HANDBOUND
AT THE
UNTVERSITY OF
"2
GESCHICHTE
DER
DEUTSCHEN SPRACHE
VON
JACOB GRIMM.
ERSTER BAND.
VIERTE AUFLAGE.
#'
LEIPZIG
VERLAG VON S. HIRZEL.
1880.
Druck von Hundertstund & Pries in Leipzig.
AN GERVINÜS.
Auszer unsrer landsmannscliaft , auf die ich immer noch ein
gutes stück gebe, die ich jetzt sogar enger geschürzt wünsche, hat
in vielen dingen gemeinsame forschung und Sinnesart, zu Göttingen
gleiches Schicksal uns verbunden, seit Reinhart Fuchs nahmen Sie
an meinen arbeiten beständig theil und hielten da3 streben alles
ernstes in unsre spräche, sage und geschichte zu dringen für ein
unmittelbar der gegenwärtigen und künftigen zeit zu gute kommendes
unaufschiebbares geschäft.
Das buch, mit dessen Zueignung, wie niemand als Ihre liebe
frau weisz, ich mich schon lange umtrug, war gerade fertig, als die
Verhängnisse dieses jahrs herein brachen, die mich, wären sie vor
dem druck eingetroffen, bewogen haben würden damit ganz zurück-
zuhalten; jetzt habe ich Ihnen anderes auszusprechen als was mir
sonst angelegen hätte, und den etwas übermütigen ton meiner doch
mit einer düsteren ahnung schlieszenden vorrede musz ich herab-
stimmen. denn es kann kommen, dasz nun lange zeit diese Studien
danieder liegen, bevor das wühlende öffentliche geräusch ihnen wie-
der räum gestatten wird; sie müssen uns dann wie ein edler und
milder träum hinter uns stehender Jugend gemuten, wenn ans ohr
der wachenden ein roher wahn schlägt, alle unsere geschichte von
Arminius an sei als unnütz der Vergessenheit zu übergeben und blosz
am eingebildeten recht der kurzen spanne unserer zeit mit dem hef-
tigsten ansprach zu hängen, solcher gesinnung ist im höchsten grade
einerlei, ob Geten und Gothen jemals gewesen seien, ob Luther in
Deutschland eine feste macht des glaubens angefacht oder vor hun-
dert Jahren Friedrich der grosze Preuszen erhoben habe, das sie mit
allen mittein erniedrigen möchten, da doch unsrer stärke hofnung
auf ihm ruht, gleichviel, ob sie fortan Deutsche heiszen oder Polen
und Franzosen, gelüstet diese selbstsüchtigen nach dem bodenlosen
meer einer allgemeinheit, das alle länder überfluten soll.
Wie verschieden davon war Ihre von jeher politische, aber für
die herlichkeit des lebendigen Vaterlandes streitende richtung. Ihre
geschichte der poesie legt immer den maszstab an die dichter, ob
sie es auferbaut und des volks geistigen fortschritt in der seele em-
pfunden und gepflegt haben, sogar für die thierfabel geht das sitt-
liche beispiel oder auch die satire Ihnen über das weichere epische
leben, wobei ich doch beherzigte, dasz es im gegensatz zum offenen
bekenntnis, auch eine stille, alles epimythiums entrathende förderung
des volks gibt, und einige Ihrer urtheile über Göthe schienen mir
ungerecht, in dessen Jugend und blute kein deutscher aufschwung fiel,
dessen alter die politik müde sein muste, und der doch so gesungen hat,
dasz ohne ihn wir uns nicht einmal recht als Deutsche fühlen könnten,
so stark ist diese heimliche gewalt vaterländischer spräche und dichtung.
Jetzt haben wir das politische im überschwank, und während
von des volks freiheit, die nichts mehr hindern kann, die vögel auf
dem dach zwitschern, seiner heiszersehnten uns allein macht verleihen-
den einheit kaum den schatten, o dasz sie bald nahe und nimmer
von uns weiche.
In wie ungelegner zeit nun mein buch erscheine, das vom vor-
gesteckten ziel sich nicht abwandte, ist es doch, wer aus seinem inhalt
aufgäbe und gefahr des Vaterlandes ermessen will, durch und durch
politisch, es lehrt, dasz unser volk nach dem abgeschüttelten joch
der Römer seinen namen und seine frische freiheit zu den Romanen
in Gallien, Italien, Spanien und Britannien getragen, mit seiner vollen
kraft allein den sieg des christenthums entschieden und sich als un-
durchbrechlichen dämm gegen die ungestüm nachrückenden Slaven in
Europas mitte aufgestellt hat. Von ihm zumal gelenkt wurden die
Schicksale des ganzen mittelalters, aber welche höhe der macht wäre
ihm beschieden gewesen, hätten Franken, Burgunden, Langobarden und
Westgothen gleich den Angelsachsen ihre angestammte spräche behauptet.
Mit deren aufgeben giengen sie uns und groszentheils sich selbst
verloren; Lothringen, Elsasz, die Schweiz, Belgien und Holland sind
unserm reich, wir sagen noch nicht unwiderbringlich entfremdet, viel
zäher auf ihre muttersprache hielten die Slaven und darum kann uns
heute ein übermütiger slavismus bedrohen; in unserer innersten art
lag je etwas nachgibiges, der ausländischen sitte sich anschmiegendes,
sollen wir von dem fehler bis zuletzt nicht genesen?
Der sich zunächst dem forscher in der spräche enthüllende grund-
satz, dasz zwischen groszen und waltenden Völkern (neben welchen
es jederzeit unterwürfige und bewältigte gab) auf die dauer allein sie
scheide, und anders redende nicht erobert werden sollen, scheint end-
lich die weit zu durchdringen, aber auch die innern glieder eines
volks müssen nach dialect und mundart zusammentreten oder geson-
dert bleiben; in unserm widernatürlich gespaltnen Vaterland kann
dies kein fernes, nur ein nahes, keinen zwist, sondern ruhe und frie-
den bringendes ereignis sein, das unsre zeit, wenn irgend eine andere
mit leichter hand heranzuführen berufen ist. Dann mag was unbe-
fugte theilung der fürsten, die ihre leute gleich fahrender habe zu
vererben wähnten, zersplitterte wieder verwachsen, und aus vier
stücken ein neues Thüringen, aus zwei hälften ein starkes Hessen
erblühen, jeder stamm aber, dessen ehre die geschichte uns vorhält,
dem groszen Deutschland freudige opfer bringen.
Mein blick sucht in lichte zukunft einzudringen, wenn auch noch
über uns schwer ein wölken bedekter himmel steht, und nur am säum
der berge die helle vorbricht, vielleicht, bevor einige menschenalter
vergangen sind, werden sich nur drei europäische Völker in die her-
schaft theilen : Romanen, Germanen, Slaven. Und wie aus der letzten
feindschaft zwischen Schweden und Dänen der schlummernde trieb
ihres engen Verbandes erwacht ist, wird auch unser gegenwärtiger
hader mit den Scandinaven sich umwandeln zu brüderlichem bunde
zwischen uns und ihnen, welchen der spräche gemeinschaft laut be-
gehrt, wie sollte dann, wenn der grosze verein sich binnenmarken
setzt, die streitige halbinsel nicht ganz zum festen lande geschlagen
werden, was geschichte, natur und läge fordert, wie sollten nicht die
Juten zum alten anschlusz an Angeln und Sachsen, die Dänen zu
dem an Gothen wiederkehren? sobald Deutschland sich umgestaltet
kann Dänemark unmöglich wie vorher bestehn.
Frankfurt 11. juni 1848.
JACOB GEIMM.
VORREDE ZUR ERSTEN AUFLAGE.
So hat es mich denn betroffen, wie Adelung (dem ich fast nie
nacheiferte) gegen seines lebens ende eine geschichte der deutschen
spräche abfaszte, dasz auch ich meine grammatik feiern lassend vor
dem beginn des angekündigten Wörterbuchs ein solches werk, frei-
lich in anderm sinn aufgenommen und ausgeführt an das licht gebe.
Als ich in unsrer academie über den bei neueren Schriftstellern ohne
hinreichenden grund verworfnen namen Jornandes zu lesen unter-
nahm und mir fast alle blätter dieses geschichtschreibers seine an-
sieht von Gothen und Geten vor das äuge führten, lag es nahe ein-
mal darauf einzugehn. Es gibt alte durch die historische critik in
acht und bann gethane meidungen, deren untilgbarer grund sich
immer wieder luft macht, wie man sagt dasz versunkne schätze nach-
blühen und von zeit zu zeit im schosz der erde aufwärts rücken, da-
mit sie endlich noch gehoben werden, seine hand davon ab lasse wer
der lösenden worte unkundig ist. Mir begann einzuleuchten, wenn
die namens form Jornandes durch sich selbst, dem beglaubigten Jor-
danes der handschriften zum trotz haltbar bleibe, müsse noch vielmehr
die innere Wahrscheinlichkeit des geleugneten Zusammenhangs unserer
Gothen mit älteren Geten über lähmende zweifei siegen und gegen den
sie uns eine weile lang verleidenden machtspruch aufrecht bestehn.
Bald aber regte sich lust in mir die flüchtig niedergeschriebne und
schon lebhaft angefochtne abhandlung (obgleich sie noch nicht einmal
ausgegeben, vorläufig nur an freunde und bekannte vertheilt ist) zu
einem bedächtigen buch umzuarbeiten, in welchem die geschichte aller
deutschen Völker, nicht blosz der Gothen, tiefer als es bisher geschah
getränkt werden sollte aus dem quell unsrer spräche, den zwar die
historiker als ausstattung ihres gartens gelten lassen, dem sie doch
kaum zutreten um die lippe daran zu netzen.
Jede Wissenschaft hat ihre natürlichen grenzen, die aber selten
dem äuge so einfach vorliegen, wie das Stromgebiet des bachs, in des-
VIII VORREDE
sen mitte nach unsern weisthtimern ein schneidendes schwert gesteckt
wird, damit das wasser zu beiden Seiten abfliesze. willige forscher
sollen also den verschlungenen pfaden folgen und bald leichteres bald
schwereres geschühe anlegen, um sie betreten zu können. Wer nichts
wagt gewinnt nichts und man darf mitten unter dem greifen nach der
neuen frucht auch den mut des fehlens haben, aus dem dunkel bricht
das licht hervor und der vorschreitende tag pflegt sich auf seine zehen
zu stellen, von der groszen heerstrasze abwärts liebe ich es durch
enge kornf eider zu wandeln und ein verkroch enes wiesenblümchen zu
brechen, nach dem andere sich nicht niederbücken würden.
Wage ich nun allzuviel? meine gleichsetzung der Gothen und
Geten war an sich nicht kühner, als dasz ich in unserm hielt die
gothische reduplication haihald, oder in dem Wunsch der dichter des
dreizehnten Jahrhunderts den heidnischen Wuotan wieder erkannt
habe, und weite folgerungen greifen aus dem einen wie dem andern,
jene reduplication erzeigt sich als zweite stufe und Wiedergeburt einer
grammatischen form, sie läszt eine ältere ihr vorangegangne, den
lateinischen und griechischen reduplicierenden Wörtern entsprechende
ahnen, barg sich aber deutliche spur des heidenthums, nachdem es
schon lange getilgt war, unerkannt noch in der poesie einer späteren
zeit, so musz es früher breite, ja allgemeine wurzel geschlagen haben.
Nicht anders scheint der Gothen volksname aufzugehn in den der
Geten und damit plötzlich unsrer geschichte ein reicher hintergrund
eröfnet, der uns die abkunft der Deutschen aus dem osten anschau-
licher als es sonst geschah gewahren läszt.
Die bisher geltende ansieht kann sich nicht entbinden davon,
dasz Geten und Daken bei den Römern als ungermanisch erscheinen,
sie erblickt in der seit dem vierten Jahrhundert vorbrechenden ver-
mengung der Geten und Gothen bloszen irthum und in der namen
ähnlichkeit höchstens spiel des Zufalls. Nothwendigen Zusammenhang
zwischen Geten und Germanen, wie sie bereits Strabo, Plinius, Tacitus
darstellen, erweisen aber bedeutsam die Bastarnen, Peukinen und
Lygier, vielleicht auch Roxolanen; jener irthum nähert sich einer
historischen Wahrheit, jenes ähnliche wird zum grammatisch gleichen.
Wie mag hierwider der einwand bestehn, dasz kein fortgang sei
von gebildeten Geten zu wilden Teutonen, zu wandernden Sueven, von
halbchristlichen Gothen zu rohen Scandinaven ? auch nicht ein einziges
dieser beiwörter als bezeichnung eines wirklichen unterscheidenden um-
standes lasse ich mir gefallen. Für der Geten Wildheit hat Ovid nicht
ausdrücke genug zu einer zeit, wo die Römer schon mehr als einen
maszstab ansetzen konnten an die barbarei, aber auch vorragende tu-
gend der Germanen, will denn immer der wahn nicht schwinden von
der roheit eines volks, dessen spräche uns vollendeter scheinen musz
als die seiner nachkommen und welchem sattsame Zeugnisse altherge-
brachten glauben und bestbewahrte einrichtungen beizulegen gestatten
wie nöthigen? was für einen sinn überhaupt haben soll die aus ihrer
Sprache unwiderlegbar hervorgehende abkunft indogermanischer stamme,
VORREDE IX
sobald wir den auszöglingen nicht auch anhaltende, wenn schon ge-
schwächte theilnahme an der cultur und sittigung ihrer heimat einräu-
men? Die sicher schon vor ihrer bekehrung für alles menschlich bil-
dende empfänglichen Gothen erst von der Weichsel und Ostsee herzu-
leiten fruchtet gar nichts, indem es nur die frage zurückschiebt, von
wannen und zu welcher zeit sie in jene gegenden vorgedrungen seien?
musz eine antwort darauf doch wieder nach dem osten hinweisen, so
gelangt man unvermeidlich zu dem standpunct, welchem ausgewichen
werden sollte und die wege werden sich dennoch berühren mit denen,
die einfach von Geten zu Gothen führen, war nun die wilde natur in
den Geten unbändig wie in Teutonen und Scandinaven, der Wandertrieb
nicht unmächtiger in Sueven als in Gothen oder jedem andern deutschen
volk ; so sehe ich gar keine Ursache die erfolge der Untersuchung von
ganz allgemeinen und im gründe nichts sagenden einwürfen abhängig
zu machen, mir wiegt ein kleiner fund, und sei dessen beweiskraft
noch so geringfügig, fern vorüberziehende wölken solcher zweifei auf.
Waitz hält mir vor, der Geten deutsche abstammung sei neu-
lich erst von Wirth und fast mit bessern gründen behauptet wor-
den, ich kann mich des Zusammentreffens mit jedem unabhängigen
forscher nur erfreuen, bin aber gerade durch jenen ausspruch zu
dem Vorsatz bewogen worden, das wirthische buch jetzt noch unge-
lesen zu lassen, um meiner ansieht ihren vollen freien lauf zu bewahren.
Das gelehrteste was, meines er achtens, gegen diese bis jetzt vor-
gebracht worden ist, findet sich, wo man es gar nicht suchen sollte,
in Cassels magyarischen alterthümern, deren Verfasser auch die schöne
entdeckung gemacht hat, dasz Jornandes bischof von Croton war. er
glaubt groszes gewicht legen zu müssen auf die stellen des Stephanus
von Byzanz, welcher ich cap. XXX gedenke, über diesen schrift-
steiler haben wir aber nunmehr den belehrenden Untersuchungen
Meinekes entgegenzusehn, der so viel ich weisz, ihn bereits in das
dritte Jahrhundert zu versetzen, jedoch in allem was uns von seinem
werke übrig bleibt verschiedenartige einschaltungen, nicht allein von
Hermolaus zu Justinians zeit, sondern noch viel spätere anzunehmen
geneigt ist. dem gewicht der stellen des Stephanus wird also auf der
einen seite zugefügt, auf der andern dürfen abgezogen werden.
Einiges von dem, was ich von Cassels Untersuchungen glaube in meinen
vortheil verwenden zu können, musz ich hier unerwogen lassen. Über
Krito (s. 816) ist eine glosse zu Lucians Icaromenippus cap. 16 (ed.
bipont. 7, 25) einzusehn, welche ihn nach Trajan zu setzen zwingt
und der angeblichen Vernichtung der Geten bis auf vierzig männer
unter diesem kaiser fast wie Eutropius (s. 181) gedenkt.
Ich habe auch über andere Völker des deutschen alterthums an-
sichten aufgestellt, die keinen geringern anstosz geben werden als die
behauptete gleichheit der Geten und Gothen. dahin rechne ich die
mir glaublich gewordne herleitung des namens der Franken aus der
waffe und der Sueven aus der slavischen spräche, die angenommne
Verwandtschaft zwischen Lygiern und ßurgunden, Mattiakern und Nas-
X VORREDE
sauern, Einlösen und Jtiten, welche letztere in unsrer gegenwart leb-
haften einsprueh dänischer gelehrten hervorrufen wird, die mir, was
sie auch davon denken, doch die gerechtigkeit widerfahren lassen müs-
sen, dasz ich das alterthum und den rühm ihres volks nicht herabzu-
setzen, sondern zu erhöhen gestrebt habe, indem ich ihn mit dem aller
übrigen Deutschen enger als bisher geschehn ist zu verknüpfen trachte.
Die älteste geschichte der Deutschen und Slaven, deren geschicke
sich von jeher eng berührten, ist durch zwei gleichzeitig erschienene
werke wahrhaft bereichert und, wie niemand verkennen kann, frucht-
bar gefördert worden. Bei Zeusz verdient die fast vollständige, rein-
liche und kritische quellenangabe uneingeschränktestes lob und man
lernt aus dem buche, wo man es nur aufschlägt; eine neue ausgäbe
würde zeigen dasz dem der schon viel hat immer noch mehr ver-
liehen wird, weil reichthum dahin flieszt, wo schon alle behalte r offen
stehn ihn in sich aufzunehmen, mir scheint der gehandhabte unter-
schied zwischen alterthum der Völker und ihrer Umgestaltung auf die
klarheit der dadurch zerrissenen Verhältnisse ungünstig einzuflieszen ;
schon das frühste alterthum war umgestaltend und die Umgestaltungen
sind meistentheils auch alt. für Ptolemäus, dessen angaben ihren
groszen werth behalten und noch zu wichtigen entdeckungen leiten
werden, aber aus der lebendigen geschichte der Völker nicht entsprungen
sind [Haupt 7, 384. 9, 231. 232], hegt der Verfasser all zu starke
Vorliebe. Schafariks gelehrte und scharfsinnige arbeit tritt ihrer rich-
tung nach der meinigen völlig entgegen, insofern er die seither fast
allgemein zugestandne identität der Sarmaten und Slaven leugnen
will, ich die geleugnete der Geten und Gothen wieder zu gestehe, mir
sind die Sarmaten so wenig auf dem boden verschwunden als die
Geten, Markomannen, Lygier, Chauken und Cherusker, während ich
das Verhältnis zwischen Germanen und Thrakern in der geschichte
wieder anzufachen strebe, folgt der belesene Böhme dem geleise unserer
historiker und sucht, wie diese den deutschen stamm von allen andern
absondern und beinahe als einen autochthonischen aufstellen, auch
den slavischen von uralter zeit an eigenmächtig und ungemischt zu
schildern, wider alle Verwandtschaft der Litthauer mit Thraken und
Geten drückt er sich aufs stärkste aus*; doch seltsam erdacht kann
es nicht heiszen, wenn wir in der geringen zahl überlieferter dakischer
Wörter gleich einem zur litthauischen spräche entschieden stimmenden
begegnen, also die zwischen litthauischer und deutscher zunge, ander-
wärts noch mehr die zwischen slavischer und deutscher waltende be-
rührung schon im hohen alterthum zwischen Sarmaten und Geten auf
dem bisher dunkeln thrakischen gebiet mannigfach bestätigt sehn,
dasz sarmatische an medische Wörter gemahnen darf nicht verwundern.
Ukerts Schriften über Germanien und Skythien sammeln dankens-
* s. 363: nechtjce sem tahati nektere diwcke w)'myslky a sny starsjch
cmarykafüw powozugjcich Litwany gindy od Getuw a Thraküw. [Scha-
farik stellt die Äsen den Alanen gleich und hält das asische für ein un-
deutsches medisches element.l
VORREDE XI
werthen stof, nur dasz ihnen meistentheils die kunst critischer Schei-
dung und fast aller leim schöpferischer combination entgeht.
Keltische etymologie wird in unsern tagen wieder mit neuer Vor-
liebe getrieben, aber von jeher folgt ihr das unheil, dasz bei der
ungemeinen leichtigkeit der Zusammensetzungen und des consonant-
wechsels in diesen sprachen die forscher auf gefährliche abwege ver-
leitet werden und nachdem sie sich eben mühsam glauben bereitet
hatten, alsobald ihn neuerdings verscherzen; dies sei weniger gesagt
gegen Leo, dessen dreiste auslegung der malbergischen glosse mich
hin und her bewegt hatte, als gegen Hermann Müller, der begabt schien
in die Verhältnisse unsrer vorzeit einzudringen, allein durch maszlose,
ungeregelte wortdeutungen (während die von Leo wolthätig sich eine
regel bildeten) und was daraus nun gefolgert wird seine gäbe selbst
zu gründe richtet, sogar vorsichtige prüfer unsers alterthums, wie
Heinrich Schreiber, können sich der keltischen einwirkungen nicht er-
wehren und lassen ohne scheu dem einheimischen das fremde über-
wiegen.
Sprachforschung der ich anhänge und von der ich ausgehe, hat
mich doch nie in der weise befriedigen können, dasz ich nicht immer
gern von den Wörtern zu den Sachen gelangt wäre; ich wollte nicht
blosz häuser bauen sondern auch darin wohnen, mir kam es ver-
suchenswerth vor, ob nicht der geschichte unsers volks das bett von
der spräche her stärker aufgeschüttelt werden könnte, und wie bei
etymologien manchmal laienkenntnis fruchtet, umgekehrt auch die
geschichte aus dem unschuldigeren standpunct der spräche gewinn
entnehmen sollte.
Wol empfinde ich, dasz das buch, weil es meiner angewöhnung
nach, vor dem anheben des drucks nur begonnen, nicht vollendet
war, hin und wieder an seinem ebenmasz eingebüszt hat, namentlich
ist das neunzehnte capitel keineswegs mit der ausführlichkeit behan-
delt, die ich ihm hätte angedeihen lassen, wäre ich nicht damals
darauf bedacht gewesen mir engere grenzen abzustecken, im verlauf
schöpfte die arbeit hernach wieder freieren athem.
Bedarf nächstdem noch etwas anderes ausdrücklicher entschul-
digung so ist es das wagnis deutsche und europäische völkernamen
geradezu nicht allein mit skythischen, sondern auch tiefasiatischen zu
verbinden, zwar mag ein solcher Zusammenhang an sich unverwerf-
lich scheinen; man wird ihn weder für bewiesen, noch einmal für
glaubhaft halten, so lange nicht eine kette von mittelgliedern auf-
gefunden ist, deren ringe jetzt noch einzeln und lückenhaft vortreten,
es pflegt eine enge gemeinschaft aller indogermanischen sprachen bis
in eine grosze zahl von wurzeln und gestalten der Wörter zugestan-
den zu sein ; ich sehe keinen grund volksnamen von dieser reihe aus-
zuschlieszen und nicht auch ihnen uralte und zähe Überlieferung zu-
zutrauen. Gewis aber habe ich vielfach unterlassen manches von dem
geltend zu machen, was schon gegenwärtig diese vergleichungen ins
licht zu setzen geeignet ist. Dürfen die asiatischen Massagetae und
XII VORREDE
Dahae den thrakischen Geten und Daken an die seite gestellt wer-
den, wer wollte vor einer gemeinschaft der Sacae und Tectosagen
(in welchem namen selbst Dacosacae anklingen könnte) erschrecken?
Gedrosien, 2Jaxzuyvdoa würden mahnen an die thrakischen Gaudae,
in welchen wir nordische Gautar, wie in den Saken Sachsen, in den
Daken Dänen wiederfinden, es kommt doch der Daken und Dänen
namensgleichheit seltsam zu statten, dasz die indischen Asuren nach
ihrer Stammutter Danu Dänavas heiszen (s. 734), Danu aber tochter
des Dakschus ist (Bopps gloss. 167a), hier also beide formen wiederum
nebeneinander stehn. Die geschichte der Skythen kann noch manchen
hier einschlagenden räthseln gewachsen sein; hat nicht der name
Xvsy%iXQayx in Lucians Alexander auffallend deutsches ansehn? [s.
Varianten in Bekkers ausg. 2, 88.]
Do.ch ich darf nicht auf gegenstände zurückkommen, die im
buche selbst mehrmals angeregt, lange nicht erschöpft wurden, es
mag manchem zweifelhaft erscheinen, ob sie in diese geschichte über-
haupt gehören, deren begrif gleich wol von mir nirgend so einge-
schränkt worden ist, dasz ich jenen weiten gesichtspunct von ihr aus-
zuschlieszen brauchte, man kann sich von dreien aus eine geschichte
der deutschen spräche behandelt denken.
Im engsten sinn wäre sie nur auf das, was wir heute in Deutsch-
land herschende spräche nennen, auf die hochdeutsche angewiesen,
deren gegenwärtige erscheinungen sie nicht nur vollständig zur schau
bringen, sondern auch, soweit die quellen reichen, aus allen frühern
grundlagen erläutern würde, solch eine noch lange nicht einmal
angemessen begonnene, geschweige gelöste arbeit könnte nicht anders
als zu bedeutenden ergebnissen führen, welchen sogar die enggesteckte,
darum leichter zu erfüllende schranke zu statten käme. Es war längst
mein vorsatz, die regel neuhochdeutscher, d. h. der ganz in unsre
gegenwart gerückten deutschen spräche vollständig und überall auf
die geschichte gestützt hinzustellen, ich weisz aber nicht, ob es mir
vergönnt sein wird hand an ein werk zu legen, das, wenn es ge-
länge, einer reinlich und scharf umrissenen Zeichnung grau in grau
sich vergleichen könnte.
Höhere färbung empfangen würde eine geschichte der deutschen
spräche, welche diesen ausdruck in seiner allgemein umfassenden be-
deutung genommen, deren wir bedürfen, auf alle einzelnen zweige
des groszen stamms gerichtet wäre und sich dadurch hellere lichter,
so wie stärkere schatten zu wege bringen könnte, aus der wechsel-
seitigen Zuneigung oder dem abstand dieser deutschen sprachen müste
ein lebendiges gemählde entspringen, das in streng entworfnen und
günstig beleuchteten gestalten jedes Verhältnis unserer sprachver-
astung überschauen liesze. nach solcher richtung hin ist meine gram-
matik ausgearbeitet, welche den übergroszen reichthum zu bewältigen
angefangen hat, aber ihr ziel, je mehr sie ihm auch zu nahen wähnt,
immer noch in ungemessene weite sich entrückt wahrnimmt.
Wie nicht Sicherheit, allein fülle und gewicht der Sprachgesetze
VORREDE XIII
durch aufnähme aller mundarten und dialecte in den kreis der Unter-
suchung sich steigern, musz es diese noch in höherm grade fördern,
wenn auch die sprachen der uns benachbarten und urverwandten
Völker zugezogen werden, erst damit erlangt jenes bild, in welchem
uns sämtliche deutsche sprachen die vordere bühne einnehmen, seinen
grund für die in der tiefe aufgestellten ausländischen und eine rechte
perspective thut sich unsern blicken auf. von solchem stand aus habe
ich mich nicht enthalten können diesmal die geschichte unserer spräche
zu unternehmen, und ihr wenigstens eine reihe von wechselnden aus-
sichten zu eröfnen, im bessern fall haltepuncte zu gewinnen, an wel-
chen fortgesetzte Untersuchungen haften und indem sie auswüchsiges
wieder abstreifen aller wahren fortschritte sich bemächtigen können.
Es scheint mir insgemein eine löbliche eigenschaft deutscher arbeiten,
dasz sie nicht alles abthun noch vorschnell zu Schlüsse bringen wollen,
sondern sich auch unterwegs gefallen, an unvorhergesehner stelle
niederlassen und beete anlegen, die noch fortgrünen nachdem das
hauptfeld schon in rüstigere hände übergegangen ist; französische
und selbst englische bücher, welchen an sorgsamer ausgleichung des
inhalts mit der form allzuviel liegt, pflegen, wenn sie veralten, leicht
entbehrlich zu werden.
Ich arbeite zwar mit ungeschwächter innerer lust, aber ganz
einsam, und vernehme weder beifall noch tadel sogar von denen die
mir am nächsten stehend mich am sichersten beurtheilen können.
ist das nicht ein drohendes zeichen des Stillstands oder gar der ab-
nähme gemeinsam sonst froh gepflogner forschungen, für die fast
kein ende abzusehen schien? was ich zujüngst in der deutschen gram-
matik geleistet habe und der gröszten erweiterung allenthalben fähig
wäre, ist nur lässig und kalt aufgenommen und von keinem fort ge-
führt worden; darum versuche ich in vorliegendem werk schwierige
hauptstücke dieses fachs, wie sie mir bei wiederholtem nachsinnen
sich gestalten, neuerdings auf die bahn zu bringen, mein capitel
XXXV lehrt augenscheinlich, dasz man bei den Wörtern auch ohne
die Sachen nicht abkomme.
Berlin 7. merz 1848.
ZUR ZWEITEN AUFLAGE.
Während ich bis an die schultern ins deutsche Wörterbuch ver-
graben bin, und davon nicht ablassen darf, wurde mir eine neue
ausgäbe der geschichte der deutschen spräche angetragen, mit un-
geschwächter, ich kann sagen mit ge wachsner lust am gegenständ
würde ich, hätte ich freie hand, bestrebt gewesen sein, sowol die
fehler und mängel des rasch geschriebenen, aber stets in den äugen
behaltenen buches zu tilgen, als es auch mancher wesentlichen er-
weiterung theilhaft zu machen, jetzt aber war kein anderer rath,
als dieser für mich kaum wiederkehrenden gunst lohnender Um-
arbeitung zu entsagen, und das werk nun in seiner vorigen gestalt
nochmals sein heil versuchen zu lassen, es steht also alles wie es
stand, selbst die in bewegtester zeit abgefaszte vorrede und Zueig-
nung sind unangerührt geblieben, weil es mir unwürdig scheint, nach
fehl geschlagenen edlen hofnungen die gesinnung zu verleugnen, mit
der ich ihnen damals angehangen habe.
Berlin 16. September 1853.
Die dritte aufläge enthält eine anzahl zusätze und Verbesse-
rungen welche nach Jacob Grimm 's in sein handexemplar eigen-
händig eingeschriebenen bemerkungen herr professor Müllenhoff
[in eckigen klammern] nachzutragen die gute gehabt hat. das hand-
exemplar selbst wird seiner zeit von den Grimmschen erben auf
der hiesigen königlichen bibliothek deponiert werden.
Berlin 4. februar 1867. H. G.
INHALT.
Seite
I. Zeitalter und sprachen 1
IL hirten und ackerbauer 11
III. das vieh 20
IV. die falkenjagd 31
V. ackerbau 38
VI. feste und monate 51
VII. glaube recht sitte 81
VIII. einwanderung 113
IX. Thraker und Geten 123
X. Skythien 152
XI. Urverwandtschaft 166
XII. vocalismus 191
XIII. die spiration 206
XIV. die liquation 217
XV. die stummen 240
XVI. die lautabstufung 251
XVII. die lautverschiebung 275
XVIII. die Gothen 305
XIX. die Hochdeutschen 337
XX. die Franken 358
XXI. die Hessen und Bataven 393
XXII. Hermunduren 414
XXIII. die Niederdeutschen 423
XXIV. Friesen und Chauken 464
XXV. Langobarden und Burgunden 474
XXVI. die übrigen oststämme 493
XXVII. Scandinavien 505
XXVIII. die edda . 528
XXIX. Germanen und Deutsche 537
XXX. rückblick 553
XVI
Seite
XXXI. deutsche dialecte 574
XXXII. der ablaut 584
XXXIII. die reduplication 598
XXXIV. schwache verba 608
XXXV. verschobnes praeterituin 619
XXXVI. die vocale der declination 633
XXXVII. der instrumentalis 644
XXXVIII. schwache nomina . : 652
XXXIX. der dualis 670
XL. recht und link 680
XLI. milch und fleisch 692
XLII. schlusz 706
register 719
I.
ZEITALTER UND SPRACHEN.
Weder das in unermessener zeit von den höchsten sternen auf 1
uns niederfunkelnde licht, noch die am gestern der erde lagernden
schichten unvordenklicher Umwälzungen geben unsre älteste geschiente
her, welche erst anhebt wann menschen auftreten, was vor den men-
schen geschah, so erhaben es sei, ist unmenschlich, und erwärmt
uns nicht.
Um des menschengeschlechts anfange spielt mythus. bald steht
im Vordergrund ein seliges paradies, wo milch und honig flieszen, die
erde ungepflügt und unbesät fruchte trägt* und noch die thiere reden,
bald musz was alle thiere gleich der menschlichen spräche entbehren
sogar das lebendige feuer den menschen erst errungen werden.
Ein goldnes silbernes ehernes eisernes Zeitalter folgen auf einan-
der; unter Kronos herschaft heiszen die langlebigen menschen selbst
noch goldne**, der nordische Fruoto liesz gold und friede malen,
amrita, der unsterblichen trank, wurde aus flüssigem gold und milch
bereitet, an des friedens stelle trat sodann krieg und der mensch
brauchte statt goldes eisen, auf den duft und glänz der vorzeit gefolgt
ist farblosere Wirklichkeit, wie wir für alte poesie der prosa bedürfen. 2
Es wird dadurch, nach unverrückbarer stufe, ein herabsinken vom gipfel
früher Vollendung wehmütig ausgedrückt, im scheinbaren Widerspruch
zu dem ewig steigenden aufschwung der menschheit, die sich jenes
göttliche Feuer nimmer entreiszen läszt.
Eine andre sage, indem sie von den menschen als jetzt lebenden
einheimischen geschlechtern ausgeht, setzt ihnen früher geschafne fremde
von riesen und zwergen entgegen, in den riesen scheint unmittelbar
das steinalter dargestellt, da sie auf felsen hausen, ungeheure mauern
thtirmen, steinkeulen führen und durch kein metall zu erlegen sind,
während mit den schmächtigen aber kunstfertigen zwergen die zeit des
erzes beginnt, das sie unter der erde schürfen und schmieden: aus
* Lucians Saturnal. 7, 20: otioxe aanoQa xal äffjQOTcc navta
** daselbst 8, 20.
Grimm, geschiehte der deutschen spräche. 1
2 ZEITALTER
ihrer hand empfängt der mensch köstliches geschmeide und leuchtende
waffe. Auf beide, riesen und zwerge, fällt aber ein doppeltes licht,
günstig oder ungünstig, bald wird den riesen uralte treue und Weis-
heit beigelegt, sie sind milchesser, säen und ernten nicht, sondern wei-
den ihre herden, kämmen der rosse mahne, legen ihren hunden gold-
bänder an; die zwerge bilden das stille friedliche volk, das von ein-
facher speise lebt und mit den menschen gute nachbarschaft hält, bald
stehn jene unbeholfen, steinkalt und grausam da, diese tückisch und
feindselig, und des menschen ausharrende kraft trägt am ende den sieg
davon über des riesen leiblichen Vorzug, den sie mit dem geist, über
des zwergs geistigen, den sie mit dem leib bezwingt, jedesmal wider-
fährt aber den riesen und zwergen gemeinschaftlich, dasz sie zuletzt
dem andrang der menschen weichen und das land räumen müssen*.
So verschieden sie gewendet sind, greifen diese Vorstellungen von
den vier altern und drei geschlechtern ineinander, und der mensch des
3eisenalters gleicht dem besieger der riesen und zwerge. beide sagen
erreichen zuletzt den boden der Wirklichkeit, allein rückwärts sind sie
undeutbar auf die geschichte : sie können nur dumpfen anklang geben.
Der menschliche geist hat andere wege eingeschlagen nach den
geheimnissen der vorweit und ist beinahe wieder auf dieselbe spur
gerathen.
Wie das messer in leichname schneidet, um den menschlichen
leib innerst zu ergründen, ist in verwitterte erdhügel eingedrungen und
die lange ruhe der gräber gestört worden, von schnee eingeschneit,
von regen geschlagen, von thau durchtrieben muste die todte völva dem
mächtigen gott rede stehn; was in staub und asche übrig geblieben
war, fragt unermüdliche neugier nach dem zustand der zeit, aus wel-
cher es abzustammen scheint, beschaffenheit der gräber, gestalt der
morschen schädel, art und weise des eingelegten geräths sollen ant-
wort geben, alle diese zeugen sind beinahe stumm, nur inschrift und
deutliche münze haben noch kraft des wortes, Samenkörnern, die unsre
geschichte befruchten, gleicht das in unendlicher menge durch alle
europäischen felder und hügel zerstreute römische geld.
Nach den allenthalben unternommnen ausgrabungen hat man drei
verschiedne Zeitalter ermittelt, die jenen mythischen zu begegnen
scheinen, zuerst angesetzt wird ein steinalter, aus welchem mächtige
felsengräber mit unverbrannten leichen und steinernen waffen übrig
sind; das volk welches sie baute und brauchte, soll nur jagd und
fischerei getrieben, aller metalle entbehrt haben, hierauf sei die eherne
zeit oder das brennalter gefolgt**, dem gold und erz [Lisch jahrb. 25, 228]
* daher fallen benennungen der riesen und unterirdischen zusammen
mit namen besiegter, zurückgedrängter volkstämme (mythol. s. 493. 1035).
die pixies, das stille volk in Devonshire, sind die Ficten, Peohtas.
** ipsum cremare apud Romanos non fuit veteris instituti ; terra condeban-
tur. at postquam longinquis bellis obrutos erui cognovere, tunc institutum. et
tarnen multae familiae priscos servavere ritus Plinius 7, 54. sicher ward auch
bei den Griechen begraben, eh das schönere verbrennen allgemein eingang fand.
ZEITALTER 3
zu waffen und schmuck eigen waren, das im feuer schmiedete und durch
dasselbe element seine leichen zerstörte, deren asche in irdnen krügen 4
beisetzte, ackerbau, weberei und schiffart kannte, endlich ein eisen-
alter, welches wieder unverbrannte leichen in hügel begrabend eiserne
waffen und schrift besessen habe. Diesen kennzeichen gemäsz pflegt
man die aufgefundnen denkmäler zu ordnen und sorgsam zu be-
trachten ; es scheint einleuchtend dasz jene steingrüfte den riesenbetten
der sage entsprechen und der Volksglaube versetzt die unterirdischen
schmiede des zwergstamms mit ihren schätzen unmittelbar in die grab-
hügel der ehernen zeit*, so dasz mit der eisernen das treiben und
die kraft des menschlichen geschlechts eingetreten wäre.
Als oberste frage erhebt sich aber nun hierbei, inwiefern die ge-
wonnene Unterscheidung auf bestimmte Völker der geschichte anwen-
dung leide, ob sie stufen eines und desselben stamms zusage, oder bei
dem unablässigen Wechsel vieler hintereinander von verschiednen gel-
ten müsse? jene mythischen Zeitalter gründeten sich auf wiederholte
Schöpfung und die goldnen menschen waren nicht einer abkunft mit
den eisernen, riesen zwerge menschen jede für sich besonders entspros-
sen. Wenn aber auch, und dafür streitet manches, das historische
steinalter einem eignen volkschlag überwiesen werden darf, scheint es
desto bedenklicher erzalter und eisenalter auf ungleiche volkstämme zu
beziehen und nicht nach dem fortschritt eines und desselben auszu-
legen, mag man immer befugt sein zu der annähme, dasz gebrauch
des erzes und goldes dem des silbers und eisens vorausgehe und nach
dieser folge die Waffenschmiedekunst sich ausgebildet habe; es wird
schwer bleiben zu erhärten, dasz in einzelnen ländern das erz nicht
länger gedauert, das eisen nicht früher begonnen haben könne.
So lange diese zweifei dauern, so lange nicht sichere merkmale
aus der form der waffen, des Schmucks und aller geräthe gewonnen
werden, die den ausschlag gäben, scheint die älteste geschichte der
europäischen Völker hier keine eigentliche aufklärung zu erlangen, wie
manches willkommne für sitten und gebrauche daraus hervorgehn mag.
Andern ehernen Zeitalter (Lindenschmitt 153) scheitert alle mühe der 5
forscher ; sie haben sich um die reihe berechtigt zu der annähme gehalten,
bald dasz es den Kelten, bald den Deutschen gehöre, und es scheint,
Slaven hätten gleich starke ansprüche darauf zu erheben, wer Deutschen
steinhämmer, Kelten eherne waffen beimiszt, musz die riesengräber
von dem gebrauch der stein waffen absondern und unser volk aus der
mitte und dem vorschritt seiner entwicklung reiszen; weit naturge-
mäszer ist es das eherne Zeitalter Kelten, Deutschen, Slaven und allen
übrigen Völkern auf ähnliche weise, wenn auch nicht zugleich einzu-
räumen und aus ihm für jedes einzelne volk den Übergang in die zeit
zu finden, wo das eisengeräth sich verbreitete. Ein neulicher anziehen-
der fund in Schwaben hat sogenannte todtenbäume, d. h. zur leichbe-
stattung ausgehölte eichstämme an den tag gebracht, die nicht unwahr-
Müllenhoffs sagen no. 384. 385 und Lisch jahrb. 11, 366.
4 SPRACHEN
scheinlich noch dem alamannischen heidenthum angehören*; wer aber
möchte feststellen, dasz zu gleicher zeit nicht schon die übrigen
Deutschen und selbst Alamannen auch aus brettern sarge zimmerten?
Es gibt ein lebendigeres zeugnis über die Völker als knochen,
waffen und gräber, und das sind ihre sprachen.
Sprache ist der volle athem menschlicher seele, wo sie erschallt
oder in denkmälern geborgen ist, schwindet alle Unsicherheit über die
Verhältnisse des volks, das sie redete, zu seinen nachbarn. für die
älteste geschichte kann da, wo uns alle andern quellen versiegen oder
erhaltne überbleibsei in unauflösbarer Unsicherheit lassen, nichts mehr
austragen als sorgsame erforschung der Verwandtschaft oder abweichung
jeder spräche und mundart bis in ihre feinsten ädern oder fasern.
Aus der geschichte der sprachen geht zuvorderst bedeutsame
6bestätigung hervor jenes mythischen gegensatzes: in allen findet
absteigen von leiblicher Vollkommenheit statt, aufsteigen zu geistiger
ausbildung. glücklich die sprachen, welchen diese schon gelang als
jene nicht zu weit vorgeschritten war: sie vermählten das milde gold
ihrer poesie noch mit der eisernen gewalt ihrer prosa.
Seien alle über den ganzen erdball gebreiteten menschen ausge-
gangen von dem ersten paar, folglich die manigfalten zungen geflos-
sen aus einer einzigen, oder nicht; sei die weisze braune oder
schwarze race** unter den himmelstrichen von einander ausgeartet
oder ihre abweichung unvereinbar ; die meinung zählt nur noch geringe
gegner, dasz Europas gesamtbevölkerung erst im laufe der zeiten
von Asien eingewandert sein, dasz die meisten europäischen sprachen
in unverkennbarer Urverwandtschaft stehn müssen zu einem groszen
auch noch heute in Asien wurzelnden sprachgeschlecht, aus welchem
sie entweder fortgezeugt sind, oder, was weit mehr für sich hat,
neben dem sie auf gleichen urquell zurückweisen, einzelne europäische
sprachen scheinen aber von ihnen abzurücken und auch ihre be-
sondere wurzel an anderer statte Asiens zu begehren, so dasz ihr
Zusammenhang mit jenen ungleich ferner und dunkler aussieht.
Ehmals hat man gestrebt, wie alle alte geschichte auf die Über-
lieferungen der heiligen Schrift zu beziehen, so der neueren sprachen
Ursprung in der hebräischen zu erspüren; seitdem die kenntnis des
sanskrits geöfhet wurde, ist volle einsieht aufgegangen, dasz zu ihm
und dem zend unsere europäischen zungen in engem band stehn, von
den semitischen weiter abliegen. Viel härter hält es eindrücke zu
verwinden, die wir von Jugend auf empfangen haben, es ist wahr, die
gesamte europäische bildung gründet sich, seit dem Christenthum, auf
die unsterblichen werke der Griechen und Römer ; aber weit über die
* sie gemahnen an die schiffe aus holen bäumen und an den gebrauch
leichen auf schiffe zu setzen (rnythol. s. 790). Germaniae praedones singulis
arboribus cavatis navigant. Plin. 16, 40; cavatum ut illis mos est ex materia
conscendit alveum. Vell. Paterculus 2, 106.
** schief wäre hier die vergleichung des edlen metalls, erzes und eisens
fortzusetzen, denn wo hat sich jemals in Negern die kraft des eisens gezeigt?
SPRACHEN 5
ihrem einflusz gebührende gerechtigkeit hinaus hat man sich allzulange 7
gewöhnt den maszstab griechischer und lateinischer sprachen an alle
übrigen zu legen, beinahe jede germanische slavische keltische eigen-
thümlichkeit zu verkennen und als blosze trübung jener lauteren quelle
anzusehn. wie wenig, für sich erwogen und den gehalt ihrer denk-
mäler redlichst angeschlagen, unsere sprachen jene mit vollem recht
classisch genannten erreichen ; so hat in der geschichte alles, auch das
geringere sein recht und seinen reiz, und erst eine ernsthafte bekannt-
schaft mit den einheimischen angeblich neueren, an sich aber gleich
alten, der lateinischen oder griechischen blosz verschwisterten sprachen
und mit der frischen, unbillig verachteten roheit ihres alterthums
unsern forschungen, wenn sie von allen Seiten her gedeihen sollen,
die rechte freiheit verliehen, da die spräche mit dem glauben, dem
recht und der sitte jedes volks von natur eng zusammenhängt, so
werden dem, der seinen fleisz diesen zuwendet, über die spräche
selbst unerwartete aufschlüsse daher entspringen.
Jeder spräche, welche sie auch sei, stehn auszer ihren heimischen
Wörtern auch fremde zu, die der verkehr mit den nachbarn unausbleib-
lich einführte und denen sie gastrecht widerfahren liesz. sie nach
langer niederlassung auszutreiben ist eben so unmöglich, als es die
reinheit der sprachsitte gefährdet, wenn ihr zudrang leichtsinnig ge-
stattet wird, für die geschichte der sprachen leisten diese lehn Wörter
guten dienst, weil sie bei ihrer wurzellosigkeit leicht ins äuge fallen und
als ausnähme die regel der spräche, gegen welche sie sich allenthalben
sträuben, hervorheben. Die einheimischen Wörter sind wiederum dop-
pelter art, je nachdem sich ihre wurzel in kraft und fülle frisch erhalten
hat oder abgestorben ist und nur noch in einzelnen formen fortdauert,
jene regen wurzeln verleihen der spräche sinnliche stärke und gewähren
die günstigste entfaltung aller ihrer grammatischen eigenheiten; in
deutscher spräche wird sie durch das vermögen abzulauten kennbar.
Hiernach kann nun alle gemeinschaft zwischen sprachen theils auf
jenem zufälligen äuszeren anstosz beruhen, der hier und dort einzelnes 8
aus der fremde borgen liesz, theils auf einer langsam fortwirkenden
wesentlichen Urverwandtschaft, die vorhanden gewesen sein musz, als
die sprachen von einander sich abtrennend jede ihren eigenthümlichen
weg einschlugen, auf dem sie sich mehr oder minder entfremdeten,
als deutlichstes zeichen solcher Urgemeinschaft werden einstimmige
persönliche pronomina, Zahlwörter und das verbum substantivum aner-
kannt; sie wird zumal in jenen lebendigen wurzeln, von welchen das
innere gewebe der spräche abhängt, vorbrechen, aber auch in einer
groszen zahl von abgestorbnen aufzusuchen sein, deren wahrer keim
gerade in der andern spräche haften kann. Bei Sprachvergleichungen
überhaupt glaube ich den grundsatz aufstellen zu dürfen, dasz zwischen
den Wörtern verschiedner Völker zwar gleichheit der buchstaben wie
der begriffe obwalten, dennoch für jedes volk eigenthümliche beziehung
auf ihm vertraute wurzeln, formen und Vorstellungen eintreten könne,
nothwendigkeit und freiheit sind auch in den sprachen ewiges gesetz.
6
METALLE
Zur allgemeinen Übersicht, deren ich hier bedarf, führe ich
zehn Völker auf, von denen alle hauptsprachen dieses welttheils ab-
stammen: Iberer Kelten Römer Griechen Thraker Germanen Litthauer
Slaven Finnen Skythen, die letzten als blosz hinüberreichend nach
Europa und eigentlich in Asien eingesessen. Von der iberischen ist
noch die baskische in solcher fülle übrig, dasz anziehende Untersuchung
gepflogen werden kann, ob sie den kaukasischen sprachen verwandt,
oder ihre berührung nur äuszerlich sei. Trakische und altskythische
Sprache sind, zum unheil der geschichte, beinahe ganz verschollen.
Keltische lateinische griechische deutsche litthauische und slavische
liegen alle einander urverwandt in vielfacher stufe der nähe oder
ferne, also zugleich dem sanskrit und zend, aus welchen die heutige
Sprache Indiens samt der persischen flieszt. Unverwandt ihnen allen
scheint die finnische, lappische und über den Ural nach Asien weit-
wuchernde spräche, deren innere structur bedeutend abweicht, so wirk-
9 samen einflusz von frühe an das finnische auf das gothische und nor-
dische geübt und umgekehrt erfahren haben mag. zwischen iberischem
keltischem und latein ist das Verhältnis noch nicht genügend aufgeklärt.
Es wird in alle diese gesichtspuncte treffen, dasz ich die euro-
päischen namen der vier metalle zusammenstelle und daraus folge-
rungen schöpfe.
griech.
%cdKog
XQvöog
agyvQiov
öiöfjQog
latein.
aes, raudus
aurum
argentum
ferrum
ital.
bronzo
oro
argento
ferro
span.
bronze
oro
argen
hierro
franz.
bronce
or
argent
fer
roman.
irom
aur
argient
fier
walach.
aram
aur
ardshint
feru
alban.
£/As
UQQ
8qFsvt
%sxovqs
irisch
umha
or
airgjod
jaran, eabradh
welsch
. ' .
aur
arian
haiarn
armor.
.
aour
argan
houarn
bask.
urraida
urrea
cilarra
burdina burnia
preusz.
...
ausis
sirablas
litth.
waras, ruda
auksas
sidabras
gelezis
lett.
warsch
selts
sudrabs
dselse
slav.
bron, rud
zlato
srebro
sheljezo
russ.
bronza, ruda
zoloto
serebro
sheljezo
poln.
bronc
zloto
srebro
zelazo
böhm.
ruda
zlato
strjbro
zelezo
wend.
ruda
zloto
sljebro
zelezo
goth.
ais
gulj)
silubr
eisarn
ahd.
ör, chuphar
kold
silapar
isarn, Isan
nhd.
erz, kupfer
gold
silber
eisen
ags.
är, bräs
gold
seolfor
isern, iron
engl.
ore, brass
gold
silver
iron
nnl.
koper
goud
zilver
ijzer
METALLE
eir, bras
5
gull
silfr
iarn
koppar
guld
silfver
järn
kobber
guld
sölv
jern
kasari, ^
faski
kuld
hopia
rauta
werrew,
wask
kulda
höbbe
raud
air
golle
silb
roude
ertz
arany
ezüst
vas
altn.
schwed.
dän.
finn.
est. werrew. wask kulda. höbbe ra,ud
läpp.
ungr.
Diese Wörter lehren, dasz in benennung des goldes und silbers
alle deutschen und slavischen sprachen nahe zusammentreffen den latei-
nischen und keltischen gegenüber, bei erz und eisen ist Übereinkunft
der deutschen, lateinischen und keltischen merkbar, das litthauische
hält die mitte, so durchgreifende einstimmungen können nicht durch
bloszen verkehr, nur durch ursprüngliche gemeinschaft veranlaszt sein.
Aes aeris steht für aes aesis, wie goth. ais aizis zeigt, und in
ßr eir är ore schreitet die Wandlung des S in R noch weiter vor;
nhd. erz, mhd. erze, ahd. aruzi scheint blosze Weiterung von er mit
vocalkürzung und dem vorwiegenden sinn von rudus erzschlacke, trad.
juvav. 132: ad flatum ferri quod aruzi dicitur; in diesem sinn bedeu-
tet uns erz jedes metall (ir. men, mianach). aes und ais sind aber das
skr. ajas mit der bedeutung ferrum, welche nicht zweifeln läszt, dasz
aus goth. ais im ablautsverhältnis auch die fortbildung eisarn hervor-
gieng, ein fingerzeig, bei den Deutschen müsse bronze allerdings früher
im gebrauch gewesen sein als eisen ; umgekehrt ist das lateinische ferru-
men (junctura metalli, erz?) entsprossen aus ferrum. wie nun ahd. isan,
mhd. isen, nhd. eisen ihr R der zweiten silbe, stoszen iron und iarn
das vordere S aus, so dasz iarn den keltischen formen iaran, haiarn
an die seite tritt. Schwerer scheint ein urtheil über ferrum, das im
sp. hierro gleichfalls dem haiarn und iarn ähnlich wird, sonst ent-
springt lat. RR aus RS : turris tvQQLg aus xvQOigy porro tzoqqg) aus
7t6g6w, torreo aus torseo goth. pairsa, erro aus erso goth. airzja,
ccqqtjv aus aQörjv, curro aus curso, terra wahrscheinlich aus tersa,
trockenland gegenüber dem wasser. ferrum für fersum = fesrum würde
eisarn Isarn (isran bei Graff 1, 490) erreichen und der anlaut F schiene
erklärbar aus H in haiarn houarn, oder im ahd. hisin für isin, wobei
wieder sp. hierro in anschlag kommt, vielleicht alban. chekure. selbst
die zweiten silben des roman. irom, walach. aram fordern auf ferrum 11
heranzuziehen, doch das bask. burnia liesze an ferrum f. fernum den-
ken, wer aber beide deutungen verwirft könnte in ferrum das F wie
in M=%ofo] galle nehmen und gar auf sl. sheljezo gelangen, bask.
urraida scheint fortgebildet aus urrea aurum, ähnlich dem eisarn aus
ais, was durch ciraida stannum aus cirarra cilarra bestärkt wird.
Denn gar nicht zu verkennen ist unmittelbare Verwandtschaft zwi-
schen aes und aurum, das für ausum steht*, wie aeris für aesis.
ganz zu ausum stimmt preusz. ausis, litth. auksas f. ausas ; alle kel-
tischen Wörter gleich den romanischen haben R, nicht anders ungr.
* Sabini ausum, Auselii f. aurum, Aurelii.
g METALLE
arany, alban. arr, ba#k. urrea. die vocalreihe AI schlägt um in AU,
der begrif des erzes in den des goldes.
Gold und zlato sind eins, kehllaut zum zischlaut verhält sich wie
in humus und hiems %ei[i(6v zu sl. zemja zemlja zima, oder in ahd.
chnähan, ags. cnävan zu sl. znati. die vocalumstellung in gold und
zlato bestätigen zahllose analogien : halm slama, valdan vladiti, kalt
chlad, dulg dlug, milch mleko,- fold pluk, elbe labe, karl krol, bart
brada, fürt brod, birke breza, wo der Russe doppelvocal liebt: zoioto,
cholodnyi, moloko, golova, boroda, bereza, gleich lat. calamus, ahd.
halam, miluh, charal, piricha. aber lett. selts folgt deutscher Stellung,
wie salds, litth. saldus sl. slady, litth. galwa sl. glawa, preusz. malds
sl. mlad, litth. waldyti sl. vladiti, litth. parszas sl. prase lat. porcel-
lus ferkel. das finn. kulda scheint dem deutschen ausdruck ent-
nommen.
Silber und srebro werden vermittelt durch wend. sljebro, dessen
L und R im preusz. sirablas ihre stelle tauschen, während L und D
in silubr und sidabras sich verhalten wie in levir docijg, lingua dingua,
lautia dautia, lacrima dacrima, filius fidius. läpp, silb mag wieder aus
dän. sölv rühren, auffallender ist die Verwandtschaft zwischen silabar
und bask. cilarra (dessen ci wie si lautet) und mag man noch west-
goth. einflusz glauben? berührt sich aber sogar alb. zile eisen, so darf
12 vielmehr öidrjQOg an sidubras mahnen, und die litth. form gewinnt
gegen die deutsche und slavische an echtheit; Pott 2, 414 vergleicht
skr. sitäbha weiszglänzend und litth. swidus blank, argentum und alle
romanischen Wörter begegnen den keltischen wie dem gr. agyvQiov,
desto einsamer steht das finn. hopia, das kaum aus cuprum entsprang,
wofür auch finn. kupari gilt. ungr. ezüst ist das syriän. ezys, und
wahrscheinlich noch anderwärts an nordasiatischer grenze zu haus.
Auf den grund der gefundnen einstimmung zwischen ais und eisarn
haiarn ferrum mag %cdx6s zu sheljezo gehalten werden, gr. X und
sl. Hl (das ich durch SH ausdrücke, es entspricht auch skr. §) be-
gegnen sich wie in %6kos und shltz sheltz galle. Einer wurzel mit
bräs brass scheint mir bronze bronce, mlat. bronzium bronzina, russ.
serb. bronza, poln. bronc, die nasalis eingeschaltet oder ausgestoszen
wie in ans äs, gans gas, litth. szwentas sl. svety. nicht steckt bras
in sidabras, dessen S flexi visch ist, und im gen. sidabro, im adj. sida-
brinnis = goth. silubreins schwindet, da altn. bras ferrumen, jun-
ctura qua ferrum ferro jungitur ausdrückt, wäre an bask. burnia zu
denken, und es könnte sich zum vermuteten fersum = ferrum verhal-
ten wie beran zu ferre, mit umgesetztem consonant wie in gras und
gras. Ir. credh the ore of any metal, credhumba the ore of brass;
umha nicht unähnlich dem skr. udumbara audumbara = aes. Sl. und
litth. ruda im sinn des lat. raudus, rudus* nehmen im finn. rauta,
läpp, roude wieder deutlich den begrif des eisens an, also auch hier
* rudus unbearbeitetes erz, glarea, goth. malnia arena, ahd. melm, altn.
mälmr, schwed. malm und daher finn. malmi metallum.
METALLE 9
scheint gebrauch der bronze voranzugehn dem des eisens. nicht an-
ders gehört ungr. vas eisen zum finn. vaski, est. wask; wer erinnert
sich dabei nicht aus deutscher heldensage des Schwertes Waske? an
dasselbe vas, glaube ich, schlieszen sich waras warsch werrew.
Aber sehr auffallend gleicht finn. kasari aes dem skr. kesara aurum,
ein neues zeugnis für aes: aurum, die beide gelb sind, nach Pott
2, 410 bezeichnet kesara fulvum, löwenfarbe, und ist entnommen von 13
kesara juba leonis und leo selbst, vgl. lat. caesaries; soll auch an
xaöoiTSQog zinn gedacht werden?
In den gehalt der wurzeln zu dringen ist überhaupt kein leich-
tes geschäft, und hier liegen lauter allgemeine, auf die Wörter bald
zu übertragende begriffe des glanzes, der färbe nah. zwar ccQyvgiov
und argentum führen sich bestimmt zurück auf aQyog, ir. arg, wie
skr. rad^ata und andere namen des silbers weisz, des goldes gelb aus-
drücken, bedenklicher scheint die versuchte herleitung von sidubras
aus skr. äveta abhra (weisz goldj oder von öldrjQog aus skr. sved su-
dor, obgleich wir schweiszen für schmieden des eisens (jenes ferru-
minare) verwenden und ein mythus eisen aus blut entstehen läszt.
doch äveta albus, zend äpenta, slav. svent leuchtend mag immer ver-
wandt liegen, auch sidus sideris leuchtendes gestirn. %Qvöog (für
%8QvGöq) wird gestellt zu skr. hiranja [Benfey Pantsch. 1, 6], zend.
zara zaranja, pers. zer, wogul. zorni, syriän. zarni*, die alle gold be-
deuten und dazu skr. hari gelb, harit grün verglichen; ich zaudere
goth. hairus, alts. heru (ensis) in betracht zu nehmen, auch lett. selts
kann neben seit virere, sl. zlato neben zelen viridis zu stehn kommen,
lat. viridis für quiridis unmittelbar harit und XP in %QVöog erreichen,
wären %Qv6og und %k(jOQog verwandt, so dürfte %aK%6g herantreten,
wie zwischen selts und dselse nähe vorbricht; für unser gold aber
böten sich deutsche Wörter mit GL und dem begrif des glanzes dar**.
Läge die nämliche Vorstellung in der wurzel, welcher aes aurum eisen
entstammen (und unser is, eis glacies verbürgt es), würde ich mich
sträuben wider die deutung von ajas aus ajamas unzähmbar.
Nach allen diesen beispielen leuchtet gleich an der schwelle mei- 14
ner Untersuchungen ein, wie tief sich alle europäischen sprachen
durchdringen, erz und gold, erz und eisen wechseln ihre namen;
silber und gold nicht unmittelbar, allein silber mag sich in öidrjQog mit
eisen berühren. Deutsche Slaven und Litthauer müssen zuletzt in ge-
meinschaft gestanden haben, dann aber tritt das litthauische wieder
unmittelbar nah dem latein, welches uns näher liegt als das grie-
* Reinhart fuchs s. CCVIII sarn f. isarn; aber damit gienge eisarn:
ais verloren.
** edda Saem. 187b it gialla gull, das klingende, aber giallr stimmt nicht
unmittelbar zu gulf) und gleich schwach sind die ansprüche von gelb oder
galle. Miklosich stellt zlato zu zrjeti videre, das ursprünglich splendere
bedeutet habe, jenem zara vergleicht er zarja aurora und auch aurora fällt
zu aurum, litth. auszra fast zu auksas. steht aurora für ausosa skr. uschas, gr.
tfwq für r{o(6q? noch unser spruch legt der morgenstunde gold in den mund.
10 METALLE
einsehe; doch die Slaven scheinen einigemal an das griechische zu
streifen, auch die keltischen sprachen, da wo sie sich an lateinische
und griechische schlieszen, weichen von uns ab; für alle nimmt das
sanskrit oft den hintergrund ein. fern steht finnische zunge, denn
was ihr mit uns gemein ist, hat sie erborgt, nur kasari: kesara,
vielleicht hopia: cuprum wird bedeutsam, gern vernommen hätte man
die skythischen, thrakischen, getischen namen der vier metalle.
IL
HIRTEN UND ACKERBAUER.
Hat die ansieht von den Zeitaltern grund, so musz sie noch 15
mit einem andern durchgreifenden gegensatz zusammentreffen, den wir
auf dem boden der geschichte wahrnehmen, die menschen des stein-
altem waren hirten, die des ehernen ackerleute und der milchessende
riese weidete herden; bedeutungsvoll scheint die weitbekannte sage
von der hünenjungfrau , die verwundert auf einen ackernden stiesz
und ihn samt pflüg und rindern in der schürze als artiges Spielzeug
heimtrug: doch der alte hüne schalt und hiesz sie die erdwürmer
schnell zurückbringen, deren andränge das riesengeschlecht bald werde
weichen müssen. Hier sind aber riesen und menschen als verschiedne
stamme aufgefaszt, während die geschichte lehrt, dasz bei jedem ein-
zelnen volk dem hirtenleben der ackergang nachfolge.
Jenes unaufhaltsame einrücken der Völker aus Asien in Europa
setzt kühne kampflustige stamme voraus, die sich zuweilen ruhe und
rast gönnten, im drang der fortbewegung von ihrer herde, jagd und
beute lebten, bevor sie sich friedlichem ackerbau ergaben, müssen
sie Jäger hirten und krieger gewesen sein und erst auf der grund-
lage beider zustände konnte ein höherer aufschwung des geistes wie
der sitte gedeihen, der den begabtesten und glücklichsten unter ihnen
zu theil ward.
Ich will ausführen wie dieser unterschied in alle Verhältnisse 16
des lebens greift.
Den tapfern stand die weit offen: sie ziehen aus der heimat, wo
es ihnen zu enge geworden war, von hungersnoth und miswachs*, von
feindschaft der stamme oder Wanderlust und drang nach abenteuer
getrieben, das losz und der götter rath geleitet sie, vögel fliegen
voraus, eine hindin zeigt die fürt über den ström, ein bär oder wolf
weist den pfad durch wald und gebirge. sie reisen samt frauen
kindern verwandten freunden, vor allem heilig sind ihnen die bände
der brüderschaft und das gastrecht; in Lucians Toxaris findet man
mit treffenden zügen, durch ergreifende beispiele skythischer nomaden
feste treue und unerschütterlichen mut dem gesittigten aber schlaffen
leben der Griechen gegenüber gestellt.
* [sage von der hungersnoth: Paul Diaconus. Saxo Gramm. Macchiavelli.
Goldast. schwedische sage, Afzelius 1, 15. ein theil davon Gest. Roman.
124. altd. blätt. 1, 149 ff. sage bei Wittechind. Hervara saga p. 453. 454.]
12 HIRTEN
Dieser wandernder Völker habe sind wagen und vieh, waffen und
schmuck, den Griechen hieszen sie a^ia^oßioi, ein reicher unter ihnen
besitzt zehn goldschalen und achtzig vierlagerige wagen, cc^id^ag
TStQccxXlvovg, ein armer, dem weder wagen noch herden gehören, ist
reich an blutsbrüdern. wagenhäuser legt Plinius 8, 40 noch aus-
drücklich den wandernden Cimbern bei und eine Wagenburg ums
lager zu führen gegen nächtlichen Überfall blieb bis in die späten
zeiten kriegsbrauch. anschaulichstes bild solcher wagen geben uns die
holzhäuser der schäferkarrn*; wo aber länger gerastet wird, treten
waldhütten und erdhölen an deren stelle.
Pferde rinder schafe und hunde sind das vieh der hirten und
jäger. der hund schützt pferde und wagen, seine treue überdauert
den tod des herrn: canes defendere Cimbris caesis domus eorum plau-
stris impositas ; beim gefallnen held liegt noch sein hund, steht trau-
rig nickend sein ros, denn beide hatte er oft mit namen gerufen
und zwischen ros und reiter waren gespräche gewechselt worden. Der
rinder und schafe folgt eine gröszere, schon minder zutrauliche schar.
Auch das schwert wird benannt und angeredet, es ist des man-
nes grösztes kleinod, das nur auf seinen nächsten männlichen erben
übergeht; frauliche habe sind schmuck und ringe, den ganzen un-
terschied zwischen hergewäte und gerade darf man auf heilige Vor-
stellungen des hirtenlebens zurückleiten. Nie legt der mann sein
schwert ab, bei jedem anlasz treten hirten Völker bewafnet auf, was
noch Tacitus an den Germanen beobachtete: nihil autem neque pu-
blicae neque privatae rei nisi armati agunt. schwert und speer war
den kriegern ein hehres wesen, bei dem sie feierlichen eid schworen,
das sie als göttliches zeichen aufrichteten und verehrten, von allen
göttern stand ihnen der gott des Schwertes zunächst, oder der des
hammers, dessen wagen donnernd durch die lüfte rollt; ihm fallen
blutige opfer zumal von pferden und der wald ist sein tempel: wie
wollte ihr gott zwischen wände gedrängt werden, so lange sie selbst
nicht in festen häusern wohnen?
17 Aller kauf scheint noch tausch und wird mit vieh, pelz oder
ringen unterhandelt, selbst die münze war ursprünglich zierrat. alle
buszen sind kriegerisch, der ausgehaune knochen soll im schild er-
klingen.
Das ganze treiben dieser Völker ist freies waldleben, zwischen
zügen, weide und krieg getheilt; der kämpf, den sie begierig suchen,
führt sie gleich der jagd zur beute**, schlacht und jagd ist was sie
ergetzt***. weida in unsrer alten spräche bedeutet sowol pastio als
venatio und piscatio, weidman den hirt und jäger; noch heute ist
der alpenhirt auch der kühnste gemsen jäger. In den wandernden
* an dem von Pallas gebauten haus wird getadelt: ixt] tqoxovq öiöij-
Qsiovq iv xolq ^SfieXioiq yeyovevai. Babr. 59, 13.
** vneg vopTjq rj Xetaq fiaxofie^a. Toxar. 36.
*** man verband wonne und weide; vinja, wunna geht über in den uns
heute allein bleibenden begrif der freude, und augenweide drückt wonne aus.
HIRTEN 13
rittern*, die nach kämpf und sieg durstig durch die weit zogen, ist
noch nomadischer anklang.
Speise war milch und fleisch der herde, wildobst und wildbret: 18
cibi simplices, agrestia poma, recens fera aut lac concretum (Tac.
Germ. 23), woher der name ycdccxronotca. weder Stutenmilch wurde
verschmäht noch pferdefleisch , dessen genusz nach der bekehrung
allen Christen für heidnischen greuel galt, einzelne nomaden hieszen
den Griechen iitn-quofayol.
Da sie blosz am gewinn von der herde und an kriegsbeute hän-
gen, fast keine frucht aus dem boden erzielen und die waldtrift
wechseln, hat grundeigenthum noch keinen werth und leicht verstän-
digen sie sich über den nieszbrauch solcher eine Zeitlang dem ge-
meinbesitz einzelner geschlechter und horden belassenen gebiete, die
nach deren abzug andern einzunehmen freisteht, zwischen diesen
waldbezirken mag die grenze nicht durch mühsame messung bestimmt
worden sein, sondern ganz in weise der späteren markgemeinden
durch raschen hammerwurf oder andere friedigende zeichen.
Dem unstäten aufenthalt, der ungebundenheit des hauses, das
der hirt auf rädern nach gefallen an andere stellen versetzen kann,
scheint auch Vielweiberei zu entsprechen, der wir bei allen aus dem
nomadenstand tretenden Völkern noch begegnen, krieger und hirten
streben schönen weibern nach**, dem ackermann genügt die einzige
ehfrau, welcher er, wenn ihn feldarbeiten rufen, sein haus zu ordnen
überläszt. für die polygamie werde ich im verfolg das beispiel der
Geten anführen; da sie sich bei den alten Slaven und Scandinaven
vorfindet, darf sie in ältester zeit auch unter den übrigen Germanen
nicht befremden, das blosze dasein eines worts in frühster spräche
diene zum erweis: dem ahd. chepisa pellex, mhd. ke'bese, ags. cifese
würde ein goth. kibisa kibiza zur seite stehn, altn. bedeutet kCfsi
oder kefsir servus molestus, wie auch ndlkat, nalkccKig TCalXaxrj so-
wol magd als kebse bezeichnen, sicher wurden die kebsen meisten-
theils geraubt oder aus unfreien mädchen gewählt***.
Vorzugsweise werden unter nomaden anführ er im krieg, könige, 19
edle geschlechter und ein priesterstand sich entfaltet haben, wie bei
Homer der fürst noch noiftrjv kaäv heiszt oder anderwärts noifxcivcoQ
7iOL[iävtG)Q, bedeutet auch im sanskrit gopa zugleich kuhhirt und fürst.
ein dichter des mittelalters sagt: „ich wolte uwer freude sehen" d. i. was
ihr gejagt habt.
* span. caballeros andantes, mnl. wandelende ridders. Lanc. 3509. 6579.
8704. 8740.
** Tox. 26 von den Skythen: cflye xav xaq naXkaxccg äxQißüq tag xal-
Xlaxaq ixleyeo&cu keyovzai.
*** chepisa scheint mit chupisi tugurium (Graff 4, 359) unmittelbar ver-
wandt, sie wurde in einer schlechten hütte (xvtzij, xalvßrj) gehalten, im
gegensatz zur frau. lieblicher ist ein andrer name, ahd. friudila, altn.
fridla,t frilla und den glossen friudilinna gerade pellex, concubina (Graff 3,
788), 'amica mea Ellinsuind' in einer urk. bei Meichelbek no. 132 aus dem
beginn des 9. jh. ebenso ist die gr. stcciqcc gegensatz zur ehfrau.
14 ACKERBAUER
Lucian nennt die bloszen freien buTanoStg, für sie wird zweier rin-
der besitz und eines wagens gefordert, welch ein abstand von jenen
achzig wagen des vornehmen! freie scheinen durch lockentracht, edle
und priester durch hüte ausgezeichnet. Mit edlen und königlichen
geschlechtern im Zusammenhang mnsz aber ein heroencultus gedacht
werden, der es wahrscheinlich macht, dasz diese Völker die gräber
ihrer helden und könige heilig hielten, nach Herodot 4, 127 wollen
Skythen nur für die gräber ihrer vorfahren streiten.
Unter solchen menschen, die ihre tage und jähre, aufgeregt aber
auch still und ruhig, über wonne und weide (rechtsalt. s. 521) in
der Sommerfrische* oder vom engen wagendach geschützt verbrachten
und die heimliche natur belauschten, musz glaube an einen verkehr
mit thieren gewurzelt und die thierfabel begonnen haben, die sich
in spätere zeiten forttrug, auch die aufnähme muthiger thiere in
menschliche eigennamen, ihre abbildung auf heim und schild, und der
bezug vieler kräuternamen auf thiere scheint mir damals entsprungen**.
2Q Die spräche der nomaden enthält einen reichthum manigfacher
ausdrücke für schwert und waffen und für die Viehzucht in jeder läge,
welche dem gebildeten zustand hernach lästig oder überflüssig er-
scheinen; das begatten, trächtig sein, gebären, sterben, schlachten
wird fast bei jedem vieh anders und eigens benannt, wie der Jäger
am verschiedenen wild den gang und einzelne glieder des leibs mit
abweichenden Wörtern zu bezeichnen pflegt, dieser in freier luft
lebenden hirten äuge sieht weiter, ihr ohr hört schärfer, wie sollte
nicht überall ihre rede sinnliche anschauung und fülle gewonnen haben?
Ihnen gegenüber läszt sich nun leicht auch ein bild der zum
ackerbau übergegangenen Völker entwerfen.
Jene bewegung ist zur ruhe gelangt und friedliche niederlassun-
gen an glücklich erkämpfter fester stelle sind erfolgt, zu der habe
an beweglichem gut, die ehmals genügte, tritt sicheres erbliches grund-
eigenthum und der ackerbau verbreitet seinen segen; statt des viehes
wird jetzt getraide in tausch und kauf gebraucht, theilbarkeit der fel-
der durch geregeltes masz geheiligt, für die blutigen opfer der hir-
ten bringen ackerleute ihre fruchte dar, und milderen göttern oder
göttinnen, die im pflüg und der spindel unterwiesen haben, statt des
Schwerts auf dem reisig ist ein pfähl, eine herme und bald unter ge-
wölbtem dach errichtet, die bewegliche wagenwohnung durch ein fest
* so nennt noch heute der Tiroler die landlust (villeggiatura). die altn.
spräche hat sei (tugurium aestivum).
** die slavische spräche besitzt eine menge lieblicher frauennamen, die
von waldkräutern, blunien und wilden thieren entnommen sind, z. B. serb.
Smilja, Smiljana von smil' gnaphalium arenarium, Kaiina ligustrum, Peru-
nika iris, Koschuta hindin, feokolitza falkin; ebenso litthauisch Smulke =
Smilja, lettisch selta maggonite goldner mohn, leipu lappa seebl innen blatt.
maii denkt an die gleichschönen hetärennamen bei Lucian: ^Aßgöxovov,
MvQTtov,KX(ovaQiov,Xsli6öviov. mhd. seltner, doch rnusz sumertocke, sumer-
töckel MS. 2,67a Schmetterling oder libelle meinen; mines herzen kleMSH.3,445a.
ACKERBAUER 15
im grund gemauertes und gebautes haus ersetzt: an einander reihen
sich die häuser.
Inwendig waltet die spinnende webende frau, den Angelsachsen
fridovebbe (friedeweberin) geheiszen; ihre gerade (radewant) wenn
ärmer an goldschmuck ist reicher an gewand und tüchern, die ehe
rein und streng geworden, und des hausvaters macht und ansehn hat
vieles zu schlichten, was sonst dem priester zustand. Entschiedner
zur freiheit als zum königthum scheint sich die sitte hinzuneigen. 21
verliert das leben an geräusch, so hat es an wiederkehrenden festen,
Zusammenkünften, gerichten gewonnen; die spräche verarmend an sinn-
licher fülle und behendigkeit beginnt sich mehr an geistige Verknüpfung
der gedanken zu gewöhnen, knechte, deren vorfahren auf heerzügen
gewonnen waren, sind schon durch viele geschlechter vererbt, und
führen, blosz im recht unterschieden, namen und spräche der freien.
Indem sich überhaupt an der stelle des gefälligen, leichten,
schmucken ein nützliches geltend zu machen weisz und den Wechsel
des unstäten schweifens ein behaglicher dauernder wolstand zu ver-
treten beginnt, behält der unansehnliche ackermann über den ge-
wandten krieger und hirten allmählich die überhand*.
Von dem hirtenleben zum ackerbau müssen aber langsame, viel-
fache Übergänge angenommen werden**, es gibt nirgend steife gleich-
zeitige grenze zwischen beiden, und da die hirten an alter voraus-
gehn, kann es nicht wundern dasz manche ihrer brauche und ein-
richtungen auch noch unter einzelnen stammen haften, die längst
des ackers pflegen, umgekehrt dürfen entschiedne nomaden schon im
voraus feldwirtschaft versucht haben; es lebte vielleicht kein hirten-
volk völlig ohne ackerbau, und bei allen ackerbauenden erhalten sich
geraume zeit hindurch, obschon in stäter abnähme und schmälerung,
weide und Viehtrift.
In den gesängen des Rigveda, welche uns frühe nachricht von
den zuständen eines urverwandten volks überliefern, sind bereits
ackerbau, dörfer und städte erwähnt; daneben aber wird noch deut-
lich auf das umherziehen nach grasreichen weiden bezug genommen***,
handmüle (mola trusatilis, manuaria) und brotbacken war den hirten 22
lange schon bekannt, bevor in dauernder niederlassung wassermülen
erfunden wurden.
Man kann nicht krieger Jäger und hirten absondern und die hir-
ten als mittelstufe zwischen krieger und ackerbauer stellen, denn alle
wandernden hirten waren kriegerisch, alle krieger führten herden mit,
ohne deren milch und fleisch sie das leben nicht gefristet hätten, wo-
für fisch und wildbret unzureichend gewesen wäre ; rindes bedarf der
* nach dem serbischen lied hat der ratar schwarze hände, aber weiszes
brot (tschrne ruke a bjela pogatza). Yuk 1 no. 273.
** wenn Adams söhne alsogleicn ackerer und hirte sind, so würde dem
älteren die weide, dem jüngeren der feldbau besser zusagen und Abels
weicher gemütsart das unblutige opfer.
*** Adalb. Kuhn zur ältesten geschichte indogerm. Völker s. 12.
16 HERTEN
steppendurchziehende wagen so gut als der erdwühlende pflüg. Auch
ist ackerbau ein friedlicher stand, kein sanfter zu nennen, weil er
schwerere arbeit kostet als weidgang, zu dem nach bestandner kriegs-
gefahr der hirte wiederkehrt*, aber selbst unter den hirten steht der
rinderweidende dem ackerbauer näher als der wildere freiere schäfer.
Mir scheint unzweifelhaft dasz bei ihrem ersten eintritt in die
geschichte die Germanen noch überwiegend dem hirtenleben anhiengen,
während die ihnen voraus gegangnen Kelten bereits ackerbauer waren,
die Cimbern ziehen auf ihren wagen einher und Caesar versichert all-
gemein von den Germanen: agriculturae non student, indem er sie
Kelten entgegensetzt, einige menschenalter können viel ändern, spä-
terhin findet Tacitus zwar germanische feldbestellung , doch frauen
und knechten überlassene ; männer, wo sie nicht kriegen, pflegen no-
madischer ruhe fort, gartenbau und Obstzucht scheinen bald nachher
erst ihrem römischen nachbar die Deutschen abzulernen**. Den ge-
meinsamen, wechselnden ackergang, wie ihn schon Caesar den Sueven,
Horatius den Geten, Tacitus mehr im ganzen den Deutschen beilegt,
23 hat man eben als seine einfachste, unmittelbar für die gewohnheit
der hirten sich ergebende anwendung zu betrachten; noch unfest an
die schölle gebunden musten sie von selbst darauf verfallen ihren
triften jährliche frucht abzugewinnen, diesen ersten betrieb des ackers
unter hirten hat bis auf uns herab den markgenossen ein von alther-
gebrachter weidesitte ungern ablassender feldbau vergolten***, tiefe
wälder nährten die angestammte lust, kein andres volk in Europa
hat diese uralte hirtengemeinschaft so lange festgehalten wie unsre
markgenossen, und erst allmählich legte der freie mann seine waffen
ab. Auch dasz die Germanen nur langsam städte gründeten, ihre
häuser und bürgen zerstreut, wo es ihnen auf der flur gefiel, anleg-
ten, darf für nachwirkung ihres festwurzelnden nomadensinnes gelten.
In andern zügen, oft noch dauernder und zäher, läszt sie sich
bei Slaven und Finnen spüren, deren spräche später ausgebildet aus
der hirtenzeit jugendliche eindrücke treuer bewahrt.
Jene durch ganz Europa verbreitete, nach Asien zurückgreifende,
unter Deutschen episch erblühte, unter Slaven, Litthauern, Finnen noch
heute im volk wache thierfabel liefert uns hier überraschende belege,
der vorgeschrittnen bildung sagt die natürliche Unschuld dieser mythen
* noch die casus sancti Galli schildern uns hirten aus dem j. 913 so:
magistri pastorum duo, homines utique silvestres, hirsuti et prolixis bar-
bis, ut id genus multum videri solet. Pertz 2, 85.
** die meisten obstfrüchte führen undeutsche namen, aber zu Karls des
groszen zeit waren sie schon Jahrhunderte lang allgemein gültig; wie alt
mögen Ortsnamen sein, die von der Obstzucht herrühren, z. b. Pirapalzinga
in Baiern (Meichelb. no. 1077) vom impfen (pelzen, palzian) der birnreiser.
. *** wie die markgenossen den umgrif des ackerbaues erschwerten, finden
sich noch heute im Bregenzerwald thäler, wo nur Viehzucht und sennerei
Setrieben wird, kein getraide zu schauen ist. (drei sommer in Tirol von
udwig Steub s. 44.)
HIRTEN 17
nicht mehr zu, und ihr reicht hin einen gedrungenen auszug für
das sittliche beispiel zu bewahren, aber zu welchen folger ungen
berechtigt nicht, wenn Simsons angezündete fuchsschwänze im korn-
feld sich auch bei Babrius oder das auf Väinämöinens knie gelegte
ei im Aesop wiederfinden?
Ich hebe noch einiges aus den sprachen was mir zuerst im wald
unter hirten entsprossen scheint, nahe liegende benennungen ein-
facher zustände, sie könnten Jüngern Ursprung haben, weil das ge-
meine volk immer die natur beobachtet, doch ihre weite Verbreitung 24
räth an ihn tief rückwärts zu stellen.
Das jüngste kind, den Griechen vrjTtiog, den Römern infans vom
mangel der rede geheiszen, nennt Ulfilas niuklahs, altn. nyklakinn,
nach dem im nest ausgeschlofnen jungen vogel. ich weisz nicht ob
das lat. pipio auf ein kind angewandt wurde, aber mlat. hiesz der
junge im nest überraschte sperber nidasius, woher das franz. allge-
meiner gebrauchte niais, sp. niego stammt; noch poetischer klingt
unser gelbschnabel, und das franz. bejaune wird aus bec jaune er-
klärt, wo es nicht zu bCer, beare gehört, weil der junge vogel den
Schnabel sperrt, vgl. Ducange s. v. beanus. unsern volksmundarten
steht eine fülle lebhafter ausdrücke zu für das jungte im nest
hockende unerfahrne vöglein: nestling nestquak (das ist pipio) nest-
quaklein nesthocker nesthöckerli nestblutter nestblüttling nestblütterli
nestkitterle nestkuiterlein nestscheiszer (im pentamerone cacanidolo)
nestkiken nestkükel nestbatz. in englischen dialecten nestcock nest-
lecock nestchicken nestlebub nestletrip nestgulp nestledraft. die
Polen sagen gniazdosz, die Böhmen hnezdnjk*.
Uns reicht trächtig, dem Römer feta, praegnans, inciens (fyxvog) 25
von allen thieren der herde aus, doch gilt ihm für die kuh horda
* ein neugebomes kind ist die freude der mutter. mey er munud fceddi,
delicias peperit = filium. Ssem. 149 b; maniger muoter froude=kind. Maria
209, 30; nie herzeliep mit kinde gewan: Maria 153, 15; thiu kinde nio ni fa-
geta. 0. IV. 26, 36 noch heute heiszt unter dem volk erfreut werden: einleben-
des kind gebären, keine freude bringen: eintodtes zur weit bringen, ungefreut:
todtgeboren (Schindler 1, 599. 601. 4, 192. Stald'. 2, 516); nachfreude nach-
geburtSchmid schwäb. id. 203). Inder aegypt. hieroglyphe drückt ein nest mit
jungen vögeln freude aus und koptisch bedeutet meh junge vögel, mih freude
(dingbilder no. 437 bei Bunsen 1, 663). ein minnesinger frohlockt MS. 2, 91a
endelich daz herze nun
wepfet in dem übe.
sam ez habe funden
ein nest vollez vögellin.
Hoch poetisch ist, dasz den Griechen der plural von sporj und öqoooq die
neugebornen thiere bezeichnet: SQoai Od. 9, 222. öqoool Aesch. Agam. 141,
der thau liegt noch auf ihnen wie auf frischen blumen. Sophocl. fragm. 962
ipccxakovxoi
fitjTEQsg diyiq r' inißaatiöiov
yovov dprakivcov avacpalvoisv,
wozu man die von Dindorf beigebrachten stellen aus Eustathius nehme.
Jväxakov von ipaxaq, und der thau kann auch die lanugo an thieren oder
rüchten sein, finn. utu ros und pluma mellissima.
Grimm, geschickte der deutschen spräche. 2
18 HIRTEN
oder forda vgl. hordicidia fordicidia. Die Slaven verfahren aber so,
dasz sie ans der praep. s und dem namen des jungen thiers ein
eignes wort für die tragende mutter bilden, russ. heiszt die trächtige
kuh stute sau hündin stel'naja bereshaja suprosaja tschennaja, d. i.
die mit dem kalb telja, füllen sherebja, ferkel porosja gehende korova,
koblyja, svinja. ebenso böhm. stelnä, shrebnä, sprasnä, skotnä von
tele hrjbe' prase kote\ Der Litthauer fügt dem namen des jungen
die endung -inga hinzu und bezeichnet damit das trächtige weibchen :
werszinga karwe, parszinga kiaule, eringa awis, kummelinga von
werszis kalb, parszas ferkel, eris lamm, kummelis füllen. Auf ähn-
liche weise wird mit dem namen des jungen thiers auch das werfen
desselben bezeichnet, wir sagen: die stute fohlt, die kuh kalbt, das
schaf lammt, die geisz zickelt, die sau frischt (von frisching frisch-
ling), die hündin weift (mhd. erwirfet daz weif); nicht anders heiszt
es franz. la chevre chevrote, la brebis agnele, la truie porcele, la
louve louvete; bei Marie de France 2, 86 lisse qui vuleit chaeler
(von chaiax weif), bei Meon 2, 347 truies qui essouent (von soue
ferkel). das ags. eanian, engl, yean lammen setzt einen namen des
lamms voraus, der von eov ovis abweicht. Auch in den slav. sprachen
geschieht dasselbe, z. b. böhm. gilt von der kuh oteliti se, von der
stute ohrebiti se, von der sau oprasiti se, von der katze okotiti se.
unsrer heutigen spräche klingen solche verba gemein, wir sagen lie-
ber: junge werfen, die Franzosen mettre bas.
26 Für das schlachten der thiere, weil es nicht auf gleiche weise
bewerkstelligt wurde, galten wiederum verschiedene wörter. Luc. 15,
23 verdeutscht Ulfilas xbv \l6<5%ov %v<5axe. stiur ufsneipip, und 15, 27
nochmals ed'vöev ufsnaij), die vulg. hat für &veiv occidere, ufsneijmn
ist mehr succidere; Joh. 10, 10 wiederum ufsneipai für ftvörj, vulg.
mactet, vom dieb der die schafe schlachtet, ich finde noch im 16 jh.
rein lamb mustu auch schneiden ab', wie es nhd. heiszt ein huhn
abschneiden, gemeint wird das durchschneiden der kehle, gleichviel
nhd. abthun, mhd. abnemen, Berthold 47. weisth. 1, 313. Schmid
schwäb. id. 405. nhd. das Schwein stechen, abstechen, ahd. arslahan
mactare, mhd. ein swin slahen Ls. 1, 285; vihe slahen, nhd. einen
ochsen schlagen, mhd. ein chalp bestroufen, zwei chitzi bestroufen,
Diut. 3, 65, 73, eigentlich die haut abziehen, abstreifen? ahd. wurgan
mactare Diut. 1, 260b würgen, strangulare. altn. skera mactare:
Thörr 'skar hafra Sn. 49, schor, schnitt den bocken das haupt ab.
mhd. den wolf klüben? fragm. 14b; tüben knüllen MS. 2, 192a;
hüner pflücken (rupfen) Fichards aroh. 3, 318; zerbrechen als ein
huon, Eracl. 5482; den visch vellen Greg. 3054; nhd. ist fällen er-
legen prosternere. Den Böhmen heiszt poräzeti wola den ochsen
schlachten, zaklati prase das schwein stechen, zabiti ob^t das opfer
schlachten, zabiti gelena den hirsch fällen. Am reichsten scheint hier
die litth. spräche [Donaleitis 155J: vom stier gilt pamuszti, vom
schwein skersti, vom schaf papjauti, von der gans pjauti, vom widder
smaugti, und diese Wörter haben entweder den sinn des stoszens,
HIRTEN 19
stechens oder erdrosselns. Wahrscheinlich stammen solche unter-
schiede schon aus der zeit der opfer und das alte blötan, pluozan
sacrificare war ursprünglich mactare.
Dem sterbenden thier misgönnt unsre heutige Volkssprache den
gemeinen ausdruck* und braucht verächtlich entweder crepieren ber-
sten, nach dem ital. crepare, franz. crever, oder darauf gehn (engl. 27
go off) abstehn (vom fisch) und verrecken, gleichsam die glieder
strecken, erstarren; edler die Jäger vom hirsch und wild: verenden,
mhd. gilt sterben und tot ligen auch vom thier. von der geisz die
schweizerische mundart: sie vergagert, vergibelt Stald. 1, 413. 442;
verzwatzeln heiszt sich todt zappeln**, böhm. pokapati, pozcypati
verrecken, vom hund zcypnauti, zcepenSti, vom schaf zkapati, zkap-
nauti. litth. nustipti erstarren, gaiszti iszgaiszti verderben, iszdw&sti,
padwesti. lett. sprangt, nosprahgt bersten.
Aus der alpenhirtensprache würde sich diese samlung erweitern
lassen und viel anderes wäre auszerdem erwägenswerth, eigennamen
die der hirt seinem hund oder rinde, der held seinem pferde beilegt,
rufe des lockens, scheuchens, antreibens, zurückhaltens, wie sie sich
ohne zweifei in hohes alterthum verlieren, von noch gröszerem ge-
wicht für den Sprachforscher wird die allgemeine unter den urver-
wandten Völkern umgehende benennung dieser thiere sein.
* goth. divan und daufman, altn. deyja; goth. sviltan, alts. sueltan,
ahd. sterpan, nhd. sterben ; goth. usanan = expirare, ausathmen, spiritum
effundere, ebullire animam.
** sehr eigen heiszt den Basken die lebendige ziege auntza, die todte
auntzquia.
2*
III.
DAS VIEH.
28 Was gezähmt zur weide getrieben wird heiszt vieh, im gegen-
satz zu dem wilden ungebändigten thier. beide ausdrücke erstrecken
sich durch die sprachen: goth. faihu, ahd. fihu, alts. fehu, ags. feoh,
altn. fe, schwed. fä, nnl. vee, nhd. vieh, lat. pecu, preusz. pecku, gr.
Ttav für tcokv Ttmv, zend und skr. paäu. litth. ist übrig piemü, dem
gr. 7tOLH?]v entsprechend, den begrif pecus drückt aber galwijas aus
von galwa caput, wie capitale, engl, cattle und unser bestehaupt,
ßowv nccQ7]va. pecunia, faihu fihu feoh, des hirten vornehmste habe,
peculium, Ktrjvog, bezeichnen zugleich das älteste tauschmittel, geld.
das sl. wort für vieh lautet skot und scheint entweder umgekehrt aus
goth. skatts, altn. skattr, ags. sceat, ahd. scaz, nhd. schätz entsprun-
gen, welche bereits geld bedeuten, oder es bewahrt den sinnlichen
begrif, den jene deutschen Wörter fahren lieszen ; doch auch fries. sket
drückt vieh und geld aus, und mhd. werden rscaz und vihe' verbun-
den Diut. 3, 87. man erwäge lat. opes und ovis, wobei opilio für
ovilio vermittelt und hernach beim pferd maij>ms und mädm.
Unser thier, goth. dius, ags. deor, engl, deer, altn. dyr, nnl. dier,
ahd. tior, mhd. tier ist sichtbar das gr. friJQ %'rjQiov, aeol. <prJQ, lat.
fera (vgl. ferus wild), sl. zvjer, böhm. zwer, zwjre, poln. zwierz, litth.
zw£ris, lett. swehrs, pr. swiris; für den Übergang des & in ZV ver-
29 gleiche man skr. dhvan sonare, ags. Jranor, ahd. donar, sl. zvon, litth.
zwanas sonus sonitus und das S dieser lat. Wörter neben tonitru. das
thier ist der Jäger vieh, das vieh der hirten thier.
Vieh weiden hiesz goth. haldan, ahd. haltan (0. V. 20, 32. I.
12, 1) mhd. halten (Griesh. pred. 1, 10. fundgr. 2, 90. Helbl. 8,
524) tenere, custodire, in gewahrsam halten, und ganz ähnlich ent-
springt gr. vefiEiv weiden aus der bedeutung habere, tenere, sortiri,
= goth. nimau, ahd. ne'man capere, tenere; vo[iij ist weide, Weide-
platz wie captura praeda und mlat. locus praedae = ahd. bifang, lat.
nemus wald und weide, alts. nimid (mythol. s. 614). goth. vinja vopij,
ahd. winßn pascere, mhd. wünne pascuum, eigentlich gaudium, volup-
tas, aus der wonne des weidens, den lachenden wiesen zu deu-
VIEH 21
ten*? auch vinja und winen darf ich zu venari ziehen, dessen langer
vocal auf dem wege des ablauts leicht vermittelt wäre. ahd. weida
pascuum, pabulum, venatio, ags. väde vagatio (weil die nomaden
schweifen) altn. veidi captura venatio, veida venari, schwed. veda
venari. altn. beita pascere, schwed. beta, dän. bede, mhd. beizen,
das vieh fressen machen und jagen; schwed. gä i bet pastum agere,
gä i vall auf die weide gehn, von vall, altn. vallr campus. lat.
pascere, gr. ßvöxeiv (B wie in lat. bibere und TtieZv, sl. piti) sl. pasti.
Für pastor, vo{izvg, ßoöxcov, goth. hairdeis, ahd. hirdi, altn. hir-
dingi, nul. herder, von hairda herta hiörd grex geleitet, wahr-
scheinlich verwandt mit goth. huzd opes, thesaurus, ahd. hord, altn.
hoddr und mit lat. custos, custodia; doch bleibt auch ahd. chortar
grex, ags. corder, mhd. korder zu berücksichtigen, sehr bezeichnend
ags. dräf, engl, drove, was getrieben wird, Viehherde**.
Die hauptthiere der herde müssen erwogen werden.
Für pferd läszt sich goth. aihvus, ahd. ihu mutmaszen, die alts. 30
form lautet ehu, altn. ior, lat. equus, gr. tnnog für 'faxog, ir. each,
welsch osw, skr. asvas, zend. aäpa, litth. aszwa, vanog zu deuten aus
'löTiog ? doch mahnen auch finn. hepo gen. hevon, est. hobbo, fries.
hoppa, schw. hoppa, dän. hoppe, engl, hoppy, falls letztere nicht aus
hoppe, hüpfen, vom zeltenden gang des rosses. Ahd. hen-
gist, ags. beugest, altn. mit ausgestosznem N hestr, wie es scheint,
dem sl. kon', böhm. kün, poln. kon, litth. kuinas verwandt, deren
abkunft schwierig bleibt, merkwürdig steht im altruss. Igor stets ko-
moni für kon', und so galt altbohm. komon für equus [mater verb.], noch
heute bedeutet den Böhmen komonstwo, den Polen komonnik comitatus
equitum, wobei nicht an die Kumaner, eher an mlat. communis cohors,
exercitus zu denken ist, wiewol ich kein communis für gemeines schlech-
tes pferd finde ; aber kon' war schon altslavisch und kon' aus komon'
ist stark gekürzt. Miklosich will kürzen aus kobn' (woher leicht komn)
und vergleicht kobyla stute, kobyla aber fügt sich zu caballus, uaßccX-
Irjg, die ursprünglich verschnittnes pferd (vgl. Kav&rjfaog saumesel)
bedeuten sollen, im roman. cavallo, franz. cheval, ir. caball allgemeine
bedeutung gewinnen. Ags. vicg, alts. wigg, altn. vigg Ssem.
233 a zumal streitros, vgl. gal. oigeach, ir aigeach, die auch an equus
rühren. Ags. mädm, wie goth. maiJDms cimelium donum,
episch aber oft mit mear verknüpft (meara and mädma Beov. 4327.
exon. 475, 7. mearum and mädmum Beov. 2089. 2792. exon. 339, 2),
so dasz pferd des worts ursprünglicher sinn sein könnte, zumal mhd.
meiden genau nur ihn behielt; leicht nahm das hauptstück des heer-
gerätes jene abstraction an. Mlat. warannio, ahd. reinneo,
reinno, alts. wrenno, mnd. wrene admissarius, nnl. ruin castratus
* der hirt freut sich seiner herde, wie die mutter des neugebornen
kinds (s. 24); sp. gaxiado herde und glück, vermögen.
** für einzelne thierarten noch besondere namen der herde: sonesti,
sunor, stuot, sueiga, avej)i, ouwiti, vrijms, vräd u. s. w. (gramm. 3, 475).
22 VIEH
equus, vgl. ags. vrsene lascivus. ahd. scelo admissarius, nhd. beschä-
ler; da jedoch scelo zugleich onager und tragelaphus ausdrückt, in
einer urk. von 943 elo und schelo gerade zusammenstehn wie Nib.
880 eich und schelch, eich und elo aber den altn. elgr, die lat. alce,
gr. afonj meinen; so mutmasze ich, dasz im hohen alterthum auch
wreineo reineo das rennthier bezeichneten, dem lat. rheno gleichka-
men und erst später aufs pferd gewandt wurden. Ahd hros, ags.
hors, altn. hros, nhd. ros für alle geschlechter; man vergleicht skr.
hresh hinnire ; wie wenn lat. Cursor in betracht käme ? Kelt.
marka (Pausan. X. 19, 4) ir. marc, welsch march, ags. mear, altn.
marr, ahd. marah equus, mericha equa; nhd. mähre; abliegt der mhd.
pl. mcere, dessen sg. mör fordert und schwarzes pferd bedeutet, nhd.
mohr, rappe (rabenschwarzes) vgl. ags. blonca, blankes pferd, Schim-
mel. Nhd. pfage, westf. page equus, pagenstecher, der ein pferd er-
sticht. Lat. veredus, paraveredus, mlat. parafredus paredrus
paledrus, franz. palefroi, ahd. parefrit, parvrit, pherit (wie Sigfrit
Sigurd, Sivert), mhd. pfärit, nhd. pferd, nnl. paard, serb. parit.
Litth. arklys equus scheint unnomadisch, erst aus der ackerzeit, offen-
bar das pflügende pferd, von arklas aratrum, gerade wir ir. ardhamh
den pflügenden ochsen bezeichnet. Bask. zaldia equus, zal-
duna eques, vgl. ahd. zeltari equus tolutarius, nhd. zeiter, ags. teal-
tian, altn. tölta. tolutim incedere. Bask. beorra equa, span.
burro asinus. altn. tia equa, ir. lair equa, finn. tamma equa.
jTttiolog, lat. pullus, goth. fula, ahd. folo, ags. fola, altn. foli,
schwed. fäle, it. puledro, span. pollino, franz. poulain, ursprünglich
allgemein junges hausthier, sp. pollino vorzugsweise eselsfüllen.
Sl. shrebja, russ. sherebja, poln. zrieb^, böhm. brjbe. Litth.
kummelukas, etwa jenem sl. komon' verwandt, oder darf an gromel
grömlein bei Fischart und Keisersberg gedacht werden?
Allgemein bezeichnet wird jumentum (jugmentum, das jochthier)
durch ahd. hrind, nhd. rind, nnl. rund, ags. hrider hryder und ahd.
nöz, ags. neät, altn. naut, schwed. not, woher finn. nauta entlehnt,
epicoena sind ßovg und bos, doch it. bove, sp. buey, franz. boeuf.
altsl. poln. byk, böhm. byk beykaufs masc. eingeschränkt, ir. bo (gen.
boin, dat. pl. buaibh = lat. bobus) aufs fem. Nur das
männliche rind bezeichnen goth. auhsa und auhsus, ahd. ohso, mhd.
ohse, ags. oxa, nnl. os pl. ossen, altn. oxi, läpp, wuoksa (norw.
32 läpp, uafsa), wozu skr. uksan und vaksas für bos und equus stimmen,
von der wurzel vah vehere? gal. agh, welsch ych. Goth. stiur {iÖ6%og,
ahd. stior juvencus taurus, nhd. stier, ags. steor juvencus, engl, steer,
skr. sthaurin sthörin, zend. ätaora lastthier, woraus gr. tavQng, lat.
taurus, it. toro, altn. Jrior, schwed. tjur, dän. tyr, sl. tour, böhm.
tur, die aphaeresis wie zwischen goth. stairno, skr. tarä, gr. opLLKQog
und fJiiKQÖg, ahd. smal und sl. mal'; bei stiur scheint stiurs firmus,
ahd. stiuri fortis nah. altn. tarfr weicht im anlaut von Jrior und scheint
geborgt aus ir. tarbh, welsch taru, tarw, armor. taro, die sich wieder
an taurus schlieszen.
VIEH 23
Altn. boli bauli, ags. bulluca, engl, bullock, nhd. bulle, ir. bolog
bolan, litth. bullus, sl. vol", böhm. wole, poln. wo!. Ahd. far taurus
pl. farri, mhd. var, ags. fear gen. fearres, scheint entspringend ans
fars fears, nach fersa vacca, gr. noggig ndgrig juvenca, lett wehrsis
bos. altn. grädüngr taurus, vgl. grädr admissarius. litth.
jautis bos zu jungas joch gehörend, finn. härkä, est. härg bos, das
läpp, herke aber rennthier, des rindes ersatz. ir. damh, damhan bos.
bask. idia bos, welsch eidon*.
rj ßovg, ahd. chuo pl. chuowl, mhd. kuo pl. küeje, nhd. kuh,
ags. cü pl. ey, engl, cow pl. kine, altn. kü pl. kyr, nach Columella
6, 24 auf den alpen cevae für vaccae, skr. gaus, acc. gäm, pl. gä-
vas, zend. gaus, lett. gohws, übrig in sl. govjado herde rinderherde,
böhm. howado, serb. govedar bubulcus, vielleicht in ydXa ydlaxtog
für yd-lccxrog, wie Kuhn aufstellt, der auch in gaus, ßovg dieselbe
wurzel annimmt, wozu gävas, chuowi, cevas und boves passen; einer
merkwürdigen analogie zwischen gaus und yY\ terra ist myth. 631 ge-
dacht. Ags. heahfore heafore vaccula, engl, heifer. Sl. krava,
russ. korova, poln. krowa, litth. karwe; das preusz. kurwa bedeutet
ochs. Lat. it. vacca [aus vacsa], sp. vaca; franz. vache, skr. 33
vaska. Ir. bol vacca, zu bol ochs gehörig; ir. fearb; finn. lehmä, est.
lehm; bask. beia vacca, beigaya vitulus.
goth. kalbö Öd^taXig juvenca, ir. colpa vacca, colpach juvencus,
ahd. chalp vitulus, nhd. kalb, ags. cealf, altn. kälfr, wahrscheinlich
sl. krawa, litth. karwa, mit Wechsel des L und R, dasselbe wort.
Altn. qvigr vitulus, qviga junix, verwandt mit qius vivus, wie junix
juvencus juvenis, lat. vitulus für cvitulus, gr. iraXog, it. vitello, franz.
veau; sl. tele, russ. telja, poln. ciele^, litth. tellyczia, lett. telsch, viel-
leicht mit aphaeresis des anlautenden vocals für itele ? ** Gr. [id-
6%og, vgl. kopt. mes kalb und skr. vaska kuh, finn. wasikka, est. was-
sikas kalb. Ir. gabhuin, gambuin und laogh, welsch llo.
sp. ternero.
TlgoßaTov ist ein dichterisches wort, und bezeichnet das vor-
schreitende vieh der herde insgemein, wird aber allmählich auf schafe
eingeschränkt, auch pfjXov gilt für das schmalvieh überhaupt und für
schaf insonderheit, altn. smali pecus, smalamadr opilio, vgl. smal par-
vus; man denkt dabei an (.taXlog wolle. ebenso bedeutet
unser schaf das thier ohne unterschied des geschlechts: ahd. scäf,
alts. sciep, ags. sceap, engl, sheep, nnl. schaap, fries. skep, doch
den nord. mundarten fehlt das wort, die dafür das allen jenen abgeh-
ende altn. fser, schwed. far, dän. faar besitzen, dies faer scheint mir
sowol ßdga pecora, ßdouov ovis bei Hesych, als das poln. baran,
böhm. beran, litth. baronas fürs männliche schaf, ungr. barany agnus ;
* bezug aufs opfer hat das altlat. ambegnus, ambiegnus: ambegni bos
efc vervex appellabautur, cum ad eorum utraque latera agni in sacrificium
ducebantur. Festus.
** der neapol. dialect setzt Talia Taleja für Italia.
24 VIEH
altn. ahd. F entspricht öfter slavischem B : flö pulex sl. blocha, fürt
vadum, sl. brod. welsch davad ovis.
* Unser ausdruck für aries ist goth. viprus, adh. widar, mhd. wider,
nhd. widder, alts. wethar, ags. veder, engl, wether, nnl. wedder,
altn. vedr, dän. vädder, schwed. väder. Hesych gewährt t&gig, to{iiccg
ngiog, vielleicht l'frotg zu bessern, auch widder bezeichnet uns den
verschnittnen, wie umgekehrt hamal mutilus das verschnittne thier,
den hammel. aus mutilus it. moltone, fr. mouton, prov. molto, mouto,
34 widder und schaf. Beim lat. aries kommt viel in betracht : gr. agyjv
ägvog, was <x$grjv agörjv männliches thier sein soll, sggaog zggag
aries oder aper, altlat. arviga bei Varro 5, 98, harviga bei Festus,
Hesych hat &gi%u, aggsv ngoßatov, ferner bask. aria aries, neben
ardia ovis, finn. jäärä, est. jäär aries, endlich skr. urana urabhra ovis,
von ura lana geleitet = laniger wie fiijkov von pakkog, doch kaum
fallen alle dieser wurzel zu. ahd. mhd. ram, rammes aries,
vervex, ags. ram rammes, nnl. ram pl. rammen, woher ahd. rammi-
lön, nhd. rammeln coire; steht nun ram für aram, wie gtjv für ägfjv?
gr. Kgtog, vielleicht verwandt mit altn. hrütr? oder näher mit ir. caor
pl. caoire ovis? noch besser sein wird an usgccg zu denken, da auch
altn. hyrningr cornutus den aries bedeutet. altn. for aries,
gregis obambulo, vgl. fär ovis. altn. saudr vervex, altschwed.
söd; das goth. saups bedeutet ftvöia, wie harviga bei Festus hostia*
oder ahd. friscing victima, merkwürdig auch die einstimmung des lap-
pischen sauz, sautsa ovis. lat. ambidens und bidens ovis bima, quae
duos habet dentes, apta ad sacrificium. gr. äfivog vervex,
altsl. oven, litth. awinis, lett. awens, auns, finn. est. oinas, sämtlich
verwandt mit ovis. lat. vervex, it. berbice, mlat. berbix, gl.
cass. pirpix, berbica ovis, prov. berbitz, franz. brebis und berger opi-
lio, berbicarius. böhm. skop, skopec, woher unser schöps,
das verschnittne thier, sl. skop'tz eunuchus, von kopiti, skopiti evi-
rare, womit jenes deutsche schaf, skap zu vergleichen. schwed.
gumse aries, vervex. dän. bede vervex, westgötl. baitaväre, von beta
verberare, percutere, evirare. franz. belier der blockende
von beler balare. sp. carnero.
oig und ovis sind epicoena, litth. awis, lett. aws, skr. avis,
altn. ä, ags. eovu, nnl. ooi, ahd. ou ouwl gehn aufs weibchen, ich
vermute goth. aus avais. sl. ovtza ngoßatov, böhm. owce,
poln. owca, finn. uuhi ovis femina, lett. aita ovis. gr. gr^v
Sbgrjvog für ägtfv oder mit rheno verwandt? ahd. chilpurra agna,
Schweiz, bair. kilbe ovis, kilber aries, an kalb mahnend. schwed.
takka ovis femina, litt, tekis, lett. tekkis aries.
Das junge säugende schaf goth. lamb, ahd. lamp, ags. engl, lamb,
altn. lamb, nnl. lam, nhd. lamm, finn. lammas gen. lampaan ovis,
lampari opilio, welsch llamp agnus, gal. luan. ags. cilforlamb
nach jenem chilpurra. gr. agviov, so wie agveg oft allgemein
* für harviga auch haruga, wovon haruspex, qui exta victimarum inspicit.
VIEH 25
lämmer, litth. eris, lett. jehrs, jenes finn. jäärä, bask. aria und lat.
aries. lat. agnus, sl. iagnja, böhm. gehne, ir. uan, uaghn,
uaghan, welsch oen, pl. vuan. altn. gimbill agnus, gimbla,
gimbur agna, dän. gimmer. Schweiz, und bair. spetti, spettl
(weisth. 1, 5. Schm. 3, 581).
Vir gregis ipse caper (sp. cabron), was mit ccqqtJv zusammen-
stimmt, ags. häfer, altn. hafr genau dem caper gleich, ein ahd. hapar
habar zu erwarten, und noch übrig in habermalch bocksbart (vocab.
1482), habergeisz, dem namen einer eule oder eines insects (Schm.
2, 137). lat. hircus, hirquus, den Sabinern fircus. gr.
rgayog und ylficcQog, den Lakonen hiesz der leitbock tizvQog.
litth. ozys, lett. ahsis. böhm. kozel, poln. kozioi, serb. jaratz.
mlat. buccus, prov. boc, sp. boque, franz. bouc, it. becco, ahd. pocch,
nhd. bock, ags. bucca, altn. bokki, dän. buk, ir. poc, welsch bwch,
finn. pukki, putti. finn. kauris caper, vgl. ir. caor ovis.
est. sie. bask. aquerra. Im Eeineke heiszt der Ziegen-
bock Hermen und noch heute in Niedersachsen, Westfalen, Hessen:
Harm, Herrn, Hirm, bei Fischart: Hermanstosznicht. Thors bocke
aber führen Sn. 26 die dichterischen namen tanngniostr und tann-
grlsnir d. i. dente frendens (von gnista stridere dentibus, ahd. cris-
crimmön) weil er beim fressen knirscht (also auch wieder bidens),
während zicklein und ferkel noch nicht knirschen, d. i. nefrendes sind,
keine harten fruchte zermalmen können.
Das weibchen gr. alt, gen. alyog von atööco salto salio ? ir. aighe,
skr. dschä, litth. osza. goth. gaitsa, ahd. keiz, ags. gät, engl,
goat, nnl. geit, altn. git, schwed. get, dän. ged, ir. gadhla, schwäb. 36
und bair. hettel*, finn. kuttu kitti est. kits, alb. nerty, vgl. her-
nach hoedus. lat. capra capella, sp. cabra, franz. chevre, ir.
gabhar, cabhar, welsch gavyr, geivyr, armor. gavr. sl. koza
(vgl. kozel) lett. kasa. gr. %i^aiQa vgl. xl^iccgog. ir. seagha.
finn. wuohi, wuohinen. bask. auntza.
Das junge lat. hoedus, haedus, sab. fedus, goth. gaitei, ahd. kiz,
chitzi, nhd. kitz, altn. kid. ahd. zigä capella, zikkin hoedus,
ags. ticcen, nhd. zicklein. gr. EQccpog, eglq)^, tQiyiov.
särb. jarad collectiv zicklein.
2Jvg und i)g, wie lat. sus, sind epicoena; auch die deutschen
neutra goth. svein, altn. svin, ahd. suln, nhd. schwein, russ. svinja,
böhm. swine, poln. swinia gehn auf alle geschlechter.
Dem lat. aper entspricht ahd. e'par, ags. eofor, altn. iöfur (held),
nhd. eber, bezeichnet aber vorzugsweise den wilden; gr. KCC7Cgog =
lat. caper, übergehend auf den bock. sl. vepr aper, böhm. wepr,
poln. wieprz, lett. wepris, verschnittner eber. Ahd. per verres,
ags. bar, engl, boar, mhd. ber, die goth. form wäre bais. nieder-
rhein. beir, beier in einer urk. von 1201 bei Lacomblet 2, 1.
lat. verres, skr. varäha, dem ahd. varah = farah unverwandt, und
* in Hessen und der Wetterau ruft man der ziege hitz! hetz!
26 VIEH
wiederum andrer wurzel ahd. paruh, parh majalis castratus, nhd.
barch borch, ags. bearuh bearh, engl, barrow. wegen fol, ful,
urful vgl. mythol. s. 948. altn. ]arändr aper, wiederum der
wilde, der auch sonst bassi, dän. basse heiszt, was jenem bais be-
gegnen könnte, vgl. nhd. watz in volksdialecten nhd. hagk, haksch
verres, welsch hwch sus. altn. göltr verres, schwed. dän. galt,
zumal der verschnittne. böhm. kanec verres. serb. krmac por-
cus, krmatscha porca. litth. kuilys, lett. kuilis verres vgl. nhd. keu-
ler aper. das poln. odyniec soll hauer, kämpfer ausdrücken,
wir nennen des ebers zahne hauer und ihn das hauende thier.
finn. oro, oros, orrikas verres exsectus, woher vielleicht dän. orne
verres.
37 Ahd. sü scrofa, nhd. sau, ags. sugu, engl, sow, schwed. dän.
so. altn. syr neutrum (R = lat. S in sus). finn. sika, est. sigga,
skr. sükara, koptisch saau. ahd. galza sucula, ags. gute, schwed.
gylta, vgl. göltr aper, litth. kiaule. gr. ypofiqpcfe, yQO{icpLg, die
wühlende, was lat. scrofa. lat. troja, it. troja, franz. truie,
prov. trueja*. ir. muc, welsch moch, mochyn, nhd. mucke,
nhd. ränge, ranze schweinmutter , wie der eber schweinvater. ir.
crain sus fem.
Ahd. farah, varah porcus, farheli porcellus, mhd. varch, nhd.
ferkel, ags. fearh, die lat. ausdrücke sind dasselbe wort, nach Varro
war auch nogxog altgriechisch, litth. parszas, parszelis, finn. porsas,
lett. porsas, syriän. pors, wogul. boros, russ. porosja, poln. prosi^,
böhm. prase; vielleicht sind auch ahd. friscing, nhd. frischling dieser
verbreiteten wurzel. Lye hat die ags. Wörter för und förn por-
cus, porcaster, wodurch altn. förn victima (wie friscing) aufschlusz
empfängt, schon der lange vocal gebietet sie vom vorigen wort zu
sondern. Altn. gris, schwed. dän. gris porcellus, vgl. skr.
ghriävi, wühlender eber; unfern scheint gr. %oiQog porcus, porcellus,
[verres für guerres], bask. cherria, charria porcus, vgl. litth. szernas
aper, szernukas frischling. lat. nefrens, porcellus nondum frendens.
gr. dkXtpat, porcus, wozu dslcplc delphinus, meerschwein. sp.
cochino porcus, franz. cochon. sp. lechon Spanferkel, von leche
milch. finn. naski porcus. nnl. big, bigge porcellus,
engl. pig. mlat. baco bacco bacho bedeuten porcus saginatus et salitus,
dann perna, petaso, altfranz. bacon, ahd. pacho (Graff 3, 29); unsre
jäger nennen die wilde sau bache, den wildeber bacher, becker.
Das treue, wagen und herde bewachende thier, der lex Bajuv.
19 hovawart, qui curtem domini defendit, nach dem Sp. 3, 51 hove-
wart, ebenso den mhd. dichtem (MS. 2, 146J), unsern Jägern gesell-
mann geheiszen, hat einen fast durch alle verwandten sprachen laufen-
den namen, doch so, dasz vor der abweichung die gleicbheit oft zu
38 schwinden scheint, skr. ävä gen. äunas, zend. &pä acc. äpänem, litth.
szü gen. szuns, lett. suns, gr. xvwv gen. nvvog, ir. cu gen. con,
* Troja sus. Klausens Aeneas 827. 828.
VIEH 27
welsch und armor. ki, lat. canis, it. cane, franz. chien, altfranz. kiens,
alban. xtv, goth. hunds, ahd. hunt, ags. hund, altn. hundr. wie
ans zend. aäpa, skr. a£va, litth. aszwa, goth. aihvns, alts. ehu, lat.
eqnus, wird aus spä s>ä deutsches hva hu = litth. szü, ir. cu, gr.
xv, lat. ca für cva, aber die genitive sunas, szuns, xvvog, con zeigen
das schon im lett. nom. suns, lat. canis vorstehende N, welchem in
unserm hund sich noch D zugesellt, vielleicht um den namen der Wur-
zel hinpan capere (vgl. ags. huntian, engl, hunt) zu nähern, vielleicht
aber gleicht dies D dem lat. T in catus catellus. auch sl. p's", russ.
pess", böhm. pes, poln. pies, serb. pas sind identisch, wie der gen.
psa anschaulich macht, denn dies psa kommt überein mit zend. äpä,
PS für SP (wie dor. tyk iplv statt öcpe öcpiv), dergestalt dasz die
zend. skr. nominativform im sl. gen., die zend. skr. genitivform im
lat. deutschen nom. entfaltet wird, und wie das sl. wort überhaupt
gar kein N zeigt, die übrigen es allenthalben durchführen, das ir.
cu bekommt, auszer dem gen. coin, im nom. pl. cointe, wo nochmals
der deutsche linguallaut ausbricht.
Der schnelle Jagdhund, mythisch von winden erzeugt, heiszt in
unserer spräche wie das element selbst wind; lat. vertagus vertraha
(Gratii cyneg. 203) veltagra, it. veltro, altfranz. veltre viautre vaultre.
sl. chort, böhm. ehrt, poln. chart, litth. kurtas, lett. kurts, est. hurt,
urt. Der molossus ahd. rudeo; mhd. nhd. rüde, ags. rydda;
engl, dog, schwed. dogg; böhm. ohar, wohar, poln. ogar, ir. ma-
dradh. Andere allgemeine benennungen: finn. koira, est. koer, läpp,
käire; bask. chakhurra, zacurra; ir. gadhar, gaighear. läpp,
sjowonja, norw. läpp, shiuwon, altn. seppi canis catulus, schwed. sif
canis femina, pers. sipa, vgl. russ. sobaka. woher das span. perro,
perrazo, perrica, perilla, perrita?
Hündin: ahd. zöhä, mhd. zöche, nhd. zauke zaupe. altn. schwed.
tik, läpp. tiko. mnl. teve, nnl. teef, nnd. tefe tiffe, dän. täve. ags. 39
bicce, engl, bitch, altn. bickja*, nhd. betze, petze. böhm. fena,
tista, tistka.
Das junge: ahd. huelf, weif, ags. hvelp, engl, whelp, altn.
hvalpr, schwed. walp (woher das läpp, vielpes geborgt), dän. hvalp,
bezeichnet eigentlich xvviölov, gilt aber wie catulus auch von neuge-
bornen jungen andrer thiere. nicht anders böhm. st$ne, poln. szcze-
ni^. [finn. peni.] in hvelp aber hat sich das vorhin vermutete HVfürHU
merkwürdig erhalten und es gehört zu hva wie catulus zu ca für cva;
war catus für feles verwandt, so musz es ursprünglich auch den hund
bezeichnen, ihm ist aber langes A verliehen, den formen catulus ca-
tullus kurzes, jenen slavischen Wörtern mag anlautendes P abgefallen
sein, so dasz sie sich wiederum auf PS zurückführen, den lat. und
* da Bikki, der altn. heldenname dem mhd. Sibeche, ahd. Sipucho, ags.
Sifeca, in Vilk. saga Sifka entspricht, könnten bikkja, bicce aus sibikkja
sibecce gekürzt scheinen, man erwäge die von vorhin angeführten sif, sipa,
sobaka. Benfey 2, 165 will sobaka = sbaka, das er zu cva stellt.
28 VIEH
deutschen nah liegen, pse = hve, cva. hund und huelf hätte also
Graft7 unter dieselbe wurzel bringen müssen; ob auch önvlcd; und
öxvfivog catellus mit zu uvcov fallen?
Die mühe der unternommnen durchsieht wird nicht verloren
sein, einmal zeigen die meisten appellativa dieser hausthiere so ent-
schiedne Übereinkunft der urverwandten sprachen, dasz sie mit zur
grundlage aller folgenden forschungen dienen darf, wer überzeugt
sich nicht, wenn er die reihen pecu, fera, equus, pullus, taurus, gaus,
ovis, sus, porcus, canis erwägt, von einer durchdringenden gemein-
schaft weit erstreckter Völker, die von frühe an, ohne einander ab-
zuborgen, so gleicher, nur nach der eigenthümlichkeit ihrer organe
abgewichnen namen pflagen ; es will zwar gelernt sein, dasz ior und
aspa oder pies und canis, welp catulus und szczeni^ dasselbe wort
sind, doch zwischentretende stufen vermitteln ihre scheinbar schroffe
abgelegenheit. wo aber die unentbehrlichsten gegenstände des ein-
fachen hirtenlebens in der benennung einstimmen, musz die ganze
übrige spräche stark zusammentreffen.
40 Dann bestätigen sich hier schon bei den metallnamen wahrge-
nommne ergebnisse über nähe oder ferne einzelner sprachen.
ST in stiur hat die unsrige gemein mit zend und sanskrit gegen-
über dem T aller andern, zendisches &pa stimmt zu sl. psa, skr. äva
zu litth. szü, skr. gaus zu kuh, uxan zu ochs, sükara zu sus, sü,
varäha zu lat. verres; es scheint sehr begreiflich, warum diese fern-
sten, ältesten sprachen ihre analogie in keiner europäischen unbe-
zeugt lassen, vielmehr jeder derselben hier oder dort sich zuneigen,
denn auf sie in frühster zeit beziehen sich alle zurück, während die
übrigen ähnlichkeiten und Verschiedenheiten sich erst unterwegs all-
mählich bestimmten, nachdem die wandernden Völker Asien verlassen
hatten.
Nähe des lateins zum deutschen tritt vor in venatio vinja, pecu
fihu, equus ehu, aper epar, caper häfer, ovis eovu, hoedus geit, por-
cus farah, pullus fula, vielleicht Cursor hros, in sus sü, catulus huelp.
Griechische und deutsche spräche scheinen sich etwas ferner, doch
treffen zu vs^slv niman, &ijg dius, txxog ehu, jicdv fihu, o'Cg eovu,
Gvg sü, vermutlich fögig viprus, noggig ferse, %i^agog gimbill, %[-
{iccigct gimbra, %olgog grls, xgiog hrütr, hyrningr. Kungog weicht
aus in den begrif aper, zu fera stehn drjg dius tior wie zu fores
ftvga daurö turi, während sl. zvjer und dver den Übergang lehren,
bemerklich ist das verhalten des sl. beran und tur zum altn. fseer J)ior,
da doch scäf sceap skopec dem Norden fehlt. Mit den Slaven stim-
men wir in skat skot, kuh gowedo, suln svinja, farh prase, vielleicht
in hengist kon', kalbö krawa, wogegen pascere pasti, agnus iagnja,
ovis ovtza, taurus tur, vielleicht caballus kobyla, vitulus tele treffen.
Litth. aszwa, awis, szü, eris, piemü sind skr. aäva, avis, svä,
gr, dgvlov, noi^iTJv und jautis gleicht lat. jumentum, öfter stimmt
die litth. zur sl. spräche: baronas beran, owinis oven, karw& krawa,
parszas prase, teliuezia tele, kurtas ehrt, zw&ris zvjer, kasa kozel.
VIEH 29
Den Kelten mangelt pecu fera pullus taurus kuh aries ovis caper
sus porcus, wogegen sie besitzen each equus, osw asVa, agh ochs,
bo bos ßovg, uan agnus iagnja, gabhar capra, cu xvcov, und für die 41
deutsche spräche hervorzuheben ist marka marah, llamp lamb, colpa
kalbö, aigeach vigg, tarw tarfr, hwch hog, bol bauli, muc mucke;
wo lautverschiebung abgeht, kann geborgt sein, kaum begegnet
keltische besonderheit der slavi sehen und litthauischen, es sei denn in
bol bolan wole, colpa krawa karwe, deren vergleichung noch unsicher
bleibt, offenbar lag das deutsche element zwischen Kelten und Sla-
ven, und hat mit beiden gemein, das nordische mehr mit keltischem,
das hochdeutsche mehr mit slavischem.
Finnische spräche berührt schon in diesen thiernamen sich wenig
mit den andern und scheint unurverwandt ; keins jener durchgreifen-
den Wörter kommt vor und nur einzelnes gleicht; wasikka vaska
[i6o%og, jäärä aries, uuhi ovis, lammas lamm, sigga sus, porsas par-
szas, oinas awinis und wieder mögen einzelne erborgt sein, wie läpp,
wuoksa aus nord. oxi, und sauts, sauz ovis aus altn. saudr. Nicht
zu übersehn bei rindern und schafen die alten auf das opfer bezüg-
lichen ausdrücke : ambegnus, arviga, nidens, bidental, ambidens, nefrens.
Aufmerksamkeit verdienen bask. aria und ardia wegen arviga und
finn. jäärä, cherria wegen %olgog; diese noch zu wenig erforschte
spräche wird vielleicht aufschlüsse über lat. und gr. mundarten geben.
Den Doriern hiesz die jährige ziege ii^iaQog %l{icciqcc, die ältere
ßd'£, ich halte zu jenen ausdrücken altnordische, a%% hat gröszere
Verwandtschaft; zu TQayog aber, das durch seinen bezug auf die tra-
goedie in alle neueren sprachen sich ausbreitete, läszt sich gar nichts
stellen.
Wer sagt uns wie die Römer zwischen hircus und caper unter-
schieden?* auch ins ital. ist irco und capro, ins span. hirco und ca-
bron, ins franz. nur chevreau übergegangen, doch im adj. hircin das
erste wort erhalten, ich wage zu hircus das finn. härkä bos zu stel-
len, weil beides hornstoszende thiere sind und läpp, herke vom renn-
thier gilt, auch die Griechen TQaytkacpog auf stier wie gazelle an- 42
wandten, zwischen warannio rheno scelo alces gewahrten wir ähn-
lichen Übergang; bock lassen wir heute von aries und caper gelten,
wie tacka agna, ticcen capra zusammenfallen, man weisz dasz sich
wolf und fuchs, in namen und fabel, vertreten, so durfte auch
xdnQog Griechen den eber, caper Römern den bock bezeichnen und
zu letzterm stimmt häfer, hafr. namen wilder thiere, der vögel und
insecten greifen noch mehr in einander über**.
* Ov. fast. 2, 439 caper hirtus, dies aber = hirsutus, mit hircus kaum
verwandt.
** aus eXeqxxq, elephantus, den man altn. fill nach dem pers. fil, pilu
nannte, entsprang die benennung des andern groszen fremden thiers, des
kamels: goth. ulbandus, ahd. olpentä, mhd. olbente, ags. olfend, altn. ül-
faldi, altsl. velbjud, böhm, welblaud, russ. velbljud verbljud, poln. wielblad,
30 VIEH
Die alten epicoena, sobald der spräche das vermögen beide ge-
schl echter an demselben wort zu bezeichnen ausstirbt, schränken sich
dann auf das männliche oder weibliche ein, und für das andere musz
sonst rath geschaft werden.
In allen deutschen zungen scheint das wort bock unheiraisch,
so früh es schon eingang fand, unser haber verdrängte und auf andre
männliche thiere, widder, rehbock, Steinbock erstreckt wurde; von
uns gieng es auch zu den Finnen über, wir empfiengen es aus den
romanischen sprachen, diese wol aus den keltischen*, der zuneh-
menden abstraction sagte zu für ähnliche thiere einen allgemeinen
ausdruck zu besitzen statt der älteren besonderen. Wie geschah es,
dasz wir beim edelsten der zahmen thiere uns des eignen wortes
entäuszert und das gewaltsam zusammengezogene unschöne pferd er-
borgt haben? das stattlichste ros war der geschmückte paraveredus
und jedem andern sollte allmählich gleiches ansehn verliehen werden,
wie vor zahllosen modewörtern die alten einfachen ausdrücke wichen,
auch alle romanischen sprachen haben dem ehrwürdigen equus ent-
sagt, dafür aber das vollautige cavallo gewonnen.
littb. werbludas. daneben gilt böhm. twaja camelus, dalmat. deva, ungr.
teve. der elefant heiszt sl. slon, litth. szlapis. elephant selbst leitet Pott
aus dem semit. aleph hindi = taurus indicus.
* kaum darf das sl. byk taurus verglichen werden.
IV.
DIE FALKENJAGD.
Der mensch, wenn er thieren nachstellt, kann dazu des thie-43
res selbst nicht entrathen. dem Jäger gesellt sich sein hund, um das
wild aufzuspüren, behend zu erreichen und festzuhalten; es ist als
gehe kein geschlecht zu gründe, gegen das nicht aus seiner eignen
mitte helfer dem feinde auferstehn. Unser alterthum pflag aber nicht
allein hunde abzurichten, sondern auch raubvögel zu zähmen, die es
in die luft auffliegen und nach der beute stoszen liesz. erst dadurch
erreichte die jagdlust ihren gipfel.
Es kann keine edlere jagd ersonnen werden, als wenn der Jäger
ausreitend durch die wälder den falken auf der hand hielt und den
hund vor sich laufen hatte,- welches thier auf dem feld oder in den
lüften mochte ihnen entrinnen? durch das pulver ist wie der krieg
grausamer und unmenschlicher, die jagd tückisch und weniger poe-
tisch geworden : ein feiger schusz erlegt das stolzeste thier aus wei-
ter ferne, das gegen speer und pfeil noch seine letzte kraft aufbieten
konnte. Wie wissen die dichter den kühnen flug des falken und
seine leuchtenden äugen in ihre bilder und gleichnisse zu ziehen:
sie liez ir ougen umbe gän
als der valke üf dem aste;
ze linde noch ze vaste
hsetens beide ir weide. Trist. 11000.
ja brinnent ime die ougen sin 44
rehte in sime houbet
also eime wilden falkelin. Mor. 2166.
li oeil estable ne seront,
ains tornent plus menuement
quesperviers, quant laloe prent. Meon 2, 189.
eis huelhs var en la testa coma falco mudat. Ferabr. 1889.
les ieux vers en la teste comme faucon ramage. Maugis 52c,
und noch in Ettners hebamme s. 802: die äugen, die vormals als die
falken hier und dorthin geflogen*, augenweide, das oculos pascere
* in den serb. liedern ist oko sokolovo (falkenauge) schmeichelname.
32 FALKENJAGD
scheint ganz nomadisch aufgefaszt, da weiden pascere und venari
ausdrückt, das altn. beita pastum agere pecus, das schwed. beta
(mhd. beizen) venari.
Wie unsere alten gesetze den Zeigefinger digitus quo sagittatur
nennen, ags. scytefinger*, hiesz den skalden die hand haukströnd, ac-
cipitris litus, strand, auf den der vogel seinen flug senkend sich nie-
derläszt, der held selbst haukstaldr, auf dessen hand oder Schulter
der habicht sitzt, gramr oder vinr haukstalda daher der könig (Saem.
220b. 240a). unsern Jägern stand habicht oder falke auf der linken
faust (Döbel 2, 185), ä vinstri hendi hefr hann ein hauk (Vilk. saga
cap. 244), und in allen bildern der handschriften , die ich einsah,
sitzt er auf der linken, wie in den rechtsbüchern und gedichten
mit abhauen der rechten hand und des linken fuszes gestraft wird,
heiszt es im spanischen lied von Gayferos
cortenle el pie de estribo, la mano del gavilan,
unter sperberhand musz also die rechte gemeint sein; Nlthart aber
sagt umgekehrt MSH. 2, 23 7b
die hant die muoz er mir hie län,
da der sprenkelohte vogel oben üfe stat,
und dar zuo den zeswen vuoz,
dar an der sporn erklinget,
45 was offenbar dem vogel die linke hand anweist, beide hände wech-
selten also, kaiser Friedrich de arte ven. 2, 42 sagt ausdrücklich:
expedit enim quod portitor sciat portare falconem super utramque
manum, ut si ventus fuerit a sinistris, portet super dextram, et si
a dextris, portet super sinistram, quoniam sie semper apponetur
pectus falconis vento item sunt homines quarundam regionum,
qui consueverunt portare falcones in manu dextra et tantum suum
modum approbant et aliorum modum vituperant, vgl. 2, 71. Oft
trugen auch frauen auf ihrer hand den falken und die jagd empfieng
dadurch noch köheren reiz, dasz sie an ihr theil nahmen.
In den alten sagen unsers volks spielt der habicht eine grosze
rolle. Sigurds habicht setzt sich in ein fenster von Brynhilds thurm,
und leitet, als jener ihn «aufsucht, den bund zwischen beiden ein
(Völsungasaga cap. 24**). gleich wichtig erscheint in der sage von
Irmanfrid und Iring der über die Unstrut entfliegende habicht (Widu-
kind 1, 10). die ags. genealogien überliefern einen göttlichen stamm-
helden Vesterfalcna und die alte form eines sächsischen volksnamens
lautet Westfalah. Aus des heil. Bonifacius briefen erhellt, dasz der
könig Aethelbert von Kent falken von ihm begehrte: unam rempraeterea
a vobis desidero exhiberi . . . hoc est duos falcones, quorum ars et
artis audacia sit grues velle libenter captando aeeipere et aeeipiendo
* ir. ardog, ordog pollex bedeutet den pflügenden finger, weil der
daume den pflüg faszt, und stammt aus dem ackerbauleben.
** Randver, zum galgen geleitet, rauft einem habicht alle federn aus,
damit anzuzeigen, dasz er aller ehre verlustig gehe, wie der vogel des ge-
fieders. Völsungasaga cap. 40.
FALKENJAGD 33
consternere solo, und dem könig Athebald von Mercia schrieb Boni-
facius: direximus tibi accipitrem unum et duos falcones. Was aber
noch mehr bedeutet, schon in den volksrechten, zumal dem salischen,
steht der habicht unter den werthvollen gegenständen, auf deren
diebstal besondere busze verordnet wird: accipitrem de arbore, de
pertica, de intro clavem volare (lex sal. 7), acceptorem involare (lex
Burgund. 11), unter den wergeldanschlägen findet sich ein acceptor
non domitus und ein acceptor mutatus (jener falco mudat) aufge-46
führt (lex Ripuar. 36, 11) und was hier commorsus gruarius, heiszt
in der lex alam. 101 acceptor qui gruem mordet, neben dem qui
aucam mordet, die späteren capitularien verfügen : clerici accipitres
et falcones non habeant. durch das ganze mittelalter hindurch hielt
diese lust der könige fürsten und ritter in Europa an, falkenmei-
ster* gehörten zu den hofämtern und noch bis auf unsere Zeit wur-
den reiher zur falkenbeize gehegt**.
Alles läszt auf tiefeingewurzelte, schon im fünften und sechsten
Jahrhundert langbestehende, nicht erst neueingeführte volksitteschlieszen.
Die falkenjagd gehört zu den brauchen, die unsere voreitern
nicht von den Römern empfiengen, sondern bereits vor ihnen kannten,
und mit andern rückwärts im osten hausenden Völkern gemein hatten.
Weder Römer noch Griechen übten falkenjagd, so bekannt ihnen
und von ihren naturforschern beobachtet diese raubvögel waren, sie
verstanden es nicht sie zur jagd abzurichten und kein römisches
oder griechisches kunstwerk, meines wissens, spielt darauf an.
Eine merkwürdige stelle ist bei Plinius 10, 8, nachdem er die
sechzehn arten des habichts aufgezählt hat, fährt er fort: in Thraciae
parte super Amphipolim homines atque accipitres societate quadam
aucupantur. hi ex silvis et arundinetis excitant aves, illi super-
volantes deprimunt, rursus captas aucupes dividunt cum iis. tradi-
tum est, missas in sublime sibi excipere eos, et cum tempus sit cap-
turae, clangore ac volalus genere invitare ad occasionem. Simile
quiddam lupi apud Maeotin paludem faciunt. nam nisi partem a
piscantibus suam accepere, expansa eorum retia lacerant. bekannt-
lich musz auch den Jagdhunden beim zerwirken des gefällten hirsches 47
ihr theil hingeworfen werden und so geschah es noch im mittelalter
bei den falken***.
Amphipolis lag im alten Thrakien, wo der Strymon ausmündet,
in der sogenannten Macedonia adjecta: thrakische sitte wird auch un-
ter Geten und von da weiter unter Germanen einheimisch gewesen
sein. Man könnte sagen, dasz Tacitus und Plinius keines falken in der
* Ducange s. v. falconarius.
** in den weisthümern wird für den habicht des einziehenden herrn,
wie für seine winde gesorgt, vgl. 2, 287. 3, 31. 826.
*** wenn Plinius hinzufügt: accipitres avium non edunt corda, so be-
hauptet Albertus Magnus in seinem buch über die falken cap. 6 umge-
kehrt, dasz sie zuerst blosz das herz des geraubten vogels fressen sollen.
Grimm, geschickte der deutschen spräche. 3
34 FALKENJAGD
eigentlichen Germania gedenken ; doch in ihren nicht einmal vollstän-
dig bewahrten Schriften sind schwerlich alle beobachtungen niederge-
legt, die ihnen zu gebot standen, und von den östlich wohnenden
Völkern bleibt ihre meidung überhaupt unvollständig. Diese ansieht
ziehe ich einer andern vor, auf die man auch verfallen dürfte, es ist
allerdings glaublich, dasz von Thrakien aus oder von Asien her die
ergötzlichkeit der falkenjagd zu den Byzantinern drang und erst von
ihnen wäre sie dann im vierten, fünften jh. zu den Deutschen gelangt,
wie viel glaublicher, dasz es früher schon geschah, im verkehr der
Sueven mit Geten, Sarmaten und Skythen, deren grosze wälder wilde
jagdlust nährten. Ducange im gloss. med. graec. hat tegaKagi falco-
narius und iagaKitai fclconarii aus Theophanes im 24 jähr des Leo,
d. h. im j. 740, mit merkwürdigem bezug auf Damaskus, diese nach-
richten reichen in weit spätere zeit, als auf die es hier ankommt.
Demetrius, ein arzt aus Byzanz, dessen lebensalter ich nicht bestim-
men kann, schrieb ein griechisches buch über die falken*; ein Firmi-
cus schon unter Constantins söhnen ist ihm auf jeden fall vorausge-
gangen. Venantius Fortunatus nennt einen Vectius rin equis, canibus,
aeeipitribus instituendis nulli seeundus', auch Beda in seinem werk
48 de natura rerum gibt darüber lesenswerthe nachricht. Völlig fabelhaft
erscheint, wenn man im mittelalter den Ursprung der falkenjagd auf
Ulysses**, oder einen aegyptischen könig Ptolemaeus zurückleitet, auf
Ptolemaeus beziehen sich einige stellen in des Albertus Magnus buch
über die falken, namentlich cap. 7: praeeeptum est Ptolemaei regis
Aegypti, quod raro teneatur in manu nisi in aurora; die vorgebliche
epistola Aquilae, Symmachi et Theodotionis ad Ptolemaeum regem
(bei Albertus Magnus und Vincentius Bellovacensis) ist, wie man be-
greift, durchaus verdächtig***, die Aegypter richteten keine falken,
auf ihren zahlreichen bildwerken wären sie sonst gewis oft vorhanden.
Desto sichrer scheint, dasz die falkenjagd von früh auf unter
Arabern im schwang gieng. kaiser Friedrich 2, 77 legt ihnen aus-
drücklich die erfindung des capellus (der falkenhaube) bei: reges Ara-
bum mittebant ad nos falconarios suos peritiores in hac arte cum
multis modis falconum. Auszerdem war und ist sie noch heutzutage
bei Tataren, Türken, Persern, Mongolen und Chinesen in Übung, ara-
bische und zumal persische dichter gedenken ihrer oft ; reisende schil-
dern die gewandtheit und menge der falken in den steppen f. Hat
im Kriege zwischen zwei stammen ein Beduine etwas unter den fein-
* herausgegeben von Petrus Gillius hinter Aelians hist. animal. Lugd. 1562.8.
** Joann. Sarisberiensis Policraticus lib. I p. 11: venatica tarn terrestris
quam aeria quanto solidior tanto fruetuosior est. auetorem oecupationis
suae ab antiquis historiis Ulixem proferunt, qui primus excisa Troja arma-
tas aves attulit Graeciae, quas suavi quodam et grata admiratione viden-
tium in eegnati generis exitium animavit.
*** dubiae auetoritatis est. Schneiders ausg. des buchs von kaiser Friedrich
de venatione 2, 106.
t Klemms eulturgeschichte 4, 213.
FALKENJAGD 35
den zu verhandeln, so ergreift er eine lanze oder einen falken, und
ruft zeugen aus, dasz er dem seheich des feindlichen Stammes ein
geschenk damit mache; dann darf er im feindeslager so lange ver-
weilen, als es das geschäft erfordert*.
Sanang Setsen der mongolische geschichtschreiber (s. 61 der 49
schmidtschen ausgäbe) erzählt, dasz Budantsar, eilfter vorfahre des
Tschinggis Chan auf einsamer Wanderung am Ononstrom sah, wie ein
grauer habicht auf eine ente stiesz; diesen fieng er, richtete ihn ab
und gebrauchte ihn zur jagd. Zu Tschinggis Chans vater, der bei
einem mongolischen häuptling eingekehrt war, sagte dieser: heint
erschien mir im träum ein weiszer falke und setzte sich auf meine
hand, das ist euer zeichen oder wappen (daselbst s. 63). Wenn
Tschinggis Chan 1162 geboren war, darf man den Budantsar höch-
stens 300 jähre vor ihm setzen: es ist aber eine unhistorische sage.
Im 15. jh. hiesz ein mongolischer stamm Schiwaghotschin , d. i.
vogler, falkner, ein mythischer königssohn aus Tibet Schiwaghotschi,
vogelsteiler (tibetanisch k'ra-pa). dieser stamm scheint derselbe,
welcher bei Abulghasi (s. 101 der Kasaner ausg.) den namen Kuschtschy
führt, und kuschtschy ist das türkische wort für vogler. in Kokand,
Chiwa und Bochora ist es titel der ersten minister geworden. In
chinesischen Schriften heiszt der falke ing oder häi-tung-ts'ing.
Im sanskrit begegnen mehrere namen für den falken oder habicht:
sjenas, d. i. der graue, weisze, wie in serbischen liedern der soko
siv (canus) heiszt; patri, eigentlich blosz vogel; sasädanas, hasenes-
ser; sakunas oder sakuntas, wie er zumal oft als Indras vogel dar-
gestellt erscheint, doch der abrichtung des falken zur jagd gedenken
die quellen nicht: sjenampatä scheint eher die jagd auf den falken
als mit ihm auszudrücken.
Unser deutscher jagdvogel ist eigentlich der habicht, unter dessen
benennung aber auch falken und Sperber begriffen wurden; ich über-
sehe nicht, dasz jene meidung des Plinius eben vom accipiter, nicht
falco redet, der goth. name wird habuks gelautet haben, nach dem
ahd. hapuh, mhd. habech, ags. hafoc, engl, hawk, nnl. havik, altn.
haukr, schwed. hök, dän. hög; das dem nhd. habicht zugetretne T
ist ungehörig, die Finnen entlehnten ihr haukka, havukka, die Esten
haukas, die Lappen hapak; war aber auch das welsche hebog erborgt?
dessen irische form seabhac gewährt, es hat allen schein, dasz ha- 50
buks von haban, hapuh von hapen herstamme, wie accipiter, mlat.
acceptor, ja sogar capus (Ducange s. v.) von capere, accipere: es
bezeichnet den fangenden, oder wie Ssp. 3, 47 steht krimmenden,
klemmenden vogel (vgl. erkrimmen, ungulis rapere Nib. 13, 3). diese
einfache ableitung ziehe ich der verführerischen, von Bopp dargeleg-
* Kohls Südruszland 2, 148. 230, von der heutigen falkenjagd in der
Tatarei ein bericht in der allg. zeitung 1846 s. 1850. lieblingsfalken des
chans bei Baktschisarai. Kohl 1, 231.
36 FALKENJAGD
ten vor, er hält accipiter zu WKvntEgog und einem skr. aäupatra,
dessen bezug auf den habicht erst zu beweisen wäre.
Der sl. ausdruck ist jastreb, poln. iastrzab, böhm. gesträb, serb.
jastrijeb.
Dem litth. wanagas, lett. wannags für habicht, litth. wanagelis
für sperber scheint das ahd. wannoweho, wannunwechel loaficus ähn-
lich, in Schwaben wannenwäher, wanneweihe, worunter man einen
kleinen, für heilig geltenden raubvogel meint, dem wannen an die
häuser ausgehängt werden, dasz er in ihnen niste : das haus, an wel-
chem er sein nest baue, soll vor einschlagendem blitz sicher sein
(Mones anz. 7, 429). es ist der röm. tinunculus (von tina, vas, olla),
welchen Columella 8, 8 so beschreibt: genus accipitris tinunculum
vocant rustici, qui fere in aedificiis nidos facit. ejus pulli singuli
fictilibus ollis conduntur, spirantibusque opercula superponuntur, et
gypso lita vasa in angulis columbarii suspenduntur, quae res avibus
amorem loci sie conciliat, ne unquam deserant. etwas anders Plinius
10, 37 : ob id cum columbis habenda est avis, quae tinunculus vocatur.
defendit enim illas terretque aeeipitres naturali potentia in tantum,
ut visum vocemque ejus fugiant. hac de causa praeeipuus columbis
amor eorum, feruntque, si in quatuor angulis defodiantur in ollis novis
oblitis, non mutare sedem columbas. der kleine sperber scheucht den
habicht, die befreundeten tauben schützend. Auch das litth. wanagas
scheint von wane vannus gebildet; beachtenswerth ist aber, dasz die
Letten den sperber wehja wannags (heiligen habicht?) nennen, und,
ich vermute, unser wio, wiho milvus den heiligen vogel meint, wie
in den altböhm. liedern der krahug, krahulec, poln. krogulec, ungr.
karoly für heilig gilt und im hain gehegt wird (mythol. s. 640).
51 Hiernach mag glaublich sein, dasz auch das gr. legal;, VqtjJ;, mit
der bedeutung accipiter und falco zu legog gehöre, obschon Hesysch
ein verwandtes ßeiQai~ und ßsLQccxr] ccQ7tccMLMi anführt, ja xsqku%
und xiqxoq nisus nicht allzuweit abliegen, um so wahrscheinlicher
ist es, als ein bestimmter falke sacer hiesz, franz. sacre, engl, saker,
welchen Friedrich II buch 2 cap. 22 beschreibt; dieser name wird
freilich auf das arab. saker (avis perspicax), pers. sonkor = falco
zurückgeführt, und nähert sich jenem skr. äakunas ; umgedreht aber
könnten sie aus dem lat. wort entspringen, wie dem sei, unzweifel-
haft musz dahin auch der slavische ausdruck sokol", böhm. sokol, serb.
soko, litth. sakalas für falke gestellt werden, der kaum dem lat. falco,
it. falcone, span. halcon, franz. faueon verwandt ist; ein späteres gr.
(paKutov gewährt erst Suidas. Im russischen Igorlied entsenden die
neiden zehn falken (sokolov) gegen die schwane und in den serbischen
gedichten erscheint der falke allenthalben, an sokol gemahnt in der
that die malbergische glosse sucelino zu sparvarius. lex sal. 7, 4.
Die falkner unterscheiden manigfache arten : für den vornehm-
sten aller galt der girofalco, altfranz. gerfaut, ital. grifagno, ent-
weder von den weiten kreisen, die er in der luft nimmt (gyrofalco
a gyrando), oder mit dem deutschen geier, ahd. mhd. gir verwandt,
FALKENJAGD 37
geierfalk. Albertus Magnus hält den sacer falco für den ersten und
läszt dann den girofalco folgen, was andere umkehren. Diesen bei-
den edelsten falken zunächst stand der montanarius und peregrinus
(pilgrimfalke, faucon pelerin), der lanerius, nidasius (vergl. nisus),
ramagius (franz. ramage) und terciolus (mhd. terze terzel). das sp.
gavilan bezeichnet sperber; aber auch den abgerichteten, den Angel-
sachsen hiesz der pilgrim vealhhafoc von vealh peregrinus, woher
sich das altn. valr leitet, weder von falco noch vultur. der lanerius
kommt auch unter dem mhd. namen sweimsere vor, von sweimen
kreisen, jenem gyrare*.
Leicht geschah es, dasz der name auf das ros und den hund 52
übertragen wurde, denen gleiche schnelle und stärke zukam. Dieterichs
und Wolfdieterichs rosse hieszen Falke und noch heute heiszen so
Windspiele, wie sl. sokol, vgl. canis acceptoricius in der lex Fris. 4, 4.
Sparva bedeutet dem Ulfilas ötgovftiov, scheint aber, wie ötqov-
&6g für adler und strausz gilt, in den begrif des raubvogels auszu-
weichen, ahd. sparo passer, ags. spearva, altn. spörr, engl, sparrow,
schwed. sparf, dän. spurve, nhd. sperling; dagegen ahd. sparawari,
mhd. sperwaere, nhd. sperber, it. sparviere, franz. dpervier für nisus,
schwed. sparfhök, dän. spurvehög, engl, sparrowhawk, gleichsam auf
Sperlinge jagend, des Sperbers weibchen ahd. sprinzä nisula, mhd.
das sprinzelln.
Den Aegyptern war sperber oder habicht (koptisch bak) einer
der heiligsten vögel, der in den hieroglyphen vielfach wiederkehrt,
ich habe schon anderwärts hervorgehoben, dasz das den wind vor-
stellende bild eines Sperbers mit ausgebreiteten schwingen bedeutsam
mit unsrer altdeutschen und altnord. anschauung zusammentritt
(mythol. s. 600. 601); hinzugenommen die Zeugnisse für die heilig-
keit des weihen, wanneweihen und krahuc wird das hohe alterthum der
falkenjagd bei Deutschen und Slaven kaum dem zweifei unterliegen.
* mirotza, den bask. namen des falken, weisz ich nirgend anzuknüpfen.
V.
ACKERBAU.
53 Allmählich beginnt das unruhige schweifen in friedliche nieder-
lassung überzugehn und ein sattes lachendes grün der wiesen und
weiden die breiten furchen in sich aufzunehmen, welche die goldne
gäbe der göttin zieht:
thaz fruma thie gibüra fuaren in thia scüra. 0. II. 14, 108,
wem die erdmutter gnädig ist, dessen acker trägt hundertfältige
frucht (furma), wem die flur versagt, von dem hat jene den blick
abgewandt :
ovo' sidsv avtov ri}v alcova z/t^ut/t^o. Babr. 11, 9.*
zur erntezeit, sagt eine litthauische Überlieferung, hütet sich der
Schnitter die letzten halme zu mähen, denn in ihnen soll die Rugia
boba (kornmutter) wohnen, dasz er sie nicht schädige, wie das volk
in Sachsen der guten frau, der frau Gode oder Harke einen büschel
ähren stehn liesz. die mutter war auf dem wagen, mit dem pflüg
durch die felder gezogen, und das liebe getraide ist ihr heilig, Tivgög
(pttrjg zJtj[i7}TQog. Babr. 131, 6. jener erntegebrauch hiesz auch c eine
54 scheune bauen (mythol. 1211), der acker steht unter gottes ver-
schluss, wer auf dem felde getraide stielt, von dem sagt Östgötalag
s. 43: brytär guzs las (frangit dei seram) und noch heute drückt
sich der gemeine mann in Schweden so aus. in Dänmark heiszt körn
und getraide guds gave, wie bei uns gottes gäbe, gottes segen. Hat
anhaltende dürre die Auren ausgesogen, so rufen die ackerer, indem
sie ein naktes mädchen mit wasser besprengen, ersehnten regen herab
(mythol. s. 560. 561).
Der ackerbau, ackergang (Conrads troj. kr. 9751) ist der men-
schen und rinder werk, ßoav, avdgtov egya bezeichnet ackerland
Od. 10, 98. dygovg io[iev neu fyy uvüqcöiküv Od. 6, 259, egyov
* wo die götter auf der erde lagern, entsprieszen blumen und kräuter,
Demeter hatte aber bei Iasion auf der dreibrache gelegen ([ilyt] (pikoxrjxt
xal evvq vsiw svt TQi7i6k(p. Od. 5, 127) und dem acker dadurch höchste
fruchtbarkeit verliehen.
ACKERBAU ' 39
folglich die eigentliche arbeit Od. 14, 222% obgleich es auch vom
geschäft des Spinnens und webens gilt, Od. 21, 350. 352, die der
gottin gleich heilig sind, nicht anders war unser arbeit, goth. arbaips,
ahd. arapeit, alts. arbed, ags. earfod, altn. arvidi labor ursprünglich
aratio, agri cultura, welche bedeutung ausdrücklich der letztangeführ-
ten mundart verblieb : nur darf man arvidi nicht arvinni erklären von
vinna laborare, vielmehr B in arbaips gleicht dem in hvairban, ahd.
P in arapeit dem in huerapan, und beide entsprechen dem lat. V in
arvum terra culta; mit goth. arbi hereditas verhält es sich ebenso,
dessen erste bedeutung nur die von ager, praedium gewesen sein
kann : das grundeigenthum aber wurde vererbt und dieser ausdruck
trat in den begrif des erbes über, einfach erscheint die wurzel im
altn. ar labor und aratio, fast alle urverwandten sprachen stimmen
in ihr für den sinn des ackerns und des geräths unverkennbar zu-
sammen, lat. arare aratio aratrum, gr. ccqovp ägofia ccqozos ccqovqcc
ägotgov, sl. orati oralo und mit aphaeresis ralo**, poln. orac (arare)
oracz (ager) radlo (aratrum), litth. arti arimmas arklas, lett. art arrajs 55
arkls, irisch ar (ploughing) arach (ploughshare) ardhamh (ploughox),
oireamh arator, welsch arad (aratrum), cornisch aradar, bretagn. arazr
alazr. das goth. verbum lautet arjan arida, ahd. erran arta, alts. erian
eride, altn. erja ardi und yrja urdi ; zugleich erscheint noch ahd. die
starke form aran iar, mhd. arn ier. nur im sanskrit und zend tritt
die wurzel nicht so deutlich vor, man müste denn skr. irä, altgr.
epa, ahd. ero, welche terra bezeichnen (mythol. s. 229) unserm erde,
goth. airjja, ahd. erada erda, ags. eorde (vgl. yrdling arator), altn.
iörd gleichzustellen und alle aus dem stamm ar zu entleiten befugt
sein, sicher überweisen darf man ihm ahd. art aratio, artön arare
colere habitare, woraus mhd. nhd. die abgezogene bedeutung von cultus
modus indoles natura hervorgieng ; ags. eard solum habitatio habitus,
gesondert von eorde im vocalischen wie consonantischen laut.
Näher zu betrachten sind die namen des geräths. aratrum und
ciqotqov stimmen gänzlich, zunächst steht das welsche und cornische
arad aradar; im altn. ardr gehört das letzte R der flexion (gen. ards,
nicht ardrs); alts. erida aratrum; dem sl. oralo ralo radlo radlo glei-
chen litth. arklas arkls, deren K ans ir. arach reicht, aber die litth.
spräche liebt es einzuschalten (vgl. auksas f. ausas). wegen des altsl.
vollen oralo läszt sich ralo nicht aus rädere leiten (dies entspringe
denn selbst aus aradere), Ducange hat mlat. ralla für radula £i;0rpa,
und lat. rallum war eisen des pflügers : purget vomerem subinde Sti-
mulus cuspidatus rallo. Plin. 18, 19.
Der Rigveda hat aber ein wort aritra, welches schif und rüder
ausdrückt; scharfsinnig stellt Kuhn auf, dasz es jenem aratrum ago-
* in opere faciundo = agro colendo Cic. Verr. II. 4, 24. auch das
russ. pachat', böhm. pachati, poln. pachac bedeuten arare und laborare.
** nicht anders serb. ratar f. oratar (arator), böhm. poln. rolnik f.
orolnik, böhm. ratag, poln. rataj ackerknecht.
40 ACKERBAU
tqov entspreche und auch altn. är remus, ags. äre, engl, oar, schwed.
ära, dän. aare dahin gehöre, deren aller vocallänge freilich noch zu
rechtfertigen wäre, das meer wird vom schif wie die erde vom pflüg
gefurcht (sulcus == aqua remigando fissa, sulcare = navigare), im
alterthum geschehen heilige, feierliche umzüge mit beiden durch das
56 land, der erde furch tbarkeit zu erflehen (mythol. 5. 243). Wenn nun
für aratrum ahd. pfluoc, nhd. pflüg, nnl. ploeg, altn. plögr, schwed.
plog, dän. ploug, engl, plough (altengl. plow) gelten, und man weisz,
dasz die anlaute PF, P der undeutschheit verdächtig sind; so schei-
nen diese Wörter entlehnt aus sl. ploug", russ. plug", böhm. pluh,
poln. p*ug, litth. plugas, alban. hIiovolq, obgleich sehr früh, da
schon die lex. Roth. 293 sagt: si quis plouum (al. ploum plonum)
aut aratrum alienum scapellaverit, vgl. Ducange s. v. ploum plovum :
Gothen und Angelsachsen blieb der ausdruck noch fremd, aber er
schlieszt sich dem skr. plava navis, gr. itkolov an, und musz ursprüng-
lich schif bedeutend der wurzel plu zufallen, die in unsrer spräche
bereits FL annimmt. Plinius 18, 18 vom vomer redend überliefert:
non pridem inventum in Rhaetia Galliae, ut duas adderent alii rotas,
quod genus vocant planarati, wozu man jene lesart plonum hält,
berührt sich aritra mit skr. ara = rota? auch das franz. charrue geht
über in den begrif des wagens; aber planaratum könnte einfach sein
aratrum planum?
Das goth. wort lautet höha, wofür auch ahd. huoho gemutmaszt
werden darf, weil sich huohili aratiuncula vorfindet, genau wie ahd.
suoili suoli auf suol suhol führen, das dem ags. syl sul sulh — ara-
trum entspricht und noch im provinziellengl. sull fortdauert, sulh aber
scheint das lat. sulcus, die pfluggezogne furche und sulhian arare fol-
gert sich aus sulhung aratio. schwieriger schien die abkunft von höha
huoho ; Kuhn hat das skr. köka ermittelt, welches wolf bedeutet, weil
in den veden auch vrka, ein andrer bekannter name des wolfs (goth.
vargs) sich auf den begrif aratrum angewandt findet, nemlich vrka,
wolf, lupus bezeichnen zerreiszer und der pflüg zerreiszt die erde,
ja im sanskrit heiszt er ausdrücklich noch godarana, erdzerreiszer.
ein lettisches räthsel sagt: lahzis tupp tihrumä, dselses kurpes kahjä
(der bär sitzt auf dem felde mit eisenschuhen am fusz) und meint
wiederum den pflüg.
Für diese ansieht, sollte sie im einzelnen bedenklich bleiben,
streitet mächtig, dasz auch unser alterthum pflüg und schif als leben-
diges wesen dachte, wie das schif haupt, hals und schnabel (vgl.
V()7tQG)QOQ) empfängt und als pferd oder schwan die flut durchschnei-
57 det, darum auch angeredet wird (gramm. 3, 434), tritt ähnliches ein
beim pflüg*, so ist ahd. die rede von pfluoges houbet und zagal,
noch heute von pflughaupt und pflugsterz, schwed. ploghufvud plog-
stjert, dän. ploughoved plougstiärt, engl, ploughneck (collum aratri)
* wenn Conrad troj. kr. 9742 sagt 'den pfluoc wisen', so gilt dies ver-
bum auch sonst von personen, nicht von Sachen.
ACKERBAU 41
ploughstilt ploughtail, nnl. von ploeghoofd ploegstaart, mnl. von Pdes
ploeghes staert' Minnenlop 2, 666.
Es mag aber bald ein gehörntes, bald ein wühlendes thier ge-
meint sein. MSH. 3, 213b heiszt es: rden pfluoc begrifen bl dem
hörn', und das ahd. geiza keiza für stiva gemahnt an geisz oder bock,
noch heute soll man im Aargau die pflughandhabe nennen geisz. des
erdwühlenden ebers erwähnen unsere sagen (myth. s. 632. 975)*
und die serbische thierfabel läszt das seh wein mit seinem rüssel ackern
(Reinhart CCXCI), porca, die aufgewühlte erde scheint nach porcus
oder porca genannt, wie furicha nach farah**; des Festus deutungen
taugen nicht, vielleicht dasz in vollständiger französischer thiersage
(Renart branche 22) der wolf pflügte, dann hätten wir vollends den
vrka oder köka. den Litthauern bedeutet plunksna (feder) des pfluges
gabel, er ist also vogel, vielleicht hahn, der wiederum in den mär-
chen pflügt (myth. s. 929. 975), im Renart dem ackerbauenden wolf
zur seite steht. Ich will mich nicht übereilen und sulcus für ver-
wandt mit sus, gU£ avluh, evXdyta mit vg halten; Varro meint von
vomer : ita dictum quod terram erutam utrinque vomat, und es wäre
nah dabei an ein thier zu denken, doch hat vomer ein langes 0,
vomere kurzes, aber auch Plutarch leitet vng vvrj vvvig von vg ab:
des erdaufwühlenden thieres rüssel habe ersten anlasz zum pflüg ge-
geben***, noch jetzt heiszt bei uns in einzelnen gegenden der leichte 58
pflüg schweinsnase, in England pigs nose und sollte nicht das altn.
hali cauda sich berühren mit skr. hala aratrum? Ihres dialectlexicon
gibt al für hal cauda und aratrum leve, alä = halä für arare.
Andere benennungen des pflugs und seiner theile stehn gramm.
3, 415. 416 aufgezählt, ihren eigenthümlichen pflüg nennen die
Litthauer zagre, was man dort zoch verdeutscht, haken (uneus)
poln. böhm. hak ist der räderlose pflüg, mit dem man hin und wie-
der das land bearbeitet; es soll wendischer brauch sein, der name
klingt deutsch, den Finnen heiszt der pflüg atra (est. adder) ahra
aura, die handhabe auran kurki, auran perä, sonst sahra, das pflug-
eisen vannas (wie keula vannas, prora navis). ir. ceachta aratrum,
vomer. bask. goldea und bostortza.
Den Skythen war ein goldner pflüg und joch noch glühend vom
himmel niedergefallen (Herod. 4, 5) und nach der reihe nahten ihm
ihre königssöhne. In einer unsrer volkssagen läszt sich eine glühende
egge vom himmel auf die erde, und an der stelle wird eine kirche
* eine malb. glosse diramni für porcus deutet Leo 1, 73 erdwühler.
** die sl. brazda, russ. borozda, poln. brozda entfernen sich von prase
porosja prosi^.
*** der eber galt unserm alterthum für ein tapferes edles thier, dessen
zeichen heim und schilt schmückten (mythol. 195), dem Odinn selbst die
Schlachtordnung, die svinfylking (caput porcinum, acies euneiformis) abge-
sehn hatte (mythol. s. 122). solchen eberkopf bildete auch der Alamanne
Butilin (Agatnias 2, 8), wie die röm. kriegskunst den mauerbrecher aries
nannte, krieg und ackerbau weisen thiere.
42 ACKERBAU
gebaut (Emil Sommers sagen no. 65). viel bedeutsamer musz jedoch
erscheinen, dasz in unsern weisthümern, wie durch sehwurf oder
kolterwurf, d. h. wurf mit der pflugschar gesetzliche weite ermittelt
wird (1, 483. 2, 456. 587. 721. 3, 30. 309), einigemale ausdrück-
lich mit heiszer pflugschar geworfen werden soll, im Langenfelder
weisthum (2, 594) heiszt es: und wo der gefangne des dorfs ein ein-
wohner wäre, sol man für sein thür an den gatter einen heiszen
kolter legen und soweit damit könnte geworfen werden, sol man das
gericht stellen und ihn richten ; diese bestimmung wiederholt sich im
weisthum von Olzhem (2, 597) und von Scheuren (2, 599). sie wäre
sinnlos, wenn sie sich nicht auf uralte Überlieferung gründete, die
59 ich unmittelbar wage mit jener skythischen zu verknüpfen, glühend
oder heisz gefordert wird die schar, das will sagen funkelneu, wie
sie eben geschmiedet wurde, da zu allen heiligen dingen neues geräth
nöthig war, weshalb auch 1, 483 gesagt ist: mit einem neuen seche.
man musz aber zugleich an das gottesurtheil denken, nach welchem
barfusz über glühende pflugscharen geschritten werden soll (rechts-
alt, s. 914); die alte heiligkeit des ackerwerkzeugs bricht allenthalben
durch. Noch im mittelalter wurden silberne pflüge und schiffe als
abgäbe dargebracht (mythol. s. 52. 243. weisth. 1, 624. 2, 648. 659.
730. 731. 3, 853), ein delphisches orakel sprach von aQyvgea evldxa
zvla&iv (Thuc. 5, 16). König Hugons goldpflug stand unentwend-
bar auf den ackern, er selbst leitete ihn alljährlich durch die nur
(rom. de Charlemagne p. 12, 13). Wenn das volk sich seinen heer-
führer oder herrscher auserwählt, treffen ihn die boten auf dem felde
pflügend, damit soll angezeigt sein, dasz des landbauers erste arbeit
auch ihm heilig bleibe : aranti quatuor sua iugera in vaticano, quae
prata quinctia appellantur, Cincinnato viator attulit dictaturam, et
quidem, ut traditur, nudo plenoque pulveris ore. Plin. 18, 4 [vgl.
Cic. de senect. 56]; Quinctius ab aratro ad dictaturam arcessitus.
Liv. 3, 26 vgl. Cic. fin. 2, 4. Den Gothen wurde geweissagt, dasz
Vamba (ventriosus ?) ihr könig sein solle:
y lo habian de hallar arando cerca de la Andalucfa,
con un buey blanco y sereno, y un prieto en su compania,
wie um die neugegründete stadt furche gezogen ward ; der ackernde
stier gilt für heilig*. Als feierliche gesandtschaft dem Premysl das
herzogsamt in Böhmen übertrug, lag seine hand am pflüg, und das
feld wo er ackerte hiesz seitdem königsfeld ; andere melden, er habe
auf eisernem tisch der pflugschar eben sein mahl eingenommen. Auch
Marko, der serbenheld, ackert und festigt den pflüg an den nagel
(Vuks gloss. 346, neue ausg. 309)
uze Marko ralo za krtschalo.
60 Bei der huldigung in Kärnten muste der herzog den graurock mit
rauher jägertasche, worin brot, käse und ackergeräth lag, anziehen
* die septem triones bilden das heilige gestirn, triones für teriones
oder nach Varro 7, 74 terriones, boves arantes, valentes glebarii.
ACKERBAU 43
und einen hirtenstab in hand halten (RA. 253). Unsern Heinrieh
überrascht die wahlbotschaft beim vogelstellen, diese sage entstammt
noch der hirtenzeit, aus der ackerzeit die römische von Seranus:
serentem invenerunt dati honores Seranum, unde cognomen. Plin. 18,4.
Ich lenke wieder ein. das gebaute land heiszt mit groszer Über-
einkunft lat. ager, gr. ccygog, goth. akrs, ahd. achar, ags. äcer, altn.
akr, schwed. äker, dän. ager, ohne zweifei aus agere ayuv herge-
leitet*, deute man von der bewegung des pflugs, dem antrieb der
rinder, oder dem bloszen thun, das ein bauen ist, egyov und arbeit,
den deutschen sprachen mangelt schon das verbum, auszer der altn.
aka 6k. allen romanischen aber fehlt das lat. ager und wird ersetzt
durch das allgemeine campo camp campus, nur im landmasz findet
sich mlat. acra, franz. acre, wie die tenuis zeigt aus deutschem
acker geborgt, eben darum scheint ir. acra, gal. acair entlehnt,
anders urtheile ich vom böhm. auhor uhor, serb. ugar, die brach-
acker, ager proscissus bedeuten und kaum zu ager gehören, vielmehr
zu uhoreti abbrennen (neugereutetes land, novale).
Poln. rola, böhm. role, ich denke wieder mit abgeworfnem an-
laut statt orola orala von orati. sonst gilt pole, ursprünglich cam-
pus, auch für ager. ihm entsprechen finn. peldo, est. pöld, läpp,
päldo, vvalach. holda, alts. folda, ags. folde, altn. fold, die deutschen
Wörter mit dem sinn von solum terra humus; an folda reiht sich
aber feld campus. daraus wage ich zu folgern: den Deutschen ver-
blieb der nomadische begrif von folda und feld, während Slaven pole,
Finnen peldo bereits zu gebautem land wurde, die Deutschen haben
also früher acker gebaut und ir wort, das ihnen mit Griechen und 61
Römern gemein war, nicht verloren.
Wenn die Litthauer den acker laukas nennen, lett. lauks, pr.
laukas; haftete im russ. lug", böhm. luh, ahd. loh, ags. leäh, engl,
ley, lat. lucus wieder die ältere bedeutung von aue wiese wald weide,
und ähnliche Schlüsse werden statthaft, neben laukas litth. dirwa,
lett. druwa für ackerland.
Wir gelangen zu einem merkwürdigen ausdruck. brache brach-
feld ist uns das in ruhe liegende ackerfeld, der angebaute acker,
brach liegen heiszt ungepflügt liegen: mhd. sin bti in brächa lac.
Diut. 2,250, folglich anger ungebrächot, der angebaute acker (fundgr.
2, 143. 149 auf Maria bezogen**), ahd. aber bedeutete präche ara-
tio, prächön proscindere terram; wie ist dieser anscheinende Wider-
spruch zu lösen? prächa war nicht volle pflügung, blosz aratio prima,
wobei der acker in schollen gebrochen ward, ohne dasz man ihn aus-
stellte; nachdem er zwei jähre getragen hatte, blieb er in solcher
* wie gleich einstimmig (mutmaszlich goth. vagns) ahd. wakan currus,
nhd. wagen, ags. vagen, engl, wain, altn. vagn, skr. vahana, lat. veha ve-
hela vehiculum, gr. ö'xog Öx^ßcc, litth. wezimmas, poln. woz, böhm. wuz
wozu, sämtlich von vigan, skr. vah, lat. vehere, gr. 3/etv, litth. weszti, sl.
vesti, poln. wiese, derselben wurzel gehört goth. vigs, ahd. wec, lat. via.
** den Skalden ist troda terra eulta, subaeta zugleich femina.
44 ACKERBAU
ruhe das dritte liegen, ruhte er längere zeit, mehrere jähre hin-
durch, dasz ihn unkraut dorn und gesträuch erfüllten, so kehrt er
wieder in weide und wald zurück, unsere weisthümer sagen: er trägt
dorn und distel, oder, das erste jähr soll er dorn und distel tragen,
das ander jähr soll man den wolf darüber laufen lassen, hub neuer
laubwuchs sich zu baumes höhe, konnte ein joch rinder sich im ge-
sträuch bergen, so wurde das land wieder markmäszig, wie es vor
dem ersten reuten gewesen war (rechtsalt. s. 92. 93. 525): das alte
hirtenrecht erwacht.
bräche stammt her aus brechen scindere; auch das mlat. rupti-
tius oder fractitius ager sind aus rumpere frangere gebildet; fracti-
tius kürzte sich ins franz. friche, terre friche. brach liegen hiesz
mhd. auch rin egerden ligen' kindh. Jesu b. Hahn 95, 62, brach
liegen lassen fen egerde län' MS. 2, 229b, agri egerden sind agri
inculti. Oberlin 275 mlat. agri vegri. egerde scheint ahd. ägierida.
62 gleichviel ist das nhd. driesch liegen, und drieschen bedeutet brachen ;
es scheint ahd. drisk ternus oder trimus, was auf denselben drei-
jährigen umlauf der ackerzeit weist*, mich dünkt, brache und driesch,
die nach zwei jähren anbau im dritten eintreten, hängen zusammen
sowol mit dem uralten jährlichen Wechsel der äcker (arva per annum
mutant, in annos singulos gentibus, quantum eis et quo loco visum
est, attribuunt agri atque anno post alio transire cogunt) als mit
dreifelderwirthschaft, die alles ackerland in drei wechselnd brach
liegende theile absondert.
Altn. hiesz brachland träd pascuum (trieb und trat) oder troda
(nicht tröda) terra subacta, tradarlsegi ager quiescens a cultura, von
troda calcare, conculcare, goth. trudan, ahd. tre'tan. schwed. träda
ager cessans, vervactum, träda agrum, qui superiore anno quieverat,
proscindere, trädestock aratrum minus (jenes al oder hal), weil es
zum brachen nur leichteren pfluges bedarf.
