfälifchen Grafen, 
ieh mit dem frechſten Briedensverächter, dem Burggrafen 
son Stromberg; der Erzbifchof Dagegen feinerfeitö mit den 
Kurfürften, Adolf von Mainz, Kuno von Trier, und Wer- 
ner, deſſen Coadjutor, mit den Bifchöfen von Augsburg, 
Negenöburg und Bamberg, von Osnabrück und Paderborn ; 
mit den Pfalzgrafen Ruprecht dem Aelteren und Jüngeren, 


mit Herzog Friedrich von Baiern, mit Eberhard von Wirs 
13 * 


196 Bierter Theil. 


UA. temberg, dem Burggrafen Friedrich von Nürnberg, dem 
Der GHerzoge von Jülich und Berg, und vielen anderen Grafen 
em und Herren, nicht weniger ald 48, und umfchloffen Dort- 
Plage. mund in der Saflenzeit 1388 von allen Seiten. Allein 
Die Stadt, der die Soefter aus altem Neide Beiſtand 
serfagten und nur des Biſchofs von Münſter eigene Bür- 
ger halfen, Hatte fih mit aller Nothdurft verjehen, und 
trogte den Steinfugeln, welche die nordwärtd erbaute „Ro 
senburg” auf weltliche Haͤuſer und kirchliche Heiligthümer 
ſchleuderte. Die Bürger ermüdeten durch tapfere Ausfälle 
und Streifzüge die Belagerer in dem Grabe, daß der Erz⸗ 
biſchof und der Graf, aud durch andere Händel gerufen, 
im Sommer aufbrahen; ihre zurüdgelafienen Kriegsleute 
verloren dann fogar die Novenburg durch Sturm am 3. 
Dctober 1388, und Eonnten die märfifchen und kölniſchen 
Höfe ringsum nicht vor der Brandfadel bewahren. So fam 
das zweite Jahr der Prüfung des altfaffiichen Bürgermuths 
herbei; denn der Tag der Hanfe zu Lübeck (1. Mai 1388), 
hatte, voll Beileids mit der Schwefter, die Sache bei frucht⸗ 
lofen Borfchreiben an die Kürften bewenden laffen, und Eonnte 
auch bei anderen politifhen Grundfähen der fernen 
Stadt „an der Emſcher“ nicht beifpringen. Aber nicht fowohl 
Menzel Abmahnung, als die Unmöglichkeit, die freiheits- 
eifrige Reichsſtadt zu überwältigen, bradite die Gegner auf 
friedliche Gedanken. Als der Erzbiſchof die Erlegung der 
Pfandfumme forderte, erklärte Dortmund, als freie Statt, 
die darüber aufgewiefenen Briefe für ungültig, wiberlegte 
„mit Befcheidenheit die Klagpunfte des Grafen Engel⸗ 
brecht, betreffend jene Hinrichtung der Stadtverräther, und 
erklärte, mit Bezug auf den Bundbrief v. I. 1376, allerlei 
Heine Anjchuldigungen an beftimmter Tagefahrt zu beant- 





Fuͤnftes Bud. 197 


orten. Sp begann denn die Fehde von neuem, bis auf *Kap. 
der neunten Zufammenfunft der Bevollmächtigten zu Ab- 
tinfhofen (November 1389) die Rathsſendboten von Soeft, 
deren, wie Kölns, Münfterd und Osnabrücks Dermittelung 
die Reichsſtadt endlih gewünſcht Hatte, es dahin brachten, Siebe 
daß beide KHauptfeinde ihre Geldforderung mäßigten. Sp mund. 
hart folches Opfer den Bürgern fiel, gingen fte doch bie 
Verpflichtung ein, dem Erzbifchofe, gegen Verzicht auf alle 
anderen Anſprüche, 14000 Goldgulden zu zahlen, und be— 
gannen ihrerſeits den Soeſtern nachhaltig zu grollen, weil 
ine ihnen vorgefpiegelt: das Erbieten eines Bündniffes mit 
Köln würde eine Minderung der Summe zur Folge haben. 
— Ihrer Unabhängigkeit fiher, fo wie der gefährlichen 
Bfandfchaft erledigt, blickten die reichen Bürger der Zukunft 
jetroft entgegen; aber Frieden fam auch nach Graf Engel» 
wehts Tode (i. J. 1391) nicht nah Weftfalen. Wie in 
Schwaben und an ber Lahn erwachte der Gefellfdhafts- 
jeift des Raubadels, indem der Zuftand eines Gleichge⸗ 
vichts zwifchen den uneinigen Ständen, wie er nad ber 
Sieglofigkett der Städte, der erzwungenen Selbſtbeſchrän⸗ 
ung fürftliher Unterdrüdungspläne, und bei dem unge- 
wochenen Kraftbewußtfein des Adels eingetreten, alle ge- 
eihlihen Folgen fern hielt, welde ein entſchiedener 
Sieg des Kaiſers ober einer der Parteien in Ausſicht 
tellen durfte. — Als Beweis endlich der weitverzweigten — 
ind reichsgefäͤhrlichen Fürſtenpolitik des I. 1388 Heben wirkte 
ioch hervor: daß im Spätfommer dieſes Jahres König 
darl VI. von Frankreich mit einem ungeheueren Heere von 
00,000 Pferden! dergleichen Deutſchland noch nie geſehen, 
jegen die Herzoge von Jülich und Geldern auf dem Reichs— 
oden um Aachen und Köln erfhien, und felbft nach ber 


198 Vierter Theil. 


AR. Sühne mit feinen Feinden nicht eher zurüdzog, bis Un- 
wetter, Hunger und die kecken Nachſtellungen und Angriffe 
der „Linfarr“ (2), wahrſcheinlich einer niederrheintfchen Rit⸗ 
terverbrüderung, ihn zur Umkehr nöthigten. König Karl 
war mit Genehmigung des deutfchen Königs gekommen; 
dad Volk wollte wiffen, Frankreichs Ritterſchaft Hätte fh 
zur Unterſtützung der mit Karl verfchwägerten Wittelsbacher 
gegen die Städte herbeigefunden; Bebächtige fürchteten fehon 
damals bei der Heifloien Uneinigkeit der Stände einen An- 
Ihlag der Welfhen auf das Neich ſelbſt; Die Deuthigen 
freuten ih über die empfindliche Beſchädigung des ſtolzen 
Adelsheeres, und behaupteten, wären die rheinischen Herren 
und Städte einig gewefen, fein Welfcher wäre Heimgefom- 
men. — Ufo aud Gefahr vor Ueberwältigung burd die 
Fremden ftand bereit3 am deutſchen Horizonte, als tie 
Ereigniffe d. 3. 1388— 89 nicht wahre Einheit und Sühne, 
nicht den Sieg einer Partei, fondern nur vorläufige Dul- 
dung gegenfeitiger Berechtigung zur Folge Hatten. Sen 
„romantifche Deannigfaltigfeit” von Einzelherrſchaft und Ge⸗ 
meinfreiheit bildete unaufhaltbar fh aus, die, fo fden 
fie gefchichtlih fih ausntmmt, dennoch unſeres DBaterlante: 
Berderben geworden iſt. Stäbtefrieg im Großen, ein 
gleichzeitiger heißer DVernichtungsfampf der beiden Gegen 
fäge, ruhete eine Zeit lang, da bald tiefere Interefien, ti 
Berrüttung der Kirche, die Gemüther in Anſpruch nahmen: 
pereinzelt dagegen kehrten alle mittelalterlihen Erfcheinun 
gen zurüd, bis, nach der Beendigung der allgemeinen Kir 
Henverfammlungen und der Spaltung in Rom, vie fürfe 
tie Politik erfolgreicher ihre verabredeten Angriffe gegen 
bie freien Städte erneuerte. — Errungene Anerfennung 
feines Rechts der Selbfiftändigfeit war der Preis, um 














Fünftes Bud. 199 


welhen das Bürgerthum Gut und Blut daran gefeht; der?“ Kap. 
unftttliche Mißbrauch der Verpfändung der Reichsſtädte hörte *efutat 
auf; unter Wenzel, Ruprecht und Sigismund wurde Feine me 
einzige Reichsſtadt „„mediatifirt”, und von den Eleinen obers diegt 
deutſchen Städterepubliken erlebten noch über 40 das Jahr 
der Auflöſung des H. römiſchen Reichs deutſcher Nation. 


Fünftes Kapitel. 
Städtiſche Bewegung in Niederdeutſchland bis auf Wenzels Abſetzung. Heſſen. 
Weſtfalen. Soeſt. Fall der Junkerherrſchaft in Köln, 1396. Trier. Die Hanſa 
unter bürgerlichen Unruhen. Die Union von Kalmar, 1397. Die Bitalienbrüder. 
Die Städte des öftlichen Deutſchlands. König Wenzel und die oberländifchen 
Städte bis zu feiner Abfeßung i. 3. 1400. 

Die Wirren, in welden wir gleichzeitig mit demgeſſiſche 
„Großen Städtekrieg”’ Heffens Gemeinwefen finden, ver, Stäaͤdte. 
rathen zwar den Geift allgemeiner Auflehnung des dritten 
Standes gegen Adel und fürftlihe Willkür, entfprangen aber 
zunächſt über dynaſtiſche Intereffen. Landgraf Herrmann 
der Gelehrte (1377), noch ohne Kinder, ſah die zahme 
Einigung der nieberheffifchen Städte wegen der neuen 
Steuern und des Vorzugs landesunkundiger Ritter bei 
Aemtern, unter Kafleld Vortritt, fo bedenklich umfchlagen, 
daß die Kafleler in offenem Aufftande fein Schloß brachen, 
und er nur gegen Abftellung der Beſchwerden das Treuge- 
löbniß der DBereinten erlangte. Als darauf Landgraf Bal- 
tbafar von Thüringen, in Folge der früheren Erbverbrü⸗ 
derung, die Mißftimmung angefehener Rathsſchöffen und 
Bürger der Hauptſtadt zu gefährlihem Einverſtändnifſe be= 
nußte , gewann zwar der Landgraf den Stadtrath, that 
den nieberbefflihen Bund ab, fo wie den dreifachen Rath 
Kaſſels, deffen neue Verfaſſung die Abhängigkeit vom Lan 
deöheren fleigerte (1384); aber dem Bunde der Sterner, 


200 Vierter Theil. 


_5.8ap. welcher noch i. J. 1878 dem solfäfeindlichen Abte die 
Stadt Heröfeld durch ſchändlichen Verrath in die Hände 
fpielen wollte, doch durch die Herzhaften Bürger blutig 
zurücdgewiefen wurde, folgte inzwifchen die Geſellſchaft der 

Bitter Hörner an der Oberlahn und Diemel unter ihren jähr 

niſſe. lichen Hauptleuten mit fo herrifhem Anfehen, daß felht 
ber Landgraf und die Reichsſtadt Wetzlar turd ihren Eir- 
tritt die unausweichlihen Stöße zu meiden verſuchten. Nit 
den Hörnern verzweigten fih die Falkner an den Orr 
zen des Stift von Paderborn (1380), fowie ber Bund 
von der „Alten Minne“; in beiden waren die PBadberge 
und Spiegel vom Defenberge die Schlimmften. Befonderd 
litt Frankenberg empfindlihen Schaden, bis einmal die 
Bürger Herrn Friedrich von Padberg, der felbft den „Schwein⸗ 
hirten‘ und das ärmfle Volk nicht gefchont, mit feinen 
Knechten erhafchten, und der Stuhlherr, ſchon mit einem 
Tuße auf der Leiter zum Galgen, an dem fünf feine 
Knechte hingen, nur durch das fihriftliche und mündlide 
Gelöbniß, die Stadt im Umkreis von fünf Meilen niät 
zu beichädigen, fein Leben erwirkte. Diesmal hielt er Wort 
(1381). | 

aaſſel Als jene Geſellſchaften vergangen, brach i. I. 1385 

belagert. ein Krieg mit dem Erzbiſchofe von Mainz, Heffend alten 
Widerfacher, aus. Adolf, im Bunde mit Otto dem Dur 
den und Balthafar von Thüringen, hoffte auf fein Ein 
verftändnig mit Bürgern der belagerten Hauptſtadt, die 
jedoch muthig die überlegene Feindesſchaar erwartete, dit 
eentnerjchweren Steinkugeln, Die Feuerpfeile nicht fürdtett, 
endlich den Verrath entdeckte, und auf einem Ausfall zwei 
Wagen voll „Schuhſchnäbel“ hereinführte, welde ſich die 
Nitter abgefehnitten, um wie bei Sempach zu Buß zu feh— 





Fünftes Bud. | 201 


ten. Da auch Eleinere Städte fo wader ſich wehrten, fühnte b. Kar. 
man sorläufig, und rüdten dann im Auguft 1387 fünfs 
sehn Grafen, britthalbtaufend Ritter und faft 15000 Schügen 
vor Kaflel. Doch Herrmann wußte den Bund zu trennen, 
entkräftete den Bannftral des Erzbifchofs, ſah, unter Frie⸗ 
dendunterhandlung auf der Bürftenverfammlung zu Würz« 
burg (Iuli 1388), auch den Ueberfall feiner Hauptſtadt 
durch die einmüthigen Bürger vereitelt, und das Ende der 
Mainzer Fehde durch Adolfs Tod herbeigeführt. Da Eonnte 
der Landgraf auf Kafjeld offenem Markte Gericht über die 
des Verraths überwiefenen Altbürger halten, und dag Todes⸗ 
urtheil mit Schmälerung des Verhaftsrechts der Gemeinde 
(4. Juli 1391) blutig vollziehen Iafjen. — Gleich darauf 
bob aber jener Briedrih von Padberg, dem Henker von 
Sranfenberg entgangen und von König Wenzel feines 
eigenmächtigen Freiſtuhls entſetzt (1387), eine neue Ge«- — 
ſellſchaft beſonders Paderborniſcher und oberheſſiſcher Rit-in aber 
er an, die „Bengler“, die fhon 1. 3. 1389 dem Bifchofe 
Simon II. von Paderborn den Tod gebradt. Simons 
Rachfolger, Ruprecht, Herzog von Jülich und Berg, mit 
em Landgrafen Herrmann verbunden, ſetzte jedoch dem 
Raubadel ein Ziel, nachdem derſelbe die ftreitbaren Bürger 
on Marburg hart niedergeworfen und das hülflofe Dom- 
apitel zu Paderborn fogar genöthigt hatte, dem böfen 
jriedrich von Padberg die Stelle eines Beihügerd bed 
ziſthums zu übertragen. Kaum im Beſitz der Biſchofs⸗ 
yürde (April 1391), fing Ruprecht Hundert der beften 
titter und Knechte, „des Zeichens vom flbernen Bengel“, 
nd zwang Die gefangenen Brüder von Padberg zu Un 
rwerfung und hohem Löfegelde. Als fie, freigegeben, 
ennoch ihr Unwefen erneuerten, zerflörte der inzwiſchen 


202 Bierter Theil. 


5.Ray. wieder geeinigte Landfriedensbund die Stadt Padberg; aber 
während der Belagerung der Burg flarb Biſchof Rupreqht 
(1394), und erft fein Nachfolger Johann von Hoya konnt 
die troßigen Vaſallen und Landbefhädiger demüthigen, — 
Auch Heſſens Fürftenftaat ſchwang ſich auf und durfte ſelbſt du 
Unterwerfung son Weblar hoffen, das ſeit 1378 im Schu; 
gertrage mit dem Landgrafen, i. I. 1393 ihm bebenflide 
Nechte einräumte, und ihn, bei böjer Zwietracht zwilgen 
den alten Rathsſchöffen und dem neuen zünftigen Rath, 
zum Schiedsrichter erfor (1394). 

guſtand Stieg Hier die Fürſtenmacht gegen Adel und Bürger⸗ 

— thum, fo fihwädte fich dieſelbe wieder an anderen Otim 
Weſtfalens und des Niederrheind in Folge von Selbftfäli 
und Fehde, auf deren gänzliche Vermeidung vie feierlichſtn 
Landfriedensbündniffe es nicht einmal abgefehen. Im nit: 
lihen Weftfalen war Otto Graf von Tecklenburg der deind 
jeder gefeglichen Ordnung, wie die Grafen von der Kart, 
jeit 1398 aud Grafen von Kleve, nad Vortheil des Aw 
genblicks erſt allgemeine Sicherheit bei den Heiligen be 
ſchworen, und dann unbefangen verlegten. So hatte it 
Erzbifchof Friedrich von Köln, nach einem verheerenden 
Kriege mit den Grafen von der Mark und Adolf ve 
Kleve i. 3. 1392 verfühnt, i. I. 1393 unter Vorſiß dei 
frievlihen Kurfürften von Mainz, Konrad, zu Hamm, mit 
dem neuen Bifchof von Münfter, Otto von Hoya, dem on 
Paderborn und Osnabrück, mit Kleve und der Mark ur 
kundlich dad große Friedensbündniß Hergeftellt, und md 
dem Beitritt des Welfen Otto, des Wettiners Balıkalır 
des Landgrafen Herrmann von Heſſen und vieler ander 
Herren und verfchiedener Städte, demfelben aud eine Ir 
ligiöfe Weihe verliehen; aber dennoch verfloß dad Jahr 











Fünftes Bud. 203 


hundert unter unaufhörlichen Fehden, wenn auch der Teck⸗ 5. 
lenburger bie fefte Kloppenburg i. I. 1394 an die Stiftd- 
vafallen und Bürger von Osnabrück und Münfter verlor. 
Zumal mußte Dortmund immer auf feiner Hut fein, um 
niht von den fürftlihen Gliedern des Landfriedensvereind 
erdrüdt zu werben; felbft das freiheitgeifrige Soeſt fand 
vor den herriſchen Anſprüchen feines Erzbiſchofs Friedrich, 
dem eben ſeine erzbiſchöfliche Hauptſtadt Köln durch ihre 
ſtegreiche Demokratie ſich gänzlich entzogen, keine Mittel 
der Abhülfe, als im Schutzvertrage mit Graf Adolf VI., 
dem Vereiniger der kleviſchen und märkiſchen Erblande. Seit SR 
die Hauptftadt der Engern im letzten Kampfe des Erzbi⸗ giger, 
ſchofs mit den Grafen von der Marf (1391— 92) vielfachen 
Schaden erlitten, trat manderlei Zerwürfniß mit dem geiſt⸗ 
lihen Oberberrn ein. Die Bürger, bemüht, Ihre rechtlich 
erworbenen Befugniffe möglihft auszudehnen, Hatten im 
Sanuar 1393 den König um Die Erlaubniß gebeten, ihren 
zur Graffchaft Rüdenberg gehörigen Freiſtuhl in die un« 
mittelbare Nähe der Stadt, „auf den Weddepot vor der 
Elverichs⸗ (Ulrichs⸗) Pforte‘, zu verlegen, weil Die derma= 
lige Malftätte der täglichen Befehdung wegen nicht mit 
Sicherheit befucht werden könne; Hauptgrund des Gefuchs aber 
war wohl, das einträglide und einflußreihe Gericht in den 
unmittelbaren Bereich des Weichbildes zu ziehen, Wen 
sel, Schon übel berüchtigt durch Eingriffe in die Verfaffung 
der Veme, nahm keinen Anſtand, ten Soeftern, welche 
die Geldgier des böhmischen Hofs klüglich benußt, das 
Erbetene zu gewähren. Aber Erzbiſchof Friedrich, ala Ober- 
ſtuhl- und Landesherr, ergrimmt über fo dreifte Neuerung 
einer Stadt, die feinen Vorgängern bereitd alle Rega⸗ 
lien entriffen Hatte, Elagte, als Wenzel eben voll Ban- 


204 Bierter Theil. 


5.809. gigfeit über fein Schiefal den Reichſstag nah Frankfurt beru- 
fen, vor demjelben die Stadt wegen des „erſchlichenen“ Brie- 
fe8 an. Der Kurfürſt beflimmte den Furchtſamen leicht, in 
einem Drobfchreiben an Bürgermeifter, Rath und Gemeinde 
die Niederlegung jenes Freiftupls „binnen der Porten“, mit 
Widerruf feines eigenen Brief zu gebieten, und „nach Rath 
der Kurfürften, Fürſten, Grafen und Freiherren ſchlechte 
Bürgersperfonen” ald unfähig des Freigrafenamts zu 
erflären (Ianuar 1398). Aber die Soeſter kümmerten fih 
fo wenig um dieſen Befel des veräcdhtlihen Reichsober⸗ 
hauptes, als fle fih durch ein noch vermefleneres Wort 
beffelben vom gleichen Tage ſchrecken ließen. Der Erzbifchof, 
ermuthigt durch die gebieterifche Haltung oberdeutfcher Stan- 
beögenofjen den Städten gegenüber, und fiher, vom ein- 
gefhüchterten Könige alle Pergamente zu erwirfen, hatte 
gleichzeitig da3 gefammte gefchichtliche Verhältniß der unab- 
hängigen Stadt in Trage geftellt, und wähnte durch einen 
Federzug die Ihatfahen von nahe zwei Jahrhunderten zu 
vernichten. Auf feine Anklage über die „angemaßte Lan- 
beshoheit” der Soefter, gebot ihnen mit hochfahrenden 
Worten der König: „von Stund an allen hohen Gerichten 
und Herrlichteiten, deren fle ſich unterfangen”, wie „auf 
dem Rathhaus und im Gau zu richten, zu urtheilen, Stod 
und Gefängniffe zu machen, Ziefe und Uingeld zu erheben, 
Mein zu zapfen, Buße und Befferung zu fordern‘, kurz allen 
während ihres mühenollen Entwickelungsganges erworbenen 
und tbeuer erfauften Befugnifien bei einer Pön von 
10000 M. ©. zu entfagen, und gehorfam ihre gemein- 
heitliche Errungenſchaft dem Priefterfürften zu Füßen zu 
legen! So machtlos auch folder Spruch, hatte er dog 
die bedenkliche Solge, daß bie Stadt noch im Juni d. 9. 








Künftes Bud. 205 


1398 mit Adolf, Grafen von Kleve und von der Mark, Kap 
eine „ſonderliche Freundſchaft über Unbekümmerung ge ne _ 
genfeitigen Guts, über ficheres Geleit, Befchirmung und Feriras 
Förderniß ſchloß, alfo jenen erfien Ring einer Kette Are 
ſchmiedete, welche kaum fünfzig Iahre fpäter die freie Stabt 

der Engern an die landesfürftliche Botmäßigfeit der Herzoge 

von Kleve fefielte. — 

Erzbiſchof Friedrichs argliftige Schritte fanden aber im Amftur 
aufgelöften Abhängigkeitöverhältniffe Kölns ihren Grund. Rokatie 
Denn 1. 3. 1396 Hatten, zur Rettung in bebrohlicher Zeit, 
Zünfte und Volk zu Köln unentreigbar das Regiment über- 
nommen, und war ber Kirchenfürft jeder Hoffnung be⸗ 
raubt, je der bemofratifhen Stadt wieder mächtig zu 
werden. — Seit der Sühne, welche die Gemeinde t. 9. 
1377 vom Erzbifhofe, dem natürlichen Befchüger der alten 
Schöffenverfaffung, ertrogt, Hatten Die Zünfte, ‚im Weiten 
Rathe“ mit 50 Beifigern vertreten, nicht gerubt, und 
glimmte das Feuer unter der Afche fort. Unter der Be⸗ 
theiligung Kölns an dem großen nieberrheinifdhen Land⸗ 
frieden Hören wir oft von Hinrichtung vornehmer Schöffen, 
dem Anzeichen des nahen Unwetters gegen die noch beſtehende 
Ariftofratie und die wieder erwachſene Richerzechheit. Ein 
heller Moment ift nur die Einweihung der Hochſchule, welche, 
vom Senate Kölns feines ewigen Schutzes verſichert und 
reich auödgeftattet, am 22. December 1388 ihre weltbe⸗ 
rühmte Wirkſamkeit begann. Unfriede der Stadt mit dem 
Erzbiſchofe erleichterte dem Grafen Engelbreht von ber 
Mark feine Kriegserfolge des Jahres 1392; weil aber das 
@inverfländnig der Schöffen mit dem Erzbifchof offenbar 
war, entfeßte die Gemeinde im Auguft 1392 fle ihres 
Amts und der Bürgermeifterwürbe, vertrieb den Edelvoigt, 


908 Bierter Theil. ' 

5.8. Has alte Rathhaus der Geſchlechter wid dem neuen Bür- 
gerhäufe, und der „Transfix“ oder Verbundhrief vom 14. 
September 1396 trat ind Leben, deffen Eluger und ftren 
ger Inhalt verräth, wie hoher Ernft es jenen Männern 
um ihre Freiheit war. Der „Verbundbrief“, fortan all: 
jährlih auf jeder Gaffel verlefen, gründete das Stadtregi- 
ment auf die 22 Zünfte, in welche die Gefammtbürgerfcaft 
fih theilte, und die zurückgebliebenen Altbürger zum Ein- 
tritt zwang. Sechsunddreißig Zunftherren, aus den Gaf 
feln in verſchiedenem Verhältniſſe auf ein Jahr erwählt, doch 
mit halbjährlicher Erneuerung der Hälfte, „damit immer ein 
gefhäftsfundiger Stamm vorhanden”, erforen aus der gan⸗ 
zen Bürgerfchaft noch 13 Nathöherren, die „Gebrechs⸗ 
herren‘ genannt, und wählten vereint dann Die zwei Bür- 
germeifter aus gefammter Gemeinde. Der Rath überkam 
bie Befugniffe, aus fich die zahlreichen Nathsämter, aud 
bie Nichterftellen zu befegen, welde das Stadtgericht, 
im Gegenfat des erzbifchöflihen Hohen Gerichts der 10 | 
Schöffen und ihres Gräven, bildeten. Uber fo vorfictige 
Bufammenftellung der regierenden Behörde that der Eifer 
fuht des Volks noch nicht genug; in feinem Namen be 
auffihtigten Bannerherren den Senat, und wohnten ba 
wichtigem Geſchäft noch zwei Männer aus jeder Zunft der 
Rathsſitzung bei, die „Bier und vierziger‘. Zu ben 
36 Zunftherren gaben die Tuchmacher, wiederum erflarft, 
allein vier; eilf andere Gaffeln je zwei: nemlich Die „zum 
Eifenmarft‘’, die erfte der fünf Gefhledhtergaffeln: 
die „zum Schwarzenhaus“, gemiſcht aus Geſchlechtern un? 
Färbern; „zur Windel”, „zum Ahr”, „zum Himmelreich“, 
alle geſchlechterlich; die kunſtberühmten Goldſchmiede; bie 
Kürſchner; die Eiſenſchmiede; die Brauer; die Gürtler mit 











Fuͤnftes Bud. 209 


mehren verwandten Halbzünften; die Fiſcher. Einen Zunft > 
herrn flellten die Schilderer (Maler) mit den Wappen- 
fidern, Sattlern und Glafern; es gab aber damals unter 

ihnen einen Meifter Wilhelm, „der jeglichen Menſchen malte, 

als Iebte er”; einen ferner Die Steinmegen, mit den Bau⸗ 
handwerfern indgefammt ; die Bäder ; Schlächter; Schröder 
(Schneider); Schuhmacher mit den Niemern; die Kanngie⸗ 

fer mit den Seilern; die Taßbinder mit den Weinſchrö⸗ 

dern und Schenken; die uralte Keinweberzunft, und, als Die 

22. Saffel, die Harniſchmacher oder Plattner. 

Indem Köln die Leitung des Staates feinen Ge- Bene 
fÖlehtern, den Eroberern und, Jahrhunderte lang, Beth im 
wahrern, der Freiheit entriß, weil bie drohende Zeit nicht 
der Bevormundung durd Rathsbürger, fondern dem o«- 
fratifh lebendiger Theilnahme jedes Gemeindegliedes 
bedurfte, begann eine neue, unbeflegliche Ordnung ber Dinge, 
welche solle vi er Jahrhunderte, bis zum Sturz alles Alten 
in den franzöſiſchen Revolutionskriegen (1796) , ſich behaup⸗ 
ft hat. Zwar erwuchs, in natürlichem Verlauf der Dinge, 
aus den Abkdmmlingen der Bürgermeiſter, die mit römiſchen 
Einnbildern ihrer Gewalt ausgeftattet waren, ein bürger- 
liches Patriziat, aber ohne alle politifche Vorrechte. Kölns 
Bürger, mit republifanifcher Strenge jede Untreue des Se⸗ 
nat8 ahndend, befreit von Anfechtung durch die Erzbifchöfe, 
bewahrte bis in die fpätefte Zeit die Unantaſtbarkeit feiner 
Perſon; er konnte nicht ergriffen und ins Gefängniß ge⸗ 
braht werden, fondern ging auf Geheiß des Richters 
frei „zu Thurm““. — Herr Hilger Kleingedank büßte erft 
. 3. 1398 feine welfchen Anfchläge mit dem Kopfe; in 
yemfelben Jahre mußten auch zwei andere Narhäherren, bed 


Erzbiſchofs frühere Beamte, wegen politifcher Umtriebe, den⸗ 
Barthold, Gtädtewefen. IV. 14 


210 Bierter Theil. 


Rap. felben bitteren Gang geben. Docd waren die republifant- 


Trier. 


fhen Machthaber fo ficher vor übermüthiger Poöbelherr⸗ 
fhaft, daß ein Schmied, welcher auf dem Bürgerhaufe des 
Bürgermeifterd Urtheil „geſcholten“, fonder Schöffen 
urtheil auf den Heumarkt geführt und enthauptet wurke. 
As nun König Wenzel i. 3. 1397 gezwungen Kölns Frei⸗ 
heit und Privilegien beflätigt, war es fein Wunder, bap 
Triedrih von Saarwenden an dem Vororte feines well: 
fälifhen Sprengeld wieder zu erobern gedachte, was er in 
der ersfliftlihen Hauptfladtt am Rhein für immer einge 
büßt. — Um den Umſchwung der Berhältniffe nady drei- 
hundert zwei und zwanzig Jahren zu ermeſſen, gedenke ber 
Zejer, wie der 5. Anno i. J. 1074 nah Hofrecht auf 
über Eigenthum der Altbürger ſchaltete, und feines Strafge- 
richte; gedenfe, wie Konrad von Hochſtaden i. 3. 1260 
die Stadt freier Bürger zu eigenen Leuten erniedrigte. Die 


Geſchlechter Hatten den Kirhenfürften überwältigt; | 


die Kraft der Gemeinde brad das Joch der Bürger 
ritter! 

Auch Trier, die dritte der kur⸗ und erzbifchöflicen 
Haupiftädte, Hatte im Laufe des XIV. Jahrhunderts, wenn 
auch nicht eine fo entjchiedene Demokratie, wie Magdeburg, 
Mainz und Köln ausgebildet, doch endlich der drüdenden 
Herrichaft feines Bürften ſich erledigt. Schon Balduin von 
Lügelburg fah am Abende feines Lebens bedenkliche Be: 
wegungen, und beendigte feinen Streit mit dem Schöffen 
meifter, den Schöffen und den Zunftälteften nur durd 
einen fehhsjährigen Stillftand (1353), Sein Nachfol⸗ 
ger, Boemund von Saarbrüd (1354), erbte die Zwie⸗ 


trat, und war ihre nicht gewachſen, felbft als er den ges | 


fürdteten Kuno von Falkenſtein als Coadjutor angenom- 








Bünftes Bud. 211 


men (1362). Auch zu Trier ſtürzte ſchlechte Staatswirth⸗6. Kar. 





(Haft die altbürgerlichen Behörden, und behauptete dann 
das zünftig vertretene Volk die Freiheit. Einmal zum Durch⸗ 
bruch gelangt, fland die Gemeinde nicht fill. Herr Kuno 
von Falkenſtein ergriff erft die Waffen, ald die Bürger 
aud die Herrichaft der Mofel anſprachen, dad Stapelrecht 
etzwingen wollten, das Erbrecht der Geiftlichkeit jchmälerten, 
die kirchlichen Privilegien wegen ber GSteuerfreiheit des 
Weinverkaufs antafteten, und dem Gerichtsvoigt des Erz= 
biſchofs den Beiſitz als Schöffen verweigerten (1364). Der 
friegerifche Herr ſuchte die Stadt durch Abſperrung aller 
Üege, und Niederwerfung des Kaufmanns zu beugen; als 
jolhes Mittel Noth und Hunger hervorgerufen, kam man 
überein: Kaifer Karl folle den Streit ald Richter ſchlich⸗ 
ten, Weil jedoch Karla Spruh als parteiiſch gefürchtet 
wurde, ſchloß vorher die Stadt gegen eine bedeutende Summe 
mit Herzog Johann von Kothringen ein Schugbündniß, und 
blickte dann ruhiger dem Gange des Rechtshandels am kai⸗ 
ferlichen Hofe zu, der den erwarteten Ausgang nahm. Denn 
Karl verwarf die Urkunden Kaifer Otto IV., und Konrad IV. 
ald unkräftig, weil fie von kirchenfeindlichen römi- 
ihen Königen flammten, und erfannte urkundlich mit höch⸗ 
Rer jhiedsrichterlicher Vollmacht alles befirittene, durch 
das Herfommen vielfach entkräftete, Recht dem Erzbifchofe zu, 
ungefähr in der Anſchauung der Dinge, welche fi} vor 130 
Jahren in Ravenna auögebildet. Aber ſelbſt der Eriegeri- 
ide Kuno von Falkenſtein war klug genug, bie Unaus- 
führbarkeit dieſes Todesſpruchs über die Gemeinfreiheit zu 
ermeſſen. Er mußte außerdem den neuen Schirmherrn. der 
Statt, den Lothringer, fürdten, und bejchränfte daher das 
kaiſerliche Urtheil in den weſentlichſten Artikeln, wies ſogar 
14* 


212 Bierter Theil. 


5.Rap. den Klerus in weltlichen Dingen, in Betreff der Ste, 
an das bürgerliche Gericht (1365). Nur bie Eleineren Ge⸗ 
meinwefen des Erzbiſchofs empfanden des Herrſchers ſtrengen 
Willen. Als i. 3. 1377 des Erzbiſchofs Voigt vor Sur 
Burg die perſönliche Freiheit einer vornehmen Rathömamd- 
frau von Trier angetaftet, und Kuno die Freilaſſung der 
Gefangenen verſchob, warfen die ergrimmten Bürger den 
Marſchalk in Haft, riefen ihre ritterlichen Söldner in 
die Mauer, verbrannten ihre eigenen Borftädte, ſpen⸗ 
ten die Mofel, wiefen die Geiſtlichkeit aus der Stadt, und 
zwangen durch offenen Widerſtand den herriſchen Gebieten, 
unter Bermittlung ded Lothringers und des Bifchofs von 
Mey, eine fhmähliche Sühne einzugehen. Frei blieben di 
Trierer som Zoll zu Pfaͤlzel; der erzbifchöfliche Richter durfr 
feinen Bürger ohne Unterfuhung und Spruch der Shifen 
verhaften; ber Vorfiger des geifllichen Gerichts endlich büft 
felbft in Flechlichen Dingen feine Befugniß ein. Voll Schu 
fügte ih Kuno, in fremden Händeln ald Richter font 
undeugfam, der Nothwendigkeit, und Hat fortan in Tri 
nie wieder Hof gehalten. Werner von Falkenflein, Kun 
Großneffe und Nachfolger (1388), in Koblenz reſidirend 
konnte wur mühſam die Eleineren Städte, wie Ober Well 
in Abhängigkeit zwängen; dennoch Hat Trier, mächtig durd 
feinen: verBürgerrechteten Adel, erft i. I. 1442 die Birk 
des Schöffeiimeifters, der höchſten Obrigkeit, mit zwei jaͤhr 
lid erwäßlten Bürgermeiftern vertauſcht. — 

Bremen. Nur in Bremen fchleppien die Dinge uneniſchleden I 
ins XV. Jahrhundert, unberührt durch Die Schwingungen M 
Belt. Der Stadt Gebiet wuchs inzwiſchen an Markung md 
Burgen in Folge unglücklicher Sehen ihres präffenden Enke 
ſchofs, des Welfen Albrecht; unterwarf die Gäuptlinge de 




















Fünftes Bud. 213 
Briefen, bänbigte die Raubſucht des Adels. Im ächten Beifte des 5.8. 





Mittelalters ließ fih i. I. 1391 der Rath durch päpftliche 
Bulle von dem herkömmlichen Eide Inöfprechen, beim Tode 
eined der drei Bürgermeifter ober der 33 Nathmänner, von 
denen ein Bürgermeifter und eilf Natbmänner den figen- 
den Rath bildeten, die Lüde nur aus dem Ouartier des 
Gefloshenen zu ergänzen. Die Bulle Bonifaz IX. bereh- 
Hgte zur Wahl aus gefammter Bürgerfchaft. Dex geld- 
bedürftige Ablaßkraͤmer, Erzbifhof Albrecht, machte durch 
den Tod i. 3. 1396 feinem Bruder Otto II. auf dem Erz⸗ 
Ruble Raum, einem friebfamen Fürſten, der die Stifts⸗ 
Räbte, das Domkapitel und die Ritterfchaft i. J. 1397 in 
inem bewaffneten Sriedenögerichte vereinigte. Uber felbft 
inter dem Kampfe mit den „Vitalienbrüdern“ Eonnte das 
batrizierthum zu Bremen ſich erkühnen, die erweiterte Wahl« 
ügänglichfeit zu befchränten, indem „Bürgermeifter, Rath⸗ 
naͤnner“ mit der gefügigen „Wittheit“ befchloffen (1398), 
ie drei „Rathsſchickungen“ von 36 Perfonen auf 24 zu 
ermindern, auf A Bürgermeifter und 20 Rathsherren, von 
velhen der vierte Theil alle Halbe Jahre den figenden Math 
ilden ſolle. Die Erhöhung des Rathscenſus von 32 auf 
00 M. Beflg, jo wie die Art der Ergänzungswahlen 
urch aus dem Rathe gelofte Wahlmänner, die „Dienſte“, 
ywelhe der Neugewählte den Nathögliedern und der Witt« 
eit zu leiten hatte, fihienen zwar Altes mit Neyem zu 
iodificiren; verhinderten aber nicht, dag Bremen tief in 
en Strudel der Huffitiichen Bewegung hineingerieth. — 
in noch prangendes Zeugniß jener unbeliebten Berfaflung 
t das neue Rathhaus mit feinem würdig verzierten Saale, 
11405 erbaut; ber berühmte Weinkeller, in welchem der Rath 
18 früh erlangte Monopol mit Mheinwein betrieb, ſtammt 


214 Bierter Theil. 


5.Ray. mit feinen „Prielken“ (Lauben) und vielbefungenen Std: 
fäffern aus fpäterer Zeit. Doch erhob ſich ſchon damals 
der riefige Roland vor tem Rathhauſe, dad Angefliht tro- 
hend der Dontirche zugewandt. — 

zu. Die Geſchichte ter hanſiſchen Seeftädte iſt vom großen 
Siege i. 3. 1370 fortan die Gefchichte der nordiſchen Ki: 
nigreiche, deren Schickſale wir als Vordergrund andeuten, 
und gemeinſame oder partielle Erlebniſſe der einzelnen Ge⸗ 
meinwefen einichalten. Mit Waldemar IV. war i. J. 1375 
die männliche Erbfolge der Eftriden erlofihen, und feine Todter 
Margaretha, die Gemahlin Hakons von Norwegen und Rut- 
ter Olavs, Vormünderin beffelben im gedemüthigten Reihe. 
Die wendiſchen Seeftädte, im Pfandbeflg der Schlöfſer auf 
Schonen, eilten nidt, den Thronſtreit zwifchen Olav uut 
dem jungen Herzoge Albredt von Mecklenburg, dem Enkel 
Waldemars von deffen älterer Tochter, zu enticheiden, und 
erkannten, als Olav, Erbe Norwegens, zum Könige Di- 
nemarf3 erforen war, dieſen auf dem Hanfetage zu Stral- 
fund (Juni 1376), gegen Beftätigung aller ihrer Breiheiten, 

zum an. Erſt der Tod Hakons von Norwegen (1380) fehüttelte 

— die Mecklenburger, zumal den Vater des jungen Kronbe⸗ 
werbers, Albrecht, zur That auf, brachte aber eine Spal⸗ 
tung in den engeren Bund, indem Noftod und Wismar, : 
ale Helfer ihres Landesheren, durch Freibeuter die Gr 
wäfler beunruhigten. So flug Margaretha die Angelegens 
heiten ihres Sohnes Dlav, jet auch Königs von Nor: 
wegen, leitete, Eonnte fie die Hanfeftädte doch nicht gegen 
unfäglicden Seeraub ſchützen, welcher unter der Uneinigfeit 
der ſlaviſchen Herzoge, und der Unbefünmernig Gigie- 
munds, ded Erben Karls IV. in der märkiſchen Kurmwürte, 
mit dem frechften Landfriedensbruche des Adels Hand in 











Fünftes Bud. 215 


Sand ging. Lübecks Staatskraft war in Folge gleichzeiti⸗. Kap. 
ger innerer Unruhen fo gelähmt, daß die Hanſeſtädte, im 
Vorort (Juni 1382) vereint, mit den Seeräubern einen Ver⸗ 
rag auf Kündigung ſchloſſen, und ihr Vogt auf den 
chonenſchen Sclöffern, der Stralfunder Rathsherr Wulf 
Bulflam, fih mühſam behauptete, weshalb denn die 
Städte nur gegen Entfchäbigung ihrer Verluſte bei ber 
laufenden Brift (1385) ihre Pfand, jene Schlöffer, zurüd- 
Ratten wollten. Die Städte Preußens allein berechneten 
hren Schaden auf 131,125 M. ©. In Sorgen, jene 
hönften Theile ded daͤniſchen Reichs wieder zufammenzus 
ningen, befuchte Margaretha perfönlich mit vielen Reichs⸗ 
äthen den großen Hanfetag zu Stralfund (April 1384) 
md betrieb, Abhülfe des Seeraubs und Entfchädigung ver- 
prehend, die Abldfung des Pfandes. Aber auch zu Fal⸗ 
terbode fchied man im Herbſte deſſelben Jahres unzufrieden, 
181.3. 1385 König Olav durch Herrn Wulf Wulflam, den 
johbetrauten Orlogshauptmann gegen die Freibeuter, im Na⸗ San. 
nen der 35 verbündeten Städte, fein Erbe wieder empfing, Sälöffer 
‚ine daß den Befchädigten thatfächliche Vergütung geworden. — 
So ſchlaffe Haltung des Bundes, der wieder ver⸗ Seite 
'inigten Macht des Nordens gegenüber, erklären Geimifejerunen I 
inheilvolle Zuftände, da eben das lang unterbrückte Feuer us 
dem Iodernden Süden des Reichs an die Oſtſeeküſte über- 
ſchlug. Den Anfang machte zu Lübe i. I. 1380 bie 
Rnochenhauerzunft, im Bunde mit anderen Gewerfen, und 
begehrte drohend unherkömmliche Freiheit. Aber da erhoben 
ih die Kaufleute und vermittelten einen Vergleich in ber 
St. Katharinenkirche, Eraft deſſen die Empörer zwar formell 
ihre gewerblichen Anſprüche aufgaben, Die Gegenwart zweier 
Rathöherren bei allen - wichtigen Morgenfprachen billigten, 


216 Bierter Theil. 


Kar. für den Dienft der Stadt zur Kriegszeit ober bei ſorglichen 
Porfällen 20 Pferde bereit zu halten gelobten, aber that- 
ſäͤchlich Recht behielten. Als der Math ſich weigerte, Briefe 
und Verichreibung über den Vergleih audzuftellen, votteten 
die Zünftler fich zwei Tage darauf heimlich zufammen, fans 
den jedoch in der zum Ueberfall der Rathsjunker beftimm- 
ten Decembernadht die Kaufmannfchaft mit ihren Knechten, 
5000 :Bewehrte flark, und 400 Patrizier zur Hülfe des 
Raths gerüftet. So nachdrückliche Gegenanftalt entmuthigte 
die Zünftler; der Math, mehre der Unruhigften verbaftend, 
ließ ein Friedensgebot audrufen, und lud zur Vollftredung 
bes jüngften Vergleih8 Die aufgeregte Menge vor den Dom, 
wp, unter Bürgiehaft von 24 Zunftgenoffen und 24 Kauf 
herren, nach Abbitte der Schuldigen, die Eintracht auf 
furze Zeit wieder hergeftellt wurde. Darauf erfolgte im 
Auguft 1381 der firenge Akt hanſtſcher Bundespolizei gegen 
die Braunfchweiger, fchrecite aber die verwegenen Anfüh- 
rer der Zünfte, einen Paternoſtermacher (Bernfteindreber), 
‚einen Kürihner von Soeft, zwei Bäder und zwei Knochen⸗ 
baner niit ab, ſich grimmiger gegen bie Rathsherrſchaft 
zu verſchwören, und ihre heimliche Eidgenoſſenſchaft durch 
viele angeſehene Standesgenoſſen zu ſtärken. Nach ihrer 
Berabredung ſollte am 17. September 1384, während ber 
Nash feine Morgenfigung Hielt, dad in Brand geftedte Haus 
des Soeſters die Aufmerkſamkeit der Stadt theilen, ſodann 
ein Haufe holſteiniſcher Edelleute der Thore fich bemächtigen, 
unter ſolcher Verwirrung Bierzig der Entihloffenften den 
geiammten Math ermorden, endlich die Käufer der Junker 
geplündert werben und ‚ein zünftiges Regiment anheben. 
Aber einer der Holfteinifchen Mitter warb Abends vorher 
ber. Dersäther, ſei es aus Gewiſſensangſt oder aus abeliger 








Fünftes Bud. 217 


Abneigung gegen die Demokratie. Auf feinem Gaule uner- IR. 
fannt vor dem Haufe des Bürgermeifters haltend, begehrte 
er einen Trunk, und offenbarte, in Gegenwart des Sohnes 
jenes Haupts der Ariftofratie, nicht „einem lebendigen 
Menfhen’, fondern der geleerten Schaale das be⸗ 
idworene Geheimniß! So konnte denn, vom Unter⸗ 
gange bedroht, der Rath mit den Kaufleuten und Patris 
jiern die zweckmäßigſten Öegenanftalten treffen. In der Nacht 
durchſtreiften Schaarwachten die ftille Stadt, bemächtigten 
fih der Häupter der Demokratie, warfen fie „ohne Hülfe 
der Reiter’ in den Dieböfeller, und erzwangen Durch bie 
dolter das Geſtaͤndniß des vielverzweigten Anſchlags. Nur 
der Baternoftermadher hatte römiſche Geifteöftärke, fich zwar 
Iduldig zu befennen, aber lieber ſich ſelbſt zu erwürgen, 
als DBerräther der Mitverfhworenen zu werben. Einige 
entflohen glüdlih; der Plan der Mache, vierzehn Jahre, 
wie e8 heißt, vorbereitet, ward vereitelt, und mit fo ent« 
jeglicher Blutgier verfolgte die Bürgerariflofratie das Ders 
drehen der Demokraten, daß der Rath, endblid müde ber 
Sinrihtungen und der G@ütereinziehung, allen Schuldbes 
wußten erlaubte, freiwillig die Stadt zu meiden. Jede 
Zunft mußte befonders dem Mathe den Eid der Treue 
und des Gehorſams erneuen; fie krümmten ſich unter dem 
Joche, bis 20 Jahre fpäter der Kirchliche Sturm das Feuer 
zur allgemeinen Brunft anblies. Lange blieb das Bild 
bes Mitters mit der Schaale am ‚Haufe des Bürgermeifters 
ein mahnendes Wahrzeichen. — 

Ehe Stralfund, jegt unbeftritten die zweite unter den trat 
wendiſchen Seeftäbten, die Zuckungen der Zeit veripürte, brach —2 
in Anklam, einem vor anderen ſtreitbaren Gemeinweſen, die 
Unzufriedenheit der niederen Bevölkerung blutig aus. Geheime 





218 Vierter Theil. 


5. Rab. Umtriebe der Fleiſcher und Bäder hetzten, um einneues Regi- 
ment zu erlangen, i. 3. 1387 die Fifherzunft zur Widerſetz⸗ 
Jichfeit gegen des Nath8 Marftordnung , verbreiteten das 
nicht unwahrfcheinliche Gerücht, die bange Ariftofratie wolle 
dem Landesherrn die ftädtifche Wreihelt verratben, und ent- 
flammten fo mörderifhe Wuth, daß am 25. März 1387 
das Volk den Rathsſtuhl flürmte und den fihenden Rath 
erfchlug. Aber bald fand fich Herzog Bogislav VI., eine 
rauhe Natur, mit 300 Rittern vor der Stadt ein; Die An- 
ftifter flohen, und Tiefen die Verführten im Stiche, über 
welche der Landesherr ein furchtbares Strafgericht hielt, 
des Wortes fich vermeffend — wenn es nicht Erdichtung 
einer fpäteren, zu anderen Borftelungen gefchulten, Zeit 
ft —: „Die Stadt möge lieber ein Frofhpful werben, 
als dag dergleichen aufrührerifche Böjewichter darin wohnen 
follten.” Die Fröfhe möchten dem armen Herrn Die er- 
hebliche Orbare Anklamd nicht erfeßt haben. — Die dem 
Tode Entfommenen endeten, überall in hanſtſchen Städten 
geleitlos, in Armuth und Elend. — Dunfle Ereigniffe, 
doch politifcher Art, riefen gleich darauf in Stralfund bie 
Bewegung hervor, ald die nordifchen Verhältnijfe eine neue 
Wendung erfahren. König Albrecht von Schweden und 
Albrecht von Mecklenburg, der Nebenbuhler Olavs, Hatten 
umfonft bei der Hanfa Bündniß gegen Margaretha gefucht. 
Zwar waren t. I. 1386 durch das Aufgebot der Landes⸗ 
herren und Städte 20 Raubnefter zerflört, und, nach einem 
Hanfetage zu Kühe, im September 1386 zu Warbingborg 
viele daͤniſche adelige Seeräuber in einen fürmlidhen Sühn⸗ 
vertrag aufgenommen worden; aber Olavs Tod (3. Auguft 

a, 1387) erneuerte den bänifchen Thronftreit, und zermarf 
alle gebeihlichen Verhälmiffe, unter widerwärtig geftörtem 


Fünftes Bud. 219 


Handel ſowohl mit Nomgorod als mit Flandern. Albrecht 
von Medienburg, durch die norwegifchen Stände vom Erb⸗ 
rechte ausgefchloffen, mußte feiner Schwefter Sohn, dem 
jungen Erich von Pommern, in der Herrfchaft des Nordens 
weihen; König Albrecht von Schweden fiel fechtend für das 
Recht feines Neffen, aber durch die Neichsräthe verkauft, 
In der Schlacht bei Arelwald am 24. Februar 1389 in 
die Hand feiner verhöhnten Gegnerin, Margarethas. Nur 
noch die trotzige deut ſche Gemeinde, welche wir, wie in 
Prag und Krakau, fo in Stockholm finden, verſperrte 
der „nordiſchen Semiramis“ die Thore. Bei fo drang 
voller Bewegung der nordifchen Welt geriethen die Saupt- 
orte der Hanfa in Zwift ‘gegeneinander, und erwachte unter 
beifälligem Borwande das kaum unterbrüdte alte Handwerk 
der Freibeuterei. Um den gefangenen Bürften, den Wahl« 
Einig der Schweden, mit feinem Sohne aus Margarethad 
Kerker zu befreien, hatten fih i. 3. 1391 die Bürften von 
Necklenburg mit ihren Biſchöfen und DBafallen verbunden; 
die Heiden Städte Noftod und Wismar Dagegen erfannen 
das gefährlichfte Mittel, das belagerte Stodholm zu ent 
ſetzn. Beider Rathmannen Iuden alle Abenteurer, welche 
auf eigene Koften und Gefahr gegen Dänemark und Nor- 
wegen freibeuten, zugleich aber das hungernde Stock⸗ 
holm mit Zufuhr nerfehen wollten, ein, fih in ihren Häfen 
um Empfange von „Stehlbriefen“ einzuftellen; „hier foll- 
ten fie dann ihren Raub bergen und verkaufen dürfen.” 
Auf fo lockenden Auf ftrömte eine Menge raublufligen 
Geſindels in jene Häfen, und begann ihr Gefihäft ala 
„Vitalienbrüder“, weil als Zweck ihrer Fahrt die 


Verforgung Stockholms galt. Sie nifteten, bis aus Frieo⸗di 


land Her zuſammengefloſſen, in verſteckten Buchten der bal- 


5. Kap. 





Die 
italien⸗ 
brüder. 


220 Bierter Theil. 


>Kap. tischen Küfte fi ein, und wurden, als feſt verbrüberte 
Gejellihaft der „Gleichtheiler“, die furchtbarſte Beipel 
der Handelsftädte vom Einflug der Weſer und Elbe bis 
nach Livland hinauf. Aber die Städte waren nicht ge 
ſonnen, foldem Unweſen müſſig zuzuſchauen. Noſtock und 
Wismar fielen in Verhanſung, als ſie willkürlich den Schwe⸗ 
ſterſtaͤdten ſogar allen Verkehr mit ihrer Feindin, Marga⸗ 
retha, verboten; zumal aber brauchten die Stralſunder, ſtark 
durch eine neue Verfaſſung, die ſchonungsloſeſten Mittel 
om ni Der Reihthum der herrſchenden Kaufleute, der „„Sunfer”, 
— welche „in kurzen Wämſen bis zu den Lenden, in lang her⸗ 
"and. "abhängenden Aermeln, mit Schnabelſchuhen, in Kirchen und im 
Artushofe flolzirten‘‘, hatte, wie in Lübeck und Hamburg, 
auch hier dem Volke, das die Fehden der Stadt mit feinem 
Blute ausgefochten, Grund zur Klage gegeben. Allen Ge⸗ 
nuß des daͤniſchen Friedens, die ſchonenſchen Pfandgüter, 
hatten die ‚Herren‘; die Auflagen blieben. Da war 
Karften Sarnow, „ein Fremder und nicht von großem Her⸗ 
kommen“, i. 3. 1389 zu Nach erwählt, und i. 3. 1390, 
als fein Mittribun, Hermann Hofang, der Mache des Alt- 
bürgerthums verfallen, gegen bie übermüthige, reiche Fa⸗ 
milie der Wulflam, auf den Bürgermeifterfiußl erhoben. 
As nun Bertram Wulflam, welcher Rechenſchaft über ver 
Stadt Gelder abzulegen ſich gemeigert, aus Furcht vor ber 
Volkswuth mit feinen Söhnen aus der Stadt entwich, und 
bei der Hanſa Klage erhob, gründete Karſten Sarnom, 
noch 1. 3. 1391, eine freiere Verfaſſung. Die Ge 
meinde entfräftete duch den neuen Rath die Anflagen 
Bertram Wulflams vor dem Hanfetage, lehnte Die Für 
Treiben der Schwefterftäbte ab; erwählte Dagegen 12 Alter 
leute, son denen acht ‚neben dem Mathe die Verwaltung 








Fuͤnftes Bud. 221 


haben follten, und ordnete volksthümlichere Willlüren and tw. 
Aber während unter Träftiger Kriegführung gegen die Vi—⸗ 
talienbrüder die nädyften Gewaͤſſer dem friedlichen Verkehr fi 
wieder öffneten, — wie denn einmal eine große Friedens⸗ 
fogge der Stralfunder die gefangenen „Auslieger“, finn« 
reih in Tonnen verpadt, wie Waaren auf einander ge= 
Rapelt, zur Hinrichtung nad) der Stadt führte, — bewirften 
Wulflams Anhänger, zumal deſſen Söhne, in die Helmath 
wieder aufgenommen, erſt unkluges Schwanken der Volks⸗ 
partei, und betrieb dann die verwandte Ariſtokratie in 
Kübel und anderwärts auch die Rückkehr des beleidigten 
Bertram auf den Sitz des aͤlteſten Bürgermeiſters (1393). 
Da mußte denn der tapfere Tribun, Karflen Sarnow, bei 
ber leichtgläubigen Menge verläumbet, als „Verraͤther Stral⸗ 
funds” fein Haupt hergeben, das am 28. Juni 1393 auf 
dem alten Marfte fiel. Gleichzeitig ward die von ihm an⸗ 
gebahnte Verfaſſung umgeftürzt, und die Urkunde im Staht« 
buche durchftrichen. Aber Macheverfuche blieben nicht aus; 
ermutigt durch Bertrams Tod fliftete die Volkspartei i. J. 
1394 eine Verſchwörung gegen den Rath, unter Beihülfe 
reier Rathsherren, und beerdigte die Leiche Sarnows mit 
irchlichen Ehren. Doc gewann der Anhang der Wulf- 
am, zumal Wulf Wulflam, „fürſtlicher Rath‘, von neuem 
a8 Uebergewicht, Heß jene drei abtrünnigen Raths⸗ 
Meder enthaupten (November 1394) und jcheudte 48 
einer hartnädigften Gegner aus der Stadt, So blieb auch 
Stralfund neuen Stürmen vorbehalten. — 

Unter foldien Zerwürfniffen in den hanſtſchen Voror⸗ — 
en, unter der Spaltung mit Roſtock und Wismar, konnte erg 
ver Kampf gegen die Vitalienbrüder nicht erfolgreich ger 
ührt werden, erhob ſich die räuberifche Hitterfchaft, reiften 


222 Bierter Theil. 


5.Kar. Margarethas Pläne Im Jahre 1393 ward die Yahıt 
nah Schonen ganz verboten; im Herbſte deſſelben Jahres, 
auf einer Tagefahrt zu Falſterbode mit Margaretha, die 
Hanſa als Bermittlerin zwiſchen dem gefangenen Schweben- 
könige zwar anerfannt, ihr Spruch jedoch nicht erfüllt. Um 
die dänijche Krone zur Befreiung Albredtd und zur Ent- 
fhatigung zu zwingen, rüfleten bie Städte eine anfehnlide 
Flotte, im Sommer 1394; man unterhandelte von neuem 
in Helfingborg, aber vergeblich, indem der Sendbote aus 
Straljund, der Bürgermeifter Schwerting, von einem Daͤ⸗ 
nen erichlagen wurde. Endlich kam am 7. Juni 1395 der 
Sriede in der Art zu Stande, daß König Albrecht befreit 
wurde, ſieben Seeſtädte die Bürgichaft für 60,000 R. 
©. übernahmen, und dafür Stodholm auf drei Jahre 
befett hielten, Der getäufchte Wahlkönig war frei; abe 
die ſcheinbare Ruhe des Nordens ficherte den Verkehr nicht 
gegen den Seeraub. Albrecht von Mecklenburg konnte bie 
Städte ihrer Bürgichaft nicht entledigen; obenein, als in 
Folge gemeinfaftliher Rüſtung der Hanſa im Herbie 
1395 die Freibeuter fich theilten, alle Küften der Nor 
und Oſtſee heimſuchten, und Klaus Störtebeder nebſt Go⸗ 
befe Michel fi einen furdhtbaren Namen erwarb; warfen 
jelbft Pommerns Fürſten fih auf das einträgliche Hant- 
werf, und nifteten, mit Albrechts Sohn Erich vereint, tie 
Seeräuber in Wisby auf Gothland fih ein. Der Krieg 
fo nahpdrüdlih auch Bremen, Hamburg und die wendiſchen 
Seeftädte ihn betrieben, z0g ſich bis ins XV. Jahrhundert: 
inzwifchen aber ließ Margarethe ihren Schwefterenfel, Erid 
von Pommern, im Juni 1396 auf dem Mora =.Stein ki 
union Upſala ald König von Schweden erheben, gründete i. J. 1397 
Kalmar. die Union von Kalmar, und zog am 29. Septembr 





Bünftes Bud. 223 


1398 triumphirend in Stodholm ein, das bie fieben Städte, 5 Kan 
ald Bürgen des Friedens für Albrecht, verdroffen ihr eröffnet. 

Baflen wir die Zuflände des norddeutſchen Städtes 
bundes zufammen, fo fehen wir ihn am Ende des XIV, 
Jahrhunderts zwar reich, flreitbar und gefürchtet ald Traͤ⸗ 
ger der deutſchen Seemacht; zwar im pergamentenen 
Beig alterworbener und biöher ‘tapfer verfochtener Freihei⸗ 
ten; erkennen aber dennoh: auch hier iſt der Scheis- 
telpunft der Machtentwickelung eingetreten! 
Denn der Staat, in den Händen Ffaufmännifcher Ariftofra- 
tie, ift im Innern frank, weil er fih vor den eigenen 
Bürgern fürchten muß; von ben „Oſterlingen“ trennen fid 
die bisher verichwifterten Gemeinwefen im Weiten, die von 
ber Süderfee und von Seeland, und treten dann, als bur⸗ 
gundifch, entfchieden Handelsfeindlich gegen den Bund auf. 
Das Verhängnißvollfie bleibt: die Furzfichtige ‘Politik des 
fegreichen Altbürgertbums hat die Drei Kronen des 
Nordens, denen die Hanfa, nur wenn fie getrennt 
waren, Geſetze vorfchreiben konnte, auf einen Saupte 
fh vereinigen lafen, und Kampf um Sieg fihlägt erſt in 
Kampf um Selbfterhaltung, dann um kümmerliche Hinfriſtung 
unfruchtbar gewordener Privilegien um. — 

Bon den Binnenhanfeftädten hob fih am merklichftendhr 60- 
Braunſchweig, das feit 1384, in Folge eines Landfrie- nen 
dens miederfächfticher Städte, bei vierfacher Theilung des 
geſammten Bundes, als Duartierftadt für die ſächſtſchen 
Städte Geltung errang. Lübeck blieb Hauptfig des DVer- 
eind., Mittelpunkt für die wendifchen, überwendijchen und 
pommerjhen Städte; Köln für die nieberrheinifchen und 
weifäliihen; Danzig für die preußifhen und livlaͤndi⸗ 
ſchen. Das altgeehrte Wisby blieb öde und entfremdet. — 


224 Bierter Theil. 


5.Rap. Bor anderen Fürften feiner Zeit ragte der Welfe Friedrich 
hervor, zumal feit er bei Goslar den übermüthigen Adel 
gefchlagen (1393), und Schirmherr von Goslar, Erfurt, 
Nordhauſen und Mühlhaufen geworden (1395). Lüne 
burg, in Folge des beendigten Erbftreites nebft Hanno⸗ 
ver wieder an die Welfen gewiefen, fette feinen ungnädigen 
Gebietern, Bernhard und Heinrih, den Brüdern Friedrichs, 
welche zeitig die Lüneburgiſche „Sate“ (1392), al8 unver 
einbar mit ihren fürfllichen Anfprüchen, zu durchlöchern 
firebten, den rechtsbefugten Widerfland entgegen, und fand 
Hülfe bei Hamburg und Kübel (1396), deren Salzzufuhr 
aus der reichten Sülze Norddeutfchlands durch Verſchüt⸗ 
tung der Elmenov verhindert wurde. Klüglich wußten bie 
jungen Welfen die Stände des Landes, denen fie jenen 
Vertrag (die Sate) „mit aufgerichteten Fingern gefchworen“, 
befonders den Adel und die Städte, zu veruneinigen, und gaben 
im Waffenftillfiande v. I. 1397 zwar den Bundesgenofien 
Lüneburgs Genugthuung; verkauften jedoch ihren Bürgern 
den Frieden nur um hohe Summen. — Jenes Randgrund 
geſetz, „die Sate“, Hatte aber den Städten foldyes Lieber: 
gewicht verliehen, daß fie, Lüneburg, Hannover und Uelzen, 
zum entfcheidenden Ausfhuß von 16 Gliedern, acht Ber 
ordneten, Lüneburg allein vier, alfo die Hälfte der ge 
fammten ritterichaftlihen Vertreter, zu ftellen befugt waren. 
re Magdeburg genoß bis zu Anfang des XV. Jahr 
Hundert3 ungeflörten inneren Zriedend, da feine frübe 
zünftifche Berfafjung den Gährungsſtoff befeitigt Hatte, und 
die Iandesherrlichen Verhältniffe zum Erzbiſchof geordnet 
waren. Der Dom, i. $. 1363 nah anderthalbhundert- 
jährigem Baue eingeweiht, fland in feiner Pracht vollendet 
da; Verkehr und Gewerbe blüheten, nur sprübergehend 








Hünftes Bud. 2235 


bedroht durch Kaifer Karls IV. böhmiſche Handelspolitik. 5: Lav- 
Doch brachte Die traurige Zerrüttung der Mark Brandenburg 
unter den jüngeren Lützelburgern neue Gefahr für die öffents 
lihe Sicerheit, ohne daß der Landfriedensbund, welchen 
Gzbiſchof Albrecht IV. von Querfurt, (1383—1403) nad 
Ürt des großen weftfälifchen mit den fächfljchen Fürſten und 
den Nachbarſtaͤdten ſchloß (1385), die bezweckte Abhülfe 
gewährte. Ein Beweis ber firengen „Vemgewalt“ an ber 
Mittelelbe war, daß ſelbſt ein Graf, Dietrich, von Werni⸗ 
gerode, wegen frecher „Vemwrogen“ zu Magbeburg 1. J. 
1387 auf der Richtſtätte niedergeftochen, feine Leiche an einen 
Baum geknüpft wurbe, Die Bürger Tämpften wacker gegen ben 
maͤrliſchen Raubadel, ergingen fich aber auch in ihrer gewohn« 
ten ritterlichen Luſtbarkeit, wie fle denn 1. 3. 1387 ‚auf dem 
Marſche“, dem jegigen Krafauer Unger, in Geſellſchaft der 
Braunfchweiger und anderer Geladenen ein großes Schügenfek 
feierten, defien Preis wiederum, wie i. J. 1279, eine zwei 
beutige Jungfrau war. Wir. erwähnen noch des Aufftands ber 
geringeren Gewerke gegen. die drei großen i. 3. 1402, weil 
berfelbe nicht mit der kirchlichen Bewegung zur Huſſitenzeit 
zuſammenhing, fondern aus Mißtrauen und Eiferfucht gegen 
bie reicheren Innungen, der Kramer, Gewand⸗ und Lein- 
wandfchneider, entfland, welche, auf dem Wege ein Patri- 
zierthum zu bilden, obenein des Antheild an der Verſchlech⸗ 
terung ber Münze befchulbigt wurden. Der Erfolg fiel gegen 
die Empörer aus, und befefligte die Macht des Raths und 
ber oberen Bünfte — 

Mit dem Tode Karl IV, war. die kurze Glücksperiode Dart 
der maͤrkiſchen Stäbte, die überhaupt ihren Gipfelpunktvenerg 
unter den lebten Anhaltern erfliegen Hatten, auf 30 jam⸗ Be 


meroolle Sabre dahin. Bei der Vertheilung feiner Länder baren. 
Barthold, Städtewefen. IV. 15 


2926 Vierter Theil. 


5. Kap. Hatte der Neubegründer der boͤhmiſchen Großmacht Branden⸗ 
burg und die Laufig von ber Krone, der mur Schleflen 
mittelbar oder unmittelbar blieb, getrennt, und erſteres ohne 
die Gebiete jenfeit3 der Oder feinem zweiten Sohne Sigis- 
mund, die Lauſttz mir Görlig, ohne die übrigen Sechs⸗ 
ftädte, welche bei Böhmen verharrten, feinem jüngften, Io- 
hanıt, überwiefen. Kurfürft Sigismund, im Berfolg ber 
ungariſchen Krone unbekümmert um fein Batererbe, nur 
beforgt, Die nöthigen Summen für feine leihtfinnige PRo⸗ 
litik zu ziehen, erlaubte [don im Sommer 1379 den Stäbten 
der Uckermark, namentlih Prenzlau, das Recht der Selbſt⸗ 
hülfe gegen Räuber in bedenklicher Verbindung mit Stral⸗ 
fund ımd Stettin, deren Landesherren ihre Ansprüche an 
die Dark nicht vergeffen Hatten. Die vereinigten Städte, 
Berlin und Köln, in ewiger Fehde mit gewaltihätigen 
Nachbarn, bedroht durch Brandfkiftung, als deren verdächtig 
fle i. 3. 1376 einen-Priefter arg gemißhanbelt Hatten, 
und darüber bis zum 3. 1391 im Bann verharrten, obgleid 
der arme Pfaffe ſchon i. I. 1385 mit Rath und Gemein- 
heit ausgefühnt war, ſchwächten fid obenein durch inneren 
Hader, welchen mehrmals Tifo von Brügge, Inhaber des 
Schultheißenamts feit 1345, im gemeinſchaftlichen Rath⸗ 
haufe an der ‚neuen Brüde’ verdlih. Zur Bollendung des 

Migßgeſchicks zerflörten Feuerobrünfte, i. I. 1381 und am 10. 
Auguſt 1383, den größten Theil Berlins, felbft die Marien⸗ 
kirche. Nur die St. Nicolaikirche blieb ftehen, fo wie das 
weitläuftige Branzisfanerflofter, welches daa Andenken an dad 
letztere Schreckensjahr in einer Infchrift noch Heut bewahrt. 
Da auch Köln viel durch die Brunft gelitten, erließ Kurs 
fürft Sigismund beiden zeitweife bie jährlich zu Martini 
fällige Urbare . von 500 M. Dennoch‘ erhoben ſich die 








Fünftes Bud. ZT. 


Städte, durch den „alten und neuen Rath” von ie 125.0. 
Gliedern regiert, durch Gemeindegeſchworene vertreten, und 
von Sigismund ſelbſt 1. I. 1382 zu gemeinfchaftlicher Ver⸗ 
waltang gemahnt, bald wieder an bie Spige des märki⸗ 
ſchen Bürgerthums. Als Derwandte der Hanja finden wir 
fe, vom König Albrecht eingeladen, auf Tagefahrten, um 
ihn mit den Bürgen feiner Freiheit zu einigen. Durch 
den fernen Kurfürften ermächtigt, alle Friedbrecher zu ſtra⸗ 
fen (1384), halfen Die Bürger der Borberfkadt im großen 
Landfrie densbunde mit Magdeburg, jener „ſächſiſchen Veme“, 
wacker dem Statthalter Lippold von Bredow; auch über⸗ 
nahm wohl Neu⸗EStadt Brandenburg die Sühne mit ein⸗ 
zelnen Befehdern. Die große allgemeine Bewegung der 
Zünfte in den hanſtſchen Städten zwiſchen 1390 — 1396 
ſcheint in Berlin und Köln bie „Bier Gewerke‘ empor Berlin. 
gebracht zu haben, welche wir dem Mathe einflupreich zus 
Seite finden. Ja Berlin und Küln waren ſchon i. I, 
1387 bemittelt genug, um Stadt und Schloß Köpenick mit 
allen Gefaͤllen son den Gebrüdern von Bieberftein unter 
fandlih an Fi zu Bringen, und 1. 3. 1391 dad Gtadt- 
yericht (Schultheißenamt) nebft allen Zieſen, auch den Ab⸗ 
jaben gewiſſer Zünfte, vom alten Tilo von Brügge zu 
rfaufen. Aber das 3. 1388 verſchlimmerte ben ſchon fo 
rrütteten Zuſtand der Mark, indem Sigismund, mit der 
Srbin von Ungarn vermählt, die Marken erit an Iohann 
on Görlig, diefer an feine Vettern, die Markgrafen Procop 
nd Sobft von Mähren, verſetzte, und letzterer, nur auf 
Belderpreffung bedacht, ohne in der heilloſeſten Zeit 
‚gend das Wohl feiner Unterthanen zu. beherzigen, i. J. 
394 das entwürdigte Markgrafenthum bis 1398 unter 
fandlih .an Wilhelm von Meißen überließ. Da erlöofch 
15* 


398 Bierter Theil. 


5.Rap. zwifchen Mittelelbe und Oder vollends Lützelburgs Gtäd, 
die Gabe Meluſtnens, der Bel, an des Haufe Ahnherrn. 
Unbefhüßt durch den alten Landeshauptmann Lippold muß⸗ 
ten die Städte, verfloßen von ihrem gewifjenlofen Gebie⸗ 
ter, ihre fländifhe Befugniß ſchärfer ausprägen und ſich 
felbit Helfen. Im Kampfe mit dem Abel, aus deſſen Schoß 
bald die Duigow8 ihre unbeneidete Berühmtheit erran- 
gen, mit Pommern, mit Medienburg und Magdeburg, 
einigten ſich wiederholt in den Jahren 1393, 1394 und 
1399 die märkifchen Städte, Berlin- Köln und beide Bran- 
denburg voran, Spandau, Bernau, Branffurt u. a. m. 
jeden Räuber in ihrem @eblete ald gemeinfamen Feind zu 
verfolgen, und fih mit den Waffen gegen geiftliche und 
weltliche Widerfacher zu ſchirmen. Geleitlos war überall 
jeder Friedensbrecher, und ſelbſt Markgraf Jobſt mußte aus- 
drücklich geflatten, daß die Bürger nad ihrem Rechte anch 
über feine ergriffenen Mannen richteten. — So fehen wir 
an der Neige des XIV. Jahrhunderts, unter Drangfal und 
öffentlicher Rechtloſigkeit, das maͤrkiſche Bürgertfum, na 
mentlih Berlin- Köln, bei gemäßigter Demofratie, jent 
trogige, ſtarke Selbfiftändigkeit entwickeln, welche die Ho⸗ 
henzollern, ſeit d. J. 1411 Pfandinhaber der Mark, erſt 
um bie Mitte des Jahrhunderts zu brechen vermochten, nach⸗ 
dem fie vorher den Naden des Adels gebeugt hatten. — 
Der Drud gebar Eräftigen Naturen die Freiheit, bera 
Werth, als einen ewigen, das Geflecht der Enkel, er 
ſchlafft bei leidlicherem Zuſtande, vergeſſen lernte. — 

@örlig. Görlitz, die Hauptſtadt des neuen Fürſtenthums unter 
Herzog Johann (1276 — 1396), trug, ſeit 1369 mit einem 
Schlofſſe, deſſen Reſt der Frauenthurm, geſchmückt, bie 
Folgen fo unerwünſchten Glanzes, indem es, voll büͤrger⸗ 


> 


Fünftes Bud. 229 


lien Zwiefyaltes, hohen Steuern unterlag, aber feine Am 
Stellung als Haupt der Schöflädte nicht einbüßte. Seiner 
Sudenfchulden wurde das Gemeinwefen glücklich erledigt, und 
wandte auch durch baare Opfer die mehrmals gebrohete Ver⸗ 
ofändung ab. Der frühe Tod feines oft zu Hart beurtheil« 
ten Landesherrn (1396), den wahrfcheinlich feine mährifchen 
Beitern sergiften ließen, bradte das Fürſtenthum in der 
mjeligften Zeit wieder an Böhmen. — Gleicher Unfegen 
tand Schleflen bevor, defien Hauptfladt Breslau, durch denBresim. 
launenhaften böhmiſchen Despoten feit 1381 in einen bi« 
en Pfaffenkrieg verflochten, wenigſtens als wichtiger Ver⸗ 
ehröort Vortheil des Bandes mit Böhmen dDavontrug, 
ndem es fid; mit Prag. gegen die Wiener fchügte, weiche. bie 
Raufmannsfchaft nad Venedig zu hemmen wagten. Unnuhiger 
Zeiſt waltete unter den Zünften ; die Rathskür ſchwankte, bie 
er Aufruhr d. 3. 1418 die alte Blutſchuld durch eine neue 
ühnte. Mit feinen Pragern ſchandbar zerfallen, ſuchte Wenzel 
. 3. 1395 fih den Rückhalt an Breslaus Bürgern zu 
ihern, indem er durch Heinrih von Duba die Zwietradht 
n der Gemeinde zu fchlichten fuchte, die Wahl des Raths 
nicht länger von den: Geſchlechtern abhängig machte, 
ind Breslaus Landgericht wieder herſtellte. 

Für den Ordensſtaat, deſſen hanſiſche Städte in dengee 
wrdifchen Wirren eine Hauptrolle fpielten, — wie denn Ma 
Danzig einen Rathbherrn ale Hauptmann Stockholms bes 
jef, — galt eine verhaͤngnißvolle Lebensfrage, als 
inter der Hochmeiſterwürde Konrad Zöllners von Roten⸗ 

Rein die heidniſchen Litthauer ſich tauſen ließen, und Groß⸗ 
ürſt Jagal i. J. 1386 die Hand der Erbin des Polen⸗ 
reichs davontrug. Der innere Widerſpruch zwiſchen ‚dem 
Geiſte des Jahrhunderts und der Herrſchaft der Pfaffenritter 


230 Bierter Theil. 


Sr. Gifdete immer beiwußter ſich aus, und lockte bereits volitiſche 
Geſellſchaften des lanbfälfigen Adels hervor. Im Nor 
den die Union von Kalmar, im Often Bolen und 
Litthauen unter chriſtlicher Herrſchaft vereinigt, uk 
ten daß deutfche Weſen, deſſen Träger dad Bürgerthum, in 
jener Halbſcheid der germanifchen Welt erfchüttern, nod 
ehe das feindliche Czarthum der Moskowiter erwuchs. — 

er Wir Tommen auf dem Eläglihen Ausgang bes römi- 

a ſchen Königd Wenzel zurück, und berihten, was Ober⸗ 
deutfchlands Städte unter ihm noch Hofften und erlitten. 
Todtlich gehaßt in feinem Erbreiche, als ‚zweiter Mero”, ver- 
achtet von den deutſchen Fürſten, mit Recht beargwähn 
von den fonft fo Iangmüthigen Städten, wie follte er m 
Stande fein, die aus den Fugen gewicdhene Kirche herzu⸗ 
flellen? Als er vom Mai bi zum Auguft d. J. 1394 
durch böhmifche Herren als Befangener von einem Schloft 
zum anderen gejchleppt wurde, kümmerte das Reich fd 
wenig um ihn, und gingen die Dinge nicht fchledter. 

Ei. Zwar erhoben fih Die Schlegler, unter beſonderen Schlegel: 

ie. fönigen, i. 3. 1395 in Schwaben von neuem, und lockten 

fogar wirtembergifche Landgemeinden in ihren Bund; abe 
Eberhard der Milde gewann breizehn ſchwäbiſche Meihk 
ſtaͤdte, ſelbſt Um, zu Kampfgenofien, bezwang mit ihre 
Sülfe drei Schlegelfönige zu Heinsheim, und war mit ihnen 
fürs erfte fertig, ehe König Wenzeld Mandat ausging, „dit 
Geſellſchaft, als gröblich wiber ihn und das H. Neid, folk 
gänzlih ab fein“. Eine zweite Schilderhebung bes Ark 
ward darch zwei Bündniffe der mächtigſten Fürſten, dei 
„obere“ und „untere“, welchem letzteren die Städte i. Ja⸗ 
mar 1396 zu Mergentheim beitraten, unterbrädt, obgleid 
ſelbſt zwei rheiniſche, Worms und Speier, ber Geſeilſchaf 








” Bünftes Bu. 231 


Eh angeſchloſſen, bis man im Mai 1396 entdeckte, Königs-Aw- 
Wenzel habe die Schlegler im geheim ald Söldner aufges 
nommen, und ihnen jenen geflraften Landfriedenäbrecher, 
Brun von Rappoltftein, zum Hauptmann gegeben! So 
gehäffiged Treiben vermochte die Stände, fich untereinander 
auszugleichen, und mit dem Gedanken fich vertrauter zu 
machen, den Würdeloſen abzufegen. Als der fechsjährige 
Randfrieden von Eger feinem Ablauf fih näherte, ®ewalt- 
ihaten im Reiche überhand nahmen, und kein vor Gericht 
gelabener Edelmann zu erjcheinen Luft Hatte, wurde König 
Wenzel endlich bewegt, eine Reiſe ins Reich zu unterneh- 
men. Denn der gefährlihfte Mann, Graf Iohann von 
Naffau, war nad) Konrads Il, Tode (1396) in zwiftiger Wahl 
durch Papft Bonifaz IX, und den Borfhub der Mainzer 
auf dem erflen geifllihen Kurfürftenfuhl beftätigt worden 
(Januar 1397), voll Widerwilles gegen den König, der 
feinen Nebenbuhler begünflige, und bei fi entſchlofſen, 
den flolen Bürgern von Mainz ihre Dienfle 508 zu ver⸗ 
gelten. Im September 1397 zu Nürmberg angelangt, an 
rechnete der bebrohete König auf den Dank der anhäng- BG 
lichen Städte, indem er ſich an bie Spige bes Landfrie- 
densaufgebotes ftellte, welches Borziwoh von Swinar mit 
den Zürften und Biſchöfen Frankens, wie den Städten 
Nürnberg, Windsheim und Rotenburg verfammelt hatte, 
und vermittelt der ſchwerſten Büchſen mehre Raubſchlöſſer 
zerſtörte. Aber welches Vertrauen, welche Ehrfurcht koun⸗ 
ten z. B. die Rotenburger hegen, denen für Geld Wenzel aen 
zwar den Schiedsbrief vernichtete, welcher i. J. 1390 dem Wenzel. 
Biſchofe Gerhard von Würzburg das Landgericht zuerkannt 
Hatte, dann aber im Hoflager zu Nürnberg ihren gehor⸗ 
famen Sendboten gebieteriih 6000 G. abforderte. Als 


232 -Bierter Theil. 


. Kav · iene demüthig unterhandelten, verlangte der Erboſte fo 
gar 10,000 G., drohete mit Kopfabfehlagen, und ſchickte fie 

‚mit einem Schreiben heim, welches buchſtäblich Tautete: 
„Unſer ungetrewen zu Rotenburg, die dem Reiche unge: 
horſam fein. Der Teufel Hub an zu fheren ein Saw und 
ſprach alfo viel gefihreyes und wenig wolle. Die weber fon 

nen nidt ſten on wolle. Ungehorſamkeit madt vil. Rex 

p. sc.’ Die armen Herren von Rotenburg erfchrafen um 

fo mehr, als man ihnen son Nürnberg im geheim meldete: 

des Königs fremdes Kriegsvolk zöge heran, um ihre Stadt 

zur Zahlung zu zwingen. Dennoch flug der Rath, au 

bei augenfcheinliher Gefahr, fo ſchamloſes Anfinnen ab, 

bis der tolle Böhme, kühler geworden, endlich mit 1100 
Gulden ſich begnügte! — Die Notenburger, noch in Fehde 

mit dem Anhang ihre vermeintlihen Schirmherrn, de 

‚ Burggrafen Sriedrih, fingen 1. J. 1399 einige Ritter, 
ließen zweien, dem „Ernberg und Fritz Pfaffenangft‘, dad 
Haupt abfihlagen, fchonten jedoch, auf Bitten des alten 
Baters, den jungen „Gleißenden Wolf’. — Auch bie 
* Würzburger, bei denen Wenzel im December 1397 glänzend 
empfangen wurde, Eonnten das Gedächtniß deſſelben nidt 
fegnen. Bifhof Gerhard, aus dem Haufe Schwarzburg, 
(1372—1400) hatte die Suldigung der Bürger nur unter 
ausdrücklichen Vorbehalt der Freiheiten, die ihnen Konrad 
son Heßberg gewährleiftet, empfangen. Sobald Gerhart 
jenen Nebenbuhler verdrängt, hatte er Zünfte und Gemeinde 
rath abgefchafft, Die Bürger auf ihre Weigerung im bie 
Acht gebracht, und von Kalfer Karl unerhörten Zoll für 
Stadt und Weichbild erwirft. Lange trug das Wolf, obs 
Hleih ungeduldig, ſolche Unbilden, und erhob fih erſt 
‘wieder i. 3. 1397, als Gerhard die Zurücknahme bes 


sure und 
Bilder 





Yünftes Bud. 998 


päpftlichen Privileglums ‚wegen des Interdikts betrieb. Im tn 
sollen Aufruhr mußte die Pfaffheit und wer fih nidt für 
die Bürger erflärte, ‚fliehen; drei Nathäherren wurden als 
Perräther ermordet. Aber ber Bifchof verſchrieb um hoben 
Sold den Noel, während die Würzburger fih zu Schweinfurt 
mit zehn Stiftsfläpten zu Schutz und Trutz verbündeten, 
alles geiſtliche Eigenthum in Beichlag nahmen, nur den 
feften Zrauenberg oberhalb ihrer Stadt nicht zwingen konn⸗ 
ten. Im Bertrauen auf ihr Recht und ihre anfehnlichen Ge⸗ 
ſchenke empfingen die Bedrängten den König auf der Reife 
zum Reichstage mit wehenden Reich 3 banner, zum Zeichen 
ihrer Hoffnung auf Reichsſtandſchaft. Der Trugvolle ertheilte 
auch gnädige Worte, widerrief fie aber unter der Hand, und 
erließ in Frankfurt am 21. Januar 1398 einen fo ſchwanken⸗ 
den, unhaltbaren Beſcheid, daß die Stadt in ihrer Auflehnung 
beharren mußte, So Fam das dritte Jahr der Fehde her⸗ 
an; die neuen Briefe Wenzeld vom 21, Januar 1399 lau- 
teten günſtig: aber eine Erläuterung, welhe der Biſchof 
gleichzeitig durch die Kurfürflen erzwungen, wiberrief ben 
fönigliden Spruch, und Herr Borziwoy verwied, bie eid⸗ 
liche KHuldigung ter Bürger v. I. 1397 aufhebend, die 
vielfach Betrogenen wieder an den Bifhof, als ihren 
rechtmäßigen Herrn. Berlaffen von furchtſamen Stifts⸗ 
Nädten, gedrüdt durch Mangel, zogen die Umlagerten m - 
11. Ianuar 1400, drei taufend Mann flark, aus, um die 
vollen Speicher auf dem Kirchhofe zu Berchtheim bei Schwein- 
furt zu leeren. Aber Gerhard fand mit dem Aufgebot feiner 
Bafallen bereit, und der Dompropft fiel mit 400 Reiſtgen 
die Stürmenden hinterwärts an; ald dennoch die Bürger 
‚anfangs flegten, und fhon bie Flüchtigen verfolgten, ſpreng⸗ 
ten neue Abelsſchaaren herbei, und. jagte der Verdacht bes 


234 Bierter Theil. 


5.R0y. Werraths, nachdem der Bannerträger ben Tod gefunden, 
die einzelnen Haufen in Die Flucht. 1200 Bürger blichen 
geriät auf der Wahlflatt, 400 wurden gefangen. Krank un 
an Zirrſchwach, ſchien der Kirchenfürſt geneigt, wenigſtens der Un⸗ 
ſchuldigen zu ſchonen, wenn alle ſich ihm unterwürfen, 
feine Anſprüche anerlannten und von neuem huldigten. 
Aber dennoch ließ er, am dritten Tage nad bem Giepe 

mit dem Kriegsvolk in die Stadt gerüdt, während ber 
Heft des Eurz vorher jo troßigen Gemeinwejens, kaum 400 

alte Leute, um Barmherzigkeit flehete, ein grauenvolles 
Blutgerigt über die Gefangenen Halten, verficht fi mit 
Schonung des Adels. Ungeheure Bußen vollendeten bie 
Entmuthigung der Beflegten; der blutbefleckte Sünder 
ſtarb gleich darauf; erſt unter Spaͤtenkeln, im großen 
Bauernkriege, erwachte der Freiheitsdrang von neuem. 
Wir find, im Verfolg feiner unköniglichen Handlun⸗ 

gen, dem Reichſtage Wenzels zu Frankfurt vorausgegan- 
gen, von defien Haltung wir auch fihon in Soefl Ge 
al fhichte ein Prößchen gegeben. Der Landfrieden, am 6. 
"son. Januar 1398 auf zehn Iahre verfündigt, enthielt die ges 
furt. wöhnlichen Beftimmungen, deren Unverbrüchlichkeit Die Zahl 
der Fehden vermindert und bie Wuth derfelben auf bie 
Bewaffneten befchränft hätte. Außerdem ertbeilte ber Kö- 
nig, die freien Städte in guter Gefinnung zu erhalten, 
zahlreiche Gnadenbriefe, und ging dann nad Rheims, um 

fi) wegen des päpftlichen Schiama mit dem Könige Karl Vi. 
‚son Frankreich zu beipreden. Hinter ihm ſpann der G- 
fürft von Mainz das Garn fefler, den unklugen Böhmen 

zu fangen; der Frankfurter Landfrieden erlitt bereits eine 
Umgeftaltung, indem bie brei sheinifchen Kurfürften mit 

den Städten der Wetterau und des alten Rheinbundes auf 

















Fünftes Bud. "235 


fünf Jahre ſich befonders einigten. Auffallende Yinfüher- FR 
beit des Reichsoberhauptes verräth das Gebot vom Auguft 
1398, daß alle Bürger und :Beifaffen in den Neichöftädten, 

auch ihre Söhne, fohald fie vierzehn Jahre alt, dem Kai⸗ 

fer, dem Reiche umd der Stabt huldigen und Pflicht Ieiften 
folltn! — Inzwischen Wenzel in feinen unruhigen Erb⸗ 
landen weilte, ſchloſſen Mainz, Pfalz, Köln und Suchfen 

in Marburg (Iuni 1899) einen Berein zu gemeinfamen 
Schritten in geiftlihen und weltlichen Dingen, und erneu⸗ 
erten mit Trier, Baiern, dem Burggrafen und anderen 
dürften werfbärkt, ihr Bündniß zu Mainz (September), ja 
redeten ſchon offen von ber Wahl eines neuen römifchen 
Könige. Ohne Muth, auf dem von ihm ausgefchriebenen 
Reichstage zu Nürnberg zu erfcheinem, fuchte Wenzel jekt 

die Städte zu gewinnen, bie jedoch, zum Theil noch uns 
Tundig der vorhandenen Dinge, den Tag ber Fürften in 
Brankfurt (November 1399) beſuchten; Megendburg allein, 

fo viel wir wiffen, lehnte die Einladung der vier Kurfür- 

fm ab. — Iene Entfchlofjenheit der Gemeinwefen in 

den Tagen Arnold Walpods und bei zwifligen Königd- 
wablen im KIN. und im Laufe des XIV. Jahrhunderts 
vermiffen wir gaͤnzlich; Schwabens Städte, dem Grafen 
Eberhard treulich zugeneigt, begnügten fih, ihr Freund⸗ 
fhaftsnerhältnig zu Wirtemberg zu erſtrecken, „auch wenn 

ein anderer fi zum Könige aufwürfe”. Am wenigften An- 
bänglichfeit Hatte Wenzel um die rheinischen Reichsſtädte 
verdient. So entwickelten bie Dinge füh raſcher, Teiderapunn 
ohne irgend einmüthige Haltung ber Gemeinen, ja bei’yeise, 
fo unbegreifliher Unbefümmerniß, daß erſt Iohann von man: 
Dalberg auf der ſtarkbeſuchten Berfammlung von Frankfurt 

den Neichöftädten die ganze Summe der Mängel und Ge⸗ 


236 Bierter Theil. 


Ro. Grechen des Reichs vortragen mußte (3. Juni 1400). — 
Zum Hohne des Landfriedensbundes, an deſſen Spige Er 
bifchof Johann von Naffau fand, wurde der angejehenfte 
nordijche Neichöfärft, jener und bekannte Herzog Friedrich 
son Braunfdhweig, als er, unzufrieden mit der Partei bed 
Kurfürften Ruprecht von der Pfalz, den Tag zu Frankfurt 
verließ, am 5. Juni 1400 auf mainztichem Gebiete durch 
mainziſche Ritter überfallen und erſchlagen, wahrſcheinlich 
auf des Erzbiſchofs Anftiften, welcher den Welfen als Kron- 
bewerber nicht mochte. Solche Borgänge machten zunächſt 
die rheiniſchen Stäbte ftugig, deren Boten, zu Mainz ver 
fammelt, bie Unthat bei Sriglar, ald böfer Dinge Anfang, 
laut beklagten, und als Antwort auf Dalbergs Eröffnmg ihre 
Verwunderung ausſprachen, daß die Kurfürften ihre Abs 
fiht, einen neuen König zu fegen, ihnen fo lange ver 
borgen hätten; auch ihre Bedenken erklärten, wie fie mit 
Ehren ihres Eides an Wenzel fich erledigen könnten. Für 
fo guten Willen danfte der Bebrohete befonderd ben Strafe 
burgern (24. Juli 1400); wohl hätte das Reichsbür⸗ 
gertfum, wäre e8 einig und thatfräftig geweien, bie ſelbſt⸗ 
fühtigen und. trugvollen Abfichten der Kurfürften gewaltig 
‚beirren können. Uber, fo ungewiß defien, was fie von 
einem neuen, unter ſolchen Umſtänden erforenen Könige 
zu erwarten hätten, ließen bie Reichsſtaͤdte die Dinge ge 
fhehen; Wenzel, unzähliger anderer Dinge ‚wegen bei 

wu unwürdig, ward am 20. Auguft 1400 aus größ 

fung. gentheild .nichtftichhaltigen Gründen abgefegt, und 
Tags darauf Ruprecht von ber Pfalz auf dem Königsftuhl 
bet Renfe zum Könige erwählt. — 

Ringe . Um am Schluffe der Beriode mertlichen Niedergangd 

dergoge. des Reichsbürgerthums die Rage en Städte in einem füd 





Fünftes Bud. 237 


dentſchen Fürſt enſt aate zu bezeichnen, deuten wir an, wa85-Ra. 
Münden, der Witteldbachifchen Pflege Liebling, gleichzeis 
tig erfuhr. Kaiſer Ludwigs Enfel, Stephand I. Söhne, 
verarmt ungeachtet ihrer Siege über die Nachbarftädte, unges 
achtet der Judenſchuldtilgung und königlicher Berwandtfchaft 
wie abenteuerlicher Pläne, jagen noch im Geſammtbeſttz. Da 
trieb der jüngfte, Iohann, auf Theilung, und ward von 
den Münchenern, denen eben dad große Gnadenfeft des 
„Dultes“ (1392) mit feinem leichtfertigen Gefolge gewor⸗ 
den, deshalb beſonders unterflüßt, weil die Herzoge Fried⸗ 
rich und Stephan I. die nicht undefugte Hinrichtung eines 
ihnen lieben Bürgers durch: den Rath t. 3. 1385 in ſchimpf⸗ 
lichfter Weiſe gerächt und obenein die: ‚neue Veſte“ erbaut 
hatten. Die älteren Brüder wagten nicht offene Fehde 
gegen Johann, und. empfingen, nah Ausſpruch von 24 
Rittern und. 16 Bürgern, im December 1392, Friedrich 
Niederbaiern, Stephan die Hälfte des oberen. Das ge= 
trene München blieb dagegen dem jüngften Herzoge. Der 
Brüder Zwieſpalt mehrte die Freiheit der Stände; jene 
mußten in allen wichtigen Dingen den Ausſchüſſen derfelben 
fi) fügen, gleich den Welfen in Folge der „Sate“. Fried⸗ 
rih verlegte feinen Sit nad Landshut; Stephan wählte 
Ingolfladt, das durch Kandel: und gute Wirthfchaft ge⸗ 
meinfreiheitlich zu ſchöner Blüthe fich erhoben. Als Fried⸗ 
sih i. 3. 1393 geflorben, maßte fi Stephan der Be— 
sormundung des jungen Heinrichs allein an, und begann 
Ludwig der Bärtige, fein Sohn, 1. J. 1395 übermäthig 
Fehde gegen ben Oheim Iohann; bis Johann der Uner- 
ſchrockene, Herzog von Burgund, auf dem Buge gegen ben 
Osmanen Bafazet, äußerlich die Sippen wieder vereinigte, 
und die Theilung Oberbaierns aufhob (1395). Kaum war 


238 Bierter Theil. 


5.Rar. aber Johann der Wittelsbacher i. I. 1397 zu feinen Bär 
tern gegangen, ald Stephan und Ludwig gebieteriih Bkün- 
hen als Fürftenfig anfprachen, und bie jungen Erben, Ernſt 
und Wilhelm, in Fehde anfielen. Nochmals vermittelten 
die Stände, und gaben Münden in die Obhut eines bie- 
deren Ritters. Doc die Hauptſtadt, durch die volksthüm⸗ 
lichen Sitten des bärtigen Ludwigs gewonnen, weigerte fi 
der Huldigung, als Johanns Söhne Anftand nahmen, ihre 
alte Freiheit zu beftätigen (1398). Die Gemeinde, voll 
Argwohn gegen der Kürten Diener, die Geſchlecht er im 
Stadtrath, verwies und firafte die Vornehmen, des Bei- 
flandes Ludwigs gewärtig. Wenn nun au der Schieds⸗ 
fprud) der oberbaterifchen Stände die Münchener beiden jungen 
Herzogen zuerfannte, kehrte die Liebe nicht zurück, und 
felten weilte das Brüderpaar in der Hauptſtadt. Gine 
Berihwirung zum Sturz gegenwärtiger Obrigfelt un Ben 
faffung Münchens, welche junferhafter geworben, enbete 
mit Hinrichtung der Schuldigen, nad) Sprud des Hichters, 
vor Außerem und innerem Rathe der Dreifundert (Ro- 
vember 1400). Noch hofften die Bürger, fo lange Die ger 
meinfchaftlihe Verwaltung der vier Herzoge über Oben 
baiern dauerte, ein erwünfchteres Loos; als jedoch die 
Tod» Theilung v. I. 1402 Münden unter Erafis und 
Wilhelms alleinige Botmäßigkeit wie, und die Stände 
bie Stadt zur Huldigung zwingen wollten, ergriff bie 
Besötkerung, voll Furcht vor Wiederkehr ihrer verbannten 
Geſfchlechter, die Waffen, ſetzte fih in furchtbaren Ber 
theidigungszuſtand, forderte, Hülfe nah und fern, foger 
bet Nürnberg, und ſah in guter Stunde den Herzog Lud⸗ 
wig herbeieilen, „um fie. nimmer zu verlafien”. Schon la⸗ 
gerten: die. erhitterten Fürſten, mit Heinrich von Landshut 








Fünftes Bud. 239 


vereint, mit ihnen alle Berbannten, an beiden Seiten 5A 
Münchens dieſſeits und jenfeitd der Iſar; da vermittelte 
Burggraf Briedrih von Nürnberg, um Pfingften 1403, 
den droßenden Bürgerkrieg, indem er zwar das Recht ber 
Brüder auf die Stadt anerkannte, ihnen dagegen unbe» 
Ihräntte Beftätigung aller Privilegien der Bürs 
ger, und Bergefienheit alles Geſchehenen anbefal. Müns 
chen Huldigte jeßt mit Freuden, nahm verfühnt die Geächte- 
ten wieber auf, erhob bei Umſetzung des inneren Rathes dies 
felben wieder in ihre Würden, und änderte ‚zur Wahrung des 
Friedens“ Wahlart und Verfaffung. — 

So glihen Die Harten Begenfähe des XIV. Jahr- 
hundert, MWürgerfreifeit und Fürftengewalt, überall fi 
aus. Aber das BZünglein fcheinbaren Gleichgewichts 
neigte ſich mit Beginn bes XV. Jahrhunderts merflih auf 
‚die Seite der Alleinherrſchaft. — 


Sechsſstes Bud. 


Meberfiht der Geſchichte der deutfchen Stäote von ber Zeit dei 

fländifchen Gleichgewichts (um d. 3. 1400) bis zum Untergange 

reichs ſtaͤdtiſcher Freiheit u dem wiedererwedten Gemeindeleben 
i. 3. 1808. - . 


Erftes Kapitel. 
Bis auf König Marimillan I. und den Ewigen Landfrieden. — 149. 