Franz. auszer jenem laisser en friche, laisser en jachere (altfranz.
ä gaskiere. Meon 1, 108), en repos. älter ist das lat. vervactum,
quod vere semel aratum est**, der ital. ausdruck lautet maggese,
maggiatica, von maggio, wie unser brachmonat den juni bezeichnet,
sp. tierra baldia oder barbecho (vervactum) und herial. russ. prilog,
pol. przyiog, böhm. prjloh; auhor ugar wurden vorhin erwähnt,
wendisch smaha. litth. pudimas, lett. papuwa, papua.
Mit allgemeinem ausdruck nennen wir die ausgestellte und ge-
erntete frucht das getraide, ahd. gitragidi, mhd. getregede, gleichsam
die zahme, in des menschen hände gekommene frucht, wie die zahmen
thiere den wilden entgegen stehn. lat. frumentum, fruges; mlat. bla-
dum, blavum, it. biada***, biava, franz. bled, h\6, ags. blsed, sl. plod;
* jene veidg tQinoXoq (II. 18, 541) war den Griechen driska und brächa.
** gegensatz: ager restibilis, qui restituitur ac reseritur quotannis,
contra qui intermittitur a novando novalis. Varro 5, 39.
*** und gern im pl. biade oder grani, franz. grains, wie finn. jyviä (die
körner).
ACKERBAU 45
ir. arbhar, vgl. lat. arvum; böhm. obilj, sl. obilije pinguedo, abun-63
dantia, wie arvina zu arvum gehört; lett. labbiba, von labs gut, die
gute, das liebe getraide.
Auch hier sollen die hauptarten des getraides durchgegangen wer-
den, wie bei den thieren schwankt der ausdruck zwischen einzelnen.
Das goth. hvaiteis verdeutscht Joh. 12, 24 Gltog, vulg. frumen-
tum; ahd. hueizi triticum, frumentum, siligo; alts. miete triticum;
ags. hvsete triticum, frumentum, altn. hveiti, mhd. weize, nhd. wai-
zen, nnl. weit, engl, wheat, dän. hvede schränken sich auf triticum
ein. leicht fällt hvaiteis zu hveits albus, hueizi zu huizi, wie ais zu
eisarn, 6r zu Isarn; genau gleicht litth. kwetys, lett. kweeschi und
das sicher entlehnte läpp, hveit. aber auch gr. öltog, sl. shito, böhm.
zjto, poln. zito, sämtlich den allgemeinen begrif frumentum ausdrückend,
liegen nahe, sei nun skr. äveta albus anzuschlagen, oder sl. shiti
vivere, so dasz der sinn wäre lebensmittel, vivres (vgl. nachher quecke).
Eigen ist nnl. tarwe triticum, nd. tarve; es könnte nebst triticum,
sp. trigo der wurzel tero trivi tritum gehören (Benfey 2, 261) und
mehlkorn (far) bezeichnen, vgl. triturare. Gr. nvQog, syrakus.
öTtVQog liesze sich zu önuqco stellen, doch die gemeine form bestärkt
sl. p"iro ölvQct far, slov. pira gerste, böhm. pyr quecke, triticum
repens, lett. pürji puhri winterwaizen , mit Übertragung des namens
auf ein schlechteres getraide oder gar unkraut. Kuhn hält zu TtVQog
die skr. wurzel pusch nutrire, Puschan den gott des ackerbaus, %6a
gramen für noöa. da böhm. pyr auch glühende asche bezeichnet,
wäre Verwandtschaft mit jivq möglich, obschon dies kurzen, nvgog
langen vocal zeigt (aber auch unser fiuri langen), und die goldne
saat der Ceres könnte wie feuer glänzen, pschenitza, die russ. be-
nennung des waizens, böhm. psenice, poln. pszenice scheint gleich
dem alts. penik, nhd. fenich fench aus lat. panicum ableitbar; nahe
liegt russ. pscheno milium, böhm. pseno, poln. pszono*. ganz ab 64
steht finn. nisu triticum, est. nisso, auch finn. vehna. ir. breachtan
triticum vielleicht verwandt mit breach humulus, insofern beide dem
bierbrau dienen.
Was wir vorzugsweise körn nennen, die roman. sprachen gleich
allgemein grano grain, ist der roggen ahd. rocco, roggo, ags. ryge,
engl, rye, altn. rugr, schwed. rog, rag, dän. rüg, nnl. rogge, mlat.
rogo, welsch rhyg, litth. ruggei, lett. rudsi, russ. rosh', böhm. re£
gen. rzi, poln. rez, rzy, ungr. rozs, finn. ruis, ruvis gen. rukiin, est.
rukki rügga röa, welche grosze einstimmung oft auf erborgung be-
ruhen mag. Lat. siligo, woher gr. öillyviov, sommergetraide, zu unter-
scheiden von secale, it. secale, franz. seigle. secale war den Römern
erst spät bekannt geworden und eine geringe frucht, auf die sie einen
allgemeinen ausdruck anwandten, der von allem geschnittnen getraide
* milium ist eigentlich sl. proso, das verwandt scheint mit ahd. hirsi,
nhd. hirse, weil P und K (was sich hernach in Hlaut verschob) tauschen
dürfen, vgl. nvccvoq xvccfioq bohne. lett. ehrski, litth. soros, gr. xsyxQoq.
46 ACKERBAU
gelten kann; rührt aber secale von secare, so leitete auch böhm.
rez auf rezati, poln. rzezac, schneiden, obgleich die zischlaute etwas
weichen, vgl. poln. rzany = zytni und rzysko stoppel. Die frucht
scheint aus dem Norden in den Süden gedrungen zu sein, wo der
waizen vorherschte. da jenes russ. rosh, finn. ruis im Nordosten
noch weiter um sich greift und nicht allein bei Morduinen ros, bei
Tscheremissen rsha, rusha angetroffen wird, sondern mit vorgesetztem
vocal bei Vogulen orosh, bei Ostjaken arüsh, bei Tschuwaschen irasch,
bei Samojeden arish, unter Tataren aresh orosh, selbst unter Zigeu-
nern rozo (Pott 2, 280); so liegt hier ein uraltes wort vor, in des-
sen wurzel gar nicht mehr einzudringen ist. wahrscheinlich gehört
ogvtß reis mit hinzu, der im skr. vrihi hiesz, in unsern ahd. glossen
aber auch durch arawiz verdeutscht wird, was sonst pisum, cicer
bedeutet: pisum scheint ursprünglich malbare frucht*. welche ge-
traidearten gr. okvQa und lat. arinca sind, weisz ich nicht.
65 Goth. baris gen. barizis, gr. XQi&r], ags. bere, engl, barley, altn.
barr, gen. bars, Ssem. 51b allgemein frucht, alle von bairan, wie lat.
far von ferre, gen. farris (für farsis = barizis?), in farina einfaches
R, wie in fero baira und bere. altn. bygg, schwed. bjugg, dän.
byg, von byggja colere, gebaute frucht. ahd. gersta, mhd. nhd.
gerste, nnl. gerst garst, ags. gerst, engl, grist; wie wir schon bei
Tcvgog auf noa geleitet wurden, läge auch hier das nährende gras,
ags. gärs nicht ab, und S erschiene wesentlich; doch volleren an-
sprach haben hordeum fordeum ordeum, sp. ordeo, it. orzo, franz.
orge und xql&1] (nach Benfey 2, 197 für %qi&ti), hord = gert, S
eingeschaltet (wie in kunst brunst munst) ; vgl. bask. garagarra. sp.
cebada, von cebar nutrire und cibo nahrung. skr. java, bald
als frumentum und triticum, bald hordeum aufgefaszt, pers. jew; ent-
spricht dem litth. jawai frumentum, finn. jyvä granum frumenti (pl.
jyviä frumentum) wie dem gr. %m tßia (vgl. skr. juga, lat. jugum,
gr. %wydv) aufs haar, zugleich zeigt litth. jauja Scheune die Verwandt-
schaft zwischen hordeum und horreum, granum und granarium (gre-
nier): es sind häuser für frucht und gerste. sl. jatsch'men',
russ. jatschmen', slov. jazhmen, serb. jetschmen, poln. i^czmien, böhm.
gecmen führt sich zurück auf die wurzel jasti edere, poln. iesdz, böhm.
gjsti, und entspricht dem altn. seti (von eta), welches Ssem. 51b neben
bygg und barr steht; damit stimmen ferner ir. joth (in der alten
Sprache ith), welsch yd hyd, bretagn. ed für körn, getraide, gleich-
sam, res edules edulia. litth. m$zei, lett. meeschi scheint mit
der bierbereitung in Zusammenhang. aKOöxtf soll auf Cyprus
die gerste geheiszen haben, vielleicht wegen ihres spitzen hartes? vgl.
66acus aKBötga und acus aceris spreu. finn. ohra, est. ohrad ohher,
* von pisum, franz. pois, engl. pl. pease, ist sowol cicer, cicera, ahd.
chichuria, mhd. kicher, als ervum, ervilia, franz. ers, ervilliers, ahd. ara-
weiz (noch bei Hans Sachs erbeisz), nhd. erbse, ags. earfe, nnl. ervet, altn.
erta, gr. flgoßoc; und gQeßivöoq der art nach unterschieden, mit der sache
scheinen uns diese namen von Römern zugebracht.
ACKERBAU 47
ich zweifle ob zum ir. orna earn gehörig. Zuletzt gedacht sei
der beiden synonyme lagastafr und hnippinn im eddischen Alvismäl, die
nicht anders als bygg barr vax seti den begrif der frucht insgemein
hervor heben, nicht auf gerste einschränken, lagastafr , sonst auch
dichterischer name des meers, drückt das wie wellen, wenn seine
ähren schwer geworden sind, wogende getraide aus, und hnippinn
entweder gekrümmt, unter last der ähre gebogen, oder die gebundne
garbe, merges, altn. hneppi, dän. knippe.
Ahd. haparo habaro avena, alt. havoro, altn. hafri, schwed. hafre,
dän. havre, mhd. habere, nhd. haber (hafer ist unhochdeutsch), nnl.
haver, unverkennbar alle mit der schwachen form aus hafr caper ge-
leitet, also das gemutmaszte ahd. hapar bestätigend, die frucht musz
also bezug auf bock oder schaf haben, sei es dasz das thier dem
haber (vielleicht einem ähnlichen unkraut) nachstellt, oder vormals
damit gefüttert wurde*, haparo ist des hapar speise, hierzu stimmt
mancherlei, einmal cclyUcai^ windhaber, alyiTtVQog ziegenwaizen und
dasz ßgopog (umgestellt ßoQUog) sowol haber als bocksgestank, caper,
hircus bedeutet; zwar pflegt man letzteres ßga^iog zu schreiben,
nicht anders verhalten sich finn. kauris caper und kaura avena, est.
kara kaer; ir. caor ovis, coirce avena, welsch keirk, um so deut-
licher die syncope der labialis in kauris, caor. nun erklärt sich auch
russ. oves", böhm. owes, poln. owies gen. owsa avena neben owce
owca ovis und litth. awizos, lett. ausas avena neben awis ovis**;
walach. ovesu avena ist den Slaven abgeborgt, ob ags. äte ata avena, 67
engl, oat pl. oats irgendwie einem solchen thiernamen begegne, steht
dahin, ata wäre ahd. eizo und Graff 5, 788. 1, 541 [Förstemann 583]
hat die eigennamen Eizo Eizä. Lat. it. sp. avena, franz. avoine, nnl.
evene fügen sich leicht zu ovis; wenn franz. averonfolle avoine bedeutet,
scheint es zurückzuführen auf haveron und deutsches havre, das die
Franzosen auch in havresac aufnahmen, baskisch heiszt haber oloa.
Jenes allgemeine körn, goth. kaum und durch alle deutschen
mundarten gehend, ist auch im lat. granum, ir. gran, sl. zr'no, böhm.
zrno, poln. ziarno vorhanden, empfängt aber im litth. zirnis, lett.
sirns die eingeschränkte bedeutung pisum (erbskern). pisum, 7ii6ov,
ita dictum quod semper pisitur antequam coquatur, führt uns auf
pisere pinsere, skr. pisch conterere und peschana handmüle. gr. tctlö-
öuv pinsere, 7tu6ccvr], %6vÖQOg. eben dahin leitet auch zirnis.
Specifisch unterschieden von sl. zrno ist shr"n"v" mola, serb.
shrvanj, böhm. zerna, poln. zarna, litth. girna (wofür der pl. girnos
bräuchlich), lett. dsirnus, goth. qairnus, ahd. quirn, alts. quem, ags.
* heute das pferd; schwed. hestakorn = avena; wie den gaul der haber
sticht, könnte er auch den bock, ein Sprichwort lautet: den bock auf die
haberkiste setzen. Simrock 1180.
** aus avena folgt, dasz die lat. spräche für ovis ursprünglich avis
sagte, sie liebt aber das 0 auch in novus novem skr. navas navan und
vielen andern, und unterschied ovis von avis vogel, die früher, sobald man
ausgefallne consonanten herstellt, ganz anders unterschieden waren.
48 ACKERBAU
cveorn, engl, quem, altn. qvörn, schwed. qvarn, dän. qvärn. da nun
sl. Z und SH tauschen (bozi boshe, mozati moshio), dürfen litth. Z
und G, goth. K und Q ähnlichem Wechsel unterliegen, und kaum
zmo zirnis, die frucht, der sie malenden müle qairnus zerna girna
unmittelbar verwandt sein, wie bereits Benfey 2, 128 körn kern
qairnus zusammenstellt*, granum und grando hagelkorn vermitteln
sich aber in %6vdgog (für XQÖvöog?) und im ags. grindan molere,
mhd. grien arena, nhd. grand, das kies und graupe bedeutet; skr.
ist dhsri terere molere, dhsirna tritus. Aelteste mülen waren handmülen
und tretmülen, wie sie poln. zarna, engl, quem noch heute bezeichnen.
mola, [ivXog pvlri**, ahd. muli, ags. mylen, engl, mill, altn.
G8mylna, ir. meile, welsch melin, russ. mel'nitza, böhm. mlyn, poln.
mlyn, litth. malunas, ungr. malom gehn vorzugsweise auf die wasser-
müle, und die wurzel molere, malan (praet. möl, starkformig), mljeti,
malti breitet sich weit aus, sie zeigt in melo, altn. miöl farina, malma
melm arena, malmen terere, ahd. mulian alle vorhin wahrgenommnen
begriffe, wie in farina far kann in qairnus die wurzel kaum liegen,
während melo miöl aus malan, triticum aus terere erwachsen, oder
ist es gerathner auch körn, das malbare, malmbare aus mutmasz-
lichem qairnan = grindan molere flieszen zu lassen? ir. finde ich
bro (gen. bron, pl. brointe) für handmüle***.
Auch diese übersieht der notwendigsten und ältesten ausdrücke
des ackerbaus lehrt, den worten wie den Vorstellungen nach, gemein-
schaftlichen Ursprung der Völker.
Wie unmittelbar nahe stehn sich arare, aratrum, ager im latei-
nischen griechischen keltischen und deutschen, zwar für aratrum ist
goth. arpr, ahd. aradar nicht mehr aufzuzeigen und altn. ardr um
weniges ungleich, dagegen späteres pfluoc plögr vielleicht von Sla-
ven und Litthauern eingedrungen oder so uralt, dasz es der laut-
verschiebung entgieng. diesen Slaven und Litthauern mangelt das
dem ager entsprechende wort, aber orati arti besitzen sie und für
aratrum einstimmig die ableitung mit L oralo ralo arklas = arlas,
welches L auch in sl. rola für ager gefunden wird, mola molere
zeigt sich fast allenthalben, granum körn zrno zirnis wieder bei
Römern Deutschen Slaven Litthauern, %6vöqos, wenn es dasselbe,
weicht in der form ab. ebenso lucus loh lug laukas.
69 Lateinisch und deutsch erscheinen arvum arbi, porca furicha,
* lat. verna aus querna zu deuten würde ich wagen, läge nicht der
begrif des heimatlichen (vernaculus) zu stark darin, der malende knecht
entspräche der malenden magd, alstQiq.
** fiel von äks cd M abV vgl. aXsvQOv fiäXevQOv. Buttm. lexil. 1, 195.
*** hier noch ein beispiel vom sinnlichen reichthum einiger sprachen,
was wir stoppeln nennen, ahd. stuphilün, lat. stipulae, stupulae, die auf
dem acker nach geschnittner frucht stecken bleibenden enden des halms,
unterscheidet der Litthauer: jawena ist stoppel von getraide überhaupt,
ruggiena vom roggen, kwetena vom waizen , mezena von gerste , awizena
von haber. der Lette sagt ruggaji, meeschaji, ausaji; sirnaji von erbsen-
stoppeln; grikkaji von buchwaizen.
ACKERBAU 49
sulcus sulh, far baris,_ hordeum gersta. darunter stimmen auch zwei
zum gr. xQi&tj und c5A|.
Deutsch slavisch und litthauisch sind qairnus zerna girna, hvaiteis
shito kwetys, wiewol für die identität von shito zweifei bleiben, es
neigt sich mehr zu oltog, wie sich vielleicht pira und nvgog fügen,
slavisch und altn. stimmen in jatschmen und seti, wozu sich kelt.
jed ed ioth gesellt, wie bladum* und plod sich erreichen, eigenthüm-
lich stände nord. bygg bjugg, doch wie hätte der allgemeine sinn
des worts ausgedehntere Verbreitung gehindert?
Finnisches peldo ist alts. folda wie sl. polje; die finn. namen
der fruchte weichen ab, ausgenommen jyvä granum und ruis, das
aber fast überall hin reicht, in kaura haber avena treffen seltsam
die begriffe zusammen, nicht die Wörter, in avena und owes auch
das wort.
Mit dem sanskrit offenbart sich Urverwandtschaft hier seltner als
bei der Viehzucht und das ist natürlich, die ausziehenden hirten hat-
ten noch manches gemein, wofür die späteren ackerbauer schon be-
sondere Wörter wählen musten**; aber dasz dabei Römer und Grie-
chen gewöhnlich schon Deutschen und Slaven gleichstehn, das spricht
für sehr frühe mitauswanderung der beiden letzten, dennoch bleiben
java jawai ££«, köka höha huoho wichtige ausnähme, so wie, wenn
die wunderbare analogie allen zweifei besiegen kann, aritra aratrum
&QOTQOV, plava tiXoZov plugas. seien die Germanen im groszen noch
lange hirten gewesen, sie müssen gleich den Skythen von sehr
früher zeit an das himmlische pfluggeräth gekannt haben. Tacitus
legt unter allen deutschen stammen zumal den Aestiern ackerbau
bei***.
Grundlos erzeigt sich die von Niebuhr 1, 93 aufgestellte behaup-70
tung, dasz wörter, welche ackerbau und sanfteres leben betreffen, im
latein und griechischen einstimmen, alle zu krieg und jagd gehören-
den gegenstände unter den Römern mit ungriechischen Wörtern be-
zeichnet werden, namen der waffen, von denen ich hier nicht handle,
gewähren, weil ihrer die menschen nie entrathen können, gröszere
manigfaltigkeit, doch ebenwol einleuchtende beispiele der Urgemein-
schaft, und für das wild, von dem die hirten wie von ihrem vieh
künde nahmen, waltet sie noch entschiedner. auch weichen lateini-
sche und griechische namen des getraides gerade meistens ab, wie
schon O.Müller Etr. 1, 17 anmerkt, anfängliche Verwandtschaft blickt
in dieser oder der andern spräche immer durch, das kann nicht ver-
wundern, dasz sie unter den hirten gröszer war, als unter den acker-
* welsch ist blawd,bretagn. bleüdfarina, ir.blodh zerriebenes, zerstäubtes.
** kenner der persischen spräche mögen über akar = ager entschei-
den, ob es entlehnt sein könne.
*** frumenta ceterosque früctus patientius quam pro solita Germano-
rum inertia laborant.
Grimm, geschickte der deutschen spräche. 4
50 ACKERBAU
bauenden und je weiter die Völker sich gegenseitig entfernten stu-
fenweise abnahm. Pflügen und malen haben Deutsche und Slaven
weder von einander noch von Römern und Griechen erlernt, aber
neue arten des getraides, vollkommnere weisen der ackerbestellung
mögen durch mittheilung dahin und dorthin, früher oder später ver-
breitet worden sein.
VI.
FESTE UND MONATE.
Erst unter ackerbauenden Völkern ordnen sich gottesdienst und 71
zeitabtheilung ; auch die nomaden haben ihre götter denen sie opfer
darbringen, und die gestirne des himmels prägen ihnen den Wechsel
der tage, monate, jähre ein; aber von der besitznahme heimatlicher
statten scheint hausehre der frauen und einführung der meisten göt-
tinnen abhängig, auf die erscheinungen des ackerbaus läszt sich
regelmäszige Wiederkehr der zeiten am natürlichsten anwenden, wenn
auch krieger das andenken ihrer siege feiern, so hat nur der friede
die ruhe und stätigkeit der feste geheiligt, die mehrzahl aller feste
gehört offenbar den wünschen und freuden des ackermanns.
Unsere vorfahren nannten ein fest uoba, gleichsam cultus, von
uoban celebrare, exercere, colere*, wie es scheint auch era (mythol.
s. 26. 720). deutlichen bezug auf Wiederholung der zeit haben ahd. itmäli
festivitas, solemnitas, ags. edmsele, vom goth. mel tempus, und ags. heäh-
tid, altn. hätld, mhd. höchgezlt, nhd. hochzeit, alts. högetldi, oder blosz
tidi, wlhtidi. sl. god, godina, böhm. hod tempus, annus und dann 72
auch festum, solemnitas, zumal in der pluralform godi wie tidi. soqzt],
jon. oqtt], vielleicht verwandt mit isQÖg, wie Od. 21, 258 EOQtrj ayvfj
verbunden steht, litth. szwent&, lett. swehtki heiligertag. Dunkler ist
das lat. festum, das zu feriae = fesiae gehört wie fasti, nefasti zu
fari, nefarius, man vergleicht sl. basn' fabula ; diese fasti waren ge-
richtstage, feriae feiertage, an welchen die arbeit ruhte, daher ist
unser feier und feiern, schon ahd. fira, firön geborgt. Den ältesten
ausdruck bewahrt uns blosz die goth. und ahd. mundart, goth. dulj>s
£00??;', dulj)jan boqxcc^uv, ahd. tuld festum, solemnitas, neomenia,
retuldi exsequiae (goth. hraivädulpeis ?), tuldan celebrare, agere, tuld-
lih solemnis, tulditac tulditago dies festus, mhd. dult (für tuld, tult)
Servat. 2871. 3293. MS. 2, 74b. die dult behalten Mar. 160, 27.
* solemnis nicht zu solere, vielmehr, wie Festus lehrt, zum osk. sollo =
lat.solum, gr. olov, welchenskr. sarva entspricht, lat.salvum und servare nah
verwandt sind, wie unser goth. hails, adh. heil integer und hailjan servare.
4*
52 FESTE JAHRSZEITEN
begen 161, 32. 162, 13. dultac dies festus. fundgr. 1, 106. das
wort hat sich heute noch unter dem volk in Baiern und der Schweiz
erhalten, es ist dabei weder an goth. jmlan, ahd. dolen pati, tolerare,
die in der consonanz abstehn, noch an Verstümmlung des lat. indul-
tum, gleichsam concessio principis (cod. theod. III. 10, 1. IV. 15, 1) vel
ecclesiae zu denken, wie schon jener ahd. bezug auf den neumond
oder die todtenfeier darthut. auch hindert die anwendung auf kirchen-
feste nicht, dasz es im heidenthum entsprungen sei, ich weisz aber seine
wurzel, die hoch ins alterthum hinaufreichen musz, noch nicht aufzudecken.
Im höchsten alterthum scheint das jähr nur in drei theile zu zer-
fallen, die Inder unterscheiden entweder vasanta frühling, grischma
sommer, £arad regenzeit, oder nach dem ältesten commentator der
veden : grischma, varscha regenzeit, hömanta winter, anderwärts sogar
sechs zeiten, aus deren doppelung die zwölf monate entspringen [in
Ispahan nur drei jahrszeiten, frühling behär 5 Y2 nionate, herbst bajis
3V2 nionate, winter semestün 3 monate. Petermann 2, 227.] die
Griechen: £«p frühling, ftsgog sommer, %si(icov winter, aber schon
bei Homer Od. 11, 192 ist dem ftsgog noch öncüQrj angefügt, grosze
einstimmung findet statt zwischen hemanta und hima kälte, zend. zima,
sl. zima, litth. ziema, lett. seema, xstjua und %siiu6v, ir. gamh,
'3geimhre, lat. hiems; die it. inverno, sp. invierno, franz. hiver sind
nach hibernus wie giorno, jour nach diurnus gebildet; ein deutsches
wort hätte mit G anzulauten, zu vasanta gehörig scheint sl. wiosna
wesna (frühling), litth. wasara sommer, lat. ver, wenn es für ves
steht, das römische jähr zählt vier theile ver, aestas (verwandt mit
aestus), auctumnus, hiems*. sag, den Boeotiern nach Hesychius
yiccg, scheint vergleichbar dem ir. earrach, sl. iar, gar (frühling) wie
dem goth. jer annus, ahd. jär. Ulfilas gibt Marc. 13, 28 &£gog durch
asans, wo es ihm ernte, &egi6(iog, ahd. aran bedeutet und dem lat.
aestas gleicht, wir wissen also nicht gewis, ob er neben vintrus auch
sumrus kannte, was nach der durchdringenden analogie aller unsrer
sprachen zu erwarten stände. Diese beiden vintrus und sumrus schei-
nen auf dem gegensatz einer uns besonders eigenthümlichen personi-
fication zu beruhen, und ersten blicks den verwandten sprachen fremd,
näher zugesehn bricht aber die analogie, zumal mit keltischer spräche
durch, sumrus, ahd. sumar, ags. sumor, altn. sumar ist das ir. samh
(sol aestas) und samhra (aestas)**, welchem geimhra (hiems) wie dem
sumrus vintrus gegenüber steht, vintrus nemlich musz früher gelautet
haben qintrus, verhält sich also wie goth. qainön zu ahd. weinön,
qiman zu lat. venire, qius zu vivus, quattula, quacara (Pertz 2, 793)
zu wahtula (coturnix) oder die ahd. Schreibung Quiliperht Quolfwin für
Wiliperht Wolfwin ; unsere gleich der lat. spräche tilgt den kehllaut
vor dem V gern, goth. vaurms lat. vermis entspringen aus qaurms
* finn. talvi, läpp, talve hiems, finn. kesä, läpp, kese aestas, wobei mir
pers. chezän herbst einfällt.
** berührt sich finn. suvi (aestas) est. sui?
JAHRSZEITEN 53
quermis, umgekehrt behauptete sich im lat. hiems H. qintrus tritt
mit geimhra %üyLtt hemanta hiems ziema zima auf gleiche reihe, und
N mit anschlusz des T (wie in hund hunt canis) für M begegnet wie
in venire und qiman. Unser alter name des frühlings ahd. lenzo, nhd.
lenz, nnl. lsnte, ags. lencten, lengten (vgl. ahd. langiz) tritt dem sl.
ljeto, leto (aestas) nahe, welches in den begrif von jähr jer = sag
und iar rückt, wie auch welsch blwydd frühling, blute, blwyddyn 74
jähr, bretagn. bloaz, bloavez, ir. bliadhain jähr ausdrücken, goth.
a]m, atajmi (annus) gehören zu hog, wie finn. vuosi (annus) zu jenem
sl. wiosna (aestas). lauter überraschende und groszentheils unbestreit-
bare analogien.
Des Tacitus wichtige meidung, an der ich früher mit unrecht ge-
zweifelt hatte, enthält, dasz zu seiner zeit die Germanen auch nur drei
jahrszeiten unterschieden : hiems et ver et aestas intellectum ac voca-
bula habent, auctumni perinde nomen ac bona ignorantur, er sagt es,
nachdem er ihnen eben zwar getraidebau, aber noch keine gärten zu-
gesprochen hat. obst und wein reifen beträchtlich später als getraide,
nach deren einführung wird auch der ahd. name herpist, ags. hearfest,
altn. haust verwandt, oder wenn das wort schon in anderm sinn gang-
bar war, auf diese zeit bezogen worden sein*, noch heute pflegt man
herbst ausschlieszlich von obst und Weinernte, nicht von getraide zu
gebrauchen, der deutsche feldbau lag also im ersten jh. unsrer Zeit-
rechnung noch danieder und beschränkte sich auf die cerealien**.
Bei eintheilung des jahrs gieng das alterthum am natürlichsten
von den Sonnenwenden aus, d. h. dem höchsten oder tiefsten stand,
den die sonne jedes jähr, indem sie sich niederwärts oder aufwärts
wendet, einnahm, so zerfällt das jähr in zwei gleiche hälften, som-
mer und winter, die mit Johannistag und Weihnachten anheben, beide
hälften nochmals zerlegt ergeben sich vier haupttheile, welche gedrit-
theilt zusammen zwölf nicht völlig gleiche Zeiträume bilden und das
ganze jähr abschlieszen. die beobachtung der wiederkehrenden mond-
wechsel liesz dagegen die tage des jahrs in dreizehn zeiten abson- 75
dem, welche den unmittelbar vom monde selbst geleiteten namen
der monate führten, der auf jene zwölf zeiten des sonnenjahrs nicht
gerecht war. hieraus entsprang ein widerstreit zwischen zwölf Perio-
den der sonne und dreizehn des monds, wobei allmählich die sonne
siegte, der mond aber den von ihm gegebnen namen durchsetzte.
Ueber das indische jähr sind zwölf lebendig gedachte Aditjas,
söhne des Aditi und der Kasjapa, eingesetzt***, welche unter besondern
* ich habe zu herpist xccqtioq und xagni^a) gehalten; könnte in haust RF
syncopiert, das V aus F entsprungen sein? das anlautende H in haust, höst
scheint gegen die herleitung aus ougest,augustus. irisch heiszt der herbst fomhar.
** goth. asans ahd. aran meint getraideernte, messis, nicht vindemia,
ich denke auch alts. beo bewod, nnl. bouwt, erst Kilian hat winbouwt.
*** auch in einem märchen des pentamerone 5, 2 treten die zwölf monate
als briider leiblich auf, und einzelne monate heiszen noch heutiges tags
unter dem volk brüder oder mann und frau.
54 MONATE
namen aufgeführt die einzelnen mondhäuser beherschen; auf diese
weise sollte sonnenzeit sich mit der des mondes einigen, die namen
der monate werden aber nicht von diesen Aditjas, sondern von den
Sternbildern, in welche der vollmond eintritt, entnommen, und ich
enthalte mich sie her zuschreiben, da ohnehin grosze ab weichung statt-
findet; am schlusz des capitels sollen die volksmäszigen, aus einer
Zerlegung des jahrs in sechs theile hervorgehenden monatsnamen der
Inder mitgetheilt werden, von den übrigen pflegt ein einziger monat
kaumudl nach kumuda lotus zu heiszen, gleichsam lotusmonat; alle
monate beginnen etwa nach der mitte der unsrigen.
Unter den griechischen stammen hub das jähr verschiedentlich
entweder mit Sommersonnenwende, Wintersonnenwende oder herbst-
nachtgleiche an, abwechselnd begannen die monate zwischen dem 21
und 24 tag der unsrigen. alle monatsnamen lauteten einfach, die
jonischen auf -iojv, die übrigen auf -log, ihre manigfaltigkeit, wie
neuere Untersuchungen dargethan haben, musz auf Volksfeste zurück-
geführt werden; ist ein göttername darin enthalten, so handelt es
sich um ein fest zu seiner ehre, und niemals scheint der name blosze
naturschilderung zu gewähren; er sollte dem volk die Wiederkehr
des heiligen festes einprägen*, ich theile hier nur die monate des
attischen jahrs mit, welche vom sommer anhebend ungefähr den bei-
gefügten unsrigen entsprechen:
76 7 rEKCCTO[ißaiwv vom rinderopfer,
8 MttayeLTVLcop, für 'AtcoMcdv nsTccyshviog,
9 Borjdgofitav von der ßorjögoftta zu Theseus ehre,
10 TLvavvbmv (Kvaveipicov) vom bohnenfest für Apollon,
11 Mai{icc7CTr]QLtüV für Zevg {icciuccHzrjg, wüter,
12 noösideriv,
1 rafujXiciv von der yaprjMa zu Heras ehre,
2 'JvdsötrjQicjv von dem blumenfest,
3 'EkacprjßoXicov von der hirschjagd, für Artemis,
4 Movvvyiihv für "AgtE/xtg novvv%icc,
5 ®aQyi}U(6v von den Thargelien für Apollon,
6 2?xiQoq)OQic6v vom schirmfest für Athene.
einige dieser namen mögen älter sein, als die Zerlegung des jahrs in
zwölf monate war, alle weisen auf einfache feste zu ehren olympischer
götter, vorzugsweise des Apollon und der Artemis, der zwillingsge-
schwister, von welchen die gaben des ackers und des waldes abhien-
gen ; auch- bei der Artemis feier mangelte nicht die waizenähre (Herod.
4, 33). dem 'Anoklav IloQvojttog galt bei asianischen Aeolern auch
ein IIoQVOTtuav, und 'Ela<pr]ßofac6v hiesz anderwärts geradezu 'Aqte-
fiiöLcov. Aber wie die feste selbst verschoben sich die namen der
monate, die Boeotier legten ihren Bovxdnog auf die Wintersonnen-
wende, während zu Athen die ßovcpovia der Sommersonnenwende
* K. Fr. Hermann über griechische monatskunde. Göttingen 1844.
Theodor Bergks beitrage zur griechischen monatskunde. Gieszen 1845.
MONATE 55
zufielen*, woher der name 'Excao^ßaicov. rfornog in Amphissa be-
zog sich auf die Schafschur (rco'xog).
Wenn etwas den abstand römischer sitte und spräche von der
griechischen lehrt, so ist es die beinahe gänzliche Verschiedenheit der
lateinischen monatsnamen. Ihr jähr vom merz (ungefähr der frühlings-
nachtgleiche, wie niemals in Griechenland) beginnend, nannten sie die
vier ersten und beiden letzten monate von göttern, nach Mars Maja
Juno Janus Februus (oder Februa) den Martius** Majus Junius*** 77
Januarius Februarius ; Aprilis zog man fehlerhaft auf die griechische
Aphrodite und schon Varro 6, 33 will ihn lieber deuten quod ver
omnia apperit, gleichsam aperilis, wie den Neugriechen der frühling
avot^cg eröfnung heiszt; es könnte einen verschollnen helden oder gött-
lichen beinamen Aper oder Aprus gegeben haben, in Januarius Fe-
bruarius weist die abweichende bildung-arius ungleichzeitigen Ursprung,
vom fünften bis zehnten monat wurde blosz gezählt: quinctilisf sex-
tilis September october november december, und auch unter ihnen
steht das -ber der vier letzten ab von dem -ilis der beiden voraus-
gehenden, welches vielmehr zu aprilis stimmt, dazu tritt nun, dasz
auch quinctilis und sextilis aussterben und Julius, Augustus benannt
werden, angeblich nach Julius Caesar und Octavius Augustus, welche
beide die Zeitrechnung berichtigen und als vergötterte fürsten dem
monat ihren namen verleihen durften. Suetonius sagt es ausdrücklichff,
ein späteres zeugnis legt Macrobius (Saturn. 1,12) ab. Sueton lebte
schon 150 jähre nach Caesar, 100 nach August, und mir kommen
zweifei ein, ob er und die zu seiner zeit verbreitete ansieht nicht irre,
in Julius und Augustus nicht alte volksthümliche namen, die längst vor
Caesar und Octavius bestanden, erneuert seien? Es fällt schon auf,
dasz gleichzeitige Schriftsteller unter Caesar und August jener namen-
gebung geschweigen, und sollten Tiberius, Caligula, Claudius, Nero
dem einmal gegebenen beispiel folgend nicht nach gleicher ehre gestrebt
und mindestens versucht haben, ihre namen den übrigen zahlmonaten
aufzudrängen? in Kleinasien, namentlich zu Aphrodisias gelangte unter
römischer herschaft die Schmeichelei allerdings dahin, nach den mona- 78
ten KaiöccQiog, 'IovUrjog, Ueßaötog auch einen TißsQLog und Tqcücc-
vög in den calender, allein für ganz andere monate aufzunehmen, als
die ihnen zu Rom gebührt hätten, sollte aber ein gr. 'Iovfaog so
hoch hinaufsteigen, dasz er jenen alten Julius vor Caesar beweisen
könnte? bedeutsam fällt der cyprische "IovXog in die zeit vom 22 dec.
* Böckh C. I. I, 733».
** wie der gr. vÄQeioq oder "Aqeoq nach Ares.
*** ob Junius aus Junonius gedeutet werden darf? ich will darauf zu-
rückkommen.
t vgl. Procop de hello goth. 1, 24.
tt im Caesar 76: decerni sibi passus est ... . appellationem mensis e
suo nomine, und im Octavius 31 : in cujus (anni) ordinatione sextilem men-
sem e suo cognomine nuneupavit, magis quam septembrem, quo erat
natus. sagenhaft verschieden Festus : Julium, quod eo mense dicitur Julius
natus. Caesar hiesz Julius dem verbreiteten julischen geschlecht nach.
56 MONATE
bis 23 jan.*, er könnte den Römern nach Julus dem groszen heros
heiszen, von dem das ganze priesterliche geschlecht bis auf den dic-
tator selbst stammte, der name Augustus, passend von augere, wie
auctumnus abgeleitet**, dem litth. auksztas, goth. auhuma entspre-
chend, wird als kaisertitel durch gr. özßaötog wiedergegeben, zu
diesen gründen soll hernach noch ein andrer für uns bedeutsamer
treten. Sehr wahrscheinlich besaszen ursprünglich auch September
october november december andere namen als die zählenden, und
man dürfte überhaupt schlieszen, dasz zahlen angewandt wurden um
einer Jüngern vom merz anhebenden Jahrsrechnung Sicherheit zu ver-
leihen, während die ältere, zuletzt wieder siegende den Januar an die
spitze der Wintersonnenwende stellte, was schon aus der benennung
selbst hervorgeht, da Janus den reigen der uralten götter anführt
und auf der schwelle (janua) des jahrs steht.
Für unsere deutschen monatsnamen ist der abgang eines gothi-
schen calenders unersetzlicher Verlust, wie schon der eine glücklich
gerettete jiuleis (november oder december) lehrt, und dazu ffruma
jiuleis' darbietet, d,em wir alsogleich in ags. 'forma geola' begegnen;
welche bedeutsame einstimmung.
Höchst wichtig wird uns die von Beda (f 738) in der schrift de
temporum ratione cap. 13 gegebene nachricht, welche ich hier, mit
benutzung mehrerer texte, einschalte.
De mensibus Anglorum. antiqui autem Anglorum populi (neque
enim mihi congruum videtur aliarum gentium annalem observantiam di-
79 cere, et meae reticere) juxta cursum lunae suos menses computavere,
unde et a luna, Hebraeorum et Graecorum more, nomen accipiunt.
siquidem apud eos luna mona, mensis appellatur monath, primusque
eorum mensis, quem Latini Januarium vocant, dicitur Giuli, deinde
Februarius Solmonath, Martius Hredmonath, Aprilis Eosturmonath, Ma-
jus Thrimilci, Junius Lida, Julius similiter Lida, Augustus Veodmonath,
September Halegmonath, October Vintirfyllith, November Blotmonath,
December Giuli eodem quo Januarius nomine vocatur. Incipiebant
autem annum ab octavo calendarum Januariarum die, ubi nunc natale
domini celebramus, et ipsam noctem nunc nobis sacrosanctam tunc gen-
tili vocabulo Modraneht, id est matrum noctem***, ob causam ut su-
spicamur, ceremoniarum, quas in ea pervigiles agebant*. Et quoties-
cunque communis esset annus, ternos menses solares singulis anni tem-
poribus dabant, cum vero embolismus, hoc est XIII mensium lunarium
annus occurreret, superfluum mensem aestati apponebant, ita ut tunc
tres menses simul Lida nomine vocarentur, et ob id annus thrilidus
cognominabatur habens quatuor menses aestatis, ternos, ut semper,
* K. Fr. Hermann a. a. o. s. 64.
** die deutungen bei Sueton Oct. 8 und Festus cab avium gestu gustuve'
taugen nichts; also 'ab auctu', was jener billig voranstellt.
*** mir fallen dabei Heimdalls neun mütter ein (Ssem. 118a. b. Sn. 106
Laxd. 392), also das fest seiner wunderbaren geburt.
MONATE 57
temporum caeterorum. Iterum principaliter annum totum in duo tem-
pora, hiemis videlicet et aestatis dispertiebant, sex illos menses, qui-
bus longiores noetibus dies sunt, aestati tribuendo, sex reliquos hiemi.
unde et mensem, quo hiemalia tempora incipiebant, Vintirfyllith ap-
pellabant, composito nomine ab hieme et plenilunio, quia videlicet a
pleniiunio ejusdem mensis hiems sortiretur initium. Nee abs re est,
si et caetera mensium eorum nomina quid significent interpretari
curemus. menses Giuli a conversione solis in auetum diei, quia unus
eorum praecedit, alius subsequitur, nomina aeeipiunt. Solmonath dici
potest mensis placentarum, quas in eo diis suis offerebant, Hredmo-
nath a dea illorum Hreda, cui in illo sacrificabant, nominatur. Eostur-
monath, qui nunc pascalis mensis interpretatur, quondam a dea illo-
rum, quae Eostre vocabatur, et cui in illo festa celebrabant, nomen80
habuit, a cujus nomine nunc pascbale tempus cognominant, consueto
antiquae observationis vocabulo gaudia novae solemnitatis vocantes.
Thrimilci dicebatur, quod tribus vieibus in eo per diem pecora mul-
gebantur*. talis enim erat quondam ubertas Britanniae vel Germa-
niae, e qua in Britanniam natio intravit Anglorum. Lida dicitur blan-
dus sive navigabilis eo, quod in utroque illo mense et blanda sit
serenitas aurarum et navigari soleant aequora**. Veodmonath mensis
zizaniorum, quod ea tempestate maxime abundent. Halegmonath men-
sis sacrorum. Vintirfyllith potest dici composito novo nomine hiemi-
plenium. Blotmonatli mensis immolationum, quod in eo pecora, quae
occisuri erant, diis suis voverent. gratia tibi, bone Jesu, qui nos
ab his vanis avertens tibi sacrificia laudis offerre donasti.
Unter diesen ags. namen beziehen sich Solmonath Hredmonath
Eosturmonath Halegmonath Blotmonath ausdrücklich auf heidnische
feste, zwei derselben sogar auf die göttinnen, welchen opfer darge-
bracht wurde; wogegen bei Giuli Lida Thrimilci Veodmonath Beda
blosz an eigenschaften denkt, die der jahrszeit in ihnen zustehn, Vinter-
fyllith (vgl. goth. fullips myth. s. 672) blosz winterseintritt ausdrückt.
Unzusammengesetzt erscheinen nur Giuli Lida Thrimilci, und sicher
sind sie schon darum uralt, Vinterfyllith ist zusammengesetzt und alle
übrigen schleppen sich mit angehängtem monath. Giuli entspricht
genau dem goth. Jiuleis, spätere ags. denkmäler ziehen die schwache
formGeola vor und unterscheiden die beiden monate dieses namens und
die beiden Lida durch vorgesetzte adjeetiva: se forma Geola, se äftera
Geola, se aerra, äftera, und wenn einschaltung statt findet pridda Lida.
Thrilidi fürs Schaltjahr gleicht dem Thrimilci. Allmählich aber 81
scheinen einzelne namen zu veralten oder werden absichtlich durch
neue vertreten: Hredmönad durch Hlydmönad, Thrimilci schon durch
das lat. Majus, serra Lida durch Searmönad, Seremönad (mensis aridus),
* wie auf dem tqItioXoq dreimal im somm er gepflügt und geerntet wurde.
** Beda hat im sinn ags. liefe, engl, lithe blandus, mitis, ahd. lindi und
lidan navigare, transfretare , alfcn. lida, die windstille auf dem meer legte
man erscheinungen der götter bei.
58 MONATE
i
äftera Lida durch Medemönad, Hälegmönad durch Hearfestmönad.
auszerdem mag, seit uralter zeit, der sechste monat midsumor, der zwölfte
mitvinter heiszen. Ich will sie alle zur Übersicht aufstellen*.
1 äftera Geola
2 Solmönad
3 Hredmönad. Hlydmönad
4 Eosturmönad
5 Thrimilci Majus
6 serra Lida. Searmönad. midsumor
7 äftera Lida. Medemönad
8 Veodmonad
9 Hälegmönad. Hearfestmönad
10 Vinterfylled
11 Blötmönad
12 forma Geola. midvinter.
Finden im jähr dreizehn monate statt, d. h. ist der achte se J>ridda
Lida, so musz nun Veodmonad die neunte, Hälegmönad die zehnte
stelle einnehmen und schon aus diesem Verhältnis begreifen sich Ver-
schiebungen der namen. Ohne zweifei gab es auszer den bisher an-
geführten namen bei einzelnen stammen noch besondere, Vihtraedes
dömas, deren bekanntmachung im j. 696 erfolgte, geben zu eingang
an rsextan däge Rugernes', so dasz Rugern roggenernte auszudrücken
scheint, von rüg ryge secale und ern messis, und entweder august
oder September bezeichnete, auch hier zeigt die abwesenheit von
mönad einen uralten namen an**.
82 Unsere ahd. monatsnamen überliefert Eginharts bekannte stelle.
Karl der grosze, der nicht gleich Caesar und August an der Zeitrech-
nung regeln konnte, suchte mindestens die unter seinen Völkern viel-
fach schwankende benennung zu berichtigen: mensibus enim juxta
propriam linguam vocabula imposuit, cum ante id temporis apud
Francos partim latinis partim barbaris nominibus pronunciarentur. die
kirche und der verkehr mit Romanen hatte längst römische namen
eingeschwärzt, neben welchen also noch einheimische heidnische galten,
wahrscheinlich gefügere, als die Umschreibungen, welche Karl an
deren stelle vorschlug oder, wenn sie schon früher im gebrauch waren,
beibehielt; seinen eigennamen mit in die reihe zu setzen (worauf ihn
Sueton hätte führen können) darauf verfiel weder des königs einfacher
sinn, noch späterhin seines volks. die namen lauten wie folgt:
1 Januarius Wintarmänöth
2 Februarius Hornung
* in dem offenbar aus Beda flieszenden Verzeichnis des chron. Ber-
noldi (Pertz 7, 395) ist vimirfrillith verlesen aus vintirfyllith.
** längst herschen in England die römischen namen, doch allgemein
haftet bis auf heute yule zur bezeichnung des weihnachtsfestes und die
gemeine Volkssprache wird sich auch noch andere namen nicht haben neh-
men lassen, so findet sich barleymonth für September (= nnl. evenmaand),
Verstegau nennt barnmonad, was dasselbe sein wird. Brocketts glossary
of northcountry works hat s. 89 hagmena für december.
MONATE 59
3 Martins Lenzinmänöth
4 Aprilis Ostarmänöth
5 Majus Winnemänöth
6 Junius Brächmänöth
7 Julius Hewimänöth
8 Augustus Aranmänöth
9 September Widemänöth
10 October Windumemänöth
11 November Herbistmänöth
12 December Heilagmänöth. *
unter ihnen scheint bloszHornung ganz echt und alt, östarmänöt würde
kaum geblieben sein, hätte die kirche nicht lange schon den heid- 83
nischen namen für das christliche fest geduldet; im zehnten monat
steckt dennoch das lat. vindemia, wofür die ahd. spräche auch sonst
wintemöd und im verbum windemön = vindemiare verwandte, winne-
mänöt scheint weidemonat, von winni vinna pastus, das auch wunna
lautete, goth. vinja, mit dem nebensinn der wonne und freude (vgl.
s. 17. 29), wie unsern minnesängern der mai überall den frohen ein-
tritt des sommers, die sommerwonne andeutet, zweifelhaft sein kann
der neunte monat, den Angelsachsen hiesz der achte oder neunte veod-
mönad, den Beda aus veod zizania erklärt, alts. wiod, mnl. wede,
nnl. wiede, sonst wildhaber, ags. vilde äte, ein um diese zeit auf
dem acker schieszendes oder getilgtes unkraut; fränkisch sollte wiod-
mänöth geschrieben stehn, weder withu noch witu taugen. Sicht-
bar werden durch Karls namen, abgesehn von ihrem geschlepp, die
vier jahrszeiten schlecht geschieden, da zwischen herbist wintar und
lenzo jedesmal nur ein monat gerückt, sommers anfang gar nicht aus-
gedrückt ist. Die älteren vor Karls zeit geschriebnen glossen überliefern
keine monatsnamen; reganmänöt (Graff 2, 795) scheint nur Verdeut-
schung des lat. mensis defluus, obwol einzelne hss. Eginharts ihn auch
für november verwenden, dasz andere formen wie brächöt, houwöt
wenigstens in Baiern und Schwaben längst üblich waren, lehrt mit
Sicherheit deren späterhin anhaltende dauer. Zu den ags. monaten
stimmen allein Östarmänöt Widemänöt Herbistmänöt Heilagmänöt,
beide letztere an anderer stelle und auf zwei verschiedene monate
erstreckt, da die ags. namen demselben zukamen. Hornung bedeutet
spurius filius, adulterinus, illegitimus und musz aus irgend einer sym-
bolischen anwendung des worts hörn auf diesen begrif flieszen, also
cornutus aussagen, ich würde ans himmelszeichen des widders (altn.
hyrningr) denken, in das aber die sonne erst am 20 merz tritt.
Wann zuerst die fremden römischen namen überhand nahmen,
läszt sich nicht bestimmen, es musz sehr frühe geschehn sein, da
bereits Eginhart sie voraussetzt, keronische glossen des achten jh.
* etwas strenger hochdeutsche formen dieser namen in den Schlett-
städter glossen bei Haupt 5, 327, namentlich winnimänöth, hovimänöth.
aranomänöth, witemänöth, windemänöth, heribistmänöth.
60 MONATE
84 gewähren marceo für martius, jüngere des eilften merze meje aberelle
was auf ein früheres aprilio, aprileo majo schlieszen läszt: immer
schwacher form, aus LI entsprang LL in abrelle.
Bei den mhd. dichtem finde ich fünf monate ziemlich oft ge-
nannt, die sieben übrigen fast gar nicht, jene sind hornunc Walth.
28, 32. hornunges wetter. Helmbr. 1200; merze Walth. 46, 30;
aberelle MS. 1, 20a. 2, 31b 94b 183a. Lanz. 8787. abrille Parz. 96.
12; meige meie allenthalben (eine Cass. hs. von 1445 gibt dem juni
merkwürdig: ander meige); ougeste MS. 2, 176a vgl. ougestheiz Parz.
3, 9. ouwest Iw. 3058 (BDb ougest) owest Livl. ehr. 9672.
Januar februar juni juli September october* november december
sind aber in den gedichten unerhört, in prosa stehn folgende namen.
für jan. in glossen, die beinahe mhd. sind (Graff 2, 795), järmänet,
in einer urk. von 1313 (schweiz. gesch. forsch. 1, 71) barmanoth,
was vielleicht bermänot mensis apri? Herrn, von Fritzlar zweimal (bei
Pfeiffer 1, 73. 91) volborne volborn oder volbor, nämlich hartmänd
91, 1 musz ihm dec. sein, so dasz hartmänd volborne hornunc merze
auf einander folgen; volrot in Mones anz. 6, 436, vollrat bei Oberlin
1686 ist jedoch december. eine hs. aus dem anfang des 15. jh. hat
hardemaint für jan., spurkel für februar**, eine oberhess. urk. von
1315 spurkel für febr. Retmänet für febr. oder merz (mythol. s. 267)
klingt bedeutsam an den ags. Hredmönad. juni juli heiszen brächhoz
(urk. von 1291. Schmid schw. wb. 89) brächot (Zell weger n° 76.
82, 107a. 1341. 1344. 1373) brächet (Anshelm l, 166. 394) bro-
chat (Justinger 58. 133) hoewat (Augsb. urk. a. 1330 MB 33a, 545)
85houwots (urk. von 1240. Böhmers reg. n° 3801)*** howaez (altd.
bl. 2, 197) hüwet (Anshelm 1, 78) heuet, heiget (Schm. 2, 133);
aber auch die Zusammensetzungen brächmät (Diut. 1, 399) hoimanod
(urk. von 1404. 1405 bei Zellweger n° 164. 165). ougest = august
wird zwar von herbest = sept. gesondert (Livl. ehr. 9673), oft aber
begreift derselbe name beide: in den tzweyen augsten (Muglen bei
Kovachich s. 4), der ander ougst (Mones anz. 8, 496) = sept., der
erste herbstmonat (Zellweger nü 191 a. 1407) = septb. ; unter erstem
anderm drittem herbstmand ist sept. oct. nov. gemeint, was Karls
herbistmänöth einholt. Fulmänt (Diut. 1,409.432) folmant (n. lit. anz.
* october in Hahns Tit. 3277 (auch im alten druck) vgl. altfranz. wi-
tembre (a. 1283. Heelu cod. dipl. s. 425) und serb. oktomber.
** Henneberg, archiv 1, 76, woraus ich das ganze Verzeichnis hersetze:
1 hardemaint, 2 spurkel, 3 merze, 4 aprille, 5 mey, 6 bramaint, 7 heumaint,
8 aust, 9 evenmaint, 10 herfst, 11 alrehilgenmaint, 12 sant Andreismaint. das
alles scheint niederrheinisch, [thüringsche namen nach Berits Ludwig:
I volborn 32, 20 vgl. p. 118, 2 hornung 29, 9, 3 . . . , 4 epprille 15, 11, 5 . . . ,
6 brachmand 43, 9, 7 heumand 24, 15. 35, 8, 8 der ouweste 32, 8. 86, 19, 9 die
ouwestin 40, 4. 61, 5, herbistouwistinne und ouwisherbistinne 66, 28 (auch
bei Hermann von Fritslar 9 owestin), 10 . . . (herbestm. Herrn, v. Fritsl.),
II (oder 12?) wintermand (11 bei Hermann), 12 ... , lestemand Hermann.]
*** aus dem dat. hovwotse macht Hagens vorr. zu den Nib. (1816) s.
VIII einen ort [auch MB. 32a, 207].
MONATE 61
1807 s. 363) fülmont (Mones anz. 6, 436) bedeuten sept., sonst fol-
monat auch october. november heiszt wolfmon (Mone 8, 249), win-
termont (im namenbüchlein a. 1435 und Mone 6, 436), louprise*,
lawbreisz (cod. cass. von 1445). december hertimänot (Graff 2, 797)
bartmon (cod. cass. a. 1445) bartmonet (im namenb.), anderwärts
vollrät, slacbtmonet, wintermonet, Christmonet. Übersicht:
1 barmänet. volborn. hartmäne
2 hornunc. spurkel
3 merze. Retmänet
4 abereile
5 meige
6 brächot. brächoz. brächmänet. ander meige
7 houwot. houwots. höumänet
8 ougest. ouwest. aust
9 ander ougest. herbest. Fulmänt
10 ander herbest. winmänt
11 dritte herbest. wolfmänet. erste wintermänet. louprise
12 ander wintermänet. volrät. hartmänet.
der alte hornunc, den schon Karl duldete, dauert fest, entschieden 86
eingedrungen sind merze abereile meije. bemerkenswerth die analogie
von brächot und houwot**; unter den abweichenden namen fällt zu-
mal volbor oder volborn auf: ist es ein ahd. folporo oder folporan
legitime natus? oder der ahd. folprunno plenus fons, noch nhd. Voll-
born, Fülleborn eigenname, gleichsam implens fontem? dabei musz
aber auch volrät plena copia für dec. und selbst folmänet für sept.
(vgl. mythol. s. 749) erwogen werden, der als erntemonat triftig ein
monat der göttin Fulla, Folla = Abundia (mythol. s. 265. 285) hiesze
(vgl. den irischen mi lananas).
Auch in nhd. Schriftsprache haben die römischen namen durch-
gängig gesiegt, merz april mai aber starke form empfangen, nur wird
von einigen noch aprill, wie es aus der schwachen entsprang, ge-
* in Schweiz. Urkunden oft louprisi, loubriesi, laubriesete = laubfall
und allgemein für Jahresumlauf: dri louprisinen, nun louprisinen (weisth.
1, 11) meinen: wann das laub dreimal, neunmal gefallen ist, vgl.Stald.2, 159.
** sie scheint eingewirkt zu haben auf romanische namen derselben
monate in angrenzender gegend. ein calandrier du 13esiecle, denRoqueforts
suppl, 195 mittheilt, hat für alle monate die üblichen^ lat. namen, auszer
für 6 ghieskerec, für 7 fenerec, jenes von ghieskere gaskiere = bräche (oben
s. 62), dieses von foin, foenum, beide Wörter drücken demnach genau aus
brächot, houwot. nicht anders heiszen in Graubünden beide monate zarcla-
dur und fenadur (Coaradi s. 88). beide zusammen auch altfranz. resaille
mois (Roquefort 2, 470), ich weisz nicht ob vom mlat. resallire, das vom
lat. resilire verschieden scheint. Aber Metzer Urkunden von 1312 und 1357
nennen den juni somertras, sonmartras, in einer bei Butkens 1, 229 meint
mois de seval den juli, was alles Roquefort s. v. savart, sayarz, sommart
durch terre en friche erklärt; ist dabei unser sommer im spiel? Noch lese
ich bei Meon 1, 448b juignet für juli, gleichsam zweiter, kleiner oder groszer
juni, was ganz deutsch scheint; in juillet statt jul, juil (ital._ luglio, sp.
julio) ist diese bildung durchgedrungen, aernovel f. august bei Roquefort
bedürfte belegs, enthält aber unser erne messis.
62 MONATE
schrieben, von altdeutschen namen höchstens hornung zulässig, der
übrigen enträth man, wegen ihrer schwankenden bedeutung und un-
bequemen form. In Franken Horla Hörla Horlung für hornung, in
Henneberg unterscheidet der grosze und kleine Horning [rockenphil.
87 3, 73] zwischen jan. und febr. statt Wonnemonat hört man in Schwa-
ben mitunter lustmonat für mai. In der Schweiz, ziemlich auf mhd.
weise 1 jänner, 2 hornung, 3 merz, 4 april, 5 mai, 6 brachmonat,
7 heumonat, 8 äugst, 9 herbstmonat, 1 0 weinmonat, 1 1 wintermonat,
12 Christmonat. Unter den ital. Deutschen nachHormayr: 1 genner
gienner (it. gennaro), 2 horning horlung, 3 mörz mörzen, 4 abrel,
5 maii, 6 broucket bracket, 7 höbiget, 8 erster aux, 9 änderst aux,
10 hörböist, 11 hälegmunät, 12 bintermunät; damit werden fast die
Tiroler namen stimmen, man sieht Karls heilagmänöth hier dem
nov. (ags. dem sept.) überwiesen, den wintermonat dem december.
Niederrheinische und niedersächsische abweichungen. in Nieder-
hessen hörte ich noch r Bruder Hartmann für jan., hardemaynd hat
eine urk. bei Seibertz von 1382, der name reicht von Hessen durch
den Westerwald (Limb. ehr. 85) an den Niederrhein bis Cöln (Firme-
nich 1, 453a) und Bremen, wo er aber für febr. stehn soll (brem.
wb. 2, 60). die alte Cölner chronik hat bl. 42a hartmaent ind spur-
kel; im Cölnischen und an der Eifel findet sich sonst für jan. lase-
mand*. Den febr. nennt die Limb, chron. 123 sporkel, der Wester-
wälder spörkel oder spörkelsin (mythol. s. 749): fhätt ich gewalt, wie
mein bruder Hartmond, sagt der Spörkel, so sollte das kalb erfrieren
in der kuh, die suppe vornen kochen, hinten frieren. Philanders von
Sitte wald kehrausz macht aus dem w estrichischen spirkler sogar april.
in Osnabrück soll, nach Strodtmann 278, der febr. wannenmond
heiszen, in Holstein hat er den namen vosmanet, und auch Chorion
gibt dem febr. fuchsmonat. Am Niederrhein gilt evenmant (haber-
88monat) für sept. (Günther 3 n° 453. 462), cin der bonenarne' (bohnen-
ernte) bezeichnet Neocorus die herbstzeit. nirgend hat Neocorus sell-
maand, silmaand, welche nach Ziegler (brem. wb. 4, 749 und Outzen
s. 302) in Ditmarsen für sept. gelten sollen; wir werden sie hernach
auf den nl. febr. angewandt finden, was richtiger scheint, den octo-
ber, wofür zuweilen sadmoen, saatmonat vorkommt, bezeichnen musz
rosenmonat in der Limb. ehr. 120, wahrscheinlich misverstanden aus
roselmonat, von rosel alts. rusel, rysel adeps. Der niederrheinische
teutonista hat folgende namen: 1 hardmaynt, 2 sporkel, 3 merte,
4 april, 5 meye, 6 hoeymaynt, 7 bramaynt, 8 oist, 9 herfstmaynt,
1 0 ossenmaynt, 1 1 alreheiligen maynt, 1 2 wintermaynt, was zu den
niederländischen namen überleitet. Aus dem tieferen Niedersachsen
* lehnsauftrag Conrads von Schieiden an könig Johann von Böhmen
als grafen von Luxemburg über die herschaft Schieiden vom 23. jan. 1343 :
des andern tages na sanete Agneten dage en dem mande der da heiszet
Lasmand, und in der lat. fassung: postero die sanetae Agnetis in mense
qni appellatur Lasemond. Lünig C. J. feudal. 3, 107. sollte dies unbe-
greifliche wort aus dem mnl. laumaent verlesen sein?
MONATE 63
kann ich wenig anführen; in der glosse zu Ssp. 3, 82 stehn die
bekannten ausdrücke horning und bräcmäne*. Es wäre wichtig, was
jeder hochdeutschen und niederdeutschen landschaft angehört genau
zu ermitteln, und namentlich für die beiden ersten monate, welcher
unter ihnen hartmänet, volborne, hornunc und sporkel zustanden.
Mnl. quellen geben ziemlich auskunft. januar heiszt laumaent
Maerl. 1, 156. 2, 25, anderwärts geschrieben leumaent hör. belg. 7
18% lomant Diut. 2, 214b. febr. bald sporkel oder sporcle (doch dies
scheint flexion Maerl. 2, 25. Kauslers chron. 10054. in sporkelle im
anhang zu de Klerk 1, 740 a. 1306) bald aber sille Maerl. 1, 156.
seile (Kilian h. v.), beide mögen nach der gegend gelten und sporkel
mehr niederländisch, sille mehr friesisch sein, merz: maerte, meerte.
april: aprel Maerl. 2, 245. aprille de Klerk 1, 692. mai: meye
Stoke 3, 172. mey Kausler 9302. junius steht bei Haupt 1, 105,89
das einheimische wedemaent bei Kausler 9111 und de Klerk 2, 476.
570 (a. 1356. 1340), wieden bedeutet noch heute jäten. Julius Maerl.
3, 287. de Klerk 2, 486. 556, aber hoymaent Maerl. 1, 336. für
august häufig östmaent, falsch geschrieben oestmaent Maerl. 2, 345
oustmaent de Klerk 2, 491. houstmaent 2, 502, auch blosz ogst
Maerl. 2, 72. oechst de Klerk 1, 802. 804 oder maent van oeghst
b. de Klerk 2, 497. 499. neben September evenmaent hör. belg. 7,
19. october Maerl. 2, 193 de Klerk 2, 518. november Kausler 9301.
10053 und wieder evenmant Diut. 2, 225 a. december de Klerk 2,
524, in Maerl. nat. bloeme aber slachtmaent. Übersicht:
1 laumaent
2 sporkel. sille
3 maerte
4 aprel. aprille
5 meye
6 junius. wedemaent
7 Julius, hoymaent
8 oghest. öst. östmaent
9 September, evenmaent
10 october
11 november. evenmaent
12 december. slachtmaent
Nnl. bleiben gangbar: 1 louwmaand, 2 sprokkelmaand, 3 lentemaand,
4 grasmaand, 5 bloeimaand, 6 zomermaand, 7 hooimaand, 8 oogst-
maand, 9 herfstmaand, 10 wijnmaand, 11 slagtmaand, 12 winter-
maand. Landschaftlich aber in Holland und Belgien manche andere :
* Chorions ehrenkranz der teutschen sprach. Straszb. 1644 wirft hoch-
deutsche, niederländische, angelsächsische, nordische und übersetzte sla-
vische monatsnamen unter einander, dasz man kaum etwas aus ihm an-
fuhren darf, sonst verdienen namentlich die mit thieren zusammengesetz-
ten monate aufmerksamkeit und genauere prüfung. das landvolk in
Niedersachsen nennt heutzutage nicht leicht monate, sondern behilft sich
mit heiligenfesten, die auch hier an die stelle der alten getreten sind.
64 MONATE
1 hardemaand hardmaand in belgischen strichen und solchen, die sich
dem Niederrhein nähern, 2 sporkelmaand, schrikkelmaand, selmaand,
sulmaand, blijdemaand, 3 dorremaand, 4 paaschmaand, 5 wonnemaand,
6 braakmaand, roozenmaand, 7 weideraaand, wedemaand, 8 bouw-
maand, 9 evenmaand, gerstmaand, pietmaand, speltmaand, 10 aarzel-
90 maand, her selmaand, rozelmaand, 1 1 loefmaand, horemaand, hoermaand,
smeermaand, 12 windelmaand, wolfsmaand, heiligmaand, korsmaand*.
Leider gewähren die altfriesischen gesetze keinen als den wol-
klingenden maiamonath (Richth. 914), die heutigen friesischen theilt
mir Halbertsma mit (sie stehn auch meistens in briefen des Japicx) :
1 foärmoänne, 2 seile, 3 foärzienmoänne, 4 goersmoänne, 5 blomme-
moänne, 6 simmenmoänne, 7 haeimoänne, 8 rispmoänne (von rispen
colligere), 9 hervstmoänne, 10 wynmoänne, 11 slachtmoänne, 12 win-
termoänne.
Vor allem fällt das auf, dasz unter den niederländischen und
friesischen namen, wie unter den hochdeutschen, der einzige februar
einfach ist, folglich uralt scheint; doch an des hornungs stelle sind
hier zwei andere, gleich schwierige benennungen getreten.
Sporkel mahnt an den indicul. superstit. d. j. 743 fde spurca-
libus in februario' (Pertz 3, 19), das ist ein altes zeugnis für den
namen und führt ihn deutlich auf ein Volksfest hin. spurcalia von
spurcus abgeleitet kommt im guten latein nicht vor und die römische
sitte hat keine so benannte feier**, im mittellatein gilt es aber für
heidnischen brauch : rfanaticae lustrationis spurcalia thurificabat' sagt
Aldhelm de virginit. c. 12, Karls capit. von 769 nennt fspurcitias
gentilitatis' (Pertz 3, 33) andere setzen f spur camina'. dabei fällt mir
sogar ahd. horo, ags. horu, horva sordes, coenum ein, aus welchem
hornung und nicht aus hörn entspringen könnte, wiewol hornung
kaum für horawung, horving steht, seltsam bleibt immer die her-
91 kunft des volksmäszigen monatsnamens aus dem kirchenlateinischen
spurcalis, und sehr möglich, dasz eine deutsche wurzel spork unter-
liegt, und die geistlichkeit den namen geflissentlich in spurcalis ent-
stellte, zu erwägen ags. spearca scintilla, engl, spark sparkle, nnl.
sprank sprankel und spark sparkel; ahd. sporah, spurcha juniperus,
nd. sprokware (winddürres holz, RA. s. 507), nnl. sprok sprokkel
(windfall, leseholz), woher das geldrische sprokkelen holz lesen.
Seile, sille gleichen offenbar dem ags. solmönad, wenn man sie
nur aus sylle entspringen läszt, für den ags. namen kommt nun zu-
oberst Bedas deutung rmensis placentarum' in betracht ; doch ich kenne
sonst kein sol als benennung eines gebäckes. aber goth. saljan, ags.
* zu finden in den Wörterbüchern, einer abhandlung von J. D. Meyer
(verhandelingen der tweede Masse van het instituut. deel 1 1818 s. 130 ff.)
und in der anne'e de l'ancienne Belgique par Coremans. Bruxelles 1844.
alles aber genauerer prüfung bedürftig.
** wenn man februarius von februare reinigen leitet und ein festum
lustrale annimmt, so wäre spurcare gerade das gegentheil verunreinigen.
MONATE 65
sellan syllan hiesz darbringen, opfern (mythol. s. 34) und sylmönad
könnte gelten wie blötmönad. weniger behagt Lyes auslegung solis
mensis. Da ags. sol auch volutabrum bedeutet, ahd. gisol und solaga
(Graff 6, 186) altn. sola inquinare (vgl. ahd. salawen Graff 6, 183)
geriethe man wieder auf spurcare und horo, die fast beseitigt schie-
nen, die angeführten nnl. sulmaand selmaand wünsche ich erst
völlig beglaubt, sie könnten dem ags. ausdruck nachgeahmt sein.
Auch laumaent louwmaand ist schwierig, wer mag ans engl, law
(mit Übergang von e gesetz in ehe conjugium) und gar an den gr.
yafirjkuüv denken? da weder mnl. lauw noch nnl. louw für 6 vor-
kommen, höchstens loy dem franz. loi nachgebildet wurde (Kausler
2, 630) und nur gesetz, nicht ehe ausdrückt, louwen soll sodann
gerben, leder bereiten, nnl. looijen bedeutet haben, was gewaltsam
auf die vom schlachtmonat (dec.) her übrigen rinderhäute bezogen
wird. Kilian hat louwen verber are, und Fergüt 8595 steht gelout
(geschlagen, Wolframs gälünet) : betrout. wider unser lau tepidus,
ahd. lao, altnl. h\fr sträubt sich die strenge winterzeit.
Die meisten übrigen niederländischen namen sind verständlich und
schon anderwärts erklärt, rozelmaand ist fetter monat, von rozel adeps,
alts. rusel, gerade wie auch nov. smeermaand heiszt; wenn das dunkle
pietmaent für sept. aus ags. pida medulla, engl, pith (vgl. ir. paiteog 92
butter) zu deuten wäre, so liefe das auf dieselbe Vorstellung hinaus ;
oder ist piet aus dem franz. epeautre entsprungen? dann wäre es
gleichviel mit speltmaent. aarzelmaand deutet man aus aarzelen (recu-
ler), vom zurückgehn, neigen der zeit, loefmaand verstehe .ich nicht.
Wären nordfriesische namen vorhanden oder gesammelt, sie
könnten den Übergang zu den nordischen bilden.
In Dänemark sind neben den römischen noch heimische üblich:
1 glugmaaned, 2 blidemaaned und früher göie, 3 tormaaned, 4 faare-
maaned, 5 mejmaaned, 6 sommermaaned, auch skärsommar, 7 orme-
maaned, 8 hömaaned, höstmaaned, 9 fiskemaaned, 10 sädemaaned,
früher auch ridmaaned, 11 vintermaaned, 12 juelmaaned.
Schwedische: 1 Thore, Thorsmänad, 2 Göja, göjemänad, 3 blida,
blidemänad, thurrmänad, 4 värant, 5 mai, 6 midsommer, 7 höant, hö-
mänad, 8 skortant, skördemänad, 9 höstmänad, 10 blotmänad, slagt-
mänad, 11 vintermänad, 12julmänad. das -ant in värant höant skor-
tant entspricht dem altn. önn (opus, negotium) pl. annir, sie drücken
also aus vernum negotium, foeni, messis negotium; die schwed. bibel
setzt skördeand für erntezeit, richtiger wäre zu schreiben värand,
höand, skördand: das geschäft wird zur Zeitbestimmung angewendet.
Man darf noch andere volksmäszige namen vermuten, in Angerman-
land heiszt die caltha palustris trimjölksgräs (Dybeks runa 1845 s.
67), was bedeutsam an den ags. Thrimüci erinnert, und in Jemtland,
Angermanland, Dalsland ist noch heute trimjölkning zur Sommerzeit
im gebrauch, der Jemtländer sagt dann: cboskapen mjölkas i try.
Das altn. jähr oder der winter begann mit unserm 23. nov., das
frühjahr am 22. febr., der sommer am 25. mai, der herbst am
Grimm, geschichte der deutschen spräche. 5
66 MONATE
21. august, gleich den griechischen monaten, so dasz frühjahrsanfang
jenem beginn des römischen jahrs mit merz nahe begegnete, hier-
nach lassen sich die in skäldskaparmäl Sn. 188 verzeichneten alt-
nordischen monate den unsern vergleichen; 1 J>orri, 2 göi, 3 ein-
93mänudr ok sädtid, 4 eggtid ok stecktid, 5 solmänudr, 6 selmänudr,
7 heyannir, 8 kornskurdarmänudr, 9 haustmänudr, 10 gormänudr,
1 1 frermänudr, 1 2 hrütmänudr. In Island gelten aber auch andere,
zum theil offenbar neuere namen; 1 J>orri, 2 göe, 3 einmänadr,
Odinsmänadr, 4 harpa, gaukmänadr, 5 eggtid, 6 solmänadr, sel-
mänadr, 7 heyannir (jenes schwed. höand), 8 tvimänadr, 9 haust-
mänadr, 10 $lir, 11 frermänadr, 12 mörsugr.
An diesen nordischen namen scheint vieles merkwürdig, vorerst
hebe ich wieder hervor, dasz für den febr., wie bei uns hornung,
sporkel und sille, so auch hier das einfache göi, göja, göie eintritt
und aufrecht bleibt, eine sage (Sn. 358) scheint den Ursprung von
göi und porri zu deuten: Thorri war König in Gottland und Finn-
land, von dem groszen opfer, das er zu mittwinter ordnete, hiesz
der monat porramänadr; als Göi seine tochter aus dem lande gieng,
liesz der könig einen monat später opfern und so begann göi.
Landnämabök 4, 7 meldet, dasz Hrölfr Gö heiratete, nach welcher
göimänadr genannt ist. vielleicht darf auch von ihrem bruder Gor
gormänadr gedeutet werden, wo nicht umgekehrt alle diese per-
sonificationen aus alten monatsnamen entspringen, für göi werden
wir hernach läpp, guova finden, und göi weist allerdings auf ein
volleres gövi, dessen deutung ich nicht wage*.
Noch gröszeres gewicht hat, dasz die altn. spräche überhaupt auf
das fest der Wintersonnenwende den namen jol anwendet, welches
man für den nom. pl. neutr. hält, obwol die Zusammensetzungen jola-
dagr jolatid auch von einem schwachen joli herrühren können, das dem
ags. geola genau entspräche, und den monat ausdrückte, wofür Schwe-
den und Dänen julmänad julmaaned zusammensetzen, welcher ein-
klang zwischen joli, ags. geola, goth. jiuleis, der sich auf das finn.
joulou kuu, läpp, joula maro weiter ausstreckt. Wahrscheinlich hatte
94 der alte Norden noch andere namen, die sich den ags. näher an-
schlössen, z. b. einen primilki, wie ich aus der schwed. blume folgre.
Selmänudr, weidemonat (von sei pascuum aestivum) schickt sich
für juni weit besser als ags. solmönad, mnl. seile, wenn sie dasselbe
wort sind, für febr. oder ditmarsisches selmand für sept. zu mhd.
houwot, ougest, herbest stimmen heyönn, kornskurd und haust, gor-
mänudr — october legt Biörn aus tempus mactationis, was dem
schwed. slagtmänad = oct. gliche, soll in einmänudr das ein den
ersten monat ausdrücken? was harpa (harfe) mit dem april zu thun
hat weisz ich nicht, kukuksmonat ist klar, wie eggtid, zeit des eier-
legens, tvimänadr mensis duplex, binus musz aus Wiederholung des
namens oder einem schaltmonat erklärlich sein, für soll nach Biörn
* GöinnSn.20name einer schlänge, vgl.serb.gyjaserpens,samog.giuoitos.
MONATE 67
querulus bedeuten und nov., nicht oct., von yla ululare, was auf
den brüllenden hirsch oder heulenden wolf gehn könnte, frermänadr
ist eismonat, hrütmänudr scheint mensis arietis.
Von den schwed. namen ist värant aus vär lenz, höant aus hö
heu, skortant aus skort messis gebildet, blida für merz, dän. blide-
maaned für febr. stimmen zum angeblichen nnl. blijdemaand, falls
dies nicht Übersetzung der nord. form ist; das ags. llda mit
der gleichen bedeutung laetus, mitis eignet sich aber besser für
Sommermonate. Warum heiszt der dän. jan. glugmaaned fenstermonat ?
von glug; altn. gluggi; eigen ist schafmonat für april, wurm oder
madenmonat für juli, wozu sich gleich eine analogie bieten soll.
Unter den Slaven haben sich die heutigen Russen und Serben
dem röm. calender bequemt*, Polen, Böhmen, Slovenen und Sorben
noch die einheimische benennung festgehalten**, ihr jähr begannen
die alten Slaven mit September, genau wie Snorri vom haustmänudr 95
an zählt***, ich stelle jedoch nach unsrer gewöhnlichen Ordnung auf
altsl. 1 prosinetz sloven. prosinz. simiz. pervnik
2 sjetschen
fvizhan. drujnik
3 suchyi
fufhiz. bresen
4 berezozol
malitraven. fhtertnik
5 traven
velikitraven
6 izok
mali ferpan
7 tscherven
r'shenzvet. roshen zvet
8 zarjev, zarev
velikilerpan
9 riujen, rujan
kimaviz. kimovz
10 listopad
kosaperfk
11 gruden
listovgnoj
12 studenij
gruden
die slovenischen nach Murko.
Jarnik nennt 5 traven veliki, 7 ferpan
mali, 8 ferpan veliki, 9 riujen. den Kroaten heiszt 6 klasen.
poln. 1 styczen böhm
l. leden
2 luty
vnor, aunor
3 marzec
brezen
4 kwiecien
duben
5 may
may mag
6 czerwiec
cerwen
7 lipiec
öerwenec
8 sierpien
srpen
9 wrzesien
zarj
10 pazdziernik
rjgen
* neben sentjabr gilt jedoch russ. osenj = herbstmonat, und die alt-
russ. spräche kennt noch andere, z. b. pazdernik für october.
** Verzeichnisse unddeutungenin Alters beitrag zurdiplomatik. "Wien 1801
s. 98—100 (unverlässig) und Dobrowskys Slovanka. Prag 1814 s. 70 — 75.
*** wenn in Hankas mater verborum 13ac 'maius mensis tercius' aufge-
führt wird, so ist das die altrömische von merz anhebende computation.
68 MONATE
poln. 11 listopad böhm. listopad
12 grudzien prosinec. wlcenec,
doch manche andere zeigt die ältere spräche, so hat die altböhm.
mater verbor. 13a für mai noch das merkwürdige Siban, das sich
96 auf die göttin Siva (sonst Ziva, vgl. lett. seewa femina) beziehen
könnte*, und auszerdem yzok, welches altsl. dem juni gehört und
cicada bedeutet, anderwärts hiesz den Böhmen derselbe mai auch
trnopuk (dornknospe), kweten (der blühende), trawen (der grasige),
das Verzeichnis bei Hanka 55b stimmt, auszer dasz Julius (und
sonst august) wrzyesen (wresen) heiszt, wie den Polen der Sep-
tember wrzesien, der name rührt her von wres erica [poln. wrzos]
und blütezeit der hei de? oder von wrzasnac, böhm. wreskati schreien,
wie zarj von zarjti? pazdziernik ist von der flachsbereitung. styczen
jan. halte ich für gleichviel mit dem sl. studeny = der kalte, für
dec. und studnia kühler brunnen, böhm. studnice, serb. studenatz
verführt mich das mhd. volborn hinzu zu halten, den februar nennen
die polen auch wachlerz (den windigen.) In polnisch Schlesien 1
wanocnjk Weihnachten, hromecnjk lichtmesse, 4 ludikwiat, 7 lipen,
9 kosen, 10 sewen, 11 odHlas (was sonst listopad).
Die monatsnamen der sorbischen und lüneburgischen Wenden
verrathen deutschen einflusz:
sorb. 1 wulki rö£k lüneb. nivaglutüf
2 maiy rözk
rüsatz
3 mierc
sürman
4 hapyrleja
cheudemon
5 meja
leistenmon
6 smaznik
pancjustemon
7 praznik
seninic
8 znenc. zenc
haymon
9
pregnia seymemon
10
weiniamon
11
seymemon
12
trebemon.
wulki und maiy rö£k sind groszer und kleiner hörn und rüsatz ist
hornung = cornutus; smaznik brachmonat, seninic heumonat, niva-
97glutüf neujahr (novaljuto), pregnia seymemon erster wintermonat,
pancjustemon pfingstmonat, trebemon Weihnachten (von treba, böhm.
treba sacrificium), leistenmon blättermonat (poln. lipiec). cheudemon
soll böser monat (quade monat) sein, sürman ist mir dunkel, haper-
leya scheint nichts als entstellung aus april, abereile, der wollautende
mai hat bei Böhmen, Polen, Sorben wie bei Deutschen über die
heimischen namen den sieg davon getragen.
* Dobrowskys Slovanka s. 71 führt die dalmatisch illyrische form svi-
ban an, welche ablenkt, jedoch bezeugt, dasz nicht etwa der hebr. monat
sivan gemeint sei.
MONATE 69
TJeberhaupt aber zeichnen sich die altslavischen namen vor den
meisten deutschen vortheilhaft aus durch ihre einfache bildung, die
sich mit keinem mesac, miesiac, mesjc schleppt, dann durch das na-
turgefühl, welches sie athmen. die meisten sind aus dem pflanzen-
reich und mit -en abgeleitet: brezen wo die birke, duben wo die
eiche sich laubt, traven wo das gras grünt, wresen wo heidekraut
blüht, kweten wo alles blüht oder grünt, lipiec wo die linde duftet,
listopad wo das laub fällt, was dem Schweiz, louprisi begegnet,
srpen, serpan ist der monat wo die sichel (srp) schneidet, erntezeit.
mai oder juni heiszen izok, nach der heuschrecke, juni oder juli czer-
wiec, öerwenec*, tscherven wurmmonat, merkwürdig stimmend zu
dem dän. ormemaaned, madkemaaned, weil um diese zeit der brach-
käfer oder dessen made auf den ackern sichtbar wird? zarj, zarjev
brunstmonat, vom schreien brünstiger hirsche, gleichviel mit riujen,
rjgen, von rjevati rugire, ahd. reran, ags. rärjan. die bedeutung
schwankt aber zwischen aug. sept. oct., unsere Jäger setzen die brunst
in den sept., wo man die hirsche stundenweit durch den wald brüllen
hört; mich gemahnt riujen wieder ans ags. rugern = august, dessen
deutung aus rüg roggen vielleicht noch zweifei leidet. Nicht auf
pflanzen und thiere, blosz auf den eindruck der winternatur berechnet
sind studenij der kalte, poln. styczen, zwischen dec. und jan. schwe-
bend, leden der eisige Januar, gruden, grudzien von gruda schölle,
wo die erde vom frost hart zu schollen wird**, bald nov. bald dec, 98
dieser monat mag zum einschalten gedient haben, da das entsprechende
böhm. hruden diesen sinn mit sich führt, böhm. wlöenek bedeutet
wolfsmonat, was auch ein deutscher name für dec, sjetschen hau-
monat, von sjekati hauen, weil man im febr. holz fällt? suchyi, der
trockne monat, wie der dän. schwed. merz tormaaned, thurrmänad
heiszen, altn. aber jporri jan., was Biörn stärke des winters deutet,
eigen ist das poln. luty febr., er soll auch altruss. ljotyi mjesjatz,
der herbe, grausame monat geheiszen haben, gleichsam der Wüterich;
klärt er uns über hornung und sporkel auf? prosinetz endlich be-
deutet bittmonat, von prositi precari, ich weisz nicht, ob die Slaven
um neujahr besonders gebete hielten; die bettage oder rogationen
fanden im mittelalter erst den fünften sonntag nach ostern statt.
Jene naturanschauungen scheinen nicht nothwendig mit heidni-
schen festen zusammenzuhängen, und auf götter erhellt kein bezug,
es sei denn in dem noch ungewissen Siban.
Unter allen sl. monatsnamen wird uns keiner wichtiger als gru-
den, grudzien, weil er aufschlusz gewährt über den deutschen bisher
unverstandnen, zwischen dec und jan. schwankenden hartmänot. die-
ser ausdruck ist nicht aus dem adj. hart herzuleiten, vielmehr aus
* cerwen der kleine, cerwenec der grosze wurmmonat, ehmals auch
weliky cerwen geheiszen.
** dieselbe Vorstellung im hebr. monate Via, wo laub welkt und die
erde zu schollen (rnVto) wird. Benfey und Stern monatsn. s. 16.
70 MONATE
einem subst. der hart, welches noch in Baiern den gefrornen schnee,
die schneekruste (Schm. 2, 241) bezeichnet und völlig dem sl. grouda,
gruda* gleichkommt, mit Versetzung des R, wie sie in brada bart,
brod fürt (s. 11) stattfindet, wir werden demselben namen also-
gleich im litth. grodinnis wieder begegnen.
Die litthauischen namen gleichen oft den slavischen.
1 pusis, pustis, pusczius (? puczius bläser). wasäris
2 kowinnis dohlenmonat
3 karwelinnis taubenmonat. balandis
4 birzelis birkenmonat. sultekis birkenwasserflieszen
5 geguzinnis kukuksmonat
99 § pudimo menü brachmonat. sejinnis sämonat
7 lepinnis lindenmonat
8 d£g&sis heiszer monat. rugpjutis roggenschnitt
9 ruddugis, rudeninnis herbstmonat
10 lapkristis laubfall
11 grodinnis schollenmonat
12 sausis trockner (frost) monat.
Lettische namen:
1 seemas mehnesis wintermonat
2 puttenu m. schnee m. gawenu m. fasten m.
3 balloschu m. tauben m. sehrsnu schneeharst m.
4 sullu mehnesis birkensaftmonat
5 lappu mehnesis laubmonat
6 papue's m. brachm. seedu m. blute m.
7 seenu, leepu m. heu, lindenmonat
8 rudsu m. roggen m. sunnu hunds (tage) m.
9 sillu mehnesis heideblütmonat
10 ruddens m. herbstm. im heidenthum: semlikka m.
11 salla mehnesis frostmonat
12 wilku m. wolfsmonat. swehtku m. Weihnachten.
Bedeutender ist der finnischen, estnischen und lappischen monate na-
men abweichung, die fast alle auf deutsche weise mit kuu oder ma-
nod = monat zusammengefügt waren.
finn. 1 tammikuu eichenmonat
2 helmikuu perlenmonat. kaimala begleiter? dämmerer?
3 maaliskuu, birkensaftmonat
4 huhtikuu waldschwendemonat
5 toukokuu saatmonat
6 kesäkuu Sommermonat
7 heinäkuu heumonat
8 elokuu erntemonat
9 syyskuu herbstmonat
10 lokakuu kothmonat
* litth. grodas gefrorne schölle, wahrscheinlich lat. crusta verwandt:
concrescunt subitae currenti in flumine crustae. Virg. georg. 3, 360.
MONATE 71
11 marraskuu gebrechlicher monat.
12 joulukuu weihnachtsmonat.
est. 1 neäri ku neu jähr smonat
2 hunti ku wolfsm. küünla ku dämmerlichtsni. 100
3 äuge ku hechtsmonat. paasto ku fasten
4 mahla ku birksaftm. jürri ku Georgsmonat
5 leht ku laubmonat
6 jani ku Johannismonat
7 heina ku heumonat
8 mädda ku hundstage. poimo ku erntemonat
9 süggise ku herbstm. mihkli ku Michaelis
10 roja ku kothmonat. rühhe ku tennemonat
11 talwe ku wintermonat. marti ku Martini
12 joulo ku, talwiste ku Weihnachten.
das finnische tammikuu gleicht dem sl. duben april, scheint aber
ungehörig für Jan.; wenigstens kenne ich keinen bezug der eiche
auf diesen monat, strenge winterkälte heiszt tammipakkainen, hart
und fest gleich dem eichholz? maaliskuu das Eenvall 1, 307 nicht
versteht, deute ich nach dem est. april, zumal auch den Slaven
birkenmonat bald merz, bald april ist. wichtig scheint kaimala von
kaimo lux levissima, zeit der merklichen lichtzunahme oder von
kaimaan comitor? doch küünlaku führt auf künal licht und das
schwed. kyndelmessa, engl, candlemas.
Den norwegischen läppen heiszen
1 odda beivemanod neujahrstagmonat
2 guovamanod, das altn. göi
3 niuvzhiamanod, schwanmonat
4 vuoratzhmanod, krähenmonat
5 zaangos
6 miessemanod, rennthierkalbsmonat
7 snjilzhiamanod, rennthiershaarfall
8 gassaborge, dichthaarfall
9 vuodkedmanod
10 ragad, brunstmonat
11 golgo, rennthierermattung
12 passatas, heiligermonat.
Von den schwedischen Lappen treibe ich nur folgende auf: 2 kuova,
4 wuoratjis mano, 5 qweddet mano (eilegenszeit?), 9 rakad, 11 hälko, 101
12 passatesmano oder joulomano. Bei diesen lappischen namen ver-
schwinden die von bäumen und pflanzen entnommnen, ihre arme natur
gibt sie nicht mehr ein ; einige rühren von vögeln her, die meisten
vom rennthier, dessen kalben, mause, brunst und ermatten in be-
tracht steht, ragad oder rakad, zwischen sept. und oct. schwankend,
begegnen dem sl. zarjev und rujan. guova, kuova jaulo stammen
sichtbar aus nord. göja göie, jul.
Die irischen und galischen monate könnte ich nur weniger voll-
ständig geben, hätte mir nicht meine samlungen Leo aus Marcels alpha-
72 MONATE
bet irlandais ergänzt, vielen wird mhi, mhios (mensis) vornen oder
hinten angehängt,
irisch 1 gionbhar. ceadmhi gal. ceudmhios
2 feabhra. faoillidh faoilteach
3 mart, marta mairt
4 abran, abraon. diblin aibreann
5 ceideam. Bealtuinne Bealtuin
6 ceadshamh. mijabhuinn ogmhios
7 jul. miosbuidhe, buidhemios jul
8 lughnas, lunasd. milananas mor, morach. flathail.
rioghail
9 seichtmi. mi fionnfoloi mios meadhonach
10 oichtmi. osmhadhmi. shearri ochdmios
11 naoimhi. midhu. gamh. naoimhios
12 michrundu dubhlachd.
In den vier ersten ist die entstellung aus dem latein ersichtlich, so
wie seichtmi oichtmi naoimhi sept. oct. nov. übersetzen, desto merk-
würdiger sind manche der einheimischen namen. ceadmhi ceidmhi
ceudmhios bedeutet primus mensis, nach dem jetzigen calender, aber
auch ceideamh oder ceideamhain für mai sagt beginn aus, weil die
Kelten ihr jähr mit der nacht des Baalfeuers (oidhche Baaltinne) began-
nen; dies heilige feuer wird in der ersten mainacht entzündet, im
heidenthum soll es zur frühlingsnachtgleiche geschehn sein, nach dem
groszen fest heiszt der ganze mai Baltuinne, Bealtuinne, Beilteine, Beil-
102 tinne. faoillidh oder faoilteach drückt aus die frohe zeit, und begeg-
net dem dän. blidemaaned für denselben februar, dem schwed. blida
für merz; meint der name die lust festlicher tanze? wie auch die
Christen ihre fastnachtsfreude in diesen monat legen, und heiszt der
finnische helmikuu vom perlenschmuck festlicher frauen? diblin bezeich-
net die zeit des grünen krauts oder futters und fügt sich allenfalls
zum slavischen traven. ceadshamh ist erste sonne, erster Sommermo-
nat, migabhuin kälbermonat. ogmhios wofür auch ir. oigmi vorkommt,
bedeutet entweder junger monat oder Jünglings, Jungfrauenmonat was
dunkel bleibt ; kaum geht es auf Johannes den täufer ; gleiche dunkel-
heit schwebt über mimheasmach, noch einem ir. namen für juni. mios-
buidhe, buidhmis, buidhmi ist gelber monat, weil im juli die ähren
gelbe färbe annehmen, man findet auch mi bodhuidh und miguaire,
miguartag, beide mir unverständlich, lughnas soll sich auf ein altes
mondfest beziehen und wird etwas gezwungen für zusammengezogen
aus luanfheisd genommen; vielleicht ist es dialectische entstellung aus
lananas in milananas, monat der fülle ? fülle (von lan, welsch llawn
plenus, sp. Ueno) ist treffende bezeichnung der ernte und kann sogar
unsern folmonat, fulmonat = September als herbst oder erntemonat
rechtfertigen helfen. Das galische rioghail darf an den ags. rugern
gemahnen, mor, morach halte ich zum ir. mi madramhal, monat des
hunds, der hundstage. fionnfoloi drückt weisze leere aus, die zeit wo
die äcker mit stoppeln bedeckt sind, os mhad = über feld, os-
MONATE
73
mhadmi der monat, den man auf dem leeren feld zubringen darf?
shearri sägemonat. midhu schwarzer monat, weil nach gestürzter
stoppel der acker schwarzes ansehn hat? gegensatz zu dem gelben
monat; michrundu für dec. mag ähnliches ausdrücken, wie auch der
bretagnische name bestätigt und Marcel erklärt: mois sacre le plus
noir; das gal. dubhlachd ist deutlich mit dubh schwarz verwandt,
obgleich es näher den begrif der kälte und dunkelheit enthält*.
Auszer den angeführten namen sind noch einige allgemeine und ab- 103
stracte bezeichnungen hergebracht, für april mi meadhon earraich
monat mitten im frühjahr, für juni mi meadhon samhradh monat
mitten im sommer, für September mi meadhon fomharadh monat
mitten im herbst, für dec. mi meadhon an geimhradh monat mitten
im winter; auch mi deireannach fomharadh letzter herbstmonat für
october, ceidmhi do geimhradh erster wintermonat für november,
woraus sich reihen mehrer monate ergeben.
Den welschen zur seite stelle ich die cornischen und bretag-
nischen (armorischen).
welsch 1 jonawr com. genver bret. guenveur
2 chwefror, chwefrol huevral c'huevreur
3 mawrth merh
4 ebrill ebrall
5 mai mizme
6 mehefin epham
7 gorphenhaf gorephan
meurs
ebrel, imbrel
maö
mezevenn
mez-
8 aust
9 medi, mismedi
10 hydref
11 tachwedd
12 rhagfyr
gouezre ,
vennicq
eaust
guengolo
hezre, here
du
qerdu, qerzu.
east
guerda gala
hedra
dui
kevardin
auch hier ist einigemale mez, mis (mensis) vorgeschoben, in mizme,
mezevenn, mismedi, wo das eigentliche wort me, evenn, medi (ernte)
lautet, und so heiszt es anderwärts mismerh, misebrall u. s. w. alle
fünf ersten monate sind wieder die römischen und bestärken das
über die ersten irischen gefällte urtheil. efin ephan evenn bedeutet
sommer, gorephan haupt (stärke) des sommers, wie altn. porri stärke
des winters, guerda gala, guen golo drücken aus weiszes stroh, was
das ir. fionnfoloi. hydref hedra soll den wässerigen monat anzeigen,
dui, du schwarz für november begegnen dem ir. midu, und kevar-
din, qerdu dem ir. chrundu und gal. dubhlachd. tachwedd tending
to a conclusion, rhagfyr kürzung. Nur der einzige mi gabhuin ist 104
von einem thier hergenommen, und die überwiegende mehrzahl auf
erscheinungen des ackerbaus gerichtet.
Unter den baskischen namen, deren mittheilung und deutung ich
* altn. blär, schwed. blä niger, coeruleus, inanis; mnl. blaer frigidus,
infelix.
74 MONATE
herrn C. A. F. Mahn danke, wird meistenteils ila oder illa (mensis)
angehängt.
1 urtarrilla neujahrsmonat. beltzilla, ilbalza schwarzer monat
2 otsailla wolfsmonat. ceceilla stiermonat
3 epailla lauer monat, von epela lau
4 jorrailla jätemonat. opea, opailla fastbrotmonat
5 ostarua, orrilla blattmonat von ostoa ostroa, orria blatt
6 erearoa säezeit. baguilla bohnenm. garagarilla gerstenmonat
7 urtailla erntemonat. garilla waizenmonat
8 agorilla trockenmonat
9 irailla far renkrau tmonat. buruilla ährenmonat
10 urria, urrilla, bildilla sammelmonat
1 1 acilla, azaroa saatmonat. cemendia lichterwald
12 lotacilla, wachsthumbindend?
daneben gelten auch nach den römischen 3 marchoa, 4 apirüla,
8 abostua, abuztua, 12 abendua, abenduba. bemerkenswerth stim-
men ostarua, ostroa zum sl. traven und lett. lappu mehnesis, jorrailla
zum ags. veodmönad, mnl. wedemaent, agorilla zum ir. lughnas,
cemendia, cemendila zum deutschen louprisi, sl. listopad, litth. lap-
kristis, irailla (von iratzea filix) etwa zum poln. wrzesien, vorzüglich
aber beltzilla, ilbalza zum kelt. du, midhu und dubhlachd, mit dem
gewöhnlichen schwanken zwischen nov. dec. und jan., die schwarze
trübe winterzeit steht auch ohne bezug auf das ackerfeld dem hellen
sommer entgegen, bei ostarua mai wäre sehr erlaubt an den deut-
schen namen des aprils östarmänot, eosturmönad zu denken und
unsre Ostara Eostur für eine laubgöttin zu halten.
Ich schliesze diese langen reihen mit den albanesischen monats-
namen nach Xylander, bei welchem blosz der Januar fehlt. 2 öxov'qu,
3 jiaof, 4 tlqiX, 5 nd'C, 6 hoqi%, 7 Ioovccq, 8 yooti, 9 yoötoßdöxB,
10 %l[iiTQL, 11 llfiiXi, 12 %UvÖQB. für 3 4 5 8 die römischen
namen, mit aphaeresis des a in 7cqIX und yoözi, der anhang ßdöre
105 in yoöroßisOTB scheint einen andern oder kleinen august zu bezeich-
nen. Ckovqti, xoql%, Xcjvccq sind eigen und mir unverständlich, die
drei letzten monate des jahrs heiszen nach heiligenfesten, monat des
Demetrius, Michel, Andreas. So werden sämtliche ungrische monate
nach kirchenfesten genannt, weshalb sie uns nicht anziehen: 1 böl-
dog aszszony' hava (seliger frauenmonat), 2 böjt-elö-hava (erste faste),
3 böjtmäs-hava (andre faste), 4 szent György hava, 5 pünküsthava,
6 szent Ivan hava, 7 szent Jakab hava, 8 kisaszszony' hava (kleiner
frauenmonat), 9 szent Mihäly hava, 10 mindszent hava (allerheiligen-
monat), 11 szent Andräs hava, 12 karätson hava ( wettmacht smonat).
für hava (monat) auch die kürzung ho.
Es ist eine menge von analogien sowol in der wortgestalt als
in dem begrif der monatsnamen unter allen europäischen Völkern
nicht zu verkennen; aber sie tauchen hier und da, in einzelnen oder
schnell wieder gebrochnen reihen auf, und sind von dem massenhaften
vordringen der römischen monate zu unterscheiden, wo sie, dem räum
MONATE 75
und der zeit nach fern von einander erscheinen, ist ihre bedeutsam-
keit desto anziehender.
Unentlehnt stehn darum ein baskischer beltzilla und bretagni-
scher du, ein baskischer cemendila, schweizerischer loubrisi, slavischer
listopad, ein dänischer ormemaaned und slavischer cerwen, und wir
dürfen die slavischen monate der hirschbrunst dem gr. elacptjßofacov
zur seite stellen, die zeit, wo das brüllende thier seine stimme er-
schallen läszt, dem jährlichen fest, an welchem der Artemis die hin-
din geopfert wurde; ein andrer hXdcpiog fiel den Griechen in die früh-
lingsnachtgleiche. noch scheint der gr. TCQOötQOTtiog = supplicatorius
(Hermann a. a. o. 75) zu zweifelhaft, um ihn dem sl. bittmonat
prosinetz zu vergleichen, aber die ähnlichkeit steigt, wo sie buchstäb-
lich wird, wie zwischen dem macedonischen yoQmalog von yoQizij =
OQnrj c(Q7trj, lett. zirpe sichel und dem slavischen serpan, srpen.
Entspricht der litthauische grodinnis, polnische grudzien, slove-
nische gruden augenscheinlich unserm hartmonat, so musz die laut-
verschiebung der worte schon in frühe heidnische zeit gesetzt wer- 106
den, wo ein theil der Deutschen mit Slaven und Litthauern in spräche
und sitte manches gemein hatte, ein solcher hartmänöt könnte noch
Karl dem groszen zu ohren gekommen sein, der ihn durch wintarmänöt
verdrängen wollte, aber nicht im andenken der Völker tilgen konnte.
Warum sollten nicht andere noch gröszere einstimmungen statt-
haft sein, wir sahen den goth. jiuleis, ags. giuli geola der Winter-
sonnenwende zustehn und vom nordischen jul aus in den finnischen
lappischen joulu vordringen; sollte er nicht auch der Sommersonnen-
wende gerecht, d. h. nichts mehr und nichts weniger sein als der
römische Julius? diesen kühnen schritt habe ich schon oben durch den
einwand wider die gewöhnliche herleitung vorbereitet, dasz das auf-
treten eines kaisers und selbst eines vergötterten neben unsterblichen
göttern, deren namen die vorausgehenden monate erfüllen*, höchst
unwahrscheinlich bleibt. Aber es kommen noch andere gründe hinzu,
unter den cyprischen monaten steht ein lovfoog, der ausdrücklich die
zeit vom 22. dec. bis 23. jan. umfaszt (Hermann s. 64), mithin genau
zu dem ags. geola und zu der Sonnenwende auf jultag stimmt, ich
lasse dahingestellt, welche jahrszeit dem lovMrjog in Aphrodisias oder
dem kleinasiatischen lovlalog beizulegen sei. was viel wichtiger scheint,
auch der delphische Ikalog oder ettalog, den man schwerlich mit
Böckh C. I. 1, 814b von festlichen Xkctig oder dkaig leiten darf, fällt
mit der zeit des attischen 8xaTO{ißsL(DV , d. h. dem römischen Julius
zusammen und bestätigt das übergleiten der namen von einer Sonnen-
wende zur andern, schwanken aber gr. monatsnamen zwischen ikalog
* bei junius ist zu zweifeln, er könnte wie junior junix zu juvenis ge-
hören (vgl. gal. ogmhios = jungermonat) ohne dasz darum, wieBenfey s. 224
annimmt, junius und majus neutrale comparativformen wären, was durch
flexion und genus widerlegt ist; eher liesze sich majus als männlicher
positiv eines adj. hören, jedenfalls wird Junius bereits vor dem ersten consul
Junius Brutus, auf den man ihn hat ziehen wollen, eigenname gewesen sein.
76 MONATE
lovXaiog lovttrjog lovhog, so mag auch ein altrömischer Julius ge-
107 gölten haben, dessen berührung mit dem julischen geschlecht statt
fand oder nicht. Höchst gezwungen wäre es, unsre gothischen säch-
sischen nordischen namen, die noch heidnischen beischmack haben,
aus dem uns Deutschen durch die kirche zugebrachten römischen
calender herzuleiten, und für die winterzeit müste man sogar auf
ferne wenig bekannte griechische menologien zurückgehn.
Was nun bedeuten diese namen jiuleis geola juli Julius lovhog
lovXaiog Ikaiog, deren Übereinkunft nach dem grundsatz der unwan-
delbarkeit des J und L in allen urverwandten sprachen nicht ver-
wundern kann ? ich glaube nichts anders als sonnenmonat, nach dem
sonnenrad selbst, dessen zeichen 0 sigil sagil sauil sol und ijkiog,
zugleich aber hveol, hvel, hiul ausdrückt (mythol. s. 664), dem
die ags. formen geohol, geo], geola unmittelbar nahe treten, auf
ähnliche weise verhalten sich lovXaiog* und iXalog und es verdient
bemerkt zu werden, dasz der baskische ausdruck ilä oder illä mensis
zu ikiog gehören mag, wie gr. pijv zu fiijvrj, ags. mönad zu möna
oder finn. kuu beides luna und mensis bezeichnet. Für alles dies
soll noch eine neue bestätigung gewähren, dasz unter den zendischen
monaten der siebente wiederum mithra d. i. sonne heiszt, und im
altpersischen jähr unserm december, im neupersischen unserm Sep-
tember zu entsprechen scheint**.
War aber der lateinische Julius nicht nach Julius Caesar ge-
nannt, so kann es augustus ebensowenig sein nach Augustus, und
die gleichheit der ausdrücke augustus und auctumnus scheint durch
die einstimmigen deutschen und nordischen namen des achten monats
ougest oust, öghest öst, haust höst, so wie das welsche oder bretag-
nische aust eaust bestärkt, obschon diese unsern ältesten denkmälern
abgehn und darum an sich römischer abkunft sein dürften.
108 Niemand wird glaublich finden, dasz der name des siebenten
lateinischen monats für unsern nov. oder dec. geborgt worden sei,
vielmehr musz ihre identität auf einer Urgemeinschaft beruhen, die
auch im cyprischen lovhog vorbricht ; erst späterhin konnten junius
und Julius neben einander wirklich entlehnt werden, um unsern
brächot und houwot zu vertreten.
Wie also hartmonat und gruden auf unvordenkliche berührung
zwischen Deutschen und Slaven, so müssen für eine noch ältere
zwischen Deutschen Römern und Griechen jiuleis Julius lovhog lov-
kalog als unanfechtbare zeugen gelten.
Einzelne monatsnamen, vorzüglich die für den februar angeführ-
ten (hornunc, sporkel, sille, göi, sjetschen, luty, kaimala), auszerdem
einige für den Januar (bärmänet, volborn, lasemand, laumaent, glug-
* i'ovloq oder ovXoq hiesz korngarbe und davon Demeter selbst 'lovkoj
OvXct), ich weisz nicht ob in irgend einem bezug auf den gipfel des som-
mers ? es bedeutete auch milchhaar, woraus man Julius deutet.
** Benfey und stern alte monatsnamen s. 69. 155.
MONATE 77
maaned, prosinetz) bleiben noch in dunkel gehüllt; aus ihrer ge-
lingenden deutung würde sich mancher aufschlusz ergeben, auch der
gr. öaiöiog, den man epularis auslegt, gehört dem febr. an.
Den character von Volksfesten scheinen auszer den griechischen
monaten zunächst die keltischen baskischen und deutschen kundzu-
geben, minder die slavischen litthauischen und finnischen. Auf den
ags. geola fiel die feier der Wintersonnenwende und der vorhergebende
blötmönad zeigt schon im namen ein groszes opferfest an, das auch
die spätere benennung schlachtmonat deutlich zu erkennen gibt; man
darf den gr. ßovcponcov und sxctTOfißcucov hinzuhalten, bei dem ags.
solmönad ist Bedas älteste deutung zu wahren, die kuchen waren
sicher opferfladen und gemahnen an die ahd. österstuopha (RA. s.
298); der haber, gersten und bohnenmonat an den gr. Ttvaveiptcav
und an die Ttvavttfjla, wo ein gericht von bohnen und graupen ge-
kocht ward; sogar sept. oder oct. stimmen, während der bask. ba-
guilla und garagarilla in den juni zurück treten, das christliche
auf dreikönigstag gelegte bohnenfest und die im kuchen verbackne
bohne fordert rücksicht, denn beim keltischen Bealtuin erscheint das-
selbe backen und austheilen des opferkuchens (mythol. s. 579); unsere
opferfeste, mai und sonnenwendfeuer werden ähnlicher brauche nicht 109
ermangelt haben, hängt mit bealtuin unser folmonat zusammen, so
wechseln wieder frühlings und herbstfeste; dem altn. porri und göi
werden nach ausdrücklicher sage heidnische opfer untergelegt.
Eästormönad Ostarmänot Hredmönad und Redmänet, Bealtuin
und vielleicht Folmänet leiten auf göttliche wesen selbst, wie die gr.
Ilo(j£idEG)V *Aqz Efiio ico v und vielleicht alle sechs ersten monate des
römischen calenders, bei den Slaven der einzige zweifelhafte Siban;
doch mögen die heiligen der ungrischen und einzelner lettischen
monate verglichen werden, deren feste an die stelle heidnischer göt-
terfeste getreten sind, ich weisz nicht ob die isländische annähme
eines Odinsmänadr alte beglaubigung hat.
Es wird zulässig sein zwischen monatsfesten und naturanschauung,
wie sie vielen monatsnamen zum gründe zu liegen scheint, einen
wirklichen Zusammenhang anzunehmen, da jene feste unstreitig selbst
auf naturerscheinungen der einzelnen jahrszeiten bezug hatten, wenn
auch göttercultus vortritt, der seinerseits mit dem naturleben innig
verknüpft ist. Die slavischen monate sind entweder ein niederschlag
altheidnischer feste oder noch die einfache grundlage, auf welcher
bei andern Völkern, voraus den Griechen, heitere Volksfeste sich ge-
stalteten.
Erwägt man mit welchem entzücken der mai empfangen wurde,
so schlieszt dieser name schon alle wonne in sich, die bei einem lust
oder blumenmonat denkbar ist, im brzozol flieszt der birkensaft, im
traven wächst das gras, im lipiec blüht die linde, und im wrzesien
bedeckt sich die heide mit rother blute; mir ist unbekannt, warum
auch der Baske seinen irailla in den herbst legt, da alle andern
Völker das farnkraut in geheimnisvoller Johannisnacht blühen lassen
78 MONATE
(mythol. s. 1160. 1161) und die lettischen Jahnu dseesmas von pa-
pardi voll sind, die heiligkeit der lotuspflanze läszt aber kaum Zwei-
fel, dasz schon der indische monat kaumudl festlichen begang hatte.
Gibt des kukuks geschrei dem mai den namen, so fällt es auf
110 dasz merz und april nirgend nach dem storch und der schwalbe
heiszen, deren Wiederkehr dem volk frühlingseintritt bezeichnet. Die
Litthauer und Letten nennen febr. und merz nach dohlen und tau-
ben, die Lappen merz und apr. nach schwanen und krähen, nach
dem brüllenden hirsch heiszen herbstmonate, nach dem raubenden wolf
wintermonate, nach dem stier blosz die, in welchen er als opfer fällt.
Alle nach gras, kraut und bäum oder der heuschrecke genann-
ten monate sind schon aus dem hirtenleben entsprungen, während
die von ernte, sichel, haber, stroh und gefrorner schölle entnommnen
dem ackerbau angehören, die Slaven, bei welchen jene überwiegen,
haben dennoch bereits ihren serpen und gruden. Ganz nomadisch
klingt aber, wenn alpenhirten ihren ochsen die namen horni, merzi,
laubi, lusti zulegen, jenachdem sie im hornung, merz, laubmonat
oder lustmonat geworfen waren, wie sie ihre kühe nach tagen zu
benennen pflegen (Schm. 1, 322). seinen Ursprung aus dem hirten-
alter kann auch der ags. name jsrimilei nicht verleugnen, vorzugs-
weise rechnen die Lappen nach ihrem rennthier, das vor alters tiefer
in europa verbreitet war und dessen brunstzeit einen monat vielleicht
ursprünglicher als die des wilden hirsches bezeichnete (vgl. s. 101).
In den keltischen namen ist, wie in den römischen, gar kein bezug
auf thiere und pflanzen; sie fallen dem Zeitalter des ackerbaus zu,
denn auch der kalbsmonat darf diesem angehören*.
Das verschieben der monatsnamen, an sich schon ähnlich dem
der einzelnen benennungen für metall, vieh und getraide, wird noch
unmittelbar veranlaszt durch einflusz der mondjahre auf sonnenjahre,
durch schaltmonate und climatische abweichung. laubfall mag bald
in oct. bald november, harter frost sowol in nov. dec. und jan. ge-
setzt werden, danach aber die benennung wechseln und folgende
monate mit verrücken.
Hervorzuheben ist die Verknüpfung zweier oder auch dreier mo-
nate hintereinander mit demselben namen, wie sie aus ursprünglicher
111 Zerlegung des ganzen jahrs in sechs oder vier theile übrig geblieben
zu sein scheint, so kam bei den Angelsachsen ein doppelter lida
(für das auch sonst gekuppelte paar des junius Julius, brächot houwot
oder der beiden resaillemois) und ein doppelter geola vor, mhd. ein
doppelter ougest, doppelter wintermonat, dreifacher herbstmonat; jan.
und febr. sind noch späterhin als groszer und kleiner hörn geschieden,
ja einigemale finden wir den zweiten monat als frau des vorausgehen-
den dargestellt und auf sporkel eine spörkelsin, auf ougest eine öugstin
folgen. Nicht anders ergab sich unter den Slaven ein kleiner und
groszer traven, kleiner und groszer serpan, also mit vorausgang des
* die Kalmüken haben einen mäusemonat und einen rindermonat.
MONATE 79
kleinen, während unser kleiner horning nachfolgt ; auch die Lüneburger
Wenden sandten einen ersten wintermonat als September dem andern
im dec. eintretenden voraus, nach slavischer rangordnung hingegen
gieng der kleine cerwen dem groszen cerwenec voran. Etwas ähn-
liches findet in dem keltischen midu und michrundu für nov. dec , ephan
sommer und gorephan hauptsommer für juni juli*, im alban. yoört
und yoötoßisore für august und September statt. Mir ist die paa-
rung ein zeuge hohen alterthums. der attische calender schob im
Schaltjahr einen andern noöeidecjv hinter dem ersten ein, wie die
Juden nach ihrem adar einen veadar, andern adar. das arabische
mondenjahr zeigt aber noch regelmäszig sechs seiner monate paar-
weise verbunden : rebi el avvel und rebi el accher, dschemädi el avvel
und dschemädi el accher, dsulkade und dsulhedsche. das syrische
jähr hat einen theschrin I. II und khanun I. II aufzuweisen, wäh-
rend im persischen und jüdischen calender diese paarung verloren
ist. sie waltet aber vorzüglich in der indischen Zerlegung des jahrs
in sechs theile, deren jeder zwei gewöhnlich schon im namen ver-
knüpfte monate aufzuweisen hat, nemlich vasanta frühling die monate
madhumeth, honig und mädhavahonigsüsz ; grischma sommer die monate
shukra den hellen und shukhi den glänzenden; varscha regenzeit die 112
monate nabhas wölke (lat. nubes, sl. nebo wolkenhimmel) und nab-
hasja den wolkigen; sarad schwüle zeit die monate ischa und ürgha
den nährenden; hemanta winter die monate sahas kraft und sahasja
den kräftigen; sisira thauzeit die monate tapas wärme und tapasja
den warmen, in diesem verhalten der namen tapas tapasja, nabhas
nabhasja, sahas sahasja, mahdu mädhava liegt etwas analoges mit
dem in sporkel spörkelsin, ougest öugstin, gosti gostobieste, cerwen
Cerwenec und die angeführten sanskritnamen scheinen volksmäsziger
als die gelehrten, für die äditjas festgesetzten, wie durch Zerlegung
des indischen jahrs in sechs Zeiträume die unmittelbar daraus her-
vorgehende weitere unseres alterthums in drei jahrszeiten willkommen
gerechtfertigt wird, bei den von milde, helle und wärme der zeit
entnommnen namen darf man sich an die schwarzen wintermonate
der Kelten, an den trocknen suchyi der Slaven, sausis der Litthauer,
searmönad der Angelsachsen, agorilla der Basken und umgekehrt an
den lida der Angelsachsen, blida der Schweden erinnern, ja mädhava
und Jwimilci sind die monate, in denen milch und honig flieszt.
Die zendischen und persischen monatsnamen, welche sich nach
dem babylonischen exil auch über Palästina und Syrien verbreiteten **,
haben ein von dem unserer europäischen völlig verschiednes ansehn,
und das wird gerade für den zweck meiner Untersuchungen bedeutend.
* selbst die Zigeuner, deren monatsnamen Pott 1, 116 angibt, nennen
junius und Julius mit den verwandten namen nutibe und nunutibe.
** in Benfeys und Sterns abh. über die monatsnamen einiger alter Völ-
ker, Berlin 1836 ist scharfsinnig dargethan, dasz alle hebräischen monats-
namen unsemitisch und aus den persischen entnommen sind.
80 MONATE
in ihnen walten personificationen göttlicher eigenschaften und de-
mente, amschaspands, izeds, fervers geheiszen, die sich mit jenen
indischen äditjas zu berühren scheinen, aber nichts von den sinnlichen
bezügen auf natur und volkssitte an sich tragen, wodurch die grie-
chischen, deutschen und übrigen europäischen monatsnamen ausge-
zeichnet sind, blosz für den siebenten monat mithra (sonne), auf
welchen äpö (wasser) und ätar (feuer) als achter und neunter folgen,
113 glaube ich, wie vorhin ausgeführt wurde, einen nachhall in Julius
und jiuleis zu entdecken, der fernstes alter und längste dauer kund
gibt*, neben dieser einzigen ausnähme musz ein nachwirkender Zu-
sammenhang unsrer monatsnamen mit den indischen sechs jahrszeiten
und der daraus flieszenden paarung je zweier monate anerkannt wer-
den; alle ihre übrige besonderheit scheint erst unter den urver-
wandten Völkern, in früher gemeinschaft , auf europäischem boden
neu entfaltet, aber nicht nur in das volle heidenthum, sondern weit
über den beginn unsrer Zeitrechnung hinaus zu reichen.
Siegreiche Völker trugen ihre monatsnamen zu den abgelegensten
strecken, Perser, Araber und Römer, der römische calender mit
seinen vier blosz zählenden, in der Ordnung verrückten namen hat
allmählich in ganz Europa die heimischen, groszentheils schönen und
sinnigen benennungen verdrängt. Jeglicher auskunft über skythische
thrakische getische monate ermangeln wir ganz, und schon die ge-
ringste würde hohen werth haben.
* ätar ist der zweite monat nach mithra, Bealtuin geht aber der
Sonnenwende, Osterfeuer dem Johannesfeuer um gleich viel zeit voraus.
Aus Mommsens osk. stud. s. 86 sei hier noch nachgeholt, dasz Osken und
Sabinern der Majus Maesius, der Junius Flusalis = Floralis hiesz von
Flusa = Flora, welcher er heilig war. das oskische rosenfest fiel in den
juni, das römische in den mai. darf aus Maesius eine oskische göttin Mae-
sia für Maja gefolgert werden? vgl. Caesius und Cajus, ahd. pläsan, pläjan.
VII.
GLAUBE RECHT SITTE.
Schon haben wir boden gewonnen. Völker die in einfachen 114
brauchen des hirtenlebens, der jagd und des ackerbaus, in wieder-
kehrenden jahresfesten und in ihrer naturanschauung, oft mit den
feinsten zügen übereinstimmen, müssen allenthalben diesen Zusam-
menhang in glauben, recht und sitte bewähren: es ist freie gemein-
schaft, die auch grosze abweichung und Verschiedenheit leidet. Aus
einer unübersehlichen menge von gegenständen sollen hier nur solche
hervorgehoben werden, die grundlage und Übergänge dieser anstalten
erkennen lassen.
So lange die menschen in der ofnen natur und den wäldern
lebten, wurde auch der götter aufenthalt und jeder verkehr mit
ihnen an keine andre statten gelegt, es gab allerwärts dunkle haine,
in deren tiefem schauer, heilige berge, auf deren unnahbarem gipfel
man sich die gottheit wohnend dachte, geweihte priester hatten den
zugang ; das gesamte volk nur an tagen, wo der gott zu erscheinen
pflegte, wo ihm feierliche gaben dargereicht wurden.
Das opfer geschah an bestimmter dafür ausersehner stelle, un-
ter hehrem bäum wurde rasen erhöht, ein tisch gesetzt, ein stein
errichtet.
Wenn die lateinische ara, wie Macrobius sat. 3, 2 nach Varro
meldet, früher asa und ansa lautete, weil sie von opfernden und schwö-
renden mit der hand angerührt wurde (aram tenere, tangere); so 115
scheint unsere alte spräche einen auffallend ähnlichen ausdruck darzu-
bieten, das goth. ans, altn. äs, schwed. äs, dän. aas bedeuten nem-
lich doxog, trabs, internodium lignorum, und litth. asa, lett. ohsa
gleichfalls was lat. ansa. es wäre ein handhäbiger baumstamm, in
tisches weise aufgestellt und zum opfer eingerichtet, vielleicht mit gras
belegt, bald aber auch von steinen erbaut ; wer gedenkt nicht der von
Tacitus erwähnten trunci in germanischen hainen? altare bezeichnet
hingegen ein höheres gerüste, steingemauert und tuchbehangen, etwa
was ahd. höhsedal heiszt, thronus, und ihm gleicht gr. ßw^iog, ein
Grimm, geschickte der deutschen spräche. Q
82 GLAUBE
erhöhter ort, ßrj[ia von ßcciva, zu welchem man aufstieg, dies
altare gieng über in die Vorstellung von pulvinar und lectisterniura,
goth. badi, ahd. petti, gotapetti lectus, pulvinar templi, ags. veohbed,
vihbed, später veofed altare (mythol. s. 59).
Ohne zweifei gab es noch manche andere ausdrücke, die wegen
ihres heidnischen anklangs durch das christliche altäri (Graff 1, 247)
verdrängt wurden. Ulfilas verdeutscht ftv6iuG%i]Qiov, wo die vulg.
altare setzt, mit dem umschreibenden hunslasta|)s. unserm alterthum
mag biuds, ursprünglich opfertisch (von biudan offerre), ahd. piot,
hernach überhaupt tisch, mensa bezeichnet haben, wie schon im
salischen gesetz beudus. litth. ist stalas mensa, diewstalas altare,
gottestisch, poln. stol, böhm. stül mensa; goth. stöls, ahd. stuol nur
sella, thronus. entschieden heidnisch scheint aber das altn. stalli
ara deorum, pulvinar, von dessen röthen und mit blut bestreichen
in den sagen geredet wird; blöta ä stallhelgum stad heiszt Saem.
11 lb auf heiligem altar opfern. Bedeutsam wird ahd. haruc, das
sonst den heiligen hain ausdrückt, einmal für ara gesetzt, denn auch
die altn. hörgar waren nicht blosz idola sondern zugleich arae deorum.
Insofern dies haruc, ags. hearg, altn. hörg auszer lucus auch
saxetum, saxum bezeichnet, möchte ich ihm das welsche careg lapis,
ir. carraig saxum zur seite stellen, die keltischen Völker scheinen
den steincultus vorzugsweise entfaltet zu haben und ihre sprachen
116 zeigen noch verschiedne namen für steinaltäre, so ir. carn oder carnail
steinhaufe, auf welchem das balteine entzündet wurde, carnach
cairneach ein priester; cromleac ein altar, von leac stein, welsch
llech; ir. maghadhair heiliges steinfeld; ir. doch, gal. dach stein,
clachbrath heiliger stein; in der Bretagne sind die benennungen
dolmen und menhir hergebracht. Aus den lettischen, slavischen,
finnischen sprachen kenne ich kein einheimisches wort zur bezeich-
nung dieses begrifs, überall herscht der christliche ausdruck; das
böhm. ob&tnice (von obetowati opfern) umschreibt blosz.
Die götter, im wald und auf der berghöhe gegenwärtig, bedurf-
ten keiner gebauten wohnung, keines sie darstellenden bildes. am
deutlichsten hat das Tacitus von den Germanen ausgesprochen: cete-
rum nee cohibere parietibus deos, neque in ullam humani oris spe-
ciem assimilare ex magnitudine coelestium arbitrantur: lucos ac
nemora consecrant, deorumque nominibus appellant secretum illud,
quod sola reverentia vident. nur bäume hegten den gott und über
bäumen stand der himmel offen.
Als aber allmählich feste nied erlassungen erfolgten, und der fried-
liche ackerbauer selbst ein haus bezogen hatte, lag der gedanke nah,
auch für die götter bleibende wohnstätten zu errichten, und aus feier-
lichen steinkreisen auf dem waldgebirg giengen höfe oder tempel her-
vor. Die ältesten ausdrücke unserer wie der griechischen spräche für
tempel können sich von dem begrif des heiligen hains noch nicht los-
reiszen, sondern gehen von diesem aus und erst unmerklich in die
Vorstellung einer steinerbauten statte über: wih, bearo, haruc, alah
GLAUBE 83
(mythol. s. 57 — 59), lat. nemus, gr. tefievog und ccköog. Abgezog-
ner ist vaog, das von vulat abstammt und dem skr. niväsa domus
verglichen wird, wie lat. aedes und domus auch auf geweihte bauten
anwendung leiden, und dc5[ia sl. dorn, böhm. dum, gleich unserm
hüs, haus, wohnung der menschen und götter bezeichnen darf*, ein
gehegter räum aufwiesen und auen, welchen man unter hof (x^jrog?)
verstand, ungefähr mit dem begrif der lat. aula, scheint in unsrerin
spräche der älteste name für einen solchen göttlichen aufenthalt, und
auch dabei hängt die Vorstellung eines gartens und seiner baumgänge
noch mit dem tiefeingeprägten waldleben zusammen.
Mir fällt ein, dasz unsere volkssagen von kirchen und teufels-
bauten reden, deren giebel offen bleibe, nicht geschlossen werden
könne, ist das noch eine spur von jenem non cohibere parietibus
deos? es sollte, seitdem man gotteshäuser mauerte, wenigstens oben
im dach ein loch für den eingang und ausgang des gottes gelassen
werden. Festus berichtet: Terminus quo loco colebatur, super eum
foramen patebat in tecto, quod nefas esse putarent Terminum intra
tectum consistere, und auch Ovid sagt vom Terminus fastor. 2, 669 :
nunc quoque, se supra ne quid nisi sidera cernat,
exiguum templi tecta foramen habent**.
ist dies nicht die einfachste deutung der griechischen hypaethraltempel
mit dem freien räum über dem altar, den die gebildete baukunst für
ihre zwecke hernach anzuwenden wüste? Festus enthält folgendes:
Scribonianum appellatur antea atria puteal, quod fecit Scribonius, cui
negotium datum a senatu fuerat, ut conquireret sacella attacta. isque
illud procuravit, quia in eo loco attactum fulmine sacellum fuit, quod
ignoraverant contegere, ut quidam, fulgur conditum, quod cum scitur,
quia nefas est integi: semper foramine ibi aperto coelum patet; wo
der himmlische strahl eingefahren war, sollte nicht wieder gedeckt
werden. Ein merkwürdiger brauch des keltischen alterthums soll uns
was den Vorstellungen eigentlich zum gründe liegt bestätigen; man
deckte den oben geschlossenen tempel einmal alljährlich ab, um der
gottheit ihren freien ausgang zu wahren: e&og ö' elvai um hviavrbv
anah, tb lsqov äizoöTsyd&ö&cciy xai öTtyd&ö&ai nakiv avd'rj^SQOV
TtQO dvöeag, Mccörqg cpoQtiov litMptQovörig. ?}g d'civ smiböol to
cpoQtiov, dLaönccö&ca* xav%y\v vnb tcov aXkcov. cpEQOVöccg ds tä
H8Q7] 718QI TO 18QOV {lEt BVaÖ^lOV, [17] TtCCVSöftcU 71QOTBQOV, ItQlV
TtavöcovTcci trjg hjx%r\g. äel öl 6v[ißodv8LV, Söts Viva s^ninTStv ns
ty]v tovto Jt8i6o^ev7]v. Strabo 4, 4 pag. 198. es waren namne-
tische frauen, in deren tempel kein mann treten durfte, die gefahr
beim hinfallen des zugetragnen bausteins gemahnt an die heiligkeit
des semnonischen hains, in welchem nicht ungestraft niedergefallen
werden durfte, ich meine gelesen zu haben, dasz noch heute
in einzelnen catholischen kirchen auf himmelfahrt oder pfingsten
* ganz verschieden das goth. doms, ahd. tuom, Judicium.
** vgl. Serv. in Virg. Aen. 9, 448.
84 GLAUBE
ein räum der bühne oder des thurrns eröfnet wird zur freien
ausfahrt.
Schon Tacitus thut bei den Germanen einiger örter meidung,
die bestimmten göttern geweiht waren, es ist schwer zu sagen, ob
er sich darunter nur heilige haine oder bauten dachte, den Marsen,
wahrscheinlich auch Chatten und Cheruskern zugleich gehörte das
celeberrimum templum, quod Tanfanae vocabant, Tanfana brauchte
keine göttin anzuzeigen, es könnte der hain, die aufgerichtete baum-
seule sein, unserer Irmansül vergleichbar*; ich werde jedoch später-
hin eine andere deutung mittheilen, die mir vorzüglicher scheint,
bei den Naharvalen fand sich ein hain, wo man ein brüderpaar
unter dem namen Alx oder Alces verehrte, welchen ich mit alah,
der benennung des heiligen waldes zusammenzustellen gesucht habe,
merkwürdig ist mir, dasz Toxaris bei Lucian einer ehernen seule
(öttjlrjg %akxrjg) im skythischen 'Oqeözeiov gedenkt, das dem Orestes
und Pylades geweiht war, über deren cultus bei den Skythen auch
sonst nachrichten vorhanden sind; doch heimische heldenbrüder und
götter der Skythen wie der Germanen konnten Griechen und Römer
auf Orestes und Pylades, Castor und Pollux deuten. Toxaris fügt
hinzu: xal xovvo^ia eni Tovzoig avzc5v ad-s^&a, KoQcixovg xccteiö&cu.
ZOVZO ÖS löZLV Iv zf] tf{l£T8QCC CpCDVJj CDÖ718Q CCV 81 Zig Af/Ot CplllOL
öcdfioveg. es ist verwegen diese koqcckoi durch harugä, hörgar zu
deuten und ihnen sogar die alces gleichzusetzen; freundschaftsgötter
waren sie immer, wenn es auch nicht im namen lag, und das konnte
der berichterstatter verwechseln.
119 Im ganzen heidenthum treten trilogien der hauptgötter vor, die
ich zur Übersicht aufstelle und nicht gleichgültig nach dem dritten,
vierten und fünften Wochentag ordne:
lat. Mars Mercurius Jupiter
gr. "Jgrjg 'Eq^S Zsvg
kelt. Hesus Teutates Taranis
ahd. Zio Wuotan Donar
altn. T£r Odinn Thörr
sl. Svjatovit Radigast Perun
litth. Pykullas Potrimpos Perkunas
ind. Siva Brahma Vishnus
einzelnes kann bestritten werden, es ist die kriegerische, schöpferische
und donnernde (erdbefruchtende) gewalt; der name schwankt aus einer
reihe in die andere, wie wir es bei den metallen, thieren und fruch-
ten wahrgenommen haben, angenommen dasz Donar bei älteren deut-
schen Völkern Fairguneis hiesz, der erde söhn, wie Thörr ausdrücklich
Fiörgyns söhn, so ergibt sich ein unmittelbares Verhältnis zwischen
Fairguneis Perkunas Perun bei den Völkern, welchen silubr sidabras
srebro, qairnus girna zerna gemeinschaftlich war, aber bedeutend ver-
* Wh. Engelb. Giefers hat das neulich in einer lesenswerthen abhand-
lung aufgestellt.
GLAUBE 85
stärkt wird die einstimmung, wenn xeQccvvsiog und Taranis mit Über-
gang der anlaute auch buchstäblich zu Perun treten, so dasz Donar
und Tonitrus nur Versetzung desselben namens scheinen*. Perkunas,
Fairguneis sind für ein hirtenvolk der vater auf dem waldgebirg (fair-
guni) ; noch spät dachte sich der Nordländer seinen Thor auf bergen**.
Jupiter und Zeus drücken wörtlich nicht den donnernden vater 120
aus, sondern den himmlischen vater, den hehren gott des lichts, des-
sen name im lat. deus zur allgemeinen benennung der gottheit ward,
im deutschen Zio und Tyr den leuchtenden gott des Schwerts anzeigt,
der kriegerischen Völkern für den höchsten und ersten gilt, Skythen
feierten ihn als schwert, axLvccxrjs***. Mars Marspiter, Diespiter
Dispiter wird für einen hauptgott der Germanen erklärt (mythol.
s. 39. 179) und greift in die ältesten lateinischen genealogien von
Picus, Saturnus, Faunus ein, derentwegen er schon als ein im walde
verehrter gott erscheinen musz. in Svjatovit, Svetovit ist wiederum
der begrif des glanzes und lichts, wie in Zeus und deus gelegen,
wie leicht war der Übergang in Donar, dessen hand zugleich den
blitz führt; Procop de bello goth. 3, 14 miszt allen Slaven als ober-
sten gott den rijg aötganijg dr][iiovQy6v bei, welches amt sonst dem
Perun angewiesen wird.
Mercurius steht bei den Eömern in geringerem ansehn, Hermes
den Griechen schon in gröszerem und noch höher scheint er den Gal-
liern zu steigen, deren Teutates an die deutsche wurzel piuda, diot
erinnert, welche uns mit Kelten wie Litthauern gemein war: welsch
tud, ir. tuath regio, tuatha populus, litth. Tauta Germania. Sicher
war Hermes milderer gott als Mars und Jupiter, in künsten erfindungs-
reich, friedlichem verkehr der Völker angemessen ; den Deutschen, wie
Tacitus ausdrücklich bezeugt, nahm er bald die oberste stelle ein.
Wuotan, als Wunsc und Oski gedacht, war ihnen die allwaltende
schöpferische kraft, das alldurchdringende element der luft und des
windes, dessen günstiges wehen und wilder stürm vernehmlich wird,
jenes mag vorzugsweise der name Vöma undBiflidi Bifiindi ausdrücken,
bedeutsam scheint dasz auch schon im skythischen, thrakischen Volks-
glauben diese kraft der luft, die noch in Wuotans wildem heer braust,
hervorgehoben war, und beide Odinn wie Loki Loptr d. i. luft heiszen. 121
Es ist gleich verkehrt Wuotan als jüngeren helden und eroberer, des-
* womit nicht behauptet wird, dasz diese namen einer wurzel seien;
unser donar gehört zu denan tendere (Haupt 5, 182), tonitrus zu tonare,
Perun zu prati ferire, xeQavvöq zu xsqccq und cornu hörn (der stoszende,
spaltende), wohin kelt. taran toran weisz ich nicht. Perkunas läszt sich
nicht aus perku, ich kaufe deuten, ich habe in ihm und in Fairguneis den
sinn von axQaloq, ogsivoq gesucht; ohne diese annahmen wäre die Verschie-
denheit zwischen Perun und Perkunas nicht zu begreifen.
** 'locka tili Thor i fjäll' Volkslied bei Arvidsson 3, 504.
*** bei den bosporanischen Skythen stand ein iegov xov "Aqeoq. Luci-
ans Tox. 50. Herod. 4, 59 sagt von allen Skythen: dydkfzara öh xal ßcvfiovg
xal vtjovq ov vofjtit,ovai noiseiv TtXrjv "Aq^C.
86 GLAUBE
sen macht ältere naturgötter verdunkelt habe, und den getischen
Zalmoxis als vergötterten weltweisen zu erfassen. Zalmoxis stammt
vom thrakischen £al[iog = dogd, nach Porphyrius, weil der neuge-
borne in eines baren haut gehüllt worden war; ich glaube ^al^iog
richtig zum litth. szalmas und unserm heim gehalten zu haben*, es
sei, dasz der gott glückselig mit heim oder hut geboren wurde
(mythol. s. 829)** oder den heim beständig trug; auch finde ich
bedeutsam genug, dasz Odinn die namen Hialmberi (ahd. Helmpero)
wie Sidhöttr führte (beide gibt Grlmnismäl 46ab an) und die heilig-
keit der pileati schiene damit von selbst gerechtfertigt, da in der
skalda der himmel hialmr lopts (aeris galea) heiszt (Sn. 122), liesze
sich auch darin bezug auf den luftgott ahnen. Habe ich hier den
Zalmoxis mit Odinn verglichen, so wird sich späterhin gelegenheit
bieten ihn auch zu Thörr, dessen söhn, zu halten.
Des zweiten gottes gnädige milde art leuchtet aus der sl. benen-
nung Radigast (von rad lubens, radi gratia, radoschtscha laetitia), die
sich dem begriffe Wunsc (von vinja, wunna) nähert, hieran reiht viel-
leicht der finnische Väinämöinen, ein Cupido ; wer nach deutschem
liebesgott fragt müste auf Wunsch gewiesen werden, dessen haar dem
der Gratien gleicht, auch "Egcog ist wünsch wonne verlangen, wie der
altn. Vili, Odinns bruder, voluntas und voluptas, der indische Käma amor,
cupido, desiderium bedeuten. Potrimpos bleibt zweifelhaft und seine
deutung aus dem sl. potreba, böhm. potreba, poln. potrzeba (noth,
nothdurft) unsicher, im litth. Wörterbuch finde ich nicht einmal po-
trimba; es könnte aber in dem polnischlitth. dialect vorhanden sein,
und enthielte es die Vorstellung des Schicksals, so würde auch dadurch
der höchste gewaltigste gott angezeigt. Odinn und Zalmoxis lehrten
122 Unsterblichkeit und verhieszen den sterbenden aufnähme in ihrer Woh-
nung ; Hermes geleitet die seelen, sein ktjqvxhov ist die Wünschelrute.
Schwer fällt es die indische trilogie heranzuziehen, weil alle na-
men abweichen***; doch ruht auch hier die eigentliche schöpfungs-
kraft bei Brahma, und Siva gilt wie Mars oder Pykullas für den grau-
samsten gott, während Vischnus herschgewalt der des Zeus gleich-
steht f. als donnergott und luftgebieter ist ein eigner gott, In-
dras, aufgestellt den man für bloszen ausflusz des Vischnus oder
Brahma ansehn darf, wiederum soll Märutas, ein beinahme des Indras,
den römischen Mars buchstäblich erreichen, der dieser auffassung zu-
folge ursprünglicher frühlingsgott gewesen wäre ff, was auf den Mar-
tius mensis licht würfe.
Freyja Frouwä Fraujö, nach welcher der sechste Wochentag
* vgl. auch skr. tscharma cutis, scutum.
** wie Hödr mit heim und schwert (mythol. s. 362).
*** wer möchte Brahma mit der slowakischen form Parom für Perun
in Verbindung setzen? die Lappen haben aus Thor Thiermes gebildet.
t Finnen und Lappen würdigen in ihrem Perkele,Perkel den Perkunas
zum bösen gott herab.
tt Ad. Kuhn in Haupts Zeitschrift 5, 491. 492.
GLAUBE 87
heiszt, wie nach Venus, scheint dem männlichen Freyr Frö Frauja
identisch, und die altsl. Prija entspricht ihr vollkommen, wie dem
Freyr Fro der sl. Prove. solche Spaltung des göttlichen wesens in
zwei geschlechter hilft erscheinungen des mythus und der spräche
erklären, von Lunus und Luna herab bis auf unser gothisches sunna
und sunnö. Paltar Baldr Baldäg Phol können ihre Verwandtschaft
mit dem keltischen Beal, dessen feuerfest Bealtuine sich erhalten hat,
nicht verleugnen.
Gleich auffallende grosze Urgemeinschaft findet statt zwischen den
mythischen Vorstellungen der Kelten und Germanen in allem, was das
Verhältnis milder göttinnen, weiser frauen und eines unterirdischen
friedlichen volks zu den menschen angeht, während umgedreht slavische,
finnische und deutsche sage mehr in den riesen zusammenstimmen,
merkwürdig klingt fürs, pyrs (mythol. s. 487) finn. tursas, turras an
den namen der skythischen 'ÄydiftvQöOL, die von einem göttlichen
'Ayd&vQöog abstammen (Herod. 4, 10. 125) und an den skythischen 123
könig 'Iddv&vQöos (Herod. 4, 76. 120. 126. 127).
Die keltische frühlingsfeier vermittelt sich durch den deutschen
sommerempfang mit dem slavischen todaustreiben, bei Germanen und
Slaven scheint die naturanschauung tiefer als bei Griechen und Rö-
mern, in deren anthesterien und floralien frohe festlust sich ausliesz.
wo die natur in voller pracht herscht, zeigt sie geringere macht über
die menschen, als wo sie karger haushält, darum wurzelte die echte
thierfabel auch mehr bei uns, Slaven, Litthauern und Finnen; die
Griechen strebten sie ethisch oder politisch zu verwenden und langten
mit kleinen stücken aus.
Man hat darauf zu sehn, welche gottheiten in alter thierfabel
und volkssage haften, am allerhäufigsten erscheint bei Aesop Hermes,
sogar dem holzhauer im wald holt er das beil aus dem flusz her-
vor, und es reicht nicht hin zu vermuten, dasz er der götterbote
mehr als andre mit den menschen verkehrte; die Völker, bei denen
die fabel aufkam, müssen ihn als obersten gott betrachtet haben,
gleich ihm kehrt Perkunas zu den menschen ein, wo aber drei Götter
einkehren (Zeus, Ares und Hermes, bei Lucians Timon Zeus, Hermes,
Plutus), fehlt Hermes nie. dem Ares, der Artemis hiengen die Jäger
einen theil ihrer beute an den bäum (wie umgekehrt Wuotan mit
den Jägern theilt); Marti praedae primordia vovebantur. huictruncis
suspendebantur exuviae (Iornandes cap. 5).
Das geriebne nothfeuer, durch dessen flamme die herde springen
muste (mythol. s. 570 — 593) war den meisten Völkern des alterthums
gemein, und wird Kelten und Deutschen zum frühlings und sommer-
fest, das sich an bestimmte gottheiten schlosz, wie die römischen
Palilien an Pales.
Eines eigentlichen hirtengottes, wie die Slaven Weles, Wolos hat-
ten, der gleich nach Perun der erste war, die Römer ihren Pan und
Faunus, scheint die deutsche mythologie zu entrathen. eine menge
schützender waldgötter, unter besondern namen, zählt das finnische epos
gg GLAUBE
auf, wie der alte Hermes die herden hütete, aber Wuotan ist uns
124 bis auf heute der wilde Jäger geblieben, und der wolf ist sein hund,
wie ihm der rabe auf der Schulter sitzt. Froho (gleich dem tscher-
kessischen Messitch, mythol. s. 196) streift auf goldnem eber durch die
haine, das eberzeichen scheint Deutschen und Kelten gemeinschaftlich,
der specht ist dem Mars heilig; warum sollten seinen göttern wilde
thiere zugesellt worden sein, wenn es nicht zur zeit geschah, wo das
volk in wäldern hauste? fast alle wilden kräutersind nach göttern oder
thieren benannt, oder haben bezüge darauf; ein beispiel mag geniigen,
die heilige verbena, die herba pura, qua coronabantur bellum indicturi
(Plin. 22. 2, 3. 25. 9, 59) heiszt ahd. isarna, isanina, mhd. isenhart,
nhd. eisenkraut, gr. rj öidf]Qltig (Dioscor. 4, 33 — 35), lat. auch fer-
raria (Diosc. 4, 60), und musz nach dem Volksglauben auf dinstag,
Martis dies gebrochen werden*; mit dem planetenzeichen des Mars
wird eisen bezeichnet, über die abkunft von "Aqy\$ ist so viel ge-
mutmaszt worden, dasz man, den horrens feris altaribus Hesus hin-
zugenommen, auch an aes und eisen denken dürfte.
Für das vieh, das getraide und den haushält hatten die Samo-
giten und die alten Eömer eine menge einzelner geschäftiger gottheiten
niederen ranges aufgestellt, deren namen aus Lasicz, Arnobius und
Augustinus zu erfahren und einer besondern Untersuchung werth sind.
Nicht minder einstimmiges musz sich über namen, amt und rechte
der priesterschaft ergeben, die bei Römern und Kelten vorzugsweise
ausgebildet war. priesterliche huttracht scheint bei Scandinaven, Da-
ken, Geten und Skythen eingeführt. In unsern weisthümern sind häufig
seltsame gebärden der hände und füsze angeordnet, wenn irgend ein
masz feierlich bestimmt werden soll ; man darf darin Überbleibsel heid-
nischer, vielleicht durch den priester vorgenommner oder geleiteter
125 gebrauche finden, die ehmals ihren sinn und verstand hatten, der uns
jetzt entgeht, priesterliche Wohnorte blieben auch späterhin noch fried-
höfe und zufluchstätten. Das Altorfer weisthum (1, 17) sagt, wenn
vieh in den vier holzhöfen zu schaden weidet, sollen die höfer beide
hände unter den einbogen nehmen und in der linken hand einen heu-
rigen zweig (sonst somerlate) haben und das vieh damit austreiben.
Nach der öfnung von Fallanden (1, 29) wird auf folgende weise be-
stimmt, wie weit eines mannes hüner auszerhalb seines etters gehn
dürfen : er soll auf den first seines hauses stehn, mit dem rechten arm
greifen unter den linken und soll das haar in die rechte hand nehmen
und eine sichel bei der spitze in die linke hand ; so weit er (in dieser
erschwerten läge) mit der sichel wirft, so weit recht haben seine
hüner zu gehn. Dergleichen bestimmungen begegnen so oft (rechtsalt.
s. 55 — 74), dasz man ihnen einen hintergrund zutrauen darf, der sie
tief ins alterthum zurück schiebt. Lasicz meldet uns, wie Litthauerin-
nen verfuhren, wenn sie den Waizganthos um hohen flachs flehten:
* wie solsequium sonntags, lunaria montags, mercurialismittwoche, barba
Jovis donnerstags, capillus Veneria freitags; ich weisz nicht was samstags.
GLAUBE 89
altissima illarum, impleto placentulis sinn, et stans pede uno in se-
dili, manuque sinistra sursum elata librum prolixum vel tiliae vel
ulmo detractum, dextera vero craterem cerevisiae haec loquens tenet:
rWaizganthe, produc nobis tarn altum linum, quam ego nunc alta
sum, neve nos nudos incedere permittas!' (mythol. s. 1189.)
Eine menge alter und sinnvoller rechtsbräuche wiederholt sich
bei ferngelegnen Völkern; ich will hier nur auf das verweisen was
in den rechtsalterthümern vorrede XIII. XIV zusammengestellt ist;
zu welchen folgerungen berechtigt allein die wegelustration (s. 73),
das begieszen mit gold oder waizen (s. 670), die form der geltibde,
eidschwüre und gottesurtheile ! *
Am eigenthümlichsten und frischesten ausgeprägt wird man unter
kriegerischen Völkern der vorzeit alle persönlichen Verhältnisse erwarten.
Ihr ganzes leben athmet mut und todesverachtung. mythol. s. 820.
821 ist ausgeführt worden, wie der glaube an ein unausweichliches
Verhängnis unter allen deutschen stammen haftete: seinem nahenden
ende sah der krieger mit ruhe und sogar freude entgegen, weil er auf 126
dem Schlachtfeld gefallen in die gemeinschaft göttlicher wohnung einzu-
gehn hofte, und wie göttern und helden frohes lachen beigemessen wird
(mythol. s. 301. 363) lacht er sterbend, berühmt ist Ragnars ausspruch:
lifs eru lidnar stundir,*lsejandi skal ek deyja!
und von Agner berichtet Saxo gramm. ed. Müll. p. 87: sunt qui
asserant, morientem Agnerem soluto in risum ore per summam do-
loris dissimulationem spiritum reddidisse, wasBiarcos. 103 selbst sagt:
semivigil subsedit enim cubitoque reclinis
ridendo excepit letum, mortemque cachinno
sprevit et elysium gaudens successit in orbem.
nach edda Ssem. 247 lachte Högni, als man ihm das herz ausschnitt:
hlö £ä Högni, er til hiarta skäro
kvicqvan kumblasmid, klecqva hann sizt hugdi,
blödugt f>at ä biod lögdo ok bäro for Gunnar.
mserr qvad J>at Gunnarr geirniflüngr:
'her hefi ek hiarta Högna ins froekna,
er litt bifaz er ä biodi liggr,
bifdiz svägi miök, er i briosti lä,
und als derselbe Gunnarr im wurmgarten* mit gebundnen händen
liegt, spielt er mit seinen zehen auf der harfe, dasz die schlangen
einschlafen; nur eine böse natter bleibt wach und sticht ihm ins
herz. Völs. saga cap. 37. wie kühn und mannhaft sind alle reden der
nacheinander zur enthauptung geführten Iomsvikinge! (saga cap. 47.)
Heldengeschlechtern schrieb unser alterthum glanzvollen leuch-
tenden blick der äugen zu, der andere durchbohrte, micatus oculo-
rum ; das nannte man ormr 1 auga, wurm im äuge, schlänge im äuge :
ämon ero augo ormi J>eim enom fräna. Ssem. 156a. Sigurdr
Odins settar, JDeim er ormr i auga. fornald. sog. 1, 258, der Aslögl27
söhn, Sigurds und Brynhilds enkel, hiesz Sigurdr ormr 1 auga. als
* die wurmläge. Athis s. 65.
90 RECHT UND SITTE
Svanhildr unter den hufen der rosse zermalmt werden sollte, warf
sie ihr leuchtendes äuge auf die thiere, und diese wagten nicht ihr
ein leid zu thun. Völs. saga cap. 40. den wurm bezeichnet fränn
glänzend, den held fräneygdr, micantibus oculis. Sollte den Griechen
eine so schöne Vorstellung fremd gewesen sein? da sich doducov von
öeqxcü leitet scheint auch ocpig aus dem veralteten önco, otizco besser
als aus skr. ahi anguis erklärbar, beide ^dgdxcov und 'Ocpieov sind
heldennamen; wie wenn das noch ungedeutete ocp&alnog aus bcpeag
&ccla{iog entspränge? das äuge ist ein gemach der schlänge, aus dem
sie blickend hervorschieszt ; das einfache gr. wort war oööt, wovon
der dual, oööe übrig ist. man dachte sich bald eine schlänge im
äuge, bald ein mädchen (xoQrj, pupa), und das leuchtende, geringelte
halsband hiesz nicht nur ocpig, dgccxav, sondern auch ahd. mouwi
virgo, was ich anderwärts gezeigt habe.
Ich werde noch einzelne alterthümer des kriegerlebens hervor-
heben.
Unter jener verbena verstand man eigentlich das gramen ex arce
cum sua terra evulsum, ac semper e legatis cum ad hostes clariga-
tumque mitterentur, id est res raptas clare repetitum, unus utique
verbenarius vocabatur. ich habe dazu die chrenecruda des salischen
rechts gehalten.
Andere feierlichkeiten beim kriegsverkündigen beschreibt Livius
1, 32 mit allen formein. fieri solitum, ut fetialis hastam ferratam
aut sanguineam praeustam ad fines Latinorum ferret; nach hersagung
seines Spruchs: hastam in fines eorum emittebat. hoc tum modo ab
Latinis repetitae res ac bellum indictum, moremque eum posteri ac-
ceperunt. Dieser angebrannte blutige speer gleicht aufs merkwürdigste
dem galischen cranntair, der, wenn feindseligkeit ausbrach, an bei-
den enden im feuer gebrannt, in das blut eines opferthiers getaucht
und mit gröszter Schnelligkeit von dorf zu dorf getragen wurde, um
die krieger zu versammeln. Nicht anders entsandte man in Scandi-
navien herör und bodkefli (rechtsalt. s. 164. 165).
128 Burchard von Worms meldet eine abergläubische gewohnheit, die
in der neujahrsnacht stattfand: wer die zukunft erforschen wollte setzte
sich im kreuzweg auf eine stierhaut (in bivio sedisti supra taurinam
cutem, ut ibi futura tibi intelligeres). ohne zweifei wurde imheidenthum
darunter die haut eines eben zum opfer dargebrachten stiers verstanden.
Lucian im Tox. 48 erzählt aber als skythischen brauch das
Hafti&öd'aL 87il tijg ßvoGrjg. wenn jemand an seinen feinden räche
nehmen will, opfert er einen stier und setzt sich auf dessen haut, seine
hände über den rücken geschlagen, das gesottene fleisch des thiers
wird herbeigebracht, die freunde treten hinzu, und wer ein stück
fleisches nimmt, setzt seinen rechten fusz auf die stierhaut, und ver-
heiszt fünf, der andere zehn, ein anderer noch mehr reifer zu stellen,
geringere machen sich zu fuszgängern anheischig, der arme verspricht
sich selbst, und so wird auf der haut oft ein groszes tapferes heer
zusammengebracht: &7Ußrjvctl vrjg ßvQörjg OQKog eöti. du wirst nicht
EECHT UND SITTE 91
wenig freunde haben, sagt Tox. 47 einer zum andern: \iaki6%a ös
d xtt&e£,oio B7il Trjg ßvgörjg xov ßoog.*
Wie hier durch betreten der stierhaut unverbrüchliche gemein-
schaft der heergenossen, so entsprang durch ähnlichen brauch nach
altnordischem recht aufnähme ins geschlecht. Wer einen an kindes-
statt oder seinen unehlichen söhn in die gemeinschaft des hauses
aufnehmen wollte, verfuhr folgendermaszen. er schlachtete einen drei-
jährigen ochsen, löste von dessem rechtem fusze die haut ab und
machte daraus einen schuh, diesen schuh zog zuerst der vater an,
nach ihm der neuaufgenommne söhn, dann alle erben und freunde.
Gulajnngslög leysingsb. 2. Frostajringslög 1 1 , 1 (rechtsalt. s. 155.463).
dies nannte man aBttleida, aettleiding ** oder mit einem in den schuh 129
steigen, und der noch spät ins mittelalter reichende brauch, die
braut beim Verlöbnis oder der hochzeit zu beschuhen, scheint mir
auf die heiligere sitte der vorzeit zurückzugehn. das opferthier,
und dasz seine frisch abgezogene haut mit dem baaren fusz berührt
werden muste, vermittelte den neuen bund. Im tempel des Dius
Fidius bewahrten die Römer einen schild, der mit der haut eines
beim bündnis zwischen ihnen und den Gabinern geopferten stiers
bespannt war***: das stierfeil heiligte hier den Völkerbund.
Welche unschuldige einfalt tragen alle gewohnheiten der vorzeit
in dem familienrecht an sich, die vermählte braut wird gleich dem
neuerwählten könig auf den schultern in die höhe gehoben, gleich dem
angenommnen söhn in den schosz, aufs knie gesetzt, in den mantel
gehüllt; auch der Wunsch, die Sselde legen ihre günstlinge in den
schosz, wir sagen noch heute ein schoszkind des glucks (mhd. der
Saelden barn) sein, so setzte man den neugebornen Odysseus seinem
groszvater auf die knie, dasz er ihm namen gebe (Od. 19, 400 ff.), er
ist ihm nolvägrjrog , ein wunschkind. Wenn bei den Tscherkessen
ein fremdes kind an sohnesstatt aufgenommen wird, bietet ihm die
hausfrau ihre brüst, und dann theilt es alle rechte der übrigen kinder.
die Neugriechen nennen ein angewünschtes kind tyv%onccldi, herzenskind,
liebeskind. Ulfilas verdeutscht vlo&söla frastisibja und das sonst unsrer
spräche erloschne frasts musz viog, texvov ausgesagt haben [frastim
tUvolq II Cor. 6, 13]: es stammt, denke ich, von fra|)jan voelv, frapi
vor^ia, litth. protas, lett. prahts sinn, mut, und mag herzenskind, Heb-
ung sein, was uns in herz und mut liegt, wie wir den ausdruck seele,
die Slaven duscha, duschitza hypocoristisch an geliebte wesen richten f.
* den Lucian ziehen Suidas und Apostolius in den Sprichwörtern aus
(Leutsch und Schneidewin paroemiogr. gr. p. 210).
** wie mhd. brütleite, swertleite, also wol auch früher ahtleita, slaht-
leita von ahta, slahta genus. schon diese technischen ausdrücke lassen ahnen,
dasz eine herüeita in skythischer weise gegolten haben könne.
*** Dionysius halicarn. 4, 58 p. 257*. Niebuhr 1, 569.
t mhd. vrastmunt herzhaftigkeit, rehter vrastmunt ein hase. Helbl. 2,
515 (wie sonst ein hase des muotes); mit fräste (audacter) er si werte,
fundgr. 1, 137 ; er sanc niht vrastgemunde (nicht herzhaft) nach der mugent.
Lohengr. 176; durch die vrastmund (propter audaciam) Ottoc. 828b.
92 RECHT UND SITTE
130 Die gröszere kraft des familienrechts bei den alten geht schon
aus dem reichthum der spräche an ausdrücken für alle stufen der Ver-
wandtschaft hervor; es würde allzuviel räum kosten, wollte ich meine
samlungen einschalten: über die namen des groszvaters und urgrosz-
vaters habe ich einmal inHaupts Zeitschrift 1,21—26 geschrieben, von
den seitenverwandten und verschwägerungen wäre noch viel mehr bei-
zubringen, auch hier wird die deutsche spräche an fülle der benen-
nungen von der slavischen, litthauischen, finnischen weit übertroffen,
weil diese später gebildeten Völker den brauch des alter thums länger
bewahrten, die alte sippe und magschaft, welche ein recht des kus-
ses, der trauer, des namengebens, der eidhülfe, blutrache und erbschaft
begründete, hütete streng ihren hergebrachten brauch; als dieser ver-
altete, wurden auch die vielfachen benennungen entbehrlich und
giengen in allgemeinheit unter, auch die erzieher und ammen hatten
gröszere befugnis als ihnen die jüngere zeit einräumt; ich will mich hier
darauf einschränken die freundschaft und brüderschaft näher zu schildern.
Den Serben heiszt der angenommne söhn posinak und adoptie-
ren posiniti, gerade wie pobratim und posestrima die aufgenommnen
bruder und Schwester ausdrücken, pobratitise, posestritise sich ver-
brüdern, verschwistern ; böhm. pobratriti se, poln. pobratac siej diese
Verbrüderung und verschwisterung begründet blosz ein Verhältnis
zwischen freunden und greift nicht in die Verwandtschaft der ge-
schlechter ein, aber allen Slaven war sie heilig, zumal den südlichen,
einen pobratim kann man sich sogar schlafend im träum erwählen,
wachend aber pflegt es feierlich in der kirche vor allem volk zu ge-
schehn; ein solcher bund dauert für das ganze leben und verpflichtet
beide brüder zu wechselseitigem beistand und zur blutrache: wahr-
scheinlich galten im heidenthum für den eingang des pobratimstvo
heilige brauche, an deren stelle jener kirchliche getreten ist. Auch
die geisterhafte vila konnte posestrima eines helden werden und
schützte ihn dann in jeder gefahr. eine solche vila war mit Marko
131 Kraljavitsch verschwistert. * dieser bund gleicht bedeutsam dem der
valkyrien unseres alterthums mit den helden.**
Unsere heutige spräche kennt noch die namen milchbrüder, bluts-
brüder und herzbrüder für engverbundne freunde ; sie waren sich ein-
ander zugethan, als ob sie Zwillinge gewesen wären und milch aus
einer mutter brüst gesogen hätten, ihr blut für einander hinzugeben
sind sie bereit, in den märchen leben beispiele solcher milchbrüder,
die ähnliche namen führen, sich von gestalt so gleich sind, dasz sie
nicht unterschieden werden können, und ihrer kinder blut zur heilung
des aussatzes darbringen; ein altes zeichen verbrüderter war, dasz
sie ein nacktes schwert zwischen sich und die frau oder geliebte des
freundes legten.
* Vuk 2 n° 38 ; eine andre verschwisterung der vila bei Vuk 1 n° 224.
** die brüderschaft der Tscherkessen, welche tleusch genannt wird, be-
schreibt Klemm 4, 61. 62.
RECHT UND SITTE 93
In der alten spräche finden sich noch mehr benennungen; ahd.
giteilun consortes; gileibun für gihleibun commensales, goth. gahlai-
bans*; gimazun convivae; gipettun, gisläfun contubernales ; girünun
collocutores ; gisindun comites; ginözun, ginöza socii, welchen die
altn. rtinar, sinnar, nautar, mälar entsprechen. jaöftar, qui una se-
dent in transtro, sind die ags. gepöftan, welche sodales clientes con-
sortes verdeutschen; auch aus dem gr. v7ir]QSTr]g , das einen rüderer
bedeutet, erwuchs der begrif eines dieners und gehilfen.
Ich habe diese aufgezählt, um mir das recht zu erwerben zwei
andere ausdrücke abzuhandeln, die für meine zwecke ungleich wich-
tiger werden.
Caesar, indem er die gallischen reiter schildern will, sagt 6, 15:
ii, cum est usus atque aliquod bellum incidit, quod ante Caesaris
adventum fere quotannis accidere solebat, ubi aut ipsi injurias in-
ferrent, aut illatas propulsarent, omnes in bello versantur: atque
eorum ut quisque est genere copiisque amplissimus, ita plurimos cir-
cum se ambactos clientesque habet, hanc unam gratiam potentiamque 132
noverunt. ambacti stimmt ohne zweifei zum beigefügten lat. clientes,
wie eben unsere ags. ge])öftan clientes heiszen, die goth. gahlaibans
ministri (mipgahlaibeis comministri in der neap. urk.) oder condisci-
puli Joh. 11, 16. diese dienten eines vornehmen Galliers können
bloszes gefolge und dienstmannschaft sein, warum nicht auch zum
heerzug geworbne leute, gleich denen auf der skythischen stierhaut?
Man höre Caesars andere stelle 3, 22, wo der aquitanische krieg
beschrieben wird : atque alia ex parte oppidi Adeantuanus, qui sum-
mam imperii tenebat, cum DC devotis, quos illi soldurios adpellant,
quorum haec est conditio, ut omnibus in vita commodis una cum his
fruantur, quorum se amicitiae dediderint: si quid iis per vim aeeidat,
aut eundem casum una ferant, aut sibi mortem consciscant. neque
adhuc hominum memoria repertus est quisquam, qui eo interfecto,
cujus se amicitiae devovisset, mori recusaret. hierzu gehalten werden
musz Athenaeus 6, 54 p. 542: s%axo6iovg h%Eiv koyaÖag tzeqi avxov,
oi>g xcdelö&ca v7to IccXaxcov xjj natgiep ykcoxxrj ödodovgovg, xovxo
d' iöxlv slkrjViöxl Ev%iokif.tccloi. diese Ev%G)Xif.ialoi (bei Herod. 2, 63
zv%colccg Imxelkovxtg) , diese devoti, qui aliorum amicitiae se dedi-
derunt, devoverunt, sind wieder die vorhin genannten clientes, und
beide ausdrücke erscheinen anderwärts verbunden (devotusque cliens.
Juvenal 9, 72), folglich bezeichnen auch die angeführten gallischen
Wörter ambacti und soldurii dasselbe.
Sind es aber wirklich gallische? ambactus wurzelt in allen deut-
schen sprachen bis auf heute: goth. andbahts didxovog, i>7ir]Q8xr]g,
ahd. ampaht minister, villicus, satelles, ags. ambiht ombiht minister,
famulus, alts. schwachformig ambahteo minister, altn. aber nur das
weibliche ambätt ancilla, serva. aus dem persönlichen leitet sich der
sächliche begrif goth. andbahti dtaxovia luxovQyia, ahd. ampahti,
* im span. romance: que a una mesa comen pan.
94 RECHT UND SITTE
später ambaht officium clientis, episcopatus, ags. ambiht officium,
mandatum, schwed. ämbete, dän. embed, mhd. ambet, nhd. amt, in
welchem letzten wort von der wurzel gar nichts mehr übrig bleibt,
133 da am aus der praep. and herrührt und das T derivativ ist. das
goth. verbum andbahtjan übersetzt öluxovblv, das ahd. ampahtan
ministrare. was so tief in unsre spräche verwachsen ist kann kein
fremdes wort, und was so wenig in die keltische spräche greift musz
ihr ein fremdes sein.*
Allein auch zu den Römern müssen es frühe die Gallier getragen
haben, ambactus, sagt Festus, apud Ennium lingua gallica servus
appellatur, ein altes glossar : ambactus dovlog {tLöftcorog, cog "Evviog.
eine gallische münze hat neben einem ochsenkopf die inschrift am-
bactus, eine batavische inschrift: deae Nehalenniae Januarius Ambac-
thius pro se et suis V. R. L. M.** bei Steiner n° 877 ein Marianus Am-
bactus. das wort ist ins mittellatein und alle roman. sprachen auf-
genommen: dominica ambascia (jussio regis) lex. sal. 1, 3; in am-
bascia (legatione) sua lex. Burg. add. 1, 17; ambasciare legationem
obire, nuntiare, ambasciator legatus, ital. ambasciatore, sp. embaxa-
dor, port. embaixador, prov. ambaichadors, franz. ambassadeur, welche
alle erst aus dem verb. ambasciare herflieszen, so dasz keine ein-
fache form dem goth. andbahts, ahd. ampaht gleichkommt. Die kel-
tischen sprachen selbst überliefern uns nichts einstimmendes, oder
man müste wort und begrif zwängen, vergeblich scheint mir auch
aus skr. bhadsch colere (Pott 2, 47 und Bopp gl. skr. 242b) zu er-
klären, denn die deutsche wurzel liegt näher.
Das goth. wort für vcotog entgeht uns, würde aber bak lauten,
wie alts. bac, ags. bäc, altn. bak ; andbaht bezeichnet also den freund
oder diener, der uns den rücken wahrt, den wir im rücken haben,
134 einen rückenhalter, die praep. and drückt aus gegen (wie in andaugi
TiQOGiüTiov***) und HT zu K verhält sich wie in siuks sauhts, vakan
vahtvö, vaurkjan vaurhta. höchst analog gebildet dem andbahts ist
gr. öidxovog, jon. ÖLiJKOvog, das weder zu dWxw noch (schon seines
langen a wegen) xomg gehört, vielmehr aus öiadyxovog diayxovog
von ayxav einbogen entspringt und einen diener oder helfer bedeu-
tet, der uns zum arm, zur Seite steht; and entspricht dem dia
(gramm. 4, 793). man erwäge syxovlg, aynovig = v7i7]Q8tig, lat. an-
cilla und ancus, ahd. encho servus, anchalata talus, enkel nepos,
altn. albogabarn, altschwed. bakarf, brystarf.
Läge in bak, wie in tergum zuweilen, in tergus immer auch die
* wie andbahts in die keltische, gieng später unser ähnliches skalk in
die romanische spräche ein, und der ital. siniscalco, franz. se'nechal, prov.
senescal, ital. mariscalco maresciallo, franz. marechal bezeichnen wieder
amtsleute im gefolge des herrn.
** Orelli n° 2774 aus Keyslers antiq. celt. p. 249. andere lesen Janua-
rinius. in den denkmälern auf Nehalennia klingen öfter deutsche namen
an: Sumaronius, Satto, Flettius.
*** mhd. andouge. Haupt 2, 195 wo zu lesen: vor gotes andouge.
RECHT UND SITTE 95
bedeutung corium, so wagte ich, da jenes ambactus mehr einen edlen
gefährten als knecht aussagt, andbahts sogar auf das symbolische
betreten der ßvgöa zu ziehen und den gebrauch von den Skythen
auf Germanen und Gallier zu erstrecken, ja mir fällt ein, der Über-
gang des begrifs ßvQöa in bursa, crumena e corio, ahd. burissa cas-
sidile (Graff 3, 206) sei zwar leicht, seltsam der in mlat. bursa =
conventiculum, coetus, societas, woraus unser fem. burse, börse (coe-
tus commilitonum, mercatorum), endlich das masc. bursch entsprang;
Frisch führt ein nnl. bors an mit der bedeutung: bände de dix. es
scheint gezwungen dies daher zu erklären, dasz der verein aus einer
börse, einem seckel unterhalten werde, und natürlicher vorauszusetzen,
bursa könne in hohem alterthum einen zusammentritt verbündeter
genossen auf der stierhaut ursprünglich gemeint haben. Cicero epist.
ad famil. 7, 2 nennt einen Plancus Bursa; das wäre ein name wie
Ambactus, aber es bedürfte natürlich Zeugnisses dafür, dasz bursa
damals schon in solchem sinne galt.
Wie dem sei, die ambacti sind nur deutsch zu erklären, die sol-
durii nicht minder, goth. skula, ahd. scolo, mhd. schol ist debitor,
folglich obligatus, devinctus; goth. skuldö debitum, ahd. sculd; die
verbalformen sol solt sulen sule solta stoszen schon bei Notker das
C aus, und es läszt sich erwarten, dasz es die Gallier bei aufnähme 135
des worts gleichfalls ausstieszen ; den ausgang urii mögen sie gebildet
haben, das mlat. soldum soldata , Stipendium , it. . soldo, prov. sout,
altfranz. soldee soudee leitet man mit allem anschein aus solidata
und solidus, der krieger sei für einen solidus geworben worden (vgl.
Diez 1, 302); doch das ahd. skoldiner miles gregarius (Graff 6, 490)
könnte zweifei anregen und ursprünglich der krieger gemeint sein,
der sich ins heer verpflichtet hat. die mlat. form soldonerius miles
stipendiarius , it. soldaniere lassen sich kaum auf solidus zurückfüh-
ren; auch bei Athenäus lesen einige hss. für gl^oöovqol öMdovvot.
keine keltische spräche taugt soldurii zu erläutern; man hat das
bask. zalduni eques verglichen.
Aber den gallischen hergang beim bund der soldurii unterläszt
Caesar mitzutheilen oder erfuhr ihn nicht; den skythischen schildert
Toxaris dem Mnesippus bei Lucian cap. 37 folgendergestalt : xaneidäv
HQOKQL&8lg xtg fjörj cpilog y, gw&?jxccl xö äno xovxov, xai oqxoq
6 ^isycötog, i\v ^v xai ßicoöEö&ai [ist ccXItjXcjv xai anoftavüöftaL,
7]V Öey, V7t8Q XOV 8TSQOV ZOP SZSQOV' XCCl OVTG) JlOLOV^£V. hty OV
ya,Q ivte[i6vTEg äitaE, rovg dcc%tvXovgy ev6tcdcc£c){i£v rö cä[ia dg
xvIlxcc, xal xa i-lcprj ccxqcc ßaipavveg, apa ayLCportgoi l7ii6%6^evoL
7tL03^i8vy ovx EötiVy ö tu xö fiBxcc xovxo ttfiäg öicdvösisv av. x«t
ecpeTxca ös xo ntyiörov a%Qi xqlcjv kg xag övvd-ijxccg dgdvcu. Diese
unverbrüchliche treue der skythischen blutsbrüder wird nun in ein-
zelnen, wie es scheint wirklich aus dem leben gegriffenen geschien-
ten dargelegt; was könnte rührender sein als die von Dandamis und
Amizoces, welche sicli einander das licht ihrer äugen opferten und er-
blindet saszen öffentlich von allen Skythen unterhalten und hochgeehrt?
96 RECHT UND SITTE
Eine ausführliche und abweichende meidung von dem skythischen
bluteid, ohne ihn jedoch auf den freundschaftsbund zu beziehen, hat
Herodot 4, 70 bewahrt: ögxta dl noavvxai HJkv&ccl cjSe Jtgbg zovs
äv itoikwvxai. lg xvhxa gisydkrjv xegafLUV^v otvov iy%kavxeg alpa
öv^iöyovöL rar tcc ogxia xa^vo^ievcov, xvtyavxeg vniaxi r] mixa-
136[i6vx£g {ia%aigrj 6{iixgbv tov öa^axog xal £7t£txa <X7toßdtyavzsg lg
xr\v xvhxa axivdxsa xal olöxovg xal ödyagiv Kai axovxiov intdv
dl xavxa noirjöaoL, xax£v%ovxai Ttolkä xal muxa Ltio%ivovGi avxoi
xe oi xb ogxuov noLev^svot xal xcov £7CO[i8VG)v oi nldöxov ä^tot.
Toxaris redet blosz von blut, nicht von wein, in den das blut ge-
lassen werde, und geschweigt der pfeile, der axt und des Speers, die
auszer dem seh wert in den kelch getaucht werden; dort erlangt man
das blut durch fingerritzen, hier durch stechen mit der ahle und
schneiden mit dem dolch in den leib.
Andere merkwürdige nachrichten von bluteiden und blutbünd-
nissen zwischen verschiednen älteren und neueren Völkern sind rechts-
alt, s. 193. 194 gegeben, die ich jetzt nicht wiederhole, hinzufügen
will ich nur aus Herodot 1, 74: ogxia 61 Ttoikxai xavxa %a e&vea
xa tceq T8 "Ellrjveg, xal ngog xovxoiöi, Ineav rovg ßga%tovag eiaxd-
liavxai lg xi)v b^o%godr}V, xb alpa dvalti%ov6i, dXXiqlcov. Noch um
die mitte des vierzehnten jh. schwur der litthauische könig, als er
sich dem von Ungern ergab, eide auf dem blut, nach seiner weise
(Suchen wirt 9, 140). In Kazwinis naturgeschichte wird von den
Tataren folgendes erzählt: si amicitiam vel foedus cum sui vel alieni
generis populis faciunt, in conspectum solis prodeunt, eumque ado-
rant. tum poculum vino plenum in aerem jaciunt atque quisque
eorum ex hoc poculo bibit. tum eduetis gladiis se ipsos in quadam
corporis parte vulnerant, donec sanguis profluit. tum quisque eorum
alterius sanguinem potat, quo facto foedus inter eos ictum est. si
quid stipulantur vel firmum dant jusjurandum, gladios edueunt,
eosque mordicus premunt *
Zumal anziehend ist die altnordische sitte. wenn zwei unter-
einander brüderschaft schlössen, schnitten sie einen streif rasen auf,
so dasz er mit beiden enden am gründe hängen blieb und in der
mitte ein spiesz untergestellt wurde, der den rasen hob. dann traten
sie unter den rasen und jeder stach oder schnitt sich in die fusz-
137 sohle oder flache hand: ihr ausflieszendes , zusammenlaufendes blut
mischte sich mit der erde, dann fielen sie aufs knie und riefen die
götter an, dasz sie einer des andern tod, gleich brüdern, rächen
wollten, diese feierliche handlung hiesz gänga undir iardar men
(gehn unter der erde halsband, rechtsalt. s. 118. 119. mythol. s. 609)
und die freunde nannten sich föstbreedr (collactanei).
Weitere Zeugnisse lehren genauer dasz die föstbreedr das blut
in ihre fuszspur laufen lieszen; siquidem, sagt Saxo gramm. p. 12
* Abu Dolef Misaris ben Mohalhal de itinere asiatico commentarium
ed. Kurd de Schlözer. Berol. 1845. p. 33.
RECHT UND SITTE 97
(ed. Müll. p. 40) icturi foedus veteres vestigia sua mutui sanguinis
aspersione perfundere consueverant, amicitiarum pignus alterni cruoris
commercio firmaturi. der altnordische ausdruck war blanda blodi
commiscere sanguinem, renna i spor blödi sanguinem in vestigia mit-
tere; später sagte man sverja i brcedra lag (Yols. saga cap. 26).*
Loki wirft dem Odinn vor (Saem. 60b)
mantu J>at Odinn, er vit i ärdaga
blendom blodi saman?
und Brynhildr dem Gunnar seine brüderschaft mit Sigurd (Sami. 209b)
mantattu Gunnar til görva {)at,
er £it blodi i spor bäfnr rendut?
Unverkennbar gleicht dieser tritt in die lebendige fuszspur** jenem
treten in den schuh bei der aufnähme an kindesstatt, überall brechen
verwandte Vorstellungen durch. Wie das angenommne kind die mut-
termilch des geschlechts saugen musz, soll der gewählte bruder sein
blut mit dem des andern mengen oder beide trinken blutgemischten
wein; derselbe schuh faszt den fusz der neubeschlechteten , auf die-
selbe opferhaut treten alle heerverbündeten, das blut wird vom arm
geleckt, und selbst der bund mit finstern gewalten fordert blut zur be-
kräftigung. ihren Speichel mischten Äsen und Vanen beim friedensbund. 138
Was bei so manchen Völkern des alterthums in ergreifender sitte
galt, durfte uns gallische oder germanische appellativa auslegen helfen,
in deren hintergrund ähnlicher brauch gewaltet haben musz. Der
griechische excägog war freund genosz und dienstmann, nach allen
färben dieser ausdrücke, er könnte ein cliens devotus andbahts und
pobratim gewesen sein.*** wie der pobratim zum leiblichen bruder,
steht in gewisser weise die sxaiQct und jzaAAaf zur ehfrau und leib-
lichen Schwester; beide Verhältnisse scheinen dem zustande kriegeri-
scher Völker gleich natürlich; fortschreitende ausbildung kann sie
hernach entbehren oder verwerfen, man deutet exaiQog aus h'xqg,
Homer verbindet xaöiyvrjxoi xe exca xe, exag neu ixaigovg, und der
unterschied des lenis und asper mag nichts austragen, doch schiene
einfach an sxegog zu denken, und das epische ezagog für etalgog
anzuschlagen, denn gerade so haben die Slaven neben droug", drugi,
böhm. druhy alter f ein subst. droug", serb. drug, poln. druch, böhm.
* triuwe und geselleschaft gelobetensizweneunder inzwein. Trist. 18752.
** mit deren ausschnitt sonst zauber getrieben wird; in solcher spur
schaut der bruder, wie es dem abwesenden ergeht, jenachdem sie sich mit
erde, wasser oder blut füllt, fornald. sog. 1, 63.
*** Polybius hist. 2, 17 von gallischen Bojen, Lingonen und Senonen
redend: nsgl de xaq kxcciQsiaq fxsyioxrjv anovörjv enoiovvxo , öicc xo xal
woßsQioxaiov xal övvaxcovaxov elvai nag* aüxolq xovxov, dg av nleiaxovg
€%eiv doxy xovq d-sgansvorzag xal avixneQKpsQOfievov avz(ö.
f drug durch aphaeresis für odrug, also wurzelhaft eins mit anf>ar,
ahd. andar, ags. oder, engl, other, litth. antras, lett. ohtrs, während sp.
otro, franz. autre sich von lat. alter, it. altro ableitet. an|>ar ist skr. an-
jataras, Steigerung von anjas, wie lat. alter vonalius; der comparativ be-
schränkt den begrif auf zwei, gxegog gleicht dem russ. vtoroi, poln. wtöry.
Grimm, geschichte der deutsehen spräche. 7
98 EECHT UND SITTE
druh mit der bedeutung yiXog, es ist wie halQog stsgog der gleich-
namige andere, der andere theil der seele. das litth. draugas, lett.
draugs musz von den Slaven entlehnt sein, weil es sich von antras,
ohtrs entfernt, ich habe nicht gefunden, dasz unser ander jemals
einen alter ego bezeichnete; merkwürdig lieszen, nach jenen worten
des Toxaris, die Skythen nicht über drei blutsfreunde zu. Aber man
139 wird natürlich finden, dasz Völker, die freundschaft so heilig hielten,
wie Skythen und Deutsche, den Orestes und Pylades, den Castor und
Pollux, oder unter welchen namen sie diese wesen kannten, göttlich
verehrten.
Noch einige züge aus rauher vorzeit sollen für den Zusammen-
hang dieser Völker untereinander gleich starkes zeugnis ablegen.
Durch nichts kann liebe und treue von den menschen heftiger
an den tag gelegt werden als dadurch, dasz man einem theuren ver-
storbnen in den tod zu folgen bereit ist. bei den Indern verbrann-
ten sich eitern mit des geliebten sohnes leichnam, am häufigsten aber
geschah, dasz die ehfrau ihren mann in den tod begleitete: bis auf
heute herscht das mitverbrennen der weiber in Indien. Herodot 5, 5
erzählt, dasz bei thrakischen Völkern nach des mannes absterben er-
forscht werde, welche von seinen frauen ihm die liebste gewesen sei,
und dasz man diese hernach auf seinem grabe tödte; Mela 2, 2
meldet das als allgemeinen getischen brauch, er war aber auch
unter den Skythen im schwang (Her, 4, 71: tav 7ialla%k(x)v ^iav
cc7t07cvl^avveg) wie unter den alten Hellenen (Pausan. 4, 2: yvvalxsg
avtcci tgeig TiQoaTio&avovöL näöai rolg avögccöiv iavtäg hniTtari-
ötpa^av). von den Herulern versichert ihn Procop de bello goth.
2, 14 und unser nordisches alterthum gewährt rührende beispiele,
Nanna ward mit Baldr verbrannt, Brynhild verordnete, dasz sie mit
Sigurd verbrannt würde, von Gunnhild, Asmunds ehfrau meldet
Saxo gramm. ed. Müll. p. 46: ne ei super esset spiritum sibi ferro
surripuit virumque fato insequi quam vita deserere praeoptavit.
hujus corpus amici sepulturae mandantes mariti cineribus adjunxe-
runt, dignam ejus tumulo rati, cujus caritatem vitae praetulerat.
fwenn ich ihm nachfolge' sagt Brynhild Völs. cap. 31, 'fällt ihm die
schwere thür der unter weit nicht auf die ferse', es war mit dem
glauben an ein künftiges leben und an den dienst, welchen die frau
dem gatten auch dann zu leisten schuldig sei, eng verwachsen, der
Gudrun gereicht es zum Vorwurf, dasz sie ihren gemahl überlebte: ssemri
140 vseri Godrün frumver slnom at fylgja daudom. Ssem. 224b. Noch in
den gedichten des mittelalters bricht der altheidnische sinn durch:
'ouch sol ich mich niht sümen me,
ich wirde din geselle
ze himel oder zer helle,
swederhalp wir müezen sin.' Wigal. 7705.
sus lac si klagende ob im tot. 7744. vgl. 10012. 10050.
die jüngere zeit findet das blosz schön oder rührend, in der alten
war es herkommen und gesetz.
SITTE 99
Mich hat zu sammeln angezogen, auf welche weise man im alter-
thum sich dem sieger oder einem gefürchteten feind auf gnade er-
gab, man gieng ihm nackt, ohne waffen entgegen, oder faszte das
schwert an der spitze und reichte den grif dar, damit anzuzeigen,
dasz ihm recht über leben und tod gebühre (RA. 166. Pertz 8, 620).
Iornandes erzählt aber cap. 10 dem Dio Chrysostomus nach, dasz
dem Philippus von Makedonien, Alexanders vater, als er Moesien mit
heer überzog, aus der stadt die priester mit gesang entgegentraten
und ihn so erweichten: unde et sacerdotes Gothorum aliqui, illi qui
Pii vocabantur, subito patefactis portis cum citharis et vestibus can-
didis obviam sunt egressi, paternis diis ut sibi propitii Macedones
repellerent, voce supplici modulantes. Athenaeus 14, 24 aus Theo-
pomp: rkrai, qyqöi, 'M&ccQag s%ovt8Q nai m&ccq%ovteq zag kmm]Qv-
Ktiag itoiovvTUi. Merkwürdig meldet auch Cassius Dio 51, 25, dasz
bei des Crassus heerzug in Thrakien die Odrysen, als Verehrer des
Dionysus, ohne waffen ihm entgegen giengen und Schonung erhielten;
ja er nahm den Bessen die gegend, wo Dionysus heilig gehalten ward,
und gab sie den Odrysen. Nicht anders sollen in Indien die Nisaeer
dem Alexander entgegengesandt haben, dass er ihre stadt, als dem
Dionysus heilig, verschonen möge: acpsivcci tg> &eci ty\v itohv, wie
Arrian und Curtius 8, 10 berichten.
Herodot 4, 64 meldet von den Skythen: smav tbv ngcotov
avdgct xccTccßdXr] olvtjq 2J%v&r]g, xov aTfiatog ifxnivBi. oöovg d' av
cpovEvor) iv rjj V^lVi tovxmv rag mcpalag anocpkQU reo ßaödeL
So werden die häupter des gefallnen Euryalus und Nisus auf Speere
gesteckt und fortgetragen. Virg. Aen. 9, 463; sie sollen dem heer- 141
führer ein zeichen des siegs, oder genommner räche sein. Gregor,
turon. 8, 30 von Terensiolus comes: cujus caput truncatum est ad
vindietam adversariorum et urbi delatum est; die gedichte sind voll
von beispielen. im span. romance del moro Calaynos heiszt es von
Roldan:
la cabe$a de los ombros luego se la fue a cortar,
llevola al emperador y fue se la a presentar;
im Ferabras 2320 sagt Rollan
ar fassam una causa de que sia parlat:
cascus prengna ij testas a l'arso nozelat,
e farem ne prezen perdenant lalmirat.
diesem knüpfen der häupter an den Sattelbogen begegnet man auch
bei den wilden in Amerika (Klemm 2, 144), und die Jäger schleppen
so ihren fang heim*, ja im neugriechischen liede reiht Charon die
kinder an seinen sattel (mythol. s. 805); Wode fängt die unterirdi-
schen, knüpft sie mit den haaren zusammen und läszt sie von jeder
seite des pferdes herabhängen (Müllenhoff s. 373). auch Dieterich
bindet des Ecken abgeschlagnes haupt an seinen sattel (Ecke 150
oder 296) und dasselbe wird von diesem helden Vilk. saga cap. 283
erzählt. Rol. 142, 27:
* Siegfried bindet den gefangnen baren an den sattel. Nib. 891. 898.
7*
100 SITTE
daz ich din houbit abe slahe
unt iz fvir den chunc trage;
149, 11: din houbit dar obene
steche ich an minen spiez,
also ich dem kunige gehiez,
unt fuerez ubir al dise berge;
307, 4: den hals er ime abe sluoc,
daz houbit er üf huop,
er stacte iz an ein sper,
üf sin marh gesaz er,
er fuortiz wider üf den hof,
da wart michel froude unt lof.
142 das haupt wird immer in den kreis der genossen, deren Jubelgeschrei
ausbricht, oder dem könig hingetragen, welcher auch von dem er-
legten eber oder baren das haupt zu empfangen berechtigt ist.*
Wolfdieterich, nachdem er die riesin erschlagen hat,
er nam daz houpt besunder dö bi dem häre sin,
er wolt ez durch ein wunder hän bräht der keiserin,
dö düht ez in ze swsere, er nam ez an die hant,
der fürste sseldenbsBre, und warf ez üf daz lant;
gerade so wird des von Beovulf erlegten Grendels haupt bei dem
haar an hof getragen, und das lied fügt den mildernden zug bei,
dasz männer und frauen ob dem anblick sich entsetzten, v. 3292 :
J>a väs be feaxe on flet boren
Grendles heäfod, f>8er guman druncon.
egeslic for eorlum and f>sere idese mid,
vliteseon vrsetlic veras onsävon.
auch Governal im Tristram 1735, der einen feind enthauptet hat:
Governal a la löge vient,
la teste au mort h sa main tient
a la forche de sa ramee
l'a eil par les cheveus nouee.
von dem norwegischen könig Sigurdr, Haralds söhn, heiszt es (fornm.
sog. 7, 214) blosz: drap hann ok bar höfud hans üt i hendi ser.
Es geht aus diesen beispielen hervor, dasz der gebrauch unter allen
deutschen stammen verbreitet war, wie noch heute die serbischen
krieger den erlegten feinden die häupter abzuhauen und ihrem feld-
herrn zu überbringen pflegen.**
143 Gleiches musz von der gewohnheit behauptet werden, aus dem Schä-
del erlegter feinde oder gestorbner angehörigen ein trinkgef äsz zu bereiten.
Die Issedonen pflegten, wenn einem mann sein vater starb,
das fleisch des leichnams mit dem der geopferten schafe zu mengen,
und beides zu schmausen***: xr\v dl xE(pcdY]v avrou tydcoöavTeg
* wie das haupt des erlegten vargus : et si postea repertus fuerit et
teneri possit, vivus regi reddatur, vel caput ipsius, si se defenderit: lupi-
num enim caput gerit a die utlagacionis , quod ab auglis wlvesheved no-
minatur. leges Edwardi confessor. 6.
** Vuks Montenegro s. 113.
*** die Weletaben oder Wilzen beschuldigte man, ihre todten eitern zu
essen N.Cap. 105 vgl. recbtsalt. s.488. auchMnesippus hatte von denSkythen
gehört: oxi xazsoiHovai xovq nazigag ano&avoviaQ. Lucians Tox. cap. 8.
SITTE 101
xccl sxxci&iJQavTsg %axa%Qv<5ov<5i nai htBixa ctxs aydX^iaxi %Qzavzai,
xtvöiag ya.yaXag biexkovg ImxzXkovxzg. Herod. 4, 26. hier ist die
Verwendung des schädels zum becher nicht ausgedrückt, nur dasz er
vergoldet als heilthum (ayaXfxa) aufbewahrt werde, [aber Mela 2, 1
capita ubi fahre expolivere auro vincta pro poculis gerunt.] deut-
licher beschreibt die schon vorhin angezogne meidung 4, 64. 65 von
den Skythen, wie der mitgebrachte schädel des feindes zubereitet
wird: xal rjv ^isv $ 7t£vrjg. 6 d' E^cod'Bv co^ioßoerjv (tovvrjv Tteqixtivag
ovxa iQaxai, rjv dl r) TiXovöiog, x?]v {ilv co^oßoerjv nsqixtivu, eöco&ev
de %axa%QVQcoöag ovxo %Quxm rtoxeglGj.
Ammianus Marcell. schildert uns 27, 4 die Skordisken, welche
man für illyrische Kelten hält, die aber Florus 3, 4 Thraker nennt, als
in Thrakien wohnhaft: partem Thraciarum habitavere Scordisci . . .
saevi quondam ettruces, utantiquitasdocet, hostiis captivorum Bellonae
litantes et Marti, humanumque sanguinem in ossibus capitum cavis bi-
bentes avidius; zu Ammians zeit war das blosze sage und die sitte des
herabgekommnen volks milder geworden. [Sil.Ital. 13,48 von den Kelten.]
Berühmt ist die langobardische sage bei Paulus diac. 2, 28 : cum
in convivio, ultra quam oportuerat, apud Veronam laetus resideret
(Alboin), cum poculo, quod de capite Cunimundi regis sui soceri
fecerat, reginae ad bibendum vinum dari praecepit, atque eam ut
cum patre suo laetenter biberet invitavit. hoc ne cui videatur im-
possibile, fügt Paulus hinzu, veritatem in Christo loquor, ego hoc
poculum vidi in quodam die festo Ratchis principem, ut illud con-
vivis suis ostentaret, manu tenentem. Alboin wurde auf Rosemundens 144
anstiften dieses greuels wegen im j. 574 ermordet, Ratchis herschte
fast zwei jhh. später, so lange zeit hatten also die könige das v.yaX\ia
feierlich bewahrt, es ist dem Paulus gern zu glauben, dasz er den
schädelbecher sah. zu Trier hatten die mönche den in silber gefaszten
schädel des heiligen Theodulfs und gaben fieberkranken daraus zu
trinken (acta sanctor. mai 1, 99a). Leo von Rozmital kam im j. 1465
nach Neusz: do sahen wir in der kirchen einen kostlichen sarch,
dorin leit der lieber heilig sanct Quirinus, und sahen sein hirnschalen,
doraus gab man uns zu trinken (Schm. ausg. s. 148). Aventin (ed.
1580 fol. 24b) die sitten der alten Deutschen schildernd sagt: der
feinde hauptleut und herren (so sie erschlugen in offen freiem felde)
hirnschalen lieszen sie einfassen, gaben an hochzeitlichen tagen darausz
zu trinken denen, die ein feind im offen felde erwürgt netten, was
eine besondere grosze gnad und ehre, wie die mönch zu Ebersberg
mit sanct Sebastian hirnschal, und die zu Niedermünster in Regens-
purg und sanct Ernhart hirnschal noch thun, dorft der son nicht
ehe zu tisch sitzen mit dem vater, dergleichen gab man keinem an
feirtagen ausz den geweichten der feinde hirnschale nicht zu trinken,
er hett dann vor einen feind im ofnen krieg erschlagen.
Ein wichtiges zeugnis liefert der noch ungedruckte theil des Garin
le loherain, nach Mones auszug s. 279: Gerbert liesz ein münster
bauen und den alten Fromont prächtig begraben, seinen schädel aber
102 SITTE
aus dem sarge nehmen (porce quil fu ä si tres bon guerrier), daraus
einen hanepier, d. i. hanap, ags. hnäp, ahd. hnapf fertigen, womit ihn
Fromondin, sein mundschenk bedienen sollte, doch befahl er den
schädel ganz mit edelsteinen und gold zu überziehen, dasz er unkennt-
lich war und nur eine heimliche stelle hatte, wo man den Überzug weg-
145 schieben und den schädel sehn konnte*. Beim groszen pfingstfeste, wozu
alle verwandten geladen waren, bediente Fromondin den Gerbert mit
dem schädelbecher, ohne es zu wissen; so trank auch Fromondin ein-
mal daraus, als ihm ein ritter verrieth, dasz seines vaters schädel
im becher sei. da fuhr Fromondin zusammen und eilte zu Gerbert, die
Wahrheit zu erkunden, dieser erklärte, er habe den becher zur minne,
nicht zum höhn machen lassen; aber Fromondin war entrüstet, kün-
digte dem Gerbert die lehenschaft auf und krieg und feindschaft an.
Rachedurstig tödtete Völundr, der kunstreiche schmid, Nidads
beide knaben, schnitt ihnen die häupter ab, faszte ihre schädel in
silber, ihre augensteine in ringe, ihre zahne in brustgeschmeide zum
geschenk für vater, mutter und Schwester der kinder:
en £cer skälar, er und skörom voro,
sveip hann utan silfri, seldi NictacEi;
en or augom iarcnasteina
sendi hann kunnigri kvän Nidadar;
en or tönnom tveggia f>eirra
slö hann briostkringlor, sendi Bödvildi**
Ein berüchtigtes anderes beispiel aus dem alten norden hat die neuere
critik der Dänen tilgen wollen; die worte ßagnars in Kräkumäl 25
drekkum bior at bragdi or biugvidum hausa
bedeuten: brevi cerevisiam bibemus e caveis craniorum, biugvid ist
buchstäblich vacuitas curva d. i. locus cavus et vacuus, cavea; ge-
zwungen und falsch erklärt Rafns ausgäbe statt biugvidum biug-
vidum, curvis arboribus von biugvidr, diese curvae arbores cranio-
rum seien nichts als trinkhörner. dasz man aus hörnern trank weisz
jeder, aber biugvidir hausa sind unmöglich hörner (allenfalls haar-
locken) und skäl mag haus, nicht haus skäl vertreten, das trinken
aus hörnern wäre im liede matt, während die barbarische Wildheit
des ausdrucks hier völlig an ihrer stelle ist.
146 Nestor erzählt, dasz im j. 972 die Petscheneger den Svjatoslav
erschlugen, seinen köpf nahmen und von der hirnschale einen becher
machten, beschlugen und daraus tranken (übers, von Jos. Müller
s. 147, vgl. Schlözer 5, 180).
Auch die Abiponer, sobald sie den feind zu boden gestreckt haben,
schneiden dem sterbenden, das messer ins genick einsetzend, unglaub-
lich schnell den köpf ab und festigen ihn mit den haaren an ihrem
sattel oder gürtel. die hirnschale heben sie zuweilen auf und nutzen
sie als trinkgefäsz (Klemm 2, 144 aus Dobritzhofer 2, 558).
* das gold muste den schädel fassen, der Überzug gemahnt an jene
üiftoßoeii bei Herodot.
** Ssem. 137b vgl. Vilkinasaga cap. 29.
SITTE 103
Offenbar dienten nur angesehner feinde hirnschalen zu bechern
und man pflegte auch die geliebter, verwandter männer auf solche
weise als kostbare andenken zu verwahren: aus ihnen zu trinken
galt für ehrenvoll und heilkräftig und wurde nur an hohen festen
als auszeichnung gestattet, dadurch empfängt der alterthümliche ge-
brauch eine art weihe und verliert an grausamkeit; zuerst die poesie
scheint das menschliche gefühl zu wahren und sich zu empören.
Diese becherschädel, von einer seite her betrachtet, sind heil-
thümer und reliquien ; hier darf die frage aufsteigen, zu welcher zeit
und wo begannen die reliquien? auch sie sind heidnischen Ur-
sprungs.
Der gebrauch leichname oder stücke von ihnen aufzuheben und
zu verehren kann nur im grabalter, nicht im brennalter entstanden
sein, wird die leiche durch das feuer in ein häuflein asche verwan-
delt, so entschwindet den äugen alle besonderheit der gestalt und
nichts als das geistige, reinere andenken bleibt zurück.
Das begraben soll den todten leib so lange als möglich gegen
die Verwesung schützen, darum wird der reiche in doppelten oder
metallnen sarg geschlossen oder in festen gewölben beigesetzt ; einige
Völker haben die leichname durch eigne Zubereitung zu sichern ge-
sucht.
Es liegt menschlicher brüst eingeprägt die grabstätten zu ehren
und jedes Überbleibsel von theuern todten zu bewahren, auch der
verbrannten leichen knochen und asche wurden fromm gesammelt 147
und in urnen niedergelegt*. II. 24, 793. Servius ad Aen. 2, 539.
Seneca epist. 92. Bei den Griechen knüpft sich der heroencultus an
die gräber**. des Orestes begrabne knochen schützten das ganze
land, wurden ausgegraben und mit nach Sparta geführt. Herod. 1,
67. 68***. von Tegea nach Sparta. Pausan. III. 3, 6. 11, 8. Cimon
brachte des Theseus gebein nach Athen. Pausan. III. 3, 6. Die rcccpoi
TiatQCo'ioi waren den Skythen heilig. Herod. 4, 127. Man gosz
spenden, schüttete blumen auf gräber f.
Christen achteten in den ersten jhh. noch nicht auf die gräber
* Archias bei Lucian Demosth. encom. 29 sagt: vöqLccv xo/tl^co^zdiv
drjfioo&evovq Xeiipävcuv, also ist am schlusz cap. 50 das zb awfxa slg Jl&q-
vag cc7i07iifitpofx£v ungenau, da owfia schwerlich von der asche gesagt wurde.
** K. Fr. Hermanns gottesd. alterth. s. 67. 68.
*** nach der Pythia spruch liegen sie da verborgen :
IW avs/noi nvelovoi ovo xoazsgfjg vn ävayxqg,
xal zvnog ävzlzvnog, xal nrni* inl n^fiazi xeTzai,
und werden hernach unter blasbälgen und ambosz gefunden. In derVilkina-
saga cap. 29 birgt Velent die getödteten knaben unter die schmiedebälge in
die wasserpfütze (undir fen fiöturs. Ssem. 137b) und entdeckt später die läge
mit der zweideutigen rede : lJ)ar sem vatn gengr inn enn vindr üt ', womit das
räthsel in Hervararsaga cap. 15 p.467.468 zu vgl. wie überraschend begegnen
sich hier griechisches und deutsches alterthum mit aller kraft der poesie.
t ad rosas et profusiones quotannis faciundas. inschrift der Claudia
Severa. auf Walthers von der Vogelweide grab sollte den vögeln getraide
gestreut werden.
104 SITTE
und leichname der apostel; die apostelgeschichte erwähnt nicht das
geringste davon, im dritten jh. mag der reliquiencultus, wahrschein-
lich nach griechischem oder römischem brauch, entsprungen sein und
sich bei Vervielfältigung der kirchen schnell ausgebreitet haben, im
vierten sammelte man reliquien unter Constantin und Julian, der theo-
dos, codex IX. 17, 6 bespricht die apostolorum et martyrum sedes,
und noch merkwürdiger sagt 17, 7: nemo martyrem distrahat, nemo
148mercetur. habeat vero in potestate, si quolibet in loco sanctorum
est aliquis conditus, pro ejus veneratione, quod martyrium vocandum
sit, addant quod voluerint fabricarum. Greg. tur. 1, 48 berichtet,
wie Poitiers und Tours um des h. Martinus (f 397) leichnam stritten.
Idatius in seiner chronik meldet, zur zeit der einnähme Roms durch
Alarich (im j. 409) seien alle geschont worden, qui ad sanctorum
limina confugerunt. Zu Justinians zeit war alles das noch mehr
ausgebildet. Procop. de aedif. 1, 4 erwähnt die ccitoöroXcov GcSpara
und 1, 7 kütyttvci ccvöqcjv ayicov, ebendaselbst erzählt er, wie Justi-
nian den heiligen seine gesundheit befohlen habe, öl aus den reli-
quien geflossen sei. de bello pers. 2,11 meldet er, dasz zu Apamea
ein stück vom kreuz Christi heilig verehrt werde, die regula s. Be-
nedicti cap. 58 erwähnt schon einer petitio ad nomen sanctorum,
quorum reliquiae sibi sunt; des Eugippius im j. 511 geschriebne vita
Severini hat cap. 25 wie ihm Johannis baptistae reliquiae dargebracht
wurden, und cap. 9 steht: martyres, quorum reliquias offero.
Reliquias et ossa condere terra war altrömischer Sprachgebrauch
(Virg. Aen. 5, 47. Sueton. Domitian. 8), dem vermutlich Lucian jenes
Xsiipava nachbildete, denn ich finde nicht, dasz ältere Griechen dies
wort in solchem sinn gebrauchen, bei Ulfilas ist kein anlasz für den
ausdruck, die ahd. Übersetzung der benedict. regel verdeutscht an
jener stelle reliquiae durch wihida, wie auch anderwärts steht, die gl.
ker. 241 geben suuitha (bei Hattemer 205 suuihta), wobei man an
das serb. svetina, sloven. svetinje d. i. heilthum denkt, eine alts.
beichte hebt an: ik giuhu goda endi allon sinon wihethon = ahd.
wihidöm, reliquiis, und im verfolg heiszt es : menöth suör an wlethon
= wihidöm. nicht anders in den fries. gesetzen: an thä wlthum (in
reliquiis) swera, bihalda, undriuchta (Richth. 1154). die Angelsachsen
sagen bän (ossa), J)ä hälgan bän (Beda 3, 11) und so wird altengl.
bones verwendet, ir. taise (leichname) und taise na naomh, auch
mionna (häupter) na naomh, und mionna allein bezeichnet den eid-
schwur, der welsche ausdruck ist creirfa und auf den reliquien schwö-
ren heiszt creiräu. altsl. und russ. moschtschi, serb. moschü, d. i. die
149 gewalten, gewaltigen, kräftigen (von motsch vis, virtus). mlat. quellen
brauchen häufig pignora sanctorum, und von der auf bewahrung in kap-
seln hieszen sie selbst schon capsae sanctorum, ahd. chefsa (Graff 4,
379) mhd. kefse, feine kefsin an daz sper binden Roth. 4094. 4138.
Im mittelalter hat sich nun ein unerhörter und bis jetzt unaus-
gerotteter reliquiencultus entfaltet, auf den hauptsächlich die kirche
ihre Verehrung der heiligen gründete: ein mit der Vielgötterei des hei-
SITTE 105
denthums an unsichtbaren faden zusammenhängendes element. kaum
eine kirche traute man zu bauen, in der nicht modernde knochen
und alte kleiderfetzen niedergelegt wurden*; diese heiligen, deren
altäre sich neben dem der gottheit erhoben, deren feste das ganze jähr
erfüllten, standen auch dem recht und den krankheiten vor, denn
alle eide wurden auf ihrer kapse geschworen, alle siechen suchten
heilung kniend vor ihren gräbern und ihren reliquien. milde gaben
strömten ihnen zu und die kirche konnte dem bedürfnis der gläubigen
nur dadurch genügen, dasz sie die zahl der heiligen, folglich der heil-
thümer unablässig mehrte, eine menge dieser heilthümer muste un-
echt**, der gröszte theil der ihnen beigelegten wunder unwahr sein.
Bei den Griechen und Römern fehlt es nicht an ähnlichen ge-
brauchen, sie hielten die gräber ihrer helden und vorfahren im anden-
ken und jene gebeine des Orestes oder Theseus hatten für das ganze
land schützende kraft, aus Pelops gebeinen soll Abaris das palladium
gefertigt und den Trojanern gegeben haben ***, sein Schulterblatt wurde
vorgezeigt und galt für heilkräftig: quorundam partes medicae sunt,
sicuti diximus de Pyrrhi regis pollice, et Elide solebat ostendi Pelopis
costa, quam eburneam affirmabant. Plin. 28, 4. Aber es entwickelte
sich daraus kein so allgemeiner, alles ergreifender cultus, wie bei den 150
Christen, keine beständigen unaufhörlichen wallfahrten zu den grä-
bern. keine kranken genasen, keine todten erwachten auf den gräbern.
Wenn die mönche aus Schädeln der heiligen zu trinken gaben,
knüpft sich das nicht an jene barbarei der wilden heiden ? die heilig-
haltung der knochen gleicht sie nicht jenen einzelnen brauchen der
Griechen?
Auch das einheimische heidenthum bietet zu vergleichungen an-
lasz. Nach der Ynglingasaga wurde an Freys grabhügel eine öfnung
gelassen mit drei fenstern ; im hügel bewahrte man den leichnam drei
jähre, in die drei fenster legte man den schätz an gold, silber und
erz; da blieb fruchtbarkeit und friede im land. es war ein heiliges
grab, ein palladium der Nordländer.
Auf den heiligendienst unsers mittelalters müssen also einzelne
Überlieferungen des europäischen, selbst des fernen asiatischen heiden-
thums eingewirkt haben. Der weit erstreckte buddhismus kennt kein
blutiges opfer und bringt blosz blumen und wohlgerüche dar, unter
gesang und frommem gebet; nur Shäkjamuni, den Stifter seiner lehre,
stellt er im bilde auf und betet seine in besonder!) gebäuden einge-
schlossenen knochen an. dieser reliquiencultus zeichnet alle Buddhi-
sten aus f. durch mehr als eine Vermittlung können buddhistische leh-
ren bis nach Europa gedrungen sein und sich dort an verwandte rich-
* die eine kirche bauen wollen, holen sich reliquien und setzen sie
gleich ins fnndament. Pertz 6, 83b — 85b. 307 — 313.
** trug mit reliquien, beschwörung ihrer echtheit Pertz 6, 83a. b.
*** Jul. Firmicus astronomic. p. 434. Clemens Alexandr. ad gent. p. 30.
f E. Burnouf introduction a Thistoire du buddhisme indien. Paris 1844
p. 339. 340. in nachrichten über die Mongolen heiszt jener Shäkjamuni ge-
wöhnlich Dschagdschamuni.
106 SITTE
tungen geschlossen haben, auch hier scheint tiefer Zusammenhang
der europäischen Völker in glauben und sitte mit Asien.
Anziehend sind die Überfahrten solcher heiligenbeine oft aus wei-
ter ferne nach der kirche, die sie neu erworben hatte, das volk un-
terwegs empfieng sie feierlich, wie man fürsten oder bischöfe empfängt,
und geleitete bis zur grenze, wo schon die nachbarn aufgestellt
waren, um den zug fortzuführen.
151 So wurden die gebeine des heiligen Venantius durch Rabanus im
j. 836 aus Italien geholt, das deutsche volk geleitete mit fahnen und
kreuzen. Baiern empfiengen an ihrer grenze und giengen mit bis
Solenhofen in regione Sualafeld, von da geleiteten Alamannen bis
nach Hasariod, wo Ostfranken an deren stelle traten und bis zum
gau Waldsäzi begleiteten*; alle deutschen stamme waren von gleichem
eifer durchdrungen den heiligen zu verehren. Als in demselben jähr
boten aus Paderborn nach Mans in Frankreich gesandt waren, um den
heiligen Liborius abzuholen, dessen leichnam auf die heidnischen ge-
mixter der Sachsen einwirken sollte**, musz es ein groszartiger an-
blick gewesen sein, wie an beiden ufern des Rheins das volk in zahl-
loser menge, auf dem linken Franken, auf dem rechten Sachsen ver-
sammelt standen ; ingressi Saxoniam prae nimia sibi obviante turba vix
gradum movere poterant (Pertz 6, 151. 156). Im Jahr 964 ent-
wandten zwei deutsche bischöfe durch nächtlichen einbruch die gebeine
des heil. Epiphanius von Pavia aus dem grab und Schäften sie glück-
lich über die alpen nach Hildesheim (Pertz 6, 249).*** bekannt ist die
translatio sancti Alexandri im j. 831: magnis undique multitudinibus,
virorum scilicet ac mulierum, diversarum regionum occurrentibus atque
venerationem praebentibus, signisque quam pluribus coruscantibus
(Pertz 2, 678). misfiel den heiligen etwas, so erschienen sie nachts
im träum und verkündeten ihren willen, wie götter zu thun pflegen.
Man bewahrte im heidenthum nicht blosz die gebeine und häup-
152 ter von menschen, sondern auch thieren, zumal pferden (mythol.
s. 626); Herodot 4, 71. 72 schildert ein 6rj(ia der skythischen könige,
das aus den leichnamen getödteter pferde und knechte aufgerichtet
wurde (rechtsalt. s. 676).
Es wird anderswo gelegenheit sein von der uralten, unter allen
europäischen Völkern verbreiteten sitte der leichengerüste, leicheninale
und leichenwachen ausführlich zu handeln.
Aus einer menge von einstimmungen über kleidung und tracht
greife ich blosz einen einzelnen zug.
Reiter und fuhrleute pflegen einen breiten gurt um den Unterleib,
damit er auf dem rosse nicht erschüttert werde, zu schnüren; ein
* Ruodolfi fuldensis vita Hrabani in Schannats hist. fuld. p. 123 n°
XVII und in den act. ord. bened. sec. 4 pars 2.
** quia vero rudis adhuc in fide populus et maxime plebejum vulgus
difficile poterat ab errore gentili perfecte divelli, latenter ad avitas quas-
dam superstitiones colendas sese convertens.
*** solcher diebstal galt für erlaubt, nach dem gedieht von Servatius
2375 ff. stehlen Mastricnter den Sachsen des heiligen leichnam.
SITTE 107
solcher gürtel heiszt schmachtrieme, weil er dem hunger wehren soll,
und von lange hungernden sagt man, dasz sie den Schmachtriemen
anschnallen, der altn. ausdruck war hüngurband, die Böhmen sagen
gezdecky pas (reitgurt). es gab aber sagen von gürtein, die gegen
hunger schützten, im lied von Ferabras trägt Floripar einen solchen,
er wurde ihr im schlaf abgelöst (wie der Freyja ihr Brlslnga men),
hernach zerstückt und ins meer geworfen (Ferabr. 2749. 2752. 2768.
2799). Hierher gehört eine stelle aus Gellius N. A. 16, 31: Scythas
quoque ait eundem Erasistratum dicere, cum sit usus, ut famem lon-
gius tolerent, fasciis ventrem strictissime circumligare. ea ventris
compressione esuritionem posse depelli creditum est. verba Erasistrati
ad eam rem pertinentia haec sunt: ü^Lö^hoi de üöi neu ol Zjxvftai)
otav öid xiva xcclqov dvay*a%ovxai äoitot elvai, JoWtg itkotxdaig
%r\v xodiav %ia(5<piyyuv, cog rfjg %üvr\g avxovg fjzrov £Vo%Xov6rjg.
6%edöv de xal ötav jrA^'p^g tf xoilia rj, ölcc to ych(o^a Iv avty
(j,fjdev elvai, dia xovto ov neivaOLV brav dl öcpoÖga öviutentG)-
xvla y, X8vcö[ic6 ovk b%si. Erasistratus war des Aristoteles Urenkel.
Das widerspiel solcher hungergürtel sind gewissermaszen die werwolfs-
gürtel, welche angelegt werden, um thierische freszlust zu stillen;
bekanntlich führt Herodot 4, 105 auch schon skythische werwölfe an
(versipelles. Plin. 8, 34).
Alle bisher angezognen brauche haben weit in die geschichte
des alterthums zurückgeleitet; der folgende, von geringerem umfang,
zeigt uns den unschuldigen sinn des nordischen alterthums.
Name ist das was man nimmt, zur gäbe empfängt, goth. namö 153
(neutr.) alth. alts. namo (masc.) ags. nama (masc.) altn. nafn (neutr.)
schwed. namn, dän. navn, von niman capere prehendere; sl. imja,
poln. imi^, böhm. gme (gen. gmene) und gmeno von imu capio, inf.
jati, imati böhm. gimati; dem litth. immu capio, lett. iemmu, niemmu
steht kein solches subst. zur seite, doch preusz. findet sich emnes
(nomen) neben imma capio. diesem emnes gleicht gr. ovopa, ir. ainm,
ainim, welsch enw, dem goth. namö aber lat. nomen, it. nome, franz.
nom, sp. nombre, skr. näman, osset. nom, finn. nimi, est. nimmi,
läpp, namm und nabma, ungr. ne> (vgl. poln. nazwa benennung). die
einstimmung ist auszerordentlich, und eine bei uns und den Slaven
schön durchsichtige abkunft kann nicht gestört werden durch den ein-
wand, dasz alle diese Wörter aus der sanskritwurzel dshnä entsprun-
gen seien, also skr. näman für dshnäman stehe, wie lat. nomen für
gnomen (vgl. cognomen, ignotus), und das M der ableitung gehöre,
mithin na-mö, nicht nam-ö anzusetzen sei (Pott 1, 182. Benfey 2, 144.
Bopps gloss. skr. 193 b). unsere ablautende wurzel hat gröszeres recht
als eine hinter ihr gelegne zweifelhafte, der das skr. näman selbst
untreu wird, und der begrif des namens durch das, woran man er-
kannt wird (gnomen) scheint nicht passender als der andre, was man
hat, was man empfängt.
Für die namen gilt nun als regel: keiner legt sich seinen namen
selbst bei, sondern er wird ihm von andern beigelegt, wie das neu-
108 SITTE
geborne kind einen namen durch seine eitern und freunde erhält, so
ist es auch für die erklärung der volksnamen wichtig anzunehmen,
dasz sie durch benachbarte Völker gegeben wurden, das bedürfnis
einen dritten zu benennen ist jederzeit stärker als das sich selbst zu
nennen.
Unsere vorfahren ertheilten dem kinde seinen namen feierlich
und beschenkten es dabei, man hiesz das altn. gefa nafn ok fylgja
lata. Egilssaga 367.
Als die valkyrja den stummen d. i. namenlosen Jüngling mit dem
anruf Helgi begrüszt hatte, sagt er:
hvat lsetr {m fylgja Helga nafni?
154 sie enthüllt ihm darauf den ort wo ein kostbares seh wert verborgen
liege. Ssem. 142. dieser name Helgi ist ein glückhafter und drückt
aus der selige, heilige (er ist zusammenziehung von heilagi). Sigmundr
verleiht seinem neugebornen, eben von den nornen begabten söhne
den gleichen namen Helgi und schenkt ihm dazu sieben grundstücke
und ein köstliches seh wert. Ssem. 150 a. [gaf nafn sitt ok let pat
fylgja. Egilss. 367.] das hiesz man nafnfesti, namenfestigung. Wodan
hatte ein ihm unbekanntes volk Langobarden benannt und muste ihnen
zur festigung des namens den sieg über ihren feind bewilligen, andere
beispiele sind mythol. s. 123 beigebracht. Es ist natürlich, dasz man
in den namen des neugebornen eine heilsame weissagende kraft für
seine zukunft legte; hiernach zumal sind die von thieren her ent-
lehnten benennungen zu deuten. Andere anlasse zur namengebung
waren die wehrhaftmachung, wodurch der Jüngling in den stand der
krieger eintrat, die adoption, besonders die durch haarscheren, end-
lich todesfälle, weil dadurch erbschaften und Umänderung des grund-
eigenthums herbei geführt wurden.
Man pflegte auch dem kind, sobald sein erster zahn ausbrach,
etwas zu schenken, diese gäbe hiesz altn. tannfe, zahngeld:
Alfheim Frey gäfo i ärdaga
tivar at tannfe. Ssem. 41».
Olafr trug an der hand einen ring, den seiner mutter der könig at
tannfe gegeben hatte und woran er den söhn erkennen wollte. Laxd.
saga p. 72. 82. ich zweifle kaum, dasz dieser brauch schon vor
alters auch in Deutschland galt, kann ihn aber nicht ausdrücklich nach-
155 weisen*; wol aber besteht er noch heute in Island und Finnmarken,
bei den Finnen heiszt solches zahngeld oder die pathengabe hammas-
raha, bei den Esten hambarahha, von hammas zahn ; bei den Lappen
* noch weniger im classischen alterthum; doch galt den Römern ein
solcher zahn für heilkräftig: pueri qui primus ceciderit dens, ut terram non
attingat, inclusus in armillam et assidue in brachio habitus. Plin. 28, 4.
auch: dentes equi, qui primi cadunt, alligati facilem dentionem praestant,
mhd. fülzene (mythol. s. 624). die stadt Sinzich hatte, auf Friedrich Roth-
barts anordnung, dem reich jährlich sechs Schillinge zu entrichten, welches
jus rostant (pferdezahn) hiesz. Lacomblet 2 n° 125.
SITTE 109
panekes, [banekes,] pannikeis, von pane [padne, badne] zahn, sie
pflegen nemlich dem kind für den erst ausbrechenden zahn ein renn-
thier zu schenken, das dann in der heerde beobachtet wird: nach
dem es sich viel oder wenig vermehrt, folgert man, dasz auch das
kind reich oder arm sein werde. Nicht anders schenkt man bei uns
den kindern, ich weisz nicht ob zur zeit der geburt oder des ersten
zahns, ein lamm oder kalb, das grosz gezogen wird; in Schlesien
schenken die pathen dem kind einen acker oder ein feld, das pathen-
mauer genannt wird, auch die amme oder Wärterin des kindes pflegt
für den ersten zahn ein geschenk zu empfangen, dieser erste zahn
heiszt in Süddeutschland wölfeli, wülferl oder wolfszahn, böhm. wlcek,
poln. wilczek, doch mhd. bezeichnet wolfes zant den bissigen, giftigen
zahn (Freidank s. 379). der lettische ausdruck sohbu nauda zahn-
geld, pathengeschenk verbürgt die sitte für diese gegend, und ich
ahne, dasz sie auch unter den Slaven besteht*.
An einigen orten herscht der brauch bei geburt des kindes einen
bäum zu pflanzen, und man achtet, ob er gedeihe.
Ich schliesze mit einer bemerkung über den gebrauch der schrift
bei den europäischen Völkern.
Entsprungen in einer fülle des Zusammenhangs zwischen bild 156
und gedanken bei den Aegyptern und bald zurückgeführt auf einen
für ihren eigentlichen zweck hinlangenden auszug der zeichen, hat
sie sich frühe nach Phoenizien gewandt und von dannen manche
weitere wege gefunden.
Wie die schrift unter Griechen, Etruskern und Römern einhei-
misch ward, sich noch einfacher und edler gestaltete und von
dieser grundlage her allmählich in das übrige Europa eindrang, ist
bekannt.
Minder ausgemacht scheint, ob nicht, was man vorlaut geleugnet
hat, auszer jenem breiten ström in dem sie sich durch die länder
ergosz, auch noch schmale und versteckte gänge eingestanden werden
müssen, auf welchen sie theilweise vordrang, wieder stockte oder her-
nach in jener gröszeren masse sich verlief, gewisse eigenthümlich-
keiten der Schreibweise des europäischen alterthums stehn füglich
kaum anders zu begreifen.
Es läszt sich zugeben, dasz auch rohen ungebildeten volksstäm-
men, wie wir uns die einwandernden zu denken haben, wenn nicht
allgemeine Übung der schrift, deren sie nicht bedurften, doch eine
gewisse überlieferte und mitgebrachte kenntnis derselben beigewohnt
* neben der groszen Urverwandtschaft zwischen skr.dantas, pers. dendän,
osset. dendeg, gr. oöovq, jon. ööojv, lat.dens,litth.dantis, ir.deat, welsch dant,
goth.tunfms,ahd.zand,ags. töd\ altn. tonn erscheint das abweichende sl. zub,
poln. zab, welchen sich lett. sohbs anreiht, zwischen diesem sohbs und dem
Iitth. dantis liegt hier die Scheidewand; mit zub [Schleicher p. 42] vergleicht
Miklosichskr.dshambacibus und maxilla, gr. yccfMpai yafiwijkal und yd(*<piOQ
dens molaris (Benfey 2, 116), wobei altn. Mammi maxilla, kiaptr faux in
betracht kommt (K:Z wie in kornrzrno). merkwürdig das alban. dsfin.
HO SITTE
habe : hervorragende stände und edle geschlechter, zumal priesterliche
mögen hin und wieder im besitz einer solchen gewesen oder geblie-
ben sein und sie für ihre zwecke anzuwenden verstanden haben, be-
kanntlich legt Caesar 6, 14 den gallischen druiden ausdrücklich den
gebrauch einer schrift bei, die er griechisch nennt, weil ihre buch-
staben vermutlich den griechischen mehr als den lateinischen glichen*,
Toxaris bei Lucian berichtet, im skythischen Oresteion seien auf der
seule bilder und Schriften gewesen, mag man diese erzählung be-
zweifeln, den Geten und Daken, bei ihrem häufigen verkehr mit Grie-
157chen und Römern, wird man schwerlich kenntnis des Schreibens ab-
streiten, und das bleibt unleugbar, dasz in der späteren gothischen
schrift, wie sie zu Ulfilas zeit geregelt wurde, einzelne buchstaben
und zeichen haften, die aus den ihr zum grund gelegten griechischen
und lateinischen buchstaben keineswegs folgen, aber mit den nordi-
schen, sächsischen und markomannischen runen sich berühren, diese
runen, deren name schon auf geheime, nicht allgemein verbreitete
Übung hinweist, wie ich mir jene priesterliche denke, reichen auf den
scandinavischen steinfelsen kaum noch ins heidenthum zurück, werden
aber durch ags. und ahd. handschriften bis zum achten und siebenten
jh. gesichert, so dasz sie von den gothischen büchern nicht fern ab-
stehn. Nimmt man hinzu, dasz die hibernischen und slavischen alpha-
bete, obgleich aus dem lat. und gr. herleitbar, manches eigne haben,
und zumal die glagolitische noch mehr als die cyrillische schrift der
Slaven an die nordischen runen streift, so wird jenes Vorhandensein
eines unrömischen und ungriechischen schriftelements in Europa nicht
in abrede zu stellen sein**, die Wichtigkeit dieses Zusammenhangs
musz aber in den einzelnen zeichen nachgewiesen werden und beson-
deren Untersuchungen vorbehalten bleiben.
Hier liegt es mir an, etwas anderes nicht zu verschweigen, wo-
durch eine solche beweisführung noch verstärkt werden kann, die
runischen, slavischen und irischen alphabete weichen in Ordnung und
benennung ihrer buchstaben bedeutsam ab von den classischen. schon
die art und weise, wonach die einzelnen laute geordnet werden, ist
nichts gleichgültiges, sondern beruht auf langem herkommen, noch
gröszere aufmerksamkeit fordern aber die namen. ohne zweifei sind
diese namen groszentheils noch übrig aus dem beim Ursprung des zei-
158chens stattgefundenen verfahren, nemlich das zeichen gieng hervor aus
einem bild der Vorstellung, für welche ein wort galt, das mit dem
laut anhub, welcher durch das zeichen ausgedrückt merden sollte,
die altdeutsche rune M zum beispiel führt den namen mann, und drückt
in ags. hss. geradezu dies wort aus; sie scheint sicher aus der gestalt
* in castris Helvetiorum tabulae repertae sunt litteris graecis confectae
et ad Caesarem perlatae. Caesar 1, 29.
** Dietmar von Merseburg versichert (Pertz 5, 812) auf den slavischen
götterbüdern (wie in jenem Oresteion) seien die namen eingeschrieben ge-
wesen singulis nominibus insculptis, wie sie an den Prilwitzer götzen stehn,
deren echtheit noch nicht so verzweifelt ist.
SITTE Hl
eines manns mit zwei armen entsprossen, da nun die buchstabnamen
begreiflich bei verschiedenen Völkern und stammen wechseln, d. h. auf
worte und zeichen angewandt werden, die jedem angemessen und
nöthig sind, so erhält dadurch die Untersuchung dieser Verschieden-
heiten groszen reiz.
Der zweite buchstab des hebr. und gr. alphabets hiesz beth, ßrjta
und hätte schon die Kömer auf betulla betula leiten können, doch
dieser bäum schien ihnen ein gallischer (Plin. 16, 18). desto natür-
licher war den Galliern selbst für das B der name beith (wie betulla
auf irisch lautet, auf welsch bedwen), den Angelsachsen beorc, den
Normannen biörk; allein ahd. runen geben nicht biricha, sondern berc
mons. einem halb gothischen aiphabet des Wiener cod. 140 ist bercna
beigeschrieben; den Slaven heiszt B nicht bereza, vielmehr buki, was
an buk fagus, unser buche mahnt, und altsl. bouki drückt ygcc^a,
ßißXlov aus wie das goth. böka. Im altn. runenalphabet sind nur
zwei namen von gewachsen entlehnt J>orn und biörk, und dazu galt
für ]3orn früher purs, riese; die sächsischen runen haben vier solcher
namen: porn, beorc, äc, äse. das irische besteht dagegen aus lauter
gewachsen: B beith birke, L luis eberesche, F fearn erle, S sail
weide, N nion esche, H huath hagedorn, D duir eiche, T tinne?
schwerlich teine feuer, C coli hasel, Q queirt apfelbaum, M muin rebe,
G gort epheu, NG ngedal ried, P pethpoc? ST straif schlehe, R ruis
nieder, A ailm föhre, 0 onn pfriemenkraut, U ur heide, E eadhadh
espe, I idhadh eibe, EA eabhadh espe, Ol oir spindelbaum, UI uilleann
wald winde, 10 ifin Stachelbeere, EA amhancholl? verschieden von
diesem bethluisnoin ist eine andere oghum genannte Ordnung.
Bei den monatsnamen sahen wir die einbildungskraft der Kelten 159
gar nicht auf pflanzen gerichtet, während es hier überall geschieht,
und umgekehrt Deutsche wie Slaven thiere und andre Vorstellungen
einmengen, auch die welschen coelbren, die von Tacitus geschilderte
sortium consuetudo und die friesischen teni beziehen sich auf baum-
zweigszeichen und nichts gleicht den runen mehr als die gestalt zu-
geschnittner gerader und krummer äste.
Da die alte stabschrift geheimnis war und zauberhaft wirkte, so
begreift sich warum runa mysterium bedeutete und raunen flüstern,
fast alles weissagen des alterthums geschah mit zweigen und stäben,
wie unsere Wünschelrute (mythol. s. 926) und der stab des Hermes
und Aesculap lehren, das temere ac fortuito spargere bei Tacitus
Germ. 1 0 gleicht dem altn. hrista teina (coneutere virgas) : hristo teina
ok ä hlaut sä. Ssem. 52 a, von den alten Sachsen meldet Beda 5,
1 1 mittunt sortes, hluton mid tänum und noch Ulfilas Luc. 1 , 9 ver-
deutscht eXa%e hlauts imma urrann. wie die Slaven mit schwarzen
und weiszen Stäbchen loszten schildert Saxo gramm. ed. Müll. p. 827,
wie die Alanen Ammianus 31, 2, wie die Skythen Herodot 4, 67;
nach dem scholiast zu Nicanders ther. 613 brauchten diese dazu die
myrica (tamariske): \aayoi de Ttai EKv^ai ^vqikLvco ^avtsvovxai
£vXg).
112 SITTE
Die griechischen namen der buchstaben scheinen phoenizischen
Ursprungs, doch ist glaublich, dasz den Griechen schon bei der ersten
ankunft im lande schrift nicht mangelte, sie war ein gemeingut,
dessen künde alle urverwandten Völker mit in ihren auszug nahmen;
aber viel fehlt daran, dasz sie es auf gleiche weise zu vereinfachen,
zu veredeln und fruchtbar zu machen verstanden hätten.
Es war meine absieht in einer nicht sparsamen reihe von bei-
spielen, gegenüber den aufgestellten wortgeschlechtern des viehes und
160 getraides, erkennen zu lassen, wie fest auch in glauben und sitte die
ganze europäische vorzeit unter sich und mit Asien zusammenhänge,
und vorzugsweise wählte ich das, woraus zu lernen wäre, dasz auch
die barbarei ihre tugend hat und nothwendige stufe unsers aufschwungs
wurde, alle einzelnen Völkerstämme sind aber in dieser betrachtung
ein groszes geschlecht und welche sich näher berühren konnte nur
angedeutet werden: weil aber mein werk auf die deutsche spräche
gerichtet ist, muste der deutsche faden durchschlagen.
VIII.
EINWANDERUNG.
Aus dem unermesznen vorrath des altherthums sind manigfalte 161
züge allem was folgen soll gleichsam als Vordergrund unterbreitet
worden, diese allgemeine Schilderung der Zeitalter, des hirten und jäger-
lebens, seiner Übergänge in den ackerbau, in geordnete feste und
jahrszeiten, endlich ein aus glauben, recht und sitte urverwandter Völker
gegrifnes bild, überall durch einklänge der spräche gehalten und be-
lebt, liesz sich noch gar nicht historisch fassen, aber mitten durch
die Untersuchungen zuckt schon unabweisliche gemeinschaft, und wenn
gleich denkmäler der sprachen unsre reinste quelle sind, wo sie noch
sprudelt, dürfen überraschende aufschlüsse und bestätigungen nicht
verschmäht oder gering geachtet werden, die aus der poesie, dem
mythus und den gebrauchen des lebens hervorgehn: auch da ist eine
zähe kraft ihrer fortdauer und Überlieferung anzuerkennen.
Nirgend wo europäische geschichte beginnt, hebt sie ganz von
frischem an, sondern setzt immer lange, dunkle zeiten voraus, durch
welche ihr eine frühere weit /verknüpft wird, einheimische götter,
eingeborne menschen kann nur mythus oder volksage hinstellen.
Darin unterscheidet sich wesentlich Asien und die geschichte
seiner meisten Völker, die nach verhältnismäszig kurzer aufregung
im gelobten lande ihrer heimat verweilen und was jene wandernden 162
einbüszen, nie verlieren, was jene stufenweise hintereinander er-
reichen, auf einmal zusammen besitzen, wie in Kain und Abel also-
bald ackerbau und hirtenleben nebeneinander erscheinen, so haben
sich bei den Indern ständige, hart gesonderte kästen von priestern,
kriegern, arbeitern und knechten entfaltet, die dem verschmelzen und
unablässigen erhöhen der menschheit widerstand entgegen stellen;
noch unter Persern und Skythen dauerte diese eintheilung in drei
stände: krieger, hirten und ackerbauer, bei den übrigen, wo sie
fortbestand, wurde ihr eine ganz andere wendung gegeben.
Alle Völker Europas und voraus jene urverwandten, denen es
beschieden war durch Wechsel und gefahr empor zur in gen, sind in
Grimm, geschichte der deutschen spräche. 8
Ü4 EINWANDERUNG
ferner zeit aus Asien eingewandert, vom osten nach dem westen setzte
sie ein unhemmbarer trieb, dessen eigentliche Ursache uns verborgen
liegt, in bewegung. der zug scheint aber stets zu lande und um die
ktisten des meers ergangen, auszer wenn blosze meerengen zu über-
fahren, inseln zu erreichen waren, je weiter gegen abend wir ein
volk gedrungen finden, desto früher hat es seinen auslauf begonnen,
desto tiefere spur kann es unterwegs hinterlassen haben, klein im
anfang wälzte sich der häufe zu immer gröszerer masse fort; bei-
nahe alle Völker, wo sie zuerst erscheinen, sind schon zu solcher
breite und fülle empor gewachsen, dasz Zwischenräume der ruhe und
des Stillstands ihre ankunft verdecken, aber hinten nachdringende
schwärme rühren sie von neuem auf. dieser drang musz in der mitte
und im herzen Europas am stärksten walten ; einzelne Völker die seit-
wärts nach Süden schmale halbinseln erreichen, gedeihen auf ihnen
schnell zu mächtiger entfaltung, und erliegen erst spät, nachdem ihre
geschicke erfüllt sind, den unabwendbaren einflüssen der mitte, unbe-
günstigte stamme sinken sin Vergessenheit, die aber am langsamsten
zur edleren bildung reiften, scheinen der gröszten lebensdauer fähig,
und wenn die sage den menschen der vorzeit höheres alter beimiszt,
halten die späteren Völker desto fester aus. der urverwandten zu
163 weitem auslauf ersehnen Völker entschiedner beruf und vorragende
tüchtigkeit offenbart sich eben darin, dasz ihnen fast allein die euro-
päische geschichte angehört.
Kaum über die hälfte der zeit, welche insgemein von Schöpfung
der weit an gerechnet wird, dehnt sich diese geschichte hinaus; ob
vorher Europa waldbedeckt und unbewohnt war oder andere menschen-
scharen, auf deren treiben tiefes schweigen ruht, darin lebten, weisz
niemand, alles was von Völkern in Europa unsere geschichte nennt
und kennt, mag schon zwischen zweitausend und tausend jähren vor
unsrer jetzigen Zeitrechnung daselbst heimisch gewesen sein.
Zuerst tauchen die Griechen auf und erstrecken sich rückwärts
bis ungefähr 1800 jähre vor Christus, eingezogen, wie man vermuten
darf, über Kleinasien in Makedonien Thessalien Boeotien und den
Peloponnes hat sich zumal in diesem ihre ruhmvolle kraft entfaltet;
welche anderen Völker schon vor ihnen da heimisch waren, wie sie
sich mit ihnen in bezug auf spräche oder abstammung berührten,
ist kaum zu sagen. Die griechischen mundarten setzten sich im
aeolischen jonischen dorischen dialect, über welchen allen endlich der
attische schwebte. Licht wird die geschichte der Griechen allmählich
nach dem trojanischen krieg (1200 j. vor Chr.), ihre Olympiaden
beginnen mit dem j. 776, ihre grösze umfaszt den Zeitraum zwischen
den Perserkriegen und Alexander von 500 bis 300 ; nach Alexanders
tod (323) sinken sie unaufhaltsam. Alexanders siegszug, die kriege
mit Persien und Troja bezeugen des griechischen volks alten Zusam-
menhang mit Asien, konnten aber auf die dauer keine eroberung im
osten, wider den grundtrieb des völkerzugs, gewähren.
Später entwickelt sich die herschaft der Römer, deren geschichte
EINWANDERUNG 115
erst vom jähre 754 vor Chr. zählt; ihr glänz steht zwischen den
kriegen mit Carthago und der eroberung Makedoniens (264 — 168),
hält aber an bis anderthalb Jahrhunderte unsrer Zeitrechnung; nach
Antonin und Mark Aurel beginnt des weiten reichs verfall. Wann und
auf welchen wegen Italien, lange vor Roms erbauung, bevölkert wurde,
kann nicht nachgewiesen nur gemutmaszt werden; schon seine west- 164
lichere läge lehrt, dasz es Griechenland vorangegangen sein müsse,
die Römer selbst leiteten sich von Troja her und das palladium stammte
ab aus Ilium. Nicht tochter, ebenbürtige Schwester der griechischen
spräche ist die lateinische, in manchem altertümlicher und reiner,
unter den italischen stammen kommen, auszer Sikelern, Sabiner Osker
Umbrer und Tusker in betracht; dem lateinischen dialect liegt der
oskische nah, der umbrische ferner, mit welchem sich der stark ab-
weichende etruskische berührt, die Rhätier hat man zu abkömmlingen
der Tyrrhener oder Etrusker gemacht; eher trugen wol Rhätier oder
Rasener ihren stamm von den alpen in die halbinsel; einzelnes in
etruskischer sage und spräche klingt an germanisches, die erste ein-
wanderung in Italien überhaupt scheint aus Illyrien her erfolgt zu sein.
Unbedenklich das dritte volk europäischer geschichte sind die
Kelten, griechische nachrichten begreifen Gallier und theile der Ger-
manen unter dem gemeinschaftlichen namen Kelten oder Galater und
erst die Römer lernten allmählich Gallier von Germanen scheiden, dem
Herodot wohnen die Kelten z6%axoi ngog ijKiov dvöpeav (2, 33.
4, 49).* Livius will, dasz Bituriger schon unter Tarquinius Priscus
etwa 600 jähr vor Chr. über die alpen nach Italien und dem hercy-
nischen wald gedrungen seien, historisch ist, dasz bald zweihundert
jähre später, 388 vor Chr., Gallier Rom eroberten ** und dann ihre
streifzüge wiederholten, von 336 bis 238 hielt Rom mit ihnen friede,
neuer krieg entzündete sich von 226 bis 220 und schlug zu der
Gallier nachtheil aus: das blatt hatte sich gewendet und ihrerseits
drangen die Römer 223 in Gallien ein, das sie endlich zu Caesars zeit
fast unterjochten. Die blute der gallischen macht wird in das sechste
fünfte und vierte jh. vor Chr. fallen, also dem gipfel der römischen 165
noch vorausgehn: um diese zeit hatten die Gallier strecken Germa-
niens, Oberitaliens, Spaniens in besitz ; die beiden letzten jhh. vor unsrer
Zeitrechnung sehen wie sie geschwächt, auf einer seite den Römern,
auf der andern den Germanen erliegend. Deutsche wie Römer trieb
es sich nach westen und nordwesten auszudehnen; was übrig blieb
von Galliern konnte, gleichsam ins meer gedrängt, nur an der äuszer-
sten küste, auf der britannischen und hibernischen insel geborgen
werden, hier dauern, für die Sprachforschung günstig, zwei verwandte,
bedeutend abweichende dialecte fort, der welsche und irische, die von
* extremi hominum Morini. Virg. Aen. 8, 727; ut Menapios et Morinos
et extrema Galliarum quateret. Tac. hist. 4, 28 ; ultimi gallicarum gentium
Morini. P. Mela.
** vgl. Plutarchs Camillus 15, 16.
8*
116 EINWANDERUNG
früh auf geschieden gewesen sein müssen. Ob der an armorischer
küste in Bretagne ansässige rest der Gallier, dessen mundart jener
welschen nahe steht, immer auf festem lande gehaftet habe oder
dorthin von der insel wieder eingezogen sei? kann ungewis scheinen;
da alle Völkerbewegung vorwärts, nicht zurück schreitet, trete ich
lieber der ersten ansieht bei.
Solche zweifei fanden schon vor alters räum und unsre frühsten
berichterstatter über gallische Völkerschaften durchschauten das Ver-
hältnis nicht, es ist mir wichtig hier die stellen Caesars und Tacitus
auszuheben. Caesar, der das vordringen germanischer Sueven in
Gallien selbst erlebte, aber noch Helvetier, Bojen und Tectosagen auf
germanischem boden jenseits wüste, deutet sich diese östlichen Gallier
folgendermaszen 6, 24: ac fuit antea tempus quum Germanos Galli
virtute superarent et ultro bella inferrent, ac propter hominum multi-
tudinem agrique inopiam trans Rhenum colonias mitterent. itaque ea,
quae fertilissima sunt, Germaniae loca circum Hercyniam silvam
Volcae Tectosages oecuparunt atque ibi concederunt. quae gens ad
hoc tempus iis sedibus se continet, summamque habet justitiae et bel-
licae laudis opinionem, nuneque in eadem egestate patientia, qua Ger-
mani permanent, eodem victu et eultu corporis utuntur. Gallis autem
provinciae propinquitas et transmarinarum rerum notitia multa ad
166 copiam atque usus largitur. paullatim assuefacti superari multisque
victi proeliis ne se quidem ipsi cum Ulis virtute comparant. Diese worte
im äuge hat Tacitus Germ. 28: validiores olim Gallorum res fuisse
summus auetorum divus Julius tradit, eoque credibile est etiam Gallos
in Germaniam transgressos. quantulum enim amnis obstabat, quo
minus ut quaeque gens. evaluerat oecuparet permutaretque sedes
promiscuas adhuc et nulla regnorum potentia divisas? igitur inter
Hercyniam silvam Rhenumque et Moenum amnes Helvetii, ulteriora
Boji, gallica utraque gens, tenuere. manet adhuc Boihemi nomen
signatque loci veterem memoriam, quamvis mutatis eultoribus. sed
utrum Aravisci in Pannoniam ab Osis Germanorum natione, an Osi ab
Araviscis in Germaniam commigraverint, quum eodem adhuc sermone
institutis moribus utantur, incertum est. In der volksage bei Livius wie
in Caesars nachrichten hat jene annähme von siegreichen zügen alter
Gallier auf den germanischen boden wenig für und alles gegen sich.
Wie sollten die östlichen Helvetier, die nordischen Bojen schon im
eigentlichen Gallien sitz gefaszt und ihren rücklauf über den Rhein
genommen haben? naturgemäsz war, dasz alle Gallier auf ihrem zug
gegen westen vorher das ganze Donau und Rheingebiet inne hatten, und
als ihre grosze masse den letzten ström überschritt, ihre hintersten
stamme noch jenseits hausten; so geschah es, dasz theile der Bojen
und Helvetier zurück blieben, bis auch sie deutschem andrang erlagen,
aus Böhmen wichen die Bojen nach Baiern, aus der Maingegend die
Helvetier nach der Schweiz gegen den hauptstock ihres volks: beide
flüchteten südwärts, immer aber von deutschen Völkern erreicht und
endlich aufgerieben; der bojische name haftete in zwei gebieten, die
EINWANDERUNG % 117
slavischen Tschechen und deutschen Markomannen zufielen.* Dem
hercynischen wald heiszt es gewaltige ausdehnung geben, wenn man
noch in seinen östlichen räum jene Tectosagen unterbringen will; 167
Zeusz meint s. 171, sie seien von Pannonien aus über die Donau in
Umgebungen der östlichen germanischen waldhöhen eingezogen: aber
wie gelangt waren sie nach Pannonien? Livius 38, 16 läszt bald nach
des Brennus zug Tectosagen über Illyrien tief nach Asien vorbrechen,
Polybius hat sie im südlichen Gallien an der Garumna, Ptolemaeus
gar im asiatischen Skythien. Mag sich schon Tacitus, jener Tectosagen
geschweigend, nicht über Ösen und Aravisker entscheiden, deren spräche
und lebensart ihm einstimmig deutsch erscheint; wie musz die Un-
sicherheit steigen bei fernentlegnen Völkerschaften, die in griechi-
scher berichterstattung unter den namen von Kelten oder Galatern
auftreten, von deren spräche, welche hier allein aufschlusz bringen
könnte, wir nichts wissen. Über allen Verhältnissen dieser illyrischen
makedonischen thrakischen skythischen asiatischen Kelten schwebt un-
durchdringliches dunkel, waren sie wirklich eines volks mit den west-
lichen, so mögen sie eher im osten verharrt, als vom westen aus dahin
zurückgewandert sein; das stimmt auch wie wir sehn werden mit dem
vordringen und dahintenbleiben einzelner germanischen stamme.
Die geschichte der Deutschen, die das vierte in Europa vor-
rückende volk bilden, pflegt man mit des Pytheas meidungen zu be-
ginnen, der zu Alexanders des groszen zeit an Britannien vorüber nach
Thule und an die ostseeküste gereist sein soll, wo er Guttonen, Teu-
tonen und Ostyaeer traf, so ungünstig Polybius, Artemidorus und
Strabo von seiner glaubhaftigkeit urtheilen, vereinbaren doch diese
östlichen Völker sich mit den Teutonen, Gothonen und Aestiern des
Tacitus, ja mit den Guten und Daukionen des Ptolemaeus auf der insel
Scandia. 113—102 vor Chr. ziehen sodann Cimbern und Teutonen
von der nördlichen halbinsel den Rhein entlang haufenweise über die
alpen**, Gallien wie Rom in schrecken setzend; es war das erste 168
vorbild der Römerzüge, die aus Deutschland unser ganzes mittelalter
hindurch nach Welschland geschahen, unterwegs musten sie schon mit
andern germanischen stammen in Verbindung gewesen sein, da unmög-
lich anzunehmen ist, dasz die menge germanischer Völker, welche fünfzig
jähre nachher zu Caesars tagen das Tand jenseit des Rheins erfüllt und
allen folgenden berichterstattern seszhaft daselbst erscheint, erst nach
dem cimbrischen zug vorgedrungen sei. von einer ankunft der Deut-
schen überhaupt weisz Tacitus nichts, sondern setzt sie in ihren land-
strichen als eingeboren von jeher wohnend voraus: welch wander-
lustiges volk, sagt er, habe wol aus Asien, Africa oder Italien über
* in der Zusammenstellung Boihemum ist mindestens hemum deutsch, so
wurde der deutsche volksnameAestier zuletzt einem finnischen stamm über-
wiesen.
** äansQ vtyog ipneooier TaXaxia xal ^IxaXla. Plut. Marius 11, 5.
mit demselben bild heiszt es in der kaiserchronik (cod. pal. 361, 88d): si
sigen zuo sam diu wolchen über Monteiöh, hei wie daz her darüber zöh!
118 EINWANDERUNG
das schauerliche meer nach dem rauhen Germanien schiffen mögen, wo
nur der heimische es aushalte? offenbar musten die Deutschen da
schon so lange niedergesessen sein, dasz bereits alle künde von ihrem
einzug verschollen war und nicht mehr zu des Kömers ohr gelangte;
blosz ihr weiteres vordringen über den Rhein gemeldet wurde damals.
Ich zweifle nicht, dasz unter deutschen und gallischen stammen
schon lange Jahrhunderte nachbarschaft und manigfacher verkehr statt-
fand, aus dem allein erklärlich wird, wie einzelne deutsche Wörter und
gebrauche durch die Gallier auch zu den Römern gelangten, bevor
diese in unmittelbare berührung mit den Deutschen selbst traten, auf
solche weise wurden jene Deutschen ambacti (s. 131) zu Rom und
dem Ennius bekannt: es ist glaublich, dasz reiche Gallier germanische
diener um sich versammelten, wie hernach die Römer deutsches ge-
folge unterhielten ; ich werde gelegenheit haben noch andere deutsche
ausdrücke beizubringen, die so früh zu den Römern drangen, das
geschrei der Gallier über deutsche Wildheit vor Römern, deren bei-
stand gegen Ariovist sie nachsuchten, kann man sich leicht auslegen.
Wie nun zwischen den bis zum Rhein sich erstreckenden, diesen
ström schon überschreitenden Germanen und den Galliern musz ein
gleich starker verkehr eingetreten sein zwischen östlichen Germanen,
169 welche die Donaugegend inne hatten, von da sich nordwärts bis zur
ostsee dehnten, und in ihrem rücken hausenden thrakischen, sarma-
tischen Völkern, ja, weil wir sahen, dasz einzelne gallische stamme
eine Zeitlang mitten in Germanien fortdauerten, wird nicht weiter gegen
osten bis zum auslauf der Donau und noch tiefer hinten von deutschen
Völkern die rede sein dürfen, die ihren früher dort eingenommnen sitz
behaupteten? die Wanderung ergieng nirgends auf einmal, ohne dasz
häufen und abtheilungen einzelner Völker zurückblieben, wer ein äuge
hat für diese Verhältnisse kann nicht tadeln, dasz dakische, getische,
thrakische und selbst skythische Völkerschaften unter gesichtspunkte
gestellt werden, die den abgelegnen Römern entgiengen; unsre älteste
geschichte hat dabei nur zu gewinnen und was ihr abgerissen wurde
zu erobern, dem unwandelbaren naturgesetz groszer Völkerbewegungen
angemessen scheint es, sie langsam von morgen gegen abend vor-
schreiten zu lassen und alle dauernden rückgänge abzulehnen, wie
keine Gallier über den Rhein setzend deutschen grund und boden, den
sie bereits verlassen hatten, neu bewältigten, eben so wenig sind Go-
then, obwol es die sage lügt, von Scandinavien aus zur Weichsel und
an die Donaugestade hinterwärts gedrungen; durch die Geten aber
könnte der deutsche name weit über die zeit der ankunft in unserm
jetzigen Vaterland hinauf geleitet werden, ergossen sich deutsche
stamme noch viel später nach Gallien, Britannien, Italien; Spanien und
Africa, so werden auch früher pannonische, thrakische und skythische
landstriche in ihrer gewalt gewesen sein. Die bisher gültige critik
suchte sich weder über ankunft und einzug der Germanen in Deutsch-
land eine befriedigende Vorstellung zu bilden, noch den thrakischen
und skythischen einflusz auf die geschicke Europas zu würdigen.
EINWANDERUNG 119
Für das fünfte europäische volk sehe ich die Litthauer an, , deren
die geschichte fast geschweigt, denen aber ihre kostbare spräche ge-
währ leistet, dicht an der ostseeküste von der Weichsel bis zur
Düna, seitwärts zur Wilna hin durch Preuszen, Samogitien, Kurland
und Liefland strecken sich die überbleibsei einer Völkerschaft, die
niemals einflusz auf die weltbegebenheiten gewonnen, sich stets unter 170
dem druck mächtigerer nachbarn befunden hat. Ihre spräche steht
in drei zweigen bedeutsam von einander ab; darunter ist der alt-
preuszische ganz ausgestorben, nur aus einem einzigen denkmal spär-
lich zu erkennen, der litthauische lebt in Ostpreuszen und Samogitien,
dort reiner, hier mit polnischen Wörtern vermengt, der lettische in
Kurland und Liefland : aus diesen Verschiedenheiten zieht die Sprach-
forschung nur gewinn, alterthümlich und formreich erscheint zumal
der litthauische dialect im engeren sinn, kaum eine andere spräche
in Europa steht dem sanskrit näher, auszerdem findet grosze ähnlich-
keit mit der deutschen und slavischen zunge statt, diese beiden wer-
den durch die litthauische gewissermaszen vermittelt, was nur nicht
so aufzufassen ist, als sei das litthauische, wie man früher wol ange-
nommen hat, aus ihnen gemischt worden, da es vielmehr selbständige
eigen thümlichkeit besitzt, die nur an deutsche und slavische rührt,
ebensowenig aber haben die slavische und deutsche spräche ihre urver-
wandten bestandtheile aus der litthauischen entlehnt, sondern zwischen
allen dreien waltet warme in der geschichte der europäischen spra-
chen höchst folgenreich dastehende gemeinschaft ob. wahrscheinlich
hatte auch die getische spräche einen nicht zu übersehenden ver-
band mit der litthauischen; es ist ungemein merkwürdig, dasz der
preuszische Litthauer den polnischen, d. h. den Samogeten Gudas oder
Guddas nennt, unserm mittelalter hiesz er Sanierte, woraus nach-
her Schamaite entsprang, was sich alles zurückführt auf Samogeta.
Schon dieser, wie mich dünkt, erweisliche haft zwischen Lit-
thauern und Geten zwingt, auch ohne andre historische Zeugnisse, den
aufenthalt der litthauischen stamme in der gegend, wo sie jetzt woh-
nen, sehr früher zeit zu überweisen, sie scheinen durchaus nicht
später als Deutsche und Slaven, welchen sie stets benachbart waren,
in Europa, also schon lange vor dem beginn unsrer Zeitrechnung an
ihrer stelle angelangt ; ihre abgeschiedenheit, bei geringer anzahl, hat
ihnen feste dauer gegönnt : erst in der späteren polnischen geschichte
gieng ein litthauisches herzogthum unter, litthauisches heidenthum 171
musz vorzüglich aus samogitischen Überlieferungen erforscht werden.
In weit ansehnlicherer breite und ausdehnung, wie sie wenig
andern auf dem erdboden zu theil ward, hat sich das slavische volk
entfaltet, und bildet den sechsten sprachstamm, dessen denkmäler
und Verzweigungen die reichste ausbeute darreichen.
So spät Slaven in der geschichte eingezeichnet sind (denn sie
werden zuerst bei Iornandes und Procop mit gothischen, bei den
annalisten hernach mit fränkischen handeln verflochten), läszt das
nahe Verhältnis ihrer spräche zur deutschen und litthauischen gar
!20 EINWANDERUNG
nicht bezweifeln, dasz sie ungefähr gleichzeitig mit diesen nachbarn
auf dem platz waren und bereits weite strecken erfüllten, eine so
kräftige masse kann weder später auf einmal vorgerückt sein noch
sich anders als in gemächlicher weile überaus fruchtbar entfaltet haben.
Ihren gesamtnamen der Slaven hatten diese Völker damals so
wenig empfangen, als die Germanen den der Deutschen ; unsern vor-
fahren aber hieszen sie Winden, Wenden (ahd. Winidä, ags. Veonodas)
und unter dieser benennung Veneti wurden sie auch den Römern auf
einzelnen puncten bekannt, gerade wie die Römer die Finnen mit einem
unter dem volk selbst ungewöhnlichen deutschen namen kennen lern-
ten. Dies alles dargelegt hat Schafarik, der dem namen Winden für
sein volk wolbefugt einen andern einheimischen an hohem alter gleich
stellt, den schon bei Plinius 6, 7 unter den maeotischen Völkern er-
wähnten namen Serbi, bei Ptolemaeus Sirbi, wie er noch heute für
zwei entlegne slavische stamme, Sorben und Serben, fortbesteht *. nur
darin scheint mir der gründliche forscher fehl zu treten, dasz er jetzt
die früher von ihm selbst erkannte identität der Serben und Sarmaten
leugnet und für den ausdruck Srb die vage wurzel su (generare) aus
172 dem sanskrit herholt, welche mutter eines jeden mit diesen buchsta-
ben anlautenden worts werden könnte, nichts aber ist natürlicher,
als dasz unmittelbar im rücken der Germanen hausende Sarmaten, bei
Alfred Sermende**, den Griechen Sauromaten genannt, die grundlage
des sla vischen volks bilden; durch ihre wegnähme würde den Slaven
ein anhält in der älteren geschichte entzogen, wie man ihn den Deut-
schen durch das verkennen ihrer Verwandtschaft mit den Geten ent-
rissen hat und das plötzliche verschwinden beider, der Sarmaten wie
der Geten, bliebe gleich unerklärlich, den Übergang der buchstaben
SRB in SRM rechtfertigen eine menge ähnlicher***, und das heutige
Sirmien (Srijem, Srem) in Serbien, lat. Sirmium zeugt dafür f ; Diodors
meidung vom auszug der Sauromaten aus Medien über den Tanais um
633—605 vor Chr. (2, 43) behält ihren vollen werth, ohne dasz von-
nöthen wäre weder alle Sarmaten daher zu leiten, noch der slavischen
spräche einen näheren bezug auf medische zu geben, als er schon
aus der Urverwandtschaft mit medischen und persischen Völkern folgt,
die frühe rührigkeit der Slaven bewährt hier Diodor so willkommen,
als die der Deutschen Herodots nachricht von den Geten. sarmatische
* darf man statt der bei Strabo 290 neben Butonen undMugilonen genann-
tenSißivoijmitma,szeii2tQßivoi? deuten sich Mugilonen aus sl.mogila, hügel?
** wie Dalemense, Daleminzi = Dalmatae.
*** bair. alm für alb; läpp, zhialbme, tjalmi oculus, finn. silmä. wahr-
scheinlich skr. sarpa, sl. tscherv, lat. serpens mit vermis für cvermis, goth.
vaurms f. hvaurms, skr. krimi verwandt.
t noch die altböhm. mater verborum übersetzt Sarmatae durch zirbi (=
sirbi). Sträubtman sich aber wider die gl eichstellung von Serben und Sarmaten,
so wird eine andere naheliegende deutung des letzten namens noch weniger ge-
fallen, den Litthauern ist sarmata dedecus, was dem böhm. sramata, poln.sro-
mata genau entspricht, altsl. ist sramiti^i'TpgTrftj'pudore afiicere, undmitsram
hängt unser ahd. härm, ags. hearm genau zusammen, die litthauischen nachbarn
könnten nun in sehr früher zeit den Slaven diesen namen aufgehängt haben.
EINWANDERUNG 121
Wildheit angeblicher sittigung und milde der Slaven entgegenzusetzen
scheint mir unrathsam, da noch die jüngeren Slaven an kriegerischem,
rohem sinn den Germanen nirgend nachstehn.* Utzoqol, nach Pro- 173
cop de bell. goth. 3, 14 alter gesamtname aller Slaven, und von ihm
önoQccöiqv di£ö7Cf]vr]^8V0L ausgelegt, soll versetztes Serpi Srbi sein;
wer das zend. SP für SV erwägt (apsa f. skr. asva, spenta f. sl.
svent), könnte andere deutungen vorschlagen.
Tacitus ist zweifelhaft, ob die in seiner Germania den schlusz
bildenden Peucini, Veneti und Fenni germanische oder slavische Völ-
ker seien ; wir sehn ihn hier wirklich auf der scheide zwischen Deut-
schen, Slaven und Finnen angelangt, doch Peucini als Bastarnae
sind ihm der spräche nach mit recht Deutsche: nur die Unreinheit
ihrer ehen scheint ihm undeutsch und sarmatisch. die räuberischen
Veneti in den Waldgebirgen zwischen Finnen und Peucinen hält er
deshalb für Germanen, weil sie schon in häusern wohnen, nicht auf
wagen wie die Sarmaten. Wenden und Serben, die wir für das nem-
liche volk erkennen, weichen ihm im stamm von einander ab; doch
die Verbrüderung der Sarmaten und Daken um diese zeit unter Dece-
balus läszt beide ungefähr auf gleiche stufe der bildung setzen und
den nomadenstand der Sarmaten mag Tacitus übertreiben.
Die Finnen sind der siebente sprachstamm, und da er noch heute
über den Ural in das nordöstliche Asien reicht, in Europa den äuszer-
sten norden besetzt hält, so musz er für mächtig und uralt gelten,
wahrscheinlich war er in Europa schon vor den Kelten eingezogen 174
und durch Kelten, Germanen und Slaven aus der mitte gegen norden
gedrängt worden; merkwürdige spuren finnischer spräche haften in
Scandinavien, aber ebenwol in andern deutschen mundarten, nament-
lich der gothischen und niederländischen, vermutlich auch in keltischer
zunge. zwischen lappischer und finnischer spräche waltet gröszerer
unterschied, als zwischen litthauischer und lettischer oder welscher
und irischer: näher den Finnen als den Lappen stehn Tscheremissen,
Syriänen, Morduinen, Ostiaken, Votiaken, und was in der ungrischen
finnischer spräche gehört, trägt sie am weitesten südwärts. Der ganze
grammatische bau dieser sprachen steht aber von der sechs übrigen
Urgemeinschaft so wesentlich ab, dasz man schon darum nicht zaudern
darf jene einer früheren in undenkliche vorzeit reichenden einwanderung
aus Asien, mit dem sie noch immer in verband bleiben, zuzuschreiben.
* man würde die slavicität der Sarmaten auch wider willen nachgeben
müssen, wenn sich ein in Lucians Toxaris 40 bewahrtes sarmatisches wort
als slavisch rechtfertigen liesze. nemlich ein Skythe, der den Sauromaten
in die hände fällt, ruft alsbald zirin aus (ißoct xbv "QIqlv), welches etwa
unserm gnade oder Schonung (pardon) entsprechen mag; auf solchen ruf
tödten die Sauromaten den wehrlosen feind nicht, sondern gestatten aus-
lösung : diese nannte man {(jlsto) tygiv tJxslv, mit dem gnaderuf gekommen
sein, könnte ^Iqiq zu zrjeti, böhm. zfjti und zjrati gehören, was videre
bedeutet, aber gleich unserm schauen und warten in cavere und tueri über-
geht? ziris wäre schütz, gnade, wie die Böhmen sagen: oci w chudeho zfie,
oculi in pauperem respiciunt, ps. 10, 4, d. h. mitleidig, erbarmend.
122 EINWANDERUNG
Der name Finnen wurde diesen Völkern schon im hohen alter-
thum, wie Tacitus lehrt, von den Deutschen ertheilt (bekanntlich
heiszen in altn. sagen auch die Lappen Finnar), und die benennung
eines damals noch germanischen volks, der Aestier, gieng im verfolg
der zeit auf das finnische der Esten über. Sein land und volk heiszt
der Finne Suome, der Lappe Sabme; Suomalainen bezeichnet den Fin-
nen, Sabmelats Sabmeladzh den Lappen. Schweden nennt der Finne
Ruotsi, der Lappe Ruotti, Deutschland der Finne Saksa, Ruszland
Venäjä, worin jenes Wendenland anklingt; Slaven heiszt der Finne
Tschud. merkwürdig dasz der Finne für Lappland Pohja, wie der
Lappe für Norwegen Vuodn gebraucht: beide namen sind das nem-
liche und bedeuten fundus (schwed. bottn, boden). es läszt sich nach-
weisen, wie der name Finnar und Qvenir ursprünglich auch der-
selbe sei.
Von den Iberern, die gleich den Finnen in Europa vorangiengen
und den achten stamm bilden, ist bis auf die baskische spräche alles
erloschen; sie müssen aber in frühster vorzeit auf italische und kel-
tische Völker, wie schon der name Keltiberer zeigt, vielfach einge-
wirkt haben.
175 Auf Thraker und Skythen, oder den neunten und zehnten volk-
stamm Europas werde ich alsbald ausführlicher zu sprechen kommen,
hier schliesze ich die gewonnene Übersicht aller einwand erungen mit
dem anhang, dasz sie auf der meersküste immer rascher vorzuschrei-
ten scheinen, als im innern des landes, wie eine überströmende flut
schnell die Seiten, hernach erst die mitte erreicht. So erblicken wir
bereits zur Römerzeit germanische Friesen und Bataver westlich vor-
gedrungen, früher Guttonen und Teutonen, endlich Slaven über Pom-
mern nach Meklenburg und Holstein, während inmitten der länder
einheimische kerne der Gallier und Germanen längeren widerstand
leisteten.
IX.
THRAKER UND GETEN.
Den Griechen nordwärts über den Hämus nach der Donau und 176
zum schwarzen meer dehnte sich Thrakien, sie pflegten aus nord-
westen her wehenden wind &qcc6xIcc2 zu nennen*, mit ihrem frühsten
alterthum war thrakisches eng verwachsen: es ist schwer zu sagen,
ob die Griechen bei ihrer ankunft schon thrakische stamme vorfan-
den, oder diese, wie mir wahrscheinlicher wird, ihnen unmittelbar
nachrückten. Bereits Homer gedenkt der Thraker und Herodot 5, 3
sagt sogar: QqtjUov da z&vog {leycöTov kört, ^istd ys 'Ivdovg nccv-
x(ov uv&QC07tcov, es mnsz sich also vormals viel tiefer nach osten er-
streckt**, im lauf der zeit zusammengezogen haben, den Griechen
mag lebensart und spräche der Thraker, schon ihrer nachbarschaft
wegen, und weil einzelne derselben als knechte oder fremdlinge in
Griechenland auftraten, bekannt gewesen sein, weiter ab lagen ihnen
die Römer, Plinius 4,11 die einzelnen thrakischen Völker herzählend,
beginnt: Thracia sequitur inter validissimas Europae gentes, in stra- 177
tegias quinquaginta divisa. Als sich römische herschaft in Ulyrien,
Makedonien und Thrakien gefestigt hatte, konnte es auch den Römern
nicht an gelegenheit fehlen, über die thrakischen Verhältnisse eigne
künde einzuziehen, wie hätte, seit den dakischen kriegen, diese sich
nicht noch erweitern sollen?
Die Griechen, bevor sie den Römern unterwürfig wurden, wüsten
fast noch nichts von den Deutschen und diese verschmolzen ihnen
unter dem namen der Galater mit den Kelten. Römern dagegen, welche
Gallier von Germanen zu scheiden gelernt hatten, konnte auch ein ab-
stand germanischer von thrakischer spräche kaum verborgen bleiben.
* wie andere Völker winde nach der gegend des landes, woher sie
streifen : ein wint von Barbarie wset, der ander von Türkie, heiszt es beim
Tanhüser MS. 2, 68b. Auch nachtigall und schwalbe fliegen den Griechen
aus Thrakien zu, Babr. 12, 8 sagt die eine zur andern:
Ttgcürov ßiina> os arjßEQov [isra 0Quxrjv.
** Herodot 1, 28. 3, 90. 7, 75 kennt natürlich noch in Asien Thraker.
124 GETEN
sie hatten krieger und gefangne von allen solchen Völkern in Rom
vor äugen.
Hinten an die östlichen Germanen, wie sie zur Römerzeit des
ersten Jahrhunderts nach Chr. bestanden, da wo die Donau als Ister
den letzten theil ihres laufs zurücklegt, in dem heutigen Siebenbür-
gen, der Moldau und Walachei, stieszen Daken und Geten. beide
dürfen für nahverwandte stamme fast eines einzigen volks gelten,
das vorzugsweise Griechen das getische hiesz, Römern das dakische.
Tacitus mag sich die Daken etwa als nachbarn der Quaden denken,
Strabo stellt Geten dicht an Sueven. gleich zu eingang seines werks
drückt sich jener so aus : Germania omnis a Sarmatis Dacisque mutuo
metu aut montibus separatur; auch hist. 4, 54 verknüpft er Sar-
matis Dacisque, und Agric. 41 stehn Moesia Daciaque et Germania
et Pannonia neben einander, der ältere Strabo aber sagt 290 von
Sueven und Semnonen redend: jtlrjv xd ye xdv Uoqßav e&vt], xa
{ilv evxbg (ßxEi, xa de ixxog xov dgvjxov, opoga xolg Texaig' pkyi-
Gtov fisv xb xcjv Uotfßav e&vog, und nochmals 294: xb de voxiov
(xegog xrjg regpavtag, xb itegav xov "Akßiog, tb {ihv öuw^S ccK^irjv
vnb xcov Uorjßcov xaxe%exai. evt ev&vg r\ xcov rexav öwanxei yrj,
xcct dgyag {iev öxevrj, Ttagaxexa^ievfj xco "Iöxgop natu tb votiov fie-
gog. xata de xovvavxlov, ty nagogia xov fEgxwiov dgv^tov, [iegog
xi ycal avxrj xcov ogoov xaxe%ov6a, elta Ttlaxvvexai Ttgbg tag agxxovg
[iexQL Tvgtyetcjv xovg de ctKQißelg ögovg ovk e%0{iev tpgdtßiv. ge-
178naue nordgrenze kannte er nicht, zwischen Geten und Daken gibt
er s. 304 folgende scheide: rhag {iev tovg %gbg tov Ilovtov xexAt-
Hkvovg %a\ 7tgbg xfjv eco. jddxovg de tovg üg xavavxia %gbg reg-
liaviuv yial tag tov "Iöxgov %r\ydg und s. 313 heiszt es: xavxa o
eöxl xd ovve%rj xjj 'IxaMa te Kai raig "Afateöi , neu regf-iavolg nal
Adnoig, xcel Pexaig.
Beide Schriftsteller halten also diese Völker zwar für nachbarn
der Germanen, nicht selbst für Germanen, noch entscheidender
scheint, dasz ihnen Strabo ausdrücklich thrakischen Ursprung, thra-
kische spräche beimiszt. nicht allein sagt er s. 305 b[ioylG)xxoi* ö'
elölv ol Aämi tolg rktaig, woran niemand zweifeln wird, sondern
ein blatt vorher s. 304 hiesz es: exi yag ecp' rffiojv yovv AXhog Kdtog
aexopmöev Ix xfjg negalag tov "Iöxgov %evte pvgiadag öo^atwv naga
tav rezcjv, o^oyloSxxov xolg ®ga$v e&vovg, elg xrjv @gdmjv xal
vvv oYkovölv avxo&t, Moiöol xahov[ievoL in dieser stelle, wenn man
ihre absieht erwägt, liegt ihm daran zu widerlegen, dasz in Thrakien
keine Myser seien: Aelius Catus (unter August) habe über die Donau
50000 Geten nach Thrakien geführt, die nun daselbst wohnen und Myser
heiszen; über die Donau waren sie nach Moesien gewandert, wo die
späteren Moesogothen hausten, da diese lauter altgetische landstriche
sind, so versteht sich von selbst, dasz kein sprachunterschied stattfand
und diese übergeführten einwohner in Moesien ihre angeborne spräche
* ahd. samararte, folglich goth. samarazdai.
GETEN 125
behielten, die Strabo der thrakischen für gleich achtet, wir wissen lei-
der nicht, welche ansieht Dio Chrysostomus hatte, der die Geten aus
eigner anschauung kannte, kein römischer schriftsteiler des ersten
oder zweiten jh. hat in den Geten etwas anders als einen thrakischen
volkstamm gesehen.
Es scheint darum vermessen, dasz ich in ihnen deutsche Gothen
ahne und dasz in dämmernder nacht unseres alterthums mir die
Geten als ein weiszer stein entgegen schimmern.
Ich will mit dem anheben, was sich zuerst aufdrängt, mit dem
getischen namen. nach dem verhalten der laute zwischen griechischer
lateinischer und deutscher spräche stimmt Tkrai Getae zu unserm.179
Gupai oder Gupans, welche germanische namensform die Gothi und
Gothones römischer Schriftsteller von Tacitus an folgern lassen, in
das römische ohr über den Rhein drang nemlich der name des öst-
lichsten germanischen volks nur lautverschoben und mit dem tiefen
statt des hellen vocals; diese bedeutende Verschiedenheit der klänge
darf in anschlag gebracht werden, um zu begreifen, dasz die Römer
nicht darauf verfielen, solche Gothen an die ihnen von andrer Seite
her bekannten Geten zu halten, ich musz hier einen einwand, der
sich gegen die richtigkeit des namens Gothi oder GuJ>ai erheben könnte,
noch bei seite lassen und werde im verfolg darauf zurückkehren,
angenommen dasz Tacitus, wie er sonst pflegt, die deutschen laute
treu wiedergibt und dasz bei ihm Gothones (nicht Gotones) gelesen
werden musz, was durch die später allgemein übliche Schreibung Gothi
und bei Griechen Föx%oi bestätigt wird; so erscheint dies TH wie
im goth. mij) vipra ra|)jö apn anjjar tunpus gulp bröpar: [letd iterum
ratio trog ettQog dens zlato frater. gleich gern, obschon nicht noth-
wendig zeigt die deutsche spräche U oder 0 statt des E oder I der
gr. und lat., z. b. in ]mk pus us fruma un- kuni muns tunpus hund
tuggö faur vaurms: te tibi ex primus in- ykvog genus mens dens
centum dingua Tiaga vermis.
Zwar, scheint es, sollte man auch im anlaut verschobnes KuJ)ai
erwarten wie Kreks für Graecus (ahd. Chriah) gesagt wurde, volks-
namen pflegen sich aber oft der lautverschiebung des übrigen wort-
vorrats zu entziehen, aus demselben grund, der den eigennamen ins-
gemein auch sonst alterthümliche laute und formen sichert. Ulfilas
läszt z. b. die fremden Galatia, Galeilaia unverschoben und erst der
volksmäszige gebrauch erlaubt sich davon abzuweichen: diese bemer-
kung wird für das aufsuchen der wurzel unseres volksnamens wichtig ;
fallen Geta und Gupa zusammen, so darf auch zu letztem das lat.
getes in indigetes, das gr. ytxog in riqXvyztog = vrjksyovog gehalten
werden und Gu^a scheint weder mit gu]3 deus gemeinschaft zu haben,
noch mit göds bonus, deren beider G verschoben ist, d. h. dem gr. 180
X, lat. H entspricht.
Aus derselben Ursache würde zJccuog und Dacus, begegneten wir
ihm noch in goth. denkmälern, Dags geschrieben sein, weil auch in
diesem namen die uralte anlautende media ihr volles recht behält; der
126 GETEN
inlaut G hingegen steht zur gr. tenuis nach dem gesetz der Verschie-
bung, wie in Geta GuJ)a die inlaute T und TH fortgeschoben sind.
Dieser grammatische einklang beider namen Geta und Dacus
weckt das günstigste vorurtheil. es war höchst natürlich, dasz die
dem deutschen organ angemessene gestalt des namens der Gothen theils
in den meidungen der Römer auftauchte, theils im verlauf der zeit,
beim steigenden wachsthum der deutschen macht, sich überall geltend
machte und die ältere form Geta zuletzt verdrängte.
Gröszeres gewicht wird meiner ansieht die geographische und
historische betrachtung verleihen.
Die Gothen als sie später in der geschichte erscheinen werden
fast ganz an derselben stelle getroffen, wo zuletzt die Geten saszen,
in der Donaugegend und den nördlichen noch hereynischen Waldge-
birgen, die ihnen schon Strabo anweist. Zwar Tacitus nennt im nord-
osten Deutschlands hinter den Lygiern auch Gothones und legt ihnen
königthum, nicht die freie Verfassung der übrigen Germanen bei : trans
Lygios Gothones regnantur, paulo jam adduetius quam ceterae Ger-
manorum gentes, nondum tarnen supra libertatem. wie bei den alten
Geten wurzeln auch bei den Jüngern Gothen könige; es verschlägt
nichts, dasz sie, z. b. zur zeit des Ulfilas Athanarich und Fridigern,
judices heiszen. im jähr 19 nach Chr. tritt Catualda, einer ihrer edlen
Jünglinge in markomannische händel verflochten auf. Bei diesen Go-
thonen musz dem Tacitus wirklich kein Zusammenhang mit den Geten
eingefallen sein, weil es zu nahe gelegen hätte, darüber etwas anzu-
merken ; aber ihm vorzugsweise war der begrif und name Germaniens
181 von Gallien her ausgegangen und das wenige, was er über die abge-
legnen Gothonen in erfahrung brachte, ihm aus dem bericht rheini-
scher Germanen zugeflossen, während die eigentlichen Geten von der
Donauseite in Rom bekannt sein musten. man könnte auch einräumen,
dasz diese Gothonen ein gen westen vorgerückter zweig der damaligen
Geten waren, so wie früher die von Pytheas wahrgenommnen Guttonen
am gestade der Ostsee vorsprang gewonnen hatten : den kern der Geten
gieng das noch nichts an. Nicht anders halte ich die dem Tacitus sogar
gallisch erscheinenden Gothinen wiederum für getische vordringlinge,
wie die [acad. abh. s. 22, Lobeck pathol. 194] aufgewiesne nebenform
retrjvoi beiArrian allein auszer zweifei setzt ; das keltische element mag
hierbloszer irrthumsein. Die deutschheit der von suevischen, quadischen,
bastarnischen nachbarn umgebnen Geten wird aber noch mehr bestärkt
durch Strabons Versicherung s. 305, dasz das getische reich von der
Römer macht bedrängt durch germanische bundesgenossen Unterstützung
empfieng. schon bevor sie eines gesamtnamens theilhaft waren wohnte
deutschen stammen dies gefühl ihrer gemeinschaft bei, und an fremde
wäre die hilfe nicht verschwendet worden, sollten umgekehrt nicht
auch in des Maroboduus herschaft und kriege gothische d. i. getische
bundesgenossen geflochten gewesen sein? dem Domitian weigerten sich
die Quaden und Markomannen des mitzugs gegen die Daken (Dio Cass.
67, 7). Wie, das kriegerische, an der Donau her einziehende volk
GETEN 127
der Deutschen hätte den auslauf des mächtigen stroms ins meer
fremden händen überlassen?
Trajans sieg über die Daken fällt ins j. 105 unsrer Zeitrechnung,
Eutropius 8, 6 sagt: Trajanus victa Dacia ex toto orbe romano infi-
nitas eo copias hominum transtulerat ad agros et urbes colendas. Dacia
enim diuturno hello Decebali viris fuit exhausta; die getische bevöl-
kerung mochte geschwächt sein, ausgerottet war sie nicht und über
das eigentliche Dacien hinaus noch weniger vertilgt, aber durch
diese römischen colonnen mag sich damals die lateinische spräche
festgesetzt haben und grundlage des dort bis auf heute fortlebenden 182
walachischen idioms geworden sein*, im nordosten und nordwesten
Getenlands muste sich daneben deutsche zunge in kraft erhalten.
Jul. Capitolinus in Pio cap. 5 läszt zur zeit des Antoninus Pius, im
dritten oder vierten zehnt des zweiten jh. Germanen und Daken sich
empören: Germanos et Dacos et multas gentes atque Judaeos rebel-
lantes contudit per praesides ac legatos. von da an bis zum j. 166.
167, wo Astinge, d. h. unbestreitbare Gothen an der dakischen grenze
einrücken, ist nicht einmal ein sprung, und unbefangnem blick der
Geten fortdauer in den Gothen fast erwiesen. Wie im räum lassen
sich auch in der zeit Geten und Gothen nicht von einander reiszen:
weder schwinden jene an der stelle und in der zeit, wo diese auf-
treten, noch treten diese als neulinge auf da wo und seitdem jene
schwinden, es wäre der unbegreiflichste zufall, dasz zwei gleichnamige
Völker sich unmittelbar in derselben gegend folgen sollten, ohne
etwas mit einander gemein zu haben, das aufhören der Geten schiene
kein geringeres räthsel** als das anheben der Gothen.
Weiter anzuschlagen für ihre identität bleibt der spätere Sprach-
gebrauch und die ausdrückliche ansieht der dichter und Schriftsteller,
welche beide Völker in namen und Ursprung gleichsetzt. Schlug man
dem Caracalla den beinamen Geticus vor, so konnte ein halbes jh.
nachher dem Marcus Aurelius Claudius schon besser gefallen Gothicus
zu heiszen (auf münzen bei Eckhel 7, 472) und nun gar Justinian
zu seinen tagen durfte blosz letzteren namen wählen, es heiszt dem
4. 5. 6. jh. und den anfangen der einheimischen geschichte allen tact
absprechen, wenn man sie hierin immerfort des irrthums zeiht. In
Julians synconiov slg xbv avtOKQcevoQa Kwvözavtiov (orat. 1 ed.
Spanh. p. 9) liest man: 6 ös trjv 7tQog xovg rkag rj^ilv elQrjvrjv
nccQSöutvaöev aöyalij, der officielle lobredner nennt Geten, die, wenn 183
unsre gewöhnliche meinung recht hat, gar keine mehr waren. Clau-
dian, der doch die einfalle wirklicher Gothen darstellt, verleiht ihnen
beständig noch den namen Geten, während in prosa und seit die macht
der Deutschen aufsteigt, die deutsche namensform üblicher wird, aber
ganz dasselbe bezeichnet. Gar an der statte selbst, wo sie lebten,
musz sich doch eine künde von dem Zusammenhang der älteren und
* vgl. Massmanns libellus aurarius p. 99.
** denn mit des Aelius Catus Überführung der Geten nach Moesien wird
es so wenig gelöst als mit dem Untergang der Daken seit Trajans sieg.
128 GETEN
jüngeren stamme fortgepflanzt haben, den kein Zwischenraum einiger
Jahrhunderte so schnell tilgt, ich getraue mir zu wetten, dasz unser
unsterblicher Ulfilas, dem die hälfte seines thätigen lebens auf thraki-
schem, altgetischem boden, am fusze des Hämus verstrich, bei seinem
verkehr mit Griechen und Eömern, oft die volksnamen Geten und
Gothen gleichbedeutig im munde geführt haben wird. Von Ulfilas, den
er Urfilas nennt, sagt Philostorgius in seiner um den beginn des 5. jh.
geschriebnen kirchengeschichte: ort Ovoy&av (prjöi Tiara, zovzovg
zovg %o6vovg In zav nhqav "Iözqov Ukv&cjv, oug ol nev ndXai
Fezag, ol de vvv Fozftovg xalovöt, Ttolvv dg 'Papulay diaßißdöai
labv, öl avöeßsiav an zcov olxalwv rj&cov aka&avTag, und bald dar-
auf: 6 zolvvv OvQ(pilag ovzog . . . ajtiöxojiog %aiqozovalzai zcov av
zfj retixrj %QL6Tiavi£6vzci>v*. Socrates scholasticus und Sozomenus,
die nicht lange nachher die kirchengeschichte behandeln und wieder
auf Ulfilas zu sprechen kommen, nennen sein volk nur F&cftoi, wie
auch Auxentius im lateinischen bericht von Ulfilas rgens Gothorum'
sagt, aber Orosius, Hieronymus, Augustinus verwenden die getische
benennung statt der gothischen, die gothischen geschichtschreiber
selbst, Cassiodor, Iornandes und Procop haben nicht vergessen, dasz
beiden ausdrücken gleicher sinn beiwohnt**, und blicken mit stolz
von den Gothen weiter rückwärts auf die Geten. Ennodius (f 521
zu Pavia) im panegyricus dictus regi Theoderico wechselt ab mit
geticum robur und Gothorum nobilissimus. Umgekehrt nimmt noch
184 später könig Alfred, nach des Orosius Vorgang, keinen anstand Gotan
zu nennen die unbezweifelt alte Geten waren : in jaaere tide J>e Gotan
of Scidda mägde vid Romanarice gevin upähöfon ; be eästan jjsem sind
Datia J>ä J>e iu vseron Gotan. Hätten sich des Dio Chrysostomus Getica
erhalten, sie würden uns zusammenhänge der Geten und Gothen viel-
leicht so beweisen, dasz alle zweifei verstummten; aus ihm schöpfte wol
Iornandes cap. 10 die worte: Philippus quoque pater Alexandri magni
cum Gothis amicitias copulans Medopam Gothilae (al. Medorum Gudilae)
filiam regis accepit uxorem, uttaliaffinitateroboratusMacedonumregna
firmaret. an den namen Medopa (Mezanfj ?) wage ich mich ungern ; der
könig Gupila klingt überaus gothisch. [Ki&rjXag 6 zcov &QaK(3v ßaödevg
aytovMtjöavAtheii&eTislS p. 557, wo auch dielesart Xo-O'jfAac. Gudila
Thrax, Procop. 3, 30. Sadala des Cotys söhn Caes. b. civ. 3, 4.] hatte
des Iornandes quelle rhr]Xa, was er verdeutscht? [vgl. Kotys s. 210.]
Ich bin fern davon dieser ansieht der späteren Jahrhunderte ent-
scheidenden werth beizumessen, aber auch bereit sie mitgelten zu
lassen', wo andere gründe reden; ebensowenig darf man sich allem
unterwerfen, was die classiker über die läge und Verwandtschaft der
Völker des alterthums ausgesprochen haben, wie manches, was ihnen
klar war, ist uns dunkel geworden und wie manches uns klare ihnen
dunkel geblieben, es sei nur an das ausgedehnte volk der ylovtoi
oder Lygier, das Strabo und Tacitus den Germanen beizählen, erinnert,
* Photii epitome Philostorgii H. E. 2, 5.
** vgl. meine academische abhandlung s. 20. 21.
GETEN 129
aus welchem heutige forscher Slaven machen wollen, oder an die
das Rheinufer bewohnenden Nemetes, worin man Kelten erblickt,
niemand wird aus Strabo folgern, dasz Skythien bis zum Rhein reiche,
demnach Germanien mitbegreife, wenn er einmal sagt 1} [iezcc^v xov
fPi)vov xal xov Tavd'Cdog jioxa[iov (s. 312); also brauchen auch
seine Tkxai o^öyleoxxoi Toig ®oa£i nicht nach aller strenge aufge-
faszt*, noch des Philo3torgius getische Skythen belächelt zu werden.
Nahe Verwandtschaft der Thraker und Geten scheint unleugbar, 185
dennoch bricht merkliche Verschiedenheit hervor zwischen beiden, schon
bei Herodot, der zu eingang des fünften buchs von den Thrakern
sprechen will, und bereits 4, 92 ff. auf die Geten gekommen war,
welche ihm (dorjMmv avÖQeioxaxoi xcci ötxaioxaxoi erscheinen, und
während er 5, 3 allen Thrakern einstimmige brauche zuschreibt, bil-
den ihm gleich die rkxai oi a&avaxitpvteg und einige ihrer nach-
barn ausnähme von dem groszen häufen der übrigen Thraker. Strabo
geht von den Germanen und Kimbern unmittelbar auf die Geten über
und behandelt sie im dritten cap. seines siebenten buchs so unverhält-
nismäszig ausführlich, dasz ihm von den andern Thrakern wenig zu
sagen übrig bleibt, sie ragten also auch in seinen quellen eigenthümlich
vor, und nicht anders Mela 2, 2, nachdem er angehoben hat: una
gens Thraces habitant, aliis aliisque praediti et nominibus et mori-
bus ; quidam feri sunt et ad mortem paratissimi, Getae utique, steht
gleich bei den Geten. Unter allen Thrakern sind aber die Geten die
nördlichsten, d. h. sie reichen unmittelbar an die Germanen, bilden
also fast ein gesondertes volk**, von dem später, wie wir sahen, wie-
der einzelne häufen über die Donau zurückgeführt wurden. Gesetzt
nun, die Thraker nehmen in der ganzen weltordnung den räum zwi-
schen Germanen und Griechen ein und vermitteln beide; so begriffe
sich, dasz wiederum zwischen Germanen und Thrakern die Geten in
der mitte halten, weicht doch selbst die gothische spräche von den
übrigen deutschen vielfach ab ; die Verschiedenheit getischer und ger-
manischer zungen könnte ein römisches ohr so getroffen haben, dasz ihm
darüber ihre gemeinschaft entgangen wäre? aller Wahrscheinlichkeit
nach drangen die meisten deutschen stamme am südlichen gestade des 186
Pontus durch Kleinasien in Europa vor, ein theil von ihnen konnte in
Thrakien haften, wenn es vielen anschein hat, dasz die falkenjagd über
* Cassius Dio 51, 22 erzählt, wie im j. 725 (28 vor Chr.) ein kämpf
zwischen Daken und Sueven in Rom zur schau gegeben wurde: £&q6ol
ngbq dXXriXovq AaxoL xs xal Sovrjßoi $iia%6aavxo, und fügt hinzu elal 6y
ovxoi fjtev KsXzoi, ixslvoi 6h 6fj Uxv&cu xqötiov xtvd. das ist tqötcov xiva
ganz richtig, als er aber ngdg zo dxQißig sprechen will, folgt nur, dasz
die Sueven über dem Rhein, die Daken zu beiden seiten des Ister wohn-
ten; keltische, germanische, thrakische, skythische spräche zu sondern fiel
ihm nicht ein. zweihundert jähre vor ihm hatte Strabo die Sueven als
nachbarn der Geten geschildert.
** ich weisz nicht aus welchem grund Ukert im anhang zu Skythien,
nicht bei Thrakien, das getische und dakische land abhandelt; aber es ge-
schieht mit gutem erfolg.
Grimm, geschickte der deutschen spräche. 9
] 30 GETEN
Thrakien sich weiter nach Europa verbreitete (s. 47), brachten sie
die Thraker alsbald mit in die neue heimat? oder schon vor ihnen
Germanen? oder kam sie beiden nach?
Frühste künde von den Geten empfangen wir durch Herodot,
der uns ihren sitz noch auf der rechten seite der Donau im eigent-
lichen Thrakien bezeichnet. Darius durchzog es auf einer heerfahrt
gegen die Skythen im j. 513 vor Chr.; nachdem er vom Bosporus
aus über den Tearus und Artiscus vorgedrungen war, Skyrmiaden
und Nipsaeer am salmidessischen meerbusen unterhalb Apollonia und
Mesembria ohne widerstand sich ergeben hatten, stiesz er auf jene
mannhaftesten und gerechtesten, sich für unsterblich haltenden Geten :
beiwörter von gewicht im munde stolzer Griechen, denen sonst alle
Thraker für barbaren galten. Fast hundert jähre nachher (429 vor
Chr.) weist den Geten dieselbe wohnstätte zwischen Haemus und Ister
Thucydides 2, 96 an. im verfolg der zeit finden wir sie nördlicher
und mächtiger. Alexanders thrakischer krieg fällt ins j. 335, er über-
zog Triballer und dann Geten, welche schon jenseits des stroms unfern
der insel Peuke ihre stadt hatten. Strabo s. 301. Damals mag sich ein
theil von ihnen noch mehr nordwärts geworfen haben, wiewol sie das
linke Donauufer behaupteten ; eine steppe oder ein Waldgebirge zwischen
Ister und Tyras hiesz seitdem rj zmv retcov hgr^ila. Strabo s. 305. [de-
serta Getarum georg. 3, 462.] aber ihr reich wuchs empor und im
j. 292 vor Chr. wurde der makedonische Lysimachus von ihrem könige
Dromichaetes aufs haupt geschlagen (Strabo s. 302. 305. Pausan. I. 9,
5), seitdem müssen sie lange zeit zwischen Donau und Tyras gewalt
und einflusz behauptet haben. Ungefähr fünfzig jähre vor Chr. wurden
alle städte am linken ufer des Pontus von Olbia bis nach Apollonia hin
187 genommen und durch sie verheert (Dio Chrysost. 1, 75); es mag
unter ihrem könige Boroistes geschehn sein, welchen Strabo s. 303
in des Augustus frühere jähre, Iornandes unter Sylla setzt, im be-
ginn unserer Zeitrechnung zu Ovids tagen streiften sie in denselben
landstrichen. Dio Chrysostomus aber reiste noch zu des Tacitus zeit
durch Skythien in das Getenland, um ihre sitten und brauche zu
erkunden, während die ihnen verbrüderten Daken mehr nach westen
ihr reich unter Decebalus fortsetzten. Dies allmähliche vorrücken
und lange verweilen während fünfhundert jähren verbürgt uns den
gehalt und wachsthum eines lebensvollen volks.
Jene aftavaxltpvtaq und ihren gott Zalmoxis oder Gebeleizis
schildert uns Herodot schön und ausführlich ; in Griechenland mochten
darüber abweichende meidungen umgehn, dasz Zalmoxis nicht für
den bloszen lehrling des Pythagoras gelten dürfe, vielmehr daemon
und gott sei, durchschaute schon der geschichtschreiber, unbefangne
werden die auffallende ähnlichkeit germanischer lehre und sitte nicht
verkennen, an seines lebens ende, nachdem er drei jähre lang in einem
unterirdischen haus verblieben war und von den Geten todtgeglaubt
wurde, erschien Zalmoxis nochmals unter ihnen, das gemahnt an
Freys hügel, worin der göttliche herscher nach seinem tode drei jähre
GETEN 131
hindurch aufbewahrt und dem volk als noch lebend dargestellt wurde,
weil davon fruchtbarkeit und friede im ganzen land abhiengen. ster-
bende liesz man zu Zalmoxis gehn, entsandte sie zu Zalmoxis oder
Gebeleizis; was könnte genauer übereintreffen mit dem tiefwurzeln-
den deutschen und slavischen Volksglauben, dem fara til Odins, leita
Odin, hitta Odin, scekja Odin, fadar suokian, Swatopulka hledati?*
Swatopluk, held oder könig, führt zurück auf einen göttlichen Swa-
towit, wie Zalmoxis auf den daemon; diese analogie des mythus be-
gegnet der äuszerlichen berührung zwischen Geten und Sarmaten.
'AxivdxrjQ entspricht unserm Zio und Eor, "Avapog dem Odinn und
Biflindi (s. 120), mich dünkt die oqblvol ®Q<xxeg xai (icc%cuqocp6qoi 188
bei Thucyd. 2, 96. 7, 27, worauf ich zurückkommen werde, passen
als Schwertträger zu Zio und zu Acinaces, nicht blosz Alanen, auch Suevi
und Bojoarii waren Marsverehrer; wie der name Zalmoxis an unser
heim, das litth. szalmas erinnere, habe ich dargethan. Gebeleizis
dürfte ein Gibalaiks oder Gibuka sein, vielleicht auch Gibaleis, da
sich bei Irmino 67b der mannsname Witleis, 38b 42 der frauenname
Bertieis, Wulfleis findet, den Litthauern war Gabjauja göttin des reich-
thums. [Gabjaujis deus horreorum, vgl. gabenti holen, bringen, gabanä
last.] wir sind schon öfter bei den Geten auf die Litthauer geleitet
worden, und jener Samogeta = Guddas (s. 170) wird immer wichtiger**.
Auch die getische sitte schlieszt sich an deutsche. Herodot 5, 5
von den nachbarn der Geten, den thrakischen Trausen und Kresto-
naeern redend, legt ihnen Vielweiberei bei: b%u yvvalxag snaotog
nollag und erzählt dann, was ich schon s. 139 anführte, wie die
geliebteste derselben auf des mannes grab getödtet wurde, allbe-
kannt sind die von Strabo s. 297 geretteten stellen Menanders
itavtsq (xev ol ßoqxeg, (xaligza 6' ol rfrcci x. t. X.
und ya(xel yag rjfiäiv ovöh siq, (p ov ö£x tf x. x. L
Tacitus hingegen preist die strenge und reinheit germanischer ehen.
nee ullam morum partem magis laudaveris, nam prope soli barbarorum
singulis uxoribus contenti sunt, exceptis admodum paucis, qui non libi-
dine sed ob nobilitatem plurimis nuptiis ambiuntur ; also er kennt auch
ausnahmen, Caesar 1, 53 erwähnt zweier weiber des Ariovist, Adam
von Bremen weisz der Sueonen Vielweiberei und die altn. sagen sind
voll von beispielen: könig Hiörvardr hatte vier frauen (Saem. 140),
Häraldr, als er Ragnhild heiratete, verüesz neun andere, Alrekr hatte
zwei frauen (fornald. sog. 2, 25. 26). Samo ein könig der Slaven:
duodeeim uxores ex gente Vinidorum habuit. Fredegar. ad a. 623.
von polygamie der edeln und freien, die ohne zweifei vorkam, haben
sagen und geschichtschreiber zu reden keinen anlasz. Wenn sie bei 189
den ihm bekannten Germanen Tacitus seltener beobachtete, so bezeugt
* inythol. s. 132. 913. 1205. 1225. Ad. Schmidts zeitschr. 3, 348. 4, 544.
Schafarik s. 804. Palacky 1, 135.
** der zufall spielt seltsam, wenn in 2a[i6&Qy4 die nemliche bildung
ist, ich bestehe aber nicht das abenteuer mich hier auf den samothraki-
schen eultus einzulassen.
9*
132 GETEN. DAKEN
das der westlichen stamme, deren ackerbau auch mehr ausgebildet
war, gröszeren fortschritt; dem hirtenleben lag Vielweiberei nah*,
man musz auch zwischen vermählter ehefrau und den kebsen unter-
scheiden, welcher es in ganz Europa das mittelalter hindurch viele
gab, ohne dasz daraus den männern Vorwurf und laster erwuchs.
Kriemhilt nennt Nib. 782, 4. 789, 3. 796, 3 ihre Schwägerin man-
nes kebse' und will damit Siegfried nicht schelten; allen dichtem
musz freilich das Verhältnis unedel erscheinen, zumal den geistlichen.
Crescentia sagt, als arme dirne (cod. pal. 361, 73°):
ouch wäre im ze sunden getan,
ob er mich ze kebese wolde hän:
ze wibe wäre ich im ze smähe. (cod. kol. 260 ze kone.)
Menanders worte dürfen nicht einmal den Geten zu Strabons zeit
zur last fallen, geschweige den Germanen des Tacitus verglichen
werden, da um 320 vor Chr. die sitte freier und ausgelassener sein
mochte, wenn man überhaupt den comiker keiner Übertreibung, wie
sie seinen absichten entsprach, zeihen will, recht verstanden ist also
hier nicht Verschiedenheit, sondern einstimmung.
Diese zeigt sich weit stärker noch bei dem zusammenhalten viel-
besprochner äuszerungen Caesars und Tac. über die ackerbestellung
der Sueven und Germanen insgemein mit dem, was Horaz von der
getischen meldet. Caes. 4, 1. 6, 22. Tac. Germ. 26. Hör. carm.
III. 24, 11. wie angemessen auch dem übertritt aus dem hirtenstand
in die feldwirtschaft der jährliche ackerwechsel erscheint, war er doch
etwas unter allen übrigen Völkern so wenig wahrgenommnes , dasz
man daraus auf Stammverwandtschaft derer, die ihn beobachten,
einen wahrscheinlichen schlusz zu ziehen berechtigt wird**.
190 Sind nunmehr in namen, läge, geschichte und brauch der Geten
erhebliche gründe dafür gefunden worden, dasz sie mit den Deutschen
wo nicht gleiches, doch verwandtes Ursprungs erscheinen, so mangelt
es nicht an andern noch weiter greifenden bestätigungen.
Vor allem rechne ich dahin das merkwürdige Verhältnis der
Geten zu den Daken, welche beide entweder völlig in einander auf-
gehn oder unmittelbar zusammenstehn.
Wer mit der griechischen und römischen comoedie des Menander
und Plautus bekannt ist, weisz dasz in ihr ein Fkxag oder zJäog als
ständige person des olxezrjg oder dovhog auftreten; ist es nicht wun-
derbar, dasz uns damit eins der ältesten Zeugnisse für die deutsche
geschichte erhalten wird? es waren mancipien, die der verkehr mit
Thrakien, sei es durch gefangenschaft oder kauf nach Griechenland
brachte; solche ai%^dlcoxoi, öogvccXatoi oder ccQyvQCJvrjtoi, cd(6vrj-
* vgl. oben s. 18. die pellex hiesz ahd. auch ella giella kiella gella,
mhd. gelle, altn. elja, d. i. aemula, rivalin, wie ello aemulus, rival, von
ellan eljan, goth. aljan pugna, certamen, £i?Aoe.
** Orelli zur horazischen stelle meint: hune Suevorum morem ad Getas
transtulisse videtur poeta. so auszulegen wie unerlaubt! dem Strabo sind
Geten und Sueven gerade unmittelbare nachbarn.
GETEN. DAKEN 133
rot, musten, durch treue oder anstelligkeit, wie bei andern Völkern
deutsches gefolge, den griechischen herrn willkommen sein: sonst
wären sie nicht häufig geworden, den comikern lieferten blosz die
ausnahmen stof. Gerade so bezeichnete hernach waltenden Deutschen
der name Winid, Walah oder Sclav einen aus der fremde erworbnen
knecht. rexag war also der dienende Gete; wer aber Adog, lat.
Davus? es kann gar kein zweifei sein, dasz darunter ein abkömm-
ling aus dem dakischen stamm gemeint werde, dessen Verbrüderung
mit dem getischen aus allen nachrichten erhellt.
Das erste was hier erwogen werden musz, ist die abweichende
wortgestalt. /Jaog Davus*, nach aller Sprachanalogie, scheint nichts
als trauliche abschleifung des volleren Dacus Dacvus. wie aus goth.
magus mavi hervorgeht und neben lat. raucus (für racvus?) ravus**,
verhalten sich Dacus und Davus; die gr. spräche mit ausgestosznem 191
digamma setzt z/aog wie veog vavg oig coov darjo für novus navis
ovis ovum levir (== devir) oder öneog tccdv = specus pecu. Strabo
verkennt keinen augenblick dasz Aaxog und Aaog dasselbe sind, s.304:
yeyove de xai eillog xrjg %G)Qccg fiegiö^iög öv^evwv ex nalcuov ' xovg
{isv yag zfccxovg ngogayogevovöL, xovg de rexag. rexag (ihv tovg
7tobg xov TIovvov xexlif-ievovg xa\ ngbg x?jv ew. Adxovg de tovg
eig xavavxla ngbg regpaviav xal rag tov löxgov nrjyag, ovg ol^iai
daovg xaleiöftai xo nalatov' a(p' ov xal nagä xolg 'Axxixoig ene-
nolccös xa xcjv olxex&v bvopaxa Texai xal Adoi. xovxo yag m%a-
vcaxegov, r} caiö xcjv ZJxv&äiv, ovg xalovtii Adag' nogga yag
exelvot itegl ti\v 'Ygxaviav xal ovk elxbg exel&ev kohI&ö&ccl dvdgd-
Ttoöa dg xr\v Axxixj]v. sicher waren jene griechischen knechte aus
dem nahen Thrakien, nicht dem fernen Skythien geholt und für
Strabons zeit unter August europäische zldoi, asiatische Adai (lat.
Daci und Dahae) zu sondern. Aber früherhin, wie wir sahen, saszen
F'exoi und Adoi südlicher in Thrakien, auf der rechten seite des
Ister, am fusze des Haemus, und Thucydides 2, 96 stellt den dama-
ligen Geten schwerttragende Thraker vom gebirg zur seite, welche
an der Rhodope, d. h. westwärts gegen den Nestus und Strymon
wohnen: dt Aloi xalovvxat, 7, 27 heiszen ihm die nemlichen pa%ai-
Qocpoooi: xov Aiaxov yevovg, wo eine scholie hat: ygacpexai xcüv
Aaxixov. offenbar sind Adoi und Aloi ganz derselbe volkstamm,
was Cassius Dio 51, 22 auszer zweifei setzt: oi de eitexeiva Adxoi
xixlrjvxcct,, elxe dq Fexai xiveg, ehe xal ®gaxeg xov Aaxixov yevovg
xov xr]v cPodo7tr]v %oxe evoixqöavxog bvxeg. die lesart zu ändern
bedarfs nicht, dioi, die göttlichen, war ein übliches bei wort auch
andrer volksnamen, so dasz griechisches ohr oder selbst thrakische
Überlieferung leicht z/tot und Aaoi, Aaoi verwechselte. Beide namen
Fexai und Adxot, waren den Griechen von alters her bekannt,
* aeol. Aapoq. Prise. 6, 264. Ahrens dial. aeol. 35.
** beide formen zusammen stellt die plautische redensart: usque ad
raucam ravim.
!34 GETEN. DAKEN
doch sie begriffen gewöhnlich unter ersteren auch die letzten, wäh-
rend umgedreht hernach die Römer die ihnen etwas näheren Daci
für die Getae mit verwandten. wo Tkxai Getae und Aaoi Daci
192 unterschieden werden, liegen früher wie später jene immer nordöst-
lich, diese südwestlich, beide aber rücken in den nordwesten vor.
Da wir in Geten Gothen erkennen, darf der frage nicht ausge-
wichen werden, wie die spur der Daken zu verfolgen sei? und eine
darauf bereit liegende antwort wäre nicht so lang ausgeblieben, wenn
unsre historiker und geographen sich herabgelassen hätten die ein-
fachsten und natürlichsten nachrichten zu verknüpfen, unmittelbare
fortsetzung der Daken sind die Dänen, wol zu verstehn nicht gerade
der zuletzt von Trajan besiegten Donaudaken, sondern ein in unvor-
denklicher zeit gegen nordwesten vorgedrungner zweig desselben
stamms, wie Gothen in gleicher richtung ausrückend die ostsee er-
reichten, als noch der hauptstamm ihres volks dahinten weilte.
Leicht fällt es die Übergänge der namensform aufzudecken, ich
habe vorausgeschickt, dasz dem lat. Daci ein deutsches Dagai oder
Dagös entspreche, hierfür zeugt Isidor unmittelbar orig. 9, 2: Daci
autem Gothorum soboles fuerunt, et dictos putant Dacos quasi Dagos,
quia de Gothorum stirpe creati sunt, des namens wurzel ist dags =
dies, welches lat. wort aus vollerem dacies entsprungen scheint, wie
nahe liegt der begrif der leuchtenden lichten dem der göttlichen
Alöi. Durch ableitung tritt nun N hinzu: aus Daci wird Dacini, wie
aus Getae Gothi Getini Gothini, Dacini aber kürzt sich in Dani, wie
picinus in pinus (decenarius in denarius, was dem septenarius analog
ist, deceni in deni, secenarius oder sexenarius in senarius, seceni in seni*),
oder will man aus Davus Davini bilden, welches sich leicht in Dani
wandelt, wie noveni in noni? Die lat. spräche zieht langen vocal vor
in Davus Danus pinus nonus, doch organische kürze haftet in Daha
wie in magis neben majus, das aus magius gekürzt ist. unsere spräche
wahrt die kürzen besser; altn. Danir, ahd. Teni; sollte nicht altn. man
193virgo, serva erwachsen sein aus adjectivischem magvin magin mavin?
kein beispiel wäre treffender für Danr Danus aus Dacuinus, Dacinus.
Diese etymologie empfängt ein gepräge voller Wahrheit dadurch,
dasz bei lateinischen Schriftstellern des mittelalters Dacus für Danus,
Dacia für Dania gebraucht wird (acad. abhandl. s. 41. 42), ja dadurch
dasz den Russen noch heute der Däne Datschanin, den Lappen Dazh
oder Tazh heiszt. zu den äuszersten Slaven und Lappen war der name
nicht aus Deutschland her, sondern unmittelbar vom gestade des
schwarzen meers gelangt, wie uns der Litthauer Guddas bewahrt,
haben uns diese Völker Dazh = Dacus aufbehalten.
Über die bevölkerung Dänemarks und den dänischen stamm werde
ich mich näher äuszern, wann die scandinavische spräche abgehandelt
* die Engländer erweichen ags. f>egen in thane , lat. decanus in dean,
franz. doyen, ir. deacanach. taken wird in den schottischen Volksliedern
häufig zu taen, tane.
DAKEN 135
werden soll. Hier sei blosz der überraschenden einstimmung erwähnt,
dasz im ptolemaeischen Scandia neben einander Gutae und Dauciones,
Jahrhunderte lang nachher im angelsächsischen Beovulfliede Geätas
und Dene verbrüdert auftreten, wie in der getischen geschichte von
uralter zeit an Geten und Daken. jenes gedieht kennt auch Gifdas,
was wiederum die den Gothen stammverwandten Gepidae sind, welche
noch unter Justinian im Dacien der Donaugegend hausen; was in
unsrer heldensage die grundlage bildet, mag von Geten Daken Ge-
piden der alten geschichte wirklich nicht fern stehn. wenn irgendwo
geschichte, sage und geographie des alterthums zusammentreffen, so
ist es in diesem Verhältnis der Geten und Daken.
Es wird mir aus mehr als einer Ursache glaublich, dasz der
dakische königsname zlexsßodog eigentliches appellativ war und nichts
anders als einen Daken, vielleicht des edelsten königlichen geschlechts
bezeichnete, zu ßdlog aber halte ich vorerst der Geten thrakische
nachbarn, die TgißcdXoL bei Herod. 4, 49. Thucyd. 2, 96. 4, 101.
Strabo p. 317, in welchem namen die dreizahl nicht anders zu neh-
men sein wird, als bei den germanischen TQi'ßox%OL Strabo p. 193,
den Triboci des Tacitus, oder im ags. Thrilidi und Thrimilci (oben
s. 80) und in vielen örtlichen benennungen. des kurzen vocals wegen 194
schrieben die Griechen ßällog für ßdlog, dem ich unser fal im volks-
namen Westfal Westfalah vergleiche, welcher noch heute auch als
mannsname vorkommt. Nun gewinnt bedeutung, dasz bei Mamertinus
und Ammianus an der Donau gothische Taifali, Thaiphali auftreten,
ja dasz Eutropius geradezu meldet: Daciam Decebalo victo subegit
(Trajanus), provincia trans Danubium facta in his agris, quos nunc
Thaiphali habent et Victophali et Theruingi. im vierten jh. finden
wir uns hier ganz unter Deutschen und Eutrop ahnte nicht der namen
gleichheit, die er neben einander stellte: Thai Tai in Thaifalus ist
genau wie Aaog Davus für Dacus, aus Decebalus also geworden Taifa-
lus, aus getischer form die gothische, alamannische. der dakische name
zJirjyig bei Dio Cass. 67, 7 enthält eine analoge er weichung von Dacus.
Decebalus soll uns aber auch einen sagenhaften anklang gewäh-
ren. Dio 68, 14 erzählt, dasz im zweiten kriege gegen Trajan der
könig seinen hört unter dem fluszbett der Sargetia barg, Iornandes
aber cap. 30, dasz (im j. 409) Westgothen die leiche ihres geliebten
Alarichs, als den köstlichsten schätz unter einem abgeleiteten flusz
bestatteten und nachher die lebendige flut wieder darüber führen:
quem nimia dilectione lugentes Barentinum amnem juxta Consenti-
nam civitatem de alveo suo derivant. hujus ergo in medio alveo
collecto captivorum agmine sepulturae locum effodiunt, in cujus fo-
veae gremio Alaricum cum multis opibus obruunt, rursusque aquas
in suum alveum reducentes, ne a quoquam quandoque locus agnosce-
retur, fossores omnes interemerunt*, gerade wie Hagen den Nibe-
lungehort in den Rhein versenkt hatte, Nib. 2308, 3:
* mox vehiculum et vestes, et si credere velis numen ipsum secreto lacu
abluitur. servi ministrant, quos statim idem lacus haurit. arcanus hinc terror
136 THRAKER
den schätz weiz nu nieman wan got unde min.
Was getische war, zeigt sich als gothische, lirdeutsche sitte.
195 Jene thrakischen Triballer gemahnten auch an deutsche Völker,
es steht noch eigen um Thrakien und selbst um seinen namen. 0QJJE,
®Qa% ist gleich ®or/l£ Sqcul^, das fem. ßgjjööa ©qccoöcc ®QÜxta
für @Qrj'i66a GgaCtiöcc (wie aW| avccööcc, dotf? ögccGöa, qpo/£ cpQiööw)
und jener ^Qccömag (s. 176)* läszt ein volleres ®Q(x6l£ voraussetzen,
wozu &Qcc6vg litth. drasus audax, ftgccöog audacia gehörte, da nun
vor L und R die linguallaute oft der Verschiebung entgehn, fiele
das goth J>rasabal|)ei streitkühnheit, altn. J>rä contumacia J>räsa J>rätta
rixari, litigare, schwed. träta, dän. trätte in den vergleich, und die
alten eigennamen Thrasamunt **, Thrasaberht machten sich geltend.
Oder bleiben im namen @Qaxr] noch andere Übergänge des K in
linguallaute zu erforschen? die alts. spräche kennt ein thrak threki
robur, ags. J>räc, altn. prekr, welche dem hd. dialect mangeln. Wie
nun die Griechen des Ares sitz in thrakische berge legen, wohnt
der nordische Thörr in Thrudheim (Saem. 40b), Snorris formäli zur
edda erklärt aber Thrudheim ausdrücklich für Thrakien, prüdr, ags.
J)ryd bedeutet gleich jenem prekr nochmals robur, Thörr heiszt J>rü-
dugr äss deus fortis Saem. 72b, sein hammer J>rüdhämarr, seine mit
Sif erzeugte tochter Thrüdr, J>rüdr ist appellativ für virgo, virago, und
heilige frauen unsers alterthums führen häufig den namen Drüd
(mythol. s. 394); wie wenn J>rüd aus pruht hervorgienge und sich
mit ]>rek berührte ? Snorri *** erzählt aber folgendes : Thörr ward in
Thrakien bei einem manne namens Loricus auferzogen; zehn jähre
alt legte er seines vaters waffen an, vierzehn jähre alt hatte er volle
stärke und vermochte zehn bärenhäute auf einmal von der erde auf-
zuheben ; dann erschlug er jenen Loricus samt dessen frau Lora oder
196Grlora und eignete sich ganz Thrakien zu, welches die Nordländer
Trüdheim nennen. In dieser bisher verachteten sage scheint mir einiges
so merkwürdig, dasz ich ihr wol alten grund zutrauen mag, und die
Geten und Daken haben uns gelehrt in dem Norden Zusammenhang mit
Thrakien zu finden; warum sollten die Gothen und Dänen nicht getische
und dakische Überlieferung lange zeit unter sich fortgepflanzt haben?
Thörr ist Odins söhn und seinem vater in vielem gleich; dasz das
starke kind zehn bärenhäute aufhebt scheint sagenhafte Veränderung
des thrakischen mythus von Zalmoxis, der in die bärenhaut gewindelt
sanctaque ignorantia. Tac. Germ. 40. ebenso tödtet Ketilbiörn seinen knecht
Haki und seine magd Bot, die ihm geholfen hatten seinen schätz zu bergen.
Landnämabök 5, 12. [auch Egill die beiden knechte. Egilss. 767. Skalagriurr
vergräbt einsam, p.396. den maurer tödten Diocletian 5923. sevin sages3077.]
* auch in ^Qrjaxog fromm, das Plutarch aus &py£ und dem orphischen
cultus leitet, das 2.
** daneben Transamunt, was zum altn. I>rasa stimmt, nicht zum goth.
£ras.
*** oder ein andrer Verfasser oder interpolator dieser vorrede, dem werth
der Überlieferung, wenn sie eine solche war, benimmt es nichts, wer sie
zuerst berichtete.
GETEN 137
wird* und davon heiszt, wie Thörr den beinamen Biörn führt und
wie der nordische könig der thierfabel altvater, groszvater genannt
wird. Mit Sif zeugt Thörr, auszer jener Thrüd, einen ihm gleichen
söhn Loride, von welchem Henride, Vingepörr, Vingner, Modi, Magi
abstammen: die genealogie verwirrt sich zusehends, denn aus der edda
weisz man, dasz Hlörridi und Vingpörr Thors eigne namen, Modi
und Magni (der starke) unmittelbar seine söhne sind (mythol. s. 170.
1 72), Hlörridi aber scheint sich zu vergleichen mit Loricus, Lora oder
Glora. anderwärts (skäldskaparmäl 101) heiszt Thörr föstri Vingnis
ok Hlöru, des Vingnir und der Hlöra zögling, was den Loricus wie-
derum beseitigt, diese dunkelheit im mythus von Thörr ist recht
empfindlich, da sie vollständig und in reiner gestalt den wichtigsten
aufschlusz gewähren, und die altnordische sage, so dasz alle zweifei
schwänden, an getische oder thrakische festknüpfen könnte. Ich
stemple die Thraker nicht zu Deutschen, sondern suche nachzuweisen,
wie sich, durch Vermittlung der Geten, zwischen Thrakern und Ger-
manen nähere berührung annehmen läszt, als man bisher einräumte.
Hier werden wenige noch in meine fuszstapfen treten wollen, die
neuere critik hält ein misgünstiges äuge über allem was ihre gewohn- 197
ten kreise stört, in welchen sie das meiste längst geordnet zu haben
wähnt, man sollte es aber dem Iornandes dank wissen, dasz er un-
schuldig einen Sprachgebrauch wahrte, der unmittelbar auf die sache
leitend den blick in ein tieferes alterthum unseres volks offen liesz,
als wir es aus den nachrichten bei Caesar und Tacitus ahnen. Dions
Chrysostomus verlornes werk hätte den Schleier höher gelüftet, dür-
fen aber Geten und Daken für uns Deutschen verwandt gelten, so
werden unschätzbare meidungen bei Herodot, Thucydides, Strabo und
Cassius Dio in anderes licht treten und dem bisher fast bedeutungs-
losen Thrakien in der geschichte eine lebendigere stelle sichern.
Es ist bei diesen forschungen das gröszte hindernis, dasz von
thrakischer und getischer zunge keine denkmäler vorräthig sind, die
mit einemmal zahllose bedenken niederschlagen würden, wie günstig
vorgesorgt war durch Ovids Verbannung in das ihm verleidete Tomi,
mitten auf dem für unsere absichten ergiebigsten boden!** getische
und sarmatische laute verstand sein ohr zu unterscheiden und er ver-
sichert selbst ein getisches gedieht verfast zu haben, das freilich
römische abschreiber wenig anziehen mochte, in einem drama hätte
sich getische zwischenrede eines Geta oder Davus leichter bewahrt,
und des Hanno punischer monolog im Poenulus ein trefliches gegen-
stück erhalten.
Nichts als eigennamen sind uns aufbehalten, deren deutung, wenn
die lebendige Sprachkunde abgeht, mit den gröszten Schwierigkeiten
* darf hierher gezogen werden, dasz es für un christlich und heidnisch
galt, sich in bärenhaut zu hüllen ? mythol. s. 970 vgl. KM. n° 85 und Biarn-
hedinn mythol. s. 1232.
** die Russen mit ihrem Ovidiopol haben nicht die rechte alte stelle
getroffen. Kohls Südruszland 1, 168.
138 GETEN
zu ringen hat, weil solche Wörter an sich schon anomal beschaffen,
fremdem einflusz und vielfacher entstellung ausgesetzt sind, da beim
ersten wurf meines Versuchs nur wenige dieser namen beachtet wer-
den konnten, so will ich versäumtes nachholen, mich aber nicht
anheischig machen alle und jede thrakischen oder getischen Wörter
vorzubringen und deutsch oder litthauisch auszulegen, der natur der
198 sache nach kann dies deuten nur selten anspruch auf Sicherheit haben
und musz sich in den meisten fällen mit dürrer Wahrscheinlichkeit
begnügen.
Herodot 5, 3, 4 nennt Fkxai und Tgavöoi zusammen, welcher
name deutsch klingt, wenn man gr. TR auf goth. DR in driusan
draus drusun [oder auf pras und prör] zugibt, litth. bedeutet traiszus
traszkus ganz anderes, pinguis. über die den Trausen beigesellten
KQfjOtwvaloL will ich nachher vermuten.
Auch die oft genannten Bessi scheinen den Geten nah zu stehn.
bei Her. 7, 111 5^ööo/, mit der wichtigen angäbe: t&v ZJatoeov
döl ol 7tQocpT]tsvovtsg tov Iqov, doch über diese Hatoou wage ich
noch nichts zu rathen; das naocprjxsveiv musz freilich auf altthraki-
schen orphischen dienst bezogen werden, von welchem die Griechen
manche nachricht hatten. Noch später, als sich die Römer mit den
Thrakern feindlich berührten, galten die Btjööol für Dionysos Verehrer
und bei CassiusDio 51, 25 und 34 wird ein Ouoloycuoog @gag Brjööog,
i£QEVg* tov na,Q avxolg Aiovvüov namhaft gemacht, wahrschein-
lich hängen damit die (s. 140 angeführten) sacerdotes pii («fro^dxot ?)
zusammen. Strabo schreibt BsööoL In diesem cultus liegen Bessen
den Odrysen näher, während die vorhin genannten z/tot des Thucy-
dides sich an die Daken schlieszen, wie auch Ovidius Bessi Getaeque,
Bessos Getasque (Trist. III. 10, 5. IV. 1, 67) knüpft; selbst in jüngerer
zeit finden wir bei Procop de b. goth. 1, 16 einen Gothen Bessas in
Belisars dienst, und es heiszt: 6 de Beööag ovxog röxftog (tev r\v
ykvog xav in nalcciov Iv &qkktj comjfievav, ®£vd£Qi%G) xs ovx
zmOTtotisvav, tfvixcc ev&hds ig 'Itcdlav sTtrjys xbv roT&av Xzdv**
zu Theoderichs tagen, der im j. 488 aus altgothischer heimat nach
Italien zog, blieben stamme in Thrakien zurück, von welchen Bessa
entsprosz, sicher ein abkömmling jener alten den Geten verbrüderten
199 Bessen. selbst Leo, der 457 den kaiserstul einnahm, war hessischer
herkunft.*** Baza, beiname des in Iornandes eigner genealogie auf-
geführten Gunthigis, scheint dasselbe und wiese dann die jüngere goth.
gestalt des namens : altn. bedeuten bassi und bessi einen baren (Sn.
179. 221). warum sollte nicht der zu Alexanders des groszen zeit
in Persien auftretende Bessus gleichnamig sein? von diesen alten
Bessen oder Bässen her könnte der eigenname Bassus frühen eingang
* der an den Alßrjg oder Aißvg zcäv Xazxcav IsQevq bei Strabo s. 292
gemahnt.
** bei Procop de b. pers. 1, 8 merkwürdig Sßiaag f. Beoaaq.
*** bessica ortus progenie. Iornand. de regn. succ. p. m. 58.
GETEN 139
in Rom gefunden haben: Aelius Bassus natione Bessus findet sich
auf einer alten inschrift.
Bekanntlich hiesz die Donau für den letzten theil ihres laufs,
von Axiopolis in Moesien an, Ister, und Iornandes cap. 12 über-
liefert: in lingua Bessorum Hister vocatur. ich habe gewiesen, dasz
altn. istr, istra adeps, arvina, schwed. dän. ister pinguedo bedeuten,
was sich für den fetten befruchtenden ström eignete ; aber das wort
scheint zugleich dem gr. ötsag 6rkaxo§ verwandt, man vgl. den
begrif von arvina oder obilije (s. 63).
Caesar 6, 25 läszt die hercynia silva sich der Donau entlang
erstrecken ad fines Dacorum et Anartium, diese Anartes müssen also
gleich den Daken nachbarn der Germanen gewesen sein, und auch
Ptolemaeus 3, 8 zählt unter den bewohnern Dakiens zu allererst die
"AvctQxni auf. nach dem ahd. einherti constans [gr. 4, 1023] liesze
sich ein goth. ainhardus mutmaszen, und da im altn. einardr audax
das H wegfällt, dürfte es auch in Anartes mangeln, es wären
gothisch ausgedrückt Ainhardjai. wie aber die von Ptolemaeus 3, 5
an den Weichselquellen aufgeführten 'AvaQtoyQaKxoi zu deuten? ist
(pQctKTOS das altsl. bräht, ahd. präht allatus?
Daselbst hat Ptolemaeus auch KotötoßcoKOi, die bei Cassius Dio 7 1 ,
1 2 Koötovßcoxoi heiszen und im j. 174 nach Chr. von den goth. Astingen
verdrängt wurden. [Pausanias 10,34.] beiCapitolinusc.22stehnRoxolani
Bastarnae Alani Peucini Costoboci zusammen und die Peucini sind alte
Geten, Plinius 6, 7 nennt Costoboci an der Maeotis rückwärts. Kost
Koist vergleicht sich dem goth. hauhist, ahd. höhist host, boci dem 200
zweiten theil der germanischen Triboci; eine auffallend ähnliche zu-
sammensetzungerscheint in dem angeblich keltischen namen Tolistoboji.
Aber auch die dakischen KccvxotJvölol klingen hier noch mehr
an die germanischen Chauci an, deren namen zu hauhs excelsus wie
zu ahd. houc, altn. haugr tumulus gehören kann, der noch bei andern
dakischen Völkern begegnende ausgang -ens gleicht zwar dem lat.
-ensis, aber auch dem ahd. -anso gramm. 2, 345; bei dem namen
selbst kommt noch anderes getische in betracht. Strabo s. 298 nennt
einen heiligen berg der Geten Kcoyaiovov, dessen vielleicht Statius
gedenkt, wenn er silv. III. 3, 168 dem Germanicus zuruft:
haec est, quae victis parcentia foedera Cattis,
quaeque suum Dacis donat dementia montem;
will man ihn wiederfinden im caucalandensis locus, altitudine silvarum
et montium inaccessus bei Ammian 31, 5, wohin noch im jähr 376
Athanaricus flüchtete ; so wäre im alten cultus der Geten eine heilige
statte nachgewiesen, die Jahrhunderte lang noch unter entschiednen
Gothen behauptet wurde.*
Eine der merkwürdigsten angaben begegnet bei Plinius 4,11;
unter den zwischen Haemus und Donau wohnhaften thrakischen völ-
* Schafarik s. 395 findet Caucaland, ich weisz nicht ob auch Cogaeo-
num im siebenbürgischen Küküllö. [unten s. 676.]
140 GETEN
kern nennt er in einem athem Moesi, Getae, Aorsi, Gaudae Clariaeque.
Getae und Gaudae nebeneinander! sind das nicht mit voller lautver-
schieb ung in gothischer spräche Gu]>ai und Gautai? doch die unge-
meine Wichtigkeit dieser meidung kann erst in gehöriges licht ge-
setzt werden, wann ich von dem namen der Gothen und einer Verschie-
denheit gothischer stamme handle, die sich bis auf späte zeiten fort-
erhalten hat. eben dadurch wird sich die deutschheit beider Völker
fast unweigerlich ergeben.
201 Die Aorsi sind jetzt ein räthsel; wie sie hier neben Geten an
der Donau genannt werden, tauchen sie bei Tacitus ann. 12, 15 — 20
am Bosporus, bei Strabo 11 p. 506 am Tanais, bei Ptolemaeus in
Sarmatien auf. ihr name hat ganz deutschen klang (vgl. goth. airzis,
vairs, paursis, ahd. hirsi, altn. hiarsi). Strabo stellt "Aoqöoi und
UiQCMEg wie Tacitus Aorsi und Siraci nebeneinander, und die üiqci-
Ttrjvtj soll zwischen der Maeotis und dem kaspischen meer liegen.
Noch ziehen bei Plinius die thrakischen Priantae und Sithonii an.
Priantae wären buchstäblich gothische frijönds amici und die Sithonii
dürfen zu den Sithonen bei Tacitus, ihrem namen nach, gehalten werden.
Ich gehe nicht auf erklär ung aller thrakischen völkernamen aus,
uneinverstanden mit Melas rThracum una gens', und lasse bei Seite
liegen was auszerhalb meines gesichtspunkts fällt. Gesetzt aber unter
den thrakischen lägen alle getischen, unentstellt und sicher, vor uns
und es herschte kein zweifei mehr über der Geten und Gothen iden-
tität ; so würden dennoch viele dieser uralten Wörter aus dem gothi-
schen und später deutschen standpunct der spräche nicht weniger
dunkel bleiben, als die überlieferten namen entschieden germanischer
Völker, zwischen die Aovtovg und Ue^ivcovag setzt Strabo s. 290 Zoii-
{tovg, Bovtovccg, Movylltovag und Zlißcvovg in den germanischen
nordosten, sonst unerhörte und fast undeutsch klingende namen, die
man durch gewaltsame und unerlaubte verändrung der lesart gerecht
zu machen pflegt ; man lasse sie unversehrt, vielleicht dasz sie einmal
besserer einsieht klar werden*, wer hat uns schon im chattischen
Libys bei Strabo, im volksnamen Usipetes bei Caesar, Usipi bei
Tacitus die rechte deutsche wurzel aufgezeigt? wie viel räthselhafte
deutsche namen schlieszt noch die geographie des Ptolemaeus ein?
Auch von den königsnamen sollen hier einige nicht übergangen
202 werden, auszer Zalmoxis ist schon Decebalus gedeutet worden, z/oo-
fu%cdzr]g wäre gothisch geschrieben Trumahaitja, obgleich ich trums
firmus erst aus ags. trum oder finn. tyrmiä entnehme, mit dem zwei-
ten theil vergleichen liesze sich altn. hetja heros. BoLQsßtörag im
ausgang gemahnt an Ariovistus, doch der erste theil bleibe noch un-
versucht. Dio 51, 26 nennt drei getische könige 'PcoXrjg, Jouivt,
ZvQa^ogy zu deren letzterem fast jener volksname ZÜgcMsg stimmt.
* merkwürdig, dasz Tac. Germ. 43 für Gothini die lesart Bothini vor-
kommt und in der genealogie des cod. vaticanus neben gothischen Völkern
Butes als abkömmlinge des Ermenius (mythol. Stammtafeln s. XXVII.
Haupts zeitschr. 1, 562).
DAKEN 141
Roles aber scheint mir sicher der bei Justinus 32, 3 genannte dakische
[getische?] könig Oroles [Bessell 75], aus dessen krieg mit den Bastar-
nen dort ein hübscher zug [acad. abh. 51] vorkommt. Oroles gleicht nun
dem litth. errelis, lett. ehrglis, sl. orel, orl d. i. adler und taugt vorzugs-
weise zum heldennamen, wie unsere vielen Aro Arno beweisen; die
aphaeresis des vocals in Roles ist wie in sl. ralo rator (s. 54); da auch
unsere alte spräche gern mit L ableitet, kann für ara, aro früher ein
Aral, Arol gegolten haben, wie es der Verwandtschaft deutscher sla-
vischer und litthauischer spräche angemessen ist. in zlccnv^ dunvyog,
wobei der griechische gewährsmann leicht an 'Icutv£ 'Idnvyog dachte,
gleicht der ausgang dem ahd. hapuh, ags. hafoc, den eingang will ich
nicht rathen. jener hessische OvoXoyaiöog ist dem bekannten rPado-
ycciöog ähnlich, welchen namen sich slavische und deutsche spräche
anzueignen recht haben. Ovt&vag bei Dio 67, 10, xa öevtsqu peta
<dex£ßaXov s%<av, liesze sich ungezwungen aus goth. visan erklären
und neben den ahd. mannsnamen Warin, Werin (Graff 1, 930) setzen.
Am schwierigsten bleiben Ortsnamen, weil sich ihnen zumeist die
spur fremder und früherer bewohner eingedrückt haben kann, die
menge dakischer örter auf -dava scheint aus jener namensform Davus
für Dacus begreiflich und wie deutsch klingen die ersten theile der
Zusammensetzungen Argidava, Nentidava, Marcodava, Singidava?
ZccQ[u&y£&ovoa, Decebals ßccö&siov, kaum gestaltet wie das gr.
'Aqs&ovöcc, mag vielmehr den gen. pl. Zccq^l^s = goth. Sarmaize
Sarmize gewähren und im namen der hauptstadt den damaligen bund
zwischen Sarmaten und Geten ausdrücken; die peutingersche tafel
gibt Sarmategete, und auch yetovöa wäre, wenn meine Vermutung 203
stich hält, richtiger geschrieben. Den Bessen wird von Ammian 27, 4
und Iornandes de regn. succ. p. 40 eine stadt Uscudama, das spätere
Adrianopel, beigelegt, dessen zweiten theil man dem ahd. tuom, alts.
dorn wie dem lat. domus, sl. dorn, ir. duam urbs vergleichen könnte,
im ersten altn. ösk, ags. vusc votum zu erblicken wäre wagstück,
Obrien macht flugs daraus Uisgedaimh, wasserstadt! wer für die
deutungen so fern stehender namen vollen glauben forderte, verstiege
sich, da uns alle sichre künde des einfachen thrakischen oder
getischen sprachstofs abgeht ; es reicht hin, in ihnen vorerst die mög-
lichkeit deutscher klänge zu entdecken.
Bei so leidigem mangel greift man mit beiden händen nach einer
auskunft, die sich unansehnlich aber unerwartet dennoch darbietet.
In des Dioscorides werke negl vXrjg latQLxijg sind neben grie-
chischen und lateinischen namen heilkräftiger kräuter manche aus bar-
barischen sprachen, die dem samler aufgestoszen waren, verzeichnet,
darunter, wenn ich keinen übersehn habe, 32 oder vielmehr 33 da-
kische. Dioscorides, aus Anazarbus in Cilicien gebürtig, lebte vor der
mitte des ersten jh., etwa gleichzeitig mit Plinius, dessen N. H. aber
erst nach des Dioscorides buch geschrieben scheint, unter Claudius
war er schon in Italien, wahrscheinlich auch in Gallien, Spanien,
Carthago und Aegypten, da er gallische, iberische, keltische, punische
142 DAKEN
und aegyp tische pflanzennamen mittheilt ; aus dem abgang britannischer
und germanischer ist zu folgern, dasz er gegenden, wo ihm diese
vorgekommen wären, nicht betrat. Dacien mochte ihm dagegen be-
kannt sein, anzunehmen, dasz erst nach der besiegung des landes
unter Trajan die dakischen namen gesammelt und von andrer hand
dem dioscoridischen werke eingeschaltet worden seien, zwingt kein
grund; warum sollten nicht schon im ganzen ersten jh. römische
reisende über Illyrien und Pannonien auch Dacien besucht haben?
allenfalls lassen einzelne, fast ganz lateinische benennungen, die für
204 dakische gegeben werden, schlieszen, dasz sie erst im zweiten jh. von
Römern dort eingeführt wurden*, selbst in diesem fall, wenn alle
dakischen namen nicht von Dioscorides, sondern späterhin gesammelt
und eingefügt wären, thut das ihrem belang für die spräche geringen
abbruch. ohne zweifei sind sie durch die abschreiber oft entstellt, und
es versteht sich, dasz auch wo das nicht geschah, ihre auslegung
groszer Schwierigkeit unterliegt, weil volksmäszige benennungen von
kräutern und thieren, gleich allen eigermamen, in ein hohes alterthum
zurückfallen und kaum in einer neuen vollständig gekannten spräche
sich hinreichend deuten lassen, geschweige in einer alten, ungekann-
ten. hier folgen alle nach der reihe, wie sie Kuhns ausgäbe gewährt.
1) 2, 143. ßXrjtov. rP(jt)^ialoi ßUtov^, Aami ßXrjg. ein esz-
bares aber unschmackhaftes olus, dem atriplex, ahd. malta (Graff 2,
723) poln. ioboda, böhm. lebeda verwandt, eigentlich aber amarantus
blitum. ßkrjQ scheint aus dem gr. verkürzt, obschon auch ein echt
dakisches bles möglich wäre.
2) 2, 209. ävayaXXlg ccqqtjv, %bXiöovlov, rdXXoi öcctzuvcc, Aanoi
xsqx£qcc<pqcc>v. scheint wieder entstellter gr. name, acpoav klingt an
unsern namen der anagallis gauchheil, salus stultorum, weil man dem
kraut kraft den Wahnsinn zu heilen beilegt; eine hs. abweichend:
rdXXoi xeqk£q, Jcmol tovQtt worin etwas wie unser thor, mhd. töre
zu ahnen kühn wäre. [s. 807. aphron Plin. 20, 19.]
3) 2, 211. %£hdonov fxhya. rPa>^aioL cpdßiovfi, FdXXoi %ava,
Zlo.%01 XQovözdvrj. hier ist ein echt dakischer oder getischer aus-
druck. wie in %tXid6vLov %sXidc6v musz in crustani der begrif des
vogels enthalten sein, die schwalbe hiesz demnach crusta, was un-
verkennbar dem litth. kregzde entspricht, wovon kregzdyne oder
auch kregzdel^s schwalbenkraut gebildet wird. krusta, kregzd£
205 scheint das schwirren des thiers auszudrücken**, leider entgeht
uns der goth. name, den die Verdeutschung des A. T. mehrmals
dargeboten hätte, doch die einstimmigen ahd. sualawä, mhd. swalwe,
ags. svaleve, altn. svala nöthigen nicht ein goth. svalvö anzunehmen ;
die Gothen könnten zu Ulfilas zeit, mit lautverschiebung gesagt haben
hruzdö. die Letten nennen den vogel besdeliga, das kraut besdeligas
* 3,^6 heiszt es von einer art der ccgiazoXoxloc: ^ItaXol xsqqou fiaXa
Aaxoi axplv&iov %(oqixov, d. i. absinthium rusticum; es kann ebenwol von
den Griechen übernommen sein, wie n° 1. 10. 27, mehr römisch scheint 21.
* vgl. skr. krus' clamare, sl. krastel, russ.korostel, poln. chrosciel wachtel.
DAKEN 143
aztinas, schwalbenäuglein. den Slaven heiszt die schwalbe lastovitscha,
russ. lastotschka, böhm. wlastowice lastowice lastowka, poln. jaskölka,
das kraut russ. lastovitschnaja trava, böhm. lastowiönjk; man brauchte
für last- blosz klast- zu vermuten, um Übergang auf krast und kregzdö
crusta zu finden, liegt dem gr. %zfod(ov das lat. hirundo (walach.
rendurea) nahe, so scheint an hirundo hirudo wirklich auch kregzdS
crusta und hruzdö zu rühren; dasz aber die wurzel von hruzdö euro-
päischen sprachen auch sonst nicht fremd war, kann noch eine andere
analogie lehren. Wolfram nennt die schwirrende harfe nach dem vogel
swalwe Parz. 623, 20. 663, 17* und Homer Od. 21, 411 läszt bo-
gensehne wie schwalbe schwirren, harpa selbst mag gleich der im körn
rauschenden ccqjit] heiszen, %slvg, dem mythus von der schildkröten-
schale ungeachtet, an %€fodc5v erinnern, den Kelten ist nun cruith,
crwth, engl, crowd rauschende harfe, fiedel oder leier, mlat. bei Ven.
Fortunatus chrotta, ahd. hrottä, und später rotta, mhd. rotte, alt-
franz. rote; dies hrottä tritt dem gemutmaszten hruzdö nah, sobald
man erwägt, dasz goth. uzds altn. oddr entspricht, hruzdö also in altn.
hrodda zu übersetzen wäre; die ahd. mundart hätte eigentlich hrortä
zu lauten, hrottä scheint aber ausnahmsweise zulässig wie lottar für
altn. loddari. Nach allen diesen ergebnissen wäre ein goth. hruzdö,
ahd. hrortä, hrottä = hirundo ganz glaublich und die Übereinkunft
des dakischen krusta höchst bedeutsam. Dürfte man nun noch wagen
Herodots KorjötcovaloL heranzuziehen und XsXiÖovlol zu deuten ? ein
illyrischer volkstamm hiesz Chelidonier und die anwendung des worts 206
auf leute (welchen bezug man auch darin suche) wäre gerechtfertigt.
4) 3, 7. xevzccvQiov. rPcofialot yevQiyovyian, oi dh ccvqcc iiovh-
ugdöi^, Jdaou rovXßrjkd**. mit lautverschiebung wäre goth. ]>ulbila
oder pulbilö zu gewarten, was zwar deutschen klang hat, in keiner
unsrer mundarten aber aufzuzeigen ist. da es manche arten der
centauria gibt, läszt sich das kraut nicht sicher nachweisen, die
Engländer verstehn unter ihrem feverfew (= febrifugia) matricaria
chamomilla, und nach Diosc. 3, 126 hiesz auch conyza, intybus febri-
fuga. Schrieb der- samler nach römischer auffassung rovlßrjßd für
&ovXßr]Xd, was mir sehr wahrscheinlich wird, so gelangt man zu goth.
dulbüa, ahd. tulpila und der wurzel dilban = ags. de*lfan, ahd.
telpan fodere, böhm. dlaubati, poln. dlubac klauben, und dulbila,
dulbilö ist ein mit der wurzel auszugrabendes kraut, wozu die herba
multiradix stimmt, die trad. fuld. führen einen ort des namens
Tulba an, bekannt ist Tolbiacum.
5) 3, 11. dfyaxog. fPco^aloL Xdßgovfi Bevegcg, oi öl xdgdovp
Bzveqlq, 4dxoL öxiccQrj. die sogenannte karde oder weberkarde, an
* beidemal ohne artikel, als wärs eigenname. auch Tit. 2946 (Hahn).
** ein seltsamer zufall, dasz in dem bekannten yoz9ixov bei Constanti-
nus porphyrog. gerade der ausdruck rovXßsks vorkommt; es wäre schwer
zu rathen, wie der name irgend eines krauts in dies weihnachtslied,
worauf ich im verfolg zu sprechen kommen werde, gehört, in unsern
Volksliedern bilden blumennamen manchmal den refrain.
144 DAKEN
welcher feine stacheln sitzen, womit man wolle kratzt, daher ahd.
zeisala, ags. tsesel. da diese Verwendung uralt ist, vermute ich in
dem namen skiari bezug darauf, goth. skeirs, ags. scir bedeutet
lucidus purus, skeirjan klären, reinigen; skiuran aber heftig bewegen,
vinpiskaurö tixvov, ahd. scioro velociter impetuose, scioran sciaran
expedire ; ahd. sce'ran tondere rädere, ags. sceoran : man müste den
dakischen diphth. IA genau kennen, um sich zu entscheiden, auch
das equisetum, mit dessen Schäften man gefäsze scheuert, heiszt noch
heute scheuerkraut, und etwas dergleichen suche ich in öjuccQtj. man
vgl. auch Schierling, ahd. scerilinc cicuta.
207 6) 3, 21. rJQvyycov. rPco{ialoL 7tct7iizovXov{i xccQÖovg, ot dl kccq-
x£qcu, z/axot ömovtzvobI;. auf den ersten blick wäre hier Zusammen-
setzung mit sigu, und beim zweiten theil des worts könnte den Grie-
chen sein itvoiq duft geleitet haben: mit geringer änderung entspräche
ein ahd. sigufnäst, ags. sigefhsest, victoriae flatus, victoriam Spirans,
das kraut heiszt uns heute mannstreue, doch schreiben Strabo und
Tacitus in den namen Ucuyiöxrjg Zaiyi^i]Qog Segestes Segimundus
kein K und die vom eryngium gehende sage leitet auf anderes, nem-
lich Plutarch. sympos. VII. 2, 3 berichtet: xal xb rjQvyyiov, o [uäg
alyög dg xb öxo^ia kccßovörjg, ccjtctv icplöxaxai xb alnohoVj sei dies
auch misverstand einer stelle bei Aristoteles hist. an. 9, 4: xav
d' alycov oxav xig ^iiäg kdßfjxcci xov rjgvyyov xb ccxqov (eöxi dl
ovov frpil) cti aXkai eöxäöcv coö7t£Q [ie[iG)QG)H£vai nal ßkhnovöiv dg
£%£LV7]v, womit Plinius 8, 76 stimmt: dependet omnium (caprarum)
mento villus quem aruncum vocant; hoc si quis apprehensam ex
grege unam trahat, ceterae stupentes spectant ; so gab es doch kräuter
des namens XQccyoiicoycov, hirci barbula, ijgvyyog, aruncus, von denen
jenes erzählt wurde, darum scheint auch in sicupnoex geiszbart
enthalten; unser Wort ziege hat anomales Z, wie aus dem nieder-
deutschen tsege erhellt, so dasz ahd. zigä für sigä stehn, einem
uralten wort mit S entsprechen könnte, nvo£^ wenn aus no£% ver-
derbt, gliche unserm fahs und dem böhm. faus, bart.
7) 3, 38. &v{iog. rPcj^aloi &ov[iovn, zJcxkol {lo&vXct. da wil-
der thymian dicht und niedrig, wie mos, den rain bewächst, so vergleiche
ich ahd. mios mies, ags. meos, altn. mosi, die nicht allein muscus,
alga, sondern auch lanugo terrae überhaupt bezeichnen; mosula ist
weitere ableitung. russ. moch, poln. böhm. mech*. Oder hallt in
mozula der schöne poln. name des thymians wieder: macierzanka, ma-
cierza dusza, mütterliche seele ? [siiszer athem, duft, böhm. mateH dauska.]
208 ^ •*' ®®' avrj&ov xb £6&l6{1£vov9 ol dl noXyidog . . . Aukqi
nolnovp. weder das lat. pulpa, noch bulbus, gr. ßolßog schickt
sich für den begrif von dille oder fenchel, sl. kopr, litth. krapai. ich
weisz daher dies polpus nicht zu deuten.
* mit rücksicht auf die ähnlichkeit der Wörter &vfioc mens und &v/*o$
thymus liesze sich das poln. dobrej mysli, böhm.dobrä mysl = origanum vul-
gare zu mozula halten; doch wird das einfache mysl nicht für ein kraut ver-
wandt, und jene namen scheinen aus dem deutschen wolgemut entsprungen.
DAKEN 145
9) 3, 117. dgte^iöla. 'Pa^aloi ovcdevna, ol de öegnvllov^
ol de egßa geyca, ol de ganiov^ ol 81 re gravccye tcc , rdlloi nove\i,
Acmoi £ovoözr]. wäre dies wort nach dem gr. £a)ör^o; wie uns die
artemisia sonnwendgürtel, gürtelkraut heiszt? kann es aber deutsch
sein, so rathe ich nicht auf das ahd. dosto origanum, lieber auf den
Superlativ des goth. adj. sves, ahd. suäs, ags. svses familiaris, gratus,
so dasz svösösta zusammengezogen svösta ausdrücken würde herba
gratissima, familiarissima. zu ponem findet Diefenbach celt. 1, 172
kein keltisches wort und vergleicht unser bück, dän. bynke, schwed.
gräbo; die deutschen namen sind myth. s. 1161. 1162 verzeichnet,
litth. kietczei, serb. boshje drvtze (gottes bäumchen).
10) 3, 135. oqiuvov rj^iegov. Pco/ualoL ye{iLvdhg, z/axot oq(iuc}
eine art salvei, sichtbar aus dem gr. namen gebildet.
11) 3, 148. liftoöneQuov. rPo)^aloi Kolov^ißa^ <ddxoi yovoXrjtcc.
Plinius 27, 74: nee quidquam inter herbas majore quidem miraculo
adspexi. tantus est decor, velut aurificum arte alternis inter folia
candicantibus margaritis: tarn exquisita difficultas lapidis ex herba
nascentis. Diosc. fügt hinzu : ol de iqgdyileiav dtec ttjv negl tb 67ieQ[ia
l6%vv, oftev aal h^oöneg^iov g>v6[icc6tccl. columba scheint vertrau-
licher ausdruck. man könnte yovolrjtcc in goth. kunileta übertragen:
kraut das sein geschlecht läszt (steine hervorbringt)? oder hätte gono
die bedeutung des gr. yovrj = 67teg[icc, Xrjvcc die von Uftog = goth.
lau])s? aber es ist noch gefährlich diese beiden Wörter {laag lapis
und laog) im begrif des Wachsens zu einigen.
12) 3, 160. 6voßgv%lg. PopaloL onaxk, ol de ßgi%LlXard, ol
de Xonta, ol de lovyxivdke^, Adxoi ävcaööe^e. an feuchter wilder
stelle wachsend, binsartig, mit rother blute ; heute versteht man unter 209
onobrychis schotigen hahnenkamm. ich will eine deutung wagen,
ania kann sein ahne avia, und sexe sahs eulter pl. sahsa, der grosz-
mutter messer, wegen der zackigen schoten, darauf brachte mich,
dasz die Polen für das kraut hahnenkamm sagen babie ze^by, zahne
der alten, die Böhmen babj zub für dentaria. die Griechen nennen
eine andere pflanze £vgig nach JvoöV messer.
13) 3, 165. %a\nai%lxvg. Papaloi KvTcginov^, zldxoi do%elä.
niedrigwachsend mit gelber blume und harzigem geruch, auf Euboea
eidrjgfcig genannt, lautverschoben würde goth. tagl, ahd. zakal cri-
nis, cauda passen, nur weicht geschlecht ab und Schilderung der
pflanze, ein ags. wort J)äcele bedeutet fax lampas und gilt neben
fäcele, weil dieser dialect öfter J> und f wechselt; ahd. fachula drückt
taeda und pinus aus, also mtvg. an ags. docce lapathum, wird nicht
zu denken sein, eher an litth. dagys distel und dagillelei, ein dorniges
kraut. Der lat. acc. Cypripum ist wie der dor. Mela^inog f. Mekdyaiovg.
14) 4, 16. XeL[i(DVL0v. *Pco[iaioi ovegdzgovp viygov^, ol die xw-
uvvaßovkov{i zeggai, rälloL lov(ißagov[i, 2/cckol ddxiva. eine Wie-
senblume, bei Plin. 20, 8 beta silvestris genannt, die botaniker ver-
stehn darunter statice limonium. ddxiva darf man aber nicht anders
auslegen als den volksnamen selbst, also nur aus dags dies, das engl.
Grimm, geschichte der deutsehen spräche. 10
146 DAKEN
daisy, bellis perennis, war ags. däges eäge, die blume leuchtet wie
der tag (mhd. ougebrehender kle).
15) 4, 22. %vgig. fP(0(ialoi yXadioXov^ ol dl Yql[i dygeöxBfx.
/danoi ontgovg. über %vgig s. Lobecks rhem. p. 293, £vgov ist ein
messer, dessen klinge dem schwert gleicht, darf in aprus das lat.
aper, ahd. e'par, altn. iöfur mit voller gothischer endung ibrus ge-
sucht werden? ags. eoforfearn ist polypodium und radiola, ahd. epar-
wurz carlina.
16) 4, 30. dygaöng. fPcafiaiOL ygd[i£Vy ol dl döccpohov^ ol dl
öayyovivdXs^ ol dl ovvtoXccfi, IöTtavoi dnagiu, Adxoi xoxiaxa. Ulfilas
setzt für %OQTog bald gras, bald havi, gras ist herba pratorum,
aygcoöxig feldgras, quecke, ags. cvice gramen, engl, quitchgrass, tri-
ticum repens, ein unkraut (oben s. 63), worauf auch die herba san-
210guinalis, gr. Tcokvyovov, das vielknotige leitet, litth. bedeutet kotas
den stengel am kraut, kotiata sieht ganz einer adjectivischen neu-
tralform ähnlich, wie goth. midjata, sutjata, und scheint eben auf
ein ausgelasznes gras bezogen dessen eigenschaft zu bezeichnen, gäbe
es ein adj. hatis odiosus, so wäre gras hatjata leidiges, schlechtes,
vgl. alts. höti infensus und den thrakischen namen Koxvg. ich wage
keine änderung, sonst liesze sich für kotiata leicht etwas vorschla-
gen, wodurch es goth. qivata (vivum gramen) nah käme.
17) 4, 37. ßdxog. 'Peofiaioi öevxig, ol 61 govßov{i, ol dl fioga
ßaTLxäva, Adxoi ^avxua. dies halte ich für das gr. yiavxua auf
ßdxog bezogen, der weissagende dorn, von irgend einer heiligen Ver-
wendung desselben, man denke an xvvogßccxog, den hagen oder
weiszdorn, dessen frucht ahd. hiafa, alts. hiopa, ags. heope hiesz, an
dem sich auch der zauberkräftige schlafdorn bildete, vgl. oben s. 159
über das weissagen mit zweigen.