Bis in die erfte Hälfte des XIV. Jahrhundert, unter 
der Regierung der Kaifer Ruprecht (14001410), Sigik 
mund — 1437, Albrecht II. — 1439, und während Frie⸗ 
drichs IH. Anfängen, behauptete fih, zuſammen hangsloſet 
Fehden ungeachtet, Die Freiheit der deutſchen Gemeinwesen und 
zumal der $rei= und Neichöftädte, wenigſtens unangefod- 
ten, Ueppig entfalteten fi alle Blüthen in Handel und 
Gewerbe, in bürgerlichen Künften und in ritterlicher Er⸗ 
heiterung des Lebens, in Förderung der Wilfenfhaft durqh 
Schulen und Untverfitäten, deren Bedeutung für Die Folge⸗ 
zeit und den gefammten germantjchen Geift vermittelft ber 
preiswürdigften Erfindung gleichzeitig vorbereitet wurde. 
Die Urfachen, welche die harten Gegenfähe des XV. Jahr⸗ 
hunderts fo lange ruhen ließen, waren gegenfeitige Schau 
und Erichöpftheit nach unheilvollen Kämpfen, mehr no 
die Aufmerkjamkeit, welche die kirchlich gefpannte Nation 
ben religidfen Ungelegenheiten zuwandte; da8 Streben be 
Kaifer und des Reichs, das große päpftlihe Schisma zu 
beenden, und die zerrüttete Kirche zu ordnen, während bie 
Gefahr vor den unbeflegten Kegern alle glei bedroheten 





Sechstes Bud. 241 


Stände zur Einheit mahnte. Kaum aber war das frefjiende 1. 
euer des HuffitentKumsd innerhalb feiner Urfprungsftätte 
eingehegt, und auf dem Concil zu Bafel eine, leider nicht 
neue Örundlage der kirchlichen Verhältniffe gewonnen; als 
alte Zwietracht und Tücke wieder erwachte, der legte große 
Städtefrieg die oberbeutfchen Gemeinwejen ihrer Haltung 
beraubte, dann herrliche Urſttze bürgerlicher Breiheit ent⸗ 
würdigt wurden, und in ben verengten Reichslanden, bes 
Reihöfammergerichts und des ewigen Landfriebend unge⸗ 
achtet, das Bürgertum zu jener politiichen Unterordnung 
berabfant, aus welcher es fih nur vorübergehend durch Ie= 
bendigen Antheil am Reformationswerke aufraffen Eonnte. 
Der römiſche König Ruprecht, wohlgefinnt und vonyune, 
faiferlichem Herzen, aber ohne gebieteriiche Hausmacht; im 
Köln gekrönt, weil Aachen ihm feine Thore verſchloß; zö⸗ 
gernd von den Reichsſtädten anerkannt, deren ein Theil 
noch fpäten Gehorfam an Wenzel vorgab; ohne Nupen 
und Ehre vom Mömerzuge heimgefehrt; flarb gerade zur 
rechten Zeit, um nicht durch böswillige Fürften, nament- 
ih durch Erzbifhof Johann von Mainz, feines Vorgän⸗ 
gers Schickſal zu erfahren. Das unheilvolle Recht der 
Sonderbündniffe machte fich wieder geltend. Der rheinifche 
Städtebund war zwar unfräftig zum Schutze feiner Glie- 
der; aber die ſchwäbiſchen und fränfifchen Städte blieben 
beieinander, trennten jedoch unklug ihre Sache von den 
tandgemeinden, wie den muthigen Appenzellern, und flärkten, 
ver fürftlichen und der Politik des Adels zugeneigt, die Gleich. 
zültigfeit der wachfenden Eidgenoffenichaft. Ruprecht konnt 
a8 Marbacher Bündnig, welches Mainz, der Markgraf von 
Baden, ber Graf von Wirtemberg, Straßburg, Ulm, Reut⸗ 


ingen und fiebzehn andere Städte gegen die ernfle Wirf- 
Barthold , Städtewefen. IV. 16 


| 
242 Bierter Theil. | 


180. ſamkeit des Reichsoberhauptes gefchloflen (September 1405), | 
nicht auflöfen; daffelbe wuchs an Gliedern, und hielt, zur 
Ohnmacht des Ganzen, das Gleichgewicht zwifchen beiden 
Königen. Unter folden Umftänden durfte Das Vemgericht | 
in Weſtfalen um fo kecker gegen das Weich jeine angemaf- 
ten Freiheiten behaupten (1408), ohne um des gewiflen- 
haften Königs Reform ſich zu kümmern. 

— Als nach dem Tode des ehrenwerthen Pfaͤlzers die 

deutſche Krone wieder an das lützelburgiſche Haus gelangte 

(1411), und die kirchlichen Einheitöpläne Sigismund, 

Königs von Ungarn, die Iateinifhe Welt vorwaltend fellel- 

ten; entbrannte, unter mörderifchem Priefterhafle, furdt 

bare Bürgerzwietracdht in den wendifchen Seefläbten, brach 
bie Rathsariftofratie felbft Lübecks zufammen, und ging 
ber deutſche Ordensſtaat, in Folge des Sieged König Bla 
dislavs Jagal, der Entfremdung vom Mutterlande ent- 
gegen. An allen diefen BZerrüttungen alt georbnreter oder 
neu befeftigter Buflände, den blutigen Zunfthändeln, welde 
fih 5bi8 gegen die Mitte des Jahrhunderts in Defterreid, 
von Frankens böhmifcher Grenze, durd Sachen, die Lau 
fig, Schleſten, die wendiſchen Städte zwiſchen Oder un) 

Elbe bis nach Weftfalen Hin, in Pommern, erhoben, un 

in Preußen mit der Ohnmacht des Mönchsritterſtaates en- 

beten, kann die Gefchichte den Einfluß der freien Fir 
lihen Gedanken, und der Beratung, welde die Hie 
rarchie beim Volke verſchuldet Hatte, nachweiſen. Ehe nof 

Johann Huß Wokliffes Lehren in Prag gepredigt hatt, 

ehe noch die Auswanderung der deutſchen Lehrer und Schü 

ler aus Prag (1409) die neuen Gedanken nord- und of 
wärtd verbreiten, und ehe die Univerfität Leipzig gefkiftet 
werden Eonnte; lange vor Eröffnung des Concils zu Konflanj 








Schstes Bud. 243 


(November 1414), vor dem Opfertode des kühnen Prei- 1-Rar- 
heitöprebigerd (Iuli 1415) und vor dem Hachefriege des 
entflammten czechiſchen Volkes, wurden in Pommern und 
den Marken hartfinnige Ketzer als „Waldenſer“ verfolgt; 
don i. 3. 1407 machte fih zu Stralfund der Haß der 
Laien gegen die habgierigen Pfaffen Luft, weldhe der Her- 
309 ſchirmte, mißhandelte die Priefter, und verbrannte deren 
drei neben der neuen Marienkirde. In Nachbarorten, wie 
Wismar, Noftod und Kübel, brannte man wiederum Ketzer 
zu Alche, bis bier die tiefe Erregtheit der Gemüther die 
politiſche Richtung einfhlug. In Braunfchweig, das durch 
den „Ordinarius des Raths“ eines geordneten Zuftandes 
genoß, und der Reichsfreiheit nahe war, tobte feit 1413 
der Papenfrieg, weil th die Pfarrer dem Wunſch der Ge⸗ 
meinde, neben den Stiftöjchulen ftädtifche Bildungsanftalten 
zu gründen, aus Furcht vor den Folgen der Aufklärung 
widerfegten. Der Klerus, ausgewichen, verhängte den Bann, 
den die Stadt fleben Jahre trug, bis i. J. 1420 die Stand- 
baftigfeit des Ratbs den Sieg davontrug. Inzwifchen Turubr 
litten alle großen wendiſchen Seeftädte, mit Ausnahıne an 
einiger pommerfchen, am heftigften der Vorort, wo fchon — 
ſeit d. J. 1403 der Zwieſpalt begann, bis zum J. 1418 
und ſpäter an furchtbaren inneren Kämpfen. Lübecks zünf⸗ 
tige Bevölkerung, ſeit vielen Jahren voll Groll, ſetzte im 
J. 1408 einen Ausſchuß von LX Männern zur Unter⸗ 
fuhung des fäbtifchen Haushalts nieder, vertrieb den alten, 
iunferhaften Rath, erwählte einen neuen, und fah ihr Bei⸗ 
fpiel in Noftod, Wismar und Hamburg mit Weberbietung 
nachgeahmt. Vergeblich verhängte ſchon Ruprecht die Acht 
über die Empörer; fle konnte unter Sigismund Anfängen 
nicht vollftreft werden. Erſt vor der Kirchenverſammlung 
16 * 


244 Bierter Teil. 


1.Rap. zu Konftanz ftellten die Abgeordneten bes alten und neuen 
Raths fih ein, und erfauften fih die Neuerer um Erbie⸗ 
tung hoben ©eldanlehend von dem bürftigen Kaifer bie 
Hoffnung der Nathöfähigkeit der Zünfte. Aber der alte 
Rath gewann den Uniondfönig Erih den Pommern, jeit 
1412 Nachfolger Margarethas, daß er 400 Schonenfahre 
mit ihrem Gute fefthielt, mit der Drohung, fie nur nad 
Einfegung des alten Raths freizugeben. Gebeugt durch jo 
harte DVerlufte, Tieß das verarmte Volk von Lübeck kaiſer⸗ 
lihe Vollmachtträger zu (1416), welde die Hauptführer 
deſſelben theils verwiefen, theild Hinrichteten, am 6. Juni 
1416 den alten Rath, jo viel defielben noch am Leben, 
wieder einjeßten, nachdem die brennendflen Streitpunfte 
zwifchen Bürgerfhaft und Rath durch Abgeordnete von ficken 
Hanfeftädten erledigt waren. So flegte, mit geringer Aen⸗ 
derung, auch hier das Alte, während die Unſicherheit der 
Nord- und Oftfee fortdauerte; die Holländifchen Hanſe⸗ 
ſchweſtern, unter Burgund vereinigt, ihre Trennung von 
ben „Ofterlingen‘ einleiteten; der Großfürft von Nomgo 
rod, die Herrſcher Spaniens und Englands dem Bunte 
fih abgünftig zeigten; der Unionskönig endlih feit 1424 
unverholen die blutig beflegelten Freiheiten antaflete. Die 
großen Tage von 1370 waren dahin; doch hatte Die eng⸗ 
herzige Kaufherrnwelt eins fichergeftellt: die Rathsariſto⸗ 
kratie. In bündigſter Weife jebte der große Hanſetag zu 
Lübeck i. I. 1418 feft: jede Stadt aus der Hanſa zu 
flogen, welche fih eines Auflaufs gegen den Rath unter 
fangen, oder denſelben gar vertrieben hätte. Solche Dro- 
hung wirkte jedoch auch, daß Soeſts Regiment, welches 
unter Erzbifhof Friedrichs fpäterer Herrſchaft und unter 
den Anfängen Dietrihs von Mörs (feit 1414) junferhaf 





Schstes Bud. 245 


ter geworden, und deshalb bürgerliche Linruhen hervorge⸗Kar. 
rufen, in altgeſetzlicher Form bemofratifch wieder erftarkie. 

Für die brandenburgifchen Länder Fündigte ſich in— —— 
zwiſchen, nach unſäglichen Leiden unter den gewiffenfofen, Sran- 
Lügelburgern, die neue Zeit an, zwar im allgemeinen ge⸗ 
deihlich, doch mit unnachfichtiger Beſeitigung der Freiheit 
mittelalterlicher Städte. Burggraf Friedrich VI. von Nürn- 
berg, Erbe der Klugheit und des politifchen Strebens fei« 
ner Ahnen, Hochverdient um Sigiömund, den neuen römts 
hen König und Markgrafen von Brandenburg, erlangte 
erſt als Hauptmann und Verweſer, dann ald Pfandinhaber 
(1411) der Marken, die Huldigung der Städte, „auf fo 
lange, als bis ihm die Pfandjumme gezahlt ſei“, und 
beftätigte ihre Privilegien (Juni 1412). Dann brach er 
in den nächften Jahren den Nacken des übermüthigen Adels, 
welcher feit Karl IV. Tode fo frech das Raubhandwerk ge- 
trieben, demüthigte die Quitzows, und empfing, nad) votre 
gängiger Erbhuldigung zu Berlin (December 1415), am 18. 
April 1417 zu Konftanz die feierliche Velehnung mit der 
Kurwürde. Voll weißer Mäßigung ſchonte der erſte Sohen⸗ 
zollee die Privilegien feiner flreitbaren Städte, bis fein 
Nahfolger die Zeit der erwachten Befehtung bed freien 
Bürgerthums mit Entfchloffenheit wahrnahm. 

Im Ordensland war dem Berhängniß von Tannen-Knrent 
berg (15. Juli 1410) der Sturz jened unbeliebten Regi—⸗ 
ments auf dem Buße gefolgt. Alle feften Burgen und 
großen Städte, bis auf die Marienburg, zumal Danzig, 
öffneten dem fliegenden Polen ihre Ihore, und huldigten 
dem Undeutſchen. Als der Frieden zu Thorn (20. Januar 
1411) noch günftig genug für den zerbrochenen Ritterſtaat 
ausgefallen und die erbitterten Gebietiger durch Gewalt- 


246 Bierter Theil. 


1.80p. mittel, ja wie in Danzig durch Hinterlift und Meuchelmord 
an der Stadtobrigfeit, Gehorfam und hohe Befteuerung 
erzwingen wollten; wuchs der Geift der Auflehnung unter 
allen Ständen, und nöthigten diefe fhon ti. 3. 1416 bem 
Hodmeifter einen Landrath auf, beftehend aus 10 Edel⸗ 
leuten und 10 Rathsherren der Städte Danzig, Elbing, 
Thorn, Kulm und Königsberg. Weil der Rath, im Nedt 
der Selbftergänzung durch den Orden gefhüßt, demſelben 

Danzig. fich zuneigte, ging in Danzig Aufruhr der Zünfte und Ge⸗ 
waltthat gegen den Klerus Hand in Hand, behauptete aber 
auch Hier i. 3. 1416 die Ariſtokratie blutig ihre Herr- 
ſchaft, entwaffnete dad Volt und hielt fortan die Zünfte 
unter firengerer Mundſchaft. Nah erneuten Kriegen mit 
Polen (1422) mußte der Meifter, ohne Geld, um Söld⸗ 
ner und Gaͤſte zu bezahlen, voll Furcht neuen Abfalls der 
Städte, einen ſchimpflichen Brieden hinnehmen, i. J. 1430 
bie Befugniß des großen Landraths gefeglih vermehren, 
und vermochte dennoch durch Feine Opfer dem Bund ber 
Stände v. I. 1440 mit beffen für die deutſche Welt fo 
betrübenden Folgen vorzubeugen. 

Böhmen. Die Hebelfraft, welche jo manden feflgefugten Bau 
in jenen Tagen zum Schwanfen brachte, blieb die religiöje 
Bewegung in Böhmen; wie fle fihon in ihren Anfän- 
gen die gefährlichen Zunftaufflände in Baugen und Gör- 
litz i. 3. 1405 erleichtert, und die graufame Unterbrüdung 
derjelben durch König Wenzel in den 3. 1405 und 1408 
verſchuldet Hatte, erfchütterte fie vollends die Nachbarländer, 
als der offene Krieg zwifchen „Deutfhen und Czechen“, 
„Rehtgläubigen und Kegern’, nah Wenzeld Tode 
audbrah. Eben war in der Perfon Martins V. ber latei⸗ 
nifgen Chriftenheit ein anerkanntes Haupt gegeben (11. 











Schetes Bud. 247 


November 1418), und trat Konſtanz, für wenige Jahre Kap. 
getümmelvoller Mittelpunkt der germanifch = romanifchen 
Welt, in die frühere Stille wieder zurüd, als die Wuth 
ber Keldhbrüder, unter Ziskas Führung, dad ganze Könige 
veih ergriff. Wenzel farb am 16. Auguft 1419, und 
fein Erbe, Sigismund, Eonnte nur dur ein Aufgebot des 
Reichs den nationalen und Firchlichen Fanatismus zu bän« 
digen Hoffen. Ehe der Xebtling des Tügelburgifchen Ges 
ſchlechts die Waffen des deutſchen Volks für feine Sache 
und die der Kirche aufrief, erſtickte er durch blutige Hin« 
rihtung den Aufftand der Gemeinde zu Breölau, welchesreslau. 
im Juli d. 3. 1418 an ihrem patrizifhen Rathe das Beis 
fiel der Prager nachgeahmt Hatte. Am 11. März 1420 
wurden Drei und zwanzig Bürger von Bredlau, großentheils 
Zunftmeifter, enthauptet, und dann der ſchmaͤhliche Reichs⸗ 
frieg, zu welchem die deutfchen Bürger zumal mit halbem 
Herzen halfen, begonnen. Bon bleibender Wichtigkeit für 
die innere Ordnung des Reichs ift der Tag zu Nürnberg 
im Sommer 1422, an welchem, wenn auch nicht ber erſte 
„gemeine Anfchlag’ der Stände an „Mannzahl“ in 
Reichskriegen, doch die erſte Reichsmatrikel, welche 
willkürlich 785 Orte als reichsunmittelbar herzählt, verein⸗ 
bart wurde. Die Sendboden von 72 Reichsſtädten hatten 
die Forderung des hundertſten Pfennigs klüglich abgelehnt, 
um ihr Vermögen nicht zu verrathen. Bald darauf, i. I. 
1424, ward Nürnberg der Ehre gewürdigt, die Reiche» 
Heinodien, das fogenannte Heiligthum, in feinen Mauern 
zu bewahren. — Nachdem fürftliche Fehden, die auch jegt 
nicht ruheten, die xafche Betreibung des Reichszugs ver- 
hindert, und nad Ausſterben des anhaltiihen Stammes 
in Sachſen⸗Wittenberg, defien Städte wohl gemeinheitlich, 





248 Bierter Theil. 


1.8. doch noch nicht fländifch fich entwickelt, Friedrich der Streit 
Sm hare, Markgraf von Meißen und Herr des Ofterlande, 
— die Kurwürde davongetragen (1423); nahm der entjeglid 
en Krieg einen überaus ſchmachvollen Fortgang, zumal in ben 
Jahren 1426, 1427. Das größte Neichsaufgebot nad 
dem Reichsſtage von Nürnberg (1431), deſſen Mattikel 
78 Städte, unter ihnen viel unbezweifelte Landſtädte 
als unmittelbar veranfchlagte, andere zweifelsloſe Reichs⸗ 
ftäbte überging, hatte nur die traurige Volge, Daß die 
unbezwinglihen Huffiten mit unmenfhliher Wuth ihre 
Streifzüge über Defterreih, Franken, Baiern, Thüringen, 
Meißen, Schleſten und die Marken ungeftraft fortfeßten. 
Namhafte Einbußen erlitten fie nur dur die Bürger fle- 
nerer Städte, wie der Laufigifchen Sechsftädte, des märki- 
ſchen Bernau (1432), Frankfurts an der Oder, Königs 
bergd an der Nöride, und Wunſiedels; Naumburg an 
der Saale, inmitten der eben mit der ſächſiſchen Kur ver 
einigten Wettiner Erblande, Meißen! und Thüringens, 
belegen, joll nur durch die Flägliche Geberdung feiner Kin- 
der Schonung vom unmilden Procop erfauft haben (Juli 
1432). Im nädften Jahre ſah felbft Pommern und de 
ferne baltifche Küfte unter wilder Verheerung Die fonnege 
bräunten Gefichter der fanatiſchen „Waiſen“, welche Wla⸗ 
dislav Jagal als flavifche Brüder gegen den deutfchen Orden 
herbeigelockt. Hie und da in Bommern mochten die ent 
feglihen Horden Sympathien finden: fo in Stettin, wo 
über die Erbſchaft eines adeligen Rathsherrn feit 1426 
demofratifcher Aufruhr tobte, des Kaiſers Bann verachtet 
wurde (1429), und man von Bünftlern den huſſttiſchen 
Auf vernommen: „ver Fürſten Bäuche ſeien eben fo weih, 
als die ihren.” Herzog Kaſimir hatte endlich die Hinride 


Sechstes Bud. 249 


tung der Aufrührer erzwungen, eine Burg bei der hanfiſch⸗ 
freien Stadt erbaut, die von der Zeit an, „weil fie 
zunabe unter den Fürften gefeflen”, der Hanfa 
fih entfrembete und erſt i. 3. 1439 durch Katfer Albrecht IE, 
mit ihren Ausgewichenen verfühnt wurde. 

Nah fo ſchimpflich vereitelten Gewaltverfuchen des 
Reichs gegen „die Huflen“ führte denn friedliche Beſpre⸗ 
dung auf dem neueröffneten Concile zu Bafel zum Biele 
und gelangte „Kaiſer“ Sigismund durch die „Prager Com⸗ 
paktaten“ in Beſitz feines verwilderten Erbkönigreichs (1436). 
Der Adel Deutſchlands ſchob die Schuld der mißlungenen 
Kriegszüge auf die Befchaffenheit der Heerverfaflung ; gewiß 
it, daß, wenn auch die Bürger bie und da, wie in ber 
aufs und der Mark, in Schleften, für den eigenen 
Heerd tapfer gegen bie unmenſchlichen Bluträcher ihres 
Freiheitspredigers fochten, ſie im Reichsaufgebot ein ge= 
theiltes Herz nach Böhmen trugen, weil fie, im geheim 
von der Rechtmäßigkeit des kirchlichen Kampfes überzeugt, 
gegen ihre eigene Sache ihr Leben daran fegen follten. 

Weniger unmittelbar berührte der Huffitenflurm die 
füdweftlichen Reichslande, in denen mancherlei Fehden neben 
ber liefen, Habsburgs Stern wegen Herzog Friedrichs Ver⸗ 
fuh, den ungehorfamen Papſt Iohann XXIH. zu fehirmen, 
zu erlöfchen drohete, Die Eidgenofien auf habsburgiſchem 
Stammerbe fich vergrößerten, Freiburg im Breisgau trüges 
riſch reichsſtäͤdtiſcher Ehre vom Kaiſer gewürdigt wurde, 
um dem Paladin St. Peters wehe zu thun (1415—1427); 
überall aber fonft die Fürſten, Wirtemberg, Baden, ſich 
erhoben, Kleinere Landherren dagegen verarmten. Beſchwer⸗ 
liche Reichspfandſchaften Hatten in Schwaben wieder begon- 
nen, und die Städte, auf Ulms Betrieb, zur Abwehr die 


1. Rap. 


Das 
engere 
Reich. 


250 Bierter Theil. 


1.809. Bande der Einigung flraffer angezogen. Aber ſelbſt unte 


fhweren dynaſtiſchen Händeln blieb der Zuftand der freien 
Städte, von Sigismund gütig behandelt, gebeihlih, un 
hatten, bei volfsthümlicher Berfaffung, die Zunftftürme aufs 


Hurubengehört. Nur von Konflanz, das durch die Kirchenverſamm⸗ 
sum int, (ung an Reichthum und durch ten Kaifer an Privilegim 
en gewonnen, vernehmen wir die wilbeflen Auftritte. Aeufer- 


a aden. 


lihe Ruhe Hatte ſeit Karls IV. Iegtem Cinfchreiten ges 
herrſcht, als i. I. 1429 ein ehrgeiziger Geſchlechter, Hein⸗ 
rih Ehinger, die Zünftler zu grimmigen Thaten aufregte, 
ſelbſt darüber ind Verderben gerathen, und einem Mezger 
auf dem Bürgermeifterfluhl Raum madte, bis Sigiämmt, 
als Rückhalt des ausgewichenen Adels, die Stadt um hohe 
Summen ftrafte, und in veränderter Verfafjung, mit Ber 
minderung der 19 Zünfte auf 10, die obrigfeitlihen Wir 
den und die Nathöfähigfeit theilte. Mainz fah 1.3. 1420 
feine Gefchlechter auswandern. Auch Bamberg, ſchon im 
XIV, Jahrhundert mehrmals durch den Kaifer und die Br 
ſchöfe gedemüthigt, erlitt 1. 3. 1435 eine Ummwälung; 
glüdliher war auch Schweinfurt nicht, deſſen Rath, von 
der Bürgerfchaft i. 3. 1446 abgeſetzt, durch Kaifer Frie⸗ 
brich III., mit Aufhebung ber Zünfte, hergeſtellt wurk. 
Obwohl nur mittelbar unter dem Einfluß der herrſchenden 
Bewegung, fallen die böfen Ereignifje in Halberſtadt (1424) 
und in der Löniglihen Stadt Aachen; als i. 3. 1428 Aadent 
"Zünfte, lang zurüdgebalten, die Herren mit Anklage 
fhlechten Haushalts angingen und einen Rath aus ih 
Mitte erforen hatten, warben die Sunfer heimlich frembeb 
Kriegsvolk, 1400 Reiter, erledigten ſich blutig ihrer über 
raſchten Gegner, und zwangen die Gemeinde zum Treue. 
Erft 1.3. 1437 durften die 10 Zünfte LX Männer zur de 


Schstes Bud. 251 


rathung über die Stadtſchulden aborbnen, und erfämpften 1.Kap. 
endlich 1. 3. 1450 die Abſchaffung erblicher NHathäftellen und 
die Aufnahme von 22 Meiftern in den Rathsſtuhl. — Das 
Strafmittel der Reichsacht, vom Katfer zu leicht und zu oft 
angewandt, verlor jeine Kraft. Sp gegen Magdeburg, 
Halle und andere Stiftsflädte, die feit d. I. 1429 wegen 
Befefligung der bedrohten Metropole mit dem eigenfinnigen 
Etzbiſchofe Günther IE. (von 1403 — 1445) in harnädige 
Fehde geriethen, und erft i. 3. 1435 verfühnt wurden. — 
Kaijer Sigismund verließ Bafel, die Stätte des zwei⸗ 
ten großen deutſchen Concils, in Sorge um neue Spal« 
tung der Kirche, da Eugen IV., Nachfolger Martins V. 
fit 1431, dem Willen deffelben ſich nicht beugen wollte; 
und ftarb am 9. December 1437 als der letzte eigentliche 
Wahlkaiſer. Darf die Nachwelt den Ruhm des letzten 
Rügelburgers, für die Einheit der Kirche ſich reblih bemüht 
zu haben, nicht verkleinern, fo hat er doch das Reich im 
Norden wie im Often und Welten preiögegeben, und zus 
mal die deutfche Handelsmacht an den nordifchen König 
verraten. Als Erih der Pommer, in Bolge des alten 
haders wegen Schleswig, die „Oſterlinge“ 1. I. 1426 Sigi 
zum Kampf genöthigt, indem er den Sund fperrte, Kopen- en 
hagen zu heben gedachte, und die feierlich beſchworene Zoll 
freipeit der Hanſen ſchmälerte, hatten die wendifchen Sees 
fädte, verlaffen von den Kolländern, Erichs begünftigten 
Sreunden, ti. 3. 1427 mit einer flarfen Flotte die däni- 
ſchen Infeln gefchredt, während Sigismund, ald Schieds⸗ 
rihter ‚berufen, mit Verkennung der Nothdurft des Reichs, 
die Lübecker gebieterifch vom Kriege abmahnte. Da trat 
auch das Kriegsglück den Städten entgegen; nach unent« 
ſchiedenem Seetreffen verlieh, obgleich mit feinem Geſchwa⸗ 


252 Bierter Theil, 


1.809. der fiegreih, der hanſiſche Admiral, Bürgermeifter Tiete- 
mann Steen von Lübeck, den Sund, gab eine reiche Kauf: 
fahrerflotte preis, und büßte daheim mit feiner Freiheit. 
Ungeachtet Erih, der böfen Stimmung des Volks in tem 
Seeftädten Tundig, Durch geheime Briefe blutige Empörung, 
zumal in Wismar, angezettelt, griff die hanſtſche Flotte 
im Frühjahre 1428 Kopenhagen mit den erften fchwimmen- 
den Batterien an, verwüftete Seeland, fehdete auch im 
folgenden Jahre, fo zornig ſich der Kaiſer, mitten in ber 
Huffitennoth, geberdete. Noch am 8. Mai 1429 jchlugen 
die Straljunder einen gefährlihen Anfall auf ihre Stadt 
und den Hafen mannhaft ab, bis die fühlbaren Yolgen 
des Krieged, die Handelseiferſucht auf die Holländer, ein- 
zelne Städte zu Sonderfrieden veranlaßten, König Erid, 
mürbe gemadt, auf buchfläblihe Erfüllung des Eaiferlicen 
Spruchs verzichtete, und bedroht durch Schwedens Aufleh⸗ 
nung gegen die Union, zu Wardingholm, mit Aufgebung 
des neuen Sundzolld, den Frieden befefligte. Die Stant- 
haftigfeit der vier Städte, Kübel, Hamburg, Wismar und 
Lüneburg hatte, dem politifch und kirchlich befangenen Kai 
fer zum Trotz, ihre hanſtſche Gefreitheit auf 100 Jahr, 
dem Grafen von Holftein fein Erbe in Schleswig erfämpft; 
aber die Achtung der Welt vor dem Bunde ſchwand dahin. 

Bremen. Gleichzeitig tobte auch in Bremen bürgerlicher Aufruhr. As 
reichöfrei durch die erſten Matrikeln anerkannt, Hatte die 
herrifche Stadt ihre Eroberungdgelüfte bei den Frieſen⸗ 
flämmen gebüßt (1423), ward 1. 3. 1426 der alte patr⸗ 
zifche Rath aufgelöft, ein neuer eingefegt, das Regiment 
demofratifch verändert (1428), ti. 3. 1431 nad neun 
Greuelfcenen die verhanfete Stadt auch vom Kaiſer geäde 
tet. Die ‚alte Eintracht‘ (Tafel) 0.3. 1433 als Wieder 





Schstes Bud. 253 


herſtellung des Früheren, verbürgte nicht den inneren Frie⸗Kap. 
den, und erft d. 3. 1436 führte zu gedeihlicherem Zuſtande. 

Die fchönen Hoffnungen, welche der römiſche Ro Fr 
nig Albrecht 1., Eidam und Erbe Sigiemunds , erregt 
(1438— 1439), vereitelte deſſen früher Tod; mit des 
Habsburgers Friedrich II. drei und fünfzigjähriger Regie⸗ 
rung begann, bei der Fortdauer äußerlichen Glanzes und 
ſcheinbar gefeßlicher Ordnung, des Bürgerthums Verhäng⸗ 
niß ſeiner Erfüllung näher zu ſchreiten. — An den letzten 
behaglichen Ruhepunkt feines Erzaͤhlungsfluges gelangt, 
benutzt der Forſcher die Züge, mit welchen ein welterfah⸗ 
rener Italiener, der Piecolomini Aeneas Sylvius aus Siena ren, 
(Bapft Pius 1II.), voll Bewunderung des deutſchen Sen 
weiens, fein Gemälde ausgeftattet, da der Fremdlingsblick Staͤdie. 
ihärfer fieht, ald das verwöhnte Auge eines heimiſchen 
Wanderers. — „Ueber Kölns Pradt an Kirchen und 
Burgerhäufern, feinen Reichthum und feine Wehrhaftigkeit 
geht nichts in Europa; das volfreihe Gent und Brügge, 
die Weltkaufſtadt, die fauberen Städte ded Niederlande, 
nd deutſch an Sitte und Sprade. Am prachtvoll ge= 
bauten alten Mainz tft nur die Enge der Gafien zu ta⸗ 
deln; Worms, obwohl Kleiner, ift Die anmuthigfte Stadt; 
Speiers Grabmünfter der Salier erfleht herrlicher aus 
dem Brande, und Straßburg (Argentina), mit Recht 
„fſilbern“ genannt, Venedig vergleichbar an ſeinen ſchiff⸗ 
baren, aber Ianter fließenden Kanälen, umſchließt einen 
Dom aus gehauenen Quadern, deſſen einer vollendeter 
Thurm fein bewunderungswürdiges Haupt in die Wolfen 
birgt. Des Stabthaufes, der Wohnhöfe der Bürger und 
des Klerus, brauchte fein König fih zu ſchaͤnen. Kaifer 
Karla Heilige Pfalzſtadt Aachen prangt mit herrlichen 


1.00. Bildſäulen; Baſels Ghrbarkeit und kluge Bürgerudt 


Bin. 


254 Bierter Theil. 


fteht im Preife bei Der ganzen Welt; Bernd Bürgermer 
fter führt Teiht 20,000 Bewaffnete in den Krieg. Dat 
alemanifshe Züri, Kempten und Memmingen zeichnen 
unter den oberländifdhen Städten fih aus; Augsburg 
ragt an Zierlichkeit, Neichthum der Laien und Pfaffen um 
bürgerlicher Ordnung hervor; Baierns Städte find ſchuud 
gebaut, Salzburg vor anderen prächtig. Regensbutz 
zeih an SHeiligthümern, ift größer; Palau prangt in ar 
muthiger Landſchaft. Unter Oeſterreichs Städten ſiht 
MWienerijh-Nenftadt als Kaiferfig neben Wien, deſ 
fen Stephand- Münfter Gefandte aus Bodnien mit den 
Ausrufe prießen, „der Ihurm allein jet Eoftbarer als ih 
ganzes Königreich.“ Schon umgaben weite DBorftädte da 
inneren feften Kern; Wiend Häufer waren zierlich, hodyr 
giebelt, gewölbt, bemalt son außen und innen, feinem, 
doch nur mit Schindeln gedeckt, verfehen mit Glasfenfen 
und gemeinhin eifernen Thüren. Drinnen reichlihes Ge 
räth, fingende Vögel; die Eingänge jeden Hauſes fürklid. 
So tiefe und weite Weinkeller, daß zu Wien nicht wenigt 
Bauwerk unter ald über ber Erde fein follte; bie Straßen 
gepflaftert mit ben Härteften Steinen. Andere herlift 
hochgewölbte, jäulengetragene Kirchen, voll koſtbarer He 
ligthümer; ein Klofter reuiger Frauen; eine berühmte hot 
Schule voll Studenten aus Ungarn und Oberdeutſcland 
bie jedoch, üppigem Genuffe ergeben, Tag und Nadt die 
Bürger beläfligten, gelodt von frechen Weibern. Die Zul 
ber Einwohner wird nad den 50000, die zum Tiſche di 
Heren gehen, gemefien. Der Rath beftcht aus 18 will 
baren Männern; Richter und Bürgermeifler ernennt der 
Landesherr nach Gefallen. Ungeheuer iſt die Menge ie 





Sechstes Bud. 255 


täglih eingeführten Lebensmittel aller Art, zumal des ! Kap 
Meind während der Lefe; vom Ausſchank fällt der fürft- 
lichen Kammer allein ein jährlicher Ertrag von 12000 Gold⸗ 
flüden. Uebrigens herrſcht in der gewaltigen Stadt Tag 
und Nacht Getümmel und Rauferei; bald waffnen fich die 
Sandwerfer gegen die Schüler; bald das Hofgefinde gegen 
die Handwerker, dann Diefe gegen andere; Mord und Tod- 
ſchlag begleiten jegliche Feſtlichkeit. Alle Bürger Halten 
Weinſchenken, Garküchen, nehmen gewinnfühtig Becher 
und Dirnen auf,” — Uebertreibt der ſonſt weltlich ge= 
finnte Italiener die Schilderung von der rohen Genußfucht 
ber Wiener, der Unzucht ihrer Weiber, der fchimpflichen 
Nachſicht bürgerlicher Ehemänner gegen adelige Buhlen, der 
kihtfinnigen Wirthichaft, der Giftmifcherei unter Gatten, 
und anderen Aergerniſſes, fo erkennen wir doch in den 
grellen Zügen des wiener Lebens im XV. Jahrhunderte 
wiederum den Hofſitz der Babenberge im XIII. Jahrhunderte, 
und den fittlichen Charakter der modernen Hauptftadt eines 
bunten Gemifches reicher, finnlicher, der Fülle der Güter 
faft erliegender Nationen. Der Verlauf des XV. und XVI. 
Sahrhundertö wird uns noch Gelegenheit geben, das frei⸗ 
beitö= und rechtäeifrige, tapfere, beutfche Bürgertum ber 
Wiener zu zeichnen. 

Von den Städten zwiſchen der Elbe und Weichiel 
hebt der Welfche „das mächtige und zierlih aus Biegeln 
erbaute Breslau hervor; Danzig, berühmt unter ben 
Preußen, fo flreitbar zu Waſſer und Lande, daß wohl 
0000 Krieger ausziehen. Alle Städte im Norden und 
Often übertrifft aber Lübeck an hohem Gebäu, prächtigen Tübel. 
Kirchen, Lübecks Anſehen fteht fo hoch, daß auf feinen 
Wink drei mächtige Reihe des Nordens ihre 


1.Rar. Herrſcher anzunehmen oder zu verfloßen gt: 


Rürn- 
berg. 


266 Bierter Theil. 


wohnt find Unverädhtlig find Lüneburg, Roflod, 
Hildesheim, Braunfhweig; lobreich Bremen m 


Magdeburg Ber mag Hollands, Brieslandt 


und Weftfalens Städte zählen? von denen Soeſts Hel⸗ 
denfampf gegen die halbe weftdeutfche Welt und bie mil 
den Huſſtten eben in aller Munde war. Unter Helms 
und Thüringens Gemeinwefen nimmt Erfurt den erflen 


Rang ein; in Franken Frankfurt, Ober» und Nieer 


deutfchlands gemeinfamer Markt, zwar großentheild von 


Holz, aber auch mit fleinernen Paläften geziert, in denen 


ſelbſt Könige nah Würden berbergen können. Steinen 
erheben fich die Gotteöhäufer, und die bewunberungswir- 
dige Mainbrüde. Hier prangt der Reichshof, in welden 
Fürften und Kurfürften über hohe Dinge beratben unt 
den römifhen König wählen Würzburg und Bam 
berg find nambaft wegen altgeheiligter Münfter und 1x 
gender Schlöffer; unverächtlid Rotenburg und zahlreicht 
fefte Städte in Franken. Zu den Frankenſtädten gehört 
jett au Rürnberg, von der Pegnig durchſchnitten. Wer 
fhildert den AUnblid, den Glanz, die Lage, das Wohl 
leben, die Bürgerzudt und Verfafſung derfelben? Bon 
außen gejehen, welche Erhabenheit und Zierde, von Innen, 
welder Schmuck, welche Sauberkeit der Häufer! Was il 
prächtiger, als das Münfter des H. Sebald ober bed 6. 
Laurentius? Was fefter und herrfihender als die Könige 
burg? Wie viel Bürgerhäufer, der Könige würdig, findet 
du dort! Die Könige der Schotten möhten wir 
fen, fo Herrlih zu wohnen, als Rürnberyd 
gewöhnlide Bürger, faft alle Kaufleute, Künſtler und 
Sandwerfer! — inter den Schwaben, jenfeitd der Donau, 


Schstes Bud. 257. 


IR Ulm die Königin, an Macht und fädtifcher Jier. Mit 1. Kap- 
Wahrheit kann man behaupten, daß kein Voll Euro- 
pas reinlicdere und luſtiger belegene Städte: bewohne, als 
das deutſche. Freilich glänzt in Italien Venedig, Genua, 
Florenz und Neapel; aber beim Vergleich des Geſammtzu⸗ 
fandes findet man Deutſchlands Städte fo neu, als 
wären fie erfi vorgeflern erbaut. Wenn da Macht 
und Reichthum ift, wo Kaufleute find,. müffen die Deut⸗ 
hen das reichſte Volk fein, weil ber meifte Theil von 
ifnen um Kaufſchatz weit und breit die Länder durchwan⸗ 
dert.“ 

Indem der welſche Lobredner von der Schilderung 
fürſtlicher Macht auf die Reichsſtaͤdte zurückkommt, bes 
hauptet er, „kein Volk unter der Sonne genöffe größere 
Breiheit, als dieſe, welche dem Kaifer allein unterworfen. / 
Was Italien Freiheit nenne, in Venedig, Florenz ober 
Siena, fei Knechtſchaft, da wenige Bürger bie übrigen 
beherrſchten, und ihnen weder den Genuß ihrer Güter, 
noch das freie Wort geflatteten, dagegen fie mit harten 
Eteuerm belaſteten. Bet den Deutfchen jedoch ſei alles 
froh und freudig; einer feines Gut unſicher; jedem 
jein Erbe unverfümmert; bie Obrigkeit nur dem Verbrecher 
um Schreden; auch tobten unter ihnen Feine Parteien, 
wie in Welſchland. Solcher Freiheit gendffen aber über 
Hundert Städte, belegen am Mhein und an der Donau, 
wie im Binnenlande und die an der See, welde man 
Seeflädte nennt. Alle, zufammen verbunden, wehren fürft- 
liche Unbilden mit eigenen Waffen ab.” — Endlich preifet 
der Bewunderer bie beutfche Wehrhaftigkeit: „nicht allein 
jeder Avelige, auch jeder zünftige Bürger Hat eine 


Raͤſtlammer in feinem Haufe, um bei. jedem Ani oder 
Barthold, Städtewefen. IV. 


258 Bierter Theil: 


ARay. Maffenruf geräflet herauszutreten. Staunenswerth if bie 
Geſchicklichkeit in der Handhabung aller Wehren, beſonders 
der Armbruft und des Wurfgeſchützes. Wer ber Deutſchen 
Öffentliche Aüfthäufer geichen, muß die Waffenvorräthe 
anderer verlachen; fo viel große Bliden und Steinfchleu- 
dern, fo viel Sturmböde, fo viel eherne Büchſen von un⸗ 
geheurer Größe, die fle Bombarden nennen, und für beren 
Erfinder fie gelten, werben dort erblidt.“ — Wohl hatte 
der fchauluftige Wanderer, des Concils und des Kaifers 
Geheimfchreiber und vielbetrauter Sendbote, etwa Straß 
burgs, Ulms, Bernd, Lübecks oder gar Nürnbergs Rüſt⸗ 
haus gefehen, deſſen Fülle am mannigfaltigften Kriegsge⸗ 
räthe Konrad Celtes am Ende des Jahrhunderts nicht fatt- 
jam anzuflaunen vermag. 

Sp erfhienen um das I. 1458 dem Fremdlinge, 
der freilich Durch freigebiges Lob ihres Reichthums Die bes 
teogene Nation über die Finanzkünfte Roms zu tröften 
fuchte, unfere Gemeinweien, was ihre äußerliche Statt⸗ 
Kichkett, ihre Wehranftalten, ihren Wohlſtand und ihre Zrei- 
heit betrifft; ein Schein, welder noch bis kurz vor bem 
Dreißigjährigen Kriege die innere Gefunfenheit umkleidete. 
Andere Seiten, die derbe oder finnige Luft des Lebens, 
firengen Manneöfinn, die Einfalt der Sitte und Unart, 
gemüthvolle Genüſſe, Streben nah Geiſtesbildung und 
weltveredelnde Kunfifertigkeit müffen wir und begnügen, 
gelegentlich zu zeichnen. — 

en Der römiſche König Briebrid III, neben feinem Bru- 
der Albrecht VI. und feinem Better Sigismund im Beflt 
nur eines dritten Theils der habsburgiſchen Stammlande, 
während König Albrechts II. unmündiger Sohn Labislav 
bie größeren Erwerbungen unb bie Hauptſtadt Wien er- 


Sechstes Buuch. 259 


erbte, überfam bei feiner Wahl (Februar 1440) eine un: 1. 
geheuer zerrütfete Welt, indem das Concil zu Bafel anftatt 
de8 ungefügigen Papftes Eugen IV. im November 1439 
Felix V. erhoben hatte, Die Osmanen den Reſt des grie- 
chiſchen Kaiſerthums und Ungarn bedroheten, und der Bus 
fand des deutſchen Reichs faft .anfgelöft war. Aber Lt) Bir 
bedacht, die alten Ansprüche feines Haufes in Alemannien 
wieder zur. Geltung zu. bringen, verbünbete der römiſche 
König ſich mit Zürich, das mit den übrigen Kantonen über 
Toggenburg in Zwift Iag, und begann mit den Eidgenof« 
fm einen Krieg (1443), der um fo verberblicher ausfchlas 
gen mußte, ald der alte Gegenſatz zwiſchen Adel. und 
Gmeinen, in Schwaben zumal, wieder. erwacht war und ! 
die „Seeftäbte” wie die Reichsſtäͤdte des ‚‚niederer Bun⸗ 
des“ vereint den Kampf gegen die räuberifche Ritterſchaft 
im Hegau, und mit ben fraänkiſchen Städten der alten 
Einigung auch in Franken, nachdrücklich begonnen Hatten 
{1441— 1442). Schon war nicht mehr die Trage, ob das 
Reichsoberhaupt die Erneuerung oder Ausdehnung des 
Bundes erlaube, deſſen Anſchlag vom J. 1445 unter Ulms, 
Nürnbergs und Augsburgs Leitung, einunddreißig Städte 
aufzählte. Den Reichsbürgern nicht gewachſen, mußte der 
Adel, ſelbſt die friedlichere jüngſt gebildete Ritterſchaft vom 
St. Georgenſchilde, alsbald den Fürſten ſich anfchließen, 
und erweiterte ſich ſchnell der verhängnißvolle Zwieſpalt, 
welcher, haßentbrannt, Fürſten und Adel überall den Ge 
meinen gegenüberflellte, und im gefammten Reiche noch⸗ 
mals ruhmwürdige Wechſelfaͤlle des Waffenglücks bedingte: 
Denn als der Habsburger mit feinen Bundesgenoſſen, 
Zürich und dem Pfauenſchweif, ſieglos gegen Die alten 
Orte forht; denen. der Stäbtenerein ein gutes Einverſtänd⸗ 
17* 


260 Bierter Theil. 


1.809. niß nicht verfagte, that der Unberatbene jenen reichsver⸗ 
sätherifchen Schritt wirklich, befien Karl IV. ohne offen- 
kundigen Beweis bezüchtigt wurde. Er bot den Reichs— 
feind, die Franzoſen, auf, um feine @igenfudht zu be⸗ 
friedigen, zur Freude des Adels, dem nun. die Stunde ber 
Made an Bürgern und Bauern gefommen fihien. Auf Aus 
fuchen König Friedrichs und Herzog Sigismunds von Tirol 
fandte ber kluge König Karl VII. von Sranfreih, eben 
aufathmend vom englifhen Kriege, unter dem Dauphin 
Ludwig ein Heer von 60000 Mann, die. man nach dem 
früheren Yührer und Parteihaupte die Armagnaken, dad 
übermüthige Bürgertum dagegen nach ihrer Heimſchickung 

ae „Arme Geden‘ nannte. Burfard Mönch, jenes bürger- 
feindlichen Geſchlechts von Bafel, und Hand von Rechberg, 
zeigten ben feit nahe Hundert Jahren gefürchteten Gäften 
ben Weg, als fie über Metz, Mömpelgarb und den Sundgan 
herangogen, nicht allein um Habsburg und dem Adel einen 
Ritterdienſt gegen die Eidgenofjen zu leiſten, und das Concil 
zu fprengen, ſondern auch fih durch Beute an Sreund und 
Feind zu bereichern, und, ginge es, vom wankenden Meiche 
da8 Linfe Rheinufer loszureißen. Alle, denen bas 
Baterland lich war, erbangten bei folder Kunde; zumal 
bie Städte des Elſaß. Aber die alten Eidgenoſſen, zum 
Schuß des angſtvollen Bafeld von Zürichs Umlagerung in 
geringer Zahl hHerbeigeeilt, warfen am 26. Auguft 1444 
muthbrünflig die Vorhut der Armagnaken über die Bird, 
und erlagen zwar, durch Siegestrunkenheit weiter gelodt, 
in der deutſchen Thermopyhlenſchlacht bei St. Jacob, kühlten 
jedoh dem Daupfin den Muth, mit fo tobveradhtenden 
Männern weiter zu Erliegen. Mit den Schweizern friebend, 
309 ex im bas Elſaß, ließ auf beutichem Boden feine un» 








Sechſtes Bud. Hr 


menſchlichen Schaaren ihre Frevel üben, und ohne Huhn 1-Mır 
großer raͤhender Ihaten, ſelbſt als der Gemeinſtun bes 
Reihe erwachte, fah unfer ſtarkes, verrathenes Volk das 
Gewitter Iangfam über die Scheidegebirge ſich entfernen. 
Wachſam und zum aͤußerſten entfchloffen, hatten Straßburg 
und die größeren Städte welfcher Verlodung und Gewalt 
fh enwehrt, ehe der. hefchämte römiſche König auf dem 
Tage zu Nürnberg die theils gleichgültigen,, theils ſchaden⸗ 
froh triumphirenden Kurfürften und Fürſten, wie die von 
Arier und Köln und Mainz, zu würdigen Entichlüffen ver 
mot; nicht ein einmäthtges, racheentflammtes Rei di s⸗ 
aufgebot, fondern bie ſchwaͤchliche Kachtung“ zu Trier 
führte zum Ende des Jammers der offenen MRheinlande 
(Min 1445). Aber Sorge und Groll gegen Fürſten und 
Abel, Mißtrauen gegen den römifchen König, der ſich ohne 
Erröthen son den GBefandten des Daupbins auf offenem 
Reichſtage ins Geficht fagen laffen mußte, ‚er, um: feinem 
Adel gegen den Bösel zu helfen, Habe das Volk bei Frankreich 
erbeten“, nifteten in dem Herzen der Bürger. Denn lichter als 
der Tag war ber Plan ber Fürften, die Freiheit der Städte zu 
erdrücken. Während ber Krieg gegen die Eidgenoſſen ohne 
Erfolg für Habsburg fortbauerte, und erſt aus Ermüdung 
der Angreifer t. 3. 1446 beendigt wurde; Zürich nad) dem 
Spruch des Bürgermeifterd von Augsburg in feine früßere 
Stellung zur Eidgenofjenfchaft zurüdtreten, Rheinfelden, fett 
1415 wieder unmittelbar, den Haboburgern ſich beugen mußte, 
Schaffhauſen dagegen bei den Schweizern Schuß ſuchte; verbreis 
tete fich Die Flamme durch Ober- und Mitteldeutfchland. Beſon⸗ 
ders plagte der Abel Frankens, mit Vorſchub der Markgrafen 
von Brandenburg, bie 1.3. 1427 ihre burggräflichen Rechte 
und Beflgungen, ſelbſt die i. 3. 1420. verbrannte Burg an 


262 Bierter Theil, 


My. Härnberg verkauft hatten, bie reihe Suabt durch Nieder⸗ 
werfung ihrer Gier und Raubbrand; weßhalb Die fchwä- 
biſchen Städte 1.3..1146 ihren Bund erneuerten, und auf 
bie Kunde von den Müſtungen des Markgrafen Albrecht, 
bed Verächters des Bürgertfumd, auf dem Tage zu 
Um fih in Berfaflung fetten: So flanden Die Dinge 
zwiſchen Zürften, Adel und. Städten. wieder wie in ben 
Tagen von Sempach und Döffingen, und brach Der letzte 

ee große Stäbtefrieg aus (Iuli 1449), ald dee deutſche 

frieg. Achilles die gütlihen Exrbietungen und Opfer ber Nüms- 
berger mit fhmählichem Hochmuth verwarf, und mit ihm 22 
Zürften, 38 Grafen und Herren, über 3000 Ritter und 
Knechte der Stadt abingten. Die vierfahe Fehde, des 
Markgrafen und feiner Helfer gegen Nürnberg und 30 
Reichsſtädte, des Grafen Ulrich son Wirtemberg gegen ta8 
heraudfordernde Eßlingen und einzelne Bundesftädte, ded 
Markgrafen von Baden gegen. Rotenburg insbeſondere, deb 
Erzbischofs Dietrich von Mainz gegen Schwäbifch-Gall, ſchnell 
zu einem allgemeinen Kriege faſt aller Stände Ober 
und Mittel« Deutjchlands entbrannt, war jedoch mehr ein 
leidige Hin⸗ und Herziehen, Nieberbrennen von Dürfen 
und Flecken, Verwüſten ver Zelder und Weinberge, alß 
ein ritterliher offener Kampf. Nur die. Nürnberger, un 
angreiflih Hinter ihren flarfen Mauern, flegten, geführt 
von ‚erfahrenen Hauptleuten. aus dem Adel, im Treffen bei 
Pillenreut (11. März 1450) über den ſtolzen Achilles, daß 
der gefeierte Turnier- und Schlachtenheld mit Noch auf 
Schwabach entfloh; ſolche Ihat befang die Volksmuſe wir 
den Tag von St. Jacob. — Als .anderfrits das ſchwaͤbi⸗ 
ſche Städtenolf unweit Eßlingen mit Verluſt feines Hampt- 
banners und der Hauptleute von.Ulm und Nördlingen um 








Schstes Buß, 263 


terlegen, und faft nichts mehr zu verheeren war, begann 1-2. 
zuerft ben Städten der Muth zu finfen. Nah manchen 
Unterhandlungen, wie aud Heilbronns ſchöne Landſchaft 

eine Wüfle war, vermittelte das ernſtere Einfchreiten bes 
römiſchen Königs auf einer Tagefahrt zu Bamberg (Iunt 
1450) einen Frieden, der zwar im allgemeinen den Zuſtand 

vor dem Kriege wieberherfiellte, und fürs erſte feine Stadt 

von ihrer Meichöfreiheit verdrängte, aber dennoch die Fürs 
fienmadht unzweifelhaft als Obfleger hervorgehen ließ. Die 
erflärliche Hülfloſigkeit Eleinerer Schwefterftäbte, die als 
aferbauend zwijchen ben SHerrngebieten die Geißel de 
Kriegs am härteften empfanben; Mangel an freubiger Auf⸗ 
opferung der Einzelnen, wie an gemeinfdaftlichen Kriegs- 
plaͤnen, kleinliche Selbftfucht, endlich verminderte Wehrhafe 
tigfett und Waffengeübtheit der jungen Gefellen, welde 

das Bebürfniß fremder Söldner fühlbar machten, trugen ein- 
geſtaͤndig die Schuld des Mißlingens. Da verduntelte FE 
ber Werth bürgerlicher Breiheit in den Gemüthern; man Städte 
gewöhnte fih Die Koften zur Vertheidigung derſelben höher 
anzufhlagen, als deren Genuß, beneidete den ruhigen 
Wohlſtand fürftlicher Landflätte, fand die größere Ver⸗ 
einigung unbequem und nachtheilig, und näherte fich be= 
denflih den Zürften, um in allgemeinen Landfriedensbünd⸗ 
niffen eine untergeorbnete Rolle zu übernehmen. Das Bei- 

friel ſchmählicher Selbſtverzichtung begann zuerſt Donau Denn 
werth; aus hohenftaufifcher (1266), wittelöbachifcher (1336) _ 
und Tügelburgifcher Verpfändung immer wieder Losgelöft, 
hatte die Grenzſtadt bis 1434 faſt 60 Jahre in Baierns 
Befitz geflanden, ald Herzog Ludwig der Reiche die Gunft 

der Zeiten begriff, alte Anſprüche hervorſuchte, in der Ge⸗ 
meinde Diener erfaufte, und, ungeachtet der ernften Ab⸗ 





284 Bierter Theil 


Lay. mahnung bed Kaiſers, am 20. October 1458 bie ver⸗ 
zathene oder feig verzichtente Bürgerfchaft unter feinen Yuf 
brachte. Nicht Die vereinte Anfktengung ber ehemaligen 
Bundesglieder, ſondern des Kaiſers Neid auf Wittelsbacht 
Wachsthum, die Drohung eines Reichskrieges, endlich päpf- 
liche Vermittelung verhalf den Donaumwerthern wieder zu 
einen Gute, defien fie von 1459 bis zum verhaͤngnißvol⸗ 
Ien 3. 1606 genofien. Gleich darauf follte Die deutſche 
Städtewelt dur ben gewaltfamen Untergang des hochbe⸗ 
rühmten Hortd der Freiheit am Rheine betäubt werden, 
und, faum ein Vierteljahrhundert fpäter, die unglaublichſte 
Selbfterniedrigung der hochmüthigſten Freiſtadt an be 
Donau erfahren. 

=. Inzwifhen war auf ein anderes Streben, weldes 

— hellen Blicks unſer Bürgerthum herzhaft verfolgt hatte, die 
Meformation der Kirche amd Die VBeſchränkung ber römiſchen 
Geldgier, nach dem Tode des beharrlichen Cugen IV. durch 
das Concordat zu Wien, welches Friedrich eigenwillig ge 
ſchloſſen (1448), ſchmaͤhlich vereitelt worden. Bei ben 
Satzungen des Concils Hatten die freien Städte am läng—⸗ 
fen audgehalten, und darum fand die Brebigt des zweiten 
Huß in ihrer Mitte auch den erſten, freudigſten Eingang. 
Bafel ſelbſt Fnüpfte an den Ausgang der fruchtlofen Ber 
jammlung (4448) das Gedächtniß der Stiftung feiner ehren 
zeichen Hochhſchule. — 

an Während ber Glüläfternn des Bürgerthums in Sub 

— und Mittel⸗Deutſchland ſichtlicher zu verbleichen begann, 

Iande. Hatte im Norden und Weſten die verſchworene Fürſtenpoli⸗ 

tie mit ungleigem Erfolge die gleihen Schritte verfudt. 
Die Hanfa ſchrumpfte immer mehr auf den Bund ber Ofkr 
linge zufammen, feit Bhilipp von Burgund Die Hanbelk 





Schstes Bud. 268. 


intereffen feiner Seeftäbte, einft fo treuer GElieder des 1. 
dentfihen Kaufmannsvereins, machtvoll vertrat (1438 his 
1441). Den Riederländern blieb die Oftfee geöffnet, und 
nur noch kleinere Städte zwiſchen Maas und Rhein Harı= 
ten bis ins XVI. Jahrhundert beim alten Berbanbe, wähs 
rend die größeren, Amflerdam, Dorbrecht, Motterdam neue 
Bahnen verfolgten, und den nieberländifhen Welthandel 
ald einen von Deutfhland getrennten zu fchaffen be= 
müht waren. Zwar wich Erich. der Bommer, aus Unmuth 
über Schwebend Abfall, einem verſchuldeten Geſchicke (1437), 
und wurde Chriſtoph von Baiern unter Lübecks Mitwirkung 
1,3. 1440 auf den Thron Dänemarks, dann Schwebens und 
mm Erben Rorwegens erhoben; aber der Pfalzgraf bradite 
unehrliche politifche Künfte und heimifchen Haß gegen das 
Bürgertfum an das Geftabe der Oſtſee, und flärfte auf 
der Zuſammenkunft nord= und mitteldeutfcher Kürften beim 
Wunderblute zu Wisnack (1445) den feindfeligen Sinn 
feiner Standesgenoſſen. Dennoch fcheiterte fein vorbereite⸗ 
er Blan, bie gafllihe Stadt Kübel im Gerbſte 1447 Lübed. 
tücliſch zu überfallen und unter feinen Fuß zu beugen, an 
der Wachſamkeit bed norddeutſchen Bürgerthbums, und ſtei⸗ 
jerte überall an der Dflfee Mißtrauen gegen die Fürſten, 
ınd Groll des Beſchämten gegen das Städtenolf. Als 
inter unſäglichem Getümmel des Nordens nad Chriſtophs 
des Unionskönigs Tode dad Band von Kalınar fi Löfte, 
vb die Wahl „Junker“ Ehriftiand von Oldenburg (1448) 
um Könige Dänemarks den Lübeckern eine neue Gelegen- 
yeit, jenes merkwürdige Wort des BZeitgenofien Aeneas 
Sylvius zu bewahrheiten. Aber ſchon i. 3. 1457 verei⸗ — 
nigte erſtens die Anerkennung Chriſtians I. in Schweden, fin ı. 
md dann i. 3. 1460, nach Ausſterben der Schaumburger übel. 





266 Bierter Theil 


LE. in Schleswig und Holſtein, die voreilige Wahlhaudlug 
der Stände beider Länder, mehr Macht unter einer Kom, 
als ſelbſt Die Waldemare befefien, und warb jener ti 
Grund zu jahrhundertlangen Zerwürfniffen gelegt. Härr 
Lübeck die Saat der Dinge erkannt, und mit Hamburg die 
gerechte Sache des natürlichen Erben Holfteins, ver Gm 
fen von Schaumburg, ftaatöflug umfaßt, fo Ing das Ge 
ſchick der Zukunft in feiner Hand. Aber auch hier verkal 
großer, politifher Sinn in Spiepbürgerlichfeit und Ken 
lihen Eigennug; begütigt durch pergamentene Berfiherm 
gefiel ſich der hanſiſche Vorort in diplomatiſcher Zhätigkei 
und half, flatt fie zu firmen, bie Eider⸗Frieſen und di 
freien Bauern der Elbmarſchen unter das daͤniſche 34 
beugen (1470). 

aan Anderwärtd in Norddeutfchland war gleichzeitig, wen 

sin auch nicht reichsſtändiſches, doch altverbürgtes ge 
meinheitliches Recht unterdrückt. Der erſte Hohen 
lern in Brandenburg Hatte die Städte klüglich geſchont, dr 
ihm fih willig unterworfen; ihre Freiheit, eine Uebelir 
ferung aus der anhaltifchen Periode, war in den Zapa 
erzwungener Selbſthülfe trogig erflarkt; noch bis 1431 ge 
das kaiſerliche Hofgericht als höchſte Inftanz, und ad 
noch fpäter ward das Vereinsredht ber maͤrkiſchen Städt 
zum Schug gegen Gewalt thatfählih geübt. Wadiıs 
ftanden die „Vier Gewerke” (Knochenhauer, Gewandſchat⸗ 
der, Schuſter und Bäder) dem gemeinfchaftlichen Net 

Berlin- Kölns zur Seite; bedeutender Gebietserwerb ff 

den Städten zu, und reich waren die Bürger an Lehen 

doch des Kurfürſten Kammer verarmt in Wolge des Her 
fitenkrieges. Da brach gleich nach dem Tode Kriedridt | 

(1440), als Friedrich „mit dem eifernen Zahne“, de— 











Schstes Bud. 267. 


‚Ahilles‘ Bruber, eingeweihet in die Politik fübbeutfcher 1m. 
fürften, Die Herrſchaft überfommen, böfer Hader zwiſchen 
en Rathsgliedern der Zwillingsftadt, zwifchen den „Vier⸗ 
verken“, der Gemeinheit und dem Mathe felbft aus, und 
it dem entschlofienen Kurfürften, der nach Brauch der Zeit 
Ihne Anmeldung kaum in feinen beſcheidenen Burghof un⸗ 
veit des Barfüperflofterd einreiten durfte, die Gelegenheit, 
Me unter feinen Fuß zu bringen. Denn von den Räthen 
ingeladen, ala Richter zu entfcheiden und „das ungehors 
ame Bol zu bezwingen’; erſchien Friedrich, aber mit 600 
einer Mannen, gewann gebieterifh Einlaß, verhörte bie 
Klagen aller Parteien, von denen bie des Berliner Rathes 
iber den Kölner zumal nichtig waren, und beugte Die Zwi⸗ 
tigen ſeinem eifernen Willen.. Die Gefammtheit verlor an 
kraft, indem der Huge Herr da8 ſeit 1307 gemeinſchaft⸗ 
ihe Regiment trennte, und, nachdem er die Schlüfjel der 
ehore zu Händen genommen, auf „Bitten der Gewerke und 
hemeinde“ für jede Stadt einen befonderen Rath, zwei 
Bürgermeifter und zehn Rathmannen für Berlin, die ver- 
ſältnißmaäßige Halbe Zahl für Köln einſetzte, die. alljähr- 
ih, wie die XVI Männer, wechfeln, und, wenn auch 
ud der Gemeinde erwählt, dennoch erfi vom. Landes⸗ 
jeren beftätigt werben .follten. Alle früheren Sreibriefe und 
Privilegien ‚verloren durch Abfchneiden der Siegel ihre Gül⸗ 
igkeit; die ſcheinbar bemofratifch umgewandelte Stadt mußte 
brer Verbindung und ihrem Verbindungsrechte inner⸗ und 
wußerhalb der Mark entjagen. Erſt fo ward Vriebrid (26. 
Februar 1442) unmittelbarer Gebieter, und nöthigte leicht 
ie Eingefchüchterten, ihm zum Bau eines, fpäter auch mit 
tattlihen Burglehnen verfehenen Schlofjes, den geeignet- 
ten Raum nebft dem Mathhaufe auf der Spree und dem 


268 Bierter Theil. 


1. höchſten und niebrigflen Gerichte beider Städte gegen Her⸗ 
ausgabe ihrer Kaͤmmereidorfſchaften abzutreten (29. Aug 
1442). Nob war das Bürgerthum nicht geeignet, dirk 
große Abrechnung, welche das Werk faſt zweier Jahrhun⸗ 
derte vernidgtete, und file zu „eigen“ machte, gedaldiz 
zu tragen. Ihm gingen die Augen über feinen Fehler af. 
Reckerei und Gewaltthat gegen die fürlichen Diener, Ver⸗ 
binderung des Schloßbaues, verbotenes Einverfländniß mi 
den Nachbarftädten, verfchuldeten darauf im Frühling 1448 
ein ſtrengeres Gericht, dem, verlafien von den Schweſtetze⸗ 
meinden, bei offener Fehde gegen fürftfige Schäglinge, de 
Gebeugten in Spandau ſich ſtellten. Bor Vaſallen m 
anderen gefügigen Ständen des Kurfürften aller ihrer be 
gangenen Unbilden angeklagt, beſonders „der unglimpflihen 
Meden in Weinfelern und anderäwo”, und „im Krieg 
echtes’ überführt, gelobten die Bürger in ber Ehe 
vom 25. Mat 1448 unverbrüchliche Haltung der Unten 
werfungöbriefe vo. 3. 1442, übergaben die Häupter vi 
Aufflandes im Herbſte dem Erzürnten al ihr verwirhiti 
Rehngut. Manche erhiekten dafjelbe gnädig zurüd, wurdn 
aber aus den vier märlifchen Hauptſtaͤdten, ben beiten 
Brandenburg, Prenzlau und Frankfurt, verwieſen, und ii 
befeftigte fich über der zahmeren Gemeinde die neue Orbnun 
der Dinge, zumal viel Diener des Landesheren haushäbig 
oder mit Burglehen innerhalb der Mauern und des Weih 
Bildes fich anſtedelten. Fortan ftellte die Gemeinde, weii 
noch reich genug erfcheint, gehorfam bedeutende Manni 
und Kriegsbedarf zu den Fehden bed Kurfürflen für M 
und die Orifchaften „ihrer Sprache”, und genoß auch neh 
mancher herkömmlichen Befugniß; aber ſelbſt ſtanbildliqh 
bekundete ſich das Ende mittelaltriget tapferer Freiheit, Inden 















Sechstes Bud. 369. 


zerlins Wappen ſeit d. I. 1448 flatt des grimmen, wie t.Rm.' 


um Kampfe fhreitenden, einen gebeugt trabenden Bären 
gt, mit dem Schmucke eines Halthandes und dem ges 
tigen Abler auf dem Rücken. — 

Erkennen wir um bie Witte des XV. Zahrhunderts 
iſt in den meiſten Staͤdten des inneren Deutſchlands bei 
ußerem Glanze den Verfall des Unabhaͤngigkeitseifers, un⸗ 


warf fich ſelbſt das ſpröde Erfurt i. J. 1440 dem Schutze Erfurt. 


er Wettiner, des Kurfürſten Friedrich des Gütigen und 
ined Bruders Wilhelm, Erben Friedrichs des Etreit⸗ 


aren ſeit 1438; bildete in geſchloſſenen Territorien der 


aͤndiſche Unterſchied zwiſchen zahmen fehriftfäffigen Städten. 
nd fröhnenden Amtäftäbten ſich aus; jo war doch ander⸗ 
its Das ererbte Rechts⸗ und Kraftgefühl noch weit vom 
löjhen, und leuchtete zumal, ber Eibgenofienfchaft zu 
eſchweigen, in den altjaffifchen Städten, in Pommern, in 
zreußen, am Oberrhein, ja in Defterreih hell auf, wenn. 
ft auch überall ohne dauernde Genugthuung. Soeſt, das 
aupt der Engern, flieg mit bem verwandten Lippftabt 
nf zum Ruhme der tapferſten Stadt ſaſſiſcher Zunge; 
leichzeitig mit der Thermopylenſchlacht der Eidgenoſſen, 
nd ber Nürnberger Sieg bei Pillenreut, gleich wie Dort⸗ 
und in den Tagen son Sempach und Döffingen den 
kannesmuth der Safjenftädte verherrlicht Hatte, — 
Währent Köln unangefochten feiner Freiheit und volks⸗ 
jümlichen Verfaffung ſich freute, an großartigen Baumer« 
n, wie ber Rathhausthurm, das Rüſthaus, der Gürzenich, 
5 Itallenerd Lob verdiente; ohne Gefährdung feinen: 
orſichtigen Erzbifchofe in Fehden, wie in ber gegen Berg 
3. 1416, treulih Half, wenn auch Händel (wie 1418 
id 1424) unausbleiblih; verhängte Dietrihs ton Mörs 


Köln. 


270 Bierter Theil 


Ray. Eigenwille und Habſucht (1414— 1463) ſchweren Drang 
über andere Stiftsſtaͤdte, und verlor ex feine Kirche bar 
König Dagoberts Toftbares Geſchenk. Zwar fchredten Wefe 
Iens Freigerichte durch maßlofen Mißbrauch der Esocationen, 
allen Reformen Nupreihts, Sigismunds und allen Reihe 
und Kapiteldfchlüffen zum Trog, in fernften deutſchen fan 
den mächtige Fürften, ganze Städte, Herren und friedlide 
Bürger, und nöthigten felbft den römiſchen Kaifer, von 
der Borladung eines armfeligen Breigrafen von Wünnenderg 
Kunde zu nehmen, aus Sorge, „für einen ungehorimen 
Kaifer angefehen zu werden‘; aber dennoch finden wie in 
feinem Neichstheile mehr Gewaltthat und Friedbruch, und 
weniger öffentliche Sicherheit, als auf der „rothen Erde“ 
mit ihren hundert Sreiftühlen und zehntaufend Wiſſenden 
Deffenungeachtet grünten auch hier die Städte in faft reiht 

lüefreier Ungebundenheit, bejonderd Soeft, dem nichts zu 
wünfchen übrig, nicht einmal die Aufnahme in bie Reihe 
matrifel, da Laien und Pfaffen — i. 3. 1403 Hatte jet 
der Dechant des Patroklusſtiftes feine Einferferung vr 
fhmerzen müffen — mit ſcheuer Achtung auf das mächtige 
Gemeinwefen blickten. Willig hatte Kurfürft Dietrich tm 
der Huldigumg i. J. 1414 Soeſts Privilegien und Nett 
beftätigt und feinen böfen Willen fund gethan, bis a 
wie andere Fürften verſchuldet in Folge der Huſſttenkriex 
und vieler Fehden, zumal mit Adolf VI., Grafen von It 
Mark und jeit 1415 Herzoge von Kleve, i. 3. 148 
feine Unterthanen mit unerhörten Steuern zu belaften 
gann. Das arme Landvolk feufzte, und gab; Neuß, 
zweite Stiftsfladt am Rhein, widerſetzte fih zwar, m 
wurhbliide Bürger waren nahe Daran, auf Huffktifh m 
dem Kirchenfürften zu verfahren (1435), bequemte ſich ae 





Sechstes Bud. 271 


ndlih do der Buße. Don Weflfülend Städten Tiep 1.Rw._' 
5oeft allein fich weder berücken noch ſchrecken, näherte ſich, 
16 des erboften Erzbiſchofs Drohungen zur That wurden, 
wm alten Freunde, Herzog Adolf von Kleve, dem uriges 
ühnten Gegner Kölns, und begab fih endlich, als alle 
tinnlichen Mittel der Güte nichts fruchteten, Kirchenbann 
nd Aechtung durch den parteiiſchen Kaifer nicht ausblieben, 
er Priefter mit feinen Helfern Vernichtung fdmaubte, im 
ahre des Armengedenkfrieges (Frühling 1444) als erh 
ntertbänitg in den Schuß des alten Herzog; jedoch mit. 
em aͤngſtlich verffaufulirten Vorbehalte aller feiner Frei⸗ 
eiten, Rechte und Beſitzthümer. Kaum gewann ber Schirm- 
ar etwas andere von fo widerſpruchsvollem Unterwer⸗ 
ingsakte als die Hoffnung für die Zukunft, die er 
it allen Standesgenofien theilte. „Wettet biscop 
ſierich van moers dat wy den veſten junker 
ohan van Cleve lever hebbet alſe juwe, und 
ert Juwe hiemit abgeſagt. Dat. Soeſt. 1444“, 
ntete die Gehorſamsaufkündigung der ſonſt langſamen 
ſſtſchen Bürger, nachdem fie dem ritterlichen Junker 
ohann an Stelle ſeines Vaters gehuldigt. Es erhob 
h nun fünf Jahre hindurch ein grauenvoller Krieg 
akleviſchen und märkiſchen Gebiete, beſonders aber in 
T ‚Börde‘ der Stadt Soeft und im kölniſchen Weſtfalen, 
: dem, mwuthentbrannt über die Srechheit des Bürgervolks, 
z Erzbiſchof, im Bunde mit den Bifhöfen von Münfter, 
n Hildesheim, son Minden, den Herzogen von Baiern, 
n fähflfchen Wettinern, Dem Markgrafen Friedrich II. von 
randenburg , -den Welfen Wilhelm, einigen Dutzend 
rafen und Breiherren som Niederrhein bis zum Main 
nauf, nebft der Reichsſtadt Dortmund, der alten Neiderin, 





272 Bierter Theil 


12* alliaͤhrlich, beſonders zur Erndtezeit Die Börde fon 
108 verwãſtete, während bie Kaufleute und Zünftler von 
Soft, unterffügt vou Junker Iohaun und deſſen Rittn- 
ſchaft, unter ihren Bürgermeiftern und Hoverern, die An 
ern und Thürme ber weiten Stadt, ein Werk weilm! 
Philipps von Heinsberg, wachſam und entfchlofjen verthei⸗ 
digten, und bei günfliger Gelegenheit Gleiches weithin in 
kölniſchem Gebiete vergaltn. Aus alter Irene halfen dm 
Soeftern nur die Bürger von Münfter, Osnabrück, Par 
born, zum Theil gegen den Willen ihrer Bijchöfe; die 
Grafen von der Lippe, Die werthe Schwefterftabt Lippe, unt, 
mit befonderer Ausdauer, das maͤrkiſche Hammı ; die Städt 
überwiegend mehr mit Vorräihen und Lebensmitteln, al 
mit Mannſchaft. Wie nun zumal der gejchärfte Bann Wi 
Erzbiſchofs an den verketzerten Seelen abglitt, welche flüg 
Hd Hei Eugen IV. gegen Dietrih, den Anhänger ber Kir 
henverfammlung, Halt geſucht; des romiſchen Königs AR, 
wie früher fein Rechtsſpruch, Traftlos blieb; alle „Kriegb 
poffen“ und Heldenthaten ber deuiſchen Ritter und Söltne, 
alle Schrediniffe und Liften, Verlockung der Zünfte gega 
den Math, felbft die barbariſche Behandlung armer gefar 
gener Weiber, nichts fruchteten; ergriff die oberpriefterlid 
Heiligkeit, unter fortdauernden Sühneverjudgen von ur 
ſchiedener Seite, der Hanſa, des Herzogs Philipp von Bur 
gund und anderer, das verzweifelte Mittel, fremde 
Kriegsvolk, Die huffitifhen Ketzer, Deutfchlands noch fühlbe 
Geißel, gegen rechtgläubige Untertbanen zu mieten! 

Ein Heer Böhmen, das eben damals Herzog Bir 
beim von Sachſen zum Kriege gegen feinen Bruber, I 
fanftmüthigen Kurfürften Friedrich, herbeigelockt, wäh 
fh, mit wilben Meißnern verbunden (Juni 1447), a8 


Sechstes Bud. 273 


Thüringen gegen die Wefer, bezeichnete feinen Weg mit IR. 
gleih unmenfhliher Verwüftung, mit Mord und Brand, 
wie die Armagnafen, befonderd an Kirdhen und Klö- 
fern der Grafichaft Lippe; fchredte bet der erſten Kunde 
von feinem Anrücken andere Bundesflädte, und erfchien, 
geführt von Herzog Wilhelm, als Vollſtrecker der Reichs⸗ 
acht, mit dem Reichsbanner, und, vereint mit dem rheini- 
jhen Aufgebot des Kurfürften, bis auf 60000 M. gewach 
fen, zuerfi vor Lippfladt. Aber die Bürgerherzen erbeb- 
ten nicht vor den Unholden, denen die Furcht katzenartige 
lieder zur Erfletterung der Thürme, und riefige Leiber 
andihtete, fie wiefen die Stürmenden nah 12tägiger Be— 
Ingerung blutig ab. Größer war Verluft und Schimpf 
vor Soeft3 Binnen. Junfer Johann mit feinen Rittern, die 
todeömuthigen Bürger vertheidigten diefelben Naht und Tag 
bis in Die dritte Woche fo unerfhroden und geübt in nıdr= 
derifchen Künften, — während die Weiber unten ein Ge—⸗ 
brodel fiedeten, das jene von oben über die Angreifer aud« 
ſtrönten; reife und Kinder den h. Patroflus im Münfter 
um Hülfe anflehten —, daß Erzbifchof Dietrich, ſelbſt ge⸗ 
rüftet unter den Sturmhaufen, halb wahnfinnig vor Wuth, 
die theuer bedungenen Huſſiten weichen ſah, und, ohne 
Geld, fie zu befriedigen, den Toddrohenden kaum entfloh. 
Ihrerfeit3 Heinmüthig und unſicher gegen den Anfall von 
Bauern und Bürgern, fuchten die Böhmen den Heimweg; 
Sorft aber dankte dem Helligen und verkündete in beſchei— 
dener Infchrift den Enkeln feine That. Eine Ilias fafftiher 
Nuntart und fafftichen Geſchmacks reihete fih au des Wap⸗ 
sennalerd von Nürnberg und des eidgenoſſiſchen Dichters 
Siegälied. — Trojas Schickſal wäre aber der Stadt der En— 


jern gefallen, gerieth fie, gleichzeitig ald der mildere Hohen— 
Barthold, Städtewefen. IV. 18 


274 Bierter Theil. 


_1-.8ap. zollern feine Berliner ob geringfügiger Brüche fo fälinm 
anließ, in die Hand der flürmenden Böhmen, deren Kort- 
und Beutegier der Erzbifhof die an Volk und Gut reiche 
als Kohn verheißen. — Boll Schaam, auch nur fpät zu 
Befinnung zu fommen, reizte durch Kriegszug Dietrich noch 
i. 3. 1448 die Soefter zur Bergeltung, und verſchuldete 
noch den Iammer mander gehorfamen Stadt. Dann ſhloß 
man unter Vermittelung eines Cardinals zu Maſtricht i. J. 
1449 Stillftand mit Beibehaltung des Beflges, redieten 
Kleve und Köln jahrlang in Rom, erwirkten wiberfprußd- 
volle Urtheile. Obgleich nie förmlich von Köln abgeeten, 
und feit 1471, als wäre des Reichs urfprüngliches Anreht 
erwacht, in den Matrikeln veranfhlagt, blieb Soeſt unter 

Goch nlene, welches deſſen beihworene Rechte handhabte, ohne 
zu verhindern oder zu fördern, daß die berühmte Handels⸗ 
flabt zur aderbauenden herabſank. “Privilegien, wenn 
fie nicht gemehrt, Nechte, wenn fie nicht ausgeübt werden, 
Ruhm, wenn er nicht wählt, verzehren fid in fid 
ſel bſt. Soeft, feit 1449 aus der ſchwunghafteſten poli⸗ 
tiihen Bewegung plötzlich in Stillftand verſetzt, ohne 
Pflichten, ohne weiteren Ehrgeiz, ohne andere Aufgabe, 
als fih felbft zu genießen, unangreifbar im Chu 
bes mädhtigften Herzogshauſes won Jülich, Kleve, Der, 
mußte zur Unbedeutendpheit herabfinfen, aus 
ohne den Fall der Hanſa, ohne die Folgen der Reformation 
und den dreißigjährigen Krieg. 

— Wir ſpringen aus Weſtfalen nach Pommern, zu den 

Städte jungen Pflanzſtädten der Saſſen über, mit der Gemy 
thuung, daß hier deutfcher freier Bürgerfinn dauernd ein 
Heimath fand, ald greifige Schweſtern ſchwachmüthig wur 

. Den Probirftein bürgerlicher Tugend boten aud hier 





Schstes Bud. 275 


ie Fürſten, welche, geſchwächt durch wiederholte Theilung, 1%. 
08 Rechtögefühl der hochgefreiten Städte zu beirren ftreb- 
en. So auch der Bifchof von Kammin in Kolberg, wo ein Kolberg. 
igenthümliches Batriziat fich behauptete, obgleich ſchon ein 
Heſetz ©. I. 1364 Mdeligen Bürgerrecht und Rathöfähigkeit 
ur gegen Entäußerung ihrer Lehn- und anderen Güter 
ſeſtattete. Huffitiiche Wildheit tobte hier feit d. 3. 1442 
gen Bischof, Domftift und deren Helfer, den Serzog 
hogislav IN., als zur Unzeit hierarchiſche Strenge und 
fene Fehde von den Fürſten verjucht ward; erft bie Be⸗ 
ndigung bes kirchlichen Schisma i. 3. 1449 brachte eine 
une Auhe. In Vorpommern, wo i. 3. 1446 die vier 
dundesftädte ihren alten Verein Hergeftellt, herrſchte nad 
en Vorgängen zu Wildnad und Kübel Argwohn und 
Spannung, weil gelehrige Fürften in die Politik der Ho» 
enzollern eingingen. Als Habſucht und Unbilligfeit des 
Iten Wartislav IX. beim Antritt des reichen Erbes Bars 
im VIH., Herzogs über Rügen und Stralfund, (December 
451) das Land in ungerehten Krieg mit Medlenburg 
erflochten, nöthigte Stralfunds Bürgermeifter, Otto Voghe, Strat 
en Herzog zum Nachgeben (Januar 1453), und verjchuls 
ete durch ſolche Anmaßung den Haß des Fürften. Als 
>pfer fo leidiger Verhältniffe fiel am 18. März 1453 ein 
reuer Diener ded Herzogs, der Landvoigt Raven Barnes 
ow, vielleicht Fäljchlih angeklagt, mit Hülfe eined uns 
ufriedenen Theiles der Bürgerfhaft Stralfunds Frei⸗ 
eit verratben zu wollen; aber Voghes heißer Eifer für 
ine Nechtöbegriffe, die Fortdauer feiner Schreckensherr⸗ 
haft bei äußerer Anfeindung, zwang auch ihn zur Flucht 
or dem wüthenden Saufen (Mat 1453). Während be- 
snnene und bürgerlich gefinnte Männer Stralfunds innere 
18* 





276 Bierter Theil. 


1. Kap. Ruhe Herftellten, und der audgetriebene Bürgermeifter auf 
SHanfetagen und beim Könige Chriftian I. umfonft feine 
Sache verfocht; fuhr, unverfühnt, Wartislav IX. fort, bie 
Freunde und Helfer des töbtlih Gehaßten zu verfolgen, 
und fehdete das Gefchleht der Barnekow als Bluträder 
ihres Sippen gegen die Stadt. Und dennoch mußte e8 fih 
fügen, daß, auch durch Kaiſers Spruch geächtet, der Bürgermei- 
ftee mit glänzender Genugthuung nad Stralfund heimkehrte. 

Univer: So rauhen, leidenfchaftliden Thaten trat auch in 

Brei. Pommern! Städten das fihöne Streben zur Seite, durch 
gefiftet Pflege ver Wiffenfchaft ein verwildertes Gefchlecht zu vered- 
len. Bereit im XIV. Jahrhunderte hatten Erfurt und Köln 
blühende Pflanzichulen des ernften Wiſſens, und war in Ro- 
flo unter dem belebenten Einfluß der Concilien i. 3. 1419 
eine Univerſität gegründet, die jedod unter kirchlichem und 
bürgerlihem Hader zu erlöfchen drohete; eben ging aud 
Albrecht VI, der Habsburger, damit um, im breißgauifchen 
Sreiburg, „einen Brunnen des Erleuchtungswaſſers zu 
graben‘ (1454); ald ein großgefinnter Bürgermeifter in 
Greifswald, Heinrih Rubenow, alter und reicher Herkunft, 
‚Doctor des Kaiſerrechtes“, den Gedanken erfaßte, über 
feine Baterftadt und über Pommern den Segen geiftiger Kul⸗ 
tur zu verbreiten. Leider machte bereitd auch das Bedürfniß 
bes römiſchen Reichs dringend fi gelten. Welterfahren 
und hoch angejehen beim Landesherrn und bei feinen Mit- 
bürgern, welche feine Reviſton der Rathswillkür, obgleich 
als geſetzlich befeftigte Ariftofratie, dankbar angenommen, 
arbeitete der Bürgermeifter an der Ausführung des hohen 
Werks; gewann den gleichgültigeren Herzog, den Landklerus, 
wie feine ehrliebenden Mitbürger, und erwirkte um hohe 
Summe in Rom die Erlaubnig, nicht allein zus Errichtung 


Schstes Bud. 277 


einer vollſtaͤndigen Hochfehule, fondern auch, als Anhalt 1. 
derfelben, zur Umwandlung ber flattlihen Nicolaifirche in 
ein Domftift. Unter großmüthigem Wettftreit zwifchen Hohen 
und Niedrigen, Geiftlihen und Weltlihen, — des Adels 
Antheil vermiffen wir allein —, die Mittel zur erften 
Ausftattung zu befhaffen, übertrug der Bifhof von Kam⸗ 
min kraft päpftliher Bulle am 21. September 1456 
dem Doctor Rubenow, „weil er vor andern Mühe und 
Geld an die Heilige Sache aufgewandt“, die vorläufig nöthi« 
gen Einrichtungen; ward am 17. October 1456 in feier- 
lider Berfammlung der Fürften, der Prälaten, des Raths 
und der bereits ernannten Lehrer das päpftliche Privilegium 
„introduzirt““, und dem gemäß das ‚Studium generale‘ 
eröffnet. Uber verhängnißvolle Zerrüttung des Landfriedens 
förte nicht allein den Fortgang des fegensreihen Werts; 
bürgerliche Händel, entbrannt in Folge, unbefonnener, un 
fürftlicher Ihaten der Nachfolger Wartislav IX. (fl. 1457), 
brachten auch dem verdienten Gründer ein tragifches Ende. 
Erich der Schöne, der ältere Herzog, reizte durch Nicht— 
achtung der Rechte Greifswald und Stralfunds, Indem er 
auf ihrem Pfandgebiete die Bauern zur Jagdfrohnde zwang, 
das Rechtsgefühl Rubenows, Oberhaupts der Stadt 
und der Univerfität, zu einem Angriffe feldft auf feine 
Verfon und fein Gefolge (Auguft 1457), begann ſogleich 
zornentbrannt mit den Barnefowen auf die Stralfunder zu 
fühnden, und bewirkte in Greifswald einen Aufſtand neidi- Stäbe 
{her Amtögenoffen fowie der unbeftändigen Menge, in bef- Bom- 
fen Folge der Doctor mit vielen Studenten nad) Stralfund 

floh (September 1457). Gleich darauf, ald Erich in un- 

fürftlicher Weife die Stralfunder beſchädigt, erflarfte dort 

das demofratifche Regiment, erneuerten die vier Städte 


978 Bierter Theil. 


tx. ihr Schug- und Trutzbündniß, flritten mit Nachdruck gegen 
die herzoglide Partei, und kehrte Otto Voghe (Faſtenzeit 
1459) in feinen Bürgermeifterftul, Rubenow in feine 
Aemter zurüd. Jedoch die Adelsfehde dauerte fort, als Die 
Bürften, mit dynaſtiſchen Händeln beichäftigt, ziemlich klein— 
müthig mit den Städten ſich verfühnt; Kolbergs tapfere 
und wachſame Bürger ſchlugen in einer Winternacht 1462 
bie böhmifchen Söldlinge der Prälaten und die Ritterſchaft, 
welche ſchon die Mauern erftiegen hatten, fo unerfchroden 
zurüd, wie fünf Jahre früher die Soeſter. Der Stifter der 
pommerifchen Univerfität, welcher mit altdeutfcher Strenge 
feine heimiſchen Gegner gezüchtigt, fiel am legten Tage 
befjelben Jahres durch das Beil eined mörderifchen Buben. 
Um fih gegen die Volfsrache ficher zu flellen, lockten die 
Anftifter jener That um Oftern 1463 den Herzog in die 
Stadt; entgingen aber ihrem Lohne nicht. Denn nachdem 
ein neuer Mordanſchlag der Schuldbewußten gegen Rubes 
nows Partei vereitelt war, erlagen die zwei Bürgermeifter 
den Bluträchern. Endlich vereinte die Gefahr, Pommern 
nah dem Erlöfchen des Stettiner Herzogſtammes (1464) 
zerriffen unter Brandenburgs gehaßte Herrſchaft fallen zu 
fehen, die zwiftigen Brüder, Erih und Wartislav X.; der 
Gemeinftnn der Bürger erwachte, als beide ihre Privilegien 
erneut Hatten, und auch den Hader Kolberygd mit dem 
Stiftöflerud vermittelten (1468). Treue mit Treue ver» 
geltend, bewiefen die Städte im unausweidhlichen Kampfe 
mit dem Kurfürften Friedrich IL, deflen Bruder, dem „Achil⸗ 
le led’, jenen bewunderungswürdigen Vaterlanddeifer, welcher 
auitgen Erlchs Sohn, den „pommerijden Volkshelden“ Bogis«- 
und den La 9 X., flark erhielt, reichöftändifche Treiheit gegen Hohen 
yollerns Gewalt und diplomatijche Kunft zu behaupten. — 


Sechstes Bud. 279 


Gleich ſtark in ihrem Nechtsbewußtfein, und hartnädig_1-Kav- 
in Bertheidigung deſſelben, auf einem größeren Schauplag, 
aber im Ausgange verderblich für fle felbft wie für Deutfch- 
land, erwies fih dad Bürgertfun in Preußen. DerPreusen. 
„Ewige Frieden“ zu Brzeſcie (1436) gewährte einige Ruhe 
vor Polen, ftellte jedoch den zerrütteten Ordensſtaat nicht 
her. Die Städte verlangten Abfchaffung der Zölle, Heilig- 
haltung ihrer Privilegien, und beftegelten, als ihnen fein 
Gehör ward, im März 1440 zu Marienwerder ihren Bund 
mit Landidaft und Adel. Ter neue Meifter, Konrad von 
Erlihöhaufen, fonft klug und frievlih, Fonnte dad Mife 
trauen gegen die noch immer hochmüthigen Mönchsritter nicht 
bannen; fein ſchwacher, rathlofer Nachfolger, Ludwig, deſ⸗ 
jelben Gefhleht3 (1450), ſah den Bund vom Kaifer be- 
ftätigt und ald fürmlichen Staat organifirt (1453). Wun⸗ 
derfremde Begriffe von ‚„Naturreht, vom Recht des Wi- 
derſtandes gegen obrigfeitlihe Bedrückung“ wurden zumal 
in den Gemeinden audgebildet; ald der Kater, in fi 
uneinig, die @idgenofjenjchaft der Unterthanen zögernd wi— 
derrief, die Ritter jubelnd Söldner zum Unterjochungs⸗ 
friege fammelten, überbrachte der Stadtfneht von Thorn 
dem erfchrocenen Hochmeifter den Abjagebrief des Bundes 
(6. Bebruar 1454). In wenigen Tagen waren fait alle Preufi- 
Schlöſſer überwältigt; Danzig flarfe Ordensburg gebrochen; Krieg. 
die Marienburg durch tie Danziger eingefchloffen. Weit 
von dem Gedanken entfernt, einen Breiftaat zu bilden, 
drängten. Die Stände einen undeutſchen König, den Polen 
Kaftmir IV. ihre Unterwerfung gegen Betätigung und 
Mehrung ihrer Rechte und Freiheiten anzunehmen (6. März 
1454), und huldigten ihm mit den Bifchöfen. Der neue 
Gebieter Fam mit Heeresmacht, ließ aber Marienburg, das 





250 Bierter Theil 


_1.Ray. die Bürger tapfer vertheitigten, unbezwungen, und erlag 
den Rittern und ihren Söldnern bei Konig (September 
1454). Manche Städte, wie Königskberg, traten, mipter- 
grügt über Die polnijche Herrihaft, vom Bunde ab; den⸗ 
noch fland derjelbe fe. Am hartäckigſten tie Danziger; 
mit des Königs Willen brachen fie aus altem Neide Die 
Jungſtadt (Januar 1455), bildeten eine Rathövereinigung, 
vereitelten auch Lie Verſuche des Hochmeiſters, die Ge⸗ 
werfe gegen Ten Rath aufzuhegen. Inzwifchen wid Ludwig 
son Erlihöshaufen im Junius 1457 mitleidwertb aus tem 
Ordenshaupthauſe, das er den fremten, böhmijchen Söld⸗ 
nern verpfüntet, und kam nad Königeberg; fruchtlos gab 
nochmals tie Treue der Marienburger die Statt in feine 
Hand. Der Krieg dauerte mit feinen Verheerungen fort; 
Das Land verötete; deutſche Gefinnung erftarfte im Often, 
während tie wefllidhe Provinz, Das patrizifhe Danzig mit 
Geld und Waffen an der Spite, aufrecht auch gegen in- 
nere Unruhen, bei Polen ausharrte. Merkwürdig: während 
in Thorn, Danzig und anderen Orten die niederen Ge- 
werfe, wie aus Ahnung, wo noch am erften bürgerliche 
Gleichheit zu Hoffen: ob bei der alten deutfchen Herrſchaft, 
oder beim Polen? wiederholt gegen den polnifch gefinnten 
Math fi erhoben, und nur blutig unterdrüdt werden 
£fonnten, wie 1. 3. 1463: trug die Ariftofratie der reichen 
Kaufherren, belohnt durch Privilegien und reihe Schenfun- 
gen auf Koften der alten Lanteöherrfchaft, willig die Ent⸗ 
fremdung, und gewann freilich durch Aufopferung natio- 
nalen Sinned als nordifches Venedig eine hochwichtige, 
unabhängige Stellung. Endlich waren alle Theile des 
dreigehnjährigen Krieges müde, und vermittelte ein päpft« 
licher Legat am 19. October 1466 den Frieden zu Thorn, 


Schstes Bud. 281 


welcher die germanifche Erwerbung im Norboften in zwei 1. 
Theile fpaltete, dem Orden, als Lehnsfürſtenthum Polens, Friede m 
nur Samland und Pomefanten Tief. In Königsberg, 
dem neuen Sauptfit des polnifchen Vaſallen, wurzelte 
deutfches Weſen Tobreih fort, und trug ſchöne Früchte 
des Geiſtes und freier Denkart; das polnische Oftpreußen 
Dagegen ſah fih, nah Auflöfung des Bundes, in feinen 
Hoffnungen getäufcht, fühlte bald den Druck ter Fremd⸗ 
linge, und feine deutſchen Stätte, mit Ausnahme des 
höhergefreiten , feldftfüchtigen Danzig, büßten, fpät ſelbſt 
Thorn, mit bürgerlicher Entartung und Berfunfenheit den 
Mißgriff der Väter, vom Mutterlande des Staͤdteweſens 

zur polnifchen Adelsrepublik abgefallen zu fein. — 

Bleihe Tugenden, gefährlih in threr Unwendung,, Die 
aber nicht ruhmlos in der Geſchichte, hatten die tiefen. gifen 
BZerwürfniffe des XV. Jahrhunderts dem deutfchen Bürger 
tbum in Oefterreih, Schleften, in der Lauflg anerzogen. 
Ueber das habsburgifche Herzogthum begann das Jahrhun⸗ 
dert verhängnißpoll mit dem Kinde Albrecht V., dem fpä- 
teren römifchen König; der Vormundfihaftäftreit zwifchen 
Ernft dem Eifernen und Leopold dem Etolzen (1407), daB 
Borfpiel nahhhaltigerer Wirren unter Briedrih III., nährte 
den Wienern politifchen Sinn und Geringachtung des Lebens, 
galt es der Rechtsüberzeugung. Mit römijcher Beftigfett 
gaben drei Bürgermeifter für ihres Herrn Sache ihren 
Kopf dem zornigen Keopold (1408); auch zu Wien brann⸗ 
ten Wykleffiten zu Aſche. Albrechts V. Negierung schuf 
innere Ruhe; doch kündigte fih das Drangfal für drei 
Jahrhunderte an, als die Türken zum erftenmal in Steier- 
mark einfielen (1417). Wien felbft ſah, unangegriffen, 
die Huffiten nur im nahen Nußdorf jenfeits des Stroms 


282 Bierter Theil. 


1.R0p. (1428); dagegen beklagte es ſchmerzlich den frühen Tod 


Wien. 


des milden, gerechten Albrecht, der in Folge der Kriege: 
mühen gegen die Türfen, als römifcher König, König von 
Ungarn und Böhmen, unweit Gran veridhied (27. Octo— 
ber 1439). Des nachgeborenen Erben Ladislavs (1440) 
Unmündigfeit gab dem römijchen Könige Friedrich II. die 
Regentſchaft aller Neihe, von der ihm jedoch nur Oeſter⸗ 
reih blich, und auch die Hauptfladt durdy den feden Em⸗ 
porfönmling , Enziger, abwendig gemadyt wurde, während 
ihn felbft der Schweizerfrieg und des Reichs wirre Handel 
feſſelten. Mit der Kaijerfrone, der portugieftjchen Ge— 
mahlin und feinem Mündel Ladidlav aus Italien heimge- 
ehrt (1452), fand er Defterreih unter Waffen. Stür- 
mifch verlangten die Unzufriedenen, vor Neuftadt gela- 
gert, Die Herausgabe ihres Erbfürften, und rathlos entließ 
ihn der Kailer nad der Hauptſtadt. Für den Verluſt an 
Macht und Ehre entfchädigte der verjchmähete Bormund fein 
Haus durch den Erzhergogdtitel, in demſelben Jahre, als 
Konftantinopel von dem Halbmonte überwältigt wurde. — 


Breslau. Alle fchleftihen Städte Huldigten dem Sinaben bei der Krö- 


nung zu Prag, nur die Breslauer nicht, unter dem Vorwande, 
fie brauchten nirgend anders wo, als innerhalb ihrer Ring⸗ 
mauern den Treueid zu ſchwören. Der Grund aber war, 
auffallend, rechtgläubiger Eifer gegen die ketzeriſche Umge⸗ 
bung Ladislavs, ein Fanatismus, den jüngft Johann Ka= 
piftrand Kreugpredigt gegen die Türken entzündet hatte, jenes 
Seelenbezwingerd, welchem das fonft frivole Volf, wie ver⸗ 
fteinert bei feinem Worte, Würfel, Spielbrett, Schmud 
und anderen Tand wetteifernd aufgeopfert (1453). Bes 
reit, jelhft mit den Waffen die Zumuthung des Herrſchers 
abzuwehren, trieben die Breölauer den König in ihre 


Schstes Bud. 383 


Stadt zu kommen, und entrichteten darnach willig anfehn- 1.Ra-_ 
liche Schakung (1454). Ladislavs früher Tod nad) unbe» 
lobter Regierung (23. November 1457) zerrüttete von neuem 
bie öftlihen Länder; Böhmen wählte ald den Würbigften 
den Kalixtiner Georg PVodiebrad; bie fchleflihen Stände, 
zumal die pfäffiſch verhegten Breslauer mit den Sedhöftäb- 
ten, verwarfen ſelbſt Da noch den Keber, ald er urkundlich 
zum römifchen Bekenntniß übergetreten, und unter Abfage 
von taufend böhmiſchen, mährifchen und fihleftichen Herren 
gegen die Stadt, vor ihren Mauern erfchien. Erſt den 
Bemühungen ded päpftlichen Zegaten gelang, die Störrigen 
zu vorläufiger Anerfennung zu vermögen (Januar 1460). 
Als bald darauf der herrſchſüchtige Pius II., unfer Lob⸗ 
redner der Deutichen, den Kelch verbot und Podiebrad nicht 
gehorfamte (1462); blieben die Breslauer blinde Werf- 
zeuge römiſchen Geiſtesdrucks. Sie jubelten dem Kreuz— 
heere, welches gegen den kirchlich verfluchten Huſſitenkönig 
auszog, halfen, demſelben Städte und Schlöſſer abnehmen, 
ließen auch unter ſchwerer Einbuße nicht ab vom grim⸗ 
migen Haſſe, huldigten dagegen dem treuloſen Eidam des 
böhmiſchen Helden, dem Matthias von Ungarn (1469). 
Um den „rechtgläubigen“ König gegen den Jagellonen Wla⸗ 
dislav, Böhmens gewählten SHerrfcher nad) Georgd Tode 
(1471), zu behaupten, verarmte Lie reihe Stadt, erfuhr 
aber nadı der Sühne der Könige (1478) ſchnödeſten Un- 
dank. Matthiad, auch Herr der Lauflg, änderte die Wahl 
des Raths und der Schöppen, die feit 1475 von den 
XLVIII aus der Gemeinde abhing ; jeine übermüthigen Hof- 
diener verhöhnten die Klagenden über ihre frühere Opfer« 
treue: „ihr Bauern von Breslau müßt fünftighin Iernen, 
Königen gehorfam zu fein’. — Sp trug hier dem Bür« 


84 Bierter Theil 


199. gerthum maßfofer Eifer für die Kirche biefelben herben 
Früchte, als anderwärtd der tiefgegründete Pfaffenhaß. 
— Inzwiſchen hatte Ladislavs unbeerbter Tod auch für 
Bin. Defterreih Dad Uebermaß der Anarchie zur Folge. Als 
die gierigen Vettern von Habsburg, Kaiſer Friedrich III., 
ſein Bruder Albrecht und deren Vetter, Sigismund von 
Tirol und Vorderöſterreich, fih über das deutſche Erbe 
nicht einigen Eonnten, und die Erzherzoge, vol Mißtrau⸗ 
end gegeneinander, auf dem Landtage zu Wien erfihienen; 
hielten tie Bürger die Hofburg befegt und mußte der lang⸗ 
müthige Kaifer im Privathaufe herbergen (Mai 1458). 
Die Unterhantlungen zogen ſich in die Länge; fchon drohete 
der Bruderfrieg, da gab ein Vergleich das Land ob der 
Ennd an Albrecht, das unter der Enns an Friedrich; Si- 
gismund ward mit Geld abgefunden; Wiens Beflg Hlieb 
noch unentjchieden. Ein fürchterlicher Verheerungsfrieg mit 
Böhmen, den Erbherzog Albrecht unbefonnen herbeiges 
nöthigt, ein fruchtloſer Verfuh, Ungarn dem Matthias zu 
entreißen, endete noch zeitig für den Kaijer, damit er nidt 
auch Oefterreich verlöre. Gedrüdt durch Zölle, ſchlechte Münze 
und zuchtloſe Sölöner, hatte das gewerbthätige Volk ver- 
geblih beim trägen Herrſcher Hülfe geſucht; die Großen, 
um Ladislavs Schenkungen von Friedrich beunruhigt, grifs 
fen zuerft zur Wehr, riefen den bösgefinnten Bruder, Erz⸗ 
Herzog Albrecht, Herbei, der mit feinem Anhange von deut⸗ 
fhen Fürſten ſchnell faft dad ganze Land eroberte, nur 
Wien nidt, wo die Kaiferin Eleonore und ter junge Mas 
zimiltan die beichworene Treue und die Tapferkeit ver 
Bürger aufrecht erhielten. 
Zur Würdigung einfeitig überlieferter Ereigniffe müffen 
wir andeuten, Daß unter den fchlimmen Bruderzwift, der 


—— — — — 
— — 


Sechstes Bud. | 285 


Ungewißheit der Anfprühe, der Mißhandlung des Volks 1-R. 
durch unbezahlte Söldnerrotten, und dem Uebermaß öffent und 
lichen Elends in Wien, ver ehemaligen Reichöftadt, zwei Par« 
teien fich auögebildet hatten, um in höchſter Noth ſich feldft 
zu helfen: eine ariftofratifche des alten Raths und ber 
Reichen, welche dem KHaifer, dem Adelsfreunde und befann« 
ten Gegner der Volksherrſchaft fich zuneigte, und bie nie- 
dere Bevölkerung, die Handwerker, welche, längft wieder 
durch Viertelsmeiſter, Zunftherren, Gefchworene vertreten, 
den nicht unbegründeten Argwohn nährten, ber Feind ber 
Eidgenofjen und der Demokratie würde fie unter feinen 
Buß bringen. Schon im April d. I. 1460 hatte fih in 
Wien Waffengetümmel erhoben, weil die Bürger fürdhtes 
ten, ihre in die Burg beichiedenen Hathmänner und Zunft- 
meifter würden feſtgehalten, fle jelbft von einem Unfall der 
Taiferliden Söldner bedroht. Dem Herzoge Albrecht ſchloß 
fih die Volkspartei nicht als bürgerfreundlichem Herrn an, 
fondern fuchte überhaupt nur einen Salt, einen geſetzlich 
Verbündeten im fchweren Kampfe. Die Wirffamfeit ter 
Hochſchule, deren erfte Zehrer, ja deren Schüler wir im 
ewig alten und ewig jungen Streit der Principien thätig 
finden, hatte völfer- und flaatdrechtlihe Grundjäge neuer 
Art zugleich mit den gegenkichlihen verbreitet: „von ber 
Pflicht ded Landesherrn, zu helfen und zu jchirmen, wenn 
er Abgabe und Steuer forterte, von der Zuläffigkeit der Ge⸗ 
horſamsaufkündigung, fehlte derfelbe feiner Herrſcherpflicht“ 
Kaifer Briedrih, fo eigenfinnig wie langmüthig, geizig 
und ſchlechter Haushalter, träg und doch voll Weltgebieter- 
träume, war nicht befonnen genug, um der Forderung ber 
unzufriedenen, mächtigen Hauptftadt zu entfpreden: in ſei⸗ 
nem Landfriedensplane, den Prälaten, ‚Herren und ber 


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licher Belszerung otuzex we te Ifbore ter Sur; um 
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Aber wilrent Erxrızen ter Friede ichlett ztuıem 
wurte, empranten Lie Burzer den grıuiımen, tuck ſiches 
Tebyetismus teb neuen Heim, gm im Helge eatũttigen⸗ 
der Anzeberei. Solbes Ich za brechen, keitles Belr- 
gang Holzer im geheim um tie Offterzeit 1163 mir tem 
angeichenfien Bürzern unt den Zunftmeifiern, jenen ls- 
Bankbaren vermitichht 400 rentjcher Reiter, die in ker 
Nähe, zu fangen, und dem Kailer auszuliefern. Keimer 
der 660 Mitwifjer verrieth den Auſchlag, der dennoch an 
der Geiſtesgegenwart des Erzherzogs und an ter Unbeftän⸗ 
digkeit der unflaren Menge jcheiterte. Holzer, auf der Flucht 
ergriffen, litt mit dreizehn anderen Bürgern den grauenvoll= 
fien Tod mit faſt übermenſchlicher Fafſung. Alle befannten 
fierbend: Ergebenheit an den Kaijer ſei ihre Todesſchuld. 
Tab Ende der Verwirrung und des Jammers bei erneuer⸗ 
tem Kriege war nicht abzufchen, ald der Tod des jünde- 
beladenen Erzherzogs Albrecht (December 1463) den Kno⸗ 

Ralfır ten löfete. Nah Sigismunts Entfagung ward Friedrich 

1 sender aller öſterreichiſchen Lande, am fpäteften der Wiener, 

Wien melde, verlaſſen von ihrem Städtebunde, durch demüthige 





Sechstes Bud. 289 


Bitte zu Wienerifh-Neuftadt Gnade und Vergefjenheit des 1.Rer- 
Geſchehenen erlangten (1464). — 

Was Eonnte das Meich während der kurz vorher ge= 
fchilderten Periode von einem SKaifer erwarten, dem das 
Gemiſch widerfpruchnollfter Eigenfchaften, die ſchmählichſte 
Staatswirthfchaft und haltungsloſeſte Politif, im eigenen 
Erblande ſolche Reihe fhimpflicher Verlegenheiten bereitet? 
Aber ſchon damals hätte felbft ein Friedrich II. von Hohen⸗ 
ftaufen nicht 8 vermocht gegen die ausgebildete Vielköpfig⸗ 
keit des Reichs; der Haböburger, ſchon 1. 3. 1457 mit 
Abjegung bedroht, Tieß die Dinge ihren Gang gehen, wenn 
dem 5. römifchen Reiche deutfcher Nation nur nicht zu gröb⸗ 
lich ind Geſicht gefihlagen wurde, und las in den Sternen 
die Herrlichfeit, die feinem Geſchlechte dereinft beſchieden. 