18) 4, 42. Ttzvxdcpvllov. 'Pa^aToL xiyxBfpohov^i, rdkloi nep-
TCsdovXcc, Adxoi noojtedovhd. hier hätte man ein anderes wort er-
wartet, die gallische pempedula hat volle richtigkeit, pemp das
bretagnische wort für die fünfzahl, dula das welsche dal, dail, ir.
duille folium. dem quinquefolium und dem gr. oder gallischen aus-
druck entspräche goth. fimflaufs, wie ahd. finfplat, ags. flfleäf, engl,
fiveleaf, böhm. petiljstek. da in keiner europ. spräche die fünfzahl
prop noch pro lautet, so musz in dem wort ein baarer Schreibfehler
walten, der sich auch durch gedankenlose Wiederholung der drei
letzten silben pedula des gallischen namens kundgibt, an ein lat.
propatula denke ich nicht, zu vermuten wäre 7ti\n7ik(pka% mimkcp&ovXa,
falls unser blad, plat dem gr. ntxalov ganz nahe steht, vgl. n° 27.
19) 4, 50. xgdyiov, xgayoxEgwg. rP(o^aloL xogvovldxa, ol dl
ßitovsvöa, ddxoi öcdia. das auf bergen und steilen abhängen wach-
sende kraut heiszt tgdyiov, weil seine blätter im herbst bockenzen
(ngoßdllu xaxd xo (p&woTi&gov xd cpvXlcc rgdyov oö^ijv). ich weisz
nicht, ob das heutige bockshorn (ceratoria siliqua), eine hülsen-
frucht, dasselbe ist. salia aber scheint unmittelbar das altn. selja,
salix caprea, dän. selie, ahd. salaha, ags. sealh, engl, sallow und dem
DAKEN 147
lat. salix urverwandt, wie sich aus diesem saliunca für ein kleine- 211
res kraut bildet, kann auch selja verschiedenartige gewächse, deren
blättern bocke und ziegen nachstellen*, bedeuten, ahd. salaha steht
geradezu für saliuncula und Mones ags. gl. 201 saliunculas selas, dies
dakische salia ist also einleuchtend deutsch.
20) 4, 69. uogxvu(iog. 'Pcd/licclol ivödva, devxagia, rdkloi ßili-
vovvxicc, Adxoi ddleia. unter den mir bekannten namen der bilisa
(mythol. s. 560. 1149), die auch russ. bjelena, poln. bielun, böhm.
blen bljn heiszt, ist kein zum dakischen dielia stimmender, litth.
drign&s, lett. drig'genes bilse, vgl. litth. dilgele' nessel. ich vermute
ausfall eines kehllauts wie im lat. dies, goth. dags.
21) 4, 72. 6zqv%vov dlixdxaßov. 'Pcj^alot ßiööLxdfag, oi de
ccTiolhvagig [ilvcjq, oi de oipdyn'e^i, ddxoi xvxcoXida. das dakische
wort mag dem lat. cuculus nachgebildet sein, kukukskraut, nacht-
schatten, ahd. nahtscato, ags. nihtscadu.
22) 4, 92. axakvtpy}, ol de xvldr], 'Pwfiaioi ovqxUcc, Jcckol dvv.
einsilbig, also gewis echt, zunächst läge, wenn keine lautverschie-
bung sein soll, das goth. deina oder deinö in vigadeina XQißolog
Matth. 7, 16, eine am weg wachsende stachlige also stechende pflanze,
wie die nessel sticht oder brennt, das goth. sonst unerhörte wort
empfienge dadurch willkommne bestätigung. ags. J>ona palmes, ahd.
dono stimmen nicht im begrif, aber im welschen ist dynad und da-
nadien geradezu name der nessel, Urtica, [vgl. abro-tonum.]
23) 4, 99. noxafioyeixov , fPco[ialoL ßtjvcu, cp6hov(.i, oi de eo-
ßdya, ol de yXccdiaTWQKXii, <ddxoi xoccddpa, rdlkoi xavQOvx. eine
Wasserpflanze, zu deren namen ich wenig zu halten weisz. ags. hodma
bedeutet nubes, die wassertragende (mythol. s. 308), litth. kodis einen
wasserkrug; das sind ganz dünne faden, näher läge dem schlusz
der hessische Ortsname Uscudama.
24) 4, 118. dötrjQ dxxLxbg, oi dl vocp&ccXnov. 'Pa^atoi iyyvxd-
fag, däxoi Qa&ißidtt. ein strauch mit purpurblüte und rauhen blät-
tern, man glaubt, Virgils amellus (georg. 4, 271), eine schöne blume, 212
vgl. Columella 9, 4. der name klingt deutsch genug, altn. rädabid
ist tempus consultandi, was als blumenname den warnenden sinn
unsers 'vergiszmeinnicht' haben müste; vielleicht läge im ersten theil
des worts ahd. rad, lat. rota, litth. ratas, lett. rats, aber für bida
wüste ich dann keine hilfe.
25) 4, 126. ßovykcjööov , 'Po^ialoi Xoyyaißovß , oi de Myyovcc
ßoßovfa Adxoi ßovddllcc. Xoyyccißovn scheint nicht longaevum, son-
dern blosze Verderbnis aus lingua boum. da man auch ahd. hrin-
deszungä (welsch tafod yr ych) sagt und der erste theil des daki-
kischen worts gr. ßov enthält, so mag der ausdruck irgend einem
andern thrakischen dialect nachgebildet sein, welcher die zunge dalla
nannte, wobei mir doch das nnl. lel, Schweiz, läl = zunge, kehle
* denn der bock heiszt XQayoq von xQayct) = xgwyo), weil er am laub
knuppert (fressend knirscht, oben s. 35).
10*
148 DAKEN
einfällt: unser lallen bedeutet mit der zunge stammeln, lat. lallare,
altn. lalla. D und L wechseln, eben in dingua lingua ; möglich wäre
ein goth. lallö. litth. heiszt das kraut godas, aber viele kräuter
heiszen Ochsenzunge.
26) 4, 132. xatavdyxfj. 'Pco^aloi soßa cpdixkcc, oi öl öccriöxcc,
oi öl 'loßig {idöiovg, /idxoi xccQOJtl&ka. datisca, obschon in die bo-
tanik eingeführt, wird doch in dacisca zu bessern, also eigentlich
dakische pflanze sein, heilkräftiger art, da sie auch öafjLva^isvrj do-
mitrix heiszt und xatccvdyxrj, weil sie unwiderstehlich zwingt; thes-
salische frauen zauberten damit, was bedeutet Jovis madius? darf
man in karo ahd. haru linum erkennen, in pithla ahd. fidula, ags.
fidele fidicula? dann möchte auch die herba filicula vielmehr fidicula
sein, nur fragt sich, ob die gestalt des krauts einem besaiteten ge-
räth ähnlich sah? seine blätter werden geschildert lang wie krähen-
füsze, und wenn es dorrend sich auf den boden streckt, wie klauen eines
todten weihen, ich werde jedoch über pithla gleich anderes vermuten.
27) 4, 134. ttöiavrov. rPco[iaZoL xiyMvdfog, oi öl tbqqcci xaitik-
lovg, oi dl GovTtSQxlhov^i teqqccl, Adxoi (piftocpfttötka. hier ist eine
haarige pflanze, adiantum oder polytrichum, cincinnus (woher cin-
cinnalis) oder capillus, supercilium terrae, auch bei uns frauenhaar,
213 Marienhaar, altn. Freyjuhär, lat. capillus Veneris, welsch briger
Gwener (mythol. s. 280). hält der dakische name diese analogie, so
könnte sein erster theil ein mythisches wesen anzeigen, dessen locken
oder flechten der zweite ausdrückt, und (pfttösld käme wieder auf
jenes ni&ka heraus-, die aspiraten scheinen sich auf gr. weise zu
häufen und zu assimiliren. wie wenn man in beiden pflanzennamen
die bedeutung haar fahren liesze, nur die von blatt suchte? pithla
und phthethela scheinen • dem gr. Ttkxakov nicht fern (phtheth für
pheth, wie Tixohg für Ttokig) und zwischen Ttkxakov und cpvkkov,
folium findet nahe berührung statt, diese letzteren entsprechen aber
unserm blatt, das bei Ulfilas mangelt, altn. alts. blad, ahd. plat,
mit versetzten lauten; cpvllov vielleicht aus (pftvkkov = itiixuXov
Tcetakov, wie cp&vco = Tttvco. in n° 18 wäre zu lesen TtiymhvXu,
TUlMp&E&Elcc oder etwas dergleichen.
28) 4, 149. ektißoQog {itlag. 'Pa^ialot ßsQDctQOv^i viyQov^i, oi
öl ö«oa/a, Adxoi TZQOÖioQva. veratrum wie veratrix von verare,
divinare; saraca gleich andern bei Diosc. angeführten lat. kräuter-
namen sonst unbekannt, die dakische endung -orna ist ganz goth.
-arna und prod darf zu fröj)s sapiens gehalten werden oder zu frajj-
jan, prodiorna, frapjarna wäre ungezwungen das klug machende, den
verstand stärkende kraut, ähnliches liegt in veratrum und stimmt
zu der allgemein dem helleborum beiwohnenden kraft. das russ.
tschemeritza, böhm. Semerice, poln. ciemierzyca, litth. czemerei cze-
mericzei entspringen aus böhm. cmyr, poln. czmer kriebeln im köpf,
was dem niesen vorangeht.
29) 4, 171. dxtrj. oi öl ösvöaov ccqxtov, oi öl rj[iEQOV} 'Po^iaLOL
öcctißovxovti, rdkloL Cxoßirjv, Adxoi ötßcc. xalanoudtig e%ovöa
DAKEN • 149
xXddovg, mit röhr artigen holen zweigen, wie auch im ahd. holuntar
(Graff 4, 880), schwed. hyll, dän. hylde, der begrif des holen liegt
und die holunderstengel, mhd. holre, zu pfeifen geschnitten werden,
hiernach könnten die Daken seba für holunder, andere mundarten
denselben ausdruck für röhr oder bins gebrauchen: altn. se'f scirpus
juncus, schwed. säf, dän. siv, ahd. semid, semida carex für sebid
sebida, mhd. semt, noch heute in Ostreich sebde neben semde; eine
ags. Übersetzung von Matth. 13, 25. 38 gibt zizania durch äte214
(wilder haber s. 67) oder sifde, schilfgras für unkraut. den Serben
ist zova sambucus nigra, was der form und bedeutung von seba nah
kommt. Das gallische skobien hat bereits Diefenbach celt. 1, 90 im
welschen ysgaw, ysgawen, cornischen scauan, bretagn. skav skao
sambucus nachgewiesen; da nun im altschwed. Alexander skäf für
säf steht und heutige deutsche mundarten den hollunder schübiken,
schibchen nennen, so vermittelt sich Urverwandtschaft zwischen seba
und skobie. Um so wichtiger wird uns dieses seba, als der den
baren heilige bäum noch viel andere alterthümliche beziehungen hat,
und etwan aufschlusz über die altn. göttin Sif, über die Siva dea
Polaborum bei Helmold daraus hervorgehn kann, in altböhm. glos-
sen heiszt Siva Ceres und slavische mythologen erklären die lebens-
göttin (ziwa), wie ich die nordische Sif mythol. s. 286 Sibja Sippa
vielleicht unrichtig deutete.
30) 4, 172. %a[ittidxT7] , ol de eleiog dxzrj, ol de dygla axti],
rPo^aLOt eßovlovp, räXloi dovx&ve, /idxoi 6X[ia. das ahd. atah
atuh, nhd. attich hängt vielleicht durch Umstellung mit dxtij zu-
sammen und dxrrj scheint dxtri dxxea sambucus nigra, verschieden
von ccKtrj körn, woher At][iiJT:eQOg ccktiJ Saatkorn, olma gleicht dem
lat. ulmus, it. olmo, franz. orme, altn. älmr, schwed. alm, dän. älm,
ags. engl. ahd. elm, nhd. ulme, welcher bäum freilich vom strauch-
artigen ebulum abweicht; da jedoch ags. eilen, nd. ellhorn sambucus
(mythol. s. 618), ir. ailm pinus bedeuten, scheint das wort auf ver-
schiedenartige gewächse angewandt, gall. dukone kann ich nicht
aufzeigen, so keltisch es klingt.
31) 4, 175. xoloxvvftig. *Pco/li(xloi xovxovoßira ödßduxcc, Adxoi
TovrdöTQCc. läszt die runde kürbisgestalt an ahd. tutto mamma
denken? tovrdotqa für ftovcdötgal die bildung -astra wäre in
ägalastra pica, in ramestra strychnum, herba salutaris (Graff 5, 512.
Mones anz. 1835, 95), in ganastra scintilla (Graff 4, 297).
32) 4, 182. a^nelog {lelaiva, oi de ßovcovicc yLslaiva^ ol de
ßovxodviov, rPa)[iaioL ößlatirjvia, ol de ßaxavovxa, ol de ßeuödlxcc,
Adxoi JiQiccdrjlK, ol de neygiva. ein üppiges rankenge wachs, dessen 215
römische namen unbekannt oder verdorben sind, dagegen scheint
priadela genau das ahd. friudila, friedila amica, wozu man noch das
litth. prietelka, russ. prijatelnitscha, böhm. prjtelnice, poln. przyja-
ciotka halte, zu vergleichen wären auch die thrakischen Priantae
(oben s. 20t). in einer glosse (sumerl. 57, 62) finde ich die herba
mercurialis, 'Eq^iov tiocc, sonst parthenium, verdeutscht vridelisoge
150 ■ DAKEN
d. i. friudiles ougä und bei Mone 8, 405 flos campi friedeis ouge.
der volkspoesie liegt es nah, liebende mit Weinreben zu vergleichen,
ein serbisches lied (bei Vuk 1 n° 555) hebt schön an:
obvila se bela loza vinova
oko grada oko bela Budima:
to ne bila bela loza vinova,
vetsch to bilo dvoje mili i dragi.
diese rebe musz den Daken gefallen haben, da auch pegrina, der
andere name, aus goth. fagrs, ahd. fagar gedeutet werden darf =
goth. fagreina, mit hinzugetretner ableitung.
Auszer den dakischen glossen theilt Dioscorides auch eine einzige
hessische mit, die ich nicht übergehn will, sie steht 3, 116 beim
ßrjxiov. rPa>nccioi tovöLldya, oi öl cpccgcpccQian, ol de 7tov6TovXdy(D,
Beööol döcc. asa ist ohne zweifei richtig, ich weisz es aber nicht
zu deuten, da weder der begrif des pferdehufs von des krauts ge-
stalt (woher ungula caballina, unser huflattich, huofblat Helbl. 3,
372), noch des hustens (ßrjl;, tussis, woher tussilago) von seiner heil-
kraft, auf ein wort wie asa in unsern sprachen leitet, das litth. asa
bedeutet handhabe (lat. ansa, vgl. oben s. 114) und nadelöhr. asant
(asa foetida und dulcis, für assa, tosta?) wird kaum gemeint, gleich
dunkel scheinen die lat. farfarus, farferus (Festus s. v. farfenum) far-
faria, farfugium (vgl. febrifugia n° 4) und pustulago oder populago.
den letzten namen erklärt Plin. 24, 15 aus ähnlichkeit des pappelblatts.
man findet gr. auch %a[icuXsvitr}, %aticci7ttvKf], was an %aiiai%iTv§ reicht.
Dies bisher übersehne glossarium, worauf ich noch öfter zurück-
216 kommen werde, ist, wenn man schon bloszer Vermutung trauen will,
das älteste denkmal unsrer spräche, da es wo nicht im ersten, sicher
im zweiten jh. gesammelt wurde; niemand wird unbillig fordern,
dasz ich beim anlauf solcher verschollenen Wörter nirgend gestrauchelt
sei. Von Ulfilas, der dreihundert jähre später schrieb, so weit wir
seine Verdeutschung heiliger Schriften übrig haben, sind auch die
pflanzennamen beinabagms, vigadeinö, aihvatundi gebraucht worden,
deren sinn lange zeit unerforscht blieb ; wie sollten nicht in der älteren,
von einem ausländer veranstalteten wortsammlung jetzt unauflösbare
dunkelheiten haften. Sind nur sechs oder acht meiner auslegungen
wahr, die übrigen mehr oder minder wahrscheinlich, so reichen sie
vollkommen hin: es bedürfte keines andern beweises, dasz Daken und
Geten deutsche, deutschverwandte Völker waren, alle übrigen gründe
träten einem hauptzeugen, den fürder niemand entfernen würde, hinzu.
Vorzugsweise in anschlag kommen crustana tulbela kotiata salia
plun prodiorna seba priadela pegrina. unser ableitendes -ila erscheint
in tulbela dochela priadela phthethela caropithla*, -ula in mozula,
-ana in crustana, -ina in dakina pegrina, -orna in prodiorna, -astra in
tutastra, -s des nom. sg. in bles aprus, adjectivisches -ata und -osta
* die Ungleichheit des vocals und accents in rovXßrjXd nQLaörtXa do^fAcc
<p$e9eXd messe ich der aufzeichnung und herausgäbe bei.
THRAKER GETEN 15t
in cotiata zuosta (vgl. Costoboci). merkwürdig wäre der gen. sg.
anias, entweder goth. anjös oder anjöns.
Das allerwichtigste ist der lautverschiebung abgang, worüber im
verfolg ausführlicher zu reden sein wird, die dakische spräche hielt
also damals ihre consonanten noch auf der stufe, von welcher die
slavische, litthauische, griechische, lateinische nie gewichen sind, da-
durch erschwert und erleichtert sich die deutung dieser Wörter, weil
ihr ein weiteres feld offen steht, als das enge gebiet deutscher zunge
allein.
Ich stelle überhaupt nicht in abrede, sondern hebe hervor, dasz
ein nahes Verhältnis der getischen spräche zur litthauischen (samo- 217
getischen) obwalte: wie Zalmoxis zu szalmas, Oroles zu Errelis, stimmt
krusta krustane zu kregzde' kregzdyne, und -elis, -el$, -ine sind auch
litth. bildungen, wie der litth. nom. sg. auf -s ausgeht.
Was soll man sagen zur entschiednen gleichheit des welschen
dynad mit övv Urtica, in form und bedeutung, die genauer ist als
die des goth. deinö? ist es Urverwandtschaft auch mit keltischer
spräche, oder 4, 92 z/axot verschrieben für rakkoit
Das ergebnis aller dieser forschungen läszt sich nach drei stufen
verschieden stellen.
Die Thraker und Geten sind den übrigen urverwandten Völkern
in Europa gleich und ihre spräche darf aus deutscher wie aus sla-
vischer, litthauischer, griechischer, keltischer mitgedeutet werden,
auszerdem aber noch einen eigenthümlichen bestandtheil haben.
Oder Thraker und voraus Geten zeigen besondere annäherung
zu litthauischer und germanischer zunge; theile ihres volks sind un-
mittelbar in Litthauer und Deutsche eingegangen.
Oder endlich es fand ein noch engeres band statt zwischen nord-
westlichen Thrakern d. i. Geten und östlichen Germanen d. i. Gothen,
so dasz beide Geten und Gothen den deutschen und thrakischen
stamm vermitteln.
Das alles kann bestätigung empfangen, wenn wir die germa-
nische spur höher im osten verfolgen.
X.
SKYTHIEN.
218 Die Untersuchung hat schon so oft in das dunklere alter thum
greifen müssen, dasz sie nicht umhin kann nach Asien zurück zu
gehn. zwischen beiden welttheilen knüpft aber Skythien ein festes
band und auf einen richtigen begrif von Skythien und seinen be-
wohnern haben wir vor allem das augenmerk zu richten.
Den Griechen war Skythien gleich Gallien oder Galatien ein
ferngerücktes unbestimmtes reich; wie unter Galatern oder Kelten
auch die Germanen, begriffen sie unter Skythen wiederum Germanen,
Sarmaten und andere weiter im nordost gelegene Völker, hinter
Thrakien, jenseits der Donau begann Skythenland und reichte in
ungemessene weite.
Von getischer und thrakischer spräche ist gewissermaszen sky-
thische untrennbar und schon Herodot verflicht das alterthum dieser
Völker. Lucian mag bei solchen unterschieden nicht der vorsichtigste
und gewissenhafteste sein, doch waren ihm Anacharsis und Toxaris
fest überliefert.* in zwei dialogen stellt er sie als landsleute (6^0-
219 ykcSööovg, onoqxavovg) auf, die ökv&lötI sich unterreden und beide
an Zalmoxis und Acinaces glauben; nach dem concil. deor. 9 sind
es Skythen und Geten die Zalmoxis vergöttern, während im dialog.
verae hist. 17 Anacharsis als Skytha, Toxaris als Thrax erscheint,
und im Jupiter tragoed. 42 Skythen dem Acinaces, Thraker dem
Zalmoxes opfern.
Strabo, wie wir oben sahen, läszt Skythien zwischen dem Tanais
und Rhein sich erstrecken, Tacitus nennt es nicht einmal in der Ger-
mania, ann. 2,65 verbindet er Bastarnas Scythasque. Ptolemaeus, der
Sarmatien unmäszig dehnt bis nach Asien, schiebt Skythien mehr aus
Europa fort, aber noch die jüngeren historiker erkennen europäisches
* Anacharsis Scythia bei Herodot 4, 46. 76, bei Strabo s. 303, in Plu-
tarchs Symposium Septem sapientum cap. 3 und im prolog des dritten
buchs von Phaedrus fabeln, man nimmt an, dasz er 01. 47 (592 vor Chr.)
nach Griechenland kam.
SKYTHIEN 153
Skythien an, dem Iornandes cap. 3 scheidet die Weichsel zwischen
Germanien und Skythien, und er nennt dieses cap. 5 mit recht Ger-
maniae terrae confinis, indem er seinen weiteren umfang bis nach
Asien angibt; es unterliegt keinem zweifei, dasz auf der ganzen lin-
ken seite des schwarzen meers fast zur Donau hin skythische Völker
hausend angenommen wurden. Philostorgios H. E. 2, 5 und Procop
de b. goth. 4, 5 begreifen unter dem alten namen der Skythen auch
Gothen und Sauromaten.
Niebuhrs Vorstellung, welche Skythien blosz mongolischen horden
einräumen will, ist auf alle weise zu verwerfen. * nicht allein treten
die Mongolen viel später in der geschichte auf als die Skythen, von
denen Herodot so ausführliche und lehrreiche nachricht ertheilt, son-
dern diese Skythen hängen auch unzerreiszbar zusammen mit dem
groszen langsamen zuge urverwandter Völker aus Asien nach Europa, 220
in welches jene Mongolen nur vorübergehend einbrachen, offenbar
waltet in Skythien ein südasiatisches element, das auch germanische
und sarmatische bestandtheile nicht von sich ausschlieszend neben
ihnen zugleich andere unbekannte Völker in seinem dunkeln schosze
birgt, man hat anzunehmen, dasz erst hinter Germanen, Thrakern
und Slaven die Skythen in bewegung geriethen und nur ein theil von
ihnen Europa erreichte, der andere, weil Europa schon erfüllt war,
in Asien wohnhaft blieb, mit germanischen und sarmatischen völker-
namen verflechten sich skythische dergestalt, dasz sie an gewissen
stellen gar nicht gesondert werden können.**
Was vorerst den namen der Skythen angeht, so haben neuere
forscher*** gemeint sie in den Tschuden wiederzufinden. Schafarik
s. 238 ff. gibt sich alle mühe darzuthun, dasz nach den lautgesetzen
griechischer und slavischer zunge Uxv&rjg dem namen Tschud ent-
spreche, womit bekanntlich die Nordslaven einen Finnen bezeichnen:
was tschud ursprünglich ausdrücke, wisse man nicht, aus dem volks-
namen aber habe sich hernach tschud für riese und tschudo monstrum,
miraculum entfaltet, da zwischen Griechen und Slaven die laute sich
nicht verschieben, hätte schon, wenn man Übergang des öx in £ ein-
räumen wollte, der des 6 in d bedenken; doch unglaublicher ist, dasz
ein unskythischen Finnen vom slavischen nachbar beigelegter name für
die alten Skythen sogar bei den Griechen allgemein gegolten haben
solle. Viel wahrscheinlicher bleibt darum die längst vorgeschlagne
ableitung aus der deutschen wurzel skiutan jaculari, vom gebrauch des
spers und bogens unter allen Skythen, gerade wie viele germanische
Völker nach den waffen heiszen. zwar völlig in Ordnung ist auch hier
die lautfolge nicht, denn dem goth. skutja, altn. skyti, ahd. scuzo
sollte gr. 6KvÖ7]g zur seite stehn ; indessen kann irgend ein verborgner
* gegen sie erklärt sich auch AI. von Humboldt in der Asie centrale
1, 400 und Zeusz s. 284.
** mit groszem fug sagt Plinius 4, 25: Scytharum nomen usque qua-
que transit in Sarmatas atque Germanos.
*** z. b. auch Rask (saml. afhandl. 1, 334).
154 SKYTHIEN
gnind den abstand veranlassen und bewirkt haben, dasz die Gothen
vom TH unmittelbar auf T übersprangen, bedeutende stütze empfängt
aber diese ableitung dadurch, dasz die Griechen vermutlich nach er-
klärungen, die sie von Skythen erhielten, den namen selbst so ver-
standen haben müssen : Lucian im Tox. cap. 8 nennt die Skythen aus-
221 drücklich to&vblv äyad'ol, in Athen hiesz der gerichtsdiener oder
scherge, wozu man Skythen zu verwenden pflegte, sowol Uxv^rjg als
ro^otrjg d. i. bogenschütz, und wiederum ist der eigenname Tö|«ptg
bei Lucian, der einen wahren Skythen kennzeichnen sollte, kein echt-
skythischer*, sondern nichts als griechische Übertragung von Unv&rjg.
Diesen namen hatten entweder germanische, zuHerodots zeit und früher
noch unter Skythen hausende nachbarn ihnen beigelegt und so war er
auch zu Griechen gelangt, oder in skythischen urverwandten dialecten
haftete dieselbe wurzel. Noch mehr, Herodot 4, 10 indem er die sky-
thische stammsage berichtet, erzählt, dasz von des Herakles drei söhnen
mit Echidna nur der jüngste, namens Skythes des göttlichen vaters
bogen zu spannen vermochte und darum erster könig wurde, während
die einheimische sage (4, 5) den jüngsten söhn Kolaxais nennt und
statt des bogenspannens den glühenden pflüg aufnehmen läszt : aus dem
namen Skythes bildete sich den pontischen Griechen jene Verschieden-
heit der sage, auch Plin. 7,57 sagt: arcum et sagittam Scythen Jo-
vis filium invenisse dicunt, und Orpheus Argon. 1078 nennt wiederum
TO%0<pOQOVQ TS 2xv9cCQ, 7110TOVQ &SQa7tOVTCCQ *A()t]Oq,
wir wissen, dasz Skythen, Geten, Alanen, Baiern und Schwaben Ares-
diener und Ziowari hieszen ; eins verstärkt das andere, alle Skythen
sollen des Ares bogentragende Schwester Artemis, die zo%6ug und
lo%kttiQtt, heilig gehalten haben, die herleitung von Z%v^iqg aus
goth. skutja (getisch skuthia, skudia?) ist also der aus tschud weit
überlegen, und höchstens -könnte man zugeben, -dasz die Slaven dieses
ihnen dunkle wort aus Skythe entnommen und später auf die Finnen
angewandt hätten, das finn. kyttä venator selbst scheint mit abge-
worfnem S aus dem schwed. skytte entlehnt, aber die litth. Wörter
szauti schieszen, szauditi oft schieszen, szauti schütze, szaudykle
222 weberspule ** scheinen verwandt, und gewähren zum theil jene viel-
leicht organische media.
Ich will noch einen ähnlichen waffenausdruck, weil er fast allen
urverwandten sprachen zusteht, anführen, das gr. öxvzog bedeutet
leder und lederbezognen schild, lat. scutum (vgl. öxvvlg scutica) ir.
sgeith, bret. skoed, litth. skyda, sl. schtschit, böhm. stjt, altböhm. seit,
zid. jedoch die deutschen sprachen haben goth. skildus, ahd. seilt
(für sciltu), ags. scild, altn. skiöldr; wie ist das eingefügte L zu fassen?
vermutlich gieng skildus hervor aus umgesetztem skidilus, skidlus, einer
* wie Böckh annimmt C. I. 2, 112b; die gr. bildung ist auch in (pdXagiq
von (pdXog und vielen weiblichen Meyagiq, Tvvöapk, auszer solchen eigen-
namen sind xl&agiq, xiöagtc, /udiagig, adyagiq weiblich vgl. Lobeck phys.256.
** d. i. weberschiflade, lett. sehaudeklis, schautawa von schaut schieszen.
SKYTHIEN 155
Weiterableitung des einfachen verlornen skid, früher skud. Ammianus
führt 14, 11 einen alamannischen Scudilo scutariorum tribunus an (wie
17, 10 Nestica*, 20, 2 Agilo gentilium scutariorum tribunus); sie
waren keine schildniacher (oder schildmaler, mhd. sciltsere) sondern
Schildträger im römischen dienst, scudilo hiesz noch nach der alten
wortform, woraus sich skuldus, skildus gestaltete, dem skudilo, skudili
entspricht lat. scutulum aöntdiov, wovon scutulatus = altn. skiöldottr.
nur zufällig aber gleicht ein solcher scudilo oder scutarius jenem gr.
öxv&rjg, obgleich beide fremden herschern zur leibwache dienten.
Musz man für öxv&rjg deutsche wurzel, oder deutscher spräche
ganz nahliegende zugestehn ; so folgt daraus uralte nachbarschaft deut-
scher und griechischer stamme, mit andern worten, nichts ist glaub-
licher, als dasz Hellenen, welche Skythen so nannten (Uxv&ag "EXkrjvsg
ovv6{ia(5av} Herod. 4, 6), diesen namen von Thrakern oder Geten
hörten, dasz mithin Geten zwischen Hellenen und Skythen wohnten,
und griechischer Vorstellung ganz natürlich war Geten und Skythen
zu vermengen, darum sind "Jvsuog, 'J%ivdxr]g} Zdl^ohg bei Skythen
wie Geten verehrt. Thucydides sagt 2, 96: slöl d' ol Tkxai xccl oi
tavxr] (dem schwarzen meer) ö^iogoi te tolg Hv.v%aig %a\ ofioöxsvoi,
ndvteg limoToZoTcci** Aber nicht blosz auf den Pontus und Europa 223
zu beschränken sind diese völkernamen ; sie greifen tiefer nach Asien
gegen Medien, Persien und Indien ein, d. h. unmittelbar in die län-
der, aus welchen die grosze Wanderung nach Europa begann.
Aus weitem umfang skythischer länder, namen und brauche hebe
ich was unsere deutschen Verhältnisse erläutern kann.
Nach Herodot 4, 6 legten sich die Skythen selbst den namen
UxoIotol bei; nirgend sonst wird seiner gedacht, doch 4, 78. 79
erscheint der mannsname 2Jxvlr]g und Justinus 2, 4 erwähnt eines
skythischen königs Scolopitus. jede deutung wäre verwegen, aber
jenes skildus drängt sich doch auf.***
Geten nennt Herodot im europäischen Thrakien, Massageten weisz
er 1, 201 ff. 4, 11 als groszes tapferes volk in Asien, ostwärts vom
kaspischen meer, am Araxes, Issedonen gegenüber, also in armeni-
schen, persischen landstrecken, und sie wehren dem Cyrus den Über-
gang jenes stroms. ihre königin wird Tomyris genannt, bei Justinus
1, 8 heiszt sie Tamyris und Scytharum regina, bei Iornandes cap. 10
unbedenklich Tamyris Getarum regina. die begebenheit fällt etwa in
das jähr 545 vor Chr., nur dreiszig jähre vor jenem zug des Darius
nach Thrakien, und es versteht sich von selbst, dasz die thrakischen
Geten und jene araxischen Massageten verschiedne stamme waren ; beide
können jedoch gemeinschaftlichen Ursprung haben, die Geten nach
Thrakien vorgerückt, die Massageten in Asien geblieben sein. Noch
* = Torquatus, torque ornatus, von nest torques, woher nestila fibula
und der frauenname Neosta.
** über den gebrauch des bogens s. meine acad. abh. s. 33.
*** wem fallen hier auch nicht die gallischen, s. 135 anders ausgelegten
soldurii von selbst wieder ein?
156 SKYTHIEN
Plinius 6, 17 die (asiatisch-) skythischen Völker aufzählend beginnt mit
den bedeutenden Namen Sacae, Masagetae, Dahae, Essedones, und nicht
anders stellt Strabo 11, 8 Massageten zu den Saken an den Araxes.
Aber auch diese Massageten erscheinen späterhin in Europa, da
wo lange Geten hausten, am Pontus und weiter nordöstlich unter dem
namen Alanen. Cassius Dio 69, 15 sagt ausdrücklich von den Alanen:
224 siel öe Maööayevcu, und Julian im j. 363 sein heer anredend von
Pompejus: qui per Massagetas, quos Alanos nunc appellamus, vidit
Caspios lacus (Ammian. 23, 5).* von da aus müssen sie nach Europa
tibergegangen sein oder mit den pontischen Geten sonst genau zusam-
menhängen; unter den (europäischen) Scythen läszt Plin. 4, 12 auf
Geten, Sarmaten, Aorsen die Alani et Rhoxalani folgen. Ptolemaeus,
der 6, 14 im skythischen Asien nordwärts vom kaspischen meer
Alanen und ein alanisches gebirg anführt, hat 3, 5 im europäischen
Sarmatien skythische Alaunen, was offenbar in Alanen zu bessern
ist. Woher immer Lucian seine nachrichten schöpfe, im Toxaris 5 1
tritt ein MccxevtTjg auf: o^ioöKevog %ai o^ioylcaxxog rolg lAlavolg
cov noiva yag xavxa 'Akccvoig %ai Euvftaiq' nlijv oxi ov ndvv xo^iwötv
oVAXavoi coöTtEQ ol Uxv&cci, Alanen schnitten ihre haare kürzer als
Skythen, sonst war beiden Völkern spräche und waffenart gemein. Da
nun gegen ausgang des 4. jh. unsrer Zeitrechnung Alanen nachbarn
gothischer Greuthungen sind (Ammian. 31, 3), Alanen mit deutschen
Scyren Moesien einnehmen und Iornandes seiest aus halbalanischem
geschlecht abstammt; so zeugt mir die Verflechtung der späteren Ala-
nen und Gothen wiederum für die der älteren Massageten und Geten.
Procop de b. vand. 1, 11 stellt sogar Massageten und Hunnen gleich,
doch der hier wie 2, 10 beigebrachte massagetische eigenname Aigan
läszt fast keinen zweifei über des Volkes deutschheit.
Zeusz s. 293 will den namen Massagetae für unzusammenge-
setzt, blosz für abgeleitet erklären, was aber aus dem libyschen manns-
namen Maööccyrjg bei Herod. 7, 71 nicht folgt und schon durch
®v66ayexcu, Thyrsagetae widerlegt wird.** anders bewandt ist es
um die EvSQykxai = Ev-egyetcu. Hekataeus von Milet nennt Maty-
keten. das aber entscheidet, dasz schon alte Schriftsteller einfaches
Getae für Massagetae gebrauchen.
An die Massageten gemahnen sodann Tyrageten, skythische völ-
225 ker die am Tyras bis zum Ister hin niedergesessen waren. Strabo
s. 306. 289 führt sie bei der getischen wüste als nachbarn der Ba-
starnen auf; man könnte sie geradezu für gewöhnliche Geten halten,
deren name nur durch den Tyras näher bestimmt wurde. Plin. 4,
1 2 der alten Ophiusa zwischen Tyras und Ister gedenkend fügt hinzu :
in eodem (oppido) insulam spatiosam incolunt Tyragetae, Ptolemaeus
schreibt TvQccyyhcu. die späteren litthauischen Samogitae tragen die-
* Lucan. Phars. 8, 133: peterem cum Caspia claustra et sequerer duros
aeterni Martis Alanos.
** Arrian an. 4, 28, 6 hat einen indischen jiaaayhrjg.
SKYTHIEN 157
selbe Zusammensetzung an sich. Gesetzt der name TvQiyhai und
Samogetae habe den ursprünglichen allgemeinen sinn von ykxiqg zu
bewahren gewust; das vorkommen solcher bildungen an dieser stelle
bleibt nichts desto weniger merkwürdig, germanischer anklang war
in Thrakien; ebenso ist thrakischer in Skythien.
Wie die thrakischen Geten tauchen auch die Daken in Asien auf.
Herodot 1, 126 nennt ackerbauende und weidende Perser: akloi 61
IIsqöcci, eiöl o'iSz, Tlav^ialaloi ArjQovöicäoi Fsondvioi. ovxoi [ier
Ttavteg aQOTrjoeg blöl, oi de cckloi vo{iccöeg, /idoi Mccqöol Aqo-
mxol UaydouoL. hier gehn mich blosz Dai an. es sind die skythi-
schen dadi, wie ihnen Strabo die tkrakischen z/adt entgegensetzt,
zugleich sind es die thrakischen z/tot bei Thucydides. um das kas-
pische meer pflegen die meisten Skythen Daae, die etwas östlicheren
Massagetae und Sacae zu heiszen. Auch römische schriftsteiler ken-
nen sie fortwährend in diesen sitzen. Livius 35, 48 nennt Dahas Me-
dos Elymaeosque et Caddusios. Lucan 2, 296 Dahas Getasque, wo-
bei das einfache Getae = Massagetae nicht zu übersehn ist. Plin.
6, 17 Sacae Massagetae Dahae, gerade wie Strabo s. 511 am kas-
pischen meer Adai Maööayerai Hctxai. Tacitus ann. 2, 3 Arta-
banus apud Dahas adultus (a. 16); 11, 8 Gotarzes Daharum Hyr-
canorumque opibus auctus (a. 47); 11, 10 ad flumen Sinden, quod
Dahas Ariosque disterminat. Ptolemaeus 1, 2 Baktri Sogdiani Paropa-
misii Dahäe. Solinus 15 Chalybes et Dahae und ebenso Ammian 22,
8 Dahae et Chalybes. Diese asiatischen Dahae scheinen nicht nach
Europa vorzudringen, sondern ungefähr nach dem ersten jh. im
armenischen oder persischen reich unterzugehn, während die Massa-
geten sich westwärts gewandt und die pontischen Geten verstärkt 226
hatten, war dies eine Ursache, weshalb die Geten in Europa stärkere
macht entwickelten als die Daken?
In den mitgetheilten stellen des Strabo wurden neben den Mas-
sageten und Dahen auch Uccxai, Sacae als skythische anwohner des
kaspischen meers genannt; die Perser brauchten den namen dieser
ihrer nachbarn für alle und jede Skythen: oi ydo Ilegöai ndvtag
tovg Uxv&ccg %akkov6i ZJdnag. Herod. 7, 64; ultra sunt Scytharum
populi, Persae illos Sacas in Universum appellavere a proxima gente.
Plin. 6, 17; inde Asiae confinia, nisi ubi perpetuae nives sedent et
intolerabilis rigor, scythici populi incolunt, fere omnes in unum Sacae
appellati. Mela 3, 5.
Unleugbar traten der griechischen Vorstellung unter den asiati-
schen Skythen diese drei Völker: MaööayETcct, zldai JEdxai in den
Vordergrund, einfacher hätte sie die ersten Fkxai genannt, wäre der
name nicht für die schon europäischen Geten üblich gewesen, wie sie
Adai und Adoi unterscheiden muste*.
Rawlinsons Scharfsinn ist es neulich gelungen die altpersische
* die gr. und lat. spräche unterscheidet den nom. pl. cu ae der ersten
von dem oi i der zweiten decl., in gothischer lauten beide einförmig ös.
aber wie die alten Dahae Daci wurden auch die Getae Gothi = röröoi.
!58 SKYTHIEN
keilschrift ganz zu entziffern, und auf den felswänden von Persepolis
gewinnen wir glänzende bestätigung herodotischer angaben. Darius
Hystaspes söhn selbst führt in seiner Urkunde die namen der ihm
unterworfnen, der aufrührerischen und mit gottes hilfe* wieder
besiegten reiche auf: auch ein Saka erscheint, jedesmal neben Tha-
taghush. dies letztere ist das land der Uartayv dca, welche bei Hero-
dot 3, 91 im siebenten ^o^o'g der heberolle des Darius vorkommen,
TH wird den Griechen zu ZJ, wie Athura Assyrien ausdrückt. Ghush
aber und Ivöai gemahnen auffällig an unsere deutsche form des
namens Gu{)ai oder Gupös für gr. Fstai, das vorausgehende Thata,
227 Satta im ersten theil der Zusammensetzung bliebe dunkel. Massageten,
die den Persern nicht zinsbar waren, können unter diesen Sattagyden
nicht gemeint sein, wol aber ein verwandter stamm, in der heberolle
stehn ihnen zur seite ravddoioi, zJccölkcci wn^AjiaQvxm, 7, 66 folgen
ravdccQLOi und Zlaölaai auf Uoydot, einwohner der Sogdiana, welche
in der keilschrift Sughda heiszt und unmittelbar vor Saka hergeht,
auch nach allen andern meidungen stiesz Sogdiana ans land der
Saken. die heberolle hat Hd%ai und KdöTtioi im fünfzehnten, IJaQ-
&OL, Xoqccö^lol, "Aquol im sechzehnten vopiog, wie sie auch 7, 66
und bei Strabo 11, 8 (s. 513) verbunden stehn. Polybius 10, 48
stellt nomadische 'JöTtuöidxcu zwischen Oxus und Tanais: das sind
wol 'AOTiaöcixai) reitende Saken, denen er ausdrücklich beilegt
Tts&VEiv fitza rc5v itmcov slg %v\v f Yqkccviccv. am hyrkanischen oder
kaspischen meer, im nordwesten von Persien bewegen sich alle diese
Völkerschaften; es fällt uns unmöglich die gliederung ihrer Verhält-
nisse vollständig zu entwirren, aber das scheint doch nicht unhalt-
bar, dasz eine 520 jähre vor Chr. eingehaune schrift die älteste ur-
kundliche spur deutscher Völker überliefere, dort hatten damals noch
verwandte stamme heimat, während unsre eigentlichen vorfahren, wie
die thrakischen Geten darthun, lange vor gründung des persischen
reichs ausgerückt sein musten.
Sogar die ältesten chinesischen annalisten der Hand}oiastie,
welche ungefähr um den beginn unsrer Zeitrechnung abgefaszt sein
sollen, scheinen etwa 165 jähre vor Chr. in der gegend des kaspischen
meers Geten und Saken, als blondhaarige blauäugige Völker zu ken-
ken**. jene nennen sie Yuetschi, dann wieder Alanen oder Yanthsai,
die Saken Hakas, nach dem gangbaren Wechsel zwischen S und H. [hier-
über Lassen 2, 358. 359. 812. Dschid bei Mesudi. sitzungsber. 4, 211.]
Man ist bereit im zend und sanskrit eine masse von Wörtern und
formen wiederzufinden, die slavischen deutschen griechischen lateini-
schen und keltischen gleich sind, zaudert aber bedenksam skythische
228 völkernamen auf europäische anzuwenden, allein durch Skythiens
* immer wiederholt er: 'Auramazda mija upastäm abara', Oromazdes
mihi opem ferebat, und Vashnä Auramazdaha', gratia Oromazdis.
** Klaproth tableaux historiques de FAsie p. 168. 172. 174 vgl AI. von
Humboldt Asie centrale 1, 515.
SKYTHIEN 159
weite strecken zogen sich zerspreitend alle Völker von osten nach
westen, und nichts haftete fester in ihrer spräche, als gerade ihre
namen.
Wenn ich in den Gothen und Dänen Geten und Daken, Massage-
ten und Dahen erkenne, dürfen auch die Sachsen des nördlichen Cher-
sonesus mahnen an die uralten Saken. sahs und saxum fallen gleich
securis der wurzel secare zu, S ist angefügt wie im altn. lios liosis
für liohs liohsis = lux lucis. auch die zahl sex goth. saihs ist sec-s,
saih-s (vgl. seni wie deni aus seceni, deceni). im persischen Dage-
stan oder Dahestan am abhang des Kaukasus nach dem kaspischen
meer lebt noch der Dahae, vielleicht im östlichen Sagestan, Segistan
der Sacae name. [vgl. s. 609 f.]
Einzelne namen zu erheben und an die spitze zu stellen scheint
gefährlich, man hat die Skythen zu arischem oder medopersischem
stamm geschlagen, ebenso die Sarmaten medopersischen stamms ge-
nannt ; im allem dem liegt etwas wahres. Herodot 4, 117 legt aus-
drücklich den Sauromaten beinahe ^kythische spräche zu, und Strabo
s. 724, indem er Ariana zwischen Persien Medien Bactria und Sog-
diana stellt, schreibt deren ein wohnern fast gleiche spräche zu: elöl
ycig ncog aal o^ioykojxtot Jtagä {iixqov. dem Herodot sind 7, 62
Mrjäot die alten "Aqioi*. in jener keilschriftur künde des Darius heiszt
Arien Hariwa (die^ aspiration mahnt an unsere lygischen Harier) und
ist von Medien = Mada wie Persien = Parsa geschieden. Redeten
nun die Sarmaten, wie man annehmen musz, slavisch, so fordert die 229
Verwandtschaft zwischen deutscher und slavischer zunge, dasz auch
ein germanischer bestandtheil in Skythien obwalte, was durch die
Geten, Dahen und Saken bestätigt wird, die Unbestimmtheit und weite
des skythischen namens eignet sich also vorzüglich für den ausdruck
der gemeinschaft dieser Völker und sprachen, und in den Germanen
oder Slaven ist, recht verstanden, nicht mehr oder weniger arisches
oder medisches element als in andern Skythen. Kelten in Skythien
gibt man, so viel ich weisz, allgemein zu. Nicht uneben legt Lucian
im Jupiter trag. 13 dem Hermes die worte in den mund: eyco de ov
TtohvyXcoööog £l^ll, ojöxs tcul E%vftaig Kai Ukqöaig Kai ®Q<x£l Kai
KeXxolg övvbtcc ktjqvtthv, er drückt dadurch gewissermaszen alle
barbarischen zungen skythische, slavische, deutsche und keltische aus.
Sicher gehört es zu den unauflöslichsten Schwierigkeiten alter
ethnographie völkernamen, die an ganz verschiedener stelle vortauchen,
ohne dasz die geschiente ihren Zusammenhang auswiese, zu erklären ;
so werden uns Aorsi in Thrakien, im europäischen und asiatischen
* der beweis kann nicht fehlen, dasz die medische spräche unsere ur-
verwandten berühre, ich will hier nur eins anführen. Herodot 1, 110 er-
zählt von einem weib namens Kvvto, welches aber griech. Übersetzung des
medischen 'Enaxd) war: xtjv yag xvva xaksovai onäxa Mrjöoi. onaS, ist
genau das zendische spä, dessen übrige Verwandtschaft oben s. 38 ange-
geben wurde, jener frauenname gleicht also dem altn. Hyndla.
160 SKYTHIEN
Sarmatien und in Skythien genannt*, jene räthselhaften Tectosagen,
die Caesar als gallisches volk in Deutschland kennt, Livius und
Strabo durch Illyrien und Vorderasien einbrechen lassen, hat Ptole-
maeus am Imaus in Skythien und auch TexzoodxaL erinnern an die
Sacae. seltsam steht bei Polybius 5, 77. 78 Aiyoöaysg für Texzoöa-
ysg, was kaum Schreibfehler ist, sondern über die bedeutung von Tecto
aufschlusz gewähren könnte, am leichtesten, aber auch verkehrtesten
scheint es die Übereinkunft solcher namen an verschiedner stelle als
bloszes spiel des Zufalls abzufertigen; die skythischen rkzai und z/aca,
thrakischen Tkzai und zldoi, deutschen Gothen und Dänen bezeugen
die möglichkeit wahrhafter Völkerverwandtschaft in den entlegensten
strichen.
Wie die Inder vier stände, priester, krieger, werkleute und
knechte, die Griechen drei: ägiözoi, örjfxov ävdosg und dpäsg, die
Perser drei: krieger, ackerer und hirten entfalteten, unterscheidet
auch Herodot 4, 17. 18. 19 aber an verschiedner wohnstätte Äu'Om
230 ccQOtrJQEg (vgl. 4, 52), die getraide bauen, um es zu verhandeln,
yeciQyoi, die das land für sich bestellen und vo[idÖ8g**. schon aus
ihrer heimischen sage, dasz ihnen der glühende pflüg vom himmel
niedergefallen sei, folgt ihr ackerbau; aber der nomadischen Skythen
war die grosze mehrzahl, und in bezug auf sie heiszt es 4, 2: ov
yctg dqozai slöl aXKk vo^iddeg und 4, 46: zolöi ydg tirjze äözecc
{irjzs rei%£a $ exziö^iha äkXcc (pegeoinoL lovzsg ndvzsg sgoöl imco-
zo^ozav, ^cjovzeg pr] an dgozov cclX dno nzrjveav, olwjucczd zk
6q)i, rj sid tßvyk&v***. Jenen am kaspischen meer seszhaften, zins-
pflichtigen Skythen wird man den ackerbau nicht streitig machen,
aber die gegen norden und westen aufbrechenden müssen stufenweise
entschieden dem wandernden hirtenleben zugefallen sein; bei Griechen
und Eömern, die mit diesen wandernden Skythen zunächst in berüh-
rung traten, wurzelte die Vorstellung vom bogenschieszen und wagen-
haus (cc^a^ocpOQrjzog olxog) aller Skythen ein:
campestres melius Scythae,
quorum plaustra vagas rite trahunt domos,
vivunt. Hör. carm. III. 24, 9.
Scythae nomades, quibus plaustra sedes sunt, sagt Salust, d[icc%6ßioi,
a^d^oixoi heiszen sie den Griechen. Nicht anders, stelle ich mir vor,
verwilderten auch unsere voreitern auf den langen zügen ihrer Wande-
rung, und lebten als krieger und hirten, auszer wo sie sich bei dauern-
der niederlassung, wie die Geten in Thrakien, wieder dem landbau
zuwendeten und häuser aufführten. Strabo und Ptolemaeus kennen
am Pontus und an der Donau genug angelegter städte. Aber noch
Ammian schildert die Alanen als streifende nomaden (31, 2) und Ovid
* man vgl. die skythischen Alanorsi.
** Strabo 11, 2 unterscheidet vofiädsg, oxtjvTzai, ysmgyol.
*** woher der name aficcgoixoi Strabo s. 294. 296. 300.
SKYTHIEN 161
bricht über die steppen der pontica tellus in klagen aus (Pont. III.
I. 12):
tu neque ver sentis cinctum florente Corona,
tu neque messorum corpora nuda vides,
nee tibi pampineas auetumnus porrigit uvas.
Der skythische götterglaube, wie ihn Herodot in anziehenden 231
umrissen 4, 59—62 dargestellt hat, kann offenbar nicht für den ein-
stimmigen eultus aller der vielen Völker dieses weiten landes gelten,
sondern musz sich auf die nachrichten gründen, welche von einem
oder mehrern der ihnen zunächst gelegnen stamme zu den Griechen
gelangten, dem Zusammenhang nach scheinen es mehr meidungen von
den nördlicher, am Borysthenes und Tanais wohnhaften Skythen, als
von den südlich und östlich vom kaspischen meer gesessenen. Zeusz
s. 49 legt mir darum zu groszes gewicht auf das abweichende dieser
skythischen mythen von den uns urverwandten; auch des getischen
glaubens von Zalmoxis ist hier keine spur, wie er doch zu Lucians
zeit Skythen und Geten beigelegt ward, wogegen Herodot 4, 62 den
skythischen schwert und Marsdienst ganz in getischer, alanischer und
germanischer weise schildert, da nun das wort acinaces sogar persi-
scher abkunft ist, mag diese Verehrung die meisten Skythen durch-
drungen haben.
TaßtTL für 'Iörirj oder Vesta, die unter allen höheren wesen der
Skythen die erste stelle einnimmt, gewährt jedoch bedeutsame fast
unzweifelhafte anklänge, es war das feuer, die wärme, und die göt-
tin für dies heilige element, von der sanskritwurzel tap calere cremare
(Bopp 149b. 150»), woher tapas calor und lat. tepere calere, tepi-
dus = calidus, sl. tepl" fcQuog, böhm. teply, poln. cieply, pers.
täften accendere, calefacere, täban splendidus, lucidus, täba sartago.
gr. ftaitzuv, Ttvgl ftdntuv mortuum cremare II. 21, 323. Od. 12,
12. 24, 417, ein wort des brennalters und hernach übergehend in
den begrif des begrabens, beerdigens, daher tdyog ursprünglich was
bustum (ab urendo, comburendo) und zsepgee cinis. die lautverschie-
bung fordert für dieses T goth. TH, ahd. D und es gehört dahin ags.
pefian aestuare, altn. pefa pefja odorari, J>efr odor, altn. |>eyr ventus
egelidus, J)ä terra egelida, jräma egelidari, tepere, ags. J)ävan, ahd.
doan; schön entfaltet sich die bedeutung des altn. peyr, alts. thau,
ahd. dau, ags. J>eäv indoles, mens, wie auch indoles suboles incre-232
mentum ab olendo, olescendo*. merkwürdig stimmt zu rd(pog und
ftdnxuv das bei Graff unerläuterte ahd. chreodiba der lex sal. 74 (si
quis hominem igne combusserit**), gewis altheidnischer ausdruck für
den leichbrand und ein goth. hraivajnba voraussetzend ; Leos deutung
(2, 157) aus gal. teibheadh ist abzulehnen, nicht anders bezeichnet
im tit. 19 de incendiis die malb. gl. andeba, andebau, im tit. 20 das
einfache deba wiederum incendium und auch hier schlägt Leo (2, 22)
* vgl. finn. tapa gen. tavan indoles, mos.
** bei Pertz 4, 7 im capit. Childeberti das sinnlose creubeba.
Grimm, gefleb.icb.te der deutschen spräche. 1 \
162 SKYTHIEN
mit der galischen auslegung fehl, ferner nehme ich zu dieser Wur-
zel das ahd. depandorn rhamnus (Graff 5, 227), ags. J)efeJ>orn, pife-
porn, J3yfeJ)orn rhamnus, rubus und Jrifel, jpyfel Spina, sentis, entwe-
der duftender dorn oder lieber zum feuerbrand dienender. Das wich-
tigste habe ich aber bis zuletzt aufgespart und ein ausdruck unseres
höchsten alterthums, an welchem ich mich oft umsonst versuchte,
scheint endlich befriedigend aufgehellt zu werden, man weisz, wie
leicht sich in den wurzeln unmittelbar vor den labialen M entwickelt,
aus tepere scheint templum, ursprünglich heilige brandstätte, altar
gebildet, aus ahd. de'pan calere aestuare stammt dampf vapor, odor,
jenes altn. jjefr; leicht also ist die berühmte Tamfana oder Tanfana
[Haupt 9, 258] des Tacitus die germanische göttin des her des und
feuers, Vesta, rE(5xia, kurz sie ist die skythische Tahiti, den Sachsen
könnte sie Thäfene, den Gothen Thapana Thambana geheiszen haben ;
die ahd. wortgestalt wäre Dabana, Dambana; dasz Tacitus mit der
tenuis Tanfana schrieb, ist in Ordnung, weil er im anlaut überall T
für Th setzt. Ptolemaeus nennt auf der taurischen halbinsel einen
ort Tabana, Iornandes cap. 12 einen dakischen bergpasz Tabae.
Das skythische Tahiti hängt, wie dargethan wurde, mit slavischen
und deutschen Wörtern urverwandt zusammen, und man wird es mir
nicht mehr als blosze Verwegenheit auslegen, dasz ich s. 118 die
233 skythischen xoqcchoi, und unsere haragä nebeneinander stellte, warum
wäre nicht noch anderes zu wagen?
Die göttliche HJ hiesz den Skythen 'Ani, was zum goth. ahva,
lat. aqua, ahd. aha wie zum goth. avi, ahd. ouwa, nhd. aue d. i.
wasserland gehalten werden darf, um so sichrer, da jenes aha in alten
flusznamen apa, apha, afa lautet, zweideutiger mag sich Cnov oculus
zu unserm spähen und schauen verhalten.
MaQyaQkris (dann auch verkürzt in nccgyccgov, ^dgyaQog) mar-
garita haben Griechen und Römer geständig, mit der sache selbst, von
den barbaren her überkommen : nam id nomen apud Graecos non est,
ne apud barbaros quidem inventores ejus aliud quam margaritae. Plin.
9, 35. 36. da ihnen die perlen aus dem rothen meer und Indien zu
gelangten und das skr. marakata, wenn es auch verwandt ist, ^dgay-
öog ö^ccQccyöog bedeutet, in keiner andern spräche aber ein ähnlicher
name erscheint ; so darf man vermuten, dasz er skythischen Ursprungs
war. nun aber ist das ahd. marigrioz, mhd. meregriez, ags. mere-
greot ein so verbreitetes wort einfacher bedeutung, dasz man darin
keine blosze assimilation des fremden ausdrucks für den deutschen
begrif, wie sie sonst oft vorkommt, finden kann, sondern aufzustellen
hat, dasz ihn die Griechen aus skythischem munde vernahmen und
beibehielten (vgl. mythol. 1169); dafür leitet sich unser perle, ahd.
perala aus ßrJQvXlog.
Scythis succinum sacrium. Plin. 37, 2, 40. Schafarik will sa-
trium lesen und das lett. sihters vergleichen, indessen lautet die ge-
wöhnliche lettische form dsinters, litth. gintaras, gentaras, russ. jantar.
SKYTHIEN 163
andere sprachen vermischen bernstein und perle* und beide läszt
der mythus aus thränen entspringen; darum stimmt das finn. meri-
kiwi, est. merrekiwwi d. i. meerstein, obschon bernstein ausdrückend,
wieder zu marigrioz.
Plinius, dem wir die kenntnis mehr als eines skythischen wortes
zu danken haben, gibt 6, 17 auch den skythischen namen des Cau- 234
casus Groucasus an und deutet: nive candidus; man will darin fin-
den skr. Grävakäsas (glänzendes felsgebirg), nach Strabo 11, s. 501
hiesz ein theil der nördlichen kaukasischen gebirge Keqccvvicc, gerade
wie unsere und die sla vischen Donnerberge (mythol. s. 153 if.).
Tanain ipsum Scythae Silin vocant, Maeotin Termerinda, quo
significant matrem maris. Plin. 6, 7**. Silis hieszen, wie Ukert s. 194.
196. 238. 355 lehrt, mehrere skythische flüsse; einen see oder bach,
aus dem sich ein ström ergieszt, mutter zu nennen, war alten wie
neuen sprachen gewöhnlich: xatiexau d3 y\ U^ivrj avxr] öofrwg ^tjri^Q
Tnäviog. Her 4, 52; die anwohner des Timavus nennen xbv xoitov
Ttyyrjv xai ^T£o« ftaläxxrig. Strabo 5, 214. Heinrich der Lette
ad a. 1210 p. 85: transeunt flumen quod dicitur mater aquarum,
auf estnisch emma jöggi, mutter des bachs, wie noch bei uns bach-
mutter rinnsal bedeutet (Schmeller 2, 545); in Maiaxig selbst liegt
der begrif von paia. frage bleibt nur, wie das wort Temerinda zu
verstehn sei? läge in te mater, so könnte merinda für fortbildung
von meri mare*** gelten, und dies te gewinnt bestätigung aus dem
zigeunerischen dei, dai (Potts Zig. 2, 309) und gr. &eicc amita.
Böckh C. I. 2, 112 vergleicht Teme mit &apa^aöddag = Poseidon,
welcher name wie 'ÖKxa^iaödörjg Her. 4, 80 laute, findet also in teme
mare, in rinda mater, was keine mir bekannte spräche unterstützt.
In den skythischen stammnamen 'AQJio^a'Cg Anto^a'Cg Kola^aig
waltet deutlich dieselbe ableitung, der wir auch im getischen Zok- ■
[lohg begegnen und dies 0% musz gothischem AHS oder AHTS ent-
sprechen.
Herodot 4, 52 beschreibt eine bittre quelle, die sich im lande
der ackernden Skythen und Alazonen mit dem Hypanis mische : öxv- 235
friöxi [isv 'Elaiinalog, Tiara de xr\v rEMsqvG)v ykcoööav igal odoL
beide Wörter haben manchen anklang: von h^av oder ejzav, was plu-
ralform sein musz, läge wenig ab weder äyiog, ööiog, skr. atschtschha,
svatschtschha purus, ayiog aber könnte fortleiten auf lat. sacer,
sanctus, zend. spenta, litth. szwentas, lett. swehts, sl svjat" und
sogar goth. veihs, finn. pyhä; wiederum wäre in Tialog plural eines
wortes zu suchen, das zu skr. patha via, gr. ndrog, ags. päd, ahd.
pfad gehörte.
* Schott in den abh. der Berl. acad. 1842 s. 361.
"r** zufällig ist die ähnlichkeit des worts mit dem indischen bäum tamarinde.
*** eine ags. Urkunde (späterer zeit) hat die formel con landand onsirendsß5
terra marique, und sirende Beerende scheint aus sse, wie merinda aus meri
gebildet.
11*
164 SKYTHIEN
Von den barbaren her war den Griechen und Römern zugedrun-
gen das wort ösiqos 6i>qo$ sirus für getraidehöle, Varro de re rust.
I, 57 (vgl. 63) sagt: quidam granaria habent sub terris, speluncas,
quas vocant (SeiQOvSi ut in Cappadocia ac Thracia, und danach Pli-
nius 18, 30: utilissime tarnen servantur in scrobibus, quos siros
vocant, ut in Cappadocia et in Thracia. Curtius 7, 4, 24 von
Bactrianern redend : tritici nihil, aut adinodum exiguum reperiebatur.
siros vocabant barbari, quos ita sollertes abscondunt, ut nisi qui
defoderunt, invenire non possint. in iis conditae fruges erant. Dasz
auch die Germanen ihr getraide in die erde gruben bezeugt Tacitus
Germ. 16: solent et subterraneos specus aperire eosque multo insuper
fimo onerant, suffugium hiemi et receptaculum frugibus, ich denke
dasz hierauf die ahd. namen wintarchasto und wintarhouc gehn, die
in mehr als einer gegend vorkommen, es kann aber einfachere Wör-
ter gegeben haben und ich will einmal rathen sisu in der bedeutung
von grab grübe hole, wovon noch übrig wäre ahd. sisesang grab-
lied, carmen lugubre, sisuwa neniae, alts. dädsisas todtenhügel? ja
ahd. sisimus ags. sisemüs glis fügt sich auf ein in erdhölen hausen-
des thier, sei es Siebenschläfer oder ratte; sisu oder sisu gienge leicht
über in siru. sehr auffallend ist, dasz den Ungarn sir grab, siräsö
todtengräber, siralmas luctuosus, flebilis heiszt; darf das finn. hiiri
mus mit siiri verglichen werden?
Ein andres ovo[ia ßaQßccQMOv [also nicht eben skythisches]
nennt uns Pollux 10, 165 6xcd[iij für IsUpog, altn. bedeutet skälm
oder skälma geradezu framea und nach Biörn vagina gladii, warum
236 nicht gladius? ich unterstehe mich aber auch das ahd. scalmo, scelmo,
mhd. schelme pestis, pestilentia, lues beizubringen, da der Würgengel
speer und schwert schwingt oder seinen pfeil entsendet (mythol. s.
1134. 1135), vgl. altn. skelmis drep pestis = frameae ictus. die
wurzel ist skella tinnire, ahd. scellan, scallan. [unten s. 903.]
Xenophon (anab. IV. 7, 15. 16) indem er die skythischen Cha-
lybes (oben s. 225) schildert, deren auch Herodot gedenkt, hebt ihre
tapferkeit hervor, und dasz sie den überwundnen feinden die köpfe
abschnitten: xa\> dnou^vovTsg ap ras xEcpcdccg £%ovte$ stcoqevovto.
dieses kriegerischen brauchs wurde schon s. 141 gedacht, dem Strabo
II, 14 p. 531 heiszen aber thrakische Völker, die an Medien und
Armenien grenzen, ZctQanccQai, war er anoxzyahGxai oder xeya-
KotoyLOL übersetzt, ich weisz dies sarapara aus keiner mir bekannten
spräche zu erläutern, möchte aber para in pata verändern, wenn ich
das oeorpata der folgenden nachricht erwäge. [Bötticher Arica s. 52.]
Tees dl '4[ia£6vas xccXsovöl Exv&ui OloQuaza, dvvaxcu öl rö
ovvo^ia rovro xccz eEkXdda ylwööav avÖQoxzovoi' oloq yag xa-
Uovol tbv ävÖQa, to dl ituxa xtelvstv. Her. 4, 110. olog wäre
dem skr. vira heros, lat. vir, goth. vair, finn. uros und selbst mit
"Aqyis vergleichbar; an pata das lat. batuere zu halten scheint unrath-
sam. eine Variante führt aorpata, wobei mir die Aorsi einfallen.
Man darf nicht darauf ausgehn, die wenigen uns überlieferten
SKYTHIEN 165
skythischen Wörter vorschnell nachzuweisen, und was ich hier ver-
suchte ist fern vom anspruch auf Sicherheit; blosz das recht sollte
ihnen angeeignet werden, mit in den kreis unsrer urverwandten
sprachen zu gehören.
Im allgemeinen waren die Skythen, gleich den Germanen oder
Slaven der vorzeit, wilde aber edle nomaden, wie die vergleichung
ihrer mythen und brauche zeigt. Lucians schöne sagen von skythi-
scher treue und tapferkeit scheinen echt und unerdichtet; die heisze
pflugschar der Skythen, das niedersitzen auf der rindshaut, das trin-
ken aus dem schädel, ihr leichengerüste, den hungergürtel, die wer-
wölfe und andres habe ich auch in unserm alterthum angetroffen,
bemerkenswerth dünkt mich, dasz Lucian den Skythen die libation
oder weinspende abspricht: ov yag e&og rjulv e7t%elv tov olvov, 237
alla vßgig elvcu doxel tovto elg tov fteov. Tox. 45. auch die
germanischen helden tranken minne, ohne dabei auszugieszen, die
Litthauer gössen aber aus (mythol. s. 52. Haupt 1, 142. 145).
Leichtes kaufs, wie mit den Geten, hat die neuere forschung sich
auch mit den Skythen abfinden, sie als unfruchtbar für die geschichte
der Völker und sprachen beseitigen wollen, beide sind aber ansehn-
liche glieder einer groszen kette, aus welcher sie nicht losgebrochen,
wenn schon in ihrem vollen gehalt nicht mehr erkannt werden können.
XL
URVERWANDTSCHAFT.
238 Das worin die groszen und herschenden sprachen Europas
untereinander und mit ihrer gemeinschaftlichen asiatischen quelle
übereinstimmen, gewahrt sich sowol an den wurzeln als an den
biegungen ihrer Wörter, eine fülle von wurzeln reicht schichtenweise
immer durch einen beträchtlichen theil dieser sprachen und es zieht
an den einflusz der lautverhältnisse auf die beibehaltung oder ab-
änderung solcher reihen nach manigfaltigster stufe zu beobachten;
beispiele sind bei den metallen, dem vieh und getraide angeführt,
aber noch manche andere eingeflochten worden: wie wunderbar ist
das aufblicken der namen lovhog Julius juleis geola joulo, oder des
hartmänöt grodinnis hruden grudzien, des du dubhlachd ilbalza, des
namens crusta kregzde und, wenn ich recht behalte, hruzdö hrodda.
Dennoch steht diese allenthalben reich entfaltete gleichheit oder ähn-
lichkeit der wörter, wobei es nicht selten unmöglich fällt Verwandt-
schaft von entlehnung zu sondern, an beweiskraft dem viel inner-
licheren einklang der grammatischen flexion nach, und man hat längst
dem grundsatz gehuldigt, dasz diese letztere vorzugsweise über die
nähe oder ferne einzelner sprachen zu entscheiden habe.
Bei der endlosen und erstaunenden manigfaltigkeit aller wurzeln
und bildungen leuchtet aber ein, dasz kaum irgend einer verwandt-
239 schaft durch alle sprachen gefolgt werden könne, sondern sie hier
oder dort abbrach leiden und einem Wechsel räum geben müsse, die
s. 153 mitgetheilten formen des Wortes name reichen ein fast durch-
greifendes beispiel dar und weisen gleichwol auf doppelte von einan-
der weichende wurzeln.
Mit recht hat man drei kennzeichen ermittelt, welche in sämt-
lichen urverwandten sprachen, wo nicht unverändert, doch höchst
deutlich und eigenthümlich anzutreffen sind, und füglich als Symbol
derselben aufgestellt werden dürfen, ich meine die schon s. 8 an-
gegebne Übereinkunft der zahlen, persönlichen pronomina und ein-
zelner formen des Substantiven verbums, will aber noch ein viertes
characteristisches beispiel zufügen.
URVERWANDTSCHAFT
167
Alle Zahlwörter gelin aus von den fingern der hände, wie noch
jetzt Völker, bei welchen lebhaftes gebärdenspiel gilt, namentlich
Italiener, um zu zählen die finger auszustrecken pflegen, unser
Sprichwort rer kann nicht einmal fünf zählen', fmehr als fünf zählen
bezeichnet die allerniedrigste oder eine höhere stufe der fähigkeit sich
auszudrücken, es gibt Völker, die sich mit einer hand begnügend
nur bis zu fünf zählen (die Griechen nennens Ttz\niatßiv) und von
sechs bis zehn die nemlichen Wörter mit einem beisatz wiederholen,
weit die meisten rechnen aber nach den fingern beider hände und
haben zehn einfache unterschiedne Zahlwörter, auf welche dann zu-
sammengesetzte, jene einfachen in sich enthaltende folgen, aus solchen
Wiederholungen der fünf und zehn zahlen ergeben sich eigenthüm-
liche benennungen für die begriffe 15, 20, 30, 60, 100 und 120, wo-
von noch späterhin*. Hier ist es blosz um gleichheit der zehn ersten
grundzahlen zu thun, die in jeder spräche unentlehnt vorhanden sind.
I
II
in
IV
V
skr.
eka
dva
tri
tschatvär
pantschan
zend.
a§va
dva
thri
tschathvär
pantschan
pers.
jeki
du
sih
tschehar
pendsch
gr-
*
Ö.VO
TQSig
tsööccQEg
jievre
lat.
unus
duo
tres
quatuor
quinque
litth.
wienas
du
trys
keturi
penki
lett.
weens
diwi
trihs
tschetri
peezi
sl.
jedin
dva
tri
tschetyri
pjat'
poln.
jeden
dwa
trzy
cztöry
pi^c
böhm.
geden
dwa
Wm
ötyrj
p*t
goth.
ains
tvai
preis
fidvör
fimf
ahd.
ein
zuenß
drl
fior
finf
ags.
an
tvegen
J)ri
feover
fif
engl.
one
two
three
four
five
altn.
einn
tveir
J>rir
fiorir
fimm
schwed.
en
tvä
tre
fyra
fem
ir.
aon
do
tri
ceathair
cuig
welsch
un
dau
tri
pedwar
pump
armor.
unan
daou
tri
pevar
pemp
VI
VII
VIII
IX
X
skr.
schasch
saptan
aschtan
navan
daäan
zend.
csvas
haptan
astan
navan
da&an
pers.
schesch
heft
hescht
nuh
deh
gr.
H
mxa
OXTCO
evvea
dkna
lat.
sex
septem
octo
novem
decem
litth.
szeszi
septyni
asztuni
dewyni
deszimt
lett.
seschi
septini
astoni
dewini
desmit
240
* die transactions of the american ethnological society vol. 1 Newyork
1845 geben nach p. 114 eine lehrreiche tafel amerikanischer Zahlwörter.
168
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
VI
vn
vm
IX
X
sl.
sehest'
sedm'
osm'
devjat'
desjat
poln.
szesc
siedm
osm
dziewi^c
dziesi^(
böhm.
sest
sedm
osm
dewet
deset
goth.
saihs
sibun
ahtau
niun
taihun
ahd.
sehs
sipun
ahtö
niun
zehan
ags.
six
seofon
* eahta
nigon
tyn
engl.
six
seven
eight
nine
ten
altn.
sex
sjö
ätta
nlu
tlu
schwed.
sex
sju
ätta
nio
tio
ir.
se, sea
seacht
ocht
noi
deich
weisen
chwech
saith
wyth
naw
deg
armor.
chouech
seiz"
eiz
nao
dek
241 Wie nah sich alle diese formen stehn, fällt ins äuge, und man braucht
nur die abweichung der dialecte zu beobachten, so schwinden schein-
bare Verschiedenheiten.
Bei der einzahl zieht das N in unus (früher oenus oinus) an einn
aon un den blick auf sich; auch das preuszische ains, litth. wienas,
lett. weens stimmen (engl, one lautet wie uon, won), die gr. zahl
zeigt es im neutr. sv und svdexa, folglich steht elg für dvg, evg,
wie der gen. svog bestätigt ; dasz nun dies N überall der ableitung,
nicht der wurzel gehöre, scheint das sl. jedin zu lehren, dessen D
dem in sedm gleicht, also in andern sprachen labialis sein dürfte ; es
mag aber dunkel bleiben, welcher consonant vor dem N in unus ains
aon ausfiel. Benfey 1, 3 nimmt das zendische aöva 6va für urgestalt
und nähert ihr das homerische Xu für plu = flu, wie oiog solus
stammen soll aus oiFog; das skr. eka deutet Bopp s. 308 aus Ver-
bindung des demonstrativen e und interrogativen ka, sl. jedin aus skr.
ädi primus, unus ains olog = olvog skr. demonstrativum ena; Holtz-
mann (über den ablaut s. 37) legt dem ena oino ain eine form wie
asna zum gründe, wofür lat. as assis als unio und bini aus bisni
(wie terni aus ter) geltend zu machen wäre, ich möchte über diese
consonanz wie das ihr folgende N den spruch noch offen erhalten, es
wird dabei auch der anlaut S in semel simul singuli zu erwägen sein.
In II und III bewahren alle diese sprachen lingualanlaut ; nur
fällt persisches sih für tri auf und scheint aus der zendischen aspirata
thri, wobei noch das R schwand, erklärbar*. Höchst merkwürdig
aber ist das adverbiale lat. bis für duis, skr. dvis, gr. öig, goth. tvis
tvizva, ahd. zuiro, mhd. zwir; dasselbe B zeigt sich in vielen Zusam-
mensetzungen, in biga biduus binus bimus (vgl. triga triduus trinus
trimus) und in bellum für duellum Zweikampf Zwietracht**, ähnlich
242 entsprang lat. viginti [Bopp vgl. gr. 456] aus duiginti***, gr. e'faoöi,
* im hindostanischen lautet III tin, wo wieder ti für tri.
** dem zweiten wort in bellum duellum vergliche sich proelium aus pro-
vilium produilium (Benfey 2, 223), vielleicht auch das goth. aljan £??Aos,
ahd. elian ellan, certamen robur virtus.
*** vgl. vicessis und bicessis = viginti asses.
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN 169
episch hlxoöi, dor. ü%an Ibxati j&ixati ßinatL (Ahrens p. 279),
lakoniscli bei Hesych ßsUttti aus dvUccn, ir. fiche, gal. fichead aus
duiche duichead, skr. vinsati (zend. visati, pers. bist) aus dvasati
dvisati; der abstand des XX von II ist demnach uralt, doch alle
deutschen, litthauischen, slavischen formen lassen dem XX seinen
lingualanlaut.
Zu den zahlen IV— X wäre viel anzumerken. H statt S ist dem
zend. haptan, gr. ff und snzd gemäsz, ein auch sonst unseltner
Wechsel, dem noch welsches chwech, arm. chouech angehört, dem P
sind ergeben skr. pantschan, gr. nevts, osk. pomtis*, kelt. pempe,
litth. penki, sl. pjat', und das lautverschobne fimf gegenüber dem K
des lat. quinque; franz. cinq, ir. cuig. etwas anders stellt sich das
Verhältnis in der vierzahl wo aeol. Ttlövgeg 7t8övg£g 7C86övgeg, osk.
petora, welsches pedwar, goth. fidvör den lippenlaut hegen, lat. qua-
tuor, albanesisches xcctsq, litth. keturi, ir. ceathair, gal. ceithir den
kehllaut, dessen ausspräche leicht in das TSCH von tschatvar, tsche-
har, tschetri, tschetyri, czUrj übertritt und im gr. tsoöaQeg, Jon.
TSöötQtg, dor. tktOQeg terogsg reine lingualtenuis annimmt, so dasz
im IV alle consonantorgane anlauten.
Was die inlaute betrift, so nähert sich aeol. Tte^iTte für itkvxz
und überall das ordinale ns^intog dem keltischen pempe (in pempe-
dula, oben s. 210), welschen pump und goth. fimf, während rtevte,
osk. pomtis näher stand zu sl. pjat' p$t, und skr. pantschan mitte
hält zwischen %kvxe und litth. penki, dessen inlaut dem des lat. quin-
que begegnet; das reine T in nkvre stimmt zu dem in thogsg.
Gleich liegen sich in den zahlen V VII VIII IX X skr. pantschan
saptan aschtan navan dasan die ausgänge -an, deren stelle im gr. tisvts
ETttcc 6kz(d Ivvka dixa überall vocal und zwar verschiedenartiger ein-
nimmt; die Zusammensetzungen öxrccödxtvXog nsvtadccxtvXog u. s. w.
bewahren noch 7tsvrd otctcc; weil diese spräche kein auslautendes M243
wol aber N duldet, darf man auf kein älteres Ttevtdv entdv schlieszen,
nur auf 7ievtd(i STttd^i, wie es im ordinalen eßöo[tog erscheint, dazu
stimmen auch die lat. Septem novem decem und septimus decimus,
während nonus = novenus M in N schwächte und die cardinalen
quinque und octo beider verlustig gehn**. die litth. septyni aszüni
dewyni behalten N, deszimt (preusz. dessimpts) sogar M, ebenso die sl.
sedm' osm' altes M, doch devjat desjat entrathen aller liquida. unsere
goth. sibun niun taihun behaupten den ausgang, in fimf und ahtau
gebricht er, was bemerkenswerth zum gr. und lat. nevte oxtco, quinque
octo stimmt; nicht zu übersehn die länge der ultima von oxtc? und
ahtau, denn auch im lat. octo sollte der vocal lang auslauten, doch
die dichter corripieren schon und nur in octodecim octoginta haftet
die länge ; statt des letzteren auch octuaginta. keine keltische zunge
* woher der samnitische name Pontius = Quinctius.
** auch die adverbia septies novies decies legen das M ab und stehn
wie quinquies sexies octiesj vgl. den mannsnamen Decius neben Septimius.
170 URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
hat solchen ausgang*, wie er in allen urverwandten der sechszahl
abgeht, der er doch höchst wahrscheinlich anfangs gleichfalls zu-
stand, und die salischen chunnas liefern uns in der that neben VII
septun auch VI sexan. diesem merkwürdigen sexan steht demnach
altertümlichere form zu als selbst dem skr. schasch.
Der am sl. sehest devjat desjat, litth. dezimt zutretende auslaut
T gleicht dem der lat. ordinalien quartus (f. quatuortus) quintus
sextus, der gr. tiragtog nkpjtzog exrog evvcctog öexaxog, der goth.
fimfta saihsta sibunda ahtuda niunda taihunda und scheint superlativer
244natur; sollte nicht das T in dem cardinalen nivts pomtis pjat', in
saptan Septem htxa septyni seacht und in aschtan octo oxreo aztüni
ahtau acht, die media in eßdopog öydoog denselben grund haben? aber
auch das M oder N in Septem decem, septimus deeimus u. s. w. sind
superlativisch**, in Septem und deszimt tauschen M und T die stelle.
Man hat sich bemüht in den sinn der wurzeln dieser zehn zah-
len einzudringen, und für pantschan die ausgestreckte hand mit fünf
fingern von patsch extendere (a digitis quinque extensis), für da£an
beide hände mit zehn fingern, von dal monstrare gefunden, gleich-
wol scheidet eigentlich der Perser pentsch pugnus, pendsch quinque,
der Slave pjast pugnus, pjat' quinque, der Pole pi^sc pugnus, pi^c
quinque, und noch weiter entfernen sich pugnus, nvyvtj nv%, füst
faust von der fünfzahl; aber die Verwandtschaft der Wörter kann
doch gelten und im gemeinen leben wird faust durch fünf finger um-
schrieben, noch unleugbarer stehn ddxtvlog, digitus und zeha (di-
gitus pedis) mit dexa decem, dsUvv^ii und zeigen in Zusammenhang.
Einige andere zahlen enthalten vielleicht die begriffe des schichtens und
häufens (Pott 1, 276. 277), wie umgedreht die edda durch besondere
Substantive den verein zweier, dreier u. s. w. menschen ausdrückt
(rechtsalt. s. 207). so bezeichnet z. b. gallisches ruta, engl, rout,
mhd. rotte (Trist. 6895. 9332) die zahl von vieren. In der neun-
zahl scheint die Vorstellung der neuheit gelegen, da dem navan novem
Ivvia niun die adjeetive skr. navas, lat. novus, gr. vsog, litth. naujas,
preusz. nauns, sl. novy, goth. niujis ganz nahe kommen, zählte man
nach tetraden, so hob mit neun die dritte tetras an, und auf solcher
Wiederkehr beruhten die römischen nundinae = novendinae. befremd-
lich scheint die ab weichung der sl. und litth. form, allein devjat de-
wyni dewini stehn sichtbar für nevjat newyni newini, wie das preusz.
245 newints = litth. dewintas zeigt. Mit diesen zehn grundzahlen werden
nun durch addition, multiplication, einigemale auch subtraction alle
übrigen zusammengesetzt, wobei wieder die sprachen wunderbar über-
eintreffen. Der häufige gebrauch solcher Wörter sucht jedoch viel-
* doch im irischen seachtmhogha = LXX, ochtmhogha = LXXX bricht
das uralte M durch und erweist ein seachtm, ochtm statt seacht, ocht.
Bopp (über die celt. spr. s. 23) schlieszt scharfsinnig aus der nach seacht
ocht naoi und deich stattfindenden eclipse, dasz diese zahlen früher nasa-
len ausgang hatten, [unten s. 377.]
** vgl. die irischen ordinalien ceathramadh (quartus) seachtmhad (septi-
mus) naomhadh (nonus) deachmhadh (deeimus) aonmhadhdeag (undeeimus).
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN 171
silbigen formen auszuweichen und gestattet sich von ältester zeit an
starke kürzungen, deren analogie dem beweis der Verwandtschaft
nicht gering zu statten kommt.
Die zahlen XI — XIX bilden sich auf dem wege der addition:
skr. ekäda&an dvädaäan trajödaäan tschaturdaäan ; zend. aevanda&an
dvadaäan tschatrudaäan ; pers. jänzedeh duäzdeh sizdeh tschehardeh;
gr. svöexcc da dexa TQLgxcdöexa TEööccQSSxaldexa (man merke von XIII
an die einschaltung des xa/); lat. undecim duodecim tredecim qua-
tuordecim (das von decem abweichende I der letzten silbe ist wie im
ordinalen decimus) ; ir. aondeag dodeag trideag ceathairdäag (deag für
deich). Die Slaven fügen die praep. na (auf, nach) zwischen beide
zahlen: jedinonadesjat' dvanadesjat' trinadesjat', was wollautende aber
vielsilbige formen hervorbringt, die sich in neueren sprachen syncope
gefallen lassen, poln. jedenascie dwanascie trzynascie; böhm. gedenäct
dwanäct trinäct. unter den romanischen sprachen kürzt die franz.
zumal ab: onze douze treize quatorze quinze seize. Merkwürdig ist
das analoge verhalten deutscher und litth. zunge, nemlich schon die
goth. verfährt für XIII— XIX auf die eben dargestellte weise und
'setzt jpritaihun (?) fidvörtaihun fimftaihun zusammen, ahd. drizehan
fiorzehan, nhd. dreizehn vierzehn* u. s. w., ags. J>reottyne feovertyne
u. s. w., altn. prettän fiortän u. s. w., schwed. tretton fjorton, dän.
tretten horten u. s. w.**, nur bei XI und XII (den zahlen die griech.
ohne xat stehn), geschieht anderes. XI lautet goth. ainlif gen. ainlibß,
ahd. einlif, ags. endleofan, mhd. einlef, nhd. eüf, altn. ellifu, schwed. 246
ellofva elfva, dän. elleve ; XII goth. tvalif gen. tvalibe, ahd. zvelif, ags.
tvelf, mhd. zwelef, nhd. zwölf, altn. tölf, schwed. tolf, dän. tolv. nicht
anders bilden die Litthauer und zwar sämtliche zehner statt mit
deszimt mit angefügtem lika: wienolika dwylika trylika keturölika
penkiolika szeszölika septinölika asztünölika dewinölika; doch die Let-
ten gehn nach sl. weise zu werke, indem sie den gewöhnlichen cardi-
nalien die praep. pa einschalten: weenpadesmit diwipadesmit (gekürzt
diwpazmit) trihspadesmit (trihspazmit). Wie sind nun unser eilf und
zwölf und die litth. zehner zu erklären? früher hatte ich ans litth. likti
superesse, remanere, linqui und das goth. leiban gedacht, so dasz bei eilf
zehn und eins darüber, bei zwölf zehn und zwei darüber gemeint wäre
und lika, lif den sl. und lett. praep. na, pa gliche, die zehnzahl selbst
aber der kürze wegen blosz in gedanken bliebe, eben die Verschieden-
heit von lika und lif, welche in beiden sprachen auf das überbleiben
führt, schien meiner deutung zuzusagen.*** Da indessen alle zahlbildung
* überall ohne und, das nur ausnahmsweise beigefügt wird : cdriu und
zehen jar' Docens misc. 1, 103. so heiszt es episch und jonisch övoxaiösxa
statt dcoösxcc.
** diese nordischen -tan, -ton, -ten der zusammengesetzten zehner
wahren den alten N auslaut, während das einfache zehn tiu, tio, ti lautet.
*** Almqvists svensk spräklära s. 40 will bei ellofva und tolf an lofVe,
hole hand denken: man habe nach den zehn fingern für die ersten zahlen
beide innere handflächen für XI und XII verwendet, doch lofve, altn. löfi,
172 URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
nur mit zahlen selbst und (von jenen praep. abgesehen) nicht durch
andere Wörter bewerkstelligt wird, so gebe ich Bopps annähme den
Vorzug, dasz in ainlif tvalif und allen litth. Zusammensetzungen mit
lika formen einer uralten zehnzahl erhalten sind, auf welche die
Schicksale des gewöhnlichen worts keinen einflusz übten, im präkrit
gilt alleinstehend daha für skr. das"an, in der composition aber -raha,
z. b. XII lautet väraha — skr. dvadaäa, XVIII attfäraha = skr. asch-
tädaia, aus D in L (dingua lingua) ist der Übergang noch leichter
als in R, ja von Bopp §. 319 beigebrachte hindostanische formen
247 schwanken geradezu zwischen D R L : XI igäreh, XII bäreh, XIII tireh,
XIV tschandeh, XV pandreh, XVI söleh, XVII setreh; hiernach führt
litth. lika auf dika = decem, dexa zurück und das F B in lif übe
mag sich wie in fimf: penki oder sibun: seacht verhalten. Nicht allein
hat die entwickelte theilweise analogie des deutschen und litth. zahl-
systems, ihres hohen alters wegen, für die nähe beider werth, son-
dern die deutsche beschränkung dieser anomalie auf XI und XII be-
kundet zugleich duodecimalen einflusz, der noch anderwärts vorbricht.
So viel von den zehnern; fragt sich um die decaden. das Sans-
krit hat dazu die offenbar aus daiati gekürzte form sati, XX vinsati,
XXX trin&at, XL tschatvarinsat, L pantschaäat, LX schaschti, LXX
saptati, LXXX a£iti, XC navati statt der vollen dvida^ati trida&ati
tschat väradasati schachdaäati navadaäati. analog sind e'Uoöv eXxozl
ßeixuxL für ßlöenau, TQidxovta = TQLccdeitovTa, tsööaQaKOVTa — teö-
oaQCcdenovta n. z. X. lat. viginti, triginta, quadraginta, quinquaginta
u. s. w. = bidecinti tridecinta quatuordecinta ; G für C wird man leicht
fassen, da der altlat. schrift zur media und tenuis des kehllauts nur
ein buchstab diente und Geres Ceres ausgedrückt wurde; neben vi-
gesimus trigesimus erhielten sich vicesimus tricesimus. duodecim
schied sich deutlich von viginti und tredecim von triginta (tridecinta).
Noch stärkere kürzung leiden die franz. vingt, trente, quarante und
sind gleich bestimmt von douze treize quatorze verschieden. Die
irischen decaden flehe (fichid), triochad, ceathrachad, caogad, seasgad,
seachtmhogha , ochtmhogha, nochad müssen wiederum auf ein ur-
sprüngliches dodeichad, triodeichad u. s. w. rückführbar sein; die ar-
morischen ügent tregont gleichen den lat. viginti, triginta. Die sla-
vischen decaden sondern sich dadurch von den zehnern, dasz sie das
additionale na entbehren: XX dvadesjat', XXX tridesjat' u. s. w. ver-
schieden von XII dvanadesjat', XIII trinadesjat'. ebenso stehn poln.
XX dwadziescia, XXX trzydziesci gesondert von dwanascie trzynascie ;
die slavischen decaden erfahren also keine kürzung.
248 Nicht zu übersehn ist hier eine eigenheit der poln. und böhm.
spräche, welche ihre decaden von 50—90 anders bilden als die von
10 — 40, nemlich poln. dziesi^c dwadziescia trzydziesci czte"rdziesci,
böhm. deset dwadeet trideet ötyrideet, hingegen poln. pi^cdziesi^t
ags. löfa fügt sich schon nicht zum goth. ainlif tvalif, und wie sollte da-
durch ein unterschied zwischen XI und XII möglich werden?
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN 173
szescdziesi^t siedmdziesiat osmdziesiat dziewi^cdziesiat, böhm. padesat
Sedesat sedmdesat osmdesat dewadesat. von dieser feinen Unterschei-
dung zwischen dziesci und dziesi^t, deset und desat wissen die übri-
gen mundarten nichts, selbst die altslavische nicht.
Auch unsere decaden leiden keine kürzung und bilden wiederum
XX XXX XL L LX anders als LXX LXXX XC, nemlich im goth. jene
mit dem masc. tigus, diese mit dem neutr. tehund; es heiszt dem-
nach tvaitigjus preistigjus fidvörtigjus fimftigjus, für LX mangelt lei-
der beleg, doch mutmasze ich saihstigjus. hingegen sibuntehund
ahtautehund niuntehund. ahd. entsprechen dem goth. tigus zuc, dem
goth. tehund zo, so dasz es hiesz zueinzuc drizuc fiorzuc fimfzuc sehs-
zuc, hingegen sibunzö ahtozö niunzö ; doch gilt der unterschied nur für
die ältesten denkmäler, später verwischt er sich und auch den drei
letzten decaden wird sibunzuc ahtozuc niunzuc gegeben, wie mhd.
überall zweinzec bis niunzec, nhd. zwanzig bis neunzig, ohne unter-
schied eintreten. So viel ich sehe, hieng die alte zwiefache behandlung
der decaden wieder am duodecimalsystem ; galt statt des hunderts ein
groszes hundert von 120, so war dessen hälfte 60, und wie nach 12
begann nach 60 andere zahlweise, taihun und taihund tehund ent-
sprechen lautverschoben dem lat. decem, gr. Ö&xcc und ahd. zö scheint
aus zöh erwachsen ; tigus aber und zuc gleichen lat. deh, gr. de%, man
erwäge jenes lat. G in viginti triginta für C, wiederum aber verhalten
sich tigus und tehund, zuc und zö wie dziesci und dziesiat, deset und desat.
In der alts. mundart ist uns ein räthsel nicht vollständig gelöst,
das hier eingreift: während XX tuentig, XXX thrltig, XL fiartig,
L fiftig, LX sehstig lauten, wird Hei. 5, 2 LXX durch antisbunta,
15, 19 LXXX durch antahtoda ausgedrückt und ebenso stellt die
Freckenhorster Urkunde 9, 22 neben fiertig muddi gerston antahtoda
muddi havoron* ; sibunta ahtoda erscheinen als offenbare Ordinalzahlen, 249
ob auch cardinales antsibuntig antahtig galt, weisz man nicht, aber
aus solchem antahtig ist ohne zweifei das plattdeutsche tachentig,
mnl. tachtich bei Kilian tachtentich , nnl. tachtig übrig, wofür sogar
in einem nicht rein mhd. denkmal (Haupt 1, 16) zachzig gefunden
wird, und nnl. volksmundarten gewähren tzeventig, tnegentig für
zeventig, negentig. Richthofen weist 952b aus Urkunden bei Schwar-
zenberg tniogentich tnogentich auf, wo sonst auch tseventich oft er-
scheint, man sieht klar, dasz dies praefix von t- und früher ant-
wiederum auf die zahlen 70 80 90 eingeschränkt bleibt, und mit dem
goth. tehund, ahd. zö zusammenhängt, 20 — 60 aber kein praefix
empfangen, wie ihnen goth. tigus, ahd. zuc gebührt.
Völlig ins reine gebracht wird der unterschied durch die ags.
decaden, welche XX — LX durch tventig prittig feovertig fiftig sixtig
ausdrücken, von LXX an aber hund vorsetzen und (ursprünglich)
die Ordinalzahl beifügen, hund bedeutet decas und die Ordinalzahl
* ahtedeg ahtodoch in der Essener heberolle ist nach hochdeutscher
weise achzig.
174 URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
bezeichnet den begrif der Vielheit: LXX hundseofode, LXXX hunde-
ahtode, XC hundnigode, entsprechend jenem alts. antsibunda antah-
toda antnigunda, und ins lat. decas septima, decas octava, decas nona
zu übersetzen, unorganisch bildeten sich aber aus solchen ordinalien
cardinalformen, oder man gab den allmählich eingeführten seofontig,
eahtatig, nigontig (die den späteren ahd. sibunzuc ahtozuc niunzuc
statt der älteren sibunzö ahtozö niunzö gleichen) dennoch das praefix,
so dasz nun in hundseofontig, hundeahtatig, hundnigontig die decas
doppelt, einmal im praefix und nochmals im suffix bezeichnet wurde,
den nemlichen pleonasmus enthält das nl. tachtig und jene tzeventig
tnegentig der volksprache.
In den altn. decaden tuttugu J>riätiu fiörutiu fimftiu sextiu
sjötiu ättatiu nlutlu hat sich jene goth. ahd. alts. ags. unterschei-
250 düng zwischen 20—60 und 70—90 zwar nicht bewahrt, doch soll
hernach ein anderer beweis für ihr Vorhandensein erbracht werden,
auch stimmt das tugu in tuttugu deutlich zum goth. tigjus, ahd. zuc,
das tlu der übrigen zum goth. tehund. ahd. zö, und man darf ver-
muten, dasz ältere strengere Sprachdenkmäler prjatigir fiörtigir fimtigir
sextigir setzten und erst mit sjötiu die andere form begannen, allen
ordinalien wird -tugasta gegeben, organisch sollte es nur bis 60 gelten.
Die schwed. decaden tjuge tretti förti femti sexti u. s. w., die dän.
tive tredive fyrgetive u. s. w. sind hernach leicht zu verstehn: das
schwed. ti war gleich dem altn. überall, auszer in XX, gedrungen,
umgekehrt das dän. tive in die übrigen, was sich rechtfertigt, weil diese
Sprache die zahlen 70 — 90 durch die multiplication halvfierdsindstive
firesindstive halvfemsindstive schleppend ausdrückt, tredive für tretive
ist ungebührend weichlich, einigermaszen wie nhd. dreiszig für dreizig.
Nach diesen erörterungen allen wird sich die der hundertzahl
nicht verfehlen lassen, die multiplication zehnmalzehn liegt ihr zum
gründe und der ausdruck dafür leidet gewaltsame kürzung.
Das skr. satam, zend. satem, pers. szad entspringen aus daäan-
daäatam daäädasatam; das gr. ixaxov aus ösxccöexaxov, so dasz von
dixatov nach abgestreiftem D das E noch übrig blieb und aspiration
empfieng; von ev läszt sie sich nicht herleiten, lat. centum gieng
hervor aus decendecentum, litth. szimtas aus deszimdeszimtas, ebenso
lett. simts. sl. sto für sjato, soto seto (daher noch ordinal sotnja
setny) und dann für desjato, dies endlich für desjadesjato. ir. cead für
deichdeichad. Dasz dem satam exarov centum szimtas sto cead nicht
bloszes desatam dtxatov decentum deszimtas desjato deichead unter-
liege, sondern die decas nochmals vorausgedacht werden müsse, folgt
ausdernothwendig multiplicierenden Vorstellung überhaupt, dann aber
aus der analogie der zahlen XX — XC : ergab sich trinsat aus tridasati,
triginta aus tridecinta, so können sich auch &atam centum nur aus da-
sädasatam decemdecentum ergeben. Jeden zweifei benehmen die deut-
schen formen, neben der kürzung hund, die dem äatam centum ent-
251 spricht, gilt bei Ulfilas zugleich das volle taihuntehund, welches genau
gebildet ist wie sibuntehund ahtautehund niuntehund und nach ihnen
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN 175
fortschreitet, nicht anders neben hunt das vollere zehanzö, analog dem
sipunzö ahtözö niunzö; allmählich wird aus zehanzö zehanzuc und
noch mhd. dauert zehenzic zänzic für 100. jetzt kann ich erst den
begrif des groszen hunderts =120 ganz klar machen, bis 60 wurde
mit tigjus, von 70 — 120 mit tehund gebildet, folglich musz der Gothe
nach taihuntöhund fortgezählt haben ainliftehund = 110, tvalifte-
hund =120 und die absonderung der einfachen ainlif tvalif von
pritaihun erscheint völlig angemessen, geradeso mutmasze ich ahd.
einlifzö = 110, zuelifzö = 120 und weiter alts. anttegoda = 100,
antellifta = 110, anttuelifta = 120*. ags. folgt wirklich auf hund-
nigontig = 90 ein hundteontig =100, hundendlufontig = 110, hund-
tvelftig = 120. altn. heiszt es: niutiu 90, tiutiu 100, ellifutlu 110,
tölftiu 120; gleichviel mit tiutiu ist aber gekürztes hund, vgl. die
Zusammensetzungen hundgamall, hundmargr, und wiederum folgt aus
dem hund der für die altn. lautlehre wichtige satz, dasz tiu aus
tihun = goth. taihun hervorgegangen sei, hund = tihund stehe,
H und N also hier in der älteren spräche gewesen sein müssen.
Erklärung begehrt aber noch der auslaut dieser offenbar Sub-
stantiven bildungen. das T in satam centum exatöv fand sich nicht
in dasan decem dexa, wol war das T von szimtas und sto bereits
in deszimts und desjat vorhanden. M und T dieses deszimts erschie-
nen vorhin superlativisch und identisch dem M in decem septem, dem
T in septem octo quartus sextus 7ie[i7itog dexccxog ; denkbar wäre,
dasz eine frühere gestalt des skr. daäan, lat. decem gelautet habe
dasat, da&ant decent und daraus äatam, centum folge, wie excczov
stimmt, das -am, -um, -ov ist der gewöhnliche neutralausgang dieser
drei sprachen, gleiches gilt vom o des sl. sto; da die litth. ihr neutr.
verloren hat, faszt sie szimtas männlich, dem goth. neutr. hund oder
tehund ist, wie gewöhnlich, sein kennzeichen abgefallen, der pl. hat 252
richtig hunda; im ahd. zö (für zöh, zöhunt?) scheint alle substantiv-
kraft erloschen, das ags. hund gilt mir unbedenklich für neutral,
und ihm musz das alts. ant identisch sein, dessen T durch das nl.
in tachtig bestätigt wird, und doch aus D verderbt oder das lat. T
in cent geblieben sein mag; die aphaerese des H in einem wort, wo
lauter aphaeresen walten, kann nicht befremden: das nl. -t hat sogar
noch AN weggeworfen, ant oder hant erklärt sich nur aus tehant,
welches tehan für tehun taihun voraussetzt und zumal ahd. zehan
stimmt, während umgekehrt ahd. neben der zahl zehan hunt besteht,
für die zahlen 20—60 bedient sich die goth. spräche des männlichen
tigus, pl. tigjus, welchem ahd. zuc, zic, ags. tig, altn. tugr entspricht;
im ausgang von tuttugu (goth. tvaitigjus) ist entweder der acc. pl.
von tugr, oder eine alte sonst verlorne nominativform.
Allein etwas anderes kommt in betracht. nicht in rein ahd.,
geschweige in goth. Sprachdenkmälern erscheint eine fortbildung des
* wäre irgend ein nl. ttientig = 100, telftig =110, ttwalftig = 120
zu spüren?
176 URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
wortes hunt, so viel ich weisz liefern uns die glossen der Herrad
zuerst hundert für centum, nicht viel früher hat die Freckenhorster
urk. hunderod, und schon im ältesten mhd. finde ich allenthalben
hundert an die stelle des einfachen hunt getreten, noch höher reicht
in den ags. gesetzen hundred centuria und alle fries. rechtsbücher
zählen mit hundred, wie im hd. hundert ist nl. honderd, engl, hun-
dred allgemein durchgedrungen, altn. hundrad begegnet bereits in
deredda: fimm hundrad, ätta hundrad, sjö hundrad, Ssem. 43a. 135a;
schwed. hundrade, dän. hundrede, wie zu deuten ist diese bildung?
man denkt an centuria und centurio aus centum, wofür ahd. hun-
tari, hunteri gesagt wurde *; aus huntari entspränge dann weiter
huntaröt, anfänglich für centuria, allmählich für centum.
Stutzig macht nur eine mit absieht noch unerwähnt gebliebne
253 altn. ausdrucksweise wiederum für die zahlen 70 — 120: siraed ättraßd
nlraed tiraed ellefraed tölfraed (unter welchen ich jedoch siraed und
ellefraed nach der analogie ansetzte, nicht gelesen habe), wovon sich
hernach die adjeetive ättraedr octogenarius , nitraedr nonagenarius,
tlraedr centenarius bilden, dabei ist sichtbar die decas ausgelassen
und ättraed steht für attatiuraed, tiraed für tiutiuraed, tölfraed für
tölftiuraed; da nun tiutiu gleichviel mit hund war, liesze sich auch
hundraed setzen, aus welchem mit vocalkürzung hundrad pl. hundrüd
geworden ist. auf gleiche weise wäre das ags. hundred eigentlich
hundröd, hundraed, das ahd. hunterot aber huntarät und raed, ahd.
rät, goth. reds enthielte den begrif von ordo, T«£tg**.
In benennung der chilias zeigt sich von neuem die oft geprüfte
ähnlichkeit deutscher, litthauischer und slavischer zunge. goth. Jmsundi
fem. pl. Jmsundjös, ahd. düsunta, auch fem. (denn T. 53, 10 zu athu-
sunta), oft aber düsunt neutral und unflectiert, mit beigefügtem gen.
pl., und so mhd. durchgehends tüsent, unorganisch für düsent, nhd.
tausend für dausend; alts. thüsundig (auch ahd. bei N. ps. 67, 18
düsendig), mnl. dusentich, nnl. duizend; ags. ]aüsend Julsenda, engl,
thousand; altn. püsund neutr., schwed. tusende, tusen, dän. tusinde.
Biörn gibt auch ein isl. J)üsundrud an. altsl. f'isuschtscha, tysuscb-
tscha fem., russ. tysjatscha, poln. tysiac, böhm. tisje. lith. tukstan-
tis fem., lett. tuhkstots, preusz. tusimtons. Um die herleitung küm-
merte sich schon N., indem er ps. 89, 5 düsent als Verderbnis des
roman. descent = decies centum auffaszte, wozu der begrif vollkom-
men stimmt, und das bretagn. dek kant ist auch so zu nehmen, aber
jene formen scheinen nicht leicht auf diesem wege zu entspringen,
denn wäre goth. hund = taihuntehund, so müste 10X10X10 lau-
254 ten taihuntaihuntehund , sl. desjadesjadesjato, wovon sich schon die
* NN in hunno centurio ist wie malb. chunna. für das ähnliche de-
curia decurio brauchte man aber zehaninc zehaningari.
** nach diesem tölfrsect oder groszen hundert, welches 120 betrug, pflegte
man im Norden zu rechnen, zwei solcher hundert machten 240, drei 360.
so heiszt es in der Olaftryggv. saga: f>eir höfdu CC manna tölfraßd = 240
männer, und dem jähr gab man 300 und 5 tage = 365.
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN 177
verschobnen |> und t in pusundi, tysuschtscha entfernen, oder man
hätte ihnen uralte, dem begrif nach natürliche Verstümmlung unter-
zulegen; auch mahnt der auslaut ]3usund an hund [unten s. 552],
wie preusz. tusimton an litth. szimtas.* Sanskrit und zend geben
dieser zahl den namen sahasra**, hazanra, worin ich noch unsichrer
den stamm das'an spüren würde ; pers. hezära. Gleiches dunkel drückt
den Ursprung des gr. %lUoi, lesbisch %kkXioi, boeotisch %tikioi, dor.
%rjlioi (Ahrens p. 281) und lat. mille, mile, welches in allen romani-
schen sprachen dauert und dem auch ir. gal. mile, welsches mil ent-
spricht; wiederum stimmt der ausgang -ile.
Über die chilias hinaus haben unsere und die meisten verwandten
sprachen keinen ausdruck entwickelt ; auch das latein nicht für [ivqiol,
zendisch baevare.
Es ist zu bedauern, dasz für alle diese zahlvergleichungen uns
die getischen, thrakischen und skythischen zahlen beinahe ganz ent-
gehn. die dakische fünfzahl war durch Übersetzung des krautnamens
7iEvraq)vtäov dargeboten, doch propedula scheint verschrieben oder
eine andere Vorstellung einzuschlieszen (s. 2 10).unbez weifelbar gewährt
uns Herodot das skythische arima für die einzahl: die 'Agi^aöTioi
sind ihm [iovv6(p&cdiioi 3, 116. 4, 13 und 4, 27 wird ausdrücklich
erklärt: agi[ia yag 'ev xaleovöi, ^Ai, ötiov de tov 6(pftal[i6v. in
arima erscheint nun das Superlative M der lat. ordinalien septimus
decimus wie der cardinalien Septem novem decem; lag dem 6na das
gemutmaszte asna zum gründe, wie leicht könnte auch asama, asima 255
vorhergegangen sein, welchem arima entspräche ; zunächst stände ihm
sl. jedin. vielleicht aber wäre arim-aspu zu sondern und in aspu das
lat. oculus, wie in asp equus enthalten***.
Die kenntnis dieser einen skythischen zahl steigert also nur das
verlangen nach den übrigen, welche das Verhältnis der Urverwandt-
schaft manigfach erläutern würden.
Den hohen grad des annäherns zwischen allen bisher betrachteten
sprachen wird ein abstand der übrigen desto deutlicher erkennen
lassen, welche ich darum aushebe.
* merkwürdig bezeichnet in der lex Visig. II. 1, 26. IX. 2, 1 thyu-
phadus den millenarius oder chiliarch, der bei Ulfilas Jmsundifa£>s heiszt,
und der stufe nach von dem centenarius (Ulf. hundafa{>s) absteht, in der
ersten stelle IL 1, 26 musz der ausdruck millenarius eingeklammert und
als blosze glosse zu thyuphadus angesehn werden, thyu (j>ijus, fngus, wol
zu unterscheiden von tigus decas) war also wenigstens den Westgothen
eine nochmalige kürzung von £>usundi, und dem begriff nach taihuntaihun-
taihun oder altn. tiutiutiu; die zusammenziehung könnte auch das TH für
T erklären.
** vgl. das oben s. 112 angeführte sahas vis, robur.
*** lat. heiszt der einäugige cocles (Plin. 11, 37, 55 coclites qui altero
lumine orbi nascuntur) wie goth. haihs = coecus und verwandt scheinen
sowol xvxkwxp als litth. aklatis. Bopps scharfsinniger deutung des C und
H in coecus haihs aus skr. eka steht doch vieles entgegen, vgl. Haupts
Zeitschrift 6, 14.
Grimm, gescMchte der deutschen spräche. 12
178
URVERWANDTSCHAFT ZAHLEN
I
II
III
IV
V
finn.
yksi
kaksi
kolmi
neljä
wiisi
est.
üts
kats
kolm
nelli
wiis
läpp.
akt
qwekte
kolm
nelje
wit
n. läpp.
äft
guoft
gähn
njällja
vit
syriän.
ötik
kyk
kujm
njolj
Vit
ungr.
egy
kettö •
härom
negy
öt
bask.
bat
bi, bic
hiru
lau
bost
VI
VII
VIII
IX
X
finn.
kuusi
seitsen
kahdeksa
yhdeksä
kymmen
est.
kuus
seitse
kattesa
üttesa
kümme
läpp.
kot, kut
kietja
kaktse
akte
lokke
n. läpp.
gut
cecca
gavttse
äfttse
läge
syriän.
kvajt
sizim
kökjamys
ökmys
das
ungr.
hat
het
nyoltz
kilentz
tiz
bask.
sei
zazpi
zortzi
bederatzi
amar
Hier ist entschiedne ähnlichkeit zwischen den sechs erst ange-
führten sprachen erkennbar, deren nähere erläuterung mir nicht ob-
liegt; fast alles weicht aber von den urverwandten ab, es sei denn,
dasz seitsen sizim an Septem, das und tiz an das" an decem erinnern,
256 wichtiger egy yksi an skr. eka. allgemein betrachtet befinden wir
uns in einem ganz andern Sprachgeschlecht, wenn auch einzelnes,
wahrscheinlich von undenklicher zeit her, anklingt. Noch abgeschied-
ner stehn die baskischen zahlen und es scheint mir zufall, dasz sei
dem span. seis, hiru dem ungr. härom gleichen, für bedeutsamer
halte ich die analogie zwischen bi und dem lat. bi, bis, so wie die
bezeichnung der begriffe XI, XII durch amaica, amabi, deren erster
theil aus amar X besteht; ica schiene demnach die einheit ausge-
drückt zu haben und unmittelbar an skr. eka sich zu schlieszen.
Wie die finnischen und estnischen decaden sehr eigenthümlich
gebildet werden, musz ich übergehn, kann aber nicht unterlassen
anzuführen, dasz wiederum die Syriänen zwischen 20—60 und
70 — 90 unterscheiden: 20 kyzj, 30 komyn, 40 neljamyn, 50 vitymyn,
60 kvajtymyn, hingegen 70 sizimdas, 80 kökjamysdas, 90 ökmysdas.
ohne zweifei hängen noch andere nordöstliche sprachen an diesem
unterschied, dessen grund also auch für die unsrigen ins tiefste alter-
thum reichen wird.
Hundert heiszt finn. sata, est. sadda, läpp, tjoute (sprich tsjoute),
norw. läpp, cuotte (spr. tschuotte), syriän. sjo, ungr. szäz; bask. eun.
Tausend finn. tuhansi (tuhasi, tuhat, gen. tuhannen), lett. tuhhat,
läpp, tusan, norw. läpp, duhat, syriän. sjurs, ungr. ezer; bask. milla.
Diese benennungen beider zahlen scheinen merkwürdig, sata wie
tschuotte und szäz geradezu dem skr. äatam, sl. sto und tuhansi,
duhat unserm tausend, dem litth. tukstantis, poln. tysiac zu begegnen,
denn im finn. tuhansi gleicht H unserm S, wie sonst in vielen fällen,
z. b. hanhi, anser, gans. das ungr. ezer nähert sich dem zend. ha-
zanra, pers. hezära. wie hat man, da fast alle niedern zahlen ab-
URVERWANDTSCHAFT PRONOMEN
179
weichen, solche Übereinkunft der höchsten zu fassen ? aus erborgung,
weil sie im volk selbst nicht gangbar waren, so drücken auch wir,
eignen worts ermangelnd, myriaden griechisch, millionen, billionen
romanisch aus, und das bask. milla, vielleicht das ir. mile, welsche mil
mögen aus dem latein entlehnt sein, das altn. mfr für myrias scheint 257
aus dem gr. ; Finnen und Lappen holten ihr tausend und selbst hun-
dert bei sla vischen und deutschen nachbarn. eigenthümlich mag sich
jedoch das syriän. sjo hundert zu sjurs tausend verhalten und von
neuem den Zusammenhang zwischen beiden zahlen bestätigen.
Dies von den zahlen; ich schreite zum persönlichen pronomen,
das in allen urverwandten sprachen für die erste und zweite person,
wie für das reflexiv der dritten kein geschlecht unterscheidet, weil
die gegenwart des redenden und angeredeten das entbehrlich macht ;
eben so deutlich wird das reflexiv durch seine beziehung. denkbar
wäre gleichwol ein geschlechtsunterschied für beide erste personen
und der ausdruck desto sinnlicher; bekanntlich hat ihn auch die
hebräische spräche der zweiten, nicht der ersten, verliehen; es musz
als ein bedeutsames zeichen uralter abstraction gelten, dasz unsere
sprachen das geschlecht der zweiten person ununterschieden lassen.
Meine betrachtung schränkt sich auf die analogien des unge-
schlechtigen pronomens ein, da die Verhältnisse der geschlechtigen
pronomina zu manigfach und verwickelt sind, als dasz aus ihnen die
Urverwandtschaft gleich durchgreifend dargethan werden könnte,
auch bedarf ich nur der vier in deutscher spräche entwickelten casus
im sg., und lasse abl. instr. und loc. so wie alle dual und plural-
formen hier bei seite.
Höchst characteristisch ist nun alsbald, dasz ohne ausnähme der
nom. sg. erster person vocalisch, jeder oblique casus dagegen conso-
nantisch anlautet ; mag dieser consonant ursprünglich auch dem nom.
gebührt haben: er ist von uralters her abgefallen:
skr.
aham
mama
mahjam
mäm
zend.
azem
mana
möi
manm
gr.
eyco
pod
poi
ft£
aycjv
Efie&sv
8(ilv
lat.
ego
mei
mihi
me
litth.
asz
man^s
man
mane^
lett.
es
mannis
mannim
man
preusz.
as
maisei
mennei
mien
sl.
az
mene
mnje
mja
poln.
ia
mnie
mnie
mie^
böhm.
ga
mne
mne'
m8
osset.
äz
man
mänän
mä
goth.
ik
meina
mis
mik
ahd.
ih
min
mir
mih
ags.
ic
min
me
mec
engl.
I
mine
me
me
altn.
ek
min
mer
mik
258
12
180
URVERWANDTSCHAFT PRONOMEN
ir. (me) mo (damh) mä
welsch (mi) — — mi
alban. ov ovvs [lova /liovcc tiova
Die formen zweiter person halten durchgehends einen lingual-
anlaut aufrecht, gehn aber sonst der ersten ziemlich parallel:
skr.
tvam
tava tubhjam
tvam
zend.
tum
tava thvöi
thvanm
gr-
öv
ÖOV GSxtSV (501
OB
dor.
tv xvya
x&og, xeovg toi, xlv
xk
lat.
tu
tui tibi
te
litth.
tu
tawe^s taw
tawe^
lett.
tu
tewis tewim
tew
preusz.
tou
twaise tebbei
tien
sl.
ty
tebe tebje
tja
poln.
ty
ciebie tobie
cie
böhm.
ty
tebe tobS
tö
osset.
du
däu dävän
da
goth.
bü
peina J>us
Jmk
ahd.
du
dln dir
dih
ags.
bü
J)ln J>e
pec
engl.
thou
thine thee
thee
altn.
t)ü
J)in ber
do (duit)
J>ik
ir.
tu
thu
welsch
(ti)
— —
ti
alban.
XI, XlVi.
xov xov
xov
In
der
dritten reflexiv gedachten, darum keines nom. fähigen
259 person
her seht der s
miaut S oder H, welche sich
auch sonst ver-
treten.
merkwürdig gebricht dies reflexivum im sanskrit ganz, musz
daher i
lus dem prakrit ar
Lgeführt werden:
prat
:r. —
se-
s6 -
zend
—
he,
höi he, höi —
gr-
—
7
OV,
e&ev ov £, 6cp£
lat.
—
sui
sibi se
litth
—
sawe^s saw sawe^
lett.
—
sewim sew
preusz. —
swaise? sebbei sien
sl.
—
sebe sebje sja
poln
—
siebie sobie sie^
böhm.
sebe sobe" s&
goth
—
seina sis sik
ahd.
—
sin
— sih
altn.
—
sin
ser sik
alban. —
ßexi
ßkxi ߣx£%e
auch die keltischen sprachen, unter den deutschen die ags. und engl,
entrathen des reflexivs und ersetzen es durch das geschlechtige pro-
nomen, wie die ahd. für den dat. thut, welchem nhd. die aecusativ-
form verliehen wurde.
URVERWANDTSCHAFT PRONOMEN 181
Alles, bis aufs geringste, scheint in diesen pronominalformen
geheimnisvoll und betrachtenswerth ; auszer heftigen, die ursprüng-
liche wortgestalt verfinsternden kürzungen müssen auch unorganische
einflüsse der einen person auf die andere obgewaltet haben.
Einzelne reihen laufen durch und^ gewinnen das ansehn fester
regel, z. b. möi thvöi höi, fxov öov ou, {ioL öoi ol, [iE 68 "s\ me te
se, mja tja sja, meina J>eina seina, min din sin, mih dih sih; so
bald man aber weiter geht, hört die gleichheit auf. man erwäge zu
jenen folgende: mei tui sui, mis ]>us sis, mihi tibi sibi, man^s taw^s
saw^s. beinahe sollte es scheinen, allzugrosze gleichheit sei erst all-
mählich eingeführt, die Verschiedenheit vorangegangen.
Schon die älteste form des nominativs spaltet sich, wie bereits
angemerkt wurde, insofern das aham erster person vocalisch anlautet
und von allen oliquen formen absticht, während in tvam der conso- 260
nantische anlaut auch den oliquen zusteht, diese auszeichnung des
nom. fich' reicht durch alle unsere Sprachverwandtschaft und musz
ihren tiefsten grund haben : es war unnöthiger das 'ich' hervorzu-
heben als das au und die spräche scheint sich von jeher in dieser
abstraction zu gefallen ; weil die obliquen bezüge gröszere deutlichkeit
fordern, können sie des anlauts M nicht entrathen. Nach analogie
der zweiten person läszt sich mutmaszen, dasz ursprünglich auch in
der ersten das oblique M ebenwol dem nom. gebührte, folglich aham
für maham stehe ; nachzuweisen aber ist es in der geschichte unsrer
sprachen nicht.
Das volle A in aham mama mahjam mam haftet nirgends treuer
als im litth. asz man^s man mane; die sl. mnje stoszen den vocal
aus. dünnes E herscht in aya ego ; [te me, es, mec me, ek mer, mS,
me. deutsche zunge liebt I: ik mis mik (wie mikils = {isyag maha,
ist = eöri asti), allein schon die altpersische keilschrift zeigt mija,
das latein mihi für mahjam.
SZ und Z der litth. und sl. asz az nähern sich auffallend dem
zendischen azem, welches vermutlich den Übergang des A in E er-
zeugte, denn auch sl. G pflegt bei folgendem I sich in Z zu wandeln,
z. b. bog bildet den pl. bozi, also weist az auf azi, azi auf aga.
litth. SZ darf zu H gehalten werden : szis szu szalmas deszimt = his
hund hilms taihun, begegnet auch dem K : szaltas kalds. genauer als
dem H in aham entspricht dem G in ego lyd unser goth. K, ahd. H
in ik ih.
Den ausgang -am in aham tvam, azem tum entbehren alle jün-
geren sprachen. Überbleibsel sind die zweiten silben von eycov (für
iyov) ayio ego, im ahd. ihhä egomet (Graff 1, 118) und im vermuteten
sl. azi für aga. die apocopen haben gewisse analogie mit der des
-am, -an in cardinalien.
Ergänzt man aham in jenes maham, so haftet unter allen obliquen
formen das H nur im dat. mahjam und lat. mihi, so wie entsprechen-
des K im goth. acc. mik, ahd. mih. um mahjam mit tubhjam aus-
zugleichen, hätte man, da in BH der offenbare dativcharacter liegt,
182 URVERWANDTSCHAFT PRONOMEN
261 anzunehmen, dasz mahjam aus mahbhjam oder mahabhjam, mihi aus
mihibi erwachsen, also das H wurzelhaft sei. unser deutsches mik
mec mih wäre dann höchst alterthümlich und stände für mika mihha
= maham, wie ik ih ihha = aham; im skr. mäm begriffe sich die
kürzung aus maham. aber nun wäre der folgerung nicht auszuweichen,
dasz die organische form mik unorganisch auf puk und sik erstreckt
worden sei, in welchen der kehllaut nicht aus der wurzel stammen kann.
In zweiter person sehen wir den lingualanlaut die obliquen casus
gleich dem nom. einnehmen und sich nach dem gesetz der Verschie-
bung abstufen. T bewahrt unter den gr. dialecten der dorische; um
so zulässiger wird S, weil es Verwechslungen mit dem demonstrativen
T abschneidet, im reflexiv aber H herscht*.
Wurzelhaft scheinen in zweiter und dritter person nicht sowol T
und S, als vielmehr TV SV, und aus vocalisierung des V häufig U
entspringend, tvam ist demnach tva-am und erweicht zend. tum, mit
apocope des M aber tu {>u du, wobei die gr. und sl. neigung zu T
und Y nicht übersehn werden darf: tv ov ty. Der skr. dat. tubhjam
gieng hervor aus tvabhjam und -bhjam ist deutlich casusflexion; lat.
tibi hat der analogie von mihi zu gefallen sein U geopfert [vgl. ibi,
ubi] und sollte tubi lauten, und nicht anders wäre subi für sibi =
skr. subhjam für svabhjam zu behaupten; beide finden im sl. tobie
sobie, tobe' sob£ bestätigung. auch tebbei sebbei stehn für tobbei
sobbei. das zendische thvöi = tabhjam weist auf ein paralleles hvöi
für höi, wogegen möi unmittelbar aus mahjam abflieszt. ftot 6oi ol
sind beinah ebenso zu fassen, mis pus sis gewähren wie mik puk.
sik das U nur in zweiter person, während ihm die ahd. mir dir, mih
dih sih, wie die lat. mihi tibi sibi, me te se auch in zweiter ent-
sagen; der parallelismus zwischen tobie sobie streitet für £us sus,
262 ]?uk suk, tubi subi ; von dem goth. ausgang -s kann erst nachher
die rede sein, geradeso ist der Ellaut in meina peina seina, min
din sin durchgedrungen, während mei tui sui organisch sondern.
Doch der wendepunct aller deutung liegt hier im genitiv und
in der frage, wie die formen mama tava (sava) auszugleichen sind?
Das erhellt leicht, dasz aus mama verdünntes mana man^s mene
meina min hervorgiengen, aus tava taw^s; tebe steht für tewe und
der dat. tebje mag die Verwechslung zwischen W und B herbeigeführt
haben, deren laut so nah an einander grenzt, da nun lateinischem
sui oskisches suveis entspricht, darf ich auch tuveis = tui rathen;
diese tuveis suveis gleichen dem litth. taw^s sawes mit dem unter-
schied, dasz in jenen das V sich auch das A in U assimiliert hat;
wie den Osken mei lautete? möchte ich wissen, mei tui sui mag man
zu {lov 6ov ov halten, aber in den gr. formen ist OV die gewöhn-
liche genitivflexion, also dem lat. I parallel, so dasz darin der lat.
Organismus mei tui sui nicht ganz erreicht wird.
* die gemeingriechische mundart hat den glücklichsten hang zur klar-
heit. der dor. gen. xsov, dat. toi tritt dem demonstrativen zov i«5 allzunahe.
URVERWANDTSCHAFT PRONOMEN 183
Die Schwierigkeit von mama und tava wage ich auf folgende weise
zu lösen, es ist bekannt, dasz die persönlichen pronomina reduplication
lieben und für lat. me se nachdrücklicher meme sese (warum nicht für
te tete?) gesetzt wird*, sollte mama entstehn aus wiederholtem ma
(für man, mama = mahmah), so liesze sich auch tava begreifen aus
tvatva, svava aus svasva : der häufige gebrauch dieser wörter hätte
mahmah in mama, tvatva in tvava tava, svasva in svava sava verdünnt,
die geschichte der verbalreduplication pflegt noch erheblichere kürzungen
aufzuzeigen. Zur bestätigung kann ich einiges besondere anführen,
der lat. gen. sui gemahnt an den gen. suis von sus; wie aber suis
dem goth. sveinis entspricht, würde sui dem goth. sveina entsprechen,
seina demnach aus sveina entsprungen sein, die lat. partikel si lautet
auf oskisch svai, was dem goth. sva oder sve nahe kommt; es pflegt
aber wiederum svasve, ahd. sösö, ags. svasva gedoppelt zu werden:
weil nun diese partikeln mit dem stamm des reflexivs unleugbar ver- 263
wandt sind**, wäre die reduplication svasve der des genitivs svasva
völlig analog, svasva verdünnte sich in svava sava suveis sui, aber
goth. seina = sveina nahm wie peina aus dem stamm der ersten
person meina die unorganische endung an, ungefähr wie im prakrit
der gen. tuma für skr. tava dem mama der ersten person folgt.
Noch ein gröszeres räthsel als mama tava sava: meina J)eina seina
ist der dativ mahjam tubhjam subhjam: mis J)is sis; dieser ausgang -s
hat in der dativflexion sg. gar nicht seines gleichen. Bopp §. 174
erblickt darin ein pronominalsuffix, welches er aus dem skr. -sma leitet ;
gäbe die reduplication der dritten person keine einfachere auskunft?
entweder wäre subhjam aus svasvabhjam entsprungen und davon im
goth. dativ nur sis für sus übrig, oder das genitivische svasva hätte
den goth. dativ eingenommen? in beiden fällen drang das nur der
dritten person gebührende -s vor in die erste und zweite, wie umgedreht
das -n in meina, das -k in mik aus der ersten in die zweite und
dritte? mir scheinen M in mama, V in tava, S in sis anspruch auf
gleiche deutung zu haben, dasz sich verschiedne casusformen mengen
lehrt eben das dem dat. und acc. gehörige hochd. sich, schwed. sig.
' Auch die gr. genitive und dative veranlassen noch bedenken,
statt des gewöhnlichen [iov öov ov entfaltet sich i(i8$ev Csfrev s&ev,
das dem correlativen ausgang %6%sv to&sv o&sv eöcoSsv avaftev %tl.
gleicht und den begrif von mir, von dir, von sich zu enthalten scheint,
indessen hat auch das prakrit neben den einfachen gen. mama tuma
die weitere form madidiha tudidiha, die sich vielleicht an jene grie-
chischen schlieszen.
Der dorische dativ zeigt nach Ahrens p. 251. 252 egiiv xlv LVy
bei den Tarentinern 8[iivr] tivrj, und für ipiv auszerdem 8^tvya; es
ist nichts anders anzunehmen, als dasz diese dem litth. man, sl. mnje 264
* vgl. lat. ipsipsus, ahd. selpselpo, mhd. selbeselbe.
** auch "va scheint verwandt mit e und lat. se, si, in der form aber
den dorischen dativen ifilvij xivri %v. Ahrens p. 251. 252.
184
URVERWANDTSCHAFT PRONOMEN
gleichenden formen aus der ersten person in die beiden andern vor-
geschritten seien, welchen statt des N ein labiallaut gebührt hätte,
diese übergriffe dienen also zur bestätigung der angenommnen andern.
Im keltischen haben sich blosz gen. und acc. erhalten und dazu
jener nur im irischen mo do, deren 0 uns wiederum einen Übergang
aus zweiter in erste person kund thut. die aus dem acc. in den nom.
vorgedrungnen me, mi, ti sind als unorganisch eingeschlossen wor-
den, das haftende irische tu veranlaszte wahrscheinlich jenes me.
Befremdlich scheinen auf den ersten blick die irischen damh und duit
für mihi tibi; man erkennt aber leicht, dasz sie aus praefigierten
praepositionen erwachsen, also in dorne, do the (oder t£) aufzulösen
sind und den englischen to me, to thee gleichen; es steht ihnen
keine wahre flexionsnatur zu und ich habe sie eingeklammert.
Diese kurze Untersuchung wird hinreichen, um die grosze Über-
einkunft der persönlichen pronomina nicht nur an sich selbst, son-
dern auch in der verschiednen aber analogen weise, wie sie aus einer
person in die andere übergreifen, darzulegen; ich stelle ihnen noch
die der übrigen europäischen sprachen zur seite, deren abstand zwar
ins äuge fällt, dennoch weit geringer als bei den Zahlwörtern er-
scheint, der sg. erster person lautet:
265
finn.
minä
minun
minulle
• minun
est.
minna
minno
minnulle
minno
läpp.
mon
mo
munji
mo
n. läpp.
man
muo
munji
muo
syriän.
me
menam
menym
menö
ungr.
<§n
enyim
en nekem
engemet
bask.
ni
nizas
niri
ni
und der zweiten:
finn.
sinä
sinun
sinulle
sinun
est.
sinna
sinno
sinnulle
sinno
läpp.
todn
to
tunji
to
n. läpp.
dän
du
dunji
du
syriän.
te
tenad
tenyd
tenö
ungr.
te
tiöd
te neked
tegedet
bask.
hi
hizas
hiri
hi .
Der vocalanlaut erster person im nom. mangelt und das überall durch-
geführte M mag ursprünglicher sein, als in den urverwandten sprachen,
kann also das vermutete maham für aham bestärken, das bask. N
ist aus M geschwächt, aber gleich durchherschend ; das ungr. en scheint
einen vocal vorzuschieben und ebenfalls N für M zu enthalten*. In
der zweiten person stimmt der finnische character S für T ganz zu
dem griechischen und das bask. H erklärt sich leichter aus S als aus T.
* die eigentümlichen suffixe M und D, wodurch der Unger mein und
dein ausdrückt (z. b. atyäm mein vater, atyäd dein vater, hügom meine
Schwester, hügod deine Schwester) entsprechen den auslauten der genitive
enyim und tied.
URVERWANDTSCHAFT. IST. VATER 185
In der flexion läszt die finnische, lappische und baskische gleich-
förmigkeit beider personen wiederum übergriffe aus der ersten in
die zweite ahnen; desto merkwürdiger ist die syriän. und ungr. ab-
weichung in den formen menam und tenad, enyim und tied, die ich
aber nicht näher zu deuten unternehme.
Da alle diese zuletzt angeführten sprachen überhaupt kein ge-
schlecht unterscheiden, so musz sich auch das Verhältnis ihres pro-
nomens dritter person anders stellen, als bei uns; sie entfalten kein
reflexivum, können aber eine uns verwandte form schon als nomina-
tiv setzen und in dieser beziehung darf das H des finnischen hän =
is, ille dem Spiritus asper des griech. reflexivs und das S des lap-
pischen sodn, sän, des syriänischen sy = is, ille dem S des lat. oder
deutschen reflexivs an die seite gestellt werden, nicht anders ver-
halten sich im geschlechtigen pronomen gr. 6 •*; und goth. sa so.
dies alles näher zu begründen gehört nicht hierher.
Eine weitere durchgreifende gleichheit aller urverwandten sprachen
läszt sich mit wenigen worten darlegen, die Übereinkunft der dritten
singularperson des Substantiven verbums, während nemlich die bei-
den ersten personen oft schon nicht mehr zusammenstimmen und wie 266
die personen des dualis und pluralis aus andern stammen gebildet
werden, hat sich das skr. asti, zendische aäti, persische est, gr. söxi,
lat. est, goth. ahd. mhd. nhd. ist, litth. esti, preusz. ast, altsl. iesti,
poln. jest, böhm. gest von der ältesten zeit bis auf heute getreu er-
halten, am getreusten in den zweisilbig gebliebnen formen, in meh-
reren neueren sprachen hat sich jedoch das T abgeschliffen und so
wird spanisch blosz gesagt es, alts. is (doch schwankt Heliand zwi-
schen ist und is), ags. engl, is, fries. is, mnl. es, is, nnl. is, irisch
is, welsch ys und dies S verhärtet sich in R: altn. er, schwed. är,
dän. er, wohin auch das lett. irr gerechnet werden darf, endlich
entsagen einzelne sogar dem S und begnügen sich mit dem bloszen
vocal, namentlich das ital. e und franz. est, worin die ausspräche
das S nie, das T nur zuweilen hören läszt; ebenso gilt neben dem
serb. jest, böhm. gest zugleich ein abgenutztes je, ge.
Wie stechen davon ab die formen derselben person des Substan-
tiven verbums in den unurverwandten sprachen: finn. est. on, ungr.
van, läpp, le oder lse, baskisch da! man kann einige derselben unter-
einander näher bringen, namentlich das finn. on auf olee zurück-
führen, und dem läpp, le das o durch aphaeresis entzogen finden.
Zum vierten beispiel, mit welcher wunderbaren kraft sich ein-
zelne wortreihen in den sprachen, trotz allen abwegen, den diese ein-
schlugen, dennoch fast einförmig erhalten haben, wähle ich fünf aus-
drücke für die einfachsten Verwandtschaftsverhältnisse, deren schöne
gleichartigkeit gewis nicht ohne tiefen grund ist.
skr. pitr mätr bhrätr svasr duhitä
zend. pata mäta bräta khanha dughda
pers. pader mäder bräder khwäher dokhter
lat. pater mäter fräter soror (filia)
186
URVERWANDTSCHAFT VATER
madre
mere
(aij>ei)
muotar
mutter
mödor
mother
muodor
moeder
mödir
moder
mathair
(mam)
mote7
mähte
müti
mati
mat'
matka
matka
muori
(äiti, emä)
(emma)
(edne)
(aedne)
(anya)
Am anschaulichsten legen uns die deutschen sprachen den paral-
lelismus dieser Wörter vor, diesmal mit ausnähme der gothischen,
welche, so weit wir sie kennen, mödar gar nicht hat und auch fadar
nur selten gebraucht, dem latein entgeht ^vydrrjQ, dem griechischen
soror, allen litth. und sl. sprachen der gleiche ausdruck für pater,
denn die annähme, dasz ot'z" otec ein ursprüngliches pot'z" potec
vertreten scheint bedenklich, weil auch das characteristische R des
Schlusses abgeht und kaum durch Z ersetzt wird, anders verhält es
sich mit dem ir. athair, das viel deutlicher sich auf der linie mit
mathair und brathair hält, vielleicht also für pathair steht.
Alle diese Wörter zeichnen sich theils durch eine lingualis in der
268 mitte, theils durch das R am ende aus. wo der linguallaut mangelt,
scheint ihr ausfall anzunehmen, namentlich im skr. svasr, lat. soror
= sosor — suesor und finn. sisar, die sich nach dem deutschen und
sl. maszstab in svastr, suestor, sistar vervollständigen, litth. sessü
steht für sestü. im franz. soeur, ir. siur ist nicht allein T, sondern
auch S syncopiert, pere mere fröre entspringen aus padre madre
fradre, wie finn. muori aus muoteri und wie auch die nnl. mundart
häufig in vaer moer broer, die schwed. in far mor bror kürzt, statt
des diminutiven sorella begegnet it. suora = suostra für den begrif
ital.
padre
franz.
pere
gr.
TtvtxriQ
goth.
fadar (atta)
267 ahd.
fatar
nhd.
vater
ags.
fäder
engl.
father
alts.
fadar
nnl.
vader
altn.
fadir
schwed.
fader
ir.
athair
welsch
(tad)
litth.
(tewas)
lett.
(tehws)
preusz.
(täws)
altsl.
(ot'z")
russ.
(otetz")
poln.
(ojciec)
böhm.
(otec)
finn.
(isä)
est.
(issa)
läpp.
(attje)
n. läpp.
(atzhje)
ungr.
(atya)
fratello
sorella
(figlia)
frere
soeur
(fille^
(pgat}]Q
(ccdekqirj)
&vyccTr]Q -
bröpar
svistar
dauhtar
pruodar
suestar
tohtar
bruder
Schwester
tochter
brödor
sveostor
dohtor
brother
sister
daughter
bruodor
suester
dohtor
broeder
zuster
dochter
brödir
systir
döttir
broder
syster
dotter
brathair
siur
dear
brodyr
chwaer
(merch)
brolis
sessü
duM
brahlis
(mahse)
(meita)
brätis
• . .
duckti
brat"
sestra
d"schtschi
brat"
sestra
dotsch
brat
siostra
cora, corka
bratr
sestra
dci, dcera
(weli)
sisar
tytär
(welli)
sössar
tüttar
(välja)
(äbba)
daktar
(velj)
(oäbba)
(nieid)
(bätya)
(nöne)
(leänyka)
URVERWANDTSCHAFT VATER 187
der nonne, wie statt fratello frate für den des mönchs. der zen-
dische, persische und dazu merkwürdig stimmende welsche guttural-
anlaut vertritt, wie auch anderwärts, den lingualen und das zweite
H in khanha khwaher ersetzt, wie sonst in diesen dialecten, S, so
dasz khanha offenbar = svansa, khwaher = swaser steht; nicht
anders entspricht welsches chwaer dem ir. siur. in khanha trat noch
ein nasales N dazwischen, nord. döttir assimiliert dohtir, ir. dear
ist zu ergänzen deathair, im sl. dschtschi dotseh sind die ursprüng-
lichen HT in einen dickeren zischlaut übergegangen, den das sl. organ
liebt; die böhm. und noch mehr poln. form verengen wieder das russ.
dotseh in dei, co; das -ka in corka ist diminutiv wie in matka für
mati, so dasz corka, böhm. deerka etwa unserm töchterchen gleicht,
das serbische wort lautet ktji (oder wie man es schreiben wolle),
das slovenische hzhi, in Steier hzher. auch die litth. lett. brolis brahlis
geben sich als diminutiva kund => bratelis brotelis.
Wo aber das schlieszende R dem nom. mangelt, pflegt es in der
obliquen flexion vorzubrechen, also bildet skr. duhitä den acc. duhi-
taram, welcher dann mit pitaram mätaram bhrätaram svasaram sich
gleichstellt, ebenso empfangen die zend. nominative pata bräta u. s. w.
im acc. patarem brätarem = lat. patrem fratrem, ahd. fataran pruo-
daran. die litth. mote dukt& haben den gen. moteries dukteriös,
acc. moteri dukteri; sessu bildet sesseriös sesseri. wiederum sl. mati
dschtschi den gen. matere dschtschere, acc. mater' dschtscher', böhm.
mati dei den gen. matere deere, acc. mater deer, und so in den 269
neueren dialecten. nur dem sl. brat, gen. brata mangelt das orga-
nische R durchaus in allen mundarten, auszer der böhmischen, die
schon dem nom. bratr verleiht und das R in der flexion aufrecht
hält, ältere litthauische denkmäler würden wahrscheinlich auch ein
brotis gen. broteries zeigen, wie das preusz. brätis in der Verkleine-
rung brätrikai fraterculi (nom. pl.) R einschaltet, bemerkenswerth
scheint, dasz oberdeutsche volksmundarten das R im nom. voda muota
bruoda unterdrücken, oblique aber wieder herstellen.
Noch verdient der wurzelvocal rücksicht. im zend. pata, lat.
pater, gr. 7taT7]Q, ahd. fatar dauert reines A, während hier schon skr.
pitr Verdünnung in I gestattet, wie sie in den lat. Zusammensetzungen
Jupiter Diespiter Marspiter gleichalt erscheint, umgekehrt hat skr.
svasr A, wo in svistar I, in sestra E gilt, wie auch lat. soror eher
aus suesor als suasor entspringt, in duhitä (prakr. duhidä) dughdha
ftvyaxriQ dauhtar tohtar dukte behaupten alle U oder dessen Schwä-
chung 0 und auch das altsl. (von mir durch " bezeichnete) jerr in
d"schtschi führt auf U zurück*. Neben diesen drei kurzen vocalen in
vater Schwester tochter herscht in mätr bhrätr langes A, welchem
* dreisilbig erscheinen nur skr. duhitä und gr. &vyätriQ: es leuchtet
ein, dasz das I in -itä, das A in -axriQ genau denen in pitr und tiolttiq
gleichstehn; über das verhalten des I) und 6 im anlaut beider Wörter
anderswo.
188 URVERWANDTSCHAFT VATER
auch in allen übrigen sprachen angemessene länge zur seite steht,
erst das nhd. vater und mutter stören diesen Organismus: man hätte
umgedreht vatter und muter annehmen sollen.
In diesen Wörtern ist nichts auszer acht zu lassen, wie geschieht
es doch, dasz skr. lat. gr. das T feststeht, im goth. fadar gegen brö-
par, im ags. fäder mödor gegen brödor media und asp. unterschie-
den sind? und folgerichtig im ahd. fatar muotar gegen pruodar te-
nuis und media? ohne Ursache kann das nicht sein, diese aber nicht
im kurzen vocal von fadar und langen von bröpar gesucht werden,
270 da in mödor und muotar, ungeachtet des langen vocals gleichstellung
mit fadar fatar statt findet, im altn. fadir mödir brödir, engl, father
mother brother, nl. vader moeder broeder, schwed. vader moder bro-
der hat sich der unterschied verwischt, wie auch ir. athair mathair
brathair gleichlauten; altirisch schrieb man atair matair bratair
(O'Donovan p. 46).
In alts. Urkunden erscheinen Fadar Bröthar Mödar Sustar nicht
selten als blosze eigennamen.
Ohne zweifei gibt es neben den angeführten fünf verwandtschafts-
wörtern noch andere mit derselben eigenthümlichkeit : sie lassen sich
nur nicht so durchgreifend durch die sprachen aufweisen.
Skr. sunu, goth. sunus, ahd. sunu, ags. sunu, altn. sonr, engl,
son, litth. sunus, preusz. souns, sl. s"in", russ. syn", poln. böhm.
syn zeigen zwar groszen urverwandten einklang, entbehren aber jenes
R in zweiter silbe. gehört gr. viög derselben wurzel? die asp. stimmt
zu S, dann würde sich fidius und filius (vgl. span. hijo, syriän. pi
und ungr. fiü) nähern dürfen ; auch alle diese entfalten kein R. Das
sanskrit liefert aber für söhn noch einen andern ausdruck, nemlich
putra, das zend puthra, acc. puthrem, welchen das lat. puer für
puter? und puella = puerula für puterula? gleichen, da die begriffe
söhn und knabe, tochter und mädchen in einander aufgehn; vgl.
bretagn. paotr = puer, finn. poika puer und filius. ohne zweifei
stellt sich putra unmittelbar zu pitr und pater.
Dem skr. ävasura, das mit svasr sich berührt, entsprechen gr.
Bxvgog, lat. socer = svacer, goth. svaihra, ahd. suehur.
dem skr. dschämätr gr. ya^ß^og, lat. gener, litth. zentas, poln.
zie^c, böhm. zet, russ. ziat'.
dem skr. devr gr. öaiJQ, lat. levir = devir, litth. deweris, ags.
täcor, ahd. zeihur.
das böhm. neti neptis flectiert ganz wie mati oder dci und bildet
im gen. netere, im acc. neter. das verwandte goth. nipjo, lat. neptis,
ahd. niftila bleiben ohne R.
271 Auch die neigung zu kosenden diminutiven bei allen diesen be-
nennungen verdient hervorgehoben zu werden, denn auszer puella
fratello sorella brolis matka und corka ist das finn. siukku und sisko
anzuführen; die Serben sagen anrufend sele! brale! male! Schwester-
chen, brüderchen, mütterchen, und dies brale erreicht ganz das litth.
URVERWANDTSCHAFT VATER 189
brolis. wie wenn in filius filia, figlio figlia, fils fille das L diminutiv
und das D in fidius zu nehmen wäre wie im gr. vlölov?*
Man darf nicht in abrede stellen, dasz in diesen appellativen
die finnischen und lappischen sprachen den urverwandten näher tre-
ten, und es ist nicht glaublich, dasz sisar und tytär, sössar und
tüttar oder läpp, daktar erst spät deutscher spräche abgeborgt
wurden, denn andere einstimmungen machen sich noch wichtiger:
muori ist das schwed. mor für moder, äiti das goth. aipei, läpp, edne,
und jenem goth. nipjo övyyEvrjg, böhm. neti neptis oder filiola darf
mit gutem fug das finn. neito puella, virgo, est. neito sponsa, läpp,
neita filia zur seite stehn. das finn. veli, läpp, välja begegnet auf-
fallend dem albanesischen ßskcc frater, und wenn ich kühner vergleichen
darf, vielleicht dem altn. götternamen Vili, welcher Odins bruder be-
zeichnet.
Goth. atta mag sich lieber zum ir. atair athair halten, als dasz
dies aus patair entspränge, vielleicht auch zum sl. otec, sicher zum
läpp, attje, ungr. atya; man weisz dasz der goth. name Attila, ahd.
Ezilo den Hunnen gerecht war oder ward, auch den Kirgisen gilt
ata, den Tataren atai, den Tschuwaschen atei und in weiter ferne
den Basken aita für vater. diese form verknüpft also die ältesten
und entlegensten Völker Europas, nach dem äuszersten nordosten neigt
sich aber die goth. zunge oft. Nicht geringer ist darum die Über-
einkunft des goth. aipei mit finn. äiti; auch ahd. erhielt sich eidi,
mhd. eide, obgleich selten, in der eingeschränkten bedeutung von
amme, nutrix. emä und emma klingt wieder an ahd. amma nutrix,
altn. amma avia, lat. amita, bask. ama mater, albanes. e^is mater. 272
Ob finn. isä sich mit atta berühren könne, lasse ich unentschieden.
Den Syriänen heiszt der vater bati, auch den Russen in einigen
landstrichen batja, bat'ka, batjuschka, den alten Böhmen batja**,
den slavischen Bulgaren baschta, den karpathischen Slowaken batscha,
wogegen den Ungern bätya einen bruder bezeichnet und auch böhm.
batjk batjcek für bruder, batek für mutterbruder begegnet, weshalb
Hanka jenes batja bruder, nicht vater auslegt, in diesem fall könnte
das R nach B ausgestoszen sein, batja = bratja. Schafarik (lesefr.
s. 118) hält aber batja zu pater TtccttfQ, und eignet so diesen stamm
auch den Slaven (B : P wäre wie in bl"cha pulex).
Welschem tad läszt sich gr. rata, homerisches xhxra II. 4, 412,
poln. und böhm. tata, tatek, tatjk, alban. xccts, litth. t&tis, taitis,
tetaitis, zigeun. dad (Pott 2, 308), engl, dad, daddy und aus deutscher
volksprache bairisches tatt, tatta, tatte, westfäl. teite vergleichen,
darf bei solchen kosewörtern nach keiner lautverschiebung frage stehn,
* nach oft bemerktem Wechsel zwischen D und L, Ovidius wird nicht
viel anderes sein als Ovilius und aus Aegidius wird romanisches Giles,
Gilles, bei Dio 47, 35 Reim. s. 515 schwankt die lesart zwischen Jsxiöioq
und AexiXioq.
** batjo, ty mluwi k niem oteckymi slowy (vater, sprich zu ihnen väter-
liches wort), ruk. kralodw. p. 72.
190 URVERWANDTSCHAFT VATER
so mag auch der ahd. mannsname Tato (Graff 5, 381), ja der goth.
Tötila, ahd. Zuozo, Zuozilo in betracht kommen. [Haupt 6, 540.]
litth. teVas, preusz. täws schlieszen sich leicht an.
Solchergestalt fanden, scheint es, die urverwandten Völker, wel-
chen die formel vater mutter bruder Schwester tochter zumal eigen
war, bei ihrem einzug in Europa schon andere ausdrücke vor, von
welchen sie einzelne annahmen, während umgekehrt auch ihre be-
nennungen hin und wieder zu den nachbarn drangen, unter den
äuszersten Gothen namentlich setzten sich atta und aij>ei fest, so dasz
fadar beinahe, mödar vielleicht ganz zurückwich; bei den ahd. stam-
men aber konnten azo und eidl sich nur geringen eingang verschaf-
fen, fatar muotar blieben fast unbeeinträchtigt, die Slaven, obschon
273 sich zu otec bequemend, behielten mati. auch hier, zu groszem nach-
theil entgeht uns wieder vergleichung der getischen thrakischen sky-
thischen Wörter*. Eine schwierige Untersuchung der wurzeln, auf
die ich mich hier nicht einlasse, hätte beweise dafür zu bringen,
dasz jene fünf Wörter aus unsern sprachen deutbar, die andern for-
men in ihnen dunkel seien.
Um geschlossenheit und gehalt der urverwandten sprachen zu
bezeichnen scheinen die gewählten beispiele hinreichend ; andere mögen
im verlauf des werks zutreten, eigentlich, wenn sich der gegenständ
erschöpfen soll, müsten alle bedeutenden wortreihen dieser sprachen
in einem besonderen buch umfangen und unter den hier eröfneten
gesichtspunct gestellt werden.
* doch s. 234 temerinda rnater maris, und vielleicht im dakischen
mozula (s. 207), litth. motina, sl. mati.
XII.
VOCALISMUS.
Aller laute einfache grundlage erscheinen die vocale und erst 274
an ihnen entfaltet sich die macht der consonanten. der vocal tönt
von selbst, der consonant, um deutlich vernommen zu werden, be-
darf einer gemeinschaft mit dem vocal; es sind in der stimme alle
ansätze zum consonantlaut da, die an den vocal gefügt klarheit er-
langen, der vocal ruht, der consonant schwebt und ergreift jenen.
Wie in der spräche überall* waltet auch für den vocalismus
trilogie. aus drei vocalen stammen alle übrigen.
Es ist ein gewaltiger satz, den uns sanskrit und gothische spräche
zur schau tragen, dasz es ursprünglich nur drei kurze vocale gibt:
A I U.
Auf dem Verhältnis dieser drei laute beruht nicht nur ihre eigne
erhaltung oder abänderung so wie die zeugung der längen und diph-
thonge, sondern auch bildsamkeit, flexion und wollaut aller wÖrter.
Wiederum ist von den drei vocalen A der edelste, gleichsam
die mutter aller laute, aus dem zunächst I und U hervorgegangen 275
sind, so dasz diese dreiheit, gleich jeder andern, auf anfängliche ein-
heit zurückweist.
A wird mit ofnem vollem mund, I mit innerem halbem, U mit
schlieszendem gesprochen.
Nicht umsonst beginnt A in allen alphabeten, deren anordnung
überhaupt beachtenswerth scheint; es sei hier blosz bemerkt, dasz das
lateinische, wie mit A anhebt, mit U schlieszt (da vxyz unwesent-
lich jüngere zusätze), folglich I beinahe die mitte einnimmt, zwischen
A und I ist E, zwischen I und U ist 0 geschaltet, geradeso ge-
langt das organ von A auf E zu I, von I auf 0 zu ü.
* drei geschlechter: masculinum femininum neutrum, drei numeri:
singularis dualis pluralis, drei Personen: erste zweite dritte, drei genera:
activum medium passivum, drei tempora: praesens praeteritum futurum,
drei declinationen durch A I U.
192 VOCALISMUS
Die Veränderung, welcher die drei kürzen unterliegen, ist eine
dreifache, entweder wechseln sie rein bleibend, oder es zeugen sich
gemischte, gleichwol kurz verharrende laute, oder sie gehn über in
längen.
Als Ursache solches wechseis musz entweder ein nachfolgende]*
vocal oder ein nachfolgender consonant betrachtet werden, oder end-
lich die vocaländerung ergeht ohne äuszeren anlasz.
Sie kann sich zutragen entweder im Verhältnis zweier urver-
wandten sprachen nebeneinander, oder in einer und derselben spräche
zwischen zwei dialecten, oder in demselben dialect für verschiedne
Wörter und formen.
Bei dem Wechsel reiner kürzen scheint mir als oberster grund-
satz zu gelten, dasz A nach zwei Seiten in I oder U überschlagen
könne, I und U untereinander aber sich nie vertreten, sondern immer
auf A zurückzuführen seien.
Das sanskrit reicht eine fülle von Alauten dar, die in den übrigen
sprachen zu I und U geworden sind: skr. aham goth. ik, skr. asti
goth. ist, skr. santi goth. sind, skr. saptan goth. sibun, skr. madhu
goth. mijms, skr. mahat lat. magnus goth. mikils, skr. agnis lat. ignis,
skr. antas lat. intus, skr. agnis litth. ugnis goth. auhns, skr. dantas
litth. dantis goth. tunjms, skr. bari goth. faur ahd. furi, skr. -as lat.
-us, skr. saptan navan goth. sibun niun, skr. santi lat. sunt, skr.
dschan goth. kuni. zuweilen ist aber auch im skr. die geschwächte
276form un(j in ^en andern sprachen A geblieben z. b. skr. pitr lat.
pater gr. jz<m/o goth. fadar, wie neben lat. pater die Verdünnungen
Jupiter Dispiter Marspiter gelten, deren laute gleichstehn denen in
cano concino, habeo inhibeo, capio incipio, caput occiput, salio resilio,
tango attingo. wie hier die ableitungen I für A, zeigen andere U
für A : calco conculco, taberna contubernium, salsus insulsus. dieser
parallelismus zwischen I und ü weist nothwendig auf A zurück, lat.
simul vergleicht sich dem goth. sama, gr. cc^lcc. im goth. stehn giba
nima brika truda, wahrscheinlich auch knuda struda, auf einer reihe ;
im ahd. kipu nimu prihhu tritu chnitu stritu geht I durch, das goth.
nahts ahd. naht mindert sich in ags. niht engl, night, wie goth. mahts
ahd. mäht in ags. miht engl, might und goth. gahts (framgahts inna-
gahts) in ahd. giht (sungiht), ahd. witu altn. vidr steht neben ags.
vudu, lat. lingua = dingua neben goth. tuggö, doch die franz. spräche
hat sogar langu e aufzuweisen, neben litth. naktis findet sich gr. vvh,
lat. nox ir. nochd welsch nos sl. noschtsch. einzelne Wörter laufen
durch alle drei vocale*, wie skr. ka ku ki (Bopp s. 558), ahd. ar
ur ir, anti unti inti, -nassi nussi nissi, oder in verschiednen sprachen,
wie das privative gr. a- av- lat. in-, goth. un- lautet, der goth. dat.
pl. -am in dagam fiskam wird ahd. zu -um in takum fiscum, aber der
goth. dat. pl. sunum zu ahd. sunim. die lat. Superlative -imus ent-
* beachtenswerth die Spaltung der goth. praep. ana und in, die beide
das gr. iv und lat. in ausdrückt.
VOCALISMÜS 193
sprechen den skr. -amas, doch neben optimus maxinms galt früher
optumus maxumus und die dat. pl. verubus currubus scheinen ur-
sprünglicher als die sie ersetzenden veribus curribus. die rechte ab-
stufung ist A U I. oft will der zufall, dasz Verdünnung eintrat
oder nicht, z. b. während lat. caper ags. häfer altn. hafr, wahrschein-
lich ahd. habar blieb, wurde lat. aper zu goth. ibrs ibrus, welches
aus ags. eofor, altn. iöfur, ahd. e*par zu folgern ist. Bcdccccp und
Ua/Litycov der LXX, Balaam und Samson der vulgata heiszen bei
Luther Bileam und Simson.
Ich erläutere diesen Wechsel reiner kürzen nicht länger, da mir 277
mehr anliegt der trüben vocale Ursprung, wie ihn unsere spräche
deutlich enthüllt, ins äuge zu fassen.
E und 0 scheinen aus einer Verbindung zwischen A und I, A
und U dergestalt hervorgegangen, dasz das entspringende AI und AU,
gegen die natur des diphthongs, kürze festhielt und darum bald durch
das einfache zeichen E und 0 ausgedrückt werden konnte.
Kurzes E und 0 kommen weder im sanskrit noch in der gothi-
schen spräche vor, gleichwol hat letztere zwar keinen umlaut ent-
faltet, dennoch brechungen des I und U vor H und R in AI und
AU zugelassen. Viel weiter schreitet die ahd. spräche, ihr entsteht
E auf zweifache weise aus A durch I, aus I durch A, hingegen 0
nur einmal aus U durch A. das erste E nenne ich das umgelautete,
das andere das gebrochene, und beide müssen in der ausspräche
merklich abgestanden haben, da ihr unterschied mhd. und selbst nhd.
noch nicht verwischt ist. Von der goth. brechung kann die ahd.
häufig abweichen, indem zwar goth. saihvan fauhö bairan bauran zu
ahd. se'han fohä pe'ran poran stimmen, allein goth. faihu saihvis bairis
paurneins baurgs verschieden sind von ahd. fihu sihis piris durnln
puruc und wiederum goth. giban vigs itan von ahd. ke'pan we'c e'zan.
Parallel dem umlaut des A durch I sollte ahd. auch einer des
A durch U entsprungen sein, diese lücke der theorie ist in altn.
spräche ausgefüllt, wo bei nachfolgendem U wurzelhaftes A in AU
gewandelt wird, z. b. maugr = goth. magus, daugum = ahd. tacum
goth. dagam; die jetzt übliche Schreibung und ausspräche setzt aber
mögr dögum für mogr dogum = maugr daugum; altnorwegische
handschriften , z. b. die nunmehr erwünscht herausgegebnen Gula-
pingslog gewähren richtiges 0 : ol oll born monnom statt öl öll börn
mönnum = alu allu barnu mannum.
Mhd. und nhd. vervielfachen sich die umlaute, indem von den
längen abgesehn, neben A auch U und das gebrochne 0 in Ü und
Ö umlautbar geworden sind, ich kenne keine spräche, die sich des 278
umlauts in solcher masse bedient hätte, wie die hochdeutsche, mnl.
und nnl. ist er weit eingeschränkter geblieben, dagegen die brechung
des I und U über das hochdeutsche ziel hinausgegangen, so dasz alle
heutigen deutschen sprachen eine überlast von unreinen, sowol ge-
brochnen als um gelauteten vocalen an sich tragen.
Auszerdem hat die reinheit des A und U noch in andern fällen
Grimm, geschickte der deutschen spräche. 13
194 VOÜALISMUS
einbusze gelitten, ohne dasz dabei irgend einflusz nachfolgender vo-
cale oder consonanzen wirksam erscheint, so gilt ahd. 0 für A in
holön arcessere, fona de, giwon suetus, zumal häufig aber ags. Ä
(fries. E) in Wörtern wie däg dies, fät vas, gen. däges fätes, wo
jedoch A erstattet wird, sobald die flexion A oder U zutreten läszt:
dagas daga dagum, fatu fata fatum; solche dat. pl. dagum fatum
stehn daher ab von den altn. dögum fötum.
Hat man den getischen dakischen eigen und pflanzennamen E
und 0 einzuräumen oder, nach gothischem gesetz, abzusprechen? sie
sind uns nur in griechischer fassung überliefert, welcher E und 0
allgeläufig waren. JHf/föle/fts Ovsfyvccg zJexsßcdog jQO^a%akrjg lassen
sich leicht zurückführen auf Gibaleisis Vasins Dakibalus Trumihaitis ;
man erwäge, dasz für Dions Z£Q[ii&y£&ov6a schon Ptolemaeus das
bessere ZaQiii&ykd-ovöa vorbringt; noch un verlegner wird auszerhalb
der wurzel 0 in ZdX[io%LQ machen, es gleicht vollkommen dem in
'4Q7t6%cciQ Aino^alg (s. 234) und dem lat. in nox mox. irrt meine
deutung von Zd^iCß nicht, so hätte griechisch sogar Zagiufft ge-
schrieben werden sollen. Im volksnamen rhcu selbst haftete bei den
Griechen von uralter zeit her E, welches aus A entsprungen sein musz,
da sich -yhog -ykvog lat. -getes genus (oben s. 179) auf die skr.
wurzel dschan führen lassen, wofür dem goth. idiom U gemäsz war,
wie in kuni = genus, un- = a-, us = ex, so in Gupai = Getae
Tkxai = rdrca. ob nun die mit Griechen verkehrenden Geten in
ihrem namen U oder I vernehmen lieszen, ist kaum zu sagen, A
mögen sie längst aufgegeben haben, doch aus dem I ist das goth. U
279 leichter als aus E zu begreifen, das freilich griechischem mund gerecht
war, wie später 0 in r6z&oi, seitdem die form Gupai oder Gupans
übertragen wurde, aus ysvog in yovog gelangte das organ der Grie-
chen ohne mühe. Dasz wir über den namen Bessi Beööol nicht im
reinen sind, lehrt schon die herodotische form Brjööot (s. 198) und so
mag anderwärts £ ein rj oder o ein 10 vertreten, die KQrjörcovaloi
dürfen beides Kqsötgwccloi oder Kgoörcovalot werden (vgl. s. 206).
Ein ähnlicher gesichtspunct musz für die pflanzennamen gerecht sein,
das E in phthethela ist dem ersten in nkalov gleich, das für na-
ralov steht, wie litth. patalas, federbett, bestätigt, in den endungen
-ela schwächte sich der vocal noch leichter, das -r\ka in tulbela pria-
dela mag vielmehr -ila sein, sahsa setzte das gr. ohr leicht um in
tfsfa, wie ihm skr. schasch äaptan zu ff mxd geworden waren, doch
seba scheint entsprungen aus siba. den vocallaut in pegrima halte
ich zu dem in [isyccg = lat. magnus, denn der Gothe behauptet A
in fagrs. reine vocale walten in salia dacina dacisca aprus radabida.
die 0 in dochela kotiata prodiorna gonolita olma mozula sind ent-
weder aus A und U entstanden, oder langem 0 zu überweisen.
Viel weniger liegt es auf mir in einigen der angeführten sky-
thischen Wörter E und 0 anzufechten oder zu vertheidigen , da der
weite umfang und die manigfaltigkeit skythischer idiome diese laute
schon gestattet haben kann, wie sie in benachbarten alten sprachen
VOCALISMUS 195
eintraten, wobei es gar nicht auf eine besonderheit getischer oder
gothischer zunge ankommt, in Temerinda mag das erste E lang,
das andere umgelautetes A sein und die koqccxoi lassen sich auch ohne
dasz man kccqccxol lese mit harugä zusammenstellen, in den meisten
übrigen skythischen eigeimamen erklingt voller und ungebrochner vocal.
Aber schon dem alten zend waren auszer den buchstaben für
A I U noch zwei andere eigen, die, scheint es, den laut eines kurzen
E und 0 haben und ursprüngliches A und U ersetzen, z. b. in azem
ego skr. aham, puthrem filium skr. putram, hentem praesentem skr.
santam, erezata argentum skr. radshatam, mäo luna skr. mäs und
verflüchtigt mau. vermutlich walten consonanteinfiüsse. aber es tritt
auch bei nachfolgendem i 1 oder e den kurzen oder langen vocalen vor- 280
gehender silben I zu, z.b. in nairja homo, maidhja medium skr. madhja,
welches AI sowol der goth. brechung AI = I als dem ahd. umlaut E,
den die älteste zeit noch mit AI EI bezeichnet, vergleichbar stände.
Noch weit häufiger sind lateinische und griechische E und 0 an
stelle der ursprünglichen A I U gerückt.
In vielen lat. Wörtern treten sich A und E zur seite : arma iner-
mis, barba imberbis, annus perennis, ars iners, aptus ineptus, captus
inceptus, fastus profestus, fallo refello, farcio confercio. nach den drei
ersten beispielen würde man, auf ahd. weise, umlaut annehmen, den
jedoch die übrigen widerlegen, in perennis lautet A nicht um, weil
es dann auch in anni annis umlauten würde, sondern die ableitung
schwächt den vocal, wie in ineptus, wo die endung des I ermangelt.
Gewähren nun aber andere ableitungen I neben dem E der stamme,
z. b. in lego diligo, teneo retineo, tenax pertinäx, so scheint die ab-
leitung bereits erfolgt, als der stamm noch ungeschwächtes A hatte,
so dasz taneo zu retineo wie habeo zu cohibeo sich verhielten, diese
lat. E gleichen also nicht unserm gebrochnen E, weil sie nicht aus
I entspringen, und auch nicht unserm umgelauteten E, weil ihnen
die bedingung des umlauts unnöthig ist. die lat. ego est edo sedeo
medius sex Septem dens führen unmittelbar auf skr. aham asti ad . .
sad . . madhja schasch saptan dantas und es liegt kein I oder U
dazwischen, wie in den goth. formen ik ist ita sita midjis saihs sibun
tunJDus. aber zuweilen ist auch lat. I für skr. A eingetreten, z. b.
mihi quinque skr. mahjam pantschan, weshalb E in me goth. nrik
eher auf mi als ma zu bringen wäre, über gr. sv Ivtog (skr. antas)
kann lat. in intus nicht entscheiden.
Unter den romanischen zungen hat zumal die italienische, nächst-
dem die spanische, am wenigsten die französische den laut der lat.
A I U ausgehalten ; die letzte wimmelt von geschwächten und ge-
brochnen vocalen [besonders auffallend I in Ol, frigidus froid, mihi
moi, tibi toi], ja sie entsagt sogar völlig der reinheit des U, wel-
ches sie wie mhd. nhd. Ü ausspricht, und ihr einflusz scheint auch 281
die nnl. gleiche ausspräche des U nach sich gezogen zu haben. Hierin
sticht das nnl. idiom von allen deutschen, wie das franz. von allen
romanischen ab, wiewol auch altn. U heutzutage auf Island wie Ü klingt.
13*
196 VOCALISMUS
Gleicherweise geht der Grieche des reinen U verlustig; da aber
in wurzeln und ableitungen sein T dem U der lat. litth. und goth.
spräche gleichsteht, wird ihm ursprünglich auch deren ungetrübter
laut gebührt haben und ich zweifle nicht, dasz im höhern alter-
thum 6v vno vtibq noXv ftQccovg, was diesen vocal angeht, nicht
anders klangen als lat. tu sub super, goth. J)u uf ufar filu, litth.
drasus.
Den Ursprung der gr. E und 0 sollte man einmal ausführlich
untersuchen. ävs^iog öxonehog stimmen zu lat. animus scopulus,
deren flexion us überall dem gr. og und skr. as begegnet und sich
wie das 0 in ahd. hano zu goth. hana verhält, gieng nun animus
aus anamas, wie septimus aus skr. saptamas gr. sßöopog hervor?
und hat sich die folge A I U wie in unserm ablaut darin erzeugt?
alle lat. Superlative haben -imus -umus statt des skr. -ama und zu
anamas stimmt noch das irische anam = anima. Jene lat. Schwäch-
ungen cano occino, calco conculco sind der gr. spräche fremd, eine
menge gr. E stellt sich unmittelbar neben skr. A: iyd eöu tibqi
nevre e$ £7iTcc dmcc {isöog (xsyag {te&v neben aham asti pari pant-
schan schasch saptan daäan madhja mahat madhu und in diesen hat
auch das lat. dem A entsagt, auszer in magnus und setzt I nur in
quinque, der Gothe aber in ik ist fimf saihs sibun taihun midja mi-
kils und wahrscheinlich mijms. sibun steht zu saptan wie animus
zu einem älteren anamas, also darf auch ahd. piru, goth. baira =
fero cpega auf bhara weisen.
0 für A entwickeln gr. und lat. spräche in novem novus ovis
oig, folglich läszt sich auch E in vkog Gnkog lat. specus, vsxvg lat.
nex auf ursprüngliches A bringen, was uns goth. naus gen. navis
bestätigt, anderemal schwanken beide zwischen 0 und A, z. b. in
domo da[ux(x>, goth. tamja. wie lat. nox dem goth. nahts scheint
mir auch mox dem mahts verwandt, eigentlich potenter, hernach ce-
leriter auszudrücken.
282 Die litthauische, rein lautendes AIU noch genugsam besitzende
spräche hat gleichwol E und 0 auf eine unserer deutschen ähnliche
weise entwickelt, da sich nemlich aus E in den ableitungen I ergibt:
gemu nascor giminne' genus, gerru bibo girrauju poto, so gleicht dies
E mehr dem I als A, und szirdis mehr dem goth. hairtö, als gr.
Ttagditt , wenn schon ich nicht wage zu entscheiden , ob esmi sum,
edmi edo, sedmi sedeo, medus iis&v dem skr. A oder goth. I näher
treten, auch in den Zahlwörtern k^turi penki szeszi septyni deszimt
waltet E, doch in asz ego A, und dem litth. esti steht preusz. ast
zur seite; errelis aquila ist sl. or'l", poln. orzei, ahd. aro. wabalas
scarabaeus klingt voller als ahd. wibil, ugnis schwächer als agnis,
voller als ignis und stimmt zum goth. auhns fornax, sl. ogn' ignis.
in sunus begegnet lauteres U dem goth. sunus, ahd. ags. sunu, wie
in durrys porta dem ags. duru, ahd. turi; das goth. daur ist gebro-
chen, wie goth. dauhtar ahd. tohtar neben dem reinen litth. dukt&.
für A zieht diese spräche verschiedentlich 0 vor, z. b. in obolys, ahd.
VOCALISMUS 197
apfal epfili, welsch afall pl. efyll, sl. jabloko, rojus paradisus sl. rai,
ponas dominus sl. pan.
Aber viel öfter trübt sich der Slaven A zu 0: nos" nasus litth.
nosis, rosa lat. ros roris litth. rasa, osT' goth. asilus, bos" nudipes
litth. basas, noschtsch' goth. nahts poln. noc, moschtsch' goth. mahts
poln. moc, grob" sepulcrum litth. grabas, rog" cornu litth. ragas,
oko oculus litth. akis, orati arare litth. ärti, more mare litth. mar&s,
gost' hospes goth. gasts, vosk" cera litth. vaskas ahd. wahs, voda
aqua goth. vatö. einzelne dialecte, zumal der polnische, sind diesem
0 noch geneigter: proch pulvis sl. prach" litth. parakas, prog limen
sl. präg", chiop servus sl. chlapp" litth. kalps, broda barba sl. brada
litth. barzda, krowa vacca sl. krava litth. karwe, mrowka formica
sl. mravii, grod urbs sl. grad" goth. gards, wohin auch die untrenn-
bare partikel roz gehört, die nur den Böhmen ebenso, allen übrigen
Slaven raz lautet, die Russen pflegen, nach ahd. art, den vocal durch
zwei silben zu führen: porog" cholop" boroda korowa gorod".
Was nun I und U betrift, so scheint in deren Verflüchtigung 283
die sl. spräche weiter gegangen als eine der übrigen urverwandten,
indem sie sie häufig ganz ausstöszt oder blos jeriert, d. h. besondere
zeichen eintreten läszt, in welchen der alte vocal nachhallt, es gibt
zweierlei jer, ein dünnes oder mildes, welches ich hier durch ' aus-
drücke, und ein dickes hartes, wofür ich" setze; jenes, dünkt mich, ist
an die stelle von I, dieses an die von U getreten [Miklos. lautl. 71], wie
auch im russischen inlaut jenes durch E, dieses durch 0 bezeichnet zu
werden pflegt, st'klo vitrum poculum entspricht dem litth. stiklas, goth.
stikls, altn. stikill, ahd. stihhil aculeus apex, weil die alten trinkhörner
spitz waren; die Böhmen schreiben sklo, die Polen szklo. nicht anders
ist sr'd'tze, böhm. srdce das litth. szirdis, goth. hairtö, ahd. herzä.
pr'st" digitus, böhm. prst, russ. perst", litth. pirsztas, lett. pirksts.
m'gla nebula, poln. mgia, böhm. mhla, litth. migla, gr. ö(Jil%Xr]. vl"k"
böhm. wlk mildern die Polen in wilk, die Litthauer inwilkas, die Russen
haben volk" hergestellt, es ist das gr. Ivxog, wie goth. vulfs das lat.
lupus; Miklosich bringt zu vl"k" das skr. vrka (oben s. 56), welchem
noch genauer sl. vrag" = goth. vargs antwortet, pr'k" acies agmen
ist das böhm. pluk, poln. po*k pulk, russ. polk", litth. pulkas, ahd.
folh, ags. folc, altn. fölk. pl"n" böhm. plny, poln. pefriy, russ. polnyi,
litth. pilnas, lat. plenus; ableitendes N erscheint erst im goth. fulnan
fullnan impleri, nicht in den einfachen adj. fulls, ahd. fol, man wolle
denn LL aus NL leiten. Beide jer zeigen sich zumal auslautend am
platz des älteren U und I: os'l" gleicht genau dem goth. asilus, med"
dem altn. miödr, ags. medu, tr'n" dem goth. J>aurnus, s"in" dem litth.
goth. sunus, wogegen gost' dem goth. gasts pl. gasteis, noschtsch'
dem goth. nahts, ogn' dem lat. ignis, wenn schon, wie I und U tau-
schen, einzelne dieser jer die stelle gewechselt haben mögen. Von
beiden, dem dünnen wie dem dicken jer sind aber in den heutigen
sl. sprachen eindrücke auf die vorausgehenden, zumal liquiden conso-
nanten übrig, z.b. poln. kon equus entspringt aus kon', orze* aus or'l",
198 VOCALISMUS
284wierzsch Vertex aus vr'ch" böhm. wrch, iza lacrima aus sl"za böhm.
slza serb. suza, poln. sly malus aus z'T'. da nun den Slaven wur-
zelhaftes G vor I in Z übergeht (bog pl. bozi) so scheint mir auch
az" ego, iz" ex = litth. asz, isz eigentlich az' iz1 = azi izi für agi
igi, und az' ganz dem zend. azem = skr. aham vergleichbar, so wie
gr. [liöog fieööog aus medius erklärlich wird, vgl. sl. meshdou, böhm.
mezy, poln. mi^dzy, serb. medju = inter, in medio. Allerdings wirkt
auf die vorausgehenden cons. I stärker ein als U (wie bei uns jenes
die vorausgehenden vocale umlautet, nicht- dieses); dennoch wohnt
sie auch dem U, nicht dem A bei und ich kann Bopps ansieht nicht
theilen, welcher (vgl. gramm. s. 339) das harte jerr aus jedem der
drei kurzen grundvocale leiten will.
Weniger bedeutet dabei das schwanken der neueren mundarten,
wenn sie den entflohnen laut wieder herstellen; so verwendet der
Pole bald 0 und U (polk puik), bald E oder I (serce pelny wilk),
auch IE (eiern wierzch), am seltensten A (tarn neben eiern = böhm.
trn). Wechsel zwischen I und E bietet, dünkt mich, zumeist das böhm.
organ dar: hrebec equus hrjbe' pullus equi, lCpe ljpe melius, klec
cavea kljeka caveola, klecati kljeeti claudicare, lepnuti ljpnuti hae-
rere und viel dergleichen.