Als Widerhalt der Auflehnung Herzog Albrechts ge= 

gen den Kaifer diente der verwidelte Fürftenfrieg, welcher, 
gleichzeitig mit Defterreih8 Anardhie, über Donauwerths An⸗ 
taftung entbrannt war, und noch in feinem Ausgange bie 
erſte Frei- und Reichsſtadt am Rhein verfihlang. Gegen 
Ludwig den Reichen und feinen Vetter, den „böſen Fritz“, 
Kurfürften von der Pfalz, mußten auf des Katjerd Gebot 
auch die Reichsſtaͤdte, befonderd Ulm und Augsburg, ins 
Feld; als des Pfälzers Sieg bei Sedenheim (Junt 1462) 
im Weften Stillftand gebot, Heerten die Städter wacder im 
Baierlande unter Markgraf Albrechts Führung, und fühl- 
ten ſich deshalb zu erfchöpft, um der hochgeehrten alten 
Schwefter am Rhein in der Todesnoth zu Helfen. 

Mainz war, willig unterflügt von Worms und Speier, ne, 
noch glüdlih genug dem ränfevollen Erzbifchof Johann (ft. Bent 
1419) entgangen, und hatte feine Freiheit unter dem fried- „von 


lichen Konrad II. behauptet, zumal 1.3. 1420 Die Zünfte 
Barthold, Städtewefen. IV. 19 


256 Bierter Theil 


Es Berarei: ser tea Terrzuz feim tanlıden Giarüoe | 
Le znemen Er$ies Kane tem Erraug caızater, im tei- | 
fen Gelge 112 Scälcser ia ten „Gar eter in tie 
Rage sıorie anſgenanterr waren Im Jahre 14136 haut 
der gumüũthige Erfirgef mir Huire ter Punteölitıe rim 
Vergleich zwiiden dem Atcl umt ten Zunjın za Stande ge⸗ 
Grade unt ihre xcchielieitigen Heder ichzeieg, dagegen 
Isterte, anzeikun tur tas Gomcil zu Faiel, ter alte 
Kamyf wegen ter Immunität ter Geiſtlichen und ker 
Eteuerfreiheir ihrer „Gottesgaben“ i I 1433 
wieter hell auf. Verurtbeilt durch die geiflliden Väter, 
mußte Lie verarmente Stadt i. J. 1435 ter „Biaffen- 
rachtung“ fih fügen, und konnte bereitd im bojem J. 
1443 aus dem Zweifel, welden Konrads Nachfolger jeit 
1434, Dietrich Echenk von Erpach, gegen ihre NReichsſtand⸗ 
ſchaft vor dem römijdhen Könige erhob, tie Zufunft ab- 
nen. Die Befreundung der Bundesſtadt mit dem wackeren 
Kurfürften Ludwig von der Pfalz ſchirmte zwar in der Ar⸗ 
mengedenzeit, die aud Dietrich gern für fi benutzt Hätte; 
bes letzteren Anklage beim römijchen Könige auf dem Nürn- 
berger Reichstage (1445) gelang es jedoch, jenes Band zu 
löfen. Das Wiener Eoncordat v. 3. 1448 mußte begreifs 
lich den hierarchiſchen Gewaltfinn auch des deutfchen Stifts- 
klerus fleigern; der zu Mainz drohete bei jedem vorgeblichen 
Bruch der „Rachtung“ die Stadt zu verlafien, die denn 
i. 3. 1458 wiederum jenen gemeinverberblihen Vertrag 
ale Geſetz anerkennen mußte. Sie Hatte die größte 
Macht der Zeit, die geiftliche wider fh! So war ber 
Staatshaushalt der erften Bundesſtadt zu Grunde ger 
richtet; noch aber befkand ihre Reichsfreiheit, ald ver 











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Schstes Bud. 291 


yinterliſtige Dietrich im Mai 1459 flarb, und ihm Diether U 
son Ifenburg, nicht ohne offenfundige Beſtechung ber Domeyon Sr 
herren, folgte. Vom Papſt, vom Kalfer und von Denandenon 
Mainzern als reitmäßiger Erzbifchof anerkannt, verſchuldete Tau 
der Leichtfinnige ſchon 1. I. 1460 durch Antheil am „gro⸗ 

Ben Fürſtenkriege“ die Verödung des Stadtgebiets, ward 

t. 3. 1461 wegen Verweigerung der Annaten von Pius II. 
abgefegt und am feiner Stelle Adolf, Graf von Naffau, 
erwählt. Der Kaifer gab feine Einwilligung ; aber Die Bürger 
ergriffen Dietherd Partei um ſo entfchloffener, als auch ber 
fiegreiche Pfälzer dem Entſetzten feinen Beiftand lieh, Dietber 
„wohlmeinend“ den ftäbtifchen Abgeordneten eine Verrätheret 

unter ihren Mitbürgern entdedte, und endlich ihnen verhieß, 

„die, „Rachtung“, die Exemptionen des Klerus von allen 
bürgerlichen Laſten, aufzubeben, falls ſie ihn als Seelen⸗ 
Birten begünſtigten.“ Aber Halbheit und Untreue begannen 

ihr unfeliges Spiel. Die Bürger erfiend mißtrauten zwar der 
Derheißung Diethers, appellirten jedoch für ihn an den rö⸗ 
mifhen Stuhl, und gelobten ihm ihren Schuß (21. März 
1462); der Erzbifchof ſeinerſeits zwang den Klerus nicht, 

Die Aufhebung jenes Vertrags zu beflegeln; von den Stifts⸗ 
geiftlichen waren viele außgewandert ; von namhaften Einwoh⸗ 

nern felbft hielten wohl breihundert Die Sache Adolfs, „aus 
fehuldigem Gehorfam gegen Kirche und Kaiſer“, vermus 
theten jeboh nimmer einen fo ſchrecklichen Ausgang. 

Als Friedrich der GSiegreihe des Nafſauers Partei bei 
Seckenheim geſchlagen (Iuni 1462), fuchte diefer durch 

Liſt und Verrath, was er mit offener Gewalt nit er⸗ 
Iangt hatte. Im Einverflänbnijje mit feinem Anhange in» Verrath 
nerhalb der Stadt, zumal mit dem Bürgermeifter Oymer⸗ Rein. 
fein und dem Baumeifter Dudo, welchem die Aufficht der 

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Tai NL =. 3. 1159 gegen tie Anitribe der Bi 
jbole geiduge, weiße tie Helen Kater Geimmubs IV. 
und ber Hohenilanien dath erzwunzeue Aufrungen 2° 
ten Zus ter Beichleffe son Ravenna zu brinjen jrekern. 
— Grbilhef Arolf Herb ohne Gerifiensferutigfeir im 
September 1475, währens ter Kaiſer noch im temielken 
Jahre Rain; als Reichsſtadt in Lie Rarrifel aufgenommen 
hatte, und das Domkapitel damit umginz, tur Erbauung 
eines fehlen Schloſſes am Grinſthurm ſich ald Gebieter zu 
behaupten. Die Herren forderten ten Hultigungseib ron 
ten Bürgern, und wählten kann wiederum ben alten, 

Tieper ſchlauen Diether zum Erzbiſchof, weil er willfährig im ge⸗ 
Main, Heim gelobt, Die Stiftäftabt dem Kapitel auf ewige Zeiten 
zu überlafien (November 1475). Als nun der alte Kaijer 
widerfpruhsnoll auf Zurüdgabe der freien Stadt an tad 
*beharrte, erwachte in den Bürgern um fo mehr bie 

ng auf den Dank bes Erzbiſchofs, für deſſen Sade 








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Sechstes Bud. 995 


fle ich aufgeopfert. Sie ſtürmten am 22. Juli 1476 dent Ra. 


Dom, zwangen den Domherrn einen Tosfagungsbrief ab, 
und jubelten ſchon über ihre gelungene That. Aber Die- 
ther rückte gleih darauf mit einem Heere vor die Stadt, 
gewann durch gute Worte und Gewalt Eingang, und ent- 
täufchte Die Armen, indem er (October 1476) alle Thore, 
Mauern und Thürme mit feinem Kriegsvolke beſetzen, bie 
unrubigften Zünftler enthaupten Tieß, andere einferferte, und 
zu feiner Sicherheit Die Martinsburg erbaute. Als auch 
Bapft Sirtus V. die Landeshoheit des Erzbifchofs feierlich 
befräftigt und die Erbhuldigung befolen, war den Mainzer 
Bürgern, nit mehr durch felbfigewählte Bürgermeifter, 
fondern durch einen kurfürſtlichen Vizthum regiert, jete Hoffe 
nung auf Breiheit gefhwunden! ine ärmlicdhe Erkennt⸗ 
lichkeit des. Unwürdigften auf dem Stuhl des Primas 
Germaniens war die Stiftung ber Univerfltät, zu welder 
Diether weniger Mittel gab, ald Heinrih Rubenow für 
Greifswald aus jeinem Eigenen, und bie i. I. 1731 erft 
durch eine päpſtliche Bulle ein ficheres Einfommen von 
jäbrlih 1400 ©. erwirkte! — 


Nachdem wir den Ball von Mainz geſchildert, dem 1. Süttihe 


J. 1467 das tapfere Lüttih, durch burgundifche Waffen 
gränelooll gezwungen, folgte, Tann unfere Erzählung rafcher 
fortichreiten.. Bei den fehwäbifchen, fränkifchen und elfaf- 
fiichen Städten lebte noch der Sinn für Freiheit, zumal 


durch die nahe Eidgenoffenfchaft munter erhalten. Als, Die 
Erzherzog Sigismund von Tirol und Vorderöſterreich ſchimpf- BIS a 


lich mit den Schweizern gefehdet, und Mühlhaufen im 
Elſaß mit Bern und Solothurn ſich geeinigt Hatte (1461), 
serpfändete der Habsburger, „damit Defterreih und ber 
Adel nicht ein Spott der Kühhirten fein dürfte‘, verzweif- 





unbe Ten, zum er 3° susanne TE ;” zugen- 
px Kr: 5t8i1:e, ze Kerdchun orger Be Zircen sr 
Sesgr, Ira va Tesscmone SE gmpr. — zwir 
Zuitwe ie a Yuytıy barzı Lama: mi Let Deere 
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56 1 Srıgeut he Hr, sa wehren re Bin Ir 
Sen Sierbeisrs is Des surtermiennid ie Geberser 
Beters sen Hazeubab, the Acheii:, Zıg zu 
Gas, tie Ginsiicung krachen nah tem Eyuube ai 
genoiũ her, Aiziüiger aut breisgari Mer Rikıır zu Bari 
ey (Ai 1474), ichürten ten verbinzuisscl:e Rrueg iz 
Hochbuigunt an, währene Rupıekis, des ahzeigıza Er 
biſchofs von Köln, Büntnis mit dem Holen Berädbter des 
deutihen Reichs, Karl, es am Rirterrhein zu den erfien 
tapferen Bürgerthaten kommen ließ. Der Burzunter bane 
fit, als Echutßzherr jenes Erzſtifts, mit 60000 Mann vor 
‚Neuß geworfen, als Kaiſer Friedrich, der mit Mühe 4000 
Mann gegen bie Türkei aufbieten fonnte, mit tem nad» 
drücklichſten Beiftande, beſonders der Reihöflätte, im Frũh⸗ 
ling 1475 zum Entjag jener eilf Monate tapfer vertheidig- 
ten Stadt erſchien. So cehreifriig war das Bürgervoll, 
daß Friedrich mir Mühe den Streit zwiſchen ven Sechsſtädten, 
Straßburg, Köln, Augsburg, Nürnberg, Frankfurt und Ulm, 
über die Führung der „Reichsrenn⸗ und Lauffahne‘‘ dahin 
entſchied: ‚fie follten Tag und Nacht wechfeln, und Straß- 
burg den Anfang maden”. Der bedaͤchtige Kaifer lieh es 











— en 
— Are. BEER F — 





AN N A on 


Sechſtes Bud. 297 


jebo nicht zur Feldſchlacht kommen; ſicher würdig genug IR. 
hätte dieſes Iegte Aufgebot des perfünlihen Bürgerthums 
gegen den äußeren Feind geendet. Dennoch gab der Kaifer 
die „‚obere und niedere Bereinigung”, Die Burgunds Gewalt« 
pläne hervorgerufen, dem erbitterten Herzoge preis, mahnte 
felbft die ſchwäbiſchen Städte ab, die dann den Eidgenofs 
fen zwar nicht bei Granſon halfen, wohl aber, unter Füh⸗ 
rung Wilhelm Herters', bei Murten (22. Juni 1476) und 
zumal bei Nancy (5. Ianuar 1477), ruhmeoll fochten. 
Des alten Kaifers Noth in feinen Erblanden, zugleich hrant 
vor den Türken und vor König Matthias von Ungarn, demeandfie 
auch die Wiener zu ſchwerer Buße ſich endlich ergaben (1. 
Juni 1485), weil Friedrich, unkaiferlih, ihnen ihre böſe 
Baftenzeit, zur Entgeltung d. I. 1462, von Herzen gönnte; 
half endlih, Die deutſchen Stände aus fpröden Sonder⸗ 
Bündniffen (17. März 1486) zum zehnjährigen Frankfurter 
Zandfrieden, der Einleitung zum „Ewigen“, vereinigen, 
defien Gründer Marimilian eben am 11. Februar 1486 
zu Sranffurt als römifcher König erwählt war. So mans 
gelhaft die Ausführung deffelben und der Kammergerichts⸗ 
ordnung, zeigten die Städte ſich doch bereitwilliger, dem 
bebrängten Erzherzogthume beizufpringen; als bie Kunde 
ins Neich auslief: „der römiſche König, Wittwer Maria’s, 
der Erbin von Burgund, werde von Brügged Bürgern ges 
fangen gehalten‘, war der Eifer, ſolche Schmadh zu 
rächen, beim deutſchen Bürgerthum kühler. Aber che 
der große ſchwaͤbiſche Bund, unter Fürſten, Prälaten, Rit⸗ 
terfihaft, befonderd dem St. Georgenſchilde, und 22 Städ« 
ten (Ulm, Eßlingen, Reutlingen, Ueberlingen, Lindau, 
Nördlingen, Hal, Memmingen, Ravendburg, Gmünd, 
Bieberah, Dinkelsbühl, Weil, Pfullendorf, Kaufbeuern, 


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vriteais tur tie laiſerli Sen He’zeridte; wu tem Ge 
Stentriege zu des Aeichs Lauen rudisheälos Seramgezegen, 
faiterligen Ainiſter; gleibgäliz geworten gegen die Rech 
der Ehweflerflätte, unt deshalb allein ſtehend, Hatte Re- 
genbburg ſeine großartige Bergangenheit ſchier vergefien. Ai 
bem friſcheren Nuthe war unvermerllich bie temefratiide 
Verfsflung gewichen; feit d. 3. 1429 Hatte dad Gemein- 








Sechstes Bud. 298 


weſen aufgehört, nach der Väter weifer Sabung, zur Ver 1-Rir- 
bütung bürgerlicher Lingleichheit und Amtshochmuths, fremde 
Ebelleute zur Meifterwürde zu berufen. Es gab dem Namen 
nach feine Bürgermeifter; wohl aber handhabte der „Kaͤm⸗ 
merer“, aud der Mitte des Raths, dieſelbe Gewalt; bils 
dete fih ein neues Patrizierthum „Rathsgefreundeter“, bie 
um Sold, nicht mehr um Ehre dienten, und entfernte das 
leidige Bedürfniß des römijchen Rechts und der Kenntniß 
der kirchlich und politifch verwickelten Neichsangelegenheiten 
die Theilnahme fchlichter, aber mit altwäterifchem Herkom⸗ 
men wohlbetrauter Zünftler aus dem Stadtregimente, obs 
wohl Innerer und Aeußerer Rath noch zu Recht beftanden. 
Daher denn auf der einen Seite herrifche Ueberhebung, bei 
junkerhaftem Buhlen um die Gunft des Hofes zu Münden, 
und Furcht vor dem je erwachten politifhen Bewußtſein 
der Gemeinde; bei diefer Mißmuth und Verdroſſenheit; 
bei Allen Klagen über Verarmung des gemeinen Seckels, 
welche die genießenden Herren gefliffentlich übertrieben. Alb 
nun, bei fo fühlbaren anderen Gebrechen, der Spruch bes 
päpftlihen Legaten i. I. 1484 der zahlreihen Pfaffheit 
den unverfümmerten Genuß ihrer „Gottesgaben“ ſicherge⸗ 
ftellt: murrte die nahrungsloſe, belaftete Dienge der Ge⸗ 
werbtreibenden lauter, argwöhnte ihre gänzliche Unter« 
drückung durch Söldnervolk der herrſchenden Bamilien; und 
zwangen im Auguſt 1485 die Handwerke, 26 an der 
Zahl, die beſtürzten Herren, ſich einen Ausſchuß von noch 
XXV „Genannten“ zu den XLV gefallen zu laſſen. Die 
große Volksbewegung ſchien beſchwichtigt, als plötzlich ein 
in der Stille vorbereiteter Plan ans Licht trat, und die 
Beſorgniß redlicher Männer auf eine heranſchleichende tödt⸗ 
liche Gefahr lenkte. Der Domdechant kündigte, in Volle 


299 Bierter Theil. 


1.R0y. über die Patrizier einen vollfiändigen Sieg davongetragen. 
Ein Wettfreit über den Vorrang beim feierlichen Einritte 
des neuen Erzbifchofs hatte den Strauß entzündet, in deſ⸗ 
fen Folge 112 Geſchlechter in den „Gau“ oder in die 
Nachbarorte ausgewandert waren. Im Jahre 1430 hatte 
der gutmüthige Erzbiſchof mit Hülfe der Bundesfläbte einen 
Vergleich zwiichen dem Adel und den Zünften zu Stande ger 
bracht und ihre wechfelfeitigen Rechte feftgefekt; dagegen 
Ioderte, angefchürt durch das Concil zu Bafel, ter alte 
Kampf wegen der Immunität der Geiftlihen und der 
Steuerfreiheit ihrer „Gottesgaben” i. 3. 1433 
wieder hell auf. Verurtheilt durch die geiftlichen Väter, 
mußte die verarmente Stadt i. I. 1435 der „PBfaffen- 
rachtung“ fih fügen, und Fonnte bereitd im böfen 9. 
1443 aus dem Zweifel, welden Konrads Nachfolger feit 
1434, Dietrih Schenk von Erpach, gegen ihre Reichsſtand⸗ 
fhaft vor dem römifhen Könige erhob, die Zufunft ah» 
nen. Die Befreundung der Bundesftadt mit dem wackeren 
Kurfürften Ludwig von der Pfalz fhirmte zwar in der Ar⸗ 
mengedenzeit, die auch Dietrih gern für ſich benutzt Hätte; 
des Iepteren Anklage beim römtjchen Könige auf dem Nürn⸗ 
berger Reichſstage (1445) gelang es jedoch, jenes Band zu 
Iöjen. Das Wiener Concordat v. I, 1448 mußte begreifs 
lih den hierarchiſchen Gewaltfinn auch des deutfchen Stift8- 
klerus fleigern; ber zu Mainz drohete bei jedem vorgeblichen 
Bruch der „Rachtung“ die Stadt zu verlajien, die denn 
i. 3. 1458 wiederum jenen gemeinverderblichen Vertrag 
als Geſetz anerkennen mußte. Sie hatte die größte 
Macht der Zeit, die geiftliche wider fih! So war der 
Staatshaushalt der erften Bundesftadt zu Grunde ge= 
richtet; noch aber beftand ihre Neihsfreiheit, als ber 


Sechsſstes Bud. 291 


Hinterliftige Dietrich im Mai 1459 ſtarb, und ihm Diether 1-Rew- 
son Ifenburg, nit ohne offenkundige Beſtechung ber Dome nalen 
herren, folgte. Vom Papft, vom Kaifer und von Denanan 
Mainzern als rechtmaͤßiger Erzbifchof anerkannt, verſchuldete "fan 
der Leichtfinnige ſchon 1. I. 1460 durch Antheil am „gro⸗ 
Ben Fürftenkriege” die Verödung des Stabtgebiets, warb 
i. 3. 1461 wegen Verweigerung ber Annaten von Pius II. 
abgefegt und an feiner Stelle Adolf, Graf von Naflau, 
erwählt. Der Kaifer gab feine Einwilligung ; aber die Bürger 
ergriffen Dietherd Partei um ſo entſchloſſener, ald auch der 
fiegreiche Pfälzer dem Entfegten feinen Beiſtand lieh, Dietber 
„wohlmeinend“ den ftäbtifchen Abgeordneten eine Berrätheret 
unter ihren Mitbürgern entbedite, und endlich ihnen verhieß, 
„die, „Rachtung“, die Exremptionen des Klerus von allen 
bürgerlihen Laften, aufzuheben, falls fie ihn als Seelen« 
Birten begünſtigten.“ Aber Halbheit und Untreue begannen 
ihr unfeliges Spiel. Die Bürger erfiend mißtrauten zwar ber 
Verheißung Diethers, appellirten jedoch für ihn an den rö⸗ 
milden Stuhl, und gelobten ihm ihren Schuß (21. März 
1462); der Erzbiſchof ſeinerſeits zwang den Klerus nicht, 
die Aufhebung jenes Vertrags zu beflegeln; von den Stifts⸗ 
geiftlihen waren viele auägewandert ; von namhaften Einwoh⸗ 
nern felbft hielten wohl dreihfundert die Sache Adolfé, „aus 
ſchuldigem Gehorfam gegen Kirche und Kaiſer“, vermus 
theten jedoch nimmer einen fo fchredlichen Ausgang. 
Als Friedrich der Siegreihe des Naffauerd Partei bei 
Seckenheim gefhlagen (Juni 1462), fuchte dieſer durch 
Liſt und Verrath, was er mit offener Gewalt nicht er⸗ 
langt hatte. Im Einverfländnifje mit feinem Anhange in⸗Verrath 
nerhalb der Stadt, zumal mit dem Bürgermeiſter Dymer⸗ Mainz. 
fein und dem Baumeifter Dudo, welchem bie Aufficht der 
19 * 


282 Bierter Theil. 


1.R0p. (1428); dagegen beklagte es fchmerzlih den frühen Tod 


Wien. 


des milden, gerechten Albrecht, der in Folge der Kriegs- 
mühen gegen die Türken, als römifcher König, König von 
Ungarn und Böhmen, unweit Gran verſchied (27. Octo— 
ber 1439). Des nachgeborenen Erben Ladislavs (1440) 
Unmünbdigfeit gab dem römijchen Könige Friedrich III. Die 
Regentſchaft aller Reiche, von der ihm jedoch nur Oeſter⸗ 
reich blich, und auch Die Hauptſtadt durch den kecken Em⸗ 
porfönmling , Eyziger, abwendig gemacht wurde, während 
ihn felbft der Schweizerfrieg und des Reichs wirre Händel 
fefjelten. Mit der Kaijerfrone, der portugieftjchen Ges 
mahlin und feinem Mündel Ladidlan aus Italien heimge— 
ehrt (1452), fand er Defterreih unter Waffen. Stür⸗ 
mijch verlangten die Ungzufriedenen, vor Neuſtadt gela- 
gert, die Herausgabe ihres Erbfürften, und rathlos entließ 
ihn der Kailer nach der Hauptſtadt. Für den Verluſt an 
Macht und Ehre entfchädigte der verjchmähete Vormund fein 
Haus durch den Erzhergogätitel, in Demjelben Jahre, als 
Konftantinopel von dem Halbmonte überwältigt wurde. — 


Brestau. Alle fchleftichen Städte huldigten dem Knaben bei der Krö⸗ 


nung zu Prag, nur die Breßlauer nicht, unter dem Vorwande, 
fie brauchten nirgend anderd wo, als innerhalb ihrer Ring⸗ 
mauern den Treueid zu ſchwören. Der Grund aber war, 
auffallend, rechtgläubiger Eifer gegen die ketzeriſche Umge- 
bung Ladislavs, ein Fanatismus, den jüngft Johann Ka⸗ 
piſtrans Kreuzpredigt gegen die Türken entzündet hatte, jenes 
Seelenbezwingers, welchem das fonft frivole Volk, wie ver⸗ 
fleinert bet feinem Worte, Würfel, Spielbrett, Schmud 
und anderen Tand wetteifernd aufgeopfert (1453). Bes 
veit, jel6ft mit den Waffen die Zumuthung des Herrſchers 
abzuwehren, trieben die Breslauer den König in ihre 


Sechstes Bud. 283 


Stadt zu fommen, und entrichteten darnach willig anſehn⸗1Kap. 
lihe Schatzung (1454). Ladislans früher Tod nad) unbe» 
Iobter Regierung (23. November 1457) zerrüttete von neuem 
die öftlihen Länder; Böhmen wählte ald den Würbigften 
den Kalixtiner Georg Podiebrad; die fchleftfchen Stände, 
zumal die pfäffiſch verhegten Breslauer mit den Sechsſtäd⸗ 
ten, verwarfen felbft da noch den Ketzer, als er urkundlich 
zum römiſchen Bekenntniß übergetreten, und unter Abfage 
von taufend böhmiſchen, mährifchen und ſchleſiſchen Herren 
gegen die Stadt, vor ihren Mauern erfchien. Erſt den 
Bemühungen des päpftlichen Legaten gelang, die Störrigen 
zu vorläufiger Anerkennung zu vermögen (Januar 1460). 
ALS bald darauf der herrfchfüchtige Pius II., unſer Xob- 
rebner der Deutihen, den Kelch verbot und Podiebrad nicht 
gehorfamte (1462); blieben die Breslauer blinde Werf- 
zeuge römijchen Geiſtesdrucks. Sie jubelten dem Kreuze 
beere, welches gegen den kirchlich verfluchten Huſſitenkönig 
audzog, halfen, demſelben Städte und Schlöffer abnehmen, 
ließen auch unter ſchwerer Einbuße nicht ab von grim« 
migen Haſſe, huldigten dagegen dem treulofen Eitam des 
böhmifchen Helden, Dem Matthias von Ungarn (1469). 
Um den „rechtgläubigen‘ König gegen den Sagellonen Wla—⸗ 
dislan, Böhmend gewählten Herrfcher nah Georgd Tode 
(1471), zu behaupten, verarmte die reihe Stadt, erfuhr 
aber nach der Sühne der Könige (1478) ſchnödeſten Un— 
dank. Mattbiad, auch Herr der Kauft, änderte die Wahl 
des Raths und der Schöppen, die feit 1475 von den 
XLVII aus der Gemeinde abhing; jeine übermüthigen Hof- 
diener verhöhnten die Klagenden über ihre frühere Opfer- 
treue: „ihr Bauern von Breslau müßt fünftighin lernen, 
Königen gehorfam zu fein‘. — Sp trug hier dem Bür- 


274 Bierter Theil. 


4.Kap. zollern feine Berliner ob geringfügiger Brühe fo ſchlimm 
anließ, in die Hand der flürmenden Böhmen, deren Mord- 
und Beutegier der Erzbifchof die an Volk und Gut reiche 
als Lohn verheißen. — Boll Schaam, auch nur fp ät zur 
Befinnung zu kommen, reiste durch Kriegszug Dietrich noch 
i. 3. 1448 die Soefter zur Vergeltung, und verfähuldete 
noch den Jammer mancher gehorfamen Stadt. Dann ſchloß 
man unter Vermittelung eines Cardinals zu Maftricht i. 9. 
1449 GStillftand mit Beibehaltung des Beflges, rechteten 
Kleve und Köln jahrelang in Rom, erwirften widerſpruchs⸗ 
volle Urtheile. Obgleich nie förmlih von Köln abgetreten, 
und feit 1471, als wäre des Reichs urfprüngliches Anrecht 
erwacht, in den Matrikeln veranfchlagt, blieb Soeft unter 

Got anstlene, welches deſſen beſchworene Rechte handhabte, ohne 
zu verhindern oder zu fördern, daß die berühmte Handels⸗ 
ftadt zur aderbauenden herabfant. “Privilegien, wenn 
fie nicht gemehrt, Rechte, wenn fie nit ausgeübt werden, 
Ruhm, wenn er nicht wädhft, verzehren ſich in ft 
feld. Soeſt, ſeit 1449 aus der ſchwunghafteſten polis 
tiihen Bewegung plötzlich in Stillſtand verfegt, ohne 
Pflichten, ohne weiteren Ehrgeiz, ohne andere Aufgabe, 
als fih felbft zu genießen, unangreifbar in Schutz 
des mächtigften Herzogshauſes von Jülich, Kleve, Berg, 
mußte zur Unbedeutendheit herabſinken, au 
ohne den Full der Hanſa, ohne die Folgen der Reformation 
und den breißigjährigen Krieg. 

am Wir fpringen aus Weftfalen nah Pommern, zu den 

Städte jungen Pflanzftädten der Saffen über, mit der Genug⸗ 
thuung, daß Hier deutfcher freier Bürgerfinn dauernd eine: 
Heimath fand, als greifige Schweitern ſchwachmüthig wur⸗ 
den. Den Probirſtein bürgerlicher Tugend boten auch hier 


Sechstes Bud. 275 


die Fürften, welche, geſchwächt durch wiederholte Theilung, 1-Kar- 
das Rechtsgefühl ber Hochgefreiten Städte zu beirren fireb- 
ten. So auch der Bifchof von Kammin in Kolberg, wo einKolberg. 
eigenthümliches Patriziat ſich behauptete, obgleich ſchon ein 
Geſetz v. I. 1364 Adeligen Bürgerreht und Rathsfähigkeit 

nur gegen Entäußerung ihrer Lehn- und anderen Güter 
geſtattete. Huffitiiche Wildheit tobte bier feit d. 3. 1442 
gegen Biſchof, Domftift und beren Helfer, den Herzog 
Bogislan IN., al8 zur Unzeit hierarchiſche Strenge und 
offene Fehde von den Fürften verſucht ward; erft die Be⸗ 
endigung des firchlihen Schiöma 1. I. 1449 brachte eine 
furze Ruhe. In Vorpommern, wo i. 3. 1446 die vier 
Bundesftädte ihren alten Verein bergeftellt, Herrfchte nach 

den Vorgängen zu Wilsnad und Lübeck Argwohn und 
Spannung, weil gelehrige Fürften in die Politif der Ho— 
benzollern eingingen. Als Habſucht und Unbilligfeit des 
alten Wartislav IX. beim Antritt des reichen Erbes Bars 
nim VII, Serzogd über Rügen und Stralfund, (December 
1451) das Land in ungerehten Krieg mit Mecklenburg 
verflochten, nöthigte Stralfunds Bürgermeifter, Otto Voghe, Strar- 
den Herzog zum Nachgeben (Januar 1453), und verfhul« = 
dete durch ſolche Anmaßung den Haß des Fürften. Als 
Opfer fo Ieidiger Berhältniffe fiel am 18. März 1453 ein 
treuer Diener ded Herzogs, der Landvoigt Raven Barnes 
kow, vielleicht falfchlich angeklagt, mit Hülfe eines uns 
zufriedenen Theiles der Bürgerfhaft Stralfunds Preis 
heit verrathen zu wollen; aber Voghes heißer Eifer für 
feine Nechtöbegriffe, die Fortdauer feiner Schredenäherr- 
ſchaft bei äußerer Anfeindung, zwang auch ihn zur Flucht 
vor dem wüthenden Haufen (Mai 1453). Während be- 
fonnene und bürgerlich gefinnte Männer Stralfunds innere 

19* 





276 Pierter Theil. 


1.8ap. Ruhe Herftellten, und der auögetriebene Bürgermeifter auf 
Hanfetagen und beim Könige Chriftian I. umfonft feine 
Sache verfocht; fuhr, unverföhnt, Wartislav IX. fort, bie 
Breunde und Helfer des tödtlih Gehaßten zu verfolgen, 
und fehdete dad Geſchlecht der Barnekow als Bluträcher 
ihres Sippen gegen die Stadt. Und dennoch mußte es ſich 
fügen, daß, auch durch Kaiſers Spruch geächtet, der Bürgermei- 
fter mit glängender Genugthuung nach Stralfund heimkehrte. 
—— So rauhen, leidenſchaftlichen Thaten trat auch in 
Breite. Pommernd Städten daß fchöne Streben zur Seite, durch 
gefiel Pflege der Wiſſenſchaft ein verwildertes Geſchlecht zu vered⸗ 
Ien. Bereit im XIV. Jahrhunderte hatten Erfurt und Köln 
blühende Pflanzfchulen des ernften Wiffens, und war in Ro= 
flo@ unter dem belebenten Einfluß der Goncilien i. J. 1419 
eine Univerfttät gegründet, die jedoch unter kirchlichem und 
bürgerlihem Hader zu erlöfchen drohete; eben ging auch, 
Albrecht VI., der Habsburger, damit um, im. breiögauifchen 
Freiburg, „einen Brunnen des Erleuchtungswaſſers zu 
graben‘ (1454); als ein großgefinnter Bürgermeifter in 
Greifswald, Heinrich Rubenow, alter und reicher Herkunft, 
‚Doctor des Kaiſerrechtes“, den Gedanken erfaßte, über 
feine Baterfladt und über Pommern den Segen geiftiger Kul⸗ 

tur zu verbreiten. Leider machte bereitd auch dad Bedürfniß 
des römiſchen Reichs dringend fih gelten. Welterfahren 
und body angejehen beim Landesherrn und bei feinen Mit- 
bürgern, welche feine Reviflon der Rathswillkür, obgleich 
als gefeglich befefligte Ariftokratie, dankbar angenommen, 
arbeitete der Bürgermeifter an der Ausführung ded hohen 
Werks; gewann ben gleichgültigeren Herzog, den Landklerus, 
wie feine ebrliebenden Mitbürger, und erwirfte um hohe 
Summe in Rom die Erlaubniß, nicht allein zus Errichtung 





Sechstes Bud, 277 


einer vollftändigen Hochſchule, fondern auf, als Anhalt 1. 
derfelben, zur Umwandlung der ftattlihen Nicolaifirche in 
ein Domftift. Unter großmüthigem Wettftreit zwifchen Hohen 
und Niedrigen, Geiftlihen und Weltlihen, — des Adels 
Antheil vermiffen wir allein —, die Mittel zur erften 
Ausftattung zu befchaffen, übertrug der Bifchof von Kam⸗ 
min fraft päpftlider Bulle am 21. September 1456 
dem Doctor Aubenow, „weil er vor andern Mühe und 
Geld an die heilige Sache aufgewandt‘, die vorläufig nöthi« 
gen Einrichtungen; ward am 17. October 1456 in feier- 
Tücher Verfammlung der Fürften, der Prälaten, des Raths 
und der bereit8 ernannten Lehrer das päpftliche Privilegtum 
‚„‚mtroduzirt”, und dem gemäß dad „Studiun generale” 
eröffnet. Aber verhängnigvolle Zerrüttung des Landfriedend 
flörte nicht allein den Fortgang des ſegensreichen Werks; 
bürgerlihe Händel, entbrannt in Folge. unbefonnener, une 
fürftlicher Ihaten der Nachfolger Wartislav IX. (ft. 1457), 
brachten auch dem verdienten Gründer ein tragifches Ende. 
Erich der Schöne, der ältere Herzog, reizte durch Nicht- 
achtung der Rechte Greifswalds und Stralfunds, indem er 
auf ihren Pfandgebiete die Bauern zur Jagdfrohnde zwang, 
das Nechtögefühl Rubenows, Oberhaupts der Stadt 
und der Univerſität, zu einem Angriffe jelbft auf feine 
Perſon und fein Gefolge (Auguft 1457), begann fogleich 
zornentbrannt mit den Barnefowen auf die Stralfunder zu 
fahnden, und bewirkte in Greifswald einen Aufitand neidi— Städte 
cher Amtsgenoffen fowie der unbefländigen Menge, in def: — 
ſen Folge der Doctor mit vielen Studenten nach Stralfund " 
floh (September 1457). Gleich darauf, ald Erid in un 
fürftlicher Weiſe die Stralfunder bejchädigt, erſtarkte dort 
dad demokratiſche Regiment, erneuerten die vier Städte 


978 Bierter Theil. 


1.8. ihr Schutz⸗ und Trugbündniß, ftritten mit Nachdruck gegen 
die berzogliche Partei, und kehrte Otto Voghe (Baftenzeit 
1459) in feinen Bürgermeifterftuhl, Rubenow in feine 
Aemter zurüd. Jedoch die Adelsfehde dauerte fort, als bie 
Fürften, mit dynaftiichen Händeln beichäftigt, ziemlich Elein- 
müthig mit den Städten fih verfühnt; Kolbergs tapfere 
und wahfame Bürger fohlugen in einer Winternadht 1462 
die böhmiſchen Söldlinge der Prälaten und die Nitterfcaft, 
welde ſchon die Mauern erftiegen hatten, jo unerfchroden 
zurüd, wie fünf Jahre früher die Soefter. Der Stifter der 
pommerifchen Univerfität, welcder mit altdeutfcher Strenge 
feine heimifchen Gegner gezüchtigt, fiel am legten Tage 
befjelben Jahres durch das Beil eines mörberifchen Buben. 
Um ſich gegen die Volksrache ficher zu ftellen, lockten vie 
Anftifter jener That um Oftern 1463 den Herzog in die 
Stadt; entgingen aber ihrem Lohne nit. Denn nachdem 
ein neuer Mordanſchlag der Schuldbewußten gegen Rube— 
nows Partei vereitelt war, erlagen die zwei Bürgermeifter 
den Bluträchern. Endlich vereinte die Gefahr, Pommern 
nah dem Erlöfchen des Stettiner Herzogſtammes (1464) 
zerriffen unter Brandenburgs gehaßte Herrſchaft fallen zu 
fehen, die zwifligen Brüder, Erih und Wartislav X.; der 
Gemeinfinn der Bürger erwachte, als beide ihre Privilegien 
erneut Hatten, und auch den Kader Kolbergd mit dem 
Stiftöflerud vermittelten (1468). Xreue mit Treue ver» 
geltend, bewiefen die Städte im unaudweichlichen Kampfe 
mit dem Kurfürften Friedrich II,, deffen Bruder, dem „Achil⸗ 

— les“, jenen bewunderungswürdigen Vaterlandseifer, welcher 

awitden Erichs Sohn, den „pommeriſchen Volkshelden“ Bogis— 

und den Ta X., ſtark erhielt, reichöftändifche Freiheit gegen Hohen- 
plierne Gewalt und diplomatiſche Kunft zu behaupten. — 


Schstes Bud. 279 


Gleich ftarf in ihrem Nechtsbewußtfein, und hartnädig_1-Kav. 
in Bertheidigung beffelben, auf einem größeren Schauplag, 
aber im Ausgange verderblich für fie felbft wie für Deutfch- 
land, erwies ſich das Bürgertfun in Preußen. DerPreuben. 
„Ewige Frieden“ zu Brzefeie (1436) gewährte einige Ruhe 
vor Polen, ftellte jedoch den zerrütteten Ordensſtaat nicht 
her. Die Städte verlangten Abfhaffung der Zölle, Heilig« 
haltung ihrer Privilegien, und beftegelten, als ihnen fein 
Gehör ward, im März 1440 zu Marienwerder ihren Bund 
mit Landihaft und Adel. Der neue Meifter, Konrad von 
Erlihehaufen, fonft flug und friedlih, fonnte dad Miß—⸗ 
trauen gegen die noch immer hochmüthigen Mönchsritter nicht 
bannen; fein fchwacher, rathlofer Nachfolger, Ludwig, dei» 
jelben Gejchledht3 (1450), fah den Bund vom Kaifer bes 
ftätigt und als fürmlichen Staat organifirt (1453). Wun⸗ 
derfremde Begriffe von „Naturreht, vom Recht des Wi⸗ 
derſtandes gegen obrigfeitlihe Bedrückung“ wurden zumal 
in den Gemeinden audgebildet; ald der Kaiſer, in fi 
uneinig, die Eidgenofjenjchaft der Unterthanen zögernd wi— 
derrief, Die Ritter jubelnd Söldner zum Unterjochungs⸗ 
friege fammelten, überbradte der Stabtfneht von Thorn 
dem erfchrodenen Hocmeifter den Abjagebrief des Bundes 
(6. Sebruar 1454), In wenigen Tagen waren faſt alle Prenst- 
Schlöffer überwältigt; Danzigs flarfe Ordensburg gebrochen; Krieg. 
die Marienburg durd Die Danziger eingefchloffen. Weit 
von dem Gedanken entfernt, einen Freiſtaat zu bilden, 
drängten. die Stände einen undeutfchen König, den Polen 
Kaftmir IV. ihre Unterwerfung gegen Beftätigung und 
Mehrung ihrer Rechte und Freiheiten anzunehmen (6. März 
1454), und huldigten ihm mit den Bifchöfen. Der neue 
Gebieter fam mit Heeresmacht, ließ aber Marienburg, bad 





280 Bierter Theil. 


1.Rap. die Bürger tapfer vertheidigten, unbezwungen, und erlag 
den Rittern und ihren Söldnern bei Konitz (September 
1454). Mande Städte, wie Königöberg, traten, mißver- 
gnügt über die polnifche Herrichaft, vom Bunde ab; den— 
noch fland derſelbe feſt. Am Hartnädigften die Danziger; 
mit des Königs Willen braden fie aus altem Neide die 
Jungſtadt (Ianuar 1455), bildeten eine Rathsvereinigung, 
vereitelten auch die Verſuche des Hochmeiſters, Die Ges 
werfe gegen den Rath aufzuhetzen. Inzwiſchen wich Ludwig 
von Erlichshaufen im Junius 1457 mitleidwertd aus dem 
Ordenshauprhaufe, das er den fremden, böhmifchen Söld- 
nern verpfändet, und fam nad Königsberg; frucdtlos gab 
nochmal die Treue der Marienburger die Stadt in feine 
Hand. Der Krieg dauerte mit feinen DVerheerungen fort; 
das Land verödete; deutſche Gefinnung erftarfte im Often, 
während die weftliche Provinz, das patrizifhe Danzig mit 
Geld und Waffen an der Spike, aufrecht aud gegen in- 
nere Unruhen, bei Polen ausharrte. Merfwürdig: während 
in Thorn, Danzig und anderen Orten die niederen Ge- 
werfe, wie aud Ahnung, wo noch am erflen bürgerliche 
Gleichheit zu Hoffen: ob bei der alten deutfchen Herrfchaft, 
oder beim Polen? wiederholt gegen den polnifch gefinnten 
Kath ſich erhoben, und nur blutig unterdrüdt werden 
fonnten, wie i. 3. 1463: trug die Ariftofratie der reichen 
Kaufberren, belohnt durch Privilegien und reiche Schenfun- 
gen auf Koften der alten Lanteöherrfchaft, willig die Ent- 
fremdung, und gewann freilih durch Aufopferung natio⸗ 
nalen Sinnes als norbifches Venedig eine Hochwichtige, 
unabhängige Stellung. Endlich waren alle Theile bes 
dreigehnjährigen Krieges müde, und vermittelte ein päpft« 
liher Legat am 19. October 1466 den Frieden zu Thorn, 


Schstes Buch. 281 


welcher die germanifche Erwerbung im Nordoſten in zwei !. Kap. 
Theile fpaltete, dem Orden, als Lehnsfürftenthun Polens, Fried: m 
nur Samland und Pomefanien ließ. In Königsberg, 
dem neuen Hauptfitz des polnischen Vaſallen, wurzelte 
deutfches Weſen Iobreih fort, und trug ſchöne Früchte 
des Geiftes und freier Denkart; das polnische Oſtpreußen 
dagegen jah fih, nah Auflöfung tes Bundes, in feinen 
Hoffnungen getäufcht, fühlte bald den Drud ter Fremd⸗ 
linge, und feine deutſchen Stätte, mit Ausnahme des 
höhergefreiten,, felbftfüchtigen Danzigs, büßten, fpät feldft 
horn, mit bürgerlicher Entartung und Berfunfenheit den 
Mißgriff der Väter, vom Mutterlante des Städtewefens 

zur polnifhen Adelsrepublik abgefallen zu fein. — 

Bleihe Tugenden, gefährlih in ihrer Unwendung,, © — 
aber nicht ruhmlos in der Geſchichte, hatten die tiefen“ alien 
Zerwürfnifie des XV. Jahrhunderts dem deutſchen Bürger 
thum in Defterreih, Schleften, in der Lauflg anerzogen. 
Ueber das habsburgiſche Herzogthum begann das Jahrhun⸗ 
dert verhängnißvoll mit dem Kinde Albrecht V., dem ſpä⸗ 
teren römifchen König; der DVBormundfchaftsftreit zwifchen 
Ernft dem Eifernen und Xeopold dem Stolzen (1407), das 
Borfpiel nachhaltigerer Wirren unter Friedrich III., nährte 
den Wienern politifchen Sinn und Geringachtung des Lebens, 
galt es der Rechtsüberzeugung. Mit römijcher Feſtigkeit 
gaben drei Bürgermeifter für ihres Herm Sache ihren 
Kopf dem zornigen Leopold (1408); auch zu Wien brann⸗ 
ten Wykleffiten zu Aſche. Albrechts V. Regierung ſchuf 
innere Ruhe; doch kündigte fih das Drangfal für drei 
Jahrhunderte an, als die Türken zum erftenmal in Steier- 
mark einflelen (1417). Wien felbft fah, unangegriffen, 
die Huffiten nur im nahen Nußdorf jenfeits des Stroms 


282 Bierter Theil. 


1.R0p. (1428); dagegen beffagte e8 fjchmerzlich den frühen Tod 


Wien. 


des milden, gerechten Albrecht, der in Folge der Kriegs: 
mühen gegen bie Türken, als römifcher König, König von 
Ungarn und Böhmen, unweit Gran verihied (27. Octo— 
ber 1439). Des nachgeborenen Erben Ladislavs (1440) 
Unmündigfeit gab dem römijhen Könige Friedrich III. die 
Negentihaft aller Heide, von der ihm jedoch nur Defter- 
reich blich, und aud die Hauptitadt durch den feden Em- 
porkömmling, Eyziger, abwendig gemadyt wurde, während 
ihn jelbft der Schweizerkrieg und des Reichs wirre Händel 
fefjelten.. Mit der Kaijerfrone, der portugieſtſchen Ge- 
mahlin und feinem Mündel Ladislav aus Italien heimge- 
ehrt (1452), fand er Defterreih unter Waffen. Stür- 
mifch verlangten die Unzufriedenen, vor Neuftadt gela- 
gert, die Herausgabe ihres Erbfürften, und rathlos entließ 
ihn der Kaifer nach der Hauptſtadt. Für den Verluſt an 
Macht und Ehre entfchädigte der verjchmähete Bormund fein 
Haus durch den Erzherzogstitel, in demſelben Jahre, als 
Konftantinopel von dem Halbmonte überwältigt wurde. — 


Breslau. Alle fchleftihen Städte huldigten dem Knaben bei der Krö⸗ 


nung zu Prag, nur die Breslauer nicht, unter dem Vorwande, 
fie brauchten nirgend anderd wo, als innerhalb ihrer Ring⸗ 
mauern den Treueid zu ſchwören. Der Grund aber war, 
auffallend, rechtgläubiger Eifer gegen die ketzeriſche Umge- 
dung Ladislavs, ein Fanatismus, den jüngft Iohann Ka⸗ 
piftrand Kreuzpredigt gegen die Türken entzündet hatte, jenes 
Seelenbezwingers, weldhem das fonft frivole Volk, wie ver⸗ 
fRleinert bei feinem Worte, Würfel, Spielbrett, Schmud 
und anderen Tand wetteifernd aufgeopfert (1453). Bes 
veit, jel&ft mit den Waffen die Zumuthung des Herrſchers 
abzuwehren, trieben die Breölauer den König in ihre 


Schötes Bud. 283 


Stadt zu kommen, und entrichteten darnach willig anſehn⸗1Kap. 
lihe Schatzung (1454). Ladislavs früher Tod nad) unbe» 
lobter Regierung (23. November 1457) zerrüttete von neuem 
die öftlichen Länder; Böhmen wählte ald den Würbigften 
den Kalirtiner Georg Podiebrad; die fchleftichen Stände, 
zumal bie pfäffifh verhegten Breslauer mit den Secheftäb- 
ten, verwarfen jelbft Da noch den Ketzer, als er urkundlich 
zum römifchen Befenntniß übergetreten, und unter Abfage 
von taufend böhmijchen, mährifchen und ſchleſtſchen Herren 
gegen die Stadt, vor ihren Mauern erſchien. Erſt ven 
Bemühungen des päpftlichen Legaten gelang, die Störrigen 
zu vorläufiger Anerkennung zu vermögen (Januar 1460). 
Als bald darauf der herrſchſüchtige Pius II., unfer Lob⸗ 
redner der Deutichen, den Kelch verbot und Podiebrad nicht 
gehorfamte (1462); blieben die Breslauer blinde Werf- 
zeuge römiſchen Geiſtesdrucks. Sie jubelten dem Kreuz⸗ 
beere, welches gegen den kirchlich verfluchten Huſſitenkönig 
audzog, halfen, demjelben Städte und Schlöffer abnehmen, 
ließen auch unter fchwerer Einbuße nicht ab von grim— 
migen Hafje, huldigten dagegen dem treulofen Eitam des 
böhmischen Helden, Dem Matthias von Ungarn (1469). 
Um ben „rechtgläubigen“ König gegen den Jagellonen Wla⸗ 
dislan, Böhmens gewählten Herrfher nah Georgd Tode 
(1471), zu behaupten, verarmte Lie reihe Stadt, erfuhr 
aber nah der Sühne der Könige (1478) ſchnödeſten Un- 
danf, Matthias, auch Herr der Lauflg, änderte die Wahl 
des Raths und der Schöppen, bie jeit 1475 von den 
XLVII aus der. Gemeinde abhing; jeine übermüthigen Hof- 
diener verhöhnten die Klagenden über ihre frühere Opfer⸗ 
treue: „ihr Bauern von Breslau müßt fünftighin lernen, 
Königen gehorfam zu fein’. — So trug hier dem Bür« 


1. Kap. 


Deſter⸗ 
reich u 
"Bien. 


284 Vierter Theil. 


gerthum maßfofer Eifer für die Kirche dieſelben herben 
Früchte, als anderwärtd der tiefgegründete Pfaffenhaß. 
Inzwijchen hatte Ladislavs unbeerbter Tod auch für 


1. Oefterreidh das Uebermaß der Anardhie zur Folge. Als 


bie gierigen Vettern von Habsburg, Kaiſer Friedrich III., 
ſein Bruder Albrecht und deren Vetter, Sigismund von 
Tirol und Vorderöſterreich, ſich über das deutſche Erbe 
nicht einigen konnten, und die Erzherzoge, voll Mißtrau⸗ 
ens gegeneinander, auf dem Landtage zu Wien erſchienen; 
hielten die Bürger die Hofburg beſetzt und mußte der lang= 
müthige Kaifer im SPrivathaufe Herbergen (Mai 1458). 
Die Unterhandlungen zogen fih in die Länge; ſchon drohete 
der Bruderfrieg, da gab ein Vergleih das Land ob der 
Enns an Albrecht, dad unter der Enns an Friedrich; Si⸗ 
gismund ward mit Geld abgefunden; Wiens Beftt blieb 
noch unentſchieden. Ein fürchterlicher Verheerungskrieg mit 
Böhmen, den Erbherzog Albrecht undefonnen herbeige- 
nöthigt, ein fruchtlofer Verfuh, Ungarn dem Matthias zu 
entreißen, endete noch zeitig für den Kaifer, damit er nicht 
auch Defterreich verlöre. Gedrückt durch Zölle, ſchlechte Münze 
und zuctlofe Sölöner, Hatte das gewerbthätige Volk ver- 
geblich beim trägen SHerrfcher Hülfe geſucht; die Großen, 
um Ladislavs Schenkungen von Briedrich beunruhigt, grifs 
fen zuerft zur Wehr, riefen den bödgefinnten Bruder, Erz 
Herzog Albrecht, herbei, der mit feinem Anhange von deut- 
jchen Fürften ſchnell faft das ganze Land eroberte, nur 
Wien nidt, wo die Kaiferin Eleonore und der junge Mas 
zimilian die bejchworene Treue und die Tapferkeit Der 
Bürger aufrecht erhielten. 

Zur Würdigung einfeitig überlieferter Ereigniffe müffen 
wir andeuten, daß unter den ſchlimmen Bruderzwift, der 


Schstes Bud. | 285 


Ungewißeit der Anfprüde, der Mißhandlung des Volks 1.Rw. 
Durch unbezahlte Söldnerrotten, und dem Uebermaß öffent ine 
lihen Elends in Wien, der ehemaligen Neichsftadt, zwei Parse 
teien ſich ausgebildet hatten, um in höchſter Noth fich ſelbſt 
zu helfen: eine ariftofratifche des alten Raths und ber 
Reichen, welde dem Kaifer, dem Adelsfreunde und befann« 
ten Gegner der Volksherrſchaft fich zuneigte, und die nie- 
dere Bevölkerung, die Handwerfer, welche, längſt wieder 
durch Viertelsmeiſter, Zunftherren, Gefchworene vertreten, 
den nicht unbegründeten Urgwohn nährten, der Feind der 
Eidgenofien und der Demokratie würde fie unter feinen 
Buß bringen. Schon im April d. 3. 1460 hatte fich in 
Wien Waffengetummel erhoben, weil die Bürger fürdhtes 
ten, ihre in die Burg bejdiedenen Rathmänner und Zunft- 
meifter würden fiftgehälten, ſie ſelbſt von einem Anfall der 
Faiferlihen Söldner bedroht. Dem Herzoge Albrecht ſchloß 
fih die Volföpartei nicht als bürgerfreundlihem Herrn an, 
fondern ſuchte überhaupt nur einen Halt, einen gefehlich 
Verbündeten im fchweren Kampfe. Die Wirkfamfeit ter 
Hochſchule, deren erfte Lehrer, ja deren Schüler wir im 
ewig alten und ewig jungen Streit der Principien thätig 
finden, hatte völker- und ſtaatsrechtliche Grundſätze neuer 
Art zugleich mit den gegenfirchlichen verbreitet: „von der 
Pfliht des Landedheren, zu helfen und zu fihirmen, wenn 
er Abgabe und Steuer forterte, von der Zuläfftgkeit der Ge⸗ 
Horfamdauffündigung,, fehlte derfelbe feiner Herrſcherpflicht.“ 
Kaiſer Briedrih, fo eigenfinnig wie langmüthig, geizig 
und ſchlechter Haushalter, träg und doc voll Weltgebieter- 
träume, war nicht befonnen genug, um der Forderung ber 
unzufriedenen, mädtigen Hauptfladt zu entfprechen: in ſei⸗ 
nem Landfriedensplane, den SBrälaten, Herren und ber 


286 Bierter Theil. 


4.80. Nitterfchaft gegenüber, eine vierte Partei für ſich con- 


flituiren zu dürfen; eben fo unflug und fahrläfftg Hatte 
er, in Gräß fitend, die Klagen der Stadt über die heil- 
loſe Wirthſchaft unerhört gelaffen. Da mußte denn jener 
Groll, jene naturrechtliche Auflehnung gegen Fürftenwillkür, 
die wir zur Zeit faft mehr in eigentlichen Landftaͤdten als 
in Reichsſtädten vorfanden, felbft das geheiligte Haupt des 
Kaiferd als Herzogs von Defterreih in ſchimpfliches Ge⸗ 
dränge Bringen. 

Als nun im Sommer d. I. 1462, unter untragba- 
ren Folgen des wüften Bürgerfrieges, ein Landtag zu Wien 
eröffnet war, drängten ſich ungeflüme Sandwerfer in die 
Perfammlung, fingen Albrechts Anhänger den für Zriedrid 
treugefinnten Bürgermeifter und andere Rathsherren, und 
riefen Wolfgang Holger, einen kecken, beredfamen Volks⸗ 
führer, zum Öbervierteldmeifter, zum Tribunen aus. Als 
darauf der Kaifer mit 4000 Steiermärfern herbeigefom- 
men, verfperrten die Wiener ihm die Stadt, welche er 
erft nach drei Tagen, zum bitteren Schmerze feiner hoch⸗ 
herzigen Gemahlin, ohne feine Söldner betreten durfte. 
Die Anordnung eined neuen Bürgermeifterd und neuer 
Rathsherren unter feinem Einfluffe verwarf die tobende 
Menge als gegen das Geſetz. Unbegreiflih in der Wahl 
feiner Mittel, fügte der Kaifer fi der Erhebung Holzers 
zum Bürgermeifter, begehrte dann Geld von der Stadt zur 
Bezahlung feines Naubgefindeld, das außerhalb umher» 
fchweifte, und ſuchte, auf die Verweigerung des neuen 
Naths, einen überführten gemeinen DVerbreiher tem bürger- 
lihen Gericht zu entziehen. Darauf feinerfeit8 Abiprehung 
des Blutbannd; andererfeits Beichlagnahme feiner Gefälle; 
endlih am 2. October 1462 fürmliche Auffündigung des 


Sechstes Bud. 287 


Gehorfams der Stadt, „bis auf Vereinigung der Land» 1.Kap. 
friedensparteien”, zwar nicht fo lakoniſch derb wie ber 
Soefter, und ehrerbietig genug, Doch motivirt Durch Klage 
und männlid entjchieden. In der Burg eingefperrt, mit 
wenigen Getreuen, ohne hinlängliche Vorräthe, ſah der 
römifche Kaifer, als feine Vertheidiger forglos vorüberwan⸗ 
deinde Leute mit Armbruftfchüffen getöbtet, im Handum⸗ 
drehen ſich belagert; dad Geſchütz der Bürger ſchonungslos 
felöft auf die Srauengemäder, wo fein Gemahl und fein 
Schn Marimilian, gerichtet. Das Herrlein weinte bei grober 
Koft; Friedrich zeigte unerwartete Feſtigkeit, obgleich er wohl 
mehr aus Angſt vor den Folgen, ald aus mildem Sinn 
verbot, durch Feuerpfeile die fchindelgededte Stadt in Brand 
zu fchleßen. Die Gefahr wuchs, ungeachtet einzelne Edle 
Wien befehdeten, und die Bürger mit der Weinlefe be— 
fhäftigt, fat nur zum Spiel, unter Binfen und Keffel- 
trommeln, ihre Stüde auf die Burg Iöfeten. Denn zu 
Anfang November Fam auch Herzog Albrecht, bis dahin 
durch die Gefahr feiner wittelsbachiſchen Kampfgenoffen fern= 
gehalten, herbei, und einigten fi} bundesmäßig Ober- wie 
Niederöfterreihd Stände. Das deutſche Neich, in Regens⸗ 
burg tagend, regte fi nicht, ald Kanzler und Oberhaupt- 
mann bie Noth des Kaiſers beweglich vorftellten. Schon da⸗ 
mals trennte man beifällig die Berfon des Katfers von 
der des Erzherzogs von Defterreih. Da ſchickte, im 
Drange der Noth, König Georg Podiebrad erft feinen Sohn, 
und fam dann felbft mit einem Heere vor Wien: mehr um 
die Uebermacht des einen Nachbaren zu hindern, unterdrücke 
derfelbe den andern, als aus Pflicht des weltlichen erften 
Kurfürften. Aber feine Böhmen und die Defterreicher wur⸗ 
den mit Verluſt von den Mauern zurüdgefchlagen, und auf 


288 Vierter Theil. 


1.Rap. der Flucht verfolgt; die Sieger jubelten, den Eingefperrten 
endlich zu ihrem Willen zu beugen. Da vermittelte denn 
ber fluge Böhmenkönig, unter Zuziehung Holzers, zu 
Korneuburg einen Vertrag, den der Hülfloſe annahm, weil 
fein Befreier Günftigered nicht bewirken Eonnte over nicht 
wollte. Albrecht erhielt auf acht Jahre, gegen Heraus⸗ 
gabe feiner Eroberungen und jährliche 4000 Goldgülden, 
Wien und Oberöfterreih, und verkündete den Brieden in 
PVerfon von der Kanzel zu St. Stephan. Nach zweimonat- 
licher Belagerung öffneten fih die Thore der Burg und 
entließen dad bange Kaifergefchledt. 

Aber während draußen der Friede ſchlecht gehalten 
wurde, empfanden Die Bürger den graufamen, tüdijchen 
Despotismus des neuen Herren, zumal in Folge entfittigen« 
ber Ungeberei. Solches Joch zu brechen, beſchloß Wolfe 
gang Holzer im geheim um die Ofterzeit 1463 mit den 
angefehenflen Bürgern und den BZunftmeiflern, jenen Un 
dankbaren vermittelft 400 deutſcher Weiter, die in der 
Nähe, zu fangen, und dem Kaifer auszuliefern. Keiner 
der 600 Mitwifjer verrieth den AUnfchlag, der dennoch an 
ber Geiſtesgegenwart des Erzherzogs und an der Unbeftän- 
digfeit der unklaren Menge ſcheiterte. Holger, auf der Flucht 
ergriffen, Titt mit dreizehn anderen Bürgern den grauenvoll= 
ſten Tod mit fat übermenſchlicher Faſſung. Alle bekannten 
fterbend: Ergebenheit an den Kaijer fei ihre Todesſchuld. 
Das Ende der Verwirrung und des Jammers bei erneuer« 
tem Kriege war nicht abzufchen, al8 der Tod des jünde- 
beladenen Erzherzogs Albrecht (December 1463) den Kno⸗ 

Kalter ten löſete. Nah Sigismunds Entſagung ward Friedrich 
ur „sernHerr aller öfterreichifchen Lande, am fpäteften der Wiener, 
Bien. weldhe, verlaffen von ihrem Städtebunde, durch demüthige 


Schstes Bud. 289 


Bitte zu Wienerifh-Neuftadt Gnade und Vergefienheit des 1-R. 


Geſchehenen erlangten (1464). — 

Mas Tonnte dad Reich während der kurz vorher ges 
fihilderten Periode von einem Kaifer erwarten, dem das 
Gemisch widerſpruchvollſter Eigenfchaften, die fhmählichfte 
Staatswirtbfchaft und haltungslojefte Politik, im eigenen 
Erblande ſolche Reihe ſchimpflicher Verlegenheiten bereitet? 
Aber ſchon damals hätte felbft ein Friedrich IL. von Hohen- 
flaufen nicht 8 vermocht gegen die ausgebildete Vielköpfig⸗ 
feit des Reichs; der Habsburger, ſchon 1. 3. 1457 mit 
Abſetzung bedroht, Tieß die Dinge ihren Gang gehen, wenn 
dem 5b. römifchen Reiche deutſcher Nation nur nicht zu gröb⸗ 
L ins Geſicht geichlagen wurde, und las in den Sternen 
bie Herrlichkeit, Die feinem Geſchlechte dereinft befchieben. 

Als Widerhalt der Auflehnung Herzog Albrechts ge= 
gen den Kaifer diente der verwickelte Fürftenfrieg, welcher, 
gleichzeitig mit Oeſterreichs Anarchie, über Donauwerths An⸗ 
taftung entbrannt war, und noch in feinem Ausgange die 
erſte Frei- und Reichsſtadt am Rhein verfehlang. Gegen 
Ludwig den Reichen und feinen Vetter, den „böſen Fritz“, 
Kurfürften von der Pfalz, mußten auf des Kaiferd Gebot 
auch die Neichöftädte, befonder8 Ulm und Augsburg, ins 
Feld; als des Pfälzers Sieg bei Sedenheim (Juni 1462) 
im Weſten Stillftand gebot, heerten die Stäbter wader im 
Baierlande unter Markgraf Albrechts Führung, und fühle 
ten ſich deshalb zu erſchöpft, um der hochgeehrten alten 
Schweſter am Rhein in der Todesnoth zu helfen. 

Mainz war, willig unterftägt von Worms und Speier,, | 
noch glücklich genug dem ränfenollen Erzbiſchof Johann (ft. 


1419) entgangen, und hatte feine Freiheit unter dem fried- „Po 


lichen Konrad III. behauptet, zumal 1. 3, = . Bünfte 
Barthold, Etädtewefen. IV. 


un un 


Keine 
Beige, 
— 


390 Dierter Theil. 


1.Ray. über die Patrizier einen vollfländigen Sieg davongetragen. 
Ein Wettftreit über den Vorrang beim feierlichen Einritte 
des neuen Erzbifchofs Hatte den Strauß entzündet, in defs 
fen Bolge 112 Gefchledhter in den „Gau“ oder in bie 
Nahbarorie ausgewandert waren. Im Jahre 1430 hatte 
der gutmüthige Erzbiſchof mit Hülfe der Bundesflädte einen 
Vergleich zwijchen dem Adel und den Zünften zu Stande ges 
bracht und ihre wechfelfeitigen Rechte feftgefeht; dagegen 
Ioderte, angefchürt durch das Concil zu Bafel, ter alte 
Kampf wegen der Immunität der Geiftlihen und ber 
Steuerfreiheit ihrer „Gottesgaben” i. 3. 1433 
wieder hell auf. Verurtheilt duch die geiftlichen Väter, 
mußte die verarmende Stadt i. 3. 1435 der „Pfaffen- 
rachtung“ fich fügen, und fonnte bereitd im böfen 9. 
1443 aus dem Zweifel, weldhen Konrad Nachfolger feit 
1434, Dietrich Schenk von Erpach, gegen ihre Reichsſtand⸗ 
haft vor dem römifhen Könige erhob, die Zukunft abs 
nen. Die Befreundung der Bundesftadt mit dem wackeren 
Kurfürften Ludwig von der Pfalz fhirmte zwar in der Ar⸗ 
mengedenzeit, die aud Dietrich gern für ſich benugt hätte; 
des letzteren Anklage beim römifchen Könige auf dem Nürn⸗ 
berger Neichötage (1445) gelang es jedoch, jened Band zu 
Iöjen. Das Wiener Concordat v. J. 1448 mußte begreifs 
li den hierarchiſchen Gewaltfinn auch des deutfchen Stifts- 
Herus fleigern; der zu Mainz drohete bei jedem vorgeblichen 
Bruch der „Rachtung“ die Stadt zu verlajien, die denn 
i. 3. 1458 wiederum jenen gemeinverderblichen Vertrag 
als Geſetz anerkennen mußte. Sie hatte die größte 
Macht der Zeit, die geiſtliche wider fih! So war ber 
Staatshaushalt der erflen Bundesftadt zu Grunde ge⸗ 
richtet; noch aber beftand ihre Reichsfreiheit, ald der 


Scehstes Bud. 291 


hinterliſtige Dietrih im Mai 1459 flarb, und ihm Diether 1A 
son Iſenburg, nicht ohne offenkundige Beftechung der Dome nn 
herren, folgte. Dom PBapft, vom Kalfer und von denyufirn 
Mainzern als rechtmäßiger Erzbifchof anerkannt, verſchuldete "Tau 
der Leichtfinnige ſchon 1. I. 1460 durch Antheil am „gro⸗ 
Ben Fürftenfriege” die Verödung des Stadtgebiet, ward 
i. 3. 1461 wegen Verweigerung ber Annaten von Pius II. 
abgefegt und an feiner Stelle Adolf, Graf von Naflau, 
erwählt. Der Katfer gab feine Einwilligung ; aber Die Bürger 
ergriffen Diethers Partei um ſo entfchloffener, als auch der 
fiegreiche Pfälzer dem Entfegten feinen Beiſtand lieh, Dietber 
„wohlmeinend“ den ftäbtifchen Abgeordneten eine Verrätherei 
unter ihren Mitbürgern entdeckte, und endlich ihnen verhieß, 
„die „Rachtung“, die Eremptionen des Klerus von allen 
bürgerlichen Laſten, aufzuheben, falls ſte ihn als Seelen⸗ 
birten begünftigten.”’ Aber Halbheit und Untreue begannen 
ihr unfeliges Spiel. Die Bürger erftens mißtrauten zwar der 
Verheißung Diethers, appellirten jedoch für ihn an den rö⸗ 
mifchen Stuhl, und gelobten ihm ihren Schub (21. März 
1462); der Erzbiſchof feinerfeits zwang den Klerus nicht, 
Die Aufhebung jened Vertrags zu beftegeln; von den Stifts⸗ 
geiftlichen waren viele außgewanbert ; von namhaften Einwoh⸗ 
nern felbft hielten wohl dreihundert Die Sache Adolfs, „aus 
ſchuldigem Gehorſam gegen Kirche und Kaiſer“, vermu⸗ 
theten jedoch nimmer einen ſo ſchrecklichen Ausgang. 
Als Friedrich der Siegreiche des Nafſauers Partei bei 
Seckenheim geſchlagen (Juni 1462), ſuchte dieſer durch 
Liſt und Verrath, was er mit offener Gewalt nicht er⸗ 
langt hatte. Im Einverſtaͤndniſſe mit feinem Anhange in⸗ Verrard 
nerhalb der Stadt, zumal mit dem Bürgermeiſter Dymer- Mainz. 
fein und dem Baumeifter Dudo, . welchem die Aufficht der 
19* 


1.Rap. 





Die 


292 Bierter Shell 


Thore und Thürme oblag, wählte Adolf eine Dunkle. Herbſt⸗ 
naht (27—28. October 1462), um mit einem SHeere von 
1600 Heifigen und. 3600 Mann zu Fuß Mainz von ber 
fefteften Seite, der ded Gauthord, wo die Stadt am we= 
nigften bewacht war, zu überfallen. Um 4 Uhr Morgens 
waren die Naffauer ſchon durch die dreifachen Pforten ge= 
derungen, als das Geſchrei der Wachen, der Klang der 
Glocken die Bürger aus dem Schlafe werten. Mit dem 
Muthe der Berzweiflung kämpfend hatten die Mainzer ge= 
gen Mittag ihren Feind wieder bis zur Gaupforte zurüdges 
drängt, da theilte eine Feuersbrunſt, in den volkreichſten Gaſ⸗ 
fen angelegt, ihre Kräfte. Mit dieſem Augenblide war ihre 
Freiheit dahin; derMord wüthete in allen Straßen; Drohung 
des unabwendbaren Untergangs Aller laͤhmte vollends jeden 
Widerſtand. Aber der erfien und zweiten Nacht des Schreckens 
folgte die Erfüllung kaum geahneten Schickſals. Am 29. 
Dctober über Trümmer und Leichen eingezogen, berief Adolf 
Rath und Bürgerfhaft, „bei Verwirkung ihres Lebens‘, 
auf den Thiermarkt, umjchloß fie mit feinen wilden Banden, 
unter denen auch Schweizermiethlinge, donnerte fie mit grim⸗ 
men Worten ald meineidige Empörer an, und jagte fle, mit 
Ausnahme von jenen 300 Verräthern, aus der Stadt. Darauf 
übergab er das „Goldene Mainz‘ der ſchonungsloſeſten 
Plünderung und den abfcheulichften Greuelthaten. Bernichtet 
wurden alle uralten Privilegien von Kaiſern, Päpften und 
Erzbiſchöfen; dem Raube fielen die ererbten Koftbarfeiten jo 
sieler berühmter Geſchlechter zur Beute; ihre Häufer erhielten 
die Adeligen von der Partei des neuen Gebieters. — 
Aber wunderbar ging aus dem Verderben der einen 


en, Stadt das Heil kommender Generationen hervor; bie Vor— 
uf. (chung wußte aus dem graufen Tode die Hoffnung ber Zufunft 


Schstes Bud. 293 


zu gebären. Unter den Patriziern von Mainz, welche i. J. 1420 1-Rwr. 
bie Heimath verließen, hatte fich ein fkillfinnender Mann, väter= 
licherſeits des vitterlichen Geſchlechts der Gensfleifch, mütter⸗ 
Ticherfeitö ded Zum Thurme, „Johann Gensfleifch, genannt 
Gutenberg“, nach dem gaftlihen Straßburg geflüchtet, und 
unter Sorge und Noth die frühere Kunft, Bilder der Hei⸗ 
ligen, Spielkarten und dergleichen, in Holztafeln zu fehneis 
den und mit Eurzen, erklärenden Worten zu verfehen, 
allmälig zu dem fchöpferiichen Gedanken audgebildet, bes 
weglihe Buchftaben zum Drud ganzer Bücher zu verwen« 
den. Das theuere Geheimniß war mit dem Erfinder aus 
Straßburg 1. 3. 1444—45 nad Mainz eingewandert, und 
feitdem, in Berbindung mit Johann Fuſts reichen Mitteln, 
zur flaunenswertben Vervollkommnung gediehen. Aber noch 
blieb Die hehre Kunft, deren unüberfehbare Folgen niemand 
zu berechnen vermochte, im Beſitz weniger Wiffer, als 
die Schredlenstage des October 1462 die Buchdruckerwerk⸗ 
flätten, wie die gewerbthätige Stadt, verödeten, und die 
fliebenden Mitwiſſer, durch das Schidfal ihres Eides er- 
Yedigt, in alle Welt fih gerfireuten. Don da ab jehen 
wir aller Orten Buchdrudereien von Deutfchen eingerichtet; 
Erfenntniß des hohen Werths der neuen Kunft verbreitete 
fie ſchnell durch das germantihe und romaniſche Europa. 
Aber der erfterbenden Freiſtadt Mainz bleibt bie Ehre, 
daß aus ihrem Schoße der Mann hervorging, deffen Schöpfer« 
feele die Menfchheit gegen leibliche Knechtſchaft und Ver⸗ 
dumpfung des Geiftes gefichert hat. — 

Die rheinischen Schwefterftädte, zumal Worms undDte + 
Speier, erſchrocken bei der Kunde des Schickſals des Vor⸗ — 
orts, verſuchten zwar auf eiliger Zuſammenkunft am 4. 
December die großen Neihsflädte am Rheinſtrom, in Fran⸗ 


29% Bierter Theil, 


1.20. fen und Schwaben zu energifchen Schritten zu vermögen, 
um den Mainzern wieder zu ihrer Freiheit zu verhelfen; 
aber ihr Eifer faud Feine Nahahmung. Kaiſer Friedrich, 
eben aus der Gewalt feiner Bürger befreit, jah kaltblütig 
zu. Die Zierde bes freien deutſchen Bürgerthums blieb 
über volle drei Jahrhunderte als Reſtdenz unter dem Joche 
der geiftlichen Fürſten; ihre Bürger, befchränft auf den 
Verdienſt vom Hofe, vom hoben und niederen Adel, von 
der privilegirten Geiftlichkeit mit ihrem Anhange von Bet⸗ 
telmönchen und Nonnen, welde zufammt von aller Ab⸗ 
gabe befreit waren, trugen alle bürgerlidhen Laſten al= 

Borms.lein. Worms und Speier, ſchwach nad dem Berlufte 
des Bundeshauptes, jeßten kümmerlich die alte Befreun- 
dung fort; Worms felbft nur duch ein Pergament Kaijer 
Friedrichs IH. vo. I. 1489 gegen die Anfprüdhe der Bis 
ſchöfe geſchützt, welche die Helferin Kaifer Heinrichs IV. 
und der Hohenflaufen durch erzwungene Rachtungen auf 
den Fuß der Beſchlüſſe von Ravenna zu bringen firebten. 
— Erzbiſchof Adolf ftarb ohne Gewiſſensfreudigkeit im 
September 1475, während der Kaifer noch in demjelben 
Jahre Mainz als Neihöftadt in die Matrikel aufgenommen 
hatte, und da8 Domkapitel damit umging, durch Erbauung 
eined feften Schlofjes am Grinsthurm ſich als Gebieter zu 
behaupten. Die Herren forderten den Huldigungseid von 
den Bürgern, und wählten dann wiederum den alten, 

Diether ſchlauen Dieter zum Erzbiſchof, weil er willfährig im ges 

rain. heim gelobt, die Stiftöftadt dem Kapitel auf ewige Zeiten 

zuu überlafien (November 1475). Als nun ber alte Kaijer 
widerſpruchsvoll auf Zurüdgabe der freien Stadt an das 
Reich beharrte, erwarte in den Bürgern um fo mehr die 
Hoffnung auf den Dank bes Erzbiſchofs, für defien Sache 


Schstes Bud. i 2095 


fle ſich aufgeopfert. Sie flürmten am 22. Iull 1476 den! Ra. 
Dom, zwangen den Domherrn einen Losſagungsbrief ab, 
und jubelten fon über ihre gelungene That. Aber Die- 
ther rüdte gleich darauf mit einem Heere vor Die Stabt, 
gewann burch gute Worte und Gewalt Eingang, und ents 
täufchte die Armen, indem er (October 1476) alle Thore, 
Mauern und Thürme mit feinem Kriegsvolke befegen, die 
unrubigften Zünftler enthaupten ließ, andere einferferte, und 
zu feiner Sicherheit die Martinsburg erbaute. Als auch 
Papſt Sirtus V. die Kandeshoheit des Erzbifchofs feierlich 
befräftigt und die Erbhuldigung befolen, war den Mainzer 
Bürgern, nicht mehr Durch felbfigewählte Bürgermeifter, 
fondern durch einen Eurfürftlichen Vizthum regiert, jete Hoffe 
nung auf Breiheit gefhwunden! Eine aͤrmliche Erkennt» 
lichkeit des. Unwürdigſten auf dem Stuhl des Primas 
Germaniens war die Stiftung der Univerſttät, zu welcher 
Diether weniger Mittel gab, als Heinrich Rubenow für 
Greifswald aus feinem Eigenen, und bie i. J. 1731 erft 
durch eine päpftlihe Bulle ein ficheres Einfommen von 
jährlih 1400 ©. erwirkte! — 

Nachdem wir den Ball von Mainz geſchildert, dem 1. Base 
J. 1467 das tapfere Lüttich, durch burgundifche Waffen 
gräuelvoll gezwungen, folgte, Tann unfere Erzählung rascher 
fortichreiten. Bei den fchwäbifchen, fränfifchen und elfaf- 
ſiſchen Städten lebte noch der Sinn für Freiheit, zumal 
durch die nahe Eidgenoffenfchaft munter erhalten. Als Die 
Erzherzog Sigismund von Tirol und Vorderöfterreich ſchimpf⸗ —— 
lich mit den Schweizern gefehdet, und Mühlhauſen im 
Elſaß mit Bern und Solothurn ſich geeinigt hatte (1461), 
verpfändete der Habsburger, „Damit Defterreih und der 
Adel nicht ein Spott der Kühhirten fein dürfte”, verzweif⸗ 


296 Vierter Theil. 


1.Rap. lungsvoll jene Vorlande an den königgleichen Herzog 
Burgunds, Karl den Kühnen (Mai 1469). Unter ben 
fchleppenden Verhandlungen des Kaiferd aufı dem Reichs⸗ 
tage zu Regensburg (1471) und zu Augsburg (1474), die 
deutſche Welt, zumal von 82 veranfchlagten die 52 eigent- 
lihen Reichsſtäädte, zur Reichshülfe gegen die Türken zu 
bewegen, deren bie Verarmenden fi geweigert, — grobe 
Zunftmeifter zu Augsburg hatten damals des Kaiferd Pferde 
und Wagen wegen Schuld mit Beichlag belegt — , entfpann 
fich der burgundiſche Handel, an weldem bie Bürger ber 
vorderen Lande flarfmuthig Theil nahmen. Des burgun⸗ 
difchen Statthalters in den vorberöfterreihifchen Gebieten, 
Peters von Hagenbach, freher Muthwille, Trog und 
Gewalt, die Hinrichtung deſſelben nah dem Spruche eid- 
genoſſiſcher, elfafftiher und breisgauifcher Richter zu Brei⸗ 
fah (Mai 1474), ſchürten den verhängnißvollen Krieg in 
Hochburgund an, während Ruprechts, des abgefegten Erz⸗ 
biichofs von Köln, Bündnig mit dem flolgen Verächter des 
deutſchen Reichs, Karl, ed am Niederrhein zu den erften 
tapferen Bürgerthaten Eommen ließ. Der Burgunder hatte 
ſich, ald Schubherr jenes Erzitifts, mit 60000 Dann vor 
Mes. Neuß geworfen, als Kaifer Friedrich, der mit Deühe 4000 
Mann gegen die Türfet aufbieten fonnte, mit dem nadı- 
drücklichſten Beiftande, befonders der Reichsſtädte, im Yrüh- 
ling 1475 zum Entjag jener eilf Donate tapfer vertheidig- 
ten Stadt erfihien. So ehreifrig war das Bürgervolk, 
daß Friedrich mit Mühe den Streit zwifchen den Sechsſtädten, 
Straßburg, Köln, Augsburg, Nürnberg, Frankfurt und Ulm, 
über die Führung der „Reichsrenn⸗- und Lauffahne“ dahin 
entſchied: „ſte follten Tag und Nacht wechfeln, und Straß- 
burg den Anfang machen‘. Der bebächtige Kaifer ließ es 


jedoch nit zur Feldſchlacht kommen; ſicher würdig genug Kap. 
hätte dieſes legte Aufgebot des perſönlichen Bürgerthums 
gegen den äußeren Feind geendet. Dennod gab der Kaifer 
die „obere und niedere Vereinigung”, Die Burgunds Gewalt⸗ 
pläne hervorgerufen, dem erbitterten Herzoge preis, mahnte 
felbft die fchwäbifchen Städte ab, die dann den Eidgenofe 
fen zwar nicht bei Sranjon halfen, wohl aber, unter Füh⸗ 
rung Wilhelm Herters', bei Murten (22. Iuni 1476) und 
zumal bei Nancy (5. Ianuar 1477), ruhmooll fochten, 
Des alten Kaifers Noth in feinen Erblanden, zugleich Srants 
vor den Türken und vor König Matthias von Ungarn, bemtanpfrie 
auch die Wiener zu fchwerer Buße fih endlich ergaben (1. 
Juni 1485), weil Friedrich, unkaiſerlich, ihnen ihre böfe 
Baftenzeit, zur Entgeltung d. I. 1462, von Herzen günnte; 
half endlih, die deutfchen Stände aus fpröden Sonder- 
bündniffen (17. März 1486) zum zehnjährigen Frankfurter 
Zandfrieden, der Einleitung zum „Ewigen“, vereinigen, 
defien Gründer Marimilion eben am 11. Bebruar 1486 
zu Sranffurt als römifher König erwählt war. So mans 
gelhaft die Ausführung beffelben und der Kammergerichts⸗ 
ordnung, zeigten die Städte fich doch bereitwilliger, dem 
bedrängten Erzherzogthume beizufpringen; ald die Kunde 
ind Reich auslief: „der römifche König, Wittwer Maria’, 
der Erbin von Burgund, werde von Brügged Bürgern ge= 
fangen gehalten”, war der Eifer, ſolche Schmach zu 
rächen, beim beutfchen Bürgertbum fühle. Uber ehe 
der große ſchwaͤbiſche Bund, unter Fürften, Prälaten, Rit⸗ 
terſchaft, beſonders dem St. Georgenſchilde, und 22 Stäbd« 
ten (Ulm, Eßlingen, Reutlingen, Ueberlingen, Lindau, 
Nördlingen, Hall, Memmingen, Ravensburg, Gmünd, 
Bieberah, Dinkelsbühl, Weil, Pfullendorf, Kaufbeuern, 





298 Bierter Theil 


1.8r. Kempten, Isny, Leutkich, Gtengen, Wangen, Aalen, Bopfin- 


gen), zu Ehlingen (14. Februar 1488) ſich vereinbart, um 
Säwäbi-,,al8 Grundlage eines einzigen allgemeinen Xand- 
Bund. friedensvereins zu dienen‘; follte die Schwachmüthig⸗ 
feit der flohen Freiſtadt an der Donau bie deutſche Bürger- 
welt mit Staunen und Enträftung erfüllen. 
— Herzog Albrecht IV. von Baiern, durch unmilde Hand⸗ 
Baiern. [ungen Alleinherr feines Landestheils mit München (1472), 
begann eine neue Zeit für das zerriffene, durch Bruberzwift 
und unnatürliche Thaten nächfter Bluts verwandten geſchän⸗ 
dete Erbe der Wittelsbacher; freilich auch mit Nachahmung 
der Politik feines Vetters in Landshut, Ludwigs des Rei⸗ 
chen, gegen die Städte, wie Donauwerth und Augsburg. 
Die günſtigſte Gelegenheit, ſeines Hauſes Macht zu erwei⸗ 
tern, boten dem Münchener unvergeſſene Anrechte an Augs- 
burg. Keine von den Freiſtädten des Reichs, — Mainz 
hatte als folde aufgehört —, erwies fihtbarer den Ver⸗ 
fall des Bürgerthums, als die ehemalige Beherrfcherin der 
Donau. Zurüdgefommen im Handel durch neue Verkehrs⸗ 
ftraßen, rings umengt durch die baterifhen Mauthen, außer 
Genuß jener anmaßungsvollen Bollfreiheit ; gelähmt im 
Gewerbe duch ten Aufihwung des Handwerks in den 
nahen Landflädten; verarmt durch Fehden; in feinem Rechte 
geihwächt durch die Faiferlichen Hofgerihhte; feit dem Huſ⸗ 
fitenkriege zu des Reichs Laſten rückfichtslos herangezogen, 
zumal unter Friedrichs III. Regierung ein Spielwerk ber 
kaiſerlichen Minifter; gleichgültig geworden gegen die Noth 
der Schweſterſtädte, und deshalb allein fiehend, hatte Re⸗ 
gendburg feine großartige Vergangenheit fhier vergeſſen. Mit 
dem frifcheren Muthe war unvermerflich die demokratiſche 
Berfafjung gewichen; feit d. 3. 1429 Hatte dad Gemein- 


Sechstes Bud. 298 


weien aufgehört,. nach der Wäter weifer Satung, zur Ver 1.Rm- 
hütung bürgerlicher Lingleichheit und Amtshochmuths, fremde 
Edelleute zur Meifterwürbe zur berufen. Es gab dem Namen 
nach feine Bürgermeifter; wohl aber handhabte der „Käm⸗ 
merer“, aus der Mitte des Raths, dieſelbe Gewalt; bil⸗ 
dete fih ein neues Patrizierthum „Rathsgefreundeter“, Die 
um Sold, nicht mehr um Ehre dienten, und entfernte das 
leidige Bedürfniß des römijchen Rechts und ber Kenntnig 
der Firchlich und politifch verwidelten Neicgsangelegenheiten 
die Theilnahme ſchlichter, aber mit altwäterifhen Herkom⸗ 
men wohlbetrauter Zünftler aus dem Stadtregimente, ob⸗ 
wohl Innerer und Aeußerer Math noch zu Hecht beſtanden. 
Daher denn auf der einen Seite herrifche Meberhebung, bet 
- junferbaftem Buhlen um die Gunft des Hofes zu München, 
und Furcht vor dem je erwachten politifchen Bewußtſein 
der Gemeinde; bei diefer Mißmuth und Verdroſſenheit; 
bei Allen Klagen über Verarmung des gemeinen Seckels, 
welche die genießenden Herren geflifjentlich übertrieben. Als 
nun, bei fo fühlbaren anderen Gebrechen, der Spruch des 
päpftlihen LZegaten i. 3. 1454 ber zahlreichen Pfaffheit 
den unverfümmerten Genuß ihrer „Gottesgaben“ ſicherge⸗ 
ftellt: murrte die nahrungsloſe, belaftete Menge der Ge- 
werbtreibenden lauter, argwöhnte ihre gänzliche Unter⸗ 
drückung durch Söldnervolk der Herrihenden Familien; und 
zwangen im Auguſt 1485 tie Handwerke, 26 .an Der 
Zahl, die beftürzten Herren, fi) einen Ausfhuß von no 
XXV „Genannten“ zu den XLV gefallen zu laffen. Die 
große Volksbewegung ſchien beſchwichtigt, als plöglih ein 
in der Stille vorbereiteter Plan and Licht trat, und bie 
Bejorgniß redlicher Männer auf eine heranſchleichende tödt⸗ 
liche Gefahr lenkte. Der Dombechant kündigte, in Voll⸗ 


808 Bierter Theil. 


Rp. macht des Herzogs Albrecht von Münden, die Einlöfung: 
aller Pfandftüde, de Schultheißenamtes mit dem Friedge⸗ 
richte, in deſſen unverjährtem Beflge die Stadt feit länger 
als Hundert Jahren ſich befand, mit ſammt der Herrſchaft 
und „Borfladt am Hofe”, und der Donauinfel, gegen Er⸗ 
legung des Pfandichillings, theild baar, theils in Ver⸗ 
füreibungen, an. Mit furchtbarer Arglift war der Schlag 
berechnet, und ficher wußten nicht allein die Wohldiener 
Baiernd im Rath und unter den Rathsfreunden davon, 
fondern Hatten feine Wirfung im voraus berechnet, Der 
läftigen Gemeinde fich zu erledigen, und unter des Her⸗ 
3098 Schuß über eine gehorfame Stadt zu herrfhen. Was 
die Ausübung des Schultheißenamtes zu Handen eine? 
mädhtigen Fürften heutzutage bebeute; daß die römifche 
Schulanſicht von fürftliher Gewalt ganz andere Rechte 
damit verfnüpfen werde, als vor länger denn hundert Jah 
ven bei der Derpfändung jenem veralteten Gerichtözwange 
thatjächlich zuftanden: merkte jelbft der Unbefangene; daß der 
Berrfchaftliche Befig der unmittelbar jenſeits der Brücke be= 
legenen Borftadt mit ihrer Straße unausbleiblich den Auin 
des ſchon Fümmerlihen Wohlftandes der Reichsbürger zur 
Folge Haben müfje: vergegenwärtigte fih dem blödeſten 
Auge. Da flieg denn vollends der Ueberdruß an der armen 
Freiheit, und beflimmten bie glatten Worte erfaufter oder 
betäubter Nathöherren und Rathgeber, die übertriebene 
Schilderung von der Stadt Armuth, bei dem Ungeſtüm 
Zaiferlicher Anforderungen, endlich die Anpreifung der bai- 
erifcher Milde, fowohl die „Genannten”, als bie 

Sure mgleifinerifch verlodte Gemeinde, am 7. October 1485 

"em dem Herzoge die Schutherrfchaft der Stadt auf 15 Jahre, 

Sub gegen ein jährlihes Schutzgeld von 300 G., anzutragen. 


Sechstes Bud. 301 


Aber mit diefem Siege über eine fo fpröbe Freiheit war I-Rav- 
Albrecht nur vorläufig zufrieden; die Geängfligten follte 
die trügeriihe Hoffnung, „der Schußhere werde fie auch 
gegen die Anforderungen des Reichs vertreten, und ihnen 
den Genuß der Pfandſchaft noch erſtrecken“, zur ſchmaͤh⸗ 
lichſten Selbftentäußerung treiben. Schon riefen Knech⸗ 
tifchgefinnte aud dem Volke: „laßt uns baterifch werden!‘ 
Anderfeitd Argwohn und Erbitterung bei den Freunden ber 
Unabhängigfeit, „die Stadt fei vom Mathe verkauft! ” 
Der öffentlichen Berrüttung fah der Schugherr, des größe⸗ 
ren Gewinned gewärtig, fo ruhig zu wie jegt nod ber 
ferne Kaiſer. Raſcher entwickelte fih das Spiel, als Als 
dreht die Bitte. des Mathe, das (Februar 1486) eingelöfle 
Schultheißenamt wie früher mit Bürgern zu bejegen, 
nicht allein Kaltfinnig verwarf, fondern auch in dürren Wor⸗ 
ten den Unfang der Befugnifie kund that, welde fein 
Schultheiß in der Gemeinde handhaben müſſe. Es waren 
aber dies die Mechte, welche ein Eaiferliher Schultheiß und 
Reichsvoigt felbft in den Anfängen Kaiſer Friedrichs II. 
ohne heftigen Widerfpruch der Bürger nicht geübt hatte; 
ed war eine Vernichtung aller bürgerlichen Selbftftändig- 
Zeit! In fo verzweiflungsvoller Lage ſchien denn das ein⸗ 
zige Rettungsmittel nicht der mannhafte Kampf gegen die 
fürftlihe Argliſt, ſondern freiwillige Unterwerfung unter 
die baieriſche Erbunterthänigkeit, welche den behaglichen Zu⸗ 
fland einer gefreiten Landſtadt, wie Mündens und 
Straubings, Hoffen ließ. Dahin bearbeitet durch fremde 
Rathgeber im Solde des Herzogs, wie Hand von Fuchs⸗ 
fein, die Seele des ehrlofen Anſchlags, feine verrätheris 
ſchen Mitwiffer im Rathe, und durch kopfloſe, feige, aber 
solfsfeindlihe Geſchlechter, gaben erſt die LXX Genannten 


30% Dierter Theil. 