Darin kommt aber die slavische spräche mit der griechischen
und französischen überein, dasz auch sie des reinen kurzen U ent-
behrt und es stets durch jery, d. h. ein dem harten jer nachgesetz-
tes I ausdrückt, beide zeichen zusammen aber wie y oder ü lauten
läszt, z. b. s"in" filius = goth. litth. sunus, r"iba piscis, m"isch mus,
wo die Polen syn ryba mysz schreiben, man unterscheide davon
das immer lange U der heutigen Slaven, welches aus altem OU er-
wächst, z. b. in rozum ratio, russ. razum, altsl. razoum", vgl. litth.
umas. weil aber das auslautende " kein solches I hinter sich hat,
so folgt, dasz es auf lauteres U zurückgeführt werden müsse.
Den keltischen sprachen stehn neben reinem A I U auch E und
0, auszerdem aber viele diphthonge zu, die sich als kürzen umlaute
285 und brechungen auffassen lassen, d. h. für das Verständnis des E
und 0 wichtig werden, kein andrer vocalismus scheint dem ahd.
ags. und altn. so verwandt wie dieser keltische.
Zumal klangreich und voll ist der irische und auf die art und
weise unsrer gebrochnen laute fällt erwünschtes licht dadurch, dasz
neben langem äi £a ei eo io iu öi üi ausdrücklich kurzes ai ea ei eo
io iu oi ui anerkannt werden. In der flexion verdienen besonders die
einsilbigen nomina aufmerksamkeit, die den kurzen vocal des nom. sg.
im gen. sg. und nom. pl. diphthongisieren, oder wenn der kurze diph-
thong schon im nom. sg. ist, ihn mit einem andern laut vertauschen,
neart virtus (welsch nerth) bildet den gen. neirt oder nirt, fear vir.
fir, ceann caput cinn, sean senex seine senior, each equa eich, corp
corpus cuirp, torc aper tuirc, crann arbor croinn, fonn terra fuinn.
was kann dem ahd. anst gen. ensti pl. ensti (nach alter weise ge-
schrieben einsti) näher kommen als dies neart gen. neirt, pl. neirt?
VOCALISMUS 199
es gibt aber andere, die im nom. sg. kurzes U, im gen. sg. und pl.
kurzes 0 empfangen: ucht pectus gen. ochta, lus herba gen. losa,
gul ejulatio gen. gola. U wird in 0 gebrochen, 0 in UI. Die flexion
der langen vocale ergebt analog z. b. bärd poeta hat den gen. und
pl. bäird. Auszerhalb der flexion sind mir einzelne Schwächungen
des A in U aufgestoszen : abhal malus, ubhal malum, was dem litth.
obolys gleicht, wie ugh dem lat. 0 in ovum.
Auch die welschen plurale zeigen besonders bei einsilbigen Wör-
tern einen unserm deutschen ähnlichen umlaut, A pflegt El, 0 aber
Y anzunehmen; mab filius pl. meib, bardd poeta beirdd, sarff ser-
pens seirff, gwalch falco gweilch, corf corpus cyrf, com cornu cyrn,
ffon baculus ffyrj, fford via ffyrd, welches Y dem irischen UI gleicht,
naf Creator, talch fragmen bilden den pl. neifion teilchion. hen alt
bildet hyn hynach älter, ser stella den pl. syr. geht bei zweisilbigen
der vocal letzter silbe in Y über, so wandelt sich das A der ersten
in E : afall malum, aber refugium, maneg manica erhalten efyll ebyr
menyg, was zum ahd. umlaut des A in E stimmt, das zweisilbige
dafad ovis macht den pl. defaid. anderes weicht ab, von dant dens286
finde ich den pl. daint (nicht deint) angesetzt, von maen lapis meini,
von nain avia neinoedd, von brän 'corvus brain, von troed pes (ir.
troidh) traed, von gwr vir gwyr, von dwfr aqua deifr, von croen
cutis crwyn u. s. w., was genauere forschung wol erklären wird, ich
bin im welschen der quantität der vocale unsichrer als im irischen.
Aus diesem Vortrag über die kurzen vocale der urverwandten
sprachen ziehe ich,
1) dasz sich an die trilogie A I U nur die indische und go-
thische binden, da sie zwar A in I und U abstufen, nicht aber in
trüben laut schwächen, daraus erklärt sich der grosze umfang die-
ser vocale in beiden sprachen.
2) I und U bricht die gothische, sobald ihnen H und R folgen,
indem sie dann A vorschiebt, so dasz aih auh air aur, ohne beein-
trächtigung der kürze, entspringen, das skr. guna erscheint analog,
es schiebt gleichfalls A vor I und U und bewirkt AI AU, die jedoch
länge empfangen und 6 6 ausdrücken, dennoch lehren sie, wie der
goth. brechung die ahd. E und 0 gleichen, und kürze wahren.
3) recht im gegensatz zum skr. und goth. schädigt das zend
den Alaut, für skr. madhjas maidhjas, für skr. bhrätaram bhrätarem
schreibend, hierzu stimmt das lat. medius und fratrem, welche zu-
gleich zeigen, dasz AI und E zusammentreffen, wie die goth. brechung
des I AI mit der Schreibung E. auch der ahd. umlaut des A in E
wird durch AI AE vermittelt, das man in den ältesten denkmälern
noch antrift, z. b. caensincli f. gensincli, und das selbst unser nhd.
ä enthält, an der kürze dieser AI AE E läszt sich so wenig zwei-
feln als an der des gebrochnen goth. AI. das ags. fries. AE E in
gräf fovea stäf baculus dal vallis = fries. gref stef del vollenden
den beweis.
4) die goth. spräche geneigt skr. A in I abzustufen, die lat. in
200 VOCALISMUS
E zu schwächen, und aus aham asti madhjas daäan macht jene ik
ist midja taihun, diese ego est medius decem. da nun die hoch-
deutsche und noch mehr die niederdeutsche spräche zendische und
gothische richtung vereinigt, d. i. sowol A umlautet als I bricht;
287 so ergeben sich in ihnen allzuviel E, die wenigstens durch die aus-
spräche e und e' günstig von einander gehalten werden.
5) in der slav. spräche herscht die Wandlung des A in 0 vor,
obgleich sie nicht auf dem wege des altn. umlauts durch U ergeht;
I und U pflegen ihr aber häufig ganz zu entgleiten und nur jeriert
nachzuklingen, dies hängt mit feiner ausbildung des consonantismus
zusammen.
6) die keltischen sprachen schlieszen sich in Vervielfältigung und
practischem gebrauch der brechungen oder umlaute auffallend an
die hochdeutsche, wozu auch die menge der diphthonge in beiden
stimmt, man sollte meinen, dasz in diesem betracht einflusz des
keltischen idioms auf die benachbarten Angelsachsen, Friesen und
Franken stattgefunden haben könne, zumal die inneren Deutschen
(Altsachsen Alamannen Baiern) in Spaltung der laute enthaltsamer
scheinen.
7) vocalischer wollaut hängt von reinheit der drei kürzen und
vom gleichmasz der diphthonge ab. da in unsrer spräche das diph-
thongische Verhältnis hauptsächlich aus dem gesetz der ablaute er-
hellt, welchem sich die betrachtung ein andermal zuwenden wird, so
will ich hier die einfachste, alle Schönheit des lauts bedingende grund-
lage der trilogie A I U näher ins äuge fassen.
Jeglichem ohr wird aggvus, itan mehr behagen als enge, essen,
aber auch una, tulipa mehr als üne tülipe und silva filu ufar mehr
als hülä polü hüper. unter allen europäischen sprachen, was die
anmut der vocale betrift, scheinen mir die lateinische litthauische
und gothische vorzuragen, und namentlich die griechische und sla-
vische hinter sich zu lassen; noch gröszere lautreinheit gewährt in
asiatischer heimat das sanskrit.
Beispiele zweisilbiger und dreisilbiger Wörter, nach allen mög-
lichen combinationen , sollen zeugen, ich gestatte mir nur für die
letzte, d. h. die flexionssilbe, einigemal unsichere quantität; zugezogne
composita sind eingeklammert.
1) lat. ala mala alga talpa parca. litth. galas labas badas sawas
sapnas alga banda tarnas wardas. goth. dvala mala sama ana hana
fara aba daga ahma ahva taglam valda barna marka.
288 2) lat. cinis sitis ignis piscis gliscit. litth. didis iltis pikkis
smiltis blindis szirdis. goth. divis Jrivi hilis milij) visij) blindis spin-
nis vilpi.
3) lat. humus tubus lupus pullus currus multus fundus murmur.
litth. sunus suwu gullu durru grubbus suntu mudrus. goth. sunus
munum skulum bundum tunpus huhrus.
4) lat. alit agit apis pandit scandit. litth. dalis szalis dravis akis
dalgis balsis angis naktis. goth. alis halis anis faris framis agis hatis
VOCALISMÜS 201
basi nati vatin gavi havi gaggis landis fahsis ahmin batists balgis
bagmis vasti frastis.
5) lat. malus apud latus agunt pandunt. litth. alu malu laku
allus saldus dangus garsus aglus. goth. magu magu]) skadus valus
sakkus handu aglu aggvus.
6) lat. mina illa crista. litth. ilgas smilgas silpnas pilnas piktas
tinklas dirwa kirnas dirzas pirsztas. goth. qima hina ina iba skipam
bida hita imma blinda trimpa vilva stibna mitaj) spinnand fiskam.
7) lat. pilus simul minus cicur littus nimbus tirmus circum.
litth. skinu immu skirru linnus iszkus kittur. goth. filu miluks spi-
vum divum sibun sidus vitum kintus hliftus.
8) lat. cuba cubant juglans bulla funda. litth. bludas rumba
dumblas durnas dugnas. goth. fula vula guma suman muna nuta
ufar dumba vulfa runsa fuglam.
9) lat. puppis pulvis dulcis turris. litth. krutis rutis ugnis
usnis bluznis guszis. goth. kuni funin lubi trudis sutis fullis ubils
ugkis runsis unsis.
10) litth. amaras parakas nagabas wabalas sakalas wakaras
adata patalas gatawas asaba wasara aszara allasas sarmata. goth.
dvalana Amala Hanala managans allana grabada habandans abraba
balpaba Bastarna (andstandan).
11) lat. nitidi hispidis. litth. kikillis kirminis pintinnis (didpil-
wis). goth. minnizin himinis kindinis stiviti.
12) lat. cumulus tumulus lupulus tumultus nummulus cucullus.
litth. (nubundu) (sugruwu). goth. (undrunnum).
13) litth. aklatis amalis. goth. Amalin Hanalin managists haban-
dins (andbahti).
14) litth. (apkalbu) (apkassu). 289
15) lat. animi habilis agilis. litth. dagillis arikis (atilsis) knab-
binnis. goth. agisis aqizi gadiliggs atiskis Attilin avistris barniski.
16) lat. annulus patulus angulus angustus. litth: (pabundu)
(pargruwu). goth. (andrunnun).
17) lat. maria anima aquila amita armilla pallida madila Can-
dida habitans tranquilla mantissa. litCh. barimas katilas arimmas
asilas labimmas dangiszkas (atbilda) akstinnas. goth. alida valida
arida varida gramida tavida agida ragina lagida matida batiza Attila
baivida aldiza JDvastijpa (andbindan).
18) lat. animus asinus agitur habitus tacitus madidus callidus
pallidus candidus marcidus ambitus malignus maximus tranquillus
patribus. litth. dabinu labinu grandinu garsinu (pagirru) (atimmu)
addinczus. goth. asilus aggilus andizuh.
19) lat. tabula facula macula matula glandula. litth. akrutas
rapukkas (apkunas) kalmusas baltummas gardummas. goth. magula
harduba agluba handugans (gamunands).
20) lat. tabulis. litth. allutis. goth. magulin aftumist valdufni
fastubni.
21) lat. nitida, litth. bimbirras brinkinna kibbirga kiklikas (isz-
202 VOCALISMUS
drimba). goth. himina mikila hrisida sivida kindina plinsida minniza
(invindans).
22) lat. igitur nitidus hispidus cincinnus tintinnum. litth. ilginu
kirkinu (iszrittu). goth. (invitum).
23) litth. dimzakas. goth. nimada stilada gibada vigana giban-
dan sitandan izvara spinnada blindana.
24) lat. figulus circulus Stimulus vitulus titulus singulum. litth.
(iszdumbu).
25) litth. pimatis (didgalwis) (pirmkatis). goth. gibandin silandin
sitandin rinnandin (iddaljin) igqaris.
26) lat. (incassum) (infantum).
27) lat. singulis circuli Stimuli, goth. midumin glitmuni.
28) lat. pilula inula vitula fistula virgula singula. litth. didum-
mas itumpas ilgummas. goth. miduma hinduma (bibundans).
290 29) lat. lupula jugula. litth. surummas. goth. (unhulj>a).
30) lat. lupuli tutudi pupugi. goth. hulundi (unsuti) |>usundi.
31) litth. ubbagas. goth. trudada huljada juggata vulpaga unsara
sunjaba (unbarnahs).
32) lat. eulmini stupidis ultimis. goth. Vulfilins hulistris.
33) goth. unsaris ugkaris.
34) goth. ulbandus.
35) lat. eulmina fulmina. litth. buwimmas lupikkas kuniszkas
sudirgsta. goth. hugida juhiza tulgida sutiza ubizva Vulfila (usfilma)
(usqiman) (uslijja) (ussigvan).
36) lat. Studium cubitus mutilus stupidus cupidus lumbricus
funditus ultimus. litth. suninku.
Alle diese formein sind wollautend, die schönsten aber welche
jeden der drei vocale aufzeigen, zumal 18, 20, 28, 33, 35; doch
scheinen auch 17, 19 und 13, 23 lieblich.
Das latein meidet in dreisilbigen A der penultima (auszer in
fremden Wörtern wie Palladis baccaris balsamum), darum mangeln
ihm 10, 13, 14, 23, 25, 26, 31, 34. dem litthauischen gehn ab 12,
14, 16, 24, 26, 27, 30, 32, 33, 34, dem gothischen 12, 14, 16,
22, 26, 29, 36, woraus wieder grosze einstimmung dieser beiden
einleuchtet; vollständigere bekanntschaft würde noch einzelne formein
nachweisen, alle drei sprachen entbehren 14 und 26. ich habe die
mangelnden wenigstens in Zusammensetzungen aufgezeigt.
Die viersilbigen zu sammeln, wäre bei ihrer manigfaltigkeit
schwer; es mag an wenigen genügen, lat. animula animitus manci-
pium carbunculus nitiditas nitibundus mutilandus cubiculum dulcissi-
mum luscinia; fünf silben haben calidissima taciturnitas aliquantulum,
sechs silben hat curculiunculus. litth. dabinimmas drawininkas lud-
dininkas apatinnis. goth. ubilaba gadiliggans unsaramma managiza
ufarassus gudjinassus hafanana; nimmt man Zusammensetzungen mit,
so vergröszert sich die zahl: usagida insandida usvalida urrinnandin
garunnana bigitandans andhulida und man gelangt leicht auch auf
291 fünf silbige : anakumbida andhulidana lukarnastapa. Ulfilas bietet
VOCALISMÜS 203
ganze Sätze dar, in welchen nur die drei kurzen volale walten, z. b.
Joh. 7, 45 uslagida ana ina handuns; Joh. 7, 49: atiddja du imma
in naht sums visands.
Keine andere europäische zunge vermag diesen einfachsten wol-
laut in solcher reinheit ; aber die ahd. mundart kommt der goth. zu-
nächst, ja sie überbietet sie noch durch häufigere bewahrung des ab-
leitenden A, wogegen sie freilich das A der flexion oft in U oder 0
wandelt und der brechung mehr umfang gestattet: ana sama, stilli
raiti, hugu sunu, aki apuh, inan plintan pipar, filu ipu pirum sciluf,
upar wuntar sumar humpal, upil chunni, adala danana wahtala sualawa,
mihhilin himilisc chisilinc silapar mittuli, katilinc mammunti stantanti
sagitun, sumarum fugalum Fugalinc chuningis hugita wunscili jun-
girin tuttuli. die formein 14, 22, 24, 26, 36 werden ahd. thunlich:
hasalum adalum Adalunc, acharum, himilum wibilum distilum digitum,
hiruzum fingarum wintarum hugitum tumphilum ; viersilbig : amisala
nahtigala sam an unca und in Zusammensetzungen: gihugita ungimacha
unfirslagan gitubili intnagili antlingita. Die ahd. mundart liebt, in
drei und mehrsilbigen Wörtern, den vocal der vorletzten mit dem der
letzten silbe auszugleichen, z. b. aus pittar zu bilden pitturu pittiri
oder für hungarita zu schreiben hungirita. auf den wurzelvocal
kann dies nur in so weit einflieszen als dessen brechung aufgehoben
wird : de'gan gidigini, we'tar giwitiri, fogal fugili ; aber statt wunscili
könnte nie gesagt werden winscili, für hantilin nie hintilln.
Der gr. spräche sind alle U in Y getrübt und viele A in E oder
0 geschwächt, dennoch hat sie eine grosze zahl reinlautender A und I
bewahrt und die formein 1, 2, 6, 10, 13, 17 lassen sich im überflusz
nachweisen: aqa %agd [idkcc xaxd xaxd dlXd Tlalkdg ccvöqcc [iccxqk,
xlöl xiöi öcpiöi, xlva xivd qpt'Aa, xdlavxa dg^axa <pdQ[iaxcct dykad
d^ia^a, avaxxi dvögdöi ndgdahg aya&lg, aygia dönlda naxglöa
lidöxiyu ndfoöxa xd%iöxa xdikiöxcc, seltner schon 11, 23, 35: nißcöig,
linagcc öxißagd, xidagig xiftagig.
Erwägt man nun ferner, dasz in der lat. litth. und goth. spräche
zu jenen drei kürzen noch lange vocale und diphthonge treten und 292
sich nach schöner folge abstufen; so erreicht der vocalismus in ihnen
seinen gipfel.
Zugleich musz aber nicht verkannt werden, dasz es dem geistigen
fortschritt der spräche angemessen war, von solcher höhe herabzu-
steigen und auf kosten des lauts eine noch gröszere manigfaltigkeit
geschwächter, gebrochner, getrübter töne zu erzeugen, was haupt-
sächlich durch E und 0, so wie durch vielfache umlaute und assimi-
lationen bewirkt wurde, indem die Wörter weniger in den sinn fallen,
werden sie anspruchsloser und für die abstraction taugender.
Schon in dieser hinsieht ist der griechischen spräche eine höhere
Vollendung und Verfeinerung als der lateinischen beizulegen, sie hat
die glücklichste mitte getroffen und von dem ursprüglichen wollaut
nur so viel aufgegeben, als nöthig war, um die freiste beweglichkeit
zu entfalten.
204 VOCALISMÜS
Insofern kann auch die französische spräche gewandter und
behender als die italienische, die englische ausdrucksvoller als die
schwedische heiszen, obgleich unter allen romanischen und deutschen
zungen die italienische und schwedische meisten wollaut behielten,
darum die singbarsten blieben. Der keltische vocalismus trägt, neben
vortheilhafter anläge, deutliche spuren früher pflege an sich. Dem
litthauischen ist bis auf heute seine alte reinheit zuständig; diese
spräche hat sich auch geistig beinahe nicht geregt: wenig mehr
verarbeitet mag die lettische sein. Bei unvergleichbar stärkerer
ausbildung scheint den Slaven noch eine fülle vocalischen wol-
lauts eigen.
Der deutschen spräche aufschwung hat nicht die gunst der
griechischen erfahren, sondern ist langsam und mit Unterbrechungen
vorgeschritten, unsere errungenschaft würde zur althochdeutschen
anmut des lauts zurückkehren weder können noch wollen, so wenig
als die englische zur angelsächsischen, immer aber bricht, wenn
auch weniger in abgeleiteten als zusammengesetzten Wörtern, die alt-
hergebrachte trilogie durch, z. b. mittag schifmann umfang Unfall
misgunst manigfalt dahinunter, selbst in anomalien wie nachtigall
und bräutigam.
293 Aber in der geschichte dieser vocale, der ursprünglichen trilogie
und der allmählich hinzutretenden brechung und beumlautung scheint
mir wieder ein zeugnis der Urgemeinschaft zu liegen. Auch die fin-
nische spräche ist klangreich und wol] autig; auszer dem A I U hat
sie E 0 und daneben Ä Ö Y entwickelt, und trübe vocale stehn in
zwei drei und viersilbigen Wörtern immer zusammen, z. b. höylä
höylätän hörhäläinen nytkiä nytkimätöin, wie sich die reinen suchen :
malata.matalus, matka matkustus matkustaminen ; allein es findet kein
Übergang aus dem reinen in den trüben statt, keine rückkehr aus
dem trüben in den reinen, daher z. b. ranta littus räntä pluvia nivosa,
rastas turdus rästäs stillicidum, harma canus härmä pruina, harka
dictum mordax härkä taurus, rupen incipio rypen voluto me ganz
unverwandt sind, weder ist also unser gewöhnlich fühlbarer umlaut,
noch jene ahd. assimilation der vocale in dreisilbigen Wörtern ver-
gleichbar, da diese nicht in die Wurzelsilbe dringt.
Zum schlusz will ich voraussagen, wohin erst folgende Unter-
suchungen zielen, und was einen unverkennbaren zug unserer spräche
kund gibt, in den übrigen, zumal den älteren ist der vocalismus
manchem Wechsel und mancher Schwächung ausgesetzt; aber die
Wirkung bleibt eine blosz phonetische, die flexion begleitende, die
deutsche spräche hingegen strebt diesen vocaltausch dynamisch zu
verwenden, unser ablaut, an sich dem skr. guna höchst ähnlich,
wird dadurch ganz etwas anderes, dasz sich aus ihm ein wunder-
bares, die flexion aller starken verbalwurzeln beherschendes, und von
da aus in alle theile der spräche strömendes gesetz entfaltete. Brechung
und umlaut, die anfangs auch nur phonetische bedeutung hatten, sind
uns ebenfalls unerläszliche hebel der flexion geworden, unter allen
VOCALISMUS 205
unsern mundarten hat die hochdeutsche diese richtung am deut-
lichsten an sich getragen. Solcher kraft und Wirksamkeit des deut-
schen vocalismus an die seite zu stellen wüste ich nur eine noch
auffallendere dynamische anwendung des keltischen consonantismus,
dessen spur sich anderwärts namentlich auch bei Slaven und Griechen,
doch in weit geringerem masze zeigt.
XIII.
DIE SPIRATION.
294 Auch der consonantisnms bietet drei durchgreifende trilogien
dar, indem seine laute bald spirantes liquidae und mutae sind, die
mutae wiederum bald labiales gutturales linguales, bald tenues mediae
aspiratae.
Der Spiranten und liquiden unterscheiden sich jedesmal viererlei,
diese sind L M N R, jene H S J V: hauchende sausende jehende
wehende; ich wage für die bezeichnung des J unser ahd. mhd. jöhan
je"hen zu verwenden, welches ein sanftes gelindes sagen, lat. ajere,
goth. aikan ausdrückt.
Unter diesen vier lauten ist der saus der stärkste und vernehm-
lichste, zunächst an ihn reicht der hauch; gelinder ist der jehende
und wehende laut.
Für den sausenden haben daher alle sprachen einen buchstab,
und er tritt vor vocalen nie, vor consonanten einigemal zurück, die
drei andern bezeichnen einige sprachen gar nicht oder nur durch
halbe buchstaben, vor oder nachgesetzte und übergeschriebne haken
und puncte. so die irische das in und auslautende H durch über-
gesetzten punct, wie die hebräischen vocale unten punctiert werden,
hierher gehören auch die slavischen jer und jerr, das gelinde und
harte, welche gleichergestalt nur in und auslautend vorkommen, aus
I und U erwachsen (s. 283), und dem J und V vergleichbar sind.
295 J und V gehn unmittelbar aus den vocalen I und U hervor, unter-
scheiden sich also von S und H; die nicht aus vocalen entspringen,
diesem gegensatz zwischen S H: J V gleicht unter den liquiden der
zwischen LR: M N, denn auch L und R haben, wie J V halbvocalische
natur, während M N wie S H unvocalisch erscheinen. Mir scheint
die edlere art des A auch hierdurch bestätigung zu empfangen, dasz
es in keinen consonant übergeht, da I und U consonantiert werden
können, von dem Übergang des I und U in die Spiranten habe ich
eigens geschrieben; bald folgt der consonant aus dem vocal, bald
weicht er wieder in ihn zurück, sehr gewöhnlich ist, dasz aus
SPIRATION 207
anlautendem sva svi, hva hvi, cva cvi geschmolznes su hu cu ent-
springen: sue'star süster, sue'lla stille, schwirren surren u. s. w.
Die griechische spräche ermangelt der buchstaben, gewissermaszen
auch der laute H*JV, und ihr 2J ist von geringerm umfang als in
den übrigen sprachen, allein ihr stehn noch zwei zeichen, der spiritus
lenis und asper zu gebot, welche, jenem irischen punct und slavischen
jer entgegen, nur anlautend geschrieben werden, der lenis hat aber
jetzt gar keinen laut und drückt insofern nur die abwesenheit des
asper aus, so wie umgekehrt das sl. oder russische jerr unempfunden
ist und abwesenheit des gelinden jer anzeigt, weshalb auch die Serben
gar kein jerr schreiben, so könnte man den gr. spiritus lenis un-
geschrieben lassen.
Früherhin besasz indessen die gr. spräche das digamma, welches
durch /, das heiszt ein zweifaches I ' ausgedrückt und dem laut V**
oder vielmehr einer verdickung desselben entsprach, wie sie schon
unser W, noch deutlicher das romanische GU und welsche GW er-
kennen läszt. Das latein, weil es bereits V für die spirans hatte,
verwandte / für seine aspirata, welche griechischem CD nahe kam, und 296
die ausspräche des lat. F steht ab von der des gr. digamma. wo
die romanische zunge anlautendes deutsches W übernahm, wandelte
sie es, auf welsche weise, in GU: guardare warten, guastare vastare
wuostan, guerra werra, guisa wisa, gualdana woldan, guanto wantus;
die franz. Schreibung behält GU noch vor E, I guerre guise, läszt
es aber vor A in reines G übergehn: garder gant und schon Galli
scheint für Gualli gesetzt, wie es zu ahd. Walah wird, welsch finde ich
den pl. Gwalwys the Gauls, wie lautet der sg.? Die Irländer pflegen
F dem welschen GW entgegenzustellen : fion gwin vinum, fear gwyrdd
viridis, fear gwr vir, fior gwir verus, faolchon gwalch falco, fionn albus
gwen pulcher altn. vsenn, Gwener Venus Veneris. Welsches Gwydion
Gwydien entspricht dem ags. Vöden, gerade wie die longobardische
Schreibung aus Wodan Guodan machte, das niederrheinische, frän-
kische Godesberg Gudensberg der franz. Schreibung gleicht, ein Irlän-
der hätte zu schreiben gehabt Faodhann. welsches gwydd kommt
überein mit ir. fiadh, altfranz. gaut, prov. gau gaus, ahd. wald.
Dies welsche GW ist nicht zu übersehn, wenn man das gr.
digamma beurtheilen will, weil gleich nachher auch eine analogie der
hauchlaute zwischen welscher und griechischer spräche überraschen
wird, das digamma herschte zumal im aeolischen dialect (Ahrens s. 30 ff.)
und für Alolüg selbst galt Faioküg, d. h. die bunten; gleich Britten
und Picten führten Aeolier den namen der buntgekleideten, andere
beispiele sind Fava%, fdlloL, MöTtegog lat. vespera, Folvog lat. vinum,
ndelv lat. videre, Folöa goth. vait, ttidog, /vTotg, Fvtvg lat. vitis
* davon hier abgesehn, dasz sie H für einen vocal gebraucht, wie die
slavische H für I.
** den Vlaut gibt auch das intarifxov ßav, welsches blosz als Zahl-
zeichen gilt, zu erkennen; name und grund des digamma scheint mir aber
älter als dies vau
208 SPIRATION
ahd. wida, fttcdog vitulus, Fegyov ahd. werah, fddeö&ca für ?jde-
öftai, vielleicht lat. gaudere? Fi<5%vg für iö%vg, zumal auch die
pronominalformen dritter person FbQ'Sv ßol Fb für äftsv ol £', vor
E in ßgrj&g, einigemal inlautend oßtg lat. ovis, ooßdv lat. ovum ir.
ugh welsch wy f. gwy, zlccßog lat. Davus, das s. 192 vermutete
Dagus Dagvus bestärkend. wenn zuweilen JP geschrieben wird:
ydlloi yellcu (Ahrens s. 31), ist das kein fehler, sondern dem franz.
297 G für GTJ entsprechend, ebenso begreiflich entfaltet sich anderemal
B oder vocalisches T aus dem digamma (Ahrens s. 34. 38). gewöhn-
lich entspricht es dem lat. V goth. V, einigemal dem spiritus' asper
oder lat. H, allmählich aber schwand es in der ausspräche und wurde
dann blosz durch den lenis vertreten, dem inlautenden digamma
darf auch das goth. aus diphthongen aufsteigende GG in bliggva
siggva oder das altn. in egg ovum verglichen werden, es ist ein
irrthum Priscians, dasz aeolisches digamma überall den spiritus asper
vertrete, was es nur ausnahmsweise thut, so wie diesem hin und
wieder goth. V entspricht.
Beispiele des dorischen digamma zählt Ahrens s. 40—59 auf,
darunter ßsccQ und yiccQ lat. ver, ßs^ara i^dtia, ttötd yeöud lat.
vestis goth. vasti, ßiöria Vesta, ßl%axi lat. viginti, fk% für £'£ lat.
sex; inlautend nkeßos ccißei für kUos dsl ahl goth. aiva, daftov
f. dri'Cov öd'iov.
Man sieht, dasz das digamma in der regel weht, zuweilen aber
auch hauchen und einigemal sausen kann.
Während die gr. Spiranten sich verdünnen und verflüchtigen,
verdichten und vergröbern sich die deutschen, das goth. V wird zu '
ahd. W, fast nach englischer ausspräche, S häufig zu SC SCH und J
zu G, oder entfaltet sich statt des früheren vocalanlauts. auch die
italienische spräche hat jacere jucundus jüngere in giacere giocondo
giungere verwandelt.
Umgedreht pflegt der altn. dialect J durchgehends aufzugeben
und V vor u y 6 ce 1 und r zu tilgen ; es heiszt inn üngr ok är für
goth. jains juggs juk jer und vaka bildet im praet. 6k, vinna vann im
pl. praet. unno; lita und rlta stehn für goth. vleitan vreitan. aus
den eddischen alliterationen wie aus der homerischen scansion lassen
sich also verlornes V und digamma rathen. Ssem. 60a werden ordi:
vinr, 61 a Vidarr: ülfs, 61b reidr: vega, 62a reidir: vegiz, 63b reidom:
vegit, 187a reidan: vega, 188a 190a reidir: vega gebunden, in wel-
chen stellen vordi, vulfs und überall vreidr erforderlich ist, wie sie
dem ags. vord vulf und vräd entsprechen, aber die spätere ausspräche
und Schreibung giengen über das V, wie bei Homer über das digamma
hinweg.
298 In der mitte von Zusammensetzungen schwindet der lenis ganz,
der asper aber wirkt nach, insofern er vorausgehende tenuis aspiriert:
eötia ecpeöTcog lörrftu cccpiörrj^ evöcj xad'tvdto, aigm nE&aLQea,
auszerdem geht er auch unter, z. b. alpa dtaL^og, vnvog hvvitviov,
l'örrjlii, sviöTTjiu. U könnte so niemals wegfallen, und auch das
SPIRATION S. H 209
digamma haftet, die dorischen %töaj:oiY.oi sind attische ^iktofnoi
(Ahrens p. 43).
Deutsche Zusammensetzungen tilgen niemals S oder J, zuweilen
H und V. schrieb schon Strabo ©ovöv&da (und wie hätte er Thur-
sinhilda können anders hervorbringen?), so ist dem Iornandes Sva-
nielh für Svanihild, dem Saxo gr. Svavilda für Svanhilda, Grimilda für
Grimhilda, dem schwed. Volkslied Brynial für Brynhild einzuräumen,
aus der ags. Beadohild macht die edda Saem. 136 Bödvildr (das v
gehört zu böd gen. bödvar und entspricht dem ags. o). nicht anders
wandelt sich in demselben liede der ags. name Nidhad in Nidadr,
oder sonst ahd. einherti in altn. einardr (vgl. s. 199), ahd. llhhamo
in altn. likami ; weit öfter jedoch haftet H, selbst in den eigennamen
Grimhildr Alfhildr Lyngheidr oder in einheri vanheill föthvatr u. s. w.
nur die scheinbaren ableitungen männlicher namen auf -ar entspringen
durchgehends aus der Zusammensetzung mit goth. haris, z. b. Vidär
ist ahd. Wltheri, Lofar ahd. Lobaheri, Sigar ahd. Sigiheri, Giafar ahd.
Ge'baheri, andere habe ich bei Haupt 3, 142. 143 gesammelt. Aus-
fallendes V oder W liegt allen mannsnamen auf -ulf oder -olf (gramm.
2, 330) und vielen auf -old (2, 333) zum gründe; die lat. bildung
-oaldus -oarii hat V in 0 gewandelt, bekannt sind altn. dögurdr, Si-
gurdr aus dagverdr Sigverdr = Sigferd f. Sigfrid. ahd. iowiht niowiht
wurden bald in ieht nieht, iht niht gekürzt, ahd. mittawechun mhd.
mitichun mitechon mitichen Griesh. 2,48. Tundal. 44, 27. MB. 27, 90.
Auslautendes S tilgen zwar viele sprachen, zumal in flexionen,
doch keine spräche ist mir bekannt, die inlautendes S mit solcher
leichtigkeit vor consonanten schwinden liesze, wie die französische:
lle insula it. isola, Bäle Basel it. Basilea, male masculus it. mascolo,
meler miscere it. mescolare, maitre magister it. maestro, apre asper 299
it. aspro, fröne fresne fraxinus, guöpe vespa, vßpre vespera u. s. w.
wozu man das altröm. poesna coesna f. poena coena halte, anlau-
tendem ST SP schiebt der Franzose E vor, um dann das S fallen
zu lassen: etre stare, ecrire scribere, eternuer sternutare, man könnte
sagen, der saus sei hier in den vocal aufgelöst: das erlöschen des
S gleicht dem des H in analogen fällen und bestätigt die verwandte
natur beider Spiranten.
Für diese musz ich nun noch näher ihren merkwürdigen Wechsel
unter einander geltend machen, der in einigen sprachen stark, in
andern gering vortritt, sanskrit latein deutsche slavische und irische
spräche pflegen S zu setzen, wo zendische persische griechische und
welsche H; im deutschen tauchen nur hin und wieder spuren des
H neben S auf, characteristisch wird aber der unterschied zwischen
sanskrit und zend, zwischen latein und griechisch, zwischen irisch
und welsch; der Übereinkunft griechischer und welscher spräche im
digamma begegnet vollkommen die im H, und wie dort dem G hängen
sie hier dem H an, d. h. gutturallauten. ebenso eigenthümlich ist
es Griechen und Welschen anlautendes R zu aspirieren und dem lat.
quinque, franz. cinq, ir. cuig entgegenzusetzen ni\mz pump.
Glimm, geschichte der deutschen spräche. \ \
210 SPIRATION S. H
Es zieht mich an das Verhältnis von S und H in zahlreichen
beispielen auszuführen.
Das pronomen dritter person skr. sa sä lautet im zend hö ha,
gr. 6 rj, goth. sa so, ags. se seo, altn. sä sü und dem ir. se steht
welsches e für he entgegen, nicht anders waltet im lat. goth. ahd.
altn. litth. sl. reflexiv S, im gr. H; mit dem aussterben des ags.
und engl, reflexivs mag aber im Zusammenhang sein, dasz neben ags.
demonstrativ se seo das eigentliche pron. dritter person he heo lautet,
dessen H durch alle casus und geschlechter läuft, im alts. he ledig-
lich den nom. masc. ergreift, während das fem. siu behält und die
obliquen casus H abstreifen, der niederländische dialect hat S blosz
dem nom. acc. sg. fem. gelassen, dem masc. H verliehen, der frie-
sische gleich dem ags. allenthalben H angenommen, auf demselben
300 gründe ruht das H des altn. hann hun und der neunord. sprachen,
wo im deutschen pronomen H vortritt, begegnet es der welschen weise ;
in den hochdeutschen mundarten ist es nicht der fall, auch finn. se ille.
Zum skr. saptan treffen lat. Septem, goth. sibun, litth. septyni,
sl. sedm, ir. seacht; zum zend. haptan pers. heft, gr. hittd. hier
hat auch das welsche saith skr. sahasra zend. hazanra pers. hezara
(s. 254).
Skr. sara, lat. sal, goth. salt, ahd. salz, ir. salan, sl. sol', poln.
sol, böhm. sül, litth. surus salsus (sonst wird für sal gesagt druska)
suditi salire, lett. sahls, finn. suola, est. sool, läpp, salte. hingegen
gr. cclg, welsch hal balan; wenn in Deutschland Salzquellen den
namen Hall Halle führen, scheint das keltischer einflusz, den salz-
flüssen steht S zu (mythol. s. 1000) und schon Strabo s. 291 gewährt
JJdlccQ', Leo (bei Haupt 5, 511) leitet das H von dem phonetischen
übertritt des ir. S in SH ab, welches SH wie H gesprochen werde;
doch dieser der irischen spräche eigne lautwechsel braucht uns nicht
die nähe des S und H anderwärts zu deuten, wie der mythus den
geschmack des meerwassers aus hinein geworfnem salz erklärt und die
see überall die salzige flut heiszt, ist aus dem gr. masc. alg das
fem. für den begrif des meers entsprungen und ir. bezeichnet saile
see oder seewasser. aber auch die bitterkeit der thräne rührt aus
dem salz her (mythol. s. 531), die thräne beiszt (ddxQV goth. tagr,
lat. lacryma verwandt mit Öaxslv) und unmittelbar das sl. sl"za,
böhm. slza zu sol' salz, im poln. iza ist einmal die Spirans abge-
streift und nur aus der nachwirkung auf L erkennbar.
Skr. upa und upari entsprechen dem goth. uf und ufar, lat.
sub super, gr. v%6 vnsQ. man erklärt sich sub super aus dem vor
upa upari tretenden praefix sa (Benfey 1, 284), welchem der sp.
asper gleichgilt. ir. ist suas, welsch uwch, oder wie andere schrei-
ben yuch super, gr. vmiog lat. supinus.
Lat. simul, goth. sama, gr. cfyta, pers. hem. im skr. sam und
saha für den begrif mit, aus welchem saha und einem vermuteten
sahum Benfey 1, 386 das gr. %vv Cvv und lat. cum leitet, woran
301 sich ahd. ham (gramm. 2, 752) schlösse. dies alles bleibt noch
SPIRATION S. H 211
zweifelhaft, offenbar aber lassen sich ct{ia und övv, cum und ga nicht
unmittelbar zusammenstellen.
Bei Homer überwiegt noch öyg dem vg, und er sagt övßcjtrjg
övßoöiov, allmählich aber drang vg durch, lat. sus, ahd. sü u. s. w.
(s. 36. 37). zu vg fügt sich pers. khük und welsches hwch, woher
das engl, hog entlehnt scheint, man wolle denn das deutsche haksch
(s. 36) anschlagen, vawa eigentlich wilde sau, hernach hyaena.
Ir. seabhac falco, welsch hebog, wozu die deutschen s. 49 auf-
gezählten formen stimmen ; doch scheinen mir jetzo seabhac wie hebog
urverwandt und unentlehnt. aber ich gehe nun weiter und verknüpfe
damit auch die namen des falken: sucelino sakalas sokol scheinen
das S und K von seabhac zu enthalten und ableitendes L anzuhängen,
während im lat. falco, ir. faolchon Übergang aus der gutturalis in
labialis stattfindet, also ein gr. digammiertes ßdkxwv zu gewarten
wäre, welchem das welsche gwalch, altn. valr gleichsteht, dies alles
wird durch das spätere cpal%(i)v und span. halcon bestätigt; aus dem
alter der formen ergibt sich das der falkenjagd von neuem. Den
berühmten heldennamen Gwalchmai deutet Davies brit. mythol. s. 199
the hawk of may, lady Guest im mabinog. 1 , 118 Gwalchmai ap
gwyar the hawk of battle, aus Gwalchmai entsprang das romanische
Gavain Gauvain Galganus Walganus, Wolframs Gäwän, mnl. Walewein.
Ir. saileog, lat. salix, ags. sealh, ahd. sahala, altn. selja, dakisch
öccUa (s. 210). welsch helygen, gr. eUxr] nicht blosz weide, sondern
auch epheu, wahrscheinlich noch auf andre kräuter ausgedehnt; wel-
sches helogan ist apium graveolens, helyglys epilobium Weiderich.
Skr. Sürjas gott des lichts (R : L wie in sara sal) vgl. svar
coelum, lat. sol, litth. saul^ lett. saule, sl. sf'n'tze, goth. sauil, ags.
sigil, ahd. sugil, altn. söl, ir. solas lux. zendisch hvare, gr. rjfoog,
welsch haul pl. heuliau, den Tschuwaschen khvel. zu den Hformen
rechne ich auch das ags. hveol hveohl, altn. hiol, weil die sonne als
leuchtendes rad dargestellt wird (mythol. s. 664) und wie im etrusk.
usil, sabin. ausel H und S mangeln, kann auch im altn. jol, goth. 302
jiuleis der begrif des rads oder der sonne liegen, jiuleis und lat. Ju-
lius den monat der (winter oder sommer) Sonnenwende meinen (oben
s. 107). auch der Übergang aus hveol, engl, wheel, nnl. wiel in
fries. fial ist nach allen seiten gerecht, wie wir eben in falco F H
und S wechseln sahen.
Marcellus burdegalensis (oder auch empiricus), leibarzt Theodos
des groszen, hat uns in seiner schrift de medicamentis cap. 3 den
keltischen namen des klees aufbehalten*: visumarus, was sichtbar
zum ir. seamar und seamrog stimmt, woraus die Engländer shamrock
machen; es ist der dreiblätterige klee und bis auf heute symbol des
* medici antiqui. Venet. 1547 p. 90a; er führt, gleich Dioscorides, noch
andere (zwölf) gallische pflanz ennamen an, cap. 10 p. 101a herba proserpi-
nalis quae gallice gigarus appellatur; radicem symphyti, quod halum gallice
dicunt; cap. 11 p. 101b serpillum herbam, quam Galli gilarum dicunt u. s.w.
14*
212 SPIRATION S. H
irischen volks, das an die hüte geheftet wird*, aber anch altn. war
smäri trifolium album, in Jütland sagt man smäre. vi in visumarus
scheint bloszes praefix, dessen sinn ich nicht sicher nachweise, vgl.
ir. uis humilis, oi ovis. die welsche spräche kennt kein dem semar
entsprechendes wort, sie nennt den klee meillionen. ich vergleiche
aber das ahd. hemera, welches verschiedne kräuter gentiana, helle-
borus, aconitnm glossiert und dem litth. czemerei, russ. tschemeritza
(s. 213) nahe kommt.
Lat. serpo gr. egnco. skr. sarpa, lat. serpens gr. SQnezog. Ver-
wandtschaft mit vermis vaurms krimi tscherv s. 172 vermutet.
Lat. sarpere putare: 'sarpere apud antiquos purgare' undfsarpta
vinea' hat Festus. sarmentum virgula putata. sl. sr'p", böhm. srp,
poln. sierp falx. gr. ccQnrj yoQTi?] (s. 105). ebenso gehört unser
sichel zu secare, litth. piautuwas zu piauti und der achte monat
heiszt den Litthauern piutis rugpiutis (s. 99) wie den Slaven srpen
303sierpien (s. 95). läge der hauptbegrif in ccQ7ir] srp, so dürfte man
das krumme sich durch die halme schlängelnde geräth zurückleiten
auf 8Q71ELV serpere, vgl. ccqttoc&lv rauben, gleichsam abschneiden.
Litth. sarmata, sl. sramata ignominia, sl. sramiti IvxqS'jiuv, skr.
sri erubescere. ahd. härm contumelia injuria, ags. hearm calumnia
damnum, altn. harmr damnum luctus, vgl. oben s. 172.
Skr. svapnas, lat. somnus f. sopnus svapnus, sopor f. svapor,
ahd. sve'ban, altn. sve'fn somnium, sofa = svefa dormire, mhd. ent-
sweben sopire, litth. sapnas lett. sapnis somnium, ir. suan somnus,
sl. s"n" somnus, russ. son", böhm. poln. sen gen. snu, serb. san gen.
sna, sl. s"pati, böhm. spati, poln. spac dormire. gr. vnvog somnus, vnag
sopor, evvTivLOV somnium, welsch hün somnus levis, hepian dormire
und aus beiden zusammengesetzt hephun somnus, hunell somnus levis.
Skr. svädus fem. svädvi, lat. suavis f. suadvis, goth. sutis f.
svßtis, ags. svete engl, sweet, ahd. suozi, nhd. süsz. gr. fjdvg. gehört
das ir. saimh hierher? dasz skr. svädus aus su bene und ad edere
stamme bezweifle ich. auf slad"k" dulcis ykvxvg werde ich hernach
kommen.
Lat. senex gen. senis, senior, senium, goth. sineigs, sinista, bürg,
sinistus, mlat. siniscalcus seniscalcus, famulorum senior, vgl. goth.
sinteins aeternus, lat. semper, ahd. sin-, ir. sean senex. welsch hen
senex, hyn senior.
Skr. sämi, lat. semi, ahd. sämi, ags. säm. gr. rjfu. im kelt. sl.
litth. entspricht nichts.
Lat. sedeo, goth. sita, ahd. sizu. sl. sjesti sjadu, poln. siedziec,
böhm. sedeti, litth. se'd&ti. gr. itp) e&ncu fut. edovnai, edog sÖqcc
sedes goth. sitls.
Skr. svidjami lat. sudo. ags. svät, ahd. sveiz, altn. sveiti sudor.
gr. LÖQCog.
Lat. sorex, gr. vga^, finn. hiiri mus vgl. s. 235.
Lappenberg über Irland (in der allg. encycl.) s. llb.
SPIRATION S. H 213
Lat. sulcus, ags._ sulh (oben s. 56. 57). gr. oXnog von sknco.
ohne spirans cUa£ avla^.
Lat. sylva silva gr. vhf\, lat. saltus, finn. salo, vgl. mit gr. aXöog. 304
H auch im ahd. holz lignum silva, ags. holt lucus, altn. holt aspre-
tum, saltus. andrer wurzel als das folgende.
Lat. salio, salto, gr. allofiai, lat. saltus al^ia. ahd. salzön, ags.
saltian saltare, nach dem latein?
Lat. socer, goth. svaihra, ahd. sue'hor, gr. s%VQog.
Goth. saian saisö, altn. sä söa seri, ahd. säan sähan säwan, ags.
sävan, lat. serer e f. sesere, litth. seju s&ti, sl. sjejati, poln. siac, ir.
siolaim silim, welsch hau, hadu sero. lat. semen, ahd. sämo, sl.
sjemja, poln. siemi^, litth. sekla, ir. siol, welsch hil progenies,
haden saat.
Ir. seisge carex, engl, sedge. welsch hesgen.
Ir. seile lat. saliva, gr. öiaXov, welsch haliw.
Ir. sealgam venari. welsch hei, helg.
Ir. seafaid vaccula, scheint dem ags. heafor, engl, heifer (s. 32)
verwandt; das welsche wort finde ich nicht.
Ir. sior continuus. welsch hir continuus longus, vgl. vorhin bei
senex ahd. sin-.
Ir. sion tempestas. welsch hin, vgl. huan sol.
Ir. samhra sol, aestas. da sonst samh = sabh steht, fällt viel-
leicht das welsche haf hefin aestas in die vergleichung. ahd. sumar
(oben s. 73).
Ir. sanas salutatio, nuncius. welsch hanes relatio
Ir. saith examen apum. welsch haid, vgl. e6{i6g und selbst
examen, franz. essaim.
Diesen beispielen des anlautenden S : H lieszen sich manche andere,
bis auf die Sakae und Hakas (s. 227) zufügen; ich will auch einige
inlaute dafür beibringen.
Skr. asi lat. es, goth. is, zend. ahi. skr. asmai, zend. ahmäi, goth.
imma f. isma. skr. asmi, zend. ahmi, gr. eft^ii aus s6[il, litth. esmi,
sl. jesmi, goth. im f. ism. zu diesem H geneigt die finnische spräche,
indem sie von mesi vir den gen. miehen bildet und zwischen mesi
und mehi mel, mesiläinen und mehiläinen (ungr. meh) apis, tisma und
tihma stillicidium schwankt, ihr hanhi anser entspricht dem lat. wort,
das für hanser steht und dem ahd. gans, skr. hamsa cignus, ihr tuhansi
unserm tausend (s. 256). S und H verschieben sich aber in otso
fronto = ursus und ohto, in otsa ohta frons, in neitsy neihty virgo. 305
Man fühlt, wie leicht in solchen inlauten saus und hauch wech-
seln, aus goth. vaurhta entspringt vaurstv opus f. vaurhtv, finn. lehti
folium stelle ich unmittelbar zu sl. list, und ahd. mist geht hervor aus
mihst, goth. maihstus von der wurzel meihan, lat. mejere. ags. suhtria
fratruelis halte ich zu altn. systrüngr*. wie sich die gemination s^l
* jüngere Wechsel zwischen beiden Spiranten im mhd. tasten aus tau-
ten? testier und tehtier, forest und foreht. Haupt 6, 8.
214 SPIRATION V. S
imma aus lopi isma ergab, scheint auch l'rtTtog aus Xöieog (s. 30)
deutbar, die nord. mundart liebt mahts ahtau dauhtar puhtus zu
wandeln in mättr ätta döttir pötti. noch leichter muste im inlaut
das digamma schwinden.
Wie im anlaut J und V schwanden, wurde schon s. 297 gesagt,
gleich oft fällt anlautendes H weg und der gr. asper wandelt sich in
lenis. die romanische spräche pflegt H in deutschen Wörtern meisten-
teils zu tilgen, umgekehrt es "vor den reinen vocal zu schieben;
dies ist auch der mnl. mundart allenthalben eigen. Die von Busbek
in der Krim vernommnen Überbleibsel goth. spräche haben ael f.
hallus, sno f. hano, iel f. heil. Etwas länger widersteht S, doch ist
das goth. uf für suf ein altes beispiel der aphaeresis. wir sahen poln.
iza aus slza entspringen. Die Finnen leiden im anlaut keine doppelte
consonanz und machen aus schwed. skalk skön skepare skräddare:
kalki kaunis kippari kraatari u. s. w., wozu sich jene französische
tilgung des S vor mutis halten läszt. Alle H vor L N R V sind der
späteren deutschen spräche entfallen und die wurzeln dadurch so ent-
stellt, wie es diese finnischen Wörter nach abgelegtem S sein können.
Auch der welschen spräche entgeht verschiedentlich das anlautende
H oder S: uwch superf. huwch, elech, elestyr vexillum mali, ir. si-
lastar. schwankt aber schon die lateinische zwischen haruspex aru-
spex, hepar und epar, Hedui und Aedui, so darf die gänzliche aphae-
306rese des H in der italienischen nicht verwundern.
Wir sahen, dasz in der regel Spiritus asper dem lat. S zur seite
steht, wie der lenis, früheres digamma vertretend, lat. und goth. V
entspricht: äötv skr. västu, hccg lat. ver, egyov ahd. we'rah, eö&ijg
lat. vestis goth. vasti, tg lat. vis, hcdög vitulus, kea altn. vidja vimen,
vidir salix, ahd. wida, lat. vitis rebe, olxla goth. veihs lat. vicus,
olvog vinum goth. vein, 'Evbtol Veneti. natürlich aber mengen sich
auch beide Spiritus und sönsga sötIcc vöcSq sind vespera vesta vatö
wie s&og goth. sidus, ahd. situ, dg und ev stehn neben unus und
wienas (s. 241). aus demselben grund pflegt zwar welsches GW
irisches F neben sich zu haben, ausnahmsweise kann aber auch wel-
sches H dem F entsprechen: hunan ipse, ir. feinn; darum mag viog
sowol mit sunus als mit filius sp. hijo verwandt sein (vgl. s. 271).
der asper in stsgog findet im sl. vtoroi wehenden laut, sonst aber
reinen vocal neben sich (s. 138). ein merkwürdiges beispiel der Ver-
wandtschaft zwischen anlautendem S und V gewährt das lat. sinister
und ahd. winistar altn. vinstri. Inlautenden Wechsel zwischen wehen-
dem und hauchendem laut gewahre ich in ahd. mundartig verschiednen
denkmälern zuweilen, nicht häufig, für goth. saian saijan serere setzen
einige säwan, andere sähan, ebenso für goth. siujan suere einige
siuwan, andere siuhan; weitere beispiele sind gramm. 1, 885. 886
aufgezählt, die spirans könnte auch ganz wegbleiben, die Angelsachsen
neigen zu V : blävan sävan mävan f. ahd. plähan sähan mähan. anders
zu fassen ist wenn H und W im ahd. lihan leh liwan, sihan seh
siwan, se'han sah se'wan tauschen: hier zeigt die goth. form leih van
SPIRATION RH 215
laihv lihvan, saihvan sahv saihvan, dasz ahd. im praes. und praet.
der wehende, im part. der hauchende laut ausfiel, aber in sehr vielen
fällen auszerdem wird inlautendes V unterdrückt.
Wie der Grieche jedem vocalanlaut einen Spiritus lenis oder asper
vorausschickt, liebt der Slave jehenden und wehenden, statt des goth.
im is ist, lat. sum es est hat er jesm' jesi jest', für ita itis itij) edo
edis edit aber jam jasi jast', für ains unus jedin, und wenn ik ego 307
altsl. noch az lautete, lautet es russ. poln. serb. ja, slovenisch jes
jest. oko oculus, ucho auris drückt der Slovene voko vuho aus. auch
das altn. jurt herba = urt, würz und jastr ramus = goth. asts
schlagen hier ein.
Weder der griechische noch welsche anlaut ertragen nacktes R,
sondern fügen ihm stets die spirans zu, in und auslautend bleibt R,
auszer wo es sich im griechischen verdoppelt: dann empfängt das
erste den lenis, das andere den asper: aggrjv vir, JtoggcD porro; vor
aspiraten hält sich R rein: ägftgov, Ttog&yiog, nogcpvga. Diesem
RH entspricht in andern zungen baares R, z. b. gädil; radix; gadiog
goth. rajiiza facilior; <Sa£ racemus; welsch rhi, ir. riogh, righ, lat.
rex, goth. reiks; gedrj lat. rheda, ahd. reit, altn, reid; q£G) goth.
rinna curro. Einigemale tritt ihm in andern mundarten B oder lat.
F vor: gccdivog aeol. ßgccdtvog, gdxergov und ßgccuergov, grjyvvpLi
goth. brika, lat. frango, giysa lat. frigeo, goth. friusa. anderemal
scheint sich aus der sprians vorgesetztes E zu entfalten: gvo^ica und
egvG), gs^to egdco, egv&gog goth. rauds, litth. ruddas, lat. rutilus,
welsch rhudd. Nur ausnahmsweise mag ihm ahd. HR gleichen: ga%ig
ahd. hrucki altn. hryggr.
Denn in der regel ist goth. ahd. altn. ags. HR so wie überhaupt
H Verflüchtigung der aspirata CH, also CHR dem gr. KP lat. CR an
die seite zu stellen, wovon im verfolg näher zu handeln sein wird.
Dem welschen RH steht aber auch anlautendes LL zur seite,
dessen ausspräche sp. 11 und poln. 1 erreicht und aus assimilation
oder Unterdrückung einer muta entspringt, vgl. llaeth lac neben blith
und ir. bleacht; lliw color species ags. bleo bleov; Hais vox ir. blacht
vgl. sl. glas; llaw llawf manus palma, ir. lamh manus, goth. löfa altn.
löfi manus, altn. glöfi chirotheca ags. glöfa engl, glove, ir. lamhan;
llawr llor pavimentum, ags. flör engl, floor; anderemal entspricht es
aber dem reinen L andrer sprachen: llaes liber solutus, goth. laus
ags. leäs; llafn llefhyn folium goth. laubs ags. leäf; Hin linum llian
vestis lintea; llunio creare formare, ahd. liuni fere, mhd. lüne indo- 308
les, altn. lund indoles, finn. luonto indoles natura, luon formo creo.
Sp. LL vergleicht sich dem lat. PL FL CL und it. PI FI CHI: llaga
plaga, llano planus, Ueno plenus, llorar plorare, lluvia pluvia, llama
flamma, llamar clamare, llave clavis, zuweilen dem einfachen L:
llosco luscus: llevar it. levare. Das poln. i hat sich reine liquida
gegenüber in den übrigen sl. mundarten: iania cerva sl. lan', litth. lon&;
lono sinus sl. lono; iaka pratum böhm. lauka, litth. lanka. Deutsche
HL scheinen mit allen diesen affectionen des L nicht übereinzutreffen.
216 SPIRATION
Die reine spirans S tritt über in H, H ins digamma, dies in
V, F wie sich S in R vergröbere soll gleich gezeigt werden, unter
allen vier Spiranten hat S in flexion und Wortbildung der spräche
die gröszte bedeutung, es fällt stärker und fühlbarer ins gehör als
H V und J und tritt als R noch mehr hervor.
Höchst merkwürdig erzeigt sich die neigung der zendischen
griechischen und welschen spräche zum H, GG und GV gegenüber
dem S und V des sanskrits, lateins und aller andern deutschen sla-
vischen litthauischen sprachen so wie der irischen, auch das finnische
verräth hang zu H.
Erwäge ich den einflusz des H und R auf die brechung, so
scheint mir auch die reinhaltung des A I U mit der dauer des S
zusammenzuhängen.
XIV.
DIE LIQUATION.
Den namen der liquiden verdienen L R M N, weil sie noch 309
etwas von der natur des vocals an sich tragen und zwischen den
stummen consonanten flieszen, daher auch häufig die stelle wechseln.
R und L heiszen im sanskrit halbvocale und werden den Spiranten J
und V an die seite gesetzt, auch in unsern europäischen sprachen
geht L über in I und U, es wird gleichsam in den vocallaut geschmolzen ;
R aber entspringt in der mitte von vocalen. M entfaltet sich vor labia-
len, N vor gutturalen und lingualen wiederum aus vocalen. im
sanskrit gehören hierher anusvära und visarga, NGr und H. einzelne
sprachen, wie die chinesische, meiden den harten laut des R durchaus,
umgekehrt die armenische und zendische das L.
Auch das ist ein zeichen der flüssigen natur des R, dasz die Spi-
rans S zu R wird, der sausende laut zu einem summenden surrenden,
wie die Engländer sagen, buzzing sound. unsre spräche scheint den
allmählichen eintritt dieser Wandlung gut zu zeigen, im gothischen hat
sie noch gar nicht statt, bereitet sich aber dadurch vor, dasz S inlau-
tend bei zutretenden flexionen oder anhängen Schwächung in Z erfährt,
das nicht gleich dem ahd. Z, sondern als blöderes, dickeres schwir-
rendes S auszusprechen ist*. Niemals kann der anlaut S gefährdet
werden. Am seltensten erscheint dies Z nach A, auszer wo noch ein 310
consonant vorhergeht: ans anza, jpans J>anzei, marzja, oder folgt:
gazds, razda, Azdiggs, auch wenn langer vocal drückt: usana uzön,
azets; nicht aber würde für basi kasa geschrieben werden bazi kaza.
häufiger ist es nach I U, vor langen vocalen und consonanten : is izös
izai ize, pis pizei, im -iza der comparative, riqis riqiza, izvis, mizdö,
barizeins, visan vizön, Jms puzei, jus juzei, us uzuh, tus tuzverjan,
* in der sanskritgrammatik (Bopp §. 31) heiszt freilich S ein dumpfer,
R, folglich goth. Z, ein tönender laut, vgl. Pott 2, 17. mir tönen und flieszen
Z und R, aber summend, schwirrend, S saust rein und hell. Z bindet sich
mit media (razda), S mit tenuis (ist, lustus).
218 FLÜSSIGE R
huzd, in den gen. -aizös -aize, in ais aizis, hais haizis lampas (blosz
der dat. pl. haizam Joh. 18, 3), dius diuzis, slöpa saizlep, in den
comparativen -öza, in airzja, fairzna. alle verba, deren wurzel auf
S ausgeht, halten es fest durch die tempora : visa vas vesum, lisa las
lesum, kiusa kaus kusum. R für S zeigt sich nur in den assimila-
tionen urruns urreisan für usruns usreisan, wo nicht uzruns uzreisan
geschrieben wird, als ältere spur des R zu erwägen bleibt vairpa fio,
das zu visa gehört wie fio zu fui, und vielleicht aus visada entsprang?
fio musz erwachsen aus facior ficior. ich habe den grund noch nicht
entdeckt, warum die übliche passivflexion -ada bei vairj)a ein J>a an-
nimmt [vairjja ist verto], es wäre von groszem werth, wenn wir die
gestalt dieses worts aus noch früherer zeit erfahren könnten; gewis
aber musz die abweichung vom gewöhnlichen passivum sehr alt sein,
da das scheinbare activum ablaut zeugte. Von dieser merkwürdigen
ausnähme abgesehn sind in goth. spräche alle S und R scharf unter-
schieden : asans messis arans aquilae, vas j an vestire varjan prohibere,
basi bacca baris hordeum, ais aes air mane gazds xbvtqov gards olxog.
Wie nun leibliche Umwandlung an einzelnen gliedern beginnend
sich immer weiter ausdehnt, so sehn wir auch in der hochd. spräche
diese R fortschreiten, goth. basi kas nasjan sind ahd. zu peri char
nerran, goth. is mis J)us veis jus zu e'r mir dir wir ir, goth. mais ais
311 dius ausö raus zu m£r er tior örä rör geworden, alle flexionen im
weiblichen adj. gen. dat. sg. und gen. pl. aller geschlechter, alle
comparative haben R, desgleichen die nom. sg. masc. plinter und die
pl. eigir lempir loupir huonir; doch starke verba behaupten S im
praes. und I. III sg. praet. ind., nehmen aber R in II sg. praet.
ind., im ganzen pl. und ganzen praet. conj. an: wisu, was wäri was
warum; liusu, los luri lös lurum; chiusu, chös churi chös churum;
vriusu; vrös vruri vrös vrurum; risu, reis riri reis rirum; man kann
sagen, dasz die einsilbigen formen des praet. S behaupten, die zwei-
silbigen, gleichviel ob kurzer oder langer vocal vorausgehe, R setzen,
doch andere, sonst ganz gleiche verba halten noch durchgehends S
aus, namentlich farwisu, farwas farwäsi farwas farwäsum (gramm.
1, 866); nisu, nas näsi nas näsum; chrisu, chras chräsi chras chrä-
sum. Mhd. lise, las lsese las läsen; genise, genas genaese genas
genasen (aber oft auch leere lären, gensere genären); überall wise, was
wsere was wären; gise, jas jsese jas jäsen; krise, kras krsese kras kräsen
und daneben krlse, kreis krise kreis krisen; brise, breis brise breis
brisen; rise, reis rise reis risen (daneben rir rirn); kiuse, kos kür
kos kurn; niuse, nös nur nös nurn; vriuse, vrös vrür vrös vrurn.
Nhd. behauptet sich S in lesen, genesen, hingegen hat R in war, gor,
kor, fror auch I. III sg. praet., ja in gären frieren selbst die praesens-
form ergriffen, während kiesen fortbesteht, und auszer verwesen auch
das subst. wesen dem S treu bleiben. Aus Visurgis, ahd. Wisuraha
ward allmählich Werrahe Werre.
Leicht kann man diese forschung auch auf die übrigen deutschen
sprachen erstrecken;' unter ihnen allen ist es die nordische, welche
FLÜSSIGE R 219
dem R am meisten nachgegeben hat. der einzige gen. sg. masc. und
neutr. erster decl. hält das -s der flexion: dags barns, doch männ-
liche gen. der zweiten und dritten empfangen, gleich allen weiblichen
-ar: belgr belgjar, sonr sonar = goth. balgs balgis, sunus sunaus.
Im verbum aber empfängt die IL III sg. praes. einförmiges -r, ja die
neunord. sprachen theilen es allen drei personen zu. lesa las läsum,
risa reis risum, friosa fraus frusum, giosa gaus gusum, wahren S, 312
doch findet sich frurum und kiosa kaus kurum; überall bis ins
praesens vera var värum. einzelne ältere denkmäler zeigen noch es
für er, vas für var. der pl. hat erum erud ero (und zuweilen
blosz ro).
Einigemal sprieszt ahd. und mhd. solch ein R zwischen zwei
vocalen auf. pim pist ist bildet den pl. pirum pirut pirun und grlan
scrlan splan machen das praet. grei griri grei grirum, screi scriri
screi scrirum, spei spiri spei spirum. und hierher gehören auch die
bei GrafF 2, 556 unverstandnen biruwis habitaveris 0. II. 7, 18,
biruun habitaverunt 0. IV. 4, 59 praeterita von büan habitare,
welches mit bim bist birum nah verwandte verbum 0. stark flectiert
haben musz, etwa folgendermaszen : praes. büu büis büit, pl. büen
büet büent, praet. biru biruwi biru, pl. biruum biruut biruun. praet.
conj. biruwi biruwis biruwi, obgleich noch einzelnes unsicher bleibt,
namentlich könnte auch der pl. ind. biruwum biruwut biruwun lauten.
0. accentuiert das i: biruuuis biruun, wie sonst im diphthong iu:
iuih iuer driuuon. gleich jenem birum scrirum aus bium scrium
ergibt sich biru biruwi biru aus biu biuwi biu, welches starke praet.
ich dem vermutlichen goth. bauan baibö, altn. byggja biö an die
seite setze, mitten im diphthong IU erhebt sich R, aus goth. speiva
praet. spaiv pl. spivum hätte sich vielleicht auch spizvum = ahd.
spirum erheben können.
Wie, liesze sich nun doch andrer aufschlusz über das goth. pro-
nomen jus izvara izvis gewinnen, als ich mir einbildete, da ich dies
wort zuletzt untersuchte? izvara dem altn. idvar gleichzustellen hatte
guten schein; doch natürlicher kann aus dem nom. jus, der für ius
steht, mit zwischenkeimendem Z und Wandlung des U in V vor nach-
folgendem vocal, izvara izvis entspringen, izv gleicht dem ahd. iru
in biruwis spirun aufs haar, wie aber neben spirun andere spiwun
spiuwan sagen, hat sich auch ahd. iuwar behauptet: es wäre nicht
unmöglich, dasz einzelne ahd. denkmäler dafür iruar irwar? gewährten,
der goth. nom. jus konnte kein Z entfalten, weil I zu J geworden war
und kein vocal nachfolgte, der U in V gewandelt und ZV erzeugt 313
hätte, welches demnach nur für die obliquen casus eintrat.
Da goth. Z auf reines S zurückweist, was auch ubizva = ahd.
opasa, ags. efese bestätigt, so scheint mir Z in izvara izvis dem S
in unsara unsis identisch und beiden das lat. S in nostri vestri ver-
gleichbar, nicht anders begehrt das R in pirum scrirum ein ursprüng-
liches S, welches noch in dem imp. pis mhd. bis esto oder, um einen
kühneren satz auszusprechen, im ganzen verbum visan vas haften mag.
220 FLÜSSIGE ß
ich werde anderweit ausführen, dasz die wurzel visan aus der älteren
Wurzel entsprossen ist, die unser B in bin, das lat. F in fui fio her-
gegeben hat.
Z tragen an sich die goth. gazds Stimulus, razda loquela, mizdö
merces, huzds thesaurus und vielleicht das gemutmaszte hruzdö daki-
sche crusta hirundo, welchen ahd. kart rarta hört, vielleicht hrorta
gegenüberstehn. man begreift, dasz sich neben misdö, ags. meord,
gr. niö&og, sl. mzda ahd. mieta, wie iuwar neben izvara, mit unent-
faltetem surrlaut, darbietet; ist doch den Slaven auszer mzda zugleich
m"ito eigen, altn. aber entspricht dem ZD DD in rödd (neben raust)
haddr oddr broddr; vielleicht in hrodda hirundo? edda, die urmutter,
führt sie auf izdö (Vesta "Sör/a)? oder steht sie näher zu a]>ei eids
(s. 271)? es könnte verwegen vom finn. isä auf izdö, von izdö sogar
auf airj>a, wie von visada auf vairj>a gelangt werden, auf die mütter-
liche e'rda und die doppelbildung edda und iörd vertrügen sich zu-
sammen wie mizdö und mieta. hierher scheint auch die schwankende
gestalt der ahd. partikel edo eddo erdo (Graff 1, 147) goth. aij)])au,
und vielleicht widar wirdar (Graff 1, 635) gehörig.
Man hat bei entwicklung des Z aus S immer fortbildung der
ursprünglichen wortform mit S in flexion, suffix und Zusammensetzung
anzuschlagen, welche von der schärfe des S die aufmerksamkeit des
redenden ablenkt und es vernachlässigen und vergröbern läszt. aus
diesem grund kann kein anlautendes S in R verderbt werden, so ent-
springt aus is izös izai, aus jus juzei, aus J>ans jsanzuh, aus ans anza
314 (Luc. 6, 41. 42), aus mais maiza, aus mins minznan, aus us uzuh
uzeta uzön, während die schon im nom. sg. oder der ersten person
festgehaltnen zweisilbigen hansa oder pinsa auch vor jeder andern
flexion haften, einigemal mögen die Schreiber straucheln; so würde 1
Cor. 8, 13 mims carnem richtiger scheinen als mimz, Marc. 6, 8 ais
als aiz? doch beidemal folgt ein vocalanlautendes anderes wort, des-
sen einwirkung möglich wäre.
Jenem ahd. aufsteigen des R zwischen vocalen stehn in gewisser
weise tilgungen des R gegenüber, die jedoch verschiedner art sind,
ahd. waso cespes franz. gazon scheint entsprungen aus wraso, wie
noch heute in einigen gegenden wrase fräse vernommen wird, das nhd.
rasen geht umgekehrt aus aphaeresis des W, wie sie in der regel statt
hat, hervor, gerade so erwuchs ahd. hreigiro (Graff 4, 799), mlat.
hairo, franz. heron, mnl. heiger ardea aus hreigiro, ags. hrägra, nhd.
reiher (vgl. Graff 2, 443). unser nhd. weit stammt aus mhd. werlt,
ahd. weralt; doch das fries. wrald wrauld rauld bestätigt den Über-
gang aus wrase in rase, war scollo gleba ursprünglich scrollo, wie
nhd. auch schrolle gehört wird ? ahd. spioz mhd. spiez altn. spiot ent-
behren das im ags. spreot nnl. spriet haftende R. bekannt sind nhd.
fodern (das einige auf lodern reimen), bef Odern f. fördern befördern
und köder f. kerder ahd. querdar esca; ähnlich ahd. skerdar und
skedar cardo (Graff 6, 543). im ags. sprecan spräc wurde R schon
frühe getilgt und specan späc gesetzt (Kembles urk. 2, 133), was im
FLÜSSIGE R 221
engl, speak speach durchdrang, im mnl. doghen pati, alts. adogean
ist R verschluckt, wie das ags. adreogan lehrt und die Verwandtschaft
mit tragen ertragen, alle bisher gegebnen beispiele der tilgung zeigten
jedoch genuines R, kein adulterines, aus S entsprungnes. ein solches
aber wird ausgeworfen im alts. linön discere, das überall für lirnön,
ahd. lirnen steht, lirnen entspringt aus leran docere goth. laisjan und
würde goth. lisnan, liznan (wie minznan minui) lauten.
Unter allen urverwandten sprachen zeigt in Wandlung des S zu
R keine gröszeren einklang als die lateinische. Cicero ad fam. 9, 21 315
sagt von Papirius Crassus, der 336 j. vor Chr. consul war: qui pri-
mum Papisius est vocari desitus, und Pomponius Digest. I. 2, 36 von
Appius Claudius (consul 307 und 296 vor Chr.) : R literam invenit, ut
pro Valesiis Valerii essent et pro Fusiis Furii. mit dieser erfindung
wird es wenig mehr auf sich haben als mit der der monatsnamen
Julius und Augustus durch Caesar und Octavius (s. 77); im vierten
fünften jh. vor Chr. mochte man in einzelnen namen das R dem alten
S vorziehen, das die ausspräche gewis schon in andern Wörtern hatte.
Livius 3, 8 schwankt zwischen Veturius und Vetusius (schon 462 vor
Chr.), Festus s. v. Aureliam meldet, dasz auch die Aurelii früher
Auselii hieszen. folgende Wörter hatten altes S : asa für ara, ausum*
für aurum, ausis für auris, sosor f. soror, fasena f. harena arena, hesi
f. heri, fesiae f. feriae, fusvus f. furvus, lases f. lares, muses f. mures,
nases f. nares, wie nasus blieb, quaeso f. quaero, ruse f. rure, spusius
f. spurius ; dann die flexionen des comp, majoses f. majores, meliosibus
f. melioribus, plusima f. plurima und wie noch jetzt arbos pignus
lepos gilt, flectierte man arbosem pignosa leposes, helusa f. holera.
pasus f. parus aus passer zu folgern, auch in andern sprachen rühren
meise und sperling aneinander, fesa f. fera durch goth. dius, flos
flosis durch das sabinische Flusa f. Flora (s. 113) bestätigt, mos mosis
analog zu volgern. die Übereinkunft mit der goth. weise folgt klar
aus aes aeris : ais aizis und magis major, minus minor : mais maiza,
mins minniza. im ags. blösma zeigt sich die spirans von flos flosis,
im goth. blöma, ahd. pluomo nicht, anderes lehrt auch die Zuziehung
der übrigen sprachen, z. b. ros rosis folgt aus litth. rasa, sl. rosa,
hausio hausi f. haurio aus altn. ausa haurire und vielleicht goth. haus-
jan audire. Besonders zu achten ist auf die entfaltung des R in der
lat. conjugation. aus dem S in sum sumus sunt für esum esumus
esunt entspringt R in eram eras erat = esam esas esat, ero eris erit
= eso esis esit, und gerade so in amarem aus amasem. dieser Wechsel
gleicht dem in was warum, chös churum. das altn. R in erum erud
ero entspricht dem esumus esut esunt und die kürzung ro dem sunt.
Doch alle lat. R ergeben sich nur nach vocalen, nie wie das goth. Z 316
auch nach consonanten*.
* erwäge ich sum für esum, sunt für esunt, goth. sind für isind und
das goth. asans messis neben dem lat. aestas; so könnte ahd. sumar und
kelt. samh (s. 73) mit aphaeresis stehn für asumar, oder welchen vocai
man ergänze, vgl. visumarus s. 302.
222 FLÜSSIGE R
Dagegen erscheint die gr. spräche, welche ihr anlautendes R noch
durch die spirans schärft, diesem inlautenden schwirrenden R ziemlich
abhold, wenn ÖQOöog, wie es allen anschein hat, zu jenem ros rosa
rasa, 'aber auch zum goth. driusan cadere gehört, in welchem das DR
ausnähme von der lautverschiebung macht; so erhalten wir dadurch
einsieht in seine wurzel: es ist der fallende, triefende, vgl. goth. drus
7itG)öt,g und ags. dreore, altn. dreyri gutta, zumal sanguinis. Doch
steht deutlich &Yjq für &rjg, wie goth. dius lehrt und xXcoQog darf
sich mit flos floris vergleichen *. Öfter ist die gr. spirans getilgt, wie
in jenem ahd. bium scrium für bisum scrisum und hernach birum scri-
rum ; so fasse ich gr. [ivg [A,v6g f. [ivöog, was lat. mus musis, ahd.
müs müsi erreicht: das thier heiszt so vom stehlen, mausen und uvco
[ivöG) blinzen**, vielleicht {iVBa und {ivötrjg (vom geheimen raunen)
fallen hinzu, in [ivfa wäre der Übergang in summendes Z. Noch
mehr leuchtet die tilgung ein in den comparativen, deren superl. U
behauptet, weil er an dem folgenden T stütze fand. nXüov also steht
für nteiöov nkeltpv, superl. jzMötog, welche dem lat. plus pluris =
plusis und plurimus — plusimus, dem altn. fleira = fleisa, flestr ge-
nau entsprechen, nicht anders verhält sich tiütpov (hier deutlich Z)
zum goth. maiza, und erwuchs aus nsyl^av, wie der superl. {isyiötog
= goth. maists behielt, das adv. \iaka ist f. [idyakcc und fiäXXov
f. (icdiov, dies f. ixayaXiov \LayaMtpv. blitpv f. bXiyitpv hat das
317 comp. S, der superl. oXiyiötog ist nicht unregelmäszig, sondern voll-
kommen, gleichergestalt beschaffen ist es um rjdlov = goth. sutiza
rjÖLörog = sutists, xcdUcov ndXfaötog, manche entfalten SS durch
assimilation des comp. S mit der wurzel: XQccvvg xgdööav f. xoa-
zi^cav KQaxiöTog, ßgadvg ßgaööcov f. ßgaditfiav ßgadtötog, ßa&vg
ßdööcov f. ßadt^cov ßccftiötog, na%vg Ttdoöav f. 7ia%it,(Dv %d%i6xogj
ykvxvg ylvööcüv f. ylvKiQov yXvxiöxog, xa%vg ftdööcov f. xayitpiv
xdyiGxog. statt des dor. xgdoöcov hat die attische form xqblööcov,
wo das EI sich verhält wie in pet£cov f. [luyifyjov ^eyl^cov. Auszer
solchen comparativen enthalten die häufigen verba auf -igco unser
goth. Z und vergleichen sich den deutschen auf -isön.
Bei Litthauern und Slaven offenbart sich geringe oder gar keine
neigung das reine S in R umzusetzen, litth. asa entspricht dem lat.
ansa und goth. ans, rasa dem ros, nosis dem nasus. auksas == aurum
ausum schiebt dem S einen kehllaut vor, den diese spräche insgemein
liebt und auch vor SZ verwendet in pauksztis avis, auksztas augustus,
anksztas angustus. erwägung fordert kregzde' hirundo (s. 204). basas
nudipes ist das sl. bos", busu ero stimmt nicht nur zu diesem lat.
wort, sondern auch zu dem im ahd. pirum erwachsenden R. der gr.
comparation gleicht aber die sl. auf -?i: mnii minor, bolii major, wor-
über noch viel zu sagen wäre, bemerkenswerth wird das sl. nesu
* der lakonische dialecthat imauslautPfür.2'. Ahrens dial. dor. p. 71 ff.
** vgl.blinzelmaus; das eddische miskorblindiSa^m. 52a scheint zu ändern
in myskiblindi oder myslablindi.
FLÜSSIGE R. L 223
fero, nesti nositi ferre zu litth. neszu neszti (sprich neschu neschti),
welches SZ einigermaszen an goth. Z mahnt; lett. nessu nest. in den
litth. flexionen, namentlich auch der Steigerung bleibt lauteres S ge-
hegt. Nicht anders im sl. klas" arista, glas" vox, nos" nasus, bos"
nudus, rosa ros, nositi nesti ferre. Häufig bei Polen und Böhmen
(nicht den übrigen Slaven) ist ein schwirrendes RZ, das seinem laut
nach zum goth. Z gehalten werden mag, aber ganz anders entspringt,
nemlich aus einwirkung der dünnen vocale i e ie y auf echtes R:
rzeka fluvius, böhm. reka, sl. rjeka; rzezba bildwerk, böhm. revba;
grzyb fungus böhm. hHb; trzmiel apis terrestris, böhm. cmel; krzywy
curvus böhm. kriwy; poln. trzy tres böhm. trj u. s. w. die aus-
spräche dieses rz r ist ein gelindes seh, dem franz. j nah, und r klingt
nur leise mit, den Polen beinahe gar nicht, es ist also ein in s oder
seh gemildertes r, das oft anlauten kann, während goth. z umgekehrt 318
aus reinem s entsprang, und, wie lat. r aus s, niemals anlautet.
Gieng ir. siur (s. 267) hervor aus sisur?
Die s. 254 ausgesprochne mutmaszung, dasz skythisches arima für
asima stehn könne, ist viel zu unsicher, um daraus zu folgern, dasz
liquation des S in R unter Skythen im gang gewesen sei. Füglicher
darf man das inlautende dakische Z in Ovefyvccg und Zccg^e (s. 202)
zum goth. Z halten, vielleicht das in ^lo^ovka (s. 207), sichrer das
2J in KQOVözavri (s. 204).
Indessen entfaltete sich auch schon im sanskrit R vor V aus S,
was unserm goth. zv begegnet, man übersehe nicht das schwindende
R im hindostanischen tl (s. 241).
Die Tschuwaschen setzen häufig R, wo in andern türkischen
sprachen S waltet, ob das bask. nizas niri, hizas hiri (s. 264. 265)
angezogen werden darf, mögen andere entscheiden.
Dem rauhen R gegenüber ist L ein milder weicher laut, des-
sen halbvocalische natur gleichwol mit der des R grosze ähnlich-
keit hat, daher auch diese beiden liquiden oft untereinander tau-
schen.
Bei diesem Wechsel scheint bald R bald L der ursprüngliche laut,
jenes im ahd. grian gannire mhd. glien, im alts. fruobara solamen,
ahd. fluobara, im skr. sara lat. sal (s. 300), im skr. sarva lat. solum
(s. 71), im skr. äru ahd. hlosen, im skr. grdh cupere goth. gredus
fames ahd. krät aviditas sl. gladd" fames russ. golod poln. giod
böhm. hlad; sl. glad1' vox gleicht dem litth. grasas fama. unsicher
bin ich des ahd. chirihha ags. cyrice, sl. tzr'k'V, das bei N. chilecha
und noch heute in der Schweiz chilche lautet, wie dort bilacha f.
birke gehört wird (Tobler). statt des lat. circus könnte auch goth.
kelikn nvQyog und uvcjyaiov (hochgewölbter saal) verglichen werden,
lat. fulvus und furvus scheinen verwandt, obwol jenes dem flavus,
dies dem ater näher ist; oder rührt furvus an ruscus? ahd. brün
glossiert furvus und fulvus. Sicher wurde aus Ulfilas Urfilas (s. 183)319
verderbt, wobei mir der heute in Frankreich bekannte name Orfila
einfällt; berühren sich vrka (s. 56) und Xvxog sl. vlk, so schiene R
224 FLÜSSIGE R. L
älter, und im deutschen beiderlei gestalt, vargs und vulfs, entwickelt,
ich werde darauf zurückkommen, in silubr silapar srebro sirablas
mag L älter sein, weil es aus dem noch älteren D in sidabras leichter
folgt (s. 9. 11). velbljud verbljud werbludas wechseln (s. 42). ver-
tagra scheint dem veltagra vorauszugehn (s. 38) und auch Arrian
de venat. cap. 3 schreibt ovtQtQayog. s. 118 habe ich die Zusam-
menstellung harugä hörgar xdoaxot und alces gewagt; jetzt ist es
zeit hinzuzufügen, dasz goth. alhs ahd. alah ags. ealh (mythol. s. 58)
dem lat. arx entsprechen mögen, ja ags. ealgian genau bedeute arcere
defendere tueri und für homerisches sEQyuv hgystv, sonst auch dgyuv
attisch gelte sHgyeiv. Da lat. lis litis aus stlis stlitis gekürzt ist, liegt
es unfern das ags. strid ahd. strit nhd. streit zu vergleichen, und
ich weisz nicht, welchem hier der rang gebührt, lat. coriandrum
milderte ahd. ausspräche in chullantar (Graff 4, 389), dem Spanier
ward lilio zu lirio. ahd. finde ich nur smielan subridere, mhd. schwan-
ken smielen und smieren, in der heldensage Helene und Herche, doch
echter scheint in diesem namen R (mythol. s. 232) und die edda hat
Herkja, die Vilk. saga Erka. Dasz in der wortableitung beide liqui-
den einander vertreten, bedarf blosz weniger beispiele: ahd. mur-
murön und murmulön, mhd. martersere und martelsere.
Italienischem organ schmilzt L in I vor a o u, es war ihm noch
nicht weich genug und wird aus halbem zu ganzem vocal: bianco
fiato fiamma piano fiore fiume f. blanca flato flamraa piano flore flume,
doch vor e i haftet es mit vortretendem g: egli meglio figlio moglie;
diese spräche wandelt auch anlautendes J in Gl gia jam, giogo jugum,
giugno junius. Der Spanier liebt J : hijo filius, hija filia, mejor melior,
viejo veglio, espejo speculum. im anlaut wird L verdoppelt und die
muta weggeworfen : llama llamar llano = ital. fiamma chiamar piano
(s. 308). der neapol. dialect tauscht einigemal L mit R: frato f.
flato, prebba f. plebe.
320 Hieraus begreift man das schwinden oder zutreten des L vor I
im anlaut. lilium wird it. zu giglio, Julius aber zu luglio, serbische
dialecte wandeln jelen cervus in ljeljen und den frauennamen Jelena
in Ljeljena. Bei allen Slaven entspringt jaz"ik", poln. jezyk, böhm.
gazyk aus ljaz"ik", wie litth. li&zuwis, lat. lingua, und die abkunft
dieser Wörter aus lizati, litth. laiziti, lat. lingere zeigt. Auf solche weise
scheint ahd. lepara, ags. lifer, altn. lifr erklärbar aus jepara, lat. epar
hepar, franz. lierre aus hedera. Die heutige schwedische ausspräche
läszt L vor I gar nicht vernehmen : ljus lautet jus, ljuf juf.
Der Schmelzung in U ist unter allen romanischen sprachen die
französische meist ergeben, so oft an das L ein consonant rührt: Gau-
lois chaume paume aune taupe chaud saut faux maux f. Gallus cala-
mus palma alna talpa calidus saltus falsus malus; eux ceuxyeux mieux
vieux f. eis cels oeils miels viels; fou doux poux f. fols doles polcs.
rein auslautendes A bleibt : mal val cheval, die Verbindung der praep.
a mit dem L bringt nur dann au zu wege, wenn das folgende nomen
consonantisch anlautet. Auch der neapolit. dialect hat meuza f. milza,
FLÜSSIGE SL. SV 225
smiuzo f. smilzo. In deutscher zunge bildet die niederländische mund-
art au aus al, ou aus al und ol, wie gramm. 1, 292. 300. 321
erörtert, und dabei musz einflusz französischer nachbarschaft ange-
schlagen werden.
Von den slavischen sprachen ist es die südlichste und weichste,
die serbische, welche das L der übrigen vocalisiert. im auslaut macht
sie 0 daraus, läszt aber bei folgendem a der flexion das L aufwachen :
bijo fem. bijela, mio fem. mila, kotao cacabus gen. kotla und häufig
in den participien pisao f. pisal, fem. pisala, preo fem. prela. von
selo pagus bildet sich seoski paganus. da wo dem L schon o vor-
ausgieng, wird dies dann verlängert : vö bos, sokö falco für vol sokol,
so sal, der gen. lautet vola sokola soli. Inlautendes L aber erweicht
sich vor anrührendem cons. in U: dug debitum, Bugarin Bulgarus,
munja fulgur, pun plenus, suntze sol, vuk lupus, stup columna, tu-
tschem tundo, muzem mulgeo, suza lacrima für dlg Blgarin mlnja
pln slntze vlk stlp tlzem (tl"ku) mlzem slza. das puno plenum gleicht
dem it. piano planum und wie bei den Niederländern musz wieder 321
in betracht kommen, dasz die Serben an Italien grenzen, dubok
profundus führt Miklosich s. 17. 21 zurück auf dl"bu scalpo, das
litth. dubbas und selbst goth. diups fordern vergleichung ; die andern
Slaven haben glubok, poln. gieboki, böhm. hluboky.
Dies Verhältnis des L : V leitet uns wieder in die deutschen und
älteren sprachen und gibt anlasz zu einigen aufschlüssen.
Es begegnet ein goth. slavan tacere, das keiner andern deutschen
zunge eigen offenbar dem lat. silere entspricht, dessen sil : sl sich
umgedreht verhält wie in lat. scire und goth. saihvan sc : sih. hin-
gegen stimmt das dem Gothen abgehende ahd. suigen mhd. swigen
ags. svigian sichtbar zum gr. öiyäv und dem damit zusammenge-
setzten öicrnäv = öifcojcav, wo recht deutlich das digamma GV
zeigt, wie aber, sollten nicht SL und SV in beiden formen sich aus-
gleichen? die liquation des L in V mag sogar auf Verlängerung des
wurzelvocals gewirkt haben, dasz das V in slavan der wurzel fremd
ist lehrt silere, ob ihm G in suigen gleichstehe, oder dies gar dem
kehllaut in tacere goth. pahan ahd. dagen vergleichbar sei? soll
hier dahingestellt bleiben.
Nicht anders scheint SL im goth. slöpan dormire, ags. slsepan,
ahd. släfan identisch dem SV im skr. svap, altn. sofa = svSfa und
den übrigen s. 303 angeführten Wörtern, freilich blieb die lautver-
schiebung des P in slöpan släfan zurück, da sie noch in sue"ban svöfa
vorschritt, den Angelsachsen allein stehn beide verba slsepan slep
und svefan sväf nebeneinander zu.
In der altböhmischen mater verborum bei Hanka 8b findet sich
die glosse : feronia, dea paganoruoi, zuoba. die römische Feronia war
göttin der freigelassenen, in ihrem tempel empfiengen entbundne
knechte den hut der freiheit. suoba, denn so musz genauer geschrie-
ben werden, bedeutet also freiheit und stimmt zu dem unter Russen,
Polen und Böhmen noch allgemein gangbaren sl. svobod' liber, svo-
Grimm, geschickte der deutschen spräche. 1 5
226 FLÜSSIGE SL. SV
boda libertas. in Böhmen hört man hin und wieder sloboda, die
322Slovenen schwanken zwischen svoboda und sloboda, den Serben gilt
nur sloboda für freimut, mut. richtig stellt Miklosich svoboda unter
svoi Ydwg, sui juris, liber, B scheint entsprungen wie im gen. des
reflexivs sebe*.
Mit einem mal geht hier ein licht auf über zwei berühmte, ich
glaube bisher unverstandne volksnamen, die in alle meine Unter-
suchungen greifen. Sueven und Slaven scheinen ganz dasselbe wort.
Caesar Strabo Tacitus Ptolemaeus schreiben Suevi Horißoi ZJovrjßoi.
Doch ein hauptstamm der Germanen sollte gleich geheiszen haben mit
den Slaven, die uns zwar urverwandt, aber auch stets von uns verschie-
den sind? ich will mich erklären, der name Suevi scheint allerdings
slavisch und bedeutet, wie wir eben sahen, freie ; er wurde deutschen
nachbarn von Sarmaten im osten beigelegt, wie im westen von Beigen
oder Galliern der name Germanen, späterhin mögen Slaven dieselbe
schöne benennung entweder für sich selbst gewählt oder von deut-
schen nachbarn zurückempfangen haben, und nach einer seltsamen
ironie gieng von unterjochten Slaven begrif und name der knechtschaft
aus (sclavi, ital. schiavi), da im wort ursprünglich die der freiheit
gelegen hatten**. Umgekehrt wandten die Deutschen ihren volksnamen
Vandali Vindili in der form Veneti Yinidi Winidi allmählich auf sla-
vische nachbarn an (s. 171), die deutschen Sueven aber behielten diesen
namen bei und verhärteten ihn blosz in goth. Svebös (?) ahd Suäpä ags.
Svsefas, wie schon gr. üoijßoi für Suevi geschrieben wurde, unter
südlichen Slaven scheint die benennung Sloveni hauptsächlich zu wur-
323 zeln, gerade wie sie sloboda dem svoboda vorziehen. Die Byzantiner
Procop, Agathias u. s. w. setzen E%Xaßou 2J%kaßr]V0L mit dem allmäh-
lich auch bei lat. Schriftstellern eingeschobnen C Sclavi Sclaveni,
welches jedoch die sl. Schreibung wieder ausstiesz. Unzulässig scheint
es den namen Slovenen aus slava gloria*** oder slovo verbumf, oder
einem unbekannten Ortsnamen, wie Schafarik meint, zu leiten, auch
* die Finnen ihrer neigungnach anlautendes S vor V wie vor L und andern
consonanten tilgend, haben vapaa liber, suijuris, vapahdusliberatio, die Esten
wabba liber wabbedus libertas; einleuchtend entsprechen vapahduswabbadus
dem sl. svoboda. den Finnen scheinen diese Wörter und begriffe durch die
Slaven zugeführt, wie den Lappen frije frijewuot durch die Scandinaven.
** man müste denn svoi proprius im sinn von andern angehörig nehmen,
wie auch der söhn suus des vaters ist.
*** in den mit slav zusammengesetzten eigennamen böhm. Buhuslaw
Miloslaw Radoslaw tilgt der Serbe das L: Bogosav Milosav Radosav.
f Miklosich s. 10 setzt denSlovjentz als löyiog, distinctaloquelapraeditus
demVlach" balbus undNjemetz mutus entgegen, wol mag einvolk denfrem-
dennachbar sich als unredenden, seiner spräche unmächtigen darstellen, kaum
sich selbst als unredendes, da ihm diese gäbe zu natürlich erscheinen musz,
um hervorhebens zu bedürfen, auch bezeichnet Vlach" schwerlich den stam-
melnden, sondern ist das deutsche Walah = Gallus; welschen heiszt uns fremd,
unverständlich reden. Im namen der Slaven ist a dem ahd. ä — goth. e ge-
mäsz, was mir die zurücknähme des worts aus deutschem mund bestätigt,
wenn schon nachher auch das ursprüngliche o von svob sich geltend machte.
FLÜSSIGE L. R 227
unsre Sueven hieszen nicht nach dem flusse Suevus, dieser vielmehr
nach ihnen, merkwürdig findet sich ein berg Sevo Suevo (mythol.
s. 337), bei Ptolem. 6, 14 tä öovrjßa oorj neben akava oqtj genannt,
wie er 6, 5 skythische Alanen und Suovenen (Uovoßrjvoi) auf diese
öovrjßa OQ7] folgen läszt. in den Suovenen erkennt Schafarik gültig
Slovenen, schlägt aber dabei nicht die namen Suevi und Slovi an.
die fortbildung -eni -ini ist wie in rstrjvoi Gothini. Zugleich be-
stätigt dies Verhältnis überhaupt uralten verkehr zwischen Germanen
und Sarmaten. der von diesen auf jene ausgegangne name kam ihnen
im verlauf der zeit wieder und in beide formen theilten sich beide
Völker dergestalt, dasz der name Sueven bei uns enger, der name
Slaven unter unsern nachbarn allgemeiner wurde.
Noch ein beispiel des wechseis zwischen SV und SL scheint
svädus fjövg suavis = suadvis (s. 303) abzugeben gegenüber sl.
slad"k", böhm. slad'ky, poln. siodki. das litth. saldus lett. salds 324
haben für L andere stelle, wie dulcis neben ykvxvg, welche beide
nah verwandt sind (wie ykevnog und öevnog most und vorhin glubok
und dlubok). schwerer einigen sich dulcis und slad"k"; dulcis aus
udcis vudcis svudcis sludcis?
Endlich entspricht das ags. svade vestigium, fries. swethe swithe
terminus dem sl. sljed" vestigium, poln. slad, böhm. sied, vgl. altn.
slödi callis. kein zweifei, dasz sich noch andere SV : SL ergeben
werden (vgl. suovitaurilia mit solitaurilia).
Welche von beiden formen ist aber für die ältere zu halten? da
sich im skr. svapnas und svadus zeigen, svoboda edler und dem svoi
näher ist als sloboda, auch Suevus dem Slavus der zeit nach voraus-
geht, gebe ich dem V das höhere alter, aus der spirans entspringt
die liquida, wie aus dem S das R. Umgekehrt ist L älter als
die romanische, niederländische und serbische auflösung in I oder U.
Bisher wurde die beschaffenheit des L und R für sich erwogen ;
die folgenden betrachtungen gehn auf beide zusammen.
Beide haben in den sprachen für die Wortbildung grosze gewalt
und kommen fast den vocalen I und U gleich, aus welchen wir sie
oft hervorgehn sahen, während S und H auch hier wieder an A ge-
mahnen.
Die flexion scheinen L und ursprüngliches R wenig oder gar nicht
zu bestimmen, desto mehr einflusz auf sie üben M N und S, das in
R übertritt, denn alle R der flexion sind aus S entsprungen. Für
die historische forschung bleibt es höchst wichtig, die echten oder
alten R von den aus S erwachsnen zu sondern.
Hervorstechende eigenthümlichkeit der slavischen zunge ist das L
der activen participia praeteriti, welchem ich etwa das ableitende L
der deutschen oft aus verbis stammenden adjectiva vergleiche z. b.
ahd. e'zzal äge'zzal släfal sprangal u. s. w. doch mangelt ihnen die
verbalkraft der sl. participien.
Die auszerordentliche Flüssigkeit des L und R zeigt sich recht an
ihrer unstäten stelle zwischen den stummen consonanten und man musz 325
15*
228 FLÜSSIGE L. R
beachten, welche verschiedne neigung hierbei die verwandten sprachen
kund geben.
Unsere spräche liebt es diesen liquiden den wurzelvocal voran-
gehn, die slavische folgen zu lassen, die lat. litth. und meisten übri-
gen halten es darin meist mit der deutschen, nicht mit der slavischen.
das ganze Verhältnis fordert reichliche beispiele.
Elbe poln. Laba böhm. Labe, das lat. Albis läszt ein goth. Albs
vermuten, ahd. Alp. ahd. alpiz mhd. elbez altn. älft ags. älfet, sl.
lebed' poln. iab^dz böhm. labut. dem namen des flusses wie des Vo-
gels ist das lat. albus identisch, der see Ladoga in Ruszland heiszt
altn. Aldeiga (fornm. sog. 12, 259), vgl. finn. aalto, altn. alda unda,
sl. ladija navis.
heim altn. hiälmr goth. hilms, get. £cd[iog öoqcc, litth. szalmas,
sl. schljem" TtSQwscpaXcda, böhm. slem ornatus muliebris. halm altn.
hälmr, sl. slama poln. sioma. aus poln. tiomacz böhm. tlumac, wird
deutsches dolmetsch, goth. fulls, litth. pilnas, lat. plenus, gr. nUog,
sl. pl"n".
silber ags. seolfor altn. silfr, sl. srebro. darf man sich getrauen
goth. silba ahd. se'lpo ags selfa altn. siälfr mit jenem svoj Suevus und
Slavus (s. 322) zu vergleichen?* bei Homer heiszen die Troer avxoi
gegenüber den bundsgenossen (II. 11, 220). litth. silpnas debilis, sl.
sljep" coecus. goth. vulfs ahd. wolf, lat. vulpes, sl. vl"k". lett. kalps
servus, sl. chlap" poln. chiop. litth. galwa caput, sl. glava poln.
glowa. lett. zilweks homo, sl. tschlovjek" poln. cziowiek böhm. clowek.
skr. palita, gr. nokiog, lat. pallidus, ahd. falo falawes, ags. fealo,
altn. fölr, litth. palwas, sl. plav", böhm. plawy, poln. piowy.
goth. dulgs debitum, sl. dl"g" poln. d*ug böhm. dluh, Miklosich
s. 25 leitet ab von dr'shati tenere, ich habe das ahd. tolc vulnus
altn. dölgr hostis und den volksnamen Dulgibini verglichen, andrer
wurzel scheint sl. dl"g" [laxQog, poln. dlugi böhm. dlauhy, skr.
dirghas longus, dem Miklosich s. 23 mit fug das litth. ilgas zur seite
326 setzt, nun gehe ich weiter und nehme lat. longus, goth. laggs ahd.
lanc für tlongus (wie latum f. tlatum) J)laggs dlanc, in welchen allen
sich der nasallaut eingeschoben hat, tlogus tlagus würde dem dlug
nahe treten, ilgas für dilgas stehn. also reihen sich dirghas dilgas
dlug tlongus J)laggs, wobei ich die stufe des lat. und deutschen ab-
gefallnen linguallauts unentschieden lasse.
milch goth. miluks ahd. miluh ags. meolc altn. miölk, sl. mljeko
poln. böhm. mleko. dem lat. lac lactis scheint wieder aphaeresis zum
gründe zu liegen und nach mulgere sl. ml"sti litth. inilszti melken
wäre früheres mlac melac anzusetzen, oder weist gr. yaku yakavxog
anderes? mulgere ist gr. dfislyetv. Benfey 2, 358 nimmt yalcty
ylay = fikay. das ir. bleacht blocht, welsche blith f. blicht?
gehn leicht in die labialis über, aber daneben gilt welsches laeth, ir.
lacht.
poln. böhm. sobek egoist, selbsüchtig.
FLÜSSIGE L. R 229
goth. skalks ahd. scalh ags. scealc servus, altn. skälkr nequam
woher finn. kalki; vielleicht mit sl. slouga servus poln. siuga böhm. sluha
eins, welches Miklosich s. 82 zu slouti stellt, wie cliens cluens zu cluere
fällt, sichrer ist ahd. folh ags. folc altn. fölk agmen populus, litth.
pulkas, sl. pl"k" acies, castra, poln. po*k pu<tk, böhm. pluk pik, gr.
7iol%og, aeol. öl%og st. des üblichen o%Xo$, dem wieder anlaut fehlt,
es könnte digamma stattgefunden haben, wozu lat. vulgus stimmt.
gold sl. zlato (oben s. 9). goth. valdan ahd. waltan ags. vealdan
altn. välda, litth. waldyti, sl. vlasti vladjeti. goth. kalds ahd. ehalt
ags. ceald altn. kaldr, lat. gelidus, sl. chlad", poln. chiod kühle,
serb. mit alphaeresis lad, Miklosich s. 101 verzeichnet chlad aura
(kühle luft), was nichts zu thun hat mit skr. hräda strepitus. litth.
saldus, lat. dulcis wurden schon vorhin s. 323 zu sl. slad"k" gestellt,
preusz. maldas juvenis, sl. mlad" tener, poln. miody böhm. mlady
juvenis. zu goth. halts ags. healt ahd. halz fügt sich lat. claudus,
diesmal mit slavischer lautstellung. poln. sledz böhm. sied' halec
entsprechen dem altn. sild schwed. all, das litth. silke7 lett. silkis
aber dem lat. wort nach dem Wechsel von S und H, denn der name
des fisches stammt von älg.
goth. arms brachium, ahd. arm altn. armr, das gleiche lat. armus 327
gr. ägfiog drücken oberarm und schulter aus; sl. ramo ramja nume-
rus poln. rarni^. da sich in der flexion ramene ramena (wie von imja
imene imena) entfaltet, könnte litth. ranka armus, sl. ruka manus
böhm. ruka, poln. noch nasal r^ka, aus zusammenziehung des dimi-
nutiven ramenka = ärmlein, hand herrühren, vgl. altn. ermi, ahd.
ermilo manica, lat. armilla brachiale, gleichwol läszt sich auch ranka
auf das litth. rinkti colligere zurückführen*.
altn. maur formica, schwed. myra dän. myre mnl. miere, pers.
mür, finn. muurainen, gr. {ivQnrj£, sl. mravii, pol. mrowka böhm.
mravenec und brabenec, wie auch in gr. mundarten ßvQ{ia£ f. ^ivg^ii]^.
skr. durva gramen cespes, ahd. zurba ags. turf altn. torf, -sl. trava
gramen, litth. karwe vacca, sl. krava poln. krowa. ags. forma, litth.
pirmas, goth. fruma wie lat. primus, sl. prvi'i poln. pierwszy. ahd.
härm ags. hearm altn. harmr, sl. sramata poln. sromota (vgl. s. 172.
303), zu erwägen auch nnl. schroom metus schromen metuere tremere,
insofern zittern und zagen mit sich schämen verwandt ist. ahd. car-
mula in der lex Bajuv. 2, 3 für seditio, sl. kramola. lat. dormire
sl. drjemati dormitare, ahd. troum somnium ags. dreäm alts. dröm
jubilum, vgl. mythol. s. 1098. aus lat. marmor macht das böhmische
organ mramor, das mährische bramor.
goth. J>aurnus ahd. dorn altn. jaorn, sl. tr'n" spina, poln. tarn
und eiern, goth. qairnus ags. eveorn altn. qvern, litth. girnos, sl.
shr"n"v" (vgl. s. 67), böhm. zerna. goth. kaum ahd. chorn ags. com,
sl. zr'no poln. ziarno, litth. zirnis, lat. granum, franz. grain. litth.
* ähnlich steht aQyos aQyvgoq argentum zu skr. radschatam, zend.
erezatam.
230 FLÜSSIGE L. R
warnas corvus warna cornix lett. wahrna, sl. vran" und gavran" cor-
vus, vrana cornix. böhm. wrana und hawran, poln. wrona und
gawron. welsch bran pl. brain cornix, ir. bran corvus. sowol sl.
vran" als ir. bran bedeuten im adj. zugleich niger, folglich geht
328 auch mlat. brunus ruscus, ahd. prün ags. brün furvus in vergleichung.
aus den labialen wäre leichter Übergang in gutturale und im lat.
corvus cornix verhalten sich die liquiden zum ahd. hraban altn. hrafn
ganz wie in warna und wrana.
ahd. charl vir maritus, altn. karl vir senex, ags. carl cearl
masculus, zugleich war Karl häufiger eigenname und Karls des groszen
macht drückte seinen nachfolgern und dem fränkischen reich die be-
nennung Karlinge und Kerlinger auf. wie aus Caesar der begrif des
kaisers gieng aus Karl den Slaven würde und name des königs her-
vor: sl. kral poln. krol russ. korol', ungr. kiräly, litth. karalus (lett.
aber kehninsch nach könig).
goth. paurban J>arf J>aurbum egere [unten s. 902], J>arbs egens
J>arba egestas }>arba mendicus, J>aurfts necessitas. ahd. durfan darf
durfum (für durpan darp durpum) egere, darpo egens darpa privatio,
dürft opus necessitas. finn. tarvet gen. tarpeen opus necessitas, tar-
peinen opus habens, tarvitsen egeo; est. tarwis necessarius tarwidus
necessitas tarwitama egere. läpp, tarbahet indigere tarbo necesse
tarbek opus tarbahet indigere. sl. trjebje jest' opus est, trjebovati
indigere trjebiti purgare trjeba sacrificium libatio templum. poln.
trzeba böhm. treba opus est, treba sacrificium. poln. potrzeba böhm.
potreba necessitas, wozu man ahd. pidarpi pidirpi utilis necessarius
und unser bedarf egeo halte. Miklosich s. 96 trennt die begriffe
trjeba opus und trjeba sacrificium, wie mich dünkt, unrichtig : opfer
ist das heilige werk, die höchste nothdurft und reinigung. gehört
der litth. gott Potrimpos zu potreba (s. 121) und liesze sich ein
patrimpa — potrjeba aufweisen oder als früher in der spräche vor-
räthig annehmen, so folgte daraus auch das einfache trimpa = trjeba.
finn. varpulainen varpuinen passer, est. warblane, litth. zwirblis
lett. swirbulis, sl. vrabii russ. vorobei poln. wrobel böhm. wrabec,
serb. vrabatz, ungr. veräb. lat. sarpere, gr. ccqtctj falx, sl. sr'p"
poln. sierp' böhm. srp.
goth. vargs inimicus, condemnatus, vargjan damnare, ags. vearh
lupus, damnatus, vergan damnare, verhdo damnatio, ahd. warac dam-
natus, exsul, wargida damnatio, altn. vargr lupus, homo sacer, skr.
329vrka lupus, zend. vereka, sl. vrag" inimicus, serb. vrag diabolus,
poln. wrog inimicus, böhm. wrah inimicus, diabolus. beim teufel
treffen alle diese begriffe: wolf feind und verdammter zusammen,
mythol. s. 941. 948.
litth. turgus forum, lett. tirgus, schwed. torg, sl. tr"g", poln.
targ, böhm. trh. altn. myrkr obscurus, sl. mrak" caligo, poln. mrok,
böhm. mrak. litth. parakas pulvis, sl. prach", poln. proch. ags. beorc
betula, ahd. piricha, altn. biörk, litth. berzas, russ. bereza, poln.
brzoza, böhm. briza. ahd. farah, ags. fearh, lat. porcus, litth. par-
FLÜSSIGE L. R 231
szas, finn. porsas, poln. prosi$, böhm. prase (oben s. 37). ahd. furicha,
nhd. furche, sl. brazda, poln. brozda, vielleicht für prazda, wie lat.
porca zu porcus stimmt (s. 57).
ahd. part, ags. beard barba, altn. bard ala margo labrum, litth.
barzda barba, lett. bahrsda, sl. brada poln. broda*. ahd. fürt vadum,
ags. ford, sl. brod". goth. gards domus, ahd. kart, sl. grad" urbs,
poln. grod. lat. merda stercus, eigentlich foetor, skr. mrd, sl. smrad",
russ. smerdeti foetere, litth. snrirdeti foetere, smirdas homo foetidus.
mhd. bartmänet (s. 85), sl. gruden, poln. grudzien (s. 95). goth.
hairda grex ahd. herta, sl. tschrjeda, poln. trzoda. goth. hairtö ahd.
herzä, litth. ^szirdis, lett. sirds, skr. hrd f. krd, ir. croidhe, lat. cor
cordis, gr. xijg, xagöt'a, sl. sr'd'tze, böhm. srdce, poln. serce. litth.
serrada mittwoche nach dem sl. srjeda sreda medium, poln. sroda, die
Russen unterscheiden sreda medium und sereda dies Mercurii.
mlat. curtus, it. corto, franz. court, ahd. churz curz, sl. kratf'k"
poln. krotki brevis. verschieden aber goth. hardus, ahd. herti, nhd.
hart, gr. xgarvg xgartgög. lat. mors mortis, mori mortuus, goth.
maurf>r ahd. mordar homicidium, litth. mirti mori, sl. mrjeti mori,
mor" pestis, mr'tv" mortuus.
lat. vertere, nhd. wirtel verticillus, sl. vr'tjeti vratiti vertere, litth.
wirwe" laqueus. goth. aurts herba aurtigards hortus, altn. urt und
jurt herba urtagardr hortus, schwed. ort und örtagärd, finn. yrtti
herba yrttitarha hortus, ags. vyrt herba vyrtgeard hortus, engl. 330
wortyard und ortyard orchard, ahd. würz herba Wurzipurc Herbipolis,
goth. vaurts radix (vgl. finn. juuri altn. rot radix) ahd. wurza wur-
zala radix; sl. vr't" hortus und vr'tograd" hortus.
lat. porrum f. porsum, gr. ngdöov, serb. pras. ahd. hirsi milium,
sl. proso. litth. garsas fama, sl. glas" vox, gr. yXaööa lingua, dia-
lectus. litth. pirsztas digitus, sl. pr'st", böhm. prst.
Die beispiele zeugen sattsam, einzelne sprachen treiben beiderlei
richtung weiter, namentlich liebt die ags. den wurzelvocal dem R
vorauszusenden, statt des goth. rinnan rann runnum setzt sie irnan
arn urnon, statt brinnan brann brunnum birnan barn burnon, statt
brunna burna, wie noch heute bei uns born neben brunne gilt, statt
brunjö thorax ahd. prunnä altn. brynja braucht sie byrne, vgl. sl. br"nija
thorax, russ. bronja, poln. bron arma. ebenso verhalten sich fruma
primus ags. forma, goth. gras gramen ags. gärs, ahd. hros equus ags.
hors, ahd. chresso nasturtium ags. cerse, goth. priskan triturare ags.
J>erscan, ahd. frisc recens ital. fresco ags. ferse, ahd. brestan rumpi
ags. berstan nhd. bersten, ahd. frist spatium temporis ags. first, ahd.
hrust ornatus bellicus ags. hyrst, ahd. frost algor ags. forst; ja das
englische ist hin und wieder auf diesem wege noch vorgeschritten,
indem es ags. brid pl. briddas pullus in bird, ags. pridda in third,
ags. erat currus in cart wandelte, third stimmt zum lat. tertius,
* B in barba zum D der andern Wörter scheint sich zu verhalten wie
in verbum: goth. vaurd, ahd. wort; litth. wardas, lett. wahrds.
232 FLÜSSIGE L. R
bird und brid weisz ich aus keinem deutschen dialect zu erklären,
von brut fetus proles, ahd. pruot, ags. bröd engl, brood ist es ver-
schieden. Dem sächsischen organ scheint die Verschiebung des vocals
überhaupt behaglich, wie bis auf heute in Niedersachsen bernen verde
versch für brennen friede frisch u. a. m. vernommen wird, aus
sächsischer quelle gieng in die altn. sage Sigurdr = Sigverdr Sigverd
Sigferd f. Sigfrid; Fertilia legt die Vilk. saga c. 13 aus Fridssela.
Umgekehrt stellt die altn. spräche einigemal das R voran: ragr
timidus f. argr, ras anus f. ahd. ars, ags. ears. käme altn. rot radix
jenem urt herba nahe, wie goth. aurts dem vaurts, finn. juuri dem
331 yrtti? ich treffe sogar ags. rot radix engl, root an auszer dem häu-
figeren vyrt herba; radix gddt^ und gifa aeol. ßgi^a, digamm. ßgt^a
weisen auf skr. vridh und ridh crescere, ja auf viridis und virere.
Unter den romanischen sprachen finde ich nur die neapolitanische
zuweilen das R vorausschieben: fremmare f. fermare, vregara f.
vergara.
Diese gegensätze sind characteristisch und höchst beachtenswerth.
lautverbindungen wie lat. almus palma culmus vulpes vulgus mulgeo
algeo armus serpo parcus porcus artus mortis, gr. alyog ßcdßig
[io?>7trj ccqtoq aQ7tr}, litth. ilgas silpnas pirmas warnas girnos parszas,
oder wie nhd. halm halb silber balg milch volk walten arm darm erbe
darf arg mark art bart und eine menge solcher, die unserm ohr wol
lauten, widerstehn dem Slaven, der in entsprechenden Wörtern die
liquida von dem folgenden consonant sondert und dem wurzelvocal
vorsetzt, er zieht formen wie slama ramo mleko vladjeti trjeba
brada vor, die ihre consonantische kraft dem anlaut der wurzel zu-
wenden, während sie jene in den auslaut legen, wie jene mehr dem
reim, würden die sla vischen mehr der alliteration zusagen. Oft aber
deutet bloszes jerr des geschwundnen vocals stelle an und die
böhmische Schreibung läszt ihn ganz unbezeichnet in pik wlk slza
pln trn trh srdce u. s. w., wo der Pole ihn unslavisch vor die liquida
rückt: pulk wilk pelny tarn eiern ziarno sierp' serce pierwszy.
Das noch weichere russische organ pflegt aber beide weisen zu
vereinigen und die liquida zwischen zwei vocale zu fügen, wodurch
das wort eine silbe mehr empfängt: soloma moloko molodoi boroda
gorod korova vorobei muravei. ebenso verfährt das zend in vereka
lupus, erezata argentum, die lat. spräche in calamus gelidus, die gr.
in aald^iri neda^r], die litth. in karalus parakas, die lettische in
swirbulis, vorzüglich aber die ahd. in silapar miluh (auch goth. silubr
miluks) walah charal aram daram haram darapa warac farah puruc
furicha piricha u. s. w. Lat. Hercules rückt die in rHQaxXrjg vor-
stehende liquida hinter den vocal.
332 Diese dreifache gestalt derselben Wörter klärt nicht selten am
besten über ihre beschaffenheit auf. dem lat. lac lactis, franz. la.it
scheint unser milch ferner zu liegen, aus moloko und mleko erhellt,
dasz ihm vornen etwas mangelt und das welsche blith neben laeth
weist auf das ir. bleacht (neben lacht), dessen B dem M nahverwandt
FLÜSSIGE L. R 233
ist (ßvQpYil, nvQ{nril), im gr. yldxtog ydlaxtog aber mit G wechselt,
der nom. ydXa büszt die auslautenden consonanten ein. unwahr-
scheinlich also wird der s. 32 vermutete Zusammenhang des ga- mit
der wurzel gaus, wie denn auch ydla für die milch jedes thiers gilt,
nicht blosz der kuh. hatte sich dem Griechen etwa digammiertes paka
gebildet, so war der Übergang in ydXa leicht, und ßdlavog gleicht
dem lat. glans. in den keltischen sprachen tauschen B V und M
allenthalben gesetzmäszig.
Manigfalte benennungen des wolfs lösen sich in einheit; dasz
einzelne auf verwandte thiere übergehn, verschlägt nichts, die liquida
schwankt zwischen R und L, die muta zwischen gutturalis und labialis,
die anlautende spirans wird zuweilen getilgt, wandle man kvxog
in ßolvKog, lupus in vulupus; auf der stelle sind sie dem sl. vlk, poln.
wilk, litth. wilkas, goth. vulfs nahgerückt und altn. ülfr hat sich gerade
so seines V entäuszert. in der labialis stimmen lat. und deutsche,
in der gutturalis gr. litth. und sl. zunge. die lat. hat auszer lupus
das vollere vulpes = vulupus für den fuchs behalten, wie die unsere
neben vulfs zugleich vargs für eine besondere beziehung des fried-
losen verurtheilten feindlichen wolfs, und dasselbe vrag drückt den
Slaven, neben vlk, den bösen feind aus, im hintergrund liegt der
begrif des grausamen thiers. vargs und vrag sind doch offenbar die
echteste älteste benennung des thiers, skr. vrka, zend. vereka und
pers. wieder mit Übergang ins verwandte G gürk. demselben kehl-
laut begegnen wir aber auch in lat. spräche und sogar zweimal, in
hirpus und hircus. hirpus bezeichnet in sabinischer oskischer mundart
den wolf, wie Festus und Servius bewähren, ja ein sabinischer stamm
hiesz Hirpi, weil den einwandernden ein wolf führer geworden war,
oder nach andrer sage sie wölfe gejagt hatten und gleich wölfen
raubten, d. h. im sinn des deutschen ausdrucks friedlos waren, hir-
cus hingegen drückte den Sabinern, oder vielleicht andern, bock aus
und geht in fir cus = f£QXog über, was unmittelbar an vrka rührt. 333
da lat. caper im gr. xaTCQog den wilden eber bedeutet (s. 35. 36)
und auf den teufel des mittelalters wolf, eber und bock angewandt
werden (mythol. s. 947. 948); so läszt sich die gleichheit der Wörter
kaum in zweifei ziehen, die ungr. benennung des wolfs lautet farkas,
was sich freilich aus fark cauda, vielleicht aber richtiger aus jenem
gürk und vereka ableiten läszt und nirgends den abstracten sinn des
sl. vrag annimmt, den welschen namen blaidd, bretagn. bleiz mag
man zum sl. wlk bringen und B : W wie in brän wrana warna fas-
sen; doch das ir. faolchu liegt ab und ist zusammengesetzt aus faol
wild und cu hund. unsere thierfabel stellt vortrefflich das gebannte
raubthier des waldes dar, und lehrt die nähe des wolfs und fuchses.
Auszer dem erörterten beinahe regelmäszigen vorrücken des L
und R treten zuweilen noch auffallendere Wechsel ein, die sich aus
ihrer flüssigkeit begreifen, so wandelt der neapol. dialect clero in
crelo, febre in freve, dietro in reto, vetro vitro in vrito, petra pietra
in preta, wo das der muta nachstehende R vor sie geschoben wird.
234 FLÜSSIGE M. N
s. 222 vermute ich, dasz skildus aus skidlus entsprungen sei, eben
weil unsere spräche liebt die liquida auf den wurzelvocal folgen zu
lassen, xecpdkr] skr. kapäla ags. heafela leiden vielleicht vergleichung
mit sl. glava golova litth. galwa; gr. öinalog 6t,q)l6g blinzelnd schei-
nen mir das sl. sljep" coecus und litth. silpnas debilis. dasz auch
sljep zumal auf blinzen geht, ersehe ich aus böhm. slepice, einer
poetischen benennung der henne, denn die naturgetreue thierfabel
nennt den hahn Chanteclins, den mit blinzelndem äuge singenden,
und Leo malb. gl. 1, 129 deutet schon chanaswido hiernach.
Soviel von L und R, kürzer sein kann ich über M und N, durch
deren beider unmittelbares nebeneinanderstehn im aiphabet schon
ihre nahe Verwandtschaft vorbestimmt scheint; wie aber M den rang
vor N hat und ein stärkerer laut ist, der in N geschwächt zu wer-
334 den pflegt, steht ihm schon graphisch ein strich mehr zu, und es
bindet sich mit labialen, N mit gutturalen und lingualen, die wiederum
den labialen nachstehn.
Dasz in den endungen und flexionen N auf älteres ursprüngliches
M zurückgeführt werden müsse, lehrt die geschichte unsrer spräche
allenthalben, den mhd. dichtem ist gestattet auslautendes M in N
zu wandeln, um es auf organisches N zu reimen (gramm. 1, 386);
niemals aber umgekehrt, viele flexionen erfahren bleibend diese
Schwächung, das goth. M aller dat. pl. beginnt schon ahd. N zu
werden, ebenso das M der prima pl. ; aber alle acc. sg. masc. zeigen
bereits goth. -ana, ahd. -an, ags. -ne statt des lat. -m, alle deutschen
subst. haben im acc. sg. -m eingebüszt, es heiszt goth. sunu filium,
magu puerum, ahd. fateran patrem, wie gr. thxtbqcc statt des skr.
pitaram. dem deutschen neutr. fehlt der ausgang des skr. -am, lat.
-um allgemein, der gr. ist in -ov geschwächt, die goth. pronomina
bilden den acc. ina ]Dana hvana, ahd. in den huen, ov zov, lat. eum
quem, statt des lat. acc. sg. fem. eam illam bonam zeigen die gr.
schon Tjjv Ttcckrfv (xslatvav. in den zahlen Septem novem decem be-
hauptet die lat., in sedm osm die sl. spräche den ausgang M, wo
im skr. schon saptan aschtan navan da£an steht; dagegen aham und
tvam, azem und tum, mahjam und tubhjam (s. 257. 258) in den
übrigen sprachen M zu N schwächen oder völlig abstreifen, skr.
mama mei wird im zend zu mana u. s. w. im gr. ovo^ia, ir. ainm
(s. 153) steht NM für MN.
Anlautendes oder wurzelhaftes M scheint nur selten dem Über-
gang in N ausgesetzt, ein beispiel bietet die prohibitivnegation skr.
mä, pers. me, gr. pij, die schon lat. zu n6 geworden ist, und sich
von der einfachen negation skr. na, pers. ne, goth. ni, sl. ni scheidet
(gramm. 3, 744). da die prohibition ihrem begrif nach stärker ist
als die blosze Verneinung, so mag sie mit recht ein nachdrücklicheres
M begehren. Im bask. pronomen sahen wir ni für mi, im ungr. en
für em eintreten (s. 265). Bekanntlich heiszt die frucht ^sömlov
lat. mespilum schon mlat. nespila, it. nespola, sp. nispola nespera,
335 franz. nefle, ahd. mespila und nespila, poln. nieszpuika, böhm. nyspule,
FLÜSSIGE M. N 235
ungr. naszpolya, nhd. hat man mispel hergestellt, zu madidus hält
sich unser ahd. naz, goth. nats. Im böhm. mraw mos dauert M, die
übrigen sl. sprachen haben nrav, poln. narow, wäre das M ursprüng-
licher und lat. mos moris verwandt, so läge, wenn dies aus mosis
entspringt (s. 315), zugleich beleg für den Wechsel des sl. S und
R vor.
Für diese beiden liquiden ist nun der wichtige grundsatz auf-
zustellen, dasz in Svurzeln, die mit einer labialis schlieszen M, in
solchen, die auf gutturalis oder lingualis ausgehn, N vor der muta
aufsteigen könne, sie gleichen dem zwischen zwei vocalen entstehen-
den S, das in R geschwächt wird.
Meine academische abhandlung, welche sich den Ursprung von
diphthongen an der stelle wegfallender stummer consonanten zum
gegenständ nimmt, ist auch auf beispiele jener MB NG- ND einge-
gangen, insofern daneben zugleich diphthonge gezeugt wurden, häufig
aber ergibt sich liquida vor muta ohne dasz diphthonge im spiel sind
oder aufgewiesen werden können.
Die sl. spräche musz diesen drei formein abspenstig sein aus der
vorhin bei L und R entwickelten Ursache: wie kein L und R mag
sie auch kein M und N hinter dem wurzelvocal entfalten, nur der
poln. dialect, aus welchem auch dort die meisten ausnahmen genom-
men wurden (s. 331), gewährt hier oft einen nasallaut, der den vor-
stehenden vocal afficiert und ohne M oder N geschrieben zu sein,
diesen sehr nahe kommt.
So ergeben sich poln. dab quercus, d^bina quercetum, zab dens,
b^bel bulla, b^ben tympanum, p^pek umbilicus, glejria profunditas,
bak onocrotalus, laka pratum, m^ka martyrium, r^ka manus, trad
lepra, M^d error, s^d Judicium, madry prudens, kat angulus, g^s
anser, gasie^ anserculus, welche nach deutscher ausspräche lauten domb
dembina bonk trond gens u. s. w. den übrigen Slaven bleibt aber dies
M und N fremd und die böhmischen Wörter sind dub zub bubel buben
pupek hlaubka bauk lauka muka ruka trud blud saud maudry kaut hus
hause ; im schwanken zwischen U und AU könnte eine leise annäherung 336
an den flüssigen laut gefunden werden. In entsprechenden litth. Wör-
tern tritt aber dieser offen auf, laka wird lanka, Lech Lenkas, r^ka
ranka, tysi^c tukstantis; doch in einigen unterbleibt er*: muka cru-
ciatus, mudrus alacer, was dem ahd. muntar entspricht, wie ich ge-
sucht habe dab dub dem goth. timbr, ahd. zimpar zu vergleichen, die
deutlich das gr. ösvögov sind, von ÖBfico === timrja. poln. we_giel böhm.
uhel ist unser winkel und lat. angulus. nicht anders stehn ge^s und
hus dem ahd. gans gegenüber, trad trud ist das goth. J>ruts, welches
aus Jxrutsfill cutis leprosa gefolgert werden kann; k^t entspricht so-
wol nhd. nnl. kant, als litth. kampas und zambas, auf ähnliche weise
* auch der Lette pflegt N zu tilgen, für litth. ranka tinklas langas
wandu szwentas hat er rohka tihkls lohgs uhdens swehts.
236 FLÜSSIGE M. N
vermitteln sich dantas dantis zant und sub z^,b (s. 115)*. M vor
labialen haben viele litth. deutsche und lat. wörter. litth. bamba
umbilicus (jenes poln. p^pek), wambras labeo, gumbas colica, dumples
follis, tempiu extendo, kumpas curvus; sprachgemäsz wäre jenes pa-
trimpa f. poln. potrzeba (s. 328), aus dubus cavus entfaltet sich isz-
dumbu excavor, wie aus lat. cubo accumbo goth. anakumbja, aus
Xaßelv XafjißdvG). dem skr. abhi litth. api steht gr. afupl lat. ambi
ahd. umpi ags. ymbe zur Seite, gr. xcocpog ist alts. häb häf, ahd.
hamf, goth. hanfs; zu welschem du niger gehört ir. dubh, altn. daufr
obscurus und surdus, ahd. toup und tump, goth. dumbs, ahd. tim-
par timbar obscurus.
Für Tahiti Tanfana Tamfana und templum wurde s. 231 die
wurzel tap angenommen, welcher auch altn. dampi vapor, ahd. damf
entsprieszen. eben dahin gehörig scheinen das welsche tan ignis
tanfa explosio vapor, ir. teinn ignis; im welschen tanfaen feuerstein
erwächst aber F aus Zusammensetzung von tan mit maen lapis.
Auffallend zeigt die goth. spräche neben NS in ans trabs, ansts
amor, bansts horreum, gansja praebeo, hansa cohors, Sansala (Waitz
337 Ulf. 43), mins minus, plinsjan saltare poln. plasac, |>insan trahere,
runs cursus, suns statim, hunsl sacrificium entschiedne neigung zu
MS in folgenden, groszentheils schwierigen Wörtern, amsa Luc. 15, 5
ci){iog humerus, kein fehler für ahsa, da skr. ansa denselben begrif
ausdrückt und lat. ansa handhabe, zugleich axis. mims caro (vor aiv
I Cor. 8, 13 mimz), poln, mi^so, sl. mjaso, böhm. maso, litth. miesa,
alban. mischa, skr. mansa; im begrif verschieden, der form nach ähn-
lich sind das lat. mensa, goth. mes, ahd. mias, sp. mesa. auszer svumsl
piscina, von svimman natare, kommt Joh. 9, 11 svumfsl vor, M scheint
F gelockt zu haben**; ebenso beurtheile ich ahd. amfsla amphsla
für amsla amisala (Graff 1, 254). stände für gramsts festuca hramsts,
so liesze es sich deuten hramfsts = hrafsts = xctQ(pog xagitlg von
hramjan figere. J>ramstei locusta führe ich auf primman saltare zu-
rück: thes thra,mm imu an innan möd, Hei. 152, 20 das herz hüpfte,
schlug ihm heftig; die heuschrecke wird aber in allen deutschen
sprachen die springende genannt, der erdwühlende hamster hiesz
ahd. hamistro hamastro, was die glossatoren mit dem kornschädigen-
den curculio mengen; sollte dies wort entspringen aus hamfstro von
hamf = xcocpog und eigentlich auf den blind und taub geglaubten
maulwurf gehn ? da hamf den fehler jedes sinnes auszudrücken scheint ;
beide thiere, talpa und cricetus, heiszen erdmaus, feldmaus. Aus alts.
thimm obscurus entfaltet sich ein gleichbedeutiges thimstar, mnl.
dimster, und nach ausgestosznem M diphthongisches thiustri, ags. pystre,
welchem jedoch dim (statt J)im) zur seite steht; dem thimstar aber
gleicht ahd. finstar. ahd. winistar sinister scheint ähnlich gebildet.
* Wechsel zwischen MP und NT im goth. sinteino, lat. semper, ahd.
simplum, alts. simbla simla; neixne und nsvxe (s. 242).
** wie im franz. humble humilis, ensemble = insimul, sp. hambra fames,
hembra femina.
FLÜSSIGE M. N 237
Zu thim und dim halte man skr. tamas caligo, sl. t'ma, böhm.
tma, im adj. temny poln. ciemny, litth. aber tarn sus caliginosus und
tamsa caligo, die jenem dimster nahe treten, vgl. ahd. dunchal.
Der ortsname Minden entspringt aus Mimidun Mimithun.
Unter allen deutschen sprachen ist die altn. dem ausstosz des 333
M und N vor P, K, T am geneigtesten und pflegt dann muta zu
doppeln: kappi pugil, ags. cempa, ahd. chempho; stappa calcitrare,
nhd. stampfen; frakki vir fortis, ahd. Francho; J>akka grates agere,
ahd. danchön vgl. poln. dziek = dank; döckr obscurus, ahd. dunchal;
batt ligavi, ahd. pant; vöttr chirotheca mlat. wantus, franz. gant.
bei NS unterbleibt die doppelung, aber der vocal wird verlängert: äs
trabs goth. ans; gas anser ahd. kans; bäs horreum goth. bansts.
MB NG- ND hingegen erhalten sich meistentheils.
Da N im altn. auslaut häufig wegfällt, z. b. ä 1 für goth. ana in
steht, und der infinitiv auf a, oder die tertia pl. praet. auf u statt
goth. an un ausgehn; so lag es nahe auch der tertia pl. praes., die
goth. -and, ahd. -ant, ags. -ad lautet, bloszes -a zu geben.
Ebenso meiden die Slaven M oder N vor stummem cons. in der
zweiten silbe. dem lat. columba entspricht sl. goljab, böhm. holub,
poln. goiab.
Das latein hat die fülle von M und N vor stummen consonanten
da, wo weder sanskrit noch slavische spräche sie entfalten, äatam
und sto finden sich neben centum und hund (s. 251); sl. vjetr", litth.
w&tra neben lat. ventus, goth. vinds; skr. asis neben lat. ensis; skr.
radschatam, zend. erezata neben argentum. In der bewegung latei-
nischer verbalflexion wird oft sichtbar, wie die liquida auftritt oder
schwindet, die praesentia rumpo frango findo hegen, die praeterita
rupi fregi fidi lassen sie. in brika brak, breche brach mangelt sie
auch uns. da die reduplicationen der alten form anhängen, so folgt
aus tango pango pungo tundo scindo, tetigi pepigi pupugi tutudi scidi
f. sciscidi, dasz der unflüssige ausdruck dem flüssigen vorausgieng.
goth. teka taitök, stauta staistaut, fahan faifah, hahan haiha sind
ganz ohne N, standan stöj) hat es wieder nur im praesens, dem
ahd. stantan stuont gieng ein älteres stuot voraus, und fangan fiang,
hangan hiang sind jünger als fahan fio (?), hähan hio (?), welche
praet. noch durch die mhd. vie hie gewährt erscheinen, altn. feck
nimmt im pl. fengum an.
Wie die einzelnen mutae untereinander tauschen, können sie es 339
auch in Verbindung mit M und N, z. b. Tie^ne pump fimf ist =
Ttivte penki; timbr = öevögov (s. 336); lambo, kama Ikkacpu, ahd.
lafu luof berührt sich mit lingo, A£f#G>, ahd. lecchöm, sl. liziu, litth.
laizau und das aus dieser wurzel geleitete lingua li&zuwis zeigt im
poln. j^zyk (s. 320) annäherung zu N. mit dingua stimmt tuggö*.
* it. conte, sp. conde entspringt aus comite nach wegfall des vocals,
conto aus computo; franz. ante tante aus amita, it. sentiero franz. sentier
atffc semita.
238 FLÜSSIGE M. N
Dies tuggö lehrt in Schreibung und ausspräche wie sich NG
entwickelte; auch das gr. iT7 musz ursprünglich dicker gelautet
haben, bevor es völlig NG wurde. Aber wie die goth. spräche GG
aus G zeugte, liesz sie auch DD aus D, und, die theorie musz es
vorläufig glauben, BB aus B hervorgehn, welche GG DD BB allmäh-
lich übergiengen in NG ND MP. goth. aggvu ist ahd. enki, goth.
siggva ahd. sinku singu, also darf für goth. manariggvs mitis ahd.
entweder manarinc oder manariuwi (wie für triggvs triuwi) gesucht
werden. Der beispiele für DD sind wenige, goth. vaddjus = ahd.
want, für iddja machte ich ital. andai geltend, dem BB entgeht
jeder goth. beleg; die sich ebnende weichende meerflut könnte ibba
ibbö geheiszen haben, wie ags. ebba ebbe, und ahd. rathe ich auf
impo impä. das anklingende impi apis, examen apum, zeigt uns ein
der wurzel apis zugewachsnes M, vgl. a{iq)i umpi aus skr. abhi.
Zusammensetzung kann N in M wandeln, wenn labiales, M in
N, wenn linguales und gutturales anrühren: lat. imberbis impubes,
concedo contendo; ahd. umpiderpi (Graff 5, 217. 218) umbiruah (Graff
2, 378) impiz prandium (Graff 3, 231) nhd. ambosz f. ahd. anapöz;
ahd. spambette (Graff 3, 51) mhd. spanbette. Parz. 790, 21. aus
gleichem grund wechseln MP und NT in empfangen empfinden ent-
gehn entdecken, viel dergleichen gewähren verschrumpfte eigen-
namen: Bamberg für Babenberc, Lampert Gumpert f. Lantperht
Guntperht, Limburg f. Lintpurc
340 In die abgründe der Wortforschung stürzt es aber dem Ursprung
solcher M und N nachzuspüren, die zwischen vocalen aufwachsen,
ohne dasz stumme consonanten im spiel sind.
Wie verhält sich N im goth. meina peina seina neben mei tui
sui? ich habe es s. 262 aus dem M in mama gedeutet und die ab-
weichung des tava von mama, wie des tebe sebe von mene ange-
zogen, um die unorganische ausdehnung des N auf peina seina glaub-
lich zu machen, aber die analogie der deutschen und lat. formen
ist bedeutsam und gilt auch für die possessiva : das N der franz. mon
ton son stimmt ganz zum deutschen min din sin, während die it.
mio tuo suo sich noch ans lat. meus tuus suus schlieszen. Vom N
in unus ains wienas s. 241.
Aus sus suis, övg övog, sü stiwl werden durch N sl. svinia, goth.
svein abgeleitet. Zum seltnen ortet ötlov gehört das in deutscher
zunge allgemein verbreitete stains stein, zum lat. apis, it. ape, franz.
abeille das ahd. pia, welchem pini entsprieszt; die aphaeresis in pia
scheint bestärkt durch die it. nebenform pecchia und das sl. ptschela,
poln. pszczoia böhm. wcela. welchen goth. namen man vermuten
darf? bizva? nach dem ags. beo, altn. bf und der analogie von izvis
zu eov, iu. litth. bitte, keins der übrigen Wörter kommt dem wol-
laut des ahd. bei.
Fragt es sich nach dem slavischen und deutschen gegensatz in
bezug auf voranstehn oder nachfolgen der liquida auch bei M und N,
so erscheint er hier weit seltner als vorhin bei L und R. entweder
FLÜSSIGE L. N 239
stimmt in beiden sprachen die folge der laute z. b. in gnjezdo nest,
snjeg" snaivs nix, oder die sl. Wörter mangeln uns, z. b. smri draco,
dno fundus. Zu gewahren ist aber der unterschied in tma caligo,
tamsus und dimster; poln. mnie böhm. mne, goth. meina mei; mnog"
goth. manags; mnii minor, goth. minniza. sollte nicht noga pes un-
mittelbar das ahd. ancha crus sein, wovon anchala talus, altn. ökull
abstammt? auch eninchil enkel nepos, sl. vnouk", poln. wnejk zu er-
wägen. Eine merkwürdige ahd. Umstellung scheint Notkers neimen
für meinen.
Wechsel zwischen L und N im reinen anlaut der wurzel ist 341
schwer aufzuweisen, man führt nach Varro 7, 87 lympha und nympha
an; die vv^iq)7j ist heilige wasserfrau, nicht das element. litth.
lakstzingala scheint ahd. nahticala. in Verbindung mit andern con-
sonanten findet der tausch statt: ahd. sliumo f. sniumo cito; snegil-
melo f. slegimelo (Graff 2, 713),- nhd. knoblauch f. kloblauch; die
Serben sagen mlogi f. mnogi. das ags. cild, engl, child ist alts. kind.
in ableitungssilben werden noch mehr beispiele vorkommen: lat. asi-
nus goth. asilus, ahd. esil, ahd. Organa und schon orgela, nhd. orgel
(Graff 1, 468); ahd. scarno scerninc cicuta und scerilinc (Graff 6,
533. 550); ahd. chumin chumil (Graff 4, 399) nhd. kümmel. roma-
nische beispiele sammelt Diez 1, 235. Wichtiger ist das verhalten
der laute zwischen skr. anjataras, litth. antras, goth. anpar, ahd.
andar und alis, ahd. ali eli-, lat. alius, gr. ätäog.
XV.
DIE STUMMEN.
342 Gegenüber den wehenden und flüssigen consonanten stehn die
stummen, welche den eigentlichen festen bestandtheil der spräche
bilden: auf ihnen beruht seinem wesen nach der consonantismus. in
den Spiranten und liquiden liegt noch etwas von der vocalischen natur ;
man kann sagen, dasz zu ihnen die mutae sich verhalten, wie zu den
vocalen überhaupt die consonanten. stumm heiszen sie, weil sie für
sich selbst nicht ertönen, erst durch zutritt der vocale oder wenig-
stens der Spiranten und liquiden vernehmbar werden, dann aber einen
sehr bestimmten und entschiednen laut von sich geben.
Nirgend waltet das trilogische gesetz der spräche unverkennbarer
als in diesen stummen consonanten ; da sie sich nach drei Organen
jedesmal dreifach abgestuft entfalten, es sind ihrer folglich neun,
und ihre anzahl tritt sowol den drei urvocalen als den zu je vier
erscheinenden Spiranten und liquiden bedeutsam entgegen, die volle
organische ausstattung einer spräche beträgt hiernach gerade zwanzig
laute.
Die drei in anschlag kommenden Sprachwerkzeuge sind lippe
kehle und zunge, wie sie schon die Ordnung des gr. alphabets er-
kennen läszt, in welchem auf A unmittelbar B G D folgen, damit
anzuzeigen, dasz nach dem edelsten aller laute diese drei als die
wichtigsten der übrigen, gleichsam als die grundlage der consonanten
343 anzusehn seien. Das im lat. aiphabet die dritte stelle des G ein-
nehmende C war anfänglich kein andrer buchstab und empfieng erst
misbräuchlich die bedeutung des gr. K, nachdem für G ein abge-
ändertes zeichen eingeführt worden war. näheres gehört in die ge-
schiente der schrift. hier sei nur angemerkt, dasz auch das goth.
aiphabet die organische reihe des phönizischen hebräischen griechi-
schen für diese vier ersten laute festhält, das cyrillische und glago-
litische der Slaven durch einschaltung des V nach B stört, auszer
acht lasse ich hier die abweichende Ordnung des sanskritalphabets*.
* das armenische läszt auf A statt B6D folgen PKT; es ist aber,
wie seine 36 buchstaben kundgeben, von der alten einfachen Ordnung ge-
wichen.
STUMME 241
Im sanskrit scheidet man aber auch zwischen guttural und pala-
tal, zwischen lingual und dentallauten , insofern einzelne mehr vom
gaumen als der kehle, mehr von den zahnen als der zunge hervor-
gebracht werden, spirantes und liquidae treten dann nicht gesondert
vor, vielmehr sind sie theils den stummen zugeordnet, theils als halb-
vocale aufgeführt, von welchen zuletzt noch Zischlaute getrennt wer-
den. So nothwendig diese gliedrung für das sanskrit selbst erscheint,
enthalte ich mich dennoch sie für meine zwecke zu verwenden, um
so mehr, da auch griechische grammatiker dentales linguales und
palatinae zerlegen und anders austheilen. über die labiales kann
kein zweifei obwalten. Es ist vollkommen begründet, dasz sich ihnen
M, den andern stummen hingegen N näher anschliesze, wie die vor-
ausgehende Untersuchung dargethan hat; ebensowenig läszt sich ver-
kennen, dasz die zunge mit L, die zahne mit E und S zu schaffen
haben, welche laute von den Sanskritisten weder den dentalen noch
lingualen überwiesen sind. Die Spiranten und liquiden vorweg und
für sich abzuhandeln fruchtete gleichfalls.
Bei jeder der angegebnen drei äuszerungen stummer consonanz
finden nun drei stufen statt, nach welchen man tenues, mediae und
aspiratae zu unterscheiden pflegt, tenues, die den festesten und zugleich
dünnsten, mediae, die den weicheren, aspiratae, die den mit einer 344
spirans versetzten laut enthalten*, ich lasse die hergebrachten namen,
obschon sie mir nicht fügen, da die folge der stufen die unrichtige
ist. alles zeugt dafür, und der verfolg wird es bewähren, dasz die
mediae grundlage des stummen mitlauts seien, weshalb aufgestellt
werden musz BDG, PTK, PHTH CH. hiernach stehn die me-
diae vornen, nicht in der mitte, und ihre benennung scheint un-
Wie einzelnen sprachen die jüngere entfaltung der vocale E und
0 abgeht, andere L oder R entbehren oder ausschlieszlich eine spirans
begünstigen, die andere vernachlässigen; so gibt es auch solche, die
eine stufe der stummen consonanten oder gar zwei derselben nicht
haben, das griechische und deutsche besitzen alle drei, am vollkom-
mensten das griechische; einzelne unserer dialecte, namentlich der
niederländische und niederdeutsche überhaupt, gehn jedoch des TH und
fast des CH verlustig, hierzu stimmt merkwürdig das latein, welchem
gleichfalls CH und TH mangeln und F oder PH, so häufig es anlautet,
im inlaut nur geringen umfang hat: auszer scrofa sulfur und offa
werden wenig Wörter aufzuweisen sein; scapha scyphus raphanus
orphanus amphora sind aus dem griechischen, suffio sufflo assimilieren
subfio subflo. Dem litthauischen entgeht die aspirata ganz, dem sla-
vischen ist nur CH, nicht PH und TH eigen, das finnische beschränkt
seine stummen consonanten auf P K T und zeigt weder media noch
asp., woraus grosze einfachheit des finn. consonantismus hervorgeht;
* den Griechen heiszen die aspiratae aroixsTa daoea, die tenues \pikd,
und zwischen solchen rauhen und kahlen liegen die psoa.
Grimm, geschichte der deutschen spräche. 16
242 STUMME K. P. T
rechter gegensatz zur griechischen fülle*, im slavischen waltet ein
reichthum an zischern, dem des sankrit vergleichbar, wundersam
ist aber die keltische manigfaltigkeit des wechseis, welchem die con-
sonanzanlaute durch den vorangehenden auslaut unterworfen werden.
345 Der aspiration ist ein weiterer Spielraum zu gestatten, als ihn
die aufgestellte lautordnung angewiesen hat. warum sollten des Spi-
ritus blosz die tenues fähig erscheinen? auch die mediae fügen sich
ihm in der altsächsischen, theilweise noch der niederländischen spräche,
im keltischen nicht allein mediae, sondern auch die liquidae, was
beachtenswerthe analogie zwischen Kelten und Westdeutschen gründet.
Gleich den vocalen, Spiranten und liquiden unterliegen auch die
mutae einem manigfachen, für die geschichte der spräche lehrreichen
Wechsel.
Wiederum trägt er sich zu sowol zwischen verschiednen urver-
wandten sprachen, als auch in den mundarten einer und derselben
spräche, ja, gleich dem umlaut und der brechung (s. 275), innerhalb
der lautverhältnisse und flexionen einer einzelnen spräche. Und wie
der gebrochne, umgelautete, abgeläutete vocal fühlbarer und reger
wirken, als die erst aus vergleichung mehrerer sprachen erkennbare
Schwächung des A in U und I; so erscheinen auch die engeren ge-
setze des consonantischen wandeis für jede spräche eingreifender als
die, welche sich in dem weiteren kreis der alle sprachen umfassen-
den Urgemeinschaft kundgeben.
Das gegenwärtige capitel wird diese letzteren voraussenden und
an die erörterung der Spiranten und liquiden reihen, lautabstufung
(so will ich den inneren consonantwechsel nennen) und lautver-
schiebung bleiben den folgenden capiteln aufbehalten.
Vor allem angeregt findet sich die forschung zu untersuchen,
welche gunst einzelne sprachen bestimmten Organen des stummen
mitlauts erweisen? sei es in ganzen durchgreifenden richtungen oder
nur hier und da.
Das wichtigste Verhältnis in dieser beziehung, dünkt mich, ist
das der frage und antwort, wie es sich hauptsächlich in den corre-
lativpartikeln darlegt.
Die frage will nicht nur durch den ton, sie musz auch durch
346 bestimmte consonanten hervorgehoben sein, dasz sie nicht überhört
werde, gleich entschieden hat ihr die antwort mit dem anlaut eines
andern organs zu entsprechen.
Für beide, frage und antwort scheint ursprünglich die media
nicht gerecht; es bedarf dazu der regeren, unruhigeren tenuis.
Das sanskrit, zend, latein, litthauische , slavische, irische und
finnische fragen mit K, antworten mit T, wogegen das griechische,
oskische, welsche zeigendem T der antwort fragendes P zur seite stellen,
einzelne lat. und gr. fragwörter entbehren jedoch der characteristischen
* ausnähme macht das inlautend aus S entfaltete D : esi prior eden,
susi lupus suden, käsi manus käden.
STUMME K. P. T 243
teimis. auch die deutsche spräche fragt ursprünglich mit kehllaut und
antwortet mit Zungenlaut, aber beide sind von der stufe der tenuis
herabgetreten, was bald gänzlichen wegfall der gutturalis nach sich zieht.
skr. kas kä kirn? zend. kas* kä kat? lat. quis quae quid (quod)?
litth. kas kä? ir. cia cä? goth. hvas (hvö) hva? ahd. huer (huiu)
huaz? später mit abgeworfnem kehllaut wer was? finn. ku? und
verstärkt kuka? kunka? läpp, kä? und kutte? sl. k"to quis, gen.
kogo, im neutr. tsch'to quid? poln. kto quis? co quid? böhm. kdo?
co? das blosz im nom. sg. masc. neben K auftauchende T gilt für
demonstrativen zusatz, kto gleichsam wer das?
gr. rlg rlg xi für nig nig itl; wie in der vierzahl veööaQeg für
7rE06ccQsg (s. 242). osk. pis? im neutr. pid? (Mommsen s. 114) pid-
pid = quidquid, bei Festus pitpit, und pud = quod. welsch pwy?
quis, pa? quid.
skr. kataras? lat. uter? für cuter quuter? jon. xotSQog; goth.
hvajjar? ahd. hue'dar, dann we'dar? finn. kumpi? gr. nötsgog;
nicht anders verhalten sich die übrigen frage Wörter, z. b. skr.
kutra? lat. ubi f. cubi quubi? litth. kur? goth. hvar? ahd. huar?
war? goth. hvaiva? ahd. huio? wio? sl. kako? litth. kaipo? lat.
cur? gr. nov ; Jtcog;
Dieser richtung des K und P begegnet nun auch in der vier-
zahl das lat. quatuor, litth. keturi, ir. ceathair und welsche pedwar,
auszer dasz sich hier goth. fidvör ahd. fior, osk. petora, aeol. 7tsöv-
gsg dem lippenlaut gesellen, teööageg dem Zungenlaut bequemt, skr. 317
tschatvär, sl. tschetyri, lett. tschetri hingegen den zwischen zunge
und gaumen liegenden laut TSCH annehmen.
In der fünfzahl sehn wir lat. quinque, ir. cuig sich zu welschem
pump gr. Tts^TCS Ttevre, osk. pomtis wie in den fragwörtern verhal-
ten, diesmal aber skr. pantschan, litth. penki, sl. pjat', goth, fimf
auf der seite des lippenlauts. Auch im litth. dwylika gegenüber
goth. tvalif, und in ähnlichen Zusammensetzungen (s. 246) treten
diese K und F auf.
Am reinsten wahren also lat. irische und welsche spräche in
diesen beiden zahlen den durch die fragenden laute ihrem organ ein-
geprägten unterschied; alle andern weichen hier oder dorthin aus.
Sonst aber, in manchen einzelnen Wörtern, verkehren sich diese
lautverhältnisse ; es bleibt anziehend ihren Wechsel, wo er sich auch
finden möge, zu verfolgen.
Die gutturalis steht fest in vrka vrag vargs, vielleicht hircus,
dann in lv%og vlk wilkas, die labialis dagegen in vulpes lupus vulfs
und etwan in blaidd (s. 333); an der einen oder andern form hängen
sogar verschiedne und neben einander gültige bedeutungen. das P in
lupus vulpes, war es dem oskischen sabinischen element gemäsz, und
hätten andre stamme der römischen spräche K zutragen können, die
ihr auch hircus brachten? hirpus war freilich oskisch, doch soll hir-
cus fircus, wenn die künde nicht triegt, zugleich sabinisch sein.
Bekannt ist der wechselnde kehl und lippenlaut im namen eines
16*
244 STUMME K. P
andern thiers. neben lat. equus, zu welchem goth. aihvus oder aihvs,
alts. ehu, altn. ior, ir. each stimmen, mutmaszt man ein oskisches
epus und gr. snog, wovon die rosgöttin Epona und 'Eneiog, des tro-
janischen rosses schmied, genannt sein sollen, das finn. hepo hielt
ich s. 30 hinzu, die geminata in innog (und nach dem etym. magn.
474 auch %%xog) scheint aber zunächst entsprungen aus Yönog, nach
dem pers. med. ispa, zend. aäpa und so zum skr. asva, litth. aszwa,
welschen osw lenkend; die beiden letzten sprachen haben es blosz
348 für den begrif der stute festgehalten, das deutsche HV, lat. CV stände
folglich = SV (SHV); oder will man l'xxog aus LKfog deuten?
Auch in goth. ahva, ahd. aha, lat. aqua, walach. apa und in
altdeutschen flusznamen -afa -apa scheinen gutt. und lab. zusammen-
zutreffen, hier weist die sanskritform ap, kein aäv, vgl. 'Atcl s. 233.
Dem verhalten der laute in equus und hepo epus gleicht aber
das in sequor und 87tco sko^icu (S und spir. asp. nach dem s. 299
dargelegten gesetz) und nicht zu übersehn sind die aoristformen eöitov
Giiuv öncjv, weil sie jene berührung zwischen equus und ispa a&pa
anschaulich machen.
Nur auf diesem wege mag gestattet sein vorzudringen in das
dunkel der Verwandtschaft zwischen lat. scire = secire* sequire
(sequi), goth. saihvan, skyth. <5%ov (s. 233) lat. spicere ahd. spehön
und skr. akschi oculus. selbst die lat. sagax und -spex rücken zu-
sammen.
Dem lat. jecur jecoris und (jecinus) jecinoris entspricht die skr.
doppelform jakrit und jakan, pers. dsheger; mit lippenlaut hat die
gr. spräche rJ7iccQ jJTtarog, was auch in lat. epar und hepar aufge-
nommen ward, im litth. pl. kepenos mag K das J vertreten, und
jepen dem jecinus oder jakan gleichen; lett. aknis = jaknis. ahd.
le'para, ags. lifer, altn. lifr, wie es scheint, für j epar a (s. 320); gerade
so armenisch leart für jeart? welsch afu oder blosz au. sl. jatra,
böhm. gatra, poln. watroba mit Vorschub des T in jakrit und leart
und ausstosz des K oder P. Statt des welschen pasc ostern sagt
man ir. caisc.
Diesem Wechsel zwischen P und K sollte ein paralleler zwischen
B und G entsprechen, der aber selten wahrgenommen wird; ich hielt
s. 326 bleacht zu yläur und ßdlavog zu glans.
Ungleich häufiger tauschen PH und CH, so wie das aus CH er-
weichte H. altlat. galten fasena, fircus, fostis, fostia, fordeum, foedus
für harena (arena), hircus, hostis, hostia, hordeum, hoedus und zum
349 kehllaut fügen goth. gasts ahd. käst, ahd. kersta gersta (s. 65) goth.
gaitsa gaitei ahd. keiz (s. 35. 36); vielleicht duldet harena vergleichung
mit ags. ceosel, ahd. chisil. lat. fei ist gr. %oXrj, ahd. kalla galla;
lat. fundo fudi gr. %e<x) %v8riv} goth. giuta ahd. kiuzu; lat. flos floreo
verwandt mit J}>6y\ ^/Iwpog, vielleicht mit lat. helvus, das R = S
sprieszt in diesen Wörtern wie im ags. blövan blösma, vgl. %Qvöog
* Haupts Zeitschrift 6, 2.
STUMME CH. F. PH. TH 245
(s. 13). dem sp. organ wandeln sich fast alle lat. F in H: fatmn
hado, falco halcon, farina harina, facere hacer, foenum heno, filius
hijo. Zu jenem flos und %X6og schickt sich nun ganz, dasz in den
reali di Francia Fiovo für Ohio vis Louis gesetzt wird* und seine
söhne Fiore und Fiorello heiszen, wie schon alte hss. Flodouechus
Flotharius für Chlodouechus Chlotharius darbieten ; Flodoardus remen-
sis schrieb sich so, und der Übergang in Frodoardus machte sich leicht,
mit allem fug hält Wackernagel mlat. floccus froccus, franz. froc und
frac zum ahd. hrocch, nhd. rock, it. fianco, franz. flanc zu ahd. hlancha
lancha lumbus, taille, wo der leib gelenk ist**, denn des wortes
eigentliche bedeutung war catena articulus, altn. hleckr, schwed. länk.
hiernach gewinnt es allen schein , dasz zu fairguni der 'Egxvviog
ögvfiog (s. 177), die Hereynia silva (s 166) gehöre (Haupt 2, 558),
ja Fairguneis und Perkunas dürfen sich vielleicht dem Hercules nähern.
Inlautendes FT ist hochdeutscher zunge, CHT niederländischer
gemäsz: kraft kracht, schaft Schacht, luft lucht, klafter lachter u. s. w.,
obwol einzelne CHT jener aufgedrängt wurden, Schlucht f. schluft,
nichte f. niftel, sachte neben sanft. N
Auch P und T ersetzen einander, ein beispiel gibt nsövgzg
und x&ööagsg, petora und tstogeg (s. 242). das finnische pimiä
obscurus gehört zum skr. tamas, sl. t'ma und deutschen dim thim
(s. 337). Inlautend entspricht lat. nepos neptis ahd. nefo niftila,
altn. nefi dem böhm. neti (s. 270) goth. ni]3Jis altn. nidr.
Eben so stehn sich sonst gegenüber PH und TH. ahd. finstar 350
jenem thimstar dimstar. aeol. cptjg lat. fera, gr. &tjg goth. dius ahd.
tior, woneben sl. zvjer' litth. zweris (oben s. 28). lat. fumus, gr.
&v[iog, litth. dumai, goth. dagms? (vgl. dauns) ahd. toum, womit
wieder sl. zv'njeti sonare, zvon'tz' tintinnabulum, litth. zwanas lat.
sonus vergleichbar, da sich duft wie schall durch die luft schwingen,
lat. fores, gr. &vga, goth. daurö ahd. turl tör, sl. dvY, litth. durrys,
lett. durris und durwis, ir. doras dorus, skr. dvära. lat. fistulare
wahrscheinlich eins mit sl. zvizdati övgit,uv. Merkwürdig schwankt in
einzelnen Wörtern die ags. und altn. mundart zwischen F J), ags. fengel
und pengel rex: visa fengel Beov. 2800. hringa J>engel Beov. 3013.
manna pengel Csedni. 188, 24 und ebenso altn. fengill und pengill;
altn. fön und f>ön lamina Cornea ; lat. facula, ahd. fachala fax, lampas,
ags. JDäcele; ahd. fihala fila lima, ags. feol, altn. J>iÖl, schwed. dän.
fil, litth. piela, pelyczia, poln. pilnik.
Alle diese lauten vor vocalen an. goth. ]xL ]dK entsprechen aber
auch ahd. alts. FL FR: J)laihan ahd. flehan, J)liuhan ahd. fliohan
plauhs fuga; lat. flaccus goth. plaqus; goth. jjrafstjan consolari,
jprafsteins TzagdxXrjoig, ags. frefrian consolari, fröfor solatium, alts.
fruobrian consolari, fruobra solamen, ahd. fluobiran consolari, fluobara
* Wackernagel bei Haupt 2, 556.
** im gesät nie ämeizen, diu bezzers gelenkes pflac, dan si was da der
gürtel lac. Parz. 410, 2. als ein ämeize gelenket. 806, 26.
246 STUMME DD. GG. T. S
consolatio. Lobe stellt jprafstjan mit unserm trösten zusammen, wel-
ches aber zu goth. trausti und trauan gehört, es bleibt auch im
Verhältnis von JDrafstjan : fruobrian noch dunkelheit, und ich weisz
aus andern sprachen dies seltsame wort nicht aufzuhellen, ahd. fra-
vali, ags. frävel procax kann kaum verwandt sein.
Auch für den inlautenden Wechsel sind beispiele da. lat. rufus
ruber und rubere, skr. rudhira, gr. SQV&gog, ir. ruadh, welsch rhudd,
litth. ruddas, goth. rauds, ahd. rot, ags. read, vgl. lat. rutilis. lat.
über und ubertas, skr. udhas, gr. ov&uq, litth. udroja, ahd. ütar
(drözinta ütir distenta ubera. Haupt 5, 329), nhd. euter, ags. üder.
351 wie hier B : D scheinen sie auch in barba : bart, verbum : wort
(s. 329). bis für duis, bellum für duellum sind s. 241 angeführt.
Zuletzt in betracht kommt der Wechsel zwischen lingual und
gutturallauten. hierher würde das gr. zig zählen, wer es lieber aus
xtg als aus Tilg leiten will, auf gleiche weise verhält es sich mit
riööageg zezogsg.
Anderwärts erläutert habe ich die merkwürdigen Übergänge des
goth. DD in altn. GG. tvaddje und wahrscheinlich baddje entspricht
dem altn. tveggja beggja; vaddjus murus dem altn. veggr, so dasz
schon aus altn. egg ovum goth. addi, wenn ihm andere gewähr ent-
gienge, gefolgert werden darf.
Bisher wurde der Übergang der mutae aus einem organ in das
andere dargestellt; es bleibt noch ihr Wechsel mit Spiranten und
liquiden, ihr ausfall, zuletzt aber ihre abstufung in einem und dem-
selben organ zu betrachten.
Wie lat. P undB inlautend zu V erweiche zeigt die franz. spräche
allenthalben : rapa rave, ripa rive, faba f eve, faber fevre, habere avoir,
debere devoir; nach liquiden aber haftet muta: talpa taupe, alba
aube, herba herbe, umgekehrt pflegt die deutsche spräche W in B
zu verstärken: mhd. fal falwes, gel gelwes, far farwe, garwe mille-
folium, herwe; nhd. falb gelb färb färbe garbe herb. Tübingen hiesz
mhd. Tüwingen Wh. 381, 27, welcher name entweder aus Twingen
(Stalin 1, 510. 2, 441) oder aus tuniwenga (Graff 5, 148) entsprang*,
ganz regelmäszig verhalten sich im finnischen hepo he wen, lipu liwun,
arpa arwan u. s. w.
Übergänge des T in S sind zumal griechischer spräche eigen,
nicht nur die anlaute ov ö8 ötjuegoi*, wo dem aeolischen und dori-
schen dialect noch zv zs zy^ibqov. blieb, bezeugen es, sondern auch
inlautend erscheint dies S in der ganzen tertia pl., wo siöi yrjoi aus
svzi (öbvzl) cpavzi hervorgehn und alle -äot aus -avzi, alle -olöl aus
-ovzi. vavöia Seekrankheit, att. vavzla und auch lat. neben nausea
nautea. Inlautendes TT erweicht zu SS: ngazzo ftalazzu xizza
Kizzog iiiUzza r^zza in jroaööcö ftulaötia xtööa xiööog [lehööct
rfüda.
* vgl. den unsichern ort Tivinwang Tiunang bei Stalin 1, 288. 344. 381.
STUMME S. D 247
Gleich wichtig ist S für D*. lat. medius goth. midja gr. [isöog. 352
skr. veda vidmas, lat. vidi vidimus, goth. vait vitum, gr. olöa l'fytsv
= Löfiw, vgl. l'öccöi 'fot][ii und od^irj oöfifj. lat. esca für edca , wie
sl. iad cibus, iato esca von iasti edere. auch skr. asis, lat. ensis
scheint mir von der wurzel ad edere, weil das seh wert, gleich der
flamme, zehrt und friszt, ahd. blzanti suert 0. IV. 13, 43. blzentön
suerton 0. I. 19, 10; zwar bildet das lat. edo nur esum und estum
f. editum, wie aber von tundo umgekehrt tusum und tunsum, könnte
auch ensum gegolten haben. Nicht anders bezieht sich mensis skr.
mäsa sl. mjesetz auf metiri goth. mitan, weil der mond die zeit
miszt; in fi?jv goth. möna, ahd. mäno fiel das S ab. zugleich erhellt,
dasz in mitan so gut wie in itan die lingualis wurzelhaft sei.
Noch in deutlicherem Zusammenhang stehn lat. audio und auris
= ausis, goth. ausö, litth. ausis, aber auch goth. hausja, ahd. hörru
und lat. haurio hausi, weil das hören schöpfen, einschöpfen der worte.
wie dem auris ausö der kehlanlaut mangelt er gerade dem altn. ausa
haurire, ausa haustrum, ahd. ösan haurire und exhaurire vastare,
womit ödi vastus vaeuus otiosus facilis unmittelbar verwandt ist,
welchem jedoch goth. und ags. aspirata zusteht: goth. auf>s au]yja
vastus, ags. eäde facile forte, ahd. odo forte saltem aut, mit der
nebenform edo eddo, ags. odde, goth. aij){)au, lat. aut greifen hier
wundersam ein und ergeben noch andere berührungen, deren ich mich
jetzt überhebe, blosz das sei nicht vorbeigelassen, dasz im ahd.
erdo = e'ddo, edo das nemliche goth. Z auftaucht, dem wir in razda
mizdö huzd begegneten (s. 3 1 3), das folglich auf goth. aizdau izdau =
aippau deutet und wieder an das S oder R in ausö auris hausjan
hörran klingt, ohne zweifei gehört also das goth. azets facilis, azö-
taba facile zu ahd. ödi, ags. eäde, engl, easy, und wie mit facilis
facultas hängt mit eäde altn. audr opes und ags. eädig opulentus,
ahd. ötac zusammen, goth. audahafts.
Treffend bestätigen dies alles die romanischen zungen, besonders 353
die provenzalische. aus unserm ödi ösi eäde auj>s azßts (aus welchem
derselben ist schwer zu sagen) haben sie das prov. ais aize, franz.
aise und andere bei Raynouard gesammelte Wörter, welche den be-
grif des leichten angenehmen enthalten ; nicht übersehn werden darf
prov. azaut placens gratiosus, wie goth. azets ijövg verdeutscht. Nicht
anders stehn lat. audire laudare alauda videre, it. udire lodare lodola
vedere gegenüber prov. auzir lauzar alauza vezer, und mit ausge-
stosznem cons. franz. oir louer alouette (altfranz. aloe) voir, sp. oyr
loar ver, für alauda blieb aloda alondra. lat. fidelis it. fidele prov.
fizels sp. fiel, diese syncopen mahnen an pium pirum, iu izvis =
altn. idur idr? schwed. eder er.
Noch leichter fallen muste Umtausch von TH und S, da schon
einfaches H Übergang in S zeigte, anlautend steht dor. 6iog ötd
öklco 6uv 67JQL0V für &eog &w fthlca &elv &7]Qiov, bei Thuc. 5, 77
* vgl. finn. esi mesi käsi susi: eden meden käden suden (s. 344).
248 STUMME TH. D. L
6c5 <5lg) öv^icitog f. tov fcov %"u{iaTog, und oft inlautend 'Aödva
nccQösvog f. *A%y]vr\ naQftsvog. örjQiov aber beleuchtet uns das sl.
zvjer, litth. zw&ris (s. 28. 350). wie nahe reicht die ausspräche des
gr. 0 und ags. altn. TH an den sausenden laut.
Auflösungen stummer kehllaute in H tragen sich oft in allen
sprachen zu. eine menge H für CH wird hernach die lautverschie-
bung darlegen: unsere spräche hat fast allgemein der organischen
asp. CH entsagt und dafür H angenommen.
Den Böhmen mangelt der laut G. denn das ursprüngliche G der
übrigen Slaven wandeln sie in H, und wo sie G schreiben, sprechen
sie J. die Küssen umgekehrt entbehren das H und drücken es in
deutschen namen durch G aus.
Mit flüssigen consonanten treten, so viel ich sehe, fast nur mediae
in Wechsel, keine tenues, selten aspiratae (abgesehn von der deutschen
lautverschiebung) .
Hauptsächlich in betracht kommt hier ein Übergang des D in
L, dessen meiste beispiele längst aufgefallen sind.
Aus älterem dingua, wozu goth. tuggö, ahd. zunkä stimmt, gieng
354 hervor lingua, welchem litth. li^zuwis (s. 320) gleicht, aus ddxgv
daKQV^a, goth. tagr, ahd. zahar, dacrima und lacrima. aus darfe,
sl. djever, poln. dziewierz, böhm. dewer, litth. deVe'ris, skr. devr,
ags. täcor, ahd. zeichur das lat. levir. für ddq>vrj galt aeol. Xacpvrj
(Ahrens s. 85); man bringt jenes zu decpa, und sucht im netzen den
begrif des reinigens: dann könnte auch laurus zu lavare fallen, von
demselben lavare und lotus lautus leitet sich lautia, wofür nach
Festus dautia galt, feierliches mahl, wie lautus und lautitia auf pracht
der mahlzeiten gieng; mir fällt das goth. dauhts epulae und serb.
datja convivium funebre ein, obschon das goth. wort un verschoben
ist und vielleicht daups lauten sollte, was an dau]DS mortuus reicht,
goth. addi adi ovum lettisch ola.
Zweifelhaft bleibt lat. lignum zur skr. wurzel dah brennen ge-
halten, da es von lego, wie tignum von tego rühren könnte, noch
mehr bedenken macht die vorgeschlagne ableitung des goth. leik
corpus ahd. llh vom skr. deha (Graff 2, 2), das goth. letan ahd. läzan
vom skr. da dare. auch cadaver bringt Bopp zu skr. kalevara. bei
den Zahlwörtern sahen wir -lif und -lika dem -daha entsprechen
(s. 246).
Inlautend begegnen einander lat. odor olor und olere: odefacit
dicebant antiqui ab odore pro olfacit. Festus. möglich wäre sogar
Verwandtschaft zwischen odor, welchem die gutturalis abgefallen sein
könnte, und ags. hvätan, ahd. huäzan flare spirare. dabei ist zu
erwägen olus und holus, olesco adolesco adoleo suboles proles und
die gr. otpy öd&Öa od^irj oö^itj. des duftens grünens und Wachsens
begriffe treffen sich in unserm würz, das herba olus und aroma (ge-
würz) ausdrückt.
Kühn scheint es olor, den singenden schwan, aus äoidog mdog
zu deuten, wie die singende lerche arjödv hiesz. aus olöa lÖ^sv
STUMME D. L. N 249
oder der schwankenden quantität von oöoöa adoöa begriffe sich etwa
das kurze O. wenigstens mtiste nachgewiesen werden, dasz ein gr.
dichter den kvxvoq ccotdog nannte.
'Odvööavg ' Odvöevg wird lat. zu Ulysses Ulixes, tuskisch üluxe.
die abkunft des namens von 6öv06o{im (Od. 19, 409) lenkt wieder
auf odium, goth. hatis, ahd. haz.
Smielan (s. 319) scheint das gr. fiEiöäv.
Skr. madhus, litth. medus, lett. meddus, ags. meodu, altn. miödr, 355
ahd. me'to, mhd. me'te, sl. med", gr. ns&v unterschieden von {ish
{iskitoc, lat. mel mellis. die begriffe von berauschendem getränk,
meth und honig flieszen in diesen Wörtern zusammen, auch finn.
heiszt der honig mesi gen meden, die biene mesiläinen wie gr. ^iikiöoa
und skr. madhupa d. i. mel bibens.
Litth. sidabras, lett. sudrabs stehn gegenüber goth. silubr, ahd.
silapar, sl. srebro, preusz. sirablas (oben s. 9. 11). fidius und filius,
Ovidius Ovilius, Decidius Decilius wurden s. 271 verglichen, aus
Aegidius ward Gilius, Gilles (Gilies Roth. 3945).
Wenn in einzelnen dieser Wörter D organischer scheint als L,
z. b. in dacrima, wegen der s. 300 vorgetragnen abkunft, oder in
Odysseus, dessen sage offenbar von Griechen oder Etruskern zu
Römern kam; so ist anderemal die Lform durchsichtiger, z. b. in
lingua, das doch zu lingere lambere kti%tiv laigön und lecken gehört,
in madhus und mel, fiffru und {isfa ist der Wechsel von uralter zeit
her begründet*.
Ähnlich dem Übergang des D in L ist der des DD in LL : goth.
vaddjus ahd. wal walles, lat. vallum; vielleicht goth. iddja verwandt
mit ahd. illan, ilan? vgl. daddjan und ftr(lv, wallön, wadalön und
für LL DL gleich lat. sella f. sedla, franz. seile f. ags. sadol, altn.
milli f. midli. Wie wenn sl. pasti oder padati, cadere, part. praet.
padal, sich berührte mit ahd. fallan, ags. feallan, altn. falla, welches
der goth. spräche völlig abgeht? noch näher steht dazu das litth.
pulti, lett. pult.
Höchst selten scheinen D und N zu tauschen, ein merkwürdiges
beispiel lieferte devjat dewintas für nevjat newintas (s. 244); neben
perdice sagen die Italiener gewöhnlich pernice. beider consonanten
Verwandtschaft aber folgt schon daraus, dasz sich inlautend N vor
lingualen, wie M vor labialen einfindet (s. 339), weshalb auch der 356
anlautende Wechsel zwischen B und M ergeht: sl. brabenec : mravi,
bramor : marmor.
Dem ausfall sind unter allen stummen consonanten wiederum die
mediae zumeist ergeben, vorzugsweise dasselbe D, dessen Übergang in
die flüssigen S und L eben erörtert wurde, die harten und scharfen
tenues und aspiratae leisten stärkeren widerstand, pers. mei vinum ent-
sprang aus medi = madhu. einzelne mundarten begünstigen zusehends
* unterschieden von dem Wechsel ist die abgestreifte lingualis in Ion-
gus — sl. dlug (s. 325).
250 STUMME
die syncope des inlautenden D, namentlich die französische und nie-
derländische, beispiele aus der letzten sind gramm. 1, 308. 309 mit-
getheilt. eine menge lat. T erweichten sich in roman. D und schwan-
den dann im franz. gänzlich; man wird sichrer dazu die ital. oder
span. form, als die lat. halten : pere mere frere voir croire rire proie
soie soif louer muer, it. padre madre frate vedere credere ridere preda
seta sete lodare mutare. vedere credere ridere lodare lauten auch sp.
ver creer reir loar, und seta sete bereits seda sed, woraus sich die
franz. tilgung begreift, aber auch G ist getilgt in lire, sp. leer, it.
leggere und faire sp. hazer, it. far. Zuweilen fällt die lingualis nicht
weg, sondern assimiliert sich dem folgenden R : parrain sp. padrino,
marraine sp. madrina, larron sp. ladron, pierre sp. piedra, perron
acervus lapidum, mlat. petronus, lierre hedera, sp. yierro, altfranz.
ledro, verrons it. vedremo, fourrage mlat. fodragium. dies RR aus
DR ist ein gegensatz zum altn. DD aus RD (s. 313), gleicht aber
dem LL aus DL. der grund weshalb sich weder merre f. mere, noch
maraine f. marraine bildete, musz im gewicht der folgenden silbe
liegen, it. trovatore, sp. trovador wandelte sich in altfranz. trou-
verres. TR wird nicht assimiliert, wie quatre autre u. a. zeigen.