1.Sap· und dann die eingefchüchterte Gemeinde, bei ber man aus 
Förmlichkeit umfragte, ihre Zuftimmung. Bergeblid mahnte 
ſelbſt der Biſchof, bang vor der baieriſchen Herrfchaft, der 
Väter Kleinod niht um ſchnödes Wohlleben fahren zu 
laffen; vergeblih erklärte fih eine freiheitdetfrige Partei 
junger Gefellen bereit, für bie Breiftatt Gut und Blut 
daran zu jegen; fie ward unthätig gemacht, und um Oſtern 
1486 durch den Zuchsfteiner, als Wortführer für die Raths⸗ 
und Gemeindeabgeordneten, dem Herzoge die Stadt ala 
exrbunterthänig angetragen. Der Fuge Fürſt wied anfäng⸗ 
lich mit Unmuth die geftellten Bedingungen, — Einſetzung 
des Schultheißen durch den Rath, mannigfache Beſchränkung 
deſſelben, Beftätigung des Burgfriedend, Ankauf der Täfti« 
gen Herrſchaft Donauflauf, Darlehnung einer bedeutenden 
Summe, — zurüd, beudelte Gleichgültigfeit gegen Die 
ganze Sache, und bewirkte nah Tängeren Unterhand⸗ 
lungen, daß am 16. Juli 1486, unter beiderfeitigem 
Nachgeben in den Streitpunften, namentlih in Bezug 
auf die Beſetzung ded Schultheißenamtes, Die Vertrags⸗ 
urfunde berichtigt wurde, ungeachtet gleichzeitig‘ Drohe 
Briefe des Kaiferd vor dem Abfall vom Neiche warnten. 
Die Verheißung Albrehts, auf „acht und mehren‘ Wegen 
der verarmten Stadt zu helfen, ja ein Schloß! in ihrer 
Mitte zu bauen, um dort Hof zu halten, machte den größ⸗ 
ten Theil der Meichöbürger taub gegen die Stimme der 
Ehre und die Faiferlihe Drohung. Die gegenfeitigen Re⸗ 
verfalen, weldhe den Regendburgern ungefähr die Summe 
ber Privilegien der höchfibefreiten baierifchen Landſtädte, 
eine mäßige Selbitftändigkeit des Rathes, felbft die Bes 
ftellung des Schultheißen, aber in der Perjon eines tem 
Rath: und dem Fürſten verpflichteten Edelmannes, zu⸗ 


Sechſstes Bud, 308 


ficherten, ihnen dagegen eine jährliche Stadtfteuer, Tragung 1-Rar- 
ber beiwilligten Landfteuern, Heerfolge, in Perfon oder 
durch Söldner, auferlegten, die Wahlen der vier jährlichen 
Kämmerer, des Aeußeren und Inneren Raths, der Beftätis 
gung des Landesherrn oder deſſen Vizthum unterwarfen, — 
biefe beiſpielloſe Selbftverzichtungsurkfunde ward noch im 
Juli unterflegelt, und am 6. Auguſt 1486 ritt Herzogettger 
Albrecht mit großer Pracht zur Huldigung in feine erb⸗ im 
eigene Stadt ein! — Damit tie Nachwelt fih in die 
wunbderlichen Begriffe jener Zeit hineinfinde, müflen wir 
hervorheben: dag Regensburg mit ſtolzem Bewußtfein als 
Freiſtadt gehandelt zu haben glaubte, indem ed, ohne 
Kaifer und Reich zu befragen, in Baierns Knechtſchaft 
fi übergab! Anders in Augsburg, wo Muth und Kraft 
mit Reichthum und Kunftfleiß ſich paarten; eben die Fug⸗ 
ger, jeit kaum hundert Jahren groß geworden, ihren Handel 
über Land und Meer ausdehnten, und wo binnen weniger 
Jahre von zwei Bürgermeiftern, Peter Egen bon Argon, 
einft Schiedsrichter der Schweizerfahe, und Ulrich Schwarz, 
Bunftmeifter der Zimmerleute, der erſte mit jeinem Gefchlechte 
in Elende umfam, der andere unter Henkers Sand ſtarb, 
weil fie auf verſchiedenem Wege gemeiner Freiheit nachges 
ftellt (1471 —1478). — Über auch die deutfihe Mit- 
welt und ber Kaifer betrachteten. die Dinge anders. Im 
Reiche hießen die Regensburger „Ehrloſe“; viele Reichs⸗ 
ſtädte, wie zumal Straßburg, ließen das gedruckte Aus⸗ 
ſchreiben, in welchem die weiland Freiſtadt die Bewegungs⸗ 
gründe zu ihrer ſchmachvollen Selbſtverzichtung bekannt 
machte, uneröffnet und unerwiedert; Kaiſer Friedrich zürnte 
über den Abfall noch heftiger, als er die ohne ſeine Be⸗ 
willigung vollzogene Ehe Albrechts mit ſeiner Tochter Ku⸗ 


304 Vierter Theil. 


1.Xap. nigunde erfuhr. Die Bürger felbft, am Ende fogar die eigen- 
nüsigen Ratbshäupter, fahen ſich in ihrer Hoffnung bitter ge⸗ 
täufcht. Ienen Bejchlechtern zu lieb, hatte Albrecht als Lan 
desherr zwar fogleih den Ausfchuß der LXX Genannten aufs 
gehoben, doch den regierenden Herren den Fuchsſteiner, flatt 
eines anderen baierifchen Ritters, als Schultheigen aufgend« 
thigt, und ihnen den Gehorſamseid von Seiten der Gemeinde 
verfagt. Ungeachtet der glänzenden Turniere in ber Stadt, 
zu Rom erwirkter Abläffe am Tage der Frohnleichnamsproceſ⸗ 
fton, Aufhebung der firengen Faſtengebote, um durch behag⸗ 
licheren Lebendgenuß Fremde zur Einbürgerung zu Ioden! uns 
geachtet der jährlichen feierlichen ,„Heilthumsweifung”, und des 
begonnenen Reſidenzſchloßbaues, verminderte ſich die Zahl der 
Bürger durch Auswanderung, und verarmten die Gewerbe 
Häglicher, da jede Art von Abgaben, Gerichtögefälle, Mauthen 
gefteigert und ungebundene Gewerböfreiheit begünftigt wurde. 
Schon ängftigte des „Kaiſers Volk“, welches nach Ungarn zog, 
die ungehorfame Stadt; ſchon wurde der Erbherr Eeinmüthi- 
ger, wenn aud fein Schwager, der römifche König Marimilian, 
ihm wohlwollte. Neue über die Selbflverfchuldung erwachte 
vollends, als die neue Straße des Verkehrs mit Nürnberg 
und Norbbeutfchland über „Stadt am Hof’ aller Borftellung 
ungeachtet blieb, man zum Schlofbau den Bürgern Schaare 
werföleiftung auferlegte und die Schlüffel des nahen Thores 
forderte. So verftrichen unter altem Kummer und neuem Leide 
einige Jahre, ald die Drohung des gereizten Kaiſers ſich er⸗ 
füllte. Zu Linz im September 1491 Gericht haltend, that 
Friedrich Rath und Gemeine von Regensburg „ihres Une 
—* gehorſams halb“ in die Reichsacht, und verkündigte dieſes 
reine. ſtrenge Urtheil in eigener Perſon von der Steintreppe feines 
acht. Schloſſes (1. October 1491), 


Sechsſtes Bud. 305 


Welch ein Widerfpruch der Zeit, unter venfelben Men» IR. 
fen, venfelben Verhältniffen! Kaifer Friedrich, der in jün⸗ 
geren Tagen Mainz feinem Schteffale preißgegeben, und dem 
tückiſchen Ueberwältiger deſſelben nicht ein Härchen gefrümmt, 
ſprach über Bürger, welde freiwillig einem Fürſten fd 
gebeugt, die Acht aus, Doch mehr, um die anfehnliche Stadt 
nicht an Batern fallen zu Taffen, und aus perfönltchem Grolle, 
als um des Reichs Rechte zu wahren. Aber niemand regte 
fi fonderlih zur Vollſtreckung, 518 auf die Nittergefelk 
fhaft des Löwenbundes, den Adel Baierns, welcher gegen 
bie Gewaltpläne des Herzogs am neuen fchwäbifchen Bunde 
Halt fuchte. Erft als Albrecht den Lswenbund niedergemors 
fen und ſelbſt in die Acht verfallen war (Januar 1492), 
erhob ſich das Heer des Reichs und des ſchwäbiſchen Bun⸗ 
des, und zwang den Wittelsbacher, im Vertrage zu Augs⸗ —— 
burg die freiheitsmüde Stadt an der Donau wieder zu des wieber 
Reichs Händen zu geben (Mai 1492). Gleich darauf ent- Reid. 
widelte fih eine doppelte Reihe böſer Folgen der un« 
Bedachten Handlung d. 3. 1486. Zwar erhob fich die ge- 
drüdte Bolföpartei, bildete einen Ausfhuß von XXXVI, 
erlangte eine kaiferliche Commiſſion zur Unterfuchung und 
Beftrafung der Verräther im alten Rathe, und wählte einen 
neuen „aus etlichen gemeinen Perfonen, anftatt der bisher 
unter einander Gefreundeten“ (Geſchlechter); aber einerfeits 
fündigte Herzog Albrecht, „deſſen Obrigkeit und altes 
Recht“ im Augsburger Vertrage beflätigt war, die Bus 
rüdnahme aller früher bewilligten Freiheiten an, und 
fehiekte feinen herriſchen Schultheißen, ja ſelbſt 20 Gerichts⸗ 
fhöffen, die doch felbft in altfränfifcher Zeit die Gemeinde 
gewählt hatte; anderſeits führte fih Graf Eitelfrig von 


Zollern als Neihshauptmann ein, um le Abfall zu 
Bartbold, Städteweien. IV. 


306 Bierter Theil. 


1.80p. verhüten, und forderte für den Kaiſer das neue Schloß, 


als Tribut die Summe, zu welcher fi Regensburg gegen 
den Herzog verflanden hatte. Alfo drohete der Freiſtadt 
ein landesherrlider Schultheiß, ein Reichsſsvoigt, 
eine Reichsburg und eine gemeflene Reichs ſteuer! 


deHändel Do fo unerträglih, ſchlimmer noch wie in Kaiſer 


Regens⸗ 


burgs. 


Friedrichs J. Tagen, ſollten die Dinge nicht bleiben. Nach⸗ 
dem die leidenſchaftlichen Führer der Volkspartei einige 
Jahre lang vor König Maximilian, vor dem Kammerge⸗ 
richte, vor Schiebörichtern gegen die Anflifter des verberb- 


lichen Handels koſtbar proceffirt, wurden jene unglüdlichen, 


gefolterten und geplünderten Männer, — der Fuchäfteiner, 
als Nichtbürger,, hatte fih aus der Schlinge gezogen, — 
auf Herzog Albrecht DVermittelung erledigt; nah Anord- 
nung der Zaiferlihen Commiſſion im Februar 1495 ein 
neuer Innerer und Aeußerer Math erwählt, dem erfteren 
ein Ausſchuß für „heimliche Sachen‘ vorbehalten, über- 
haupt ein Regiment beliebt, weldhes ven Einfluß des 
Aeußeren Raths, alſo das demofratifche Element, faft 
gänzlich vernichtete. Zur: Beflegelung eines fo herabgewür- 
Digten Zuſtandes verbot Marimilian „bei Leib und Gut‘, 
von den Vorgängen auch nur, Öffentlich oder geheim, zu 
reden und zu disputiren! Sonft aber forgte ber römifche 
König, in der erfien Wärme feiner reformatorifhen Pläne, 
für das Wohl der gebeugten Stadt, indem er den noch 
ſchwebenden Streit zwifchen dem Herzoge und ber Reichs⸗ 
Habt tom neuen Kammergerichte an ein gütliches Schieds⸗ 


gericht verwied. Der Vertrag zu Straubing, 24. Auguft 


1496, gab endlich, gegen Erlag einer Schuldforberung von 
mehr ald 30000 Goldgulden, ald Kaufgeldes für die Herrfchaft 
Donauftauf, gegen eine jährliche Zahlung von 300 Goldg,, 


Sechstes Bud. 807 


und unter der Kormalität, zu Münden die Verleihung dest. 
Blutbanns nachzuſuchen, das Schultheißengericht mit allen 
Damit verfnüpften Rechten unwieberruflich in die Hände der 
Stadt. Berner erkannte er den Burgfrieden in der genaues 
fien Gemarkung an, und fiderte den Verkehr Regensburgs 
gegen jene verderblichen Neuerungen in „Stadt am Hof’. 
Als eine Gunft der Zeit mußte betrachtet werben, daß die 
unbehindert freie Gerichtsbarkeit in der, freilich faft ganz 
gebietlofen Stadt, wenigſtens eine freie Entwidelung kirch⸗ 
licher Gedanken möglich machte. Die politiihe Selbft- 
fländigfeit dagegen blieb dur den Reichshauptmann 
behindert, welder i. 3. 1499 mit großer Gewalt im Rath 
den Vorſitz, in jenem Witteldbachifchen Schloffe feine Mes 
ſidenz nahm; wie anderfeits der in Regensburg und in 
Hielen oberdeutſchen Reichsſtaͤdten gefchaffene „Geheime 
Ausſchuß im Inneren Rathe“ als Oligarchie die 
demokratiſche Errungenfchaft des XIV. und XV. en 
derts vollends vereitelte. — 

Wir Haben dieſe Teidigen Ereignifie in ber weiland 
ſo hochmüthigen Freiftabt an der Donau weitläuftiger er⸗ 
zählt, um hervorzuheben, auf wie mannigfach ver— 
Shlungenen Wegen das freie Bürgerthbum des Mittel- 
alters feinem Ende entgegenging. 

Inzwifchen entwickelte fidh der Keim, welcher im jhwäbi- ‚© (mist 
then Bunde Tag, gedeihlicher für das allgemeine Wohl und: „Be 
Deutſchlands äußere Ehre, aber auch zur Stärkung Habs⸗ 
burgs, das demfelben beigetreten. Schon zählte er allein 
26 Städte und dehnte ſich weithin über Sranfen bis an 
den Niederrhein. Zwar fiherte er den reichsunmittelbaren 
Beftand feiner Glieder, trennte jedoch die oberdeutfihen Städte 
Hollends von der Eidgenoflenfchaft, die ſchroffer heraustrat, 

20 * 


308 Bierter Theil, 


RP und von den Landgemeinden, deren Schickſal gerade 
durch den Bund die traurigfte Wendung erhalten follte. — 
Katjer Friedrichs II. Tod (19. Auguft 1493) gab der kraͤfti⸗ 
gen, hellen Seele feines Nachfolgers, Marimiliand J. Raum, 
jene Keime eines beſſeren Zuſtandes, die nur einer geſchickten 
Pflege zu bebürfen fihienen, fegensvoll auszubilden. Auf 

. feinem erften Reichſtage zu Worms, gerade im Jahre des 

Wornis. Ablaufes des ſchwäbiſchen Bundes, wurde, unter der Zer⸗ 
rüttung, welche des jungen franzöftichen Königs, Karla. VIII., 
italienifcher Zug der Iateinifchen Chriftenheit drohete, bie 
hochwichtige innere Angelegenheit, ein befländiger allgemeiner 
Zandfrieden und Aufhebung alles Fehderechts, von den Stän= 
den in den Vordergrund geftellt, und das Bedürfniß eines 
ſtehenden höchſten Neichögerichts zum rechtlichen Schutze 
der neuen Satzungen anerfannt. Der 7. Auguft 1495 war 

Ewiger der glorreihe Tag der Verkündigung des Ewigen Land⸗ 

ae friedend. und der Gründung bed Neihsfanmerges 

geriät, rihts, das noch in demfelben Jahre in Frankfurt zuſam⸗ 
mentrat. Kraft römtijch = königlicher Machtvollkommenheit 
verbot, dreihundert Jahre nach der Sanctionirung des Fauſt⸗ 
rechts durch den Nitterkaifer Briedrih Rothbart, Marimi- 
Itan jede „offene Vehde und Verwarung“ durch das ganze 
Neih, und ſchuf, als drittes Stück des großen Werks, 
die Ordnung zur Handhabung jener beiden erſten, aus 
welcher mit Anfang des XVI. Jahrhunderts die feſte Ein= 
richtung der Landfriedendfreife Hervorging. Die Er⸗ 
ſtreckung des fhwäbifchen Bundes, durch Wilhelm Beflerer 
von Alm durchgeſetzt, blieb aber die nächfle Handhabe eines: 
Geſetzes, das dem Geiſte eines großen Theils des Adels 
und der Fürſten noch zu ſchneidend widerſprach, um ſchnell 
zu allgemeiner Geltung zu gelangen. 


Schöies Bud. 8069 


Das neue Heil, weldes unfer Vaterland aus fit Ram. 
ſelbſt gebar, gleichzeitig mit Verbreitung ber Buchdrucker⸗ genime 
Zunft, des durch fie geförderten neuen Lebens der Wiſſen⸗Stzüung 
ſchaft, der Entdeckung Amerikas und des Seewegs nad Staͤdte. 
Indien; die Verdrängung des Volksrechts dur das römi⸗ 
sche Recht mit feiner Anwendung auf unfere altgefdhicht- 
lichen Verhältniſſe, das Auffommen ſtehender Söldnerheere, 

im Dienſte der Fürſten, jenes neuen Fußvolkes, das Ma⸗ 
zimiltan aus „Bauern und Bürgern“ gebildet, übten zuſammt 
unüberſehlichen Einfluß auf das deutſche Bürgerthum aus. Doch 
barg daſſelbe, wenn auch erſchlaffend, noch zu friſche Saͤfte in 
feinem Schooße, um jählings zu dem geringeren Grade eige— 
nen Semeindelebens herabzuſinken. Die Reichsſtädte genoffen 
ihrer Außeren Unabhängigkeit, aber großer Sinn, Cinmuth, 
Klarheit der politischen Gedanken fehlte dem Bürgerthume, fo 
wie Vorurtheildfreiheit dem Kaifer und dem zurüdgefeßten 
Reichsadel, um unter der Gunſt drangvoller Berfaffungs- 
arbeit durch Vereinigung der Reichsbürger mit der Rit⸗ 
terfhaft, dem Fürftencollegium gegenüber, ein Unter 
haus hervorzurufen. Die Neihsftädte begnügten fich in einer 
befcheidenen, wenn auch nicht nachdrucksloſen Stellung den 
Fürften zur Seite; während Landflädte, wie Breslau, beſon⸗ 
ders Braunfchweig, feit dem „Großen Briefe” v. 3. 1445 
mit Träftigeren demokratifchen Elementen verjehen, Erfurt, 
Magdeburg, die merklenburgifhen und pommerifchen, an 
Macht und Kreiheitseifer das Abbild wahrer Freiſtädte 
boten; und wiederum andere, wie das flörrige Halle, durch 
Erzbiſchof Ernſt von Magdeburg, in Folge innerer Zwifte 
(1478) ihre Vorzüge einbüßten. Auch die Hanſa ftand 
noch immer von außen ehrfurchtgebtetend da, felbft wenn 
das altertHümliche Gebäude fih in feinen unterften Pfeilern 


$10 Pierter Theil. 


1.Rapa au ſenken begann. Denn unaufhaltfamen Schwunges erhob 
fi unter den Kämpfen ber weißen und rothen Hofe der 
faufmännifihe Geift der Engländer, und fiimmte aud bie 
Könige um, welde bis dahin die alten Nechte des deut⸗ 

; U ee im ganzen Umfange — hatten. Nach 
ee ge, welden deutſche Kauffahrer am 29. Mat 
1458 im Kanal über das Gefchwader des Grafen Richard 

son Warwick erfochten, ſehen wir die Hanſen jahrelang 
beim Streit der Dorks und Lancafter einflußreich betheiligt. 
Köln, wegen Begünftigung König Heinrichs VI. verhanfet, 
gewann i. 3. 1470 für fih allein den Inbegriff der gro= 

Ben Freiheiten in der Gildehalle zu London; in Edwards 

IV, Kriege gegen die Ofterlinge fehdeten Bremen, Lübeck 

und Danzig fo wader zur See wie zu Lande (1472), daß 

erfi die Vermittelung Karld von Burgund zu Brügge (de= 
bruar 1474), gegen Entfihädigung der hanſiſchen Verluſte 

und Beftätigung der hanſtſchen Gerechtfame in England, 
einen Frieden zu Stande bringen konnte. Die nationalen 
Intereffen, im Widerfprud mit jenen Privilegien, mußten 
a hehoch bald das Werk ftören, gleichzeitig ald Maximilian, 
dandel Erbe Burgunds, die niederländifche Seemacht, wie das 
Kriegsweſen zu Lande, fhuf; fein Sohn, Philipp der 
Schöne, den Handel feiner Staaten zu heben bemüht, nady 
Brügges Verfall den Weltverfehr an das Herrlich belegene 
Antorf (Antwerpen) Iodte, wohin auch die zähen Oſter⸗ 
linge ihren Kaufhof verlegten. So im Weſten eingeengt, 
während die ſüdweſtlichen Staaten ihrem Handel unermeß- 

liche Ausdehnung über den Oeean öffneten; in den heimi⸗ 

fhen Gewäfjern der Engländer und Holländer nicht mäch⸗ 

tig ; im Nordoften dur Iwan I. Waſſiljewitſch, Großfürften 

son Moskau und Herren Nowgorods (1478), gemißhandelt 


Sechsſstes Bud. 311° 


und beraubt (1494), mußten die Hanfen dem Ausbruche ! Kap. 
des ſtillen Grolls Johanns, zweiten Unionskönigs and ol⸗ 
denbutgiſchem Stamme, entgegenſehen, und zu fpät be⸗ 
reuen, daß der Väter beſchränkte Politif die Vereinigung 

der nordifhen Kronen gefchehen ließ. 


Zweites Kapitel. 


Bom Ewigen Landfrieden zu Wormd bis auf den Augsburger NReligionsfrieden, 
v. 3. 1495—1555. 


Marimilians I. Regierung (vom 3. 1493— 1519) veregking 
wifchte noch nicht das mittelaltrige Gepräge des deutſchen Ar J. 
Bürgertbums mit feiner Echönheit und feinen dunfelften 
Flecken, fo mächtig die neue Zeit ſich zur Geftaltung drängte. 
Die Geſchichte der Neichsftädte, die, kaum merflih, aus 
ihrer weiten Gemeinfhaft nur Kamerik verloren, iſt uns 
trennbar mit der der Meichönerfaffung verfnüpft, und zeigt, 
unter dem Einfluffe der großen Politik Europas, bald einen 
Fortfehritt inneren Beftandes, bald ein zeitweifes Zurück⸗ 
gehen; ja es drohete zulegt Auflöfung der mühfam ge= 
wonnenen Grundlagen. Im legten Kriege Habsburgs ge= 
gen die Eidgenoffen (1499), welder über den Anforde— 
rungen des Reichsſstages und des Kammergerichts entftand, 
focht unter dem Banner des Doppeladlerd mehr der ſchwä⸗ 
biſche Bund in feiner zahlreichen Gliederung, als die Ge— 
fammtheit der Neichöftände und der Reichsſtädte; das 
ehrenreiche Bafel trennte ſich (1501) vom alten Verbande 
und trat, wie Schaffhaufen und Mühlhauſen (1515), zur 
Eidgenoſſenſchaft. Als auf dem Tage zu Augsburg (1500) 
der bleibende Reichsrath, gegen des bedrängten Königs 
Abſicht, beliebt wurde, ſetzten die Neichsftädte, das dritte 
Kollegium auf dem Reichstage, e8 durch: zwei Mitglieder 


312 Bierter Theil, 


2.20p. den neuen Regimente beisrhnen zu dürfen, ein Vor⸗ 
recht, das abwechjelnd von den rheiniſchen, Köln und Straß- 
burg, von den jhwäbifchen, Augsburg und Ulm, von den 
fränkifchen, Nürnberg und Frankfurt, von den fähftichen, 
Lübe und Goslar, zuftehen follte. Dagegen mußten fie 
die Unbilligfeit dulden, von der Beſetzung des Kammerge- 
rihts, deſſen Befoldung ihnen am meiften zur Laft fiel, 
fowie zeitweife von ber Unterzeichnung der Reichstagsbe— 
fhlüffe serdrängt zu werden. Maximilians neuer Aufs 
ſchwung in Folge der fpanifchen Heirath feines Sohnes 
Philipp, der Sieg feiner Waffen im baieriſchen Erbfolge- 
friege (1504), machte die Stände gefügiger. Das Reichs— 
regiment zerfiel; Doch ſprach der römifche König auf dem 
Neichötage zu Konſtanz (1507) die Eidgenofjenfhaft ſowohl 
von dem Reichsmatrikelanſchlage ald von den Reichsgerich⸗ 
ten förmlich Io8, und nahm, ernüchtert von itealen Träu⸗ 
men feiner Serrlichkeit, mit Verzichtung auf die Krone in 
St. Peter, am 2. Vebruar 1508 den Titel eines Er- 
wählten römifchen Kaiſers an. Das wibdervölfer- 
Bund rechtliche Bündniß der Großmächte Europas, . zu Kamerik 
Kamerit. gefchloffen, um mit einem Schlage die ältefle und veichfte 
Commune der Chriftenheit, die Republik Venedig, zu ver- 
nichten, konnte Die neue Politik des weltlichen Oberhaup⸗ 
te8 dem Bürgertbume nicht empfelen; &emeingeift und 
Sympathien mit der den Falle fo nahen und wunderbar 
wiedererftandenen Königin der Kaufmannswelt gaben un- 
zweideutig in deutſchen Städten fih Fund, denen nichts 
ihren Befland zu verbürgen fihien, war jener Schlag fürft- 
lihen Gewaltfinnd gelungen. Darum auf dem Reichstage 
zu Worms (April 1509), flatt Fraftvollen Beiſtandes laute 
Beſchwerde der Städte, deren Antheil an der Verwaltung 


Sechstes Bud. 313 


nah dem Erlöſchen des Meichöregiments vorüber, beren 2: 
Beifiger am Kammergericht Feine Aufnahme gefunden, uns 
geachtet fie auf zwei Siebentheil, ja auf ein Dritibeil ber 
Reichshülfe veranfchlagt waren. Obenein forderte der Reichs⸗ 
fiscal wegen der verbotenen „großen Kaufmanndgefellfchafs 
ten‘ eine ungebeuere Pön, und lockte von den zähen Kaufe 
leuten die Aeußerungen hervor: „wolle man fie wie Leib⸗ 
eigene behandeln, jo thäten fie beffer, nad Venedig, nad 
der Schweiz auszumandern, wo man ehrlichen Handel nicht 
bejchränfe”. Auf ihrem Stäbtetage hatten fie ſich geeinigt, 
gegen ſolche Zumuthungen einmüthig auf der nächften 
Reicheverſammlung ſich zur Wehr zu fegen. So mußte ber Inh, 
Kaifer, immer tiefer in die europäifche Verwickelung ee 
flochten, ohne willige Theilnahme des Reichs feinen ver, Er... 
netianifhen Krieg, unter mannigfachem Glückswechſel, fort⸗ 
feßen, und am Ende erkennen, daß er, flatt der Nation 
einen unerfchütterlichen Frieden zu geben, ein weitgreifen- 
des Mißvergnügen, ja eine allgemeine Gaͤhrung veranlapt 
hatte. Schon vernahm man wieder Nadftellungen ber 
Fürften gegen einzelne Städte, weldje die ſorglos oder 
argliftig abgefaßte Neichömatrifel als unmittelbar be- 
anſpruchte. Das gealterte, aber von altem Ruhm und 
Reichthum zehrende, Soeft, eine hochgefreite Landſtadt der 
Herzoge von Kleve, war nicht fiher vor Kurköln; Ham⸗ 
burg, längft die zweite Stadt der Hanfa, nannte der dä⸗ 
nische König erbunterthänig, ungeadtet der Kaifer auf dem 
Tage zu Augsburg (1510), fie als „Reichsſtadt von jeher‘ 
anerkannt Hatte. Die Ritterſchaft, eingeengt durch die Für⸗ 
ſtenmacht, erneute gejellfchaftliche Beftrebungen, Tauerte auf 
ihren Feind, warf den fahrenden Kaufmann auf ded Kai⸗ 
ferd Straße nieber; jene belobten Berlihingen und feine 


314 Vierter Theil 


AR. Spießgefellen fehdeten offen, zum Hohn des Ewigen Land⸗ 
fetedens, gegen geiftliche Fürften und gewesbthätige Reichs⸗ 
ftädte. Zwar nahm der Kaiſer ſelbſt wohl die ſauberen 
Bögel aus ihren Selfenneftern, wie i. I. 1512 nad den 
Beihlüfen von Trier; aber dennoch konnte ein Fleiner 
rheinifcher Edelmann, Franz von Sidingen, ed wagen, ſich 
zum Schirmherrn ber zünftifchen Gegner des Raths zu 
Worms, den der Kaifer eben wieder eingefegt, aufzuwer⸗ 
fen (ti. 3. 1515), und in die Adıt erklärt, mit Karthaunen 
und Beldfchlangen verwüftend vor den Mauern der. Stadt, in 
welcher die Neihsthemis thronte, zu erſcheinen. Alle 
Kaufmannſchaft war in den Jahren 1515 und 1516 geflört! . 

Im Jahre 1512 machten die Fürften felbft die Tängft- 
verjährte Frage wegen der Pfalbürger wieder rege, die aber 
durch gefchickten Widerſtand noch auf Bertagung gebracht 
wurde. Durch den Verfall der Neichögefege zur Selbft- 
hülfe berechtigt, flraften die Reichsbürger, beſonders Nürn⸗ 
berg, Lübeck und die ſchwäbiſchen, unnachſichtlich Die ade- 
Iigen Räuber am Galgen, und zumal ihr trogiger Wider 
fpruh wußte die gehofften Erfolge des Kaifers auf den 
Reichstagen zwilchen 1509 und 1513 zu vereiteln. Zus 

Unruhe gleich war aber unter dem öffentlichen Nothftande, befonders 

Sädten. wegen fteigender Gelbforderungen, der Kampf zwifchen Gemein⸗ 
den und Rathe um fo heißer erwacht, ald überall, der bündig⸗ 
flen Verfafjungen ungeachtet, das Iunferregiment geräufchlos 
esftarft war. Darum denn In unzähligen Städten, wie in Kon⸗ 
flanz, das zu den Eidgenofien abfallen wollte, aber durch bie 
Fifcherzunft und den Kaifer verhindert wurde(1511), in Erfurt, 
Köln, Aachen, Speier, Schweinfurt, felbft in Nürnberg, flür« 
mifche Aufftände und grauſame Volksjuftiz; nicht ohne Bew 
weile, dag fürftliche Urglift geheim ihr Spiel trirbe, fo 


Echstes Buch. 315. 


zumal in Worms, wo Sidingen die ausgewichenen Zünft 2". 
ler in Schub nahm, um durch die Verblendeten die Herr⸗ 
ſchaft des lauernden Biſchofs wieder herzuftellen. Bux 
Bollendung des unheilſchwangeren Buftandes überall im 
Reiche die Gaͤhrung der Bauernfhaften, die, vell 
mörderifcher Gedanken gegen ihre Bebränger, nach ber 
Schweizerfreiheit aufblickten. So der Bundſchuh im El⸗ 
ſaß, ſo im Breisgau und auf anderem alemanniſchen Bo⸗ 
den; 1.3. 1514 der „Arme Kunz‘ in Wirtemberg. Welche 
Zukunft, wenn fo dumpf braufende Gewitter vereinigt ſich 
entluden! 

Faſt noch gewaltiger, wenigſtens ihres Inhalts be» Manz, 
wußter, ohne Genuß ſelbſt illuſoriſcher Ordnung, waren land 
die Verhaͤltniſſe im deutſchen Norden, mit Ausnahme ber Due 
wettinifchen und hohenzollernſchen Länder, welche, plan⸗ 
mäßig in fländifcher Ausbildung, in Befleuerung, Geſetz⸗ 
gebung, im Verbot der Berufung an audwärtige Gerichte, 
felbft des Magdeburger Schöppenftuhls, in polizeilicher Auf- 
fiht, im Münzweſen, in der Ausdehnung der Megalien 
und in fefterer Beftimmung des Lehnsweſens, mächtig dem 
neueren Staate entgegengingen. Kurſachſens Städten, wie 
Wittenberg, Leipzig und Dresden, ließ das umfichtige Re⸗ 
gentenhaus noch manche unfchädliche Eigenthümlichfeit des 
Mittelalter; Brandenburgd junger Kurfürft, Joachim I. 
(1499— 1535), Gründer der Hochſchule zu Sranffurt (1506), 
Erin Derächter des Bürgerthums, wie fein Großvater Als 
brecht, durfte dennoch, in Iandesobrigfeitliher Fürſorge, 
tiefer in das Wefen feiner Städte eingreifen, indem er 
bei Anfang feiner Regierung die Marfen bereifte, und, 
nad eigenen Gutdünfen, allgemeine DBerordnungen über 
Verfaffung und Polizei ausgehen ließ. In Mecklenburgs 


316 Dierter Theil. 


8%. und Pommernd Städten erwies der Erfolg das Streben 
ber Fürften, den Nachbarn nachzuahmen, als unthunlich. 
Selbſt Bogislav X., verleitet durch ſeine römifhen Doc- 
toren, konnte nur bie längſt gezähmten Stettiner nad 
feinen Willen gängeln (1504); Stralfund dagegen Tieß 
fich fein „Goldenes Privilegium‘ nicht antaften, und, be= 
ſchänt durch der Bürger mannhafte Erhebung, mußten bes 
Herzogs fremde Rathgeber abziehen. — Den Braunfdiwei« 
gern verfündete ihres neuen Landesherrn, Heinrichs des 
Jüngeren, Regierungsanfang (1514) noch nicht die Stürme 
der Zufunfl. — Die wendifhen Hanfeftädte erfuhren 
vom fernen Kaifer und Reich nur Beirrung, und blieben 

. im Kampfe für hochwichtige nationale Vortheile ſich ſelbſt 
Die überlaſſen. Als ſie, bemüht, die Union zu trennen, i. J. 
um die 1306 die Auflehnung Schwedens gegen König Hans offen 
unterſtützten, ächtete das römiſche Reich die ſchwediſchen 
Stände, und verbot allen Verkehr mit den Aechtern, was, 
nachdem Lübeck einen Schußbrief gegen fo unleidlichen Zwang 

bei Marimilian erwirkt hatte (1509), einen Kriegsbund 
der wendifchen Seeſtädte mit dem ſchwediſchen Reichsver⸗ 
wefer, und eine verheerende Fehde zur Folge Hatte. Zwar 
blieben früher ftarfe Glieder des Bundes, wie Hamburg, 
Danzig, Greifswald und das gedemüthigte Stettin, daheim; 
fochten, flatt der Bürger, theure, aber untreue Land d«- 
knechte auf ihren Schiffen, und waren Macht- und Wehr«- 
maßregeln, wie zu Wismar (1511), heillos vernachlaͤſſigt; 
doch gab die alte Kraft der Hanſa fih fund. Die Lübecker 
blieben Meifter der See, ungeachtet König Hans die Hol⸗ 
länder und Weftfriefen, wie Pommerns Landesfürften, zum 
Beiftande Hatte. Der Frieden zu Malmoe (1512) ſicherte 
fürs erfte die Hergebrachten Priviligien der Städte; der 





Sechſstes Buch. 317 


König ſtarb bald darauf (1513), und Chriſtians II. un« Kap 
felige Herrſchaft brachte dann der deutfchen Hanfa die letz⸗ 
ten Triumphe. — Behaupteten die Ofterlinge, von ben 
Binnenftädten nur jo lange noch einigermaßen unterflügt, 
als es die engherzige Berechnung des Nutzens gebot, unter 
Störung und Hemmniſſen noch einige zwanzig Jahre die 
Handelsfuprematie im Norden, fo mußten fie doch wahr« 
nehmen, daß, neben dem Mangel Fräftigen Gemeinfinns, 
durch die Umgeftaltung der Weltlage ihr Dafein im Inner 
fien bedroht ſei. Auch die deutſche Kolonifationgums 
am finniihen Meerbufen wankte, felbft als der treffliche 
Meifter, Walter von Plettenberg, die moskowitiſchen Hor⸗ 
den i. 3. 1501 und 1502 wunderbar in die Flucht ges 
ſchlagen; der Kaufhof in Nowgorod erftand nicht wieder, 
und unter Swan I. Wafftlfewitih brach die Strafe ber 
Selöftverihuldung in furchtbarem Maße über die deutiche 
Pflanzung herein. Für fo empfindliche Verluſte bradte 
dem Gefammthandel der Nation Teinen Erfag, daß rührige 
füddeutfche Städte, wie Augsburg und Nürnberg, fi ges 
winnreih an oflindifchen und weftindifchen Unternehmuns 
gen betheiligten; denn mit Erbitterung der Zünftler ſetzte 
der Hanfetag d. 3. 1511 zu Lübeck feft, daß die „Hoch⸗ 
deutſchen“ binnen gewifler Brift ihre firommärts verlas 
denen Güter aus den hanfiſchen Städten ſchaffen follten! 
Wie fonnte nun Marimiliaen, ald er, mürbe durch 
vergeblihe Kriegsmühen, nur feines Geſchlechts Erhebung 
in der Seele, dem Reiche fich wieder ernftlicher zuwandte 
(1517), fo faft factiicher Zerflofienheit und Zerfeung einer 
Beit, deren eine Seite nur wir beleuchtet haben, hemmend 
entgegentreten? Sein letzter Meichötag zu Augsburg (1518) 
mübete fich fruchtlos mit Diefen und anderen Dingen ab; 


318 Bierter Theil. 


— ame bald darauf farb der Kaiſer (12. Sanuar 1519), unfähig, 
Eier Die neue Bahn zu begreifen, in welche der Geiſt der Nas 
tion, voll Meberbruß der Gegenwart, nad Neuem begierig, 
serhängnißvoll für alle Zukunft, ſich ſtürzte. 
Maximilian war der legte volksthümliche deut 

Ihe Kaifer. Traulich Iiebte er, zumal mit ben Reichs⸗ 
bürgern, zu verkehren, Luft an ihrer Luft zu bezeigen, 
freundlich den Klagen der Einzelnen fein Ohr zu leihen, 
nachfichtsvoll auch über troßige Geberdung des bürgerlichen 
Selbſtgefühls Hinwegzubliden. Für ſolche LXeutfeligfeit, 
welcher das hispaniſche Blut ſeiner Enkel nicht fähig war, 
vergaß ber ſtaͤdtiſche Biedermann ſeiner ſonſtigen Mängel, 
und duldeten feine ‚lieben‘ Nürnberger und Augöburger 
au wohl, daß ihr Faiferlicher Gaft fie der Sorge um 
die Verheirathung ihrer Erbtöchter, auf althabsburgiſch, 
überhoß. — 

Jene neue Bahn, welche ber Alte nicht mehr begriff, 
war die kirchl iche, die, Taum betreten vom deutichen Volke, 
mit der politifh=focialen fich untrennbar verzweigte, 
Gefpannt horchten die Geiſter auf Luthers Tühnes Wort; 
day überall dad Bürgerthum, unbefümmerter um das Dogma, 
die Predigt in feinem Sinne erfaffen mußte, lehrt bie 
Geſchichte des gefammten deutſchen Staͤdteweſens. Wir 
fommen zur legten großen That des demofratifchen Deuts 
fchen Bürgerthums: zu den Verdienften der Handwerker, 
den unbelohnten, unbelobten, vergeflenen, die Bahnbrecher 
des Evangeliums geweien zu fein. Wir behalten jedoch nur 
unfere nächfte Aufgabe im Auge, indem wir die Kenntniß 
des allgemeinen. Gangs der Reformation vorausſetzen. 

Tief im innerften Leben müfjen die Uirfachen gelegen 
haben, welche in der Friſt weniger. Jahre jene ungeheure 


Die 
fir ne 
— 





Sechstes Bud. 319 


Ynpeflaftung hervorbrachten. Das ganze Dafein des Bürs Kar. 
gerthums ſchien noch kurz vorher durchdrungen vom Geifte eis. 
der romiſchen Kirche, gefärbt, durchwebt, uͤberſponnen vonn hitn 
kirchlichen Beziehungen. Alle Gaſſen der Städte mit Kirchen, — 
Kapellen, frommen Stiftungen zur Seelen» und Leibespflege "II" 
Armer, Kranker, zur Aufnahme von Pilgern geſchmückt; Ra "fale- 
landohaͤuſer und Brüderfchaften mit Vifarien und Altärem, 
Shüpengilden mit ihrer Anlehnung an den Kultus befonderer 
Heiligen; Wallfahrten nad fernen Stätten des Heils; Pros 
zeffionen von einem Gnabenbilde zum anderen, in Selb und 
Wald zur Spendung von manderlei Segen; Krippen und 
Palmenefel, kirchliche Myfterien, geiftliche Schaufpiele vielfacher 
Gattung; die Schulen unter geiftliher Obhut; die geſammte 
bunte, phantaftifche, barode Pracht des Gottesdienftes mit 
feinem Seelen feflelnden und Isfenden Zauber, mit feiner 
furchtbaren Wirkung über das Grab hinaus: der ganze fett 
länger als einem halben Jahrtaufende erwachſene Bau ift 
innerhalb zehn Jahre erfchüttert, gebrochen, das Heiligge⸗ 
aibtete ein Spott der Menge geworden! Die Möglichkeit 
folder Umwandlung begreift nur, wer im Schooß der Städte 

jenen nie rubenden Widerfpruh, die Broteftation ge« 

gen. den ſchnödeſten Mißbraud ber geiftlihen Gewalt, bie 
Abwehr gegen die fhamlofe Gewinnſucht der Priefter, ihre 
Sittenlofigkeit und ihr Syſtem der Geiftesnerdumpfung bes 
obachtet hat, Wie unfäglih Hatten die Städte gelitten 
buch die willkürlich verhängten Firchlichen Strafen, durch 

vie Raͤnke der geiftlichen Gerichte, durch die Geldgier der 
Bfaffheit, welche die Fülle der Güter und bes Beſitzes er⸗ 
ſchlichen, allen Schug und Genuß des Bürgerthumd ans 
ſprachen, und jede. Beifteuer zu ben öffentlichen Laſten 
abwieſen! Wie angftooll Hatten die mächtigfien Gemein- 


320 Bierter Theil. 


2.Rap. weſen um bie Befugniß ringen müſſen, zweckmaͤßige Bil⸗ 
dungsanftalten für ihre Jugend zu fliften! Welche Heide 
von Nachftellungen und blutigen Fehden war über unfere 
Städte ergangen, als fle, zum bürgerlichen Bewußtfein er⸗ 
wacht, das bifchöftiche Joch nicht Länger tragen mochten! Wie 
fauer hatten die Handwerker ihren Prieftern Jahrhunderte 
hindurch gefroͤhndet! Wie argliftig und mitleivlos Hatte 
die Geiſtlichkeit die Gemeindeklaſſen unter einander verhetzt; 
die Iunfer in ihrem Uebermuthe unterftügt! Alle diefe 
unverjährten, unvergefienen Unbilden, der Morbbrand von 
hochſinnigen Freiheitsapoſteln, kamen jeßt zur Abrechnung! 
Es galt nit dem Wefen der Lehre, wenn auf wal- 
denfifche, willefftfche, Huffttifche Elemente im Volke fi 
regten; es galt der Hierarchie, wie fte die Geißel der 
MenfchHeit geworden; erft der Fortgang des Kampfes fpielte 
den Streit auf das dogmatifche Gebiet, und zerriß dann 
unvereinbar die Deutfche Welt. 
Merfwürdig, daß der Betrug und das Gaukelweſen 
Bandır. bes Ablaßkrams dem Faufmännifchen Volke zuerft die 
Augen Öffnete; des Wittenberger Mönchs vernichtende 
Säge gegen folde Schmah trug ber fahrende Krämer 
ſchneller in die horchende Heimath, als der wandernde 
Handwerker die ſeelenvollen Sangweiſen lutheriſcher Lieder 
durch alle Laͤnder der deutſchen Zunge anſtimmte. 
—— Karl von Spanien war zum Kaiſer gewählt; Her⸗ 
og Ulrich von Wirtemberg, der unmittelbar nah Marimi- 
lians Tode frech das reichäfreie Reutlingen angetaftet, durch 
den fchwäßifchen Bund geftraft; da ſprach der junge Kaiſer auf 
feinem erften Reichstage zu Worms das Wort der Verdam⸗ 
mung über das verwegene Möndhlein aus (Mai 1521). — 
Bon den Ergebnifien jener weltgeſchichtlichen Verfammlung zu 


Sechſtes Bud. 321 


Wärme heben wir noch hervor, daB auf ihr jene Matri- 2. rw. 
kel verfaßt wurde, die im Weſentlichen bis auf des Neiche 
Untergang als Maßſtab fländijcher Kriegsleiftung galt. Ars hermfer 
Frei⸗- und Neichsflädte zählt die Wormfer Matrifel 84 Na- Matritel. 
men auf, mit einem Anjchlage von 500 offen und 4312 
Mann zu Buß. Darunter aber find einige zwanzig, bie, 

wie Gelnhaufen, Saarbrüd, theild mit Reichspfandſchaften 
befüimmert, theils, wie Düren, Duisburg, Kamerif, Tängft 

vom Meiche abgefommen; theild, wie Wefel, Soeſt, Mars 
burg, Danzig, Werden (9), nie reich&unmittelbar gewefen; 
endlich, wie Samburg, Herford, von Bürften als land«- 
ſäſſig angefochten waren. Als unzweifelhaft und unbe— 
helligt können wir beim Antritt der Megierung Karls V, 

nur reinen: eine im baieriſchen, fünf im fränfifchen, 
drei und dreißig im fchwäbifchen Kreife; eilf im El— 

ſaß, eilf am Mittel- und Niederrhein; eine in Weft- 
falen, und vier in den fächfljchen Kreifen. Der höchſte 
Anſchlag war Nürnberg mit 300 zu Fuß und 40 zu Roß; 
ziemlich gleih mit Köln (322 Mann zu Buß und 30 zu 
Roß); dann folgten Straßburg, Ulm, Lübeck und Frank⸗ 

furt; den geringften Anja Hatten Bopfingen, Roßheim 

und Türfheim mit 9 Mann zu Buß und einem Heiter. — 
Meg, Toul, Verdün wie Bejancon wußten längft ber 
Reichspflicht fih zu entziehen; Met behauptete ſchon auf 

dem rheiniſchen Städtetag zu Speier v. I. 1474, ‚zur 
Städteeinigung nicht verbunden zu fein”. 

Noch ehe einer der Bürften den Zuwachs an Macht, 1 
ins Auge gefaßt hatte, welden die neue Lehre verhieß; Städte 
als nur ein Theil der Neichöritterfchaft in der Befchirmung Luther. 
der Sache des Mönche feinen Standesvortheil erfannte; 


fehen wir in allen Städten deutfcher Zunge, von den Alpen 
Barthold, Etädteweien. IV. 21 


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Aranfen ien tit ſertia, Lad Tas Rıilarıeren, = Ge 
Hanenig feiner Ohnumacht, Eplinzen zum Eige wifiz. 
Aehnlich, Halt mehr alt weniger fürmi’$, eraimz es im 
Augsburg, in Ulm, Baicl, Etrabkurg: tie Hittiide Ver⸗ 
faflung erlitt feine wefentlihe Umgeflaltung, ta Rath unt 
Bünfte diefelben Gegner befämpften. Anders in Etäbten, 
wo, wie in Degensburg, Erfurt, Rotenburg und Stral- 
fund, unzufriedene Zünftler ihrem junkerhaften Rathe groll- 
ten, und diefer der gefährdeten Pfaffheit den Rüden flärfte, 
weil er mit ihr fland und fiel; oder wo tie biſchöfliche Ge⸗ 
malt nahe, wie in Würzburg, Bamberg, Osnabrück, Hildes⸗ 
heim, in Halle, wo der Primas auf der Morisburg figend, 
firengere Maßregeln handhaben Tonnte; Hier mußten die 
politifhen und kirchlichen Tendenzen, einander durchdringen, 
ihre Hebelkraft gegenfeitig fteigern, und Kirche wie Staat 
aus den Angeln heben. Später, und auf weltliche In⸗ 
tereffen überwiegend baflrt, war der Kampf in ben eigent- 
lichen wendifhen Sanfeftädten, beſonders im Vororte Lübeck, 





Sechotes Bud. 395 


wo die Kaufberrnariftofratie mehr an die Kirche fih ans Sm 


klammerte, als diefe, ihre Sache aufgebend, den Beiftand 
jener ſuchte. Hier gewannen die Gegenfäge eine europäi« 
fche Bedeutung, und ward, durch wunderbare Yügung, Das 
firhliche Biel gefihert, dagegen der Aufichwung volks⸗ 
thümlicher Freiheitsgedanken niedergehalten. Hamburg allein 
vollendete feine kirchlichen Kämpfe mit einer friedlich ver- 
einbarten Neubegründung feines Staats (1528); lange und 
furchtbarer mußte der Streit in Bremen toben, weil bier 
die entgegenftehenden Gewalten, das hHartnädige Domka⸗ 
pitel und die Rathéfähigen, aneinander ſich fchaarten; aber 
eben durch den fchweren Sieg erwuchs der demokratiſch⸗ 
proteftantifchen Partei ein todbereiter Exrnft zur Behauptung 
des errungenen Guted. In Mainz und an Orten, wo, 
wie zu Trier, die bifchöfliche Gewalt als Iandeöherrlich ſich 
längft befeftigte, fehen wir leider den Volksmuth fo er⸗ 
fhlafft, daß er nad jener doppelten Breiheit, die ihrem 
innerften Wefen doch nur eine einige war, nur einmal 
wie in fieberifher Aufwallung ſich ausreckte. Köln, im 
goldenen Abendroth feines mittelalterlichen Glanzes, ber 
mit Amerikas Entdeckung, dem Erblühen des niederländi- 
fchen Handels und der Wendung des rheinischen Verkehrs, 
zur Nacht fich neigte, Hatte kurz vor Luthers erfter Pre⸗ 
Digt durch firenge Volksjuſtiz feine bürgerliche Luft gefäus 
bert (1514), empfand auch weniger tief das Bedürfniß kirch⸗ 
licher Neuerung, gegen welche die heimifche Univerſität, als 
DBerfechterin des Papſtthums, wenn auch mit den veralteten 
fcholaftiihen Waffen rang; dennoch rauchten in der Stadt 
frühreifer Geiftesfreiheit die erſten Scheiterhaufen, verfpätete 
ſich aber verhängnißvoll das kirchliche Erwachen. 

Während in allen Reichsſtädten, wenn nit biſchöf⸗ 


328 Bierter Theil. 


2.209. willen, daß die niedere Bevölkerung in Biſchofsſitzen, an 
reiceabteilichen Orten, oft zugleich einer drängenden Ober- 
herrichaft ter geiftlichen Beamten und rathsfähiger Familien 
unterlag, befremdet e3 uns nicht, ten Aufruhr der Bau⸗ 
ern während der erfien Monate db. 3. 1525 in ten Schoß 
auch größerer, feftummauerter Städte aufgenommen zu 
jehen, wo, wie in Würzburg, Bamberg, Rotenburg, 
Schweinfurt, tie eine oder die andere, oder beide Ge⸗ 
walten fühlbaren Drud ausübten. Aber biefelbe kurzſich⸗ 
tige und hHerzlofe Politik, dieſelbe Gleichgültigkeit, welche, 
zu Gunſten der Zürften und des Adels, fchon nad dem 
großen Städtefriege den herriſchen Rath der ſchwäbiſchen 
Städte von den bäuerlihen Eidgenoffenfchaften getrennt 
hatte, und auf Seiten der Bauern verneinenden Grimm 
gegen ten gemeinjamen Uriprung hervorrief; half auch da⸗ 
mald verhängnißvoll dem Herrenſtande die freiere Regung 
der fleineren Städte mit janımt den Bauernſchaften wieder 

(hang. unterjochen. So unfeliges Vorurtheil, erwachfen im Schoße 

som von Großmarkt-⸗ und Krämerflädten, genährt durch zünfti- 

Rädte. gem Handmwerföneid, und ſyſtematiſch ausgebildet durch die 
sömifchen Doctoren in mitten der Rathsgeſchlechter, gab 
dem Zelthauptmann des ſchwabiſchen Bundes, dem Truch⸗ 
feß Georg, blutigen Andenfens, das Geld, das Geſchütz, 
die Kriegävorräthe Ulmd, Augsburgs, ja felbit des mild- 
vorfihtigen Nürnberg in die Hand, um feine unmenfchlichen 
Siege über die fhwäbifchen Bauern und über Schweſter⸗ 
gemeinden, wie Kempten, Memmingen, Dinkelsbühl, Hall, 
Wimpfen, Heilbronn, zu erringen. Nicht die Fluge Ber- 
mittelung der Bundesflädte, fondern ihr Kriegsernſt be= 
ſtimmte auch das Schickſal fränfifcher, altberühmter Ge⸗ 
meinweſen, bei denen wir einen Augenblick verweilen, zum 





Schstes Buch. 329 


Beweis des Bufammenhanges der bäuerifchen Bewegung 2. 
mit der ftädtifchen. 

Rotenburg an der Tauber, aus Hohenftauftfcher Zeit einen ng 
ftarfen Beifat „‚erbarer Gefchlechter‘‘ bewahrend, hatte im Ver⸗ 
faffungsftreite d. I. 1455 zwar einen demofratifchen Zufchnitt 
erkämpft, einen Inneren Rath von 15 Perfonen, zur Hälfte 
Erbare und Handwerker, der den Aeußeren Rath, von 40 in 
gleicher Zufammenfeßung, wählte; aber ſchon lange vor 1525 
waren die Zünftler aus dem Regimente verdrängt. Argwohn 
und Troß gegen die Eingriffe des Bifchofs von Würzburg, als 
anmaßlichen Herzogs von Franken, erleichterten früh die 
futberifche Predigt (1523); Karlſtadt, der verfolgte „Irr⸗ 
lehrer”, fand entfchloffene Anhänger in dem SHauptorte 
feiner fränfifchen Heimath, und Schuß bei den Handwer⸗ 
fern, welche ihre verfaffungsmäßigen Nechte nicht vergeffen ; 
felbft einen ehrlichen Gönner am Altbürgermeifter. Als 
aun die NRatbögefchlechter dem Volkswillen widerjtrebten, 
und Die flreitbaren Bauern im weitläuftigen- Notenburger 
Gebiete dem Freiheitsrufe aus Oberſchwaben Folge leiſte⸗ 
ten: mußten die erſchrockenen Herren erſt einen Ausſchuß 
von XLII zur Vermittelung mit dem Landvoolke geſchehen, 
und denſelben neben dem Aeußeren Mathe über die Ber 
fhmwerde der Gemeinde und der Bauern entfcheiden lafjen 
(Ende März 1525). — Unter der furditbaren Erhebung 
des ganzen Sranfenlandes warb dann um Oftern 1525 in 
Notenburg das alte Kirchenthum umgeftoßen, der Ausſchuß 
verftärkt, dem neuen Mathe eine Zahl volfsihümlicherer 
Männer beigefegt, enblih, während ber ‚helle Haus 
fen’, das Heer der Branfen, die Enticheitung des poli⸗ 
fh wie religidfen Kampfes in Würzburg ſuchte, bie 
Berbrüderung der Stadtgemeinde mit der „, evangeli« 


330 Bierter Theil 


Ra. ſchen“ Bauernſchaft gegen den Willen der Erbaren bes 
fhworen. 

— Wie konnte Schweinfurt, das ſeit Jahrhunderten die 

ſtadte. rohefte Mißhandlung durch übermächtige Landesherren er⸗ 
duldet, wie Bamberg, deſſen bürgerliches Gemeinwohl, bei 
reichen Quellen auch des geiſtigen Lebens, beſonders im 
Laufe des XV. Jahrhunderts blutig verkümmert war, ver⸗ 
geblich das große Loſungswort der Zeit vernehmen? In 
beiden hatte das Volk der neuen Predigt begierig gehorcht, 
und darum die Bauern als Verfechter der uralten fränki⸗ 
fhen Gemeinfreiheit willig aufgenommen. Selbft in Frank⸗ 
furt, wo das Patrizierthum eine leidlihe Gewohnheit ge= 
worden, gährte es in den Gemüthern, ward ſchon am 15. 
April der alte Rath ſtürmiſch abgeſetzt, dem neuen eine 
Perwaltungsbehörde von XXIV Männern zur Seite geftellt, 
und Die ältere Freiheit der Bürger gewährleiflet. Ja in 

Meinz Mainz, das faft verdumpft war durch das Uebermaß feiner 
Leiden, erhoben fih, unter dem willensfräftigen Aufftande 
der Nheingauer, die geheimen Anhänger der Predigt am 
25. April, bemächtigten ſich, mit der geharniſchten Bürger- 
haft vereint, der Thore und Thürme, und zwangen bie 
angftoolle Priefterichaft, ihnen vertragsmäßig unverfährte 

2 Rechte zuzugefiehen. Würzburg endlih, der Sig der an⸗ 
maßungsvollen bifchöflihen und Herzoglichen Gewalt Oft« 
franfens, deſſen dreihundertjährige Geſchichte mit dem Blute 
hingeſchlachteter Bürger geſchrieben war, hatte unter der, 
leider zu kurzen, Regierung des Biſchofs Lorenz (1495 — 
1519) die Anfänge der Kirchenreformation freudig begrüßt, 
dann unter dem Beginne Konrads von Thüngen, eines 
würdigen Genojjen Georgs bed Truchſeſſen und des Marks 
grafen Kaftmir, heißen Bürgermutb gefaßt, ald der Sturm 


Schstes Bud 331 


in den Landgemeinden und kleinen Stiftöflädten ausbrach, 2er. 
und der Grimm der niederen Berölferung, im Widerfprud 
mit dem furchtſamen, tüdifhen Mathe, beim Anrüden bed 
„evangeliſchen“ Heeres, den verlaffenen Purpurträger zur 
Flucht nach Heidelberg zwang (6. Mat). Der feite Brauen- 
berg über der Stadt blieb der Vertheidigung des Doms 
propfte8 und einer Anzahl treuer Dienftmänner; ihn, als 
daB letzte Bollwerk der gehaßten Priefterfchaft, zu überwäl⸗ 
tigen, traf der helle Haufen der Franken, alle Klöfter und 
Adelshäuſer auf feinem Wege zerftörend, am 7. Mai in 
Heidingsfeld zufammen, und fchloß den Bund mit Würz- 
burgd Bürgern, „einander nicht zu verlafien, bis U. X. 
Frauenberg erobert ſei“. 

Selbſt von den hartſinnigſten Feinden gewaltjamerkläneber 
Volkserhebung iſt eingeſtanden, daß die 12 Artikel der 
fränkiſchen Bauern die Bedingungen eines beſcheidenen, 
menſchenwürdigen, veredelnden, aber dennoch verfrüheten 
Geſellſchaftszuſtandes begriffen. Ein Zweites war die 
politiſche Umgeſtaltung des Reichs, zu welcher die hellſten 
Köpfe der Frankenbauern ſich berufen fühlten, und deren 
Verwirklichung auch das ftädtiiche Element, ſeit nahe einem 
halben Jahrtauſende der Inbegriff verfümmerter Gemein« 
freiheit, befeitigt haben würde, „Der Schwanberg follte 
mitten in der Schwytz liegen”, war jetzt der prophetiiche 
Traum, den die Brankenbauern in ihrem Sinne aufs 
faßten, wie 150 Jahre früher die Reichsbürger. Eine 
Kette Ländlicher Eidgenpijenfchaften, unter eines Kaiſers 
machtvollem Gebote, bei freier Uebung der gereinigten Lehre, 
follte die Länder des fränfifchen und fchwäbifchen Stammes 
vereinen; keinen Raum fand felbftverftändlich die Gewalt 
geiftliher und weltlicher Fürſten und des Adels; aber auch 


332 Bierter Theil. 


2 Kay· der Verband des fläbtifchen Lebens mußte ſich auflöfen, 


Mauer und Bürgerhaus finfen, und das Privilegium 
des Bürgerthums, weldes bereits fich felbft überlebt 
hatte, an die ebenbürtige Gefammtheit verloren, ald all= 
gemeinesd Gut wieder zur Geltung gelangen. Wie un 
vollfommen und roh, wie zur Vernichtung aller Hohen geifti« 
gen Interefjen diefe Rückkehr in das urfprüngliche Germanen= 
thum ausgefchlagen wäre, laͤßt ſich hinterbrein beifällig be= 
haupten, nachdem jo ungeheure Pläne in der Geburt er- 
ftickten. Ob aber der Genius der Deutſchen frohlodte, als 
damald alles anders fiel, die Häuerliche Freiheit er⸗ 
würgt, die ftädtifche allgemach entkräftet, der religiöje Zwie⸗ 
fpalt unheilbar in das innerfte Nationalleben gefenkt wurde ; 
dagegen die Iandedfürftliche Gewalt vielföpfig erwuchs, des 
Reiches Einheit mit dem Gedanken an ein gemeiniames 
Vaterland verihwand, und Fremde fih gewöhnten, das 
Schickſal eines Volkes, das die Welt nach feinem Geiſte 
geftaltet, zu entfcheiden; mögen wir hier nicht erörtern. — 


um chias Ebenſowenig führen wir aus, wie das eigenſinnige 
Saum Beharren der Bauern bei ber Belagerung des Frauenberges 


krieges 


jene Gunſt des Augenblickes, welcher ihnen ihre 12 Ar⸗ 
tikel gewährleiſtet, verhängnißvofl dahin gehen ließ. Jenes 
unfelige Blatt der deutfchen Gefchichte brauchen wir nicht 
aufzurollen. — Bwilchen dem 13. und 15. Mai 1525 
neigte fih das BZünglein der Wage zu den Fürſten und 
dem Adel. Nürnberg, das mit bewunderungdwürbiger 
reichaftädtifcher Politik durch alle Gefahren fih gewunden, 
berubigte feine Bürger und Bauern durd Maßregeln Eluger 
Nachgiebigfeit (23. Mai); ein trüglicher Waffenftillftand 
lähmte den Aufſchwung im Bambergifchen (27. Mai); die 
Branken zogen von Würzburg ab, am Tage nad) dem Siege 


Schstes Bud. 333 


des Bundeöheeres bei Königshofen (2. Juni), verrathen 2Kap- 
son der tückiſchen Stabtobrigfeit, welde, gegen Breisgebung 
der Sremden, im geheim ſtich Straflofigkeit erfauft hatte; 
am 8. Juni unterwarf fi jene Gemeinde entwaffnet dem 
einreitenden Bifhof auf Gnade und Ungnade, und began⸗ 
nen die Blutgerichte im Stift und im Marfgrafenthum. 
Sebt erhoben Rotenburgs „Erbare“, nachdem ſie ſchon 
am 7. Juni ihren Gehorſam den ſiegenden Bundesfürſten 
verkündet, freudig ihr Haupt; die ſchuldigſten Bürger, welche 
in altdeutſcher Geradheit zur Zeit der Oberhand die Junker 
geſchont, wanderten aus; bereits am 16. Juni erklang wie⸗ 
der Meßgeſang und Vesper in der Hauptkirche zu St. Jacob. 
Nichtödeftoweniger z0g am 28. Juni Markgraf Kaſimir mit 
ftarfem Bundesvolk in Rotenburg ein, um für den Truch⸗ 
feß das Strafamt an den Frevlern zu vollſtrecken, deren 
Namen der Innere Rath mit bereitwilliger Umſicht ver- 
zeichnet hatte. — So folgte denn in Motenburg eine blu⸗Reaction. 
tige Reaction der Patrizier, fowohl gegen die Prediger, als 
Berführer, als gegen die „ausgehämmelten“ Gemeinde 
glieder; felbft der gefürchtete Gerichtsvollſtrecker, Marfgraf 
Kaftmir, Tonnte da8 Leben Stephand von Menzingen nicht 
erbitten, den die alte Rathöpartei um jo grimmiger haßte, 
weil er, wie der audgewichene Bürgermeifter, der Volks— 
ſache gegen die Intereffen feines Standes Bahn gebrochen. 
Hinrihtungen und Verflümmelungen dauerten noch im fol: 
genden Jahre fort, und der neugebildete Rath wußte jede 
Spur der Bewegung zu vernichten, ungeachtet er, durch die 
befchädigten Evelleute hart befehdet, waffenfreudiger In— 
fafjen bedurft Hätte. Im Stifte Würzburg hielt nad) ber 
erften heißen Genugthuung feines Strafeifers der Biſchof 
mit dem Henker die eigenthümlichite WVifitationdreife und 


324 Bierter Theil, 


Kap. des, der glüclichften Gewerbthätigfeit, die Stimme bes 
Volks zu beachten gelernt hatte. Zu den inneren Quellen 
bürgerlicher Behaglichkeit war in Nürnberg der Bett eines 
weiten, einträglichen Gebiets, jener Pflegeämter ald Beute 
im baierifchen Erbfolgefriege (1504) gefommen ; Nürnberg, 
faft die Hauptftadt des Reichs, mwaltete in kirchlichen Dine 
gen unabhängiger vom Bifchof zu Bamberg; Hans Sachs, 
der Iobjame Meifter der ſeit anderthalb Jahrhunderten aus⸗ 
gebildeten Singerzunft, verkündete ſchon i. I. 1523 Die 
„Wittenberger Nachtigall“; die erleuchteten Männer des 
Raths verftanden die Zeit und ihre amtliche Stellung, und 
fhon 1.3. 1524 war dad neue Kirchenthum mit feinen ge« 
fegneten Folgen für Schule, für Pilege der Armen und 
Kranken foweit fertig, daß das Neichöregiment, ein Ger 
fändnig feiner Ohnmacht, Eflingen zum Site wählte. 
Aehnlich, bald mehr bald weniger ſtürmiſch, erging es in 
Augsburg, in Ulm, Bafel, Straßburg; die ftäbtifche Ver⸗ 
fafjung erlitt Feine wefentlihe Umgeftaltung, da Rath und 
Bünfte diefelben Gegner befämpften. Anders in Städten, 
wo, wie in Megendburg, Erfurt, Motenburg und Strals 
fund, unzufriedene Zünftler ihrem junferhaften Rathe groll- 
ten, und diefer der gefährdeten Pfaffheit den Rücken ftärfte, 
weil er mit ihr fland und fiel; oder wo bie bifchöflidhe Ge⸗ 
walt nahe, wie in Würzburg, Bamberg, Osnabrück, Hildes- 
heim, in Halle, wo der Primas auf der Morizburg fitend, 
firengere Maßregeln handhaben konnte; Hier mußten bie 
politiſchen und kirchlichen Tendenzen, einander durchdringend, 
ihre Hebelkraft gegenfeitig fteigern, und Kirche wie Staat 
aus den Angeln heben. Später, und auf weltliche In⸗ 
terefien überwiegend baftrt, war der Kampf in ben eigent- 
lichen wendiſchen Hanfeflädten, befonders im Vororte Lübeck, 


Schstes Bud. 325 


wo die Raufherrnariftofratie mehr an die Kirche fih an 2m 
Elammerte, als dieſe, ihre Sache aufgebend, den Beiftand 
jener ſuchte. Hier gewannen die Gegenfäße eine europäi- 
Ihe Bedeutung, und ward, Durch wunderbare Kügung, Das 
kirchliche Biel geſichert, dagegen der Aufichwung volfd« 
tbümlicher Freiheitsgedanken niedergehalten. Hamburg allein 
vollendete feine Eirchlichen Kämpfe mit einer friedlich ver- 
einbarten Neubegründung feines Staats (1528); lange und 
furdhtbarer mußte der Streit in Bremen toben, weil bier 
die entgegenflehenden Gewalten, das hartnädige Domka⸗ 
pitel und die Nathsfähigen, aneinander ſich fchaarten; aber 
eben durch den ſchweren Sieg erwuchs der demokratiſch⸗ 
proteftantifchen Partei ein tobbereiter Ernft zur Behauptung 
des errungenen Guted. In Mainz und an Orten, wo, 
wie zu Trier, die bifchöfliche Gewalt als landesherrlich ſich 
längft befeftigte, fehen wir leider den Volksmuth fo er⸗ 
fhlafft, daß er nad jener doppelten Freiheit, die ihrem 
innerften Wefen doch nur eine einige war, nur einmal 
wie in fleberifher Aufwallung ſich ausreckte. Köln, im 
goldenen Abendroth feines mittelalterlichen Glanzes, der 
mit Amerikas Entdedung, dem Erblühen des niederländi- 
ſchen Handels und der Wendung des rheinifchen Verkehrs, 
zur Nacht ſich neigte, Hatte kurz vor Luthers erfter Pre⸗ 
digt durch firenge Volksjuſtiz feine bürgerliche Luft gefäus 
bert (1514), empfand auch weniger tief Das Bedürfniß kirch⸗ 
licher Neuerung, gegen welche die heimifche Univerfität, als 
Berfechterin des Papſtthums, wenn auch mit den veralteten 
ſcholaſtiſchen Waffen rang; dennoch raudten in der Stadt 
frübreifer Geifteöfreiheit die erften Scheiterhaufen, verfpätete 
fih aber verhängnißvoll das Firhliche Erwachen. 

Während in allen Reichsſtädten, wenn nicht biſchöf⸗ 


326 Bierter Theil. 


289. liche Gewalt oder bie des Statthalterd des fernen Kaifers, 
as oder sömijchhlutiger Eifer nahgefeffener Fürſten fie ein- 
ichüchterte, der uralte bürgerliche Proteſtantismus fich regte; 
erkennen wir an fürftliden Landftädten, mit Ausnahme 
einiger norbdeutjcher in Niederſachſen, Meclenburg, Pom⸗ 
mern, Schleften, und bie und da Weftfalend, die Gebun- 
denheit ihrer Zuſtände. So blieb in der Mark Branden- 
burg beim Widerſpruch des altgläubigen Kurfürften Joachim 1. 
das erwachte Bedürfniß der reineren Lehre unerledigt; ſchwank⸗ 
ten die Gemüther in der Rheinpfalz; im Herzogthume der 
ſächſiſchen Albertiner durfte es fih nicht Fund geben; die 
Städte des Welfen Heinrich bewachten ihren reformatorifhen 
Drang; doch ſetzten Gemeindeausſchüſſe, wie zu Goslar, in 
Göttingen und Eimbed, den Volfswillen durch. Im Wirtem- 
bergifchen hielt ihn, wie in den habsburgiſchen Vorlanden, 
die Faiferliche Staithalterfchaft nieder; in Sachjen-Witten- 
berg, in Heflen dagegen verfolgte dad Werk der Kirchen- 
verbefferung auch in den Städten einen fuftematifchen Gang, 
da die Fürften aus Ueberzeugung und in Erfenntniß ihres 
Bortheild die Leitung deſſelben übernahmen. 
So war dad Bürgertbum in Folge feiner innerften 
Natur von Roms Satungen entweder ſchon abgefallen, 
oder nur durch die Strenge feiner Gebieter und mühſam 
vor dem Abfalle bewahrt; bereit8 erhoben die oberbeutfchen 
Meichsftädte auf Tagfahrten zu Speier und Ulm muthiger 
ihr Haupt gegen das herriſche Anfinnen der römifhgefinn- 
ten Bürften im Neichöregimente, welche ihren felbftwilligen 
Beichlüffen Rechtsverbindlichkeit ohne die Beiftimmung des 
ftäptifchen Beſtandtheils beilegten; als das fchauerliche Zwi⸗ 
Be Ihenipiel des Bauernkrieges den nationalen Aufihwung 
rien. verhaͤngnißvoll zu hemmen drohete. 


Sechstes Bud. 327 


Wir haben nur zu wiederholen, daß die Ländliche 2 Kap. 
Bevölkerung Oberdeutſchlands ſchon ein volles Gefchledts- 
alter Hindurch fh im Buftande der Proteftation, der Auf⸗ 
lehnung gegen den härteren Drud der geiftlichen Gebieter 
und des Feudalſyſtems, befonderd in Folge der Fehden, 
befand, und behaupten kühn, Daß die Lehren chriftlicher 
Freiheit durch Lie innerſte Nothwendigkeit des Gedankens, 
ſelbſt ihren Predigern unbewußt und wider die Abſicht der⸗ 
ſelben, den herabgewürdigten, zertretenen Gemeinfreien zur 
Abſchüttelung feiner Ketten aufriefen. Was, politiſch un⸗ 
fähig oder befangen, oder furchtſam und knechtiſch geſinnt, 
die Theologen hinterdrein als Mißverftändniß verlä- 
ſterten und verfluchten, war die göttliche Macht einer un⸗ 
trennbaren Idee, welche in ihrer Ganzheit die Seelen er⸗ 
faßte. In derſelben Lage wie die Bauern erblicken wir 
Bewohner kleiner, alter oder neuer Städte. Die Erfah⸗ 
rung zweier Jahrhunderte hatte Zürften und Herren bes 
flimmt, neuen ſtädtiſchen Anlagen nur dad geringfte Map 
bürgerlicher Breiheit zu gewähren, und herabgefonmenen 
älteren Orten, Acerftäbten, die ſich nicht vertheidigen konn⸗ 
ten, fo ſchmaͤhliche Pflichten aufzubürden, daß fih „Bür⸗ 
ger’, nad) deutſchem Begriffe freierer Tage, vom „Bauer 
nur gefchieden durch Zaun und Mauer‘, auch zur Zeit der 
perdunfelten ©emeinfreiheit unter einem Heerſchilde 
vereinigen durften. Seit dem Ende des XV. Jahrhunderts 
vernehmen wir in Fleinen Städten, deren Väter dem rhei⸗ 
nifhen Bunte ebenbürtig fich beigejellt, von Dienften und 
Brohnden, vom Befthaupt, ja von ausdrüdlih fo benann⸗ 
ter Leibeigenfchaft, von einer Hörtgfeit, welche in alemans 
nifchen, rheinpfäßzifchen, fränfifhen Städten noch am Ende 
bes XVI. Jahrhunderts abfaufbar waren. Wenn wir nun 


328 Viliierter Theil. 


2. Kar. wiſſen, daß die niedere Bevölkerung in Bifhofäftgen, an 
reich8abteilichen Orten, oft zugleich einer drängenden Ober- 
herrichaft der geiftlichen Beamten und rathöfühiger Familien 
unterlag, befremdet es und nicht, den Aufruhr der Bau- 
ern während der erften Monate d. 3. 1525 in den Schoß 
auch größerer, feftummauerter Städte aufgenommen zu 
fehen, wo, wie in Würzburg, Bamberg, Notenburg, 
Schweinfurt, die eine oder die andere, oder beide Ges 
walten fühlbaren Druck ausübten. Aber diefelbe Furzfich- 
tige und Herzlofe Politik, dieſelbe Gleichgültigkeit, welche, 
zu Gunften der Fürſten und des Adels, fhon nah dem 
großen Städtefriege den herrifchen Rath der fchwäbifchen 
Städte von den bäuerlichen Eidgenoffonfchaften getrennt 
hatte, und auf Seiten der Bauern verneinenden Grimm 
gegen ten gemeinfamen Urſprung hervorrief; Half auch da⸗ 
mals verhängnißvoll dem Herrenftande Die freiere Regung 
ber fleineren Städte mit ſammt den Bauernfchaften wieder 

cs unterjochen. So unfeliges Vorurtheil, erwachfen im Schoße 

m von Großmarkt- und Krämerftädten, genährt durch zünfti- 

Rädte. gem Handwerksneid, und fuftematifch ausgebildet durch Die 
römifchen Doctoren in mitten der Rathsgeſchlechter, gab 

dem Feldhauptmann des ſchwäbiſchen Bundes, dem Truch⸗ 
ſeß Georg, blutigen Andenkens, das Geld, das Geſchütz, 
die Kriegsvorräthe Ums, Augsburgs, ja ſelbſt des mild⸗ 
vorſichtigen Nürnbergs in die Hand, um ſeine unmenſchlichen 
Siege über die ſchwäbiſchen Bauern und über Schweſter⸗ 
gemeinden, wie Kempten, Memmingen, Dinkelsbühl, Hall, 
Wimpfen, Heilbronn, zu erringen. Nicht die kluge Ver⸗ 
mittelung der Bundesſtädte, ſondern ihr Kriegsernſt be= 
ſtimmte auch das Schickſal fränfifcher, altberühmtet Ge- 
meinweſen, bei denen wir einen Augenblick verweilen, zum 








Sechstes Bud. 3239 


Beweis des Zuſammenhanges der bäuerlichen Bewegung Ra. 





mit der ftäbtifchen, 

Rotenburg an der Tauber, aus hohenftauftfcher Zeit einen — 
ſtarken Beiſatz „erbarer Geſchlechter“ bewahrend, hatte im Ver⸗ 
faſſungoſtreite d. J. 1455 zwar einen demokratiſchen Zuſchnitt 
erkaͤmpft, einen Inneren Rath von 15 Perſonen, zur Hälfte 
Erbare und Handwerker, der den Aeußeren Rath, von 40 in 
gleiher Zufammenfegung, wählte; aber fchon lange vor 1525 
waren die Zünftler aus dem Regimente verdrängt. Argwohn 
und Troß gegen die Eingriffe des Bifchofs von Würzburg, als 
anmaßlichen Herzogs von Franken, erleichterten früh bie 
Iutherifche Predigt (1523); Karlftadt, der verfolgte „Irr⸗ 
lehrer‘, fand entfchloffene Anhänger in dem Hauptorte 
feiner fränfiihen Heimath, und Schuß bei den Handwer⸗ 
fern, welche ihre verfaffungsmäßigen Rechte nicht vergeflen;; 
felbft einen ehrlichen Gönner am Altbürgermeifter. Als 
nun die Rathsgeſchlechter dem Volkswillen wideritrebten, 
und die ftreitbaren Bauern im weitläuftigen Rotenburger 
Gebiete dem Zreiheitörufe aus Oberſchwaben Folge leiſte⸗ 
ten: mußten die erfährodenen Herren erft einen Ausfhuß 
son XLIE zur DVermittelung mit dem Landvolke gefchehen, 
und denfelben neben dem Aeußeren Mathe über die Bes 
fhwerbe der Gemeinde und der Bauern entfcheiden lafſen 
(Ende März 1525). — Unter ber furditbaren Erhebung 
des ganzen Sranfenlanded ward dann um Oftern 1525 in 
Notenburg das alte Kirchenthum umgeftoßen, der Ausſchuß 
verftärft, dem neuen Mathe eine Zahl volfsthümlicherer 
Männer beigeſetzt, enblih, während ber „helle Hau⸗ 
fen‘, da8 Heer der Franken, die Entjcheitung des poli⸗ 
fh wie religiöfen Kampfes in Würzburg fuchte, die 
Berbrüderung der Stadtgemeinde mit der ,, evangelis 


330 Bierter Theil 


Kay. ſchen“ Bauernfhaft gegen den Willen der Erbaren be- 
ſchworen. 

un Wie konnte Schweinfurt, das feit Jahrhunderten die 

Rädte. zohefte Mißhandlung durch übermädtige Landesherren ers 
buldet, wie Bamberg, deffen bürgerliches Gemeinwohl, bei 
reihen Quellen auch des geiftigen Lebens, bejonders im 
Laufe des XV. Jahrhunderts blutig verfümmert war, ver⸗ 
geblih das große Loſungswort der Zeit vernehmen? Im 
beiden Hatte das Volk der neuen Predigt begierig gehorcht, 
und darum die Bauern ald Verfechter der uralten fränfis 
fhen Gemeinfreiheit willig aufgenommen. Selbft in Frank⸗ 
furt, wo dad Patriziertfum eine leidliche Gewohnheit ges 
worden, gährte e8 in den Gemüthern, ward ſchon am 15. 
April der alte Rath flürmifch abgeſetzt, dem neuen eine 
Berwaltungsbehörde von XXIV Männern zur Seite geftellt, 
und Lie ältere Freiheit der Bürger gewährleiflet. Ja in 

Meinz. Mainz, das faft verdumpft war durch das Uebermaß feiner 
Zeiden, erhoben fih, unter dem willensfräftigen Aufftande 
ber Aheingauer, die geheimen Anhänger der Predigt am 
25. April, bemädtigten fid, mit der geharntichten Bürger- 
fhaft vereint, der Thore und Thürme, und zwangen bie 
angftvolle Priefterichaft, ihnen vertragemäßig unverjährte 

2er echte zuzugeftehben. Würzburg endlich, der Sig der an⸗ 
” maßungsvollen bifhöflichen und herzoglichen Gewalt Oſt⸗ 
franfens, deffen dreihundertjährige Gedichte mit dem Blute 
bingefchlachteter Bürger gefchrieben war, hatte unter der, 
leider zu kurzen, Megierung des Biſchofs Lorenz (1495 — 
1519) die Anfänge der Kirchenreformation freudig begrüßt, 
dann unter dem Beginne Konrad von Thüngen, eines 
würdigen Genoflen Georg des Truchſeſſen und des Marks 
grafen Kaflmir, heißen Bürgermuth gefaßt, ald der Sturm 


Schstes Bud 331 


in den Landgemeinden und kleinen Stiftsfläbten ausbrach, ? Kav. 
und ber Grimm der niederen Bevölkerung, im Widerfprud 
mit dem furditfamen, tüdifhen Mathe, beim Anrüden bed 
„evangeliſchen“ Heeres, den verlaffenen Purpurträger zur 
Flucht nad) Heidelberg zwang (6. Mat). Der fefte Frauen⸗ 
berg über ber Stadt blieb der DVertheidigung ded Dom⸗ 
propfted und einer Anzahl treuer Dienftmänner; ihn, als 
das letzte Bollwerk der gehaßten Prieflerfchaft, zu überwäl⸗ 
tigen, traf der helle Haufen der Franken, alle Klöfter und 
Adelshäufer auf feinem Wege zerftörend, am 7. Mai in 
Heidingsfeld zufammen, und fchloß den Bund mit Würz- 
burgd Bürgern, „einander nicht zu verlaffen, bis U. L. 
Brauenberg erobert fei’. 

Selbſt von den hartfinnigften Feinden gewaltfamergläneber 
Bolfderhebung ift eingeftanden, daß die 12 Artifel der 
fränkifhen Bauern die Bedingungen eined befceidenen, 
menfchenwürbigen, veredelnden, aber dennoch verfrüheten 
GSefellichaftözuftandes begriffen. Ein Zweites war bie 
politifhe Umgeftaltung des Reichs, zu welcher die hellften 
Köpfe der Franfenbauern fih berufen fühlten, und deren 
Verwirklichung aud das ftädtifche Element, feit nahe einem 
halben Iahrtaufende der Inbegriff verfümmerter Gemein⸗ 
freiheit, befeitigt haben würde. „Der Schwanberg follte 
mitten in der Schwyg liegen”, war jeßt der prophetiiche 
Traum, den die Brankenbauern in ihrem Sinne auf 
fapten, wie 150 Jahre früher die Reichsbürger. Eine 
Kette ländlicher Eidgenojjenfchaften, unter eines Kaiferd 
machtvollem Gebote, bei freier Uebung der gereinigten Lehre. 
follte die Länder des fränfifchen und fchwäbifchen Stammes 
vereinen; keinen Raum fand felbftverftändlih die Gewalt 
geiftlicher und weltlicher Fürſten und des Adels; aber au 


332 Bierter Theil. 


2. Kap · der Verband des flädtifchen Lebens mußte ſich auflöfen, 
Mauer und Bürgerhaus ſinken, und das Privilegium 
des Bürgerthums, weldes bereits ſich ſelbſt überlebt 
hatte, an die ebenbürtige Gefammtheit verloren, ald all- 
gemeined Gut wieder zur Geltung gelangen. Wie un 
vollfommen und roh, wie zur Vernichtung aller hohen geiftie 
gen Intereffen diefe Rückkehr in das urfprüngliche Germanen⸗ 
thum ausgefchlagen wäre, läßt fich hinterbrein beifällig be= 
Haupten, nachdem fo ungeheure Pläne in der Geburt er⸗ 
ſtickten. Ob aber der Genius der Deutichen frohlockte, als 
damals alles anders fiel, die bäuerliche Freiheit er- 
würgt, die ftädtifche allgemach entkräftet, der religiöje Zwies 
fpalt unheilbar in das innerfte Nationalleben geſenkt wurde; 
dagegen die Iandesfürftliche Gewalt vielföpfig erwuchs, des 
Reiches Einheit ‚mit dem Gedanken an ein gemeinlames 
Baterland verfhwand, und Fremde fih gewöähnten, das 
Schickſal eined Volkes, das die Welt nach feinem Geifte 
geftaltet, zu entfcheiden; mögen wir bier nicht erörtern. — 

Amos Ehenjowenig führen wir aus, wie das eigenfinnige 

Kienes Beharren der Bauern bei der Belagerung des Frauenberges 
jene Gunſt des Augenblided, welder ihnen ihre 12 Ar⸗ 
tifel gewährleiftet, verhängnißsoll dahin gehen ließ. Jenes 
unfelige Blatt der deutfchen Geſchichte brauchen wir nicht 
aufzurollen. — Bwifchen dem 13. und 15. Mai 1525 
neigte fih das Zünglein der Wage zu den Fürften und 
dem Adel. Nürnberg, das mit bewunderungswürdiger 
reichsftädtifcher Politit durch alle Gefahren fih gewunden, 
berubigte feine Bürger und Bauern durch Mafregeln Zuger 
Machgiebigfeit (23. Mai); ein trüglicher Waffenſtillſtand 
lähmte den Aufihwung im Bambergifchen (27. Mai); die 
Franken zogen von Würzburg ab, am Tage nad) dem Siege 








Schstes Bud. 333 


des Bundesheeres bei Königshofen (2. Juni), verrathen Ra 
von der tückiſchen Stadtobrigkeit, weldye, gegen Preisgebung 
ber Fremden, im geheim fih Straflofigkeit erfauft hatte; 
am 8. Juni unterwarf fi jene Gemeinde entwaffnet dem 
einreitenden Bifhof auf Gnade und Ungnade, und begans 
nen Die Blutgerichte im Stift und im Marfgrafenthum. 
SJegt erhoben Rotenburg „Erbare“, nachdem fte fchon 
am 7. Juni ihren Gehorfam den flegenden Bundesfürften 
verfündet, freudig ihr Haupt; die fehuldigften Bürger, welche 
in altdeuticher Geradheit zur Zeit der Oberhand die Junker 
gefhont, wanderten aus; bereitd am 16. Iuni erflang wies 
der Meßgeſang und Vesper in der Hauptkirche zu St. Jacob. 
Nichtödeftoweniger zog am 28. Juni Markgraf Kaflmir mit 
ftarfem Bundesvolf in Rotenburg ein, um für den Truch⸗ 
feß dad Strafamt an den Frevlern zu vollſtrecken, deren 
Namen der Innere Rath mit bereitwilliger Umſicht ver- 
zeichnet hatte. — So folgte denn in Notenburg eine blu⸗Reaction. 
tige Reaction der PBatrizier, ſowohl gegen die Prediger, als 
Berführer, ald gegen die „ausgehaͤmmelten“ Gemeinde 
glieder; felbft der gefürchtete Gerichtsvollſtrecker, Markgraf 
Kafimir, konnte das Leben Stephand von Menzingen nicht 
erbitten, den die alte Rathspartei um jo grimmiger haßte, 
weil er, wie der ausgewichene Bürgermeifter, der Volks⸗ 
ſache gegen die Intereffen feines Standes Bahn gebrochen. 
Hinrichtungen und Verſtümmelungen dauerten noch im fol: 
genden Jahre fort, und der neugebildete Rath wußte jede 
Spur der Bewegung zu vernichten, ungeachtet er, Durch die 
befchädigten Evelleute hart befehdet, waffenfreudiger It» 
faffen beburft Hätte. Im Stifte Würzburg hielt nad ber 
erften heißen Genugthuung feines Strafeiferd der Biſchof 
mit dem Henker die eigenthümlichfte Viſitationsreiſe und 





334 Bierter Theil. 


Rap. zwang durch feine Schergen alle Fleinen Städte, der alt» 
hergebrachten germanifihen Gemeinfreibeit, jelbft dem Waf- 
fenrechte und den fihügenden Ringmauern, zu entjagen. 
Während fo die Strenge des Bundesgerichts, ohne beſon⸗ 
dere Faiferliche Vollmacht, auf den verbächtigen fränfifchen 
Städten Taftete, auch Heilbronns ſchlaffes Gefchlechterregis 
ment ben liebermuth der Fürſten und Landeöherren em⸗ 
pfand, Hatten ſich, bis auf Die hartnädigen Bewegungen 
im Erzftift Salzburg, alle ober= und mitteldeutichen Ge- 
meinweſen gebeugt, den Geiftlihen zumal, wie in Worms 
und Speier, die entwuntenen Freiheiten wieder einges 
räumt, und Mainz wie Trier ihren kurzen Traum bürger- 
licher Unabhängigkeit gebüßt. Weißenburg im Elfaß gab 
da8 Ickte Beifpiel tapferen Bürgermuths, felbft noch als 
die Kurfürften, Ludwig von der Pfalz und der fanatifche 
Richard von Trier, mit ihrem Gefchüge vor der Fleinen 
Meichöftadt erfchienen; das heilige Köln, das noch den 
Ruhm als treue Tochter der römischen Kirche im Wappen 
führte, hatte in bürgerlihe m Getümmel die Krämpfe der Zeit 
berfpürt, und mußte einige Jahre fpäter, gegen die anfäng- 
fie Weigerung des Senatd, auf des Kaiſers Gebot den furcht⸗ 
barften Dominikaner als Inquifltor walten Iaffen (1529). — 
Ueber die Landſchaft Buchen, die Stifter Fulda und Hers- 

in feld, und den an Franken grenzenden Theil Thüringens, 

en beſonders das Sennebergifche, wo Landgraf Philipp von 
Heffen oder der neue Kurfürft von Sachſen, Johann, mit 
ihrer Nitterjchaft den Aufftand der Städte und Bauern 
unterdrüdten, ſchwächte fih die politifhe Energie ber 
fämpfenden Ideen merflih ab, und trat im nordweftlichen 
Thüringen und unter dem Harze nur als eine verzückte 
Religionsſchwärmerei hervor, welcher der büftere, unheim⸗ 








Sechstes Bud. 335 


liche Thomas Münzer, in Nahbildung der erften Chriften- 2:8. 
gemeinde, eine communiftifche Färbung beigefellt. Die Aufn, 
noch immer wohlhäbtge Reichsſtadt Mühlhauſen, feit lan⸗ 
gen Jahren erbittert, daß ſie, ungeachtet des Schutzgeldes 
an mächtige Nachbarfürſten, wie die Wettiner und Welfen, 
den Unbilden des Raubadels preisgegeben ſei, hatte den 
unſtätten und verfolgten Prediger in ihre Mauern aufge⸗ 
nommen. Als die Herren des Raths ihm wehrten, Hatte 
das geringere Volk, wie überall, Lie herriſche Obrigkeit 
entfeßt, das geiftliche Gut eingezogen, und jenen eigen» 
thümlichen Staat, das Vorſpiel des Wiedertäuferreihs in 
Münfter, errichtet, an deſſen Spige der Prophet, zugleich 
mit weltlicher Obrigkeit betraut, feine verlodenten Träume 
unter die geiftesarmen, religiös aufgeregten Bauernſchaften 
der Umgegend verbreitete. Schon waren altehrwürbige 
Klöfter in der Güldenen Aue und weit in Thüringen, aud 
Nordhauſens Ludolfingifche Heiligthümer, beraubt und zer- 
brochen, und Branfenhaufen, eine damals reiche Stadt, 
Der bewaffnete Haltpunft des fanatifchen Reichs geworben ; 
da führte Landgraf Philipp, eben mit der Empörung in 
Fulda und Hersfeld fertig, nebfl dem Welfen Heinrih und 
dem Kurfürften von Sachſen in jene wildzerrüttete Landſchaft 
ein Heer von Vafallen und frieggeübten Söldnern, aus deren 
Seelen Luthers und Melanchthons Fluch und herzlofe Kreuze 
predigt gegen die Bauern jedes Erbarmen geſcheucht. Lernfähig 
hatte der Lantgraf von der Iutherifchen Theologie ſchon fo 
viel ſich angerignet, daß er feinen getuldigen Heſſen ein⸗ 
ſchaͤrfte: „keine Urfache fei genugfam, Aufruhr zu pretigen 
gegen die Obrigkeit‘. Bei Sranfenhaufen wurden denn 
am 15. Mat 1525 tie armen, wahnflnnigen Haufen, welde 
fingend den Beiftund himmliſcher Schaaren erwarteten, durch 


336 Bierter Theil. 


2a. das fürftliche Geſchütz niedergefchmettert, und wie das Vich 
erwürgt; in Frankenhauſen wateten die edlen Krieger im 
Blute der gefammten männlichen Bevölkerung. Der ſchwach— 
müthige Prophet war in die Hand feiner Richter gefallen; 
dagegen fchienen, unter Johann Pfeifer, des flegträumen- 
den Mönche, Leitung, die wohlgerüfteten Muhlhäufer ihre 
feſte Stadt vertheidigen zu wollen. An drei Orten um- 
lagert, bereit, die Stürmenden zu empfangen, ließen fe 
ſich gleichwohl zu Unterhandlungen mit dem milden Kur- 
fürften bewegen. Pfeifer floh darauf mit den entſchloſſen⸗ 
au fien Männern; aber Kurfürft Johann wied die demüthige 
Gt Erbietung ab, und nachdem mehr ald Taufend Frauen und 
Jungfrauen, barfuß mit Wermuthfrängen im Haare, ver- 
geblih um Schonung gefleht, mußte die gejammte männ- 
liche Bevölkerung Eniebeugend den Fürften die Stadtſchlüſſel 
überreichen. Mit ihren Neiflgen über die niedergeworfenen 
Thore und Mauern eingeritten, legten fie der Reichsſtadt 
eine ungeheure Brandſchatzung und ein jährlihes Schuß 
geld auf, verurtheilten Diefelbe zur Entſchädigung der be= 
nachbarten Edelleute, und entkräfteten unter Dreifacher unbe- 
rufener Schirmberrfchaft das einft fo ſtarke Gemeinwefen für 
alle Zeiten. Des Kaiferd Unwille hemmte ſolche Willkür nicht. 
Danzig, Im übrigen nördlichen Deutfehlande gab ſich die fie- 


Stral⸗ 


pin: berhafte Erregtheit der Zeit nur in einzelnen Zeichen kund; 


ine zu Stralfund als Kirchenbrechen und rafender Bilderfturm, 
930° unter getümmelvoller Erhebung der Demokratie; im fernen 
Danzig geftaltete fi, der Drohung des Königs von Polen 
zum Trotz, der Staat dur feine XLVIII als lutheriſch 
und demofratifch; im Ordensgebiete ſchwangen die Zuflände, 
unter drängender Theilnahme der Städte, beſonders Kö⸗ 


nigsbergs, und unter dem Haſſe des Volks gegen die 





Sechstes Bud. 337 


Mönchsritter, fo raſch fih um, daß ein ‚weltliches, Tuthe- 2m 
riſches Herzogthum daraus hervorging (April 1525), wel- 

ches den Ständen, zumal dem Bürgerthume, hohe Brei- 

heit gewährleiften mußte. 

Aber ungeachtet die Fatholifhe Mehrheit im Reiche, 
namentlich die fürftlihen und geiftlihen Mitglieder des 
ſchwaͤbiſchen Bundes, die neue Lehre als Urfache des graus 
envollen Aufftanded verfolgten, nahm die Reformation, bis 
auf jene gefchlofienen Territorien, felbft in den hartges 
zühtigten Städten unhemmbaren Yortgang, gerade weil 
die Anhänger Luthers die Verweigerung bed „Wor—⸗ 
tes“ als Grund ber politifhen Bewegung auffaßten. Die 
Selbfifläntigfeit der Reichs- und freieren Landſtaͤdte, wie Voltheile 
Magdeburgs, Vraunſchweigs, der laufigijchen Scheftätte, un, 
auch Breslaus, das wunderbar fehnell feinen römifchen Aue 
Starrfinn verleugnet hatte, gewann in doppelter Be 
ziehbung. Einmal erledigten fie ſich durch kühne Selbft- 
beftimmung bes läfligen Widerfpruchs ihres Klerus, made 
ten denfelben zu gefügigen Bürgern, und wuchſen an ma- 
terieller wie innerer Kraft, indem fle das geiftliche Gut zu 
Gemeinbebebürfniffen einzogen, Schulen und Hoßpitäler, 
Armenpfleganftalten ſchufen, und die bifhöfliche Gewalt 
mit der bürgerlichen Öbrigfeit vereinigten ; zweitens, 
indem fte, unter den Vorboten eined altgläubigen Gegen- 
bundes, bie Fürſten, jene alten Gegner der bürgerlichen 
Autonomie, zwangen, ihren Beifland ale Gleichberech⸗ 
tigter aufzufuden. Denn rafcher fchritt die große Ent⸗ 
zweiung vorwärts; der Eatholifchen Verbindung zu Negend- 
burg ftellte fich erft der Bund Kurfachfend und Heffens zu 
Gotha, dann der wachſende Verein zu Magdeburg (Iunt 
1526) entgegen, in welden ‚Bürgermeifter, Rathmannen 

Barthold, Städtewefen. IV. 22 


338 Bierter Theil. 


2.Rap. und Innungsmeifter” jener keineswegs unmittelbaren Stadt 
Aufnahıne fanden. Nürnberg, Augsburg und Ulm vers 
folgten befonnen ein gemeinfames Ziel; in Norddeutſch⸗ 
land wie in der Schweiz drangen die neuen Ueberzeugungen 
auch formaler hervor, während freilich Oeſterreich, riefiger er= 
wachen durch den Beſitz der böhmiſchen Krone (1527) und des 
getheilten ungarijchen Reihe, mit Baiern und den anderen 
ftreng katholiſchen Käufern, mit den geiſtlichen Fürſten in 
blutigen Unterdrüdungöverfuhen der Evangeliſchen wett» 
eiferte. Leidiger Zwiefpalt in ber Lehre bebrohete inzwi⸗ 
fihen die Verftändigung und den politifhen Einmuth ber 
Zwingtl reformatoriſchen Minderheit; Ulrich Zwinglis unabhängiger 
Sowei Forſcheifer, in Zürich ſchon feit d. I. 1519 erwacht, drängte 
pibten, feine Mitbürger, einen eigenen Weg zu gehen, und nad) 
dem i. 3. 1527 der Große Rath fein Net, den Kleinen 
zu befegen, wieder an ſich genommen, aud das ariftofra- 
tiihe Bern i. 3. 1528 die Anhänger tes alten Glaubens 
aus dem Megiment entfernt, Bajel i. I. 1529 jeine zünf 
tifche Verfaffung Eraftnoll erneuert, Schaffhaufen, St. Gal⸗ 
fen und Mülhaufen burchgreifende Reformen angebahnt 
hatten, bildete ſich eine „chriſtliche Verbürgerrechtung“, welche 
die Zwinglifhe Auffaffung flreitiger Dogmen dem nord 
beutichen Lutherthume verhängnißvoll gegenüberftellte. — 
Karla V. Sieghaftigfeit über alle feine Feinde, der Friede 
zu Kamerik (Juli 1529) gab dem „‚gefrönten” Kaifer 
Muße, feine große Stellung auch im deutſchen Kirchen- 
ftreite anzujprechen, welder auf dem jüngften NReichötage 
zu Epeier (Brühling 1529) Die entjchlojfenfte politifche 
Broteftr Parteiung fund gegeben. Erbittert durch die Gewaltthä- 
Epeie. tigkeit auch des ſchwäbiſchen Bundes gegen kirchlich abfäl- 
lige Bundeöftädte, wie Memmingen, verwarf die evan- 


Schstes Bud. 339 


gelifche Minderheit ter Reichéſtände die Beſchlüſſe dert. Re. 
Mehrheit in „Gewiſſensſachen“, und vollzog jene welt« 
geichichtliche Proteftation (April 1529). Furchtſam traten 
vor der urkundlichen Beſchwerdeſchrift mande Glieder der 
fonft einmüthigen Städiebant, Eleinere wie Notweil, Ra⸗ 
vensburg, felbft größere, wie Köln und Frankfurt, zu- 
rück; 14 dagegen, aud Lie zwingliich gefinnten, blieben 
ftanthaft: Straßburg, Nürnberg, Ulm, Konftanz, Lindau, 
Memmingen, Kempten, Nördlingen, St. Gallen, Heil⸗ 
bronn, Meutlingen, Isny, Weißenburg und Windsheim, 
entichloffen, gegen jegliche Gewalt von Eeiten der Mehr- 
beit fih zu vertheidigen. Geichäftig arbeitete man nun 
an der Geftaltung des Schutzbündniſſes, auch unter der 
Entzweiung über die Lehre, der Bedrohung der Reichs— 
grenze durch die Osmanen, die eben an Wiend Mauern 
fi) die Stirn zerftiegen. An jenem ewig denfwürdigen Tage per 
zu Augeburg, wo ter Kaiſer ſich vermeflen, die Zerrüttungruncatß, 


Der deutſchen Welt zu Heilen, vertrat Nürnberg mit dem 
Heinen, kecken Reutlingen die Bekenntnigichrift, welche Die 
„‚proteftirenden Stände‘ überreichten (25. Iuni 1530). Die 
Herren von Augsburg, jo weit fie, gedrängt durch die Zünfte, 
im Reformationdwerfe fortyefchritten, ſcheuten noch ehrfürd- 
tig die perfönliche Anwefenheit des erwählten Oberhauptes; 
alle anteren proteftirenden Städte blieben unerfchüttert bei 
der gedroheten Latjerlichen Ungnade, auch Magdeburg, 
das freilich nicht auf der Neichöverfammlung erjcheinen 
durfte. Nur ſchwächte ten Eindruck fo freudigen Muthes, 
dap die vier zwingliidh gefinnten Stätte, Strapburg, Mem⸗ 
mingen, Lindau und Konftanz, ihre befondere Befennt- 
nißſchrift eingaben; aber dennoch mit den anderen, felbft 
Augsburg, deffen Kleiner. Rath deohalb den Größeren, bie 
22* 


340 Vierter Theil. 


Rap. Gemeindevertretung, berufen, die Unnahme des Reichsabſchieds 
verweigerten. Unter dieſen 14 Gemeinweien, den Pflegern 
der SKirchenverbeflerung, befanden fih die reichften und 
blühendften, Straßburg, Ulm, Augsburg, Nürnberg, jest 
auch Frankfurt und Schwaͤbiſch⸗Hall. — Karls Entfchluß, 
feinen Bruder Ferdinand, König von Böhmen und Un= 
garn, welcher 1. 3. 1522 ald Regent von Oefterreih im 
Blutgericht zu Wieneriih-Neuftadt die hartnädige ftändifche 
Freiheit der Wiener erftidt hatte, und in deſſen Namen 
graufame Verfolgung der neuen Lehre erging, zum römis 
hen König wählen zu laffen, einigte im tiefen Winter 
d. 3. 1530 die proteftantifchen Fürften und einige Städte 

Songhin Schmalkalden, den Grund ihres Bundes zu legen. 

Bund. Magdeburg und Bremen offenbarten, beim Schwanken 
anderer, die muthigfte Haltung; aber ehe der verhäng- 
‚nißoolle Bund ſich fefter zufammenfügte, mußte Zürichs 
und der helvetifchen Bürgerftädte Kampf gegen die fünf 
alten Orte bedrohlich fi anfünden; Straßburg, mit jenen 
verbürgerrechtet, feine dogmatiſche Befreundung mit den 
Zwinglifhen mäßigen; worauf denn die Vierſtädte des 
Oberlandes, nebft Ulm, Biberah, Isny und Neutlingen, 
ihren Berwandten, im März 1531 in den Berein zur 
Gegenwehr aufgenommen wurden. Da entbrannte der 
mörberifhe Bruderfampf unter den Gründern bed alten 
eidbgenöfftifhen Bundes und feinen erften Zugewandten; 
vereinzelt ob ihres Firchlichen Starrfinnes fiel Zürich Ban- 
ner mit dem Üeformator gegen den wilden Fanatismus 
der fünf Orte, bei Kappel (Ortober 1531); die Wieder- 
beritellung des Katholicismus auf beftrittenem Boden trug 
die unheilvolle Zufunft der Schweiz in ihrem Schooße. In 
Bolge jener betrübenden reignifje fchritt auf der Ver⸗ 





Sechstes Bud. 341 


fammlung zu Norbhaufen (November 1531) der Bund der. 2. Ra. 
Proteflivenden auch in Hinſicht der Kriegsordnung weiter. 
Da eine Revolution im Stile der Zeit endlih auch das 
Bolt von Lübeck freigemadht, wie wir noch hervorheben 
werden; Braunfchweig, Göttingen, Goslar und Eimbed 
dem Bündniffe beigetreten, alfo 14 Städte, fämmtlich auf 
demokratiſcher Grundlage, den bürgerlichen Beſtand deſſel⸗ 
ben bildeten: fühlten fie mächtig ihre Bebeutung und muß- 
ten die Fürften nadgiebig die Stimmen im Bundesrathe 
und die Leiftungen mit ihnen ausgleichen. Ilm einen Aus- 
Schlag bei Stimmengleichheit beider Theile möglih zu 
machen, errichtete man neun Stimmen, vier zwifchen Sach⸗ 
fen und Heſſen, vier zwifchen den Städten getheilt; die 
neunte follte den übrigen Fürften und Herren gemeinſchaft⸗ 
lich fein, auch die Beiträge gleichmäßig veranfchlagt werden. _ 
Bereits fuchten bebrohete Städte am aͤußerſten Saume der 
deutfhen Welt, Riga, Reval und Dorpat, gegen ihren 
Erzbifchof Schuß beim Bunde, 

Noch einmal rief.die erneute Gefahr der Öfterreichifchen . 
Vorlande durch die Osmanen Duldung und Einmuth unter Bei 
den erbitterten Parteien hervor; Kaiſer Karl verlieh im den. 
Auguft 1532 den erften Neligionsfrieden zu Nürn- 
serg, und ed wetteiferten zumal bie Städte, burd ihr 
trefflih gerüftetes Aufgebot die Ungläubigen vom Boden 
des Reichs zu ſcheuchen. Nürnberg, Augsburg und Lübeck 
thaten das Befte, und Sebaftian Schärtlin von Burten- 
bad, Augsburgs Bürger und Hauptmann, erndtete hohe 
Ehren. Aber die Entzweiung erftarkte wieder an der großen 
europäifchen Oppofltion gegen Defterreih; der fdhwäbifche 
Bund, Habsburgs Hauptitüge im oberen Lande, erloſch 
mit d. I. 1533; der heiße Kriegemuth des Landgrafen 





342 Bierter Theil. 


2.2. Philipp und feine rückſichtsloſe Politik entrig der altgläu= 
bigen Partei und dem Saijerhauje das Herzogthum Wir- 
temberg, Mai 1534; der Friede zu Kadan verfhob nur 
den Ausbruch der Rache auf günftigere Zeit. Denn Diefe 
entfchiedene Niederlage des Vorfämpferd für das Alte trieb 

ucng a ulinentfäloffene über das letzte Bedenfen hinweg; Augs- 

— burg duldete weder papiſtiſche Predigt noch biſchöfliche Be— 

u fugniß in feinen Mauern; Weißenburg im Wasgau und 

Srädten grankfurt traten entichloffen über; Pommern, beffen Haupt⸗ 
ftäbte bis auf Greifswald, den Eig der Hochſchule, längſt 
die Feſſeln abgeftreift, ging im Wideriprud mit der Rit- 
terfchaft und den Prälaten auf dem Landtage zu Treptow 
(December 1534), als Acht Iutherifche Landeskirche hervor. 
Sp faft gang Norddeutfchland, ſchwankender in Weftfalend 
Städten, bei denen wir verweilen müffen, um eine wun⸗ 
derbare Ausartung derſelben politiich = firchlichen Grund 
füge im Saſſenſtamme Daheim und in feiner vornehm⸗ 
fien Kolonie, Lübeck, nachzuweiſen. 

Hinter Lippftadt, Lemgo, Herford, Osnabrück, welde, 
nicht ohne Kampf mit den Biſchöfen, Landesherren, dem 
Adel und mit der bürgerlihen Obrigkeit, früh dem allges 
meinen Drange fich hingegeben, blieb allein das reichäfreie 

Dart Dortmund zurüd, indem ed, von Geſchlechtern regiert, 
“und gleihfam eingeroftet im hiftorifchen Aberglauben, fein 
Tarlingifches Vorreht des oberfien Bentribunals, feinen 
Königsftugl einzubügen fürdhtete, wenn es nicht eifrig bie 

Soeſt. ketzeriſchen Neuerer verfolgte; Soeſt dagegen, die Land» 

fladt, Hatte mit gleicher Kühnheit Kirche und Staat be 
ftimmt. Vermöge feines altgefchichtlichen Bewußtſeins der 
Hanfa noch anhängig, Doch allmälig verdunkelt als Recht: orakel 
und Oberhof für bie Töchtergemeinden, voll nachhaltiger 








ö— — —— u" 7 


Sechstes Bud. 343 


Abneigung gegen die geiftliche Herrſchaft, durch wandernde 2. Kap· 
Kaufleute und Handwerker in Verbindung mit der bewegten 
Fremde, in Bolge noch merflihen Reichthums mit üppigen 
Säften erfüllt, welche leicht Bäulnig droheten, ſah das 
Haupt der Engern fhon um 1525 einen Bund der „Eid⸗ 
gefellen‘ erwahlen, deren Aufgabe war, die Tutherifche 
Lehre zur Geltung zu bringen. Unter ihnen befanten fi 
einige Geſchlechter, reiche „Salziunker“ von Saſſendorp, 
die ihre Erbgeſellſchaft läͤngſt in die ſicheren Mauern ver⸗ 
legt hatten, und den Schüler Albrecht Dürers, Hinrik Als 
degrever, Meifter mit dem Pinfel wie mit dem Grabftichel, 
nad ihrem etwas derben Geſchmacke zu beichäftigen Tiebten ; 
auch Buchdrucker, des fpäter befpöttelten Namens ber 
„Ballhorne“, gab es bereitd vor 1523; fonft aber waren 
jene ,Eidgefellen‘’ wohlhäbige Handwerker, „Hoverer“ 
(Burrichter), jetzt Kapitäne genannt, als Waffenvorfteher 
der Hoven und der Scübenbrüder von St. Patroflus. 
Dennoch hörte man erfi um 1530 auf Gaſſen und in den 
Häufern Iutherifhe Sangweifen, zum Aerger der Etiftd« 
herren, und freie Predigten in den Pfarrfirhen, Denen 
frudhtlo8d der Alte und Neue Rath, die Zwölfer in patri« 
zifcher Sorge einen berühmten Mönch aus Köln entgegen- 
gelett hatten. Inzwifhen war im DVolfe auch die Erin» 
nerung an die verdunfelte Verfaffung erwacht, deren heilige 
Urkunde, die „Alte Schrae”, jene Patrizier dur den 
frechen Stabtfchreiber, Jasper van der Borch, den Augen 
zu entziehen gewußt. Da entftand denn am 21. December 
1530, ald der Bürgermeifter Johann Gropper, Vater bed 
berühmten Theologen und fpäteren Kardinal, damit ums 
ging, den Tutherifchen Prediger auf dem Wege zur Kanzel 
der „Alden Kerke“ gefangen zu nehmen, über fo offenen 








344 Bierter Theil. 


2.Rar. Bruch bürgerlicher Freiheit, unter Sturmgeläute ein gefähr- 
lihe8 Getümmel; die ‚Herren‘, gemißhandelt und drei 
Tage lang auf dem Rathhauſe eingefperrt, wie die PBrä- 
laten von St. Patroklus, fügten ſich erfchroden, und fo 
wantelte fi, nad) Vorbild Hamburgs, Lübecks und Braune 
ſchweigs, der öffentliche Gotteödienft zu Soeft im Berlauf 
des Jahres 1532 entfchieden proteflantifch um, jedoch noch 
ohne Gewalt am Münfter und den Klöftern. Gleichzeitig 
erneute fich Die Demokratie ; die entwendete Schrae erſchien 
wieder, und ward zeitgemäß mit Beftlimmungen vermehrt, 
bie theild den Klerus unter Bürgerpfliht beugten, theils 
beurfundeten, daß die Handels- und Gewerbeftabt gemad) 
wieder zum Ackerbau der „Soſaten“ zurückgekehrt fe. Daß 
Soeft nicht mit feinem befferen Rechte, wie Magbeburg 
und die welfifchen Landftädte, in den ſchmalkaldiſchen Bund 
trat, hinderte allein das fächftihe Kurhaus, weldes fid 
mit dem fihlaffen, unentichloffenen Johann II., Herzoge 
bon Kleve, ſoeben verfchwägert hatte. ALS der Landesherr, 
durch die Geiftlichkeit aufzereizt, drohend die Abflellung Der 
Reformen forderte, erinnerten ihn die Bürger an ihre freis 
willige Unterwerfung, an den Erbreceß; „über ihr Gewiſſen 
ftehe dem Fürften Feine Gewalt zu‘. Aber auf halbem 
Wege Eonnte, unter bämifchen Angriffen und Neckereien 
der römijchen Partei, bei der Reizbarkeit der Prediger, bie 
Sache nicht fiehen bleiben. Aufgefordert, die neue Lehre 
anzunehmen, wenn fie diejelbe nicht widerlegen Tünnten, 
beugten ſich fcheinbar die Stiftsherren, verließen jedoch 
(März 1533) größtentheild die abgefallene Stadt, und 
hegten gegen die Ketzer am kleviſchen Hofe und in Köln. 
Noch hatte der patriziſche Rath dad Regiment in Händen, 
und hoffte fein Anfehen wieder zu befefligen, indem er gleich 











Sechstes Bud. 345 


nah Oſtern 1533 fünf Männer der Bolköpartei, die er Kap. 


grimmiger haßte, wegen unerheblicher Schmachreden, vie 
fie fih auf der ‚„Rumenei” beim Weine erlaubt Hatten, 
verbaften Tieß, und, nach peinlich erpreßtem Geſtaͤndniſſe, 
unerbittlih zum Tode verurtheilte. Der Eatholifhe Theil 
der Bürger umftand bewaffnet die Blutbühne; aber die 
Todesfreudigfeit des erften Opfers, des reichen Gerberd 
Schachtrup, welcher, nad dem Fehlſtreiche des angeblich 
trunfen gemadten Scharfrichters, wiewohl fchwerverwunbet, 
der Uirtheildnollftredung fi entwand, und, durch das Vol 
gerettet, erjt in feinem Haufe den Geift aufgab, brachte 
dennoch für die altgläubigen Rathsherren die unerwartete 
Wendung. Sie flohen im Juli aus Furcht vor der 
erhitten Menge und in Hoffnung auf die erbitterten Yür- 
ften, welde eben das evangelijche Lippfladt durch Sper⸗ 
rung der Zufuhr bändigen wollten, theild nah Hamm, 
wie der Bürgermeifter, theild nah Köln, wie die Grop- 
per und Die Bodum genannt Dolffd. AS die Auöges 
wichenen eidbrüchig zur beflimmten Friſt fih nicht ftellten, 
wählte die Gemeinde, ohne Umfloß des Geſetzes, ent- 
fhiedene evangelifhe Männer in den Nath und ala Groß- 
richter, und befefligte, freilich unter breifter Befehdung 
einzelner Bürger, Erledigung des Freiſtuhls und gifttgem 
Groll der Päpftliigefinnten, die in beißenden Satiren ſich 
Luft machten, zugleich die ältere Verfaſſung und die neue 
firdhliche Ordnung. Gab es unleugbar unter den Predi- 
gern und ihren Anhängern manches unfaubere Element, 
wie denn nicht jelten die Emanecipation von altgeheiligtem 
Buftande mit fittlicher Losgelaffenheit verbunden ift: fo 
blieb doch die Soeſter Demokratie fo geifteögefund, daß 
die Apoftel des wahnwigigen Wiedertäuferreihe in Mün- 


346 Dierter Theil, 


Re. fer am 10. October 1534 vor dem Oſthoverthore ent⸗ 


Pader⸗ 
born, 


hauptet wurden. 
Aehnliche, doch nicht ſo blutige Dinge ereigneten ſich 


Den in Paderborn; was Biſchof und Landſtaͤnde bei der erſten 


Munſter. 


noch ſchonenden Unterdrückung des Sturmes (1531) allein 
fürchteten, lehrt das Verbot der verfaſſungsmäßigen „Bur⸗ 
fprafe”. AB beim Regierungsantritte Hermanns von Wied, 
Kurfürften von Köln und Biſchofs von Paderborn, die Be⸗ 
wegung einen geführlicheren Charakter angenommen, Som⸗ 
mer 1532, bemächtigte fich der fonft wohlgefinnte Gebieter 
durch Hinterlift der widerjpenfligen Bürger, und begnadigte 
zwar die Todbereiten, griff aber durch Verminderung ber 
Zahl der Gemeindevertreter, Abfchaffung der Schügenbrüder- 
fchaft, fo ſchneidend in die demofratifche Verfaſſung ein, daß 
die Sehnfucht nach der freieren Lehre bi zum Jahre 1566 ber- 
ftummte. — Auch zu Osnabrüd errang das Alte einmal wie- 
der Die Oberhand (1525); Doch bereitete die behutſame, ge= 
lehrte Thätigkeit der Brediger, mitten unter den nahen Gräueln 
der Wiedertäufer, den Sieg der Iahre 1541—1543 vor. 

Indem wir und der widerwärtigften aller Erfcheinuns 
gen nähern, weldhe Ten Durchbruch der Neformation be 
gleiteten, dem ‚‚Königreiche Iohanns von Leiten zu Mün- 
ſter“, müfjen wir hervorheben, daß jene unfelige Verirrung 
nicht eine notbwendige Entwidelung des proteftantifch = be= 
mofratifchen Geifted war, den wir zumal. feit dem XII. 
und XIII. Jahrhunderte unter den KHandwerferzünften bes 
obadhteten, ſondern Lie Folge zufälliger Ereigniffe, welche 
das Wiederaufleben und die Vereinigung uralter religiöfer 
räume und wahnwigiger, fanatifher Schwärmerei auf 
dem Boden einer hellen, banfijh-thätigen und mäßig - de⸗ 
mofratifchen Stadt begünftigten. Geben wir gleid) zu, daß 


Schstes Bud. 347 


theologifche Grübelei gern in dumpfen Werkftuben figender Kap. 
Handwerker weilt, und beſchaulich geſtimmte, kraͤnkliche 
Seelen gerade hier das Abenteuerlichfte ans Licht bringen; 
liegt firner auch den Ddemofratiihen Strebungen, wie 
offenbar im Bauernfriege, das Prineip der menfchlichen 
Gleichberechtigung und eines wohlthätig getheilten Beſitzes 
zu Grunde; fo beichied ſich doc überall der gefunde Sinn 
bandthätiger und fuuftfertiger Arbeiter, bei freier Geiftes- 
thätigfeit Die Glaubenslehren aus dem Munde ihrer befon- 
nnenen Prediger zu entnehmen, und ging in naturgemäßer Ent- 
wickelung das gejellfchaftliche Ideal der Zünftler nicht über 
die menſchenwürdigen Orundbedingungen des flaatlihen Zu- 
fammenlebend hinaus. Indem wir daher jene traurigen 
Geſchichten, ald und fremder, in das Gebiet der Kirchen 
Hiftorie verweilen, deuten wir nur die politifche Stufen» 
folge an, über denen, unerwartet, dad ſchwindelnde blute 
getünchte Gebäude ſich erhob. 

Münfter, hervorragend als eine der Mutterftädte der 
älteften ‚‚gothifchen” Hanfa, noch bis zum Falle des Kaufs 
hofes von Nowgorod über die See hinaus jelbfthandelnd, 
bei Eräftiger, doch gemäßigter Gemeindeverfaffung, politifch 
wahfam gegen Bilhof, Domkapitel und gegen den Neid 
ber Nitterfchaft, war kurz vor der Neformation der leuch⸗ 
tende Sit neuer humaniftifcher Bildung gewefen, die jedoch 
dem Volksleben leider zu fern blick. Schon beim Aus—⸗ 
brud) des Bauernfrieges gaben fih, nachdem 1. I. 1524 
die Predigt im Iutheriichen Sinn unterdrüdt war, Zeichen 
eines bedenkliben Zwiefpaltes zwifchen dem Landesherrn, 
dem hohen und niederen Klerus, der Landfchaft, dem 
Stadtrathe und der Bürgerfchaft Fund; doch ſchien die Ruhe 
wieder hergeſtellt, zumal ber Rath die nicht unbilligen An⸗ 





348 Bierter Theil. 


2.Rap. träge der Bürger in Schub nahm. Dennod dauerte, wie 


in allen Städten, die politiih=Firhlihe Aufregung fort; 
ergebene Bürger ſchützten ihren feheinbar ſtreng Iutherifchen 
Prediger, Bernhard Rothmann bei St. Mauriz, und be- 
ihränften ihre Oppofltion nur auf Anfeindung der weltlichen 
Uebergriffe des Klerus, bis im Februar 1532 ein Aus- 
ſchuß fich Hildete; Rath und Gildemeifter alle Pfarrkirchen 
den neuen Predigern zumiefen, worauf die Klerifei mit der 
Minderheit des Raths aus der Stadt wid. Aber der neue 
Biſchof, Branz Graf von Walde, vom Domfapitel im 
Juni 1532 raſch gewählt und in Beflg der Schlöffer ge- 
jest, verlangte, angefpornt durch Nitterfchaft und Prälaten, 
die Abftellung der Neuerungen, und begann feindfelige 
Mafregeln, als auch die gemäßigte Neformpartei nicht 
wih, und im Auguft 1532 unter Eirchenftürmifchen Auf: 
tritten bie früheren Volksbeſchlüſſe in Kraft ſetzte. Bis 
dahin Hatte die Reformation in Münfter den Gang rer- 
folgt, welchen wir in unzähligen anderen Städten beobad- 
teten; auch die Anlehnung an den fchmalfaldifhen Bund 
war nichts Beſonderes; ein Ueberfall des Biſchofs und der 
feindliben Landflände, welche zu Telgte um Weihnachten 
tagten, durch Die entfchloffenen Bürger und ihre Söltner, 
denen nur zufällig der geiftliche Fürſt entging, die Schau⸗ 
führung der Gefangenen in der jubelnden Stadt, verrieth 
jedoch ſchon einen heißeren Puls der Leidenſchaft. Wider 
Erwarten gab Biſchof Franz nad. Ein Vertrag, welchen 
Zandgraf Philipp von Heflen am 14. Februar 1533 ver- 
mittelte, gewährte der Stadt die Predigt- und Geremonien- 
freiheit in den ſechs Pfarrkirchen, gegen die Verbürgung 
gebürlichen Gehorfamd in weltlichen Dingen, und unges 
kraͤnkter Eatholifcher Heligionsübung im Dom, in ben 





Sechstes Bud. 349 





Stiftskirchen, Klöftern, und die Sicherfiellung ihrer Ein⸗2Kav. 
fünfte. Gleichzeitig gab eine neue Rathswahl die Ver⸗ 
waltung ben flandhafteften Männern; Schul=- und Armen 
pflege ward gefetlich angeordnet; die Fleineren Stiftsſtädte 
ahmten dem Vororte nah, und Münfterland ſchien, nad 
menſchlicher VBorausftcht, wie Magdeburg und Bremen, dem 
Augsburgifchen Bekenntniß gewonnen. 

Da fing Rothmann, der neue Stadtjuperintendent, an, ? — 
allerlei irrige, durch die katholiſche wie proteftantifchenänke. 
Kirche verworfene Lehren über Abendmahl und Taufe im 
religiös aufgeregten Volfe auch durch den Drud zu ver⸗ 
breiten; nah Münfler, wie nad tem Lande der Verhei⸗ 
ßung, firömten darauf aus ganz Deutſchland, beſonders 
aus den altfrieſiſchen, hollaͤndiſchen Provinzen, in denen 
ſchon mancher Prophet und Engelſeher Anhang gefunden, 
jene blutig verfolgten, in ſich ſelbſt vielfach dogmatiſch ge⸗ 
trennten Banatifer zufammen, welche indgemein, nad) ihrer 
verzeihlichfien Abweichung von Lehrbegriff beider Kirchen, 
al8 Wiedertäufer bezeichnet wurden. Schon ehe San 
von Keiden, ala Abgefandter des Propheten San Matthiefjen 
aus Harlem, anlangte, hatten im Januar 1534 die Wie- 
dertäufer in allen Ständen, wie durch Zauber, einen fo 
fruchtbaren Boden bereitet, daß der Stabtrath vergeblich 
mit firengen Mitteln eingriff. Der Superintendent, feurig 
beredſam, verleitete widerſtandslos die Menge, beſonders 
die Frauen; im Auflaufe am 6. Bebruar errangen bie 
fremden Berführer mit den Einheimifchen urkundliche An⸗ 
erkennung und Glaubendfreiheit; bei der Rathsumſetzung 
am 21. Bebruar gewannen Die Wiebertäufer durch die 
„Kurherren“ aus den Bünften, lauter ,, Erleuchtete‘, 
auch im Rath die Oberhand, und erhoben Bernhard Knip- 


350 Vierter Theil. 


Rp. pertolling,, Urheber des Tumultes v. I. 1527, zum Pür- 
germeifter; am 27. Februar endlich trieb ter Prophet Ian 
Matthieſſen mit erbarmungslofer Wiltheit alle „Ungläu⸗ 
bigen”, d. 5. die Verweigerer der Wietertaufe, von ihrem 
Heerde und auß der Stadt! und begann dann mit fleigender 
Raſerei und Unflttlichkeit, nachdem ter erfte „Prophet“ 
im Ausfall gegen das Belagerungdheer des Biſchofs er- 
griffen und erſchlagen war, jenes Königreih Sand 
von Leiden, des Schneiterd, dad an phantaftiichem Aber⸗ 
wis, an ſündhafter Verirrung, an dämoniſcher Blutgier 
und an toderrachtendem Fanatismus feines Gleichen in der 
Geſchichte nicht findet, und deſſen Anhänger nicht durch 
Hungerqual, nicht durch die ſtürmenden Landsknechte der 
vereinigten Reichsfürſten alten und neuen Glaubens, ſon⸗ 
dern nur in Folge Verraths eines Söldlings am 24. Juni 

gat Fe18358 erlagen. Sonſt würden dieſe Numantiner Ted Mes 

— formationsjahrhunderts, aufs letzte getrieben, Weibern und 
tauſetr. Kindern mit ihrer Stadt den Flammentod gegeben, und 
fich jelbft in die feindlichen Geſchoſſe geftürzt haben. 

Münfters Erjehen wir noch, wie, nad) der Ausrottung der Schul⸗ 

gufam. digen, die Sieger fo grauſige Vorgänge deuteten, und welche 
Mittel der Vorkehr für die Zukunft fle anwandten., Nas 
türlih ward Die weltliche Herrſchaft des Bifhofs vollkom⸗ 
men bergeftellt, der Befiß der Stadt durch Bollwerfe ges 
ſichert; doch follte Die zurückgekehrte unfhuldige Bevölferung, 
etwa das Drittheil der früheren, das Ihre wieder erhalten 
und nad). denn Willen der proteftantifchen Mittler, mit Der 
Religiondfreigeit, aller alten Rechte, der Verwaltung des 
Gemeinweſens, der Wahl tes Raths, DBeftellung der Ge⸗ 
richte wieder genießen. Allein Biſchof, Kapitel und Rit⸗ 
terichaft widerſetzten fih, aus Haß gegen die bürgerliche 





Schstes Bud. 351 


Selbftftäntigfeit, fo billiger Reftauration. Der Stiftsadel2.®. 





ließ mit Peiftimmung des Bürften und des Domfapiteld 
den Befeldhaber der ftädtiichen Zwingburg aus fih erwäh⸗ 
len; der Rath, aus 24 Männern, zur Hälfte Erbmännern, 
zur Hälfte anfäfllgen ehrbaren Bürgern, follte auf Lebens⸗ 
zeit durch den Biſchof, mit Beirath des Adels und des 
Domfapiteld, ernannt, das Gericht durch den Biſchof be= 
feßt, nur die Hälfte der ftädtifchen Gefälle den Gemein 
wefen überlaflen; die PBolizeiverwaltung getheilt, und end» 
lich die Stldeverfaffung aufgehoben werten. Dem Land⸗ 
tagsbefchluffe vom 29. Januar 1537 gemäß, mußten Die 
Altbürger einem BZuftande fih fügen, welder auch fie auf 
die Anfänge des XI. Jahrhunderts zurüdführte, und zu⸗ 
gleih den Fatholifchen Gottestienft in feiner Ausſchließlich— 
£eit wieder erftchen fehen. Doch fhon i. 3. 1541 räumte 
der Bifchof der Stadt im Neftitutionsreceß einen Theil der 
früheren Rathsprivilegien wieder ein, und einigte ſich fogar 
mit Münfter und den übrigen Stiftöftädten zu einem Schutz⸗ 
bündnifjfe gegen den unzufriedenen Etifisadel und die Dom⸗ 
herren. Das unverholene Etreben des Biſchofs Franz, 
das Stift zu „reformiren‘‘ (1543), erklärt hinlänglich 
folhe Nadıgicbigfeit, tie zwar nicht die bezweckten Folgen 
haben konnte, dennoch aber zehn Jahre fpäter, unter ver 
änderter Stellung der Religtonsparteien, einen Hauptbe— 
ftandtheil des mittelalterlichen Gemeinweſens, die poli:ifchen 
Gerechtſame der Gilten, ihre TIheilnahme am Regimente, 
gegen den Willen des Raths, wicder erwacen ließ. So 
diente auch in der aͤchtkatholiſchen Statt dad demofras 
tiſche Element, nachdem es mit dem Wiedertäuferreiche 
und den proteftantijhen Regungen erftict ſchien, eine po⸗ 
Litifche Unabhängigkeit zu bewahren, welche erft 108 Jahre 


352 DBierter Theil, 


2.Kar. ſpäter der martialifihefle Souverain, der je die Inful ges 
tragen, zu bredden vermochte. — U 

— Gleichzeitig mit jener grauenvollen, zufälligen Ent⸗ 

und die artung ber demokratiſch⸗-kirchlichen Tendenz. im ſaſſiſchen 
" Volke richteten fi die Blicke faft Des geſammten Welt⸗ 
theild auf Ereignifje, die von demfelben Streben in Lübed 
ausgegangen, den erneuerten Beweid gaben, daß bei befonne- 
ner eingebaltener religiöfer Bewegung jene Durchdrungenheit 
beider Nichtungen in den Seelen eined gefunden Bürger- 
thums, eine großgefinnte politische Ihatkraft entwidelte, 
biefe jedoch, fih überbietend, das Abenteuerlichfie er⸗ 
fafien, und deshalb mit der Weltlage in verhängnißvollen 
Widerfpruch geratben mußte. Wir meinen die fogenannten 
„Wullenweberfhen Unruhen‘ im hanſiſchen Nor⸗ 
den, bei denen wir verweilen, als letztem DBerfuche der 
ſtädtiſchen Demokratie, ſich auf der Baſis Firchlicher Frei⸗ 
beit zur allgemeinen Herrichaft aufzufchwingen. Unfer voll 
ſtaͤndig ariftofratifch vegierter Vorort der Hanfa Hatte er> 
folgreih,, doch zur Erfchöpfung feiner materiellen Kräfte, 
den Kampf um feine Hiftorifchen Nechte mit Chriftian IL, 
dem legten Unionskönige, durchgefochte. Der Sohn Jo— 
hanns (feit 1513), eine leidenfchaftlihe, nicht eben Teicht 
zu beurtheilende Fürſtennatur, wollte nicht blo8 die Union 
der nordifchen Reiche herſtellen; er dachte in allen dreien 
auch die Macht des Adels und des Klerus zu brechen, da⸗ 
für die niedere Bevölkerung zu heben, und die verbaßten 
SHanfeftädte zu unterwerfen, die dem Kandel und Verkehr 
feiner eigenen Lande überall entgegentraten. Mit dem 
habsburg⸗ burgundiſchen Haufe verfchwägert, begann Chri« 
ſtian II. die Holländer, der Hanſen gefährlichfte Neben- 
buhler in der Oftfee, entfchieden zu begünftigen, ſammelte 





Sechstes Bud. 353 


Kriegsvolk, verband fih mit den meiften norbdeutichen 2: 
Fürſten, ob zur Unterwerfung Schwedens, oder zum Angriff 
auf Lübeck? dad, ungeachtet der anfänglichen Beftätigung 
feiner Privilegien und ungeachtet feiner Nachgiebigfeit in 
Bezug auf den Berfehr mit jenem abgefallenen Königreiche, 
mannigfach über Berlegung ber Verträge, über weit aus- 
jehende Neuerungen im Zollwefen zu Hagen hatte. Aus 
Sorge vor offenem Bruce verfprach Lübeck, bereits feind- 
lich behandelt, im Suni 1519, noch ein Jahr lang bie 
Schifffahrt nah Schweden aufzugeben, gewährte aber dem 
geflohenen Guſtav Erikſon (Waſa) Zuflucht, und wied mit 
männlicher Entſchloſſenheit das Verlangen Chriſtians, den 
Schützling auszuliefern, ab: „die freie kaiſerliche Stadt 
dulde in keiner Weiſe Hausſuchung“. Guſtav fand den 
Weg in die Heimath, deren Selbſtſtändigkeit er dann im 
langen Kampfe ficherte; Chriſtian begnügte fi, die Hanſe— 
ſtädte wiederum unter Verheißung, die neuen Zölle abzu⸗ 
ſtellen, auf ein Jahr lang von Schweden auszuſchließen, 
Mai 1520, unterwarf Stockholm mit Hülfe der Fremden, 
gab aber durch das Blutbad vom November 1520 das 
Zeichen zur völligen Auflöſung der Union. Im Wahne, 
dad eine Thor von Lübeck ſei zu Stodholm gefallen, 
verlegte er offen alle Intereflen der hanſiſchen Wohlfahrt, 
und fleigerte den Zorn der Lübecker aufs Höchfte, indem 
er die Verleihungen weiland Albrechtö I. und Kaifer Lud— 
wigs am Hofe feines Schwagerd, Karld V., (Iuli 1521) 
anſprach, und vom jungen unfundigen Herrſcher die Schen— 
fung „jener Heinen Stadt an der beutfchen Küſte“ er- 
ſchlichen Haben follte, die diefer jedoch, von der Wichtigkeit 
des Hauptd der Hanfa durch den Bürgermeifter von Köln 


belehrt, widerrufen. Da faßten denn die Hanfen die Zu- 
Barthold, Städtewefen, IV. 23 


354 Bierter Theil. 


_2.Rap. kunft fefter ind Auge, näherten fih dem ftillfauernden 
und unzufriedenen Oheim des Könige, Briedrih Herzoge 
von Schleswig und Holftein, einigten fih mit den anderen 
wenbifchen Städten, auch mit Danzig, die Fahrt nad) Schwe⸗ 

ns den zu ſchützen (März, 1522), und forderten gebieterifch 

a von den weftlichen Städten, fih ded Verkehrs mit Däne- 
mark zu enthalten. Herzog Friedrich zögerte noch unent- 
fhloffen; Kaifer und Bürften boten DVermittelung; aber 
Lübecks Flotte fuchte bereits im Auguft 1522 die dänifchen 
Küften mit Verwüflung heim, verbrannte Helfingör, nicht 
irre gemacht durch die Drohung der Kaiferlihen Acht. 
„Sleih wie ein Schaf unter den Wölfen läge Lübeck an 
des Reiches Enden; billig follte es Hülfe vom Reiche 
erwarten, dem der König Teined Oberrechtes geftändig fei, 
und nur, wie feine Vorfahren, auf Verderb der Stadt 
fönne: würde ſie flatt deſſen mit der Acht belegt, fo Eönne 

ö leicht die Gemeinde aufrührerif gegen den Rath werben; 
wolle man nicht, wie Bafel und andere Städte, vom Meihe 
abfommen, fo müffe man den Krieg auf fih nehmen“. 
Aber Chriftians Maß ward inzwifchen voll; feine Willkür 
gegen den Herzog und den Adel, die Unzufriedenheit ver | 
beiden vornehmften dänischen Stände wegen feiner Refor- 
men und feiner Hinneigung zur Lehre Luthers, befchworen 
den Sturm eiliger herbei; Ariedrih, mit Hamburg wie 
mit Lübe im Bunde (Februar 1523), einigt fi entfchie- 
den mit dem abtrünnigen jütifchen Adel; Lübeck eröffnet 
dem Holfteiner Die Ausfiht auf alle drei nordifchen Kronen; 
und im April 1523 verläßt Chriftian feine Hauptſtadt und 
fein Reid, um beim Eaiferlihen Schwager Hülfe zu fuchen. 
Sp Hatte nochmald der deutfihe Einfluß den Sieg davon- 
getragen; bie Union war gefallen; Friedrich I. durch Lübeck 








Sechstes Bud. . 255 


auf den däniſchen Thron geführt, ihm durch die Hanfa 2Kap. 
Seeland und Kopenhagen bezwungen, ingleihen dem Wafa, 
welden Schweden am 23. Juni 1523 zum Könige gewählt 
hatte, durch den Tübifchen Hauptmann das Thor Stodholmd 
eröffnet. Im theologifchen Eifer erhob allein der Wittenberger 
Doctor feine Stimme für den Vertriebenen, und Eanzelte ſcharf 
die Lübecker „als Gotteödiebe und Verfündiger an der gött- 
Yihen Majeftät”. Des Kirchenreformatord Sinn war unfähig, 
Deutſchlands politifche Wohlfahrt und Ehre zu begreifen. 
So lange die neuen Könige noch Gefahr vor Chris 
ftian witterten, hielten beide bie fchönen Verheißungen an 
Lübeck aufrecht. Der Wafa hatte reiche Privilegien an den 
Vorort und die Danziger verliehen; Friedrich i. 3. 1526 
den Lübeckern Bornholm als Erfag für Kriegskoſten und 
Schaden auf 50 Jahre verpfändet; doch mußte die Stadt 
auf eigene Hand Die Fehde gegen Sören Norby, Chri- 
ftians treuanhängigen Admiral, durchfechten, deſſen Raub⸗ 
Schiffe von Gothland aus die See dauernd beunruhigten, 
Aber der Danf erfaltete, ald Die Gefahr in Folge burgun- 
Difcher Unterhandlungen vermindert ſchien; König Friedrichs 
zafche Förderung der Reformation in feinen Herzogthümern, 
während er in Dänemarf nur vorfichtig die Fäden des 
Merkes feines unglüdlichen Vorgängers aufnahm, brachte 
ohnehin eine Mißſtimmung zu Lübeck hervor, Dad noch 
beim alten Glauben beharrte, und deſſen ungeadtet als 
Reichsſtadt, wegen feines Antheild an der Vertreibung des 
Schwagers, den Zorn des Kaiſers erregt hatte. Wie nun 
Lübeck feine Erfhöpfung, in Verminderung feiner Macht 
und feines Wohlftandes, zu fühlen begann, trat bie Fird- 
Tide Umwandlung ein, welde plößlich noch einmal alle 


Lebenspulſe mit der Kraft der Vorfahren erfüllte, 
23 * 


356 Bierter Theil. 


2. Kap. Wir wiffen, wie feit nahe zwei Hundert Jahren bie 
ee Nathsariftokratie fih nicht ohne Blutfhuld gegen das An- 
zübel. dringen der Zünfte behauptet hatte; darum flanden denn 
jeit der erften Verbreitung der Iutherifchen Predigt in den 
Seeftädten Rath, Patrizier — die Zirkelbrüderfhaft — 
reihe Kaufherren mit dem Bifchofe, dem Domkapitel und 
den zahlreichen Klerus wie ein Mann gegen bie Eirchlichen 
Neuerer, indem daB Patriziat folgerecht den unausbleiblichen 
Sturz feiner Herrſchaft ermaß, gelänge ed dem Volke, Die 
firhlihen Formen zu erfhüttern. Obgleich früh ſchon 
(1523) unter der Menge dad Verlangen nad) dem reineren 
Worte erwacht war, und einzelne Prediger Zugang ge= 
wonnen; durfte der Rath noch i. 3. 1528 die Apoftel 
ber neuen Lehre vertreiben, Luthers Bücher auf offenem 
Markte durch den Büttel verbrennen, und Die Befucher 
fremder Andadhtftätten einthürmen. Aber im Stillen 
wuchs die Zahl der Befenner, und das Beiſpiel der Nad- 
barftädte, befonderd Hamburgs, — dad, wie wir wiflen, 
nad wenig geräuſchvollen Vorgängen zugleid erwünfchte 
firhlide Verhältniffe, und im Gollegium der CXLIV Kirch- 
fpielgefhworenen, wie in dem der XII OÖberalten, eine 
genügende Vertretung der erbgejefjenen Gemeinde im polis 
tifhen Negimente gewonnen (1529), — verftärfte Die 
religiös wie bürgerlihe Unzufriedenheit. Als nun ber 
Rath, gedrüdt durch zerrütteten Geldhaushalt in Folge der 
legten Kriege, der Bewilligung der Gemeinde zur Steuer- 
erböhung bedurfte und einen Ausſchuß von LXXI wählen 
laffen mußte, Iehnte diefer, als Gemeindevertretung, jene 
Vorschläge entfchieden ab, wenn nicht die audgewiefenen Pre— 
diger zurüdfgerufen würden (September 1529). Gezwungen, 
[hrittweiß, gaben die Herren nad; ſchon im April 1530 











Sechstes Bud. 357 


ward das Sacrament in beiderlei Oeftalt in einer Pfarr Km. 


firhe erlaubt; einmal aus ihrer Stellung verdrängt, ſah 
der Rath einen neuen Ausfhuß von LXIV Männern an 
feiner Seite entftehen, der nicht allein über die Verwen— 
dung der neuen Auflage ein entjchiedened Wort mit ſprach 
(April 1530), fondern feinen wachſenden Einfluß Elug be=. 
nußte, immer neue Zugeftäntniffe im kirchlichen Gebiete 
abzunöthigen. So erfolgte nad) flürmifchen Gemeindever- 
fammlungen Verbot der Predigt an alle Pfaffen, Abſchaf⸗ 
fung der Meilen, und des Eatholifchen Klerus, die Doms 
fire allein ausgenommen (30. Juni 1530), endlich Die 
Berufung des bewährten Reformatord Dr. Bugenhagen, 
um, wie in anderen falfiichen Städten, eine Kirchenordnung 
einzuführen (October 1530 bis April 1531). Das Kirchen— 
filber und die Altarkleinodien wanderten in Die Treſe— 
fammer; die Klöfter wandelten fih in Armerhäufer, das 
bei St. Katharina in eine gelehrte Schule um, und fihon 
in demfelben Brühling nahm der Ichmalfaldifche Bund Lü—⸗ 
be zum Genoffen auf. So hatten die Zünfte, ungeachtet 
des Pönalmandates des Kaiſers, „Die LXIV abzufegen, den 
alten Ootteödienft wieder herzuftellen‘‘, auch hier dem Evan 
gelium Bahn gebrochen. Die demofratijche Bewegung Fonnte 
aber nicht ftehen bleiben; fie genehmigte, voll gerechten 
Mißtrauens gegen das grollende Junkerthum, daß der Aus— 
ſchuß der LXIV, neben einem von C Männern, in allen 
wichtigen weltlichen wie firchlihen Dingen mitwirfe und 
eine Oberauffiht führe, und verpflichtete Durch gegenfeiti- 
gen Handſchlag den Rath zur Aufreihthaltung der gefaßten 
Beichlüffe. Während die übrigen Rathsglieder dem Drange 
Der Gegenwart ſich fügten, duldeten die zwei älteften Bür- 
germeifter, Nikolaus Brömfen, alten Geſchlechts, dem römi- 


358 Bierter Theil, 


2. Ray. ſchen Glauben aus Ueberzeugung anhängig, einft der gaftliche 
Schützer des Iandesflüchtigen ſchwediſchen Ritters Waſa, 
und Herrmann Plönnies, nicht den Sturz ihres Amtsan⸗ 
fehens, nicht die Verhöhnung Heiliger Beſchlüſſe aus ber 
MWiegenzeit der Hanja (1292), im richtenden Vororte jelbft, 
der fo oft und fo unnachſichtig in den Schweftergemeinden 
Aufruhr gegen den Rath geftraft; nicht den Firchlichen 
Wechſel. Sie ritten am Ofterfonnabend 1531 heimlich 
aus der Stadt, worauf die aufgeregte Gemeinde, voll Furcht 
vor Eaiferlichen Gewaltjchritten und voll Mißtrauen gegen 
die übrigen Rathsherren, Doch auch bereitd unter Mip- 
billigung der Iuthemifchen Geiftlichkeit, jenes Fundamental— 
gejeg Heinrichd des Löwen bervorfuchte, zur urjprünglichen 
Zahl der Rathsglieder, 24, von denen alle Jahre ein 
Drittel audjcheiden follte, zurüdfehrte, die Rathskür aber 
für fih in Anfprud nahm. So ergänzten am 18. April 
1531 die CLXIV den Rath mit ficben Gliedern aus ihrer 
Mitte, erforen in Stelle der audgetretenen Bürgermeifter, 
die nicht zurüdfonmen wollten, zwei neue Bürgermeifter 
(9. September 1531), und befeftigten, ohne Blutvergießen, 
wiewohl im Weiche ald Aufrührer verläumbdet, vermittelft 

en ded „unordentlichen Raths“, einen gefeglichen Gang der 

tiſch. Dinge, 

gürgen Die Seele der bisherigen Ereigniffe, welde nad 

weber. Hundertjährigen Kämpfen der Demokratie und der kirchlichen 
Freiheit auch in Lübeck zum Siege verhalfen, war Jürgen 
Wullenweber gewefen, obgleich er bei dem Amneftie- 
gelöbnifje des Nath8 am 18. Februar 1531 zum erften- 
male ald Sprecher des Volks genannt wird, Seines 
Berufs ein Kaufmann, doch nicht zu den ‚‚großen Sanfen 
und Junkern“ gehörig, ungefähr um 1492 geboren,. und 











Schstes Bud. 359 


wahrfcheintih aus Hamburg flammend, wo fein Bruder 2: Kap. 
Soahim unter den Anführern der Neformpartei erfcheint. 
Unfer Georg, son nit gewöhnlicher Verſtandesbildung, 
wohlredend, ergriffen von den Ideen der Zeit, ein Eiferer 
für religiöfe und politijhe Freiheit, zugleich begeiftert für 
die ehemalige Macht und Größe feiner finfenden Vater— 
fladt, eine der letzten vollwüchſtgen Staatsbürgernaturen, 
wie fie dad mittelalterliche Städteweſen in Zülle zu Rich⸗ 
tern, regierenden Bürgermeiftern und SKriegshauptleuten 
erzogen; blieb auch jest im Meittelgetriebe einer politifchen 
und kirchlichen Bewegung, welde faft alle Staaten des 
germanifchen Nordens ergriff, die wir aber, ein vielver⸗ 
fhlungenes Epos, nur im allgemeinen fchildern Dürfen, 
obgleih der Abendglanz des untergehenden deutjchen Bür- 
gerthums fie mit grellen Lichtern beleuchtet. — Vorbereitet 
war jener legte Aufihwung der Hanſa dadurch, daß gleidh- 
zeitig in allen wendifchen Seeflädten, in Roſtock, Wiömar, 
Stralfund, auch in Danzig ein populärer Zuftand mit dem 
neuen Kirchenthume zur Anerkennung gelangte, und nur 
das Beifpiel des Vororts erwartete, um als entjchiedene 
Demokratie ſich zu geftalten. Lübeck war in Folge der 
kirchlichen Gleichheit auch mit dem Könige Sriedrih, ala 
Herzog von Holftein, wieder in beſſeres Vernehmen ge= 
ratben, ald der Schwager des Kaifers, Chriftian II., feinen — 
anſtößigen Eifer für die neue Lehre fallen ließ, und, un⸗ am 
terflügt von niederländifhen Staatsmitteln, unter Vorſchub 
Holländifcher Städte, mit nicht verächtlicher Macht im Spät- 
herbſt 1531 in See gegangen, an Norwegend Küfte in 
wenigen Tagen feften Fuß faßte. Sogleih war große 
Angft am Hofe zu Gottorp, vergebliche Anlehnung an den 
ſchmalkaldiſchen Bund; doch bet Lübeck muthige Kriegsent⸗ 


360 Vierter Theil. 


2. Kap. fhlüffe, und die Hoffnung, die gehaßten Holländer jet 
ganz aus der Oſtſee zu verdrängen. Während lübiſche 
Kriegsfchiffe nah dem Sunde fuhren und fräftiger als 
die Dänen tem gefürditeten Unionskönige entgegentraten, 
arbeitete zu Kopenhagen eine Gefandtfchaft der Seeftäbdte, 
den Wullenweber ald Glied des Ausfchuffes an der Spißge, 
die nöthigen Zugefländniffe zu erwirken; Friedrich jedoch 
wandte fich, die Intereffen feiner Reihe im Auge, Hin 
undher, obgleich der däniſche Reichsrath in Danferbietung 
nisph),fnrgte, „die Lübecker hätten ſich in folder Noth nicht 
alg,Maphbarn, fondern ald Väter Dänemarks erwiefen‘. 
Vertrqziend auf ein vorläufiged, nicht ungünftiges Abk om- 
merzjherftärkten die Lübecker ihre Kriegshülfe, zogen das 
gleisperbpännhete ſchwediſche Neid zur Theilnahme, und 
entſſhiedem ohne vorher politiih Flug den Drang der Ver- 
hältniſſe Fir üch auszubeuten, das Schickſal Chri- 
fianäkigrirpenaRerfelbe, am Gelingen feines Planes ver⸗ 
za aimchnitqulgie Gewalt der dänifhen und Tübifchen 
Searkühray: begahichs, Juli 1532), und mit Verlegung des 
Sehrinegnenf Anxathen aller Betheiligten, in den einſamen 

re Thurm arg Sandesbnrgpgeführt wurde. Zeigte ſich Friedrich, 

gefüngen. u rar, gleich noch feindlid gegen die 
Rieperinkenndaspfen bie Lübecker erbitterter als je 
tee, ‚ehemräige® Ganqſſen des großen deutſchen Kauf: 
at Mannsbundes fd Ariane König ſich doch nicht, jene 
Eugen Praträgnamıkeikättgen, und farb am 10. April 
1538ñher ihhedentbſichem Verſtimmung Der enttäufchten 

— Nychheffrn ömapsstrose sn | MIRSIDR 

nie, een em Ereigniſſe hatte in 

mei Lüberk hie Angufriedenkitohem denvalratiſchen Partei über 

Diele. vie Bpaiinlung ihnen Hiligen Imerfautilifchen Wünſche, 





Sechstes Bud. 361 


welde man dem noch vorhandenen trägen Beftandtheile, 2 Kap. 


jenem zweiten Drittel des alten Raths, beimaß, fo weit 
gefteigert, daß die Gemeine fih ohne Mühe eine Um— 
feßung des Collegiums mit fleben Kaufleuten, unter ihnen 
Wullenweber, gefallen ließ, 21. Februar 1533, und, 
nach de3 Bürgermeifters Lunte Tode, am 3. März ihren 
Tribunen an defien Stelle erfor. So and Ruder der Re— 
publif gelangt, ſchilderte Wullenweber in einer Gemeinde— 
verfammlung fo beredfam die Gefahr des hanftichen Han— 
dels bei wachſendem Verkehr der Hollänter in der Oſtſee, 
dag man Die Verwendung des eingezogenen Kirchenfilberd 
zur Kriegsrüftung beſchloß, fogleich zwei Orlogſchiffe in 
See ſchickte, und noch energifchere Mafregeln ergriff, als 
Marr Meter, von Gewerbe ein Hufſchmied aus Hamburg, 
dann Landsknecht auf verfchiedenen Zügen, zulegt Haupt— 
mann des Tübifchen Reichsaufgebots im Türfenfriege (1532), 
eine kecke, abenteuerlihe Perfünlichkeit, und mit dem 
gleichgefinnten Bürgermeifter zu hochſtrebenden Anſchlägen 
innig verbunden, den Befel auf der verftärkten Flotte er- 
hielt. Die erften Erfolge in der Weftfee waren zwar nicht” 
eben günftig, zumal die Flotte im hohen Sommer lange 
bei Kopenhagen lag, den Beſcheid der Neichsräthe wegen 
der dänischen Beihülfe am holländiſchen Kriege zu erwar= 
ten; aber Marr Meier, nad) unvorfichtiger Landung an ber 
englifchen Küfte ald Gefangener in den Tower gerathen, 
gewann durch verlodende Worte das Ohr König Hein- 
richs VII. zu den unermeplihen Plänen, welche ſich wäh- 
rend der Erledigung des dänifchen Thrones in Wullen- 
weberd Seele geftaltet hatten. Denn ald die Wahl der 
Biichöfe und des Adels zwifchen Chriftian, dem älteren, 
entfihieden proteftantifch gefinnten Sohne Friedrichs, und 


362 Bierter Theil. 


2.8. dem jüngeren, Iohann, dem katholiſch erzogenen, ſchwankte; 
die demofratifch= lutherifche Partei in den däniſchen Haupt⸗ 
ftädten, Kopenhagen und Malmoe, die Rückkehr des alten 
Jochs befürchtete; endlich mit Faltfinnig berechneter Politik 
die vorwurfsvollen Forderungen Wullenweberd wegen eines 
Fräftigen Beiftandes gegen die Holländer vom Reichsrathe 
abgewiefen wurden; auch König Guſtav Waſa die freund- 
lihe Maske abwarf, fogar das Handeldprivilegium vom 
Jahre 1523 widerrief: war im Dictator der Hanfa der 
riefige, eines hohen Gemüthes würdige Gedanfe erwacht, 
die jchwindende Größe Lübecks feft zu halten, indem es 
der Iutherifchen Lehre und dem freien Bürgertfunme wie 
dem Bauernftande im Norden eine unbezwingliche Freiftätte 
bereite. Gab e3 einen fchöneren Beruf für die vornehmfte 
Gemeinde im deutfhen Norden, für den altverehrten Vor— 
ort der Hanſa, als zugleich die Aufhelferin der Volksfreiheit 
gegen Adel und geiftverdumpfende Hierarchie zu werden, 
und die Schifffahrt dur den Sund von allen Beffeln zu 
befreien, den Glanz der Hanſa aus den Zeiten ded Stral- 
funder Friedens zu erneuern? Solche Gedanken, nieder- 
gelegt in den grollenden Gemüthern der deutſchen Bürger- 
meifter, Ambroſius Bokbinder in Kopenhagen, und Jürgen 
Kocks (Mynters) in Malmoe; brachte, der Mitwirkung 
der Gemeinden verfichert, Wullenweber nad Lübeck zurüd; 
fie ind Werk zu ſetzen, blickte fich der Scharfjinnige überall 
nah Mitteln um. Den undankbaren Wafa zu ftrafen, 
mißglückte freilid), indem Junker Syante Sture, Sohn des 
legten jchwedifchen Neichöverweferd, zur Rolle eines Bes 
werberd um die ſchwediſche Krone ſich gänzlich unfähig er— 
wies; wie fchon früher Herzog Chriſtian von Holftein die 
ſtolze Erbietung Lübecks, ihn zum bänifchen Könige zu 











Sechsſstes Bud. 363 


machen, abgelehnt hatte, weil er, aͤchtlutheriſch, nicht der 2.Rar. 
Gewalt, am wenigften durch die ihm widerwärtige Demos 
fratie, die Krone verdanken wollte. — Weil nun der 
Kampf nicht zugleich mit den nordiſchen Reichen und der 
durgundiihen Macht aufgenommen werden fonnte; griff 
Lübeck die Unterhandlungen auf, welche durch Vermittelung 
Hamburgd und anderer Seeftädte zu Anfang März 1534 
dafelbft eröffnet wurden. Als aber die burgundifchen Räthe 

auf der Forderung unbefchränfter Schifffahrt in der Dftfee 
bebarrten, Wullenweber bei den anderen, nod) ariftofrati= 
hen Sendboten der Hanſa, felbft bei den eigenen Kollegen 
feine Unterflügung fand, man fogar die Nüdfehr der aus- 
gewichenen Bürgermeifter verlangte; verließ der Hoch— 
fahrende im Zorn die Verfammlung, und bewirkte daheim 
durch jeine eindringlihe Beredſamkeit vor der berufenen 
Bürgerſchaft, daB auch der letzte flörrige Reſt der Raths⸗ 
ariſtokratie ausſcheiden mußte (Oſtern 1534). Eine verän⸗ 
derte Zukunft im Auge, billigte er dann, um auf jener Seite 
fürs erſte Ruhe zu haben, einen vierjährigen Stillftand Briede, 
mit den Niederländern, unter Gewährung der bisherigen land. 
Nechte, Teitete mit dem Könige von England (Mai 1534) 
einen Hülfsvertrag ein, alles freilih unter lauterer Miß— 
billigung der Intherifchen Stadtgeiftlidkeit über Die Ver⸗ 
drängung „der gejeglichen Obrigfeit dur den „gemei= 
nen Mann’, dem fie doch allein Breiheit ver Predigt und 

des Gewiſſens, ihr Amt jchuldeten. Endlich erhob er, in 
geheimer Mebereinftinnmung mit den beiden dänijchen Bür- 
germeiftern, die Fahne für den gefangenen Chriftian, den 
unvergefienen Bürgerfönig und Volksfreund. Als 
Feldherr fo fühn combinirten Unternehmens der „„Bürger- 
meiſterfehde“ fand fih Graf Chriftoph von Olden— 





364 Bierter Theil. 


2. Kar · Gurg, erprobter Kriegsmann und eifriger Proteftant, zumal 
ald naher Sippe berechtigt. für Die Freiheit des Gefan— 
genen in die Schranken zu treten, Mit Neitern und Knech— 
ten in der Nähe Lübecks erſchienen, verhieß der Paladin 

Sn Chriftiand dem Rathe und der Gemeinde für ihre Hülfe 

ae den Beſitz der beiden Schlöffer am Sunde, und den be— 
freiten König vorläufig in ihre Hand zu geben. Da Herzog 
Chriſtian fich nicht der Auslieferung jeneß, des Unterpfantes 
der Ruhe im Norden, bequemte, und fängt feindfelige 
Stimmung gegen Lübeck verratben hatte, fiel der Graf 
erft verwüftend in das holfteinifche Gebtet und in die bi- 
ihöflihen Stiftsgüter ein, und fegelte dann, nach Lübeck 
zurüdgefehrt, unter dem Jubel des Volks, von Wullen- 
weber und Marr Meier begleitet, mit 21 Schiffen auf 
Seeland. Nahhaltiger Unterftügung für feine Pläne, als 
zur Rettung der alten banftichen Sreiheiten, fonnte Wul— 
lenweber von Seiten der wendifchen Seeſtädte verfichert 
jein, da e8 feinem Vertrauten, dem Doctor Oldendorp, 
gelungen war, durch flürmifche Bewegung in Roflod, Wis 
mar und Stralfund die Demokratie zu befeftigen; ſelbſt 
Riga und Reval, ja der Meifter von Livland, fleuerten 
bei, und die Ditmarfchen ftellten neben einer bedeutenden 
Summe jogar Mannfchaft in Ausſicht. 

Er Ein wunderbares, faft unheimliches Glück begleitete 
Dine dad Banner des eingeferferten Volksfreundes. In wenigen 
— Tagen eröffnete Malmoe ſeine Thore, fielen die Schlöſſer 

und Städte; in Kopenhagen hielt Graf Chriſtoph ſchon am 
16. Juli ſeinen Einzug; Seelands Stände leiſteten den 
Treueid für Chriſtian II., den wirklich wieder herzuſtellen, 
wohl in Lübeck nicht ernſtlich gedacht wurde; man wiegte 
ſich in ſtolzen Erinnerungen, fand Rechtfertigung in dem 











Schstes Bud. 365 


Gedanken, daß die Hanſa bei Beſetzung des däniſchen Kar. 
Thrones mit zu veben befugt fei. Uber inzwiſchen bie 
Bauern in furdtbarem Aufftande an ihren adeligen Unter- 
drückern fi rächten, der Bürgermeifler die nordijche Krone 
auch anderen Fürften antrug, zufrieden mit jedem Herrſcher, 
wenn er nur ‚das reine Wort Gottes verkünden laſſe, 
und die Lübecker am Evangelium und ihrer Kaufmannfchaft 
nicht hindere“; hatte die Adelspartei auf Jütland fih raſch 
befonnen, mit den geflohenen NReichöräthen den Herzog 
Ehriftian ald König audzurufen, und eilte, dem Erwählten 
die Urkunde zu überreichen. Ihre Boten fanden ihn unter 
den Wällen von Kübel! Denn dorthin hatte Johann von 
Rantzau, Marſchalk des Holfteinifchen Adels, dem aus bol- 
fteinifchen Gebiete abziehenden Grafen Chriftoph auf dem 
Fuße gefolgt, fhon am 21. Juni den Krieg getragen, bie 
Landfchaft ringsum verwüftet, und das Volk, deſſen Ge- 
wiflen ſchon durch die Geiftlichkeit beirrt war, verdroffen 
und wanfelmüthig gemacht. Der Gewinn eines Königs 
reiche8 dadraupen tröftete Die Spießbürgerlichfeit wenig in 
der Entbehrung des gewohnten Behagens. Wullenweber 
und Marr Meier, eben zurüdgefehrt aus dem bezwungenen 
Kopenhagen, Eonnten durch friegerijche Ihätigfeit die Noth 
nicht wenden. Noch blieb ihnen die See und ihre fieg- 
reiche Flotte; um jedoch die fchadenfrohen Junker und Die 
warnenden Propheten zu entwaffnen, mußte der Dictator 
der Hanfa darauf finnen, in guter Weile die holſteiniſche 
Fehde zu beendigen, ohne bie däniſche aufzugeben. — 
Hamburg bot feine allezeit fertige Vermittelung, jo wie dic 
Häupter des fhmalkaldifchen Bundes, denen, ald Freunden 
beider Parteien, die politifche Einheit des norddeutſchen 
Proteftantismug, zugleih aber auch das Dynaftifche Interejfe 


366 Bierter Theil. 


2.20. am Herzen lag. Nach Tängeren, unfrudtbaren Verhandlun- 
orcingen, während welcher Chriftian III. zu Horfend in Jütland 
vor. die fürmliche Wahl entgegennahm, 18. Auguft, und bie 
MWaffenerfolge ſchwankten, zulegt aber felbft einen Sturm 
auf Lübecks Mauern fürdten liegen, wurde zu Stockelsdorf 
der krumme, fonderbare Ausweg gefunden (18. November): 
Chriftian, ald Herzog von Holftein, mit Lübeck 
auszujühnen, der Fehde mit dem Dänenfönige, 
felbft bei der Möglichkeit eines Angriffe auf Sonderburg, 
ihren Lauf zu laffen. Eine innere Bewegung in Lü— 
bet half den Abſchluß des monftröfen Friedens befördern; 
aufgehegt durch die geheim raftlos thätige Ariftofratie, 
hatte die Bürgerfchaft, murrend über dad neue Regiment, 
dad die Heimath fo empfindlich gefährdete, Die Nüdfehr der 
alten Verfaſſung verlangt; die LXIV und C Männer muß⸗ 
ten fich zurüdziehen, Die jährliche Rathsumſetzung hörte 
auf (12. November 1534), wogegen fi Rath und Ge- 
meinde verbanden, den Krieg mit Dänemark eifrig fortzus 
fegen, ein Neceß, datirt auf den 9. October, Vergeſſen⸗ 
heit alles Böfen, Vertretung der bisherigen Tribunengewalt 
vor der Zufunft, verkündete, und ein Gebot gegen auf 
rübrerifhe Zufammenfünfte bei Strafe „am freien Höch— 
ſten“ erging. Wohl nit ohne Grund Tieß der Bürgers 
meifter, unter dem Einfluß der ariftofratifch gefinnten han 
ftihen Sendboten, den demofratijchen Ausfhuß, die Leiter 
fallen, deren er bisher fich bedient; er hoffte durch Er- 
neuerung der früheren Berfaffung die hämiſchen Tadler 
„eines aufrührerifchen, unordentlihen Raths“ verflummen 
zu machen, und fih Durch das Amneſtiegeſetz vor fpäterer 
Anklage zu ſchirnen. Wenn auch nicht geftürst, hatte der 
zu kühn fich felbft vertrauende Mann doch das Negiment mit 





Sechstes Bud. 367 


anderen getheilt, jenen Junkern, die jegt wieder in ben tw. 
Rath traten, und ihn Hinterten, im Stodeldorfer Frieden 
Beſſeres zu erlangen. — 

Jetzt Fonnte König Ehriftian, in den Norden geeilt, Siege 
und ficher des Beiftandes Guſtav Waſa's, welcher, wie er, Könige, 
die drei guten nordifchen Kronen ‚nicht eine Kramwaare ber 
Lübecker fein Taffen wollte”, den Auffland der Bauern in 
Jütland blutig unterdrüden, und ſank des Grafen Stern, 
dem die Gemüther fih abwenden mußten, weil die Wahl 
eined Tutherijchgefinnten SHerrfchers den Vorwand der Lü⸗ 
beder, für da8 Evangelium zu Tämpfen, entfräftete. Mit 
dem Adel der gothifchen Landichaften und durch Verrath 
überwältigte der Wafa den hanſiſchen Feldhauptmann Marx 
Meier bei Helfinborg, nahm ihn gefangen (Januar 1535), 
und beunruhigte mit feiner Flotte die Fahrwaſſer bis Danzig 
hin; Marr Meiers kühne Selbftbefreiung und abenteuerliche 
Unabhängigkeit auf Vardbiergsſchloß blieb ohne Einfluß 
auf die große Wendung der Dinge. Da führte Wullen- 
weber, die Laft des Krieges allein tragend, zugleih in 
Sorge vor den ‚geheimen Beinden daheim, den Herzog 
Albrecht von Mecklenburg, der, obgleich noch katholiſch, 
doch ein Verwandter Chriftians II., ſchon im Herbſt des 
vorigen Jahres für die gemeinfame Sache gewonnen 
war, unter Verheißung der Negentichaft, in Perſon nad 
Seeland (April 1535); aber des neuen fürftlichen Yeld- 
heren ungeaditet ging Chriftian II. nach Fühnen, und 
erfoht Johann Rantzau den entjcheidenden Sieg am Ochſen⸗ 
berge (11. Juni), wo leider deutfche Landsknechte auf bei⸗ 
den Seiten dienten. Gleichzeitig gerieth bie ſchwediſche 
Flotte, um Gothland mit den Schiffen des Herzogs von 
Preußen, Schwagerd ded Dänenfönigs, vereint, eritlih 


368 Vierter Theil. 


Rap. unter Bornholm (9. Juni) nicht ungünftig an das hanſtſche 
Geſchwader, und bemächtigte fich wenige Tage Darauf (16. 
Junt) auf der Ahede von Svendborg der fchlecht bewachten, | 
zum Theil von ihren Führern, im Interefie des Patrizier- 
thums, verratbenen lübifchen Schiffe. Am 24. Sult 1535 
rüdte Chriftian IM. mit königlicher Macht vor feine, von 
unbefchreiblicheın Sammer bedrohete, Kauptftadt! 

WS die Pläne der Demokratie fo harten Schlägen 

weberd. unterlagen, war inzwifchen aud über den Bürgermeifter 
das Fangneg feiner hämijchen Feinde audgeipannt. Eben 
näherte fih das gräuelvolle Wiedertäuferreih in Münſter 
feinem Untergange; durch die Theologen und audgewichenen 
Bürgermeifter verläftert, EFonnte das gefunde, demokratiſche 
Regiment in Lübeck nirgends Sympathien erweden; Brömfen 
betrieb das ernftliche Einfchreiten der kaiſerlichen Gewalt 
gegen den „Böſewicht“, und auf dem Friedendtage zu 
Hamburg, 9. Juni 1535, erklärten ſich jelbft die ftädtiichen 
Bermitteler feindlich gegen die Demofratifchen Regungen. 
Noch nachbrüdlicher auf der allgemeinen banftihen Ver⸗ 
fanımlung, Die, erft zu Lüneburg eröffnet (10. Juli), 
dann nach Lübeck verlegt, einen um fo flärferen Einfluß 
auf das Geſchick des Vororts ausüben mußte. Die Send- 
boten entfernter, mit der Lebensfrage der wendifchen Stäbdte 
weniger oder gar nicht betheiligter Gemeinwefen, als Kölns, 
Bremend, Osnabrücks, Kampend, Soeſts, Göttingens, 
Braunichweigd, Hannovers, Hildesheimd, Hamburgs, Dan 
zigs, Rigas, ja Zwolld und Deventerd, begehrten zwar 
Brieden mit den nordiſchen Reihen, mit dem „frommen“ 
Chriftian, und Sicherung der hanſiſchen Privilegien, aber 

auch Maßregeln gegen die wiedertäuferifche Bewegung, Die 
mit den inneren demokratiſchen Unruhen unjerer Städte in 











Schstes Bud. 5 369 


die gehäfflgfte Verbindung gebracht wurden; ja, unter der Ru 
bangen Stimmung, welde das Bürgertfum wegen ber 
münfterifchen Ereigniffe ergriffen, bei ber Erſchrockenheit 
über fo ungebeuere Berwidelung der Dinge im Norden, 
konnte in einer überwiegend proteflantifchen Verfammlung 
der. Segen der evangelifhen Lehre felbit in Trage 
fommen; durften Kölns Rathöherren die Ueußerung wa⸗ 
gen: „bei ihnen erſäufe und köpfe man die Keber; man 
wolle bei der alten Gewohnheit bleiben, und befinde fi 
wohl dabei‘. — Unter jo klaͤglichem Umfdlage der Hffent» 
lihen Meinung verballte zwar Wullenweberd feurige Schil« 
derung des Kampfes, als zur Rettung des alten löblichen 
Herfommend des Bundes; doch warb auch das Friedenswerk 
nicht gefördert, da König Chriftian die Theilnahme feiner 
däniſchen Städte an den Unterhbandlungen hartnädig ver⸗ 
weigerte. Den flolzen Dietator, weldher noch immer feiner 
Kraft vertraute, zu fällen, mußten die Hebel noch tiefer 
angefeßt werden. Als Wullenweber, raſtlos in Stadtge« 
fhäften, eben nicht daheim, erſchien dad Fatierlihe Kammer⸗ 
gerichtömandat, d. Speter d. 7. Juni, welches bei Drohung 
der Acht die Abſtellung aller Neuerungen gebot. Iener Aus⸗ 
fhuß der Sanfa, welcher fchon früher feine Anklagen gegen 
das ganze Regiment von Lübeck erhoben, drang auf Ge- 
horſam gegen das Reichsgericht, auf die Rückkehr Brömſens, 
Dad Abtreten der neuen Bürgermeifter und Rathsherren. 
Erſchreckt folgte die Bürgerſchaft; Wullenwebers Amtöge- 
noſſen dankten ab (16. Auguſt); beide verföhnt mit der 
DPeränderung, weil das Lutherthum unangetaftet bliche, 
Zurückgekehrt von feiner Sendung fand ber Bürgermeifter Rüdtche 
feinen Sturz unausbleiblich vorbereitet; er wich, voll Bornmans, in 


Lübeck. 


über den Kleinmuth ſeiner Amtsgenoſſen, hielt noch am 
Barthold, Staͤdteweſen. IV. | 24 


370 Bierter Theil. 


rar. 36. Auguft eine Anrede an das Volk, und ging, begleitet 
son den Schimpfreden des Pöbels, ald Privatmann nad 
Haufe. An demfelben Tage übernahm der Rath, „als von 
Gott verordnete Obrigkeit”, wiederum die frühere Gewalt 
im ganzen Umfange, ohne der Gemeinde Einmiſchung in 
die öffentlichen Angelegenheiten, wider feinen Willen, zu 
geftatten; verpflichtete fich jedoch zur Aufrechterhaltung ber 
Predigt und des Gottesdienſtes bis zum allgemeinen Concil, 
und den Krieg gegen Dänemark bid zu einem „rechten 
Frieden” fortzufegen. Ehrliches Wohlwollen eines Theile 
der Bürger ſicherte dem geflürzten Staatsoberhaupte tie 
Anwartfhaft auf die Umtmannsftelle in Bergetorf; am 29. 
Auguft hielt Nicolaus Brömfen, vom Kaiſer geadelt, feinen 
feierlihen Einzug, und nahm, nad der Verdrängung des 
„Böſewichts“, feinen Stuhl als ältefter Bürgermeifter 
wieder ein, gleichwie am 20. September der Path mit 
entihiedenen Gegnern Wullenwebers und des „aufrühreri- 
fhen, muthwilligen“ Krieges ſich ergänzte. Bum Scheine 
dauerte die Fehde fort, weil das Volk nicht umfonft tie 
Opfer gebracht haben wollte. Uber auch als Privatmann 
fonnte der Gefallene den Ausgang bed Kampfes nicht müfitg 
abharren; er wußte obenein, daß feine Feinde nidht ruhen 
würden, ihn zu verderben. Falſche Beihuldigung und | 
wirkliche, verwegene Abſicht beirren von jetzt ab das Urtheil 
der Geſchichte. Um Herzog Albrecht und den Grafen, deren 
Bedrängnig im belagerten Kopenhagen ftleg, zu retten, 
befchlog Wullenweber, vergeblih gewarnt durch ehrliche 
Männer, zum Entfag feiner fürftlihen Freunde einen Hau: 
fen Landäfnechte, der im Lande Hadeln des Beſcheids war: 
tete, in Perfon nach Seeland zu führen, vielleiht auf 
vorher mit ihrem Beiftande und mit feinem Anhange unter 








Sechstes Bud. 71 


den abgefegten LXIV, bie gehaßte Jurferhertfchaft in Lü⸗2. Kav. 
beck nochmals zu flürzen. Aber auf dem Wege durch das 
Erzbisthum Bremen ward der Geleitölofe ausgekundfchaftet, 

dur die Amtleute des Erzbifchofs, eines obwohl katholi⸗ 

ihen Freundes Chriſtians III., ergriffen (October 1535), 

und aus Rothenburg nad Steinbrück bei Wolfenbüttel, in Wullen⸗ 
die Hände Heinrichs des Jüngeren von Braunfchweig, Deßgefangen. 
grimmigen Kegerfeindes geführt. — 

Inzwifchen rollte der Anſtoß, den Wullenweber ge⸗ 
geben, dur halb Europa, und erfaßte die widerſpruchs⸗ 
vollften Intereſſen. ine wohlverfehene Flotte der wendis 
fhen Städte, im Spätherbfi unter ehrlichen Tutherifchen 
Führern, aber einem von der Ariftgkratie in Lübeck bes 
ftellten Admiral, kehrte nach geringer Verrichtung aus der 
Nähe des Hungernden Kopenhagens heim; denn die Jun 
fer hatten Sorge getragen, daß unter Striegserfolgen die 
Volkspartei nicht wieder aufathme, ſollte auch die Hanfa 
darüber zu Schanden werden. So fand denn die Vermit⸗ 
telung der ſchmalkaldiſchen Bundedgenofien neues Gehör. 
Zagefahrten wurden zu Hamburg wieder eröffnet; Lübecks 
Rath Hatte Vollmacht von der Gemeinde, auch für bie 
Stadt allein Frieden zu ſchließen. Am 14. Februar 1536 Bra. 
fam eine Sühne zwifchen Dänemarks anerfanntem Kö⸗ burg. 
nige, Lübeck und Stralfund zu Stande; Roſtock und Wis- 
mar hielten fih durch die Rückficht auf Herzog Albrecht 
no gebunden. Günftig genug lauteten die Bedingungen 
für die Lüheder; Herſtellung ihrer alten Rechte und Ge⸗ 
wohnheiten in den nordifhen Reichen; der Beflg Born 
holms noch auf 50 Jahre länger; aber zum erftenmale 
hatte ein König Dänemarld Unerfennung von ber 
Hanſa .ertrogt; Lüber den Kampf aufgegeben, den es im 

24* 


372 Vierter Theil, 


Kap. ehrenvollen Streben nah Behauptung feiner Macht im 
Norden, und nach Ausbreitung evangelifcher Wahrheit und 
demokratiſcher Breiheit begonnen. Kopenhagen, auch bur⸗ 
gundifcherfeit® ohne Hoffnung des Entſatzes, mußte fi, 
nah Drangfalen,, ähnlich denen Ierufalems in Kaifer Titus’ 
Tagen, am 28. Juli 1536 dem König ergeben; indem 
Chriftian III, das Lutherthum in feinem Reiche befeftigte, 
erftarkte zugleich das Fürſtenthum, flegreih über die Des 

Aunggangmokratie, welche der Meform zuerft Bahn gebrochen. Sene 

zuge Männer, welde, mehr oder weniger großgefinnt ober 

ſehde. geiftesflar, ale aber mit verwegenem Muthe, die Kirchliche 
und politifhe Tendenz verfolgt Hatten, büßten mit Dem 
Leben, von Mitwelt und Nachwelt beſcholten und verläftert. 
Sp Marr Meier, gegen Bertrag vom Adel bingerichtet, 
in deifen Sand er fih überliefert; fo Jürgen Wullenweber. 
Bor dem fremden Gericht des Welfen in Wolfenbüttel 
duch die Ariftofratie der eigenen Vaterfladt und den 
fremden König wegen feines politiichen Strebens an⸗ 
geklagt, gefland er auf der Solter, was ex gewollt, welde 
Pläne fih dunfel in ihm geregt; der Wiedertäuferei be⸗ 
züchtigt, Teugnete er fo ünfinnige Befchuldigung, und nahm 
Geftändniffe, welche die Marter erpreßt, in der Todesflunde 
zurüd. Vor Wolfenbüttel empfing er, männlih gefaßt, 
den Tobeöflreih (24. September 1537); in den anderen 
Städten, zumal in Stralfund, wurden die Häupter der 
Demokratie gräulich ausgemorbet. Kein Zweifel, Wullen- 
webers Pläne in ihrer rieſigen Austehnung fanden mit 
dem Entwicelungögange ber neueren Welt im Widerfprud, 
und blieben deshalb unausführbar; aber eben: jo ficher if, 
bag ein ſtarkes demokratifches Element in unferem erfchlaffe 
ten Baterlande wohlthätig gewirkt, und daß fein Streben 














Sechstes Buch. 373 


nad Herftellung der Größe des Hanfabundes, auf ein ber 2.R- 
ſonnenes Maß zurüdgeführt, das Beſtehen deſſelben nod 
auf einige Geſchlechtsalter hinaus verbürgt und den deut- 
then Oftfeehandel von der Feſſel des. Sundzolles befreit 
haben würde. Der verzeihlichfte Vorwurf, der ihn, wie ähn- 
liche Geiſter vorher und nachher, treffen kann, ift: er maß 
nach feiner eigenen Kraft ein entartetes Geſchlecht. 
Die Ariftofratie von Lübeck, welche vor der Reformation 
und dem Berfoffungsumfturze mit Muth, ſelbſt bis zur 
Erſchöpfung, den Kampf für das mittelalterliche Recht der 
Hanfa ind Auge gefaßt, gab baflelbe auf, als die ihr 
widerwärtige innere Macht im Streite eben für jenes Recht 
fih aufgefhwungen. Fortan fuchten die Städte nur durch 
Bitten, Geſchenke und kaiſerliche Fürſchreiben die Beftätigung 
Der Privilegien; aber die Könige vergaßen ihre papierenen 
Derheißungen, fo viel die Städte nad Vollzug fchrieen. 
Nur Hamburg, das umfichtig ſich neutral verhalten, gewann Kuss 
Durch die veränderten Ganbelöwege, und wandte fi, Ele hmung. 
blühend an Volkszahl, entfhieden auf die Norbfee. Als 
zeihsfrei von Marimilian anerkannt, entging doch nicht 
die deutfche Handeldmetropole an der Nordfee fpäterer Ge- 
fährdung, als fie im Mat 1538 dem Herzog-König gelobt, 
‚zu ihm, als erbgeborenen Landesfürften und Herm, wie 
«3 frommen Leuten gebührt, fih zu verhalten”. — 
Nachdem wir die Natur der Reformation in unferen 
Städten, ihre inneren Hülfsquellen, ihre Willenskraft, aber 
auch ihre Gefahren dargetban, eilen wir über die Wirren, 
Verkümmerungen, Anflände und Hoffnungen ber naͤchſten 
zehen Jahre hinweg, um nachzuweiſen, was das proteflin- 
tifche Bürgerthum that, um im endlich doch unvermeidlichen 
Kriege feine Kirchliche Selbfibeftimmung zu wahren. Nur 


374 Bierter Theil. 


„Rep. einige äußere nahebezüglihe Momente jener unglücklichen 
mal ‚Zwifchenzeit deuten wir an. Ungeachtet ded Nürnberger 
Sund. Friedens vom Reichskammergericht behelligt, mit der Acht be⸗ 
droht, wie Augsburg und Hamburg, erweiterten die Glieder 

des ſchmalkaldiſchen Bundes, der auf zehen Jahre erftredt 

war, ihre Zahl zu Frankfurt (April 1536) mit Augsburg, 
Frankfurt, Kempten, Hamburg, Hannover und Minden, Als 

die Stände, zu Schmalfalden im Februar 1537 verfammelt, 

das angekündigte allgemeine Eoncil verworfen, und Die eifrig. 

ften katholiſchen Fürſten zu Nürnberg ſich verbündet (Juni 
1538), mußte der proteftantiihe Bund, jetzt 123 Stadte, 
befonders für Braunfchweig und Goslar fürchten, gegen welde 

ihr alter Widerfacher, Herzog Heinrich ter Jüngere, gern bie 
Kammergerichtsurtheile vollftrecft Hätte. Die neue Kriegs- 

noth vor ten Osmanen lieh c8 jedoch wiederum zum Ans 
Reforma, fand von Frankfurt Tonımen. (April 1539). Gleich darauf 
eben, verjchaffte der Tod des Herzogs Georg von Sachſen (17. 
| Eugen; ‚April 1539) dem Proteftantismus ſchnellen Eingang im 
denburg, albertinifchen Sachſen; dann folgte die längſt vorbereitete 
Meformation in Braudenburg durch Lie Söhne Kurfürſts 
Joachim J., zuerft in Berlin und Köln (November 1539); 

felbft der Primad von Germanien, der Kardinal Albrecht, 
Erzbiihof von Mainz, Magdeburg, Biſchof ron Halter 
ftatt, Fonnte den Strom nicht mehr aufhalten, und ge 
ftattete, wenn auch nicht ausdrüdlih gegen Uebernahme 
feiner Schulden, die Einführung der neuen Lehre in den 

Hate. Fleineren Städten feiner ſächſtſchen Stifte. Halle, fein 
Neftdenz, bisher noch von einem kathdliſchen Rathe regien, 
wollte nicht zurüchleiben; jene Borburg des Katholicismut 

fiel, und voll Unmuth 309 der Erzbifchof mit feinen Nr 
liquienfchägen aus feiner neuen Domfirdhe nad Mainz 








— — — — — — — — — 


Sechstes Buch. 9765 


(Herbſt 1541). Bald war im nörbliden Deutſchlande nur 2. Kar: 
der Welfe Heinrich noch übrig. Un allen Berathungen der 
Reichsſtände in Glaubensſachen behaupteten Die Städte eifrig 
ihren Autheil; zum Frieden erbötig, hatten fie die ver⸗ 
glichenen Artikel des Geſprächs zu Regensburg gebilligt; 
auf dem Reichstage zu Speier, von Seffion und Berathung 
über den beantragten allgemeinen Pfennig ausgefchlofen 
(Anfang 1542), Halfen fie dennoch willig in den Reichs⸗ 
friegen und fahen wenigflens von Seiten ihrer fürftlichen 
Bundesglieder die geäfhtete Stadt Goslar gegen Heinrich 
von Braunſchweig wirffam vertreten. Denn ald auch) Braun⸗ 
ſchweig über feindliche Neckereien, Sperrung ber Straßen 
und Morbbrand zu Hagen Hatte, gingen die Bundeshäup- 

ter dem gehaßten Friedensſtörer zu Leibe; die Bürger beider 
Städte gefellten fich muthig dem Zuge bei, welder am 
13. Auguft 1542 mit Wolfenbüttel Eroberung endete, 
Der Kaifer, mit feinen Hausfriegen befchäftigt, ließ bie 
Dinge fürs erſte geſchehen; wie er aber auf dem Reicha⸗ 
tage von Speier (Februar 1544) die Hülfe der proteftan« 
ttfehen Stände durch Zugefländnig eines nationalen Con« 
eils, und weil dieſe den König von Frankreich, als Bundes⸗ 
genofien ber Türken, ehrlih haften, gewonnen, und im 
Frieden zu Grespy (14. September 1544) flegreih ans 
dem franzöftfihen Kriege hervorgegangen, ſchien ihm bie 
Zeit gekommen, mit dem nachdrücklichſten Ernſte die kirch-⸗ 
liche wie politifche Spaltung des Neiches zu heilen. Denn 
überall, auch im Süden, Hatte die neue Lehre, bejonderd 

in den Städten, feften Fuß gewonnen; Negensburg, das Arie 
zaghaft nahe 20 Jahre den formalen Uebertritt gehindert, msrorma- 
hatte, To bitterböfe Baiern fich gebährbete, im Herbſt 1542 "9" 
eine vollftändige enangelifche Organifation, nad) einmüthigem 


376 Bierter Theil. 


„2.R0p. Beihlufie des Aeußeren und Inneren Raths, dem Aus⸗ 
fhuß der Bürgerihaft, mit Billigung des Reichshaupt⸗ 
mannd, überfommen; die junge Pfalz, wie die Oberpfalz, 
entichten fih zum Bleiben; und das Bollwerk gegen die 
Neuerung, Baierland, ſchien vereinzelt, umgangen, als 
auch Oeſterreichs Stände der geifligen Bewegung fih nicht 
länger erwehrten. Selbſt an den Grenzen feiner burgun⸗ 
diſchen Erblande, die er durch blutige Mittel gehütet, zu 
Aachen, noh mehr in Auftraflens alter Hauptfladt ſah 
Karl die ftürmifhe Aufregung; zu Metz, wo die Adels⸗ 
zeihen, die fünf „Pavaiges“ mit ihrem „Maitre Eſchevin“ 
und deſſen XII in adeligsfirengem Vorurtheile die Ketzerei 
feit 1523 niedergehalten, Hatte ein Brüderpaar aud den 
Geſchlechtern, mit Anlehnung an den fhmalfaldifchen Bund, 
der reformirten Predigt eine Kirche erwirft (1542); und bie 
alte Ordnung der Dinge fonnte durch einen kaiſerlichen Rath 
nur des halb hergeftellt werden, weil der proteftantifhe Bund 

ve aus lutheriſchem Eifer der zwinglifchen Schweftergemeinde 

an fih nicht annehmen mochte. Endlich fehlen ſelbſt die hei⸗ 
lige Stadt Köln, „die treue Tochter der römiſchen Kirche”, 
deren Rathsſendboten noch wenige Jahre vorher fo bluti⸗ 
gen Ketzerhaß auf dem SHanfetage befundet, durch den 
Abfall feines gealterten Erzbiſchofs, Herrmann, bedroßt. 
Schon predigten die Neuerer in Bonn, Reſidenz ded Erz⸗ 
biſchofs; vergeblih eiferte das Domfapitel, mahnte ber 
Katjer, drohete der Papft; die Reform, durch den ehrlichen 
Kurfürften offen begünftigt, fehritt durch die Stiftslande. 
Nur der Senat der Hauptfladt widerfehte fih flandhaft, 
mehr aus. politifchen als aus religiöfen Gründen; bang 
für ihr Beftehen, verbot die patrizifche Genoſſenſchaft, bie 
auch in Köln fih wieder an der Spige zufammengefunden, 














Sechſtes Bud. 377 


Intherifhe Predigt, Drud und Verkauf reformatorticher 2. tw. 
Bücher, und ward deshalb som römifchen Hofe nach Ver⸗ 
dienft belobt (1543). AS nun der Kaiſer inne wurde, 
daß die ſchmalkaldiſchen Bundesgenofien ſich des abtrünnigen 
Erzbiſchofs anzunehmen geneigt feien (December 1545); 
Turzuorher aud Herzog Heinrih von Braunfdweig in die 
Hand berfelben geraiben; fte die Beſchickung des Concils 
zu Trident verweigerten;_fihloß er feinen Stillſtand mit 
den Osmanen, unterzeichnete feinen Bund mit Paul IM. 
(Anfang Juni 1546), verftändigte fih im geheim mit 
Herzog Morig von Sachen, und überrafchte die proteften- 
tiſchen Bundedgenoffen durch unzweideutige Kriegsrüſtung 
während des Heichötages zu Regensburg (Juni 1546). 
Aber jener Berein entwickelte eine unerwartete Energie. nn 
Ungeachtet feiner. trogigen Sprache, hafteten mancherlei Män- Ts 
gel am Bunde, dem mächtige evangelifche Stände, wie Bran⸗ 
denburg, das albertinifche Sachſen, Chriftian von Dänemark 
ald Herzog von Schleswig und Holflein, felbft Städte, wie 
Nürnberg, Regensburg, Rotenburg, Schweinfurt, Dintels- 
bühl, Nördlingen ſich fern gehalten. Mißhelligkeit und 
Klage trennte die Städte von ben Fürſten, die dem Bunde 
anderweitige Ziele fledten; jene wünfchten einen Bundes 
rath, DBeränderung der Anſchläge; aber die Stunde ber 
Gefahr einigte die zwiftigen Gemüther, und Ulm, Straß⸗ 
burg wie Augäburg, angegangen durch friedlihe Erbietun- 
gen der kaiſerlichen Gefandten, waren weije genug, ie 
gemeinfame Roth zu begreifen, und fih nicht von den 
Zürften zu ſcheiden. Ja jene demokratiſchen Städte forder⸗ 
ten Gut und Blut an ihre heilige Sache daran zu jegen, 
während bie Patrisier in ihrer Mitte, einzig um ihr 
Geld beforgt, und aus Staudesinterefle Dem Kaifer und der 


378 Bierter Theil 


l 


_2.Ray. alten Kirche zugetban, wie namentlich in Augsburg, jener 
Begeifterung widerfirebten. So maͤnnlich⸗kluge Erhebung 
überrafchte den Kaifer, deffen Volk noch fern; ſchon mit 
Anfang Juli Hatten die oberländifchen Kriegsräthe 12000 
Mann im Felde, die Augsburger, ohne bie Ulmer, Kons 
ftanzer, Straßburger, allein 16 Zähnlein, über welde, 
nebft den anderen fläbtifhen, ber Stabthauptmann von 

c ue Augsburg, der Eriegderfahrene, muthige Sebaſtian Schärt- 

Sdart lin, Frundsbergs alter Schüler und Freund der Zunftver⸗ 
faſſung, den Befel erhielt. Die welſchen Hülfsſchaaren 
des Kaiſers auf ihren Verſammlungsorten in den Schluch⸗ 
ten ber baterifchen Alpen zu überfullen, fand Schärtlin 
am 9. Juli 1546, ehe noch die fürfllihen Bundesfeld⸗ 
herren biefleit8 des Thüringerwaldes waren, bei Süßen. 
Mber er durfte die Abziehenden nit auf baterifchen Boden, 
auf dem Wege zum wehrlofen Reichstagsſitze Regensburg, 
verfolgen; denn die Herren im Kriegsrathe fürchteten Bai⸗ 
ern, das doch Tängfi im geheim durch Karl gewonnen war, 
duch ſolche Rückſichtsloſigkeit auf des Kaiſers Seite zu 
treiben, und Yähmten durch gleiche unkluge Bedächtigkeit 
bes kühnen Oberften Entſchluß, nah raſcher Erſtürmung 
der Ehrenberger Klauſe, durch das unzuftiedene Tirol gen 
Trident zu ziehen, wohl gar das Concil zu ſprengen, oder 
mindeſtens bie Gebirgspaͤſſe nach Baiern und Schwaben 
dem italieniſchen Zuzuge zu verſchließen. Die weiſen Herren | 
zweifelten nemlich noch, ob auch der römiſche König Ter⸗ 
dinand fich für feinen Bruder, den Kaifer, erflägen werde! 
— Berdrofien Tieß Schärtfin von feinen Welbzugsplänen 
ab; inzwiſchen benugte Karl die Beit trefflih, und als zu 
Anfang Auguft der Kurfürft und Landgraf bei Donaumerth - 
fich mit dem oberdeutſchen Heere zu einer Maffe von über 





Schstes Bu. 8379 


40000 Mann vereinigt Hatten, begann jene Topflofe und 2.Ta. 
doch vielföpfige Kriegsführung, welche, nach mehrmonat« 
lichem Hin= und Herziehen die Donau aufwärts und abs 
wärts, als auch die niederländifchen Truppen des Kaifers 
am 17. September zu ihm geflogen, über Nördlingen, an 
Ulm vorüber, von Mitte des October ab, Beide Heere 
zwifchen Giengen, Lauingen und Gundelfingen zuſammen⸗ 
drängte. Schlechte Jahreszeit, Mangel an Lebensmitteln 
und Krankheit, vor allem aber Erſchöpfung an Geldmits 
teln, fo bereitwillig die oberdeutfchen Stäbtefänntereien, 
bei böswilliger Verſagung der reichen Gefchlechter, ihre 
Anlagen vervielfacht, hatten. im proteflantijchen Heere all« 
gemeinen Unmuth erwedt, als bed Kaiſers Kriegspläne 
in Verbindung mit dem falſchen Albertiner fich plötzlich 
entwickelten. Auf die Kunde, Morit erobere die Erblande, 
durfte Kurfürft Johann Friedrich nicht Tänger im Lager 
verharten; am 23. November trennte ſich das proteftantifchenung ver 
Heer bei Giengen, und ſah fih das Taiferliche, Eurzbocher en 
im elendeften Buftande, als Herrn des Feldzugs. Widergeuonm 
die Verabredung, das Oberland durch ein Winterlager zu 
fhügen, eilten die Fürſten heimwärts, und überließen . bie 
Städte, deren Kaufberren freilih, wie Ulms, unzeitig mit 
Vorſchüſſen gekargt Hatten, ihrem Schickſale. Wegen folder 
Nücdfichtölofigkeit der fürftlihen Bundesglieder berechtigt, 
fih zu Helfen, wie es au ginge, knüpften Bürgermetfter 
und die fünf. „Geheimen“ von Ulm, nachdem Fleinere 
Städte, wie Nördlingen, Hall, felbft Rotenburg und Heil⸗ 
bronn‘, fih widerſtandslos unterworfen, durch geſchmeidige 
oder untreue Patrizier Unterhandlungen mit den faiferlichen 
Miniften an, und erlangten, vom Rathe bevollmaͤchtigt, 
am 23. December zu Hall. des Kaiferd Huld, allgemeine 





—Ni 


380 Vierter Theil. 


2.Ray. Verſprechungen wegen der Religion, mit Vorbehalt einer 
GSeldftrafe, gegen demüthige Unterwerfung. Memmingen 

und Biberach folgten fo zaghaftem Beiſpiele; aber ſyſtema⸗ 

tiſch ließ der Fatferliche Hof keinen Stand zur-Ausföhnung, 

ohne eine große Strafſumme aufzulegen. Ulm zahlte 
werfung 100,000 Gulden, mit Veranſchlagung ſeines ausgelieferten 
oberlän, Gefhüged und feiner Kriegsvorräthe, Heilbronn 20,000, 
Er Eßlingen 40,000, Reutlingen 20,000; es raͤchte ſich bie 
Sparjamfeit und die Klage wegen unerträgliher Kriegs⸗ 
laſten. Als auch ter Herzog von Wirtemberg am 7. Ja⸗ 
nnar 1547 des Siegerd Gnade erlangt, durfte Augsburg, 
wohin Schärtlin mit 13 Zähnlein ſich durchgeſchlagen, und 

fih vermaß, die Stadt Jahr und Tag zu Halten, nicht 
länger auf den Muth feiner waderen Zünftler bauen. 
Denn ſchon waren viele Gefchledhter, des Alten heimliche 
Anhänger, ausgewandert; die großen Kaufherren,, wie 
Anton Tugger, ohne den ehreifrigen Sinn der Bürger zu 
theilen, unterhandelten zu Murtach mit dem Kaifer, ber, 
nachdem der gehaßte Schärtlin ihm durch die Flucht nad 
Konftanz entronnen, ohne der Meligion zu erwähnen, am 

27. Januar 1547 gegen 150,000 Gulden, Auslieferung 

son 12 ſchweren Gejhügen, und Aufnahme einer Be⸗ 
faßung, die Stadt „begnadigte”. Fugger forgte für das 
Geld; no ahneten die Bürger nicht die haßwürdigſte 
Reaction in politifchen und Eirhlichen Dingen. Auch den 
Math des mwohlbefefigten, reich mit Bedarf verfehenen 
Frankfurts vermochte das nieberländifche Heer, welches, 
geihwächt von Krankheit, ohne Belagerungsgeihüs, heim- 
wärtd z0g, fihon am 29. December 1546 zur Unterwer⸗ 
fung, fo männlih Zünfte und Prediger wiberfirebten; ber 

alte Kurfürft von Köln, vom Papfte fihon im April 1546 


— ar 








Sechstes Bud. 381 


gebannt und entſetzt, jetzt auch durch die Waffen des Coad⸗2Kap. 
jutord, Adolf son Schaumburg, bedroht, entjagte am 
27. Februar feinem Bisthume, unter getümmelvoller Bes Köln. 
wegung der Bürger, die mit dem reformfeindlichen Mathe 
keineswegs einverftanden waren. Glimpflichere Bedingungen 
erwirfte allein Straßburg, beffen Stättemeifter, der wadere Strap 
Jacob Sturm, noch im März 1547 an Widerftand mahnte, 
aber deutſch-patriotiſch in die trügerifhe Schugerbietung 
Frankreichs nicht einging. Sorge vor jenem lauernden 
Gegner vermochte den Katfer, den Straßburgern den Sühn- 
brief für nur 30,000 Gulden und Auslieferung ihres Ge⸗ 
fhüßes zu verkaufen, ohne ihnen eine Beſatzung aufzu= 
Drängen. Dod mußten Meifter und Rath gegen den alten 
Brauch dem Kaifer huldigen. — Sp war im Oberlande, Biber: 
der fchmalfaldifhe Bund zergangen, und nur Konflang, mine 
noch nicht ausgejühnt; Kurfürft Johann Friedrich aber Städte. 
fchnell wieder Meifter jeiner Exrblande geworden; als ber 
muthige Entfhluß der niederdeutfhen Städte, zumal 
Magdeburgs, Bremend, Hamburgs, Lüneburgs und 
Braunſchweigs, dann auch Goslars, Hildesheims und 
Sannovers, „bei Gottes Wort und den erlangten Frei⸗ 
heiten deutſcher Nation zu bleiben”, dem „Unüberwind⸗ 
lichen” Kaifer und feinen Spaniern bedenkliche Sorgen zu 
bereiten begann. Mit Gelb Hatten unfere Städte zurück⸗ 
gehalten, als der Kampf in Süddeutfchland ausgebrochen; 
jet jedoch, als bei Mühlberg der ehrenwerthe, aber als 
Politifer und Feldherr unfählge Kurfürft feinem Unfterne 
erlegen (24. April 1547), ald Landgraf Philipp von 
Heſſen, der einft jo trogige Maun, verzagt nur in Unter⸗ 
handlungen feine Rettung fuchte; boten, von aller Welt 
verlaffen, jene Bürger Gut und Blut für ihre gute Sache, 


332 Dierter Theil. 


2 Kap. und errangen bor Mit = und Nachwelt den Ruhm, daß ihnen 


Bremen. 


bürgerlihe und Gewiſſensfreiheit nicht ein bloßes Rede- 
geſchmück fei. In allen Städten. bis zur Oſtſeeküſte hin— 
unter wurde eifrig an Feſtungswerken gebaut; die lutheri- 
ſchen Gemeinweſen Weftfalens, wie- Soeft, Lippſtadt, wie- 
fen männlid die kaiſerlichen Heerhaufen, welde vom Nie- 
berrhein auf Bremen zogen, aus ihrem Weichbilde ab; 
Bremen felbft, am naͤchſten bedroht, blieb „in Gott ges 
troft, feine Gerechtigkeit zu vertheidigen”. Das Geld ber 
übrigen rüftete die Grafen, Chriftoph von Oldenburg und 
Albrecht von Mansfeld, zum ebrenvollen Streite aus. 
Schon hatten die erſten „Mordbrenner und Böſewichter“, 
welde unter des Statthalterd von Seeland und Ehriftophs 
son Wrisberg Führung, Bremen umfihloffen, das Weite 
gejucht, ald Herzog Erich von Kalenberg, mit jenem ner- 
einigt 29,000 Mann ftarf, mit grimmigen Worten die 
Stadt „auf Eailerlihe Gnade und Ungnade“ aufforberte. 
Abgewieien durch Rath und Bürgerfchaft, welche gelobt, 
„fich nicht zu unterwerfen, bis der unterſte Stein zu oberft 
gekommen‘, hatten. die kaiſerlichen Weldherren die Bela⸗ 
gerung mit allen Künſten des damaligen Kriegsweſens be- 
gonnen, ohne den freudigen Muth der Bremer im gering- 
fen zu erjihüttern, als das gräflich= fHädtiihe Heer an bie 
Weſer ceilte, jene von ber belagerten Stadt abzog, und, 
nah frommer Vorbereitung, begeiftert von der Sache, für 
welche e8, ber lebte Hort der proteflantifhen Sache in 
offenem Belde, foht, bei Drakenborg am 23. Mai 
1547 den hochmüthigen Welfen in wilde Flucht trieb. 
Bierthalbtaufend Todte bedeckten die Wahlftatt; beſchimpft 
und verhöhnt vor aller Welt entsann Wrisberg mit ber 
erbeuteten Kriegscaffe, und Jubel herrſchte am Pfingſt⸗ 





— —— — — — — — 


—— — — — — 


Sechstes Buch. 383 


fefte zu Bremen, als die Grafen mit dem eroberten 2 Kap. 
Belagerungsgefchüg Dort eingezogen. Der „Unüber- 
windlichſte“ ‚verließ mit feinen fürftlichen Gefangenen 

die Eiblande (23. Iuni 1547), ohne das nahe bebenf- 

liche Kriegsfeuer zu dämpfen; auf dem geharnifchten Reichs— 

tage zu Augsburg (2. September 1547 bis Juli 1548) 
wähnte er das unterjochte Deutfchland nach feinen felbft- 
willigen Plänen zu geflalten. 