Welchen ausfall in deutscher spräche B G D erfahren, welche
diphthonge aus zusammengerückten vocalen dadurch entspringen und
wie sich M und N zu der labialis gutturalis und lingualis gesellen,
habe ich eigens abgehandelt, am seltensten scheint B unterdrückt,
doch wären reiche beispiele vorhanden, wenn die Vermutung, dasz
ahd. rehto aus goth. raihtaba erwachsen sei (gramm. 3, 110), sich
historisch bewähren liesze.
XVI.
DIE LAUTABSTUFUNG.
Bis hierher hat sich gezeigt, wie einzelne stumme consonanten 357
der zeit oder mundart nach einander vertreten; solcher Wechsel be-
gründete nur ausnahmen, höchstens besondere richtungen, er fiel der
gewohnheit einer spräche oder ihrem Verhältnis zu benachbarten an-
heim. ob Xvnog oder lupus, 6v oder tu, nsvts oder quinque, da-
cryma oder lacrima gesprochen wurde, das war nun einmal dem idiom
durch seine anläge verliehen und hieng nicht weiter mit der innern
beweglichkeit seiner laute zusammen. Wichtiger ist es, dynamisch,
gleich dem vocalumlaut, wirkende regeln zu erkennen, nach welchen
sich die consonanz einer jeden spräche stimmt und abstuft. Dort
schwankt der laut, wie bei vocalschwächung, gleichsam wild und ab-
sichtslos; hier erscheint die änderung des consonants, wie umlaut und
brechung, gezähmt und fruchtbar.
Dies spiel oder dieser Wechsel der consonanten kann schon durch
ihre stelle bedingt sein, anlaut hält die stufen jedes organs am
reinsten und treusten, inlaut ist geneigt es zu erweichen, auslaut zu
erhärten.
Oft aber walten einflüsse anderer laute, entweder vorausgehender
oder folgender, in diesem fall wirkt der bestimmende laut rückwärts,
in jenem vorwärts, bei rückwirkungen stimmt die kraft des folgenden
lauts den vorausgegangenen nach sich; bei vorwirkungen unterwirft
sich der folgende dem einflusz des vorstehenden lauts. rückgängiger 358
einflusz trägt sich ungleich häufiger zu als vorgängiger; im vocalismus
wurden umlaut und brechung nur rückwärts, nie vorwärts gewirkt,
dieser rückgang läszt sich dem grundsatz des reims, der vom letzten
auslaut an zurückdringt, vergleichen.
Vocalwechsel durch umlaut hieng blosz von andern vocalen,
brechung von vocalen und consonanten ab. consonantwechsel wird
in der regel durch anstoszende consonanten, zuweilen auch durch vocale
bewirkt, so durchdringen sich vocalismus und consonantismus. selbst
darin offenbart sich analogie, dasz der den tausch verursachende con-
252 LAUTABSTLTFÜNG
sonant weggefallen sein kann gleich dem vocal, von welchem umlaut
und brechung abhiengen.
Das latein ist keusch und enthaltsam in seinen consonanten wie
in seinen vocalen. die aspiration ist ihm wenig entfaltet (s. 344),
media und tenuis stehn rein gesondert: rabidus und rapidus, nego und
neco, ad und at, cadus und catus weichen, der ausspräche wie ihrem
Ursprung nach, ganz von einander, anlautende media und tenuis
können sich nie vertreten, und kein vorausgehender laut äuszert
darauf irgend einflusz. sobald aber im inlaut media an eine folgende
tenuis oder spirans stöszt, wandelt sie sich selbst in die entsprechende
tenuis ihres Organs; sobald im fortgang der flexion oder Wortbildung
jene tenuis wieder entfernt wird, kehrt ursprüngliche media zurück,
nubo nupsi nuptum, glubo (glupsi) gluptum, scribo scripsi scriptum,
labor lapsus; ago egi actum, lego legi lectum, rego rexi rectum, im
lingualorgan scheidet aber dann die media völlig, weil TT und TS
noch härter wäre als DT DS: edo edi esum, video vidi visum, ludo
lusi lusum, laedo laesi laesum, odi osum, rado rasi rasum, fundo fudi
fusum, mando mandi mansum, tundo tutudi tusum, mordeo momordi
morsum, statt ettum* vittum lutsi luttum u. s. w. Einigemal steht
die assimilation SS: cedo cessi cessum f. cetsi cettum, sedeo sedi
359sessum f. settum, jubeo jussi jussum für jupsi juptum, wie aus iste
ipsus ital. stesso ward, der analogie von grex gregis, rex regis, lex
legis gemäsz wäre zu schreiben aps, scrops scrobis, nups nubis, allein
es gilt abs scrobs nubes. in der lingualreihe verhalten sich praes
praedis, obses obsidis, incus incudis, pecus pecudis wie laesi laedo,
sessum sedeo ; man fand wieder zu hart praets praedis, pecuts pecudis.
in Zusammensetzung assimilieren sich die partikeln ob sub ad dem
folgenden anlaut. ex steht zu ec wie abs zu ab. statt apud findet
»ich wol auslautend geschrieben aput.
Viel reicher entfaltet hat sich die griechische verstufung allein
schon dadurch, dasz alle aspiratae vollständig wirken. Hauptgesetz
ist, dasz media tenuis und asp. den anstoszenden consonant jedes an-
dern organs ihrer stufe gleich machen, folglich nur ßd nt cp&, yd
xr %& neben einander gelitten sind und fein unter sich abwechseln:
BTttd sßdofjLog Ecp&/](i£gog, ygatpa ygdßdt]v yqaivtog ygctcpfi'Eig, rvura
rvcp&rjöoucci , ugvitzto Ttgvßdrjv xgvnxog XQvepftetg, övXXa^ißdvcj
6vXh]ßörjv, oktco oydoog offirffiegog, Xü%& Xiydriv, Xsyco XkXExzai
Xsxtqov eXs%&7]v, 7tXsxco itXkydr\v TtXEyftug. auch vor 2J entwickelt
sich tenuis, für nö k6 gelten aber die eignen buchstaben t/j und £:
ygayco ygdtyco, xvtcxg) tvxjjco, Xeyo Xs^co, ßQ£%<a ßgt&g. wäre jenes
lat. ps für bs zulässig geworden, so hätte sich auch das zeichen,
wie x für es, eingefunden. Es gibt viel gr. anlaute ßd %z (pft xr
##•, die der lat. und deutschen spräche fremd sind: ßöilliov ßdsXvgog
ntalgco ntec^ ntegov (p&dvca y&siga) (p&ovog, KTccoyiai ktelvw nvvnog
* folglich steht esca f. etca = edica, estur f. ettur = editur.
LAÜTABSTÜFÜNG 253
%fta{icd6g %&SQ x&cov, für yd findet sich nur ydovnog. da aus den
anlauten nz und %& die lingualis zuweilen wegfällt und für nzofog
nzole^og %d analog nohg notepog %a[i7jk6g gelten, darf man auch zu
den übrigen formein Wörter anderer sprachen auf blosze labialis und
gutturalis, ohne dasz lingualis folgte, halten, mit Tizegov stimmt
zwar ahd. fe'dara, aber auch sl. pero, mit %%ig lat. heri = hesi,
hesternus, goth. gistra, mit ffiapakoq %a\ial lat. humilis humi und
vielleicht goth. gavi. ßösco ist das lat. pedo, die rückwirkung des
D wandelte P in B.
Wie yQatyc) yganzog, Xe^co lexzog zum lat. nupsi nuptus, rexi
rectus stimmen, entspringt auch beim anstosz einer lingualis an 360
folgendes S und T vereinfachter Slaut, und die lingualis schwindet.
Neben eldevcti Idelv oiÖa (in zweiter person ol6&cc) erscheinen cl'öo-
Hai elöccfirjv und das abgeleitete iör]{ii, selbst das adj. Yöog uöog
aequalis, similis ist der form nach völlig das lat. part. visus, da sich
die begriffe des Sehens, scheinens und gleichens anrühren; von stdo^ai
videor wird IL 2, 791 tföazo videbatur ganz für glich gebraucht,
gerade so verhält sich das goth. galeiks opoiog ahd. gilih aequalis
similis zu galeikan videri, placere und leik 6c5[M)c, ahd. llh corpus
d. i. species, visum, ahd. gillchi species, gilichnissa imago. wie visus
aus vistus, musz auch toog aus lözög oder lö&og gedeutet werden.
Nicht anders beurtheile man folgende beispiele : ada aöa aGo^icu,
deldco dsiöa tdeiöa öetöo^iac, rjöco rjäo^ai f]6cc^rjv ijö&rjv tfö&rJGoucci,
eög) eöo[iccl söfric), bei dichtem auch höfta. für ET zieht das gr.
organ E® vor, und da olö&a dem goth. vaist wie dem lat. vidisti
entspricht, eö&rjg dem goth. vasti, lat. vestis; so hat man fug, in
solchen E® = ET den beweis für das gemutmaszte lat. ettum
vittum lutsi = esum visum lusi zu finden, in welchen fällen ET von
EQ abstehn, z. b. in eözl sözla, bedürfte noch eigner Untersuchung,
fällt durch G# licht auf das goth. rj) in vairjsa (s. 310)? die geminata
EE für ET ergibt sich oft (s. 317).
Die gr. spräche läszt aber diesen lautwechsel nicht blosz im in-
nern der wörter, sondern auch bei der Zusammensetzung, ja zwischen
einzelnen in der rede aneinander gereihten Wörtern ergehn, wenn der
stumme consonant von einem mit dem Spiritus asper beginnenden wort
berührt wird, der Spiritus fliegt in die voranstehende muta über und
wandelt sie in aspirata. so entspringen scprmsgov £(p&?jnsQog de%rj(ie-
gog avd-tfueQog vv%&t]ii8QOV sq)lözrj^iL ä(pi6Zf]{il und viele andere,
die praepositionen ano kni avzi werden auf diesem wege zu dcp ecp
av& und die negation ovx wandelt sich in ov%. für vvxza oXfjv
entspringt vvyß? oXrjv, die zurückgreifende aspiration kann sich nicht
an dem z begnügen, sondern musz auch das vorherstehende x er-
greifen, noch kühner ist, wenn sie sogar einen vocal überspringt: 361
f&OL^ättov f. zb L{iduov, cpgovQog f. Jtgoogog, q)Qoi{iiov f. ngoolfiiov.
Doppelte ten. und med. mag der Grieche, nicht asp., er bindet
dann ten. und asp. zusammen: Ea7C(pa) Bdx%og Tizftiov, xawftcctyai
7iocz8&ccv8 kürzen die dichter in Kccz^dx^ai xuz&avs. erst später und
254 BA.UTABSTUFÜNG
in fremden namen steht Maft&ulog Ma%%ä f. Mar&alog Motx%a.
hierher auch Föxftoi (s. 179).*
Aus gleichem grund wird in der reduplication die asp. durch
ten. vertreten: (pcdva nscpayxa, (pvco necpvxcc, %cclqg) y.s%(XQr]xa,
%gcio[ji(U KSXQfjUM, ftällco xmrila, ftvqöxa %k%vr\Y,a, während lat.
falle- fefelli, goth. faha faifah, wahrscheinlich auch Jplaiha paiplaih
zulässig ist.
Das gr. idiom, welches zwei asp. verschiednen organs in einer
silbe gern hat, meidet sie in zwei auf einander folgenden [Buttmann
gr. 1, 77], und entzieht bei inlautender aspirata dem anlaut den
Spiritus, oder anders ausgedrückt : es ertheilt Wörtern mit unaspiriertem
anlaut und inlautender aspirata den spiritus, so bald durch den
Wechsel der flexion die inlautende asp. wegfällt. %%& bildet das fut.
e^oa und neben fyjp,a steht 8%ig, ebenso neben tq£%(o -frof^ojufw und
&QEx.xixög. der grundsatz bezieht sich zumal auf wörter, in welchen
T und @ tauschen: xayvg frccööcov f. ta%i£(X)V, recytj tdyog STdcprjv
&CCJITG) ftdilHD, verschieden davon Tacpco (stupeo) hatpop T£&rj7ict,
rgeepco ftQSipG), &ql£, TQi%6g tQt%eg #ot£/, tl&r][ii &?J0G> ftiöftai &BLVUI
fteöiiog, aber dor. rsk^iög. in to£#<ö läuft die wurzel durch alle
drei stufen, da auch öeögo^ia und öga^iov^iaL gelten, wir sehn in
allen diesen Wörtern den abgeänderten laut (das &) aus der mitte bis
in die spitze, immer aber rückwärts vordringen, dasz die unaspirierte
form hier die ursprüngliche sei, folgt aus vergleichung von e%tLV mit
goth. aigan, TQk%eiV mit "jsragjan und rdcpog mit tabiti (s. 231). die
gehäufte aspiration im dakischen (piftoyfteftsld (s. 212) ist griechi-
scher weise entgegen.
Bei der deutschen consonantverstufung müssen inlaut und auslaut
gesondert werden von dem anlaut.
362 Der inlaut hütet, wenn nicht andere consonanzen anrühren, die
echte form, der auslaut pflegt sie aber häufig aufzugeben, was einen
der lat. und gr. spräche unbekannten Wechsel begründet, doch betrift
er blosz die media ; denn ten. und asp. bleiben, wo sie stattfinden,
ungeändert.
Goth. B und D wandeln sich auslautend in die asp. F und TH:
giba gaf gif, graba gröf graf, hlaibis hlaif, Jriubis Jriuf ; beida baij)
bei]?, biuda bau{) biuj), bidja baj), fadis fap, sedais sej), liuhadis
liuhaj), födi]? födida. doch schwankt die Schreibung, und gestattet
auch B, D in grob baid u. s. w. media des kehllauts bleibt fast
überall unverletzt: liga lag, steiga staig, biuga baug, vigis vig, dagis
dag; ohne zweifei, weil hier die eigentliche asp. abgieng und durch
die spirans H vertreten wird; nur ausnahmsweise tritt diese im
Wechsel ein bei aih aigum.
Ähnlich, doch etwas abweichend gestaltet sich die goth. Ver-
änderung der inlautenden muta, wenn sie an andere cons. rührt,
von welchen blosz S und T in betracht kommen.
* diesem T 0 vergleichbar scheint ahd. PPH, CCH und alts. PB, TD
LAUTABSTUFüNG 255
Das -s des nom. sg. wandelt vorausgehendes B und D bald um
in F und TH, bald nicht, man findet laufs laubis, hlaifs hlaibis, aber
auch hlaips und piubs. faps fadis, seps sedais, fröps frödis, allein
schwankend saps und sads sadis, immer göds gödis. diese ten. und
asp. vor dem -s müssen also im laut schwer zu unterscheiden ge-
wesen sein. Gr unterliegt gar keinem Wechsel: dags dagis, megs
megis.
Vor dem T der secunda praet. wandeln sich P und B in F; K
und G in H; T, D und TH in S: scapja sköft, hlaupa hleihlauft,
graba gröft, skaba sköft, skiuba skauft, brika braht, vaka vöht,
gasaka gasöht, teka taitöht, liga Iaht (?), biuga bauht, beita baist,
giuta gaust, sita säst, mita mast, haita haihaist, löta lailöst, vait vaist,
möt möst, beida baist, bitja bast, qipa qast, leij>a laist. für einzelne
wurzeln entspringt Zweideutigkeit, z. b. sköft kann rasisti oder creasti
von skaba oder skapja, baist momordisti und exspectavisti von beita
oder beida ausdrücken, oft mangeln belege, aber die theorie musz
walten, sich also auch auf die fälle erstrecken, wo der muta noch 363
eine liquida vorausgeht, für hilpa trimpa vairpa salta gastalda binda
falpa vairpa ist die II. praet. anzusetzen : halft tramft varft saisalst
gastaistalst banst faifalst varst. Möglich wären auch assimilationen
des ST in SS, so dasz von qij>a oder sita diese person qass und sass
statt qast säst lauten dürfte, ganz wie von vait vaist das schwache
praet. vissa f. vista gebildet wird; nur musz dann kurzer vocal vor-
hergehn, nach langem haftet ST, wie mösta und vaist lehren.
Analog mit diesen formen laufen die substantiva auf -t: gifts von
giba, gaskafts von skapja, gagröfts f. gagreifts von greipa, mahts von
mag, slauhts von slaha, andbahds von bak (s. 133. 134), laists von
lais, gaviss junctura von gavida jungo, mipvissei conscientia von vait,
qiss von qipa, afstass von afstanda afstöp, dessen zweite person wol
nur afstöst lautete, mahts zeigt, dasz auch mäht für magt gelten
müsse, obschon wieder fragifts und fragibts schwanken, so dasz man
für liga auch lagt statt Iaht annehmen dürfte. Wie geläufig aber dem
goth. organ ST war, folgt daraus, dasz sich NST für NT entfaltete
in ansts brunsts, weshalb auch die zweite person anst und branst
für ant, brant zu vermuten ist. dagegen kommen andanumts und
qumps von niman und qiman vor, nicht auf ahd. weise numfts qumfts,
weshalb denn die sec. praet. namt qamt gelten musz.
Es leuchtet ein, dasz diese goth. FT HT ST im grundsatz zu den
lat. PT CT und S (= ST), den gr. UT KT Z (2J&) stimmen, die
aus B G D entsprangen, goth. hafts raihts sind das lat. captus rec-
tus, und dasz visus i'öog aus vistus latog stammen, wird durch das
goth. vissei Btörjöig = vistei bestätigt, viss certus = vists begegnet
nicht bei Ulf., darf aber aus ahd. wis, altn. viss sicher geschlossen
werden, mit sedeo sessum f. setsum kommt altn. sess sella f. sest
überein. ähnliche auflösungen des ST in SS und S sind allenthalben
wahrzunehmen: goth. ahd. ist, ags. is (s. 266); goth. svistar, sl. se-
stra, litth. sessü, finn. sisar, lat. soror = sosor (s. 267); goth.
256 LAUTABSTÜFUNG
gistra, lat. heri f. hesi neben hesternus; gr. ööteov, sl. kost', lat. os
364ossis; warum sollten nicht visum osum von video odi auf vistum
ostum leiten? ahd. ist muosa aus muosta goth. mösta erwachsen
und wista westa wissa wessa schwanken.
Nun werden sich auch einzelne S fassen lassen, die aus andern
lingualen entsprungen sind, aber nur entspringen konnten, wenn man
annimmt, dasz hinter ihnen noch ein nachher ausfallendes T folgte,
von vleitan videre stammt andavleizns facies f. andavleistns. von
biudan mandare buzns mandatum f. bustns, ags. bysen, alts. ambusn
= goth. anabusns*. von usbeidan exspectare usbeisns longanimitas,
f. usbeistns. von vreij>an ags. vridan torquere vräsen torques, ahd. reisan
nodus f. vrästen, ahd. reistan ; die goth. form hätte vraizns zu lauten.
Zu viel räum würde kosten, wollte ich diese goth. lautabstu-
fung auch durch die übrigen deutschen sprachen führen, so lehr-
reich einzelne abweichungen werden könnten, im ganzen herscht die-
selbe regel.
Weit mehr liegt es mir an eine andere aufzuweisen, die allen
bisher erörterten entgegensteht und wovon weder in goth. noch gr.
und lat. spräche eine spur ist. statt des rückwärts gehenden ein-
flusses zeigt sie uns einen vorwärts greifenden.
Nicht alle ahd. dialecte geben ihn kund, sondern nur der aleman-
nische, wie er zu Sanctgallen durch Notkers und seiner genossen
sorgfältige, wenn schon nicht überall gleiche Schreibung verzeichnet
ist. dieser lautwechsel musz aber im Süden Deutschlands weiter
ausgebreitet gewesen sein, da er hin und wieder noch bei mhd. dich-
tem vorbricht.
Das gesetz ist folgendes, von dem auslaut werden anlautende
liquidae spirantes und aspiratae niemals abgeändert, wol aber tenues
und mediae. lautet ein wort auf vocal und liquida aus, so musz me-
365 dia, lautet es auf Spirans oder muta aus, so musz tenuis folgen, der
vocalische und flüssige auslaut schont den nächsten anlaut, der hau-
chende und stumme greift ihn an.
Dem gemäsz wird gesagt: eina bindun, diu bluoma, du bist,
dero boumo, demo buoche, jungen boumes, min bruoder, er begrifet;
aber ih pin, dingolih pinde, sih pergent, des poumes, sines pruoder,
gab pilde, liuf paldo, üf poume, sälig pin, sundig pluot, chad pringen,
nicht pildes, sint pilde, daz puoch, üz prähta.
eina geba, diu geba, du gibest, demo golde, dero gewalto, snel-
len ganges, din guot, er gehaltet; hingegen ih kesiho, sih kebe, noh
cnuhtig, ouh cnöto, des coldes, alles kähes, gab cold, üf kuldinemo,
üf kange, manig cot, ward keboten, waz kewalto, daz cold, üz kieng,
iz kerno.
* sollte das ags. hyseg occupatus, engl, busy, mnl. besech, nnl. bezig
eigentlich ausdrücken: qui mandatum exsequitur? so dasz bysegian, engl,
busy hiesze einen beschäftigen, einem etwas gebieten, auftragen, wie wenn
das prov. besonh, franz. besoin, it. bisogno, opus negotium necessitas
gleichen Ursprung hätte?
LAUTABSTUFUNG 257
Bei den lingualanlauten erscheint aber eine Schwierigkeit und
abweichung. die analogie der labialen und gutturalen fordert, dasz
auch in allen der goth. media D entsprechenden Wörtern derselbe
Wechsel zwischen med. und ten. eintrete, also demo dage, du däte,
der dag, den deil, ein dier entgegengesetzt würde den formen ih
tuon, des tages, des teiles, manig tiure, daz teta. allein hier haftet
immer die tenuis und es heiszt auch demo tage, du täte, der tag,
der teil, ein tier, einemo tiuren.
Wol aber wird der Wechsel angewendet auf die der goth. asp.
TH antwortenden anlaute, welche aus D in die tenuis T zurückspringen,
man schreibt demnach: demo dritten, demo diete, dero dingo, diu
dierna, filo dürft, du daz, in dih, er diccho; dih tritten, ih tih, eines
tritten, wlb tiu, sälig tiet, mag ter, mag taz, ward tanne, ist turft,
daz ting, waz tes. offenbar stehn diese letzten T den vorher ange-
führten K und P ungleich, denn cold und puoch haben die goth.
med. gulj), böka zur seite, tih und taz die goth. asp. Jmk, pata.
eben so wenig läuft das D in dih dierna ding dem Gr und B in got
gold buoch bluomo parallel, da diese der goth. med. guj) gulj) böka
blöma gleichstehn, dritto daz der goth. asp. pridja jpata.
Mich dünkt, diese Störung des lautverhältnisses wurde hervor- 366
gerufen dadurch, dasz ahd., nach der strenge, keine media für das
lippen und kehlorgan vorhanden war, deren analogie das D hätte
folgen können, jener für die ten. gültige Wechsel warf sich darum
bei den Zungenlauten auf die media.
Auszer den noch getrennt an einander stoszenden Wörtern werden
durch diese notkerische regel die inlaute vieler Zusammensetzungen
bestimmt, z. b. es heiszt ebenbilde und werltpilde, himilbüwo und erd-
püwo, foreboto und waltpoto, fiurgot und erdcot, sedelgang und üf kang,
Eberger und Nötkßr, sigegebo und spuotkebo, widemdiu und gotestiu.
In den eingang des satzes pflegt N. immer tenuis, nicht media
zu stellen, die tenuis ist ihm also, nach ahd. weise, mit recht eigent-
licher laut, der sich nur vor vocalen und liquiden in die alte med.
erweicht, das gilt jedoch blosz für das verhalten seiner labial und
gutturallaute ; bei den lingualen ist Notkers media der ahd. media
gemäsz.
Da der Wechsel unablässig durch die ganze rede fortgeht, so •
gewinnen dieselben Wörter bei veränderter Stellung stets verschiedne
gestalt, und die abweichenden auslaute können im anlaut media oder
tenuis häufen, z. b. der satz: smähes tinges kerönt turh lustsami
würde mit geringer änderung heiszen: smähero dingo gerötun durh
lustsami.
Dasz Notkers gesetz nicht aus der luft gegriffen war, sondern
auf feiner beobachtung der wirklichen spräche ruhte, ergibt sich da-
her, dasz es noch zwei Jahrhunderte später bei Wolfram, dem sprach-
gewaltigsten aller mhd. dichter, also nicht einmal in Schwaben, son-
dern in Baiern unverkennbar ist. ohne zweifei wird es schon vor
Notkers zeit in landstrichen, wo die strenge ahd. lautregel gemildert
Grimm, geschickte der deutschen spräche, 17
258 LATJTABSTUFUNG
wurde, sogar reiner gewaltet haben; die gröberen aufzeichnungen
der Sprachdenkmäler wüsten es nur nicht zu fassen.
Es greift auch in den handschriften der wolfrainischen gedichte
nicht mehr durch und ist zumal in einigen texten des Parzival zu
spüren. Auszerdem beschränkt sich der Wechsel fast auf die labial-
367 laute: ob prünne 805, 21. zwelf pröt 190, 10. 21. truoc pein 157, 27.
lanc prünez 252, 30. mac porgen 324, 9. ich pin 24, 25. 152, 4.
171, 14. 188, 29. 219, 15. 265, 26. 324, 19. 340, 17. 521, 1. 543,
1. 672, 23. ich pat 158, 19. ich pringe 218, 9. noch paz 241, 29.
stet pl 253, 30. mit pägenden 247, 15. hundert pette 229, 28. ver-
wüestet pürge 194, 17. ez prach 192, 2. daz pristet 172, 19. daz
pluotec 807, 21. des planken 811, 19. gleich wol folgt noch häu-
figer schon die media: ich bin 457, 3. fuoters bin 458, 18. hast be-
twungen 198, 11. mich bellben 193, 28. des bleip 191, 5. reit bi
189, 15 u. s. w.
Für den kehllaut gebricht es ganz an beispielen, wahrscheinlich
weil im anlaut auch die ahd. aspirata mhd. durch die tenuis vertreten
wird, diese also nicht ohne Verwirrung zugleich die media ersetzen kann.
Überreste des notkerschen lingual wechseis haften nur in dem
demonstrativpronomen und den ihm verwandten partikeln: vert tä 4,
1. unt tes 161, 24. verlos ten 161, 4. daz tu 198, 11. daz ter 161,
17. 195, 29. erz tö 161, 8. hiez ter 162, 6. reitz ter 161, 17. doch
haben die meisten hss. media.
Mhd. Zusammensetzungen hegen P und K für B und G, niemals
aber T für D, und oft ist dann die sie verursachende vorausgegangne
tenuis ausgefallen, deren Wirkung dauert, wie wenn der umlaut zeu-
gende vocal abgestreift wurde, quecprunne, halsperc, ampaere, enpran,
wiltpraete, Hilprant, orpicke Rol. 180, 21 f. quecbrunne, halsberc,
antbsere, entbran, wiltbraete, Hütbrant f. Hildebrant, ortbicke. höch-
kezit Parz. 216, 14, burcräve, enkän Nib. 880, 4, enkelten, enkiezen,
enkurten, enkegen, Blicker, Stricker, statt höchgezit, burcgräve, ent-
gän, entgelten, entgiezen, entgurten, entgegen, Blitger, Stritger. nie
habe ich volctegen, swerttegen f. volcdegen swertdegen gelesen. In
nhd. eigennamen dauern formen wie Hilpert Eupert Elspet statt
Hildbert Rudbert Elsebet, oder in gemeiner spräche wilpert f. wild-
brät wildbret. Analog scheint der Ursprung der formen enpfinden
enpfähen enpfarn enpfüeren f. entfinden entfallen u. s. w., wo das T
368 eine Verstärkung des folgenden F in PF wirkte; nhd. empfinden,
empfangen aber entfahren entführen.
Auch nnl. wird ein gewisser einflusz des auslauts auf den anlaut
wahrgenommen, der jedoch wirkliche anlehnung oder Zusammensetzung
zweier Wörter begehrt, nicht von dem losen worte her eintritt, eng-
anschlieszende tenuis asp. und spirans wandeln das folgende D in T:
alstu, dustaen, uptie, metter, entie, entaer, nochtan f. als du, dus daen,
up die, met der, ende die, ende daer, noch dan, zumal die anlehnung
des vom artikel dat übrigen -t : torp = tdorp, dat dorp, tac = tdac,
dat dac tectum, überall demnach, wo D dem goth. TH entspricht, so
LAUTABSTUFUNG 259
dasz dieser wandel zwischen D und T ganz mit Notkers regel stimmt.
B und G erfahren keinen Umtausch in P und C; wol aber V in F:
tfolc, tfelt, tfenin, ontfaen, mesfal f. dat volc, dat velt, dat venin,
ontvaen, mesval, so dasz mnl. F härter als V gewesen sein musz.
Diese hochdeutschen und niederländischen ein Wirkungen auslau-
tender auf die anlautenden consonanten bilden einen bedeutsamen
Übergang zu dem ähnlichen, nur ungleich vollständiger entfalteten
keltischen lautsystem, das sich solches wechseis in groszer fülle höchst
eigenthümlich bemächtigt hat. alle seine scheinbaren räthsel werden
dadurch gelöst, dasz man die änderung des anlauts von dem voran-
gehenden oder vorangegangnen auslaut abhängig macht, in den meisten
fällen ist aber der laut, welchem die eigentliche kraft den Wechsel
hervorzubringen beiwohnte, längst geschwunden und nur mühsam
auf historischem wege zu ermitteln.
Dem keltischen consonantismus stehn alle stufen der media, te-
nuis und aspirata zu gebot, ja die aspiration noch weit voller als
den meisten übrigen urverwandten sprachen.
Der irische Wechsel stellt sich folgendermaszen dar:
P BP PH C GC CH T DT TH
B MB BH G NG GH D ND DH
F BHF FH S TS SH
in der ersten reihe jedes organs erscheint der wurzelhafte, in der
zweiten der durch eclipsis, in der dritten der durch aspiration ver- 369
änderte laut, die ausspräche der consonanten erster reihe hat kein
bedenken, in der dritten lautet PH etwas dicker als F, TH wie
bloszes H, dessen Verwandtschaft mit S uns vielfach auftaucht. BH
hat beinahe den sanften laut unseres W, vielmehr den des alts. BH,
dessen Schreibung in V schwankt. GH und DH sind im anlaut
nicht zu unterscheiden und gleichen unserm J. aber der laut von FH
schwindet ganz und'SH klingt wieder wie TH.
Den namen eclipsis haben die graminatiker gewählt, weil der
wurzellaut durch den vorgetretnen verdunkelt werde, in der that
lauten BP GC DT MB ND BHF TS völlig wie B G D M N BH T und
es scheint pedantisch, das nicht ausgesprochne , oft dahinter unaus-
sprechliche P C T B D F S angeblicher klarheit halben anzufügen;
einige trennen es noch dazu durch einen lästigen strich, den ich wenig-
stens hier spare, auch schreiben in gleichem fall die Welschen* nur
b g d m n statt des irischen bp gc dt mb nd ; der laut ist wirklich in
b g d m n übergegangen, die irische Schreibung scheint blosz historisch
zu rechtfertigen, für sie redet, dasz in NG das mit der liquida fest
verbundne G beharrt, auf gleiche weise waren auch MB und ND
geknüpft, die allmählich ihre muta abstieszen. bedeutsam mahnen diese
drei parallelen formen MB NG ND an die im deutschen inlaut aus
B G D hervorgehenden MB NG ND, an das poln. ab a^d — amb and
* [auch die Gaelen lassen den eclipsierten buchstaben weg und schrei-
ben einfach, doch haben sie ts. ts nur beim artikel, int s — .]
17*
260 LAÜTABSTUFUNG
(s. 335), und auch die irischen mögen als inlaute angesehn werden,
da sie durch vortritt anderer auslaute entspringen, für BP GC DT
setzen einige PP CC TT, was sich zum schweizerischen bbränte gga-
bla pfrau statt die bränte, die gabel, die frau (Stalders dialect. s. 76)
halten liesze.
Alle diese consonantwechsel hängen ab von vorausgehenden Wör-
tern; fragt sich von welchen?
Der irische bestimmende artikel ist an, welcher dem litth. pro-
nomen ans ana, dem sl. on" ona, dem goth. jains jaina, dem ahd.
ener eniu, dem altn. inn in buchstäblich entspricht, seiner anwendung
nach dem franz. le la = lat. ille illa. durch seinen einflusz auf den
anlaut der folgenden nomina wird an zu einem behelf für unter-
370 scheidung beider geschlechter und zugleich des nom. vom gen.
Hier schlägt die einfache regel voll groszer Wirkung ein, dasz
der nom. sg. zum gen. pl., hingegen der nom. pl. zum gen. sg. ana-
logie zeige*, empfängt nun der nom. sg. masc. durch den artikel
andern anlaut als der weibliche, so scheiden sich auch ihre obliquen
casus, der artikel selbst ändert sein an im weiblichen gen. sg. und
nom. pl. beider geschl. in na.
Yocalanlautenden männlichen subst. [Odonovan 71] schiebt der
artikel im nom. ein T; weiblichen im gen. H vor, welches H beide,
männliche und weibliche auch im nom. pl. empfangen, iasg fisch,
an tiasg der fisch, an eisg des fisches, na heisg die fische; ean vogel,
an tean der vogel, an ein des vogels, na hein die vögel, na nean
der vögel; aran brot, an taran das brot, an aran des brots; easbha
mangel, an easbha der mangel, na heasbha des mangels, na heasbodha
die mangel, na neasbhadh der mangel; oigh mädchen, na hoigh des
mädchens, na hoigh die mädchen, na nogh der mädchen. der gen.
pl. vocalanlautender subst. schaltet immer N vor.
Allen männlichen subst. mit muta [Zeusz 230] verleiht der artikel
im gen., allen weiblichen im nom. sg. aspirata; in beiden geschlechtern
371 aber hat der nom. pl. ursprünglichen, der gen. pl. eclipsierten anlaut.
pus lippe, an pus die lippe, an phus der lippe, na pus die lippen,
na bpus der lippen; bard dichter, an bard der dichter, an bhaird
des dichters, na baird die dichter, na mbaird der dichter; fir mann,
* das gesetz greift viel weiter und zeigt sich auch unabhängig vom
artikel in anlaut und umlaut:
nom. sg. bean frau nom. pl. mnä n. sg. bard pl. baird
gen. sg. mnä gen. bean gen. baird bard
und beherscht es nicht wunderbar die romanische flexion?
prov. nom. sg. amics pl. amic altfranz. amis ami
acc. amic acc. amics ami amis
prov. nom. sg. bels pl. bei altfranz. biaus biau
acc. bei bels biau biaus
diese romanischen formen entspringen allerdings aus lat.
amicus amici bellus belli
amicum amicos bellum bellos
doch wie herrlich nutzte der sprachgeist die erlöschende form zu neuer
frischer regel, und waltete dabei nicht keltisches gefühl?
LAUTABSTUFUNG 261
an fir der mann, an f hir des manns, na fear die männer, na bhfear
der männer; cu hund, an cu der hund, an chuin des hundes; cos
fusz, an cos der fusz, an chois des fuszes, na cos die füsze, na gcos
der füsze ; gort feld, an gort das feld, an ghort des feldes, na ngort
der felder; trean held, an trean der held, an threin des helden, na
trein die helden, na dtrean der helden; tonn welle, an tonn die welle,
an thonn der welle, na tonntha die wellen, na dtonntha der wellen;
drubh wagen, an drubh der wagen, an dhrubh des wagens, na drubh
die wagen, na ndrubh der wagen.
Beispiele weiblicher: ploc wange, an ploc die wange, na pluice
der wange, na pluice die wangen, na bploc der wangen ; bean frau,
an bhean die frau, na hean der frau, na bean die frauen, na mbean
der frauen; fearnog erle, an fhearnog die erle, na fearnog der erle,
na fearnog die erlen, na bhfearnog der erlen ; colam taube, an cholam
die taube, na colaime der taube; cailleach hexe, an chailleach die
hexe, na gcailleach der hexen; cluas ohr, an chluas das ohr, na cluas
des ohrs, na cluas die ohren, na gcluas der ohren; glac hand, an ghlac
die hand, na glac der hand, na glac die hände, na nglac der hände;
tir land = lat. terra, an thir das land, na tire des landes, na tire
die länder, na dtire der länder; daif trank, an dhaif der trank, na
daif des tranks, na daif die tränke, na ndaif der tränke.
Die mit S haben das eigne, dasz der artikel vor ihnen überall
eclipse fordert, wo sonst aspiration [Odonovan 70]. männliche setzen
demnach ihren artikel so: sal ferse = altn. hcell, ags. hei, an sal die
ferse, an tsal der ferse; sruth gelehrter, an sruth der gelehrte, an
tsruith des gelehrten, beispiele weiblicher : sron nase, an tsron die nase,
na srone der nase; slat ruthe, an tslat die ruthe, na slaite der ruthe;
suil äuge, an tsuil das äuge, na suile des auges. da der pl. in kei- 372
nem geschlecht aspiration leidet, so bleibt das S im pl. unversehrt.
Durch leicht erklärliche fortwirkung geht auch auf die den subst.
nachgesetzten adjectiva [Odonovan 344] die eclipse über: an fear trean
der starke mann, na bhfear dtrean der starken männer ; an aül ard
die hohe klippe, nan aill nard der hohen klippen.
Da mit dem gen. pl. die possessiva ar noster, bhar (bhur) vester
nahe zusammenhängen, ist nicht zu verwundern, dasz nach ihnen
und nach dem gen. pl. a = eorum eclipse stattfindet: bad boot, ar
mbad unser boot; bard dichter, ar mbard unser dichter; cos fusz,
bhur gcosa eure füsze; dann nachkommen, ar gclann unsre nach-
kommen ; tir land, bhur tdir euer land ; tonn welle, ar tdonna eure
wellen ; doigh hofnung, a ndoigh deren hofnung. der gen. sg. a ejus
(masc. und fem.) wirkt dagegen aspiration : pian dolor, a phian ejus
dolor ; bo vacca, a bho ejus vacca ; fuil sanguis, a f huü ejus sanguis ;
cos pes, a chos ejus pes; ceann caput, a cheann ejus caput; toil
voluntas, a thoil ejus voluntas; doras porta, a dhoras ejus porta;
sal calx, a shal ejus calx; suil oculus, a shuil ejus oculus; mathair
mater, a mhathair ejus mater.
Auf die verbalform wirken verschiedne vorgesetzte partikeln eclipse,
262 LAUTABSTÜFUNG
namentlich fragendes an ob, go dasz, da ob, iar nach, nocha nicht,
z. b. a bhfuil tu? bist du? an gceilir hehlst du? von ceilim celo;
go gceilir dasz du hehlest; da gceilfinn wenn ich hehlte; iar geeilt
nach dem hehlen; nocha geeilim ich hehle nicht; ba erat, da mbadh
si esset.
Einzelne partikeln haben gleiche Wirkung vor Substantiven: bliad
annus, a mbliadhna hoc anno; trasta huc usque, go dtrasta; cein pro-
cul, a geein; eul tergum, a geul a tergo; troid pes, a dtraide stante
pede; fior verus, Iar bhfior verissimus; ceann caput, a geeann in ca-
pite; dail oecursus, a ndail obviam; an tigh domum, a dtigh domi.
Merkwürdig ist, dasz die zahlen VII— X den folgenden conso-
nant verdunkeln, nicht I — VI. [vgl. ordinale. Odonovan 345.] es
373heiszt aon chos, dha chois, tri cosa, ceitre cosa, sC cosa, hingegen
seacht geosa, ocht geosa, noi geosa, deich geosa. seacht gcaoirigh
sieben schafe, ocht mbliadhna acht jähre, von caor, bliadh.
Im welschen [Spurrell 131] stellt sich der Wechsel so dar:
P B PH MH C G CH NOH T D TH NH
BMF G NG W D N DD
statt MH scheint die theorie zu fordern MPH, für NH NTH und P T
ausgefallen, wie neben M und N die media B und D. dem irischen
Übergang des F in BHF, des S in T gleicht hier nichts, wogegen
eclipse des M in F stattfindet, welches in der ausspräche dem ir.
BHF gleichsteht.
Wurzelhaftes P kann also hier in drei laute überlaufen, in B
PH und MH (z. b. pen haupt in ben phen mhen), C in G CH NCH
(cän lied in gän chän nchän; cär freund in gär chär nchär), T in
D TH NH (tad vater in dad thad nhad); wogegen wurzelhafte media
nur zwei laute erreicht: B M und F (bara brot, mara fara; braich
arm, mraich fraich), G NG und W (gwr mann, ngwr wr) und D N
DD (duw gott, nuw dduw; dyn person, nyn ddyn).
Hält man welsche zu den ir. formen, so ergibt sich beider ana-
logie. welsches braich mraich fraich = ir. brac mbrac bhrac; wel-
sches gwr ngwr wr = ir. fir bhfir fhir; welsches duw nuw dduw =
ir. dia ndia dhe. dasz ir. F dem welschen GW entspricht, wurde
schon s. 306 gesagt, dem GW schlosz sich vornen leicht N an. oft
aber verdeckt sich die gleichheit, wenn eine änderung des wurzel-
lauts das wort in andere reihen wirft; manche vocalanlautige irische
haben in welscher spräche consonanten empfangen, z. b. aran brot
ist welsches bara, iasg fisch welsches pysg, athair vater welsches tad;
das letzte läszt sich aus irischem an tathair der vater leiten.
'Auch die bedingungen des welschen wechseis weichen ab. der
artikel lautet vor consonanten y und hat keinen einflusz auf sie: y
brenin der könig (nicht y frenin). desto stärkeren üben vorgesetzte
possessiva: pen head, ei ben his head, ei phen her head, fy mhen
my head; bara bread, ei fara his bread, fy mara my bread; cär friend,
ei gär his friend, ei chär her friend, fy nchär my friend; can song,
374 ei gan his song, ei chan her song, fy nchan my song ; garth a ridge,
LAUTABSTUFUNG 263
ei ngarth his ridge, ei warth her ridge; gwas servant, ei ngwas his
servant, ei was her servant; tad father, ei dad his father, ei thad
her father, fy nhad my father; duw god, ei dduw her god, fy nuw my
god. doch mag einiges schwanken, welch groszer unterschied aber vom
irischen brauch, wo das a his und her bedeutet, und in beiden fällen
aspiriert, während das welsche ei his eclipsiert, ei her aspiriert.
Die Zahlwörter anlangend, so aspirieren tri und chwech: tri
chär drei freunde, chwech chär sechs freunde, pump und deg eclip-
sieren: pum mlynedd fünf jähre, deng mlynedd zehn jähre statt pump
blynedd, deg blynedd. hier leiden die Zahlwörter rückwärts änderung,
dem pump wird sein auslaut genommen, in deg geht nasallaut ein.
Armorischer Wechsel:
PBF KGCH T D Z
B V G CH DZ
wobei vorzüglich das Z für welsches TH und DD wahrzunehmen ist.
M in V gilt gleichfalls.
Hier lautet der artikel ar (vor lingualen ann) und hat gleich
dem irischen kraft den cons. des subst. zu ändern, doch auf ver-
schiedne weise: peden priere, ar beden la priere; ker ville, ar ger
la ville; töen toit, ann döen le toit; bäz bäton, ar vaz le bäton;
göz taupe, ar chöz la taupe.
Einige possessiva wirken eclipse, andere aspiration: penn tete,
da benn ta tete, va fenn ma tete, hC fenn sa tete, hö fennou leurs
tetes; va breur mon frere, hö preur votre frere; da dreid tes pieds,
va zreid mes pieds; ki chien, va chi mon chien.
Partikeleinflüsse: deiz tag, pe zeiz? welcher tag?; kleiz link, a
gleiz links; deou recht, a zeou rechts; bäg boot, dre vag im boot;
glaz blau, peuz chlaz ziemlich blau; mad gut, re vad zu gut. be-
sonders in der conjugation: bezinn ero, ra vezinn ut sim; pedinn
rogabo, ra bedinn ut rogem; bezez esses, pä vezez cum esses; kär
amat, ne gär non amat.
Einflüsse der zahlen: bara brot, daou vara zwei brote, derv.an375
eiche, diou zerven zwei eichen, merch mädchen, diu verch zwei mäd-
chen, ki hund, tri chi drei hunde, ti haus, tri zi drei häuser, penn
köpf, pevar fenn vier köpfe, plach mädchen, peder flach vier mädchen,
bioch kuh, pemp pioch fünf kühe, ki hund, nao chi neun hunde, gad
hase, d£k kad zehn hasen. aber ohne einflusz sind die zahlen chouech
seiz eiz (6. 7. 8).
Gleich den irischen ändern auch die armorischen adjective neben
dem subst. ihren laut: ar belek mäd der gute priester, ar veleien
vad die guten priester; ar paotr bräz der grosze knabe, ar baotred
vräz die groszen knaben.
Von besondrer Wichtigkeit scheint die verschiedne behandlung
des zweiten worts der Zusammensetzungen in diesen drei sprachen*.
Die irische pflegt es zu aspirieren, nicht zu eclipsieren. sie aspi-
* zu diesem verhalten der Zusammensetzungen musz das tilgen des
spiritus in der mitte von compositis genommen werden (s. 298).
264 LAUTABSTÜFTJNG
riert sogar nach liquidem auslaut des ersten worts: milbhior honig-
wasser, tiobarbhior brunnenwasser, beide von bior wasser; belbhinn
mundsüsz von binn dulcis; cammhuin krummrücke, name eines vogels;
camshuileach krummäugig, schielend; banfhile dichterin, von nie dich-
ter; morbheinn groszer berg, von beinn gipfel; morfhear groszer mann;
trenfhear mächtiger mann; muirbhran seerabe; muirgheilt meerweib,
von geilt; fionchaor Weintraube, von caor beere; dobharchu wasser-
hund, otter, von cu hund; fionghal geschlechtsmord , von gal mord.
um so mehr nach mutis : ardbheinn hoher gipfel, woher die silva ar-
duenna, die Ardennen; ardshagard hoherpriester ; ardchios hauptab-
gabe, von cios tributum; deigbheangutefrau; deighdhuine gutermann;
cocbhran dohle; leathchos halbfusz d. i. einfüszig; glasmhuir grünes
meer; ceartmheadhon centrum; von meadhon mitte, doch die lingua-
len T und D leiden nach liquidis keine aspiration, sondern bleiben
unverändert: brandubh rabenschwarz; glunndubh knieschwarz; ceann-
376 trean hauptstark; ceanndana von dana frech, ich finde auch mactire
söhn des landes, wie die dichter den wolf nennen, nicht macthire.
Das zweite welsche wort erfährt aber nach liquiden häufig eclipse,
nicht aspiration: coelbren losz, holz zum wahrsagen, von pren holz;
mangän feine blute, von cän; mangoed feines holz, von coed; brenin-
bysg königsfisch, von pysg, wahrscheinlich der königlichen tafel vor-
behalten; brenindy königshaus, von ty; tanfaen von maen (s. 336);
morgad Seegefecht, von cad; morgant seabrink, von cant; morben Pro-
montorium, von pen; morbysg meerfisch; gorboeth valde calidus von
poeth; dwrgi otter, von ci, jenes ir. dobharchu; morgi meerhund, ein
fisch. Nach mutis aber aspiration: coegfran, der eitle rabe = dohle,
ir. cocbhran; coegfalch eitelstolz, von balch; coegddal stockblind, von
dall; mabddall blindgeboren; mabddysg tutela puerorum; mabwraig
virago, von gwairg virgo. Auch findet sich asp. nach liquidis : bre-
ninfraint regis Privilegium, von braint; manddarnau feine stücke, von
darn; manddaill zartes laub, von dail; manwyn feiner schmerz, von
gwyn; manwythen feine ader, von gwythen; morfarch seepferd, von
march ; morfil seethier, von mil ; morfran seerabe, von bran, ir. muir-
bhran; morwennol meerschwalbe, von gwennol; morwiber von gwiber
vipera; mawrddrug groszes übel, von drwg; mawrfryd groszmut, von
bryd. mit dem präfix gor = super werden eine menge wörter ge-
steigert, einzelne aber nach verschiedner bedeutung bald aspiriert, bald
eclipsiert: pwyll impulse, reason, wit, gorphwyll madness, gorbwyll
intimation; pwys state of rest, pressure, weight, gorphwys repose,
gorbwys dependance; pen head, beginning or end, gorphen, conclu-
sion*, gorben preeminence. folgende sind nur aspiriert: trwm gra-
* den namen gorphenhaf deutete ich s. 103 stärke des sommers, weil die
cornische forin gorephan bietet und phan dem welschen hefin sommer gleich
schien; da aber in haf (eigentlich fülle) der begrif des sommers ausgedrückt
wird, kann er nicht auch in phen liegen, und gorphenhaf scheint entweder
schlusz oder gipfel des sommers, vielleicht wäre an efan lauf, bewegung zu
denken?
LAUT ABSTUFUNG 265
vis, gorthrwm pergravis ; tywys dux, gorthy wys summus dux ; gwag 377
vanus, gorwag vanissimus; gwar mansuetus = goth. qairris, gorwar
valde mansuetus.
Auch die armorischen composita schwanken zwischen eclipse und
aspiration, z. b. dourgi otter = welsch dwrgi ; mörvran = mörfran.
dies idiom läszt sogar lose, wenn nur im sinn verbundne Wörter auf
einander wirken, wenn das erste weiblich ist: pöan benn dolor capi-
tis, pöan galonn dolor cordis.
Mahnen diese keltischen composita an unser ahd. ebenbilde und
werltpilde (s. 366)? diese Verschiedenheit der anlaute, je nachdem
andere wörter vorausgehn, an Notkers regel? auch er würde nach den
cardinalzahlen abwechseln, z. b. zwei bleter, driu bleter, fior bleter,
fünf pleter, sehs pleter, siben bleter, ahto bleter, niun bleter, zehen
bleter schreiben, der Wechsel zwischen na fear und na bhfear (spr.
na vear) gleicht er nicht dem mnl. zwischen tfolc und volc, tfelt und
velt (s. 368)?
Nur ist des deutschen wechseis Ursache immer klar und in Ver-
schiedenheit der auslaute nachgewiesen, während der keltische zwar
auch vom anstosz vorhergehender Wörter abhängt, aber eigensinnig un-
ter scheinbar gleichen umständen bald einzutreten, bald nicht einzutre-
ten pflegt, bei Notker tauschen die mutae rein phonetisch, überall
wo die bedingung dazu eintritt; die keltische spräche macht hingegen
von ihrer regel dynamischen gebrauch (s. 293) und weisz durch sie
wichtige unterschiede der casus und geschlechter zu verdeutlichen.
Wie der sprachgeist insgemein alle willkür meidet und seine ge-
heimen triebe oft verbirgt ; sollte nicht jener eigensinn blosz schein-
bar, und der vorangehende auslaut, wo er unbegreiflich wirkt, ver-
stümmelt sein, so dasz er in seine volle gestalt zurückgeführt leicht
begriffen würde? die praxis der spräche hielt an den Wirkungen
fest und liesz deren Ursache schwinden.
Aus dem einflusz der irischen zahlen seacht ocht naoi und deich
schöpfte Bopp die folgerung, dasz ihnen von haus aus die endung -n
gebühre (vgl. oben s. 243) und in diesem N ihre kraft beruhe, den 378
nächsten anlaut zu ändern; weshalb die organisch vocalschlüssigen
andern zahlen solche Wirkung nicht äuszern. in den nicht ganz hierzu
stimmenden welschen und armor. zahlen scheint die ir. regel etwas
entstellt.
Anderes gestatteten die vocalanlautigen subst. zu folgern, das N
vor ihren gen. pl. scheint nicht sowol füllung des hiatus, sondern
dem artikel zuständig, na nean, na niasg, na nogh, na neasbhadh also
sind eigentlich nan ean, nan iasg, nan ogh, nan easbhadh, und da-
durch erklärt sich nun auch vor mutis die eclipse im gen. pl., na bpus
na bploc na gcluas na dtrein na dtire stehn für nam pus nam ploc
nan cluas nan trein nan tire, was aber na bus na bloc na gluas na
drein na dire gesprochen wird, bei wurzelhafter media konnte die
liquida des artikels sich noch enger an die muta des nomens schlieszen,
statt nan baird nan bean nan gort nan glac nan drubh nan daif ergab
266 LAÜTABSTÜFÜNG
sich engeres nambaird nambean nangort nanglae nandrubh nandaif,
was man pedantisch schreibt na rabaird oder gar na m-baird, da es
doch in der gleitenden ausspräche zu namaird namean nanrubh nanaif
wurde; nangort nanglae blieben.
Dasz der männliche artikel im gen. sg., der weibliche im nom.
sg. aspiriert, der männliche im nom. sg., der weibliche im gen. un-
aspiriert läszt, leitet Bopp her aus früherem vocalischen ausgang der
aspirierenden, aus früherem -s der nicht aspirierenden form, dies
scheint das vermutlich aus S hervorgegangne H zu bestätigen, wel-
ches dem gen. sg. weiblicher nomina, die auf vocal anlauten, und
dem nom. pl. beider geschlechter vorgeschoben wird, na heasbha ist
also nah easbha = nas easbha, und vor diesem nas haftet unverwan-
delte muta in na pluice na bean u. s. w. Den Vorschlag T in an
tiasg, an taran hat man wiederum zu fassen als ursprünglichen aus-
gang des männlichen artikels ant iasg, ant aran [Zeusz 230], welches
ant Bopp aus ans deutet, womit jedoch der Wechsel zwischen an sal
und an tsal, an tslat und na slaite (s. 371) nicht recht übereintrift.
379 Mir fällt ein, ob nicht ant aus häufung beider demonstrativstämme
an = litth. anas, t = litth. tas zu leiten sei? wie die altn. spräche,
nur in umgedrehter folge sä inn, pess inns (gramm. 4, 379. 431),
die mnl. de gone (4, 447) verknüpft, auch gliche das vorgesetzte
T in taran tiasg dem vorstehenden D in derda dougen dandern dander
(4, 370. 372). wo das T steht, oder hinter dem an früher gestan-
den haben musz, unterbleibt die aspiration, und muta ändert sich
nicht; ebenso könnte sie im gen. sg. fem. ein weggefallnes -s ge-
hindert haben, die auslaute T oder S hemmen also aspiration und
eclipse, vocalauslaut ruft aspiration und eclipse, der auslaut N eclipse
hervor. Man kann sagen, vocal und liquida wirken auf den folgenden
cons. erweichend, muta erhält ihn unverändert, recht verstanden ist
das auch erfolg der notkerschen regel, welche nach vocal und liq.
den folgenden cons. weich, nach muta hart verlangt, dem ahd. organ
ist freilich der harte laut regel, der weiche ausnähme und in sofern
kann angenommen werden, dasz auslautende muta den anlaut ändere,
vocal und liq. aber unangegriffen lasse, wo der keltische anlaut un-
geändert haftet, darf im auslaut muta, wenn sie mangelt, früher vor-
handen geglaubt werden.
Was man aber auch von diesen deutungen urtheile (und das Ver-
hältnis der welschen und armor. spräche zur irischen führt grosze
Schwierigkeit mit sich); das factische Vorhandensein der keltischen
lautwechsel ist in der geschichte unsrer urverwandten sprachen eine
der eigenthümlichsten erscheinungen, und fernerer forschung werth.
Zumal räthselhaft scheint der eintritt oder nichteintritt des wechseis
nach denselben partikeln, wenn sich die bedeutung ändert, oder der
welsche unterschied zwischen gorben und gorphen. hier wird es fast
unmöglich die Verschiedenheit der wirkung, dem buchstab und dem
sinn nach, von einem ausgefallnen laut abhängig zu machen.
Es verdient alle aufmerksamkeit, dasz der irische vortritt des T
LAUT ABSTUFUNG 267
und H vor vocalen, so wie der Wechsel zwischen S und TS (sprich T)
den beiden übrigen sprachen mangelt, statt des ir. athair aran und
iasg erscheint welsches tad bara und pysg, und wie athair dem atta 380
(s. 271), aran dem gr. ägtog, begegnet pysg dem lat. piscis, goth.
fisks, tad dem lat. pater goth. fadar. tiasg aber vermittelt piscis,
wie tathair tad und pater. ir. tir = lat. terra könnten wiederum zu
goth. airpa ahd. erda stehn gleich dem tad zu athair, man erwäge
fälle wie olyog n6l%og (s. 326) und ähnliche. Ir. sron nasus ist
unverkennbar das gr. glv oder Qtg nach dem Wechsel zwischen S und
H*; ich vergleiche ihm aber auch den sl. namen des elefanten slon"
d. i. nasutus, mit Wechsel des R und L. der artikulierten form an
tsron (spr. tron) entspricht offenbar das welsche trwyn, altn. triona
rostrum, schwed. dän. tryne und ich möchte auch das mhd. drüzzel,
nhd. rüssel hinzu und rostrum f. trostrum nehmen, ir. sreanga ver-
gleicht sich unserm sträng, ir. sreamh dem ags. stream, ahd. ström,
die artikulierte form tsreamh (spr. treamh) zugleich dem mhd. trän,
so manigfach kreuzen sich diese laute. Was ist leichter als nach der
keltischen eclipse des B in M auch anderwärts den wandel zwischen
lac und mleko (bleacht mleacht) s. 326 332, zwischen bramor und
mramor ßvg^a^ und ^vq^itj^ (s. 327) zu fassen?
Übrig bleibt nun den consonantismus der romanischen, slavischen
und litthauischen sprachen zu erwägen.
So verschieden diese selbst unter einander sein mögen, bilden
sie einen bedeutsamen gegensatz zu den deutschen, griechischen und
keltischen, welchen zu entwickeln mir hier anliegt.
Diesen drei letztgenannten ist der Spiritus und die davon ab-
hängende aspiration in vollem und vollerem masze eigen, während
sie den ersteren fast entgehn.
Die Litthauer haben weder H noch aspirata, auch die Slaven
in heimischen Wörtern nicht, denn das böhm. H entspricht unserm
laut G und die Russen drücken sogar das H deutscher namen durch
ihr G aus. beiden gebricht TH und selbst in fremden namen lassen 381
sie es durch F vertreten, auch den laut F und die damit anheben-
den Wörter haben sie aus der fremde. CH ist zwar bei Polen, Böhmen
und Russen vorhanden, die Serben schreiben es nicht, oder sprechen
es mindestens nicht aus.
Der lat. spräche fehlte H nicht, wol aber CH und Th, ihr F
hatte auszer dem anlaut (wo es bald gr. G> bald X bald © vertritt)
geringen umfang, unter ihren romanischen töchtern ist die spanische
dem hauch die geneigteste und hat ihn anlautend auch für lat. F
(haba habla hazar hada u. s..w.) oder G (hermano) und den laut CH
verleiht sie ihrem G J und X vor E und I. Italiener gleich Fran-
zosen schreiben lat. H, ohne es zu sprechen, und ihr CH, gleich dem
span., hat nicht den laut der reinen aspiration.
* den beispielen s. 304 kann auch ir. sal = altn. hoell, ags. hei, engl,
heel zutreten.
268 LAUTABSTUFUNG
Wie wir einzelne sprachen zum H, andere zum S geneigen sahen
(s. 299 ff.), aus dem ursprünglich gutturalen digamma F und F sich
entfalteten (s. 296); so scheint hier der hauchende laut zur Ver-
feinerung der labialen, dort der sausende zu gesteigerter entwicklung
der gutturalen zu gereichen. Keiner spräche ist alles in allem ver-
liehen, dem nach einer seite hin voller ausgebildeten organ pflegt auf
der andern mangel und einfachheit gegenüber zu stehn. TH und DH
schlagen um in TS und DS, wofür der buchstab Z eingeführt wurde.
Die litthauische und slavische zunge erlangen eigenthümlichen und
gewaltigen ausdruck durch Verfeinerung ihrer lingualen und Ver-
schmelzung derselben mit gutturalen, woraus zischende und palatale
laute hervorgehn, die neben ihrer kraft unleugbare härte an sich
tragen, und dem deutschen oder keltischen organ so schwer fallen
wie dem slavischen die abstufung oder Steigerung unserer aspirierten
kehllaute. die slavische schrift, zumal die cyrillische weisz sie durch
eigne buchstaben gefüger zu machen, deren ich mich hier, schon um
den laut deutlicher vorzuführen enthalte; doch folge ich überall der
herkömmlichen litth. poln. und böhmischen bezeichnung.
Den Slaven steht auszer der tenuis T, media D und spirans S
382 zu ein Z (zemlja), das sie wie sanfteres S aussprechen und das wie
goth. Z lauten mag, ein SH (shivjete), das dem franz. J gleichkommt,
ein TZ (tzi) = unserm Z, ein SCH (scha) = unserm SCH, ein TSCH
(tscherv'), eine Verbindung der beiden letzten SCHTSCH (schtscha).
Die Polen aber schreiben für sh z, für tz c, für seh sz, für tsch cz,
für schtsch szcz; den Böhmen gilt z c H st (früher so). Nach der
polnischen hat sich gänzlich die litth. schrift geregelt ; eigen ist das
poln. s (smierc swiat) das die übrigen Slaven durch bloszes s aus-
drücken, jenes harte SCHTSCH, poln. szcz wird auch litth. SZCZ
geschrieben.
Das wichtigste ist nun den Ursprung und die abstufung dieser
Zischlaute zu gewahren, folgende regel gilt den Slaven:
Gr wird vor i je Z, vor e SH
K TZ TSCH
CH S SCH
z. b. bog" vnouk" douch" haben den nom. pl. bozi vnoutzi dousi,
den voc. sg. boshe vnoutsche dousche. aus mogu valeo wird moshem
valemus, mozjete valete; az ego fordert ein früheres azi (s. 260.
284); bjegu fugio curro steht neben bjeshu; metsch' ^d%aiQa goth.
mekeis altn. maekir. dasselbe musz aber auch auf anlaute gerecht
sein: zima steht für gima und entspricht dem ir. geimhra, lat. hiems,
gr. %u\mx>v. tzjesar' dem lat. caesar, sir" ögepavog dem gr. %r}Qoq.
shena dem gr. yvvtj. tscheljost' maxilla dem altn. kialki. sehest'
dem gr. £fj. Offenbar tritt vor i der härtere laut ein und e übt
wieder milderung auf ihn aus.
Da CH wahrscheinlich wie H gesprochen wurde, begreift sich
der Übergang von hi in si leicht, nach der oft bemerkten Verwandt-
schaft zwischen H und S; gi und ki wandeln sich analog in zi und
LAUTABSTUFUNG 269
tzi; vor e tritt noch die spirans zu, ge ke che werden she tsche
sehe. Der Wechsel hat aber auch unmittelbar vor liquiden statt,
z. b. in zrno = granum, shr"n"v" = qairnus, wo demnach zirno
sher"n"v" ältere form gewesen sein musz. SCHTSCH pflegt dem lat.
CT, goth. HT gleich zu stehn: bjeschtschi fugere currere, peschtschi
coquere, noschtsch' nox nahts, moschtsch' mahts (poln. böhm. noc 383
moc), vgl. lat. mactus = validus potens. doch für octo ahtau nicht
oschtsch', sondern osm' = ochim?
Hin und wieder schwankt die rückwirkung des i und e auf die
vorausgehende consonanz. oko oculus und oucho auris bilden den
dual, otschi ouschi, nicht otzi ousi; darf man daraus folgern, dasz
die org. endung otsche ousche war? der pl. otschesa ouschesa ent-
spricht der regel.
Viele sl. zischlaute sind auf diesem wege zu erläutern, man
erkennt dasz pisati scribere vollkommen das lat. pingere ist, dessen
nasallaut nicht zur wurzel gehört, wie das part. pictus und 7iOL%Uog,
ahd. feh, ags. fäh bezeugen, nicht anders zeigt goth. meljan, ahd.
mälön die gleichheit der begriffe schreiben und mahlen, um aber das
sl. S zu rechtfertigen, musz angenommen werden, dasz ihm früher
statt des a ein je folgte, pischjo scribo ist wie ouschi, pismja litera
wie osm'.
In den anlauten läszt sich nicht immer das einwirkende i oder e
bestimmt erkennen, auszer den vorhin beigebrachten vergleiche man
zemlja humus; zr'no granum; znati gnoscere; zlato gulj); shelud'
glans glandis; shiti shiv" vivere vivus = guivere guivus goth. qius
qivis; shr"g"v" qairnus; tschetyri quatuor (s. 347); tschto und kto
(s. 346); tschist" castus; tschrV vermis = evermis (s. 172) goth.
vaurms = hvaurms; tschrjevo venter ags. hrif ahd. hre'f (Graff 4,
1153); tschrjeda ags. corder ahd. chortar; tschjado ahd. chind;
schtschen'tz' poln. szczeni^ catulus (oben s. 39); tzr'k'V kirche
chiricha; tzjel sanus goth. hails ahd. heil; tzjata denarius goth. kintus;
s"to centum hund; darum schwanken auch die einzelnen laute. Be-
merkenswerth ist einigemal das haften der gutturalis bei Polen und
Böhmen, wo die übrigen Slaven zischen : tzvjet flos poln. kwiat böhm.
kw&t; zvjezda stella poln. gwiazda böhm. kwezda und auch litth.
zwaigzde, lett. swaigsne ; zvizdati sibilare poln. gwizdac böhm. hwizdati*.
Die sl. zischlaute dürfen aber auch aus wurzelhaften lingualen 384
unmittelbar entspringen, vedu dueo hat den inf. vestiund vom gleich-
bedeutigen voshdjo lautet der inf. voditi, vgl. voshd' dux. mazati
ungere macht mashjo ungo, maslo unguentum.
Von der sl. unterscheidet sich die litthauische spräche darin be-
* hierher gehört ein ähnlicher ahd. Wechsel zwischen ZUI und QUI: zuei
quei, zuifalt und quifalt, zuiro bis und quiro, zuivalön dubitare und quivalön,
zuiont frondosus und quioht, zuirnön torquere und quirnön, zueön haesitare
und queön. ahd. zuisila furca ist altn. qvisl ramus, nhd. zwist dissidium altn.
qvistr ramus. alles das gleicht dem Übergang des S in H, des T inK. ist aber
s. 350 für zvizdati richtig vermutet fistulare, so wechseln alle drei organe.
270 LAUTABSTÜFÜNG
deutend, einmal dasz sie den zischlaut nicht vor einfachem i, sondern
blosz vor dem diphthongischen ia iau ie io iu, zuweilen vor ei, dann
dasz sie ihn hauptsächlich aus der lingualtenuis und media entfaltet.
T wird zu CZ, D zu DZ. marti sponsa gen. marcziös; zaltis serpens
gen. zalczio; smertis mors gen. smerczio; retis cribrum gen. reczio;
pats ipse pacziam sibi ipsi, pati ipsa pacziös ipsius ; butu esset bucziau
essem; pauksztis avis gen. paukszczio; sweczias hospes, voc. swettie,
loc. swetije ; naktis nox, nakczei nocti, alle weibl. participia praes.
auf -nti bekommen im gen. -ncziös. zodis verbum gen. zodzio ; bredis
alce gen. bredzio; szirdis cor, szirdzei cordi, gen. pl. szirdziu; didis
magnus, gen. didzio, dat. didziam; püdas olla, püdzius figulus; beda
miseries, bMzius miser; edmi edo, edzia gluto.
K und Gr ändern sich in gleicher läge nicht, z. b. von akis ocu-
lus, zwake lux lautet der gen. pl. akiu zwakiu, von rog£s traha der
gen. sg. rogiü, von zogis inundatio zogio, von pusnogis seminudus
pusnogio, von begu curro b>i currere stammt begioju das frequen-
tativum, und b>i steht ab vom sl. bjeschtschi. Ebenso haften beide
im anlaut : kietas durus, kiezas caseus, wo die Letten zeets durus
haben; gelezis ferrum, geltonas flavus, girnos mola statt des sl.
sheljezo, shl"t, shr"n"v", im lett. wiederum dselse, dseltens, dsirnus.
auch statt des litth. akis lett. azs.
Doch finden litth. ausnahmen platz, welche zischlaute für kehl-
385 laute gewähren: berzas betula, russ. bereza, lett. behrse, ahd. piricha;
auzolas lett. ohsols quercus, ahd. eih und eichila glans ; sluga servus
sluziti servire; meziu mingo, altn. mig; laizau lingo, l^zuwis lingua,
lizus finger woran man leckt; wezimmas, weszti (oben s. 60); ozis
caper oszka capra, gr. al'£, lett. ohsis caper; macis mace macht, poln.
moc, pamaczius auxilium; peczus fornax, sl. peschtsch'. anlautend
czystas, sl. tschist", lat. castus.
Allerwärts aber scheint sl. CH übergehend in S durch SZ, nicht
blosz vor jenen dünnen diphthongen, sondern selbst vor a o u ver-
treten, inlautend wie anlautend, es entspricht dann meistentheils dem
ahd. H, zuweilen aber auch CH. dies ist der laut, den ich dem ge-
tischen Z beigelegt habe.
asz ego, skr. aham; isz ex; aszwa equa, skr. asva; aszara la-
crima, lett. assara, skr. asru, wahrscheinlich eins mit öcckqv tagr
zahar und lacrima (s. 300); aszis axis, ahd. ahsa, lett. ass; dusz£
anima, sl. douscha, poln. dusza, lett. dwehsele; deszimtis decem dexa
skr. dasan goth. taihun; deszine' dextera, sl. des'n" dexter, gr. ds^id
goth. taihsvö ahd. zesawa; laszisz poln. losos ahd. lahs; waszkas sl.
vosk" ahd. wahs; szeszi sex goth. saihs; parszas porcus, ahd. farh,
poln. prosiej praszau lat. precor, it. prego, goth. fraihna, sl. prositi
poscere; wyszna, poln. wisnia, serb. vischnja Weichselkirsche; meszlas
fimus, goth. maihstus, ahd. mist; asztüni octo, goth. ahtau; lasztingala
ahd. nahtigala. anders verhalten sich auksztas und anksztas, die den
kehllaut hegen, und dem lat. augustus angustus genau entsprechen; wie
aber pauksztis avis zu fassen? sein K entspricht dem goth. G in fugls.
LAUT ABSTUFUNG 271
Beispiele für den anlaut: szaltas goth. kalds, lat. gelidus, aber
sziltas ealidus ; szarma pruina, altn. hrim ; szaurys nordwind, das lat.
caurus corus westwind; sz£nas lat. foenum, sp. heno, finn. heinä;
szimtas centum; szirdis cor, hairtö; szü canis, hunds.
Alle romanischen sprachen scheinen angesteckt von diesem trieb,
den kehl und Zungenlaut zu versehren, wenn die feinen oder dünnen
vocale nachfolgen. Im latein behauptete sich reines CI CE (gesprochen
KI KE), Gl GE, TIA TIO TIU ungefähr bis zum sechsten siebenten jh. 386
(Leop. Schneider 1, 244. Diez 1, 197. 198. 215. 224); die von
Gothen und andern Deutschen entlehnten lat. Wörter sind unverwerf-
liche zeugen für die vorher noch fortbestandne alte ausspräche.
Den Walachen wird anlautendes K vor e i ie io lingual: kedru
cedrus, kiklop cyclops lauten tjedru tjiklo; inlautend zu TSCH: ark
artsche, vak" vatschi. anlautendes G bleibt in gleicher läge rein,
inlautendes wandelt sich in DSCH : larg lardschi, merg merdschi. T
erhält sich überall rein. SCHT haben sie für sl. SCHTSCH in schtuk
hecht, schüre lat. scire.
Italienisches C und G wird vor e und i wie TSCH und DSCH
gesprochen, im anlaut und inlaut; soll die gutturalis aufrecht bestehn,
so tritt H zu: CHE CHI, GHE GHI hauptsächlich da, wo lat. u und 1
nachfolgte, inlautende CC und GG vor den feinen vocalen wie TTSCH
DDSCH. T bleibt durch sie unangegriffen, auszer wo dem i noch ein
vocal folgt, d. h. lat. tia tio tiu wandeln sich in zia zio ziu. diese
gleichen also den litth. czia czio cziu (dem grundsatz, nicht der aus-
spräche nach), da auch im litth. T vor bloszem i haftet, dia dio die
bleiben im anlaut, mit ausnähme von giorno (diurnus) ; mlat. änderte
man gleichfalls diabolus diaconus in zabolus zaconus (Diez 1, 228).
inlautend aber entspringen orzo mezzo razzo pranzo aus hordeum
medius radius prandium. anders oggi aus hodie d. i. hoc die, und
neben razzo gilt raggio, wie ragione für ratio, cagione für causa
neben cosa. lat. CT und PT assimiliert in TT: retto rectus, rettare
reptare, atto actus, atto aptus, latte lacte, cattare captare, otto octo,
ottimo optimus. das zusammenfallen beider mahnt an den deutschen
Wechsel zwischen lucht und luft, kracht und kraft, wie an die altn.
assimilation mättr nättr ätta f. goth. mahts nahts ahtau.
Spanisches C vor den feinen vocalen empfängt den zischenden
laut des franz. C, einem verdickten S ähnlich; span. G aber bleibt
noch guttural mit zugefügter aspiration, etwa GCH, hauchender als
das it. GH, mit derselben ausspräche, die dem J und X vor allen
vocalen zu theil wird. CH lautet überall wie TSCH; merkwürdig 387
vertritt es inlautend lat. CT = ital. TT: ocho octo, noche nocte,
pecho pectus, leche lacte, hecho factus, cincho cinctus, Sancho Sanctius
(neben santo sanctus). T und D, wo sie geschrieben stehn, werden
immer rein ausgesprochen, auch in tia tio (it. zia zio) dia dios, in-
lautend aber ist natio in nacion, ratio in razon übergetreten, und
auszer radio gilt rayo, für badius bayo.
Noch weiter vorgeschritten ist die französische spräche, indem
272 LAÜTABSTÜPÜNG
sie auch vor <Jen starken vocalen den reinen laut C aufgegeben und
es in CH mit der ausspräche SCH gewandelt hat : chaleur calor, champ
campus, chanter cantare, chose causa ; nur in später aus dem latein
oder andern roman. dialecten aufgenommnen Wörtern haftet der Klaut,
wie in cause, oder statt des lat. QU, wie in casser quassare, quatre
(spr. catre) quatuor. Vor feinem vocal lautet C gleich dem span. wie
dickes S, CH aber gleichfalls SCH. altfranz. schwanken C und CH
nach der mundart (Diez 1, 202). G vor feinem vocal lautet wie sl.
SH (shivjete) und gleich dem J vor allen vocalen. C vor T wird aus-
gestoszen: droit toit lait fait nuit huit, wo früher noch droict toict
laict faict nuict huict geschrieben wurde, wie depte debte f. dette,
und noch heute sept. Im anlaut bleiben TIE und DIE rein: tiede
tepidus, tiers tertia pars, dieu deus, inlautend wird T wie S gesprochen
oder auch geschrieben: nation, contemplation, raison, zuweilen geht
DI in Y auf: rayon radius, glayeul gladiolus (die pflanze schwertel).
Solches zischenden, schmelzenden drangs haben endlich auch die
deutschen sprachen sich nicht ganz erwehren können, wie die hoch-
deutsche organisches S in SC und SCH und die aspiration TH in Z
= TS wandelte, wird im verfolg gezeigt werden; doch die anlaute
TSCH DSCH und vollends SCHTSCH widerstehn uns, inlautend dulden
wir fatschen klatschen patschen plätschern glitschen rutschen.
Am auffallendsten hat sich die schwedische tenuis K verändert,
sie lautet vor den dünnen vocalen ganz gleich dem T vor ie io iu,
und kek maxilla, kisel silex, här carus, kysk castus werden ausge-
388 sprochen wie tjena servire, tjäder tetrao, tjugu viginti, nemlich tschek
tschisel tschär tschysk tschena tschäder tschugu. die schwed. gram-
matiker lehren TJ auszusprechen, doch hört man TSCH. tschysk
begegnet dem sl. tschist". Die media Gr lautet in gleicher läge wie
J und da auch D vor J kaum gehört wird, kommen gjuta und djup
in der ausspräche juta jup zusammen; ja L, das wir dem D oft
verwandt sahen (s. 353), verstummt (s. 320): ljuf — juf.
Altn. und dän. K bleibt rein, doch nähert sich der schwed.
weise, dasz ihm zuweilen i oder j nachgesetzt wird, z. b. dän. kiär
carus, kiöbe emere, kiöd caro = schwed. kär köpa kött spr. tschär
tschöpa tschött.
Noch entschiedner waltet hang zum zischlaut bei den Friesen
und Engländern.
In den altfries. gesetzen findet sich statt K vor e i ia ie iu bald
SZ STH bald TZ TS geschrieben: kiasa eligere tziasa szesa; kerke
ecclesia sziurke tszurke sthereke; keke maxilla sziake ziake tzake
sthiake; ketel cacabus szetel sthitl tsietel, unbeholfne ausdruckswei-
sen des Zischlauts TSCH. Ebenso inlautend: resza bresza wiszing
sp§sze f. reka breka wiking speke; thensza hlenszene skenszia f.
thenkia hlenkene skenkia ; und für G : brensza afferre, thinsza judicare,
henszia concedere, fenszen captus. später wird auch mit bloszem S
geschrieben fensen, brensa.
Das ags. organ verunstaltet noch kein C vor e und i, geschweige
LAUTABSTÜFUNG 273
vor den starken voalen. im engl, aber finden wir statt des ags.
ceace cldan cild cyrice geschrieben cheek chide child church und
gesprochen tscheek tschide tschild tschurtsch. das CH scheint mit
romanischen Wörtern wie chariot, chase, chaste u. s. w. eingekehrt
und im laut vergröbert. Wörter sächsischen Ursprungs behaupten
reines 0 : cold, candle, ags. ceald, cändel. ags. CG = altn. GG tritt
über in engl. DG (spr. DSCH) z. b. in edge hedge pledge.
Frei von der dargestellten affection der kehllaute erscheinen
demnach die griechische, lateinische, keltische, gothische, überhaupt
die altdeutsche spräche; erst seit dem siebenten jh. beginnt sie in
der romanischen, von andrer Seite her später aber auch in der schwe- 389
dischen, friesischen und englischen aufzutauchen*, der slavischen
musz sie von uralter zeit an eigen gewesen sein, wie sie in ihr am
feinsten ausgebildet scheint mit unterschiedner einwirkung des i und
e, die in den übrigen sprachen zusammen rinnt. Es ist bekannt,
dasz sie auch schon dem sanskrit beiwohnt.
Ihr ursprünglicher grund liegt in dem vocal I, dessen einflusz
auf consonanten und vocale gleich mächtig ist. wie dieser vocal selbst
unmittelbar in J (s. 294) und dann weiter in G und K aufsteigt; so
empfängt J alsbald einen anflug von S im sl. shivjete, der sich dann
noch im scha und tscherv' steigert, man darf dies auch so aus-
drücken: vom J an entfaltet sich ein palatales organ DSCHA TSCHA,
das mit gutturalen und lingualen sich zu binden fähig wird, aus
majus gieng madius (Ducange s. v.) und it. maggio, wie aus major
maggiore, aus pejor peggiore hervor; lat. medius aber ward zu it.
mezzo, it. mediano zu franz. moyen.
Die entfalteten slavischen und romanischen lautverhältnisse em-
pfangen ihr volles licht durch den schon im sanskrit begründeten
uralten übertritt gutturaler buchstaben in palatale, worauf ich nicht
einzugehn brauche. Noch näher ein schlägt die eigenthümliche läge
des lat. und deutschen J zum gr. Z und zu andern lingualen : Jovis
entsprang aus Dijovis Djovis gleich it. giorno aus diurnus und jenem
zabulus aus diabolus ; das gr. Zevg gen. z/tög steht neben djaus und
Tius ahd. Zio (mythol. 175), tpyov neben jugum und juk**, ^evyvvfit
neben jungo u. s. w., eine menge der sl. und litth. Zischlaute ent- 390
spricht den skr. palatalen, wie die beispiele des folgenden capitels
darthun.
Diez 1, 203 nimmt wahr, der ausfall des C vor e i in dire fare
* etwas anders ist, dasz bei dem uralten Wechsel gutturaler und j>a-
lataler zischender laute einzelne spuren schon seit frühster zeit auch im
deutschen haften mögen, als ausnahmen, nicht als richtung der lebendigen
spräche, ein merkwürdiges beispiel gibt das durch alle unsere dialecte
reichende lisan im Verhältnis zum lat. legere (it. leggere) und gr. Xeyeiv,
mit dem doppelten sinn des sammelns und schritt lesens; für den anlaut
aber das ahd. sliozan claudere sluzil clavis, wo sich S und K verhalten wie
im sl. slouti und lat. cluere. man kann auch die form scliozan nhd.
schlieszen anschlagen.
** vgl.PlatonsCratylus418 über t,vyov f. övoyöv, ^rjixla f. daftla damnum.
Grimm, geschickte der deutscheu spräche. 1 8
274 LAÜTABSTUFUNG
faire luire taire müsse statt gefunden haben, als dem C noch Klaut
beiwohnte, da der schärfere zischlaut nicht so leicht unterdrückt
worden wäre.
Hier sei diesen Untersuchungen, die sich noch auf andere puncte
richten könnten, ein ziel gesteckt.
Wie sich vocale und consonanten oft in einander spiegeln ist
auch die analogie des abgestuften consonantlauts mit den Störungen
des vocalismus durch umlaut und brechung nicht zu verkennen.
Diese hiengen von vocal und consonant ab, wie die consonan-
tische stufe von vocal und consonant.
Kurzer vocal gleicht einfacher consonanz, das gewicht langer
vocale dem verdoppelter consonanz, zusammentritt verschiedner con-
sonanten den diphthongen und triphthongen.
Gemination und häufung des consonants hegt kurzen vocal, wie
umgekehrt langem vocal gern einfache consonanten folgen, aus Ver-
bindung eines vocals mit consonant kann gemination, aus der eines
consonants mit vocal diphthong entspringen.
Der lat. spräche enthaltsamkeit in consonant Veränderungen hängt
gewis mit der ungemeinen lauterkeit ihres vocalismus zusammen, in
den romanischen idiomen erscheinen beide vielfach verletzt, diese
sprachen sind rühriger als das latein, lange nicht mehr so gewaltig.
Die bildsame manigfaltigkeit der griechischen vocale entspricht
der gelenken ausbildung gr. consonanten. in der vorwaltenden neigung
zu hauch und aspiration trift sie bedeutungsvoll überein mit welscher
und deutscher spräche, wo sich die irische mehr dem latein anschlieszt.
An der gesamten keltischen spräche fällt nichts so sehr auf wie
der geschilderte Wechsel stummer consonanten zu eingang der Wörter
391 und inmitten der Zusammensetzungen, er bekundet feines lautgefühl
und verbürgt uns die geistige anläge dieses volks.
Ein zeuge kräftiger natur ist das slavische gepräge der Zisch-
laute, die auch manche andere spräche ergreifen und mit halb wei-
chem halb hartem ausdruck versehn.
Zwischen diesen hält die deutsche spräche eine gewisse mitte,
sie kam ehmals der lautreinheit des lateins unter allen am nächsten
und hat mit ihm den Wechsel des S in R gemein, mit den Griechen
und Kelten aspiration; jene keltische vorwärts gehende ein Wirkung
des auslauts auf den nächsten anlaut ist nur noch im deutschen schwach
zu spüren; wie aber den Kelten die consonanten, wurden uns im
system der ablaute die vocale dynamisch, von einer andern eigen-
thümlichkeit, die zwischen uns und den übrigen verwandten Völkern
eine scheide aufwirft, soll alsbald die rede sein.
XVII.
DIE LAUTVERSCHIEBUNG.
Endlich sind wir da angelangt, wo die deutsche spräche von 392
den andern ab tritt und für sich geht, ja wo sie selbst unter ihren
eignen stammen wesentlichen unterschied gründet.
Warum haben, wenn man urverwandte Wörter vergleicht, zwischen
ihnen und dem entsprechenden deutschen ausdruck jedesmal abweich-
ungen der stufe stummer consonanten statt? alle übrigen stimmen,
das deutsche wort entfernt sich. skr. pitr lat. pater gr. %aty]Q goth.
fadar; skr. prathamas gr. TtQÖHtog lat. primus goth. fruma; gr. qpfoo
lat. fero goth. baira; gr. xvcov lat. canis ir. cu goth. hunds; gr.
ykvog lat. genus goth. kuni; gr. %OQTog lat. hortus goth. gards; skr.
tvam lat. tu litth. tu goth. Jm; skr. tri gr. tqsiq lat. tres litth. trys
goth. preis; skr. dantas lat. dens litth. dantis goth. tunpus; gr. #i>-
ydtrjQ goth. dauhtar.
Wer auch nur engl. Wörter zu nhd. hält und des gesetzes un-
kundig ist, musz befremdet sein wahrzunehmen, dasz dem ten, tooth,
day, deep, thief, tharm, thick nhd. zehn, zahn, tag, tief, dieb, darm,
dick gegenüber stehn. woher solcher Zwiespalt?
Einzelne beispiele würden nichts beweisen, sondern für überall
zulässige ausnahmen gelten; aber die abweichung tritt als feste
regel auf.
Wir haben vorhin erkannt, dasz in allen sprachen die stufen der 393
muta eines und desselben worts abwechseln, je nachdem ein voraus-
gehender oder folgender buchstab es erfordert, der Wechsel half die
flexion unterstützen. Bei der Verschiedenheit, von welcher jetzt zu
handeln ist, weichen aber die mutae im Verhältnis einer spräche oder
einer mundart zur andern ab, und sind weder durch andere buch-
staben hervorgerufen noch grammatische formen zu begleiten bestimmt,
wo sie eintreten haben sie einen ständigen character, der als*ein kenn-
zeichen entschiedner spräche oder mundart zu betrachten ist.
Jene, man könnte sagen, formelle lautabstufung hat es blosz mit
der einzelnen stufe eines Organs zu schaffen; diejenige, deren gesetz
nunmehr zu entwickeln ist, greift gleichmäszig in alle stufen jedes
18*
276 LAUTVERSCHIEBUNG
organs, und verrückt sie sämtlich, sie ändert nicht einen laut zu
besonderem zweck, vielmehr alle auf einmal, ohne dasz im innern der
Sprache etwas dadurch erreicht wird, es ist eine gleichsam auszer-
halb der spräche gelegne gewalt, die diese wunderbare Wirkung her-
vorgebracht hat.
Man mag die lautverschiebung passend wagen vergleichen, die in
einem kreise umlaufen: sobald ein rad die stelle des vorangehenden
erreicht ist seine eigne bereits von einem folgenden eingenommen,
aber keins ereilt das andere, bei ihrer bewegung kann nirgend räum
bleiben, der nicht alsbald ausgefüllt würde.
Das gesetz lautet einfach so: die media jedes der drei organe
geht über in tenuis, die tenuis in aspirata und die aspirata wieder
in media, damit ist der kreislauf beendet und müste von neuem
auf gleiche weise anheben. Deutlich aber wird die media als grund-
lage des consonantlauts (s. 344) bestätigt; von der tenuis könnte nicht
auf media, von der media nicht auf aspirata, von der aspirata nicht
auf tenuis ohne sprung gelangt werden.
Unter dem ersten wagen denke man sich eine, gleichviel welche,
der urverwandten sprachen, unter dem zweiten die gothische, unter
dem dritten die althochdeutsche.
394 Hiernach entspringen neun gleichungen, welche in vollständiger
theorie so aufzustellen wären:
griech. B P PH. G K CH D T TH
goth. P PH B. K CH G. T TH D
ahd. PH BP. CH G K. TH D T
wirklich aber verhält es sich nicht ganz so, und wie schon die oberste
griechische reihe im latein folgendermaszen bestimmt wird:
B P F. G C H. D T (F)
empfangen auch die goth. und ahd. einige änderung:
goth. P F B. K H G. T TH D
ahd. PH F P. CH H K. Z D T
und überhaupt gilt die regel, dasz die Ordnung des verschiebens am
strengsten im anlaut zu erkennen sei, der in und auslaut leichter
abweichung gestatte.
Vor allem fragt es sich nach der Ursache des hierbei eingetret-
nen Unterschieds und diese ist vorzüglich in beschaffenheit der aspi-
ration zu suchen.
Das latein hat der gr. aspirata PH ein F, dem CH und TH
aber nichts an die seite zu setzen, was ihnen genau entspräche, statt
CH verwendet es also die blosze spirans oder gibt auch diese auf
und begnügt sich mit vocalischem anlaut. TH aber ersetzt es durch
die labialaspirata oder braucht die tenuis T, d. h. es geht auf den
laut zurück, aus welchem TH entsprungen war. lat. F ist aber so
unbestimmt, dasz es auch an die stelle von CH und zumal oft von
TH tritt.
Auch die deutsche spräche entbehrt der kehlaspirata und musz
sie wiederum durch H vertreten lassen, das dann still steht und nicht
LAUTVERSCHIEBUNG 277
weiter verschoben werden kann. ahd. H entspricht darum dem goth.
H, in beiden dialecten hat dieser laut sowol gr. tenuis als spirans
zu ersetzen, nur die fränkische mundart scheint die organische asp.
CH besessen und von der spirans geschieden zu haben, so dasz z. b.
dem gr. KP fränk. CHR, dem gr. fP fränk. HR entsprach, goth.
und ahd. fallen beide zusammen in HR.
Etwas ähnliches hat sich in den labialen zugetragen. nemlich395
schon das lat. F musz als Verdünnung der eigentlichen asp. PH und
hinneigung zu der spirans V angesehn werden und das aus dem
digamma entspringende F verdeutlicht uns die Verwandtschaft zum
V. zwar bleiben goth. F und V geschieden, ahd. aber begegnen sich
beide laute und schwanken; ja die ahd. spirans verdickt sich in W
= GV, und V wird dem hochdeutschen dialect bis auf heute ein mit
F in den meisten fällen gleich bedeutender laut, die Verschiebung
blieb im goth. F wie im goth. H stecken, und wenn schon unter den
gutturalen ahd. H und CH nahe an einander rühren, thun es auch
ahd. F und PH. hieraus folgt, wie der anblick lehrt, dasz nach streng
ahd. weise die media B und G erlischt.
Besser als labiales und gutturales haben die linguales stand ge-
halten, hier treten med. ten. und asp. reinlich von einander, wäh-
rend unter jenen die goth. asp. und ahd. med. beeinträchtigt wur-
den. Nur eine änderung hat sich im ahd. dialect ereignet: an die
stelle der aspiration TH ist Z = TS eingetreten.
Dieser letzte wandel darf bei der nähe beider Spiranten H und
S nicht verwundern, in der ausspräche wird hauchendes TH leicht
zu lispelndem, und der spirans S tritt TS wirklich näher als TH.
unter den keltischen sprachen setzt der armorische dialect überall Z
an den platz des irischen und welschen TH (s. 374) und wir sahen
s. 368 die ir. spirans S in TS überschlagen.
Dasz ahd. Z in der that mit TH entspringe und diesem gleich-
stehe läszt sich aus einzelnen beispielen dar thun. das in der nähe
von Göttingen liegende Nörten heiszt in des klosters stiftungsurkunde
von 1055 Northuna, in einer späteren von 1155 hochdeutsch auf-
gefaszt Norzun, was man allmählich nach dem gegensatz zwischen
hochd Z und Sachs. T in Nörten wandelte*. In einem Reichenauer
necrolog des 9 jh. werden nordische pilgrime J>or jsorgils eingetragen
zor zurgils.
Nunmehr kann ich beispiele für den anlaut aller neun gleich-
ungen geben.
I. B P PH. diese ist die einzige wirklich mangelnde und nur 396
für den inlaut nachzuweisende, alle goth. anlaute P, alle ahd. an-
laute PH oder PF verrathen aufgenommne fremde Wörter, welche
sich in diese lücke des deutschen lautsystems geworfen haben.
II. P F F. skr. pitr lat. pater gr. %axr\Q goth. fadar ahd.
fatar. skr. pantschan gr. news 7iS{i7ts litth. penki sl. pjat' welsch
* Gudenus 1, 223 und Wolfs buch über Nörten p. 5.
278 LAUTVERSCHIEBUNG
pump goth. fimf ahd. finf. lat. piscis welsch pysg goth. fisks ahd.
fisc. skr. padas lat. pes pedis gr. Ttovg Ttoöog litth. pedas goth.
fötus ahd. fuoz. lat. pedica gr. neöt] poln. p^to böhm. pauto altn.
fetill ahd. fezzil. lat. porcus litth. parszas finn. porsas russ. porosja
böhm. prase ags. fearh ahd. farah. lat, porca ahd. furicha. skr. patis
gr. rtoöig = notig goth. fa|)s. skr. paäu gr. tköv lat. pecu goth.
faihu ahd. fihu. gr. tivq ags. fyre altn. fyr engl, fire ahd. fiuri. lat.
pauci gr. TtavQOi goth. favai ahd. fohe vgl. parum paulum. gr. nalccyLT]
lat. palma ags. folma ahd. folma. gr. %vy\Lr\ lat. pugnus (woher
pugnare) sl. pjast' ags. fyst engl, fist ahd. füst nhd. faust. sl. postiti
jejunare aus dem goth. fastan. gr. n&Xog lat. pullus goth. fula ahd.
folo. lat. peius franz. peau goth. fill ahd. föl. gr. nltog lat. plenus
sl. pl"n" litth. pilnas goth. fulls ahd. fol. gr. noXv goth. filu ahd.
filo ags. fela altn. fiöl. gr. nliov nlüov nXuotog lat. plus plurimus
f. plusimus altn. fleiri flestr. gr. TtoixUog sl. pjeg (vgl. pjega pega
sommerflecken) goth. faihs ahd. feh ags. fäh. gr. jrixog lana pexa
tibkco pecto ags. feax ahd. fahs, vielleicht crinis pexus? wie flahs
plexus? gr. 71EVX7] lat. pinus f. picnus ahd. fiehta. gr. itoltög lat.
pallidus franz. pale litth. palwas ahd. falo altn. fölr, vgl. litth. pellenai
cinis ahd. falawisca. litth. pauksztis goth. fugls ahd. focal skr. pakscha
ala, lett. putns sl. ptitza poln. ptak gr. Ttsrrjvog jct^vog mxzivog.
gr. 71tsq6v lat. penna f. pesna = petna, ahd. fe'dara und fe'ttah.
gr. Tteodeiv lat. pedere litth. persti ahd. fe'rzan. gr. nrjvog lat. panus
pannus goth. fana ahd. fano. lat. pax pacis ruhe friede franz. paix,
pacare zufrieden stellen, it. pagare franz. payer, litth. pakajus friede
sl. pokoi ruhe friede (von Miklosich s. 11 zur wurzel koi quies ge-
bracht) goth. fahe]3S gaudium altn. fagna gaudere feginn contentus.
397 gr. Ttögog iter goth. ahd. faran ire. gr. ticcqcc Tteoi lat. per prae
pro goth. far fair faura fra, ahd. far fir furi fora. skr. prathamas
gr. 7tgc5tog f. ngoratog, sl. prV'i poln. pierwszy litth. pirmas lat.
primus goth. fruma ags. forma, lat. prudens goth. fröds ahd. fruot.
skr. prischni calx goth. fairzna ahd. fe'rsana. lat. precari it. pregare
sl. prositi goth. fraihnan ahd. fragen vgl. flehön. lat. praeco ags. fricca.
skr. pri böhm. prjti serb. prijati goth. frijön amare, sl. prijatel poln.
przyjaciel litth. prietelus ahd. friudil mhd. friedel amicus. sl. Prije
goth. Fraujö? altn. Freyja ags. Frige ahd. Frouwa. litth. Perkunas
goth. Fairguneis? altn. Fiörgyn. pers. pil elephas altn. fill. skr.
phßna sl. pjena spuma litth. pilnas lac ahd. feim spuma (für puma
wie ahd. spe'ht = picus) ags. fam engl, foam; die deutschen Wörter
und das lat. spuma haben M statt N, wie portug. hum huma f.
un una, em für in. gr. tioqqco lat. porro goth. fairra ahd. ferro,
sl. polje finn. peldo oder pelto ahd. feld campus ags. folde terra
(vgl. s. 60). lat. pulex ahd. flö. lat. plangere goth. ftekan, vgl.
ahd. fluochön imprecari devovere. lat. plectere und plicare gr.
tiUkeiv goth. flaihtan ahd. fle'htan vgl. flahs linum plexum?; aber
pectere und pectus einigen sich schwer mit der bedeutung von
fe'htan pugnare, man müste denn an pugnis und fusti pectere
LAUTVERSCHIEBUNG 279
denken*; fahs s. vorhin nexog. skr. plu gr. nkkca n'küv navigare
TtXolov navis lat. pluere pluvia sl. plouti plovu, litth. plaukti sind nah
verwandt mit ahd. fliozan ags. fleotan altn. fliota und goth. flödus
ahd. fluot und floza pinnula. planus aus placnus? wie Danus aus
Dacnus (s. 192), pinus aus picnus, vergleicht sich dem ahd. flah
flahhes und litth. plasztaka flache hand**; umgekehrt ist im ahd.
flado gegenüber placenta die gutturalis ausgefallen, litth. plaukas
crinis ahd. floccho lanugo und mitv aphaeresis loccho cincinnus ags. 398
loc. gr. iillog lat. pileus böhm. plst coactile poln. pilsn ahd. filz ags.
feit mlat. feltrum filtrum. gr. Ttvtco nvuv nvevf.ia ahd. fnehan fnah
anhelare fnäst anhelitus.
III. PH B P. gr. cpr^yog lat. fagus goth. böka ahd. puocha.
gr. (pövog ags. bana altn. bani ahd. pano; die Zusammensetzungen
'AgyeKpövTfjg ßgotocpovtTjg gleichen den altn. Fäfnisbani Hundingsbani.
lat. über goth. biprus oder bibrus? ags. beofor ahd. pipar. gr. cpva
lat. fuo fio goth. baua ags. beo sum ahd. pim nhd. bin; ich schlage
zu dieser weit greifenden wurzel das lat. facere, goth. bagms materies
ahd. poum u. s. w. ysgco lat. fero goth. baira ahd. piru, dahin auch
lat. far farris und farina, goth. baris hordeum, ags. bere, weiter gr.
(pOQtog ags. byrden onus ahd. purdin. lat. forare altn. bora ahd.
porön. lat. follis goth. balgs altn. belgr ahd. pale. lat. faba welsch
ffaen goth. bauna? f. babuna? ags. beän ahd. pöna. gr. (pvXlov lat.
folium alts. blad ahd. plat vgl. oben s. 213. lat. fulica ital. follega
franz. foulque mhd. belche Ls. 3, 564 nhd. belch bölehe. lat. flare
goth. blesan altn. bläsa ahd. pläsan ; lat. flatus ahd. pläst. lat. florere
ags. blövan ahd. pluojan pluohan; lat. flos goth. blöma ags. blösma
ahd. pluomo. lat. flavus und lividus für flividus? scheinen im Zu-
sammenhang mit goth. bliggvan ahd. pliuwan und pläo goth. blaggvs?
lat. laetus f. flaetus? goth. bleij>s mitis ags. blide laetus ahd. plidi.
lat. fervere ferbere mit goth. briggvan? ahd. priuwan, wobei noch
ahd. pröd jus und vielleicht pröt panis zu erwägen, lat. frater gr.
(pQcttiJQ goth. brö{>ar ahd. pruodar. gr. qigsccg ygeeezog mahnt an
goth. brunna ahd. prunno von brinnan urere fervere, das ir. fuaran
fons führt zunächst auf fuar frigidus ; wie aber aus sve'lan ardere svalr
subfrigidus stammt und gelidus doch mit calidus verwandt scheint
(s. 385 szaltas sziltas), dürfen sich jene berühren; zur form halte man
xgeag xgeazog und cpgzccg f. ygeccg, xvag f. xvag (s. 316 nachzu-
holen), lat. fremo ahd. primmu. lat. frango goth. brika ahd. prichu.
lat. frui goth. brukjan uti (wie sich uti frui verbinden) ahd. prüchan ;
unser frucht ist der lat. form fruetus entnommen, gr. ygrjv urspr.
praecordia, dann mens, animus ; vergleicht sich ags. bregen cerebrum,
* unser kämmen und kämpfen scheinen sich zwar zu berühren, sind
aber geschieden; ahd. chempan und chemphan.
** in ahd. schrift sind h und z verwechselbar und doch wäre unrath-
sam für flazza, flazziu hant bei Graft' 3, 777 zu vermuten flahha flahhiu,
da sich auch altn. flatr dän. flad für planus findet und ahd. flezzi area mhd.
fletze altn. flet eben Stratum planities ausdrücken.
280 LAUTVERSCHIEBUNG
399 engl, brain? gr. öqtQVQ sl. br'V alts. bräwa ags. brsev ahd. präwa,
vgl. goth. in brahva augins altn. i auga bragdi (mythol. s. 751. 752).
IV. G K CH. skr. gaus ags. cü ahd. chuo (s. 32). gr. yevo(xai
yevöoiica lat. gusto goth. kiusa ahd. chiusu, lat. gustus goth. kustus
ahd. chust. gr. ykvog lat. genus goth. kuni ahd. chunni. gr. yovog
altn. konr alts. kind ahd. chint sl. tschjado. gr. yv vr\ sl. shena goth.
qinö altn. kona ahd. chena chona. gr. yovv lat. genu goth. kniu
altn. kne ahd. chniu. gr. yiyvdöTtuv yivcdöxuv lat. gnoscere noscere
sl. znati (vgl. tschouti) litth. zinoti novisse scire ags. cnävan ahd.
chnähan, nahverwandt goth. kunnan ahd. chunnan, vgl. litth. zinn&
scientia ahd. chunst, goth. kunjss notus ahd. chund altn. kunnr, altn.
knä posse. lat. nodus für gnodus altn. knütr ahd. chnodo f. chnozo?
lat. gula ags. ceol ahd. che'la. lat. gelare altn. kala frigide spirare,
lat. gelidus goth. kalds ahd. ehalt, lat. gaudere altn. kätr laetus.
gr. ysgavog lat. grus ags. erän ahd. chränoh. sl. gnesti depsere goth.
knudan? altn. knoda ahd. chnetan. grex gregis rührt es an ags.
corder ahd. chortar? lat. glubere goth. klinban ags. cleofan ahd.
chliopan findere. lat. granum sl. zr'no litth. zirnis goth. kaum ahd.
chorn und che'rno. lat. vivus f. gvivus litth. gywas goth. qius ags.
evic ahd. chech. sl. gljadati videre goth. vleitan f. qleitan?
V. K H H. gr. Xttkctf,iog lat. calamus sl. slama litth. zelmu
ahd. halam altn. hälmr. lat. celare ahd. he*lan goth. huljan altn.
hylja. gr. xoihog cavus lat. coelum das gewölbe des himmels goth.
hüls ahd. hol. gr. ndkr] %r(kYi hernia böhm. kyla keyla litth. kuilotas
herniosus ahd. holoht. lat. calx ags. hei (womit das einfache ho gen.
hos zu vgl.) altn. hoell ir. sal. lat. Collum goth. ahd. hals. gr. Ktjg
aus keccq? xccQdia lat. cor cordis goth. hairtö ags. heort ahd. herza
skr. hrd litth. szirdis lett. sirds sl. sr'd'tze. litth. kardas goth. hairus
altn. hiör alts. he'ru. lat. curia, das Pott 1, 123 comviria deutet,
liesze sich für cusia nehmen und auf goth. hus ahd. hüs nhd. haus
aedes templum beziehen, gr. HEQccg xegazog und xeqccvvv^il wein
aus dem hörn geben; wie auch unser schenken ags. scencan zu sceanc
400tibia, röhre der kanne gehört und das goth. stikls poculum von der
spitze des trinkhorns entnommen ist. das N in xbqcÜvvvhi scheint
aber das im lat. cornu goth. haurn ahd. hörn. lat. cerebrum ahd.
hirni altn. hiarni, wieder mit zutretendem N. gr. %aQ7i6g verwandt
mit ags. hearfest ahd. herpist ernte? gr. xägtog xctQTEQog goth.
hardus ahd. herti, das adv. kccqtcc steht wie ahd. harto valde; um-
gestellt wird xccQtog xccgtsgog KQcctvg XQattQÖg, wie vielleicht altn.
hardr zu hradr celer, ahd. herti zu hrat agilis, da sich begriffe der
tapferkeit und schnelle begegnen, lat. curo f. cuso? custos — litth.
kerdzus goth. hairdeis ahd. hirti; zugleich folgt, dasz auch schon goth.
R für S, neben Z in huzd, vorhanden war. lat. cervus gehört deut-
lich zu KSQag, wie auch der h'Xacpog xsQccog genannt wird, goth.
hiruts? ags. heorot ahd. hiruz. sl. litth. kurwa meretrix goth. hörs
adulter ahd. huora ags. höre meretrix. sl. kam"i und kamen' lapis
litth. akmü lett. akmins skr. a&man altn. hamar saxum malleus ahd.
LAUTVERSCHIEBUNG 281
hamar tudes. gr. xcj[ir] vicus litth. kaimynas vicinus goth. haims vicus
ahd. heim domus, patria. zu lat. cano bringe ich goth. hana ahd.
hanö, den tagansingenden vogel, der auch in der thierfabel Cantaert
und Chanteclins mit blinzelndem äuge singend heiszt (s. 333). gr.
dxovt] ccxonov skr. £äna altn. hein Sn. 85. 109. schwed. hen ags.
hän engl, hone; die skr. wurzel ist äo acuere, woraus sich auch lat.
cos cotis deutet, gr. xvcov ir. cu lat. canis skr. svä litth. szü goth.
hunds ahd. hunt, vgl. oben s. 37. 38. gr. xovideg lendes ags. hnitu
ahd. knizi nhd. nisse. gr. xuvvaßig lat. cannabis altn. hanpr ahd.
hanf. deutungen des sl. kon' wurden s. 30 mitgetheilt und sicher
gehört hestr hengist dazu; das verhalten von asman akmü zu kamen'
hamar gestattet vielleicht kon' unmittelbar zu aäva aszwa, also auch
zu equus aihvus zu stellen ; K und H sind sein wurzelhafter consonant.
lat. capere captus goth. hafjan hafts ahd. heffan haft. lat. caput gr.
xecpafoj goth. haubij) ahd. haupit ags. heafod vgl. heafela hauptbinde,
lat. caper gr. xdjtQog ags. häfer altn. hafr (vgl. s. 35. 36). lat. ac-
cipiter ir. seabhac ahd. hapuh ags. heafoc (s. 49. 50); sollte der
heldenname Capys gr. Kdnvg dahin fallen und für Kdnvl stehn?
vgl. zJcctivI; s. 202. gr. xrJTtog altn. ags. ahd. hof, eigentlich ein- 401
geschloszner räum, garten, welcher begrif in der nl. mundart haftet,
lat. copia altn. höpr turma ahd. hüfo acervus. litth. kupra ahd. hovar
nhd. höcker. gr. xtocpog alts. häb goth. hanfs. lat. coecus goth. haihs,
vgl. litth. aklas und lat. Codes, skr. köka goth. höha ahd. huoho
(s. 56). gr. x6kxv£ os coccygis xo%c6vri lat. coxa coxendix goth.
hups ags. hype ahd. huf, mit übertritt des inlautenden cons. aus der
gutt. in lab. lat. cogito (das nicht aus coagito stammt) goth. hugja
ahd. hukku und hokazu meditor. lat. cutis ags. hüd ahd. hüt nhd.
haut. lat. cautus von cavere, ags. hedan ahd. huotan. gr. xa&ttQog
ags. hador ahd heitar. gr. äxovco axovöopai goth. hausja ahd. hörru.
gr. xuöig ags. hise mas. lat. corylus f. cosylus? ahd. hasal. litth.
kiauszia cranium lett. kauss altn. haus. gr. xlakiv flere goth. hlahan
ridere ahd. hlahhan. gr. xaXeiv xlrpog %h\xi,vuv goth. laj)ön f. hlaj)ön
ahd. ladön. lat. claudere ags. hlidan? vgl. ahd. sliozan für scliozan ?
lat. claudus goth. halts ahd. halz. lat. clamor altn. hliomr. gr. xlvuv
lat. cluere ir. cluais skr. äru ahd. hlosen gr. xlvtog lat. inclytus ahd.
hlüt nhd. laut. lat. currere skr. Sri ire goth. erweitert in hlaupan ahd.
hloufan. gr. xklvuv lat. clinere ahd. hlinan. lat. clypeus altn. hlif.
gr. xksntetv goth. hlifan gr. xlBTttfjs goth. hliftus. gr. xgccfa
TtQCotpi lat. crocio crocito goth. hrukja. lat. crinis ahd. här. gr. XQV[i6g
altn. ags. hrim pruina. lat. crusta litth. grodas sl. gruda ahd. hart
(s. 98), die litth. sl. spräche haben hier und in grodinnis grudzien
(s. 97. 105) G für K. lat. crudus ags. hreav altn. hrär. russ. poln.
knut scutica goth. hnupö. skr. ävetas candidus purus pers. sipid armen,
sbidag zend. spenta purus litth. szwentas sanctus sl. svjat" sanctus goth.
hveits albus ags. hvite ahd. huizi. litth. kw£tys triticum goth.
hvaiteis ahd. hueizi. lat. quis goth. hvas ahd. huer.
VI. CH G K. das latein hat hier H, wie in der dritten gleichung
282 LAUTVERSCHIEBUNG
F, und einigemal F statt H, einigemal bloszen vocalanlaut. gr. %kivg)
lat. hio altn. gin gein ahd. kinem, lat. hiatus %ä(5iia altn. giä, gr.
%avdöv hiando vgl. altn. gandr lupus ob rictum oris. gr. %kco %vxög
402goth. giuta ahd. kiuzu, vgl. lat. fundo. gr. %olrj lat. fei für hei,
altn. galla ahd. kalla. gr. %üq altl. hir, ich weisz nicht ob das
litth. kaire manus sinistra und das finn. käsi in vergleich kommt,
gr. %iJq lat. herinaceus erinaceus litth. ezys poln. jez böhm. gez,
herinaceus also f. hesinaceus? gr. kql&iJ f. %Qiftrj? lat. hordeum
ags. gerst ahd. kersta. gr. %oigog altn. gris. gr. %6qtoq lat. hortus
goth. gards ahd. karto, gehört zu gairdan cingere einzäunen, lat.
homo goth. guma ahd. komo litth. zmogus pl. zmone's = homines
gumans. gr. ypcöv lat. humus ya$icd humi, litth. zem^ sl. zemlja,
vgl. goth. gavi ahd. kouwi. gr. xl^iagog %i[icuQa altn. gimbill gim-
bur. gr. xupcov lat. hiems sl. zima litth. ziema, oben s. 73 habe
ich das ir. geimhra verglichen und für vintrus gemutmaszt qintrus.
gr. pfv lat. anser für hanser skr. hamsa altn. gas ags. gös ahd. kans
russ. gus' poln. g^s böhm. hus litth. zazis lett. sohss. pers. choda
goth. guj) ahd. kot. lat. hoedus goth. gaitei ags. gät altn. geit schwed.
get ahd. keiz. hostis fostis sl. gost' hospes goth. gasts ahd. käst. gr.
%&£g lat. heri f. hesi und hesternus goth. gistra altn. gaer schwed.
gär dän. gaar ahd. ke"stre. skr. hiranja zend. zara gr. %Qvöog sl.
zlato goth. gulj) ahd. kold; diese Verwandtschaft ist s. 13 zu sehr
erschwert, der Übergang des ß in L hat kein bedenken und die con-
sonanten stimmen untereinander.
VII. D T Z. skr. djaus divas gr. Zsvg Awg lat. deus divus
goth. Tius Tivis? ags. Tiv altn. Tyr Tys ahd. Zio Ziowes. gr. dokog
lat. dolus altn. täl ahd. zäla, doch zwingt die abweichende quantität
auf tilan tal ahd. ze'lan zal zurückzugehn, deren Verhältnis zum gr.
ÖeXcD dsktccQ noch dunkel bleibt, skr. dar dr Andere gr. degsiv cutem
detrahere ÖEQ^ia corium goth. tairan solvere lacerare ahd. ze'ran.
skr. durva cespes ags. turf altn. torf ahd. zorba. gr. özqxco öbÖoqkcc
sdgaxov ags. torht splendens ahd. zoraht. gr. da^tdoa lat. domo goth.
tamja ahd. zemiu. gr. ös^tco aedifico öoiiog aedes ösvöqov materies
arbor lat. domus sl. dorn" aedes dub" poln. dab arbor quercus goth.
timr timbr aedificium altn. timbr ahd. zimpar; die bedeutung timan
ziman aptare decere könnte diese wurzel mit der vorigen ausgleichen,
lat. dingua f. lingua goth. tuggö ags. tunge altn. tünga ahd. zunka.
403 skr. dantas lat. dens litth. dantis goth. tunpus ahd. zand (oben s. 155);
das sl. zub verhält sich zu dantas fast wie dub zu dhdgov. skr.
devr gr. öa/jg lat. levir litth. d&wSris ags. täcor ahd. zeichur. gr.
dccKTvAog lat. digitus goth. taihö? dig. pedis ags. tä engl, toe ahd.
ze'hä. gr. deaivvcj ösiKW^i lat. dico indico goth. teiha nuntio ahd.
zeigiu monstro, verwandt das vorangehende gleich dem folgenden wort,
die zeigende hand heiszt skr. dakschina litth. deszine sl. des'nia gr.
öe^id lat. dextera goth. taihsvö ahd. ze'sawä mhd. zesewe, und leitet
sich daher überhaupt der begrif des rechten? skr. da£an lat. decem
gr. dexa litth. deszimt sl. desjat goth. taihun ags. teon ahd. ze*han
LAUTVERSCHIEBUNG 283
lat. dueo goth. tiuha ahd. ziuhu. [gr. 8a%vc3 goth. tahja lacero.] gr.
ddxQV daxQvna lat. lacryma (s. 354) goth. tagr altn. tär ags. tear
ahd. zahar, die wurzel ödxvco (s. 300). gr. dgvg und dogv sl. drjevo
welsch derwen ir. dair goth. triu ags. treov engl, tree altn. tre. skr. dva
gr. dt'olat. duo litth. du sl. dva ir. do goth. tva ahd. zuei und so weitere
bildungen wie lat. dubium f. duibium goth. tveifls ahd zuival u. s. w.
der untrennbaren gr. partikel dvg entspricht altn. tor ahd. zur.
VIII. T TH D. skr. tvam lat. tu goth. £u ahd. du (vgl. s. 258).
skr. tad gr. ro f. rod goth. pata ags. J)ät ahd. daz. gr. xolog xotovxog
lat. talis litth. toks ags. pyllic pylc altn. JDvilikr. gr. xwg ags. {ms
(gramm. 3, 196). skr. tul gr. xlrjvctL hdlaöa lat. tuli f. tetuli latum
f. tlatum (Tlrjtov) tolero goth. pula altn. J>oli und {ryl ahd. dolem und
dultu. gr. xavgog lat. laurus sl. tour altn. Ipior (s. 32), nicht zu
mischen mit d#r goth. dius (s. 28). sl. tr'n" spina goth. paurnus ahd.
dorn. gr. xkg^ia xo gpog lat. terminus altn. J>röm ahd. drum, vgl.
lat. turma ags. prym. lat. torreo f. torseo gr. tegöo^ai goth. pairsa
paursus altn. Jmrr pyrrinn ahd. durri. lat. tergeo tersi altn. J>erri.
lat. torquere ags. J>rävan ahd. dräjan dräta. skr. tamas caligo litth.
tamsus obscurus lat. tenebrae f. temebrae alts. thimm thimstar ahd.
de'mar crepusculum dunchal. skr. tanus lat. tenuis altn. Jmnnr ahd.
dunni. gr. xslvco lat. tendo litth. tempiu goth. panja ahd. dennu, hierher
auch ahd. dono tendicula und donar tonitru, sonus nubis ictae und das
lat. tenus (Haupt 5, 182). lat. tacere goth. pahan alts. pegia ahd. dagön.
gr. xmvov goth. pigns ags. pe'gen ahd. de*kan, von xexelv xikthv, 404
goth. JDeihan crescere, wozu auch goth. pius und {rivi, ahd. dionön
servire altn. piona ahd. diorna ancilla virgo, litth. tarnas servus tar-
naite ancilla. lat. tegere tectum altn. |>ak ags. J)äc ahd. dah tectum
decchan tegere. litth. Tauta Germania goth. J)iuda gens ags. J>eod altn.
piod ahd. diot. gr. xgtig lat. tres goth. J>reis ahd. drl (s. 240);
ebenso lat. tremissis ags. J>rimse ahd. drimisa und xglxog tertius JDridja
dritte gr. xgk%uv goth. pragjan ags. präge cursus; sollte das altn.
jsraell servus nicht eigentlich besagen cursor, der des herrn befehl
eilends ausrichtet? dann wäre auch im ahd. eigennamen Wolfdregil
Wolfdrigil dregil Cursor enthalten, lat. triturare goth. jpriskan ags.
pe'rscan altn. jjreskja ahd. dre*scan. lat. tetrao böhm. tetrew poln.
cietrzew altn. pidr schwed. tjäder. goth. pruts vgl. priutan molestare
sl. trud molestia labor poln. trad lepra. sl. tvr'd" durus firmus poln.
dwardy scheint das goth. pvasts und ahd. festi ags. fast.
IX. TH D T. das aeol. idiom läszt ® durch &, wie das lat.
durch F ersetzen (s. 350); einige merkwürdige spuren des labialen statt
lingualen lauts hat auch unsre spräche [oben s. 350]. skr. dhü spirare
flare, erweitert in dhma flare, dhüma vapor litth. dumai sl. d"mu flo duti
flare d"im" fumus poln. dym, gr. %vuv flare spirare, dann räuchern
opfern, %v^.6g Spiritus mens, lat. fire für fyre füre noch übrig in suf-
fire räuchern, fumus vapor ahd. toum vapor, wofür ich s. 350 goth.
dagms mutmasze. war auch goth. divan dau und daujan ursprünglich
flare halare, so gieng es in die bedeutung exspirare exhalare und mori
284 LAUTVERSCHIEBUNG
über (vgl. usanan oben s. 26) und gleiches musz vom altn. deyja do,
ahd. touwan töta und gr. ftavelv ftvtjöKuv gelten. %avaxog goth.
daujms ahd. töd ist demnach SKTtvsvötg exspiratio. funus gehört zu
fumus (funebris wie tenebrae von tamas) und bezeichnet entweder den
entseelten leib oder leichenbrand leichenopfer. gr. 0"aca ftrjöai mam-
mam praebere, sl. doiti poln. doic böhm. dogiti, goth. daddjan alt-
schwed. döggja f. dia, ahd. taan (Graff 5, 462); gr. ftqlij mamma
«tyAdgto = &d(v, to frrjlv das weibliche geschlecht, ahd. tila tili
405 tilli mamma (Graff 5, 397), das L scheint aus D entsprungen (s. 355)
zu daddjan aber fügt sich tutto mamilla. gr. ftrjg aeol. (pqg lat.
fera goth. dius diuzis ags. deor altn. dyr ahd. tior, sl. zvjer' litth.
zw&ris (s. 350). gr. ftvga lat. fores litth. durrys sl. dvV goth. daurö
ahd. turi. gr. ftagosiv und ftaggelv audere ftdgtiog xtdggog audacia
ftgctövg audax litth. drasus goth. gadaursan audere gadars audeo ahd.
turran audere tar audeo; ich halte s. 195 zu&gaövg ®gät;, die ver-
glichnen deutschen Wörter stimmen aber nicht zur laut Verschiebung,
gr. ftsgeiv calefacere ftegog aestas, calor ftegfiog calidus aeol. (peQ-
[iog altlat. formus (Festus s. v. forma) ferveo und fervidus, an welche
sichtbar das goth. varms ags. vearm altn. varmr ahd. waram, nhd.
warm sich schlieszt. varms entspringt mir aus qarms wie vintrus und
vaurms aus qintrus qaurms (s. 73) wozu skr. gharma stimmt, in den
persischen keilschriften heiszt ein Sommermonat garmapada; Übergänge
des GV in V und aus dem digamma / in lat. F lehrt die welsche und
irische spräche sattsam (s. 296. 373). in diesem ftsguog formus varms
und gharma läuft der laut durch alle consonanzorgane *. kann fthia
O^utg (von Ttfrrjui) unserm goth. döms ags. dorn ahd. tuom recht-
spruch verwandt sein? skr. dhan schlagen gr. &eivsiv und &h>ccg die
flache hand, womit geschlagen wird, ags. denu vallis? ahd. tenni area,
wo körn gedroschen wird, te'nar vola manus ; das lat. fanum an tenni
zu halten hat bedenken, gr. d'vyatrjg goth. dauhtar ahd. tohtar; zu
dieser ordentlichen lautverschiebung stimmt nicht das D andrer spra-
chen (s. 266 vgl. aber unten), im lat. trahere litth. traukti scheint
T für TH zu stehn, goth. dragan trahere ags. dragan engl, draw
ahd. trakan ferre.
Auf solche beispiele der anlautenden lautverschiebung müssen
die der inlautenden oder auslautenden folgen, wobei von der strenge
eher abgewichen wird.
406 I. BP PH. russ. obezjana simia, litth. bezdzenka f. obezdzenka,
ags. apa altn. api ahd. affo; doch anderes stimmt nicht, altböhm. op
und opec, heute opice, altpoln. opica, ir. apa welsch epa und diese
tenuis kommt Bopps herleitung vom skr. kapi (gl. skr. 65b) zu statten,
* könnte auf solche weise &iXa) {o4X(o s. 353) £&£la) unserm goth.
viljau ahd. williu gleichstehn? doch reicht dies V viel weiter, ins lat.
volo und velle, ins litth. weliju malo wale voluntas, sl. voliti velle volja
voluntas und selbst ßovkoficu fordert rücksicht. auch erscheint hier kein F
und G, vielmehr T im ir. toil voluntas.
LAUTVERSCHIEBUNG 285
der sich auch das gr. nzlnog xrJ7tog fügt. ir. abhal malum und
malus, welsch afal malum afall pl. efyll malus, litth. obolys malum
obelis malus lett. ahbols malum, sl. jabl"ko pomum poln. jablko
böhm. gablo gablko; ags. äpl äppel altn. epli malum apaldr malus
ahd. apfal ephili malum und affaltera malus (vgl. gramm. 2, 530).
lat. labium ags. lippa engl, lip ahd. lefs nhd. lefze, daneben lippe
wie auch litth. lupa. derselben wurzel sind lat. lambere ags. lapian
altn. lepja ahd. lafan luof und leffan leffita, altn. lepill cochlear ahd.
lepfil leffil nhd. löffel. das altn. sleif cochlear dän. slev plattd. sleef
schieben S vor und verschieben die labialis ; lingere ist mit lambere
gleichviel, folglich lecken mit lepja, wo wiederum S vortritt in slecken.
aus mnl. slecke limax erhellt die Verwandtschaft zwischen Cochlea
und cochlear, xoyXog xoxXlccg xo%Mccqiov. sl. slabiti debilitare poln.
s*aby debilis altn. slapa flaccere ahd. slaph slaf remissus, und wie-
derum mit Übergang in gutt. slah (Graff 6, 783). gleichen Wechsel
zwischen lab. und gutt. zeigt das lat. faber und facio, ich möchte zu
faber auch fibra (nervus vena) und fiber, den bauenden schlagen; wie
nun zu facere goth. bauan und bagms gehört, scheint für über sl.
bobr litth. bebrus die lautverschiebung goth. biprus zu begehren, doch
ist bibrus wahrscheinlicher nach dem ags. beofor ahd. pipar. lat. faba
sl. bob" bask. baba span. haba vergleiche ich ahd. pöna ags. beän
und leite ein goth. bauna aus babuna; doch ist auch gr. nvavog mit
7iva/.iog zu erwägen, zwischen sl. dobr" bonus und ahd. taphar gra-
vis nhd. tapfer fortis musz ein goth. daprs alts. dapar liegen, das
nicht aufzuweisen steht, ags. stapel stepel basis columna turris altn.
stöpull ahd. staphol staphil entsprechen dem lat. stabulum, das von
stare wie venabulum von venari geleitet fulcrum und vestibulum aus-
drückt; von standa ist. altn. stödull ahd. stadal horreum stabulum.
gr. xavvctßig lat. cannabis altn. hanpr dän. hamp ags. hänep henep407
engl, hemp ahd. hanof nhd. hanf; P haben wieder litth. kannap£s
lett. kannepes poln. konop' böhm. konope. lat. turba goth. paurp altn.
porp ahd. dorf. litth. gelbmi goth. hilpa ahd. hilfu.
II. P F F. aus dem das organische PH vertretenden F schwankt
die goth. mundart in B, die alts. in BH, und die ahd., welcher hier
eigentlich B angemessen wäre, hat dafür entw. P (nach goth. B) oder
V (nach alts. BH). geht liquida voraus, so steht immer F, wie im
anlaut. die ags. und altn. mundart halten F auch in und auslautend
fest, goth. B = ahd. P treten zur dritten gleichung über. gr. Xsina
goth. leiba laif ags. life altn. lif ahd. lipu; gr. komog reliquus Aoi-
Tiäg reliquiae goth. laibös altn. leifar; im lat. linquo liqui waltet gutt.
lat. caper ags. häfer altn. hafr, ein goth. habrs ahd. hapar zu ver-
muten, lat. aper ags. eofor altn. iöfur ahd. epar, goth. ibrs? gr. vno
lat. sub für sup goth, uf; gr. vnsg lat. super goth. ufar ags. yfer
altn. yfir ahd. upar. gr. mxd lat. Septem goth. sibun ags. seofon altn.
sjö ahd. sipun. lat. nepos ags. ne'fa engl, nephew altn. ne'fi ahd. nevo;
lat. neptis ahd. niftila; das goth. niJDjis nipjä böhm. neti (s. 270) haben
blosze lingualis. lat. capio goth. hafja altn. hef ahd. heffu huop
286 LAUTVERSCHIEBUNG
liapan; lat. captus abd. liaft. lat. sapio goth. safja? ahd. seffu suop
sapan. lat. rumpo rupi ags. ryfe reäf altn. r$f rauf, rof ruptura, die
goth. form riuba rauf folgt aus raubön effringere spoliare, ags. reäfjan
abd. raupön, vgl. raupa spolia; wie aber ist lat. rapio und rapiua
mit rumpo zu einigen? rapio stimmt zu capio sapio, die skr. wurzel
lautet rup, erweiterung im MP zeigt auch das folgende wort. skr.
svapnas lat. sompnus somnus gr. vnvog alts. suebhan altn. svefn,
andere formen oben s. 303. gr. ojrw'oa auctumnus und poma darf
wol zu ahd. obaz nhd. obst ags. ofät und sl. ovosch fructus gestellt
werden, gr. xijiiog ahd. hof hoves. lat. copia ahd. hüfo; hier aber
auch ags. heäp alts. höp altn. höp, was die zulässigkeit der ver-
gleichung von copia verdächtigt, sl. kop"ito poln. kopyto ungula
altn. höfr ags. hof ahd. huofhuoves; steht gr. onh] für KOTtfoj? önkov
408 goth. v6pn ahd. wäfan ist davon zu trennen, litth. kupra gibbus
ags. hofer ahd. hovar nhd. höcker. lat. vulpes goth. vulfs ahd. wolf.
III. PH B P. hier stehn nur gr. Wörter im vergleich, da in-
lautendes lat. PH oder F fast nicht vorkommt, doch entspricht
einigemal lat. und sl. B. die ags. und altn. mundart haben wiederum
F. gr. tketpag goth. ulbandus camelus ahd. olpenta ags. olfend (s. 42).
gr. Kecpakrj goth. haubij) ahd. houpit ags. heäfod vgl. heäfola. gr.
vkcpog vs cpskr] lat. nebula goth, nibls? altn. nifl ahd. ne'pal. gr. xatpog
alts. häf goth. hanfs ahd. hanf, wo die liquida das F zu fesseln
scheint, gr. ygacpstv goth. graban altn. grafa ahd. krapan; nur
stimmt der anlaut nicht, gr. d^itpl alts. umbi ags. ymbe ahd. umpi.
gr. ä^icpco lat. ambo skr. ubhäu sl. oba litth. abbu goth. bai ba bajöps
ahd, ped6, auch den deutschen Wörtern scheint früher ein vocal vor-
ausgegangen, litth. sidubras sl. srebro goth. silubr ahd. silapar.
IV. G K CH. gr. eyco lat. ego sl. az" für az' == agi goth. ik
ags. ic ahd. ih. gr. äystv lat. agere altn. aka; gr. ayQog lat. ager
goth. akrs ags. äcer altn. akr ahd. achar. lat. vigere vigil vigilare
goth. vakan vigilare vökains vigilia vökrs toxog vahtvö excubiae ags.
vacor vigil vöcor proles foenus altn. vaka vigilare ökr foenus ahd.
wachen wachar wuochar. gr. tpyov lat. jugum litth. jungas lett. juhgs
goth. juk ags. geoc engl, yoke altn. ok ahd. joh. skr. mahan gr.
idyag [isyccXog lat. magnus goth. mikils ags. micel altn. mikill ahd.
michil goth. maists f. makists? gr. [tsyiözog. lat. rex regis regnum
skr. rädscha goth. reiks ags. rlce altn. riki ahd. richi. skr. radschani
nox goth. riqis ags. racu altn. rök caligo. lat. augere, gr. avtfkvuv
litth. augti goth. aukan altn. auka ags. eäcan ahd. auchön. skr. nagna
sl. nag" litth. nogas goth. naqaJ)S ags. nacod ahd. nachut, im lat.
nudus ist ein cons. ausgefallen, es steht für navidus oder nugdus?
russ. bereza f. berezja? poln. brzoza böhm. briza litth. berzas ags.
beorc altn. biörk ahd. piricha. litth. sluga sl. slouga vergleichbar mit
goth. skalks ahd. scalh? vgl. oben s. 326. lat. mulgere gr. aakl-
409 y^ goth. miluks altn. miolk ags. meolc ahd. miluh, K haben schon
sl. mleko lat. lac u. s. w. (s. 326).
V. K H H. goth. H, wie s. 394 gesagt wurde, steht für CH,
LAUTVERSCHIEBUNG 287
ahd. H für G, welches nicht selten, auch schon im goth. erscheint,
regel aber ist H. lat. pecu goth. faihu ags. feoh ahd. film. gr. noi-
nttog goth. faihs ags. fäh ahd. feh mhd. vech. lat. coecus goth. haihs.
lat. nee neque goth. nih ahd. noh; das lat. suffix -que ist goth. -uh.
lat. scire = secire sequire (s. 348) vgl. sequi secus und seeundus,
goth. saihvan ahd. sehan. lat. locus roitog locare in loco ponere goth.
leihvan ahd. lihan, woraus auch ein verlornes goth. leihvs locus ahd.
llh geschlossen werden könnte, lat. precari procus sl. prositi goth.
fraihnan ahd. fragen, lat. secare securis ahd. sahs eulter sßh vomer
segansa und sihila falx. £'£ lat. sex goth. saihs ahd. sehs. gr. dsua
lat. decem goth. taihun ahd. ze'han (vgl. s. 240). lat. decus decorus
ahd. ziori nhd. zier. lat. dicere goth. teihan ahd. zihan. lat. ducere
goth. tiuhan ahd. ziohan lat. duetus goth. tauhts ahd. zuht. lat. lux
lucis goth. liuhaj) ahd. Höht mhd. lieht, lal. lucus sl. lug" goth. lauhs?
ags. leäh ahd. loh. lat. equus goth. aihvus alts. ehu. lat. aqua goth.
ahva ahd. aha. gr. exvQog lat. socer goth. svaihra ahd. suehor. gr.
oixog lat. vicus goth. veihs ahd. wih. lat. quercus scheint das ahd.
wereh fereh in wereheih ilex (Graff 1, 127). lat. pulex pulicis ags.
fleä altn. flo ahd. flöh. lat. sulcus ags. sulh ahd. suloh? (oben s. 56)
gr. o/lxo'g. lat. acus palea gr. a%vg finn. akana goth. ahana ahd.
agana. lat. acer ags. ahd. ahorn litth. aornas; das poln. klon russ.
klen' vielleicht für aklon akron? vgl. slon f. sron (s. 380), auch lett.
klawa. sollte mit ähnlicher aphaeresis das ahd. haro harewes asper
dem lat. acerbus entsprechen? lat. tacere goth. pahan ahd. dagön. lat.
octo goth. ahtau ahd. ahtö. lat. nox noctis goth. nahts ahd. naht,
lat. macte! goth. mahts ahd. mäht, gehört zu pecto pexus ags. feax
altn. fax ahd. fahs? lat. rectus goth. raihts ahd. re'ht. lat. macula
goth. mail f. mahil ? ahd. meil ags. mal. gr. venvg lat. nex necis und
necesse stelle ich zu goth. naus und nauj>s f. nahus nagus nahujjs
nagvaps? ags. neäd ahd. not. hier ist also zweifei zwischen H und 410
G, wie wir schon neben ahd. sahs segansa, neben goth. ]mhan fraih-
nan ahd. dagen freginön fanden; folgende haben alle G. gr. öxog lat.
oculus goth. augö ahd. augä. lat. lacus altn. lögr ahd. lagu. gr. dd-
kqv lat. lacrima goth. tagr, wo noch ahd. zahar. gr. /x^xoi' papaver
lett. maggons litth. agona f. magona poln. böhm. mak ahd. mägo mhd.
mäge nhd. mohn. gr. tsxvov ags. pe'gen ahd. de'gan mhd. de'gen. lat.
macer ags. mager engl, meager ahd. magar. lat. aequor altn. oegir.
lat. aeuo und acies ags. ecg engl, edge altn. egg ahd. eccha (vgl. cos
und hän hein s. 400, mit haftendem H) ; mlat. aciarium it. acciaio
franz. acier chalybs entspricht dem ahd. ecchil. gr. intiv milvus (gebildet
wie äxriv radius und pecten) scheint das altn. e'gdir igdir aquila, dessen
fem. igeia lautet undSaem. 190a steht, wo es einige für hirundo nehmen.
VI. CH G K. das latein ersetzt die mangelnde asp. durch H
oder wirft auch dies weg. gr. 'i%ziv goth. aigan ahd. eikan. gr.
TQExeiv goth. pragjan altn. prsell servus ahd. drikil? (s. 404). mit
ßQS%£iv rigare pluere das ahd. prieken ora torquere (Graff 3, 364)
schweizerische brieggen brieken flennen weinen (Stald. 1, 225) zu ver-
288 LAUTVERSCHIEBUNG
gleichen hat bedenken, da der anlaut nicht genau stimmt, skr. lih. gr.
Xü%ttv lingere lixuvoq leckefinger (s. 885) M%vog lecker goth. laigön
ahd. lecchön litth. laizyti sl. lizati. gr. Xk%og lat. lectus goth. ligr
ahd. le'kar, gr. ko%og insidiae goth. l6ga? ahd. läka; die goth. Wur-
zel ist ligan, deren G von dem des gr. XeyEö&cu nicht verschoben er-
scheint; sl. leschtschi decumbere ljagu decumbo poln. lezec leg£, sl.
leshati jacere loshe lectus. lat. trahere f. thrahere goth. dragan ahd.
trakan. gr. 6%H6xfai lat. vehi vehere gr. o%og lat. veha goth. vigan
vehi vagns? vehiculum ahd. wakan ; lat. via f. viha goth. vigs ahd.
we'c; die sl. litth. formen schon s. 60 angeführt, ob auch lat. dies
goth. dags ahd. tac hierher fällt? in dies ist ein cons. ausgestoszen,
ich wagte s. 192 dacies, vielleicht dahies? gr. wxQcc von cfyoo'g
pallidus vulvus goth. ögr? ahd. ögar Graff 1, 134 nhd. ocker, poln.
ugier böhm. ogr.
411 VII. D T Z. lat. id skr. it (Bopp vgl. gr. 185) goth. ita ahd.
iz. gr. to für roö oder tot skr. tat zend. tat (Bopp s. 183. 184)
goth. pata ahd. daz. lat. ad goth. at ahd. az. skr. ad lat. edere
gr. sÖslv goth. itan ahd. e'zan sl. jasti edere jad' cibus. lat. ador
adoreum triticum far goth. atisks seges ahd. ezisc; sl. jatsch'men'
hordeum ir. joth welsch yd granum altn. seti (s. 65). finn. itu idun
germen syriän. id hordeum. skr. svädus gr. rfivg goth. sutis f. svö-
tis ags. svßte ahd. suozi. skr. sad lat. sedere gr. stpGfttti goth. sitan
ahd. sizan, lat. sedes gr. e8og goth. sitls ahd. se'z. skr. mä f. mad
lat. metiri f. mediri, wie aus meditari erhellt, goth. mitan ahd. mezan,
goth. mitön meditari, lat. modus modius ahd. me'z undmäza. lat. odium
f. codium (wie os ossis f. cos cossis, cost costis wovon noch costa
rippe) goth. hatis ahd. haz. lat. madere goth. natjan madefacere ahd.
nezan, lat. madidus ahd. naz. sl. bodu bosti pungere cornu petere
poln. bosc ags. beätan caedere altn. bauta ahd. pözan ; vgl. lat. ba-
tuere franz. battre. gr. döhat lÖelv lat. videre goth. vitan ahd. wizan.
skr. uda f. vada gr. vdoog f. Fvöcog? sl. voda lett. uhdens litth.
wandü gen. wandens goth. vatö vatins ags. väter alts. watar ahd.
wazar altn. vatn schwed. vatten dän. vand. gr. iÖQwg lat. sudor f.
svador goth. svaists? ags. svät altn. sveiti ahd. sueiz. skr. äveta und
£vid goth. hveits ags. hvite ahd. hulzi. lat. hoedus goth. gaits ahd.
keiz. skr. padas lat. pes pedis gr. Ttovg nodog litth. p£das goth.
fötus ags. föt ahd. fuoz. mlat. radius mellis für favus ? wie noch franz.
rayon de miel sp. rayo, dann mnl. rate favus mhd. räz. lat. radix
ags. altn. rot. gr. xovig xovcdog ags. hnit ahd. hniz. lat. gaudere
altn. kätr laetus. sl. trud poln. trad goth. pruts von priutan altn.
priota. das altdeutsche recht nennt einen hörigen lidus litus und laz,
in welchem namen alle drei stufen des lauts wiederkehren ; lidus wäre
dem lat. laedere, litus dem goth. letan, laz dem ahd. läzan vergleich-
bar, es kommt darauf an die bedeutungen zu einigen, in litus scheint
goth. lats piger, ahd. laz gelegen, latjan ahd. lezan bedeutet retardare
impedire und erreicht so das lat. laedere. letan sinere relinquere ist
das litth. leidmi leisti. lat. claudere mnl. sluten ahd. sliozan mhd.
LAUTVERSCHIEBUNG 289
sliezen; lat. clavis mnl. slutel ahd. sluzil mhd. slüzzel. lat. claudus412
goth. halts ags. healt ahd. halz. sl. gljadati ßkensiv goth. vleitan f.
qleitan? ags. vlitan altn. lita goth. andavleizns ags. andvlite altn.
andlit ahd. antluzi vultus nhd. antlitz. gr. nikdco ags. smilte altn.
sme'lti ahd. smilzu. lat. cor cordis gr. xccgöicc litth. szirdis goth.
hairtö ags. heorte ahd. he'rza. lat. surdus gilt von dem tauben und
stummen, wird aber auch für hebes überhaupt gesagt, surda tellus
unfruchtbares land, wie es bei uns heiszt taubes land, surdus color
dunkle trübe färbe führt unmittelbar auf den rechten begrif : surdus
ist das goth. svarts altn. svartr ags. sveart ahd. suarz, genau wie
goth. daubs und dumbs, ags. deäf und dumb, ahd. toup und tump
zum ir. dubh welschen du ater niger fallen, lat. nidus f. nisdus
gnisdus wie nosco f. gnosco? sl. gniezdo litth. lizdas f. nizdas (wie
lakstingala s. 341) ags. ne'st ahd. nest, vgl. altn. nist fibula ahd. neosta.
das skr. nidha deutet man aber aus nischada, vom niedersitzen (Pott
1, 89), was jenen gutturalvorschlag wieder zweifelhaft macht, lat.
nodus für gnodus? altn. knütr ahd. chnodo chnoto. sl. tvrd goth.
pvasts ahd. festi. sl. lebed' ags. älfet altn. älpt ahd. alpiz (s. 325).
VIII. T TH D. in der ableitung entsprechen dem lat. -it -ut
-itum -itas goth. -i]p -ij>a, ahd. -id -ida, z. b. goth. haubij) dem lat.
caput, niuji]Da diupij>a daubipa dem lat. novitas profunditas stupiditas,
ahd. chüskida e'panida dem lat. castitas aequitas. nur sind manche
goth. J) schon zu d, folglich ahd. d zu t geworden, namentlich im
part. praet. und im schwachen praet., was die flexionslehre zu er-
örtern hat; wie haubip in haubid übergieng und der gen. immer
haubidis empfieng, herscht im ags. heäfod das d, wie im ahd. houpit
das t. andere beispiele sind: lat. ratio goth. raj)jö ahd. rediä. lat.
materia materies vlrj litth. medis arbor f. metis? altn. meidr arbor,
in langob. glossen mudula modula robur quercus (vgl. mudspilli mus-
pilli perditio ligni = ignis) ; materia : meidr wie bauan zu bagms, timr-
jan zu öbvöqov, finn. mata vermis goth. mapa ahd. mado. finn. äiti
mater goth. aij>ei ahd. eidi. lat. frater goth. bröpar ahd. pruodar. 413
patis faps (s. 396). gr. {iszd goth. mij) ahd. geschwächt in miti.
lat. iterum goth. vij)ra ahd. widar gr. Irka (vgl. Ixvg s. 296). lat.
vitis und vitex geschieden, ags. vidig salix engl, withy ahd. wida nhd.
weide, lat. lituus genus tubae altn. ludr (kaum lüdr) tuba. lat. tetrao
altn. pidr. gr. Ttregov f. 7Ceteq6v goth. fipra? ags. feder engl, feather
altn. fiödur dän. fier ahd. fe'dara. osk. petora lat. quatuor goth.
schon fidvör f. fithvör ahd. fior. lat. satur goth. saps sadis, söpjan
saturare ags. sadian, ahd. sat sates und sattön saturare. gr. hog
goth. apn und atajmi, woher noch der name Athanagildus ; von der
ahd. form adan keine spur mehr. sl. knut flagellum goth. hnupö vgl.
ahd. hnotön tundere quassäre. litth. prietelus sl. prijatel goth. friap-
vils? ahd. friudil mhd. friedel. lat. laetus f. flaetus goth. bleips ags.
bilde altn.blldr ahd. plidi. lat. rota f. crota, zu curro, currus gehörig?
dann auch ahd. rad f. hrad, vgl. hrat velox ags. hräd; aus rotundus
it. rotondo sp. redondo franz. rond das mhd. nhd. rund; von rota unter-
Grimm, geschichte der deutschen spräche. 19
290 LAUTVERSCHIEBUNG
scheide man das verwandte rheda currus ags. räd iter altn. reid equi-
tatio und currus. gr. xcclslv %hfi%bvuv goth. lapön f. hla]pön ahd.
ladön f. hladön. sl. zlato goth. gulj) ahd. kold. lat. vultus facies
species läszt sich halten zu goth. vulpus d6%a aussehn glänz und dem
erweiterten vulj>r ahd. woldar splendor. lat. verto versus goth. vairps
ags. veard für veard ahd. wart f. ward; anders zu nehmen vairj>a
fio aus visada? (s. 310. 360). skr. dantas litth. dantis goth. tunpus
ahd. zand. skr. anjataras litth. antras goth. anj>ar ahd. andar;
wegen stegog und stcciqos vgl. oben s. 138. lat. martes ags. meard
ahd. mardar. gr. ifiatiov vestis, vielleicht ahd. hemidi, welchem goth.
hamajri entsprechen würde, gr. luzlv milvus altn. igdir aquila. von
Partikeln wäre lat. aut zum goth. aippau ags. odde ahd. odo, lat.
attamen zum goth. ai})J)an vergleichbar.
IX. TH D T. solcher inlaute sind nur wenige, da sich keine
lat., nur einzelne gr. Wörter darbieten, skr. madhu gr. piftv litth.
medus ags, meodo alts. me'do ahd. me'tu mhd. me'te. gr. 8&og jon.
rj&og goth. sidus alts. sido ahd. situ mhd. site. gr. xaftaQog purus
ags. hädor serenus alts. hßdar ahd. heitar. gr. fuöfrdg goth. mizdö
ags. meord ahd. mieta.
414 Nach dieser vollständigen, wenn auch lange noch nicht alle bei-
spiele erschöpfenden darlegung eines hauptgesetzes in der geschichte
unsrer spräche gehe ich daran es zu erörtern und auszulegen.
1) Nur die stummen consonanten unterliegen ihm, weder liqui-
den noch Spiranten so wenig als vocale. der flüssigen und hauchen-
den consonanz ist beinahe die freiheit und ungebundenheit der vocale
gewährt; alle können sich abändern, schwächen oder untereinander
vertreten, aber sie thun es nicht nach einem allgemeinen durch-
greifenden grundsatz. wie sehr sie schwanken mögen, es ist kein
hindernis vorhanden, dasz sie von jeher in allen zweigen der urver-
wandten spräche unwandelbar geblieben seien, ich will dafür nur
wenige zeugen aufrufen, vom skr. sünus an bis zum goth. sunus
(s. 270), vom skr. näman an bis zum goth. namö (s. 153), vom skr.
krimi an bis zum goth. vaurms pflanzen sich die flüssigen laute fort,
ohne Wechsel zu erleiden, wie weit erstrecken sich RN in körn (s. 67)
ML in malan (s. 68)! darum gleicht die litth. Laime oder Laume der
röm. Lamia, darum haftet das L des litth. lapas im goth. laufs ags.
leäf ahd. loup, während die muta daneben schwankt, das ahd. nusca
fibulamonile begegnet im ir. nasc, das ahd. lenne scortum (Graff2,218)
mhd. loenelin (Frid. 103, 17) altschwed. länia im ir. leanan leannan.
2) Die Verschiebung der stummen consonanten im deutschen er-
scheint nicht als zufällige ausnähme, sondern als wirkliche fest in
einander greifende gegliederte regel. am stärksten waltet sie im an-
laut, d. h. dem empfindlichsten theil der Wurzel, der ihre eigenheit
vorzüglich begründet; inlautend treten häufig ableitende neue und der
wurzel an sich fremde bestandtheile zu, welche aufrecht zu erhalten
minder wichtig scheint, am auffallendsten wirkt die lautverschiebung
freilich, wenn sie auszer dem anlaut zugleich auch in und auslautend
LAUTVERSCHIEBUNG 291
wahrgenommen wird z. b. gr. tad goth. |>at ahd. daz; skr. dantas
goth. tunpus ahd. zand; lat. hoedus goth, gait ahd. keiz; gr. tqe%eiv 415
'goth. J>ragjan ahd. drekan (?); gr. xvtfd'eiv ags. gnidan ahd. chne'tan.
3) Um die neun gleichungen darzustellen, sind immer Wörter
gewählt worden, die alle drei stufen des verschobnen lauts zeigen,
viele andere wären mitzutheilen , die nur in zwei stufen vorliegen;
die dritte mangelnde kann dann theoretisch alsbald gefolgert werden,
z. b. aus dem gegebnen altn. vödvi torus ahd. wado flieszt, dasz die
muta des urverwandten worts T sein müsse, aus dem goth. diups
und ahd. tiof, dasz im entsprechenden gr. wort die erste muta 0,
die andere B zu lauten habe, uns entgeht der lat. ausdruck, der
dem altn. sed, ahd. ädara vena gleich stände; ihm würde T gebühren*,
aus dem gr. etog und goth. apn schlössen wir ein ahd. adan. altn.
dvergr, ahd. tue'rc nanus machen höchst wahrscheinlich, dasz ihnen
fteovgyog entspreche und zauberer, weiser mann der ursprüngliche
begrif dieses wortes sei.
4) Das lautverschiebungsgesetz hilft also wilde etymologie bän-
digen und ist für sie zum prüfstein geworden, in unverschobnen
sprachen, z. b. der griechischen und slavischen hat der wortforscher
leichteres spiel und ist geringerer teuschung bloszgestellt, als wenn
griechische oder slavische zu deutschen Wörtern gehalten werden
sollen, steht die muta eines urverwandten worts zu dem deutschen
auf unrechter stufe, so entspringt verdacht gegen ihre vergleichung,
stimmen beide völlig, so ist ihre Verwandtschaft sogar abzulehnen,
z. b. das lat. calidus und goth. kalds sind einander allzugleich, um
verwandt zu scheinen, was auch ihre abweichende sogar entgegen-
gesetzte bedeutung zeigt, lautverschoben gehört also zu kalds nach
der vierten gleichung lat. gelidus, und für calidus wäre nach fünfter
ein uns abgehendes goth. halds oder halts zu gewarten, halts findet
sich wirklich, entspricht aber dem lat. claudus, in welchem C L D
enthalten sind wie in calidus. es müsten demnach künste vorgekehrt
werden, um in gelidus und calidus, ihres gegensatzes unerachtet,
höhere berührung zu erkennen, worauf das litth. szaltas und sziltas416
hinweisen, zugleich lehren diese Wörter, wie viel minder streng der
inlautende consonant die regel der lautverschiebung hält.
J^, 5) Wir haben media als grundlage des consonantismus erkannt,
media wird im sanskrit, gleich liquiden, halbvocalen und vocalen zu
den tönenden buchstaben gerechnet, während tenues und aspiratae
dumpf (den Griechen kahl und rauch) heiszen. darum hebt die Ver-
schiebung auch mit der media an, von ihr senkt sich der laut zur
tenuis, von der tenuis zur aspirata : in der media liegt gleichsam seine
natürliche kraft, die sich zur tenuis verdünnt und hernach wieder zur
aspirata verdickt, aus der aspirata musz darauf die einfache media
abtropfen und dann der Umlauf neu beginnen, widernatürlich und ein
Sprung, den auch die spräche meidet, wäre (ich wiederhole das schon
* sollte es das gr. ccqttjqIcc oder aoQxrt sein, mit ausgefallnem R?
19*
292 LAUTVERSCHIEBUNG
s. 393 gesagte) wenn media in asp., asp. in tenuis, tenuis in media
gewandelt werden sollte*.
417 6) Als die spräche einmal den ersten schritt gethan und sich
von ihrer organischen lautstufe losgesagt d. h. die zweite betreten
hatte, war es beinahe unvermeidlich dem andern schritt auszuweichen
und nicht auch auf die dritte stufe zu gelangen, womit sich diese
entwicklung vollendet abschlosz. Beide schritte brauchten jedoch
weder gleichzeitig noch in demselben umfang zu geschehn. so wie
nemlich von dieser gewaltsamen erschütterung keine der urverwandten
sprachen ergriffen ward, sondern erst die deutsche, also ein geringer
theil jener groszen Urgemeinschaft sich plötzlich dafür entschied; so
that auch nur ein ast des deutschen Sprachstamms, der hochdeutsche,
was zu thun übrig war, und erst in späterer zeit, alle andern deut-
schen dialecte blieben von der zweiten Verschiebung, wie die urver-
wandten sprachen von der ersten unberührt, im verfolg werde ich
zu ermitteln haben, zu welcher zeit beidemal dieser durchbrach des
alten lautdammes eingetreten ist.
7) Dem instinct, mit welchem ihn der sprachgeist vollführte, kann
man bewunderung nicht versagen, eine menge von lauten geriethen
aus ihrer fuge, allein sie wüsten immer wieder an andrer stelle sich
folgerichtig zu ordnen und von dem alten gesetz die neue anwendung
zu finden. Damit behaupte ich keineswegs dasz der Wechsel ohne
nachtheil ergieng, ja in gewissem betracht erscheint mir das lautver-
schieben als eine barbarei und Verwilderung, der sich andere ruhigere
Völker enthielten, die aber mit dem gewaltigen das mittelalter eröffnen-
den vorschritt und freiheitsdrang der Deutschen zusammenhängt, von
welchen Europas Umgestaltung ausgehn sollte, bis in die innersten
laute ihrer spräche strebten sie vorwärts, und ich wage sogar die
gunst der dem hochdeutschen stamme vorzugsweise beschiednen her-
schaft in anschlag zu bringen, um daraus den eintritt der zweiten,
gleich unbewust erfolgenden lautverschiebung herzuleiten, bei der ge-
schiente der bildung aller sprachen darf die der Völker selbst niemals
* die Etrusker, deren spräche media fehlte, lassen die media gr. eigen-
namen immer in tenuis, die tenuis oft in aspirata übergehn: Aögaaxoq
ward ihnen Atresthe, Tvöevq Tute, IloXvöevxriq Pultuke, MsliayQ o^Melakre,
ÜSQaevq Pherse, Jlokvvsixtjq Phulnike, ßitiq Thethis, TriXecpoq Thelaphe.
0. Müllers Etr. 1, 59. Eine andere gleich merkwürdige lautverschiebung
ist zwischen finnischer und ungrischer spräche wahrnehmbar, finn. P wird zu
ungr. F, finn. K zu ungr. H, vgl. die finn. puu arbor, pelto ager, puoli dimi-
dium, pakkainen frigus mit ungr. fa, föld, fei, fagy; die finn. kuu luna und
mensis, kala piscis, kuolen morior, kolmi tres, kuulen ausculto mit ungr. hö
mensis, hold luna, hal piscis, holt mortuus, härom tres (R für L),hallaniaudire.
hiernach ist gr. noa— ungr. fü herba. auch finn.T sollte einen verschobnen
ungr. laut zur seite haben und wirklich scheint ihm SZ zu entsprechen in
tuuii ventus ungr. szel, tahko angulus ungr. szöglet; doch steht auch für
talvi hiems ungr. tel. Diese beiden auszerhalb des gebiets deutscher spräche
wahrnehmbaren fälle der lautsenkung bewähren uns wie tief sie dem sprach-
geist eingeprägt war, begründen aber keine ausnähme von dem, was s. 392
aufgestellt wurde, da sie nicht einmal in urverwandten sprachen vortauchen.
LAUTVERSCHIEBUNG 293
auszer acht gelassen werden und es ist leicht wahrzunehmen, dasz
der rede geistiger fortschritt überhaupt abzuweichen scheint von der
älteren spräche leiblicher Vollendung; nicht umsonst sehen wir siegen- 418
den und herschenden Völkern eben den dialect einer spräche eigen,
der sich von ihrem früheren standpunct am weitesten entfernt hat.
welcher schaden ihnen daraus hervorgehn mag, sie wissen dafür
andern ersatz zu bereiten.
8) Zu den durch die erste und zweite lautverschiebung herbei-
geführten nachtheilen rechne ich einen empfindlichen misstand. Man
musz annehmen, und die urverwandten sprachen lassen keinen zwei-
fei darüber, dasz anfänglich mediae tenues und aspiratae nach einem
weisen und gefälligen masz in der spräche ausgetheilt waren und
dabei durchaus nicht der grundsatz völliger gleichheit obwaltete,
vielmehr scheint es, wie unter den vocalen A das I und U, alle
kurzen vocale die langen an zahl hinter sich lassen, dasz auch von
den stummen consonanten mediae und tenues den aspiraten überlegen
sind, da nun bei der ersten lautverschiebung die aspirata an den
platz der tenuis, bei der zweiten an den platz der ursprünglichen
media tritt; so ergibt sich in beiden fällen ein übergewicht der aspi-
ration, das unvermeidliche härte mit sich führt, um ein offenbares
beispiel anzugeben : wie günstig gestaltet das Verhältnis der gr. spräche
in der tenuis T des häufig wiederkehrenden artikels gegenüber der
goth. ags. oder altn., deren dem redenden schwierigeres TH gleich
oft angewandt werden musz. ähnliche rauheit an andrer stelle ent-
springt der hochd. mundart durch häufungen des Z. das wolbe-
rechnete gleichgewicht der drei stufen jedes organs in dem alten
sprachhaushalt wird durch die lautverschiebung beeinträchtigt.
9) Ich gelange zu den ausnahmen, die man von allen gesetzen
der spräche gewahrt, also auch von dem der lautverschiebung im
voraus zu erwarten berechtigt ist. man darf sie nur nicht selbst
zu regeln erheben: Graff, der insgemein mehr zu lexicalischen als
grammatischen forschungen aufgelegt und gerüstet war, hat nichts
von seiner seite unterlassen um das gesetz der lautverschiebung als
ein nichtiges darzustellen, d. h. den ihm zu gründe liegenden er-
scheinungen die wahrgenommnen ausnahmen gleich zu setzen-
Alle hierher einschlagenden ausnahmen sind begreiflich doppelter 419
art. entweder tauchen sie schon in den urverwandten sprachen als
vorlauter des neuen brauchs auf, oder sie haften noch in den deut-
schen aus dem alten lautstand und wandeln unter der menge neu-
gestalteter Wörter gleichsam als nachzügler des alten heers um. jene
verletzen den Organismus, diese stellen ihn her, beides aber erfolgt
nur im einzelnen ohne einflusz auf das ganze. Eine dritte, unter
keinen dieser gesichtspuncte fallende reihe von ausnahmen kann sich
auf vollständigere, feinere Zerlegung einzelner lautreihen gründen,
wie sie zumal das sanskrit darlegt, welche auf das eingeschränkte
lautverhältnis andrer sprachen keine unmittelbare anwendung leidet,
sondern scheinbar es verwirrt.
294 LAUTVERSCHIEBUNG
10) Burnouf und Bopp lehren, wie T im zend schon zuweilen
TH, D zu DH wird: es sind verboten gothischer Verschiebung, von
tum bildet sich der dat. thvoi = skr. tubhjam, der acc. thvanm =
skr. tväm (s. 258). statt des skr. tri heiszt es thri (s. 239); ätars
feuer flectiert äthre igni und von diesem TH herzustammen scheint
das weiter geschobne ags. D ahd. T in ad eit; vermutlich lautete
die goth. form gleichfalls aids oder aidrs. skr. päda pes lautet zend.
pädha, skr. dadämi öldcj^t zend. dadhämi. aber auch im skr. pra-
thama primus wandelt sich das T der gewöhnlichen superlativendung
tama zu TH um, in adhama infimus zu DH. (Bopps vocalism. s. 169.)
Analog diesem T und TH ist ein zendischer Wechsel zwischen P und
F, skr. pra lautet zend. fra = goth. fra und äfs aqua, kerefs =
corpus haben den acc. äpem, kerepem sich zur seite. von der Wur-
zel tap (s. 231) entspringt tafnu ardens, wie pers. täften accendere
gilt und gr. zaepoq tEcpgcc neben framco. die zendische aspirata in
den angeführten fällen leitet man aus einflüssen nachfolgender halb-
vocale, so wie des S und N ab (Bopps vgl. gramm. s. 39. 46. 83),
wodurch sie sich von der goth. viel allgemeiner wirkenden lautver-
schiebung unterscheiden, unser verschobner laut findet immer statt,
nicht schwankend in den formen einzelner Wörter, mit dem zendi-
schen liesze sich daher der gr. Wechsel vergleichen, dessen s. 359.
361 erwähnung geschah.
420 11) Reihenweise scheint die anlautende media vieler zendischer
persischer litthauischer slavischer und keltischer Wörter mit der go-
thischen einzustimmen, während ten. und asp. abweichen, man halte
bräta brat" brolis brathair brodyr (s. 267) zum goth. bröpar; sl. bobr
litth. bebrus zu ags. beofor altn. bifr; sl. bob" bask. baba zu ags.
beän altn. baun; sl. b"iti bijo litth. buti busu zu ags. beon beo; sl.
boukva zu goth. böka; sl. brati beru zu goth. bairan baira ags. beran
bire. hier aber gewähren sanskrit, latein und griechisch aufschlusz,
welche keine media, vielmehr BH <P und F weisen: bhrätr cpgatTJQ
frater, fiber, faba, bhü fui fio cpvco, fagus cprjyog. ohne zweifei hat
sich von der stufe dieser asp. das goth. B geschoben und zwischen
sanskrit gr. lat. und goth. ist alles regelrecht, jene B erscheinen ge-
stört und abgewichen. Nicht anders steht es in denselben sprachen
um die zur goth. media treffenden Gr und D, denen sanskrit GH DH,
gr. 0 und ein mangelnder aspirierter kehllaut entsprechen sollte, so
erscheint sl. gost' neben goth. gasts, die skr. wurzel ist ghas edere,
das latein aber, welchem gutturalaspiration gebricht, setzt hostis oder
fostis. sl. gadanije aenigma poln. gadka böhm. hadka ist das altn.
gäta; sl. grabiti litth. graibyti das goth. greipan lat. rapere f. hra-
pere; sl. grob" sepulcrum litth. grabas das goth. graf? oder gröba
fovea; sl. gniezdo das ags. nest f. gnest, lat. nidus f. nisdus hnisdus?
sollte das litth. gramezdai schrapsel nicht dem goth. gramst festuca
entsprechen? (anders s. 337.) am schwersten scheint hier das Ver-
hältnis der gr. laute, doch ist rapere sichtbar ccqthx&iv und bestätigt
hrapere, wenn auch an sarpere mahnend, wie repere an serpere (s. 302.
LAUTVERSCHIEBUNG 295
303). Bei den lingualen ist alles deutlicher, zum goth. dails fügt
sich wiederum litth. dalis sl. dijel; zum goth. dal vallis sl. dol; zum
goth. dauhtar litth. duktS sl. d"schtschi, aber gr. d'vydtrjQ; zum goth.
daur sl. dver' litth. durrys, aber gr. &vqcl janua; zum litth. duma
dumai goth. döms und dauns, gr. ftvpog und ftviiog; zum sl. dojiti
goth. daddjan gr. ftdw) zum sl. djeva virgo gr. frfjlvg; dem litth.
drasus audax ist das gr. &Qa6vs gleich und das goth. gadars audeo
ahd. tar (s. 405), nicht das s. 195 hinzugenommne J>räsa. das ir.421
dubh welsche du niger ist das goth. daubs ags. deäf surdus. Hier-
nach sind die sl. litth. mediae überall zweierlei, theils der goth. te-
nuis, theils der goth. media, oder theils der gr. media, theils der gr.
asp. zur seite stehend, z. b. sl. dva desjat dub — gr. ovo ös%a ökv-
Öqov goth. tvai taihun timbr, hingegen sl. dver' d"schtschi = ftvocc
&vyäT7]Q goth. daur dauhtar. Es scheint aber, dasz bereits im skr.
einzelne Wörter media zeigen statt der asp. z. b. duhita f. dhuhita,
giri f. ghiri = sl. gora mons. Dieser Zwiespalt .zwischen skr. gr. und
lat. muta auf einer, sl. litth. auf der andern seite kann ebenfalls auch
laut Verschiebung heiszen, nur eine unvollkommnere als unsere deutsche,
da sie nicht jede media, die tenuis überhaupt nicht angeht, an sich
aber bleibt es merkwürdig und bedeutsam, dasz die B G D in brat
gost und dver = bröpar gasts daur vollen ansatz zur goth. lautver-
schiebung enthalten, die dabei still stand und nicht weiter umgrif.
sanskrit, gr. und lat. spräche erfuhren in diesen Wörtern noch nichts
davon, wol aber das skr. in jenem der goth. media begegnenden du-
hita und giri. in dieser beziehung ist noch viel zu untersuchen und
z. b. aus dem zum goth. bindan ligare stimmenden skr. badh oder
bandh kein einwand gegen unser lautverschiebungsgesetz zu entneh-
men, vielmehr zu schlieszen, dasz auch im skr. organischer weise
bhadh bhandh zu stehn hätte, wie lat. filum für fidlum, funis für fud-
nis (Bopps gl. skr. 23 7 a) bestärken, dem goth. baups surdus mutus
entsprechen skr. bidhar (Bopp 236b), ir. bodhar, welsches byddar,
armor. byzar, und die goth. form räth ihnen gleichfalls BH zuzutrauen.
12) Jetzt komme ich auf die nachzügler. nur selten verirrt sich
muta alleinstehend, das merkwürdigste mir erinnerliche beispiel ge-
währt die goth. praeposition du, welche ganz dem sl. do entspricht
und von der lautverschiebung abweicht, denn nach dem ags. tö alts.
te ahd. za zi sollte sie tu lauten, was sich ordnungsmäszig aus dem
sl. do senkt, eben so verhält sich die verwandte partikel dis, die auf
der stufe des lat. dis beharrt, da doch, wie ahd. zar zir lehrt, auch
goth. tis zu gelten hätte, ferner goth. dags ags. dag hält sich zu 422
lat. dies und sl. diena, folglich auch Danus zu Dacus (s. 192. 193);
höchst merkwürdig aber hat sich goth. taujan ahd. zouwan ver-
schoben, da doch deds dedum ahd. tat tätum der alten stufe treu
bleiben*. Das sl. D in do ist keins wie in dol, sonst würde ihm ahd. T
* näher gewiesen in meiner abhandlung über diphthonge s. 12. 14;
zu vgl. sl. tvoriti facere tvar res creata. Mikl. 18. 93.
296 LAUTVERSCHIEBUNG
zur seile stehn, vielmehr wie in dva = goth. tva ahd. zuei. Schon
s. 269 hob ich aus, dasz gegenüber lat. pater mater frater goth.
fadar (ags. mödor) bröpar, ahd. fatar muotar pruodar stehn, folglich
nur bröpar und pruodar regelrecht verschoben ist. fadar und mödar
setzen ein vorangegangnes TH voraus, wie es ir. athair mathair, frei-
lich auch brathair (s. 270) zeigen, das engl, father mother brother
unterstützt. Goth. baitrs tcikqoc; stammt doch von beitan mordere
ahd. pizan; ahd. pitar oder pittar verharrt in goth. stufe, ags. biter
altn. bitr. ebenso steht es um ahd. otar ottar lutra ags. oter altn.
otr, deren T zum litth. udra, poln. böhm. wydra stimmt, so dasz ahd.
ozar in der regel wäre, nochmals dasselbe Verhältnis im goth. hlutrs
purus ags. hlütor ahd. hlütar hluttar nhd. lauter, dessen Zusammen-
hang mit ags. hlüd sonorus ahd. hlüt gr. xXvtog ich nicht verrede,
weil licht und schall oft einer wurzel sind. Wie lat. modus modius
meditor und metior schwanken, hält im goth. mita met mitö ahd.
mizzu mäz me'z die muta fest und entspricht dem lat. D; gerade so
verhält sich zu lat. sedeo sedile goth. sita sitls, doch neben ahd. sizan
und se'zal findet sich se'dal kisidili, deren D die lat. stufe behauptet,
und aus dem ags. sedel neben se'tel, wie jenes fadar aus father zu
fassen ist. mitten in den ausnahmen blickt immer die regel des
verschiebens durch.
13) Alle bisher angeführten wie die zunächst folgenden aus-
nahmen fallen in die lingualreihe , welche sonst den grundsatz der
lautverschiebung am deutlichsten darstellt, man begreift, dasz ein
423 festes band der lingualis mit andern consonanten sie im früheren, der
Verschiebung vorangegangenen zustand erhalten kann; beide conso-
nanten verschmelzen und widerstehn dem Wechsel, hierher gehören
zumal die formein FT HT ST, deren T völlig auf der stufe des gr.
und lat. in PT KT ST bleibt, obschon die vorstehenden F und H ver-
schoben sind, vgl. goth. hafts raihts kustus mit captus rectus gustus.
die goth. hafts raihts kustus müssen aber auch ahd. unverändert be-
harren haft re'ht chust. auf die günstige beweglichkeit des gr. %x in
ßd (p& (s. 359) u. s. w. läszt sich weder lat. noch deutsche spräche
ein. Urverwandtes TR verschob sich in goth. THR ahd. DR, wie tres
preis dri, trud J>ruts priutan und driozan zeigen; urverwandtes DR in
goth. TR *, hier aber stockte die Verschiebung und blieb auch ahd. TR ;
es zeugte sich kein ahd. ZR, das unserm idiom widersteht, beispiele:
sl. drevo gr. dgvg goth. triu ags. treov, ahd. -tra -tera in zusam-
mengesetzten baumnamen ; goth. traua ahd. triuwu nhd. treue ; goth.
triggvs ags. treove altn. tryggr ahd. triüwi nhd. treu; goth. trigö
Ivtit] altn. tregi moeror tregr invitus segnis, ahd. träki ignavus nhd.
träge; goth. trudan calcare altn. troda ahd. trötan vgl. kelt. troed troid
pes; alts. trahni lacrimae ahd. trahan mhd. trahen lacrima. Wie goth.
* wohin auch /jQOfiLXsltrjß (s. 202) und goth. trums? ags. trum, finn.
tyrmiä firmus, ir. trom gravis, welsch trwm. das lat. firmus scheint für
tirmus thirmus zu stehn.
LAUTVERSCHIEBUNG 297
THR ahd. DR verhalten sich goth. THV ahd. DU: J>vairhs trans-
versus ahd. due'rah, ags. pvingan cogere ahd. duingan; hier aber hat
die spätere spräche unorganisch fortgeschoben: mhd. twerh nhd.
zwerch, mhd. twingen nhd. zwingen, man unterscheide goth. DV =
ahd. TU in dvairgs? nanus ags. dveorg altn. dvergr durgr ahd.
tue'rc, die s. 415 dem gr. dsovgyog verglichen wurden, auch mhd.
twe'rc, nhd. aber fälschlich zwerg.
14) Dem stockenden ST parallel ist SK in lat. piscis goth. fisks
ahd. fisc; lat. discus ags. disc ahd. tisc; altn. taska pera ahd. tasca;
ags. flsesc ahd. fleisc; bald aber beginnt hier SCH einzudringen, das
sich im mhd. fisch tisch tasche schon gesetzt hat. nicht zu über-424
sehn das abweichende goth. ZG in azgö ahd. ascä altn. aska ags.
asce. goth. KR wird ahd. CHR. goth. SP begegnet inlautend nicht,
doch nach ags. altn. SP zu urtheilen, bliebe es auch ahd. vgl. ags.
äspe altn. espi ahd. aspa nhd. espe. PS aber wird ahd. zu FS: lat.
capsa ahd. chefsa mhd. kefse (s. 149).
15) Weit gröszerer eintrag geschieht der lautverschiebung da-
durch, dasz unter ahd. mundarten die, welche an niederdeutsche
spräche grenzen, mehr oder weniger sich auf der zweiten stufe der
lautverschiebung halten, überhaupt also wird die dritte stufe, wie sie
folgerecht durchgreifend der zweiten gegenüber steht, nur da ange-
troffen, wo ich strengalthochdeutsche mundart annehme, deren weise
bisher als reiner gegensatz zur gothischen oder sächsischen aufgeführt
worden ist. von den landstrichen, in welchen sie zu haus ist, soll
später rechenschaft gegeben werden, über sie aber hat allmählich, und
entschieden mhd. und nhd. jene weichere mundart den sieg davon
getragen, in welcher nun der gothische und strengahd. lautstand eigen-
thümlich gemischt erscheinen. Es genügt hier die etwas verwickelte
abweichung der drei bedeutendsten ahd. denkmäler dieser art (Isidors,
Otfrieds und Tatians) anzugeben, wobei anlaut, inlaut und auslaut
unterschieden werden musz; ich stelle die goth. und strengahd. weise
zur vergleichung voraus.
goth.
B
P
F
G
K
H
D
T
TH
strengahd.
P
PH
F
K
CH
H
T
Z
D
I. anl.
B
F
G
CH
H
D
Z
DH
in!
B
F
V
G
HH
H
D
ZS
DH
ausl.
P
PH
F
C
H
H
T
zs
DH
0. anl.
B
PH
F
G
K
H
D
z
TH
inl.
B
F
F
G
CH
H
T
z
D
ausl.
B
F
F
G
H
H
T
z
D
T. anl.
B
PH
F
G
K
H
T
z
TH
inl.
B
PH
V
G
HH
H
T
z
D
ausl.
B
PH
F
G
H
H
T
z
D
doch ist einiges näher zu bestimmen z. b. dasz bei I. das G, sobald 425
die dünnen vocale e oder i folgen, in GH übergeht, was dem s. 386
entwickelten einflusz dieser vocale auf gutturale gleicht; ferner das?
298 LAUTVERSCHIEBUNG
die in und auslaute, denen ein anderer consonant voraussteht, gern
wie anlaute behandelt werden, z. b. 0. skalk skrank skalkes skran-
kes sagt, aber lih liches. viele einzelne Wörter lauten in diesen drei
denkmälern verschieden : I. und 0. hat druhtin, T. truhtin; I. duon
deda, 0. duan deta, T. tuan teta; I. leidan, 0. T. leitan; I. leididh
dux, T. leitid; I. chunt chundes, T. cund cundes; I. dac daghes, 0.
dag dages, T. tag tages; I. chuninc, 0. T. kuning u. s. w. Die
goth. spräche setzt die consonanz in daups mortuus und daujms mors
auf gleichen fusz; wie aber ags. zwischen deäd mortuus und deäd
mors (engl, dead und death) geschieden wird, finden wir auch bei
I. död und dödh, bei T. tot und töd, bei 0. döt und töd; mit T.
stimmt hier N. und die strengahd. weise, ohne zweifei ist es das
in daujms dem J) folgende u welches in deäd auf erhaltung der asp.
nachwirkte, die dann richtig in ahd. media übertrat.
Unter diesen drei Schreibungen ist die im I. offenbar die alter-
tümlichste und feinste, auch im auslaut die hochdeutscheste ; sie hat
grosze vorneigung zum aspirierten laut, am weichsten erscheint 0.,
doch trifft er in den labialen und gutturalen fast ganz mit T. .überein,
bei welchem nur die lingualen etwas härter sind, sämtlich häufen
sie im lingualorgan zischenden und hauchenden laut, 0. und T. nur
anlautend, I. auch inlautend; sein DH mag dem D nahe kommen,
eigentlich hat diese zweifache aspirata Z und TH etwas paralleles
mit dem PH und F, CH und H der beiden andern organe, nur dasz
bei 0. und T. im guttur alanlaut K haftet.
Ich will auch die mhd. und nhd. art angeben, die sich zumeist
an T. schlieszt, nur dasz die linguales ganz die strengahd. bleiben
und auch das anlautende TH nicht kennen,
mhd. anl. B PF F,V G
inl. B F V G
ausl. P F F C
426nhd. anl. B PF F,V G
inl. B F F G
ausl. B F F G
für mortuus gilt mhd. tot totes, für mors tot tödes, nhd. aber todt
todtes und tod todes. das verhalten der nhd. in und auslaute Z,SS;
Z,SZ bleibt hier unerörtert und die unorganische Schreibung TH für
T in thal thun thor muth rath, die wir längst verwerfen sollten, un-
berücksichtigt.
An diese manigfaltigkeit des schwankenden hochdeutschen lauts
lieszen sich noch andere betrachtungen knüpfen, worauf ich es hier
nicht absehe*, wer sie gehörig erwägt, wird zur einsieht gelangen,
dasz sie den grundsatz der lautverschiebung nicht umstürzen kann,
sondern erst aus ihm verständlich wird, es sind widerspenstige aus-
K
H
T
Z
D
CH
H
T
Z
D
CH
CH
T
z
T
K
H
T
z
D
CH
H
T
z,ss
D
CH
H
T
z,sz
D
* es versteht sich von selbst, dasz einzelne ausnahmen der ausnähme
nicht beachtet werden konnten, welche in einer besonders dargestellten
notkerschen oder otfriedischen lautlehre vortreten müsten.
LAUTVERSCHIEBUNG 299
nahmen von der regel, die scheinbar an der alten stufe, aber nicht
folgerecht und durchdringend festhangen, ersten keim der Verwirrung
suche ich darin, dasz schon unter den Gothen statt der labial und
gutturalaspirata blosze Spirans eintrat, bei den lingualen unterblieb
solche Störung, darum hat sich in ihrer reihe der laut fast ganz auf-
recht erhalten, bei den andern reihen wirkte der unfug in der aspi-
ration auch nachtheilig ein auf media und tenuis. So rechtfertigt
sich meine ansieht von der hochdeutschen lautverschiebung.
16) Ich habe gesagt, dasz die dritte stufe des verschobnen lauts
den kreislauf abschliesze und nach ihr ein neuer ansatz zur abweichung
wieder von vorn anheben müsse*, doch eben weil der sprach-
geist seinen lauf vollbracht hat, scheint er nicht wieder neu begin-
nen zu wollen und es finden sich nur einzelne spuren, keine durch-
greifende reihen, so wurde das mhd. twingen und twerh (s. 423)
namhaft gemacht, deren tenuis der urverwandten zu begegnen hätte, 427
die wir dem ahd. duingan duerah und goth. pvairhs an die seite
setzen dürfen, unser nhd. hagestolz schiebt den laut des ahd. haga-
stalt ags. hägsteald unorganisch weiter auf die stelle einer urver-
wandten aspiration. Wenn die dänische spräche in und auslautend
schwedisches P K T zu B G D verweichlicht, so ist das nicht im geiste
der lautverschiebung, welche von ten. zu asp. fortschreitet, sondern ein
rückschritt, der den laut wieder auf die urverwandte stufe bringt, vgl.
abe russ. obezjana, äble litth. obolys, abild litth. obelis, age lat. agere,
ager lat. ager, äde lat. edere, sad lat. sedit, fod franz. pied. dies
verletzt aber das gleichgewicht mit den anlauten, welche P K T fest-
halten, auch darum ist es keine echte lautverschiebung, weil die
Dänen keine tenuis an andere stelle des in und auslauts bekommen:
ihr organ vermag sie überhaupt da nicht auszusprechen, ihre media
gleicht also der bei Otfried statt strengahd. tenuis und auch hier-
mit bestätigt sich mir, dasz die otfriedische media der lautverschiebung
nicht widerspreche, sondern sie voraussetze, doch darin unterschei-
den sich beide, dasz die otfriedische auch anlautend eintritt.
17) Da die lautverschiebung als festes merkmal deutscher spräche
erkannt worden ist, so folgt, dasz in Wörtern wo die muta urver-
wandter sprachen zu denen der unsrigen genau stimmt, wahrscheinlich
entlehnung stattfand, d. h. eine dem innern gang der spräche wider-
strebende form äuszerlich vermittelt wurde, das gilt zumal für den
anlaut und der wichtigste fall bezieht sich auf das gothische, im
deutschen anlaut mangelnde P; wo ihm nun ahd. PH zur seite steht,
bezeichnet das die fortschiebung eines schon lange zeit eingebürgerten
lauts: paida %t,tcov nach dem finn. paita indusium alts. peda ahd.
pheit; man vergleicht auch skr. pata vestis. peikabagms cpoivLJ; Joh.
12, 13 kann weder ficus sein noch nevKf] pechbaum, da die heilige
* das ahd. ih hat nicht wieder die rückkehr gefunden zum skr. aham
(s. 257. 258), da es für CH steht, und das H in aham vom G in ego anders
geschieden ist als durch Verschiebung, s. anm. 20.
300 LAUTVERSCHIEBUNG
anwendung der palme in der textstelle zu bekannt war; der Gothe
musz es aus einer spräche entlehnen, welche das gr. cpolvi^ schon
zu peiks oder peika gekürzt hatte, den gr. namen ahmte er nicht
428 nach, wie aus dem qp allein folgt, paurpaura nach lat. purpura.
pund nach lat. pondo, ahd. phunt. puggs ags. pung ahd. phunc
walach. punga, aus dem byzantinischen novyyL plapja platea nkatela
kommt nur einmal Matth. 6, 5 vor und könnte, wenn für platja ver-
schrieben, aus dem lat. oder gr. wort entnommen sein ; indessen be-
gegnet in mlat. Urkunden ein plebium plebeium für platea, conventus
plebis (Pertz 3, 12. Ducange s. v.) und scheint aus plebs gebildet,
was eine zwischenliegende spräche in plape entstellt haben könnte,
plats ahd. plez aus dem sl. plat" Qcixog. plinsjan saltare aus sl.
pljasati poln. pla_sac. praggan premere ahd. phrenkan mhd. pfrengen
nnl. prangen ; ags. pranga cavernamen, pars navis, wo man gedrängt
sitzt? nhd. pranger, an den der Sträfling gedrückt ist? das nhd.
prangen prunken ist ganz verschieden ; ich weisz aber die quelle des
goth. praggan noch nicht. Entlehnte wörter mit K sind kaisar ahd.
cheisar; kapillön, des haars berauben; katils lat. catillus ahd. chezil
sl. kotl" litth. katilas; anakumbjan lat. accumbere. kelikn s. 318 läszt
sich zu cella halten und dem ir. ceall cill kirche, und auch chilecha
wäre dann von hibernischen mönchen überliefert? beispiele des in-
lautenden K: akeit alts. ekid ags. äced eced aus acetum; das altn.
etik schwed. ättikja dän. edike ahd. ezih ist entw. Umstellung von
acetum oder nach dem sl. otz't" poln. ocet; das litth. uksosas ent-
spricht dem gr. o|og. hätte unsere spräche das wort selbst gezogen,
so würde statt K darin H zu finden sein (vgl. s. 400 über acuo und
cos), smakka övxov aus sl. smokva; das gr. wort wäre alsbald
ähnlich, wenn es nach S M ausgeworfen hätte : öfivxov, oder schaltet
dies der Slave ein? ahd. flgä altn. fikja ags. fic litth. pyga stammen
aus ficus, das sich vielleicht mit övxov und smakka in Verwandtschaft
bringen liesze. Erborgte Wörter mit T anlaut scheinen minder gewis,
denn kühn wäre es tekan taitök für undeutsch zu erklären, dessen
einstimmung mit tangere tetigi auf andere deutung wartet.
18) Auf die fremden Wörter des ahd. und ags. dialects, deren
muta nicht verschoben oder nicht nach der regel verschoben ward,
429 kann ich hier nur mit wenigem eingehn. ahd. finde ich sie auf
doppelten fusz behandelt ; entweder, und das geschieht meistens, ver-
schieben sie den laut, gleich goth. und sächs. Wörtern: phanlanza pa-
latium, phorta porta, phefar piper, phifa pipa; chazzä catus, chamara
camera, chezil catinus, chellari cellarium, chäsi caseus; zol ags. toi
telonium, zin ags. tin stannum, zins ags. tins census. oder sie be-
halten den lat. und roman. laut : purpura, palma, pina, pira ; kirsa
cerasum, torcul torcular, taraka scutum it. targa (Graff 5, 455). dies
geschieht auch inlautend bei phorta, wofür jedoch mhd. zuweilen
pforze porze erscheint, wie sonst ahd. winzuril nhd. winzer aus vinitor
entspringt, mhd. und nhd. tritt für den anlaut CH überall K ein,
und wie sonst statt des ahd. P die media B auch in bir pirum, berle
LAUTVERSCHIEBUNG 301
ahd. perala, belliz ahd. pellez. solche mhd. B erklären sich nur aus
dem ahd. P, nicht aus dem lat. P. das mhd. bere fischernetz setzt
ein ahd. p6ri oder pera voraus, welches aus mlat. pera hervorgieng.
19) Wir sahen die lautverschiebung gehemmt auf dem punct wo
sich statt der aspirata PH und CH bloszes F und H entfalteten, und
so wird sich auch dem nhd. S, das in und auslautend für Z eintritt, eine
neue seite abgewinnen lassen, worauf ich jetzt nicht eingehe. Hier
liegt mir an, einige merkwürdige Übergänge zwischen der media B
und spirans V hervorzuheben. Suevi und Uorjßoi wurde s. 322 an-
geführt, lat. wird zu ferveo das praet. ferbui gebildet, neben altn.
boli litth. bullus steht sl. vol" (s. 32); die span. spräche schrieb sonst
biuda bolver und ähnliches f. viuda volver; umgedreht setzen nhd.
volksmundarten ber bas f. wer was und schon mhd. steht wase f.
base bei Herbort 2568. 3712. der bair. und österr. mundart ist B
für W und W für B geläufig, beides im an und inlaut, inlautend ver-
tritt nhd. LB RB mhd. LW ßW. Den Byzantinern ward aus goth.
Valisaharis BefaoaQiog, aus Vandali Bavöttoi, aus Vigilius Verona
Ravenna Btyihog 'Pccßsvva Bsqcovt]. ahd. wisunt wisant ags. ve'send
urus, bubalus ist das lat. bison, gr. ßiöav bos ferus, und der daraus
gebildete heldenname lautet Wisunt, später Wirant mhd. Wirnt, byzant.
Oviöavöog, was lat. in Spanien aufgesetzte Urkunden ausdrücken Ubi-430
sandus (wie ahd. uv = uu, w). aus episcopus erweichte biscopus,
span. obispo und endlich it. vescovo*. Nach so viel beispielen wird
sich ein schon oben s. 313 aufgestellter satz durchführen lassen, der
einen der wichtigsten stamme unsrer spräche aufklärt und mit dem
gesetz der Verschiebung aussöhnt, den zusammenklang von visan esse t
mit dem lat. fuisse gr. cpvuv cpvöuv thut uns diesmal nicht die goth.
sondern die ahd. mundart kund. Ulfilas gewährt keinen imp. des
baaren Substantiven verbums, aus pairhvis permane 1 Tim. 4, 16 steht
aber zu folgern, dasz er vis esto, visij) estote sagen würde; Luc. 5,
13 ist mundare vairjj hrains, 1 Cor. 15, 58 stabiles estote tulgjai
vairpip (oder fiatis vairJDaip). ahd. quellen geben aber auszer wis!
esto 0. I. 3, 29. III. 1, 43 auch pis! Diut. 1, 510b und mhd.
schwanken zwischen wis! Iw. 6566. frauend. 128, 13. Walth. 23, 1.
35, 26. 55, 20. 91, 17. Freid. 149, 12 (var. s. 298 bis!). Winsbeke
20, 2 (vgl. var. s. 57) und bis! En. 9607. MS. 1, 15b 19a. 2, 233a.
Gudr. 220, 4. Frib. Trist. 3636. Pfeiff. myst. 135, 11. 226, 15.
282, 30 und auch nhd. taucht dies bis! hin und wieder auf (Schm.
1, 209 und dial. s. 356. Stald. dial. 137). alts. gilt nur wis! Hei.
8, 6. 10, 3. 100, 19. 109, 10. we's! 167, 22; mnl. wes! Jesus 36.
ags. beo! Marc. 10, 49. Luc. 12, 40. Joh. 20, 27. engl, be! ags.
* setzt auch inlautender Wechsel zwischen P und V die Zwischenstufe
B voraus? mir liegen nicht deutsche fälle im sinn, sondern das verhalten
des zend. s'penta zu litth. szwentas sanctus, ^des zend. aspa zu skr. asva
litth. aszwa welschem osw (s. 30), des zend. vis'pa omnis zu sJsr. vis'va, litth.
wissas lett. wess sl. ves vsa, des zend. *pä canis zu skr. s'vä, litth. szü,
sl. pes psa (s. 38) med. anu§ (s. 228).
302 LAUTVERSCHIEBUNG
pl. beod! der ahd. pl. lautet we'sat! Diut. 1, 496b wöset! T. 44, 16
alts. we'sat! Hei. 56, 6. 76, 8. 173, 16. mhd. we'st! Parz. 305, 28,
bald aber überwog dafür der conjunctive ausdruck Sit! d. h. sitis Nib.
173, 1. 517, 1. Iw. 1254. 1857. 2909. Walth. 28, 13. 19. 31, 23.
43124. 29. 36, 12. 15. 86, 28. 106, 29 und Parz. 305, 28 weicht
auch die lesart in Sit ab, 172, 7 das aufgenommne Sit in we"set!
nhd. dehnte sich der conj. in den sg. imp. aus und sei! für seist
(schon bei Luther und H. Sachs) verdrängte sowol wis als bis! Un-
möglich ist zu verkennen, dasz jenes ahd. pis! mhd. bis! die echte
organische, dem praesens pim und pirum = pisum (s. 313) ange-
messene form war, aus pirut estis aber auch ein ver schollner pl. imp.
pirut! estote geschlossen werden darf, das S oder R in pis pirum
scheint nun dem in visan altn. vera gleichzusetzen, und vairpa entsprang
aus visada (s. 310), wie hairdeis custos aus hizdeis (s. 400); das gr.
U in cpvöcj cpvöLQ (= goth. vists, ahd. wist), das lat. S in fuero =
fueso haben denselben grund, und ich übersehe nicht dasz bei K.
40a 45a wisit fuerit, bei T. 98, 3 we'sent fient, Diut. 1, 49 7a wesen
fiant, wesant forent, 49 la 492a wisis eris, wisit erit verdeutschen,
denn das ineinandergreifen der formen fore fieri zeigt sich hier allent-
halben. Ohne S ist sowol pim bin als ags. beo beod und beo be-
deutet zumal ero. während die ags. formen zwischen B und V, die
ahd. zwischen P und W vertheilt sind, war den Gothen hier alles B
erloschen. B aber klingt ein nicht nur mit dem gr. Q und lat. P,
sondern auch mit dem B des ir. bi! esto, biodhidh! estote (Odonovan
169); litth. buk! esto, bukite ! estote, sl. budi! esto, budjete! estote,
nur dasz ich nach anm. 1 1 das recht habe, diesen allen für B orga-
nisches BH zuzutrauen, welches erst nach der lautverschiebung des
ags. B ahd. P erreicht. Was aber läszt sich aus dem nebeneinander-
walten des ahd. P und W in pis und wis ahnen? mich dünkt das,
dasz die ahd. stufe kein hohes alter hat, da schwer zu begreifen
scheint, wie auf ihrem grund und boden P in W gewandelt worden
wäre ; folglich setzt sie den goth. oder sächs. lautstand voraus, nach
welchem der Wechsel zwischen B und V ungemein faszlich wird,
folglich waren beiderlei formen bereits da, als sich die ahd. stufe
entfaltete, und wurden blosz einzeln, nicht in der beziehung aufeinan-
der, in sie übersetzt. Man erwäge wie nah sich keltisches B und BH
432 untereinander liegen und BH den laut unseres V und W erreicht
(s. 368. 369). wahrscheinlich ist das alts. BH noch ein nachzügler
aus dem vor der Verschiebung stattfindenden Verhältnis der laute.
20) Nicht ungleich den eben geschilderten Übertritten des B in
V sind die der media G in die spirans H. den ältesten fall lehrt uns
das skr. aham für agam (s. 257), wo lat. ego, gr. hyco, und das
lautverschobne goth. ik an der echtheit des G nicht zweifeln lassen,
dem oft geschilderten Wechsel zwischen H und S gemäsz ist es nun,
dasz im litth. asz SZ auftritt, das hier dem sl. aus G hervorgehenden
Z (s. 382), anderemal dem sl. S für CH (s. 385) zur seite steht,
so begreifen wir, dasz litth. szendi£n sz^nakcze (serb. sinotsch) dem
LAUTVERSCHIEBUNG 303
goth. ungekürzten himmadaga, ahd. hiutü und hinaht, mhd. hiute hint
entsprechen, lat. aber und welsch wiederum dasselbe H in hodie
hacnocte, in heddi und heno erscheint, das lat. H in hie hoc ist
zugleich das goth. in his hita und enthält keinen Widerspruch gegen
die lautverschiebung, blosz eine ausnähme von ihr: darum durfte lat.
haurio zu goth. hausja (s. 315) gestellt werden und mlat. humulus
(hopfe) finn. humala ist sl. chmel. Die geschichte der partikeln cum
6vv %vv cc{ia und unsrer sama ham ga cha leitet auf viele hier ein-
schlagende Verhältnisse.
21) Es seien noch einzelne ausnahmen von dem waltenden gesetz
der Verschiebung namhaft gemacht, die als solche nicht befremden
dürfen und deren Ursache sich vielleicht allmählich entdecken wird,
der lat. name des erdwühlenden talpa musz gehören zu ags. de'lfan,
alts. delban, ahd. te'lpan fodere; doch die ahd. consonanz erreicht
ganz die lateinische und irgendwo mag die folge der laute aus ihrer
fuge gerathen sein. s. 206 führte dakisches rovkßrjXa zur nemlichen
wurzel, aber die Schwierigkeiten bleiben ungelöst. ^a%aiQa lat. ma-
chaera stimmt nicht zu goth. mekis altn. msekir ags. mece ahd.
mächi? vgl. mhd. msecheninc Ben. 361; mitzuerwägen sind sl. metsch
poln. miecz litth. meezus gladius, aber auch lat. mucro macellum
und maetare. mit gr. uavlog vergleichbar scheint ahd. eichila, doch
wieder nicht genau, weil ahd. eih quercus ags. äc goth. aiks? im 433
gr. wort media voraussetzen, nach der weise von {laydkog mikils
michil. dasz dem sl. vjetr" ävs^iog lat. ventus kein goth. vinps ags.
vid altn. vinnr, sondern vinds vind vindr zur seite stehn, folglich
ahd. wint wintes (doch bei N. wint windes), gibt sich ohne mühe zu.
mehr gequält hat mich die schwankende lingualis im ags. invit dolus
und dolosus, alts. inwid dolus, ahd. inwitte dolo (f. inwitie) inwitter
dolosus (Graff 1, 769). dem alts. invidiesge'rn inwideasgern Hei. 141,
16. 154, 12 entspricht altn. ividgiarn Sami. 138a und auch ags. wird
neben invit gefunden invid, Jud. 132, 4 se invidda dolosus; ich möchte
das lat. invidia (p%6vog hinzuhalten, dessen bedeutung unfern liegt
der von iniquitas dolus, denn invidia invidere stammen von videre*,
wie litth. pawidis pawydejimas invidia von weizdmi, böhm. zawist
von zawideti, poln. zawisc von widziec. dann aber wäre das ags.
invit dem invid vorzuziehn und auch ahd. inwiz für inwit zu gewar-
ten, mir ist eingefallen, ob nicht goth. neip ags. nit ahd. nid nhd. neid
ursprünglich hervorgehn aus inveijp oder niveip (wie ahd. neiz ags. nät
aus niweiz nevät) ? böhm. besteht auszer zawist ein nenawist poln.
nienawisc odium, weil der hassende das äuge abwendet, der günstige
zuwendet (s. 173). wiederum wäre in so uraltem wort die lingualis
der stufe nicht treu geblieben, die sie im einfachen goth. vitan =
* invidiae nomen dictum a nimis intuendo fortunamalterius (Cic); insita
mortalibus natura recentem aliorum felicitatem aegris oculis introspicere.
Tac. hist. 2, 20. das in- läszt sich positiv als zuschauen, oder negativ den
blick abwenden deuten.
304 LAUTVERSCHIEBUNG
videre einnimmt, man vgl. das lett. naids odium neben eenaid (von
ee- in-?) und vielleicht das gr. ovEidog.
22) Dies ebengenannte wort gemalmt an eine hauptsächlich
griech. eigenheit, die aber auch in andern sprachen wahrgenommen
wird, dem anlautenden consonant einen vocal vorzusetzen, gr. zumal
o und £, aber auch a, selten i, Pott 2, 166 — 168 hat beispiele ge-
sammelt und gezeigt, dasz dazu immer phonetischer oder noch tieferer
434anlasz war, wie überhaupt die spräche nichts umsonst thut. mit
ovopa sahen wir (s. 153) imja emnes ainm enw stimmen, dem ö(pQvg,
skr. bhrü ahd. präwa altn. brä begegnet ir. abhra und oÖovg wird
gerechtfertigt, wenn dantas f. adantas, dens für edens steht, zählte
man mit ausschlusz der daumen acht finger an den händen (s. 244),
so könnte neues anheben mit Iv via ausgedrückt sein; den übrigen
sprachen war die praeposition entbehrlich, äxovrj scheint nach d%lg
acies acuo vollständiger als cos und hein, wie aszwa vollständiger als
kon', wenn sich die s. 400 geäuszerte ansieht bestätigt.
23) Graff ist mit den consonanten übel verfahren, statt in einem
ahd. Wörterbuch ahd. richtschnur streng zu handhaben hat er die
reihen der drei Organe verwirrt, und zwar tac unter T gestellt, aber
pintan dem B, käst dem G zugetheilt. käst verhält sich nicht anders
zu goth. gasts, pintan zu goth. bindan als tac zu dags, und weder
die mhd. noch nhd. weise konnten einen grund abgeben um die ahd.
zu entstellen, sollte nach goth. brauch B und G walten, so hätte
auch D bleiben müssen, weil 0. dag schreibt wie bintan und gast.
Jetzt hat man die fremden plna und kirsa nicht in gesellschaft von
pintan und käst aufzuschlagen, das fremde tempal aber neben tac.
mitten unter den fremden P, die gewöhnlich PH sein sollten, sind
aber auch die besten deutschen Wörter wie pigo acervus, piunt clau-
sura, pröz gemma gelassen, die unbedenklichen gothischen B zufallen,
das salische chunna ist 4, 443 unter K gebracht, da es doch dem
lat. centum und goth. hunda entsprechend so gut unter H gehört,
wie 4, 1066 hlwo = goth. heiva = lat. civis nach der fünften
gleichung.
XVIII.
DIE GOTHEN.
Da wo, nach thrakischer sage, Haemus und Rhodope zu bergen 435
erstarrt waren, scholl die frühste von der schrift uns aufbewahrte
deutsche rede, hätte nicht Ulfilas in sich den trieb empfunden die
heiligen worte des neuen glaubens gothisch auszudrücken ; so wäre es
um die grundlage der geschichte unsrer spräche geschehn gewesen,
sein unvergängliches werk hat sich nur zum geringsten theil erhalten
und gar nicht zu berechnen ist, welch groszer schade uns durch den
Verlust des übrigen erwachsen sei; doch ein glücklicher fund fügte
es in unsern tagen, dasz eine beträchtliche lücke ausgefüllt werden
konnte, und fast aus jeder zeile des geretteten textes neue gewinne
hervorgiengen. eines denkmals von gleich hohem alter und werth kann
sich keine andere der fortlebenden europäischen sprachen rühmen.
Unter demselben himmelsstrich, den Ulfilas und seine Gothen
bewohnten, hauste lange zeiten hindurch vorher (s. 186) das volk der
Geten. halten nun meine im neunten capitel für beider Völker gleich-
heit gelieferten beweise stich, so hat uns vor allem zu beschäftigen,
dasz die als merkmal aller deutschen stamme anerkannte lautverschie-
bung dem getischen abgegangen zu sein scheint (s. 216), und bedeutsamer
weise läszt der schritt, den wir von den Geten auf die Gothen thun,
jenes sich zuerst entfaltende verrücken stummer consonanten gewahren. 436
Ein in der geschichte europäischer sprachen so wichtiges ereignis
musz einmal bestimmt erfolgt sein, wenn es auch lange zugerüstet
gleichsam im voraus angeschlagen hatte, solche anklänge fanden sich
bereits im zend (s. 419) und auszerhalb der Urverwandtschaft bei
Etruskern und Ungern (s. 416). sie waren vorboten oder nach-
zuckungen einer ausnähme von dem urgesetz, die sich irgendwo in
voller breite geltend zu machen nicht ermangeln konnte.
Dennoch nehme ich jene abwesenheit der Verschiebung bei den
Geten, von deren spräche uns so wenig unter äugen liegt, nur vor-
sichtig an. sie folgt aus Übereinkunft des dakischen krustane mit
litth. kregzdyne' (s. 204), des dak. aprus mit lat. aper (s. 209), des
Grimm, geschichte der deutschen spräche. 20
306 GOTHEN
dyn mit welschem dynad (s. 211. 217) wie aus dem abstand zwischen
priadila und friudila, pegrina und fagreina (s. 215), dochela und
tagl (s. 209); auf die ungewisseren vergleichungen von 7108% mit
fahs (s. 207), prodiorna mit frajyjarna (s. 213), kotiata mit hatjata,
yovog mit kuni (s. 208) soll weniger gebaut werden. Dasz aber
einzelne mutae noch zu den gothischen treffen erklärt sich aus der
nicht allenthalben durchgedrungnen neuerung, und wie auch wir goth.
du für tu = ahd. zi wahrnehmen (s. 421), darf mit jenem övv noch
goth. deina oder deinö stimmen, ja in Dacus und dakina (s. 209)
erscheint die auch in goth. dags, altn. dagr und dem volksnamen
Danir fortdauernde media, wie sie der weiter geschobne ahd. laut
in tac und Ten! voraussetzt, habe ichs aber nicht verfehlt in Dece-
balus und Taiphalus (s. 194), so zeigt sich hier die ahd. Verschiebung
des D in T nach neunter, und eines vorauszusetzenden gpth. P in
PH oder F nach erster gleichung.
Freilich bleibt in einzelnen namen anstosz zurück; doch wie
unregelmäszig sind eigennamen überhaupt? die s. 199 versuchte
deutung von "Avaoxoi wird bedenklich, wenn hardus aus xccorog
437 (s. 400) entspringt, und man musz für Bessi und Bastarnae, auf welche
ich hernach noch zu sprechen kommen werde, ein andres gesetz
suchen, als ihnen die erste gleichung anweist.
Immerhin glaube ich schon jetzt den satz verantworten zu können,
der bei fortgepflogner prüfung kaum wieder fallen wird, dasz unter
den ostdeutschen stammen lautverschieb ung ungefähr in der zweiten
hälfte des ersten jh. einzureiszen begann, und sich im zweiten und
dritten festgesetzt hatte, westlich vorgedrungnen könnte sie aber schon
früher eingetreten sein, und darum reifte sie dort zu einer neuen
stufe heran, deren beginn schwerer zu bestimmen fällt; im siebenten
jh. scheint auch diese entfaltet, also etwa in der zeit, wo sich die
romanische änderung der kehllaute zugetragen hatte (s. 388).
So natürlich das steigern des lauts in der ganzen Sprachanlage
erscheinen mag, kann man es doch zugleich unter den schon s. 417
eröfneten gesichtspunct fassen und nach einer Ursache fragen, die
dazu in der geschichte unser s volks vorhanden war.
Seit dem schlusz des ersten jh. hatte sich die ohnmacht des
römischen reichs, wenn auch seine flamme einigemal noch aufleuchtete,
entschieden, und in den unbesiegbaren Germanen war das gefühl ihres
unaufhaltsamen vorrückens in alle theile von Europa immer wacher
geworden; jetzt erhob sich statt des langsamen und verweilenden
zugs, den sie von Asien her unvordenkliche Jahrhunderte hindurch
eingehalten hatten, ein rascherer stürm, den die geschichte vorzugs-
weise Völkerwanderung nennt, nur die wenigsten stamme blieben
in ihrem sitz haften.
Wie sollte es anders sein, als dasz ein so heftiger aufbruch des
volks nicht auch seine spräche erregt hätte, sie zugleich aus her-
gebrachter fuge rückend und erhöhend? liegt nicht ein gewisser mut
und stolz darin, media in tenuis, tenuis in aspirata zu verstärken?
GOTHEN 307
Die vordersten und rührigsten in der groszen bewegung, Franken,
Alamannen und die übrigen Hochdeutschen, wird es nicht erklärlich,
warum sie alle von der zweiten auf die dritte stufe schritten?
Wer diese deutung als eingebildet ablehnen oder durch einzelne 438
anstände, die ich nicht verhehlen werde, stören will, kann sich von
der vorstechendsten eigenheit unsrer spräche keine rechenschaft geben.
Als ruhe und gesittung wiederkehrten, blieben die laute stehn, und es
darf ein zeugnis für die überlegne milde und bändigung des gothi-
schen, sächsischen und nordischen stamms geben, dasz sie bei der
ersten Verschiebung beharrten, während die wildere kraft der Hoch-
deutschen noch zur zweiten getrieben wurde, das schlieszt mir auch
auf, warum die hochdeutsche spräche bei manchem empfindlichen
nachtheil, in dem sie zu den übrigen steht, lebendiger geblieben ist
und ihren sieg behauptet.
Ich wende mich zu den Gothen und gothischen stammen.
Trajan hatte Dacien unterjocht, aber die getische macht so wenig
gebrochen, dasz sie verjüngt in derselben gegend auftrat und von nun
an als gothische die weit mit ihrem rühm erfüllte. Wer blosz den
ausgedehnten räum erwägt, in dem die Gothen auftreten, und die fülle
ihrer heere, der musz sich schon überzeugen, dasz in ihnen ein
haupttheil des deutschen volks gelegen war. Nachdem nordöstlich
von der Donau bis zum Pontus hin Ermanarichs Gothenreich erblüht
war, das im hintergrund finnische stamme, neben sich Slaven und
Litthauer sah, von dieser seite verkehr mit dem fernen norden, im
süden und westen mit Byzanz unterhielt, so dasz die Gothen durch
ganz Thrakien nach Makedonien und Griechenland streiften; drangen
sie, von den Hünen selbst erschüttert allmählich weiter vor und erreich-
ten, während noch ein kern von ihnen an der Maeotis stand hielt, in
zwei strömen durch Gallien über die Pyrenaeen die spanische, über
die Alpen die italische halbinsel. von den hier gestifteten beiden
reichen unterlag aber, nach kurzem glänz, zuerst das ostgothische
den letzten anstrengungen der Byzantiner und dem nachdrang der
Langobarden und Franken, das westgothische später vor dem ein-
brach der Araber. Wäre die gothische stärke unzersplittert geblie-
ben und hätte sich ihre herschaft im osten gleich der fränkischen
im westen gefestigt; die Schicksale Deutschlands und der deutschen
spräche würden eine ganz andere gestalt gewonnen haben. Alles was 439
in der geistigen anläge und bildsamkeit der gothischen natur ent-
halten war, ist uns verloren worden.
An dieser stelle liegt es mir ob, den namen der Gothen genauer
als es bisher geschehn konnte zu erörtern.
Den Griechen und Eömern galt für die thrakische form dieses
namens rhcu, Getae, nach der schon s. 200 beigebrachten wichtigen
und entscheidenden stelle des Plinius daneben aber auch Gaudae. beide
gestalten gemahnen augenblicklich an die composition skythischer völ-
kernamen, Maööaykrca und Eatxayvdai (s. 226); zugleich beleuchten
sie uns eine Verschiedenheit und Verwandtschaft gothischer völkernamen.
20*
308 GOTHEN
Jetzt nach enthüllter lautverschiebung kann es nicht anders sein,
als dasz das T des ersten namens gothisch zu TH, ahd. zu D, das
D des zweiten hingegen gothisch zu T, ahd. zu Z werde; und so ist
es bis auf einen einzigen fehler. Die Getae werden goth. Gu]3ans,
die Gaudae Gautos, altn. Gautar, ags. Geätas, ahd. Közä. wer in
diesem gleichlaufen der thrakischen Getae und Gaudae, der deutschen
Gupans und Gautös die identität beider Völker nicht erwiesen sieht,
ist geschlagen mit blindheit. unter Geten und Gothen sollte sich
zwiefache namensbildung hervorgethan haben, wenn zweimal beide
nicht dasselbe volk wären?
Nur darin mangelt etwas dasz der name Getae nicht ganz zu
recht verschoben wird, dasz die anlautende media haften blieb, wie
in dags du (s. 421. 422), darüber habe ich mich genugsam ausge-
sprochen; warum sollte der an sich nachgibigere inlaut nicht auch
unregelmäszigkeit zulassen? vom verhalten des T und D in Getae
Gaudae soll nachher die rede sein. Wie Tacitus eigentlich schreiben
wollte, ob Gothones oder Gotones [Haupt 9, 244], das mögen die
hss. der annalen 2, 62 schlichten ; eins wie das andre taugt in meine
Vorstellung, das unlateinische TH durfte er inlautend wie anlautend
(in Teutoni) meiden, man wird dann auch Germ. 45 Sitonis dem
Sithones, und Nertus dem Nerthus vorziehen müssen, liesz er aber in
fremden namen dem TH sein recht, wie Plinius Sithonii, Scythae u. s. w.
440 schrieb, so übte er genauigkeit. Unter den Byzantinern setzte sich
rot&oi fest, mit doppelter lingualis, nach griech. brauch ausgedrückt
(s. 179. 361); was im mittelalter die lat. Schreibung Gotthi zuweilen
nachahmt, obschon die bessere Gothi behält.
Vielleicht blieb dies gr. JTor-frot nicht ohne einflusz auf den
Schreiber des goth. calenders, wenn er das dem altn. Goddiod (oder
GoJ)J)iod) entsprechende Gutpiuda so ausdrückt, daraus ein Guts als
echte gothische bezeichnung des namens folgern möchte ich nicht,
glaube vielmehr dasz Ulfilas den namen seines volks mit J) schrieb, wie
es auch bei Cassiodor vorauszusetzen ist. in den von Waitz bekannt
gemachten bruchstücken des Auxentius liest man s. 13. 19 lingua
gotica, daneben aber s. 14. 15. 20 gens Gothorum. das T steht
nach lateinischer weise*, freilich schreiben die Angelsachsen immer
Gotan mit T wie Geätas und auch in der edda steht, neben jenem
Goddiod, 177b 272a 273a gotna (heroum, virorum), 233a gotnesk
kona, bei Snorri 146 Gotland, wie sonst Gautar und Gautland. Ahd.
sollte man nach der lautverschiebung im namen Gothi D erwarten,
und wirklich begegnet in einer alten glosse Diut. 1, 236a (Graff 4,
173) guti : gudi. ahd. schriftsteiler des 8. 9 jh. wüsten von den
Gothen nichts lebendig, und nur aus lat. quelle; N. Bth. 4. 122 be-
hält sogar das lat. Gothi bei und wagt kein deutsches wort. Desto
häufiger tritt in zusammengesetzten eigennamen das ahd. Köz oder
* Ammians Fritigernus führt zurück auf goth. Frijmgairns oder ahd.
Fridokern.
GOTHEN 309
Göz auf, das dem ags. Geät, altn. Gautr und jenem Gauda des Plinius
entspricht, man vgl. die von Graff 4, 280. 281 gesammelten beispiele,
denen ich hier ein einziges beifügen will: Wuotilgöz = ags. Vödelgeät
(Haupt 1, 577). nichts anders scheint im passional 64, 41 wuotegöz,
wie zur herabwürdigung des alten göttlichen namens sonst wüeterich
(mythol. 121) gesagt wird, den ahd. namen Madalgöz drückt eine
lat. form Madalgaudus, und den frauennamen Wuldargöza (trad. fuld.
2, 43) VenantiusFortunatusUltrogotho (= Vulpragujjö, wie Childeberts 441
gemahlin hiesz) aus. so schwanken wiederum beide formen.
Fassen wir nun die vocale der doppelgestalt näher ins äuge,
in Getae steht E auszer bezug zum AU in Gaudae, welches deutschem
ohr offenbarer ablaut des U in Gupans erscheinen musz. wie dies U
nach der form Zlatzayvöai höchstes alter verräth, stellt es sich auch
wegen jenes bezugs zu AU organischer als E dar. Gutae und Gaudae
stehn sich also vocalisch zur seite, wie im sanskrit Drupadas und seine
tochter Draupadi, Bhimas und seine tochter Bhaiml, Visravas und
sein söhn Vaisravanas, oder der thüringische König Bismus und
seine gemahlin Basina : in kindern und nachkommen wiederholen sich
die namen der vorfahren mit ablaut. hiernach können Gaudae nichts
anders sein als spröszlinge der Gutae. Was aber der ablautende
vocal andeutet, den fortwuchs des stamms, soll gewis auch der sich
abstufende consonant* ausdrücken; die Gaudae sind nicht mehr die
alten Getae selbst, stammen aber von ihnen ab. in den ags. und
altn. namen haben sich die T wieder ausgeglichen und nur die Ver-
schiedenheit des vocallauts thut kund, dasz die Geätas abkömmlinge
der Gotan sind, beide namensgestalten verknüpft merkwürdig der
gothische volksname Gautigoth bei Iornandes cap. 3**.
Ich bin so ausführlich, als es die bedeutsamkeit dieser unbeach- 442
teten sinnigen namens Verhältnisse heischt; es wird nicht an ferneren
beispielen mangeln.
Den eigentlichen begrif des worts Gothen verhüllt noch dunkel,
für sich allein betrachtet dürfte Gaut oder Geät mit giutan fundere
zusammengehalten werden; als abstufung von GuJDa sträubt es sich
dagegen. Musz man Gupa für ursprünglicher halten als Geta (wie das
U in pus puk für echter als I, E in tibi te, s. 261); jene wurzel-
hafte berührung des volksnamens mit -getes -ysvog (s. 179. 278)
wäre dabei noch nicht ausgeschlossen, da sich auch in kuni yovog U
* man vgl. ahd. werdan ward wurtun; ags. veordan veard vurdon;
midan mäd' midon; seodan seäd sudon.
** Zeusz s. 505 nimmt Gautigoth für einen pl., TH = S; das ist scharf-
sichtig, aber in goth. spräche nicht recht statthaft (ahd. sahen wir s. 394
TH zu Z werden, nicht zu S) und was wäre aus Gautigös zu machen?
adjectivisches gauteigs würde den pl. gauteigai fordern; eine ähnliche deu-
tung von Massagetae wurde oben s. 224 abgelehnt, eben so wenig erläu-
tert sich der analoge name Vagoth durch Yagös aus altn. Vagar, denn in
der beigebrachten Olafssaga sind Vägar inseln, kein volk, vgl. forum, sog.
12, 365. endlich, und das entscheidet, schreibt Iornandes cap. 11 bellagines,
cap. 13 Anses, cap. 23 Thiudos Rocas mit S.
310 GOTHEN
zeigt, an guj) deus zu denken wird man gehindert, weil dieses laut-
verschoben dem pers. khodä entspricht, in Guf>a Gothus aber urver-
wandtes G beharrt; gleichwol läszt sich der anstand vielleicht beseiti-
gen und ein Zusammenhang des volksnamens mit der benennung des
höchsten wesens (s. 447) hat sonst vieles für sich.
Könnten wir alle bei Iornandes cap. 3 aufgeführten benennungen
der richtigen lesart überweisen und verstehn, die geschichte der Go-
then würde sich mehr aufhellen.
Es verdient als eigenheit deutscher volksnamen insgemein her-
vorgehoben zu werden, dasz sie schon in ältester zeit den himmels-
strich auszudrücken pflegen, meines wissens geschah das weder bei
Griechen, Römern, Slaven noch Kelten; hängt es mit einer beschau-
lichen ruhe deutscher niederlassungen zusammen? noch bis auf heute
gibt es bei uns zahllose Ortsnamen, die durch ein vorgesetztes ost
west süd und nord unterschieden werden, vorzugsweise findet sich
aber die richtung von osten nach westen, gleichsam im uralten trieb
des groszen völkerzugs (s. 162) angegeben, und so stehn einander
Ostgothen und Westgothen, Ostfranken und Westfranken, Ostfalen
und Westfalen, Ostfriesen und Westfriesen gegenüber.
Den namen Ostrogothae und Wesegothae hatte schon, wie Ior-
nandes cap. 14 hervorhebt, Ablavius von den am Pontus nieder-
sitzenden Gothen nach ihrer damaligen läge geleitet; weil aber im
stamm der Amali zugleich ein könig Ostrogotha auftritt, so meinen
beide Schriftsteller oder doch einer von ihnen, dasz vielleicht nach
443 ihm das volk geheiszen sein könne, was jedoch voraussetzen würde,
dasz auch die Balthi einen eponymus Wesegotha gehabt hätten,
richtiger wird man also die namen von dem örtlichen sitz der stamme
herleiten und sie für desto älter halten müssen, da schon einer der
heldenahnen nach dem volk benannt war. Procop versteht unter dem
bloszen namen r6t\toi allemal die Ostgothen, während er die seinem
bericht ferneren Westgothen OviötyozQ'OL nennt (de b. vand. 1, 2.
de b. goth. 4, 5).
Diese form Visigupans, ohne T, erlaubt an das goth. vis yaKijvrj
und an visan manere zu denken: abend und westen führen den begrif
der stille und ruhe mit sich; auch im osten scheint, wenn man oriens
und litth. auszra, lat. aurora hinzu nimmt, das T erst beigefügt,
litth. auszra aurora, auszrinnis orientalis steht aber dem wakaras
occidens, wakarinnis occidentalis entgegen, und wakaras ist (wie Xxxog
equus mit as*pa s. 30) verwandt mit königa lat. vespera, ir. feascor,
gal. feasgar, sl. vetscher, poln. wieczor, folglich auch mit westen*.
Jener könig Ostrogotha musz, da sein nachfolger Cniva in des
kaisers Decius zeit fällt, bald nach dem beginn des dritten jh. ge-
herscht haben, und wenn man der jornandischen Stammtafel von den
* da litth. wakar, lett. wakkar zugleich gestern (d. i. gestern abend)
ausdrückt, mag auch heri = hesi und nesternus, goth. gistra (für gvistra?)
gehalten werden zu vespera und vis, westan.
GOTHEN 311
Ansen überhaupt historisch nachzählen kann, so reicht sie nicht hoch,
nicht einmal bis in den anfang unsrer Zeitrechnung hinauf, zwischen
Ostrogotha und Amala ist nur ein glied, nemlich Isarna (Eisarna),
zwischen Amala und Gapt (oder Gaut), dem an die spitze gestellten
ahnen, liegen noch zwei andere, Gaut würde also höchstens in das
erste jh. reichen, so dasz ihre geschlechter an die Daken und Geten
unter Domitian und Trajan nicht einmal zu stoszen brauchen, gewis
aber ist einer aus gothischen liedern und sagen geschöpften königs-
reihe nichts als mythische grundlage zuzutrauen.
Ostrogotha soll nach Iornandes cap. 16. 17 über beide stamme,
die Ostgothen und Westgothen zusammen geherscht haben, unter 444
Ermanaricus, der nach drei Zwischengliedern auf ihn folgte, erlangte
das gothische reich, also ungefähr im lauf des -vierten jh. groszen
glänz, den aber der Hünen einbruch trübte. Um das j. 364 begannen
die Westgothen sich mehr nach westen zu wenden und sitz in Thrakien
und Dakien zu fassen ; sie waren mit Byzanz unter kaiser Valens in
näheren verband getreten und hatten sich zum christenthum bekehrt:
Thracias Daciamque ripensem tanquam solo genitali potiti coeperunt
incolere, sagt Iornandes cap. 26*, was nicht ausschlieszt, dasz sie
früher als Geten schon an derselben statte heimisch waren : jetzt er-
langten sie vertragsmäszig aus der hand der Römer zurück, was
diese eine Zeitlang besetzt gehalten hatten, unter solchen Westgothen
lebte und schrieb Ulfilas. Als Attila gegen Gallien vorrückte stan-
den die christlichen Westgothen auf römischer seite, während die
noch heidnischen Ostgothen den Hünen verbündet waren. Es ist
bekannt, dasz um diese zeit die Westgothen durch Gallien nach
Spanien vordrangen und dort ein reich stifteten, die Ostgothen aber
etwas später ihre herschaft in Italien gründeten, deren blute Cassiodor
geschildert haben musz, deren ausgang wir bei Procop beschrieben
lesen**. Unter beiden volksstämmen mag, mit geringen ab weichungen,
dieselbe gothische spräche gewaltet haben; gelangte, wie es scheint,
die silberne hs. aus Spanien, vielleicht bei Vermählung einer königs-
tochter, nach Ripuarien, so waren die zu Bobbio aufbewahrten bücher
vermutlich ostgothischen Ursprungs.
Vidsides lied im cod. exoniensis, das uns so viele bedeutsame 445
stammsagen aufbewahrt, nennt den Eormanric 324, 3 einfach Gotena
cyning (wie es 319, 27 heiszt Eormanric veold Gotum); 325, 18
wird auch neben Emerca und Fridla Eästgota, d. i. jener Ostrogotha
des Iornandes aufgeführt, das lied bezeichnet ihn als verständig, gut,
und als vater Unvens, während ihm bei Iornandes ein söhn Unilt
* vgl. Procop d. b. goth. 4, 5 (2, 477).
** auszer diesen nach westen vordringenden beiden hauptstammen blieb
ein dritter, der schon zum christenthum bekehrt war, durch die Hünen
abgerissen, tief im osten an der Maeotis sitzen, das sind die Tetraxiten,
deren künde Procop de b. goth. 4, 4 und 5 aufbewahrt, deren spätere ge-
schiente aber, bis auf geringe spuren bei reisebeschreibern erloschen ist.
im namen TerQagTzai scheint der begrif vier und einer tetrarchie gelegen.
312 GOTHEN
beigelegt wird : dieser Unven (ahd. Unwän, praeter spem genitus) und
Unilt müssen zusammen fallen, und wahrscheinlich ist die ags. form
richtig überliefert. Emerca und Fridla heiszen in den ann. quedlinb.
(Pertz 5, 31)Embrica und Fritla, und neffen des Ermanaricus. In noch
einer andern stelle 322, 3. 4 unterscheidet das ags. lied wiederum
Hredgotan und Geätas neben Sveon (Suionen). das Beovulflied aber
läszt nirgend Gotan, desto häufiger Geätas, und zwar daneben Dene
wie Sveon auftreten, diese Geätas werden noch näher durch den
beisatz Ssegeätas (3696. 3967) und Vedergeätas (2984. 3224. 4753.
5098) bestimmt, gleichbedeutig mit den letztern aber auch blosz
Vederas oder Vedere? denn es steht immer nur der gen. pl. Vedera
(448. 991. 1388. 4666. 4920. 5406. 5569. 5796. 6069. 6307)
genannt.
Wie jene Westgothen und Ostgothen von der untern Donau sich
in Spanien und Italien ergossen, werden wir hier ganz auf die andere
seite nach dem norden gewiesen, dahin setzte schon Iornandes cap.
3, auszer Gautigoth, Vagoth und andern dunkeln völkernamen auch
Ostrogothae neben Raumaricae, unter welchen doch sicher die nor-
wegischen Raumar gemeint sind. Raumariki aber grenzt noch heute
an schwedisches Vermeland, auf welches Gautland folgt, diese Ostro-
gothae können demnach keine andern sein, als bewohner des heutigen
östergötland, dem wieder ein Vestergötland zur seite steht, die altn.
benennung lautet Eystragautland, Vestragautland ; es sind also Gautar,
schwed. Götar, des Ptolemaeus Tavxoi in Scandia* gemeint, keine
446 Gotar, oder anders ausgedrückt ags. Geätas, keine Gotan, und dazu
stimmen die Ssegeätas und Vedergeätas des Beovulflieds. ags. veder
bedeutet ae'r, tempestas, ahd. wetar, altn. vedr, und ich finde auch
ags. veder,. wie engl, weather geschrieben; könnte Vedergeätas aus
Vestergeätas verderbt sein? denn der Wettersee in Vestgötland, an
welchen Zeusz denkt, wird heute mit TT, im Vestgötalag Vsetur ge-
schrieben. Endlich jenen Hredgotan bei Vidsid begegnen genau die
altn. Reidgotar und es wird weder ags. Hredgeätas, noch altn. Reid-
gautar angetroffen, mit festhaltung des uralten Unterschieds zwischen
Getae und Gaudae. unter Reidgotaland versteht man entweder Jüt-
land** oder das feste land von Dänemark, im gegensatz zu den inseln
(Eygotaland).
So merkwürdig spiegelt sich der gothische volksname nach zwei
fernen Seiten hin, in seiner hergebrachten doppelgestalt und in einer
alten Zusammensetzung, ab. Auszerdem tauchen aber noch einige
besondere erwägenswerthe benennungen auf.
Dasz alle Gothen ihren helden den namen Anses (goth. Anseis
Anzeis) beilegten, wurde schon angeführt, und Iornandes deutet ihn
ausdrücklich durch halbgötter, die über blosze menschennatur erhaben
* auch Procop scheidet Tox&oi und Tavxoi, welche letzteren er zu den
nordischen Thuliten rechnet.
** dem Finnen heiszt der Däne überhaupt Juuti.
GOTHEN 313
sind, hierin liegt ein unabweisbares zeugnis für den Zusammenhang
der Gothen und aller übrigen Deutschen, unter welchen gleichfalls
der name ans für divus bekannt war, mit den Scandinaven, die ihre
heldengötter gerade so Aesir nannten und aus östlicher gegend, wie
es die geschichte mit sich bringt, eingewandert schilderten. Schon
dadurch wird die durch lornandes und seine Vorgänger verdrehte
sage, dasz die Gothen aus dem Norden nach der Weichsel und Donau
hingezogen seien, widerlegt.
Diese Anseis und Aesir gewinnen aber noch höhere Wichtigkeit
durch zwei andere, trügt mich nicht alles, in einander greifende
umstände, wir fanden (s. 191) bei Thucydides schwerttragenden
Thrakern den zunamen AToi überwiesen und auch Diobessi werden
von Plinius 4, 11 in Thrakien aufgeführt, Bessi aber galten für einen447
heiligen göttlichen stamm (s. 198), z/tot scheint sich an den volksnamen
Jaoi zu schlieszen (s. 192). hierdurch wird mir nun, allen bedenken
zum trotz, immer wahrscheinlicher, dasz auch der name Gu)mns un-
mittelbar aus dem worte gu|3 deus zu leiten sei, und die alten for-
men Fvbai und Getae ebendahin zielen, wie in Getae und GuJ>ans
wäre das G in gvip, diesmal höchst begreiflich, keiner lautverschiebung
verfallen, und warum sich im pers. chodä khodä aspirata zeige, müste
auf anderm wege, wenn es mit unserm gup wirklich ein und dasselbe
ist, ermittelt werden. Scheinen die Aaoi Aiol, nun so stammen
auch die GuJ>ans her von guj) und sind eingeständlich Anses*.
Der westgothische stamm führte den beinamen Balthae, der ost-
gothische Amalae, wie lornandes cap. 5. 29 meldet**, baltha deutet
er sprachgemäsz audax, balj>aba ist bei Ulf. audacter, das ahd. pald
liber, überaus, confidens. da aber das entsprechende litth. baltas, lett.
balts, sl. bjel albus ausdrückt (lautverschiebung mangelt nach s. 420.
421) und Baldr Bäldäg name des lichtgottes war (mythol. s. 202);
so erscheinen auch die Balthen als lichte und göttliche***. In Amala
liegt der begrif von amal, altn. aml labor, strenuitas und die Amalae
[später Amelunge] sind wiederum die tapfern geschäftigen mühevollen
helden.
Es sind aber noch andere, gleich alte und wichtige benennungen
gothischer stamme anzuführen. lornandes cap. 16 führt uns aus des44$
königs Ostrogotha zeit Thaiphalen und Astinge auf, neben Carpen und
Peucenen, welche letzteren schon aus Tac. Germ. c. 46 bekannt sind.
Ammianus schreibt Taifali 17, 13. 31, 9 und setzt ihnen in der ersten
* der ra>ö<xq, iv xotq reXifieooq öotikoiq, r6z&OQ tb yhoc, bei Pro-
cop de b. vand. 1, 10 ist, wie vocal und consonant zeigen, von dem urver-
wandten worte göds bonus abzuleiten.
** anderemal zieht er die lat. endung Balthi und Amali vor, welche
auch Cassiodor hat.
*** in der unter dem titel fuero juzgo erschienenen ausgäbe der lex Vi-
sigothorum, Madr. 1815 wird eine sonst fehlende nachricht von westgothi-
schen münzen ertheilt, und da erscheint auch die benennung 'baldres'.
hängt sie mit dem stammnamen zusammen, so zeigte sich hier das R des
altn. Baldr, ahd. Paltar. vgl. Davoud-Oghlou t, 6. 8.
314 GOTHEN
stelle Liberi und Sarmatae zur seite. Liberi halte ich für Verdeut-
schung von Balthi, welche, wie gezeigt wurde, liberi ausdrückten,
in Taifalus kann das lautverschobne Decebalus (s. 194) gesehn wer-
den, also bezug auf den dakischen stamm; die Schreibung Thaifalus
scheint verwerflich, eines litth. eigennamens Taifal geschieht meidung
in Adelungs Mithr. 2, 700. "Aöxiyyoi treten schon bei Dio Cassius
p. 1185 in des zweiten jh. zweiter hälfte auf, auch cap. 22 schreibt
Iornandes Astingi, die echt goth. form wäre Hazdiggös = capillati,
und dasz dieser sinn dem altn. Haddingjar, ahd. Hertingä, ags.
Heardingas unterliege, ist mythol. s. 316. 317 gewiesen*, diese
Astingi könnten, da die haartracht zeichen der freien und edeln ge-
schlechter war, ebenwol jene Liberi sein. Endlich führen die West-
gothen bei Ammiahus 31, 4. 5 den namen Thervingi, die Ostgothen
Greuthungi, wofür Idatius Greothingi, Claudianus de IV. cons. Hon.
623. 635 Gruthungi schreibt, bei Zosimus 4, 38 hat man mit recht
Prothingi in Grothingi gebessert. Steckt in Greothungi das goth.
griut, altn. griot ags. greot, ahd. kreoz arena, glarea, saxum (vgl.
oben s. 233); so könnten stamme gemeint sein, die in berg oder sand-
gegend wohnen, Snorri nennt in der edda s. 108. 109 Griotunagardr,
als aufenthalt der immer an felsen hausenden riesen**. Zeusz s. 407
449 deutet Griutuggös Steppenbewohner und weist den ahd. mannsnamen
Griuzing nach, wie auch heute Griesinger üblich ist; Thervingi nimmt
er für Tervingi Trivingi waldbewohner, von triu arbor, welches gleich-
wol immer nur holz, bäum, nicht wald auszudrücken pflegt, ich
möchte vergleichung mit den sl. Drevanen oder Drevljanen, die solche
holtsaten sein sollen, lieber ablehnen und der früheren ansieht treu
bleiben, dasz die Thervingi mit den Thüringen ahd. Duringen zu-
sammenhängen, wie schon das walten der eigennamen Amala und
Erman im thüringischen königshaus bestätigt, selbst der heldenname
Iring scheint nichts als starke kürzung von Epurdurinc.
Wie man annehmen darf, dasz schon im höchsten alterthum
zwischen Römern, Galliern und Germanen nach kriegen bündnisse
und gefolgschaften eintraten und kampflustige Deutsche als söldner
und ambacti (s. 132. 135) nach Welschland zogen; so wird sich dies
Verhältnis auch unter den östlichen Germanen und ihren nachbarn
ausgebildet haben, ja die getische dienerschaft bei den Griechen war
in andrer weise etwas ähnliches, alx^cckcotoi oder aQyvQavrjtoi
(s. 190) standen sie im griechischen hause zur hand und kehrten oft
wieder in ihre heimat zurück, wie Zalmoxis selbst seine Weisheit als
* den Böhmen heiszt hrdina, den Polen hardzina held.
** wenn in der verderbten stelle des Iornandes cap. 3: 'dehinc mixti
Evagerae Othingis' (wo nach Zeusz cod. ambr. Evagreo Tingis, cod. monac.
Euagreotingin, cod. vindob. Evagrae Otingis) Greotingis enthalten scheint,
so schwer der vorausstehende nom. zu bessern wäre , würden die folgen-
den worte: 'hi omnes exesis rupibus quasi castellis inhabitant, ritu beluino'
unmittelbar der auslegung felsenbewohner zu statten kommen.
GOTHEN 315
diener des Pythagqras erlernt haben sollte (s. 187). Den älteren
Römern hieszen verbündete nachbarn socii und sogar fratres oder
consanguinei. Als sich die stärke ihres reichs allmählich zu neigen
begann, bildeten einzelne kaiser zu Rom germanische leibwachen und
cohorten aus gefangnen oder Überläufern. Caligula hatte einen häu-
fen Bataver um sich* und Caracalla pflegte tracht und haarschmuck
seiner germanischen söldner nachzuahmen**. Seitdem aber der sitz
des reichs von Rom auf Byzanz übergegangen war und die Germanen
nach jedem scheinbar über sie davon getragnen sieg heftiger an-
drängten; suchte man ihrer eben dadurch sich zu erwehren, dasz
mit einzelnen stammen bund und freundschaft geschlossen und aus 450
ihnen zahlreiche söldner gewonnen wurden, die nun gegen die noch
fernen und unbearbeiteten Deutschen beistand gewähren sollten. Hier
greifen auch, was einer andern Untersuchung vorbehalten bleibt, die
Verhältnisse römischer Colonen ein, die unter dem namen laeti bekannt
sind, und denen grundstücke zum anbau überwiesen waren, so dasz
kriegsdienst und landbestellung mit einander verbunden sein konnten.
Kein deutsches volk erlangte nun am byzantinischen hof höheres
gewicht als die Gothen und alle ihnen näher angeschlossenen stamme,
sie hauptsächlich führten den namen foederati, gpotfooaro*, in wel-
chem man den germanischen begrif der antrustionen, von trustis, goth.
trausti fides und foedus wieder erkennen möchte. Iornandes gedenkt
ihrer cap. 21, zur zeit Constantins, dem sie gegen Licinius hilfe ge-
leistet hatten: qui foedere inito cum imperatore XL suorum milia
illi in solatia contra gentes varias obtulere; quorum et numerus et
militia usque ad praesens in republica nominantur, id est foederati.
Als später Theodosius den Athanarich nach Constantinopel gerufen
hatte, heiszt es cap. 28: defuncto ergo Athanarico cunctus exercitus
in servitio imperatoris perdurans, romano se imperio subdens, cum
milite velut unum corpus efficit, militiaque illa dudum sub Constan-
tino principe foederatorum renovata, et ipsi dicti sunt foederati.
Procop de b. goth. 4, 5 scheint den namen cpoidsoätoi, erst von den
unter Valens in Thrakien eingerückten Westgothen zu leiten, aus
Justinians zeit nennt er 3, 31 und 33 erulische foederati, de b. vand.
1, 11 äuszert er sich über diese benennung wie folgt: Iv öl örj cpoi-
ösQatoig jCQotEQOv fiev {lovoi ßccQßccgoi TCcctsUyovto, 0601 ovk ln\ xb
SovloL ehca, are {iq Ttgbg rPay>aiav tföorjpevoi, aXX' in\ vjj %<5r) neu
ty b[iola eg xr\v itofoteiav acpiKOivro. (poiötoa yao ngbg rovg jto-
Xs^lovg öitovöag kuXovöl rPG){icuoi xo dl vvv anaöi tov ovöf-iatog
tovtov S7ttßaT£VEiv ovk sv xcoXv^r] lött. Dasz aber schon lange vor
Constantin einzelnen Gothen römischer jahrsold (den sie anno, nach
dem lat. annus nannten) gezahlt wurde, lehren die excerpte aus Petrus
Patricius; dieser meldet es bereits aus der zeit des Tullius Menophilus, 451
* Suetonius in Cajo cap. 45. 47.
** Herodianus 4, 7.
316 GOTHEN
der ungefähr in den jähren 237 — 240 vor Chr. als dux Moesiae auf-
geführt wird.
Niemand kann bezweifeln, dasz schon gleichzeitig mit den Gothen,
und noch mehr nach ihrem abzug aus Thrakien andere deutsche oder
sarmatische stamme in ähnliche läge zu dem byzantinischen reich
getreten seien, für den uralten und ununterbrochenen verband aber,
den ich zwischen Geten, Daken und Scandinaven behaupte, wird es
zumal bedeutsam, dasz seit dem neunten jh., oder vielleicht noch
früher, die nordischen vseringjar genau den platz jener gothischen
foederati zu Byzanz einnehmen. Dieser name Vserlngjar, der in altn.
sagen so oft wiederkehrt und von den Griechen Bccgctyyoi gesprochen
wurde, ist gleich dem foederati aus foedus aus einem altn. vseri, ags.
vsere fides, foedus zu deuten.
Zu welchen ehren und ämtern in krieg und frieden gothische
männer sich emporschwangen, lehrt die byzantinische geschichte des
vierten, fünften und sechsten jh. ; selbst Belisarius, der dem Justi-
nian Gothen und Vandalen zu paaren trieb, zeigt durch seinen namen
gothische abkunft an.
Waren aber Gothen so lange zeit unter diesen Byzantinern
heimisch, wen kann es befremden, sie auch in das öffentliche schau-
gepränge des kaiserreichs verflochten zu sehn? Constantinus porphy-
rogenneta, in seinem werke de ceremoniis aulae byzantinae 2, 83
gibt uns künde von einem spiel, welches er tb yoT&Mov nennt und
das am neunten tag nach Weihnachten aufgeführt zu werden pflegte*.
an die abendtafel des kaiserlichen hofs traten zwei schaaren ein,
Prasiner und Veneter, die zum waffentanz in ihrer spräche sangen;
bei jeder schaar fanden sich aber zwei in pelz gehüllte Gothen, die
mit ruthen auf Schilde schlugen, zu dieses Constantinus tagen, der
von 912 — 944 herschte, waren keine eigentlichen Gothen mehr vor-
handen, und es bleibt nur eine doppelte annähme möglich, entweder
452 dasz man die damals anwesenden Väringe, wie die alten foederati,
Gothen zu heiszen fortfuhr und das spiel durch sie verrichten liesz,
oder dasz es auch ohne zwischenkunft der Nordländer, in hergebrach-
ter weise, dargestellt wurde, da der text des gesangs keinen nor-
dischen anklang enthält, so ist mir letzteres wahrscheinlicher, viel-
leicht bestand die feier schon seit Theodos oder Justinian, die worte
waren aufgezeichnet und wurden nun Jahrhunderte lang, bald unver-
standen hergesagt und darum vielfach entstellt. Der waffentanz unter
gesang und das schlagen an die Schilde scheint deutscher und darum
gothischer sitte gemäsz; die pelze gemahnen an Ovids worte von den
Geten:
pellibus et laxis arcent male frigora braccis. Trist. V. 7, 49.
und an die Claudians von den Gothen:
crinigeri sedere patres, pellita Getarum curia, de b. get. 481.
* die gesamte stelle ist ausgehoben in Haupts zeitschr. 1, 366—373.
man erinnere sich an den von Claudian VI. cons. Hon. 622 ff. geschilder-
ten ludus Trojae, vgl. Donatus ad Aen. 5, 602.
GOTHEN 317
Das wichtigste wäre in dem überlieferten gesang noch die gothische
spur zu erkennen; schon byzantinische ausleger scheinen auf abwege
gerathen, so wenig die zwischen fremde ausdrücke einlaufenden latei-
nischen und griechischen zu bezweifeln sind, mich zog die Überein-
kunft des vorkommenden wortes tovXßste mit dem dakischen pflanzen-
namen tovlßrjXd (s. 206) an, und sogar ösßaxißa vergliche sich in
erster hälfte zu der pflanze öißa (s. 213).* doch mag dabei bloszer
zufall walten, da sich gar keine anwendung von blumen oder kräu-
tern ergibt oder im gesang eines bewafneten wahrscheinlich ist. bei
dem sich wiederholenden yvßikovg yvßskagsg läge zwar lat. jubilum
jubilaris nah und die glosse hat es auch KQccvytj aufgefaszt; doch
gestattet ein gothisches weihnachtslied unmittelbar an das goth. jiu-
leis, ags. giuli, altn. jul (s. 206) zu denken und einen ausruf lov
sogar mit jubilo in Verbindung zu setzen. Varro 6, 68 leitet jubilare 453
aus dem gemeinen volksruf: io bucco! quis me jubilat? wie unser
jauchzen, ahd. juwan juwizan (Graff 1, 578) von ju juch! stammt,
alle diese interjectionen könnten ursprünglich eine anrufung der sonne
gewesen sein, die nachher gekürzt wurde. Beim anschlagen "der
Schilde sollen beide Gothen rovk xovl gerufen haben, wo ein yovl
oder yvßlX völlig an seiner stelle gewesen wäre; denn kaum gehört
zu roiU das goth. tulgus fortis, firmus, alts. tulgo valde, fortiter,
und wie leicht verwechseln sich L und T.
Bei so lebhaftem und vielfachem verkehr der Gothen mit Griechen
und Römern von frühster zeit an hätten, sollte man glauben, der auf-
bewahrung gothischer Sprachdenkmäler genug wege zu gebot gestan-
den, und es ist auch wol die möglichkeit, dasz unmittelbar nach dem
Übergang der Westgothen zum christenthum Ulfilas mit solchem erfolg
die Verdeutschung der heiligen schrift unternehmen konnte, einer höhe-
ren bildsamkeit des gothischen volks beizumessen, wie sie durch jene
nachbarschaft des römischen reichs gefördert war. Dennoch sind, gleich
den von Ovid versuchten getischen gedienten, auch, was noch weit
mehr zu bedauern ist, die lebendigen heldenlieder des gothischen volks,
deren dasein Iornandes bezeugt, untergegangen; niemand hat sie je-
mals niedergeschrieben. Iornandes cap. 11, oder sein gewährsmann,
versichert uns, dasz wenigstens der Gothen gesetze in schrift gebracht
worden seien : quas (proprias leges) usque nunc conscriptas bellagines
nuneupant: bellagines scheint bilageineis Satzungen von bilagjan, wie
analageineis faurlageineis von analagjan faurlagjan. mit diesen ge-
setzen könnte er, obwol unter Ostgothen lebend, auf die westgothische
unter könig Eurich, also zwischen 466—484 begonnene samlung zielen,
Isidors chronik sagt ausdrücklich : sub hoc rege Gothi legum instituta
scriptis habere coeperunt, antea tantum moribus et consuetudine te-
nebantur. im fünften jh. mochten die westgothischen rechte auch noch
* sollte der glossator bei ae ßaxlßa : kavtovq svoxoXovvzeq das slavische
sebe = selbst im sinn gehabt haben? die andere glosse deutet aus dem
hebräischen oeßä durch xd&ioov, xißa durch atg napeyevov, was ich da-
hin gestellt sein lasse.
318 GOTHEN
heimische spräche reden und bilageineis überschrieben sein; die uns
erhaltnen gesetze des 7 und 8 jh. sind lateinisch abgefaszt. aber
454 der ausdruck über translatus, dessen sich Recesuindus (f 672) II.
1,10 bedient, scheint dem Zusammenhang nach abschrift, nicht Über-
setzung zu bedeuten; von jenen älteren gothischen texten hat sich
leider nicht das geringste erhalten.
In der lateinischen anthologie befindet sich ein fde conviviis bar-
baris'* überschriebnes gedieht, das, weil schon die hss. ins siebente
jh. reichen, dem sechsten oder fünften angehören mag, und dessen
erster vers fast ganz aus gothischen Worten gebildet ist**, es heiszt
gleich eingangs:
inter eils goticum scapiamatziaia drincan
non audet quisquam dignos educere versus.
das gothische scheint ganz in Ordnung*** und nur einen schwierigen
ausdruck zu enthalten, ich lese:
inter hails gothicum skapjam atzja jah drigkam.
hails! war der hergebrachte anruf, wie hails piudan! Marc. 15, 18
(da die goth. adj. dem voc. das -s lassen, dem subst. entziehen) lehrt,
und das ahd. heil! ags. häl! bestätigen, dasz zu diesem feststehenden
ein lat. adj. im neutr. construiert wird, läszt sich vertheidigen und wir
würden heute noch sagen: das gothische hails. skapjam und drigkam
sind imperative erster person pl. und den lat. conjunetiven paremus,
bibamus entsprechend, anstand bringt atzia und darin das TZ, gleich-
455 sam ein vorbote ahd. aspiration. man kann aber nicht erklären matzja
eibos, wäre auch für matins eibos ein acc. sg. fem. oder pl. neutr.
matja von mati, mit derselben bedeutung zu gestatten, und gilt schon
ein altn. skepja ser mat, ordinäre eibum. denn das Z würde uner-
laubt beseitigt und ich weisz nicht, ob ein paremus eibos trinkern
in den mund gelegt werden darf, auf die es hier abgesehn ist, wie
aus dem madido Baccho und der ebria musa der folgenden zeilen
hervorgeht, ich dachte also erst, mit blosz umgestelltem TZ, zu lesen
azetjam gaudeamus, da, wievonaudagsmikilsvalugs audagjan mikiljan
valugjan, auch von azets azetjan jueunde vivere gebildet sein könnte
* wie den Römern galten auch den späteren Romanen die Gothen und
alle Deutschen beständig für barbaren, und mit ihrem namen wurde ge-
scholten. Franc. Michel in seiner histoire des races maudites de la France
et de l'Espagne, Paris 1847 1, 284. 286. 311. 355 macht wahrscheinlich,
dasz cagot aus canis gothus stamme; ich zeige mythol. s. 1198. 1199, wie
man hunden götter und völkernamen, zur herabwürdigung beilegte, schelte
war auch ostrogot (Michel 1, 357. 2, 145) und bigot (== bisigot, visigot. 1,
235. 360). noch zur zeit des 11 jh. erscheinen in Poitou fremdlinge unter
dem namen der alten Teifalen, die aus Scythien, wie zigeuner aus dem
morgenland, eingewandert sein sollten und verachtet wurden (Michel 2, 1).
aber eines Beatus Senoch, gente Theiiälus, pietavi pagi, quem Theiphaliam
vocant, oriundus gedenkt schon früher Gregor von Tours vit. patr. cap. 15
und hist. Franc. 4, 18. 5, 7.
** wiederholt in Haupts zeitschr. 1, 379—684 mit Maszmanns deutung.
*** [ nach Dübners vergleichung hat die handschrift:
Inter eils goticum scapia matzia iadrincan.]
GOTHEN 319
und I Tim. 5, 6 vizön in azetjam önaxaläv verdeutscht, indessen
müste hier auch M zwischen A und I ergänzt werden, noch besser
gefällt mir daher atzja zu lassen und für den acc. pl. von atsi po-
culum zu nehmen, oder, im fall einer elision des M von skapjam, zu
setzen atazja. atsi atazi aber entspräche dem ahd. azasi, alts. atasi
oder atusi utensile instrumentum, vas (Graff 1, 542), hier trinkgefäsz
(roman. tassa?), des Spruches sinn wäre demnach: paremus pocula et
bibamus. mhd. sagte man: den sedel schaffen, nahtselde schaffen,
gemach schaffen, warum nicht goth. skapjan atazja?
Es ist leicht das, worin die gothische spräche, so unvollständig
wir ihren reichthum und gehalt kennen, allen übrigen deutschen
zungen voran geht, darzulegen; aber schwer zu ermitteln, was diesen
davon zur zeit des vierten jh. auch noch eigen gewesen sein konnte,
weil von da bis zum siebenten achten jh., wo die ags. und ahd. denk-
mäler beginnen, grosze Veränderung stattgefunden haben musz. diese
sprachen würden also in ihrem älteren zustand der gothischen sich
beträchtlich genähert haben; dennoch darf man sich der annähme
nicht erwehren, dasz auch schon in frühester zeit diese vor ihnen
manches wesentliche vorausgehabt und ihren eignen weg eingeschla-
gen haben werde (s. 185).
Nirgend sonst erscheint das gesetz der laute so einfach und fest
in einander greifend wie bei den Gothen. überall bestehn nur die
drei kurzen vocale, mit schönem vorgewicht des ursprünglichen A, 456
wie im zwölften cap. gezeigt wurde; keine dieser drei kürzen kann
durch Verdoppelung zur länge erhoben werden, vielmehr ist die länge
gerade den lauten beschieden, die als kürzen unstatthaft sind, dem
E und 0. während diese E und 0 im gleich rein entfalteten Ver-
hältnis der ablaute sich zu kurzem A binden, erblühen aus kurzem
I und U vier parallele diphthonge, deren zutritt den vocalismus er-
schöpft, aus dem I EI und AI, aus dem U IU und AU. eine enneas
hält in ihrem kreise alle gothischen vocale geschlossen, umlaut hat
sich noch gar nicht, brechung des I und U nur durch einflüsse zweier
scharf hauchenden consonanten, des H und R entwickelt.
Solchen neun vocalen gegenüber steht nun ein dreimaldrei
stummer consonanten, wie es sich eben, nach dem ereignis der Ver-
schiebung, frisch gestaltet hat, dem vocalischen grundsatz durch vier
liquiden und vier Spiranten manigfach vermittelt.
Auf vier und zwanzig lauten beruht also die gothische spräche;
denn das als beginnende Verhärtung des S auftretende Z, als Ver-
dichtung des PH erscheinende E und das anheben der brechungen
AI AU sind nur ausnahmen, wie sie jede grosze regel mit sich führt
und wodurch sich der fortschritt im voraus ankündigt, den die andern
deutschen sprachen unaufhaltsam kund geben. So bildet zwar das
gothische den hintergrund des gesamten deutschen lautsystems, und
enthält zugleich die keime neuer und künftiger gestaltungen.
Da ich beabsichtige die eigenthümlichkeit der gothischen flexion
und deren einklang mit dem vocalismus im verfolg näher zu behan-
320 GOTHEN
dein; so genügt es mir hier anzumerken, dasz das goth. S in den
nominal und verbalendungen noch so bedeutsam erscheint, wie in
litth. lat. und gr. spräche, in allen übrigen deutschen mundarten
aber nur engeren Spielraum hat. offenbar wirkte dabei eine ver-
dickung in Z und erhärtung in R, die sich leichter unterdrücken
und abschleifen lieszen als die lebendige spirans. dies alte S allein
verleiht der goth. syntax grosze Überlegenheit.
457 Keine andere deutsche spräche hat die dualform in pronomen
und verbum besser erhalten als die gothische, obgleich sie ihrer bei
dem subst. und adj. ebenfalls schon ermangelt.
Passivum und medium vermag unter allen deutschen zungen nur
die gothische, freilich in schwächerer form als die übrigen urver-
wandten, in vairpa sah ich ein älteres visada (s. 310. 360. 413.
431); da nun auch ags. veorde, ahd. wirdu fortbesteht und der ein-
tretende ablaut ein hohes alter dieser bildung zuzutrauen nöthigt,
so ergibt sich, wie frühe schon das eigentliche passivum dem ahd.
oder ags. verbum abgegangen sein kann.
Reduplication ist wiederum nur in gothischer spräche deutlich
zu erkennen; an dem, wodurch sie ahd. vertreten ist, würde man
ohne das goth. zur hand zu haben, irre geworden sein und Graff
möchte ahd.hialt lieber aus einem (hier ganz undenkbaren) ablautsprocess,
als aus goth. haihald herleiten, glücklicherweise benehmen die ags.
praeterita heht leolc leort reord jeden zweifei und machen den Über-
gang aus haihait lailaik lailöt rairöj) in het lec let red aller äugen
anschaulich, nirgend nutzten sich consonanten leichter ab, als wenn
eine flexion ihre Wiederkehr im geleit von andern, vor denen sie über-
hört werden, gebietet, die flexion hängt dann an dem was haftet.
Das in unserer spräche schmerzlich vermiste part. praet. act.
scheint die gothische wenigstens in einzelnen Substantivableitungen
noch zu verrathen. nach dem masc. beruseis und fem. jukuzi wäre
es auf -useis -uzi gebildet worden, von bairan parere beruseis parens,
d. i. pariens, qui peperit [thiu nan bärun. 0. III. 20, 77], von jiukan
vincere subigere, jukuzi jugum, quod subegit, und beidemal wird der
ablaut des pl. dazu genommen: bar berum, jauk jukum. Zunächst
steht die litth. bildung derselben participien auf -£S -usi: buwes der
gewesen ist, suke^s der gedreht hat, penej^s der genährt hat, laik^s
der gehalten hat, und im fem. buwusi sukusi penejusi laikusi; es ist
eine der merkwürdigen berührungen zwischen goth. und litth. zunge,
auf welche ich später noch zu sprechen kommen werde, [vgl. Eudoses,
458Sedusii. s. 716. 738.] Von den activen part. beraseis beruzi, juku-
seis jukuzi scheiden sich die passiven baurans baurana, jukans jukana.
Höchst günstig weisz der Gothe nach den drei adjectivdeclinationen
adverbia auf -aba -iba -uba zu erzeugen. Da der ahd. adverbialaus-
gang auf -o von keiner flexion herzuleiten ist, so habe ich gewagt in
rfe'hto noch das goth. raihtaba zu erblicken (s. 356); welchen vortheil
gewährt aber statt des einförmigen -o der wechselnde gothische ausgang.
Eine ganze reihe anderer östlicher Völker, die groszentheils schon
BASTARNEN 321
in hohes alterthum hinaufreichen, scheint den Gothen nah und unmit-
telbar verwandt, so dasz sie vielleicht nur unter alter oder neuer
stammbenennung aus der masse des gothischen volks vortreten, vollen
beweis könnte freilich erst ihre spräche führen, die uns entgeht.
Einige derselben sind aber so verflochten mit der geschichte der Geten
wie der Gothen, dasz sich für die gleichheit dieser auch aus ihnen
willkommenste bestätigung gewinnen läszt.
Kaum gibt es ein älteres volk, für dessen deutschheit die gründe
überwiegen, als das der Bastarnen. Strabo der mehrmals Geten und
Bastarnen, Tyrigeten und Bastarnen verbindet, redet s. 305. 306, da
wo er die Geten und ihren aufenthalt in Peuke behandelt, auch von
den Bastarnen: hv öl rfi {leöoycdu BaötaQvai plv xolg TvQvystcug
(oben s. 225) ouooot ual reQ^ccvolg, 6%sd6v n x«i avtoi rov ysQ-
[iccvlxov ykvovg ovteg, elg nlsico (pvka dirjQmisvoi. xccl yccQ "Ax-
\iovoi Uyovtai nveg, neu Uidövsg, ol de %i\v Tlevxrjv %ata6yov-
T8g, tfjV Iv TG) "itiTQCp VrjtiOV ITBVKLVoL rPa)l~olaVol Ö' aQV.TlKtätU-
tol za. peta%v xov TavcüÖog x«l rov BoQVQftkvovg vefiöfievoL tie-
dia. Dem Plinius bilden Peucini und Bastarnae contermini Dacis
den fünften germanischen hauptstamm. Tacitus, mit dem germani-
schen osten minder vertraut, kommt auf die östlichsten Völker zuletzt
zu sprechen: Peucinorum Venetorumque et Fennorum nationes Ger-
manis an Sarmatis adscribam dubito, quanquam Peucini, quos qui-
dam Bastarnas vocant, sermone, eultu, sede ac domiciliis ut Germani
agunt. seine annalen berichten 2, 65 dasz zu Tibers zeit ein Rhes-
cuporis in Thrakien waltete und sich gegen Bastarnen und Skythen 4 59
rüstete, d. h. ganz auf getischem gebiet. Auf dem grabmal eines
T. Plautius, der unter Vespasian gedient hatte, liest man: regibus
Bastarnarum et Rhoxolanorum filios Dacorum ereptos remisit. Scytha-
rum quoque rege a cheronensi, quae est ultra Borusthenem, obsidione
summoto. Tanais und Borysthenes leiten nach Skythien, kein wun-
der dasz dem Dio Cassius Bastarnen Skythen erscheinen und nun gar
dem späteren Zosimus 4, 61. Dions worte 51, 23 (Reim. 656) als
er des kriegs gegen Daken und Bastarnen erwähnt, lauten ganz be-
stimmt: BaöxuQVUL Öh £%v&ea zs äxQißcjg v£vo[iidaTai, und schon
38, 10 (Reim. 156) hiesz es: ngbg rcov Z!kv&g)v tcov BaöTccQvcov.
51, 24 nennt er ihren könig /Jkldoav. Strabo aber ahnt und Tacitus
bewährt der Bastarnen germanisches blut, auf Peuke saszen Geten.
Sidonen dürfen den suionischen Sitonen oder Sithonen verglichen wer-
den, '!At[iovoi, wenn der lesart zu trauen ist, gemahnen an ags. sedm,
ahd. ädum, ätam Spiritus, halitus, wobei einem die getische Verehrung
des "Avspog (s. 222) einfallen dürfte.
Aber viel frühere händel von den Bastarnen berichtet Livius 40,
5. 57. 58 aus des makedonischen Perseus tagen (180 j. vor Chr.).
damals hatte man sich mit ihnen und ihrem anführer Clondicus ver-
tragen, sie sollten durch Thrakien nach Dardanien gelassen werden,
in der nähe des bergs Donuca überfiel sie stürmendes unwetter, dasz
sie flüchtig wurden: ipsi deos auetores fugae esse, coelumque in se
Grimm, geschichte der deutschen spräche. 2 1
322 BASTARNEN
ruere ajebant. dennoch drang ihrer ein theil (triginta ferme millia
hominura) vor nach Dardanien, den andern gefiel heimkehr über die
Donau. Seltsam ist, dasz Arrian, der es gewis nicht aus Livius ent-
nimmt, anab. 1, 5 von Kelten, die am jonischen meerbusen angeses-
sen waren und um Alexanders freundschaft warben, ähnliches meldet;
auf des königs frage, was ihnen furcht einflösze? antworteten sie:
öedisvai ntjnore 6 ovgavög avrolg 8[i7Z£<5oi. des himmels einsturz
fürchten war eine bei den verschiedensten Völkern haftende vorstel-
460 hing*, makedonische sage musz sie aber solchen fremden zugeschrie-
ben haben, unter denen wir uns Kelten oder Germanen denken dür-
fen und darauf kommt es hier an. 41, 18. 19 verfolgt Livius die
Vorgänge zwischen Dardanern und Bastarnen, und läszt auf thrakischer
seite Skordisker stehn, deren oben s. 143 gedacht wurde. 44, 26. 27
heiszen ihm ganz dieselben Bastarnen Gallier, wie bei Polybius 26,
9 Galater, bei Plutarch im Aemil. Paul. cap. 9. 12. 13 ebenso**.
Justinus meldet von einem krieg der Daken, die er suboles Getarum
nennt, gegen Bastarnen (oben s. 202). mit vollem recht aber bezeich-
net Appian (Maced. 1, 531. 532) jene Bastarnen unter Perseus ge-
rade zu als Geten.
Anderthalb Jahrhunderte vor unsrer Zeitrechnung sehn wir also
schon an der Donau und in Thrakien bei Geten und Daken die Bastar-
nen auftreten, welche Strabo und Tacitus für germanisch erkennen,
Plinius aber 4, 14, 28 mit den Peucinern sogar den fünften germa-
nischen hauptstamm bilden läszt. ihre getische natur verbürgt Strabo,
ihre deutschheit ist sonst nicht zu beweifeln; was anders können sie
sein als ein getischer und gothischer zweig, der sich bald besonders
vorhebt, bald wieder im allgemeinen namen untergeht? und dazu ist
das wort Bastarna oder Basterna vollkommen gothisch gebildet, vidu-
vairna (Joh. 14, 18) bedeutet viduus, orbus, aus ahd. diornä darfein
goth. J)ivairnö ancilla, jpivairna servus gefolgert werden, für altn.
norn parca mutmasze ich goth. navairnö. aus getischer oder dakischer
461 spräche in die lat. übernommen scheint mir basterna (goth. bastairnö?)
vehiculum, lectica, bastgeflochtne bahre oder fuhrwerk, und dem krie-
gerischen stamm, der bastgewirkten schild trug, konnte der name
bastairna zustehn. Valerius Flaccus Arg. 6, 96, welcher dem vers
zu gefallen Baternas für Basternas schreibt, fährt fort:
* quid si redeo ad illos qui ajunt 'quid si nunc coelum ruat?' Terent.
heaut. 4, 2. <PaQvüxriQ avxbq /uhv iv dösicc rov nsaelv xtjv y~,v ton. Plut.
de facie in orb. lunae 6. in der edda heiszt es: aldar rof, mundi ruptura,
ruina (myth. 774). Fischart in der geschichtskl. cap. 33: warumb legst
nicht auch, wie das zaunschlupferlin die klölin auf das häuptlin, das nicht
der himmel auf dich fall? [wenn der himel fiel, so blieb kein alter hafe
ganz. kl. red. 1565, 258, wo noch andres.]
** ein besondrer zug bei Livius 44, 26 redet für dieser Gallier deutsch-
heit: veniebant decem millia equitum, par numerus peditum et ipsoruin
jungentium cursum equis et in vicem prolapsorum equitum vacuos capien-
tium ad pugnam equos. völlig was Caesar 1, 48 von den Sueven und Tacitus
cap. 6 von allen Germanen meldet.
BASTARNEN 323
quos, duce Teutagono, crudi mora corticis armat
aequaque nee ferro brevior nee runipia ligno,
da haben wir den schild aus rohem bast (cortex) und einen deutschen
heldennamen Teutagonus, welcher bei Diefenbach celt. 2, 211. 229
zum keltischen gestempelt wird, leicht aber aus einer unzusammen-
gesetzten goth. form Thiutheiga, gen. Thiutheigins erklärlich wäre*,
rumpia ist QO{icp8la, nach Gellius 10, 25 wiederum genus teli thra-
cicae nationis. Zeusz s. 127 denkt bei Bastarna an bazdairna barbi-
ger, von bazd barba = ags. beard, ahd. part (gramm. 1, 116), wel-
ches bazd doch verdächtig ist, weil kein altn. baddr, vielmehr bard
margo, rostrum gilt, litth. barzda, sl. brada. wer sich an die lat.
bedeutung von basterna halten will, könnte dem volksnamen auch
den sinn a^ia^oßiog (s. 16. 230) unterlegen.
Iornandes nennt Bastarnen blosz als er Gothiens grenze angibt
(cap. 12): hanc Gothiam, quam Daciam appellavere majores (quae
nunc ut diximus Gepidia dicitur) tunc ab Oriente Roxolani, ab occasu
Tamazites, a septentrione Sarmatae et Bastarnae, a meridie amnis
Danubii fluenta terminant.
Die Peuciner, welche von einigen nach Tacitus Bastarnen genannt
werden, müssen entweder dasselbe volk, oder ein nah verwandtes
gewesen sein, wie auch Plinius beide unmittelbar zu einander stellt.
Peucini aber, bei Strabo 306 IIbvklvol ist örtliche, von der insel
Peuke an den Donaumündungen hergenommne benennung; da waren
schon zu Alexanders zeit Geten niedergesessen (s. 186), da hausten
noch im ersten jh. nach Chr. Peuciner und Bastarnen, die mit bes-
serm fug Gothen als Kelten heiszen. Den namen Peuce darf man aus
dem gr. nevxr] und von den flehten deuten, die den Donaustrand 462
bewuchsen. Martial 7, 7 sagt frudis Peuce' und 7, 84:
i liber ad geticam Peucen Histrumque tacentem!
Appians Geten = Bastarnen und Claudians (de laud. Stilich. 1, 96)
Bastarnen = Gothen sind also wieder ein wichtiges zeugnis für der
Geten und Gothen gleichheit, und die Vermutung bei Zeusz s. 129,
der Bastarnen doch für Deutsche hält, dasz sie vom obern weichsel-
lande hergestammt seien, musz in nichts zerfallen. Was kann es nun
gar bedeuten, wenn Vopiscus in Probo cap. 18 aufstellt, dieser kaiser
habe centum millia Bastarnarum auf römischen grund und boden ver-
pflanzt? es waren leibhafte Gothen, und wenn ein ast des groszen
volks in solcher zahl erscheint, welchen begrif zu bilden hat man sich
von der im dritten jh. ungeschwächten macht der Geten oder Gothen?
Jene zuletzt angeführte jornandische stelle über die grenze des
späteren Gothiens führt auf den namen eines andern, den Gothen un-
mittelbar verwandten volks, der bei Strabo, Plinius und Tacitus noch
nicht erschallt, ich will die sage vorausgehn lassen, deren aufbewah-
rung wir dem Iornandes cap. 17 verdanken: quomodo vero Getae Ge-
pidaeque sint parentes si quaeris, paucis absolvam. meminisse debes
* Liv. 40, 57 nennt auch noch Cotto Cottonis.
21*
324 GEPIDEN
me initio (cap. 4) de Scanziae insulae gremio Gothos dixisse egressos
cum Berich suo rege, tribus tantum navibus vectos ad citerioris oceani
ripam, quaruxn trium una navis, ut assolet, tardius vecta nomen genti
fertur dedisse: nam lingua eorum pigra rgapantaJ dicitur. hinc factum
est, ut paulatim et corrupte nomen eis ex convitio nasceretur. Gepidae
namque sine dubio ex Gothorum prosapia ducunt originem, sed quia,
ut dixi, rgepanta' pigrum aliquid tardumque signat, pro gratuito con-
463vitio Gepidarum nomen exortum est, quod nee ipsum credo falsis-
simum. sunt enim tardioris ingenii, graviores corporum velocitate. hi
ergo Gepidae tacti invidia, dudum spreta provincia, commanebant in
insula Visclae amnis vadis circumaeta, quam pro patria sermone dice-
bant Gepidos (al. Gepidojos, Gepedojos). ojös oder zusammengezogen
ös ist goth. aujös, pl. von avi insula, wie altn. eyjar von ey. Die
sage aber hat keinen ansprach auf Wahrheit : denn ist es schon undenk-
bar, dasz der ganze gepidische stamm auf einem schiffe gesessen
war, so läszt sich der name Gepida nicht aus gapanta leiten, das
einem neutralen part. praes. auf -andö ähnlich scheint und vom goth.
worte skip abhängt, mag es auch ein goth. verbum gepan, geipan
tardare gegeben haben, dem altn. geipa hiare, nugari zunächst träte.
Dieser volksname erscheint seit dem vierten jh. bei den Verfas-
sern der historia augusta. Vopiscus berichtet von der fruchtlosen
mühe des kaisers Probus, gepidische, grautungische und vandalische
häufen auf römischen boden zu verpflanzen; Mamertinus läszt Ter-
vinge radversum Vandalos Gepidesque' auftreten, beim Capitolinus
werden Sicobotes schon als theilnehmend am markomannischen kriege
geschildert, bei Trebellius Pollio Sigipedes unter gothischen Völkern
genannt; Zeusz s. 436 schlieszt daraus mit recht auf eine Zusammen-
setzung Sigugipedes, Sigigipedes, wie Sigambri f. Sigugambri und
noch später Slfrid f. Sigefrid stehn. Sie rühren also nah an die frühe
zeit, wo Geten und Gothen in einander laufen. Lateinische dichter,
wie Corippus, scandieren in Gepides die erste silbe kurz, Sidonius
7, 322 in c Gepida trux' lang. Paulus diac. 1, 21. 27 schreibt Gepidi,
der anonyme Langobarde bei Ritter Gibedi Gebedi Gibidi und Gebeti
Gibites. Isidor 9, 2 etymologisiert : Gipedes pedestri proelio magis
quam equestri sunt usi et ex hac causa ita vocati. Die Byzantiner,
zumal Procop, aber behandeln den volksnamen als Zusammensetzung
mit nalg und schreiben r^zaLÖeg Frinalöcov FrinaiGi (auch im nom.
sg. rrjnatg, de b. goth. 3, 1), und hierher gehört eine auf allen
fall merkwürdige deutung des etymol. magn. 230: r^TCaiösg, oiovu
rETiTtaideg, oi retav nalösg. das ist den Worten nach falsch, tritt
aber in der sache zu allen meinen ergebnissen.
Jetzt kann ich auch eine andere, auf jenes kurze I und B statt
P gestützte deutung vorschlagen. Gibipa (ahd. Kipido?) von giban
464 abgeleitet wäre datus, concessus, wie Fastipa, der name eines Gepi-
denkönigs (ahd. Fastido?) von fastan servare, servatus, oder wie altn.
Lofdi (ahd. Lopido?) von lofa laudatus; nah liegt ein ags. adj. gifede,
alts. gibhidhi gibedig concessus, felix. nicht umsonst aber heiszen die
SKIREN 325
Gepiden im ags. lied des cod. exon. 322, 2 Gefdas. nun würde sich
auch Sigugibijaa trefflich erklären : victoria concessus, ganz wie man
sagte sigegifu victoriae donum und ahd. sigegeba victoriae largitrix.
warum jedoch schrieben Römer und Griechen gewöhnlich P für B in
diesem namen ? lag ihnen ihr pes und nalg im ohr ? oder war es ein
vorbote ahd. lautverschiebung? die sich so früh kaum noch entwickelt
hatte. Nicht verschwiegen bleibe, dasz die trad. corbeienses 195 einen
alts. mannsnamen Kippid (vgl. 108 Heppid) liefern, der wenn dem
volksnamen verwandt sich nur durch die Voraussetzung rechtfertigen
liesze, dasz er mit ahd. form übernommen wurde.
Bei Procop de b. vand. 1, 2 heiszen Gothen (d. i. Ostgothen),
Vandalen, Westgothen und Gepiden yoxdixa oder yetixcc E&vr] und
vor andern die mächtigsten, zahlreichsten, alle weiszer haut, blonder
haare, schlank, wolgestaltet, dieselbe gothische spräche redend und
arianischem glauben zugethan. vor alters wohnten sie alle jenseits
der Donau (vnlg notcqidv "Iöxqov) d. h. in Thrakien, jetzt (im 6 jh.)
hausen die Gepiden um Singedunum und Sirmium, da wo Moesien
und Pannonien zusammengrenzen, im alten Dakien, das auch Iornan-
des als späteres Gepidien bezeichnet; vgl. Procop de b. goth. 3, 33.
34 und geogr. rav. 1, 11. oft kämpften sie auf Seite der Ostgothen,
Hünen und Römer gegen Heruler und Langobarden, wie sie zuletzt
diesen erlagen schildern Procop 4, 27 und Paulus 1, 27. Noch ums
j. 600 stiesz der römische feldherr Priscus jenseits der Theisz auf drei
Gepidendörfer (Theophylact. 8, 3) und der anonymus salisb. von 863
(Kopitars glagol. LXXIII) bemerkt: Huni expulerunt Romanos et
Gothos atque Gepidos ; de Gepidis autem quidam adhuc ibi resident.
So versiegen die flüsse gleich dem groszen ström der Gothen.
Einen andern, wo nicht gothischen, doch mit den Gothen in viel-
facher berührung stehenden stamm darf man wieder höher hinauf 465
leiten. Plinius 4, 13, 27 nachdem er von Scandinavia und den Hille-
vionen geredet hat, fährt er fort: nee est minor opinione Eningia.
quidam haec habitari ad Vistulam usque fluvium a Sarmatis, Venedis,
Sciris, Hirris tradunt. Hirris wird für eine zu Sciris übergeschriebne,
in den text gerathne lesarl gehalten ; warum sollte es nicht echt sein
und nicht, neben den Sciri, Hirri bestanden haben ? wäre dabei an
die Heruler zu denken? Aber schon früher nennt die olbische in-
schrift (aus dem ersten oder zweiten jh. vor Chr. im C. I. n° 2058)
skythische FaXcaag xal UKiQOvg, und noch beim Stephanus byzantinus
s. v. UxiQog heiszt es ZIkiqoi yaXatixov e&vog. jene Galater sollen
Bastarnen sein, da die bisherige critik kein älteres deutsches volk
weisz; warum wären es nicht auch Geten und ein getischer stamm?
wie in späterer zeit bei Priscus p. 160 2Jxlqoi xal r6x^oi zusammen
genannt sind. Procop de b. goth. 1, 1 läszt unter Zeno und Augustulus
UxLQOOvg %ai 'JXavovg uixl aXXa axta yozxfixa 1%vy\ als den Römern
verbündet auftreten und in Italien festen fusz fassen: ihr anführer
war Odoaker. der anonymus Valesii p. 662 schreibt Scyri. Iornan-
cles de regn. succ p. 59 nennt den Odoacer genere Rugus, Thur-
326 SKIREN
cilingorum (1. Thurilingorum), Scirorum Herculorumque (1. Herulorum)
turbis munitus, im buch de reb. get. cap. 46 aber Odovacer Turci-
lingorum (1. Thurilingorum) rex, habens secum Scyros, Herulos, diver-
sarumque gentium auxiliarios. Odoaker waltete inItalien von 476—493,
wo er den Ostgothen unter Theoderich erlag; sein ende beschreibt
Procop a. a. o. Seltsam ist die in den Quedlinburger annalen (Pertz
5, 31) aufbewahrte sage von einer ihm widerfahrnen Schonung: Theo-
dericus Attilae regis auxilio in regnum Gothorum reductus, suum
patruelem Odoacrum in Ravenna civitate expugnatum, interveniente
Attila ne occideretur, exilio deputatum paucis villis* juxta confluentiam
466 Albiae et Salae numinum donavit. so etwas musz in einem verlornen
deutschen liede gestanden haben und ist ganz unhistorisch, da Attila
schon im j. 453 starb. Dasz sich Sciriin Attilas heer befunden hatten,
meldet Sidonius 7, 322. Iornandes cap. 49. 50, nachdem er Attilas
tod und die Zersplitterung des hunischen reichs beschrieben hat und
im begrif steht seine eigne abstammung vorzutragen, schaltet die
nachricht ein: Scyri vero et Satagarii (vgl. Satagae cap. 53) et ceteri
Alanorum, cum duce suo nomine Candax, Scythiam minorem inferiorem-
que Moesiam accepere. dieses Candax notarius war Peria, des Iornandes
groszvater, und Candax musz zu ausgang des 5 jh. gelebt haben; aus
der Donaugegend waren Skiren dem Odoaker nach Italien gefolgt,
doch nicht alle, denn cap. 53 wird von dem söhn des sue vischen
Hunimundus gemeldet: sed ille immemor paternae gratiae Scyrorum
gentem incitavit, qui tunc supra Danubium considebant et cum Gothis
pacifice morabantur, quatenus scissi ab eorum foedere secumque juncti
in arma prosilirent, gentemque Gothorum invaderent. der ausgang
aber sei gewesen dasz die Gothen den sieg davon getragen und das
scyrische geschlecht ausgerottet hätten bis auf wenige Überbleibsel,
die sich in gemeinschaft mit Sueven, Gepiden und Rugiern nochmals
den Gothen entgegensetzten und dann in Pannonien besiegt wurden.
Diese skythischen, früher nordöstlich ** aber später in Moesien,
Pannonien und Italien hausenden Skiren gewähren also ein treffendes
gegenbild zu den Geten und Gothen überhaupt, ihren namen darf
man aus goth. skeirs clarus, ags. scir, engl, sheer, altn. skirr ab-
leiten, die Angelsachsen setzen andere eigennamen damit zusammen,
z. b. Scirbeald (Pertz 2, 349). Die stammsage der Skiren hat merk-
würdige anklänge.
467 Iornandes cap. 54 macht unter ihren anführern einen Edica und
Wulfus namhaft, des Odovacar vater hiesz aber nach dem anon. Valesii
* zielen konnte ein Quedlinburger damit leicht auf Ottersleben unweit
Magdeburg, wenn dies früher Otachresleba hiesz. schon in ottonischen urk.
von 939 und 973 steht Otteresleba (Höfers zeitschr. für archivkunde 2, 338. 349).
** aus dem Scir kurländischer und samogitischer Ortsnamen folgert Scha-
farik s. 351 alten sitz der Skiren in diesen landstrichen. es könnte sein;
doch in Deutschland zeigen eine menge von örtern ein solches Schir- Schier-,
das wie lauter-, klar-, hell- in andern namen aus der sache und läge, nicht
aus personen herzuleiten ist.
SKIREN. RUGIER 327
Aedico, was nicht nur mit Edica eins, sondern auch mit Odovacar
im begrif verwandt scheint. Aonulf war nach Eugippius des letztern
bruder. Nun zeigt die altschwäbische oder bairische sage, wie sie
bis ins neunte jh. reicht, gewis aber schon in älterer zeit, die wie-
derkehrenden namen Weif und Eticho (Pertz 8, 764) ; dieser Eticho
[qui et Welfus] in seinen alten tagen zieht sich in den ""Scerenzere
wald', das ist nemus Scyrorum, im gebirg an der Isar (Schmeller 3,
403), heute die Scharnitz; auch ein altbairisches geschlecht im Huosi-
gau hiesz die Schyren, Scheiren, Scheirer (Schm. 3, 390). es ist ganz
glaublich, dasz skirische geschlechter aus Pannonien und Noricum
nach Baiern gesprengt wurden*.
Bringt die geschiente den Odoaker und Theoderich erst in Ka-
venna zusammen, so bestand nach jener Quedlinburger sage und nach
unserm Hildebrandslied ältere feindschaft zwischen beiden; Theoderich
war auf Otachers neidisches anstiften aus Verona verwiesen worden 468
und zürnte ihm heftig. Nun fällt mir auf, dasz an dieses feindlichen
Otachers stelle die nordischen und sächsischen erzählungen einen Bikki,
Sifeca, Sibeche setzen, die skirische genealogie Edica Wulf und Odo-
vacar, die suevische Wolf (oder Weif) und Eticho verbindet. Will
man gedultig anhören, dasz alle diese namen den begrif hund ent-
halten? ohne grund geschehn sein kann das kaum, da die alten stamm-
sagen ihre namen, oft mit andern worten, zu wiederholen pflegen, für
Bikki und Sibeche habe ich es schon s. 39 gewiesen. Odovacar, ags.
Eädvacer (cod. exon. 380, 30) ist zusammengesetzt aus goth. aud,
ahd. 6t, ags. eäd opes, facultas, und goth. vakrs, ahd. wachar, ags.
vacor vigil, der alte hovewart (s. 37) bewacht des herrn gut; noch
heute nennen wir einen hund wacker, Wächter, munter. Edica, Etticho
sind ein alter ausdruck für heiszhunger, appetitus caninus geblieben ;
wenn der magen bellt (stomachus latrat), so kann der hunger (alts.
hungar heti grim) als hund gedacht werden, wie das gr. ßovfo{iia
auf ein gefräsziges rind führt, auch die Polen sagen psi glod und
* SC und ST werden von den Schreibern oft verwechselt, z. b. in
Tuisco Tuisto, Iscaevones Istaevones, ein bairischer Wernher von Scira
(Scheiern), der die Ungarn auf das Lechfeld geführt haben soll, heiszt bei
Gotfried von Viterbo ad a. 955 comes de Stira in Bavaria, und ein ganz
anderes oppidum Stira (Pertz 7, 59) schwankt in Scira. Da nun auch unser
skirischer Odovacer in der kaiserchronik (cod. pal. 85», 13984 Maszm).
Otacker von Stire genannt wird und unter steirischen markgrafen gerade
der geschlechtsname Otakar, Ottokar herscht; dürfte man mutmaszen, dasz
sich für Scira Seheier von frühe an Stira, Stiria, Steier eingedrängt habe,
zumal weder aus deutscher noch slavischer wurzel Steier deutbar ist. Seit
Ottokar im j. 974 oder 975 zum markgraf erhoben ward, erscheint Stiria,
Stire in Urkunden und mhd. liedern oft; nach dem gedieht Biterolf 13276.
13331 wurde dieser schon von Etzel mit dem jagdhof Stire belehnt und
liesz eine bürg auferbauen. Von desselben landes grenze rinnt ein flüsz-
chen Steier nach Oesterreich in die Ens, wo die Stadt Steier steht und an
jener grenze hat bereits die peutingersche tafel^ ein Stiriate, wodurch des
ST echtheit bestätigt wird, war der name illyrisch, so läszt sich das gr.
zä 2zeiQia in Attika, und HxiQig in Phokis vergleichen.
328 SKIREN. RUGIER
glod wilka, hunds oder wolfshunger, die Böhmen psi hlad. in Mones
anz. 6, 459 ist ein segen rfür den ettikhen mitgetheilt, das meint,
glaub ich, nicht hectica Schwindsucht, sondern heiszhunger, man sehe
Stalder 1, 117 ättig, ettig, der fressende ettika. um es völlig zu
verstehn, möchte man auch in der goth. genealogie bei Iornandes
cap. 14 den namen Ediulf auslegen können. Beim anonymus Valesii
p. 663 heiszt Odoachars söhn Thel oder Thela (acc. Thelane): das
scheint wiederum canicula, nhd. thöle, schwed. tillika (Nemnich s.
809). * Guten beitrag zu unsrer heldensage liefern also die Skiren.
In gleiches alterthum steigen die ihnen verbündeten und ver-
feindeten Rugier. Tacitus, nachdem er cap. 43 Lygier und Gothonen
angegeben hat, fährt fort: protinus deinde ab oceano Rugii et
469Lemovii. omniumque harum gentium insigne rotunda scuta, breves
gladii et erga reges obsequium. von Ptolemaeus wird ein ort rPcvyiov
genannt, im gebiet der Oder. Iornandes aber cap. 3. 4 unterscheidet
Ethelrugi und Ulmerugi, und sagt von den Gothen: unde mox ad
sedes UJmerugorum, qui tunc oceani ripas insidebant, castrametati
sunt, eosque commisso praelio propriis sedibus pepulerunt. in Ul-
merugi könnte Lemovii anklingen = Ulmovii, Ulmerugi sind aber
deutlich (Zeusz s. 484) die spätem altn. Hölmrygir auf inseln des
norwegischen Rogaland (fornmannasögur 1, 7. 10, 195), Ethelrugi
stehn ihnen als bewohner des innern lands (ags. edel, ahd. uodil
patria) entgegen, wie Gothen und Götar in Scandinavien und an
der Donau, erscheinen Rugier dort und hier. Iornandes cap. 50
kennt auch Rugier zu Attilas zeit an der untern Donau, die nicht
aus dem Norden eingewandert zu sein brauchen, sondern gleich Geten
und Gothen immer südöstlich gewohnt haben mögen. Etwas später
sehn wir westlich vorgerückte Rugier, Noricum gegenüber im heu-
tigen Österreich niedergesessen, wo sie Odoaker überfällt und ver-
nichtet : in dies Rugiland zogen dann Langobarden ein, und was vom
rugischen volk übrig blieb, verlor sich allmählich unter Gothen,
Skiren, Herulern, Langobarden, die Vorgänge schildern Eugippius
im leben Severins, Procop und Paulus diac. 1, 29. Procop de b.
goth. 2, 14 meldet, dasz rPoyoi mit den Ostgothen nach Italien gezo-
gen waren, vielleicht um sich an Odoaker zu rächen ; 3, 2 nennt er
sie ausdrücklich s&vog yot&ixöv, das sich abgesondert bewahrt und
nach Ildebads tod aus eigner mitte Erarich zum könig aufgeworfen
habe, dem jedoch Totila schnell nachfolgte. Bei solcher mischung
der stamme kann nicht befremden, dasz in Iornandes buch de succ.
p. 59 Odoacer selbst rgenere Rugus' heiszt.
Nun ziehen noch stellen des ags. Vidsldes lied an,
319, 22 (veold) Hagena Holmrycnm and Henden Glommum,
322, 26 mid Rugum ic väs and mid Glommum.
liest man Holmrygum f. Holmrycum, so bestätigen sich jene Ulmerugi
f. Hulmerugi und die altn. Hölmrygir. räthselhaft bleiben uns die
* ags. Thyle cod. exon. 320, 5 scheint altn. {mir.
RUGIER. HERULER 329
Glommas, welchen hier zweimal Rugas und Holmrygeas zur seite 470
treten. Hagena darf dem Hagen e des Gudrunliedes, Heoden (so ver-
mute ich für Henden) = ahd. He'tan dem Hettel verglichen werden,
wie Skiren greifen auch Rugier ein in unsre heldensage.
Den namen Rugii Rugi rPoyoi, ags. Rugas, altn. Rygir (nicht
Rygir) zu deuten hält schwer; die bruchstücke des Ulf. helfen nicht
aus. anzuschlagen wäre altn. roga moliri und rygr mulier opulenta,
vielleicht ahd. rucchan movere, und so liesze sich neben Rugas zu-
gleich Holmrycgas rechtfertigen. Auch der insel Rügen und den spä-
teren slavischen bewohnern haben die Rugier ihren namen eingeprägt
und aus dieser örtlichkeit begreift sich die Verbindung zwischen scan-
dinavischen und deutschen ästen des stamms am leichtesten, den
Slaven kürzte sich Rojani in Roani Rani.
Traf die Vermutung s. 465, dasz des Plinius Hirri und die spä-
teren Heruler zusammenfallen, so wird uns damit aufgeschlossen,
warum Skiren und Heruler politisch verknüpft erscheinen, zumal unter
Odoakers herschaft, selbst das RR in Procops Zx/ppot begegnet dem
in Hirri, und wie Zkiqoi scheint Hiri und weiter abgeleitet Heruli
rechtfertig, gothisch wäre zu schreiben Hairulös, oder wenn das pro-
copische unaspirierte "EaovXoi gelten soll, Airulös ; Ammian hat Aeruli
oder Eruli, doch setzen Iornandes und Paulus immer Heruli. jener,
oder sein gewährsmann Ablavius, will den namen des volks aus dem
gr. Hele, d. i. IXvg, elXvg, einer benennung der maeotischen sümpfe
ableiten, wo der alte sitz der Heruler gewesen sein solle, diese ety-
mologie beruht auf umkehrung des wortes "EqovXoi in "EXovgoi
"EXovqoi (wie erila und elira, crelo und clero, öinaXog und sljep s. 333)
und schon das etymol. magn. hat nach Dexippus : ano tc5v ixeiöe sXcov
"EXovqoi xsKXrjvtai. Zosimus und Procop schreiben "EqovXoi, der spä-
tere Syncellus AloovXoi. Der name "EgovXog AloovXog liesze an alts.
e'rl, ags. eorl, altn. iarl denken, Herulus aber und Hirrus (für Hirius?)
an goth. hairus, alts. he'ru, altn. hiörr ensis, so dasz es bedeutete [na%ai-
Qocpooog (s. 191), wie noch andere Germanen hieszen und gerade die
Suardones des Tacitus, die Oagaöuvoi (für EyagaduvoL EovagduvoC) 471
des Ptolemaeus, wenn man ein goth. svaird = althd. sue'rt ensis da-
bei zum grund legen darf, die Suardones hält Zeusz s. 476 ganz
für dasselbe volk mit den Herulern; beide namen zeigen sich gleich alt,
ja den Suardonen des Tacitus gehn noch die Hirri des Plinius voraus.
Wie alle Ostgermanen vom Pontus nach der Ostsee streifen, kann
es nicht befremden, Suardonen und Hirren nordwestlicher, die späte-
ren Heruler wieder östlicher anzutreffen, nach der mitte des dritten
jh. unter Gallienus und Claudius sollen sie zwischen Maeotis und
Pontus aus skythischem boden hervorbrechen; sie werden an der
untern Donau so wenig neulinge gewesen sein als die Gothen, welche
critischer zweifei auch erst um dieselbe zeit dahin einführt. Unter
Ermanaricus waren Heruler den Gothen diensthaft, Iornandes cap. 23
legt ihnen behendigkeit und leichte waffen bei, die doch dem stand-
haften und bedachten mut der Gothen gewichen seien; solche tarditas
330 HERULER. AVIONEN
ingenii hatte er cap. 17 gerade den Gepiden gegenüber Gothen
zuerkannt, die herulische levis armatura, die breves gladii omnium
harum gentium bei Tac. Germ. 43 und selbst die benennung der
Heruler nach dem kurzen seh wert (hairus) scheinen in vollem einklang.
Procop aber de b. pers. 2, 25 beschreibt näher, wie noch unter Narses
die Heruler leicht bewafnet und beinahe nackt fochten, was auch
Paulus diac. 1, 20 wiederholt. Sie erscheinen oft als römische Söld-
ner, und bei Ammian neben Bataven, Hieronymus nennt sie neben
Sachsen unter den Völkern, die Gallien verheerten. Doch nicht blosz
im westen sind Heruler anzutreffen, auch an der Donau, in Illyrien
und Italien, neben Skiren, Rugiern, Ostgothen und Langobarden. Nach
einer niederlage, die sie durch letztere litten, scheint sich ihre macht
zu zersprengen, ein theil liesz sich auf römischem gebiet nieder, ein
anderer zog nordwärts nach Skandinavien, wie Procop de b. goth.
2, 15 erzählt, und von da beriefen sich später die südlichen Heruler
einen könig ihres geschlechts. Die ausgedehnten strecken, in denen
sich das volk nach allen Seiten bewegt, zeigen anschaulich, in wie
472 lebendigem verband alle deutschen Völker, der Verschiedenheit und
feindschaft einzelner stamme ungeachtet, zu einander standen; vor-
ragenden helden wie Arminius, Maroboduus, Ermanarich, Odovacar,
Theoderich gelang es jederzeit einen kränz von Völkern an sich zu
ziehen und zu vereinigen, der sich hernach wieder auflöste. Wir
sahen, auszer Gothen, in die heldensage Gepiden, Sciren und Rugier
aufgenommen; Paulus diac. 1, 20 erzählt von den Herulern den weit
verbreiteten mythus, wie sie durch blühenden flachs zu schwimmen
meinten; ich bin der meinung, dasz die Herelingas des cod. exon.
325, 16 Heruler sein müssen, da sie offenbar mit Ermanrich und
Theoderich, also der altgothischen sage zusammenhängen, das a des
mhd. Harlunge steht für e', wie in Suardones. Procop de b. goth.
2, 15. 4, 25 führt einen vornehmen Heruler Uovagrovag an, dessen
name dem der Suardonen begegnet, man billige die gegebne deutung
des worts, oder finde darin ein uraltes svardas, goth. svarts, ags. sveart,
altn. svartr niger, wozu der mythische Surtr verglichen werden könnte.
Das kostbare ags. lied gewährt uns 320, 8 auch eine Osvine
(ahd. Answini) veold Eovum; liest man nur Eävas (oder richtiger
Eävan, da der dat. pl. -um ebenwol schwacher form gehört); so ent-
sprechen die alten Aviones. in einem athem cap. 40 nennt Tacitus
Reudigni deinde et Aviones et Anglii et Varini et Eudoses et Suar-
dones et Vithones als die stamme, bei denen Nerthus verehrt wurde,
ich will diese nicht alle behandeln, sondern hier nur anführen, dasz
die Varini Procops Ovccqvol sind, durch deren gebiet (de b. goth.
2, 15) die Heruler in das der Dänen ziehen, die Suardonen aber mit
den Herulern, nach dem was eben angeführt wurde, eins waren.
Aviones oder Eävan scheinen nun ursprünglich goth. aujans, ahd.
ouwon, die auf der aue, goth. avi, ags. eä wohnenden*, und ihrem
* schwerer wäre dabei an die skythischen oder thrakischen "Aßioi und
an das goth. abans viri zu denken.
AVIONEN. ALANEN 331
namen scheint unorganische aspiration vorzutreten bei Mamertinus 473
im panegyricus Maximiniano dictus cap. 5, wenn er Chaviones Eru-
lique (statt Aviones Herulique) gesellt und zusammen ins römische
reich einfallen läszt. wie bei Tacitus Aviones und Suardones zeigen
sich hier Chaviones und Eruli verbunden und gleichheit der Suar-
donen und Heruler ist kaum zu bezweifeln, gothische stamme wer-
den aber die Avionen im sinn der Rugier und Heruler heiszen dür-
fen, wenn auch die geringe uns von ihnen überlieferte künde sie
nicht in der Donaugegend, geschweige auf skythischem boden weisz.
Ganz nach diesem zurück und in höheres alterthum wenden musz
ich mich, wenn von Alanen die rede sein soll. Schon s. 223. 224
wurde gezeigt, wie Alanen mit Massageten und Geten zusammenhängen:
sie vermitteln gleichsam skythisches und gothisches volk. nachbarn
gothischer Greutungen und mit Sciren verbündet treten sie auf in
Moesien, daselbst beherschte sie im fünften jh. Candax*, bei welchem
Peria, des Iornandes groszvater notarius oder vnoyQacpsvs war; des
Peria söhn und Iornandes vater hiesz aber Alanowamuth. des Peria
Schwester, wenn ich die stelle recht verstehe, war mit Andags einem
söhn des Andala von amalischem geschlecht vermählt, und aus ihrer
ehe Gunthigis mit dem beinamen Baza geboren, ein magister militum
und des Iornandes vetter. Alanowamuth ist gebildet wie ahd. Walah-
mund oder Sahsmund, um die gemischte abkunft auszudrücken, und
Iornandes hielt sich selbst für einen Gothen oder halben Gothen (quasi
ex ipsa gente trahentem originem, cap. 60); man ersieht aus diesem
beispiel, dasz Gothen und Alanen unter einander heirateten, so war
in älterer zeit der Alane Macentes blutsbruder der Skythen Arsacomas
und Lonchates (Lucian. Tox. 51); Skythen aber und Geten werden
oft einander gleichgestellt. Bei dem weiten und unbestimmten begrif,
den die Griechen mit den Skythen verbinden, kann es mir nicht ein- 474
fallen, alle oder die meisten Skythen für Deutsche zu erklären; ich
will nur die möglichkeit eröfnen, dasz in einzelnen fällen da wo sich
Skythen vor dem beginn unsrer Zeitrechnung oder während der ersten
jhh. in landstrichen bewegen, aus welchen unsre vorfahren eingerückt
sind, wirklich an deutsche stamme gedacht werden darf, man soll
den unbestimmten Sprachgebrauch der alten ebensowenig Überall be-
stimmen, als ihn überall unbestimmt lassen. In späterer zeit erscheinen
Alanen, zu Vandalen und Sueven gesellt, in Gallien und Spanien, und
auch diese nennt Procop de b. vand. 1, 3 ausdrücklich yot&Lxbv e&voq.
An die stelle der Skythen Massageten und Alanen im Verhältnis
zu den östlichen Deutschen treten ungefähr um das vierte jh. Hünen,
die schon früher aus Nordasien eingebrochen waren und sich gegen
Europa wälzten, bereits im zweiten jh. nennt Ptolemaeus zwischen
Bastarnen und Rhoxolanen auch Xovvoi, Chuni, mit deren namen
* Candax, Kandags, gleicht dem folgenden goth. Andags, das Iorn.
auch cap. 40 hat. Gregor von Tours 2, 9 führt aus Frigeridus zwei andere
alanische namen an, Respendial und Goar (s. 478).
332 HÜNEN. VANDALEN
wenigstens die späteren Huni sich berühren. Ammian führt sie neben
Alanen auf, bei Procop scheinen Maööaykrat und Ovvvol zu ver-
flieszen, de b. goth. 4, 4 und 5 behauptet er gar, vor alters hätten
sie KimitQioi geheiszen, so dasz sie noch in den gleich sagenhaften
und unsichern begrif der Kimbern aufgehn. Wie auch ihr zusammen-
stosz mit Skythen, Geten und Gothen erfaszt und in allen seinen
folgen entfaltet werde, wobei zumal die gothischen Tetraxiten (s. 444)
nicht auszer acht zu lassen sind; mir liegt hier ob wahrzunehmen,
dasz ihre berührung mit Ermanarich sie zugleich unauflöslich in die
heldensage verwoben hat.
Atla veold Hunum, Eorrnanric Gotum
singt der angelsächsische wanderer 319, 26 und 322, 2
ic väs mit Hunum and mid Hrecfgotum
mid Sveum and mid Geätum and mid Suddenum,
sie haben sich unsern alten geschlechtern angeschlossen in der edda
wie im liede von den Nibelungen, wenn schon auf verschiedne weise.
475 der eddische Atli erscheint als Brynhilds bruder und Godruns gemahl,
der nibelungische nur als Chriemhilds gemahl. Attila, Etzel wird kein
hunischer name gewesen sein; vielmehr gothischer (s. 271). zu seinem
vater macht die edda den Budli, nach welchem das ganze geschlecht
Budlungar heiszt; die goth. form wäre Budila, der gebietende, und
das ahd. Putilo (Graff 3, 82) entspricht; das geschlecht würde den
goth. namen Budiliggös, ahd. Potilungä führen, wie sich aber, mit
trajectio liquidarum, öinaXog und silpnas in sl. sljep wandelten, mag
Budila zu Bleda bei Iornandes und Priscus, und aus dem vater zum
bruder Attilas verschoben sein; mit beiderlei änderung stimmt Bloe-
delin in den Nibelungen, anderwärts wird auch ein söhn Etzels Blö-
dele genannt. Budlis reich oder Hünland ist aber in der nord. sage
viel näher an die Franken und Sachsen gerückt; in unsern volks-
sagen behaupten die Hunnen oder Hünen den platz mythischer rie-
sen, von welchen uralte steingräber und felsenbauten hergeleitet wer-
den (mythol. s. 490, vorr. zu Andr. und El. s. XXII). Mich dünkt,
wenn diese Hünen weder aus gothischer noch skythischer geschichte
losgerissen werden können, dasz sie zugleich für den Zusammenhang
zwischen Gothen Geten und Skythen mitbeweisen.
Der letzte gothische stamm, dessen ich erwähnen will, sind die
Vandalen, deren name eben so ungerecht zur allgemeinen bezeichnung
von barbaren verwandt worden ist, als der gothische für den character
einer schrift und baukunst, die nichts mit Gothen gemein hat. Plinius
nennt als erstes geschlecht der Germanen die Vindili, quorum pars
Burgundiones, Varini, Carini, Guttones; Tacitus, auszer des göttlichen
Mannus drei ersten söhnen : plures deo ortos, pluresque gentis appel-
lationes Marsos, Gambrivios, Suevos, Vandilios, so dasz diese auf einen
ahnherrn Vandil (Cassiod. var. 3, 58 ahd. Wentil) zurückweisen, in
dem namen aber darf man kaum die Vorstellung des wandelns oder
wanderns (welche damals für alle Völker bezeichnend gewesen wäre),
sondern irgend eine andere suchen, die dem begriffe wenden, wandel,
VANDALEN 333
wind angemessen ist; das letzte wort könnte sogar jenem sinn von
"At^ovol (s. 459) zusagen, und Zeusz s. 57 will auch das keltische 476
Gaoidhal vom ir. gaoth ventus leiten, die langobardischen Winili
nehme ich nicht für Windili, da Paulus 1, 1. 2 Wandali und Winili
unterscheidet, und cod. exon. 322, 6 Venlas und Vsernas zusammen-
stellt; verwandt aber scheinen die Vindelici, bei Strabo Ov'ivdefaxoi
an südöstlichen alpen, und noch bedeutsamer die von Tacitus cap. 46
neben Peucinern, d. i. Bastarnen angegebnen Veneti, welche er wie
die ihm sonst geläufigen gallischen (Strabons Ovsvsroi, 'Evttoi) schrieb ;
vielleicht auch ist Veneti aus Vandali entsprungen (s. 322). Iornan-
des cap. 23 hält gothische Vandali und Veneti Antes Sclavi mit recht
von einander; ahd. glossen deuten verworren Vandali durch Huni
und Scythae, aber Winida durch Vandali und Avari. in ahd. eigen-
namen Wandalberht, Wandalgisil, Wandalmär u. s. w. hat sich die
benennung des volks erhalten.
Während nach der hergebrachten ansieht Gothen erst mit beginn
des dritten jh. in der geschichte auftreten, läszt man Vandalen schon
unter Marcus Antoninus neben Marcomannen und Quaden kämpfen,
ihr damaliger sitz mag in der gegend gewesen sein, wo die Elbe ent-
springt, denn Dio Cassius sagt 55, 1 von diesem flusz: qsl de i% tcjv
ovavöa?.txcov oqcdv, Tacitus hingegen läszt ihn Germ. 4 1 in Hermun-
duris entspringen. Später aber erscheinen sie südlicher in Pannonien,
und ostwärts an der seite von Gothen und Gepiden in Dakien; viel-
leicht wohnten theile ihres volks immer im osten, wenigstens Procop
de b. vand. 1, 3 sagt ausdrücklich: Bavötkol ccficpl ttjv Maiativ
coKYiiiivoi Xifivrjv und läszt auf ihrem heerzug nach dem Rhein ihnen
Alanen zurücken. Iornandes cap. 22. 31 nennt sie in Pannonien auch
neben Alanen. Beide, Vandalen und Alanen, brechen allmählich
über den Rhein in Gallien, über die alpen in Spanien ein, wo sie
eigne reiche gründen; zuletzt dringen die Vandalen nach Africa, und
im alten Carthago dauerte ihre herschaft von 429 bis 534 nicht ohne
gewissen glänz, der nur durch glaubensverfolgungen getrübt wurde.
Procop de b. vand. 1, 2 sagt, unter den vielen gothischen völ-477
kern seien Ostgothen, Vandalen, Visigothen und Gepiden die gröszten
und würdigsten, alle der arianischen lehre zugethan und alle gothisch
redend. Engere gemeinschaft der Vandalen und Gothen erhellt klar
aus dem beiden eignen geschlechtsnamen Astingi oder Azdingi bei
Iornandes cap. 16. 22, dessen schon s. 448 meidung geschah. Dio
Cassius p. 1185 schreibt "Aoxiyyoi. bei Lydus de magistrat. p. 248
heiszt es: reXi{i€QCi avvov övv tolg avöo^oig xov 's&vovg, ovg £kcc-
kovv 'Aotiyyovg oi ßccQßaQoi, wichtig ist mir Cassiodors Schreibung
Hasdingi, weil sie bestätigt was ich mythol. s. 316. 317 erörtere,
dasz die goth. form Hazdiggös war, wodurch ihr Zusammenhang mit
den Haddingjar der altn., den Hartungä der ahd. heldensage auszer
zweifei gesetzt wird, für verschieden halte ich die westgoth. gar-
dingi, goth. gardiggös, d. i. höflinge.
Von vandalischer spräche ist uns nichts übrig als eigennamen.
334 VANDALEN
Procop schreibt roÖLytöxlog, Fov&ccQig, F&Qixog, 'OvaQixog, Fkv-
tpv, Foyvöa^iovvöog, TQaöa^ovvdog, 'RdeQL%os, rOd[ieQ, Felagig,
FbXl^bq, 'Amiäxag, Evctys-qg, Fißa^iovvöog, TQa^cov, und dabei scheint
einiges ungenau, nach Fov&aQig sollte auch Fovvfta(.iovv&og (goth.
GunJ)amunJ)s) stehn, in Fodtylöxlog wird wie im varnischen Eq^lb-
yloxkog (b. goth. 4, 20) und bei Marcellinus comes in Arnegisclus
K, nach gr. brauch, eingeschaltet, während sonst OvihyiCalog und
'Iköiyiödl geschrieben ist, vgl. Zidccßrjvog f. Zlaß-qvbg. das X für
K in FL£EQL%og, Ikdegixog, 'OvaQixog klingt ungothisch, doch ist auch
im goth. naraen immer @evdeQixogy 'Alagixog gesetzt, statt des E
in IbU^bq 'OdyiiQ (und Fißt^BQ b. goth. 2, 11) schiene H richtiger,
es ist aber gothisches 6 gemeint, Iornandes drückt den vanda-
lischen königsnamen Wisumär cap. 22 auf hochdeutsche art aus.
* L&QL%0S heiszt bei Victor vitensis Geisericus, bei Idatius Gaisericus,
besser bei Iornandes de regn. succ. 58 Genzericus, und auch Mar-
cellinus comes, Prosper und Sigibert haben Gensericus, was durch
den namen seines sohnes riv^cov (bei Victor vit. Gento) Sicherheit
empfängt; sie bedeuten nichts anders als anser, ahd. kans, und nach
478 der analogie von ans goth. gans, ags. gös, altn. gas, poln. g^s, russ.
gus', böhm. hus*. das alterthum wählte sich namen von muthigen
thieren und wiederholte im söhn den des vaters (s. 441). 'OpcjQixog
hat sein Q der verführerischen analogie des lat. Honorius (Ovcogiog
de b. vand, 1,1) zu danken, der vandalische name fordert 'Ovogcxog,
bei Victor Hunericus, goth. Hunareiks? Hunjareiks? eOd^BQ ist so
dunkel wie der goth. name FoaQ (de b. goth. 4, 27 und vorhin
s. 473); vielleicht ein goth. Hauhamers. auch in der ersten silbe
von likccQig und FbU^lbq nehme ich goth. e an, um auf ahd. keil
elatus, ferox, ags. gäl petulcus zu gelangen, es entsprächen also ahd.
Keilheri, Keilmär; Evayerjg, vielleicht entstellt, gleicht dem gr. namen
EvayrjQ, 'A^drag deute ich kaum**. Tqaöauovvöog sollte geschrie-
ben sein @Qcc6cc[iovvdog, wie des Victor tunuensis Thrasamundus und
die anlaute eines lat. epigramms*** lehren (vgl. oben s. 195. 405).
'iXdeQilog ist Hildericus. Am meisten auf fällt die anscheinende spur
eines in 2 verschobnen T bei den namen rhvt,(ov und T£ä£cov; für
jenen hat Victor vitensis Gento, und TgdCcov ist doch das alts. Tato
* das zum goth. stimmende sl. G ist nach s. 420 zu ermessen, lat. an-
ser steht für hanser gr. xvv (s- 402), finn. hanhi für hansi (s. 304). von
den Germanen her kannten aber die Römer längst ganta: (pluma) e Ger-
mania laudatissima. candidi ibi, verum minores, gantae vocantur. Plin.
10, 22, und Venant. Fort. 7, 4, 6 stellt ganta, anser olorque zusammen;
provenzalisch gilt ganta, guanta (Rayn. 3, 423 fi.) und der vandalische name
Gento bestätigt T, das sich zum S in gans und anser verhält, wie tu zu
oi, zszoqeq zu ztooaQsg (s. 351); Geisericus: Gento ist wie elol : svzi, (prjoi:
<pavxl. Gandaricus bei Iorn. cap. 24 und wenn Gandestrius bei Tac. ann.
2, 88 gelesen werden darf, zeigen das urverwandte D, wie es im ir. geadh,
welschem gwydd = anser vorliegt.
** wie in Osvöäzoq Procop de b. goth. 1, 3 Thiudahaf»us, könnte in
AfAfiäzag etwas stecken, was ahd. Anthad (Graff 4, 805) gliche.
*** Pithoei epigr. vet. p. 62 (auch bei Mascou IL anm. s. 37).
VANDALEN. GOTHEN 335
Tatto, obwol Paulus diac. 6, 19 Toto et Tazo, 6, 40 Tato et Taso
verbindet, also das inlautende Z für S genommen werden dürfte (wie 479
sonst bei Procop de b. pers. 1, 15 Udvot f. Tt,dvoi de aedif. 3, 6
steht), vorhin ist gewiesen worden, dasz auch r^BQL^og und Fiv^cov
wirklich Ftösp^og und Fivöcov ausdrücke*.
In des Corippus um 570 gedichteter Johannis finden sich, auszer
Guntarich, Geisirich und Geilamir, die namen Ariarith, Fronimuth
und Recinari (goth. Raginharjis). bekannt ist Stilico aus Claudian
und Orosius 7, 38, ein diminutiv wie Gibika.
So anziehend Procop der Ostgothen letzte thaten berichtet, seine
erzlihlung der Schicksale Gelimers ergreift noch stärker, und kaum
darf man zweifeln, dasz sie auch im lied gesungen wurden. In unsrer
heldensage ist aber keine spur mehr von den Vandalen, es müste
denn dahin genommen werden, was sich im Ruodlieb 10, 42. 47.
15, 5 auf Africa bezieht, und das vollständige gedieht ausführlicher
enthalten haben könnte.
Alle hier abgehandelten deutschen Völker, für welche mir Procops
benennung gothischer treffend erscheint, gleichen sich auch darin,
dasz sie sämtlich erloschen sind, und nicht einmal unter gewechselten
namen fortdauern, sie sind aus dem hintergrund unsers volks und
unsrer spräche verschwunden und in weiter ferne erlegen, zwischen
Pontus und Ostsee, an Weichsel und Donau, wo ehmals ihre statte
war, haben sich Slaven und Ungern eingedrängt; dessen was von
Gothen und Daken der norden noch in sich faszt, soll später meidung
geschehn. Im nordöstlichen Spanien und südöstlichen Frankreich (da
wo der name Gothia, hernach Septimania, Occitania haftete) mag sich
das meiste gothische blut unter romanisches gemischt haben, gewisser-
maszen könnte die provenzalische poesie gothische, die nordfranzösische
fränkische heiszen ; den auffallenden unterschied zwischen andai und 480
allai versuchte ich einmal aus goth. iddja und ahd. wallöta zu deuten.
Aber welchen ganz andern und höheren werth würde in unsern
äugen die fülle altgothischer lieder empfangen, wenn sie sich erhalten
hätten, ihr dasein darf nient in zweifei gezogen werden nach den
zerrissenen faden, die in der heldensage aller dieser stamme schweben,
und nach des Iornandes bestimmtem zeugnis. ich will diesem noch
einen augenblick die betrachtung zuwenden. Nachdem er der Balthen
und Amalen kriegsruhm hervorgehoben hat, fügt er ausdrücklich hinzu,
dasz sie auch die thaten ihrer vorfahren gern im lied vernahmen:
ante quos etiam cantu majorum facta modulationibus citharisque**
* nix^ac, r6z9oQ avtjQ bei Procop de b. goth. 1, 15. 16 heiszt bei Cassio-
dor 5, 29 Pithia, so dasz TZ blosz den aspierierten laut TH (vgl. s. 395) dem
Griechen schärfer bezeichnete; aber der ganze name klingt sonst ungothisch.
** wie auch den Geten citharae beigelegt werden (oben s. 140) und
Gelimer von Pharas cither, brot und schwamm heischt (Procop de b. vand.
2, 6). wahrscheinlich hatten die Gothen die gr. xi&dpa früh kennen ge-
lernt und schon bei Vandalen und Westgothen konnte sie so beliebt sein,
wie sie es bis auf heute in Spanien geblieben ist, oder bei den Serben
336 GOTHEN
canebant, Ethespamarae , Hanalae, Fridigerni, Vidiculae et aliorum,
quorum in hac gente magna opinio est, quales vix heroas fuisse mi-
randa jactat antiquitas. statt Ethespamara lesen andere hss. Ether-
pamara, Eterpamara, was mich an den 'ArETto^agog rallcov ßaöilevg
bei Plutarch (Reiske 7, 242) und den galatischen 'At&toQi^ im Pon-
tus bei Strabo p. 560 gemahnt; von einem solchen könnte Dio Chry-
sostomus geredet haben. Hanala (ahd. Hanalo, Henilo ?) klingt deutsch,
ist aber verschollen, in Fridigern erkennt man Ammians Fritiger-
nus. auf Vidicula kommt Iornandes cap. 34, des Priscus worte aus-
hebend : ingentia flumina id est Tysiam Tibisiamque et Driccam (deut-
481 lieh ist nur der Theisz) transeuntes venimus in locum illum ubi du-
dum Vidicula Gothorum fortissimus Sarmatum dolo oeeubuit. das
stimmt nicht zur sage von Wittich, der von Dietrich verfolgt in
einen see sprengt. Allein durch diesen Vidicula, durch Sarus, Am-
mius, Sanielh, Hermanricus, Bleda und Attila hängt die gothische
Überlieferung mit allem zusammen, was auch für das süddeutsche
und norddeutsche epos die haupttriebfedern abgegeben hat.
gusle, den alten Böhmen warito (vgl. ßaQßixov) und den Finnen kantelet.
1 Cor. 14, 7 können wir leider bei Ulfilas nicht nachsehn, da wäre das
goth. wort vorgekommen. xvfxßaXov verdeutscht er 13, 1 durch klismö.
ahd. galt cithara, zitera (Graff 4, 368).
XIX.
DIE HOCHDEUTSCHEN.
In den gothischen stammen lagerte die erste Schicht des deut-482
sehen volks, wodurch es von alters her mit Skythien, Thrakien und
Sarmatien so zusammenhängt, dasz auf einzelnen puneten die grenze
unsicher wird ; als die Gothen fern entrückt waren und jener östliche
wall sich selbst gesprengt hatte, wurden andere bisher von ihm um-
schlossene deutsche stamme blosz gegeben und den gegen unsers
landes herz drängenden Slaven benachbart, zur zeit solcher lostren-
nung des gothischen sprachastes scheint auch die zweite stufe der
lautverschiebung eingetreten, welche kennzeichen der südlichen Deut-
schen gegenüber den nördlichen geblieben ist.
Ich bedarf aber eines allgemeinen alle Völker der zweiten laut-
verschiebung umfassenden namens, welcher kein andrer als der ge-
wählte sein kann, denn die benennung Süddeutscher, seitdem sie
sich auch in den westen verbreiten, reicht nicht mehr hin, und durch
den gegensatz des Hochdeutschen zum Niederdeutschen wird das ge-
birgsland des Südens und die niederung des nordens, zugleich die,
man sage was man wolle, zur höheren Schriftsprache gediehene Ver-
edlung unseres herschenden dialects und der niedere stand einer
bloszen volksmundart ausgedrückt, nur in bezug auf den nieder-
ländischen dialect kann ein solcher Sprachgebrauch seiner zweiten
anwendung nach ungerecht scheinen.
Wie ich gestrebt habe der ersten lautverschiebung eintritt histo- 483
risch zu ermitteln (s. 437), musz es auch für die zweite geschehn.
Was uns von deutschen eigennamen bei Caesar, Plinius, Tacitus
überliefert worden ist, hält in der regel den gothischen consonantis-
mus nach der ersten lautverschiebung fest, wie die anlaute Baduhenna,
Bacenis, Bastarnae, Batavi, Boji, Bructeri, bürg in Asciburgium,
Teutoburgium , Daci, Dulgibini, Gelduba, Gothones, Canninefates,
Cimbri, Quadi, Tolbiacum, Tudrus, Fosi, Frisii, fates in Canninefates,
Harii, Herminones lehren. nicht anders verhalten sich inlautend
Tolbiacum, Tubantes, Ubii, Cimbri, -burgium, Dulgibini, Suardones,
Grimm, geschickte der deutschen spräche. 22
338 HOCHDEUTSCHE
Tudrus, Baduhenna, Quadi, Maroboduus, Arpus, Marcomanni, Batavi,
Chatti, Mattiacum. das K in marka ist nach vierter gleichung das
lat. G in margo.
Ausnahmsweise aber vertritt T das der lat. spräche mangelnde
TH in den anlauten Teutoni, Triboci, Tanfana (falls ich s. 232 recht
habe); ebenso inlautend in Canninefates, und wenn man diese les-
arten vorzieht in Nertus, Gotones, Gotini, wo jedoch die Variante
Nerthus, Gothones, Gothini vorkommt, das T solcher namen ist darum
vorsichtig zu erwägen, weil es zwei gothischen lauten, dem T und
TH entsprechen kann, in der caesia silva (ann. 1, 50) scheint auch
C für goth. H gesetzt, weil die deutsche form Heisi darbietet.
Niemals aber, und darauf ist es hier abgesehn, erscheinen die
laute der zweiten, d. i. ahd. Verschiebung, die also im ersten jh.
sicher nicht entfaltet war, und in den nächstfolgenden, allem anschein
nach, ebensowenig.
Mich bedünkt, diese ahd. Verschiebung hat sich, so viel beim
abgang der Sprachdenkmäler gefolgert werden kann, kaum vor dem
fünften, sechsten jh. hervorgethan. stände im goth. trinkspruch (s. 455)
TZ für T, und drückte Procop den vandalischen Gento rsvfov, Tato
T£cc£,g>v aus (s. 478) ; so läge hier eine spur der aspirata für tenuis
selbst unter Gothen vor, die uns ahnen liesze, was um dieselbe zeit
oder später vollständig unter den ahd. stammen ausgebrochen wäre.
484 es ist aber wahrscheinlicher, dasz in allen diesen Wörtern Z ein S,
nicht ein T vertrete*.
Hier darf nähere erwägung eines worts nicht unterbleiben , auf
das schon s. 411 gewiesen wurde, lidus litus und laz zeigen alle
drei stufen der muta D T Z, es musz Zusammenhang obwalten sowol
mit goth. lats, ahd. laz piger, segnis, als mit letan ahd. läzan sinere,
aus der Vorstellung mittere remittere dimittere scheint natürlich die
von remissus und tardus entfaltet, litan lat letum zeugte ein letan
lailöt, folglich gleicht der litus einmal dem goth. unselja skalk jah
lata novrjQE dovte Luc. 19, 22, dann dem fralets änslev&SQog 1 Cor
7, 22. in der altfränkischen form lidus lido haftet das D aus ur-
verwandter stufe, die uns litth. laidmi sino (inf. laisti, lett. laist)
und atlaida remissio zeigen, während im laetus der notitia dignita-
tum des byzantinischen reichs das verschobne goth. T angenommen
ward, vgl. letus bei Ammian s. 20, 8. Wie aber die salischen Franken
das D in lidus neben lätan sinere, wahrten die Alamannen das T
in litus neben läzan; für eine bestimmte anwendung des begrifs hielt
* Ammian, ein Schriftsteller aus der zweiten hälfte des vierten jh., dem
auszer gothischen auch quadische und alamannische namen zu ohr kamen,
schreibt Fritigernus Sintila für Frithigernus Sinthila, ich glaube nicht Tai-
fali für Thaifali. denn hat das s. 193. 194 vorgetragne grund, so lägen hier
entweder schon ahd. formen vor statt der goth. Dagapali oder das T wäre
zu fassen wie in taujan neben deds. in dags und Dagalaiphus (24, 1. 4),
der den Römern diente, haftete das urverwandte D von dies und dex&ßaloq.
dagegen wäre F in falus ein Vorläufer des ahd. F (nach erster gleichung).
HOCHDEUTSCHE 339
man die alte lautstufe fest und das D in lidus ist beschaffen wie das
im goth. du (s. 421), das T im alamannischen litus wie das im gleich
anzuführenden churt.
Um den schlusz des siebenten jh. eröfnen sich die quellen ahd.
spräche und lassen an der zweiten lautverschiebung keinen zweifei;
doch hängen im achten, neunten jh. fortwährend einzelne Wörter
(auszer den s. 423. 424 vorgetragnen reihen) der ersten Verschiebung
an, zum deutlichen beweis, dasz jene zweite noch ziemlich frisch und 435
nicht allenthalben durchgedrungen war. So ergibt das in Baiern
niedergeschriebne sonst beinahe strengahd. Wessobrunner gebet, neben
za und firiwizzo, dat für daz, und im Hildebrandslied, dessen mund-
art der thüringischen oder fränkischen näher steht, findet sich neben
ahd. tot taoc truhtin, auf alts. weise dat at it huitte und anlautend
to ti sehstic geschrieben. Die exhortatio zeigt churtnassi f. churz-
nassi, hymn. 20, 3 churteru f. churzeru, 0. II. 3, 28 kurt I. 1, 22
kurti neben kurzit IV. 7, 33 und kurzlichaz II. 21, 15 und so hat
sich noch mhd. bei thüringisch-hessischen dichtem kurt f. kurz be-
hauptet, dies wort aber ist dem lat. curtus nachgebildet und sein
linguallaut schwankt wie phorta, phorza, phorzih f. lat. porta, por-
ticus. gewöhnlich trägt bei Übertragung fremder eigennamen das
ahd. Z den sieg davon; aus Varodunum wurde Zartuna nhd. Zarten
(im Breisgau), aus Campid una Champiz, auc Tolbiacum Zulpih, Zul-
pah und aus jenem Tudrus Zotari*, wie aus moneta muniza, aus
atramentum atarminza, d. h. nicht blosz goth. und sächs. T verscho-
ben sich in Z, sondern auch lat. T, die, wenn alles nach der regel
verlaufen wäre, goth. TH und ahd. D hätten werden sollen.
Wichtiger ist es wahrzunehmen, dasz in der zweiten person ano-
maler verba, die ihr praet. ins praesens rücken, das auslautende T
der Verschiebung entgieng, mithin ahd. scalt chanst darft tarst mäht
töht weist muost wie im goth. skalt kant parft darst mäht dauht
vaist möst gesagt wird, ja im goth. alle starken praet. in dieser per-
son den uralten ausgang T behalten, denn es leuchtet ein, dasz auch
im goth. solches T der lautverschiebung nicht folgte und urverwandtem
T gleichsteht, welches in der flexion den begrif zweiter person be-
stimmt, kann etwas den ursprünglichen character der lautverschie-
bung ins licht setzen, so ist es die beschaffenheit dieser flexion.
S. 431 habe ich auch den ahd. Wechsel zwischen pis und wis486
in anspruch genommen, um daraus der ahd. lautverschiebung unur-
sprünglichkeit zu folgern, denn es läszt sich einsehn, wie aus bis
wis und überhaupt wesan hervorgieng, während beide letztere nie-
mals aus pis zu erklären ständen.
Ob um die zeit der ahd. lautverschiebung auch der wandel des
S in R, oder schon früher begann? ist bei abgang der denkmäler
* so liest der Wirzburger grenzbegang bei Maszmann 183, nicht Zotan,
wie Graff 5, 640 (aus Eccard p. 674) aufnimmt; vgl. bei Graff das (nach
zwei andern Wörtern) folgende Zuter.
22*
340 HOCHDEUTSCHE
nicht zu ermitteln*, die neigung dazu hob sich bereits im goth. Z,
und ihr R theilt die ahd. spräche überdies mit der sächs. und nor-
dischen, ja der lateinischen (s. 314), so dasz daraus lange kein rein
hochdeutsches kennzeichen erwächst, wie schwankend und allmählich
dies R um sich grif, ist s. 311 gewiesen; der ström, den die Römer
Visurgis nannten, hiesz auch ahd. Wisuraha, Wisura und noch heute
gilt Weser, nur der kleine flusz, aus dem die Weser erwächst, führt
den ursprünglich gleichen namen Werre, We'rraha, und es käme dar-
auf an zu ermitteln, wann hier das R zuerst eintrat, oder wann aus
dem mannsnamen Wisunt (s. 429) zuerst Wirant wurde.
Bei der ahd. flexion ist einzelnes in acht zu nehmen was sie vor
der gothischen auszeichnet, dahin gehört hauptsächlich, doch nur im
frühsten Zeitraum, die prima pl. auf -mos, wie sie zum lat. -mus
stimmt, während alle übrigen deutschen sprachen bloszes -m haben,
und auch die litth. -me, die sl. -m aufweisen.
Eine andere eigenheit theilt die ahd. mit der sächs. spräche und
sie beide stehn darin der goth. wie der nord. entgegen, diese nem-
lich zeigen keine spur der ahd. gerundien auf -annes und -anna,
mhd. -ennes -enne (-enes -ene), altwestfäl. -anias -ania; ags. kenne
ich nur den dat. -anne; vgl. gramm. 1, 1021. 4, 105. [auch dat. plur.
487 -annum.] auch hier ist die Übereinkunft des lat. -andi -ando bedeut-
sam; aures audiendi wird verdeutscht örun hörannes, ad amandum
za minnönna. zusammen damit hängt, dasz im hochdeutschen die
Verwendung des infinitivs zu einem neutralen Substantiv (gramm. 3,
537. 4, 259) um sich gegriffen hat, die dem goth. und nord. dialect
ganz fremd bleibt, dagegen allen keltischen und roman. sprachen ge-
läufig ist ; weil diese letztern des neutrums verlustig gebn, behandeln
sie den inf. wie ein masculinum.
Auch das ist ahd. mhd. alts. und ags. besonder heit, dasz die
secunda praet. sg. ind. in der starken conjugation vocalisch auf -i
oder -e lautet, im gegensatz zu dem vorhin s. 485 besprochnen -t der
goth. und nordischen spräche, dieser vocal kündet hier übergriffe der
flexion des conjunctivs in den indicativ an; dasz sie aber unursprüng-
lich und unorganisch seien, lehrt das in scalt mäht u. s. w. haftende -t.
Den ahd. formen des Substantiven verbums pim pist pirum pirut
pirun, imp. pis! (s. 312. 430) entspricht nichts gothisches, wol aber
einigermaszen das ags. beo (beom) bist bid, pl. beod. wiederum
treffen das goth. im is ist und altn. em ert er, obschon der pl.
sijum sijuj) sind von erum erud eru weicht, und sich an mhd. sin
Sit sint schlieszt. in dritter person begegnen sich goth. ist und sind
und ahd. ist, sint (neben sintun). gleichen sich goth. is ist, sijum
sind und lat. es est, sum sumus sunt; so sind offenbar alle mit S
anlautenden formen aus aphaeresis des vocals entsprungen, und man
hat im latein blosz esum esumus esunt, im gothischen isijum isjup
* zu Caesars zeit erscheint der Sueve Nasua (de b. gall. 1, 37) = altn.
Narvi (Ssem. 69 Sn. 32) Neri (Saem. 149b), vgl. ahd. Neribert Nerihilt.
HOCHDEUTSCHE 341
isind zu ergänzen, um die Verschiedenheit auszugleichen; altn. erum
erud eru stehn für esum esud esu. hiernach sind auch pirum pirut
pirun und erum erud eru inwendig parallel, folglich musz der sg.
pim aus pirm pism, goth. im aus ism entsprungen sein wie sl. jesm
(s. 306) bestätigt, s. 312 deute ich den ausgefallnen spirant etwas
anders und gerathe auf bizvum = pirum; entscheiden müste volle
bekanntschaft mit den formen, welche die verflieszenden begriffe des
seins und bauens ausdrücken.
In der declination sind ein paar vortheile, einmal, dasz die ahd. 488
spräche für lebendige substantiva, zumal personennamen den adjecti-
vischen männlichen ausgang -an bewahrt, was wieder an das sla-
vische gemahnt; dann, dasz sie den instrumentalis, der im goth. auf
einige pronominalpartikeln beschränkt ist, und auch im ags. und
altn. geringeren umfang hat, an subst. und adj. noch vollständiger
entfaltet, doch blosz am männlichen und neutralen, nicht mehr am
weiblichen. Da der instr. dem lat. abl. gleicht, und die griech. spräche
wie die goth. mit dem dativ ausreicht, so bricht in diesem punct,
und in den meisten übrigen, berührung des ahd. mit dem latein, des
goth. mit dem gr. hervor.
Einen auffallenden gegensatz zur goth. schwachen form zeigt die
ahd. in beiden geschlechtern. denn das goth. masc. geht auf -a, das
fem. auf -6 aus, ahd. aber jenes auf -o, dieses auf -ä, so dasz goth.
ara hana ahd. aro hano, goth. tuggö azgö ahd. zunkä ascä lauten und
dem goth. adj. blinda blindö ahd. plinto plintä zur seite steht, auf
gleiche weise unterscheiden sich goth. mannsnamen Vamba Tulga Attila
Amala von den ahd. Rando Heimo Kero Ezilo und die goth. frauen-
namen Tulgilo Sifilö von den ahd. Uotä Helispä. Nun wird auch auszer
der flexion goth. A in ahd. 0 abgeschwächt (s. 278), aber jene Unter-
scheidung mag schon hohes alter haben, Tacitus theilt uns die namen
Tuisco Vangio Sido mit, während er einem Gothen Catualda beilegt,
und die pl. Ingaevones Herminones Semnones Gothones setzen einen
sg. ahd. form auf -o voraus*. Nicht anders und noch mehr beein-
trächtigt die lat. spräche A durch 0 (s. 281) und homo hominis
kommt überein mit ahd. komo komin, weicht ab vom goth. guma
gumins. das lat. fem. hat wie das masc. virgo virginis. eigennamen
beider geschlechter pflegen aber dem gen. -onis mit langem 0 zu
verleihen: Otho, Plato, Juno, Dido wie temo temonis, semo semonis.
Die stamme, aus welchen der hochdeutsche dialect herzuleiten 489
ist, müssen irgend einmal, in unvordenklicher zeit dem, was die
grundlage des lateins bildet, näher gestanden haben als dem griechi-
schen alterthum, wofür dies und gothische stamme zusammenzutreffen
scheinen, man schlage auch die abwesenheit des dualis im latein
und hochd. an, der sich im goth. wie im slav. und gr. besser be-
wahrte (s. 457).
* der suevische Nasua bei Caesar widerspricht; man hätte Nasuus (wie
Maroboduus) erwartet, was ein nachher zu vermutendes Naavog bestärkt.
342 SüEVEN
Welche volksstämme sind es nun aber, die den hochdeutschen
dialect erzeugten?
Ich glaube behaupten zu dürfen, von Schwaben, Baiern und den
übrigen Völkern, die sich an diese schlössen, ist er ausgegangen.
Die Sueven treten bei Caesar und Tacitus als ein germanischer
hauptstamm auf, und nach Germ. cap. 3 könnte man sie gleich den
Herminonen und Vandiliern von einem söhn des Mannus ableiten.
Plinius rechnet zu den Herminonen zunächst Sueven und Hermun-
duren, dann Chatten und Cherusker.
Wie uns die Gothen in den Geten nach Sky thien führen, greifen
auch noch die Sueven [Haupt 9, 257] dahin zurück, ja der Ursprung
ihres namens, wenn ich ihn s. 322 richtig fasse, läszt sich nur aus
dort gepflogner nachbarschaft mit den Sarmaten begreifen, zwar
haben sich Sarmaten, unter welchen ich mir keine andern als Slaven
denken kann, lange schon zwischen östliche Deutsche eingeschoben
und mögen auch im ersten und zweiten jh. neben Sueven wohnen;
Strabo setzt Sueven an der Geten grenze (s. 177) und von Geten
wie Gothen erscheinen slavische nachbarn untrennbar, wir werden
sehn, dasz die Quaden, ein den Sueven nahes volk, häufig mit Sar-
maten im bund standen. Ptolemaeus 6, 14 hat aber noch merkwür-
dige künde von Sueven in Asien und Skythien, von Suobenen und
Syeben neben Alarnosen [und Tectosagen], von suevischem neben ala-
nischem gebirg (öovtjßa oqi], akccva öorj) in Skythien. da und wahr-
scheinlich noch vor dem einrücken in europäische landstriche wurde
490 einem deutschen hervorragenden volk von Sarmaten ein name bei-
gelegt, der nur auf slavisch sinn gibt, und endlich mit diabetischer
Veränderung Slaven selbst zurückkehrte.
Die Suevi sind demnach freie, selbständige; jede ableitung von
schweben, schweifen oder sve'fan (das zufällig auch mit slsepan sich zu
berühren scheint, s. 321) musz zu boden fallen, war die gothische
form Svebös? man darf es nach dem ahd. Suäpä, dem mhd. Swäbe
mutmaszen; das B für V konnte wie in sebe und svoboda (s. 322)
erwachsen oder dem gr. B in Uovrjßoi (vgl. s. 429) entsprechen, das
lat. V in Suevi ist aber dem slavischen in Suoveni Sloveni gemäsz.
Gleichwie vom westen her der name Germanen, verbreitete sich
vom osten her der name Sueven fast als allgemeine benennung deut-
scher Völker. Strabo s. 290: ^eyiöxov /.ilv xö xc5v Uovrjßcov e&vog-
öl^kel yag Uno xov rPijvov [ii%Qi xov "Alßiog* /uegog ös xi ccvxcov
neu iisqccv xov "Alßiog vspexai , und unter den letzten mag er die
meinen, welche an Geten stoszen. Dio Cassius 51, 22: ot ph (£ovrr
ßoi) Titgav xov fPrjvov, Sg ye xaKQtßlg elneiv noXlol yao nai cäXoi
zovxav xov Zlovrjßav ovo^iaxog uvxvxoiovvxai. Tacitus sagt: Sue-
vorum non una, ut Chattorum Tencterorumve gens. majorem enim
Germaniae partem obtinent, propriis adhuc nationibus nominibusque
discreti, quamquam in commune Suevi vocantur. Aber ungefähr
72 jähre vor Chr. hatte Ariovist, nach Gallien gerufen, im land der
Sequaner, dessen dritter theil ihm für den beistand gegen die Aeduer
SUEVEN 343
zugestanden war, festen fusz gefaszt; aus der ferne her begrüszten
ihn die Römer als freund und könig. beim zusammenstosz mit dem
römischen feldherrn dauchten sich diese Sueven : invicti Germani, exer-
citatissimi in armis, qui intra annos XIV tectum non subissent, und
andere germanische häufen brannten vor begierde ihnen über den
Rhein nachzufolgen, pagos centum Suevorum ad ripam Rheni con-
sedisse, meldeten Trevirer dem Caesar. Dieser selbst drückt sich 4, 1
im allgemeinen so aus: Suevorum gens est longe maxima et belli-
cosissima Germanorum omnium. ii centum pagos habere dicuntur, 491
ex quibus quotannis singula millia armatorum, bellandi causa, suis ex
finibus educunt, reliqui domi manent et se atque illos alunt. Als Caesar
späterhin den Niederrhein überschritt, hatten sich Sueven, des feindes
erwartend, im walde Bacenis gesetzt (6, 10): Suevos omnes, postquam
certiores nuntii de exercitu Romanorum venerint, cum omnibus suis
sociorumque copiis, quas coegissent, penitus ad extremos fines sese
recepisse. silvam esse ibi infinitae magnitudinis , quae adpellatur
Bacenis, ac longe introrsus pertinere et pro nativo muro objectam,
Cheruscos a Suevis, Suevosque a Cheruscis injuriis incursionibusque
prohibere: ad ejus initium silvae Suevos adventum Romanorum ex-
spectare constituisse. Sei diese Bacensis südwärts der Buchenwald oder
ostwärts schon des Harzes beginn (und damals reichten ungeheure
wälder noch nah zusammen) ; unter solchen Sueven müssen chattische,
hinten an Cherusker grenzende verstanden werden, von jenen süd-
westlichen des Ariovist verschieden. Offenbar aber sind die centum
pagi Suevorum dieselben, welche Tacitus Germ. 39 den noch im osten
gedachten Semnonen beilegt: centum pagi iis habitantur, wozu man
die allgemeine Schilderung germanischer Schlachtordnung cap. 6 neh-
men musz : in Universum aestimanti plus penes peditem roboris, eoque
mixti proeliantur apta et congruente ad equestrem pugnam velocitate
peditum, quos ex omni juventute delectos ante aciem locant; defini-
tur et numerus: centeni ex singulis pagis sunt idque ipsum inter
suos vocantur, et quod primo numerus fuit, jam nomen et honor est.
es kann kaum gezweifelt werden, dasz hier ein deutscher ausdruck
die Römer leitete, huntari, dessen bildung aus hunt centum (s. 251)
ihnen nicht entgehn konnte, bezeichnet gerade noch ahd. beides, so-
wol pagus als centurio (Graff4, 976). Mit der landeintheilung hieng
nun die suevische heerfolge genau zusammen und eine bedingte die
andere, aus jedem der hundert gaue zog man ein heer von hundert
raschen Jünglingen zu fuszgängern, so dasz ihrer das gesamte volk über-
haupt zehntausend stellte, und mit steter rücksicht auf den krieg war
das ganze land in hundert gaue zerlegt*, auch im norden begrif der 492
name rher' hundert männer (Sn. 197) und rherad' oder fhundari', bei
* es war natürlich den landeintheilungen Zahlverhältnisse zum grund
zu legen. Die Galater bei Strabo p. 567 sonderten in vier theile, andere
wieder anders, auch die sortes für sieger und besiegte wurden auf diesem
weg ermittelt.
344 SEMNONEN
Saxo ccenturionatus' ein hundert guter oder weiler in sich fassendes
gebiet, mochte nun ein führer, der über hundert gesetzt ist, cen-
turio, huntari, hunno (goth. hundafaps, exca6vraQ%og) heiszen, oder,
was man aus Tacitus worten zu entnehmen hat, jeder einzelne, ge-
hobne pedes; immer spiegeln sich darin die hundert gaue des lan-
des*. Zu dem geschilderten Verhältnis des fuszvolks und der reiterei
musz Caesar 1, 48 und die stelle des Livius von den Bastarnen
(s. 460) gehalten werden.
Ptolemaeus 2, 11 zählt uns dreierlei Suevenvölker auf, die sich
vom Rhein bis über die Elbe erstreckten, UovrjßoL AayyoßuQdoi,
UovfjßoL^JyyEiloi, Uovtfßoi Ue{ivoveg. unter ihnen hebt Tacitus
zumal die letztern heraus: vetustissimos se nobilissimosque Suevorum
Semnones memorant, und fährt, nachdem er von ihrem heiligen hain
berichtet hat, fort: adjicit auctoritatem fortuna Semnonum, centum
pagi iis habitantur, magnoque corpore efficitur, ut se Suevorum Ca-
put credant; was hier der hundertgauigen menge (das ist magnum
corpus) der Semnonen beigelegt wird, hatte Caesar den westlichen
schon zum Rhein gelangten Sueven zugeschrieben, nicht unglaublich
ist, dasz bei jeder niederlassung an neuer statte sie die volksmäszige
abtheilung wiederholten.
Wer sind diese Semnonen und wonach heiszen sie? im monu-
mentum ancyranum erscheinen Semnones et ejusdem tractus alii Ger-
manorum populi, um Augusts gnade werbend. Tacitus ann. 2, 45
493 sagt uns, dasz sie zum reich des Maroboduus gehörten, von ihm auf
Arminius seite abfielen: e regno etiam Marobodui suevae gentes,
Semnones ac Langobardi, defecere ad eum. ebenso zählt Strabo
p. 290 unter die von Maroboduus bewältigten stamme to tav Zoi)-
ßav ccwcdv [itycc t&vog, Ue^ivovag. Dio Cass. p. 1105 Reim, mel-
det, zu Domitians zeit seien Maövog 6 Uefivovcov ßaödevg xcu rdvva
naQftzvog nach Rom gekommen; ich möchte Ndövog lesen und jenen
älteren Sueven Nasua bei Caesar (s. 488) vergleichen, wegen Ganna
beziehe ich mich auf mythol. s. 85**.
Mit den gallischen Senonen, deren namen auch das M fehlt,
haben unsere Semnonen nichts zu schaffen; eher hören liesze sich,
dasz mit Suevi Suebi selbst Semnones, wie mit sopor somnium, mit
sve'fn sömn, mit Sabini Samnites verwandt sei. doch ich glaube, die
nur von Ptolemaeus hinter dem Melibocus genannte ürjuavä vXrj hat
allen anspruch darauf, nichts anders zu sein als die bei Tacitus im
hexameter
auguriis patrum et prisca formidine sacra
gemeinte silva, oder was Strabo p. 292 zwischen der vir] raßQrjta
* ich würde 'centeni ex singulis pagis' gern deuten: aus jedem der
hundert gauen einen führer, überhaupt also hundert, wozu das folgende
nomen et honor' sich besser fügte; wäre etwas von führern vorausgegangen.
** Zosimus nennt einen Sißvcav könig der Logionen; die Lygier müssen
aber, so dunkel sie uns bleiben, nachbarn der Sueven, wo nicht selbst Sue-
ven gewesen sein.
SEMNONEN. SÜEVEN 345
und dem 'Egxvnog dgvfxog durch xa tcov Zoy'jßav bezeichnete, der
silva Semana und silva Semnonum verschiedne stellen und gar in der
nähe von einander, anzuweisen heiszt die allereinfachste Verbindung
ableugnen, wie aus goth. razn garazna, aus ahd. hagan Hagano, wird
aus Semana Semna geleitet Semano Semno, bewohner der Semana
und die schwache flexion Semnones musz zwei N zeigen. Dasz Ptole-
maeus sein aus andrer nachricht geschöpftes Urjfiavd. mit H, Ueppo-
vtg, wie Strabo Uefirowsg, mit E schreibe, hat kein gewicht; mir
scheint langer vocal und auch bei Tacitus Semnones (gleich Suevi)
anzunehmen nöthig, weil er überhaupt kein umlautendes A, und kaum
gebrochnes I vor M kennt; Strabo liesz sich durch lat. E verleiten,
oder schwebte ihm ösfjivog vor? 2jY\\iava Sßmana könnten nun auf
ahd. sämo, sl. sjemja, böhm. semeno, lat. semen und die Vorstellung 494
eines theilweise urbaren Waldgebirges führen, was jedoch un verlässig
bleibt, da niemand weisz was ein so altes wort sonst bedeutet haben
kann, auch Zeusz s. 9 verfiel auf semen mit dem gedanken an Ta-
citus worte: tanquam inde initia gentis, wobei, wer es mag, sogar
zum mythus vom Ursprung aus bäumen lenken dürfte, bestätigte sich
ein suevisches semo = ahd. sämo, so könnte das zugleich für hoch-
deutsche art und slavische nachbarschaft des volks zeugen, da den
Gothen Sachsen und Scandinaven das entsprechende wort abgeht
(goth. fraiv, altn. friof, ags. ssed). [Semnonen feszler. Haupt 10, 562.]
Nichts aber ist schwerer als die ptolemaeische angäbe über die
sitze der Langobarden, Angeln und Semnonen mit älteren und späteren
nachrichten von den Sueven in einklang zu bringen, er stellt Angeln
fast in die mitte Deutschlands, Langobarden zwischen sie und den
Rhein, Semnonen weiter nach osten. neben jenen Avionen und Suar-
donen, die ich (s. 473) gothisch zu nennen wagte, erscheinen Anglii
bei Tacitus. immer ist zu beachten, dasz auch von ihm Semnones,
Langobardi und Anglii hinter einander aufgezählt werden, wie noch
dem ags. scöp 321, 10. 322, 10 Engle und Svsefe zusammenstehn.
dieser Sueven Überrest sind die nördlichen Schwaben unseres mittel-
alters zwischen Bode und Saale (vgl. oben s. 465). ihnen aber dürfen
in früher zeit die westlicher gelegnen Chatten, auf welche im verfolg
die betrachtung zurückkehren soll, nicht allzufern gedacht werden.
Die eigentliche kraft der Sueven ruhte in den südwestlich zum
Rhein und über den Rhein vorgedrungnen.
Aus welcher heimat war denn Ariovist, der mit 120,000 kriegern
in der heutigen Franchecomte boden erobert hatte, gezogen? gewis
aus einem oberrheinischen land, das neben Helvetien lag; wo anders
her hätten ihn Sequaner gegen Aeduer (im heutigen Burgund) zu hilfe
rufen können? zwischen Helvetiern und Germanen machte damals der
Rhein grenze (Caes. 1, 2. 28), folglich bewohnten Germanen und
wahrscheinlich Sueven das heutige gebiet von Baden, denn dasz Hel-
vetier sich bis zum Main erstreckt hätten (s. 166), war entweder
blosze sage, oder kann nur von noch älterer zeit gelten. Durch 495
Caesars sieg über Ariovist, durch die hartnäckigen kriege seit August
346 SUEVEN. TR1B0KEN. NEMETEN. VANGIONEN
wurden nun seine Sueven zurückgedrängt und alles was Römer in Süd-
deutschland erobert hatten vertheidigte ein künstlich angelegter pfahl-
graben. Strabo, Tacitus und Ptolemaeus gedenken also keiner Sueven
am rechten Oberrhein noch im südwestlichen Deutschland überhaupt, wo
zu ihrer zeit die römische macht waltete und decumates agri (Germ,
cap. 29) mit gemischter bevölkerung bestanden: römische und galli-
sche ansiedier neben zurückgebliebnen Germanen, die ihren ununter-
worfnen brüdern jenseit des pfals fortwährend zu anhält und stütze
dienten. Aus dieser zeit der drei ersten jhh. müssen starke ein-
drücke der lat. spräche in Oberdeutschland herrühren.
Angelegen ist es mir für die westliche ausdehnung des suevi-
schen oder alamannischen volks richtigen maszstab zu gewinnen, folgt
man dem eindruck der heutigen spräche, so kann nicht zweifelhaft
sein, dasz die alemannische mundart keineswegs durch den Rhein ab-
geschnitten werde, sondern sich über den ström aus Schwaben in den
Elsasz strecke, und die Pfalz diesseits wie jenseits einen und denselben
menschenschlag auszeichne, vom Bodensee bis zur Mosel an beiden
ufern des Rheins, zwischen Rhein und Vogesen waltet hochdeutsche
zunge und wenn noch im mittelalter Bingen die scheide macht unter
Franken und Sachsen (Lohengrin s. 104. 105), so drückt das gerade
die alte grenze zwischen Alamannen und Franken aus, weil später-
hin Lothringen zu Franken gerechnet wird und in die altnieder-
rheinischen sitze der Franken Westfalen oder Sachsen vordrangen.
Am Oberrhein scheinen sogar die Deutschen zuerst in Gallien
eingebrochen zu sein und es geschah hernach am Niederrhein nur mit
gröszerer macht und mit entscheidenderem erfolg, schon geraume
zeit vor Caesar müssen deutsche stamme auf der linken seite des
oberen Rheins festen fusz gefaszt haben und eben sie gaben dem
Ariovist anhält oder reizten ihn zur nachfolge. Caesar 1, 51 führt
496 uns Ariovists Germanen in folgender Reihe auf: Harudes, Marcomannos,
Triboccos, Vangiones, Nemetes, Sedusios, Suevos. seines heeres kern
bildeten die letztgenannten Sueven, den Sedusiern gleichen die von
Tacitus Germ. 40 in ganz andrer gegend genannten Eudoses und
beider name scheint analog dem goth. berusjös (s. 457) abgeleitet;
vermutlich waren sie und Harudes und Marcomanni im geleite der
Sueven, die Tribocci, Vangiones, Nemetes aber schon früher einge-
sessen. Als die Sueven zurückgeschlagen wurden behaupteten diese
drei stamme ihren alten sitz am linken Rhein. Strabo s. 193. 194
nennt nach den keltischen Helvetiern, Sequanern und Mediomatriken,
die sich gegen den Rhein erstrecken, Trevirer und Triboken: Iv olg
LÖQVTca yeQuccnnbv s&vog nsgcaco^ev 1% rfjg olaelag Tpt/?ox^ot, und
kein zweifei, dasz sie nordwärts an Menapier, Ubier und Sigambern
grenzten. Genauer Plinius und Tacitus. jener sagt 4, 17: Rhenum
accolentes Germaniae gentium in eadem provincia Nemetes, Tribochi,
Vangiones und darauf Ubii; Tacitus cap. 28: ipsam Rheni ripam haud
dubie Germanorum populi colunt Vangiones, Triboci, Nemetes; ann. 12,
27 im j. 50 nach Chr. erwähnt er auxiliares Vangionas ac Nemetas.
TRIBOKEN. NEMETEN. VANGIONEN 347
auf einer inschrift bei Steiner n° 43 erscheinen rexploratores Triboci
et Boi', auf einem bei Brumat gefundnen wegzeiger bei Steiner n° 134
liest man 'civitas Tribocorum'. offenbar waren im ersten und zwei-
ten jh. die drei Völker den Römern unterwürfig, während ihnen gegen-
über am rechten Rhein decumatisches land, nach dem zurückweichen
der Sueven fortbestand. Als sich im dritten und vierten die Ala-
mannen wieder näherten, wird auch ihr deutsches blut erwacht sein
und stellen bei Libanius de nece Jul. p. 238. 273 zeigen, welche
gültigen ansprüche damals rege wurden; sobald sich die Überlegen-
heit der Alamannen entscheidet, verflieszen auch diese drei stamme
wieder mit ihnen und die besonderen namen gehn unter.
Aus Ptoleraaeus 2, 9 ersieht man die örter der IVe^tcov, Ovay-
yiovcov und TQißoxxcov, dem gebiet der Vangionen entspricht der
spätere pagus wormatiensis , dem der Nemeten der pagus spirensis, 497
dem der Triboken der pagus alsacensis; in ihnen ragten die städte
Worms (Borbetomagus), Speier (Noviomagus) und Brumat (Broco-
magus) hervor, welches letztere aber bald von Straszburg verdunkelt
wurde, die städte Nemetas und Vangionas nennt Ammian 16, 2,
und Wa(n)gione civitate ist noch eine caroling. Urkunde (trad. wizenb.
n° 60) unterschrieben.
An jenen drei namen hat sich keltische deutung umsonst versucht,
die deutschheit von Vangiones liegt vor äugen, es ist vom goth. vaggs,
ahd. wanc, ags. vong altn. vängr campus gebildet, s. 488 sahen wir
den suevischen mannsnamen Vangio. Wangen heiszen städte im El-
sasz und Algau, eine menge von Ortsnamen auf -wang und -wangen
ist vorzugsweise in Schwaben verbreitet. In Triboci finde ich ganz
einfach die dreizahl, mit der so viele Ortsnamen zusammengefügt wer-
den: Dribur, Driwiggi, Drieih, und wie von einer heiligen zahl der
eichen die Örter Dreieichen, Siebeneichen benannt sind, mag es ein
Drlbuochi gegeben haben, wonach dieses stammes hauptort und dann
er selbst hiesz. Schilter, der zu Königshofen s. 1064 schon die rich-
tige auslegung gibt , bemerkt, dasz noch ein städtlein fzun dreien
buchen' übrig sei; unweit Hagenau war das ganze mittelalter hin-
durch ein 'heiliger forst' gelegen (mythol. s. 65). Zur bestätigung ge-
reicht unmittelbar der name Nemetes, welchem ich mythol. s. 614 die
c sacra silvarum, quae nimidas vocant' und alts. Ortsnamen an die seite
stelle. Bezeichnete nun auch wang einen gehegten platz im hain
(RA. s. 499), ein heiliges feld (mythol. s. 781); so scheint die trilogie
der namen Vangiones Nemetes und Triboci auf einen diesen stammen
gemeinsamen heidnischen waldcultus hinzudeuten und einander wechsel-
seitig zu erläutern, dabei vermöchte sogar ein keltisches nemet tem-
plum und die einstimmung des lat. nemus, gr. vepog zu bestehn;
das T in Nemetes, wie D in nimidas lehrt, scheint unverschoben.