Einen traurigen Zwiſchenact in dem Schaufpiele allge-®i ae 
meiner Muthlofigfeit des größten Theils unfered Bolfeg Se 
boten noch die lauſitziſchen Sechoſtädte. Hochverdient —* 
die Handhabung des Landfriedens, und deshalb vom Adel 
bitter gehaßt, hatten ſie ſich, gleich Schleſtens größeren 
Städten, unter. dem letzten Jagellonen auf Böhmens Thron 
und unter Ferdinands ſchonungsvollen Anfängen, ſelbſtſtän⸗ 
dig evangeliſche Einrichtung gegeben, aber auch, wie zumal 
Görlitz nach dem blutig geſtraften Aufruhr der Tuchmacher 
i. J. 1527, die Herrſchaft der rathsfähigen, ſich ſelbſt er- 
gänzenden Geſchlechter, behauptet. Als nun im Frühjahre 
1547 die reformirten Stände Böhmens, namentlich die 
Prager Städte, ſich weigerten, ihrem Könige zur Achts⸗ 
vollſtreckung gegen Johann Friedrich zu helfen, hatten 
Städte und Landſchaft ber Laufig und der naächſten ſchle— 
ſiſchen Herzogthümer, nicht undentlich böſen Willen gegen 
Ferdinand, und Mitgefühl für den Glaubensgenofſen zu 
erkennen gegeben, wenigfiens fi müffig verhalten. ber 
gerade dieſe Halbheit der Schöftäbte, in denen fein kräf⸗ 
tiges demokratiſches Element drängte, fihlug ihnen zum 
Merberben aus, Des Hochverraths zu Prag angeklagt, 
und verleitet Durch den tückiſchen Adel, der gleich viel ver⸗ 
ſchuldet, nicht zihterlicher Unterſuchung, fondern, in 


384 Bierter Theil. 


_2.Ray. jämmerlicher Mechtsentäußerung, der Gnabe und Ungnade 


Das 


Interim, 


des unmilden Königs fih zu unterwerfen, erlagen vie 
Schöftädte, September 1547, jenem ſchweren „Pönfall“, 
welcher ihre mittelalterliche Kraft brach. Zur Schaden 
freude ber Nitterfhaft wie gemeine Verbrecher gemißhan⸗ 
beit, mußten ihre Abgeordneten in die Aushändigung aller 
Privilegien und fädtifcher Sagungen, aller Waffen und 
Kriegsmittel, aller Stadt "und Landgüter, aller Kirchen; 
Heinodien, endlich in ein Strafgeld von 100,000 Gulden 
willigen, und diefe Artifel, unter dem thatlofen Murren 
der unverfchuldeten Handwerfer, vollziehen Taflen. Cinige 
Briefe, welde zumal Görlig als Gnadengeſchenk gegen 
hohe Kanzleigebühren zurücderhielt, waren nur von unter: 
geordnneter Bedeutung, und wenn auch i. I. 1559 ber 
Rath die freie Kür wieder gewann, fo haben die Sechs⸗ 
flädte jenen Schlag des fürftlihen Despotismus, den „Pön⸗ 
all’, nie verwinden können. — 

Inzwiſchen mißbrauchte ungroßmüthig der Kaifer auf 
auf dem Reichstage zu Augsburg die Rechte des Siegers. 
Die Neihsftädte, vom lauernden Patriziertfum als Uns 
hänger der Auflehnung beſchuldigt, blieben von den wid 
tigften Berathungen ausgeichloffen fo in Betreff der neuen 
Kammergerichtsordnung und des Reichsanſchlags gegen die 
Türken. Seit der feigen Anerkennung durch die großen 
Neihöftände (15. Mai 1548) hatte das „Interim“ ges 
fegliches Anfehen im Reiche erlangt, und hob jene tröft- 
lihe Zuſicherung ungefränfter religtöfer Freiheit auf, für 
welche die Städte dem Faiferlichen Willen fi) unterworfen 
hatten. Schon fo Hart geprüft, gedachten fie gemeinfam 
zu protefliren; inzwifchen aber gewann der Kaiſer einzelne 
gefügige Nathsförperfehaften, wie die Nürnberger, 22. Suni 














Schstes Bu. 385 


1548, die Memminger, die Regensburger, und fhüchterte 2:8 
Standhaftere durch „ſpaniſche“ Gewaltdrofung ein. Sogau ve der 
mußte Augdburg, wo ſchon am 18. Juli 1547 Ber Bifgoftatie in 
mit der Klerifei eingezogen war, die Domkirche nebft un⸗ burg. 
geheusten Gntfhädigungsjummen erlangt Hatte, und wo 

alle duch Schärtlind Kriegäführung beichädigten Nachbar⸗ 
fände unverhälmißmäßige Erklattung forderten, nad) bangem 
Beichluffe des Großen und Kleinen Rathes am 26. Juni 
1548 das Faijerliche Gebot annehmen, alle Kirhen und 
Kapellen räumen. Aber alles war nur Vorbereitung auf 
Härtered und Schmachnollered. Kaifer Karl hatte ſich über 
zeugt, Daß das BZunftregiment feit dem früheſten Mittels 
alter die Seele jener Oppofttion gegen das Papftthum 
gewefen, ber feine Vorfahren im Meich den Reſt einer 
würdigen Stellung Rom gegenüber verdankten; daß Dages 

gen das Patriziat e8 immer mit der Geiftlichfeit gehalten, 

und dem Reichsoberhaupte anhängig geblieben, wenn daſſelbe 

nicht in offenem Bruch mit der Kirche fland. Obgleih nun 

im Zwieſpalt mit Paul II, wegen deſſen Eoncil und 
wegen des Interimd, doch mit ihn einmäthig in den kirchli⸗ 

hen Unionsplänen, beſchloß der @igenwillige, die zünftige 
Dppofition zu brechen, und gab dadurch den denkwürdigſten 
Beweis, daß er die populare Bewegung in den Städten 
allein als Verfechterin der religiöſen Freiheit fürdhte. 
Zum Sturz des gehaßten Zunftregiments ſollte darum am 
Reichstagsſihe der Anfang gemacht, und der Reformation 

bie ftärffie Grundlage genommen werden. Argliftig und 
ohne Sinn für die größte Geiftesthat unferes Volkes hatte 

die „Erbarkeit”” von Augsburg im kaiſerlichen Kabinet vor⸗ 
gearbeitet, und bereits eine Schrift eingerdicht, in welcher 


fie den görtlihen Beruf der Gejrhlechter en ftädtifchen 
Barthold, Staͤdteweſen. IV. 


rn 





886 Bierter Theil. 


2.Rap. Herrſchaft mit jenem faft verfährten Hochmuth der „Bür- 


ger’ des XIV. Jahrhunderts ausſprach, die natürlicde 
Unfähigkeit ded gemeinen, groben „Pöbels“ zu Würden 
und Aemtern, zu allen Staatsgeſchäften in der efelhafte- 
ſten Weife darzulegen fi Semühete, Die Schuld Des Ab: 
fall von der Kirche, des Ungehorſams gegen den Kaiſer 
den Zünften beimap, dagegen ihre löbliche Eintracht mit 
dem hohen Klerus anpries, endlih auf die Abſchaffung des 
Bunftregimentd und auf Wiederherftellung des Geſchlechter⸗ 
regiments, wie ed vor 1368 geweien, ohne Weitereö an; 
trug. Freilich dürfen wir nicht vergefien, daB beſonders 
die Jahre der angebahnten Neform fehr drückend für die 
Gefchledhter fein mußten; feit dem Zunftregiment überhaupt 
waren 50 Patrizierfamilien ausgewandert, und wenn aud 
die „Mehrer der Geſellſchaft“ (eingeheirathete und fonft zu: 
gewandte Fremde), und die i. I. 1538 geflattete Der 
ftärfung des Patriziats mit 39 auswärtigen Familien das 
Tanzhaus und. die „Stuben“ wieder gefüllt Hatten, fo war, 
bei der Ueberzahl zünftiger Glieder im Kleinen und Großen 
Mathe, im Gerichte, an politifchen Rechten für Die „Er 
barkeit“ nichts gewonnen. Wie mußten jene fürftlichreichen 
Bugger und Welfer, denen Kaifer Karl, für hohe Sum 
men verpflichtet, i. 3. 1528 das Königreih Venezuela 
verpfändet, oder ald kaſtiliſches Erblehn zu eigen gegeben; 
für welche Ambroftus Dalfinger von Ulm, der „deutſche 
Kortez“, noch unbetretene Ränder Südamerikas voller Silber⸗ 
und Goldminen eroberte; wie mußten jene clafſiſch gebil— 
deten Rehlinger, Peutinger und Paumgartner, an allen 
Höfen geehrt und angeſehen, des „weltweiſen“ hr. 
Leonhardt Eckh von München vertraute Freunde, grollen, 
wenn „‚trefflihe Herren von ber Erbarkeit“, durch „ſchlechte 


Scehötes Bud. 387 


Perſonen“, wie die Heiden VBürgermeifter, Jacob Hörbrot, 2:3. 


den Kurſchner, und Mang Seig, ben Weber, eingethiiemt, 
aus ihrer Behaufung vertrieben wurben, und fie nun, da 
der „rebellifche Krieg” ein unglüdliches Ende gensmmen, 
obenein mit ihrem Golde büfen follten? Die Erbarkeit 
hatte allerdings Grund genug, eine Aenderung des Regi⸗ 
ments zu wünſchen; aber bedenken müffen wir au, daß 
die Verfafiung 180 Jahre, unter der Noth des großen 
Städtekrieges und unzähligen Fürften- und Adelsfehden, 
als Fark fi bewährt; daß jene „ſchlechten Perſonen“ die 
muthigen Bahnbrecher des Evangeliums, die Prediger zum 
männlichen Widerſtande gegen knechtende Hierarchie gewe⸗ 
jen, die hochherzigen Gönner Schärtlins, des einzig fähigen 
Feldherrn im oberdeutfchen Kriege; endlich, daß jene flolzen 
Großbürger ihr Gold nit allein dem drängenden Bebürf- 
niffe gemeiner Vaterſtadt verrätberifh entgegen, fonbern, 
eingeftändig, jogar den Verderbern zugeſteckt hatten! 

Als es ſchon ftiller geworben auf dem Reichstage, 
trat plötzlich die vorbereitete flädtifche Heaction ein. Am 
3. Auguft 1548 vor des Kaiſers Antlig gefordert, mußten 
Dürgermeifter, Großer und feiner Rath, Amtleute, Schrei⸗ 
bes, und etliche angefehene Bürger, während bie 
Thore verjchloffen, der Weinmarkt mit Kriegsvolk beſetzt 
waren, aus dem Munde des Vicekanzlers, eined geborenen 
Augsburgers, des Breiteren vernehmen, „wie der Kaiſer, 
voll Bedauern über den Verfall und die Unordnung ihrer 
Stadt, nach fleißiger Erforſchung beſchloſſen habe, ihre 
jetzige Regimentsſorm zu ändern. Weil die Verjagung des 
alten Klerus, die Theilnahme am Kriege allein vom Ueber⸗ 
gewicht der Zünfte und der gewaltſamen Herrſchaft des 
Bürgermeiſters Jacob Hörbrot, welcher die erbaren, dem 

25 * 


388 Vierter Theil. 


2 Kap. Kaiſer treu anhängigen Geſchlechter unterbrüde, herrühren, 
dürften des Kaiſers Feinde nicht Herren der Stabt bleiben, 
und müßte er die Befehung des Raths in der Anzahl durch 
unerfabrene, untaugliche Xeute, die ſich beſſer auf ihre 
Handarbeit und tägliches Gewerbe verfländen, abftellen“. 
Nach fo unwiberfprehlihem Vortrage las der Kanzler den 
Erſchrockenen ein DVerzeichnig von 41 Männern vor, bie 
der Kaifer unmeigerlih zum neuen Rathe verordnet habe; 
bierunter die Namen von 31 Patriziern, nur 10 von der 
Gemeinde (den Kaufleuten und Bünften). Gleicher Weiſe 
wurden die Aemter ausgetheilt, zwei Geſchlechter unter ber 
alten Benennung „Stadtpfleger“ mit fünf Beifländen aus 
dem Adel als Geheime Häthe an die Spite geftelli, 6 
Bürgermeifter, je 2 für 4 Monate, erforen, das Stadt 
gericht von 16 Beiflgern mit nur einem Viertel auß ber 
Gemeinde beftellt..- Auch der Große Math von 300, fo 
wenig Rathsbefugniſſe ihm anklebten, ward jo organifkt, 
daß die Patrizier mit den „Mehrern der Geſellſchaft unt 
den Kaufleuten” das Uebergewicht hatten; endlich wurden, 
„um zur Wurzel des Uebels zu graben‘, bie 
Zunftmeifter, Zwölfer, gänzlich abgefchafft, und Den 17 
Zünften, welde eigene Bunfthäufer befaßen, wie ven 
dreien, welde flatt deren nur Stuben inne hatten, be 
folen, ihre Käufer zu verkaufen, ihre Briefbarichaften, 
Kleinodien, ihr Stubengeräth dem Rathe auszuliefern. So 
gewann die patrizifche Reaction fürs erſte Die erfleckliche 
Summe von 60,000 Gulden, nahm bei der Umbildung 
der politifchen Zünfte ala Handwerksinnungen befonders 
die „‚meifen Herren“ von Nürnberg zum Muſter, ſchwur 
„bei den ‚Heiligen‘, die neue Derfaffung aufrecht zu erhal- 
ten, ließ fih von der Bemeinde Gehorſam ſchwören, und 








Sechſtes Bud. 389 


gelobte, dad Interim zu handhaben. Dann wurde, nad Kr. 
tem der entjegte Rath Rechnung abgelegt, Sebaftian 
Schärtlin am 6. Auguft, unter Trompetenſchall, in bie 
Acht erklärt, und reifte ber Kaiſer mit feinem Kriegsvolke 

ob. Stumm fügten die Zünftler fih der Gewalt, und 
harrten befierer Tage. Die gehaßte Pfaffbeit trirmphirte; 

die Iutherifchen Prediger bauten das Elend oder ſchwiegen. 

— Aehnliche Veränderungen traf der Kaiſer in oberlaͤndi⸗ Bun, 
fihen Städten, wo er die Gewalt hatte; der Rath zuin. „ober: 
Ulm, welchen 24 Gefihledhter und 46 auß ber Gemeinde ihm 
bis jet bilderen, warb auf 31 Berfonen, unter ihnen abge 
20 Gefchlechter, vermindert. Was die mächtigften Be" 
meinwefen erbuldet, mußten die Eleinesen über fih ergehen 
laffen ; urvaͤterliche, populare Berfafiungen, die Erbicheft 
muthbefelter Altvordern aus König Rudolf ,. Albrechts und 
Ludwigs Tagen aufgeben, und dem Interim fich beugen. 
Selbft Straßburg bequemte fi, nachdem die Schöffen, Die 
Mächter des Stantsgrundgefehes, endlich bewogen worden, 
diesmal auf Befragung der Gemeinde zu verzichten. In 
einigen dortigen Kirchen erhielt fich jedoch die freie Pre⸗ 
digt; follten Meifter und Rath die Gemeinen zwingen, 

fo hätten fie, wie bie Breslauer, bei ähnlicher Zunmuthung, 
„eine Meile ober zwo zuvor nehmen wollen“. 

Am traurigften erging ed, unter fo ſchmaͤhlichen eier 
gen, den Konftanzern, Deren ehrlicher Reichsfreiheit das — * 
legte Stündlein ſchlug. Jene altalemanniſche Stadt, deren freiheit. 
Handwerker ſchon um das Jahr 1100 unwürdiger Leib⸗ 
eigenſchaft ſich entzogen, deren Zünfte in blutigen Stürmen 
politiſche Rechte erkaͤmpft, und i. J. 1511 der Verlockung 
zur ſchweizeriſchen Freiheit reichötreu widerſtanden; hatte 
auf dem Wege popularer Gemeinweſen ſeit Zwinglis Pre⸗ 


2. Rap. 





N) 
390 Bierter Theil. 


digt (1518), Die evangeliſche Sache umfaßt, den Klerus, 
das Domkapitel, den Biſchof nad) Meberlingen gejagt, i. I. 
1529 die Bilder geflürmt, und, fo nahe die geftrenge 
Statthalterfchaft Oeſterreichs, dem ſchmalkaldiſchen Bunde 


Sich beigefellt. Im ihrer Witte weilte der gehaßte Schärtlin, 


ehe er ſich in Frankreichs Sold begab. Unter ſchweben⸗ 
den Umterhandlungen über das Interim ward bie Stadt 
am 6. Auguft 1548 in bie Reichsacht gethan, und deſſel⸗ 
ben Tages von einem Haufen Spanier angefallen. Aber 
mit dem Muth, der Verzweiflung fochten die Bürger gegen 
die Schergen des ſpaniſchen Despotismus; die Vorſtadt 
war fchon erobert, da lieh die Heldenthat eines Zünfts 
lers, welcher fi) auf der Aheimbrüde, im Handgemenge 
wit zwei Spantern, fle umfaflend, unter Anrufung der 
Gnade Gottes, über die Bruftwehr in den Strom geftürzt, | 
ben Genoſſen Zeit, das Thor zu fperren, und ſich ihres 
Feindes zu ermehren. Die Spanier zogen ab; der zür | 
nende Kaiſer übertrug jedoch die Vollziehung der Acht dem 
Könige Verdinand, der Habsburgs vorgebliches Anrecht 
an jene Lande nicht vergefien. Härter bebroht Durch bie 
Macht des „Unüberwindlichen‘‘, ſchwach vertreten durch bie 
kirchlich⸗ uneinige Eidgenoſſenſchaft, unterwarfen fich bie 
Neihöftädter am 15. October dem Haufe Habsburg... So- 
gleich aun Abschaffung des Zunftregiments, Berminderung 
des Inneren und Aeußeren Raths auf zwei Drittel, auf 
die Hälfte feiner Glieder, und ungeadtet ber Unnahme 
bes Interim die Herftellung der „alten, wahren Religion“. 
Am 12. Mai 1551 weihete der Biſchof den Dom von 
neuem, und verbot bei Todesſtrafe die evangeliſche Predigt. 
Konftanz, i. S. 1192 von Heinrich Vi. als reichsfrei aner- 
fannt, blieb eine verödende Landitabt Vorderöfterreichs. — 


Sechstes Bud. | 391 


äpeend nie erduldeter Sammer jo-auf unferem Bater- 7Aw_ 
lande laflete, zuchtlofe Spanier deutſchen Stolz, deutſche Sue 
Sitte verhöhnten, das freie Wort ſchwieg, an unzähligen MM" 
Orten, auch zu Soeſt durch Dr, Johann Gropper und ben 
Herzog von Kleve mit Veränderung der Schrae (1548) 
wieder hergeſtellt wurde; die ehemals ſo trotzigen prote⸗ 
ſtantiſchen Stände ſich anſchickten, das roömiſche Concil zu 
Trident zu beſuchen, und Karl auf dem Reichstage zu Augs⸗ 
Surg, Sommer 1551, die Erbfolge feines Sohnes, des 
unheimlihen Infanten Philipp, im freien Wahlreiche ber 
Deutſchen offen betrieb; wagte e8 allein eine altpemo- 
kratiſche norbbeutiche Stadt, im kümmerlichen Rückhalt 
an wenige entfernte Schweftern, dem Sieger der: roma⸗ 
niihen und beutfchen. Welt in Sachen des Gewiflens und 
bürgerlicher Freiheit mit der Ausdauer und Zähigkeit ſaſſi⸗ 
ſcher Bürgernaturen ind Angeflcht zu trogen. Diefe Stadt 
war Magdeburg, ald Bremen, obwohl ungefühnt, lob⸗ 
zei dem erften Bedränge entgangen. Zur Würdigung fo 
exhebender That ein Blick auf vorgängige Ereignifie. Nach 
dem Tode des Erzbiſchofs und Kardinald Albrecht, Sep⸗ 
tember 1545, hatten Magdeburgs „Rath und Innungs« 
meifter” Die Neishöfreiheit im Auge, dem Coadjutor deſſel⸗ 
ben, dem eifrig katholiſchen Markgrafen Johann Albrecht, 
die Huldigung verfagt, weil er. nicht vorher ihre Privilegien 
beftätigen wollte; hatten beim Beginn des „deutſchen Krie⸗ 
ges‘ unter kecken Umgriffen auf geiftliches Gebiet fih in 
Vertheidungszuftand gefegt, unbeirrt durch bie erfle Dro⸗ 
bung des Kaiferd, im Juli 1546 Die Domkirche wie 
Die anderen Stiftskirchen geſchloſſen, Klofler Bergen ge= 
plündert, und dem Domkapitel, das geheim an ihrem Ders 
derben arbeitete, am. 2. Ianuar 1547 Jehde angekündigt, 


392 Bierter Theil. 


2.80. am 6. Februar den erſten lutheriſchen Gottesdienft im St. 
Paurizmünfter angeordnet. Offene Zufluchtöftätte für den 
bedrängten Kurfürften, dem Bremen zu fern, Hatte die 
Bürgerfihaft die Aufforderung des Herzogs Moriz, „des 
Zaiferlihen Schirmherrn für Ersftift und Stift Halberſtadt“, 
fünf Tage nah der Schladt von Mühlberg, fih zu erge 
ben, fo entfchloffen abgewiefen, wie am 22. Mat, 17. 
Juni die herriſchen Gebote Karls, der eben im nahen Hall 
den Landgrafen zu feinen Füßen fah, und des Kurfürften 
Joachim II. von Brandenburg. Dem unerfhütterlichen Glau⸗ 
ben an ihr Recht gingen die zweckmäßigſten Wehranftalten 
zue Seite. Als der Katfer vor dem geharnifchten Neichs- 
tage zu Augsburg, am 27. Juli 1547, die Reichsacht 
über die vebellifche Stadt verhängt, und der Kurfürft von 
Brandenburg vergeblih ſich abgemüht, die trogigen Ple— 
bejer gleich den oberbeutfchen patriziſch⸗berückten und be- 
drüdten Gemeinwefen zur Annahme von 12 Schmadartifeln 
zu kirren, mußte felbftverfländlich Das „ſeelenverderbende“ In- 
terim, dem nicht einmal Halle, der nahe bifhöffihe Sig, fid 
bequemte, mit bitteren Hafle in Magdeburg verworfen wers 
den. Hie und da in Niederfachfen Hielten die Städte, Hams | 
Burg, Braunfchweig, Bremen, Lübeck, verneinende Zufam- 
menfünfte; Magdeburg Dagegen ward der Geerd furchtlofer 
wifienfchaftlicher Oppofition, „unſers Herr⸗Gottes Kanzlei”. 
Wie alle vertriebenen Prediger, alle geächteten Kriegäleute, 
Hans von Heide, der Schwabe, die Grafen von Mansfeld 
and Oldenburg, hier Zuflucht gefunden, gingen alle giftt- 
gen Schmählteder der Volksmuſe gegen den tüdifhen Alber⸗ 
tiner, alle Teidenfchaftheißen Streitjriften gegen das Interim 
von Magdeburgs Druderein aus. Die bangen Stiftäftände, 
großentheils evangelifch, fuchten durh neue Unterhandlung 





Sechſtes Bud. 393 


der ihnen angemutheten Achtsvollſtreckung zu entgehen, rm. 
welche der Erzbiſchof forderte; ebenſo that, aus Sorge, den 
Haß der Glaubensverwandten zu fleigern, der neue Kur⸗ 
fürft von Sachſen. Nur Kurfürft Joachim II. hatte fchen 
felt dem Ente d. I. 1547 unritterlihes Fauſtrecht üben 
Iafien, was die Bürger trieb, fehonungdlofer weit und 
breit die Stifts⸗ und Kloflergüter zu verheeren.- Ober- 
und Niederſachſens Stände, in Folge. ber Aberacht vom 18. 
Mat 1549 zur Vollziehung angemahnt, zauderten; die 
Hanfeflädte, Kübel, Hamburg und Lüneburg, erneuerten 
ihre Vermittelungsgefudhe ohne Erfolg, zumal der Erzbi⸗ 
ſchof auch auf Niederreifung der neuen Feſtungswerke, der 
Baſtion Helded an feiner Sudenburg drang. Boll Be» 
wunderung, Mitleid oder voll Haß, vernahm die Welt 
Magdeburgs bibliſch beredfame, juridiſch gewaffnete Aus⸗ 
ſchreiben; darüber flarb der Tümmerliche Erzbifhof, Johann 
Albrecht, auch um Halberſtadt Durch den Unternehmungs⸗ 
geift der Magdeburger geängftigt (17. Mat 1550), und trat, 
da der junge Markgraf Sriedrib als Coadjutor in Rom 
nicht anerfannt war, und fein Vater, der Kurfürft, vers 
geblih mildere Saiten aufzog, Das Vicariat beider Dom⸗ 
Fapitel ein. — Auf dem Augsburger Reichstage (Iult 
1550) ftellte der Kater die Sache Bremens und Magbdes 
burgd in den Vordergrund, befal einen Reichsheereszug Mic 
gegen die letztere Rebellin; da er jedoch die geforderte 
Geldhülfe ablehnte, zögerten die fächflfchen Stände, Bis. 
der kecke Zugriff des jungen, kriegsfreudigen Herzogs Georg 
son Mecklenburg unerwartet das Waffengetümmel vor der 
Elbſtadt zur Volge hatte, Nemlich Herzog Heinrih der 
Jüngere von Braunſchweig, nach der Mühlberger Schlacht Beau 
feiner Haft erledigt, hatte die Mittel des Verraths und 





26 Bierter Theil, 


2A». offener Beindfeligfeit nicht unterlaffen, um Braunſchweig 
zu demüthigen, ungeachtet bafjelbe um Abbitte und 50,000 
Gulden mit dem Kaifer gefühnt war, Cine Belagerung 
von act Wochen endete eben auf Karld Befel mic einem 
Bergleih, 8. September 1550, al® jener Prinz von Med 
lenburg für feine Hauspläne die entlaffenen Söldner des 
Welfen an fih zog, und, ohne Berwahrung feiner Ehre, 
fih berechtigt glaubte, das Gebiet der geächteten Magde⸗ 
burger zu Srandichagen und zu verwäflen. Eben wanbte 

er fi heimwärts mit feiner unfürftlichen Beute, als der 
Auszug der Bürger und Söldner der Stadt, weldye Dem 
Jammer ihrer armen Hinterfaflen nicht müfflg zuichauen 
wollte, nebft dem Aufgebot der Bauern dem Räuber uns 
weit Wolmirftedt unter Die Augen rüdte, 22. September 
1550, jedoch von den geübten Landsknechten eine empfind⸗ 
liche Niederlage erlitt. . Solches Mißgeſchick beugte mit 
nichten die Bürger; wiederum wurden die Sühnverſuche 
der Reichs ſtände am Reichsſstage abgewieien, weil der Kaiſer 
um ſo bartnädiger bei den Bedingungen behartte, zugleich 
aber, da Georg vor Magdeburg fih ernſtlich feftfegte, 
Kufürft Morig, Joachim II. mit dem böfen Markgrafen 
Be Albrecht von Kulmbach, vermocht, im October 1550 mit 
Magver dem Meichderecutionäheere vor der Stadt zu erfcheinen. 
burge Denn den Fürften war nicht gleichgültig, daß ein Unbe⸗ 
rufener an den Geaͤchteten feinen Bortheil ſuche, und zu- 
mal gedachte Moritz, voll unergründlider Pläne, als 
Schirmherr und Burggraf des Erzſtifts, und mit ber Ober⸗ 
feldherrnſchaft vom Kaiſer betraut, bei Diefer Gelegenheit 
Magdeburg unter feinen Fuß zu bringen, obgleich feine 
eigenen Vaſallen fich weigerten, zur Unterbrüdung des 
Isgten Horts des Proteſtantismus Die Hand zu bieten. 





Schödtee Bud. 395 


Jetzt nun war für Magdeburg die Heit gekemmen, die an- 8m 
gelobte Stanphaftigkeit unter That und Leiden zu beweifen. 
Ebeling Aemann, Bürgermeifter, überfam den Oberbefel 
über die Landsknechte, 3000 an der Zahl, 300 Meifige und 
die Bürgerfähnlein; rathend ftanden ihm die vornehmen 
fremden Kriegdleute zur Seite; Lebensmittel für eine Be⸗ 
völferung von 40,000. Seelen, reicher Vorrath von Pulver 
md anderer Notbdurft lagen aufgehäuftl. Ein feierlicher 
Schwur band noch am 2. December 1550 die waffenfähigen 
Bürger und Söldner, ‚im Leben und Tod für einen 
Mann zu ſtehen, feflzuhalten bei einander auf ber Mauer 
und auf dem Walle, auf dem Wafler und auf dem Lande, 
und wider den Feind zu kaͤmpfen bis zum letzten Bluts⸗ 
tropfen. Sie haben ihren Schwur nicht gebrochen. 
Aber die nachdrücklichen Anſtalten der Belagerer erforderten 
auch ſolchen Sinn, der, nachgeahmt vom übrigen deutſchen 
Bürgerthume, jene That des „chriſtlichen Arminius“ nice 
nöthig gemacht hätte. Als ringsum fi Blockhäuſer und 
Einihliefungslinien, Stüdbetten erhoben; in der Nacht 
vom 28—29. November die Neuſtadt erobert war, jener 
ersbifchöflicde Ort, welder, in mittelalterlider Sonderbar⸗ 
feit, dicht an der Altſtadt, hinter eigenem Wall unb 
Graben, erwachfen; verſuchten bie Bürger biefelbe in Brand 
zu fleden, zerftörten die in gleicher Weife entftandene Sur 
denburg, 29. November, und flößten durd die kühnſten 
Ausfälle dem überlegenen Feinde ernufkliches Nachdenken ein. 
So überrajchten fie am 19. December den zahlreichen Stifts⸗ 
adel, weldher in Groß» Dttersleben forglos ſchmauſte, in 
nädhtliher ‚‚Camifade”, führten ben größten heil ber 
Herren mit ihren Meilen, ihrem Eoftbaren Lagergeräthe, ja 
mit der Prunffahne des h. Mauriz, in die Stabt, und 





396. Bierter Theil. 


2.R0p. fingen, an dem Morgen derfelben Naht, in offenem 
Gefecht den übermüthigen Helden, Herzog Georg, der 
wuthentbrannt herbeigefprengt war, um feine weichenden 
Haufen aufzuhalten. Mit Mühe entzog man den Anfänger | 
bes Krieges den erbitterten Weibern, barg ihn erft im 
Ratbhaufe, und dann bei ritterliher Haft in des Käms 
mererd Wohnung, ‚zum Lindwurm“. — Unvermerkt trat 
mit den erfien Monaten des neuen Jahres 1551, nachdem 
Hand von Heideck am 7. Januar zu Verden mit bem «Heer 
haufen, den er zu Magdeburgs Gunften auf Vorſchub der 
Seeftädte und anderer geheimer Freunde in Sold genom- 
men, in Mori Gewalt geraiben, jene Veränderung im 

arane Gemüthe des Albertiners ein, welche Deutſchlands Schickſal 

fürften, für alle Folgejahrhunderte gefaltet hat. Einverſtanden mit 
jenem geädteten Gegner des Kaijers, legte der Meifter der 
Berftellungskunft den tiefen Plan an, in Verbindung mit 
König Heinrich II. von Frankreich, deſſen Agenten fchon 
ein Jahr lang Magdeburg umfclichen, den „ſpaniſchen Karl‘ 
auf feiner Höhe zu füllen. Die umlagerte Stabt ſelbſt, 
wie das Heer der DBelagerer, follte zum Stüßpunft wie 
zum Mittel der Befreiungspolitif diemen,. und dem Wider⸗ 
flande unferer Bürger eine weltgefchichtliche Bedeutung ger 
währen. Aber ein Jahr verging, ehe die Pläne zur Meife 
gediehen. Der Scheinernſt des Krieges, bei geheim an- 
gelobter Schonung ber waderen, glaubendtreuen Stadt 
von Seiten des unerforſchlichen Arminius, kam jedoch dem 
wirklichiten, grimmigften Ernſte jo nahe, und das Spiel 
um Gut und Blut, in nachdrücklichen Ausfällen zu Waſſer 
und zu Lande, in Aufwerfung neuer Blockhaͤuſer, Schutz⸗ 
wälle und meilenlang verbindender Laufgräben, im Angriff 
mit dem ſchwerſten Wurfgefhäg, und in Vertheidigung 








Sehstes Bud. 897 


durch die geſchickt Hebienten Kanonen auf dem Kranz ber Aw. 
Kirchthürme, befonderd des von St. Jacob und: vom höch⸗ 
ſten Umgang des ſüdlichen Domthurms, verrieth einen fo 
mörderiſchen und zerftörenden Charakter, daß Eluge Beob⸗ 
achter wohl erkannten: troß feined angeblichen religiöfen 
Vorbehalt, Magdeburg nicht zu verderben, fönne der un⸗ 
ergründlihe Mann, fih der Stadt ald Burggraf und 
Schirmherr zu bemeiftern, und zugleih die Waffen zum 
Anſchlag auf den Kaifer in der Hand zu behalten; wie 
anberjeit8 die Fugen Bürger dem tüdifchen Gegner nicht 
trauten, und lieber unbezwungen zum gemeinfamen Biele 
mitgearbeitet hätten. Nichtsdeſtoweniger zur Unterwerfung 
auf billige Artikel, aber nimmer zum Bußfall und zur 
fhwädhlichen Selbftanflage vor dem Kaifer, „dem Unter 
drüder göttlichen Worts und Wiederaufridhter des anti⸗ 
chriftlichen Papſtthums““, bereit; kaͤmpften, duldeten und 


| . amterbandelten die Magdeburger, warb viel gutes Blut 


vergoffen, bis Die Fürften auf dem Jagdſchloffe zu Lochau 
(jegt Annaburg) über das Angriffsbündniß mit Frankreich ſich em? 
geeinigt hatten, und auf dem einfamen Jagdhauſe zu Friede⸗ Ent 
wald in ‚Heilen, 5. October 1551, jener Bund zu Stande 
fam, welcher zwar damals Deutfchland gegen kirchliche und 
nationale Unterdrüdung fidherftellte, aber des Reiches Boll⸗ 
werk im Werften preisgab, den eigennügigen Fremden in 
innere Angelegenheiten Thür und Angel öffnete, und end» 
ih für immer die heilfame Möglichkeit vereitelte, dem 
brudermörberifchen Glaubenszwift in irgend einer Weife 
auszugleichen. Wie unfer ehrliches Bürgerthum durch feine 
bewunderungswürdige Ausdauer jene rettende Wendung 
allein bedingte, hat es ſich doch nicht betheiligt mit jenem 
Selbſtverrathe an Frankreich; wenn ein welſcher Schreiber 


3088 Bierter Theil. 


20. erzaͤhlt, im Detoper 1551 Hätten Bürgermeiſter von Straß⸗ 
burg und Nürnberg, der fürftlichen Geſandtſchaft beigefelkt, 
zu Kontainebleau demüthig die Hülfe des Valois ange- 
ſprochen und in. die Beſetzung der drei lothringifchen 
Reichsſtädte gewilligt, fo widerlegt :die ehrenhafte Haltung 
beider Gemeinweien fo grundiofe Pralerei. — 

Kavitıs Wir verfolgen jene betrübenden. Ereigniffe nur in 

— ihrem allgemeinſten Gange. Nachdem Moriz an 30. Auguſt 
1551 einen vorläufigen Waffenſtillftand mit den Magde⸗ 
burgern gefchloffen, und Hans von Heide, der Bürger⸗ 
freund, mildere Vergleichövorfihläge dem „figenden, alten 
und oberalten Mathe’ überbracht, Breiheit des Bekennt⸗ 
niſſes und Unantaftbarfeit aller Gerechtſame verheißen ; 
endlich auch Karl am 1. October den Kurfürften bevoll- 
maͤchtigt, die Belagerung, ‚wie e8 ginge, doch Eaiferliche 
Ehre unverfürzt, zu beenden‘; ward der Vergleih am 5. 
November von beiden Theilen unterfchrieben, der firenge 
Wortlaut der Artikel jedoch durch Erläuterungen des Kur- 
fürften mit fo weitem diplomatiſchen Gewiſſen modificirt, 
daß die Ausführung dem Inhalte nicht ähnlich ſah. Statt 
wörtlih geforderter Ergebung auf Gnade und Ungnade, 
und fupfälliger Abbitte — Belaffung aller Breiheiten. und 
Privilegien nah Annahme der Kapitulation, und Hinaus⸗ 
ichiebung des Ehr und Gewiflen Eränfenden Akts in un⸗ 
gewiffe Zukunft; ſtatt Vollziehung der legten Reichsab⸗ 
jchiede au in ihren Tirchlichen Beflimmungen — nur Bes 
zugnahme auf das Weltlihe, alfo Verihonung mit dem 
Interdifte, eben als die Theologen der größten proteflan- 
tiihen Reichsſtände zur Meife nah Trident fih anſchickten; 
ftatt der fchon van 200,000 Gulden auf 50,000 ennäßig- 
ten Straffumme gahlten die Magdeburger am Ende nur 


— — — — — — u 


— u ae 


Seqeteo Bud. 399 


15,060 an Stift und Erzſtift, erhielten ‚für 12 Stud Re 


auögelieferten Geſchützes eine bebeutende Entſchädigung; 
entgingen der Gonfidcation, mußten jedoch eine fädhfifche 
Belagung annehmen, emdlich außer dem Kaifer, dem Erz⸗ 
bifchofe, auch die Kurfürften von Sachſen und Bran⸗ 
denburg als gemeinfame Herren anerkennen, eine Theis 
lung der Gewalt, die in fich ſelbſt zerfiel. So ehrverletz⸗ 
lich, ja hartnäckig flanden die Bürger nad ſo langen Drang⸗ 
falen da, daß, als der ſächſtſche Kanzler bei Lieberreihung 
der Staptihlüffel fi des Ausdrucks bediente: „die Stadt 
bat fh nun ergeben“, der Syndikus ins Wort fiel: 
„vertragen, und nidt ergeben!‘ was der Kurfürft geften 
laffen mußte, und auch den Predigern ihre giftigen Schmaͤh⸗ 
reden nicht nachtragen durfte. — Leih⸗ und ſchenkweiſe 
hatten die Seeftätte, ja Straßburg, Ulm und Nürnberg 
etwa 30,000 ©. hergegeben. — Während der Winter- 
monate lagerten bie fächflichen und Meichöpeerhaufen im 
Gebiete Erfurts, Nordhaufene und Mühlhaufens, zum 
ſchweren Verdruß der Bürger, Mitte März 1552 fand 
Landgraf Philipp von Heflen vor Frankfurt, einigte fich 
dann mit dem Kurfürften und dem Markgrafen Albrecht 
bei Rotenburg; der Markgraf warf fih, die Erhebung 
Deutſchlands zu ſchnödem Eigennutz audbentend, zunächſt 
auf bie fränkiſchen Bisthümer und Reichsſtädte, zumal auf 
Nürnberg, feines Haufe alte. Widerſacherin, erpreßte von 
den „weiſen Herren‘, denen kein waffenfrendiges Volk zur 
Seite fland, ungeheuere Summen, ungendtet die Stadt 
fh ſchon mit 100,000 Gulden mit den verſchworenen Für⸗ 
Ren abgefunden, und verheerte das Gebiet unmenſchlich. 
Mori; Dagegen find am 1. April vor Augsburg, dem 
Pitselpunfte des im Sinne Karls refitliirten Reichs. Angſt⸗ 


400 Bierter Theil, 


Rev. voll rief das patriziſche Regiment beim Kaiſer in Innsbrud 
um Hülfe, der aber, überrafcht, fich ſelbſt nicht zu Helfen 
u wußte. Bereit war Moriz mit der unterbrüdten Volks⸗ 
burg partei einverflanden, nicht nur das U. DB. wieder aufzu⸗ 
ſtellung. richten, fondern auch dad Zunftregiment wieder herzuftellen. 
Als die Stadt, unter Lebensbebrohung der Pfleger un 
Bürgermeifter, am 4. April ſich ergeben, die Fürſten ein- 
gezogen, und der Kurfürft bei Jacob Hörbrot ſich einge 
herbergt, traten gemäß der Kapitulation fogleidy Die Zünfte 
in ihren BZunfthäufern zufammen, wählten‘ Meifter und 
Zwölfer; wurden am 6. April: die Rathswahl vorgenom- 
men, großmüthig von den Zünften die Patrizierftellen um 
3, alfo bis auf 15 unter 40 Bünftlern, vermehrt, un 
Hörbrot neben einem ſchüchternen Geſchlechter zu Bürger 
meiftern erforen. Gern hätte zus Befefligung des Alten 
der Kurfürft, auf Hörbrots Antrieb, einen Zunftbrief, eine 
BVergleihungsurkunde zwiſchen beiden Parteien aufgerid- 
tet, aber die Erbarkeit verhinderte, an der Zukunft nidt 
gerzweifelnd, fo bindende diplomatiſche Bereinbarung. 
Während nun in Augsburg die alte volfstbünliche Der 
faflung nebft dem neuen Kirchenthume, ohne gewaltfame 
Beihädigung ihrer Gegner, wieder ind Leben trat; die 
26 ſchwaͤbiſchen Reichsſtädte, dort beifammen, ſich den 
Fürſten zu einer Geldhülfe bequemten; verfolgte Moriz 
ehe der zu Linz auf den 26. Mai anberaumte Waffenſtill⸗ 
ſtand anging, mit zermalmender Energie feine Pläne. Nur 
Ulm, deffen patrigifher Mach dem Kaifer Treue bewahrte, 
hemmte augenblicklich feine Fortſchritte; dennoch mußte 
Karl am 19. Mai über dad noch winterliche Gebirge flüd» 
ten. Als die Verhandlungen zu Palau, am 26. Ma 
eröffnet, nicht zum Ende gebishen, weil der Kaiſer, feiner 


Sechstes Buch. 401 


Hülfsquellen ſich wieder bewußt geworden, an: feinem Sy⸗ 2 Kap. 
ſteme feſthielt, und im Juli um Frankfurt ein unverächt- 
Tiches Heer aufgebradht Hatte; eilte Morig an den Main. 
Aber die Herren von Brankfurt, die Rathsgeſchlechter, im 
Befig der Stadtfchlüffel, Hatten Eaiferliche Beſatzung auf 
genommen, und wie ber Kurfürft, auch durch andere Sorge 
bedrängt, nur bittere Antwort und blutige Stöße vor Franke 

furt8 Thoren Davontrug, unterzeichnete er am 29. Juli 
1552 zu Rödelheim den vom Kaifer veränderten Paflauergafune 
Friedendentwurf. 

Denn, anderer Gefahren nicht zu gedenken, hatte der 
Bundesfreund, König Heinrich II., laͤngft den Heimweg 
geſucht und ſeinen beſcheidenen Lohn als „Retter der 
deutſchen Freiheit“ davongetragen. Wären die ehrlichen, 
mannhaften, reichſstreuen Städte am Rhein nicht geweſen, 
ſo möchte der Valois Auſtraſtens Königthum bis an den 
Strom wieder vereint haben. Die ſtarke Reichsſtadt Metz, * Hein 
ſchon feit Kaifer Friedrichs III, Tagen in ſpröder Abgefondert-und eh. 
heit som Reiche, war bereits am 10. April 1552 in Frank⸗ 
reich8 Gewalt geratben, indem Heinrichs „Gevatter“, der 
fchlaue Konnetable Anne von Montmorency,, ein unüber- 
fehbares Gewirre von Priefteruntreue, Beftehung der Pas 
trizier, Borfpiegelung von Gewifjensfreiheit, Verlockung 
der gebrüdten Gemeinde, Kleinmuth ver überlifteten 
reichötreuen Bürger energifch benugt Hatte. Der Kardinal 
Biſchof, Mobert von Lenoncourt, und fein hoher Klerus 
fihmeichelten fi unter Frankreichs Schuß mit. ber Herſtel⸗ 
lung der alten Herrſchaft über die flörrige Stadt; Die Tas 
tholifche Ariſtokratie, jene ſtolzen „Paraiges“, hofften Hülfe 
gegen den Andrang der Demokratie; das unzufriedene Volk 


ergab fih der Lodung, unter dem Oberherrn Aller 
Barthold, Städtewefen. IV. 26 


40% Bierter Theil. 


2. Kap· populare Freiheit zu gewinnen; bie proteflantifhe Minder⸗ 
zahl, die Gebrüder Robert und Kaspar von Heu an ber 
Spige, verrietb ihre Vaterſtadt, weil die deutſchen Häups 
ter ded Bundes von Chambord, ald belobte Proteftanten, 
ihr den Genuß kirchlicher Rechte vorgaufelten. Alle wur⸗ 
ben Tchändlih betrogen. Heinrih, als ‚Statthalter 
Des Reichs” in Auftraftens uralte Hauptſtadt eingezo- 
gen (18. April), fehaltete mit der Willfür des Eroberers, 
und flieg dann zu Anfang- Mai vorfiätig, im Geleit feiner 
beutfchen Söldner, die Vogeſen hinab ind prangende Elſaß, 
um Auftraflend Eroberung mit Bezwingung Straßburg? 
und der übrigen Mheinflädte zu vollenden. Aber zunachſt 
erfuhr er an den wackeren Heichsbürgern, daß fle den Bes 

BA trug durchſchauten. Gefchirmt durh einen Kranz von 90 

Sag. Thürmen, neue Erdwälle, Rondele, die zumal eben am 

burg. Judenthore der freiwillige Wetteifer der Zünfte, — wie 
die Infchrift noch bekundet — aufgeworfen; bei verfländig 
geordneten Negimente, der „Dreizehner” für das Krieg 
wejen und bie geheimen Angelegenbeiten, det „Funfzehner“ 
für den inneren Haushalt, der „Einundzwanziger““ als 
engerer Gemeindevertretung; des Biſchofs erledigt und bei 
fhon getheilter Befegung des Domfapiteld; feit d. I. 1530 
In befonderem Bunde mit Bern, BZürih und Bafel; Hatte 
Straßburg nicht Anfland genommen, dem Könige feine 
Dienfte, und, gegen Bezahlung, feine Borräthe zu Bieten; 
fogar bereit, denſelben, fo wie die in feinem Lager ans | 
wefenden Gefandten italienifher Mächte, mit geringem Ge- 
folge in feinen Mauern zu empfangen. Als aber ver 
Böſes finnende ‚‚Gevatter”, der Konnetable, fo guten Wil—⸗ 
len zur Uiberrumpelung zu benußen gedachte, deshalb ven 
fremden Herren 209 auderlefene Kriegöleute, wie „neu⸗ 





Sechſtes By, 403 


gierige Reiſende“, fich anfchlofien, mußten fie über Hals 2sw- 
und Kopf davonfprengen, indem das Geſchütz von den 
MWällen ein Dutzend der tückiſchen Befucher niederfchmetterte. 
Beſchaͤmt verzichtete der König für feine Perſon durch die, 
waffenerfüllte Stadt zu reiten, und brach am 6. Mai gegen 
Hagenau auf. Schärtlin, im Dienfte des Valois, geftand 
offen, ‚wären fie nah Straßburg hineingefommen, Hätten 
fie es mit Lieb nimmer verlaflen”. Beunrubigt Dusch bie 
Kunde von den Unterhandlungen des Kurfürften, wandte 
ſich Heinrich ins untere Elfaß, gewann das anfangs troßige, 
aber ſchwächere Hagenau nicht durch treuherzige Worte, 
fondern dur die drohenden Karthaunen des Konnetable; 
nahm am 10. Mai auch Weißenburg ein, Tefien Rathd- 
herren, aus Furcht vor Strafe, weil fie dem Kaifer einen 
Söldneroberſten Frankreichs, Sebaftian Vogelsberger, aus⸗ 
geliefert, entflohen waren. Noch gedachte Heinrich, die 
Speierer zu berücken, dorthin die deutſchen Fürſten, wie — 
auf das Reichskapitol, zu berufen, und wenigſtens eines 
Rheinpaſſes ſich zu verſichern. Aber ſo ehrerbietig die 
Herren von Speier die ſüßen Worte des franzöſiſchen Ge— 
fandten anhorten, wollten fie den königlichen Gaſt doch 
nur mit hundert Begleitern bei fih aufnehmen; wie ber 
Schlaukopf Vielleville „zur Ehre feines Königs” nur noch 
die Bejegung bed einen Thors nah dem Lager durch eine 
franzöfifhe Wade forderte, erhob ſich die Rathsver⸗ 
ſammlung mit zürnenden Worten „‚nimmermehr, nimmermehr, 
a la Messine!’ (wie in Meß!) und mußte der Enttäufchte 
froh fein, im Geleit beider Bürgermeifter, durch die Reihe 
der bewaffneten Zünfte und Landöfnedhte, unter ihrem 
donnernden Ehrengruße, das Freie zu erreichen. Solcher 
Sinn, damals noch lebendig unter ven rheinifchen Bürgern, 
26 * 








404 Bierter Theil. 


_2.Rap rettete, wie im Armengedenkriege, nochmals bie deutſche 


Grenze, welche die Fürſten hergaben. Leber alles hätte 
Morig, kurz vor dem Beginn des Waffenftillfiandes (26. 
Mai), den Mheinübergang des fremden Heeres gewünfdt; 
aber jeder Paß blieb durch das Bürgerthum verfperrt, und 
kundig der Zwifchenvorgänge im inneren Deutfchland, ver- 
ließ der „Befreier Germaniend“, mit guter Miene beim 
böfen Spiel, aber voll Groll über die „ſchnöde Undank— 
barkeit“ der Städte, die deutſchen Marken, und ſtand fchon 
am 23. Mai 1552 wieder auf heimifhem Boden, zu 
Bertheidigung der eigenen Grenze gefaßt. 
Pe Der am Ende des Juli von Moritz zögernd voll 
gegen zogene Paflauer Vertrag befreite die Proteflanten vom In⸗ 
zeih. terim, ficherte ihnen vorläufig politifhe und kirchliche 
Selbſtſtaͤndigkeit bis zur gütlichen Erledigung aller Wirren 
auf dem nächften Reichstage, vereinigte die Streitkräfte des 
Kaiferd, feines Hauſes und flörrige Reichshülfe zum Kriege 
gegen Branfreih und die Osmanen, ließ aber Frankens 
und des Mittelrheing Bisthümer und Neicheflädte dem ge 
finnungs = und gewiflenlofen Markgrafen Albrecht zur Beute, 
befien räuberifchen Plänen der allgemeine Friede woiber- 
ſprach. Ehe Karl, im Bewußtfein, ald „Unüberwind- 
licher und Mehrer des Reichs“ die drei Yothringifchen Bis⸗ 
thümer nicht aufgeben zu dürfen, den Feldzug gegen König 
Heinrich perſönlich unternahm, flellte er, feit den 20. Au- 
guft 1552 in Augsburg anmwefend, zu feiner und ber 
auge: ſ ſchleichenden PBatrizier Genüugthuung, am 25. Auguſt das 
Geſchlechterregiment wieder her, weil er im Paflauer Ber 
trage die geforderte Aufrechterhaftung des Zunftregimentd 
entſchieden verworfen Hatte. Da mußte denn der Grofe 
und Kleine Rath betäubt weichen; mehre der entfähloffenften 


Sechſtes Bud. 405 


Bolkehäupter, wie Jakob Hörbrot, deſſen ſchöne Behaufung Kap. 
und Gärten vor dem Vogelthor Taiferlihe Söldner ver- 
brannten und zerflörten, wanderten ind Elend; bie Bürger« 
ſchaft ſchwur dem patriziſchen Rathe Gehorſam (27. Aus 
guſt); die Zünfte, ihrer politiſchen Rechte und ihres Ge⸗ 
meinguts beraubt, wurden mit geſchmeidigen Handwerks⸗ 
vorgehern, ſtatt mit Zunftmeiſtern verſehen. — Bes 
hauptete ſich zwar vertragsmaͤßig das lutheriſche Bekenntniß, 
ſo erſtarkte doch mit dem Patrizierthum das katholiſche 
Weſen, beſonders durch Vorſchub der Fugger, der Jeſuiten⸗ 
freunde, und ſank mit der Zunftverfaſſung von da ab 
Augsburgs mittelalterliche Blüthe und Macht. Wenn auch 
der Reichthum der großen Handelshaͤuſer ſich noch erhielt, 
und kunſtſtnnige Patrizier, wie zu Nürnberg und Ulm, 
den Werkſtätten der Vaterſtadt eine europäiſche Berühmt⸗ 
heit erwarben; ſo drückte Monopolienzwang den Fleiß und 
Unternehmungsgeiſt des einzelnſtehenden Gewerbes, und 
verſtegten bei veränderter Richtung des Verkehrs, bei ſchwe⸗ 
ren Zoͤllen, nach und nach die Quellen bewunderungswür⸗ 
digen Wohlſtandes. — Straßburg verſchonte Karl bei ſeinem 
Durchzuge, erkenntlich für bewieſene Treue, mit Veraͤn⸗ 
derung der Verfaſſung. — Waͤhrend der alternde Kaiſer 
gegen den Reichsfeind ſich abmüdete; er von Metz' Be⸗ 
zwingung, zum unverfländigen Jubel des deutſchen Volks, 
welches ſang: „die Metze und die Magd, hat dem 
Kaiſer den Tanz verſagt“, abließ; jene abtrünnige Reichs⸗ 
ſtadt kirchliche und politiſche Freiheit an den neuen Herr⸗ 
ſcher verlor; der Kampf, ohne ehrliche Theilnahme der 
Staͤnde, wechſelvoll an den niederlaͤndiſchen Grenzen Fehgräfticer 
binf&leppte; war zwar in den proteflantiichen Stäbten über⸗ — 
all die lutheriſche Lehre wieder hergeſtellt, zugleich aber 


406 Bierter Theil. 


_2Rar. noch zwei Iahre hindurch unfer Vaterland der Schauplatz 
ihmählicher Fürflenumtriebe, der widerfpruchsuollften Po⸗ 
litit und furchtbarer Verheerung. Der bodenlos ungetreue 
Albertiner und Markgraf Albrecht, welcher mit empörender | 
Unbefangenheit, den Zeitläuften die Berechtigung entnom- 
men, fi auf Koften angebliher oder erzwungener Feinde 
zu bereichern, kamen endlih aneinander. Der Verwüſter 
der rheiniſchen Biſchofsfitze, felbft des entlegenen Triers, 
ward, nachdem er die wilde Fehde gegen die fraͤnkiſchen 
Bifhöfe, gegen Nürnberg, auf Niederſachſens Landfchaften 
gefpielt, zwar bei Steverähaufen am 9. Juni 1553 ges 
ihlagen; und Kurfürft Moriz hatte feine geheimnißvollen 
Pläne mit ind Grab genommen; aber Heinrich der Jüngere, 
der alte blutige Widerfacher der neuen Lehre, der Reichs⸗ 
flörenfried und ungefühnte Feind feiner ungeborfamen 
Städte, behielt das Amt als Fiskal gefeglicher Ordnung 
nach dem Tode ded Bundesgenoffen, und warf den Mark⸗ 
grafen, welchem, als vermeintlichen Hort des Broteflantis- 
mus, Braunfchweig und die Seeflädte Vorſchub Teifleten, 
unweit Braunihweig am 12. September 1552 barnieber. 
Gleich darauf gelangte der Streit, welcher Niederfachfen 
feit Luthers erften Erfolgen in Aufruhr gebracht, zum 

an Ende. Braunfchweig, mit neuen Wällen, zablreihem Ge 

gefüpnt. (hi und muthigen Bürgern vertheidigt, war nicht leicht 
vom Landesherrn zu erobern; da legte fih Ninnberg, des 
Welfen gegen Albrecht bebürftig, Goslar und Hildesheim, 
ins Mittel; der Keterverfolger Tieß ab von feiner Heftig⸗ 
keit, erkannte den veränderten Gottesdienft, die verbrieften 
Gerechtſame feiner Bürger an, empfing nah Fußfall dafür 
die Treuerbietung (Detober 1553), md folgte dann dem 
Marfgrafen nah Franken. Da entfielen fi denn das Ge⸗ 








Schdtes Buß. 407 


ſchick des Nechters; rip aber noch vorher eine feit Jahr⸗ 2. Kap. 
Hunderten furchtbar gemißhandelte Reichsſtadt ins Verder⸗ 

ben. Schweinfurt, früher ſchon zweimal, ‚im Elende“, Siwein- 
feit 1542 Intherifch, erſt unter dem Schuge des Landgrafen Pritte 


eis 

von Heſſen, dann unter pfälzifchen, als Waffenplag von pörun. 
Albrecht beſetzt (1552), ſah, von deſſen fränkifchen Fein⸗ 
ben, den Heidelberger Bundesgliedern, mehrmals belagert 
(1553), feit Unfang Suni 1554 ben bedrängten Mark⸗ 
grafen in feinen Mauern. Schon war die St. Iohannis« 
fire, nebft Wehren und Thürmen, zerfchoffen, durch 
bifhöflihe und nürnbergiſche Stüde; ſchon lagen fihmude 
Bafien durch Brandkugeln in Trümmern, ſchon meuterte 
das Kriegsvolk, und preßte den Bürgern, den rührigen 
Helfern eines fo zweidbeutigen Broteftanten, 80000 
©ulden ab; fon meldete ſich der Hunger; da räumte, 
noch ungebrodhenen Muths, Albreht am 13. Suni 1554 
den unglüdlichen Ort, erlag jedod unmittelbar darauf uns 
weit Volkach, und verfhwand in Dunkelheit und Verach⸗ 
tung. Hinter ihm drein aber nahm das Bunbeöheer 
Schweinfurt, vertrieb Weiber und Kinder, yplünderte und 
verbrannte die Stadt bis auf den Grund, und verſcheuchte 
erbarmungslos auch nach neuntägiger Brunft die rüdfeh« 
senden Einwohner. Künmerlich erneute fich aus dem „drit⸗ 
ten Elende” der yprotefantifihe Ort, ein Opfer der un⸗ 
klaren politifchen und kirchlichen PBarteiftellung, und bewahrt 
nur noch in feiner Föftlihen Brautthüre bei St. Johann 
die Spuren ehemaliger Schöne. — 

Allmälig verhallten die Stürme, welche der religiöſe Auge. 
Zwift im Kteiche feit zwanzig Jahren hervorgerufen; ber ne 
Religionsfrieden, vom Kaiſer und den Ständen am 2b. tan 
September 1555 aufgerihtet, veihieß, nach menſchlicher 


408 Bierter Theil. 


2.R00. Berechnung, unſer Volk vor einem zweiten „deutſchen 
Kriege“ zu bewahren. — 


Dritte® Kapitel. 


Bom Augsburger Religiondfrieden bis zum Abſchluß des wehfälifgen Friedent, 
v. 3. 1555-1650. 


— Der geiſtige Rauſch, in welchen der ruhmvolle An 
— dentheil am Reformationswerke unſer Bürgerthum verſett 
hatte, war die letzte große That deſſelben. Er hinterließ 
jedoch nah Erkämpfung des ängftlich bedingten Religions⸗ 
friedens, neben politiſcher Erſchlaffiheit in den Heide 
ſtaͤdten, eine fieberhafte Aufregung in kirchlichen Dingen, 
weiche im Hader über bie Nechtgläubigfeit erft Die Ruhe 
unter den Bekenntnißverwandten ärgerlich flörte, dann ber 
neugefräftigten, einigen katholiſchen Welt gegenüber un 
leugbare Niederlage verſchuldete, und nad theilweifem un 
sereinzeltem bewunderungswürdigen Wiberflande mit gänp 
Ticher Ohnmacht der Städte endete. Meberhaupt Hat die 
Kirchenverbefferung in poltitifcher Beziehung feinen ©r 
gen über unfer Vaterland gebracht, weil nur ein Theil der 
Nation an ihr feftbielt; dem freien Bürgerthume erwieſen 
fih die Folgen der Reformation nicht förderlih. Zuvör⸗ 
derſt weil die Reichsſtädte, größtentheild. der neuen Lehr 
zugewandt, den natürliden. Schug an den aligläubigen | 
Kaifern verloren. — Während die fürflihe Gewalt, all 
Erbin der verbrängten alten Kirche, mit jedem Tage wuchs, 
und die Politif der Souveränetät, auch durch die Theologen 
berechtigt, in Unterdrüdung der bürgerlichen Unabhängigkeit 
überall einmüthig fortfuhr; Hatten zwar die einzelnen Städte | 
durch die Meformation an innerer Autonomie ‚gewonnen, 
und bei gefeglicherem Rechtszuſtande jene fehnlichften Wün⸗ 


Sechstes Bud. 409 


ſche, Ordnung, Sicherheit und äußere Ruhe, erreicht; aber I. Kr. 


ale Geſammtheit wie an vertraulihem Gemeinfinne und 
Eintracht, fo an flänbifher Berechtigung, und an jener 
hochherzigen Geſtnnung verloren, welde die Folge der un« 
erläßlichen Nothwehr ihrer Altoordern gewefen. Der zahme 
füd- und mitteldeutfche Städtenerein umſchloß Tirchlich wi⸗ 
derfprechente Glieder zu einer Beit, wo bie fogenannte 
Gewiſſensſache alle übrigen Interefjen durchdrang; jelbft 
bie kaufmaͤnniſche Hanfa, fo ernftlid zumal die Seeftäbte 
um die Nefte ihrer Freiheiten fich müheten, ſah in Folge 
der Glaubens» und Befenntnißfpaltung hochanſehnliche 
Slieder, wie Köln, allmälig entfremdet, und löſte ſich, 
da die ſchon früher herausgeftellten Urſachen ihred Verfalls 
verftärkt fortwirkten, am Schluſſe unferes Abſchnittes faft 
geräufchlo8 auf. Hatte die Veränderung des Weltverfehrs, 
bie jelbftftändige Staats⸗ und Volkswirthſchaft der Nachbar⸗ 
flaaten, die Quellen des nationalen Wohlftandes verfiegen ge= 
macht; fo ließ die Armuth und Noth unter ber niederen Stadt= 
bevölferung um fo eher das mehrhafte, reizbare bürgerliche 


Bewußtſein verfiummen, als die proteſtantiſche Geiftlichkeit 


offen darauf. hin arbeitete, die durch Volkswahlen bedingte 
Obrigkeit, als von Gott angeordnet, über den republifa« 
nifchen Boden ihres Urſprungs zu erheben, und bie bün- 
digfien, verfaffungdmäßigften Rechte als Aufruhr gegen 
Gott: zu verdammen. Wltgebeiligte Satzungen über Wahl, 


Ä jährliche Umfeßung oder Erneuerung des Raths fielen. in 


Bergeffenbeit ; wenn auch populare Formen ſich noch erhielten, 


wußten doch überall die einmal beruorragenden, reichen Fa⸗ 
milien durch unbemmbaren Einflug fih im flädtifchen Ne- 


giment zu befefligen, ſich immer wieder zu den nur fcheinbar 
erledigten Stellen wählen zu laſſen, und auf Lebenslang 


419 Bierter Theil. 
3.Rap. die einträglichften, eigennübig vervielfältigten Aemter m 





fih zu bringen. Bwar eröffnete dad leidige Bedürfnij 
gelehrter Rathoherren dem juriftiich gebildeten Bewerber 
den Bugang; aber einerfeitö fiel ed dem Sohn des arme 
Bünftlexs jchwer, zu folder Laufbahn die Mittel zu errin 
gen; und war ed anerkannter Fähigkeit einmal gelungen, 
über Die begünftigten jungen Batrizier ſich aufzuſchwingen, 
fo durfte der Emporkömmling fein Interefie für feinen 
Geburtsſtand blicken Laffen, oder ging freiwillig im das 
vornehme Vorurtheil der Amtögenofien ein. So verlorm 
die Zünfte, in politiſche Gleichgültigkeit verſunken, jenen 
Geiſt, jene polittihe Bedeutung des XIV. Jahrhunderts, 
welche die einzelnen Gemeinweſen ftarl und blühenp, ta} 
Reich unbezwinglich gemacht hatte; die Fortſchritte dei 
neuen Kriegsweſens, die flehenden Heere, raubten ihnen, 
wenn fle auch in gemeine Noth noch „zu Walle gingen“, 
ihre ehrenvollſte, wirkfamfte Stellung; die hocfinnigfen 
Beftrebungen verfnöcerten als Hemmniß freier Bewerb; 
thätigkeit in kleinliche Handwerksintereſſen, während di 
Rathsariſtokratie jelbftfüchtig vom Gemeinwohl ſich losſagte, 
und ihren perſönlichen Vortheil allein im Ange behielt. 
Schon innerli ohne politifche Lebensfähigkeit, wenngleiqh 
das leuchtende Vorbild der flegreichen niederländifchen Städt 
zu Anfang bes XVII. Sahrhunderts unter Norddeutſchlande 
. Semeinwefen einmal muthige Entfchlüffe und tapfere. Thaten 
hervorrief, ging unfer Bürgerthum „dem großen deutſchen 
Kriege” entgegen, wehher ben Stolz und Retionalfinn 
unferes Volkes vollends brach, das gefchändete, jämmerlid 
verarmte, verblutete Vaterland den Fremden ald Bent 
preisgab, und nur die fürflliche Macht folvatifch ſtark genug 
Weg, um wenige Jahre nad dem ſchmachvollen weſtfäͤliſchen 


Schstes Bud. 211 


Frieden die fpröden Hefte gefreiter Städte unter ihren 3:Ra. 
Fuß zu bringen. 

Ungeachtet die gefchilderten Büge dem deutſchen Städtes Ri 
wejen während des erſten Jahrhunderts nad dem Augs⸗ fet Be 
burger Religionsfrieden indgemein angehören, fo prägte ‚u * 
fich die volle Bedeutung der einzelnen drei ungleich langen 
Zeitabichnitten beſonders auf. 

Unter dem römifchen Könige und Katjer Berbinand I. 
1556 — 1564, unter Marimilian I. — 1576, und in 
Rudolfs II. erſten Regierungsjahren bis 1580, bei äußerer 
Ruhe des Reichs, wenn wir ben Ießten Ausbruch Der 
Wildheit des Reichsadels In den Grumbachiſchen Händeln, 
die unglücklichen Verſuche des Erneſtiners Johann Friedrich, 
fſein angeborenes Kurfürſtenrecht geltend zu machen, bie 
Türkenkriege und unzählige kleine Fehden, im Vergleich 
mit der Zerruͤttung zwiſchen den Jahren 1642 — 1555 für 
unerheblich erachten; alſo ewa 25 Jahre hindurch, ein 
gedeihlicher Zuſtand im Inneren, der ſogar ein üppiges, 
freudiges Nationalwohlbehagen, ein geiſtig und ſittlich er⸗ 
friſchtes Leben zur Schau trägt. Die Städte bewahrten 
tm Aeußeren nicht allein die überfonmmene mittelafterlichetteußeres 
Herrlichkeit, fondern wollten dieſelbe mit neuer Kunft und Städte. 
neuem Geſchmacke überbieten. Gebaut und gebeflert wurde 
viel, zur Abwehr künftiger Noth, zu bürgerlicher Bier und 
Bequemlichkeit. Zwar die großen Müänfter, die himmel⸗ 
anftrebenden Thürme, biteben unvollendet; aber neue Zin« 
gel, Rondele, Baftionen, Wehrthürme, Thore fleigen 
auf, hochgegiebelte, hellere Bütgerhaͤuſer, Schulen, neue 
Aathshaͤuſer, wie zu Rotenburg, Soeſt, Danzig, Lübeck, 
Augsburg, Nürnberg, Erfurt, Köln, geſchmückt mit Stein⸗ 
bildern, Gemaͤlden und finnigen —* Es vervolb⸗ 


418 Bierter Theil. 


3.Rap. ſtaͤndigt ſich jene ſchöne Mannigfaltigkeit, jene reiche Pracht 
vegellofer Romantik, welde und „Brauns Staͤdtebuch“ 
(1575) Eunftreich vergegenwärtigt, und noch mitten unter 
der Zerflörungswuth des dreißigjährigen Krieges Merians 
Grabſtichel dem Gedaͤchtniſſe trauernder Nachkommen üher- 
liefert hat. Jene malexiſche Schönheit der deutſchen Staͤdte, 
gehoben durch ihre anmuthige, bebeutfame Lage an Strö- 
men, Blüffen und auf zinnen= oder münfter- gekrönten 
Hügeln, bewunderte zumal der feinfinnige Franzoſe, Michel 
Montaigne, als er i. I. 1582 das fübliche Deutfchland 
durchreiſte. Befonderd in jener kurzen Ausrufe des Bür⸗ 
gerthums erflanden die Meifterwerke der Bildhauer⸗ und 
Erzgießerfunft, jene, Schönen Brunnen‘, Nialtogleiche Brül⸗ 
fen und andere öffentliche Denkmäler, die zufammt mit ben 
älteren Bierden noch kurz vor dem „großen Kriege den 
einheimijihen Wanderer Kinkelsbach zu feinem merfwürbigen 
Bude, „Deutſcher Nation Herrlichkeit““, begeifterten. Wir 
begnügen und anzudeuten, wie gerade in unferer Periode 
unter den Meformationswehen und im naͤchſten Menſchen⸗ 
alter nad dem ſchmalkaldiſchen Kriege, der Gewerbfleis 
und die verihönenden Künfte in finnigen Erfindungen 
wetteiferten, da der  mitteleuropälfche Großhandel aus 
unferen Städten wid; wie nicht allein die nüglichen Hand⸗ 
werke des Mechanifers, des Waffenſchmiedes u. f. w., das 
Zwedimäßige mit dem Schönen verelmend, den Gipfel ber 
Blüthe erfliegen, immer Neues fchufen; fondern auch bie 
Goldſchmiedekunſt, die Buchdruckerei, die Malerei, die 
Kupferftecher - und Holzfihneiderfunft, Die Mechanik im 
Dienfte der Wiſſenſchaft, in. Nürnberg, Augsburg, Lim, 
Straßburg, Köln, Erfurt, Lübeck Unüberbotenes Leifteten. 
Auch in Kleidertracht und in Schmuck des Leibes gab ſich, 





Sechsſstes Bud. 413 


wenn auch Bizarr, überladen und fleif, ein Streben nad 3.Kar. 
augenwohlgefälliger Erfcheinung zu erkennen, das, durch 
die ernftlichften Luxusgeſetze der Obrigfeit nicht befchränft, 
fo wenig als die unerläßfihe Manneszier mit Schwert, 
Dolch und Meffer, dem Iebendfrohen, freudigen Muth der 
Zeit das Wort redete. Sonft aber war das häusliche Leben 
noch in hohem Grabe altwäterlich einfach, unbeholfen, nüch⸗ 
tern und fireng, das Geräth roh und ärmlih, die Be- 
hauſung büfter und eng, die Werfflait noch oft auf der 
Straße oder berufsweife in befonderen Gaſſen, auch Brüf- 
fen, zufammengedrängt. Anders freilih an Feſt⸗ und 
Ehrentagen, in den Zunfthäufern und Zehen, an Volks⸗ 
Iuftbarkeiten, von denen wir noch zu reden haben; anders 
endlich der Zufchnitt des Patriziertfums in feinen Gefell- 
ſchaftsſtuben und Zanzhäufern, als die „Erbaren“, bie 
 Birfler zu Lübeck, die „vom goldenen und filbernen 
Ringe” zu Braunſchweig, die Salzbeerbten zu Soeft, Die 
Geſchlechter zu Augsburg, Ulm und Nürnberg, die „Gan⸗ 
erbſchaften Alt⸗Limpurg, Frauenſtein, Laderam“ zu Frank⸗ 
furt auf das ſchöne Lob Macchiavellis verzichteten, „unter 
ihnen würde keiner geduldet, der mit ſeinen Renten bloß 
Staat und Aufwand mache und kein nützliches Gewerbe 
treiben wolle; ſolche würden als Verderber aller guten 
Zucht betrachtet.” — Entſchieden wohlthaͤtigen Einfluß 
übte die Kirchenverbefferung, in Verein mit der Geſund⸗ — 
heitspolizei, auf eine der widerwaͤrtigſten Erſcheinungen des 
mittelalterlichen Staͤdteweſens, auf die „Frauenhauſer“, 
deren unbefangene zünftige Einrichtung die Geſetze bed KV. 
Jahrhunderts väterlich in Schutz genommen. Der ſtrenge 
Sitteneifer der Prediger ließ das öffentliche Aergerniß 
meiſtentheils verſchwinden, zumal ſchon früher Handwerks⸗ 


414 Bierter Theil. 


3%. gilden, wie die frommen, beſchaulichen Weber zu Um, 
ſolche Leichtfertigkeit mit Verfloßung rügten, und. anderdw 
ehrbare Zünfte fogar unzlemlich vertraute Paare felbfi nad 
der kirchlichen Trauung nicht unter ſich Duldeten, Unehelid- 
geborene nicht aufnahmen. Verbot do hie und da nor 
deutſche Obrigkeit gewifie neue Tänze, dad „Umkufeln“ 

Säulen. (Walzen) ald Aergerniß. So Löblihem Streben der Re 
formation nad fittlicher Reinheit ging in den proteftanti- 
ſchen Städten überall die Sorge für die wilfenfchaftlice 
Bildung der Jugend zur Seite; überall, felbft an fo Eleinen 
Orten wie Goldberg in Schleften, eröffneten fih, vorzüg⸗ 
lich auf Melanchthons Mahnung und Vorſchrift, „‚Iateini- 
ſche“ Schulen; ja Nürnberg that fih mit feinen Anflalten 
innerhalb der Mauern noch nicht genug, Tondern legte im 
Flecken Altdorf ein Oymnaflum an (1575), welches i. J 
1578 vom Kaiſer akademifche Freiheiten erhielt, und i. J 
1623 zu einem friedlichen. Mufenfige erhoben wurde, Dir 
blühende Reichsſtadt Straßburg war unter ded berühmte 
Sohann Sturms und Sleidans Leitung (1537) darin vor 
angegangen, und hatte i. I. 1566 ihr afademifches Gym 
naflum zur eigentlihen Akademie umgeichaffen, auf welde 
befonderd Deutſchlands Iernbegieriger Adel mit weltid 
wiſſenſchaftlichem Sinne und feinerer Gefhmadsbilbung fd 
durchdrang, aber auch, zur verhängnißvollen Trennung te 
proteftantifchen Kirche, Die calviniiche Richtung jenes Be 
rührungspunfteö der religiöfen Intereſſen Frankreichs un 
Deutfchlands fich aneignete. 

Bir Begrüßen wir im gewerbthätigen, polizeilichen, fitt- 
lihen und geiftigen Gebiete einen mächtigen Fortſchritt 
unſeres Bürgertbumd; fanden nad der Kirchennerbefferung 
auch die gelehrte Forſchung, die fogenannten Bacultätd- 





Sechstes Bud. 415 


Rudien, felbft die Geſchichtsſchreibung, merklihen Vor⸗2Kap. 
ſchub in den Städten; fo erneute fih auch das gemütliche 
heitere Gepräge des Volkslebens, und fpiegelte in feinen 
| Erfcheinungen veredelt, finnvoller, bedeutſamer und. ergögs 
licher die gefellichaftlihe, bald ungefchlachtete und rohe, 
ı bald poetiſch tieffinnige Geberbung des früheren Mittels 
ı alterd ab. Die Volksmuſe, der ältere Meiftergefang, ſchlug, 
‚ munter merflihem Einfluffe der Poefle Luthers und des 
Leſens ber deutfchen Bibel, ihren zünftigen Sig unter ben 
: Handwerkern der Reichsſtädte auf, erblühete zumal in 
, Nürnberg unter dem Vorgange des „erfahrenen, Eunftreichen 
Meiſters“ Hand Sachs, und dauerte, jo geiſtesarm, ge= 
ſchmacklos, und nur nad äußerlicher Tabulatur gemeſſen 
‚ ipre „Weiſen umd Töne“ auch fein mögen, doch achtung⸗ 
; gebietend für den religiöfen Sinn der Handwerker, ihrer 
‚ Pfleger, in ſüddeutſchen Städten no bis zum XVIIL Jahre 
‚ hunderte, in Memmingen fogar noch bis auf die neueſte 
, Zeit fort. Derfelbe veredelnde Hauch der Reformation vers 
‚ feuchte aud Die grobe Böllerei aus den Kalandöhäufern, 
bie tobende Luſtbarkeit der Graal- ober Grölfeſte, ben 
anſtößigen Scheinkampf um das „Fräulein Sophia”, den 
‚ tollen Spud ter Schauteufel, den unverfländlihen Schem- 
part, Die ſinnloſen Faſtnachtsſchwaͤnke und öffentlichen 
Mummenſchanzen, die Barbasei ber Kapenritter, das 
‚ Schlagen des Schweind durch die Blinden, und andere 
theils unſittliche, theils gedankenleere Spiele und Feſtlich⸗ 
keit der katholiſchen Vorzeit, wie bie Paſſionsſpiele und 
Myſterien; oft hatten ſelbſt die katholiſchen Nachkommen 
den Urſprung ſolcher Aufzüge vergefien, und führten z. B. 
in Bogen das Georgifpiel und das Drachenſtechen auf ein 
Gelübde der Bäter — gegen die Heuſchrecken! zurück. — 


416 Bierter Theil, 


IR. Dagegen Hatten fih aus früheren Keimen theild ander 
Bolkserheiterungen geftaltet, theils ſchon überfonmene 
liebe Bräuche bedeutfamer, zeitgemäßer und allgemein fröß 
licher umgebildet. Der finnlihen Pracht der katholiſchen 
Kirche beraubt, follte, son würdigen Motiven erfüllt, das 
Bürgertfum an ehrbarer Froͤhlichkeit nicht gleih gar ver- 
armen. Zwar verſchwanden die bunten Neiteraufzüge junger 
Geſellen mit ihren Schönen ; die uralten Maifpiele, welde 
die erften Bürger noch aus dem heidnifchen Bauerleben 
in die flädtifchen Mauern gerettet, die poetifchen Mai. 
fampfe, die Maigräpfchaften, der Gemeinde wegen de 
damit verknüpften Gepraſſes der Rathsglieder ‚aus ge 
meinem Sedel’’ verhaßt, und deshalb in den wendifchen 

SHügen-Seeftädten um 1550 — 1570 abgefhafft; dagegen gewan 

(haften. nen die frühbelobten Schübenbrüderfchaften, nachdem ft 
ihre urfprünglichen Firchlichen Beziehungen abgeftreift, einen 
gar fröhlichen, männerehrenden Aufihwung, und wurde 
faft in allen Städten Deutfchlands der Mittelpunkt, auf 
welchen fich alle anderen Leidenſchaften und Gedanken zu 
Luſt und Genuß ded bürgerlichen Dafeind bezogen. Wir 
können gefchichtlih die Schütenbrüberfchaften, bald als 
Berein der wehrbaften BZünfte zu befonderem Waffenge⸗ 
brauch und Waffengeſchick, erft „ver Armbruft, dann de 
Feuergewehrs“, bald als gefihloffener „Raths⸗ oder Kauf 
manndgilden”, unter kirchlicher Färbung und mit eigen 
thümlichen Geſellſchaftszwecken, bis ins XIV. Jahrhundert 
hinauf verfolgen; doch find fle gewiß gleidhalterig mit de 
Wehrbaftigkeit des Bünftlers überhaupt. Im Anfang de 
XV. Jahrhunderts, als die Waffenfreudigkeit der Zünftler 
überall al8 Grundbedingung des bürgerlichen Beſtehens fid 
bewährt Hatte, trat mehr die Mebung ald’das Ber: 





Sechstes Bud. 417 


gnügen ald Zweck der Genofienfchaft Heraus; ſelbſt Die Erw 
Iuftigen Papageyengeſellſchaften ber reiſigen Kaufleute, fo 
genannt vom bunten Zielvogel, entflanden aus unerläß« 
lichem Bedürfniſſe, und in allen Städten umfaßte bie 
Schügengilde, wie. zu Braunfhweig, Magdeburg, Soeft, 
die junge, zum Gebraud der Armbruft oder des Feuer⸗ 
gewehrs geübte Mannſchaft, welche beſonders zu Pfingflen 
um den Ehrenpreis der Geſchicklichkeit wetteiferte. Mit 
der Mitte des XV. Jahrhundert? dagegen machten fich bie 
„Frei⸗ und Gefellenfchießen‘‘, wie einzelne fafftiche Städte 
unter anderen Formen ſchon im XHI. Jahrhunderte ange⸗ 
ftellt, als Geſammtausdruck der Volksluſt geltend. Unter 
des ritterlihen Marimiliand 1. Regierung jehen wir in allen 
Städten Ober» und Nieberbeutjchlands, zumal in Augs⸗ 
burg, Köln, Erfurt und Braunſchweig, befonbers in Schle⸗ 
fien, zur angefegten Friſt die geladenen Schügen der Nach⸗ 
barjhaft, oft auf Koften ehreifriger Gemeinden, feftlich 
verfammelt, um nad den außgeftedten Kleinodien, audhund Brei 
wohl gegen baare Einlage um befondere Preife, „, fette "er 
Ochſen, bunte Seidentüher, Bahnen”, zu ringen, und 
fleggefrönt in bie jubelnde Heimath einzuziehen. Neben 
anderen derben Genüſſen, Trinfgelagen, Schmaufereien und 
Tanz, fand bie Gewinnſucht auch ohne Waffentampf Netz 
und Befriedigung, indem. beim Bufammenlauf der Schaus 
luſtigen von nah und fern ein „Glückshaven“, Glücks⸗ 
topf, das ältefte. dentfche Lotto, unter Aufſicht des Raths 
ausgeſpielt wurde. Oft andy veranftaltete der Rath, unzu⸗ 
friedene Bünftler, wie die „Gaffeln“ in Köln, zu begü⸗ 
tigen, ein Geſellenſchießen für die heimiſche Bürgerfchaft; 
Die eigentlichen Freifchiegen vereinigten dagegen ‚zur Jör⸗ 
derung trauficher Nachbarfchaft” nicht allein die kunſtgeübten 
Barthold, Städteweſen. IV. 27 


418 Bierter Theil. 


Rp. Gesellen der Landesftädte, fondern ſchlangen ein bebeut- 
fames, fröhliches Band um das gefammte deutfche Bürger- 
tum, auch das Landvolk nicht verachtend, welches auf 
Dorfftätten und der Wildbahn Bertigfeit im Gebrauch der 
alten und neuen Waffe fih angeeignet. Don einem Ende 
Ober⸗ und Mitteldeutichlands zum anderen ſchickte die „‚Eranz 
tragende‘ Stadt, d. h. diejenige, welche zum lebten Frei⸗ 
ſchießen das Kränzlein (die Erinnerung an den verfchollenen 
gemeinfamen Urfprung der Frühlingsfeier und Waffenauf- 
züge, das Wahrzeichen des Sieges, welchen ber Zenz über 
den unbolden Winter gewonnen) empfangen hatte, ber 
willigen Nachfolgerin zu. Im XVI. Jahrhundert Hatte dad 
Beuergewehr noch nicht allgemein den „ Stahl’, die bürgerlide 
Waffe der Väter, verdrängt; und zumal hielten die Nürn⸗ 
berger auf ihrer anmuthigen „Hallerwieſe“ jene altfraͤnkiſche 
Wehr in Ehren. Uber die Volksfröhlichkeit war unter 
dem büfteren Ernft der Reformation faft ganz verftummt; 
die Schügenaltäre, die Bicarten, brachen in den kirchlith 
umgeftalteten Städten zufaurmen; die Kleinodien, Silber 
gefhirre der Gilden fraß die Nothdurft des Krieges. Gleich 
nach dem Religionsfrieden jedoch wurden neue „Schützen⸗ 
rollen‘ in landſaͤſſitgen Städten ertheilt, freilich nur 
zunäcft zum Zwecke fürftlicher Landeövertheidigung ; in 
aller finnvollen Mannigfaltigkeit, wie unter dem goldigen 
purpurnen Abendglühen, entwidelten dagegen die Freien 
und Neichsftäbte noch einmal die fhönen, würdigen Mo- 
tive, welche mittelalterig ihren Ausdruck in jener ächt⸗ 
deutſchen Bürgerfeſtlichkeit geſucht. Aus dem überreichen 
Stoffe, welden uns bie Jahrbücher von Breslau, Liegnig, 
Leipzig, Zerbft, Halle, Braunfchweig, Eimbeck, Göttingen, 
Hamburg, Kaſſel, Koburg, Köln bieten, wählen wir 


Schstes Bud. 419 


Das Bilb des mittelalterigen Bürgertfums in feiner 3. Ras. 
Iegten Schöngeit nicht aus; wir müflen über ben Main, 

an die Donau, wie an den Oberrhein, in welden Lan⸗ 

den mit dem 3. 1555 das „Kränzlein üppig zu grünen 
begann, In Straßburg, deſſen Zünftler, Iahr aus und Das 
ein auf ihrem „Schießraine“ wader geübt, zulegt i. I. Tide 
1552 bie Unantaftbarfeit einer freien wehrhaften Neihe- 
ftadt erwiefen, beſchloß i. 3. 1576 „ein ehrfamer Rath“, 
zur Mehrung nachbarlicher Freundſchaft, ein großes Büchſen⸗ 
und Armbruftichiegen auszufchreiben, zumal Wormd das 
Kränzlein zugefendet. In unnachahmlicher Treuherzigkeit, 
it magiftratlihem Ernſt, voll Sorgfalt zur Verhütung 
mögligen Schadens, Betrugs, aller Unhöflichkeit, zur Be⸗ 
zielung freundnachbarlichſten Wohlwollens abgefaßt, und 
amftändlid alle fraglichen Einzelnheiten, welche ben Gaͤſten 
wiätig waren, erörternd, flog der gebrudte Brief durch 
Die ober⸗ und mitteldeutichen Lande, und erging ſich demnach 
som 28. Mai an volle drei Wochen hindurch die getümmel⸗ 
solle, bunte Luftbarkeit. Die GHauptpreife waren abge⸗ 
ſchoſſen, und unter finnreicher Beier, allegoriſchem Schau⸗ 
gepränge, Muſik, nicht ohne die Späße des fittichgrünge- 
Zleideten Schaltönarren, ausgetheilt; das Nachſchießen follte 
beginnen, und noch „loſirten“ die eidgenoſſiſchen Ehren⸗ 
gaͤſte koſtenfrei auf der Schneiderzunft; da fuhr am Abend 
des glühendheißen 20. Junius, unter bem Jubel des ge= 
fpannten Volkes, unter Zinken⸗ und Trommelſchall, ein 
geräumiger Nahen aus dem Hein in ben gefrümmten 
„Gießen“. Es war „das Glückhafte Schiff’, welches 
fünf Herren des Raths und fechs der Bweihunderte, zu⸗ 
tammen 54 anfehnliche Bürger und Meifler aller Zünfte 
son Zürih, und — einen ehernen Topf mit heißem Hirſe⸗ 

27* 


420 Bierter Theil. 


map. brei nebſt 300 frifiher Züricher Semmelringe herbeibrachte. 
Dur unabläjfiges Rudern, ohne Segel, hatten jene Männer 
feit 2 Uhr früh durch Limmat, Aar und Rhein eine Strede 
son 30 beutfchen Meilen zurüdgelegt! Als Sinn ber felt- 
famen Gabe, welche plattenweiß ‚auf der Ammeifterftube 
in der Judengaſſe“, — der damalige Meifter war in ber 
Zunft der Maurer eingefchrieben, — gefoftet wurde, er- 
Härten die tapferen Schiffer, „hülfreiche Nachbarichaft bes 
ſchraͤnke fih nicht auf etliche Meilen; wen nachbarlice 
Zreue und Mannesmuth inne wohne, sermödte auch aus 
weiter Kerne der Noth beizufpringen, und Züricherknaben 
fönnten zur Stunde der Gefahr. ihren Freunden mit ben 
Waffen helfen, ehe noch ein Brei erkalte“. — Wir er 
innern und aber, daß Straßburg, Bafel, Bern und Zürid 
feit alten Tagen in „Verbürgerrechtung“ ſtanden. — So 
fühlsaren Beweis herzftärfender Wahrheit — „der Brei 
thät noch im Munde brennen”, — mußten die Straßburger 
nach Gebühr zu fihägen, hielten ihre Gäſte hoch mit Im⸗ 
big und Hundertjährigem Weine, — „dem no Fein Haar 
graute“, — zeigten ihnen alle Herrlichkeit der Stabt, und 
geleiteten bie, mit ſchönen Wappenfahnen und güldenen Dent- 
pfennigen Beſchenkten, unter unerſchöpflichen Danfe und 
Ungeloben von Liebe und Treue, bis auf Schweizerboden. 
—— Zum Gedächtniß verehrten jene den „reiſenden Brei- 
Breitopf.topf” ind Zeughaus; Steinfcriften und Mauerbilber 
bewahrten die köſtliche Gejchichte der Nachwelt, das Beſte 
aber that Iohann Fiſchart, genannt Mentzer, welcher, der 
originalfte und volksthümlichſte Schrififteller jener Tage, 
dabei ein fonderbarer Freund und Kenner der Schügen- 
tunft, „pas Glückhafte Schiff” nad Würden in 1200 
Reimzeilen befang. —. Treu alter Bundespfliht, halfen 


Sech stes Bu, 421 


Bürih und Bern mehrmals der bevrängten Schwefter am Tr 
Oberrhein; aber am 30. September 1681 waren bie 
Hüter Straßburgd Furzoorher abgezogen. — 

Viele folder ergüglichen und erhebenden Züge bürger- 
lichen Biederfinnes Hat die Nachwelt vergeſſen. Die Luft 
an Schützenhöfen, Vogel- und Preifchießen dauerte unges 
fättigt bis zum breißigfährigen Kriege fort, in welchem 
die Bürgerherzen verdorrten, mit ihnen der Maienfranz. — 
Außerhalb dieſer allgemeinen Beftlichfeit erging fich Das 
wehrhafte Zunftwefen auch in anderen geſchickten Leibes« 
Tünften, und war bie bizarre Erfindungsgabe junger Ges 
fellen unerfchöpflich in mancherlei gefährlichen Spielen, tollen 
Aufzügen und Schaugeprängen, wie im altgermanifchen 
Schwerttanze, in Fechtſchulen, Wettkämpfen, Schiffer und 
Fiſcherſtechen, die Schieferdeder auf frhwindliger Thurm⸗ 
fahrt, die Metzger mit der Halbtaufendelligen, buntbebän« 
derten Wurft; die Bäder mit der riefenhaften, leckeren 
Brepel, die Faßbinder, Küfer, mit wunderlichen Gewerbs⸗ 
launen, alled um einander, um das Volk zu ergögen. — 
„Wahrlich, unfere Zeit vermag die Luftgefühle der Väter 
nicht zu begreifen. — 

Aber in dieſe Helle, gemüthliche Seite unferes DBür-, ir, 
gerthums fielen bereits die finfterften Schlagſchatten. Kaum Aritige 
Hatte die proteflantifche Kirche äußeren Frieden, als die in dem 
Iutherifche Geiftlichkeit durch hierarchiſche Anmaßung, then- 
logiſche Rechthaberei und Zankſucht die religiösgeftimmten 
Seelen zu verhetzen begann, ihre degmatifche Grillenhaf- 
tigfeit und erbofte Unduldfamfeit gegen andere Meinung 
die Kanzel mißbrauchte, die Städte mit Unruhe und Haß 
erfüllte, und ein lutheriſches Papſtthum, gefährlicher 
ls das abgeſchaffte, der ruhebedürftigen Welt drohete. 


422 Bierter Theil. 


3.Rap. Die Merbreitung zwinglifcher und kalviniſcher Lehren, ober 
die Furcht vor den „teufliihen Sacramentirern‘‘ verwirtte 
zuerft ſolche Gemeinweſen, in denen gerade das Firchliche 
Bewußtfein am flärffien fi ausgeprägt hatte. In Mag—⸗ 
deburg, das faum im Ianuar 1558 mit dem neuen Exp 
bifhof, Markgraf Sigismund, und dem Domkapitel fid 
verglichen hatte, und erft i. J. 1562 von ber Acht befreit 
wurde, erwehrte fih der Math mit Mühe einer Kirchen- 
ordnung, welde Bann, Ausihluß vom Abendmahl und 
andere Strafen willfürlih handhaben wollte, und entfernte, 
unter Sorge vor offenem Aufftande, im Herbfle 1562 den 
berüchtigiften aller Iutherifchen Pfaffen, den Dr, Tilemann 
Hefhuflus, mit feinem Anhange vom Amte. Zerrüttender 
- Bremen.waren gleichzeitig die FZirchlichen Bewegungen in Bremen, 
und begruben die ‚neue Eintracht” v. 3. 1532. Dem lin 
gewitter des kaiſerlichen Zornes noch glücklich entgangen, 
und durch den Tod von ihrem veraͤchtlichen Erzbiſchofe 
Chriſtoph befreit (1558), waren Magiſtrat und Bürger⸗ 
ſchaft feit 1556 wegen ber ‚Ealvinifchen Richtung bed Dom- 
prebigers Albrecht Hardenbergs gefpalten; zwar Hatte ber 
„Saframentirer” auf Beihluß der ſächſtſchen Kreisftände 
i. 3. 1561 weichen müſſen, aber der firenglutherifchen Pat⸗ 
tei war fo wenig ®enugthuung geichehen, daß um Dftern 
1562 drei Bürgermeifter und viele Rathsherren heimlich 
ihren freiwillig ausgewanderten Predigern folgten. Dar⸗ 
auf ward Bremen als ein „zweites Münfterfhes Wieber- 
täuferreich“ verläftert, die Stadt als aufrühreriih gemie⸗ 
den, zulegt gar verhanfet, weil die zurüdgebliebene kalvi⸗ 
nifche Partei die Entfcheidung durch den Bund troßig ver⸗ 
warf; die Sahe gedieh fchleppenden Banged an "Den 
Kaifer, vor welchem die Ausgewichenen als ,, ordentlicher 





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Scehstes Bud. 423 


Rath” MWieberherftellung forderten. Berbinand II. flarb_3.8e-: 
darüber weg; Commiſſtonen zeiheten ſich vergeblih an⸗ 
einander; felbft der Reichstag konnte den Heillos erbitter- 
ten Streit nicht ſchlichten, bis Maximilian II. eine Tages 
fahrt zur ſchiedsrichterlichen Entſcheidung nah Verden ans 
beraumte (September 1568), und bie brennendften Punkte, 
wenn auch nicht zur Genugthuung der rechtgläubigen luthe⸗ 
riſchen Partei, verglichen wurden. Die Kalviner behielten 
das Heft in Händen, verdrängten allmälig ‚die Gegner aus 
Rathsſtuhl und allen Kirchen, und erweckten bei ſchwan⸗ 
tend gefinnten Städten durch Unduldſamkeit fowohl bie 
Angft vor der Reform überhaupt, als auch jchwächten fie 
in bdrobender Beit den Einmuth des hanſiſchen Vereins, 
und verfäumten endlich, bei der nachſichtigen Haltung 
ihrer jegt proteftantijchen Erzbifchöfe, die günftige Zeit, 
ihre Anſprüche auf Reichsunmittelbarkeit durch willige Lei⸗ 
fung der Reichspflichten geltend zu machen. Was halfınıa res 
es, daß bei diefem traurigen Zwiefpalt, der Heißen Der- dauer 
fekerungsfucht der proteflantifchen Welt untereinander, die mus. 
Zahl der befenntnißverwandten Städte ſich mehrte? und 
ſelbſt im gefchlofienen Gebiete eifrigkatholifcher Bifchöfe, 
wie zu Trier durch Kaspar Olevianus und feinen Anhang 
an den Schmieden, Gerbern, Tuchmachern, Schuftern und 
Schneidern (1559), der Drang nad freier Lehre ſich aus⸗ 
ſprach? Daß felbft das altfränfifche, ariftokratifhe Dort- Dors 
mund ti. 3. 1564 — 1566 auf die römifche Kirche, wie 
ſchon früher auf feinen Hauptſtuhl verzichtete; daß Pader⸗ 
born gleichzeitig ſich der hierarchiſchen Strenge feines Bi⸗ 
ſchofs entzog, endlich unter dem duldſamen Marimilian I. 
der Proteftantiömus auch im die feiteften Bollwerke ber 
alten Kirche — freilich nicht in die angſtvoll gehüteten 


424 Bierter Theil. 


SA. Städte Oeſterrtichs — eindrang. Der Grund Der Ohrn⸗ 
macht ald Partei dem Katholizismus gegenüber, welder 
durch den Schluß des Tridentiner Concils (1562) ſtarte 
Einheit des Lehrbegriffd und Handhabung des Kirchen 
regiments, und an der Gefellichaft Jeſu bie entfchlofjenften 

—— argklugſten Vertheidiger gewonnen hatte, blieb | jene 

tetanng.franrige Unduldfamfeit im Schoße der proteflantifcen 

mus. Stände, welche felbft in Städten, wie in Frankfurt, deren 
Blüthe einzig auf Verträglichkeit der verfchiedenen Glau: 
bendparteien berubete, in ben unſinnigſten Haß ausartete. 
Wie gefährlid war das Beifpiel folder Unbrüderlichkeit 
vollends für Gemeinwefen, wo der Religionsfrieden, wit 
in Augsburg, Regensburg, Erfurt und anderen Stäbten, 
den Befland der alten und neuen Kirche gefeßlich geſicher 
Hatte, und wo bei jeder Wendung der großen Beitfrage bie 
feindliden Befenntnißverwandten einander zu verdraͤngen 
fuchten! Wie unglüdlih und ungebeihlich ein öffentlide | 
Zuftand, wo, verführt und wie bezaubert durch die Pre 
Diger, Die Zünfte, welche einft um hochwichtige, reale 
Dinge, um Antheil am ſtädtiſchen Regimente, um Bürger 
ehre und häusliche Wohlfahrt, gefochten hatten, fo ernfle 
Streben gemach aus dem Auge verloren, mit wahnwitzigen 
Gifer für abſtrakte Dogmatifche Begriffe ſich einander exrhol 
befehbeten, und ber Ariftofratie ihre verfafiungsmäßigen 

Rechte Hingaben! Die Concordienformel, deren Unter 
fhreibung auch durch 35 Reichsſtädte Kurfürft Auguſt 
son Sachſen i. I. 1580 burchgefegt, erwies ſich als ein 
verfehltes Mittel, Die Krankheit zu Heilen, indem vie 
Iutherifhe Stände nicht beitraten, und, ftatt Lebendige 
Entwidelung, eine Verknöcherung der Kirche begann. Ver⸗ 
büfterte das Vuͤrgerthum und vergaß unerläßlihe weltliche 








Sechstes Bud, 425 


Beftrebungen, fo serwilderten bie Gemüther auch Durch 3.Ra. 
die Handhabung der Karolina, jener blutgefchriebenen „pein⸗ 
lichen Halsgerichtbdordnung“ des Kaiferd. Die Anwendung 
der Folter und ſcheußlicher Todesftrafen servielfältigte fidh, 
und füllte die Jahrbücher der Städte. Der Scharfridter 
von Nürnberg, wo ſonſt nicht das unglimpflichfte Regi- 
ment herrſchte, bat som J. 1573 bis 1615 allein 361 
Menſchen vom Leben zum Tode gebracht, und 345 Per- 
fonen fonft am Leibe geftraft!' In den Kanfeflädten war 
verhaͤltnißmäßig die Zahl der Juſtizopfer noch größer, und 
flieg überall in deutſchen Landen auf das grauenvollite, 
als die ſchon dur Luther genährte Teufelöfurdt in pro⸗ 
teftantifchen Ländern dem Kerenproceffe, der „Hexenbren⸗ 
nerei“ Vorſchub that, und die ruchlofefte gefeßliche Praxis 
in Schwung fam, — 

Während fo son innen Heraus der Verfall bes. TE 
Bürgerthums merklich fortſchritt, büßte das Städtewefen vanſa. 
aus politiſcher Gedankenlofigkeit, Mangel an Einmuth und 
ſchnödem Eigennutze Einzelner die Stügen feiner Macht im 
Auslande, die Impulfe ein, welche eine großartige, gemein- 
ſame Thaͤtigkeit noch ermöglichten. Die Schweizerſtaͤdte 
waren duch Marimiliand I. Friedensſchluß entfrembet; die 
Niederlande durch den Burgundifchen Bertrag Karls V. 
(1548) ‚ bald noch mehr durch die Theilnahmälofig- 
keit ber deutſchen Schweftern bei dem Heldenkampf jener 
‚gegen bie geiftliche und weltliche Thrannei Spaniens; da 
fank auch die nördliche Kolonifation als Beute der Fremdegtunes, 
herrſchaft oder moskowitiſcher Barbarei, und ging bie 
Hanfa. ihrem Untergange unaufhaltfam entgegen. Noch zu 
Anfang des. Jahrhunderts hatte der: preißwürbige Meifter 
Walther von Plettenberg die aftatifchen Horden blutig ab⸗ 


3. Kap. 


426 Bierter Theil. 


gewieſen und auf ein Geſchlechtsalter das deutſche Weſen 
ſicher geſtellt; als in Livland kaufmaͤnniſcher Zwieſpalt, Hr 
der unter geiſtlichen und weltlichen Staͤnden ausbrach un 
Iwan II., Waſſtljewitſch, mit Kaſan und Aſtrachan fertig 
die Eroberungspläne Iwans I. nachdrücklich aufgriff (1557) 
Statt nun, achtſam auf die gemeinfame Gefahr, dem Bar 
baren die Zufuhr an Krlegsmitteln abzufchneiden, wie Re 
val beforglich bat, verfäumte man hanſtſcherſeits nicht allen 
fo nothgedrungene Sperre, ſondern überfah ed fogar, di 
einzelne Kommunen und Handelsgeſellſchaften im ſelbſtmoͤ⸗ 
berifchen Verkehr ihren Bortheil fuchten. Nah furchtbam 
Berheerung bezwang Iwan Narwa und Dorpat (1558); 
in ſteigender Bebrängnig fleheten die Linländer um Hülft 
Aber Bemeinfinn war längft aus dem Bunde gewidhen, ob 
gleich ihm im I. 1550 noch 66 Städte angehörten. Ti 
„ſchwermüthige Klage der Ehriftenbrüber” an der fernen Of 
fee verhallte in den Berfammlungen der Neichäftände, un 
fo fagte fi die Herrliche deutfche Kolonifation, ungefchüg 
som Mutterlande los. Die hanſiſche Welt gewöhnte fd, 
jene Städte als fremd zu betradgten, und die Erben ix 
einft fo prangenden Kaufhof von Naugarten demüthie 
ten fi, um über das „ruſſiſche“ Narwa oder Das ſchwe⸗ 
bifhe Reval Fümmerlichen Verkehr mit den Moskowiten 
anzufnüpfen. 


sen Die wendiſchen Städte, aufer Stande, ſelbſt nur is 
Seidieengeren Bereiche die alte Zucht und Orbnung aufrecht y 


Rorden, 


erhalten, mußten um fo mehr auf die hanſiſchen Beziehur 
gen der binnenländifchen Quartierfläbte verzichten, als Diet 
Häufig die unfruchtbare Bundespfliht, wie Göttingen un 
Goslar, auffündigten; ſchon im I. 1553 Lippſtadt, Ste 
dal, Salzwedel, Berlin, Kiel, Halle, Oueblinburg, Halber 


Sechstes Buch. 427 


ſtadt, Frankfurt a. d. O., — Krakau und Breslau ſchon 3.Rer- 
feit 1474 — nicht mehr als hanſtſch bezeichnet wurden, 
und im I. 1579, als das Bündniß auf neuen Grundlagen 
wieder aufgerichtet werben follte, nur 13 Kommunen als 
thatfächliche lieber fih herausſtellten. Jene wendifchen 
Städte, ald fiehender Ausfhuß anerkannt, bemüheten ſich 
zwar rafllos, auf diplomatiſchem Wege den Genuß der alten 
SHandelövortheile zu ſichern; aber mit ungleihem Erfolge. 
Bei Chriftians III. Lebzeiten erlangten fie nicht bündige 
Beftätigung; K. Friedrich II. gewährte im Odenſeeiſchen 
Receß vom J. 1560 den Lübedern nur beſchraͤnkte Pri⸗ 
vilegien, ohne den wirkliden Willen, fie gültig zu erhals 
ten. Für ſolche Gunft mußte fih Lübeck im 3. 1563 
mit dem Dänenfönige gegen Erich XIV. verbinden, ber, noch 
hochfahrender als fein Vater Guſtav, nicht mehr der Hanfa, 
fondern nur einzelnen Städten ihre Sreibriefe, und zwar 
nit ald Hergebradtes Net, — fondern ald Gnade, 
zugeftehen wollte, und die Fehdeankündigung des hanſtſchen 
Borortes, der feinem Vater die Hanptfladt Stodbolm er⸗ 
öffnet, an den Magiftrat jener Stadt wies: „Bürger und 
Bauern müßten ihres Gleichen den Abfagebrief enden.’ 
Der Krieg Lübecks, deſſen letzte Haltung als vollberechtig⸗ 
ter felbftfländiger Staat, und ber letzte Kampf einer deut⸗ 
Then Seemadt überhaupt, war zwar nicht ohne Ehre 
für die bürgerliden Waffen, aber ohne thatſächliche Erfolge, 
da die übrigen Seeftäbte dem „leichtſinnigen“ Unterfangen fh 
fern Hielten. Der Friedensſcongreß zu Stettin (1570) bot 
Darum nur trügerifhe Hoffnungen; dad Monopol und die 
Zollfreiheit blieb verſcherzt, und kaum faß ber jüngere 
Waſa fiher auf feinem Throne, als er, des Vertrags here 
geflend, die Seeftäbte offenbar verhöhnte. Auch Dänemark 


438 Bierter Theil 


3.89. ·gab nad dem Frieden feine Geringſchäzung gegen den Bun 
beögenofjen zu erkennen, erhöhete nach Belieben Sund⸗ um 
Einfuhrzöfle, hob die uralte hanſiſche Gerichtöharfeit au 
Falfterbode auf und nöthigte dem Lüberern im J. 1575 
den Pfandbeſttz von Boruholm, dieſes baltiſchen Malta’, 
das der Bürgermeifter am Goffeſte zu Kopenhagen „ver: 
tanzt” haben follte, vor Ablauf der 50 Jahre at. 
GEHriftian IV. vollends wollte von Privilegien gar nicht 
mehr wiflen, und felbft die republikaniſche Verfafſung te 
Komtord zu Bergen ging mit einem Schlage der Willlin 
verloren. 

A Als der Hanfa ber vor drei Sahrhunderten erworben 

ianden. Bupen im Norden und Often wankte und unter ihm 
Füßen verfant, entfchlüpften auch die Rechte, die fie neue: 
dings in den Niederlanden gewonnen. Nach der Arbeit eine 
halben Jahrhunderts war, im I. 1545, ein Bertrag mit 
Antorf, dem Site des weſtlichen Seeverfehrs, zu Stante 
gefommen, erft im I. 1564 der @rundflein zum hem 
lihen Kaufhofe gelegt worden, und mit dem J. 1572 
follte die neue Komtorordnung in's Leben treten, Abe 
nur den Lübeckern, bei ungleicher Mitwirkung der Danzige, 
Kölner und Braunſchweiger, war e8 mit der neuen Schöpfung 
rechter Ernſt; Taum waren die Zwifligfeiten über She, 
Stapel, Reſidenz⸗ und Gerichtszwang ausgeglichen, als te 
Ausbruch des Meligiond- und Bürgerfrieged in dem Nie 
derlanden bie keimende Wohlfahrt erſtickte. Wilhelm von 
Oranien verbot fon im I. 1571 den Hanfen. allen Der 
fehr mit Spanien, und bei ber Blünderung Antorfs im}. 
1575 fchonte die fpanifche Wuth am wenigften ben Kauf 
hof der ketzeriſchen Ofterlinge. Gegen bad Ende des Jahr⸗ 
hunderts führte die Factorei nur noch ein erbeiteltes Da 





Sechstes Bud. 439 


jein; während Köln und Straßburg ſchon auf dem Stäbte- 3. 8% 
tage zu Augsburg im I. 1566, und nachbrüdlicher im J. 
1575, über die Bedrückung der freien Rheinſchifffahrt, die 
Sperrung des deutfchen Stromes durch Die Holländer und 
die ſpaniſchen Statthalter Flagten, drangen bald die Kriegs⸗ 
fahrzeuge der neuen Union das Strombett bis Köln und 
Andernach aufwärts. In dem Grade verwahrlofete die einft 
gefürchtete deutjche Nation, befangen im kirchlichen Zwiſte, 
ihre wejentlichften Intereflen! — 

| Nach ſtets erwachfenden Streitigkeiten, vorübergehen-Ennan. 
der. Störung unter Edward VI. und fihwantender Gunſt 
‚unter ber Königin Maria, haften die Hanfen bei Efifabeihs 
‚Regierungsantsitt freundliche Zuſicherungen erhalten, ver⸗ 
‚legten aber die englifhe Nationalpolitit, indem fle die ge⸗ 
‚forderte Begenjeitigfeit verweigerten, und zerfielen mit Ham⸗ 
burg, als daſſelbe im 3. 1567 die engliſchen „Avanturirer“, 
geſchloſſene engliſche Kaufmaunsgeſellſchaften, bei ſich auf⸗ 
nahm. Im J. 1578 som hanſtſchen Boden und, da fie ſich 
in anderen Küftenorten niedergelafien, durch einen Reiches 
beſchluß vom 3. 1582 aus Deutſchland überhaupt verwie⸗ 
ſen, durften die Avanturirer bei ihrer klugen Königin 
Schutz und Hülfe erwarten; aber Eliſabeth hielt noch be 
Sonnen Maß, blieb duldfam gegen die in Ihrem Reiche an⸗ 
fäffigen Hanſen, bis, nah ſihleppenden Unterhandlungen 
und beim gaͤnzlichen Mangel au Eintracht und Gemeinſinn 
der Städte, die: jungfräuliche. Heldin, Im offenen Kampfe 
mit Spanien, fich entfchloß, der vererbten Zudringlichkeit Der 
Sremden ein Ende zu machen. Indem in wenigen Jahr⸗ 
zehenden alle. vier. Kaufhöfe ber beutichen Hanſa, am frühe- 
ften der Romwgoroder, dann ber zu Uniwerpen, der zu Ber⸗ 
gen, und endlich auch der Stahlhof zu London veröbeten, 


430 Bierter Theil 


3.Rar. und alle auswärtigen Handelsbeziehungen, ſelbſt ber Ser 
ftädte, nur kümmerlich fortdauerten; war es fein Wunder, 
daß bie verarmenden, des Abſatzes ihrer Fabrikate beraub⸗ 
ten Binnenorte den kühnen Sinn der Väter ganz vergaßen 
Behartte zwar Soeft, bie. Wortführerin der Heinen zuge 
wandten Orte im Umkreiſe, noch bis in's 17. Jahrhunden 
beim Bunde, indem ed fpärliche Iahreöbeiträge nach Kübel 
abführte, ald Köln mit der Hanja zerfallen; fo wuchs de 
Stumpfſinn des Enfelgefchlehts in dem Grabe, daß z. B. 
die Arnsberger ihre Kraͤmerzunft einſt die „SIeswiete | 
Brüderſchaft“ genannt, nach dem Brande ihres Archios hai 
Seewirfer Amt titulirten! 

SR So mitleidwertke Ungunſt ber Umflände, nicht allein 

Fine gaͤnzliche Schuglofigkeit beim Reiche, Tondern feindliche Be 

Staͤdte handlung des Bürgerthums, als Taum zu Recht beftchent, 
hätte die proteſtantiſchen Städte Ober⸗ und Niederdeutſch⸗ 
lands antreiben ſollen, die ſchon im J. 1450 verſuchte und in 
der Reformationszeit angebahnte Vereinigung zu Stande 
zu bringen. Die Reichsſtädte an der Donau, am Main 
und Rhein, welche in Firhligen und inneren Dingen nad 
Aufforderung der AUusſchreiben den Städte, Straßburgs, 
Frankfurts, Ulms und Nürnbergs, jährlich fleißig zu Speier, 
Worms, Ulm oder Heilbronn ihre zahmen Stäßtetage Hiel- 
ten, und die finfenden Hanſeſtaͤdte hätten immer noch ein 
kraͤftiges Gewicht der Fürſtenmacht gegenüber flellen können; 
und wirklich wiederholten fich Die Verfuche, wie im J. 1566 
felbft von Selten Augsburgs; aber e8 mangelte fo zeit 
gemäßer Beflrebung an einem lebendigen Mittelpunfte, His 
das ungeheure Zerwürfniß zu Anfang des 17. Jahrhun⸗ 
derts auch dem ernften Willen unüberfleigliche Ginderniffe 
entgegenfehte. — | 











Scehstes Bud. 431 
Während Die Quellen des inmeren und äußeren Lebens 2.Kap. 


allgemach verfiegten, war laͤngſt der böfefte Engel unferes * 
Vaterlandes, der religiöſe Bürgerkrieg, entfeſſelt. Schon Hufe 
in Marimilians IL letzten Jahren, unter dem Höheſtande RN 
der Hugenottenunruben in Frankreich und des niederländis 
Ichen Freiheitskampfes, hatte der erſtarkte Katholizismus erſt⸗ 
lich der proteftantifchen Bewegung Schranken gelebt, dar⸗ 
auf gefährdete Stellungen vertheibigt, und fhritt jegt küh⸗ 
ner zur Wiedergewinnung verlorener. Wo die alte Kirche 
fiegte, mußte auch die bürgerlihe Zreiheit erliegen. So 
fon im 3. 1561 zu Koblenz; fo in den Jahren 1566— 
71 nach der letzten Anftrengung der Trierer, Neichöfreiheit 
zu erringen, ber ihre Ahnen ſchon im 12. Jahrhundert nahe 
geftanden. Nah Auswanderung des Klerus und wieder⸗ 
holter Umlagerung zog ſich der Handel an den Kaiſer und 
die Kurfürſten, und endete mit unbedingter -Unterwer« 
fung der Stadt durch Rudolfs Spruh (1580), mit 
dem Triumphe des Erzbiſchofs über die Eiferer für welte 
fiche und kirchliche Freiheit, mit Errichtung einer ketzerfeind⸗ 
lichen Univerfität und mit dem Bau eined Furfürftlichen 
Palaſtes. Langſamer, aber noch trauriger erfüllte ſich das 
Schidfal der Reichsſtadt Aachen. Schon feit 1575 Hatten 
in der heiligen Farlingifchen Pfalzftadt, die Karl V. forgen- 
voll vor der. Neuerung behütet, vertriebene, gewerbfleißige 
Niederländer ſich angeftebelt, erft flille Duldung, dann 
Rathamitgliedſchaft, endlich reformirte Kirchen erlangt, unter 
dem Geſchrei des unduldfamen Patriziats bei Kaifer Ru⸗ 
dolf I. und fruchtloſen Mandaten und Kommifflonen. Als 
die von der proteflantifchen Mehrheit im I. 1581 erwähl« 
ten beiden Bürgermeifter von der katholiſchen Partei nicht 
anerfannt wurden, bemächtigten ſich die Neuerer des Stadt» 


432 ö Bierter Theil. 


_I.Kap. regiments mit Gewalt, vertrieben den Klerus und Die alt- 
gläubigen Herren, und durften den kaiſerlichen Geboten 
trogen, fo lange in der Nachbarſchaft eine größere Bene 

engung fortdauerte. Zu Köln nämlih, wo Erzbiſchof Her— 

zur manns Nachfolger und die politifhe Beharrlichfeit des Ta 
tholifchen Raths die geheimen Anhänger ber neuen Lehr 
unterdrüdt, erhob Gebhard Truchfeß, Kurfürft feit 1577, 
die Sahne des Proteftantismus, um, vermählt mit Der. jche- 
nen Ranoniffin Agnes son Mannsfeld, gegen den Geil: 
lihen Borbebalt des A. R. F., das Erzſtift in ein welk 
fiches' Fürftenthum zu verwandeln (1582). Schon fliegt 
die neue Lehre faft in allen Städten des Stifts; nur ba 
Domkapitel und der Senat der Hauptflabt leiſteten ent 
ſchloſſenen Widerfland; Teßterer lieh fogar duch aufgeführte 
Gefüge die gottesdienftlihe DVerfammlung in der nahen 
Kirche zu- Mechtern auseinander fiheuchen, warf Die Fon 
derer der freien Religionsübung aus feiner Mitte in's Ge 
faͤngniß. Als nun Papft und Kaifer den Abtrünnigen ver 
flucht und entfegt, und das Kapitel einflimmig den Herzog 
Ernft von Baiern erwählt Hatte (im Mai 1583), begann 
ein mehrjähriger blutiger Krieg am Nieberrheine, ve 
zue gänzlihen Ausrottung. des Proteſtantismus im jenen 
Landen ausſchlagen mußte, weil unflug bie lutheriſchen 
Reichsoſtaͤnde dem Anhänger des Kalvinismus ihren Beiſtand 
verſagten. Durch das ftärkere Eatholifche Heer warb Bonn, 
Gebhards Hauptfig, im Januar 1584 zur Ergedimg gezwun- 
gen, ein firenges Gericht an feinem Anhange unter ben 
Bürgern vollſtreckt. Schwantend wandte ih der Kampf 
in andere Theile des Eölnifchen Gebiets; aber auch Neuf, 
als letztes Bollwerk mit Hülfe der Holländer vertheidigt 
und durch den Statthalter ber fpanifchen Niederlande, ben 





Schstes Bud. 433 


Herzog von Parma, mit Vorſchub bes Senats von Köln 3. Kar. 
belagert, fiel nach tapferer Vertheidigung in die Gewalt 
der flürmenden Spanier (26. Juli 1586) und büßte, ein 
Raub der Flammen und foldatifcher Plünderung, die Nefte 
fchöner, mittelaltriger Blüthe ein. Nachdem Bonn, durch einen 
kecken Kriegsmann im - Einverflänbniß mit den heimlichen 
evangelifchen Einwohnern, Dezember 1587, im Handftreich 
genommen, einer furdtbaren Beindeögewalt nochmals erle⸗ 
gen, wurde es ftille im veröbenden Stift und verflummte 
auf Iange Iahre der Mißmuth freiheitseifriger Gaffeln in 
der finfenden Reichsſtadt. Denn Iängft war die Handels⸗ 
blüthe der sheinifchen Königin verdorrt in Folge des Aufs 
fhwungs des nieberlänbifchen Weltverfehrs und der Sper- 
rung des Stroms; flarre Unduldſamkeit vollendete den 
Verfall. Nachdem auch im 3. 1608 die bürgerlih und 
firchlich gedrüdten Zünftler, in vielverzweigter Verſchwörung 
durch Meiner den Faßbinder vereinigt, durch die Energie 
bed Bürgermeifterd Hardenrath und die pfaͤffiſch aufgehetzte 
altgläubige Gemeinde überwältigt, und alle Broteftanten 
serwiefen waren; flanden alsbald in Köln 1400 Häuſer 
feer, und wucherten Weingärten im Bezirke ber verwittern« 
den Prachtmünſter und ber leeren Pfarrkirchen auf. : Iene 
Ausgewieſenen, meift wohlhabende und betriebfame Männer, 
verpflanzten ihren Fleiß geveihlih nah Mühlheim und Kre⸗ Krefeld. 
feld, das, ein dunkler Markifleden der Grafen von Mörs, 
unter dem Segen der Gewiflensfreiheit ſchnell zu gewerblicher 
Bedeutung, wie Elberfeld (Stabt ſeit 1610), ſich aufſchwang. 
Der Sieg des alten Prinzips durch die Raͤnke ber 
Zefuiten, der Bürften Erzieher, Beichtuäter und geheimen 
Nathgeber, und die Waffen der Spanier, welde im I. 1598 


mit frehem Sohn in den weftfälifchen Kreis nn einlager- 
Barthold, Städteweien. IV. 


434 Bierter Theil. 


3.80. ten und mit Kleinfläbten und dem Landvolk, — Sorf, 
noch zur Abwehr entichloffen, bat damals feine legten 
Bafteien aufgeworfen — ein grauenvolled Spiel trieben, 
verfehlte nicht des Erfolgs an anderen Stellen unſeres Va— 
terlandes. Sp entjegte Bifchof Julius zu Würzburg in 
J. 1587 erſt die vier evangelifchen Rathsherren und ver 
trieb oder befehrte dann alle Proteflanten, die Hälfte in 
Bewohner, welche nach der blutigen Berfolgung im Bauen 
kriege fich wieder zufammengefunden. Ueberall in Stähte 
von getheiltem Belenntniß warb zu Gunſten der alten Kirk 
„reformirt“; auch die zähen Aachener, auf Antrieb te 
Spanier vom Kaifer geächtet, mußten im I. 1598 da 
katholiſchen Vollfiredern des Reichsbanns ſich beugen, ifı 
Prediger auswandern, die Rathsſsämter nur von Altalir 
bigen befleidet, Die evangelifchen Mitbürger in unertchwinz 
liche Proceßkoſten verurtheilt jehen. Am widermwärtigfe 
sure geftalteten die Dinge fi in Augsburg, der Geburtsſtim 
unruhen der Bekenntnißſchrift. Laͤngſt blüheten Hier Klöfter um 
Jefuitenftift, daB Werk der Fugger; obenauf war Der „Be 
heime Rath”, überwiegend Tatholifh. Als vun der Kir 
fer den verbefierten Kalender Sregord XIN. angenommen 
(1583) und der Rath zu Augsburg ber verfländigen Near 
rung ſich fügte, erhob fi die proteftantifhe Bevölkerung er⸗ 
bittert gegen ſolche Willkür, eiferten befonderd Die Pfarın 
Dagegen und erhigten die Menge ſo weit, daß der Statt 
voigt Söldner berufen, Kanonen aufführen laſſen muft. 
Kaiferlihe Commifjarien fuchten zwar den ärgerlichen Ha 
bel beizulegen, aber hartnädige Prediger und Bürger war 
berten aus, und der Zuſtand wurde um fo ungedeihlichn 
als der Geheime Math der evangeliſchen Bürgerfchaft da 
Wahlrecht ihrer Kicchenpfleger fireitig machte, und zwei bı 


Aachen. 


Sechstes Bug. 435 


tholiſche Stadtpfleger in der Berufung enangelifcher Seel FR. 
forger anmaßend verfuhren. Sp nun überall grenzenlofe 
Erbitterung, Mißtrauen, Klage auf den Stäbietagen, Ge— 
Hader. und gegenfeitige Meligionäbefchwerden auf Reichs⸗ 
verfammlungen, und DBerfagung der Reihshülfe gegen Die‘ 
Türken von Seiten der Proteftanten, „ſo lange nicht ihrem 
kirchlichen Nothftande abgeholfen würde. Auch das Elſaß, Bird 
der Tummelplag wilder Söldnerhaufen, welche bald den Hu⸗ gifes, 
genotten, bald den Guiſen zu Hülfe zogen, ward in Bolge 

der vereitelten Pläne Gebhard Truchſeß von Köln mit 
wüftem SKriegslärmen heimgefucht, ohne daB Straßburg, 

; ehrenwerth wegen feiner Gaftlichfeit gegen geflohene Glau⸗ 

— bensgenoſſen aus Frankreich, und der erneute Bund der 
10 KReeichsſtaͤdte in der Land⸗Voigtei Hagenau, Hagenau 

„ (mo, wie in Kolmar, die neue Kirche durchgedrungen), 
Schlettſtadt, Weißenburg, Landau, Oberehenheim, Kaiferde 
berg, Münfter im Gregorienthal, Rosheim und Türkheim, 
dem Unwejen abhelfen konnten. Straßburg, jeit 1581 mit 

, ben proteflantifhen Kantonen noch inniger vereint, hatte 
die proteftantiihen Domherren, welche ihre Eatholifchen 

- Brüder außer Genuß ihrer Pfründen gefegt, in Schuß ge 
nommen, verhielt fih dagegen dem Schein nach neutral, als 

im 3. 1592 der „bifchöfliche Krieg“ wegen der Doppelwahl 

im Bistum drohend ausbrach. Auch hier blieb ber Ta- 
tholifihen Sache am Ende der Sieg, während e8 in Frank⸗ 
furt wahrlid weder Gewinn für die Stadt, noch für den 
Proteflantismug war, daß die feit 1576 angefledelten 
Wahlen” und Niederländer ald reformirte Gemeinde un 
*erdrüůckt blieben und ihren Gewerbfleiß nach der Neuſtadt 
Hanau und Offenbach verlegten (1593 — 1601). 


nf Mit‘ dem erſten Jahre des 16. Jahrhunderts drohete 
> 28* 


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436 Bierter Theil. 


_Kap. der religiöſe Zwielpalt in unferem Vaterlande wie in Karls 
V. Tagen offenen Krieg, indem beide Befenntniffe als Bünt- 
niffe einander gegenüber traten. Den erften Schritt thaten 
im Gefühl des allmäligen linterliegend die Evangelifchen, 
"als Herzog Marimilian von Baiern, ein Zögling der Iefuiten, 
gleich dem Erzherzoge Berdinand von Steiermark, die Hin 

voran del in der evangelifhen Reichsſtadt Donauwerth benutzt, 

vaieriſch· un dieſelbe, ſchon zweimal eine Pfandfchaft feiner Ahnen, 
unter feine weltlich wie kirchlich despotiſche Heriſchaft zu 
bringen. Ein unbeſonnener Aufftand der Einwohner, als am 
11. April 1606 die Mönche des an der Ringmauer belegen 
Klofters zum h. Kreuz ihre Proceffton mit ungebräudligen 
Gepränge feierten, veranlaßte den jefuitifchen Kaiſer, di 
Stadt am 3. Auguft 1607 in die Reichsacht zu erflärn, 
und die Vollſtreckung derfelden verfaffungswidrig nik 
einem Mitgliede des ſchwäbiſchen Kreifes, ſondern tem 
Herzog von Baiern, als felbftwilligem Schirmherrn des Father 
liſchen Gottesdienſtes an feinen Grenzen, aufzutragen. Bir 
wehrlofe, dur ihre Mitftände nur in Schriften und uf 
Zagfahrten vertheidigte Reichsſtadt mußte am 17. Dezember 
1607 einem baierifchen Heerhaufen fh ergeben. Die fer 
bifchen SKreisftände forderten tie Wiederherftellung; aber 
der parteiifche, ſchwache Katfer und der argliftige Bater mat- 
ten die Räumung der Stadt abhängig von der Erftattun 
der Executionskoſten, die, fo gering an fih, auf 400,000 
G. veranfchlagt wurden. Als nun die arme, Eleine Statt 
fo ungeheuere Summen nicht aufbringen fonnte, blieb Balern. 
aller Vorftellungen der evangelifchen Neihöftände ungeachtet, 
im Beſitz, und wandte Marimilian ſchamlos die haßwürdigſten 
Mittel an, nad Veränderung des Stadtregiments Die Ein 
wohner zum Abfall von-ihrer Religion zu bewegen. 





Schstes Buch. 437 


Solche Verhöhnung aller Reichsgeſetze, zuſammt den 2.Kap 
unzähligen, unerledigten Beſchwerden, trieb die proteſtanti⸗ umın 
ſchen Stände nach dem zerichlagenen Reichstage 1608 zum 
verhaͤngnißvollen Schritte, im Klofter Ahaufen fih zur 
„Union“ zu vereinigen, A. Mat 1608, der in dieſem und 
dem naͤchſten Sabre drei ausfchreibende Neichsftäbte, Straß 
burg, Nürnberg, Ulm, 15 andere, ſchwäbiſche und rheinifche, 
Nördlingen, Kaufbeuren, Hall, Wimpfen, Worms, Speier 
und alle fränkischen, Rotenburg, Schweinfurt, Weißenburg 
and Windsheim, zaghaft und zurückhaltend beitraten; Frank⸗ 
furt hielt fih fern, und Augsburg, wegen feines Bis 
ſchofs und wegen Baterns, nicht frei genug, machte 
Miene, fih als parteilos zu vertheidigen. — Alsbald, zwi⸗ 
ſchen dem Zerfall des unglücklichen Rudolf mit feinem 
Druder Matthias, dem Aufftreben der Proteftanten in Böh⸗ 
men und in Defterreih, dem Zufammenftoß der europätfchen 
DOppofition gegen Habsburg auf Anlaß des Jülich'ſchen 
Erbftreited, rief ded Herzogs Marimilian finftere Energie 
zu Würzburg und München (1609) die Liga ind Leben, Diezige. 
und war Deutſchland in die unfeligen Verhältniffe des J. 
1546 zurüd verſetzt, obgleich noch einige ſchwüle Jahre 
vergingen, ehe fih die Gewitterwolfen entluden, 

Mährend das ſüdliche und wefllihe Deutichland in 
zwei Lagern ſich gegenüber fland und die oberbeutfchen Städte 
eine Hägliche Rolle fpielten, nahmen die fafftfchen und bie 
Hanſa noch einmal einen Anjab und gaben ypolitifche 
Selbſtſtändigkeit Träftiger zu erkennen. Breilih Hatten fie 
kurz vorher auch von England den Auferften Schimpf er» 
fahren, Königin Elifabeth, die Lieberwinberin der „uns 
überwindlichen Armada’ (Juli 1588), Hatte zur Beftrafung 
Der Seeftädte, welche, obwohl gewarnt, den Spaniern Kriegs⸗ 


440 Bierter Theil. 


3.Ray. Hochfahrenden Sohne Bogislaus XIN. in Stralfund, das 


Braun, 
ſchweig 


„im Erbvertrage“, von 1615 den Inbegriff aller mittelalt- 
rigen Breiheit den Herzogen gegenüber behauptete; nod 
entſchiedener mißglückte e8 dem Welfen. Bon feinem, im 
Alter milderen Vater, Heinrich d. J. (ft. 1568), Hatte Her⸗ 
zog Julius das Streben ererbt, die Braunfchweiger zu be- 


y be mütbigen, Die unverholen, wie Magdeburg, nach reichsftän- 


diſcher Geltung rangen; vielfach gereizt durch den gefliffente 


lihen, eigenfinnigen Troß des Mathe, der ſich Fed den 
Landtagen entzog, überließ Iultus bei feinem Tode im J. 
1589 feinem fühneren Sohne, Heinrich Julius, jene Ehren» 
fache des fürftlichen Haufes, mit dem Vorſchub römiſcher 
Rechtslehrer, wie des Kaiſers, zu verfechten. Unter den 


unerquiclichen, zulegt gräuelbaften Vorgängen in Braun 


fhweig floßen wir wiederum auf jene dharakteriftifche Er⸗ 
fiheinung, daß bie ftäbtifche Demokratie in ihrem höchſten 
Auffluge noch immer innerhalb der Grenzen der Untermwür- 
figfeit gegen den Landesfürften verharrte, und die Anerken⸗ 
nung ber oberherrlihen Mechte deſſelben mit ihrem Frei⸗ 
heitseifer vereinbarer fand, als das Regiment hochmü⸗ 
thiger Stadtiunker; während die Ariſtokratie fich gegen 
folge Zumuthung auflehnte, und nur unmittelbar dem Kai- 
fer und dem Reich gehorchen wollte, weil ihre Willkür 
dort am wenigften zu fürchten hatte. Iene Selbfibefchrän- 
fung gemäßigten %reiheitseiferd des Volkes, bei feinem 
Widerwillen gegen das Junkerthum, wußten dann Die. Für- 
ften trefflih zu benutzen, bewirkten aber häufig nur eine 
Berftändigung beider Parteien, welde ihre Gewaltpläne 
vereitelte. Die Geſchlechter Braunſchweigs und die 28 Haupt« 
leute der 14 „Bauerfchaften”, jener uralten, örtlichen Ab- 
theilungen der Gemeinde, nach dem ‚Großen Brief‘ vom 











Scehstes Bud. 441 


J. 1445 die Wahlmänner des Raths, "fanden Im Kampf ?.Rr- 
gegen einander, als Herzog Heinrich Julius im I, 1600 
alle Mittel aufgriff, die Halöflarrigen zur Erbunterthänig- 
Teit zu beugen. Die Stadt, im Verkehr und im Genuß 
ihrer Güter geftört, hatte flandhaft Die Huldigung verwei⸗ 
gert, fammelte Kriegsvolk, band fich nicht an Die Mandate des 
Reichshofraths, welcher beiden Iheilen die „Thathandlung“ 
verbot, und verfolgte einerfeitd ihr Necht vor dem Reichs⸗ 
kammergericht zu Speier, anderſeits fuchte fie die Verwen⸗ 
dung bei der Hanſa. Uber jo nachdrücklich der Bund, im 
Bewußtfein altgefchichtlicder Befugnip und zufolge der 
erneuten Conföderation som J. 1579, beim Herzog 
für die hanſtſche Schweiter fich verwandte, Hatten doch 
die Beiten jo weit fih geändert, daß der Fürſt in ber 
ſchnödeſten Weife antwortete,- „wie fle es wagen könnten, 
gegen die Reichsgeſetze Nebellen zu ſtärken?“ Das war jebt ken 
die Sprache gegen bie einft fo gebieterifche Hanfa; Härter und San 
gröblicher fehrieb noch Herzog Philipp Julius von Pommern⸗ 
MWolgaft, als i. 3. 1613 der Bund ſich des Raths von 
- Stralfund annahm, und den Zwieſpalt defjelben mit der 
Bürgerfhaft, die unhanſiſch fih an den Landesheren 
gewandt, herkömmlich vergleichen wollte; „ſte jollten auf 
ihren Kaufkram fehen, nicht auf das Regieren ber Fürſten 
über ihre Lande und Leute; fie follten ihre fürwitzige Zus 
nöthigung laſſen, und die Füße nicht weiter firerfen, als 
fie befugt”, — Wie nun beide Theile, Landesfürft und 
Stadt, in Schimpf und Schaden mit einander wetteiferten, 
erwachte der ftädtifche Parteigeift, begehrten die Bürger eini- 
ger Weichbilder Frieden mit dem Landesheren, und verbrängte 
Henning Braband, volksbeliebt und einer der Sauptleute, 
obgleich römifcher Juriſt, die Junker nicht allein aus dem 


443 Bierter Theil. 


2. Kop. Kriegsrathe, „weil fle Lehensträger des Fürflen wären‘, 
fondern 28 Patrizier auch aus dem Hegimente und dem 
Genuß der Aemter. Ein Receß, am 28. Mai 1601 zwi- 
fen den Ständen (Math, Bilden und der Gemeinde 
vertretung der Hauptleute) aufgerichtet, fiellte die Demo- 
fratie auf Grund des Großen Briefes von 1445 wieder 
ber. Uber auch der neue Math verwuchs feinem Haupt⸗ 
Heftandtheile nach wieder mit dem patriziſchen Intereffe, 
und fand an der Geiftlichkeit die natürliche Bundesgenoffin, 
welde den Anhang der Hauptleute mit Bann, Ausflug 
bon Taufe und Abendmahl zu ängftigen fuchte, und mit 
hierarchiſcher Frechheit von den Volkstribunen als Ver⸗ 
drängern ihrer von Gott eingeſetzten Obrigkeit Abbitte und 
Beichte ihrer Sünden forderte. Es ift nicht unwahrſchein⸗ 
lich, daß Henning Braband, obwohl ein ehrlider Mann, 
der gemeinfjamen Verfolgung geiftliher und adeliger Herr⸗ 
ſchaft ausgeſetzt, mit den Hauptleuten dem Herzoge, ald 
ergrimmten Beinde des flolgen Rathsregiments, ge 
heime Zugefländniffe machte, und durch jo gefährlicde 
Bonfpiration den Junkern Gelegenheit: gab, den Pöbel 
gegen die Derräther aufzuhegen. Da mußte denn der 
Führer der Demokratie unterliegen; ob ſchuldig oder ſchuld⸗ 
103? ſteht ſchwer zu ermitteln. Zwar entflob Senning 
Braband mit einigen Genoflen der Verhaftung am 3. Sep- 
tenıber 1604; er brach aber. beim Herunterfpringen von der 
Stadtmauer das Bein, wurde, verlaffen von den Gefährten, 
in die Stadt zurüdgefchleppt, durch die Kolter zu allen 
Geftändniffen, auch eine® Bundes mit dem Böſen! gezwun⸗ 
gen, und, obgleih der Herzog feierlichft gegen das Ver⸗ 
fahren des Raths proteftirte, am 17. September mit aller 
erfinnlihen Graufamfeit hingerichttt. Mit den Eingewei- 


— çe ⸗— 
— — — — 








Schstes Bud. 443 
den, die man dem noch Xebenden, Verſtümmelten ausge -——_ san 
riffen, ließ der ruchlofe Rath jenen demokratiſchen Receß 
v. 3. 1601 verbrennen! Geſchlechter und Pfaffen wütheten 
fo lange, bis fle alle Sauptleute und ihren Anhang ver- 
tilgt hatten. — Bel tiefem Abſchen vor ſolchem Regimente 
müflen wir dennoch hefennen, daß das wiederhergeftellte 
Patriztertbum mit den Rathsgeſchworenen, Gildemeiftern 
und den neuen Hauptleuten ſich flarf genug erwied, um 
den hHinterliftigen Anfchlag des Herzogs flegreih zu ver⸗ 
eiteln. Denn nachdem Heinrich Julius beim Kaifer in aus 
Prag die Aufhebung aller, zu Gunften der Stadt vom gerettet. 
Reichshofrath erlaffenen, Befele erwirkt, und der ganze 
Proceh an das R.⸗K.⸗G. gewiefen war, glaubte er ohne 
Beſchränkung gegen feine Rebellen verfahren zu dürfen. 
Offiziere, als Kaufleute verkleidet, in Kutfchen, und Schügen, 
in Srachtwagen verborgen, fuhren am 16. October 1605 
in das Aegidien- (fpater Augufts) thor ein, beſetzten 
Beide äußeren Thore und die naͤchſten Zwifchenwälle, wäh- 
rend der Math fich bei einem Leichengefolge in ferner Ge— 
gend befand. Schon war aud der Stadtwall durch nach⸗ 
dringende Negimenter genommen, und wollten Kleinmüthige 
vom inneren Thore das Zeichen der Uebergabe durch die 
Trompete erfchallen laſſen, als der Math, gewarnt durch 
den Thürmer auf St. Magni, berbeieilte, die Bürgerfchaft 
‚zu Walle brachte”, und das große wie Fleine Geſchütz 
aus den nädhften Bafteien fo tapfer vom fpäten Nachmit⸗ 
tage an, die Nacht Hindurch bis zum folgenden Morgen, 
gebraudyt wurde, die ‚ehrliche Bürgerfchaft fammt den löb⸗ 
Tihen Handwerksgeſellen und Dienſtboten,“ fo geſchickt ihre 
Feuerröhre handhabten, daß der überlegene ſtürmende Feind 
aus der Stadtveſte wich, und einige Tauſend Soldaten 





444 Vierter Theil, 


FR tobt oder verwundet, nebſt den groben Stüfen, auf ber 
Wahlſtatt zurüdblieben. So meldete der Rath, eilige 
Hülfe an Bühfenfchügen und Sölbnern fordernd, nad 
Lübeck; abweichend erzählt eine Quelle, „unter allgemeiner 
Beftürzung, als kaum der zwanzigfle Theil der Bürgerschaft 
die Wehr ergriffen, habe der alte Jürgen von der Schulen- 
burg Die Zaghaften ermahnt und den Feind aud der Stadt 
geſchlagen“. — Nah fo fehimpflicher Heimſchickung begann 
der perfünlih anwefende Herzog die förmliche Belagerung, 
und ängftigte die Stadt beſonders durch die Fluthen der 
aufgeflauten Ocker; aber unter vielfachen Unterhandlungen, 
Zürfchreiben des oberbeutfhen Städtetags, fruchtlofen Ge- 
boten des Kaifers, beftand die Stadt, im geheim und 
öffentlich durch andere hanſiſche Schweftern unterftügt, im 
offenen Bunde mit Hamburg, Lübeck, Bremen, Lüneburg, 
Hildesheim und Magdeburg, auch dieſe Noth, und zog ber 
Welfe, verhöhnt und voll ohnmächtiger Erbitterung, ab 
(Mitte März 1606). Unbefriedigt durch die Reichsacht und 
Aberacht, welche der Kaifer über den beharrlihen Trotz 
der Braunfchweiger ausfprah, farb Heinrich Julius i. J 
1613; fein ſchwacher Nachfolger, Friedrich Ulrih, gewann 
wenigftens in fo fern Die Hoffnung, die Mebellen zu de— 

müthigen, ald bie empfindlichen Folgen ber Neichsacht, die 
Störung alles Verkehrs, wiederum innere Unruhen her- 
vorriefen. Das beabfichtigte „‚güldene Regiment“, d. i. bie 
unumfchränfte Herrſchaft des Raths, fiel, des Einverfländ«- 
nifjes mit dem Fürſten befhuldigt, und diesmal auch von 
der Geiftlichkeit verlaſſen, fihmählich im Herbſte 1614; die 
Weichbilder erwählten einen Ausfhuß von C; ber ganze 
Magiftrat, auch die gefehmeidigen Gilvdemeifter, die Stadt 
hauptleute wurden abgefegt, in den neuen Rath Feine Pa- 





Schstes Buch. 445 


trlzier aufgenommen, deſſen ungeachtet auch von der De= 3.Kr. 
mofratie der Kampf mit dem Herzoge fortgefegt, ta die 
Nathgeber des Friedfertigen, bei aller Nachgiebigkeit ber 
Gemeinde, ehrverlegende Bedingungen forderten, und 
durch ſolchen Unverfland auch ben gemäßigten Freiheits⸗ 
eifer des Bürgerthums zu einer Tängft vorbereiteten „reichs⸗ 
gefegwidrigen‘’ Verbindung zwangen. 

Denn neben ihrer diplomatiſchen Thätigfeit, den inne 
entfchlüpften Boden für Faufmännifche Intereffen wieder Pt 
zu gewinnen, hatten die wendifchen Städte, als Ausſchuß 
der Fofegefnüpften Gefammtheit, auch Pläne von entjchie= 
den felbftfländiger Politik verfolgt, wie wir ſchon an ber 
Unterftügung wahrgenommen, welde den Braunfihweigern 
zu Theil wurde. Was jene Fräftigere Regſamkeit eigent- 
lich hanſtſcher Art betrifft, fo Hatte unter großen Zurüſtun⸗ 
gen der Bund 1. I. 1602 eine Gefandtihaft nah Moskau 
geſchickt; aber, obgleich Diefelbe mit verzeihlicher Prahleret 
im Namen von 58 Städten, von denen ein großer Theil 
Tangft jede Verbindung aufgefündigt, unterhantelte und 
reiche Geſchenke gebracht, erwirfte fie Doch nicht dauernde 
Herftellung der Kaufhöfe von Nowgorod und Pleskow, da 
der Gar Boris Godunow, der Verleiher Ieerer Zuſicherun⸗ 
gen, bald darauf farb. Dagegen fehlen. fih im fernen: 
Südweſten, zu Liffabon und Sevilla, die Ausfiht zu loh⸗ 
nendem Verkehr zu öffnen, indem Spanien, bei beharr- 
licher Auflehnung der Niederlande, des hanftjchen Handels 
nit entrathen konnte. Dr. Johann Domann, der groß- 
gefinnte, verfländige Generalfyndifus der Hanfa, fand mit 
den Sendboten von Kübel und Danzig zu Madrid eine 
verheißliche Aufnahme, und errang vier nicht unvortheil« 
hafte Diplome, in Bezug auf Vorrechte in Portugal und 


“ — ne . - J 
* On war en re A tw p 


446 Dierter Theil. 


Ear. Kaſtilien, deren Genuß den oberbeutfchen Neichöftäbten, 
Augsburg, Nürnberg, Straßburg und Ulm, mit emirk 
‚wurde, zufolge der erfreulichen Vereinbarung, welche der 
umfichtige Anwalt der Hanfa auf dem Städtetage zu Wormi 
(Mai 1606) angebahnt Katie. Aber der Waffenſtillſtand 
zwifhen Spanien und den Niederlanden v. 3. 1609 ver 
eitelte auch jene mäßigen Hoffnungen, erwedte dagegen in 
den wendiſchen und überwendifchen Städten einen über: 
raſchenden, letzten politifchen Beſchluß. — Die nachdrüdiid 
Saltung der Hanja während der braunfchweigiichen Wire, 
und in anderen Händeln zwifchen Fürſten und bem ihr ver 
wandten Landftädten, hatte fihon i. 3. 1606 den Kaiſen 
längft aufgereizt Durch den Welfen, welder die „Hana 
nur ald einen Haufen von. Mebellen‘’ darſtellte, vermolt, 
in drohender Weife von dem Bunde die Auslieferung alln 
feiner Privilegien, Urkunden und Statuten zu fordem. 
Dazu kamen die freilich noch nicht ratificirten Artikel con 
Wormſer Stäbtetage mit ihrem auf Waffenbündniß ge 
gründeten Inhalte, und die höfliche Verweigerung de 
Städte, dem bedrängten Kaifer mit Geld gegen die Türken 

Die zu helfen. Ihre Antwort auf das erflere ‚‚unerhörte An 
und die finnen enthielt unter demüthigen Ausdrüden entfgie 

Anaten, dene Ablehnung, zumal eine Zufammenftellung der hanf- 
Shen Privilegien innerhalb A Wochen unmöglich war, und 
Lübeck felbft nicht einmal wußte, wer noch dem Bunte 
verwandt ſei; die nächſten offenkundigen Schritte mupten 
um fo größeres Auffehen erregen. Union und Liga flanden 
einander gegenüber; fle fanden ihre Stelle in der großen 
europäifchen Oppofition; follten die wendiſchen und über 
wendifchen vereinzelt bleiben? Ungewiß ift, von welder 
Seite der kühne Vorſchlag ausging, fih, im Gefühl de 











Sechstes Bud. 447 


Bedurftigkeit eines Protektors, enger an die Generalflanten 3:m- 
auzuſchließen. Schon i. I. 1609 machte ein Kaiferliches 
Schreiben unferen Städten den Vorwurf ber ‚„Eonfpiration’’; 
ohne fie jedoch son einem Schritte abzuhalten, ber gewifler« 
maßen ein Alt der Selbilergänzung aus früheren 
Beftandtheilen war. Im Sabre 1611 erſchien auf zwei 
herrlichen Orlogſchiffen die Gefandtfchaft der General- 
ſtaaten vor Kübel, um im geheim ein engeres Bündniß 
anzutragen; im Juli 1612 führte Dr. Domann mit 
einem Lübifchen Bürgermeifter im Haag die Sache wei« 
ter, begehrte aber, flatt voller Gegenverpflichtung, Ueber⸗ 
hebung des Beiftantes der Hanfa beim Wiederausbruch 
des Krieged mit Spanien, Als deflen ungeachtet die 
Generalſtaaten darauf eingingen, achtete Lübeck den Un⸗ 
willen des neuen Kaifers Matthias nicht, der, beunru⸗ 
higt, ſchon im Norember 1612 alle weiteren Verhandlun⸗ 
gen abzuſtellen gebot; antwortete ausweichend, soll Klagen 
über Sperrung der Commerzien und Verhinderung ber 
Schiffahrt, und fchloß i. 3. 1613 für fih das Bündniß 
ab, freilich in allgemeinen zaghaften Worten, wechfelfeitigen 
Beiftand nur auf den Tall gewaltſamen Angriffs und 
Störung des Handeld bedingen. Guſtav Adolf, Schives 
dens neuer König, trat i, I. 1614 dem Bunde bei, deſſen 
Ausdehnung auf Erhaltung beutfcher ftädtifcher Freiheit 
gegen die Fürftengewalt, duch das Erfcheinen des Grafen 
Heinrihd von Nafjau mit 3000 Mann im Herzen bed 
Reichs thatfächlih bewährt, i. 3. 1615 noch 10 Staͤdte 
zam Anflug ermuthigte. Wie drängten ſich die Anzeichen Abſcuuß 
unabwendbaren Berhöngnifies zufammen! Aachen, deſſen Binees. 
proteſtantiſche Einwohner nach zwölfjährigem Drucke i. J. Aachens 
1611 die Jeſuiten vertrieben, und des Stadtregiments 


448 Bierter Theil, 


3.Rap. ſich bemeiſtert Hatten, ward, nad vergeblichen Vergleicht⸗ 
bemühungen, in bie Acht gethan, und am 24. Auguf 
1614 von Ambrofius Spinola mit einem fpanifchen 
Heer, als Vollfixesler der an Burgund übertragenen Neid 
acht, erobert, der alte katholiſche Math dafelbft wieder ein- 
ER geſetzt, der Proteftantismus unterbrüdt; Soeſt, nad 
Ausfterben der Herzoge von Kleve vorläufig dem Kurfürſten 
von Brandenburg zuerkannt, und mit ſchwacher Garnijon 
der Generalftaaten beſetzt, eröffnete, in kirchliche Parteiun 
gefpalten, nach ſchwacher Vertheidigung durch die Bürger, 
am 18. April 1616 den Spaniern feine Thore. Al 
ber erfte fiegreiche Gegner zog Graf Heinrich von Berghen 
in die Mauern, das Werk weiland Philipps von Heinsberzg, 
ein, welde die Bürger 170 Jahre früher gegen die | 
halbe deutfche Welt behauptet; unter wechfelnden politifchen 
und Eirchlihen Drucd der Spanier, Heſſen, der Liga un 
der Eaiferlihen Kriegshaufen fanf die blühende, gewerbreide 
Stadt der Engern mit verwitternden Thürmen zum ‚„‚größ 
Zezunten Dorfe Weftfalens“ herab! Braunſchweig enblid, 
im Sommer d. I. 1615 durch Herzog Friedrich Ulrich auf 
das nachbrüdlichfte belagert, fo daß die Gemeinde fihon 
auf ihre Freiheit verzichtere, ward nach drei Monaten durch 
Heinrich von Naffau und die treue Hülfe der Hanfeftädte 
gerettet, und endlich vertragsmäßig, gegen Erbhuldigung 
und Aufhebung der Acht, feiner Seldfiftändigfeit auf naht. 
zwei Menfchenalter verfichert. Um ber Fremden vermit⸗ 
telft Fremder ſich zu erwehren, traten, jedoch mit große 
Heimlichkeit, im October 1615 noch 10 KHanfeflädte, Bre⸗ 
men, Samburg, Roſtock, Wismar, Stralfund, Greifswal, 
Anklam, Braunfchweig, Lüneburg und Magdeburg , bem 
Bündniffe Lübecks mit den Generalfinaten bei. Sp Hatte 





. Sechsſtes Bud. 449 


in kaum Hundert Iahren das Rab der Dinge fich gedreht, ?. Kap. 
daß die Öfterlinge nur von der Großmuth ihrer abtrün- 
nigen weſtlichen Schweflern ihr letztes Heil erwarteten ! 
Nur in Weftfalen durfte es aufftrebendem Muth einer alten 
Hanflihen Stadt nicht gelingen. Paderborn, feit 1566 der 
evangelifchen Predigt wieder geöffnet, jah zugleich aber auch 
die Jeſuiten, als eine neue Weltmacht, in feinen Mauern. 
Darum erlag die demofratifche Erhebung i. J. 1604 dem geiſt⸗ 
lichen Oberherrn, der alle uralten Breiheiten Paderborns aufs 
bob, 1.3. 1612 die Proteftanten ganz vertrieb, und fo Die 
tapfere Saffenftadt Die Beute jedes foldatifchen Abenteurer- 
baufend werden Tieß! — 

Daß jene würbige, tapfere Haltung faffifcher Stübtergiesen 
bis kurz vor Ausbruch des 30jaͤhr. Krieges, und bei einigen, ns 
wie Stralfund, Magdeburg, auch noch unter dem Höhefland —* 





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befielben, fi eine wejentliche Brundlage an dem freien Zunft⸗ 
wefen bewahrte, ermefjen wir beim Vergleich der Handwerks⸗ 
verhältniffe in Kurſachſens wehrlofen Städten und in 
den hanſiſchen Gemeinweſen. Johann Georg, der fürftliche 
Praffer, durfte i. J. 1612 für feine Bürger und Handwerker 
Luxusgeſetze erlaffen, welche vor dem Bauernfriege Taum 
Zeibeigene und Hörige geduldet hätten; er beſtimmte genau 
Schnitt und Maaß, Güte der Kleider bei Hochzeiten, Tau⸗ 
fen, Begräbniffen u. d. m., ſchrieb die Gerichte, den Trunk 
vor, und verpflichtete bei Strafe jeden Bürger und Hands 
werfer, acht Tage vor „einer Wirthichaft”, dem Mathe 
einen Hochzeitszettel mit der Angabe der Zahl der 
Bäfte, Tische, den Küchenzettel! einzureichen ; der Hochzeits⸗ 
bitter büßte mit acht Tagen Gefängnig, wenn er fid) bei« 
kommen — * approbirten Zettel, etwa mündlih Gaͤſte 


zu laden! fhmähliche Besormundung einer ganzen, 
Barthold, — IV. 29 


450 Bierter Theil. 


3. Rap. achtbaren Unterihanenklaſſe felsft in Dingen barmlofe- 
fter, menfclichfter Berechtigung mußten denn Die bitterſte 
Frucht tragen; Kurſachſens Bürgertbum, etwa einmal Das fefte 
Reipzig, Die Bergſtädte, zumal Freiberg und das winzige 
Mügeln ausgenommen, defien Einwohner an verwegenem 
Muthe gegen den grimmiäften Feind Unübertroffenes lei⸗ 
ſteten, hat, wie ſein Heer, den deutſchen Ramen faſt am 
meiſten beſchimpft. — Anders ehrten die Hanſeſtädte ihre 
Handwerker, welche ihr Leben und ihrer Hände Arbeit, 
wie der Kaufmann fein Kapital, zum Ruhm bed Gemein 
weſens daranſetzten. Die vom Mathe ertheilten Rollen 
waren feine einfeitigen Abänderungen, ſondern bie Beflä- 
tigung alter, duch die Zunft jelbft gegebener Statuten. 
Die Zunftbeliebungen galten wie bie Zunftrollen; wie 
es Städtenereine gab, finden wir in. ſaſſtſchen Städten bis 
nah Bafel hinauf Zunftvereine, welde, wie die Böt 
tiher, Schmiede, Bäder in Lübeck, Wismar, Hamburg, 
ihre beichlußfähigen Verfammlungen hielten. Ihre Aelte⸗ 
ften waren nicht lebenslaͤnglich, ſendern jührlich gewählt, 
und wie ihr Untheil am Stadtregimente republifanifch auf 
die einzelnen Zunftglieder zurüdging; wie ihre häuslichet 
und gefelliges Leben ehrbaren Beltebungen und allgemeinen 
Bürgerfaßungen, der „Burſprache“, unterlag; . fo Tamen 
fie, im Bewußtfein und Genuß politiſcher Rechte, auch 

“ freudiger dem Berufe nach, für dns Gemeinwefen ihr Blut 
hinzugeben. — 

Ausbrug Der inzwiſchen ausgebrochene Krieg hatte Die ober 

air deutfchen proteſtantiſchen Städte, jene Glieder des Bundes, 
dem Fraukfurts Patriziat fich fern hielt, zwar vielfach ge- 
ängfligt; fie entzogen fih aber, durch des Kaifers Abge- 
fandten auf dem Linionätage zu Rürnberg (December 1619) 








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Sechstes Buch. 461 


gewarut, zeitig dem Wetter, zumal fie am wenigſten ſaͤum⸗. Kap 
ten, dem ſchimpflichen Vertrage zu Ulm, 3. Juli 1620, 
nachzukommen, und ganz and dem ſpottwerthen, kopf⸗ und 
muthloſen Bündniffe zu treten. Der Fall drs böhmkichen 
Winterkönigs, Friedrichs von der Pfalz, brachte zunächft 
nur die Städte Schleflend und der Oberlauf ins Gew 
dränge; Spinolas Bejekung der. Pfalz, die Exnberung 
Heidelbergd durch die Liga, Mannheims i. J. 1622, jener 
neuen Hauptſtadt ber Kurlande, welde, vorher ein Dorf, 
Sriedrid IV. i. J. 1606 mit gewerbfleißigen Nieberländern 
bevölkett, trug den Fluch des mitleidlofeften Krieges ſchon 
weiter an den Oberrhein ing Elſaß hinauf. - Wir erwähnen 
der Schlacht bei Wimpfen, 26. Mai 1622, deshalb, weil 
Berthold. Deimling, Bürgermeifter von Pforzheim, und 
300 junge Geſellen feiner Stadt ben bereits gefangenen 
Markgrafen Georg Friedrich nur duch Aufopferung ihres 
Lebens, befreiten. Unter. jo neuer Form beibätigte fich 
bie .und da die Tapferkeit des Bürgerthums; ſonſt aber 
blieb altberühmten Neichöftädten, wie Wormd,  Speier, 
Hagenau, Weißenburg, Wimpfen, Landau, und ben brei 
wetterauifchen,, unverſchuldet und wiberflandlos durch Spas 
nier, die Liga oder den Grafen. von Mangfeld befebt (1621. 
22.), feine andere Soffnung, als bei fernen Kurfinften 
um Abhülfe zu Ketten! Nicht allein Das Landvolk, auch 
der Stadtbürger, entmuthigt. und an fich ſelbſt verzagt, 
war die bejammernöwerthe Beute ber neuen Weltgebiete, 
ver Soldateska, nit einmal ‚einer. volksthümlich 
deutſchen, ſondern einer aus dem Auswurf aller verwib⸗ 
Derten. und wilden Nachbarſtaͤmme zufammengelaufenen, - ; 
Des Mansfelder . und des ‚tollen‘ Chriftians, Die, Notb 


in Weſt⸗ 
Ichofs son Halberſtadt, Waffenerhebung für ben geaͤchteten falen. 
29 * 





452 Bierter Theil 


3.Rap. Pfaͤlzer, Iodte mit dem I. 1622 das entfeßlihe Kriegs 
feuer nah Weftfalen, deſſen einft jo flreitbare Städte, 
wie felbft Soeft, Lippftadt, bereit in ber Schule ber 
Spanier, wie der Heerhaufen der „Staaten, die neue 
Geißel der Beit, unfäglih Härter als das Fauſtrecht 
und die Wegelagerung des Raubadels gegen das Bürger- 
thum, empfunden Hatten. Der ftegreiche Kaiſer handhabte 
jest, die Städte zu entkräften, ein Mittel, das fchlimmer 
war, als bie fchlimmfte Verpfändung in Kaiſer Ludwigs 
Tagen: die Anweifung an feine Generale, durch Kon- 
tribution in ftädtifchen Gebieten ihre Heere nicht allein zu 
ernähren und zu befolden, fondern fogar von neuem zu 
fhaffen. Gegen die Neichöverpfüindung Half den Bürgern 
zulegt die Proteftation Hinter ihren Mauern und Ihürmen; 
dem Gefhüge und dem Sturme der kaiſerlichen Erecu- 
toren wiberftand weder die veraltete Befefligung, noch 
die Waffe ungeübter Zünftler. — Chriſtians frecher 
Hohn des Heiligſten in Paderborn und anderen Städten, 
deren er ſich Ieicht bemächtigte, weil die Bürger Erlöſung 
bon fpanifchen Joche hofften, die Mißhandlungen, welde bie 
Getaͤuſchten vom angeblichen Befreier erlitten, ließen wieber 
i. 3. 1623 die Heerhaufen der Liga als Bringer eines 
friedlichen Zuſtandes, begrüßen; es wechfelten zwifchen 
Weſer und Rhein, zur Abflumpfung jedes angeborenen 
bürgerlichen Selbfigefühls, nur die Fahnen, nicht bie freche 
Gewöhnung der Soldaten, fih als Herren zu betrachten. 
Mit dem I. 1625 fluthete Tillys unbeflegtes Heer, das 
bereits den Bifhof von Osnabrück mit der Hoffnung er- 
füllte, bie proteftantifige, freiheitdeifrige Stadt zu „refor⸗ 
miren“, zum Theil über die Wefer nach Niederfachfen. Unter 
den entſchloſſenen Kreisfländen, welche ben König Ehri- 


u 1 WW XE — m Do’ —— — — — — — 


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Scehstes Buch. 453 


ftien IV, zum Oberſten ihrer Defenflonsverfaflung erwählt, 3A. 


hatten auch die freien Städte, Tleinmüthig und im Vor⸗ 
gefühl unausbleiblicher Niederlagen, zu Gelvbeiträgen und 


Truppenwerbungen ſich verftanden; fobald aber Tillys ener- Tin 
giſche Kriegsführung die erflen Vortheile davongetragen, ſachſen. 


und dad neue Faiferliche Heer, weldhes Albrecht von Wald⸗ 
flein, Herzog von Friedland, im Sommer 1625 auf Ko= 
ſten der Reichsſtände des fränkifchen und ſchwäbiſchen Kreiſes, 
befonders ſchonungslos heimgeſuchter Reichsſtaͤdte, wie Nürn⸗ 
bergs, gebildet, aus der Ferne heran drohete; hatten die 
niederfaͤchſtſchen Städte, Goslar, Mühlhauſen, Nordhauſen, 
und ſelbſt Lübeck auf dem Kreistage zu Braunſchweig Fein 
Sehl politiſchen Verzagens. Denn jene freudige und 
thatkraͤftige Stimmung vom J. 1615 war laͤngſt auch im 
hanſtſchen Vororte der klaͤglichſten Gebahrung gewichen. 
Als die Generalſtaaten, des Ablaufs des zwölfjährigen 
Waffenſtillſtandes gewärtig, die Bundesgenoſſen zur thätt« 
gen Theilnahme am großen europälfchen Principienfampfe 
aufforderten, und auch die oberbeutfchen Städte, von der 
Liga bebrängt, um Hülfe fchrieen (1619), trat ſchon auf 
dem Sanfetage zu Lübeck (1620) erbärmlihe Schwäche 
an den Tag; berieth man aber wenigſtens über Werbung 
von Truppen. Do 1. 3. 1621 von Nürnberg und ben 
ausſchreibenden Städten Oberbeutfchlandse um Beifland an⸗ 
gefleht, entließen die Lübecker den Befelähaber ihres Kriegs⸗ 
volks (1622), lehnte dann die Hanſa die Zumuthung der 
Generalſtaaten, ihnen im Kriege gegen Spanien zu helfen, 
in mattherzigen, audweichenden Antworten ab, bie ber 
nieberlänbifche Gefandte, empört, in Stüden zu reifen. 
droßete (1624). So. verfähuldete fie durch ihre Selbſtver⸗ 
zichtung, bag die Schrecken Tillyvs und Waldſteind über: 


484 Bierter Theil. 


3.20. fie kamen, ungeachtet der Kaiſer, nach des Dünenkönigs 
Niederlage bei Lutter am Barenberge (27. Wuguft 1626), 
die Städte Lübeck, Goslar, Mühlfaufen aud Hamburg 
wegen ihrer Meichätrene höchlich belobt und feines beſon⸗ 
deren Schutzes verſichert hatte (Monember 1626). Der 
daͤmiſche Krieg vereinte dann den ligiſtiſchen und kaiſerlichen 
Oberfeldherrn zur Unterdräckung bes Dänen (1627), führte 
im Rovember 1627 Waldſteins wilde Sölblinge in das 
wehrlofe Pommern, und motivirte, gleichgeitig mit einem 
hochſtrebenden Plane Ferdinand zur Erhebung des beut- 
ſchen Seehandels, in der Auflehnung der Stadt Stralfund 
einen gänzlichen Umſchlag ber fliegenden katholiſchen Partei. 

— Auf der Höhe einer Gewalt, die nur einen Kaiſer, 

und „ie Friedrich den Rothbart, dann ſelbſt Karl V. nidt wieder 
bis an die Ofifee geführt, ermaß Ferdinand IE, als beide 
Könige bed Nordens, Guſtav Adolf die Schifffahrt an 
Preußens Küften, der Düne die weſtlicheren Häfen, ſperr⸗ 
ten und willtürlih Licente erhoben, bie Nothwendigkeit, 
den demtfchen Meere. mächtig zu fein, und verfündigte er die 
Abficht, die Hanſa heizuftellen, und Norddeutſchlands Handel 
buch das Monopol mit Spanien zu newem Glanze zu er= 
heben. Bereits hatten die Seeftübte, angſtvoll ſchwankend 
zwifchen den Tampfenden Parteien, Tillys Forderung, zur 
Bezwingung Chriſtians IV. Schiffe gu fielen, ausweichend 
beantwortet, ald Ferdinands Gefandter am 8. November 
1627 der hanſiſchen Ausfchußyerfanunlung in, Lübeck jenen 
Plan in der würdevollſten Sprache eröffnete, und ihn dem 
Vorort zur Berathung ‚mit dei Städten an Ber See⸗ 
Innte‘ empfal. Aber befangen im traurtigſten Vorurtheile 
dee Zeit und in verkehrter Auffaſſung der Dinge, trasten 
die Lübecker jo lochendem Anerbisten nit, fürchteten bie 


Schstes Bud. 455 


x 


Gefährdung ihrer Religionsfreiheit, horchten anf die Deo IR. 
Hung der Könige, welde Waldſteins kaiſerlichen, Generalat 
des Dcennifchen und Baltifchen Meeres’ natürlich als 
die frechfte Beleidigung erachteten, und verfhoben bie Ent- 
ſcheidung der Lebendftage auf den Herbſt d. I. 1628. In⸗ 
zwifchen hatten bie Verhältniffe im Norden ſich weſentlich 
verändert, und bereitelte die Abfonderung einer einzigen 
Seeftadt jelbft den Verſuch jenes fchöpferifchen Gedankens. 
Stralfund hatte nemlich die Aufnahme Yaiferlicher Völker, Anne 
welche Waldſtein als unerläßlich bei Guſtav Adolfs Eund- yulmr 
baren Ubfichten forderte, verweigert, ſich mit heraußfore eine, 
derndem Troge zur Gegenwehr gefegt, am 5. Juli 1628 
mit dem fchwebifchen Könige einen Bund geſchloſſen, und 
mit dänifcher und ſchwediſcher Hülfe, Sommer 1628, ber 
Belagerung fih erwehrt, welche der fehredliche Friedlaͤnder 
in Berfon geleitet. Wir Tönnen nicht in die anziehenden 
Einzelnheiten jenes Kampfes eingehen, heben aber hervor: 
die That der Bürger Stralfunds, mannigfach motivirt ale 
Auflehnung mittelalterigen Privilegientroges gegen anma- 
ßungsvolle Landeöherrlichkrit, als Fehde bürgerlicher Freiheit 
gegen erdrückende Militaͤrgewalt, als Streit der Demokratie 
gegen bie Raths⸗- und Kaufherrenariſtokratie (in weldem 
bie Bauft fremder Soldaten doch endlih den Ausſchlag 
gab, und den fpröden Unabhaͤngigkeitscifer, wie 180 Jahre 
früher die Spefter, in fürfilice Feſſeln ſchmiedete); Die 
hat der Stralfunder tft das legte Beifpiel 
in der deutfhen Geſchichte, daß Eühne Selbſt— 
befiimmung eines kraftvollen Gemeinwefend 
weltgeſchichtliche Folgen bedingte! Wohl Hat im 
Verlauf des 30jaͤhrigen Krieges eine Stadt, wie Magde⸗ 
Burg, durch ihr ungebeueres Schitkſal das Mitleid ber 


456 Bierter Theil. 


. Kar · Parteigenoſſen erweckt, und bie äffentlihe Meinung um- 


Auf 
Löfung 
der 


Hanſa. 


gewandelt; wohl wie Augsburgs, Nurnbergs, Negensburgs, 
Freiberg Ausdauer im Leiden und chrenhafter Antheil an 
ber Bertheidigung die Kriegöpläne ber Feldherren beirrt, 
ben Verlauf der Feldzüge geändert; nie jedoch hat jemals 
wieder eine beutfhe Bürgergemeinde ſo ver— 
hängnißvoll in den Bang ber Weltereigniffe 
einzugreifen vermodt! 


Ehriftian IV. war durch den Frieden zu Lübeck (22. 


Mai 1629) jeder Cinmifhung in bie deuten Händel 


entfremdet; Guſtav Adolf, nah dem Waffenftillfiand mit 


den Wafas in Polen (20. September 1629) frei genug, 
um, flatt auf das muthvoll felbfiftändige Danzig, auf 
das willenlofe Stralfund geftügt, feine lang vorbereitete 
Rolle im europäifhen Kampfe zu übernehmen, hielt erft 
alle Häfen von Preußen bis nah Wismar mit feinen 
Kriegsfchiffen gefperrt, wie der Düne vom neuen Glücks⸗ 
ftadt (1620) die Elbe; Waldflein, welcher eigenwillig den 
Plan jeines Kaifers zur Wiederaufrichtung der Hanſa vereiteln 
geholfen, gebot in Mecklenburgs Seeftäbten; Tilly in Nie 
derfachfen und Weftfalen, alfo im Herzen ber binnen- 
laͤndiſchen Quartiere, während Köln gleichgültig fern blieb; 
da faßen die Senbboten ber bisher verbliebenen banflichen 
Städte, Faum noch jene weiland Föderirten ber General⸗ 
ftaaten som Jahre 1615, traurig im alterthümlichen Hanfes 
fanle auf dem Rathhauſe Kübel beiſammen (Februar 
1630) und erklärten, einer nad bem anderen, ihrer Stabt 
Unvermögen, den Bund fortzufegen, der für ſchwere Koften 
geringen Vortheil verheiße. Solches Bekenntniß des Klein- 
muths, die Auflöſung der bald viertehalbhundertiährigen 
Sana, war der Spruch des Leichenbeſchauers über das 


Sechſtes Bud. 457 


freie deuiſche Bürgertfum, wie über die deutſche Seemacht; rw. 
und wenn auch Die drei Reichsſtädte, Lübeck, Hamburg 
und Bremen, einen Verband unter fi Enüpften, ber 
als Hanſeaten oder Hanferftädte — faft wie Arns⸗ 
berga Seewirker — den wenigftend anflingenden 
Namen bis auf die Neuzeit übertrug, und die damals am 
herrlichſten erblühete Republik Danzig ſich Hinzugefellte, fo 
fehlte fo zahmer Vereinigung von vorne herein alle ſtaat⸗ 
lie Geltung. 

Während jener geräufchlofen Endſchaft der Hanfa laſtete — 
das Religionsedikt (6. Maͤrz 1629), welches Deutſchlands * 
böſer Genius dem Kaiſer Ferdinand eingegeben, wie ein 
Alp über der proteſtantiſchen Welt, und drohete, wenn 
auch nicht in den gefchlofjenen Territorien und in altluthe« 
rifhen Reichsſtaͤdten den Beſtand ber evangelifchen Kirche 
zu vernichten, doch durch die Wiedereinziehung alles feit 
dem Paflauer Bertrage dem katholiſchen Klerus entfrem⸗ 
beten Buts, den Bortgang berfelben zu hemmen, oder 
durch gewaltiame Bekehrungsverfuche zu beirren und zu 
entkräften. BZunädft litten die Städte in den unmittel« 
baren Erbherzogthümern Schlefiend, wie Schweibnig, Jauer, Sqleſien. 
Löwenberg, Glogau, diefelben Drangfale, jene ruchlofen 
Dragonaden durch die „Liechtenſteiner“, denen ber freiere 
Geiſt in Donauwerth, in Deflerreih und Böhmen früher 
erlag;. e8 verband fich hier, um ben Trotz der gehaßten 
Bürger zu brechen, der Adelsgeiſt mit dem Soldatenwefen 
und der Hofgunft. Auch zu Osnabrück, wo ein tapferes DE, 
Bürgertfum feit d. I. 1543 das neue Kirchenweien bes 
hauptet, hatte unter dem Schutze Tillys Biſchof Wilhelm 
Franz, ein Baflard aus dem Blute der Witteldbacher, ſchon 
feit 1626 die Gegenreformation begonnen; welch' argliftiger 


4188 Bierter Theil, 


IKıy Auslegung und Ausdehnung jedoch das fiheinbar jo ehrlich 
gegebene Geſetz Ferdinands fähig fei, erfuhr zumal Augs⸗ 
Ger vurg, wofeldft auf Bitten bes Biſchofs der Kaifer bie 
geiftlihe Gerichtsbarkeit v. I. 1548 wieber herſtellte (Au⸗ 

guſt 1629), die proteflantifche Kirchenverfafſung abichaffte, 

und die unfehlbarften Mittel an die Sand gab, alle Neuerung 

gu unterbrüden. Die Ohnmächtigen beugten fh wie Kauf⸗ 
beuren; aber die folgerechte Durchführung des Edifts auch 
gegen das Hausinterefle des Kurfürften Iohann Georg, 
welcher der Liga bisher als Stütze gedient, bereitete Die 

| verzagten Seelen vor, mit beifpiellofer Hingebung den 
— ade Metter aus dem Norden zu empfangen. — Die Magde⸗ 
fein Burger, i. 3. 1579 der Dreiberrfhaft erledigt, Hatten mit 
ihren Erzbifhöfen und Abminifiratoren des brandenburgis 
fhen Stammes, der verweigerten Huldigung ungeachtet, 

im beften Vernehmen geftanden, dagegen während Der 
Pinderfährigkeit des Adminiſtrators Chriſtian Wilhelm 
(1598— 1608) den Streit mit dem Domkapitel erneuert, 

dad gegen die Reichsunmittelbarkeit laut proteflirte, welche 

zu Anfang des Krieged auch Ferdinand und feine Generale 
anzuerkennen fchienen. Kluͤglich hatte das ſtädtiſche Megiment, 

noch ebenſo demokratiſch wie bei ſeiner Gründung, ber 
Bewaffnung des niederfähftichen Kreifes fih fern gehalten, 
während ber Admiuiſttator als leidenſchaftlicher Teilnehmer 

des dänischen Krieges die Gnade Ferdinands verlor. Um 

ven Zusn des Siegers zu verföhnen,. beeilte fih das Dom⸗ 
kapitel, den unmünbigen Sohn des Kurfürften von Sachen, 
Auguſt, zum Erzbifchof zu poftuliren (Januar 1628); aber 
Serbinand verwarf die Wahl des proteſtantiſchen Prinzen, 

Geh feinem Sohne Leopold Wilhelm vom Papſte das Erz 
biathum eriheilen, und befal, das Eoift zw vollſtrecken, 


Sech ates Bud. 859 


welches Die Gewifiensfteiheit der Stadt gefährbeie, da die 3.Kar- 
Meunſtadt, die Sudenburg und ein ganzes Viertel der Alt- 
ſtadt unter erzbifchöfliche Gerichtsbarkeit gehörten. inges 
denk der Ihat ihrer Großväter, wiefen die Bürger bie 
Borderung des Briebländers, kaiſerliche Befagung aufzu« 
nehmen, mit Entfchlofienheit ab (Februar 1629), erdul⸗ 
deten flandhaft eine Blofade, die Berwüflung ihrer Fluren, 
und bewirkten theild Durch ihre Gegenwehr, theils durch 
Verwendung ber Hanſeſtädte, Hamburgs, Lübecks, Bremens, 
Braunſchweigs und Hildesheims, und durch zur rechten 
Zeit geſpendete Geldſummen, daß der Geſtrenge, obenein 
gewitzigt durch die jüngſte Erfahrung vor Stralſund, von 
feinem Willen abließ (29. September 1629). — Ohne 
Waffengewalt hatte gleichzeitig Straßburg milde Rüdfichten 
wegen bed Edikts erlangt, weil ber Kaifer Frankreichs 
Nachbarſchaft fürchtete; fonft aber ward dad verhängnißvolle 
Gefed im inneren Deutjchland unnachfihtig gehandhabt. 
Daß Magdeburgs Schickſal, nad der Elugen Abwendung 
des erſten Schlages, fich dennoch erfüllte, war bie Folge 
veränderter Verfaſſung. Eine überreizte Neligiondpartei in 
der Stadt zwang, unter Bermittelung ber hanflfihen Send» 
boten, die befonnenen demokratiſchen Machthaber, jene 75 
jaͤhrlich Wählbaren,. welche gerade 300 Jahre hindurch 
Ehre und Wohlfahrt der Gemeinde gefördert (Bebruar 
1630), einem neuen Rathscollegium ton nur 24 auf 
Lebendzeit erkorenen Gliedern, von denen ein Jahr um 
bad andere Die eine Hälfte vegieren jollte, zu weichen. 
Ein doppelter Ausſchuß von L Bürgern folite in allen 
wichtigen Angelegenheiten zu Mash gezugen werden. As 
nun glei darauf bie Eaiferliche Commifſton auf Vollziehung 
des Religiondedikts drang (Juni 1630), und kecke Papiſten 


460 Bierter Theil. 
IR an der Gültigkeit, des Religiondfriedens für bie „Land 


Fe ſtadt“ Magdeburg zu zweifeln wagten, nahmen aud 
nen Leidenfchaftslofere weniger Anftoß, mit dem vertriebenen 
Krater. Adminiſtrator Chriftien Wilhelm, dem Schützlinge dei 
Königs von Schweden, in Verbindung zu treten, und den 
Boreiligen am 10. Auguft 1630 mit Jubel in der Stadt 
zu empfangen. SKriegerifches Getümmel bewegte Stiftsland 
und Stadt, vor welder jedoch ſchon im December Tillgs 
Heer erfhien. — Während die eine Halbicheid der deut⸗ 
ſchen Welt feig am ihrer eigenen Rettung verzagte, war 
Guſtav Adolf, geftüst auf den Beſitz Stralfunds und 
Rügens, im glüdlichften Zeitmomente, als Ferdinand fd 
feines rechten Armes, des Friedlaͤnders, beraubt, auf Deut: 
fhem Boden gelandet (4. Juli 1630), und begann, ge 
tragen vom Enthuflasmus der deutfchen Proteftanten, Yang 
ſam vorſchreitend, ber Mittelelbe fih zu nähern. Da 
faßten denn auch die Kleinmüthigen ein Herz, und berief 
Kurfürft Iohann Georg, als feine ernfllichfte Verwen— 
dung für hartbedraͤngte Glaubendgenoffen nicht fruchtete, 
alle evangelifchen Stände auf den 6. Februar 1631 nad 
Leipzig. ALS ängftlicher Theilnehmer jener an ſich Eraft- 
— gloſen Leipziger Schlüſſe erwähnen wir Straßburgs, 
Nürnbergs im Namen der fränkifchen Reichsſtaͤdte, Frank⸗ 
furt8 a. M. für Die wetterauifchen, aller evangelifchen Städte 





Schwabens, felbft der veririebenen lutheriſchen Gemeinde 
son Augsburg; Lübecks, Bremens, Nordhaufene, Mühl: 
baufens, Braunſchweigs, Hildesheims, Lüneburgd und Min- 
dens. Aber ehe die oberbeutfchen Städte, ſchon gefchredt 
Durch die kaiſerlichen Entwaffnungsgehote, irgend ernſtliche 


Maßregeln ergreifen durften, kam ihnen das Zaiferliche 
Heer, weldes den Krieg um Mantun' eben beendet, mit 





Schste8 Bud. 461 


erbrüdender Gewalt über den Hals; und che anderfeits_ I: tw. 
Guſtav Adolf, gehemmt durch faft tabelnswerthe Rückſicht 
auf feine eigene Sicherheit beim Bögern beider proteſtan⸗ 
tifher Kurfürften, für die Rettung der tapferften Prote⸗ 
ftantenflabt etwas thun konnte, fiel, beifpiellos in ber 
deutſchen Städtegefchichte jeit Barbewiefs Untergang (1189), 
die Rache des beleidigten Katholizismus auf Magdeburg 
Anflatt eines fehwebifchen Heeres war nur ein Kavallergaae 
im Dienfte des Königs erfchienen, und übernahm die Lei. burgs. 
tung der VBertheidigungsanftalten; war der Muth der Bürs 
ger auch noch vergleichbar der allgemeinen Begeifterung des 
J. 1550, fo fehlte doch Einheit und bie Bereitwilligfeit, 
alle äußeren Mittel der Selbfterhaltung aufzuopfern. Den⸗ 
noch wurden auch Tillys Anforderungen abgelehnt; die förm⸗ 
liche Belagerung begann im April 1631, und endete, un- 
erwartet, da Tillh, beunruhigt durch Guſtav Adolfs Her- 
anzug, ſchon daran dachte, die Unternehmung aufzugeben, 
am 20. Mai 1631 mit der weltfundigen Zerſtörung der 
uralten Ottonifchen Hauptſtadt jafflfher Zunge, der Werk⸗ 
flätte jenes germaniſchen Rechts, welches den Segen ber 
Sittigung über die Oder und Weichfel verbreitete. So 
viel Schuld an jenen Blutthaten der ligiſtiſche Feldherr 
auch tragen mag, welcher unbefangen ben wilbeften Brauch 
des flürmenden. Heeres gewähren ließ, fo entbürbet Doch 
eine gewifienhafte Forſchung den Fugen, Teineswegs fo 
unmenfhlihen Tilly der Anklage, aus blinder Wuth und 
fanatifher Zerflörungsluf die Vernichtung der herrlichen 
Stadt befolen zu Haben. Unglüdliche Fügung vollendete 
Die Brunft, welche „Kriegsmanier“, vielleicht auch theil« 
weife die Verzweiflung ber eigenen Bewohner, um dem 
gierigen Sieger die Beute zw entreißen, angefliftet hatte. 





'464 Bierter Theil. 


Rap. Herfiellte, indem er demfelben einen Zufab von evange- 
liſchen Gliedern aufnöthigte, aber die Reichsſtadt, alles 
Sträubend ungeachtet, auch zur Huldigung zwang, und Die 
„Guſtava“ (Augufta) zur Reſidenz feines „Reichs“ erfor. 
Waldſteins neugefchaffenes Faiferliches Heer rief ihn aus 

Ger dem Süden nach dem angftvollen Nürnberg. Hier war es, 

rg Guſtav Adolf, fo huldvoll er den Bürgern das noch 
vorhandene Gut der katholiſchen Kirche zu eigen gab, den- 
noch an bem rüdhaltenden Beſcheide ber ehrerbietigen „Ge 
Heimen’ und der Lofunger den Widerfland ermaß, welchen 
treuherzige Anhaͤngigkeit des Bürgerthums an der altge- 
wöhnten Neichöverfaffung feinem beſcheiden umgewan- 
delten Plane, „eine evangeltfche Conföderation“ unter 
einem erblichen ſchwediſchen „Capo“ aufzuriäten, und, 
neben feinem Schwertgewinne an der Pfaffenſtraße, auf 
ben Beitritt der 6 Gropftäbte, Nürnberg, Ulm, Auge 
burg, Straßburg, Frankfurt und Erfurt, wie Der Hanſe⸗ 
fädte zu gründen, beharrlich entgegenſtellte. Nachden 
Nürnberg, mit Daranwagung von Gut und Blut, bis zur 
gänzlihen Erfchöpfung den bedenklichen Helfer unterflügt, 
um den Kampf mit feinem erflen ebenbürtigen Gegner, Wald 
ftein, zu beflehen, wandte ſich der Krieg in bie verhäng⸗ 

ey nißvollen Gefilde von Leipzig zurüd, und flarb Guſtav 

Adolſe. Adolf in ſchwankender Schlaht am 6. November 1632; 
05 zum Unſegen oder Segen unfered DBaterlandes, wer 
mag es behaupten? doch ficher im rehten Momente, um 
als Glaubensheld von der unklaren Begeifterung der Zeit: 
genoffen und der Nachwelt gepriefen zu werben. — 

KT — 2 evangelifche Deutſchland vom Schrel: 

en ze fih erholt, als es der Klugheit de} 

Bunde. Hersfchfüchtigen Legaten der Krone Schweden, Axel Oxen⸗ 





Sechstes Bud: 465 


fljerne, mit Hülfe franzöftfhen Geldes und franzöftfcher I.Rer- 
Diplomatie gelang, die Hier oberländifchen Kreisftände, 
unter ihnen zumtal jene Städte, welchen Guſtav Adolf zur 
Erleichterung erſchöpfender Kriegsſteuer alles igenthum 
der katholiſchen Kirche in ihrem Gebiete gefchentt, zum 
Heilbronner Bunde zu vereinigen (April 1633). Aber 
Genuß und Sicherheit dauerten kümmerlih kaum andert- 
Halb Jahre; die beiden fächftfchen Kreife verfuhren rückhal⸗ 
tend; Herzog Bernhatds von Weimar verwegene Kriegszüge 
dienten nur dazu, um ben allgemeinen Sammer auch über 
biſher noch verſchonte Städte zu tragen. So über Re⸗ 
gensburg, defien evangeliſche Gemeinde ſich ausnahmsweiſe 
durch Ferdinands Gunft einer neuen Kirche erfreute, aber im 
April d. I. 1632 in Marimilians ſchlimme Gewalt gerathen, 
durch Bernhard nur erobert wurde, um bie Mißhanblun⸗ 
gen, welde der Erneftiner an dem Klerus ſich erlaubte, 
bald wieber zu entgelten. Denn Regensburg fiel, ut 
furchtbaren Drangſalen tapfer vertheibigt, am 26. Juli ST 
1634. Die Schlacht bet Nördlingen, den 6. Sept. 1634, 
brach die Waffenmacht Schwedens in Oberdeutſchlaud; 
rathlos löſete der Heilbronner Bund, nach beſtürzungsvollen 
Tagefahrten zu Worms und Frankfurt, ſich auf, benink 
aber vorher Verrath am deutſchen Vaterlande, indem 
ex, des Yaueriiden Frankreichs Hülfe zu erkaufen, die frü⸗ 
heren Eroberungen Guſtav Adolfs und ſeiner deutſchen 
Feldherren im Elſaß, jene 10 Reichsſtädte ver Reichsvoigtei 
(Gagenau, Kolmar, Schlettſtadt, Landau, Weißenburg, an. 
Oberehenheim, Türkheim, Roßhelm, Kaiſersberg, Mimfteingiun 
im Gregorienthal), die vierhundertiährige Schöpfung des keich 
„elſaſſtſchen Theſeus““, der franzöfifchen Krone als Unter 


pfand Hingab (November 1634) Nur durch die beſon⸗ 
Barthold, Städtewefen. IV. 30 


468 Bierter Theil, 


8. Be War nun das Neih aller ſtarken Bollwerke, unferer 
— wehrhaften Gemeinweſen, beraubt, welche noch im XVI. 
Bund: Jabrhunderte den äußeren Feind ruhmvoll abgewieſen, fo 
manstie.boten bie größeren Neihöftädte, weniger unter dem Schirm 
ängftlicher Neutralität, al8 ihrer neueren Befeftigung, 
dem DBaterlande dennoch einen unfchägbaren Vortheil. 
Nicht ſowohl durch die Ermöglihung des unerläßlichften 
Handels und Gelöverfehrs; fie bewahrten die Beftrebungen 
der Humanität, verhinderten, daß nicht nächtige Bar- 
barei und Geiftegarmuth das Erbe des nächſten Gefchlechts 
wurde. In Straßburg, Köln und Branffurt, in Ulm, 
Nürnberg, felbft im unfäglich herabgefonmenen Augsburg, 
im deutfchen Norden und Often zu Bremen, das, obgleid 
calvinifch vereinzelt, fich dennoch feindlicher Einlagerung er- 
wehrt, in Hamburg, Lübeck und Breslau, dem Ferdinand 
offenen Abfall gutmüthig vergab, vor allem im Freiftaate 
Danzig, fanden Wiſſenſchaft und Kunſt die einzige Zus 
flucht. Un neuen Büchern ernflen und heiteren Inhaltes 
fehlte e8 nicht; in Nürnberg begannen, als die Meifter- 
fingerfchule verflummte, und „ver Bruchtbringende Palm⸗ 
baum’ auf den Schlöfiern der Anhalter und Erneſtiner 
hinſchmachtete, „vie Begnigfchäfer” ihre gemüthlidhen 
Tändeleien, und eiferten für die Neinheit der „teutſchen 
Heldenfprade”, während die deutihe Freiheit den 
Fremden ein Spott wurde. So verarmt in feinen inner» 
fien Lebenstiefen, fo gemißhandelt durch den Fluch ver 
neuen Welt, die flehenden Sölbnerheere, bemühete ſich 
das Bürgerthum dennoch, fein unverwüftliches Princip, bie 
Sumanttät, fihmerzlich Lächelnd zu befennen, 





Schötes Bud. 469 


Vierte Kapitel, 


Dom Schluffe des weſtfäliſchen Friedens bis auf die preußifche Städteordnung, 
v. 3. 1650—1808. 


Nah dem Schluffe des weftfälifhen Friedens (24. Beiiäli- 
Detober 1648), und der Vollſtreckung deſſelben auf der Sriede. 
Berfammlung zu Nürnberg (Iuni 1650), welde die Vor⸗ 
mundfchaft der Fremden, die Theilung Deutfchlands, bie 
Ohnmacht des Kaiferd als Neichöoberhaupts, die Unabhän⸗ 
gigfeit der fürftlichen Territorialgewalt, endlih die Ge⸗ 
wifjengfreiheit der Neihsftände, keineswegs der In⸗ 
Dividuen beflegelte, friftet Faum ein halbes Dutzend der 
größeren Reichsſtädte ein fo zu nennendes gefchichtliches 
Leben Hin, obgleich einverflanden die abfchließenden Mächte, 
zumal der Kaifer aus natürlichen Intereffen, nicht allein 
die YUnmittelbarfeit aller, auch der winzigften, nur nicht 
Donauwerths, gewährleifteten, fondern auch diejenigen Städte 
zur Vertretung ihrer Rechte zugelaffen Hatten, deren reichs⸗ 
ftädtifche Eigenfchaft, wie Osnabrücks, Münſters, Herfords, ern 
Erfurts, Magdeburgs, Bremens, ber Erörterung unterlag. as 
Nur Brandenburgs Großer Kurfürft, die folgererhte Bildang - 
einer Träftigen Monarchie im Auge, und deshalb ſchon 
während des traurigen Waffenftillftandg bemüht, den ge⸗ 
funfenen Geift feiner Bürger zu heben, — wie er denn 
ſelbſt die erfiorbenen Schügengilden als Mittel nationalen 
Auffchwungs nicht verihmähete, — griff gewaltfam nad 
dem Beflge der Stadt Herford, welde, früh in ein abs Hafen. 
hängiges Verhältniß zu den Serzogen von Jülich und Kleve 
gerathen, aber i. J. 1631 durch das R. K. G., und i. J. 
1642 durch den Kaiſer als reichsfrei anerkannt, ſchon i. J. 
1647 als Stück der kleviſchen Erbſchaft gewaltfam, mit 
veränderter Verfaſſung, zur Huldigung gezwungen wurde, 


470 Bierter Theil. 


4. Rap. Indem die Tandfäfflfchen Städte in engerem Sinne, 
bis auf Roſtock, Stralfund, Breslau, jeder bürgerlichen 
Selbftftändigfeit längft entbehrten, und ihre Gefchichte bis 
zur Ertödtung alles gemeinheitlihen Lebend nur unter 
allgemeinen Geſichtspunkten aufgefaßt werden kann, deuten 
wir zunähft an, wie ſich innerhalb 30 Jahren nad dem 
weftfälifhen Frieden das Geſchick jener Städte -mit ge= | 
miſchten Nechtäbefugnifien erfüllt. Ä 

— Osnabrück, weder unter der Herrſchaft des königlichen 

Baſtards, Guſtav Guſtavſon, noch als Sig der ſchwediſch⸗ 

deutſchen Friedensverſammlung zu Kräften gekommen, ward 

mit ſeiner zähen Anforderung auf Reichsſtandſchaft ab⸗ 
gewieſen, und dem ungedeihlichen Wechſel proteſtantiſcher 
und katholiſcher Biſchöfe als Landesfürſten preisgegeben. — 

Bremen. Dann kam die Reihe ernſter Verſuchung an Bremen. Im 
J. 1640 vom Kaiſer, fo wie i. J. 1645 auf dem Kon- 
greß und durch den weftfälifchen Frieden felbft als unmit- 
telbar anerkannt, fand Bremen an der fihwebifchen Krone, 
der das Erzbisthum mit Verden ald weltliche Herzogthum 
zugefallen, einen gefährlicheren Feind als an allen Nach⸗ 
folgern des großen Adalbert. Schweden proteflirte gegen 
die Berufung der Stadt in das reichsftädtifche Kollegium 
(1654), verfuchte die Waffengewalt, unbeirrt durch Lübecks 
Bermittelung, des Kaiſers Abmahnung, und zwang, die 
Entfcheidung über die Neichdunmittelbarfeit bis zu einer 
anderweitigen Uebereinkunft ausfegend, im November 1654 
bie Reihöftadt zur Huldigung. Ein fpäterer Vertrag zu 
Habenhaufen (November 1666) bedingte, Daß Bremen, nad 

‚ Beendigung bed laufenden Reichstags, ſich des Sites und 
ber Stimme auf Reichſs⸗ und Kreidtagen bis zum Sabre 
1700 enthalte. Da aber zum Glück die Reichsverſamm⸗ 





Schstes Bud. 471 


fung für dauernd erklärt wurde, fo blieb der Reichsſtadt da. 
ihr Recht, und ward nah dem Walle der fchwebifchen 
Großmacht in Deutfchland nicht ferner angefochten. 

Nicht fo günflig war der Verlauf mit Münfter. Bern⸗guih 
hard von Galen, ſeit d. J. 1651 Biſchof, erbte alle Zwi⸗ 
ſtigkeiten der freiheitseifrigen Stadt mit dem Klerus und der 
Landſchaft, und fühlte ſich, nach dem Abſchluß der rhei—⸗ 
niſchen Allianz mit den drei geiſtlichen Kurfürſten, ſtark 
genug, das mittelalterige Verhältniß entſchieden zur Landes⸗ 
herrlichkeit umzugeſtalten. Da die Stadt ihm zumal das Be⸗ 
ſatzungsrecht verweigerte, ängftigte der kriegeriſche Kirchenfürſt 
dieſelbe i. J. 1657 durch ein furchtbares Bombardement, und 
erzwang erſt bie Befugniß einer Mitbeſatzung. Inzwiſchen 
entſchied die Wahlkapitulation Kaiſer Leopolds J. (1658) die 
hülfsloſe Stellung der „gemiſchten“ Städte, indem ihnen alle 
unter dem ‚Scheine und Borwand des hanfeatifhen Bundes’ 
eingegangenen Verbindungen mit auswärtigen Maͤchten, wie 
Münfterd mit den Generalftaaten, verboten wurden: Die 
rheinifche Allianz dagegen wuchs mit den undeutſcheſten 
Beftandtheilen. Als die Bürger von Münfter jenes troßige 
Verhaͤltniß nicht aufgaben, verfielen fie in die Reichsacht, 
und fahen fih auch durch ein kaiſerliches Heer bebroht 
(Frühling 1660). Nach vergeblihem Vergleichsverſuche be⸗ 
gann im Juli 1660 eine dritte Belagerung durch die 
Truppen des Bifchofs, feiner Alltirten und des Kaifers, 
die, nachdem Rath, Bildemeifter und Gemeinde hartnädigen 
Miderftand geleiftet, am 28. März 1661 damit endete, 
dag Münfter fih demüthigte, ihm die „Paulsburg“ als 
eine „Brille“ aufgefeht, das Gil deweſen gänzlih aufs 
gehoben, und vom flegreichen Landesfürſten ein lebens⸗ 
Yänglicher Magiftrat ernannt wurde. Mit der uralten Ges 


472 Bierter Theil, 


4.209. meindeverfaflung, unter der Laſt von Kriegäfteuern, Ver⸗ 
minderung der Kommunaleinfünfte, ſank natürlih auch ver 
einft jo blühende Handel, und zeihete fih Münfter ven 

a dunklen Landſtädten an. — Erfurt, in feinem Selbſt⸗ 
gefühle dem geiftliden Gebieter gegenüber durch die bis 
herigen ſchwediſchen Machthaber beflärft, war gleihwohl mit 
feinem Streben nah Unmittelbarkeit auf dem Friedenskon⸗ 
greſſe nicht glücklich geweſen, fo gewandt feine Publiziften 
gegen Moinz und gegen Sachſens Erbſchutzherrlichkeit gefoch⸗ 
ten. Johann Philipp Graf von Schönborn, i. I. 1647 auf 
dem kurfürſtlichen Stuhle gefolgt, benutzte die Berpürfnifie 
ber herrifchen Rathsmeiſter, der Aelteſten und Des fünf 
Näthe mit der Bürgerfchaft wegen fhlechten Hqushalts und 
der Wahl der Tribunen, jener Vierherren, welde, i. 9. 
1310 vom Volk erkämpft, ungeadtet des Receſſes v. 9. 
1510, in der Kriegdzeit wieder zu Handen ber Regieren⸗ 
ben gefommen. Den vielfadhen Streit, der ſchn i. 3. 1648 
entbrannte, fuchten vergeblich kaiſerliche Kommiſſianen zu 
ſchlichten; da bei der Gemeinde, wie überall, Gefügigfeit 
in mäßigen Forderungen des Landesfürſten erwartet werben 
fonnte, begünfligte der Kurfürft die Herſtellung demokra⸗ 
tifcher Kormen, ward M. Volkmar Limpredt, früher ein 
Schulmeifter, vom jubelnden Volke, doch zum ſchweren 
Verdruß der Vornehmen, als Oberer Vierherr erwählt 
(1656), und unter dem Schuge des Katfer$ auf mehre 
Jahre in feinem Tribunat befeſtigt. Die Widerjeplichkeit 
bed Raths zog neue Eoftfpielige kaiſerliche Kommiſſtonen 
herbei; den bürgerlichen Hader geſchickt ausbeutend, drang 
der Kurfürft, als Landesherr, auf eine vesänderte Ger 
hetöformel in den evangelifchen Kirchen. Alf zumal bie 
Sheologen ſich dieſem flatthaften Anfinnen wiberfegten, und 








— en it, Free 


Seqstes Bucqh. 173 


nur ber Oberſte Vierherr dem vom Mathe belichten Einig⸗ A Run 


feitsreceffe nicht beitrat, ward e8 den Gegnern leicht, bau 
Volksführer als Berräther der Freihett zu verdächtigen, 
und wuchs der Trotz gegen Mainz, indem Sachſen, als 
erbihußberechtigt, die Auflehnung Erfurts unterflägte. Des 
kaiſerlichen Schutzbriefes ungeachtet, warf mau den Tri⸗ 
bunen ins Gefängniß, beleidigte bie Taiferlichen Kommife 
farien, und vergriff ſich ſelbſt gröblichſt an dem Herolde, 
welcher Die Acht wegen beharrlichen Ungehorſams verkün⸗ 
digte (8. October 1663). Gleichdarauf ward Limprecht, 
durch die Folter zu widerſpruchsvollen Geflänbnifien ge⸗ 
zwungen, als Merräthey hingerichtet (20/30. November 
41663), und der Mainziſche Heerhaufen, als Vollſtrecker 
per Reichsacht, unter keineswegs ſehr ritterlichen Thaten 
abgewieſen, bis Johann Philipp, Stifter des rheiniſchen 
Bundes, ermuthigt durch Bernhards non Galen Beiſniel, 
wit Leopolda Bewilligung die Wafenhülfe des Königs son 
Branfreih, des zeitweifen Bundesgenofien bes Katjert 
im Türkenkriege, gegen bie Rebellen anſprach, und mit 
feinen Alliisten und franzsfifhen Xruppen Gafurt, 
deſſen lutheriſche GBeiftlichkeit zu fpät (April 1664) 
der Fürbitte für den Erzbiſchof ſich fügke, deſſen Magiiixet 
quch noch vor der Belagerung thörigt auf Widerſtand ben 
harrte, nad vierwöchentlichen Drangfalen am 15. October 
1664 nöthigte, dem Unvermeidlichen fi zu heugen, zumal 
Kurſfachſen die Beängftigten im Stich lieh. So durch fremde 
Waffen zur Upterthänigkeit gebracht, ſah auch Erfurt im Pen 
teräberg eine Zwingburg entfichen, verlor jrine Gemeinde⸗ 
verfafſuyg bis auf Fümmyrlige Reße, indem fistt deq 
Vitzthumso ein kurfürſtlicher Statthalter, mit Unterſtützung 
eines Kommandanten, das Regiment überkam. Sarhiens 


474 Bierter Theil. 


Rav. Bersihtung auf fein feit 1483 geübtes Erbſchutzherrnrecht, 
das dem Unabhängigkeitdeifer Erfurtd gegen Mainz früher 
fo wefentlih geholfen, vollendete die landesherrliche Ge⸗ 
walt; bie Univerfität fant zur Iinbedeutenheit, und die Stille 


einer Landſtadt Iag über den veröbdenden Stadtvierteln. | 


gar Auf Magdeburgs blutiger Brandflätte hatte fih 
Be heimathliebend ein KHäuffein wieder angeſtedelt, mühſelig 
unter wechjelndem Kriegädrude ein Gemeinweſen aufgerid- 
tet, von Guſtav Adolf reiches Fatholifches Kirchengut em- 


pfangen; war dann, nach dem Abzuge der Schweden, dem 
Prager Brieden beigetreten, von fächftihen Truppen für | 


den poflulirten Erzbiſchof Auguft befeßt worden, Hatte end» 
lich von Ferdinand III. die Beflätigung feiner alten und 
neuen Privilegien, und, auf Schwedens Bermittelung, in 





Osnabrück günftige Zugeftändniffe, fogar die Hoffnung auf | 


Reichöfreiheit, erwirkt. Allein ſowohl der Adminiftrater, 
Herzog Auguſt, als der zukünftige Landesherr, Kurfürfl 
Sriedrih Wilhelm von Brandenburg, proteftirten dawider; 
doch ſelbſt ald die Reichsverſammlung t. I. 1654 zu Gun- 
ften beider entfchied, weigerte fich Die Stadt der Huldigung, 
His der Kurfürft, welcher gleichzeitig auch in älteren Stamm 
ländern die fprödefte fländifche Berechtigung im Sinne bes 
neuen Staats befeitigte, Durch Androhung einer Blokade 
die Annahme des Vergleichs von Klofter Bergen erzwang 
(29. Mat 1666). Das Volk von Magdeburg, aus allen 
neun Bierteln in den Innungshäufern verfammelt, vollzog 
diefen letzten Aft feiner fterbenden Souveränität. Mit dem 
Tode des Adminiftratord (1680) trat Brandenburgs welt 
liche Herrichaft ein, und ward die Landſtadt, wie Halle, 
unter zweckdienlicher Beränderung der Verfaſſung, dem 
neuen Staate eingeordnet. 


Sechſstes Bud, 475 


Da hatte denn auch Braunſchweig fon, wiewohl +. 
nach ſchwerem Todeskampfe, feinen legten Freiheitsathem — 
ausgehaucht. Im dreißigjaͤhrigen Kriege, fo nahe der furcht⸗dweigs. 
barſten Waffenentſcheidung um Wolfenbüttel, noch vor Sol⸗ 
dateneinlagerung behütet, die zeitweiſe Reſidenz des Herzogs 
Auguſt, verſagte Braunſchweig auch dem Nachfolger deſſelben, 
Rudolf Auguſt, (1666) die Huldigung. Aber Mißtrauen 
der Bürger gegen den Rath, welcher, den zerrütteten Haus— 
halt verheimlichend, die gefchmälerten Renten für feine 
vielföpfige Verwaltung audbeutete, Half auch hier dem 
neuen Gebieter, unter dem Ginfluffe der jüngften Siege 
fürftlicher Genoffen, das Ziel erreichen, wornach die Welfen 
feit Jahrhunderten getrachtet. Mit feinen Vettern zum ges 
meinfamen Uinterwerfungsfriege vereinigt, führte Rudolf 
Auguft im Mat 1671 20000 M. vor die Stadt, welche 
jest zwar Huldigung verhieß, die Befagung dagegen ver= 
weigerte, ihre Iegten wehrhaften „Spießbürger“ zu Walle 
brachte, und bei wachſendem inneren Uinfrieden, unter zer» 
flörendem Bombardement, dem unausbleiblichen Verderben 
noch zu entgehen Hoffte, indem die Bürgerfchaft zu einer 
mäßigen Befagung fih verfiand. Der Rath, angeklagt, 
er allein verſchulde den Haß des Landesherrn, erklärte darauf 
feine Unterwerfung, weldhe am 10. Junt zu Stande fam, 
jedodh nur unbeftimmt das biäherige Regiment, und ben 
Güterbeſitz gewährleiftete. Einmal mit Heeresmacht einge⸗ 
laſſen, betrachteten Die Herzoge die Stadt ald durch die Waffen 
gewonnen, vereinigten zwar wohltbätig den Magifirat ber 
5 Weichbilder, ſetzten aber die Zahl der Glieder von 56 
auf 16 herab, nahmen die Ernennung derſelben völlig in 
ihre Hand, ordneten die Stadtgüter einer Regierungsbe⸗ 
börde unter, und braden fo die letzte felbftftändige Ge⸗ 


476 Bierter Theil. 


HRsp meinbeverfaffung beutfher Landfaͤſſiger Städte, mit Aus⸗ 
nahme einer mecklenburgiſchen und der fchwedifch= pomme- 
riſchen. 

Be En Während in diefer Weife Die Macht der Fürften im 

„die inneren Heide wuchs, gab ſich traurig kund, daß, nad 

an grant· Unterdrückung fo vieler Gemeinweſen, nirgend Das Reich 

dem äußeren Feinde gegenüber ſich gehoben habe, ja « 
gerade damals das Spiel der frechſten Willfür Fremder 
geworden. Iene 10 Reichsſtädte der elfafflihen Lant- 
voigtei, durch den flerbenden Heilbronner Bund i. I. 1634 
an Sranfreich verkauft, und im weftfälifchen Frieden nebfl 
bem Elfaß von Oefterreih, jedod mit Vorbehalt der fir 
beren Reichdunmittelbarfeit, abgetreten, hatten mit unglaub 
licher _Unhängigfeit ihre gefchichtlihe Eigenichaft gegen 
Ränke und Gewalt behauptet. Aber beim Ausbruch dei 
Eroberungdkfrieged Ludwigs XIV. gegen die Niederlände 
benußte die franzöſtſche Politik die unklare Faſſung bei 
weſtfaͤliſchen Friedensartikels, befeßte Die waderen Städt, 
zerörte ihre alten Mauern und Wälle, und zwang auf 
San fie, dem fremden Gebieter zu Huldigen. Jetzt war Straß 
burg. burg, der Eleine Zreiftaat, welcher, im Innerften reichs⸗ 
wen, feit einem halben Jahrhunderte duch ängftliche Neu⸗ 
tralität eine künſtliche Selbfiftändigfeit hingefriſtet, ganz 
vereinzelt. Frankreich eröffnete nad dem Nimweger Frie⸗ 
den (1679) feine berüchtigten Reuniondfammern; vergebs 
lich forderte die Reichsſtadt, bei augenfiheinlicher Gefahr, 
eine flarfe Befagung son Kaifer und Reich; auch das 
Säuflein der Eidgenoffen z09 ab. Indem nun der Ber 
rath des Tatholifhen Klerus, die Käuflichfeit Hochbetrauter | 
Rathaglieder, ariſtokratiſcher Familienzwiſt, und Kleinmuth 
ber verarmten Gemeinde, den franzöfiſchen Plänen im bie | 








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Sechstes Bud. 477 


Hände arbeiteten, unterlag Straßburg, dieſes Juwel in der HR 


Krone deutfch- proteftantifher Städte, weldhes Jahrhunderte 
hindurch Frankreichs offener Gewalt ruhmooll widerftanden, 
mitten im Brieden, am 30. September 1681, feinem Ge⸗ 
ſchicke. Ein denfwürbiger Zug bleibt die Ironie, daB, wie 
alle Handfeften Zünftler an der Rettung blutig errungener 
Freiheit verzagten, ein verwachfener 70Ojähriger Schneider 
allein fihamerglüht die Mitbürger an Daranfegung Guts 
und Bluts ermahnte! — Erwind von Steinbach welt« 
gepriefened Münfter ward wiederum dem Bifchofe zu Theil; 
die populare Verfaſſung kraͤnkelte unter den franzöftfchen 
Machthabern Hin; dennoch behauptete ſich der proteftan= 
tiſche Bürgergeift auch unter ber Fremdherrſchaft jo zäh, 
das, angefochten durch „Praͤtor und Magiſtrat“, Straßburgs 
Schügenvereine erft i. J. 1778 ihren echten entjagten, 
und die ehrfame Zunft der Meifterfänger erft 1. I. 
1780 die legte Zufammenkunft hielt. — 

Sieben Jahre nach Straßburgs Fall, i.d. I. 1688— 
1689, im Kriege um die pfälzifche Erbſchaft, vollendete 
die Mordbrennerhorde Ludwigs XIV. die Schändung alt« 
berühmter Wiegenflätte ded8 Bürgerthums am DIEBE. 


Wormd, Speier, Reichsſtaͤdte und zahlreiche Flecken, 8 ee 


deren Schönheit jelbft der dreißigiährige Krieg nicht ganz 
vertilgen fonnte, verfanten in Zeit weniger Wochen, mit 
Ausnahme unverwüftlicher Kathebralen, in jenen Zuſtand, 
welcher die ehemalige Herrlichkeit, Blüthe und Volksfülle 
faum noch ahnen lädt. Worms, zur Zeit des weltbe⸗ 
rühmten Reichsſtags nahe 100,000 Seelen umjchließend, 
freute fich bei Maria Thereitas Anfängen fchon wieder auf 
6000 Einwohner geftiegen zu fein! Solden Hohn, foldhe 
Mißhandlungen erduldete das Reich, jetzt, flatt aus hundert 


478 Bierter Theil. 


„Rp. ſtreitbaren Gemeinweſen, aus vielen fürftlichen Territorien zu- 


fammengefegt, die ihrerfeitd nur flarf waren, individuelles 
Leben zu erprüden, ohne einen adtunggebietenden Staat 
zu gründen. Geringſchätzung und faſt brutale Begegnung 
blieb das Loos der noch vorhandenen Neichöflädte auf 
Neichöverfammlungen, und von Seiten gleichberechtigter 


Mitftände. Der Bürgermeifter der „Freien“ Stadt Ne 


gendburg, des Tapitolinifhen Sites des Reichs, durfte 
lange Zeit fih nicht auf des Reichs Heerſtraße blicken 
laffen, aus Furcht, wegen einer Streitfchrift, welche in 
der Reichsſtadt gegen Baiern erfchienen war, von Turfürft- 
lichen Dienern Eörperlih mißhandelt zu werden. Uralt ver 
tragene landesherrliche Anfprühe auf halbtaufendjägrige 
Meichsfreiheit erwachten wieder; Erzbifchof Marimilian Hein: 
sid, Herzog von Baiern, ein Glied jened erſten franz- 
fifhen Rpeinbundes, taftete offen Kölns Freiheiten 
an, fand aber die Stadt zum Aeußerſten entjchloffen (1670). 
Ein Bergleich verhinderte blutigen Ausbruh (1672); dod 
verfolgte der fürftliche Groll feine Fehde durch gelehrte 





Streitfihriften, deren eine „Die an die Wurzel gefeßte Art” 


Kölns ältefte Geſchichte dankenswerth bereicherte. Bereits 
dachte die Fürftenpolitit auch jenen eifernen Beftand ber 
MNeichöftädte feit Dem weftfälifhen Frieden zu fprengen und zu 
„mebdiatiftren.” Wie Kaifer Leopold i. 3. 1679 die Abs 
tretung Ueberlingend, Offenburgs, Gengenbachs und Zells 
als Erſatz für das an Frankreich überlaffene Freiburg ge- 
fordert Hatte, fo begehrte Brandenburg i. I. 1687 vom 


Neihötage Dortmund, Mühlhaufen und Norvhaufen als 
Kriegsentfhädigung. Preilih war Brandenburg-Breu- 


Ben der einzige deutfche Neuftaat, welcher durch feine im- 
ponirende Haltung dem Audlande gegenüber das deutſche 


Sechstes Bud. 479 


Volk für das Unrecht entſchädigte, das Friedrich Wilhelm tw. 
mit eiferner Confequenz an altverbürgten gemeinheitlichen 

und fländiichen Korporationen verfchuldete, um die fpröden. 
Elemente zum Bortheile der Gefammtheit in einem flar- 

fen monarchiſchen Staate zu vereinigen. So hatte Die 
er, feit Erfämpfung der Souveränttät über das. Herzogthumreußens. 
Preußen (1657), durch Drohung, Gewalt und Lift die 
folgen Brivilegien befeitigt, welde Preußens Städte und. 
Landſchaft erfi vom Orden, dann von dem neuen Herzoge 
errungen. Eine Eitabelle, eine flarfe Befabung hielt bie 
entwaffneten ‚ Gefammtftäbte ’ Königsberg im Zaum; die. 
Acciſe ermöglichte die Bildung eines flehenden Heeres; 

die Gerichte beugten ſich dem Tandesfürftlichen Oberhofe,. 
und Hieronymus Rhode, Königsbergs furchtloſer Schöffen- 
meifter, mit verwerflicher Lift in die Gewalt des zürnenden 
Souveraͤns gebracht (October 1662), flarb im Gefängniß 

zu Peig, voll unbeflegten Rechtsgefühls feine Befreiung 

als Alt der Gnade verfhmähend. Wie in Magdeburg. 
und überall in den neuen Gebietstheilen, doch fchonender 
und nur willkürlich in Beförderung feines perfönliden Re⸗ 
ligionsbekenntniſſes, Hatte der große Kurfürft auch Soeſts Sort. 
ausgelebtes Gemeinwefen für den Staat fruchtbarer ge⸗ 
madt, der „Stadt der Engern‘‘ jedoch noch erbvertragd«- 
mäßig ihre Börde belafien. Verzeiht die GBefchichte dem. 
Schöpfer der proteftantifchen deutfchen Großmacht die ſchnei⸗ 
dendflen Eingriffe in beſchworenes Hecht, jo hat das Reichs⸗ 
bürgerthbum dem deutſchgeſinnten Kurfürften doch noch ret⸗ 
tende Ihaten zu danken. Samburg, die zweite Stadt jenedgamburg 
zahmen banfeatiihen Bundes, von den Kaijern duch Per⸗ Dünen, 
gamente begünftigt, doch immer durch dänische Huldigungs« . 
anfinnen zu ſchweren Geldopfern genöthigt, war feit Jahren. 


4. Aap. 





480 Viertet Theil. 


erfüllt mit bürgerlicher Zwietracht zwiſchen Rath, Ober⸗ 


alten und Aemtern, welche zu heilen manche Reichshof⸗ 
rathstommiſſton theuere Receſſe aufgerichtet, wie i. J. 1674. 


Ein Opfer von 220,000 Th. hatte i. I. 1679 Ebriftians V. 


herriſche Forderung noch abgekauft; ba drohete der Däne 


etmuthigt durch den Raub, welden Frankreich ungeftraft 
am Reiche begangen, i. J. 1684 mit Heereſsmacht und 
liſtiger Verlockung die Hauptſtadt Nordalbingiens mit der 
Elbmündung als unterthänig unter ſeinen Fuß zu beugen. 
Zwei Bürger, Kord Jaſtram und Hieronymus Snitger, den 
Vornehmen verhaßt, weil ſie den raͤnkevollen ptäſtdirenden 
Bürgermeiſter Meurer wegen ſeines verrätheriſchen Ver—⸗ 
kehrs mit Wien zur Strafe gezogen (März 1684), Hatten 
in unklarer Auffaffung der Verhältnifie, heimlich, Boch mit 
redlicher Abſicht, den Tauernten Dänen herbeigelockt, um 
die Stadt gegen die Unfeindung Braunſchweig⸗Lüncburgs 
zu fügen. Zwar war Brandenburgs Kusfürft entfchloffen, 
„falls gleichzeitig Wien von den Türfen und Hamburg von 
ben Dänen bedroht würde, ungefäumt zur Rettung ber 
letzteren mit geſummter Kriegsmacht auszuziehen““; benned 
konme Ehriſtian V. am 19. Auguſt 1686 an der Spipe 
eines gebieteriſchen Heeres vor Hamburg erſcheinen, Erb⸗ 
huldigung und die Stadtſchlüſſel verlangen, und Die Reichs⸗ 
ſtadt nur durch diplomatiſche Drohung des Kurfürſten, nicht 
durch hannöverſche und brandenburgiſche Hülfsteuppem, vor 
dent Schickſale Straßburgs bewahri werben. Der Daͤne Heß am 
14. September, gegen Erſatz ungeheuerer Belagerungskoſten, 


von feinen Gewaltplänen ab; Jaſtram und Onitger Güßten 


unter Henkershand ihre politifche Vertrrung; aber godeth⸗ 
licher Frieden kehrte nide nah Hamburg zurück. Denn 
bald darauf fachte ber verrufene Kanzelbentagoge, Dr. I. 8. 





Gehstes Bud. 481 


Mayer, Pfarrer an St. Jacobi, die ſinnloſeſte Wuth des großen FR 
Haufens gegen P. I. Speners harmloſe Geiſtesverwandte an 
(1690); die innere Fehde mit Schmähfchriften, Fauſt⸗ und 
Knittelkaͤmpfen theologifch erbofter Zünftler dauerte aud nad 
bes Pfarrers Abzug fort, und erreichte, verflochten in altbürs 
gerliche Streitfragen, eine jo ungeheuere Höhe, daß der Kaifer 
mit Kommifflonen und Truppenmacht einfihreiten mußte (1708). 
Den unbegreiflih unverfländigen Hader endeten erfl, theuer 
erfauft, die Receſſe v. 3. 1710 und 1712, welde bie Rechte 
des Raths, der Erbgejefienen, der Oberalten, verfafſſungs⸗ 
mäßig beitimmten, und Hamburgs Bedeutung und Blüthe 
während des XVII. Jahrhunderts möglich machten. — 

Gleichzeitig Hatte auch in Köln der Iegte Kampf der Ari⸗ kr 
fiofratie und Demokratie ausgetobt. Ein Band- und Seiden- Kr 
främer von der Zunft „Himmelreich““, an der Spike mißver- 
gnügter Gaffeln im November 1680 vom Senate gefangen 
gefegt, ward mit Gewalt befreit, im offenen Aufftande um 
Pfingſten 1683 der alte Rath abgejchafft, die Herrfchaft des 
„Poͤbels“ jedoch, nach harter Prüfung der ,‚Gutgefinnten‘‘, in 
Folge Faiferlicher Acht 1.3. 1686 durch Hinrichtung der Partei⸗ 
führer und Herftellung des Alten gebrochen. Im dumpfen, in⸗ 
neren Brieden fihlummerte die heilige Pfaffenftabt, nur noch 
Träftig im Kaffe gegen die Unfatholifchen, verödet und arm, 
obgleih mit 2500 Perfonen geiftlihen Standes bevölkert, 
dem erften revolutionären Erwachen i. 3. 1789 entgegen. — 

Noch 51 Neihsftädte, jegt ſchroff geſchieden von den IE) 
Iandfäfftgen, ſchleppten fih ala „Schwäbiſche und Aheinifche nee. 
Staͤdtebank“ (Donaumerth hatte durch den Raftabter Frieden" zaynı 
zum brittenmale feine Breiheit verloren) in das XVIII., 
das letzte Jahrhundert ihres Beftehens, hinein; flatt einer 
politiſchen Geſchichte, welche fie nicht haben nn geben 


Barthold, Staͤdteweſen. IV. 


48% Bierter Teil. 


4. Rad wir un allgemeine Zuͤge wineh Stilllebens, bad fo Emmge 
wbehaglich ſchien, Bid es einer frirgenten. Oroßmacht, dem 
Auiſer oder den Fremden, gefiel, ohne Weiteres dem wehr⸗ 
Iofen Staat zu beſetzen. Bon diefen 51 Reichsſtädten, 
deren einzelur, wie Mordhauſen, vermöge ber von Sachſen 
an Prrußen verbauften Erbvoigteien v. J. 1697- 17 15, is 
Attaviſch ringeſchnurt, andere, wie Worms und Speier durch 
Ahren Biſchof, Wetzlar durch Heſſen, ſelbſt Nuͤrnverg durch 
die Markgrafen von Brandenburg, in den Zuſtand ewiger 
Proteſtarion verſetzt waren, galten 16 als patriziſch, richt 
weit das Regiment entſchieden in ben. Händen einzelne 
Familien, ſondern weil es überhaupt. in ihnen Batrizier 
gab. Se im Augsburg, Biberach, Bremen, Köln, Dort: 
mund, Frankfurt, Hall, Lindau, Lübeck, Memmingen, Mühl⸗ 
haufen, Nordhauſen, Nürnberg, Ravensburg, Stotenbur 
:und im tiefgejuntenen Ulm, deſſen Nath aus 24 Geſchlech- 

. sen und 17 von der Gemeinde beftand. Bis auf die mezigen, 
welche em Gebiet beſaßen, mußten dieſe Reichsſtädte immer 
tiefer fallen, weil fie Städte blieben, während die fürſi⸗ 
Ten Territorien vingdum die Staats natur entwückelten, 
und fee Landesfürſtliche Städte aus ſtaatlicher Einsrbnung 
none Bebenddräfte zur Förderung des Wohlſtandes, Handels 
und Gewerbes zugen. Zwar ſchützte fie der Reichshofrach 
und das Kammergericht vor der Gewalt Heiner Nah: 
barn, and Lieb es der Kaiſer am wenigften an füib fehlen, 
gerufen und ungenufen bei inneren Unorbnungen einzus 
ſchreiten, da jene Freiftanten die Fettweide Hungeriger Meichs- 
boßsathatommißfionen blieben; gegen die böfe Laıme größerer 
Nachbaren dagegen waren fie ſchutzlos. Ausgeſchlofffen 
son des Bejeyung ded R.K.⸗G., ermangelten fle auf Reichs⸗ 
und Kreißingen,. obwohl noch ein eigenes Kollegium, jeden 





— — — — — — — — — — — — —- 


Sechsbteb Buch. 483 


Cinfluſfes; unverhaͤltnißmuͤßignach ber Neichsmatritel Sep tr 


ferer Zriten (1521) belaſtet, fleheten fie unaufhoͤrlich um 
Herabſetzung und ſchickte die Mehrzahl, gleichgültig um 
uns Geſammtwohl, um die Roſten zu erſparen, nicht mehr 
eigene Geſandie nach Regensburg, fondern vertrautt 
einzelnen dortigen Rathsherren ihre Stimme. Mußten die 
Rricheftaͤdte, zu Acker⸗ oder niederen Handwerksſtaͤdten her⸗ 
uabgekommen, gegen den Türken oder gegen einen anderen 
Reichefeinn Ihr matrikelmaͤßiges Kontingent ftellen, fo „mon⸗ 
eiete und armirie“ der Rath das jaͤmmerlichſte Gefindel, und 
die Reiter und Fußgaͤnger, die Simplen von Bopfingen, 
Aaben, Isny und Giengen, im Reichsheer buntſchaͤckig ver⸗ 
em, halfen weſentlich den Spott verſchulden, in welden 
die Reichshe erverfaſſung bei Militaͤrſtaaten und äußeren 
Feinden geriech. Das „Spiefibürgestfum”, in früheren 
Sugrhunderten wahrlich ein Chrenſtand, gewann ſpruüchwört⸗ 
ich feine geringichägige, ironiſche Bedeutung, als es nad 
Soldatenrecht ſogar für ein ſtrafwürdiges Verbrechen 
galt, wenn Bürger mit verroſteten Waffen zum Schutz Des 
zigenen Heerdes :auf den Waͤllen erſchienen. Wenn and 
noch die Schügengilden mit unverwüſtlicher rührender Lieb⸗ 
haberei ihr altſtaͤnkiſches, Bezichungsisfes Spiel trieben, 
Die Bürger noch überall Eompagnieweis bewaffnet wuren, fo 
atblicken wir höchſt ſelten in Meihöftänten auch nur verſuchte 
Abweht ſeindlicher Gewalt. Dagegen ſtel gar nicht auf, wenn Fury 
vor dem Herioburger Frieden ein preußiſcher Sieurenant mit 
35 Huſaren von der befefllgten Stadt Rotenburg, welche 
800 wehrhafte Männer zählte, durch gräuliche Drohungen 
20000 Thlr. als Abſchlag auf 80000! erfluchen konnte! 
Hundert und dreißig Jahre früher Yatten die Rotenburger 
wo Tillhs Hoere ſich entgegengeſtellt! — Diefelben tran- 
31* 


484 PBierter Theil. 


EM. rigen Erſcheinungen motivirte in großen Territorien der 


Gegenfaß von „bürgerlich, nicht allein dem Adel und Mi- 
Iktär gegenüber, fondern auch der Beamtenhierardhie, welche 
in Die Attribute der Iandesfürftlichen Gewalt fich zu theilen 
begann. Die innere Verſunkenheit unferer freien Städte 
gab natürlich der äußeren nur das Gepräge. Der befchräntte 
Lebenslauf der. Einwohner jener winzigen iſolirten Stäbte, 
nicht erfrifcht duch Bündniffe und regen Verkehr mit der 
Außenwelt, verdumpfte die Seelen und beförderte jene flarre, 
fleife Einfeitigkeit, jenes unbefangene Streben nad) Einzel⸗ 
vortheil, das an die Stelle Iebendigen Bürgerfinnd getreten. 
Die Berfaflungen und Einrichtungen kraftvoller Väter dauer⸗ 
ten formal noch fort; aber die Gemeinde, die Zünftler 
waren müde und verdroffen, auch nur ihre legten politifchen 
Hechte zu üben. Der Aeußere Rath verlor auch den Schein 
der Bollövertretung, wurde Beamter, Diener des „Inneren, 
Kleinen‘, der, laͤngſt lebenslänglih, wie z. B. zu Roten⸗ 
burg, nicht einmal die eine Wechfelftelle der jährlichen Schein⸗ 
wahl unterwerfen wollte, und i. 3. 1773 die Abichaffung bes 
legten demofratifchen Brauchs buch die gehorſamſte 
dankbare Gemeinde beantragen ließ. Im Regimente ſelbſt 
herrſchte überall das Bürgermeifterfollegium, obgleich eine 
Minorität, über die „Lange Bank‘ ; Die Rathsfähigkeit 
war das Recht der Erftgeburt jener verfchwifterten Familien, 
melde fih im Beſitz erhielten; gedanfen- und verdienſtlos 
zürte der jüngere Rathsherr vor. Beleidigung der Amts» 
ehre ward eine Art Majeſtätsverbrechen, ber Staat ein 
Nupeigentbum der Herrfchenden ; Die Einkünfte kannten 
nur Diefenigen, welche Antheil daran Hatten. Alle einft 


freiwilligen Emolumente, „Gift und Gaben”, galten | 
als feited Einkommen; was zu verzehren war, wurde 








Schstes Du 485 


verzehrt, fo der Ertrag der Weinberge, Jagden, der Bir tft 
ſchereien, Schaͤfereien; Rathsmalzeiten bei unzähligen An⸗ 
laͤſſen erlangten die Wichtigkeit von Staatsactionen. Fromme 
Stiftungen und Almoſenpflege kamen faſt nur den Herren 
zu gut, da die üblichen Geſchenke an Bürgermeiſter, Rath und 
Dienerſchaft das Jahreseinkommen derſelben faſt erſchöpften, 
dem Bedürftigen nur die kaͤrglichſte Nachleſe zuſtel. Wie 
die oberen Aemter an Unfähige, gelangten bie kleineren 
fäuflih an Verbienftlofe; der Handwerker, unkundig feiner 
Rechte, deren Statuten ihm verborgen blieben, fland in 
Abhängigkeit von den „Großen“, und jchwächte fich ſelbſt 
duch Gewerb⸗ und Zunftzwang; die Reichsſtaͤdte mußten 
an Betriebfamfeit veröden, während die Fürftenflädte den 
fremden Gewerbömann begünftigten. Am fchlimmften war 
das Juftizweien beftellt; das mühſam erjtrittene Privilegium 
der Neichäftädte, vor fein fremdes Gericht gezogen zu wer⸗ 
den, ſchlug in Unſegen für ben Schwächeren um, wenn 
er gegen Freund oder Better eines Rathsherrn Recht fuchte. 
Berufung an das R.K.⸗G. blieb zwar geftattet, aber wer 
Eonnte einen dort anhängigen Proceß bezahlen, wer deſſen 
Ende erleben? Wegen grober Pflichtwidrigkeit, Ausbleibens 
aus den Sigungen, Verfaͤlſchung der Protofolle, Unter⸗ 
fchlagung der Akten, Privatverhbandlung mit Parteien, über⸗ 
mäßiger Sporteln und Geldſtrafen, Einthürmung und „Block⸗ 
haus’ aus Privatleidenfhaft, mußte der Kaifer gleich oft 
einſchreiten, ald wegen ſchlechter Wirthſchaft und Diebftal 
am Aerarium. Kaiferlibe „Oekonomieplaͤne“ fruchteten 
nur für einige Jahre; wir wagen kaum zu behaupten, daß 
ed in patrizifchen Städten fo entfchieden fchlechter Herging, 
als in demofratifhen, wo dad Selbftergänzungsrecht bes 
Magiftrats oder ſchmutzige Wahlumtriebe die Stellen mei⸗ 


486 Birertier ühreih 


Sur. ſteus im Hände der. Venwandien oder Gleichgeſtuntem brach⸗ 


ten. Günfligfien Falls fchleppten ſich die Verhandlungen 
der Bürger kraftlos Hin; Lieb fi einmel bürgerlicher Much 


blisten, fo. liefan alle, welche ſich Des. Mißbrauchs bemui 


waren, zur Beflzafung Des „unzuhigen Kapfes“ her bei. — 
Dermoch begrüßen wir als Zeishen fortſchreitender Huma⸗ 
nität, Daß 3. B. in Rürnberg, wo 0.3. 1697 — 1737 
noh 103 Hinrichtungen finttgefunden, v. 3. 1778 — 1788 
niemand am Leben geflraft wurde. Während fo Verzer⸗ 
zung ober Die Starrheit. de. Todes: auf allen,. ehemals ie 
febenerfüllten, beweglichen, Fleineren. Reichsſtädten Iag,. mar 
nr durch farkaftiiche Reichapubliciften und ſatiriſche Rei⸗ 
ſende erfuhr, daß etwa ein Bürgermeifter zu: Windshheim 
einen Bürger geohrfeigt, der im feiner Gegenwart ſich auf 
den Ellenbogen flügte, oben her. Zunftmeifter. der Mochen⸗ 
Bauer zu Goslar fh gebrüſtet, „im Namen. das Kaisers 
auf feinem. Plage zu ſitzen, und nichts mis dem Rathe 
efene gemein zu haben’; forgte, ungnoßmüthig war furchtſam, 
nm tie Reichsgeſetzgebung und Polizei dafür, dab fich has 
—* niedere Burgenthum ja, nicht aus feiner Verſunpfung erhebe. 
Daß man früh den: Handwerkern dad Degentmgen verbot, 
welches doch ſelbſt Schülern geftattet blieb, wollen wir noch 
hingehen laſſen, da ſchon die Morgenſprachen und Staim- 
ten des XI. und XIV. Jahrhunderts gewiſſe Waffen inner⸗ 
halb des Stadtgebietes unterſagt hatten; daß ferner ber 
Meichsbeichlug v. I. 1731 die augenfälligſten Gandwerks⸗ 
mißbraͤuche, wie das „Auftreiben und Auftreten, deu „Ben 
me’ der Sefellen, die Ausſchließung gewiſſer Kinmahnen- 
Hafen vom „ehrlichen Handwerke“ ſtraßvürdig fand, prafe 
ſende Zunftgebraͤuche abſchaffte, das Wandern. des Gefellen 
einer Kontrolle unterwarf, jede Zuſammenrattirung der 


Sech stes Bud, 487 


Befehlen mir Fueiheita⸗ ja mit Todes ſtrafe belagie, und ſchwache 4-8. 
Ofrigkeiten berechtigte, die Hülfe der Kreisoberſten aafzunufen, 
mögen: wir, wie anderes dahin Gebörige, nicht unbedingt 
tadehr, Daß aber die Innungen nirgend befugt fein ſollten, 
umfhuldige Aenderungen, Beflerungen ihrer Artikel und 
Gebräuche ohne Befragung der Landes⸗ ımd Ortsvbrigkeit 
vorzunehmen, die altherkömmlichen „Haupt⸗- und Neben⸗ 
laden”, ſelbſt die „Bauhütten“, aus demen die Meiſter⸗ 
werke dentſcher Kunſt hervorgegangen, vorpönt wurden; 
endlich die: Zünfte einer Stadt in ihnen. Angelegenheiven 
mit. keiner Nachbarſtadt briefli ader durch Bevollmächtigte 
verkehren, ein Siegel führen durften; diefe Reichsſatzungen 
u 3. 1.731 erbitterten nit Recht überall aud die Gebuk- 
digſten, ling au Bevormundung Gewöhnten, weil dadurch 
jene ferte Bewegung, jede Selbfientwifelung des Hand⸗ 
werks ertödtet, ein faft vor einem halben Jahrtauſende er⸗ 
obertes, menfihenwürdiged Recht vemidter war. In fo 
zahmer Beit, als die Bünftler, unsingedenf ihrer früheren 
politiſchen Bedeutung, höchſtens durch Pfaffen gegen An⸗ 
dersbetende verhetzt, oder erboft: wegen Beſchränkung des 
„bauen Montags““, oder wegen eines anbefolenen Galgen⸗ 
baues, Aufnahme eines Unehrlichen oder Unehelichen, tobend 
ſich zuuſammenrotteten, erregte dennoch Das. Geſpenſt des 
ſchlummernden demokratiſchen Prinzips ſolche Furcht der 
Machthaber, daß Kaiftrliche Mageftät und Reich völlige Auf⸗ 
hebung aller Zünfte droheten, ‚falls Meiſter und Geſellen 
im: bisherigen Muthwillen, Bosheit und Halsſtarrigkeit 
beharrten“. Ward nun die Haltung dieſer Geſetze beſon⸗ 
ders den Meichsſtädten anbefplen und befolgt, fo bekennen 
wir. Dock, daß altdeusiche Sutenſtrenge, Einfalt, frommen 
Sinw. und Gemüͤthlichkeit allein ungen jemen- verasmien, ber 


488 Bierter Theil. 


ARep. druckten, geringfäjägten und verſpotteten Handwerkern zu 


finden war. In Jean Pauls „des H. R. R. freiem Markt⸗ 
flecken Kuhſchnappel“ find nicht allein der heuchleriſche 
Schurke, der „Heimlicher“, und der herzloſe, geckenhafte 
Lüſtling, der „Venner“, dem Spiegel entnommen, ſon⸗ 
dern auch das Bild jenes treuherzigen, hülfbereiten, fröbs 
lich darbenden „ſocialen“ Kleinbürgerthums. — 
sröberen Sp allgemeiner Verfümmerung, des politifhen Todes 
at jener hundert und fünfzig lebensfriſchen Reichsſtaͤdte des 
Japın: XIV. Jahrhunderts Hatten, begünfligt durch befondere Um⸗ 
flände, nur etwa 7 ſich erwehrt, deren Schieljale im XVIIL 
Jahrhunderte wir noch anbeuten wollen. Lübeck und 
Bremen zehrten von alter Herrlidhfeit, und gewannen 
unter dem Schuge kluger Neutralität, dur beſonnenes 
BZufammenhalten, bei genauer Kenntniß ber europätfchen 
Berhältniffe, manden fräftigen Hau von Englands Kü- 
vomröften. Befonders in Hamburg folgte auch eine geiftige 
Altona. Bemegung der faulihten Gaͤhrung der erflen Jahrzehende 
des XVII. Jahrhunderts; Altona, durch bie bänifche 
Handeleiferfudt i. I. 1664 als Stadt hervorgerufen und 
ſchnell erblüht unter dem Schirme religiöfer Duldſamkeit, 
fonnte der Elbherrfcherin nicht ſchaden, deren Neide an⸗ 
geblich die Nebenbuplerin als Opfer durch die ſchwediſche 
Brandfadel gefallen fein foll (1713). Immer aber blieb 
jener verjüngte Staat den Unfällen Dänemarfd außgefrkt ; 
i. 3. 1712 erpreßte Friedrich IV. wiederum ungeheuere 
Summen; die Koften der Kriegsrüflung Dänemarks, um fid 
vor Katfer Peters III. Gewaltplänen zu fhügen, mußte bie 
fhuldlofe Stadt vergelten; bis endlich der Vertrag d. J. 
1768, gegen Erlaß anfehnliher Summen, ihre Unabhäns 
gigfeit verbürgte. Von da ab fehen wir in der glanzuollen, 


Sechſtes Bud. 489 | 


reichen Republik Künfte und Wilfenihaft erblühen, ſelbſt 4. Re. 
die erften deutſchen Organe für Politit, Die Zeitungen, 
fih auftfun. — Danzig, voll Selbftgefühls auch unter 
der hochmüthigen Oberherrfchaft der polnifchen Adelsrepu⸗ 
blik, unangefochten in feiner Gewiſſensfreiheit, zur Zeit 





als Thorn, die verdunfelte Schwefterftadt, den Fanatismus Thorn. 


der jelbfterwählten Schugherren mit edlem Bürgerblute vers 
fühnen mußte (1724); behauptete, von patriziſchen Kauf⸗ 
herren unter demofratifhen Formen regiert, den Glanz 
des XVII. Jahrhunderts, an altdeutfcher Schönheit wie an 
Kunftfinn allein Nürnberg vergleihbar. Der Umſatz ver 
polnischen Naturprodukte fleigerte den Reichthum; aber die 
herzhafte, ſelbſtſtändige Vorliebe der flreitbaren Bürger für 
den „Piaſten“ anftatt des Sachſen, z0g ihr barbarifche 
Verwüſtung durd die Auflen, und die nur fihwer und 


demüthig abgefaufte Ungnade der Czarin zu (1733—35). 
: Polens Geſchick im legten Viertel des Jahrhunderts brachte 
‚ Dann auch Danzig zur Landſtadt herab. — Bon ober- 
deutſchen Neichöftädten fiherte den Augsburgern, fo LAus⸗ 


bietes, und, wenn auch halbentvölkert, doch noch voll 


burg. 
furchtbar ihre Leiden i. J. 1703 — 04 durch die Invaflon 


der Baiern und Franzoſen, denen Ulm ſchon i. J. 1702 
erlegen, bie Kunſtliebe ihrer Geſchlechter und die Geſchick⸗ 
Tichfeit ihrer Bürger, wie der Wechfelverfehr und Waaren⸗ 
abjag zwifchen der deutſchen, italienifchen und helvetiſchen 
Nachbarſchaft, Regſamkeit und Wohlftann. In der Kunft 


wetteiferte Nürnberg, noch im Beſitze eines großen Ge⸗ u 


. finnreicher, rühriger Gewerbe, mit Augsburg. Aber Miß⸗ 


muth und Unfrieden wucherte unter den Bürgern auf, 
als Kaiſer Leopold 1. i. J. 1696 dem Rathe das Privi⸗ 


legium gab, die ausſterbenden 20 Geſchlechter nach eigener 








0 Bierter Theil, 


BR, Wpl durch Sonption zu eugämgen ;. die Scheidewande war 


Frank⸗ 
furt. 


vollendet, Nürnberg jedoch auch jo ohmmaächtig und wehrlos, 
dag kurz vor dem Schluſſe des Hubertsburger Feiedens 
(Naveniber 1762) ein ſchwaches preußiſches Streifkorps die 
jo hochbethürmte und felſenfeſt ummauerte Stadt zwingen 
konnte, Waffen und Kanonen auszuliefern, und: unermeß- 
liche Brandſchatzung zu. zahlen. Geiſtig und phoftid ver 
welfte das Patrizierthum in Wolge der: Heirathen ins. Gr 
blüt, in, langweiliger Behaglichkeit und ſpielendem Genfk, 


nur aͤngſtlich bedacht, bie Anmaßung ber Borfahren zu 
vertheidigen, uud des Staates Nothdurft der. Gemeinde | 


allein aufzubürden. Schon im Jahre 1730 Tlagten Des 
halb die Kaufleute. über den. Druck der „Zofungen‘‘, den 
Verfall der „Commerzien“, die Armuth der Handwerks 
leute, zeigten. Luft au szu wamdern, ‚um. der Animoftät 
des Patriziats zu entgehen‘. Geſchickt wußten bie Herren 


die erbetene kaiſerliche Unterſuchungskammiſſton nach Wien 


zu ſpielen, von wa i. I. 1754 bie Kläger ihre Libell 
zurüdsabmen. Bon jenen großen Meichöftäbten ifk bad 


aͤchtpatriziſche Nurnberg bie erfte, melde, beim erſten Grollen 


bes Revolutionsdonners, über fich felber Das VBerbift: Ie- 


hendunfähig! ausfprah! — Frankfurt Dagegm er 


bob fh mächtig; nad den Verfaffungstämpfen. des XVU. 
Jahrhunderts, durch Bürgervertrag hei Abzug der Eakfer- 
Ihren Kommiffton i. 3. 1725, auf ein gemäßigtes Me 
giment, jene beiden obenen Bänke, „bie Sıhöffenbanf” 
mit dem Neichäfchultheißen., . ‚die des Raths“ her alten 





Geweinde) mit den zwei jährlichen Bürgermeiflen, größ⸗ 
tentheils aus den zaͤhen „Ganerbſchaften bed Hauſes Ali⸗ 


Liwmpurg“ und der „Geſchlechtergoſellſchaft Frauenſtein⸗“ be⸗ 


har; endlich die dritten, die Zunftbank, zurückgeführt. 





— — — — —— — 


Secheet era Bar 491 


DODuldſamer gegen. Refprmirte und Separatiſten, doch nicht Ran 
gegen. die. Juden, ſah Frankfurt, im. Genuß, älteren und 
jüngeren Reichthums, zumal in Volge ſeines europaͤiſchen 
Meßvperkehrs, ſeit 1711 den Kaiſer in. feinem Münfter auch 
gekrönt, und gewann gröfleren, politiien Sinn und 
mannigfache geiflige Anregung, inhem. der ober⸗ uud fur 
shemifche Kreis, die Reichſsdeputationen, bie zuſammen⸗ 
tnaten, die Grafen Der Wetterau,. die Parteirn, welde 

zu. Wetzlar, jeit Speiers Verödung,, der Sitz des R.⸗K 

G. (16093), progeffisten,. in drankſurt zu meilen lichten, 
aadlich Ber Buchhandel. hier feinen Markt. aufichlug,. und. pn= 
litiſche, Girchliche und: Inriale Intexeſſen, wie. Die der Kuufl 

und Wiſſenſchaft, zu ſchöner Lebendigkeit ſich Durchbrangen. 
Dennoch durfte die friedliche Hauptſtadt des deutſchen Reichs, 

der Mittelhunkt bed: Geldverkehrs, ſich nicht ungeſtönter 
WMeutralitaͤt erfreuen, ſondenn ward, wie andere oberdeut⸗ 
ſche Reichsſtaͤdte, in den ſchlefiſchen Kriegen, zuletzt i. J. 
17259 von dem Franzoſen, jedoch nicht ala Reichsfeinden, 

. beftkt.. 

| Während fo. im NVIIL Jahrhundert tiefer Schlaf Demmin. 
 Seillfkand- der. Lebenspulfe, hen endlichen: Tod des größtenufzvuu. 
Theils der Reichsſtaͤdte verkündete, war in den Yürften- u 
ftädten. die. Gomeindeverfaſſung entweder. geflörk oben ganz, 

zur Grabe: getragen. Die vorhernrſchende materialiſtiſche An⸗ 
ficht, das Wefen des Staates aller. auf Gelb und durch 
dieſtes auf Soldaten zu begründen, vertrug ſich nicht mit 
dem rechtlichen Daſein von Gemeinden und Einzelnen, 
und: bemgemäß. erfuhren faſt alle landfaͤffigen Staͤdte, am: 
meißten hie Mefldenzen, ein duchgreifendes Berfabren.. In. 
oberdentfchen Zerritozien, mie in Oeſterreich und Baiern, 
hatte überhaupt das Gemeindeleben: nie: recht Wurzel faflen; 


492 Bierter Theil. 


. Kap. önnen. Schonender ging man in Kurfachfen zu Werke, 
defien ruhiger, arbeitfeliger Bevölkerung der Genuß um 
ſchaͤdlicher gemeinheitlicher Rechte gelafien wurde; Leipzig, 
erblüht durch feltene Vereinigung der günftigften Umſtände, 
das deutfche ‚Klein Paris’, war eins der freieften Kom 
munalweien nah Maßgabe, des Jahrhunderts. In geiftkichen 
Staaten, bis auf Bamberg, blieb nicht mehr viel um 
fioßen, und friſteten die Städte in beſcheidener Behaglid 
feit ihre Dafein fort. Kurhannover und die niederſächſtſchen 
Fürſten ehrten noch freundlich altliebe ungefährliche Kor: 

Brebi men. Nur des Großen Kurfürften Nachfolger veräm 

Städte. derten weſentlich die Zuftände, nit durch umfaſſende Gr 
feßgebung , fondern durch zeitweife, einzelne Berorbnun | 
gen. Schon der erfle König von Preußen flellte den 
Haushalt der Kommunen unter jchärfere Aufficht feinn 
Behörden, in ven altfaffifchen Städten Weſtfalens un 
Kleved, in Minden, Lippftabt (1695) und Hamm wurden 
die jährlihen Rathsumſetzungen, ja die Wahlen vurd 
die Kurherren, entweder ganz abgefchafft, oder vereinfadt; 
gemeiniglih trat ein lebenslänglicher Magiftrat ein, un 
abhängig von den noch beflehenden unfdhuldigen Hove⸗ 
Kapitänen, welhe ihren Beruf ald Beamte des Magifiratd 
in der Handhabung der niederen Polizei vergnüglich aus- 

Sort. übten. Nur Soeft, bis auf 3— 4000 meiſt ackerbauende 
Bewohner herabgefunfen, erwirkte noch großmüthige Berüd: 
fihtigung feiner beftätigten Erbverträge; zwar fchlammmert: 
fein Münzrecht, feine Steuer- und Kantonfreiheit, und wa 
im 3. 1717 die Acciſe eingeführt; noch aber gehörte ihr 
die Börde, beftand das Gericht ter Vier Bänfe, freilü 
unter anmaßungsvolleren ‚, Großrichtern“; fogar Das fir 
diſche Spiel mit dem Schwerte des Freigrafen und ber br 











Gehstes Bud. 493 


deutungslofen Stuhlherrſchaft warb auf rührende Klage bes AR. 
Maths durch den König im J. 1708 in gnädigen Schub 
genommen. — Die Umgeflaltung in der Hauptrefidenz blieb 
Dagegen maßgebend für die älteren Provinztalftädte. Friedrich 
1. vereinigte im 3. 1709 die bisher noch getrennte Berwalegzie 
tung ber fünf Mefidenzen (Berlin, Köln, Friedrichswer- “riet 
ver, Sriedrichsftadt und Dorotheenfladt), welche zufammt nach 
der Einbürgerung der franzöftfhen Reformirten (1685) an 
50,000 Seelen zählten, in ein Rathskollegium mit vier 
Bürgermeiftern, das fich, bei Finholung der königl. Geneh⸗ 
migung, noch ſelbſt ergänzen follte; dagegen unter Friedrich 
Wilhelm 1. feine gefeglihe Wahlfreigeit einbüßte. Die 
Gemeindevertretung durch die „Vier Gewerke‘ und Die „Ver⸗ 
ordneten“, in der Zahl von 24 Iebenslänglichen Gliedern, 
verſank in fo Flägliche Abhängigkeit vom Magiftrate, daß der⸗ 
ſelbe, als Regierungsbehörde der Stadt gegenüber durch 
die Staatsgewalt geſtärkt, die Gehorſamen als unter⸗ 
geordnete Diener behandelte, ihnen niedere Polizeidienſte, 
z. B. die Bewachung der Thore bei Viehſeuchen, ober die 
Kontrolle der Nachtwächter von Amtswegen anbefal. 
Bon einer Aufficht über die flädtifchen Güter, Einkünfte 
u. f. w. war natürli feine Rede mehr. Noch hatte ber 
Rath das Stadigericht und die Polizei, bis auch letztere uralte 
Gemeinderathsbefugniß im I. 1735 neben dem Magifirate 
dem Gouvernement zur gemeinfhaftliden Handhabung 
aufgetragen wurde. Denn Friedrih Wilhelm I, deffen Haupt⸗ 
ziel Menge bes Geldes und der Menſchen, Beides als Mittel 
zur QAufftellung eines zahlreichen Heeres ; befonders feit den 
nordifhen Friedensſchlüſſen (1721) durch Zwangsanſtedlung 
und Bwangsbauten Berlins Erweiterer und Berfchönerer, aber 
auch Wiebererbauer wüfter Provinzialftädte und Neugründer 


894 Bierter Keil 

4R0). wreußſſcher, ſchtitt noch gewaltſamer in die Berfuftteng, ja in 
das Attlich⸗ge fedl ſchaffliche Toben des Buͤrgerthums rin. Um 
die koͤnigl. Einfünfte aus den Staͤdten zu ſteigern, hand⸗ 
habte er die drückendſte finanzielle Beſchränkung, bie mi | 
Kleinlichſte gehende Oberaufficht des ſtadtiſchen Haushaltes 
durch feine Behörden, verminderte überall, einer wohlfeileren 
Verwaltung wegen, die Rathskollegien und zog die Zeber 
Fchüffe in die Staafdkafſe. Die Steuerräthe, die „Commis 
sarii locorum‘“, bexuchtigte Plusmacher, wie jmer Staat 
öfonsn Eifbart, verſtanden meifterhaft, ohne Rückſtcht auf 
Die beſcheidenen Bebürfnifle der Feinesivegd Tusuriöfen Ge 
meinweſen, folche Ueberſchüſſe erklecklich zu machen. Ueber 
all verſchwanden aber auch jene juridiſch⸗verſchie derren Sin 
tanerhafb einer Umwallung, jene ſproͤden Sonderintereffen 
wie in Königsberg, Brandenburg, Stilzwedel. — So ſyſte 
matiſche Ertödtung alles individuellen Lebens, welche 
der Militärſtaat Friedrich Wilhelms 1. auf Das gan 
Jahrhundert vererbte, Fonnte ſchwerlich Bürgermuib m 
Bemeinfinn erwerken; die zinfige Pfliht war Gehorfam: 
der Wehrftand, dem Nährſtand ſchroff gegenübergefteik, 
nwaeßte ausreichen, das Stantelsürgersfum zu vertheidigen. 
Spider Geſtunung durfte auch das unfchuldige Spiel, wel 
ches von männerehrenter Sitte der Vaͤterzeit dem hart, 
grivüdten, armen Kleinbſurger zur jührlichen Erherterung 
und zum Troſt, „daß auch er noch ein wehrhafter Mast 
jet,’ geblieben, die Schüch enfeſſte zur Pfingflzeit, en| 
Vergerniß fein. Im Anwandlung böfer Laune, unter der 
Einftuß eines krankhaften Pietismus, befal Friedrich Wi 
lm 1. im I. 1727 dem Berliner Magiſtrat, keinn 
„Schützenplatz“ hakten zu lafſen, und bei daher Strafe ‚alle 
Kieberliche uud üppige Weſen gämzlih abzuſchaffen“. Sr 





Gäste. Bull. u 


Ihaner Willensaͤußerung des Allergnädigfien Kbnigs mar 4b. 
nithte zu entgegnen; bie harmlofeſte Luſt dos Bürgerd, auf 
die ar ein ganzed fauered Jahr hindurch fh gefreist, ver 
ſtummte din den alten Provinzen, bis Friedrich II. bei feie 

nem Regierungsantritt mehr aus ſraauswirthſchaftrlichen Orün- 

ven, wis aus bewußten Sireben nach Bopulacität, die . Her⸗ 
Stellung Der Gilden wieder erlaubte. 

Der Große König hat zwar dad materielle Wohl ma dire 
Barger, nad) dem Wlende des flebenjährigen Krieges, wel 
er beſonders die Sräpte Schleftenie, der Luufig, Sachſend, 
Ponmrrus ımd der Marken hrimfuchte und mit batbariſcher 
Muth blähende Orte, wie Bitten (1757), zerflörte, 
finanzflug befördert; aber, befangen in ſocialen Wovartdrilon, 
ja in grundfägliher Geringfägung gegen den Bür- 
ger, nidse zur Belebung des erftorbenen Selbſtgrfühld 
deſſelben gethan. Darum denn, bei dem raſcheſten Wechſrl 
des Rrisgsgliuts und ber Regierungsgewalt in den Pod⸗ 
sinzen, Baum «ine andere Bürgesthat, als die der muthigen 
Schaüfferuſtudt Kolberg; an vielen Orten, zumal Preußens, 
eine mehr als gleichgültige Aufnahme der Fremdherr⸗ 
fſchaft. In Garniſonſtädten übten auch zur Friedenszrit 
die Generale und Regimentökommandörr ein ſo brutalres 
Verfahren, daß bürgerliche Autvrität angſtvoll vor ihnen 
unterducken mußte. Das Band der Abhaͤngigkrit der Stadre 
vom Steuerrath wurde neh Schäfer angezogen; die Ver⸗ 
böhnung, welche römiſche Rechtslehrer ſchon feit zwei Jahr⸗ 
hunderten gegen bie Eprüche „alberner Schöppen, Meiſter 
Gerber, Schuſter und Schneider“, jene lebendigen Quellen alt⸗ 
vãterlicher Weisheit, beifaͤllig ſich erlaubt, vermochte uafern 
König, den Feind der Juriſterei, alles ‚‚Illiteratid‘ in Dagi- 
ſtrats kollegien das Botum in Juſtizſachen zu entziehen. Solist 











388 Bierter Theil. 


_M.Rop. Soeſt's altergrane, verttagmäßig verbuͤrgte Verfaffung fand 
Soefi. jetzt keine Schonung mehr. Im J. 1752 ſchaffte eine Ka 


binetsordre, „in Bolge mehrfacher Beſchwerden,“ den wech⸗ 
ſelnden Alten und Neuen Roth, ſammt Freigrafen, den 
Kurleuten, Großrichtleuten und den „Zwölfern‘‘, die Traͤ⸗ 
ger der Vollöfouveränetät, ab, und orbnete Dafür einen be 
fländigen Magiftrat mit einem Stadtpräfldenten, Synbifus, 
Polizeibürgermeifter und wenigen Rathsherren für die Ber- 
waltung, einen Juſtizbürgermeiſter für Das Gertchtswefen an. 
Die ſechs Houekapitäne, Die Burrichter, als Repräjentanten der 
Gemeinde eben fo berabgewürbigt, wie anderwärtd Der Große 
Rath und die Berorbneten, behielten, vorbehaltlich landeshert⸗ 
licher Beftätigung, eine Stimme beider fünftigen Selbftergän- | 
zung des Magiftrats. Aber fo beſchraͤnkt auch von jet ab DieBe | 
fugniß der Stadtbehörbe, fo läftig die Aufſtcht der Landes£ollegi- 
en, hatten die Soefter doch nocdy Großes vor anderen voraus ; nod 
war nicht der Tag, welcher den Bürgern ihren ſechſhundertjährigen 
Raub an den gleihberehiigten Landgemeinden abnahn. 


—— Bon landſaſſigen Städten anderer Fürſten erfahren wir 


Kampf, 


während des XVII. Jahrhunderts nur ein Beifpiel erzwun 
gener Auflehnung gegen den höhnendſten Despotismus. 
Schwediſch⸗Pommerns Städte, ſchwer geprüft während bes 
nordifchen Krieges, durften ihre alte Selbſtſtändigkeit und 
jene Rathsverfaſſung, welche die Hanftihen Elemente illu- 
fortfcher Gemeindevertretung behaglich zue Schau trug, nod 
bewahren, da die nordifhe Krone nur durch Achtung vor 
dem Ueberfommenen jene Provinz behaupten konnte; ihnen 
blieb ungefchmälert Beſitz und Nießbrauch ded reihen Statt 
vermögend; Roſtock dagegen ward eine Reihe von Sat: 
ren hindurch (von 1713 an), den Zatferlihen Mandaten zum 
Trotz, durch Herzog Karl Leopold gemißhandelt, und deſſen 








Sechstes Bud. 497 


Verſchwaͤgerung mit dem Haufe des Czaren benutzt, um . Hari 
wit fremden Waffen eim deutſches Reichsland zu unterjochen. 

Das ernſtliche Einfchreiten von Neicdhserecutiondtruppen 
(1719), die Berfiheuchung der Ruffen fleflte einen nur une 
gedeiblichen Rechtszuſtand her, bis der Tod im I. 1747 

Dem ſchändlichen Treiben des Despoten ein Ende mahıte. 
Roſtock behielt feine fländifhen und ſtädtiſchen Privi⸗ 
legien. — 

Binden wir die Lage bed Bürgerthums auch in den 
fürftliden Städten herabgewürbigt und um fo beklagens⸗ 
wertber, als der allgemeine Knechtöftnn der Belt ſelbſt Das 
Gedaͤchtniß beilerer Tage austilgte, oder die Gewöhnung 
des Jochs die frühere Zreiheit als ſtrafwürdige Rebellion 
gegen Gotted Ordnung erſcheinen Tieß; fo Hatten Doc 
Die neuen Refidenzflädte, wie Wien, Dresden, Ber« 
lin, Münden, Mauheim und Weimar, für dad beutide 
eben, für Gewerbe, Handel, Kunft, Wiflenfihaft und 
für Humanitätsbeftrebungen größere PBebeutung, ale 
vie Mehrzahl der Meihaftädte zufammen. Anderfeits 
gewährte auch Hier die Sittemeinfalt, Frömmigkeit, Ges 
nügſamkrit, der ernfle Fleiß des armen, dem Staate frühe 
nenden Kleinbürgers, den verborbenen, erfchlafften, welicher 
Mode in Sprache, Tracht, Vergrägungen und frinoler 
Lebensanfiht huldigenden „Höheren Ständen‘ gegen- 
über, dem Daterlande noch die einzige Hoffnung aus 
Dede und Berfumpfung zu erftchen. 

Da horchten zuerft die gleichgültigen Seelen auf beifmete⸗ 
Der Kunde von den Thaten der ſtamm⸗ und retö-nerwann-dfihen 
ten Bürger Nordamerika's, und begannen, überraſcht, fich un, 
felbſt zu erfennen. Das beutfhe Bürgerthum, aus ber Mu di 
altgermanifhen Volkögemeinde erwachſen, war ja Hate. 

Barthold, Städteweſen. IV. 32 


498 Biexrter Theil. 


Rap. ein rieſtger Baum, ber, verbortt in Stamm, Zweigen und 
Krone, auf fernem Boden in mädtig aufgrünenden Spröß⸗ 
lingen ſich verjüngte! Die neue Zeitung bereitete alsbald einen 
merklihen Umſchwung: Bürgerrefourcen, Kaſino's, Klubb's, 
Leſegeſellſchaften, politiſche Blätter traten in's Daſein, und nicht 
als die verächtlich ſte Figur auf der veränderten Bühne bes 
bürgerlichen Lebens begrüßen wir „benpolitifden Kaunens 
gießer“. MängelundGebrecden, der ganze troftloje Zuftand ber 
Geſellſchaft wurden klar; das Bebürfniß der Reform lag zu Tage; 
aber Thatenmuth fehlte dem feig raifonnirenden Geſchlechte. Als 
num gar das nahe Frankreich der Heerd flanmender flaats- 
rechtlicher und fozialer Ideen wurde, „der dritte Stand” 
als Weltfleger zur Anerkennung gelangte; regte fi) auch ber 
ſtumpfeſte Blödfinn. In Köln, deffen fanatifcher Pobel noch im 
3.1787 den Bau einer evangelifchen Kirche verhinderte, ertrotz⸗ 
ten Die Klagen der Gemeinde über fchlechte Verwaltung Die Amts⸗ 
entjegung mißfälliger Senatoren und Bannerberren, und fehnte, 
durch ein Faiferliches Dekret unterbrüdt, das Volk die An- 
kunft der Branzofen als heilbringend herbei. In Augs⸗ 
burg erhoben fih ſchon im J. 1785 die Weber gegen 
Gewerbabeeinträchtigung, erzwangen vom fhüchternen Rathe 
Abftellung ihrer Befchwerden; im erſtarrten Noten burg 
erörterten fühne Denker ſchon im 3. 1786 das Grund⸗ 
Weſen bürgerlicher Freiheit, und legte in I. 1794 ein 
Ausſchuß von 24 Bürgern in grünblicher Auseinanderfeung 
vertrauensvoll dem Aeußeren Rathe! Das heillofe Weſen 

des dermaligen Negiments an's Herz. Am lauteſten aber 
klagten ſchon im J. 1786 die Bürger von Nürnberg über 
die willkürliche, ungleiche Steuererbebung des Patriziatsé, 
den Verfall aller Nahrung, die Entvölkerung der grasbewachſe⸗ 
nen Gaſſen; ſo geſunken war ber Stolz jener einſt fo kunſtberũhm⸗ 





Sechstes Bud. 499 


ten, reichen Stadt, daß man ben Verkauf des , Schönen Brun- 4. 
nen 8° nihtohne Beifall vorſchlug! Eine neue, verfängliche Ei⸗ 
desformel, im I. 1789 vom Patriziat gefordert, verweigerten 
bie „Genannten“ des Brößeren Raths, jetzt einmal wieder 
genannt, unter der Kunde von den Ereigniffen aus ‘Paris. 
Aber die Reichspolitik unterdrückte Hartfinnig jeden Reform⸗ 
verſuch, wie ängftliche Fürſten die Gährung und theilweifen Auf⸗ 
Stand inihrem Gebiete, und fo fand denn das flegreiche Heer der 
Republik i. 3. 1792 die erhitzten Bewohner rheinifcher Städte 
zur Aufnahme des trägerifchen „Freiheitsevangeliums“ bereit. 
Mainz, vom Kurfürften, feinem Adel und dem Klerus feig 
verlaſſen, und wiberflandslos den Franzoſen geöffnet, warb 
von den im Moft einer lang entbehrten Freiheit trunfenen 
Cnfeln ‚‚Arnolde des Walpods“ — in eine bizarre Re⸗ 
publik umgewandelt, und Fonnte nur durch ein Bombarde⸗ 
ment, welches ehrwürdige Denkmäler der Vorzeit vernichtete, 
auf kurze Frift wieder gewonnen werden. Kölnd Bürger tanz» 
ten gleich nad dem Einzuge der Neufranken, 6ten October — * 
1794, wie wahnſinnig um den Freiheitsbaum, und Aachen, idte 
Worms und Speer fanden ſich, ihres Schiefals froh, ob⸗ Mic 
gleich unter furchtbarer Kriegägeißel, in die fremde Herrfchaft. Tanke 

Aber nicht allein die Gewalt neuer Gedanfen und Pier 
franzöffger Waffen zerſchlug die morfhen Formen ſtädti⸗Danzis. 
scher Reichſsunmittelbarkeit; das Bergrößerungegelüfte eines 
JÜbermädtigen Neichsftandes gab in Verhöhnung gehets 
Tigten Rechtes den Bremden das willfommenfte Beifpiel, 
Schon Friedrich I. hatte, durch Polens Theilung Ober- 
Herr der Abtei Oliva, den vereinfamten, ſchutzloſen Frei⸗ 
ſtaat Danzig ungroßmüthig das Recht des Stärferen füh- 
Ien laſſen; jegt bejegte Preußen den Heft des Stadtgebies 
tes unter dem Vorwande, „dafſſelbe hege die verbrecherifche 

32 * 





500 Bierter Theil. 


ARD Sekte der Anarchie,” wies die Erbietung bes Raths und 
der Bürgerfchaft, fih dem preußiſchen Schug unter Zu 
ſicherung ihrer bisherigen Verfaſſung zu ergeben, ab un 
bemächtigte fich, nicht ohne blutigen Widerfland, am 26ten 
März 1792 der feften weiland „Königin an der Weichſel“. 
Solches geichah noch unter beifälligem Grunde an einer Frei⸗ 
fladt außerhalb des Reichs; gleichzeitig war Preußen 
aber aub in den Beſitz der fränkiichen Stammfürftenthü- 
mer gelangt und begann die verjährten Anſprüche de 

Rümbere&ohenzollern auf die im 3. 1427 vom Kurfürſten Friedriq 

Preußen], an Nürnberg abgetretenen, von Albrecht Achilles auf 
gegebenen burggräflihen Herrlichkeiten über Nürnber 
gebieteriih geltend zu maden, während Kurpfalzbaiern bir 
pfälzifchen Pilegämter, den vom Kalfer Mar I. zugeficer 
ten Gewinn des Krieges vom I. 1504, ohne RMeechtser⸗ 
kenntniß wegnahm Das bange Batriziat ſuchte Aufſchub 
der Borderungen jener preußiſche Reunionsſskam mer, 
und räumte inzwifchen dem @rößeren Rathe (1794) einen 
verfaffungsmäßigen, entſchiedenen Antheil am Yinanzwein 
ein; bereit8 betrug aber bie Schuldenlaft 14 Millionen! 
Kaum hatte Preußen im Bajeler Frieden (bten April 1795) 
von der Reichsſache ſich getrennt, als der königl. Meinifer 
in Franken die zum Schug Nürnbergs ausgebrachten Reiqhs⸗ 
hofrathsmandate für erjchlichen erklärte, die erneuerten Ber 
gleichsvorſchlaͤge verwarf, und am Aten Juli 1796 dal 
Stadtgebiet, bis an Thor und Graben, milttärikg befepe 
lieg. Wenige Woden nah fo unerhörtem Gewaltftreid 
drang dad franzöftiche Hear ſiegreich in Franken ein, täuſcht 
die erfchrodenen Meicheftädte durch eine Neutralitärskon 
vention nom 7ten Auguft, brandichagte jedoch, in weh 
Iofe Mauern, wie Nürnbergs am Iten Auguſt, aufgı 








Sechstes Bud. 501 


nommen, nad rinem fo ungeheuren Maßſtabe, daß nach 4 Rm- 
ihrem ſchnellen Abzuge (27ten Auguft) jener Freiſtaat, 
and Furcht der Wiederkehr ſolcher Gaͤſte, die Bürger 
zur Abſtimmung berief, am iflen September 1796 mit 
dem fraͤnkiſchen Minifter einen Unterwerfungsvertrag ab⸗ 
ſchloß und dem König-Burggrafen die jehshundert- 
jährige Meihäunmittelbarfeit gegen Abbürdung der Staatd- 
ſchulden und fonft günflige Bedingungen übertrug. Aber 
Friedrich Wilhelm II. verwarf feines Minifters Werk aus 
erflärlihen Gründen der Stantöklugheit; Nürnberg fiel, 
nah kurzem Aufathmen, in jene Eläglidde Unabhängigkeit 
zurüd, und befam fogar fein nächſtes Gebiet wie- 
ber, während der Friede zu Campo Formio (19. October 
1797) das linke Rheinufer mit den Reichsſtaͤdten Köln, 
von 100,000 E. auf 38,000 vermindert, Aachen, Worms 
und Speier an die franzöfifhe Republik überließ. 

Die unglüllihe Wendung des zweiten Coalitionskrie⸗ 
ges (1798—1801), der Friede zu Lüneville (Iten Februar 
1801), vollendete den Untergang von 41 Meichöftädten, 
welde die gebietertihe Politik Rußlands und Frankreichs 
Den deutſchen Yürften ald Entichädigung für ihre Verluſte 
auf dem linken Rheinufer zumies. Noch ehe der Meichs> me 
Deputationd-Hauptifhluß vom 25ten Bebruar 1803 rg 
bisher gleichberechtigten Mitſtaͤnden dieſe Reichsſtaͤdte als erb⸗ CR v. 
lich eigen zuerkannte, hatten jene bereits im Herbſt 1802 
son ihrer überreichen Entſchädigung Beſitz ergriffen. Preu⸗ 
Gen nahm mit unbedingter Landesherrlichkeit: Goſlar, 
Mühlhaufen und Nordhauſen, die Schöpfungen ber 
Ottonen und der Salier; Zurpfalzbaiern verleißte fi 
ein: Bopfingen, Buchhorn (das fpäter fogar feinen 
alten Ramen mit Friedrichſshafen vertaufchen mußte), Din⸗ 


502 Bierter Theil. 


4.8. kelbühl, Kaufbeuren, Kempten, Leutfirh, Mem⸗ 
mingen, Nördlingen, Ravensburg, Rotenburg, 
Schweinfurt Ulm, Wangen, Weiffenburg, Wind 
Heim, Namen, weldhe bis in die erfte Hohbenflaufenzeit 
binaufglänzten; Wirtemberg: Aalen, Eßlingen, 
Gemünd, Giengen, Hall, Heilbronn, Reutlin- 
gen, Rothweil und Weit, alle jene freiheitseifrigen Ge⸗ 
meinden, welche Jahrhunderte lang der grimmigen Keindfchaft 
der Eberharde und Ulriche widerfianden; Regen 8burg, 
die hochmüthigſte „Freie“, und Wetzlar fielen an den 
neuen Kurerzkanzler; Biberach, Gengenbach, Offen: 
burg, Pfullendorf, Ueberlingen, Wimpfen und 
Bellan Baden; Friedberg anHefien- Darmftadt: 
Budhau an Thurn und Tartid; der ſtolze Oberhof ve 
Deme, Dortmund, jept eine menſchenarme Ackerfladt, 
an Naffausr Dillenburg; Lindau und Isny a 
zwei neugeichaffene Dynaſten. Nirgend begegnen wi 
einer Klage fchmerzlicher Verzichtung; vielmehr frohlockten 
die Reichsbürger, müde einer fo unerquidlichen Selbſtſtaͤn⸗ 
digkeit, ihrer verrofteten Berfaflungsformen, oder voll altaı 
Grolls gegen ihre Patrizier, der fürftlichen Willlücherrfcat 
anftande= und gedanfenlos entgegen! Einordnung it 
fhirmende Großſtaaten wäre für fie nicht Zerftörun 
eines politifchen Lebens, fondern die Möglichkeit geweſen 
dafjelbe wieder zu gewinnen. — 

an Noch verfchonte die Mediatiftrung jene 6 größeren Reich 

1", Radte, Augsburg, Nürnberg, Frankfurt, Lübel, Samburg un 
Bremen, weil fie, die von ber ſchwäbiſchen Banf noch zuletzt i 
3. 1798 in Ulm zur Tagefahrt trübfelig beifammen, Geldg 
nug befaßen, um ft gewichtige Freunde in Parts zu erPaufe 
Nürnberg dankte in offenem Ausfchreiben den Hohen vr 


Sechstes Bud. 503 


mittelnden Mächten, Krankreich und Rußland, für das Ver 4. Km. 
dienft, welches. fie fih um Deutichlands Fünftiges Wohl 
erworben, und beglüdwünfdte wie Augsburg ehrerbietigft 
den neuen Kaller. Uber den Augdburgern ward beim 
Ausbruch des Krieged die gehoffte Neutralität nicht zu 
Theil; Napoleon erklärte ſchon am 10ten October 1805 
den Abgeordneten ded Handelsſtandes: „die Stadt müfle 
er einem Bürften geben, damit fie — beſſeres Pflaſter bes 
komme“, und wied fie nad) der Schlacht von Aufterlig an 
Baiern (Dezember 1805). Die Bürger der weiland gefrei« 
‚ ten Nömerfolonie feierten feſtlich ihre Exrntebrigung zu einer 
baieriſchen Provinzialftatt ; mit dem Stadtpfleger, dem neuen 
föniglichen Geheimrathe, ging die alte Verfaſſung zu Grabe. 
— Das I. 1806 brachte am 12ten Juli den Rheinbund, am 
Gten Auguft bie Verzichtung Franz IL. auf die deutſche Kaiſer⸗ 
‘ frone. Am 1dten September verfüntete Kanonendonner zu 

Nürnberg die Befignahme der Stadt Turch Baiern; verbießen 
‚ „Bürgermeiſter und Rath“ in einem Ausfchreiben „das wahrfte 
⸗ ‚und innigfte Beftreben, der Allerhöchſten Huld und Gnade ©, 
} EM. durch Treue, Gehorſam und Liebe ſtets werth zu fein,‘ und 
‘ bezeihnete ein kirchliches Dankfeſt das Ende der Reichsſtadt. 

Fur Frankfurt, dem Fürſten Primas zugetheilt, wagte es, 
" in einer Kundmachung vom 19. Auguſt feine Anhaͤnglichkeit an 
Ppie Liebe Bergangenheit zu bekennen. Daswar wür devollge— 
Hpandelt; denn feine andere Stadt hatte bie Güldene Bulle fo ges 
ehrt; nod bet den legten Krönungdmanhlgeiten vertraten, an be« 
uſ onderer Tafel in einem Nebengemache, die Frankfurter mit 
pen Aachnern, Kölnern und Nürnbergern das Reichsbürgerthum. 
#_— Noch in demfelben Jahre brach der Staat Friedrichs IL., wels 
‚fer mit feinem Rechte die Verbürgung deflelben durch Ge⸗ 
„Ameindeverfaffung verfhmäht, haltungslos zufammen. Wie 
W 


504 Dierter Theil. 


4. Rap. konnte erlänger beftehen, da er bei gaͤnzlichem Umſturze, Ruhe” 
als ‚die erfte Bürgerpflicht“ gefordert Hatte! Jener einzige 
Bürgermuth, Kolbergd, war gewiſſermaßen eine Ueberlieferung 
im Blute der ein hochfreien, tapferen Seefahrer. Lübed, 
vom erften fremden Keinde ſeit Waldemar „dem Sieger‘‘ in- 
nerbalb feiner Mauern Heimgefuht, Bremen und Ham: 
burg, nicht als Heihäftidte mediatiſirbar, da das Neid 
ſich ſelbſt mediatifirt hatte, frifteten fih dem Unab⸗ 
wendlichen entgegen. — 

—— Auf die ‚Statt der Engern“ Gaben wir immer mit 

Börde. Liebe geblidt, da fie ums „Aufſchwung, Höheſtand und 
Niedergang einer altdeutfhen freien Bürgergemeinde‘‘ in 
leuchtendem Beifpiele vergegenwärtigt. Im Kreislauf der 
Dinge auf Kleingewerbe und Aderbau zurüdgeführt, verlor 
Soeſt durh Napoleons Machtſpruch am 15ten Auguf 
1809 auch bie Börde, und zog dad Stadtrecht, in eine 
franzöftiche Wunicipalität verfährumpft, in’8 „Land hin 
aus, von dem es ſich vor acht hundert Jahren losgefondert, 
um Ebenbürtige ſechs Jahrhunderte hindurch zu beherr 
ſchen. Der „Maire“ zu „Borgeln“ oder zu „ Schwefe" 
bedeutete jeßt eben fo viel oder eben fo wenig, al 
der Maire von Soeſt! 

Nicht iſt ed ein zufälliges Ereigniß, DaB unie 
Baterland, blühend, flarf und unantaftbar, fo Tange ei 
aus zahlreichen, freien Gemeinwefen beftand, ei 
Spielwert der Nachbarmächte wurde, als e8, mit Ber 
nichtung aller gemeinheitlihen Nedte, in founerän 
Staaten fih aufgelöft. Diefe unumftößliche Wahrheit vı 
Gedichte erkannte zuerft Preußen, indem ed, der © 
nenerung in feinem innerſten Leben bebürftig, in Deutid 
Iands tieffles Nacht eine Morgenröthe hervorrief, a 


Schstes Bud. 505 


1Sten November 1808 die „Allgemeine Städte tw. 


ordnung’ gab. 

Was in Jahrhunderten allmälig erftarb, Fonnte nicht 
plöglich wieder in aller Kraft erſtehen; die ältere Städte- 
ordnung tft eine unvollfommene Gemeindeverfaflung, 
da fle überwiegend die finanzielle Selbſtſtändigkeit des 
Bürgerthums begünftigt; urfprünglic; wefentliche Attribute 
der ftädtiihen Gemeinde, die Verwaltung ded Gerichte 
und die Polizei verfagt. 

Aber ſelbſt die vollkommenſte, ausfchließlich 
ſtädtrſche Gemeinfreiheit hat ihren Lauf durchbebt, und 
thoͤricht wäre, Erftorbenes erwecken zu wollen. Steht noch 
ein Heil des deutſchen Volkes von innen heraus zu hof⸗ 
fen, fo iſt es: bei großartigem Verbande Belebung 
der. Stantsbürgernatür. im Individuum, ine 
söllfreie Gemeindeordnung, in Ihrem. Wefen eind 
füy Stadt und Land, nur gefchieben nad Berufdarten; 
Nahrungsdverhältniffen und Bildungähedürfnifien, welche? 
eine die Städte als Ins zu a feiner Aus» 
In rapie: — 


J.c 
19 ds 





Schlußwort. 
So übergebe. ih denn dem Baterlande den Schluß 

eined Werkes, welches ich, unter ‚Inneren und Auferen Hin⸗ 

derniffen, nach meinen beiten Kräften vollendet. habe. 

In fhöneren. Sagen ſchwebte mir vor, mit der Ge⸗ 
fhichte der deutfchen Städte und des Deutfhen Bürgerthums 
in größerer Ausführlichkeit und mit gelehrter Machweifung, 
etwa in 6 flarfen Bänden, meine fehrififielleriiche Laufbahn 
abzufchließen. Ich kehre wohl nie wieter zu biefen Stu⸗ 
dien zurück. 

. Aber fo unvollkommen mir meine Arbeit in ber vor- 
liegenden @eftalt erfcheint, eine Genugthuung bleibt mir: 
unabhängig vom Einfluffe fowohl der jüngften Bergangen- 
heit ald der Gegenwart, treu einer urfprüngliden woifjen- 
ſchaftlichen Auffaffung, habe ih mein Buch gefchrieben. 

Das Berfprechen im Vorworte zum erften Theile, dem 
Schluß ein Berzeichnig der befonderen Quellen für vu 
Städtegefchichte Hinzuzufügen, Tonnte ih wegen Beihranfung 
des Raumes nicht erfüllen. 

Als Fingerzeig über die Urt meiner Forſchung Deut 
ih jedoh an, daß mid bis zum Ende des 5ten Buches (; 
J. 1400) überwiegend Urkunden- Sammlungen leiteten. Uebe 

die letzteren Jahrhunderte dienten mir nur Lünig und ein 


Shlußwort. 507 


Reihe einzelner Staͤdtegeſchichten. Fühlbar vermißte iche aurs 


Vorgänger, wie Gemeiner, Jaͤger, Lochner, Benſen, für die 
Darſtellung der ſpaͤteren Zeiten Regensburgs, Ulms, Nürn⸗ 
bergs, Rotenburgs. Soeſts iſt mit unverkennbarer Liebe 
ſo oft gedacht, weil ich die Geſchichte dieſer merkwürdigen 
Saſſenſtadt druckfertig beendet habe. 

Das unruhige Verlangen, in bündigſter Kürze bie 
ungeheure Maſſe der Begebenheiten, die mannigfach vermite 
telten politifchen Buftände anfchauli zu mahen, zwang 
mich zu mander ungelenfen, ungebräuchlichen Sprachwendung. 

Wer Luft und Liebe fühlt, aus einer neuen, wiſſen⸗ 
fchaftlichen Begründung zu begreifen, daß unferes Volkes 
Glück und Wohlfahrt, Macht und Ehre bedingt wurde durch 
das Buͤrgerthum, wird ſich leicht an die ungefaͤlligere Schreib⸗ 
art gewöhnen. F 


Greifswald, den 22. Dec. 1852. 


F. W. Barthold. 


32 4% 





Regiſter. 


Wachen. Aquis Granii. 1.54, 307. 
li. 163, 254. 11. 20, 192. 


IV. 36, 38, 250, 376, 431, 
434, 447. 
Altenburg. 11.28, 256. III. 128. 
"266 


Altona. IV. 488. 


Andernach. Antunnacum. I. 30. 


Anflam II. 289. IV. 218, 
Alchaffenburg. 1. 209. 


Attendorn. IY. 277. ©. weſt⸗ 


fäl. St. 


Augsburg. Augnsta Vindelicorum. 


I. 16, 41, 192, 241. 11. 184. 
im. 149, 223, 227. IV. 18, 


69-71, 165, 179, 339, 378, 
384 ff., 400, 404, 434, 458, 


463, 489. 503. 


Baierifhe Städte i. allgem. I 
51. I. 196 ff. IV. 25. 


Bamberg. I. 115, 124, 228. 


IV. 31. 

Bardewiek. I. 65. It. 31. 

Bafel, Basilea. 1.20. 11.50, 69, 
168, 213, 279. 1. 55, 117, 
178, 255. IV. 12, 44, 59, 66, 
er 165, 173, 192, 260, 264, 

11. 

Bayreuth. II. 27. 

Berlin — Köln. il. 137. Il. 8, 
171 €, 2f IV. 35, 45, 
227 Ni 266 ff., 493. 

Bern. I. 306. 11.38, 76, 200. 

in 9. IV. 16, 172, 


Bernau. 1. 257. 
Bielefeld. II. 127. 


"Bonn. I. 115. II. 96: IV. 432. 


Brantenburg a. d. H. 1.99, 109. 
11. 288. 11. 173 ff. 

Brandenburgifche Städte im alls 
gem. 1.206, 250. 11. 137, 172, 
286 ff. 111. 172, 244 f. W. 
.45, 81, 225, 245, 315, 374. 


Braunfchweig. 1. 94. 235, 298. 


11. 59, 171, 302. IM. 134 

IV. 92 f., 136 ff., 223, 243. 
"375, 393, 406, 440, 448, 475. 
Braunfchweigifhe Stätte ’i. alls 

gem. II. 59, 171, 302. IV. 92. 
Breifah. Il. 30. IV. 8. 


Bremen. I. 56, 88, 107, 115, 


‚136, 179. 11. 14, 177, 218, 
296. IV. 107-113, 195, 212 
—214,.252, 382, 422, 470, 
488, 504. 

Breslau. 1. 118. II. 153. 283. 
1. 122. IV. 145, 148, 229, 
217, 282, 389. 

Brieg. II. 283. 

Brilon III. 140. 


Brügge. I. 48, 220. III. 158 ff. 
— 236. II. 28. 256. 


Ehur. I 
Damme (Klandern). IL. 5. 


Danzig. I. 118. I. 2, 174, 
290. IH. 214. IV. 149, 246, 


336, 456, 468, 489, 499. 





Donauwertb. I. 126. 


Regifter. 508 


Darmſtadt. IV. 32. 
Demmin. I. 141, 229. 
Detmolt. I. 126. 

II. 182. 
IV. 86. (Berpfändung an Bai⸗ 
ern. i. J. 1376, im Text aus⸗ 
gelaſſen.) 263, 436. 

Dirtreht‘ I. 136. 

Dorpat. II. 84. IV. 426. 

Dorftadt. I. 67. 

Dortmund. I. 111. II. 165. III. 
129, 233, 249. IV. 35,. 138, 
192 ff., 343, 423, 502. 

Dresven. II. 285. IV. 92. 

Düflelvorf. IH. 105. 

Duisburg. Dispargum. -I. 28, 
103, 114, 236. 11. 164. Il. 
72, 104, 122. 


ger. II. 27. II. 128, 224. 
IV. 186. 
Gifenadh. I. 207. 1. 57, 256. 
11.8. (l. fi. Cisleben Eife 

nad !) 167 fi. 

Slberfeld. II. 60. IV. 433. 

Elbing. I. 118. II. 85. IV. 149. 

Sifaffiiie Stätte i. allgem. II. 
113, 215, 271. 111.87. IV. 8, 
64, '83, 158, 296, 435, 465 ff., 
4716. 

&mmerid. DI. 123. 

Grfurt. I. 45, 52. II. 56, 155, 
258. 111. 34, 75,113 ff. 119 f., 
188, 271. W. 32, 90, 190, 
224, 269, 462, 472 f! 

@rlangen. I. 125. 

&ßlingen. lit. 187, 191, 224. 
IV. 62. ©. ſchwaͤb. freie Städte. 


Feuchtwangen ſ. fraͤnk. St. 

Forchheim. J. 66. 

Frankenberg. II. 118. III. 14. 
IV. 200. 

Franffurt a M. 1. 61, 90. IM. 
78, 232. 111. 119, 265. IV. 


17, 73-78, 169, 186, 191, 
435, 490 f, 503. 

Frankfurt a. d. O. I. 286. IL. 
255, 258. IV. 45, 

Fränfifche Etädte i. allgem. TIL. 
221, 224. IV. 29, 31, 182, 
329 f., 437, 502. 


Sreiberg. II. 23. II. 134. IV. 


450. 
Freiburg i. B. I. 200, a. n. 

77, 169. 111.85, 145..1V.66, 67. 
Freiburg i. Uechtlande. I. 307. 

il. 76. 
Sreifingen. I. 96, 117. 
Sriplar. I. 45. N. 90. 
Sulda. I. 53. IV. 31. 
Fürth. 1. 125. 


Gandersheim. 1. 94, 
Gelnhaufen. 1.304. IV. 49. ©. 
- Wetteraufche St. 

®ent. Castram Gand. 1. 48, 121, 
202, 220 ff. HL. 159. IV.171. 

Oermanifche Burgen. H. 10, 

@örlig. 1.236. II. 140. 111.169. 
IV. 139-142, 228. 

Goslar. 1. 92, 133, 175. UI. 21, 
58, 73, 173. 11I. 111, 121, 
248. IV. 34, 224, 375, 501. 

Gotha. I. 115. 

Göttingen. 1.235. II. 110. IV. 93, 

Greifswald. 11. 173,.288. UL 
274 ff. IV. 17, 276 ff. 

Guben. II. 25. 1. 169. ©. 
Laufitz. St. 


Hagenau. I. 291. IV. 9. 

Halberftadt. 1.57, 300. 

Halle. 1.65, 134, 218, 234, 302. 
II. 25, 147. In. 256. iv. 309, 
374. 

Hamburg. 1. 65, 88, 167. IE 
17, 293, 301. IV. 113 - 117, 
325,429, 467,479 ff., 488,504. 

Hameln. 1. 55, 227, 255. 

Hannover f. Vraunſchweigs &t. 


410 


Sanfabund. IL, 108 |, 208 f. 
II. 135. S. Lübeck und bie 
Wendiſchen Seeräpte. IV. 122 
—126, 130, 310, 316, 425, 
428, 438 ff., 445, A54ff,, 467. 

Sanfakrieg, großer. IV. 126133. 


—* — , ‚Derzeichniß— 
130 ff. 448 


Havelberg. 1. 229. 238. 
Heidelberg. 1. 126, 282. IV. 160, 
451. 
Heilbronn. III. 86, 142, IV. 25. 
Heiligenftabt. I. 126. 
Helmitädt. I. 111. III. 123. 
Herford. (Hervorden) I. 72, 111. 
IV. 267, 469. 
Hersfeld. . 59. I. 89, 200. 
Heſſiſche Städte i. allgem. 
117. IV. 87, 88, 199 fi. 
Hildesheim. 1. 58, 128. 
Sr a.d. &. 1. 2%. Il. 247. 
— Städte. II. 8 ff.,219. 
Hörter. I. 87. 


Sngolftadt 1. 95. IV. 25. 
nnsbrud. II. 39, 122. 
öny. IV. 158, 173. 

Süterbod. 1. 120. H. 25. 


Kaflel. 1.97, 125. II. 117, 257. 
iv. 88, 199 ff. 

Kempten. I. 17, 59. ©. ſchwaͤ⸗ 
bifche freie Städte. 


IV. 


U. 


Kiel. II. 13. 
Kleve. II. 153. 

Koblenz. I. 89, 122, 132, 206. 
Il. 68, 163. IV. 37, 212. 
Kolberg. 1. 118. 138, Hl. 289, 
Kolmar, 1.85. N. 114, 221. 
III. 88, 130. W. 8. - 


Köln. Colonia Agrippina. I. 18, 
29, 113, 154, 186 ff. 202, 
2307, 246, 289, 309. H. 9, 
37, 44, 108, 129 f., 188— 
486, 234, 238—249, 250 ff., 


Regiſter. 


259 ff., 287. IN. 72. 9 — 
— 104, 234, 249, 254. IV. 
35, 96 ff, 128, 205 f., 210, 
376, 432, 478, 481, 498. 
Königsberg. 11. 175, 291. IV. 150. 
Konflanz. (Roftnip). 1. 41, 131. 


III. 249. IV. 13. 171, 250, 
389. 
Kösfeld. H. 128. 


Köslin. II. 289. 
Krefeld. IV. 433. 


Lauenburg. Il. 32. 
— ſechs Städte. IV. 139 


2, 


Leipzig. II. 23, 10, 143, 258, 
385. Il. 132. IV. gt, 450. 

see I. 126. 

Limburg a. d. Lahn. (Limpurg.) 
I. 97. ı1. 218. IH. 277. 
IV. 65. 

Lippſtadt. II. 201, 249. III. 46. 

Lübell.. I. 177, 301, 229, 248, 
272 ff., 301. 1. 16, 42, 61, 
82, 130 ff., 176, 293, 296 — 
300. ill. 7, 24, 60, 105, 129, 
133, 154, 175. IV. 118 fi 
134, 215, 243, 265, 352 ff, 
373, 427, 439, 488, 504. 
üneburg. I. 95, 134. IV. 93, 224. 
üttich. 1. 46. IV. 295. 

&uzeen. 1. 90. IV. 14, 173, 


Magbeburg. I. 65, 103, 127, 
234, 288. Il. 22, 25, 145, 
302. IH. 39, 77 ff. 136 ff, 
171, 200, 237,256 ff, 258— 
262. IV. 224 ff. 323, 337, 
391ff., 422, 458 ff, 461, 474. 

Mainz, Mogontiacum. 1.18, 31, 
54, 113, 116, 135, 191, 239, 
285, 303. ll. 48, 108, 156, 
199, 221, 228. II. 62, 265— 
273. IV. 1—4, 38, 51, 169. 
288 ff., 499. 

Mankeim.. V.: 451. 





Regiſter. 


Marbacher Bund. IV. 241. 

Marburg. II. 94, 118. 

Marienburg. Il. 212, 215. 

Marsberg. (Bresburg. )1.45, 55. 

Maſtricht. I. 

Medlenb. —* i. allgem. II. 
63. IV. 121. 

Meißen. I. 99. 11.142. III. 132. 

Memel. II. 291. 

Memmingen. H. 112. 

Mergentheim. IV. 32, 175. 

Merfeburg. I. 99. 11. 142. * 

Meg. Il. 198, 250. IV. 59,376, 
401, 405. 

Minden, I. 56. II. 226. 


Mügeln. IV. 450. 

Mühlyaufen in Thüringen. I. 
415. 11. 186. Ill. 47, 133, 
237, 247 fi, 266. IV. 38, 
49, 91, 2%, 334. | 

Mülhaufen 1. Elſaß. 1. 116. 
it. 129. 14V. 167. 311. 


München. I. 277. 11.210. II. 
140, 223, 235 ff. IV. 25, 39, 
236 


f. 
Münfter. 1.58, 208. II. P. 
125, 256. Il. 72, IV. 100. 
347 $., ATi. 


NaumburgsZeig. 1.118. II. 143. 
Neuß. 4. 19. II. 195, 304. IH. 


89. IV. 296, 432. 
Nimwegen 1. 60. I. 163. 
Norphaufen. I. 110, 471, 300, 
305. 11. 55, 75. ui. 247 f. 
266. IV. 33,50, 91, 335, 501. 
Nördlingen. 11. 212 11. 86. 
Nürnberg. I. 169, 194 ff., 231. 
Il. 54, 73, 278. All. 58, 81, 
138, 221, 247. IV. 29, 46— 
48, 59, 71-73, 165, 179, 
482, 256, 262,322, 384, 399, 
414,464, 468, 489 f., 498, 500. 


Didenburg (Aldenbyrg). I. 137. 
Olpenburg. IV. 110, 


511: 


re 1. 126. 11. 181, 282. 
ll. 92, 222. IV. 86. 

Dsnabrüd. 1. 56, 290. 11. 124. 
IV. 100, 322, 457, 470. _ 


Paderborn. I. 58. IH. 69, 74, 
277. IV. 100, 346, 449, 
Pafſſau, Castra Batava. |. 

. 53. H. 281. IV. 401. 

Pforzheim. IV. 451. 

Pyrig. Piritz) 1. 228. U. 173. 

Pommerſche Städte im allgem. 
1.141, 228 ff., 288. 111.109 ff., 
216, 242 f., 274 ff. IV. 120, 
274. 

Prag. I. 103. 11. 143, 280, 

Brenzlow. 11. 140. 

Breußifche Städte im allgem. I. 
84, 150, 290-292. Il. 212. 
IV. 149—153, 279 ff, 336, 
479, 492 ff, 497. 

Ptolemäus Städte in Germa⸗ 

nien. 1.1. 


Quedlinburg. 1. 99, 117, 234. 


Rappoltsweiler. 11. 28. 

Megensburg. Reginum. 1.16, 42, 
53, 93, 130. I. 20, 50, 75, 
159, 166, 185, 281. 111. 226, 
248. 1V.26— 29, 161 ff., 298 ff., 

, 375, 469. 

Rendsburg I. 12. 

Reutlingen. IV. 85. 

Reval. II. 81. 

Rheinifcher Städtebund. 11.196 ff, 
205, 213—224, 276. II. 130, 
143, 263. IV. 38, 158, 168, 
183. 

Rheinfelden. II. 112, IV. 8. 

Riga. II. 15, 62. 

Römiice Städte in Germanien 
insgemein. 1.13—21, 25. ©. 
die wichtigen unter ihren 


Ram 
—** "297. m. 52, 109 


17, 


512 


205-211. IV.121,219 ff, 469, 
496 f. 
Rotenburg a.d.T. I. 171, 305. 


it. 61, 221, 247. N. 30, 
48, 87, 188, 231, 329, 463, 
483, 498. 

Saalfeld. I. 106. I. 27. 


Sächſiſche Städte im allgem. I. 
80, 106, 181, 233. Il. 202, 
IV. 374, 449. 

Salzwedel. I. 206, 233. 11.287. 

St. Ballen. 1. 39. IV. 8. 

Schaffhauſen. I. 199. 11. 214. 
III. 263. IV. 8, 311. 

Schlefiſche Städte im allgem. 
IL. 143 ff., 152 ff., 282 ff. 
IV. 144—148, 457. 

estennig, (Hedaby.) 1. 103. 


Sälettftadt. I. 60. 
Schwäbifche freie Stäbte im alk 
em. II. 111, 135, 161. IL 
‚63 ff, 86. IV. 17, 24, 43, 
52, 6063, 69, 80 ff., 84, 
157 fi, 178 fi, 259, 297, 
328, 437, 501. 

Schweinfurt. I. 126. II. 216. III. 
61, 154. ©. fränkifche Städte. 
Iv. 250, 407. 

Schwerin. 1. 296. 

Siebenbürgifche Städte. II. 150. 

Siegen. II. 88. 

Soeſt. I. 87, 111, 172, 215, 
131 f., 170, 200, 252 ff. 
266. IM. 11, 21, 73, 165, 
219, 276. IV. 36, 99, 106, 
196, 203 f., 270 ff., 342, 
434,448, 479. 492, 496, 504. 

Speier. Nemetes. I. 18, 36, 171, 
204, 231. IH. 40. 111. 67, 
163, 185, 194, 228, 267. IV. 
4-7, 403. 

Stade. 1. 176, 206. 

Städtefrieg, erſter. iv. 82. Gro⸗ 
ßer. 177-189. Letzter 262. 


Negiſter. 


S. ſchwäbiſche freie Städte u. 
Rheiniſcher Städtebund. 
Stendal. J. 249. 


Stettin. J. 228, 249. II. 173. 
IV. 248. 
Stralfund. I. 86. III. 230 ff. 


iv. 120, 133, 218, 221, 275, 
439, 455, 456. 

Straßburg. Argentoratum. I. 20, 
37, 145. 11.49, 6T, 92, 169, 
268, 276. II. 179, 183, 229 
—232, 254. IV. 9—12, 44, 
52, 56-58, 65, 84, 167, 
185, 191, 381, 402, 414, 419, 
466, 476 ff. 

Stutigart. II. 85. 

Tangermünde. 1. 206. IV. 135. 

Thorn. II 84. IV. 489, 

Thüringifche Städte im allgem. 


1. 115. 11. 55 fi, 186. II. 
112, 132 ff, 167 ff, 199, 
265 ff. IV. 32, 89. 


Torgau. II. 22. 
Treuenbrietzen. IV. 45. 
Trier. Treviris. 1. 20, 33, 121, 


237, 283. I. 49. II 151, 
162, 181. IV. 37, 210—212, 
423, 431. 

Ulm. I. 91, 126, 191, 232, 244. 
11. 183. I. 118, 155 ff, 
248. IV. 18-24, 85, 174, 
180, 390 

ntrechi. (Wiltaburg). 1.46, 226. 

Berden I. 57. 

Billa. I. 200. 


Bineta. (Sulin). I. 139. 


Warburg. IM. 277. IV. 321. 
[Kron⸗] Weißenburg. IL 115. 
VI. 334, 403. 
Wendifche Seeſtädte. III. 201, 
202. I. 117, 129, 214 |. 
S. Hanfabund und Lübed. 


Regifter. 


MWentifche Städte (Lauſitz) aͤlteſte. 
I. 118, 120. 11. 142, 281. 
III. 169. 

Weſel. 11.153. III. 180. IV. 212. 

Meftfalens ältefte Orte. I. 45. 

Weſtfaͤliſche Städte im allgem. 


I. 60, 201 ff., 217. 111. 146, 
iv. 98 ff., 105, 194, 


263: 
202, 451 f. 


MWetterauifche Städte im allgem. 


11. 101, 200. IV. 159. 
Meplar. I. 307. IE. 90. (©. 
etterau). IV. 78, 200, 202. 
Wien. (Faviana). I. 62, 264, 
280. II 61, 119 f., 279. 
IN. 31,.64, 123, 186. MW. 
153—156, 257, 281 ff. 
Wienerifch-Neuftadt. il. 39. 
Windsheim. III. 141. ©. fräns 
kiſche Staͤdte. 
Wisby. II. 12. IV. 127, 222, 
223. 
Wismar. 1.297. III. 204, 206. 
IV. 219 ff. 


513 


Wittenberg. IT. 22. 
Molfenbüttel. I. 298. (235.) 
MWollin. I. 228. 

Worms. Borbetomagus. I. 20, 
35, 60, 113, 116, 151 fi, 
183 f., 204, 210, 283. II. 
36, 95 ff., 155, 197, 212, 
224, 234. III. 13, 16. W. 44, 
294, Großer Reichetag. 308, 
314, 320, 477. 

Wunfſiedel. m. 247. 

Würzburg. I. 44, 52, 131, 271. 
ll. 231, 276. IM. 250. IV. 49, 
232 f., 330, 434, 462. 


Mern. I. 223. 


Selle. I. 59. 

Sittau. II. 142, 280. 
IV. 139-—144. 

Züri. I. 96, 259. 11. 76, 184, 
215, 274. IV. 14—16, 53, 
54, 172, 259, 340, 

Zwickau. II, 28, 256. 


III. 170. 





Drum von 3 


J. B. Hirſchfeld in Leipzig. 


a 


= ” ” “ 4 ” v v “ % — » [ 1 “ 


a 


Druckfehler und Berichtigungen. 


Theil J. 


.14 1. Herren. 


‚3 einzuſchalt. Frankenberg. 
221. Wyk te Duurſtede. 
141. 836. 

171. Laten, Zinepflichtige. 

241. Patroklus. 

141, ripuariſchen. 
81.11. Jahrh. 
71. Aſien und unſerem. 
51. und der Handelsort. 
241. Ranen. 
111. über die. 
21. Limburg. 
1 1. jenem, 
241. Iſar aus, 
291. Wene. 


Theil II. 


. 221. Burhöpden. 


17T aud). 
12 Srantenberg. 
171.1197. 
291. alle Bürger. 
3 „Tübingen“ zu flreichen. 
25 1. umgeichaffen. 
16 1. der feften. 
13 St. Patroklusſtift zu 
ftreichen. 
18 1. Spreezoll. Pi 
71. Binften. 
13 1, Overſtolz, 3. 
Gyre. 
9 1. Vornehmen, des Kindes. 


18.1, 


Tbheil III. 


© 1 1n der Kapitelüderfchrift 1. 13. 
Jahrh. 
.e 838. 71. Eiſenachs. 
s 9. GT. Lauingen. 
» 29 » 51. Leibes. 
s» 29 » 151.2.9. 
» 45» 11. oder zwei. 
» 48 » 281, weit. 
.» 7% ⸗ 151. Reine. 
» 142 « 161. feiner. 
oe 203 +» 301, Werke. 
e 312 » 1915. Frauenburg. 
. 233 » 31. Kalsmund. 
Theil IV. 
S. 1 in der Ucberfhrift des Buches 
I. zur Abfegung 8. 
Wenzels. 
» 18.161. Erzbiſchof. 
» 118 » 151. dem Geſchlechte Chri⸗ 
ftophers, 
131 + 141. Lemgo. 
131 » 161. Attendorn. 
131 » 17 Arnsberg zu freien. 
144 » 261. Seinrid VI. 


[ey u u u u vu zu 


340 in der Rapitelüberfär. 1.1495. 
321 3. 91. Warburg. 


376 
387 
391 


398 


111. Paraiges. 
16T, entzogen. 
6 einzufhalten „das Alte’ 
wiederbergeftellt. 
28 1. Interim. 


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