Die Wahrnehmung dieses waldcultus bestätigt uns also die suevische
natur dreier Völker, die wir schon unter Ariovist den Sueven verbündet
erblicken, im gegensatz zu den mittelrheinischen Usipeten und Tencte- 498
rem, die gedrängt von den Sueven zu den Sigambern flüchteten.
348 SÜEVEN. ALAMANNEN
Agathias, ein weit späterer schriftsteiler, legt gerade Alamannen, gegen-
über den Franken, anbetung der bäume und flüsse bei (mythol. s. 89).
Seit dem dritten jh. begannen nun die Germanen über den rö-
mischen limes einzubrechen und behaupteten, nach mehreren wechsel-
fällen, im laufe des vierten allmählich wieder festen fusz bis zum
Oberrhein, um diese zeit pflegt an die stelle des alten Suevennamens
die benennung Alamannen (s. 495. 496) einzutreten; neu gebildetes
wort enthält sie nicht, blosz neue anwendung eines schon längst in
der spräche vorhandnen ausdrucks. denn auch die Gothen sagten,
ohne bezug auf ein bestimmtes volk rin allaim alamannam* für inter
omnes homines (skeir. VIIIb) und wie in den eigennamen Alareiks
Alamöds der begrif durch das vorgesetzte ala- (gleichsam omnium,
inter omnes) verstärkt wurde, geschah es in Alaman, das ebenso als
ahd. mannsname erscheint und einen ausgezeichneten mann oder nei-
den bezeichnen musz*. ich kann in diesem schönen und wolklingen-
den namen, der von unserm südlichsten stamm entnommen Franzosen
und Spaniern passend alle Deutschen bezeichnet, keinen bezug auf einen
jetzt entsprungnen bund einzelner Völker, noch auf gemeinschaft des
grundbesitzes finden, obschon das altn. almenningr und noch näher
der ausdruck allra manna mörk, allra Gauta mörk (RA. s. 497) die-
sen begrif enthält. Zeusz s. 305 erblickt in den Tencterern und Usi-
piern den kern dieses alamannischen Völkervereins und man mag die
bei Tacitus cap. 32 hervorgehobne tenktrische reiterei zu dem halten
was Caesar 1, 48 von der suevischen, 4, 12 von der usipetischen
sagt; doch reden Tacitus cap. 6 und Caesar 7, 65 allgemein und s. 460
sahen wir ähnliches den bastarnischen reitern nachgerühmt, während
umgekehrt den suevischen Chatten vorzugsweise kraft des fuszvolks
499 beigemessen wird. Warum sollten die am Oberrhein niedersitzenden
siegreichen Alamannen nicht überhaupt als nachkommen jener alten
Sueven betrachtet werden, zu welchen schon Ariovist gehörte?
Wenn aber die peutingersche, unter Alexander Severus verfaszte
tafel die silva marciana, d. h. den Schwarzwald (marki musz bedeutet
haben was ags. myrce, altn. myrkr tenebrosus) zwischen Suevia und
Alemannia scheiden läszt und noch bis auf heute dies Waldgebirge
schwäbischen und alemannischen volksschlag trennt; so schadet das
der alten gemeinschaft beider stamme nichts, der alemannische name
haftete am Oberrhein und im westen, der schwäbische tiefer im osten,
jener in der französischen nähe, dieser mehr nach deutschem Sprach-
gebrauch. Otfried, ein Aleman, sendet sein buch ausdrücklich rin
Suäborlchi' nach Sanctgallen, das doch in Alemannien lag, also zogen
damals die Deutschen den schwäbischen namen vor, wie noch lange
nachher Alemannien zum schwäbischen herzogthum und kreis gerechnet
wurde, niemand darf die lex Alamannorum auf den alemannischen
landstrich einschränken, noch umgekehrt ihm den Schwabenspiegel ent-
* bekannt ist die einfältige durch Isidor verbreitete etymologie: Ale-
manni a fluvio Lemano (dem lacus Lemanus).
SÜEVEN. ALAMANNEN. ARMILAÜSI 349
ziehen. Es ist ein und dasselbe volk, in dessen spräche und gebrau-
chen* nach den gegenden die mundart abweichen kann. Durch das
ganze mittelalter bis auf heute hat sich der glänz und rühm der
Schwaben behauptet.
Noch einen andern längst erloschnen, allem anschein nach alten
und echten volksnamen überliefert Peutingers tafel, zwischen Aleman-
nen und Markomannen die Armalausi, die auch bei Aethicus als Arma-
lausini aufgeführt werden, eine offenbar deutsche, von der tracht her-
genommne benennung : sie trugen kleider ohne ermel, oder nakte 500
arme, während alle ihre nachbarn diese verhüllten, solch ein gewand
hiesz armilausia, weil es nur die schulter, nicht den arm deckte;
Isidor 19, 22 sagt: armelausa vulgo vocata, quod ante et retro divisa
atque aperta est; in armos tantum clausa, quasi armiclausa, C litera
ablata, gewis eine falsche deutung. man hat aber das wort eher zu
einem keltischen machen wollen, als seine deutsche abkunft anerkennen,
entscheidend ist das altn. ermalaus sine manicis, und ermalaust fat
= h^ontg oder xoXoßiöv. Bekanntlich entblöszten die Deutschen
groszentheils ihren leib: pellibus aut parvis renonum tegumentis
utuntur, magna corporis parte nuda. Caes. 6, 21. tegumen omnibus
sagum, fibula aut si desit Spina consertum; cetera intecti totos dies
iuxta focum atque ignem agunt. Tac. 17, ein bild des in die bären-
haut gehüllten, sonst nakten kriegers.
Weiter im osten wohnten die suevischen luthungi, deren Ammian
17, 6, Idatius und Prosper beim j. 429 meidung thun. bei Eumenius
cap. 10 und Sidonius 7, 233 wird Vithungos in Iuthungos leicht zu
bessern. Byzantiner schreiben ' Iovd'ovyyoL. ich verweise auf die fleiszige
forschung bei Zeusz s. 312 — 314 und füge blosz hinzu, dasz man
auch bei Tacitus cap. 40, wenn er Reudigni, Aviones, Anglii, Varini,
Eudoses, Suardones und zuletzt Vithones aufzählt, aus diesen Iuthones
machen möchte, als mannsname dauert Iuthungus noch in spätem
ahd. und mhd. denkmälern fort, Urkunden bei Meichelbeck 19. 87. 117
liefern Eodunc und bei Neidhart (Ben. 328) liest man Iedunc. [Haupt
10, 562.] alle diese namen leiten sich wol von dem altn iod proles, wozu
das part. audinn genitus, concessus, ags. eäden, alts. ödan gehört, mit D
für TH (wie in ags. vorden, alts. wordan factus von veordan, werthan
fieri), was einen inf. ags. eädan, alts. ödan vermuten läszt. ahd. ent-
spräche ödan gignere, ötan genitus. Sollte aus dem unbegreiflichen
Idumingum im cod. exon. 323, 32; die neben Eästjjyringum und Istum
stehn,Idungum, Eodingum gebessert werden dürfen?** auch eine Ostreich,
urk. von 1241 MB. 29b, 289 hat einen Marquardus plebanus de Idun-
* für suevisch oder alamannisch, auf allen fall heidnisch hat man die
neulich am Lupfen bei Oberflacht ausgegrabnen und durch den würtem-
bergischen alterthumsverein bekannt gemachten todtenbäume (oben s. 5)
zu halten; wer aber entscheidet schon, ob sie dem vierten jh. oder noch
älterer zeit angehören? bemerkenswert!! sind unter dem hölzernen geräth
die todtenschuhe, die symbolischen hände und das geigenartige instrument;
gleich den Gothen (s. 480) übten also die Alamannen musik.
** [Idumingum rechtfertigt sich durch die Ydumei bei Zeusz 682.]
350 SÜEVEN. ARMILAUSI. IUTHÜNGE
501 gespiuge, ich denke für Iedungespiuge. Diese Iuthunge waren eigent-
liche Sueven, die noch neben den Alamannen ihren alten namen be-
haupteten und deren einfalle in Rhätien und Italien die geschiente
kennt: unter den Suevis und Alamannis bei Iornandes cap. 55, den
Zovccßoig xal 'dXajAavoig bei Procop b. goth. 1, 12 müssen sie
gemeint sein und es kann nicht auffallen, dasz bei den Langobarden,
wie schon früher, auch in Italien Sueven genannt werden. Paulus
diac. 3, 18 sagt von einem Droctulfus: iste ex Suavorum, hoc est
Alamannorum genere oriundus inter Langobardos creverat et, quia
erat forma idoneus, ducatus honorem meruerat, worauf sich auch seine
3, 19 folgende grabschrift bezieht.
Berühmt sind die Sueven, welche im fünften jh. mit Alanen und
Vandalen nach Gallien und über die Pyrenaeen nach Spanien zogen,
wo sie (zumal in Gallicien und Lusitanien) ein suevisches reich stifte-
ten, das bis zum j. 583 neben dem westgothischen und vandalischen
fortbestand, in diesen Sueven erblickt Zeusz s. 457 nachkommen der
alten Semnonen, wofür doch der grund, dasz sie nichts mit den
Iuthungen gemein zu haben scheinen, schwerlich ausreicht, ihre bei
Idatius und Isidor überlieferten königsnamen Rechlia Masdra Audica
haben goth. -a statt des suevischen -o, was aber der auffassung durch
Schriftsteller, die an goth. form gewöhnt waren, beigemessen werden
dürfte, und es erscheint daneben auch Miro. Frantanes mag aus Fran-
canes d. i. der lat. form für Franca entstellt sein, und dem Maldra
bei Idatius ziehe ich Isidors Masdra vor, wozu sich altn. Mördr und
ahd. mardaro caro viva vergleichen im fünften jh. hätte dies wort
also noch S und kein R gehabt. Remismundus enthält das goth. rimis
ij6v%ia, das wir nur aus der einzigen stelle II Thess. 3, 12 schöpfen
können und das ohne zweifei auch andern deutschen stammen zustand.
Es ist gleichwol möglich, dasz diese Sueven, von denen wir sonst
gar nicht unterrichtet sind, sich mehr zu der gothischen als ahd.
spräche neigten, wie auch ihre gemeinschaft mit Alanen und Vandalen
anzuzeigen scheint.
502 So viel hier von den Sueven. über die Baiern, nachdem Zeusz
durch gründliche forschung den meisten Schwierigkeiten abgeholfen
hat, kann ich mich kürzer fassen.
Die Baiern sind ein deutsches volk mit keltischem namen. in
den drei oder vier ersten jhh. unsrer Zeitrechnung heiszen sie nur
Markomannen und erscheinen zwischen Gothen, Hermunduren und Sue-
ven im gebiet, das sich von den Sudeten und der Elbe an bis zur
Donau erstreckt, d. h. im heutigen Böhmen, früher Böheim, Bojohe-
mus, woraus sie den keltischen stamm der Bojen vertrieben hatten*.
Juxta Hermunduros, sagt Tacitus cap. 42, Narisci ac deinde Marco-
* Zeusz über die herkunft der Baiern s. 25 — 31 (vgl. sein gröszeres
werk s. 366) thut aus berichtigten stellen des geogr. rav. dar, dasz in ver-
lornen, diesem noch vorliegenden nachrichten des Gothen Markomir frän-
kische d. i. germanische Baiern aus dem Elbland (Bajas) stammen.
MARKOMANNEN 351
mani et Quadi agunt. praecipua Marcomanorum gloria viresque,
atque ipsa etiam sedes, pulsis olim Bojis, virtute parta, nee Narisci
Quadive degenerant. eaque Germaniae velut frons est, quatenus Danu-
bio peragitur. Sie bilden südwärts die Vorderseite Deutschlands.
Gleich dem der suevischen Alamannen ist ihr name mit einem
allgemein in deutscher zunge erklingenden und an den mythischen
ahnherrn erinnernden worte gebildet. Tacitus schreibt Marcomani,
wobei ihn entweder Germani oder rücksicht auf die gallischen Ceno-
mani und Paemani leitete ; doch steht bei Caesar 1,51 selbst Marco-
manni, ich weisz nicht, ob den besten hss. gemäsz [Nipperdey setzt
Marcomani]. bei Florus und Vellejus wird Marcomanni, bei Strabo, Dio
Cassius und Ptolemaeus Magxonavoi geschrieben*, ohne zweifei drückt 503
der name aus grenzbe wohner, grenzmänner, von marka limes, wobei
dahin gestellt bleiben darf, ob der urbegrif des wortes wald war, weil
im alterthum grosze wälder (z. b. jene silva marciana) die völkerscheide
machten, jedenfalls reicht die Vorstellung der grenze und des Zeichens
in diesem worte hoch hinauf und über die zeit, in welcher die Zusam-
mensetzung Marcomanni das erstemal begegnet**, bei Helmold 1, 66.
67 heiszen noch später die gegen Dänen und Wenden aufgestellten
Deutschen Marcomanni, im Ruodlieb Ib, 52 aber die fremden nach-
barn: alterius regni Marhmanni valde benigni nostris, also deutlich:
auf der grenze hausende. Marcman ist darum gangbarer mannsname
(z. b. in Dronkes trad. fuld. 6, 48), ohne dasz man sich darunter einen
Markomannen oder markomannischen abkömmling zu denken hat.
wenn aber auch Rüedeger, der sonst maregräve heiszt, klage 1359
noch mit dem einfacheren ausdruck rder markman (Roseng. 679. 691.
855. 920. 1013 fder milte marcman) belegt wird, so übersehe man
nicht, dasz er und der dichter des Ruodlieb beide altmarkomannischem
boden angehören, auf welchem diese benennung lebendiger als in
andern deutschen strichen eingewurzelt war.
Gegen wen hüteten nun die Markomannen der Deutschen mark?
im osten, norden, westen stieszen sie selbst an andere deutsche stamme,
und es legt wichtiges zeugnis ab für die uralte einheit aller deutschen
Völker, dasz zwischen ihnen keine eigentliche grenze, sondern erst
wider den fremden feind galt, also davon, dasz sie an der Donau im
Süden die grosze mark zu bewachen hatten führen Markomannen ihren
namen, sei es schon von der zeit her, wo in Noricum noch unabhän-
* Aman, der unter Hadrian schrieb, anab. 1, 3 den lauf der Donau
schildernd gibt an, dasz sie bei keltischen (d. i. germanischen) Völkern ent-
springe, deren hinterste Quaden und Markomannen seien, darauf folgen
sarmatische Iazygen, dann Geten (ol a7ta^avaclt>ovxeq) und wieder Sar-
maten, zuletzt beim ausflusz in den Euxinus Skythen, ihm sind die Geten
keine Kelten, wie dem Tacitus die Daci keine Germanen, die vorgeschob-
nen Sarmaten, wie sie wirklich das band zwischen Geten und Sueven,
Daken und Quaden theilweise unterbrachen, scheinen auch die römische
ansieht von den Geten befangen zu machen.
** Marcodurum bei Tac. Rist. 4, 28 ein vicus Ubiorum (Düren an der
Ruhr), auf der peuting. tafel Marcomagus.
352 MARKOMANNEN
gige Kelten wohnten, oder erst seit es, unter August, in der Römer
504hand gefallen war. zwar scheinen die bei Caesar in Ariovists heer
genannten Markomannen für jenen älteren Ursprung des namens zu
streiten; sie könnten aber der grenze auf anderm punct wahrgenom-
men haben. Kelten gegenüber siedelten sich die Germanen sorglos
an; im angesicht kriegskundiger und eroberungslustiger Römer war
ihnen stärkere vorsieht geboten.
In der tagen Augusts und Tibers war ein markomannisches reich,
das suevische und gothische Völker an sich gezogen hatte, emporge-
blüht. Strabo s. 290. Maroboduus (ahd. Meripoto, mhd. Merbote?),
an edelmut und Vaterlandsliebe dem Arminius weichend, unterlag römi-
scher macht und gewandtheit. Eine Zeitlang scheinen dann die Mar-
komannen abhängig von den Römern oder auszuruhen, hernach aber
ermannen sie sich und die folgenden Jahrhunderte sehn wir sie ihre
streifereien ins norische, vindelicische und rhätische gebiet so lange
wiederholen, bis endlich, von nachrückenden Slaven selbst gedrängt,
sie auf demselben weg südwestlich fortschreiten, den ehmals die Bojen
vor ihnen eingeschlagen hatten, und ein beträchtlicher theil des landes
jenseits der Donau bis ins Tirol eigenthum deutscher Völker wurde,
fürder war auf sie der markomannische name nicht mehr gerecht und
ein neuer tauchte auf: Bojovarii Bojoarii Bajoarii Bagoarii, ahd. Pai-
girä Peigirä Peiarä, mhd. Beier Beiger, nhd. Baiern*, d. h. die aus
Bojohem, jenem Baja (s. 502) stammenden, vielleicht auch die im
bojischen Noricum niedergesessenen, was aber schon Tacitus gesagt
hatte (s. 166): manet adhuc Boihemi nomen, significatque loci vete-
rem memoriam quam vis mutatis eultoribus, ist bis auf heute wahr
geblieben, das bojische gebiet von der Elbe bis zur Donau behauptete
seinen namen unter deutschen- Markomannen wie unter slavischen
Tschechen, ungefähr wie der name Helvetien fortdauerte, auch nach-
dem Alamannen und Burgunden das land überzogen hatten.
So undenkbar es ist, dasz die Geten spurlos untergegangen und
nicht in den Gothen fortgesetzt sein sollten; eben so wenig läszt sich
505 annehmen, dasz der mächtige markomannische stamm im vierten jh.
versiegt sei ohne innern Zusammenhang mit dem neu aufquellenden
der Baiern. wie die Alamannen Sueven sind die Baiern Markomannen.
Da wir aber davon angehoben haben, dasz hochdeutsche spräche und
hochdeutsches volk wesentlich auf grundlage der Schwaben und Baiern
beruhe; kann es mit allem, was erörtert wurde, nur im einklang
stehn, dasz Tacitus in den annalen 2, 26. 62. 63 Maroboduus als
Suevenkönig darstellt und dasz der aussterbende Markomannenname
sich wieder in den der Sueven verliert (Zeusz s. 365).
Glaublich erscheint, dasz des Tacitus Narisci, des Dio Cass. p.
1189 NccQLötcd mit richtigem anlaut bei Ptolemaeus Ovccqlotoi für
OvaQLöxot genannt und dem namen nach die späteren Warasci sind,
welche zu anfang des siebenten jh. in Burgund, am Vosagus auftreten,
wer noch eyer, may sehreibt, kann auch Bayern und laye (laicus).
MARKOMANNEN. BAIERN. QUADEN 353
vgl. Zeusz s. 117. 584 und mythol. s. 73. Von den Sudeten und aus
dem Gabretawald, wo sie vor alters auftreten, können sie im lauf
der zeit in den fernen Südwesten gewandert sein, -asc oder -isc pflegt
nur persönlichen oder örtlichen Wörtern zuzutreten, ich weisz aber den
namen Var noch nicht auszulegen; vielleicht waren auch die Varini
oder Warni verwandt. Plin. 4, 13. Tac. cap. 40.
Berühmter und oft genannt sind die Quaden, deren wohnsitz unter
allen suevischen Völkern der südöstlichste ins heutige Mähren und den
westlichen rand von Ungern fällt; hier mögen sie vor alters an
Sarmaten Geten und Daken gereicht sein, bei Strabo 290 ist xä xäv
Koköovcov augenscheinlich verlesen und verschrieben für Kovddcov
(aus A ward A und T verschob sich). Marcus Aurelius Ant. setzt
am schlusz seines ersten buchs üg eavtoi' die worte za hv Kovdöoig
ngog tri) rgavova (wie zu ende des zweiten: rä Iv Kccqvovvtg)).
rgavovag ist der heutige Granflusz. bei Tac. stehn cap. 42. 43
Marcomani und Quadi immer zusammen, ann. 2, 63 wird ein quadisches
reich des Vannius gesetzt Danubium ultra inter flumina Marum et
Cusum. Marus ist March (sl. Morava), wovon Mähren seinen namen
führt, möglicherweise in bezug zu jenem marka grenze stehend, Cusus
entweder ein andres wort für Gran, oder die heutige Waag, zwischen 506
beiden, die Kovaöoi des Ptolemaeus erstrecken sich im Marchgebiet
von der Donau bis ins Waldgebirge und die Luna silva oder Manhart
ist darin begriffen; in dieser gegend müsten früher Caesars Tecto-
sagen (oben s. 166. 167) gehaust haben. Capitolin in M. Anton,
cap. 22 nennt neben einander Quadi Suevi Sarmatae und auch bei
Eutrop. 9, 6, Ammian 16, 10. 26, 4. 29, 6 erscheinen sie in solcher
gesellschaft Moesien und Pannonien verheerend. Wie das vierte jh.
sah schon das erste und zweite Markomannen und Quaden in dem-
selben landstrich ; Dio Cassius versichert uns, dasz beide zu Domitians
zeit mit den Geten oder Daken im bund standen, zu anfang des
dritten jh. treten BavÖiloi Magxonavoi Kovadoi auf. Dio Cassius
p. 1305. Dem Ammian ist die Quadorum natio parum nunc formi-
danda, sed immensum quantum antehac bellatrix. Seit dem fünften
jh. verlieren sie sich unter suevischem namen und man kann an-
nehmen, dasz sie sich gleich den Markomannen und andern Sueven
zwar südwärts bewegten, allein auch Überbleibsel in Mähren, Öster-
reich und dem deutschen theile Ungerns hinterlieszen.
Des Vannius name begegnet genau dem alts. Wenni der trad.
corb. s. 344 (Falke 120), wird aber auch ahd. gewesen sein. ra'Co-
ß6[iccQog bei Dio Cass. 1305 darf im zweiten theil an goth. Eterpa-
mara (s. 480) erinnern. Vitrodorus Viduarii filius, und Agilimundus
bei Ammian 17, 12, letzteres ist das langob. Agelmund.
Doch am merkwürdigsten ist des volks name selbst, und wie
man ihn auch fasse und deute, das wird unbestreitbar bleiben, dasz er
noch in dem eigennamen Kadolt oder Chadoldus, den wir bei mehrern
gerade österreichischen, mährischen oder deutschböhmischen geschlech-
tern wahrnehmen, fortlebe, in Ulrichs von Lichtenstein frauendienst
Grimm, geschickte der deutschen spräche. 23
354 QUADEN
erscheint von Velsperc Kadolt, und der weise (orphanus) Slfrit Kadolt,
vgl. Helbl. 6, 129. 13, 72 und Chadoldus orphanus MB. 28b, 103.
260. 429 (a. 1137. 1188. 1280). ferner musz es ein verwandtes,
507 wie adal gebildetes subst. gegeben haben, mit welchem der manns-
name Chadalhöh (wie Adalhöh) Kadalöh zusammengesetzt wurde, alle
geschlechter, in denen solche eigennamen walten, scheinen mir alt-
quadischer abkunft.
Ich bin aber unschlüssig wie diese namen erklären und es wird
darauf ankommen, ob ihnen kurzer oder langer vocal zustehe? für
jenen scheint zu streiten, dasz die Eömer und Griechen nicht Quedi
KovtJöol wie Suevi ZJovyjßoi schreiben, obschon zuletzt auch üovdßoi
auftaucht, quadus mit kurzem vocal wäre goth. qaj>s, auf welches die
wurzel qijmn qa|) nächsten anspruch hätte ; wie von lat. dicere dignus
(f. dicnus) liesze sich von qijjan ahd. chuetan ein ähnlicher begrif
leiten : allein ein adj. qaj>s, ahd. chuad ist bisher nicht aufzuweisen.
Umgekehrt, für den langen vocal goth. qßps, ahd. chuad, chäd
böte sich gerade ein, wenigstens einzelnen dialecten zuständiges adj.
mhd. kät, mnl. qwaet, altfries. quäd, das aus dem ablaut derselben
wurzel gezeugt die ungünstige Bedeutung malus überkommen hätte,
und dem urverwandten welschen gwaeth malus, pejor entspricht,
mhd. heiszt Keie der kätspreche Er. 4663 d. i. lästerer, Verleumder,
ganz was mnl. quaetspreker. Böse 7634, vgl. quät spreken im ham-
burg. Statut von 1270 s. 56; quädige galle ist Morolt 1379 schelte
und dem mnl. goeder tßre steht häufig quader tere gegenüber*. Wie
sich nun im 14 jh. ein herzog von Braunschweig, den man sonst den
tobenden hund nannte, gefallen lassen muste, Otto de quade zu
heiszen, könnten auch die alten Quaden diesen ihnen von nachbarn,
wer weisz bei welchem anlasz, gegebnen namen ertragen haben,
dann wäre zu schreiben Quädi und Kadolt, Chadalhöh.
Auf andere Völker, die sich Sueven oder Markomannen anzu-
schlieszen scheinen, wird die betrachtung künftig zurücklenken; hier
508 hat sie bei der jetzt gewonnenen grundlage zu verweilen und das
schwäbisch-bairische element des hochdeutschen volks und seiner
spräche noch unter andere gesichtspuncte zu stellen.
Wüsten wir mehr von dem heidnischen glauben beider stamme,
unser blick würde sich wesentlich erweitern, gleich den Thrakern
Geten Daken waren sie Verehrer des kriegsgottes, &£QCC7tovt£g"AQr]og
wie Homer sagt, "Aomg xs ftsoccnevTccl, wie es in Piatons Phaedrus
heiszt. von Ares, als Hefästs fessel gelöst war, wird Od. 8, 361
gesagt: &Q$nt]V$e ßeßqxei, und der scholiast fügt hinzu: tpikoiiokz-
[loi [ilv ol ®gäx£g Tcal ä(p(OQi6^ihoi reo "Aqu. Akinakes war bei
Skythen und Geten gefeiert (s. 120. 187), Daken galten für Ares-
* abgeleitet ist ahd. chät, chot stercus, ags. cvsed, mhd. kät Helbl. 5,
24. 95. quät Morolf 385, nhd. koth, ein euphemismus, der eigentlich aus-
sagt: das schlimme, schlechte, vgl. chwätchever mistkäfer Sumerl. 38, 28
und quätsac Renn. 6974.
SÜEVEN. BAIERN 355
diener (s. 188. 221), auch den Tencterern läszt Tac. hist. 4, 64 Mars
praecipuus deorum sein, kriegerischen Völkern und namentlich allen
Deutschen wird dieser schwertcultus zum allgemeinen kennzeichen
(mythol. s. 179); auf die Suardones und Sveordveras ist schon hin-
gewiesen worden (mythol. s. 839) und selbst im namen der den Marko-
mannen benachbarten Cherusken scheint die Vorstellung des schwerts
enthalten. Wie die Quaden eductis mucronibus eid schwuren (RA.
166) galt nach der lex Alam. 44 (vgl. addit. 22) ein rcum tracta
spata se idoneare'. Bedeutsam bleibt es, dasz die alten Schwaben
geradezu Ziuvari genannt werden, d. i. Martern colentes (mythol. s.
180) und vielleicht in dem mhd. ausruf : ziu dar näher! Parz. 651,
11, woraus das spätere ziether! MS. 2, 17a und zeter, zetter! (RA.
877. gramm. 3, 303) entstanden sein könnte, des gottes name fort-
geführt wurde; dann brauchen wir keiner keltischen auslegung (Haupt
5, 513). Zio und Er, Eor waren aber nur verschiedne namen des-
selben gottes und wenn bei Er an he*ru, goth. hairus wie an "Aqy\§
und äoQ gedacht werden darf (mythol. s. 184), so öfnet sich hier ein
merkwürdiger gegensatz. Markomannen und Cherusker scheinen den
kriegsgott Cheru Heru Eru, Sueven aber Tiu Zio genannt zu haben,
wozu stimmt, dasz bis auf heute der dritte Wochentag in bairischer
Volkssprache ertag iertag erchtag (mit umgestelltem H?), in schwä-
bischer ziestag zistag heiszt (mythol. s. 183).
Auch Berhtacultus, insofern wir seiner noch aus dem letzten 509
niederschlag in volkssagen habhaft werden, erstreckt sich augen-
scheinlich über markomannische und bairische landstriche und in
Schwaben bricht ein männlicher Berhtolt vor; thüringische und
hessische gegenden weisen Berhtas amt an Holda, elbische an Freke,
und dieselbe mütterliche gottheit musz vor alters Nerthus gewesen
sein, es ist für Völker und Sprachgeschichte von groszem werth noch
mehr solcher faden zu festigen.
Wie unsre mythologie streben musz das eigne eines jeden stamms
zu ermitteln und festzusetzen, damit die richtung des ganzen desto
deutlicher erkannt werde; kann auch die geschichte der spräche und
des rechts ihr ziel nicht erreichen, bevor die einzelnen und beson-
deren triebe und schichten aller theile des volks entwirrt sind, wir
haben bis in alle laute, flexionen und Wörter zu forschen, wo sich
schwäbische und bairische mundart begegnen oder abstoszen, wie-
derum wo sie zusammen oder einzeln mit der gothischen und sächsi-
schen stimmen oder von ihnen abweichen, ein beispiel solches ein-
klangs war dulj>s und tuld (s. 72) und vielleicht kelikn chilecha
(s. 318); andere sollen im verfolg angeführt werden.
Ähnliche züge der Übereinkunft und Verschiedenheit gewähren
uns die gesammelten volksrechte beider stamme, gemeinsam ist ihnen
das wergeld von 160 sol., gemeinsam der ausdruck saiga oder saica
für denar, gemeinsam das technische taudragil (RA. 94), dessen deu-
tung sich mythol. s. 746. 1026 bestätigte, eigenthümlich aber war
das bairische, noch spät ins mittelalter fortgesetzte ohrzupfen (RA.
23*
356 HOCHDEUTSCHE
144. 145), das stapfsaken (RA. 927) und der alamannische nasteid,
wobei frauen die hand auf ihre haarflechte legten (Haupt 4, 472)
oder das aufhängen des hunds über der thür (RA. 665, vgl. balt.
stud. 7, 2, 14). Aus dem was die lex Alam. 80 und add. 42 über
den concubitus mit puella geneciaria und das alterius puellam de
genicio rapere verordnet, schlieszt Davoud 1, 337 nicht unbefugt,
dasz bei den Alamannen noch 600, 700 jähre nach Tacitus viel-
510 weiberei als concubinat häufig war (vgl. oben s. 189); Ducange s. v.
gynaeceum hat viele stellen gesammelt welche darlegen, dasz zwar
dieser ausdruck ein haus oder gemach bezeichnete, worin mägde web-
ten oder wirkten (wercgadem Iw. 6187), dasz aber die herrn an
solchen orten frauen zu unterhalten pflegten.
Das bairische gesetz 2, 20 zählt edle geschlechter auf: Hösi,
Draozä, Faganä, Hahilingä, Aennienä, isti sunt quasi primi post Agi-
lolfingos, qui sunt de genere ducali, unter welchen Hahilingä an die
Hegelinge des Gudrunlieds, Aennienä aber an die Aenenas des ags.
Vidsidlieds mahnen, wo es 322 heiszt
mid Englum ic väs and mit Svsefum and mid iEnenum';
wieder ein zeugnis für der Angeln Schwaben und Baiern Zusammen-
hang. Rabenschlacht 491 wird ein held Enenum namhaft gemacht;
über die Hösi oder Huösi, Draozä (oder Thrözzä) und Faganä (exsul-
tantes, von fagan altn. feginn gaudens, vgl. goth. faginön %aiQ£iv)
weisz ich sonst nichts*.
Berühmt ist die schwäbisch-bairische heldensage von Weif und
den Weifen, deren berührung mit der skirischen schon s. 468 an-
gedeutet wurde und worauf ich bei den Chatten nochmals zurück-
kommen will. Auch wird die gothische mythe von Attila, den Hünen
und Theoderich diesen hochdeutschen nachbarn, zumal Markomannen
und Quaden, nicht vorenthalten geblieben sein, da wir noch am
schlusz des zwölften jh. das epos von den Nibelungen in Österreich
wurzeln sehn. Mir fiel auf, dasz im Waltharius 1009 die helden
Guntharius von Worms, Tanastus von Speier, Trogus von Straszburg
gewissermaszen noch als Vertreter der alten Vangionen, Nemeten und
Triboken angesehn werden dürfen. So tief wurzelt in der heldensage
alter stammunterschied.
Es kann kein zufall dabei walten, dasz sich in Schwaben und
Baiern, wie die ganze natur und gewalt der hochdeutschen spräche,
511 so auch unsrer alten poesie kund gegeben hat. alles was die grund-
lage der deutschen literatur macht, geht von diesen beiden stammen
aus, wie Otfried und Notker bezeugen. Otfrieds gedieht, wenn man
es zu dem fast gleichzeitigen eines namenlosen Sachsen hält, musz
das lebendigere scheinen, weil es von eigner, obschon mäsziger kraft
getragen wird, im Heliand nur überlieferte alte weise, ohne alle eigen-
thümlichkeit nachhallt, dieser Sachse weisz nichts von seinem vater-
* Huschberg in dem buche: Scheiern und Witteisbach. München 1834
s. 55—61 soll von diesen geschlechtern handeln.
HOCHDEUTSCHE 357
land noch von sich zu singen, Otfried ist des fränkischen namens voll ;
dasz er von geburt ein Schwab war, wie er alamannisch dichtete,
wurde s. 499 gesagt. Über dreihundert jähre nach ihm hob sich die
hochdeutsche poesie und spräche, und auszer den Nibelungen, deren
bester theil wahrscheinlich Österreich angehört, ist Wolfram in
Baiern, Hartmann und Gotfried in Schwaben auferstanden.
XX.
DIE FRANKEN.
512 Was den Sueven am obern Rhein mislungen war vollbrachten
später andere Deutsche am untern, den auch die Römer nicht so
kräftig schützen konnten wie jenen, seit dem dritten und vierten jh.
strömen deutsche häufen unaufhaltsam durch die Niederlande nach
Gallien, bis es ihnen zuletzt als beute erliegt, schon in vorausgehen-
den zeiten waren Deutsche unter besonderem und allgemeinem namen
dort erschienen, oder gewaltsam dahin verpflanzt worden ; vom dritten
jh. an treten sie mit dem vorher unerhörten, vielleicht aber lange
bestandnen gesamtnamen der Franken auf, dessen rühm noch heute
die geschichte erfüllt, bevor ich die nur scheinbar älteren einzelnamen
anführe, fordert er selbst erklärung.
Franci Francorum, ahd. Franchon Franchönö, ags. Francan Fran-
cena, aber altn. Frakkar Frakka führt sich auf den begrif frank und
frei zurück, welche Wörter (mhd. frech und frl, nnl. vrij en vrank)
wir gern in eine formel binden, im prolog des salischen gesetzes
nennt sich die gens Francorum selbst inclyta, audax, velox et aspera.
aus der goth. wurzel freis liber entspringt sowol friks audax, avidus*,
513 als ein fraggs entspringen dürfte, die götternamen Frla Fricka Fricco
sind wie Libera Liber und der ausdruck fri femina unmittelbar ver-
wandt. N tritt zu wie in J>akka danchön, hlekkr hlancha, liqui lin-
quo, Xaiog link, und vielen andern, nennt Libanius (ed. Reiske 3,
317) in der mitte des vierten jh. die rheinischen (Dgccynoi (bei Julian
und Procop &Qayyoi) immer &qccktol mit der deutung Oftvog
TtecpQCcytitvov jroog za xcjv noXeficov sgya, so könnten auch des
* Sigebertus gembl. bei Pertz 8, 300: Valentinianus Francos attica lin-
fua appellavit, quod in latina lingua interpretatur feroces (das (pgaxxöq
ei Libanius meint aber bewafnet). diese herleitung hat auch Ermoldus
Nigellus im sinn 1, 344:
Francus habet lionien a feritate sua
vgl. 359 France ferox! Man könnte den namen auch aus der von Yalen-
tinian verliehnen abgabenfreiheit deuten, vgl. Pertz 8, 115.
FRANKEN 359
Ptolemaeus 'AvccQXO(pQu,Y.Toi, auf ganz anderm boden, schon (pgayxot
heiszen; das ist besser als ein s. 199 herbeigeholtes präht*.
Gleich den Sueven oder gothischen Balthen (s. 447) führen also
die Franken den namen der freien; um so bedeutsamer klingt z. b.
in der marchia ad Wirziburg das Pfrlerö Franchönö erbi\
Es ist eine andere ableitung vorgeschlagen worden: aus goth.
hramjam figere stamme fränkisches adchramire und (nach Wechsel
zwischen CH und PH s. 349) adframire, die mishandelte framea, das
ags. diminutivum franca (für frameca), daher der name Franken**.
;; Dasz mit ihm framea zusammenhänge leuchtet mir sehr ein, und 514
baarer angäbe des Tacitus zufolge war es ein deutsches wort: rari
gladiis, sagt er cap. 6, aut majoribus lanceis utuntur, hastas velfip-
sorum vocabulo' frameas gerunt angusto et brevi ferro, sed ita acri
et ad usum habili, ut eodem telo, prout ratio poscit, vel cominus
vel eminus pugnent, et eques quidem scuto frameaque contentus est.
auszerdem heiszt es cap. 11 frameas concutiunt, cap. 13 scuto fra-
meaque ornare, cap. 14 cruentam victricemque frameam, cap. 18
scutum cum framea gladioque, cap. 24 inter gladios atque infestas
frameas. zwischen gladius und framea tritt deutlicher unterschied
hervor, framea ist hasta oder minor lancea. weder in den annalen
noch historien begegnet der ausdruck.
Auch keiner der älteren classiker beinahe gewährt ihn, nur kurz
vor Tacitus hatte Juvenal gesungen 13, 78
per solis radios tarpejaque fulmina jurat,
et Martis frameam et cirrhaei spicula vatis,
welche stelle nachher eine bei Marc. Capella 5, 425
Gradivi frameam non ausus poscere
im sinn hat. unter den telorum et jaculorum vocabulis bei Gellius 10,
25 fehlen nicht frameae, catejae, rumpiae (vgl. oben s. 461); aber
dasz die beiden folgenden kirchenväter den von Tacitus aufgestellten
begrif des worts nicht mehr vor äugen hatten, zeigen ihre erklärungen.
Augustinus epist. 120, 16. 140, 41. serm. 314, 4. 5 stellt framea mit
gladius gleich, enar ratio in ps. 9, 8 hat er diaboli frameae und in
ps. 149, 12 frameae bis acutae in manibus eorum, framea für spata.
* überall erscheint Francus (pQayyoq schon lautverschoben; urverwandtes
P (wie noch heute die Litthauer Franzose durch Prancus ausdrücken) würde
nur in der verderbten stelle der peutingerschen tafel 'Chamavi qui Elpranci'
aufzuweisen sein, wo gebessert werden musz: qui et Pranci, oder Franci.
** Wackernagel bei Haupt 2, 558, vgl. Diut. 1, 330. Ducange s.# v. ad-
framire undadramire; Waitz sal. ges. 243. 256. 276 hat nur adramire ad-
chramire adcramire achramire agramire. Bei Irmino erscheinen die eigen-
namen Frannus 68b Framninga 248a Framnoldus 26Ub Framhardus 216a Fra-
mengarius 12b Framnegarius 225b 234b Framnoinus 63a Framoinus 34bFram-
bertus 94a Framberta 29a Framengildis la 12b 37a Framnehildis 223b Fram-
nildis 162b 269a Framneildis 272b Framnedrudis 274a Framnetrudis 94aFram-
trudis 26a 93b Framengaudia 93a, deren einzelne sicher mit Hram oder
Hramn zusammenfallen dürften, z. b. Frannus Framningus mit Hrannus
Hranningus, so dasz Framengaudia f. Chramnegaudia und ahd. Hramköza
stände, Framnoldus = Chramnoaldus.
360 FRANKEN
Isidorus orig. 18, 6, 3 sagt geradezu: framea gladius ex utraque
parte acutus, quam vulgo spatham vocant. framea autem dicta quia
5 1 5 ferrea est, nam sicut ferramentum sie framea dicitur, ac proinde
omnis gladius framea. in der vulgata ps. 35, 3 wird das i.%yzov
QO{iq)cdav der LXX effunde frameam richtig übertragen, von Notker
aber verdeutscht: kebreite dm suert. nach Augustins und Isidors
Sprachgebrauch verwendet der dichter des Waltharius 1016. 1376
framea für schwert*, nicht für speer, und ohne dasz ihm irgend ein
deutsches wort im hintergrund schwebt.
Wie sollte auch etwan aus der partikel fram porro, ultra oder
dem mhd. masc. frame für entfernung (Servat. 332) die Vorstellung
einer waffe folgen? allenfalls wäre framea projeetio, projeetura, pro-
jectibile? Man hat unpassend das nhd. pfrieme, nnl. priem, d. i. ags.
preon, altn. prion, dän. preen spinther, filum ferreum verglichen, worin
PR unter der Voraussetzung stimmen könnte, dasz dem framea ein
unverschobnes pramea vorhergieng, der diphthong aber abweicht und
der begrif noch mehr. In framea das ahd. rama (nicht räma) instru-
mentum textorium (Graff 2, 205) mhd. rame (Iw. 6199. Trist. 4692)
wenn gleich ein spannendes, heftendes Werkzeug zu sehn, Francho aus
Hramicho zu deuten fällt mir doch schwer, in jenen eigennamen
(s. 513. 514) erschien Framne- als jüngere, Chramne- als ältere form,
da doch im lat. framea gerade FR das höchste alter für sich hat,
und im dritten jh. sogleich Franci tDgayxoi, niemals Chranci XQa%%oi,
noch später Ranci vorkommt, die ganze Zusammenstellung zwischen
frank und frei, die doch tief begründet scheint, gienge verloren.
Lieber möchte ich diesmal den volksnamen nicht aus der waffe
leiten, sondern die waffe aus ihm; wie wenn framea nichts als ent-
stellung aus franca wäre? dem siebenmal wiederholten framea bei
Tacitus wird freilich nichts anzuhaben sein, doch im juvenalischen
verse könnte schon Martis francam gestanden haben und daraus fra-
meam verlesen sein, bei der alten uncialschrift mischen sich nc und
516m öfter, für nunc wurde num, für tunc tum gesetzt**; nicht weisz
ich ob römischem ohr framea mehr zusagte als franca, da ihm manca
aneus saneus geläufig waren, das e nach c durfte der abschreiber
oder Juvenal selbst nicht entrathen, framam und franceam (obschon
analog dem lancea l6yxv\) hätten beide dem verse nicht getaugt***,
aber auch dem Juvenal dürfte framea bereits festgestanden haben,
wenn es nur in einer wenig älteren uns abgehenden stelle, ich will
einmal sagen des Plinius aus franca verderbt war, wie aus dem ad
sua tutanda des Tacitus ein sia tutanda und bei Ptolemaeus ein ort
Utarovravöa hervorgieng.
* Ademar (Pertz 6, 125): diverberatum cadaver frameis = gladiis; vgl.
framea necari (Pertz 5, 247). auch Gregor, tur. 3, 15.
** Drakenb. zu Liv. II. 12, 15. Cortius zu Lucan 1, 60. 167. III. 197.
443. Spalding zu Quinct. V. 10, 102; erwäge man etiam nunc und etiam num.
Saxo gramm. ed. Müller 72 scandiert framea — v^ ^ für
w ^ O-
FRANKEN 361
Meiner Vermutung stark zu statten kommt nun, dasz in der ags.
spräche sich genau ein solches france (nicht franca) Csedmon 119, 20
und Byrhtnod bei Thorpe 123, 29. 125, 19, in der altn. aber frakka
Sn. 21 6a erhalten hat, und zwar nicht in der bedeutung von gladius,
sondern der echten alten von jaculum oder missile; bei Sachsen und
Scandinaven sollte france, frakka, bei andern Germanen (und unmit-
telbaren vorfahren der Franken) framea, nicht franca gegolten haben?
Isidor trat der Wahrheit ganz nahe, hätte ihm nicht sein einfältiges
ferramentum den weg verschlagen, da er am schlusz des capitels auf
die secures zu reden kam und hinzufügen konnte: quas et Hispani
ab usu Francorum per derivationem franciscas vocant. nannten aber
die Westgothen noch im siebenten jh. ein wurfbeil francisca (goth.
fragkiskö?) so musz die franca eigenthümliche waffe der jüngeren
Franken geblieben sein und das jaculum verträgt sich mit dem emi-
nus ferire. eine alte glosse in Nyerups symbolae 355a nachdem sie
die isidorische erklärung gegeben hat, fährt fort: est etiam framea
hasta longissima, und Papias und Joannes de Janua deuten franciscae
durch secures oder signa quaedam instar securium quae Romae ante 517
consules ferebantur. Bei Gregor von Tours, meines wissens, kommt
francisca nicht vor, wol aber 2, 27 bipennis, 9, 35 projecta securis;
bei Flodoardus 1, 13 hinter einander: franciscam projecit in terram
und dann bipennem, in derselben erzählung, wo Gregor 2, 27 beide-
mal securis gebraucht hatte. Aimoin aber 1, 12 hat gladius und
francisca mit dem zusatz quae spata dicitur, also Isidors deutung
von framea. Hincmarus in vita Remigii: francisca quae vocatur bi-
penna*. Dasz kein zweifei übrig bleibe an der fränkischen eigenthtim-
lichkeit der framea führe ich noch eine stelle aus Procops b. goth.
2, 25 an, der sie itkXmvg nennt; zu seinen tagen waren Franken
mit Theodebert nach Italien gekommen: inniag ^i\v oXiyovg xivag
ä[i(pl xbv r\yov\izvQv k%ovxeg, 61 örj xccl ^lovol dogaxcc ecpegov. ol
Xoinoi de itztpi ccjiavxsg ovxs xo%a ovxe dogaxcc £%ovx£g, oXka $((pog
T£ xal aöTtlöa cpsgcov sxaoxog xal ntlsxvv svcc. und 2, 2 8_ prahlen
vor Vitigis der Germanen d. i. Franken gesandte : xb yiw ovv öxga-
xonedov avögav ^a%L^LG)V ov% rjööov rj Ig [ivgiddccg nevxrJTCOVxa rjör]
7tov xccg "Ahtug v7C£gßeßr]}CBvai, oto^uf^a, ovg TteXsxEöL xrjv 'Panalcav
öxQaxiccv ^v/LiJtaoav iv xy Ttgcoxrj ognfj xaxa%co6£LV av%ov[i£v. Noch
damals lag, wie früher bei Chatten, ihres heeres kraft in den fusz-
gängern, aber diese und reiter waren nur mit schild und franke be-
wafnet, deren angustum, breve und acre ferrum wol sicher zwei-
schneidig war, was von selbst auf bipennis und gladius ex utraque
parte acutus führte. Sogar die doppelform franca und francisca wird
durch den volksnamen Franciscani gerechtfertigt, die des Aethicus
cosmographie deutlich an der Franken stelle setzt.
* bemerkenswerth sind vielleicht noch die ahd. glossen ploh framea
(Graff 3, 359), pflüg, weil er wie der speer den acker anfreiszt? stapasuert
framea (Graff 6, 612) vgl. oben s. 235 skälm framea.
362 FRANKEN
Wer diesen erörterungen gefolgt ist wird sich davon überzeugt
haben, dasz franca und francisca dieselbe, den Franken eigne und
nach ihnen benannte waffe waren, wiederum aber mit beiden die bei
Tacitus als germanisch, d. h. zunächst fränkisch geschilderte framea
zusammenfalle, selbst abgesehn von dem herstellbaren gleichlaut des
518 namens, dem ferrum acre et ad usum habile gleicht immer der
gladius ex utraque parte acutus, bis acutus, die bipennis oder nkXi-
Tcvg, mag dem berichterstatter die Vorstellung des Speers übergegangen
sein in die des wurfbeils und Schwerts, da sich im laufe langer Jahr-
hunderte natürlich auch das geräth umgestaltete, im ags. lied von
Byrhtnod heiszt es deutlich cmid his francan ofsceät' mit seiner franke
schosz, und speer oder beil, nicht schwert waren waffe zum schieszen
oder werfen, wie im Hildebrandslied sperü werpan und bretön billiü
vorkommt, was zur beschreibung bei Tacitus stimmt*.
Rührt nun, wie ich annehme, framea aus franca, franca aus dem
volksnamen Franci her, so ist nothwendig dasz ein solcher schon im
ersten jh. wenigstens unter Germanen gangbar war und Römern vor
dem dritten bekannt geworden sein konnte, wenn ihn auch keine
erhaltne schrift bewahrt, man müste denn in jenem 'AvccQTOcpouxtOb
des Ptolemaeus eine spur entdecken.
Die gewöhnliche ansieht, der auf Peutingers tafel** zuerst er-
scheinende Frankenname sei ums dritte jh. durch einen bund nieder-
rheinischer, vorher unter andern benennungen gekannter Germanen
neu hervorgebracht worden, hat in meinen äugen geringen werth.
an uraltem, ununterbrochnem Zusammenhang deutscher stamme, in
festerem oder loserem verband, wird keiner zweifeln; aber ein frän-
kischer, alamannischer oder suevischer verein erklären mir nichts,
wenn sie nicht in ihrem beginn oder erfolg von der geschichte selbst
deutlich hervorgehoben werden. Hatten die Römer gerade nieder-
deutschen stammen schon geraume zeit hindurch den umfassenden
namen der Germanen beigelegt, so war ihnen ein andrer entbehrlich,
519 der wenigstens im unverstandnen ausdruck für eine germanische waffe
unter ihnen umlief. Auf dem boden, den die Deutschen des ersten
jh. einnahmen, mochten ihre nachkommen im dritten sich dasselbe
recht, warum nicht denselben namen? aneignen, nichts ist dawider,
dasz nicht auch schon zu Caesars tagen die benennung Franken, d. i.
freie männer erschollen sein sollte.
Vopiscus im Probus cap. 12 hat Franci inviis strati paludibus,
etwa ums j. 280, offenbar in gegenden, wo der Rhein sich dem meere
nähert, und noch Sidonius apollin. epist. 4, 1 nennt paludicolas Si-
cambros. deutlich Procop de b. goth. 1, 12: rPfjvog ig xbv axeavov
* vergebliche arbeit scheint es, wenn H. Schreiber imtaschenbuch 1, 152.
153 die schlanke, leichte und scharfe framea von der schweren francisca
scheiden und beide eisenwaffen dem ehernen, gallischen celt entgegensetzen
will, während Lisch die framea für einen speer und ehernen celt erklärt,
Worsaae den celt für eine axt. auf den celt lasse ich mich hier nicht ein.
** vgl. auch Vopiscus in Aureliano cap. 7.
FRANKEN. SIGAMBERN 363
tag exßolccg itoiüxai. Xlpvai xe ivravfta, ov drj rsQiictvoi xb %a-
laibv (fixrjVTO, ßdgßagov £&vog, ov nolXov hoyov xo xat cco%ccg
al-iov, dl vvv 0Qccyyoi xcdovvxai; nur darüber schwebt er im ir-
thum, dasz diese jetzt geftirchteten Franken vor alters kein aufsehn
gemacht hätten, da doch Germanen unter ihrem allgemeinen wie
unter besondern namen schon Jahrhunderte lang der Gallier schrecken
gewesen waren und z. b. Julian im j. 356 mit den fränkischen kö-
nigen in der gegend von Cöln zu schaffen hatte (Ammianus 16, 3).
Die beginne der fränkischen geschichte treten gleich wieder in
das Zwielicht der sage zurück. Gregor von Tours 2, 9 weisz aufs
höchste anzuheben mit Genobaudes, Marcomeres und Sunno, die in
der zweiten hälfte des vierten jh. zur zeit des Valentinianus und Ma-
ximus in Gallien einbrachen. So wenig Valentinian den namen der
Franken erfunden hat, werden auch die Franken des dritten und
zweiten jh. unthätig geblieben sein. Gregor sagt: in Germaniam pro-
rupere, und versteht darunter das belgische Gallien: f Marcomeres
Sonnoque' sind schon bei Claudian (de laud. Stilich. 1, 241) genannt
und völlig historisch, aber Sigebertus gembl. (Pertz 8, 302) meldet,
nach den gestis Francorum : Francis post Priamum Priami filius Mar-
comirus et Sunno filius Antenoris principantur annus XXXVI, quorum
ducatu Franci Sigambria egressi consedere secus Rhenum in oppidis
Germaniae; unter diesem Sicambrien wird aber kein landstrich des
rechten Rheinufers, sondern geradezu Pannonien und gar die Maeotis 520
gemeint*, davon musz das gerticht bereits zu Gregors künde ge-
langt sein, weil er nicht unbemerkt läszt: tradunt enim multi eosdem
de Pannonia fuisse digressos. Bei Sigebert und Fredegar wird auch
ein Francio namhaft gemacht, auf welchen der volksname unmittel-
bar zurückgeführt werden kann. Unter allen Deutschen scheinen
gerüchte von uralter einwanderung aus Asien nachzuzucken, die sich
bald an Alexander, bald an Troja, Priamus und Aeneas zu knüpfen
suchten; welche bewandtnis es mit dem sitz der Franken in Panno-
nien haben könne, wird nachher erhellen. Gleichwol darf man nicht
übersehn, dasz schon zu Tacitus zeit das rheinische Asciburgium auf
Ulysses und Laertes bezogen wurde, also die Überlieferungen der
Franken bereits unter Germanen des ersten jh.wurzel geschlagen hatten.
Der allgemeine dem namen der Franken wie der Sueven bei-
wohnende sinn gestattet beiden höheres alter zuzutrauen, als die
besondern benennungen einzelner stamme anzeigen, die man unter
ihnen zu begreifen hat.
Am sichersten und unmittelbarsten auf die Franken zu beziehen
ist das volk der Sigambern, dessen die Römer von frühe an oft ge-
denken. Bei Plinius, wenn er die fünf germanischen hauptstämme
aufzählt und den dritten nennt, heiszt es : proximi autem Rheno Istae-
vones (f. Iscaevones), quorum pars Sicambri; die gewöhnliche lesart:
* man vgl. Ekkehardi chronicon bei Pertz 8, 115 und Heriger (Pertz
9, 176) mit einzelnen ab weichungen.
364 SIGAMBEEN
quorum pars Cimbri entsprang durch Vereinfachung des doppelt zu
lesenden S, worauf das folgende I getilgt und cambri in Cimbri ge-
ändert wurde, denn auch bei Caesar 6, 35 werden Sicambri be-
zeichnet: qui sunt proximi Rheno, ihr gebiet lag dem der Eburonen
gegenüber, am Rhein zwischen Lippe und Sieg und erstreckte sich
ostwärts bis in das spätere Sauerland oder herzogthum Westfalen,
fast zur Weser hin.
Als Caesar den Rhein zu überschreiten trachtete und von den
521 Sigambern auslieferung geflüchteter Usipeten und Tenchtherer be-
gehrte, antworteten sie kühn: populi R. imperium Rhenum finire; si
se invito Germanos in Galliam transire non aequum aestimaret, cur
sui quidquam esse imperii aut potestatis trans Rhenum postularet?
doch nachdem er die brücke zu schlagen begann, wichen sie auf jener
flüchtlinge rath in die wälder und lieszen den feind ihre dörfer und
äcker verwüsten. Nicht lange darauf erwiderten die Sicambern die-
sen angrif durch einen zug über den Rhein ins land der Eburonen.
b. gall. 4, 16. 18. 6, 35—42. Im j. 12 vor Chr. gieng aber Drusus
über den Rhein und besiegte die niederrheinischen und tiefer woh-
nenden Germanen, bei Florus 4, 12 heiszt es: inde validissimas nationes
Cheruscos Suevosque et Sicambros pariter aggressus est, qui viginti
centurionibus incrematis hoc velut sacramento sumpserant bellum,
adeo certo victoriae spe, ut praedam in antecessum pactione diviserint.
Cherusci equos, Suevi aurum et argentum, Sicambri captivos elegerant*.
hier ragen sie neben Cherusken und Sueven als germanischer haupt-
stamm hervor, die Schlacht mit den Römern hatte apud Arbalonem statt
(Plin. 11, 18), wozu sich irgend ein westfälisches Arpeln oder Erpeln,
vielleicht der chattische Arpus vergleichen läszt. Auf diesen sieg des
Drusus gehn des Ovidius oder Pedo verse (consol. ad Liviam 17. 311)
ille genus Suevos acre indomitosque Sigambros
contudit inque fugam barbara terga dedit; —
nee tibi deletos poterit narrare Sigambros,
ensibus et Suevos terga dedisse suis.
Bald hernach lieszen die siegreichen Römer, wie sie schon früher die
Ubier vom rechten Rheinufer auf das linke versetzt hatten, auch einen
theil der Sigambern hinüberziehen (Sueton. Aug. 21. Tac. ann. 12, 39)
was die Germanen augenblicklich schwächte, eben so sicher aber zu
späteren erfolgen auf gallischem boden, den jene im voraus eingenom-
men hatten, stärkte. Man darf nur nicht wähnen, dasz keine Sigambern
522 auf der rechten seite in der alten heimat zurückgeblieben seien, Strabo,
der s. 194 die Sugambern neben Trevirern, Nerviern und Menapiern
weisz, redet s. 290 ausdrücklich noch von einem solchen theil, nennt
auch sigambrische, in den aufstand der Cherusken verflochtne fürsten,
Ptolemaeus aber läszt sie später zwischen Bructerern und Langobarden
ungefähr den landstrich einnehmen, den sie zu Caesars zeit besessen
* wie in der heldensage oft wiederkehrt, dasz vor dem angrif die beute
bis ins einzelne getheilt wird.
SIGAMBERN 365
hatten, nur dasz sie, wie es scheint, nicht mehr unmittelbar an den
Rhein stieszen.
Wenn es bei Horatius od. IV. 2, 33 heiszt:
concines majore poeta plectro
Caesarem, quandoque trahet feroces
per sacrum clivum, merita decorus
fronde, Sygambros,
so könnte ihnen feroces schon beigelegt sein, weil zu dem römischen
ohr ein epithet dieser germanischen stamme gedrungen war, das nach-
her ihren allgemeinen namen bildete; nannten suevische oder gallische
nachbarn den Römern diese Sigambern feri oder feroces, wie nah
lag das dem deutschen ausdruck freie oder franke? Auch Juvenals
(4, 147) torvi Sigambri entsprechen dem germanischen bilde: Omni-
bus truces et coerulei oculi bei Tacitus, wie die rutilae comae, ob-
gleich" allgemeines kennzeichen aller Deutschen, noch ganz besonders
zu Ovids worten (amor. I. 14, 39) stimmen
nunc tibi captivos mittet Germania crines,
culta triumphatae munere gentis eris,
o quam saepe comas aliquo mirante rubebis
et dices: empta nunc ego merce probor!
nescio quam pro me laudat nunc iste Sygambram;
fama tarnen, memini, quum mit ista mei;
oder zu Claudians (de IV cons. Hon. 446)
ante ducem nostrum flavam sparsere Sygambri
caesariem pavidoque orantes murmure Franci
procubuere solo,
wo zwar Sigambri und Franci geschieden, doch unmittelbar zusam-
men genannt erscheinen. Martials ausspruch (de spect. 3, 9)
crinibus in nodum tortis venere Sicambri
mag zur Schilderung der Sueven bei Tacitus gehalten werden: insigne523
gentis obliquare crinem nodoque substringere. Gleich den blonden
locken wüsten die Römer aber auch die leibliche kraft deutscher
krieger in ihren vortheil zu verwenden, wie sich Claudian (in Eutrop.
1, 3&3) ausdrückt:
militet ut nostris detonsa Sicambria signis*.
Von jenen unter August übergeführten Sigambern hatten sie eine
sugambra cohors gebildet, die prompta ad pericula, cantuum et ar-
morum tumultu trux ihnen gegen die Thraker am Haemus (und viel-
leicht gegen die Geten) im j. 26 nach Chr. kriegen half. Tac. ann. 4, 47.
Diese legion soll nun in Pannonien gestanden, am Ister, da wo später
Buda gegründet wurde, eine stadt erbaut und nach ihrem namen
Sicambria benannt haben, ungrische Chroniken melden ausdrücklich,
dasz von den Franken ein solches Sicambria an der stelle von Buda
gestiftet wurde**. Wie es sich immer damit verhalte, Zusammenhang
* Gratius cyneg. 202 hebt unter den Jagdhunden die volucres Sycam-
bros hervor.
** z. b. Heinrichs von Müglein chronik cap. 3 und 8, vgl. Lazius de
gent. migrat. p. 52. Schwandtner Script. 1, 43. 133. Bei notitia 3, 165. Zuerst
366 SIGAMBERN
musz walten zwischen diesem pannonischen Sicambria und jener alt-
fränkischen sage, dasz die Franken aus Panonnien an den Rhein
gewandert seien. Sigeberts worte (Pertz 5, 300) lauten so: originem
gentis nostrae, regni scilicet Francorum, notificemus aliis ex relatu
524fideli majorum. post illud famosum trojanae civitatis excidium victo-
ribus graecis cedentes reliquiae Trojanorum cum Aenea ad fundan-
dum romanum imperium ad Italiam perrexit, pars una scilicet duo-
decim milia, duce Antenore, in finitimas Pannoniae partes secus Maeo-
tidas paludes pervenit, ibique civitatem aedificaverunt, quam ob sui
memoriam Sicambriam vocaverunt, in qua multis annis habitaverunt
et in magnam gentem coaluerunt, et crebris incursibus romanum
solum incessentes usque ad Gallias ferocitatis suae vestigia dilataverunt.
Gesetzt auch, dasz aus den fränkischen annalisten die ungrische sage
geflossen und jene inschrift geschmiedet sei; so überrascht mich doch,
wie dem von Attila erbauten und nach ihm Etzelburc genannten
Buda die läge von Sicambria beigemessen wird, in unsrer Vilkina-
sage aber Attilas sitz nach Susat gelegt ist, wohin die Nibelunge
entboten werden und der wurmgarten (s. 126) liegt, in welchem
Günther das leben liesz. Susat kann nun nichts anders sein als das
westfälische Soest (alts. Sösat, ahd. Suosaz), gerade die älteste stadt
in dem bezirk, den wir Sigambern zur römischen zeit anweisen müssen,
aus dem sie über den Rhein in Gallien einfielen, dasz sie sich aus
Pannonien erhoben hätten, wäre sinnlos; schwebte fränkischen anna-
listen schon eine sage vor, worin sich fränkisches und pannonisches
Sicambrien mischten? ein mythus, wie ihn die der Vilkinasaga zum
grund gelegnen lieder entfaltet haben mögen, nach welchem Franken,
Hünen, Friesen dicht nebeneinander auftreten?*
Es wäre anziehend dem Ursprung der niederrheinischen oder
fränkischen heldensage näher auf die spur zu kommen, die sich gleich
dem groszen Rheinstrom zuletzt in den sand verliert, ich möchte
sie weder den nach Gallien versetzten Sigambern noch den zurück-
gebliebnen ausschlieszlich, sondern beiden gemeinschaftlich aneignen,
525 wie auch das merovingische königsgeschlecht mit beiden zusammen-
gehangen haben musz; unter ihnen haftete noch lange der sigani-
brische name.
cum sis progenitus clara de gente Sygainber,
in Apiani inscriptiones sacrosanctae vetustatis, Ingoist. 1534 p. 492 findet
sich folgende darauf bezügliche inschrift: 'legio Sicambrorum nie praesidio
collocata civitatem aedificaverunt, quam ex suo nomine Sicambriam vocave-
runt' mit der anmerkung: in Buda veteri lapis effossus Matthiae regis Unga-
riae tempore dum fundamenta jacerentur aedium Beatricis reginae. aus Apia-
nus ist sie in Bonfinii rer. hung. decad. 1 libr. 1 p. 25 und in Lazius com-
ment. reip. rom. in exteris provineiis constitutae, Francof. p. 603 und 951
aufgenommen, zuletzt in der topographia magna Hungariae, Viennae 1750
p. 175 verbessert: legio S. hie praesidio collocato civitatem condidit, quam
ex suo nomine Sicambriam dixit. als verdächtig und unecht fehlt sie ganz
bei Gruter.
* Adam von Bremen 1, 3 (Pertz 9, 146) nennt Sicambri und Huni
neben einander, vgl. oben s. 475.
SIGAMBERN. GUGERNEN 367
redet Venantius Fortunatus 6, 4 den könig Charibert an und dem
getauften Chlodoveus ruft Remigius die berühmten worte zu:
mitis depone colla Sicamber,
adora quod incendisti, incende quod adorastü*
Wie den Römern ferox den Sicamber poetisch bezeichnete, mag um-
gekehrt in der fränkischen hofsprache die sicambrische benennung
als feine und feierliche fortgedauert haben. Klingen nicht auch die
edelsten gestalten des fränkischen epos Sigi, Sigmund und Sigfried
unmittelbar an den namen der Sigambern an? kann Sicambern
entsprungen sein aus vollerem Sigigambar? wir haben s. 463 ein
ähnliches Sigigipedes und Sigugibipa vermutet, es gibt ein ahd.
kambar gambar strenuus, sagax (Graff 4, 208) und Tacitus, von den
deutschen stammen allgemein redend führt zwischen Marsen und Sue-
ven Gambrivii auf, wie auch Strabo s. 291 Xtjqovökol Xaxxoi Fcc-
Haßgiovioi zusammen nennt, Paulus diac. eine langobardische stamm-
mutter Gambara angibt, diesem gambar tritt das verstärkende sigu
vor, mit welchem viele andere eigennamen gebildet werden, Sigigambri
sind die siegreichen, siegstarken, in der Schreibung Sugambri üv-
ya^ißgoi UovyaiißQoi litt es entstellung**.
Zwar in Urkunden bin ich noch keines eigennamens Sigigambar
habhaft geworden und auch das scheint entgegen, dasz die zusammen-
ziehungen Siboto Slfrid kaum vor dem 10 jh. auftauchen und überall
das I verlängern, während es in Sicamber bei römischen dichtem bis
auf Remigs anrede herab kurz bleibt. Gleichwol könnte es damit
die fränkische spräche anders gehalten haben, was Segestes für Sigi- 526
gast zu bestätigen scheint, wie auch, wenn ich nicht irre, bei Saxo
gramm. Sivardus Sivaldus Siritha*** mit kurzem I gebraucht sind.
Von sigambrischen mannsnamen überliefert Strabo s. 291. 292
Melav, zJsvöoql^ und Bcurogit, oder Bdcltoqit. Milo ist ahd. (Graff
2, 719) und alts. (tr. corb. 354. 456. 458. 476. im dativ Milon 33).
zIevdoQik zeigt anlautend ahd. D, die goth. form forderte ©svöoqlB.
mit -rit sind viele ahd. namen gebildet, z. b. Folcrit, Fruorit, Lan-
darit, Gibarit, das erste wort der Zusammensetzung mahnt an die
cohors Baetorum (Steiner n° 965), wenn die lesart richtig ist. viel-
leicht sind auch die Bazroi und Uovßattot dabei zu erwägen und
letztere, wie 2Jovya[ißQOL, in Sugibatti Sigibatti aufzulösen.
Man will die aufs linke Rheinufer gesetzten Sigambern in den
Gugernen (Tac. hist. 4, 26. 5, 16. 18) wieder finden, die auch Plin.
4, 17 zwischen Ubiern und Bataven kennt, aber Guberni nennt; das
* vgl. Sidon. apoll. carm. 23, 244.
** Sigigambar nehmen Zeusz s. 83 und Hermann Müller s. 108 an, jener
als das rechte, dieser, den die Sieg und Sequana irren, mistrauisch. an
den flusz Sieg zu denken hindert aber sowol das Verhältnis zwischen Si-
gambri und Gambrivii, als die Schwierigkeit, welche einer deutung von
-ambri entgegensteht.
*** = altn. Sigridr, wonach die mythol. s. 281 angeführte mutmaszung
zu verwerfen; bei Saxo steht bald Syritha, Siritha, bald Sygrutha. auch
bei Irmino 17» Sigrida.
368 UBIER. RIPUARIER
mag für Gugerni verschrieben sein. Gugern wäre möglicherweise aus
Gibigern munificus, largus gekürzt, wie Sugamber aus Sigigamber
[Haupt 9, 245]. in ihrem bezirk lag Gelduba, das heutige Gellep,
in einer urk. von 904 bei Lacomblet n° 83 Geldapa genannt, woher
sich Tiberius leckere möhren kommen liesz; siser et ipsum Tiberius
princeps nobilitavit, flagitans omnibus annis e Germania. Gelduba
appellatur castellum Rheno impositum, ubi generositas praecipua.
Plin. 19, 5. das B in Gelduba, P in Geldapa fügt sich der ersten
gleichung (s. 406) und bewiese, dasz bei diesem namen zur zeit des
ersten jh. noch nichts verschoben war; man halte dazu Danubius.
Wie wenn wir damit auch den namen der unmittelbar anstoszen-
den Ubier deuten lernen? in Geldapa Lenapa Olepa = ahd. Geldafa
527 Lenafa Olefa bedeutet apa was sonst aha, aqua fluvius. Ubii* schei-
nen also fluszbewohner, Rheinbewohner , wie sie schon bei Caesar 1,
54 heiszen: qui proximi Rhenum incolunt; 4, 3 nennt er ihr land
civitas ampla atque florens; damals lag es noch auf der rechten
Rheinseite, unter August aber scheinen die Ubier nach der linken
gezogen zu sein. Strabo 4, 3 s. 194, als er von Trevirern geredet
hat, berichtet ausdrücklich: jisqücv dh coxovv OvßiOL nava tovtov
xov roTiov ovg ^ezrjyaysv 'AyQi%nag exovzccg u$ vrjv kvtog rov'Prjvov,
Tacitus Germ. 28 sagt: ne Ubii quidem quanquam romana colonia
esse meruerint ac libentius Agrippinensis conditoris sui nomine vo-
centur, origine erubescunt, transgressi olim et experimento fidei super
ipsam Rheni ripam collocati, ut arcerent, non ut custodirentur, vgl.
ann. 12, 27. Aus ihrem hauptort, Ubiorum ara oder civitas entfaltete
sich später das mächtige Cöln, Colonia agrippinensis, entweder erst
nach Agrippina des Germanicus tochter, oder schon nach jenem Agrippa
ihrem groszvater geheiszen, der sie römischem reich verpflichtete,
davon rührt sogar noch in unserm heldenbuch der name Grippigenland.
Keinen stamm unter allen Germanen gab es, der sich den Römern
so nah angeschlossen hätte, wie diese Ubier, und darum waren sie
allen übrigen Deutschen, zumal den Sueven verfeindet.
Die gegebne deutung ihres namens und zugleich ihr fränkisches
blut bestätigt sich aber durch den der ripuarischen Franken, aus
dem romanischen ripa, das den lateinischen begrif des ufers allmäh-
lich mit dem des flusses tauschte, franz. riviere, it. riviera, span.
ribera, ribeira, entsprang Riparii Ripuarii, Ribuarii, altfranz. Rivers,
Ruiers, qui ad Rheni ripas, circa fluvium consederant, deutlich das-
selbe was Ubii ausdrückte, gewann das ripuarische gebiet gröszeren
umfang als man den alten Ubiern einräumt [Gaupp lex Chamav. 50],
528 so werden auch diese bald in engerer schranke, bald in gröszerer
ausdehnung zu denken sein. Im mittelalter war der name Ubier längst
verschollen und die kaiserchronik verdeutscht Ripuarien durch Riflant.
* mit kurzem U, wie in Danubius und Gelduba; das OY im gr. da-
vovßioq, Ovßioi, 2ovyct[ißQOi entspringt blosz, weil dem Ylaut ausgewichen
werden sollte, [ort Ubiti: reg. von Werden 228 (vgl. 232 Ulithi), Ubinghem
231. in Ubitero marke 234.]
SALIER 369
mit nhd. ufer ripa, mhd. uover, ags. öfer, welche langen vocal und
ableitendes R haben, wage ich Ubii nicht zu verknüpfen.
Entgegen oder zur seite den ripuarischen Franken stehn die
salischen, und beider stamme namen haben zwei alte rechtsbücher
für alle zeiten befestigt.
Wie sich Sigambern und Ubier vom rechten Rhein auf den
linken wandten, müssen auch die Salier von osten nach westen vor-
gerückt sein, unter ihrem namen sind ältere Franken, zumal Sigam-
bern zu suchen, da sich die Merovinge auf Salier wie auf Sigambern
zurückleiten; zwischen Saliern und den unter August nach Gallien
versetzten Sigambern mag genauer Zusammenhang obwalten, wenn
schon Claudian (oben s. 522) beide dichterisch unterscheidet (de laud.
Stilich. 1, 222):
ut Salius jam rura colat, flexosque Sigambri
in falcem curvent gladios.
Wo am Niederrhein der mächtige ström sich spaltet und versumpft,
im gau Salo, an der Issel (Isula), die vielleicht selbst Sala hiesz, wo
noch heute ein landstrich den namen des Sallands führt, scheint im
dritten jh. ihr sitz, daher waren sie südwärts nach Toxandrien ge-
drungen, Ammian 17, 8 meldet von Julian (im j. 358): petit primos
omnium Francos, eos videlicet quos consuetudo Salios appellavit, ausos
olim in romano solo apud Toxandriam locum habitacula sibi tigere
praelicenter. die alten belgischen Toxandri lagen zwischen Maas und
Scheide, und '"olim' geht auf den von Eutropius 9, 13 geschilderten
fränkischen einbruch zur zeit des Probus, wohin auch Yopiscus (s. 519)
zielt, waren nun diese Franken unter Constantius und Constantin
zurückgewiesen oder in gewisse abhängigkeit von den Römern ge-
bracht worden; Julian hatte sie neuerdings im westen der Scheide
zu bekämpfen, und nennt sie, gleich Ammian, ZlaUav s&vog (opp.
ed. Spanh. p. 279).*
Im rechtsbuch kommt nur der ausdruck Francus Salicus (oder 529
Saligus) vor, nicht Salius, was aber keinen wesentlichen unterschied
zwischen beiden gründen kann, salicus trägt die lat. ableitung -icus
(nicht die deutsche -ig) an sich, führt also wie geticus gothicus fran-
cicus auf den einfachen volksnamen Geta Gothus Francus und Sa-
lius, welcher aus sal domus, oder einem flusse Sala, oder jenem gau
Salo stammen darf, und ahd. Sali, goth. Saljis lauten mochte.** mit
dem langen A des ahd. sälic beatus, mhd. sselec, nhd. selig, die zum
goth. sels bonus gehören, findet, glaube ich, keine Verwandtschaft
statt, da auch aus Claudians scansion das kurze A erhellt. Der pro-
log des gesetzes nennt einen Salogast aus Saloheim, was ohne zweifei
mit dem volksnamen in Verbindung steht; Gregor von Tours, meines
Wissens, braucht von den Franken weder Salius noch Salicus. be-
kanntlich führten noch in späterer zeit fränkische herzogen, aus deren
* in der notitia imperii erscheinen auch Salii unter den auxiliaren.
** als mannsnamen Salecus und Salius bei Irmino 163b 201b, Salih, Sa-
lucho bei Schannat n° 245. 251.
Grimm, geschichte der deutschen spräche. 24
370 FRANKEN. CHAMAVEN
geschlecht könig Conrad hervorgieng, den beinamen Salier, und nach
Ducange s. v. Salicus wandte man dies epitheton selbst auf Christus an.
Von Toxandrien aus hebt sich der Franken Siegeslauf nach Süd-
westen, und Chlojo oder Chlodio hatte schon das ganze land bis zur
Somme erobert; in dem gesetzbuch, das zu seiner zeit abgefaszt wurde,
erscheint das salische gebiet durch die Carbonaria und Liger d. i.
Leie begrenzt, auch noch späterhin bildet der Kohlenwald die scheide
zwischen Neustrien und Austrasien, d. h. dem westlichen* und öst-
lichen, oder romanischen und deutschen Frankenland, gleich Dispar-
530 gum** und Tornacum (Tournai) mag dann der berg von Laudunum
(Laon) fränkischer königssitz geworden sein, den immer noch alt-
französische lieder nennen, wo sogar die thierfabel, mit nahliegender
änderung des Monlaon in Monleon den löwen hofhalten -läszt***. Zu
ausgang des fünften jh. besasz aber Chlodowech ein viel ausgedehn-
teres mächtiges Frankenreich, das durch die annähme des christen-
thums fest gegründet wurde. Hatte den Franken schon die ältere
niederlassung von Ubiern, Sigambern, Saliern und Bataven unter
römischer herschaft festen fusz in Belgien und Gallien gemacht, und
den weg gebahnt; so vollendete und sicherte ihren sieg, dasz sie der
catholischen kirche zugefallen waren und von ihr gegen die ariani-
schen Burgunder und Gothen emporgehalten wurden.
Noch ist einiger, allem anschein nach, den Franken nahver-
wandter Völker zu gedenken, die gleich jenem theil der Sigambern
meist auf rechter Rheinseite verblieben.
Tacitus nennt ungefähr der batavischen insel gegenüber zwischen
Friesen und Bructerern und neben Angrivariern auch Chamaven, Strabo
s. 291 zwischen Sugambern und Bructerern Xavßoi, was zu bessern
ist in Xa^döoi. eben da hat Peutingers tafel Chamavi mit dem
beisatz fqui et Franci' (s. 513), in derselben gegend erscheint später
der ihren namen tragende gau Hamaland, mit Unterscheidung eines
franconicus und saxonicus. Unter Constantius wurden auch chama-
vische abtheilungen nach Gallien versetzt, und Eumenius (paneg. 4, 9)
konnte sagen: arat ergo nunc mihi Chamavus et Frisius; im alten
gebiet der Lingonen bildete sich ein pagus Chamaviorum oder Ama-
viorum (Zeusz s. 582. 584). doch ihr kern hielt in der alten heimat
stand, Julian stiesz auf Xa^aßot am Niederrhein (vgl. Ajnmianus 17,8),
Ausonius nennt Chamaves neben Franken und noch Sulpicius Alexander
bei Greg. tur. 2, 9 in bructrischer nachbarschaft den pagus, quem
*^ eigentlich scheint Neustria Niustria entsprungen aus Niuwestria Ni-
westria (Bouquet 2, 405), fast wie neiz aus niweiz, ags. nät aus nevät, und
es musz anlasz gewesen sein altes und neues Westerland zu unterscheiden ;
allmählich aber gilt Neustria geradezu für Westria oder Westrasia im
gegensatz zu Austria, Austrasia. in solchem sinn hat auch der prolog zu
Luitprands gesetzen ein langobardisches Austria und Neustria.
** fanum Martis, Famars (myth. s. 1209), templum Martis in den stat.
von Corbie (Guerards Irmino p. 325. 335) pagus fanummartinse , woraus
man später fanomarcensis machte (Pertz 9, 412).
*** Reinhart fuchs s. CXLII.
CHAMAVEN. BRUCTERER 371
Chamavi incolunt. Jenes zwiefache Hamaland zeigt uns einen land-
strich auf fränkisch-sächsischer grenze, wie auch Ptolemaeus Ka^iavol 531
neben Cherusken aufstellt; allein ihre Verbindung mit den Franken,
durch alle übrigen Zeugnisse bestätigt, überwiegt. Chamavi scheint
gebildet wie Batavi, wenn nun Baraova Bataßlay später Batua, Be-
tuwe den begrif aue, ahd. ouwa enthält, werden auch Chamavi flusz-
an wohner sein dürfen, wozu die Ubii, Ripuarii und vielleicht Salii
stimmen, ham cutis, tegmen hat aber zu allgemeinen sinn, als dasz
es leicht zu deuten wäre.
Bructeri und Tencteri liegen sich nicht nur benachbart, sondern
auch ihre namen scheinen ähnlicher bildung. bei Tacitus ann. 13,
56. hist. 4, 21. 77 stehn sie immer zusammen. Caesar nennt nur
die letzteren und schreibt Tenchtheri, nach griechischer weise, würde
also auch Bruchtheri geschrieben haben, umgedreht führt Strabo
s. 291. 292 blosz Bqovkxbqoi an.
Als Tacitus seine Germania abfaszte, schienen ihm die Bructeri,
deren thaten er in andern Schriften berührt, vertilgt: Bructeri olim
occurrebant, nunc Chamavos et Angrivarios immigrasse narratur,
pulsis Bructeris ac penitus excisis vicinarum consensu nationum.
Allein der jüngere Plinius meldet schon wieder von einem bructeri-
schen könig, und zu des Ptolemaeus zeit erscheinen Bovöccxtzqoi, oi
HBL^opeg xm&nixQoi, wie bei Strabo Bqovxxzqoi iXdttovEg, beider haupt-
sitze fallen zwischen Ems und Lippe, die peutingersche tafel gibt
Bructuri an, die notitia imperii Bructerii, Claudian de IV cons. Hon.
450: venit accola sylvae Bructerus Hercyniae. noch Beda 5, 9. 12
nennt sie Boructuarii (ags. Boructvare, Boruchtvare) und läszt ihnen
durch Suidbert predigen; viele aber müssen heiden geblieben sein,
da nach Gregor des dritten anschreiben von 738 auch die Borthari
dem Bonifacius zu bekehren übertragen werden, in den untern Lippe-
gegenden erhielt ein gau Borahtra, Boroctra, Borhtergo (Zeusz s. 353)
lange ihren namen, als mannsname dauert Borhter, trad. corb. 311.
man erwäge die Bortrini bei Pertz 3, 76.
Gründen sich des Ptolemaeus Bovöuxtsqol auf ältere nachricht,
als Strabons Bqovxtsqoi, so läge hier ein Übergang des S in R vor
(s. 311) und wäre allenfalls ein adj. busaht oder participium busagot 532
dem ags. byseg, bysgod, engl, busy busied, mnl. besieh (vgl. s. 364)
an die seite zu setzen, allein ich vermag kein ahd. poraht oder puric
mit gleicher bedeutung aufzuweisen. Hat aber das R gröszeres recht
und ist BovöccKtSQot fehler für Bovqcc%T8qol, so erschiene boraht
poraht gebildet wie be'raht pe'raht lucidus, ags. beorht, altn. biartr,
oder wie ahd. zoraht, alts. toroht splendidus; da nun aus be'raht altn.
biartr der eigenname Berahtheri mhd. Be'hrter f. Be'rhther altn. Biartar
entspringt, könnte auch aus boraht, BorahtheriBorhtheri=lat.Bructer
(wie liber, tener) entsprungen sein, man erwäge die gleichfalls mit
adj. zusammengesetzten ahd. mannsnamen Paldheri, Fastheri, Witheri
(altn. Vidar) Kuotheri. be'raht und boraht dürften aber der wurzel
und dem sinne nach zusammenfallen, folglich Berahtheri, Borahtheri
24*
372 BRUCTERER. TENCTERER
clarus, illustris ausdrücken, bürg urbs, civitas, ahd. puruc, goth.
baurgs wird, obgleich es natürlich wäre hier an die rheinischen Bur-
gunder zu denken, ganz aus dem spiel müssen bleiben, ebensowenig
haben die Bructerer etwas gemein mit dem Brocken (mythol. s. 1 004). den
Bructerern aber gehörte Veleda an, deren thurm unfern der Lippe stand.
Wie Bructer scheint mir auch Tencter im zweiten theil ahd. heri,
goth. haris zu enthalten, so dasz die volle form Tengtheri lauten
würde, wodurch sich Caesars Schreibung Tenchther rechtfertigt, den
ersten theil des namens erklärt zumal das altn. tengdr junctus, affinis,
consanguineus, sichtbar part. von tengja jüngere, woher auch tengsl
retinaculum nexus stammt; vorgesetztes tengda bezeichnet verschwä-
gerung: tengdafadir socer, tengdamodir socrus. ags. ist getenge re-
cumbens, procumbens, eordan getenge humi prostratus, gründe getenge
solo proximus, affixus Beov. 5513 vgl. anmerk. zu Andr. s. 100, wo
ich auch getingan getang urgere, incumbere und getengan getengde
nachweise, dem getenge entspricht das alts. bitengi und ahd. gizengi
proximus, sibbeon bitengea Hei. 43, 1 1 bezieht sich wieder auf nahe
verwandten, unmittelbar gehört zu der wurzel ags. tange, altn. töng,
ahd. zanga forceps, die festhaltende, zwängende, das feierliche tanga-
533nare des salischen und ripuar. gesetzes, welches urgere bedeutet
(RA. s. 5), vielleicht das prov. tensar, altfranz. tencier disputare, queri.
für Tencter gewännen wir hiernach ein alts. Tengdheri, altn. Teng-
dar, goth. Taggidaharis , ahd. Zenhtheri Zanhtheri, mit dem sinn
propinquus, auf verbündete wie benachbarte stamme bezüglich. Kann
aber T für fränk. TH stehn, so würde ags. £ineäe dignitas, honor,
gejpingd dignitas, gelungen gravis, altn. püngr vergleichbar und ein
goth. Taggpaharis , ahd. Denctheri möglich; Schannat n° 164 bietet
den frauennamen Thenctula. Dio Cassius schreibt Teyxrjgoi, Ptole-
maeus TeyxeQoi, die inlautende lingualis scheint jedoch beiden namen
Tencteri wie Bructeri unentbehrlich und musz in allen erklärungs-
versuchen beachtet bleiben.
Den Bructerern lagen die Tencterer südwärts, doch mag sich ihr
sitz mit der zeit verschoben haben. Caesar 54 j. vor Chr. stiesz auf
sie jenseits des Rheins: Usipetes Germani et item Tenchtheri magna
cum multitudine hominum flumen Rheni transierunt, non longe a mari
quo Rhenus influit. causa transeundi fuit, quod ab Suevis complures
annos exagitati bello premebantur et agricultura prohibebantur. b.
gall. 4, 1. sie waren im landstrich der Menapier angelangt und ge-
dachten sich da niederzulassen, wurden von Caesar zurückgeworfen
und flüchteten ins sigambrische gebiet, vielleicht aber war dieser
ausgezogne häufe nur ein theil ihres volks; er mochte ostwärts ge-
wichen sein, da Drusus auf seinem feldzug zuerst mit Usipeten, dann
mit Tencterern zu kämpfen hatte (Florus 4, 12), bevor er die Chatten
erreichte. Tacitus kennt sie südlicher; nicht weisz ich, ob jene sich
von neuem an den Rhein bewegt hatten oder andere dort geblieben
waren: proximi Chattis certum jam alveo Rhenum, quique terminus
esse sufficiat, Usipi ac Tencteri colunt, und nun rühmt er tenctrische
USIPETEN 373
reiterei (Germ. 32). Ptolemaens setzt sie nördlich der im späteren
Engersgau wohnenden Ingrionen, wieder also in sigambrische gegend;
nach dem zweiten jh. schwindet ihr name aus der geschichte. dasz
mit ihm jener Engersgau, Ingerisgowe zu verbinden, T ein vorge-
geschobner artikel sei, kann ich nicht glauben, da Ptolemaeus deut- 534
lieh 'IyyQicjveg und TsyxtQoi unterscheidet.
Wie bei Caesar Usipetes und Tenchtheri treten bei Tacitus
Usipi und Tencteri nebeneinander als unzertrennliche gewährten auf.
Strabo 292 hat Novöltcol für Ovöitiol (das N wurde aus voran-
stehendem Bqovxtsqcjv wiederholt), Plutarch Caes. 22 Ovölitai, Dio
Cass. 39, 47. 54, 20 OvöutSTca, Ptolemaeus Oviönoi für OvöltioL
Usipetes könnte an die Sicobotes Sigipedes und Gipedes (s. 463) mah-
nen, oder an des Paulus diac. 1, 11 Assipitti, welche sich den Lango-
barden in den weg stellten, man möchte wissen, wie der name im
sg. lautete ; warum nicht Usipes (wie indiges indigetes, seges segetes) ?
Von Usipes ward ein Übergang leicht auf Usipus pl. Usipi, davon
auf Usipii; Martial 6, 60 macht den leoninischen vers
sie leve flavorum valeat geims Usipiorum.
Man hat in dem -etes keltische pluralflexion gesucht (wie in Venones
Venontes, Helvii Helvetii, Nemetes) und freilich schalten keltische
Wörter im pl. manchmal T ein, oder vielleicht richtiger, ihr sg. hat
es ausgestoszen, wie der lat. nom. sg. in seges, teres; auch slavische
pl. zeigen die epenthesis -et oder -es (ahd. -ir). ihre annähme für
Usipetes würde zwingen das -ip für derivativ zu erklären, ungefähr
wie das -ap in Menapii.
Mir ist eine andere auslegung eingefallen, die ich freilich nicht
zur gewisheit bringen kann, wonach Usipetes als zusammengesetzt
erscheint, so dasz der zweite theil von Usipes (= Usipets) dem goth.
faps vergleichbar würde, also dem skr. patis, litth. pats, gr. %6xig
entspräche, zwar befremdete die Verdünnung des A in E und noch
mehr das unverschobne P für F, der name müste sich früher fest-
gesetzt haben, bevor lautverschiebung eintrat ; in dem ganz analogen
namen Canninefas pl. Canninefates erscheint sowol A als F. das ganze
compositum Usipes f. Usipats gewänne den anschein des litth. wiesz-
patis wieszpats dominus, die Usipetes wären wieszpacziei herren, goth.
visifadeis ? usi liesze sich aber auch aus goth. ius bonus, facilis deu- 535
ten, oder aus jenem visi (s. 443), falls es ursprünglich den west-
lichen sitz bezeichnet hätte.
Mögen nun die Usipeten, gleich den Tencterern, ihren sitz am
Mittelrhein geändert^ haben; da sie zuletzt genannt werden, erstreckt
er sich etwas weiter südwärts als der tenetrische, zwischen Rhein
und Main ins gebiet von Nassau neben den Mattiaken. selbst der
name Wisbaden liesze sich ohne zwang Usipetum civitas auslegen
und könnte das A in pats faps bestärken, eine inschrift bei Steiner
n° 361 hat cives Wsinobates.
Als volk werden Usipeten und Tencterer nach dem zweiten jh.
nicht mehr vorgeführt, wie Zeusz s. 90 glaubt, haben sie sich unter
374 FRANKEN
den Alamannen verloren, und die von Tacitus cap. 32 hervorgehobne
equestris disciplina stimmte zur Schilderung der Sueven bei Caesar
1, 48 (vgl. oben s. 460). Mir macht die althergebrachte feindschaft
zwischen Sueven und diesen stammen wahrscheinlicher, dasz sie, wenn
schon ihr name erlosch, sei es auf der rechten oder linken seite des
mittleren Rheins dem fränkischen reich zugethan blieben.
Wir haben gesehn, dasz der kern der Franken auf Sigambern
und Saliern beruhte, von deren näheren gemeinschaft die Ubier nicht
ausgeschlossen werden können, diese drei stamme haben vollsten an-
sprach auf den umfassenden, vorzugsweise den westlichen Deutschen
beigelegten namen der Germanen, welcher in mehr als einem betracht
zusammenfällt mit dem der Franken, in Verwandtschaft der Sigambern
schlagen aber auch Usipeten, Tencterer und Bructerer, wie schon
äuszerlich der beiden letzteren gleichförmige namenbildung bestätigt.
Alles was von diesen Völkern, nachdem der Franken hauptmacht sieg-
reich in Gallien vorgedrungen war, zu beiden Seiten des mittleren und
niederen Rheins haftet, bildet den ripuarischen oder rheinfränkischen
theil des groszen reichs; am oberen aber waltete von frühauf suevisch-
alamannische , d. i. hochdeutsche bevölkerung. Die annähme, dasz
Usipeten und Tencterer in den Alamannen aufgegangen seien wird sich
536 schwerlich behaupten, vollen erweis für diese Verhältnisse könnte blosz
die spräche liefern, und wir wissen von der der Usipeten, Tencterer,
Bructerer, wie der Vangionen, Nemeten und Triboken so gut wie nichts.
Im osten hebt uns die gothische spräche ihren schleier auf, im
süden gewähren die ahd., wenn schon jüngeren, denkmäler hinreichen-
den anhält, gegen westen aber haben die bis ins herz von Gallien
eindringenden eroberungen der Franken zuletzt unaufhaltsam ihre
angestammte spräche untergraben, wie auch das gothische langobar-
dische und burgundische idiom in Spanien, Italien und Gallien er-
losch. Hätte ein fränkischer bischof von Chlodwigs bis zu Carls tagen
seiner spräche gleichen dienst, wie Ulfilas der gothischen geleistet,
oder wären uns die auf Carls veranstalten gesammelten gedichte über-
liefert worden ; das wahre, eigentliche Verhältnis der fränkischen zur schwä-
bischen und sächsischen mundart würde vor unsern äugen offenbar sein.
Zwischen Chlodwigs zeit und Caesars liegt aber schon eine kluft
und selbst zu der des Cimbernzugs müssen berührungen westlicher
Germanen mit Galliern und Römern stattgefunden haben. Wann das
erstemal erschollen die deutschen Wörter ambactus (s. 133) und framea,
oder wenn ich nicht zu kühn geurtheilt habe, franca gallischem und
römischem ohr? auch Valerius maximus 5, 4 nennt einen deutschen
Antabagius der wirklich Tibers andbahts gewesen zu sein scheint; altn.
bedeutet bakiarl comes pedisequus. ist bak lautverschoben gleich
Triboci, so forderte es gr. cpay, lat. fag, wie dem boka (ptjyog fagus
entsprechen; doch nur gezwungen wäre vpayzlv edere mit bak zu
einigen, yayriv ist der essende kauende backe, maxilla mandibula,
und backe mag rühren an bak. In Usipetes wie Nemetes zeigen sich un-
verschobne consonanten, in framea ambactus BructeriHarudes verschobne.
FRANKEN 375
Geringe einsieht in die lautverhältnisse der altfränkischen spräche
schaffen uns wol die wenigen jedem der beiden rechtsbücher einge-
schalteten oft entstellten Wörter ; einzelne in den decreten Chlodowigs
und Chilbeberts (Pertz 4, 1 — 11) sind noch ärger mishandelt. über
die berühmte malbergische glosse werde ich mich am schlusz des
capitels äuszern. die dem capitulare Karolomanni von 743 (Pertz 537
3, 19. 20) angehängte abrenuntiatio mit dem indiculus paganiarum
musz allem anschein nach für altfränkisch gelten, ist aber von allzu
beschränktem umfang.
Bei den annalisten wie in Urkunden reichlich erhaltne eigen-
namen geben manchen aufschlusz über Wörter und lautverhältnisse.
Schon im allgemeinen ist es merkwürdig daraus zu ersehn, wie tief
die fränkischen sieger in das gallische land eingriffen, obgleich erst
auf einzelne provinzen erstreckte Untersuchungen es möglich machen
werden, fränkische namen mit Sicherheit nicht allein von romanischen,
sondern auch angrenzenden burgundischen, alamannischen und gothi-
schen zu unterscheiden, das ziel musz aber hier noch unerreicht
bleiben, so lange uns nicht eine vollständige samlung altdeutscher
eigennamen vorliegt, weil für jedwede einzelne forschung den zer-
streuten ungeheuren vorrath zu durchlaufen allen üeisz und alle
kräfte übersteigt. Irminons zugänglich gewordner polyptych schaft
uns jetzt schon das überraschende ergebnis, dasz auf dem ansehnlichen
bezirk der abtei Saint Germain des Pros, im umkreis von Paris selbst
gelegen, zu Carl des groszen zeit fast lauter fränkische Colonen wohn-
ten, und einer geringen anzahl romanischer weit überwogen, dasz
aber diesem boden fast gar keine gallischen eigner verblieben schei-
nen, längst musten von ihm alle Kelten gewichen sein; denn wie
hätten sie ihre namen aufgegeben und mit deutschen vertauscht?*
In bezug auf die vocale habe ich folgendes wahrgenommen, bei
Irmino erscheinen die namen Electeo 166b Electeus 28a 121a 161a
167a 174a Electulfus 23a Electrudis 187a Electardus 165a, welchen
allen elec = goth. alhs, ahd. alah, ags. ealh (oben s. 118. mythol.
s. 57. 58) zum gründe liegt, wie die gleichheit des ahd. Alahtrüd538
mit Electrudis darthut, folglich wäre Electeo ahd. Alahdio oder goth.
Alhpius (tempeldiener) ; dies E für A klingt ans ags. EA in ealh.
nicht anders scheint mir Serlus 134b für Sarlus, Dedla 139b für Dadla
stehend, gebrochnes E hat statt nicht nur in Ebero sondern auch
in fredus und Segenandus, Segemundus neben I.
Wie E und I schwanken kurzes 0 und U. die lex sal. 58 hat
duropellis, durpilus limen, nnl. dorpel, wörtlich thürpfal; dagegen
schreibt Gregor Thoringus Thoringia für Thuringus Thuringia. sun-
nis legitimum impedimentum ist altn. syn, goth. sunjöns. Cuppa bei
* ich widerspreche den ansichten Leos, der (ferienschr. 1, 88—116)
gerade aus demselben polyptych wirklich auf keltische lautverhältnisse und
worte in diesem namen sinnt, und in Chrothild Chlothild Grimhild Her-
lind Berta keltische grundlage, höchstens deutsche assimilation erblickt,
dahin verleitet keltisches forschen.
376 FRANKEN
Gregor 5, 39. 7, 39 kündet sich schon durch seinen ausgang -a als
fremd und unfränkisch an; ich vergleiche den alts. namen Cobbo.
Ollo Greg. 7, 38 scheint das altn. Ulli. Thunar, rachineburgius und
mundeburde halten U fest, trustis, antrustio entspricht gothischemtrausti.
Langes A erscheint gleich ahd. ä neben e, in der abrenuntiatio
aber auch für ai (wie ags. ä): gast (ahd. keist) hälog (ahd. heilac).
unsicher bleibt in den paganien das a von dadsisas.
Langes E gilt in zwei ganz verschiednen fällen, in den männ-
lichen mit -meres, den weiblichen mit -fledis gebildeten namen ent-
spricht es dem lat. und goth. e, folglich ahd. -ä. so schon bei Taci-
tus Inguiomerus Segimerus, bei Gregor Chlodomöres Charimeres 9,
23 Ballomöres 7, 36. 38 Ricimeres Marcomeres Theodomöres, wo-
gegen bei Irmino, nach ahd. weise, langes A eintritt: Gausmärus
145a 210b Marcomärus 82b Sigemärus 116a Gislemärus 204a Ursmä-
rus 87a. bei Gregor Albofledis Mörofledis Bertefledis Famerofledis,
welches fledis dem ahd. flät gleich ist. Wie schon dies goth. e in i
schwankt (gramm. 1, 59) begegnen bei Irmino Gislemirus 206b Eröt-
mirus 26 2a Acmirus I6b und Bertefledis 181a neben Gerflidis (ahd.
Kerflät) Hercanflidis Baltaflidis.
Ein andres langes E erscheint aber statt des diphthongs AI
und mit ihm wechselnd, so im sal. gesetz 46 laisus und lesus sinus;
chrenecruda für chrainecruda herba pura; chreo für goth. hraiv;
539Salohaim und Salohem wie schon bei Tacitus Boihemum (s. 166).
hierher nun auch alle mit gene- zusammengesetzten eigennamen, wo-
bei mir der goth. Gaina comes bei Marcellinus p. 11. 12 (a. 399.
400) zum anhält dient, welchem ich den fränkischen Chaino Chaeno
Haino (bei Mabillon n° 9. 14. 16. 21) gleichstelle, da die fränkische
spräche auch G durch CH ausdrückt, composita sind: Gainoaldus
Mabill. n° 4; Genobaudes bei Mamertinus paneg. 1, 10, Genobaudus
im test. Remigii, bei Gregor de glor. conf. 91 und Irmino 7b 21a
224a 226a; Genedrudis Irm. 146a 233a; Genebolda Irm. 144b (genc-
bolda ist fehler) 150a; Genefüs trad. fuld. 1, 122; Genardus 146a,
vgl. auch Genismus 67b Genisma 229a 238b. bei der Schwierigkeit
aller formein AIN AUN (Haupt 3, 145) dürfte gain oder gen noch
dunkel bleiben, ich möchte es, wie ain aus agin, maist aus magist,
aus gagan gagin (gramm. 4, 795) hervorgehn lassen, worin mich be-
stärkt, dasz jenem Genardus ein ahd. Gaganhart, Kaganhart (bei
Neugart n° 118. 724) zu entsprechen scheint. Genhart Geinhart ver-
hält sich zu Gaginhart wie Einhart zu Aginhart, Meinhart zu Magin-
hart, und in der composition mag hier gagan ausdrücken was widar
in dem ahd. eigennamen Widarolt (nhd. Wiederhold).
Verschieden von beiden arten des diphthongs AI ist ein bei
Irmino unseltnes, aus Versetzung entspringendes: Hairbertus Hairhar-
dus f. Haribertus Harihardus; vgl. in der abren. Thunaer f. Thunare.
Langes 0 kommt wiederum dem goth. 6 gleich und steht ab vom
ahd. uo. so in der abrenuntiation Wöden, und in den eigennamen
Dömigisilus (ahd. Tuomgisal) Chrödhildis (ahd. Hruodhilt) Frötbertus
FRANKEN 377
(ahd. Fruotperaht) Böbo (ahd. Puopo) Gödelindis (ahd. Kuotlint). wie
aber ai in 6, schwankt auch au in ö und die abren. zeigt Saxnöt
(ags. Saxneät) genötas (ags. geneätas) gelöbis (ahd. giloupis). schon
bei Gregor wird neben Rauchingus Röchingus und bei Irmino neben
Austrevaldus Ostrevaldus angetroffen.
Gewöhnlich aber schlieszen sich die diphthonge AI und AU den
gothischen an und stehn ab von den ahd. EI und OU. Faileuba
Stainoldus Laipingus Chochilaicus Witlaicus Gailesuinda laisus Gaiso. 540
Audinus Baudinus Greg. 4, 3. 5, 1 4 Baudegisilus 7, 15 Gaudus Rauchin-
gus Austrapius Austregisil.
EI in reipus (vinculum, circulus) scheint nach ahd. brauch für
AI, in veifa = feifa aber, auf goth. oder nhd. weise, für langes I
gesetzt: Aurovefa Marini n° 76; Gßnovefa; Marcovefa Greg. 4, 26.
Marcoveifa Greg. 5, 47; Sonnoveifa und Vinofeifa im test. Remigii,
wozu man altn. Alfifa fornald. sog. 3, 579 ff. halte, flfa bedeutet
nach Biörn einen gefiederten pfeil und eine gefiederte wollige pflanze,
eriophorum, wonach mir auch Genofeifa ursprünglich nichts als name
einer blume zu sein scheint, deren blätter auf der linken seite (was
gagan meint) mit wolle besetzt sind.
EU entspricht dem goth. und ahd. IU 10, ags. EO: beudus lex
sal. 46, 2 goth. biuds ahd. piot mensa; leudis ahd. Hut ags. leod;
canis seusius lex sal. 6, 1. alam. 82, ahd. siuso (Graff 6, 282) mhd.
süse Lanz. 1545, wie Müllenhoff bei Waitz s. 293 richtig deutet, von
sausen stridere, womit Leos keltische herleitung (malb. gl. 1, 111)
fällt, deus in den eigennamen Ansedeus Sigedeus scheint altn. tfr,
ahd. zio, hingegen teus = theus in Electeus Raganteus altn. Ipfr, ahd.
dio servus zu bedeuten. Teudo, bei Gregor noch Theodo, ist ahd.
Dioto, Dieto, und Teutlindis mhd. Dietlint.
Was die fränkischen consonanten angeht, so mangelt es nicht
an spurendes urverwandten, der lautverschiebung entgangnenD. dahin
gehört auszer lidus, das schon in litus schwankt (s. 484), auch das
bei Irmino häufige gaudus für gautus, ahd. köz; man sehe die weib-
lichen namen Gauda 274b Ermengauda 7a Teutgaudia 21 0a Framen-
gaudia 93a Gaudalindis 229b und die männlichen Adalgaudus 275 a
Amalgaudus lla Ansegaudus 13a Baldegaudus 138b Bernegaudus 82a
265b Hildegaudus 94a 120b Isengaudus 268b Leutgaudus 19b Rät-
gaudus 85b 287a Teutgaudus 210a Trutgaudus 83b 120b Waldegaudus
17i) Waltcaudus 45a Vulfegaudus 73a. statt dieses Gauda Gaudus
begegnet ags. Geäte Geät, ahd. Közä Köz (Adalkoz Hiltköz Liutköz
Wolfköz), folglich erläutern und bestätigen uns eigennamen das oft
besprochne Verhältnis der Gaudae Gautös Közä (s. 429). Solch ein D 541
findet sich auch anlautend in Gregors Dispargum (s. 529), falls darin
wirklich das ags. Tivis, ahd. Ziowes steckt, und erläutert sich noch
am nl. disdag, disendag, mnl. dissendach, dies Martis (mythol. s. 114).
dahin rechne ich die mannsnamen Agedeus Irm. 85 a Ansedeus 78b
Sigedeus 79b, worin deus ganz der lat. form entspricht und für teus
steht, wie sich aus dem altn. Sigtyr ergibt, welches eins ist mit Sige-
378 FRANKEN
deus. Ansedeus wäre altn. Astfv, und liefert eine auch sonst merk-
würdige Zusammensetzung.
Von diesen ausnahmen abgesehn findet sich der fränkische con-
sonantismus auf gleicher stufe der Verschiebung mit dem gothischen
und sächsischen, also im gegensatz zum ahd.
Häufig in jedem der drei organe erscheinen die mediae. B in
beudus burgius mundeburde bainberga Basinus Baudinus Böbo Blathil-
dis Leuba Ebero Arboastes. G in Gaiso Gisilus Gamalbertus Genovefa
Gertrudis Gundoldus Hildegardis Dagoricus tangano vargus. D in
Dagobertus Dömgisilus Adalsind Madalbert Segenandus Segefredus.
eigenthümlich schwindet das G von gast in der Zusammensetzung mit
andern Wörtern. Gregor schreibt Arboastes de gl. conf. 93, während
er den gleichnamigen römischen Söldner hist. 2, 9 Arbogastes nennt;
ferner Leudastes hist. 5, 14. 47 = ahd. Liutkast Liudigast, mhd.
Liudgast; Leubastes 4, 9 = ahd. Liopkast; Leonastes 5, 6; Blada-
stes 7, 28. 34; Blandastes 6, 12; Yedastes 7, 3 vielleicht eins mit
Widogast im prolog des sal. gesetzes; Flidastus Irm. 1 13b. selbst
Tanastus oder Thanastus (Waltharius 1010. 1048. 1053) wobei mir
wol das ir. tanaiste dominus terrae, oder pini ramus eingefallen war
[Zeusz gr. celt. 761], liesze sich Tangast, Dangast deuten, man wird
zugleich an Segestes bei Tacitus gemahnt, das für Segegast gesetzt
scheint und an Sigambri für Sigegambri (s. 225). G musz den Franken
äuszerst weich geklungen haben; man erwäge das fries. j in jelda
jerda jet (foramen, sächs. gat) und den ahd. Wechsel in jehan gihu.
Anlautendes P, überhaupt in unsrer zunge selten und fremdartig,
542 erscheint in duropellis duropalus der lex sal. und seit der kerlingi-
schen zeit in dem namen Pippinus, franz. Pepin, wobei man ans lat.
pepo, pepunculus denkt, it. popone, nznav, [ir]Xo7i87ZG)v, es schiene
ein von der gestalt des Pipinus brevis entnommner beiname*. warum
wol gern Plectrudis geschrieben steht, z. b. Irm. 96a und Pertz 1,
114. 289 nach ahd. weise? vgl. Plihtrud Pertz 1, 114; die fränki-
sche mundart forderte Blicdrudis von blic fulmen; verschieden ist der
ähnliche frauenname Blidthrut, .von blidi laetus. inlautendes P in
reipus, nach einigen reibus, wie Eiboarii f. Eipuarii. Gutturaltenuis
lautet an im namen Karl Carolus, ahd. Charal, der aber auch bei den
Merowingen unüblich war, in Cuppa (s. 538) und in crüd von chre-
necruda; inlautend sacebaro, gasacio ahd. gisachio von saka causa,
ahd. sacha, -ricus, ercan- und Francus Marcomeres und Tanculfus
Irm. 110a ahd. Danchwolf**. Lingualtenuis anlautend in tangano
* wie die sage Carls mutter Bertha den groszen fusz beilegt, scheint
sie auch seines vaters Pippin kleine gestalt hervorzuheben:
cinq pies ot et demi, de long plus nen ot mie,
mais plus hardie chose ne tut onques choisie
heiszt es im roman de Berte p. 4, wogegen Carl sieben fusz hoch war. jener sage
grund ist aber schon in Pippins ahnen zu suchen, die denselben namen führ-
ten, Pippin vonHeristal und dessen mütterlichem groszvater Pippin vonLandi.
** oder Wolfdan ch, benennung eines undankbaren, gleich dem wolfinder
i hiersage dankenden, goth. launavargs. die trad. corb. 388 geben Dangwelp.
FRANKEN 379
taxaga und tertussus, inlautend in Strataburgum Greg. 9, 36. 10, 19
und Witunburg Irm. 299.
Auffallend wird in einzelnen namen bei Irmino ein ungehöriger
linguallaut mitten in der Zusammensetzung eingeschaltet, z. b. in
Electardus 165a Electulfus 23a Electelmus 19a Ermentildis 18b Erbe-
dildis 103 Ercadramna 203b Ansedramnus 221b, wie die vergleichung
der entsprechenden ahd. Alaholf, Ermanhilt darthut.
Für labialaspirata findet sich geschrieben Pharamundus statt
Faramundus, sonst aber nur F, kein PH: Faro Francus, fredus fledis,
welcher weichere laut sich auch an Übergängen in V bestätigt: Gßno- 543
vefa für Genofefa. PH würde gerade dem CH und TH der beiden
andern organe zusagen. Im CH aber offenbart sich ein wahrer Vor-
zug der fränkischen vor allen übrigen bekannten deutschen sprachen,
welche, wie s. 394 gezeigt wurde, diesen aspirierten laut in H ver-
dünnen, so entspricht den gothischen reihen
P F B. K H G. T TH D
fränkisches P F B. C CH G. T TH D
und hätte sich dies CH, wie es aus lat. tenuis verschoben ist auch
bei den Gothen erhalten, würde es leicht in ahd. G weiter gescho-
ben worden sein, während nun das goth. H gleichergestalt im ahd.
haftete.
Ich will vorerst beispiele dieses fränkischen CH geben und dann
aus seiner merkwürdigen erscheinung noch einiges folgern, von den
Wörtern chunna, charoena, chrenecruda chervioburgus und machalum
des salischen gesetzes soll gehandelt werden sobald die rede auf die
malbergische glosse kommt. Viele eigennamen geben dies CH kund.
Charibertus Childebertus Chilpericus Chlodoveus Chochilaicus Chramnus
Chrödobertus Chedinus sind deutlich die ahd. Heriperaht Hiltiperaht
Helfrih Hludowic Hukileih Hramnus Hruodperaht Hedin. Nandechildis
ist Nanthilt. Chillo Greg, mirac. 1, 60 ist ags. Hilla. dies fränkische
CH findet sich schon in der römischen auffassung germanischer namen
wie Chamavi Chauchi Chatti Chasuarii Cherusci und Chariovalda bei
Tacitus, Cherusci hat bereits Caesar, XrjgovöKOL Xdttoi Strabo, ein
zeugnis für den frühen eintritt des lautverschiebens. Man darf sich
noch eine menge fränkischer Wörter denken, deren CH dem lat. C
entsprochen haben musz, z. b. chorn cornu, ehalt claudus, techan
decem, teochan ducere, acha aqua; nun aber ist wahrzunehmen,
1) dasz beim anschlusz des kehllauts an ein folgendes T oder S
das urverwandte C beharrt und nicht in CH übergeht, hierher ge-
hört das uralte ambactus, goth. andbahts, ahd. ampaht (s. 133.536) und
druetis lex sal. 14 = goth. drauhts, ahd. truht, womit die eigennamen
Droctulfus Greg. 9, 38 Droctara Irm. 91b Droctarnus 147a Dructoinus 544
261b gebildet werden. Boracta Irm. 90a mahnt an die Bructerer und
Borhter (s. 531), beret für goth. bairht, ahd. peraht scheint der
ältesten Schreibung der namen Childeberctus, Berctoaldus angemessen.
Plectrudis (vorhin s. 542) ist ahd. Plihtrut. noch in den späteren
capitularien häufig waeta für goth. vahtvö, ahd. wahta. Das X = CS
380 FRANKEN
bestätigen die scramasaxi cultri validi bei Greg. 4, 51 und Saxnöt in
der abrenuntiatio.
2) dasz das CH ungefähr mit der merowingischen zeit aufhörte
und in der karolingischen, wo sich insgemein die fränkische spräche
der ahd. näherte, das ahd. H an dessen stelle trat, bei Irmino er-
scheinen gar keine CH CHL CHR mehr, sondern überall H HL HR
und viele hss. des salischen gesetzes geben für CH bloszes H, roma-
nische Schreiber geneigen aber sich auch dieser Spirans zu entäuszern,
so dasz z. b. für charoena cheristaduna erst haroena heristato, endlich
arowena eristato eintrat, wie auch lex rip. 64 für hariraida ariragida
= ariraida steht und den Langobarden aus harimanni arimanni her-
vorgeht, so erklärt sich die Schreibung Aribertus für Haribertus
Charibertus, oder Ilpericus Elbericus (Pertz 2, 239) für Chilpericus.
auch in der mitte von Zusammensetzungen schwindet der kehllaut:
Marcoildis Irm. 98. Erboildis Irm. 106, wie schon Chrodieldis bei
Gregor 9, 39. 10, 15 und Nantildis sonst für Nanthildis Nandechildis,
wozu man die s. 298 gelieferten beispiele, und das in der composi-
tion von gast abfallende G (s. 541) halte.
3) begreiflich schwanken auch CH und G, welche media nach
dem naturgang der lautverschiebung ausCH hervorgehn sollte (s. 394).
für ragineburgius steht rachineburgius ; soll hier CH älteste form sein,
wie Müllenhoff s. 291 glaubt, so wäre es nachzügler des früheren
noch unverschobnen lauts, da freilich dem goth. ragin, ahd. rekin ein
gr. Qa%iv zur seite zu stehn hätte, aus bacchinon paterae bei Greg. 9,
28 läszt sich nichts ähnliches folgern, da ihm mlat. bacca, balinus,
ahd. pecchi entspricht.
545 4) von diesem fränk. CH und daraus entspringenden ahd. H un-
terschieden ist eine echte, in die lautverschiebung gar nicht fallende
spirans H, die durch das lat. fränk. und ahd. idiom unverändert fort-
läuft und weder in CH noch G übertritt, wol aber wegfallen kann,
dahin zähle ich das H in Herminones, Hermunduri, Hermanfrid, Her-
cynia, Hercanbert, woneben Arminius, Ermanaricus, Irminfrid, Ercan-
bert, niemals aber anlautendes CH erscheint.
5) nicht selten wird nach lateinischer weise C für CH geschrie-
ben, Catti für Chatti, Caribertus für Charibertus Haribertus, im gegen-
satz zu der auch auftretenden form desselben namens Aripertus.
Das CH hat uns lange aufgehalten; weniger zu sagen bleibt von
TH, das sich zu lat. T wie jenes zu C verhält, die lex sal. hat es
richtig in theuda 46, 2 und thigiu peto 50, 2, vielleicht auch, wenn
die Schreibung vorzuziehen ist, in thunginus; inlautend in adfathamire
von fatham sinus, ags. fädm, ahd. fadum, wozu man lat. pater und
patere vergleiche. Auch die abren. liefert Thunar und thörn illis;
Gregor schreibt Theodomeres Theodoricus Theodobertus Theodegisilus ;
bei Irmino hingegen sind diese TH erloschen und auf romanische
weise durch bloszes T vertreten : Teutbertus Teutlindis u. s. w. analog
jenem Caribertus für Charibertus. den bekannten namen Turpinus
Irm. 176b möchte ich deuten Therpwinus (freund in der noth).
FRANKEN 381
Nicht darf übergangen werden, dasz die fränkische mundart in
ND NS das N, gleich der ahd. und goth. behauptet, nicht ausstöszt
wie die sächsische und nordische; es heiszt Grund Segenand Chlodo-
sindis Ansbertus Ansovaldus Transobadus Childefunsus.
Dies scheinen die wichtigsten ergebnisse für die fränkische laut-
regel; von der flexion läszt sich nur weniges melden, statt des goth.
nom. pl. masc. auf -ös liefert die abrenuntiatio -as in genötas und
die paganien haben nimidas dadsisas yrias. nimidas sind sacra silva-
rum (s. 497), dadsisas, wie es scheint, leichengesänge, doch hätte man
daud oder död für dad zu schreiben ; yrias soll einen cursus paganus,
scissis pannis vel calceis ausdrücken, läse man yrnas und erwöge das 546
ags. yrnan currere = goth. rinnan, so würde ein subst. yrne oder
yrn cursus möglich, dessen pl. yrnas oder yrneas lautete, gerade die
pluralflexion -as begegnet auch in der ags. mundart, zwischen welcher
und der fränkischen also hier Verwandtschaft waltete, ebendahin
wiese der völlig sächsische gen. pl. hira statt des ahd. iro eorum,
und dat. sg. allum, wogegen der dat. pl. allem them (ags. eallum
J)äm) der ahd. form allem dßm gliche, den acc. suno ersetzt sowol
ags. als ahd. sunu. schade, dasz die abren. kein schwaches masc.
darbietet, nach den übrigen quellen darf nicht gezweifelt werden, dasz
es den Franken wie den Hochdeutschen auf -o ausgieng, während ihm
Gothen und Angelsachsen -a verleihen, auszer baro gräfio gasacio in
den gesetzen bestätigen es eine menge eigennamen. Gregor hat Amalo
9, 27 Avo 7, 3 Böso Becco mirac. 2, 16 Chillo Chlogio 2, 9 Chundo
10, 10 Dacco 5, 25 Dudo Ebero 7, 13 Faro Gaiso 9, 30 Gögo
Grimo Macco 10, 15. 21 Olo 10, 3 Ollo 7, 38 Saxo Sunno Warado
11, 98 Waddo Wintrio 8, 11, wofür Vinthrio 10, 3, hingegen 11,
18 (d. h. bei Fredegar) die merkwürdige form Quintrio, was meiner
oben s. 73 ausgesprochnen Vermutung zu statten kommt. Aus Irmino
ersehe ich Allo (hypocoristisch für Adalhard oder Adalgis, wie mallum
für madal) 135a Bodo Badilo 163b Dado Grimo Heddo Hugo Marso
158a 165b Walapo 226a und viele andere wie Irmino selbst. Ihnen
zur seite stehn dann weibliche auf -a, wie bei Gregor Ascila Böbila
4, 25 Basina Amaloberga Ingoberga Leuba 8, 28 Faileuba 9, 20;
bei Irmino Dada 2 62a Elianta24a Gaugia 10a 168b Grama20* Momma
169b Stadia 80a Warna 146a 150b Wilia 215a u. s. w. der manns-
name Cuppa oder Chuppa Greg. 5, 39. 7, 39. 10, 5 zeigt einen frem-
den an, keinen Franken.
In die conjugation ist kaum ein blick zu werfen, für die erste
person trift der ausgang -o in forsacho gelöbo und in tangano der lex
sal. (wenn es nicht lat. üexion sein soll) zu jenem in suno; die ahd. form
ist -u, -iu, die goth. -a. ein gerundium will ich nachher vermuten.
So viel alle diese forschungen einzusehn gestatten, hielt die frän- 547
kische spräche eine gewisse mitte zwischen der hochdeutschen und
sächsischen, indem sie sich bald zu jener bald zu dieser wendet, die
hochdeutsche lautverschiebung aber noch nicht kennt; eigenthümlich
ist ihr CH.
382 FRANKEN
Als im verlauf der zeit die fränkische spräche abzunehmen be-
gann, d. h. das deutsche element schwächer im innern Gallien, stärker
am Rhein waltete, wird zweierlei, nur scheinbar sich entgegengesetztes
erklärlich, einmal, dasz die fränkische mundart von innen verlassen
und ohne halt sich entschiedner nach auszen wandte und der ahd.
näherte, wie es aus vergleichung der karolingischen mit merowingischen
Urkunden, der eigennamen bei Irmino mit denen bei Gregor erhellt;
dann dasz die dem fränkischen reich unterworfnen Alamannen ihre
spräche selbst eine fränkische nannten, was der Frankenkönig Karl
im j. 842 deutsch schwur (Pertz 2, 666) klingt fast ganz alamannisch
und hat namentlich ahd. Z und UO, nur dasz noch D in godes und
dag, TH und DH behalten sind, wie wir sie in Otfried und Isidor
vorfinden (s. 224). will man dies etwas weichere hochdeutsch, im
gegensatz zur strengahd. mundart der Schwaben und Baiern, fränkisch
nennen, so habe ich nichts dawider, da Otfried selbst, den ich für
einen Alamannen halte, rin frenkisga zungün dichtete, und sein
deutsch für fränkisch gibt; wie vermochte er auch anders? sein könig,
dem er das lied zueignet, war ein fränkischer und der Franken preis
schwebt auf des dichters lippen. auch das Ludwigslied hält so ziem-
lich den dialect des eidschwurs, und sicher wurde es jenseit des
Rheins gesungen, wie mir Isidor und Tatian auf der linken seite, nicht
auf der rechten verdeutscht scheinen, so schwer es fällt die land-
548 schaft näher zu bezeichnen * Fränkisch aber, im sinne des altfrän-
kischen zur zeit der Merowinge können diese denkmäler nicht heiszen
und es wird sichrer sein sie den ahd. beizuzählen.
Wie sich das fränkische epos zum schwäbischen und gothischen
verhielt, hätten uns die verlornen lieder in reicher fülle erschlossen.
Siegfried und die Nibelungen sind von den niederländischen Franken
ausgegangen gegenüber den suevisch-gothischen Wölfingen und Ame-
lungen. auch die thiersage von Reinhart entsprang unter Franken.
Auslauf über die malbergische glosse.
In alten, wenn gleich nicht den ältesten hss. des salischen gesetzes finden
sich, wie es auch in einigen andern volksrechten sparsamer der fall ist, dem
lateinischen text Wörter aus der landessprache eingestreut, welche den begrif
worauf es ankommt mit einem in den gerichten hergebrachten ausdruck
erklären und sichern sollen, heiszt es z. b. im alam. gesetz 10: si quis in
curte episcopi armatus contra legem intraverit, quod Alamanni 'haistera
handi' dicunt, 59, 1: si quis alium per iram percusserit, quod Alamanni
'pulislac' dicunt, oder 65, 31: si quis in geniciüo transpunctus fuerit aut
* man musz auf einzelne Wörter achten, die jedem Schriftsteller beson-
ders eigen sind, z. b. dem Übersetzer Tatians: asni asneri mercenarius;
berd genimen; bruogo terror; beresboto zizania; eidbust jusjurandum; fluo-
bar solatium; annuzi facies; manzo über; leitido dux; pasto altile; salzön
saltare; speihaltra Sputum; gestriunen lucrari; wabarsiuni spectaculum ;
zuomig vacuus u. s. w. worunter viel dem alts. und ags. ähnliches. 0.
zeichnet sich aus durch: arumi bigonöto biruwis drof erachar eragrehti
fiara fultar witufina gelbön görag grün urgilo ketti liwit leidunt miaren
muari rentön spunön gizengi thuesben u. a. m. genaue idiotica aus dem
Elsasz, der Rheinpfalz und Lothringen sind fühlbares bedürfnis.
FRANKEN 383
plagatus, ita ut claudus permaneat, ut pes ejus ros (d. i. rorem) tangat, quod
Alainanni 'tautragil' dicunt; so machen hier die beigefügten deutschen worte
i'edem Alamannen auf der stelle klar, bis zu welchem grad die verletzende
landlung eingetreten sein müsse, deren busze hier festgestellt wird. Nicht
anders verfährt auch das ripuarische gesetz, z. b. tit. 18: quod si ingenuus
'sonesti' id est duodecim equas cum admissario, aut sex scrovas cum verre
vel duodecim vaccas cum tauro furatus fuerit; sonesti ist hier das schlagende
wort für den begrif der herde, worunter man sich zwölf stuten mit dem
beschäler, sechs säue mit dem eber, zwölf kühe mit dem stier zu denken
hat. tit. 19: si ingenuus servum ictu percusserit, ut sanguis non exeat, us-
que ternos colpos, quod nos clicimus 'bulislegi' (es steht fehlerhaft bunislegi);
mit demselben ausdruck, den die Alamannen kannten, wird auch bei den 549
Ripuariern hervorgehoben woran es gelegen ist. Dasz die sächsischen,
friesischen und nordischen gesetze, ja spätere Statuten und Urkunden in
gleicher absieht dem lat. text den deutschen terminus einschalten, habe
ich RA s. 3. 4 gewiesen. Nun steht sogar mit jenem technischen wort des
ripuarischen gesetzes auch im salischen 2, 13: si quisc viginti et quinque
poreos furaverit, ubi amplius in grege illo non fuerint, cmalb. sunesta', und
wiederholentlich 37, 3: si quis admissarium cum grege, hoc est VII aut
XII equabus furaverit 'malb. sonistha>; wird hier nicht offenbar durch die
malbergische glosse der nemliche rechtsausdruck vorgeführt, den Ripuarier
und Alamannen mit ihrem id est oder nos dieimus angeben? zeigen folg-
lich nicht alle und jede malbergische glossen das an, quod Franci Saiii
dicunt? enthalten sie nicht noth wendig fränkische, d. i. deutsche Wörter?
Keinen andern als diesen sinn verband man auch bisher mit der mal-
bergischen glosse, und war blosz betroffen, dasz sie zum gröszten theil
aller zulässigen deutung hartnäckig widerstand, wovon die Ursache in ihrem
hohen alter und der beträchtlichen ab weichung der lesarten, die durch
unkundige, den verstand der worte nicht mehr fassende abschreiber her-
beigeführt waren, zu liegen schien, kenntnis der altfränkischen spräche
war uns überhaupt abhanden, wie sollten diese rechtswörter eines ursprüng-
lich noch heidnischen* gesetzes nicht im dunkel schweben?
Da geschah es, dasz in unsern tagen Leo mit dem gedanken, die mal-
bergischen glossen seien gar nicht deutsch, sondern keltisch auszulegen,
überraschte, und was er behauptete sogleich bis ins einzelne sinnreich
durchzuführen begann, das gesetz könne nur in einer nordfranzösischen
oder belgischen gegend entsprungen sein, wo Franken und Kelten schon
längere zeit untereinander vermischt gelebt hätten, zeige sein inhalt grosze
ähnlichkeit mit keltischem recht, so begreife sich, wie in die lateinische
fassung auch keltische ausdrücke übergegangen seien: die gesamte glosse
rühre aus einem altkeltischen rechtsbuch her, im titel de servis et maneipiis
furatis (Lasp. 37a) und de alterius campo (Lasp. 77a) habe man sogar noch
wörtlich und unübersetzt daher aufgenommne rechtssätze vor sich.
So stark auch undeutsches element im volksgesetz stolzer Franken be-
fremdet, wie sollte in abrede stehn, dasz einzelne dieser keltischen deutun-
gen auf den ersten blick treffend schienen? im titel de furtis animalium
(Laspeyres 20. 21) wurde podor, pedero durch gal. baothair vitulus, malia
aus gal. maoloch vacca (von maol hornlos, kahl, welsch moel, armor. moal) 550
erklärt, sind aber einige malbergische Wörter sicher keltisch warum sollten
nicht alle übrigen gleicher behandlung unterworfen werden? Dem wider-
strebte dennoch, dasz andere eben so deutlich deutscher wurzel zufielen,
wie in demselben titel ohseno (vgl. altn. öxn) neben bovem, ohsaiora neben
anniculum animal steht, p. 24. 25 lern für agnus, lamp für capra, lampse für
vervex, p. 29. 31 weiano sive ortfocla für aeeipiter, p. 31 chanaswido für
gallus, p. 97 chengisto für caballus spado, was genau zum ahd. hengist spado
(Graff 4, 964) stimmt, wie fänden sich deutsche und keltische glossen neben
* in einem capit. Childeberti (Pertz 4, 6) heiszt es: 'quando (Franci) illam legem com-
posuerant, non erant christiani'.
384 FRANKEN
einander? enthalten letztere solche Wörter, die den Franken mit den Kelten
urgemein, also unerborgt sind? baothair vitulus soll aus baoth stupidus,
brutus, welsch byddar abstammen und noch andere sprachen verbinden kalb
und rind mit dem begrif dumm; aber schon die gothische bietet bau{>s stu-
pidus, die nnl. bot insipidus dar, folglich mag den Franken ein solches baud
oder bod zugestanden haben, warum nicht baudor bodor für kalb ? selbst das
span. bezerro kalb bliebe zu erwägen, bei malia, bekenne ich, stiesz mir
zweifei auf, ob es nicht aus lat. m alia entsprungen sein könne, wie bei
andern solcher glossen disjunctives aut, vel, seu, sive und in alia mente
(romanisch altramente, autrement) stattfindet; doch da nach malia nichts
weiter folgt, mag es bei der kuh bewenden, und sogar malia auch altfränki-
sches wort gewesen sein, denn noch heutzutage bedeutet uns in Schwaben
molle rind und kalb, in Baiern mol stier und rind (Schmid s. 38(J. Schmeller
2, 568), in der Schweiz ist mollig dick, plump (Stald. 2, 213), wie gal. maol
zugleich foolish ausdrückt. Sicher ward goth. lamb, ahd. lamp keiner kelti-
schen zunge abgeborgt, das welsche llamp darf ihm also nur urverwandt sein,
bei dem se hinter lamp mag ans goth. auhsa gaitsa, ans altn. bamsi bersi
gmnsi, lauter thiernamen, gedacht werden, liegt in der glosse zu capras:
afres sive lamphebros' ein dem lat. caper verwandtes wort, so hat das ags.
häfer, altn. hafr und ein (s. 35) gemutmasztes ahd. hapar unmittelbare ana-
logie zum trank, chafar, woraus der eine glossator heber, der andere afer
machte, und das kelt. gabhar gavyr (s. 36) sind wieder blosz in der Urgemein-
schaft. Ich darf hier nur beispiele ausheben, aber nicht unerwähnt lassen,
dasz jenes sonestisonista sunistaviel zuofl'enbarmitdemags sunorsuner(grex)
stimmt, als dasz man solcher abkunft eine vage keltische herleitung vorziehen
möchte; überdies gleicht seine bildung der des goth. avistr ovile, caula.
Erhebt sich also schon einspruch wider keltische etymologien, welche
schein haben, um wie viel begründeter musz er sein, wo sie sichtbar ab-
irren, dahin rechne ich die verschrobne deutung der deutsches gepräge gar
551 nicht verleugnenden chunnas (Lasp. p. 158. 15y). in diesem wort erblickt
Leo das kelt. cuig quinque und legt nun alle übrigen zahlen aus nach
quinionen, die ihm halbe soliden anzeigen, da doch in chunna das goth.
hunda, lat. centum enthalten ist, wie in hunno der begrif centurio (s. 252.
4y2). die erste glosse 'unum thoalasti sol. III' bezeichnet das grosze hundert
oder 120 denare, die genau 3 solide betragen; dem ags. hundtvelftig, alts.
anttuelifta (s. 251) scheint ein fränk. chunntualafti, hunntualafti, unntualafti
entsprechend, woraus hier der Schreiber "unum thoalasti' machte, -sti für
-fti kann blosz verlesen, ein älteres -pti noch richtiger sein, der ausgang -ti
aber gleicht dem ahd. -zö (s. 248). auch eine andere malb. glosse fügt
(Lasp. p. 15a) den worten rhannechala lerechala hinzu 'hoc est unum ahe-
lepte', weil wieder 120 denare gemeint sind, Leo deutet galisches aon
aigh leabadh: eins guter race, mir scheinen sie aus 'unntualapti' verderbt*.
im 'unum thoalasti' findet aber Leo zahibrettsladung von drei soliden, auch
sonst pflegt es seinen auslegungen gefahr zu drohen, dasz er für dieselben
Wörter doppelte, völlig abweichende deutungen unternimmt; sie können,
wenn man den einzelnen geneigt wäre, nicht zusammen wahr sein. Die fol-
gende glosse 'sexan chunna sol. XV' besagt sechshundert denare, in der form
sexan (s.243) zeigt sich der dem goth. saihs, ahd, sehs wie dem lat. sex, gr.
s'i abgehende ausgang -an; Leo bringt 6x5 halbe sol. = 15 sol. heraus, ich
zweifle dasz bei cuig (fünf) durch bloszen Vorsatz einer andern zahl multipli-
cation ausgedrückt werde, ""septun chunna sol. XVII' sind 700 denare, sep-
tun zeigt das dem goth. sibun, ahd. sipun fehlende T, wie es im lat. septem,
gr. STixd waltet; hinter XVII ist das zeichen des halben sol. (gewöhnlich an-
fehängtes kleines s) ausgefallen, welches noth wendig zutreten musz. Leo
eutet 7x5 halbe solide, 'theuwalt chunna sol. XX a scheint zu bessern in
tualaf chunna = 1200 den., zufolge Leo ist aber walt ein gal. balt rand,
* TH für T steht auch p. 149a in quantas causas 'thalaptas' debeant jurare, bei Pertz
4, 6 'thoalapus' d. h. duodecim juratores = tualaptas, duodeni, altn. tölftar (ganz anders
Leo 2, 156). ferner thue septen, tho tocondi für tJiue septen, tua thocondi.
FRANKEN 385
brett, worauf sich 120 denare zählen lieszen, dasselbe was vorhin durch thoa-
lasti ausgedrückt wurde*; nachweisung, dasz in irgend einer keltischen
spräche balt oder duallast solchen bezug auf zahlen und die zahl 120 habe,
wäre unerläszlich. lthue septen chunna sol. XXXV' ist doppelung jener 17%
also 1400 denare, richtiger steht in einer andern glosse (Lasp. 19a) geschrie-
ben 4tua septun chunna den. MCCCC, sol. XXXV; Leo erklärt 2x7x5, un- 552
geirrt davon, d*asz kelt. seacht seachd von septun viel mehr absteht als deut-
sches sibun. 'theuwene chunna sol. XLV sind 1800 den. = zwei neunhun-
dert, welche glosse auch im titel de furtis canum (Lasp. 27*) vorkommt, aber
'tuene chunne lautet; jene deutet Leo thuewe net chunna = 2x9x5, thue-
we aus to, net aus naoi oder naoidh, die andere ist ihm nicht zahl sondern
lduinn cu' dunkelfarbiger hund. ich vermute in beiden stellen ein fränkisches
ltua neun chunna*. Zumal wichtig wird uns die nächste glosse und lautet
'thotpcunde sitme chunna' sol. LXIP (62V2) = 2500 denare. eine andre hs.
liest 'thotocondi weth chunna' und wiederum am schlusz des zweiten titeis
(Lasp. 21a) stehn die worte 'tua zymis fit miha chunna MMD den. qui faci-
unt sol. LX1I cum dimidio', was, wie die zahlen lehren, ganz dasselbe ent-
halten musz. aber welchen text aus dieser doppelten Verderbnis herstellen?
ich wage: tua thuscundi fimfa chunna. thuscundithuschundi wird auch durch
folgende glossen bestärkt und scheint merkwürdiger gestalt. entsprang fm-
sundi aus einer zusammenziehung, deren letzter theil hund enthält (s. 253) ;
so kann die dreimal vorausgehende zehnzahl leicht in thus gedrängt worden
sein, nach welchem die fränkische spräche das folgende CH behielt, die goth.
und ahd. H schwinden liesz ; thuschundi wäre demnach goth. fmshundi, wofür
Imsundi gilt, analog dem lat. decies centum, aber auch keltischem deich
cead, deich ceud. sitmi und fitmiha leiten auf fimfa, da s und f vertauscht
werden (thoalasti für thoalafti), t aus f ward (wie vorhin in theuwalt f. theu-
walf) und das m versetzt sein könnte, gibt man allerdings noch kühne
fimf oder fimfa zu, so hört alle möglichkeit auf, dasz chunna fünf ausdrücke,
auch weisz Leo mit diesen 2500 den. nicht fertig zu werden, während er die
glosse des zweiten titeis 1, 156 auslegt: 'bis vollständige zwanzig schweine
fünf, bedenklich bleibt mir jedoch das "zymis fit', weil sich auch tit. 2, 2
(Lasp. p. 16. 17) die räthselhafte glosse imnisfit ymnisfith darbietet, welche
Leo 1, 76 'schwein der herde' deutet. 'fitter tiuschunde', verschrieben cfitter
nusunde' = sol. C = den. 4000 ist vollkommen klar, fitter das goth. fidur
quatuor und 'tiuschunde' für 'thuschunde' tausend; Leo nimmt statt tius ein
tecus für zehn, cunde für einerlei mit chunna und multipliciert 4x1 0x5, fitter
soll welsches pedwar sein, da doch sonst nur gallische zahlen verglichen wer-
den und das angebliche chunna = cuig vom welschen pump absteht; schwer-
lich ist ein solches vermengen zweier sehr verschiedner dialecte gutzuheiszen.
in thuschunde scheint die fränkische spräche ND zu bewahren, in chunna
mit NN zu vertauschen, 'actoe tuschunde sol. CO' = den. 8000, bei Leo
acto tecus chunde 8x10x5. 'thrio tuschunde therte chunna' sind DC sol.
also 24,000 den., in beiden ersten worten liegt drei tausend, also musz therte 553
chunna oder nach der andern hs. tertheo chunna 21,000 ausdrücken, was nur
durch die annähme möglich wird, vor chunna sei 'septunti' ausgefallen (3x
70x100) und zu lesen: thrio septunti chunna; das -ti zu nehmen wie in tua-
lafti. gleich gewaltsame herstellung fordert die letzte glosse 'fitter toschunde
tue apta chunna' = sol. DCOC = 32,000 denare in 'fitter tuschunde fitter
septunti chunna' (4000+4x70x100). wie Leo diese beiden letzten glossen
faszt mag man bei ihm nachlesen.
Ist auch den malbergischen zahlen übel mitgespielt, dasz man ihrer wah-
ren lesart nicht volle Sicherheit erlangt; so läszt sich doch gar nicht verken-
nen, dasz der gerichtsgebrauch nicht nach soliden rechnete, sondern sie auf
hunderte von denaren zurückführte, wie noch das mittelalter solidi denario-
rum hat, Schillinge in pfennigen anschlägt, gröszere zahlen sind lieber durch
* nach 2, 3. 2, 148 auch durch 'schodo' ; dann aber müsten sich noch manche malb.
Wörter, hinter welchen zahlen folgen, anders deuten lassen.
Grimm, geschickte der deutschen spräche. 25
386 FRANKEN
doppelung schon bekannter ausgedrückt, als durch ein andres wort, es
heiszt zwei sieben, zwei neun statt vierzehn, achtzehn, vielleicht zwei zehn
zwei eilf zwei zwölf statt 20 22 24, erst bei 2500 scheint zweitausend
fünfhundert nöthig. eigenthümlich wird bei 24,000 vorausgesandt 3000, bei
32,000 4000, folglich auch bei 40,000 5000, immer also der achte theil, und
das übrige der summe in andern zahlen zugefügt. 16,000, wenn ich nicht
irre, wäre zu bezeichnen durch tua thuschundi tua septunti chunna.
Weisen sich aber die salischen Zahlwörter als deutsch nicht als keltisch
aus (obschon eingeständlich beide sprachen von uralters her vieles hier ge-
mein haben) ; so wächst einem der mut, auch an andere malbergische glossen
wieder deutschen maszstab zu^ legen, da es im voraus unwahrscheinlich
dünken musz, dasz ein gericht, welches deutsch zählte, daneben sonst
keltische ausdrücke angewandt haben werde, vorzugsweise gewichtig schei-
nen dabei solche Wörter, die auszer der glosse auch in den lateinischen
text selbst eingegangen sind, oder gar blosz in ihm auftreten, und wenn
der unglossierte kürzere text älter sein sollte als der glossierte erweiterte,
den malbergischen vorangehn. man könnte eher zugeben, dasz hernach ein
fremdes dement hinzugetreten sei, als dasz ihm der salische Franke gleich
anfangs in sein rechtsbuch zutritt gestattet habe. Leo thut also dem ein-
druck seiner deutungen dadurch groszen abbruch, dasz er Wörter wie ascus,
beudus, fredus, laisus, litus, leudis, reipus, sunnis, rachineburgius, gasacio
und andere, an deren deutschheit bisher niemand zweifelte, dem keltischen
boden zu gewinnen sucht oder wenigstens von ihm erst auf den unsern zu
verpflanzen gestattet, die meisten derselben nehmen sich deutsch leicht und
ungezwungen, keltisch aber seltsam und wunderlich aus; wie sollten sie
nicht auch für den zwang zeugen, der den übrigen, undeutschren wieder-
fährt?
554 Kaum eine glosse überhaupt begegnet öfter als texaca oder taxaca,
worin Leo 1, 92. 121. 133 das galische taisge rest, Überbleibsel (sonst auch
pfand, einlage) sehn will, nun hat das salische gesetz selbst tit. 11, 4 den
ausdruck 'in texaga secum ducere' für dieblich entführen, das ripuarische
18, 2 für "in omni furto' und 63, 2 'de furto* in andern hss. 'in omni
texaga5, 'de texaga'; statt }der worte 'furtum exigatur' 42, 2 liest die Münch-
ner hs. 'texaga exigatur5 (Feuerbachs lex sal. s. 106), endlich das ala-
mannische 104, 25: si quis ferrum involaverit — solvat sol. sex in texaga
ei cujus fuerit\ was kann besser einleuchten, als, texaga müsse gleichviel
sein mit diebstal, oder eine besondere art des diebstals bezeichnen? nahe
liegen goth. tekan capere, ags. tsecan, altn. taka, blosz hat man anzunehmen,
dasz dem gutturallaut noch ein ableitendes S zutrat, was goth. tehsaga
tehsga hervorgebracht haben würde; ich finde es im ahd. zascön rapere
(Graff 5, 707) = zachascön zahscön. ein capitulare von 853 (Pertz 3, 426)
sagt: ego adsalituram, illud malum quod scach vocant vel 'tesceiam' non
faciam. ja das mlat. und roman. tasca pera, wofür auch taxa geschrieben
wird, könnte ohne stehlens nebensinn den sack ausdrücken, in welchen
man greift, raft oder rapscht (in quem rapitur). tasca und zascön unter-
drücken, wie es auch sonst geschieht, den ersten kehllaut von texaga.
Leo, um die in den meisten stellen unvermeidliche bedeutung des stehlens
und entfremdens für texaga beizubehalten, ist 1, 134. 138 genöthigt, zweier-
lei texaga anzusetzen, das eine von taisg schonen, übriglassen, das andere
von teasg abschneiden herzuleiten; gewis eine misliche auskunft.
Gleich häufig und so, dasz an keinem buchstab gezweifelt werden darf,
ist die glosse leodardi leudardi, welche dem gal. leadairt missethat mord
frevel, zuweilen aber dem welschen lledrad dieostal entsprechen soll (1, 112.
121). lledrad furtum und leidr für, zwei in den welschen gesetzen oft wieder-
kehrende ausdrücke scheinen mir, wie das armor. laer für, aus dem lat. latro,
franz. larron zu stammen und eben nichts zur deutung des salischen wortes
beizutragen. Erwäge ich die glosse 'leudardi trespellia' in tit. 66, und dazu
die worte 'triplici compositione' des textes, so steht vor meinen äugen,
dasz leudard (-i scheint den dativ anzuzeigen) nichts anders sei, als was im
FRANKEN 387
lat. text sonst leudis, oder den Angelsachsen leode, leodgeld (RA. s. 652)*
ja es liesze sich leuchard deuten aus leudgard, mit geschwundnem G wie
in Leudast für Leudgast (s. 541), unter der Voraussetzung dasz leudgard, 555
ags. leodgeard patria, praedium avitum bei den Franken mit dem begrif
deswergelds und der composition überhaupt verflochten war. wie nach dem
wergeld alle andern buszen eingerichtet und nun kleinere theile desselben
auch für geringere verbrechen angesetzt wurden; so erklärt sich dasz leu-
dardi nicht selten da vorkommt, wo von kleinen compositionen bis zu 15
und 3 sol. herab die rede ist. merkwürdig heiszt auch das wergeld
für einen mann oder knaben leudardi und leode, für eine frau leudardi oder
leodinia (Lasp. 62. 64. 67). Dasz jenes leodardi trespellia tripla compositio
bedeuten müsse, verkennt auch Leo 2, 127 nicht, und sucht das adj. aus tres
und fillte (^plex) zu deuten, ich zweifle, ob für trifillte triplex ein trisfillte
möglich sei, das s fällt aber zum zweiten theil, und wie ahd. mhd. zwispilde
(Graff 6, 337) musz auch drispilde gegolten haben, sollte nicht der taurus
trespellus des textes (Lasp. 22. 23), welchen drei dörfer gemeinschaftlich
unterhalten, in diesem sinn drispilde heiszen können, oder gehört hierher
das spil in kirchspil, fries. szerspil? vgl. Ducange s. v. trespellius.
Für die mehrmals wiederholte glosse antedio antidio anthedio, oder ab-
gekürzt antedi antete, einmal auchpandete (Lasp. 26. 27. 29. 31. 38. 39. 42.
62. 63) kann ich Leos keltische deutung (1, 120. 126) aus can taobh tighe'
zur seite des hauses oder innerhalb nicht annehmen, denn die ältere mal-
berg. form wird nicht wesentliche consonanzen der heutigen kelt. spräche
weggeworfen haben, nach dem inhalt der texte müste ein adverb für 'de
intro' in der form z. b. des goth. andaugjö palam, oder ein subst. mit dem
begrif von 'effractio clavis' gesucht werden, mirscheintnun alts. antduan, ahd.
intuon aperire nah zu liegen und entw. ein entsprechendes nomen oder dies-
mal sogar eine verbalform, wie ahd. intäti (aperiret, effringeret) angemessen.
Den fränkischen Wechsel zwischen CH, H und völliger aphseresis des
kehllauts scheinen mehrere malb. glossen zu bestätigen, die Überschrift des
tit. 61 (Lasp. 146) de charoena und die malb. glosse charoenna, samt den
Varianten harowena und aroena gewährt uns, dünkt mich, ein gerundium in
der ahd. form hariönna heriönna (s. 496) von hariön praedari diripere, und
das gesetz redet von raubare, exspoliare, per vim auferre; auch die ahd.
composita herinäma herinumft heriraupa herihunta, ags.herehüd herereäf be-
deuten praeda. Auch für die Überschrift des tit. 61 de andomedo ( Waitz
s. 260), de andometo andocmito (Lasp 132. 133) möchte ich handomedo,
chandomedo vermuten, und darin eine Zusammensetzung mit hand,} zur be-
zeichnung des gewaltsamen handanlegens 'ad res alienas tollendum'. hand-
mitta ist ags. handmasz, wage, wozu aber der text keinen anlasz gibt.
Chrenecruda durch herba pura zu deuten war schön; selbst in der heimlichen 556
femlosung Veinirdorfeweri' und 'strick stein gras grein1 (Wigand s. 265. 524.
525] scheint das alte symbol zu haften, nemlich hreinigras umgestellt gras-
rheini, das gras grein (vgl. Iw. 6446 und reinegras alga. sumerlaten 54).
den ersten spruch verstehe ich: reiner torfe weri = puri cespitis praesta-
tio. gegen so viel analogien wird die keltische auslegung 'cruinn creadh'
collected clay schwer autkommen, allem schein zum trotz, den sie aus den
worten im gesetz cde quatuor angulis terrae pulverein in pugno colligere' ge-
wann ; mit der chrenecruda des fünften titeis (Lasp. s. 25a), wo andere hss.
ganz anders glossieren** verträgt sie sich eben so wenig: es musz zu einem
* das wergeld für einen Kömer heiszt (Lasp. p. 110) walaleodi, von "Walah eigent-
lich Gallus, hernach fremder insgemein, namentlich Italiener (Welscher).
** eine Pariser hs. liest chanchus, die Sanctgaller chanchurda, die Wolfenbüttler laus-
mata und roscimada, der cod. paris. 4404 lauxmada roscimada, wie es scheint nichts als
benennungen der capra. so gut sie Leo 1, 109. 111 aus dem keltischen durch gewinn bringend,
ledergewinn bringend, bekleidungsgewinn bringend deutet, liesze sich auch deutsche deu-
tung versuchen, mada und verschoben mata wäre etwan altn.mätä, ahd.kimäzä socia, laux-
mäta socia allii, sich dem lauch gesellend, lauchfressend, poetisch für geisz oder bock, laucb
bezeichnet allgemein jedes saftige kraut, und in rosci könnte ein andres der geisz behagen-
des kraut stecken, ja selbst chrenecruda durch diese kräuter herangelockt sein, doch auch
anderwärts wird chenecruda eingeschoben (Leo2,18).imBeinekel771heisztdieziege Metje.
25*
388 FRANKEN
unwahrscheinlichen 'cruinnich ruta' gegriffen werden; kann aber ruta'herde
ausdrücken, wozu des beigefügten 'gesammelt'? chreo in chreodiba (s. 232)
chreomosido ist goth. hraiv, ags. hräv, ahd. hreo. dem inhalt des titeis 64
gemäsz hielt ich eher vioburgus für umgestelltes chuerioboro, vonchuer, ags.
hver, altn. hverr lebes, das wiedrum zu entspringen scheint aus goth. ahva-
ris = aquarius; aqua, goth. ahva, ahd. aha fordert fränk. acha achua. in-
lautendes CH steht in machalum (Lasp. 52. 53) für ahd. mahal, wobei der
Ortsname Mecheln Machlinium (Pertz 7, 21) in betracht kommen mag.
Die an verschiedner stelle (Lasp. 60. 61. 81), immer bei Verletzung der
hand und des arms erscheinende glosse chamin oderchamni kann auf deutsch
nicht anders verstanden werden, als aus einem alten wort, worin der begrif
von ahd. ham hamal (maneus mutilus, Graff 4, 945) altn. hamla inhibere
impedire, fries. hemma hamma (Richth. 806b) nhd. hemmen enthalten ist.
Leo gestattet sich 2, 39 und 70 zwei ganz verschiedne^. beide abzulehnende
deutungen desselben worts.
Via lacina, ein in der Überschrift von tit. 31 des salischen, wie tit. 71 und
557 80 des ripuarischen gesetzes ziemlich sicher aus deutschem ausdruck (goth.
vigalegeins?ahd. wekaläki?) geschöpftes, auch'in die glosse (Lasp. 44. 45. 86. 87)
eingegangnes wort soll dennoch das kelt. bealach pfad enthalten, als genügte
es hier der malb. gerichtssprache am begriffe weg! es soll wegsperre be-
zeichnet sein, wie lex Alam. add. 27 de wegelaugen (= wegelägen), das schle-
sische rechtsbuch des mittelalters bei Böhme II. 6, 7 von wegelägunge redet.
Im titel de retibus (Lasp. 74) kommt die malb. gl. lnaschus taxaea* und
Leo 2, 62 denkt an den kelt. gen. pl. niasg von iasg piscis (oben s. 370);
ohne zweifei scharfsichtig, aber ein subst. aschus für fischzeug wäre doch
gewagt vermutet; netz wird gemeint, wie das mlat. tremaculus (Ducange
s. v.) it. tremaglio, franz. tremaille lehrt, lieber also halte ich mich ans ahd.
masca macula retis und rete, mhd. masche Lanz 8512, altn. möskvi rete,
undmeinedasz die fränk. mundartM in N schwächend, nascus für mascus setzte.
Lasp. 58. 59 im titel de maleficis nach den worten: si quis alteri her-
bas dederit bibere ut moriatur die malb. glosse 'touerbus' mit den Varian-
ten 'thovuespho ac faltho', 'thovuesfo ac faltho'. da sollte man denken, sei
vorerst das wort töver, mnl. tover, ahd. zoupar (mythol. s. 984. 985) zur
hand; th und s in beiden letzten lesarten schiene verschrieben; das über-
bleibende cbus' 'fo' lpho' könnte blosze ableitung enhalten; es wäre ver-
messen 'toverful' zauberbecher herzustellen (gramm. 3, 457). Leo 2, 38 sinnt
auf keltisches ldobhar-ba' wasser des todes. in 'acfaltho' dringe ich erst
dann ein, wann mir alteofaltho wadefalto friofaltho in diesen glossen ver-
ständlich werden, die Leo auf vielfache weise deutet.
Lasp. 50. 53. 54. 58. 122 wiederholt sich mit schwankender lesart eine
glosse seolandoefa seulandovea selandoeffa, immer bei der composition von
62% sol. oder 2500 den., aber für ganz verschiedne missethaten, brandstif-
ten, Verwundung, ungerechte anklage und zauber. unmöglich also wird da-
durch das einzelne verbrechen ausgedrückt, vielmehr auf alle gleichför-
mige busze, ungefähr wie leudardi eine andere solche anzeigte, aus seol
segeln, steuern, dirigire, intensivem an und deabhadh teibheadh Zerstörung
setzt «Leo 2,23 den begrif absichtlicher zugrunderichtung, der ungefähr auf
alle verbrechen gerecht wäre, zusammen, mir macht eindruck der volle
deutsche klang, seolando ewa wäre lex regionum maritimarum, würden da-
durch bestimmnngen ausgedrückt, die im seeländischen landstrich der Salier
galten? ich lasse ununtersucht, von welchen punet aus dies Seeland, ob im
alten oder neuen sitz? zu ermitteln wäre: da hätte diese composition gegol-
ten ; auch seolandistadio sc. ewa p. 122 wäre seelandicae regionis statutum.
Oder soll seo die lat. partikel seu, sive sein, so bliebe mindestens landoewa,
558 wie es Hei. 161, 30 heiszt: iuwan eo, iuwaro liudo landreht; freilich alle bu-
szen sind landrecht, die von 62% in vorliegenden fällen könnte aus besonde-
rem grund so benannt sein, gefährdet aber scheint dadurch eine s. 232 ver-
suchte deutung von debaincendium,insoferndaba,andebaauslandevaselandeva
entstellt sein könnten ; auf chreodiba (leichbrand) wäre kein einflusz denkbar.
FRANKEN 389
Den namen malberg oder mallobergus erklärt Leo 2, 30 nach dem kelt.
mol häufe, versamlung und beargnadh landessprache ; wie aber auszuschlie-
szen wäre der örtliche begrif des gerichtsbergs oder hügels, wie das be-
kannte 'solem in mallobergo collocare' zu verstehn, wie die in Deutschland
verbreiteten Ortsnamen malberg mahlberg (RA. s. 801)? mallus läszt sich
doch aus goth. maf)l, ags. mädel, ahd. madal forum leiten, mallare aus
goth. ma^ljan. der titel 46 de adfathamire sagt (Waitz s. 256. Lasp. 116.
117): ante regem aut in mallo publico legitimo, hoc est in mallobergo ante
theuda aut thunginum; für ante theuda geben andere hss. an theoda, im-
mer bleibt der sinn: vor, bei dem volk. Lasp. 19a, wo vom majalis votivus
oder sacrivus die rede ist. steht die glosse 'barco anomeo ani theotha';
wenn im ersten wort ags. bearh, ahd. paruc majalis unverkennbar scheint,
bessere ich das zweite in änomen oder änoman, ags. änumen, ahd. arno-
man elatus, sublatus, von äniman tollere, efferre, und jetzt erst empfangen
die beiden letzten worte ihren sinn: der heilige eber wurde vor dem volk
im gericht feierlich erhoben, umgretragen, umgeführt, wie uns noch ein
weisthum 3. 369 erläutert: das goltferch musz durch die bänke gehn; nach
einem andern weisthum 3, 513 soll der frischling an einer säule gebunden
stehn, vgl. mythol. s. 45. man lese also auch in dieser malb. glosse 'ana
theuda' . Wie einfach gegen Leos (1, 89) keltisches anomeo anitheo tha:
athems auf hörens zwei! da im gesetz nicht das geringste von einer zerthei-
lung der achtzehnhalben soliden = 700 denaren in l/3 und % gesagt wird.
Im titel de eo qui alterius campum araverit (Lasp. 77a) findet sich zu
hortus die glosse ortopodun und ortobaum. orto steht nun leicht für hordo
chordo, was dem ahd. karto und lat. hortus entspricht, wie auch der ha-
bicht ortfocal oder hortfocal heiszt, was gartvogel zu bedeuten scheint;
wahrscheinlich sasz er im hof (gart, goth. gards) auf stansren. bäum ist
einerlei mit podun = bodum, badum, und zeigt dasz die Franken gleich
den Scandinaven in diesem worte D, wie die Gothen G hatten, fränk. ba-
dum ist altn. bacfmr, goth. bagms. woneben schon bäum, wie ahd. poum,
ags. beäm galt, in gartbaum und baumgarte scheinen aber beide theile
der Zusammensetzung den platz zu wechseln, wie in eidotter und dotterei,
windsturm und Sturmwind (gramm. 2, 547). sind diese deutungen richtig,
so fällt Leos ansieht (2, 67), dasz podun den kelt. bedheann oder biann 559
entspreche, woraus das lat. fuerit des textes übertragen sei.
Dies führt mich auf den titel de servis vel maneipiis furatis (Lasp. 36.
37) wo die merkwürdigen, zum theil entstellten glossen: theos taxata, theu
tha texaea, theu texaea, de taxaea, theuca texara, denka texara, teodueco,
teodoeco. richtig scheint mir blosz 'theu taxaea' mancipii furtum, worin
offenbar liegt theu servus goth. Jnus ahd. dio oder theu ancilla goth. ])ivi,
ahd. diu. vielleicht wäre in theos der goth. gen. sg. masc. frivis, in theuca
der gen. sg. fem. wahrzunehmen, ich bestehe nicht darauf, erinnere aber
daran, dasz man noch im tit.tde raptu mul. (Lasp. 42) die glosse 'andra
theo' auf die worte des textes 'sponsam alineam* beziehen und damit auszer
dem acc. theo ancillam = virginem auch das adj. andra gewinnen könnte.
Am schlusz des zehnten titeis (Lasp. 37) hat Leo 1, 146 treffend ein rechts-
sprichwort entdeckt, das ich nur etwas anders und nicht keltisch auslege,
die malb. glosse lautet nemlich richtig gelesen: theutexaea is malatexaca,
amba texaea, amba othonia. was vielleicht so zu fassen wäre : knechtsdiebstal
ist kuhdiebstal, gleicher diebstal. gleiche busze. maneipien werden auch
sonst dem vieh gleichgestellt, mala war kuh (s. 550), auf deren entwendung
35 sol. oder 1400 den. standen, welche summe gerade die theutexaea kostet,
wäre theuca texaea. wirklich servae furtum, so schickte sich die kuh hier noch
eigentlicher, das 'is' belehrt uns über die fränkische gestalt der tertia sg.
des Substantiven verbums und stimmt zur alts.. entfernt sich von der ahd.
und goth. (oben s. 206). mühe macht amba; ich halte dazu goth. ibns, ahd.
epan, ags. efen, altn. iafn, schwed. jemn; wie aus stibna stimna stempna, aus
hrafn schwed. rambn ward, neben gr. ri/uepo) lat. ambo sl. oba gilt, könnte
sich eine fränkische form amba emba für ebna entfaltet haben, und auch ags.
390 FRANKEN
efen schwankt in emn, von wo nur noch ein schritt wäre zum ebmn. Was
ist endlich othonia, oder wie es eine andere lesart mit amba verschmilzt
ambitania? ich denke aus mlat. idoneare, exadoniare. idoneum se reddere,
purgare, emendare; vielleicht ist anch die beim raub der ingenua (Lasp. 40.
41) vorkommende glosse Antonio' 'anthumia' zu erwägen, wie aber die
malb. gl. lhorog aut orogania* (Leo 2,162) deuten? die sograr in den text bei
Waitz s.243 eingeht: Ministerium quod est horogavo' wofür man anderwärts
(Lasp. 36) 'ministerium quod est strogau' oder 'thoragao* oder 'trachra' liest.
Lasp. 44—47 wiederholt sich die glosse musido mosido mosdo mordo,
wobei es einfältig ist das nhd. mausen für stehlen heranzuziehen; gemeint
wird immer exspoliatio mortui, heimlicher raub und mord. da weder in den
übrigen noch deutschen urverwandten sprachen S gilt, scheint mordo allein
5^° richtige form, vgl. lat. mori mors mortis, sl. mrjeti und mr'tviti occidere*.
wozu das wort aus kelt. mort oder mortadh leiten? zumal das altdeutsche
wort gerade den begrif des heimlichen tödtens, worauf es hier ankommt,
enthält (RA. s. 625). chreomordo leichenberaubung. theumordo (Lasp. 90.
91. 93) tödtung und beraubung eines knechts, vgl. morter für morther
Lasp. 78.
Lasp. 64. 65 anowado annano anneando adnovaddo entweder das 'in
utero, in ventre' des textes, ahd. ana wambo, oder gravida, in utero gerens;
goth. inkilfro, von kildus uterus. in beiden fällen scheint mir vaddus oder
vadus zu stehn für ch vaddus, chvadus, wie lat. uterus für cuterus, goth.
qifms, oder venter für eventer, wahrscheinlich auch goth. vamba f. qamba.
An die folgende für Leo maszgebend gewordne glosse lchuisara chro-
nigo' wage ich mich kaum, so wenig mir seine deutung zusagt, denn es
ist gegen sie mit fug eingewandt worden, dasz das gal. siosar erst aus
dem engl, scissars, dies aus romanischer spräche eingeführt scheine, eher
möchte ich in chiusara ein verderbtes fränkisches wort, nicht für den be-
grif des scherens, sondern des haupthaars suchen, goth. skufts &ptl£, ahd.
seuft, nhd. schöpf leitet sich her von skiuban pellere, trudere, das gleich
unserm treiben und dem franz. pousser auch wachsen ausdrückt: man sagt
das gras schiebt, l'herbe pousse, neue zahne schieben, schuft also ist das trei-
bende wachsende haar, wie altn. haddr flos campi und crines mulierum. da
nun s für f verschrieben wird (thoalasti f. thoalafti) so könnten andere hss.
dieser nur einmal vorkommenden glosse sciufara (oder sciufaca, wie texara
statt texaea steht) bringen, das mag alles noch für höchst unsicher gelten.
Dem fränkischen lautsystem, wie es vorhin aufgestellt wurde, scheint
auch das der malbergischen glosse ziemlich angemessen. E für A in lern für
lam, hebros für habros, sex für sax, texaea und taxaea. EU in theu theuda,
leudardi und dem vermuteten neune. CF in chunnas chreo chrene chana
chamin chagme. P in ortpodun podor, X in sexan taxaea nexti = nehsti
nesti, und in cultellus sexaudrus (Lasp. 77). worin deutlich sax messer. das
P für B und ebenso C für G hat schon ahd. vorschmack. G tritt auffallend
ein in den Ortsnamen des prologs (Lasp. 2. 3) Salechagine Bodoe^agine Wi-
dochami, wo beiHattemer s. 351 richtiger gelesen wird Salicagme Bodecagme
Widochaamni und Salechagme Bodechagme Widohaim, in einer andern hs.
auch Salagheve Bodogheve Windogheve; dies chagme kann' nichts anders
als das goth. haims alts. hem ahd. heim sein, vgl. die lesarten bei Waitz
5()1 s. 36. 37, der s. 54. 55 eine menge Ortschaften auf -hem in salfränkischem
lande nachweist, eben so erscheint oder schwindet G in seusius segusius
und in den glossen chegmeneteo chamitheuto hamachito (Lasp. 22. 23) für
jenen taurus tresnellius tribus villis communis, in welchem chegme und chami
wieder der begrif hain oder villa vorbricht, endlich in weiano veganus(Lasp.
28. 29), dem namen des raubvosrels weihe. Nicht zu übersehn den s. 513
besprochnen Wechsel zwischen FR und CHR. worauf die Varianten friomosido
priomosido chreomosido; adframire adehramire**; mafolus und macholus
* musido ist wie Busacteri für Buructeri (s. 531).
diesen lautwechsel erwägend und der Pranci comati und criniti (s. 522) gedenkend
möchte man wirklich Leos deutung des namens Frank aus gal. und ir. greannach comatus.
FftANKEft 391
weisen. Für die flexion anzuschlagen bliebe das -as in chunnas thalaptas;
einmal auch landevevas (Lasp. 53); schwaches -o erschiene in mosido chen-
gisto chanasuido christiao, vielleicht auch antedio. Da alle diese glossen
nichts als nomina gewähren, scheint für das verbum kaum anlasz, es sei
denn im vermuteten gerundium charoenna, oder in antedio, und dem einem
förmlichen satz einmal zugeflossenen is = est. Ich hebe noch die sichtbar
weibliche ableitung auf -ina hervor in theulasina theolasina Lasp. 39. 66.
cheolasina 39. friolasina 50. 51. friofastina 154 (bei Hattemer 357. 368 fri-
basina fribastina) frifrasigena 155. evalesina anilasina 66. 67, in welchen
allen nur zwei Wörter für ancilla (theu) und ingenua (fri) enthalten scheinen ;
doch wer unternimmt auslegungen'ihreszweitentheils? vgl. auch chrotarsino.
Wenigstens treffen hier gewohnte laute und formen das ohr; wenn
ich in Childeberts capitular (Pertz 4, 6) 'suammala burginam' lese, klingt mir
das deutsch, obwol die verlornen oder entstellten worte unverständlich ge-
worden sind; ich kann nicht finden, dasz in allen malbergischen glossen kel-
tische Spracheigenheit aufstosze. Zwar will Leo genug eclipsen und mortifi-
cationen wahrnehmen, aber immer trägt er sie erst in die buchstaben der
glosse ein; viel zusagender wäre wenn ihr Wechsel aus den urkundlichen
buchstaben selbst hervorgienge. wad in wadfaltho soll 2, 36 bat stock sein,
dessen aspirierte form bhat wie wat lautet; ein erklärer könnte zu bat bhat
mhat greifen wie es ihm beliebte, niemand wird doch zugeben, dasz var-
gus, von uralter zeit her bezeichnung des wolfs und verbannten räubers
(s. 332), in der aspirierten form des gal. mairg miserandus deplorandus
seinen grund habe, mit solchem keltischen lautwandel, der leichtigkeit kel-
tischer Zusammensetzungen und partikelanlehnungen kann man die Wörter
zu allen etymologien zwingen. Scheint dennoch ein solches wort für den im 562
text enthaltenen gegenständ unfügsam, so erlaubt sich Leo in es eine so all-
gemeine Vorstellung von übelthat oder frevel zu legen, dasz es unvermeidlich
einen sinn von sich geben musz. fernere, fimire (Lasp. 60) ist z. b. eine völlig
unverständliche glosse , in welcher es gelingen müste die Vorstellung eines
schifs oder nachens aufzuweisen (ich wüste nur den gleich dunkeln eigen-
namen Famerofledis aus Gregor 4, 26 hinzuzuhalten); das soll nun "einen
tollen streich' ausdrücken und aus gal. fe dämonisch und mire leichtsinn zu-
sammenflieszen. man kann annehmen, dasz unter allen kelt. deutungen die
zu oft gebrauchten, welche den begrif absichtliche zugrunderichtung , 'arge
Zerstörung', 'eselhafte schleicherei , "ausgezeichnet niederträchtiger streich',
'toller streich', 'ganz entsetzlich' kundgeben, von vorn herein anstosz erregen
müssen, da es gar nicht im geist der alten rechtssprache ist, Verschiedenheit
und abstufung der verbrechen mit so nichtssagenden benennungen zu belegen.
Es ist vollkommen gegründet, dasz der Ursprung unsrer merkwürdigen
thierfabel wesentlich auf die Franken und vielleicht das gebiet der salischen
Franken zurückzuleiten sei, und nichts wäre willkommner als wenn die mal-
bergischen glossen zu den titeln über viehdiebstal aufschlusz über uralte
thiernamen darböten, tactvoll hat sich darum Leo bemüht, zumal im titel
de furtis avium, poetische benennungen aus der keltischen spräche zu deuten;
es würde darin auszer dem wörtlichen einklang zugleich ein starker grund <
für die frühste Verbindung der Franken und Kelten gelegen haben, aber
auch hier scheint die keltische auslegung nichts zu fruchten, chanaswido
soll genau chanteclin, der im gesang blinzelnde sein; doch gal. smeid, das
erst wenn es zu smheid wird, wie swed lautet, bedeutet nur nicken, winken,
ich kann für den ersten theil der composition das deutsche hana chana nicht
fahren lassen, das allerdings mit lat. canere nah verwandt scheint, in swido
könnte fortis liegen, doch nach dem eigennamen Chramnisindus Galsuintha
war der fränk. spräche suinth gemäsz, ohne ausstosz des N, in suido musz
also etwas anderes, das ich noch nicht rathe, enthalten sein, das wol-
lautende, allem anschein nach echte solampina solamphina bedeutet gallina,
cristatus (1, 151) beifallen, der auch noch anAquasgranum erinnert, wozu eine dunkle stelle
des Isingrimus 353 gehalten werden dürfte, kelt. GR geht über in ÖHR (s.368) aus welchem
fränk. CHR entsprungen wäre, doch widerstrebt alles, was schon s. 515 angeschlagen wurde.
392 FRANKEN
und soll auf keltisch die gesangsüsze sein von sallan sang (wahrscheinlich
erst aus psalm, ahd. salm entnommen) und binn süsz, melodisch; ein name
geschickter für die nachtigal als die krähende gackernde henne, welche
auch in den gedienten nie so, vielmehr die bunte, fleckichte und blinde
{ blinzelnde) heiszt. solampina, das ich auch nicht deutsch auslegen kann,
gemahnt mich an den böhmischen namen der henne slepice, d. i. die blinde,
wenigstens folgen sich in beiden Wörtern die consonanten SLP auf gleiche
563 weise; ich will noch eine malb. glosse mit einer östlichen spräche ver-
gleichen, auf gans oder ente nämlich geht sundelino, sundulino, sundleno,
nach Leo die pfulfrohe, von gal. sunnd froh und linne sumpf; den begrif des
wassers oder schwimmens reichte umgekehrt unsre spräche in sund oder
sumpf für das erste wort der Zusammensetzung dar. mir fällt wieder die selt-
same einstimmung des lettischen sohsulens sohslens anserculus auf (von sohss
anser, litth. zasis, samog. zusis = poln. ge.s, nhd. gans). darin ist kein Wider-
sinn, dasz die gleich allen andern Deutschen von osten hergezognen Franken
einzelne Wörter mit Litthauern und Slaven gemein gehabt haben können;
es zeigte uns nur hohes alter der malbergischen ^spräche an, aber freilich,
dasselbe sundelino scheint auch den sperber (sparvarius) zu glossieren, wo
die Fulder hs. sucelin gibt, etwa dem sl. sokol = falke (s. 51) vergleichbar.
Mich haben die glossen zum titel de basilica incensa et homieidiis cle-
ricorum (Lasp. 152. 153) angezogen, weil man hier, da keine entschieden
christlichen Wörter auftreten, noch ältere heidnische wittert, bei den Wor-
ten si quis diaconum und presbyterum interi'ecerit steht malb. 'theorgiae'
und 'theorzin5, in der Sangaller hs. (Hattemer 365) in umgekehrter Ord-
nung bei presbyter "theorzin>, bei diaconus ctheorgie'. es kann nur ein
und dasselbe wort sein, das sich die glossenschreiber mit der Verschieden-
heit des G und Z überlieferten, deren letzteres oft für ersteres gesetzt wird
(z. b. in thunzinus f. thunginus). in theorg kann ich nichts anders sehn
als &£OVQyoq, einen der göttliche werke verrichtet, und es wäre zu ermit-
teln, wo und zu welcher zeit man sich theurgus für den geistlichen gestat-
tete, wie die Angelsachsen sacerd, die Galen sagart aus sacerdos entnahmen.
Für basilica erscheinen zwei ausdrücke in der Pariser und gewöhnlich
mit ihr stimmenden Sangaller hs. (Lasp. 152. Hattem. 364) "alatrudua' und
^chrotarsino', die Fulder hat lalutrude theotidio> und anderwärts (Lasp. 51a)
'chreotarsino'. diese letzte form soll nach Leo 2, 18 bedeuten leichenhaus,
von creadh leichnam und darsa haus; ich finde in keinem ir. oder gal.
glossar, dasz creadh leichnam bezeichne, sondern nur erde, staub (wie angeb-
lich in chrenechruda s.556) und es scheint mir unerlaubt, mit Leo 2, 11 daraus
den begrif des leibs und leichnams zu folgern, staubhaus klänge allzupoetisch
oder christlich. Bei chrotarsino denke ich ans goth. hröt öaifxa, ozeyt], bei
alatrudua ans goth. alhs vaöq, ahd. alah ags. ealh (mythol. s. 57), und alatru-
duafüralactruduakönnteausdemfrauennamenAlahdrüt(vgl.Electrudiss.537)
erläuterung empfangender eine heidnische priesterin oder weise frau ankündet.
Diese geringen versuche den schleier der malbergischen glosse, sei es
auch nur am untersten säum zu lüften lassen noch viel oder das meiste zu
554 wünschen übrig; den einwurf mache ich mir selbst, dasz eine gute erklärung,
wenn sie im einzelnen gelingt, hier auch im ganzen mehr ausreichen müste.
Leos mut, der keiner Schwierigkeit auswich, nachzuahmen hatte ich jetzt
nicht räum und ein groszer theil solcher Wörter bleibt von mir diesmal un-
angerührt, mein ziel ist erreicht, wenn ich formen, die allem Verderbnis zum
trotz noch selbständig und alterthümlich dastehn, möglichkeit des Verständ-
nisses aus unsrer eignen spräche aufrecht erhalte, und die keltischen deu-
tungen, deren keine mir einleuchtet, nachdem sie mich lange gequält hatten,
wieder abschüttle, ein altdeutsches verschlossenes denkmal begehrt auch
deutschen Schlüssel, ja für den fast unglaublichen eindrang keltischer Wörter
ins fränkische gesetz, liesze, so weit ich umschauen kann, sich höchstens Pro-
cops seltsame meidung (b. goth. 1,12) vom verein der Franken undArmoriker,
die ihm 'AqSoqvxoi heiszen, geltend machen, er lallt aber schon in die christ-
liche zeit, da doch das sal. gesetz und die glosse heidnischen beischmack haben.
BINDIIfe SECT. JUL 2 - 1968
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY