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Full text of "Geschichte der deutschen Universitäten"

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Die Geſchichte 


ber 


Deutſchen Aniverfitäten 


von 


Georg Kaufmann. 


Erſter Band: 
NVorgeſchichte. 


Stuttgart. 


Verlag der J. G. Cotta 'ſchen Buchhandlung. 
1888. 


Der 
BEREITEN! Bologna, 


welche zuerſt der akademiſchen Freiheit rechtliche Formen gab, zur 
Iubelfeier des Jahres 1888 ehrerbietigſt dargebracht. 


* * 5 
{ 174 2 ER 


1 er herz 
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Porwort. 


Die Anregung zu dem Werke, deſſen erſter Band hiermit 
erſcheint, geht von dem königlich preußiſchen Miniſter der geiſtlichen, 
Unterrichts⸗ und Medizinalangelegenheiten, Herrn Dr. von Goßler, 
aus. Im Auftrag desſelben richtete zu Anfang des Jahres 1884 
der Geheime Negierungs⸗ und vortragende Rat Dr. Althoff an den 
R Profeſſor Dr. Sohm und den Unterzeichneten die Aufforderung, den 
s Man zu einer Geſchichte der deutſchen Univerſitäten zu entwerfen. 
Die reizvolle Aufgabe bildete alsbald einen Hauptgegenſtand unſeres 
freundſchaftlichen Verkehrs, und ich übernahm es, ein ausführliches, 


die Aufgabe zu groß ſei für die Mußeſtunden neben der amtlichen 
Thätigkeit, wenn ich nicht wenigſtens ein Jahr lang die ganze Kraft 
an die Vorarbeiten ſetzen könne. Von dem Wunſche geleitet, dieſem 
Bedenken abzuhelfen, wandte ſich Herr Miniſter Dr. von Goßler an 
den kaiſerlichen Statthalter in Elſaß⸗Lothringen, Feldmarſchall Frei⸗ 
herrn von Manteuffel, und fand bei demſelben ein ſo bereitwilliges 
Enigegenkommen, daß ich, dank auch der Befürwortung durch den 
Staatsſekretär Herrn Miniſter von Hofmann, ſowie den Direktor des 
kaiſerlichen Oberſchulrats, Herrn Miniſterialrat Richter, und Herrn 
DOdberſchulrat Dr. Albrecht, von Oſtern 1885 bis zum Herbſt 1886 
von meinen amtlichen Geſchäften entbunden wurde. Wenn alſo meine 
Arbeit, wie ich hoffe, die Wiſſenſchaft fördert, jo iſt es in erſter Linie 
dieſen hohen Behörden zu danken, daß fie unternommen werden konnte. 


VI Vorwort. 


Auch weiterhin hat dann der Herr Miniſter Dr. von Goßler dem 
Fortgang der Arbeit jederzeit ſeine Teilnahme zugewandt, aber dabei 
behielt ich volle Freiheit: ich bin nur veranlaßt und unterftügt, aber 
ich bin nicht beſchränkt worden. Die Verantwortung für die Dar⸗ 
ſtellung fällt alſo mir allein zu. a 

Im Sommer 1886 war die Arbeit ſo weit gefördert, daß ich 
den Druck des erſten Bandes zu beginnen hoffte, aber eine Erkrankung 
und die Fülle der nach Beendigung des Urlaubs beſonders ſtark an⸗ 
drängenden amtlichen Geſchäfte haben die Vollendung noch mehr als 
ein Jahr hinausgeſchoben. 

Es erübrigt noch den Dank auszuſprechen an die zahlreichen 
Gelehrten, welche mir auf meine Anfragen Auskunft erteilt oder 
Bücher und Handſchriften, die mir nicht zugänglich waren, eingeſehen 
haben, im beſonderen nenne ich die Herren Profeſſor Adamo Roſſi 
in Perugia und Profeſſor Andrea Gloria in Padua. Die Straß⸗ 
burger Bibliothek hat mir nicht nur ihre reichen Bücherſchätze zur 
bequemſten Benutzung bereitgeſtellt, ſondern Herr Oberbibliothekar 
Dr. Barack hat ſich auch bemüht, alles Erreichbare zu beſchaffen, 
was noch fehlte; in gleicher Weiſe habe ich der Göttinger Bibliothek 
zu danken, in deren Sälen und Katalogen ich lange Zeit mit gleicher 
Freiheit arbeiten durfte, einige Werke benutzte ich auf der Berliner 
Bibliothek, andere ſandte mir München. Bei der Korrektur endlich hat 
mir Herr Dr. Markwald, Hilfsarbeiter der kaiſerlichen Univerſitäts⸗ 
und Landesbibliothek hierſelbſt, in liebenswürdigſter Weiſe geholfen. 
In das Verzeichnis der Verbeſſerungen ſind auch einige weitere 
litterariſche Nachweiſungen aufgenommen worden. 


Straßburg i. E., Februar 1888. 
Georg Kaufmann. 


Inhaltsverzeichnis. 


Erſtes Kapitel. 


Zweites Kapitel. 

Die entwicklung der Aniverfitäten aus den Schulen des 12. Jahr- 

„ 755 
Stellung des Staates und der Kirche zu der Schule 
des Mittelalters S. 106—118. 

2. Die Bebürfniffe, welche eine Organiſation forderten S. 118 

bis 139. 
8. Die Schulzucht und die akademiſche Freiheit S. 189—156. 


Drittes Kapitel. 
, d 


S. 168 f. Bolognas Anfänge S. 167 f. Die Konſtitution 
‚Omnem* S. 173 f. Der Vertrag mit Vercelli S. 176. 
Kämpfe Bolognas mit den Scholaren S. 179 f. 

2. Die Organiſation S. 184—239. 

Die Scholarenkorporation und die Stadt S. 184 f. 
Nationen, Fakultäten und Doktorenkollegien S. 189 f. 
Geſamicharakter der Berfaffung S. 194. Die Profeſſoren 
S. 195—211. Oberauſſicht der Stadt S. 212. Die 
Studienordnung S. 213 f. Alter der Scholaren S. 216 f. 
Ergänzungen aus Padua, Perugia und Florenz S. 217 f. 


98—156 


157239 


vın Inhalts verzeichnis. 


Viertes Kapitel. 

Die Kanzletuniperſitdten in Frankreih und England 
Allgemeines. Die Anfänge von Paris S. 246 f. Die Aus: 
wanderung von 1229 S. 256 f. Die Verfaſſung S. 261 — 275. 
Kampf der Univerſität mit den Bettelorden S. 275—286. 
Die Folgen des Kampfes S. 286 f. Schulweſen der Orden 
S. 288 f. Die Kollegien S. 291 f. Ihr Einfluß auf die 
Verwaltung S. 301 f. Die Zucht S. 305 f. Die engliſchen 

Univerfitäten S. 308—822. 


Fünftes Kapitel. 
Die Staatsuniperſitäten und die ſpaniſchen Aniperſiidlten 
Neapel S. 323—335. Die ſpaniſchen Univerſitäten S. 335 
bis 343. 
Sechſtes Kapitel. 
Die Gleihartigheit in der Entwicklung der Aniverftäten, im beſonderen 
die ahademifhen Grade und die Stiftungsbrieſe 
Die Gruppierung der Univerſitäten S. 344 f. Die Gleichartigkeit 
der Entwicklung S. 346 f. Die akademiſchen Grade S. 352 f. 
Die Abſtufung derſelben an den Kanzleruniverſitäten S. 35g f. 
Bologna bildete ſie nicht ſo beſtimmt aus S. 362 f. Die 
Anerkennung der akademiſchen Grade auf anderen Univerſi⸗ 
täten S. 366 f. Die Stiftungäbriefe der Kaiſer und Päpfte 
S. 371-897. Andere Privilegien S. 397 f. 


Beilage 1. Zu S. 217. Die Statuten von Bologna S. 410 f. 

Beilage 2. Zu S. 239 und 376. Reggio und Siena S. 418 f. 

Beilage 3. Zu S. 345. Toulouſe, Montpellier und Orleans 
S. 420 f. 

Beilage 4. Zu S. 306 Note 1. (Strafen) S. 425 f. 

Beilage 5. Zu S. 365 und 366. 

Beilage 6. Zu S. 366. Abdruck von Lib. II. 80 der Statuta 
dom. Artistarum ac. Patav. S. 427 f. 

Beilage 7. Abdruck des S. 287 Note 1 erwähnten Briefs S. 428. 

Beilage 8. Die Beſchwerde der Scholaren von Montpellier 
S. 428 f. 

Nachträge zu den Anmerkungen. 


Nlybabetiſches Negiller der citierten Werle 


410-431 


N 


F 
Ä 


Einleitung. 


Die Univerfitäten des Mittelalters waren Produkt und Träger 
der mittelalterlichen Wiſsenſchaft, der Scholaſtik, und dieſe Univer: 


 fitäten waren in allen Ländern gleichartig. Auch die deutſchen Uni⸗ 
verfitäten bildeten nur ein Glied in dieſer Reihe, und zwar ein ſpät 


entwickeltes Glied, eine Nachbildung vorzugsweiſe nach dem Muſter 
von Paris. Als aber jene mittelalterliche Wiſſenſchaft durch den 
Humanismus und die Reformation erſchüttert wurde und einer von 
neuem Geiſt erfüllten Wiſſenſchaft Platz machte, welche ſich dann im 
Laufe der Zeit zu der freien Forſchung der Gegenwart entfaltete: 
da hat Deutſchland für dieſe in neuen Bahnen wandelnde Wiſſen⸗ 
ſchaft die mittelalterlichen Univerſitäten zu der Univerſität der Gegen⸗ 
wart entwickelt, während in den Mutterländern der mittelalterlichen 
Univerfität ihre Formen länger erhalten und weniger gründlich um: 
geſtaltet wurden. Die Volker löſten ſich gleichſam ab in der frucht⸗ 
baren Arbeit auf dieſem Gebiete. Wie aber dieſer neue Geiſt der 
Wiſſenſchaft in der Reformation ſich zuerſt an einer großen Aufgabe 
bethätigte und deshalb auch durch die Reformation zuerſt feſtere 
Wurzeln ſchlug, ſo liegen auch in dieſer Zeit die Anfänge des Prozeſſes, 
durch den die eigentümliche Form der heutigen deutſchen Univerfität aus 
den mittelalterlichen Univerſitäten hervorging. Im 16. und 17. Jahr⸗ 
hundert lam dieſe Bildung noch nicht zum Abſchluß. Dieſe Jahr⸗ 
hunderte bilden eine Uebergangsperiode, weſentlich beherrſcht durch 
den Gegenſatz der proteſtantiſchen und der katholiſchen Univerfitäten 


nd bedrückt durch die Not der Zeit und das Kleinliche der deutſchen 
3 * Zuſtände. Mit der Gründung von Halle 1694 und Göttingen 1737 


1 Einleitung. 


wurden endlich die alten Feſſeln vollſtändiger abgeſtreift; dieſe 
Univerſitäten erwuchſen zu weithin wirkenden Mittelpunkten des 
wiſſenſchaftlichen Geiſtes der Neuzeit, und dieſer Geiſt wurde dann, 
unterſtützt durch die allgemeine Steigerung des geiſtigen Lebens 
der Nation und ihrer ſtaatlichen Kraft, namentlich in Königsberg, 
Jena und Berlin ſo mächtig, daß er auch die ihm länger wider⸗ 
ſtrebenden katholiſchen Univerſitäten mit fortriß und umgeſtaltete. 
Es charakteriſiert die deutſchen Univerſitäten der Gegenwart, daß der 
die Uebergangszeit beherrſchende Gegenſatz von proteſtantiſchen und 
katholiſchen Univerſitäten bis auf dürftige Reſte überwunden iſt; und 
ſollten Verſuche gemacht werden, ihn zu erneuern, ſo hieße das, in 
überlebte Entwicklungsſtufen zurückfallen. Ohne Widerſpruch erkennen 
heute die übrigen Völker den eigentümlichen Vorzug der deutſchen 
Univerſitäten an und bemühen ſich auch vielfach, ihre Einrichtungen 
nach dieſem Muſter zu verbeſſern. 

Aus dieſen Erwägungen ergeben ſich drei Perioden für die Ge⸗ 
ſchichte der deutſchen Univerſitäten; die erſte umfaßt das Mittelalter, die 
zweite das ſechzehnte und ſiebzehnte, die dritte die beiden letzten Jahr⸗ 
hunderte. Der Plan dieſer Darſtellung ging zunächſt dahin, jeder 
dieſer Perioden einen Band zu widmen und alſo die Geſchichte der 
deutſchen Univerſitäten des Mittelalters in dem erſten Bande abzu⸗ 
ſchließen; aber dabei erhob ſich eine Schwierigkeit der Anordnung. 
Es war nicht möglich, Weſen und Bedeutung der nach Deutſchland 
übertragenen Einrichtungen zur Anſchauung zu bringen, ohne vorher 
ihre Entſtehung in Frankreich, Italien, England und Spanien zu 
ſchildern, und der Stand der Forſchung nötigte mich, dies nicht bloß 
im Ueberblick zu thun. Ueber eine Reihe von wichtigen Fragen 
herrſcht Unklarheit oder Streit, und die Darſtellung von Savigny, 
welche bisher als Grundlage diente, hat einen großen Teil der jetzt 
zugänglichen Quellen und Hilfsmittel noch nicht benutzen können und 
iſt ferner in der neueſten Bearbeitung des Gegenſtandes von Denifle 
ſo abſchätzig behandelt worden, daß ich, obſchon dies Urteil durchaus 
unbegründet ift, ſelbſt für diejenigen Punkte nicht einfach auf Savigny 
verweiſen durfte, in denen ich zu keinem anderen Ergebnis gekommen 
war. Vor allem aber forderte das Werk Denifles ſelbſt eine neue 


2 


Einleitung. XI 
Unterſuchung heraus; denn ſo wertvoll es iſt durch Sammlung des 
Materials und viele Einzelunterſuchungen, ſo hat es doch in weſent⸗ 
lichen Punkten ſogar die bereits gebahnten Wege wieder verbaut. Und 
weil Denifle die Werkſtücke zu feinen willkürlichen Aufftellungen aus 
umfaſſender Gelehrſamkeit genommen hat, ſo bedarf es der eingehenden 
Unterſuchung, um nachzuweiſen, daß dieſe Steine nur künſtlich in den 
Weg gewälzt worden ſind. Auf zwei Punkte iſt vor allem hinzuweiſen. 
Denifle hat den richtigen Standpunkt verlaſſen, den Savigny den 
päpſtlichen Stiftungsbriefen gegenüber zwar nicht näher begründet, 
aber eingenommen hatte, und erkennt deshalb mehrere Univerſitäten 
nicht an, die in ihrer Zeit als ſolche anerkannt waren, und was 
noch verhängnisvoller iſt, er reißt die zuſammengehörigen auseinander 
und bringt ſie in künſtliche, das Verſtändnis ihrer Entwicklung nicht 
unterſtützende, ſondern ſtörende Gruppen. Oxford iſt von Cambridge, 
Toulouſe von Paris und Orleans, Perugia und Florenz ſind von 


Padua und Bologna, Valladolid iſt von Alcala getrennt und zwiſchen 


Cambridge und Heidelberg geſtellt, und Heidelberg iſt von Prag und 
Wien getrennt. Der andere Punkt iſt, daß Denifle das 15. Jahr⸗ 
hundert nicht mehr zu der Periode des Mittelalters rechnet. Er be⸗ 
gründet dies Bd. I. S. XXVI fo: „Weshalb ich mir das Jahr 1400 
als Grenze feſigeſetzt habe, über welche hinaus die Univerſitäten keine 
Beſprechung erhalten, hat darin ſeinen Grund, daß eben das 15. Jahr⸗ 
hundert überall neue Verhältniſſe aufweiſt. Allerdings kommen dieſe 
nicht gerade mit dem Jahre 1400 zum Vorſchein. Hätte ich z. B. 
bloß die deutſchen Univerſitäten berückſichtigt, ſo würde ich ungefähr 
mit der Mitte des 15. Jahrhunderts geſchloſſen haben, während ich 
die italieniſchen nicht weit über die Mitte des 14. Jahrhunderts 
hinaus in Betracht gezogen hätte.“ Schon die Geſchichte der Statuten 
von Bologna, Perugia, Padua und Florenz zeigt die Grundloſigkeit 
dieſer Behauptung, und auf meine Einrede (in den Göttinger Ge⸗ 
lehrten Anzeigen 1886, S. 100 Anm.) hat Denifle dieſe ſeine Anſicht 
nicht nur nicht verteidigt, ſondern zu ignorieren verſucht (Archiv II, 350), 
aber ſie iſt unzweideutig ausgeſprochen, und die ganze Anlage des 
durch Gelehrſamkeit imponierenden Werkes wirkt als Zeugnis für fie. 


Ses werden ihr dem auch viele folgen; und es ift schon für bie 


XII Einleitung. 


allgemeine Geſchichte, beſonders aber für den Zuſammenhang der 
Univerſitätsgeſchichte mit der übrigen Entwicklung von großer Be⸗ 
deutung, ob für die Univerſitätsgeſchichte der Anfang der Neuzeit nicht 
um 1500, ſondern um 1400 anzuſetzen ſei. 

Die beiden erſten Kapitel (S. 1— 156) wurden von dieſer Rück⸗ 
ſicht nicht berührt, aber indem ich namentlich die drei folgenden aus⸗ 
führlicher behandelte, ergab ſich eine Darſtellung, die auch als ein 
Ganzes, als eine Vorgeſchichte der deutſchen Univerſitäten betrachtet 
werden kann, und die ich gern dem Läuterungsfeuer der Kritik über- 
laſſen möchte, ehe ich weiter gehe. Wird, wo ich irrte, dann von 
einem andern das Rechte gefunden, ſo wird das meiner weiteren 
Forſchung zu gute kommen. Zur Geſchichte der deutſchen Univerſi⸗ 
täten des Mittelalters enthält dieſer Band alſo alles das, was ihnen 
mit den anderen gemeinſam iſt und nur im Hinblick auf alle Länder 
erörtert werden konnte. Das Beſondere wird ſich hiernach in Kürze 
ſagen laſſen. Noch ein anderer Umſtand ſprach für dieſe Teilung. 
Wenn auf dieſe in mancher Beziehung ſehr ausführlich behandelten aus⸗ 
wärtigen Univerſitäten ein Abſchnitt über die deutſchen folgte, ſo konnte 
der Schein entſtehen, als ſollten ſie nach dem gleichen Geſichtspunkt 
behandelt werden. Das iſt aber nicht der Fall. Manches, worauf 
bei Bologna, Paris, Oxford beſonders geachtet werden mußte, wird 
bei Heidelberg und Tübingen kurz erledigt werden, dagegen wird 
3. B. die Bedeutung dieſer Univerſitäten für das nationale Leben zu 
ſchildern ſein !), auf die ich bei den Univerſitäten der anderen Länder 
nicht eingehen konnte, ſo oft auch die Gelegenheit auf dies bedeutende 
Gebiet verlockte. Ferner hoffe ich, daß dieſe Anordnung es erleichtert, 
den Zuſammenhang der Univerſitäten des Mittelalters mit denen des 
16. und 17. Jahrhunderts nachzuweiſen, und ſo wird dann mit dem 
Erſcheinen des zweiten Bandes deutlich werden, ob dieſe Einteilung 
zweckmäßig gewählt wurde. Für dieſen zweiten Band ſind ſchon 
erhebliche Vorarbeiten gemacht worden, und hoffe ich, ihn in etwa 
zwei Jahren beenden zu können, wenn meine Arbeit nicht wieder von 


) Bezüglich anderer Geſichtspunkte vgl. Paulſen, Die Gründung der 
deutſchen Untverſitäten. Hiſtor. Zeitſchr. Bd. 45 (1881). 


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8 
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3 


Einleitung. XIII 


fo ungewöhnlichen Störungen unterbrochen wird, wie bei dieſem erften 
Bande. Der dritte Band wird mit Halle und Göttingen beginnen 
und bis zur Gründung von Straßburg führen. 

Als Anhang ſoll ihm eine kritiſche Ueberſchau über die ſeit Kant 
und Schleiermacher ſich immer erneuenden Reformvorſchlaͤge beigegeben 
werden, um feitzuftellen, welche Vorſchlage ſich in den verſchiedenen 
Zeiten wiederholen und von welchen Richtungen oder Intereſſenkreiſen 
ſie ausgehen. 

Für diejenigen Verhältniſſe, welche ich im erſten Bande zu unter: 
ſuchen hatte, lag in Briefen und Schriften wie in Urkunden und 
Statuten ein ſo reiches Material im Druck vor, daß ich oft daran 


verzweifelte, es zu bewältigen, und ich habe ſehr verſchiedene Wege 
der Forſchung wie der Auswahl und Anordnung des Stoffes ein⸗ 


geſchlagen, ehe ich mich für die vorliegende entſchied. Neben dieſer 
Maſſenhaftigkeit im ganzen herrſcht freilich oft gerade an entſcheidender 
Stelle empfindlicher Mangel, ſo für wichtige Verhältniſſe von Bologna 
wie von Paris. Für Bologna iſt nun allerdings noch viel Material 
ungedruckt, aber die mir während des Druckes zugegangenen Acta 
nationis germanicae und die auf dies ungedruckte Material geſtützten 
Arbeiten, wie die Unterſuchung von Malagola: I Rettori delle Uni- 
versitä dello studio Bolognese in den Atti e Memorie della R. Depu- 
tazione di storia patria per le provinzie di Romagna 1887, Vol. V, 
244 f. beweiſen, daß jenes Material die Auffaſſung der wichtigeren 
Aemter und Einrichtungen nur verſchärfen und nicht weſentlich ver⸗ 
ändern werden. Eine Geſchichte der Univerſität Bologna wird freilich 
erſt auf Grund weiterer Veröffentlichungen geſchrieben werden können. 
Für Paris hat Denifle die Ausgabe eines Urkundenbuches in Arbeit, 
und eine Notiz von Raſhdall über von ihm in Oxford entdeckte, bisher 
unbekannte Pariſer Statuten aus dem 13. Jahrhundert (Academy 
1887, No. 788, p. 415 f.), ſowie das von Spirgatis aufgefundene 
und in vortrefflicher Weiſe herausgegebene Bruchſtück einer Matrikel 
ſind Beiſpiele von neuen Funden, und viele, namentlich bei Buläus 
fehlerhaft mitgeteilte Urkunden werden dann in beſſerem Druck zu 
benutzen ſein; aber die Pariſer Archive ſind bereits von ſo hervor⸗ 


daegenden Forſchern durchſucht worden, daß eine die Auffaſſung 


xIV Einleitung. 


weſentlich ändernde Vermehrung des Materials nicht zu erwarten 
iſt, namentlich nicht für die erſten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts, 
für welche wir nur wenig haben. An mancher Stelle lag die Ver⸗ 
ſuchung nahe, weiter in das Einzelne einzugehen, und namentlich 
verlodte das in den Acta nationis germanicae gebotene neue 
Material dazu, die eigentümliche Stellung der deutſchen Nation in 
Bologna zu unterſuchen; allein damit würde der Rahmen des Buches 
zu ſehr überſchritten worden ſein. 

Das Verzeichnis der Litteratur umfaßt nur die in dieſem Bande 
citierten Bücher, nicht alle benutzten, es will nicht die Litteratur geben, 
ſondern das Aufſuchen der Stellen erleichtern; citiert aber wurde, 
wo nicht beſondere Gründe vorlagen, nur das Buch, deſſen ausführ⸗ 
lichere Erörterung mir kürzer zu ſein erlaubte, oder wo das Material 
abgedruckt iſt, auf das ſich meine Darſtellung ſtützt. 


Verbeſſerungen und Zuſätze. 


S. 7 3.10 ift zu leſen: Lerida. S. 20 g. 5 v. u.: ward. S. 29 3.12: mis- 
flatt aus- S. 35 Anm. 4: Am beſten hersg. v. W. Meyer in den Münch. Sitzungsber. 
1882. S. 88 Anm. 2 lies: Revelationen. S. 39: Lindprand von Cremona. S. 41 
Naum: Bol. Neues Archi XI, 185. Das Gedicht ſtammt a. d. J. 1095. S. 46: 

S. 46 L. Z.: nicht lange nach 875. S. 50 Anm. 1: IV, 408. 
108 Anm.: Schlußſatz zu ſtreichen, denn scolasticus bedeutet 


M. C. 88. XIV, 274. S. 182 3.3 lies: Bis zum 
ſich vorzugsweiſe c. S. 136 Anm. 2: Die Summa 


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Anm. 2: a 

auch ebenfalls Nationen genannt). S. 192 3.6: ſtatt in dieſen lies innerhalb 
biefer. S. 204 Anm. 3.2 v. u.: bachalariorum. S. 214 3.2 v. u.: ſelbſt noch 
im. S. 245 Anm. 1: 139 ſtatt 239. S. 253 l. Z.: Entfaltung. S. 295 g. 6 v. u.: 
; att S. 802 Anm. 1: Anteil ſtatt Einfluß. S. 304 Z. 2 v. u. iſt der Sat: 
Der Boden . Fouarre* einzullammern. 


Erſtes Kapitel. 
Die Scdhıolaflik. 


1. Weſen der Scolaflik. 


ie Vorſtellung, daß die Wiſſenſchaft eine ſelbſtändige Macht 
im Leben ſei, weder von der Kirche noch von dem Staate 
abhängig, hat der Menſchheit erſt durch eine lange Arbeit 
gewonnen werden müſſen. Das Altertum kannte ſie nicht. Das 
Altertum hatte eine Reihe von ausgezeichneten Denkern, gewährte 
ihnen auch Ruhm und Ehre — aber der Staat kannte keinerlei 
Schranken ſeiner Befugnis, fühlte ſich zu allem berechtigt, und auch 
dazu, das Denken unter Kontrolle zu ſtellen. Das war nicht bloß in 
Nom ſo, ſondern auch in den griechiſchen Staaten, ſelbſt in Athen, 
„der Mutter der Künſte“. Sokrates ſtarb im Kerker und Ariſtoteles 
wie Anaxagoras!) mußten aus Athen fliehen. 

Die chriſtliche Kirche war die erſte Macht, welche dieſe Schranken 
durchbrach, indem ſie dem Staate das Gebiet des Gewiſſens entzog. 
Die Parteien, in welche die Kirche zerſiel, gefährdeten zwar dieſen 
Grundſatz wieder, indem die eine den Staat zur Verfolgung der 
anderen aufrief — aber das find Widerſprüche, wie fie von dem Thun 
der Menſchen nun einmal unzertrennlich ſind, dem Staate als ſolchem 
wurde troßdem durch die Kirche das Recht über die Geiſter grund» 


Ed. Zeller, Die Philoſophie der Griechen in ihrer geſchichtlichen Ent⸗ 
wickelung. 4. Aufl. 1876. Bd. I S. 872 Note 2 gibt die besüglichen Quellenſtellen 
über die Verfolgung des Anaxagoras und ib. Bd. II, 2 (3. Aufl. 1879) S. 38 über 
Ariſtoteles Flucht. 

Kaufmann, Selce der deutſchen Univerfitäten. 1. 1 


2 Die Selbſtändigkeit der Wiſſenſchaft. 


ſätzlich abgeſprochen und entzogen. Nach der Weiſe des Mittelalters 
geſchah dies nicht durch eine Verfeinerung der Verwaltungsgrundſätze 
des Staates und genauere Begrenzung ſeiner Aufgabe, ſondern 
dadurch, daß die Kirche ſelbſt ſtaatliche Form gewann. Dieſe Ent⸗ 
wicklung vollendete ſich in den auf römiſchem Boden gegründeten 
germano⸗romaniſchen Staaten, während in dem byzantiniſchen Reiche 
die Vorſtellung von der Freiheit der Kirche wieder verdunkelt wurde 
und mit dem Cäſaropapismus zu kämpfen hatte. Mit dem 9. Jahr⸗ 
hundert gehörte dieſe Vorſtellung in dem chriſtlichen Abendlande zu 
den ſelbſtverſtändlichen Vorausſetzungen aller, die in öffentlichen 
Angelegenheiten redeten und handelten. 

Neben dieſen beiden Gewalten erhob ſich im Laufe des Mittel⸗ 
alters als dritte die Wiſſenſchaft. Sie iſt eine geiſtige Macht, als 
ſolche der Kirche verwandt, vorzugsweiſe in Anlehnung an ſie ent⸗ 
wickelte ſie ſich, die Einrichtungen, Lehren und Legenden der Kirche 
bildeten ein Hauptobjekt ihrer Arbeit, und ſie wurde zunächſt als eine 
Dienerin der Kirche aufgefaßt. Es war eine verbreitete Vorſtellung, 
daß die Wiſſenſchaft deshalb zu pflegen ſei, daß der Menſch deshalb 
einen Teil ſeiner Kraft den frommen Uebungen und der religiöſen 
Meditation entziehen und dem Studium zuwenden dürfe, weil die 
Kirche Waffen nötig habe zum Kampfe gegen die Ketzer. Auch der 
Staat erkannte den Nutzen der Wiſſenſchaft, indes das Verhältnis 
zur Kirche überwog. Nun entwickelte ſich aber das wiſſenſchaftliche 
Treiben ſeit dem 10. Jahrhundert mit ſolcher Kraft, daß es ſich in 
dieſer dienenden Stellung nicht halten ließ ). Einen Höhepunkt 
erreichte dieſe Bewegung im 12. und 13. Jahrhundert; da war die 
Wiſſenſchaft von dem friſcheſten Zuge erfüllt und von glänzenden 
Talenten getragen, alſo in derſelben Periode, in der die Kunſt des 
Mittelalters die Lieder ſchuf und die Kirchen baute, welche einen 


) Den Streit laſſen Aeußerungen wie die von Prantl, Geſchichte der 
Logik II, 68 citterte Stelle des Petrus Damiani erkennen: Quae tamen artis 
humanne peritia si quando tractandis sacris eloqulis adhibetur, non debet 
Jus magisterli sibi arripere sed velut ancilla dominae quodam famulatus 
obsequio subservire, ne si praecedit oberret. Prantl citiert fie nach Petri D. 
opp. ed. Cajetani, Paris. 1743 fol. III, 312. Mir iſt nur die Ausgabe studio 
et labore Cajetani Parisiis 1642 fol. 4 tomi zugänglich, aber Ahnliche Gedanken 
finden ſich in Petri Damiani De sancta simplicitate ib, III, 316 f. Scharfer 
Hohn ib. p. 313 De decem plagis Acgypti c. 4. 


der Wiſſenſchaft ein eigenes Organ 
die Kirche einen Staat im Staate 
die Univerſitäten. Man hat oft 
ſolche Univerſität als ein corpus laicum oder als 
esiasticum zu betrachten ſei. In Frankreich entſtand 


* r 


ſcheidung über die Grundſätze abhing, nach denen die mit der Univerſität 
verbundenen Pfründen zu behandeln waren. Der Grund des Streites 


) Dieſer Anſpruch beſchränkte ſich nicht etwa auf theoretiſche Aeußerungen 


=  Geleßrten und Diplomaten, den er beim Abschied aus Nom ca. 1203 verfaßte: 


Mirum quae Romae modicos sententia Papae, 
Non movet, haec Regum sceptra movere potest. 
Quae minimos minime censura coercet in urbe, 
Saevit in orbe fremens celsaque loca premens. 
Cui male sublatus Romae non cederet hortus, 
Nititur ad nutum flectere regna suum. 
Opp. ed. Brewer I, 874. Wharton, Anglia sacra. Londini 1691, fol. II. 434. 
) In der kanoniſtiſchen Wiſſenſchaft glänzte er als magister Rolandus. 
J Beachtenswert iſt, daß Thomas von Aquino die universitas magistrorum 
von Paris nicht als collegium ecclesiasticum anſehen wollte. Contra impugna- 
tores . . . ed. Parmae 1864 fol. XV p. 11 cap. 3: Unde cum collegium scholasti- 
cum (den Anlaß bot die Parifer universitas) non sit collegium ecelesiasticum. 


nmihil prohibet eum qui est de collegio aliquo religioso vel saeculari esse 


 simul de collegio scholastico. 


3 


* 


4 Die doppelte Wahrheit. 


lag darin, daß die Univerfitäten feines von beiden waren. Sie waren 
etwas Neues, und in dieſem Gefühl konnte man die für das alte 
Recht maßgebende Scheidung in geiſtliche und weltliche Dinge nicht 
widerſpruchslos auf fie anwenden; bei einigen überwogen unzweideutig 
die Merkmale des geiſtlichen, bei anderen — den ſpaniſchen und 
italieniſchen — traten die Merkmale des weltlichen Charakters ſtärker 
hervor. Nach Zeiten und Ländern und in ihnen nach Orten war 
dies verſchieden. Nicht auf einmal ſetzte ſich dieſe Vorſtellung von 
der Selbſtändigkeit der Wiſſenſchaft durch, und auch auf das von 
ihr gebildete Organ der Univerſitäten verſuchten ſowohl die Kirche 
wie der Staat die Hand zu legen, wie ſich denn bei der thatſächlichen 
Berührung und Verbindung zahlreiche Veranlaſſungen ergaben, die 
dahin drängten. Beſonders ſchwierig war die Auseinanderſetzung mit 
der Kirche. Wiederholt wurde der Verſuch gemacht, die Gebiete ab⸗ 
zugrenzen, ohne daß es gelang; aber unter all den 

und Kämpfen erneute ſich doch immer die Vorſtellung!) von der 
Selbſtändigkeit der Wiſſenſchaft und ſchlug in einer Generation nach 
der anderen feſtere Wurzel. In den Tagen des Humanismus und 
der Reformation konnte dieſe Idee ſchon Großes durchſetzen und in 
den folgenden Jahrhunderten wurde ſie zum unverlierbaren Beſitz der 
Weltanſchauung aller Gebildeten. Im Mittelalter trat ſie erſt nur 
ſchüchtern auf und unter allerlei Verhüllungen, flüchtete aus dem 
Konflikte mit der mächtigen Kirche ſogar zu dem wunderlichen Satze, 
daß etwas nach der Philoſophie wahr ſein könne, was nach der 
ebenfalls als Wahrheit anzunehmenden Lehre der Kirche falſch ſei, 


Scharf kam ſie zum Ausdruck in der Denkſchrift, durch welche die Pariſer 
Univerfität ihre Bitte um die Gebeine des Thomas von Aquino begründete. Da 
heißt cc, wie die Kirche die Gebeine und Reliquien der Heiligen ehre, fo 
es als Pflicht der Univerſität, den Leichnam eines fo großen Lehrers für immer 
bei ſich zu bewahren. Sie findet ſich abgedruckt in Bulaeus, Historia Universi- 
tatis Parisiensis III, 408: Quoniam omnino est indecens et indignum ut 
altern natio aut locus, quam omnium studiorum nobilissima Parisiensis 
civitas, use ipsum prius educavit, nutrivit et fovit et postmodum ab 
eodem doctrinne monumenta et ineffabilia fomenta succepit, ossa... 
habent ..,.. 8i enim Ecclesia merito ossa et reliquias sanctorum honorat, 
nobis non sine causes videtur honestum et sanctum tanti Doctoris corpus 
in perpetuum penes nos haberi in honore. Ferner erbitten fie etwaige Huf: 
zeichnungen des Toten ad philosophiam pertinentia et spectantia und ad 
logicam pertinentia, 


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Die Scholaſtik. 5 


und umgekehrt. Man gab die Einheit der Wahrheit verloren, um 
die Selbſtändigkeit der Wiſſenſchaft behaupten zu können, aber man 
griff zu ſolcher Ausflucht nur für den Augenblick der Not, ohne den 
Glauben an die Einheit der Wahrheit dauernd aufzugeben. Der 
ſonderbare Einfall war nichts als die ſchützende Hülle, unter welcher 
die neugeborene Idee der ſelbſtändigen Wiſſenſchaft heranwuchs. 
Die Wiſſenſchaft des Mittelalters, aus welcher dieſe Idee und 
die Univerſitäten als Organ derſelben hervorgingen, war die Scho⸗ 
laſtik. Auf ihrem Namen ruht noch immer etwas von dem Haß und 
der Verachtung, welche die Humaniſten !) gegen fie entfeſſelt haben. 
geſchah, als ſich die Scholaſtik ſelbſt überlebt hatte und mit 
erſtarrten Formen doch noch das Leben der Wiſſenſchaft be⸗ 
und den neuen Richtungen die Mittel und die einflußreichen 
— derſelben verſchließen wollte. Erhalten aber hat ſich 
dieſer Haß namentlich deshalb, weil bis in unſere Tage hinein“) 
der Verſuch wiederholt wird, mit Formeln und Methoden der Scho⸗ 
laſtik die mit einem ganz anderen Material arbeitende moderne 
Wiſſenſchaft zu umſchränken und zu beherrſchen. Aber die Scholaſtik 
war keineswegs immer ſo tot. Sie hat eine von leidenſchaftlichen 
Kämpfen bewegte und an Früchten reiche Geſchichte. Auch richteten 
ſich die Angriffe der Humaniſten vorzugsweiſe gegen die Behandlung 
der Grammatik bei den Scholaſtikern und gegen die unvernünftige 


) Petrarca, De vita solitaria I, sect. IV c. 1 in den opera Basi- 

lese 1554 I, 267, ähnlich de remedio utr. fortun. Praefat. u. a. a. Stellen. 

Bel. Thurot, Extraits p. 496, und G. Boigt, Wiederbelebung des klaſſiſchen 

Mlertums. 2. Aufl. 1881. II. 457 f. Vives, De causis corruptarum artium. 

BVBirugis 1531. 12. Rud. Agricola, Lucubrationes. Coloniae 1491, ein Brief 

von 1484. Luther hat gelegentlich ſehr grobe Worte. Die eigentliche Kriegserklärung 
aber enthalt fein Sendſchreiben an den Adel deutſcher Nation. 

J Const. Schaezler, Divus Thomas contra liberalismum invietus 
assertor. Romane 1874, ftellt ſich geradezu die Aufgabe, zu zeigen, wie die Reform 
der Wiſſenſchaft durch den heiligen Thomas herbeizuführen ſei. Mit dem gleichen 

Wunſch ſchließt A. Stöckl feine Geſchichte der Philoſophie des Mittelalters, 3 Bde. 
Mainz 1866. 1879 erließ endlich Leo XIII. eine Encyclica in diefem Sinne. Acta 
8. Sed is, Jahrgang 1879 S. 97 ff. Dazu d. Breve ib. 1880 S. 56. Beweiſe für die 
ungemeine Steigerung des Intereſſes für ſcholaſtiſche Litteratur bietet ein Aufſat 
des B. Ehrle, Die Scholaſtik auf dem antiquariſchen Büchermarkt. Zeitſchr. für 
Aluthol. Theologie. 1885. Innsbruck p. 178. Ferner p. 337 über Bibliotheca Theo- 
re 3 logiae et Philosophise scholasticae sel. atque comp. a Fr. Ehrle. p. 4. 
8 * 1 1885. 


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6 Freimut der Scholaftifer. 


Art des Schulbetriebs, während die heutigen Tadler daran am 
wenigſten denken. Heute verbindet man mit dem Namen zunächſt 
die Vorſtellung, als ſei die Scholaſtik nichts als eine ſchlechte Art 
der Philoſophie, eine durch den Zwang der Dogmen zur logiſchen 
Spielerei verderbte Philoſophie, oder, wie es eine ſpitze Feder 
formuliert hat, ein Verſuch, das Kamel des Glaubens durch das 
Nadelöhr der Vernunft zu jagen ). 

Allein dieſe ſchalkhafte Wendung iſt ihrerſeits mehr nur ein 
Verſuch, die Fülle des Lebens durch das Nadelöhr eines Witzwortes 
zu drängen und ſich ihrer ſo billig zu entlaſten. Man erwäge nur 
folgende Thatſachen. Eine große Anzahl der angeſehenſten Scho⸗ 
faftifer, wie Abälard, Petrus Lombardus, Gilbertus Porretanus, 
Occam, Wiclif ), ſelbſt Thomas von Aquino und Bernhard von 
Clairvaux wurden wegen falſcher Lehren angegriffen, oder unter 


) Dergleichen Urteile werden von ſonſt ſcharfſinnigen und gelehrten Leuten 
wiederholt gefällt, z. B. von E. Dühring, Geſchichte der Philoſophie, 3. Aufl. 1878, 
S. 180 f., und von Schopenhauer bei verſchiedenen Gelegenheiten. Das 
Schopenhauer⸗Lexikon ſtellt S. 302 ſolche Urteile aus ſeinen Werken zuſammen. Im 
ganzen aber mehren ſich in den letzten Jahren, abgeſehen von den ſchlechtweg 
bewundernden und die Scholaſtik erneuernden Schriften, die Darſtellungen, welche 
die Werke der Scholaſtiker von ihrem Standpunkt und den Bedürfniſſen ihrer 
Zeit aus zu verſtehen und zu würdigen verſuchen. Ein Teil derſelben wird in 
den Noten erwähnt werden, andere in dem Litteraturverzeichnis. 

) Bernhard von Clairvaux wurde wegen ſeines Widerſtandes gegen das 
Dogma von der unbefleckten Empfängnis noch nach ſeinem Tode durch eine zu dem 
Zweck erfundene Legende verfolgt. S. Hartwig, Heinrich von Langenſtein S. 78. 
Er hatte freilich auch ſehr energiſch gegen das Dogma angekämpft. S. opera in 
Migne, Patres latini Nr. 182 S. 334. Quid si alius propter eandem causam 
utrique parenti ejus festos honores asserat deferendos? Sed de avis et 
pro avis id ipsum posset pro simili quilibet flagitare. Im übrigen wartete 
er die päpſtliche Entſcheidung ab. Joh. Wiclif riß ſich erſt in den Streitſchriften 
der letzten Jahre von der Manier und Methode der Scholaſtik los. Noch ſeine 
Theſe gegen die Transſubſtantiation (1381) iſt ſcholaſtiſch gedacht und geſtellt: 
substantia panis in eucharistis non anuihilatur propter remanentiam aceiden- 
tium citiert aus dem Manuſkript von Buddenſieg, Johann Wiclif und feine Zeit, 
S. 181 Note 1. Wiclif ſchrieb über feine Befreiung von der ſcholaſtiſchen Recht 
haberei: unde de ista vana gloria confiteor: sepe tam arguendo quam respon- 
dendo prolapsus sum a doctrina scripture, cupiens simul apparenciam ſume 
in populo et denudationem arrogantie sophistarum. Buddensieg ib. p. 196 
Note 1. Wiclif war ein glänzender Profeffor von Oxford geweſen, d. h. alſo 
vor allem ein ſchlagfertiger Disputator. 


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Nückſichtsloſigkeit wurde mit mehr Recht geklagt 
über die Sucht, etwas Neues, Eigenartiges zu lehren. Damals 

die Dogmenbildung der Kirche in manchen Stücken noch im Fluß, 
herrſchte noch nicht die dogmatiſche Gebundenheit der heutigen 
Ferner: Viele Univerſitäten hatten bei voller Herr⸗ 
der ſcholaſtiſchen Wiſſenſchaft keinen theologiſchen Lehrſtuhl, ſo 
Zeit Bologna, Montpellier, Wien, Salamanca, Ilerda, Orleans, 
u. a. Ferner: Die Kirche hat das Studium der Meta⸗ 
uf dc. des Ariſtoteles wiederholt verboten, und Ariſtoteles blieb 


der Mittelpunkt der ſcholaſtiſchen Studien. Ferner: Ein 


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4 < Scholaſtiler empfahl das Buch der Natur (librum naturae) als 


der Forſchung!). Scholaſtiker haben den ſogenannten onto⸗ 
| Beweis für das Dafein Gottes in ähnlicher Weiſe wie ſpäter 
Kant widerlegt, haben den Unterſchied von Glauben und Wiſſen und 
die Grenze dieſer Erkenntnisgebiete feſtzuſtellen verſucht, und Scho⸗ 
laſtiker haben die Frage erörtert, ob die Theologie eine Wiſſenſchaft 
ſei, haben ſie teils bejaht, teils verneint. 
ſtik war alſo keineswegs bloß ein durch Theologie 
verderbtes Philoſophieren, und ſie war überhaupt nicht bloß Theo⸗ 
logie und Philoſophie. Die Scholaſtik war eine wiſſenſchaftliche 
Richtung, welche das geiſtige Leben einer großen Periode beherrſchte, 
die von 1050 bis 1500 reichte. Sie fällt alſo zuſammen mit der 
der Erhebung des Papſttums unter Gregor VII. bis zum 


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5 


Zeit von 
Verſinken desſelben in den Intereſſen eines italieniſchen Partikular⸗ 


ſtaates und der ſich damit vorbereitenden Umwälzung. In dieſer 
Periode fühlte ſich die abendländiſche Chriſtenheit nicht nur theoretiſch 
als eine Einheit unter Kaiſer und Papſt, ſondern wurde auch in 
lrchlicher Beziehung — und dieſe Beziehung reichte damals ſehr 
weit — thatſächlich als eine Einheit regiert, andererſeits aber begannen 
ſich gerade in dieſer Zeit die Individualitäten der abendländifchen 


) Naymund von Sabunde. Siehe Huttler, Die Religionsphilofophie des 
Naymund von Sabunde. 1851. Bol. auch die Theſe des Nicolaus de Ultrieuria, 
der 1348 empfahl, daß homines intellectum suum convertant ad res non ad 


mtellectum Aristotelis et Commentatoris. Bulaeus IV, 308. 


Pr. 


8 Ihr Verhältnis zur Tradition. 


Völker je mehr und mehr auszuprägen. Damit hängt es zuſammen, 
daß die Scholaſtik in den verſchiedenen Ländern nicht immer die 
gleichen Wiſſenſchaften beherrſchte und nicht die gleiche Entwicklungs⸗ 
ſtufe zeigte. Einige Landſchaften und Völker pflegten überhaupt mehr 
die juriſtiſchen, andere die theologiſchen und philoſophiſchen Studien. 
Aber im ganzen betrachtet gehörte die Scholaſtik nicht einer Nation 
an, ſondern allen Nationen des abendländiſchen Kulturkreiſes, und 
nicht einer Wiſſenſchaft, ſondern allen. Es gab in dieſer Periode 
eine ſcholaſtiſche Behandlung der Theologie wie der Philoſophie, wie 


der Grammatik, des Rechts und der Naturwiſſenſchaften. Die eine 


Wiſſenſchaft iſt nach der Natur ihres Gegenſtandes und dem Gange 
ihrer Entwicklung dieſer Richtung früher und ſtärker anheimgefallen 
als die andere — aber ihre Zeichen trugen ſie alle. 

Worin iſt dies Zeichen zu ſuchen? Man hat es in der Ab⸗ 
hängigkeit von der Tradition gefunden, und zwar von der zweifachen 
Tradition, der kirchlichen und der klaſſiſchen. Darin liegt auch ein 
weſentliches Merkmal. Das Mittelalter fühlte ſich in Fragen der 
Moral und des Glaubens an die Lehre und die heiligen Schriften 
der Kirche gebunden, und andererſeits verehrte es in den Schriften 
der Alten die reichſte Quelle ſeiner Kultur. In jeder Kunſt und 
Wiſſenſchaft, bei jeder Erörterung ging man auf ſie zurück. Es war 
die herrſchende Anſicht, daß man auch die heilige Schrift nicht recht 
erklären, die Dogmen der Kirche nicht verſtehen und nicht verteidigen 
könne ohne die Anleitung des Ariſtoteles und die Uebung an Virgil 
und Ovid. Die Alten boten aber eine andere Weltanſchauung als 
die Kirche, ſie glaubten nicht an die Trinität, ſondern an die Götter 
oder an das Göttliche, der chriſtliche Begriff der Sünde fehlte ), die 
Lehre von der Erlöſung und den Heilsmitteln fand bei ihnen keinen 
Platz. Den gleichen Gegenſatz zeigte die Moral: hier Askeſe, dort 
Weltluſt. Das Mittelalter hat zahlreiche Verſuche gemacht, den 


* Gegenjag bald zu überbrücken, bald zu verſchleiern, Virgil iſt für 


einen heiligen Propheten und Ariſtoteles zu einem Vorläufer Chriſti 
erklart worden, es gab ſogar eine Legende von feiner Himmelfahrt, 


') Th. Ziegler, Geſchichte der chriſtlichen Ethik. Bd. II. 1886, weiſt in der 
Einleitung auf dieſen Gegenſatz chriſtlicher und antiker Sittlichkeit nachdrücklich hin. 
Edenſo in der Abhandlung über Abalards Ethica in den Straßburger Abhand⸗ 
lungen zur Philoſophie. Straßburg 1884. 


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Ihr Derbälmis zur Tradition. 9 


ieb fi) des Gegenfapes doch immer bewußt. Hundert⸗ 
ie Beſchaftigung mit den Alten als eine gefährliche Ver⸗ 
ein Strick des Teufels bezeichnet, aber immer wieder 
zu ihnen zurück. Man konnte fie nicht entbehren und 
us, daß es nicht gehe. 
darin jedoch iſt das Charakteriſtiſche zu ſuchen, daß das 
ſo widerſtreitende Anſchauungen vereinte, das thut jede 
dieſen beſonderen Gegenſatz nicht ſelbſt 
geſchaffen, ſondern bereits überkommen: die großen Gelehrten der 
erſten chriſtlichen Jahrhunderte haben ihn in gleicher Weiſe empfunden. 

Bekannt iſt die Erzählung des heiligen Hieronymus, wie er im Traume 

den Thron Gottes entrückt ward und da das Urteil empfing: 

„Du biſt kein Christianus, ſondern ein Ciceronianus!“ und wie er 
Br gelobte, fortan die Lektüre der heidniſchen Autoren zu laſſen 
und ſeine Zeit den göttlichen Schriften zu widmen. Aehnliche 
Aeußerungen find aus dem 5., 6. und den folgenden Jahr- 
7 hunderten vielfach erhalten, am gröbſten vielleicht in der Ermahnung 
des Sidonius Apollinaris, ſolange man jung ſei, ſolle man die 
Haſſiſchen Autoren ſtudieren, es komme das Alter, da man an feiner 
Seelen Seligkeit denken müſſe!). 

Bereits unter dem Kaiſer Theodoſius wurde der Verſuch gemacht, 
die heidniſchen Dichter durch chriſtliche Nachbildungen zu erſetzen “), 
beſonders für Schulzwecke, und dieſe Verſuche haben bis in unſere 
Zeit hinein Nachwirkung gehabt. Der Streit zwiſchen den antiken 
und den chriſtlichen Anſchauungen bildete ferner einen weſentlichen 
Beſtandteil in den Anſchauungen des die Scholaſtik bekämpfenden 
Dumanismus. Eigentümlich aber iſt der Scholaſtik die Vorſtellung, 
daß der Glaube ſeine Vollendung erreiche, wenn er ſich in Erkenntnis 
umſetze, und die Ueberzeugung, daß dies mittels der auf Grund der 
Ariſtoteliſchen Schriften entwickelten Philoſophie möglich ſei. Neben 
dem Gegenſatz der chriſtlichen und der antiken Litteratur ſtand dieſe 
Ueberzeugung von dem höchſten Gut, das durch richtige Benutzung 
beider zu erreichen ſei. Das unklare Verhältnis der chriſtlichen zu 


| 


. ) Ueber Sidonins Apollinaris meine Differtation, Göttingen 1864, die Ab⸗ 
handlung im Neuen Schweizer Mufeum 1865 S. 1 f. und die folgende Note. 
* 7) Bol. meine Abhandlung: Nhetorenſchulen und Kloſterſchulen. (Naumers 
Diſtoriſches Taſchenbuch, IV. Folge, 10. Jahrg., S. 1-94.) 


an 


10 Ihr verhältnis zur Cradition. 


der klaſſiſchen Litteratur, die verſchämte und mit Gewiſſensbiſſen 
begleitete Benutzung derſelben, wie ſie jene Wendungen des Hierony⸗ 
mus und Sidonius verraten, ſollte durch ein offenes Verhältnis 
erſetzt werden, und zwar ein ſolches Verhältnis, das die klaſſiſche 
Kultur nicht bloß als Dienerin !), ſondern als gleichberechtigte Ge⸗ 
noſſin ſetzte. Vierhundert Jahre hindurch wurden Verſuche in dieſer 
Richtung angeſtellt und ſie führten dazu, die beiden Kulturen als 
Erzeugniſſe von zwei verſchiedenen Formen der Erkenntnis zu betrachten, 
die eine als das Gebiet des Wiſſens, die andere als das Gebiet des 
Glaubens. Man ging aus von der Ueberzeugung, daß Wiſſen und 
Glauben zu den gleichen Zielen führen müſſe, da die Wahrheit doch 
nur eine ſein könne, aber indem man dies an den einzelnen Dogmen 
nachzuweiſen ſuchte, kam man dazu, anzuerkennen, daß die Methode 
des Wiſſens nicht ausreicht, alle Wahrheiten des Glaubens zu erweiſen: 
man ſuchte nach der Grenze zwiſchen den Gebieten und nach Er⸗ 
klärung der Thatſache, daß eine Reihe von Glaubenswahrheiten nach 
den Regeln des Wiſſens, der Logik, unmöglich und widerſpruchsvoll 
waren. In der verſchiedenſten Weiſe hat man ſich aus dem Konflikt 
gezogen. Einige verwarfen jeden Verſuch, die Glaubenswahrheiten 
nach der menſchlichen Logik zu unterſuchen, andere beſchränkten ihn 
auf einige Dogmen, indem ſie andere als über oder außerhalb der 
Natur liegend ausſchieden, und einige wagten die Schwierigkeiten 
dadurch zu erleichtern, daß ſie alle nicht in der Schrift ſelbſt begrün⸗ 
deten Lehren der Kirche, auch diejenigen, welche durch Beſchlüſſe von 
Synoden und Erlaſſe der Päpſte anerkannt waren, für nicht ver⸗ 
bindlich erklärten, mit ihnen brauchte alſo die Philoſophie die Ueber⸗ 
einſtimmung nicht nachzuweiſen ?), 


) Daß dieſe Auffaſſung als ancilla theologiae oftmals auch vertreten 
ward, widerſpricht der Thatſache nicht, daß die Scholaſtik über dieſe Auffafjung 
hinausging. 

) Dies iſt der Sinn in Occams Dialogus (Goldast de Monarchia II, 
410). Illae solae veritates sunt catholicae reputandae et de necessitate 
salutis eredendae, quae in canone Bibliae explicite vel implicite asseruntur, 
ita quod si aliquae veritates in Biblia sub forma propria minime continentur, 
ex solis tamen contentis in ea consequentia necessaria et formali possunt 
inferri, sunt inter entholieas connumerandae, Sicut haec veritas: Christus 
est verus Deus et verus homo: in tota seriptura divina sub hac serie 
verborum non invenitur, quis tamen ex contentis in seriptura sacra con- 
sequentia necessaria et formali concluditur, catholica est censenda et eam 


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Glauben und Wiſſen. 11 


4 Jene Forderung (Anjelms von Canterbury), den Glauben zum 

Wiſſen zu fteigern, bezeichnet alſo nur die eine Faſſung des Problems, 
das dieſem Teil der ſcholaſtiſchen Arbeiten zu Grunde liegt, andere 
Verhältnis von Glauben und n. Löfen konnte die Scholaſtik 
Ta lem freilich nicht, und nicht bloß infofern von den Grund» 
des menſchlichen Weſens der letzte Schleier 
kann, ſondern vor allem deshalb 
Kirche und der Stand der philo⸗ 


wurden doch geſtellt. Der Humanis⸗ 
den Weg zu den Quellen freierer Erkenntnis und 
wiſſenſchaftliche Kraft, wenn er auch dem Problem ſelbſt 
Der Proteſtantismus hatte erſt 
„dann aber wurde auf ſeinem 
dieſe Arbeit der Scholaſtik wieder aufgenommen und führte 
gegenwärtigen Stande der hiſtoriſch⸗kritiſchen Forſchung. Sie 
Gebiete entzogen, die ihm das Mittelalter 
ſolche, die ihm dem Weſen nach fremdartig ſind. 
geſchichtlichen Entwicklung iſt, kann nur in den 

des Wiſſens beherrſcht werden. Will hier der Glaube 
„ fo muß er die Formen des Wiſſens nachahmen, ſich zu 
unvollkommenen Stufe wiſſenſchaftlicher Erkenntnis erniedrigen, 
an reiner Wärme und befreiender Kraft gewinnt, wenn 
falſchen Aufgaben entlaſtet. Auf katholiſcher Seite ſucht 
den Standpunkt ſeſtzuhalten, den Thomas von Aquino 
in dieſer Frage erreicht hatte. Wie man darüber auch urteilen möge, 
die Thatſache, daß es moglich iſt, dieſen Verſuch zu machen, iſt an 
ö ſchon ein Zeugnis dafür, daß das Mittelalter die einſchlägigen 


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eredere est necessarium ad salutem: omnes autem aliae veritates, quae 
nee in Biblia sunt insertae nec ex contentis in ea cons. form. et necessaria 
possunt inferri, licet in scripturis sanctorum et in diffinitionibus summorum 
pontifeum asserantur et etiam ab omnibus fidelibus teneantur, non sunt 
- esiholicne reputandae, nee est necessarium ad salutem eis per dem firmiter 
_  wähnerere vel propter ens rationem vel humanum intellectum capti- 
ware. Occam gibt dieſe Sätze als Anficht, der Andere andere Meinungen gegen 

ER Äiberftellten: aber er brachte fie doch ſcharf zum Ausdruck. Die Methode ber 
2 Scholaſtit liebte dieſe Gegenüberftellung. 


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12 Der Rationalismus der Scholaſtik. 


Fragen von vielen Seiten in Angriff genommen und einen um⸗ 
faſſenden gelehrten Apparat zu denſelben geliefert haben muß. 

Dieſe Bemühungen der Scholaſtik erſcheinen als ein rationaliſtiſcher 
Zug in ihrem Weſen, und dieſer Zug war ſo ſtark und trat trotz aller 
in den Verhältniſſen liegenden Hinderniſſe immer wieder mit neuer 
Kraft auf, weil die Kultur der Zeit auf den Arbeitsergebniſſen der 
römiſchen Welt beruhte. Er war deshalb auch immer begleitet von 
einer humaniſtiſchen Sehnſucht nach dem idealiſierten Zeitalter der 
antiken Kultur. Dieſe Sehnſucht ſtand ſeit dem Siege der Scholaſtik 
nicht mehr ſo im Vordergrund wie in dem Jahrhundert vorher, aber ſie 
wurde auch in ihr nicht ganz unterdrückt und fand in der Pflege des 
römiſchen Rechts, ſowie in der Verherrlichung des Ariſtoteles ein zeit⸗ 
gemäßes Gewand. Die Autorität, welche man ihm beimaß, wurde auch 
nicht immer bloß als eine dieſem einzelnen Manne, ſondern als eine 
dem durch ihn vertretenen Geiſte der Griechen und der ihnen von Gott 
gewordenen Gabe zukommende Huldigung aufgefaßt. Wie Abälard 
am Anfang der Periode die Klaſſiker verehrte als Träger göttlichen 
Geiſtes, ſo urteilte am Ende der Periode Nicolaus de Clemanges ). 
Scheinbar im Widerſpruch mit dieſer Richtung zeigte die Wiſſenſchaft 
der Periode zugleich einen myſtiſchen Zug. Die Myſtik ſucht das 
credere in vivere und videre umzuſetzen, die Scholaſtik in scire und 
intelligere. Erleben und Schauen find die Stichworte der Myſtik, 
Begreifen und Wiſſen die der Scholaſtik: ſo wird man ſagen, wenn 
man die beiden zu verſchiedenen Zeiten vorherrſchenden Richtungen 
einander entgegenſetzt; aber ſie waren in der Periode der Scholaſtik 
miteinander verknüpft. 

Der Rationalismus der Scholaſtik ſcheidet ſich von dem Ratio⸗ 
nalismus der Neuzeit dadurch, daß er zugleich myſtiſch war). In 
einzelnen Perſönlichkeiten überwog das eine“), in anderen das andere 
Element — aber die Periode und die einzelnen Vertreter derſelben 
find charakteriſiert durch dieſe Miſchung. Der heilige Bernhard war 


) ep. V. citiert bei Schwab, Gerſon p. 80. 

) Dieſe Miſchung muyſtiſcher und rationaliſtiſcher Elemente betont vortrefflich 
Erdmann im Dante⸗Jahrbuch III, 79 f. 

) In Mbälard überwog z. B. das rattonaliſtiſche Element; aber er „bat 
ſicher nicht bloß den Willen, ſondern auch das Bedürfnis“ gehabt, die Selbft: 
gewißheit des Glaubens anzuerkennen. H. Reuter, Geſchichte der religiöſen Auf: 
Härung im Mittelalter 1875 1, 239. 


Ihr Verhaltnis zum Altertum. 13 


ein Führer der moftiihen Partei, welche in dem durch Anſelm und 
Aͤbalard herbeigeführten Uebergewicht der Dialektik Gefahr für den 
Glauben ſah, aber über die Bedeutung des Willens für dieſen 
Glauben äußerte er ſich ähnlich wie Anſelm von Canterbury. Die 
wie wie die rationaliſtiſche Richtung durchbrachen beide mehrfach 
die Schranken der Kirche — die Ketzer waren zahlreich. Aber fie 
blieben Ketzer, d. h. fie blieben in der Minderzahl und wurden unter: 
drückt. Die herrſchende Maſſe der Periode blieb kirchlich, auch die⸗ 
jenigen blieben es und wollten es bleiben, bei welchen wie bei Abälard 
und Duns Scotus das begriffliche Intereſſe überwog. 
3 Der Begriff der Abhängigkeit von der Tradition bezeichnet dem⸗ 
nach die Stellung der Scholaſtik nicht ganz zutreffend. Die Periode 
a" Scholaftit erkannte das Altertum als ein ihr unentbehrliches 
„aber fie wollte ſich nicht an das Altertum verlieren, 
ie wollte ihre eigene Gedankenwelt nicht aufgeben, ſondern mit den 
= Gedanken und Begriffen der Alten ordnen und bereichern. Es machte 
dich dafür neben und in den theoretiſchen Erörterungen ein praktiſches 
Bedürfnis geltend. Man glaubte die Kirchenlehre, von der die Alten 
* Karen wußten, aber man entwickelte fie zum Dogmenſyſtem mit Hilfe 
1 2 des Ariſtoteles. Man ſtudierte das römiſche Recht und man lebte 
nach deutſchem Recht, nach franzöſiſchen coutumes, nach ſpaniſchen 
und italieniſchen Lokalrechten und neben all den nationalen Rechten 
nach dem kanoniſchen Recht. Das römiſche Recht hatte eine wiſſen⸗ 
ſchaftliche Sprache und eine ausgebildete Syſtematik und war getragen 
von der Autorität des römiſchen Namens. Es ſchien, als ſei hier 
nicht ein Recht, nicht das Recht einer gewiſſen Zeit und eines 
— Volkes, ſondern das Recht, die abſolute Form, wie ſie jedes 
4 Necht gewinnen werde, wenn es auf feine Grundgedanken unterjucht 
und nach dieſen Grundgedanken geordnet werde. Trotzdem erwehrte 
man ſich der praktiſchen Einführung des römiſchen Rechtes, auch als 
die Arbeit der Gloſſatoren zur Herrſchaft über das Syſtem desſelben 
2 geführt hatte, und bediente ſich desſelben nur, um das Gewirr der 
fklanoniſtiſchen Beſtimmungen zum Syſtem des kanoniſchen Rechtes zu 
. ordnen und die Entwickelung der Lokalrechte zu fördern und zu 


= 4 Aehnliche Erſcheinungen zeigen die Grammatiker, Poeten, Philo⸗ 
ſophen. Die Scholaſtiker trieben nicht bloß lateiniſche Grammatik 
Nn Inteiniice Verſiſikation nach klaſſiſchem Muſter und begnügten ſich 


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14 Die Scholaſtik eine Wiſſenſchaft der Schule. 


nicht mit dem Leſen und Nachahmen der alten Dichter und Schrift⸗ 
ſteller, auch die Gegenwart lag ihnen am Herzen. Die lebenden 
Sprachen fanden Berückſichtigung, das Latein, wie es damals geſprochen 
wurde oder wie es in der Vulgata vorlag, wurde dem Gebrauch der 
ciceroniſchen Zeit gleichwertig behandelt, und auch Johannes von 
Salisbury, den man nach ſeiner Gelehrſamkeit wohl den Erasmus 
des 12. Jahrhunderts nennen möchte, ſprach es als Grundſatz aus, 
daß die Anſichten der Modernen beſonders hochzuſtellen ſeien ). 
Aber das bunte Leben einer Zeit iſt niemals das Produkt einer 
einzigen Kraft und Neigung, vielfach wirken geradezu entgegengeſetzte 
Richtungen neben⸗ und miteinander. So waren auch jenem praktiſchen 
Zuge der Scholaſtik, welcher die Kultur der Alten mit den Anſichten 
und Lehren der Zeit verbinden und für dieſelben nutzbar zu machen 
ſuchte, zwei andere Merkmale mehr formaler Natur und in gewiſſer 
Weiſe entgegengeſetzter Richtung verbunden. Sie waren zum Teil 
unmittelbar hervorgerufen, jedenfalls ſtark beeinflußt durch die Not⸗ 
lage, in welche der Chriſt geriet, der ſich bemühte, die verſchieden⸗ 
artigen Vorſtellungen der antiken und mittelalterlichen Weltanſchauung 
zu vereinigen. Das eine dieſer Merkmale wird durch den Namen 
der Scholaſtik angedeutet. Scholastica levitate res tractare wurde von 
ihrem Treiben bereits im 12. Jahrhundert geſagt (Bulaeus II, 462), 
d. h. es wurde der Scholaſtik vorgeworfen, daß ſie die praktiſche 
Bedeutung der von ihr behandelten Gegenſtände überſehe, daß ſie nur 
ihren Schulwitz daran übe, ſie als Doktorfragen behandle. Es fehlte 
den Studien der Zwang der Examina und des Brotſtudiums, man 
ſtudierte, um zu ſtudieren. In voller Reinheit iſt das Freiſein von 
ſolchen perſönlichen Zwecken?) allerdings das Hoͤchſte, was von einer 
wiſſenſchaftlichen Richtung geſagt werden kann — es heißt die Wiſſen⸗ 


) Prolog des Metalogicus: Migne 199 p. 825. Non dedignatus sum 
modernorum proferre sententias, quos antiquis in plerisque praeferre non 
dubito . . . Ueber ihn Scharſchmidt, Johannes Saresberiensis, Leipzig 1862, 
und R. Pauli, Ueber die kirchenpolitiſche Wirkſamkeit des Johannes Saresberiensis 
in Dove⸗Friedberg, Ztſchr. XVI 1881 p. 266, Hinſichtlich der Teilnahme an den 
kirchlich⸗politiſchen Kämpfen der Zeit paßt der Vergleich mit Erasmus nicht. 
Johannes von Salisbury hat ſich viel ſelbſtändiger und kräftiger daran beteiligt. 
Er gehörte zu der hierarchiſchen Partei. 

) Im 13. und noch mehr im 14. und 15. Jahrhundert Mmüpfte ſich an 
gewiſſe Studien die Ausſicht auf beftimmte bevorzugte Laufbahnen, aber im ganzen 
blieb, wenigſtens für die Artiſten, der im Text gegebene Zuſtand. 


Die Scholaftif eine Wiſſenſchaft der Schule. 15 


ſchaft treiben um ihrer jelbit willen. Die Scholaſtik hat auch ihre 
beite Kraft aus dieſem idealen Zuge empfangen — aber er iſt zu. 
ideal, um die Maſſe zu erfüllen, und ſetzte ſich in jener Periode für 
gewöhnlich in scholastica levitas um: weil nicht für das Leben 
ſtudiert wurde, jo wurde für die Schule ſtudiert. Das Ziel war 
ſtzhatſächlich meiſtens nur die Fertigkeit, in der Disputation dem ähnlich 
geſchulten Gegner widerſtehen zu können. Dieſer Tadel ward in ber 
Zeit ſelbſt oft und nachdrücklich erhoben; aber die Notwendigkeit einer 


Uebung zur Verteidigung des Glaubens gegen die Ungläubigen bot 
den ſchonklingenden Vorwand, der auch die Verirrungen des Schul: 


age Bewegung war dazu in ganz anderer Weiſe 
Br: den Schulen und Univerſitäten getragen, fie lebte in 
1 — ber Lehrer und den Uebungen der Schüler, wurde 
Ft : | von ihren Bedürfniſſen und ihrem Gezänk. Die Schule 
bildete eine Welt für ſich und die Scholaren einen Stand für ſich — 
fie organifierten ſich eben deshalb auch als „Schulſtaaten“, d. i. als 
Univerfitäten — die Litteratur war überwiegend Schullitteratur, Leſe⸗ 
bücher, Kompendien, anfangs als Sententiae, dann als Summae, 
Summulae bezeichnet, und Kommentare über dieſelben. Statt in 
zuſammenhängender Darſtellung ſchritten fie meiſtens durch Fragen, 
Löſungen, Zweifel, Auflöſungen weiter, und in verſchiedenen Werken 
behandelten ſie denſelben Gegenſtand, hier kürzer, dort länger, hier 
durch dieſe Zuhörerſchaft oder dieſes Schulereignis wie Promotions: 
reden zc. veranlaßt, dort durch ein anderes. Weil ſich auch die 
Faorſchung in dieſe Bücher ablagerte, jo wurden die Lehrbücher jo 
Angeheuerlich, und weil die Gelehrſamkeit ſich in die Schule begab, 
| jo machte die Lehre meiſt keinen Verſuch, ſich den Schülern anzu: 
paſſen. Die Ueberladung der Lehrbücher mit Material, das in 
Monographieen gehörte, iſt das zunächſt ins Auge fallende Merkmal 
ſcholaſtiſcher Litteratur), und die Ueberſchüttung der Anfänger mit 
gelehrtem Detail war ſchon im 12. und 13. Jahrhundert die Klage 
der Einſichtigen wie Gegenſtand der Warnungen der Behörden, und 


5 ) Leicht zugängliche Beiſpiele bieten die lateiniſchen Grammatiken, wie fie 
= noch um 1500 gebrudt wurden. Warnungen und bezügliche Vorſchriſten der 
E Behörden finden ſich z. B. in den Kontrakten von Perugia und Florenz mit den 


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16 Die Scholaſtik eine Wiſſenſchaft der Schule. 


ſpäter die ſchärfſte Waffe des Humanismus gegen die Scholaſtik. In 
dieſem Mangel größerer praktiſcher Ziele, wie ſie heute den gelehrten 
Schulen in den Forderungen des Staates und des Lebens geſtellt 
ſind, lag die Stärke, aber zugleich und in höherem Grade die Schwäche 
der Scholaſtik. 

Damit hängt noch ein anderes Moment zuſammen, das den 
Stoff betrifft. Die Scholaſtiker beſchäftigten ſich mehr mit den 
Meinungen ihrer Vorgänger über den Gegenſtand, als mit dem Gegen⸗ 
ſtande ſelbſt. Dieſe Beobachtung iſt ebenſo allgemein wie jene über 
den Charakter ihrer Summen und Sentenzen. Das kam vor allem 
daher, daß Jahrhunderte hindurch immer wieder die gleiche Aufgabe 
behandelt wurde. Gerſon und Nicolaus von Cuſa quälten ſich teil⸗ 
weiſe mit den gleichen Problemen wie Anſelm und Abälard. Eine 
Veränderung der Stoffe kam nur hier und da, am ſtärkſten war die 
Zufuhr neuen Materials in der Logik durch das Bekanntwerden 
bisher unbekannter Teile des Ariſtoteles, ſodann durch die jüdiſch⸗ 
mohammedaniſchen Philoſophen, und auf der Verarbeitung dieſes 
neuen Materials ruhte vorzugsweiſe das geſteigerte Leben, das dieſe 
Studien im 13. Jahrhundert zeigten. In der Theologie konnte keine 
Veränderung kommen, höchſtens ſolche Einzelheiten, wie das Dogma 
von der unbefleckten Empfängnis; in dem römiſchen Recht ebenſowenig. 
Es fanden ſich wohl Anfänge zu einer Erneuerung des Stoffes durch 
Berückſichtigung der geltenden Rechte, und die praktiſche Bedeutung 
des Rechtes bildete ein gegen dieſe Ausartung der Scholaſtik an⸗ 
kämpfendes Element, aber im allgemeinen bildete es das charakteriſtiſche 
Merkmal des römiſchen Rechtes in der ſcholaſtiſchen Periode, daß die 
Gelehrten mehr über Bartolus und Baldus handelten, als über den 
Text der leges. Roger Baco war gerade dadurch ein Vorläufer der 
neuen Zeit und Träger einer die Scholaſtik aufhebenden Richtung, 
daß er die Einzelwiſſenſchaften, die Sprachſtudien, die Mathematik 
und alle Teile des von der Scholaſtik vernachläſſigten Quadrivium 
pflegte und dadurch der Unterſuchung einen großen Kreis von bisher 
vernachläſſigten ſachlichen Vorwürfen wieder nahelegte. Dieſe Ge⸗ 
bundenheit an die Schule und das Schulgezänk drückte der Scholaſtik 
vorzugsweiſe den Stempel des Kleinlichen und Spielenden auf, der 
häufig das ganze Urteil über ſie beſtimmte. | 

Das andere Merkmal formaler Natur iſt das Uebergewicht der 
logiſchen Intereſſen, die dialektiſche Behandlung der Fragen, die 


Uebergewicht der Dialektik. 17 


Bemühung, weniger die Thatſachen zu ſammeln und zu erkennen, 
als die Thatſachen in Begriffe umzuſetzen und aus dieſen Begriffen 
über die Thatſachen zu urteilen, ihren Wert oder Unwert zu beſtimmen 
und die Folgen zu erſchließen, die aus ihnen zu erwarten ſind. Dies 
Merkmal iſt das vorwiegende und zumeiſt charakteriſtiſche und wird 
gewählt werden müſſen, wenn nur eins genannt werben ſoll. Alle 
Wiſſenſchaften zeigen es in dieſer Periode. Die Grammatiker ſam⸗ 
melten nicht Beiſpiele, um den Sprachgebrauch feſtzuſtellen, ſondern 
ſuchten nach der ratio, nach dem Grunde, warum denn hier dieſer 


die Theologen — ſie alle ſammelten nicht, ſondern machten Diſtinktionen, 
1 ſuchten Argumente und logiſche Schlupfwinkel. Die oben erwähnte 
Fierm der Bücher und der Vorträge gibt den greifbaren Beleg für 
die allgemeine Herrſchaft dieſer Methode, und wo von den Leiſtungen 
der Scholaſtik auf den verſchiedenen Gebieten der Wiſſenſchaft die 
. ** iſt, werden Beiſpiele aller Art begegnen. 

Dieſe Richtung hing zuſammen mit der von der alten Philo⸗ 
3 5 fopbie überkommenen Neigung, die Bedeutung der Operationen an 
und mit den Begriffen zu überſchätzen, Denken und Sein zu ver: 
wechſeln !), eine Erſcheinung zu erklären durch logiſche Zergliederung 
ihres thatſächlichen Inhalts, einen Vorgang zu beweiſen oder zu 
beurteilen durch eine Kombination von Begriffen und Vorſtellungen, 
in dieſer Nacktheit dem Leben unbekannt ſind und für den that⸗ 
Be Zuſtand nur in den beſonderen Verbindungen und Ab⸗ 
wirkſam werden, welche man abſtreift, um die Vorſtellung 
leeren Raume ſich vollziehenden Akt der Schul⸗ 
machen. Die fruchtbare Wiſſenſchaft aber voll⸗ 
ihre Schlüſſe, indem fie die Richtigkeit der Prä⸗ 


otze, Mikrokosmus III, S. 206. „Das Altertum hat ſehr allgemein 
metaphyſiſche Fragen durch logiſche Zergliederung der Bor: 
zu können glaubte. Hierin liegt der Grund der Unfrucht 
Eindruck wir, ſobald wir um Förderung fachlicher Erkenntnis uns 
. ſtets zugleich mit dem eines bewunderungs⸗ 
Kraft empfangen.“ Ib. S. 215 findet ſich ein 
ate Zergliederung und Vergleichung unferer Begriffe 
* Erklärung ihres Inhalts geboten wird. Recht nachdrücklich hat dies 
erörtert E. Nehniſch in: Zeitichrift für Philoſophie und philoſophiſche Aritif Bd. 76, 
| hr 1-63 und ib. 224 — 248, um die Gegenwart hinausführen zu helſen aus biefen 
chatten des Altertums, die uns noch breit umlagern“, wie er mit Lotze fagt. 
% Be. Renimann, Gehdiägte der derten Univerfitäten. 1. 2 


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18 Uebergewicht der Dialektik. 


miſſen erwägt, nicht bloß die Korrektheit ihrer Aufſtellung. Um den 
allgemeinen wiſſenſchaftlichen Wert logiſcher Unterſuchungen handelt 
es ſich hier nicht, und gewiß hilft die Kenntnis der möglichen Formen 
über die Fehler eines Schluſſes klar werden und namentlich andere 
von der Fehlerhaftigkeit überzeugen; aber die Gewöhnung, auf die 
Richtigkeit der Form zu achten, macht leicht blind gegen die Richtigkeit 
des Inhalts der Prämiſſen. Wenigſtens haben gerade die Philo⸗ 
ſophen die ungeheuerlichſten Trugſchlüſſe vollzogen, wie allemal zu⸗ 
geſtanden wird, wenn ein Syſtem das andere verdrängt. Und waren 
es nicht die Philoſophen der Zeit, diejenigen, die ſich berufsmäßig 
oder aus Liebhaberei mit logiſchen Unterſuchungen befaßten, welche 
ſich in die Irrgärten der Fichte⸗, Hegel⸗, Schellingſchen Syſteme locken 
ließen, während diejenigen, welche die von Natur empfangene, höchſtens 
in elementarer Weiſe geſchulte Fähigkeit im praktiſchen Leben oder an 
einer Spezialwiſſenſchaft ausgebildet hatten, ſich der Verſuchung leichter 
erwehrten und von den großen Denkern nur mehr Anregung empfingen? 

Dem Weſen des Mittelalters war ſolche Subtiliät im Grunde 
zuwider, das Mittelalter offenbarte ſonſt das Bedürfnis nach An⸗ 
ſchauung, nach Fleiſch und Bein, war an den Augenblick hingegeben 
wie jede unentwickelte Geſellſchaft. Durch kein Verſicherungsweſen 
geſchützt vor Brand und Blitz, durch die Verkehrsmittel nicht in⸗ 
ſtandgeſetzt, die Folgen einer Mißernte zu mildern, durch keine 
geregelte Verwaltung befreit von den Bedrängungen der Nachbarfehde 
und der Selbſthilfe, nicht einmal durch Teilung der Arbeit genügend 
entlaſtet von der Beſchaffung der tauſend Gegenſtände, welche auch 
das dürftige Leben fordert — ſo fühlte ſich der mittelalterliche Menſch 
in ganz anderer Weiſe als Einzelner den einzelnen Dingen gegenüber. 
Selbſt wo man das Allgemeine bezeichnen wollte, bezeichnete man es 
gern ſymboliſch durch ein Einzelnes. Das Geſetz verbot dem Un⸗ 
berechtigten nicht, Holz aus dem Walde zu holen, ſondern verbot, 
mehr zu holen, als auf ſeinem Schilde liegen bleibe, wenn er durch 
den Wald reite, und der Sachſenſpiegel gab den Spielleuten als Wergeld 
„den Schatten eines Mannes“ oder „den Blick von einem Schilde in 
der Sonne“, ſtatt zu ſagen, ſie haben kein Wergeld, und wenn jemand 
verflucht ward, ſo ward ihm gern ein beſonderes Unheil angeflucht ). 


) Grimm, Rechtsaltertümer, S. 677. Ein Beiſpiel derartiger Verfluchung 
bietet die Urkunde bei W. Schäffner, Geſchichte der Rechtsverfaſſung Frank: 


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entwickelte ſich ein förmlicher Uebermut der Dialektik. 
Technik derſelben üben gelernt, ſo glaubten die 
weiteren Kenntniſſe der Einzelwiſſenſchaft entraten zu 
ſelbſt die Ehrerbietung vor ihren Lehrern ). 
des Begriffs, zu deſſen Bereich die tauſend 
habe ich auch Kenntnis von dieſen tauſend 
kann ſagen, was ſie mir leiſten oder nicht leiſten, kann 
ſie wert ſind im Vergleich zu den anderen. Auf der 
der Begriffe erhebe ich mich über das Einzelne zum Allgemeinen, 
der Dinge und zum Quell der Weisheit. Freilich 

an die Schranken, die dem Menſchen geſetzt ſind, 
aber läßt ſich der Menſch entmutigen durch Mißerfolg? Muß nicht 
erſt jede Möglichkeit verſucht ſein? Und hat nicht in unſeren Tagen 
der verführeriſche Schimmer der gleichen Hoffnung die ganze geiſtig 
hochbegabte Generation getäuſcht, welche der Hegelſchen Philoſophie 


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0 ei I. 240, Anm. 16. 81 quis vero hoc — opus calumniari aliquando 
prsesumpserit cum Nerone, qui Petrum apostolum crucis stipite extinxit 
es cospostolum ejus Paulum gladio necavit, in inferno transus perpetuis 
ignibus nisi resipuerit, erucietur et a vermibus nunquam morituris sine 


Die Klagen bei Johannes von Salisbury namentlich im Metalogicus 
Entheticus B. 39 ff. find oft citiert worden, aber die gleichen Klagen 
wurden damals von vielen erhoben. Vgl. Carmina burana Nr. 69. Siche Näheres 
dap. 2. Um vom den gelehrten Intereſſen, dem wiſſenſchaftlichen Betriebe und dem 
darin herrſchenden Geiſte eine Vorſtellung zu gewinnen, empfiehlt es ſich vor allem, 
1 zu leſen, die uns erhalten find, fo des Petrus Blesensis. 
des Petrus Venerabilis, Petrus Cellensis u. ſ. w. Dieſe und andere ſind bei 
Wigne abgedruckt, andere in d Achern Spicilegium und den ähnlichen Samm- 


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1 


20 Raimundus £ullus, 


huldigte? Das Mittelalter ergab ſich ſeit dem 12. Jahrhundert dieſer 
Richtung mit ſteigender Leidenſchaft. 

Raimundus Lullus glaubte durch ſeine „große Kunſt“ ſogar zu 
lehren, wie man alle Einzelkenntniſſe durch Ableitung aus wenigen 
allgemeinen Sätzen gewinnen könne, ſelbſt die Rechtswiſſenſchaft, deren 
Gegenſtand doch Geſetze ſind, die nur durch die beſondere Form ihrer 
Entſtehung Kraft erlangen. „Weil das Leben der Menſchen kurz iſt 
und die Rechtswiſſenſchaft weitſchichtig, deshalb iſt dieſe Kunſt erfunden, 
damit man mit Hilfe eines knappen Büchleins die Rechtswiſſenſchaft 
begreifen!) und aus den allgemeinen Rechtsgrundſätzen gewinnen 
könne. ... Dieſe Kunſt iſt in der Abficht erfunden worden, damit 
auch die Rechtswiſſenſchaft, welche mehr als alle anderen in poſitiv 
gegebenen Sätzen überliefert wird, zu einer Wiſſenſchaft umgewandelt 
werde (reducatur ad artem) in der Weiſe, daß durch dieſe Wiſſen⸗ 
ſchaft oder Kunſt, welche die Einzelbeſtimmungen auf die notwendigen 
Gründe und Schlüſſe zurückführt, alle thatſächlich gegebenen (positive 
tradita) einzelnen Rechtsſätze in den wenigen allgemeinen Sätzen 
gelehrt werden, welche ihre notwendigen Vorausſetzungen ſind. Damit 
hängen auch ſeine methodiſchen Ueberſchwenglichkeiten zuſammen. In 
drei Monaten wollte er einen Schüler mittlerer Begabung durch ſeine 
Kunſt zum Juriſten ausbilden, den beſſer begabten in zwei Monaten, 
den hervorragend begabten in vier Wochen. „Und dieſe Kunſt iſt 
unfehlbar,“ ſchließt er. Dieſe Manier fand allerdings neben be⸗ 
geiſterten Verehrern noch nachdrücklicheren Widerſpruch, und ferner 


) speculari, der Ausdruck jagt mehr als begreifen, aber es fehlt ein deutſcher 
Ausdruck, der dieſe Beſonderheit ausdrückte, ohne zugleich mit dem folgenden eine 
Tautologie zu bilden. S. den Auszug bei Savigny (2. Aufl.) V, 640, Anhang IX: 
Ars juris particularis. Quoniam vita hominis brevis est et scientia juris 
multum est prolixa: ideirco ars ista inventa est hac intentione ut sub 
compendioso tractatu juris scientia speculari possit atque ex prineipiis 
universalibus juris partieularia artifcialiter inveniri possint et etiam jurista 
per artiieium jura scripta recolere intelligere et diligere sciat, Etiam bac 
intentione ars ista inventa est, ut juris scientia quae potius quam omnes 
aliae positive tradita est, reducatur ad artem, ut per artem, quae positiones 
ad necessarias conclusiones redueit quae in juris scientia positive tradita 
sunt ad conclusiones necessarias artificialiter reducantur ut manifestatur in 
doctrina tradita in hac arte . . Den gleichen Gedanken behandelt die Vorrede 
der ars utriusque juris, Savigny V, 648, Beilage X. Der Text ſucht nur den 
Sinn zu geben. 


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Dante, 21 


hat Lullus ſelbſt durch Forderung des Unterrichts in griechiſcher und 

arabiſcher Sprache und durch Beſchränkung der Disputationen im 

Schulbetrieb die Schranken des ſcholaſtiſchen Unterrichts kräftig durch⸗ 

5 brochen; aber der Grundzug feiner Methode war die Vorliebe für 

Abſtraktion und Deduktion, und dieſe Neigung beherrſchte die Forſchung 

wie den Unterricht der ganzen Zeit. Selbſt jene Träumereien des 

Schnellpadagogen lehren auch bei anderen wieder. Analog den Ber: 

ſprechungen der ars magna verſicherte auch Roger Baco, in drei 

Tagen Hebräiſch zu lehren, in drei Tagen Griechiſch und in ſieben 

Tagen err von Salesbury bezeichnete es ſchon 
als typiſch für die Dialektiker, daß ſie vorgäben, 

einen ohne Studien in kurzer Zeit zum Redner und ohne Anſtrengung 

dam Philoſophen machen zu konnen ). 

Ein großeren Kreiſen bekanntes Beiſpiel ſcholaſtiſcher Methode 
bieten Dantes Abhandlungen. Im Convito erörtert er die Gründe, 
aus denen er den Kommentar zu den Kanzonen nicht in lateiniſcher, 

En in italieniſcher Sprache geſchrieben habe. Aber die ent: 
ſcheidenden Behauptungen ſtellt er nicht als Erfahrungsthatſachen feſt, 
ſondern leitet ſie aus allgemeinen Behauptungen ab, obwohl mancher, 
der die Behauptung, auf welche es ankommt, als richtig annimmt, 
dieſe Ableitung verwerfen muß. Schließlich wird der Satz, daß die 
lateiniſche Sprache für die vorliegende Aufgabe ungeeignet ſei, in 
eine Erörterung über den wahren Gehorſam hinausgeſpielt. 
Die Schrift „Von der Monarchie“ bildet ein noch bedeutſameres 
Beiſpiel, weil Dante mit ihr eine wichtige praktiſche Aufgabe zu löjen 
Es war die letzte große Anſtrengung des Verbannten für ſeine 

). Dante wollte die Menſchen überzeugen, daß die kaiſerliche 

Gewalt ebenſogut wie die päpſtliche unmittelbar von Gott ſtamme 

und nicht vom Papſte abhängig ſei. Aber ſtatt einer hiſtoriſchen 

Unterſuchung, ſtatt der Erörterung der Thatſachen wird von dem 

Zweck der menſchlichen Geſellſchaft gehandelt und nach einem Prinzip 

geforſcht, aus dem über die Form ihrer ſtaatlichen Ordnung zu ent⸗ 

ſcheiden ſei. Es werden Analogien herbeigeholt und Autoritäten 


') Metalogicus I. 3, sine artis beneficio. 

) Scheſſer⸗Boichorſt, Aus Dantes Verbannung, Straßburg 1882, hat 
939 Bergen, daß Dante die Monarchie gegen Ende ſeines Lebens ſchrieb. Aber 
* wer eine frühere Abſaſſung annimmt, kann die praktiſche Tendenz nicht ver: 

r es war feine Schulſchrift, aber die Methode war dieſelbe. 


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22 De regimine principum. 


angerufen, welche eine andere Tendenz im entgegengejegten Sinne 
ausbeuten wird. Dergleichen Behauptungen und Worte aus der 
Bibel oder den Klaſſikern oder die aus ihnen abgeleiteten Begriffe 
werden dann zu Schlußreihen verbunden, auch wird wohl die Form 
des Schluſſes ſelbſt erörtert“). Vor allem iſt zu beobachten, daß er 
ſo verfährt, als ob der von ihm aufgeſtellte Begriff des Monarcha 
mit der Anerkennung des Kaiſers verwirklicht ſein würde: ſtatt der 
hiſtoriſchen Erſcheinungen behandelt der Scholaſtiker Dante den von 
ihnen abgezogenen Begriff. Mit demſelben Gegenſtand beſchäftigt ſich 
Thomas von Aquino?) de regimine principum, und jo verſchieden 
die von ihm vertretenen Anſichten ſind, die Methode iſt die gleiche. Das 
Kapitel, welches die Pflicht und Aufgabe (officium) des Königs feſtſtellen 
will, beginnt mit dem Satz: „Weil die Werke der Kunſt die Gebilde der 
Natur nachahmen und wir von ihnen lernen, der Vernunft gemäß zu 
verfahren, ſo ſcheint es richtig zu ſein, die Aufgabe des Regenten dem 
Muſter des Weltregiments zu entnehmen. In dieſer Weiſe wird die 
beſtimmte Einzelfrage auf die allgemeinſten Verhältniſſe und Be⸗ 
hauptungen zurückgeführt, und weil Gott die Welt erſchaffen hat, ſo 
wird auch ausdrücklich erörtert, was ein König bei Gründung eines 
Staates und einer Stadt zu thun habe. Thomas von Aquino macht 
ſich dabei ſelbſt den Einwand, daß ja keineswegs jeder König den 
Staat zu gründen habe, aber die Schulerinnerungen an Ninus und 
Romulus helfen ihm dann doch über dieſen Zweifel hinweg und er 
erörtert, auf welche Verhältniſſe bei Anlage einer Stadt zu achten ſei. 
Dann drängt ihm allerdings der Kampf des Lebens die im höchſten 
Sinne praktiſche Frage auf, ob der Kaiſer dem Papſte untergeordnet 
ſei, aber raſch gelangt er auch hier wieder zur Entſcheidung durch 
einen allgemeinen Satz: Die Leitung ſteht um jo hoher, je hoher das 
Ziel iſt, auf das ſie gerichtet iſt, tanto autem est regimen sublimius 
quanto ad finem ulteriorem ordinatur. 

Nicht anders iſt die Behandlung in Gerſons de potestate 
ecclesiastica ?), und Bonifacius VIII. begründete in der berühmten 


) So 1, 18. Opere minori ed. Fraticelli, ed. 4, 1882. 2, p. 296. 

) S. Thomae Aquinatis doctoris angeliei ordinis Praedicatorum opera 
omnia. Parmae 1865. Tom. XVI p. 225. Dazu Baumann, Die Staatslehre 
des Thomas von Aquino. Leipzig 187g. 

) Man leſe die Consideratio prima. J. Gersonii opera. Parisiis 1606 
fol. I, p. 111 oder nur die Inhaltsangabe der Kapitel p. 110. Da heißt es 3. B. 


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als ebenſo abgeſchmackt wie nichtig und eines fo hoch⸗ 
Mannes und jo erniter Sache unwürdig — aber fie ift doch 
der gewöhnlichen Aeußerungen der ſcholaſtiſchen Denkweiſe. 
4 4 us ſchrieb in einer geiſtigen Atmofphäre, in der man an 
derartige Deutungen von Bibelſtellen und an Beweiſe aus unpaſſenden 
a ſo gewöhnt war, daß man mit dem Bruſtton der Ueber⸗ 


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7 geugung ſprechen konnte, wenn man auch nur dergleichen Spielereien 
als Gründe vorzubringen hatte). Dieſer Methode zahlten alle 
Wiſſenſchaften ihren Tribut, und in einem Umfang, von dem nur 
durch mannigfaltige Beiſpiele eine genügende Vorſtellung gewonnen 
werden kann. a 


Die Grammatik und die Erklärung der Texte. 


Eine Sprache will gelernt werden, die grammatiſchen Regeln 
% find aus den Beiſpielen der muſtergültigen Autoren zu entnehmen — 
2 das ſcheint ſelbſtverſtändlich, aber die Grammatiker des 12. und noch 
mehr die des 13. und 14. Jahrhunderts ſammelten in ihren Erläute- 
nungen der von den alten Grammatifern überkommenen Regeln nicht 
Beispiele aus Cicero und Livius, ſondern fie fragten, warum dies jo 

ſei, fie erörterten das Weſen und den Begriff der Redeteile, fie 


In oetava: quid dicendum sit de ecclesiastica potestate prout consideratur 
respective et quodammodo materialiter seu subjective. Ich benutze dieſe 
Gelegenheit, um auf die merkwürdige Erörterung über das Recht des Kaiſers hin: 
zuweisen in der Gloſſe des Codex Hallensis Ye 52, welche den um 1200 — 1210 
entſtandenen Apparat des Alanus enthält. J. F. v. Schulte, Luteraturgeſchichte 
der Compilstiones Antiquae, beſonders der drei erſten (Sitzungsberichte der 
Wiener Mlademie Bd. 66 [1870] S. 89 sub p) zu c. si duobus 7 de appellat. 
N . juris. Dazu ib. S. 112. 

3 ) Eine gleichartige Verwertung fand die Analogie von dem Ungeheuer mit 
zwei Köpfen 3. B. in der Klageſchrift der Pariſer Untverſität gegen ihren Kanzler 
1283. Jourdain Nro. 274 p. 49a. 


„ 
8 ee. * 


24 Die Grammatik unter der Herrſchaft der Dialektik. 


beſeitigten den Widerſpruch, daß ein Wort in der Vulgata anders 
konſtruiert wird, ein anderes Geſchlecht habe als in den Regeln der 
Alten, mit dem Schluß, daß die heilige Schrift die Wahrheit ver⸗ 
kündet, ihr ergo auch in dieſem Fall höhere Autorität zukomme, oder 
ſie zerlegten die Begriffe, an denen der Widerſpruch der beiden 
Autoritäten haftete, ſo lange, bis der Widerſpruch von den logiſchen 
Staubwolken verhüllt war. Die erſten Elemente der Wrammatik 
lernte der Knabe allerdings nach einem Handbuch, dem Donatus 
Minor, das nüchtern die Thatſachen bot, und mit Zuhilfenahme der 
Laienſprache; aber hatten die 10—15jährigen Knaben dieſe erſten 
Kenntniſſe, dann wurden ſie in endloſe Erörterungen über Subſtanz 
und Accidens, über die Formen des Seins u. ſ. w. verwickelt, welche 
auch die einfachſten Dinge ſchwer verſtändlich machten. Die Gram⸗ 
matik war nur noch Vorwand und Anlaß, um logiſche Fertigkeit zu 
üben!). Das iſt das, was Hugo von S. Victor meinte, wenn er 


) Ein gutes Beiſpiel bietet die Erörterung über den Ablativus absolutus 
aus Siger de Brabant, welche bei Thurot, Extraits p. 318—325, 6 Quart⸗ 
ſeiten füllt. Dieſe Behandlung grammatiſcher Fragen hat Thurot zu folgender 
Schilderung Anlaß gegeben. Extraits p. 117 f.: Cette disposition à raisonner 
sur les faits au lieu de les observer se remarque déja dans les auteurs de 
l’&poque carlovingienne. Elle ne fit que se fortifier au XII sièele où les 
controverses de logique et de metaphysique, qui passionnaient les écoles de 
Paris, exercörent une influence profonde sur l'enseignement de la grammaire.... 
Au 13 siöcle le péripatétisme dont Pierre Hélie usait encore sobrement, 
envahit la grammaire tout entière et la pénétra jusque dans les formes 
de l'’exposition, Les ouvrages d’Aristote se répandirent et s’acer&ditörent 
au point dimpréguer toutes les sciences que l'on enultivait. En meme 
temps la dispute devint l’exercice à peu près unique de la vie scolastique 
et universitaire. La science n'était pas séparée de l’enseignement et depuis 
le 13 siöcle la grammaire n'était enseignée que par des Maltres ds arts 
etudiants en thöologie, qui ne lisaient qu’Aristote et passaient tout leur 
temps & argumenter, Ile citent à propos de tout la métaphysique, la 
physique, le De Anima, L’autorit d’Aristote est invoqué & l’appui des 
propositions les plus simples par exemple pour dire qu’on ne peut donner 
a autrui ce qu'on n'a pas, Les formes memes de l’expositions qui dans 
leur aride prolixité Stalent encore asses libres chez P. Helle, Abélard et 
ses contemporains, sont desormais assujettis rigoureusement à celles de la 
dispute, Tout est mis en question et on discute la negative des propo- 
sitions les plus @vidents, On donne les raisons pour, les raisons contre, 
puls on propose sa solution et on refuse les raisons contraires, Chaque 
Argument est mis en forme: on dötache la majeure et la mineure en les 


Die Grammatik unter der Hertſchaft der Dialektik. 25 


* fie wollen nicht lehren, ſondern ihre Künſte zeigen. Dazu lam 
der muſtiſche Zug der Zeit. Das Ueberſinnliche ward ſinnlich lebendig 
angeſchaut und jedes Sinnliche als Symbol für einen überfinnlichen 
BVorgang oder für eine moraliſche Thatſache gedeutet. Selbſt bei den 
Perſonen der Conjugation wußte man Erörterungen über den myſtiſchen 
Zuſammenhang zwiſchen dieſer Dreizahl und der Dreizahl in dem 
Dogma der Trinität anzuknüpfen. 

5 Das war aber nicht eine vereinzelte Spielerei, ſondern nur eine 
Anwendung der allgemein herrſchenden Methode der drei oder vier⸗ 
33 Interpretation der Texte. Neben dem Wortverſtande wurde 
noch eine allegoriſche Deutung gegeben — z. B. eine Niederlage der 
Sen 


auf eine Niederlage der Franzoſen, Engländer, dieſer oder jener 

in der Gegenwart — und ferner eine moraliſche Deutung auf 
und religiöſe Vorgänge. Dieſe Methode!) wurde als bibliſche 
und auch von den Kirchenvätern geübt; das Mittelalter 
fort in endloſen Wiederholungen, und bei der Stellung 
5 den beiden ſo verſchiedenartigen Traditionen war dieſe 
— auch ein unentbehrliches Hilfsmittel, aber freilich auch eine 
Qiuelle der gröbften Verirrungen. Vorzugsweiſe wurde die Bibel jo 
behandelt, und ein Gedicht des 12. Jahrhunderts umſchrieb den 
Begriff Theologen geradezu durch Leute, welche die virga Jesse auf 
den partus virgineus, den Zug durchs Rote Meer auf die Taufe u. ſ. w. 
deuten). Aber auch auf die alte Litteratur wandte man die Manier 


_ appuyant sur des prosyllogismes. Les questions de grammaire ainsi dis- 
ale sont souvent appeldes sophismats. On prend toujours son point 
de départ dans les abstractions, généralement dans des propositions 
—  — dAristote, jamais dans l’&tude de usage. . Ce qui dominait exelusivement 
dete la methode deductive. La . n’&tait plus Fart de parler et 
Akbexire correctement. Elle était devenue une science purement spéeulative 
Jui avalit pour but, non d'exposer les faits mais den expliquer les raisons 
par les premiers principes. 
. J Abaelard bei Migne Patrologia. Patres latini 178 p. 1159. Siquis 
 sutem me quasi importunum ac violentum expositorem causetur eo quod 
 nimis improbs expositione ad fidem nostram verba philosophorum detor- 
adueam et hoc eis imponam quod nequaquam ipsi senserint: attendat illam 
‚ , Oniphae prophetiam quam spiritus sanctus per eum protulit longe ad alium 
_ sensum cam sccomodans quam prolator ipse senserit. Nam et s., prophetae 


u 
n 


cum aliqus spiritus sanctus per eos loquitur non omnes sententias ad qua- 
se habent verba sun — auf welche ihre Worte Bezug haben — intelligunt. 


I } 


2 *. * Müldener, Zehn Gedichte. 1859. Nr. 8 S. 48. 


Be J En  , 78 
75 1 u‘ j A * ie 4 5 
A 
4 5 
4 N 
nd 


26 Die allegoriſche Auslegung. 


an. Ein Kommentar z. B. zu Ovids Metamorphoſen!) ließ in der 
Erzählung von Apollo und Daphne Apollo bald die Begierde nach 
Ruhm bezeichnen und Daphne den Ruhm, bald Daphne die Seele 
und Apollo den Teufel u. ſ. w. und des Vegetius Handbuch der 
Kriegskunſt wurde in ein Buch von den Seelenkämpfen umgeſchrieben, 
das epitome rei militaris wurde ein liber de re bellica spirituali. 
Auch die Beiſpiele der Grammatik wurden allegoriſch umgedeutet, ja 
Donat ſelbſt zum Lehrbuch der vitae spiritalis ). Dieſe Aus⸗ 
legungskünſte in Verbindung mit jener dialektiſchen Leidenſchaft 
haben böje Dinge hervorgebracht, haben namentlich den hiſtoriſchen 
Sinn, die Achtung vor der thatſächtlichen Wahrheit empfindlich 
geſchwächt, und wenn die maſſenhaften Urkundenfälſchungen des 
Mittelalters zunächſt durch die Mangelhaftigkeit der Archive und den 
häufigen Verluſt der echten Urkunden zu entſchuldigen ſind, ſo hat 
doch dieſer wiſſenſchaftliche Zuſtand auch einen Anteil daran. Mit 
einer geradezu komiſchen Dreiſtigkeit wurden ganze Geſchichten erfunden, 
um eine Anſpielung zu erklären, die man nicht kannte und die man 
bisweilen wohl gar ohne Grund vermutete. Eberhard von Bethune 
hatte in einer Aufzählung der griechiſchen Dialekte Ethicus ſtatt 
Atticus geſchrieben. Ein Gloſſator bemerkt dazu: Ethica ſei eine 
Landſchaft Griechenlands, und nun kommt ihm noch die etymologiſche 
Idee, daß der Name der Ethik davon hergenommen ſei, und dieſe 
erzeugt nun mit jener erſten Annahme folgende Theorie. Es gab 
eine Landſchaft Ethica, in welcher gute Sitten blühten, weshalb die 
Schrift des Ariſtoteles über Tugend und Sitte das Buch von Ethica 
benannt wird. In jener Landſchaft wird ein beſonderer Dialekt des 
Griechiſchen geſprochen “). 

Bücher waren ſelten und koſtbar, auch wer in einem Kloſter 
oder Kollegium mit guter Bibliothek lebte, konnte oft nur nach Er⸗ 
füllung vieler und ftörender Formalitäten die Handſchriften benutzen, 


') Haase, De medii aevi studiis philologieis 1856 p. 14 f. 

) Haaſe S. 22, nach einem Codex des 15. Jahrhunderts. 

) Haaſe a. a. O. S. 24, Note 41. Beiſpiele der Oppoſition gegen dieſen Unfug 
bei Othlon (T gegen Ende des 11. Jahrhunderts) im Dialogus de tribus quaestio- 
nibus, Migne Patrologia, Patres latini 146 p. 60, und in den Statuten der Stadt 
Bologna (1245-1267) Monumenti Istoriei pertinenti alle provincie della 
Romagna, Tom. III ed. Luigi Frati p. 674. Gloffar, sub Jacet liter, 
Hier wird eingefchärft, die Statuten nicht anders zu deuten, als sicut litern jacet. 


Erfindung der Sprache. 27 


vor allem fehlten die bequemen Handbücher, in denen heute auch 
Anfänger ſichere Kenntnis der hauptſachlichſten Angaben aus den 
Gebieten der Geographie, der Geſchichte und Litteraturgeſchichte finden 
kann. Da half man ſich denn mit Vermutungen. Apollo, Aeskulap, 


* 
. 
Be,» 


>, 

Br iur 
> 
* 


FKadmus, Jaſon wurden als Verfaſſer von Schriften genannt, ja ſogar 
Piuarnassi Poemata !) wurden geſucht. Keche Fälſcher fabrizierten auch 
dergleichen, und dann galten fie den meiſten als echt ). Die Sprache 
ward als Erfindung der Grammatiker oder der Philoſophen an⸗ 
geſehen, und deshalb ſchien es auch richtig, den usus nach der ratio 
korrigieren ). Ein Autor des 13. Jahrhunderts grübelte darüber, 
der Erfinder ſo oder ſo zu bezeichnen ſei. Als Philoſoph unter⸗ 
uchte er das Weſen der Dinge und die Arten ihres Verhaltens. 
peit er aber dieſe Begriffe und Sachen an das Wort band und 
: und die Zuſtände derſelben in Worte und Wortformen 
t handelte er als Grammatiker. Daneben ftand bie 
die Grammatik aller Sprachen ſei im weſentlichen die gleiche“), 
1 Natur der Dinge und die Formen des Seins und des Ver⸗ 
haltens dieſelben ſeien, aber ein Volk könne das andere nicht ver: 
ſtehen, weil die Worte verſchieden ſeien und ebenſo die nicht weſent⸗ 
ſondern accidentellen Teile der Grammatik. Dieſe Erwägungen 
g oft wieder und in einem Breslauer Kodex findet ſich denn 
Br ein Produkt derſelben eine naive Erzählung über die An⸗ 
2 fertigung der lateiniſchen Sprache, in der ſich zugleich jene oben 
erwähnte Sicherheit des Fabulierens und Erfindens charakteriſiert. In 


uud dies that fein Geringerer als der eifrige Sammler und begeisterte 
Borlämpfer philologiſcher Studien, Richardus de Bury. Siehe Kap. 7 ſeines 
 Phllobiblion ed. H. Cocheris. Paris. 8. 1856 p. 232 f. 
9 Ein Kommentar zum Virgil aus dem 9. Jahrhundert (Haafe a. a. O. S. 7 
1 mit folgendem Wirrwarr: In jener Zeit, als Julius Cäſar das Neid 
deglerte, regierte Brutus Caſſius über zwölf Völker der Etrusker. Und es entſtand 
ein Krieg zwiſchen Julius Cäſar und Brutus Caſſius. Virgil hielt zu der Partei 
des Brutus Caſſius, aber dieſer wurde von Julius beſiegt. Danach wurde Julius 
von dem Senat mit Fußſchemeln erſchlagen. — Ueber den Grammatifer Donatus 
wurden ähnliche Fabeleien verbreitet. 
3 Schon ein Grammatiler des 6. Jahrhunderts ſchalt auf diejenigen, welche 
hartnäckigen usus, der obstinata consuetudo mehr Gewicht beilegten als 
dem guten Grunde“, der certa ratio. 
9 Dunes Seotus, Grammatica speculativa in der gewöhnlich nach 
Wedding bezeichneten Ausgabe Tom. I p. 43—74. 
ee | 


28 Anfertigung der lateiniſchen Sprache. 


der Kaiſerchronik ſteht zu leſen, daß die Römer damals einmal ſich 
durch Klugheit, Weisheit und Macht die ganze Welt unterwarfen und 
den Beſchluß faßten, zum Zeichen ihrer Herrſchaft eine neue Sprache 
zu erfinden, die feiner und zur Weltſprache geeigneter ſei, als alle 
anderen Sprachen. Sie ſchickten deshalb nach Athen und ließen ſich 
die in den freien Künſten erfahrenſten Magiſtri kommen, verſprachen 
ihnen einen guten Lohn für ihre Mühe, damit ſie ihnen eine neue 
Sprache erfänden, die brauchbarer ſei, als alle anderen. Die machten 
ſich denn an die Kompoſition, indem ſie das Material aus allen fünf 
griechiſchen Dialekten nahmen, den einen Worten etwas anfügten, 
den anderen etwas abnahmen, bei einigen einen Buchſtaben ver⸗ 
änderten, bald am Anfang, bald in der Mitte, bald am Ende. So 
änderten ſie einen Teil der griechiſchen Worte und einige erfanden 
ſie ganz neu. Daher kommt es, daß die lateiniſche Sprache mit der 
griechiſchen jo viel Verwandtes hat. ... Damit ſtimmt auch die 
Behauptung Priscians: omne genus et decus eloquentiae e fontibus 
graecorum est exortum. Als die Römer nun dieſe kunſtreiche und 
fein erfundene Sprache hatten, da gaben ſie Befehl, daß man ſich 
ihrer zu bedienen habe. Einige ältere Leute und Leute von ſchwerem 
Kopf machten jedoch allerlei Fehler. . .. Daher denn der Urſprung 
der Barbarismen und Solöcismen !). 

Verirrte ſich ſo die begriffliche Neigung der Scholaſtik in der 
Grammatik oft ſehr weit, ſo wurde ſie doch auch gerade hier auf eine 
bedeutende Aufgabe hingewieſen. Die Scholaſtiker eigneten ſich nicht 
nur die grammatiſchen Arbeiten der Alten an, ſondern ſie machten 
den Verſuch, der von den Alten geſchaffenen Formenlehre eine Syntax 
an die Seite zu ſtellen ?). Hier fand jene begriffliche Richtung die 


1) Mitgeteilt von Haaſe a. a. O. Jene Bemerkung Priscians hat vermutlich 
den Anſtoß zu der ganzen Fabel gegeben. 

) Haase, De medii aevi studiis philologieis p. 87, urteilt über dieſe 
Leiſtungen wohl zu überſchwenglich. Eine neuere Unterſuchung fehlt, ſie hätte eine 
dankbare Aufgabe. Thurot hat fie in feiner großartigen Arbeit Extraits de 
divers manuscripts latins. Paris 1869. 4, auf das fruchtbarſte vorbereitet, aber 
nicht zum eigentlichen Gegenſtande der Unterſuchung gemacht, namentlich nicht das 
Verhältnis der Grammatiken des Humanismus und der neueren Zeit zu dieſen 
ſyntaktiſchen Arbeiten der Scholaſtiker. Sein Urteil gibt er S. 499 und es lautet 
weſentlich anders als das von Haaſe: Si on ne rencontrait pas dans les 
nouvelles grammaires (der Humaniſten) appositio, substantivum, regimen, 
regere, ablativus absolutus — il semblerait que les travaux des gram- 


Die Schreibweiſe und die Disputation. 29 


entſprechende Aufgabe. Eine Verſtärkung der in ihr liegenden Gefahr 
bam dagegen durch den Umſtand, daß als Schriftſprache das Latein 
a in Gebrauch war und daß damit verbunden eine rhetoriſche, eine 
ſchillernde und fpielende Schreibweise berichte. Das Latein war 
allerdings im Mittelalter gewiſſermaßen eine lebende Sprache, mehr 


als in irgend 1 namentlich mehr als in der Zeit 
des Humanismus; aber eben doch nur gewiſſermaßen. Ihr Leben 
ſtand unter * Korrektur der abgeſchloſſenen Litteratur, und 


forgfältigeren Ausdruckes bedienen wollte, der ſammelte 
Sprachſchatz der Alten Worte, Wendungen und Bilder, die 
nicht oder doch nicht ganz nachempfunden und nachgedacht 
Dergleichen tote Wortſchalen laſſen ſich aber leichter aus⸗ 
n dem Spiel mit Scheinbegriffen und willkürlichen Alle⸗ 
latina non erubescit ). Und noch verhängnisvoller 
des Schulbetriebs, wie denn in deſſen Mittelpunkt die 
Er ftand. Der Lehrer mußte antworten auf die Zweifel und 
a die u aus der Mitte der Schüler kamen, und die Schüler 
1 unter feiner Leitung. Schlagfertigkeit in der Disputation 
* war ein Hauptziel des Studiums, wie denn die großen Feierlichkeiten 
der Univerſitäten mit Quodlibetica ), d. h. mit Disputationen eines 


175 


1 


mairiens antérieurs n’sient pas existé pour leurs auteurs. Ces termes et 
quelques autres sont tout ce que le moyen äge a lögud à la science gram- 
maticale, et comme ils ont été inventés & la fin du XIs, et au comm. du XII. il en 
x resulie que tout ce qui a été fait en grammaire depuis Priseien jusqu'A cette 
—  — #poque et depuis cette &poque jusqu'h la renaissance est nul et non avenu. 
5 J Daher auch die Neigung zu paradoxen Formulierungen, wie Deus debet 
dervire Diabolo. cf. Buddenſieg, J. Wiclef und feine Zeit. Halle 1885. 
99 Ein Analogon bietet die zur Manier gewordene Schulſprache der Hegel: 


* 
ze ) Die Quodlibetica des Duns Scotus, Opera ed. Wadding tom. XII. 
find, wie die des Thomas von Aquino, noch ſämtlich ernfthaft. Daß die 
21 Quaestiones, n ihm in einer einzigen Dis: 
 Putation geſtellt worden feien, wie der Herausgeber vermutet, ift ee 


Freiheit 
anfügen mußte, in denen eine Konkordanz der contradietionum 


ae. 


a 


30 Petrus Pictavienfis. 


Redners über verſchiedene Probleme begangen wurden. Im Laufe 
der Zeit wurden mit Vorliebe ſcherzhafte Aufgaben gewählt, bei 
denen es auf derbe Witzworte und logiſche Kalauer abgeſehen war. 
Auf der Gewandtheit der Disputation ruhte zum guten Teil der 
Ruhm der philoſophiſchen Größen, ſo namentlich des Abälard, Lan⸗ 
franc, Duns Scotus u. a. Darum galt es im Unterricht vor allem, 
maſſenhaft Fragen aufzuwerfen, die den Scharfſinn reizten und an 
denen ſich die Fertigkeit im Definieren, Unterſcheiden, Schließen u. ſ. w. 
üben ließ. Das Intereſſe der Uebung überwog jo, daß man auch 
ſolche Probleme nicht verſchmähte, die keinen ernſthaften Sinn hatten, 
die nicht zu löſen waren und deren Löſung ohne Wert war. So 
gewöhnte man ſich aber, auch dergleichen unter dem Namen Wiſſen⸗ 
ſchaft mitzubefaſſen. 


Die Theologie und Philoſophie. 


Die gefährlichſte Nahrung bot dieſer Methode die Theologie und 
Philoſophie. Petrus Pictavienſis, der berühmte Schüler und Nach⸗ 
folger des Petrus Lombardus an der Pariſer Schule, handelt im 
erſten Buch ſeiner Sententiae !), Kapitel 20, von den Begriffen der 
Weisheit des Vaters und des Sohnes, geht dabei aus von der Stelle 
des Korintherbriefs Christus est Dei virtus et sapientia und wirft 
die Frage auf: Wenn der Vater weiſe iſt, der Sohn aber die Weisheit 
des Vaters iſt, dann iſt ja der Vater weiſe durch den Sohn. Und 
weil bei dem Vater Sein und Weiſeſein dasſelbe iſt, ſo iſt alſo der 
Vater durch den Sohn. Dem wird eine andere Schlußreihe ent⸗ 
gegengehalten: Der Vater iſt weiſe durch irgend eine Weisheit, d. i. 
entweder durch die eigene oder durch die eines anderen. Das letztere 
iſt nicht der Fall, alſo iſt er weiſe durch eigene Weisheit. Das geht 
noch in verſchiedenen Modifikationen weiter, unter denen beſonders 
die aus dem Verhältnis der Perſonen der Trinität hergenommenen 
Begriffe „ungeboren“ und „geboren“ (ingenita, genitz) eine Rolle 


apparentium verſucht wird. Ueber die ſcherzhaften Quodlibetica ſ. Zarncke, 
Die deutſchen Univerfitäten im Mittelalter, über ihren kläglichen Ausgang 
ſ. A. Huber, Die engliſchen Univerſitäten. Caſſel 1839 II, 424. 

') Migne, Patres latini 211, p. 868 —87 1. Dieſe Sententiarum libri V 
machen den Eindruck, als ſeien ſie im weſentlichen aus Vorleſungen hervor⸗ 


gegangen. 


Die beiden Söhne der Erinität. 31 


4 (Wenn die Weisheit des Vaters und des Sohnes dieſelbe ift), 
Dann iſt alſo die geborene und die ungeborene Weisheit dieſelbe, und 
weiter iſt dann dieſelbe Weisheit geboren und ungeboren“. 

Der Redner bricht dieſe Erörterung ſelbſt unwillig ab mit der 

Mahnung, derartige Wiederholungen erzeugten nur Ver⸗ 
| ne 1  ERTRER 
noch eine Quartſeite hindurch fort. 

Es klingt das einem modernen Verſtande ſo ſinnlos, daß man 
iſt, zu vermuten, es ſei dies wohl nur eine vereinzelte 


2 


eines beſonders ſpitzfindigen Kopfes. Aber das iſt keines⸗ 
. wegs der Fall. Nicht anders iſt die Frage Anſelms von Canterbury 
in feiner berühmten Schrift Cur deus homo? Warum feine andere 
A erſon Trinität, als der Sohn, Menſch wurde? Die Antwort 
der Frage würdig. Dann hätte man ja in der Trinität einen 
Gottes neben dem Sohne der Jungfrau gehabt und alſo zwei 
) m: 
fein 


ſtattg „denn der Geburt nach hätte doch der Sohn Gottes 
größer müfjen als der Sohn der Jungfrau. Wäre aber Gott 
Vater Menſch geworden, jo hätte man in der Trinität auch zwei 
Enkel 1 Denn Gott Vater wäre dann der Enkel der Eltern 
der 


u I mie den der Ente dcr Mara gen, denn es wäre ja der 
Sohn des Sohnes der Maria. 

5 Bonaventura unterſuchte gar die Frage, warum denn die Maria, 
wenn ſie doch Jungfrau bleiben ſollte, einem Manne angetraut ward. 
u: 925 Gründe weiß er, zwei ſind menſchlich naheliegend, wenn man 


in die Märchenſtimmung verſetzt, in welcher Bonaventura ſchreibt ) 


8. Anselmi opp. Migne, Patres latini 158, p. 407: Cur Deus 
homo? II, IX. 81 quaelibet alia persona incarnetur, erunt duo filii in 
3 _ Trinitate, Altus seilicet Dei, qui et ante incarnationem filius est et ille. qui 
N per incarnationem filius erit Virginie: et erit in personis quae semper 
duales esse debent inaequalitas secundum dignitatem nativitatum. Di- 


pater ſuerit incarnatus, erunt duo nepotes in Trinitate, quin Pater 
nepos parentum Virginis per hominem assumptum, et Verbam cum 
habet de homine, nepos tamen Virginis quin flit ejus erit filius. 
geht es fort. 

Opera ed. Lugduni 1668 fol. Tom. G. 336 f. Meditationes vitae Christi, 
4 erhält Gabriel den Befehl, der Jungfrau Maria zu melden, quod filius 


32 Bonaventura. 


Maria würde ſonſt in ſchlechten Ruf gekommen ſein und auch der 
Stütze und des Troſtes entbehrt haben — aber dazu kommt noch der 
dritte: es galt den Teufel irrezuleiten, damit dieſer nicht merke, daß 
der Herr geboren werde. Einen breiten Raum füllten die peinlichen 
Erörterungen über Empfängnis und Geburt Chriſti, über das intrat 
uterum virginis janua clausa und natus est porta clausa, Auch 
in die kirchliche Poeſie drang dieſe abſurde Dialektik. In dem ludus 
scenicus de nativitate Domini kehrt das clausa erunt virginis sie 
pudoris ostia — sugens ubera intactae virginis u. ſ. w. in mannig⸗ 
facher Variation wieder!). Dazu kommen dann Fragen wie die über 
die Nacktheit der Engel, ob ſie ſich bewegen könnten? Kann Gott 
mehr wiſſen als er weiß? Konnte Chriſtus auch als Weib geboren 
werden? Dieſe Fragen und Erörterungen waren Gemeingut der 
damaligen Bildung, ein Beſtandteil des Geſprächsſtoffs, der Vor⸗ 
ſtellungen und des Bilderſchatzes des Volkes geworden, ſo daß die 
Poeſie fie in ungenierter Weiſe verwertete). Und am Ende der 
Periode konnte ein Mann wie der Kanzler Gerſon ſelbſt in einer 
Predigt jene Frage erneuern, warum Chriſtus als Mann und nicht 
als Weib geboren ſei, und in einer anderen gar die Frage aufwerfen, 


meus concupivit speciem suam et sibi eam elegit in matrem. Der Engel 
macht ſich auf und ſteht im Nu in dem Gemache der Maria. Sed nee eito sie 
volavit quin praeveniretur a Deo et sanctam ibi Trinitatem invenit, quae 
praevenit nuntium suum. Es folgt ein Geſpräch, tune filius Dei statim totus 
et sine mora intravit uterum Virginis et ex ea carnem assumsit et totus 
remansit in sinu patris .. . ib. Kap. 6: ut seilicet ne gravida infamaretur, 
ut viri ministerio et societate frueretur et diabolo partus filii Dei oceul- 
taretur, 

) Carmina burana, Bibliothek des Litterariſchen Vereins, Bd. XVI, 1847, 
Nro. 202. Das Ueberwuchern des logiſchen Intereſſes zeigt ib. p. 88 folgender Vers: 

Archisynagogus dicat: 

Homo mortuus in adjecto ponitur 

quod in Aristotele pueris exprimitur, 

sed haec vestra regula tune repulsam patitur, 
eum de matre virgine sermo nobis oritur. 

) In einer Art Fabeldichtung des 12. Jahrhunderts entſchuldigt ſich eine 
junge Frau, die dem nach jahrelanger Abweſenheit zurückkehrenden Manne einen 
Säugling zeigen muß, indem fie ſagt: 

Concepi non passa virum neque foedere laeso 
Degustata dedit nix mihi ventris onus, 
Notices et Extraits XXIX, 2 (1880 p. 240) und Zeitſchr. f. Deutſch. Alt. XIX, 119. 


Dirtnofentum der Dialeftifer. 33 


ob Chriſtus beſchnitten oder unbeſchnitten auferftanden ſei. Viele 
dieſer Spielereien find in Handbüchern!) zuſammengeſtellt, und da 
ſie für unſer heutiges Denken und Empfinden ganz unbegreiflich, 
abſurd und widerſinnig find, ſo prägen fie ſich jedem ein, der nur 
einmal davon hört. Daher kommt es, daß viele von der Scholaſtik 
nichts anderes kennen als dieſe Verirrungen und in dieſen Verirrungen 
das Weſen der Scholaſtik finden, ſtatt in jener dialektiſchen Neigung, 
deren Nebenprodukt fie find. Die Männer fühlten ſich als Virtuoſen 
der Dialektik, und die Leidenſchaft der Kunſt ließ ſie vergeſſen, mit 
ſie zu thun hatten. Um 1200 war Simon von 
der gefeiertiten Dialektiker in Paris. Eines Tages 
die Trinität eine Reihe von gewagten Fragen auf⸗ 
rtert, aber die Löſung auf den folgenden Tag ver: 
mien nun die Scharen der Theologen zuſammen 
nd hörten ſtaunend, wie der Magiſter die unlösbar ſcheinenden 
ſo klar, ſo elegant und ſo ganz im Sinne der Kirche (tam 

eganter, tam catholice) löſte. Als dann aber nach 
einige Freunde und beſonders eifrige Schüler zu ihm 
baten, dieſe glänzende Erörterung doch aufzuzeichnen, 
verloren gehe, da brach er in ein Gelächter aus und 
em Uebermut: „O Jeſulein, o Jeſulein, wie habe ich 
Lehre verteidigt und erhöht, aber wahrlich, wenn ich ſie 
Abſicht angreifen wollte, dann würde ich noch viel ſtärkere 
und Beweiſe dagegen anzuführen wiſſen. 0 Jesule, Jesule, 
quantum in hac quaestione confirmavi legem tuam et exaltavi! 
profecto si malignando et adversando vellem fortioribus rationibus 
et argumentis scirem illam infirmare et deprimendo improbare ?). 
Bei der Ehrfurcht, die den Namen Jeſu umgab, iſt eine ſolche 
Aeußerung das Zeichen einer geradezu verwegenen Stimmung. Die 
fte Scheu iſt in der Leidenſchaft des Disputierens untergegangen, 
das Dogma zum Gegenſtand rabuliſtiſcher Argumentation erniedrigt. 
4 mit der frommen Scheu ging gleichzeitig auch der Sinn für 
Wahrheit verloren. Nicht darauf kam es an, zu erweiſen, was richtig 
it, ſondern darauf, daß man zeige, wie gewandt man disputiere und 
jede beliebige Poſition zu verteidigen wiſſe, eu, ere Aörov A,,“ 


15 


215 
= 


1 


1773 
IH 
11 


21115 
ir 


7 


5 


5. 5 9 So bei Tennemann, Geſchichte der Philoſophic, Bd. 8. S. 236 f. 
) Balsens III. 8. 
Maufmann, eee der deen Univerfitäten. 1. 3 


a 


34 Oppofition gegen dies Treiben, 


rorsiv. Selbſt ein jo ernſthafter Mann wie Wiclif ließ ſich, ehe es 
ihm gelang, grundſätzlich über die Scholaſtik hinauszukommen, von 
ihrer Manier dazu fortreißen, den Gegner auch mit ſophiſtiſchen 
Gründen zu bedrängen ’). 


Die Oppoſition. 


Dies Treiben fand denn auch in der Zeit ſelbſt ſcharfen Tadel. 
Schon Abälard, der den Sieg dieſer überwiegend dialektiſchen Richtung 
begründete, wies beſtimmt auf die Grenzen dieſer Methode hin. 
„Unſer Verſtand kann das Weſen Gottes nicht begreifen, und unſere 
Sprache hat keinen zureichenden Ausdruck für jenes ‚unausſprechbare 
Gut‘, ineffabile bonum ).“ Er ſpricht von der arrogantia der pro- 
fessores dialecticae, welche da wähnen, mit ihren Deſinitiönchen und 
Schlüßchen alles begreifen und erörtern zu können?). Die Frage, 
warum Gott die Welt erſchuf, will er mit Auguſtins Worten: „Weil 
er es gewollt hat“ zurückweiſen“). Auch bei dem Lombarden, Duns 
Scotus, Bonaventura u. a. begegnen ähnliche Urteile, wenn ſie trotz⸗ 
dem auch wider die Träumereien der Myſtik, die dunkelſten Fragen des 
Dogma und die heikelſten Themata der chriſtlichen Legende zu ab⸗ 
ſurden Fragen und logiſchen Spielereien mißbrauchen. Robertus 
Pullus (12. Jahrhundert) verhöhnte die Logiker, die das Dunkle mit 
Dunklem erklären wollen. Bernhard von Clairvaux ſagte in ſeiner 
ſpitzen Weiſe, Abälard zerſtöre die Vernunft ebenſo wie den 


1) R. Buddenſieg, Johann Wiclif und feine Zeit, S. 196 Note 1: unde 
de ista vana gloria confiteor: sepe tam arguendo quam respondendo pro- 
lapsus sum. .. Siehe o. S. 6 Note 2. 

2) Citiert bei Prantl II, 166 Note 258. 

) Theolog. Christiana III. Migne, Patr. lat. 178 p. 1218: Ad quod 
tanto facilius professores dialecticae pertrahi solent quanto se amplius 
rationibus armatos esse autumant et tanto securiores liberius quodlibet 
aut defendere aut impugnare praesumunt, 

) ib. p. 1222. Beſonders wichtig iſt die Ausführung am Schluffe des lib. IV 
bei Mig ne, Patr. lat. 178 p. 1814: Haec nos de altissima et in comprehensibili 
philosophia divinitatis conti frequenter et provocati ab importunitate 
infdelium seribere ausi sumus, nihil asserentes de eis quae dieimus neo 
veritatem docere intendentes quam neque nos posse scire profitemur, Sed 


neque hi qui fidem nostram impugnare gloriantur, veritatem quaerunt sed 
pugnam 


meditationis venientes mit vornehmer Schärfe ab). Wilhelm von 
Decam ſchied beſtimmt das Gebiet der Logik von der Theologie ab, 
indem er dann für ihr Gebiet volle Freiheit der Unterſuchung forderte, 
quia in talibus quilibet debet esse liber, ut libere dicat quod sibi 
placet, und Johann Buridan, neben Wilhelm von Occam einer der 
berühmteſten Scholaftifer des 14. Jahrhunderts, ſetzte in ähnlicher 
Weiſe auseinander, daß man die Metaphyſik nicht vermiſchen dürfe 
der Theologie. Beide handelten von Gott und göttlichen Dingen, 
Metaphyſik berückſichtige nur, was ſich mit Schlüffen 
beweiſen laſſe; die Theologie habe zur Grundlage 
die ohne Beweis ſtehen ). Gerſon und andere forderten 
Anwendung einer beſonderen theologiſchen Logik, einer 
fidei, weil die göttlichen Dinge ſich nicht mit der gewöhnlichen 
Logik begreifen ließen, oder wie ſich Richard von S. Victor ausdrückte, 
weil fie Gegenſtand einer beſonderen und zwar der höchſten Art der 
Kontemplation ſeien. Dieſe Forderung bezeichnet deutlich das Be⸗ 
dürfnis, die Wiſſenſchaft zu retten und zugleich die Kirchenlehre vor 
ihren gefährlichen Erörterungen zu ſchützen; es iſt nur eine andere 
Form des Satzes von der doppelten Wahrheit. 
Dieſer Widerſpruch fand auch in der Poeſie vielfachen Ausdruck, 


„Hi nostro ritui formam adinvenere, 

Nostro adventui viam praeparavere, 

Horum subtilitas nobis elaboravit. 

Tronum conscendere quem virtus occupavit ). 


Opera, ed. Mabillon I, 644 ep. 190. Dieſer Brief iſt eine Abhandlung 

gegen Abalard. 
u * Samma magistri Rolandi, ed. Fr. Thaner, Innsbruck 1874, p. 179, 
&. p. XXI. 

1 ) Proovemium J. Buridani. Ausgabe von 1489, citiert bei Prantl, Ge 
ſchichte der Logik IV, 15. 

P Das Drama vom römiſchen Kaiſertum, hrög. v. Zeihwig. 1877. g. uberſetzt 
S. 118 das nobis elaboravit nicht richtig. Ucberſ. von Wedde 1878. 


36 Die vier Labyrinthe Frankreichs. 


Von anderer Seite griffen die Humaniſten der Zeit die Scholaſtik 
an. Sie beklagten das Uebergewicht, das der Logik in dem Studien⸗ 
gange zugewieſen ſei. Dieſe Klagen werden unten behandelt werden, 
ſie wiederholen ſich im ganzen Laufe der Periode, von Johannes von 
Salisbury im 12. Jahrhundert bis auf Robert de Bury und auf 
Nicolaus von Clemanges, der am Ende des 14. Jahrhunderts die ars 
oratoria, d. h. die philologiſchen Studien wieder zu heben ſuchte. 
Das ſind Beiſpiele der Oppoſition gegen dies Treiben der Scholaſtiker 
aus allen Jahrhunderten ihrer Periode und aus allen Gruppen ihrer 
Vertreter; noch beſonders iſt aber der Zorn zu erwähnen, mit dem 
ſich die Schule von S. Victor über die Philoſophen äußerte, „welche 
an den unausſprechlichen Geheimniſſen der Trinität und der Menſch⸗ 
werdung ihren Schulwitz übten“ (scholastica levitate tractarent), 
über die Dialektiker, welche den Ariſtoteles als ihr Haupt verehrten, 
aus Schlüſſen Netze bildeten und für ihr rhetoriſches Geſchwätz jede 
Freiheit beanſpruchten. Dieſe Schule wurde von Wilhelm von Cham⸗ 
peaux, dem Lehrer und Gegner Abälards, recht eigentlich zum Kampf 
gegen die durch Abälard ſiegreiche Scholaſtik gegründet. Der gefeierte 
Richard von S. Victor rief ſein Wehe! über die „fürchterliche Zeit, 
in der wir leben“, und ſein Nachfolger Magiſter Walter verhöhnte 
und verfluchte die berühmteſten Lehrer der Pariſer Schule: Abälard, 
Petrus Lombardus, Peter von Poitiers und Gilbertus Porretanus, als 
die vier Labyrinthe Frankreichs !). Die Myſtik, welche den dialektiſchen 
Spielereien ſo gefährliche Nahrung bot, bildete alſo doch auch ein 
Gegengewicht gegen dieſelbe. Nun erinnere man ſich, daß die Periode 
der Scholaſtik zugleich eine Periode der Myſtik war — Bernhard von 
Clairvaux und die Nonne Hildegard?) waren Zeitgenoſſen von Abälard, 


) Bulaeus II, 402: Quisquis hoc legerit non dubitabit quatuor 
labyrinthos Francise id, Abaelardum et Lombardum, Petrum Pictavinum et 
Gilbertum Porretanum uno spiritu Aristotelico afllatos dum ineffabilia 
Trinitatis et Incarnationis scholastica levitate tractarent multas haereses .. 
vomuisse .„.. . Sieut enim rerum ita propositionum infinita conversio est, 
unum idemque verum est et falsam et neutrum adhibitis mille differentiis 
facillime negat et probat, Andere Beiſpiele find leicht hinzuzufügen. So 
Guillelmi Abbatis disputatio adversus Petrum Abaelardum und De erroribus 
Guillelmi de Conchis in Migne, Patres latini Nro. 180, 250 f., namentlich 
p. 340. 

) Ihre Relevationen bei Mig ne, Patres latini Nro. 197. 


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2. Acherblick über die Geschichte der Scofaftik. 


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) Haurdau in Notices et Extraits des Manuscrits 1880 Bd. XXIX. 2 


s. M Pet. Dam, De decem plagte Aeg e. 4. 


) 3. &. Erdmann, Grundriß der Geſchichte der Philoſophie. Berlin 1866. 


38 perioden der Scholaſtik. 


iſt in allen Jahrhunderten der Scholaſtik geſchehen, und im ganzen 
verzichtete die auf Abälard folgende Generation nicht auf jene Be⸗ 
ſtrebungen. Statt aller Zeugen genügt es, auf Petrus Lombardus 
hinzuweiſen, der ein Schüler Abälards war und ſein einflußreichſter 
Nachfolger in Paris. Seine Sententiae blieben Jahrhunderte hin⸗ 
durch das wichtigſte theologische Handbuch der Scholaſtiker, und eine 
Zeit, die dies Lehrbuch erzeugte und den Verfaſſer an ſo einflußreicher 
Stelle lehren ließ, läßt ſich doch wohl nicht als eine Periode des 
Verfalles der Scholaſtik bezeichnen. 

Nach dieſer Korrektur kommt Erdmanns Einteilung der Scholaſtik 
mit der allgemein üblichen überein, wonach alſo die Scholaſtik von 
Anſelm und Abälard bis auf Albertus Magnus und Thomas von 
Aquino eine ſteigende Entwicklung durchlaufe, in Thomas von Aquino 
den Höhepunkt erreiche und dann mit Roger Baco und Duns Scotus 
in eine Periode des Verfalles oder der Zerſetzung eintrete. Indeſſen 
auch dieſe Einteilung iſt nur unter einem beſtimmten Geſichtspunkt 
zuläſſig, wie ein Ueberblick über die Entwicklung der Scholaſtik 
ergeben wird. 


Der Sieg der Scholaſtik im 12. Jahrhundert. 


Gegenſtand des Studiums waren auf den Schulen und Univerſi⸗ 
täten des Mittelalters neben Theologie, Recht und Medizin die 
„ſieben freien Künſte“, meiſt als Trivium (Grammatik, Rhetorik, 
Dialektik) und Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Aſtronomie und 
Muſik) bezeichnet. Zu einer jener Spezialwiſſenſchaften oder „oberen 
Fakultäten“, wie ſie genannt wurden, durfte der Scholar regelmäßig 
nicht herantreten, ehe er nicht eine Reihe von Jahren dieſe artes 
ſtudiert hatte. Die vier Künſte des Quadriviums wurden aber von 
den meiſten nicht oder nur kurz und flüchtig getrieben, und die drei 
artes des Triviums: Grammatik, Rhetorik und Dialektik oder Logik, 
wurden in den verſchiedenen Perioden des Mittelalters nicht gleich⸗ 
mäßig gepflegt. In dieſem Wechſel begründet ſich der Unterſchied 
der Perioden. Im 10. und 11. Jahrhundert bildete die Grammatik, 
verbunden mit der fleißigen Lektüre der klaſſiſchen Schriftſteller, den 
Kern der Studien, und begabte Dichter bemühten ſich, mit den 
klaſſiſchen Vorbildern zu wetteifern. Groß war der Ruhm der Schulen 


Bumanififhe Richtungen. 39 


von St. Gallen, Reichenau, Magdeburg, der Dichter Marbob ), 
Hildebert von Le Mans ), des Archipocten, des Lambert von Hers⸗ 
feld, des Gunther, Baldrich (Baudri) von Dol u. ſ. w. Die Schule 
von Chartres hatte noch im 12. Jahrhundert den Ruhm, daß bie 
Grammatik im Anſchluß an die Lektüre gelehrt werde. Es war eine 
Zeit der Hingabe an das Altertum, dem Humanismus der Renaiffance 
vergleichbar. In der Wiederbelebung des roͤmiſchen Nechtes, in den 
; Dichtungen der Hrotſuith, in den phantaſtiſchen Gedanken Kaiſer 
Ottos III., in der Verherrlichung der Weiſen des Altertums und 
ahnlichen Aeußerungen trat dieſer Charakter der Zeit hervor. Es 
gewann dieſes Treiben in manchen Perſoönlichkeiten Italiens geradezu 
SER en euer Die Schilderungen der Biſchöſe Rather von Verona 
und Luidprand von Vercelli, und die Erzählung des Glaber Nadulfus 

aber Vilgard von Ravenna geben Zeugnis davon. Dieſer Vilgard be 
andelte Virgil und Horaz als ſeine Hausbibel. Den Höhepunkt erreichte 
dieſe paganifierende Strömung etwa unter Papſt Johann XII., und 
eben dieſer Uebermut half dann den Rückſchlag in der Ausbreitung 
der kirchlichen Reformpartei der Cluniacenſer erzeugen, deren Werk 
ſpäter die Ciſtercienſer aufnahmen. Die humaniſtiſchen Studien ſelbſt 
fanden jedoch auch in den Kreiſen dieſer moͤnchiſchen Oppoſition eifrige 
Pflege, und oftmals miſchten ſich kirchliche und antike Vorſtellungen 
in ſonderbarſter Weiſe. Petrus Damiani war ein Hauptvertreter 
5 dieſer asletiſchen Richtung des 11. Jahrhunderts, aber er ſchloß feinen 
Traktat über das Verhältnis von Kaiſertum und Papſttum mit dem 
Dinweis auf das Beiſpiel, daß die Könige Attalus und Nicomedes 

das romiſche Volk zu Erben einſetzten ). In einem Liede jener Tage 


* ) C. Ferry, De Marbodi Rhedonensis episcopi vita et carminibus. 
99 B. Haurdau, Les melanges poötiques d’Hildebert de Lavardin. 
Paris 1882. E. Dümmler, Anſelm der Peripatetiler. 1872. Man erhält von dem 
Llatorat dieſes Nhetors den Eindruck eines unfreien Geiſtes, der unendlich 
bdegeiſtert iſt von dem, was er gelernt, der aber über ein Spiel mit Worten nicht 
bdeimaustewmt. Aehnlich ift das Spezimen, welches Hümer, g. Geſch. d. mittellat. 
Dicht. 1880, S. 87 von Hugo Ribomontenfis mitteilt. 

) Goldast, De Monarchia II. 66: Ille (Papa) tanquam parens paterno 
semper jure praemineat, iste (rex) velut unicus ac singularis filius in 
amoris illias amplexibus requiescat. Attalus plene Rex Asine et Nicomedes 
Rex Bythinise in tantum Romanam rem publicam dilexere, ut uterque 


40 Alphanus. 


ſtimmt die chriſtliche Kirche einen Klagegeſang darüber an, daß ihre 
Säulen wanken, ruft aber ſtatt der chriſtlichen Helden die Catonen 
und Scipionen auf, ſie zu ſtützen. In Gebeten wurde Jupiter ſtatt 
Gott genannt und das Wort: „Gott ſchauet das Herz an“ ward zu: 
Homo videt faciem, sed cor patet Jovi ). Der eifrige Gregorianer 
Alphanus behandelte die Kirchenreform des Inveſtiturſtreits als einen 
Verſuch, „den Barbaren das alte Joch Roms“ wieder aufzulegen, 
und Gregors VII. Erfolg verglich er mit den Siegen des Marius und 
des Cäſar. 

Nimm des erſten Apoſtels Schwert, 

Petri glühendes Schwert zur Hand! 

Brich die Macht und den Ungeſtüm 

Der Barbaren: das alte Joch 

Laß ſie tragen für immerdar. 

Sieh, wie groß die Gewalt des Banns: 

Was mit Strömen von Kriegerblut 

Einſtmals Marius’ Heldenmut 

Und des Julius Kraft erreicht, 

Wirkſt du jetzt durch ein leiſes Wort ). 


moriens Romanum populum testamenti reliquerit haeredem. Sanctae ergo 
Ecclesiae Principes quam propensiori invicem debent charitate congruere 

) Hubatſch p. 22. Das Gedicht ift ſpäter, wie denn die Richtung längere 
Zeit anhielt. 

) Gieſebrechts Ueberſetzung, Kaiſerzeit III, 54. Text bei Mig ne, Patres 
latini 147 p. 1262 Ad Hildebrandum archidiaconum mit dem Anfange Quanta 
gloria publicam, Die entſcheidenden Worte ſtehen Strophe 9 und 10: 

9) His et archiapostoli 
Fervido gladio Petri 
Frange robur et impetus 
Illius (d. i. der saeva barbaries Str. 8) vetus ut jugum 
Usque sentiat ultimum, 
10) Quanta vis anathematis! 
Quidquid et Marius prius 
Quodque Julius egerant, 
Maxima nece militum 
Voce tu modica facis. 


Man vergleiche die beiden Gedichte über Roms Stellung bei Hauréau, Les 
Melanges, p. 60: 

Par tibi Roma nihil cum sis prope tota ruina, 
und p. 64 das zweite über das chriſtliche Rom, welches ſchließt: 

studiis et legibus horum (der Kaiſer, Redner ꝛc.) 

obtinui terras, erux dedit una polum. 


Clausum non resonat meum 
Totis noctibus ostium .. . 


Leiſtung dieſer humaniſtiſchen Verſenkung in das 
die Wiedererweckung der Wiſſenſchaft des römiſchen 
vollzog ſich in engſter Verbindung mit den ſprachlichen 
Irnerius, an deſſen Namen ſich der Uebergang 

„oberflächlichen zu der wiſſenſchaftlichen Behandlung des 
Nechtes knüpft, ſoll Lehrer der Grammatik geweſen ſein. 
die humaniſtiſche Richtung in dem Corpus juris ein ſo bedeut⸗ 
Objekt hatte, jo erhielt fie ſich in der Rechtsſchule noch lange 
als ſie in den übrigen Disziplinen bereits der Scholaſtik den 


1 Dieſe Periode der mittelalterlichen Renaiſſance reicht von der 
Zeit der Ottonen bis in die Zeit der Kreuzzüge, aber als ſich im 
3 der Sieg der neuen ſcholaſtiſchen Richtung entichied, 
geſchah dies nicht infolge einer Erſchlaffung des wiſſenſchaftlichen 
Sinnes der Zeit. Die wiſſenſchaftliche Bewegung wurde im Gegenteil 
ſtärter, und auch die philologiſchen Studien machten im ganzen 
betrachtet Fortſchritte. Einen Gelehrten wie Johann von Salisbury 
hatte das 11. Jahrhundert nicht, und wenn er die falſchen Richtungen 


9 barten hat es Notices et Extraite 1886 Tome 31 p. 165 b. heraus 
‚gegeben und erläutert. Es iſt halb dramatiſch. Die angeführte Stelle fteht S. 178. 


5 


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: 


42 Johannes von Salisbury. 


der Zeit beklagt und geißelt, ſo bekennt er doch auch freudig, daß 
friſche Bewegung in den Studien ſei; er iſt ſtolz auf ſeine Zeit. 
„Ich ſcheue mich!) nicht, die Meinungen von Zeitgenoſſen anzuführen, 
ja, ich trage kein Bedenken, ſie denjenigen der Alten in den meiſten 
Fällen vorzuziehen. Ich lebe der Hoffnung, daß die Nachwelt dereinſt 
den Ruhm der gegenwärtigen Zeit preiſen wird, denn es zeigen viele 
eine bewunderungswürdige Begabung, Schärfe der Forſchung, aus⸗ 
dauernden Fleiß, glückliches Gedächtnis, fruchtbare Gedanken und 
Fülle der Rede.“ Durch ſeine Worte klingt ein Ton, der an Huttens 
berühmten Ausſpruch erinnert: „Es iſt eine Luſt zu leben.“ 

Um ſo ſtärker wiegt ſeine Klage über die Vernachläſſigung der 
Alten. Wenn auch im 12. und 13. Jahrhundert noch einzelne Ge⸗ 
lehrte ihr Leben mit Lektüre der Alten und lateiniſcher Verſifikation 
oder mit der Anleitung dazu ausfüllten, ſo ſtanden doch dieſe 
humaniſtiſchen Studien nicht mehr im Vordergrunde des Intereſſes, 
und im blinden Eifer wollten bald gar manche Zöglinge der neuen 
Richtung die klaſſiſchen Studien verachten. Der Haufe der Unfähigen 
freute ſich des Vorwandes, mit ſeiner Ignoranz ſich zu brüſten, ſtatt 
ſich ihrer zu ſchämen. Das war es, weshalb die Freunde der alten 
Litteratur im 12. Jahrhundert mit ſchmerzlicher Bewunderung auf 
den Eifer und die Liebe zurückblickten, welche das 10. Jahrhundert 
und die erſte Hälfte des 11. erfüllt hatten. Wie der Renaiſſance 
des 15. Jahrhunderts die Reformation des 16. Jahrhunderts mit 
ihren überwiegend theologiſchen Intereſſen folgte, jo folgte die 
Scholaſtik mit ihrem überwiegend philoſophiſch⸗theologiſchen Intereſſe 
der Renaiſſance des 10. und 11. Jahrhunderts, und wie im 16,, jo 
wichen auch im 12. Jahrhundert die humaniſtiſchen Studien nicht 
ohne lebhaften Widerſtand. Johannes von Salisbury erhob um 
1160 ähnliche Klagen und Anklagen wie Erasmus um 1520. Das 
wiſſenſchaftliche Leben der ſcholaſtiſchen Periode war viel zu friſch, 
als daß ſich nicht die Gegenſatze, die es erzeugte, gegenſeitig ſcharf 
beleuchtet hätten. Neben der milderen Ermahnung wie in dem Satze: 
„Wer die partes (d. i. die Grammatik) nicht kennt, kann die artes 


) Prolog des Metalogicus: Non dedignatus sum modernorum proferre 
sententias, quos antiquis in plerisque praeterre non dubito. Spero equidem, 
quod gloriam eorum, qui nune sunt, posteritas celebrabit, eo quod multorum 
nobilla mirer ingenia, investigandi subtilitatem, diligentiam studii, felici- 
tatem memorise, fecunditatem mentis et oris facultatem et copiam*verbi. 


Thus the false clerks of har hevid (Go serwiten bie Gophiften) 
Maklih men trewih of ham berevid (einen ehrlichen Wann). 
8 machte ein frangöfifcher Dichter den Kampf der Richtungen 
1 zum Gegenſtand eines halbdramatiſchen Gedichts: La bataille 
a — Es ſchildert, wie die in Paris überwiegenden philo⸗ 
ſiophiſchen Studien die philologiſchen bedrängen, welche nach hartem 
e aus ganz Frankreich weichen und ſich in ihren Hauptſitz 
| — und Blois zurückziehen müſſen ). Der Führer 
der hu h Geſinnten war Johannes von Salisbury. Er geißelte 
dit Zr — Lehrer, unreife Knaben, die kaum die Elemente der 
Bram begriffen hätten, in die Subtilitäten der ontologiſchen 
ö bogiſchen Unterſuchungen einzuführen. Die Unterweiſung nach 
2 = m logiihen Elementarbuch des Porphyrius ſei zu billigen, wenn 
8 betrieben werde, wenn man nicht künſtlich die Sache 
en een Aber es ſei eine Schmach, daß man mit dieſen Elementen 
beſten Teil des Lebens hinbringe und dann keine Zeit mehr habe, 
ſich mit den Werken der Alten zu beſchäftigen, um derentwillen 
jene Vorſtudien betrieben würden. Davon wolle jedoch die 


3 un 


9 The politie.Songs of England, ed. Th. Wright, Camden Soe. 1859, p.211. 
ie ar J Oeuvres complötes de Rutebeuf trouvere du XIII siecle recueillies 

et m an jour pour la première fois par Achille Jubinal. 2 Bde. Paris 
* . 2. Additions p. 415 f. Das Gedicht nennt eine Reihe der hervor; 


ber arten und ihre Flucht wird p. 434 geſchildert: 

4 Et li autorel sen fuirent 
Qui la gramaire déguerpirent 
Versifiöres li cortois 
Senfui entre Orliens et Blois 
Il nose mes aler par France 
Qu’il n’i a nule connoissance 
Quar arcien et discretistre 
Nont mes que ſere de lor gistre. 


* En 5 ’ — . = * 
N 3 2 
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5 en 
* 


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44 Corniſicius. 


Jugend nichts wiſſen, in ihrem logiſchen Uebermut wolle ſie nichts 
lernen und alles mit Schwatzen machen!). Dieſen Wahnſinn der 
Methode perſonifizierte er in einem Magister Cornificius und über⸗ 
ſchüttete ihn mit immer erneutem Spott, etwa wie die Humaniſten 
die Dunkelmänner. Ego quidem omnino non miror, si credulos 
auditores suos multa mercede conductus et multo tempore aerem 
verberans docuit nihil scire, cum et ipse sic edoctus sit a magistris... 
Mit Thorheiten füllt er den Schülern den Kopf (fabellis ... et nugis 
suos pascit auditores) und verſpricht ihnen, er werde fie ohne 
Kenntnis der Kunſt zu Rednern und in kurzer Zeit und a 
ftrengung zu Philoſophen machen (quos sine artis beneficio, si vera 
sunt, quae promittit, faciet eloquentes et tramite compendioso sine 
labore philosophos). Die Poeten und Geſchichtſchreiber lieſt man 
nicht mehr, dieſem Geſchlecht gelten ſie nichts, und in kürzeſter Friſt 
treten die als Lehrer auf, die als illitterati zur Schule kamen. Aber 
freilich wiſſen ſie auch nichts zu lehren, als von convenientia, ratio 
und argumentum zu ſchwatzen ?). 


1) Metalogicus II, 16 Ende (Migne p. 875): recte quidem, si recte 
doceatur id est, ut tenebras non inducat nec consumat aetatem. Indignum 
enim est, si in quinque vocabulis (den fünf Begriffen, welche jenes Elementar⸗ 
buch der Logik behandelt) addiscendis quis vitam terat, ut ei desit spatium 
procedendi ad illa, quorum gratia debuerant haec praedoceri. Im Entheticus 
B. 41 ff. hat er noch härtere Worte für dieſe garrula turba puerorum: 

Si sapis autores, veterum si scripta recenses, 

Ut statuas siquid forte probare velis, 

Undique elamabunt: vetus hie quo tendit asellus? 
Cur veterum nobis dieta vel acta refert? 

A nobis sapimus, docuit se nostra juventus. 

Non recipit veterum dogmata nostra cohors. 

Non onus accipimus, ut eorum verba sequamur. 

) Solam convenientiam sive rationem loquebantur, argumentum 
sonabat in ore omnium, Ib. Kap. 4 preift er dann eine Reihe von Gelehrten, 
die noch die alte Tradition verteidigten und fleißig in den Autoren arbeiteten, 
und nennt ſich einen Schüler ſolcher Männer: 

neque enim ut Cornifieius me ipsum docui, 
Die gleiche Klage erhebt das Lied Nro. 69 der Carmina Burana: 
Florebat olim Studium 
Nunc vertitur in tedium, 
Sed retroactis seculis 
Vix lieuit discipulis 


Scholaſtik und Reformation. 45 


Indeſſen konnte fein Spott die Entwicklung nicht aufhalten, fo 
wenig Melanchthon Humaniſt bleiben konnte, als die Zeit der Ne 
formation gekommen war. Beide haben ſchließlich doch ſelbſt den 
beſten Teil ihrer Kraft, teils litterariſch, teils politiſch, den neuen 
Intereſſen widmen müfjen. Man war an der Hand der Alten fo weit 
herangewachſen, daß man ſich mit der Nachahmung klaſſiſcher Vor⸗ 
bilder und ähnlichen litterariſchen Tändeleien nicht länger begnügen 
konnte, man fühlte ſich gedrängt, mit der gewonnenen Bildung 
zu löjen, und in beiden Fällen, in dem 12. wie 
bot ſich zunachſt eine theologiſche und eine kirch⸗ 
Reformation zeritörte allerdings das theologiſche Werk der 
aber unter einem allgemeineren Geſichtspunkt erſcheint die 
beiden Perioden in der Entwicklung des geiſtigen Lebens 
Die Scholaſtik gab der Lehre der Kirche eine Form, 
einreihte in die übrigen wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen der 
befähigte ſie, die Forſcher, welche die Gedanken des Ari⸗ 
| nachdachten und erneuerten, zu dulden, ja zu ehren. Die 
Arbeit leiſtete die Reformation. Der Kirche wurde eine Form 
| „in welcher fie der neu auftretenden Wiſſenſchaft freiere Be⸗ 
geſtattete. Man konnte wieder der Kirche angehören und 
dem Aufſchwung der Wiſſenſchaft folgen. Die ſcholaſtiſche 
hat zwar wiederholt Gelehrte und Bücher unter Zenſur 
aber nur, um vielfach dieſelben Gedanken und Syſteme bald 
erzeugen und jedenfalls ohne den Mut der Forſchung zu 
Ebenſo die proteſtantiſche Theologie. Hat ſie auch Strauß ver⸗ 
Wolf vertrieben: der Proteſtantismus hat doch den Boden 
dem die moderne Wiſſenſchaft und Litteratur erwachſen 
würde der Syllabus herrſchen und der Index librorum 
. der jetzt auch in ſtreng katholiſchen Kreiſen nur eine 
beſchränkte Wirkung übt ). 
Der Sieg der Scholaſtik über die vorwiegend humaniſtiſche und 


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1775 


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Tandem nonagenarium 
(Quiescere post studium, 

At nunc decennes pueri 
Decusso jugo liberi 

Se nune magistros jactitant, 
Ceei cecos preeipitant. 


) Reuſch, Der Inder der verbotenen Bücher. 2 Bde. Bonn 1883 u. 1885. 


46 Sieg der Scholaſtik. 


litterariſche Periode des 11. Jahrhunderts wurde durch Peter Abälard 
(+ 1142) herbeigeführt. Er übte die dialektiſche Kunſt in jo glänzender 
Weiſe, daß er die lebhaft erregte und hochbegabte Generation des 
12. Jahrhunderts ganz dafür gewann. Bei ihm traten auch die 
erwähnten Mängel nicht hervor. Er beſaß eine umfaſſende Bildung 
und verehrte die Alten, aber mit ſeiner Dialektik hofften die Schüler 
auch zu gewinnen, was er an Kenntniſſen beſaß ), und warfen ſich 
erfolgesſicher auf die einſeitige Pflege der Logik. Mit ihm und den 
leidenſchaftlichen Kämpfen, die ſein Auftreten veranlaßte, begann die 
dialektiſche Fertigkeit das vorwaltende Intereſſe zu gewinnen, es 
begann die Vernachläſſigung der Grammatik und der Schriften der 
Alten mit Ausnahme der Ueberſetzungen, Auszüge und Kommentare 
einiger Schriften des Ariſtoteles, und im Unterricht der Grammatik 
ſelbſt das Vorwiegen der dialektiſchen Uebung an metaphyſiſchen 
Problemen, die an die grammatiſchen Kategorien angeknüpft wurden. 
Aber Abälard vollendete nur den Sieg der Richtung, im weſentlichen 
fertig erſchien ſie bereits im 11. Jahrhundert in dem Kampf der 
Schule des Kloſters Beccum unter Lanfranc und Anſelm von Canter⸗ 
bury gegen Berengar in Tours. Anſelm von Canterbury im beſon⸗ 
deren wird der Vater der Scholaſtik genannt. Indem er für die 
Theologie, die im Mittelalter für die vornehmſte aller Wiſſenſchaften 
galt, die dialektiſche Behandlung forderte und in großem Maßſtabe 
durchführte, gewann die ſcholaſtiſche Richtung jene Kraft und jene 
das ſachliche Intereſſe gefährdende Herrſchaft über den Sinn der Zeit. 
Allerdings hatten ſchon die Kirchenväter die Glaubenslehre philoſophiſch 
zu begründen oder zu verteidigen geſucht, und in der karolingiſchen 
Periode und im 10. Jahrhundert hat es ebenfalls nicht an ſolchen 
Verſuchen gefehlt. Benedict von Aniane (T 821) klagte bereits über 
den Mißbrauch der Dialektik in Fragen des Glaubens, und Scotus 
Erigena (T 875) war ein großer Philoſoph im Sinne der Scholaſtik. 


) Wie ſehr Abälard die Alten bewunderte, zeigen feine Ausführungen: 
Migne, Patres latini Nro. 178 p. 1139 fl. Gern lehnte er dabei ſeine Anſicht 
an Worte des heil. Auguſtin an. Namentlich verweiſt er auf De civitate Dei, 
wo Auguſtin ſagt, Plato ſtimme fo auffallend mit der chriſtlichen Wahrheit überein, 
daß einige die Vermutung ausgeſprochen hätten, Plato habe auf ſeinen Reifen 
nach Aegypten den Jeremias kennen gelernt oder deſſen Schriften. Allein Jeremias 
et geſtorben, ehe Plato geboren wurde, und feine Schriften ſeien zu Platos Zeit 
noch nicht ins Griechiſche Übertragen geweſen. 


An ſelm ai Canterbury. 47 


Er formulierte in aller Schärfe den Satz, daß die wahre Philoſophie 
die wahre Religion. und umgekehrt die wahre Religion die wahre 


geoffenbarte Religion durch die wahre Philoſophie konnte beſeitigt 
werden, und hat bei dieſem Vertrauen ſich dem Fluge ſeiner Ge⸗ 
danken jo kühn überlaſſen, daß er zwar vielfach Anſtoß erregte, aber 
auch Staunen und Bewunderung. Sie wird ihm auch heute noch 
zu teil. Neben und nach Scotus Erigena waren auch andere in 
dieſer Richtung thätig, aber es waren doch immer nur einzelne, und 
Zeit der Ottonen das wiſſenſchaftliche Leben einen großeren 
Y nahm und weitere Kreiſe ergriff, da hatte es, wie oben 
gezeigt wurde, zunachſt einen anderen, mehr humaniſtiſchen Charakter, 
. Zeit, die mit Anſelm begann. 
erſte größere Schrift war das Monologium, in welcher 
von Gott begrifflich zu entwickeln ſuchte. Sie entſtand 
zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts !). Sein Auftreten fiel 
alſo zuſammen mit dem Inveſtiturſtreit, und er hat ſelbſt eine Haupt⸗ 
rolle in demſelben geſpielt. Es war die Zeit, da Gregor VII. es 
unternahm, Kaiſer und Könige abzuſetzen und durch eine Verbindung 
ſchwärmeriſcher Myſtik und rückſichtsloſer Syllogiſtik der beſtehenden 
Ordnung den Boden zu entziehen. Er entſchied die Umwandlung 
der Kirche in einen ſelbſtändigen Staat, gab ihr das Vollgefühl der 
Kraft und die Ueberzeugung von der Notwendigkeit ihrer Anſprüche 
und von der Gewißheit ihres Sieges. Es iſt ein Ausdruck dieſer 
Stimmung und ein Gegenſtück zu dem Kampf um die Weltherrſchaft, 
wenn nun Anſelm die Wiſſenſchaft in die Kirche aufzunehmen ver⸗ 
ſuchte. Sein Standpunkt war von dem ängſtlichen Grundſatz, die 
Wiſſenſchaft als Magd der Kirche zuzulaſſen, der von Auguſtin bis 
auf Anſelms älteren Zeitgenoſſen Petrus Damiani vorherrſchte, 
weſentlich verſchieden. Die Wiſſenſchaft ſollte ein Teil der Kirche, 
des kirchlichen Lebens, des religiöſen Genießens werden. Anſelm ſtand 
ſo hoch über jener früheren Anſicht, wie Gregors VII. Verhalten zum 
Staat zu der Auffaſſung Auguſtins. Gregor VII. ſah im Staat nicht, wie 
ee — ein notwendiges Uebel, deſſen man nur für gewiſſe Dienſte 


7°) Migne, Patres latini Nro. 158 p. 142 f. Dazu Haſſe, Auen von 
. 1— 1852. 


nie 


48 Anfelm von Canterbury. 


nicht entraten könne, wenigſtens verharrte er nicht bei dem Ge: 
danken. In der Oberleitung der Staaten durch die Kirche vollendete 
ſich ihm die Kirche. Der Staat war ihm ein Teil der Kirche, die 
weltlichen Fürſten ſollten die Vaſallen des Prieſterfürſten ſein. Dem 
analog pflegte Anſelm die Wiſſenſchaft nicht, um die Wahrheit der 
Kirche zu verteidigen; ſein Glaube ſagte ihm: ſie bedarf deſſen nicht. 
Das wäre, als wolle man den Olymp mit Pflöcken und Seilen 
befeſtigen, aus Furcht, er könne ſtürzen !). Die Wiſſenſchaft kann 
gelegentlich dienen, Angriffe der Ketzer und Heiden abzuſchlagen, aber 
die eigentliche Aufgabe ſeiner Studien ſah Anſelm darin nicht. 
Anſelm erklärte es geradezu für die höchſte Aufgabe des Chriſten, 
den Glauben in begriffliche Erkenntnis umzuſetzen. 

Die logiſche Behandlung der Lehre iſt eine Gnadengabe, die dem 
Menſchen verliehen iſt, nicht um die Wahrheit zu finden, dieſe iſt ihm 
ohne das verkündigt, ſondern um das, was er im Glauben erfaßt 
hat, nun auch denkend zu begreifen, um von dem Glauben an Gott 
zur Erkenntnis Gottes durchzudringen. Der Glaube liefert dem 
Verſtande den erhabenſten Inhalt, an dem er ſich üben und zu dem 
er ſich erheben kann. Fides quaerens intellectum, der Glaube, der 
ſein Geheimnis zu begreifen ſucht, iſt der Titel einer Schrift Anſelms, 
und mit dieſem Titel iſt die Aufgabe bezeichnet, welche die Scholaſtik, 
ſoweit ſie die Philoſophie auf die Theologie anwandte, während der mehr 
als 400 Jahre ihrer Herrſchaft in mannigfach erneuerter Weiſe und 
unter dem Einfluß der verſchiedenartigſten Anregungen und Perſon⸗ 
lichkeiten zu löſen verſucht hat. Unter ungünftigen Umſtänden, gegen⸗ 
über den Angriffen auf die Wiſſenſchaft, wurde natürlich gern der 
praktiſche, leichter einleuchtende Wert der Wiſſenſchaft zur Verteidigung 
des Glaubens gegen Ketzer und Ungläubige betont, aber jenes ideale 
Ziel, ihr Wert für die Vollendung des Glaubens blieb doch der 
Hauptgedanke der Zeit. Christianus per fidem debet ad intellectum 
procedere, non per intellectum ad fidem accedere aut, si intelligere 
non valet, a fide recedere. Sed cum ad intellectum valet pertingere 
delectatur, cum vero nequit, quod capere non potest veneratur. 
In dieſen Worten hat Anſelm feine Auffaſſung noch ausführlicher 
formuliert. Der Glaube muß da ſein, ehe der Verſuch unternommen 


— — — 


— ) Gleich kräftig äußert ſich Thomas von Aquino. Parmeſaner Ausgabe 


1 


Intereſſes an den Wiſsenſchaften anzusehen ſei. Die Nord: 
i Italiener Lanfranc und Anſelm hatten in dem normänniſchen Kloſter 


Oeuvres complötes de Ruteboeuf par A. Jubinal, Paris 1839, t. 2. 
Additions p. 415. La bataille des VII Ars. Der Anfang lautet: 

. Paris et Orliens ce sont . ij: 

C'est granz domages et gran denls 

Que li uns à l'autre n’acorde. 

Saves por qui est la descorde? 

Cuil ne sont pas d'une science 


Car Logique, qui toz jors tence, 


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1 Claime les auctors autoriaus 
1 Et les elers d’Orliens glomeriaus. 
8 Si vaut bien chascuns . II . Omers, 
1 Quar il boivent à granz gomers 

A Et sevent bien versiefier, 


Que d'une fueille d'un figuier 
Vous feront-il . 1. vers, 

Mös il redient que por vers 
Qu’il claiment la dyaletique 
Par mal despit quiquelique ete. 


eher die Theologen hat der Dichter die ſatiriſche Bemerkung (Madame la Hante 
SGceience): 

* A Paris sen vint ce me semble 

1 Boivre les vins de son celier. 

Die Medisiner höhnt er wegen der Geldſchneiderei. gl. die Anmerkung p. 422. 
0000 MRautmann, Gen der Hen Univerfitäten. 1. 4 

1 h 1 * g * 


* 


n 9 9 45 u 
. - 
* 


50 Die Bedeutung von Paris. 


Beccum ſüdlich von Rouen gelehrt und hatten dort auch ſchon auf 
weite Kreiſe Einfluß, aber erſt von Paris aus machte die Scholaſtik 
den Siegeszug durch das Abendland, unterwarf ſich ſelbſt die bei 
eigener Methode zu großem Ruhm gelangte Jurisprudenz zu Bologna, 
und umgekehrt gewann durch die Scholaſtik die Pariſer Schule ihre 
Bedeutung. In den früheren Jahrhunderten hatte bald dieſer, bald 
jener Ort eine hervorragende Schule, in der Zeit der Scholaſtik 
behauptete Paris dauernd die Ehre des tonangebenden Einfluſſes. 
Bologna, Oxford, Salamanca, Toulouſe u. a. hatten auch ſpäter noch 
in vielen Dingen größere wiſſenſchaftliche Kraft, und Paris entbehrte 
der ziviliſtiſchen Fakultät ganz; aber Paris galt trotzdem auch in 
dieſer Zeit als der Hauptſitz der Studien. Es begann das um 1100, 
wurde im Laufe des 12. Jahrhunderts zum Dogma und erhielt ſich 
die drei folgenden Jahrhunderte hindurch. Ein geflügeltes Wort jener 
Zeit erklärte die Thatſache gewiſſermaßen als einen Akt der göttlichen 
Gerechtigkeit; ſo ſeien die Gaben verteilt: den Deutſchen das Kaiſertum, 
den Italienern das Papſttum, den Franzoſen das Studium). Und 
gegen Ende des 12. Jahrhunderts ſagte ein in der Mitte des wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Treibens ſtehender Mann: Jede wiſſenſchaftliche Beſtrebung 
gewinnt größere Bedeutung, wenn fie nach Paris gebracht wird ). 
Man kann die Scholaſtik geradezu charakteriſieren als die Periode, in 
der Paris als das wiſſenſchaftliche Haupt des Abendlandes galt und 
in welcher dieſer Einfluß von Paris ſich dadurch geltend machte, daß 
die logiſchen Studien überwogen und die Methoden aller Fächer von 
der dialektiſchen Richtung ergriffen wurden. Dies war auch nicht 
ohne Einfluß darauf, daß die Gelehrten in dem Streit zwiſchen Kaiſer 
und Papſt überwiegend für den Papſt Partei nahmen. Denn Frank⸗ 


) Oft citiert iſt die bezügliche Aeußerung des Jordanus von Osnabrück, 
hrsg. v. G. Waitz, Abhandlgn. d. Gött. Gef. d. Wiſſ. XIV, 1 ff. 1869. Beſonders 
merkwürdig iſt die Erörterung, durch welche die franzöſiſche Regierung den Papft im 
Jahre 1366 abzuhalten ſuchte, feine Reſidenz wieder von Avignon nach Nom zu 
verlegen. Im allgemeinen komme es auf den Ort nicht an, ſonſt müſſe jedenfalls 
Jeruſalem vor Rom den Vorzug haben. Für Frankreich ſpreche, daß in Paris 
die hohe Schule fei, Studium translatum fuit a Roma Parisiis per Beatum 
Carolum Magnum quod etiam diutius ante Adem conceptam erat prae- 
fignratum. Als Beleg dafür dienen dann Cäſars Angaben über die Druiden. 
Bulaeus IV, 406, 

) Mitgeteilt von Giraldus Cambrensis, De rebus a se gestis in 
Wharton, Anglia saera II und in ben Opera, ed. Brewer, tom. 1, p. 46. 


5 1 
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3 
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Die logischen Parteien. 51 


reich war eine Hauptſtütze der Päpſte und die Eindrücke der Studien⸗ 
zeit pflegen zu haften. Es fehlte allerdings nicht an Ausnahmen. 
Der große Dichter Gunther!) wie der Verfaſſer des Yfengrimus waren 
taiſerlich geſinnt, aber die Mehrzahl war hierarchiſch. Einige Gedichte 
des 12. Jahrhunderte bezeichneten Friedrich Barbaroſſa und den 
Konig von England geradezu als „Vorläufer des Antichriſts“ ). 
Die Logik wurde auch Dialektik genannt und umfaßte zugleich 
die metaphyſiſchen Grundlagen des Denkens. Man hatte daneben 
den ſtrengeren Sprachgebrauch, welcher unter Logik nur die Lehre 
von der Technik des Denkens verſtand, aber der Schulbetrieb umfaßte 
immer beides. In dieſen philoſophiſchen Bemühungen der Scholaſtik 
traten ſich dieſelben Gegenſätze gegenüber, die ſich heute mutatis 
mutandis ale Idealiſten, Materialiſten, Poſitiviſten bekämpfen. 
Die einen faßten nur die Einzeldinge als objektiv gegeben oder 
3 wirklich vorhanden, die Allgemeinbegriffe (Univerſalien), das ſind die 
Bezeichnungen der Arten, Familien, Eigenſchaften als Abſtraktionen 
der Sprache und des Denkens. Sie wurden Nominaliſten oder Termi⸗ 
mien genannt, von nomen ober terminus. Die anderen faßten die 
Aniverſalien als Sachen, res, und hießen danach Realiſten. Mit 
dieſem Gegenſatz iſt aber nur angedeutet, in welcher Richtung ſich 
die Parteien bewegten; es waren nicht zwei Parteien, es war eine 
Fülle von Schattierungen, und in der mannigfaltigſten Weiſe wurden 
dieſe Auffaſſungen an den von den Einzelwiſſenſchaften und dem 
Leben gebotenen Problemen verſucht. Es gehört zur Charakteriſtik 
der Perioden der Scholaſtik, daß in ihnen die eine oder die andere 
NRMi.chtung vorherrſchte. 
V̈˙b?7NDddDei.ieſe ſcholaſtiſche Periode währte von der Zeit Abälards ab 
noch 400 Jahre. Erſchienen doch von dem ſeit dem 13. Jahrhundert 
1 maßgebenden Lehrbuch der Logik, der Summa des Petrus Hiſpanus, 


es wird immer als eine der glücklichſten Leiſtungen ſcharfſinniger Kritik 
gerühmt werben, daß es gelang, dieſen großen Autor des 12. Jahrhunderts ſicherzuſtellen. 
deſſen Hauptwerk lange als Fülſchung verachtet wurde. Dies Berdienft von Pannen: 
borgs Unterſuchungen ift allgemein anerkannt worden. Ob der Autor mit dem 
Nonch Gunther identiſch, wie Pannenborg, Der Verfaſſer des Ligurinus, Göttingen 
4 1883, Programm, ausgeführt hat, wird nicht fo allgemein zugeſtanden. Bir 
ſcheint die Beweisführung einen hohen Grad von Wahriheinligfeit zu haben. Bol. 
0 1 meinen Aufſatz „Alfatica*, Allgemeine Zeitung 1884, Nro. 342. 
Maldener, Zehn Gedichte, Nro. 5, 6, 7. 


52 Perioden der Scholaſtik. 


noch zwiſchen 1480 und 1516 über 40 verſchiedene Ausgaben), und 

die um 1500 gedruckten Grammatiken zeigen ebenfalls noch ganz den 
Stempel der ſcholaſtiſchen Methode. Die Periode zerfiel in Abſchnitte, 
die ſich in den verſchiedenen Wiſſenſchaften in verſchiedener Weiſe 
abgrenzten. In der Philoſophie unterſchieden ſie ſich zunächſt durch 
das Material?), das den tonangebenden logiſchen Unterſuchungen zu 
Grunde gelegt wurde. Abälard und ſeine Vorgänger hatten nur 
einige Schriften des Ariſtoteles benutzt. Um die Mitte des 12. Jahr⸗ 
hunderts wurden dem Abendlande auch die bisher unbekannten zu⸗ 
gänglich, und im 13. Jahrhundert kam neue Anregung durch die 
byzantiniſche Logik und die Schriften der mohammedaniſchen und 
jüdiſchen Philoſophen in Spanien und Nordafrika, welche von der⸗ 
ſelben wiſſenſchaftlichen Strömung ergriffen waren. Sie bemühten 
ſich um das im weſentlichen gleiche Problem, die Vorſtellungen von 
Gott und Welt, welche ihnen ihr Glaube und ihr Schickſal darbot, 
mit den philoſophiſchen Lehren in Einklang zu ſetzen, welche ſie auf 
Grund der Ariſtoteliſchen Schriften entwickelten, und zerfielen auch in 
ganz entſprechende Parteien und Schattierungen, wie die chriſtlichen 
Scholaſtiker. Jehuda ha Levi?) erhob um 1140 in dem Dialog 
Choſari in geiſtvoller Weiſe denſelben Proteſt gegen den Verſuch, zu 
den Geheimniſſen des Glaubens mit Vernunftſchlüſſen vorzudringen, 
wie die gleichzeitige Schule von S. Victor gegen Abälard und Petrus 
Lombardus. Beweiſe für das Daſein Gottes zu verlangen und zu 
ſuchen, nannte er eine Thorheit. Saadja (7 942) formulierte die 
Aufgabe der Wiſſenſchaft in derſelben Weiſe wie ſpäter Anſelm von 
Canterbury, und Maimonides handhabte die allegoriſche Deutung der 
Bibel wie Bonaventura. Es waren unter ihnen glänzende Geiſter, 
von großer Innigkeit des religiöſen Empfindens und Schärfe der 


1) Aufgezählt bei Prantl, Geſchichte der Logik III, 35, Note 143. 

) Nach Prantl wäre dies die einzig mögliche Art der Periodiſierung: allein 
für die Scholaſtik im allgemeinen ift dieſe Behauptung keinesfalls zutreffend. Die 
Stellung der verſchiedenen Wiſſenſchaften zu der dialektiſchen Methode, das Ber: 
halten der Kirche zu der Scholaſtik, die Entwicklung der Schulen und Univerfitäten, 
welche Träger der Scholaſtik waren, die Stellung der Myſtik und der humaniſtiſchen 
Strömungen find ebenfalls zu berückſichtigen. 

Er fang: O, höre nur auf ihren Lügenmund, 

Trau ihrem Bau, der ruht auf ſchlechtem Grund, 
Mit ödem Herzen wirft zurück du kommen, 
Wenn du den leeren Schwall erſt ſatt bekommen. 


Einfluß der Inden und Mobammebaner. 53 


Argumentation, auch verbunden mit reicher poetiſcher Begabung. 
Dieſe ſpaniſchen Mohammedaner und Juden haben deshalb auch auf 
die chriſtliche Scholaſtik einen ſtarten Einfluß geübt ), und manche 
Beurteiler verraten die Neigung, die jüdiſch mohammedaniſche Scho⸗ 
llaſtik Höher zu ſtellen als die chriſtliche. Allein gleichviel, wie die 
Kenner von der Bedeutung und den ſchriftſtelleriſchen Leiſtungen 
einzelner Autoren urteilen mögen, im ganzen betrachtet erſcheint die 
criſtliche Scholaſtik ungleich bedeutender. Den Juden und Mohamme⸗ 
fehlte der großartige ge der mittelalterlichen Kirche, 


der romaniſchen und germaniſchen Volker bot. So blieben fie in 
Lande * er ſich, in der Wirkung mehr auf kleine 


der neuen Geſchichte bildet. Damit hing aufammen, daß 
Ddieſen christlichen Scholaſtikern in den Univerſitäten die Bildung eines 
auf weite Kreiſe, auf Staat und Kirche mächtig einwirkenden Organs 
Ben dem die Mohammedaner und Juden nichts an die Seite zu 
ſtellen haben. 
| Dieſe Bildung war ein Produkt der wiſſenſchaftlichen Bewegung, 
* aber zugleich ein ſtarkes Ferment derſelben. Eine Menge von An⸗ 
3 trieben war mit den neuen Titeln, Lehrſtellen und Aufgaben gegeben, 
gi auseinanderſtrebende Kräfte wurden zu gemeinfamer Arbeit vereinigt 
und ſchlummernde geweckt. Die Wiſſenſchaft fühlte, daß fie eine 
| Macht ſei, und die Welt fühlte es ebenfalls. Die hiſtoriſche Bedeutung 
der jadiſch⸗mohammedaniſchen Philoſophie iſt dagegen vorzugsweiſe 
in dem Einfluß zu ſuchen, den fie auf die eigentümliche Blüte der 
belagern Studien im 13. Jahrhundert hatte und auf die Art, 
wie die neugewonnenen Bücher des Ariſtoteles benutzt wurden. 
In den erſten Dezennien des 13. Jahrhunderts wurde das 
Studium des Ariſtoteles von der Kirche immer noch mit einem 
gewiſſen Verdachte angeſehen und teilweiſe verboten). Im Laufe des 


u J So durch das berühmte Buch Fons vitae des Ibn Babirol (f um 1070): 
+ unk. Mölanges und Kämpf, Nichtandaluſiſche Pocſic l. 175, Anm. u. II, 199. 
u. ) 1210 durch ein Provinzialkonzil für Paris. 1215 wurde dies durch den 
lichen Legaten wiederholt, 1231 durch den Papſt ſelbſt. Jourdains Inder 


„ eure wis >. 
1 e * 


54 Ariſtoteles und die Kirche, 


Jahrhunderts wurde dieſes Verbot erſt thatſächlich durchbrochen und 
dann beſeitigt. Die Anerkennung, welche die weſentlich auf Ariſtoteles 
begründeten Werke des Thomas von Aquino und ſeines Lehrers bei 
der Kirche fanden, entſchieden den Sieg der Anſicht, daß keine Feind⸗ 
ſchaft ſei zwiſchen dem „Philoſophen“ und der „Offenbarung“ oder, 
wie man damals auch ſagte, zwiſchen der „Vernunft“ (ratio) und 
dem „Glauben“ (auctoritas) 1). Nicht als ob alle Gegner dieſer Ver⸗ 
ſuche zum Schweigen gebracht worden wären, aber Thomas von 
Aquino!) und feine Lehre gewannen vorherrſchenden Einfluß, und jo 


12, 17 u. 34. gl. Launoius, De varia Aristotelis in Academia Parisiensi 
fortuna. Opera, ed. 1732. fol. tom. IV, 173—245. 

) Dieſe Unterſcheidung war nicht nur in wiſſenſchaftlichen Werken üblich, 
ſondern auch in populären. Vgl. Political Songs II, 18: And pray them to 
ground their answers In reason and in holy writ. 

) Als Einführung in die Schriften des heil. Thomas von Aquino mag 
K. Werner, Der heilige Thomas von Aquino, 3 Bde., 1858 — 1859, dienen, im 
beſonderen hat Bd. 1 dieſe Aufgabe. Der zweite Band ſtellt die Lehre des heil. 
Thomas dar, der dritte gibt eine Geſchichte des Thomismus. Die neuere Litteratur, 
welche die Bewunderung zu vermehren und die Herrſchaft des Philoſophen zu erneuern 
ſucht, iſt zahlreich, ſowohl in ſelbſtändigen Werken wie in Abhandlungen. Von 
größeren Werken nenne ich Gongalez l(überſetzt von Nolte), Die Philoſophie des 
heil. Thomas, 3 Bde., 1885, und Cache ux, La philosophie de 8. Thomas, 1858. Die 
Einleitung enthält p. XX—XXVIII eine Apotheoſe. Dazu A. Goudin (Bruchard), 
Philosophie suivant les principes de S. Thomas, 4 Bde., Paris 1864; Kleutgen, 
Die Philoſophie der Vorzeit, 2 Bde., 2. Aufl. 1878. Unter den Monographien 
außer der ſchon erwähnten von Schäzler noch Leitner, Der heilige Thomas und 
das unfehlbare Lehramt 1872; Réeéjac, La resurrection de la Chair devant 
la raison et la science selon la doctrine de saint Thomas d' Aquin. Bordeaux 
1888. p. 11 heißt es: La vole . . . fut trop bien frayée par 8. Thomas, le 
prince universellement préſéré de la théologie chrétienne. Ferner L. C. 
Bourquard, Membre de Académie Romaine de saint Thomas d' Aquin. 
L'Eueyelique Aeterni Patris, Strasbourg 1883, und Franz Morgott, Die 
Mariologie des heiligen Thomas von Aquino, Freiburg 1879. Dieſe Schrift ſucht 
die unbequeme Thatſache zu beſeitigen, daß Thomas die Lehre von der unbefleckten 
Empfängnis der Jungfrau Maria nicht angenommen hat. S. 87 führt Morgott 
aus des heil. Thomas Expos. in Salut, Ang. die Stelle an: Christus excellit 
B. Virginem in hoe, quod sine originali conceptus et natus est, beata autem 
Virgo in originali est concepta sed non nata. Trotzdem glaubt Morgott, nur 
eine oberflächliche Auffaffung könne den heil. Thomas zu einem Gegner der bez. 
Lehre machen. Er ſagt p. 95: „Daß chedem viele Schüler und Ordensgenoſſen 
des engliſchen Lehrers, an die Oberfläche feiner Worte ſich haltend, feinen 
glänzenden Namen auf die Fahne ſchrieben, unter der fie das große Priwilegtum 


B E 


Thomas von Aquino. 55 


bezeichnen ſie den Zeitpunkt, in welchem die Ausgleichung von Glauben 
und Wiſſen am vollſtandigſten erreicht zu fein ſchien und die darauf 
| gerichtete Methode am kraſtigſten überzeugt war von ihrem Erfolg. 
In dieſem Sinne darf man Albertus Magnus und Thomas von 
Aauino als den Hohepunkt der Scholaſtik bezeichnen, und da im 


5 
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1 
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1 
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sun fata libelli — darüber gehen die Meinungen auseinander. 
Bergötterung, die mit ihm getrieben ward und wird, ſtellt Prantl, 
Logik III. 108, die wiſſenſchaftliche Bedeutung feiner logiſchen Arbeiten 

„denn nur Sache eines unklaren Berftandes kann es fein, wenn man 
Subſtanzbegriff neben der Trinitätslehre fefthalten zu können 
die Ariſtoteliſche Ethik in chriſtliche Moraltheologie verball⸗ 
Eindruck dieſes Räſonnements, daß es andere Urteile in 


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zu ben ordnenden (S. 4), und ſodann, daß 


ganze Arbeit auf ein unmögliches Ziel gerichtet war, da er die grund⸗ 
mus und des Chriſtentums als über: 


und 9 
ſich aufthuende Kluft durch logiſche Begriffsſpielereien, durch Worte zu 
überbrüden. Euckens Urteil weicht alſo in dieſem Punkte mehr in der Form als 
in der Sache von Prantl ab. Der Kern feiner Schrift richtet ſich gegen den 
Berſuch, die Philosophie des Thomas in der Gegenwart erneuern zu wollen. Er 
zeigt, daß die für Thomas weſentlichſten Anſchauungen und Borftellungen durch 
thatſüchlichen Gang der Dinge befeitigt worden find: mag eb viele geben, 

ſein glauben, Thomiſten im Sinne des Thomas gibt es nicht 


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56 Die Scholaſtik des 14. Jahrhunderts. 


einer Zerſetzung der Scholaſtik ſprechen. Nur iſt der Ausdruck nicht 
ſo zu verſtehen, als zeigte das 14. Jahrhundert einen Rückſchritt in 
der wiſſenſchaftlichen Bewegung und Mangel an wiſſenſchaftlicher Kraft. 
Das war durchaus nicht der Fall. Die Behandlung der großen 
Streitfrage über das Verhältnis von Kirche und Staat drang mit 
Occam, ſeinen Freunden und ſeinen Gegnern ungleich tiefer in den 
Gegenſtand ein als die gerühmte Abhandlung des Thomas von Aquino. 
Auf dem Gebiete der Theologie ging die Kirche weſentlich unter dem 
Einfluß von Duns Scotus, dem Gegner des Thomas, in der Lehre von 
der unbefleckten Empfängnis über Thomas von Aquino hinaus. Mag 
man dies rühmen oder bemängeln — vom Standpunkt der Kirche 
wird man es als einen Fortſchritt anſehen müſſen. Die juriſtiſche 
Scholaſtik verehrte in Bartolus und Baldus ihre Meiſter, die ein 
Jahrhundert ſpäter lebten als Albertus Magnus und Thomas von 
Aquino, und endlich iſt auch für die philoſophiſchen Disziplinen kein 
Rückgang zu verzeichnen. Vielmehr verfügten ſchon Roger Baco und 
Duns Scotus über beſſere philologiſche Kenntnis des Ariſtoteles als 


mehr“ (S. 53). Ich füge hinzu, daß ich in den wichtigen Traktaten des Thomas, 
mit denen ich mich zu beſchäftigen hatte, nichts gefunden habe, was den Eindruck 
einer genialen Natur, einer wirklich großartigen wiſſenſchaftlichen Kraft machte. 
Die ſcholaſtiſche Form erſchwert ſolchen Eindruck allerdings, hindert ihn aber nicht. 
Bei Abälard hat ihn wohl noch jeder empfangen, und bei Hugo von S. Victor 
hatte ich ihn wiederholt ſehr ſtark. Oft wird Thomas gerühmt, daß er immer 
Maß halte und Takt zeige. So unbedingt möchte ich auch dies Urteil nicht wieder⸗ 
holen, wenn ich z. B. in feinen Quodlibeticae Lin der ed. Parm. tom. IX, 
Quaestio X, Articulus 18) leſe: Utrum aliquis possit esse naturaliter vel 
miraculose simul virgo et pater? Et videtur quod hoc possit esse mira- 
eulose. Quia pater et mater simul sunt generationis principia. Sed aliqus 
mulier fuit simul virgo et mater. Ergo pari ratione aliquis vir miraculose 
potest simul esse virgo et pater. Item videtur quod hoc possit esse 
absque miraculo. Quis daemon incubus potest furari semen viri virginis 
in somnis polluti et transfundere in matricem mulieris, ex quo quidem 
semine potest coneipi proles .. . In dieſem Tone geht ess weiter. Unter 
anderem unterſucht Thomas, ob Chriſtus auch aus dem Fuß oder der Hand der 
Maria hätte geboren werden können. Seine Darſtellung unterſcheidet ſich hier in 
nichts von der geſchmackloſen Sophiſtik anderer Scholaſtiker. Man wende nicht 
ein, daß in den Quodlibeticae oft ein ſcherzhafter Ton herrſche. Die Quod- 
libeticae des Thomas find ernſthaft, und im beſonderen iſt er hier ernſthaft. Wenn 
das, was er ſagt, wie eine Satire klingt auf ernſthaftes Denken, jo hatte doch 
Thomas keineswegs die Abſicht, eine ſolche Satire zu ſchreiben. 


Die Scholaftif des 14. Jahrhunderts. 57 


— von Aquino, und die Logik erlebte im 14. Jahrhundert eine 
gewaltige, alle Seiten berührende Erneuerung. Unter den Gegnern 
des Thomas von Aquino hatte Duns Scotus den größten Namen!“) 
| um 1300 wurden die feindlichen Schulen als Thomiſten und 
ichnet. Der Kampf bezog ſich wohl im einzelnen auf 
ſche Fragen ſowie auf Definitionen und Formeln — aber 
ſich der Gegenſatz nicht. In dem ehemals wichtigſten 
die Definition der Univerſalien ſtanden die Parteien 
einmal fern und ebenſo im Verhältnis zu Ariſtoteles: 
verſchieden geartete Geiſter, die für ihr philoſophiſches 
un ſuchten, und dies Bedürfnis war ſtark genug, 
ſchweren Feſſeln der ſcholaſtiſchen Methode und unter 
durch die großen Namen zu mehr oder weniger 
Anerkennung gelangten Formeln und Auffaſſungen nicht 


trat der Gegenſatz namentlich bei der Frage nach der 
des Willens hervor und bei dem Streit um die Grenzen 
= E der Erkenntnis. Die einen wagten auch die heikelſten Dogmen logiſch 

zu konſtruieren, die anderen wieſen der Logik mehr nur eine elemen⸗ 
n, vorbildende Stellung an. Dabei handelte es ſich nicht ſowohl 

um Gegenſätze der großen Gruppen, ſondern der Einzelnen. 

Im Lauf des 14. Jahrhunderts kamen dazu noch von verſchie⸗ 
denen Seiten neue Antriebe ſtärkerer Bewegung. Einmal gewann 
die von der Scholaſtik ſich allmählich löſende Myſtik immer ſteigende 
Bedeutung. Sie bediente ſich auch mehr und mehr der Volksſprachen 
und gewann nationale Färbung. Das war um fo wichtiger, als die 
| 3 Einheit der abendländiſchen Chriſtenheit faſt nur noch in der Theorie 
fſeeſigehalten wurde. Thatſächlich waren die Einzelvölker ſich ihres 
Gegenſatzes kräftig bewußt, der Papit verlor das Regiment, wie es 
* * die Kaiſer verloren hatten. Auch das allen gemeinſame Lehenweſen 
1 * gerfiel, die Formen und Einrichtungen der modernen Staatsordnung 
ttaten hier früher, dort ſpäter, aber doch allerorten in kräftigen und 


deer verſchiedenartigen Entwicklung gemäß verſchiedenartigen Anfangen 
1 | feine Stelle. Es war die Uebergangszeit aus dem Mittelalter 


1 
18 


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1 


His: 
18 


9. Gerner, Die Scholaſtit des fpäteren Mittelalters. Bd. 1: Joh. Duns 
Seotus, Wien 1881. Bb.2: Die nachſcotiſche Philosophie. Wien 1888. Bd. 3: 
Der Auguftinismus in der Scholaſtik des fpäteren Mittelalterd. Wien 1888. 


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58 Neue Anregungen. 


in die neue Zeit. — Dante war noch ein überwiegend mittelalterlicher 
Menſch, aber in ihm und ſtärker noch in anderen Zeitgenoſſen, wie 
Albertino Muſſato und in der folgenden Generation der Petrarca, 
Boccaccio, und ferner in Männern wie Johann von Paris, Konrad 
von Megenberg!) regte ſich auch auf dem Gebiete der Litteratur und 
Wiſſenſchaft die neue Zeit, welche durch Aenderungen der politiſchen 
und militäriſchen Verhältniſſe, Einrichtungen und Anſchauungen, durch 
die ſteigende Bedeutung des Geldes, durch mancherlei Erfindungen 
und neue Handelswege das Mittelalter verdrängte. Der Bann 
des Papſtes verlor ſeine Kraft und die lateiniſche Sprache ihre Herr⸗ 
ſchaft?). In allen Zungen wurde von dem Mißbrauch der päpftlichen 
Gewalt gepredigt, und ſelbſt Bettelmönche ertrugen es, im Banne zu 
leben. Päpſte wurden abgeſetzt und ihre Prozeſſe vor aller Welt 
verhandelt, in England und Frankreich vereinigten ſich die Völker 
und ihre Könige zum Widerſtande gegen die finanzielle Ausbeutung 
durch die Kurie. Die huſſitiſche Ketzerei blieb unbeſiegt, die zu⸗ 
nehmende Kenntnis der griechiſchen Sprache eröffnete neue Quellen 
des Wiſſens, welche geeignet waren, den Ariſtoteles zu verdrängen, 
und die Buchdruckerkunſt !“) beſeitigte das wichtigſte Hindernis ihrer 
raſchen Verbreitung. 

Dem wiſſenſchaftlichen Leben kamen ſo mannigfaltige Anregungen; 
von beſonderer Bedeutung war dann aber noch, daß innerhalb der 
Scholaſtik der lange ſchlummernde Streit um die Univerſalien wieder 
erwachte. Bei den Juden und Mohammedanern hatte man früh die 


) In feiner Oeconomica erhob er um 1360 gegen Marſilius von Padua 
und andere, welche behaupteten, quod imperator habeat constituere papam, 
den Einwand: magna differentia est inter imperatorem olim et inter nune 
reges et imperatores. Das ift eine Erwägung, welche die Konſtruktionen der 
Scholaſtiker durchbricht. Bol. Niezler, Die litterar. Widerſacher, S. 200. 

) Iſt es für die Scholaſtik überhaupt charakteriſtiſch, daß neben der Jatei: 
niſchen Litteratur eine Litteratur in den Volksſprachen nebenherging, ſo gilt dies für 
das 14. und 15. Jahrhundert noch in ungleich höherem Maße wie für das 13. Jahr: 
hundert. Gerſon hielt ſchon amtliche Reden franzöſiſch. 

2) Ein intereſſantes Zeugnis von der Begeiſterung, mit welcher fie auf: 
genommen wurde, bietet ein Brief des J. B. Ascenſius an den bekannten Abt 
Joh. von Trittenheim bei Gelegenheit des Druckes großer Abſchnitte von Occams 
Dislogus (Goldast, Monarchia II, 392). Er nennt fie divina imprimendi 


facultas und fagt, fie fei inventa aut ut melius dicam in meliorem formam 
revocata, 


Wilhelm pr Gecam. 59 


En. Nealiften und Nominaliſten vermittelnde Formel gefunden, 
9 — von den Univerſalten eine dreiſache Exiſtenz ausfagte: 1) ein 
Daſein vor der Erſcheinung an den Einzeldingen (ante rem) als 
Gedanken Gottes, entſprechend der Forderung der Realiften; 2) an 
5 den Einzeldingen (in re); 3) post rem abſtrahiert von den Einzel: 
dingen, in den Gedanken und Worten der Menſchen, alſo entſprechend 
der Lehre der Nominaliſten. Dieſe Formel wurde von den chriſt⸗ 
lichen Ariſtotelikern übernommen und neu gedacht — aber fie ver: 
einigte die Gegenſätze ohne fie aufzuheben, an den einzelnen Problemen 
traten ſie wieder hervor. Indeſſen hatte im ganzen doch im 13. Jahr⸗ 
ein gemäßigter Realismus vorgeherrſcht. Durch Wilhelm 
Occam (F 1347) kam eine neue nominaliſtiſche Richtung zu Einfluß, 

“ erhob ſich darüber ein Streit, in dem die Schlagworte der 
a antiqua und moderna geſchaffen wurden, mit denen ſich die 
teien namentlich an den Univerſitäten bekämpften !). Es iſt zu 
und Univerſitätsbeſchlüſſen gekommen, welche der Gegen⸗ 
ei verboten, Vorleſungen zu halten, auch die Bücher ihrer Richtung 
den Bibliotheken außer Gebrauch ſtellten, und beſonders heftig ent⸗ 
der Kampf bei Beſetzung erledigter Stellen. In die Debatte 
abſtrakten Theorien miſchte ſich dann der Gegenſatz zahl⸗ 
Parteien, welche damals in den verſchiedenen Landen mit⸗ 
um Herrſchaft und Beſitzungen rangen. Der große Krieg 
Frankreich und England, der Thronſtreit in Deutſchland, 
Schisma, dieſe und ähnliche Garungen erfüllten die Länder, und 
hervorragenden Scholaſtiker wurden in dieſen Kämpfen hin und 
| r geworfen. Die Verhandlungen des Konſtanzer Konzils über Jean 
Ei Lehre vom Tyrannenmorde zeigen, wie ſich Politik und Logik 
vermiſchten. Wer die eine Schlußreihe für richtig hielt, war ein 

E Freund von Burgund, wer die andere vertrat, ein Feind). Ihr 
2 Schickſal drängte die Gelehrten zu dieſer Unterſuchung und hielt fie 


hi 


N 


Prantl IV, 185 ff. Der Gegenſatz der via antiqua und via moderna 
loste den Gegensatz der Scotiſten und Thomiſten ab, deckte ſich aber nicht mit 
um, wurzelte fermer auch nicht direkt in der Univerfalienfrage, ſondern zunächſt 
mim dem Material, welches beim Unterricht gebraucht wurde. Eine Denkſchrift 
5 der Univerfität Köln von 1425 rechnete zur via antiqua: Albertus Magnus, 
= — Bonaventura, Scotus c., zur via moderna vor allem: Buridan und 


* „ Sämab, Gerfon, S. 600 fi. 


60 Ausgang der Scholaftik. 


von jener zurück, öffnete ihren Blick für dieſe und verdunkelte ihn 
für jene Verhältniſſe. 

Wilhelm von Occam, der in der Logik die neue Richtung zum 
Siege brachte, gewann auch in den politiſchen Kämpfen hervorragende 
Bedeutung. „Er war feurigen Geiſtes und von unglaublicher Kühn⸗ 
heit, ſo daß er ganz zuverſichtlich und mit Ausführlichkeit die Fragen 
erörterte, über welche andere auch nur ein wenig zu murren für ein 
Verbrechen hielten“). Die Univerſität Paris galt als Hort der rechten 
Lehre und der via antiqua in der Philoſophie, aber es war keines⸗ 
wegs ſo, daß die Häretiker nur vom Nominalismus ausgehen 
wären, Wiclif war ein ſchroffer Gegner desſelben. 

Die logiſchen Unterſuchungen wurden im Verlauf dieſer Wieder⸗ 
holung der alten Kämpfe ſo ſpitzfindig, daß die Grundlagen des 
Denkens in Frage geſtellt wurden. Die ars insolubilis des Stephanus 
de Monte lehrte, wie man an jeden Satz irgend ein „insolubile* 
anhängen könne. Wenn nun auch insolubilis nicht als „unlösbar“, 
ſondern als ein ſchwer zu löſendes Dilemma definiert ward?) — jo 
war denn doch das Vertrauen auf die Logik der Thatſachen genommen“), 
und das Vertrauen auf die Kunſtſtücke konnte keinen Erſatz bieten. 
Die Schwächen der dialektiſchen Methode traten um ſo ſtärker hervor, 
je länger ſie auf den zahlreichen Univerſitäten geübt wurde. Dazu 
kam der offenkundige Mißbrauch, der mit den für die Erwerbung 
der akademiſchen Grade erforderlichen Prüfungen und Disputationen 
getrieben wurde. Die ſcholaſtiſchen Uebungen wurden oft genug zu 
bloßen Spielereien erniedrigt, um unter dem Vorwande wiſſenſchaft⸗ 
licher Anerkennung Ehren und Rechte zu verkaufen. Die Gegner 
der Scholaſtik verſäumten nicht, dieſe Anſchuldigung zu verallgemeinern, 
und wenn die Scholaſtik im 15. Jahrhundert auf Schulen und Uni⸗ 
verſitäten noch in ähnlicher Weiſe herrſchte wie im 13. und 14. Jahr⸗ 
hundert, ſo herrſchte ſie doch nicht mehr durch ſie über die Welt. Es 
läßt ſich kein Grenzjahr angeben, auch keine Perſönlichkeit, welche die 


) J. B. Ascensius (Goldast, Monarchia II, 392): Vir ille geri ingenio 
et incredibili animositate praeditus fuit, ut qui ea disertissime et cum 
summa fiducia disquisiverit, de quibus alii fere vel modicum mutire pla- 
culum duxerant, 

* Prantl IV, 288. 

) Das war ec, was Ion Bernhard von Clairvaux dem Abälarb entgegen: 
hielt. S. o. S. 34. 


Scholaſtik und Bumanismus. 61 


4 . trennte. Sah das 14. Jahrhundert ſchon Männer, welche 
55 3 mit der Scholaſtik ſo entſchieden brachen wie Wiclif in ſeiner ſpäteren 
geit, fo batte fie im 15. Jahrhundert noch jo große und einfluß⸗ 
1 reiche Vertreter wie Peter d'Ailly, Gerſon und Nicolaus von Cuſa. 
Die aufeinanderfolgenden Perioden ! ſchoben ſich ineinander, Der 
Dumanismus hatte in Petrarca feinen glänzenden Bannerträger um 
dieſelbe Zeit, in welcher die Scholaſtik durch Occam eine neue Bahn 
deinſchlug und in welcher fie in Deutichland, Ungarn, Polen, Schweden, 
Schottland, Danemark durch Gründung der hier bis dahin fehlenden 
Univerſitäten ihre Herrſchaft weiter auszubreiten und zu ſichern unter: 
nahm. Aber es mehrten ſich im 15. Jahrhundert die Zeichen, daß 
Scholaſtik in dieſem Kampfe unterliegen werde. Der Geiſt hatte 
an ihren Problemen und an ihrer Methode zur Genüge geübt, 
mußte ihm durch die Erneuerung der kirchlichen und politiſchen 
wie durch die Arbeiten der Einzelwiſſenſchaften eine reiche 
neuen Stoffes zugeführt werden, bis daß die rein philoſophiſchen 
1 wieder den Mittelpunkt ſeiner Thätigkeit bilden konnten. 
Auf dem Gebiete der Rechtswiſſenſchaft entwickelte ſich ſtärker die 
volkstümliche Richtung, welche nicht lateiniſch ſchrieb, ſondern in der 
Vlollsſprache, und die Subtilitäten der Gloſſatoren vermied, und in der 
Theologie gewannen diejenigen die größte Wirkung, welche von der 
ö Muyſtik ausgingen oder wie Marſilius von Padua, Laurentius Valla u. a. 
ſachliche Fragen wie den Aufenthalt des Petrus in Rom, die Konſtan⸗ 
tniſche Schenkung, den Text des Neuen Teſtaments mit der beginnen⸗ 
den philologiſchen Kritik unterſuchten. Dieſe rhetoriſch⸗philologiſchen 
Studien gewannen im 14. und 15. Jahrhundert den ſcholaſtiſchen 
Uuebungen gegenüber ſtetig an Boden, und es iſt bezeichnend, daß gleich⸗ 
zeitig Paris ſeinen maßgebenden Einfluß verlor. Auf den großen 
Konzilien des 15. Jahrhunderts, auf denen es beſonders deutlich 
pbhervortrat, daß die Wiſſenſchaft neben dem Staate und neben der 
ni rag als eine Macht für ſich angeſehen ward, hatte Paris noch an 
der Spitze ſeiner Tochter: und Schweſteruniverſitäten die Repräſentanz 
Be.» der Wiffenfchaft, aber der offiziellen Anerkennung entipricht das Leben 
oſtmals nicht. Die Schriften, welche eine neue Aera in der Theologie 
einleiteten, erſchienen nicht in Paris, ſondern in England, in Prag, 
in den Niederlanden, in Deutſchland, in der Schweiz, und die neue 
Behandlung der . und der en der Alten hatte ihren 


Ey 4 e 1 an FB TE 


62 Sieg des Humanismus. 


geprieſen als das Land, dem die beſondere Gabe des Studiums zu⸗ 
geteilt worden ſei, ſo mußten im 14. und 15. Jahrhundert die 
Franzoſen von den Italienern hören, daß man die Alten und ihre 
Wiſſenſchaft nur in Italien verſtehen könne !). 

So machte die Scholaſtik der Wiſſenſchaft der neuen Zeit Platz, 
und mit der Scholaſtik ſchienen auch die Univerſitäten ihr Ende finden 
zu müſſen. Die Humaniſten ergoſſen ihren Spott über alle Ein⸗ 
richtungen der Univerſität, wollten nichts wiſſen von ihren Ehren und 
Aemtern, ihren Disputationen und Lektionen, wollten für die neue 
Wiſſenſchaft auch eine neue Form finden. Erasmus ſelbſt, der maß⸗ 
vollere Führer der ſtürmiſchen Generation, konnte nicht aufhören mit 
ſeinen Angriffen. In den Briefen, den Colloquia, dem Enchiridion 
u. ſ. w. kehren ſie wieder. Recht deutlich zeigte ſich, daß die ſcho⸗ 
laſtiſche Wiſſenſchaft die Schöpferin der Univerſität war und die 
Univerſität die Form des ſcholaſtiſchen Betriebs der Wiſſenſchaft. Jene 
humaniſtiſchen Verſuche kamen nicht über Wünſche ) hinaus; in den 
Landen, in denen die alte Kirche die Herrſchaft behielt, wurde eine 
Neubelebung der ſcholaſtiſchen Lehrbücher und Lehrweiſen verſucht, 
und da erhielten ſich denn auch die Univerſitäten weſentlich in der 
Form des Mittelalters. Die Wiſſenſchaft der Neuzeit wurde in dieſen 
Landen überwiegend von der Litteratur und den freien, mit dem 
Lehramt nicht betrauten Akademien getragen. In Deutſchland rang 
ſich neben der neuen Form der Kirche auch eine neue Univerſität 
empor, Träger des Lehramts und Träger der vom Geiſt der neuen 
Zeit belebten Forſchung zugleich. 


3. Die wiſſenſchaftlichen Leitungen der Scolaftik. 


So waren die Grundzüge der wiſſenſchaftlichen Bewegung, aus 
welcher die Univerſitäten hervorgingen, und ſo ihr Verlauf. Indeſſen 
zur Beurteilung des Geiſtes und der Kraft dieſer Bewegung bedarf 
es noch eines weiteren Blickes auf die wiſſenſchaftlichen Leiſtungen 

') Voigt, Wiederbelebung I, 349 und 356. 

Soweit nicht die Akademien als ihr Produkt anzuſehen find. 


1 x 
n 


Schulbetriebs binreichendes Gegengewicht hielten, um ſolche Leiſtungen 
2 gu ermöglichen. Es wurde bereits darauf hingewieſen, daß die meiften 

Scholaren ſich dem Studium aus Neigung widmeten, daß der Begriff 
des Brotſtudtume namentlich im 12. und 13. Jahrhundert zurüdtrat 
und daß darin für die wiſſenſchaftliche Bewegung eine gewiſſe Gefahr 
lag, aber auch eine Quelle der Kraft. Was man wiſſen mußte, um ein 
Pfarramt zu erhalten, war verſchwindend wenig, und viele erhielten 
fette — * obſchon ſie nichts lernten. Die weltlichen Stellungen 
zum geringſten Teil an den Beſitz von Kenntniſſen 
und Medizin lockten wohl durch Gewinn 


* ein mittelalterlicher Spruch — aber die meiſtgepflegten 
und philoſophiſchen Studien brachten in der Regel wenig 


1 Dur Spruch fährt fort: Sed genus et species (die Logik) 
ire pedes. Ein Studentenlied ) variiert den Gedanken: 


„Wer fi mit der Logik müht, 
Draus nur Dorn und Diſtel zieht, 
Wird ſein Brot im Schweiße eſſen 
Und auch das nur knapp gemeſſen. 
zu der hohen Ariſtokratie gehört, wird dann weiter aus⸗ 
große Güter beſitzt oder Renten verzehrt, nur der darf es 
mit Dialektik zu beſchäftigen. Kommt der Juriſt, ſo 


Abgedruckt in The political Songs of England, ed. Th. Wright 
u Society) 1839 S. 206. Song against the scholastie studies. Anfang: 
 Menm est propositum gentis imperitae. Die bezügliche Strophe lautet: 
3 Nonne, cirea logieam si quis laborabit, 
Spinas atque tribulos illi germinabit? 
In sudore nimio panem manducabit. 
4 Vix tamen hos illi garrula lingua dabit. 
* die folgenden Strophen: 
Circa dialeeticam tempus cur consumis, 
Tu qui nullos reditus aliunde sumis? 
Colat, qui per patriam natus est e summis, 
Dives agro, dives positis in faenore nummis. 
Atria nobilium video patere, 
Cam legista venerit, dissolvuntur cerae, 
Exelusus ad januam poteris sedere, 
Ipse licet venias musis comitatus Homere. 


& 


u 
2 


64 Teilnahme der kirchlichen Ariſtokratie. 


öffnen ſich die Thore der Paläſte, und die Urkunden werden ihm 
gezeigt, wenn aber Homer ſelbſt käme in Begleitung der Muſen, ſo 
müßte er draußen vor der Thüre ſtehen. Berühmte Lehrer der 
Philoſophie und der Theologie wurden allerdings häufig zu Biſchöfen 
und Kardinälen erhoben, aber die meiſten mußten ſich doch mit der 
Freude am Studium begnügen. Trotzdem drängten ſich immer neue 
Maſſen herzu, und auch aus den angeſehenſten und einflußreichſten 
Stellungen kehrten die Männer wieder auf Jahre zu den Studien 
zurück. Es war das jo häufig und wurde ſo vielfach von Päpften 
und Korporationen durch Privilegien geſtattet, daß es allmählich zu 
einer allgemeinen Rechtsüberzeugung wurde: wer Studien halber die 
mit einer Pfründe verbundenen Pflichten nicht erfülle, der dürfe 
trotzdem eine Reihe von Jahren ſeine Pfründe unverkürzt genießen. 
Bei Ausbildung der Univerſitätsſtatuten hat dieſe Rechtsüberzeugung 
wiederholt geſetzliche Kraft gewonnen. Die verſchwenderiſche Fülle 
von kirchlichen Stiftungen drängte ſo wie ſo ſchon dahin, einzelnen 
Männern mehrere zu entfernten Kirchen und Stiftern gehörige Aemter 
oder vielmehr Pfründen zu geben und den Kanonikern zu geſtatten, 
außerhalb des Ortes ihres Stifts zu leben, jetzt kam dieſe Gewohnheit 
zu ſegensreichſter Wirkung. Es wurden im Laufe der Zeit für die 
Studien auch beſondere Stiftungen gemacht, Päpſte, Fürſten und 
Städte leiſteten viel dafür — aber das Wichtigſte blieb, daß jene 
Ueberfülle von kirchlichen Stiftungen eine Ariſtokratie erzeugte, eine 
Art von großen und kleinen Rentnern, die in der Lage waren, frei 
den Studien zu leben, und es iſt ihr Ruhm, daß ſie dieſe günſtige 
Lage zahlreich jo edel verwerteten. Die hoͤchſten Würdenträger endlich 
widmeten ſich teils ebenfalls ſelbſt den Studien, teils gewährten ſie 
den Gelehrten reiche Bezahlung für die Erziehung ihrer Verwandten, 
einträgliche Stellungen an ihrem Hofe als Sekretäre etwa, oder auch 
ohne beſtimmtes Amt im Gefolge, ſorgenloſe Exiſtenz als Gäfte in 
ihren Klöftern und auf ſonſtigen Gütern ihrer Kirchen. Das war 
es, was ſich Johannes von Salisbury vor allem wünſchte: „Geh ins 
Kloſter, aber ohne die Kutte anzuziehen, damit du dein eigener Herr 
biſt, wenn du Luſt haft, wieder hinauszugehen !)“. Auch diejenigen, 


') Enthetieus v. 1648: 
Intrabis claustrum, sed si potes absque cucullo, 
Ut post, si libent, egrediare tuus. 


Der encyflopädiihe Charakter der Studien. 65 


welche hohe Aemter in Staat und Kirche verwalteten, blieben vielſach 
im Geiſt Scholaren, fühlten ſich als Kommilitonen mit denen, die 
noch am Ort der Studien lebten, es war wie eine Blutefreundſchaft, 
ein Lebensband, ganz wie heute der Traum der akademiſchen Freiheit 
und der Gedanke gemeinſamer Studien die Laſt der Jahre und die 
Meierve der Würden vergeſſen macht und den Miniſter oder Präſi⸗ 
denten in Reihe und Glied mit den jüngſten Semeſtern den Sala⸗ 
mander reiben läßt. Auf dem päpſtlichen Throne, inmitten der Sorgen 
der Weltregierung und des Kampfes um die Weltherrſchaft mit dem 
gewaltigen Barbaroſſa bewahrte Alexander III. eine herzliche, faſt 
für die Pariſer Schule und Scholaren. Er ſprach es 
„ſondern bethätigte es vielſach. Zu Gunſten des Pariſer 
Comeſtor erließ er ſogar eine Verfügung!), die 
ſeinen Grundſätzen im Widerſpruch ſtand, die er auch 
verſagt hätte und nur zögernd und unter Kautelen 
mochte, aber den Wünſchen des gefeierten Gelehrten 


1115 
725 


f 


wollte er gern nachgeben, ſoweit es mit der Ehre irgend verträglich jei. 
Dies Feſthalten der Erinnerungen an die Zeit der Studien und 
Liebe zu denſelben hatte damals noch eine weit kräftigere Wurzel 


8 
3 


romantiſchen Zug, der ſie heute wohl vorzugsweiſe nährt. Dieſe 
war das encyklopädiſche Intereſſe des Mittelalters, der Wunſch, 
Wiſſen zu umfaſſen. Hatte jemand nach vieljährigem Studium 
Ruhm eines gewandten Lateiners, beſonders eines fertigen Poeten 
ſcharfen Logikers errungen, dann ſetzte er wieder eine neue 
Jahren daran, um Theologie oder Jurisprudenz oder 
treiben. Giraldus Cambrenſis brachte ſein halbes Leben 
„daß er immer nach einigen Jahren praktiſcher Thätigkeit 
Jahre bald lehrend, bald lernend den Studien lebte, 
machten es ähnlich. Der encyklopädiſche Charakter der 
Wiſſenſchaft lag zum Teil darin begründet, daß die von 


11 


4 


3 
It: 


J Bulaeus II, 370: Alexander Episcopus Servus Servorum Dei... 
Leet mandaverimus, ut si qui volunt docere, nihil pro scholis regendis ab 
aliquo exigatur juxta illud „veni et audi“, volentes tamen honestati et 


3 = AUuersturse M. Petri Cancellarii Parisiensis quantum salva honestate pos- 
dame prompte benignitate deferre, quem speciali praerogativa diligimus 
e volumus honorare,... Bei Migne, Patres latini Nro. 200 p. 998. 


) De rebus a se gestis bei Wharton, Anglia sacra II und Opern ed. 


Brewer (Rerum Britann. seriptor. med. aevi), Tom. I. 


fe, Gridläte der denten Univerfitäten. 1. 5 


9 1 


66 Folgen dieſer Vielſeitigkeit. 


den Alten erhaltenen Lehrbücher die Baſis bildeten, daß jede Wiſſen⸗ 
ſchaft eine Art Philologie war, aber doch nicht bloß darin, denn über 
dieſen Büchern war eine große Litteratur erwachſen und das Corpus 
juris, die Dekretalen, die Grammatiker und die philoſophiſchen Schriften 
des Ariſtoteles, des Averroes, Avicenna u. ſ. w. bildeten doch ſchon 
je für ſich große Stoffmaſſen, zu geſchweigen der Kirchenväter, von 
denen einige ſehr viel ſtudiert wurden. Aber die Zeit war von einem 
wiſſenſchaftlichen Heißhunger erfüllt, der freilich die größten Maſſen 
des Stoffes auch unverdaut ließ und nur eben in neue Kompilationen 
ablagerte. Die Kehrſeite der Vielſeitigkeit war regelmäßig Ober⸗ 
flächlichkeit, es wäre ſchlechterdings unmöglich, daß ein Menſch die 
Maſſen von verſchiedenartigen Dingen, die z. B. Albertus Magnus 
in ſeinen 21 Folianten über Steine, Pflanzen und Tiere wie über 
logiſche und theologiſche Gegenſtände aufgeſpeichert hat, alle wirklich 
geiſtig verarbeitete. Es fehlte ferner meiſtens an der Genauigkeit 
der Behandlung und durchaus an der Vollſtändigkeit in der Benutzung 
des Materials, die wir ſelbſt bei ſchärfſter Beſchränkung auf die 
bedeutenderen Arbeiten der noch lebendigen Litteratur zu fordern 
gewöhnt find"). Hervorragenden Gelehrten waren bisweilen Bücher 
fremd, die zu den wichtigſten Grundlagen und gefeiertſten Arbeiten 
über den Gegenſtand ihres Studiums gehörten. Hugo von S. Victor 
war eine wiſſenſchaftliche Kraft erſten Ranges; auch wer an ſeiner 
Denkweiſe keinen Gefallen hat, fühlt ſich oftmals gefeſſelt durch die 
Schärfe und Tiefe dieſes Geiſtes, aber er macht über Schriften des 
Sokrates und Plato die bedenklichſten Bemerkungen. Odardus, einer 
der berühmteſten Lehrer des 11. Jahrhunderts, der Tournay zu einem 
Sammelpunkt von Schülern aller Länder erhob, hatte bereits fünf 
Jahre doziert, ohne von Auguſtins Schrift De libero arbitrio Kunde 
zu haben. Ja, auch als ſie ihm mitgeteilt wurde, beeilte er ſich 
nicht, fie zu ſtudieren, ſondern erſt, als er in der Erklärung von 
Boetius' De consolatione an das vierte Buch kam, da ließ er ſich 
das Werk bringen, weil er ſich zufällig wieder daran erinnerte, 


) Einer der berühmteſten Autoren war Naimundus de Pennaforte, der 
1230 von dem Papſte Gregor IX. mit einer Sammlung der Dekretalen zu einem 
kirchlichen Geſetzbuch beauftragt wurde Wie wenig aber felbft er heutigen Anſprüchen 
an Sorgfalt genügte, zeigt E. Friedberg, Zeitſchrift für Kirchenrecht Bd. 18 
(Jahrgang 1883) S. 119 . 


r 


\ 5 E .“ 
m 2 


Diele Scholaßtiker in bedeutenden Stellungen. 67 


ob er darin vielleicht etwas finde, was zu behalten würdig ſei ). 
Er dem großen Anſehen Auguſtins und dem Ruhme des Odardus 
if dieſer Vorgang ein klaſſiſches Zeugnis für die Regellofigteit der 
damaligen Ausbildung. Dieſer Odo oder Odardus iſt zugleich ein 
Beiſpiel der vielſeitigen Intereſſen der Schule; hatte er am Tage 
mit den Schülern geleſen und bisputiert, jo ſetzte er ſich am Abend 
vor die Schule und lehrte ſie die Geſtirne kennen. 

Es entſtanden damals auch vielfach Encyklopädien des Wiſſens 
in Proſa und in Verſen, kleine wie der Elucidarius des Honorius“) 
und große wie das Speculum des Vincenz von Beauvais. Das 
ausgehende Altertum hatte dazu die Vorbilder gegeben, aber das 
Mittelalter führte dieſe Idee in umfaſſender Weiſe aus, keineswegs 
bloß aus Nachahmung, ſondern weil ein ſtarkes Bedürfnis nach 
ſioſchen eine ganze Bibliothek erſetzenden Büchern vorhanden war. 
Vincenz von Beauvais bot in feinem „Spiegel“ Handbücher der 
verſchiedenen Wiſſenſchaften und Künſte, für die Grammatik nahm 
er z. B. das Buch des Petrus Helias auf, und auch über Baukunſt, 
Bienenzucht und Fiſcherei enthält das Rieſenwerk ausführliche Be⸗ 
ſlllehrung. An ſolchem Buche, wie an den zahlreichen Bänden des 
Albertus Magnus u. ſ. w. erkennt man recht deutlich, daß die Scho⸗ 
laſtik nicht einſeitig aufging in Ariſtoteles und Dogmatik. 

Dieſes encyklopädiſche Intereſſe bildete ein Gegengewicht gegen 
die dialektiſche Neigung, führte dem Studium Stoffe zu, die nicht 
mit bloßer garrulitas bewältigt werden konnten. In derſelben 
Nichtung wirkte der Umſtand, daß die hervorragenden Scholaſtiker 
vielfach auch bedeutende praktiſche Stellungen einnahmen. Mehrere 
Päpfte hatten den Grundſatz, alljährlich einige wichtige Aemter, ſelbſt 
Bistümer und Kardinalate, an hervorragende Magiſter zu verleihen. 
Die Kaiſer und ihre Räte, weltliche und geiſtliche Fürſten zogen ſie 
in ihre Umgebung, vertrauten ihnen die Erziehung ihrer Kinder an, 


i quid dignum memoria in eo possit inveniri. D’Achery, Spiel- 

beim II, 889 f. es wäre eine lohnende Aufgabe, die Entſtehung dieſes Berichts 

0 Mälber zu unterſuchen 

8 * ”) Honortus von „ Augustodunum“, vermutlich nicht Autun, ſondern Augsburg. 

1 1 ©, in der Allgemeinen beutſchen Biographie den gelehrten Artitel (von Stanonit) 
2 merkwürdigen und ungewöhnlich ſelbſtbewußten Autor des 12. Jahr: 
9 Heinrich der Löwe veranlaßte eine deutſche Bearbeitung, welche dem⸗ 

macht von K. Schorbach Herausgegeben werden wird. 


68 Fülle der praktiſchen Geſchäfte. 


die Ausarbeitung ihrer Staatsſchriften, Geſandtſchaften, Vertrauens⸗ 
poſten aller Art. Anſelm wurde von dem Kloſter Beccum und ſeiner 
Schule zum Erzbiſchof von Canterbury erhoben, und ähnlich wie ſein 
Nachfolger Thomas Becket ſo ſetzte auch Anſelm durch ſeine Anſprüche 
und durch den Widerſtand gegen die kirchlichen Forderungen das 
ganze Land in Bewegung. Johannes von Salisbury wurde von 
Thomas Becket zu ſeinem Gehilfen berufen, hatte ihn zeitweiſe in 
der Ausübung ſeines hohen Richteramtes zu vertreten, wiederholt 
wichtige Geſandtſchaften nach Rom zu übernehmen und längere Zeit 
einen großen Teil der engliſchen Staatsverwaltung zu tragen. Petrus 
Bleſenſis erhielt mit der Erziehung des Prinzen von Sicilien auch 
eine Art Miniſterſtellung in Palermo. In den mannigfaltigſten 
Geſchäften war Giraldus Cambrenſis thätig, in Irland, in Wales, 
in Rom; Bernhard von Clairvaux, die großen Dominikaner, Stephan 
von Tempiers u. ſ. w. ſtanden alle im ſtärkſten Getriebe der Zeit. 
Auch beſchränkte ſich dieſe praktiſche Thätigkeit durchaus nicht auf die 
berühmteſten Vertreter der Wiſſenſchaft; ſelbſt diejenigen, welche ſich auf 
die Lehrthätigkeit beſchränkten, waren in eine Menge Geſchäfte verwickelt, 
von denen ein Profeſſor heutzutage nichts weiß. Statt eines feſten Ge⸗ 
haltes bezogen ſie Einnahmen aus Pfründen, die ihnen oft von anderen 
ſtreitig gemacht wurden, namentlich wenn ſie die mit der Pfründe 
verbundenen Pflichten nicht erfüllen konnten, oder ſie waren ganz auf 
die Einkünfte aus dem Schulgeld angewieſen. Die Scholaren hatten 
großenteils kein Bürgerrecht, und ehe die korporative Verfaſſung der 
Univerſität ausgebildet war, hatte der Lehrer, der den Scholaren 
aufgenommen, die nächſte Verpflichtung, für ihn einzutreten. Nach 
der Bildung der Korporation aber entſtanden aus dem Leben der⸗ 
ſelben mannigfaltige Geſchäfte, gegen deren Bedeutung, Umfang und 
Gefahr alles verſchwindet, was heute von Geſchäften einem Gelehrten 
aufgebürdet wird. Die vielen Auswanderungen aus Paris, Oxford, 
Bologna und anderen Orten, die Kämpfe der Univerſität Paris mit 
dem Kanzler, dann mit den Dominikanern, mit dem Papſte, mit der 
königlichen Regierung, die Kämpfe der Nationen in Oxford, die Ver⸗ 
drängung der nichtregulierten durch die regulierten Chorherren in 
S. Genovefa, die Schickſale eines Schriftſtellers wie Gerhoh von 
Reichersberg, die Kämpfe der Richtungen in Hersfeld, die Abtswahlen 
in Corvey und Fulda zur Zeit Konrads III. ermahnen uns, das 
Leben der damaligen Gelehrten nicht mit dem durch geregelte Staats⸗ 


Einfluß dieſer praftifden Chätigfeit. 69 
verwaltung eingefriedigten und durch zuverlaſſige Bezahlung aus 


N einem Kloſter oder gar in einem Orden Einfluß 
„ der ſah ſich allezeit mit wichtigen Geſchaften überhäuft. Die 
Orden waren großartige Organiſationen, gebildet um Schäden der 
Kirche zu heilen und falſche Richtungen zu bekämpfen — dieſer Kampf 
mit Lehre und Beiſpiel, mußte aber zuletzt mit Geld und 
werden, und ſo hatten die Albert und Thomas, 
Jordan und Bernhard Güter und Anſprüche zu gewinnen und 
auch gegen gleicheifrige, ebenfalls mit dem 
aber unter einer anderen Uniform kämpfende 
und vestis pulla, hie ſchwarze und hie weiße 
und Ciſtercienſer), zählen zu den am lauteſten 
gebrauchten Schlagwörtern und Parolen des 12. Jahr⸗ 
dem Arbeitszimmer des Scholaſtikers herrſchte meiſtens 
4 weltfremde Ruhe, er mochte noch fo ſehr ſich den Gefühlen 
üerlaſſen und die Sachen als Begriffe zu betrachten ſtreben: die 
Thatſachen drängten ſich ihm in ganzer Härte auf und zwangen ihn, 
fie anzuerkennen. Wenn im 13. und 14. Jahrhundert die Anhänger 
des Dominikaners Thomas von Aquino überwiegend dem Dominikaner⸗ 
orden angehörten, und die Anhänger ſeines Gegners, des Franziskaners 
Duns Scotus, den Franziskanern), jo war das kein Zufall; aber die 
Rivalität der Orden iſt nur der anſchaulichſte, keineswegs der bedeutendſte 
Faktor, der aus dem Leben in die Wiſſenſchaft eingriff. Die Männer, 
die in dieſen Schulen gebildet wurden oder ihr Leben an den Schulen 
| gingen daher auch nachdrücklich auf die großen Tages: 
und ihr Ausdruck gewann in der Polemik oftmals eine 
„ welche ſelbſt verbrauchte Wendungen und Worte erneuerte 
1 Rückſichtsloſigkeit an ſich trug, welche den Thatſachen 


Den Gregorianern rief ein kaiſerlich geſinnter Mann zu: „Was 
it das für eine verkehrte Welt, daß die Mönche, die doch tot find, 


4 


', Job. von Salisbury, Euthetieus v. 1829. Bgl. den Briefwechſel 
Bernhards von Clairvaux mit feinem Neſſen. 
Es iſt damit nicht geſagt, daß nicht auch Dominitaner dem Scotus folgten 
umgekehrt. 


Dt 
a 


70 Teilnahme der Laien an der Litteratur. 


über die Lebenden herrſchen wollen?“ ut monachi qui sunt mortui 
superponantur vivis ). Und die Männer der anderen Partei zeigen 
die gleiche Kraft und Schärfe. Der myſtiſche Beter Bernhard von 
Clairvaux war in den Dingen dieſer Welt wohl bewandert und 
wußte die Menſchen nicht bloß durch große Gedanken zu erſchüttern, 
ſondern auch an ihren Schwächen zu leiten. In Liedern, in Viſionen 
wie die, welche den Stoff der göttlichen Komödie bildeten, in Dichtungen 
wie die Tierſage, in falſchen Urkunden, in juriſtiſchen Deduktionen, 
in fingierten Briefen, in hiſtoriſchen Darſtellungen, kurz in allen 
möglichen Formen wußten die Parteien einander anzugreifen. 

Ein weiterer Quell der Kraft und Friſche und ein Gegengewicht 
gegen die Verödung der Manier lag darin, daß in dieſer Periode neben 
dem Klerus laienhafte Elemente an der Litteratur teilnahmen. Die 
Kirche blieb allerdings noch immer vorzugsweiſe der Träger des 
geiſtigen Lebens und der wiſſenſchaftlichen Thätigkeit, und die lateiniſche 
Kirchenſprache blieb die regelmäßige Sprache der Wiſſenſchaft, aber 
weder das eine noch das andere in dem Maße, wie vom 8. bis 
10. Jahrhundert. In der Zeit der Scholaſtik trat eine bedeutende 
Litteratur in den Volksſprachen neben die Litteratur in der Kirchen⸗ 
ſprache, das römiſche Recht fand vorzugsweiſe von Laien wiſſenſchaft⸗ 
liche Bearbeitung, und auch ſonſt erhoben ſich unter den Laien in 
dem Ritter⸗ und Bürgerſtande die höher gebildeten Elemente, deren 
Führer ſich mit dem gelehrten Klerus meſſen konnten und denen ſich 
gebildete Kleriker anſchloſſen. Der Laie Eicke von Repgowe hat durch 
ſeinen Sachſenſpiegel in Deutſchland einen Einfluß geübt, wie er ſelten 
einem Schriftſteller zu teil wird. Dasſelbe gilt von Beaumanoir Bou⸗ 
tillier und den übrigen Praktikern, welche in Frankreich im 13. und 
14. Jahrhundert die Coutumes bearbeiteten und Richtſteige ſchrieben. 
Rutebeuf war ein Pariſer Kind geringen Standes, aber voll lebhaften 
Intereſſes für die Lehrer und die Rechte der Univerſität; ſeine 
franzöſiſchen Verſe bildeten eine der ſchärfſten Waffen in dem Kampfe 
der Pariſer Univerſität gegen die Anſprüche der Dominikaner (um 1256). 


) Bol. die ähnliche Wendung eines Liedes aus dem 14. Jahrhundert, 
Wright, Political Songs II, 20: 
Why make yee so costly houses 
To dwell in, sith Christ did not so, 
And dede men shuld have but graves, 
Ai falleth it to dede men. 


Gelehrte Arbeiten in den Volksſprachen. 71 


Umgekehrt miſchte ein Schüler Abalards (gegen 1140) in fein lateinifches 
Kagelied über ein Schulereignis einen franzöſiſchen Refrain. Auch 
die Trink⸗ und Liebeslieder der Scholaren zeigen nicht ſelten romaniſche 


n deutfche Zeilen, und bei manden Autoren bleibt man im Zweifel, 


bob fie Laien oder Kleriker waren. Der Name Kleriker verlor jeine 
Bedeutung, er bezeichnete nicht mehr nur die Prieſter, ſondern alle, 
wmielche litterariſche Bildung hatten ), daher denn jpäter auch der 
Name dem Schreiber und Bureaugehilfen geblieben iſt. Gleichzeitig 
begann die lateiniſche Sprache ihr Monopol für Behandlung gelehrter 
Gegenftände zu verlieren ). Grammatiſche, philoſophiſche, juriſtiſche 
und theologiſche Fragen wurden auch in den Volksſprachen erörtert 
und ſelbſt die römijhen Rechtsquellen in das Franzoöſiſche überſetzt. 
Manche Dichter ſchrieben bald in der lateiniſchen und bald in der 


u BVolksſprache, und die aus den Laien hervorgegangenen Spielleute 
und Troubadours laſſen ſich nicht ſtreng ſcheiden von den aus dem 


7 Alexus herſtammenden Vaganten oder Goliarden. Namentlich begegnen 
ſie ſich in den Klagen über die Korruption der übermächtig gewordenen 
Karurche. Der Mißbrauch der geiſtlichen Waffen, die Beſtechlichkeit Roms, 
ee 

67 


So in dem Roman de la Rose (Orleans 1878 in 5 Bänden) Bd. IV 
in der berühmten Ausführung, daß nicht die Geburt Adel verleihe, 
fondern die Bildung: 

Plus d’avantage a done cent fois 

Le clere detre noble et courtois q’un rois ... 

Car le clere ... 

J Belipiele find die Schriften Notkers von St. Gallen, die deutſche Be: 
arbeitung der Encyllopäbie des Elucidarius (Mitte des 12. Jahrhunderts), il Convito 
die a 


| 
| 
| 


wie des lanoniſchen Nechts. Siche darüber W. Schäffner, Geſchichte der Rechts 


U perfaffung Frankreichs, 2. Aufl. 1859, III S. 14, Anm. 17 u. III, 21 f. Ueber 


eine franzöſiſche Ueberſetzung der Summa Azzonis aus dem 14. Jahrhundert fiche 
Melenges d Archéologie et d'Histoire (Ecole frangaise de Rome), Rome 
1888, Veannde. Auch die ib. p. 55 mitgeteilte Disputation De Dieu et de sa 
Mere and dem Jahre 1417 iſt dahin zu rechnen. Jeſus beklagt ſich, daß feiner 
alle die großen Kirchen ꝛc. geweiht werden und daß ihm nur die Spitäler 
Nichter. Dem heutigen Leſer klingen dieſe 200 Berſe wie 

eine Satire, aber es iſt feine Satire, das progeſſualiſtiſche Intereſſe überwiegt 
geſſen. Um 1400 hatte dieſe franzöſiſche Litteratur 

Man nehme nur die Schriften von Gerſon oder das 
Abhandlung von Karl Müller, Das Somnium 


Stiche. J. Kirchen. XIV, 134 f. 


. 

| 

15 
5 K 


72 Das Drama vom römiſchen Reich. 


die Täuſchung der Frommen durch gefälſchte Wunder wurden von 
Laien und Klerikern in der Kirchenſprache wie im Volksdialekt 
gegeißelt. Das Drama vom römiſchen Reich und dem Antichriſt 
iſt ein Zeugnis dafür, welch hohen Flug dies volkstümliche Denken 
in der Zeit Barbaroſſas nahm. Es iſt in lateiniſcher Sprache und 
mit einem Apparat von Perſonen und Vorſtellungen gedichtet, die 
der kirchlichen Tradition angehören, aber nicht vom Standpunkt des 
Klerikers, ſondern von dem des deutſchen Patrioten, des Reichsbürgers. 
Dieſer Umſtand hindert keineswegs die Annahme, daß der Verfaſſer 
Kleriker war oder Mönch — es iſt ein Zeichen der Zeit, daß man 
das nicht erkennen kann. Recht eigentlich das Produkt dieſer Stim⸗ 
mungen und Verhältniſſe aber iſt die Tierſage ). Sie wurde ebenfalls 
bald in lateiniſcher, bald in der Volksſprache bearbeitet, und von der 
großartigen Form derſelben im Yengrimus iſt es ebenfalls nicht zu 
ſagen, ob der Verfaſſer ein Laie oder ein Kleriker war. Er hatte 
die Bildung des gelehrten Klerus empfangen, er war auch wahr⸗ 
ſcheinlich Vorſtand einer Schule oder nacheinander verſchiedener 
Schulen an Kirchen und Klöſtern, aber es iſt leicht möglich, daß er 
die Weihen nicht empfangen und kein Gelübde abgelegt hatte. Denn 
ſo ſtanden damals Viele lange Zeit an einflußreichen Stellen in dem 
Schultreiben, wie Abälard, der bis zu ſeiner Kataſtrophe Laie war, 
und wie Johannes von Salisbury. Jedenfalls war die Geſinnung 
des Verfaſſers ganz volkstümlich. Beſonders zahlreich zeigten ſich in 
den Kämpfen der Staufer, Ludwig des Bayern, Philipps des Schönen, 
der engliſchen Könige und der Städte mit den kirchlichen Gewalten 
Kleriker und Laien nebeneinander als kundige Kritiker der mit 
Dogmen, Dekretalen, wirklichen und erdichteten Präzedenzfällen be⸗ 
gründeten Anſprüche des Klerus. Endlich und vor allem aber vollzog 
ſich in den ſeit dem 11. Jahrhundert in Maſſe auftretenden Ketzer⸗ 
gemeinden und dann in der Myſtik eine Verſchmelzung von laien⸗ 
haften und klerikalen Elementen, welche den Gegenſatz dieſer Stände 
in Intereſſen, Bildung und Anſichten vielfach überbrückten. Wurde 
doch ſchon von Petrus Damiani im 11. Jahrhundert die Klage 


1) Die früher von Grimm vertretene Anſicht, daß fie urgermaniſcher Beſiz 
fet, iſt wohl aufgegeben. Aber auch wer an ihr feſthalten wollte, würde doch an 
die Entwicklung dieſer Sagen im 12. Jahrhundert die gleiche Betrachtung über 
die Stellung von Laien und Klerus knüpfen. gl. die treffliche Ausgabe des 
Diengrimus von E. Voigt, 1884. 


Be Zu u ne u tel ZZ a nn ZU u na ln U 


teiſtungen der Schelaftif: Grammatik. 73 


ethoben, daß Bauern und beliebige Leute ohne gelehrte Bildung ſich nicht 
entblodeten, auf Kreuzwegen und wo es gerade ſei vor Weibern und 
Dimien über Stellen der heiligen Schrift zu bisputieren. Im 12. und 
13. Jahrhundert erfüllten Sekten und Konventikel große Gebiete. 
Dieſer Hintergrund eines teilnehmenden Publikums nicht bloß aus 
geiſtlichem Stande und die ähnliche Miſchung auch unter den Autoren, 
dieſe Verbindung der Publiziſtik mit den gelehrten Intereſſen und 
Anwendung der Volksſprachen neben dem Latein: das alles bildet 
einen wichtigen, vielfach maßgebenden Zug in dem Weſen der Periode 
der Scholaſtik und ein unterſcheidendes Merkmal von dem ihr vorauf⸗ 
des 10. und 11. Jahrhunderts, der für ſich 
Darin kündigte ſich auch der große Umſchwung an, der ſich 
während derſelben in der politiſchen Welt vollzog. Rom ſtand noch 
1 der Kräfte und Gedanken. Das römiſche Reich und 
5 galten noch als die beherrſchenden Formen und 
Tu des politiſchen Lebens!); aber die Idee des 
deumiſchen Reichs trat mehr und mehr zurück vor den aufſtrebenden 
Nationalſtaaten, und der Herrſchaft der römiſchen Kirche ſtellten ſich 
individuelle Meinungen und Richtungen entgegen. Noch hatte Rom 
das Uebergewicht, noch ward Kleriker genannt, wer gelehrte Studien 
trieb; aber viele trieben fie, ohne als Glieder dieſes erimierten Standes 
leben oder auch nur die Weihen zu empfangen, die ihn äußerlich 
den Laien trennen würden. Die Scholaſtik war noch eine Wiſſen⸗ 
des Klerus, aber ſie durchbrach zugleich die Schranken, welche 
den Klerus von den Laien trennten. 

Dieſe Verhältniſſe trugen dazu bei, daß es trotz des Uebergewichts 
der Logik auch in den pofitiven Wiſſenſchaften nicht an Fortſchritten 
fehlte. Die Verdienſte der Scholaſtiker um die lateiniſche Syntar 
wurden bereits erwähnt, und Dantes berühmte Abhandlung über die 
italieniihe Sprache) zeigt, daß man den Sinn für ſprachliche Er: 

ſcheinungen vielſeitig gebildet hatte. Die eigentümlichen Züge der 
ſcholaſtiſchen Methode treten deutlich hervor, auch die Anſicht von der 


J Gierke, Johannes Altyufius (Unterſuchungen zur deutſchen Staats- 
und Rechtsgeschichte, VII). Breslau 1880. S. 60 ff. Note 10 fl. gibt die Ent⸗ 
wicklung dieſer Borftellungen und die bezügliche Litteratur. 

) Dantis Aligherii De vulgari eloquio sive idiomate libri duo 
em Opere minori di Dante Alighieri, ed. Fraticelli. 4. ed. Firenze 1882. 
2. 139 fl. 7 


f 


* N 
. 9 


74 Geſchichtſchreibung und Muſik. 


„Erfindung der Grammatik“ !) fehlt nicht, aber es findet ſich auch 
ein wirkliches Eindringen in den ſchwierigen Gegenſtand, und welche 
Kühnheit liegt nicht ſchon an und für ſich in dem Verſuche, in dieſen 
Anfängen des Gebrauchs der italieniſchen Dialekte als Schriftſprache 
eine gemeinſame italieniſche Schriftſprache zu ſchaffen und dieſe durch 
grammatiſche Regeln zu ſichern. Unmittelbar ſieht man hier die 
Frucht der langen Pflege grammatiſcher Wiſſenſchaft. 

Der Geſchichtſchreibung war der Geiſt der Scholaſtik nicht günſtig 
und die Entwicklung derſelben in dieſer Periode iſt hier nicht weiter 
zu ſchildern. Es genügt, darauf hinzuweiſen, daß ſich z. B. in dem 
Memoirenwerke des Joinville die Teilnahme der Laien an der 
Litteratur glänzend bethätigte, und daß ſich bei einigen Autoren der 
Einfluß des geſteigerten wiſſenſchaftlichen Lebens bemerklich machte. 
Otto von Freiſingen war ein eifriger Schüler des Gilbertus Porre⸗ 
tanus ?), und ſeine Schriften zuſammen mit ſeinen Fortſetzern find 
doch wohl als die vollendetſten Erzeugniſſe der mittelalterlichen 
Hiſtoriographie anzuſehen. 

Die Kunſt Briefe und Urkunden abzufaſſen fand beſondere 
Pflege. Sie lehrte das Elementarſte, wie die heutigen Briefſteller, 
ſie berührte ſich aber auch mit der Rechtswiſſenſchaft und bedurfte 
der Rhetorik. Es ſind förmliche Richtungen und Schulen zu unter⸗ 
ſcheiden, die einander ablöſten und bekämpften. Auch das iſt 
charakteriſtiſch für die Zeit, daß die Form des Briefes für wiſſen⸗ 
ſchaftliche Abhandlungen und rechtliche Deduktionen benutzt wurde. 
Ein großes Beiſpiel bieten die Briefe von Abälard und Heloiſe aus 
der Zeit nach der Kataſtrophe “). 

Von epochemachender Bedeutung waren die Leiſtungen dieſer 
Jahrhunderte auf dem Gebiete der Muſik. Das Bedürfnis des Kultus 
forderte allerorten wenigſtens eine elementare Uebung im Geſang. 
Aber dieſer handwerksmäßigen Fertigkeit gegenüber erhob ſich im 
11. Jahrhundert namentlich durch Guido von Arezzo eine ſelbſtändige 


) a. a. O. S. 164 f. 

) E. Bernheim in den Mitteilungen d. Dust. f. Öfterr. Geſchichtsforſch. 
1885 S. 1 ff. 

) Die verliebte Korreſpondenz des unglücklichen Paares iſt nicht auf uns 
gekommen, auch nicht die Liebeslieder Abälards, obſchon fie viel geſungen wurden 
und alſo nicht von Abälard felbft vernichtet fein können. 


1 


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Wiſſenſchaft der Mut‘). Auf die gewohnlichen Geſangkünſtler ſah 
Guido ſtolz herab — einen Haufen abgeſchmackter Narren ſchalt er 
fie, bewußt ſuchte er nach Ertenntnis der Geſetze der Kunſt. Diele 
leoretiſchen Unterſuchungen ruhten auf denjenigen der Alten, und 
ſie dem Mittelalter durch denſelben Boetius überliefert, 
matiſchen und philoſophiſchen Handbücher dankte. 
dieſe Grundlage gingen Guido von Arezzo und ſeine Nach⸗ 
und zwar mit Bewußtſein über den Wert ihrer 
Entdeckungen. Sie ſchufen den mehrſtimmigen Geſang und damit 
die Grundlage für die Entwicklung der modernen Muſik. 
Die großen Arbeiten auf dem Gebiete des römijchen Rechts, 
einer 


welche von der unſicheren Benutzung einzelner Stellen im 9. und 

wiſſenſchaftlichen Beherrſchung des ganzen 
„gehoren zumeiſt der Schule der Gloſſatoren 
noch der Geiſt des der Scholaſtik vorausgehenden Humanis⸗ 
Aber der Zeit nach fallen ſie in die Periode der 


1 
Rage 
1 
1 
= 
2 
= 
- 
4 
3. 


Jahrhunderts der Scholaſtik, daß in dem: 
des römiſchen Rechts zu ſolcher Blüte gedieh. 
„ weil die Vorſtellungen von der Unabhängigkeit der 
n den Geſetzen der römiſchen Kaiſer und den 
die ſcharfe Formulirung fanden, ohne 
mit den die Welt erfüllenden und durch 
mächtig geforderten hierarchiſchen Ideen 
Die Kenner haben die Arbeit dieſer 
nderung geſchildert. Ein Jahrhundert 
Geiſter eine heute kaum begreifliche 
des Geiſtes und vor allem des Gedächtniſſes aufgeboten, um 
die Erleichterungen unſerer Ausgaben, Regiſter, Lexika u. ſ. w. 
die zahlloſen Stellen des Corpus grammatiſch zu verſtehen und durch 


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114 
225 


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2 
3 7 


> J Migne, Patres latini Nro. 141. Die Vorrede ſeines Micrologus de 
4 disciplins artis musicae p. 381 zeigt das ſtarke, aber auf dem Bewußtſein 
erheblicher 


Leiſtungen beruhende Selbſigefühl des Mannes. Sodann die Vorrede 
u dem Tractatus correctorius ib. 431. 


99S. Abhandlungen der Wiener Akademie, 1857, S. 68 Note 1. Huguccio, 
82 i der Freund und Lehrer Innocenz III., vertrat doch die Selbſtandigkeu der laiſer 
7 A Gewalt. Ante enim fuit imperator quam papa. Und Bernhard von 


76 Die Poſtgloſſatoren. 


einander zu erklären, bis dann endlich dieſe Arbeiten in der ſichtenden 
Sammlung der Glossa ordinaria des Accurſius ihren Abſchluß fanden. 
Daneben ſcheint die Leiſtung der Poſtgloſſatoren !), der eigentlichen 
Scholaſtiker der Rechtswiſſenſchaft, zurückzutreten. „Die ſcholaſtiſche 
Exegeſe ſchlug ſich durch zahlloſe Quäſtionen und Diſtinktionen eigener 
und fremder Erfindung hindurch, um ſchließlich für den Text ſelber 
keine Zeit übrig zu behalten. Wenn es vorkam, daß auf die Aus⸗ 
legung eines Pandektenfragmentes Monate verwendet und kaum 
mehr als fünf Stellen im Jahre abſolviert wurden (Aleiati oratio 
Bonon. habita 1537. Savigny 3, 5476. Panzirol. I. 2, c. 4), 
daß ſelbſt der Inſtitutionarius mit ſeiner einleitenden Vorleſung 
fünf bis ſieben Jahre verbrachte, ſo ſind zwar ſolche exorbitante 
Fälle auch in jener Zeit als Ausnahmen zu betrachten. Allein 
ihre Möglichkeit gibt einen Anhalt, um auf die Regel zu ſchließen, 
welche durch die überlieferten Lekturen und Kollegienhefte beſtätigt 
wird ).“ 

Wie dem Studium der Theologie die Sentenzen des Lombarden, 
jo wurden ſeit dem 14. Jahrhundert dem Studium des römiſchen Rechts 
vorzugsweiſe die Kommentare zweier Autoritäten zu Grunde gelegt, 
des Bartolus und Baldus, deren Namen in den Kreiſen der popu⸗ 
lären Kenntnis ſchlechtweg für das römiſche Recht geſetzt wurden “). 
Die juriſtiſche Unterweiſung artete bisweilen geradezu in ein Spiel 
aus, ähnlich den Rätſelfragen, wie ſie Kinder zur Uebung des Scharf⸗ 
ſinns löjen. Die Lekturen über die Erbfolge“) enthielten als Bei⸗ 
gaben Enigmata und Casus, in denen eheliche Verbindungen als 
möglich geſetzt wurden, die nach dem geltenden Recht nicht möglich 
waren, ſondern als blutſchänderiſch galten und alſo auch diejenigen 
verwandtſchaftlichen Verbindungen rechtlich nicht bewirkten, mit denen 


) B. Brugi, Alcune osservazioni sul periodo storico dei Postglossatori 
in Italia im Archivio giuridico 26 p. 401— 439 (1881). 

) Stinging, Geſchichte der populären Litteratur des römiſch⸗kanoniſchen 
Rechts S. XXVIII. ALehnliche Fälle aus der Theologie bei O. Hartwig, Heinrich 
von Langenſtein S. 85. Dreizehn Jahre auf vier Kapitel der Geneſis! 

) Die bekannte Anekdote von den Schöffen zu Frauenfeld im Thurgau, 
welche einen Doctor juris zur Thüre hinauswarſen mit den Worten: „Wir fragen 
nichts nach deinem Bartele und Balde.“ Stintzing a. a. O. S. XXV, und 
Zöpft, Nechtsgeſchichte 208, 

) Stintzing a. 6. O. S. 167 f. gibt Veiſpiele. 


* 1 
1 


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Die Poftgloflatoren. 77 


doch operiert wurde, um das Natſel zu löſen. Es war ein Kom⸗ 
 Binationsfpiel mit juriſtiſchen Begriffen, ahnlich dem Spiel der 
Daalettit mit logiſchen Begriffen, die ihres Inhalts, ihrer im Leben 
wirkſamen Attribute beraubt waren, oder dem Treiben der Gram⸗ 
matter, welche, unbekümmert um den Sprachgebrauch, eine ratio 


BE 
2; 
2 
4 
; 
5 
- 
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war. Für die wiſſenſchaftliche 
dieſe ſcholaſtiſche Behandlung 
geleiftet, aber um fo größer war ihre praktiſche Be⸗ 


Aufnahme und Berückſichtigung der auf dem Boden des 
germaniſchen und kanoniſtiſchen Einflüſſen 
Lokalrechte, durch die Verarbeitung derſelben 
Recht des Corpus juris geſtalteten die Scholaſtiker das 
in weſentlichen Auffaſſungen den that⸗ 


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# 1 he * = 
i 


mit dem 


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3. 

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2: 


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genügende Zeit 


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H 
1 1 


Der Reformator des kanoniſchen Rechts, der Spanier Aguſtin, welcher über 
Kommentare und Exzerpte des Decretum Gratiani hinweg zu den urſprünglichen 
surüdging, ſchrieb 15986: „Wir leben in einer Zeit, in der jemand für 


£ 


versteht.. Maaßen a. a. O. S. XXI und wörtlich ib. Note 2: Namque 

unt, eivilem scientiam totos homines desiderare, qui nihil aliud 
- quam ut quid Accursio, Bartolo . . visum fuerit, defendant, 

verbs ignorent licet. 

Landsberg, Die Gloſſe des Accurfius und ihre Lehre vom Eigentum, 


= 5 2 1 


78 Miſchung römiſcher und deutſcher Rechtsanſchauungen. 


ſamkeit mit ſtummem Staunen erfüllt waren vor der Weisheit, welche 
fie hinter dem Stolz der professores legum vermuteten ), beſaßen 
die Rückſichtsloſigkeit der Ignoranz, welche dazu gehörte, Rechts⸗ 
geſchäfte, die nach deutſch⸗rechtlichen Grundſätzen abgeſchloſſen waren, 
nach römiſch-rechtlichen Definitionen zu beurteilen. Der Gegenſatz 
der beiden Rechtsanſchauungen war ihnen nur unvollkommen deutlich, 
unzweifelhaft aber war ihnen dagegen die Vorſtellung, daß das Recht 
der Römer von Rechts wegen herrſchen müſſe im Reiche des römiſchen 
Kaiſers, ja daß es das Recht ſchlechthin ſei. Nur wo die deutſche 
Rechtsüberzeugung noch zu ſchroff widerſprach, ſtatuierten ſie eine 
Ausnahme. Was ſie ſonſt von Begriffen und Rechtsſätzen in dem 
Studium oder aus den populären Handbüchern in ſich aufgenommen 
hatten, das vertraten ſie mit dem Eifer der Neophyten auf der 
Schöffenbank, im Rat der Städte und der Fürſten, in Gutachten und 
populär⸗juriſtiſchen Schriften. Die ſtaatlichen und kirchlichen Ge⸗ 
walten verboten wohl das Studium des römiſchen Rechts, und die 
ungelehrten Schöffen erhoben mehrfach Proteſt gegen jene Geltend⸗ 
machung fremdartiger Grundſätze ), aber die Männer der Wiſſen⸗ 
ſchaft gewannen doch leicht Einfluß, zumal wenn ſie in Paris oder 
gar in Bologna ſtudiert hatten. So erfüllten dieſe Scholaſtiker 
ähnlich wie die Kanoniſten namentlich in Deutſchland einen Kreis 
des Volkes, ſeiner Rechtsideen und Inſtitute nach dem anderen mit 
römiſch⸗rechtlichen Vorſtellungen und verliehen zugleich dem Syſtem 
des römiſchen Rechts durch Aufnahme mittelalterlicher und deutſch⸗ 
rechtlicher Anſchauungen diejenige Geſtalt, welche es erſt zur Rezeption 
fähig machte. In ſeiner reinen Geſtalt, ohne dieſe Verdunkelungen 
und Beimiſchungen würde der Gegenſatz gegen die deutſche Rechts⸗ 
überzeugung zu ſchroff geweſen ſein. Durch die praktiſche Thätigkeit 
der Scholaſtiker war die Rezeption des römischen Rechts in vielen 
Stücken ſchon thatſächlich vollzogen, ehe ſie geſetzlich angeordnet ward, 
und auch für dieſe geſetzliche Einführung war durch die Scholaſtiker 
die unentbehrliche Vorarbeit geleiſtet worden. 

Die Verdrängung der hergebrachten Rechtsordnung durch die 


') Auf den Logicus ſah der Dekretiſt verächtlich herab. Schon im 12. Jahr⸗ 
hundert klagte man über den Hochmut der professores legum. So Petrus 
Blesensis ep. 141, Opera, Parisiis 1667, p. 218. 

) S. o. Note 8 auf Seite 76. 


2 


Der entſprechende Vorgang in Frankreich. 79 


Wien des römischen Rechte war mit großen Härten verbunden, 
l auch ſehr bedenkliche Folgen namentlich ſoztaler Natur — allein 
die ruhigen Beurteiler find doch immer zu dem Schluſſe gekommen, 
5 aß in dieſer Rezeption ein großer Kulturfortſchritt vermittelt worden 

TR. Nicht ohne Berechtigung iſt der Vergleich mit der freilich 

gewaltigeren Umwälzung unſeres Denkens und ganzen geiſtigen 

Weſens, welche mit der Einführung der roͤmiſchen Kirche, ihrer Lehre 

und Verfaflung unter den fränkiſchen Königen eingeleitet wurde. 

ag man aber loben oder anklagen, in jedem Fall erwies ſich die 

Scholaſtik in ihrer juriſtiſchen Arbeit als eine große Lebensordnungen 

umgeftaltende Macht. Von jenen ſcholaſtiſchen Beimiſchungen wurde 

übrigens rezipierte Recht auch nicht durch die humaniſtiſch 
gebildeten Juriften des 16. und 17. Jahrhunderts befreit. Die Kraft 


5 


des Humanismus wurde in Deutſchland vorzugsweiſe nur in der 


u von Kirche und Schule wirkſam. 

den übrigen Landen geſtaltete ſich der Einfluß des römiſchen 
| 0 in Deutſchland, beſonders wichtig iſt die Ver⸗ 
Be: nkreich, weil hier ebenfalls auf dem Boden des 
fränkiſchen Rechts erwachſene Gewohnheitsrechte galten. Hier erfuhren 
dieſe Gewohnheiten, Coutumes, durch Juriſten, die in dem roͤmiſchen 


5 Net geſchult waren, eine ſolche Ordnung, Ergänzung und Ver⸗ 


arbeitung, daß dieſe Coutumes imſtande waren, den Bedürfniſſen 
des entwidelteren Lebens zu genügen. Frankreich dankte es alſo 
dieſer Leiſtung ſeiner Rechtswiſſenſchaft, daß es vor den ſchweren 
Opfern bewahrt wurde, welche mit der Rezeption des römischen Rechts 
in Deutſchland verknüpft waren. Der erſte, der es verſuchte, den wider⸗ 
ſpruchsvollen Stoff der Coutumes nach dem Vorbilde des römiſchen 
Reis, feinen Begriffen und Rubriken zu ordnen, war Pierre De: 


fontaines (Petrus Fontanus) um 1250, am glänzendſten aber löſte 
dieſe Aufgabe Philipp Beaumanoir, ber 1283 die Coutumes de 


Beauvoisis ſammelte. „Da ihm auch die Coutumes anderer Land: 
ſchaften kundig waren, und da er durch die Beſchäftigung mit dem 
römiichen Recht geübt war, der allgemeinen Rechtsregel nachzuſpüren, 
welche den beſonderen Beſtimmungen zu Grunde lag, ſo gelang es 

ihm, in den Coutumes jeiner Landſchaft das Bild einer gewiſſen 


allgemeinen Coutume von Nordfrankreich zu entwerfen. Er fidte 


> nicht römischen Hecht zwiſchen die Lücken der Coutumes, ſondern fuchte 
nur die eminente Logik und treffliche Methode nutzbar zu machen, 


80 Grand Coutumier de Normandie. 


welche er in dem römiſchen Rechtskörper fand“ ). Eine ähnliche Be⸗ 
arbeitung fand das normänniſche Recht etwas früher, 1270 —1275, 
in der Summa) de legibus consuetudinum Normaniae, auch Grand 
Coutumier de Normandie genannt, und das engliſche Recht in 
Henrici de Bracton de legibus et consuetudinibus Angliae libri 
quinque um 1256—1259. Es find das große Leiſtungen der Wiſſen⸗ 
ſchaft, den bedeutendſten zu vergleichen, welche die Bedürfniſſe des 
Lebens von ihr gefordert und von ihr empfangen haben. Weshalb 
es in Deutſchland zu einer ſolchen wiſſenſchaftlichen Behandlung nicht 
kam, iſt ſchwer zu ſagen. Der Zuſtand der deutſchen Lokalrechte 
war es nicht. Wenn man die Gewaltſamkeit erwägt, mit der die 
Wiſſenſchaft das kanoniſche Recht von ſeinen Widerſprüchen befreite, 
ſo wird man nicht zweifeln, daß eine ſo rückſichtsloſe Verarbeitung 
auch mit dem von dem deutſchen Recht gebotenen Stoffe fertig 
geworden wäre. Ein Grund lag wohl darin, daß in Deutſchland 
die Univerſitäten erſt in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts 
gegründet wurden und dem wiſſenſchaftlichen Leben bis dahin die 
feſten Mittelpunkte fehlten. Ein anderer aber lag in der Auffaſſung, 
daß das römiſche Recht das Kaiſerrecht ſei, und daß alſo eine Ver⸗ 
arbeitung des weltlichen Rechts im deutſchen Reiche zunächſt als eine 
Einordnung der deutſchen Rechtsſätze in das Syſtem des römiſchen 
Rechts gedacht werden mußte. Das hätte ſich aber bei jedem um⸗ 4 
fangreicheren Verſuch als undurchführbar gezeigt. In Frankreich F 
laftete dieſe Vorſtellung nicht jo ſchwer. | 


Das kanoniſche Recht. 


Die Pflege des römiſchen Rechts bildete die Schule, in welcher 
die Kanoniſten oder Dekretiſten zu einer wiſſenſchaftlichen Behandlung 
des kanoniſchen Rechts herangebildet?) wurden. In der Anlehnung 


) Schäffner II, 54 f. H. Brunner in Holtzendorſſe Encyklopädie, Ueber⸗ 
blick über die Geſchichte der franzöſiſchen, normänniſchen und engliſchen Rechte⸗ 
quellen, S. 285. 

) Brunner a. a. O. 299 f. im Anſchluß an Warnlönigs Urteil: „Der Con- 
tumier ift in Auffaſſung, Gruppierung und Behandlung ein durchaus originelles Werk 
wie aus einem Guſſe, frei von kompilatoriſcher Moſaik, das vollendetſte Rechts: 
buch, ebenſo wiſſenſchaftlich als praktiſch zweckmäßig geschrieben.“ | 

Fr. Maaßen, Geſchichte der Quellen und Litteratur des kanoniſchen | 
Rechts im Abendlande I, Gratz 1870. J. F. v. Schulte, Geſchichte der Quellen 


Die Scholafif und das kaneniſche Recht. 8 


an die Methoden der Legiſten löften fie ſich von der Theologie, mit 
der ihre Thätigkeit urſprünglich verbunden war. Die Arbeit der 
Kanoniſten hatte zunachſt einen prattiſchen Zweck. Aus den ſich 
ER vielfach wider ſprechenden Grundſatzen, welche von Päpiten, Konzilien, 
ſllten, galt es, ein Handbuch für den prattiſchen Gebrauch herzu⸗ 
ſiellen. Den erſten einflußreihen Verſuch dazu machte Gratian 
4 mit feinem Dekretum (um 1150), das dann die Bedeutung bes 
Alteſten Nechtsbuchs der Kirche gewann. Ein alter Kanoniſt ſagte 
von ihm: „Den Gegenſtand der Arbeit Gratians bilden canones, 
decreta, constitutiones et verba sc. patrum vim canonum habentia. 


Seine Hauptabſicht geht dahin, alles dies in ein Buch zu ſammeln 

1b ihre Widerſprüche auszugleichen. Daneben leitete ihn noch die 
weitere Abſicht. die Kleriker zu erziehen und für ihre Amtshandlungen 
an Veranlaßt wurde er durch die herrſchende Verwirrung im 
me. J. Frühzeitig wurde deshalb dieſes Decretum Gratiani „Con- 
er. — discordantium canonum“ genannt. Dieſe canones waren 
u ſo widerſprechend, weil ſie unter verſchiedenen Auffaſſungen und Ver⸗ 
3 zuſtande gekommen waren. Eine wiſſenſchaftliche Behandlung 
heutigen Sinne würde den Inhalt eines jeden Kanon objektiv 
ſeſiſtellen, Zeit, Anlaß und Entſtehung, die Perſonlichkeit des bezüg⸗ 
lichen Papſtes u. ſ. w. unterſuchen, und jo würde man erkennen, wie 
und warum die Kirche zu verſchiedenen Zeiten über die gleiche Sache 
verſchiedene Regeln aufgeſtellt habe. Eine derartige Behandlung lag 
dem Mittelalter fern und war auch ſchon durch das drängende 
pPraktiſche Bedürfnis ausgeſchloſſen. Gratian und ſeine Nachfolger 
gingen deshalb an ihre Aufgabe mit der Vorausſetzung, daß ein 
Wioderſpruch unter den canones u. ſ. w. nicht vorliegen dürfe, und 
8 *** diejenigen, welche ihnen aufſtießen. „Die Vermittlung der 


* e ente deb kanonischen Rechts von ‚Gratin bis auf bie Gegenwert, 

I. 1078, U. 1877, III, 1880. Stuttgart. 
3 9) 8lcardus in feiner Summa: Materia Gratiani sunt canones .. . ( o.). 
—  — Intentio ejus est principalis, hee in unum colligere et eorum discordiam 
e concordiam revocare, Secundaria, viros ecclesiasticos moribus informare 
3 ‚ Causs fait desuetindo 


6 


82 Methode der Kanoniften. 


canones zur Rechtseinheit geſchah nicht auf hiſtoriſchem Wege; 
höchſtens daß die Magiſter eine widerſprechende Beſtimmung kurz 
beſeitigten, weil ſie ex tempore, d. i. nur für eine beſtimmte Friſt 
erlaſſen worden ſei; vielmehr erfolgte ſie durchaus rationaliſtiſch. 
Wenn nämlich zwei Kapitel oder zwei Gruppen von Kapiteln über 
denſelben Gegenſtand Verſchiedenes feſtſetzten und dieſelben ließen ſich 
nicht durch die Annahme vereinen, daß die eine Beſtimmung nur 
„ex loco et causa“ oder „ex persona“ gegeben ſei, jo ſchritten die 
Kanoniſten zu der Behauptung, daß ſie gar nicht über denſelben 
Gegenſtand handelten. Sie „diſtinguierten“ nur, d. h. teilten den 
einen Gegenſtand in zwei voneinander verſchiedene und ſpielten ſo 
den Gegenſatz der canones auf den Gegenſatz der Objekte hinüber“ ). 
Dieſe Methode?) artete bisweilen in willkürliche Spielerei aus, indem 
die canones mit verwerflicher Kaſuiſtik nach dem Bedürfnis des 
vorliegenden Falles zurechtgelegt wurden — aber die Kanoniſten einer 
Kirchenprovinz waren doch im ganzen von dem Streben beherrſcht, 
„die Konkordanz im Sinne der consuetudo dieſer Kirchenprovinz 
herzuſtellen und ſchließlich im Sinne der römiſchen consuetudo.“ Und 
dabei haben ſie eine bedeutende wiſſenſchaftliche Kraft entfaltet. Mit 
förmlicher Begeiſterung ſchildert J. F. v. Schulte?) die wiſſenſchaft⸗ 
liche Kraft, welche Johannes Hiſpanus um 1240 in ſeiner Summa 
super titulis decretalium bewährte: „Von der umfaſſenden Litteratur⸗ 
kenntnis gaben die Citate ein glänzendes Zeugnis. Johannes iſt 
mit allen Kontroverſen des Civil⸗ und kanoniſchen Rechts aufs innigſte 
vertraut, feine Arbeit bildet eine beſtändige Kritik fremder Anſichten. 
Dieſe iſt, wie ſchon viele einzelne Stellen gezeigt haben und viele 


) Thaner, Summa Rolandi p. V f. gl. Maaſſen, Geſchichte der 
Quellen u. L. I,. S. VIII I. 

) Die ſcholaſtiſche Manier in der Behandlung kanoniſtiſcher Stoffe zeigt 
der Satansprozeß in der Bearbeitung des Jacobus de Theramo (1382), gewöhnlich 
erh Belial genannt, Ausgaben bei Stintzing, Geſchichte der populären Litte⸗ 

ratur S. 271 fl. gas auch Inhaltsangabe und Charakteriſtik des Werkes. 
2 erbracht, daß Chriſtus die Macht des Teufels überwunden 

und die Sünder ſeiner Gewalt entriſſen habe. Salomo iſt Richter, Belial Kläger, 
Jeſus Angeklagter. Objekt der Klage: Quidam dietus Jesus habe den Kläger 


aus dem Beſitz der Hölle verdrängt. Der Prozeß wird jo in den Formen des 


kanoniſchen Rechts geführt, daß er ein Handbuch desſelben darſtellt. 
) Schulte, Abhandl. d. Wiener Akademie. Bd. 68. 1871. S. 80 f. Diele 
Summa iſt erhalten in einem Koder der Leipziger Univerfitätsbibliothek, 


e 


1 * 2 d * 


Ihre wüßßen schaftliche Kraft. 83 


andere beweiſen, oft rückſichtslos, aber durchaus felbitändig. Deshalb 
gibt er auf Autoritäten wenig, tritt oft den Anſichten der tüchtigſten 
entgegen, stellt eine eigene auf, begründet aber regelmäßig ſowohl die 
eigene, als auch, weshalb er die fremde annimmt. Hat er auch bis⸗ 
weilen eigentümliche Anſchauungen, jo iſt er doch im ganzen ein ſcharfer 
Kopf. Dieſe Dinge, die Lebhaftigkeit und Lebendigkeit der Dar⸗ 
ſtellung, die Exaktheit der Forſchung, die beftändige Nückſichtnahme 
auf praktiſche Zuſtände, Gewohnheiten u. ſ. w., die Praziſion der 
Diarſtelung, die ſcharſen Definitionen, der hiſtoriſche Sinn, fein 
perſonlicher entſchiedener Standpunkt, alle dieſe Momente geben der 
Leſung einen wirklichen Reiz.“ Und eine ähnliche Bewunderung zollt 
Sunzing !) in feiner vortrefflichen Geſchichte der populären Litteratur 
des römiſch⸗kanoniſchen Rechts in Deutſchland der Summa Raimunds 
| er. der ungefähr gleichzeitig mit Johannes Hiſpanus 
ſchrieb. Die Kanoniſten kamen bei dieſen Verſuchen oft zu ab: 
weſchenden Meinungen), bisweilen bot ſogar derſelbe Sammler 
mehrere einander ausſchließende Löſungen nebeneinander. Aber indem 
die Widerſprüche zum Bewußtſein gebracht wurden, begann auch ihre 
Beſeitigung, teils dadurch, daß einige Kanoniſten überwiegende 

Autorität gewannen, teils jo, daß die Päpfte, welche kanoniſtiſch 
gebildet waren, ihre Auffaſſung zur maßgebenden erhoben. In dieſem 
Progeſſe bildeten die durch die logiſchen Unterſuchungen erworbene 
5 Gewandtheit im Definieren und Unterſcheiden und die an dem 


u: „ Leipzig 1867 S. 497.* Außer dieſen Werken wurden zu der im Text 
gegebenen Darſteung namentlich noch mehrere Abhandlungen von Maaſſen und 
Site benutzt, die in den Sizungsberichten der Wiener Akademie erſchienen find. 
ede Naaſſen, Gloſſen des kanoniſchen Rechts aus dem karolingiſchen Zeitalter, 
e 4 (1876) S. 235 fl., namentlich 254 f. Bol. Bd. 24 S. 35 uber Huguccio 
Sonlte, Die Kompilationen Güberts und Alanus, Bd. 65 (1870) S. 595 fl. 
Scnlte, Zur Geſchichte der Litteratur über das Dekret Gratians, Bd. 65 
n. Schulte, Luteraturgeſchichte der Compilationes antiquae, Bd. 66 
N Nein ©. 51. Sculte, Die Summa Decreti Lipsiensis, Bd. 68 S. 37. 
Bemer Schulte, Roberti Flamesburiensis Summa de matrimonio et de 

usuris, Giessae 1868. 

1 J Johannes Piſpanus ſagt Fol. 156 des Leipziger Kodex (Schulte B. 68 
. S. 177): De jure jurando: Sciendum est, quod in ista materia quot ſuerunt 
damm doctoren, fere ſuerunt tot opiniones. Ib. 74 hebt er hervor: nee etiam 

me est aligun contradietio inter modernos dociores. Das Rebeneinanbergehen 

= u er Geyeniäge erinnert an Abalards Sic et non. 


a 


84 ; Das Syſtem des kanoniſchen Rechts. 


römiſchen Recht gewonnene Schulung juriſtiſchen Denkens die wichtigſten 
Werkzeuge), das Ergebnis aber dieſer Arbeit liegt vor in dem 
Syſtem des katholiſchen Kirchenrechts, das einen der einflußreichſten 
Faktoren in dem Getriebe der abendländiſchen Kulturwelt bildet. 
Tauſende, die von dem kanoniſchen Recht nichts wiſſen und nichts 
wiſſen wollen, denken mit Begriffen, leben in Vorſtellungen über Ehe, 
Eigentum, Grenze der öffentlichen Gewalt, Recht der Individualität, 
Handel und Verkehr u. ſ. w., welche unter dem maßgebenden Einfluß 
des kanoniſchen Rechts und der Erörterungen der Kanoniſten aus⸗ 
gebildet worden ſind. 

Dieſe wiſſenſchaftliche Bearbeitung gab der Kirche die Einheit 
in Brauch und Geſetz, an deren Stelle bis zum 11. Jahrhundert 
vielfach lokale Gewohnheit gebot), und ſchuf jo die Vorausſetzung 
und Unterlage für die Durchführung der gregorianiſchen Ideen. In 
dieſem Rechtsſyſtem der Kirche?) offenbarte ſich der Gedanke von der 
Stellung der Kirche als einer ſtaatlichen Organiſation in, neben und 
über den weltlichen Staaten am deutlichſten, und durch dieſes Rechts⸗ 
ſyſtem übte die Kirche ihren erziehenden Einfluß auf die in barba⸗ 
riſchen Vorſtellungen wurzelnden Rechtsordnungen der Völker, vor 
allem auf die Ehe, die ſozialen Verhältniſſe und das Strafrecht. Das 
kanoniſche Recht brach die rohe Gewalt, die der Mann über die Frau 
übte, erhob ſie von der Rechtloſigkeit zur Genoſſin, gab ihrer Klage 
Gehör gegen den Mächtigſten und ſchuf die Vorſtellungen, auf denen 
die moderne Anſchauung von der Rechtsgleichheit der in der Ehe 
Vereinigten erwachſen iſt. Das kanoniſche Recht gab der Verehrung 
für Mönch und Prieſter die rechtliche Form und verlieh den zahl⸗ 
reichen Unfreien, die in dieſen Stand eintraten, ein Anſehen, das 
den Mangel der Freiheit ergänzte und ſo eine der Brücken bildete, 
welche aus der Starrheit der alten Ständeverhältniſſe in mildere 
Formen hinüberführten. Ebenſo bildeten die unter dem Einfluß des 


) Auch in der ganzen Art, eine Aufgabe anzufaſſen, bildete das Studium 
der artes die Schule. Bgl. z. B. das Prooemium jener Summa des Johannes 
Hiſpanus bei Schulte a. a. O. S. 62. 

*) Ficker, Mitteil. d. öſtr. J. II. Ergänzungsband S. 4. Die kirchlichen 
Borſchriften und der kirchliche Brauch . waren je nach Zeit und Ort ſehr ver: 
ſchieden, bis da durch das Dekretalenrecht eine feftere und allgemein gültige 
Grundlage geſchaſſen wurde. 

) Stintzing a. a. O. S. 404. 


wenn DE GD39 un hi 


Sein Einfluß. 85 


Allanoniſchen Rechts erfolgenden Regelungen der Verhältniſſe der Un⸗ 
freien auf den Kirchengütern einen weſentlichen Faktor in dem Aus⸗ 
gleich der Stande 

Das kanoniſche Recht ſchuf endlich im Reiche der Franken wie 
in den anderen Staaten eine erwünſchte Ergänzung des Strafrechts, 
bot durch ſeine geiſtlichen Strafen einen Erſatz für die fehlenden oder 
doch wenig entwickelten Freiheitsſtrafen, ſtrafte viele, die ſonſt frei 
Gewaltthat übten, gab mittelbar und unmittelbar Anſtoß zur Aenderung 
des Prosehgangs, war ein wichtiger Vermittler römiſcher Rechts⸗ 
anſchauungen u. ſ. w. 

Es laſſen ſich allerdings dieſer Reihe von fördernden Einwirkungen 
gegenüber eine Reihe von Klagen erheben über den Mißbrauch, den 


Eben als Konkubinate behandelt und aufgelöft, welche in gutem 
Glauben geſchloſſen waren und lange Jahre glückbringend beſtanden 
hatten. Ordnungen des Eigentums, Begriffe des Rechts, die Grund⸗ 
lagen des Staats ſind durch das kanoniſche Recht erſchüttert worden. 
Es hat der frommen Habſucht die Waffen geliehen und damit zugleich 
ihre Begierde noch weiter entfeſſelt. Viel unrecht erworbenes und 
trügeriſch erſchlichenes Gut iſt mit dieſem Necht von der Kirche in 
Anſpruch genommen und behauptet worden. Wie bei der Rezeption 
des chen Rechts wird man von dem kanoniſchen Rechte ſagen, 
daß der Gang dieſer Macht durch die Welt über Ruinen und Leichen⸗ 
felder ging, aber hier gilt es nur zu erkennen, daß es eine Weltmacht 

die Scholaſtiker waren, welche den Ausbau dieſes 
ſyſtems vollendeten. 


f 
f 


Die Politik. 


Der Jurisprudenz iſt die Politik verwandt. Die Schriften des 
ſowie des Plato, des Cicero und anderer klaſſiſcher Autoren, 

die den Scholaſtikern teils ſelbſt, teils durch Anführung bei Auguſtin 

und anderen Kirchenvätern zugänglich wurden, ſowie die theokratiſchen 
ATBBdeen der jüdiſch⸗chriſtlichen Traditionen waren die Vorbilder und 
das Material für die politiſchen Unterſuchungen des Mittelalters. 
Anlaß dazu gab vor allem die Entwicklung des Papſttume, ſein Kampf 


| 


Be r 2 


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€ M 4: * 


86 Die politiſchen Schriften der Scholaſtiker. 


gegen das Kaiſertum, die Ausübung ſeiner Weltherrſchaft und der 
Widerſpruch, der in ſolcher Herrſchaft und dem geiſtlichen Charakter 
lag, und durch die kräftige Ausbildung der großen und kleinen 
Einzelſtaaten. Dieſe Kämpfe wurden nicht nur mit dem Schwert, 
ſondern auch mit der Feder geführt, und die Feder war mächtiger 
als das Schwert. Der Sieg der gregorianiſchen Ideen in den 
gelehrten Kreiſen rief Scharen von Predigern auf, welche die Maſſen 
überzeugten, daß der bis dahin unerhörte Anſpruch des Papſtes Gottes 
Wille ſei. Die Erkenntnis von dem Widerſinn ſolcher Forderungen 
und die Entrüſtung über die gemeine Ausbeutung des Glaubens durch 
die Hofleute und Verwandten der Päpſte trieb die Maſſen wieder 
auf die Seite der weltlichen Ordnung, der Stadtmagiſtrate, der Könige 
und Kaiſer. Scholaſtiker waren es, welche dieſe Neigungen und Ab⸗ 
neigungen als Thatſachen und Vorausſetzungen wiſſenſchaftlich ver⸗ 
werteten und ihnen in politiſchen Syſtemen einen Platz anwieſen, 
von dem aus ſie mit größter Autorität in Verhandlungen und De⸗ 
duktionen angezogen wurden. Das Altertum hatte eine Wiſſenſchaft 
der Politik — aber fie hatte nur geringe Bedeutung für die Ge⸗ 
ſtaltung der politiſchen Verhältniſſe, erſt im Mittelalter wurde dieſe 
Wiſſenſchaft und die auf ihr ruhende Streitſchriftenlitteratur eine 
ſtaatenumwandelnde Macht. Von Auguſtin bis zu den Schulen und 
Parteien des letzten Jahrhunderts, den Rotteck und Stahl, den Frei⸗ 
händlern und Sozialiſten läuft eine lange Kette von Schriften und 
Schriftſtellern, die direkt und indirekt das Denken über die Ein⸗ 
richtungen des öffentlichen Lebens und bald dann dieſe Einrichtungen 
ſelbſt umgeſtalten, und unter ihnen nehmen die Scholaſtiker einen 
großen Platz ein. Die Idee des Rechtsſtaats, der Gleichheit vor 
dem Geſetz, der Beſchränkung des Eigentums, die Frage, ob der 
König oder das Volk Träger der Staatsgewalt ſei, ob und welche 
Grenzen die Staatsgewalt einſchränken, die Mittel und Formen 
der Vertretung bei größeren Staaten, die Grundlage und die Ent⸗ 
ſtehung des Staats — alle dieſe Fragen ſind von den Scholaſtikern 
erörtert worden und vielfach mit Tieffinn und mit rlückſichtsloſer 
Kühnheit ). Es begegnen bei Männern des 14. Jahrhunderts Gedanken, 


— — 


) Marſilius von Padua unterwarf ſogar die Petruslegende einer Kritik 
und das Recht, mit dem Rom feine Anſprüche darauf ſtütze. Er beftreitet nicht, 
daß Petrus nach Nom gekommen ſei, aber er zeigt, daß er jedenfalls erſt nach 


r 


Vr Einfinf, 87 


blieben nicht bloß auf die Vorleſungen an den Univerfitäten 
die eigentlichen politiſchen Schriften beſchränkt, ſondern durch 
„Lieder und Romane wurden fie in die weiteſten Kreiſe 
und wirkten nach. Die Monarchomachen wie die Abſolutiſten 
ſozialiſtiſchen Utopiſten des 16. und 17. Jahrhunderts ſtanden 
Schultern ſcholaſtiſcher Vorgänger, und auch heute iſt dieſe 
noch nicht tot). Noch heute ſtehen ſich ja auch die An⸗ 
die im Gegenſatz der Staufer und der Inno⸗ 

„des Bonifacius und des Königs Philipp miteinander rangen, 
ſie ſind damals mit ſolcher Schärfe zum Ausdruck gebracht worden 
Thatſachen haben an den Theorien ſo lehrreiche Kritik geübt, 
Schriften dieſer Scholaſtiker und unter den Scholaſtikern 
Publiziſten noch heute mit großem Nutzen und großer 


: 
f 


Naturwiſſenſchaften. 


I die mathematiſchen und naturwiſſenſchaftlichen Fächer war 
die ſcholaſtiſche Weiſe beſonders ungeeignet, auch fanden ſie meiſt 
nur dürftige Pflege. Wenn es aber einen Botaniker ſonderbar anmuten 

wird, in jeinem Fache den ſcholaſtiſchen Formeln und Quaſtionen 

zu begegnen), jo haben doch die Geſchichtſchreiber der Botanik 

. B. den Arbeiten des Albertus Magnus ein großes Verdienſt bei⸗ 

gemeſſen. Als Pouchet)) in ſeinem Lobe die Schranken überſchritt, 


gekommen fein könne. Paulus ſei alſo der Gründer der römiſchen Ge: 
N g und auf ihn und ſeine Stellung ſei Roms Stellung zu gründen, nicht 
uf Petrus, der jedenfalls cher Biſchof von Antiochien geweſen ſei, als von Rom. 
MNeben Marfilius von Padua ift aber eine ganze Reihe von Schriftſtellern zu nennen, 
ee _ entfalteten, und zwar von beiden Parteien. Ich 
an die Art, wie der Dominikaner Johann von Paris die Selbständigkeit 
weltlichen Gewalt gegen Bonifacius VIII. verteidigte. 

Eine vorzügliche Einführung in dieſe Litteratur gewährt O. Gierke, 


f 
f 


Joebaumet Mlthuſtus (Unterſuchungen zur deutſchen Rechtsgeschichte, Bd. VII), 1880. 


von Bezold, Hiſtoriſche Zeitſchriſt 1876, die bekannten Werte von Riegler 
Müller, Gierke gibt S. 2, Note, und in der Beilage S. 50 die Litteratur an. 
Beiſpiele bei Ernft Meyer, Geſchichte der Botanit, Konigsberg 1857 IV, 62 
Albertus Magnus De vegetabilibus V. 1, capp. 4 und 6. 

Histoire des seiences naturelles au moyen äge on Albert le Grand 


3 


88 Alfonſiniſche Tafeln. 


trat ihm Ernſt Meyer im vierten Bande ſeiner Geſchichte der Botanik 
entgegen, aber auch ſein Urteil iſt ſehr anerkennend ). „Von Ariſtoteles, 
dem Schöpfer wiſſenſchaftlicher Botanik, bis auf ſeine (des Albertus 
Magnus) Zeit ſank dieſe Wiſſenſchaft je länger deſto tiefer, mit ihm 
erſtand ſie wie der Phönix aus ſeiner Aſche.“ 

Auf dem Gebiete der Naturwiſſenſchaften wurden trotz der 
Hemmungen, welche Vorurteil und die herrſchende Geiſtesrichtung 
verurſachten, nicht nur die von den Alten überlieferten Schriften, 
ſowie die auf denſelben beruhenden arabiſchen denkend durchgearbeitet, 
ſondern auch durch eigene Forſchung vermehrt. Roger Baco forderte 
bereits im 13. Jahrhundert die Verbeſſerung des Julianiſchen Kalenders, 
die am Ende des 16. Jahrhunderts aufs neue nachgewieſen und durch⸗ 
geführt wurde. Um dieſelbe Zeit verſammelte König Alfons von 
Kaſtilien eine Kommiſſion zur Korrektur der Planetentafeln des 
Ptolemäus, und die Arbeiten dieſer Kommiſſion zeigen, daß die 
Ueberlieferung der Alten nicht kritiklos aufgenommen wurde. Dazu 
brachte dieſe Periode in den belegten Glasſpiegeln und den Brillen, 
in der Erfindung des Pulvers, der Konſtruktion des Kompaß u. ſ. w. 
Bereicherungen der phyſikaliſchen Kenntniſſe, welche zeigen, daß das 
Zeitalter der Erfindungen und Entdeckungen von dem Zeitalter der 
Scholaſtik nicht einfach durch eine Kluft getrennt iſt. Auch mancher 
Abſchnitt der Encyklopädie des Vincenz von Beauvais beweiſt für 
wirkliche Beobachtung der Natur. So die Art, wie im Speculum 
doctrinale 18, 27, de modo audiendi, die durch den Ton bewegte 
Luft mit den Wellen des durch einen Steinwurf bewegten Waſſers 
verglichen wird. In der Polemik gegen die, welche das Firmament 
als reinen Aether ſehen zu können behaupten, gewinnt er den klaſſiſchen 
Ausdruck: Wo unſer Blick verſagt, da irrt ihn eine Sinnestäuſchung, 
daß er zu ſehen glaubt, was er nicht ſieht, gleichwie die Finſternis 
zu ſehen glaubt, wer die Augen ſchließt “). 


et son époque consider comme point de départ de Lécole expérimentale. 
Paris 1858, f 

) Ernft Meyer a. a. O. IV, 40. gl. S. 8 ff. 

) Speculi majoris Tomi 4, Venetiis 1591. Bd. 1. Fol. 28 b. (Speculi 
naturolis, lib, III, cap. 4): abi noster visus defieit, ibi error sensui dat 
imaginationem videndi quod non videt, sicut aliquis oculis clausis videtur 


sibi tenebras videre. Der Satz iſt vermutlich von einem Vorgänger übernommen, 
vielleicht klaſſiſchen Urſprungs — aber das wäre nebenſächlich. Es kommt zunächſt 


r a u 2 


Belämpfung der Aftrologie. 89 


Aus den mathematiſchen und aſtronomiſchen Studien gingen 
er: 2 namentlich im 14. Jahrhundert, Männer hervor, welche die 
aſtſtrologiſchen Traumereten und den Prophetenſchwindel aufdeckten 
und mit nachhaltiger Energie bekämpften. Ein Autor, der in Paris 
nach 1350 ſchrieb, erklärte, er habe jeit 26 Jahren alle anerkannten 
Schriften dieſer Art ſtudiert und die Ueberzeugung gewonnen, daß die 
Aſtrologie nur auf leeren Vermutungen und Träumereien beruhe, 
ſie ſei weder eine Wiſſenſchaft noch eine Kunſt. Wie könnte man, 
wendet er ein, aus Planetenkonjunktionen die Zukunft vorherſagen, 
während ſich doch dieſe Konjunktionen aus den Tafeln (des Königs 
für alle Zeiten voraus berechnen ließen. Die Autorität des 
„den Chriſtus de indiciis astrorum an den Apoſtel 
haben ſollte, beſeitigte er durch die Erklärung, 


Theologe und Mathematiker Heinrich von Langen⸗ 
contra astrologos conjunctionistas, als die Aſtrologen 
3 Krieg, Hungersnot und andere Plagen prophezeiten. 
Liuangenſtein ſchrieb im Namen der Univerſität Paris und, wenn er 
auch nicht geradezu die Moglichkeit aſtrologiſcher Unterſuchungen 
N leugnete, jo erklärte er doch, daß die bisherige Aſtrologie zum größten 


Teile „nicht allein irreligiös, ſondern auch unvernünftig ſei. Sie 
beruhe nur auf Unkenntnis der aſtronomiſchen Geſetze, und wenn 
man ſich auf das Eintreffen verſchiedener Vorherbeſtimmungen berufe, 


fo beweiſe das nichts, weil es zufällig ſei. Man habe ja eine ſolche 
Vorgänge angemerkt, daß man für jedes auf Erden 
ſolchen anführen könne. Den Kauſal⸗ 
aber habe man nicht nachgewieſen“ ). 


| . Kritik hat die Aſtrologie nicht beſeitigen können, aber es 
1 die Thatſache, daß die ſcholaſtiſche Wiſſenſchaft auf dieſem 
* zu ſolcher Klarheit durchdrang und daß fie in dem Gefühl 
=: fo * Ueberzeugung einen von den Fürſten und Herren 
= darauf an, daß ſolche Anſicht, von einem Hauptvertreter der Scholaſtit ausgeſprochen, 
3 in das maßgebende Sammelwerk aufgenommen wurde. 

* . 2 Hartwig, Henricus de Langenstein. Marburg 1857, Abhandlung 1, 
* ä ees ©. 65 165 Du Deenen Fee 
w 14. und 15. Jahrhundert für mathematische Studien. Daielbft citiert Petrus 


dees, Math. schol., 1869, Ib. IL, 5. 64. 


90 Die Chirurgie, 


wie von der furchterfüllten Maſſe geſtützten Aberglauben jo ſchneidig 
bekämpfte. Als die Scholaſtik dem Humanismus weichen mußte, da 
gewannen die aſtrologiſchen Träumereien auch in den gelehrten Kreiſen 
zunächſt wieder die Oberhand. Es iſt das einer von den Punkten, 
in denen der Humanismus keinen direkten Fortſchritt brachte. 


Die Medizin. 


Die Medizin fand vor allem in Salerno und Montpellier Pflege, 
aber doch nicht bloß hier, auch in Florenz, Perugia, Padua, Neapel 
und an anderen Orten. Man unterſcheidet die ältere Periode, welche 
die Schriften der Griechen, vor allem Galenus, und die ſpätere, 
welche die Araber zu Grunde legte. Die Araber ruhten auf den 
Griechen und hatten weniger die Beobachtungen derſelben bereichert, 
als die Formen der Arzneimittel vervielfältigt. Beſonders nutzten 
ſie den Zucker aus, um verſchiedene Formen der Medikamente zu 
ſchaffen, die berühmten Sirupe. Der Bruch mit dieſer Schule vollzog 
ſich deshalb durch eine Schrift De Syrupis. Sie wurde von dem 
Humaniſten Servet verfaßt, ſteht aber noch auf dem Standpunkt der 
mittelalterlichen Medizin und iſt eins der Zeugniſſe dafür, daß die 
in ihren Bahnen Wandelnden doch nicht bloß wiederholten, was ſie 
in ihren Autoritäten fanden. Zu einem größeren Fortſchritte fehlten 
der Medizin allerdings die unentbehrlichen Methoden und Hilfen der 
Unterſuchung, vor allem eine ordentliche Chirurgie. Dieſe wurde von 
der wiſſenſchaftlichen Medizin vielfach getrennt und den Badern über⸗ 
laſſen ), indeſſen doch nicht ganz. Die Univerſitäten hatten auch 
Lehrſtühle für die Chirurgie, und wenn z. B. in Perugia Auswärtige 
zum Tode verurteilt wurden, ſo konnten ihre Leichen dem Chirurgen 
pro noctomia facienda saltem bis in anno ausgeliefert werden ad 
petitionem Rectoris ). Eine ähnliche Beſtimmung trafen andere 


) Lehrreich iſt der Kontrakt eines Arztes mit der Stadt Bologna von 
1214 bei Sarti, De claris Archigymnasii Bononiensis Professoribus, 
Bononiae 1769, Tom. I. Pars 2. Appendix p. 147. Er bedingt ſich aus, daß 
er wohl Wunden aller Art zu behandeln habe, exceptis habentibus crepaturam 
inſerius, unde sequitur ernia tempore precedente. Die Leidenden ſollten alſo 
den „Bruchſchneidern“ verfallen bleiben, über deren Unweſen ſ. H. Krukenberg, 
Ueber d. Nadikaloperation d. Leiſtenbrüche, Bonn 1886, S. 8. 

’) Rossi, Documenti No, 148, Rubr. 276. 


a * n N * 
8 * En 


guter Arzt ſein kann, wenn er nicht die Anatomie des menſchlichen 
pers gut kennt). 

Anterricht und Litteratur litten ferner durch die ſcholaſtiſchen 
. — Abgeſehen von denen, welche ihre ober⸗ 
flachliche Weisheit in Verſe brachten ), jo herrſchte doch allgemein 
die Sitte, mediziniſche Fragen als Problemata und Quaestiones, als 
Uebungsſtücke der dialektiſchen Fertigkeit zu behandeln ). Daher 


wurden auch Fragen behandelt, wie die klaſſiſche: ob Adam einen 
hatte / für die Medizin keinen Wert haben, für die Dis⸗ 
aber eine unerſchoͤpfliche Quelle bildeten. 


| es wurde daneben doch mit wirklichem Eifer gearbeitet. 
In Salerno ** er ſogar die Frauen, ſo daß im 12. und 13. Jahr⸗ 
phbundert mit Ruhm doziert haben ſollen. Von großer Be⸗ 

deutung waren dieſe mediziniſchen Studien ferner für die Milderung 
des Gegenſatzes der Bekenntniſſe, indem in ihnen die chriſtlichen 
3 Sqholaſtiter mit Juden und Mohammedanern noch mehr zuſammen 
gearbeitet haben, als in der Philosophie. Es iſt in dieſer Behand⸗ 
lung des kranken Körpers von der Scholaſtik gewiß viel und ſchwer 


J Gherardi-Morelli, Stat. c. 62: Quia nullus potest esse bonus nee 
medicus, nisi bene cognoscat anatomiam corporis humani ... 
Aegidius, Liber de virtutibus et laudibus medicaminum bei 
Beyier, S. 502. 

”) Diele ſcholaſtiſche Behandlung herrſchte noch im 16. und 17. Jahrhundert. 
Jn dem 1629 zu Benebig gebrudten Buche Sanctorii Sanctorini, olim in Pata vino 
— gyrmnasio medleinse theoricam ordinariam primo loco profitentis, Commen- 
tere. In primam sectionem Aphorismorum Hippocratis ete. De inventione 
 remediorum 4 heißt die Inhaltsangabe Index Quaestionum, und Qu. 11 auf 
Columna 34 lautet ..®.: Sed cur argumentum desumptum ab experimento 
Mi fallax non omnes intelligunt. Primo dieimus, quod sit fallax, quia ex- 
 perimentum efhcit formam arguendi fallacem: ratio est quia subjectum 
-  gusesiti, quod est minor terminus, non subjicitur medio. Medius enim in 
experimenio est particularis et partieulare non potest continere aliud 
pertienlare, unde conclusio infertur vana: eatenus enim conelusio est con- 
nie, n ejus subjectum sub medio continetur estque concuelosa. 
Seeundeo experimentum est fallax, quia caret dicto de omni, sine quo nihil 
2 ben potest, quis dietum de omni est basis et fundamentum humanse 
_ ratioeinationis: ommis enim argumenta, quorum medius terminus est parti- 
 enlaris, carent dieto de omni vel de nullo ... So geht es noch länger fort. 

Da Intereſſe verſchwindet vor formal logiſchen Erörterungen. 


92 Fehler der theologiſchen und philoſophiſchen Arbeiten. 


geſündigt worden — aber die Geſchichte der Medizin wird dieſe Klage 
über manche Periode erheben, wenn auch nicht in gleichem Maße — 
und man darf die Sache auch nicht ſo anſehen, als ſei in der 
kommentierenden und dieputierenden Thätigkeit der Scholaſtik und 
ihrer Neigung zum Wunderbaren der geſunde Menſchenverſtand und 
die Beobachtung gänzlich verloren gegangen. Der Rat, den das 
Speculum des Vincentius Bellovacenſis an Nervenleidende gibt, lautet 
nicht viel anders, als der Rat des heutigen Arztes auch lauten wird. 


Theologie und Philoſophie. 


Die wichtigſte Frage bei dieſer Würdigung der Leiſtungen der 
Scholaſtik iſt aber, wie es mit ihren Arbeiten auf theologiſchem und 
philoſophiſchem Gebiete ſteht, denn dieſe nahmen die Hauptkraft in 
Anſpruch. Der Einfluß, den die ſcholaſtiſche Methode auf dieſe 
Wiſſenſchaften hatte, iſt oben ſchon geſchildert worden, um durch 
dieſe Beiſpiele gewiſſe Seiten ihrer Methode zu verdeutlichen. Dabei 
wurden die Leiſtungen derſelben aber nur geſtreift. Dem modernen 
Menſchen, nicht bloß dem Skeptiker, auch dem gläubigen Katholiken 
muß die Maſſe jener theologiſch-philoſophiſchen Litteratur wenig 
genießbar erſcheinen, wenn nicht das Intereſſe der Forſchung oder 
der Partei die Beſchäftigung würzt. Man mag ſich im einzelnen 
von dem frommen Sinne angeſprochen fühlen, die Schärfe und Tiefe 
der Gedanken, die Kühnheit der Kombination bewundern: aber dieſe 
Gebäude von phantaſtiſchen Vorſtellungen und haarſpaltenden Argu⸗ 
mentationen, errichtet auf einer Grundlage, welche durch die philo⸗ 
logiſche und hiſtoriſche Kritik noch nicht geebnet und gefeſtet war, 
ſind keine Stätten der Wiſſenſchaft im heutigen Sinne. Es iſt eine 
künſtliche Begeiſterung, wie deren die Geſchichte der Litteratur jo 
viele kennt, wenn jemand, der in der modernen Wiſſenſchaft ftebt, 
dieſe Thatſache leugnen will. 

Selbſt die Zahl derjenigen wird Hein ſein, welche den Gedanken⸗ 
inhalt der Scholaſtik in dem poetiſchen Gewande der göttlichen 
Komödie wirklich genießen können, und dieſe wenigen werden meiſtens 
ſolche ſein, die ein langes Studium auf dieſe Dichtung verwandt 
haben und bei denen die philologiſche Begeiſterung und die Freude 
der Arbeit dem äſthetiſchen Vergnügen zu Hilfe kommt. 

Aber etwas anderes iſt das Urteil über die hiſtoriſche Bedeutung 


e ee El na nie an 


2 Be A. Re 
* 141 2 
F A N 


Ihre biſtoriſche Bedeutung. 9 


biefer ſcholaſtiſchen Arbeiten. Um den Maßſtab für ſolche Unter⸗ 
= ſche zu gewinnen, erinnere man ſich wieder des ſchon angezogenen 
Beiſpiels der pbiloſophiſchen Bewegung in den erften Dezennien dieſes 
u Jahrhunderts. Wer lieſt noch ohne beſonderen Zweck die Schriften 
von Schelling, Hegel, Fichte und ihrer Schulen, einige wenige Bücher 
ausgenommen! Sind uns dieſe Kämpfe um die Definition des Un⸗ 
definierbaren, dieſe in dem Aufdecken der Blößen des Vorgängers 
ſiegreichen, aber doch in gleicher Weiſe, nur an einer anderen Klippe 
ſcheiternden Syſteme nicht ebenfalls fremdartig? Trotzdem wiſſen wir, 
daß ſie in der uns noch naheliegenden Zeit eine große Bedeutung 
Sie haben einem hervorragenden Bruchteil einer begabten 
den Dienſt geleiſtet, in ihrer Weiſe den Verſuch zu machen, 
Welt denkend zu begreifen. Das iſt aber eine, wenn nicht die 
der Philoſophie, und dieſe Aufgabe hat für das Mittel⸗ 
1 gelöft. 
Denn die Kirche und ihre Lehre war die größte geiftige Macht 
„die Philoſophie mußte ſich mit ihr auseinanderſetzen, wenn 
1 Aufga be erfüllen wollte, ſo wie ſie heute die Ergebniſſe der 
u: Raturwifienfcaft, der Sprachwiſſenſchaft, der Forſchung über die 
u. der geſellſchaftlichen Organiſation, der politiſchen Ver: 
fſüaſſung, des Rechts, der Kunſt, der Religion zum Vorwurf ihrer 
Spekulation nehmen muß, wenn ſie die Gebildeten und die Vertreter 
5 der Fachwiſſenſchaften feſſeln und fördern will. 
Aber auch die heutige Wiſſenſchaft iſt der Scholaſtik noch zu Danke 
verpflichtet. Sie hat zum erſtenmal das große Problem des Ver⸗ 
2 haltniſſes von e und Glauben behandelt und ſo behandelt, daß 
es nicht wieder verſchwinden kann aus dem Beſitz der menſchlichen 
Bildung. Oder iſt ein Problem kein Beſitz, ſolange es keine Loͤſung 
fund Muſſen wir uns doch bei allen tieferen Fragen mit dem 


0 . Gewinn brachten ferner die logiſchen Arbeiten 
der Scholaſtik. Wir haben ihre Spielereien, ihre einſeitige Betonung 
der Form der Schlaſſe kennen gelernt, die fie abſurde Fragen mit 

7 ſeierlichem Ermft behandeln ließ. Aber einmal hat die Scholaſtik 

* ſchon mit großer Schärfe an ſich ſelbſt geübt, und dann 
gcſchopft jener Tadel das Urteil über dieſe Spielereien nicht. Gerade 

dieſe Ausbildung der Logik gab der neuen Vorſtellung einer ſelb⸗ 


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94 Bedeutung der logiſchen Arbeiten. 


ſtändigen philoſophiſchen Wiſſenſchaft den bedeutenden Inhalt, ohne 
den ſie ſich neben der von der Kirche abhängigen Theologie kein 
Gewicht verſchaffen konnte. Der heutigen Wiſſenſchaft und ihrer 
freien Wertſchätzung wurde damit der Platz bereitet. Und noch ein 
anderes, mehr direktes Verdienſt erwarben ſich jene Theologen und 
Philoſophen um die heutige Wiſſenſchaft. Knüpft die wiſſenſchaftliche 
Behandlung der Logik auch noch immer an Ariſtoteles an, jo fteht 
ſie doch nicht mehr auf dem Standpunkt des Ariſtoteles, ſo iſt das 
kein Beweis, daß die nachfolgenden Arbeiten und alſo vor allem die 
ſcholaſtiſchen ohne Frucht geblieben ſeien. Die logiſche Arbeit der 
Scholaſtiker war kein bloßes Ausſpinnen in nutzloſe Subtilitäten, 
ſondern eine Anwendung der griechiſchen Weisheit auf das neue 
Gebiet der chriſtlichen Dogmen, auf dem ſie in allerlei Abſurditäten, 
aber auch in tiefe Gedanken geführt wurden. Sie waren ferner 
allerdings bereit, im Falle ihnen ein Widerſpruch mit der Lehre der 
Kirche nachgewieſen wurde, einen Irrtum des Denkens anzunehmen 
und ſich der Autorität der Kirche zu unterwerfen, aber ſie waren 
darum keine unfreien Geiſter. Sie thaten nur den Dogmen der 
Kirche gegenüber, was heute die meiſten Forſcher den Grundlagen der 
geſellſchaftlichen und ſtaatlichen Ordnung gegenüber thun, ſie ſahen 
in ihnen Thatſachen, die unter allen Umſtänden als ſolche anzu⸗ 
erkennen und zu erhalten ſeien. Aber an dem Mut der Meinung, 
an dem Streben nach ſelbſtändiger Ueberzeugung fehlte es nicht. 
Wir ſahen oben, daß eher über unruhige Neuerungsſucht geklagt 
wurde, und daß die angeſehenſten Scholaſtiker den Verdacht der Ketzerei 
erfuhren. Paris, Oxford und andere Univerſitäten erlebten vielfach 
Unterſuchungen über ketzeriſche Behauptungen ihrer Magiſter und 
feierliche Revokationen ). Es bildete ſich die Vorſtellung heraus, daß 
der Wiſſenſchaft ein größerer Spielraum zu laſſen ſei, und daß die Ver⸗ 
irrung zu falſcher Lehre auf dem Wege wiſſenſchaftlicher Unterſuchung 
von gewöhnlicher Ketzerei zu unterſcheiden ſei. In dieſem Zuſammen⸗ 
hang iſt noch einmal an das Schickſal des Ariſtoteles zu erinnern. 
In den Jahren 1210, 1215 und 1231 verbot die Kirche das Studium 
der Metaphyſik und der Philosophia naturalis des Ariſtoteles, 
ſpeziell in Paris, aber in derſelben Zeit wandten ſelbſt eifrige 


) Jourbain Neo, 448 a. 1818, Rro. 459 a. 1321, Nro. 694, 698, 699, 
700, 836, 843, 844, 847 u. ſ. w. bieten Beiſpiele folder Unterſuchungen. 


Größere Freiheit der wiſßenſchaftlichen Unterſuchung. 95 


* Manner der Kirche dem Studium des alten Oeiden und auch der 
er Schriften ihre Kraft zu. Das letzte Verbot, 1231, ließ 
ſchon vermuten, daß die Freigabe des Studiums in Ausſicht genommen 
war, und bereits 1233 duldete die Kirche, daß die Untverſitüt Tour 
ſleouſe verkündete, dort dürften auch die in Paris verbotenen Bücher 
des Ariſtoteles gelefen werden), und 1254 behandelte auch die 
Univerſität Paris ) jene verbotenen Bücher als Beſtandteile des 
regelmäßigen Studienplanes. Die Kraft der wiſſenſchaftlichen Be⸗ 
wegung durchbrach und überwand das kirchliche Verbot. Nicht weniger 
iſt die Thatſache, daß dieſe chriſtlichen Philoſophen Bücher 
von Juden und Mohammedanern ſtudierten und ihren Vorleſungen 
zu Grunde legten. Die Studien dienten fo dem Ausgleich der welt: 
bewegenden Gegenſätze der chriſtlichen und mohammedaniſchen Welt — 
wie viel oder wie wenig damit erreicht wurde, immer lag darin die 
u: einer der wichtigſten Aufgaben echter Wiſſenſchaft und 
Bi: zugleich ein Beweis der Stärke des wiſſenſchaftlichen Bedürfniſſes und 
der Kraft des wiſſenſchaftlichen Gedankens. 

And dieſe Kraft erlahmte nie ganz, von Abälard bis Occam, 
Buridan und Nikolaus von Cuſa. Darum find auch die endloſen 


in 


Hlebungen der logiſchen Zergliederung, obwohl fie vielfach in Ab: 
x ſurditäten und Spielereien ausarteten, nicht ohne eine große Wirkung 
l geblieben. Einmal bieten ſie ein reiches Material für den Einblick 
r das um ſo wert⸗ 
voller iſt, als der Kampf der Meinungen über den Wert der Schul⸗ 
logil noch keineswegs beendet iſt. Wenn ſich aber das Denken frei 
macht von 
aus 


der befangenen Bewunderung feines eigenen Mechanismus 
„dieſem Schatten des Altertums“ heraustreten lernt, ſo 

das zum wenigſten der Einſicht, welche aus der 
dieſem Irrwege ſich mühenden, geiſtig hoch⸗ 
Scholaſtik gewonnen wird. Auch ſind manche 
= zu der Erkenntnis gelangt, daß dieſen Unter: 
ſuchungen über die Formen des Denkens nur ein beſchränkter Wert 


Sitze Jean de Garlande, De triumphis ecelestae (Roxburgh Club.). 
1856. London. „Libros naturales, qui fuerunt Parisiis prohibiti, poterunt 
Aue (dier, 


findet ſich noch in der berühmten Bulle Parens scientiarum 
+ 2 ro, 34, und Buläus III, 140. Das angezogene Statut 
der Barifer Univerfität ficht Buläus III, 280. 


96 Diefe Uebungen eine Schule des modernen Geiftes. 


zukomme, daß vor allen Dingen die Kenntnis von dieſen Formen 
nicht notwendig ſei, um richtig denken zu können. Roger Baco ſagte 
geradezu, daß uns von Natur gegeben ſei, was wir von Logik nötig 
haben ). Dazu kommt noch ein zweites Verdienſt. Jene ſcholaſtiſchen 
Uebungen haben die Schule gebildet, in welcher der menſchliche Geiſt 
diejenige Fähigkeit der Abſtraktion, die Leichtigkeit und Sicherheit der 
logiſchen Operationen, die Gewöhnung an begriffliche Unterſcheidung 
gewonnen hat, welche das wichtigſte Werkzeug der heutigen Wiſſenſchaft 
bildet. Von dem ungeheuren Fortſchritt, der in der Beziehung 
gemacht iſt, gewinnt man eine Vorſtellung, wenn man ſich erinnert, 
wie weitläufig und umſtändlich Plato arbeitete, um Begriffe von den 
Einzeldingen abzuziehen. Es ſcheint heute auch einem langſamen 
Geiſte ein nutzloſes Bemühen, weil jeder von vornherein ohne 
Schwierigkeit die Abſtraktion vornimmt. 

Man kann verſtehen, daß ein moderner Menſch, der es unter⸗ 
nimmt, die Schriften der Scholaſtiker durchzuarbeiten und miteinander 
zu vergleichen, von Aerger, ja von Zorn erfüllt wird über die Berge 
von Unſinn, durch die er ſich hindurchwühlen muß, und dann das 
Facit mit groben Worten zieht): aber es iſt nicht richtig. Im 
ganzen betrachtet bieten dieſe Schriften und die von Tauſenden lange 
Jahre hindurch fortgeſetzten Uebungen das ehrfurchtgebietende Bild 
einer großen Schule, welche die Völker dazu erzog, die Maſſe des 
widerſtrebenden Stoffes, welchen das heidniſche Altertum, die chriſtliche 
Kirche und das bewegte Leben der mittelalterlichen wie der modernen 


— eo. 


) Roger Baco bei Prantl III, 123: Ergo aliud regimen arguendi 
habemus quam per artem Aristotelis datum, sed non est alind quam 
innatum, relinquitur igitur quod a natura scimus arguere et similiter 
dissolvere argumenta . .. Quapropter de logiea et grammatica non est 
necessaria instructio humana nisi propter vocabula linguarum . Prantl 
behandelt die Aeußerung doch etwas zu geringſchätzig. Mag man fie auf einen 
älteren Vertreter zurückführen, Roger Baco hat den Gedanken jedenfalls von neuem 
gedacht. Er hat fi übrigens trotzdem an den logiſchen Subtilitäten beteiligt. 
Manche behandelten alle Logik als Geschwätz der garrula lingun. 

) So iſt Prantis hartes Urteil zu erklären. Die großen Verdienſte feiner auf 
umfaſſender Einzelarbeit ruhenden Geſchichte der Logik wird jeder anerkennen, ber 
an ihrer Hand ſich in dieſes Gebiet der Scholaſtik bineinzuarbeiten ſucht, auch 
wenn er ſich manchem Urteil gegenüber fkeptiſch verhält. Thomas von Aquino 
J. B. und Albertus Magnus erſcheinen als dumme Teufel, * 
Philoſophen freilich auch. 


* 
1 


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et 


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bat dies Hauréau, Histoire de la philosophie scolastique 


. II 1882 in dem Schlußkapitel ausgeführt: Le genie moderne 
* lentement dans le gymnase de la scolastique du moyen-Age. 


lui a communiqué une disposition à une sorte de 


„„ Is contract6 aussi sous cette rude discipline des 


is es sövöres de raison, un tact admirable pour I’ 


_ Teconomie des ides, une supfrioritö de methode dont les grandes productions 
8 es trois derniöres siöcles portent particulièrement l’empreinte, 
* 


 Mauimann, een der een eee 1. 


Zweites Kapitel. 


Die Entwicklung der Univerſttäten aus den 
Schulen des 12. Jahrhunderts. 


1. Name und Begriff einer Aniverfität. 


eute verbinden wir mit dem Begriff Univerſität die Vorſtellung 
H der universitas litterarum, d. h. einer hohen Schule, an 

welcher alle vier Fakultäten vorhanden ſind. Wir ſprechen 
von unvollſtändigen Univerſitäten, wenn die eine oder andere der 
vier Fakultäten fehlt!). Zu der Zeit, in welcher ſich aus allerlei 
Schulen in Italien, England, Frankreich und Spanien die Univerſi⸗ 
täten entwickelten, bedeutete dagegen der Name universitas dasſelbe, 
was Genoſſenſchaft, Zunft, Gemeinde). Beſonders iſt zu beachten, 
daß Stadtgemeinden ganz gewöhnlich als universitates civium be- 
zeichnet wurden. Universitas scholarium oder universitas magistro- 
rum et scholarium oder studentium, d. i. Genoſſenſchaft der an 
einem Orte den Studien Lebenden, alſo die Schulgemeinde des Orte 
wurde durch dieſen Namen der Bürgergemeinde, der Genoſſenſchaft 


. 

Es begegnet dieſe Vorſtellung in der Urkunde für Wittenberg universi- 
tatem quatuor facultatum generalem bei Grohmann p. 14, und noch früher. 
Mun. Oxon. II, 867: Omnium inter Latinos nunc extantium studiorum 
universitas Oxoniensis ... quadam scientiarum pluralitate generalior, und 
ib. 368: Ne igitur tam antiqui tam generalis . . studii, 

) Nicht felten wurde universitas auch gebraucht, um eine Mehrheit von 
Adreſſaten zufammenzufaffen, welche nur durch ein nme Intereſſe und 
durch keinerlei Organiſation verbunden waren. 


1 
4 
. 
f 


Der Begriff universitas. 09 


der ortsangeſeſſenen Bürger gegenübergeſtellt ). In Bologna und 
N anderen Univerſitäten wurden die aus der Stadt ſtammenden 
Profeſſoren und Studenten zu der universitas scholarium nicht (oder 
doch nur in beſchränkter Weiſe) zugerechnet. Sie gehörten zu der 
universitas civium. In Bologna, Montpellier u. ſ. w. wurde ferner 
der Name universitas nicht bloß für die Geſamtheit aller Lehrer und 
Scholaren gebraucht, ſondern auch für die nach Fakultäten oder 
Nationalitäten in engerer Vereinigung verbundenen Gruppen. Man 

es hätten an dieſen Orten mehrere Univerſitäten be⸗ 
ſtanden, zumal ihre Vorſteher teilweiſe auch den Namen Rektoren 
führten. Indem dieſe dann aber doch wieder unter ſich einen gewiſſen 
Zuſammenhang 97 ſchon durch den Gegenſatz der Bürger: 
und 


mein gemeinſamen Privilegien als eine große 
Korpore bei wichtigen Anlaſſen als ein einheitliches 
OGame) auftraten und behandelt wurden, jo ergab ſich der gleiche 
wie in Paris und anderen Orten, nur daß die Teilkorpo⸗ 
— der Fakultäten und Nationen hier nicht den Namen uni- 
= versitates führten, ſondern facultates und nationes. 
Der Name universitas trat deshalb für Schulen erft auf mit 
der Ausbildung der Formen der Genoſſenſchaft für Lehrer und Schüler 
und ihrer Anerkennung ſeitens der zuſtehenden öffentlichen Gewalten. 
Es wurde aber der Name der Genoſſenſchaft zum Namen der Schule, 
weil die Genoſſenſchaft einen weſentlichen Beſtandteil dieſer Schul⸗ 
organiſation darſtellte, und weil fie die Leitung oder doch einen regel⸗ 
mäßigen und weſentlichen Anteil an der Leitung der Schule hatte. 
Die Ausbildung dieſer Formen der Scholarengenoſſenſchaften vollzog 
ſich zuerſt in den letzten Dezennien des 12. und den erſten des 
13. Jahrhunderts, und gleichzeitig vollzog ſich die Ausbildung der 
Formen, unter denen der Name des Lehrers — magister oder 


Mel. Laral, Cartulaire, p. 10. Urkunde Karts II. für Avignon 1308. 


S aa, a ar anreisen 
©) een universitas wurbe auch communitas gefagt, auch rectoria. In 


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100 Der Begriff scholares. 


doctor — als Titel verliehen wurde; bis dahin bezeichneten dieſe 
Namen nur die Thätigkeit, kamen jedem zu, der eine Schule leitete, 
wurden jedoch auch von denen gebraucht, die früher als Lehrer thätig 
geweſen waren. Doctor ſtand auch einfach im Sinne von Gelehrter, 
im Wechſel mit professor, scholasticus, scholastieissimus, juris- 
peritus, jurisprudens u. ſ. w. 

Es hatte jedem freigeſtanden, eine Schule zu eröffnen; an den 
geordneten Schulen (Univerſitäten) durfte man es nur nach Erfüllung 
der von den Statuten vorgeſchriebenen Formen. Damit verknüpfte 
ſich die Verleihung der akademiſchen Titel. Dieſe Verleihung erfolgte 
wenigſtens in Paris, Oxford und der zugehörigen Gruppe in Stufen; 
allmählich ſtieg der Schüler zum Lehrer auf, und ſo geſtaltete ſich 
die Regelung des Lehramts (licentia docendi) zu einer Verleihung 
von Graden ). Mit dieſer Ausbildung wurde auch der Unterſchied 
zwiſchen Lehrern und Schülern ſchärfer und für die Verfaſſung bedeut⸗ 
famer. Scholares (scolares), studentes, clerici bezeichneten im 12. wie 
im 13. Jahrhundert zwar auch in amtlicher Sprache ſowohl Studenten 
wie Profeſſoren im heutigen Sinne, aber daneben beſtand der 
Gebrauch, magistri et scolares zu ſagen, in den Pariſer Akten iſt 
es das Gewöhnliche, und dann wurden unter scolares die Schüler im 
Gegenſatz zu den Lehrern gemeint; in den Statuten der Stadt Bologna 
ſteht häufiger scolares allein, bisweilen mit dem Zuſatz qui studet 
Bononiae docendo et addiscendo?). In Urkunden der Stadt 


— ——— nn 


) In Bologna kam es nicht zu gleich beſtimmter Ausbildung der Stufen. 
Darüber in dem Kapitel, welches von dem Doktorat handelt. 

) Statuti di Bologna von 1245 — 1267, ed. Luigi Frati, Bologna 1869. 
(8b, II der Monumenti istoriei pertinenti alle province della Romagna) 
p. 25 f. Rubrica 12: Placet — quod nulli Bon. studenti — in civili jure 
seu qualibet alia litterarum scientia seu facultate — tam docendo quam 
addiscendo. Ebenſo in Paris. Schreiben Urbans IV. 1262 bei Jourdain Nro. 188 
p. 27: illorum, qui dantes operam sapientiae querunt docendo pariter et 
discendo in agro studii scientie margaritam. Für die Lehrer war in Italien 
meiſt der Titel doctor üblich, weniger magister, aber magister begegnet doch 
ebenfalls. Vgl. Monumenti di storia patria delle provincie Modenesi. 
Statuten von Modena ib. I p. 470 Rubr. 161. Et nemo scolaris civis hujus 
etvitatis solvere cogatur dona promissa alicui magistro legum vel deere- 
torum, etiamsi promiserit. Den Wechſel des Ausdrucks bietet das Privileg 
Johanns XXII. für Perugia 1818, Auguſt. A. Rossi, Documenti Nro. 28. 
Näheres in dem Kapitel über das Doktorat. 


Aufgabe diefer Korporationen. 101 


wurde studere geradezu von ber Thätigkeit des Lehrers 
= studium regere !), und auch die Pariſer Univerſität 
1253) den Ausdruck magistri — Parisius studentes ?). 
Die Genoſſenſchaſten an den Schulen wurden deshalb ſowohl 
universitates scholarium wie universitates magistrorum et schola- 
rium genannt; Formen des Ausdrucks begegnen für Paris, doch 
„ während in Bologna regelmäßig universitas 
wurde. Es dies einmal damit zuſammen, 
Beamten der universitas in der Hand der Schüler, 
engeren Sinne, lag, zugleich aber damit, daß in 
den ähnlichen Univerſitäten der Gegenſatz zu der 
ivium im Vordergrund ſtand, während in Paris die 
die Wahl der Vorſteher und die ſonſtigen Geſchäfte der 
zu leiten hatten, und die Stellung der universitas zu 
biſchöflichen Kanzler bedeutender war als die Beziehungen zu 
Gemeinde. 
ſich dieſe Korporationen an den verſchiedenen 
„ fie hatten überall die gleiche Aufgabe, und dieſe 
Natur. Einmal galt es, Privilegien zu erwerben und 
| ließen, welche den meiſt aus der Fremde zum Studium 
gewanderten und deshalb des Schutzes, den der Bürger genoß, ent⸗ 
behrenden Scholaren dieſen Schutz erſetzten und ihnen den Aufenthalt 
erleichterten. Dieſer Zweck ſtand in Bologna und den anderen 
italieniihen Univerſitäten jo ſehr im Vordergrund, daß deshalb die 
ortsbürtigen Scholaren nicht oder nicht zu vollem Recht zur univer- 
In Paris wurde dieſer Unterſchied nicht 
gemacht, weil hier der geiſtliche Charakter der Univerſität ſtärker 
und die ortsbürtigen Scholaren dadurch ſich von den cives 
daß ſie, auch wenn ſie Laien waren, Kleriker genannt und 
den Laien entgegengeſetzt wurden. Hier wie in Oxford ꝛc. erſchienen 
die Privilegien der Scholaren mehr als Privilegien von Klerikern, 
in Bologna, Vercelli, Siena, Perugia, Avignon u. a. als Privilegien 
einer bevorzugten Gruppe von Fremden. Die andere Aufgabe war 


175 


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2 A. Rossi, Documenti Nro. 2 a. 1276: Cum unus doctor legum 
vel stndere in eivitate Perusii, ebenſo Nro. 3 von demſelben Jahre. Gebrudt 
mei Giornale di erudizione artistica Bd. IV und im Estratto p. 4. 

er ”) Bulseus II, 255. Universitas magistrorum et scholarium Parisius 
 siudentium. Dies Mitribut geht auf magistrorum wie auf scholarium. 


. 


Er g TO 


102 Der Begriff studium generale, 


die Sorge für die Blüte der Anftalt, Beſeitigung von ſchlechten reſp. 
überlebten Einrichtungen, Anerkennung reſp. Regelung von Neu⸗ 
bildungen, Ausſchluß von ſtörenden Mitgliedern, Abwehr von Angriff, 
Bekämpfung falſcher Richtungen u. ſ. w. Dieſe Geſchäfte wurden 
jedoch nur teilweiſe von der großen Korporation, der eigentlichen 
universitas, erledigt; je weiter die Ausbildung der Formen fortſchritt, 
je mehr wurden beſtimmte Reihen von Geſchäften einzelnen Beamten 
und Teilkorporationen — Fakultäten und Nationen — überwieſen. 
Universitas war aber nicht der einzige, auch nicht der älteſte 
und nicht der zumeiſt gebrauchte Name der ſo geordneten Lehr⸗ 
anſtalten, das war vielmehr studium generale oder, jedoch ſeltener, 
scholae generales. Beide Ausdrücke begegnen auch ohne Attribut, wie 
ſie ſchon für die Schulen einzelner Lehrer üblich waren. In Paris und 
Bologna und an allen Orten, an denen ſich Univerſitäten ſpontan ent⸗ 
wickelten, fanden ſich ja ſchon lange vorher zahlreiche Schulen einzelner 
Lehrer, und in Paris erfolgte auch noch lange nach der Bildung der 
Univerſität die Immatrikulation bei den einzelnen Lehrern, die 
Matrikel der Univerſität ſetzte ſich aus den Matrikeln der einzelnen 
Lehrer zuſammen ). Es war eine weſentliche Folge der Ausbildung 
der Univerſität, daß die Lehrer fortan nicht mehr für ſich ſtanden, 
ſondern an die Beſtimmungen der Genoſſenſchaft gebunden waren, und 
man könnte vermuten, daß dieſer Umſtand die Veranlaſſung bildete, 
weshalb man die Univerſitäten studium generale nannte. Für dieſe 
Auffaſſung ſprechen die nicht ſelten gebrauchten Synonyme universale 
oder commune, welche das studium als das studium einer univer- 
sitas oder communitas charakteriſieren, ſowie daß der Pedell der 
Anſtalt bisweilen als bidellus generalis bezeichnet ward, im Gegenſatz 
zu den Pedellen der einzelnen Profeſſoren oder auch der Teilkorpo⸗ 
rationen, und ebenſo der Rektor als rector generalis ), es be⸗ 
gegnet ſogar generalitas studii?). Dieſe Auffaſſung ſcheint auch zu 


) Im Jahre 1279 ordnete die Fakultät der Artiften an, daß jeder Magifter 
ein Verzeichnis feiner Schüler führen müſſe, um ihn als ſolchen reklamieren zu 
konnen. Jourdain, Index Nro. 260. Bulaeus III. 449. 

) So in Florenz: Statuti della Universita e Studio florentino p. 298 
a. 1364 generalis rector studi florentini per bidellum generalem dieti 
studii, ct. p. 383 a, 1404, und in Padua: Melanges d’arch6ologie et d’histoire 
1885 p. 53: Florianus, bidellus generalis universitatum scholarium, 

’) In Avignon, und zwar gebraucht ihn die Stadt. Papon III. Preuves Nro. XXX. 


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4 * A 


Der Begriff studium generale. 108 


zu liegen, wenn die Philoſophen zu Paris in einem Statut 
1244 ſagten ): „pro utilitate communis studii artium 
reparatione de communi assensu artistarum . . pro- 
alſo: zu Nutz und Frommen des gemeinſamen Studiums 
durch gemeinſamen Beſchluß der Artiſten ſeſigeſetzt. Ebenſo 
der Wendung, welche Papſt Alexander IV. in einem Schreiben 


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ii disciplina. Denn das ſcheint doch zu jagen: „oder wo ſonſt 
des Studiums dieſer Wiſſenſchaft beſteht“),“ 
den Orten, an denen wohl einzelne Lehrer wirkten, 
Ordnung. Eine Gloſſe des 14. Jahr⸗ 
| hunderts erklärt noch beſtimmter: „Ein studium ift dann als ein 
=. studium generale anzuſehen, si generaliter sacra pagina, jura et 
rien ibi doceantur, d. h. wenn in Gemeinſchaft (und nach den Vor: 
ſchriften der Gemeinſchaft) Theologie, Jurisprudenz u. ſ. w. gelehrt 
1 Indeſſen mit voller Sicherheit läßt ſich nicht nachweiſen, 
daß das Wort generalis urſprünglich in dieſem Sinne gewählt wurde, 
Be. entwideltere Form der Schule zu benennen, und wenn es 
n ſollte, jo ward doch dieſer Urſprung bald vergeſſen. 
dieſe Attribute als techniſcher Ausdruck ohne Erwägung 
chen Wortſinns, alſo in dem allgemeinen Sinne gebraucht, 
e „hoch“ in der Bezeichnung „hohe Schule“ verwenden )). 
wurden neben generale, universale, commune auch die 
solemne und eminentius gebraucht, ja commune und 
generale erfuhren ſogar die Steigerung in communius und gene- 


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275 
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1 


Stelle iſt mitgeteilt bei Denifle S. 226. 
7 Paulus de Liazariis, In Clement. De Sepulturis. Dudum. 
webe von Denifle 17. Que studis autem dicantur generalia, relinquitur 
- weblirio judieis, ut vident si generaliter ete. Zu beachten ift dabei, daß 
ehe 1321) Profeſſor in Bologna war. 
5 


. 
ja. Zu. Zu. 


S. m. Erörterung in den Göttinger Gel. Anz. 1886. S. 97 f. 
Bol. Rote 1 ieſes Kapitels. Denifle, Die Univerfitäten I, 13 fl. vermutet, 


generale foll beißen, daß das Stubium für alle, nicht bloß für die Ortsanfäffigen 
det fei. Allein die italienifhen Stäbte reſp. die einzelnen Lehrer in ben 
Be ſelden redineten auf Zuzug von außen, auch che fie ein studium generale eins 


chen Die Städte lichen wiederholt Einladungen crgchen, in denen fie bie 


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104 Die Fabeln über das Alter der Univerfitäten. 


War von der einzelnen Schule die Rede, jo überwog der Ge⸗ 
brauch studium ohne Attribut zu ſagen — studium hujus civitatis, 
st. Bononiense, st. quod viget Parisius ete.; wenn man aber von 
dieſer Klaſſe von Lehranſtalten, von den Univerſitäten ſprach, ſo ſetzte 
man meiſtens das Attribut generalia oder universalia zu studia 
hinzu. Daneben, wenn auch ſeltener, begegnet in der Periode der 
Bildung der Univerſitäten der Name gymnasium mit und ohne 
litterarum oder scolarum, dagegen wurde dieſer Name oder archi- 
gymnasium) ſpäter ſehr häufig amtlich gebraucht. 

Vor der Ausbildung dieſer Formen der Genoſſenſchaft, der Er⸗ 
teilung der Grade und der Ausbildung gewiſſer allgemein anerkannter 
Anſchauungen über die Wirkung dieſer Formen und die Rechte dieſer 
Genoſſenſchaften, ſowie der Privilegien, die ihnen verliehen wurden, 
gab es zwar mancherlei Schulen, aber keine Univerſitäten; die Ent⸗ 
ſtehung der Univerſitäten fällt mit der Ausbildung dieſer Formen 
zuſammen, alſo in die Zeit um 1200. In älteren Darſtellungen 
wurde die Entſtehung der Univerſitäten gern in unvordenkliche Zeiten 
zurückverlegt. In einer Wittenberger Diſſertation aus dem Jahre 
1695 heißt es gar, daß die älteſte Schule im Jahre 30 nach Er⸗ 
ſchaffung der Welt, im Jahre der Geburt Abels erſtand ?). Bologna 
wollte vom Kaiſer Theodoſius “), Paris von Karl dem Großen, Ox⸗ 
ford und Cambridge von Fürſten der keltiſchen Urzeit oder wenigſtens 
von König Alfred gegründet ſein. Lokalpatriotismus und Gelehrten⸗ 
eitelkeit haben die ſeltſamſten Einfälle hervorgebracht und mit weit⸗ 
ſchichtigem Apparat entlegener Gelehrſamkeit ſo umbaut, daß ſie dem 
Laien als bewieſen gelten mochten. Dieſe Fabeln ſind jedoch längſt 


Fremden aufforderten, in ihrer Stadt dieſen oder jenen Lehrer zu hören. Ueber 
„Landesſchule und die Wandelung in den Begriff „studium privilegiatum“, 
wie über studium particulare ſ. Kap. 5. 

) Die Ausgabe der Bologneſer Statuten von 1561 nennt ſich Statuta et 
Privilegia almae Universitatis Juristarum Gymnasii Bononiensis. Aehnlich 
in Padua :c, 

) Georg Roth, Dissertatio politica de jure majestatis circa erigendas 
et confirmandas academias, Wittenbergae 1695. Ferner heißt e: Ingevon, 
Germanorum rex, ut subditos humaniores efficeret, publica bonarum 
artium gymnasia instituisse fertur. 

) Angelus Gaggius, Collegii Bononiensis, pontificii seilicet et 
enesarei juris ... origo 1710, Hein 4, ohne Seitenzahl. Bl. 39* druckt Gaggius 
das angebliche Diplom Theodoſius II. 


Die Zeit der Entftehung. Die Autonomie, 105 


und in den Annals of Oxford hat Jeaffrefon dieſe gelehrten 
mit demjenigen Humor geſchildert, der den Leſer am 
heiten von ſolchem Ballaſt befreit ). Das Wahre an dieſen Fabeln 
ii nur, daß es an dieſen wie an anderen Orten bereits lange vor 
den Beginn des 13. Jahrhunderte Schulen gab, die in gleicher Weiſe 
wie die Univerfitäten Pflegeſtatten der Wiſſenſchaft waren, aber ohne 
die geordneten Formen, die Beamten und Privilegien dieſer Univerſi⸗ 
| befigen. Auch entſtanden dieſe Formen und Einrichtungen 
einmal, Man kann bei den alteſten Univerſitäten nicht ein 
beſtimmtes Jahr angeben, ſeit dem ſie beſtanden, ſondern nur die 
und ſonſtigen Spuren korporativen Lebens feſt⸗ 
; man kann eine Periode der Ausbildung aber kein Gründungs⸗ 
ſie ſind nicht gegründet worden. Thatſächlich 
beſtand auch akademiſches Treiben in Bologna, Paris, Montpellier, 
Oxford, lange ehe es durch bindende Formen zu Univerſitäten im 
Nechtsſinn fortgebildet wurde. Die Blüte der Studentenpoeſie “) fällt 
ſogar vor das Ende des 12. Jahrhunderts, alſo vor die Zeit der 
kxechtlichen Vollendung der Univerſitäten. Aber es lag in dieſer Aus⸗ 
bildung doch keine bloß äußerliche Veränderung. Erſt durch die Aus⸗ 
Em 
Stellung 


dieſer Formen gewannen die Lehranſtalten eine jelbitändige 


der Univerſitäten erhalten, und die Erinnerung an dieſelbe, die Ge⸗ 
wohnung, ſolche Sitze der Studien mit der Vorftellung einer auto⸗ 
zuſammenzudenken, dieſe Autonomie als etwas im 
| Anftalten Begründetes anzuſehen, trägt heute, wo die 

| dieſes autonomen Regiments teils weggefallen find, 
teils ihre Bedeutung geändert haben, und die Univerſitäten zu den 


2 m: 


J Die Sage von dieſem Urſprung Orforbs fand ebenfalls amtliche Ber: 

 keetung. Siehe Munimenta Oxon. II. 867 f. Contestantibus plerisque chroni- 
eis... omnium autem inter Latinos nunc extantium studiorum Universitas 

2 Oxzoniensis fundatione prior . . Prioritatem suse fundationis insinuant 
wmuistortae Britannlene perantiquse. Folgt die Sage von dem Trojaner Brutus 
Zen. feiner Schar, welcher England beſetzt, und von den Bhilofophen, die damals 


71 
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5 
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106 Der Staat und die Schule, 


Organen des Staats zählen, weſentlich dazu bei, ihnen unter dieſen 
Organen eine Ausnahmeſtellung zu verleihen. Man fühlt, daß mit 
den Reſten dieſer Autonomie das eigentümliche Weſen der Anſtalten 
berührt würde. 


Stellung des Staates und der Kirche zu der Schule des 
Mittelalters ). 


In der römiſchen Zeit war das Schulweſen Sache des Staats 
und der Privatunternehmung. Die Kirche hatte aber ein dringendes 
Bedürfnis, ſich daran zu beteiligen, und im 4. und 5. Jahrhundert 
entſtanden neben den alten, die heidniſche Tradition feſthaltenden 
Schulen der römiſchen Grammatiker und Rhetoren chriſtliche Schulen, 
meiſt an Klöſtern oder größeren Kirchen, vielfach aber ebenfalls auf 
Grund privater Bemühungen ?). Im 7. und 8. Jahrhundert ver⸗ 
ſchwanden die Schulen der Grammatiker und Rhetoren mit Ausnahme 
von Italien, auch die Kloſter⸗ und Kirchenſchulen gingen zurück, 
hörten an den meiſten Orten ganz auf?), bis fie durch Karl den 
Großen wieder belebt wurden. Die Einrichtungen dieſes großen 
Fürſten und ſeiner nächſten Nachfolger bilden die Grundlage, auf der 


) Von älteren Arbeiten nenne ich nur Launoius, De scholis celebriori- 
bus in den opera L., ed. 1732, Paris, fol., tom. 10, 1— 172. Von neueren: 
Mone, Das Schulweſen im 13.— 16. Jahrhundert, in der Zeitſchr. f. d. Geſch. 
des Oberrheins I, 257 fl. Thurot, Extraits de manuserits latins pour servir 
n Thistolre des doctrines grammaticales au moyen-äge. Paris 1869, 4. 
Reiches Material zur Kenntnis des Schulbetriebs im 11. und 12. Jahrhundert 
bietet auch H. Pasquier, Baudri, abbé de Bourgueil, archevéque de Dol 
1046—11 30. Paris und Angers, ohne Jahr, aber nach 1876. Delisle, Les 
Ccoles d Orléans au 12 et au 13 siècle im Annuaire-Bulletin de la Société de 
France VII, 230 J. Léon Maitre, Les écoles épiscopales et monasticales 
de l’oceident depuis Charle-Magne jusqu-à Philippe-Auguste, Paris 1866, 
Joh. Müller, Quellenſchriften des deutſch⸗ſprachlichen Unterrichts. Gotha 1882. 
Dies viel zu wenig beachtete Buch enthält von S. 187 an reiches Material. 
F. A. Specht, Geſchichte des Unterrichtsweſens in Deutſchland von den . 
Zeiten bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts. Stuttgart 1885. 

1) Siehe meine Abhandlung: Rhetorenfhulen und Kloſterſchulen in Raumers 
Diſtoriſchem Taſchenbuch 1865. 

) Ueber die eigentümliche Entwicklung der litterariſchen Dinge in den 
britiſchen Inſeln handelt meine Deutſche Geſchichte bis auf Karl den Großen 
II, 269, 


a 
4 
4 


Konftitution £otbars I. 107 


täten erwachſen find, Träger der gelehrten Bildung waren 
als überwiegend Mönche und Geiſtliche, die Kirche hatte Bedürfnis 
lach litterariſch gebildeten Männern, und ihre Klöfter und ſonſtigen 
Anſtalten boten die beſte, vielſach die einzige Gelegenheit, ungeftört den 
Wiſſenſchaften zu leben, Bücher ſicher aufzubewahren, die Erziehung 
junger Leute zu Überwachen. So wurde denn von Karl dem Großen 
bei der Gründung der Schulen das Bedürfnis der Kirche zunachſt ins 
Auge gefaßt, Geiſtliche waren feine hauptſaͤchlichen Berater und Ge 
hilfen, und mit Ausnahme der Hofſchule waren die damals gegründeten 
Schulen Kloſderſchulen und Kirchenſchulen. 
5 Aber was die Kirche in dieſer Richtung that, leiſtete fie teilweise 
en: auf kalſerlichen Befehl und unter Aufſicht kaiſerlicher Sendboten. Die 
Sorge für die Bildung der Geiſtlichen wurde zu den Pflichten und 
1 auch zu den Rechten des Kaiſers gerechnet. Das war auch nicht 
etwa nur zu Karl des Großen Zeit jo, nicht eine Folge feiner energiſch 
über Natur, auch unter Ludwig dem Frommen war darüber 
i 3 Meinung nicht zweifelhaft. Auf des Kaiſers Befehl 
kagten die Verſammlungen der Geistlichen und Mönde, welche die 
bezuͤglichen Anordnungen trafen, durch ſeine Anerkennung erlangten 
fie Gultigkeit, wurden von der kaiſerlichen Kanzlei in zuverläſſigen 
Abſchriſten an die Erzbiſchöfe des Reichs verſandt und im Fall des 
Zweifels nach dem im kaiſerlichen Archiv zurüdbehaltenen Exemplar 
berichtigt ). 
Es wurden ferner einige Schulen und zwar für weitere Aus⸗ 
bildung und eingehendere Studien errichtet, welche nicht einzelnen 
Kürchen oder Klöſtern zugehörten, ſondern für weite Bezirke beſtimmt 
waren. Bei dieſen trat, wie bei der Hofſchule, der ſtaatliche Charakter 
noch unzweideutiger hervor. Am ausführlichſten handelt darüber eine 
nftitution Kaiſer Lothars I. von 825, durch welche er Oberitalien in 
chu einteilte. Durch kaiſerliche Anordnung ſind danach an 
= beitimmten Orten Lehrer angeftellt worden, und dieſe Orte find fo 
ausgewählt, „daß niemand ſich entſchuldigen könne, er jei zu arm 
oder die Schule zu entfernt“ 9). Die Verfügung laßt vieles unbeſtimmt; 


; 9 Encyttite son 817. Mon. Germ. Legg. I. 220, cujus exemplar — in 
 armario pala nostri recondi fecimus. 
Er: 9 Monum. Germ. Legg. I, 248 t. De doctrina vero, quse ob nimlam 
zumerlam alque — quorundam praepositorum cunctis in locis est 


er, 9 1 * 4 £ — r * 
in 4 1 15 ja hr > . x — 
2 1 # 75 


108 Ludwig der Fromme. 


weder die Mittel zur Erhaltung oder die ſonſtigen Einrichtungen der 
Schulen werden angegeben, noch auch wer gehalten iſt, ſie zu beſuchen, 
aber deutlich tritt hervor, daß der Staat die Sorge für die Schule 
als ſein Recht und ſeine Pflicht anſah. In ähnlicher Weiſe forderten 
die Biſchöfe 829 den Kaiſer Ludwig den Frommen auf, an einigen 
Orten des Reichs, wenigſtens an drei, „scolae publicae“ ) zu 
errichten, „damit nicht die Arbeit Eures Vaters und Eure eigene 
durch Nachlaſſigkeit wieder verloren gehe,“ ut labor patris vestri et 
vester per incuriam non depereat. Alſo die fränkiſche Geiſtlich⸗ 
keit des 9. Jahrhunderts betrachtete es als Pflicht und damit auch 
als Recht des Staates, Schulen zu gründen und für die Schulen zu 
ſorgen. Von ſolchen Staatsanſtalten verlautet in der Folgezeit nichts, 


funditus extincta, placuit, ut sicut a nobis constitutum est, ita ab omnibus 
observetur. Videlicet ut ab his, qui nostra dispositione ad docendos alios 
per loca denominata sunt constituti, maximum detur studium, qualiter 
sibi commissi scolastiei proficiant atque doctrinae insistant, sicut praesens 
exposcit necessitas. Propter opportunitatem tamen omnium apta loca 
distincte ad hoc exereitium providimus, ut difficultas locorum longe posi- 
torum ac paupertas nulli foret excusatio. Folgen die Orte mit Bezeichnung 
der zugehörigen Schulgebiete. Die scolastiei ſollen unter Aufſicht der prae- 
positi Fortſchritte machen und doctrinae insistere. Danach ſcheint es, als hätten 
wir an Repetitionskurſe für die Lehrer des Gebiets oder an Seminare für künftige 
Lehrer zu denken. 

1) Monum. Germ. Legg. 1,339. Specht ſucht S. 37 Note 4 nachzuweiſen, 
daß scolae publicae ſolche Schulen waren, an denen neben der Theologie vor: 
züglich die „studia publica“, d. h. die freien Künſte betrieben wurden. Allein 
die angeführten Stellen ergeben nicht einmal, daß studia publica eine übliche 
Bezeichnung für artes liberales war. Die Stelle aus der Vita Meinverei M. 
Germ. 88. XI, 140: In Patherbrunnensi ecelesia publica floruerunt studia, 
quando ibi musiei fuerunt et dialectiei .. „ ſcheint ſich zwar jo deuten zu 
laſſen, richtiger iſt es, publica studia hier als Synonym von publicae scholae 
zu faſſen, denn dieſe Bedeutung von studium iſt ganz gewöhnlich, und nun ergibt 
ſich der einfache Sinn: in P. blühte damals eine Schule, welche als publicae be: 
zeichnet zu werden verdiente, denn .. Bgl. wie es in der Vita Majoli aus: 
führlicher heißt, publicum apellaretur eitra marini orbis gymnasium. An vielen 
Kloſterſchulen wurden die artes getrieben, ohne daß fie scholae publicae genannt 
wurden. Dies „scholae publicae“ ſcheint mir der Vorläufer der Bezeichnung 
studium generale zu ſein, ſoweit damit nur eine Auszeichnung ausgedrückt 
werden ſollte. In den angezogenen Konſtitutionen könnte in dem Attribut auch 
eine Beziehung auf den Urſprung durch Anordnung der öffentlichen Gewalt liegen. 
Man hätte dann eine doppelte Bedeutung des Begriffs zu unterſcheiden, eine recht ⸗ 
liche und eine allgemeinere. 


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von feinem Kaplan Wipo aufgefordert ), ein Geſetz zu erlaſſen, welches 
die Vornehmen zwinge, ihre Kinder in Schulen ausbilden zu laſſen, 
und biefem Kaplan kam dabei auch nicht einmal die Vermutung, daß 
femand in einer Schulgeſetzgebung der weltlichen Behörde eine Ber: 
letzung eines der Kirche zuſtehenden Nechtes finden konne. Die Zeit 
wußte von einem derartigen allgemeinen Rechte nichts, und Städte 


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) Sieſebreczt in den Sigungäber. der Münchener Alad. 1868, 297 fi. 
#) Tetralogus v. 185 l. Mon. Germ. Seript. XI. 351. 
Cum Deus omnipotens tibi totum fregerit orbem, 
4 l * Dr ERS . 
Quilibet ut dives sibi natos instrust omnes 


Litterulis legemque suam persundeat Illis. 


4 | Ut cum prineipibus placitandi venerit usus 
m | Quisque suis libris exemplum proferat illis. 


3 Moribus his dudum vivebat Roma decenter, 

3 His studiis tantos potuit vineire tyrannos. 
Hoe servant Itali post prima erepundia cunecti, 
Et audare scholis mandatur tota jurentus. 
Solis Teutonieis vacuum vel turpe videtur. 

* Ut doceant aliquem, nisi elericus accipiatur. 

ee Bed, rex docte, jube cunctos per regna doceri, 


110 Anſprüche der Kirche auf die Schule, 


ordnungen erlaſſen und dabei keinen Einſpruch ſeitens der Kirche 
erfahren. Auch Thomas von Aquino, der doch gewiß kein Recht, das 
die Kirche beanſpruchte, fahren ließ, bezeichnete es als Aufgabe des 
Staates, studia litterarum zu gründen !). Das Ergebnis iſt: Bis 
zur Gründung der Univerſitäten wurde die Frage, ob dem Staate 
oder der Kirche, reſp. beſtimmten kirchlichen Gewalten das Recht auf 
die Schule zuſtehe, überhaupt nicht aufgeworfen. Der Staat wie die 
Kirche fühlten ſich verpflichtet, für Schulen zu ſorgen, aber ſie 
beſtritten weder einander das Recht dazu, noch hinderten ſie die 
Privatunternehmung. Im Gegenſatz zu dieſer allgemeinen Anſchauung 
wurde hier und da, unter dem Einfluß lokaler und perſönlicher Ver⸗ 
hältniſſe, namentlich von dem Biſchof oder dem mit der Leitung der 
Domſchule beauftragten Kanoniker (Kanzler, Scholaſtikus) eine Art 
Schulmonopol für die Stadt oder gar für die Diözeſe in Anſpruch 
genommen). Die Stadt Breslau hielt ſich z. B. 1267 nicht für 
berechtigt, eine Schule anzulegen, obwohl die biſchöfliche Schule vor 
dem Thore lag und ihr Beſuch die Kinder über ſchlechte Wege und 
gefährliche Brücken führte“), und wagte es erſt, als die Kirche die 
Erlaubnis erteilte. In ähnlicher Weiſe erkannte Lübeck im 13. Jahr⸗ 
hundert ein Schulmonopol der Domkirche an ). Die erſte Spur von 
ſolchem Monopol zeigt ſich in einem Privileg, durch welches der Erz⸗ 
biſchof von Mainz demjenigen Kanonikus der Kirche von Aſchaffenburg, 
welcher das Amt des Scholaſtikus bekleidete, das ausſchließliche Recht 
zuſprach, in dem Archidiakonat Schule zu halten. Die Kanoniker der 
Mainzer Kirchen lebten damals nicht mehr in der dem Kloſterleben 
nachgebildeten Gemeinſchaft, welche in der karolingiſchen Zeit zur Regel 
erhoben worden war und ſich im 12. Jahrhundert aufs neue auszu⸗ 
breiten ſuchte. Jeder Kanonikus wohnte für ſich und alſo auch der⸗ 


) De regimine prineipum I, 13. S. unten Näheres. 

) Der Ausdruck monopolium wird hierfür ſchon 1180 in einer Urkunde 
für Montpellier gebraucht. D’Aigrefeuille, Histoire de Montpellier, 2 ed. 
tom. III, p.514. Guillelmus, Dei gratia Montispessulani dominus . quis 
acerbum est nimium et contra fas uni soli dare monopolium in tam 
excellenti scientia ... 

) Korn, Breslauer Urkundenbuch 1, 85, Nr. 32. Dazu Specht 250 ff. 
Mone, Zeitſchrift I, 266. Joh. Müller, Quellenſchriften des deutſch⸗ſprachlichen 
Unterrichts vom 12. bis 16. Jahrhundert, 1882, citiert ebenfalls die Beiſpiele aus 
Breslau und Lübeck. (Cod. dipl. Lubee. I, 1,240. Urk. v. 12% Nro. 261.) 


Das Monopol von Aſchaſßenburg. 11] 


nige, der die Schule zu leiten hatte. Damit begann für die Schule 
dine freiere Entwicklung und die Moglichkeit, aus derſelben größere 
Einnahmen zu gewinnen ), und nun wurde es wichtig, ob nur einer 
des Recht habe, Schule zu halten und die Einnahmen von allen 
Schalern zu erhalten, oder ob andere ihm Konkurrenz machen durften. 
4 Die größte Einnahme kam aus den Penfionsgeldern der zukünftigen 
Kanoniker, die teils aus beſonderen Pfründen für ſolche Anwärter, 
1 teils von ben Familien gezahlt wurden. Es find Verträge geſchloſſen 
und Verordnungen erlaſſen ), wieviel der Scholaſter für den Unterhalt 
aufzuwenden, was er den Böglingen zu liefern habe. Beſonders 
häufig gelangten Knaben und Jünglinge in ſolchen Stiftern zu einer 
Pfründe, in denen bereits Verwandte von ihnen waren, und dieſe 
ſuchten dann leicht ihren jungen Verwandten dem Scholaſtikus zu 
in das eigene Haus zu nehmen). Bald wünſchten 
8 Pflege zuzuwenden, als er in der „Scholaſtei“ 
Scholaſtiker erhielt, bald war es nur das Intereſſe an dem 
In Aſchaffenburg war nun im Jahre 976 ein ſolcher Streit 
it großer Heftigkeit geführt worden. Ein Kanonikus hatte einen 
verwandten Knaben dem Scholaſtikus nicht ausliefern wollen, 
nach dem Hilfslehrer, der ihn holen wollte, in blinder Wut 
tte dabei aber den Knaben getroffen und getötet. 
nd ein großer Aufruhr, und nachdem er geſtillt war, 
der Erzbiſchof Willegis einen Befehl !), der die ee: 
verhindern ſollte. Er ſprach dem Scholaſtikus der 
von Aſchaffenburg für den ganzen Bereich des Archidiakonats 
Ae Recht zu, Schule zu halten oder halten zu laſſen. 
Kloſter waren davon nicht ausgenommen, fie durften nur 


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) In ahnlich freier Stellung ſtand auch manche Kloſterſchule. So war die des 
Klofters S. Albans „in burgo“, und ihre Leitung wurde einem Laien übergeben. 
Gesia Abbatum ... 8. Albani. ed. Riley 1867, I, 194 fl. (Rerum Britann. 
medli ser Seriptores. London. 8.) 

#) Guden, Codex dipl. Nro. 108, I, 297. Der Scholaſtikus von Mainz 
empfieng 1190 von dem Kapitel eine Vorſchrift, was er im Winter und was er 
im Sommer ben Scholaren an Kleidern zu liefern habe. Bol. Rro. 107 J. 288. 
3 N Guden, Codex dipl. 1, 179, Nro. 66. Der Erzbiſchof von Mainz entzeg 
EN Trug Domiholafter das Penſtonat der jungen Kanoniker (quod — fratres nostri 
— scolastico eirca suorum cognatorum scolarium videlicet canonicoram 
provisionem ad lites .. . frequentius prorumpere consueverunt. 

J Guden, Codex diplom. I. 852. Nro. 129. 


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42 * 


112 Der Scholafter, 


ihre Genoſſen, nicht aber Kleriker oder Laien unterrichten, alfo nur die 
schola interior, die eigentliche Kloſterſchule, keine äußere Schule halten. 
Die Abſicht der Verordnung ging alſo zunächſt dahin, den Scholaſtikus 
gegen die Verſuche der anderen Kanoniker zu ſichern, aber die Faſſung 
iſt allgemein und beſonders beachtenswert iſt die Beſchränkung, welche 
den Klöſtern aufgelegt wurde. Man kann zweifeln, ob der Erzbiſchof 
zu dieſer Verfügung berechtigt war, aber ſie iſt erlaſſen worden, und 
es war damit das Beiſpiel gegeben, daß der Scholaſter der Haupt⸗ 
kirche eines Archidiakonats das Unterrichtsmonopol in dem Archi⸗ 
diakonat hatte. Indeſſen war dies zunächſt nur ein vereinzelter Fall, 
und wenn etwa hier und da ähnliche Privilegien gegeben ſein ſollten, 
ſo waren die Fälle doch nicht ſo zahlreich, daß ſie die allgemeine 
Anſchauung beherrſcht hätten. Eine derartige Bedeutung der Archi⸗ 
diakonate hat ſich nicht entwickelt. — Nicht alle Kapitel hatten die be⸗ 
ſondere Dignität des Scholaſtikus, ſondern ein anderer Kanonikus, 
meiſtens der Kanzler, leitete die Schule, oder es wurde ein Fremder 
als Scholafter berufen, der wohl eine Pfründe erhielt, aber kein 
Kanonikat, alſo nicht Sitz und Stimme im Kapitel. An manchen 
Domſchulen unterrichtete der Scholaſter nicht ſelbſt oder doch nicht 
allein, ſondern nahm ſich Gehilfen oder es wurden ihm ſolche von 
dem Konvent gegeben !). Dieſe Lehrer waren von ihm abhängig, 
wurden von ihm ernannt und entlaſſen, auch konnte der Gehilfe 
je nach ſeinem Kontrakt wieder Vertreter oder Gehilfen nehmen. 
An der Schule ſeiner Kirche hatte der Biſchof reſp. der von ihm 
beauftragte Scholaſtikus das Recht, Lehrer zuzulaſſen oder abzu⸗ 
weiſen, und da nun im 11. und 12. Jahrhundert manche Schulen 
eine ganze Stadt erfüllten, ſo übten ſie thatſächlich dies Recht, die 
licentia in dieſem Gebiet zu erteilen. Es wurde Sitte, daß ſie ſich 
dafür bezahlen ließen, und dieſe Sitte gab dann wieder Anlaß zu 
Klagen und Beſchwerden, welche von Päpſten und Synoden behandelt 
worden ſind. Beſonders wichtig iſt der bezügliche Kanon des von 


1) Mone, Zeitſchrift I, 270. Urkunde des S. Germanusſtifts in Speier. Es 
wird eine praebenda mit der Lehrverpflichtung verknüpft. Qui in eandem 
successerit praebendam, doceat scolares et hoc in propria persons, 
nisi forte de gratis capituli adjutorem habeat, In ſolchem Fall 
konnte ſich das Kapitel auch das Recht vorbehalten, über die Entlaffung dieſes 
Lehrers zu verfügen. Im allgemeinen aber ſcheint es der Scholaſter gellbt 
zu haben. 


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Alexander III. vertrat die Eehrfreibeit. 113 


Be lerander III. 1179 berufenen Laterankonzils ). An jeder Kathedral⸗ 
Alcche ſolle eine Pfründe für den Scholaſter beſtimmt werden, die ihm 
adaustommliche Einnahme ſichere, damit er die Kleriker der Kirche und 
Sgcholaren, welche arm feien, umfonft unterrichte, clericos ejusdem 
-  eeclesiae et scholares pauperes gratis doceat. Ferner ſolle auch an 
anderen Kirchen und in den Kloͤſtern eine Pfründe für den Scholaſter 
frei bleiben, wenn ehemals eine derartige Beſtimmung getroffen war. 
Diann heißt es: pro licentia vero docendi nullus omnino pretium 
eexigat, vel sub obtentu alicujus consuetudinis ab his qui docent 
aliquid quaerat, nec docere quemquam expetita licentia, 
qui sit idoneus, interdicat. Zunächſt kennt danach Papft 
Alexander III. keine kirchliche Behörde, welche das Monopol des 
Unterrichts hätte. Ferner: Ein Aufſichtsrecht des Domſcholaſter über 
Schulen der Diözeſe wird in dieſem Kanon weder vorausgeſetzt 
angeordnet. Der Kanon kennt Leute, welche die licentia docendi 
| haben, das ſind zunächſt die magistri scholarum oder 
| aller Kirchen⸗ und Kloſterſchulen für ihre Schulen. Viel: 
auch an die Genehmigung zur Eröffnung einer neuen 
daß gewiſſe Perſonen das Recht in Anſpruch nahmen, 
t oder einem Gebiete um ſolche Genehmigung erſucht 
werden; aber Papſt Alexander unterſuchte nicht, wer das Recht 
einem Orte über die Zulaſſung zu entſcheiden, er verbot 
zu nehmen für die Zulaſſung, und zweitens verbot er, 
Unterricht geeigneten Mann zu hindern, eine Schule zu 
ſprach alſo grundjägli aus, daß jeder 
auftreten dürfe und daß, wo jemand durch die Gewohnheit 
Eröffnung einer Schule die Erlaubnis zu erteilen, 
Erlaubnis unentgeltlich und immer erteilt werden müſſe, 
Bewerber die nötigen Eigenſchaften beſitze. 
demſelben Sinne hat ſich Papſt Alexander bei einem einzelnen 
Der Abt des Kloſters St. Petri de Montibus in 
beſchwert ), quod magister scholarum Catalaunensis 
jam dicti abbatis sibi scholarum magisterium 
per abbatem ibi regere scholas permittit. Der 


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Mens Mn, 227. Decret. Gregor. lib. V. tit. 5, cap. 1. 
9 Migne, Paires latin 200, p. 840, ep. 960. 
Hauimann, Seen der Design Univerfitäten. 1. 4 


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Kirche von Chalons hatte alſo dem Abt des Kloſters 


n 


114 Alexander III. vertrat die Lehrfreiheit. 


St. Petri de Montibus verbieten wollen, ſei es, die Lehrer jeiner 
Kloſterſchulen anzuſtellen, ſei es, Lehrern zu erlauben, auf dem Ge⸗ 
biete ſeines Kloſters eine Schule zu eröffnen. Es war ein Anſpruch 
ähnlich dem Privileg des Scholaſtikus von Aſchaffenburg von 976. 
Der Abt wandte ſich mit einer Beſchwerde an den Papſt, und dieſer 
trug dem Erzbiſchof von Rheims auf, dem Abt und dem Scholaſter 
zu eröffnen, daß ſie keinen Mann, der rechtlich und gelehrt wäre, 
hindern dürften, in der Stadt oder in den Vorſtädten, wo er wolle, 
eine Schule zu eröffnen. Sollte aber der Scholaſter unter dem Vor⸗ 
geben der Ortsſitte das Recht, die Erlaubnis zu erteilen und dafür 
eine Zahlung zu erhalten, in Anſpruch nehmen, ſo dürfe er doch in 
keinem Fall auf dem Boden des Kloſters ein derartiges Recht be⸗ 
anſpruchen, d. h. weder das Recht auf eine Zahlung, noch das Recht, 
um Erlaubnis gefragt!) zu werden. 

Papſt Alexander kennt alſo auch hier wieder nur den Grundſatz 
der Freiheit des Unterrichts und daneben gewiſſe lokale Gewohnheiten, 
welche dem Scholaſter einzelner Kirchen das Recht gewähren, daß er 
gefragt werden muß, wenn jemand in einem beſtimmten Gebiete als 


Lehrer eine Schule eröffnen will. Aber einmal weiß Papſt Alexander 


nichts davon, daß den Scholaſtern einer beſtimmten Kategorie von 
Kirchen, alſo etwa aller Kathedralkirchen, dies Recht zuſtehe, noch 
weniger, daß es ihnen im ganzen Gebiet der Kirche zuſtehe ). Er 


) Migne, Patres latini 200, a. a. O. Unde quoniam, cum donum Dei 
sit scientia litterarum, liberum esse debet cuique talentum gratis cui 
voluerit erogare, fraternitati — mandamus, quatenus tam abbati quam 
magistro scolarum, ne aliquem probum et litteratum virum regere scholas 
in eivitate vel suburbiis, ubi voluerit, aliqua ratione prohibeant, vel inter- 
dicere qualibet occasione praesumant. Auch Mansi XXI, 952. 

) Specht nimmt S. 187 dies als Regel an: „Das wichtigſte Vorrecht, 
welches der Scholaſtikus einer Domſchule beſaß, beſtand in der Oberaufſicht über 
alle übrigen an den Stifts⸗ und Pfarrkirchen beſtehenden Schulen einer Didzeie. 
Nach ſeinem Ermeſſen konnte er das an dieſen Schulen verwendete Lehrperſonal 
anſtellen und abſetzen. In dem ganzen Kirchenſprengel durfte überhaupt niemand 
Schule halten, der nicht vom Domſcholaſter die facultas docendi erlangt hatte. 
Schon der Erzbiſchof Willegis hatte im Jahre 976 dem Scholaſter von Aſchaſſen⸗ 
burg das Privilegium erteilt, daß ohne ſpezielle Erlaubnis desſelben niemand in 
dieſem Archidiakonate das Lehramt ausüben dürfe. So war es auch an anderen 
Orten.“ Specht beruft ſich auf die Urkunde Guden, Codex diplomatieus I, 356, 
Nro. 120 von 976. Gegen dieſe Deutung und Verwendung der intereffanten Ur⸗ 
kunde habe ich in der Anzeige des Buches (Deutſche Litteraturzeitung 1885 Nro. 30, 


Alexander III. vertrat die Lehrfreiheit. 115 


hätte ſonſt nähere Beſtimmungen gemacht, um wenigſtens Konflikte 
m den Scholaſtern der Domkirche und den anderen Kirchen zu 
vermeiden. Nur erwahnt er, weil die Klage eines Kloſters den Auſtoß 
— m hatte, daß natürlich dem Domſcholaſter auf dem Gebiete eines 
Mloſters keinerlei Recht derart zuſtehen konne. Papſt Alexander erfennt 
3 ferner jenes Recht des Domſcholaſters, wo es beſtehe, nur als 
dein fireng gebundenes an. Der Scholaſter ſoll gehalten fein, jedem 
E aufzutreten, wenn nicht der Bewerber durch 
oder ſeinen Mangel an Bildung unwürdig 
ften und wiſſenſchaftlich gebildeten Manne 
Umſtänden verwehrt oder erſchwert werden, 
Lehrer auftreten wollte. Gegen ſittenloſe 
Biſchof ſchon kraft ſeiner ſeelſorgeriſchen Pflicht 
eine derartige Stellung einnehmen wollten, und 
gegen den Ungelehrten wird auch nur in dem 
daß der Scholaſter keinen Unfug an feiner Schule 
a Es wird ihm keinerlei Recht zugeſprochen 
ober Vorſchrift gegeben, mit denjenigen, die an der Schule 
gal Dozenten auftreten wollen, eine Prüfung anzuſtellen. 
Das wurde bei folgendem Anlaß noch deutlicher beſtimmt: Der 
magister scholarum an der Kreuzkirche zu Orleans verweigerte um 1170 
einem Magiſter Fulco die Erlaubnis, eine Vorleſung an der Dom⸗ 


S. lose Einipruh erhoben und muß dies hier wiederholen. Die Darftellung iſt 
in ſich unklar. Einmal iſt von der Diözeſe die Rebe, dann von dem Arhibialonat 
Einmal von allen Schulen, dann von den Kirchenſchulen, alſo nicht 

ı dem Aloſterſchulen, und dieſe, wenigſtens die scholae interiores, werden auch in 
Urkunde ausdrücklich ausgenommen. Ferner beweiſt doch gerade dieſe Urkunde, daß 
Domiholafter von Mainz nicht die Aufficht über die Schulen der Diözeſe zu: 
Archidiakonat Aſchaſſenburg hatte fie der Scholaſter dieſes Stifts, und 
der Mainzer Scholaſter für Frankfurt, Erfurt u. ſ. w. die licentia 
Auch die Ausdehnung über das Archidiatonat wie in dem 
Priwileg von 976 muß als Ausnahme gelten und erflärt ſich wohl 
damals in jenem Archidiakonat kein Bedürfnis für mehrere 


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ihre Schule ſelbſt verwaltet. Bedeutung bat die Frage für die 
Stute gewonnen, da gehörte dies im 12. und 13. Jahrhundert ausgebildete 
Schulen zu den Punkten, an welchen die Biihöte ihre schwindende 
behaupten ſuchten. Specht führt die Betſptele vom 
ie Beftätigung der auf die Mainzer Urtunde von 976 
Theorte am, aber fie find dazu nicht geeignet. 


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116 Die £ehrfreiheit in dem Geſetzbuch der Kirche. 


ſchule anzukündigen. Auf die Beſchwerde verfügte der Papſt, daß er 
die Erlaubnis ohne weiteres zu erteilen habe, oder er müſſe ſich vor 
dem Abt von St. Genovefa!) in Paris ſtellen und dort den Beweis 
erbringen, daß der betreffende Magiſter unfähig ſei. Nicht dem 
Petenten wurde der Nachweis der Fähigkeit auferlegt, ſondern dem 
Schulvorſtande der Nachweis der Unfähigkeit des Petenten. Alſo 
ſelbſt an der eigenen Schule und in den der Kirche gehörenden 
Gebäuden oder in ihrem Gebiete, für welches der Domſcholaſter 
das Schulmonopol in Anſpruch nahm oder übte, das er als ſein 
Schulgebiet “) betrachtete, ſollte der Biſchof oder ſein Scholaſter nie⸗ 
mandem wehren, als Lehrer aufzutreten, außer in dem Ausnahmefall, 
daß ſich jemand dazu drängte, der die nach den damaligen Gewohn⸗ 
heiten übliche Ausbildung ſelbſt nicht empfangen hatte. Dies iſt noch 
mehr als allgemeine Lehrfreiheit. Nicht bloß wird jedem freigeſtellt, 
auf ſeine Hand eine Schule zu eröffnen, ſondern die auf Grund 
kirchlicher Pfründen beruhenden Schulen werden als eine Art öffent⸗ 
licher Inſtitution betrachtet, welche nicht nur den Wißbegierigen offen 
ſtehen ſollten, dort Studien zu machen, ſondern auch denen, die ſich 
als Lehrer verſuchen wollten. 

Dieſer Grundſatz der Lehrfreiheit fand auch Aufnahme in die 
von Gregor IX. veranlaßte Sammlung der Dekretalen, das erſte auch 
ſeinem Urſprung nach authentiſche Geſetzbuch des Kirchenrechts. Titel 5 
des fünften Buchs wiederholt als Kapitel 1 den bezüglichen Kanon des 
Laterankonzils von 1179 und in Kapitel 3 aus der von Alexander III. 
an die galliſchen Erzbiſchöfe gerichteten Dekretale “) den entſcheidenden 
Satz: Einem Manne, der als Lehrer auftreten will und im übrigen 
geeignet iſt, ſollen keinerlei Koſten oder Schwierigkeiten gemacht werden, 
ut, quicunque viri idonei et litterati voluerint regere studia litterarum, 
sine molestia et exactione qualibet scholas regere permittantur. 


) Bulaeus II, 732, aus Stephanus Tornacensis epist. 115. Bei 
Migne, Patres latini Nro. 211, p. 404. 

) Hierfür begegnet der Ausdruck magisterium. 

) Corpus juris canonici, ed. Boehmer 1747 II, 734. Vollſtändig ſteht 
dieſe Dekre tale Alexanders III. ib. in der Collectio Decret. Alex. p. 208. Auch 
der ſcharſe Ausdruck prava et enormis consuetudo a cupiditatis radice pro- 
cesserit über die, welche die dignitas des Lehramts ‚si dignitas est* für ſich 
in Anſpruch nehmen und für die Verleihung der Lizenz Geld fordern, findet 
ſich hier. 


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Entftebung der Kanzlergemalt. 117 


es iR kein Zweifel, daß die oben erwahnten Mnfprüde der 
oer und Lübecker Kirche auf Grund dieſer Dekretale hätten 


bekämpft werden können, aber dieſe Dekretale iſt ſelbſt ein weiteres 
 Beugnis fur das Auftreten ſolcher Anſprüche der Kanzler der Kirchen 
und Kloſter ). Dieſe Anſprüche haben ſich trotz ſolcher Erklärungen 
der Papſte im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderte an vielen Orten 
diurchgeſetzt) und bildeten einen weſentlichen Faktor in der Entſtehungs⸗ 
gedſchichte der Univerſitaten Paris, Orleans, Angers u. a., und 
beſonders durch die Ausbildung, welche dieſe Kanzlergewalt in Paris 
gewann, wurde fie zu einem regelmäßigen Beſtandteil der Verfaſſung 
2 der Generalfiubien. Aber es war dieſe Gewalt des Kanzlers 
der Kirche in Sachen der Univerſität nicht ein Reſt eines 
en allgemeinen Rechts der Kirche auf die Lehr: 
anfalten, ſondern ein neues Amt, das ſich ſogar nur im 
egenſaß zu einem allgemein herrſchenden und von meh: 
1 a Päpſten als Grundſatz des Kirchenrechts verkündeten 
Prinzip ausbilden konnte. Es entſtand aber durch dieſelbe 


1 welche die regelloſen Maſſen der Scholaren zu geordneten 
a Korporationen und das Chaos von Vorleſungen und Disputationen 
n einer geordneten Lehranſtalt umſchuf. 

FT Die Anſprüche des Kanzlers oder des ſonſt mit der Schule 
betrauten Kanonikus wurden von den Päpſten in den Fällen, in 
welchen Widerſpruch erhoben und die Entſcheidung der päpſtlichen 
Allgewalt (plenitudo) angerufen wurde, meiſt als Anmaßung behandelt 


Daß in Italien die Städte das Schulweſen, das höhere wie das niedere, 

eis eine fäbtiidhe Angelegenheit behandelten, wird das folgende Kapitel zeigen. 

dus Frankreich bietet wichtiges Material auch ſchon für das 14. Jahrhundert Sur les 

ebene d instruction publique et la population dans l’ancien dioctse 

de Rouen in den Mömoires des Antiquaires de Normandie, Bd. 5 u. 6, 1863 

n IB. Die Geiſtlichen hatten nach einem Erlak von 1520 nicht das Kecht, 

-  Mnterridt im Bohnen und im Schreiben zu erteilen, außer in denjenigen Orten, 

in Denen ſich feine maltres derivains jurte — alſo von den bürgerlichen Gewalten 
eee — fanden. d. 5, 308 

es iR des wieder ein Beiſytel rr 


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Launoius, De varia Aristotelis in academia Parisiensi fortuns 
1732, tom. IV, 173 8. 


118 Entftehung der Kanzlergemalt. 


und fie wurden gewiß oft aus Habſucht und Rivalität erhoben; 
indeſſen war es doch auch notwendig, daß irgend eine Autorität 
regelnd eingriff. Der folgende Abſchnitt wird zeigen, daß es nicht 
an ſachlichen Antrieben fehlte, welche den Biſchof und ſeine Kanzler 
veranlaßten, ein Aufſichtsrecht über die entſtehende Univerſität in 
Anſpruch zu nehmen, gleichwie ſich andererorten die ſtädtiſche Be⸗ 
hörde oder der Fürſt dazu entſchloß. 


2. Die Dedürfniffe, welche eine Organifation forderten. 


Savigny ſtellt in ſeiner Darſtellung der Entſtehung der Uni⸗ 
verſitäten unter den Univerſitäten des Mittelalters den Typus von 
Bologna, wo die Scholaren den Rektor wählten, dem Typus von 
Paris gegenüber, wo die Magiſter den Rektor wählten und in den 
Verſammlungen der universitas allein abſtimmten. Bologna erſcheint 
als universitas scholarium, Paris als universitas magistrorum. 
Indeſſen das Mittelalter ſelbſt unterſchied dieſe Typen nicht, und die 
Bedeutung der in dieſer Beziehung thatſächlich vorhandenen Ver⸗ 
ſchiedenheiten war keineswegs ſo groß, als ſie in ſolcher Zuſammen⸗ 
ſtellung erſcheinen. Bologna wurde, wie oben erwähnt, allerdings 
regelmäßig universitas scholarium genannt; aber scholares ſtand hier 
im Gegenſatz zu cives und umfaßte Lehrer wie Schüler, zunächſt die 
fremden. Paris wurde ferner meiſtens nicht als universitas magistro- 
rum bezeichnet, ſondern regelmäßig als universitas magistrorum et 
scholarium, bisweilen aber auch nur als universitas oder communitas 
scholarium ). Sodann ſahen die Scholaren in Paris und den be⸗ 
züglich des Wahlrechts gleichartigen Univerſitäten wie Oxford, Orleans, 
Toulouſe keineswegs den Ort ſchulmäßigen Druckes, und Bologna 
wurde nicht im Gegenſatz zu Paris als der Hort akademiſcher Freiheit 
geprieſen. Unter den zahlreichen Studentenliedern und Erzählungen 


1) Beſchluß des Kapitels von 1207, Bul. III. 36. Schreiben von Päpften 
an die Univerfität, z. B. Jourdain, Index Chartarum Nro. 2 u. Nro. 40, find 
scholaribus oder magistris et scholaribus adreſſtert, in Orleans und Oxford 


wurden bei Verhandlungen von Bedeutung auch Scholaren zugezogen. 


Die Gleichartigkeit der Ininerfitäten. 119 


16 jener Zeit begegnet keine einzige Aeußerung derart. „Alademiſche 
Preiheit“, libertas scolastica, wurde in der offiziellen Einladungsſchrift 
num Beſuch von Toulouſe (1233) ausdrücklich verkündet ). Paris 
und Oxford fahen die Scholaren in gleicher Wildheit und Anmaßung 

wie in Bologna. In Bologna wurde allerdings das Haupt der 
Unioerſitat) von den Studenten gewählt, aber in Bologna wurde 
das durch beſondere Verhältniſſe herbeigeführt und als eine Anomalie 
empfunden, der die Stellung der Schüler zu den Lehrern ſonſt nicht 
Es gab in Bologna keineswegs eine Herrſchaft der Schüler 

über die Lehrer, vielmehr hatten die Doktoren in Bologna die 
Gerichts barkeit über ihre Schüler, und es ſcheint, daß fie dieſelbe in 
größerer Ausdehnung übten, als es in Paris geſchah. Auch bei den 
. mit Barbaroſſa vr bei anderen Gelegenheiten traten 
ee gab 20 andere — zwiſchen den Univerſitäten als 
en dieſen Gegenſatz des Stimmrechts, namentlich die Einführung der 
| * Beſoldung, die Stellung zu der Stadt, zu den Ordensſchulen, die 
* Ausbildung der Nationen, der Burſen u. ſ. w. — aber auch dieſe 
UUnterſchiede wogen gering gegenüber den gemeinſamen Grundzügen 
der Ordnung. Daher betrachtete man doch alle Univerſitäten als 

gleichartige Anftalten. — Dieſe Gemeinſamkeit und Gleichartigkeit hatte 
ſich in den Schulen bereits ausgebildet, ehe die Formen der Univerfität 
ſeſt wurden. In den erſten Jahrhunderten des Mittelalters beſtand 


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e Garlande, De triumphis ecclesise, ed. Wright (Roxb. 
97: (Die in Paris verbotenen Bücher des Ariftoteles) poterunt 
N naturse sinus medullitas perserutari. Quid deerit 
bertas scolastica? Nequaquam, quia nullius 
ropria gaudebitis libertate. 
er war zunichſt Haupt der universitas scholarium, aber, fomeit neben 
Behörbe als rector studii, als Leiter det Schranftalt 
der rector universitatis. Beſondets tritt bie in 
wo der rector scholarium im Auftrag der Stadt 


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120 Die Bildungselemente der Univerfitäten. 


dem Kloſter oder der Kirche übergebenen Knaben beftimmt waren. 
Suchten dann auch viele andere daſelbſt Unterricht, ſo wurde die 
Schule in eine äußere und eine innere geteilt, die innere für die 
künftigen Mönche oder Kanoniker, die äußere für fremde. Dieſe 
äußere Schule konnte ſich freier entwickeln, und die große Blüte von 
Hildesheim, Reichenau, St. Gallen, Chartres, Reims, Lyon, Paris u. ſ. w. 
wird ſich vermutlich zunächſt an die äußere Schule geknüpft haben. 
Aber äußere und innere Schule!) waren bisweilen in einer Hand, 
und auch das konnte vorkommen, daß gerade die eifrigſten Schüller 
ſich zur Aufnahme in das Kloſter des gefeierten Lehrers drängten. 
Jedenfalls fehlt es an Material, den Unterſchied in der Entwicklung 
derſelben nachzuweiſen. Aehnlich iſt es mit folgendem: Solange die 
Kanoniker der Domkirche in mönchiſcher Gemeinſchaft lebten, ſo lange 
war zwiſchen Kirchen⸗ und Kloſterſchulen kein weſentlicher Unterſchied, 
als ſie getrennt lebten, konnte der Scholaſtikus der Kirche freier über 
die Schule verfügen als der Scholaſtikus der Kloſterſchule; aber auch 
dieſer Gegenſatz war doch geringer als der Unterſchied, der durch den 
Wechſel der Verhältniſſe und Perſönlichkeiten in jedem Kloſter und Stift 
entſtand ), und für die Entwicklung der Univerſitäten aus den Schulen 
des 12. Jahrhunderts kommen alle dieſe Unterſchiede von Kloſterſchulen 
und Kirchenſchulen, wie von inneren und äußeren Schulen nicht nach⸗ 
weisbar in Betracht. — Die Univerſitäten ſind aus keiner 
Art dieſer Schulen direkt hervorgegangen, ſondern aus 
dem teilweiſe allerdings in Anlehnung an Kirchen- und 
Kloſterſchulen entwickelten Treiben eines Standes von 
Gelehrten, die aus dem Lehren und Lernen einen Lebens⸗ 
beruf machten. Es hatte ſich im 11. und 12. Jahrhundert auch 
in Deutſchland, Frankreich, England und Spanien ein Schulgewerbe 
ausgebildet, ähnlich wie es ſich in Italien vom Altertum her erhalten 
hatte. Dieſe magistri oder scholastici, wie ſie nicht auf Grund eines 
Diploms, ſondern aus Anlaß ihrer Beſchäftigung genannt wurden, 
fanden vielfach an den durch Pfründen geſicherten Kirchen ⸗ und 


) Siehe den Plan von St. Gallen bei Specht 152 f., der die Lage ber 
äußeren Schule hervorhebt, ſodann das oben angeführte Beiſpiel der Schule des 
Klofters St. Albani, die in burgo war und einem Laien unterſtellt wurde. 

) In St. Riquier waren (9. Jahrhundert) 100 Knaben in der inneren 
Schule, in den Cluniacenſerklöſtern nicht über 6. Specht 155. 


1 


Der internationale Chataktet des Studiums. 121 


MR Moſterſchulen Stellung; aber dieſe Schulen ſahen dann auch ein Leben 
a ae. ein Kommen und Gehen, ein Ausbilden von jungen 
Geh „ die dann in der Schule oder neben der Schule ſich als 
dea wie es an den Rechtsſchulen Italiens und an den 
m Univerfitäten üblich war. Neben ſolchen Kirchen ⸗ und Kloſter⸗ 
entſtanden ferner Schulen auf Grund einfacher Privatunter⸗ 
In verſchiedenen Orten und Städten oder auf dem Lande, 


10 


2 | an ganz einfamen Orten, ſammelten ſich Wihbegierige aus 
allen Ländern um einen Gelehrten, der dort eine Schule eröffnete 
oder ſich dorthin zurückgezogen hatte und erſt durch die zuſtröͤmenden 


veranlaßt wurde, geeignete Räume zu mieten oder herzu⸗ 


Entwicklung dieſes Standes von Berufsgelehrten war 
Produkt der Blüte der Kloſter⸗ und Kirchenſchulen im 10. und 
Jahrhundert und des auf ihnen beruhenden wiſſenſchaftlichen 
Den gemeinſamen Schauplatz desſelben bildeten die Länder 
is chriſtlichen Abendlandes ). Wenn ſich auch in dieſen Jahrhunderten 
5 5 Nationalgefühl ſtärker entwickelte und die politiſche Verbindung 
. — heiligen roömiſchen Reichs ſprengen half, in der Wiſſenſchaft fühlte 
* * international. Man kümmerte ſich nicht um Landesgrenzen, 
wenn es ſich um Studium handelte. Ecce quaerunt clerici Parisiis 


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artes liberales, Aurelianis auctores, Bononie codices, Salerni 
pyxides, Toleti daemones et nusquam mores, klagte ein franzöſiſcher 


Solche Blüte erhielt ſich in St. Gallen und anderen Schulen 
Ir 2 Generationen hindurch, oft ſo, daß der Lehrer einen ſeiner 
8 zu ſeinem Nachfolger ausbildete — oftmals aber wechſelten 
5 2 gerade die gefeierten Lehrer ſelbſt den Ort. Magdeburg, Lyon, 
8 Bay, Tournay waren im 10. Jahrhundert geprieſene 

Den größten Ruhm hatte damals aber Reims unter 


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Petrus Damiani, der als Bertreter der Uebergangspetiode befonders 
1 —— 4 Pop, «1. Cajetanus 1642, Paris. III. 318) die Wanderung 
denen aer. Os der Kleritus, der mit feiner Dirne der Nachbar von Petrus 
Dana mar, dds biefer in Parma artes liberales ſtudierte, ebenfalls Scholar 
, u ict deutlich. Sonſt würde fein Treiben ein pafiendes Beifpiel zu den 
Allgemeinen Schilderungen bilden. 

V Selinanbub. Seine Magen über iht Leben Migne 212, p. 613. 


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122 Berengar von Tours. Frodo. 


Gerbert. Aus allen Landen kamen die Scholaren herbei. Mit ihm 
begann die Periode, in welcher Frankreich als der Hauptſitz des 
Studiums galt. Sein Schüler Fulbert machte Chartres berühmt, 
dort war Berengar von Tours ſein Schüler, der vorher in Paris 
Dialektik ſtudiert hatte. Berengar verblieb in Chartres, bis Fulbert 
ſtarb. Dann trat er in Tours als Lehrer der Grammatik auf, 
eröffnete darauf in Paris ſeine Schule der Dialektik, welche ſeinen 
Ruhm durch alle Lande trug, bis Lanfrank in dem Kloſter Beccum 
bei Rouen noch größeren Erfolg hatte. Aus Italien kam Anſelm 
und wanderte durch Burgund und Frankreich von einer berühmten 
Schule zur anderen, bis er in Beccum blieb und Lanfranks größter 
Schüler und dann ſein Nachfolger wurde. Dann warf ſich Berengar 
auf die Theologie, aber ſein Gegner Lanfrank folgte ihm auf dies 
Gebiet, bezichtigte ihn der Häreſie und wußte die unterſuchenden 
Konzilien für ſeine Auffaſſung zu gewinnen. 

In Paris war unter den Schülern Berengars Frodo. Dieſer 
lehrte in Paris, in Angers und anderen Städten Frankreichs mit ſo 
großem Erfolg, daß er unter glänzenden Bedingungen nach England 
berufen wurde, wo er ſtarb. Baldrich von Dol, der damals als 
Dichter gefeiert wurde, ſchrieb ihm folgenden Nachruf: 

Frodo, quid prodest te nosse profunda librorum, 
Nocte dieque tuus tritus Aristoteles, 

Fabula Nasonis tibi quid tot adhaesit in annis, 
Quid tibi nune Cicero, Statius atque Maro? 


Haec tibi, Frodo, simul spondebant aurea secla 
Attamen ista simul abstulit atra dies ). 


Frodo war recht ein Vertreter jener Magiſter, die aus dem Unter⸗ 
richt ein Gewerbe machten. Manche empfingen die Weihen, andere 
nicht. Um 1100 ernährte in Flandern ein Magiſter Gunfrid Weib 
und Kind vom Ertrag feiner Schule), und ſein Bruder Robert 
eröffnete ebenfalls eine Schule, hatte großen Zulauf und wurde 
gerühmt, daß er von den Armen keine Bezahlung nahm. 


) Migne, Patres latini Nro. 166 p. 1190. H. Pasquier, Baudri, Un 
poste latin du XIe siècle, Aurea te tandem spes invitavit ad Anglos ſagt 
er in einem anderen Gedichte. Bgl. auch Dr. O. Leiſt, Der Antielaudianus des 
Alanus ab Insulis, 

) Wharton, Anglia sacra II, 299 f. 


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Warin. 123 


Jiooeelin de Brakelonda erwähnt!) eine engliſche Magiſterfamilie, 
in welcher der Sohn nach dem Vater aus dem Schulehalten ein Gewerbe 
machte. Aus einer Bürgerfamilie von Canterbury *) ging eine Reihe 
von Gelehrten hervor, die ſchließlich das Kloſter von St. Albans in 
ihre Gewalt brachten. Zwei Brüder, Matthäus und Warin, hatten 
ſich in der Heimat den Ruhm von tüchtigen Gelehrten erworben und 
gingen dann etwa um 1150 oder 1160 zur Vollendung ihrer Studien 
nach Salerno. Dort erlangten ſie einen gewiſſen Namen in der 
Medizin, hielten auch Vorleſungen, ebenſo ihr Neffe Warin, der dort 
ftllanoniſches Recht ſtudierte und vortrug. Nach einigen Jahren be: 
drei zuſammen mit zweien ihrer ſalernitaniſchen Schüler 
das Gelübde abzulegen. Bis dahin waren ſie Laien. 
zurüd und führten den Vorſatz aus, nur der Kanoniſt 
Neffe, blieb Laie. Der andere Warin wurde bald zum 
und beim Tode des Abtes auch zum Nachfolger desſelben. 
gab er dann ſeinem Bruder Matthäus und die Kloſter⸗ 
burgo) dem Neffen ?), unter deſſen Leitung fie zu einem der 
Mittelpunkte der Studien in England wurde. 
„Biſchöfe und andere hochmögende Herren beriefen hervor: 
ragende Gelehrte an ihre Klöſter und Kirchen, in ihre Städte, oder 
luden ſie zu Gaſt und baten, daß ſie daſelbſt eine Zeitlang Vor⸗ 
leſungen hielten. Bernhard von Clairvaux bemühte ſich jo für den 
Engländer Nobertus Pullus von ſeinem geiſtlichen Oberen Urlaub 
zu erwirken, damit er in Paris die orthodoxe Lehre verkündige und 
einer von Bernhard gefürchteten Richtung entgegentrete. Häufig ver⸗ 
ließen dieſe Magiſter auch aus perſönlichen Erwägungen den Ort 
und 
folgte 


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a ihre Schule an einem anderen. Bei ſolchem Wechſel 
n Lehrer oft ein Teil der Schüler, und wenn der Lehrer 
uc eine beſtehende Kirchen- oder Kloſterſchule übernahm, welche für 
die Schüler feſte Ordnungen hatte, jo bildeten Schüler und Lehrer 
1 — 


J Camden Society Nro. 13, 1840, p. 32. 
N Gesta abbatum 8. Albani, ed. Riley I, 195 fl. Garinus ... natalia 
irabens ex vulgaribus burgensibus solis emolumentis denariorum qualiter- 

b EL ange inhlantibus ... Habuerunt ... nepotem, magistrum videlicet Garinum. 
ie Deeretis leciorem nominatissimum ... Hi tres quanquam seculares ... 
. et duo Corum diseipuli et socii Fabianus et Robertus de Salerno voverunt, 
8 N x se fore 8. Albanum habitum religiosum suscepturos. 
1 * | J Siche die Bortiegung der in voriger Note angeführten Stelle. 


124 Schulkämpfe. 


eine Genoſſenſchaft. Wo ſich zwei ſolche Schulen Konkurrenz machten, 
entſtanden lebhafte Streitigkeiten. In der erſten Hälfte des 11. Jahr⸗ 
hunderts wurde Odo, der in Toul lehrte, nach Tournay berufen 
und hob in wenigen Jahren den Ruf der Schule ſo, daß ihr nicht 
bloß aus Flandern und Frankreich, ſondern auch aus Sachſen, Bur⸗ 
gund und Italien Schüler zuſtrömten, und die ganze Stadt von ihnen 
erfüllt war. Odo war Realiſt !), in der Nähe leitete aber ein ge 
wiſſer Raimbertus eine Schule in nominaliſtiſchem Sinne, und der 
Streit der Gegenſätze erfüllte die Schüler. Die Aufregung ſtieg ſo, 
daß einer eine Art Gottesurteil ſuchte, indem er einen Taubſtummen 
fragte. Und nun wird erzählt, daß der Stumme ihn plötzlich ver⸗ 
ſtand und durch Zeichen kundgab, Odo habe die rechte Lehre, Raim⸗ 
berts Reden ſeien nichts als Wortſchwall (Raimberti lectionem 
nonnisi verbosam esse loquacitatem). Es muß in der ganzen Gegend 
damals ein ſtarkes wiſſenſchaftliches Leben geherrſcht haben, denn 
neben jenen beiden werden auch noch andere Lehrer erwähnt und 
zugleich, daß der wiſſenſchaftliche Kampf oft nur den Vorwand bildete 
für den Neid, mit dem ſie des Odardus große Erfolge ſahen. Dieſe 
Schulkämpfe erregten in den maßgebenden Kreiſen der damaligen 
Geſellſchaft große Teilnahme, gewannen leicht eine allgemeinere Be⸗ 
deutung, verwickelten ſich mit Perſonenfragen bei Wahlen zu den 
großen Kirchenämtern u. dergl. und wurden mit einem Aufwande 
von Mitteln und Intriguen geführt, der einen Maßſtab gibt für 
den Eifer, der in dieſem Treiben herrſchte. In ſolchem Kampfe ver⸗ 
ließ Wilhelm von Champeaux den Lehrſtuhl in Paris, dem er und 
der ihm ſeinen Ruhm verdankte, legte das Kloſter St. Victor bei 
Paris an und wechſelte dann noch zweimal den Ort ſeiner Schule, 
je nachdem ihm der Boden hier oder dort günſtiger erſchien, um den 


) D'Achery, Spicilegium II, 889. Erſte Hälfte des 11. Jahrhunderts. 
Primo in urbe Tullensi scholasticos docuit, deinde a canonieis B. Marine 


Tornacensis urbis evocatur, scholae eorum magister constituitar ... (Odo) 
„in re“ discipulis legebat, unde et magister Rainbertus, qui eodem tempore in 
oppido Insulensi dialecticam clericis suis „in voce“ legebat, sed et allt 
quamplures magistri ei non parum invidebant et detrahebant suasque 
lectiones ipsius meliores esse dicebant, quamobrem nonnulli ex clericis 
conturbati cui magis erederent haesitabant, quoniam et magistrum Odardum 
ab antiquorum doctrina non diserepare videbant, und doch gern etwas Neues 
wünſchten. Folgt die Erzählung von dem Taubſtummen. 


Ortswechſel der Lehrer. 125 


jegner zu bekämpfen. Aehnliche Ortswechiel aus taktiſchen Gründen 
geit das Leben ſeines Gegners Abälarb und anderer Magiſter. Be 
anders gefährlich wurden derartige Streitigkeiten, wenn fie von dem 
biete der Logik auf das der Dogmatik übertragen wurden. Da 
AJanhlreiche und einflußreiche Männer geneigt waren, in jedem Dialek 
ler einen Ketzer zu ſehen, jo konnte der gefränfte Ehrgeiz des fiber: 
flagelten Gelehrten leicht mächtige Bundesgenoſſen finden, um den 
ſiegreichen Gegner mundtot zu machen. Beiſpiele bieten die Schid: 
ſüale Abalards und des Gilbertus Porretanus. So ergebene Söhne der 
Kirche wie der Biſchof Otto von Freiſingen und der mutige Vorkämpfer 
N die * des Thomas Becket, Johannes von Salisbury, waren 
der Meinung, daß bei Gilberts Prozeß der Gelehrtenneid die 
in die Worte ihres verehrten Lehrers hineininterpretiert habe, 
und 2 A die Maſſe der verurteilenden Stimmen nur aus Liebedienerei 
gegen den gefürchteten Abt von Clairvaux abgegeben ſei, der einen 
F Fre nicht los ließ, gegen den er ſich einmal entſchieden hatte ). 
2 von Poitiers, der gefeierte N, des Petrus Lombardus, 


111 7 


1 


Be. als „Nihiliſt“ verketzert“), weil er die Frage, ob im Sinne 
Be. 2 Schullogik von Chriſto das esse aliquid ausgeſagt werden könne, 
verneinte. Er faßte ſeine Erfahrungen von dem Treiben der Ge⸗ 
4 in dem traurigen Worte zuſammen: hoc vitio praecipue 
i laborant, quos saepe veritas intellecta offendit — offen- 
unus, quando alius bene dieit. Unde licet reclamante 
statim ei contradieit?). Das ift die Schwäche der Ge 
Anſtoß nehmen an der Wahrheit, die ein anderer 

So widerſprechen ſie denn ſofort, mag ihr Gewiſſen 
proteſtieren. Es handelt ſich hier nicht um die Frage, 
Grund hatten, in feiner Art der Erörterung eine 
ahr für die Kirche zu erblicken. Einer großen Zahl dieſer Philo⸗ 
gegenüber war * Sorge eines Bernhard von Clairvaux 


Teilt 
1 


Bernheim, Der Charakter Ottos von Freiſing und feiner Werte in 


= *) „Nichilianista.“ Bul. II, 404. Bon demſelben Walther, der Abalarb, 
* n nebſt Petrus von Poitiers und Guilbert de la Vortec als die 
der Labprinthe Jrankreichs bezeichnete. Bulseus II. 402 f 

J Den inweis auf dieſe Stelle verdanke ich Deniſle XXVII. 


we 


126 Abälards Wanderung. 


und der Victoriner ohne Zweifel berechtigt: es gilt aber die Stärke 
der litterariſchen Bewegung und die Bedeutung der Intereſſen, welche 
an dieſelben geknüpft waren, zu erkennen, um die rechte Vorſtellung 
zu gewinnen von dem Treiben an den Schulen, vorzüglich an den 
Schulen Frankreichs, im beſonderen Nordfrankreichs, das ſeit dem 
12. Jahrhunderte vorzugsweiſe der Sitz des kirchlichen und wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Lebens war). Mit Frankreich ſtand England in leb⸗ 
hafter Verbindung, die Normandie bildete den Uebergang, in poli⸗ 
tiſchen wie in wiſſenſchaftlichen Dingen. Die Schule vom Kloſter Bee 
bei Rouen wurde die Vorläuferin von Chartres und Paris, und die 
Leiter jener Kloſterſchule, Lanfrank und Anſelm, wurden nacheinander 
auf den erzbiſchöflichen Thron von Canterbury berufen ). Das Leben 
Abälards “) gibt ein Bild von dem erregten Leben, das dieſe Lande 
erfüllte. In einem Briefe an Heloiſe berichtet er ſelbſt über ſeine 
Laufbahn“). Als junger Menſch von ungefähr 23 Jahren kam Abä⸗ 
lard um 1102 nach Paris. Er hatte ſchon viele Schulen beſucht, 
dem Rufe der Lehrer folgend; nach Paris zog ihn die dortige Blüte 
der Dialektik, vor allem der Ruhm des Guillaume de Champeaux ). 
Dieſer freute ſich zunächſt des begabten Schülers, aber als ſich ihm 
Abälard bei den Disputationen überlegen zeigte und vermutlich in 
ſeiner Eitelkeit rückſichtslos und anmaßend auftrat, da begann er ihn 
zu haſſen, und bald konnte er ſich rächen. Abälard verſuchte ſelbſt eine 
Schule zu gründen und hatte in Melun bereits einen geeigneten Raum 
ausgewählt, als Guillaume de Champeaux ihm denſelben durch irgend 
welche Mittel zu entziehen wußte. Einige von den Großen des Landes 


) Die normänniſche Geiſtlichkeit hat ſich auch bei Stiftung der Kollegien in 
Paris beſonders reich beteiligt. 

) Anſelms Vita hat Johannes von Salisbury geſchrieben. 

) S. M. Deutſch, Peter Abälard, Leipzig 1883. S. 27 über die frühere 
Litteratur. 

) Der Brief bildet eine förmliche Abhandlung und wird gewöhnlich als 
Historia calamitatum bezeichnet. Petri Abaelardi opera, ed. Cousin, tom. I. 
Migne 178, ep. 1. 

) Dieſer gefeierte Gelehrte war Archidiakonus der Domkirche und hatte 
zugleich die Leitung der Domſchule. Noch war es alſo in Paris nicht fefte Regel, 
daß die Domſchule dem cancellarius des Kapitels unterſtand. E. Michaud, 
Guillaume de Champenux et les &coles de Paris au XII“ sidcle, Paris 1867, 
war mir nicht zugänglich. 


Abälards Wanderung. 127 


nahmen ſich dann aber Abälards an, und geftügt auf deren Schutz 
eröffnete er die Schule und hatte ſolchen Erfolg, daß der Glanz der 

Bariier Schule des Wilhelm von Champeaux erblich. Um ihr noch 
e Konkurrenz zu machen, verlegte Abalard ſeine Schule nach 


Date der Vorſteher der Domſchule über die Schulen der Diozeſe zu 
1 gehabt, jo hätte Wilhelm von Champeaur dem Abälard 
8 unterſagt, und hätte er wenigſtens befragt werden müſſen, 
bei dieſer Frage der Kampf entſponnen. Aber davon 
keine Rede. Ebenſo würde dann in Melun die Entſcheidung bei 
Erzbiſchofe von Sens, oder feinem Scholaſter geſtanden haben. 
aber nicht der Fall. 
In Corbeil erkrankte Abälard und mußte einige Jahre in ſeiner 
Heimat (bei Nantes) zubringen, um feine Geſundheit wiederherzu— 
ſtellen. Unterdeſſen hatte ſein ehemaliger Lehrer das Kloſter St. Victor 


. 3 noch einmal unter ſeine Schüler. Aber bei den Disputationen kam 
e wieder zu einer Niederlage des Lehrers, er mußte ſogar in einer 
entſcheidenden Definition feine Anſicht nach den Ausführungen Abä⸗ 
lllarde ändern. Dieſe Disputationen in der Schule zu St. Victor 
erregten allgemeine Aufmerkſamkeit, viele kamen aus den anderen 
den gewandten Sprecher zu hören, und der Leiter der Dom⸗ 
bot ihm ſeinen Lehrſtuhl an und miſchte ſich ſelbſt unter die 
aume de Champeaux wußte nun (direkt oder indirekt 
den er ſelbſt zu ſeinem Nachfolger erwählt hatte, 
zu entziehen und einem Rivalen Abälards zu geben, 
Abälards Recht, in dieſen Räumen zu leſen, 
wieder nach Melun und eröffnete daſelbſt eine 
Erfolg, aber als ſich nicht lange danach 
mit ſeiner Schule aus St. Victor nach einem 
entfernteren Ort zurückzog, kam Abälard alsbald mit 
nach Paris, und da in den Räumen der Domſchule 
gebot, ſo ſchlug er „das Lager ſeiner Schule auf dem 
auf, gleichſam um den zu belagern, der ſeine 
der Domſchule eingenommen hatte“. Auf dieſe Nachricht 
ume de Champeaux mit ſeiner Schule wieder nach Paris, 


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128 Abälards Schulkrieg. 


„um feinen Mann von der Belagerung zu befreien“ ). Nun entſtand 
ein Schulkrieg mit kecken Behauptungen und ſpitzfindigen Definitionen. 
Die Scholaren des einen erhoben ſich in den Vorleſungen und Dis⸗ 
putationen des anderen, und die Schulhäupter ſtritten in der vorderſten 
Reihe. Wie einen Kampf der Griechen und Trojaner ſchildert Abä⸗ 
lard !) dieſe Wortgefechte, und wenn man einerſeits daraus abnehmen 
kann, daß er auch nach Griechen⸗Art die Größe ſeiner Thaten ver⸗ 
herrlicht haben wird, ſo iſt doch noch wichtiger, daß er ſie überhaupt 
ſo ſchildern konnte. Es iſt eben das Zeichen dieſer Schulen, daß 
die Disputation den Mittelpunkt bildete, und von vielen gilt das 
Wort, daß ſie vorzugsweiſe ſtudierten, um in der Disputation Siege 
zu erfechten. Wir haben hier ein Gegenſtück zu den Kämpfen der 


Nachbarſchulen von Tournay und Lille. Abälard löſte ſeine Schule 


jedoch wieder auf (um 1113), weil er in die Heimat zurück mußte, 
und von da begab er ſich nach Laon, um bei Anſelmus, dem be⸗ 
rühmten Scholaſter der dortigen Domſchule, Theologie zu ſtudieren. 
Die Schule von Laon hatte in den letzten Dezennien des 11. Jahr⸗ 
hunderts einen ähnlichen Ruf, wie ihn Paris durch Guillaume de 
Champeaux und noch mehr durch Abälard gewann. Abälard fühlte 
ſich jedoch in ſeinen Erwartungen getäuſcht, ſtatt der Gedanken er⸗ 
hielt er leere Worte, Anſelm ſchien ihm einer von denen, die, „wenn 
ſie ein Feuer anzünden, zwar das Haus mit Rauch erfüllen, aber 
nicht mit Licht erhellen“ ?). Da er nun ſeltener in den Vorleſungen 


) Historia calamit. (ep. 1 bei Migne Nro. 178). Sed quis ut diximus 
locum nostrum (an der Domſchule) ab aemulo nostro fecerat oceupari — 
extra civitatem in Monte 8. Genovefae scholarum nostrarum castra 
posui. — Post reditum vero magistri nostri ad urbem, quos conflictus 
disputationum scholares nostri tam cum ipso quam cum diseipulis ejus 
habuerint et quos fortuna eventus in his bellis dederit nostris, imo mihi 
ipsi in eis, te quoque res jamdudum edocuit. Illud vero Ajacis et tem- 
perantius loquor et audacter proferam: si quaeritis hujus fortunam pugnae, 
non sum superatus ab illo. Die Kloſterſchule von S. Genoveſa iſt nicht zu 
verſtehen unter der Schule in Monte S. Genovefae, in welcher Abälard lehrte. Er 
gründete eine Schule im Gebiet des Kloſters. 

) An Anſelm dachte Abälard auch wohl bei dem bezüglichen Abſchnitt der 
Monita ad Astralablum. Migne Nro. 178, p. 1759. Hier wie für den Kampf 
mit Wilhelm von Champeaux find wir auf Abälards Darſtellung angewieſen, die 
ſicher nicht unbefangen iſt. Aber darauf kommt es hier nicht an, die Schuld der 
Gegner abzuwägen, ſondern die Verhältniſſe zu erkennen, in denen fie ſich 
bewegten. 


> ” N E Bu. 8 
u 2 5 9 n. 
N. f 
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Abälard in Kaen. 129 


erſe kam es zu Reibereien mit den ergebenen Schülern, und bei 
ener ſolchen Gelegenheit ſagte Abalard, wenn man wiſſenſchaftlich 
geeſchult ſei, jo müſſe man auch, ohne ſpeziell Theologie ftubiert zu 


2 haben, die Texte der theologischen Schriften mit Hilfe der Gloſſen 
gu erflären imftande ſein, man bedürfe dazu nicht erſt beſonderer 
Anleitung eines Lehrers. Da man bezweifelte, daß dies möglich 


und daß im beſonderen Abälarb imſtande ſei, ſofort als Lehrer der 
4 aufzutreten, qui nondum nisi in physicis studuerat, jo 
erbot er ſich, es zu beweiſen, und man beſtimmte ihm den ſchwierigen 
Text des Propheten Ezechiel. Es war alſo ein Scherz, ein Disput, 
vielleicht beim Becher, was den Abälard veranlaßte, als Lehrer der 
Theologie aufzutreten. Und es war dies ferner möglich, ohne weitere 
Formalitäten zu erfüllen, denn unmittelbar am folgenden Tage En 
begann Abälarb die Vorleſung und unter ſteigendem Zulaufe. Sein 
. 2 aber war darüber erzürnt und verbot ihm, in ſeiner 
Schule die Vorleſung fortzuſetzen. Er begründete den Schritt mit 


pet 


1 gi dem Borwande, daß man es ihm zum Vorwurfe machen könne, wenn 
Aͤ'balard aus Unkenntnis etwa Irrlehren vortrage. Abälard machte 


BE leinen Verſuch, in einem anderen Haufe der Stadt oder Vorſtadt 
deine rivalifierende Schule zu eröffnen, wie er es in Paris einſt unter: 
nommen hatte!), ſondern er verließ Laon und begab ſich nach Paris, 
wo ihm eine bereits beſtehende Schule) übergeben wurde, die er 
dann mehrere Jahre mit großem Ruhme leitete. Er hatte große 
Einnahmen) und lebte und lehrte ohne jeden amtlichen oder 
Möfterlihen Zwang, auch ohne von einer Behörde beaufſichtigt zu 

Da ihm ein vornehmer Mann den Auftrag erteilte, ſeine wegen 


ihrer Schönheit und wegen ihres Geiſtes gefeierte Nichte zu unter: 
lichten, übernahm er es neben feiner Thätigkeit unter den Scholaren. 


Auch hierbei hatte er keine Erlaubnis einzuholen und keine Rüge zu 


Joes wird nicht deutlich, ob Verbot fi auf die Räume der Domſchule 

n bie Befigungen der Kirche bezog, oder auf die ganze Stadt Laon, noch 
weniger, ob ein derartiger Anſpruch durch Tradition begründet war. Der Mus: 
drut in 2 bedeutet zunächſt die Räume, in denen Anſelm als Wagifter 
ebenio in einem Briefe Alexanders III. Bulaeus II. 370. 

Os e bie Kathedralſchule war, ift mindeſtens zweifelhaft. Ueber bie 
feiner richt er Histor. calam. c. 5. Den Erfolg feiner 


wi 75 — preift mit Uberſchwenglichen Worten ein Zeitgenofie bet Cousin in Opp. 
* erlard I. 708. 


ö 15 3 Steen der deutschen Urterrü taten. 1. 9 


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130 Abälards Kataftrophe. 


fürchten, er konnte ſeine Thätigkeit nach ſeinem Belieben geſtalten; aber 
dieſe Beziehung führte die Kataſtrophe ſeines Lebens herbei, die er 
ſelbſt mit jener Dreiſtigkeit geſchildert hat, die in Auguſtins Kon⸗ 
feſſionen ihr geprieſenes Vorbild findet. Die ſchöne Heloiſe war eine 
glänzende Schülerin, bald aber auch die Geliebte des geiſtvollen 
Lehrers, der von der Bewunderung der Zeit getragen wurde und 
in ſeiner Eitelkeit und ſeinem Uebermute keiner Begierde ſeiner ver⸗ 
wöhnten Perſönlichkeit eine Schranke ziehen zu müſſen glaubte. Als 
Heloiſe einen Sohn gebar, beruhigte Abälard die erzürnten Ver⸗ 
wandten derſelben zunächſt dadurch, daß er eine rechte Ehe mit 
ihr ſchloß. Daß es möglich war, zeigt zugleich, daß Abälard 
ſeine bisherige Gelehrtenlaufbahn als Laie gemacht hatte, ohne prieſter⸗ 
liche Weihen empfangen oder Mönchsgelübde abgelegt zu haben. Allein 
der eheliche Stand ſchien doch zu ſeiner Stellung als Lehrer der gött⸗ 
lichen Dinge nicht zu paſſen und jedenfalls die große kirchliche Lauf⸗ 
bahn, die Abälard erwarten konnte, zu hindern. Deshalb wollte 
Heloiſe ſelbſt, daß die Ehe heimlich gehalten werde, und nahm ſogar 
den Schleier, um ſie aufzulöſen. Das war aber gegen die Meinung 
ihrer Verwandten, und dieſe ſuchten nun Rache an dem unglück⸗ 
lichen Abälard, überfielen und entmannten ihn. Er überſtand die 
Verletzung, zog ſich aber in das Kloſter St. Denis zurück und gewann 
als Lehrer und Schriftſteller aufs neue großen Ruhm, aber auch 
leidenſchaftliche Gegner. Dieſe wußten es auch durchzuſetzen, daß er 
von einer Synode in Soiſſons 1121 als Ketzer verurteilt und ſchweren 
Demütigungen unterworfen wurde, aber noch einmal kam für ihn eine 
Zeit des Ruhmes. Als ihm geſtattet wurde, das Kloſter St. Denis 
zu verlaſſen, und er in einer Einöde im Gebiet von Troyes mit 
Erlaubnis des Biſchofs eine kleine Kapelle erbaute, da zogen ihm 
zahlreiche Schüler nach, mit denen er (um 1125) wieder eine Schule 
eröffnete. Die Kapelle ſtand ganz einſam, die Schüler mußten deshalb 
zunächſt in Zelten und Hütten wohnen, bald aber richteten ſie ſich 
behaglicher ein, denn auch an Stelle der aus Lehmwänden aufge⸗ 
richteten Kapelle bauten ſie eine ordentliche Kirche aus Steinen und 
Gebälk. Dieſer Kirche gab Abälard den Namen Paraklet und unter 
dieſem Namen iſt die Anſiedlung berühmt geworden. Die Schüler 
bildeten mit ihrem Lehrer eine Genoſſenſchaft, deren Formen nach 
der Sitte der Zeit und der Natur der Verhältniſſe gebildet waren, und 
Abälard rühmt, daß er ganz den Studien leben durfte. Die Schüler 


Das Sculregiment Abdlarbs. 131 


ein Gebiöt gibt nech Kunde von ber Art, wie Abälard 
bte. Unter jo zahlreichen lebhaften, ehrgeizigen jungen 


Reibereien nicht ausbleiben. Die Geſchichte aller dieſer 
mit Univerſitätscharakter ift voll davon. In einem ſolchen 
nun befahl Abälard, die Schüler ſollten in dem benachbarten 
1 wohnen, alſo wohl das gemeinſame Leben auflöfen, und drohte, 
er werde ſonſt aufhören, die Schule zu leiten. Der Dichter klagt, 
e ihnen Unrecht thue, es ſei nicht richtig, daß er der 
Bauern, eines bubulcus, eines servulus, jo vollen 


* Schicſale Abalards bilden die thatjählihe Erläuterung 
den Erlaſſen Papſt Alexanders. Er gründete Schulen, verlegte 
fie auf — ganz nach perſönlichem Gutdünken. Es zeigt 
f * freieſte Bewegung, und ſoweit nicht erworbene Rechte zu 

m waren, konnte ein Verbot des jus legendi nur herbeigeführt 
rden durch die Beſchuldigung der ſittlichen Unwürdigkeit oder der 
Im beſonderen zeigt ſich, daß in Paris dem Domſcholaſter 
andere Aufficht zuſtand, als über ſeine eigene Domſchule. 
Ende des 12. Jahrhunderts zeigt der Studiengang des 
Giraldus Cambrenſis im weſentlichen das gleiche Bild. Giraldus 
Cambrenſis, aus einer vornehmen Familie ſtammend, von der einen 
Seite engliſcher Abkunft, von der anderen walliſiſcher, brachte einen 
l Teil ſeines Lebens auf Schulen zu, teils in England ), teils 


5 Migne Nro. 178, p. 1855. 
Per impostum, per deceptorium 
Si negare vis adjutorium, 
Hujus loci non oratorium 
Nomen erit sed ploratorium. 
Tort avers nos li mestre. 


- #) Giraldus Cambrensis, De rebus a se gestis II. 24. Wharton, 
Anglis snera II, 496 K. Opera, ed. Brewer (in den Rerum Britannic, serip- 
tores) Bd. I. sub doctore peroptimo magistro Wilhelmo de Monte dieto, 
un in Monte 8. Genovefae Parisiis legerat. St. Genoveſa wurde erft 
R e Jahre ſpater in die Ringmauer von Paris hincingezogen, aber in Schul: 
er — zeigt, St. Genovefa zu Paris. Ich habe 


132 Giraldus Cambrenſis. 


in Paris. Er bekleidete hohe Kirchenämter, wurde mit wichtigen 
politiſchen und kirchlichen Aufgaben betraut — aber dann zog er ſich 
immer wieder zu dem Leben der Scholaren zurück. Dreißig Jahre 
widmete er dem Studium des Triviums, der Grammatik, Rhetorik 
und Logik, und zwar ſo, daß er auch eine Zeitlang als Lehrer in 
dieſen Fächern auftrat, und in Paris „scholas publicas rexit*. Das 
gehörte zur Vollendung der Ausbildung und ſollte ihm gewiſſermaßen 
in der Heimat ſtatt der ſpäter auf Grund der Prüfungen verliehenen 
Grade dienen. So wurde der damalige Kanzler von Lincoln „de Monte“ 
genannt zur ehrenden Erinnerung, daß er in Monte St. Genovefae 
zu Paris!) gelehrt hatte, und „qui Parisiis scholas rexit“ iſt häufiger 
Beiſatz zur Auszeichnung. Dann wandte er ſich, dem Rate der Lehrer 
folgend, dem Studium der Theologie und des kanoniſchen Rechts zu, 
ſodann, als er nach einer praktiſchen Thätigkeit noch einmal nach 
Paris ging, ſtudierte er auch römiſches Recht. Die Scholaren hatten 
ähnlich wie nach der ſpäteren Regel der Univerſitäten Vorträge zu 
halten, und bei denſelben oder einigen derſelben pflegte die Zuhörer⸗ 
ſchaft nicht auf die Mitglieder der einzelnen Schule beſchränkt zu 
werden. Giraldus Cambrenſis erzählt, daß wenn es in der Stadt 
(Paris) bekannt wurde, daß er Vortrag halten werde, jo ſtrömten 
die Lehrer der verſchiedenen Schulen mit ihren Scholaren in ſolchen 
Maſſen herbei, daß das Haus trotz ſeiner großen Räume ſie kaum 
faſſen konnte. Eifrig hingen die Scholaren an ſeinem Munde und 
ſuchten die Erörterung über die Causa nachzuſchreiben. Sein Lehrer 
war Matthäus Andegavenſis, und als dieſer 1179 von Papſt 
Alexander III. zu dem Laterankonzil befohlen wurde, um als Kardinal 
in den Dienſt der Kurie zu treten, ſchlug er beim Weggang den 
Scholaren vor, daß ſie an ſeiner Stelle den Giraldus als Magiſter 


dies gegen die irrige und zu weittragenden Schlüffen benutzte Auffaſſung Denifles 
geltend gemacht in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1886, Februar. 

) De rebus a se gestis Lib. II, cap. 1 u. 2. Opera, ed. Brewer (7 Bde., 
1861-77) Bd. I, 45 f.: Quod die quo ipsum causari velle notum in urbe 
fuerat, tantus ad vocem ejus jucundam doctorum omnium fere cum scola- 
ribus suis concursus extiterat, quod vix domus amplissima capere poterat 
auditores ... Unde et causas eus omnes verbo ad verbum, sieut ab ore 
ipsius emanaverant, passim scribere scolares . . . contendebant. Ex teilt 
dann das Prooemium einer dieſer Causne mit. (Lib. II. 2.) Dasſelbe ift rein 
rhetoriſch, ohne Beziehung auf den Gegenſtand, dieſen bildet die Qunestio: 


e 


* 


Siraldus als Lehrer 133 


a N ſollten ). Sie ſtimmten freudig ein, Giraldus nahm es 
aber nur für einige Vorlefungen an, weil er zur Fortſetzung feines 
er. nach Bologna gehen wollte. Von der Mitwirkung 
des Kanzlers der Domſchule iſt dabei keine Spur, auch nicht von 
irgend einer anderen Behörde. Die Scholaren bildeten mit ihrem 
Lehrer eine Genoſſenſchaft, die über die Schule verfügte, fie löſten 
dieſelbe auf oder ſetzten fie fort). 
Die Lehrer an den Rechtsſchulen Italiens waren urſprünglich 
| die Mitglieder der ſtädtiſchen Richterfollegien. Sobald 
die Mitte des 12. Jahrhunderts die größere Blüte dieſer 
begann, erſchienen Lehrer, welche aus dem juriſtiſchen Unter⸗ 
Lebensberuf machten, wie das für die in Italien von 
war. Es zeigt ſich die freie Bewegung, das Wandern 
zu Ort, die Verbindung der Schüler mit dem Lehrer ähnlich 
Ri Schulen Frankreichs. Placentinus, der 1192 ftarb, 
ſen Thätigkeit alſo in dieſelbe Zeit fiel wie die des Giraldus 
zuerſt in Mantua, dann in Bologna). Hier 
einen wiſſenſchaftlichen Streit, ſein Gegner griff zur 
und überfiel ihn bei Nacht. Placentinus rettete ſich durch 


1 


72 
282 


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- 
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Bologna nach Frankreich verpflanzt worden, es fand in Orleans und anderen 

Orten felbftänbige Pflege. S. Fitting, Zur Geschichte der Nechtswiſſenſchaft im 

Mittelalter, in Zeitſchr. der Savignyſtiftung, Rom. Abt. Bd. VI 1885 u. Bd. VII, 
1086. wer die Erzählung des Giraldus zeigt auch, daß in Paris damals das 
ein anderes Beiſpiel bietet S. Lietberti vita (7 1076); fie iſt geſchrieben 
mm 12. Jahrhundert und wohl etwas nach den Verhältniſſen des 12. Jahrhunderts 
= aemobelt. In der Domſchule mirantibus magistris penetrans in labyrinthos 

ei 


! 
| 


—— Domiidule. Eine andere Form der Erzählung Mon. G. 88. VII. 489. 
bietet die Erzählung bei Bulaeus, Histor. 
Univ, Paris. II, 398. Ein Nagiſter hatte einen Traum, der ihn mahnt, für ſeine 
Schüler morgens zur Borlefung (ad matutinam 
I ihnen Lebewohl, verließ die Schule und begab 
ſſich zu den Ciſterctenſern. Bon einer Bchörde, der eine Anzeige zu machen wäre, 
8 int ritt deutlich . 


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* 


134 Placentinus Wanderung. 


die Flucht, kam nach Montpellier und hielt dort Vorleſungen über 
das römiſche Recht. Nach einigen Jahren kehrte er nach Bologna 
zurück, wo ihm eine mächtige Familie ihren Schutz lieh und ſo die 
Möglichkeit gewährte, aufs neue eine Schule zu eröffnen. Seine 
Vorleſungen fanden großen Beifall und erregten den Neid der 
anderen Profeſſoren. Nach zwei Jahren verließ er Bologna wieder 
und begab ſich in ſeine Vaterſtadt Piacenza. Viele Scholaren folgten 
ihm dorthin, und er ließ ſich bewegen, daſelbſt Vorleſungen zu halten. 
Nach vier Jahren löſte er aber dieſe Schule auf und ging zum 
zweitenmal nach Montpellier, wo er bis zu ſeinem Tode verblieb. 
Der größte Teil der Magiſter in Frankreich und Italien hatte 
alſo keinerlei Lehrauftrag und Lehrverpflichtung, ihre Thätigkeit war 
reine Privatſache. Viele laſen auch nur, um zu beweiſen, daß ſie 
in ihren Studien ſo weit gekommen ſeien, und traten gern wieder 
unter die Scholaren, wenn ein berühmter Lehrer ſie anzog. Es mag 
ſelten vorgekommen ſein, daß Magiſter, die eine fundierte Kirchen⸗ 
oder Kloſterſchule leiteten, ihren Lehrſtuhl wieder verließen, namentlich 
in der Weiſe wie der Nachfolger des Wilhelm von Champeaux, der 
den bisherigen Scholaren Abälard an ſeine Stelle treten ließ und 
ſich unter die Zuhörer ſetzte; aber daß es vorkommen konnte, zeigt 
die Freiheit der Bewegung. Und Abälard iſt ebenfalls wieder unter 
die Schüler gegangen, nachdem er als Magiſter mit größtem Erfolg 
geleſen hatte. Andere unterbrachen ihre Lehrthätigkeit einige Jahre, 
um ſie wieder aufzunehmen, wenn es ihnen bequem ſchien ), oder 
wenn die Aufforderung der wiſſenſchaftlichen Freunde eine erfolg⸗ 
reiche Lectura erwarten ließen. Auch das kam vor, daß Männer, 
die kein Vermögen hatten, einige Jahre als Lehrer thätig waren, um 
die Mittel zu erwerben, von denen ſie für weitere Studienjahre leben 
konnten). Alle begabten Scholaren traten wenigſtens in einzelnen 


1) Der Bologneſer Kanoniſt Tancred erzählt in der Vorrede feiner Gloſſe 
zur Compilatio tertia, daß er ſeine Vorleſungen aufgegeben und dann auf Bitten 
vieler wieder aufnahm. Den Apparat zur Compilatio tertia habe er nur aus⸗ 
gearbeitet, weil einige Scholaren die Bemerkungen, welche er teils als Hörer, teils 
als Lehrer in ſeinem Exemplar notiert hatte, ohne ſein Wiſſen bekannt gaben und 
unter Tancreds Namen in Umlauf brachten. Wiener Akad. Bd. 66, 1870, S. 124. 

) Gervasii epp. in (Hugo) Sacrae Antiquitatis Monumenta Stuvagli 
1725, ep. 57, p. 54, und ep. 58. Der Schreiber empfiehlt ep. 57 (Anfang des 
13. Jahrhunderts) einen Magiſter G., qui rexit scholas Parisiis aliquanto 


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Das Lehren ein Teil des Studiums. Erlaubnis des Grundberm. 135 


N Vorleſungen oder zeitweiſe als Lehrer auf, und der regelrechte 
Studiengang war ſo, daß man nicht eine der drei genannten oberen 
Fakultäten zu ſtudieren begann, ehe man nicht in den artes einige 
geit doziert hatte. Das Dozieren gebörte zum Studium und zwar 
in allen Fakultäten, im 12. Jahrhundert wie an den ausgebildeten 
Univerſitäten des 13. Jahrhunderts. Anjelms Aufenthalt in der 

N ſchildert ſein dieſer Dinge durchaus kundiger Bio⸗ 
graph!) mit den Worten: „Er lebte ganz den Studien, ohne Unterlaß 
Wer in einer ſolchen Schule neben dem 

Abt oder dem Biſchof, oder dem bevollmächtigten Kanoniker 
berufenen Magiſter auftrat, konnte es in der Regel nur mit deſſen 
Bewilligung, trotz jener von Alexander III. gefällten Entſcheidung, 
desſelben: aber wer für ſich auftreten 
der konnte ſeine Vorleſungen einrichten, wann und wie er 
„und bedurfte dazu keiner Erlaubnis als von dem Grundherrn, 
oder in deſſen Gebäude die Schule gehalten wurde. 
und auf dem Gebiete der Klöſter erteilte der Abt 
im Hauſe eines Bürgers dieſer Bürger, in den Räumen 
oder auf den Grundſtücken der Domkirche der Biſchof 
ſelben beſtimmter Kanonikus. Die anderen Kanoniker 
der Regel nicht gehindert, wenn ſie in ihren Häuſern 
nneren ſelbſt eine Schule eröffnen wollten oder einen 
fforderten. Die Kanoniker des Pariſer Kapitels übten 
Mitte des 13. Jahrhunderts neben der organiſierten 


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folgenden Brief wird 
t initiales expensas 


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7 intermissione aut diseit aut docet. 

— Ss auch die einzelnen Lehrer, welche von italieniſchen Städten berufen 
ober unterſtügt wurden. Ihnen wurde mehrfach die Bedingung geſteut, daß fie 
die Interpretation des angekündigten Buchs zu Ende führen (complere) follten. 


136 Die Zeit vor der Organiſation. 


hunderts zur universitas magistrorum et scholarium vereinigten, 
bildeten allein ſchon die Magiſter eine Korporation, die zu zahlreich 
war, um als ungeteiltes Ganze wirken zu können, und die ſich des⸗ 
halb nach Fakultäten und nach Nationen gliedern mußte. Mochten 
bis dahin ſchon einzelne untereinander durch Verträge oder durch 
feſte Gewohnheit und perſönliche Beziehungen miteinander verbunden 
ſein und zuſammenwirken, im ganzen beſtand keine Leitung und keine 
Aufſicht. Ein jeder ſuchte Schüler zu ſammeln und durch die Erfolge 
dieſer Schüler, ſowie durch Aufſehen erregende Disputationen über 
heikle Fragen Ruhm zu gewinnen, die Maſſen der Schüler anzulocken 
und Geld zu verdienen, oder in einträgliche Stellen und einflußreiche 
Kirchenämter berufen zu werden. Es gab alſo noch keine Schule von 
Paris, von Bologna, von Montpellier, ſondern zahlreiche Schulen 
ohne rechtliche Verbindung nebeneinander wirkender Gelehrten in 
Paris, in Bologna, in Montpellier u. ſ. w. 

Indeſſen beſtand doch von jeher eine thatſächliche Gemeinſchaft. 
Wenn in einer Schule eine ſchwierige oder verwickelte Frage verhandelt 
wurde, wenn ein begabter Schüler disputierte, dann kamen Schüler und 
Lehrer anderer Schulen herbei, um zu hören, vielleicht auch teilzu⸗ 
nehmen. Hinderte kein Statut, zu leſen über was man wollte, ſo beſtand 
doch ſchon vor Abälard eine Sitte, die einen gewiſſen Bildungsgang 
forderte“). Auch über Lehrbücher und andere Schriften ſuchte man 
ein gemeinſames Urteil herbeizuführen. Es gab noch keine amtliche 
Aufſicht über die Publikationen der Genoſſen und über die Richtigkeit 
der im Brauch befindlichen Exemplare der anerkannten Handbücher, 
wie ſie das 13. Jahrhundert in Paris und an anderen Univerſitäten 
entſtehen ließ, aber es beſtand die Sitte, neue Schriften den ver⸗ 
ſammelten Scholaren vorzulefen und fie jo gutheißen zu laſſen ). 


) Darum konnte ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er sine 
magistro als Lehrer der Theologie aufgetreten ſei. 

) Giraldus Cambrenſis in Oxford. De rebus a se gestis II. 16 (ed. 
Brewer, Bd. 1). Boncompagnus las feine Summa in Bologna und in Padua 
vor. Thurot, Extraits, S. 36: reeitatus et quidem fuit hie liber appro- 
batus et coronatus lauro Bononie ... 1215, 7 kal. apr. coram universitate 
professorum juris canoniei et civilis et aliorum doctorum et scolarium 
multitudine numeross, ... Item datus et in commune deductas fuit 
Padue ... in presentia . . episcopi .. . professorum .. . et scolarium 
Padue commorantium, 


Die Zeit vor der Organifation. 137 


Alles das find Zeichen, daß die Welt längſt den Begriff einer Schule 
von Paris, von Bologna, von Oxford hatte, ehe die hier wirkenden 


Sgholaren eine rechtliche Form der Gemeinſchaft, ein studium generale 
dm Rechtefinn, ausgebildet hatten. Es verſchwanden in der Ferne die 
3 Thatſachen, welche die einzelnen Schulen trennten, deutlich aber 


man dagegen die thatſächliche Gemeinſchaft im Geiſte, in der 


Methode, in der Gang der wiſſenſchaftlichen Arbeit. Es galt als 


ausgemacht, daß eine wiſſenſchaftliche Bewegung ſofort eine großere 
Bedeutung gewinne, wenn ſie nach Paris gebracht werde. Die Pariſer 
Schule war eine Autorität in wiſſenſchaftlichen Dingen, längit ehe es 
3 eine Pariſer Schule gab. Dasſelbe gilt von Bologna auf 

dem Gebiete der Rechtswiſſenſchaft). Für die Entſcheidung der 
dogmatiſchen Fragen, die damals noch im Fluß waren, die Lehre von 
der Transſubſtantiation, von der immaculata conceptio der Jungfrau 
Maria u. ſ. w. war es von großer Wichtigkeit, wie ſich die führenden 


Gelehrten und die Scholaren dazu ſtellten. Bei dem Bericht über 
die Verurteilung des Gilbertus Porretanus fügt Johannes von Salis⸗ 
buy hinzu ): „Und das iſt doch ſicher, daß vieles heute bei den 
Sccolaren allgemeine Aufnahme gefunden hat, was damals als pro⸗ 


me Neuerung erſchien.“ Bei dem wiederholten Schisma 1130 bis 
11838 und 1159—1178 hat die Haltung der Pariſer Scholaren große 
Bedeutung für die Entſcheidung gehabt, ebenſo bei dem Streit des 
Papſtes mit dem Biſchof von Paris und weiter bei dem Streit des 
Biſchofs mit dem Erzbiſchof von Sens und mit ſeinen im 12. Jahr⸗ 


Als ferner König Heinrich II. 1169 ſeinen Streit mit dem Etzbiſchof 


Ei 


Thomas Bedet beizulegen wünſchte, erklärte er, ſich der Entſcheidung 
| der Pariſer Scholaren unterwerfen zu wollen?). Sehr wichtig war 


eine beſondere Methode vor den 


een Schulen voraus. Die Methode der Gloſſatoren ſcheint zwar zuerſt in 
hatte 


fie auch in Piacenza, Modena, 


Bologna 
Montpellier u. |. w. die glängendften Vertreter, wie Pillius, Placentinus, Roffred u.a. 


r 


. licher biefen Borſchlag bes Königs berichtet einmal Thomas Becket ſelbſt 


5 in einem Briefe an * von Sens (Recueil des historiens des Gaules 


XVI. 899) und fagt nur: den Scholaren von Paris; Kadulfus de Diceto (Opera, 


138 Die Notwendigkeit einer Organiſation. 


ferner die Stimmung und Haltung der Scholaren für die Entwick⸗ 
lung und den Kampf der Orden, ſowie der allerorten auftauchenden 
Ketzerei. In dem Weltkampf endlich zwiſchen Kaiſer und Papit hatten 
die Gegner Barbaroſſas eine bedeutende Stütze an der hierarchiſch 
geſinnten Wiſſenſchaft, und Barbaroſſa fand andererſeits in den römiſch⸗ 
rechtlichen Lehren der Schule von Bologna fernerhin wirkſame 
Waffen. 

Es war unmöglich, daß unter ſolchen Umſtänden die Schulen an 
dieſen Orten in der regelloſen Freiheit der Privatſchulen blieben. 
Der Begriff einer Schule von Paris und Bologna, der ſich in der 
Welt gebildet hatte, der eine Autorität war, in wichtigen Fragen 
Entſcheidung brachte, forderte notwendig die Bildung von Ein⸗ 
richtungen, in denen die vielen Schulen in Paris u. ſ. w. eine Ver⸗ 
einigung fanden. 

Dazu kam die geiſtige Aufregung der Zeit, die oft beklagte 
Unruhe, welche namentlich die durch eigene, allmählich reifende Ge⸗ 
danken nicht geſtörte Mittelmäßigkeit empfand, ſich nun auch vom 
Katheder hören zu laſſen. Es bedurfte der Maßregeln, wie ſie dann 


ed. Stubbs in den Rerum Britann. Seriptores, 1876) I, 337 jagt dagegen: 
scolaribus diversarum nationum. Denifle meint S. 811, Thomas Beckets 
Brief beweiſe, daß König Heinrich die Worte diversarum nationum nicht hin⸗ 
zugeſetzt habe. Allein der Brief des Thomas Becket macht durchaus nicht den Ein⸗ 
druck, als gebe er eine in das einzelne genaue Wiederholung der Worte des Königs, 
es iſt ein allgemein gehaltener Bericht, bei dem die für die Sache gleichgültigen 
Worte diversarum nationum leicht wegfallen konnten. Wurden die Pariſer 
Scholaren zum Schiedsſpruch aufgerufen, jo kamen Scholaren ſehr verſchiedener 
Völker zum Urteil, wenn man nicht abſichtlich Scholaren einer beſtimmten Nation 
ausſuchte. Die letztere Abſicht hätte notwendig beſonders angemerkt werden müſſen, 
scholares Parisienses ohne Zuſatz waren dagegen nichts anderes als scholares 
Parisienses diversarum nationum. Auf keinen Fall aber darf man die Worte 
des Rabulfus de Diceto: diversarum nationum verdächtigen, weil fie in jenem 
Brief fehlen. Rabulfus de Diceto hat feine Kunde nicht aus jenem Brief geſchöpft, 
er lebte in den Kreiſen und hat an dieſen Kämpfen einen Anteil gehabt. Denifles 
Erörterung S. 811 trifft in dieſer Beziehung nicht das Richtige. Aus Nadulfus 
de Diceto iſt die Angabe in Matthäus Pariſienſis übergegangen, Chronica 
Majora, ed. Luard (Rerum Brit. Script.) II. 268, der natürlich für dieſe Unter: 
ſuchung nicht in Frage kommt. Falſch iſt es, aus dieſer Stelle ſchließen zu wollen, 
daß damals bereits diejenige Einteilung nach Nationen beſtanden habe, die im 
13. Jahrhundert herrſchte. Landsmannſchaftliche Verbindungen wird es wohl 
gegeben haben, aber fie waren jedenfalls noch loſe und flüffig. 


. 


r 


Die Notwendigkeit einer Organifation. 139 


5 „. in den Vorſchriſten für die Prüfungen und für die Verleihung 


ber Grade, in den Regeln de modo legendi u. ſ. w. oder in ber 
. Innocenz' III. gegeben wurden, welche die Zahl der 


Lehrer der Theologie in Paris beſchränkte. Diefes Dekret wurde 
ausdrücklich begründet mit dem Hinweis auf die Gefahr, die darin 
liege, wenn zahlloſe Lehrer aufträten, die Ehre des Amtes gemein 
machten und durch die Konkurrenz ſich verlocken ließen, um die Gunſt 


der Hörer zu buhlen oder ſonſt ihrer Würde zu vergeſſen “). 


3. Die Schulzucht und die allademiſche Freiheit. 


Dieſe Antriebe zur Ausbildung genoſſenſchaftlicher Ordnungen 
wurden verſtärkt durch die Bedürfniſſe, welche aus der an den be⸗ 


rühmen Schulen des 12. Jahrhunderts meiſt ſchon herrſchenden 


Ungebundenheit des Scholarenlebens erwuchſen. Dieſe Freiheit brachte 


den Scholaren um ſo größere Gefahren, als in den alten Kirchen⸗ 
und Kloſterſchulen eine harte Zucht gehandhabt und den Schülern 


keinerlei Selbständigkeit geſtattet worden war. Zwar herrſchte nicht 
überall die gleiche Ordnung. In manchen Klöftern wurden die Schüler 
an gewiſſen Tagen ſogar ohne beſondere Verſchuldung ſchwer mit 
Ruten geihlagen?), und die Züchtigung überſchritt oft jedes Maß, 
in anderen milderte der geſunde Sinn und die Freundlichkeit des 


leitenden Abtes oder des Lehrers auch die harte Vorſchrift — 


Das iſt doch wohl der Sinn der Worte: decens est, ut ipsorum (Theologiae 


wsgistrorum) numerositas reformetur, ne forsitan propter onerosam multi. 
Mmdinem, quse nihil habet honesti, vel vilescat eorum officium vel minus 


 eomposite impleatur . . . firmiter inhibemus, ne Parisius magistrorum Theo- 


logiae numeras octonarium transcendat, nisi forte multa utilitas et neces- 
sitas hoc exposecat. Jourdain Nro. 6. 1207. Bulaeus III. 36. 
Specht 210 f. erinnert dabei mit Hecht an die Geißelung der jungen 


Spartaner am Altar der Artemis Orthia. Andere Beifpiele der Härte wie ber 


Nude cbendafelbſt 213 f. 
| ’) Schannat, Historia episcopatus Wormatiensis 1734, II. 129 teilt 
ine Wormjer Cgulorbeung von 1200 mit, welche den Schülern zum Shut 


140 Die ängſtliche Aufſicht. 


Grammatik wurde den Anfängern vielfach mehr eingebläut, als zum 
Verſtändnis gebracht!). Die Scholaren hatten ferner zahlreiche reli⸗ 
giöſe und asketiſche Uebungen zu machen, und es herrſchte ängſtliche 
Aufſicht und ſtrenge Regel für alle, auch die unbedeutendſten Hand⸗ 
lungen. Eigene Wächter, die Cirkatoren, hatten ſie beſtändig zu be⸗ 
obachten, und ein Knabe mußte ſogar die Uebertretungen des anderen 
anmelden, die dem Auge der Cirkatoren entgangen waren. Selbſt 
beim Spiele, in den kurz gemeſſenen Erholungspauſen, fehlte ihnen 
das unentbehrliche Maß der Freiheit. In der Regel hatte jeder 
Knabe einen beſonderen Aufſeher, und dieſer ſollte es vermeiden, 
mit ſeinem Zöglinge allein zu ſein oder heimlich zu reden, um nicht 
böſen Verdacht zu erregen. Die Regel der Cluniacenſer “) forderte 
ſogar, daß ſtets zwei Kuſtoden den Knaben begleiteten, und in dem 
Schlafſaale waren beſondere Vorkehrungen getroffen, um geſchlecht⸗ 
liche Verirrungen zu verhüten. Unter Begleitung der Lehrer betraten 
die Schüler den Saal, das Bett des Knaben war neben dem Bette 
der Aufſeher. Mußte einer in der Nacht auf den Abort gehen, ſo 
hatte er einen Aufſeher zu wecken, der ihn begleitete, und damit dieſer 
vor Verſuchung ſicher ſei, ſollte er noch einen anderen Aufſeher oder 
Schüler mitnehmen ). Klöſterliche Askeſe iſt allezeit leicht ins Gegen⸗ 
teil umgeſchlagen, und bereits bei den älteſten Mönchen der thebaiſchen 
Wüſte entſtand der Spruch: „Einen Mönch umlauert eine Legion 


und Troſt das Recht verlieh, ohne weiteres aus der Schule auszutreten, wenn 
ihnen der Lehrer entſtellende Verletzungen und Wunden beibrachte oder die Knochen 
zerſchlug. Cap. VII: Scolaris recedere volens a magistro suo propter cor- 
rectionem scolasticam ab alio magistro recipi non debet (die Schulordnung, 
ordinamenta seu statuta rectoribus scholarum Worm. praescripta, galt für 
die Schulen von vier Kirchſpielen), si vero modum correctionis excesserit 
magister per laesiones difformes, quales sunt vulnera vel ossium confrac- 
turae, scolaris pro emenda libertatem habebit recedendi ab ipso, und zwar 
ohne Zahlung des Schulgelds. 

1) Daher nannte Ratherius von Verona feine verbeſſerte Grammatik ſcherz⸗ 
haft „Spara dorsum“, Rückenſchoner. 

) Specht S. 160 u. S. 167. gl. dazu (Udalrici) consuetudines Olunia- 
cens. Mon. in DAchery, Spieil. 1,66, und Constitutiones Lanfranei in L. Hol- 
stenius, Codex Regularum monasticarum et canonicarum, Augustae Vindel. 
1749. fol. tom. II. Die Hauptſtelle über die Circumitores monasterli, quos 
alio nomine Circas vocant, ſteht p. 367 f. Der Name ift dann an einigen 
Univerfitäten für die Pedelle Üblich geworden. 


Die heimlichen Sünden. 141 


[, und den Einſiedler umlauern zehn Legionen.“ Die Clunia⸗ 
eier geboten in gleicher Erwägung, daß die Zöglinge, welche von 
1 i auf im Kloſter erzogen ſeien, ſtrenger überwacht werden 
mußten als andere ). Die Verſuche, jedes ſinnliche Wohlgefallen 
als Sünde anzuſehen und zu unterdrücken, ſteigerte die Reizbarkeit 
und ließ fie oft ſelbſt im Alter nicht ſchwinden ). Wenn die Askeſe 
den Körper ſchwächte, jo ſchwächte fie auch die Nerven, die überdies 
durch die beſtändige Beſchäftigung mit überſinnlichen Dingen und 
die Wiederholung von Erzählungen vifionärer Zuſtände in unnatür: 
liche Erregung verſetzt wurden. So war der Boden bereitet für 
unnatürliche Gelüfte. Abt Wibald, einer der hervorragendſten Männer 


Vergehungen der ihm Unterſtellten genötigt, in feierlicher Form einen 
anderen Abt um Auskunft zu bitten über die Frage: si virginitatis 
* amittat palmam qui vel quae propriis aut alienis manibus vel 
2 qualibet alia arte praeter naturalem coitum sibi semen elicuerit “). 

je Vagantenlieder find voller Anſpielungen über das illos facit 
3 effeminare, equus fit equa, die perſiſchen Sitten u. ſ. w., und 
jene Beſtimmungen der Kloſterſchulen find ein noch traurigerer Be⸗ 
weis dafür, weſſen man ſich glaubte verſehen zu müſſen. Derartige 
Sorgen waren es, welche jene ängſtliche Aufſicht durch die „Cirkas“ 
erklären und den böſen Grundſatz, daß die Schüler jede Uebertretung 
eines Genoſſen zur Anzeige zu bringen hatten, die etwa den Cirku⸗ 
latoren entgangen war. In der Praxis geſtaltete ſich vieles anders 
milderte den Zwang, aber jene Beſtimmungen kennzeichnen doch 
Weſen der Schulzucht an den Kloſterſchulen. Alle dieſe Aufficht 
Zucht wurde von den blühenden Schulen des 12. Jahrhunderts, 
a denen die Univerſitäten hervorgingen, beifeite geſchoben. Die 
wiſſenſchaftliche Bewegung der Zeit veränderte den Geſichtspunkt, die 
giele des Unterrichts, und ſchon durch die Maſſen von Fremden, 
welche ſich um einen berühmten Lehrer ſammelten, nur ſeine Kennt: 
niffe, feine Methode ſuchten, im übrigen aber lebten, wie es ihnen 


1 Specht S. 160, Note 6, nach Bernard Ordo Cluniac. I. 28 bei Herrgott 
1 micht zuganglich. Die Consuetudines Udalriet drücken dieſen 
BE. Scdanten nicht fo ſcharf aus III, 9 bei d’Achery I, 690. Antig. consuet. 

m. ”) Petrus Damani Hagie, daß es ihm nicht gelinge. Auch der Brief an 


r * 8 


142 Diefe Fucht wich der afademifchen freiheit 


ihre Mittel und die Gelegenheit des Ortes geſtatteten, wurde der 
Rahmen der alten Schulordnung nach allen Seiten durchbrochen. 
Hatten doch viele von ihnen bereits ſelbſt als Lehrer oder in anderen, 
oft ſehr bedeutenden Lebensſtellungen gewirkt. Einen Giraldus Cam⸗ 
brenſis konnte kein Lehrer ſchlagen. Die Kloſterzucht wich der aka⸗ 
demiſchen Freiheit, die Schüler wurden Studenten. Freilich in der 
Schule der Grammatiker blieb etwas von der alten Zucht der Rute, 
auch wenn die Magiſter dieſer Knaben und die Knaben ſelbſt zu der 
universitas scholarium gerechnet wurden. Begann einer als Jüng⸗ 
ling erſt die Grammatik zu lernen, jo unterlag er der Zucht ), aber 
dieſe Anfänger bildeten keinen maßgebenden Beſtandteil der Univerſi⸗ 
täten, ſondern mehr nur ein Anhängſel derſelben; in Paris, in Or- 
ford, in Montpellier, in Bologna, kurz allerorten entwickelte ſich 
auch an Stelle der Schuldisziplin eine akademiſche Gerichtsbarkeit, 
die teils von den ſelbſtgewählten Organen, teils von beſonderen 
Behörden geübt wurde, und welcher die Lehrer wie die Schüler unter⸗ 
lagen. Wenn von dieſen Richtern der Scholar in gewiſſen Fällen 


) Aus dem 12. Jahrhundert bietet ein intereſſantes Zeugnis Walther 
Mapes, De Palpone et Assentatore (Camden Society Nro. 16 p. 127). 


Hoc totum rudibus detur infantibus, 
quorum sunt livida terga vibieibus, 

male corrigiis caesa trinodibus, 

et legant pueri ... 

quorum creberrime terga lacteola 

sulcantur virgulis ac corrigiola (Lederkarbatſche mit Knoten). 
(use cudo mutuans do pusionibus, 

qui nondum liberi sunt a verberibus, 
quorum sunt facies udae madoribus 
complutae lacrimis et lotae fletibus. 

Seribo puerulis quorum sunt humidae 

netate facies sed luctu lividae, 

quorum sunt alapis maxillae pollidae 
cervices tenerae cervien timidae (Radenftöhe!). 


Auch Johannes von Salisbury erwähnt die Prügel der Grammatiſten. Grund: 
jäglich erhielt ſich die Prügelftrafe auch in den Rechtsſchulen Italiens. Die Theorie 
wenigſtens ſprach dem Proſeſſor das Recht zu, feine Studenten zu züchtigen, wie 
der Vater den Sohn (f. u. Kap. 3). Für das 14. Jahrhundert vgl. die unter 
Kapitel 4 zu erwähnenden Ordnungen der Pariſer Collegia. 


Akademiſche Freiheit im 12. Jahrhundert, 143 


zu Nut enhieben verurteilt werden konnte, jo war das feine Prügel⸗ 
2 im Sinne unſerer Schuldisziplin, ſondern eine gerichtliche 
„ der die Magiſter wie die Scholaren verfallen konnten. 
Vor allem aber war von jener ängſtlichen Ueberwachung und Leitung 
der Schüler in den Scholarenkreiſen, die ſich um Abalard ſammelten, 
oder in denen Giraldus Cambrenſis lebte, keine Spur mehr vor: 
handen. In dieſem Durchbrechen und Herauswachſen aus der Ge: 
bundenheit und Abhängigkeit der Schule lag neben der Blüte des 
geistigen Lebens vorzugsweiſe der Unterſchied dieſer Schulen des 12. 
Jahrhunderts, aus denen ſich die Univerſitäten des 13. Jahrhunderts 
entwickelten, von den alten Kloſter⸗ und Kirchenſchulen. 

Aber das ungebundene Leben und die Notwendigkeit, für Wohnung 
und Unterhalt ſelbſt zu ſorgen, verwickelte die Magiſter und Scho⸗ 
laren in zahlreiche Händel unter ſich und mit den Bürgern ), ſtürzte 
ſie in Schulden und ſchwere Verpflichtungen, da arme, von der Heimat 
weit entfernte Scholaren nur gegen Wucherzinſen Geld fanden. Ein⸗ 
geln waren fie wehrlos und verſielen den harten Beſtimmungen, nach 
welchen die Städte des Mittelalters Nichtbürger zu behandeln pflegten. 
Mehr als alles andere drängten dieſe Verhältniſſe zur Bildung von 
Korporationen, um gerichtliche Privilegien zu erwerben und ihre 
Ausführung zu ſichern. 

P Die Scholaren waren eine Maſſe von jungen Leuten, die ſtarke 


") Und zwar gilt dies für die Magifter wie für die Scholaren. Die Magiſter 
an. ganz anderer Weiſe teil, als dies nach 
danngen Borftellungen denkbar erſcheint. Sie führten großenteils dasſelbe Leben 

wie die Studenten, waren wie fie angewieſen auf unſichere Pfründen und auf die 
5 welche das en und Verſetzen der Scholaren regelten und 
ceichterten, hauſten, abgeſehen von Italien, wo viele Doktoren verheiratet waren, 
E Heinen Wirtſchafts genoſſenſchaften, Penſionen und — nach 


4 
g 
f 


| 


E nn und ein Gelage auf fremde oder auf allgemeine 
Lesen ein Glanzpunkt in ihrem Leben. Man vergleiche die Vorschriften der Cistae. 
d Borfäublafien, in Oxford, oder die Dekretale Honorius III. (1219 Sarti 1. 2 

Appendix p. 59. E.), in welcher er den Scholaren mildere Behandlung bei Miß 

de von Rlerilern — d. h. zunächſt bei Schlägereien untereinander, da viele 

waren — gewährt. Da nennt er ausdrücklich auch die Doktoren. 
dem Studentenunfug oft mit beteiligt. Ein Beispiel groben 

Magifter beteiligt war, wird unten aus Montpellier mit: 


144 Das wüſte Treiben der Scholaren. 


Bedürfniſſe hatten und oft wenig Geld. Die Kneipe, das Mädchen, 
der Wucherer, die Privilegien ihrer Nationen, die Konflikte ihrer 
Lehrer — das waren die Zentren, um welche ſich die Gedanken 
vorzugsweiſe drehten, und den Philiſter zu betrügen, Geld zu er⸗ 
ſchwindeln oder zu erpreſſen und dann in toller Laune den Bauern 
und Bürgern ins Haus zu fallen, darüber dachte man im 12. und 
13. Jahrhundert ſo leichtherzig, wie der Student des 19. Jahr⸗ 
hunderts über die Ausſage vor dem akademiſchen Gericht und über 
die Schulden, welche nicht als „Ehrenſchulden“ kontrahiert wurden. 
Die akademiſche Freiheit artete vielfach in akademiſche Frechheit aus, 
und da man ohne Examen kam und ohne Examen ging, ſo ſuchten 
allerlei fahrende Leute, berufsmäßige Vagabunden, den Namen des 
Scholaren zu erſchwindeln und ihre Gaunereien unter dem Schutze 
der privilegierten Gerichtsbarkeit auszuüben. Dirnen und Studenten 
ſtellte ein Pariſer Handwörterbuch des 13. Jahrhunderts ſo zuſammen, 
daß man ſieht, die öffentliche Meinung war einig in dem Urteil 
über die gewohnheitsmäßige Liederlichkeit der Scholaren, und Jakob 
von Vitry!) ſchilderte in der erſten Hälfte des 13. Jahrhunderts das 
Treiben der Dirnen in Paris mit kaum glaublichen Zügen. Sie 
ſtehen auf den Straßen herum und rufen die Scholaren zu ſich, wollen 
dieſe nicht mitgehen, dann verhöhnen fie dieſelben als Sodomiter. 
Ja, die Dirnen mieteten ſich Wohnung in denſelben Häuſern, in denen 
Magiſter Hörſäle gemietet hatten, und während dann in dem einen 
Zimmer Vorleſungen oder Disputationen gehalten wurden, trieben in 
dem anderen die Dirnen Unfug, und ihr Geſchrei ſchallte hinein 
zwiſchen die Worte der Magiſter. Mag Jakob von Vitry die Züge 
ſeiner Schilderung durch die rhetoriſche Antitheſe verſtärkt haben, 
oder doch zu ſehr als Regel bezeichnen, was vereinzelt vorkommen 
mochte: was die amtlichen Klagen enthalten und die Lieder der 
Scholaren vorausſetzen, das iſt ſchlimm genug. Indeſſen bildeten 
dieſe Auswüchſe doch nicht das Weſentliche der libertas scholastien. 
Der Zauber, der heute auf ihrem Namen ruht, wurde auch damals 


1) Ueber ihn Willmanns im Archi f. ältere deutſche Geſchichtskunde X, 
213, und das Vorwort vor dem Abdruck der Historia orientalis bei Bongars,. 
Jene Stelle über Paris findet ſich in dem Kap. 7 der Historia oceidentalis, die 
mir augenblicklich nicht zugänglich iſt. Ich benutze die Stelle deshalb nach dem 
Citat bei Meiners Geſchichte der hohen Schulen I, 107. 


Die akademiſche Freiheit. 145 


empfunden, und er iſt auch kein bloßer Wahn, keine romantiſche 
Phraſe. Es liegt in der Vereinigung von Jünglingen und Männern 
zum freien Dienſte der Wiſſenſchaft eine unvergleichliche Quelle 
geiſtiger Erhebung und kräftiger Begeiſterung, die ſelbſt dann noch 
ekrfriſcht, wenn fie auch durch Spielerei, Gelehrtenneid, Faulheit und 
Mißbrauch aller Art oftmals getrübt ward. Es iſt ſchwer darüber 
zu reden, man muß es erfahren haben und ſich erinnern. Wie 
wunderlich geht es zu an den Feſten der akademiſchen Jugend, wie 
viel Thorheit und Unſinn macht ſich da breit, aber doch auch wieder, 
wie viel Kraft und wie viel Sinn wird offenbar. Wohl ſind es 
flüchtige Träume und Gedankenſpiele, die von Mund zu Mund herüber⸗ 
fliegen, wenn die Burſchen beim Becher ſitzen, in alten Formen neue 
Freude finden, und der jugendliche Kopf jetzt von Uebermut und 
jetzt von halbverſtandener, aber ahnungsreicher Weisheit voll iſt. Von 
den Schranken der Wiſſenſchaft verſtehen ſie noch nichts, ſie ſind noch 
in der Bewunderung der großen Erfolge, welche Genialität und Fleiß, 
ſtrenge Methode und kühne Verſuche bisher errungen haben. Unlös⸗ 
bar ſcheinende Nätjel wurden gelöft, ungeahnte Kräfte nachgewieſen 
und in den Dienſt der Menſchen geſtellt. Auf ſolchen Wegen fangen 
ſie ſtaunend an gehen zu lernen und dem Meiſter, der fie lehrt, 
ttauen die eifrigen Schüler auch das Schwierigſte zu. Wenn aber 
der Lehrer ſeine Kunſt verſteht, ſo teilt er ihnen auch von jener 
Begeiſterung mit, welche die Forſcher erfüllt, da ihnen ſo große Auf⸗ 
gaben zu löſen gelang. 
— iſt ja der Segen der Arbeit und die glückliche Beſchränkt⸗ 
. des Menſchen, daß er im Ringen um ein einzelnes Problem 
. * bloß ſeine relative Bedeutung ſchätzt, ſondern ihm einen abſo⸗ 
* Wert ger Es erfaßt ihn das Feuer der Arbeit, und von 
Feuer, dieſer aus der Arbeit ſtammenden Liebe und Wertung 
. 8 | weiß der rechte Profeſſor dem Schüler mitzuteilen. So ent: 
1 a die Liebe zur Wiſſenſchaft, die im Herzen der Jünglinge um jo 
Br waltet, weil fie eine perſönliche Geſtalt gewinnt in der 
g des Meiſters, der fie lehrt. Er erſcheint als der Schöpfer 
Ak, wenn auch vielleicht das beſte von dem, was er bietet, 
uur Reproduktion iſt. Zu ſolcher Liebe geſellt ſich die leichtherzige 
Zuverſicht der Jugend und weiter die Kraft ihres Ahnungsvermogens. 
Fr. glüdliher Ignoranz fleigen fie über die Schwierigkeiten hinweg, 
denn fie ſehen fie nicht; wird ihnen ſpäter die mae nicht 


1 destens, Gate der aten Mrwer nden. 1. 


Fi 


* 


E ai 
3 * 


146 Der Reiz akademiſchen Lebens. 


erſpart, jo erklimmen ſie doch zunächſt manche Höhe, und die Phantaſie 
leiht ihnen das Fernglas, und ſie ſchauen, oder glauben zu ſchauen 
in ungemeſſene Weiten. 

Was von alledem in den Köpfen und Herzen ſich regt, das wird 
an ſolchen Abenden aufgerührt, tritt in unbeſtimmter Andeutung 
hier und da hervor, weckt die gleichen Gedanken bei den anderen, 
und da die Reden unbeſtimmt ſein dürfen und verantwortungslos 
ſind, ſo ſind die Aeußerungen kühn. Stärkere Antriebe gibt dazu 
dann Rede und Lied und die Gegenwart verehrter Lehrer. Das 
Vaterland, die Thaten der Väter rufen, ſtolz fühlt der Jüngling, 
daß Männer ihn ehren, daß er jetzt mitgezählt, daß auf ihn gerechnet 
wird, wenn es wieder gilt, im Kampfe der Schwerter oder der Geiſter. 

Aber dieſe Gedanken haben nur auf Augenblicke das Feierliche, 
das ſich mit ihrer Erörterung verknüpft. Der beißendſte Witz höhnt 
den Träumer und Schwächling, der da beim Biere philoſophiert, aber 
zu Hauſe nicht arbeitet und den Mut der Meinung nicht hat, wenn es 
ſcharf geht. Karikaturen zeigen einem jeden mit typiſcher Wahrheit, 
was er iſt, oder einſt ſein wird — unbarmherzig hält der eine über 
den anderen Gericht, nicht ſelten auch über den Lehrer. Und in all 
dem Wirrwarr von Gedanken und Phraſen, von Ernſt und Spott 
werden ohne Aufhören die Becher geleert. So ſchlecht das Getränk 
oft iſt, und ſo abſcheulicher Mißbrauch damit getrieben wird, es 
gehört dazu, um den Schleier zu dichten, unter dem allein man ſo 
träumen und genießen kann. Wer es erlebt hat in ſeiner Jugend, 
wird ſich auch vorſtellen können, was für eine Welt ſich entfaltete 
in der akademiſchen Freiheit der Scholaren des 12. und 13. Jahr⸗ 
hunderts im Gegenſatz zu der gebundenen Zeit der Kloſterſchule. 
Gewinnt heute ſchon die Freiheit der Studenten durch die ftraffe 
Disciplin der vorausgehenden Schule einen beſonderen Reiz, ſo war 
der Gegenſatz damals noch ungleich ſtärker. Ungleich ſtärker war 
ferner das Band, das die Schüler an den Lehrer knüpfte, da ſie 
regelmäßig zur Zeit und auf Jahre nur einen einzigen Lehrer horten “). 
Es war ferner eine Periode, in welcher philoſophiſche Intereſſen vor⸗ 
herrſchten, und ſelbſtbewußte Syſtematiker durch ihre dialektiſche Me⸗ 


thode jede Schwierigkeit, die aus der Betrachtung der Welt aufſteigt, 


) Nach der Organisation der Univerfität änderte ſich dies und näherte ſich 
unſeren Zuſtänden. 


F 


mit dem Refrain: perdulzor 


Blüte dieſes Studentenlebens ſchen im 12. Jahrhundert. 147 


—— 


u befeitigen und die Luden der Gedanfen durch vornehme Worte 


u überbrüden verſtanden. Die Meifter der Wiſſenſchaft waren wie 
von ihrer Kunſt, wie ſollten die Jünger ſich nicht ganz 


fſeortgeriſſen fühlen? Zu alledem kam endlich noch der Umſtand, daß 
die Scholaren zum Teil reiferen Alters waren, daß fie alſo auch 
deine gewichtigere Korporation bildeten und wiederholt ſtarke politiſche 
Antereſſen entfaltet und bedeutenden Einfluß ausgeübt haben. Die 
Blute dieſes Studentenlebens entfaltete ſich bereits im 


12. Jahrhundert, lange ehe es zur Ausbildung der Formen 
und Einrichtungen der Univerſitäten kam, und es iſt das 
wieder ein Zeichen dafür, daß die Univerſitäten nicht durch irgend 
welche Willkür und Abſicht, ſondern durch eine naturgemäße Entwid- 
lung entſtanden. Die Scholarenpoeſie bietet die Belege für dieſe That⸗ 
ſache. Der deutſche Archipoet lebte unter Barbaroſſa und gleichzeitig der 

Walter Mapes und der Franzoſe Walter von Chatillon, 
ihre und ihrer Genoſſen Lieder zeigen ſchon ganz die Friſche, 
Jubel, den Uebermut, den Sinn im Unſinn, der heute die echte 


Kneipe erfüllt, und ſind nicht zu unterſcheiden von den Liedern des 


18. und 14. Jahrhunderts. Einige dieſer Lieder find all die Jahr: 
hunderte hindurch geſungen und variiert worden. Das Mihi est 
der Confessio Goliae des Archipoeten kennt noch 
für viele Hauptlieder der jetzt üblichen 
Kommers bücher find e des 12. und 13. Jahrhunderts noch 
viel verloren gegangen ſein muß). Dem 
leben“, entſpricht Carm. Bur. 181: 


Urbs, Salve, regia, 
Trevir, urbs urbium 


Bir 
Er 

1171. 
8 


Her wirt, tragent her nuo win, 
vrölich suln wir bi dem sin. 
„Auf Brüder, laßt uns luſtig leben“, hat ſein Vorbild in: 
Jocundemur sell, 
Sectatores oecii, 
Nostra pangant ora 
Cantica sonora. 


’) Wohl ift eine anichnliche Mafle von dieſen Liedern erhalten, aber es muß 


allem dem Kodex des Kloſters Bencdiltbeuren, deſſen 


148 Scholarenpoeſie. 


Und wie heute das Pereat tristitia, pereant osores geſungen 
wird, ſo damals mit direkter und gewiß ſehr wirkſamer Anſpielung 
auf die in klöſterlicher Zucht verharrenden Schulen der Viktoriner, 
des Stephan von Tournay, der Bettelmönche u. ſ. w.: 


Invidos hy poeritas 

mortis premat gravitas! 
Pereant fallaces! 

Et viri mendaces! 

Munus qui negant promissnm 
puniendi ruant in abyssum! 


Die letzten Zeilen gehen in echter Studentenweiſe vom dem all: 
gemeinen Gegenſatz jofort wieder zurück!) und reihen den prinzipiellen 


Lieder Schmeller als Carmina Burana in der Bibliothek des litter. Vereins 
1847 Bd. 16 (Neudruck: Breslau 1883) herausg. hat. Aus engliſchen Handſchr. iſt 
ebenfalls viel veröffentlicht worden, Wright, The latin Poetries commonly 
attributed to Walther Mapes. London. Camden Society 1841. Derſelbe gab 
1844 Anecdota litteraria heraus. Dazu: W. Hertz, Spielmannsbuch, 1886. 
Edélestau du Méril, Poésies populaires latines du moyen-äge, Paris 
1847. Jaffé, Die Cambridger Lieder 1869. W. Müldener, Die zehn Gedichte 
des Walter von Lille, genannt von Chatillon, 1859. — Gaudeamus! Carmina 
vagorum selecta (von Peiper). Ed. II. 1879. Von der Litteratur über die Vaganten⸗ 
poeſie nenne ich in erſter Linie W. Gieſebrecht, Die Vaganten oder Goliarden 
und ihre Lieder, in der Allgemeinen Monatsſchrift für Wiſſenſchaft und Litteratur, 
Jahrg. 1853, 10 f. u. 344 f. Dann die Einleitungen und Erläuterungen in den 
erwähnten Ausgaben, ſowie die Einleitung von Laiſtner zu feiner Golias, 1879. 
Hubatſch, Die lateiniſchen Vagantenlieder, 1870. Ueberſetzungen bietet in feiner Weiſe 
Laiſtners Golias, Pernwerth von Bärnſtein in ſeinen verſchiedenen Schriſten 
(Carmina Burana selecta 1879, Ubi sunt qui ante nos? 1881) kommt den 
Ueberſetzungen Laiſtners an Feinheit wohl nicht gleich, hat auch einiges mißver⸗ 
ſtanden, aber oft hat er den rechten Ton getroffen und manche Stellen wirklich 
congenial wiedergegeben. Eine Geſchichte der Vagantenpoeſie iſt nur ſchwer und 
nur in Umriſſen zu geben. Dieſelben Lieder tauchen in mannigfaltigen Variationen 
und dieſelben oder doch ganz ähnliche Lieder an weit auseinanderliegenden Orten 
auf. Der Nachweis des Urſprungs iſt da oft recht ſchwer und immer der Gefahr 
ausgeſetzt, daß man auf Grund des vorliegenden Materials ſchließen muß und daß 
in demſelben leicht eine weſentliche Lücke fein kann. Wir werden jo auf falſche 
Bahnen geleitet, und der größte Scharffinn wird dann die größten Fehlſchlüſſe machen. 
Nur ſoviel iſt ſicher, daß das 12. Jahrh. die Blütezeit dieſer Poeſte war, und daß 
Deutſchland ſtark daran beteiligt war, nicht weniger als Frankreich und England. 
Italiens Anteil iſt geringer. Der Archipoct vielleicht Walter von Chatillon. 

) Uhlands „Wir find nicht mehr beim erften Glas“ trifft auch dieſen 
Punkt in vollendeter Weiſe. 


ä n - 


Umittamus studia, 
Jugendluſt. dulce est desipere, 


Ver aetatis labitur, 

hiemps nostra properat; 

vita dampnum patitur. 
Körpers Kraft, cura carnem macerat 

die Seele. sanguis aret, hebet pectus, ... 


Jugend, dieſes Mahnen, fie zu genießen, 
Gedanken mit der Luſt, kehrt in mannig⸗ 
tigen wieder, dient als Würze des Genuſſes wie das vita 
stra brevis est in unſerem Gaudeamus. Ein großes Feld hat 
1 | A ber Spott über den armen Kerl, der krank iſt, kein 
eld hat und in der Verzweiflung Mönd werden möchte: 
1 0 ars dialeetiea, 

nunquam esses cognita! 

quae tot facis clericos 

exules et miseros, 


Aber ſolcher Klageton wird gleich in dem Uebermut erftidt: 
Keiner gebe nüchtern je fort aus Kneip und Keller, 

1 Wer tein Geld hat fordre keck von des Reichen Teller. 
Das war ihr Recht, das entehrte nicht, fo lebten fie, drum 
faßt ſie ſich doch als die Herren der Welt, die Kinder des Glückes. 

Venus molliat Lieb erhebe 

Vi bursarum pectora, Kräftig jedes 


Burſchen Herz, 


nt immutet et computet Wenn auch leider 
Ban All die Kleider 
Sich der Wirt als Pfand behalt ). 


| nehmen. Der Burſch bringt nicht etwa 
er ine Pfandhaus, hier der trunkene Scholar die 


40 l meller S. 137. Usb. faft ganz n. Baruſt 
geile nach Bärnfteins Ucherfegung. 


4 . 2 er 


150 Das Treiben in der Kneipe, 


Haft den Rock vertrunken du, 
Dann verſpiel das Hemd dam). 

Und der Hohn trifft den armen Schelm, der beim Spiel ums 
Kleid betrogen iſt: 

Schuch clamat nudus in frigore, 
Cui gelu riget in pectore “). 

Die anderen kneipen weiter und ſpielen weiter, der eine „mogelt“, 
der andere merkt's, es entſteht lauter Streit, aber in das Geſchrei 
da „gießt die Kanne“, da „ſchütten die Becher“ und „ſie tranken 
immer noch eins“: 

Tune rorant scyphi desuper, 
Et canna pluit mustum, 
Et qui potaverit nuper 
Bibat plus quam sit justum. 


Beim Becher hörte alle Feindſchaft auf: 
Tam pro papa quam pro rege“) 
Bibunt omnes sine lege. 
Ohn' allen Unterlaß 
Machen die Kehl’ wir naß, 
Sind kreuzfidel dabei, 
Kümmert uns kein Geſchrei, 
Haben kein Kreuzer Geld, 
Pfeifen auf alle Welt. 

Et sic erimus egentes rufen ſie ſpottend, wie heut der Burſch 
„ohne Moos bei Bier und Wein“. Wie des Bacchus ſind ſie der 
Venus gefährliche Lieblinge. 

Exiit diluculo, 
Rustica puella, 


Sie fieht den Scholaren im Graſe liegen, der arme Schlucker 
hat wohl kein Geld fürs Nachtquartier gehabt, jetzt wird er ent⸗ 
ſchädigt, ſie ruft ihm gleich zu: 


) Bärnſteins glückliche Ueberſetzung von Carm. Bur. S. 253: Si aliquis 
debibat tunicam, Posten deludat camisiam. Die folgenden Zeilen hat B. 
mißverſtanden. Vgl. dazu das Bundeslied der Fahrenden: Quod de summis 
dieitur ete. 

) Einen Beleg bietet die Anekdote, daß Johannes Baſſianus, einer der 
berühmteſten Rechtslehrer des 12. Jahrhunderts, aber ludo et commessationibus 
deditus nonnunguam nudus remanebat in alea. Savigny IV, 292 möchte 
den Ruf des Baſſianus dagegen ſchützen, follte aber die Erzählung auch dem 
Baſſianus unrecht thun, daß fie entſtehen konnte, beweift für die Sitte. 

) Carm. Bur. S. 286. 


07 ˙ ü ̃ —uUé . . e I a OA m u m 


Scholar und Ritter. 151 


Quid ta facis, domine, 
Veni mecum Iudere, 


Der Scholar ſticht den Ritter aus), zwei edle Mädchen ſtreiten 


Flora war Studenten gut)), 
Phylis Kavalteren. 
Sie begeben ſich zu Amors Paradies, tragen ihm ihre Sache 
vor, Amor beruft ſeine Richter, denn 

amor habet judices, amor habet jura 

sunt amoris judices usus et natura, 
und die Richter entſcheiden ), daß der Kleriker „zur Liebe geſchickter 
ſei“. Es iſt auch kein Zweifel, daß dies poetiſche Urteil den that⸗ 
fählihen Verhältniſſen entſprach. Die Kleriker ſpielten wirklich die 
erſte Rolle in der Geſellſchaft, und da ſich die ſtudierenden Kleriker 
dem Leben und ſeinen Freuden rückſichtslos hingaben, auch trotz 
ihres geiſtlichen Standes Waffen trugen und mit den Waffen ihre 
Rechte oder Anſprüche verteidigten, jo hatten fie dem roheren und 
meiſt 
mann 


durch enge Verhältniſſe und durch Dienſt gebundenen Ritters: 


| Der Scholar war aber ein gefährlicher Liebhaber, denn ohne viel 
Umſtände zog er zum Thor hinaus. So klagt (Carm. Burana S. 171 f.) 
die Verlaſſene, daß ihr Geliebter in Franciam recessit, und fie könne 
ihre Schande nicht mehr verbergen, ſie wage nicht auszugehen, man 
zeige mit Fingern auf ſie, cum vident hunc uterum, alter pulsat 


Zu den Schilderungen muß die klaſſiſche Welt reichlich beitragen. 
Flora iſt jo ſchön, daß der Liebende fürchtet, wenn Jupiter fie ſähe, 
ne pariter incaleat 
et ad fraudes redeat. 

Neben zarten Liedern find viele mit groben und unflätigen Verſen. 
Denn dem Treiben der Scholaren hängte ſich allerdings eine große 
Portion Gemeinheit an. Sie fehlt auch dem heutigen Studenten⸗ 


| 


’) Clerus seit diligere Virginem plus milite. 
*) Carm. Burana S. 155: 
huie placet elerieus, illi vero miles. 
) Unter den Gründen heißt es Str. 25 (S. 158): 
non est tamen clericus macer et afllictus, 


quippe nulla copiae parte derelictus, 


f . , , De 


* — 
„, 


152 Betrug beim Spiel. 


leben nicht. Die verfallenen Ehrenſcheine, die betrogenen Philiſter, 
die Vergeudung der kargen Mittel, von denen die verwitwete Mutter 
und die jüngeren Geſchwiſter leben ſollten, die Roheiten und Zoten 
der Burſchen — von anderen Dingen zu ſchweigen — ſind ein böſes 
Kapitel im akademiſchen Leben und ein langes, aber das alles bleibt 
doch in Qualität und Quantität weit hinter dem zurück, was die 
Scholaren ganz naiv von ſich erzählen und die amtlichen Nachrichten 
beklagen. In dem Liebe !), dem jener prächtige Vers Tune rorant 
scyphi desuper entnommen iſt, heißt es ohne Entrüſtung: 


In taberna fraus aeterna 
semper est in ludo, 
und 


Lusorum studia 
sunt fraudis conseia. 
Perdentis taedia 
sunt illi gaudium, 
qui tenet pallium 
per fraudis vitium. 


Beim Spiel, ſoviel er kann, 
Betrügt ein jeder Mann, 
Und wer dann ſo betrog, 
Mit Hohn dann noch verlacht, 
Wen er mit Vorbedacht 

Ums Kleid gebracht. 


Das iſt nicht mehr „mogeln“, das iſt betrügen, das heißt „einen 


ausziehen“ und zwar in jedem Sinne. 


Ein Teil der Schuld lag 


daran, daß die Scholaren zeitweiſe „fahrende Scholaren“ waren und 
ſich zu den fernen Studienſitzen oft hindurch „fechten“ mußten. Aber 
auch an den Studienſitzen ſelbſt lebten ſie vielfach vom Bettel, ſie 


waren ja „exules“ im „Elende“: 


Exul ego clericus 
Ad laborem natus 
Litterarum studiis 
Vellem insudare, 
Nisi quod inopia 
Cogit me cessare, 


Ich, der bettelnde Student, 
Nur zur Plag' geboren, 
Wiſſenſchaft, ich möchte fie 
Wohl voll Lieb umfaſſen, 

Doch vor Not und Kümmernis 
Muß ich's bleiben laſſen. 


So bettelte ein wirklicher Scholar um einen Rock, und nun gar 


die Vagabunden, die ſich für Scholaren ausgaben! 


Es war aber 


faſt unmöglich, fie auszuſcheiden. An Orten, wie Paris und Oxford, 
hatten die Behörden große Schwierigkeiten damit, wie die Wieder⸗ 
holung der bezüglichen Erlaſſe zeigt, und auf der Wanderſchaft zur 
Univerſität fehlte jedes Mittel. Da geſellten ſich zu den Scholaren 


) Carm. Bur. 174, S. 234. Das Lied iſt übrigens, wie viele andere, in 
unreiner Geſtalt auf uns gekommen. Ueb. meift nach Bärnſtein. 


Die fahrenden und die Prälaten. 153 


die bedenklichſten Geſellen, die nie daran dachten, zu ſtudieren, und 
fahrende Scholaren führten deshalb oft genug das wahre Zigeuner: 
leben, zogen nicht zum Orte der Studien, ſondern wild im Lande 
umher. Sie bildeten eine Landplage, wie heutzutage die Haufen 
wandernder Tramps in den dünner bewohnten Geländen weſtlich 
vom Miſſiſippi. 

Indeſſen auch in der Gemeinheit dieſes Stromertums ging der 
Humor und die Poeſie nicht unter. Vor allem hat die Geniali⸗ 
tät des Erzpoeten dies Treiben zu idealiſieren verſtanden. Seine 
Poeſie macht aus dieſen wilden Scharen einen Orden, der beſſer iſt, 
als die Mönchsorden, der alle aufnimmt, auch die ärmſten, quos 
devoti monachi mittunt extra fores. Er war aber nicht der ein⸗ 
zige, der ſich ſo aus dem Schmutz immer wieder zu dem Ideale zu 
erheben vermochte. Es gilt das in gewiſſer Beſchränkung auch von 
den Scholaren im ganzen. Der Blick blieb doch gerichtet auf die 
Wiſſenſchaft und die großen Fragen der Zeit. Die Kritik, welche 
ſie dabei an den Zuſtänden übten, war meiſt recht bitter. Aber 
ſollten ſie nicht bitter werden, wenn auch fleißige und begabte Scho⸗ 
laren ohne Pfründe blieben, während dumme Prieſter Pfründen auf 
Pfründen häuften? 


Decem ecclesias vel plures possidens 

est male singulis subjectis insidens, 

dum adest et abest, semper ut aceidens ). 
Dazu kam der grelle, in tauſend Angelegenheiten zu Tage tretende 
Widerſpruch zwiſchen der Heiligkeit, welche die Diener der Kirche für 
ſich in Anſpruch nahmen, und der Unheiligkeit ihrer Handlungen 
und ihres Lebens). Die Scholaren lebten wüſt, aber fie ſagten es 
frei und wollten nicht beſſer ſcheinen. An dieſen ſcheinheiligen Kon⸗ 
kurrenten im Dienſte der Venus und des Bacchus, die von ihrem 
heuchleriſch gewonnenen Ueberfluſſe ſtolz auf ſie herabſahen, hörten 
die pauperes scholares nicht auf, Rache zu nehmen. Scholaren 
waren es, die das böſe Geſchichtchen von der Teilung der Erde“ 


) Apocalypsis Goliae 306 f. (Walter Mapes, ed. Wright, p. 15.) 

) Den Prieſtern der Diözeſe Nevers z. B. mußte im 13. Jahrhundert in 
ähnlicher Weiſe verboten werden, in der Kirche Würfel zu ſpielen und anderen 
Unfug zu treiben, wie den Scholaren von Paris. 

der Teilung hatte der liebe Gott die Scholaren und die Dirnen ver⸗ 
geſſen, jene empfahl er den weltlichen Herren, die Dirnen den Prälaten. Die 


154 Die Scholaren und die Kirche. 


erfanden, und wie in dieſem Stück, ſo hegten ſie ſich in hundert 
anderen Fabeln und Liedern in Schilderungen der Gefräßigkeit und 
Völlerei der Pfaffen und Mönche. 

Nur darf man ſich durch dieſe Angriffe der Scholaren nicht 
verleiten laſſen, ſie und ihre Poeſie zu den Gegnern der Kirche zu 
rechnen. Der Maſſe nach waren ſie ſelbſt Kleriker und in dem Kampfe 
zwiſchen dem Papſttum und den weltlichen Gewalten ſtanden die 
Scholaren meiſt auf ſeiten der Kirche. Barbaroſſa und der König 
von England wurden in ihrer Poeſie ſogar als „Vorläufer des Anti⸗ 
chriſt“ bezeichnet. Auch jene Spottlieder waren nicht bloß Ausge⸗ 
burten ihres Aergers oder des Uebermutes und der Frivolität, zum 
Teil hatten ſie auch ernſthafteren Sinn und berührten jedenfalls einen 
Schaden der Kirche, der nur heilen konnte, wenn er bloßgelegt 
wurde. Der Zuſtand des im Beſitze der Macht ſchwelgenden Klerus 
bildete eine öffentliche Gefahr, vor allem und zunächſt für das kirchliche 
Leben ſelbſt. Giraldus Cambrenſis, der in ſeinem speculum ecelesiae 
über die Frechheit klagt, mit welcher Walter Mapes ſang: 

Rom iſt wohl das Haupt der Erde, 

Aber auch voll Erdenſchmutz, 

Bei dem Papſte gilt die Regel: 

Hier hat nur der Reiche Schutz !), 
ſchrieb doch ungefähr dasſelbe, als er in Rom einen langen Prozeß 
geführt hatte, und die Schilderung, welche die großen Männer der 
Bettelorden und ihre Freunde von dem Leben der Geiſtlichen machten, 
war kaum weniger ſchwarz wie das Bild, das der Spott der Go⸗ 
liarden zeichnete. Das iſt eben charakteriſtiſch für dieſe Studenten, 
daß ſie zum Teil reiferen Alters waren und durch ihre Intereſſen 
eng verbunden mit den Schwankungen zwiſchen den riwaliſierenden 
Gruppen des geiſtlichen Standes und dem Streite der kirchlichen und 
politiſchen Parteien. Sie hatten Verſtändnis und Leidenſchaft für 
dieſe Objekte, bildeten naturgemäß wichtige Beſtandteile der Parteien, 
und die Studentenpoeſie war deshalb ein ungleich wichtigerer Teil 


weltlichen Herren vergaßen bald ihre Pflicht, die Prälaten aber pflegen die Dirnen 
noch immer mit Liebe. Eine Form bei Wright, Anecdota, p. 64. 
') Roma mundi caput est, sed nil capit munflum. 
Cum ad Papam veneris, habe proconstanti, 
Non est locus pauperi, soli favet danti. 


. See re a dr ze. 


Bedeutung dieſer Scholarenpoefie. 155 


der Litteratur jener Tage als heute. Junge Knaben neben aus⸗ 
„Vagabunden im ſchlimmſten Sinne des Wortes 
und begeiſterte Trager der Wiſſenſchaft wie der Religion waren hier 
vereinigt. Die einen lebten in kloſterlicher Zucht, die anderen in 
‚völliger Verwilderung, und in die Ausgelaſſenheit und Roheit der 

Scholaren miſchte ſich der Ernſt des Lebens. Wenn ſie ſich mit Dirnen 
umhertrieben, die heiligen Gebräuche und Gebete beim Wein und Würfel⸗ 
ſpiel parodierten ), wenn fie ſelbſt auf dem Altare würfelten während 
des Gottesdienſtes, wenn ſie auf der Landſtraße bettelten und ſich 
in Bauernſchenken prügelten, ſo waren doch der Gegengewichte ſo 
viele, daß auch der ernſte Mann über dem Schönen und Guten das 
Gemeine überſehen durfte. Der Segen einer auf geiſtiger Arbeit 
beruhenden Gemeinſchaft machte ſich immer wieder geltend. Die großen 
Päpfte Alexander III., Honorius III. u. a. gedachten im Glanze der 
dreifachen Krone immer noch mit Liebe, ja mit Ehrfurcht dieſer 
und ihrer Poeſie. Darum ſchützten fie dieſe freien 

auch gegen alle Anfeindungen, wenn nicht große Intereſſen 
gegenſtanden. Eine Parens scientiarum war ihnen 
der böſen Dinge, die ſie dort zu ſtrafen oder zu ver⸗ 
hatten, und Bologna verglich ein Papſt mit Bethlehem, denn 
komme Brot des Lebens. Stephan von Tournay, der Abt 
Genovefa, ſprach freilich im Tone der Entrüftung über 
Scholae seculares) — aber es iſt natürlich, daß ſich gegen 
alademiſche Freiheit des Lebens noch ſtärkere Oppoſition erhob, 
gegen die Freiheit der akademiſchen Forſchung und Lehrweiſe. Die 
Schäden und Ausartungen lagen zu Tage, und da man die Scholaren 
im ganzen als Kleriker anſah, ſo erſchien ihr Treiben be⸗ 


} 


1771111 
23 


) Die Spielmette offieium lusorum, Carmina Burana S. 248. Den Streit 
mit den Bauern behandelte ein übermütiger Scholar als göttliche Einrichtung: 
Omnipotens sempiterne Deus, qui inter rusticos et clericos magnam dis- 
cordiam seminasti, praesta quaesumus de laboribus eorum vivere, de 
mulieribus ipsorum vero ... semper gaudere. (S. 249, Zufaf.) 
waren damals, ca. 1180, noch nicht zu einer universitas zuſammen 
Stephan von Tournay wird man übrigens feine prinzipielle Oppo⸗ 
dürſen. Er war mit den Studien der freien Schulen eng verknüpft, 
hat ein Lehrbuch geschrieben, das doch vorzugsweiſe auf fie berechnet war. 

von Tourna gehörte mehr zu den gewandten als zu den ſtarken und 
arten Naturen. Seine Schriften Migne 211. 


2 


. 


9 1 
9 3 
bin 


156 Schluß. 


Wenn die Erde ihre Rinde bricht, und ein Berg aufſteigt, dann 
bebt ſie, und in weitem Kreiſe ringsum wird die Flur mit Aſche 
und Staub überſchüttet: ſo ſteigt auch in der Welt der menſch⸗ 
lichen Ordnungen und Gewalten kein neues Glied empor, ohne daß 
die Bewegung ringsum die Kreiſe erſchüttert und Schlamm und 
Schmutz aufwühlt. Die Univerſitäten waren eine machtvolle Neu⸗ 
bildung, nächſt der Kirche die größte und vornehmſte von allen Korpo⸗ 
rationen, die das Mittelalter erzeugte. Sie engte die Machtſphäre 
der alten Gewalten ein, ſie forderte Anerkennung für Vorſtellungen, 
die bis dahin unerhört ſchienen; es war natürlich, daß viele Zeit⸗ 
genoſſen und nicht bloß die trägen und ſchlechten dieſe Neuerungen 
und Anſprüche nicht gut heißen mochten, daß ſie nur die Schäden 
und Schatten ſahen. Es verquickte ſich dann mit dieſem Kampf der 
ganze Kleinkram perſönlicher Intereſſen, Eitelkeiten und Thorheiten, 
welcher das Gewebe des Lebens der Einzelnen bildet. Aus dieſen 
kleinen Fäden wob ſich das Band, welches dieſen zu den Gegnern 
und jenen zu den Freunden der neuen Einrichtungen führte — aber 
das große Bedürfnis, die herrſchende Strömung der Zeit trug die 
Univerſitäten. So mußten ihnen ſelbſt die Kräfte des feindlichen 
Lagers dienſtbar werden. Die Viktoriner haben das wiſſenſchaftliche 
Leben in Paris nur geſteigert und ſo die Kraft erhöht und die 
Maſſen vermehrt, aus deren Zuſammenwirken die Univerſitäten hervor⸗ 
gingen. Die Bettelorden verſuchten die akademiſche Freiheit wieder 
in Kloſterregeln zu faſſen, aber ſie ſchufen mehr nur die Kloſterſchulen 
nach dem Muſter der Univerſitäten um und breiteten ſo den Wirkungs⸗ 
kreis der neuen Schulform unermeßlich aus. Es gehort zu den be⸗ 
ſonderen Reizen der eingehenderen Beobachtung, zu ſehen, wie ſo 
auch die Gegner dem neuen akademiſchen Leben und Studium Kon⸗ 
zeſſionen machen, wie ſie es ſelbſt fördern und ausgeſtalten helfen 
mußten. 


Drittes Kapitel. 
Die Stadfuniverfitäten Italiens. 


1. Die Entſtehung der Aniverſität. 


12. Jahrhundert herrſchte, wie das vorige Kapitel zeigte, 
an vielen Orten akademiſches Leben und akademiſche Thätig⸗ 
keit. Die Scholarenpoeſie erreichte ihre Blüte, und die großen 

Lehrer in Paris, Bologna, Laon, Tournay arbeiteten mit ihren 
Schülern in einer wiſſenſchaftlichen Genoſſenſchaft, die an Kraft und 


in dieſem Zuſammenwirken war keine Regel, und in den Schulen 
keine Stetigkeit. Die Gelehrten gingen, wann fie wollten, und er: 
öffneten ihre Schule an anderen Orten. Zahlreiche Bedürfniſſe 
drängten dahin, ſolche Regel und Ordnung zu ſchaffen, die Kräfte, 
die vereinzelt wirkten und ſich nicht ſelten im Kampfe gegeneinander 

zu einer gemeinſamen geordneten Lehranſtalt, die scholae 
studia zu einem Studium im höheren Sinne, einem studium 
generale zu vereinigen. Dieſe Entwicklung vollzog ſich ſeit dem 
Ende des 12,, im 13. und 14. Jahrhundert an vielen Orten 
Italiens, Frankreichs, Englands und Spaniens. Die geiſtlichen 


Einfluß auf dieſe Entwidlung, aber einmal war dieſer Einfluß bei 


158 Deutſchland blieb zurück. 


den verſchiedenen Univerſitäten verſchieden, und ſodann war im ganzen 
doch die innere Triebkraft der Verhältniſſe ſtärker als alle dieſe Ein⸗ 
wirkungen, rief dieſe meiſtens erſt hervor. Die Ausbildung dieſer 
Formen und Einrichtungen erfolgte alſo ſpontan !), aus eigener Kraft. 
Im Gegenſatz dazu kam es in Deutſchland während des 13. Jahr⸗ 
hunderts überhaupt nicht zur Bildung einer Univerſität, und die⸗ 
jenigen, welche hier im 14. Jahrhundert entſtanden, wurden nach 
den in anderen Ländern ausgebildeten Muſtern und unter dem Ein⸗ 
fluſſe der dort entſtandenen Theorien gegründet?). Warum Deutſch⸗ 
land ſo zurückblieb, iſt nicht leicht zu erklären. Die litterariſche Be⸗ 
wegung hatte in Deutſchland allerdings nicht den hohen Grad erreicht, 
wie in Frankreich, hatte namentlich nicht ſo breite Schichten ergriffen, 
darin allein kann jedoch der Grund für jene Erſcheinung nicht ge⸗ 
ſucht werden, denn ſtark und ausgebreitet war das litterariſche Leben 
in Deutſchland trotzdem auch. Deutſchland hatte berühmte Schulen 
erzeugt, viele ausgezeichnete Gelehrte, und manche von ihnen leiteten 
Schulen in Deutſchland, nachdem ſie in Paris und Bologna als 
Lehrer geglänzt hatten ). Deutſchland war ferner erfüllt von einer 


) Die Univerfitäten in Neapel und in Spanien, ſowie Toulouſe, laſſen ſich 
zwar auch als Gründungsuniverſitäten bezeichnen, aber es beſteht der weſentliche 
Unterſchied, daß ſie im 13. Jahrhundert entſtanden. Sie gehören deshalb auch 
zu denjenigen Univerſitäten, an und mit denen ſich Begriff und Ordnung dieſer 
höheren Art von Unterrichtsanſtalten ausbildeten. Recht deutlich zeigt ſich dies in 
dem Einladungsſchreiben der Magiſter von Toulouſe bei Jean de Garlande, 
De triumphis Eeclesiae, ed. Wright. Roxb. Club. 1856. 

) So war der große Dekretiſt Johannes Teutonicus, deſſen Thätigkeit 
in Bologna Epoche machte, ſpäter viele Jahre Scholaſtikus der Domſchule in 
Halberſtadt. 

Die Bedeutung des Mannes mag folgendes Detail rechtfertigen, das zugleich 
einige für die Univerfitäten wichtige Begriffe erläutert. In drei Urkunden (zwei 
von 1224, eine von 1230) wird er camerarius genannt, wie mir Guſtav Schmidt 
mitteilt. Da nun das Amt des camerarius in jenen Jahren ein anderer 
bekleidete, jo ſcheint ein Verſchreiben vorzuliegen. Schulte (Zeitſchr. f. K.K. XVI 
und Guftav Schmidt denken an Verſchreiben für scholastieus, näher läge can- 
cellarius. Schmidt erhebt den Einwand, daß dieſer Name in Halberſtadt erſt im 
14. Jahrhundert begegne, aber er wechſelte andererorten mit scholasticus und 
war durch das Beiſpiel von Paris und ſeit 1219 auch von Bologna ſozuſagen zu 
dem vornehmeren Synonym von scholasticus geworden. Gerade in dem Kreiſe 
des von fremden Schulen zurückkehrenden Johannes Teutonicus könnte deshalb 
der Name gebraucht und dann vielleicht von dem Schreiber, dem er fremd war, 


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Erfurt. Urier. 159 


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Naſſe von Scholaren, die in ſtudentiſcher Weile lebten, wofür ſchon 
ie reichen Beiträge der Deutſchen zu der Studentenpoeſie des Mittel» 
zeugen, ſodann die Thatſache, daß gerade auf deutſchen Kon⸗ 
mehrfach!) gegen das Unweſen der fahrenden Scholaren ein⸗ 
mußte. Endlich fehlt es auch nicht an direkten 
Univerfitätslebens. In Erfurt war im 13. Jahr: 

ein völlig ſtudentiſches Treiben), und im 14. Jahrhundert 
die Erfurter Scholaren ihre Schule als ein studium 
es kam auch hier nicht zu ſolcher Ausbildung der 
ſich Anerkennung errungen hätten. Vielleicht war 
anderen Städten ähnlich, denn auch von Erfurt wüßten 
wenn nicht zufällig im 13. Jahrhundert ein Satiriker 
Veranlaſſung gefunden hätte, ſeiner Galle Luft zu machen, und aus 
14. Jahrhundert kommt uns die einzige Notiz durch einen Aus⸗ 
Gelehrtenneid. Bis auf dieſe vereinzelten Notizen iſt bis⸗ 
eine Kunde von dem für die Stadt und für einen nicht kleinen 

eil Deutſchlands längere Zeit offenbar ſehr wichtigen Studienſitze 
ſeinem ausgelaſſenen Studentenleben aufgefunden worden. Aus 
Fehlen von Nachrichten aus anderen Orten iſt deshalb noch 
zu ſchließen, daß es nirgendwo ſonſt zu ähnlichen Anfängen 
Univerſitätsbildung gekommen wäre. Für Trier z. B. kann 
ſogar mit ziemlicher Beſtimmtheit behaupten, daß daſelbſt im 
2. oder 13. Jahrhundert ein Studium mit akademiſchem Treiben 
denn ſonſt würde kaum das unſerem „Stoßt an, Jena ſoll 
entſprechende Scholarenlied des Mittelalters beginnen: „Heil 
Kaiſerſtadt, Trier“), du Städtekron“. Aber dieſe Anfänge 
nicht zu rechtlich beſtimmter und dauernd geltender Form ent⸗ 


Inn 
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3 
2 


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| 


us verwechſelt worden ſein. Schwierig ſcheint mir die 
Berſchreibens immer, denn zwei jener Urkunden find im Original 
in gleichzeitiger Abſchrift. Man hat alſo Urſache, nach einem 
der ein ſo wiederholtes Verſchreiben veranlaſſen konnte. 

201, Note 1. 

Carmen satiricum des Nicolaus de Bibera in den Geſchichtsquellen 


+ 


Darüber Kapitel 5. 

ve regis, Trevir, urbs urbium; urbs regia ift wohl nicht bloß 
| ‚ fonbern bezeichnet die zu dem Studium berechtigte Stadt, 
0 Es würde denn der Dichter ein Zeugnis liefern, daß man ſich 
mim Trier mit Bewußtſein als ein legitimes studium generale betrachtete. 


160 Die deutſchen Univerſitäten. 


wickelt worden. Deutſchland begnügte ſich im 13. Jahrhundert mit 
Schulen, wie ſie im 12. Jahrhundert beſtanden hatten, und ſuchte 
die neu entſtandenen akademiſchen Grade in Paris, Bologna und 
anderen Orten. In gewiſſer Weiſe füllten auch die den Univerſitäten 
nachgebildeten Anſtalten der Dominikaner und Franziskaner in Köln, 
Regensburg, Magdeburg, Leipzig !) und anderen Orten das Bedürfnis 
aus. Zu vergleichen iſt, daß das blühende Flandern ebenfalls keine 
Univerſität erzeugte, und auch Rom erſt ſpäter und in weniger be⸗ 
deutender Weiſe dazu kam als Paris, Bologna, Oxford und andere Orte. 
Wie es aber auch mit der Erklärung der Thatſache zu halten 
ſei, dieſe Thatſache ſelbſt ſteht feſt: in Deutſchland iſt es, ſoweit be⸗ 
kannt, nicht zu ſelbſtändiger Ausbildung von Univerſitäten im Rechts⸗ 
ſinne gekommen, die älteſten Univerſitäten Deutſchlands ſind im 
14. Jahrhundert durch förmliche Gründung entſtanden, durch Ueber⸗ 
tragung der namentlich in Paris ausgebildeten Einrichtungen und 
bei der Unterſuchung, wie die Formen und Einrichtungen der Uni⸗ 
verſitäten des Mittelalters entſtanden ſind und was ſie bedeuteten, 
iſt von den deutſchen Univerſitäten abzuſehen. Bei dieſer Ueber⸗ 
tragung fanden jedoch gewiſſe Vorſtellungen über die Univerſitäten 
eine eigentümliche Fortbildung, namentlich die Anſichten über die 
kaiſerlichen und päpſtlichen Privilegien, und in dem Abſchnitte, der 
hiervon handelt, werden die deutſchen Univerſitäten wichtige Beiträge 
liefern. Keinen Beitrag zu dieſer Unterſuchung liefert ferner Salerno, 
obwohl dieſes Studium durchaus ſelbſtändig entſtanden iſt, denn aus 
der Zeit vor Friedrich II. fehlt es an Nachrichten, dann aber gehört 
Salerno zu der Gruppe der Staatsuniverſitäten. Oxford und Cambridge 
waren eigenartige Repräſentanten der Gruppe, deren wichtigſter Typus 
Paris iſt, und deren charakteriſtiſches Merkmal die Anlehnung an die 
kirchlichen Gewalten des Ortes bildet, welche in dem Kanzleramte zum 
Ausdrucke gelangte. Die zweite Gruppe bilden die Univerſitäten der 
Städte Oberitaliens, unter denen Bologna hervorragte. Sie kannten 
das Kanzleramt urſprünglich nicht, erhielten es erſt durch Ueber⸗ 
tragung von Paris, nachdem die Ordnung der Univerſität in den 


1) Die Summa Deereti Lipsiensis in Cod. num. 986 fol. der Leipziger 
Univerſ.⸗Bibliothek bei J. F. v. Schulte, Sitzungsberichte d. Wiener Akad. 1871, 


S. 37 iſt ein Zeugnis der kanoniſtiſchen Studien bei den Dominikanern in 
Leipzig. 


Die drei Gruppen der Univerfitäten. 161 


—— — Mimumdzügen vollendet war, und ließen es nicht entfernt zu gleicher 
* Bedeutung gelangen. Ihre Entwicklung ruhte auf der Ausbildung 
der Korporation der fremden Scholaren und der Thätigkeit der 
fſtadtiſchen Behörden. Die dritte Gruppe bildeten die Staateuniverſi⸗ 
titten. Die alteſten Verſuche, hohe Schulen, wie fie ſich in Bologna 
u. ſ. w. entwickelten, als Staatsanſtalten zu begründen, wurden im 
KRonigreich Sizilien und, jedoch weniger rein, von den ſpaniſchen 


Die italieniſchen Stadtuniverſitäten. 


Bologna überſtrahlte im 12. Jahrhundert alle Rechtsſchulen, aber 
Bologna war nicht die älteſte, ſondern im 11. Jahrhundert hatten 
namentlich Pavia und Ravenna größere Bedeutung). In Pavia 
die Behandlung des Longobardenrechts die Hauptaufgabe, in 
anderen Orten der Romagna die Behandlung des 

wie es ſich in dieſem Territorium als Landrecht 
war nicht das Recht des Kodex und der Ban: 
ü mehr, hier weniger ſtark durch longobardiſche 
gen, Formen und Anſchauungen modifiziertes 
Grundlage nur römiſch war. Die Rechtswiſſenſchaft, 
Univerſitäten ſchuf, war aber die Wiſſenſchaft des römiſchen 


5 
; 


7 


1 
1 
71 


. Ficker, Forſchungen zur Rechtsgeschichte Italiens, Bd. III, und der⸗ 
„Ueber die Entſtehungsverhältniſſe der Exceptiones Legum Romanorum* 
Mitteilungen des Inſtitus für öſterreichiſche Geſchichtsforſchung, II. Erganzungs⸗ 
1886, S. 1 fl. 9. Fitting, Zur Geſchichte der Rechts wiſſenſchaft im Mittelalter 
in Zeitſchr. d. Savignyftiftung, Bd. VI, 1885, und Sonderausgabe, Weimar 1885. 
Derſelbe in Bd. VII (1886) Ueber neue Beiträge zur Geſchichte der Nechtswiſſen⸗ 
ſchaft im früheren Mittelalter, S. 1—90. 
Kaufmann. Gate der deuten Univerfitäten. 1. 11 


125 


ER} 


162 Die Rechtsſchulen des 11. Jahrhunderts. 


und des unter dem Einfluſſe des römiſchen ſich ausbildenden kano⸗ 
niſchen Rechts, und ſchon aus dieſem Grunde iſt es begreiflich, daß 
die Schulen der Romagna die Schulen des longobardiſchen Rechts⸗ 
gebietes überflügelten. Im 11. Jahrhundert war vorzugsweiſe Ra⸗ 
venna, die alte Hauptſtadt des Exarchats, Sitz einer gelehrten Be⸗ 
handlung des römiſchen Rechts, aber nicht der einzige Sitz derſelben. 
Der Prozeßgang der Landſchaft brachte es mit ſich, daß die Richter 
und die Parteien gelehrte Beiſitzer zuzogen, causidici genannt, auch 
jurisperiti, jurisprudentes, legislatores, legum doctores, legum 
docti, scholasticus, ja scholasticissimus, welche bald als Advokaten 
der Parteien, bald als Aſſeſſoren der Richter thätig waren und auch 
vielfach von den Behörden zu Richtern ernannt wurden. Einige 
unter ihnen, und gewiß vorzugsweiſe die Gelehrten, betrieben neben 
der richterlichen und advokatoriſchen Praxis eine Art Lehrthätigkeit. 
Das Bedürfnis nötigte dazu, denn ohne eine gewiſſe gelehrte Kenntnis 
war ihre Aufgabe nicht zu löſen. Für die meiſten blieb ſolche Lehr⸗ 
thätigkeit ſicher nur ein Nebengeſchäft, aber die Bezeichnung scholasti- 
cus als Synonym von causidicus, ſowie die Angabe, daß einige 
zugleich als Lehrer der Grammatik thätig waren, weiſt darauf hin, 
daß bei einigen die Lehrthätigkeit überwog. Bologna wurde im 
12. Jahrhundert der Hauptſitz dieſer Strömung und der von ihnen 
getragenen Studien. Wie das gekommen iſt, läßt ſich nicht jagen. 
Die Lage der Stadt an der Grenze der Geltungsgebiete des roͤmiſchen 
und longobardiſchen Rechts mag dazu mitgewirkt haben ), aber dieſe 
Gunſt der Lage genoß Modena auch, das trotz frühzeitiger Anſtren⸗ 
gungen hinter Bologna weit zurückblieb. 

Die Profeſſoren der Rechtsſchulen waren geneigt, die Beſtim⸗ 
mungen Juſtinians über die Rechtsſchulen im römiſchen Reich auf 


) Dieſen Punkt hebt Ficker, Forſchungen III, 188 ff. hervor, deſſen Anſichten 
jeder Forſcher beſonderen Wert beimeſſen wird, weil fie nicht nur auf Grund um: 
faſſender Kenntnis des urkundlichen Materials, ſondern auch mit großer Borficht 
aufgeſtellt werden. Im beſonderen denkt Ficker an den fördernden Einfluß der 
longobardiſchen Rechtsſchule zu Nonantula, aber für Modena trafen dieſe Bedingungen 
doch in gleichem Maße zu. Denifle betont, daß in Bologna die neue Methode des 
juriſtiſchen Studiums aufgekommen ſei; das war ein wichtiges Moment, aber nicht 
allein entſcheidend. Andere Schulen waren längere Zeit berühmte Sitze der 
ſcholaſtiſchen Methode, ehe Paris dieſen Ruhm gewann, und Paris überflügelte 
fie doch. S. o. Kapitel 1. 


Einfluß der römiſchen Bestimmungen. 163 


die entſtehenden Univerjitäten anzuwenden ). Allein dieſe Verſuche 
= baben wohl die öffentliche Meinung bilden helfen, aber die Einrich⸗ 
wWlungen der Univerfitäten und die Verhaltniſſe und Gewalten, mit 
denen fie vorzugsweiſe zu rechnen hatten, waren zu verſchieden, als 
daß eine unmittelbare Uebertragung moglich geweſen wäre. Hinter 
fenen Geſetzen ſtand der abſolute Staat, und die Geſellſchaft der 
Kaiſerzeit, die Univerſitäten des 13. Jahrhunderts hatten ſich unter 
Korporationen und in der Geſellſchaft des Feudalſtaates zu ent⸗ 
wickeln. Die Fortbildung des Scholarenrechts geſchah deshalb auf 
dem Wege der Kampfe und Uſurpationen oder der Kontrakte und 
Privilegien. Allerorten legten fi die lokalen Gewalten nach und 
nach Beſchränkungen auf, und man gewöhnte ſich allmählich, eine 
gewiſſe Summe ſolcher Beſchränkungen als notwendig anzuſehen “). 
Das Studium galt als ein Kleinod der Stadt)) und als eine Quelle 
nicht bloß des Ruhmes, ſondern auch des Reichtums durch allſeitig 
geſteigerten Verkehr, weshalb die Städte gern ſchwere Opfer brachten, 
um eine Scholarenkorporation in ihre Stadt zu ziehen und ein General⸗ 
ſtudium zu begründen und zu erhalten, und ertrugen manchen Ueber: 
mut der Scholaren. 


4 


Das erſte Privileg. Kaiſer Friedrichs Habita. 


Die erſte Kunde von den Verhältniſſen der Scholaren zu der 
Stadt Bologna und ihrem Leben in der Stadt bringt ein Gedicht, 


) Die Constitutio Omnem. Darüber unten. 

Die Stadt Padua nahm 1261 geradezu den Beſchluß an: Alle Privilegien, 
welche die Leges oder die Canones den Scholaren verliehen haben, ſollen auch in 
Padua unverfürzt gelten, gleichviel, ob ein Statut der Stadt entgegenftehe . . . 
Statuti di Padova p. 376 Nro. 1236. Omnia privilleia induleta legibus vel 
eannonibus scolaribus serventur illesa, nullo statuto obstante, et maxime 
elericis. 

J Eine Peruginer Urkunde von 1321 beginnt mit den Worten: Cum sit 

siatus et honor civitatis Perusii habere in ipsa eivitate studium in facul- 
. tatibus scientiarum et domini Priores artium teneantur magnis penis et 
eam juramenti vinculo studium augmentare. Rossi, Docum. Nro. 39, 
— _  Giornale IV, 284. Ganz überſchwenglich ſchilderte Honorius III. den Segen 
der liniverfität für Bologna. Durch die Univerfität ſei Bologna ein zweites Bethlehem 
geworben, domus videlicet panis, qui parvulis frangitur in endem, ex qua 
—  exeunt duces qui regunt populum domini . . . Euere Stadt, bis dahin un 

bedeutend, übertrifft durch Reichtum jetzt alle anderen“. Sarti I,2 App. p. 57. 


164 Barbaroſſa und die Scholaren. 


das die Begrüßung Kaiſer Friedrichs I. durch die Behörden, Ein: 
wohner und Scholaren ſchildert, als er 1155 vor der Stadt lagerte. 
Der Kaiſer fragte die Scholaren nach ihrem Ergehen, und im Namen 
aller antwortete einer der Doktoren, daß es ihnen in Bologna in 
jeder Beziehung gefalle, daß die Bürger der Stadt ſie auch nicht 
übervorteilten und ihnen Ehre erwieſen. Zu klagen hätten ſie nur 
darüber, daß die Bürger bisweilen einen beliebigen Scholaren haft⸗ 
bar machten und pfändeten für Schulden, die ein anderer Scholar 
gemacht habe. Der Kaiſer möge durch ein Geſetz die Scholaren da⸗ 
gegen in Schutz nehmen. Auf Rat der Fürſten habe dann der Kaiſer 
das Geſetz verkündet, daß niemand die Scholaren beim Gehen und 
Kommen ſchädige und nicht den einen für Schulden des andern in 
Anſpruch nehme ). Gemeint iſt offenbar das Geſetz über die Authen- 


) Gieſebrecht in Sitzungsberichten der kgl. bayer. Akad. d. Wiſſ. Hiſtor. 
Klaſſe 1879, Bd. II, S. 285: 
463 Procedunt pariter doctores diseipulique 
Omnes, Romanum cupientes visere regem, 
Quorum te numerosa, Bononia, turba colebat, 
Artibus in variis noctuque dieque laborans. 
Quos placide recipit venientes rex Fridericus, 
Alloquiturque simul, perquirens multa benigne. 
Querit enim, quibus urbe modis habeantur in ista, 
470 Cur magis hec placeat quam quelibet altera tellus? 
An cives aliqua sint illis parte molesti? 
An teneant promissa dolo firmata remoto 
Si caros habeant, si servent hospita jura. 
Doctor ad hee doctus respondens ordine quidam 
475 Discentum mores recitat vitamque beatam 


nn 2 2 Au u c 


BIER, Wo u Be WE Ba Ve, u se ar et her ee a 5%! 


486 „In multis fateor cives nos urbis honorant, 
Qui tamen hac una sunt re quandoque molesti, 
Cum cogant aliquem, quod non acceperit ipse, 
Solvere, tollentes propter non debita pignus 

490 Namque datum nostris vieinis aes alienum 
A nobis repetunt, qui nullo jure tenemur. 
Unde, pater, petimus perversum corrige morem, 
Lege tus licent tutos hie esse legentes.“ 

Tune rex, principibus consultis ordine eunetis, 

495 Legem promulgat, quae sit tutela legentum, 
Seilicet ut nemo studium exercere volentes 
Impediat stantes nee euntes nec redeuntes, 


ur u Zu 


Die Authentica Habita. 165 


u fe welche nach dem Anfangsworte Habita benannt wird, und welche 
der Kaiſer auf dem Reichstage auf den Roncaliſchen Feldern No: 

vember 1188 erließ. Der Dichter ſtellt es nur kraft einer poetiſchen 
Luenz jo dar, als ſei das Geſetz gleich erlaſſen, wahrend dieſe Bitte 
8 Scholaren nur die Anregung gegeben hatte). Dieſes Geſetz) 


Nec pro vieino, qui nullo jure tenetur, 
Solvere cogatur quod non debere cogatur. 
Inde rogat cives ut honorent urbe scolares 
Hospita Jura dolis servent illesa remotis. 

Danach ſchildert das Gedicht die weiteren Thaten Friedrichs. 

) Denifle, S. 52 f., neigt dazu, in dem Gedicht nur einen nachträglichen 
Verſuch zu ſehen, die Entſtehung der Authentica Habita zu erklären. Allein dazu 
paßt ſchon wenig die Thatſache, daß das Gedicht mehrere tauſend Berje hat und 
von ſehr vielen Thaten und Exeigniſſen handelt, unter denen dieſe Angelegenheit 
nur ctwa 40 Verſe ausfüllt. Bei der im Text gegebenen Auffaſſung beſteht auch 
feine Schwierigkeit, die Erzählung von dem Auftritt im Lager Barbaroſſas 1155 
festzuhalten, wie es Gieſebrecht a. a. O. und Winckelmann (Ueber die erſten 
Staatsuniverſitäten 1880) gethan haben. 

) Die Authentica Habita wurde eingefügt in den Koder, welcher die 
kaiserlichen Konſtitutionen, Exlaſſe mit Geſetzeskraft, in 12 Büchern vereinigte, 
und zwar an dem Schluß des Titels Ne filius pro patre (4, 13), welcher davon 
daß der ſelbſtändige Sohn für die Schulden des Vaters nicht haftbar 
gemacht werden könne, und ebenſowenig umgekehrt, noch der Freigelaſſene für den 
Die Sicherheit gegen die gewaltthätige Pfändung der Bologneſen bildete 
eben die Hauptfach. Zu dem Text ſiehe Denifles Bemerkungen Note 38 u. 52. 
F Ich gebe hier den Text des Corpus juris civilis, ed. Krüger et Mommsen 
7 1877, p. II. p. 511 (ef. Monum. Germ. hist. leges II. 114): Habita super 
Er hoe 2 episcoporum, abbatum, ducum, comitum, judieum et aliorum 
procerum sacri nostri palatii examinatione, omnibus, qui causa studiorum 
peregrinantar, scolaribus et maxime divinarum atque sacrarum legum pro- 
fessoribus hoc nostre pietatis beneficium indulgemus, ut ad loca, in quibus 
Jitterarum exercentur studia, tam ipsi quam eorum nuntii veniant et habi- 
tent in eis secure. Dignum namque existimamus, ut cum bonus facientes 
nostram laudem et protectionem omnes mereantur, quorum scientia mundus 
illuminstur ad obediendum deo et nobis, ejus ministris, vita subjectorum 
informater, quatenus speciali dilectioni ab omni injuria defendamus (Quis 
eorum non miserestur, cum amore scientie facti exsules, de divitibu- 
pauperes semet ipsos exinaniunt, vitam suam multis periculis exponunt 
et a vilissimis sepe hominibus — corporales injurias sine causa perferunt? 
He igitur generali et in eternum valitura lege decernimus, ut nullus 
- —— diecetero tam audax inveniatur, qui aliquam scolaribus injuriam inferre 

pPresumat nee ob alterius ausdem provincie delictum, quod aliquando ex 


512111 


166 Die Habita, 


nahm alle diejenigen, welche causa studiorum peregrinantur, d. h. 
alle, welche aus wiſſenſchaftlichen Intereſſen die Heimat verließen 
und in einem Orte lebten, in welchem ſie nicht Bürger waren, in 
des Kaiſers beſonderen Schutz, namentlich ſolle niemand einen ſolchen 
Scholaren, d. i. Studenten oder Profeſſor, haftbar machen für 
Schulden oder Vergehen ſeines Landsmannes. Es gab alſo damals 
wahrſcheinlich ſchon landsmannſchaftliche Verbindungen unter den 
Scholaren. Sie werden vielfach zuſammen gewohnt oder auch gemein⸗ 
ſam Haushalt geführt, vielleicht auch die teueren Bücher auf gemein⸗ 
ſame Koſten erworben haben, denn gerade ſolche Gemeinſchaft konnte 
leicht die Veranlaſſung dazu geben, daß die Bürger die Landsleute 
eines Schuldners für denſelben haftbar machten. Schwere Strafen 
drohte der Kaiſer dagegen an. Sodann berechtigte er die Scholaren, 
im Falle einer Anklage ſtatt vor dem ordentlichen Richter des Ortes 
vor ihrem Lehrer (dominus aut magister) oder vor dem Biſchofe, 
dem der Kaiſer dieſe Jurisdiktion erteilt habe, Recht zu nehmen. 
Die Habita war zwar für alle Schulen gegeben, aber in Paris 
und den anderen Orten Frankreichs ſind die Spuren ihres Einfluſſes 
nicht ſo ſtark wie in den Städten Italiens, und ihre nächſte und 
bedeutendſte Wirkſamkeit entfaltete ſie in Bologna, das auch in den 
folgenden Jahrzehnten alle anderen Schulen weit überragte und 


perversa consuetudine factum audivimus, aliquod damnum eis inferat: 
scituris his sacre constitutionis temeratoribus et illius temporis, si hoc vin- 
dicare neglexerint, locorum rectoribus, restitutionem rerum ab omnibus 
exigendam in quadruplum, notaque infamie ipso jure eis irrogata dignitate 
sun careant in perpetuum. Verum tamen si eis litem super aliquo negotio 
quispiam movere voluerit, hujus rei optione data scolaribus eos coram 
domino aut magistro suo vel ipsius eivitatis episcopo quibus hanc juris- 
dietionem dedimus conveniant, Qui vero ad alium jadicem trahere tempta- 
verit, causa etiamsi justissima fuerit pro tali conamine cadat. Denifle 
bringt es S. 55 f. fertig zu beweiſen, daß dies Geſetz nur für die Scholaren 
gegeben ſei, die Profeſſoren nicht erwähne. Es iſt lehrreich, wie er den Saß; et 
maxime divinarum atque sacrarum legum professoribus beſeitigt. Bor ſeinem 
Lehrer konnte allerdings nur Recht nehmen, wer einen Lehrer hatte, aber wenn 
dieſer Satz nur auf die scholares discentes paßt, iſt darum das ganze Privileg 
nur für fie gegeben? Das Geſetz war für alle gegeben, qui causa studiorum 
peregrinantur, gleichviel ob fie in dem Jahre scholares docentes ober dis- 
centes waren oder, was nicht ſelten, beides zugleich. Nur für die Profefloren 
galt das Privileg nicht, welche Bürger von Bologna waren, aber auch nicht für 


die scholares cives, 


Bologna im 12. Jahrhundert, 167 


mehrere taufend fremde Scholaren vereinigte). So war Bologna 
der beſte Boden für jeden, der als Profeſſor etwas leiſten zu können 


glaubte, aber tropdem verließen es manche hervorragende Lehrer. Den 
eeinen trieben Schulden fort oder Mißerfolg oder ſonſtige Schwierig: 


weiten, und häufig bot die Rivalität unter den Gelehrten Anlaß dazu. 


milten ſich dergleichen Gegenſüte bann weiter mit den Parteien ®), 
der gegenüberſtanden. Es beſtanden 
nun auch in Piſa ), Modena u. ſ. w. bereits Rechtsſchulen; die aus 


von ſeinen Gegnern aus Bologna vertrieben wurde und erſt nach mehreren Jahren 
zuruͤcktehrte und feine Lehrthätigleit wieder aufnahm, als ihm eine mächtige Familie 
abroni, Historia Academiae Pisanae I, 401, bringt eine Urtunde 
94, in welcher ein nuncius Pisanorum scholarium erwähnt wird. 
zu erkennen, ob er als nuncius — Pedell — einer Korpos 
Beauftragter einer Gruppe von Einzelnen anzuſehen ift, aber der 
Die Gelehrten, welche, wie Pillius, Placentinus u. a. 
Modena, Piacenza, Montpellier u. ſ. w. Nechtsſchulen 
dieſen Orten doch die gleiche Behandlung des Corpus juris 
Bologna geübt hatten und die man als die Methode der 
bezeichnet. Dem gegenüber ſcheint mir v. Schulte in der Zeitſchr. 


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5 


n 
1 


A 2 9 „ 


168 Das Recht der Auswanderung. 


Bologna weichenden Lehrer begaben ſich entweder an dieſe Orte, oder 
verſuchten es an ſolchen Orten, in denen noch kein Konkurrent war, 
Scholaren zu ſammeln. Dieſer Prozeß wiederholte ſich in der zweiten 
Hälfte des 12. und noch im 13. und 14. Jahrhundert!) und er: 
hielt eine erhöhte Bedeutung, als ſich in Bologna gegen Ende des 
12. Jahrhunderts die Scholaren zu einer Korporation vereinigten 
und dieſe mit der Stadtbehörde wiederholt in Streit geriet. In 
dieſen Kämpfen bildete die Drohung, Bologna zu verlaſſen und da⸗ 
mit die berühmte Rechtsſchule in eine benachbarte Stadt zu verlegen, 
die ſchärfſte Waffe der Scholaren. 

Man hat wohl geſagt, das Recht der Scholaren zu ſolcher Aus⸗ 
wanderung ſei in der Natur der Sache begründet, da ja kein Fremder 
gezwungen werden könne, in Bologna zu bleiben, wenn er in Mo⸗ 
dena u. ſ. w. zu ſtudieren wünſchte. Allein ganz jo lag die Sache 
doch nicht. Der Einzelne mochte gehen, etwas anderes war es aber, 
wenn die ganze Korporation das Studium verlegte oder auflöfte. 
Die dabei nicht mit irgend einem Intereſſe beteiligten Gewalten 
haben auch dies allerdings wiederholt gutgeheißen und unterſtützt: 
jo ſtand Rom um 1220 auf ſeiten der Scholaren von Bologna (ſ. u.) 
und ermunterte ſie ſogar, eher auszuwandern, als der Stadt nach⸗ 
zugeben, und auf ſeiten der Pariſer bei der Auswanderung 1229. 
Eben dieſe unterſtützte der König von England; aber für Oxford 
und Cambridge verboten die engliſchen Könige die Auswanderung 
und Rom wollte nicht dulden, daß die Pariſer Magiſter im Kampf 
mit den von ihm unterſtützten Bettelorden die ſcharfe Waffe der Auf⸗ 
löfung ihrer Genoſſenſchaft anwenden. In gleicher Weiſe behandelte 
die Stadt Bologna die Auswanderung und Verlegung des Studiums 
aus ihrem Gebiete immer als ein Verbrechen), denn dieſe Aus⸗ 


f. K. R. Bd. XVI S. 124 zu weit zu gehen, wenn er behauptet, daß die Methode 
der Gloſſatoren um 1200 ausſchließlich in Bologna geübt worden ſei. 

) Noch Bartolus klagt in der Gloſſe zu Constit. Omnem reipubl. Haee 
tria, daß in zahlreichen kleinen Orten, namentlich der Anconit. Mark, RNechtsſchulen 
eröffnet würden. Opp. Bas. 1589 p. 18. Eine Erläuterung dazu bietet die Notiz 
bei Fantuzzi II, 58 Anm., daß der berühmte Jacobus de Belviſo 1311 Bologna 
aus politiſchen Gründen verließ, um in einer Stadt der Romagna eine Schule zu 
eröffnen. „Wer ihn hören wolle, hieß es, „möge dorthin kommen.“ 

) Zu beachten iſt, daß die Stadt den Scholaren das Recht nicht beſtritt, 
eine Suſpenſion des Studiums zu beſchließen. Stat. III. 19, ed. 1561, p. 58 und 


mung 


1 8 
5 
* 


Die Befoldung der Profeſſoten. 169 


3 * der Scholaten gewährten den mit Bologna rivalifierenden 
3 gla 


nzende Ausſichten, und bisweilen mochte es ſcheinen, als 
werde es Padua, Vercelli, Perugia, Siena u. j. w. gelingen, Bologna 


. 3 überflügeln. Mit einem Schlage hofften fie zu gewinnen, was 
7 in Bologna durch die glückliche Entwicklung mehrerer Generationen 
entiſtanden war. Durch reiche Gehälter an die Profeſſoren und be⸗ 


reitwilligite Erfüllung der Wünſche der Scholaren ſuchten fie die⸗ 
ſelben dauernd an ſich zu feſſeln, und dieſe Verſuche bilden einen 
weſentlichen Teil der Geſchichte der italieniſchen Univerſitaten. Ihr 
Verlauf ließ Bologna den Sieg. Im 14. Jahrhundert hatte Bologna 
einen ähnlichen Ruhm vor allen anderen, wie um 1200) und keine 
einzige Stadt hatte das 13. Jahrhundert hindurch ununterbrochen 
eine blühende Univerſität. Aber dieſer Kampf hat Bologna gezwungen, 
gegen die Scholaren nachgiebiger zu ſein und zuletzt auch eine Be⸗ 
ſoldung der Profeſſoren einzuführen, mit der die anderen 
Städte vorangegangen waren. Die Nachrichten über den Verlauf 


dieſer Rivalitäten ſind viel zu dürftig, um auch nur den Verſuch zu 


[eilt 


„ihn im Zuſammenhange zu ſchildern, aber über einige Er⸗ 
eigniſſe wu demſelben liegen urkundliche und ähnlich ſichere Nachrichten 
vor, und ſie gewähren doch einen gewiſſen Einblick in dieſe Dinge 
und damit in einen wichtigen Teil des Bildungsprozeſſes der Uni⸗ 
— Zunächſt führte Bologna eine Vereidigung der Profeſſoren 
ein, durch welche ſie ſich verpflichteten, zeitlebens in keinem anderen 
Orte Vorleſungen über das römiſche Recht zu halten, das Studium 
in Bologna nicht zu mindern), d. h. die Scholaren nicht zur Aus⸗ 


Suſpenſion gregem studentium suspenso studio inutiliter 


Hi 
Hi 
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bei 

Zum erſtenmal ſah ſich Bologna zu einer Verteidigung gegen ſolche Gefahr 
als den Pillius an ſich lockte. Pillius hatte ſich für 
und war dadurch in Schulden geraten, aus denen 

Bei dem hohen Zinsfuß von 20 Prozent, ber 
ex überſchritten wurde, wuchs eine ſolche Not 
und es iſt begreiflich, daß ſich Pilins überglücklich 
die Stadt Modena die nötige Summe anbot 


1 0 
111 
0 


170 Bologna beeidigte die Profefforen. 


wanderung nach anderen Orten zu veranlaſſen, ſondern jeden Ver: 
ſuch derart, von dem der Profeſſor Kenntnis erhalte, der ſtädtiſchen 
Behörde zur Anzeige zu bringen. Drittens verpflichtete der Eid dazu, 
der ſtädtiſchen Behörde auf Verlangen juriſtiſchen Rat zu erteilen ). 
Dieſer Eid iſt nicht unſerem heutigen Doktoreid zu vergleichen, er 
iſt entſtanden, ehe es eine rituelle Verleihung des Doktor⸗ 
titels gab und auch, nachdem ſie ausgebildet war, war dieſer der 
Stadt zu leiſtende Eid kein Teil des Aktes, wurde zeitweiſe auch 
von denen gefordert, welche Vorleſungen halten wollten, ohne zum 
Doktor promoviert zu ſein. Dieſer Eid gehörte zu den Vorbedin⸗ 
gungen der Habilitation, aber mit dem Eide gewann der Dozent 
kein Lehramt — er durfte lehren, aber er war nicht verpflichtet 


und nebenbei einen bedeutenden jährlichen Gehalt, wenn er Bologna verlaſſen und 
ſeine Schule in Modena eröffnen wollte. Pillius erzählt uns ſelbſt, wie ihn die 
Botſchaft traf und wie ſich nun das Gerücht in der Stadt verbreitete, die Behörde 
mit Beſorgnis erfüllte und zu jenem bis dahin unerhörten Schritte veranlaßte. 
(Aus Pillii Summa in tres libros, Prooemium (1484) bei Savigny IV, 312.) Da 
berief fie unter einem Vorwande ſämtliche Rechtslehrer (legales professores) auf 
das Stadthaus und nötigte fie dann, ſich eidlich zu verpflichten, die nächſten zwei 
Jahre nicht außerhalb Bolognas Vorleſungen über das römiſche Recht zu halten 
(iura scholastice tradere). Auch Pillius leiſtete den Eid, aber er verließ Bologna 
trotzdem, weil ihm Modena verſprach, jene Summe auch dann zu zahlen, wenn er 
nur komme und nach zwei Jahren die Vorleſungen beginne. Aus den Jahren 
1189 und 1198 liegen dann Beiſpiele der Vereidigung auf Lebenszeit vor, wie es 
der Text angibt, und damals oder doch Anfang des 13. Jahrhunderts wurde der 
Eid regelmäßig gefordert. Der Eid lautete 1189 (Sarti I, 2 Appendix p. 64): 
Juro ego Dominus N., quod ab hoc die in antea non regam scolas 
legum in aliquo loco nisi Bononiae. Nec ero in consilio, ut studium hujus 
eivitatis minuatur et si seivero aliquem ipsum minuere velle, Consulibus 
vel Potestati qui pro tempore erunt quam eitius potero nuntiabo et bons 
fide destruam. Consulibus vel Potestati qui pro tempore erunt bona fide 
eonsilium et adjutorium dabo de omnibus que a me petierint et credentiam 
eis tenebo. 

) Als Gegenleiſtung ſchwuren vorher ſechs Konſuln von Bologna im Namen 
und Auftrag des Rats dem Profeffor einen Eid, daß weder fie noch ihre Nachfolger 
ihm einen Eid auflegen wollten, durch den er der Stadt weiter verpflichtet, und ihn 
weder hindern noch zwingen wollten, in Bologna Vorleſungen zu halten. Savigny 
irrt, wenn er (III, 219, Note) in dieſem Eide eine Formalität ſieht, er enthielt 
eine weſentliche Verpflichtung der Stadt. Daß der Eid längere Zeit vor 1250 
Regel war, zeigt das Statut der Stadt: Statuti di Bologna, ed. L. Frati II. 
p. 22, lib. VII, 6. 


Bologna beeidigte die Profefloren. 171 


dn lehren. Seine Lehrthatigkeit blieb feine Privatſache. Der Eid 
fllt ſich inſofern vergleichen den Erforderniſſen, welche heute von 
dem Staate gegenüber erfüllt werden müſſen, ehe ihm die Er- 
erteilt werden kann, eine Privatſchule zu eröffnen. Bologna 
ſich durch dieſen Eid!) nicht die Thatigkeit der Gelehrten, 
entzog ſie nur den anderen Orten). Aber viele miſſen 
wieder entbunden worden ſein oder ſich nicht an den⸗ 
haben. Denn wie Pillius nach Modena ging, fo 
Arezzo, und in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderte 
die Profeſſorenlaufbahn des Guido de Suzara eine Art Wander⸗ 
ſchaft, und es half weder Modena noch Reggio, daß ſie ihn durch 
forgfältigen Kontrakt) und hohe Strafen im Falle des Kontrakt⸗ 
bruches zeitlebens feſtzuhalten ſuchten. Er ging doch wieder fort. 
waren ſo beweglich, aber alle wechſelten Ort und Stellung, 
wie es ihnen gut ſchien. Die Profeſſur war ein Gewerbe und kein 
Amt. Die Univerſitäten waren Werkſtätten und Märkte, in und 
auf denen die Gelehrten ihre Arbeit ausboten und verjahen. 
Naooch find einige Akten erhalten aus dem Streit von Bologna 
und Perugia um den damals beſonders zugkräftigen Jacobus de 
Belviſo ). Er war Bologneſe von Geburt, hatte auch in Bologna 
feine Dozententhätigkeit begonnen, dann in Arles und Neapel als 
Profeſſor und Rat König Karls II. von Neapel eine bedeutende 
entfaltet und den Ruhm eines ausgezeichneten Lehrers 
. erworben. Im Jahre 1308 lehrte er in Perugia auf Grund eines 
2 Kontraktes mit der Stadt, der ihn auf länger band. Ende Sommers 


5 


b 


) Babua forderte denſelben Eid. Stat. di Padova, ed. Gloria Nrp. 1211: 
„„ qui volet regere ... Padue ... juret alibi non regere. 

) Dergleichen Eide nehmen leicht den Charakter einer Formalität an, die 
ernft aufzufaſſen ſei, zumal wenn nun dieſe Thätigkeit Berhaltniſſe 
den 


Eid 

ließ ihn die Stadt denn auch ganz fallen; den Anlaß gab, daß fie in 
war und die Univerfität für das Aufgeben dieſes Eides eine kleine Summe 
Ghirardazzi I, 560. Zu 1312. 

Kontrakt mit Reggio füllt bei Tacoli, Memorie di Reggio 1742, I, 
Fofiofeiten und iſt ebenſo glänzend wie feierlich 

Rossi, Documenti per la storia dell’ Universitä di Perugia 
dei Professori ad ogni quarto di secolo. (Estratto aus dem 


f 
i 


’ 
* 
1 


22 
8 * 


f 


: Erudizione artistiea) p. 87 ftellt die hierauf bezuglichen Dokumente 
0 Mufammen. Dazu Denifle 538 ff. 


172 Bologna, Perugia und Jacobus de Belviſo. 


ſchickte ihm jedoch Bologna den Befehl zu, in die Heimat zurückzu⸗ 
kehren. Perugia ſchickte aber eine Geſandtſchaft nach Bologna, welche 
dem Gelehrten auch wirklich ein Jahr Verzug erwirkt zu haben ſcheint, 
allein 1309 hatte die Behörde von Perugia ſchon wieder über die 
gleiche Sache zu verhandeln. Bologna drohte, den Jacobus und 
ſeine ganze Familie mit Verbannung zu ſtrafen, ihre Güter und 
Häuſer zu zerſtören und einzuziehen, wenn er nicht binnen zehn 
Tagen erkläre, daß er vor Beginn des neuen Studienjahres in 
Bologna ankommen werde. Jacobus gehörte einer vornehmen Familie 
an, und es war nichts Ungewöhnliches, derartige Drohungen aus⸗ 
geführt zu ſehen. Perugia beſchloß deshalb, den Bedrohten zu beruhigen 
und zu entſchädigen. Er ſolle Bürger der Stadt werden und auf 
Lebenszeit ein bedeutendes Gehalt beziehen, auch ſolle wieder eine 
ſtädtiſche Geſandtſchaft nach Belogna gehen, um die Drohungen ab⸗ 
zuwenden. Erreiche die Geſandtſchaft nichts, ſo werde Perugia dem 
Gelehrten für jene Schädigungen Erſatz zu ſchaffen ſuchen. Falls 
aber Jacobus auf dieſes Angebot nicht eingehen wolle, ſo ſollte er 
von ſeinen Schülern, die ſich zu dem Zweck ablöſen würden, in an⸗ 
ſtändiger Haft gehalten und ſo gezwungen werden, die Verpflichtungen 
zu erfüllen, welche er durch Vertrag mit dem Syndikus der Stadt 
Perugia übernommen habe!). Ein merkwürdiges Schauſpiel und in 
unſeren Tagen kaum begreiflich. Zwei Städte halten Amtsſitzungen, 
ſchicken Geſandtſchaften, bekämpfen einander mit Bitten und Drohungen, 
um für ihre Univerſität einen Gelehrten zu gewinnen. Und nun 
gar der Gedanke, die Schüler des Profeſſors zu einer Polizei zu 
organiſieren, welche ihn hindert, daß er aus der Stadt entfliehe, 
und ihn zwingt, ſeine Vorleſungen zu halten. Aber damit war die 
Sache noch nicht erledigt. Jacobus ging nach Bologna und in einer 
gas ſtbung des folgenden Jahres 1310 klagte die Behörde, daß für 


ren geeigneter Erſatz beſchafft werden könne und daß die Unis 


eis kencbeshalb zurückgehe ). Im nächſten Jahre 1311 durfte ſich 
) doc der Stadt Perugia wieder anbieten, und die Scholaren 

und Auftrag 1 baten den Rat dringend, ihn zu berufen. Es wurde 

ihm einen Eid 

weder hindern ie IV, 89, Nro. 11 (Estratto p. 25): Et si dietus d. J. d. B. 

irrt, wenn er (Iloredieta, quod per suos scolares vicissim curialiter eusto- 

eine weſentliche Beno cogatur observare quod promisit, ut patet in pactis 

Regel war, zeigt das sindieum comunis Perusii. 

p. 22, lib. VII, 6. . 12: studium civitatis P. minuitur et destruitur. 


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r 


Jacobus de Belviſo. 173 


laren von Bologna an den Nat mit einer Eingabe, 
führte, der Hat möge den Jacobus zurückrufen, dann 


befahl ihm demgemäß die Rückkehr und ließ ſich auch nicht 
die Geſandtſchaft erweichen, welche Perugia wieder wie vor 
2 Jahren ſchickte ). Jacobus wurde als Bürger zurückgerufen, aber 
konnte auch der Habilitationseid als Feſſel benutzt 
namentlich wenn der Betreffende in dem Staategebiet Güter 
). pflegte auch in vielen Städten bei längeren Kon⸗ 
die Bedingung geſtellt zu werden, daß der Profeſſor einen 
der bedungenen Summe in Grundbeſitz anlege. Dieſe Ver⸗ 
handlungen gewähren ein lebhaftes Bild von der Rivalität der 
anderen Rechtsſchulen mit Bologna und auch der Wechſel in Bolognas 
Verhalten iſt zu beachten. Es ſcheint, daß hier die Sorge für die 


den glänzenden Konkurrenten gern wo anders ſahen, oder weil der Nat 
aus irgendwelchen Gründen, etwa um die Partei zu ſchwächen, zu der 
Jacobus gehörte, es wünſchte oder doch gern zuließ. 

Die Profeſſoren von Bologna unterſtützten die Stadt in dieſem 
gegen die Nachbaruniverſitäten durch eine Theorie, welche 
| fie auf die Konſtitution „Omnem reipublicae* gründeten. In dieſer 
Ronſtitution, welche einen Teil der Verordnungen bildet, durch welche 
AKAatſer Juſtinian ſein großes Geſetzbuch publizierte, findet ſich ein 


| A. Rossi Nro. 84: Domini priores artium ... providerunt ... quod 
ad eivitatem bononie mictantur duo ambaxiatores expensis communis 


5 


| ) In ähnlicher Weiſe rief Perugia feinen Bürger Baldus aus Padua zurück. 
er mute 1379 im November ſogar feine Borlefung unterbrechen und Padua 
er dazu verpflichtet ſe. Savigny VI, 223, Note e druckt die 
Schlußrede des Baldus ab. Er verſpricht darin, den fehlenden Teil der Borlefung 
mn Perugia audjmarbeiten und transmittam ad rectores vestri venera- 
dilis studii Paduani. Auch in dieſer rückſichtsloſen Gewalt über ihre Bürger 
2 nditichen dieſe Stadt; Staaten ihren klaſſiſchen Borgangern. 


1 . 
1 P Be - i 
u m. . W 3 
=, 2 


174 Die Constitutio mem. 


Abſchnitt über das Studium des Rechts !). Darin ward beſtimmt, 
daß Rechtsſchulen, außer in der ſyriſchen Stadt Beryt, der dies Recht 
von früheren Kaiſern verliehen worden war, nur in den eivitates 
regiae, Rom und Konſtantinopel, ſein durften, Rechtsſchulen an 
anderen Orten wurden als ungeſetzlich, als studia adulterina 
bezeichnet. Den Ausdruck civitates regiae, der ſichtlich im Sinne 
von Reſidenzſtädten gemeint war, erklärten die Bologneſer Juriſten 
als „Städte, die von einem Kaiſer gegründet ſind“ und behaupteten, 
nur in ſolchen Städten dürfe das Geſetzbuch Juſtinians erklärt werden. 
Bologna ſei — jo war die lokale Meinung — von Kaiſer Theodoſius 


gegründet, deshalb ſei in Bologna eine legitime Rechtsſchule, aber 


nur in Alt⸗Bologna citra Aposam, der Teil jenſeits dieſes Bächleins 
ſei neueren Urſprungs, ſei nicht civitas regia. Den berühmten Le⸗ 
giſten Azo ſollen aus dieſem Grunde ſeine Scholaren gedrängt haben, 
ſein Auditorium zu verlegen“). Man war offenbar nur deshalb jo 


) Digesta rec. Th. Mommsen p. XVI. Constitutio „Omnem* $ 7: 
Haec autem tria volumina a nobis composita tradi eis (discipulis) tam in 
regiis urbibus quam in Berytiensium pulcherrima eivitate ., tantummodo 
volumus, quod jam et a retro prineipibus constitutum est, et non in aliis 
locis quae a majoribus tale non meruerint privilegium: quis audivimus, 
etiam in Alexandrina splendidissima eivitate et in Caesariensium et in 
aliis quosdam imperitos homines devagare et doctrinam discipulis adulte- 
rinam tradere; quos sub hac interminatione ab hoc conamine repellimus, 
ut si ausi fuerint in posterum hoc perpetrare et extra urbes regias et 
Berytiensium metropolim hoc facere, X librarum auri poena plectantur et 
rejiciantur ab ea civitate, in qua non leges docent sed in leges committunt. 

) Odofred erwähnt es Sarti I, 75: Custodiatis vos (die Zuhörer) hie 
propter unam glossam hie seriptam, et est dn. Joannis et Azonis, 
et hi glossant hie: remissionem non habent (fie haben keinen An⸗ 
ſpruch auf die Privilegien). Igitur doctores qui docent ultra Aposam, 
non debent habere immunitatem, de quo docebat dominus Bag, 
unde procedebat hoc. Scholares voluerunt, quod dominus Azo 
legeret in plates 8. Stephani. Dicebant enim: Bononia est regia 
civitas, ut invenitur in legenda 8. Ambrosii et S. Petronii. Et Bononis 
est ab Aposa citra. Unde dicebant ipsi. Si nos docemus in regia civitate, 
debemus habere immunitatem si citra Aposam, si ultra, non; similiter et 
liberi eorum et uxores debent habere immunitatem, non qui docent 
leges Regii vel Mutinse, Immo est una proditio. Odofred ad J. si duas. 
l. de excusat. Ebenſo lehrte Accurſtus „in aliqua civitate regis ut 
Bononiae,,.. non ultra Aposam, quia extra eivitatem veterem 
est, non Mutinae, non Regii.“ Gloffe zu demſelben Geſetz eit. bei Sarti 


175 


übte Reggio, Modena u. ſ. w. als studia adulterina zu bezeichnen, 
denn die Theorie berubte ganz auf willkürlicher Interpretation. Pillius, 
er um 1180 Bologna verließ und in Modena ſeine Vorleſungen 
mit aller Schärfe, das Privileg der 
und Beryt auf ein Monopol bes 

der Geſchichte beſeitigt ). „Es 

das Recht in jedem beliebigen Orte zu lehren, 
allem in Bologna, welche Stadt gewiſſermaßen 
Königin der Rechtsſchulen war, aber auch in Modena, wo ich 
die Geheimniſſe der Jurisprudenz offenbar machen ſoll.“ So 
g war, und ſo viele auch gleicherweiſe 
hat die Theorie von den civitates regiae doch ein wich⸗ 
in der Ausbildung der Lehre von den studia 
ließen ſich weder die anderen Städte durch 
halten, wenn ſie eine Rechtsſchule gründen wollten, 
iversitas scholarium von Bologna ſelbſt. Sobald fie 
in Streit gerieten, ſo ließen ſich die Scholaren an 
2 „der ihnen jeweilig die beſten Bedingungen zu bieten 
„und fragten nicht, ob es eine civitas regia ſei. Dieſe Aus⸗ 
wanderungen bieten nun ein noch bedeutſameres Moment in der Ent⸗ 
Bolognas und der rivaliſierenden Univerſitäten ). Nach 


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17 
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. . O. Die Gloſſatoren interpretieren hier, wie oftmals, die Worte der Kon: 
 Mitmtion gegen die unzweldeutige Meinung des Gefehgebers. 

5 J Sarti 1,75: Verum cum imperium modernis temporibus seissuram 
wert. istse quoque civitates dune (Konſtantinopel und Beryt, die beiden 
Schulen des Orients) dominstionem perdiderunt, coeperunt quoque jura 
A4zuovis loca tradi et Bononiae maxime, quae legalium studiorum monarchiam 
tenuit nec non Mutinae, in qua Jurisprudentise arcana reseramus. 
3 ) ech die amtlich aufgeſetzte und als Kapitel I in den Statuten der 
JVuriſtenuniverſudt (ed. 1551) aufgenommene Geſchichte der Berfafiung von Badua 
i bert nicht hervorzuheben, daß Padua eine Urbs Regis ſei: Studium juris 


Das Alteſte belannte Beiſpiel fällt in das Jahr 1204, wo mehrere Doktoren 
einer anſehmlichen Schar von Schülern nach Bicenza zogen. Den Anlaß kennen 
3 nicht, aber es muß eine ſtarte Erregung geweſen fein, denn auch ſolche Scho⸗ 
ue zogen mit, die Bürger von Bologna waren, und die Stadt bedrohte fie dafür 
w Konftskation aller Güter. In Vicenza erwarten die Scholaren Grundbefig, 


6 


176 Der Vertrag mit Vercelli. 


großen Streitigkeiten zwiſchen der Stadt und den Scholaren, die 
ſechs Jahre hindurch alle Verhältniſſe der Univerſität erſchütterten, 
erfolgte im Jahre 1222 eine Auswanderung von über tauſend, 
vielleicht mehreren tauſend Scholaren und Doktoren nach Padua), 
wo ſie ein Studium bildeten, deſſen Glanz die Stadt Vercelli 1228 
verlockte, durch eine ganz außerordentliche Anſtrengung dasſelbe für 
ſich zu gewinnen ). Sie ſchickte Bevollmächtigte nach Padua, welche 
heimlich mit den Scholaren verhandelten, um ſie zu bewegen, das 
Studium nach Vercelli zu verlegen, und es kam zu einem Vertrag, der 
die wichtigſten Seiten der Entwicklung der italieniſchen Univerſitäten 
hell beleuchtet. Die Scholaren bildeten damals in Padua eine uni- 
versitas, welche ſich aus vier engeren Genoſſenſchaften zuſammenſetzte, 
die nach Nationen gebildet waren, gewöhnlich aber nicht nationes, 
ſondern rectoriae genannt wurden, weil ihre Vorſteher Rektoren 
hießen). Die Vertreter der Rektorien verſprachen dem Boten der 
Stadt Vercelli, daß ſie ſich ehrlich bemühen würden, ſo viel Scholaren 
nach Vercelli zu führen, daß die von der Stadt bereit geſtellten 
500 Wohnungen gefüllt würden, womöglich aber das ganze Studium, 
d. h. die ganze damals in Padua verſammelte und organiſierte Schar 


| 
f 
| 


den fie aber bald (Mittarelli, Ann. Camaldul. IV, 260 ff.) wieder aufgaben, fie 
kehrten alſo vermutlich nach Bologna zurück, etwa 1210. 

) Der Kontrakt, auf Grund deſſen fie ſich in Padua niederließen, iſt nicht 
erhalten, da aber der gleich zu erörternde Vertrag, welchen Vercelli 1228 mit 
ihnen abſchloß, in weſentlichen Punkten den im Stadtbuch von Padua von 1262 
die Univerſität regelnden Paragraphen gleicht, ſo wird Vercelli bei ſeinem Vertrag 
von 1228 wohl den Kontrakt von 1222 zwiſchen Padua und den Scholaren zum 
Vorbilde genommen haben. 

) Der Kontrakt iſt abgedruckt bei Savigny III, 666 f. und neuerdings bei 
Balliano, Della Universitä degli studi di Vercelli. Vercelli 1868, p. 88—41. 

) Die erfte umfaßt unter dem Namen Franeigenae Franzoſen, Engländer 
und Normannen, die zweite, Italici, alle ſüdlich der Alpen, die dritte bildeten die 
Theutoniei, die vierte bildeten die Provengalen, dazu die Katalonier und Spanier. 
Die Verbindung unter dieſen vier Rektorien war nicht feft, die Deutſchen beteiligten 
ſich zunächſt nicht einmal an den Verhandlungen, auch wurde kein gemeinſamer 
Vorſtand beſtellt, vielmehr fürchtete jede Nation, von der anderen überflügelt zu 
werden, und es wurde in den Vertrag die Bedingung aufgenommen, daß ein 
Rektor gleich viel Geltung und Befugnis haben ſolle wie der andere, und nicht 
etwa derjenige der zahlreicheren Nation mehr. Darum jollte auch von dieſem 
Vertrage nicht nur eine Urkunde aufgeſetzt werden, ſondern für jeden der Nektoren 
eine beſondere. 


— 5 2 


5 Be 


a 


Die Bemühungen von Vercelli. 177 


ZZ 


von Lehrern und Schülern, und daß dies Studium acht Jahre in 


Vercelli bliebe. Die Stadt gelobte dagegen, 500 Wohnungen, und 
wenn nötig noch mehr, bereit zu ſtellen, deren Preis von einer aus 


Bürgern und Scholaren gemiſchten Kommiſſion beſtimmt werde; 
ferner eine Reihe von Einrichtungen zu treffen, welche eine Teuerung 
und die llebervorteilung der Scholaren durch Vorläufer verhüteten, 
auch Bankiers, Buchhändler und Pedelle zu beſtellen. Außerdem erbot 
ſich die Stadt, eine große Summe vorzuſchießen, um den Scholaren 
bie Ueberſiedelung von Padua nach Vercelli (über 200 Kilometer) 
möglich zu machen, wobei über die Zahlung, den Zinsfuß, die Pfänder 
und Bürgſchaften genaue und für die Scholaren äußerſt günftige Beſtim⸗ 
mungen getroffen wurden ). Sie erkannte ferner die durch die Habita 
üblich gewordenen Gerichtsprivilegien an und gelobte den Scholaren 
gleichen Schutz und gleiches Recht, wie den eigenen Bürgern. Um 
endlich auch die Profeſſoren ſicher zu ſtellen gegen die Verluſte, welche 
ſie gewärtigen mußten, wenn ſie, ſtatt nach Bologna zurückzugehen, 
N immer noch die größte Maſſe von Scholaren hatte, in 
Vercelli ihre Vorleſungen eröffneten, ungewiß, wieviel Scholaren dort 
fi einfinden würden: fo erbot ſich die Stadt, für vierzehn Profeſſoren 
Gehälter zu zahlen“), deren Wahl alle Jahre durch die vier Rektoren 
erfolgen ſollte ). Die Scholaren verpflichteten ſich dann endlich noch, 


1 
8 


) Der Zins betrug gewöhnlich 20 Prozent, 4 Denare von der Lira monatlich, 
ober mehr, der Vertrag ſagte 2 (ſpäter 3) Denare von der Lira. it dies von dem 
Monat zu verſtehen — und das iſt wahrſcheinlich — fo wäre es der halbe Preis. Savigny 
versteht 2 Denare vom Jahre, ebenſo, wie es ſcheint, Denifle S. 279. Allein das wäre 
ja ſaſt finsloſes Darlehen, während die Städte in den entſprechenden Beſtimmungen 
den Scholaren nur Erleichterung zu geben ſuchten. Die Habita wird nicht genannt, 
ihre Beſtimmungen liegen mehreren Punkten des Vertrags zu Grunde, und der 


Vertrag ſpricht auch von privilegia scholarium als von einem bekannten Begriff. 

) Für einen Theologen, drei Legiſten, vier Kanoniſten, zwei Mediziner, vier 
Artiſten. Das Honorar follte feftgeftellt werden durch eine Kommiſſion aus zwei 
Scholaten und zwei Bürgern, welche in den Fällen, in denen ſich feine Majorität 
finde, die Eniſcheidung dem Biſchofe übertrug. 

Ste konnten Gelehrte wählen, die in der Stadt waren, Bürger oder 
Schelaten, und ſolche, die in anderen Orten lebten oder lehrten Waren bie 
Vektoren uneinig, fo hatten fie die Entscheidung dem jeweiligen Profeſſor der 
Theologte zu übertragen. Sie hatten außer dem in erfter Linie Gewählten andere 
Namen beizufügen, von denen fie glaubten, daß fie geeignet und für das aus 


i 
f 
fi 


Die Lifte der Gewählten war dem Pobefta 
vierzehn Tagen auf Koſten der Stadt zuver⸗ 
I. 12 


| 
| 


178 Fuſammenwirken von Stadt und Korporation. 


nicht als Advokaten thätig jein zu wollen, außer in Angelegenheiten 
von Scholaren, und nichts zu thun zum Schaden der Stadt, ſondern ihr, 
wo ſie könnten, Schaden zu wehren. Beſonders wurde noch hervor⸗ 
gehoben, daß ſich die Scholaren nicht an dem Parteiweſen der Bürger 
beteiligen dürften, daß aber auch umgekehrt die Bürger ſich nicht in 
Streitigkeiten der Scholaren einmiſchen ſollten. 

Das Studium von Vercelli entſtand alſo durch einen Vertrag, den 
die bereits in Bologna und Padua gebildete und als fertige Organi⸗ 
ſation nach Vercelli überſiedelnde Korporation mit der Stadt abge⸗ 
ſchloſſen hatte und zwar auf eine beſtimmte Reihe von Jahren ). Dieſe 
Zeitbeſtimmung läßt die Korporation noch deutlicher in ihrer Unab⸗ 
hängigkeit hervortreten: aber für ſich allein ſchuf die Korporation die 
Lehranſtalt doch auch wieder nicht und leitete ſie nicht. Das eine wie 
das andere geſchah durch Zuſammenwirken der Korporation mit der 
Stadt, und die Stadt erſcheint dabei als die überlegene, gewährende 
Macht. Sie wandelte die loſe Korporation um zu einem in geſetzlicher 
Ordnung und mit rechtlicher Kraft wirkenden Organ einer Lehranſtalt. 
Andere Mächte wirkten bei der Gründung nicht mit, weder der Kaiſer 
noch der Papſt, noch ein Legat oder Biſchof. Weder die Stadt noch die 
Scholaren hielten das für notwendig und zweifelten doch keinen Augen⸗ 
blick, daß ſie eine Univerſität bildeten, wie Bologna. Die Zeitbeſtimmung 
des Kontrakts legt noch eine Beobachtung nahe. Sie verrät, daß 
die Scholaren doch die Möglichkeit einer Rückkehr nach Bologna im 
Auge behielten, und als die acht Jahre abgelaufen waren, entſchloſſen 
ſie ſich auch noch nicht für einen dauernden Aufenthalt in Vercelli, 
ſondern erneuerten den Kontrakt wieder nur auf acht Jahre. Ebenſo 


läffige Unterhändler an fie abzuſenden, um fie zu gewinnen und in Pflicht zu 
nehmen. (Ita quod dieti domini et magistri, qui debent salarium pereipere 
a communi Vercellarum, eligantur a quatuor rectoribus .. juratis, quod 
bona fide eligent meliores dominos et magistros in civitate vel extra et 
substituent eis alios meliores usque ad certum gradum, quos crediderint 
posse haberi ad salarium,) 

1) In den Statuten von Vercelli von 1241, welche aber teilweiſe ältere Ber 
ſtimmungen bewahren, ſteht unter den marktpolizeilichen Beſtimmungen die Klauſel: 
salvis tamen omnibus pactibus et conventionibus scolarium. Auch in der Form 
salvis tamen omnibus condicionibus scolarium, qui loquuntur de vietaalibus, 
donee studium generale steterit in hae eivitate. In Monum. historise patrise 
16, 1202, $ 290, und 16, 208, $ 295. In $ 208 die letzte Klauſel mit dem Zuſat 
vor donec: „usque ad octo annos.“ 


Bologuas Stolz. 179 


= — die nach Treviſo und Vicenza Ausgewanderten nur einige 

geit ). Man ſieht, auf die Dauer mochten fie ſich nicht von Bologna 
yo a das eine unvergleichliche Anziehung ausübte. Viele Scholaren, 
3 die aus der Fremde gekommen waren, blieben ganz, und durch zehn⸗ 


entfremdet und ihren Intereſſen entwachſen. Sie blieben, wie die 
* der römiſchen Legionen in den Lagerſtädten blieben. Auf 
dieſe Anziehungskraft rechnete Bologna, und während Modena, Ver⸗ 

w. große Opfer brachten, um die Scholaren anzuziehen, 

begnügte ſich Bologna damit, den Scholaren die Privilegien der 
Habita zu gewähren ), die Bildung der Korporation und die Gerichts⸗ 
barkeit des Rektors derſelben anzuerkennen“), ihnen den gleichen Schutz 
zu ſichern, den die Bürger genoſſen, und auch den Bürgern, welche 
ſich am Studium beteiligten, ähnliche Erleichterungen wie den fremden 
Scholaren zu gewähren, namentlich bezüglich der Heerespflicht *). Aber 
im übrigen überließ Bologna die Univerſität ihrer eigenen Kraft. Dabei 


war dieſelbe zur Blüte gekommen, und auf dieſe Blüte waren die Bürger 


Holz, und nun machte fie der Ruhm ihrer Univerfität übermütig und 
hartnäckig, wie er fie reich machte. Selbſt jo dringenden Bedürfniſſen, 
wie der durch die oben erwähnten päpſtlichen Erlaſſe aufgedeckten 


bei dieſem regelloſen Bieten und Ueberbieten, und der Konkurrenz 
der Nachbarſtädte glaubten ſie durch jene Beeidigung der Profeſſoren 
und durch Strafen gegen die Teilnahme an den Auswanderungen 


) Fur Treviſo folgt dies aus der Urkunde von 1271 bei Verei II, Doc. 186 

p. 185: occasione scholariorum, qui tune temporis stabant in Tar. ad studendum. 
) Die Kriminalgerichtsbarkeit kam allerdings bald nach 1200 wieder an den 
adtiſchen Richter, aber durch freien Verzicht der Scholaren. Es hatte ſich gezeigt. 
daß die Proſeſſoren dazu nicht geeignet ſeien, namentlich nicht in erregten Zeiten. 
) Johannes Baſſtanus, der vor 1200 ſtarb, bekämpfte bereits das Necht der 

aus ihrer Mitte den Nektor zu wählen. Dieſe Einrichtung muß alſo 
vor 1200 von der Stadt anerkannt fein, denn ohne dieſe Anerkennung 
ms geſichert. Daß die Proſeſſoren Anfang des 13. Jahrhundertß 
dem Nettor der Scholaren Gehorſam ſchuldeten, fagt ren In, 1228 
(Savioli 111, 2, 8.56): legum doctoribus, qui... stare, ut tene- 


: 
1 


doertur sententise reetorum contempserunt. 


Statut di Bologna, ed. Luigi Frati I, 497 (Lib. VI. 37). 


WW 
5 * 


— 


180 Honorius III. beſtärkt die Scholaren in ihrem Widerſtande. 


begegnen zu können. In den Kämpfen, welche daraus entſtanden, 
ſtellte die Stadt 1216 oder etwas früher die Forderung, daß auch 
diejenigen den Profeſſoreneid leiſten ſollten, welche nicht ordinarie, 
ſondern nur „außerordentlich“ leſen wollten“). Dazu gehörten auch 
alle die älteren Scholaren und fremden Doktoren, die der Uebung 
und des Anſehens halber in Bologna eine Zeitlang Vorleſungen 
hielten, ohne die Abſicht, in Bologna aus dem Lehren einen Beruf 
zu machen. Zweitens ſollten die Rektoren der Scholaren vor Antritt 
ihres Amtes ſchwören, zu einer Auswanderung der Scholaren nicht 
mitwirken zu wollen und jedem Verſuche dieſer Art entgegen zu wirken. 
Gerade die älteren und hervorragenden Scholaren wären dann in 
ähnlicher Weiſe der Stadt verpflichtet worden, wie die Profeſſoren, 
und für den Fall eines Kampfes mit der Stadt wäre die universitas 
scholarium ihrer beſten Kräfte beraubt geweſen. Die Scholaren 
verpflichteten ſich deshalb durch Eidſchwur, dieſe Forderungen abzu⸗ 
lehnen, und Papſt Honorius III. ermahnte diejenigen, welche nachgeben 
wollten, die Studentenehre rein zu erhalten, den Eid nicht zu brechen, 
den ſie den Kameraden geleiſtet hätten. Sie ſollten lieber auswandern, 
als ſich dem Podeſta fügen, ſie dürften weder ihre Genoſſenſchaft 
auflöſen ), noch auch jene gegen die Freiheit der Scholaren gerichtete 


) Sarti I, 2 App. p. 57. 

) Sarti I, 2 App. p. 58. Brief an die Scholaren aus Rom, der Cam⸗ 
pagna und Toscana, 1217: „Diligenti vos decet sollicitudine precavere ne... 
a vobis aliqua presumantur quae scholasticam in aliquo dedeceant puri- 
tatem. Quapropter universitatem vestram monemus et exhortamur in 
Domino’ per Apostolica vobis seripta mandantes: quatenus in actibus vestris 
eam de cetero modestiam observetis, ut et infamie notam et rerum dis- 
pendium omnino vitetis; de civitate exire quam perjurii reatum incurrere 
potius eligentes, si ad alterum predictorum vos contigerit per potestatem 
arctari: Vos enim societatem dissolvere aut statutum illad contra liber- 
tatem scholarium vestris statutis inserere non potestis, qui utrumque 
servare et quam potestis diligentius procurare fide interposita promisistis.“ 
Dies Eingreifen des Papſtes beendete den Kampf nicht, wird aber von den ſtand⸗ 
haften Scholaren als mächtige Waſſe gegen die nachgiebigen gebraucht ſein. Es 
kam zu häufigen Schlägereien und zu dem feierlichen Verruf. Es iſt bezeichnend, 
daß damals (1219) der Papft dem Archidiakonen von Bologna die Vollmacht 
erteilte, Doktoren und Scholaren zu abfolvieren, welche Geiſtliche, unter den 
Scholaren oder andere, geſchlagen hätten und deshalb der Exkommunikation ver⸗ 
fallen müßten. Dies komme in Bologna häufig vor. Sarti I, 2 App. 59, 
E. Zane cum sepe contingat in eivitate Bon. plures Doctores et Scholares 


i 
| 
| 


GEF 


„ 


. Die Profefforen auf feiten der Stadt 181 


deln, fie würde fie zur Auswanderung treiben ). 
rofeſſoren wandte er ſich mit ſcharſem Tadel, weil 


eine Folge dieſer Kämpfe und diente dem Briefe des Papites 
zum ernſten Hintergrund, indeſſen, was er erreichte, iſt 
belannt, und die folgenden Jahre wurde die Stadt durch den 
Kampf mit Kaiſer 80 II. in Anſpruch genommen, der 1226 
verbot“). Da Bologna die kaiſerliche Konſtitution 

Juſtinians benutzt hatte, um zu beweiſen, daß die anderen Städte 
fein Recht hätten, Bologna Konkurrenz zu machen, jo mußte dies 
kaiſerliche Verbot Bologna beſonders peinlich treffen, zumal Modena, 
dem Bologna das Recht auf eine legitime Schule juris caesarei 
beſtritt, gleichzeitig vom Kaiſer ſichtlich begünſtigt wurde). Indeſſen 
geriet Friedrich II. bald in Bedrängnis und mußte noch in demſelben 
Jahre die Vermittlung des Papſtes anrufen, ſeinen Streit mit den 


propter violentas injectiones manuum in clericos excommunicati decedant.... 
qui ad invicem in se aut in alias personas ecclesiasticas manus injecerint 
violentas, 
J Beionderd nachdrücklich durch den Brief Oktober 1224 bei Savioli, 
Annali Bolognesi. Bassano 1795 III. 2, p. 56, Nro. 547: Unde ... miramur 
quod sicut universitas scholarium transmissa nobis conquestione monstravit. 
vos libertatem eorum infringere molientes dura contra eam statuta noviter 
edidistis, nec ipsos rectores vel consiliarios sustinentes habere illos, quos 
ad hoe prefecerint, tanquam bannitos civitatem vestram compulsistis exire, 
 suggerentibus id legum doctoribus .. qui non communia sed privata 
 querenies stare ut tenebantur sententie rectorum scholarium contem- 
pserunt ... Hortamur „.. per apostolica scripta mandantes, quatenus ... 
bannam, «ai reciores et consiliarios subjecistis, penitus relaxetis, nec im- 
pedientes eos, quominus sicut hactenus habeant consiliarios et rectores, 
 Ipsorum rationabilibus statutis vos nullatenus opponatis. 
J Folgende Seite Anm. 1. 
J Böhmer-Fider, Regefien 1630 bis 1632. Bezeichnend für die da⸗ 
wage Auffaſſung iſt, daß Modena dieſe Gelegenheit nicht benutzte, ſich ein 
Prioileg für feine Univerfität geben zu laſſen. Man hielt es nicht für notwendig. 
ſeondern hielt daran ſeſt, daß die Schule bisher ebenfalls cine rechte Schule 
(studium legitimum) geweſen ſei. Man hätte den cgoiſtiſchen Theorien der 
Vologneſen ſonſt gewiſſermaßen recht gegeben. 


n N 1 
Pr 8 * 5 2 9 W * 4 


182 Das Ergebnis. 


Städten als Schiedsrichter zu entſcheiden. Unter den Bedingungen, 
welche Papſt Honorius dann feſtſetzte und Friedrich annahm, wurde 
ausdrücklich auch die aufgeführt, daß Friedrich das Edikt widerrufe, 
welches er gegen das Studium in Bologna und die, welche dort 
ſtudieren würden, erlaſſen hatte ). Vermutlich half nun gerade dieſer 
Angriff des Kaiſers dazu, daß der Papſt den Groll vergaß, den er 
wegen der Hartnäckigkeit der Stadt in dem Scholarenſtreit hegen 
mochte. Auch heftige Verfaſſungskämpfe erſchütterten in jener Zeit 
die Stadt, die ohne Zweifel auf den Verlauf des Streits der Stadt 
mit den Scholaren entſcheidend einwirkten. Doch läßt ſich nicht jagen, 
wie ſich die verſchiedenen Parteien dazu verhielten: nur das Reſultat 
iſt bekannt, wie es in den ſtädtiſchen Statuten von 1250 vorliegt. 
Danach hat die Stadt den Eid der lectores extraordinarü fallen 
laſſen, hielt aber feſt daran, daß die Rektoren nach der Wahl in 
ihrem Amtseide geloben müßten, eine Auswanderung der Scholaren 
nicht zu planen und nicht zu fördern. Auch die ſcharfen Beſtimmungen, 
welche 1204 und 1217 gegen die Bürger erlaſſen waren, welche aus⸗ 
wandernden Scholaren folgten oder Hilfe leiſteten, wurden wieder⸗ 
holt. Der größte Teil der Scholaren fügte ſich denn auch und blieb 
in Bologna!) trotz jener Drohungen des Papſtes und ihrer Genoſſen, 
denn 1226 hatte Bologna eine Univerſität, die alle anderen in Schatten 


) Sarti I. 2 App. 69. Winkelmann, Acta, I, 263: „sententias ... revo- 
camus et specialiter constitutionem factam de studio et studentibus Bononie.“ 
Mailand, Brescia, Mantua, Verona, Piacenza, Vercelli, Aleſſandria, Lodi, Treviſo, 
Padua, Vicenza u. a. waren mit dem Banne belegt worden, aber die in dieſen 
Städten etwa vorhandenen studia et scholae wurden ignoriert und nur Bologna 
genannt. Bgl. Winkelmann, Geſch. Friedr. II., S. 205 f. 

) Die auswandernden Scholaren hatten (12227) über die zurückbleibenden 
den Verruf verhängt. Wer fortan noch als Lehrender oder Lernender in Bologna 
dem Studium obliege (studet Bononie heißt es auch von den Profeſſoren), der 
ſolle ehrlos ſein, er ſolle zu rechtskräftigen Handlungen nicht zugelaſſen werden 
und die Fähigkeit verlieren, Zeugnis abzulegen, ein Teſtament zu machen und aus 
einem Teſtament oder ſonſt einer letztwilligen Verfügung zu erben. Die Stadt 
beſchloß dagegen, daß wer einen ſolchen Berruf gegen die gehorſam Zurückgebliebenen 
erhebe, ſeinerſelts rechtsunfähig und im Banne der Stadt ſein ſollte. Alle jene 
Nachteile ſollten ihn ſelbſt treſſen und ſeine Güter ſollten verkauft werden, quod 
sit infamis vel quod ad actus legitimos non admittatur vel quod sit intesta- 
bills vel ex nullius capiat testamento seu qualibet ultima voluntate vel 
ejus sententia tanquam illegitima reputetur ideo quod Bononine studet vel 
docendo vel addiscendo. Statuts communis Bon., ed. Luigi Frati II, 28. 


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127 


Einfluß der großen Fahl der Scholaren. 183 


tauſend oder mehr Scholaren nach Padua gezogen 
vielleicht auch nach anderen Orten, ſo drückte ſich Kaiſer 
der Friedensurkunde doch ſo aus, als ob nur in Bologna 
at ſei, als ob die Schulen in den anderen Orten neben 
von Bologna nicht weiter zu berückſichtigen ſeien. Vielleicht traute 
ihnen keine Lebenskraft zu, ſah ſie mehr nur als Abzweigungen 
Bologna an. 
Die Stadt hätte Aug daran gethan, dem Nate des Papites 
und die Scholaren mehr mit Güte zurückzuhalten, allein 
Politik ſolcher Stadt⸗Staaten iſt ebenſo leicht engherzig, wie ſie 
umgekehrt zu Zeiten opferwillig und großartig fein kann. Auch läßt 
fi begreifen, daß die Stadt größere Befugniſſe und weitergehende 
Vollmachten verlangte, um das Treiben der Scholaren überwachen 
zu können ). Der Streit brach aus, als der Ruf des Azo und ſeiner 
Rivalen ſowie ſeiner Schüler bis zu 10000 Studenten in 


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großen 
Bologna vereinigte. Die Zahl wird durch den Nachfolger Odofred 
a der 


in jenen Tagen in Bologna ſtudiert hatte, 
Angaben über die Auswanderungen, die Wohnungsnot 
u. ſ. w. beſtätigt ). Eine jo große Maſſe von anſpruchsvollen Fremden 

ihr bloßes Daſein Schwierigkeiten und Gefahren, 
Padua, Vercelli, Modena und den anderen Orten keine 
als einige hundert fremde Scholaren hatten. 


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ben Bapft fo entschieden für die Scholaren eintreten zu 
noch nicht entschieden, ob in allen Fällen bas Necht auf 


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94, Note b, teilt die Stelle aus Odofreds Kommentar zur 
hoc in eivitate ista (Bon.) tempore du. Azonis, quod 
poterant declinare forum in causa criminali et erant hic tune 


holares. Auch der große Dekretiſt Johannes 


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184 Die Gleichartigkeit der Bildung. 


2. Die Organifation. 


Alle dieſe Univerfitäten Italiens entſtanden durch das Zuſammen⸗ 
wirken der ſtädtiſchen Behörde und ſtädtiſchen Korporationen (Kollegien 
der Richter, der Aerzte, der Notare) mit den Scholarenkorporationen. 
Sie waren einander gleichartig in der Bildung der Korporationen, 
in der Methode des Studiums, in den Anforderungen und der Art 
der Prüfungen, in dem Material an Scholaren und Lehrern und 
dem Verkehr derſelben miteinander, ſowie darin, daß die letzte Ent⸗ 
ſcheidung bei der ſtädtiſchen Behörde lag, daß dieſe Behörde die Ober⸗ 
aufſicht und Oberleitung hatte. Das war noch im 16. Jahrhundert 
ſo wie im 13., und in allen dieſen Städten; aber die Großartigkeit 
der Maſſenverhältniſſe erzeugte in Bologna doch auch qualitative 
Verſchiedenheiten. Die Bedeutung der Scholarenkorporationen für das 
Studium und die Bildung und alljährliche Erneuerung des Lehr⸗ 
körpers aus der freien Thätigkeit und dem privaten Unternehmungs⸗ 
geiſt der lehrenden und lernenden Scholaren iſt vorzugsweiſe in 
Bologna und den von Bologna Auswandernden zu beobachten. Der 
Anteil der ſtädtiſchen Behörde und ſtädtiſchen Korporationen tritt 
dagegen noch ſtärker in den Orten hervor, wo die Stadtbehörde 
dürftige Anfänge einzelner Lehrer zu einem studium generale ent⸗ 
wickelte. Als Muſter derſelben eignet ſich beſonders Perugia. 


Die Scholarenkorporation und die Stadt. 


In Bologna waren im Jahre 1158 höchſtens erſt loſe Anfänge 
von Korporationsbildung unter den Scholaren vorhanden, feſtere 
Form gewannen ſie in den letzten Dezennien des 12. Jahrhunderts. 
Dieſe Bildung war ein Prozeß ähnlich der Bildung der Hanſen oder 
Vereinigungen von Kaufleuten!) an fremden Orten und wiederholte 
ſich in vielen italieniſchen Städten im 13. und 14. Jahrhundert in 
gleicher Weiſe. Die Fremden ſuchten in der Vereinigung Erſatz für 
den Schutz und die Hilfe, welche dem Bürger die ſtädtiſche Ordnung 


— — — 


) Bol. Gierke, Genoſſenſchaftsrecht, Bd. III, Kap. II, S. 188 fl., befonbers 
auch S. 207 f., S. 290 Note 135, und S. 871. 


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Nicht weil ſie Schüler und Lehrer waren, vereinigten ſie 


3 eo ich ſondern weil ſie Fremde waren. Der Umſtand, daß ſie zum 
Er: des Studiums gekommen waren, erleichterte ihnen ihr Vor⸗ 


| haben, injojern fie nicht wie fremde Kaufleute den Neid der Eins 


beimijden ') gegen ſich aufriefen, welche die Konkurrenz fürchteten, 


elmer geehrt wurden als Vertreter einer Thätigkeit, die der Stadt 


Nuhm eintrug. Das Privileg Barbaroſſas von 1158 gewährte wohl 
Scholaren beſonderen Rechtsſchutz, aber dies Privileg 
der Genoſſenſchaft nicht erſetzen, verſtärkte vielmehr 
zur Bildung derſelben, um den Genuß des Privilegs zu 
die ſtädtiſchen Behörden zur Anerkennung desſelben zu 
Die ortsbürtigen Schüler und Profeſſoren (non forenses, 
eittadini) rten zu der universitas civium und waren 
der Bildung der universitas scholarium zunächſt 
Die Stadt verbot ihnen, dem Rektor den Treueid zu 
deſſen hatte dieſe universitas scholarium doch einen 
weſentlichen Anteil an der Leitung des Studiums, war in Vercelli 
1228 und an anderen Orten geradezu die Begründerin der Lehranſtalt. 

Wegzug der Korporation an einen anderen Ort war zugleich 


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Korporation der fremden Scholaren für die Lehranſtalt thätig 

„ jo weit verfügte fie auch über die ortsbürtigen Scholaren und 
Profeſſoren und trat anderſeits auch für fie ein). Im Laufe des 
13. und 14. Jahrhunderts wurde aber dieſe Aufjicht und Leitung 
mehr ausgebildet, und zahlreiche Formen, Feierlichkeiten, An⸗ 
und Pflichten verbanden die ortsbürtigen Scholaren mit den 
fremden, während umgekehrt die Thätigkeit der Korporation für den 
Nechtsſchutz minder wichtig wurde, ſeitdem eine ganze Reihe von 


deine Verlegung der Lehranſtalt an dieſen anderen Ort. Soweit nun 
dee 
war 


Schuß beſtimmungen und Privilegien in die Rechtsanſchauungen der 


Städte übergegangen waren und vielfach in ihren Statuten Ausdruck 
gefunden hatten. Damit verwiſchte ſich der Gegenſatz ſo, daß in 


Die Advokaten hatten allerdings die Konkurrenz fo hervorragender Juriften 
ws fürchten, aber zu ihrem Schutze verpflichtete Vercelli die Profeſſoren, keine 
zu führen. Aehnlich andere Staudte. 

Statata communis Bonon., ed. Luigi Frati II. 29 (VII. 16). 
*) Ghirard. I, 328. Die Neltoren der Scholaren verlangten 1295 von 
für die Promotion einiger scholares eives, denen 


186 Die ftadtbürtigen Scholaren und die Korporation. 


Perugia der Rektor der Scholaren auch den Dienſt eines Auffichts- 
beamten der Stadt über das Studium verſah, und daß in Florenz 
die ſtadtbürtigen Scholaren ſogar den Kern der Korporation bildeten 
und die Stadtbehörde ſie zum Abſchluß derſelben veranlaßte. 

Die universitates!) scholarium entwickelten ſich in ähnlicher Weiſe 
wie die collegia, universitates, societates, die Innungen und Waffen⸗ 
genoſſenſchaften der Handwerker und ſonſtigen Stadtbürger. In den 
Namen der Vorſtände und allerlei anderen Zügen tritt die Verwandt⸗ 
ſchaft hervor. In Florenz wurde z. B. auch die Reviſion der von 
den Scholaren beſchloſſenen Statuten von derſelben Kommiſſion beſorgt, 
welche mit der Aufſicht und Reviſion der Beſchlüſſe und Statuten aller 
Innungen und Genoſſenſchaften beauftragt war. In Florenz war es 
eigentlich auch nur noch eine in den Verhältniſſen nicht mehr be⸗ 
gründete Reminiszenz und eine Nachahmung von Bologna, daß der 
Rektor aus den fremden Scholaren gewählt werden mußte “). 

Alle forenses bedurften des Schutzes, diejenigen, welche Vor⸗ 
leſungen hielten, die scholares docentes, nicht weniger wie diejenigen, 
welche Vorleſungen hörten, die scholares discentes; um jo auffallender 
iſt es, daß in Bologna die Profeſſoren (scholares docentes), welche 
nicht ortsbürtig waren, zu der Korporation eine ähnliche Stellung 
einnahmen, wie die ortsbürtigen Scholaren und Profeſſoren: ſie waren 
gehalten, den Anordnungen der Korporation und ihres Rektors Folge 
zu leiſten, hatten dieſen Rektor aber nicht mitzuwählen. Die Pro⸗ 
feſſoren ertrugen dieſe Beſchränkung nicht ſtillſchweigend, ſondern viele 
hervorragende Lehrer, wie Johannes Baſſianus im 12., Azo und 
Odofred im 13. Jahrhundert, erklärten, es ſei das gegen die Ordnung. 
Die Schüler ſeien den Lehrlingen eines Gewerbes zu vergleichen, und 
nicht die Lehrlinge, ſondern die Meiſter hätten den Vorſteher zu wählen. 


) Für die folgende Erörterung ift zu beachten, daß dieſe Bezeichnung öfters 
auch für die Nationen und Doktorenkollegien gebraucht wurde. 

) Documenti di storia italiana per le provincie di Toscana etc. VII 
(Stat. d. un, e. studio Fiorent,), p. 109. Beſchluß der Priores artium 1821, 
Mai. Item quod scolares quilibet de civitate Florentie vel distrietu indu- 
cautur facere universitatem et eligere et habere Rectorem vel Rectores infra 
tempus, de quo videbitar dominis Prioribus artium et Vexillifero justitie 
supradictis, una cum illis scolaribus forensibus, qui reperientur in eivitate 
Florentie. Qui Rector vel Rectores debeant esse ſorenses. Die Scholaren: 
korporation bildete ſich unter Leitung der Stadt, wie die Worte infra tempus 
supradictis zeigen, und erſcheint mehr als ſtädtiſches Inſtitut. 


Die Profefloren und die Korporation. 187 


verwies auch auf das Beiſpiel von Paris, wo der Rektor 


dieſe Auffaſſung der maßgebenden Juriſten recht ins Auge 
ih zugleich erinnern, daß die Profefloren im übrigen zu 
* Scholaren gegenüber keineswegs eine gedrückte Stellung 
Wenn ſie trop alledem jene ihrer rechtlichen Auffaſſung 

dem Weſen des Verhältniſſes von Lehrern und Schülern 
re Beſchränkung ertrugen und den Anordnungen der von 
den Scholaren gewählten Rektoren gehorchten, jo muß jene Be 
ſchränkung ihrer Rechte in beſonderen und tiefgreifenden Verhältnifien 
begründet geweſen jein, und dieſe Verhaltniſſe find in den Beziehungen 
der Profefjoren zur Stadtgemeinde zu ſuchen. Ein großer Teil der 
Nechtslehrer ) war entweder bologneſiſcher Herkunft oder hatte doch 
das Bürgerrecht erworben. Als Genoſſen der universitas civium 
waren dieſe Profeſſoren von vornherein nicht in der Lage, ſich an 
der Bildung der uni versitas scholarium zu beteiligen. Die fremden 
(doctores forenses) aber hatten der Stadt jenen Eid zu 
leiſten, der ſie verpflichtete, ſich nicht an einer Auswanderung der 
Scholaren zu beteiligen und ſolche Auswanderung nach Kräften zu 
Da nun aber die Drohung der Auswanderung die ſchärfſte 
Waffe der Scholaren in ihren Konflikten und Verhandlungen mit der 
Stadt war, ſo konnten die durch jenen Eid gebundenen fremden 


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) Odofred ſagt: per legem municipalem hujus eivitatis scholares 
ereant reciores. Dies iſt aber nicht zu überſetzen, die Stadt habe dieſe Ordnung 
geſchaſſen, ſondern nur, daß dieſe Ordnung durch eine lex municipalis, alſo 
urch die Stadt anerlannt und geſchützt ſei. Siehe die Gloſſe bei Savigny III. 

die 


Schriſten dieſes Gloſſators, welche Savigny wünſchte, iſt leider noch immer 


) Nach der Habita waren fie vielmehr die Richter derſelben und urkundliche 

die Scholaren vielſach zu drücken und auszubeuten 

verſtanden; die Gloſſatoren verglichen ihre Stellung mit der Stellung der Meifter zu 

den Lehrlingen, ſchrieben ihnen auch eine Art väterliche Gewalt zu und, wenigſtens 

prinzipiell, ſelbſt ein Zuchtigungs recht. Sie lehrten fo in der Gloſſe zu Inst. lib. I, 

t 8, im Anſchluß an den Satz, daß der dominus den servus modice verberare 

enn; dieunt doctores idem in marito erga uxorem et in magistro erga 

_ seholarem. Gloffierte Ausgabe des Corpus. Paris 1576. Folio. V. 42. Bal. daß 

Die Statuten (De punetis, ed. 1561 p.42) den Profefſoren verbieten mußten, die 
Scholaten bei den Prüfungen unwürdig zu behandeln. 

Jucker dieſelben ſiehe Savigny, Bd. IV, od. Sarti unter den bett. Namen. 


188 Die Profeſſoren und die Stadt. 


Profeſſoren von den fremden Scholaren ebenſowenig als Genoſſen 
behandelt werden wie die Profeſſoren mit Bürgerrecht, wenigſtens 
nicht als Genoſſen zu vollem Recht!). Wenn die Stadt Boloana 
1189 jenen Eid forderte, ſo war das wohl eine Folge davon, daß 
damals die Korporation der Scholaren diejenige Feſtigkeit gewann, 
welche ſie zu ſolchem Unternehmen befähigte, aber dieſe Forderung 
konnte auch wieder die Veranlaſſung werden, daß die Profeſſoren 
den Rektor der Korporation nicht mitwählen durften, obſchon ſie ihm 
zu gehorchen hatten. Ein hervorragender Teil der Profeſſoren ferner 
gehörte eigenen Korporationen (Collegia Doctorum) an, welche neben 
der universitas scholarium Anteil an der Leitung der Studien hatten, 
aber zugleich ſtädtiſche Kollegien waren. 

In den erſten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts ſcheint die 
universitas scholarium nur loſe verbunden geweſen zu ſein und das 
forporative Leben ſeinen Hauptſitz in den kleinen landsmannſchaft⸗ 
lichen Teilverbänden gehabt zu haben). Aber noch im Laufe der 


1) Es bildet einen weiteren Beweis für dieſe Auffaſſung, daß in den 
Scholarenkorporationen, welche Bologna verlaſſen hatten, Profeſſoren jogar als 
Vorſteher und Vertreter genannt werden. So bei dem Vertrag der Scholaren 
mit Vercelli 1228 bei Savigny III, Anhang V. Dieſe Auffaffung ſteht im 
Gegenſatz zu der Anſicht Savignys, der III S. 158 jenes Recht der Scholaren 
teils daraus zu erklären ſucht, daß in Bologna die juriſtiſchen, in Paris dagegen 
die theologiſchen Studien überwogen, teils aus dem republikaniſchen Geiſt dieſer 
italieniſchen Städte. Allein Angers und Orleans waren ebenfalls vorzugsweiſe 
Nechtsſchulen, und Montpellier war vorzugsweiſe Medizinſchule, aber an dieſen 
Orten war die Gewalt nicht in der Hand der Studenten, ſondern wie in Paris 
bei den Magiſtern. Der republikaniſche Geiſt der Stadt ferner hatte noch weniger 
damit zu thun. Der Geiſt ihrer Verfaſſung drängte keineswegs auf die Emanzi⸗ 
pation der Schüler von den Lehrern. Diejenigen Bürger, welche als Rechtslehrer 
wirkten, ſprachen es vielmehr aus, daß dieſes Regiment der Scholaren gegen die 
gute Ordnung verſtoße, und fie ſprachen es jo aus, daß man ſieht, daß fie in 
dieſem Grundſatz keinen Widerſpruch erwarteten. Vor allem aber überſieht Savignys 
Argumentation, daß dieſe Verſaſſung der Scholarenkorporation nicht im Anſchluß 
an die Stadt erfolgte, ſondern im Kampf mit ihr. 

) So wurde der Eid, durch den fi die Scholaren in dem Kampfe jener 
Tage zum Widerſtande gegen die Maßregeln der Stadt verpflichteten, in den Teil⸗ 
korporationen geleiſtet. Dies folgt aus dem Schreiben Honorius III. an bie 
Scholaren de Urbe, de Campana et de Tuscia bei Sarti I, 2 App. p. 58. 
Es iſt natürlich nicht ausgeſchloſſen, daß die Scholaren außerdem auch noch in der 
Geſamtkorporation und von deren Rektoren verpflichtet worden waren. Daß eine 
ſolche große universitas damals beſtand, iſt nicht zu bezweifeln, auf ihre Rektoren 


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Die Nationen, 189 


erfien Hälfte des Jahrhunderts verſchmolzen dieſe Teilverbände zu 


den zwei großen universitates oder Nationen der Eitramontanen und 
Ultramontanen ), auf deren Zuſammenwirken fortan das Leben der 


großen universitas scholarium beruhte. Fur jede derſelben wurde 


jährlich ein Nektor gewählt, und dieſe beiden Nektoren mit ihren 
Aaonſiliarien bildeten den Vorſtand der Univerfität. Auch als im 
3 dert für 


beide Univerſitäaten ein gemeinſamer Nektor 


eil wurde, erhielten ſich doch bie beiden Univerfitäten in ihrem 
Beſtande. Das Zuſammenwirken und die Anſprüche dieſer beiden 


Korporationen, ihrer Rektoren, Pedelle, Bankiers und ſonſtigen 
Beamten und Genoſſen, waren teils durch Sitte, teils durch Statut 

bis hinunter zu den Bruchteilen, welche der Pedell der 
Ultramontanen von den Abgaben erhielt, die der citramontane Scholar 
bei ſeiner Promotion zu leiſten hatte, und umgekehrt der citramontane 
einer ultramontanen Promotion ), und bis zu der Reihen⸗ 


berechtigt waren und bei Verleihung der lecturae universitatis be- 
rückſichtigt werden ſollten ). Es gab auch gemeinſame Verſammlungen, 
in denen beide Rektoren den Vorſitz führten. Hier kam ſcharf zum 


Ausdruck, daß die beiden universitates der Ultramontanen und Citra⸗ 
montanen nur Teile einer einzigen Geſamtuniverſität bildeten, und 


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geht die Keußerung des Johannes Baſſianus und der Brief Honorius III. bei 
Sarioli, Annali Bol. III. 2. p. 56, bezeugt fie vor 1224 urtundlich. 

) Die Alteſte Erwähnung ift in den Statuta communis Bononise von 
1250 J. 3. 20, ad peticionem totius universitatis scolariorum domini J. rec- 
toris ultramontanorum et domini P. scolariorum eitramontanorum rectoris. 


Mann fie enifianden find, ift ungewiß. Denifle behauptet S. 136, daß fie 1217 
noch nicht beftanden, weil fie in dem Briefe Honorius III. nicht erwähnt werden. 


ein unſicherer Schluß. Dann könnte man aus dieſem Brief auch ſchließen, 


in aber 
> daß damals keine allgemeine universitas beſtanden hätte, woran doch nicht zu 
wen üft, da ſchon der Brief Honorius III. von 1224 (Savioli III, 2. S. 56) 


Korporation unter Rektoren und Konſiliarien als traditio 


nales Recht (sicut hactenus) bezeichnet. Mehr Gewicht hat der ebenfalls von Denifte 


Grund, daß die nach Padua ausgewanderten Scholaren 1228 in vier 
wrfielen, allein es wäre ja möglich, daß ſich dieſe mittleren Berbände 


5 auf der Wanderung aufgelöft hätten, ebenſo wie dieſe Scholaren damals feine 
dcdemeinſame universitas bilbeten und keinen gemeinſamen Borftand hatten. während 
de un in Bologna gehabt hatten. 


) Stetuts, ed. 1561, p. 43 u. 98. Archiv III. 338 f. rub. 59. 


5. 5. 70 f m p. d. 


190 Die Nationen und die Geſamtkorporation. 


in einer ſolchen Verſammlung wurde nach der Neuwahl der Rektoren 
eine gemeinſame Kommiſſion von vier älteren Scholaren — ſie mußten 
wenigſtens 6 Jahre ſtudiert haben und mindeſtens 25 Jahre alt 
ſein — gewählt, welche den Namen Syndici führten und die Geſchäfts⸗ 
führung der abtretenden Rektoren zu prüfen und dieſelben gegebenen 
Falls zur Rechenſchaft zu ziehen hatten. Zwei Mitglieder dieſer Kom⸗ 
miſſion mußten Ultramontane ſein und zwei Citramontane ). Ge⸗ 
meinſam waren endlich die Statuten und von einer gemeinſamen, 
aus Ultramontanen und Citramontanen zuſammengeſetzten Kommiſſion 
feſtgeſtellt). Auch das kam vor, daß von der Geſamtuniverſität 
(universitas scholarium) Vorſchriften für die eine der beiden uni- 
versitates oder Nationen erlaſſen wurden). In ähnlicher Weile 
ſtanden die Provinzen dieſer beiden Nationen zu einander, aber bereits 
im 13. Jahrhundert verloren ſie die Selbſtändigkeit, die ſie 1217 
zeigten, und waren mehr nur!“) Abteilungen der beiden Nationen ). 


) Ueber die Wahl ſiehe Statuta, ed. 1561, p. 10, und Archiv III, 271. 

Siehe die Einleitung der Statuten von 1432, ed. 1561, p. 1, und der 
Redaktion von 1347, Archiv III, 254. 

) Statuta, ed. 1561, p. 59. Archiv III, 378, rub. 97 u. 98. 

Nicht vollſtändig, wie ſich ſchon daraus ergibt, daß es nicht gleichmäßig 
war; namentlich behaupteten die Deutſchen bezüglich der Gerichtsbarkeit und ſonſt 
größere Selbſtändigkeit. Dies zeigt ſich noch im 16. Jahrhundert. Siehe die 
Streitſchrift Migratio Germanorum, Bon. 1562. 

) Im Jahre 1265 kam es unter den dreizehn Provinzialuniverfitäten der 
universitas ultramontanorum zum Streit über die Wahl des Rektors dieſer 
universitas. Neun von ihnen: 1) die Gallier, 2) die Pikarden, 3) die Burgunder, 
4) die von Poitou, 5) die von Tours und Le Mans, 6) die Normannen, 7) die 
Katalonier, 8) die Ungarn, 9) die Polen ſtanden auf der einen; fünf, und zwar 
die Deutſchen, die Spanier, die Provencalen, die Engländer und die Gascogner 
ſtanden auf der anderen Seite. In einer Generalverſammlung, die in gewohnter 
Weiſe in der Kirche des heil. Proculus zuſammentrat, wählte man für jede Partei 
fünf angeſehene Männer zu einer Kommiſſion, welche den Streit ausgleichen ſollte, 
und der Bidellus generalis ſchwur im Namen aller Einzelnen und aller universi- 
tates, daß fie ſich dem Spruch der Kommiſſion unterwerfen würden. Der Spruch 
teilte die dreizehn Nationen in drei Gruppen, von denen die Deutſchen eine für 
ſich allein bildeten, und beſtimmte, daß der Rektor abwechſelnd aus dieſen Gruppen 
genommen werden müſſe und zwar jo, daß alle fünf Jahre die Deutſchen den 
Rektor ſtellten. Es wurde ferner erklärt, daß fortan keine Nation ihre Namen 
verändern dürfe und daß jeder Scholar nicht italiſcher Herkunft bei feinem Ein: 
treſſen in die ihm nächſtverwandte Nation eintreten und als ihr Mitglied dem 
Rektor den Eid leiſten müſſe. Entſtehe Zweifel, welcher Nation er ſich anzu: 


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Die Univerfitas der Artiften, Mediziner und Cheologen. 191 


Die Fakultäten. 


Man unterſchied damals die Fakultäten in ähnlicher Weiſe wie 

„ und für den Lehrgang und die Prüfung hatte jede Fakultät 
besonderen Vorſchriſten, aber die Scholaren verſchiedener Fakul⸗ 
bildeten gemeinſame Korporationen, die ſich nur landsmann⸗ 
gliederten. Die Juriſten überwogen in Bologna an Zahl, 
die richterliche Thätigkeit des Rektors hatten dazu geführt, 
ſtatutenmäßig nur ein Juriſt Rektor der Univerſität fein durfte. 
Stellung der Juriſten wurde gegen Ende des 13. Jahrhunderts 
empfunden „daß die Scholaren der anderen Fakultäten aus⸗ 
und eine eigene universitas mit eigenem Rektor und eigenen 
bildeten. Die Juriſten wollten dies anfangs hindern und 
auch die Stadt 1295, die neue universitas zu verbieten!), 
Anfang des 14. Jahrhunderts wurde ſie von der Stadt anerkannt 
ſeitdem hatte Bologna in feinem Studium zwei Scholaren⸗ 
torporationen nebeneinander, die eine umfaßte die Scholaren von zwei 
„Kanoniſten und Legiſten, die andere umfaßte Mediziner, 


525 


12115 


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| Artiften und Theologen. Dieſe universitas ſtand aber zu der der Juriſten 


nicht jo, wie die universitas der Citramontanen zu der der Ultra⸗ 
montanen; man darf nicht ſagen, die Univerſität Bologna beſtand fortan 
aus drei Scholarenkorporationen, ſondern aus zwei, die unter ſich wieder 
in Nationen gegliedert waren. Die universitas der Mediziner?) war 


Statut jeder künftige Rektor beſchwören. Ein Notar nahm eine Urkunde 
darüber auf, welche mit den Siegeln der Stadt und des Biſchofs beſiegelt und 
in mehreren Exemplaren aus gefertigt wurde, von denen auch eins bei den Franzis: 


wen und eins bei den Dominifanern hinterlegt wurde. Sarti I. 2 App. p. GI k. 


) Ghirard. I. 329. Die Juriften forderten, che ad ogni via si levi 
de’ fisiei, eio& di havere il Rettore e la Universitä overo Collegio. 


ia noritä de 
An adus bildeten die Artiſten auch eine universitas für ſich, dieſe blieb aber 
d 1899 den Rektoren der Juriſten unterthan. Siehe die amtliche Darſtellung der 


Gedichte des Scholarenrechts in dem Druck der Statuten der Juriſten von 1550 
(1551) ©. 1, nad d. Hosch. neu herausgeg. von Denifle im Archiv III, 395 f.: usque 
a annum 1399 universitas Artistarum subjecta quodammodo ac tributaris 


 mobis extitit, pereipiebantque etiam rectores nostıe universitatis et ipsa 
_ - universitas nosira (ber Juriften) ex singulis Artistarum conventibus emolu- 


ments qusedam, Die Artiſten zerſielen in fieben Nationen. Statuta domiuorum 


8 ei Artistaram Achademiae (sic!) Patavinae lib. 1 c.2. In Bologna in 4 Nationen. 


J Philosophiae ae medicinae scholarium Bononiens. gymn. statuts. 1612. 


192 Die Doktorenkollegien. 


mit der der Juriſten nur dadurch verbunden, daß ſie beide der Stadt 
unterſtanden und von der maßgebenden ſtädtiſchen Behörde als Teile 
ihres studium bononiense betrachtet wurden, ſowie daß allgemeine 
Privilegien, welche Papſt und Kaiſer oder die Stadt für die Scholaren 
von Bologna erließen, für beide galten. Die Fakultäten hatten alſo 
in dieſen Korporationen keine ſelbſtändige Organiſation. Man möchte 
ſie in den Doktorenkollegien ſuchen, denn dieſe waren nach Fakultäten 
gebildet. Es gab Doktorenkollegien der Juriſten, der Notariatskunde, 
der Mediziner, der Artiſten und der Theologen, aber keins derſelben 
hatte diejenigen Befugniſſe und Aufgaben, die wir heute mit dem 
Begriff einer Fakultät verbinden. Am meiſten das Kollegium der 
Theologen !), das jedoch erſt mit der Gründung der theologiſchen 
Fakultät oder, wie man damals ſagte, des studium generale in 
theologica facultate 1360 entſtand ), d. h. alſo erſt nachdem die 
Univerſität alle weſentlichen Stufen ihrer Entwicklung durchlaufen 
hatte. Rechte und Pflichten der verſchiedenen Doktorenkollegien zu 
unterſuchen, muß einer Geſchichte von Bologna überlaſſen bleiben, 
und für viele wichtige Fragen wird man überhaupt keine beſtimmte 
Antwort geben können, denn vieles wurde durch perſönlichen Einfluß 
entſchieden“). Weitaus die größte Bedeutung unter den Doktoren⸗ 


) Bei Gelegenheit eines Streits zwiſchen zwei Mönchen um einen Lehrſtuhl 
ſprach die unter der Leitung ihres Dekans und des Vizekanzlers urteilende uni- 
versitas magistrorum facultatis theologiae es aus, daß es ihre Aufgabe ſei, 
zu beſtimmen, was in Sachen des Studiums der Klärung und Entſcheidung bedürfe. 
Ghirard. II. 474, a. 1394. 

2) Es waren bereits früher Lehrer und Scholaren der Theologie in Bologna, 
aber die Zahl der Scholaren war nicht groß geweſen und die Lehrer waren vor⸗ 
wiegend, wenn nicht ausſchließlich, Lehrer der Kloſterſchulen. Das blieb auch noch 
1360 fo, der Erfolg der Stiftungsbulle war weſentlich der, daß ſich die theologiſchen 
Lehrer der verſchiedenen Orden oder einige von ihnen zu einer Korporation ver 
einigten, Prüfungen vornahmen und in rechtliche Beziehungen zu der Stadt traten, 
von der ſie auch Gehalt empfingen. 

) So machte 1284 das Kollegium der Notare unter Führung des No: 
landinus Paſſagerii, bekannt durch die Fälſchung der Urkunden über das Pfalz 
grafenamt der Veneroſt, Ficker II, 99 f., den Verſuch, ihre Kunſt für eine Art 
beſondere Fakultät zu erklären und das Studium derſelben zu leiten. Sie beſtritten 
nämlich zwei fremden Doktoren, welche über dieſe ars sen scientia Borlefungen 
balten wollten und mit einer Anzahl Scholaren einen Honorarvertrag abgeſchloſſen 
hatten, das Recht dazu. In Bologna dürften nur Rolandinus ſelbſt und andere 
Bürger de arte notariae leſen. Es gab keine derartige Beſtimmung, aber 


Das Collegium Bononlense. 193 


Kollegen hatte das der Juristen. Im 12. Jahrhundert fanden bie 
Jiuriſten Bolognas ihre Vertretung allein in dem collegium judicum et 
- — advocatorum, das feinem Urſprung nach nicht die Vereinigung der 


RNechtslehrer, ſondern eine Genoſſenſchaft der Bürger war, welche als 


RNichter und Sachwalter lebten und von denen einige auch als Rechts⸗ 
llehrer wirkten. Daneben trat im 13. Jahrhundert das collegium 
Bononiense doctorum pontificii scilicet et caesarei juris oder kurz 
collegium Bononiense genannt, welches die Prüfungen vornahm und 
zufammen mit dem Archidiakon die licentia docendi und den Titel 
eines doctor juris verlieh). Im Laufe der Zeit erwarb dies 
Kollegium für ſeine Mitglieder eine Reihe der wichtigſten Vorrechte 
und Ehren, ſie konnten z. B. die Nitterwürde erteilen, Uneheliche 
legitim, Minorenne volljährig machen, und nach außen galt es als 
die Vertreterin der juriſtiſchen Wiſſenſchaft von Bologna. Fürſten 


ſuchten, wandten ſich an das Collegium Bononiense ). In dieſer 
Beziehung, ſowie bezüglich der Promotionen glich das Kollegium 
einer heutigen Fakultät, im übrigen aber nicht. Es wirkte nicht mit 


Rolanbinus war ein ſehr einflußreicher Mann und fo ließen ſich jene Doktoren 
einem Vergleich herbei, der ihnen geſtattete, in jenem Jahre zu leſen, zugleich 
Anſpruch des Nolandinus anerkannte. Sarti I, 2 App. 140. Die 
nicht lange darauf dieſe Anfänge einer durch das Kollegium der Notare 
geleiteten Fakultat der Notartatekunſt befeitigt, aber zunächſt hatte Rolandinus 
als ob das Kollegium dieſe Befugnis habe, und weder die 
Sektoren der Scholaren, noch die Stadt, noch der Archidiakon, noch das Kollegium 
der juriftiihen Proſeſſoren miſchte ſich ein, und für einen Teil der Studien wurde 
e durch private Abmachung ein ausſchließliches Recht der Bürger anerkannt. Dieſer 
Zeil war aber bei der großen Zahl der Notare nicht unbedeutend. 
66 kann nicht wohl entſtanden fein, ehe die formelle Verleihung der 


Dottorwürbe ausgebildet worden war, alſo nicht vor oder nicht lange vor 1219, 


aber ſedenfalls gewann es ſchon im Laufe des 13. Jahrhunderts eine fefte Organı: 
fation, Ahnlich den anderen ſtädtiſchen Kollegien, denn noch vor dem Schluß des 
Jahrhunderts machte es den Berſuch, die Promotion von Bologneſen für die in dem 
Kollegium zur Zeit vertretenen Familien zu monopolifieren. Siehe S. 197. In 
einer Urtunbe von 1236 (Sarti I, 2 App. 140) erſcheint das Collegium doctorum, 


1 5 \ advocsatorum et judieum civit. Bonon. unter zwei Reftoren als Spruchkollegtum. 


”) Gagsius, C. S. 19: Collegium hoc antiquissimis, antiquis et 


7 *  modernis temporibus plurims edidit responsa in causis Prineipum et 
alorum 


„ nomine Collegli Bonon. sigilloque Collegii quod proprium 


5.8 babes munita. Collegium autem Bononiense nihil aliud signifient q 


8  Osliegiam Juris Pontificli et Caesarei. 


ales Geididte der ee Umiprrütitrn. 1 13 


RE 


194 Nur Bürger der Stadt Mitglieder des Kolleginms. 


bei Berufungen!) von Profeſſoren, auch nicht bei den Kontrakten der 
Schulinduſtrie, welche doch die Zuſammenſetzung des Lektionsplanes 
weſentlich beeinflußten, auch nicht bei den ſtatutariſchen Beſtimmungen 
über die Lehrordnung. So weit ferner eine Ueberwachung und Leitung 
des Studiums ſtattfand, jo weit wurde fie von den Rektoren der 
Scholaren ausgeübt, nicht aber von dem Kollegium und ſeinem Vor⸗ 
ſtande. Das Kollegium war ſeiner rechtlichen Natur nach eine Art 
ſtädtiſche Gilde, welche zwar zugleich einen weſentlichen Beſtandteil des 
Studiums bildete und in dieſen Beziehungen den Statuten des Studiums 
und alſo auch der Scholarenuniverſität unterſtand, aber in erſter Linie 
zu der Bürgergemeinde gehörte ). Es charakteriſiert die Ver⸗ 
faſſung der Univerſität Bologna, daß in der Scholaren⸗ 
korporation nur die Fremden, in dem Doktorenkollegium 
nur die Bürger Sitz und Stimme hatten, und neben den 
Bürgern, welche Rechtslehrer waren, auch ſolche, welche 
vielleicht ſeit Jahrzehnten nicht mehr laſen und keinerlei 
Thätigkeit für die Univerſität entfalteten. Dabei glie⸗ 
derten ſich die Doktoren nach Fakultäten, die Scholaren 
nach Provinzen. 

Ferner: Das Doftorenkollegium ?) bildete nicht den Lehrkörper, 


) Berufungen erfolgten durch die ſtädtiſche Schulkommiſſion unter Beirat 
der Rektoren. Die Statuten, ed. 1561 p. 73, geben eine ſtädtiſche Vorſchrift 
darüber, welche 1417 erneuert wurde: Item quod universitatiſs) debent vocari 
rectores per reformatores studii et cum eis sint in eligendis doctoribus 
forensibus, ut ydoneor electio fieri possit, non tamen de salariis vel eorum 
taxatione ipsi rectores se habeant intromittere. 

) Die Stadt ftellte deshalb den Grundſatz auf und nötigte die Scholaren, 
einen bezüglichen Beſchluß in ihre Statuten einzufügen, daß in allen Fällen, in 
denen Befugniffe oder Privilegien dieſes ſtädtiſchen Doktorenkollegiums mit denen 
einer Scholarenuniverſität in Widerſtreit gerieten, die Anſprüche und Rechte des 
Doktorenkollegiums den Vorzug haben ſollten. Statnta, ed. 1561, p. 67. De- 
clarantes (die Stadt ſpricht) statuta et constitutiones doctorum praedietorum 
praeferri debere et praeferenda esse statutis cujuscunque universitatis sco- 
larium. Auch follten die Mitglieder des Kollegiums an die Beſchlüſſe und Statuten 
der Scholaren nur in den Jahren gebunden ſein, in denen ſie Vorleſungen hielten. 

) Unſere Kenntnis ruht im weſentlichen auf der Darſtellung von Gaggius, 
er benutzte ſpätere Akten, aber er verſichert, daß die Älteften Ordnungen den ſpäteren 
im weſentlichen gleich waren, und was wir ſonſt erfahren, ſpricht nicht dagegen. 
Das Kollegium zerfiel wie die Fakultät in die beiden Abteilungen der Ciwiliſten und 
Kanoniſten. Jede hatte einen beſonderen Prior und ein befondered Siegel. Sie 


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Kein geſchlo ener Echrförper. 195 


ſondern umfaßte nur einige privilegierte Lehrer und vereinigte fie 
mit anderen, die nicht Lehrer waren, während zahlreiche und hervor 
ragende Lehrer nicht Mitglieder waren. Es gab in Bologna feine 


_  Rorpotation aller Lehrer ber jurififcien Fafultät, feinen geſchloſenen 


nicht einmal ein äußeres Zeichen, das fie vereinigte, 
auch die durch die Promotion verliehene Doktorwürde bildete ein 


buchen mich 


Die Promotion und die Profeſſoren. 


m die Mitte des 12. Jahrhunderts gab es noch keine Prüfung, 
nd deren die Licenz oder venia legendi erteilt worden wäre, 
Sitte wird die Lehrfreiheit doch inſofern beſchränkt haben, 
es für die Schulen Frankreichs aus dem Leben Abälards 
Giraldus Cambrenſis kennen lernten. Regelmäßig wird 
aus der Reihe der scholares discentes in die der scholares 
übergetreten ſein, der nicht vorher eine gewiſſe Reihe von 
ſtudiert und ſich unter der Aufſicht ſeines Magiſters im 
und in der Disputation verſucht hatte. Die erſte Nachricht 

förmlichen Prüfung zur Erteilung der Licenz iſt für 
in der Dekretale Papſt Honorius III. von 1219 erhalten, 
aber dieſe Dekretale führte die Prüfung nicht erſt ein. Es ſcheint 


4 
E 


141. 


1 1 


wurden auch biswetlen als zwei Kollegien bezeichnet, aber fie hatten gemeinſame Privi: 
legten und hielten auch gemeinſame Berſammlungen (Gaggius, C. 3. F. 2 S. 23, 46). 


te Zahl der ordentlichen Mitglieder war ſtatutenmäßig beſchrünkt auf 12 Kano 


wien und 16 Legiſten (Gaggius, 0.3» S. 24). Dazu kamen noch 3 supranumerarii 
und eine unbeftimmie Zahl von extraordinarii. Dieſe dienten namentlich als 
e und 

alle weſentlichen Rechte der ordentlichen Mitglieder aus. (Bon 48 Mitgliedern 
Be 1710 waren 11 außerordentliche.) Wählbar waren nur Bürger von 
Bologna und jwar nut Bürger von Geburt, aus Familien, die wenigſtens feit 
n Generationen in Bologna Bürgerrecht hatten. Eine weitere Bedingung war, 
daß die Bewerber in Bologna promoviert und danach wenigſtens drei Jahre geleſen 
batten. Für die Promotion wurde unbedingt gefordert, daß fie in Bologna felbft 


deſtanden ſel; Promotionen anderer Univerfitäten wurden nicht angenommen, aber 


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bie dreijährige Lehrtätigkeit konnte auch an einer anderen Univerfität abgemacht 
worden fein. Die Prioren waren ichs Monate im Amt und wurden durch Wechſel 


1 der Ar in der Reihenfolge ihrer Aufnahme in das Kollegium ermeuert. 
ne Me Dotto ren ſtemder Univerfiläten waren alſo von vornherein ausgeſchloſſen. 


196 Die Prüfung. 


vielmehr, daß eine ſolche bereits beſtand und daß nur die Form 
derſelben zu wenig Sicherheit bot. Deshalb beſtimmte jene Dekretale, 
daß die Prüfung fortan vor dem Archidiakon des Kapitels von 
Bologna vorgenommen werden ſolle. Die Mitwirkung dieſer außer⸗ 
halb der Univerſität ſtehenden Behörde ſollte offenbar dem unver⸗ 
meidlichen und bei der Neigung des Mittelalters, die öffentlich recht⸗ 
lichen Verhältniſſe als Sachen des privaten Nutzens zu behandeln, 
doppelt gefährlichen Treiben der Koterien und Schulen entgegenwirken, 
und das Beiſpiel von Paris bot die geeignete Form!). Da die 
Promotion der feierlichſte und einflußreichſte Akt des Univerfitätslebens 
war, ſo ſollte man erwarten, daß der Archidiakon durch jene Be⸗ 
fugnis einen maßgebenden Einfluß auf die Univerſität gewonnen hätte; 


das iſt aber nicht der Fall geweſen und teilweiſe wohl deshalb nicht, | 


weil in dem Doktorat, ſeitdem es feierlich verliehen wurde, 
der Charakter einer Prüfung für das Lehramt mehr und 
mehr zurücktrat. Man ſuchte die Promotion nicht bloß, ja nicht 
einmal vorzugsweiſe aus dem Grunde nach, um dann als Lehrer zu 
wirken, ſondern vielmehr, um die Ehren und Vorrechte zu genießen, 


) Sarti I, 2 App. 59: Honorius... Archidiacono Bononiensi. Cum 
sepe contingat, ut in civitate Bononiensi minus docti ad docendi regimen 
assumantur, propter quod et doctorum honor minuatur et profectus im- 
pediatur scholarium volentium erudiri: Nos eorundem utilitati et honori 
prospicere cupientes, auctoritate presentium duximus statuendum, ut nullus 
ulterius in ceivitate predieta ad docendi regimen assumatur, nisi a te ob- 
tenta licentia, examinatione prehabita diligenti: tu denique contradictores 
si qui fuerint, vel rebelles, per censuram ecclesiasticam appellatione remota, 
compescas. Dat. Rome IV. kal. Julii Pont. nostri. an. 3. Dieſe Dekretale 
enthielt noch keine Vorſchriften über die Art des Examens, unterſchied ferner nicht 
die privata und die publica, aber fie bildete die Baſis für die Ausbildung der 
feierlichen Promotion, die in Bologna immer durch das collegium doctorum und 
unter Mitwirkung des Archidiakonen erfolgte. Ueber die Grenze zwiſchen den Be⸗ 
fugniſſen des Archidiakonen und des Doktorenkollegs kam es noch 1270 zu einem 
Streit (Savioli III, 2, Nro. 763), der aber auch nicht zu einheitlicher Regel führte, 
denn von zwei Diplomen, die aus den Jahren 1314 und 1334 erhalten find (ab: 
gedruckt bei Savigny III, Anhang VII), iſt das eine im Namen und mit dem 
Siegel des Doktorenkollegiums, das andere im Namen und mit dem Siegel des 
Archidiakonen ausgefertigt. Gaggius, C. 1> S. 20 führt an, daß ſpäter die 
Bromotion im Palaſt des Erzbiſchoſs ftattfand, wenn dieſer Mitglied des colle- 
gium Bononiense und Kardinal war, ſonſt nur in der eigenen residentis des 
Kollegiums oder in gewiſſen Fällen in dem Stadthauſe. 


c 


Der Doktortitel und feine Bedeutung 197 


1 der Doltorgrad gewährte. Noch ehe das 13. Jahrhundert zu Ende 
ding, war der Doktortitel zu einer Art Adel geworden. Auch 
der niedrig Geborene wurde durch denſelben den erſten Kreiſen der 
PV eſellſchaft gleichgeſtellt, und das hatte in jenen von Standesgegen⸗ 
fügen beherrſchten Jahrhunderten eine ganz andere Bedeutung als 
beute. Kleiderordnungen und Luxusgeſetze behandelten den Doktor 
wie einen Edelmann, bei Feſtlichleiten war ihm ein Ehrenplatz und 
der Vortritt ſicher, bei Prozeſſen genoß er vielerorts Bevorzugung u. ſ. w. 

Im Jahre 1310 befahl die Stadt Bologna dem Doktorenkollegium 
geradezu, einen verdienten Bürger, der von Florenz zum Capitano 
gewählt worden war, in aller Form zum Doktor zu erwählen, damit 
dieſer Titel ihm den fehlenden Adel erſetze“. Die Stadt ſprach dieſen 
Zweck ganz nüchtern aus und erklärte zugleich, daß ſie keinen Wider⸗ 
ſtand dulden würde ). Mit dieſer Entwicklung der Doktorwürde hing es 
gsuſammen, daß die Berechtigten dies nutzbare Recht für ſich und ihren 
Kreis auszubeuten ſuchten. Gewiſſe Vorrechte wurden von den Pro: 
fſeſſoren für ihre Söhne auch mit Erfolg in Anſpruch genommen ), und 
Ende des 13. Jahrhunderts machten fie ſogar den Verſuch, in Bologna das 
Doltorat zu einem Privilegium ihrer Familien zu machen und neben 
den Auswärtigen, die nicht Mitglieder des Doktorenkollegiums werden 
konnten, nur ſolche Bologneſen zu promovieren, die zu ihrem Kreiſe ge: 
hörten. Dies duldete die Stadt zwar nicht“), aber in dem gleichen Geiſte 


enn die Doktoren des Kollegiums etwa ihrem Willen zu widerſprechen 
Kommiſſare Vollmacht haben, fie zu zwingen 
erſcheinen mochten, potevano essere forzati 
piu piacciuti (Ghirard. I, 546). Auch in 
in Angelegenheiten der Promotion. An die 
bi . ein Doktor, der in Neapel promoviert hatte, mit der Bitte, 
in Bologna die Rechte eines Promovierten zuzuerkennen, und 1301 
1 Stadt um die Gunft für einen neapolitaniſchen 
pPireſeſſer App. 161 und Fantuzzi, Seritt. Bol. II. 47). 
J Wenn ihre Söhne als Scholaren leſen wollten oder geprüft wurden, fo 
* Abgabe nicht zu zahlen, welche von den übrigen Scholaren gefordert 
), und fie durften ſich ferner auch um die 
denen ſonſt nur scholares forenses juge: 


4 
2 
8 
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13 


auf eine Anfrage des Kollegiums beftimmit, 
der * daß die zu Bromopierenben 
zu den Lambertagi, und daß fie nicht 


198 Die Promotion und die politiſchen Parteien. 


ſuchte die ſtädtiſche Behörde ihrerſeits nun das Doktorat auf die 
Bürger zu beſchränken, welche zu der am Ruder befindlichen Partei 
gehörten. Bologna war im 13. Jahrhundert von den heftigſten Partei⸗ 
kämpfen erfüllt; abgeſehen von anderen Gegenſätzen zerfiel die Bürger: 
ſchaft in zwei große Familiengruppen, die eine unter der Führung 
der Lambertazzi, die andere unter der Führung der Gieremei. Die 
alten Gegenſätze der Guelfen und Ghibellinen lebten fort als Familien⸗ 
hader, und alle Angehörigen der Familie und der zu ihr haltenden 
Gruppen waren geborene Anhänger der bezüglichen Partei. In den 
achtziger Jahren waren dieſe Kämpfe beſonders heftig, und die Gieremei, 
welche das Uebergewicht hatten, vertrieben die Lambertazzi aus der 
Stadt, zerſtörten die Häuſer, zogen ihre Güter ein und ſchrieben ihre 
Namen in eine Art Proſkriptionsliſte. Zu den Maßregeln nun, welche 
damals oder in den nächſten Jahren gegen die Lambertazzi beſchloſſen 
wurden, gehörte auch das Verbot, einem Angehörigen dieſer Familien 
die Doktorwürde zu verleihen. Die Rektoren der Scholaren forderten 
dagegen 1295, daß auch einige Scholaren, welche aus den Familien 
der Lambertazzi ſtammten, promoviert würden, und als ſich die Stadt 
und das Doktorenkolleg widerſetzten, ſchloſſen ſie den Capitano del 
Popolo und die Doktoren von der Zugehörigkeit zu der Univerſitas 
und aller damit verbundenen Ehren und Vorteile aus und be⸗ 
ſchloſſen ferner, wenn nun ihre Forderungen nicht bewilligt würden, 
ſo ſollten im nächſten Jahre alle Scholaren die Stadt verlaſſen. Es 
war das ein Verſuch, die Promotion dem Parteigetriebe zu entreißen, 
aber zunächſt mißlang er. Die Scholaren, welche damals durch den 
Gegenſatz der Juriſten und Mediziner geſpalten waren, unterwarfen 
ſich der Stadt, aber als 1299 das Doktorenkollegium wieder einem 
Bürger der Stadt die Promotion verweigerte), traten die Rektoren 
aufs neue gegen dieſes Treiben auf und zwar dadurch, daß ſie die 
Stadt bewogen einzuſchreiten. Dieſe bedrohte die Doktoren mit einer 
hohen Geldftrafe, wenn fie auf ihrem eigenſüchtigen Widerſtande be⸗ 
harren würden, und als ſie zwar diesmal nachgaben, aber 1304 noch 


Söhne oder Neffen der Doktoren ſeien (1295, Ghirard. I, 327). Nach der Er: 
zählung bei Ghirard, I. 546 f. (a. 1310) konnte es ſcheinen, als ob die Rektoren 
einen rechtlich anerkannten Einfluß auf die Promotion gehabt hätten, indeſſen aller 
Wahrſcheinlichkeit nach war dies nicht der Fall. 

) Sarti I, 178, IX. 


Familienpolitik der Proſeſſoten. 199 


einmal den Verſuch machten ), die Doktorwürde für ihre Familien 
zu monopolifieren, da erhohte die Stadt die Geldſtrafe zu der Summe 
den 1000 Lire für das Kollegium und je 300 Lire — d. i. alfo 
ſioviel als ein Profeſſor damals Gehalt erhielt — für jedes Mitglied. 
Fortan begnügten ſich die Mitglieder des Kollegiums damit, die Auf⸗ 
nahme in das Kollegium und damit die Zulaſſung zu feinen Privi⸗ 
legien und Befugniſſen als eine beſondere, nur einer beſchränkten Zahl 
von Begünftigten zu gewährende Erhöhung zu behandeln ), die Pro 
motion ſelbſt verweigerten ſie dagegen den Bürgern nicht mehr. In 
dieſem Kampfe vertrat die Stadt die ſachliche Auffaſſung gegenüber 
dem eigennützigen Korporationsgeiſt, aber wie wenig fie ſelbſt frei 
war von ſolchen Anſchauungen, zeigt die oben erwähnte Verordnung, 
nur Mitglieder der herrſchenden Partei zu promovieren und ſodann 
die Thatſache, daß fie im Lauf des 14. Jahrhunderts beſtimmte, daß 
ordentliche Vorleſungen nur von ſolchen Doktoren gehalten werden 
dürften, die in Bologna geboren ſeien, und deren Familien wenig⸗ 
ſtens zwei Generationen das Bürgerrecht genöſſen, alſo nur von 
Doktoren) mit mindeſtens zwei Ahnen des Bürgerrechts. 
| Die ordentlichen Vorleſungen, d. h. die Vorleſungen über die 
ordentlichen Bücher, bildeten den maßgebenden Teil des Studiums, 
wer ſie nicht halten durfte, der hatte in Wahrheit keine licentia 
jenem Beſchluß der Stadt gewährte alſo die in aller 
verliehene licentia docendi thatſächlich für Bologna ſelbſt nicht 
Recht, Vorleſungen zu halten. Dies Recht gab fortan 
die Promotion, ſondern das Belieben der Stadt. Die 


einen Titel, aber nicht mehr dasjenige Recht, 


verlieh 
) Die Erzählung dieſer Vorgänge bei Ghirard. I. 464 gibt ein anſchauliches 
ſo fremdartigen Streite der ſtädtiſchen 


2 
1 
} 


Koterten um die Promotion einiger Studenten. 
Darauf ſcheint mir hinzudeuten, daß die Stadt, als fie 1310 die Pro: 
motion des Rolanbino Gallucci forderte, beſonders hinzufügte, che l’universitä 


| 


mero loro .. e fosse scritto nel libro 


er, welche promovierten, regelmäßig in das 


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Kollegium aufgenommen waren, und ob von jeher oder ſeit wann die Fremden 
ansgeſchloſſen waren, iſt nicht bekannt. Wenn etwa jetzt die Beſchrünkung ein: 
gefuhrt ward, fo geschah dies wohl durch Feſtſetzung einer bestimmten Zahl. Bol. 


Statuts, ed. 1561. Lib. IV. De immunitate ... p. 69. Bgl. Beilage 2. 
Statut, wie alle Artikel des ib. IV. 


2 9 
274 
723 
JH: 
125 


200 Dozenten, die nicht promoviert hatten. 


welches urſprünglich ihren einzigen Inhalt ausmachte ). Die andere 
Seite dieſer Entwicklung der Doktorwürde und des Doktorkollegiums 
war, daß auch nach Ausbildung der Promotion viele laſen, die nicht 
promoviert hatten. Einmal bewahrten die Mitglieder des Kollegiums der 
judices et advocati, dem im 12. Jahrhundert die berühmteſten Lehrer 
angehört hatten, auch fernerhin das Recht zu leſen ). Ebenſo er⸗ 
hielt ſich die Gewohnheit, daß ältere Scholaren über ordentliche wie 
über außerordentliche Bücher laſen ). Sie hatten dazu die Erlaubnis 
des Rektors einzuholen und eine beſtimmte Abgabe zu zahlen. Einige 
Vorleſungen hatte jeder Scholar zu halten, ehe er zum Examen zu⸗ 
gelaſſen wurde, aber außer dieſen zu ihrer Ausbildung gehörenden 
Vorleſungen hielten die Scholaren auch andere, die als ein Teil des 
Lehrplans, wie wir jagen würden, angeſehen wurden ). Es gab 


) In Perugia, Florenz u. ſ. w. beſtand ein derartiger Beſchluß nicht, im 
Gegenteil war es meiſt Vorſchrift, für die Proſeſſuren, und alſo in erſter Linie 
für die lecturae ordinariae, Fremde zu berufen und feinen Bürger. Allein da 
fie die Profeſſoren für beſtimmte Fächer beriefen und dabei nicht ſelten aus machten, 
daß fein anderer oder doch nur ein beſtimmter Konkurrent das gleiche Fach oder, 
wie man damals fagte, über das gleiche Buch leſen dürfe, jo war thatſächlich auch 
hier das durch die Promotion verliehene jus docendi für die Hauptfächer beſeitigt. 
Es iſt das eine Analogie dazu, daß bei der Promotion das jus ubique docendi 
verliehen wurde, daß aber die Promotion der einen Univerſität von anderen nur 
nach Maßgabe ihrer Satzungen und Gewohnheiten anerkannt wurde. Uebrigens 
iſt es leicht möglich, daß in Bologna bei der Mannigfaltigkeit der in der Lehr⸗ 
anſtalt vereinigten Korporationen und Intereſſen mancher derartige Beſchluß ohne 
gleichmäßige Wirkung blieb und oft umgangen wurde. 

2) Im Jahre 1302 baten (Sarti I, 220) einige Scholaren einen Richter, 
der nicht Doktor war, er möge eine Borlefung über den Kodex halten. Darauf 
bat er die ſtädtiſche Behörde, daß ihn ein Verwandter in ſeinem Richteramt vertrete, 
zu dem Lehramt hatte er leine Erlaubnis weiter nötig, er hatte fie alſo als Mit- 
glied des collegium judicum et advocatorum. 

) Vgl. die von Savigny III, 239 mitgeteilte Gloſſe des Accurſtus: quod 
filii doctorum non debent aliquid dare pro sumptibus, cum legunt ordinarie 
vel extraordinarie vel examinantur, et quod aliis etiam aeque bonis prae- 
feruntur, 

) Den Beweis erbringt eine Verhandlung zwiſchen dem Rate der Stadt 
und den Rektoren von 1297, in welcher neben ſieben Doktoren fünf Scholaren 
als für das laufende Studienjahr unentbehrliche Dozenten bezeichnet wurden 
(Sarti 1, 105). Ferner die Thatſache, daß die Scholaren ſechs aus ihrer Mitte 
erwählten und fie mit beflimmten Vorleſungen, den jog. lecturne universitatis, 
beauftragten, für welche die Stadt ſeſte Gehälter zahlte. Eine von dieſen 


Schulindufrie. 201 


unter den Scholaren Veteranen des Katheders, Leute, die bereits über 
alle Bucher des Corpus geleſen hatten. Hierauf hatte endlich noch 
die dieſen Univerſitäten eigentümliche, unſern Vorſtellungen aber ganz 
fremdartige Schulinduſtrie Einfluß. Im Jahre 1295 ſchloß der 
Magiſter Wilhelm, welcher über Philojophie las, ein eigenes Schul: 
haus und einen gewiſſen Ruf oder beſſer eine gute Kundſchaft unter 
den Scholaren beſaß, einen Vertrag ab mit dem Magiſter Gentilis, 
ö durch welchen ſich dieſer verpflichtete, in der Schule des Magiſter W. 
Philoſophie zu leſen, ein Drittel vom Honorar dem Magiſter W. zu 
geben und die nächſten drei Jahre nicht ordinarie über Logik zu 
leſen. Dagegen gelobte Magiſter W. drei Jahre hindurch Logik zu 
leſen, ein beſtimmtes Honorar zu fordern und ein Drittel desſelben 
an den Magiſter G. abzuliefern. Beide gelobten ferner, einander 
als gute Kollegen zu helfen und mit keinem andern Magiſter einen 
Vertrag abzuſchließen, der den andern ſchadigen könne. Neben vielen 
Einzelheiten!) wurde auch die merkwürdige Beſtimmung aufgenom⸗ 


leeturne universitatis war eine ordinaria, die anderen waren über außetordent⸗ 
iche Bacher. Statuta, ed. 1561, p. 30 und p. 79. Ausgeſchloſſen waren alle, 
. welche die öffentliche Promotion oder auch nur die voraufgehende Prüfung, die 
ſieg. privata, beſtanden hatten, alſo alle Doktoren und Licentiaten. Die Bewerber 
aber geloben, während des Jahres in Bologna zu bleiben, pünktlich zu leſen 
und im Laufe des Jahres das Doltoreramen zu beſtehen. Dieſe Berſprechungen hatten 
fie einem fläbtiihen Beamten eibli zu bekräftigen. Es wäre nicht richtig, dieſe 
Gehälter nur als eine Art Stipendien anzuſehen, es handelte ſich zugleich um wirkliche, 
zum Ruben des Studtums eingerichtete Borlefungen. Bon einer für das Studium 
als wesentlich erachteten Lehrthätigkeit der Scholaren ſpricht ferner eine Nachricht 
3 und ein Vorgang von 1338. Als in dieſem Jahre wegen des Interdikts 
1 das Antrag der Stadt und durch Beſchluß der Scholaren zeitweiſe 
S. Pietro verlegt wurde, da wurden von der beſchließenden Verſammlung 
de Doktoren ſechs Scholaten erwählt, „um zu leſen und das Studium im 
Bestande zu erhalten, ad legendum et tenendum studium“ (Ghirard. II. 139. 
Murstori, Seript. XVIII. 163). es waren dies doch wohl die ſechs lecturae uni- 
versitatis, und dieſer Beſchluß ift ein Zeugnis, daß dieſe Vorleſungen damals noch 
als wesentliche Bestandteile des Lehrplans, ſoweit ein ſolcher überhaupt beſtand, be: 
trachtet wurden. Im 15. Jahrh. überwog der Charakter des Stipendiums. Stat. p. 79. 
J Sarti I, 2 App. 154. Auch über das Eintreiben des Honorars von 
schlechten Zahlern, über Scholaren, die erſt nach Weihnachten eintreten würden 
i im Herbst. über den Fall, daß der eine erkranke und der andere ihn vertrete, 
daß mit 


202 Das Penſionshaus mit dem Inſtitutionenſaal. 


men, daß der Vertrag nichtig ſein ſolle, wenn ein anderer Pro⸗ 
feſſor dem Magiſter W. ſo ſiegreiche Konkurrenz mache, daß dieſer 
nur halb ſo viel Schüler habe. 

Aus denſelben Jahren (1294) hat ſich ein ähnlicher Kontrakt 
zwiſchen zwei Juriſten erhalten. Magiſter Petrus, der über Notariats⸗ 
kunde las, hatte ein großes Haus mit Hörſälen und eine Anzahl 
Scholaren in Koſt und Wohnung. Der andere Kontrahent, Magiſter 
Chabrinus, war Neuling in Bologna, aber voll Selbſtvertrauen und 
verſicherte, er werde die Inſtitutionen und die Gloſſen dazu beſſer 
leſen als es irgend ein anderer in Bologna verſtehe ). Er muß wohl 
im Beſitz guter Empfehlungen geweſen ſein, denn der gewiß doch in 
derartigen Dingen wohl bewanderte Profeſſor und Unternehmer Petrus 
überließ ihm durch dieſen Kontrakt den Inſtitutionenſaal ſeines Hauſes 
ohne Koſten täglich für diejenige Stunde, welche Ch. wählen würde. 
Ch. erhielt alſo die Vorwahl vor allen anderen Dozenten, welche in 
dieſem Saale Inſtitutionen leſen wollten. Dafür gelobte Ch., im 
Laufe des Jahres die Inſtitutionen zweimal vollſtändig zu Ende zu 
leſen ), ſie in keiner anderen Schule Bolognas zu leſen, und von 
den Penſionären des Petrus (scholaribus intrinsecis abitantibus in 
dictis scholis cum Mag. Petro) nicht mehr als 8 solidi Honorar 
zu fordern. Mit anderen Profeſſoren wird Magiſter P. ähnliche 
Kontrakte abgeſchloſſen haben, um ſein Haus zu verwerten, ihm den 
Ruf einer guten Inſtitutionenſchule zu ſichern und neue Penſionäre 
anzulocken. Die öffentlichen Organe wurden bei dieſen Verträgen 
nicht zugezogen, weder die Stadt noch die Beamten der Univerſitas 
noch auch das Doktorenkollegium?). Der Unternehmer engagierte 


genommen. Beſonders hervorzuheben iſt, daß keiner ohne zwingende Urſache für 
die drei Jahre des Vertrags Bologna verlaſſen und in die Heimat zurückkehren 
dürfe oder gar an einen anderen Ort gehen, um dort zu ftubieren (als Lehrer 
oder Lernender). Die Repetitoren, d. h. die Hilfslehrer, und Scholaren des Magiſters 
G., ſolle Magiſter W. wie ſeine eigenen behandeln. 

) Bei Sarti I. 2 App. 110 iſt das Wort alius oder aliquis vor sciverit 
et poterit Bon. ausgefallen. Bgl. dazu 1, 245. 

) Die erſte Vorleſung ſollte acht Tage vor Oſtern ſchließen, die zweite acht 
Tage nach Oſtern beginnen. Chabrinus verpflichtete ſich zugleich, Bologna in 
dieſem Jahre nicht zu verlaſſen, außer auf acht Tage, und auch dann nur, wenn 
er einen geeigneten Vertreter ftelle. 

Bei einem ähnlichen Vertrage von 1279 (Sarti I, 2 App. 181) wirkten 
die Rektoren zwar mit, aber nur als Zeugen. Durch dieſen Vertrag überließ ein 


? 


Einfluß dieſer Schulinduſtrie. 203 


Proſeſſoren, verpflichtete fie pünktlich zu leſen und ftrafte fie gemäß 
den Privatkontrakten. Es gab in Bologna und ähnlich in den 
anderen italieniſchen Stadtuniverſitäten dem Anſchein nach nicht 
wenige ſolche Unternehmungen und ſie mußten einen weſentlichen 
Einfluß auf die Geſtaltung des akademiſchen Lebens und im beſon⸗ 
deren auf die des Lehrkörpers haben. Namentlich bot fie mancherlei 
Wege, um ungeprüften Scholaren oder an anderen Univerſitaten 
promovierten und alſo in Bologna nicht anerkannten Doktoren die 
akademiſche Wirkſamkeit zu ermöglichen und Vorſchriften zu ums 
gehen, wie die, welche allen Nichtbürgern die ordentlichen Vorleſungen 
). Die Schüler wie die Vorſteher der durch ſolche Kon: 
gebildeten Unternehmungen zählten zu den universitates und 
collegia der Univerſität und unterſtanden ihren Beamten und Sta⸗ 
tuten, aber die öffentlichen Organe miſchten ſich in ihr Treiben regel⸗ 
mäßig nur in Fallen des Konflikts ein). Wie viel aber perſön⸗ 
licher Einfluß und Anmaßung in dieſem Gewirr von gegeneinander⸗ 
ſtreitenden Berechtigungen durchſetzen konnte, zeigt das oben erwähnte 
Vorgehen des Vorſtehers der Notare, der allen Nichtbürgern und 
Neubürgern das Recht beſtritt, de arte notandi zu lehren, oder 
wenigſtens um Erlaubnis gefragt ſein wollte. Konnte er ein ſolches 
Verbot durchſetzen, ſo konnte er vermutlich auch die Schwierigkeiten 
„die einem Gelehrten im Wege ſtanden, ſei es ſeiner Pro⸗ 
ſeiner Wirkſamkeit. 
aber auch nach Einführung der formellen Erteilung 
Doktorwürde viele an der Univerſität lehrten ohne die Doktor⸗ 
erworben zu haben, ſo galt es doch als Regel, daß der Pro⸗ 


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Proſeſſor einem anderen scolas suas pro anno sequenti et omnes 
suos quos habet vel haberet, in ſuturum in sequenti anno, ita quod 
inarie legere et collectas facere gegen die Hälfte des Ertrags 
Kollekten; die Pedelle der beiden Profeſſoren teilten den Pedellenanteil zu 
und . Aus Parma teilt Affo I. p. XXIX f. einen ähnlichen Bertrag von 
ein Magiſter G. mit zwei anderen Magiſtern vereinigte, 


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Sarti I, 2 App. 131 ermächtigte der eine Profeflor 
Stelle ordinarie zu leſen. 

auch bei Konflikten zwiſchen einzelnen Magiſtern. Ein Beifpiel bietet 

Verurteilung eines Magiſters wegen illoyaler Konkurrenz 1292. Sarti I, 2 


* 
Ar 


204 Bologna gewährte lange keine Veſoldung. 


feſſor promoviert haben müſſe. Dieſe Vorſtellung herrſchte in allen 
italieniſchen Städten vor !). 


Die Beſoldung und die Collegia dotata. 


Im 12. und 13. Jahrhundert kannte Bologna keine Beſol⸗ 
dung der Profeſſoren. Auch nachdem die Prüfung, die Methode und 
andere Verhältniſſe durch Statuten und Verordnungen geregelt waren, 
blieb der Profeſſor auf die Einnahmen angewieſen, die er aus den 
Vorleſungen, oder aus den Verträgen der Schulinduſtrie gewann. 
Im allgemeinen wurde die Höhe des Honorars durch den Profeſſor 
oder durch Abmachung mit den Hörern beſtimmt, meiſt in der Weiſe, 
daß jeder Einzelne den beſtimmten Satz zahlte, aber auch ſo, daß 
ſich eine Anzahl Scholaren vereinigte und dem Profeſſor eine Summe 
anbot, für die er ſich verpflichtete, die Vorleſung zu halten, und die 
ſie dann unter ſich verteilten. Auch das kam vor, daß ſie ihren 
Unterhändler in andere Orte ſchickten, wenn ihnen die in Bologna 
vorhandenen Gelehrten weniger zuſagten. Es waren das Verhand⸗ 


) Lodi berief 1286 (Sarti J. 2, 111) einen Scholaren als Profeſſor und nahm 
dabei in den Kontrakt auf, daß fein Gehalt um ½ erhöht werde, wenn er bis zu 
einem beſtimmten Termine den Doktortitel erwerbe. Die Statuten von Padua hatten 
noch im 16. Jahrhundert einen eigenen Paragraphen (II, 3), welcher den Fall 
behandelt, daß ein Nichtdoktor zu einer Proſeſſur mit Gehalt berufen würde. Er 
beſtimmte, daß derſelbe in der Regel gehalten ſei zu doktorieren, aber unter 
gewiſſen Bedingungen davon dispenſiert werden könne. Die Statuten von Perugia 
erklaͤrten es für unziemlich, einen Lehrer, der nicht promoviert habe, auf eine 
beſoldete Profeſſur zu berufen. Geſchehe es aber, jo ſolle der Berufene verpflichtet 
ſein, innerhalb dreier Monate die Doktorwürde zu erwerben. So mußten denn 
auch die ſechs Scholaren in Bologna, denen die ſechs ſogenannten „Univerfitäts: 
vorleſungen“ übergeben wurden, geloben, in dem Laufe des Jahres das Examen 
zu beſtehen. Die volle, uneingeſchränkte akademiſche Wirkſamkeit entfaltete ſich nur 
dem geprüften und feierlich promovierten Doktor. 

Stat. II, 2 bei Padelletti, p. 84: Quia doctoratu carentes ad sedem 
salariatam ascendere dedecus fore putamus studio Perusino: praesenti 
decreto duximus statuendum, quod nullus in civitate Perusii ad aliquam 
salariatam sedem legere vel docere possit in jure canonico vel civili nee 
etiam in scientia medicinae, nisi doctoratus habitum deferens et in utroque 
examine ... approbatus .. Aber II, 15 (Padelletti p. 100): ne quis 
doctorum vel bachaloriorum .. . legens ordinarie zeigt, daß man auch 
ordinarie leſen konnte, ohne Doktor zu fein. 


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Einführung der Befoldung. 205 


ganz ähnlich den Berufungen der Profeſſoren durch die Städte, 
1 erſte bekannte Berufung eines Gelehrten nach Bologna er⸗ 
folgte in dieſer Weiſe, indem die Rektoren der Scholaren dem Guido 
von Suzara, der früher in Modena und Reggio geleſen hatte, da⸗ 
mals aber im Dienſte Kaiſer Rudolfs thätig war, die Summe von 
3900 Lire anboten, wenn er nach Bologna kommen und dort das 
Digestum novum leſe. Indem die Scholaren bei ähnlichen Wünſchen 
* die Stadt baten, die bezügliche Summe zu zahlen !), 
auch in Bologna das an anderen italieniſchen Uni⸗ 
übliche Syſtem beſoldeter Profeſſuren, und zwar 

die Studenten den Profeſſor für eine Jahres⸗ 
und die Stadt) ihm für dies Jahr eine Pauſch⸗ 
es ſtatt der Einzelhonorare oder neben denſelben. 
fte?) des 14. Jahrhunderts gewährte die Stadt 
vier Profeſſoren und überließ die Wahl derſelben 
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts be⸗ 
die Beſoldung regelmäßig und für eine größere 
Profeſſoren zu gewähren, auf deren Berufung aber die Scho⸗ 
nur beſchränkten Einfluß hatten. Aus dem Jahre 1381 iſt die 
Einnahmen und Ausgaben der Stadt erhalten, welche 
Einnahmen gegen 364190 Lire Ausgaben zeigt und 
Ausgaben 8000 Lire = etwa 28 000 Mark heutigen 
Honorar von 44 Proſeſſoren ). Die Zahl der Do⸗ 
größer, und die beſoldeten Profeſſoren hatten keine 
| Anſtellung, ſondern waren regelmäßig nur für ein Jahr 
Aber ſie waren doch verpflichtet zu leſen, und durch dieſe 
waren fie eine ſeſte Stütze des Lehrplanes, erfüllten 


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=. Wie ſchwierig es für die Scholaren war, dergleichen Kontrakte von ſich 
Mm einzuhalten, zeigt die Urkunde von 1297. Sarti I, 2 App. 139. 
* Der 1280 berufene Dekretiſt Garſias wurde verpflichtet, nomine et vice 


*  eommunis Bonon. et universitatis scholarium. Sarti I. 401 und I. 2 App. 138. 


 ebaltion son 1817. 

1 Auch das Wahlrecht für jene vier Profeſſuren ging verloren. Dies ergibt 
1 der Umgeftaltung, weiche § 40 der Statuten von 1347, De electione 

decor salaristorum, in der fpäteren Redaktion (ed. 1561 p. 30) erfahren hat. 

3 Die Juriſten erhielten zwischen 100 und 620, 


206 Die Penſionen. 


eine Aufgabe des Lehrkörpers, welche das Collegium Bononiense 
nicht erfüllte, während ihnen andererſeits weſentliche Rechte fehlten, 
die für die Mitglieder dieſes Kollegiums vorbehalten waren. Mit den⸗ 
ſelben zuſammen bildeten ſie fortan gewiſſermaßen den Kern des 
Lehrkörpers, ſoweit von einem ſolchen überhaupt geſprochen werden 
kann ). Eine dritte Gruppe der Profeſſoren bildeten die Beſitzer 
der großen Penſionen, die Schulunternehmer mit ihren Genoſſen 
und Hilfslehrern, wie wir ſie in den oben angeführten Kontrakten 
kennen gelernt haben. Dieſe Unternehmer werden aus ſolcher 
Thätigkeit regelmäßig eine Lebensaufgabe gemacht haben, denn die 
Unternehmung forderte den Kauf oder die Miete anſehnlicher Ge⸗ 
bäude, und ein gewiſſes Betriebskapital. Wer das einmal hinein⸗ 
geſteckt hatte, zog es ſobald nicht wieder heraus, wenn er nicht mußte. 
Die Wirtshäuſer dienten den Scholaren regelmäßig nur zum Gelage, 
aber nicht als Speiſehäuſer in unſerm Sinn. Die Scholaren wirt⸗ 
ſchafteten ſelbſt, indem ſich mehrere zu einer Wirtſchaftsgenoſſen⸗ 
ſchaft vereinigten oder indem ſie bei einem Unternehmer Wohnung 
und Koft nahmen ) und öfters zugleich auch Unterricht. Es wird 
eine Aufgabe einer Geſchichte von Bologna ſein, zu unterſuchen, welche 
Bedeutung dieſe Art von Unternehmungen hatte, und inwieweit 


) Man erinnere ſich, daß viele Mitglieder des Doktorenkollegs weder Bor- 
leſungen hielten, noch ſonſt ſich an den Geſchäften, Feſtlichkeiten und Intereſſen 
der Univerſität beteiligten, ja, daß auch diejenigen, welche Vorleſungen hielten, 
meiſt wenig gewillt waren, ſich als wirkliche akademiſche Bürger zu fühlen und 
mit den übrigen Profeſſoren und Scholaren zuſammenzuhalten und zu leben. 
Bezeichnend für dieſes Verhältnis iſt ein Abſchnitt der Statuten, der denjenigen 
doctores eollegii, welche als Profeſſoren wirkten (actn legentes) einſchärfte, daß 
fie verpflichtet ſeien, ſich an den Feſtlichkeiten der Univerſität und an ihren Leichen: 
begängniſſen zu beteiligen. Die Mitglieder, welche nicht laſen, zu dieſer ſonſt allen 
Genoſſen der Univerſität obliegenden Pflicht zu nötigen, wagten die Statuten nicht 
einmal mehr, „denn,“ heißt es, „wir wiſſen aus Erfahrung, daß die Mitglieder 
netu non legentes dies Statut doch nicht halten“. Stat. ed. 1561 p. 60. 

) Nach der Urkunde von 1353 bei Ao I, XXXII hieß eine Schar von 
ſolchen Penſionären duodena, und ich vermute, daß dieſer Ausdruck jede Wirt: 
ſchaftsgenoſſenſchaft der Scholaren bezeichnete, mochten fie ſelbſt wirtichaften oder 
ſich in Penſion geben. In dieſem Sinne begegnet der Begriff auch in Bologna 
(Stat. p. 41 [II. 57 u. d. Urk. Sarti I, 2 App. 154) und Perugia (Stat. II. 1). 
Ducange hat dieſe Bedeutung von dundena nicht, aber die Bedeutung Landsmann⸗ 
ſchaft, und da jene Haushaltungsgenoſſen ſich ohne Zweifel meift aus Landsleuten 
bildeten, fo iſt dies wohl die Wurzel für die Bedeutung: Wirtſchaftsgenoſſenſchaft. 


Collegia dotata. | 207 


diieſelbe durch Ausbildung der befoldeten Profeſſur, Beſchaffung öffent: 
cher Horſale und der Stiftungen (collegia dotata) beichränft wurde. 
1 Arme Scholaren fanden vielſach ihren Unterhalt, indem fie bei 
Scholaren oder in ſolchen Penſionen beſtimmte Dienfte übernahmen. 
= ſowie alle, welche von Unterſtützungen und Stipendien lebten, 
die politiſchen Rechte der Scholarenuniverſität, konnten zu 
Aemtern nicht gewählt werden und auch nicht mit wählen. Der 
entſtanden (namentlich im 14. Jahr⸗ 
einige Stiftungen, wie ſie damals in 
den größten Teil der Scholaren aufzunehmen, aber 
ſie nicht entfernt die gleiche Bedeutung. Unter 
vor das im Jahre 1364 von dem Kardinal Albornoz 
des heil. Klemens, das ſeinen Scolaren ') 
lt auf acht Studienjahre und dabei eine 
mit ihrem von und aus den Genoſſen ge⸗ 
1 Rektor, den Konſiliaren und Syndiken vielfach als ein Abbild 
der Univerſitätsverfaſſung erſchien. Den Genoſſen dieſes Kollegiums 
vurde das Recht gewährt, wie die auf eigene Koſten lebenden Scho⸗ 
Univerſitas mit zu wählen, ſich um die universitatis 
bewerben und überhaupt als vollberechtigte Scholaren 
Statuten des Kollegiums ſahen ſogar den Fall vor, 
ige Rektor Kollegiums von der Univerſität zum 


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des 
für ſtudierende Scholaren beſtimmt, doch 
wenn fie promovierten oder anfingen Vor: 


anderen Platz machen. Das Kollegium konnte alſo 
Sitze von Profeſſoren werden wie die Sorbonne in 
Die Scholaren beſuchten die Vorleſungen der Dozenten, die 
„ nur ein Theologe und ein Humaniſt wurden von 
für die Genoſſen berufen, aber der Humaniſt ſollte 

der Kollegiaten zu beſtimmende Vorleſung auch 
des Jahres halten“). Im übrigen lieferte auch 


en waren 8 Theologen, 18 Kanoniſten und 4 Mediziner. Die Ein 
tretenden mußten mindeſtens 21 Jahre alt fein. 

N Statut Collegii Hispanorum Bononiae. Bononise 1558, Blatt XXII. 

> III. Statatum XXI. De humaniorum literarum leetione in Collegio 


493 


208 Schlußworte eines Profeſſors. 


dies reich dotierte Kollegium zu dem Lehrkörper der Univerſität 
keinen Beitrag. So kam es alſo in Bologna trotz der Einführung 
der Beſoldung und der Entwicklung des Doktorenkollegs nicht zur 
Bildung eines feſtbegrenzten Lehrkörpers. Wie im 13. Jahrhundert 
ſo war auch im 14. und 15. Jahrhundert die Grenze zwiſchen den 
Hörern und Lehrern nicht feſt und zu den Lehrern gehörten viele, 
die mit der Univerſität nur loſe zuſammenhingen. 


Geſchäftsbetrieb der Profeſſoren. 


So lange kein Gehalt gezahlt wurde oder nur einigen, blieb 
die Maſſe der Dozenten auf den Ertrag ihrer Vorleſungen oder auf 
den Gewinn aus Penſionsanſtalten angewieſen. Das änderte ſich 
auch nach Ausdehnung der Beſoldung in der zweiten Hälfte des 
14. Jahrhunderts nicht völlig, denn dieſe Beſoldungen waren keine 
Anſtellungen auf Lebenszeit, ſondern auf meiſt nur kurz bemeſſene 
Jahre, und neben den beſoldeten Profeſſoren laſen auch ſpäter, 
wenigſtens in den Perioden, in denen die Univerſität blühte, zahl⸗ 
reiche Dozenten ohne Gehalt. Sie blieben alle mehr oder weniger 
auf ihren Erfolg als Lehrer angewieſen. Dozentenerfolg iſt aber alle 
Zeit ſehr vom Glück und ſelbſt von dem Wechſel der Mode abhängig) 
geweſen und es machte ſich das geltend in allerlei Künſten und 
Mittelchen, um die Scholaren anzulocken, ſowie in der geſchäfts⸗ 
mäßigen Behandlung der Lehrthätigkeit. Nicht bloß die Unternehmer 
der oben geſchilderten Schulinduſtrie hatten ſolche geſchäftliche Auf⸗ 
faſſung, auch Männer, deren Namen bis heute den Ruhm Bolognas 
bilden wie Odofred und Accurſius. Odofred (T 1265) ſchloß eine 
Vorleſung über das digestum vetus mit folgender Anſprache: 
Meine Herren! Wir haben Anfang, Mitte und Ende jenes Rechts⸗ 
buchs durchgenommen, wie Sie willen, die Sie unter den Hörern 
waren. Dafür ſagen wir Gott und der h. Jungfrau und allen 
Heiligen Dank. Es beſteht nun in dieſer Stadt von altersher der 


legenda ac latine loquendo. Statutum XXII ib. De Regimine Cathedrae 
Theologiae et immunitate regentis. Das Exemplar der Straßburger Bibliothek 
ſteckt in einem Sammelbande, der auch eine Brevis descriptio des Kollegs und 
eine Kopie des Teſtaments des Kardinals enthält, und außerdem den Druck der 
Statuten von 1561. 

) Selbſt Baldus konnte Perugia keinen Zulauf verſchaſſen. S. u. 


Ef 
1 


Werben von Schülern. Witze im Kolleg. 209 


Brauch, daß eine Meſſe geſungen wird, wenn eine Vorleſung (liber) 
beendet iſt, und das iſt ein guter Brauch, den man feſthalten ſoll. 
Weil es aber auch ferner üblich iſt, daß die Profeſſoren am Schluß 
der Vorleſung (liber) einige Worte ſagen über ihre weiteren Ab⸗ 
sichten, ſo werde ich das auch thun, mich aber kurz fallen. Ich ge 
denke Ihnen im kommenden Jahre die ordentliche Vorleſung zu 
halten, die außerordentliche denke ich dagegen nicht zu leſen, weil die 
Scholaren ſchlechte Zahler find (quia scholares non sunt boni paga- 
Es möchten wohl alle Gelehrte werden, aber zahlen wollen 
geſchrieben ſteht: Seire volunt omnes, mercedem sol- 
nemo. Weiteres habe ich Ihnen nicht zu ſagen, gehen Sie 
Segen des Herren und kommen Sie mir ſchön zur 
noch einmal darum !). 
Anſprache führt uns mitten hinein in den Verkehr von 
und Schülern, und man ſieht, wie der Geſichtspunkt des 
im Vordergrunde ſtand und wie der Profeſſor auch ſo gar 
daraus machte. Die Scholaren hatten die außerordent⸗ 
eines Profeſſors frei, deſſen ordinaria ſie hörten 
„und dieſer berühmte Dozent glaubte ſich nur dem 
d anſtrengen zu ſollen, oder er wollte durch dieſe 
Druck ausüben, damit ſich die Herren Scholaren zu 
Honorar verſtehen möchten. Das Gefühl der 
keiner Stelle der Anſprache hervor. Die Pro⸗ 
hatten eben kein Amt, ſondern trieben ein Ge⸗ 
es bildete ſich unter ihnen bezüglich desſelben eine recht 
aus. Jener Odofred rühmte ſich z. B., daß er 
auf den Zimmern aufſuche, um für ſeine Vor⸗ 
zu und tadelte die Kollegen, welche durch Krämer, 
und Schankwirte für ſich werben ließen, oder welche den 
nter der Bedingung, daß ſie die Vorleſung 
ſo ganz lag ihm das Werben der Schüler doch 
Er wußte ſeine Vorleſungen durch allerlei Ge⸗ 
intereſſant zu machen und dadurch anzuziehen, und manche 
in der Polemik und in böſen Witzen über alles Maß hin⸗ 


Abgebrudi bei Sarti I, 150 und Savigny III, 264: Or Signori, nos 


2 
1171 
2 


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17 


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2 incepimus ... 


”) Die Statuten von Bologna verboten ebenfalls rogare tacite vel expresse, 


e vel verbo vel quocangue alio colore verborum. Stat. ed. 1561 p. 39. 


5 Rauimann, en der een Uninerfitätrn. 1. 14 


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210 Unfanbere Geſchäfte der Profefforen. 


aus ). Das Werben von Schülern ferner muß ſehr häufig gewesen 
ſein, und auch andere Mittel illoyaler Konkurrenz werden gerügt ). 

Beſonders gefährlich aber waren die Geldgeſchäfte, welche Pro⸗ 
feſſoren mit ihren Schülern machten, ſei es nun daß ſie ihnen 
ſchüſſe gaben, um ſie zu veranlaſſen, bei ihnen zu hören, ſei es 
anderer Gelegenheit. Denn Vorſchüſſe wurden damals zu Wucher⸗ 
zinſen gegeben, und zugleich mußte der Scholar ſich auch wohl zu 
höherem Honorar verſtehen. Selbſt der berühmte Accurſius 
derartige Gelegenheiten zu Erpreſſungen benutzt. Sein Sohn und 
Erbe Franciscus Accurſius, der es ebenſo getrieben hatte, wurde 
ſpäter von Reue erfaßt und bat den Papſt“) (im Jahre 1292) um 
Beruhigung ſeines Gewiſſens wegen des ungerechten Beſitzes. Auch 
das Geſtändnis fügte er hinzu, daß ſie von denjenigen, die ſich zum 
Examen meldeten, bisweilen Geſchenke angenommen hätten. Accur⸗ 
ſius genoß aber trotzdem einen Ruhm und eine Verehrung, die kaum 


25 


5 


1) Ein Profeſſor entblödete ſich nicht, am Morgen nach ſeiner Berbeiratung 
eine Anſpielung auf ſeine Hochzeitsnacht oder gar, wie die ſchlimmere Lesart lautet, 
auf die nicht ganz korrekte Ehre ſeiner Frau zu machen. Dies war aber ſelbſt den 
Scholaren zu ſtark und ſie warfen ihm die Hefte an den Kopf. Hier mag dieſe 
Gewaltthätigkeit der Scholaren berechtigt erſcheinen, aber die Proſeſſoren hatten 
auch ohne ſolchen Anlaß mit dem Lärmen, Ziſchen und Schreien zu kämpfen. 
Bol. die Paduaner Statuten, ed. 1638, fol. 47 lib. IV, 15, und die Bologn. 
Stat. von 1347, Rubr. 44, Archiv III, 314. 

2) Im Jahre 1292 urteilte ein von zwei ſtreitenden Profeſſoren berufenes 
Schiedsgericht, daß Magiſter B. Scholaren aufgenommen habe, welche bereits als 
Scholaren ſeines Konkurrenten Th. anzuſehen geweſen ſeien, und daß er alſo den 
geiſtlichen und weltlichen Strafen verfallen ſei, welche auf Verletzung der für die 
Konkurrenz der Proſeſſoren aufgeſtellten Ordnung ſtanden. Das Gericht begnügte 
ſich jedoch mit feiner Anerkennung des Unrechts und einer Buße von 200 Lire, 
d. h. mehr als damals die Stadt einem Proſeſſor als Gehalt bot, wenn fie einen 
berief. Sarti I, 2 App. p. 155. 

) Sarti I, 2 App. 96: In nostra sane constitutus presentia retulisti, 
quod tu et quondam Accursius legum doctor pater tuus, cujus heres 
existis, scholaribus vestris, quos auditores pro tempore habuistis, diversas 
pecunlarum summas mutuo exhibentes, ab ipsis talis pretextu mutui fuistis 
assecuti majores collectas, etiam a nonnullis ex pacto, quam alias ab eisdem 
conseceuti scholaribus fuissetis; quas collectas majores etiam cum hoc fiebat 
mutuum, licet nulla super hoe interveniret pactio, consequi sperabatis, Super 
duo ac super eo praeteres, quia tu ac idem pater pro examinationibus scola- 
rium, qui licentiandi erant in ſucultate legali quandoque munera recepistis, 
tibi ob ista conscientiam habenti, ut asseris, remordentem ... DazuSarti 1. 212. 


Unſaubere Geſchäſte der Profefloren. 211 


ihres Gleichen hatte!) und da der Honorarwucher ihm alſo jo wenig 


Entſchuldigung mag dienen, daß das Eintreiben der Honorare 
mit Schwierigkeiten verknüpft war, und daß ſich die Proſeſſoren 
der Armut mancher Scholaren und der Schwierigkeit, welche 
die Wohlhabenden beim Bezug ihrer Gelder aus der ſernen 
ite, vielſach mit Pfändern begnügen mußten. Das 
Pfand⸗ und Wuchergeſchaft, und da der Lehrkörper nicht 
war und ſehr ungleichartige Elemente umfaßte, ſo konnte 
Standesgefühl kein Gegengewicht bilden. Endlich iſt zu 
daß die Profeſſoren auch mit der Gemeinheit zu kämpfen 
nicht zahlen wollte. War die Profeſſorenmoral in dieſen 
die beſte, die Scholarenmoral war gewiß noch ſchlim⸗ 
Aus Paris wird über dergleichen Wuchergeſchäfte der Pro⸗ 
fſeſſoren nicht geklagt, vor allem wohl deshalb, weil die Profeſſoren 
wirtſchaftlich in keiner weſentlich anderen Lage waren, als die Scho⸗ 
laren. Es gab keine Beſoldung, fie lebten abgeſehen von dem 
Honorar von Pfründen, Renten, Freiſtellen in den Kollegien wie 
die Scholaren, ſie waren unverheiratet und führten eine Jung⸗ 
i geſellenwirtſchaft, während die Profeſſoren von Bologna vielfach 
Hausbeſitzer waren, an der Spitze einer Familie und im Schutze 


32 
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An den Geſchaften der Univerfität Bologna waren alſo ver: 
ſchiedene Korporationen der Scholaren, Kollegien der Doktoren, der 


9 In Jahre 1306 vereinigten ſich die Scholaren zu einer Eingabe an die 
Diab. melde um feines Nuhmes willen für feine ganze Familie ehrenvolle Be: 
Bi, er freiung von aemifien bürgerlichen Laſten forderte Sarti I, 2 App. p. 77. 

333 dem Teſtament eincs anderen Profeſſors, der 
me einem Teil feines ex scholis erworbenen Vermögens den Armen vermachte, 
rl „in dem Schuigeihäft auf viele und mannigfaltige Weiſe gefündigt werde“. 
a Sarti 1. 2 App. 76: quod ex questu quem frei ex scholis, quis multis 
es variis modis peceatur in scholaribus habendis. ad summam provisionem 
e secnriiatem aliguam summam debeant (die Erben) dare pauperibus, cum 


„ ſo muß dies wohl nichts Ungewohnliches geweſen ſein ). 


212 Die Oberaufficht der Stadt. 


Archidiakon von Bologna und der Biſchof!) beteiligt; aber die 
Stadt war es, welche alle dieſe Intereſſen, Thätigkeiten und Befug⸗ 
niſſe zu einem Ganzen vereinte, den Korporationsbeſchlüſſen Rechts⸗ 
kraft lieh oder verſagte, welche die Univerſität mit einem Wort als 
einen Gegenſtand, einen Teil ihrer Verwaltung betrachtete. Dieſe 
Oberleitung der Stadt war jedoch nicht gleichmäßig wirkſam, ruhte 
oft ganz?) und durchbrach dann wieder gelegentlich alle Schranken 
der beſtehenden Ordnung. Neben der ſtädtiſchen Aufſicht hatte die 
Univerſität in ſich ſelbſt keinen leitenden Mittelpunkt, wohl aber hatten 
die Juriſten und die Mediziner für ſich in den universitates scho- 
larium und den von ihnen gewählten Rektoren ſolche Mittelpunkte. 
Es unterſtanden ihnen allerdings nicht alle Teile und Gruppen gleich⸗ 
mäßig. Auf die Kollegien der Doktoren und auf die Geſchäfts⸗ 
führung des Archidiakonen hatten ſie regelmäßig und direkt keinen 
Einfluß. Trotzdem wird man dieſe universitates und ihre Rektoren 
als die Leiter der Lehranſtalt bezeichnen, denn ſie beherrſchten den 
maßgebenden Teil der das Generalſtudium zuſammenſetzenden Ele⸗ 
mente, beſchloſſen die Statuten, welche die Thätigkeit der Lehrer und 
Lernenden regelten, und beanſpruchten ein Recht der Aufſicht über die 
Beſchlüſſe der Doktorenkollegien?) und alle Seiten der Lehranſtalt. 
Als die Stadt Bologna im Jahre 1297 alle Mannſchaft zum Heere 
aufbot und die beſtehenden Befreiungen aufhob, wandte ſie ſich an 
die Rektoren mit der Forderung, eine Liſte der Profeſſoren auf⸗ 
zuſtellen, welche unabkömmlich ſeien. Die Rektoren bezeichneten 
darauf ſieben Doktoren, welche ordinarie laſen, und fünf Non- 
Doctores, welche extraordinarie laſen “), dazu vier Beamte (Bidell 
und Buchhändler). Das Aufgebot traf nur die Bürger, und die 
Stadt ſah alſo in den Rektoren der Scholaren diejenige 
Behörde, welche über die Einhaltung der Studienord⸗ 


) Der Biſchof war der Kanzler für die Promotionen in der Theologie, wie 
der Archidiakon für die anderen Fakultäten. So hatte Bologna auch zwei Kanzler 
wie Paris, aber ihr Urſprung wie ihr Verhältnis hatte keinerlei Analogie. 

) Die Vorgänge der Schulinduſtrie und die Anmaßung des Rol. paſſasiert 
erbringen ſchon den Beweis. 

) Statuta, ed. 1561, p. 62: Cassa et irrita et inania statuta et con- 
suetudines decernimus, quae doctorum collegium habnerit vel observa- 
verit ... contra statuta nostrae universitatis vel scolasticam libertatem. 

) Aus Sarti II, 105 bei Savigny III. 268. Beachtenswert iſt der Aus: 
druck: Isti sunt qui legunt extraordinarie et vulgariter Bachalarii vocantur, 


Die Stadt erkannte dem Netter die Aufßckt zu. 213 


——— ren 


nung zunächſt zu wachen und dabei auch über die Scholaren, 
welche Bürger waren, und über die Profeſſoten zu verfügen 
hatte. Endlich iſt auch in dieſem Zuſammenhange daran zu erinnern, 
daß die Rektoren mit der universitas befugt waren, die Thätigkeit 
der Lehranſtalt ſtille zu ſtellen oder zu befehlen, daß fie an einem 
anderen Orte wieder aufgenommen werde. Die Stadt ſelbſt erkannte 
gelegentlich an, daß dies allein durch die Korporation der Scholaren 
geſchehen könne ). Bei derartigen Anlaſſen verfügte die Korporation 
auch über die Profeſſoren. Als ſich die Scholaren 1295 nach einem 
vergeblichen Kampfe der Stadt wieder unterwarfen und ebenſo 1316, 
als ſie die Auswanderung ausführten und dadurch die Stadt zwangen, 
ihre Bedingungen anzunehmen, ſchloſſen die Bevollmächtigten der 
universitas zugleich für die Doktoren ab “). 


Die Studienordnung. 


Der wiſſenſchaftliche Unterricht beſtand in ordentlichen und außer⸗ 
bordentlichen Vorleſungen (lecturae ordinariae und extraordinariae), 
Repetitionen und Diſputationen. Ordentliche und außerordentliche 
Vorleſungen wurden nach den Büchern beziehungsweiſe Abſchnitten 
von Büchern geſchieden. Die Statuten bezeichnen als ordentliche 
Bucher im kanoniſchen Rechte das Dekretum und die Dekretalen, im 

Recht den Kodex und das digestum vetus, als außer⸗ 
ordentliche das infortiatum, das digestum novum und das volumen. 

es im 13. und ebenſo im 16. Jahrhundert. Odofred ?) jagt 


) us die Stadt 1338 wegen des Interdikts eine zeitweilige Verlegung der 
in einen Nachbarort wünſchte, wandte fie ſich an die Korporation der 
und dieſe beſchloß dann die Verlegung. Muratori, Script. XVIII, 163 
hat nur eine kurze Notiz, dazu Ghir. II, 139. gl. Savigny III, 247. 

9) Der Syndikus der Scholaren handelte 1295 im Namen der Profeſſoten 
unb der Scholaren, denn die Urkunde fließt: Praesente D. Martino Hispano, 
Sio dico | 


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et wies doctorum, rectorum, consiliariorum, sindicorum et scholarium dictae 
eee (Ghirard. I, 328). Der Vertrag, den die Scholaren 1316 mit 
de Stabi abihlofen, ficht Ghirard. I, 587 f. In demſelben erhielten die 
Scolaten auch die Zuſicherung, daß die Stadt den von den Scholaren gewählten 
Brofefioren das Gehalt pünktlich und ohne Ausnahme (senza eccettione alcuna) 
 außjahlen werde. 

Er „ Abgebrudt bei Savigny III, 265, Note. Bol. die Acußerungen über die 
Maetzede aus Alciati oral. Ib. p.54 u.554, ſodann von Hugolinus u. Obofreb ib.p.553. 


n 


214 Die Arten der Vorleſungen. 


in der Gloſſe zu der Konſtitution Omnem, in Bologna herrſche die 
Gewohnheit, zuerſt das digestum vetus, dann den Kodex zu leſen 
oder umgekehrt, denn darin ſei der Kern der ganzen Jurisprudenz 
gegeben. Die anderen Bücher (infortiatum, digestum novum und 
volumen) könne jeder für ſich verſtehen und über ſie leſen, wenn er 
jene beiden ordentlich kenne. Darum würden dieſe andern auch 
„außerordentliche Bücher“ genannt. Mit dieſer Anſchauung von der 
grundlegenden Wichtigkeit der ordentlichen Bücher hing es zuſammen, 
daß über ſie regelmäßig des Morgens, über die außerordentlichen 
nachmittags und abends geleſen wurde; die Regel war lange Zeit 
ſo feſt, daß man auch die Profeſſoren in doctores de mane und 
d. de sero unterſchied. Auch in der Methode herrſchte ein Unter⸗ 
ſchied, denn es konnte über ein ordentliches Buch außerordentlich ge⸗ 
leſen werden. In den außerordentlichen Vorleſungen ſcheint eine 
größere Freiheit der Bewegung geherrſcht zu haben!), namentlich 
galt es als Regel, daß die Scholaren den Profeſſor in der ordent⸗ 
lichen Vorleſung nicht mit Fragen unterbrechen ſollten ), während dies 
in den außerordentlichen üblich war, was dann den anderen Scholaren 
auch als Veranlaſſung dienen konnte, ſtatt des Profeſſors zu ant⸗ 
worten. Daneben hielten die Profeſſoren Repetitionen, d. h. aus⸗ 
führliche Behandlungen einzelner ſchwieriger Geſetze oder Abſchnitte 
derſelben, welche fie in dem Zuſammenhange des ganzen Buches be⸗ 
reits durchgenommen hatten, welche aber noch einer beſonderen Er⸗ 
örterung zu bedürfen ſchienen?). Sie konnten zu Disputationen 
Anlaß geben, wurden aber doch regelmäßig von den eigentlichen 
Disputationen geſchieden. Dieſe vier Formen: ordentliche und außer⸗ 
ordentliche Vorleſungen, Repetitionen und Disputationen, bildeten den 
Kreis der akademiſchen Thätigkeit im 16. wie im 17. Jahrhundert. 

Die Art des Vortrags“) war nach Perſonen und Zeiten ver⸗ 


) Jedoch wurden auch die außerordentlichen Facher in „puncta* geteilt 
und der Profeffor war gezwungen, jeden Abſchnitt in der vorgeſchriebenen Zeit 
zu beendigen. Siehe Rubrik 44 der Statuten von 1347. Auch Anhang und 
Schluß mußten gleich ſtreng eingehalten werden. 

) Odofred bei Savigny III. 555: licet insolitum sit quaerere a dominis 
sive doctoribus in mane de eo quod legunt in mene, peto veniam. Dazu 
die Erzählung bei Sarti I, 92. 

) Alciati bei Savigny III, 547. 

) Die Gloſſatoren äußern fi mehrfach über die Methode. Auf Grund 


c 


„namentlich in der Beziehung fand ein großer Unterſchied 
daß die einen fo ſprachen, daß die Scholaren mehr oder weniger 

nachſchreiben konnten, die anderen in freier das Diktat aus⸗ 
Den am meiſten charakteriſtiſchen Zug bildete die 
fremdartige Beaufſichtigung des 
ung. Nach den Statuten von 
geleſen wurde, in geſetzlich be⸗ 


Die peinliche Beauffichtigung der Profeſſoten. 215 


45 


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Savigny II, 552 eine Skizze der juriſtiſchen Borlefung 
537 f. eine allgemeine Schilderung der Gloſſatoren als Lehrer. 
aber erſt zum vollen Bilde durch die Lektüre von Schriften, die 
Borlefungen enthalten oder auf Grund derſelben entftanden find. Man 
bei Thurot p. 78 die Stigge der in Paris herrſchenden Unterrichts weise. 

) Ueber die Bedeutung der puncta urteilt Savigny III, 395 unrichtig, wie 
Denifle, Archiv III, 238 zeigt. Die Statuten und Urkunden von Perugia und Florenz, 
Lerida, Toulouſe u. a. bieten reiches und unzweideutiges Material, das dann von 
Demiſte in feiner gelehrten Unterſuchung über die puncta, Archiv III, 232, durch 
u Dokument und erläutert worden iſt. Die Einteilung in 
punecta rührt vermutlich ſchon aus dem 13. Jahrhundert her, aber doch erſt aus 
der zweiten Hälfte. Odofred (+ 1265) kannte fie offenbar noch nicht. Auch der oben 
erwähnte Kontrakt von 1294 bezieht ſich wenigſtens nicht auf die puncta, obſchon die 
orbnungämäßige Vollendung der Borlefung ausbedungen wird. Aber freilich iſt ja 
leicht möglich, daß vieles von dieſen Statuten nur auf dem Papier ſtand oder 
nur bei den beſoldeten Profefjuren ftrenger durchgefuhrt ward. Das ältefte Zeugnis 
für Bologna find genau genommen die ſtädtiſchen Statuten von Perugia von 
1342, weiche die Profeſſoren verpflichteten, secondo ei ponte ei quagle se ser- 
vano 


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1 


ib. 


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daß 

in denen Vorſchriſten über die puncta ſtanden. Die 
verbreitete ſich von Bologna nach Perugia, Florenz. Orleans, Mont: 
., und für Orleans liegt ſchon ein Zeugnis von 1309 vor, bei Denifle, 
S. 247. Die Statuten von 1432 kennen die Vorſchriſt nicht mehr, welche 

, die Erwähnung der puncta taxata, ed. 
20 u. 21, ift nur infolge der Flüchtigkeit der Nedattoren ſtehen geblieben, 
unzweifelhaft abſichtliche Streichung der auf die puncta bezüglichen 
alten Statuten $ 44 u. 45, in ed. 1561, p. 35 f. beweiſt. Aber darum 
in Bologna fortan nicht weniger ſtreng in der Kontrolle der Lehrthätig⸗ 
Vorſchriſten für Anfang und Schluß der Borlefung 
36. Quod nulla. Stat. 1347 $ 45), die Botſchrift, welche 
welche verbot, eine ſchwicrige Stelle gegen Ende 
erflären, fo daß die Erklärung durch den Glockenſchlag unter: 


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216 Geldſtrafen der Profeſſoren. 


eine beſtimmte Reihe von Vorleſungen feſtgeſetzt, gewöhnlich 12 oder 
14 Tage, in denen der Profeſſor dieſen Abſchnitt beendigt haben 
mußte. Bei Beginn des Studienjahres hatte jeder Profeſſor eine 
Summe (25 libras Bon.) zu hinterlegen, von welcher ihm jedesmal 
ein beſtimmter Teil als Strafgeld abgezogen wurde, wenn er einen 
Abſchnitt nicht in der vorgeſchriebenen Zeit erledigte. Damit er nun 
aber nicht innerhalb dieſes Abſchnitts Auslaſſungen mache, wenn er 
erſt geſäumt hatte, ſo ſchärfte ein anderes Statut ein, daß nie⸗ 
mand!) irgend ein Geſetz, Dekret, oder den Abſchnitt eines ſolchen 
übergehe und daß der Dozent bei jedem Geſetz u. ſ. w. ſofort auch 
die Gloſſe zu leſen und zu erläutern habe, auch wenn die Scholaren 
ihn durch Lärmen daran zu hindern ſuchen ſollten ). Die Methode 
des Unterrichts war im 16. Jahrhundert weſentlich dieſelbe wie im 
dreizehnten, die wichtigſte Veränderung beſtand darin, daß ſeit der 
Berufung von Lehrern für beſtimmte Fächer im 14. Jahrhundert 
und ſeit der Verteilung des Stoffs unter ſie, die alte Sitte auf⸗ 
hörte, daß jeder Dozent möglichſt über alle, wenigſtens über alle 
ordentlichen Bücher las und daß infolge davon der Scholar meiſt 
nur ein und denſelben Lehrer hörte“). Unverändert blieb wohl auch 
das Verhältnis, daß die fremden Scholaren regelmäßig in dem Alter 


brochen wurde: nee possint nee debeant lectionem suam ultra pulsationem 
campanae s. Petri ad tereiam legere, continuare seu complere. Es blieb 
auch die methodiſche Anweiſung: quod omnes actu legentes immediate post- 
quam legerint capitulum vel legem glossas legere teneantur. Bei ihrem 
Eide werden ſie dazu ermahnt und beſonders verwarnt, es auch dann nicht zu 
unterlaſſen, wenn die Scholaren fie durch Geſchrei daran hindern wollten. Stat. 1347 
. Statuta, ed. 1561, p. 36. S. Anm. 2. Je vier Scholaren von jeder Bor: 
leſung wurden heimlich vom Rektor beauftragt, Uebertretungen auszuſpionieren. 
Ib, p. 20. De denuneciationibus doctorum non servantium puncta vel statuts. 

) Statuta $ 44, Archiv III, 314: doctor ordinarie legens, ib. p. 815: 
doctor vero extraordinarius vel quilibet legens. 

) Statuta $ 44, ib.: Statuimus etiam quod omnes doctores , im- 
mediate postquam legerint capitulum vel legem, glosas legere teneantur 
nisi continuatio capitulorum vel legum aliud fieri suadeat ipsorum in hoc 
conscientias per juramentum ab eis prestitum onerando. Nee super 
eis non legendis elamori scolarium condescendant, Odofred kündigte 
es noch als wichtige Neuerung an: legam etiam omnes glossas. Savigny III, 541. 

) Savigny hat hervorgehoben, daß mit dem Aufhören dieſer Sitte, alſo 
etwa zugleich mit der beſoldeten Profeffur im 14. Jahrhundert, nach dieſer Seite 
hin die Verhältniſſe von Bologna ſich den heutigen näherten. 


Alter der Scholaren. 217 


unſerer Studenten und älter waren — in das ſpaniſche Kolleg wurde 
niemand aufgenommen unter 20 Jahren, für den Rektor forderte 
man ein Alter von mindeſtens 25 und eine Studienzeit von min⸗ 
deſtens 5 Jahren. Aber es war keine Altersgrenze für die Imma⸗ 
trikulation beſtimmt. Baldus war noch im Knabenalter ein Zuhörer 
des Bartolus, mit 15 Jahren hielt er bereits eine Repetitio )). 
von anderen wird berichtet, daß ſie mit 10 Jahren begannen, 

an den Dekretalen zu bemühen — aber in der Regel ſcheinen 
die einheimiſchen Studenten älter geweſen zu ſein. 

Jedenfalls gaben die Knaben der Univerſität und ihrem Leben nicht 
das Gepräge. In Florenz hatten die Scholaren erſt mit 18 Jahren 
Stimmrecht in den Verſammlungen. Dieſe Ungleichheit der Vorbil⸗ 
dung und des Alters erhielt ſich im 14. und 15. Jahrhundert, wie 
ſie im 13. und 12. beſtanden hatte und ſie bildete einen der Gründe, 
welche veranlaßten, daß die Profeſſoren vielfach Hilfslehrer (repe- 
titores) zur Seite hatten, um den Anfängern nach der Vorleſung 


1 das Verſtändnis des Durchgenommenen zu erleichtern und ihnen die 
Veoertenntniſſe beizubringen ?). 


Ergänzungen aus Padua, Perugia und Florenz. 


Die Statuten von Padua, Perugia und Florenz find auf Grund 
der Statuten) von Bologna bergeitellt worden, aber jo ſehr auch 
Bologna das Muſter bildete, jo entwickelte ſich doch an dieſen Uni- 
verfitäten manches in eigentümlicher Weiſe und mancher Zug in dem 

der Stadtuniverſitäten wird an dieſen Orten deutlich, der in 


Weſen 
Beoblgna dunkel blieb. An und Einfluß ſtand Padua Bologna 
amm mächften und hier gewann auch das Treiben der Scholaren eine 


Kraft und Bedeutung, die ſich den Bewegungen vergleichen laßt, 
welche Bologna von Zeit zu Zeit erſchütterten. Sie zerfielen ebenfalls 


in die zwei Univerſitäten der Ultramontanen und Citramontanen, 


J Sesigus VI, 209 druckt die bezüglichen Belege sub 2 u. 3 ab. Baldus 
promovierte mit 17 Jahren, ib. 214. 

) Die Proſeſſoren, welche 1295 den oben erwähnten Kontrakt abſchloſſen, 
ſcheinen ein jeder mehrere Nepetitoren gehabt zu haben, und in dem großen Kol: 
Iegium zu Berugia, der ſog. Sapienza, war den Repetitoren eine wichtige Thätigkeit 
jagemiejen. Rossi, Docam. Nro. 101. Estratto p. 85. 

Y Siehe Beilage 1. 


218 Wahl der profeſſoren durch die Scholaren. 


und dieſe gerieten 1287 über die Wahl eines Proſeſſors in jo leiden⸗ 
ſchaftlichen Streit, daß die Ultramontanen ſich durch einen Eid ver⸗ 
pflichteten, Padua zu verlaſſen und vor Ablauf von zehn Jahren 
nicht wieder aufzuſuchen, wenn die Stadt, die den Kandidaten der 
Citramontanen ernannt hatte, dieſen nicht ſeiner Stelle enthebe und 
zehn Jahre lang nicht wieder ernenne !). Der Streit zeigt die Scho⸗ 
laren noch 1287 in dem Beſitz des Rechts, die Profeſſoren zu wählen, 
wie es der Vertrag mit Vercelli von 1228 zeigte, und es iſt das 
unterſcheidende Merkmal von Padua, daß die Stadt hierauf nicht 


eiferſüchtig war und es noch in den Statuten des 16. Jahrhunderts 
beſtätigte ). 

Wie andere Städte, die noch kein geordnetes Studium beſaßen, 
jo hatte auch Perugia“) im 13. Jahrhundert mehrfach Lehrer unter⸗ 


) Es war Jacobus de Arena. Die Scholaren fühlten bald, daß fie zu weit 
gegangen waren, und da ihr Eid ſie hinderte, nachzugeben, ſo wandte ſich die 
Stadt an den Papſt mit der Bitte, fie des Eides zu entbinden. Melanges 
d'archéologie et d'histoire (Ecole frangaise de Rome) IV aunde 1884 p. 58 
(an. 1288): Petitio . communis eiv. Paduanae nobis exhibita continebat, quod 
in civitate ipsa de consuetudine obtinetur, quod doctores ibidem in eiwfli 
jure regentes pro tempore a scolaribus in predieta eivitate insistentibus 
studio litterarum communiter eliguntur, et hujusmodi eorum electio per 
ipsius communis consilium approbatur. 

) Die Einrichtung wurde damit begründet, daß die Studenten die Pro: 
feſſoren am beften beurteilen könnten. Statuta, Druck von 1551, Blatt 59. Lab. II. 1: 
Quoniam nihil est quod magis augeat conditionem studiorum quam doc- 
torum eccellentia, et quoniam doctorum famam melius noscunt scholares 
quam aliud hominum genus, ideirco statuimus: quod singulis annis per 
duos aut tres dies ante electionem novi rectoris, rector teneatur convocare 
consiliarios illius anni, qui absque intervallo aliquo teneantur eligere 
doctores, qui pro futuro anno lecturi sunt in hoc studio Paduano: et 
hujus electionis curam habeat rector et convocet consiliarios ... quibus 
convocatis proponat istas electiones fiendas esse, et eligantur doctores ad 
lecturas per ipsos consiliarios per bienium secundum formam senatuscon- 
sulti editi sub anno 1545. Dazu die nova constitutio Blatt 62 ff. 

) Roſſi iſt die Wiſſenſchaft für die Herausgabe der koſtbaren Samm- 
lung von Urkunden verpflichtet, welche die Entwicklung der Univerſität wie kaum 
eine andere beleuchten. Sie erſchienen in den Bänden IV- VI (1875—1877) des 
Giornale di Erudizione Artistica. Bis Nro. 200 find fie auch in einem Separat⸗ 
abdruck erſchienen, Estratto, den ich zumeiſt benutze. Die Nummer der Urkunden 
iſt in beiden Ausgaben gleich, da die Nachträge auch in dem Estratto als Nachträge 
gegeben werden. 1883 u. 1886 iſt eine Fortſetzung unternommen, aber wieder ins 
Stocken geraten. Neben Roſſi hat ſich der der Wiſſenſchaft zu früh entriſſene 


Einzelne £chrer von der Stadt unterflüht. 219 


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fügt, die von ſich aus in der Stadt Vorleſungen veranſtal teten, hatte 
namentlich Einladungen in die Nachbarorte verſandt, welche den 
Scholaren, die ihre Vorleſungen in Perugia hören wollten, Sicher⸗ 
heit verſprachen ). Dann und wann berief die Stadt auch einzelne 
Profeſſoren und beſoldete fie, aber es hing alles dies von dem 

ab. So hatten fie 1206 den Scho⸗ 
laren den beſonderen Schutz nicht oder nicht volljtändig gewährt und 
als dann drei Rechtslehrer den Rat baten, daß er die fremden 
Scholaren von dem für die ſtrafrechtliche Behandlung der Nichtbürger 
erlaſſenen Statut ausnehme und ſie rechtlich wie Bürger behandle, 
wurde nicht bewilligt). Dieſer Vorgang zeigt, wie 
Scholaren war, eine Korporation zu bilden, 
der Kleinheit dieſer Stadt⸗Staaten doppelt heftigen 
Meinungen und Intereſſen in den regierenden 
Kreiſen zu ſichern. Im Jahre 1301 bildeten die fremden Scholaren 
auch wirklich eine universitas und ein damals in Perugia ſchreibender 
Annaliſt berichtet dies mit den Worten: „In dieſem Jahre begann 


dae Padelletti (J. d. Nekrolog im Archivio giuridico XX) um Perugia ver: 
N Went gemacht durch die im Archivio giuridico V, 494 fl., VI, 97 ff., VI, 
135 F. publigierten Abhandlungen, die er dann zuſammen mit den Statuten von 
1457 auch ſelbſtändig erſcheinen ließ unter dem Titel: Contributo alla storia 
dello studio di Perugia nel secoli XIV e XV (Documenti inediti per ser- 
wire alla storis delle Universitä Italiane), Bologna 1872. 

Der ältefte bekannte Beſchluß dieſer Art iſt von 1266, doch waren offenbar 
worden. S. Rossi, Giornale IV. 26. 1276, 21. Sept., 


111 
37 
171 
173 
5 
: 
7 
i 


Nepreſſalien u, ſ. w. verkünde, daß 
von Bürgern der Heimatftadt eines Scholaren geſchädigt waren, 
an den Scholaren erholen dürften. Zwei Tage danach trug der 
auch ein Magiſter die artes leſen wolle, falls der Stadtbote, der 
den Borlefungen jenes Juriften einlade, auch ſeine Vorleſungen 
die gleiche Freiheit und Sicherheit veriprede. 
gemäß, aber mit dem Zuſatz, daß Bürger von 
und Cortona, mit denen Perugia damals heftige Gebietsſtreitigtetten 
Giornale IV, 349 Nro. 1% Estratto p. 79. 

ef zeigt in der Anm. zu Nro 5 (Estratto p. 6 f.), daß es vermutlich 


171 
1 
1 
f 


8 
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Kehren 
15 
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aan ra Archivio storico XVI, 1 (1850) p. 59: in questo millesimo si comineid 
im Perugia lo studio generale. Der Annalift berichtet ſonſt nut Ereigniffe wie 


220 Die Anfänge von Perugia. 


Die Korporation entſtand natürlich nicht ohne Einwilligung der 
Stadt, wahrſcheinlich auf Grund eines Vertrags, der zwar nicht 
erhalten iſt, auf den jedoch eine Verhandlung von 1304 und ein 
Akt des Rats von 1306 einen Rückſchluß geſtatten. Aus ihnen läßt 
ſich entnehmen, daß die Stadt teils bei Gelegenheit der Bildung der 
Korporation, teils in den folgenden Jahren 1) den Scholaren Pri⸗ 
vilegien ſicherte, die im ganzen der Habita Kaiſer Friedrichs ent⸗ 
ſprachen; 2) den Wechslern, welche den Scholaren Vorſchüſſe machten, 
als Entſchädigung Freiheit von den ſtädtiſchen Laſten gewährte; 
3) mit den Scholaren zuſammen Profeſſoren erwählte und beſoldete ). 
So war denn das Generalſtudium thatſächlich im Gange, aber es 
trug noch nicht den Charakter einer dauernden Einrichtung und des⸗ 
halb war auch die Scholarenkorporation nicht zu hindern, einer 
etwaigen Einladung in eine andere Stadt zu folgen. Da nun die 


Tod und Wahl von Biſchof, Papſt und Kaiſer, oder ſolche, welche die Straße 
füllten oder das Stadtgeſpräch bildeten, wie der Ausmarſch der en: die 
Geſchenke, welche den päpſtlichen Legaten überreicht wurden u. dgl. Seine 
ſind ſo ſpeziell, daß ſie nur von einem ſtadtkundigen Manne der Zeit herrühren 
können, und wir dürfen deshalb auch jene Angabe über den Beginn des stuclum 
generale nicht verwerfen und nicht abſchwächen, ſoweit nicht zwingende Gründe 
vorliegen. Solche liegen aber nicht vor, vielmehr wird aus dem Jahre 1904 eine 
Verhandlung der Rektoren der Scholaren mit dem Magiſtrat von Perugia berichtet, 
welche zeigt, daß bereits vor dieſem Jahre eine universitas scholarium unter 
gewählten Rektoren in Perugia beftand. Documenti des Secolo XIV Nro. 1 
(Estratto p. 10): Supplicatur vobis, dominis prioribus artium eivitatis 
Perusii, pro parte rectorum scholarium, quod proponatur in consilio 
majori; cum jam reformatum sit, quod doctores in jure et in loyca et 
gramatica eligantur,... Wenn aber der Annaliſt die Bildung der rechtlich 
anerkannten universitas scholarium als den Anfang des studium generale 
meldet, ſo geſtaltet ſich die Notiz zu einem Zeugnis, daß man damals in der 
Bildung einer ſolchen universitas und der, ſei es von ihr ausgehenden oder durch 
ihr Daſein veranlaßten, Regelung der Studienordnung und der bis dahin nur 
gelegentlichen Mitwirkung der Stadt das weſentliche Merkmal eines Generalftubiums 
ſah. Den Gegenſatz bildeten in dieſer Auffaſſung die Schulen einzelner Lehrer. 

) Bis zum Jahre 1304 galt die Abmachung nur betreſſs der Wahl und 
Beſoldung von Juriſten, in dieſem Jahre aber ſtellten die Rektoren der Scholaren 
an den Rat das Geſuch, daß in derſelben Weiſe auch Profeſſoren der Grammatik 
und der Philoſophie berufen werden möchten. Der Rat beſchloß demgemäß. Rossi, 
Doc. Nro. 1, 1304. Estratto p. 9 f. In dem Statut von 1315 verweiſt die Stadt 
direkt auf die Habita: habeant tres judices ad eorum eleetionem secundum 
quod continetur in autentica habita super hoc. Rossi Nro. 20. Estratto p. 88. 


i 


Der Beſchluß des Rats. 221 


Burger fürchteten), daß die glückliche Entwicklung des General: 
ſtudiume ebenſo wieder unterbrochen werde, „wie ähnliche Anfänge 
im Laufe der verfloſſenen Jahrzehnte wider ins Stocken geraten 


„dauernde Einrichtung“ ) fein ſolle. Zugleich wurde beſchloſſen, für 
dieſe Lehranſtalt von dem Papft die Privilegien zu erbitten, welche 
derſelbe den Generalſtudien zu gewähren pflegte, aber man wartete 
nicht auf dieſelben, ſondern beſtimmte die Zahl der fremden Pro⸗ 
ſeſſoren wie die Grundzüge der Verfaſſung und fügte dem Amtseide 
Behörden eine Formel hinzu, durch welche ſie geloben 
mußten, das Generalſtudium zu erhalten. Die Stadt zweifelte nicht, 
auch ohne päpſtliches Privileg zur Errichtung des Studiums befugt 
zu ſein, und hielt nicht etwa die von ihr errichtete Lehranſtalt für 
eine Schule niederen Ranges, die erſt durch das Privileg zu einem 
studium generale zu erheben jei?). 


| 


Br Rossi Nro. 3. 1306. Juni. Estratto p. 11: Ut studiorum in eivitate 
bereuen sepius inchosta principia laudabile medium optimumque finem 


J Rossi Nro. g. 1306. Juni. Estratto p. 11 f.: Igitur priores artium ... 
anctoritate ... eis concessa a consilio populi .. . statuerunt et ordinaverunt 
hoc siatuto in perpetuum valitaro: quod in eivitate Perusii sit studium 
continuum. 

J Un drei Stellen ſpricht die Urkunde von dem Geſuch an den Papſt 
Buerft bezeichnet cc die Stadt als die Bitte um die Gewährung (concessio) eines 
die Bitte um die privilegia stadii generalis, 


follten dieſe Privilegien für die Stadt erbeten werden. Es erinnert dies daran, 
daß Bologna den anderen Städten das Recht beſtritt, Schulen des römiſchen Rechts 
8 welche Kleriker und Mönche genoſſen, wenn 
wichtig war, ob der Ort, an dem fie ſich 
ein geeigneter Studienort nachzuweiſen war. Das 
iche Privileg hatte, ſei es ein all 

anerkannte, ſei es das beſondere, daß die an 
Kleriker im Genuſſe ihrer Pfründen bleiben follten, oder 

fei, hier das ihnen im allgemeinen verbotene romiſche Recht zu 
mit privilegia studii generalis dieſe Borteile gemeint 
Stelle der Urkunde ib. p. 13: Insuper constituatur ... 
et impetrandum a s. pontifice et a dominis 
Mie, quibus .. . negotium totnm super petitione 
... est commissum, quod petitio communis 


dietorum privilegiorum et eorum, que ex ipso 


222 Bedeutung des farſiichen Privilegs. 


Wr... 


Die Stadt erhielt ) die Bulle erſt im dritten Studienjahre 
ſeit jenem Beſchluß und hatte in dieſer Zeit die Anſtalt mit 
den Scholaren weiter entwickelt, ohne daß auch ſelbſt in der Nats⸗ 
ſitzung, in welcher (Februar 1309) über das Ausbleiben des päpft- 
lichen Privilegs verhandelt wurde, ein Bedenken über die recht⸗ 
liche Grundlage der Anſtalt aufgeſtiegen wäre. Die Bulle iſt der 
Form nach ein Stiftungsbrief, als ob in Perugia noch kein General⸗ 
ſtudium beſtehe; aber thatſächlich bildete ſie die Anerkennung des 
beſtehenden Studiums in der Form einer Errichtung desſelben ). 
Dieſe Bedeutung tritt noch deutlicher hervor durch die Thatſache, daß 
ih Perugia“) im Jahre 1317 bei Papſt Johann XXII. aufs neue 


studio dependeant, executioni mandetur et generaliter ad petendum et 
impetrandum omnia, que ad studium generale sunt necessaria et oportuns.... 
Dieſe Umſchreibung erläutert den früheren Ausdruck privilegia studii generalis 
und damit zugleich die erſte Faſſung der Bitte, welche von der Gewährung eines 
Generalſtudiums ſpricht. 

) Rossi (IV, 56 Nro. 4) löſt das Datum IV Id. Sept. Pontificatus nostri 
anno tertio mit 1307, 8. Sept., auf. Denifle zeigt S. 538, Note, 245, daß es 
1308 heißen muß. Daß die Bulle erſt Ende Februar 1309 eintraf, zeigt Roſſi in 
der Note zu Nro. 4. Estratto p. 15. 

) Rossi Nro. 4, Estratto p. 15: apostolica auctoritate statuimus, ut in 
eivitate predicta sit generale studium illudque ibidem perpetuis ſuturis 
temporibus vigeat in qualibet facultate, 

) Den Anlaß dazu gab, daß ſich jemand erbot, der Stadt für 1000 Gold⸗ 
gulden privilegia studii et conventus zu verſchaſſen, und man ging darauf ein, 
weil man durch neue Privilegien dem Studium größere Sicherheit und größere 
Zugkraft zu geben hoffte. Der Rat hielt die Sache nicht eben für nötig und 
zauderte anfangs, den Vorſchlag anzunehmen, obſchon das Opfer doch nicht fo groß 
war im Verhältnis zu den Ausgaben, welche die Stadt ſonſt für die Univerfität 
brachte, und obſchon die Stadt erſt zahlen ſollte, wenn der Makler die Privilegien 
lieferte. Die Entſcheidung wurde einer Generalverſammlung der Zunftmeifter und 
Kämmerer (gegen 300) überlaſſen und auch in dieſer ſtimmten einige dagegen. 
Giornale IV, 186. Estratto p. 47. Das Privileg dagegen, das Johann XXII. 
dann dem Makler überließ, macht den Eindruck, als wolle es einen Mangel des 
Privilegs von 1308 ergänzen, als fehle Perugia das Promotions recht; in der 
Wendung, die Stadt ſei uberioris gratise dono würdig, ſcheint ſogar eine aus: 
drückliche Behauptung derart zu liegen Jedenfalls aber würde damit immer 
die Anſicht Johanns XXII. gegeben ſein, nicht die der Städte, auch nicht die 
früheren Päpſte. In keiner Weiſe läßt ſich behaupten, daß Clemens V. 1808 
Stadt Perugia ein unvollſtändiges Privileg geben, daß er der Schule zu Perugia 
den Charakter eines stadtum generale nur in beſchränkter Weiſe zuerkennen 
wollte. Seine Abſicht iſt unzweideutig : er erkannte Perugia an als ein studium 


za 


Perugia erwirbt nach dem päpftlichen noch ein Faiferliches. 223 


um dieſes Privileg bewarb und dann noch ein drittes Mal bei Kaiſer 
3 Karl IV). Es braucht nicht erſt geſagt zu werden, daß dies nicht 
geſchah, weil die Stadt glaubte, das päpſtliche Privileg bedürfe der 
Alndaiſerlichen Beitätigung, und auch der Kaiſer erkannte an, daß bereits 
ein studium generale in Perugia beſtehe. Trotzdem gab er der Stadt 
deine Konzeſſion (concedimus), ein Privileg zur Errichtung oder zum 
Beſitz eines Generalſtudium, als ob fie erſt noch der Erlaubnis dazu 
bedürfe, und ebenſo verlieh er ausdrücklich das Recht, die akademiſchen 
GSGrade und im beſonderen die Doktorwürde zu verleihen, als ob dies 
bis dahin nicht hätte geſchehen können. Unzweideutig ergibt ſich hier 
der Sinn, in welchem derartige Konzeſſionen von Kaiſer und Papſt 
erbeten wurden. 
Bei Begründung des Studiums 1306 erließ die Stadt die 
Grundzüge einer Verfaſſung desſelben und hat dann im Laufe der 
Zeit, abgeſehen von einzelnen Beſtimmungen, noch mehrſach (1315, 


. 1842, 1366 und 1389) umfaſſendere, eine Reihe von Abſchnitten 


1 ‚zäblende Verordnungen über das Studium erlaſſen und in das 
4 Florenz, in Padua, Bologna )), Siena und anderen Orten traten ſolche 


generale, bes in allen Fakultäten vigere, b. i. fi) entfalten ſollte, und dazu 
> gehörte auch die Bornahme von Prüfungen und Verleihung der licentia docendi. 
Rossi, Docum. Nro. 96. Estratto p. 69 f. 1355: predicte civitati 
TFerusine et ejus populo generale perpetuum et gratiosum studii generalis 
pririlegiam Imperiali auctoritate damus et concedimus ... statuentes de 

PT | Imperatorie potestatis: ut eivitas predieta hac nostra presenti 
 —  Imperisli concessione soffulta privilegio generalis studii perpetuo gaudeat 
e wialer, possitque ejusdem eivitatis episcopus ... de consilio doctorum 
ei magisirorum studii, servatis ordine et stilo in eodem studio servari 
 eumsmeris, Illis, quos ad hoc ydoneos ac benemeritos reperit, legendi 
 Meentiam indulgere, licentiare et nichilominus ad doctoratus apicem pro. 
IE U kathedre et cetera quevis doctoratus insignia tribuendo. 
aus dieſen Geſuchen der Stadt nicht geſchloſſen werden darf, daß 
befugt gehalten hätte, ohne ſolche Privilegien das Studium 
Thatſache beachtenswert, daß die Stadt ſich bei Papft 
ſolche Privilegien bemühte. Vercelli 1228, Padua 1261, Siena 
N76, Atego u. a. haben es in dem gleichen Falle nicht gethan. 
hatte in dem Appendix die wichtigſten Rubriken veröffentlicht, jetzt 
Statutenbuch ſelbſt in der prächtigen Ausgabe von Luigi Frati 


f 


15 
x 


224 Statuten der Stadt für die Univerfität. Fremde Doktoren. 


von der Stadt erlaſſenen Univerſitätsſtatuten neben die von den Scho⸗ 
laren beſchloſſenen Statuten. Sie waren nicht ſo vollſtändig, auch nicht 
jo ſyſtematiſch angelegt wie die von den Scholaren und ihren Kommiſ⸗ 
ſionen ausgearbeiteten Statuten, behandelten mehr nur einzelne Punkte, 
aber es waren oft die allerwichtigſten und zwar aus allen Gebieten ). 
Auch die Lehrordnung unterlag dieſem ſtädtiſchen Verordnungsrecht. 
Wo die ſtädtiſchen Statuten anders verfügten als die Scholaren⸗ 
ſtatuten, mußte regelmäßig das ſtädtiſche Statut als maßgebend an⸗ 
geſehen werden, denn auch die Scholarenſtatuten erlangten Rechtskraft 
erſt durch die Genehmigung ſeitens der Stadt). Die Verordnung 
von 1306 beſtimmte, daß ſechs Juriſten (vier Legiſten, zwei Kanoniſten), 
ein Mediziner, ein Grammatiker und ein Logiker anzuſtellen ſeien, 
und daß von den Juriſten wenigſtens drei fremde (forenses) ſein 
ſollten, „denn durch fremde Gelehrte wird das Studium beſſer erhalten 
als durch Bürger“. Der Grund dieſer wichtigen und in den ſpäteren 
Jahren bald modificierten, bald wieder energiſch durchgeführten Maß⸗ 
regel lag darin, daß den Vetterſchaften leicht zu ſehr nachgegeben 
wurde, wenn Bürger zu dieſen ehrenvollen und einträglichen Stellen 
berufen werden konnten“). Sie kehrt auch in anderen Städten wieder 
und bildet einen charakteriſtiſchen Unterſchied derſelben von Bologna, 
wo man die Fremden ſogar von den ordentlichen Vorleſungen aus⸗ 
ſchloß. Bologna glaubte ſolcher Stützen nicht zu bedürfen. 

Die Wahl der Profeſſoren ſollte durch die Scholaren erfolgen 
unter Mitwirkung von wenigſtens ſieben Prioren der Stadt, und dieſe 
Profeſſoren waren nicht Mitglieder der Scholarenkorporation, ſon⸗ 
dern im Dienſt der Stadt“), aber fie hatten Anteil an den Privi⸗ 


) Rossi Nro. 3, an. 1306. Estratto p. 13. Perugia gewährt: rectores 
habeant illud offieium et illam potestatem, quam habent rectores in studiis 
generalibus. ib. Nro. 65, an. 1842. Estratto p. 18: secondo ei ponte quagle 
se servano allo studio di Bolongna. Dies wörtlich, nur in lateiniſcher Sprache, 
wiederholt 1866. Rossi Nro. 148. Estratto p. 118. 

) Dieſe ſtädtiſchen Statuten von Perugia, Padua u. ſ. w. haben, wie es 
die Natur der Sache mit ſich brachte, ebenfalls vielfach gleichartigen Inhalt, auch 
richteten ſich die Städte wohl nacheinander, ſogar mit ausdrücklicher Beziehung 
(ſ. vorige Note), aber es herrſcht unter ihnen nicht eine derartige Verwandtſchaft. 
wie unter den Scholarenftatuten dieſer Städte. 

’) Rossi Nro. 8, 1306, p. 13: cum melius per forenses doctores quanı 
per cives studium et lectura conservetur et continuetur, 

) In servitio eivitatis iſt der in den Urkunden mehrfach begegnende Aus: 


ihr, fie waren die Kameraden!) der fremden Scholaren. 

Das studium generale wurde als eine ſtadtiſche Anſtalt und 
als ein Glied der ſtädtiſchen Verwaltung gedacht, aber den Scholaren 
blieb immer doch ein weſentlicher Anteil an der Leitung desſelben. 
Die Beſtimmungen, wann und in welchen Abſchnitten geleſen werden 
ſollte, die Vorſchriften über Repetitionen und Disputationen u. ſ. w. 
wurden von dieſer Korporation und ihren Rektoren geregelt. Die 
Stadt pflegte die Profeſſoren bei der Berufung zum Befolgen dieſer 

N und durch dieſelben an die Rektoren 
N zu verweiſen ). Freilich griff die Stadt oft auch in dieſe Dinge ein “). 


) Rossi Nro. 30, 1319, Febr.: supplicant ... scolares legentes sive 


— —  #indentes in civitate Perusii. Der Ausdruck studentes umfaßt bisweilen 
x docere wie discere, bier fteht er wie der heutige Begriff Studenten. Nach dieſer 
Urkunde vereinigten ſich im Jahre 1319 alle Scholaren zu einer 

darüber, daß die von der Stadt beſoldeten Proſeſſoren auch von den ſtadtbürtigen 
Schelazen Honorar forderten. Sie baten ferner um ein Statut, das dieſen 
scholares cives bie Freiheit von allen Leiſtungen ſicherte, welche die universitas 
scholariam ihren Genoſſen auflegen würde. Es baten alſo die Scholaren der 
universitas, ihnen jelbft zu verbieten, die ſtadtbürtigen Scholaren zu den Leiſtungen 
# ihrer universitas heranzuziehen. Sie wollten ihren aus der Stadt ftammenden 
e Kameraden offenbar eine Sicherheit geben, daß fie nicht von der universitas, in 


| 
; 


„ belaftet würden, und fie begründeten auch ihre 
der Erwägung, daß dieſe Beſtimmungen notwendig ſeien, um die 
heranzuziehen. 


ro. Näheres S. 
hatte fie dem Magiſter Osbert von Cremona bei der Berufung zu 
kein anderer mit ihm in der bezüglichen Vorleſung konkurrieren dürfe 
Mogifter L., wie denn an den kleineren Univerfitäten eine Beidhränfung 
1 wat, wie das Zahlen von Gehältern. und da ſich 
Nagiſter Dübert trotzdem über weitere Ankündigungen dieſer Borteſung beſchweren 
W die Stadt ein Verbot, jene Lektura ordinarie zu leſen, unterſagte 


bei Strafe, ſolche Vorleſungen zu beſuchen, und beauftragte die 
ee der ain Uninerftäten. 1 15 


226 Fnſammenwirken der Stadt und der Scholaren. 


Das Zuſammenwirken mit der Scholarenkorporation zeigen 
Verhandlungen aus den Jahren 1314 und 1315. Die Scholaren 
trugen der Stadt vor, daß gewiſſe Bücher in Perugia nicht ge⸗ 
leſen würden, welche zu dem Lehrplan der Generalſtudien gehörten, 
und daß alſo Perugia ein studium imperfectum ſei. Die Prioren 
beſchloſſen die fehlenden Lehrer zu berufen und erließen zugleich jene 
oben erwähnte Generalverordnung über das Studium, welche zwar 
in der Hauptſache die von 1306 erneuerte, aber die Wahl der Pro⸗ 
feſſoren den Stadtbehörden allein zuwies ). Als nun dieſe aber 
trotzdem 1319 einen Profeſſor erwählten, da erklärten die ſtädtiſchen 
Prioren dies für ungehörig, beſchloſſen aber doch den von den Scho⸗ 
laren Erwählten anzuerkennen und ihm ein allerdings niedrig ge⸗ 
griffenes Gehalt zu zahlen. Indeſſen fand dieſer Beſchluß eifrige 
Gegner und in einer folgenden Sitzung wurde die Wahl der Scho⸗ 
laren aufgehoben). Die Stadt zeigte den Scholaren neben ſolcher 
Eiferſucht freundliches Entgegenkommen und brachte mancherlei Opfer 
für das Studium ), das durch die großen Juriſten Bartolus und 
Baldus ſchnell einen Weltruf gewann. Es iſt aber für alle Zeiten 
lehrreich, daß trotz dieſes Weltrufs der Beſuch der Univerſität oft 
recht ſchwach war, und daß es auch nichts half, daß die Stadt 1379 
ihren Bürger Baldus von ſeinem damaligen Lehrſtuhl in Padua 
zurückrief, denn 1385 war das Studium ſo geſunken, daß die Be⸗ 
hörde fürchtete, auch Baldus werde dem Rufe einer anderen Stadt 
folgen und deshalb verfügte, Baldus dürfe bei Strafe des Ver⸗ 
mögens und der Freiheit unter keinerlei Vorwand die Stadt ver: 


Rektoren, ſolchen Scholaren auf beliebige Zeit den Beſuch von allen Vorleſungen 
zu verbieten. Rossi Nro. 46. Estratto p. 70 f. 

) Rossi Nro. 20, 1315, hat die 1906 (Rossi Nro. 8) erwähnte Mit: 
wirkung der Scholaren nicht mehr und Nro. 21 zeigt, daß die Stadt allein wählte. 
Dazu Nro. 32, 1319. 

) Rossi, Anm. zu Nro. 32. Estratto p. 54: perchè fatta contro le 
leggi dello studio, 

) Zu den feftlihen Turnieren aus Anlaß der Doktorpromotionen zahlte fie 
wiederholt die Koſten für die Lanzen, ſchickte Kommiſſionen aus, um tüchtige 
Profeſſoren zu gewinnen u. f. w. Doc. 48—51. Aus dem Jahre 1339 tft die 
Matrikel erhalten; in der juriſtiſchen Fakultät nennt fie 7 Profeſſoren und 119 
fremde Scholaren, die jedoch bis auf 11 Deutſche und Böhmen und einige andere 
ſamtlich aus Italien ſtammten. Die Mediziner waren 3 Profeſſoren und 23 Scholaren. 
Die Artiften hatten offenbar nur einheimiſche Scholaren. 


f 


Die Stadt gab dem Rektor die Gerichtsbarkeit über alle Doktoren. 227 


laſſen und ihn ſchworen ließ, daß er bleiben werde ). Ein neues 
Moment brachte 1362 die Gründung eines Kollege, das 50 Scho⸗ 
laren (20 Legiſten, 24 Kanoniſten und 6 Theologen) für ſechs Jahre 
freien Unterhalt gewährte. Die Theologen ſollten die Vorleſungen 
der Kloſterſchulen beſuchen, die Juriſten die des Generalitubiums, 
und ſie mußten ſich verpflichten, in Perugia zu promovieren. Ihr 
Verhältnis zu der Scholarenkorporation wurde wieder von der Stadt 
geregelt und zwar jo, daß fie gehalten waren, ſich an den Feſtlich⸗ 
keiten des Studiums zu beteiligen, aber, wie es ſcheint, von der 
Gerichtsbarkeit des Rektors ausgenommen waren ). 

Rektor) hatte ſonſt die Gerichtsbarkeit über die Scholaren 
rofeſſoren, er ſollte auch eine allgemeine Aufſicht über 
im Falle des Ungehorſams gegen ſeine Anordnungen 
Profeſſoren durch Geldſtrafen zwingen, deren Höhe 
freigeſtellt war. Fand er Widerſtand, ſo hatte die 
e Behörde auf ſein Erſuchen einzuſchreiten und die wider⸗ 
Profeſſoren oder Scholaren zum Gehorſam zu zwingen ). 
Rektor wurde ferner verpflichtet, alle acht Wochen die Thätigkeit 


1 
HEHE 


1 


aller Profeſſoren zu inſpizieren, und wenn er fand, daß fie die Lehr: 


ordnung der Univerſität oder die bei ihrer Berufung eingegangenen 
Verpflichtungen nicht erfüllten, jo hatte er darüber an die ſtädtiſche 
Behörde, welche das Gehalt zu zahlen hatte, ſchriftliche Mitteilung 
zu machen. Außerdem war dieſe Behörde ſelbſt noch verpflichtet, 
vier Wochen vor dem Zahltage bei den Zuhörern der Profeſſoren 


’) Rossi Nro. 225, 227 und 228. 
”) Rossi Nro. 101 p. 87, Nro. 148 p. 115. Nro. 240 p. 320. 
*) Ordinaments studii von 1366. Rossi Nro. 148, Rubr. 276 p. 113 und 


Rabr. 312 p. 118. An letter Stelle werden die Lehrer der Knabenſchulen neben den 
 - amiberen Doktoren aufgezählt und p. 114 heißt es: quod doctores omnes ... etiam 


f . nom legentes et alii salariati, dummodo salarium recipiant a Beni, tenean- 
Mr... rectori dieti studii in licitis et honestis hobedire et habeat... juris- 
er dietionem puniendi et multandi predictos doctores (nach feinem Gutdünken) 


* . 


1 ER 


= 


et... eandem jurisdietionem possit exercere in omnes scolares (alſo auch die 
Rabibürtigen) dieti studi cujuslibet facultatis exceptis grammaticis. Die 
Stadt redimeie alſo in weſentlichen Beziehungen alle Schulen der Stadt zu dem 
 stadiam generale — im Etat und in dieſer Ausdehnung der Aufficht des Kettors 
und näherte ſich damit troß aller ſonſtigen gen Anſchauungen, wie 


228 Der Rektor erſcheint fat als Beamter der Stadt. 


Erkundigungen einzuziehen, ob der Profeſſor jeine Pflicht erfüllt 
hätte “). 

Der Rektor war trotz ſeiner Wahl durch die Scholaren mehr 
und mehr ein ſtädtiſcher Beamter geworden und erhielt auch Gehalt 
von der Stadt. Die Stadt beſtimmte, daß er nur auf ein Jahr 
und erſt nach einer Pauſe von drei Jahren wieder wählbar ſei “). 
Dieſelbe ſtellte ihm ihre Beamten zur Ausführung ſeiner Befehle zur 
Verfügung und nahm ihn in Strafe, wenn er ſeine Pflicht nicht er⸗ 
füllte ). 

Nach dem ſtädtiſchen Statut von 1366 ſollte das Studium ſechs 
juriſtiſche und fünf mediziniſche Lehritühle *) haben, dazu noch je 


) Ordinamenta von 1366. Rossi Nro. 148, Rubr. 312, Estratto 121. 
Das ſtädtiſche Statut von 1389 regelte dies noch genauer und verbot den Stadt⸗ 
rechnern, den Profeſſoren Gehalt auszuzahlen, ohne die doppelte Beſcheinigung des 
Podeſta und des Rektors, daß die Profeſſoren den Statuten gemäß ihre Pflicht 
erfüllt hätten, und damit Podeſta und Rektor dies beſcheinigen könnten, hatten die 
Profeſſoren 14 Tage vor Weihnachten vor dem Rektor zu erſcheinen und durch das 
Zeugnis von ſechs (oder drei) ihrer Zuhörer den Nachweis zu führen. Ordin. 
Rubr. 92, p. 314: Quilibet tamen doctor et magister sic electus et conductus 
quolibet anno ... per XV dies ante festum nativit.... teneatur facere fidem 
de sua lectura, ad quam deputatus est per dietos sapientes coram collacterali 
domini potestatis vel domini capitanei eivitatis Perusii et coram rectore 
dieti studii vel ejus locum tenente per sex scolares secum intrantes 
(welche bei ihm hörten), . exceptis doctore decretorum et doctore voluminis 
et medico eyrusico ... quibus sufficiat probare de eorum lectura ad quam 
deputati sunt per tres scolares secum intrantes. Dazu ib. p. 316. 

Ordin. v. 1889. Giorn. VI, 317. 


) Außerdem regelte die Stadt die Formen und Koſten der beiden Examina: 
des privatum wie des publicum, das iſt der feierlichen Promotion. Anlaß bot 
die Erwägung, daß viele Scholaren in Perugia ihre Studien machten, aber wegen 
der großen Koſten zum Examen andere Orte auſſuchten. Ordin. von 1889, 
Rubr. 98. Giornale VI, p. 318. Noch bedenklicher klingt, daß die Stadt 1966 ein 
beſonderes Statut gegen den Mißbrauch der Amtögewalt im Examen erlaſſen 
mußte. Der Biſchof ſollte erſucht werden, die Exkommunikation über jeden 
Profeſſor zu verhängen, der beim Examen eines Doktoranden gegen 
feine beſſere Ueberzeugung für nicht beſtanden votiere. Von folder 
Sentenz ſolle ihm keine Abſolution werden, wenn er nicht dem Geſchädigten 
entſprechenden Erſatz leiſte und der Stadt Perugia 100 Gulden zahle. Rubr. 312. 
Estratto p. 120. Man ſieht förmlich, wie die Stadt dahin gedrängt wurde, den 
Kreis ihres Einfluſſes auszudehnen. 

) Den Scholaren wurde in dem Statut von 1389 bei der Wahl der Bro: 


Flotenz. 229 


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® 
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oſophie und Aftrologie und einen für Notariatskunde. 
derſelben ſollten doppelt beiept, für alle aber ein feſter Ges 
werden, der nur dann überſchritten werden dürfe, 
gelte, einen hervorragenden fremden Gelehrten zu gewinnen. 
wurde beſtimmt, daß fein Proſeſſor über ein anderes Buch 
wofür er berufen ſei, ansgenommen mit Erlaubnis 


den beſoldeten Stellen durften nur ſolche Profeſſoren ge: 
werden, welche die Doktorwürde erworben hatten, mit Aus⸗ 
„des Chirurgen und des Mathe⸗ 
N Berufung wurde den Profeſſoren oft gleich im 
Pflicht eingeſchärft, die Vorſchriften der Studienordnung 
„die Abſchnitte einzuhalten, das Buch zu beenden, ſorg⸗ 
und jo, daß die Scholaren fie verſtehen könnten “). 
derſelben Weiſe hat Florenz) 1321, dann wider 1348 
daurch ein Generalſtudium gegründet und dazu 
Priollegien des Papſtes und darnach noch des Kaiſers erbeten, ohne 
aber auf den Empfang dieſer Privilegien zu warten und ohne ſich 
durch den Beſitz eines päpſtlichen Stiftungsbriefs ab: 
laſſen, auch noch vom Kaiſer die Erlaubnis zur Gründung 
und das Promotionsrecht zu erbitten. Als 

5. Jahrhunderts das Studium eingegangen 


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faltig zu leſen 
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dann 

fefloren eine eigentümliche Nüwirkung gestattet. Rossi Nro. 242 in der neuen 
Dat des Giornale 1889, Rubr. 121. Naher ift hier nicht darauf einzugehen. 
9 Ordinam. von 1389, Rubr. 92. Giornale VI, 315. 

J Giornale IV p. 326 Nro. 51 a. 1323. Giornale V p. 356 Nro. 79. 
1851, 21. Juni, ward der Doktor Angelus von der Stadt electus, vocatus et 
 mominatus ... ad um in eivitate Perusii in studio Perusino librum 


ett continusre ipsam lecturam et perficere cum omni studio et industria 


eee domino Angelo (teinifcer Husdrud für „Lorlefung Schuchen“) 


en eivitatis Perusil. Bgl. Nro. 90, 80, 81 und 87. 
 — *) Gherardi u. Morelli, Statuti della universitä e studio Fiorentino 
documenti di storia italiana per le provincie di Toscana T. VII) 1881 
em einen reihen Schatz don Urkunden, fie leiften für Florenz, was Noſſt für 
„ S. 107, 111 und 185 fiehen die Brotofolc der Ratöfigungen. 


n e 


230 Eigentümlichkeit der Scholarenforporation in Florenz,. 


war, entſchloß ſich Florenz 1412 es aufs neue zu gründen und dies⸗ 
mal ohne zugleich einen päpſtlichen oder einen kaiſerlichen Stiftungs⸗ 
brief einzuholen). In Florenz hielt man wie in Perugia dieſe 
Briefe für eine wünſchenswerte Unterſtützung, aber nicht für die 
unentbehrliche Rechtsgrundlage des Studiums, und das war in 
Italien überhaupt die herrſchende Meinung. Statuten der Scholaren⸗ 
korporation ſind von 1388 erhalten. Es wurde eine Kommiſſion 
von je einem Doktor und zwei Scholaren aus den drei 

der Kanoniſten, Ziviliſten und Mediziner gewählt, welche zuſammen 
mit dem Rektor die veralteten Statuten den Bedürfniſſen gemäß 
umgeſtalten ſollte. Stimmrecht hatten nur die Scholaren, welche 
18 Jahre alt und darüber waren und das Examen (ſei es mit, ſei 
es ohne feierliche Promotion) noch nicht beſtanden hatten, aber nicht 
bloß die fremden, ſondern auch die ortsbürtigen. Darin lag ein 
Gegenſatz gegen die Univerſitäten Bologna, Padua und Perugia, 
mit deren Statuten die Florentiner ſonſt eng verwandt ſind. Die Zahl 
der fremden Scholaren war vermutlich zu klein, um eine lebens- 
fähige Korporation zu bilden, aber wenn die Scholarenkorporation in 
Bologna u. ſ. w. entſtand, weil die fremden Scholaren in einer Kor⸗ 
poration Erſatz für den Schutz des Bürgerrechts ſuchten, ſo ſchien 
im 14. Jahrhundert, als Florenz ſein Studium errichtete, eine Scho⸗ 
larenkorporation ſo notwendig dazu zu gehören, daß man ſie unter 
Zuziehung der ſtudierenden Bürger bildete. Inſofern wurde jedoch 
das Muſter von Bologna feſtgehalten, als der Rektor nur aus den 
fremden Scholaren gewählt werden ſollte. Er mußte die niederen 
Weihen) empfangen haben, durfte aber keinem Orden angehören. 


— — 


) Wo man einen ſolchen Stiftungsbrief für nötig erachtete, erbat man ihn 
auch bei Erneuerungen und Verlegungen an andere Orte. Kaiſer Sigismund gab 


deshalb dem Herzog von Savoyen in dem Stiftungsprivileg für Turin zugleich 


das Recht, das Studium, wenn nötig, an einen anderen Ort der Didzefe zu ver: 
legen: liberam facultatem et potestatem plenariam dietum studium pro 
ejus et suorum heredum arbitrio libere commutandi et transferendi a dieta 
eivitate Taur. ad alium locum ecclesise et dioecesis, 1412. Abgedruckt in 
Statuta venerandi collegii Jurisconsultorum Augustae Taurinorum. Taurini 
1614 p. 59 f. 

Auch dies nach dem Vorgange von Bologna. Stat. von 1347 I, 2. 
Archiv III, 257: qui sit scolaris clericus non conjugatus et habitum defferens 
clericalem et qui nullius religionis professus existat. Ebenſo die Statuten 
von 1432. Savigny hatte III, 190 dies clericus nicht mit „Geiſtlicher überfeht, 


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r ͤͤkAñtmnm ̃ͤ . W Y a a A Ze 


Wechſel des Rektors unter den Fakultäten. 231 


2 —— feines Reftorats, jo mußte er ſich 
® in einer anderen Fakultat als Scholar einſchreiben laſſen. Alle 
8 bildeten gemeinſam eine universitas, und regelmäßig 
3 der Wahl des Rektors ein Wechſel zwiſchen Kanoniſten, 
Legiſten und Medizinern, zu denen auch die Philoſophen gehörten, 
ſtiattſinden, doch mußte der Mediziner, wenn er nicht früher in jure 
studiert hatte, einen Juriſten zu ſeinem Gehilfen ernennen. Der 
Gewählte mußte annehmen, wenn er nicht triftige Gründe hatte; 
15 Scholaren, je 5 aus den drei Fakultäten wurden ihm als Beirat 

i i). eee 
wachung der Scholaren wie der Profeſſoren, der Buchhändler und 
Entſcheidung der Zweifel bei Immatrikulationen, 
ein Bürger, der ſich immatrikulieren ließ, als 
zu betrachten ſei oder nur die Privilegien der 
Scholaren erſchleichen und ſich der Steuer entziehen wolle, er hatte 
die Verſammlungen der Korporation zu leiten, die Kommiſſionen für 
den Lehrplan zu ernennen, ſeine Befolgung zu erzwingen, auch Pro⸗ 
ſeſſoren und Pedelle nötigenfalls zu beſtrafen; kurz er hatte die Auf⸗ 
ſicht über das Studium und zwar einmal im Auftrag der Scholaren⸗ 
forporation, die ihn erwählte und deren Syndiken er beim Rücktritt 
Nechenſchaft zu leiſten hatte, aber zugleich im Auftrag und unter der 
Gewalt der Stadt. Der Einfluß der Stadt machte ſich in dieſer wie 
in jeder anderen Beziehung übermächtig geltend, auch das Recht, die 
ee e 
an ). 


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1 1 


| 


mit den Statuten von Perugia und Florenz beſeitigt jeden 
und nach ihm Denifle S. 189 f. 
im Gegenſatz zu Bologna. 
von 1388 ſagen die Scholaren, fie hätten beſchloſſen, 
den Beamten der Stadt zu überlaſſen, denn ſie ſeien überzeugt, 
und tüchtigen Männern das Studium beſſer verſorgt werde, 
und ausdenken könne. Sie nennen fie dabei „ihre Vater, 
und Schutzherren. Die Ueberſchwenglichkeit des Ausdruckes 
con. er a ſich hier einem Zwange fügten. Gherardi und 
orelli p.50: Quoram omnium doctorum et magistrorum electionem pro 
es majert universitatis commodo et honore in totum ... relin- 


et. 
e 
11115 

4 

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n 


A uices in waslbus et pradentia nobilium officialium ... patrum singuls- 
In. 


. quoram virtutibus et prudentia certi sumus malte melius ... hoc 


er = 133 reformari quam a quocumque hominum dici et excogitari posset. 


232 Das Doktorenkollegium der theologiſchen Fakultät. 


Die Doktorenkollegien. 


Die Doktorenkollegien hatten in Perugia !), Florenz und den 
anderen Orten faſt nur als Promotionsbehörden größeren Einfluß, 
ſelbſt die Kommiſſionen zur Feſtſtellung der Abſchnitte der juriſtiſchen 
Vorleſungen wurden regelmäßig aus den Scholaren gebildet. Eine 
Ausnahme machte jedoch vielfach das Doktorenkolleg der theologiſchen 
Fakultät. In Florenz z. B. vollzog ſich die Bildung derſelben weſent⸗ 
lich durch die Bildung eines Doktorenkollegs, das dann auch die 
Lehrordnung für „das Geſamtſtudium in dieſer Fakultät“ entwarf 


) Ueber die Doktorenkollegien von Perugia bieten die bisher veröffent⸗ 
lichten Urkunden wenig. Siehe Rossi Nro. 148, Estratto p. 120, und Statuts 
II, 28 bei Padelletti p. 105 und vor allem Giorn. VI, 367 die Verhand⸗ 
lung des Rats über das Geſuch der in der Stadt thätigen Aerzte um die 
Erlaubnis, ein Kollegium zu bilden: Cum pro parte medicorum eivium et 
forensium ... fuerit ... postulatum, ut tam pro honore civitatis quam 
studii Perusini . . reformetur (beſchloſſen werde), quod mediei tam 
doctorati quam non doctorati practicantes in civitate et comitatu Perusii 
possint et eis liceat collegium facere prioremque collegii eligere, prout 
et quemadmodum actenus observatum esse asseritur in aliis famosis et 
regalibus civitatibus, in quibus studia vigent generalia: quod videtur ... 
Alſo die Profeſſoren der Medizin zuſammen mit den anderen Aerzten baten 
die Stadt um die Erlaubnis, ein Kollegium zu bilden, und begründeten dies 
Geſuch mit dem Hinweis, daß dies in allen Städten üblich ſei, welche General 
ſtudien hätten, und daß das der Stadt und dem Studium zur Ehre gereichen 
werde. Das Kollegium hatte zunächſt die Intereſſen des ärztlichen Standes 
im Auge, und die Stadt glaubte bei Erteilung der Erlaubnis einem Miß 
brauch in dieſer Richtung entgegentreten zu müſſen. Sie verbot einmal 
allgemein alle Beſchlüſſe, welche der Stadt oder einzelnen Perſonen Schaden 
bringen könnten, ſodann im beſonderen jedes Statut, das den Aerzten, welche 
nicht Mitglieder werden wollten, die Praxis unterſage, oder das den Kranken 
verbiete, den Arzt zu wechſeln, oder den Aerzten verbiete, dem Rufe eines Kranken 
zu folgen, den bereits ein anderer in Behandlung genommen habe. Andererſeits 
aber war das Kollegium doch auch mit der Univerfität verbunden und mit Rüdficht 
auf ſie gegründet worden. Wie ſich das im einzelnen geſtaltete, iſt hier nicht zu 
unterſuchen, aber im ganzen bietet dies Kollegium wieder ein Beiſpiel derjenigen 
Korporationen, welche die Univerfität mit der Stadt, ihrer Behörde und ver 
ſchiedenen Intereſſenkreiſen innerhalb der Bürgerſchaft verknüpften und den ihrer 
ganzen Berfaſſung zu Grunde liegenden Charakter einer ſtädtiſchen Anſtalt ver⸗ 
ſtärtten. So ſehr ſich feine Entſtehung und Bildung von dem Collegium 
Bononiense unterſcheidet, in dem Punkte ſtimmten fie überein. 


dieſe Einrichtung der theologiſchen Fakultät 


verſtärkten das wiſſenſchaftliche Leben der Stadt, unterſtützten die 
ſtädtiſche Univerſität vielſach auch direkt, indem fie derſelben ihre 
Räumlichkeiten für die feierlichen Akte liehen, oder dienten als Archiv, 
ſtanden ſie mit ihr nicht im Zuſammenhang. In Bologna 
Generalſtudium in der Theologie oder, wie wir ſagen 
theologiſche Fakultät erſt 1360, alſo weit über hundert 
juriſtiſchen Fakultät eingerichtet, ähnlich in Padua, 


Verhältniſſe aber auch erklären, daß die theologiſche 
| Florenz u. ſ. w. eine andere Verfaſſung gewann, jo 
Thatſache doch ein Beweis, daß es mit den an dieſen 
Stadtuniverſitäten Italiens herrſchenden Anſchauungen keineswegs 
unvereinbar war, den Profeſſoren in ähnlicher Weiſe wie in Paris 
diejenige Leitung der Anſtalt zu übertragen, welche in Bologna und 
uns bekannten Univerſitäten regelmäßig die von den Scholaren 
ten übten. Von der Univerſität Arezzo, von deren 
ſonſt nur vereinzelte Spuren haben, ſind uns denn 
Statuten (aus dem Jahre 1255) erhalten ), welche von 


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waren Mitglieder der in Florenz anſäſſigen Orden — 
gehalten ſein ſollten, nach der von dem Kollegium 
zu leſen und zu disputieren, daß 
dem Notar der Stabtuniverfität (studii Florentini) niederzu 
BR und der Doktoren das ihm ver: 
forodiene Gehalt empfangen werde, che dies geſchehen je. Gherardi und 

6. Dezember). Das Vorhandenſein der 


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| 


dem früheren Zuſtande dadurch, daß die bisher einzeln 

für ſich wirkenden Lehrer einer gemeinſamen Ordnung unterftanden, und ſodann in 

den Beziehungen zur Stabt (Genehmigung der Statuten, Zahlung von Gehalt u. ſ. w.). 

An dieſen Punkten lag chen, abgeſehen von der Scholatenkorvoration, das weſent 
une Mertmal cines General» oder Geſamiſtudiums. 


234 Arezzo und die anderen Stadtuniverfitäten. 


den ſieben Profeſſoren des Studiums beſchloſſen ſind und dem aus 
ihrer Mitte gewählten Rektor!) die Leitung der Univerſität geben. 
Rechtskraft erhielten die von ihnen beſchloſſenen Statuten wie in 
Bologna, Perugia u. ſ. w. erſt durch die Genehmigung ſeitens der 
Stadt. In dieſem Hauptpunkt ſtimmte die Univerſität Arezzo mit 
den übrigen Stadtuniverſitäten überein und unterſchied ſich grund⸗ 
ſätzlich von Paris u. ſ. w., mit dem man ſie wegen jener Stellung der 
Profeſſoren vergleichen möchte. Immer aber bilden dieſe Statuten eine 
außerordentliche Erſcheinung in Italien, für die ſich jedoch außer in 
der Organiſation der theologiſchen Fakultäten auch in der Univerſität 


) Savigny ſagt III, 314 f.: „Betrachtet man dieſe Urkunde als eigentliche 
Univerſitätsſtatuten, ſo weichen ſie von allen bisher dargeſtellten darin ab, daß 
die Gewalt allein bei den Lehrern zu ſein ſcheint. Allein eben dies iſt ſehr un⸗ 
wahrſcheinlich, und auch nach dem Inhalt ſcheinen es vielmehr bloße Statuten für 
das Kollegium der Doktoren zu ſein, deren Vorſteher hier zufällig den Namen Rektor 
führt, anſtatt daß an anderen Orten der Name Prior gewöhnlich iſt. Nimmt man 
dieſes an, ſo beſtand dann ohne Zweifel daneben die gewöhnliche Univerität der 
Scholaren mit Rektoren und Gerichtsbarkeit, ſo wie an anderen Orten. Eine 
universitas scholarium wird allerdings in Arezzo wahrſcheinlich auch beſtanden 
haben, aber ſie konnte nicht die Befugniſſe beſitzen, welche ſie in Bologna, Perugia 
u. ſ. w. übte, denn den weſentlichen Teil derſelben hatte das Doktorenkolleg und der 
von ihm gewählte Rektor. Dies Kollegium beſchloß die Statuten, die nicht bloß 
die Geſchäfte des Kollegiums regelten, ſondern auch die Leitung des Studiums; und 
der von den Proſeſſoren gewählte Rektor hatte ihre Ueberwachung, wie in Bologna, 
Perugia und Florenz der Rektor der Scholaren. Item teneatur quilibet magister 
intrare ad lectiones ordinarias, quandocunque preceptum fuerit per be- 
dellam ex parte Rectoris sub banno V solidorum. Item teneantur repe- 
titores omnes scolares audituros lectiones, que leguntur in scolis, ducere ad 
scolas et non facere pactum de mercede magistri sub pena decem soli-, 
dorum quos solvat Rectori. Ebenſo in dem erften Item. Der Magiſter, welcher 
die Schüler eines anderen Magiſters annimmt, hat, außer der Entſchädigung an 
den Magiſter, dem Rektor zu büßen: Rectori solvat pro banno 5 solidos. 
Beſonders hervorzuheben iſt noch, daß dies Doktorenkollegium die Prüfungen vor: 
nahm und die Lizenz erteilte ohne Mitwirkung eines Kanzlers. Es war aljo in 
dieſem Punkte 1255 in Arezzo noch ſo wie in Bologna vor 1219, und dabei hatte 
man in Arezzo ſchon die Vorſchrift nullus audent legere ordinarie in eivitate 
Aretina (auch nicht in Grammatik, Logik und Medizin), nisi sit legitime et 
publice et in generali conventu examinatus et approbatus et licentiatus, 
quod possit in sua scientia ubique regere, Es ift das wieder ein Beleg dafür, 
daß es in Italien, und am wenigſten damals, keine herrſchende Lehre gab, welche 
für die Prüfung die Mitwirkung einer von den univerſalen Mächten privilegierten 
Gewalt gefordert hätte. 5 


Atto I, XXXVI. 


Eine Wualiche Erſcheinung in Parma. 235 


ein Analogon nachweiſen laßt ). Parma hatte im 13. Jahr⸗ 
die Studien der Privatthätigkeit überlaſſen und ſich be⸗ 
fie durch allgemeine Beſtimmungen zu regeln und zu über: 
wachen). Im Jahr 1320 erbat die Stadt von Papſt Johann XXII. 
die Privilegien eines Generalſtudiums, erhielt fie zwar nicht, muß 
aber trotzdem, ſei es damals, ſei es in den folgenden Jahrzehnten des 
14. Jahrhunderte, ein Generalſtudium errichtet haben), das dann 
zwar wieder einging, aber 1412 (1414) erneuert wurde. Hierbei 
organiſierte ſich die juriſtiſche Fakultät ſo, daß die Scholarenkorpo⸗ 
ration eine Kommiſſion ernannte“), um Statuten auszuarbeiten, 


Einige wichtige Urkunden und Nachrichten gab Affo, Memorie degli 
serittori e letterati Parmigiani, 1789, in der Einleitung von Bd. I. Die 
Sammlung bieten jetzt die Monumenta historica ad provincias 
Parmensem et Placentinam pertinentis, namentlich Bd. II, 154 und Bd. VII, S5 u. 


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OL. Bieleb aber hart noch der Veröffentlichung, auch das von Pigozzi, Archiv. 


giurid. IX, 200 benutzte Statut des collegium judieum iſt meines Wiſſens 


Atto I, XVI fteht ein ſolcher Erlaß von 1226 und I, XIX ein anderer 
von dem Ende det 13. Jahrhunderts: Quod in aliqua facultate VII liberalium 
urtlum aut legum aut decretorum vel decretalium, in qua legere vel studere 
vel docere voluerint in territorio vel burgis, prohiberi non possint studere, 
legere vel docere illos, qui illum andire voluerint, nee illis, qui illum audire 
voluerint, possit prohiberi illum audire aliqua occassione. Beſonders zu be: 


aliquo clerieo vel laico, intelligant illam prohibitionem fecisse vel fieri fecisse, 
et singuli illorum doetorum illius facultatis condempnentur in 25 libr. Parm. 


per Potestatem. Es gab alſo dem Anſchein nach Lehrer aller Fakultäten in Parma, 
1 aber ohne Organiſation; die Stadt gab allgemeine und unbeſchränkte Lehrfreiheit, 


fürchtete daß die Profeſſoren ſuchen würden, neu auftretende Konkurrenten 
hindern, und daß fie ſich hierzu einer geiſtlichen Behörde bedienen möchten. 

ein Studium beſaß, ſo mußte es damals eingehen. 
den Erlaß von 1387 mit, durch welchen der Herr von 


Mailand, dem bamals Parma unterworfen war, allen Städten feines Gebiets die 


dem 
sindia generalia verbot, damit das von ihm in Pavia gegründete Studium blüde, 


und allen Scholaren feines Gebiets unterfagte, eine andere Univerfität zu deſuchen. 
Dat. Papise die 27 Sept. 1387. Daß Parma im 14. Jahrhundert ein General: 
fubium hatte, ergibt 


fih daraus, daß die Gründung von 1412—14 eine 
mit Benutzung der antiqua statuta vollzogen wurde. 


236 Das Doktorenkollegium der Mediziner. 


während bei den Medizinern das Kollegium der Aerzte die Ein⸗ 
richtung der Schule in die Hand nahm. Es iſt nicht bekannt , ob 
dieſe Maßregeln Erfolg hatten, und ob nicht bald die Scholaren⸗ 
korporation in ähnlicher Weiſe wie bei den Juriſten Statuten ent⸗ 
warf u. ſ. w., immer aber iſt es ein Beiſpiel, daß ein Doktoren⸗ 
kollegium einen ähnlichen Einfluß ausübte, wie das Doktorenkollegium 
von Arezzo. Denn das Kollegium eröffnete die Schule, berief Pro⸗ 
feſſoren ?) und ſtellte für die Mediziner wie für die Artiſten, welche 
hier wie oftmals mit den Medizinern verbunden waren, die Prü⸗ 
fungsordnung feſt. 


Doktorenkollegien ohne Univerſität. 


Die Univerſität kam in Parma auch im 15. Jahrhundert nicht 
zu dauernder Blüte, aber als fie einging, erhielt ſich das Doktoren⸗ 
kollegium der Juriſten, wie es zur Zeit der Blüte des Studiums 
beſtanden hatte und ſetzte auch ſeine Thätigkeit als Promotions⸗ 
fakultät fort, hielt Prüfungen ab und erteilte die Doktorwürde “). 


älterer, visis quamplurimis deeisionibus et ordinationibus antiquorum, die 
alſo dem 14. Jahrhundert angehört haben müſſen. 

) Ich habe in Parma nachgefragt, aber noch keine Auskunft erhalten, könnte 
an dieſer Stelle auch höchſtens die Reſultate der Unterſuchung geben. 

) Affo I, XL: Anche il collegio de’ mediei andö di concerto, riformö 
il suo statuto nel 1415, aperse scuola e delegö a leggere fra gli altri Ugo 
de Siena. Aſſo teilt dann die von dem Kollegium feſtgeſtellte Prüfungsordnung 
mit und zwar ſowohl für die Mediziner wie für die Philoſophen. Ein ähnliches, 
Beiſpiel bieten die mir allerdings nur in einem Druck von 1614 vorliegenden, 
aber in der Hauptſache doch wohl dem 15. Jahrhundert angehörigen Statuten des 
Juriſtenkollegiums von Turin (Statuta venerandi sacrique collegii Juriscon- 
sultorum Augustae Taurinorum. Taurini 1614 (Hein 4°. 103 S.). Sie enthalten 
ebenfalls mehrere Beſtimmungen, welche in Bologna von den Scholarenftatuten 
geregelt wurden. So cap. 21 p. 16: De ordine arguendi. Vgl. c. 33: Quod scholares 
non possint statuere contra doctores . . . „talia statuta universitatis dero- 
gantia doctoribus seu statutis collegii .. . ipso Jure sint nulla, nee doctores 
subsint in aliquo jurisdietioni rectoris.“ So mögen noch an manchen Orten 
eigentümliche Bildungen entſtanden fein. 

) Vom Jahre 1454 find die Statuten dieſes Kollegiums erhalten, über 
welche Pigozzi, (Sovra un manoseritto inedito di statuti dell’ Collegio 
dei dottori dello studio di Parma) Archivio giuridico IX, 200 ff. Nachricht 
gegeben hat. Der Schreiber ſagt: statuta vigente studio in eivitate ista 


zunehmen. 


ſeine Mitglieder bei öffentlichen Akten, bei Feſten und Begräbniſſen 
einen Ehrenplatz vor allen Bürgern, auch vor den Adligen in An⸗ 
ſpruch zu nehmen und ſich ſofort zu entfernen, wenn ihnen ber 

Neſpekt verweigert werde. 
Neben dieſem Kollegium bildeten auch die Lehrer der Franzis⸗ 
faner- und Dominikanerſchulen eine öffentlihe Promotionsfakultät 
unter dem Schutze der Stadt, und weil das Examen dort vermutlich 
leichter und billiger war als in Bologna, Padua und Ferrara, ſo 
von dieſen Univerſitäten viele alte Scholaren und Baccalare, 
um in Parma bei den Franziskanern zu promovieren. Jene drei 
Univerfitäten erhoben darüber wiederholt Klage und erreichten 1476 
dem Papſte, daß derſelbe den Franziskanergeneral beauftragte, 
Winkelpromotion zu verbieten). Die Stadt Parma 
wurde dagegen vorſtellig ?), denn dieſe Kandidaten hätten viel Geld 
in Umlauf gebracht, und es gelang auch, die Promotion wieder auf⸗ 
Dieſe Promotionsfakultäten ohne Univerſität zeigen aufs 


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8 


nmaue, wie ſelbſtändig an den studia generalia Italiens die Doktoren⸗ 


follegien neben der Univerſität ſtanden; ihr Leben wurzelte nicht 
allein, ja nicht einmal vorzugsweiſe im Lehramt. 

Dergleichen Univerſitäten entſtanden im Lauf des 13., 14. und 
15. Jahrhunderts in zahlreichen Städten Italiens und zwar in vielen 


Parmensi tune eondits, cum certis additionibus studio sublato. Das Kol: 
Iegium beftand aus zwölf ordentlichen Mitgliedern und einer unbeftimmten Zahl 
außberorbenilicher Mitglieder. Schied ein ordentliches Mitglied durch Tod aus, jo 


wurde der Alteſte von den supernumerarii gewählt. Der Borftand hieß Prior, 
ene del Nonate und wurde durch das Los ermählt und zwar fo, daß der 


des ausſcheidenden Priors nicht wieder in die Wahlurne kam, bis alle Mit: 


en glieder das Amt verwaltet hatten. Das Kollegium rechnete übrigens darauf, daß 
* de Stubium bereinft wieder eingerichtet werde, und nahm deshalb in feine 


Sat auf, der die Examens gebühren für dieſen Fall anders regelte 
kein am Ort ſei. 


Aehnliche Klagen erhob Avignon gegen Orange. Laval, Cartulaire 


Affo IL, XLVI die Bittihrift ab, welche Parma 1476 in dieſer 
Herzog von Mailand fandte. Eine Chronik ſpricht auch von den 


ö 


1 — 
Stolaren, weiche die Borlefungen der Ordensſchulen beſuchten, aber jene Eingabe 


Stadt gedenkt nut der Baccalare, welche promovieren wollten. Sie werden 
auch das Haupttontingent der zuziehenden Scholaren gebildet haben 


238 Die Zahl der Stadtuniverfitäten. 


mehrfach, indem die Städte in Zeiten ungünftiger Finanzlage die 
Studien wieder der Privatthätigkeit überließen, dann aber die An⸗ 
ſtalt aufs neue errichteten. Für keinen Abſchnitt läßt ſich eine voll⸗ 
ſtändige Liſte geben, man kann mit Beſtimmtheit annehmen, daß in 
mancher Stadt längere oder kürzere Zeit Generalſtudien waren, von 
denen wir keine Kunde haben, denn die Bedürfniſſe, Intereſſen und 
Gewohnheiten, welche ſie hervorriefen, waren im 13. und 14. Jahr⸗ 
hundert in Italien allgemein verbreitet, und die Art der Nachrichten 
über manche wichtige Univerſität zeigt, daß das Fehlen von Angaben 
aus anderen Orten noch kein Beweis iſt, daß nicht an denſelben 
kürzere oder längere Zeit ähnliche Bildungen verſucht wurden. 


Anhang über die bisherigen Liſten der italieniſchen 
Univerſitäten. 


Die älteren Verzeichniſſe von Hagelgans, Heumann, Jung u. ſ. w. 
genügen zwar nicht, ſind aber doch durch Denifles Liſte S. 807 f. 
nicht überflüſſig geworden. Wie er unter den deutſchen Univerſi⸗ 
täten Kulm weggelaſſen hat, obſchon die für dasſelbe 1387 erlaſſene 
päpſtliche Bulle in dem „Gelehrten Preußen“ P. II Stück VI Nr. IV 
(Thorn 1723 p. 417 ff.) gedruckt vorliegt“), jo fordert ſeine italienische 
Liſte mehrfachen Widerſpruch heraus. Als älteſte italieniſche Uni⸗ 
verſität nennt er Salerno, er glaubt ſie vielleicht ſchon in das 
9. Jahrhundert ſetzen zu können, allein, mögen hier die Studien da⸗ 
mals noch ſo ſehr geblüht haben, eine Organiſation wie ſie die 
Univerſitäten von den früheren Schulen unterſcheidet, können wir 
für Salerno weder für das 10. noch für das 11. Jahrhundert an⸗ 
nehmen und auch aus dem 12. wiſſen wir nicht, ob die Lehrer und 
Scholaren vereinigt waren, oder ob die Schulen ſelbſtändig neben⸗ 
einander ſtanden. Von der Organiſation Salernos hören wir erſt im 
13. Jahrhundert. In das 12. Jahrhundert legt er Bologna, Reggio 
und Modena. Sicher iſt aber nur Bologna zu nennen. Von Reggio 
wiſſen wir aus einer Urkunde bei Tacoli, daß die Stadt 1188 einen 
Lehrer berief und daß derſelbe mit ſeinen Schülern kommen ſollte ), 


) Wenn ſich auch von Kulm nicht viel andere Nachrichten ſollten auffinden 
laſſen, weil es nicht zur Blüte kam, ſo durfte die Stiftung doch nicht unerwähnt 
bleiben, da Denifle z. B. auch Pamiers aufführt. 

Tacoli, Memorie storiche di Reggio III. 227. 1188. Der Kontrakt 


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und von Modena kennen wir die oben erwähnte Berufung des 
Pie, aber über eine Organifation der Schule oder der Korpo⸗ 
ation iſt aus dieſen Orten nichts bekannt. Eher konnte man aus 
der bei Fabroni I, 401 mitgeteilten Urkunde ſchließen, daß in Piſa 
1194 eine Organiſation der Scholaren beſtand, und ſehen wir über 
Stalien hinaus, mit noch mehr Recht für Reims dieſen Schluß ziehen, 
wo die Scholaren bereits unter Alexander III. für ihre Privilegien 
ſtritten, aber bier ſieht Denifle dieſe beſſeren Zeugniſſe nicht für ge 
nügend an. Aus dem 13: Jahrhundert nennt Denifle Vicenza, 
Padua, Neapel, Vercelli, Nömiſche Kurie, Piacenza, Arezzo. Hier 
ſehlt jedenfalls Siena, von dem auf das allerbeſtimmteſte bezeugt iſt, 
daß es im 13. Jahrhundert ein Generalſtudium einrichtete, das aber 
Denifle wegen ſeiner Theorie von den Privilegien nicht anerkennt, 
worüber unten. Auch für Treviſo wird durch die Urkunden bei Verci 1, 


II, 2, 135 das zeitweiſe Vorhandenſein eines studium gene- 
13. Jahrhundert geſichert!) und für Orvieto durch die An⸗ 
bei Fumi, Codice diplomatico p. 781, Note. Auch für Ferrara 
es nach dem Statut von 1264 (Muratori Antiquit. III, 910) 
unwahrſcheinlich. Für das 14. Jahrhundert nennt Denifle 
„Perugia, Treviſo, Verona, Piſa, Florenz, Siena, Pavia, 
Orvieto, Ferrara, Fermo. Hier fehlt Parma. Coppi gibt in 
introduzione jeiner Universitä Italiane S. 88 f. eine nach Land⸗ 
geordnete Ueberſicht, die aber nicht anſtrebt, genau feſt⸗ 
welche Univerſitäten in gewiſſen Perioden nachzuweiſen ſind. 


75 
5 


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2 


2 . 


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es in Keggio leine mehrere Lehrer umfaſſende Organiſation 
Stadt verpflichtete durch denſelben einen einzelnen Lehrer, 
ſeinen Schülern nach Reggio zu kommen, und fortan an 
wenn ihm nicht der Podeſta den Wegzug 


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1 


4 


2. 
Nec dem Storia d. Marca Trivigiana 1,107, A 2 mitgeteilten Statut ſuchte 
fein Generalftubium zu erneuern. Auch Denifle erwähnt dies 461 f. 
von 1314, aber trotzdem zählt er feiner Theorie zuliebe 
päpſtlichen Privilegs 1318 zu den General: 
ihm die Berufung einzelner Lehrer. 


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11 


1 
. 
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Diertes Kapitel. 


Die Kanzleruniverſitäten in Frankreich und 
England. 


Anfänge der Organiſation auf Grund der Habita und 

Eingreifens der weltlichen Gewalten, welche in Italien die 
Entwicklung beherrſchten, und wenn man bedenkt, welchem Zufall wir 
es danken, daß wir von den Scholaren in Reims hören, ſo erſcheint 
es leicht möglich, daß auch noch in einigen anderen Orten Frankreichs 
ähnliche Wege beſchritten wurden. Allein die maßgebende Richtung 


— 


n Reims), Orange, Montpellier und Avignon?) finden ſich 
N des 


) Aus Reims haben wir in einem Briefe Alexanders III. Nachricht, ah 
die Scholaren dort um 1170 ein der Habita entſprechendes Gerichtsprivileg für 
ſich in Anſpruch nahmen. Migne 200, ep. 815, p. 746: Ad Petrum, abbatem 
S. Remigii. Audivimus ex transmissa conquestione quorumdam scholarium, 
qui in burgo 8. Remigii consistunt. (Folgt die Erzählung von dem Konflikt 
der Scholaren mit einem Prieſter.) In quo quum utique iidem scholares 
libertatem suam plurimum fuisse laesam proponunt, cum eam se asserant 
libertatem habere, ut nullus in eos violentas manus injicere aut 
ecclesiasticam sententiam audeat promulgare, donee coram 
magistro suo velint justitiae stare, Dies Recht erkannte Alexander III. 
an, aber ſonſt wiſſen wir von dieſer Schule nichts, und erſt 100 Jahre ſpäter 
haben wir wieder eine Nachricht über das Studium in Reims (mitgeteilt bei 
Denifle 225), nach welcher man es für ein Generalſtudium halten kann, aber wie 
eo organifiert war, darüber iſt nichts bekannt. ö 


So gab Avignon 1243 das Statut, daß in dieſer Stadt jedermann befugt 


jet, „Schulen der Grammatik und jeder Art ſonſt zu eröffnen. Wer dagegen wirke, E 


La un 20’ Bu a in 


* 


Mittelpunkte für die Ausbildung der Formen des akade⸗ 
n Lebens in Frankreich, und an allen dieſen Orten erfolgte fie 
wie an den beiden engliſchen Univerſitäten in Anlehnung an kirchliche 
Inſtitute oder unter dem Einfluß kirchlicher Gewalten. Ferner trat 
der Stadt bald zurück; in Reims und 


f 


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nach dem Ermeſſen des Nate beftraft werden. Laval, Cartulaire de 
verwité d Avignon p. 3, Note 1: Statuimus ad conservandam libertatem 
eivitatis, quod quilibet possit libere in bac civitate legere et tenere scholas 
artis grammaticae et quascumque alias, et si aliqua persona ausu temerario 
contra hoc siatutum venire tentaverit vel aliquid machinari, arbitrio 
eurise puniatur, Im Laufe des 13. Jahrhunderts entwickelte ſich dann aus dieſen 


Doltorenfollegium ftand, aber fo, daß auch die Scholaren Anteil an den Geſchäſten 
hatten. Karl II. von Neapel, der als Graf von Provence auch Herr von Avignon 
war, hatte ein Berbot gegen das Verleihen gegen Zins erlaſſen, dagegen machte die 
Stadt zulammen mit dem Doktorenkollegium eine Eingabe, welche darum bat, 
einem Kaufmann des Orts die Erlaubnis zu geben, den Scholaren Geld vorzu 
schießen. Die Scholaren ſeien zum Teil weit hergekommen und fänden ſich oft in 
der größten Verlegenheit, wenn niemand da wäre, ihnen Vorſchüſſe zu machen 
esſei Gefahr vorhanden, daß ſich die ganze Gemeinſchaft der Studien: 
anſtalt auflösſe“. Da gewährte der König, daß die Scholaren und Doktoren 


Bei Laval fehlt die Urkunde, ich gebe fie nach Papon, 
Histoire générale de Provence III. Preuves p. XLIV, Nro. XXX, auf den 
Laral p. 10 verweilt: Carolus .. universitas hominum eivitatis Avenionis 

se doctorum studii venerabilis .. per suas litteras ... ostensoque doc- 
toribus et scholaribus, ipsis praesertim exteris et remotis ibidem studenti- 
bus, propter necessitates varins, quae incumbunt graves, inedia et defectus 
frequenier emergunt, dum deficiente ipsis pecunia propria non habent 
prae manibus mutuantem, suppliciter postulaverunt: ut qui ex tali defeetu ... 
gravis studentibus ipsis jncommoditas advenit et totius fere generalitati 
sindii, si diutins ita durat, dissolutio futura speratur, concedere ipsis 
mercatorem, qui mutnet et succurrat eisdem, benignius dignaremur. Noe 


| ergo qui stadium ipsum proficere cupimus ... concedimus, ut merca- 


ter anus, quem ipsi doctores et scholares elegerint, in praedicta civitate sit 
mainans. Datum Neapoli ... a. 1302, die 21 Octobris. Im folgenden Jahre 


rr. die in Form 


Stiftungäbriefeb erfolgte, und dann noch eine ebenſolche von dem Papfte. 


 baral I u. 2. Indem dieſe Stellung der Stadt zu dem Studium, ſowie 
die die 


Betonung des Geſichts punktes, daß die Scholaren Fremde feien, an die 


|  Stadtunioerfitäten erinnert, bietet das ſtärtere Hervortreten des Doltoren: 
detegiums ein weiteres Beiſpiel zu den am Schluß des dritten Kapitels angeführten 
o 


der wann lUiniverfitäten, 1. 16 


Dt u 


242 Auch in Montpellier. 


Orange!) kam das Studium überhaupt zu keiner bedeutenden Ent⸗ 
wicklung, und Montpellier ?) erhielt ſeit 1220 feine Verfaſſung weſent⸗ 
lich durch kirchliche Behörden und unter dem Einfluß der in Paris 
und Bologna ausgebildeten Formen. 

Diejenigen kirchlichen Behörden, welche in dieſer Beziehung 
beſonders wirkſam geworden ſind, waren die Biſchöfe und ihre Kapitel. 
Das Kapitel, oft betrachtet als die Vereinigung der abhängigen Ge⸗ 
hilfen des Biſchofs !“), hatte damals thatſächlich eine ſehr ſelbſtändige 


Beiſpielen dieſer in den Stadtuniverſitäten ſelteneren Organiſation. Indeſſen 
geſtattet die Urkunde keine beſtimmtere Vorſtellung von der Verfaſſung, nur ift 
hervorzuheben, daß die Stadt und das Doktorenkollegium das Studium als eine 
generalitas studii, d. h. als ein studium generale bezeichneten, und daß der 
Landesherr, der als Herr von Neapel die rechtliche Bedeutung dieſes Begriffs ſehr 
wohl kannte, dieſen Begriff wiederholte und alſo auch ſeine Berechtigung anerkannte. 

) Ueber dieſe Univerfität iſt nur bekannt, daß fie vor 1365 eine gewiſſe 
Blüte gehabt haben muß, und daß in dieſem Jahre die Stadt vom Papſte und 
dann von Kaiſer Karl IV. ein Privilegium erhielt (Denifle S. 467 f.). Nach 
dieſer Urkunde berief die Stadt die Profeſſoren (doctores et magistri per prae- 
positum eivitatis Aureicae deputandi), und da nicht anzunehmen iſt, daß Karl IV. 
dies neu einführte, jo hätte alſo dieſer für die italieniſchen Univerſitäten charak⸗ 
teriſtiſche Zug auch die Bildung von Orange beherrſcht. 


oder Hoffnung gemacht haben, er werde ihm die Konkurrenz fernhalten. Das war 
gegen die traditionelle Lehrfreiheit, und im Jahre 1181 ſah er ſich veranlaßt, 
feierlich zu verbriefen, daß er ſich fortan weder durch Bitten noch durch Geld, 
noch durch das Drängen irgend einer Perſon bewegen laſſen werde, einem einzelnen 
das Monopol zu mediziniſchen Vorleſungen zu geben. Das Entſcheidende ift, daß 
hier der weltliche Territorialherr über das Studium verfügt, und daß er dieſe 
Zuſage der Stadt Montpellier gewährt. D’Aigrefeuille, Histoire de Mont- 
pellier III. 5142... Ego Guillelmus, Dei gratia Montispessulani dominus 
concedo domino Deo et probis viris Montispessulani .. . et universo populo: 
quod ego de cuetero prece aliqua vel pretio vel sollieitatione alicujus per- 
sonne non dabo concessionem seu praerogativam aliquam alicui personae, 
quod unus solus tantummodo legat seu regat in Montepessulano scholas 
in facultate phisicae disciplinge; quia acerbum est nimium et contra fas 
uni soli dare monopolium in tam excellenti scientis, et quia hoe fieri 
nequitas prohibet et justitia, uni soli in posterum nullatenus dabo et ideo 
mando et volo, laudo atque concedo in perpetuum, quod ommes homines 
quieunque sint sine aliqua interpellatione regant scholas de phisica in 
Montepessulano. Eine forporative Organiſation beſtand nach dieſer Urkunde 
damals in Montpellier nicht, auch keinerlei Beziehung zu einer geiſtlichen Behörde. 
Die fpätere Entwicklung Montpellierd wird Kapitel 6 berührt werden. 

Sogar noch Thomas von Aquino in feiner Streitſchrift Contra impng- 


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244 Der Kanzler des Kapitels. 


Scholaſter, wurden dagegen auch an Kleriker übergeben, die nicht 
Mitglieder des Kapitels waren. Auch Vereinigungen von Aemtern 
und Wechſel der Befugniſſe begegnen, und bisweilen übte der Biſchof 
die Befugniſſe des Kanzlers u. ſ. w. auch wieder ſelbſt. Wenn darin die 
ſtellvertretende Bedeutung dieſer Aemter wieder durchbrach, jo ver⸗ 
ſuchten andererſeits die Aemter ihre Befugniſſe in möglichiter Selb⸗ 
ſtändigkeit zu handhaben und auszudehnen. So war es auch in Paris 
ſchon im 12, Jahrhundert zwiſchen dem Biſchof und dem einen und 
anderen Kapitularen zu heftigen Kämpfen gekommen ). Der Kanzler 
gehörte zu den angeſehenſten Mitgliedern und führte das Siegel des 
Kapitels, hatte Briefe und Urkunden abzufaſſen oder abfaſſen zu 
laſſen und den Magiſter der Domſchule zu beſtellen. Daraus ent⸗ 
wickelte ſich ſeine Stellung zu der entſtehenden Univerſität, die ihm 
eine ganz außerordentliche Bedeutung gewähren ſollte. 

In Angers, Orleans und anderen Orten hatte der Scholaſter 
dieſe Aufgabe, in Oxford war es noch 1219 in dem Belieben des 
Biſchofs ), ob er den Archidiakon, den Offizial oder den Kanzler 
oder ein anderes Mitglied ſeiner kirchlichen Umgebung mit dieſer 
Aufſicht betrauen wollte, aber bald darauf erſcheint der Kanzler als 
Inhaber dieſes Amtes’). Das Beiſpiel dieſer Univerſitäten und 
namentlich das von Paris bewirkte, daß ein dem Pariſer Kanzellariat 
ähnlicher Einfluß des Biſchofs oder eines ſeiner Kanoniker zu einem 
feſten Beſtandteil des Begriffs einer Univerſität wurde, und ſo empfiehlt 
es ſich, diejenigen Univerſitäten, in deren Entwicklung dieſer geiſtliche 
Vorſtand mehr oder weniger den Mittelpunkt bildete, Kanzleruniverſi⸗ 
täten zu nennen, wenn der bezügliche Kanonikus auch an manchen 
Orten einen anderen Titel führte. 

Ihre Entwicklung zeigt daneben Verſchiedenheiten, die ſich gegen⸗ 
ſeitig erläutern. 

Am einfachſten erſcheint die Entwicklung in Orleans. Im 
12. Jahrhundert beſtand hier ein reges wiſſenſchaftliches Treiben, und 
im 13. Jahrhundert erſcheint der Scholaſter als Leiter der aus dem⸗ 
ſelben hervorgegangenen Univerfität*). So berief er um 1290 die 


1) Bulaeus II, 131 erzählt den großen Streit des Biſchofs mit dem Archi⸗ 
diakon. Dazu die vorige Note über die Straßburger Kämpfe. 

Munim. Oxon. p. 3 Urkunde von 1214, p. 5 Urkunde von 1219. 

) Munim. Oxon. p. 6. Urkunde von 1238 und dann häufig. 

) Schreiben Bonifacius VIII. bei Denifle S. 254, Note 143: Scholasticus 


Die Gewalt des Scholaftifus in Orleans. 245 


5 Brofefforen und das Kapitel der Kirche zu einer Beratung und trug 
inen vor, daß in Orleans eine jo große Zahl von Rechtslehrern 


auſträte ), daß fie nicht alle eine genügende Anzahl von Schülern 
finden konnten: deshalb wolle er beſtimmen, daß künftig nur fünf 
Kanoniſten und fünf Ziviliſten ordinarie leſen dürften, und ſich ver⸗ 
pflichten, über dieſe Zahl hinaus niemals einem Lehrer die Erlaubnis 
zu erteilen. Als dann der Biſchof um 1300 von ſich aus einen 
Ziwiliſten anſtellte, entſtand darüber ein Streit zwiſchen dem 
einerſeits und Scholaſtikus und Univerfität andererjeits ). 
im 14. Jahrhundert gewannen hier die Doktoren und Scholaren 
größere Selbſtändigkeit gegenüber der kirchlichen Behörde, und zwar 
indem der Papſft den Doktoren und Scholaren auf ihre Bitte die 
Verfaſſung von Toulouſe gewährte). Da aber die Bürger von 
dieſe Privilegien nicht anerkennen wollten und es zu blutigen 
kam, ſo beſchränkte König Philipp der Schöne den Scholaren 
das Korporationsrecht wieder und eröffnete damit Konflikte, welche die 
damalige Stellung der königlichen Gewalt“) zu dem Papſte und zu 
den Univerſitäten lebhaft beleuchten. Hier intereſſiert jedoch nur, 
daß bis dahin Orleans das Beiſpiel einer einfachen Kanzleruniverſität 
bildete, wie es ſich in dieſer Reinheit für keinen Ort nachweiſen läßt. 


ad quem ejusdem studii gubernatio et dispositio ab antiqua appro- 


fande. Danchen blühten in Orleans die grammatiſch⸗ rhetoriſchen Studien, fie 
galten als der beionbere Ruhm von Orleans. Delisle, Les écoles d’Orleans 
es usire-Bulletin de la Société de l’'histoire de France 
VII. 339. S. im Anhang Beilage 3 das Programm des Magiſter Poncius. 
9 Kunde davon gibt das S. 244 Note angeführte Schreiben Bonifacius III., 
deſſen Entſchetdung die Doktoren angerufen hatten. 

1808. Bimbenet S. 2 und Denifle S. 258 drucken entſcheidende 
Stellen der Bulle ab. 

J Der Papſt hatte feinem Privileg 1306 die vorſichtige Alaufel beibefügt: 
per hoc autem jurisdietioni regiae non intendimus derogare, sed ea privi- 
legis in quantum dependent ab ipso rege suse approbationis et voluntatis 
arbitrio reservamns. König Philipp der Schöne hob zwar das den Scholaren durch 
jenes päpfilie Privileg gewährte Necht, eine universitas zu bilden, wieder auf: 


_  aniversitatem hujusmodi, quae causam huic pracstabat scandalo nee fuerat 
— Meloritate nostra subnixa, tolli decrevimus. Urdonn. des Roys de France 
15 I. 502; aber fetneswegs jedes Rorporationscecht. ©. Beilage 9. 


246 Der Scholaſtikus von Angers. 


In Angers hatte der Scholaſtikus noch 1337 die Leitung des 
Studiums wie in Orleans im 13. Jahrhundert ). In der zweiten 
Hälfte des 14. Jahrhunderts begann ſich das korporative Leben der 
Scholaren ſtärker zu entfalten und zwar unter dem Einfluſſe der in 
Italien ausgebildeten Ordnungen, denn der Rektor wurde ſeit 1400 
nicht mehr aus den Doktoren gewählt, ſondern aus den Scholaren, 
welche die Lizentiatenprüfung beſtanden hatten, und dieſer Rektor hatte 
fortan die erſte Stelle?) und die Leitung des Studiums. 

Der oben geſchilderte Grundſatz der Lehrfreiheit erhielt ſich in 
Paris während des ganzen 12. Jahrhunderts. Wer als Lehrer auf⸗ 
treten wollte“), hatte dazu rechtlich nur die Erlaubnis des Grund⸗ 


) Ein Erlaß des Biſchofs Fulko von 1337 nennt ihn tanquam caput studii. 
Rangeard II, 197: Et quia eidem studio et omnibus causa studii com- 
morantibus in eodem scolasticus nostrae Andegavensis ecclesiae pracesse 
dignoseitur tanquam caput studii memorati et commorantium prae- 
dietorum, et quia ad ejus sollicitudinem pertinet studium ordi- 
nare et errata corrigere in eodem, quantum spectat ad actus sco- 
lasticos et scolasticam disciplinam, ... Abweichend von Orleans iſt, daß ſich 
im 13. Jahrhundert Anfänge einer Ciholarentstporetten zeigten. S. die Ordon- 
nance de police pour la ville d' Angers rendue en 1289 par Charles II. 
bei Raugeard II, 180. Darin iſt eine Ordonnanz des Mai m von * ein: 
gefügt, welche die fremden Scholaren in Angers von ihm erbeten hatten. Ob fie 
ſchon eine förmliche Korporation bildeten, iſt nicht zu erſehen. 

) Noch 1394 begannen die Urkunden der Univerſität: scholasticus et 
universitas studii Andegavensis — aber ein Schreiben von 1406 beginnt: 
rector totaque universitas Andegaveusis. Seit 1373 ſcheint der Rektor Be: 
deutung zu gewinnen, in den Statuten von 1398 wurde dieſer Wechſel vollendet. 
Bei allen Akten und Feierlichkeiten der Univerfität ſoll der Rektor den erſten und 
erhabenſten Platz einnehmen mit der Ausnahme, daß der bisherige scholasticus 
dominus Brientius Zeit feines Lebens den Vorſitz behält. Rangeard II. 265. 
266. 232. Angers war damals eine blühende Univerfität, zählte 1378 allein über 
400 Graduierte (die Baccalare eingeſchloſſen). S. die Angaben über den Rotulus 
bei Denifle 276 f. 

) In den Briefen und Mitteilungen des Giraldus Cambrenſis und des 
Stephan von Tournay, der bis 1192 Abt von S. Genovefa war, liegen Zeugniſſe 
vor, welche keinen Zweifel darüber laſſen, daß die Pariſer Lehrer in den letzten 
Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts noch in ähnlicher Unabhängigkeit nebeneinander 
ftanden wie zur Zeit Abälardes, daß es keine überwachende Behörde und keine 
bindende Regel gab. Beſonders lehrreich iſt ein Schreiben des Stephan von 
Tournay (nach 1192), in welchem er den Papft zu bewegen ſuchte, eine Ordnung 
unter den Pariſer Magiſtern und Scholaren aufzurichten. Migne 211, p. 517. 
Dasjelbe ergibt ſich aus den Erzählungen von dem Kampfe, den die Scholaren 


13. Jahrhunderts zwei beſonders ausgezeichnete Schulgebiete, das 

das des Abts von S. Genovefa; 

jenes wurde von der Seineinſel gebildet und durch die Wendung 
inter duos pontes bezeichnet, dieſes oft kurz in monte. Es beſtand 
fein Hindernis, in anderen Teilen und Vorſtädten von Paris Schulen 
zu eröffnen, und namentlich in den Klöftern oder unter ihrem Schutze 
wird es auch mehrfach geſchehen ſein, und es hätten ſich ſo drei oder 
mehr Genoſſenſchaften oder Lehrgebiete bilden können: aber die 
treibende Kraft lag weniger in dieſen kirchlichen Gewalten, als in 


E den Scholaren. Die Gemeinſamkeit ihrer wiſſenſchaftlichen und 
ſogzialen Bedürfniſſe überwog die Rivalität jener Mächte, und die 
Eentwicklung der Korporation aller Magiſter überholte die Ausbildung 


der Sonderkreiſe. Die weite Welt faßte fie zuſammen als scholae 
Parisienses und man könnte jagen, der Ruhm vereinigte die in Paris 
und den Vorſtädten ) vorhandenen Schulen, jo verſchieden fie waren, 
zu einem Ganzen, noch ehe fie durch geſetzliche Ordnung und Privi⸗ 


kräftige Entwicklung nahm eine entſcheidende 
1200 ein Tumult zwiſchen Bürgern und 


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Germain führten, und endlich aus den Berichten über 
Scholaten mit den Pariſer Bürgern von 1200. ©. u. 

Hörfäle in der Aue du Fouarre zahlten die Artiften Miete an 
Genoveia. Jourdain in den Memoires de la Soc. de hist. 


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ku ber Umgegenb. Das Edit, welches 1219 das Studium des 
an den Pariser Schulen verbot, ſchloß die Orte der Umgegend 


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din. Jourdsin 21. Bulseus III. 96: ne Parisius vel in civitatibus sen 
aliis locis vieinis. Die Schule von S. Bictor wie die von S. Genopefa wurden 
auch vor Aufnahme dieser Gebäude in den Mauerring zu den scholae Parisienses 


= hinzugerechnet, ja ſelbſt Abclards Schule in Corbeil. Dieſelbe Anſchauung herrſchte 


in den italteniſchen Städten. Die Volkeſchulen von Varts wurden nicht dazu 


7 0 gerechnet, fie fanden unter dem Kantor des Kapitels. 


248 Das ältefte Privileg. 


Scholaren den König Philipp Auguſt zum Einſchreiten veranlaßte. 
Weil der Diener eines vornehmen Scholaren deutſcher Nationalität 
in einer Taverne mißhandelt worden war, drang ein Haufe von 
Scholaren in die Schenke und ſchlug den Wirt halbtot. Das ſetzte 
die Bürger von Paris in Wut, die vermutlich die Gelegenheit benutzen 
wollten, um manche alte Roheit der Scholaren zu rächen ), und unter 
Führung des Prevot ſtürmten ſie das Haus der deutſchen Scholaren 
und töteten jenen vornehmen Herrn, deſſen Diener, ob mit ob ohne 
Schuld, den erſten Anlaß zum Streit gegeben hatte, ſowie mehrere 
andere. Darauf führten die Magiſter Klage beim König Philipp, 
und um zu hindern, daß ſie mit den Scholaren Paris verließen, 
verhängte der König ſtrenge Strafen über den Prevot und ſeine 
Gehilfen, und beſtimmte, daß ein wegen irgend welchen Vergehens 
verhafteter Scholar dem geiſtlichen Gericht ausgeliefert werden ſollte ). 
Die Scholaren hatten bis dahin keine eigene Gerichtsbarkeit und 
erhielten durch dieſes Privileg keine ſolche, ſie wurden vielmehr einfach 
dem geiſtlichen Gericht unterſtellt, alſo dem Biſchof und ſeinem Offizial. 
Die Verhandlungen mit dem Könige, welche dieſen Erfolg hatten, 


) Vgl. das Sündenregiſter der Scholaren in dem Erlaß des Pariſer 
Offizial von 1268, Bulaeus III, 95, wo er fälſchlich zu 1218 geftellt if. 
Jourdain 218. 

) Das Privileg iſt mehrfach gedruckt, bei Bulaeus III, 2 mit mehreren 
Fehlern, beſſer in Ordonnances des Roys de France I, 23; nach dem Original zuerſt 
von Denifle in den Mémoires de la Société de T histoire de Paris X, 247 f. 
Nach einer Erzählung des Vorgangs und der Beſtrafung der Schuldigen heißt es: 
De securitate autem scolarium in posterum Parisius ... ordinavimus, 
quod omnes cives Parisienses jurare faciemus, quod si alicui scolari ab 
aliquo laico injuriam fieri aliquis viderit, quod super eo testimonium per- 
hibebit veritati, nec se subtrahet aliquis ne videat ... Wer einen Scholaren 
mit Waffen u. ſ. w. verletzt hat, dem ſoll es nicht helfen, quod dicet se paratum 
esse defendere se per monomachiam, vel purgare per judicium aque. 
Preterea prepositus noster vel justicie nostre pro nullo forifacto in scolarem 
manum mittent, nec in captionem nostram mittent, nisi forifactum scolaris 
tale visum fuerit, ut debeat arrestari; et tunc arrestabit eum justicia 
nostra in eodem loco sine omni pereussione, nisi se defenderit, et reddet 
eum justicie ecclesiastice „.. Ad hec in capitale Parisiensiam scolarium 
pro nullo forifacto justieia nostra manum mittet; sed si visum fuerit illud 
esse arrestandum, per justiciam ecclesiasticam arrestabitur et arrestatum 
eustodietur, ut de illo capitali flat quod per ecclesiam fuerit legitime 


judicatum ... 


Der Kanzler ward zur Residenz verpflichtet 249 


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2 — von den Magiſtern geführt), aber dieſe bildeten damals allem 
3 en nach noch keine Korporation und hatten keine eigene Behörde“). 
Der Biſchof hatte durch dieſen Erlaß des Königs eine ſchwere 
re Aufgabe erhalten, und um für dieſelbe in dem Kanzler einen ſtändigen 
BVertreter zu gewinnen, veranlaßte er einen Beſchluß des Kapitels, 
welcher dem Kanzler die Neſidenzpflicht auflegte?); ferner erließ er, 


* Chronica, ed. Stubbs IV, 120. 
Der Schluß aus dem ä ere 
doch wohl wagen, weil die Erzählung bei Roger von 
und aus ſicherſter J e geſchrieben ift, und vor allem, 
weil das Privileg des Königs mehrfach Gelegenheit hatte, ſolche Organiſation und 
n So gehen ſeine Beſtimmungen über 
die Berbaltung von Scholaren ins einzelne, aber niemals wird dabei der Mit: 
wirkung einer beſonderen Scholarenbehörde gedacht, und ebenſowenig des Kanzlers. 
Dies i um jo auffallender, als das Privileg von dem Verhältnis des Kapitels 
d den Scholaren ſpricht; es beſtimmt nämlich: nolumus, ut canoniei Parisienses 
e eorum servientes in hoc privilegio contineantur, fie ſollten ihre alte 
Stellung behalten (eandem libertatem habeant quam eis predecessores nostri 
observare debuerunt). Ueber dieſe Stelle und den Fehler im Druck des Bulaeus 
ſſiehe Jourdain p. 66, Note 2, und Denifle S. 90J. Zweifel herrſcht über die 
Deutung des capitale scholarium, für deſſen Sicherung befondere Vorſchriften 
4 Man hatte ihn früher als rector universitatis erklärt, aber da man 
geſchloſſenen Korporation der Scholaren in dieſer Zeit feine Spur 
man dieſe Deutung verworfen und verſteht jetzt gewöhnlich die Lehrer 
hurot S. 16 X. 2. Jourdain S. 66 N. 2. Allein mir ſcheint eb 
anzunchmen, daß den zahlloſen, ohne Prüfung und Diplom auftretenden 
eine jo außerordentliche Fürforge und Ehrfurcht gewidmet fein ſollte, wie 
capltale scholarium zu teil wird; auch iſt es etwas erſchwert, 
mit Schüler zu überſetzen, weil es in dieſer Urkunde noch 17 mal 
„Lehrer und Schüler vorkommt. Richtiger deutet Rashdall, 
Histor. Review. 1887, S. 662, Note, capitale = Bermögen. Auch für 

Jordin 274 p. 47 paßt dieſe Deutung am beiten. 

= | J Jourdain 5. Bulaeus Ill, 36: Odo Dei gratia Parisiensis epi- 
opus, Hugo decanus et universum capitulum Parisiense omnibus 
residentiam cancellarii Parisiensis attendentes necessariam esse 
nosirae Parisiensi ecclesine et communitati scholarium ... statuimus 
w capitulo Parisiensi, ut quicunque de caetero cancellarius Par. fuerit, 
Seneniur in propria persons bona fide in ecclesia Par. residere, quamdiu 
_ eancellariam tenuerit ... Postquam autem M. Praepositivus factus est con- 
— roguavimus eum, ut dietum faceret capitulo juramentum et ad 


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ad hoc inelinarit assensum ... Es war alſo bis 1207 ein Gcwohnheite 
des Kanzlers, daß er nicht nee verpflichtet wat, und darin liegt ein 


250 Die Korporation der Magiſter. 


wohl um die Unruhen zu dämpfen, die nach jenen Kämpfen ſtärker 
als ſonſt gären mochten, ein Verbot gegen jede eidliche Verbindung 
der Scholaren untereinander, wie gegen alle Beſchlüſſe, durch welche 
ſie ſich ein beſtimmtes Verhalten zur Pflicht machten und durch Eid 
oder durch Geldſtrafen erzwangen, es ſei denn, daß er ſelbſt oder 
der päpſtliche Legat oder das Pariſer Kapitel dieſelben genehmigt 
hätten. Nach dem Tode des Biſchofs milderte eine Synode der 
Diözeſe dieſen Erlaß!) durch den Zuſatz, daß Magiſter und Scholaren 
nicht exkommuniziert werden dürften, ohne vorher zweimal in beſonders 
vorgeſchriebener Weiſe gewarnt zu ſein. Die Exkommunikation habe 
der Kanzler auszuſprechen, die Abſolution ſtehe dem Biſchof und in 


deſſen Abweſenheit dem Abt von S. Victor zu. Der Kanzler erſcheint 


hier ſtatt des Offizials als der beſondere Träger der dem Biſchof 
über die Scholaren zuſtehenden Gerichtsgewalt und darin liegt der 
Anfang ſeiner amtlichen Gewalt über die Univerſität und zugleich 
ein Beitrag zu der Bildung derſelben. Der wichtigſte Schritt in 
dieſer Entwicklung war jedoch die Vereinigung der Magiſter und ihrer 
Scholaren zu einer Korporation, und dieſe kam ebenfalls in dieſen 
erſten Jahren des 13. Jahrhunderts zuſtande. Das Privileg König 
Philipps von 1200 kennt ſie noch nicht, aber jene Verordnung des 
Biſchofs über die Reſidenzpflicht des Kanzlers von 1207 erwähnt die 
communitas scholarium ), d. i. der Hörenden wie der Lehrenden, 
der Magiſter und der Scholaren im heutigen Sinne. 


neuer Beweis für die Thatſache, daß er bis dahin keine amtlichen Befugniſſe hatte, 
die ſich der Kanzlergewalt vergleichen ließen, welche ſich Anfang des 13. Jahr: 
hunderts entwickelte. Br 

) Die Synode nennt ihn rigorem nostrae constitutionis (Bulaens 


III. 44), alſo handelte es ſich um die Milderung eines Synodalbeſchluſſes, und 4 


jener Erlaß des Biſchoſs wäre dann auf einer Diözeſanſynode beſchloſſen gewefen, 
was auch an und für ſich nahe liegt. Jourdain p. 2, Note 1, vermutet . 
Bulaeus III, 37, jenes Verbot des Biſchoſs, das wir nur aus der Wiederholung 


von 1219 (Bulaeus III, 93) kennen, ſei nicht erlaffen worden, ſei alſo eine 


Fiktion des Biſchofs, der 1219 feinen ſtrengen Erlaß lieber als Wiederholung 
eines älteren verkünden wollte: allein dann würden die Scholaren in ihrem Proteſt 
gegen die Erneuerung dieſe Beschuldigung der Fälſchung nachdrücklich erhoben 
haben. Wenn übrigens Jourdain recht hätte, und alſo mit dem rigor nostrae 
eonstitutionis der 1219 erneuerte Erlaß nicht gemeint fein würde, jo müßte 
doch jedenfalls ein ähnlicher Erlaß des Biſchofs und der Synode vorhanden 
geweſen ſein. 


Daß scholares hier wie nicht ſelten in dem umfaſſenden Sinne ſteht, 


Vertrag von 1213. 251 


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Die erſte Nachricht über eine Thatigkeit dieſer Korporation fällt 
in dasſelbe oder in das folgende Jahr. Da ernannte die universitas 
magistrorum einen Ausſchuß von acht Genoſſen, um gewiſſe her⸗ 
. kommliche Negeln über Tracht der Magiſter, Vorleſungen, Beteiligung 
dei den Leichenbegangniſſen der Magiſter (und Scholaren) in ein 
formliches Statut zu faſſen und fo zu ſichern ). Dieſe Aufzeichnung, 
deer Eid K dieſelbe und der Ausſchluß eines ſich dem widerſetzenden 
4 die erſten Akte ihres rechtlichen Daſeins, fie ent- 
wmickelte dc dan dann aber raſch weiter und zwar vorzugsweiſe durch den 
. Ben mit dem Kanzler, indem dieſer ſowohl wie die Korporation 
den alsbald in mannigfaltiger Form auftauchenden Bedürfniſſen zu 
genügen und, was damit verbunden ift, ihre Befugniſſe zu erweitern 


4 Nach mehrjährigem Kampfe) wurde zuerſt 1213 ein Vertrag 
#2 geſchloſſen, in welchem der Kanzler ſich verpflichtete, keinen Scholaren 
| verhaften, außer bei großen Verbrechen, welche vermuten ließen, 


für dieſelbe Korpotation den Namen universitas magistrorum. 

ü ’) Um 1208. Jourdain 10. Bulaeus III. 45. 

Schon im Jahre 1209 wandten fi die Scholaren an den Papſt mit der 
Mage, daß der Kanzler feine Gewalt mißbrauche, daß er 1) von denjenigen, die als 
Lehrer auftreten wollten und welche das Urteil der Magiſter als „geeignet“ 
, einen Treueib (juramentum fidelitatis vel obedientiae) fordere 
Geldgahlungen. 2) Daß er Scholaren in das Gefängnis werfe, 
Bergeben nicht fo groß ſei, daß man vermuten müſſe, der Angeklagte 
Richter durch die Flucht entziehen. Sie fanden bereitwilliges Gehör. 
(Jourdain 13 u. 15, 1211 u. 1213), er habe doch auch einſt in 
nie geſehen, daß Scholaren jo behandelt würden, der Kanzler ſcheine 
feiner Habſucht zu frönen, als die Gerechtigkeit zu ſchützen, und beauftragte 
ſowie den Dekan und Archidiakon des dortigen Kapitels. 
* den in ſeinem Namen und nötigenfalls durch Verhängung 
michlicher Benjur zu zwingen, von feinen Gewaltthaten abzuſtehen. So weit lieh 
* der Kanzler nicht kommen, ſondern vereinigte ſich 1213 mit der Univerfttät der 
matiſter zu einem von ſechs Schieds männern aufgeſtellten Bertrage. Dieſer be: 
zeichnet ſich ſelbſt als eine concordia, der päpſtliche Legat nennt ihn 1215 pax 

 *onfirmaia inter cancellarium et scholares (Bulaeus III. #2), die Dorfal: 
net welche wenig jünger iſt als die Urkunde felbft, nennt fie concordamentum 
inter universitatem et cancellarium (Jourdain 15, Zuſatz). Der Biſchof 
erklärte feine Zuftimmung als Borgefehter des Kanilcto, und des Kanzlers ſchrift⸗ 
mit feinem Siegel bekräftigte Zuſtimmung wurde in die Alte aufgenommen. 


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252 Rechte des Kanzlers. 


der Schuldige werde ſich dem Richter durch die Flucht entziehen, und 
dieſe Verhaftung wie auch die Vorladung nicht durch die weltliche 
Polizei vornehmen zu laſſen, ſolange ſeine Diener ausreichten. Gegen 
die Verhaftung ſollte der Scholar außerdem die Entſcheidung des 
Biſchofs und ſeines Offizials anrufen können. Sodann verpflichtete 
er ſich, Geldſtrafen nur unter gewiſſen Beſchränkungen zu verhängen, 
welche verhinderten, daß er ſich aus dieſen Strafen eine Einnahme⸗ 
quelle mache. Weiter regelte der Vertrag die Verleihung der Lizenz, 
indem ſie zwar dem Kanzler die Befugnis ließ, die Lizenz auch ohne 
vorgängige Prüfung und Empfehlung der Magiſter zu erteilen, 
andererſeits ihm aber verbot, einem von den Magiſtern als geeignet 
empfohlenen Bewerber die Lizenz zu verſagen. Wenn er es doch 
that, ſo ſollte ſich der Zurückgewieſene an den Biſchof wenden und 
von ihm die Lizenz empfangen ). Zwei Jahre ſpäter gab der Papft 
jeinem Legaten Robert de Courçgon den Auftrag, die Ordnung der 
Pariſer Schulen zu unterſuchen, und dieſer erließ dann ein Statut, 
das die Beſtimmungen von 1207 mit der Konkordia von 1213 zur 
ſammenfaßte, aber den Kanzler ſtrenger an die Vorſchrift band, die 
Lizenz nur an ſolche zu verleihen, welche vorſchriftsmaßig geprüft 
ſeien; und zwar ſolle er die Lizenz in artibus keinem vor dem 21. ), 
die theologiſche nicht vor dem 35. Jahre verleihen). Ferner wurde 
jeder vom Lehramt ausgeſchloſſen, der dem Kanzler, oder wer ihm 
ſonſt die Lizenz verliehen habe?), Geld gezahlt, oder einen Eid geleiftet 


1) Dieſe Beſtimmungen über die Lizenz wurden für die Amtsdauer des 
gegenwärtigen Kanzlers erlaſſen, es geſchah dies gemäß der für das Mittelalter 
charakteriſtiſchen Anſchauung, welche derartige öffentlich rechtliche Befugniſſe wie ein 
Privatrecht des jeweiligen Inhabers behandelt. Die Tendenz war offenbar, die 
Verleihung der Lizenz an den Beſchluß der Magiſter zu binden, aber weil der 
gegenwärtige Kanzler die freie Verfügung geübt hatte, fo ließ man fie ihm noch 
neben der ordentlichen Verleihung. Für die drei Fakultäten Theologie, Recht und 
Medizin wurde allgemein das Votum der Magiſter gefordert, die Artiſten waren 
zu zahlreich, und für die Erteilung der Lizenz in artibus wurde deshalb eine 
Prufungskommiſſion von ſechs Mitgliedern gebildet. Drei davon ernannte der 
Kanzler, drei wählten die Magiſter, und alle ſechs Monate wurden andere gewählt. 

) Bulaeus III, 82. Jourdain 17. Wer die Lizenz als magister in 
artibus erhielt, mußte geloben, wenigſtens zwei Jahre lang in Paris als Magiſter 
zu leſen, für die theologiſchen Magiſter wurde ein Studium von mindeſtens acht 
Jahren gefordert, wovon fünf auf Theologie verwendet ſein mußten. 

’) Nullus ineipiat (darf zu leſen beginnen) licentiatus a cancellario 
vel ab alio data ei pecunis vel üde praestita vel alia conventione habita, 


Statut von 1213. 253 


babe, oder eine andere Verpflichtung eingegangen ſei. Das Statut 
pbeſtatigte ferner den Magiſtern und Scholaren ihre Anſprüche auf 
die dem Kloſter St. Germain gehörende Wieſe und das Recht, ſich 
untereinander und mit anderen unter Eid und Feſtſetzung von Strafen 
nu verbinden, um bei ſchweren Beleidigungen, Verletzungen oder dem 
Morde von Scholaren Genugthuung zu erhalten, falls ihnen nicht 
gleich Necht gewährt werde; ſodann das Recht, Statuten zu machen 
über die Taxation von Wohnungen und Hörfälen, über Tracht, Be: 
2 gräbnis, Lehrordnung ). 

Es konnte auf die Wirkſamkeit dieſer Statuten nicht ohne Einfluß 


bleiben, daß ihr Urheber durch ſeine ſonſtige Thätigkeit als Legat 
eeinen Sturm der Entrüftung gegen ſich heraufbeſchwor, jo daß der 
Konig ſelbſt ihn Papſt Innocenz verklagte. Es ging damals 


beim 

eine mächtige Bewegung durch die Welt, welche die päpſtliche Gewalt 
den Höhepunkt ihres Einfluſſes erhob, brachte doch gerade in 
den König von England durch Bann und 
Not, daß er keine andere Rettung ſah, als ſein 
übergeben und als Lehen gegen jährlichen Zins 
n Aber gleichzeitig regte ſich in den Kreiſen der 
Ordnung das Bedürfnis, ſich dem gegenüber zu behaupten. 
Legat war nun ein rückſichtsloſer Vertreter der geiſtlichen Ge⸗ 
namentlich bezüglich der Gerichtsbarkeit, und es iſt möglich, 
über ſeine Habſucht und den Mißbrauch ſeiner Ge⸗ 
den Parteihaß verſchärft wurden. Wie dem aber ſei, 
dieſen Kämpfen konnte leicht Einfluß haben auf die 
Stellung zu den von ihm gegebenen Statuten, und wenn wir nichts 
wiſſen von der Art, wie ſein Auftreten und Weſen den Kanzler und 
die anderen maßgebenden Perſonen etwa verletzte und zu dieſer oder 
jener Parteiſtellung drängte, jo muß man ſich doch erinnern, daß die 
Ausbildung der Univerſität ſich in ſo bewegter Zeit vollzog und nicht 
aus der ungeſtörten Enthaltung der in ihr ruhenden Keime. 


Nan ficht, welche Bedeutung darauf gelegt wurde. Die Selbſtändigkeit der uni- 

versitas ſchlen gefährdet, wenn ſich der Kanzler die einzelnen Magifter verpflichtete. 
biefen Satz bezieht ſich die Denkſchrift der Magiſter 12883. Jonrdain 274, 

46: juramenta illieita et a facultate non ordinata 

Die Beftimmungen folgen ohne Ordnung. Dabei begegnet auch der an 

die Habita erinnernde Satz: Quilibet magister forum sul scholaris habeat. 

M Bulaens III. 83. 


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254 Der Papft kommt der Korporation zu Hilfe. 


Schon in den nächſten Jahren machten der Biſchof und ſein 
Kanzler den Scholaren das ihnen ausdrücklich gewährte Recht, Be 
ſchlüſſe zu faſſen und ſich durch Eid und Straffäge zur Befolgung 
derſelben zu verpflichten, aufs neue ſtreitig und bedrohten mit dem 
Banne alle, welche ſich an dergleichen beteiligen würden. Auf Bitte 
der Scholaren ſchritt der Papſt ein!), aber da der Biſchof die Quälereien 
fortſetzte und eine Anzahl der aufs neue an den Papſt appellierenden 
Scholaren und Magiſter exkommunizierte, ſo ſtellten alle Magiſter 
die Vorleſungen ein. „In allen Fakultäten ſchweigt zu Paris das 
Wort der Gelehrten,“ ſchrieb Papſt Honorius in dem Erlaß, welcher 
den Biſchof, den Dekan und den Kantor von Troyes beauftragte, im 
Namen des apoſtoliſchen Stuhles jene Exkommunikation für nichtig 
zu erklären und zugleich zu verkünden, daß fortan niemand wieder 
wage, dergleichen Sentenzen gegen die Pariſer Univerſität ohne be⸗ 
ſondere Erlaubnis des heiligen Stuhles zu verkünden. Endlich ſollten 
fie den Pariſer Kanzler nach Rom laden, um ſich zu verantworten). 
Schon 1222 mußte der Papſt den Scholaren wiederum zu Hilfe 
kommen, weil der Biſchof trotz jenes Verbots von 1219 über ver⸗ 
ſchiedene Magiſter und Scholaren den Bann verhängt hatte, und um 
die Quelle des Streits zu verſtopfen, erließ er wieder ein Statut, 
das die Rechte des Biſchofs, Kanzlers und Kapitels einerſeits und 
der Univerſität andererſeits in ähnlicher Weiſe wie das Statut von 
1215 abgrenzte “), das aber den neu aufgetauchten Streitpunkt uber 
das Siegel der Korporation unerledigt ließ. 


) Der Papſt beauftragte den Erzbiſchof von Rouen, die bezüglichen erlaſſe 
aufzuheben. Jourdain 19, 1219, 30. März. 

*) Jourdain 20. Bulaeus III, 93. 1219, 11. Mai. Die Univerfität ward 
in dieſer Bulle als doctorum et diseipulorum universitas bezeichnet, jpäter als 
doctorum universitas. Beachtenswert iſt auch die Bezeichnung doctorum ſtatt 
des ſonſt üblichen magistrorum. Endlich mag es für manche kritiſche Kombination 


als Warnung bemerkt werden, daß in dieſem Schreiben der dem gleichen Zwecke 


dienende Auftrag, den der Papſt Jourdain 10) dem Erzbiſchof von Rouen 
erteilt hatte, nicht erwähnt wird. Er 
) Jourdain 24. Bouquet, Rer. francie, script. XIX, 724. Der Biſchoß 


behielt die Gerichtsbarkeit, die er durch den Offigial oder den Kanzler ausüben konnte, 


der Kanzler das Recht, die Lizenz zu erteilen, aber das Gefängnis wurde zerſtört, 
welches der Kanzler für die Scholaren aufgerichtet hatte, und nachdrücklich ein⸗ 
geſchärft, daß die Scholaren nur im Notfall und nur auf Befehl des Biſchofs — 
nicht des Kanzlers — verhaftet werden dürften und dann in anſtändiger Haft 


Der Streit um das Siegel, 255 


tellung zu dem Kanzler, der das Siegel des Kapitels 
nahe gelegen, die Urkunden ſo lange von dem Kanzler 
laſſen, aber fie that dies wenigſtens nicht regelmäßig !), 
die Urkunden über ihre Beſchlüſſe dem Kanzler 
zu unterbreiten, mit dem fie jo vielfach im Streite 
1 ſich aber nun ein eigenes Siegel beilegte, erhob der 
Einſprache und forderte das Recht der Beſiegelung. Honorius 
verſchob die Entſcheidung, verordnete jedoch, daß bis zu derſelben die 
Korporation ihr Siegel nicht gebrauchen ſollte, zugleich verbot er 
ihnen, gegen den Biſchof, den Kanzler und die ſich ihnen anſchließenden 
Magiſter und Scholaren Zwangsmaßregeln zu beſchließen, vor allem 
nicht nach ihren Nationen Führer erwählten, um den 
Genoſſen zugefügtes Unrecht mit Gewalt zu rächen). Die Magiſter 
(boneste 


® gehalten werden follten. Andere Verbote wendeten ſich gegen die An⸗ 
4 ſpruche des Kanzlers auf einen Treueid der Magiſter, auf Beſchlagnahme der 


zu beten, und zugleich muß er verſucht haben, die 1215 eingeführte Ordnung zu 
umgeben und ohne Mitwirkung der Magifter nach feinem Belieben die Lizenz zu 
erteilen. Der Papft erncuerte nachdrücklich jene Vorſchriſten und endlich verbot 
er dem Biſchof und feinem Anhange, Generalerfommunifationen gegen die Uni 
werſtüct zu verhängen und irgend jemand wegen einer mit dieſem Streit zuſammen 
hängenden Handlung mit kirchlicher Zenſur zu treffen. Jourdain 24 
Die Schenkung an die Dominilaner 1222 wurde mit den Siegeln von 
e Proſeſſoren der Theologie beſiegelt. Jourdain 28. Bulaeus III. 106. 
Dees ig einmal ein Beweis dafür, daß die Umiverfität damals noch kein eigenes 
Siegel batte, und zugleich dafür, daß der Kanzler damals noch nicht den Anſpruch 
bob, daß die Urkunden der Univerfität von ihm geſiegelt werden müßten. 
9 Sie fürchtete, daß er ihren Gegnern aus dieſen Akten vorzeitige Mit: 
weilung mache, weshalb dies in der Bulle Parens scientiarum, die der Papſt auf 
drund Verhandlungen mit den Parteien erließ, ausdrüdlic verboten 
wwe. Bulnens III, 140: Cancellarius quoque jurabit, quod consilia 
wagistrorum in malum eorum nullatenus revelabit, Parisiensibus canoniecis 


4 Ubertate se jure in ineipiendo habitis in sun manentibus libertate. Bul, 
m. 140 bat das Komma nach canonicis geſetzt, dann muß dieſer Begriff zu dem 
Abl. abs. ergänzt werben. Dieſer Saß ſichert den Kanonitern das Hecht, unabhangig 
von den über die Lenz beſtethenden Vorſchriften zu leſen. Bal. Denifle S. 90, Rote.) 
Zu. ”) Jourdain 24. Bonguet XIX, 724: magistris etiam a magistro 
wel scholari poenam pecuniarum per tempus (bis zur endgültigen Regelung ) 


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256 Der Tumult in S. Marzellen. 


nahmen aber ihr Siegel trotz des päpſtlichen Verbots wieder in 
Gebrauch, und als es dann der päpſtliche Legat zerbrach, da erhoben 
die Scholaren einen Aufſtand, zu deſſen Bewältigung erſt die könig⸗ 
lichen Truppen aufgeboten werden mußten ). 1228 wurde die Ruhe 
zwar durch Erneuerung der Beſtimmungen von 1222 wieder her⸗ 
geftellt ?), aber im folgenden Jahre führte ein anderer Anlaß einen 
Kampf herbei, der alle früheren an Bedeutung übertreffen ſollte. 


Die Auswanderung der Univerſität. 


An einem der luſtigen Tage vor Aſchermittwoch des Jahres 
12290 war eine Schar übermütiger Scholaren in die Vorſtadt 
S. Marzellen hinausgezogen, hatte den Wein trefflich gefunden, aber 
die Rechnung zu hoch; ſie konnten oder wollten nicht zahlen, es gab 
Streit, die Scholaren prügelten den Wirt, die Nachbarn kamen ihm 
zu Hilfe, und die Scholaren mußten übel zugerichtet flüchten. Aber 
anderen Tags kamen ſie in Haufen zurück, ſtürmten die Schenke, 
verwüſteten das Haus und mißhandelten die Männer und die Weiber, 
die ihnen auf der Straße begegneten. Da das Dorf zum Kloſter 
S. Marzellen gehörte, ſo erhob der Prior desſelben Klage bei der 
Königin Blanche, die damals für den jungen König Ludwig das 
Regiment führte, und als dieſe dann dem Prevot von Paris ſcharfe 
Befehle gab, fielen die Häſcher über eine an den Tumulten gar nicht 
beteiligte Schar her und mißhandelten die Waffenloſen ſo, daß einige 
tot blieben. Alsbald verſammelten ſich die Magiſter und forderten 
von der Königin und dem anweſenden päpſtlichen Legaten Sühne für 
dieſe Unthat, und als dieſe Verhandlungen ſcheiterten, verkündete der 


non exigent supradietum, nee scholares interim secundum nationes 
suas sibi quemquam praeficient ad injurias uleiscendas, qui (scholares) 
etiam arma non portent, nisi ad tutelam sui ex causa necessaria com- 
pellantar. 

) Bulaeus III, 118 f. Der Legat belegte, die Scholaren und Magiſter, 
die ihn bedrängt hatten, mit dem Banne, und das waren ſo viele, daß allein auf 
dem Konzil von Bourges achtzig von ihnen auf einmal abſolviert werden konnten. 
Chronicon Turonense bei Martene, Colleetio V. 1067. 

) Jourdain N. Bulaens II. 130. In dem Schreiben bezeichnet Papft 
Gregor die Univerſität durch „magistri et universitas scholarium“. 

) Frankreich zählte damals von Oſtern zu Oſtern, der Aſchermittwoch gehörte 
alſo damals noch zu 1228. 


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Auswanderung der Scholaren. 257 


fiel auf den 15, April), alfo in rund ſechs Wochen, 

der Univerfität nicht die volle Sühne geworden ſei, daß dann alle 
Vorleſungen und ſonſtigen Akte auf ſechs Jahre unterbrochen werden 
ſollten. Niemand dürfe ſich während dieſer ſechs Jahre ſtudienhalber, 
oder Hörer, in der Stadt oder in der Diozeſe 

Paris aufhalten, und auch nach Ablauf dieſer Friſt nur dann, wenn 
unterdeſſen die Sühne geleiſtet werde). Da der Termin verſtrich, jo 
löſte ſich die Univerſität thatſächlich auf, nur wenige blieben zurück, 
und die benutzten die Gelegenheit, an dieſer einfluß⸗ 
reichen Stätte der Wiſſenſchaft Fuß zu faſſen. Viele zerſtreuten 
ſich in die Heimat, andere verſuchten in Reims, Angers, Orleans 
ihre Studien wieder aufzunehmen und alſo neue Univerſitäten zu 
gründen oder die vorhandenen Anfänge zu verſtärken, namentlich aber 
ſollen viele nach Oxford gewandert ſein. „Der große Strom des 
wiſſenſchaftlichen Lebens iſt aus ſeinem Bette in kleine Bäche ab⸗ 
geleitet, und dieſe vertrocknen,“ ſchrieb Papſt Gregor IX. an den 
König Ludwig im November des Jahres?) und ermahnte ihn, den 
Scholaren Genugthuung zu verſchaſſen und ihnen die von ſeinem 


| 


) Jourdain 30, p. 5: Nos dieti provisores ab universitate communi 
assensu et voluntate ita ordinamus et ordinando decernimus: quod nisi 
infra mensem a die Pasche (alfo 15. April bis 15. Mai) competenter fuerit 
satisfactum universitati magistrorum et scholarium secundum nostrum 
arbitrium super atrocissimis injuriis, a preposito Parisiensi et complicibas 
suis ei quibusdam aliis eis illatis: ex tune nulli liceat morari in civitate 
= vel dioecesi Parisiensi causa studii, scilicet audiendi vel docendi, infra 
or sex annos a fine predieti mensis numerandos et pendente termino emende 
nullus legst publice vel privatim. Nee etiam post sex annos poterit 
quisqguam reverti, nisi super predictis injuriis competenter fuerit satis- 
factum. Et ut istud firmum permaneat, presentem chartam sigillorum 
sostrorum appositione fecimus communiri. Actum a. D. 1228, ımense martio 
die Martis post annuhtistionem domini (27. März). 

Konig Heinrich III. lud die Auswandernden förmlich ein und ftellte ihnen 
alle Städte seines Gebiets zur Verfügung, um das Parijer Studium dorthin zu 
verlegen, fie ſollten omnimoda sicut decet libertate et tranquillitate 
0 genießen. Bulseus III. 183 f. Er redet fie an: magistris et universitati scho- 
boarium Parisius studentium. Dieſer Titel bezeichnet aber wohl nicht die Scho 
laren als Träger der universitas, jondern iſt „und alle Scholaren“ zu überſetzen. 

Jordin 38. Bulseus III. 135. 
 — Maufmann, een der ehen Univerfitäten. 1 17 


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258 Der Biſchof als Gegner der Scholaren. 


königlichen Vorgänger Philipp gewährten Privilegien zurückzugeben. 
Die Angelegenheit hatte offenbar ein ungeheures Aufſehen erregt. 
Die Scholaren hatten die Nachricht in alle Lande getragen, hatten 
natürlich die Farben nicht geſpart und die Grauſamkeit der Pariſer 
wie die Leiden der Genoſſen in Geſchichten und Verſen beleuchtet. 
Sie ergingen ſich bald in boshaften Angriffen), bald ſchlugen fie 
den tragiſchen Ton an, und in jedem Kloſter wie in jeder Burg, wo 
ſich ein Kanoniker, ein Prälat oder ſonſt ein geiſtlicher oder weltlicher 
Herr fand, der einſt in Paris ſtudiert, in S. Marzellen getrunken 
und mit der Polizei gerauft hatte, da bildete dieſer Gegenſtand für 
die Zunge des vagierenden Scholaren einen unerſchöpflichen Stoff, 
gleichviel, ob der freche Geſell dabei geweſen war oder nicht. Das 
war ſeine Empfehlung und ſeine Gegengabe, dafür gab man ihm 
gern reichlich Kleider und Verpflegung. 

Der König hatte ſchon im Auguſt den Scholaren das Privileg 
König Philipps erneuert, ohne aber eine Sühne für die Gewaltthat 
zu verſprechen, ſeine Räte waren offenbar noch nicht gewillt, nach⸗ 
zugeben. Vielmehr verhängte der Biſchof über Magiſter und Scho⸗ 
laren, welche geſchworen hatten, Paris zu verlaſſen, ſowie über die, 
welche in Angers und Orleans ohne Mitwirkung des Kanzlers die 
Lizenz nehmen würden, die Exkommunikation und veranlaßte einen 
Beſchluß des Provinzialkonzils zu Sens, daß die nach Angers und 
Orleans gewanderten Scholaren des ihnen für die Studien bewilligten 
Reſidenzprivilegs verluſtig gehen ſollten ?). Der Streit dauerte jo noch 
das ganze folgende Jahr hindurch, aber die Vertreter der Scholaren 
in Rom wußten den Papſt endlich ſo zu gewinnen, daß er am 
13. April 1231 die Bulle Parens scientiarum erließ), welche im 


1) Selbſt die böſe Wendung fehlte nicht, die Königin trage die Schuld, und 
der Legat ſei ihr zu Willen geweſen, weil ſie ihm zu Willen geweſen: 
En morimur strati, cnesi, mersi, spoliati: 
Mentula legati nos facit ista patl. 
Chron, Joh, de Oxenedes, ed. Ellis (Chronicles and Memorials) 1859 
p. 1229. Das ift natürlich Klatſch, aber er charakterifiert die Scholaren und die 
Stimmung. Die Königin ſcheint jedoch kaum imftande geweſen zu ſein, die 
Forderung der Scholaren zu bewilligen, denn erſt wenige Jahre vorher hatten die 
Bürger von Paris fie und ihren jungen Sohn vor den Baronen gerettet, und nun 
ſollte fie um einer ſolchen Rauferei willen die Bürger verletzen, die ihre Stütze waren! 
) Bulneus III. 186. 
) Jourdain 834. Bulsens III. 140: Dilectis filiis universis magistris 


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Die Bulle Parens scientiarum. 259 


Wſentlichen die bisher in Paris geltenden Ordnungen wiederholte, 
dabei aber die zwischen Kanzler und Univerfität ftreitigen Punkte 


E ſich nach jenen Gewaltthaten eidlich verpflichteten, Paris zu verlaſſen, 


dabei kein eigenes, ſondern ein allgemeines Intereſſe verfolgt hätten, 
entband ſie aber von dieſem Eide für den Fall, daß der König ihnen 
die alten Privilegien wieder beſtätige und diejenigen beftrafe, die 
ihnen Gewalt gethan. Die Bulle ſetzte die Mitwirkung des Königs 
voraus, und Papſt Gregor ſandte demſelben deshalb auch gleichzeitig 
gleichen Inhalts und ermahnte ihn, das Privileg des 
Königs zu erneuern!) und den Scholaren Sühne zu ver: 
ſchaffen. Aehnliche Schreiben richtete er an das Kapitel von S. Mar: 


ö 


1 zellen, an den Abt von S. Germain und den Biſchof von Paris, um 


den Scholaren jede Schwierigkeit aus dem Wege zu räumen. Endlich 
empfahl er noch die beiden Magiſter, welche die Sache der Scholaren 

Erfolg bei ihm durchgeführt hatten, der beſonderen Gnade 
wieder in einem beſonderen Schreiben der Königin 
Mutter, indem er die Verdienſte und die reinen Abſichten derſelben 
pries und verſicherte, fie hätten nichts gejagt oder gethan, was gegen 
die Ehre des Königs und des Königtums ginge. 


& 


es scholaribus Parisiensibus ... Parens scientiarum .. Die Gerichtsbarkeit 
aber eingeſchärft, daß er niemals einen Scholaren 
bei Schuld tlagen verhafte, und auch bei anderen Vergehen nur, wenn feine Kaution 
nur auf Beſehl des Biſchofs, der Kanzler allein hatte keine 
ſtets in anſtändiger Haft gehalten werden, 
von Kirchenſtrafen dem Scholaren eine 
noch hervorzuheben: 1) Der Kanzler mußte bei 
Biſchof oder dem Kapitel und in Gegenwart von 
Vertretern der Univerfität, jhwören, keinem 
die Lienz zu verleihen ohne vorausgehende Prüfung. 2) Die Univerfität erhielt 
fein Siegel, der Kanzler drang vorläufig mit ſeinem Anſpruch durch, mußte aber 
die 


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1 
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11 


raten. 3) Vacationes aestivae non extendantur de caetero ultra mensem. 
Bier der wieder wie in dem Schreiben von 1229, Nov., 

König ſchon im August 1229 das Privileg erneuert hatte (Jourdain 32), 

unmöglich, dies damit zu erklären, daß ihm jener Erlaß noch nicht bekannt 


een fei, wie Jourdain S. 6, Note 3 meiner Anſicht nach nicht mit hin⸗ 


Grunde die Nichterwähnung in dem früheren Briefe des Papſtetz vom 


. es 1229 zu erflären ſuchl. Was aber auch der Grund fein mag, die That: 


260 Die neue Blüte von Paris. 


Die Anordnungen des Papſtes kamen zur rechten Zeit, der 
Widerſtand der Gegner war gebrochen, und die Scholaren ſtrömten 
wieder nach Paris zurück. Bald muß ihre Zahl größer geweſen ſein 
als je, denn trotz der Größe der Stadt!) fteigerten ſich die Klagen der 
Scholaren, wie ſchwer es ſei, eine Wohnung zu finden. Der König 
bewilligte der Univerſität deshalb das Recht“), die Wohnungen zu 
tarieren und die Bürger zu nötigen, die von den Taxatoren begzeich⸗ 
neten Wohnungen herzugeben, auch wenn ſie dieſelben lieber behalten 
hätten. Die Bürger fügten ſich, murrten aber laut darüber, daß 
Ordensleute und Weltgeiſtliche ſich den Befehlen der Taxatoren zu 
entziehen wüßten, und da die Taxatoren die geiſtlichen Herren, welche 
ihre materiellen Anſprüche mit geiſtlichen Zenſuren zu verteidigen 
pflegten, nicht zwingen konnten, ſo mußte wieder der Papſt einſchreiten. 
Der rüſtete denn auch eine Kommiſſion mit feiner Autorität aus), 


ſache iſt eine nachdrückliche Warnung gegen allzu große Sicherheit bei Schlüſſen 
aus ſolchem Schweigen. Jourdain 36. Bulaeus III, 148. 

) In dem Verzeichnis der Feuerſtellen, welches 1328 angelegt wurde, um 
von je 100 feux 10 sols tägliche Steuer zu erheben, heißt es: En la prevosté 
de Paris 203 paroisses et 21460 feux.... En la ville de Paris et de Sainet 
Marcel 35 paroisses et 61098 feux. Bibl. de l’Ecole des chartes II (1840), 
p. 174. Vgl. Dureau de la Malle, M&moire sur la population de la France 
aux XIV® et XV® 8, in den M&m. de l’Acad. des Inser. XIV, 2, p. 36—58. 
Wenn Paris nun auch um 1230—50 nur zwei Drittel fo viel Feuerſtellen gehabt 
haben ſollte, ſo muß der Zudrang doch ſehr groß geweſen ſein, um eine Wohnungs⸗ 
not hervorzurufen, die jo harte Maßregeln nötig machte, zumal die meiſten Scho⸗ 
laren keinen Anſpruch auf je ein beſonderes Zimmer erhoben, ſondern zu mehreren 
zuſammen wohnten. Leichter würde ſich die Not erklären, wenn die Scholaren 
damals ausſchließlich in einem Stadtteil gewohnt hätten, aber das läßt ſich nicht 
erweiſen; und es ſpricht ſchon dagegen, daß die Univerſität 1229 ſogar die Er: 
oͤffnung von Schulen in den Vorſtädten erwähnt. Erſt durch die Kollegien und 
Pädagogien der nächſten Periode ſcheint mir die Vereinigung der Scholaren in 
einem Stadtteil herbeigeführt zu ſein. Doch können dergleichen Fragen nur in 
der Geſchichte von Paris näher unterſucht werden. 

) In der Bulle vom 14. April 1231 (Jourdain 36, Bulaeus III. 
143) bat der Papſt den König: Hospitiorum quoque taxationem per duos 
magistros et duos burgenses ad hoc de consensu magistrorum electos 
juramento praestito fideliter faciendam: sive si burgenses non curaverint 
interesse per duos magistros sicut fleri consnevit, eis sine difficultate 
concedas cum alias nimis chara hospitia conducere cogerentur. gl. Jour- 
dain 50: de... voluntate ... regis ... taxatores ... deputarunt. 

’), Jourdain 50. Bulseus III. 160. 1237. 


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Univerfität gab ein Statut, welches das Mieten der Woh 
regeln ſuchte. Es gab keine 
agiſter ſuchte paſſende Räume 
zu mieten oder einrichten zu laſſen, und die Univerſität beſchloß nun, 
einen ſolchen Saal mieten dürfe, der nicht wirklich leſe 
| und fein Magiſter mehrere Säle“). Wenn aber ein 
Bürger ſich weigere, ſeine Räumlichkeiten zu der Taxe zu vermieten, 
jo ſolle das Haus auf fünf Jahre mit Verruf belegt werden, und 
der Scholar, der darin miete, ſolle aus der Univerſität ausgeſchloſſen 


Die Verfaſſung. 


Das Studium von Paris hatte ſich durch dieſen zwanzigjährigen 
Kampf neben dem Biſchof und ſeinem Kanzler, ſowie neben den 
königlichen Behörden und der Stadt eine eigenartige Selbſtändigkeit 
errungen, und umgekehrt gewann der Kanzler durch die Beziehung 


J Jourdein 55. 

J Jourdain 64. Bulseus III, 195. 

) Die Nationen haben ſpüter mehr und mehr dafür geſorgt. 

J Jourdain 68. Balseus III, 195. Doch durfte er für einen Baccalar, 


Sigentiaten ober Wagifter, der in demſelben leſen wollte, mieten. Bei Buläus ift 


eine finnftörende Interpunktion, es ift fo zu leſen: quod nullus magister per 
se vel per allum retineat plures scholas: pro bachelario, aut qui de novo 
«ss incepiurus, sive pro allo magistro retinere poterit. Damit dies aber nicht 
zum Verwende biene, mehrere Säle zu mieten, um fie dann an andere zu böberen 


Preisen abzulesen, wurde beftimmt: si opus fäerit, üdem suam pro hoc faciat 


juramento. 
*) Balaens Ill, 195: domus interdicatur per quinque annos; lle 


aten vel illi scholares, qui domum interdictam receperint, vel moram ibi 
-  feserint et recedere noluerint, quam cito moniti fuerint per reetorem 
vel serrientem ab eo missum, vel procurstores similiter vel nun- 


eium ab eis missum benefleiis scholarum et universitatis priventar. 


262 Die beiden Kanzler. 


zur Univerſität eine Stellung, die weit hinausging über die Bedeutung, 
die ſonſt ein Kanonikat erlangen konnte. Der Kanzler ſtand der 
Korporation in jenem Kampfe als Partei gegenüber, aber anderer⸗ 
ſeits gehörte er ihr doch an und wirkte auch oft als ein Profeſſor ), 
und die Entwicklung führte dahin, daß um 1400 ſeine Beziehung 
zur Univerſität die Beziehung zum Domkapitel ſogar überwog, daß 
alſo das Kanzleramt mehr als ein Amt der Univerſität erſchien, mit 
dem ein Kanonikat verbunden war. 

Gleichzeitig mit dieſem Kampfe gegen die Korporation hatte der 
Kanzler mit dem Abt von S. Genovefa zu ſtreiten. Wie im 12. Jahr⸗ 
hundert viele Magiſter im Gebiete von S. Genovefa gelehrt und dazu 
die Erlaubnis von dem Abt erbeten hatten, ſo geſchah es auch im 
13. Jahrhundert; aber nachdem ſeine Befugnis durch das Statut 
von 1213 rechtlich begründet worden war, glaubte der Kanzler die 
nur gewohnheitsmäßige Uebung dieſes Rechts durch den Abt beſei⸗ 
tigen zu können. Der Streit kam vor den Papſt -), und der Abt 
(ſpäter der von ihm ernannte Kanzler) behauptete ſein Recht mit 
Erfolg. So hatte Paris zwei Kanzler; die Prüfung vor dem Kanzler 


) Jourdain 274, p. 48 f.: cancellarium ... ut unum de magistris 
regentibus. 

) Im Jahre 1227 gab er zwar zu, daß der Abt den Artiſten die Lizenz 
erteilen könne, nicht aber den Theologen und Dekretiſten. Jourdain 25. 
Bulaeus III, 124: Gregorius... cancellario Par.. .. abbas et conventus 
S. Genoveſae Paris, nobis insinuare curarunt: quod cum ad jus eorum 
pertinent, ut doctores theologiae ac decretorum ac liberalium artium de 
ipsorum licentia libere regere valeant in parochia et terra eorum infra 
Paris. murorum ambitum constituta, theologiae decretorumque doctores 
ad regendum „inter duos pontes* adstringis vinculo juramenti: propter 
quod etsi doctores artium de licentia ipsorum regant in praedicta parochia, 
theologiae tamen et decretorum doctores non audent regere in endem; 
unde non solum honori sed etiam utilitati monasterii sui plurimum dero- 
gatus. Man ſieht, daß noch immer die Vorſtellung nachwirkte, der Grunbberr 
habe die Lizenz zu erteilen, denn um feinen Anſpruch durchzuſetzen, daß er allein 
den Theologen und Dekretiſten die Lizenz erteilen dürfe, behauptete der Kanzler, 


dieſe Fakultäten dürften nur in ſeinem Gebiete „inter duos pontes“ geleſen werden. 


Der Streit iſt ein Zeichen, daß die Ausbildung der Univerfität und im beſonderen 
der oberen Fakultäten den früheren Zuſtand der getrennten Schulgebiete noch nicht 
ganz beſeitigt hatte. Daß der Abt ſiegte, zeigt z. B. das Schreiben Alexanders IV. 
von 1255. Jourdain 123. Bulaeus III. 209 f. Aber noch im 14. Jahrhundert 
verpflichtet die Fakultät der Artiften ihre Baccalare bei der Prüfung: observabitis 
et defendetis libertatem solitam examinis S. Genovefae. Bulaenus IV, 274. 


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Das Stimmtecht der Masgifter. 263 


die „untere“, die von S. Genovefa die „obere“ 
der anderen gleichwertig, bezuglich der Verwaltung 
Abt von S. Genovefa und fein Kanzler keine Ber 
den Kämpfen der Univerfität ſpielte er keine Rolle“). 
dieſen Kämpfen zwiſchen Kanzler und Korporation hatte 
immer der Papſt die Entſcheidung geben müſſen, die konig⸗ 
ſelten ein, der Papſt aber entſchied meiftens 
gegen den Biſchof und Kanzler, er beſchul⸗ 
und Habſucht die Scholaren zu bedrängen. 

von ſo hoher Stelle darf uns nicht 
viel rohe Geſellen unter den Scholaren 


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hindern, zu erwägen, daß 

waren, und daß wer den Dingen ſo nahe ſtand, wie Biſchof und 
Kanzler von Paris, ſich oft verſucht fühlen mochte, kurzer Hand da⸗ 
zwiſchen zu fahren. 


Korporation beſtand aus den Magiſtern und Scholaren aller 
und wurde deshalb regelmäßig auch universitas magis- 
scholarium genannt *), aber Stimmrecht hatten in den 
nur die Magiſter. Die Scholaren nahmen ſogar an 
Privilegien der Univerſität nur teil, wenn ſie Schüler eines Ma⸗ 
wurden fie verhaftet, jo hatte der Magiſter fie los zu 
die gerichtlichen Privilegien für ſie in Anſpruch zu 
gab keine Univerſitätsmatrikel, ſondern die Magiſter 

Scholaren zu führen, und die Summe dieſer 


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Note erwähnte Schreiben Alexanders IV. 
So bezeichmet ſich die Univerfität ſelbſt Jourdain 23 [1221], Bul. III. 
kommen verſchiedene Anreben und Bezeichnungen vor. Gregor IX. 


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feet 1237: Dileetis filiis universis scolaribus Parisius commorantibus. 


Jourdain 52. Derſelbe 1281 in der Bulle Parens scientiarum: universis 

es scholaribus Parisiensibus, ebenſo auch Jourdain 49, Bul. III. 
159, % Jourdain 51, Bul. III. 160. In dieſem Schreiben begegnet auch 
bie Wendung: ab magistris et scholaribus ... cautione recepta, welche zeigt. 
daß Papft Gregor die Nagiſter nicht als die alleinigen Träger der Korporations: 
rechte ansah, Heinrich III. ſchrieb 1229, Bulaeus III. 133: magistris et uni- 


*  versitati scholarium Parisius studentium (J. o.), und der Veſchluß des Partſet 


Rapitelö von 1207 nennt die Korporation communitas scholarium (Jourdain 5, 


E 3 Bal. III. 36), Jmmocenz III. dagegen universitas magistrorum. Jourdain 11. 
Bale II. 0. 


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264 Die Fakultäten. 


Einzelmatrikeln erſetzte die Univerſitätsmatrikel!). Die Univerfität 
gliederte ſich in Fakultäten und Nationen, und zwar ſchoben ſich dieſe 
Abteilungen auf eigentümliche Weiſe ineinander. Die Prüfungs- 
ordnung von 1213 faßte die Dekretiſten mit den Legiſten zuſammen, 
unterſchied alſo 4 Fakultäten: Theologie, Recht, Medizin, Philoſophie 
(artes). Das römiſche Recht fiel ſeit 1219 weg, und es erhielten 
ſich dann in Paris dieſe vier Fakultäten ?), von denen Theologie, 
Recht und Medizin als die oberen Fakultäten den Artes oder der 
Philoſophie als der unteren Fakultät gegenübergeſtellt wurden, weil 
man nicht in einer der oberen Fakultäten ſtudieren konnte, ohne vorher 
einige Jahre die Artes getrieben zu haben und viele ſogar erſt die 
Magiſterprüfung in den Artes beſtanden. Wenn man dazu nimmt, 
daß der Magiſter in den Artes mit 21 Jahren erworben werden 
konnte, der unterſte Grad in der Theologie aber erſt mit 25, und 
die Magiſterwürde nicht vor dem 30. Jahre“), jo könnte es ſcheinen, 
als habe die Fakultät der Artiſten zu den anderen Fakultäten nur 
die Stellung unſerer Gymnaſien zu der Univerſität gehabt. Allein 


) Jourdain 260. 1279. Daß die Scholaren trotzdem an den Geſchaften 
Anteil haben konnten, zeigt die Mitteilung des Papſtes, daß 1222 neben einigen 
Magiſtern auch zahlreiche Scholaren nach Rom gekommen waren und vor dem 
Papſte die Rechte der Korporation verteidigten. Bouquet, Rer. france. seript. 
XIX. 724. 

) 1281 wurden die Fakultäten durch Beſchluß der Magiſter förmlich zu 
berechtigten Organen der Univerſität erklärt, Fakultätsbeſchlüſſe ſollten als Uni⸗ 
verſitätsbeſchlüſſe angeſehen werden. Jourdain 268. Bulaeus III, 456: 
Universitas magistrorum Parisius in quacunque facultate regentium... 
ad ora malignorum claudenda dicentium, quod facta facultatum non sunt 
facta universitatis ... congregati apud 8. Julianum Parisius prout moris 
est, vocatis omnibus qui debuerunt evocari, hac edietali constitutione ... 
declaramus: facta facultatum theologiae, deeretorum, medieinse, et 
artium, in quantum illa facta respiclunt privilegia universitatis seu negotia, 
esse facta universitatis et per universitatem et nomine universitatis 
debere fieri proseeutionem canonicam et debitum sortiri effeetum. Daß 
man bereits im 12. Jahrhundert dieſe vier Fakultäten unterſchied, ſowie daß die 
Medizin bisweilen mit den Artes zuſammengefaßt, daß bisweilen aber die Gram 
matik als beſondere Fakultät angeſehen wurde, iſt oben bereits erwähnt worden. 
Auch dieſe Anſchauungen waren in Frankreich und England wie in Italien, ſie 
waren international. 

) Nach dem Statut von 1215 nicht vor 35 Jahren. Bul. III. 82. Wie 
weit dieſe Vorſchrift eingehalten worden iſt, muß in einer Geſchichte von Paris 


unterſucht werden. 


Stellung der Artiſtenſakultät. 265 
dem war nicht ſo. Zunachſt liegt in dem jugendlichen Alter von 21 Jahren 
feine Herabſetzung, denn in Bologna konnte man mit noch jüngeren 
Jahren Doktor der Rechte werden. Sodann iſt zu beachten, daß die 
Erwerbung der Magiſterwürde die Studien der Artiſten nicht abſchloß. 
Beim Empfang des Magiſtertitels mußte man geloben, einige Jahre 
zu erſt nach Erfüllung dieſer Pflicht gewann man die poli⸗ 
tiſchen Rechte der Magiſter vollſtandig, denn zu den Prüfungs: 

und den politiſchen Aemtern ’) wurde der Magiſter erſt 

nach einer Lehrthatigkeit von drei, beziehungsweiſe ſechs Jahren 
wählbar. Die Magiſterwürde der theologiſchen wie der kanoniſtiſchen 
Fakultat eröffnete dagegen die Lehrthatigkeit nicht, ſondern galt als 
„welche eine mehrjährige Lehrthätigkeit krönte, ja es kam 
Hund 15. Jahrhundert dahin, daß in dieſen Fakultäten fait 
Lehrthätigkeit den Nichtmagiſtern überlaſſen wurde, daß die 
regelmäßig nur Prüfungen abhielten und ſich an gewiſſen 
Akten des Studiums beteiligten). Die Vergleichung des 
den Fakultäten für die Magiſterprüfung vorgeſchriebenen Alters 
ſich alſo nicht zu einer Vergleichung der Stellung der Fakul⸗ 
zu einander, und ebenſowenig die Würde des Gegenſtandes; 
der Theologie gegenüber erſchien wohl das Gebiet der Artes 
ein niedrigeres, und das kanoniſche Recht genoß einen gewiſſen 
der Theologie, aber die Medizin, welche mit ihnen zuſammen 
Fakultäten bildete, hatte in dieſer Beziehung nichts vor 
voraus. Die Artes hießen alſo nur deshalb die untere 
weil fie den Vorbereitungskurſus für alle mitumfaßten. 
damit erſchöͤpfte ſich die Aufgabe dieſer Fakultät nicht, fie hatte 
ein weites Gebiet) wiſſenſchaftlicher Forſchung, und dies 


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Drei Jahre für die Prüfungskommiſſion der Baccalare, ſechs Jahre für 
Ligentiaten und für die Wahlfähigkeit zum Rektorat. Nur das Stimmrecht 


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leſen 

Schon die reformatio von 1452 (Bulaeus V. 565) bietet den Beleg — 

und es genügt, auf die Schilderung von Tüurot p. 158 f. zu verweilen. 
Ee ungefähre Borftellung gewähren die Forderungen, welche für die ver: 
ſchirdenen Prüfungen geftellt wurden. Die Statuten von 1366 (Bul. IV. 388 f.) 
find darin wenig verſchieden von der reformatio von 1452 (Bul. V. 574). Den 
Beorbereitungskurſus ſchloß die Determination ab, zu ihr ſollte nur zugelaſſen werden, 
wer außer der Grammatil und der Metrit eine Reihe von ariftoteliigen Schriften 


266 Die Bedeutung der Artiſtenfakultät. 


Gebiet war von weſentlicher Bedeutung für die Entwicklung des 
wiſſenſchaftlichen Lebens der Univerſität. Die Artiſtenfakultät war 
es, in welcher die Kämpfe zwiſchen der älteren, mehr humaniſtiſchen 
Richtung und dem Uebergewicht der Dialektik zunächſt ausgefochten 
wurden, ferner die Kämpfe um die Berechtigung der ariſtoteliſchen 
Studien und die zwiſchen der nominaliſtiſchen und der realiſtiſchen 
Anſchauung; — und ſo wirkte ſie auch auf die Richtung und Me⸗ 
thode der anderen Fakultäten beſtimmend ein. Es kam hinzu, daß 
auf dem Gebiete der Artes die größte Freiheit der wiſſenſchaftlichen Be⸗ 
wegung herrſchte, und daß fie keinem materiellen Zwecke dienten. Papft 
Innocenz IV. nannte deshalb die Artes geradezu, indem er ſie mit dem 
römiſchen Rechte verglich, die wahre Wiſſenſchaft, denn ſie würden 
um ihrer ſelbſt willen gepflegt. Dieſe wiſſenſchaftliche Bedeutung der 
philoſophiſchen Studien erklärt es denn auch, daß Männer, die im 
Beſitze der akademiſchen Grade anderer Fakultäten waren, in der 
Artiſtenfakultät als Magiſter laſen. Manche thaten es außerdem 
auch deshalb, weil die Artiſten für ſich allein den Rektor der 
Univerfität wählten und zwar aus ihrer Mitte. Wer Luft und 
Kraft zu ſolcher Würde fühlte, der mußte in der Artiſtenfakultät 
bleiben. — Die Artiſtenfakultät gliederte ſich nach vier Nationen, 
Gallier (Franzoſen), Engländer (ſpäter Deutſche genannt), Pikarden 
und Normannen, über deren Alter und Urſprung vielfach geſtritten 
worden iſt. Schon im 12. Jahrhundert beſtanden 

von Magiſtern und Scholaren der gleichen Heimat), aber erſt 


elenchorum priorum aut posteriorum complete, etiam librum de anima 
in toto vel in parte) gehört habe. Bul. IV, 390. Die Grammatik konnte er 
an beliebigem Orte erlernen, aber zwei Jahre mindeſtens mußte er danach in 
Paris ſtudiert haben. Für die Lizenz wurde dann weiter das Studium folgender 
Schriften gefordert: librum physicorum, de generatione et corruptione, de 
enelo et mundo, parva naturalia, videlicet libros de sensu et sensato, de 
somno et vigilia, de memoria et reminiscentia, de longitudine et brevitate 
vitae, librum metaphysicae vel quod actu audiat eundem et quod aliquos 
mathematicales audiverit quodve audiverit libros morales, specialiter librum 
ethicorum quantum ad majorem partem. Bul. V. 574. Man wende nicht ein, 
daß dieſe Forderungen nur auf dem Papier ſtanden, das gilt in gleicher Weiſe von 
allen Fakultäten; hier handelt es ſich um den geſetzlichen Umfang des Gebiets. 

) So erwähnt Roger von Hoveden IV, 120 bei dem Tumult von 1200 in 
Paris ein hospitium clericorum Teutonicorum, Man kann freilich nicht erkennen, 
ob dies Haus im Beſitz einer Genoſſenſchaft deutſcher Scholaren war, oder ob es 


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268 Abftimmung nicht nach Köpfen. 


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der drei oberen Fakultäten, vier bildeten die Magiſter der nach Nationen 
ſtimmenden Artiſten !). Bei den Beſchlüſſen der Univerſität verfügten 
die Artiſten alſo über vier Stimmen, die drei oberen Fakultäten zu⸗ 
ſammen nur über drei, doch muß man ſich die Sache nicht ſo vor⸗ 
ſtellen, als ſeien dieſe anderen Fakultäten nun einfach überſtimmt 
worden. Einmal ſtimmten die Artiſten keineswegs immer geſchloſſen, 
mehrfach widerſetzte ſich eine Nation hartnäckig der anderen, noch 
weniger aber bildeten die anderen Fakultäten eine Partei gegen die 
Artiſten. Es fehlte natürlich nicht an Konflikten der Fakultäten, 
aber die Entwicklung von Paris wurde in keiner Weiſe durch den 
Gegenſatz der oberen Fakultäten gegen die Artiſten beherrſcht. Oft⸗ 
mals hielt ſich auch die eine und andere Fakultät von dem Beſchluß 
der Artiſten oder der anderen Fakultäten zurück, und andererjeits 
nahmen die Artiſten auf ſie beſondere Rückſicht. Es erhielt ſich 
durchaus die Ehrfurcht vor der Würde eines Magiſters der Theo⸗ 
logie, und für ihre wichtigſten Kämpfe war es für die Artiſten auch 
von großer Bedeutung, namentlich die Dekretiſten und Theologen zu 
Bundesgenoſſen zu haben. 

Jede Nation hatte beſondere Statuten), beſondere Feſte und 
beſondere Einnahmen, und bezüglich der Wahl des Rektors der 
Examenskommiſſion, der Auswahl der 48 Kandidaten), welche in 
jedem Monat zu dem Magiſterexamen zugelaſſen werden durften, war 
einer jeden Nation ein beſtimmter Anteil und ein beſtimmtes Recht 


Nationen früher zu einer feſten Organiſation unter regelmäßigen Vorſtehern ge⸗ 
langten als die Geſamtkorporation, oder umgekehrt. Dazu fehlt es aber bisher 
an ſicheren Urkunden. 

) Den Geſchäftsgang zeigt die Urkunde Jourdain 580, Bulaeus IV, 
267 f. Dazu Bulaeus IV, 171. 

) Bulaeus III. 577 hebt hervor, daß die Wahl der Vorſteher (procurs- 
tores) der Nationen in verſchiedener Weiſe erfolgte. 

) Jourdain 286, Bulaeus III, 483 f. Die von Bulaeus ib. und 
Jourdain 287 hier angefügten Artikel, welche die Examinatoren beſchwören 
mußten, kennen ſchon die jpätere Beſtimmung, daß nur 16 in einem Monat ge: 
prüft werden durften, fie gehören alſo zu dem Statut der Fakultät von 1397 
(Jourdain 374, Bulaeus IV, 112). Thurot 55, Note 7 urteilt ebenio. 
Aus jener Vorſchrift, welche die Examinatoren beſchwören mußten, verdient eine 
für alle Zeit empfohlen zu werden: Item jurabitis, quod nullum ponetis in 
mann cancellarii, sed expedietis vel impedietis simpliciter vel ad tempus, 
d. h. euer Urteil laute: beſtanden oder nicht beſtanden oder auf gewiſſe Zeit 
zurückgewieſen, aber ihr dürft nicht dem Kanzler die Entſcheidung zuſchieben 


1 Korporationen ergebenden Arbeiten verbrauchten einen erheblichen 


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in der Univerſität vereinigten Kräfte. Jede dieſer Nationen 
(provineiae seu regna), die unter- 
weniger eiferſüchtig darüber wachten, daß ſich kein 
Gebiets einer anderen Provinz anſchließe, wie die 
der Nationen hießen Prokuratoren 
den Magiſtern und aus den Ma⸗ 
hatten in den Verſammlungen der 
Nationen wie in den Verſammlungen der Univerſität nur die Ma⸗ 
giſter, und zwar regelmäßig nur die als Profeſſoren wirklich thätigen 


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Der Rektor. 


In den beiden erſten Jahrzehnten hatte die Univerſität kein Haupt, 
auch keinen geſchäftsführenden Vorſtand, und noch in dem Kampfe 
von 1229 wurden die entſcheidenden Maßregeln einer zu dieſem Zweck 
gewählten Kommiſſion übertragen; ein Rektor der Univerſität wird 
dagegen weder bei dieſen noch bei den früheren Kämpfen erwähnt. 

ulteſte Erwähnung iſt 1237, die nächſte 1244, aber beide Male 


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eiferfüchtig waren fie in allen Stücken. Jourdain 526, p. 117 
bietet ein Aitenftüd aus einem Streit, der 1333 in der Natio Anglicana zwiſchen 
der Provincia anglicana et undecim regna ipsius nationis que vocabatur 

provincia non-anglicana ausgebrochen war. 
J Die nicht leſenden Magifter wurden nur bei beſonderen Fällen zugezogen. 
) Jourdain 40. Bulseus III. 159. Bulle Gregors IX. von 1237 Non 
decei. Die Bulle gewährt der Univerfität das Privileg, daß weder gegen die 
Univerfität noch gegen ihre Geſchäftsträger in Anlaß einer für die Univerſität 
vorgenommenen Handlung eine kirchliche Zenſur verhängt werden dürfe, absque 
mandato sedis apostolicae speciali. Die Formel, welche dieſe Geſchaftsträger 
aufjäblt, lautet: ut nullus in universitatem magistrorum vel scolarium seu 
vel procursiorem eorum aut quemquam alium pro facto vel 
ocessione universitatis . . Daß in dieſer Formel procurator einen Geidäftsträger 
begeidimet, iſt zweifellos, es iſt der außerordentliche, der für irgend cine beftimmte 


ii. 105) ads der ordentliche Vertreter jo erwahnt wird, dat man ficht, daß er micht 
n 1244 entſtand, fonbern früher, jo wird man in dem hier 1287 vor dem außer · 


2 


270 Entftehung des Rektorats. 


wird nicht die Entſtehung des Amtes gemeldet, ſondern ſein Daſein 
vorausgeſetzt. 1249 wird ſein Amt als officium rectoriae universi- 


ordentlichen Vertreter, dem procurator, exwähnten rector den ordentlichen Ber 
treter erkennen. Der Genitiv eorum gehört zu beiden Begriffen. Denifle 112 
will dagegen wohl procurator als den Geſchäftsträger anerkennen, aber rector mit 
Profeſſor überſetzen. Daß rector für doctor oder magister ſtehen kann, iſt bekannt, 
aber die andere Deutung iſt die näherliegende. Um ſeine Deutung hiergegen zu 
ſichern, legt deshalb Denifle den Text der in den päpſtlichen Regeſten erhaltenen 
Kopie zu Grunde, welcher rectorum lieſt, und ereifert ſich dabei über Buläus, 
der einen verderbten Text biete. Buläus hat auch, wie Jourda in p. 8, 2, Note 2 
zeigt, das Wort procuratorem in procuratores geändert, weil er annahm, daß 
neben dem Rektor die Prokuratoren der Nationen genannt werden müßten, aber 
ſeine Lesart rectorem iſt die Lesart des Originals, das konnte Denifle ſchon 
daraus ſehen, daß Jourdain die Form rectorem wiederholte, während er proeurs⸗ 
tores änderte. Die Lesart rectorum iſt ferner ſinnwidrig, denn der Genitiv könnte 
nur von universitatem abhängen und als Synonym zu magistrorum ſtehen, 
aber dann würde er nicht durch scolarium von magistrorum getrennt werden 
dürfen. Selbſt wenn wir keinen anderen Text hätten als den vatilaniſchen mit 
rectorum, jo müßten wir vermuten, daß hier ein Fehler vorliege; aber Denifle 
unterdrückt dieſe Schwierigkeit, verſichert, dies „rectorum“ ſei der echte Text, und 
erwähnt nicht einmal, daß Jourdain ebenſo wie Buläus rectorem lieſt. Da 
Denifle ſelbſt lange in Paris gearbeitet und ſogar Documents relatifs & l 
fondation et aux premiers temps de Puniversité de Paris herausgegeben hat, 
fo war es ihm ein Leichtes, ſich zu überzeugen, ob Jourdain richtig geleſen habe; 
aber er hat vorgezogen, es nicht zu thun. Auf meine Anfrage hat Gabriel 
Monod die Handſchrift verglichen und beftätigt, daß fie rectorem hat, und fo ift 
denn kein Grund vorhanden, den Satz anders zu überjegen als fo: daß niemand 
wage, über die Korporation der Magiſter und Scholaren oder über ihren Rektor 
oder ihren Prokurator oder über irgend jemand ſonſt aus Anlaß einer von ihm 
für die Korporation vorgenommenen Handlung eine kirchliche Zenſur zu verhängen. 
Im Jahre 1246 wiederholte Papſt Innocenz IV. dieſes Privileg, aber mit einer 
Aenderung der bezüglichen Formel. Sie lautet: ut nullus in universitatem 
vestram magistrorum aut scholarium aut procuratorem eorum vel rectorem 
cujuscunque facultatis aut quemeunque alium ... Hier kann man zweifeln, 
wie rectorem zu deuten fei, Denifle Überſetzt „den magister regens in irgend 


einer Fakultät“. Das ift möglich, aber ein ungewöhnlicher Ausdruck wäre d 


jedenfalls, und wenigſtens ebenſo nahe läge es, rectorem cujuscanque facultatis 
„den Vorſteher irgend einer Fakultät“ zu Überſetzen. Die Vorſteher der oberen 
Fakultäten wurden in Paris allerdings Dekane genannt, und nur der Vorſteher 
der Artiſten hieß rector; da dieſer aber am häufigſten Geſchäfte der Korporation 
zu erledigen hatte und alſo für dieſe Frage zunächſt in Betracht kam, ſo konnte 
der Papft, wenn er nur eine generelle Bezeichnung dieſer Vorſtände geben wollte, 
a potiori den Titel des Vorſtandes der Artiften dazu nehmen. Das war um jo 


Der Rektor der Artiſten wurde Rektor der Univerfität. 271 
— 


bezeichnet), aber er war zugleich Vorſtand der Artiſtenfakultät. 
anderen Fakultäten hatten, obwohl die Zahl ihrer Magiſter nur 
war, beſondere Vorſtande, die Dekane; die weitaus zahlreichſte 
der Artiſten hatte keinen beſonderen Vorſtand, ſondern der 
der Univerſität war zugleich der Vorſtand dieſer Fakultät. 
Thatſache ſpricht dafür, daß die Stellung an der Spitze 
der Urſprung des Amtes war. Der Rektor der Artiſten 
7 nicht umgekehrt. Dieſe Ent⸗ 
ſo auffallende Erſcheinung, daß die 
Fakultäten trotz ihres großen Anſehens und 
des Rektors der Univerſität kein Wahlrecht 
daß der Rektor lange Zeit den Dekanen der 
an Rang nachſtand ). Er galt eben noch lange 
als der Artiſten, obſchon er die Geſchäfte der Ge⸗ 
ſamttorporation beſorgte“ ). Aber nachdem er jo längere Zeit that: 


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möglich, wenn, wie zu vermuten iſt, die oberen Fakultäten damals noch 
feine Beamten mit ſeſtem Titel hatten. Dieſe Deutung des rectorem cujus- 
| eunque facultatis wird nun zweifellos durch die Bulle von 1252, in welcher 
4 Innocem IV. der Univerſität fein Privileg von 1246 wiederholte, denn hier 
z findet ſich jene Formel in folgender Faſſung: ut nullus in universitatem vestram 
g magistrorum et scolarium aut rectorem vel procuratores vestros cujus- 
eunque aut quaruncunque facultatum, und abgekürzt in der Mitteilung an ben 
zum Ronſervatot des Privilege beſtellten Biſchof von Senlis: quatenus prefatos 
magistros et gcolares eorumque rectorem vel procuratores non permittas mo- 
lestari. Diele von Bulseus III. 242 mitgeteilten und von Denifle 114 als korrekt 
beftätigten Faſfungen erläutern die Formel von 1246 und beftätigen, daß Innocenz 
die Borficher und Bevollmächtigten der Fakultäten ſicherſtellen wollte, daß alſo 
auch in der Bulle von 1246 dieſe Vorſteher und Bevollmächtigten zu ſuchen und 
ue facultatis zu finden find. Sie machen es ferner 
auch jo gut wie gewiß, daß die oberen Fakultäten noch feine regelmäßigen Bor: 
hatten, ſondern ihre Geſchäfte durch beſondere 
Geihäftäträger, procuratores, erledigen ließen. 1267 werden Dekane genannt. 
J Jourdain 88. Bulaeus III. 222. 
ein Fakultätsbeſchluß der Artiften von 1272 (Jourdain 228, Bulaeus 
III. 399) nennt ;. B. den Rektor geradezu rector nostrae facultatis, und noch 
141% beit es rector est specialiter caput facultatis artium. Bwlaeus IV, 272. 
Ss fieht in der Urkunde Jourdain 216 von 1207, in welcher die 


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My e aber bam, daß der Borfland der unteren Fakuttat bie Leitung 
her Univerfität gewann, nicht einer der oberen, das läßt ſich etwa ſo erklären: 


272 Gang dieſer Entwicklung. 


ſächlich geſchäftsführender Vorſtand der Univerſität geweſen war, 
wurde er auch allmählich rechtlich als das Haupt der Univerſität an⸗ 
geſehen. Das geſchah um 1240, aber noch bis in die zweite Hälfte 


Unter der damals auf acht bis zwölf beſchränkten Zahl der Magiſter der Theologie 
waren regelmäßig mehrere Mitglieder des Kapitels, und da die Univerſität ihre 
Verfaſſung im Kampfe mit dem Kapitel und feinem Kanzler ausbildete, jo war 
ſchon deshalb die Fakultät der Theologen wenig geeignet, der Univerſität den 
Rektor zu ſtellen. Zwiſchen 1230 und 1250, alſo in der Entwicklungsperiode des 
Nektorats, gewannen ferner verſchiedene Orden theologiſche Profeſſuren, und da 
dieſe nie aufhörten, Glieder ihrer Orden, alſo anderer Korporationen zu ſein, jo 
gelangte die theologiſche Fakultät auch nicht zu der nötigen Einheit. Mit den 
Dekretiſten ſtand es ähnlich, und die Mediziner kamen nicht in Frage, da ſie da⸗ 
mals wenigſtens in Paris keine Bedeutung hatten. Der Kanzler erwähnte ſie gar 
nicht, als er ſeine Anſprüche auf die Lizenz geltend machte. Jourdain 25. 
So blieb nur der Vorſtand der Artiſten übrig; und zu dieſem inneren Grunde 
kam noch der äußere hinzu, daß die Artiſten allem Anſchein nach zuerſt zu einer 
förmlichen Organiſation gelangt find. Schon das Statut von 1213 nötigte dazu, 
welches forderte, daß ſie alljährlich eine Prüfungskommiſſion wählten, während die 
kleine Zahl der Magiſter in den oberen Fakultäten die Geſchäfte leichter noch eine 
Zeitlang ohne rechtlich geſicherte Form und ohne einen regelmäßigen une 
erledigen konnte. In dem Kampfe mit dem Kanzler 1219 zeigten ſich denn 

die Artiſten als der am meiſten gefeftigte Beſtandteil der Univerfität; fie en 
dem nach Rom geſandten Vertreter der Univerſität die Sicherheit, daß feine Ab- 
machungen von der Univerſität anerkannt würden, und ſie waren es, welche das 
Geld zuſammenbrachten, damit er überhaupt abreiſen konnte. Bulaeus III. 94. 
Bulle Honorius“ III: Porro cum ad prosecutionem appellationis praedictae 
foret nuneius ad sedem Apostolicam destinandus et sine collecta universitas 
non haberet expensas, magistri liberalium artium fide interposita se ac 
suos discipulos adstrinxerunt ad servandum, quod super hoc a suis pro- 
euratoribus contingeret ordinari. Cumque dieti procuratores injunxissent 
eisdem, ut ad impensas nuncii destinandi contingentem tribuerent portionem, 
et ipsis quod injuncetum fuerat adimplentibus nuncius ipse iter ad nos 
veniendi jam dudum esset aggressus. ... Sie ſicherten ſich ferner die nötige 
Einheit, indem fie keinen Ordensmann in die Fakultät aufnahmen. Beim Empfang 
der Magiſterwürde mußte der Bewerber ſich eidlich verpflichten, niemals Mitglieder 
irgend eines Ordens für die Determination oder die Lizenz zu prüfen, noch auch 
jemals ihrer etwa verſuchten Determination oder Antrittsſeierlichkeit beizuwohnen. 
und im Fall eines (Univerfitäts:) Streites zwiſchen Weltgeiſtlichen und Ordensleuten 
ſtets auf ſeiten der Weltgeiſtlichen zu ſtehen. Bulaeus IV, 274: Item stabitis 
cum magistris secularibus et defendetis statam et statuta et privilegia 
eorum toto tempore vitae vestrae, ad quemeunque statum deveneritis. 
Item nullum religiosum, eujuscunque faerit professionis, recipietis in aliqua 
examinatione videlicet determinandorum et licentiandorum, nee intereritis 
suo principio nee suse determinationi. 


Netter und Kanzler 273 


feine Befugniffe weniger die der Leitung als der Aus⸗ 
ſonſt hätte er nicht trotz jenes Titels bei Nangfragen ſtatt 
Vorſtand der Univerſität, als Vorſtand der unteren Fakultät be⸗ 
und den Dekanen der oberen Fakultäten nachgeſtellt werden 
: aber je länger die Univerſitat beſtand, deſto bedeutender wurde 
abe des Rektors, und deſto mehr trat die Vorſtellung zurück, 
zunächſt nur Vorſtand der Artiſten war. Infolge davon wurde 
alte Rangordnung unhaltbar, und es entſtanden Streitig⸗ 
die Form, in welcher der Rektor die Dekane der Dekre⸗ 
Mediziner zu den Verſammlungen der Univerſität!) ein⸗ 
Die eigentliche Entſcheidung über die Stellung des 
jedoch ſchon früher herbeigeführt, und zwar durch 
mit dem Kanzler. Der Rektor hatte den Kanzler, der 
Magiſter der Univerſität wirkte, wie alle anderen Magiſter 
Generalverſammlungen der Univerſität berufen und nahm 
in Anſpruch, ihn wie die anderen Magiſter zu ſtrafen, 
Anordnungen nicht Folge leiſtete. Dem widerſetzte ſich 
„rief die Entſcheidung des Papſtes an und erklärte in 
ngsſchrift, er ſei das Haupt der Univerſität und unter⸗ 
Rektor. Die Univerſität aber führte in ihrer Ent: 
„ ihr Haupt ſei der Rektor, und deshalb könne der 
auch noch ihr Haupt ſein, ſonſt würde ja die Univerfität 
zweilöpfiges Ungeheuer ſein. Mit ihrem Rektor ſtehe die Univerfität 
unter dem Papite, es dürfe ſich keine Inſtanz dazwiſchenſchieben. 
dem Rektor haben wir kein anderes Haupt, als den Papſt ).“ 
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Delane behaupteten, der Rektor müſſe ſelbſt kommen oder einen ftell: 
; ber Nektor nahm dagegen das Recht in Anſpruch, 
Es ſei fein guter Wille, wenn er per: 
der paͤpſtliche Legat zu ſchlichten ſuchte 
der Vorrang des Rektors anerkannt wurde, 
mußte noch der gleiche Kampf mit den Theologen ausgefochten werden. 


Biderfiand war hartnäckiger, und erft 1341 tam es zu einer Regelung. 
Jourdain 580. Bulseus IV, 267 f. Der Dekan der Dekretiſten verweigerte 


1083 wieder den Gehorfam, wurde aber raſch gedemütigt. Bulacus IV, 387. 
. J Jourdsain 274, p. 42—51. Der Streit fiel in das Jahr 1283. Die 
= entideibende Stelle lautet p. 49: Quum dicat idem cancellarius ... quod 
E — tanquam cancellarius est capud universitatis, una negatione illud 
epd destruendo dieimus, quod ipse non est capud universitatis: quoniam 
ER jeut manifestum est omnibus, qui statum universitatis noverunt, universitas 
Br. ten. eee der eee Uninerfitäten. 1 18 


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274 Ausbildung der Derfaffung. 


In dieſen Kämpfen wurde ſich die Univerſität ihrer Organiſation und 
der Stellung des Rektors in derſelben beſtimmter bewußt. Man ge⸗ 
langte dazu, das Hergebrachte grundſätzlich aufzufaſſen und, was damit 
verbunden iſt, dem als entſcheidend betrachteten Merkmal fortan er⸗ 
höhte Bedeutung und geſtaltenden Einfluß zu gewähren, dagegen aber 
das zu beſeitigen, was von der früheren Entwicklung her dem Amte 
noch anhaftete und mit dieſem ſchärfer gefaßten Begriff in Wider⸗ 
ſpruch ſtand. Nach dieſem letzten Kampfe mit dem Kanzler überwog 
in der Stellung des Rektors die Beziehung zur Univerſität, die Be⸗ 


habet aliud capud a cancellario Parisiensis ecclesiae; et ideo, si cancellarius 
predictus vellet se sicut capud corpori universitatis, quod nobile est, cum 
vero universitatis capite alligare, deturparetur corpus universitatis, nam 
per hoc universitas in formam monstri bieipitis redigeretar.... Item si 
cancellarius vellet esse cum vero universitatis capite adhuc capud, jam 
vellet per hoc, ut videtur, universitatem regi per duo capita.... Item 
universitas sicut ipsa tota confitetur, nullo medio pertinet ad romanam 
ecclesiam; pro quanto... Parisiensis universitas non credit nee conlfitetur 
secundum suum rectorem habere capud aliud a vestra sanctitate; ad 
quod sequitur quod cancellarius in dicendo se universitatis capud esse, 
locutus est contra vestram sanctitatem. Die Univerſität ſagt 
dem Rektor habe fie kein anderes Oberhaupt als den Papſt. Der 
ſich nicht als eine Inſtanz zwiſchen den Rektor und den Papſt ſch 
Papſt nicht als der Vorſtand im geſchäftlichen Sinn bezeichnet wird, 
als die oberſte Inſtanz, wie er ſie damals in allen Angelegenheiten 
und Korporationen bildete, iſt an ſich klar. Der Kanzler hatte nicht 
ſondern dem Rektor Stellung und Befugniffe beſtritten. Die Denkſchrift ſpielt 
mit dem Begriff capud, um dem Kanzler vorwerfen zu können, er ſtreite 
die Rechte des Papſtes. Den Papſt bezeichnet die Univerſität als ihren Vorſtand 


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Anzeigen 1886 Nro. 3, S. 108, und in der Zeitſchrift der Savignyſtiſtung für Rechts 
geſchichte VII, Germ. Abt. S. 124 f., in dem Aufſatz Savigny und fein Kritiker“, 
aber Denifle beharrt (Archiv II, 347) auf der Deutung, daß hier die Univerfität den 
Rektor nicht als ihren Vorſtand bezeichne, ſondern nur den Papſt. Die unzweidentigen 
Worte secundum suum rectorem ignoriert ex. Ein Nachklang dieſer Kämpfe war es, 
daß der König 1865 befahl, die bisher nur von dem Rektor ausgeſtellten Wein: 
zettel der Scholaren (damit fie ihren Wein zollfrei einführen konnten) ſollten auch 
noch von dem Kanzler unterzeichnet werden, um Mißbräuche zu erſchweren. Die 
anderen Fakultäten wollten fi fügen, die Artiften aber ſetzten es durch, daß ſich 
alle vier Fakultäten an den König wandten, und fo erreichten fie, daß es bei ber 
alten Ordnung blieb. Bulaeus IV, 385 teilt den Abſchnitt des Liber Rec- 
toris mit. 


Anfänge der Bettelorden. 275 


zu der Artiftenjafultät. Die Entwicklung, welche den Vor⸗ 
3 der Artiſten zum Vorſtand der Univerfität machte, war damit 
Ei und damit zugleich die Verſaſſung der Univerſität ſelbſt. 


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Kampf der Univerſität mit den Bettelorden. 


Mitten in dieſer Entwicklung wurde die Univerſität in einen 
mit den Bettelorden verwickelt, der ihre Exiſtenz noch 
in Frage ftellte, und der die eigentümlichen Verhaltniſſe, 
ſie ſich herausgebildet hat, ſcharf beleuchtet. 
durch den Sieg der gregorianiſchen Ideen 
nur Freiheit vom Staat errungen hatte, ſondern in 
Beziehungen die Herrſchaft über die ſtaatlichen Gewalten, 
ſich die Korruption des Prieſterſtandes ſo, daß ſich alle 
mit Klagen und Anklagen erfüllte‘). Gleichzeitig erhob die 
ihr Haupt, kaum war die eine beſiegt, ſo erſtand eine 

und große Kreiſe erfüllten ſich damit. Zum Kampf gegen 
von der Sonne der Macht gezeitigte innere Fäulnis der 
„zum Erſatz für den durch Liederlichkeit, Faulheit und Nepo⸗ 
zur Erfüllung ſeiner Aufgabe unfähig gewordenen ordent⸗ 
Prieſterſtand vereinigten ſich Anfang des 13. Jahrhunderts 
und hingebende Männer in den Bettelorden. Ihr Auftreten 
ſchärfſte Kritik des Klerus durch ſeine beiten Glieder und die 
der Orden durch die Päpſte, die Verleihung des Rechts, 

an Stelle der ordentlichen Geiſtlichen zu predigen und Seelſorge zu 
üben, ift eine Beſtätigung dieſes Urteils durch Rom. Die Stifter der 
Dominikaner und Franziskaner waren verſchiedenartige Naturen, und die 
Drden wurden im Laufe der Zeit mehrfach zu Gegnern“), aber fie waren 
das Produkt der gleichen Strömung und ſtellten ſich die gleiche Auf: 


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„ Aus dem 12. Jahrhundert vergleiche des heil. Bernhard libri de con- 
siderstione, namentlich was er über die päpſtlichen Legaten jagt, Migne 182, 
785; für das 13. Jahrhundert den liber apologeticus des heil. Bonaventura, 
opera (Lagdini 1668), Tom. VII, 346: tam enormia et aperta . . eleri- 
dcdorum scelera . . . p. 37: Quomodo vero tota ecclesia per mala exempla 
dlerieorum et avaritiam corrumpatur et negligentiam deformetur et a statu 
- _debito elongetur . . vix aliquis suffieit aestimare. 

9 Das erregte bereits im 13. Jahrhundert den Spott der Menfden. Bol. 
die von Bulaeus III. 466 aus Godefridus de Fontanis abgebrudte Stelle. 


276 Weſen der Bettelorden. 


== ——————-— | 


gabe. Gemeinſam war ihnen auch ein demokratiſcher Zug im Gegen: 
ſatz zu den reich gewordenen alten Orden, welche gern Prinzen und 
Herren zu Aebten erwählten, und gemeinſam war ihnen die Pflege 
der Wiſſenſchaft. Gern ſpielten die Freunde der Dominikaner mit 
dieſem Namen, domini canes wollten fie ſein, treue Wächter im 
Dienſte des Herrn, und Wächter mit ſcharfem Gebiß, aber ihr eigent⸗ 
licher Name war der Orden der Prediger, denn vor allem durch die 
Predigt wollten ſie wirken und daneben durch die Wiſſenſchaft. Viele 
Klöſter ſind Stätten der Wiſſenſchaft geweſen, aber die Dominikaner 
und ähnlich die Franziskaner ſtellten die Pflege der Wiſſenſchaft und 
die Predigt in den Mittelpunkt ihrer Pflichten. Sie waren der 
Orden des Jahrhunderts der Univerſitäten, der zeitgemäße Orden 
in dieſer von wiſſenſchaftlichem Eifer erfüllten Welt. Per praedica- 
tionem et doctrinam von der Kanzel und von dem Katheder wollten 
ſie die Welt erſchüttern und belehren. 

Die Dominikaner waren nicht gewöhnliche Mönche, ſondern eine 
Kongregation von Prieſtern, ein Zweig der regulierten Chorherren, 
wie die Kanoniker von S. Viktor in Paris. Die Viktoriner waren 
auch in der Pflege der Wiſſenſchaft ihre Vorläufer, aber an Umfang 
und Energie übertraf der Predigerorden dieſe und ähnliche Verſuche 
weit. Dieſe Energie offenbarte ſich ſchon in dem Bruch mit der 
Tradition, welche den Mönch an den Ort feſſelte, mit dem alten 
Grundſatz der stabilitas loci. Sie gehörten nicht einem Kloſter, 
ſondern dem Orden, ſtanden zur Dispoſition des Generals, nicht des 
Kloſterpriors, wenigſtens nicht länger, als der General geſtattete. In 
dieſer einheitlichen Organiſation und in der Entſchiedenheit, mit der 
ſie dieſe Organiſation für die Wiſſenſchaft verwerteten, liegt zum 
guten Teile das Geheimnis ihrer an das Wunderbare grenzenden 
Erfolge. Das Jahrhundert konnte nicht leben ohne Wiſſenſchaft, 
aber die Liederlichkeit der Scholaren und die Ketzereien der Magiſter 
hatten ſchon manchem tiefer ſchauenden und ernſter erwägenden Manne 
Seufzer abgepreßt. Da unternahm es dieſer Orden, die Gelehrten 
wieder zu Mönchen und die Wiſſenſchaft wieder zu der „Magd der 
Theologie“ zu machen !). Jedes Klofter mußte für eine Anzahl Hand⸗ 


— —— — 


) Ueber die Anfänge der Dominikaner ſ. Danzas, Etudes sur les temps 
primitives de l’ordre de 8. Dom. Bernard, Les Dominicains dans Puniversité 
de Paris. Douais, Organisation des études chez les fröres Pröcheurs 1884. 


Die Bettelorden und die Wiſſenſchaft. 277 


% — jur Leitung der Studien. Handarbeit war verboten; bie geit, 
2 Ga nicht dem Gebete und der Predigt geweiht werde, follte dem 
3 Studium geweiht fein, und die Regel ermahnte, die Horen nicht 
unnötig zu verlängern, damit dem Studium keine Zeit verloren gehe !). 
Gegenſtand dieſes Studiums war die Theologie, und daran hatten 
alle teilzunehmen, nicht etwa bloß die Studierenden. Aber dieſe 
Maßregeln hätten ſchwerlich einen dauernden Einfluß geübt; nicht 
ſowohl in ihnen iſt die Bedeutung des Ordens für die Wiſſenſchaft 
und die Univerſitäten zu ſuchen, ſondern einmal darin, daß es ihm 
gelang, an dem großen Mittelpunkte des Studiums Fuß zu faſſen, 
und ſodann in der Ausbildung eines Syſtems von Schulen und 
* Univerſitäten innerhalb des Ordens. 
Die Franziskaner errangen die größte Bedeutung in Oxford, die 
er Deminiloner in Paris. 
Die Miffionare des Ordens waren in Paris freundlich aufge 
7 nommen worden. Die Univerſität ſchenkte?) ihnen die erſte Heim⸗ 
| ſtätte zu ©. e nach der ſie dann Jakobiten oder Jakobiner genannt 
wurden, und als ſich im Mai 1228 das Generalkapitel in Paris 
verſammelte, da konnten die Jakobiten die Verſammlung ſchon in 
einem ſtattlichen Neubau empfangen. Nur zehn Jahre waren ver: 
ſeit der heilige Dominikus hier in einer kleinen Kapelle von 


Macht. Zu den acht alten Provinzen wurden vier neue, Polen, 
Dacien, Griechenland und das heilige Land, hinzugefügt; aus Kiew 
aus Bologna, Rom, Oxford u. ſ. w. wurde Bericht 
eiſter die Berichte, ſtrafte, ermahnte, ordnete. 


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ee ee — Durch ihn 
der wiſſenſchaftliche Zug verſtärkt, und fein Verſuch, an den 
den Orden zu werben, hatte glänzenden Erfolg. In Padua, in 
ihm junge und alte Gelehrte zu, und wo 
der Gegenſtand der Bewunderung. 


devotlonem amittant et eoram studium minime impediatur. 
Schreiben Honorius III. von 1219 bei Bernard p. 45. Dazu Jour- 


278 Die Macht des Ordens, 


Es war hier eine Fülle von großen Talenten, von Glaube und Hin- 
gebung vereinigt; in der Vereinigung ſteigerte ſich der Eifer zum 
Enthuſiasmus und die großen Redner des Ordens gaben den Ge⸗ 
fühlen gewaltigen, alles andere beherrſchenden Ausdruck. Zu den 
ſchwerſten Aufgaben und gefährlichſten Miſſionen drängten ſich die 
Brüder mit ſolchem Eifer, daß die Oberen abmahnen mußten. Vor 
der Entfaltung dieſer neuen kirchlichen Macht trat der Biſchof von 
Paris zurück, drohte auch die Univerſität zurückzutreten. Die Zeit 
war vorbei, wo die beſtehenden Mächte den werdenden Orden freund⸗ 
lich beſchützen konnten, ſie gerieten notwendig in Konflikt mit ihm. 

Mit dem Kapitel der Pariſer Kirche war er ſchon früher aus⸗ 
gebrochen, weil der Gottesdienſt, den die Jakobiten in ihrer Kapelle 
hielten, die Einnahmen der Pfarrei des Bezirkes ſchädigte ); mit der 
Univerſität erhielt ſich noch drei Jahrzehnte hindurch ein friedliches 
Verhältnis. Bis 1230 beſtand überhaupt keine rechtliche Verbindung 
zwiſchen der Ordensſchule und der Univerſität, an den Kämpfen um 
das Siegel, und an dem Konflikt von 1229 haben die Ordensleute 
nicht teilgenommen. Als nun die Maſſe der Profeſſoren in dieſem 
Kampfe Paris verlaſſen hatte, da wurde ein Dominikaner von dem 
Kanzler als Magiſter der theologiſchen Fakultät der Univerſität Paris 
anerkannt. Die Magiſter hatten bei dieſer Aufnahme nicht mitge⸗ 
wirkt, ſie war alſo nicht legal, aber ſie wurde nicht angefochten, als 
die Univerſität 1231 ihre Ordnung wieder aufrichtete, und in den 
folgenden Jahren gelang es noch einem zweiten Dominikanermagiſter 
thatſächlich als Mitglied der theologiſchen Fakultät anerkannt zu 


) Der Vorgang iſt typiſch für die Kämpfe, die der Orden überhaupt mit 
dem Ortsklerus hatte, darum iſt er hier zu erwähnen. Als ſich die Kirche S. Benoit, 
in deren Parochie das Kloſter S. Jakob lag, durch den Kirchendienſt des Kloſters 
geſchädigt ſah, vertrat das Kapitel von Notre:Dame ihre Intereſſen mit Nachdruck, 
obſchon der Papſt mehrere Schreiben zu Gunſten der Dominikaner erließ. Der 
Streit wurde denn auch erſt (1220) durch einen Vertrag beendet, in welchem ſich 
die Jakobiten verpflichteten, an den fünf Feſttagen, Oſtern, Pfingſten, S. Benoit, 
La Touffaint und Weihnachten, an denen die Pfarrkinder vorzugsweiſe ihre Opfer 
darzubringen pflegten, die Pfarrgemeinde nicht in der Kloſterkirche zuzulaſſen und 
etwaige Opfer der doch Kommenden an die Pfarrei zurückzugeben, ferner von 
den Pfarrkindern, die bei den Mönchen Begräbnis ſuchen würden, eine entſprechende 
Abgabe zu leiſten, und endlich in Erwägung, daß der Pfarre trot alledem durch 
das Vorhandenſein der Kloſterkirche viele Opfer verloren gehen würden, jährlich 
eine beſtimmte Summe als Entſchädigung zu zahlen. Bernard p. 52 f. 


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Die theologiſche Fakultät und die Orden. 279 


). Als nun aber auch andere Orden theologiſche Schulen 
und den Anſpruch erhoben, daß dieſe der theologiſchen 
5 zugehoren ſollten, da ſah ſich dieſe Fakultat in Gefahr, von 
eſchulen erſtickt zu werden, und faßte den Beſchluß, daß 
mann in ihre Genoſſenſchaft zugelaſſen werden ſolle, außer 
Orden in Paris ein Kloſter habe, daß aber keiner dieſer 
anſaſſigen Orden mehr als einen theologiſchen Lehrſtuhl 
re. Ferner, daß kein Scholar die Lizenz in der Theo⸗ 
icht den Vorſchriften gemäß eine Zeitlang 

lar in der Schule und unter der Aufficht eines anerkannten 

der Pariſer Fakultät Vorleſungen gehalten hätte ). Die 
Bettelmönde wollten den Beſchluß nicht anerkennen, und in dem: 
ſelben Jahre brach ein noch ſchärferer Konflikt aus. Wieder einmal 
waren einige Scholaren von den Bürgern erſchlagen, und da die 
weltliche Gewalt der Univerſität zunächſt keine Sühne verſchaffte, ſo 
beſchloſſen die Magiſter, die Vorleſungen einzuſtellen. Alle gehorchten, 
nur die beiden Dominikaner und der Franziskaner weigerten ſich. 
Infolgedeſſen hatte der Beſchluß nicht die ſchnelle Wirkung, der 
Zwieſpalt in der Univerſität machte ihre Gegner hartnäckiger, und 


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) So ſagt die Univerfität in ihrer Darftellung bei Gelegenheit des Kampfes 
gegen die Dominikaner, Bulaeus III. 255: translata majori parte studii 
Parisiensis Audegavis, in illa paucitate scholarium, quae remansit Parisius, 
desiderio suo potiti, convenientibus episcopo et cancellario Paris., qui tune 
erst, in absentis magistrorum solemne magisterium et unam magistralem 
eathedram sunt adepti. Deinde studio nostro apostolica provisione Parisius 
reformato per eandem cathedram multiplicatis sibi doctoribus successive 
praster voluntatem cancellarii, qui tune erat, majoribus nostris qui nondum 
allis regularium scholasticorum conventibus arctabantur, dissimulantibus, 
per se ipsos secundam cathedram erexerunt et eas ambas titulis talibus 
soquisiias aliquandin tenuerunt. Nach der Darſtellung eines Ordensbrudert 
Ki D’Achery, Spicilegium III. 188 hätten dagegen die Dominikaner die zweite 
Profeffur dadurch gewonnen, daß Magiſter Joannes de 8. Aegidio in den Orden 
eintrat und feine Thätigkeit als mugister actu regens fortſetzte. Die Ancrtennung 
«is folder konnte auf mannigfaltige Weiſe geſchehen. Der Kanzler konnte 3. B. 
den betreſſenden Magifter bei Prüfungen fragen, oder die hier gehaltenen Bor: 
Ifungen und Diäputationen einem Scholaren bei der Erteilung der Lienz als 
Borlefungen und Diäputationen der Univerfität antechnen, ohne daß die Nagiſter 
der offenbar noch ſehhr loſe gefügten Fakultat Beranlaſſung nahmen, dagegen zu 
proteſtieten. 


*) Jourdain 89. 1252. 


Der Beginn des Kampfes. 


wenn die Univerſität endlich auch die geforderte Sühne erhielt, jo 
wollte ſie ſich doch gegen die Wiederkehr ſolchen Ungehorſams ſichern 
und beſtimmte, daß niemand unter die Magiſter aufgenommen werden 
dürfe, der nicht vorher ſchwöre, den Statuten der Korporation Folge 
zu leiſten, und daß jeder aus der Korporation auszuſchließen ſei, der 
in Paris leſe oder zu leſen beginne, wenn die Korporation den Still⸗ 
ſtand des Studiums beſchloſſen habe!). Die Magiſter der Bettel⸗ 
orden hatten an dem Beſchluß nicht teilgenommen und da er ihnen 
amtlich zugeſtellt wurde, ſo weigerten die Dominikaner die Annahme, 
wenn ihnen nicht die Univerſität in förmlicher Urkunde das Recht 
verbriefe, aus ihrem Orden zwei von den theologiſchen Lehrſtühlen 
zu beſetzen. Nun galt in Paris damals die Regel, daß nicht mehr 
als zwölf Magiſter über Theologie leſen ſollten, und daß drei von 
dieſen Stellen mit Kanonikern des Pariſer Kapitels beſetzt würden. 
Da nun die ſechs in Paris anſäſſigen Orden je einen Lehrſtuhl beſetzen 
durften, ſo ſtanden den Weltgeiſtlichen überhaupt nur drei Lehrſtühle 
offen, und die Forderung der Dominikaner bedrohte auch dieſe. Gegen⸗ 
über der Macht des Ordens ſuchte die Univerſität Hilfe bei dem 
Weltklerus, indem ſie an die Prälaten, die Kapitel und die Gelehrten 
der ganzen Chriſtenheit eine Denkſchrift richtete), um ihre Beſchlüſſe 
zu rechtfertigen. Wenn die Forderung der Dominikaner erfüllt würde, 
ſo könnten die fünf anderen Orden die gleiche Forderung erheben, 
und mit den drei Profeſſuren des Kapitels würden dann 15 „une 
ſterbliche Profeſſuren“ der Theologie in Paris ſein, und Gelehrte, 
die den Orden nicht angehörten, würden damit von jeder Hoffnung 
auf dieſe Lehrſtühle ausgeſchloſſen ſein. Würde dies zum Geſetz, ſo 
bliebe ihnen nichts übrig, als Paris zu verlaſſen und an anderen 
Orten eine Univerſität zu gründen, oder die Theologie den Orden 
allein zu überlaſſen. 

Die Dominikaner wandten ſich dagegen nach Rom und gewannen 
zunächſt eine günſtige Entſcheidung“), aber als nun die Univerfität, 
die erſt Mühe hatte, das nötige Geld zuſammenzubringen, ihre Hand⸗ 
lungen in Rom verteidigte, erreichte fie nicht nur eine neue Beſtäti⸗ 


) Jourdain 108. Abgedruckt bei Bulaeus III, 252. 1258. 

) Jourdain 107. Bulaeus III. 255. 

) Jourdain 104. 1259 Juli u. 105. 1259 Auguſt. In Paris widerſetzten 
fie ſich unterdeſſen den Pedellen und ſelbſt dem Rektor in ärgerlichen Scenen. 


Der Intredukterins. 281 


* 


gung ihrer Statuten’), ſondern der Papſt erließ auch die Bulle 
 Eisi animarum affectantes J, welche den Orden Vorhaltungen machte 
uber den Mißbrauch, den fie mit ihrem Predigtprivileg getrieben 
batten, und ihnen Schranken zog. 
= Gleichzeitig traf die Orden ein anderer, nicht weniger harter 
Schlag. Im Jahre 1254 erregte der Franziskaner Gerhard großes 
| Aergernis durch eine myſtiſche Schrift mit dem Titel Introductorius 
in evangelium aeternum. Der Begriff des ewigen Evangelium war 
den 1 Joachim von Paris, der 1202 ſtarb, be 
Muyſtik ſich zwar innerhalb der Kirchenlehre 
ber dieſe Grenze im Grunde doch durchbrach. 


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55 
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1 


werde, ein neues Zeitalter werde anbrechen 
werde ſich bilden, um eine Kirche des Geiſtes 
welcher auch der Gegenſatz der griechiſchen und la⸗ 
Kirche aufgehoben ſei. Dieſe Gedanken hatten ſeither manch 
Geiſt zu verwegeneren Betrachtungen veranlaßt und ſo auch 

Er bezeichnete drei von Joachims Schriften mit Ver⸗ 
Begriffs geradezu als das evangelium aeternum, und 
uctorius hatte den Zweck: die Welt zu überzeugen, daß 
Evangeliums des Geiſtes gekommen ſei, daß jene drei 
des Abtes Joachim die kanoniſchen Schriften dieſer neuen 
und daß der heilige Franziskus der Gründer des von Joachim 
verheißenen Ordens ſei ). Wie das Buch in Paris (1254) auf dem 
Kirchplatz zum Verkauf ausgeboten wurde ), ſchritten Univerſität und 


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2 verfahren gegen die Joachimiten unter feinen Genoſſen, obſchon der 
2 hochverehrte General des Ordens, Johann von Parma, ſelbſt zu dieſer 
| muyſtiſchen Richtung zählte. Mochte jedoch der Orden alles thun, um 


J Jourdsin 110. 1254 Juli. 

*) Jourdain 112. 1254 November. Bulaeus III. 270. 

J Giefeler, Kirchengeſchichte, Bd. II, $ 70. Engelhardt, Kirchengeſch. 
Net. 182. Reuter, Geſch. der relig. Aufklärung im Mittelalter. Dollinger 
in Naumert Taſchenbuch 1871, S. 325 f. Die neueften Bearbeitungen von Denifle, 
Alcchte 1, 49 f., und Haupt im Zeitſchr. f. Kirchengeſch VII, S. 372 f. bieten die 
ältere Litteratur. 

1 J Bulseus III. 299 f. Die Stelle ift dem Koſentoman entnommen. 


von den Worten Chriſti der Buchſtabe vergehen 


N I. 


Verurteilung des Introduktorius. 


den Zuſammenhang mit dem Introduktorius abzuweiſen, die öffent⸗ 
liche Meinung machte die Bettelorden im ganzen für das Buch ver⸗ 
antwortlich, und ihre Gegner brauchten die myſtiſchen Sätze desſelben 
nur ohne die für ſolche Sprache erforderliche Vorſicht aufzufaſſen und 
gröber zu formulieren, ſo ergaben ſich die bedenklichſten Behauptungen. 
Der Hauptangriff derart erfolgte durch das Buch des Magiſters 
Wilhelm von S. Amour, der zugleich der Wortführer der Univerſität 
in dem Streit mit den Orden war, De periculis novissimorum 
temporum, „Von den Gefahren der letzten Tage“ ). Das Ende der 
Dinge ſtehe bevor, denn die Lehre von dem ewigen Evangelium, 
welches beſſer ſein wolle, als das Evangelium Chriſti, ſei die Ver⸗ 
kündigung des Antichriſts. „Mögen die Biſchöfe ſorgen, daß dieſe 
Prediger und Lügenpropheten nicht ihre Macht untergraben.“ Da 
dieſe Angriffe in Predigten und populären Schriften von verſchiedenen 
Seiten fortgeſetzt wurden und den Haß entfeſſelten, den ſich die Bettel⸗ 
orden damals bereits zugezogen hatten?), ſo mußte die Verurteilung 
des Introduktorius die Bettelorden ſchwer treffen und im beſonderen 
ihre Stellung im Kampfe mit der Univerſität ſchwächen, während 
dieſe als Hüterin des Glaubens erſchien. Deshalb war es für die 
Bettelorden ein unſchätzbarer Glücksfall, daß die Entſcheidung über 
den Introduktorius nicht mehr von Innocenz IV. gefällt wurde ), 


) Opera Guilelmi, ed. Constantiae (Paris) 1632, p. 17 fl, auch abgedruckt 
in der von Edw. Brown beſorgten zweiten Auflage (London 1690) des Fasciculus 
rerum expetendarum et fugiendarum. 

) Namentlich durch die Art und Weiſe, wie fie den Einfluß und die Ein» 
nahmen des ordentlichen Klerus an ſich brachten und durch den dem einfachen 
Sinne der Laien unerträglichen Widerſpruch zwiſchen dem Gelübde der Armut und 
dem Streben nach Beſitz und Macht. Als Zeichen der Stimmung iſt wieder der 
Poet Rutebeuf zu nennen, dann die Verhandlung an der Pariſer Synode von 
1283. Bulaeus III. 465 f. 

) Bulaeus III, 273 weiſt darauf hin, daß ſich dieſe Mönche beim Tode 
Innocenz IV. durch keine Ehrfurcht vor dem päpftlichen Stuhl abhalten ließen, ihrem 
Haß Luft zu machen gegen den Papft, der ihnen nicht zu Willen geweſen war. 
Der Dominikaner Thomas Cantipatranus erzählte ſogar de apibus II. 10 (ed. 1627 
p. 179 f.) von einer Bifion, in der offenbart wurde, daß der tote Papſt dem h. Dominikus 
und Franziskus zum Gericht übergeben worden ſei. Der neue Papſt Alexander IV. 
trat ganz für die Orden ein. Schon in den erſten Tagen ſeiner Verwaltung nahm 
er die Bulle ſeines Vorgängers Etsi animarum aflectantes zurück und der Ber: 
urteilung des Introduktorius fügte er hinzu, daß auch die Excerpte zu ver: 
nichten ſeien, welche angeblich die in dem Introduktorius enthaltenen Ketzereien 


Die Sorge des Papſtes. 283 


Br von feinem Nachfolger, der ganz für fie eingenommen war. 

er konnte zwar nicht umhin, den Introduktorius zu verurteilen, aber 
er beunrubigte ſich über dieſe ſeine eigene Entſcheidung ſo, daß er ſeiner 
. Bulle, welche den Biſchof von Paris beauftragte, die Erfommuni: 
lation über alle zu verhängen, die den Introduktorius beſaßen und nicht 
bis zu einem beſtimmten Termine vernichteten, eine andere nachſandte, 
die ihm dringend empfahl, dieſes Urteil ſo zu vollziehen, daß dadurch 
Mein boſer Tadel auf die Minoriten falle). Immerhin aber hatte 
der Papſt die Bettelorden in dieſer Sache nicht ganz ſchützen können, 
um ſo nachdrücklicher ging er in dem Univerſitätsſtreit gegen ihre 
Feinde vor. Er befahl aufs neue der Univerſität, die beiden aus⸗ 
geſchloſſenen Dominikaner wieder aufzunehmen, erklärte ihren Beſchluß, 
daß kein Orden mehr als einen Magiſter in der theologiſchen Fakultät 


1 


jufammenftellten, welche aber vieles enthielten, was nicht in dem Buche ſtehe. 
Dieſes Verzeichnis war ohne Zweifel von den den Mönchen feindlichen Magiſtern 
j worden, und fie hatten die Gelegenheit benutzt, die Worte des 
Franziskaners jo zu deuten und zu drehen, daß die Ketzerei möglichſt grob 
erschien. Bei Inquiſitionsprozeſſen war es ſonſt nicht üblich, auch die Anklage⸗ 


4 . ſchriſt zu verurteilen, wenn fie über die ketzeriſche Schrift nicht objektiv be: 


richtete, r der Pariſer zu 
dämpfen. Sie ſollten gleichzeitig eine Verurteilung erfahren. Denifle verwirrt 
das Verhaltnis, indem er annimmt, daß dieſe Excerpte ausſchließlich unmittelbar 
aus Sägen des Abtes Joachim entſtellt worden ſeien. Der Introduftorius hatte 
Satze dieſer Schriften jo weitergebildet, daß er der päpftlihen Kommiſſion ketzeriſch 
erſchten. und die Anklage der Profeſſoren und des Biſchofs richtete ſich nicht gegen 
bie längft bekannten Schriften Joachims, ſondern gegen die Zuſätze und Um⸗ 
Bilbungen feiner Säge im Introduktorius. Papſt Alexander hatte denn auch dieſe 
 seedulse mit dem libellas qui Introductorius dicebatur vergleichen laſſen und 
ſagte, daß in . dieſer Säge vieles ſtehe, was fi in dem Introduktorius 
finde. Er jagt dies dreimal, in der erſten Bulle, Oktober 1255, Jourdain 
Bulaeus III. 292: in quarum (se. scedularum) nonnullis multa, quae 
in libello (d. i qui Introductorius dicebatur) non continebantur eodem . 
falsse dieuntur und mit benfelben Worten in der zweiten Bulle NRovbr. 1255 
Bulsens III. 208, und in ber dritten Bulaeus III. 302, Jourdain 132. 


J Jourdain 122. Ottober 1255. Bulaeus III. 293: Verum quis 
ordinis minorum nomen et famam illaesa semper et integra cupimus ob- 


. servari ... sie prudenter, sic provide in Apostolici super hoc mandati 
| * s eee procedas, quod dieti fratres nullum ex hoc opprobriaum nullam- 


284 Die Bulle Quasi lignum vitae. 


haben ſolle, für nichtig, und ebenſo die Beſtimmung, daß niemand 
zur Lizenz zugelaſſen werde, der nicht in Paris unter einem aner⸗ 
kannten Magiſter der Univerſität ſtudiert und gewiſſe Vorleſungen 
und Disputationen gehalten habe; es ſolle genügen, daß der Bewerber 
an irgend einer anſtändigen und zugänglichen Schule zu Paris dieſe 
Proben abgelegt habe, und bei bekannten Gelehrten ſollte auch dieſe 
Forderung nicht unbedingt ſein ). Damit wurde allen Ordensſchulen 
in Paris das weſentlichſte Recht der zur Univerſität gehörenden 
Schulen verliehen, ohne daß die Univerſität irgend ein Recht der 
Aufſicht über dieſe Schulen hatte. Endlich erkannte die Bulle zwar 
an, daß die Univerſität das Recht habe, ihre Thätigkeit einzuſtellen, 
fügte aber hinzu, daß ein ſolcher Beſchluß die Magiſter nur dann 
binde, wenn er mit zwei Drittel der Stimmen aller Fakultäten ge⸗ 
faßt worden ſei. Das war ſcheinbar eine berechtigte Einſchränkung, 
aber die Univerſität erklärte dieſe Bedingung für unannehmbar ), 
da ein großer Teil der Theologen aus Mitgliedern des Kapitels und 
aus Angehörigen verſchiedener in Paris anſäſſiger Orden beſtehe, 
die erfahrungsmäßig niemals für eine Siſtierung oder Verlegung 
des Studiums ſtimmen würden. Dieſe Bedingung war alſo eine 
verſchleierte Aufhebung desjenigen Rechtsmittels, das nicht nur 
von der Univerſität, ſondern auch von den Päpſten und von der 
öffentlichen Meinung als das ſchützende Siegel ihrer Privilegien 
und als ihre unentbehrliche Waffe betrachtet wurde und anerkannt 
worden war. 

Die Univerſität befand ſich ſchon längſt in einem Zuſtande unge⸗ 
wöhnlicher Erregung, und dieſe Bulle ſteigerte nun das Gefühl des 
Gegenſatzes jo, daß die Magiſter ), um nicht, dem Befehle des Papſtes 
gemäß, die ungehorſamen Dominikaner wieder aufnehmen zu müſſen, 


) Durch die Bulle Quasi lignum vitae. Jourdain 117. Bulsens 
III. 282. 
) In dem gleich zu erörternden Schreiben Radix amaritudinis. 


) Da die Ferien bevorftanden, jo kam es zunächſt nur zur Annahme einiger 
Erklärungen, welche den Beſchluß rechtfertigten, die Dominikaner nicht wieder auf 
zunehmen. Bulaeus III, 287: 1) Primo dieimus eos non esse admittendos 
ad societatem nostram scholasticam, nisi de voluntate nostra, quis societas 
non debet esse concta sed voluntaria ... 2) Secundo dieimus eos admittendos 
non esse, quia eorum societatem experti sumus multipliciter nobis fulsse 
damnosam et periculosam. 3) Tertio cum ipsi sint diversae professionis 6 


Be 


Die Magiſter löfen die Univerſität auf, 285 


— 


Br die Genoſſenſchaft auflöften, indem fie jeder einzeln von ihr zurück⸗ 


traten. Dieſen Beſchluß zeigten fie dem Papfte in einer Denkſchrift) 


E 8 die noch einmal alle ihre Gründe zuſammenfaßte; aber mit der 
Aufloſung war ihren Gegnern nicht gedient, und fie ſetzten die An⸗ 
gdeiſſe auf die Magister fort, bis der Konig im Marz 1256 zwiſchen 


nobis, quis ipsi regulares nos seculares, in uno officio scholastico conjungi 
vel commisceri non debemus; cum dicat coneilium Hispanicum: non arabis 
cum bove et asino simul.... 4) Quarto.... quis ipsi dissensiones et offendi- 
eula faciunt. 5)... quis timemus ne ipsi sint Pseudo-Prophetae, quis 
cum ipsi non sint Episcopi ... praedicant non missi. 6)... quoniam in 
domos singulorum se ingerunt, conscientias et proprietates hominum 
rimantur et quos seductibiles ad modum mulierum inveniunt, seducunt 
es a consiliis praelatorum ad sua seducunt consilia ... 

Sie war in aller Ehrfurcht gehalten und in tiefer Trauer. Jourdain 
121, Bulseus III. 288: Radix amaritudinis. „Dem Heiligen Vater und ihrem 
Herrn, Mlexander, nach Gottes Natſchluß oberſtem Biſchof, die einzelnen Magifter 
und Scholaren aller Fakultäten, die Ueberbleibſel der aufgelöften Schule von Paris, 
ſich ohne kollegiale Gemeinſchaft noch in Paris aufhalten, den demütigen Fuß⸗ 

Die Wurzel des bitteren Haſſes hat in den Herzen unſerer Verfolger bittere 
richte gezeitigt. Unſere Schule, durch welche fie die Ehre vor der Welt, nach 
der fie begierig find, erlangen, haben fie undankbarer Weiſe durch leidenſchaftlichen 
Streit und dadurch, daß fie den Schrecken der weltlichen Gewalt gegen fie in 
Bewegung ſetzten, faft drei Jahre hindurch geſtört und viele Gewiſſen beunruhigt. 
Kürzlich aber haben fie mit ihrer Zudringlichteit, der man kaum Widerſtand leiſten 
kann, unter dem Borwande einer Neuordnung der Schule von Eurer Gnade einen 
Brief erſchlichen, eee eee e eee 

wie wir glauben, gegen Eueren und Euerer Brüder (Kardinäle) 
Walen und zu einem Holz des Todes geworden iſt. Nach dieſem Eingang zeigen 

N der Zweidrittelmajorität in der theologiſchen Fakultät 

die Univerfität den Orden unterwerfe, und daß die Aufnahme der Rebellen ihre 
und ihren Untergang bedeute. Da indeſſen der heilige Vater die Auf: 

mahme beichle und fie ſich ihm nicht widerſetzen wollten, jo hätten fie ihre Genoſſen 
schaft aufgelöſt. Einzeln ſeien fie, jeder für ſich, von der Genoſſenſchaft zurückgetreten 
und hatten auf ihre FN und Rechte Verzicht geleiſtet. Dies ſei doch ihr 
tonne niemand gezwungen werden, in eine Genoſſenſchaft 
Orden hätten alſo freie Hand, ſoviel Schulen und Lehrſtühle zu 
die ehemaligen Profeſſoren, hätten nichts verlangt, 

man ihnen geſtatte, als Privatleute ungeftört zu leben und zu lehren. 


als 
Aer die Nonche hätten ihren Einfluß auf den König und auf die päpſtlichen 


! 


und hätten fie auch ferner mit Gewalithaten und falſchen 


* Angaben bedrängt. (Beſonders hatte Wilhelm v S. Amour unter ſolchen Angriffen 
he * n leiden. S. die Erzählung bei Bulaeus III. 294 f. Dazu Haupt a. d. O. 


286 Ende des Kampfes. 


den Parteien einen Vertrag vermittelte, wonach die Orden aus der 
Univerſität ausſcheiden, aber neben derſelben eine von ihr anerkannte 
Lehranſtalt bilden ſollten, in der Weiſe, daß die Scholaren der 
einen berechtigt ſein ſollten, auch Vorleſungen der anderen zu hören. 
Auf Grund dieſer Vereinbarung erneuerten die Magiſter ihre Ge⸗ 
noſſenſchaft wieder, der Papſt aber verwarf den Vertrag und forderte 
Unterwerfung unter ſeine Bulle Quasi lignum vitae). Durch die 
Schrecken der Exkommunikation und der weltlichen Gewalt bedrängte 
er ſie, aber die meiſten widerſtanden noch mehrere Jahre; ſie hatten 
offenbar in dem hohen Klerus und in der Teilnahme des Volkes 
einen ſtarken Rückhalt. Im Sommer 1259 beſchloß endlich die 
Majorität ), jene Bulle auszuführen und nahm die ausgeſchloſſenen 
Dominikaner wieder auf, einige Monate ſpäter aber fügte ſie hinzu, 
daß die Magiſter derſelben bei allen actus scholastici ſtets den letzten 
Platz einnehmen ſollten “) nach allen Weltgeiſtlichen und allen anderen 
Ordensgliedern, nach den Minoriten“), Karmelitern, Auguſtinern, 
Ciſtercienſern u. ſ. w. 


Die Folgen des Kampfes. 


Nach einem Siege haben ſich Sieger wie Beſiegte oft nicht wenig 
zu verwundern, daß nichts von dem eintritt, was ſie erwarteten. 
Auch während der leidenſchaftlichen Erregung ihres Kampfes iſt die 
Zeit wie immer fortgegangen, und mit ihr hat ſich der Boden ver⸗ 
ſchoben, von dem aus der Kampf unternommen wurde. Kräfte wecken 
Gegenkräfte, die Not erzeugt Heilmittel, es ändern ſich die Anſichten 
und Stimmungen der Parteien, der Gruppen in den Parteien und 
die Meinung der anderen Menſchen über die Parteien. Die Meinung 
aber iſt es, welche vorzugsweiſe den Dingen ihren Wert und ihre 
Schrecken leiht. 

Sieben Jahre hindurch hatte die Univerſität ſich der Bettelmönche 


) Jourdain 197, Bulaeus III. 307. 

) Jourdain 181 u. 182 zeigen, daß der Papſt im Auguſt 1259 befriedigt 
war, Nro. 174 zeigt, daß die Univerfität im Juni 1259 noch widerſtand. 

) Dieſer Beſchluß Jourdain 188, Februar 1260) ſieht ſehr Heinlich aus, 
wenn auch die Univerfität verſichert, fie habe ihn aus beſtimmten und vernünftigen 
Gründen, welche in anderen Akten ausführlicher angegeben ſeien, faſſen müflen. 

) Die Minoriten müfjen im Laufe des Kampfes zurückgetreten fein. 


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„ A ˙ wu »»Qũmi . ̃ nn ⅛ r! Abe dd a an Ä ̃ T. 


Weltgeiſtlichen nicht ausgeſchloſſen. Sodann ſchwächte ſich die Strö- 
mung der öffentlichen Meinung, welche die Orden und ihre Anſprüche 
in der erſten Hälfte des 18. Jahrhunderts begünſtigt hatte ), und 


weiteſten Kreiſe waren dem Kampfe mit Teilnahme gefolgt und 
denſelben aufmerkſam auf die Gefahr, welche in dieſen Bettelorden 
regelmäßigen Behörden lag. Es mehrten ſich ferner in jener Zeit die 
Beiden, daß die Bettelorden von der idealen Höhe ihrer begeifterten Gründer 
pberabſinten würden. Einen beſonders merkwürdigen Ausdruck gewann dieſe An: 
ſchauung in dem Gedichte Disput. Mundi et Religionis, das vermutlich von einem 
Otrdensbruder, jedenfalls einem warmen Freunde der Orden, herrührt. Haurcau 
Bat es Bibl. de l’&cole de chartes 1884 p. s. f. herausgegeben. Die Welt (die 
Nichtmönche) erhebt die dem Univerſitätsſtreit entnommene Klage: 

Quod si Christi eupiunt esse sectatores, 

Cur cathedras ambiunt et quaerunt honores? 

Jam se ipsos faciunt fieri doctores 

Et Rabi recipiunt et scribarum mores. 


stellt daun die Religio (das Möndtum) die Verteidigung gegenüber, aber 
Schluß antwortet die Welt mit der traurigen Prophezeiung, die Dominikaner 
een Franziskaner würden wohl denſelben Weg des Verfalls gehen, auf dem die 
a. Minores similiter atque Jacobitae. 
Quamquam discant jugiter, quamquam bonae vitae, 
Et inserti firmiter sint in Christi vite, 
3 Tenebunt communiter modum viae tritae. 
Zu den Vorgängen, welche das Anſehen der Bettelorden ſchwächten, ift ferner der 
Prozeß zu rechnen, der damals gegen den General der Franziskaner, Johann von 
Parma, wegen feiner myſtiſchen Anſichten geführt wurde Die nun zur Hertſchaft 
gekommene Nichtung ging mit dem ehrwürdigen Manne böfe um und war ſchon 
im Begriff. ihn zu verurteilen, wie fie bereits zwei feiner Anhänger zu ewigem 
Kexter verurteilt hatte, da wurde das Gericht umgeſtimmt durch den Brief eines 
3 Dieſer Brief zerreißt den Schleier, 
die des heiligen Franziskus und vor dem 
des damaligen Ordensgenerals, des heil. Bonaventura, die Berichterſtattung 


288 Die Gebeine des Thomas von Aquino. 


es milderte ſich andererſeits der Gegenſatz zwiſchen der Univerſität 
und den Orden. Noch nicht zwei Jahrzehnte waren ſeit dem demü⸗ 
tigenden Ende jenes Kampfes vergangen, da wandte ſich die Uni⸗ 
verſität beim Tode des Thomas von Aquino an das Generalkapitel 
der Dominikaner mit der Bitte um den Leichnam des „großen 
Lehrers“, denn „wie die Kirche die Gebeine ihrer Heiligen ehre, ſo 
zieme es ſich auch, daß der Körper des Profeſſors da ruhe und ge⸗ 
ehrt werde, wo er ſeine glänzenden Gaben entfaltet habe“. Die 
Univerſität gewann ferner neuen Glanz und neue Kraft durch die 
Fülle von jungen Talenten, welche die Dominikaner aus allen Pro⸗ 
vinzen nach Paris ſendeten, um dort lernend und lehrend ihre letzte 
Ausbildung zu empfangen. Es waren das Männer von meiſtens 
dreißig Jahren und darüber, welche acht und mehr Jahre hindurch 
philoſophiſche und theologiſche Studien getrieben hatten; denn Paris 
bildete die Spitze des großartigen Schulſyſtems der Dominikaner. 
Keiner durfte in den Orden aufgenommen werden, der nicht 18 Jahre 
alt war und die elementaren Kenntniſſe der lateiniſchen Sprache be⸗ 
ſaß; dieſe gehörten regelmäßig nicht zum Gegenſtand des Unterrichts 
in den Dominikanerklöſtern, der ſich in drei Stufen gliederte: 1) die 
studia artium ) oder logicae, 2) die studia naturalium, 3) die studia 
solemnia und generalia. Das Studium war eine Gnade; zugelaſſen 
wurden nur diejenigen, welche von den Oberen dazu auserſehen 
wurden. Der Kurſus des studium artium umfaßte zwei, ſpäter drei 
Jahre. Die Begabteſten wurden dann ausgewählt zum Beſuch der 
studia naturalium. Die Zahl derſelben war kleiner, zeitweiſe auf 


über die Konflikte und Intriguen der Heiligen gegeneinander einhüllte. Er ſprach 
es geradezu aus, daß die Anklage von der Eiferſucht der Nebenbuhler (aemulatorie) 
erhoben worden ſei. Der Orden hatte ſchon ähnliche Kämpfe durchgemacht und 
noch heftigere ftanden ihm bevor. Aus ihnen ift uns in der Epistola excu- 
satoria de false impositis et fratrum calumniis des Frater Angelus (herausg. 
von Ehrle, Archiv I, 521 ff.) ein Aktenſtück erhalten, das noch genaueren Einblick 
gewährt in die Rückſichtsloſigkeit, mit der ſich die verſchiedenen Richtungen des 
Ordens untereinander mit falſchen Anklagen und böswilligen Deutungen verfolgten. 
Aehnlich iſt der Eindruck, den die historia tribulationum macht (Archiv III, 249 f. 
von Ehrle herausgegeben). Wenn dieſe Mönche gegeneinander jo unfaubere 
Waffen gebrauchten, fo wird man geneigt, den Klagen der Univerſität über die 
Kampfesweiſe mehr Glauben zu ſchenken. 

) Die Klöfter einer Provinz hatten dieſe Anftalten gemeinſam und zwar 
beſtimmten die Provinzialkonzile Zahl und Ort dieſer Schulen. Die Provence 


——— — — — 


Der Feciſchein Diefer Ordnungen 289 


15 


n Klöfter eines, und zwar jo, daß es Jahr um Jahr unter den 
den wechſelte !). 

Dieſe beiden Arten wurden als Partikularſtudien (studia par- 
3 zu einer Unterftufe zuſammengefaßt und nur eine Auswahl 
der tüchtigſten unter denen, welche dieſen jehsjährigen Kurſus durch⸗ 
gemacht hatten, wurden in die obere Stufe, die Generalſtudien (studia 
generalia und solemnia) geſandt, welche dem Orden vorzugsweiſe 
zur Ausbildung ſeiner Lehrer und Schriftſteller dienten. Die Lektoren 
und eigens dazu ernannte Viſitatoren hatten die Studierenden zu be⸗ 
obachten und zu prüfen und alle zurückzuſchicken, die zu geringe Fort⸗ 
ſchritte machten, deren Geſundheit die Anſtrengung oder deren Cha⸗ 
rakter die größere Freiheit nicht ertrug. In dieſer Stufenfolge des 
Unterrichts, in der gleichmäßigen Vorbereitung der Schüler jeder 
höheren Stufe, ſodann in dem Zurückweiſen der unbefähigten Maſſen, 

welche ſich zum Studium drängten, und in der durch regelmäßige 
Prüfungen unterſtützten Aufſicht lag der große Fortſchritt dieſer Do⸗ 
minikanerſchulen über das Schulweſen der Univerſitäten. 
Die Generalkapitel beſchäftigten ſich wiederholt mit der Ordnung 
4 des Schulweſens, und ſeit der Mitte des 13. Jahrhunderts war das 
Syſiem im weſentlichen vollendet). Die Studierenden genoſſen be⸗ 


in zwei Ordensprovinzen, die erſte derſelben zählte 1262 27 Klöſter, 
stadia artium unterhielten, in den folgenden Jahren ſtieg die Zahl 
auf vier, auf ſechs, bis 1292 je drei oder vier Klöſter ein gemeinſames Studium 
So war bald ein Kloſter Sitz eines Studiums, bald ein anderes, und es 
vorgeſchrieben, was die von einem Kloſter zum Studium geſchickten Jüng⸗ 
mitzubringen hatten und was für fie zu zahlen war. Vgl. Douais, Essai 
sur organisation, p. 70. Ueber die studia solemnia und generalia ib. p. 126 f. 
) Jedes Kloſter * das Recht, einen, zeitweiſe zwei Scholaren zu dem 
es war alſo ein großer Vorzug, dazu auserleſen zu werden, 
e auch nicht der Prior allein die Wahl haben, ſondern das 
ſel des Studiums unter den Klöſtern war eine einfache 
Laſten und diente zugleich der Kräftigung des wiſſen⸗ 
Klöftern. Der indirekte Segen, der von dem Studium 
wurde allen Klöſtern zu teil. 
Die Konftitutionen des Ordens von 1228 (herausg. von Denifle, 
1,165 f.) zeigen nur erſt die Grundzüge, aber mit aller Schärfe bereits den 
Nr infruetuosus inveniatur in studio, cella cus detur 
in aliis offieiis occupatur. Distinctio II, 29, Ardiv I, 228, 
die Ordinationes diverse circa promotionem studii aus den 


‚ 1250 und 1261 (mitgeteilt von Douais aus Tolofaner Hbfdr. im 
— Seien der deutschen Yiniverütäten. 1. 19 


1; 
Hill 


* 


m 
17 
1152 2 


f 


115 
er 


290 Aehnliche Einrichtungen anderer Orden. 


deutende Erleichterungen von den Ordenspflichten, und wenn fie bei 
dem Studium beaufſichtigt und an feſte Ordnung gebunden wurden, 
ſo ſollte die Aufſicht doch nicht die zum Studium nötige Freiheit ein⸗ 
ſchränken. Die Dominikanerſcholaren ahmten ſogar (und ſchon im 
13. Jahrhundert) das Treiben der freien Scholaren nach, und die 
Kapitel mußten gegen ihre ſtudentiſchen Gelage, das Singen von 
Studentenliedern u. ſ. w. einſchreiten “). 

Eine bedeutende Förderung der Studien erfuhren dieſe Scholaren 
vor allem auch dadurch, daß ſie von dem ſozialen Elend befreit waren, 
unter dem ſo viele Scholaren und Magiſter zu Grunde gingen. Der 
Orden gab dem Scholaren die Bücher, die Wohnung, die Nahrung 
und Kleidung, der Orden ſicherte dem jungen Dozenten eine Zuhörer⸗ 
ſchar und gab ihm das Gefühl, daß er nicht allein ſtehen werde bei 
Angriffen wiſſenſchaftlicher Gegner. Alles das macht keinen großen 
Gelehrten — aber es hilft dem, der ſonſt dazu beanlagt iſt, über 
die größten Schwierigkeiten hinweg, es befreit die Seele von dem⸗ 
jenigen Druck, dem nicht ſelten gerade die tiefer angelegten Na⸗ 
turen erliegen, weil ſie neben dem treibenden Gefühl ihrer Gaben 
und ihrer Kraft auch die Unruhe empfinden, welche die unlösbaren 
Rätſel erwecken, an welche die Forſchung hinführt. Andere Orden 
entwickelten ähnliche Einrichtungen, ſo die Benediktiner und Ciſter⸗ 
cienſer ), und nicht zum geringſten Teile iſt es dieſen Einrichtungen 


Appendice VII, p. 172 ff. Die Ordinationes von 1259 wurden in Valence de 
mandato magistri et diffinitorum durch eine Kommiſſion von fünf Magistri 
Theologiae Parisius aufgeſtellt, unter denen Albertus Theutonicus (d. i. Albertus 
Magnus) und Thomas non Aquino, ſowie der nächſt ihnen berühmteſte Petrus de 
Tharantafia waren. Den Lehrplan zeigt der Beſchluß eines Provinzialkonzils von 
1327 bei Douais p. 71. Reiches Material ift außer von Douais in den Noten 
und Anhängen feines Effai in Martene, Thesaurus IV, 1670 ff. mitgeteilt. Die 
eingehendſte Darſtellung, obwohl noch nicht allfeitig befriedigend, bietet Douais. 
Bernard, Les Dominicains dans untversité de Paris, 188g iſt nicht beſtimmt 
genug. Eine knappe, aber recht brauchbare Schilderung gab Thurot p. 115 ff. 
auf Grund des bei Martene, Thesaurus IV, 1670 ff. geſammelten Materials, 

1) Beſchluß des Kapitels von Narbonne 1280 und von Auvillars 1314. Bol. 
Douais p. 30, Note 1. 

) So beſtimmte ſchon 1247 die große Benediktinerabtei Fleury, daß immer 
zehn zum Studium geeignete (docibiles) fratres in dem der Abtei gehörigen 
Priorate unter einem Studiendirektor (consilio studentibus fratribus presi- 
dentis) Theologie ftubieren follten. Einige derſelben, die ſich beſonders auszeich⸗ 
neten, ſollten dann auf Grund der Empfehlung des Studienvorſtandes nach Paris 


Die Sorbonne. 291 


— daß in Paris die Orden weitaus die größte Zahl von 
Bee der Theologie aus bildeten ). 


Die Kollegien. 


Die Vorteile, welche die Magiſter und Scholaren dieſer Ordens⸗ 
bäufer vor den übrigen hatten, traten zu deutlich hervor, als daß 
man ſich dem hätte verſchließen können, und während bis dahin nur 
einzelne Stiftungen für arme Scholaren entſtanden waren, wurden 
ſeit der Mitte des 13. Jahrhunderts zahlreiche Kollegien gegründet, 
d. h. Stiftungen, welche einer beſtimmten Anzahl von Magiſtern und 
Scholaren, die nicht einem Orden angehörten, Wohnung, Unterhalt 
und Bucher gewährten, und fie zu einem regelmäßigen Leben anhielten. 
Der erſte, der dies Werk in großem Stile angriff, war Robert von 
Sorbon, ein bei dem Könige in hoher Gunſt ſtehender Kanonikus von 
Cambrai) und dann von Paris, und zwar gerade in der Zeit, da 
der Streit zwiſchen der Univerſität und den Bettelmönchen entbrannt 
war (1257). Er ſtiftete eine Genoſſenſchaft von Scholaren, gleichviel 
welcher Nation), welche das Studium der Artes mit der Magiſter⸗ 


geschickt werden, wo fie aus den von der Abtei bewilligten Mitteln und ſeit 1258 
in einem eigenen Haufe und mit fefter Hausordnung lebten. Decretum abbatis 
Johannis, im Ardio I, 580 f. von Denifle herausgegeben und erläutert. 1337 regelte 
Bapft Benedikt XII. das Schulweſen der Benediktiner (Jourdain 546), und die 


zu S. Albans gehaltene Kapitel Gesta abbatum mon. S. Albani ed. 
Riley II. 459. Cap. IV u. V. Die Eiftercienfer hatten ebenfalls bereits im 13. Jahr: 
hundert ſtatutariſche Beſtimmungen derart, wie das Dekret Jourdain 74 von 
1245 zeigt. Aehnlich wie bei den Dominikanern hatten mehrere Klöſter die 
Schulen gemeinſam, aber die Koſten wurden nicht durch den Wechſel des Orts 
aufgebracht, ſondern die Heineren Klöſter, welche Zöglinge in ein Kloſter mit Schule 
fanbien, hatten dafür ein beſtimmtes Koſtgeld zu zahlen. Beſchluß des Kapitels 
von 1831 in den Studien u. Mitteilungen a. d. Ben.: u Ciſt. Ord. 1885 1,2, S. 249. 
Die Stellung dieſer Penſionshäuſer zu der Univerſität war ſehr verſchieden. 

Von den 192 Theologen, welche in den 25 Jahren 1373—98 die Lizenz 
empfingen, waren 102 Bettelmönde, 17 Ciſtercienſer und nur 47 Weltgeiſtliche. 
Thurot 112. 

) Jourdain 150. 1257. Dazu die Note. Dieſe Urkunde ift nach dem 
Original in den Memolres de la Société de Thistotre de Paris, T. X (1854). 


. e . von Denifle herausgegeben. Bol. ib. p. 244. Ste enthält die Schenkung 
„ * und > Tauf von Grundſtücken zum Zweck der Stiftung. 


In den Büchern des Hauſes heißt cs: hic liber est pauperum magi- 


292 Die Sorbonne. 


prüfung vollendet, oder auch ſchon die vorgeſchriebene Zeit als Ma⸗ 
giſter bei den Artiſten geleſen hatten und ſich dem Studium der 
Theologie widmen wollten. Die Genoſſenſchaft band die Magiſter 
an eine Hausordnung, welche gemeinſame Mahlzeiten und die Teil⸗ 
nahme an gewiſſen kirchlichen und wiſſenſchaftlichen Feierlichkeiten und 
Uebungen forderte, im übrigen aber genügende Freiheit ließ. Die 
reichen Genoſſen zahlten an das Kollegium die gleiche Summe, welche 
für die Armen aus den Mitteln desſelben aufgewendet wurde. Die 
Magiſter zerfielen in hospites und socii, letztere waren an Zahl 36 
und hatten allein die Verwaltung. Unter die Socii konnte nur 
aufgenommen werden, wer einen theologiſchen Grad erworben hatte. 
Diejenigen Hoſpites, welche nach ſieben Jahren nicht fähig waren, 
den Grad eines Baccalar der theologiſchen Fakultät zu erwerben, 
mußten ausſcheiden und Begabteren Platz machen. Während der 
6—7 Jahre, welche man als Baccalar lehren und lernen mußte, ehe 
man die Lizenz und die Magiſter⸗(Doktor⸗würde erwerben konnte, 
konnte man ſowohl Socius wie Hoſpes ſein. Die Magiſter der 
Theologie konnten dem Hauſe nur als Socii angehören. War kein 
Platz frei, oder wurde man nach dem Erwerb des Magiſters nicht 
gewählt, jo ſchied man aus dem Haufe. Die Socii wählten jährlich 
aus ſich einen Prior, der zuſammen mit den vier älteſten Socii die 
Leitung des Hauſes hatte, über ihm hatte die Oberaufficht der Pro⸗ 
viſor, der von dem Rektor der Univerſität, den Dekanen und Pro⸗ 
furatoren unter Mitwirkung des Archidiakonus des Kapitels, des 
Kanzlers und der Mitglieder der theologiſchen Fakultät ernannt wurde 
und, wenn er ſich unfähig zeigte, von ihnen auch abgeſetzt werden 
konnte. Bei wichtigen Entſcheidungen hatte er die Zuſtimmung dieſer 
Würdenträger einzuholen). Dieſe Einrichtung trug dazu bei, daß 
„die Sorbonne“ nicht wie ſo manches andere Kollegium in genoſſen⸗ 


strorum domus Sorbonicae, und in den Urkunden wird die Stiftung bezeichnet 
als congregatio pauperum magistrorum Parisius in theologia studentium 
oder ähnlich. Beiſpiele: Bulnens III, 228 f. Jourdain 222 und 285. AB 
ſich 1464 die normänniſche Nation ein Vorrecht anmaßte, wurde dagegen kräftig 
proteſtiert. Bulaeus V. 665. 

) Franklin, La Sorbonne, p. 18, über die hospites und socli. Siehe 
die Urkunde Bulaeus III, 235, und die Nachricht IV. 262 über den Rechen: 
ſchaftsbericht, den der Proviſor 1340 vor dem Vertreter des Rektors u ſ. w. ber 
die letzten fünf Jahre abſtattete. 


Die Bibliothek der Sorbonne. 203 


ſchaftlichen Intereſſen unterging, denn fie gewährte eine dieſen In⸗ 
tereſſen entrückte Aufficht und gab dem Kollegium einen Nückhalt, 
wie ihn die Ordenshauſer an ihrem Generalkapitel und Ordens meiſter 
hatten). Die Stiftung nahm einen großartigen Aufihwung, die 
wiſſenſchaftlichen Uebungen der Sorbonne hatten das größte Anſehen 
und die Räume des Hauſes dienten auch allgemeineren Aufgaben der 
Fakultät), ja mehr und mehr galt die Sorbonne geradezu als der 
hauptſachlichſte Schauplatz der Thätigkeit, gewiſſermaßen als der Kern 
der theologiſchen Fakultät. Die Magiſter (Doktoren) des Hauſes 
bildeten ein Spruchkollegium, deſſen Entſcheidung aus allen Landen 


ſchwierige Fragen der Theologie unterbreitet wurden, es erneuerte 
ſich der Weltruf der Pariſer Univerſität in dem Weltruf der Sorbonne, 


und der Zuſatz Collegii Sorbonici gab dem Titel Magister (Doctor) 
facultatis theologiae Parisius erhöhten Glanz. Große Bedeutung 
gewann die Sorbonne weiter durch ihre Bibliothek, welche raſch wuchs, 
alle anderen übertraf und von dem Konvent der Socii jorgfältig 
gepflegt wurde). Die Genoſſen mußten ihre Bücher in die Bücherei 


1 J Bulaeus III. 235 hebt dies nachdrücklich hervor, ebenſo Thurot 130 f., 
Aber er geht zu weit, wenn er behauptet, nur die Sorbonne und das Kollegium 
Navarra hätten dieſe Einrichtung gehabt. Der Proviſor des Kollegium Harcuria- 
EP num wurde in ähnlicher Weiſe ernannt. 

) Eine der Disputationen, welche die theologiſchen Baccalare halten mußten, 
ehe fie die Lizenz empfingen, wurde regelmäßig im Saale der Sorbonne gehalten 

und hieß davon Sorbonica. Thurot 149 f. 
J Franklin, Les anciennes bibliotheques de Paris I, 221 f. und La 
Der Abſchnitt über die Bibliothek ift der Kern auch dieſes Buchs. Schon 
der Stifter ſelbſt, der 1274 ftarb, hatte zahlreiche Bücher für die Benutzung der 
SOSocii zuſammengebracht; aus einer einzigen Schenkung, die der Sorbonne 1270 
gdemacht wurde, find heute noch 118 Nummern in der Bibliotheque nationale 
macheaweiſen, aus einer anderen 38 Nummern. Delisle, Le cabinet des 
——— anuseriis II, 149. Franklin, La Sorb. p. 30 u. 36. 1289 wurde ein 
5  Wiblioihelfaal eingerichtet, in welchem die wichtigſten und meiſtgebrauchten Bücher 
wurden, um von den Socii oder von anderen unter Aufſicht eines Sorius 
werden. Ib. p. 22. In einem Statut von 1321 hieß es, daß de 
Us et de libris omnibus in domo existentibus saltem unum 
(Epemplar), quod melius est, ponatur ad cathenas in libraria 
‚ ut omnes possint videre, etiam si unum tantum sit volumen 
wenn der Genoſſe, der das Buch befigt, nur dies eine Exemplar hat), quia 
commune divinius est quam bonum unius, et ad hoc astringatur 
habens hujusmodi librum ponendum in libraria, quod sine contra- 
cum tradat. Ib. p. 28, Note 2. Daneben beſtand noch die parva libraria 


n 


294 Das Kollegium von Navarra. 


des Hauſes zur gemeinſamen Benutzung einliefern, falls ſie ihr noch 
fehlten. Schlüſſel zur Bibliothek, und damit die freie Benutzung der⸗ 
ſelben hatten nur die Socii, aber die Hoſpites des Hauſes und andere 
Gelehrte konnten fie unter Aufſicht eines Socius benutzen!). Die 
Entwicklung des Hauſes führte bald dahin, daß eine Art Vorbildungs⸗ 
anſtalt eingerichtet wurde, das Kollegium Calvi, in welchem Knaben 
und Jünglinge — meiſtens unter 21 Jahren — vorbereitet wurden, 
die Licenz in artibus zu erwerben; und auch dieſe Einrichtung war 
nicht ohne Nachwirkung. 

Neben der Sorbonne hatte den größten Ruf das Kollegium von 
Navarra (auch von Champagne genannt), welches durch das Teſtament 
der Königin Johanna, der Gemahlin Philipps des Schönen, 1305 
gegründet wurde und 1315 genauere Statuten erhielt). Abweichend 
von der Sorbonne war beſtimmt, daß die Scholaren nur aus dem 
Gebiete des Königreichs Frankreich gewählt werden dürften, und daß 
die Mitglieder nach dem Erwerb der Würde eines Magiſters der 
Theologie auszuſcheiden hatten. Das Kollegium hatte drei Abtei⸗ 
lungen, eine untere für 20 Anfänger (Grammatiker), ſodann die 
Abteilung für 30 Artiſten, und die obere für 20 Theologen. Für 
den Grammatikſchüler wurden 4, für den Artiſten 6, für den Theo⸗ 
logen 8 Pariſer Solidi wöchentlich ausgeſetzt, und in ähnlicher Weiſe 
ſtufte ſich die Disziplin ab. Die Grammatiker wurden als Knaben 
gehalten, und auch die Artiſten durften erſt nach der Determination 
ohne Erlaubnis der Magiſter in die Stadt gehen, „damit dem Hauſe 


für die Werke, die in mehreren Exemplaren vorhanden waren und unter gewiſſen 
Bedingungen verliehen wurden. 

1) Dieſe Bedeutung der Bibliothek war es auch wohl, was dem Prior und 
dem Bibliothekar der Sorbonne die Veranlaſſung gab, den Schwierigkeiten zu 
trotzen, welche das Heer der im Schutz der Univerſität ſtehenden Schreiber der 
neu auftretenden Buchdruckerkunſt entgegenſtellte. Sie beriefen 1469 drei Drucker 
aus Mainz, ließen ſie in einem Gebäude der Sorbonne die erſte Druckerei ein⸗ 
richten, die Paris ſah, und hier erſchien 1470 das erſte in Paris gedruckte Buch, 
ein Werk des Priors der Sorbonne, des Schwaben Heynlin von Stein (Johannis 
de Lapide oder Lapidarius). Franklin, La Sorb. p. 107. Der Titel des Buches 
iſt Gasparini Bergamensis epistolarum opus per Joannem Lapidarium, Sor- 
bonensis scholae priorem, multis vigiliis ex corrupto integrum eſfectum, 
ingeniosa arte impressoris in lucem redactum. 

) Bulaeus IV, 87 ff. Der Biſchof von Meaug und der Abt von S. Denis 
gaben fie als Exekutoren des Teſtaments. 


Die Disziplin des Kollegiums. 295 


Heim boſer Ruf erftche“. Für jede Abteilung wurden Lehrer beſtellt 
gur Leitung der Studien, aber Artiſten!) und Theologen beſuchten 
außerdem die Vorleſungen anderer Magiſter. Die Artiften durften 
ſich erſt nach vier Jahren zur Determination melden, aber auch dann 
i nachdem der Magiſter der Abteilung ſie für fähig erklärt hatte; 
ſieben Jahren nicht fähig war, die Lizenz zu erwerben, 
ßte das Haus verlaſſen. Ebenſo wurden die Theologen zu 
Bewerbung um die Grade und den dazu gehörigen Akten nur zu⸗ 
gelaſſen, wenn fie von den bereits anerkannten Gelehrten des Haufes 
erklärt worden waren ), und diejenigen, die nicht nach ſieben 
die Bibelkurſe, nach zehn Jahren nicht über die Sentenzen 
konnten, wurden ausgewieſen. Die Genoſſen mußten angeben, 
Einnahmen ſie aus Renten oder Pfründen hatten, und nur 
einen Mindeſtbetrag nicht erreichten, erhielten die 
Unterhalts aus den Mitteln des Kollegs. Die Bibliothek 
es wurde in beſcheidenen Grenzen gehalten, mehr nur wie 
Bedürfnis des Unterrichts forderte, aber die Räume des 
HOauſes dienten ähnlich wie die der Sorbonne auch allgemeinen 
Zwecken der Univerfität?). Die Leitung des Kollegiums unterſtand 
dceinem Proviſor, der von einer Kommiſſion von Gubernatoren ernannt 
wurde und derſelben jährlich Rechenſchaft zu geben hatte. Dieſe 
Kommiſſion ſetzte ſich zuſammen aus dem Biſchof von Meaur, dem 
Abt von S. Denis, dem Kanzler und dem Dekan der theologiſchen 
„ wozu aus dem Kollegium ſelbſt noch der den theologiſchen 
Scholaren vorgeſetzte Magiſter der Theologie kam. 
Neben dieſen beiden Kollegien traten die anderen zurück, ihre 
Einrichtung war ähnlich, jedoch waren ſie regelmäßig für Scholaren 
einzelner Landſchaften beſtimmt und ſtanden deshalb in näherer Be: 
siehung zu einer der vier Nationen. Als Beiſpiel diene das Collegium 
Harcurianum, das der Biſchof von Coutances 1311 für 40 Scho⸗ 
laren (28 Artiſten und 12 Theologen) gründete, wovon je vier Ar⸗ 


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19 


J Diejenigen, welche eine Lektion gemeinſam gehört hatten, ſollten nach der 

Stunde zuſammenkommen und fie gemeinſam wiederholen. Wer fie am beſten 

aufgefaßt habe, den ſollten die anderen hören. 

) Bulaeus IV, 93: Ebenfalls propter vitandum domus scandalum. 
1 ) Die Truhe, welche die Privilegien der Univerfität enthielt, wurde im 

114. Jahrhundert in der Kapelle des Kollegiumo Navarta niedergelegt. Bulaeus 
A 5 N * 893 1. 


296 Das Harcurianum. 


tiften und je 2 Theologen aus 4 beſtimmten Diözeſen der Normandie, 
die übrigen 12 Artiſten und 4 Theologen ohne Unterſchied aus jeder 
Nation ſtammen ſollten ). Die Artiſten erhielten wöchentlich 3, die 
Theologen 5 Pariſer Solidi und zwar vom Oktober bis zum Juli. 
War dann noch Geld da, ſo konnte den Scholaren, welche während 
der Ferien blieben, davon weiter gezahlt werden. Von dieſem Gelde 
hatten die Scholaren die Beiträge zu liefern für den gemeinſamen 
Haushalt, Unterhaltung des Materials, Bücher u. ſ. w. Die Leitung 
des Haushalts hatten die dazu erwählten Vorſteher, denen für die 
Hausarbeit Diener zur Verfügung ſtanden, die aber auch die Genoſſen 
in die Stadt ſchickten um Einkäufe zu machen. Die Beſtimmungen 
über dieſe Dinge, über das Recht, Fremde mitzubringen, ob derjenige 
zu zahlen habe, der an einem Tage auswärts eſſe, wann man auf 
ſeinem Zimmer ſpeiſen könne u. ſ. w., wurden in den Statuten aus⸗ 
führlich behandelt, und hierin, wie in der Art der Aufſicht herrſchte 
in allen Kollegien ähnlicher Brauch). Die Scholaren waren Mit⸗ 
glieder der Nationen, nahmen auch an deren Feſten teil, nur war 
es ihnen verboten, zu nächtlichen Aufzügen das Haus zu verlaſſen, 
wie dies auch allen Scholaren unterſagt war. Die Hausdisziplin er⸗ 
gänzte die allgemeine“). Einige Inſaſſen dieſer Kollegien hielten Vor⸗ 
leſungen, und zwar in allen Stufen der akademiſchen Hierarchie, 
andere waren Studenten in unſerem Sinne, aber die einen wie die 
anderen waren Inſaſſen des Kollegiums, lebten von der Stiftung, 
oder zahlten von ihren Pfründen und Renten; und zwar galt für 
die Leſenden wie für die Hörenden die gleiche Vorſchrift: es zahlte, 
wer die Mittel beſaß. Profeſſoren und Studenten, nach unſerer Aus⸗ 
drucksweiſe, hatten die gleiche Lebensſtellung. Solcher Kollegien 


) Die Statuten find abgedruckt Bulaeus IV, 158 f. Die Gründungs⸗ 
urkunde ib. IV. 152. 

) Kap. 6 der Statuten (Bulaeus IV, 154) verweiſt geradezu auf den 
gemeinen Brauch: secundum quod in aliis scholaribus Parisiensibus ejusdem 
conditionis extitit consuetum. Dieſer Brauch wird großenteils aus den freien 
Hausgenoſſenſchaften übernommen ſein, in denen die Scholaren im 12. und 
13. Jahrhundert lebten. 

) Wirtshausbeſuch wurde mit Geldſtraſen, bei hartnäckiger Fortſetzung mit 
Ausſchluß beſtraft. Die Theologen hatten dabei immer das Doppelte zu zahlen 
wie die Artiſten (cap. 28). Item quod nullus de domo bibat in taberns 
tabernarie. Wer ein Lupanar beſuchte oder eine Dirne in feine Wohnung brachte, 
wurde ausgeſchloſſen (cap. 29). 


Die Fahl der Burſen. 297 


! 


von 1200—1500 in Paris fünfzig gegründet, von 35 find 
Burſen d. h. der Plätze bekannt und zwar konnten 
680 Scholaren aufnehmen. Einige wenige zählten über 
100) Platze, die meiſten nur eine geringe Zahl. Im 13. Jahr⸗ 
wurden nur 64 Burſen geitiftet, von 1300 — 1339 kamen 
und 130 von 1348— 1400, im 15. Jahrhundert noch 24. 
Intereſſe an dieſen Gründungen war alſo am ſtärkſten in der 
Hälfte des 14. Jahrhunderts, und die Stifter waren vorwie⸗ 
vornehme Würdenträger des Weltklerus). Die Burſen waren 
Fakultäten verteilt, aber während das Kollegium Navarra drei 
Abteilungen hatte, Grammatiker, Artiſten, Theologen, und ſeine In⸗ 
ſaſſen bis zum dreißigſten Jahre und darüber behielt, nahm z. B. 
das Kollegium Ave⸗Maria ftiftungsgemäß nur Knaben von 8 oder 
9 Jahren auf und entließ fie mit dem 16. Jahre“). 

Dieſe mit Freiſtellen ausgeſtatteten Kollegien konnten aber nicht 
alle Scholaren aufnehmen, welche im 14. und 15. Jahrhundert in 
ſolchen ern zu leben verlangten, und deshalb entſtanden zahl: 
reiche paedagogia, Privatſchulen mit Penſion, unſeren Alumnaten 

vergleichbar, in denen Scholaren Unterhalt und Unterricht fanden. 
Es war eine Schulinduſtrie, wie fie in Bologna und Oxford ſchon 
im 13. Jahrhundert blühte, die in Paris aber erſt im 14. und 
15. Jahrhundert in größerem Maße hervortrat. Der Unternehmer 
war ein Magiſter, der noch einen oder einige Lehrer anſtellte und 
dann ſeine Penſionäre in ähnlicher Weiſe beaufſichtigte und unter⸗ 
richtete, wie dies in den Kollegien geſchah ). Die Inſaſſen dieſer 
Häufer beteiligten ſich an den öffentlichen Akten und Feſten der 
Nationen und der Univerſität wie die anderen Scholaren und waren 


Hit 


332 2 


) Bon 396 Burſen weiß man, daß fie von 27 Kanonikern, Biſchöfen und 
Karbinälen gegründet wurden, und 101 Stellen wurden von fünf Laien geftiftet. 


Die Statuten ſtehen Bulaeus IV, 261. 
eine Schilderung des Lebens in dieſen Kollegien, die Unterſchiede der 
einer Geſchichte der Univerfität Paris überlaffen werden; 
Thurot hat auch bereits mit geſchickter Hand und ausreichendem Material eine 
anſchauliche Darſtellung gegeben. Aus ihm p. 127 und aus Budinszky, Die 
an derſelben im Mittelalter, Berlin 1876, 


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dus auc die fiatiftifgen Daten des Tertes gegeben. Ven geringer Bebeutung 


Kollegien für fremde Nationen (für Dänen, Schweden, Schotten, Eng: 


3 Aller, . 3 a” . 

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298 Die Pädagogien und die Univerfität. 


nicht oder doch nicht für alle Vorleſungen auf die Lehrer ihres Hauſes 
beſchränkt ). Dieſe Anſtalten entſtanden zunächſt, ohne daß eine all- 
gemeine Vorſchrift über ihre Einrichtung erlaſſen worden wäre, aber 
ſo oft es nötig ſchien, ſchritt die Fakultät oder die Univerſität ein, 
und wer ihren Anordnungen nicht nachkam, deſſen Anſtalt wurde 
nicht weiter als eine Anſtalt der Univerſität angeſehen. Den Scho⸗ 
laren wurde dann eröffnet, daß ihnen die Zeit, die ſie in derſelben 
verbringen würden, nicht angerechnet werde). Nach den Statuten 
von 1452 durfte niemand eine derartige Anſtalt gründen ohne Er⸗ 
laubnis des Rektors und der Prokuratoren, und die Vorſteher durften 
keinen Lehrer anſtellen, der bereit war, ohne Gehalt zu unterrichten: 
„denn es iſt nicht leicht zu glauben, daß ein leiſtungsfähiger Mann 
für ſeine Arbeit keinen Lohn verlange“ “). 

Da dieſe Anſtalten einträglich waren, ſo richteten auch Magiſter 
der oberen Fakultäten dergleichen ein, das verbot dann aber die 
Artiſtenfakultät und ſicherte ihren Magiſtern und zwar den actu 
regentes dieſen Erwerb *). Viele von den Kollegien gerieten in Ver⸗ 
fall, vor allem durch Mißbrauch der Renten des Hauſes. Statt an 


) Ob und welche Lektionen die Inſaſſen eines Kollegiums oder Pädagogiums 
außerhalb der Häuſer hören konnten, das beſtimmten die Statuten oder die Vor⸗ 
ſteher des Hauſes. Selbſt das von der Abtei Clugny für die Ordensgenoſſen 
gegründete Collegium Cluniacense, das klöſterliche Einrichtungen zeigt, forderte 
doch nur, daß die Anfängervorleſung über die summulae des Petrus Hiſpanus 
im Hauſe gehört werde, die Lekturen über die alte und neue Logik, die beide noch 
vor der Determination, alſo vielfach vor dem 14. Jahre gehört wurden (Statuten 
von 1366, Bulaeus IV, 390), durften in domo vel extra beſucht werden. 
Bulaeus IV, 122. Als ſich im 15. und 16. Jahrhundert der Unterricht aus den 
öffentlichen Hörſälen mehr und mehr in dieſe Kollegien und Privatanſtalten zog, 
wird auch wohl von dieſen Anſtalten mehr darauf gehalten jein, daß die Inſaſſen 
die Lehrer des Hauſes hörten. Doch habe ich darauf keine weitere Unterſuchung 
gerichtet. 

) Bulaeus V, 571. Reformatio von 1452: Quod si monitione prae- 
dieta non corrigatur, significetur suis scholaribus, quod tempus non 
acquirent in facultate quamdiu sub illo erunt, qui a sua turpitudine non 
desistit monitus et requisitus. Dies ift allerdings einer einzelnen Beſtimmung 
hinzugefügt, aber es ift kein Zweifel, daß der gleiche Weg immer beſchritten wurde, 
wenn die Mahnungen keine Wirkung hatten. 

) Reformation der Statuten von 1452; Bulaeus V, 572: Nee enim 
facile est putandus idoneus, qui non suse industriae mercedem expetit. 

) Statut von 1486. Bulaeus V, 770 f. 


D an Freunde und Vettern verſchwendet, gleichviel ob dieſe 
= noch ſo reich waren. Die Inhaber beharrten ferner oft Jahr⸗ 
Fſiehnte lang in dem Haufe ohne zu ſtudieren, betrachteten die Burſe 
als eine Rente, die nur mit einigen läftigen Verpflichtungen ver⸗ 
mupft ſei, und um bequemer davon leben zu konnen, wurde auch 
wohl die Zahl der Burſen verkleinert und die Rente der einzelnen 
Pe Anderer Mißbrauch herrſchte in den Pädagogien. Der lei: 
Magiſter hatte zwar ein Intereſſe daran, daß die Scholaren 
ug Hauſes gute Fortſchritte machten, denn mit dem Ruhm ſtieg der 
Zudrang; aber leichter war es, die Scholaren werben zu laſſen oder 
durch Nachgiebigkeit gegen Unfug anzulocken und durch den Ruf, die 
Wege zu kennen, auf denen auch Unreife durch die Prüfungen hin⸗ 
durchgebracht wurden. Da ſind Abmachungen und Beſtechungen aller 
Art vorgekommen, und im 15. Jahrhundert hatte es ſich eingeſchlichen, 
daß bie Eraminatoren ihr Amt dauernd behielten, und daß fie gegen 
die Vorſchrift der Statuten große Penſionate hielten, deren Zöglinge 
dann gegen Recht und Geſetz vor den Schülern anderer Magiſter 
begünſtigt wurden ). 
Eu Solcher Mißbrauch darf jedoch nicht hindern, die große Bedeu⸗ 
tung zu würdigen, welche dieſe Kollegien und Pädagogien für die 
Univerſität gewannen und zwar in der kritiſchen Zeit, da das freie 
Studium durch die Ordensſchulen überflügelt und zurückgedrängt zu 
werden drohte. Sie halfen in etwas dem ſozialen Elend und dem 
wüſten Treiben ab, und was von der Sorbonne im beſonderen ge⸗ 
rühmt wurde, daß fie es einer größeren Anzahl von Weltgeiſtlichen 


Die Reformation der Statuten von 1452 (Bulaeus V, 575) hat dieſe An: 
lagen amtlich feftgeftellt und deshalb verordnet, daß die Examinatoren jahrlich wechſeln 
a 4 -  follten und keine Penſionäre halten: Multae ad nos querimoniae factae sunt. 
wildes iteratis, tam verbo quam scripto, per viros etiam graves in e 
ſbiotgis magistros et alios de omni facultate et praesertim ex parte venera- 
billam collegiorum hujus universitatis ... quod antedicti tentatores (bie 
feit langer Zeit im Amt befindlichen Eraminatoren) ... multos abusus commi- 
serunt ... Nam cum praedicti paedagogi suos baccalarios habentes do- 
mesticos ei commensales ad id officium (eines Eraminators) praeficerentur, 
- Immodersto favore et inordinato affectu suos etiam indignos attollebant 
Aieuis et bene meritis praeferentes. Collegiorum vero baccalarios et alios 
1 7 qui de suo - non erant, quantumcungque dignos et doctos per injuriam 
* 1 repellebant. .. 


300 Bedeutung der Kollegien. 


möglich machte, ſich dem auf zehn und mehr Jahre verlängerten 
Studium der Theologie ohne Sorge widmen zu können, das gilt auch 
von den Kollegien im ganzen, und es war doch für die Entwicklung 
der Kirche von Wichtigkeit, daß ſich die Weltgeiſtlichen auch auf dem 
Gebiete der Wiſſenſchaft den Orden gegenüber behaupteten. Bis in 
die Mitte des 13. Jahrhunderts war das allerdings ohne ſolche 
Kollegien geſchehen, aber das Studium hatte einen ausgedehnteren 
Apparat nötig und dauerte länger, dagegen waren die Ausſichten, 
durch gelehrte Kenntnis zu Pfründen zu gelangen, weſentlich geringer 
geworden. Die Zahl derer, die theologiſche Studien trieben, war 
weit größer, die Orden allein ſtellten ganze Scharen, und neben 
Paris waren zahlreiche Univerſitäten gegründet worden, welche Ein⸗ 
künfte und Pfründen verbrauchten; die kirchlichen Zuſtände dagegen 
geſtalteten ſich ſo, daß viele Kräfte und Mittel, die ſonſt wohl für die 
Studien und ihre Vertreter verfügbar geweſen waren, in der Finanz⸗ 
wirtſchaft von Avignon, den Kämpfen des Schisma und dem üppig 
wuchernden Nepotismus der Päpſte und Prälaten !) verbraucht wurden. 
Mochten manche Päpſte große Summen für die eine und andere 
Univerſität aufwenden, die Not blieb ?), während andererſeits die 
Anſprüche und Ehren ſich ſteigerten. Der Weltruf der Univerſität 
Paris hatte ihr auch im Königreich erhöhtes Anſehen verſchafft, im 
14. Jahrhundert trat ſelbſt der Biſchof hinter ihr zurück), unter deſſen 
Hut und Gewalt ſie im 13. Jahrhundert herangewachſen war, der 
König ehrte ſie auf jede Weiſe, und in der langen Zeit des Schisma, 


) Hinreichende Belege für den Mißbrauch, den Päpſte und Prälaten mit 
der geiſtlichen Gewalt und den Gütern der Kirche trieben, bietet ſchon die Ge⸗ 
ſchichte der Päpfte von Paſtor, obwohl fie in ausgeſprochen klerikalem Sinne 
zuſammengeſtellt iſt. Viel Material bietet ferner das von Paſtor als ſtützende 
Vorarbeit benutzte Leben Gerſons von Schwab. 

) Für Paris genügen die oben mitgeteilten Aeußerungen Gerſons, eine 
Ergänzung dazu iſt der Kampf des Kanzlers von 1385 um ſeine Einnahmen aus 
den Prüfungen. Bulaeus IV, 606. 

) Der Prevot von Paris mußte ſich im 14. Jahrhundert wiederholt tief 
demütigen vor der Univerfität (Bulaeus IV, 78 u. IV, 386), ja der Biſchof 
ſelbſt mußte dem Rektor den Vortritt laſſen, als er mit demſelben zuſammen für 
die Stadt Paris um Gnade bat, und dies geſchah in feierlicher Audienz vor 
verſammeltem Hof und obſchon der Biſchof in pontificalibus existens war. 
Bulaeus IV, 586: Rector obtinuit locum dextrum et propositionem pri- 
mam. 1381. 


3 Beraterin in kirchlichen Fragen. Dieſer Glanz machte die 
Nauot noch unerträglicher, und wenn den Kollegien auch die großartige 
Er wie fpäter die engliſchen Kollegien den Ma⸗ 

und Stellung angemeſſenen Mittel zu 
gewähren, und wenn die Einnahmen der Magiſter in den Penſionen 
ärmlich blieben, fo halfen fie doch über das Schlimmſte hinweg und 
ermöglichten manchem tüchtigen Manne die Fortſetzung ſeiner Studien. 

Einfluß der Sorbonne und die Bedeutung, welche die Zöglinge 
Kollegiums Navarra Peter d'Ailly und Johannes Gerſon für die 
Theologie gewonnen haben, ſind allein ſchon glänzende Beweiſe dafür, 
wie viel Paris den Kollegien verdankt. 


Die Kollegien und die Verwaltung der Univerſität. 
Im Jahre 1382 ſtritten der Abt und Kanzler von S. Genovefa, 


über das Recht an die Erbſchaft eines Kanonikus, der zugleich Mit: 

glied der Univerſität war), und die Fakultät der Dekretiſten ſtritt 

mit dem Kapitel über den Anſpruch desſelben, daß ein Kanonikus, 
welcher Doktor des kanoniſchen Rechts ſei, nicht gezwungen werden 
konne, in den von der Fakultät beſtimmten Räumen und unter ihrer 
Auſſicht zu leſen. Die Fakultät wollte die Vorleſungen, welche ein 
Kanonikus auf Grund dieſes Anſpruchs gehalten hatte, nicht als Vor: 
lleſungen der Univerſität im Rechtsſinne gelten laſſen ). Von der 


J Bulaens IV, 587. 
*) Jourdain 484— 488. 
*) Jourdain 805. Bulle Bapft Clemens VII. Auguſt 1384. Bulaeus IV, 
8001 . Das Kapitel behauptete, quod unus canonicus ipsius ecclesise, hujusmodi 
Ac cexetorum doctor, qui hujusmodi doctoratus insignia in studio praedieto sus- 
deporit. potest absque licentia doctorum, decani facultatis et collegii 
in scholis claustri ejusdem ecclesine decreta ipsa legere, et quod ipse sie 
legens reputatur regens in facultate praedicta et omnibus privilegiis 


302 Die verwickelte Form der Derfaffung. 


Abtei S. Victor endlich wußte man mehrfach nicht recht, ob ſie zur 
Univerſität gehöre!) oder nicht. Dergleichen loſe und widerſpruchs⸗ 
volle Verhältniſſe fanden ſich noch vielfach, und dieſe verwickelten 
Verhältniſſe unterſtanden einer nicht weniger verwickelten Gruppe von 
Behörden. Abgeſehen von dem Papſt und ſeinen Legaten, dem Könige, 
ſeinen Beamten und ſeinem Parlamente, den Biſchöfen von Paris 
und Senlis u. a. außerhalb der Univerſität ſtehenden Gewalten, 
welche oft in einſchneidender Weiſe und unter ſich auch bisweilen im 
Streit ?) die Univerſität beeinflußten, beſtand das Regiment aus einer 
Fülle von konkurrierenden Behörden. Der Rektor und der Kanzler, 
der Abt von S. Genovefa und ſein Kanzler, die Fakultäten und ihre 
Dekane, die Nationen und ihre Prokuratoren, das Kapitel der Dom⸗ 
kirche, Abt, Kanzler und Konvent von S. Genovefa, die Verſamm⸗ 


et libertatibus et immunitatibus utitur atque gaudet, quibus doctores de- 
eretorum ipsorum eadem decreta in vico elausi Brunelli (hier lagen die 
scholae der Dekretiſten) Parisius legentes utuntur et gaudent. Mehrere Jahre 
habe der Dekan des Kapitels in scholis praefatis, d. i. Claustri Eeclesiae geleſen. 
bis dann die Fakultät ihn daran gehindert habe, und erklärt, er halte ſeine Vor⸗ 
leſungen nicht tanquam regens. 

) Die Schule von S. Victor z. B. hatte im 12. Jahrhundert einen der wich⸗ 
tigſten Mittelpunkte des wiſſenſchaftlichen Lebens gebildet, aus dem die Bildung 
der Univerſität hervorging, auch hatte der Abt von S. Victor im 13. Jahrhundert 
mannigfaltige Befugniſſe und Pflichten bezüglich der Univerſität gehabt, aber an 
dem Schulleben hatte S. Victor ſpäter keinen oder doch keinen irgendwie hervor⸗ 
tretenden Einfluß. Man wußte deshalb um 1300 nicht recht, ob S. Victor als 
Glied der Univerſität zu betrachten ſei oder nicht, und um die Privilegien der 
Univerfität zu genießen, erbat S. Victor 1309 von der Univerfität eine Urkunde, 
in welcher Abt und Konvent von S. Victor als Glieder der Univerfität, als boni 
et etiam legitimi scholares Parisienses anerkannt wurden. Jourdain 379. 
Bulaeus V. 207 f. Im Anfang des 15. Jahrhunderts mußte S. Bictor dann 
wiederum um dieſe Beſcheinigung bitten, ſich gewiſſermaßen eine scedula scolari- 
tatis ausſtellen laſſen. 

) Der im 13. Jahrhundert überwiegende Einfluß des Papſtes trat im 14. 
und 15. Jahrhundert vor dem Einfluß des Königs und ſeines Parlaments zurück, 
aber dieſer Wechſel vollzog ſich nun nicht grundſätzlich, ſondern gelegentlich, und 
lehrreich iſt es, wie Papſt Clemens VII. den eben erwähnten Streit der Dekretiſten 
und des Kapitels entſchied, während er vor dem Parlamente ſchwebte. Auch be⸗ 
hauptete die Univerfität dieſer ſteigenden Gewalt des Königs gegenüber ihre Selb: 
ſtändigkeit, fo abhängig ſie auch namentlich zur Zeit der engliſchen Kriege und in 
manchen Momenten des ſchismatiſchen Streites erſcheint. Ein bezeichnendes Bei⸗ 


ſpiel iſt, wie die energiſche Forderung des Königs, einen Günftling zum Magister 
theologiae zu promovieren, 1476 abgelehnt wurde. Bulaeus V. 724. 


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Jede Fakultät eine Gruppe von Korporationen. 303 


lung aller Magiſter, die Kommiſſionen für die Prüfungen: alle dieſe 
Behörden wirkten nebeneinander und vielfach ohne ſichere Grenzen 
ihrer Befugniſſe und deshalb oft gegeneinander. Zu dieſem Ver⸗ 
waltungslabyrinth traten nun die großen und kleinen Kollegien und 
Padagogien (Penſionsanſtalten) hinzu, und wenn fie teilweiſe zu einer 
der Fakultäten und Nationen) in näherer Beziehung ſtanden, fo 
wurden fie ihnen doch nicht einfach eingefügt oder untergeordnet. 
Neben den Dekanen der Fakultäten und den Prokuratoren der Na⸗ 
tionen berief der Rektor fortan auch die Vorſtände dieſer Anſtalten 


oder benützte fie als ſeine Organe, und den Nationen 
und Fakultäten wurde eine Reihe von Geſchäften durch die Kollegien 
abgenommen oder erleichtert, ja man kann ſagen, daß nur durch die 
Einrichtung der Kollegien und Pädagogien die Fortdauer der Uni⸗ 
verfität oder wenigſtens der aus dem 13. Jahrhundert überkommenen 
Einrichtungen ermöglicht worden iſt “). 

Die theologiſche Fakultät beſtand aus Gruppen von Magiſtern, 
Baccalaren und Scholaren, die außerdem noch als Mitglieder des 
Kapitels, als Inſaſſen eines Kollegiums oder eines Ordens eine andere 
Stellung und andere Pflichten hatten. Man hat die theologiſche 
Fakultat deshalb eine Föderativrepublik von Korporationen genannt, 
aber dasſelbe gilt auch von den anderen Fakultäten, namentlich auch 
von den Artiſten und von der Univerfität im ganzen. 

1 Es iſt hier nicht der Ort, die Zuſtände in den Kollegien und 
Penſionen (Pädagogien) und ihre Wirkung auf die Univerſität und 
das Leben der Scholaren näher zu ſchildern, nur ein Punkt iſt noch 
hervorzuheben. Der Einfluß dieſer Anſtalten wurde im Laufe des 
15. Jahrhunderts immer vorwaltender, und 1463 befahl die Fakultät 


1 ä der Artiſten, daß alle Scholaren, welche nicht bei Verwandten wohnten, 
| a So bat das collegium Boissiscum 1418 die galliſche Nation, eine An 
als propria et sua causa zu unterſtützen. Bulaeceus 


i 


Os man dies für einen Gewinn zu halten hat oder wünſchen follte, die 
Zuſtände der öffentlichen Gebäude und der Bibliothek, der Mangel einer 
Profeſſur, die Unfähigkeit der alademiſchen Behörden, die Scholaren und 
von pöbelhaften Exzeſſen zurückzuhalten, dieſe und andere jetzt durch die 
teuls gemilderten, teils verhüllten Uebelſtande wären nicht gemildert und 

worden, in der Hoffnung, daß fie dann zu einer gründlichen Reform 
eine andere Frage, die aber keineswegs fo einfach zu bes 


21 
5 


* * 
Er 1 
u, 


Die Artiften und die libertas scholastica. 


304 


zn — 


oder im Hauſe eines angeſehenen Mitgliedes der Univerſität, in einem 
Kollegium oder einem Pädagogium wohnen müßten ). Wenn dieſe 
Anwendung nun auch nicht ſtreng durchgeführt werden konnte, und 
immer noch einige Scholaren für ſich wohnten — man nannte ſie 
Martinets — ſo war doch das Leben der Scholaren in dieſen Kol⸗ 
legien und Penſionen im ganzen entſcheidend für das Leben der 
Scholaren überhaupt, zumal ſich im 15. (und noch mehr im 16.) Jahr⸗ 
hundert der Unterricht mehr und mehr aus den öffentlichen Hoͤrſälen 
in die Kollegien und Penſionen zog ?). Dieſe Verhältniſſe erwecken 
aber die Vorſtellung, als hätten die Artiſten damals die Übertas 
scholastica verloren und mehr in der Weiſe unſerer Schüler gelebt, 
und dieſe Vorſtellung wird verſtärkt durch manche Beſtimmungen der 
Univerſitätsſtatuten von 1452, ſowie der Statuten der Kollegien. 
So wenn die Statuten von 1452 verbieten, in den Hörſälen Bänke 
aufzuſchlagen, die Scholaren ſollten auf dem Boden ſitzen, damit die 
Jünglinge von Hochmut frei blieben“). Allein dieſe Beſtimmung 
findet ſich auch ſchon in dem Statut von 1366 und war nichts als 
der Verſuch, eine Gewohnheit aus der Zeit der Gründung der Uni⸗ 
verſität feſtzuhalten. Der Boden wurde bisweilen mit Stroh beſtreut 
und davon hieß die Straße, in der die Hörſäle der Artiſten lagen, 


) Bulaeus V, 658. 

) Thurot 98. 2 

) Die Maßregel wurde gerechtfertigt mit einer ſachlichen Erwägung (sedeant 
in terra coram magistris, non in scamnis vel sedibus elevatis a terra, sieut 
hactenus tempore, quo dictae facultatis studium magis florebat, servabatur, 
ut occasio superbiae a juvenibus secludatur. Bulaeus IV, 390 u. V. 578) 
aber der eigentliche Grund war wohl, abgeſehen davon, daß es Herkommen war, 
der, daß es den Nationen, welche im 14. und 15. Jahrhundert die Hörfäle beſaßen 
und den Magiſtern zuteilten, am Gelde fehlte, um ſie mit Bänken auszuſtatten 
und weiter im ſtande zu erhalten. Die Einnahmen der Nationen waren gering. 
und das Meifte wurde vertrunken. Man vergleiche die Klage der Fakultät, Bulaeus 
Ill, 347 (1258): nostram facultatem propter deſectum pecuniae frequenter 
subjacere periculis, und den Beſchluß der normänniſchen Nation, worin es heißt, 
daß einige Magiſter, die in den Sommerferien in Paris geblieben waren, während 
der größere Teil in die Heimat gegangen war, um Lebensmittel zu holen, das 
Geld der Nation teils verſchwendet, teils vertrunken hätten (Jourdain 50. 
1343: per aliquos & festo Ascensionis usque ad festum beati Dionysli 
(9 Oct.) predieta pecunia nationis fuerit dispensata minus juste, aut indebite 
potabatur, dum major pars verorum regentium contingebat ad partes pro 
vietualibus procurandis remeasse). g 


Die Strafen. 305 


vieus straminum (straminis), rue du Fouarre?). 
aber dieſe Sitte die Entwicklung der libertas scholastiea nicht 
ſo kann ſie auch nicht als Beweis für ihr Schwinden 
Andere Beſtimmungen derart find, daß die Vorſteher der 
zu den öffentlichen Disputationen begleiten 
überwachen und Unfug zu hindern, oder die, daß 
Scholar, der aus einem Kollegium oder Pädagogium austrete, 
ſich einer Strafe zu entziehen, von keiner anderen Anſtalt auf⸗ 
werden dürfe). Dieſe letzte Beſtimmung war die not: 
von, daß die Univerſität die Kollegien und Päda⸗ 
ihre Organe überwachte und benutzte. Wenn aber die 
Disputationen ſehr an Schüleraufficht erinnert 
der akademiſchen Freiheit nicht vereinbar er⸗ 
ſich einmal zu erinnern, daß auch die Profeſſoren 
unterſtellt wurden, die mit heutigen Verhältniſſen nicht 
„ſodann daß derartige Vorſchriften wohl in erſter 
die Grammatikſchüler berechnet waren, welche unter den 
mitbegriffen wurden, aber in all dieſen Jahrhunderten als 
behandelt und wie in den Kloſterſchulen für ihre Ver⸗ 
| regelmäßig mit der Rute oder Geißel beftraft wurden “). 
reiferen Scholaren konnten mit Schlägen beſtraft werden, 
wurde ebenfalls nicht erſt in dieſen letzten Jahrhunderten 
„ ſondern war auch ſchon im 13. Jahrhundert möglich — 
im 13. Jahrhundert, ſo hatte auch im 14. und 15. Jahr⸗ 
dieſe Züchtigung regelmäßig nicht den Charakter einer Schul⸗ 
ondern den einer gerichtlichen Exekution. Es war eine Folge 
des privilegierten Gerichtsſtandes der Scholaren, daß „ſie gegeißelt 
wurden, wenn ſie nach bürgerlichem Recht den Strick verdient hatten“ ). 
Bergehen gegen die Ordnung des Kollegs, auch jo ſchwere, wie das 
Ausbleiben über Nacht, wurden in dem Kollegium Navarra, wie in 
dem Harcurianum mit Geldſtrafen gebüßt, oder ſchließlich mit Ent: 


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= 5 
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1 


8 3 8 
H 


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7 J 1858 rue du Feurre. Jourdain 666. gl. Thurot p. 69. Die 
3 Kandidaten hatten bei der Prüfung 4 solidos pro straminibus vel herbis zu 
ee zahlen. Bulaeus IV, 251. 
J Statuten von 1452. Bulaeus V. 572. 
J Gerson, Opera IV, 718, angeführt bei Thurot p. 95. 
1 ) Thurot p. 40: Ils ne recevaient que le fouet, quand ile avaien! 
0. merite la corde. 

Nesse, deen Der dien Univerhtätre. 1. 20 


306 Die Strafen. 


ziehung der Burſe!), und die auf Privatſpekulation gegründeten 
Pädagogien waren ſicher nicht ſtrenger, es wurde vielmehr geklagt, 
daß ſie den Scholaren die Zügel ſchießen ließen. 

Beſonders aber iſt zu beachten, daß in den Bezeichnungen der 
Univerſität, in ihren Privilegien und bei den feierlichen Akten die 
Scholaren die gleiche Stellung hatten wie früher, daß ferner ihre 
Kämpfe mit den Bürgern ebenſo wie im 13. Jahrhundert keine 
Schülerſtreiche waren, ſondern Studententumulte?), und daß fie 


1) Statuten des Harcurianum Bulaeus IV, 153 f., des Navarricum Bu- 
laeus IV, 88 f. Ob von den Vorſtänden dieſer Kollegien, abgeſehen natürlich 
von den Grammatikſchülern, körperliche Züchtigung verhängt werden konnte, möchte 
ich bezweifeln. Zwar das Kollegium Cluniacenſe, das klöſterliche Ordnung bewahrte, 
hatte das Statut: (baccalarii quam alii studentes) inobedientes ... per supe- 
riores ... regulari disciplina puniri, Bul. IV. 124, in den Statuten des Kollegium 
von Navarra und des Harcurianum habe ich dagegen feine Androhung der Prügel⸗ 
ftrafe gefunden, denn die Drohung Bulaeus IV, 93: si quis verba oppro- 
briosa . . . alii dixerit, punietur in bursa et si assuefetus fuerit in talibus, 
gravius puniatur ift doch wohl auf Erhöhung der Geldſtrafe zu deuten. Ein 
Beiſpiel der Prügelſtrafe iſt die 1477 nach dem großen Tumulte unter den die 
Vorleſung über Ethik in der Sorbonne beſuchenden Scholaren vollzogene Exekution, 
aber ſie wurde von den Kommiſſären der Univerſität angeordnet und erregte 
trotzdem furchtbaren Tumult. Bulaeus V. 727. Im Jahre 1404 ſetzte ein 
Scholar des Kollegium Boiſſiacum lange Zeit hindurch das Kollegium und weiter 
den Rektor und die Univerſität durch bodenloſe Frechheit und Gewaltthätigkeit in 
Aufregung. Bei Tiſch zerſchlug er den anderen Scholaren die Teller, in der Kirche 
hemmte er den Gottesdienſt und zu dem Gericht des Rektors zog er mit einer 
bewaffneten Schar, ſo daß der Rektor und die Beiſitzer die Unterſuchung nicht 
vorzunehmen wagten. Erſt in einer zweiten Sitzung unterwarf er ſich und wurde 
aus dem Kollegium ausgeſchloſſen. Dies Urteil wurde dann in einer General⸗ 
verſammlung der Magiſter aller Fakultäten, zu der auch die non-regentes 
geladen waren, beſtätigt. Der dem Urteilsſpruch vorausgeſchickte Bericht der 
Univerfität über dieſen Sünder (Bulaeus V, 98 f.) macht einen tragikomiſchen 
Eindruck und zeigt einmal die Unbehilflichkeit der Organiſation der Univerfität, 
ſodann aber auch, wie ſehr man irren würde, wenn man ſich durch einzelne Züge 
wollte beſtimmen laſſen, dieſe Scholaren in den Kollegien unſeren Schülern zu 
vergleichen. Weiteres ſiehe im Anhang. 

) Im Jahre 1412 hatte z. B. ein Wirt aus der Harfengaffe, der mit den 
Scholaren des Harcurianum Streit haben mochte, den Kadaver eines Pferdes 
nächtlicherweile vor das Kollegium gefahren; die Scholaren aber ſchleppten ei ihm 
zurück, zerſchlugen ihm alles und verführten ſonſtigen Unfug, bis auf Bitten des 
Wirts die Polizei einſchritt. Es kam zum Kampf, die Scholaren unterlagen, 
wandten ſich aber an den König und erreichten, daß der Wirt beſtraſt und ber 
Prevot von Paris ſeines Amtes entſetzt wurde. Bulaeus V, 285. 


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7 


Stellung der Scholaren zu den Magiſtern. 307 


im ganzen dem Proſeſſor nicht in der Abhängigkeit gegen⸗ 
Überſtanden, welche den Standpunkt des Schülers charakteriſiert, ſondern 
in ähnlicher Freiheit und Kameradſchaft, wie fie im 13. Jahrhundert 
geherrſcht hatte. Denn es erhielten fi diejenigen Verhältniſſe, auf 
denen dieſe Stellung vorzugsweiſe beruhte. Auch im 14. und 15. Jahr⸗ 
hundert waren viele Magiſter nicht älter als viele Scholaren, auch 
im 14. und 15. Jahrhundert waren ferner unter den Scholaren der 
einen Fakultät ſolche, die in einer anderen Magiſter waren, und die 
Baccalare der Theologie, welche thatſächlich die Dozenten der Theo: 
logie waren, galten rechtlich in den wichtigſten Beziehungen als 
Scholaren, falls fie nicht vorher die Würde des magister artium er: 
worben hatten. Schon dieſe Thatſachen ließen die Kluft zwiſchen 
Magiſtern und Scholaren nicht tiefer werden, und außerdem erhielt 


ſich auch die gleichartige Lebensweiſe und ähnliche wirtſchaftliche Not 
bei 


den Magiſtern. Sie lebten wie die Studenten und vielfach in 
Gemeinihaft mit den Studenten, und von den Pfründen, die fie wie 
die Scholaren auf Grund von Reſidenzprivilegien genießen durften, 
oder in Freiſtellen; und wie die Studenten, ſo eilten auch die Ma⸗ 
gifter in den Ferien in die Heimat, um ſich einmal wieder eines 
ordentlichen Haushaltes zu erfreuen und um Vorräte mitzubringen 
für den Scholarenhaushalt der Studienzeit. Die kleinen Geſchenke 
bei den Prüfungen erſchienen ihnen als etwas Weſentliches, und ein 
Gelage auf fremde Koſten als ein Freudentag. Auch an dem Unfug, 
den verbotenen Umzügen, Schlägereien und Gewaltthaten beteiligten 
ſich neben den Scholaren nicht ſelten Magiſter !). Vor allen Dingen 


) Das Statut von 1275, welches den Scholaren lärmende Umzüge verbot, 
mit der gleichen Ermahnung an die Magifter cum talia elericos non 
nee magistros praecipue. Bulaeus III, 421; V. 704. 1417 beſchloß 
Nation, weil zu den Sitzungen der Nation nur vier oder fünf Ma: 
ſobald aber auf Koſten der Nation getrunken wird, wohl dreißig 
ſolle auch zu den Gelagen niemand kommen dürfen, der die Sitzungen 
*, Im Jahre 1429 wurde in Montpellier ein Prozeß gegen ſieben 
geführt, welche nachts die Thüre eines Hauſes erbrochen, ein junges Weib 
Im die Wohnung eines Scholaren geſchleppt und mißbraucht 
Hauptthater unter ihnen war ein Magifter. Germain III, 406. 
ebenfo in Oxford, wo das Syſtem der Kollegien noch gröhere Aus⸗ 
Munimenta acad, I, 94. Ja, in Paris wurde die Klage erhoben, daß 
deshalb fo locker fei, weil viele Magiſter den Scholaren mit böfem Bei: 
vorangingen und infolge deſſen auch die ernften und pflichttreuen Lehrer feinen 


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308 Erſchlaffung des akademiſchen Kebens. 


aber iſt daran zu erinnern, daß die Form des Unterrichts auch im 14. und 
15. Jahrhundert der Disputation großen Spielraum gewährte und 
damit den Scholaren die Möglichkeit gab, dem Magiſter ſo gegenüber⸗ 
zutreten, daß nur die Gewandtheit und die Kenntniſſe über den Vorzug 
entſchieden. Wenn man trotz dieſer Erwägungen die Vorſtellung 
nicht abweiſen kann, daß mit den Kollegien und Pädagogien ein gut 
Teil der alten libertas scholastica verſchwunden ſei, ſo liegt der 
Grund darin, daß im 15. Jahrhundert aus der Univerſität der friſche 
Geiſt der Forſchung gewichen war, der ſie im 13. Jahrhundert hatte 
entſtehen laſſen. Mochten Männer wie Gerſon und Nikolaus von 
Clemanges das heilige Feuer der Wiſſenſchaft in ſich und ihrem Kreiſe 
nähren, in den Maſſen derer, welche die Univerſität beſuchten, war 
es erloſchen. Die Privilegien, die Prüfungen und Ehren, welche 
einsmals den Schulen verliehen worden waren, um die Studien zu 
fördern, bildeten jetzt das Ziel, um deswillen man ſich als Scholar 
aufnehmen ließ. Die Kollegien und Pädagogien, und der ganze 
künſtliche Apparat der Univerſitäten ſchützte dieſe ſcheinbaren Scholaren, 
weil ihre Inhaber und Leiter ihre Stellung und ihre Einnahmen 
nicht aufgeben wollten. Die mittelalterliche Form des Studiums 
hatte ſich überlebt, es war an der Zeit, daß auch die Träger des⸗ 
ſelben, die mittelalterliche Univerſitäten, den Schulen der Neuzeit 
Platz machten. 


Die engliſchen Univerſitäten. 


Im 12. Jahrhundert ſah Oxford!) zwar ſchon ein wiſſenſchaft⸗ 
liches Treiben von Magiſtern und Scholaren der gleichen Art, wie 
es in Paris herrſchte, aber es war von geringerer Kraft und Aus⸗ 
dehnung; im 12. Jahrhundert bildete Paris auch für die Engländer 
den eigentlichen Hochſitz der Wiſſenſchaft. Im 13. Jahrhundert und 
namentlich in der für die Verfaſſungsentwicklung beider Univerſitäten 
entſcheidenden erſten Hälfte war Oxford dagegen an wiſſenſchaftlicher 
Kraft der Pariſer Univerſität ebenbürtiger und entwickelte die Korpo⸗ 
ration der Magiſter ebenſo früh, wenn nicht noch etwas früher wie 


Einfluß auf fie hätten. (Gerson op. I. 110 f., abgedruckt bei Schwab, Gerfon 
S. 63 Note 4.) 


) Das wichtigſte Zeugnis iſt die oft benutzte Schilderung des Giraldus 
Cambrensis, opera ed. Brewer I, 72 f. gl. Lyte p. 18. 


Paris und in jelbftändiger Weile. Zwar die Urkunde‘) von 1201, 
3 in welcher jogar ſchon das Siegel der Korporation erwähnt wird, iſt 
deine Fäͤlſchung, aber unzweifelhaft hatte die Oxforder Korporation 


Entstehung don Opford. 309 


bereits in dem erſten Jahrzehnt eine gewiſſe Feſtigkeit und beſaß in 
der Ordnung, wonach die Bürger den Scholaren die Wohnung zu 
dem durch Schätzung feſigeſtellten Preiſe überlaſſen mußten, ein Binde⸗ 
mittel, wie es Paris damals noch nicht beſaß, und vermutlich auch 
ſchon Organe, welche dieſe Schätzung vornahmen ). Die Entwicklung 


) Denifle benutzt fie S. 244 noch als echt. Die Fälſchung war bereits 
früber machgewieſen und kürzlich iſt es durch Lyte p. 248 und Kaſhdall in 
Review 1887 p. 444 f. geſchehen. 

Im Jahre 1209 beſchloſſen die Magiſter und Scholaren, die Vorleſungen 
und Oxford zu verlaſſen, weil die Bürger einige Scholaren gehängt 
3000 fortgezogen ſein (Roger de Wendower, Flores 
. Coxe III, 227 [in den Publikationen der English historical 
auch in Mathaeus Parisiensis, Chronica majora, ed. Luard II, 
einſge Magiſter blieben zurück und ſetzten die Vorleſungen fort. Als 


ergeben hatten, in der noch vorliegenden Urkunde (Munim. 
f.), daß die Magiſter, welche ohne Scheu nach dem Abzug der 


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Mojorität zu leſen fortgefahren hätten, von dem Amt, d. h. von dem Recht zu 
lehren, auf drei Jahre ſollten ausgeſchloſſen ſein. Ferner: die Bürger ſollten 
wahrend der 


nüchſten zehn Jahre für die vermieteten Räume nur die Hälfte des 
elben vor dem Auszuge comuni consilio clericorum 


Die neu zu beziehenden Räume ſollten von einer 


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Kommilfion von vier Bürgern und vier Magiftern tariert werden. Vermutlich 
hatte eine folge Kommiſſion auch ſchon die Schätzungen vor 1209 vorgenommen, 
denn ohne | die Durchführung einer ſolchen Schätzung nicht 
wohl Auch die Beftrafung der Bürger durch Herabſetung des Miet 


neuen Wohnungen, ſowie die 

all das weiſt darauf hin, daß 
ausgebildet waren. In Paris begann dagegen die 
in dieſem Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts einige 
Jeſtigkeit Urteil des Legaten iſt die älteſte Urkunde der 
Oxforder Univerfität und gewährt in viele Seiten und Berhältnifie ihres Bildungs 
vtozeſſes N... apostolicae sedis legatus, dilectis in Christo Aliis 
Burgensibus Oxonise ... Cum propter suspendium clericorum a vobis 
commissum mandatis ecclesine per omnia stare jurassetis ... statulmus, 


Aud a festo 8. Michaelis anno ... 1214 usque in decem annos sequentes, 
seholaribus Oxonise studentibus condonetur medietas mercedis hospitiorum 


omnium locandorum clerieis in eadem villa, mercedis inquam taxatae 
 communi eonsilio elericorum et nostro ante recessum scholarium propter 


310 Entwicklung der Derfaffung. 


ſcheint denn wohl in Oxford langſamer weiterzugehen, weil der Kanzler 
oder der Biſchof und der Legat für die Korporation eintraten und 
teils ſelbſt, teils unter Zuziehung von Scholaren für ihre Bedürfniſſe 
ſorgten, während in Paris die Korporation in den folgenden Jahren 
beſtändig mit dem Kanzler zu kämpfen hatte; indeſſen fehlt es an 
Nachrichten, um eine ſolche Vergleichung mit einiger Sicherheit an⸗ 
ſtellen zu können. Man hat auch vermutet, daß bei der Auflöfung 
von Paris 1229 zahlreiche Scholaren von dort nach Oxford ge⸗ 
kommen ſeien und die Pariſer Statuten übertragen hätten; allein 
über dieſe Zuwanderung, geſchweige denn über dieſen Einfluß iſt 
wiederum nichts Beſtimmtes bekannt; vor allem aber darf man nicht 
vergeſſen, daß im Jahre 1229 die Pariſer Verfaſſung ſelbſt noch zu 
keiner Feſtigkeit gekommen war, daß wir damals weder für die 
Nationen, noch für die Fakultäten, noch für die Geſamtuniverſität 
Vorſteher und feſte Organiſation nachweiſen können. 

Aus Oxford haben wir Nachrichten und Urkunden über die Ver⸗ 
faſſung erſt um die Mitte des Jahrhunderts, aber von 1252 iſt auch 
ein Beſchluß der Univerſität erhalten), welcher die Korporation in 


suspendium praedictum clericorum. Finitis vero praedictis decem annis 
aliis decem annis proximo sequentibus locabuntur hospitia sub mercede 
cleri, ut praedietum est, taxata ... constructa vero postmodum vel con- 
struenda aliaque prius constructa sed non taxata arbitratu quatuor ma- 
gistrorum et quatuor burgensium taxabuntur et praedicto modo per 
utriumque decennium locabuntur. Communia quoque ejusdem villae 
annuatim dabit 50 solidos dispensandos in usus pauperum scholarium ... 
Praeter hoc etiam eadem Communia pascet centum pauperes scholares in 
pane, cerevisia, potagio et uno ferculo piscium vel carnium singulis annis 
in perpetuum die 8. Nicholai, quos Episcopus Lincolniae vel archidiaconus 
loei seu ejus officialis aut ipse cancellarius vel alius ab hoc episcopo 
Lincolnise deputatus providerit. Jurabitis etiam, quod victualia et alia 
scholaribus necessaria justo et rationabili pretio vendetis et ab allis vendi 
fideliter procurabitis, et quod in fraudem hujus provisionis graves non 
facietis constitutiones vel onerosas, per quos conditio clericorum deterio- 
retur. Si vero contingat amodo clericam capi a vobis, statim, cum fueritis 
super eo requisiti ab episcopo Lincolniae seu archidiacono loei 
vel ejus offieiali vel a cancellario seu ab eo, quem episcopus 
Lincolniae huie offieio deputarverit, captum ei reddetis ... 

) Dieſer Beſchluß der Univerfität handelt von den Kämpfen der beiden 
Nationen, der Nordleute, Borenles, und Südleute (ftatt ihrer wird der beteiligte 
Bruchteil, die Hibernienses, genannt) und beftellt ein Schiedsgericht, das aus 


Der Einfluß von Paris überſchätzt. 311 


. 
ke voller Ausbildung zeigt und zugleich den Beweis erbringt, daß ſie ſo 
ſchon länger beſtand. Wenn es trotzdem jetzt ſelbſt in England die 
beerrſchende Vorſtellung iſt, daß die Orforder Verſaſſung aus der 

Pariſer abgeleitet fei, jo erklart ſich das einmal aus dem natürlichen 

Ruckſchlag gegen die frühere Ueberſchätzung des Alters der Oxforder 


ſaſſung verteidigen wollte. Dazu kommt, daß man in England die 
durch ihren Reichtum an Urkunden und durch viele ſonſtige Vorzüge 
imponierende Darſtellung des Buläus, welche die wichtigſten Aemter 
und Einrichtungen der Pariſer Verfaſſung bereits im 12. Jahrhundert 
nachweiſt, nicht mit derſelben Schärfe prüfte, mit der man das Syſtem 
der Oxfordfabeln zerſtört hat. Man hielt ſogar den Glauben daran 
noch ſeſt, nachdem franzöſiſche Forſcher die Unrichtigkeit dieſer Vor: 
ſtellung nachgewieſen hatten). Wem aber Paris als jo viel früher 


90 ober 40 Magiſtern jeder Nation zuſammengeſetzt werden ſollte. Alſo 60 — 80 
Magifter bildeten den Ausſchuß, fie konnten regentes oder non-regentes ſein, 
2 De concordia facienda inter Boreales et Hibernienses; 
Bebingung aber war, daß fie divites waren, d. h. alſo, daß fie nicht auf die 
Hüfskaffen, Stiftungen und auf Verdienſt in den Penſionen angewieſen waren. 
(Dieſe Zahl der Schiedsrichter läßt annehmen, daß die Zahl der Magifter und 
Scholaten ſehr groß war, und beſtätigt die Nachrichten, welche von mehreren 
Tauſend ſprechen. Die Angabe des Nichard of Armagh (30 000) bezeichnet Anftey 
als übertrieben, er meint, wenn man ein Fünftel annehme, jo treffe man eher das 
Mächtige. (Munim. acad. I p. XLVIII. Dieſe Einleitung zu den Urkunden iſt 
übrigens ein vortrefflicher Beitrag zu ihrem Verſtändnis, und gleichen Dank ift man für 


interdicendi ſesta nationum, welches beginnt: Auctoritate domini cancellarii 
«st magistrorum regentium cum unanimi consensu non - regentium, decretum 
dest et statutum, welches zeigt, daß damals die Stellung der non - regentes zu 
den regentes bereits im weſentlichen jo war, wie fie im 14. und 15. Jahrhundert 


J Ungmeibeutig ift dies der Fall bei Anftey, dem um Oxford fo hochverdienten 
Herausgeber der Munimenta academica, obſchon ihm die Arbeiten von Thurot 


. 4 would howewer venture to refer them to the work of Bulaeus. Anſtegs 
® Meinung mußte aber in biefer Frage von beſondetem Gewicht fein, Nullinger 


312 Orford und Paris, 


ausgebildet galt, dem lag es allerdings nahe, die Aehnlichkeit der 
beiden Univerſitäten aus Ableitung zu erklären und den etwaigen 
Einfluß von Paris zu überſchätzen und zu verallgemeinern. 

Die Aehnlichkeit der beiden Univerſitäten bezieht ſich allerdings 
auf weſentliche Verhältniſſe und fällt ſofort ins Auge. Sie beſteht 
vor allem darin, daß ſich auch in Oxford die Univerſität in An⸗ 
lehnung an eine kirchliche Behörde und auf der Grundlage der geiſt⸗ 
lichen Gerichtsbarkeit entwickelte, nicht wie in Italien in der Form 
einer Ausnahmegeſetzgebung für eine beſtimmte Klaſſe von Fremden ). 
Sodann glichen ſie ſich darin, daß in beiden Univerſitäten die Korpo⸗ 
ration der Magiſter die Verwaltung hatte, im Gegenſatz zu der 
Scholarenverfaſſung von Bologna. Ferner darin, daß ſie wieder im 
gemeinſamen Gegenſatz gegen die italieniſchen Univerſitäten keine Be⸗ 
ſoldung der Magiſter kannten, und daß die Magiſter wie die Scho⸗ 
laren von Pfründen, Privilegien und Freiſtellen leben und einen 
Junggeſellenhaushalt führen mußten. In Oxford hatten endlich 
ebenſo wie in Paris die Kollegien darin ihre größte Bedeutung, daß 
ſie den Studien der Weltgeiſtlichkeit einen Rückhalt verliehen, wie ihn 
die Mönche in ihren Orden hatten. Allein dieſe Uebereinſtimmung 
beweiſt nur, daß Oxford ſich unter weſentlich den gleichen Verhält⸗ 
niſſen entwickelte wie Paris, daß es zu der Gruppe der Kanzler⸗ 
univerſitäten gehört, nicht aber, daß es die Pariſer Statuten zum 
Vorbilde nahm; auch zeigen ſich bei näherer Betrachtung erhebliche 
Unterſchiede. Verſchieden war einmal der Anteil, den die einzelnen 
Faktoren an der Bildung der Univerſität hatten. Der Papſt griff 
in die Entwicklung von Paris viel häufiger ein als in die von 


iſt ihr in feiner university of Cambridge 1, 83 beigetreten und kürzlich ſogar 
Rafhdall, obſchon er durch Buläus nicht mehr getäufcht wird. Er bezeichnet in der 
Church Quarterly Review 1887 p. 449 f. ſowohl die Prokuratoren wie die 
Nationen als Nachahmungen von Paris, jedoch ohne dies näher zu rechtfertigen. 

) Oxford und Paris glichen ſich auch darin, daß an beiden Orten Theologie 
und Philoſophie durchaus das Uebergewicht hatten, und da die Juriſten und 
Mediziner eine andere Rolle im Leben ſpielten, fo wirkte es auch auf die Ber 
faffung der Univerfität zurück, welches Studium vorwaltete. Indeſſen ift dieſer 
Einfluß weitaus nicht ſo bedeutend geweſen, als man meiſtens glaubte. Das 
Beiſpiel von Orleans und Angers erbringt den Beweis, daß auch Rechtsſchulen 
blühen konnten, ohne daß ſich ein Regiment der Scholaren entwickelte. Ich habe 
deshalb geglaubt, dieſen Punkt im Text ganz übergehen zu ſollen. 


Orford und Paris, 313 


rd), der König?) und die Stadt waren dagegen in Oxford 
. beteiligt als in Paris. Oxford war kein unbedeutender Ort, 

war auch im 13. Jahrhundert wiederholt der Mittelpunkt wichtiger 
politiſcher Ereigniſſe, war aber doch keine Großſtadt wie Paris, und 
da die Zahl der Scholaren in Oxford ebenfalls mehrere tauſend be⸗ 
trug, fo wurde die Stadt durch die Anſprüche der Univerfität und 
die übermächtigen Bundesgenoſſen, welche dieſelbe in dem Könige und 
den kirchlichen Gewalten zu gewinnen wußte, wiederholt ſchwer ge⸗ 
demütigt und in ihren Lebensintereſſen bedroht). Oxford und ſeine 
Schweſteruniverſität Cambridge bemühten ſich ferner mit Erfolg, das 
Aufkommen anderer Univerſitäten in England zu verhindern. Der 
König half ihnen dazu, und Oxford verpflichtete ſeine Magiſter durch 
feierlichen Eid, an keinem anderen Orte Englands als in Oxford oder 
Cambridge Vorleſungen zu eröffnen“). Paris hatte zeitweiſe wohl 


P Der Legat des Papſtes war dagegen bei den erſten Schritten der Ent: 

wWclung der Univerfität ſtark beteiligt. Ein Beiſpiel, daß Rom ſelbſt eingriff, iſt 

dos auf die Bitten des Robert Groſſeteſte erlaſſene Dekret Innocenz IV., daß in 
DOfford niemand leſen dürfe, der nicht von dem Biſchof oder feinem Vertreter 

geprüft worden jei. In den Munim. acad. fehlt dieſer Erlaß. Siehe Lyte 
der 


Schöne machte feinen Einfluß in Univerfitätsangelegen: 


9 Munim. acad. II, 375: Jurabis etiam, quod in ista facultate alibi 
w Anglis quam hie et Cantabrigiae, lectiones tuas solemniter tanquam in 
— — wniversitste non resumes (er durfte alſo anderenorts Vorleſungen halten und 

duch einen Kreis von Vorleſungen, aber nicht in der Form und mit dem Anſpruch 
den lniverfitätövorlefungen) nec in aliqua facultate sicut in universitate 
 solemniter ineipies: nee consenties, quod aliquis alibi in Anglia incipiens 
hie pro magistro in illa facultate habeatur. 
Mun. academ. I, 93 (1313): Statutum est, quod quilibet principalis 
inhabitator seu ejus vicem gerens tam aularum quam camerarum, in 
principio eujuslibet anni infra quindecim dies aut eitius prout cancellario 
et procurstoribus videbitur expedire, veniant et sacramentum praestent 
 «orporale: quod si noverint aliquem de societate sus conventiculas tales 
 faeientem seu facientibus assensum praebentem vel ad conventiculas acce- 
dentem seu communiter et ssepe malo zelo diversas nationes nominantem 
sen pacem universitatis perturbantem vel artem „Bokelariae* exercentem 


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314 Der Kanzler von Oxford. 


ein ähnliches Beſtreben, aber Frankreich füllte ſich mit Univerfitäten. 
So beachtenswert dieſe Unterſchiede aber an ſich ſind, ſo hängt von 
ihnen doch nicht die Entſcheidung jener Frage, ſondern von einer 
Vergleichung der Verfaſſung ſelbſt ab. Dieſe gibt aber auch eine 
unzweideutige Antwort, denn die weſentlichſten Einrichtungen und 
Aemter der Oxforder Verfaſſung, und zwar auch diejenigen, welche die 
gleichen Namen tragen wie die der Pariſer, ſind ſo eigenartig, daß ſie 
unmöglich einfach als Ableitungen oder Nachbildungen der Pariſer 
Verfaſſung begriffen werden können. In Oxford war der Kanzler 
zwar auch urſprünglich Vertreter des Biſchofs, aber er hatte um⸗ 
faſſendere Rechte und Pflichten, und die erſten Jahrzehnte wurden in 
keiner Weiſe beherrſcht durch den Kampf zwiſchen Korporation und 
Kanzler wie in Paris. In Oxford entwickelte ſich ferner der Kanzler 
zu einem von der Korporation gewählten Beamten !), während es 
dagegen nicht zu der Ausbildung eines dem Pariſer Rektorat ent⸗ 
ſprechenden Amtes kam. Der Kanzler von Oxford war in gewiſſer 
Beziehung dem Kanzler von Paris, in gewiſſer Beziehung aber dem 
Rektor von Paris zu vergleichen. Dieſe Thatſache genügt allein ſchon, 
um die Selbſtändigkeit der Entwicklung von Oxford zu erweiſen. 
In der Verſammlung der Univerſität wurde nicht nach Fakultäten 
und Nationen ?) abgeſtimmt wie in Paris, und damit war die Stellung 


vel meretricem in domo sua tenentem vel arma portantem vel discordiam 
inter Australes et Boreales qualitercunque procurantem, cancellario vel 
alteri procuratorum . . . denuncient. Quod quidem juramentum manecipia 
praestare eodem tempore teneantur. Eine kurze, aber durch reiche Sammlung 
des Materials unterſtützte Darſtellung bietet Lyte, Chapter VIII p. 195 f. 
Ueber die Bedeutung der Namen hall und college ib. p. 87. Mun. acad. I, 320 
werden die Scholaren, welche nicht einer Penſion und auch nicht in einem fundierten 
Kolleg wohnten, kurz als extra aulas ac sine principalibus lebend bezeichnet. 
Es wurde damals verordnet: quod singuli scholares universitatis in aula vel 
collegio universitatis, ubi communae ponuntur, sive in aulis eisdem annexis 
ac cum eisdem communas ponentibus sive batellantibus commorentur sub 


poena carceris ipsis pro prima vice infligenda, — Im Wiederholungsfall erfolgte 


Ausſtoßung. Auch die auf Stiftungen beruhenden Kollegien vermieteten Räume. 


So wurden 1452 einigen Benediktinern die Sachen verſteigert, weil fie dem Balliol 
college die für ihre Zimmer u. ſ. w. ſchuldige Summe nicht gezahlt hatten. Mun. 
acad. II. 627 f. 

1) Statut über die Wahl von 1922 Mun. acad. I, 106 f. Dazu die Bulle 
Urbans V. von 1368 ib. 1, 228 f. 

) Mun. acad. I, 323. 1433 wurde durch authentiſche Interpretation ber 


Die 315 
dieſer Teilkorporationen eine weſentlich andere wie in Paris, ebenſo 
hatten die Prokuratoren wohl den gleichen Namen wie die Vorſteher 
der Nationen in Paris, aber ihre Wahl fand auf eine längere Zeit 
ſtatt als in Paris, und ihr Wirkungskreis war ein weſentlich anderer. 
Aehnlich iſt dann wieder, daß die Artiften einen größeren Anteil an 
der Verwaltung hatten als die anderen Fakultäten, aber die Art, 
wie ſich dies geltend machte, war wieder ganz eigenartig), und das» 
ſelbe gilt von den Beſtimmungen über die Teilnahme der non-regentes. 


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früh an die Schulinduſtrie eine maßgebende 

Teil der Scholaren wohnte in Penſionen, 
Unternehmer und Vorſteher (principales) Gelehrte zu gewinnen 
welche in den Räumen ihrer Penfion ) Vorleſungen hielten. 
die Minoriten, welche raſch in Oxford eine hervorragende Be⸗ 
gewannen, verführen in dieſer Weiſe. Nicht bloß Ordens⸗ 
laſen in Schule, ſondern ſie bemühten ſich, unter den 
Gelehrten einen Lehrer zu finden, der in ihrer Schule leſe, 
es gelang ihnen, Robert Groſſeteſte zu gewinnen, der durch die Kraft 
Charakters und die Vielſeitigkeit ſeiner Begabung die hervor⸗ 
ragendſte Stellung unter dem damaligen Klerus Englands einnahm, 
auch eine Zeitlang Kanzler von Orford war. Modern zu ſprechen, 
war er alſo Profeſſor der Univerſität, indem er an der von den 
Minoriten eingerichteten Schule Vorleſungen hielt. 


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bestehenden Ordnung feſtgeſetzt: Quod isti termini „major pars“ intelligantur 
de majori parte numerali seilicet personarum eligentium et non facul- 


A ) Die Artiften hielten Borverfammlungen für die allgemeinen ab. Statut 
von 1304. Mun. acad. I, 81: Quia frequenter altero procuratorum ... contra- 
dicente congregstionibus artistarum praeviis ad congregationem regentium 
et non-regentium apud 8. Mildredam faciendam negotis summe expedientia 
universitati et honesta remanent non expedita: statutum est, quod de caetero 
aller procuratorum cum consensu cancellarii posset apud 8. Mildredam 
regenies in facultate artium congregare et omnia proponere et proposita 
expedire, contradietione alterius procuratoris non obstante. 
Es begegnen dafür die Namen aulae und camerae, der Unterſchied ift 
der Größe zu ſuchen, ganze Häufer bildeten aulae; camerae waren wohl 
Penfionen, für welche der Unternehmer nur den Teil cines Hauſes gemietet 
ö Ein Beifpiel iſt Mun. acad. I, 98 (1313): Statutum est, quod quilibet 
A prineipalis „.. tam quam camerarum ... sacramentum praestent 
_ «orporale ... Für prineipales ſteht capita collegiorum Mun. acad. I, 258. 
N ihnen ruhte ſchon früh ein großer Teil der Disziplin. Mun. acad. I, 93. 


316 Die Kollegien. Die Nationen. 


Dieſe auf Privatunternehmung beruhenden Schulen und Pen⸗ 
ſionen hatten für die Entwicklung von Oxford und zwar gerade für 
die erſten Anfänge derſelben eine Bedeutung, für welche die Pariſer 
Zuſtände des 13. Jahrhunderts nicht einmal eine annähernde Analogie 
bieten. Als ſie dann namentlich im 14. Jahrhundert durch die auf 
Stiftungen beruhenden Kollegien mehr und mehr erſetzt wurden, ge⸗ 
wannen dieſe Kollegien wiederum eine andere Stellung innerhalb der 
Univerſität, als ſie in Paris hatten. Erwarben doch einige derſelben 
ſelbſt das Promotionsrecht, als wären ſie ſelbſtändige Univerſitäten, 
und wollten nicht einmal eine Ueberwachung durch die Univerfität 
zulaſſen ). Ein weſentlicher Unterſchied lag endlich darin, daß Paris 
eine internationale Bedeutung hatte, Oxford dagegen eine nationale. 
Damit hängt zuſammen, daß die Scholaren nicht in viele Nationen 
zerfielen, ſondern in zwei: Nordleute und Südleute, und daß dieſe 
Korporationen vielfach die Träger der das Land zerreißenden Parteien 
waren ). Die Kämpfe unter dieſen Nationen hatten mehrfach geradezu 
politiſche Bedeutung und ſteigerten ſich deshalb auch zu einer Heftig⸗ 
keit, wie ſie weder Paris noch Bologna kannten. Im Jahre 1313 
wurden die Nationen deshalb ermahnt, zu erwägen, daß ſie doch den 
Teilen desſelben Volkes angehörten, und ſchon im 13. Jahrhundert 
hatte das Volk den Spruch: | 

Kämpft man in Oxford, 
So fliegt der Mord 

In kurzer Zeit 

Durch England weit“). 

) Mit dieſen Einrichtungen hängt auch die eigentümliche Stellung der 
mancipia oder Diener zuſammen. Sie waren teils Scholaren, teils Bürger, und 
wie heute die Stiefelpuger der Studenten Häuſer erwerben und an Studenten 
Zimmer vermieten, ſo verſuchten in Oxford ſolche Diener ſogar als Prinzipale 
Penſionen zu übernehmen. Die Univerſität verbot es. Mun. acad. II, 468, Bal. 
dazu II. 665 den Vertrag, welchen ein folder Diener vor dem Richter mit einem 
Scholaren abſchloß, und in welchem neben dem Lohne auch die Hoſen und bie 
Schuhe beſtimmt werden, welche er zu empfangen hatte. 

) Ueber die großen Kämpfe von 1252 und 1258 ſiehe Lyte p. 48 f. Mun. 
acad. I, 92 ermahnt die Korporation: cum separatio nationum Australium et 
Borealium, cum nationes diversae non sint, tam clericis quam laieis sit 
summo opere detestanda, Bol. die S. 310 Note 1 angeführte Stelle, Der Trent 
bildete die Grenzlinie. Wenn die Südleute bisweilen Hibernier genannt werben, 
o rührt das daher, daß die Iren zu den Südleuten gingen. 

2. Chronica si penses, 

Cum pugnant Oxonienses, 


Cambridge. 317 


| von Statuten, ſondern wie Oxford durch Ausbildung 

d r bier vermutlich ſchon länger blühenden Schulen und Penſionen. 
Auf dieſen Entwicklungeproßeß werfen einige Urkunden von 1231 
Licht, aus denen ſich ergibt, daß damals große Maſſen von Scholaren 
auch von dem Feſilande in Cambridge zufammenftrömten, daß fie 
GWerichtsprivilegien genoſſen ), und daß gewiſſe Gewohnheiten und 
Formen ausgebildet waren, welche das Wichtigſte regelten. In einer 
dieſer Urkunden erhebt der König Klage darüber, daß ſich in Cam: 
bridge viel böſe Geſellen aufhielten und ſich durch die Behauptung, 
Scholaren zu ſein, der Verfolgung der Behörden zu entziehen wüßten. 
Der Sheriff ſolle daher bekannt machen, daß nur derjenige als 
Scholar anerkannt werde, der unter der Zucht und Aufſicht eines 
Magiſters ſtehe. Alle anderen hätten binnen vierzehn Tagen die 
Stadt zu verlaſſen, widrigenfalls ſie in Haft genommen werden ſollten. 
Die Univerſität wurde alſo damals nicht erſt gegründet, ſondern der 
. Mißbrauch ihrer Privilegien wurde abgeſtellt, mochten dieſe nun auf 
Gewohnheit oder Urkunde beruhen). Ein anderes Schreiben des 
Ronigs aus demſelben Jahre ermahnt die Bürger und ihre Vor⸗ 
ſtieher, die Scholaren in der Miete nicht zu überfordern, und beſtimmt, 
daß fie die Wohnungen gemäß der Gewohnheit der Univerfität 
durch zwei Magiſter und zwei Bürger ſchätzen laſſen ſollten. Be⸗ 
ſonders iſt hier zu beachten, daß der König die weltlichen Ortsbehörden 
beauftragt, dieſe Ordnung wieder einzurichten und ihre Vollziehung 


Post paucos menses 
Volat ira per Angligenenses. 


En Die ältefte Erwähnung ift wohl der Befehl, durch den König Heinrich 
> leis die Scholaren, die der ihm feindlichen Partei angehangen hatten, aus Cambridge 
3 22 Fuller, History of the university of Cambridge, 1840, P. 20. Note 

9 Fuller, History, p. 22: Rex Vicecom. Cantabrigiensi salutem. 
— ut audivimus plures nominantur cleriei apud Cantabr., qui sub 
nullias magistri scholarium sunt disciplina et tuitione, sed potius menti- 
Antares scholares cum non eint, ut futius... queant malignari: tibi 
—  praeeipimus, quod assumptis tecum probis et legalibus hominibus de comi- 

* ut tuo. sccedas ad 

. facias ex parte nostra, quod nullus clericus moretur in villa, qui 
sub disciplins vel tuitione alicujus magistri scholarium. 


villam nostram Cantabr. et per totam villam illam _ 


318 Die Entwicklung von Cambridge. 


zu überwachen !). Das war weder in Paris jo, noch in Oxford; es 
hat für die weitere Ausbildung der Verfaſſung keinen Gegenſatz gegen 
Orford herbeigeführt, aber es iſt beachtenswert, daß Cambridge doch 
nicht ganz den gleichen Weg der Entwicklung nahm wie Oxford. Von 
Pariſer Zuſtänden zeigt ſich Cambridge dann wieder ganz verſchieden 
dadurch, daß bei Gelegenheit einer großen Rauferei unter den Scho⸗ 
laren (1261) der König die Unterſuchung feinen Richtern) übertrug, 
und daß ferner die Scholaren, welche damals Cambridge verließen, 
bei dem Könige die Erlaubnis nachſuchten, in Northampton eine 
Univerſität zu bilden. Der König bewilligte es „in der Erwägung, 
daß die Stadt dadurch an Bedeutung gewinne und daß dies ihm 
Nutzen bringen werde“. Aber 1265 nahm er die Erlaubnis zurück, 
vorzugsweiſe auf das Andrängen der Biſchöfe des Landes und „weil 


) Fuller, History, p. 23 f.: Rex Majori et Ballivis Cantabr. salutem. 
Satis constat vobis, quod apud villam nostram Cantabr. studendi causa e 
diversis partibus tam eismarinis quam transmarinis scholarium contluit 
multitudo, quod valde gratum habemus et acceptamus, cum exemplum 
toti regno nostro commodum non modicum et honor nobis accrescat, et 
vos specialiter, inter quos fideliter conversantur studentes, non medioeriter 
gaudere debetis et laetari. Audivimus autem, quod in hospitiis vestris 
locandis tam graves et onerosi estis scholaribus inter vos commorantibus, 
quod, nisi mensurabilius et modestius vos habueretis erga ipsos in hac 
parte, exactione vestra faciente oportebit ipsos villam vestram exire et 
studio suo relicto a terra nostra recedere, quod nullatenus vellemus. Et 
ideo vobis mandamus firmiter injungentes, quatenus super praedictis 
hospitiis locandis, vos mensurantes secundum consuetudinem uni- 
versitatis per duos magistros et duos probos et legales homines de villa 
nostra, ad hoc assignandos, hospitia praedicta taxari et secundum eorum 
taxationem ea locari permittatis: taliter vos gerentes in hac parte, ne si 
secus egeritis propter quod ad nos debeat clamor pervenire, ad hoc manum 
opponere debeamus, Teste me ipso apud Oxon, tertio die Maji anno regni 
nostri XV. Nebenbei ift noch zu bemerken, daß allein ſchon dieſe Urkunde die 
von Denifle S. 372 vertretene Anſicht widerlegt, daß Cambridge vor dem 
Empfang des päpftlihen Privilegs eigentlich zu keiner rechten Entwicklung akade⸗ 
miſchen Lebens gekommen ſei. In Cambridge dagegen waren die Unruhen an 
der Tagesordnung, und was ſonſt noch vorfiel, iſt bald referiert.” Allein wenn 
wir meiſt nur von Unruhen hören, jo liegt das an der aneldotenhaſten Natur der 
Ueberlieferung, die wenigen anderen Nachrichten aber beweis im 
13. Jahrhundert zeitweiſe die Studien in Cambridge blühten und daß 
Berfaſſung ausgebildet war. Der König ſah im 18. Jahrhundert Cambridge als 
Generalſtudium an, als die rechtmäßige Schweſteranſtalt von Oxford. 

) Fuller p 20 f. 


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4 
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A. 
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Die Einwirkung des Königs, 319 


DPtrford dadurch zu ſehr leide“, und befahl der Stadt, daß fie den 

Sch ufenthalt nicht länger geſtatte ). Scharf unterſcheidet 
dem Studium von Scholaren an einem Orte 
ng einer Univerſität, d. i. einer Korporation und 
dieſelbe geleiteten Lehranſtalt Die auswandernden Scho⸗ 
nach Northampton begeben und dort ihre Lekturen 


Disputationen aufnehmen, ohne dazu beſonderer Erlaubnis zu 
als ſie ſich und ihren Studien eine Organiſation geben 


da mußten 
und verſagte die Erlaubnis dazu, je nachdem es ihm und 
die Städte des Landes und für ſein Land an⸗ 
erſchien. Die Verfaſſung von Cambridge war im weſent⸗ 
von Oxford gleich, und da Oxford im ganzen 
die ältere und im 13. Jahrhundert als die berühmtere erſcheint, 
iſt zu vermuten, daß Oxford die wichtigſten Inſtitute früher ent⸗ 
und jo die Ausbildung von Cambridge beeinflußte). Ueber: 
einſtimmend iſt die Stellung des Kanzlers, die Einteilung in zwei 
Nationen, die Bedeutung derſelben u. ſ. w.; auch nahm der Gründer 
des erſten Kollegs ausdrücklich Bezug auf das Statut des älteſten 


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2 
2 


J Fuller p. 31 f.: Rex Majori et civibus suis Northampton. Salutem. 
Oecasione cujusdam maguse contentionis in villa Cantabrigiensi triennio 
elapso subortae nonnulli clericorum tune ibidem studentium unanimiter 
ub ipsa villa recessissent, se usque ad villam nostram praedietam Northam. 
transferentes et ibidem studiis inhaerendo novam construere universitatem 
enpientes, Nos illo tempore credentes villam illam ex hoc posse meliorari 
et nobis utilitatem non modicam inde provenire, votis dietorum clericorum 
sd eorum requisitionem annuebamus in hac parte. Nunc autem cum ex 
relatu multorum fde dignorum veraciter intelleximus, quod ex hujusmodi 
universitate, si permaneret ibidem, munieipium nostrum Oxon., quod ab 
antiquo creatum est et a progenitoribus nostris regibus Angliae confirma- 
tum, sc ad commoditatem studentium communiter approbatum, non 
medioeriter Iaederetur, quod nulla ratione vellemus, maxime cum universis 
episeopis terrae nostrae ad honorem dei et utilitatem ecclesine anglicanae 
profeetum studentium videatur expedire, quod universitas amoveatur & 
. praedieta, sieut per litteras suas patentes accepimus: vobis de consilio 

magnsium nostrorum firmiter inhibemus, ne in villa nostra de cetero all- 
universitatem esse nee aliquos studentes ibidem manere permittatis 
‚ quam ante erestionem dictae universitatis fieri consuevit. Teste 
apud Westmon. primo die Febr. anno Regni 49. 
) Mullinger I, 290. Baker-Major, College of St. John I, 24. 


7 


320 


Orforder Kollegs, aber mit Sicherheit läßt ſich der Oxforder Ein- 
fluß nicht nachweiſen. Auf keinen Fall aber darf man Cambridge 
einfach als Nachbildung anſehen. Schon die Thatſache, daß in Cam⸗ 
bridge die Fakultät der Grammatik abweichend von Oxford einen be⸗ 
ſonderen Vorſtand!) und einen beſonderen Pedellen hatte, der ähn⸗ 
liche Rechte beanſpruchte wie die beiden Pedellen der Univerſitäten, 
macht dies unmöglich. Statuten der Univerſität werden zuerſt 1276 
erwähnt, doch find fie nicht erhalten, und das wichtigſte Aktenſtlick 
über die Verfaſſung von Cambridge iſt deshalb die Urkunde, durch 
welche der Biſchof von Ely 1276 die Gerichtsbarkeit über die Scho⸗ 
laren neu regelte“), und daneben ein Statut über das Mieten der 
Penſionshäuſer, das zwar nicht datiert und erſt in einer Hand⸗ 
ſchrift des 14. Jahrhunderts erhalten iſt, das aber noch aus dem 
13. Jahrhundert zu ſtammen ſcheint und jedenfalls in allen Haupt⸗ 
ſachen die Ordnung des 13. Jahrhunderts bewahrt). Nachdem die 


) Auch in Oxford galt die Grammatik als eigene Fakultät und hatte be⸗ 
ſondere Statuten. Munim. acad. II, 436 f. Oxford und Cambridge ſtimmen darin 
überein im Gegenſatz zu Paris, aber in Cambridge war dieſe Selbſtändigkeit noch 
weiter ausgebildet. Der Vorſtand führte den Namen magister glomerise, er 
hatte dem Archidiakon Gehorſam zu ſchwören (aus dem 15. Jahrhundert iſt der 
Eid erhalten, bei Fuller p. 52 Note 9), und das iſt wohl ein Zeugnis dafür, daß 
er bereits vorhanden war, ehe der Biſchof dem Archidiakon die Gerichtsbarkeit über 
die Kleriker, welche ſtudierten, entzog und dem Kanzler gab. Der Pedell hieß 


bedellus glomeriae. Die Univerfität wollte nicht dulden, daß er in den Ver⸗ 


ſammlungen der Univerſität neben den beiden Univerſitätspedellen den Stab trage. 
Die Grammatiker wurden faſt wie eine Univerſität für ſich betrachtet, die der 
Geſamtuniverſität untergeordnet war. Der magister glomeriae hatte die Gerichts: 
barkeit über die glomerelli (Grammatikſchüler), aber nur in den Angelegenheiten, 
in denen ſie die Lehrer der anderen Fakultäten über ihre Schüler hatten. In 
anderen Sachen hatte fie der Kanzler und an dieſen gingen auch die Appellationen: 
Urkunde von 1276. Fuller p. 47. Siehe auch Baker- Major I, 28 f. 

) Für alle kleineren Sachen ſollte in erfter Inſtanz bei dem Lehrer Rlage 
erhoben werden, bei dem Kanzler erſt, wenn ſich eine Partei bei dem Urteil nicht 
beruhigte. In erſter Inſtanz entſchied der Kanzler nur in Streitſachen, die aus 
den Mietverträgen entiprangen, und bei ſchweren Verbrechen. Eigentümlich ift die 
Rivalität zwiſchen Kanzler und Archidiakon, die in dieſem Erlaß hervortritt. 


) Es iſt von Bradshaw in der Cambridge Antiquarian Society 1868 a 


bekannt gemacht worden und bei Mullinger als Anhang C. p. 689 f. gedruckt 
worden. Mir iſt nur der letztere Abdruck zugänglich. Jeder Scholar hatte das 
Recht, als prineipalis einer Benfion aufzutreten, kein Magifter 3 


derjenige erhielt fie, der dem Hausbeſitzer zuerſt erklärte, daß er die Penſton über: 


1 ˙ümĩÜ—wub̃ ²˙ A U —˙ W * 


Der Stiftungsbrief. 321 


rt Cambridge etwa ein Jahrhundert beitanden hatte, gab 
Papit Johann XXII. 1318 eine Bulle’), durch welche er beſtimmte, 
daß fortan in Cambridge ein Generalſtudium ſein und daß die da⸗ 
ſelbſt beſtehende Genoſſenſchaft von Magiſtern und Scholaren für eine 
Univerſität gehalten werden und alle Rechte genießen ſollte, deren 
ö * rechtmäßig geordnete Univerſität erfreue. Er that es auf 
Bitten des Königs; jedoch hatte der König den Papſt nur gebeten, 
das in Cambridge beſtehende Studium und die ihm von Päpften 
und Königen verliehenen Privilegien zu beſtätigen; aber der Papſt 
verfuhr, als ob das in Cambridge beſtehende Studium bis dahin ein 
Studium niederern Ranges, keine rechte Univerſität geweſen ſei?). Da 
es aber keinem Zweifel unterliegt, daß Cambridge von dem Könige 
he, dem Volke wie von Oxford längſt als eine rechte Univerſität 
angeſehen wurde, ſo iſt die Bulle nur eines der Beiſpiele, in denen 
die Form des Stiftungsbriefes gewählt wurde, wo es ſich nur um 
3 . Anerkennung handelte). Es ift dies nicht immer ohne die 


8 wolle, ſobald der gegenwärtige Inhaber ſie freigebe. Streitfälle entſchied 
der Kanzler, maßgebend war die amtliche Schätzung. Auch in Oxford wurde erſt 
142 verboten, daß ein einfacher Scholar (non - graduatus) als principalis eine 
1 leite. Mun. acad. I, 307. 

Fuller p. 80 ſetzt die Bulle irrig 1315, Dyer, Privileges I, 13 und Mul⸗ 
linger p. 145 richtig 1818: Edwardus rex Augliae .. apud Cantabrigiam 
desiderat vigere studium generale et quod a doctoribus et docendis in 
posterum frequentetur, hamiliter postulavit a nobis, ut studium ab 
olim ibi ordinatum et privilegia a romanis pontifieibus... 
vel regibus... eidem concessa apostolico curemus munimine 
roborare. 

3 J Fuller p. 80: Nos igitur ... ejusque supplicationibus inclinati, 
b postolles authoritate statuimus, ut in praedieto loco Cantabrigiae sit de 
 aelero studium generale. Volentes autoritate praedicta et etiam decer- 
ventes, quod collegium magistrorum et scholarium ejusdem studii univer- 
| 2 sit censenda et omnibus juribus gaudeat, quibus gaudere potest et 
debet universitas quaecunque legitime ordinata. Caeterum omnia privi- 
login et indulta praedieto studio, rationabiliter a pontificibus et regibus 
— praedietis concessa autoritate praedicta confirmamus. Zu beachten ift noch, 
daß das Promotionsrecht nicht beſonders erwähnt wird, während Johann XXII. 
in der noch in demfelben Jahre erlaſſenen Bulle für Perugia (Bull. Roman., ed. 
. 1 Taurin. IV, 278; Rossi Nro. 28) dieſes Necht als ein beſonders zu verleihendes 
7 behandelte. Bal. oben S. 221 f. 
. * 5 Saeed auffallend iſt die Wendung der Bulle, welche dem collegium 


mag m et scholarium vollftändigere Rorporationdredte zu verleihen ſcheint. 
dest, Geibiäte der eee Uniorchtäten. 1. 21 


7 
* 


322 Der Stiftungsbrief. 


Abſicht geſchehen, den Gedanken zur Anerkennung zu bringen, daß 
eine Univerſität einen ſolchen Stiftungsbrief vom Kaiſer oder Papft 
haben müſſe, um als rechtmäßig zu gelten; aber in England herrſchte 
dieſe Anſchauung nicht, und vor allem iſt durch dieſe Bulle die recht⸗ 
liche Stellung der Univerſität zu der königlichen Gewalt nicht ge⸗ 
ändert worden. Cambridge ſtand nicht anders als Oxford, das keine 
derartige Bulle empfing, und auch nicht anders als es vorher ge⸗ 
ſtanden hatte. 


Der königliche Brief von 1231 und der biſchöfliche Erlaß von 1276 
ſchon, zu erweiſen, daß Cambridge von den engliſchen Behörden 
eine universitas im Rechtsſinn angeſehen wurde, nicht anders wie 
hier wählt der Papft nur die Form, als habe er erſt zu gewähren, 


: 


115 


Fünftes Kapitel 


Die Staatsuniverfitäten und die ſpaniſchen 
Univerſttäten. 


Die Staatsuniverſitäten. 


eben den Stadtuniverſitäten, wie Bologna, Modena, Padua 
u. ſ. w., und den Kanzleruniverſitäten, wie Paris, Orleans, 
Oxford u. ſ. w., entwickelte ſich gleichzeitig noch eine dritte 
Form der Univerfität, die Staatsuniverſität. Der Name klingt modern; 
es ſcheint mit der ganzen Art des mittelalterlichen Staats im Wider⸗ 
ſpruch zu fiehen, eine derartige Anſtalt von ſich aus zu gründen und 
zu leiten; aber inmitten der Feudalſtaaten regten ſich im 13. Jahr⸗ 
hundert die Anfänge des modernen Beamtenſtaats, und am ſicht⸗ 
barſten in dem fiziliihen Königreiche Friedrichs II. Das zeigte ſich 
bei der Gründung der Univerſität in ähnlicher Weiſe wie in der Be⸗ 
der Zoll: und Handelsverhältniſſe ). Auch die Könige von 
und von Aragonien haben im 13. Jahrhundert Univerſitäten 
und Palencia noch wenigſtens zehn Jahre früher als 
Neapel; aber bei Palencia) hatte neben dem Könige 
diefe 


) Ueber ſiehe Winkelmann in den Forſchungen z. deutſch. Geſchichte 
Bol. auch die Urkunde König Karls I. von 1272 bei Del 
Rote 


 Mauino, weiche ein im Königreich gelegenes Bad beſuchen will, geftattet, mit ihrer 
Dunerſchaft und ihren Pferden die Grenze zu überſchreiten. Es folle dabei die 
Zahl der Perſonen und Pferde aufgeſchrieben werden, ut cum aliis exire nequeat 
rue. 
19 ) König Alfons VIII. gründete Palencia auf Betreiben des Biſchofs Tello, der 
7 3 men Le Fuente 1,81 1208 das Bistum übernahm. Da Alfons 1214 flarb, fo fällt 


324 Palencia, 


auch die Kirche einen erheblichen Anteil an der Gründung und allem 
Anſchein nach auch an der Leitung der Anſtalt; deshalb wird doch 
Neapel als die erſte Staatsuniverſität bezeichnet werden müſſen, und 
ſie war auch diejenige, in welcher dieſer Charakter am ſchärfſten aus⸗ 
geprägt wurde!). In der Gründungsurkunde) verkündete Kaiſer 


die Gründung zwiſchen dieſe Jahre. Es war dies derſelbe König, der durch die 
ſiegreiche Schlacht bei Navas de Toloſa 1212 die gefährlich vordringenden Mauren 
zurückwarf, die chriſtlichen Staaten der Halbinſel ſicherte und die Periode des 
Uebergewichts der Chriſten einleitete; und es iſt ein naheliegender Gedanke, daß 
man ſich in der gehobenen Stimmung des Sieges zu der Gründung der Univerfität 
entſchloß. (La Fuente I, 81 läßt Tello 1208 ſuccedieren, ſetzt aber den ter- 
minus a quo beſtimmt 1212, weil Tello erſt 1212 beſtätigt wurde; allein da Lukas 
Tudenſis, der die Mitwirkung des Biſchofs erwähnt, mehrere Jahre ſpäter ſchrieb und 
ſehr zuſammenfaſſend iſt, jo könnte es auch fein, daß er die Wendung procurante 
reverendissimo et nobilissimo viro Tellione ejusdem civitatis Episcopo 
von Handlungen des Biſchofs aus der Zeit 1208 —1212 gebraucht hätte.) Der 
König berief und beſoldete die Profeſſoren; aber es liegt nichts vor, was vermuten 
ließe, die Univerſität ſei auch ſonſt in engere Beziehung zu den politiſchen Be⸗ 
hörden geſtellt geweſen. Anzunehmen iſt vielmehr, daß der Biſchof, der einen 
erheblichen Anteil an der Gründung der Univerſität hatte, auch an ihrer Leitung 
Anteil gewann, wie denn auch König Ferdinand 1220 zuſammen mit dem Biſchof 
die Genehmigung des Papſtes nachſuchte, um der Univerſität aus den Gütern der 
in der Diözeſe belegenen Kirchen Einnahmen zuzuwenden. (Die Antwort des 
Papſtes bei Denifle 475, Note 1038.) Dazu ſtimmt, daß die Synode von 
Valladolid 1228 für die Magiſter aller Fakultäten in Palencia, ſowie für die 
Scholaren der Theologie daſelbſt ein Reſidenzprivileg auf fünf Jahre bewilligte 
und dieſen Beſchluß einfach mit der Erwägung begründete, porque queremos 
tornar en so estado el studio de Palencia, ohne einen Antrag oder eine Bitte 
des Königs zu erwähnen. Espana sagrada, tom. 36, p. 216. 

1) Salerno wurde in dieſer Periode ebenfalls Staatsuniwerſität; ob fi da 
neben noch Einrichtungen aus der Zeit ſeiner unabhängigen Entwicklung erhielten, 
iſt nicht bekannt. Neapel iſt auch zeitweiſe nach Salerno verlegt worden. Man 
kann ſagen: Neapel und Salerno bildeten die Univerfität des Königreichb. Wenn 
aber der Sitz in Neapel war, fo erhielt ſich in Salerno wenigſtens die alte Medizin⸗ 
ſchule, und Salerno bildete dann eine Ergänzung von Neapel. 

) Böhmer-Ficker 1537. Huillerd-Bréholles, Historia diplomaties 
Frideriei II., Bd. II. p. 450: Fredericus Dei gratia Romanorum Imperator 
archiepiscopis. . comitibus, . judieibus ... Disponimus autem apud 
Neapolim, amenissimam eivitatem, doceri artes eujuscunque professionis dt 
vigere studia: ut jejuni et famelici doctrinarum in ipso regno inveniant 
unde ipsorum aviditati satisflat, neque compellantur ad investigandas 
scientias peregrinas nationes expetere, nec in alienis regionibus mendi- 
care ... Hilares igitur ... ad professiones quas acholares desiderant animentur, 


Neapel. 325 


Friedrich II. 1224 den geiftlichen wie den weltlichen Behörden, ſowie 
allen getreuen Unterthanen des Königreichs Sizilien, daß er beſchloſſen 
‚babe, in Neapel eine hohe Schule für alle Fakultäten zu errichten, 


En quibus ad inhabitandum cum locum concedimus, ubi rerum copla, ubi 
ple domus et spatiose satis, et ubi mores civium sunt benigni; ubi etiam 
 — mecessaria vite hominum per ierras et maritimas facile transvehuntur, 

Adulbus per nos ipsos utilitates querimus, conditiones disponimus, magistros 

investigamus, bona promittimus, et eis quos dignos viderimus donarin con- 

feremus. IIlos siquidem in conspectu parentum suorum ponimus, a multis 
laboribus liberamus, a longis itineribus et quasi peregrinis absolvimus: 
os tutos facimus ab insidiis predatorum; et qui spoliabantur fortunis 
suis et rebus, longs terrarum spacia peragrantes, scholas suas levioribus 
sumptibus et brevioribus cursibus a liberalitate nostra se gaudeant asse- 
entos. De numero autem doctorum, quos ibi duximus destinandos, mitti- 
mus magistrum R. de Benevento judicem et magistrum Petrum de Ysernia, 
nostros, civilis scientie professores, ... Mittimus quoque ... 
1 igitur et mandamus vobis omnibus, qui provineias regitis, 
sdministrationibus presidetis, ut hec omnia passim et publice pro- 

u et injungatis sub pena personarum et rerum, ut nullus scholaris 

begendi causes exire audent extra regnum, nee infra regnum aliquis ad- 

Adiscere audeat alibi vel docere; et qui de regno sunt extra regnum in 

holls, sub pena predieta eorum parentibus injungatis, ut usque ad festum 

S8. Michaelis nunc proximo revertantur. Conditiones autem quas scholaribus 

eomcedimus erunt iste: 

1) In primis, quod in civitate predieta doctores et magistri erunt in 
qualibet facultate. 

2) Scholares autem, undecunque venerint, secure veniant morando, 
stando et redeundo, tam in personis quam in rebus nullam sen- 
tientes in aliquo lesionem. 

3) Hospitium, quod melius in eivitate fuerit, scholaribus locabitur pro 

N; duarum unciarum auri annus pensione, nee ultra extimatio ejus 

0 aseendet. Intra predictam autem summam et usque ad illam, 

dont hospitia extimatione duorum eivium et duorum scholarium 

0 lseabuntur. 

e Mutaum fiet scholaribus ab illis qui ad hoc fuerint ordinati, secun- 
diem quod eis necesse fuerit, datis libris in pignore et precario 
 restitutis, receptis a scholaribus fideijussoribus pro eisdem. Scholaris 

vero qui mutuum recipiet, jurabit quod de terra aliquatenus non 

recedet, donee precaria restituet, vel mutuum ab eo fuerit exsolutum, 

vel alias satisfactum fuerit creditori. Predicta autem precaris a 

ereditoribus non revocabuntur, quam diu scholares voluerint in studio 


8) hem omnes scholares in eivilibus sub eisdem doctoribus et ma- 
cristris debeant conveniri. 


326 Die Univerſität und der Staat. 


damit diejenigen ſeiner Unterthanen, welche wiſſensdurſtig ſeien, nicht 
in fremde Lande zu pilgern brauchten, ſondern in der 81 Be⸗ 
friedigung ihres Strebens finden könnten. Er habe ihnen eine herr: 
lich gelegene Stadt ausgeſucht, welche an Lebensmitteln reich und 
von allen Seiten zugänglich ſei, er ſorge für alles, was nötig, ſuche 
die Lehrer, regle die Bedingungen und werde die Würdigen belohnen. 
Unter den Augen ihrer Eltern könnten die Scholaren fortan ſtudieren, 
frei von der Mühſal langer Wanderfahrten und ſicher vor den Ge⸗ 
fahren, die ihnen dabei drohten. Durch ſeine Freigebigkeit ſollten ſie 
ſich einer leichteren und billigeren Gelegenheit des Studiums erfreuen. 
Das alles wurde in dem ſchwülſtigen Stile der Zeit gejagt; aber jo 
läſtig der Redeſchwall auch iſt, klar kommt zum Ausdruck, daß 
Friedrich die Univerſität im Landesintereſſe und als eine Staats⸗ 
anſtalt gründete. Derſelbe Gedanke iſt denn von ihm und ſeinen 
Nachfolgern“) noch häufig wiederholt worden und blieb maßgebend 
für Neapel. 

Davon zu unterſcheiden iſt noch die Stellung der Anſtalt zur 
Verwaltung des Staates; Cambridge und Oxford wurden auch als 
Landesuniverſitäten des Königreichs England angeſehen, hatten aber 
ihre ſelbſtändige Verwaltung. Friedrich II. faßte den Gedanken der 
Landesuniverſität dagegen gleich ſo, daß er die Univerſität nicht bloß 
als eine Anſtalt für den Staat, ſondern als eine Anſtalt des 
Staates ordnete. Er berief nicht nur die Lehrer und beſoldete ſie, 
ſondern er betrachtete fie als feine Beamten ?) und forderte von ihnen 


(Rekapitulierender Schluß.) Omnes igitur amodo, qui studere 
voluerint in aliqua facultate, vadant Neapolim ad studendum, et 
nullus ausus sit pro scholis extra regnum exire, vel infra regnum 
in aliis scholis addiscere vel docere: et qui sunt de regno extra 
regnum in scholis, usque ad festum S. Michaelis revertantur, 

6) De frumento autem, vino, carnibus, piscibus, et aliis que ad vietum 
pertinent, modum nullam stataimus, cum in his omnibus abundet 
provineis; quae vendantur scholaribus secundum quod venduntur 
eivibus et etiam per contradam, ete. 

) gl. im beſonderen Karls I. Urkunde von 1266 bei Del Giudice I, 351: 
per .. . fructum ejusdem studii Regni nostri decus extollitur, subjec- 
torum procuratur utilitas et gloria nostri nominis propagata diffunditur 
ad remotas partes et exteras nationes. 

) Einen Profeffor, den er der Stadt Vercelli überließ, beſtellte er zugleich 
als ſeinen politiſchen Agenten in Vercell.. Böhmer-Ficker 2814. 


Die Univerfität und der Staat. 327 


De — 


v2 zu 


auch, die Zuhörer in Treue gegen ihn zu lehren ), alſo wohl nament⸗ 
lich auch die Beſtimmungen dee kanoniſchen Rechts nicht in dem 
pierarchiſchen Sinne, ſondern in der kaiſerlichen Auffaſſung vorzu⸗ 
Hagen. Er erteilte ferner den Scholaren am Ende ihrer Studien 
ſelbſt die Lizenz, nachdem er eine Prüfung angeordnet und über den 
Erfolg Bericht empfangen hatte. Keiner ſeiner Unterthanen durfte 
deine ausländiſche Univerfität beſuchen, und alle, welche zur Zeit aus: 
wärte ſtudierten, ſollten zum Herbſt nach Neapel zurückkommen, 
lle ihre Eltern in ſchwere Strafe verfielen. Niemand 
an irgend einem anderen Orte des Landes Vorleſungen 
oder beſuchen ). In dieſen Beſtimmungen der Gründungs⸗ 
Arkunde kommt die Vorſtellung zum Ausdruck, daß die Univerfität 
nicht nur von dem Staate, ſondern als ein Teil und ein Werkzeug 
ſeiner Verwaltung gegründet worden iſt. 
Konig Friedrich erließ nicht förmliche Statuten der Univerfität, 
regelte aber doch eine Reihe von wichtigen Verhältniſſen“) und zwar 


») Huill-Bréh. V. 1, 496. Böhmer-Ficker 2559. Friedrich erteilt 
bie Ligen; einem Defretiften mit folgendem Schluß: mandamus, quatenus in 
profexione ipsa scientise .. . de cetero regere studeas et diligenter ac 
fideliter doceas auditores ad honorem et fidelitatem nostram. 

) Bologna verbot in gleicher Weiſe feinen Bürgern, die in Modena, Padua, 
Arezzo u. |. w. gegründeten Univerfitäten zu beſuchen und befahl ſeinem Bürger 
Jakob de Belviſo, nicht länger in Perugia Borlefungen zu halten, ſondern nach 
Bologna zurückzukehren; ebenſo rief Perugia den Baldus zurück, und auch all⸗ 
gemeine Anordnungen derart find von Städten erlaſſen worden. Auch darf man 
daran erinnern, daß dieſe Städte die Univerfität als eine ſiädtiſche Angelegenheit 
betrachteten und die Oberleitung beanſpruchten. Wie in anderen Dingen, jo zeigt 
auch hierin ſich die Aehnlichkeit der politiſchen und ſozialen Entwicklung in all 
dieſen italieniſchen Staatsbildungen — aber es blieb doch immer ein weſentlicher 
Unterſchied zwiſchen dem Königreich und der Stadt. Schon die Größenverhaltniſſe 
das Weſen. Haben die Staatsuniverſitäten Neapel und Salerno 
übrigen Univerfitäten Italiens gemein, jo find fie doch durch den 
Zug von ihnen getrennt, daß ihnen die rechte Autonomie fehlte, 
die Stabtuniverfitäten wie die Kanzleruniverſitäten auszeichnete. Sie 
dadurch im Gegenſatz zu den Hauptvertretern der mittelalterlihen Uni: 
und näherten ſich modernen Berhältniſſen. Um dies recht deutlich hervor: 
laſſen, empfahl e ſich, die Darftellung nicht jo anzuordnen, daß fie auf 
Stabtuniverfitäten folgten. Sie follten nicht als eine Unterart berfelben 


) Der König verſprach einmal, Brofefloren für alle Fakultäten zu berufen, 
ſicherte allen Scholaren, gleichviel aus welchen Orten und Landen, Schutz auf 


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328 Neapel und Bologna. 


jo, daß man ſieht, wie das Leben und Treiben der Scholaren in 
Neapel, abgeſehen von der politiſchen Bedeutung der Korporation, 
nicht weſentlich anders war wie in Bologna, Vercelli u. ſ. w. Als 
Friedrich 1234 die durch die Erſchütterungen der letzten Jahre auf⸗ 
gelöſte Univerſität aufs neue gründete, konnte er deshalb die Scho⸗ 
laren von Bologna wie zu einer gleichartigen Anſtalt einladen). 
Bezeichnend iſt, daß er am Schluß verſichert, die Bürger hätten ſich 
bereits an das Treiben der Scholaren gewöhnt und würden ſich des⸗ 
halb in jeder Beziehung freundlich und entgegenkommend zeigen. 
Im Jahre 1239 hob Friedrich unter dem Druck der politiſchen 


der Reife wie bei dem Aufenthalt in Neapel zu. Er beſtimmte ferner, daß die 
Näume, welche die Scholaren für ihre Zwecke mieten würden, von einer aus zwei 
Bürgern und zwei Scholaren zuſammengeſetzten Kommiſſion geſchätzt werden ſollten, 
und ſetzte als äußerſten Preis zwei Unzen Gold (gegen 180 Mark) feft. Ferner 
regelte er das Geldleihen auf Pfänder und gewährte den Scholaren, daß ihnen 
die als Pfand verſetzten Bücher zur Benutzung zurückgegeben werden ſollten, wenn 
fie ſich eidlich verpflichteten, das Land nicht zu verlaſſen, ohne die verpfändeten 
Bücher dem Darleiher zu übergeben oder auszulöſen. Fünftens gewährte er den 
Scholaren den Gerichtsſtand vor ihren Lehrern, den die Habita allen Scholaren 
beſtimmt hatte. Zum Schluß ſpricht der Kaiſer von den Marktverhältniſſen, aber 
ohne Vorſchriften über den Verkehr zu erlaſſen — es ſei nicht nötig, das Land 
ſei überreich an Produkten aller Art, und die Scholaren könnten kaufen wie die 
anderen Bewohner. 

Dieſer Schlußſatz ſpielt offenbar darauf an, daß in anderen Orten Vor⸗ 
ſchriften erlaſſen wurden, um die Scholaren vor der Uebervorteilung durch Vor⸗ 
käufer u. dgl. zu ſichern, und er beſtätigt damit die ſich aus den anderen Beſtim⸗ 
mungen ergebende Beobachtung, daß Kaiſer Friedrich zwar die Befugniſſe des 
Staates über die Univerſität in eigentümlicher Weiſe zur Geltung brachte, im 
übrigen aber die im Fluß befindliche Entwicklung nicht ſtörte, ſondern ihr folgte 
und die auf Grund der Habita und unter dem Zwang des Bedürfniſſes erwachſenen 
Anſchauungen und Intereſſen der Scholaren in gleicher Weiſe ehrte und ſicherte, 
wie diet damals in anderen Orten geſchah. Die oben (Kap. 3) erörterten Be: 
dingungen des Vertrags, den Vercelli 1228 mit den Scholaren abſchloß, erinnern 
lebhaft an dieſen Erlaß Friedrichs, ohne daß notwendig anzunehmen wäre, daß 
Vercelli ſich nach demſelben gerichtet hätte. 

) Böhmer-Ficker 2044 zeigt, daß dies Schreiben nicht wie bei Huill.- 
Bréh. in den Herbſt zu ſetzen ſei, ſondern früher. Die Auflöſung des Studiums 
war durch den Einfall des Papſtetz in Neapel herbeigeführt worden. Dieſer Einfall 
wurde von dem Papſte durch den Angriff eines Vafallen des Kaiſers gerechtfertigt, 
und Friedrich ſelbſt hat dieſe Entſchuldigung fpäter gelten laſſen; indeſſen er ſuchte 
Frieden mit der Kirche und war froh, etwas zu finden, was die Angelegenheit 
mit Bergeſſenheit bedecken könnte. Die Thatſache, daß der Papft in das Land 


ee er 


Unter den Nachfolgern blieb Neapel Staatsanflalt. 329 
) die Privilegien auf, welche den fremden Scholaren Schutz 


ſtudieren konnten; auf Bitten der Magiſter und Scholaren geſtattete 


den Zugang und Aufenthalt unter den alten Privilegien, mit Aus⸗ 
nahme der Bürger von acht rebelliſchen Städten (Mailand, Brescia, 
Piacenza, Alexandria, Bologna, Faenza, Navenna und Treviſo) und 
der Unterthanen des Papſtes. Sein Sohn Konrad verlegte dann 
das in der Kriegszeit offenbar nicht zur Blüte gekommene Studium 
durch einfachen Erlaß von Neapel nach Salerno und verfügte auch 
ſonſt in gleicher Weiſe wie Friedrich II. über die Angelegenheiten 
der Univerſität. Ebenſo Manfred, der die Univerſität wieder nach 
Neapel verlegte und dabei das Verbot aller anderen Schulen im 
Königreich wiederholte; nur ſollte in Salerno die mediziniſche Univer⸗ 
fität fortbeſtehen und der grammatiſche Elementarunterricht der Privat: 
unternehmung freigegeben ſein. In gleicher Weiſe behandelte Karl von 
Anjou die Univerſität als eine Anſtalt für das Land und als einen 
Teil der ſtaatlichen Verwaltung. Unter ſeiner Regierung kam das 
Land wieder zu größerer Ruhe, und damit erſt war die Vorbedingung 
zu einer mehr ſtetigen Entwicklung der Univerſität gegeben. 

Im Jahre 1266 hatte Karl von Anjou über Manfred geſiegt 


Kreuzfahrers einſiel, wird dadurch nicht beſeitigt, und ebenſowenig die, daß 
dieſen Einfall Friedrichs Kraft im Heiligen Lande gelähmt, feine Rückkehr be: 
Erſt vor dem aus Paläſtina zurückeilenden Kaiſer wichen die 
Scharen. Friedrich II. iſt keine ſympathiſche Erſcheinung und ein Urteil 
iſt ſchwer zu gewinnen (ſ. die Abhandlung von Ficker, welche die Re: 
‚ aber in dieſer Angelegenheit ſieht man, wie ſehr Friedrich dem 
an ſich hielt und wie ſehr er ſich bemühte, in Paläſtina für 
zu erreichen, was erreichbar war. Uebermut war ihm hier gewiß 
vorzuwerfen. 
) Wan gewinnt in dieſe Berhältniffe den beſten Einblick, wenn man 
die Negzeſten der aus dieſem Jahre erhaltenen Exlaſſe Friedrichs durchgeht. Böhmer: 
Ficker bietet 270 Nummern. Friedrich nannte feinen Erlaß ſelbſt eine Auflöfung 
des Studiums — Cum scolas in urbe nostra Neapolis dudum indixerimus 
essdemque dissolvi mandaverimus ut omnibus fidelibus nostris 
ad scolas predietas dieitur sit accessus —, aber die Fortſetzung des Schreibens 
zeigt, daß die Auflöfung nur ein Verbot der Fremden war. Dasfelbe zeigt die 
„daß nach jenem Berbot magistri et scolares von Neapel ein Schreiben 


il 
. 


330 Die Verfaſſung von Neapel. 


und noch im Oktober desſelben Jahres erließ er die Urkunde), durch 
welche er die durch den Krieg aufgelöſte Univerſität Neapel von neuem 
gründete. Sie zeigt denſelben Geiſt, in welchem Friedrich II. dieſe 
Univerſität vierzig Jahre vorher gegründet hatte, und es iſt nicht mög⸗ 
lich, zu ſagen, welche von den Einrichtungen geändert oder neu ge⸗ 
troffen wurden, denn von vielen hören wir jetzt erſt, was ſicher ſchon 
von Friedrich ſo geordnet war. 

Nach dieſer Urkunde waren die Scholaren für alle Klagen, Straf⸗ 
ſachen wie Zivilſachen, mochten ſie Kläger oder Verklagte ſein, dem 
ordentlichen Richter entzogen und einem beſonderen Univerſitätsrichter, 
Justitiarius scholarium, unterſtellt. Dieſer Univerſitätsrichter war 
ein hochbeſoldeter ?) königlicher Beamter, der neben dieſem Amte auch 
noch ein anderes hohes Amt verwalten konnte?). Wie die Scholaren 
in Oxford, Cambridge und Paris dem ordentlichen Richter des geiſt⸗ 
lichen Gerichts entzogen und einem beſonderen geiſtlichen Richter unter⸗ 
ſtellt wurden, ſo wurden ſie hier dem ordentlichen Richter des welt⸗ 
lichen Gerichts entzogen und einem beſonderen weltlichen Richter unter⸗ 
ſtellt. Es fehlte der Gerichtsſtand des von den Scholaren oder 
Magiſtern gewählten Rektors, der in Paris und Bologna erſcheint; 
Neapel zeigt darin eine Analogie zu Oxford und Cambridge, aber 
eine Analogie, die nicht auf innerer Verwandtſchaft beruht oder gar 
auf Nachahmung, ſondern die Verhältniſſe, welche an dieſen Orten 
die Entwicklung des Rektorats verhinderten, waren ganz anderer 
Natur. Die Scholaren bildeten eine Korporation, welche in drei 
Nationen zerfiel und bewahrten das durch die Habita üblich ge⸗ 


) Del Giudice, Codice diplomatico I, 250— 269 druckt dieſe Urkunde 
ab und gibt dazu in den Noten zahlreiche andere Urkunden zur Geſchichte der 
Univerfität, unter denen die Verordnung von 1278 (p. 265 f. Note), welche be: 
ginnt: Etsi ad essaltationem studii generalis, quod in civitate nostra 
Neapolis de nostro regitur beneplacito volumptatis . , beſonders reichhaltig 
iſt. Aus dieſer Verordnung zuſammen mit der Urkunde von 1266 und mit dem 
Stiftungäbriefe Friedrichs II. von 1224 laſſen ſich allerdings immer noch frag: 
mentariſche Statuten der Univerſität zuſammenſtellen. 

*) Er empfing 20 Unzen, wenn er Neapolitaner, 30 Unzen, wenn er Aus⸗ 
länder war. Die Ernennung erfolgte auf ein Jahr, aber Karl ernannte immer 
denſelben wieder. 


) Der Juſtitiar war 1270 zugleich syndicus universitatis militum von 
Neapel. Schreiben des Königs 1270, 30. März, bei Del Giudice I, 289 Note. 


| Anteil der Scholaren und der Magier an der Verwaltung. 331 


. den Biläof ober Iheen Lehrer ala Wider m 


er wählen. Der Juftitiar ſollte fein Gericht mit drei Aſſeſſoren bilden, 
die von den Scholaren gewählt wurden, und zwar je einer von den 


drei Nationen, den Ultramontanen oder Nicht⸗Italienern und den 
beiden italiſchen Nationen (Scholaren aus dem Königreich und Scho⸗ 
laren aus dem übrigen Italien). Die ſtadtbürtigen Scholaren hatten 
in Neapel keine Sonderſtellung, wie in Bologna, Padua u. ſ. w., und 
die Korporationsbildung war auch nicht notwendig, um das Bürgerrecht 

zu erſetzen, das erſetzte der königliche Schutz; aber andere Bedürfniſſe, 
— in Bologna und den übrigen Städten die Korporationen der 
Scholaren ins Leben gerufen hatten, waren auch in Neapel vor⸗ 


handen und ließen ſie entſtehen, vor allem die auf Grund der Habita 


Anerkennung gekommene Gewöhnung der Scholaren 

eine beſondere Gerichtsbarkeit, an deren Rechtſprechung ſie ſelbſt 
Anteil hatten. Dabei zeigt Neapel wieder einen eigentümlichen Gegen⸗ 
ſatz gegen die beiden anderen Gruppen. Hatten in Paris nur die 
Magiſter an der Verwaltung teil, in Bologna nur die Scholaren, 

waren in Neapel ſowohl die Profeſſoren wie die Scholaren daran 
beteiligt. Die Beiſitzer“) im Gericht des Juſtitiars wurden nur von 
den Scholaren und aus ihrer Mitte gewählt, der Mietsausſchuß 


e 


’) Del Giudice I, p. 253: quod in omnibus questionibus tam civili- 
bus quam criminalibus coram Justitiario suo sive conveniantur sive con- 
veniant alios, vel scolares vel cives, tam doctores et scolares quam 
scriptores eorum et apothecarii ac ceteri qui ibidem ratione scolarium 
morantur, audiri et trahi debeant et eorum cause quaelibet coram eo 
secundum quod justum fuerit terminentur: reservata tamen optione scolari- 
bus ipsis juxta legitimas sanctiones, si causam ipsam maluerint coram 


Archiepiscopo civitatis ipsius vel suo doctore potius ventilari. Qui quidem 


Justitiarius creandus et statuendus per nos 

) Erlaß Karts I. von Anjou von 1266. Del Giudice I, 255: Qui 
siquidem Justitiarius creandus et statuendus per nos, si Neapolitanus 
eivis fuerit 20, si vero extraneus 30 unciarum auri salarium de offieli 
sul proventibus annuatim habebit, tribus sibi in ministranda justitis 
comiter assessoribus adhibendis, uno ultramontano videlicet quem so- 
lares illarum partium eligent, altero ytalico, eligendo per scolares 
ytalie, et tertio Regnicola per scolares adhibendo regnicolas, qui de tribus 
in tribus mensibus jugiter mutabuntur. 
3 ) Ibid. p. 258 f.: constituantur etiam per eundem Justitiarium et 
doctores cum assensa scolarium probi viri ad taxandum hospitiorum 


N Iloeria scolaribus conducenda, ad quam taxationem faciendam tres scolares 


332 Geringe Selbſtändigkeit der Univerfität. 


nur von den Profeſſoren, aber aus den Scholaren, und bei dem 
Marktgericht wirkten Profeſſoren!) und Scholaren zuſammen. In⸗ 
deſſen dieſer Gegenſatz iſt doch nur gering und verſchwindet ganz 
vor der Erwägung des andern grundſätzlichen Unterſchiedes, daß 
dieſe Univerſität in jenen Beſugniſſen nur einige kleine Reſte der in 
Paris wie in Bologna ausgebildeten Selbſtändigkeit der Univerfität 
beſaß. Die Korporation der Pariſer Magiſter erkannte niemand 
über ſich als den Papſt, der Biſchof und ſein Kanzler hatten gewiſſe 
Rechte, und der König war der Schutzherr und hatte die Gewalt, 
jederzeit einzugreifen, aber verfaſſungsmäßig ſtand ſie für ſich. In 
Bologna, Perugia u. ſ. w. hatte die Stadt die Oberleitung, aber 
der Rechtszuſtand ruhte auf Ordnungen, die durch Kämpfe und Ver⸗ 
träge zwiſchen der Stadt und der Scholarenkorporation feſtgeſtellt 
worden waren, und die Machtſtellung der Korporation offenbarte ſich 
darin, daß die Profeſſoren, weil ſie entweder Bürger der Stadt 
waren oder ſei es im Solde der Stadt ſtanden, ſei es ihr vereidigt 
waren, den Statuten und den Beamten der Scholarenkorporation 
zu gehorchen hatten, ohne die Statuten mitzubeſchließen und ohne die 
Beamten mitzuwählen. Der Beſtand der Univerſität hing von dem 
Zuſammenwirken der Korporation und der Stadt ab — in Neapel 


et tres cives ad id ydonei ordinentur, qui taxent hospitia quelibet que 
scolares voluerint, mansione ipsorum dominis (den Hauseigentümern) congrua 
reservata, Ita quod nullum hospitium ultra duas uncias taxetur per annum, 
sed citra quantitatem ipsam, prout uniuscujusque qualitati et conditioni 
conveniet, extimetur. Der Maximalpreis von 2 Unzen (gegen 180 Mark) 
war bereits von Friedrich II. beſtimmt, auch die Schätzung durch eine aus Bürgern 
und Scholaren gemiſchte Kommiſſion; verſchieden iſt nur, daß die Kommiſſion aus 
nur vier Mitgliedern beſtehen ſollte und daß über die Wahl der bezüglichen Scho⸗ 
laren keine Vorſchrift erhalten ift. 

) Ibid. p. 257: quod per eundem Justitiarium cum assessorum con- 
silio et doctorum ac magnorum scolarium in rebus victualibus certa con- 
stituatur assisin ... Den Marktverhältniſſen, die Friedrich II. 1224 glaubte ſich 
ſelbſt überlaſſen zu können, legte König Karl das größte Wewicht bei, auf ihnen 
beruhe vorzugsweiſe die Erhaltung der Univerfität: quia circa ſorum venalium 
studentium status et studii conservatio in magna parte subsistit jagt er ibid. 
p. 256 f. Die Strafen waren Geldſtrafen, und man erwartete, daß aus ihnen 
der Gehalt des Juſtitiars könne beſtritten werden und dann noch ein Ueberſchuß 
an die königliche Kaffe falle. Ob Friedrich II. ſelbſt ſchon, oder wer zuerſt ſich 
genötigt ſah, die Scholaren durch ein ſolches Marktgericht zu ſchützen, darüber habe 
ich keine Nachricht gefunden. Unbeſtimmt iſt der Begriff magni scolares. 


333 


dune Schützlinge und die Proſeſſoren feine Diener, ſein Wille ſchloß 
deshalb auch gelegentlich die fremden Scholaren ganz oder teilweiſe 
= und verlegte die Lehranſtalt von Neapel weg. 

Der Juſtitiar war der regelmäßige Träger dieſer königlichen 
Gewalt, und außer den bereits erwähnten Geſchäften hatte er auch 
ſonſt nicht bloß die Oberauſſicht, ſondern die eigentliche Entſcheidung 
in allen wichtigen Punkten. So hatte er zu ſorgen, daß ſich nicht 
Händler oder ſonſtige Laien für Scholaren ausgaben, um die Steuer⸗ 
freiheit, die Zollprivilegien u. ſ. w. zu genießen, und jeden als Nicht⸗ 
ſcholar zu behandeln, der nicht wenigſtens drei Vorleſungen eines 
vom Staate anerkannten Profeſſors beſuchte ). Ebenſo hatte er den⸗ 
jenigen, die nicht von dem Könige die Lizenz empfangen hatten, das 


9) Das Verfahren Karls bei Erteilung der Lizenz war dem Verfahren 
Friedrichs gleichartig. Der Kandidat richtete ſein Geſuch an den König, dieſer 
veranlaßte die Proſeſſoren, denſelben zu prüfen, und zwar nach den von der 
enen Vorſchriften, die mit den an anderen lniverfitäten üblichen 
Vorſchriſten in der Hauptſache übereinftimmten. Jeder Profeſſor hatte fein Gut⸗ 

einzeln abzugeben und in einem verſchloſſenen Schreiben an den Kanzler 
Königs zu ſenden. Nach der Verordnung von 1278 für die Mediziner wurde 
Kandidat dann durch die königlichen Aerzte in dem Regierungsgebäude noch 
auch deren Gutachten dem Kanzler übergeben. Danach erfolgte 
den König und, wenn ber Kandidat es wünſchte, die feier⸗ 
zum Doktor in der üblichen Weiſe. Dieſe Promotion war jedoch 
es konnte auch der nicht Promovierte als ordentlicher Profeflor 
bei den Prüfungen wie die förmlich promovierten (con ventati) Doktoren 
abgeben. Siehe die Prüfungsordnung von 1278 bei Del Giudice I. 
: Item nullus deponet pro baccalario conventando seu licentiando 
magister conventatus seu licentistus, qui legerit in medicina. Ehe 
Kandidat die Lizenz empfing, hatte er dem Könige einen Treueid zu leiften 
ſich zu verpflichten, zwei Jahre (16 Monate) in Neapel fleißig zu leſen 
Prüfungen ſein Urteil gewiſſenhaft abzugeben. Der Treueid wird an 
der Prüfungsordnung betont. Zuerſt heißt es: jurabit primitus 
nobis nostrisque liberis perpetuo observare, und dann am 
Schluß: in predicto quoque juramento fidelitatis intelligi volumus omnia, 
quse ad honorem et fidelitatem nostram et heredum nostrorum spectare 
noscuntur et ad artis ejusdem pertinent onestatem. 

J Del Giudice I, 260 Note. Urkunde von 1274: Sceriptum est Justi- 
diario et universis doctoribus et scolaribus ... . Intelleximus quod in 
Nesapolitano studio quidam docere presumunt, qni nee docendi adhue 
doceeperunt licentiam nec a nobis in hoc auctoritatem aliquam habnerunt ... 


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334 mißbrauch der Privilegien. 


Zur Ausführung feiner Befehle hielt der Juſtitiar eine Anzahl 
von Dienern, und da dieſe gleichfalls die den Scholaren zuſtehende 
Befreiung von Zöllen und Abgaben genoſſen, ſo ſcheinen ſich über⸗ 
mäßig viele Bürger zu dieſem Dienſte gedrängt zu haben, und der 
Juſtitiar mochte ſie gern annehmen, weil ſie vielleicht ohne Ver⸗ 
gütung dienten und es ſein Anſehen erhöhte, über eine zahlreichere 
Schar zu gebieten. Im Jahre 1274 führte die Stadt Klage bei 
dem Könige, daß ſich auf dieſem Wege viele Bürger den Abgaben 
und Laſten entzögen, und Karl beſtimmte deshalb, daß der Juſtitiar 
nur diejenige Zahl von Dienern annehmen dürfe, welche er zu Kaiſer 
Friedrichs Zeit!) gehabt habe?). Der König hatte fi die Erteilung 
der Lizenz vorbehalten und erteilte ſie bisweilen auch, ohne eine 
Prüfung anſtellen zu laſſen, indem er ſich auf anderem Wege von 
der Tüchtigkeit des Bewerbers überzeugt hatte. Der Juſtitiar erhielt 
dann nur den Befehl '), den Betreffenden als Profeſſor ordentliche 


mandamus, quatenus aliquem non licentiam et auctoritatem docendi non 
habentem a nobis nee tu Justitiare ordinare doctorem permictas, nee vos 
scolares sicut doctorem ordinatum aliquatenus adeatis. 

) Del Giudice I, 260 Note. Dieſe Beſtimmung zeigt, daß der Juſtitiar 
bereits in Friedrichs Zeit die Leitung der Univerſität hatte. Vermutlich hatte er 
auch damals ſchon die Aſſeſſoren neben ſich; der Wohnungsausſchuß wenigſtens 
wird ſchon in der Urkunde von 1224 erwähnt, und den von Karl 1266 bezeich⸗ 
neten Höchſtpreis der Wohnungen hatte Friedrich ebenfalls ſchon ſo beſtimmt. 

) Del Giudice I, 260 Note. 

) So verfuhr er 1278 bei dem Geſuch eines in Bologna promovierten 
Juriſten, indem er dem Juſtitiar folgenden Auftrag erteilte, Del Giudice I, 
267: Volumus ac celsitudini nostre placet, quod idem Magister Matheus. 
si predictas lieteras testimoniales de ipsius licentia et pronuneistione ab 
eodem (dem Kanzler von Bologna) in eodem jure civili obtinet, de quibus 
lieteris constare volumus prius vobis, in jure ipso in predieta Nea- 
politana regat ordinarie civitate. Einem anderen Bewerber erteilte er in 
demſelben Jahre die Lizenz auf Grund der bei Sachkennern angeftellten Er: 
kundigungen. Del Giudice I. 266 Note: Ecce nos, qui a peritis pluribus 
te dignum et sufficientem ad hoc fore accipimus, supplicationes tuas 
benigne exaudire volentes regendi in eodem Neap. studio in de- 
eretis ordinarie et decretalibus similiter sicut volueritis tibi 
tenore presentium licentiam concedimus et liberam potesta- 
tem; et ne aliquis te possit in hac parte turbare, Justiciario scolarium 
nostris injungimus lieteris, ut te ordinarie regere in utroque libro sine 
contradictione aliqua patiatur et non permictat, quod aliquis te in hoe 
offendere debeat vel turbare, 


dieſem Rechte zu ſchützen. Auch ſonſt griff der Konig in die Ver⸗ 
waltung periönlid ein!); es machte ſich der Charakter der Staats: 
1 anſtalt und zwar der Anſtalt eines ſeinem Weſen nach unumſchränkten 
allen Beziehungen fühlbar. 


Die ſpaniſchen Univerſitäten. 


ſpaniſchen Univerſitäten trugen in vieler Beziehung eben⸗ 
Charakter von Staatsuniverſitäten, wie denn die Urkunde, 
durch welche König Jakob von Aragonien die Univerſität Lerida 
gründete, ſelbſt wörtliche Anklänge an den Stiftungsbrief Friedrichs II. 
für Neapel zeigt. Sie wiederholt auch das für die Staatsuniverfität 
bezeichnende Verbot, daß an keinem anderen Orte des Gebiets Vor⸗ 


leſungen gehalten oder gehört werden dürften). Wenn man aber 
Lerida einer der drei Gruppen zuweiſen müßte, ſo würde ſie trotz⸗ 


den Stadtuniverſitäten zuzuweiſen ſein. Die Korpo⸗ 


) 1288 beſchied er das Geſuch zweier Bewerber dahin, daß die Profeſſoren 
Eramend wegen die Borlefungen nicht unterbrechen ſollten, daß fie aber nach 
alſo wohl bei oder vor Beginn der Sommerferien (1. Oktober bis 
Ende Mad dauerte das Studienjahr — Ordnung von 1278 bei Del Giudice I, 266 
Note), mit den Richtern des Obergerichts (magne regie curie) und anderen 
Nechts gelehrten zuſammentreten und die Prüfung vornehmen ſollten. Del Giu- 
dice I, 268 f. Note: Nos, quamquam eorum supplicationibus benignius 
inelinati nolentes tamen hujus anni studium interrumpi, devocioni vestrae 
(dem Juftitiar) mandamus, quatenus resurrectionis instantis dominice festo 
trunsacto doctores facultatis hujusmodi in Neapolitano studio commo- 
ranies una cum judicibus Magne Regie Curie aliisque consultis facultatum 
hujusmodi congregetis in unum et in ipsorum presentia dietum ... exami- 
nare...faciatis et si sufficientes eos... inveniri contigerit aliasque mores 
et vita Jaudabiles suffragantur eisdem: vos eorum cuilibet in facultate sus 
per Magistrum aliquem ipsius doctoris scientie Magistratum et Conventum 
concedi auctoritate presentium faciatis, 

N Villanuera XVI. p. 199, Nro. IV: Statuerimus firmiter et distriete, 
ne in aliquo loco terrae aut dominationis nostrae habitae vel habendae 
praeterquam in studio Ilerdensi aliquis audeat jura, medicinam vel philo- 
sophiam legere seu docere, neve quis a quocumque lectionis causa prae- 
sumat audire sub pena mille morabatinorum. Die Faſſung dieſes Berbotes 
Iehmt ſich jebod nicht an Friedrichs Erlaß an. Bal. die dem Inhalt nach gleiche 


1 
i 
1 


1 


|  Beftimmung in dem Stiftungsbrief des Könige Pedro IV. für Pucca von 1954 


| dei La Fuente I, 318. 


336 Lerida. 


ration der Scholaren wurde nur aus den fremden Scholaren ge⸗ 
bildet, die ſtadtbürtigen Scholaren (scholares eives) gehörten ihr nicht 
an!), waren aber den von der Korporation beſchloſſenen Statuten 
und dem von ihr gewählten Rektor unterworfen. Auf Betreiben der 
Stadt hatte der König die Univerſität gegründet, und die Stadt 
gewährte ihr dann Privilegien ?), die Stadt ſorgte für die Gebäude 
bis zu dem Stroh“), mit dem im Winter der Boden beſtreut wurde, 
und berief und beſoldete die Profeſſoren“). Die Stadt war es ferner, 
welche die Erlaubnis zu geben hatte, wenn ein Profeſſor in einem 
anderen Saale oder über ein anderes Buch leſen wollte, als wozu 
er berufen war, oder eine Nacht außerhalb der Stadt zubringen 
wollte). Bei der Ausarbeitung der Statuten wurden denn auch 


1 

) Villanueva XVI, 226 f. Liber constitationum, Cap. De judieiis et 
ſoro competenti: Quamvis scolares cives civitatis istius necnon phisiei 
et artistae et alii multi non sint de strieto corpore studii nostri 
quantum ad ordinationes sive statuta condenda, debent tamen 
rectoris subesse judicio et universitatis statuta servare 

) Liber constitutionum, Einleitung. Villanueva XVI. 207: paeciariis 
seu rectoribus eivitatis Ilerdae ... de comuni consilio procurantibus et 
prosequentibus ... rex auctoritate apostolica ... in hae parte sibi comissa 
nee minus sua in utroque jure, canionico et eivili, medieina, philosophia 
et artibus ac aliis approbatis scientiis quibuscumque studium 'in dieta 
eivitate Ilerdensi instituit generale, quod diversis graciis et privilegiis 
insignivit. Quibus etiam graciis dieti paciarii de comuni assensu totius 
consilii eivitatis praedietae .. aliquas postmodum liberaliter addiderunt 

) Villanueva XVI. 224: Ad bedelli cujusque spetiale(s) offieium 
pertinet, scolas quibus deservit, tenere mundas in aestate, in hieme 
quoque paratas et per solum fulcitas paleis vel sparto, expensis tamen 
eivitatis hace fieri debent. Die Stadt ernannte auch die bancarii, 
welche das Bankgeld von den Scholaren einforderten. Villanueva XVI. 215, 
De electione bancariorum: Paciarii ceivitatis ponunt bancarios annuatim 
ad colligenda bancagia civitatis usibus aplicanda, nisi gratiam super eo 
poterimus a civibus obtinere. Das Bankgeld fiel an die Stadt, fie konnte es 
auch nachlaſſen. 

) Ibid. p. 214, De electione doctorum et magistrorum. Auch an 
anderen Stellen wird die Beſoldung durch die Stadt erwähnt. Im Jahre 1319 
ſchrieb die Stadt eine Weinſteuer aus pro satisfaciendo doctoribus et ma- 
gistris actu legentibus in generali studio llerdensi und geriet darüber in 
Streit mit dem Könige, weil die Steuer ausgeſchrieben war licencia seu auetori⸗ 
tate regia minime postulata. Siehe die Urkunde Espana sagrada d. 47 
(1850) S. 358, durch welche der König 1347 die Erhebung geſtattete. 

lber constitut, De translatione. Villanueva XVI. 216. 


Einfluß von Bologna. 337 


3. m die Statuten von Bologna zum Vorbild genommen, bie 
ER des Neltors, der Konſiliare, der Petiare'), der Buch⸗ 


J Villanuera XVI. 225, De offio stacionarii studi, Abſat 4 u. 5: 
Nullus allus stacionarius in hoc studio esse potest, qui vendat libros vel 
teneat petias sine licentia et voluntate stacionarii generalis. Nihil est quod 
studio vel studentibus magis officiat quam falsarum corruptio petiarum, 
“Quapropter de comuni consilio provide constituimus ac etiam ordinamus, 
quod de triennio in triennium duo periti scolares in legibus duoque simi- 
liter in canonibus, per reciorem . . - eligantur, qui petias corrigant et 
emendent et emendari sc corrigi faciant tam in ordinariis quam extra- 
ordinarlis,... In Bologna ernannten die Rektoren ſechs Scholaren zu dieſem Amt, 
und zwar jährlich, auch waren die Beſtimmungen der Statuten § 19 (Archiv III. 
279) und 33 (ib. 296) weit ausführlicher. Hier entnahm Lerida nur das Amt 
und formte das Statut nach ſeinen Bedürfniſſen. 

Wörtliche Anklänge find nicht jo Häufig, denn die Statuten von Lerida 
bieten eine ſelbſtändige Verarbeitung der benutzten Statuten, aber fie fehlen doch 
nicht. So heißt es in der Rubrik De judiciis et foro competenti, Villa- 
nners XVI. 226: (Scolares) inter se vero ... rectoris sui judicium 
deelinare non possunt, nisi manifesta vel evidens suspicionis aut alia 
subsit causs. In den Statuten von Bologna von 1347 § X, Archiv III, 265: 
Nee possint scolares eciam exempti rectorum judicium declinare, 81 
tamen juret scolaris, se rectorem ex certa causa . . habere suspectum, 
rector alias adjungatur, vel qui recusatur, causam persone non suspecte 
deleget. Ein anderes Beiſpiel bietet die Beſtimmung über die Wahl der consi- 
liarii. Wenn von einer Nation, welche an der Reihe iſt, einen Konſiliar zu ftellen, 
nur ein Scholar vorhanden iſt, ſo ſoll er ſich dem Rektor ſelbſt anbieten und der 
Rektor foll gehalten fein, ihn anzunehmen. Im Liber constitutionum d. d. O. p. 215 
ſteht hier trotz einer veränderten Anlage des Satzes der gleiche Ausdruck se offerre. 
al. non vetaris te ipsum . . offerre debesque admitti und die Statuten 
von Bologna $ 14, Archio III, 273: ille se possit offerre et rector teneatur 

Sachlich iſt in dieſem Paragraph verſchiedenes anders, aber um jo 
iſt der Anklang in dem Wort „offerre* und in der Verbindung mit der 


p. 218 mit den Worten beginnt: rectoris offieium, quod gesisti, zeigt Anklänge 
an $ 9 der Statuten von Bologna de immunitate rectorum (Archie III. 264). 
Ein folder iſt wohl auch in der Rubrik De jure jurando, Villanueva XVI. 
229 an Stat. Bon. Rubr. 76 De juramento scolarium et Bononiensiam ans 
zunehmen. Dort heißt es: rectori se parituros eidem in licitis et honestis 
et universitatis statuta facta vel facienda servare; bier: jurent ... rectoribus, 
quod eis obedient in lieitis et honestis ... et universitatis statuta facta et 
ende serrabunt. In der Rubrik De officio cancellarii p.220 werden die Statuten 


338 Der Kanzler von Lerida. 


händler, der Generalpedelle, die Prüfungsordnung u. ſ. w. zeigen 
unzweideutige Anlehnungen an die Einrichtungen und die Statuten 
von Bologna, aber neben denſelben wurde auch auf die Gewohn⸗ 
heiten anderer Generalſtudien Rückſicht genommmen, insbeſondere auf 
die Statuten von Toulouſe!), und die Univerſität trug auch außerdem 
manche Züge, welche zu dem Bilde einer Stadtuniverſität nicht paſſen. 
Zunächſt den, daß die Gründung nicht von der Stadt vollzogen wurde, 
ſondern von dem Könige, und daß der Kanzler als ein Beamter des 
Königs angeſehen wurde). Der König beſtimmte zwar, daß der 
Kanzler immer aus den Mitgliedern des Domkapitels genommen 
werden ſollte, fügte aber hinzu, daß er dies anordne, um ſowohl die 
Kirche wie die Univerſität zu ehren, daß aber dies Amt deshalb in 
feiner Weiſe als ein kirchliches Amt anzuſehen ſei?). Da die Kanzler 
an den berühmten Univerſitäten Paris, Toulouſe, Montpellier u. ſ. w. 
ihr Amt von der Kirche empfingen und das Mittel darſtellten, durch 


Bononiae, quam legum nutricem recte vocamus, statutum esse comperimus), 
daß es ſcheinen könnte, man hätte damals in Lerida kein Exemplar der Bologneſer 
Statuten gehabt, allein das war ſicher der Fall. 

1) Vgl. die Rubrik De feriis am Schluß a. a. O. p. 229 prout in aliis 
generalibus studiis, und über Toulouſe ſpricht die Einleitung p. 209. 

) Liber constitutionum, Rubrica De electione cancellarii studii 
(Villanueva XVI, 214): Cumque vaccaverit ejus officium, non est ad idem 
universitatis electio, set ipsius pocius Domini Regis provisio expectanda. 
In der Rubrik De officio cancellarii, ib. p. 219 heißt es allerdings: officium 
cancellarii ... cum sit de praecipuis officialibus studii, aber er war eben 
ein vom König ernannter Beamter der Univerfität, ein Beamter des Königs an 
der Univerfität. 

) Carta ordinationis et immunitatis studii generalis Ilerdensis, 
Villanueva XVI, p. 201: Item quod doctores et magistri in utroque jure 
quam in aliis quibuscumque scientiis creandi vel assumendi ad magistratus 
honorem, priusquam assumantur, in praesentia rectoris ipsius studii, sint 
diligenter private ac publice doctorum vel magistrorum et alioram in illa 
scientia ... peritorum examinatione subjecta, prout in dietis generalibus 
stadiis observatur, Ita tamen, quod libram et auctoritatem legendi et 
magistralem dignitatem suscipiant a cancellario nostro vel ejus vicario 
praefato studio praesidenti, quem semper esse volumus et ordinamus, 
propter honorem ecclesiae et ipsius studii canonicum Ilerdensem. Quod 
quidem cancellariae offieium volumus esse perpetuum. Nee propteres 
quia canonico llerdensi debemus (vel volumus) ipsum comik- 
tere sive concedere, dignitas, personatus, officium vel bene 
fieum ecclesiasticum ullatenus censeatur. 


ee A r 


Der Kanzler von Lerida. 339 


% welches die Kirche Einfluß auf die Univerfität übte, fo fürdtete der 


„ das Kanzleramt von Lerida würde bald in dieſem 
aufgefaßt und ausgebildet werden. Dem ſollte jene ſcharſe Er⸗ 


Härung, die in derartigen Urkunden wohl nur wenig Analogien hat, 
Der König hatte auch noch beſondere Veranlaſſung 
weltliche Natur des Amtes zu betonen, weil er die Gründung 


die 
der Univerſität ſelbſt nicht ausſchließlich kraft eigener Autorität voll⸗ 
zog, ſondern ſich dazu von dem Papſte eine Vollmacht hatte erteilen 


Aber dieſes Beſtreben, den weltlichen Charakter der Univerſität 
zu wahren, hinderte den König nicht, dem Biſchof und dem Dom⸗ 
einen ſehr bedeutenden Anteil an der Gründung wie an der 
und Verwaltung der Univerſität zu gewähren ). Zeitweiſe 


») Villanueva XVI. 196, Nro. 3: Cum ... Bonifatius Papa octavus 
per speciale privilegium (—ia im Druck) nobis hoc scientibus duxerit 
eoncedendum ut in aliqua civitate vel loco terrae nostrae insigni fundare 
vel ordinare possemus studium generale, et quod idem studium postquam 
per nos existeret ordinatum eisdem privilegiis et indulgentiis gauderet, 
quae a sede Apostolica Tholosano studio sunt concessae . . auctoritate 
Apostolica qua fungimus in hae parte ac etiam nostra. ordi- 
namus. Dieſe Formel kehrt wieder in feiner Prohibitio de erectione scolarum. 
Villanueva XVI. 199 und in der Carta ordinationis ib. p. 200 und in dem 
Liber constitutionum ib. p. 207. 

J Epaba sagrada 47, 351 Nro. 73. Die Urkunde ift ein Schiedsſpruch 
den Königs zwiſchen der Stadt und dem Biſchof über die Pflichten und Rechte 
bezüglich der Univerſität. Danach hatte die Stadt verſprochen, an Biſchof und 
Kapitel jährlich eine beſtimmte Summe zu zahlen, wogegen Biſchof und Kapitel 
die Proſeſſoren zu berufen und zu beſolden übernehmen ſollten (ut iidem Epi- 
scopus et capitulum haberent doctores et magistros in dieto studio, qui 
legerent ibidem jura et alias scientias aprobatas). An dieſen Vertrag wollten 
Biihof und Kapitel nicht weiter gebunden fein und nun entſchied der König, quod 
ordinatio studii et doctorum provisio de cetero competat Paciariis et diete 
universitati non autem episcopo et capitulo prelibatis, salva jurisdictione 
eccleriastica eidem episcopo ubi alias ei de jure competit: et quod dieti 
episcopus et capitulum per octo annos continue subsequentes solvant et 
solvere teneantur anno quolibet diete universitati (d. h. der Stadt) tria mille 
solidos jaccenses ... et dare per dietos annos canonicam porcionem integriter 
uni magistro medieine, quem eadem universitas (die Stadt) duxerit eligen- 
dum: et quod ipss universitas suis propriis missionibus teneatur procurare 


ett habere doctores sive magistros, qui legant in studio prelibato mecesss- 


—  rios ac suficientes. Et si forte super numero doctorum habendorum vel 
 suficientiam seu idoneitatem eorundem inter episcopum et capitulum et 


340 Anteil der Stadt und des Biſchofs. 


ſtand ihnen ſogar die geſchäftliche Leitung zu, welche die Statuten 
der Stadt zuwieſen, bis der König 1313 aufs neue beſtimmte, daß 
die Aufſicht und Leitung des Studiums und die Berufung der Pro⸗ 
feſſoren Sache der Stadt ſei und nicht des Biſchofs und des Kapitels, 
aber das Kapitel ſollte jährlich der Stadt eine bedeutende Summe 
zahlen (½ mehr als die Stadt bisher dem Kapitel gezahlt hatte 
zu den Koſten der Univerſität und auch eine Pfründe freihalten, 
welche einem von der Stadt gewählten Mediziner als Beſoldung 
diene. Wenn die Stadt aber nicht die gehörige Zahl oder nicht ge⸗ 
eignete Lehrer berufe, dann ſollten Biſchof und Kapitel dem Könige 
davon Anzeige machen, der dann entſcheiden werde. Stadt und 
Biſchof ſtritten alſo nicht um den größeren Einfluß auf die Leitung 
der Univerſität, ſondern ſie wollten dieſe Leitung von ſich abwälzen, 
um die Verantwortung und die Koſten nicht tragen zu müſſen, und 
ſie waren beide bereit, demjenigen, der die Sorge und Leitung über⸗ 
nahm, jährlich eine beſtimmte Summe zu zahlen. Der König ent⸗ 
ſchied dann, wer die Sorge übernehmen und wer nur den Zuſchuß 
zahlen ſollte: Die Univerſität erſcheint als eine von dem 
Könige für das Land gegründete Anſtalt, aber der Staat 
übernahm die Leitung und die Beſchaffung der Geldmittel 
nicht in eigene Verwaltung, ſondern zog die Stadt und das 
Bistum heran. In ähnlicher Weiſe zeigen auch die anderen ſpani⸗ 
ſchen Univerſitäten Züge von allen drei Gruppen der in den übrigen 
Ländern ausgebildeten Univerſitäten. In Valencia bemühten ſich teils 
nach, teils nebeneinander König, Biſchof und Stadtrat um die 
Gründung einer Univerſität, in Salamanca gründete der König die 
Univerfität, ließ aber ſeine Anordnungen vom Papſte beſtätigen “) 
und gab dem Biſchof einen erheblichen Anteil an der Leitung der 
Anſtalt. So beſtimmte er, daß die Scholarenkorporation kein eigenes 


Siegel führen dürfe, außer wenn es der Biſchof geſtatte ). Dieſe 


universitatem omnium predietorum controversia aliqua oriretur, quod 


estent et estare habeant nostre noticie et declaracioni, quam inde duxeri- | F 
mus faciendam: nee universitati (der Stadt) teneantur ad aliud dieti epi- 
scopus et capitulum nisi ad tria mille solidos jaccenses et canonicam por 


eionem. 1818. 

) Bulle Alexanders IV. 1255. Bull. Rom. III, 601. La Fuente I, 2% 
ſalſch zu 1254. 

) Otrosi mando que los escolares de la universidat, non ayan selle 


Die Selbftändigfeit der ſpuniſchen Univerfitäten. 341 


BR: Beteiligung des Biſchofs an der von König Alfons dem Weiſen ge 
gründeten Univerſitat Salamanca erläutert die Beſtimmung des 
1 unter demſelben Könige vollendeten Geſetbuches, daß die weltlichen 
oder geiſtlichen Ortsbehörben kein Generalſtudium errichten dürften, 
daß dies nur der König (oder Kaiſer und Papit) vermöge. Der 


Sinn dieſes Geſetzes!) kann danach nur fein, daß die Lokalgewalten 
nicht für ſich allein ein Generalſtudium errichten dürften, es forderte 
aber nicht, daß der Staat allein auch die Ausführung in die Hand 


nehmen müſſe. 

Die ſpaniſchen Univerſitäten ſind erſt in der zweiten Hälfte des 
13. Jahrhunderts zu größerer Entwicklung gekommen und auch da 
nicht ohne mancherlei Schwankungen, ſie entwickelten ſich deshalb unter 
dem Einfluß der berühmten Univerſitäten von Frankreich und Italien, 
bewahrten dabei aber hinreichende Selbſtändigkeit und erzeugten ſo⸗ 
wohl in der Stellung der Univerſitäten zu den ſtaatlichen und kirch⸗ 
Behörden, in der Art der Beſoldung, in der Behandlung der 
päpſtlichen Privilegien, in der Ausbildung der maßgebenden Begriffe 
eigentümliche Formen und Erſcheinungen. Sie ſtanden durchaus nicht 


comunal de la universidat sinon por mandado et por conplaser del obi- 
spo de Salamanca (Privileg des Königs Alfons von 1254, abgedruckt bei La 
Fuente I, 295). Ob bei den früheren Berſuchen, in Salamanca eine Univerfität 
ju gründen, die Könige anders verfuhren, iſt nicht zu jagen, doch ſcheint es nach 
dem Stiftungäbriefe von 1243 (La Fuente I, 89) nicht. Anfang des 14. Jahr: 
hunderts wurde Salamanca vollends nur durch den Biſchof und durch die Hilfe 
des Papſtes erhalten. Siehe über dieſe Schickſale Denifle 488 f. Aehnlich war 
die Stellung des Königs bei der Gründung von Alcala, wo der König dem Biſchof 
Vollmacht erteilte, eine Univerfität zu gründen (Colleceion de documentos 
la historia de Espana XX. 75 f. iſt der königliche Brief abgedruckt) 
Huedca. Die Gründung von Huesca wurde von dem Könige der 
„und die Urkunde des Königs bezeichnet ſich als eine der Stadt 
Huesca war nach der Gründungsurkunde eine Stadtuniverſität 
ſchen, nur daß die Stadt vorher die Vollmacht des Königs 
das in Italien auch vorkam, nachdem die Städte unter die 
Terxitorialherren gekommen waren. Siehe die Gründungs⸗ 
bei La Fuente I., 318. Der König gewährt Juratis et probis homini- 
sc (ante) dietae universitatis Oscensis . . . concedimus et donamus ... 
vestrae civitatis commodum et vestrorum (non obstantibus quibusvis 


1 


Mme 
e 


1 privilegiis et gratiis studio Ilerdensi concessis) dictum generale studium 
per nos... concessum in ipsa civitate habeant et etiam ordinent . 


9 Los eodigos espaholes concordados y anotados. Codigo de las 
„ Br Partidas Madrid 1848. Tomo II. 535. Partida IL, tit. 31, ley 1. 


we 
. 


342 Die Selbſtändigkeit der ſpaniſchen Univerſitäten. 


r 


in derjenigen Abhängigkeit von den franzöſiſchen und italieniſchen 
Vorbildern wie die deutſchen Univerſitäten von Paris), ſchon des⸗ 
halb, weil dieſe erſt hundert Jahre ſpäter entſtanden, als die Formen 
und Einrichtungen der Univerſitäten viel feſter geworden waren, 
während die Entwicklung der ſpaniſchen Univerſitäten ſchon in den 
Jahrzehnten begann, da ſie auch in Italien und Frankreich noch im 
Fluß war. Dazu kam, daß die ſpaniſchen Staaten im 13. Jahr⸗ 
hundert in kraftvoller Entwicklung begriffen waren, große Aufgaben 
ins Auge faßten und löſten. Es iſt natürlich, daß ſie ſich an der 
Univerſitätsbildung nicht beteiligen konnten, ohne ſie eigentümlich zu 
geſtalten. Ein Zeichen dafür iſt, daß ſie in dem ebengenannten Ge⸗ 
ſetzbuch der siete partidas ), welches ſelbſt ein bewunderungswürdiges 
Denkmal der lebendigen Kraft dieſes aufſtrebenden Königtums dar⸗ 
ſtellt, eine grundſätzliche Regelung des Univerſitätsrechts verſuchten. 
Das Geſetz unterſcheidet zwei Arten von Studien, Generalſtudien 
und Partikularſtudien. Unter letzteren verſteht es Schulen einzelner 
Lehrer ohne weitere Organiſation, regelmäßig auch beſchränkt“) auf 
die Elemente der Grammatik und Logik. Als Generalſtudien be⸗ 
zeichnet es Schulen, in denen die verſchiedenen Zweige der Artes 
oder kanoniſches und römiſches Recht gelehrt wird. Partikular⸗ 
ſtudien können von den Biſchöfen oder Magiſtraten der Städte 
eröffnet werden, Generalſtudien dagegen nur von dem Könige, dem 
Papſte oder dem Kaiſer ). Unerörtert ließ das Geſetz das Ver⸗ 
hältnis dieſer drei zur Gründung von Generalſtudien berechtigten 
Gewalten, aber ſachlich beſteht kein Zweifel darüber. Der Kaiſer 


—— — — 


) Wir werden fpäter ſehen, daß auch die deutſchen Univerſitäten das Pariſer 


Muſter nicht ſchlechtweg nachbildeten, das wäre ganz unmöglich geweſen, aber ihre 


Abhängigkeit iſt doch ungleich größer als die der ſpaniſchen Univerſitäten. 

) Bol. dazu La Fuente I, 107 f. 

) Ausdrücklich geſchah dies z. B. nach der Gründung von Lerida. 

) Partida II, tit. 31, ley 1: Estudio es ayuntamiento de maestros 
e de escolares que es fecho en algun lugar con voluntad e entendimiento 
de aprender los saberes. E son dos maneras del. La una es a que dicen 
estudio general, en que ay maestros de las artes, assi como de gramatica 
e de la logica, e de retorica, e de arismetica, o de geometria, e de astro- 
logis. E otrosi en que ay maestros de decretos e sehores de leyes. E este 
studio deve ser establescido por mandado del Papa o del Emperador o del Rey. 

Das zweite Geſetz gewährt dann noch den Scholaren, was in den Stiftungs- 
brieſen an Rechten und Befreiungen gewährt zu werden pflegte. 


Einfluß der univerfalen Gewalten. 343 


— 1 
hat thatſachlich nicht in die ſpaniſchen Verhaltniſſe eingegriffen, feine 
rwähnung ift mehr nur theoretiſch und vorzugsweiſe veranlaßt durch 
die Konſtitution Omnem und die oben erwähnten Erörterungen der 
=» dieſelbe, wie denn auch ein anderes Geſetz des⸗ 
Doktoren des Rechts diejenigen Ehren zuweiſt, 
ihnen die Geſetze Juſtinians gewährten). Kaiſer und Papſt 
die beiden Vertreter der univerſalen Gewalt, thatſächlich aber 
hatte damals von ihnen nur der Papſt in Spanien Einfluß). Mehr⸗ 
ſach haben nun die ſpaniſchen Könige die Mitwirkung des Papftes 
veranlaßt, wie das im folgenden Kapitel noch erörtert werden wird, 
nur feſtzuſtellen, daß der Papſt nicht ohne den König ein 
Generalſtudium in Spanien gegründet hat und daß ihm dies Geſetz 
auch nicht das Recht dazu gewähren wollte. Der Grundgedanke in 
der ſpaniſchen Auffaſſung der Generalſtudien war der, daß es Landes⸗ 
daß ſie deshalb nur auf Grund eines königlichen 

ins Leben treten könnten. Näherten ſie ſich damit der Auf⸗ 
ung der neapolitaniſchen Staatsuniverſität, ſo ſehen wir doch, daß 
einmal in der Ausführung den Lokalgewalten maßgebenden An⸗ 
influß gestatteten, und ebenſo zeigt dieſes Geſetz, daß die 


5 


5 


anzunehmen. Die Kaiſerurkunden von Alfons gibt Böhmer⸗Ficker von Nro. 5484 


6 
2 


Sechſtes Kapitel. 


Die Gleichartigkeit in der Entwicklung der 
Univerſitäten, im beſonderen die akademiſchen 
Grade und die Stiftungsbriefe. 


ie meiſten Univerſitäten Italiens ſtimmen unter ſich in einem 
8 Hauptpunkt der Verfaſſung überein und ſtehen dadurch in 

einem gemeinſamen Gegenſatze gegen die Univerſitäten Eng⸗ 
lands und Frankreichs. Dieſe Thatſache iſt ſo auffallend, daß man 
geglaubt hat, die Univerfitäten nach dieſem Geſichtspunkt einteilen) 
und danach zwei Gruppen unterſcheiden zu müſſen: 1) Univerſitäten 
mit einer Scholarenverfaſſung wie Bologna; 2) Univerſitäten mit 
dem Regiment der Magiſter wie Paris. Wir haben geſehen, daß 
Paris und Bologna auch wirklich die wichtigſten Gegenſätze darſtellen, 
welche in der Entwicklung der Univerſitäten hervortreten, wenn man 
von der nur in Neapel rein ausgebildeten Staatsuniverſität abſieht: 
aber die Gleichartigkeit der Verfaſſung iſt es nicht, welche dieſe Ein⸗ 
teilung zunächſt beſtimmt. Sie erweiſt ſich auch bei näherer Betrachtung 
keineswegs ſo groß als es ſcheint, wenn man ſagt: in der einen 
Gruppe durfte nur ein Scholar, in der anderen nur ein Magiſter, 
oder modern geſprochen: hier durfte nur ein Profeſſor, dort nur ein 
Student Rektor werden. Einmal fanden ſich doch auch in Italien 
und verbunden mit eigentümlichen Zügen italieniſcher Verfaſſung 
Beiſpiele von dem Regiment der Magiſter, und auch außerdem zeigten 
ſich unter den Verfaſſungen dieſer italieniſchen Univerſitäten manche 


) Thurot 205 f. im Anſchluß an Savigny III. 157 f. 


Die Gruppierung der Univerfitäten. 345 


B — Verſchiedenheiten; aber noch bunter iſt das Bild der 
Ber ungen der Univerjitäten, welche man zu der anderen Gruppe 


x da Auch die gleichbenannten Aemter und Einrichtungen in Paris, 
DODrxford, Toulouſe, Angers, Orleans und Montpellier erweiſen ſich 
vielfach als weſentlich verſchieden!). Für Paris, Oxford, Angers und 


Orleans iſt dies bereits oben angedeutet worden und für Montpellier 
und Toulouſe tritt es nicht weniger deutlich hervor). Je eingehender 
man die Verfaſſungen der italieniſchen und andererſeits die der fran⸗ 
zoſiſchen und engliſchen Univerſitäten vergleicht, deſto mehr zeigt ſich, 
daß ſie ſich nicht ohne Anſtoß gruppieren laſſen, wenn man die 
Formen der Verfaſſung als Hauptgeſichtspunkt ins Auge faßt. Der 
Unterſchied, ob die Scholaren oder die Magiſter in der Korporation 
die politiſchen Rechte übten, iſt zwar ſehr wichtig, kommt aber doch 
erſt in zweiter Linie in Betracht und iſt wohl überwiegend als eine 

der Verhältniſſe zu betrachten, welche mit dem Gegenſatz der 


Stadt- und der Kanzleruniverſitäten gegeben waren. Um dies zu 


beurteilen, iſt es nötig, jene Verhältniſſe noch einmal ſcharf hervor: 
g zuheben. Bologna, Padua u. ſ. w. entwickelten ſich als ſtädtiſche 
Anſtalten und auf Grund einer Reihe von Privilegien, welche die 
Scholaren als eine beſondere Klaſſe von Fremden behandelten; in 
Paris und Oxford bildeten die Scholaren ihre Genoſſenſchaft in An⸗ 
lehnung an und, was davon unzertrennlich iſt, im Kampfe mit den 
kirchlichen Lokalgewalten, Biſchof und Kapitel oder Abt und Konvent, 
und auf Grund der geiſtlichen Gerichtsbarkeit aus. In Bologna und 
Vercelli waren die Scholaren bevorrechtigte Fremde, in Paris und 
Oxford bevorrechtigte Kleriker. In Bologna waren ferner die Profeſſoren 
- — Großbürger der Stadt, und ihre Kollegien bildeten hervorragende 
Glieder der ſtädtiſchen Genoſſenſchaften; deshalb bildeten fie nicht mit 
den fremden Scholaren die Korporation, ſondern ſtanden mit der 
Burgergemeinde der Scholarengemeinde gegenüber. In Paris, Oxford 
u. ſ. w. gehörten dagegen die Magiſter ebenſowenig zu der universitas 
eivium wie die Scholaren, fie bildeten mit den Scholaren zuſammen 
die der Stadtgemeinde gegenüberſtehende Scholarengemeinde und lebten 


. ) Man erinnere ſich an das Weſen der Scholarenkorporation in Florenz, 
dite Stellung des Doltorenkollegiums in Bologna, die getrennten Univerfitäten der 
Fakultäten in Bologna und Padua, ihre Bereinigung in Perugia und Florenz u. ſ. w. 
| ) S. den Anhang, Beilage 3. 


346 Gegenſatz der Länder. 


wie ſie ohne Beſoldung, ohne Haus und Familie. Hätten die Pro⸗ 
feſſoren in Bologna der Scholarengemeinde angehört, ſo würden ſie 
bei ihrer ſonſtigen Stellung den Scholaren gegenüber auch die Leitung 
derſelben gehabt haben oder doch einen hervorragenden Anteil an 
derſelben. Sie hatten in Bologna die Leitung der Scholarengemeinde 
nicht, weil ſie der Scholarengemeinde nicht angehörten ). 

Die durch dieſen Gegenſatz der Stadt⸗ und Kanzleruniverſität 
gebildeten Gruppen erweiſen ſich zugleich als nationale Gruppen. 
Die Stadtuniverſitäten entſtanden in Italien, die Kanzleruniverſitäten 
in Frankreich und England), und jener Unterſchied der Entwicklung 
hängt offenbar zuſammen mit den Geſamtverhältniſſen dieſer Länder. 
In Italien nahmen die Laien in größerem Umfang an der wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Bewegung teil und, was noch wichtiger iſt, ſie widmeten 
ſich den juriſtiſchen Studien, welche ihrem Jünger eine glänzende 
Poſition in der Geſellſchaft ſicherten, während die Laien, welche in 
Frankreich und England ſtudierten, ſich mehr den Artes widmeten, 
die ihnen meiſtens nichts gewährten als Ruhm und die Möglichkeit, 
zu einer Pfründe empfohlen zu werden. So blieb ihnen auch wohl 
regelmäßig nichts übrig, als ſchließlich Kleriker zu werden, nachdem 
ſie lange Jahre Namen und Privilegien der Kleriker geführt hatten, 
ohne es zu ſein. 


Die Gleichartigkeit der Entwicklung. 


Verfaſſungsformen können helfen, Leben zu erwecken und gute 
wie böje Keime zu entwickeln oder zurückzudrängen; bedeutender noch 
iſt die Wirkung von geſellſchaftlichen Unterſchieden, wie ſie die italieni⸗ 
ſchen von den franzöſiſchen Gelehrten ſchieden: aber ein kräftiges 


) Wenn in Arezzo Profeſſoren die Leitung hatten, fo war das vielleicht 
dadurch veranlaßt, daß die Zahl der fremden Scholaren zu Mein war, um Be: 
deutung zu gewinnen. 

) Die ſudfranzöſiſchen Univerfitäten und beſonders die juriſtiſchen Fakul⸗ 
täten zeigen Einflüſſe der italieniſchen Organifation, am ſtärkſten Nlais. Der 
von der Stadt mit dem doctor decretorum Armandus de Jeco 
Vertrag iſt völlig in der Art der von den italienifchen Städten für ihre Generals 
ſtudien abgeſchloſſenen Verträge. Roziöre, Léecole de droit d’Alais in der Bibl. 
de He. des Chartes XXXI p. 61. Es iſt daran zu erinnern, daß ſich auch die 
ſpaniſchen Univerfitäten unter dem doppelten Borbilde von Paris (Toulouſe) und 
Bologna entwickelten. 


Geist der Kameradicaft. 347 


— 


Leben behauptet ſich doch unter allen Formen und Verhältniſſen in 


feinem Weſen. So vollzog ſich auch trog jener Unterſchiede an allen 
dieſen Univerſitäten eine gleichartige Entwicklung. Vor allem erhielt 


ſſGß in den italienifchen ebenso wie in den franpöfifchen Univerfitäten 
der Geiſt der Kameradſchaft zwiſchen Schülern und Lehrern, der die 


5 ſormloſen Schulen des 12. Jahrhunderts ausgezeichnet hatte. In 
Stalin trug dazu bei, daß die Scholaren durch ihren Einfluß auf 


die Wahl der Profeſſoren und ihre ſonſtigen politiſchen Vorrechte 
ein Gegengewicht gegen die geſellſchaftliche Bedeutung der Profeſſoren 
beſaßen, in Paris dagegen wurde das in der Verfaſſung begründete 
Uebergewicht der Magiſter durch die Gleichartigkeit der Lebensverhalt⸗ 
niſſe und durch die Benutzung gemeinſamer Privilegien gemildert. 
Ihre Hauptitüge aber fand jener Geiſt der Kameradſchaft in der Art 
des Studiums. Viele hielten Vorleſungen, die rechtlich Scholaren 
waren, und in den zahlreichen Disputationen kam die freie Stellung 
der Scholaren zu den Profeſſoren immer aufs neue zur Geltung. 
Da konnte auch der Scholar den Magiſter widerlegen, wenn er größere 


J Gewandtheit hatte, oder wenn der Magiſter eine der Tagesſtrömung 


widerſtreitende Anſicht vertrat. 

Die Disputation hatte an allen Univerſitäten eine vorherrſchende 
Bedeutung in der Methode des Studiums, und wie nach dieſer Seite, 
ſo entwickelte ſich überhaupt der Studiengang in der Hauptſache gleich⸗ 
mäßig, und das iſt der zweite Punkt, in welchem die Gemeinſchaft 
des Weſens ſich ſtärker erwies als die Verſchiedenheit der Verhältniſſe. 
Alle hatten unter ihren Scholaren Knaben, Jünglinge und Männer, 
litten unter dem Uebelſtand der ungleichen Vorbildung und ſuchten ihm 
daurch Repetitoren und durch allerlei Einrichtungen abzuhelfen, ohne 
aber zu einer gründlichen Reform zu gelangen. Alle Univerſitäten 
. unterſchieden ferner ordentliche und außerordentliche Vorleſungen “) 


1) Wie in Bologna (J o. S. 218 f.), fo ruhte auch in Paris u. f. w. bie 


Bucher. Diejenigen Bücher, welche man als die Grundlage des Studiums be⸗ 
mruaachtete, welche jeder Scholar hören mußte, nannte man ordentliche, diejenigen, 
welche weiter gingen oder welche man auch dem Selbftftubium überlaſſen zu konnen 
glaubte, nannte man außerordentliche. Die weitere Entwicklung führte dann aber, 
und zwar wiederum in ähnlicher Weiſe in Paris wie in Bologna dahin, daß bie 
Scholaren auch Borlefungen über gewiſſe außerordentliche Bucher gehört haben 
mußten, che fie zur Prüfung zugelaſſen wurden. 


348 Die Gleichartigkeit der Lehrordnung. 


1 


und eine ordentliche und eine außerordentliche Methode ), ſowie eine 
ordentliche und eine außerordentliche Stunde und Zeit, und auch in 
dieſen Bedeutungen herrſchte in Paris und Oxford dieſelbe Grund⸗ 
anſchauung wie in Bologna. Es wurde deshalb in Univerſitäten 
beider Gruppen verboten, eine ordentliche Vorleſung außerordentlich 


) Wie es in Bologna in den außerordentlichen Vorleſungen erlaubt war, 
Fragen zu ſtellen, ſo war es in Paris dem Magiſter geſtattet, die außerordent⸗ 
lichen Vorleſungen ohne die für die ordentlichen vorgeſchriebene Tracht zu leſen. 
Das eine wie das andere weiſt darauf hin, daß in den außerordentlichen Vor⸗ 
leſungen eine größere Freiheit der Bewegung herrſchte, wie denn auch für „außer⸗ 
ordentlich“ leſen „kurſoriſch“ (cursorie, ad cursum) geſetzt wurde. Indeſſen darf 
man ſich nicht verführen laſſen, deshalb die Freiheit bei den außerordentlichen 
Vorleſungen für vollſtändig zu halten oder unſeren Gewohnheiten zu vergleichen. 
Das Pariſer Statut von 1254 (Bulaeus III, 280) ſchrieb auch für außer⸗ 
ordentliche Bücher eine gewiſſe Zeit vor, in der ſie beendigt werden mußten, und 
in Bologna wurden auch die außerordentlichen Bücher in Abſchnitte (puncta) für 
etwa je 12—14 Tage zerlegt. Statuten von 1347, § 44, Archiv III, 314. Ber: 
wandt mit dem methodiſchen Unterſchiede der beiden Begriffe iſt es, wenn man 
im allgemeinen daran feſthielt, daß Scholaren, die noch nicht die Lizenz erworben 
hatten, nur außerordentlich leſen durften. Dieſe Auffaſſung findet ſich an den 
verſchiedenſten Univerſitäten, wenn auch mit mancherlei Abweichungen, und auch 
an derſelben Univerſität haben die Vorſchriften darüber geſchwankt. So konnten 
in Bologna im 13. Jahrhundert auch Scholaren ordentlich leſen, und Lerida über⸗ 
nahm die Vorſchrift von dort (Statuten von 1300 bei Villanueva XVI, 220); 
als aber ſpäter in Bologna die ordentlichen Vorleſungen für ein Vorrecht der 
Doktoren, welche aus altbologneſer Familien ſtammten, erklärt wurden, wird doch 
auch den Scholaren die ordentliche Vorleſung nicht mehr geſtattet ſein. Die Aus: 
nahme, daß unter den lecturae universitatis, die Scholaren aufgetragen wurden, 
eine ordinaria war, würde den Grundſatz nicht aufheben. In Perugia, Florenz 
u. a. O. wurden beſtimmte Doktoren für die einzelnen Vorleſungen berufen und 
dann meiſt auch die Konkurrenz geregelt, ſo daß niemand eine ordentliche Bor: 
leſung halten durfte, als wer dazu berufen war; in der Artiſtenſakultät in Paris 
mußte dagegen jeder Magiſter ordentlich leſen, um für das Studienjahr die Rechte 
eine wirklichen Magiſters (actu regens) zu genießen, konnte daneben aber auch 
außerordentlich leſen. In Montpellier verboten dies die Statuten von 1240? 
Germain III, 425 (achte Vorſchrift): Item nullus magister legat in scolise 
aliquo tempore cursorie, sed soli bacenlarii. Als die Vorleſungen durch die 
fi) häufenden Gloſſen jo weitläufig wurden, daß die urſprünglich für ein einziges 
Schul jahr beſtimmten Bücher nicht beendet werden konnten, teilte man fie und 
nannte dann vielfach den in dem laufenden Schuljahr zu leſenden Teil das ordi- 
narium. Da dies auch bei außerordentlichen Büchern geſchah, ſo konnte nun von 
dem ordinarium eines liber extraordinarius geſprochen werden. Bgl. die Sta: 
tuten von Montpellier bei Savigny III, 685. 


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Die Gleichartigkeit der Lehrordnung. 349 


Ei: u lesen Die ordentlichen Stunden waren in Paris wie in Bologna 
e Morgenſtunden!) und die ordentliche Zeit bildeten an beiden 
Orten die Monate vom Oktober bis zum Frühjahr ). So zeigt alſo 
die Anwendung dieſer die Studienordnung gewiſſermaßen beherrſchen⸗ 
den Begriffe die gleichen Anſchauungen und ebenſo ſtimmen die Uni⸗ 
verſitäten beider Gruppen darin überein, daß die Magifter bei ihren 
7 ungen an eine Reihe von Vorſchriften gebunden waren, die 


mit heutigen Begriffen von der Lehrfreiheit eines akademiſchen Lehrers 
unvereinbar find’), und man darf wohl daran erinnern, daß 


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— 


In Paris ſollten in den erſten drei Morgenſtunden, die von Tagesanbruch 
gerechnet wurden. alſo bis gegen 9 oder 10 Uhr, nur ordentliche Borlefungen 
bie außerordentlichen fielen erſt nach dem Früheſſen (prandium), 
5 um 10—11 Uhr anzuſetzen iſt; dies entſpricht dem oben erwähnten Gebrauch 
Naliens für den ordentlichen Profeſſor doctor de mane und für den außerordent⸗ 
lichen doctor de sero zu fagen. Beſtellte man zwei Proſeſſoren für die gleiche 
ordentliche Vorleſung, dann konnte auch eine ordentliche Vorleſung nachmittags 
gehalten werden. Rossi Nro. 242 (a. 1389) p. 369: In jure eivili eligi debent duo 
dauoctores ad ordinaria concurrentes, et concurrere ambo simul de mane sen 
u." alter eorum de mane et alter de sero secundum voluntatem et electionem 
e colarium. 
Ber; ) In Paris hieß die Zeit von Anfang Oktober bis zu ben Faſten das 
magnum ordinarium, Statut von 1355, Bulaeus IV, 333. Dazu famen dann 
b noch einige kürzere Abſchnitte, in denen ordentlich geleſen werden durfte. Der 
KNalender (Jourdain p. 201 f.) gibt das Einzelne. In den Sommermonaten, 
D. b. allo in den Ferien, konnten ordentliche Vorleſungen nicht gehalten werden, 
wohl aber außerordentliche. Bgl. die Statuten von Toulouſe (1366 und 1389) 
Kap. 7: De bacallariis estivalibus (Hist. de Lang. VII. 2. 561), über die Baccalare, 
welche ihre Borlefung über die Sentenzen in den Sommerferien halten wollten, 
u zafcher fertig zu werden mit den für die Lihenz vorgeſchriebenen Borlefungen. 
J Zoulouje mußten die im Ort zurüdbleibenden Graduierten in den Ferien 
deemwiſſe Uebungen halten. II. de Lang. VII, 2, 569, e. 30. 
J Aus den Statuten der italieniſchen Univerfitäten wurden Kap. 3 einige 
Vorſchriſten derart mitgeteilt, aber Montpellier, Toulouſe, Lerida u. |. w. haben 
b Lerida ſ. Villanueva XVI. 220 f., für Montpellier die Statuten von 
1839 Rap. 11 bei Savigny III. 686). In Paris herrſchte die Sitte des Punks 
tieren der Borlefungen in Abſchnitte von etwa 14 Tagen nicht, aber in demſelben 
Geiste find die Vorſchriften des Statuts von 1254 erlafien, welche beftimmten, 
wie viel Wochen die einzelnen Bücher zu vollenden feien, denn jede Woche hatte 
beftimmte Leſetage, und wie in Bologna, fo war auch in Paris vorgeſchrieben, 
man weder ſpäter anfangen, noch über den Glockenſchlag hinaus leſen dürfe. 
Da beißt eb 5. B.: das Buch de causis iſt in 7 Wochen, das Buch de sensu et 
denssto in 6 Wochen, de memoria et reminiscentia in 2 Wochen zu beendigen. 


. 


350 Aehnliche Aufſicht. 


dieſe peinliche, ſelbſt durch ein Spionierſyſtem unterſtützte Aufſicht 
ſchließlich kein anderes Ergebnis hatte, als daß die Vorleſungen in eine 
Weitſchweifigkeit ausarteten, von der doch unſere ohne jede derartige 


Bulaeus III, 280. Für Toulouſe vgl. die Statuten von 1314, Kap. 18 u. 14, 
in Hist. de Lang. VII, 2, 490 u. 491. In Oxford waren dieſe Vorſchriſten all⸗ 
gemeiner gehalten (Munim. academ. II, 419; dazu I. 285 f.; II. 392; II. 423; terminus 
bezeichnet hierbei den für einen Gegenſtand beſtimmten Zeitraum oder die für den⸗ 
ſelben beſtimmte Zahl von Vorleſungen, das Schuljahr galt gewöhnlich = 3 termin), 
dagegen beſtanden genauere Regeln, welche den Magiſter in der Wahl des Gegen⸗ 
ſtandes beſchränkten. Am Schluß jedes Schuljahres und innerhalb desſelben nach 
Beendigung des übernommenen Buches meldeten ſich die Magiſter, welche in dem 
nächften Termine als magistri actu regentes leſen wollten, bei den Prokuratoren, 
dieſe teilten ſie nach dem Alter in 10 Abteilungen entſprechend den 10 Gegen⸗ 
ftänden des Lehrplans der „forma“, welche die Scholaren gehört haben mußten, 
ehe ſie zu der Magiſterprüfung zugelaſſen wurden. Kein Magiſter durfte den ihm 
gewordenen Gegenſtand ändern und hatte ſich dabei an diejenigen Teile des Buchs 
zu halten, welche von den Statuten vorgeſchrieben waren. Mun. acad. I, 287: 
prope ſinem cujuslibet termini Procuratores inquisito ., per omnes Re- 
gentes in facultate qui et quot de ipsis proximo termino sequente legere 
voluerint dietas artes et philosophias pro forma inceptorum (der Prüfungs⸗ 
ordnung entſprechend) tune omnes illos regentes in decem partes vel portiones 
aequales aut in quantum vieinius potest fieri, separent et partiantur: in prima 
portione magistris supervisoribus grammaticorum cum junioribus magistris 
connumeratis, in secundaque portione illis proximo junioribus contentis et 
sie in residuis portionibus usque ad seniores procedendo: sie tune quod 
magistri primae portionis lecturam grammaticae ordinariam in scholis ad 
hoc limitatis, pro proximo sequente termino, observent, ac sic reliquarum 
sex artium et trium philosophiarum ordinarias lecturas, pro eodem termino, 
residuae magistrorum portiones conformiter impleant et perficiant; proviso 
insuper quod uniuscujusque portionis quilibet magister, unus post alium 
illos solum modo libros ... per se vel per alium legat ... Oxford übertraf 
damit alle anderen Univerfitäten in der Vereinigung und dem Zuſammenwirken 
der Lehrkräfte, aber die alte Freiheit zeigte ſich auch hier, indem jeder Magifter 
es in ſeiner Hand hatte, ob er ſich an dem neuen Termin beteiligen wollte. 
Munim. academ. I, 285 f. Das Statut iſt von 1431, aber die Einrichtung war 
unzweifelhaft älter. Die zehn Gegenſtände werden bezeichnet als septem artes 
liberales et tres philosophias. Der Scholar hatte fie per octo annorum termi- 
nos, termino quolibet ad minus continente triginta dies legibiles secundam 
formam sequentem ascendendo gradatim zu hören. 1 


Weiter erinnere man ſich an die Vorſchriften über das Diktieren, Bulaeus IV. 4 


332 u. V, 572 de non legendo ad pennam, über Ableſen und frei Sprechen u. |. w. 
Intereſſant ift das Statut von 1474, durch welches Padua die Juriſten nötigte, 


eine bei den Artiften übliche Methode einzuführen. Statuta Bl. 79 lib. II zwichen 
cap, 11 u. 12. 


4 17 

* 
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. 


Gleiche Einteilung des Studienjahres. 951 


Schranke herrſchende Lehrfreiheit der Univerfitäten feine Vorſtellung 
phat). Gleichartig war ferner die äußere Einteilung des Studien⸗ 
1 es begann in Italien wie in Frankreich, England und Spanien 
im Herbſt (Anfang Oktober) und währte bis gegen Pfingſten ). Die 

Sommermonate galten als Ferien. Jede Univerfität hatte ihre bes 
ſonderen Vorſchriften ), aber im ganzen kamen fie darin überein. 
AJnnerhalb dieſer Studienzeiten waren wieder eine Reihe von Tagen, 
6 an denen nicht oder nicht „ordentlich“ geleſen werden durfte, ſondern 
nur außerordentlich oder nur Disputationen gehalten werden ſollten. 
Dieſe Tage waren ſehr zahlreich, und da die Beſtimmungen hierüber 
ſtreng gehalten, Verletzungen beſtraft wurden, ſo hatte jede Univerſität 
einen eigenen Kalender), der dieſe Studienordnung enthielt. Man 
rechnete endlich ebenfalls in beiden Gruppen die Studienzeit nach 


1) Belege oben S. 76 Note 2 und Savigny III, 547 f. 


9 Bfingfien als Endtermin in Lerida. Statuten von 1300. Villanueva 
XVI. 216, $ De translacione. Die Bulle Parens scientiarum 1231 hatte nur 


3 einen Monat Sommerferien geftattet, und dieſe Beſtimmung wurde 1245 für 
3 Toulouſe mit den anderen Beſtimmungen jener Bulle wiederholt Bulaeus II, 
140. Hist. de L. VIII. 1186. Dieſe Vorſchrift hielt die Entwicklung nicht auf. 


) In Oxford zerſiel das Studienjahr z. B. in vier Abſchnitte: vom 10. Ottober 
bis 17. Dezember, vom 14. Januar bis Sonnabend vor Palmſonntag, vom Mitt: 
woch nach Oſtern bis Donnertztag vor Pfingſten und dann nach vierzehntägigen 
Pfingftferien ein letter Abschnitt bis zum Beginn der großen Ferien, die an einem 
unbeſtimmten Tage vor dem 8. Juli begannen und bis zum 10. Oktober, alſo 
mindeſtens drei Monate dauerten. 

1 ) In Oxford waren dieſe Beſtimmungen für alle Fakultäten gleich ge: 
. ordnet. ve Kalender (Mun. acad. p. CXXXVII f) zeigt deshalb nur die ein: 
Von le. = non legibilis, d. 5. es wird überhaupt nicht gelefen. 
Le. fe. = Dies legibilis festinanter, b. h. die Borlefungen find abzukürzen. 
Dis. = Dies disputabilis, b. h. an diefem Tage können Disputationen gehalten 
werden. 
Non dis. = Dies non disputabilis, d. h. es dürfen leine Disputationen ge: 
halten werden. 
In Paris waren dieſe Borfchriften für die einzelnen Fakultäten verſchieden und 
der Kalender ſagte daher: heute leſen die Artiſten nicht (non legitur in vico stra- 
minis), aber die anderen Fakultäten leſen, oder: heute wird bei den Kanoniſten 
in vico Brunelli) nicht geleſen u. ſ. w. Siehe den Kalender bei Jourdain, 
Index p. 201 f. In Bologna (5 48), Perugia (II, 5), Lertida (Villanueva XVI. 
* 227) u. f. w. büdete der Kalender ein Kapitel der Statuten. 


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352 Rechnung nach Jahren und Monaten. 


Jahren, in Frankreich auch nach Monaten, und zwar war es üblich, 
das Studienjahr dann zu acht Monaten zu rechnen ). 

Auf die Beſonderheiten der einzelnen Univerſitäten und Fakul⸗ 
täten kann dieſe vergleichende Darſtellung nicht eingehen, auch nicht 
auf die mancherlei Kunſtausdrücke, ohne Gefahr zu laufen, die Grund⸗ 
züge des Bildes zu verdunkeln; zwei Punkte fordern indes noch eine 
beſondere Erörterung: 1) die Entwicklung der akademiſchen Grade 
und die Anerkennung der Grade der einen Univerſität auf den anderen; 
2) die Bedeutung der kaiſerlichen und päpſtlichen Privilegien, im 
beſonderen der ſogenannten Stiftungsbriefe. 


Die akademiſchen Grade. 


Man erinnere ſich, welche Bedürfniſſe eine förmliche Verleihung 
des Rechts zu leſen notwendig gemacht hatten. Die formloſe Lehr⸗ 
freiheit des 12. Jahrhunderts hatte unerträgliche Zuſtände geſchaffen, 
und es gehörte in Paris z. B. zu den erſten Akten der ſich aus den 
ordnungslos nebeneinander wirkenden Magiſtern bildenden Univerſität, 
dieſen Punkt zu regeln. Das ging nicht ohne mannigfaltigen Wider⸗ 
ſtand und an den verſchiedenen Orten unter Einwirkung ſehr ver⸗ 
ſchiedener Gewalten und Einflüſſe: überall aber ergab ſich ſchließlich 
eine Ordnung, nach welcher die Korporationen der Magiſter 
und Scholaren mit außerhalb ſtehenden Behörden zuſam⸗ 
menwirkten, welche in beiden Gruppen regelmäßig den Namen 
Kanzler (Scholaſtikus) führte und durch den Biſchof oder ein Mit⸗ 
glied ſeines Kapitels gebildet wurde. Auch die weitere Entwicklung 
dieſer Prüfungen und der auf Grund derſelben verliehenen Grade 


) Siehe die Statuten der Pariſer Kanoniſten von 1390. Jourdain 867 
p. 191 f.: nullus in forma canonistarum admittatur ad examen pro liceneia 
in jure canonico Parisius optinenda, nisi prius per quadraginta menses 
eompletos ad minus in 5 ananis quatuor libros juris canoniei integre 
bene et debite legerit in studio generali. In der Bulle Clemens V., welche 
die Erteilung der Grade in der mebizinifchen Fakultät zu Montpellier regelte, 
heißt es: pro quolibet anno octo duntaxat mensibus computatis. Ger 
main III, 480. Die Statuten von Touloufe teilten die Lehrpenſa zunächſt nach 
Jahren, wie die oben erwähnte Vorſchrift zeigt, daß, was in dem einen Jahre als 
„ordentliche Vorleſung“ von den Magiſtern vorgetragen war, im zweiten Jahre 
den Anfängern zur „außerordentlichen“ überlaſſen wurde. 


ERBEN GET © 


171 


Die Abftufung der Grade. 353 


vollzog ſich in der gleichen Nichtung zu einer Art von Adels⸗ und 
Ehrentiteln, aber abgeſehen von Beſonderheiten der einzelnen Unis 
verſitäten tritt dabei doch ein Unterſchied hervor, der wieder bie 


Kanzleruniverſitäten im ganzen den Stadtuniverſitaten gegenüberſtellt. 
In der Entwicklung der akademiſchen Grade find hauptſächlich zwei 
Geſichts punkte zu beachten: 1) der Uebergang vom Schüler zum Lehrer 
wurde in Stufen zerlegt. Die Magiſterlizenz blieb nicht die einzige, 
ſondern wurde zu der umfaflendften Lizenz, und der Magiſter⸗ oder 
Doktortitel blieb nicht der einzige, ſondern wurde der höchite akademiſche 
Die zunächſt für die einzelne Univerſität erteilte Lizenz 
erweiterte ſich zu dem Recht, allerorten, alſo auch und vornehmlich 
an allen Generalſtudien lehren zu dürfen (jus ubique docendi). Die 
des Doktorgrades und der Lizenz geſchah vollſtändig nur an 
Kanzleruniverſitäten. Nach dem Herkommen des 12. Jahrhunderts 
die Scholaren, welche ſich für hinreichend ausgebildet hielten, 
als Lehrer aufzutreten, zunächſt unter einer gewiſſen Aufſicht ihrer 
gen gehalten und disputiert. Schon vor 1215 waren 

den Beginn dieſer Verſuche gewiſſe Formen ausgebildet geweien !) 
nicht viel ſpäter als die Erteilung der Lizenz regelten die Artiſten 

von Paris auch dieſen erſten Schritt zu derſelben und geſtalteten ihn 
zu einem förmlichen Examen“), das gegen Weihnachten ſtattfand und 
das mit der Erlaubnis ſchloß und zugleich die Verpflichtung auf⸗ 
der folgenden Faſtenzeit öffentliche Disputationen zu halten, 
determinieren, wie der Ausdruck war. Dadurch erwarben die 

dies 


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4 


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) Man erkennt daraus, daß die jungen Leute zu Ehren einer ſolchen 
erſten Disputation Feſtlichleiten veranſtalteten, was bereits in dem Statut von 
1215 unterſagt werden mußte. Bulaeus III. 82: In responsionibus vel oppo- 
sitionibus puerorum vel juvenum nulla flant convivia. Auch Thurot p. 42 


forme réguliere qu'elle conserva jusque vers la 
das nicht ſo zu verſtehen, als ſei 1275 zuerſt une 
forme röguliöre eingeführt. Das Statut von 1275 (Bul. III. 420) gibt ſich als 


Thurot ſagt zwar dann noch beftimmt, daß 
Weihnachts cgamen vor der Determination erft 1275 eingeführt fei, aber bie 


7 
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5 
3 


Bieſtimmung lautet: ut nullus de caetero nisi prius in scholis publice magistro 


regenti actu de quaestione responderit ante Natale ad examen Determi- 


2 | nantium admittatur. Dad examen ante Natale beſtand alſo bereits, 


Raufmann, Sieh der dischen Univerfisäten. I. 23 


Ri 


354 Das Baccalariat bei den Artiften. 


Scholaren den Titel eines Baccalars und hatten als ſolche noch 
mehrere Jahre Vorleſungen zu hören und zu disputieren, ehe ſie zu 
der Prüfung für die Lizenz zugelaſſen wurden!). Dieſen Pariſer 
Ordnungen entſprachen die Orforder von 12675), und in der Haupt⸗ 
ſache hatten die Artiſten aller Kanzleruniverſitäten hierüber ähnliche 
Beſtimmungen. Das Baccalariat war, wie ein Pariſer Statut ſagt, 
„die erſte Thüre zum Empfang der anderen Grade“), aber nicht nur 
dies, ſondern ſelbſt ein Grad‘), der beſtimmte Vorrechte und einen 
Anteil an dem Lehramt gewährte. Der Baccalar konnte gewiſſe 
Vorleſungen halten, und die Univerſitäten rechneten teilweiſe auch auf 
dieſelben“): aber dieſe Lehrthätigkeit blieb in der Artiſtenfakultät 
immer eine untergeordnete, die Vorleſungen blieben im weſentlichen 
Sache der Magiſter. Es bewahrte die Magiſterprüfung und die 
Erhebung zur Magiſterwürde den urſprünglichen Sinn einer Ein⸗ 


) Statuten von 1366. Bulaeus IV, 390. 

) Munim. acad. I, 34. 

) Statuten von 1452, Bulaeus V, 573: Item quia baccalariatus in 
artibus videtur esse janua prima pro ceteris gradibus suscipiendis 
Es ſcheint möglich geweſen zu ſein, zur Prüfung für die Lizenz zugelaſſen zu 
werden, ohne Baccalar geworden zu ſein; wenigſtens fordern die Prüfungsord⸗ 
nungen von 1866 (Bulaeus IV, 390 f.) und von 1452 (Bulaeus V, 574) 
nur gewiſſe Bücher, Vorleſungen und Disputationen, ohne die vorgängige Bacca⸗ 
lariatsprüfung zu erwähnen. Ebenſo die Vorſchriften von Oxford. Munim. acad. I, 
285, II, 413 f. Oxford forderte übrigens vor der Lizenz eine größere Reihe kur⸗ 
ſoriſcher Vorleſungen (Mun. acad. I, 142 f.), Paris nicht. 

) Statut von 1355: ad gradum baccalarii vel magistri. Bulseus 
Iv, 832. 

) In Oxford ſtellten die Baccalare auch Zeugniſſe aus über die von den 
Scholaren bei ihnen gehörten Vorleſungen, und dieſe hatten bei den Prüfungen 
rechtliche Gültigkeit. Mun. acad. I, 34. In Toulouſe wurden gewiſſe Baccalare 
von den Magiſtern beſtimmt, diejenigen Bücher der Logik zu leſen, welche in dem 
betreffenden Jahre von dem Magiſter nicht geleſen wurden; von den Scholaren, 
welche die Vorleſung hörten, follten fie ein allerdings niedrig bemeſſenes Honorar 
erhalten, aber auch dann leſen, wenn die Scholaren nicht zahlen wollten. Histoire 
de Languedoc VII. 443. Statuten der Artiſten von Toulouſe von 1909 $ V: 
Item baccalarii, qui per magistros singulis annis ad hoc deputentur, 


teneantur quolibet anno complete legere illos libros de nova Logien 


qui pro anno non spectant ad ordinarium magistrorum (d. h. zu der durch 
den Lehrplan feftgeftellten Aufgabe, dem Penſum der Magifter), scilicet uno anno 
librum topicorum Aristotelis et librum elencorum, alio vero anno librum 
priorum et posteriorum, ut proficere ac studere cogantur ... 


Das Baccalariat in den oberen Fakultäten. 355 


1 = — im Lehramt und — in Paris erft nach einer mehrjährigen 
Leeuhrthatigkeit die vollen Rechte unter den Magiſtern. Dem entſpricht 
ess, daß die Studienzeit, welche für den Erwerb dieſer Würde gefordert 
wurde, nicht verlängert wurde, auch im 14. und 15. Jahrhundert 
konnte man in Paris mit 21 Jahren Magiſter werden. 
Bedeutender geſtaltete ſich das Baccalariat in den oberen Fakul⸗ 
täten der Pariſer Univerſität. In der Theologie wurde es erſt nach 
6 — jährigen Studien verliehen, und da dieſe erſt begonnen werden 
konnten, nachdem man einige Jahre bei den Artiſten ſtudiert, womöglich 
erſt den Magiſtergrad erworben hatte, ſo wurde man erſt mit dem 
27.— 80. Jahre Baccalar der Theologie). Ein ſolcher mußte dann 
wieder 6— 7 Jahre einen ſtufenmäßig geordneten Kreis von Vorleſungen 
halten, ehe er zur Lizenz zugelaſſen wurde, und manche blieben 
Baccalare, weil fie die Koſten nicht aufbringen konnten, welche mit der 
Bewerbung um die Magiſterprüfung verbunden waren. Da nun die 
Magiſter der Theologie nur alle vierzehn Tage oder gar nur alle drei 
Wochen eine Vorleſung zu halten verpflichtet waren und meiſt auch 
thatſächlich nicht mehr laſen ), ſondern nur den Vorſitz bei Dis⸗ 
putationen führten und ſich an Formalakten und Prüfungen beteiligten, 
fo wurde das Lehramt der Fakultät thatſächlich von den 
Baccalaren verwaltet. Die Erteilung der Lizenz und des 
Magiſtertitels war nicht der Beginn der Lehrthätigkeit, ſondern die 
mit großen Koſten zu erkaufende Anerkennung einer bereits mehrere 
Jahre verwalteten Lehrthätigkeit, und in vielen Fällen der thatſächliche 


) Die Beſtimmungen über die Länge der Studien haben geſchwankt. Die 
Ateſte Vorſchrift ift von 1215. Bulaeus III, 82: Nullus Parisius legat eitra 
h aetatis annum, et nisi studuerit per octo annos ad minus et libros fideliter 
ef in scholis audiverit, et quinque annis audiat Theologiam, antequam pri- 
vatas lectiones legat publice, et illorum nullus legat ante tertiam in diebus, 
quando magistri legunt. Nach dem Statut von 1366 mußte man mindeftend 
25 Jahre alt fein, um als Baccalar zugelaſſen zu werden. Bulaeus IV, 389, 
und ein Statut, das Bulaeus IV, 426 zum Jahre 1370 ftellt, fordert: studentes 
in theologia si sint seculares habent ibi audire per 7 annos, antequam ad- 
- — mitiantur ad lecturam biblise, sed regulares admittantur in sexto anno, 
Nach den Statuten von 1452 (Bulaeus v. 564) war dieſe Forderung wieder 


7) Das bezügliche Statut von 1452 (Bulaeus V. 565) ſicht es offenbar 
einen guten Erfolg an, wenn nut dieſes geringe Maß erfüllt wird. 


356 Das Baccalariat der oberen Fakultäten. 


Abſchied von der Lehrthätigkeit, der Uebertritt in eine Art Auſſichts⸗ 
behörde über die Lehrthätigkeit der Baccalare ). Die Baccalare der 


) Thurot führt aus, das Baccalariat ſei kein Grad, ſondern ein Etat, eine 
Art Lehrlingsſtand, in dem man ſich vorbereite auf die »Meifterfhaft: Lor- 
ganisation p. 187: Les réglements de la ſaculté de theologie montrent 
clairement que le baccalauréat n'était pas un grade, mais un état. En 
réalité ce terme signifiait apprentissage, l’apprentissage de la maltrise. 
Das bezeichnet die eine Seite des Baccalariats ganz ſcharf, und es begegnet auch 
für dasſelbe die Bezeichnung status, aber dieſe begegnet ebenſo für das magi- 
sterium Statut von Toulouſe 1329; H. de Lang. VII, 2, 528: honorem et 
statum magisterii. Vgl. Nikolaus von Clemanges. Liber de studio theo- 
logiae bei d’Achery, Spieilegium I, 477 Abſ. 3: ereseit cum statu et gradu 
(nämlich magistri). Das Baccalariat war ein status, aber es war außerdem auch 
ein gradus oder honor, der förmlich verliehen wurde und mit dem beſtimmte 
Rechte und Ehrenrechte verknüpft waren. In Paris blieb nur bei den Medizinern 
die Ausbildung des Baccalariats zu einem Grade lange Zeit zurück, aber 1436 
(Bulaeus V. 441) wurde unter Hinweis auf die anderen Fakultäten ein förmlicher 
Beſchluß gefaßt: declarare gradum baccalariatus in medicina esse gradum 
quemadmodum in aliis facultatibus. Für Angers verweiſe ich auf die Statuten 
von 1373, Rangeard II, 218: teneatur audire ... antequam ad gradum 
baccalariatus admittatur. Ebenſo die Statuten von Toulouſe, Histoire de 
Lang. VII, 2, 522: cum assumitur ad honorem doctoratus vel magisterii 
vel licencie vel baccalariatus. Dem entſprechend kennt die Toloſaner Prüfungs: 
ordnung von 1328 auch eine Entziehung dieſes Grades. H. de Languedoc VII. 
2, 521 f. cap. 12 (p. 524) wird den Baccalaren gedroht: aliter ad privationem 
gradus . .. procedatur. Die Statuten von Montpellier ſprechen g 
von dem gradus baccalariatus und dem honor baccalariatus. Stat. von 1860 
(Savigny III. 689): Quod nulli assumantur ad gradum baccalariatus 
nisi cum solemnitate prineipii. Cum nonnulli scolares nostrae universitatis 
stadii Montispessulani velint baccalariatus honorem assumere non princi- 
piando in scolis publice ut est moris et de hoc instramentum signatum sigillo 
nostrae universitatis habere cupiant et multi consueverint ,.. statuimus ... 
quod nulli instrumentum de cetero concedatur, nisi publice prineipium 
fecerit in scolis. Bgl. die Toloſaner Statuten von 1329 a. a. O. p. 587. Die 
Stiſtungsbriefe und päpſtlichen Privilegien für Avignon, Bordeaux u. a., ſowie 
die Statuten von Bordeaux (Barkhausen p. 36) geben weitere Belege. Für 
Oxford ergibt ſich dieſe Auffaſſung des Baccalars als eines wirklichen Grades zur 
Genüge ſchon aus der Rangordnung, die für dieſelben feſtgeſetzt war. Mun.acad.I, 
233. Die Ordnung ſtammt ungefähr von 1370, aber es war nur eine Neu: 
ordnung. Der Schluß heißt: Bachilarii in theologia quam opponentes e 
etiam magistri in artibus praeferendi sunt Bachilariis in decretis in pro- 
cessionibus et aliis Jocis quibuscunque propter suos gradus magis venera- 
biles. Eine ähnliche Rangordnung haben die Tolofaner Statuten von 1866 (1389) 
Kap. 22, De sedibus, Histoire de Lang. VII, 2, 564. 


«2 BE > a a ag 


Der Titel Baccalar. 357 


Teiueologie waren alſo, obſchon ihnen noch nicht die volle Lehrbefugnis 
ndiuſtand und obſchon fie rechtlich nur unter Aufſicht der Magifter laſen, 
deiuſlußreiche Lehrer der Univerfität. Aehnlich war es in der Fakultät 


der Dekretiſten; auch hier mußten ſich die Statuten begnügen, die 
b Magiſter (Doktoren) zu verpflichten, wenigſtens alle vierzehn Tage eine 
Vorleſung zu halten, und die Lehrthatigkeit war alſo thatſächlich den 
Baccalaren überlaſſen. Das war in Montpellier, Toulouſe, Angers, 
Oxford nicht in gleichem Maße der Fall, aber an allen dieſen Univerſi⸗ 
täten wurde die Erwerbung des Magiſtertitels weit hinausgeſchoben ), 
und bei wichtigen Angelegenheiten führten angeſehene Gelehrte und 
hochſtehende Männer?) die Titel eines Baccalars der Theologie oder 

Nicht wenige verließen auch die Univerſität mit dieſem 
Aemter im Dienſt der Kirche oder des Staats zu über⸗ 
Die Verleihung des Baccalariats wurde deshalb auch 
mancherlei Feierlichkeiten umkleidet, und in Montpellier forderten 
Juriſten, welche unter dem Einfluß von Bologna dieſen Verſuch 
Lehrthätigkeit nicht an eine Prüfung knüpften, doch einen öffent⸗ 
Akt, der mit demſelben Namen bezeichnet wurde (principium) 
„durch den die Magiſter ihr Amt antraten, und über 
wurde hier dem Baccalar eine mit dem Siegel der 
verſehene Urkunde ausgeſtellt ). 


in 


) In Oxford durfte niemand als Magiſter der Medizin zugelaſſen werden, 
der nicht 1) in der Artiſtenſakultät geleſen, 2) ſechs Jahre mediziniſche Vorleſungen 
3) zwei außerordentliche mediziniſche Vorleſungen gehalten und während 
Jahre in den scholae medicinales disputiert hatte. Mun. acad. II, 407 


nennt fi der Generalvikar des Erzbiſchofs von Toulouſe, welcher 
Auſſicht und Leitung der Univerfität hatte, in einem Erlaß von 1414 baccal- 
larius in deeretis, Hist. de Lang. VII, 2, 599 Nro. VII; in einem Erlaß von 
ro. VIII licentiatus in deeretis. 
Toloſaner Statut von 1413 heißt es H. d. Lang. VII. 2, 597 f.; 
ulli (baccallarii) qui non intendunt ad altiorem gradum 
ascendere, sed post gradum receptum reeipiunt offieia interdum ecclesiastica 
interdum secularia et sepissime est, eis publica examinacio ex multis con- 
siderationibus rationabilibus onerosa, obque (id) multi valentes viri retra- 
hunter a predieli gradus licencie perceptione ... Aus biefem Grunde und 
wegen läftiger Häufung der Prüfungen foll der Kanzler von Toulouſe befugt fein, 
die publica (I. e. examinatio) zu exlaſſen. 
‘) Statut von 1360, eingefügt als Kap. 16 in die Statuten von 1399 
(Savigny III. 689), aber es wurde dieſe S. 356 Note 1 mügeteilte Vorſchrift 


Gr 
1 


. 1 
ER: 


358 Der Lizentiat bei den Artiſten. 


Eine weitere Abſtufung entwickelte ſich in Paris aus der Form der 
Verleihung des Magiſtertitels in zwei Akten, die als Verleihung der 
Lizenz und des Magiſteriums unterſchieden wurden. Der zweite 
Akt wurde inceptio (principium) genannt und bildete die feierliche 
Aufnahme in die Korporation und den feierlichen, in Gegenwart der 
Korporation vollzogenen Antritt des Lehramts. Dieſe hatte bei den 
Artiſten in Paris eine beſondere Wichtigkeit dadurch, daß dieſe Auf⸗ 
nahme dem Kandidaten Zugang zu den politiſchen Rechten der Korpo⸗ 
ration gewährte und daß die Artiſtenfakultät in eigentümlicher Weiſe 
den Hauptträger der Autonomie der Univerſität bildete. Dieſe 
Stellung war errungen in Kämpfen mit dem Kanzler und war um 
die Mitte des Jahrhunderts verteidigt worden im Kampfe mit den 
Dominikanern. Nun hatte die Korporation ſchon an der Verleihung 
der Lizenz einen erheblichen Anteil, der Kanzler durfte ſie nur ver⸗ 
leihen auf Grund der von den Examinatoren der Korporation ab⸗ 
gehaltenen Prüfung, aber trotzdem bildete ſie unter dem Einfluß jener 
Kämpfe die Aufnahmefeierlichkeit zu einem Akt von ſelbſtändiger Be⸗ 
deutung aus!). Die Erteilung der Lizenz hatte deshalb thatſächlich 
nicht die Folge, daß der Empfänger fortan in Paris vollberechtigt 
leſen konnte, obſchon dies der Inhalt der Lizenz war, die Bedeutung 
der Inceptio raubte der Lizenz einen weſentlichen Teil dieſes Inhalts, 
machte fie zu einer Vorſtufe für die eigentliche, praktiſch vollgültige 
Lizenz, für die durch die Inceptio zu gewinnende Magiſterſtellung. 
Da nun manche zwiſchen dem Empfang der Lizenz durch den Kanzler 
und der Aufnahme in die Korporation längere Zeit verſtreichen ließen 
oder ſich überhaupt nicht zu der Inceptio meldeten, ſei es, weil ſie 
die Koſten ſcheuten, oder die Verpflichtung, zwei Jahre in Paris zu 


damals nur erneuert, wie die Worte zeigen: Cum nonnulli scolares nostrae 
universitatis studii Montispessulani velint baccalariatus honorem assumere 
non principiando in scolis publice ut est moris et de hoc instramentam 
signatum sigillo nostrae universitatis habere cupiant ... 

) Nach dem Statut von 1366 wurde für den Magifter auch eine Erweiterung 
der wiſſenſchaftlichen Studien über das Maß der für die Lizenz geſtellten Bor 
ſchriften gefordert, aber das war nur eine Folge der Unterſcheidung des Lizentiaten 
als eines beſonderen Grades, urſprünglich war die Vorſtellung die, daß die Ligen 
erteilt werde, nachdem der Beweis der wiſſenſchaftlichen und moraliſchen Befähigung 
voll erbracht worden ſei, und die Statuten von 1452 haben denn auch die wiſſen 
ſchaftliche Forderung wieder ganz bei der Lizenz vereinigt. Bulaeus IV, 890 
und die Statuten von 1452, Bulaeus V, 552 f., im beſonderen p. 574. 


wre. vi Ele PF= 
| 1 Der Sihentiat in den oberen ‚Safultäten. 359 
bleiben und als Magiſter zu leſen, nicht übernehmen konnten, ſo gab 


f 


„die wohl die Lizenz beſaßen, aber nicht den Magiſter⸗ 


ze titel fahrten. Indeſſen waren doch die Bedingungen an Geld und 
Zeit, welche die Erwerbung des Magiſters bei den Artiſten auferlegte, 
nicht ſo bedeutend, und vielleicht erwarben bei den Artiſten die meiſten, 


In den oberen Fakultäten wurde die Lizenz ebenfalls in zwei 
verliehen, und der zweite hatte hier gleicherweiſe die Bedeutung 
feierlichen Aufnahme in die Korporation, fie wurde auch benutzt, 

die Selbſtändigkeit der Korporation zu ſichern “), aber vorzugs⸗ 
die doppelte Zeremonie als ein Mittel, den Weg zu dem 

Magiſters in dieſen Fakultäten zu verlängern und damit 

erſchweren. Unter einer Reihe von feierlichen Formen und Auf⸗ 

durchlief der Baccalar der Theologie in Paris die 
vorgeſchriebene Bahn ?), und nachdem er die Vorleſung über die 

Sentenzen beendet und damit die letzte wiſſenſchaftliche Forderung 

erfüllt hatte), mußte er noch drei Jahre in Paris unter den Augen 

der Fakultät leben und an gewiſſen Disputationen und ſonſtigen Akten 
teilnehmen, ehe er von der Fakultät dem Kanzler zur Lizenz vor⸗ 
geſchlagen wurde. Die Erteilung derſelben wurde nur in jedem zweiten 

Jahre, das deshalb Jubiläumsjahr genannt wurde, vorgenommen ), 


welche die Lizenz erworben hatten, auch das Magiſterium. 
Akten 


11111 
1 


| 


) So weigerten die Dekretiſten von Paris 1272 dem Magiſter G. die Auf: 
nahme, obſchon ihm der Kanzler die Lizenz verliehen hatte. Sie leiſteten einander 
das eibliche Berſprechen: ad collegium suum tanquam unum ex se non ad- 
mitterent sine juramento suorum statutorum prout moris est incepturorum 
in deeretis nee facerent ei in prineipio comitivam. Jourdain 229. 

Namentlich war der Beginn jeder neuen Reihe von Vorleſungen durch eine 
Antrittövorlefung (ein prineipium) unter dem verantwortlichen Vorſitz eines Magiſters 
zu feiern, und als die Statuten von 1452 dem Baccalar geftatteten, fein princi- 
pium und feine Borlefung über die Sentenzen aus einem Heft (quaternio) vor: 
zutragen, beftimmten fie auch, daß der Dekan und ein beſonders dazu ernannter 
Magifter ſich vergewiſſern ſollten, daß dies Heft eine eigene Ausarbeitung enthalte, 

| nicht de verbo ad verbum von einem anderen abgeſchrieben fei. Bul. V. 
urot 139 f. ſchildert dieſe Formen und Borlefungen in Paris. 
) Die Univerfität erkannte dies an durch die Benennung baccalarius for- 
i. ein Baccalar, der das Maß der für die Lizenz geſtellten Forderungen 


J Die gleiche Vorſchrift hatten die Statuten von Touloufe. Stat. von 1380, 
H. de Lang. VII. 2, 580 cap. 7: Quod expeditiones (expedire = zulaſſen) flant 
de biennio in biennium. 


ET RE A 
1 1 


360 Der Lizentiat in den oberen Fakultäten. 


wieder in der Abſicht, die Häufigkeit der Zeremonie zu vermeiden 
und ihren Wert zu erhöhen. Der Kanzler erteilte die Lizenz auf 
Grund einer Prüfung, die wenig mehr als eine Form war; die 
weſentliche Bedingung bildete der Nachweis, daß man die dem 
Baccalar vorgeſchriebene Laufbahn vollſtändig beendet habe. Nach 
der Prüfung wurden die Baccalare zu einem feierlichen Akte ein⸗ 
geladen, in welchem ſie dem Kanzler einen Eid leiſteten und von 
ihm die Lizenz empfingen. Sie wurde mit einer Formel verliehen, 
die keinerlei Beſchränkung zuließ ), aber zur Ausübung dieſer Lizenz 
gelangte der Kandidat doch erſt nach einer neuen Reihe von Feierlich⸗ 
keiten, durch welche er ſeinen Eintritt in das Doktorenkolleg vollzog, 
und welche wieder ein ganzes Jahr erforderten und mit einer Menge 
von Ausgaben belaſtet waren. Im 13. Jahrhundert war anfangs 
die Zahl der Magiſter der Theologie von Paris auf acht, dann auf 
zwölf beſchränkt geweſen, dieſe Beſchränkung war im Kampf mit den 
Bettelorden weggefallen, aber die Verlängerung der Studienzeit und 
die damit verbundenen Unkoſten, vor allem aber die Ehrenausgaben, 
welche mit den Zeremonien der Lizenz und der Inceptio verknüpft 
waren, wirkten notwendig als Schranke. Die amtlichen Koſten waren 
mäßig, aber die Geſchenke, welche man an die Magiſter und Pedelle 
wie an ſeine Freunde geben mußte, und die Gaſtereien, zu denen 
man bald kleinere bald größere Kreiſe einzuladen hatte, verſchlangen 
ganze Vermögen?). Es kam ſo weit, daß hochſtehende Gelehrte die⸗ 
jenigen als Narren behandelten, welche nach dieſer Würde verlangten, 
und wiederholt ſind Verſuche gemacht worden, dem Unweſen zu ſteuern. 
Namentlich erließ Papſt Clemens V. auf dem Konzil von Vienne 
1311 das Verbot, bei Gelegenheit des Doktorats oder des Magifteriums 
mehr als etwa 8000 Mark nach heutigem Geldwert aufzuwenden. 
Dieſe Maßregeln haben wenig geholfen, und da weitaus die größten 
Ausgaben mit den letzten Akten, mit der Aufnahme in die Fakultät 
als Magiſter (Doktor) verbunden waren, ſo begnügte ſich mancher 
mit der Lizenz, der noch Geld und Zeit genug gehabt hatte, um über 
den Baccalar hinauszugehen. 


) Der Kanzler ſprach: Ego auctoritate apostolica do tibi licentiam 
legendi, regendi, disputandi, docendi in sacra theologiae facultate hie et 
ubique terraram. Phurot p. 154 Note 3. 

) Nikolaus von Clemanges warnte in ſehr dringender Weiſe vor der Eitelkeit, 
die nach ſolcher Würde begehre. Liber de studio theol. bei D'Achery, Spie. I. 477. 


r 
* * Fa u * 


Ebenfo von anderen Nangleruniverſitäten. 361 
Aehnlich war es bei den Dekretiſten und ebenſo an den anderen 
—— und zwar auch in den Fakultäten des römiſchen 
MWechte und der Medigin. Die Zahl derjenigen, welche wohl die Ligen 
empfangen hatten, aber mit der Aufnahme in das Kollegium und der Ver⸗ 
leihung des Titels und der Abzeichen des Doktorats oder Magifteriums 
im Rüditand waren, war jo bedeutend), daß die Gruppe der Lizentiaten 
als ein eigener Grad abgeſchieden wurde). Es gibt Stellen in den 


) Die Fakultät der Artiſten in Paris Hagt in ihrer Denkſchrift von 1283 
ganz allgemein, daß viele tüchtige Gelehrte durch den Mangel an Geld behindert 
würden, zu den anderen Fakultäten überzutreten, d. h. die Magiſterwürde in den: 
ſelben zu erwerben. Jourdain 274 p.44: Et si aliqui proveeti (gelehrte Magifter 
der Artiſtenſakultät), qui non habent bona patrimonialia tanta, quod possint 
se ad alias ſucultates transferre sicut vellent multi boni, qui sunt in facultate 


| 


J Belege bieten z. B. für Toulouſe die Statuten von 1329 Kap. 4. Hist. 
de Languedoc VII, 2, 537: ad honorem licentie admittatur; ib. p. 522, Statut 
von 1928: quod nullus, cum assumitur ad honorem doctoratus, vel magisterii 
vel licencie, vel baccallariatus ... Für Avignon: Laval p. 48 Nro. 16, Bulle 
Johanns XXII: ac etiam baccallariatus et licentiatus gradus et doctoratus 
sc magisterii insignia recipere ... Für Bordeaux: Barkhausen p. 7, Bulle 
Eugens IV.: quae circa hujusmodi baccalaureatus, licentiae magisterii seu 
doctoratus honorem requiruntur. In Angers wurde die Lizenz in einem 
doppelten Akte verliehen, welche wie bei der Verleihung des Doktors in Bologna 
als privata und publica unterſchieden wurden, aber wer in der publica die 
Lenz empfangen hatte, war noch nicht Doktor und durfte in Angers nicht 
ordinarie leſen. So heißt es in den Statuten von 1400 Kap. 19, Rangeard Il, 
247: statuitur quod nullus admittatur ad legendum ordinarie et regendum 
nisi doctor fuerit und Kap. 20: Item in licentiato doctorari volente et 
n . In Angers und ähnlich in Montpellier und 
Toulouſe zeigt ſich auch in dieſen Prüfungen der Einfluß der ttalienifgen Ord⸗ 
nungen, aber fie haben dabei die Abſtufung der Grade. Für Angers iſt ſehr 
llehrreich Kap. 10 der 1494 erneuerten Statuten. Statuts, ed. Port. p. 5. In 

der Juriftenuniverfität zu Montpellier wurde die Ausbildung der Lizentiaten zu 
deinem von dem Baccalariat getrennten Grade nicht jo vollſtändig entwickelt. In 
den Statuten von 1339 werden bei Aufzählungen die Lizentiaten bisweilen bes 
. 12, an den meiſten Stellen aber unter den Baccalaren 
mitverſtanden und nicht beſonders genannt. Nach Kap. 18 ſcheint cs, als ob die 
Bezeichnung licentiatus nicht amtlich geweſen ſei, denn es heißt hier: quod aliquis 
baccallarius ad publicam examinationem et faciendum solemne principtum 
jam admissus propter paupertatem vel aliam causam non posset vel etiam 
- nollet simul doetorari ... aber Kap. 36 p. 709 (es ift ein Editt von 1450) 
hat die ausdrückliche Bezeichnung: baccalariis ad gradum licentiae exami- 


naue. Montpellier zeigt hier eine Miſchung der Borftellungen und Bezeichnungen 


362 Orford macht eine Ausnahme. 


Statuten, in denen nur Magiſter, Baccalare und Scholaren unter⸗ 
ſchieden werden und in denen die Lizentiaten unter den Baccalaren 
mitverſtanden ſind, aber das iſt nur eine Folge davon, daß dieſe 
Einrichtungen nicht künſtlich und ſyſtematiſch getroffen worden ſind, 
ſondern daß ſie ſich auseinander entwickelten. Andere Stellen der 
Statuten, ſowie die Stiftungsbriefe der Päpſte und andere Urkunden 
unterſcheiden mit Beſtimmtheit die drei Grade, und die Bezeichnung 
Lizentiat wurde als Titel geführt wie die des Baccalar. Oxford machte 
jedoch eine Ausnahme. Der Baccalar war hier ein beſonderer Grad, 
der Lizentiat konnte es nicht werden, weil die Vorſchrift galt, daß 
der Lizenz binnen Jahresfriſt die Inceptio folgen und durch ſie das 
Magiſterium erworben werden müſſe, ſonſt erlöſche die Lizenz ). 
Darin aber ſtimmte Oxford mit Paris überein, daß die Inceptio, 
welche das Recht des Magiſters verlieh, die Aufnahme in das Kolle⸗ 
gium der Magiſter bildete ). 

Im Gegenſatz zu dieſer Abſtufung der Prüfungen und Grade 
erhielt ſich in der Gruppe Bologna die Prüfung für das Doktorat 
als einzige Prüfung und die Verleihung der Doktorwürde “) als einzige 


der Kanzleruniverſitäten mit ſolchen, die den italieniſchen Univerſitäten angehören, 
welche die Grade nicht in der Weiſe entwickelten. Auch der § 18 ſelbſt zeigt dieſe 
Miſchung, admissus ad publicam gehört zu dem Sprachgebrauch von Bologna, 
solemne prineipium zu dem von Paris. Jedenfalls aber zeigt $ 18, daß auch 
in Montpellier gar manche wohl die Lizenz erwarben, aber nicht den Doktor, und 
1390 erhoben die Baccalare und Scholaren die Klage, daß viele tüchtige Leute 
auch durch den böſen Willen und die Geldgier der Profeſſoren daran gehindert 
würden. (Siehe über die merkwürdige Urkunde im Anhang.) 

) Munim, acad, II, 377: qui prius licentiatus fnerit et infra annum 
non inceperit, toties quoties sic per suam importunitatem universitatem 
pulsaverit fatigandam, antequam ineipiat iterum licentietur. In Montpellier 
beſtand zeitweiſe eine der Wirkung nach ähnliche Beſtimmung. 

) Daher war auch der wichtigſte Akt der feierlichen Handlung die Beeidigung 
des neuen Magiſters, und dieſer Eid enthielt außer einem allgemeinen Gelübde, 
die Statuten der Univerſität Oxford zu halten und ihre Freiheiten zu verteidigen, 
zehn Artikel, welche ſich ähnlich wie in dem Pariſer Eide auf befondere Verhältniſſe 
und Bedürfniſſe der Univerſität bezogen. Mun. gcad. II, 374 f. Ein Abſchnitt 


bezog ſich auf den Verſuch einer Abteilung von Magiſtern und Scholaren, in Stam: 
ford eine Univerſität zu gründen: Item jurabis, quod non leges nee audies 


Stamfordiae tanquam in universitate, studio aut collegio generali. Em 


Abſchnitt verpflichtete zur ſchonenden Behandlung der Bücher der libraria uni- 


versitatis communis u. ſ. w. 


) Der Sprachgebrauch war mannigfaltig. Doctoratus id est adprobatus 


Bologna kannte dieſe Abſtufung nicht. 363 


er eines Grades. Die Würde des Doktors wurde in Bologna 
in zwei Akten verliehen, die man als privata und publica (ober 
privatus und publicus conventus) unterſchied). Die privata war 


m publica ſagen die Florentiner Statuten rubr. 53 p. 67 und zwar in wörtlicher 
Aebereinſtimmung mit den Bologneſer Statuten (Druck p. 37 Rubr. Qui et quando 
daebeant disputare). Statt doctoratus ſteht auch conventatus (conventuatus), 
und ſtatt publica auch publicus conventus (Pabuaner Statuten II, 90 oder 
Moß conventus, oder es ſtehen beide Ausdrücke nebeneinander. Oefter ſteht auch 
im Wechſel mit gradum doctoratus suseipere oder conventum publicum assu- 
mere (Bad. Stat. II. 31 Blatt 95»), honorem magistralem suscipere, ad cathe- 
dram 3 pervenire (Babuaner Statuten II, 23 Blatt 87). Alſo ſelbſt 
noch in dem Sprachgebrauch des 15. und 16. Jahrhunderts erhielt ſich auch bei 
den Juriſten Italiens die Erinnerung an die urſprünglich gleiche Bedeutung der 
beiden Titel. Im ganzen überwog jedoch in Frankreich und England die Bezeich 
nung Magister, in Italien die Bezeichnung Doktor. Dem entſprach der Unterſchied 
den Artiften war magister die regelmäßige Benennung, bei 
Juriſten Doktor. In Paris war doctor auch bei den Detretiſten die regel: 
en doch geht Thurot p. 180 Note 3 zu weit, wenn er be: 
4 les membres de la facult& de déeret sont toujours appelés doctores 
e, jamais magistri. Den Gegenbeweis erbringt ſchon der Fakultätsbeſchluß von 
1272 Qourdain 229), in welchem ſich die Mitglieder dieſer Fakultät wiederholt 
und auschließlich magistri nennen. Die Promotionen in den beiden Rechten 
wurden vielſach miteinander verbunden und man ſprach von den doctores 
utriusque juris; in ähnlicher Weiſe faßten die Statuten von Perugia die Artes 
und die Medizin zuſammen und ſprachen lib. III. 20 bei Padelletti p. 128 
von dem doctor utriusque seilicet artium et medieinae. Die Artes bildeten 
bier die Vorſtuſe für die Medizin, in gleicher Weiſe behandelte Oxford das römiſche 
als die Borftufe für das kanoniſche Recht. S. das merkwürdige Statut über 
Abſtimmung bei der Prüfung der Baccalare. Mun. academ. II, 425. Der 
des kanoniſchen Rechts durfte über den Baccalar des römiſchen Rechts 
Votum abgeben, der Proſeſſor des römiſchen Rechts über den Baccalar 
nur ein * Das gleiche Verhältnis ſetzt dies 
; dieſe Fakultäten galten auch in Oxford als 
Selentiae conjunctae. II, 425: Cum in conjunetis scientiis superior de in- 
ſeriore poterit . judicare ... In Italien ſtand das römiſche Recht nicht fo 
zurück. Der Titel Doktor Doitor hat dann die Entwidlung, weiche ben afabemifchen Grab 
werben ließ, voll ſtändiger durchgemacht und fo wurde er im 
der glängenbere; allein der höchſte Rang war doch immer bei den Magiftern 
und bei ihnen blieb der Titel Magiſter neben dem Titel Doktor in 
Sckrauch. Die Pariſer Statuten von 1452 ſagen regelmäßig Nagiſter in der 
ſmeologiſchen Fakultät. Bulaeus V, 563 f. Siehe den Anhang. 
* ") Gherardi und Morelli bieten p. 446 Pars II Nro. 189 aug dem 
1444 ein Protokoll über den Gang einer ſolchen Prüfung, * a 


27 


5 


1 2 
ii 
. 


12 * 
0 


* 
en. 


364 Publica und Inceptio. 

die eigentliche Prüfung, die publica bildete einen feierlichen Akt, der 
mehr eine öffentliche Anerkennung und Verkündigung als eine Er⸗ 
weiterung und Verſtärkung der Prüfung darſtellte. Inſofern gleicht 
die publica von Bologna der Pariſer inceptio, allein nach ihrer 
rechtlichen Bedeutung gleicht fie ihr nicht. In der publica wurde die 
licentia docendi verliehen, die der bereits beſaß, der in Paris zur 
inceptio kam; und dieſe bedeutete die Aufnahme in das Doktoren⸗ 
kollegium, während ſolche Aufnahme in Bologna nicht durch die 
publica erfolgte, ſondern durch einen rechtlich und zeitlich davon ge⸗ 
ſchiedenen Akt, und in den meiſten Fällen überhaupt nicht erfolgte. 
Der Doktorgrad war nur eine der Vorbedingungen für die Aufnahme 
in das Doktorenkollegium. 

Noch ein anderer Unterſchied tritt hervor. In Paris kam faſt 
die ganze Lehrthätigkeit der oberen Fakultäten in die Hand der 
Baccalare, welche nur gewiſſe vorläufige Grade und Berechtigungen 
erworben hatten, in Bologna, Perugia u. ſ. w. blieb der Doktorgrad 
die Vorbedingung für eine wirkſame Lehrthätigkeit, und es kam nicht 
zu Erſcheinungen, wie ſie in Paris die Fakultäten der Theologie und 
des kanoniſchen Rechts zeigten, ſchon deshalb nicht, weil die Profeſſoren 
Beſoldung bezogen und durch den Vertrag über dieſelbe zu regelmäßiger 
Thätigkeit verpflichtet waren. 

In Bologna wurde ferner die Studienzeit für das Doktorat 
nicht in der Weiſe verlängert, wie dies in den oberen Fakultäten zu 
Paris, Toulouſe u. ſ. w. geſchah. Wer in Bologna 6 Jahre kano⸗ 
niſches Recht ſtudiert und dabei in den letzten beiden Jahren eine Reihe 
von Vorleſungen gehalten hatte, wurde zur Promotion zugelaſſen, 
im römiſchen Recht wurden 7—8 Jahre gefordert und ebenfalls jo, 
daß in den letzten dieſer Jahre einige Vorleſungen gehalten wurden. 
Da man nun mit 14 Jahren und ſelbſt früher das Studium beginnen 
konnte, ſo blieb die Möglichkeit mit 20 Jahren zu promovieren. In 
Toulouſe wurde dagegen der Ziviliſt nach 7 Studienjahren erſt zum 
Baccalariat befördert und mußte dann als Baccalar 6 Jahre ge⸗ 
leſen haben, ehe er zur Lizenz und weiter zum Doktorat zugelaſſen 
wurde ). In Bologna nannte man wohl die Scholaren, welche Vor: 
leſungen hielten, um die Bedingung der Promotionsordnung zu er⸗ 
füllen, Baccalare, aber es war das mehr ein Ausdruck der gewöhn⸗ 


) H. de Lang. VII, 2, 5388: nee ad licentiam in legibus admittstur, 
nisi per sex annos legerit cursus suos, 


Bologna kannte feine Baccalariatszeit. 365 


Mihen, als der amtlichen Sprache, und erft im 15. Jahrhundert wurde 


eetrſt im ſechſten und im fiebenten Jahre halten durften ). Dies ift ein 
Zeichen, daß ſich im 15. Jahrhundert das Baccalariat zu einem beſtimmten 
Grade zu entwickeln begann, aber auch die Statuten des 16. Jahr⸗ 
hunderts zeigen nur erſt dieſe Anfänge). Die durch die Prüfungs⸗ 
ordnungen geforderten Vorleſungen der Scholaren fielen auch da noch 


nur die privata, weil ſie die Koſten der publica nicht aufbringen 
konnten. Dies drängte dahin, dieſe Scholaren als eine beſondere 
Gruppe, als Graduierte anzuſehen, und in den Statuten von Bologna, 
Perugia u. ſ. w. findet ſich für dieſelben auch an mehreren Stellen 
der Name licentiati; allein an vielen Stellen, wo man ihn nach 
dem Muſter von Toulouſe u. ſ. w. erwarten ſollte, findet er ſich 
nicht. Dagegen findet ſich ein anderer, der Pariſer Gruppe fremder 


) Druck von 1561 p. 39, Archiv III, 326, Zeile 19 f., Rubrik 52: Addentes 


3 — — 


Kubr. 69. 
) Weiter geht noch die Stelle der Rubrik 53 (Archiv III. 327) und Nubr. 40, 
über dieſe fiche den Anhang. 

Druck ron 1561 p. 39, Archiv III, 326 Kubr. 52 Anfang: quam 
teneantur concedere, nisi justa causa imminente, 


1 


1 


— 


366 Die Grade in Bologna. 


Sprachgebrauch, indem man scholares privatam habentes oder non 
habentes, oder ad publicam admissi unterſchied. Die licentiati der 
Statuten von Bologna waren ad publicam admissi und erſt in der 
publica ſollten ſie die licentia docendi erhalten, ſie waren nicht 
Lizentiaten im Sinne von Paris. Die Lizentiaten von Paris hießen 
ſo, weil ſie die licentia docendi empfangen hatten, die Lizentiaten 
von Bologna hatten ſie noch nicht empfangen, ſondern nur die Lizenz 
zum Eintritt in diejenige Prüfung, durch welche die licentia docendi 
und zwar zugleich mit den Abzeichen und der Würde des Doktorats 
erworben wurde. Die Bezeichnung Lizentiat begann ſich wohl in 
Bologna zu einem Grade zu entwickeln!), aber dieſe Entwicklung 
war auch in den Statuten des 16. Jahrhunderts noch nicht ganz 
vollendet ). 


Die Anerkennung der akademiſchen Grade der einen 
Univerſität durch die andere. 


Da die Prüfung der Scholaren, welche als Magiſter auftreten 
wollten, und die feierliche Erteilung der Lizenz eingeführt wurde, 
um den Lehrkörper der Univerſität von ungeeigneten Mitgliedern frei 
zu halten, ſo beſtand zunächſt keine Abſicht, mit dieſer Prüfung und 
Lizenz ein allgemeines Recht zu verleihen. Das zeigen die älteſten 
Prüfungsordnungen von Paris, und Bologna beabſichtigte anfangs 
ſogar ſeine Magiſter zu hindern, an anderen Orten zu leſen, ge⸗ 
ſchweige, daß man die Abſicht gehabt hätte, ihnen dazu ein beſonderes 


) Der Druck der Statuten von 1561 ſpricht p. 38 Z. 19 von den Graden des 
Baccalars und Lizentiaten, aber dieſe Stelle iſt ſpäter Zuſatz. Siehe den Anhang 
Beilage 5. 

) Die Florentiner, Peruginer und Paduaner Statuten zeigen noch weniger 
Spuren davon, und auch in den Statuten der Artiſten von Bologna von 1609 
(Druck von 1612) finden ſich nicht diejenigen Anfänge, welche die Statuten der 
Juriſten zeigen. Dagegen haben ſich in Padua die Artiſten den Pariſer Formen 
ſtark genähert. Sie haben eine förmliche Prüfung und Erhebung zum Grade des 


Baccalard. Der Rektor, der die Erlaubnis erteilte, Vorleſungen zu halten, erteilte 


fie auf Grund eines von zwei Doktoren, die er dazu erwählte, abgehaltenen Examens 

und erteilte fie dann in der Form des gradus baccalariatus. Dieſe Statuten 
bilden im Kreiſe der zu Bologna gehörenden Gruppe eine Ausnahme, an der erſt 
recht deutlich wird, wie weit dieſe Gruppe fonft entfernt war von der bei den 
Kanzleruniverſitäten durchgeführten Abftufung der Grade. Statuta dominorum 
Artistarum 11, 30. Im Anhang Beil. 6 gebe ich dies überaus intereſſante Kapitel. 


amt“ 


Privileg von Coulouſe 367 


Mecht zu erteilen. Ebenſowenig aber wollte man Prüfungen anderer 
Orte anerkennen. So beſtimmten die Statuten von Montpellier vom 
Jahre 1220), keiner dürfe in Montpellier als Lehrer auftreten, der 
3 dem Biſchof und den Magiſtern geprüft worden ſei und 
die Berechtigung erhalten habe. Prüfungen anderer Orte hatten alſo 
im Montpellier keine Bedeutung. 

g Im Laufe der folgenden Jahrzehnte feſtigten ſich die Vorſtellungen 
über das Weſen der Univerſitäten und die Gleichartigkeit der Ver⸗ 
hältniſſe an denſelben ſchnell, und die Gründung der Univerſitat 
Toulouſe gab Anlaß, daß auch die Frage nach der Gültigkeit der 
Univerſität erteilten Lizenz für andere Univerſitäten näher 
Unter den Privilegien, welche Gregor IX. Toulouſe 
auch dies, daß wer in Toulouſe für irgend eine 
als Magiſter anerkannt worden ſei, allerorten 
als Lehrer auftreten könne ). Es iſt das erſte Mal, 
Doktorexamen einer Univerſität eine ſolche Bedeutung beigelegt 

es blieb auch nicht ohne Widerſpruch. Die Pariſer Uni⸗ 

* und der Papſt erklärte deshalb bereits im folgenden 
jenes Privileg „den in Paris geltenden Gewohnheiten 
Statuten“ keinen Abbruch thun ſolle ). Für Paris galt alſo die 
von Toulouſe nicht, aber auch andere Univerſitäten erkannten 
an. Ein Statut der Artiften in Montpellier von 1242 
Juriſten daſelbſt von 1268) erkannte nur die in Mont: 


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Statuten wurden aber von dem päpſtlichen Legaten im Verein mit 
und unter Zuſtimmung der Univerfität aufgeſtellt. Die fremden, 
der Univerfität hervorgegangenen Perſonen erſcheinen als die leitenden, 
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Generalftubien und die von ihnen erteilten Grade herausgebildet hatten, zur 
Geltung kommen. Dieſes Statut kann deshalb als ein Beweis gelten, daß damals 
mit der Lizenz die Vorſtellung des jus ubique docendi gewöhnlich noch nicht 
verbunden wurde. Montpellier erkannte damals ſtatutenmäßig nicht einmal die 
Prüfungen von Paris und Bologna an. 

) Bulaeus III. 150: ut quicungue magister ibi examinatus et appro- 
batas fuerit in qualibet facultate, ubique sine alia examinatione regendi 
liberam habeat 
J Valois, Guill. d Auvörgne p. 368 n.49 druckt das Schreiben Gregors ab. 
1 *) D’Aigrefeuille III. 564 bietet nur eine franzoſiſche Ueberſetzung, den 

lateiniſchen Text ſ. Germain III, p. 449, cap. 1. 
| #) Delisie bat in Notices et Extraits XXVII. 2 p. 115 f. einen Brief 


| 
5 


368 Klage von Salamanca. 


pellier beſtandene Prüfung an, und daneben noch als beſondere Aus⸗ 
nahme in der Juriſtenfakultät die von Bologna, in der Artiſten⸗ 
fakultät die von Paris. Dieſe Ausnahmen zeigen, daß Montpellier 
damals ein jus ubique docendi der Doktoren nicht kennen wollte, 
und daß man hier im beſonderen auch das der Univerſität Toulouſe 
verliehene Privileg nicht beachtete. 

Aber die Vorſtellung von der Allgemeingültigkeit der akademiſchen 
Grade hatte in jener Zeit ſchon große Verbreitung und mitten hinein 
in ihren Entwicklungsprozeß führt eine Klage des Königs von Kaſtilien, 
daß die in Salamanca Graduierten an den anderen Univerſitäten 
einer neuen Prüfung unterworfen würden, wenn ſie als Lehrer auf⸗ 
treten wollten!). Auf dieſe Klage hin ſprach ihnen Alexander IV. 
1255 das Recht zu, daß die in Salamanca geprüften Magiſter an allen 
Univerſitäten zu lehren befugt ſeien, außer in Paris und Bologna. 
Jenes Statut von Montpellier von 1268 zeigt, daß dieſer päpſtliche 
Erlaß keinen allgemeinen Erfolg hatte, aber jedenfalls diente er dazu, 
die Vorſtellung von der Allgemeingültigkeit der akademiſchen Prüfungen 
zu verſtärken ). In Spanien galt fie offenbar als ein ſelbſtverſtänd⸗ 
liches Recht, und die italieniſchen Städte (abgeſehen von Bologna) 
ſcheinen damals ebenfalls dieſe Anſicht geteilt zu haben. Schon in 
dem einzigen Doftordiplom ?), das von einer Stadtuniverſität aus dem 


1) La Fuente I, 188 geht kurz darüber hinweg und hat die merkwürdige 
Bulle auch nicht in den Appendices abgedruckt. Denifle I, 485 gibt den Wort: 
laut nur, ſoweit er die Klage des Königs enthält, qui semel examinati et 
approbati in Salamantino studio in quacungue facultate, quamquam sint 
inventi idonei ad regendum, nisi iteratum examen in endem facultate 
subeant, alibi legere minime permittatur, 1255. 

) In den Entwicklungsprozeß dieſer Vorſtellung gehört es ferner hinein, 
daß 1285 der Legat des Papſtes die Beſtimmung erließ, daß die von dem Biſchof 
Geprüften ubilibet infra legationis nostra terminos das jus docendi hätten. 
Der Legat ſah ſich und ſein Amt als die Quelle an, aus der das urſprünglich 
nur für die Diözeſe geltende Recht des Biſchofs licentiam dandi erweitert werben 
müſſe, aber nur innerhalb dieſes Amtes erweitert werden könne. Dieſe ag 
iſt aber nicht zur Herrſchaft gelangt. Germain III. 395. 

) Tacoli III, 215 f.: licentiam etiam hie et ubique in Jure eivili 
regendi et tenendi cathedram magistralem. Dies Doktordiplom wurde 1276 
in Reggio ausgeſtellt, alſo an einer Univerfität, die erft zwiſchen 1270 und 1276 
gebildet worden war und kein päpftliches Privileg hatte. Auf päpftliches Privileg 
iſt deshalb die Formel nicht zurückzuführen, ſondern auf die in den italienifchen 
Städten herrſchende Vorſtellung, daß dem fo fein müſſe. 


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— — 14. Sakcheinbet 369 


18 Habrbundert erhalten iſt, wird das Recht ubique regendi verliehen, 


* . thatſächlich beriefen die Städte für ihre Univerfitäten Lehrer 
. aus allen Orten. Ferner machten ſie in den Statuten des 14. und 


15. Jahrhunderts keinen Unterſchied, ob der Dozent hier oder dort 
geprüft worden ſei ). In Uebereinſtimmung mit dieſen Anſchauungen 
der italieniſchen Städte entwickelte ſich im 14. Jahrhundert immer 
beſtimmter die Anſicht zur herrſchenden, daß der Doktor⸗ und Magiſter⸗ 
titel der einen Univerſität von der anderen anzuerkennen ſei. Daher 
denn auch in den Formeln der Diplome die Wendung, es werde die 
licentia ubique legendi verliehen, und in den Stiftungsbriefen häufig 
die Wendung, daß dieſem Studium das Recht „allerorten zu lehren“ 
verliehen werden ſolle. Auch wo es nicht ausdrücklich geſagt wurde, 
wie in dem Privileg für Avignon, war es doch zweifellos ſo gemeint. 
Wie ſehr ſich im 14. Jahrhundert dieſe Vorſtellung ſtärkte, zeigen im 
beſonderen die Statuten von Montpellier. Im Gegenſatz zu den Statuten 
des 13. Jahrhunderts, welche nur die in Montpellier ſelbſt verliehene 


Lizenz anerkannten mit jener Ausnahme für Paris oder für Bologna, 


welche die Regel nur um ſo beſtimmter erkennen läßt, ſprechen die 
Statuten von 1339) die Anerkennung der fremden Promotionen 


) So die ſtädtiſchen Statuten von Perugia 1366, Rubr. 276, Rossi, Doc. 
148 und die von 1389, Nubr. 118. Ebenſo beſtimmten die Statuten der Scholaren 
von Perugia lib. II. 2 nur, daß doctoratu carentes nicht zu einer beſoldeten 
Proſeſſur gewählt werden könnten, aber ohne Beſchränkung, an welchem Orte fie 
promoviert hatten. Zu beachten ift jedoch, daß hinzugefügt wird, der Gewählte 
ſolle in utroque examine tam privato quam publico approbatus existens fein. 
Damit wurden indirekt die Gnadendoktoren“ ausgeſchloſſen. Die Florentiner Sta: 
tuten haben Rubrik 73 eine ähnliche Beſtimmung: non admittatur, nisi habeat 
publicam et privatam. Die Statuten der Juriſten von Padua (Druck von 1551 
. 60) fagen dies II, 4 noch deutlicher: es ſei ein Doktor zu wählen dummodo 
non sit doctoratus per privilegium sed in gymnasio publico, dummodo 
non sint doctorati in fraudem collegii Patavini. (Die letzte Beſchränkung 
bezieht ſich darauf, daß die Univerfitäten von ihren Schülern erwarteten, daß fie 
nicht an einer fremden Univerfität promovierten, und dies in gewiſſen Allen 
verboten.) Alio Padua ſah alle Promotionen als vollgültig an, die an irgend 
einem gymnasio publico, hier ſynonym mit studio generali, vollzogen waren. 


Abgebrudt bei Saviguy III. 678 f. cap. 11 p. 685: inhibemus quad‘ N 


Bol. das Statut der Artiſten von Padua II, 30. 
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nulli 


in stadio Montisp. vel in aliis studiis generalibus quibuslibet doetorati 
prohiberi possint legere deeretum, deeretale et leges ordinarie et extra- 
ordinarie. | 
Raulmann, Sat der deutschen lininerfitäten. 1. 24 


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370 Oxford erkannte die Parifer Grade nicht an. 


ohne Einſchränkung aus. Zur allgemeinen Anerkennung und zur 
praktiſchen Durchführung gelangte dieſe Anſicht jedoch nicht, auch nicht 
im 14. und 15. Jahrhundert. 

Vor allem beharrten Paris und Bologna!) auf ihrem exkluſiven 
Standpunkt und aus anderen Gründen, die in der Auffaſſung der 
Profeſſur als eines ſtaatlichen Amtes lagen, ſtellte ſich die Univerſität 
der Staufer und der Anjou in Neapel dagegen. Auch hier hatten ſich 
Doktoren anderer Univerſitäten noch eine Prüfung gefallen zu laſſen, 
die allerdings wohl meiſt nur der Form nach vorgenommen ſein wird, 
aber dem Rechte nach durfte niemand in Neapel leſen, der nicht von 
dem Könige die Lizenz empfangen hatte?). Oxford erkannte die 
Promotion anderer Univerſitäten an und ließ fremde Doktoren zum 
Leſen zu, ohne die Promotion zu wiederholen ?), jedoch mit Ausſchluß 
derjenigen, welche die Orforder Promotion nicht anerkannte, und als 
ſolche bezeichnet ſie die Pariſer Doktoren. Die Magiſter begründeten 
dieſen Beſchluß mit der Notwehr“) gegen das Verfahren von Paris, 
das den Oxforder Doktor „aus böſem Willen“ nicht anerkenne. 


) Auch in Angers finden ſich Spuren ſolchen Widerſtandes, Angers 
erkannte die fremden Doktoren nicht ohne weiteres an, ſondern unterwarf ſie einer, 
wenn auch verkürzten Prüfung und forderte außerdem eine Art Doktorſchmaus. 
Rangeard II, 221. Stat. v. 1373 § 24: Item quia ad dietum Andegavense 
studium professores quandoque veniunt etiam ex longinquis partibus 
volentes aggredi lecturam, statutum est quod antequam legere incipiant, 
per scholasticum et doctores examinentur diligenter; et si repetant alia 
examinatione non indigent. Baccalarii vero, qui in aliquo studio aliqus 
volumina legerint, per solum scholasticum examinentur et viginti solidos 
eurrentis monetae dieto decano persolvant in arcam publicam ut praedieitur 
reponendos. Dazu $ 41 p. 224: Item si aliquis doctor de extra studium 
volit repetere seu disputare ad comedendum ill& die doctoribus et bidellis 
omnibus dare debet. Die Statuten von 1398 wiederholten in $ 7 (Rangeard 
II. 233) jenen Artikel 24. 

) Del Giudice I, 262 Note gibt eine Urkunde von 1275, wo es heißt: 
quod olim nostras tibi (Justitiario) et scolaribus lieteras — sub certa forma 
direximus, ut tu aliquem nisi a Majestate nostra docendi haberet licentiam 
docere non permitteres „.. 

) Nur mußten fie vorher in drei Schulen determinieren. Mun. acad, II, 446. 

) Mun. gend. II, 446: Quia ex mutua vicissitadine obligamur ad anti- 
dota, eos (ii) qui Oxonienses receperunt ad determinandum (nichts weiter for 
derten als einige Determinationen), et ipsi Oxoniae ad determinandum admitti 
poterunt, et qui Parisiis, vel alibi abi Oxonienses a resumptione (Aufnahme 


Anrechnung der Studienzeit. 371 


Leichter als die Anerkennung des Doktor: oder Magiſtergrades 
feste ſich die Anerkennung der Vorſtuſen durch und der actus scho- 
iei. Die Univerfitäten rechneten den Aufenthalt, die Vorleſungen 
und Disputationen an anderen Univerſitäten auf die Zeit, welche fie 
fur 3 forderten, ehe ſie einen Scholaren zu den Prüfungen 


Die Stiftungsbriefe der Kaiſer und Paäpſte. 


In Deutſchland herrſchte im 14. und 15. Jahrhundert die Vor⸗ 
ſtellung, als ſei nur diejenige Hochſchule ein Generalſtudium im 
Nechtsſinn, welche durch ein Privileg des Kaiſers oder des Papſtes 
dazu oder gegründet worden ſei. Der Beſitz eines ſolchen 
als das charakteriſtiſche Merkmal einer legitimen Uni⸗ 


zu gleichmäßiger Anerkennung gelangt; ſie war ein Produkt einerſeits 
1 Theorien und andererſeits der Bedürfniſſe und Anſprüche, 
welche erwachten, ſobald die Univerſitäten mächtige Korporationen 
die von ihnen verliehenen Grade einflußreiche Ehrentitel geworden 
Kaiſer Friedrich I. und ſeine juriſtiſchen Ratgeber dachten 
der Habita an keine Beſchränkung derart, auch Papſt 
II. noch nicht, der um 1220 von den Scholaren in Bo⸗ 
erwartete, daß ſie lieber Bologna verlaſſen und ihr Studium 
anderen Ort verlegen würden, als ſich den Bedingungen 
fügen). Indeſſen mit den Einrichtungen gewann auch 


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malitiose exeluduntur, nee ipsi Oxoniae admittantur. Die 
alibi zeigen, daß auch noch andere Univerfitäten den Doktoren von 
volle Anerkennung verſagten. 

) Statuten von Montpellier 1339, Kap. 17: Baccallarius .„.. 5 annos in 
dieto studio vel alibi legerit. Statuten von Perugia II, 22. Padelletti 
p. 104: audierint in aliquo studio generali u. ſ. w. Selbſt Paris war darin 
entgegenkommender und erkannte bereits in dem Statut von 1278 die Baccalariats: 


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von 1442 (Bul. V. 523) begründete dies propter reverentiam Parisiensis g 


E ) Die gleiche Auffaffung lag noch dem Parijer Statut von 1278 zu dr 
-  @ourdain 254, Bulaeas III, 447), welches beftimmte, daß die Studien jahre 


anni in omni facultate pro uno Parisius solent computari. Das Sant 


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372 Ausbildung des Begriffs Generalſtudium. 


der Begriff Generalſtudium mehr und mehr rechtliche Beſtimmtheit, 
jedoch in England und Frankreich weniger und ſpäter als in Italien 
und Spanien. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts kam es in Spanien 
ſogar zu einer geſetzlichen Vorſchrift und zwar in der Weiſe, daß die 
Gründung durch den König oder mit Erlaubnis des Königs in erſter 
Linie als Merkmal aufgeſtellt wurde. Den Gegenſatz bildeten die 
von den Städten oder Biſchöfen allein gegründeten Schulen; für dieſe 
gebrauchte das Geſetz den Namen Partikularſtudien !). In Neapel 
war dieſe Auffaſſung noch früher und zugleich in der ſchärferen Form 
ausgebildet, daß das Generalſtudium nicht nur eine Landesſchule, 
ſondern eine Staatsanſtalt ſei. Die Auffaſſung der italieniſchen Städte 
war dem verwandt, ein Generalſtudium war ihnen nur ein ſolches 
Studium, das unter Mitwirkung der Regierung gebildet war; aber 
der Umſtand, daß es die Regierung einer Stadt und nicht eines Landes 
war, brachte hierbei doch auch in dieſer Beziehung eine ſachliche Ver⸗ 
ſchiedenheit. Den Gegenſatz bildeten nicht Partikularſtudien in anderen 
Orten ?), ſondern die Schulen einzelner Lehrer, die vor der Organiſation 


an einer Schule als Studienjahre an einem studium generale gelten ſollten, 
wenn an derſelben wenigſtens zwölf Magiſter zuſammenwirkten. Ebenſo forderten 
die Statuten der Mediziner von Montpellier aus dem Jahre 1239/40, daß der 
Kandidat 3½ Jahre ſtudiert habe in Montepessulano vel in alio loco ſamoso. 
Germain III, 425. Vgl. ib. p. 430 die gleiche Wendung ac in locis famosis. 
Die italieniſchen Städte verfuhren der gleichen Auffaſſung gemäß. Wenn fie z. B. 
einen Profeſſor beriefen, der an einem Orte ohne Generalſtudium eine Schule hielt, 
ſo haben ſie den Schülern desſelben, die mit ihm kamen, ohne Zweifel die Jahre 
als rechte Schuljahre angerechnet, welche ſie in ſeiner Schule zugebracht hatten. 
Wahrſcheinlich geſchah dies auch ohne ſolche Veranlaſſung, wenn Scholaren allein 
von einem angeſehenen Lehrer kamen, der ſo für ſich las. 

) Indem die Könige bei der Gründung eines Generalſtudiums für ihr Land 
dieſem das ausſchließliche Recht des Unterrichts in den oberen Fakultäten ſowie 
in dem wiſſenſchaftlichen Teile der Artes zu geben pflegten und den Partikular⸗ 
ſtudien nur den Unterricht in der Grammatik und den Anfängen der Logik ge⸗ 
ſtatteten, ſo ergab ſich in Spanien auch ein Unterſchied im Gegenſtand, der die 
Generalſtudien auszeichnete; indeſſen war dieſer Unterſchied nicht der maßgebende. 
Wenn in einem Lande kein Generalſtudium beſtand, fo konnten Rechtsſchulen u. ſ. w. 
beſtehen, ohne daß fie unter königlicher Autorität organifiert und damit zu einem 
Generalſtudium im Rechtsſinn erhoben waren. In dem Schulweſen der Domini⸗ 
kaner wurde der Name Partikularſtudien ebenfalls für die untere Stufe gebraucht. 

) Als Venedig, Mailand u. ſ. w. große Territorien hatten, zeigten fie die 


[ der ſpaniſchen Staaten. Padua wurde Landesſchule des venetianiſchen 
taates 


Auffaſſung der italteniſchen Städte. 373 


rc die Stadt in derſelben beſtanden hatten, und zwar wurden 
ſolche Schulen auch dann nicht als ein Generalſtudium angeſehen, 


# wenn die Stadt ihnen Privilegien oder Beſoldung gewährte. Das 


waren nur vorbereitende Schritte zur Gründung eines General⸗ 
ftubiums ), aber als Generalſtudium betrachteten die italieniſchen 
Städte regelmäßig nur diejenige Schule, an denen mehrere Lehrer 
unter einer gemeinſamen Ordnung und auf Grund einer 
Zulaſſung, oder auf Veranlaſſung, oder, wie es meiſtens hieß, 
im Dienſte der Stadt (in servitio civitatis) lehrten. Das 
Generalſtudium war nach der Auffaſſung dieſer Städte die Stadt⸗ 
ſchule, wie es nach der Auffaſſung der ſpaniſchen Könige Landesſchule 
und nach der von Neapel eine Staatsſchule war. Aber einen päpſt⸗ 
lichen oder kaiſerlichen Stiftungsbrief rechneten weder die ſpaniſchen 
und neapolitaniſchen Könige noch die italieniſchen Städte im 13. Jahr⸗ 
hundert zu den Vorausſetzungen eines Generalſtudiums. Es ſind im 
18. Jahrhundert zahlreiche Univerſitäten in italieniſchen Städten ent⸗ 
ſtanden, aber abgeſehen von der päpſtlichen Hofſchule und der Staats⸗ 
univerſität des Königs von Neapel, der zugleich Kaiſer war, iſt keine 
einzige derſelben durch den Stiftungsbrief eines Kaiſers oder Papſtes 
begründet worden. Nicht einmal das Studium der Stadt Rom ſelbſt, 
das vielmehr von dem durch das Volk gewählten Stadtoberhaupt 
(Senator) gegründet wurde ). Piacenza erbat und erhielt allerdings 


) Todi ſcheint nach der kurzen Notiz, die Denifle S. 227 aus den mir nicht 
zugänglichen Schriften Garampis mitteilt, 1290 die Schule eines Lehrers, für den 
fie Einladungen verſchickt hatte, Generalſtudium genannt zu haben. Das ift eine 
freiere Anwendung des Namens, und kenne ich kein zweites Beiſpiel. 

) 1265. Senator von Rom war König Karl I. von Neapel. Die Urkunde iſt 
abgedruckt von Del Giudice, Codice diplomatico p. 68 Nro. 24: Karolus... 
Universis etc. A Domino procul dubio factum esse cognoseimus ... quod 
Senatus populusque Romanus ad regimen urbis, ut in ea bella plusquam 
eivilia intestineque discordie, quibus hactenus fluctuabat, nostro sedarentur 
ministerio, de tam remotis partibus nos vocarent. Et... sperantes urbem 
ipsam, siquidem caput et dominam gentium, non solum in statum justicie 
ac pacis erigere verum etiam scientiarum studiis ... decorare ... generale 
in ipss studium tam utriusque juris quam artium duximus statuendum, 
Universitatem vestram (d. h. jeden, dem dies Schreiben zu Geſicht kommt) ad 
Mud tamquam ad fontem et riguum, unde quilibet juxta votum poterit 
irrigari leto animo invitantes ac concedentes tenore presentium soolaribus 
ek magistris in veniendo, morando et redeundo securitatem plenariam 
-  Aliaque privilegia que a jure accedentibus ad generale studium conceduntur. 


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374 Alle Stadtuniverfitäten im 135. Jahrhundert ohne Stiftungsbriefe. 


bei Errichtung desſelben (1248) ein päpſtliches Privileg, aber dies 
Privileg war kein Stiftungsbrief, ſondern unterſtützte die beabſichtigte 
Gründung der Stadt durch Erteilung der Privilegien und Freiheiten, 
welche Paris, Bologna und die anderen Generalſtudien beſaßen ). 
Eine ſolche Gründung und feierliche Anerkennung durch den Papft 
ließ auch die Gewährung dieſer und anderer beſonderer nutzbarer 
Privilegien erhoffen, und es könnte nicht auffallen, wenn die Städte 
ſchon aus dieſer Erwägung die päpſtliche Autoriſation erbeten hätten, 
ſobald ſie ſich entſchloſſen, ein Studium zu gründen. Die oft be⸗ 
klagte Konkurrenz der vielen, nahe bei einander liegenden Univerſi⸗ 
täten mußte ebenfalls dahin drängen und könnte es begreiflich machen, 
wenn man ſolche Unterſtützung geſucht hätte, obſchon man ſie nicht 
für notwendig hielt: aber trotzdem haben alle italieniſchen Städte, 
welche im 13. Jahrhundert ein Generalſtudium gründeten, dies aus 
eigener Machtvollkommenheit gethan, ohne vorher von Kaiſer und 
Papſt eine Erlaubnis oder Privileg einzuholen. Dieſe Thatſache iſt 
aber für die Erkenntnis der über dieſen Punkt herrſchenden Auf⸗ 
faſſung um ſo entſcheidender, weil im Laufe des Jahrhunderts nicht 


Datum Rome, 14 Oct. Ind. 9 regui nostri an. 1. Datum Rome per manum 
Roberti de Baro magne regie curie nostre prothonotarii. Bonifaz VIII. 
erließ 1303 ebenfalls eine Stiftungsurkunde für Rom, ohne dieſe zu erwähnen. 
Denifle behauptet (310) deshalb, die Gründung von 1265 ſei nicht ausgeführt 
worden. Allein das iſt nicht mit Sicherheit zu ſagen. Die Päpfte ignorierten 
mehrſach frühere Stiftungen. Man kann nur ſagen, daß bisher keine Zeugniſſe 
dafür aufgefunden worden ſind, daß die Stiftung von 1265 ausgeführt wurde, 
aber von vielen Schulen fehlen uns lange Zeit hindurch Nachrichten. Für die 
Frage, ob die Lokalbehörden Italiens ſich im 13. Jahrhundert befugt erachteten, 
ohne Autoriſation ein Generalſtudium einzurichten, iſt dieſe Urkunde übrigens von 
gleicher Beweiskraft, gleichviel, ob ſie praktiſche Folgen hatte. 

) Die Urkunde iſt abgedruckt im Bullarium Romanum III, 586: Inno- 
centius .. episcopo et dilectis filiis clero et populo Placentino ... Nach 
der Einleitung heißt ess: Credimus enim. . quod ex hoc (dem studium 
literarum) ipsi eivitati Placentiae non modicum honoris accederet „.. 
propter quod non tam consideratione tul, frater Alberte, nobis super hoc 
instanter supplicantis quam eliam ob ipsius civitatis augmentum generale 
ibi fieri studium cupientes .„.. omnibus doctoribus et scholaribus in qua- 
cunque facultate in praedicta eivitate studentibus, quod eisdem privilegiis, 
indulgentiis, libertatibus et immunitatibus gaudeant, quibus Parisiis sen 


Bononiae vel aliis studiis generalibus laetantur, auctoritate praesentium 
indulgemus, 


Nachweis im einzelnen. 375 


= um fie ſpaͤter wieder aufzurichten. 

Die Gründung vollzog ſich bald durch Vertrag oder eine Reihe 
von Verträgen der Stadt mit einer Scholarenkorporation, die ſich am 
Orte befand oder bildete, wie in Bologna und Perugia, oder wie in 
Vercelli, Treviſo und anderen Orten aus einem anderen General⸗ 
studium zuzog. Bologna, Modena, Vicenza, Padua, Vercelli, Arezzo 
und Piacenza hatten ſchon in der erſten Hälfte des 13. Jahrhunderts 
ein Generalſtudium, wenn auch die meiſten nur zeitweiſe, und in der 
zweiten Hälfte faßten die Behörden von Treviſo um 1260, Padua 
1260 ), Vicenza 1261 ), Rom 1265 +), Reggio 12701276 °), Siena 


1275 derartige Beſchlüſſe. Beſonders lehrreiche Nachrichten find über die 


J erei II. 2 p. 49 f. bietet unter Nro. 112 ein kurzes Protokoll über 
einen Beſchluß des Nats, zur Erneuerung des Studiums Lehrer zu gewinnen. 
3 Auch der Biſchof wirkte mit. Es wurden dann vier Profefforen mit Gehalt be: 
krruſen, deren Kontrakte mitgeteilt werden. 1261. Auguſt. 


. ) Nach der den Statuten voraufgeſchickten Entwicklungsgeſchichte gewann 
die Scholarenkorporation in Padua zuerſt 1260 eine geſetzliche Organiſation der 
auaniversitas civium gegenüber. Druck der Statuten von 1551, Kap. 1: De origine 
et progressu juris scholastici paduani: constat a, a. Chr. n. 1260 universi- 
tatem nostram in unum corpus redactam jus universitatis ab reliquis 
eivibus separatum habere incepisse. Der Bertrag, den Vercelli 1228 mit der 
Scholarenlorporation in Padua abſchloß, zeigt, daß dieſe damals jus a civibus 
separatum hatte. Es muß dann eine lange Zeit gefolgt ſein, in der eine ſolche 
Organiſation nicht beſtand, offenbar wegen der Gewaltherrſchaft Ezzelins (ftarb 
13᷑2 59). Einige Lehrer find wohl aufgetreten (Nachweis bei Gloria, Monumenti 
4. 4. O.), aber etwas anderes iſt die Fortdauer der Organiſation. 

) Verei 1,107 Anm. 2: Ordinamus, quod potestas ... debeat consilium 
facere generale ad utramque campanam coadunatum- super studio scholarium 
in eivitate Tarvisii reducendo et perseverando in ea quantitate facultatum 
prout melius per ipsum consilium super eo fixerit firmatum. Mit aller 
Beftimmibeit tritt hervor, daß die Stadt die Errichtung eines Generalſtudtum als 
eine ſtadtiſche Angelegenheit anſah, welche ohne Mitwirkung einer anderen Gewalt P 
erledigt werden könne. Dasfelbe zeigt der entſprechende Beſchluß von Bicenga _ 
von 1261, über den ebenfalls bei Verei II, 49 Nro. 112 eine e 
erhalten if. * 
9 S. o. S. 378. E 4 
) Siehe S. 238 Note 2 und die Beilage im Anhang. 1 


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376 Siena. 


bezüglichen Verhandlungen des Rates von Siena erhalten‘). Noch in 
den vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts begnügte ſich die Stadt, 
einzelne Lehrer zu beſolden oder Boten für ſie auszuſenden, welche 
die Scholaren von auswärts einluden und ihnen Sicherheit verſprachen; 
im Jahre 1252 waren die Scholaren und Profeſſoren als Korporation 
organifiert?) und es wird deshalb das Studium auch von ſeiten 
der Stadt geſetzlich geordnet geweſen ſein. Doch muß es die Stadt 
wieder aufgegeben haben, denn 1275 ſtellten die Prioren eine Be⸗ 
ratung an, „wie die Stadt eine Univerſität haben und neu begründen 
könne“. Es wurden dabei zwei Anträge geſtellt, die darin überein⸗ 
ſtimmten, daß die Stadt die Sorge für die Berufung der Profeſſoren, 
die Regelung der Gehalte und ſonſtigen Ausgaben übernehmen und 
die Leitung einer „Univerſitätskommiſſion“ übergeben ſolle, welche hier 
wie in Perugia Sapientes (Savi) genannt wird. Der zweite dieſer 
beiden Anträge war ausführlicher und gelangte zur Annahme. Er 
forderte auch, daß dieſer Antrag, damit er bei der Bürgerſchaft das 
zur Durchführung notwendige Entgegenkommen finde, dem Großen 
Rat vorgelegt werde, und ferner, daß, wenn ein ſolcher Beſchluß zur 
Gründung der Univerſität gefaßt werde, daß dann eine Klauſel 
hinzugefügt werde, welche das Studium ſichere gegen die Folgerungen 
aus den kaiſerlichen Konſtitutionen über Univerſitäten. Gemeint waren 
die Konſtitution Omnem Kaiſer Juſtinians und die falſche Urkunde 
Theodoſius II., aus denen damals die Bologneſer Juriſten ein aus⸗ 
ſchließliches Recht der Stadt Bologna auf eine Rechtsſchule abzuleiten 
ſuchten. Dieſer Zuſatzantrag iſt ein deutliches Zeichen, daß man ſich 
deſſen völlig bewußt war, mit dieſem Beſchluß ein studium generale 
im Rechtsſinn der damaligen Univerſitäten zu errichten. Die Städte 
übten dieſes Recht aber nicht nur, ohne ein Bedenken in ihre Be⸗ 
rechtigung zu ſetzen, ſondern ſie übten es auch unwiderſprochen. Der 
Papſt iſt oft als Schiedsrichter angerufen worden, in Streitigkeiten 
oder um Beſtätigung von Maßregeln, und hat auch ohne Aufforde⸗ 
rung in die Verhältniſſe der Univerſitäten eingegriffen — aber ſelbſt 
bei dieſen Gelegenheiten hat er nicht das Recht in Anſpruch genommen, 
daß ohne ſein Zuthun keine Univerſität gegründet werden könne. 


) Siehe den Anhang. 


) Siehe das Schreiben Innocenz IV., welches Denifle S. 430 Note 868 
mitgeteilt hat. 


Die ſpaniſchen Univerfitäten ebenfalls. 377 


hat der Kaiſer Einſprache gegen dieſe Bildungen er⸗ 


1 
In Spanien find im 13. Jahrhundert fünf Univerfitäten gegründet 
cia, Salamanca, Sevilla, Valladolid) und Alcala, 
Könige, keine durch einen papſtlichen Stiftungs⸗ 
ließ Konig Alfons X. ſeine Neugründung von Sala⸗ 
den Papſt beſtätigen, aber man darf nicht daraus 
er gezweifelt hätte, ob er zu der Gründung für ſich 
ſei. Das beweiſt ſchon ſein Geſetzbuch, und derſelbe 
denn auch in Sevilla ein Generalſtudium ohne Mit⸗ 
Papſtes. „Ich befehle, heißt es in dem Erlaß, „daß 
ein Generalſtudium für die lateiniſche und die arabiſche 
fein ſoll“ ). Aehnlich drückte ſich König Sancho IV. bei der 
von Alcala aus: „Wir halten für gut, in der Stadt Alcala 
ein Generalſtudium zu haben und befehlen, daß die Lehrer und 
Scholaren daſelbſt alle die Freiheiten genießen, welche fie am Studium 
zu Valladolid haben.“ Da nun auch Liſſabon, die einzige Univerſität 
Portugals (1288), nicht durch einen päpſtlichen Stiftungsbrief, ſondern 
durch den König gegründet wurde), jo bietet alſo die ſpaniſche 


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) Papſt Innocenz IV. ſchrieb z. B. 1252 an die Korporation der Magifter 
und Scholaren (universitati magistrorum et doctpram Senis regentium se 


Eine Anerkennung ſeitens jener Gewalten liegt auch darin, daß fie in 
Kampfes mit einer Stadt ihr Studium aufzuheben drohten. So verfuhr 

Friedrich II. gegen Bologna, Papſt Gregor IX. gegen Vercelli 1238 und 
Nikolaus IV. 1288 gegen Padua (Colle I, 70 druckt die Bulle ab, über das 
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171 
4 


das Studium zu Valladolid nur noch ein Bartifular: 
# König Alfons XI. damals dem Papſte ſchrieb (bei Denifle 377), 
aber 1298 beſtand dort ein Studium, das von dem Könige Sancho IV. als 
SGenecralſtudium anerkannt wurde; des Königs Wille war aber rechtlich maßgebend. 
Stehe das Schreiben Sanchos IV. bei Floranes in der Coleceion de Docu- 
mentos ineditos XX (1852) p. 75: Nos, D. Sancho por la gracia de Dios 
Rey de Castilla .... tenemos por bien de hacer estudio de escuelas generales 
la villa de Alcalä, e porque los maestros e los escholares hayan voluntad 


La Fuente I, 290 gibt die Beſtätigungsbulle Aleganders IV. 4 
Mem. hist. esp. I, 54 Nro. 25: estudios é escuelas generales. 
) Siehe die Gründungsgeſchichte bei Denifle 522 f. 1 


estudio de Valladolid. 
5 
9 


en 1 
al estudio otargamosles, que hayan todas aquellas franquezas, que ha elt sr 


378 die englifhen ebenfalls. 


Halbinſel im 13. Jahrhundert kein einziges Beiſpiel von der Gründung 
einer Univerſität durch den Papſt oder auf Grund eines vom Papſte 
erbetenen Stiftungsbriefes, obſchon der Papſt in anderer Form bei 
der Gründung dieſer Univerſitäten vielfach mitwirkte. Von dem Kaiſer 
dagegen, dem die siete partidas ebenfalls das Recht gaben, General⸗ 
ſtudien in Spanien zu errichten, iſt daſelbſt weder ein Stiftungsbrief 
erlaſſen, noch ſonſt ein Einfluß auf die Entwicklung der Univerfitäten 
geübt worden. | 

In England find im 13. Jahrhundert zwei Univerfitäten, Oxford 
und Cambridge, entitanden, und eine dritte, Northampton, iſt zu 
bilden verſucht worden, und alle ohne einen Stiftungsbrief von Kaiſer 
oder Papſt !). 

In Frankreich und den durch Sprache und ſpätere Entwicklung 
ihm verbundenen Nachbargebieten ſind im 13. Jahrhundert nachweis⸗ 
lich an folgenden Orten Univerſitäten entſtanden oder zu gründen 
verſucht worden: Paris, Montpellier ?), Toulouſe “), Orleans, Angers, 


) Northampton entſtand durch eine Auswanderung von Scholaren aus 
Cambridge und Oxford und mit Erlaubnis des Königs. Die Aufhebung erfolgte 
wieder durch einen Befehl des Königs, und zwar durch den Befehl an die Orts⸗ 
behörde, die Scholaren auszuweiſen. Fuller S. 31 bietet den königlichen Exlaß. 

) Montpellier erhielt allerdings 1289 eine Bulle des Papſtes Nikolaus IV., 
durch welche er an dieſem Orte eine Univerſität errichtete, als hätte bis dahin in 
Montpellier noch keine beſtanden. Darüber ſ. S. 381 Note 1. 

) Toulouſe wird von Denifle S. 809 als eine Univerſität bezeichnet, 
welche durch einen päpſtlichen Stiftungsbrief gegründet worden ſei, allein im Text 
S. 330 ſagt er auch ſelbſt, daß das Schreiben Papſt Gregors IX. von 1233, welches er 
S. 809 als Stiftungsbrief auffaßt, „keine eigentliche Stiftungsurkunde“ ſei. Die 
Univerfität war bereits 1229 gegründet worden und zwar auf Grund eines Artikels 
in dem Friedensvertrag zwiſchen dem Könige von Frankreich und dem Grafen von 
Toulouſe durch die universitas magistrorum et scholarium. Dieſe Korporation 
verſandte bereits 1229 ein Einladungsſchreiben und darin bezeichnet fie ſich als 
die Gründerin des studium. „Wir, die Genoſſenſchaft der Magiſter und Scho⸗ 
laren, welche in Toulouſe eine Univerfität (studium) auf neuer Grundlage er: 
richten, ſenden allen gläubigen und hervorragenden Magiſtern und Scholaren, wo 
immer fie auch ſtudieren mögen, gegenwärtigen Brief.) (Joannes de Gar- 
landia, De triumphis ecclesiae, ed. Wright p. 96.) Die Magiſter rühmen 
dann weiter, daß der päpftliche Legat ihr Führer bei dem Werk geweſen 
thatſächlich wird er die meiſten Schwierigkeiten durch feine Autorität 
haben, aber die Rechtsanſchauung war nicht die, daß er den Magiſtern 
fugnis zur Bildung der Univerfitad und Errichtung des Studium erteilte, 
das Recht dazu galt als ein Recht der Magiſter und Scholaren. Von der 


‚eds 


Duden obne taijerlihen oder päpflicen Stiftungsbrie. Dagegen 


wchuung geht jener Brief bes Papfıch von 1233 aus, denn er gibt ſich als 
dine Beſtätigung und Erweiterung der 1220 durch den Kardinal gewährten Priol 


5 


* Be und getroffenen Beſtimmungen. Solche Briefe empfing Paris auch, fo die 
in 


er u 1. Orange, Lyon!) und Alais ), und zwar in allen dieſen 


aber niemand ſieht darin die Gründung. 
’) Nach Hüffer, Die Stadt Lyon S. 93, hätte Papſt Innocenz 1245, als 


Worte der Vita Innocentii, auf welche ſich Hüffer ſtützt, ſagen unzweideutig, daß 
Innocenz damals ein Studium an feiner Kurie errichtet habe. Baluzius 
Miscellan. VII, 368. Nicolaus de Corbolio, Vita Innocentii IV, cap. 16: 
secundo anno sul pontificatus apud Lugdunum in sua curia general» 
studium ordinavit tam de theologia quam de deeretis, decretalibus pariter 

Im Laufe des 13. Jahrhunderts ift allerdings auch ein General: 
studium in Lon entſtanden, aber nicht durch eine päpftlihe Stiftung. Im Jahre 
1802 hatte die Stadt ihr Recht auf dieſe Anſtalt vor König Philipp gegen An: 
ſpruche des Erzbiſchofs und des Kapitels zu verteidigen und berief ſich dabei nur 
darauf, daß fie ab antiquis temporibus fuerint in quasi possessione 


juris . +. habendi insuper in dicta civitate, utpote egregia, studium 


alias liberales. Cartulaire de Lyon, ed. Guigue p. 29. Eine Urkunde von 1328, 
Cuorxtulaire p. 87, erwähnt neben den Doktoren auch Baccalare, welche leſen, und 
Auagt, daß der Erzbiſchof an fie Forderungen ftelle, die gegen das Herkommen ſeien 
novitstes facere). Beides verſtärkt den ſchon aus der erſten Urkunde zu ent: 
nehmenden Schluß, daß dies Studium eine geordnete Lehranſtalt für die genannten 
Fakultäten (Artes, lanoniſches und römiſches Recht) war und alſo ein General: 
ſtudium in dieſen Fakultäten. Dem Anſchein nach hatte die Stadt die Leitung 
der Anftalt, ähnlich wie in Avignon. Die Stadt bezeichnet die Anſtalt als ihre 
es weiſt das auf eine den italieniſchen Verhältniſſen ſich nähernde 


4 Stadt Alais entſchloß ſich 1290, ein Studium zu errichten, beauf⸗ 
ttagte einen Syndikus, Gelehrte zu berufen und Berträge mit ihnen abzuſchließen. 
ee handelte ſich nicht um die Berufung einzelner Lehrer, ſondern um eine Lehr: 
a tate diete ville et studii ibi noviter faciendi, wie es 
in der Beſtallung des Syndikus (mitgeteilt von Rozitre in Bibl. de l'ecole 
des chartes XXXI p. 60) heißt; und in dem Bertrag mit Naymundus, einem regens 
in legibus in eivitate Avenionensi, ib. p. 64 f. erklärten die Vertreter der Stadt 
Mais, daß fie tractarent et procurarent de studio faciendo et habendo in 
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villa de Alesto, Die Urkunden erinnern durchaus an das Vorgehen der italie: 


niſchen Städte und ihre Berträge mit den Gelehrten. Unzweifelhaft ergibt ſich. 
daß die Stadt keine Erlaubnis von Kaiſer und Papſt nötig zu haben glaubte, 
muleich aber, daß fie nicht ſicher war, ob nicht die königliche Regierung, oder der 

Biſchof von Nimes, oder der Territorialherr, der die Hoheits echte in einer e 


chen Teilung mit ber Krone Frankreich befah (. Koziöre a. a. O. fe 


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380 Gray und Pamiers. 


ſind päpſtliche Stiftungsbriefe erlaſſen worden für zwei Orte, an denen 
aber keine Univerſität zuſtandekam. Den einen ſoll Nikolaus IV. 
für Gray erlaſſen haben!) auf Bitte Othlons IV. von Burgund, den 
anderen erließ Bonifacius VIII. aus eigenem Antrieb für Pamiers ). 

Dazu kommt noch der Stiftungsbrief Nikolaus IV. für Mont⸗ 
pellier 1289, der aber nur der Form nach ein Stiftungsbrief iſt, da 
Montpellier längſt beſtand. Gray und Pamiers ſind alſo die einzigen 
Generalſtudien, welche im 13. Jahrhundert durch päpſtliche Stiftungs⸗ 
briefe gegründet worden ſind, während wir die Entſtehung von mehr 
als dreißig Generalſtudien kennen. Daß ſie nicht zuſtandekamen, iſt 
gleichgültig für die Frage, die uns hier intereſſiert; aber das iſt her⸗ 
vorzuheben, daß ſie beide im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts 


das Unternehmen Einſpruch erheben würde. Die Stadt war ſich deſſen bewußt, 
daß die Gründung des Studium ein wichtiger Akt ihrer Selbſtverwaltung ſei und 
fürchtete Einſprache von den Mächten, welche dieſe Selbſtändigkeit einſchränkten. 

) Nach Labbey de Billy, Histoire du Comt& de Bourgogne I, 22 
erbat Graf Othlon IV. von Nikolaus IV. ein Privileg zur Gründung einer Uni⸗ 
verſität in Gray um 1290. Dieſes Privileg wird erwähnt in einer Bulle Martins V. 
von 1421, durch welche Martin V. auf Bitten des Herzogs Philipp von Burgund 
dies Privileg auf Dole übertrug. Billy citiert dieſe Bulle, ohne fie jedoch 
abzudrucken. 

) Pamiers war ein kleiner Ort in der Grafſchaft Foix, die in der zweiten 
Hälfte des 13. Jahrhunderts bald in engerem, bald in loſerem Lehensverbande zu 
Frankreich ſtand. Vgl. Castillon, Histoire du comté de Foix. So ent⸗ 
ſchied 1280 das Parlament zu Toulouſe im Namen des Königs eine die Juden 
in Pamiers betreffende Frage ib. I. 349, und 1285 erließ König Philipp mehrere 
Urkunden, welche die Rechte des Grafen erweiterten. Ueber den Ort Pamiers ſtritt 
der Graf von Foix mit dem Abt des Kloſters Fredelas, der König unterſtützte den 
Grafen, der Papſt den Abt, und der Papſt ſprach dabei ſogar die Exkommunikation 
über den Grafen aus. In Verbindung mit dieſen Verhältniſſen geſchah es nun, daß 
der Papſt den Ort Pamiers zur Stadt erhob, dann daſelbſt 1295 eine Univerfität 
und weiter ein Bistum gründete, zu deſſen Biſchof er eben jenen Abt beſtellte, 
der dann der eifrige Parteigänger Bonifacius VIII. im Kampfe gegen König Philipp 
war. In dem Stiftungsbrief (bei Thomas, Les Registres de Boniface VIII. 
Nro. 658 p. 227 und Denifle 639) ſagt Bonifazius: cum igitur Appamiarum 
eivitas, quam nuper suadentibus rationabilibus causis inducti de fratrum 
nostrorum consilio et assensu ac apostolice potestatis plenitudine in eivi- 
tatem ereximus et decoravimus vocabulo eivitatis ... Es iſt jedenfalls eine 
ſeltene, aber ſehr bedeutſame Anwendung der päpftlihen Allgewalt, daß Bonifacius 
einen Ort im Gebiete des Königs von Frankreich zur Stadt erhebt, ohne den 
König zu fragen oder zu erwähnen. 


Bulle für Montpellier. 381 


worden find, an ber Schwelle des 14. Jahrhunderts, in 
wir dieſe umfaſſendſte Form päpſtlicher Univerfitätsprivilegien 


Orte, für welche die Päpfte dieſe Stiftungsbriefe erließen, 
= Gebieten von ſchwankenden und unklaren Souveränitäts: 
1 2 lagen, und dasſelbe gilt von Montpellier, das damals 
zn dem kleinen Königreich Majorka gehörte, welches von Aragonien 
abhängig war und ſich dem durch Anlehnen an Frankreich zu ent: 
ziehen juchte. 

Dieſer Praxis entſprach auch die Theorie des 13. Jahrhunderts 
Thomas von von Aquino, auch in ſolchen Fragen der hervorragendſte 
Vertreter der kirchlichen Auffaſſung, erklärte: dem Staatsoberhaupte 
komme das Recht zu, über Univerſitäten Beſtimmungen zu treffen, 
beſonders dem Apoſtoliſchen Stuhle, „welcher das Regiment über 
allgemeine Kirche hat, deren Intereſſen die Univerſitäten dienen 
ſollen ). Da Thomas von Aquino dem Papfte Gewalt über alle 


Unter dieſem Geſichtspunkt gewinnt nun auch der 1289 von Nikolaus IV. 
erlafjene Stiftungsbrief näheres Verſtändnis. Montpellier beſtand 
hundert Jahren als Generalſtudium, anerkannt von der Welt wie 
Terxitorialherten und von der Kurie; die Statuten von 1220 waren 


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legitim bezeichnen und durch dieſe Bulle erklären wollen, von Rechtö wegen beginne 
die Exiſtenz der Univerfität Montpellier erft mit dem päpftlihen Stiftungsbrief, 
wenn derſelbe auch dem Wortlaut nach das Studium erft zu errichten ſcheint. 
Gariel p. 410; D’Aigrefeuille III, 510: Nicolaus — doctoribus et sco- 
laribus universitatis apud Montempessulanum commorantibus ... Die Ein: 
leitung handelt vom Lob der Weisheit, ſodann cum autem locus Montispessu- 
lani celebris plurimum . aptus valde pro studio dignoscatur, nos utilitati 
publice, expedire credentes ... authoritate presentium indulgemus, 
ut in dieto loco sit deinceps studium generale, in quo magistri 
 . doceant etscolares libere studeant.... praecipimus, ut in jure canonico 
et eivili necnon et in medicina et artibus examinare possint ibidem et 


lichen Privilegs, fo ift zu vermuten, daß man damals in Montpellier durch dieſe 
Theorie irgendwie beunruhigt wurde oder es doch angemeſſen fand, ſich ein päpft: 
liches Privileg zu erbitten, um jede Einrede abzuſchneiden. 


3 de studio pertinet ad eum, qui praeest rei publicae et praeeipue 
5 sauctoritatem apostolicae sedis, qua universalis ecclesis guber- 


) Opera XV, 12. Contra impugnantes, cap. 3: patet quod ori 


382 | Die Cheoretifer des 13. Jahrhunderts. 


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Herrſcher und Staaten zuſchreibt, jo wird er auch dieſen Satz in dem 
Sinne verſtanden haben, daß im Falle eines Streits die Anſicht des 
Papſtes maßgebend ſein müſſe, aber doch ſagt er nicht, daß die 
Staaten zur Gründung einer Univerſität erſt der Erlaubnis des 
Papſtes bedürften. Mittelbar, aber unzweideutig, ſprach Papſt Inno⸗ 
cenz IV. den gleichen Grundſatz aus, indem er die Fürſten von Frank⸗ 
reich, England, Wales, Schottland, Spanien und Ungarn bat, das 
Studium des für ihre Staaten praktiſch unnötigen römiſchen Rechts 
nicht zu dulden, aber hinzufügte, „falls die Könige und Fürſten dies 
wollten“). Die juriſtiſchen Theoretiker warfen die Frage, ob die 
Städte und Staaten das Recht hätten, Schulen in der Form der 
Univerſitäten zu errichten, gar nicht auf; dies Recht galt ihnen für 
ſelbſtverſtändlich, und nur darüber wurde geſtritten, ob in den von 
den Städten errichteten Schulen das „Kaiſerrecht“ gelehrt werden 
dürfe, oder nur in den Städten, welche durch ihren Urſprung oder 
durch ein Privileg dazu einen beſonderen Rechtstitel beſäßen. Dieſe 
Zweifel beruhten, wie ſich oben ergab, auf der tendenziöſen Erklärung 
eines Satzes der Konſtitution Omnem, durch welche die Bologneſer 
Juriſten den Rechtsſchulen in Modena, Reggio u. ſ. w. die Recht⸗ 
mäßigkeit abzuſprechen verſuchten. Obgleich aber die Nichtigkeit dieſer 
Auslegung alsbald nachgewieſen wurde und dieſe Anſicht nicht zur 
Herrſchaft kam, ſo erhielt ſie ſich doch. Noch im 14. und 15. Jahr⸗ 
hundert nannten ſich manche Städte, die ein Generalſtudium gründen 
wollten, Kaiſerſtädte, eivitates regiae, und der andere Teil jenes 
Satzes, daß ein Privileg des Kaiſers das Recht dazu verleihe, gewann 
Einfluß in der Form, daß neben dem Kaiſer der Papſt als der be⸗ 
zeichnet wurde, der ein ſolches Privileg zu verleihen habe. Jacobus 
de Arena, der im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts als Rechts⸗ 
lehrer an mehreren Univerſitäten großes Anſehen genoß, erklärte, 
das römiſche Recht dürfe nur geleſen werden an Orten, welche durch 


natur, eui per generale studium providetur. An einer anderen Stelle äußert 
er ſich in gleichem Sinne. 

) Mathaeus Paris. Chron. Maj. VI, 298 f., daraus Bulaeus III, 265 f. 
Dieſe Bulle Super specula ... Dolentes iſt in vieler Beziehung merkwürdig. Der 
Zuſatz lautet: Si tamen hoc de regum et prineipum processerit voluntate, 
Innocenz IV. wollte das Studium des römiſchen Rechts einichränten, weil bie 
Kleriter durch dasſelbe 1) von dem Studium der Theologie und der Philoſophie 
abgezogen und 2) von weltlicher Hoffart erfüllt würden. 1254. 


Streit der Meinungen im 18. Jahrhundert. 383 


drivileg dazu Erlaubnis hätten, oder durch lange Gewohnheit, 
velche an Stelle des Geſetzes gelte. Er ſetzte jedoch auch hinzu: oder 
auf Grund der Erlaubnis oder Zulaſſung des Fürſten oder deſſen, 
e die fürftlihe Gewalt in einem Gebiete habe, in feinem Gebiete. 
Den Einzelſtaaten und zwar auch den Stadtſtaaten ſprach Jacobus 
de Arena alſo das Necht zu, Univerſitäten zu gründen, auch hat er 
ſelbſi es nicht verſchmäht, an ſolchen durch die Stadt gegründeten 
Univerfitäten, wie Reggio und Siena, zu lehren). Sein Schüler 
Nichardus Malumbra, der in der erſten Hälfte des 14. Jahrhunderts 
blühte, vertrat ebenfalls mit Nachdruck die Anſicht, daß die Schulen 
zu Modena, Reggio, Parma, Vercelli u. ſ. w. fo legitim ſeien wie 
Padua und Bologna. Er ſtand mit dieſer Lehre im 14. Jahrhundert 

nicht allein, aber die beiden berühmteſten Autoritäten der Zeit, 
3 und Baldus, traten ihr entgegen und wollten, mit 


Y) Angeführt von Bartolus zur Konftit. Omnem, Opp. ed. 1589 p. 13: Hoc 
| 2 de Ar. dicens quod jura possunt doceri in locis permissis ex privi- 
legio vel consuetudine antiqua quae pro lege servatur, vel ex 
permissilone ejus, tacita vel expressa, quiestprinceps, vel loco 
pPrineipis in territorio suo et hi qui in talibus loeis docent et docentur, 
- — debent habere privilegia, quae tribuit Auth. Habita C. ne filius pro patre. 
AUAnter princeps iſt nicht der Kaiſer zu verftehen, oder doch nicht bloß der Kaiſer, 
denn deſſen Erlaubnis ift bereits mit privilegio an erfter Stelle bezeichnet. Der 
Ausdruck qui loco prineipis est ſcheint vorzugsweiſe im Hinblick auf das that⸗ 
. ſelbſtändige Regiment gewählt zu fein, das viele italieniſchen Städte übten. 
For unrechtmäßig würde biernach die Bildung einer Univerfität anzufehen fein, 
wenn fie bloß durch eine Scholarenkorporation, etwa eine Auswanderung, erfolgte, 
ohne MNuwirkung der Stadt Bartolus beruft ſich demnach nicht mit Recht für 
ſeine weitergehende Anſicht auf dieſe Stelle. 

33 J Bartolus entſchied bei Erläuterung der Habita (C. IV, 13, Opera 1588 
IV., 399), daß andere Wiſſenſchaften allerorten gelehrt werden dürften, die leges 
- aber non possunt legi nisi in civitatibus privilegiatie. Nicht privilegierte 
RNechtsſchulen nannte er studia adulterina und für Scholaren an ſolchen Orten 
Hätte die Habita Kaiſer Friedrichs keine Geltung. Ausführlicher und vorſichtiger 
Außerte ſich Bartolus in feinen eben angeführten Gloſſen zu der Konſtitutton 
Omnem. $ Hacc autem tria p. 18. Er erörtert zunüchſt die Frage, ob in Bologna 
mit Recht über die leges geleſen werden dürfe, und geht dabei von der Voraus. 
ſezung aus, daß jene Konſtitution damals noch maßgebend ſei. Danach führt er 
jene Stelle des Jakobus de Arena an, als wenn fie dasſelbe ſage, und wendet fi 
dann gegen die freiere Auffaſſung: Plus dieunt quidam modern! — — 
1 Malum, quod possint haec jura hodie doceri in qualibet civitate wel 

1 Mutinae, Rhegii, Parmae, Versellis et in castris ut vidimus in 


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* . 


384 Bartolus und Baldus. 


Ausnahme von den durch alten Ruhm geſchützten Bologna und Padua, 
nur diejenigen Rechtsſchulen als legitim anerkennen, welche ein Privileg 
des Kaiſers oder des Papſtes hatten. Ihre Erklärungen!) ſind nicht 


provincia Marchiae Anchonitange. Die Stelle zeigt, daß Bartolus die Studien 
in Modena, Reggio, Parma, Vercelli nicht als legitim anſah. Er führt ferner 
aus, Bologna ſei eine civitas regina, denn fie ſei von Kaiſer Theodoſius gegründet, 
aber dieſer Urſprung genüge nicht, um ihr den Vorzug einer Rechtsſchule zu ſichern, 
denn der Kaiſer habe in der von Alexander gegründeten Stadt Alexandria eben⸗ 
falls keine Rechtsſchule erlaubt. Das Recht auf eine Rechtsſchule erhalte eine 
Stadt nur durch privilegium oder durch Herkommen. Bartolus beruft ſich für 
Bolognas Urſprung nur auf die Legende, nicht auf die falſche Urkunde, obwohl ſie 
ihm ohne Zweifel bekannt war, die Fälſchung war ihm doch wohl zu plump. Auch 
Baldus ignorierte fie. An der anderen Stelle IV, 399 verweiſt er ebenfalls nicht 
auf das privilegium Theodosii, wohl aber auf das ebenfalls unechte privilegium 
Lotharii, jedoch ſo, daß in ſeinen Worten keine unzweideutige Anerkennung liegt. 

1) Hervorzuheben iſt noch, daß Baldus das Recht der Promotion nur durch 
Privileg des Kaiſers oder des Papſtes erwachſen laſſen will, nicht durch noch ſo 
alte Gewohnheit. Ferner übertrug Baldus die von ihm wie von den Vorgängern 
zunächſt auf die Rechtsſchulen bezogene Theorie auf alle Fakultäten. Baldus de 
Ubaldis, Commentaria, Lugduni 1585. Folio. In IV et V Codieis, Blatt 30% 
Ne filius pro patre (4, 13): Die Habita gelte nur für die scholares ad legitima 
studia procedentes und $ 10: hoc habet locum in pergentibus et stantibus ubi 
exercentur studia, hoc est ubi legitime docentur jura et aliae scientiae, 
quia civitas habet hoc ex privilegio vel ex consuetudine longissima, sicut 
est illustris civitas Bononiensis. In dem Kommentar zu den Digeften, gleiche 
Ausgabe Bl. 6 bei Erläuterung der Konftitution Omnem, ſcheidet er das Necht, 
den Doktortitel zu verleihen, ab: quamvis ex consuetudine inducatur privi- 
legium, quod ibi possint jura doceri tamen nemo ibi potest doctorari, 
nisi quatenus privilegia studii dicant, quia sine auctoritate imperiali vel 
apostolica nemo ad hane dignitatem promovetur, Item cleriei in absentia 
non habent beneficioram fructus nisi student in studiis privilegiatis. Die 
Habita war gegeben worden, ehe es rechtlich organifierte, von anderen Rechtsſchulen 
zu unterſcheidende Generalſtudien gab, ihre Privilegien waren ſchlechtweg für alle 
Fremden beſtimmt, die ihre Heimat verlaſſen hatten, um Studien zu treiben. Die 
Habita hatte ferner regelmäßig nur den Wert einer Theorie, praktiſch genoſſen die 
Scholaren nur diejenigen Privilegien, die ihnen von der Stadt oder dem Fürſten 
des Landes beſonders gewährt waren. Dieſe Privilegien wurden meiſt im Anſchluß 
an die Habita gegeben, aber nicht immer in gleichem Umfang. Thatſächlich hingen 


dieſe Privilegien der Scholaren nicht davon ab, ob das Studium im Sinne dez 


Baldus legitim war, ſondern davon, welche Steuer-, Zoll- und Gerichtsprivilegien 
ihnen die Stadt gewährt hatte, gleichviel, ob ſie für die Gründung des Studium 
ein kaiſerliches Privileg hatten oder nicht. Aehnlich ſteht es mit den Residenz 
privilegien. Sie wurden den einzelnen Univerſitäten beſonders verliehen, und 
keineswegs nur ſolchen, die durch päpftliches oder kaiserliches Privileg gegründet 


Ausbreitung der Theorie im 14. und 15. Jahrhundert, 985 


ganz gleich, aber in der Hauptſache ſtimmten fie zuſammen, und ihr 
= Anſehen mußte der Lehre, daß neue Univerſitäten nur 
diaurch kaiſerliches oder papſtliches Privileg geſtiftet werden konnten, 
daß die Promotionen von nicht privilegierten Univerfitäten nicht rechts» 
kräftig ſeien, bedeutenden Vorſchub leiſten, und auch wo dieſe Lehre 
nicht geradezu angenommen wurde, da hielt man es doch für nützlich, 
paäpſiliche und kaiſerliche Stiftungsbriefe zu erwerben. Während im 
13, Jahrhundert keine einzige Stadt in Italien für ihr Studium 
einen Stiftungsbrief erbat, thaten es im 14. und 15. Jahrhundert 

und zwar erbaten ſie dieſelben teils für bereits beſtehende 
Anſtalten, teils bei der Gründung ). 

In Italien waren im 14. und 15. Jahrhundert einige größere 
Staaten entſtanden, und in dieſen Staaten ging die Entſcheidung 
der wichtigſten ſtädtiſchen Angelegenheiten, und dazu gehörte vor allem 
auch das Generalſtudium, an den Landesherrn oder die regierende 
Stadt über. So ſtanden Vicenza und Padua unter Venedig. Für die 
waren. Die Lehre des Baldus nahm ferner keine Rüdficht auf die in Spanien von den 
Königen gegründeten Generalſtudien, noch darauf, daß Oxford den Doktorgrad erteilte 
und daß ſich in Montpellier (nach 1289) jelbftändig ein Generalſtudium der Theologie 
entwickelte, daß in demſelben promoviert wurde und daß dieſe Promotionen von 


vorgenommen würden. Bulle von 1349. (Bu l. IV, 258.) Baldus Lehre paßt 
vortreſſlich für die Berhältniſſe feiner Baterſtadt Perugia, welche kaiserliche und 
päpſtliche Privilegien beſaß, und dieſer Umſtand war wohl nicht ohne Einfluß 
darauf, daß Baldus dieſe Anſicht verfocht, ſodann aber drängte auch in Italien die 
Notwendigkeit, dem plötzlichen Entſtehen ungenügend eingerichteter Nechtsſchulen 
Riegel vorzuſchieben, um den Doktorgrad nicht zu gewöhnlich werden zu laſſen. 
) Die Falle find fo zahlreich, daß es nicht nötig iſt, näher darauf einzu: 
„und ich gebe hier nur eine Zuſammenſtellung der Beiſpiele aus dem 

für die ich im allgemeinen auf Denifle verweiſen kann Papſt⸗ 
Nom 1308, Perugia 1308, Verona 1339, Piſa 1343, Florenz 
1378, Lucca 1387, Pavia 1389, Ferrara 1391, Fermo 1398, 
Bologna 1360, Padua 1363 und Perugia 1371 für das ihnen bis 
General ſtudium der Theologie. Kaiſerliche Stiftungsdrieſe erwarben: 


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2 päpftliches (abgebr. in den Statuta collegii Jurisconsultoram. Turin. 1614 
p. 57) und 1412 noch ein kaiserliches (ib. p. 59). Bgl. Cenni star. h. h. 
* Kaufmann, Seite der Dentiden Univerfitäten. I 2⁵ 


1398. Dazu am Anfang des 15. Jahrhunderts Turin 1405 


5 


und Perugia 1355, Siena 1357, Pavia 1361, Florenz 1886, 


386 Italien. 


Frage nach der Bedeutung der kaiſerlichen oder päpſtlichen Privi⸗ 
legien in Italien ſind aber die Territorien den Stadtſtaaten gleich 
zu ſtellen, denn die Frage iſt lediglich, ob die Einzelſtaaten ſich 
ſelbſt für befugt erachteten, Generalſtudien zu errichten, oder ob und 
in welchem Sinne fie dabei die Erlaubnis (ein privilegium studii 
generalis) einer der beiden Univerſalgewalten für nötig hielten. Als 
Vicenza die Regierung von Venedig 1410 um die Erlaubnis bat), 
ſich bei dem Papſte um das Privileg eines Generalſtudiums zu be⸗ 
werben, hielt man doch in Vicenza dafür, daß eine Erlaubnis der 
venetianiſchen Regierung nicht in gleicher Weiſe genüge. Ferner hat 
der Herzog von Mailand 1398 ) in Piacenza zwar aus eigener, aber 
aus der kaiſerlichen abgeleiteter Autorität ein Studium errichtet, und 
ebenſo verfuhren die Grafen von Savoyen bei der Gründung von 
Turin und Genf, das damals dem Grafen von Savoyen unterſtand, 
nicht ſelbſtändig ?). Aber gegenüber dieſen Erſcheinungen, welche das 
Wachſen jener Vorſtellungen von der notwendigen Mitwirkung der 
univerſalen Gewalt verraten, finden ſich in dieſen beiden Jahrhunderten 
andere, in denen offenbar wird, daß die Staaten und ſich ſelbſt 
regierenden Städte an ihrer Befugnis, ein Generalſtudium zu er⸗ 
richten, feſthielten. Wir ſahen ſchon, daß Perugia wie Florenz ihre 
Generalſtudien errichteten, ehe ſie einen päpſtlichen Stiftungsbrief 
empfingen, und in der Art, wie ſie dann dieſe Stiftungsbriefe häuften, 
zeigte ſich ebenfalls, daß ſie dieſelben mehr als eine Unterſtützung 
betrachteten. Gleicherweiſe faßte Treviſo“) 1314 ſelbſtändig den Be 
ſchluß, wieder ein Generalſtudium zu errichten, ebenſo Modena“) 
1328, Vercelli 13410 und im Laufe des 14. Jahrhunderts, wenn 


) Denifle S. 300. 

) Murat. 88. XX, 986. 

) Vuy, Not. hist. p. 48 in Mem. de inst. Genevois XII. (1865.) 

J Verei VII, 2 p. 39 Nro. 687. 

) Monumenti di storia patria delle province. Mod, I, 168. Wan wende 
nicht ein, Modena ſei von jeher ein berühmter Studienſitz geweſen. Modena war 
eine von den Städten, denen die Vertreter der Lehre von der Notwendigkeit der 
päpſtlichen und kaiſerlichen Privilegien, wie Bartolus, das Recht auf ein studium 
generale abzuſprechen pflegten. Dazu kam, daß in Modena thatſächlich längere 
Zeit kein organifierted studium geweſen war. Unter dieſen Umſtänden iſt der 
Beſchluß der Stadt von 1328 ein deutliches Zeichen dafür, daß hier die Anſichten 
des Bartolus noch nicht geteilt wurden, daß man hier dachte wie im 18. Jahr⸗ 
hundert und wie Richard Malumbra und die anderen, welche Bartolus bekämpfte. 

) Aus den Stat, Comm. Vercell, (Verc. 1541) bei Denifle 298 N. 288: 


Be ) und im 15. Jahrhundert Florenz) 1412 und Ferrara) 
$ . Florenz ging damit ganz ſelbſtandig vor. Ferrara mußte 
erſt die Erlaubnis ſeines Territorialherrn erbitten, aber ein kaiſer⸗ 
liches oder päpſtliches Privileg glaubten die Bürger nicht nötig zu 


3 — und ebenſo erteilte der kleine Markgraf von Eſte die Er⸗ 


Statutum est.. quod in civitate Vercellarum ... in qua etiam ab antiquo 
siadium esse consuevit, sit et esse debeat semper et in perpetuum studium 
generale. Bielleicht geſchah es im Hinblick auf die Anſicht, Promotionen könnten 
nur an Orten vorgenommen werden, welche ein Privileg dazu beſäßen, daß die 
Stadt hinzufügte, in Vercelli könnte jeder den Doktorgrad erwerben. 

) Die von Be S. 577 aus Petrus de Ancharano angeführte Stelle 


I die e. Ar Er ſagt nämlich, daß zur Zeit des Johannes Andreae 
1 Studia Italie facundissimis et clarissimis doctoribus floruerunt, 
zum noc Bononiense studium tunc habuit Ja. Butrigarium (} 1348) in 
_ legibus ... etiam alis studia sc. Paduanum, Papiens. et Perusinum facun- 
Aduissimie dootoribus elaruerunt. Deniſle win (S. 576) trotzdem Pavia vor 1361 
nicht als Generalſtudium anerkennen. Ueber Parma ſiche S. 235. 

A J Siehe Seite 230 und den Beſchluß des Rates in Statuti della universitä 


J Borsetti teilt 47 ff. den Beſchluß der ftäbtiihen Behörde mit. Ihre 
Bitte an den Markgrafen war dahin gegangen: ut reformare in en (civitate) 
velit studium generale. Nachdem der Markgraf die Erlaubnis gegeben und der 
Räbtiihen Behörde das weitere überlaſſen hatte, wurde im Nat die Frage geftellt, 
an generale studium hac in civitate fieri debeat? und alsdann einſtimmig 
beſchloſſen: ut generale studium hae in eivitate fiat: Quod felix, faustum ac 
fortunatum sit. 

) Ueber dieſen Beſchluß der ſtädtiſchen Behörde von Ferrara iſt ein längeres 
Protokoll erhalten, welches auch die Erwägungen mitteilt, die in der Beratung 
angeſtellt worden find, und da zeigt ſich denn, daß keiner für nötig erachtete, ein 
kaiſerliches oder päpſtliches Privileg zu der Gründung einzuholen oder aus dem 
empfangenen Privilegium Bonifaz IX. dieſe Berechtigung abzuleiten. Dies 
Privileg wurde in der Verhandlung gar nicht erwähnt. Man dachte über die Befugnis 
der Lolalgewalt noch ebenſo wie im 13. Jahrhundert. Die Einrichtung des Studtums 


wird der Stadt Geld und Nuhm bringen und anderweitigen Nuten, und die Ge 


legenheit iſt günftig, weil 3 in denen General ſtudien find, 
Kriege bebrängt find. Das waren die Gedanken, welche den Beſchluß ö 
Das Legiſten und Artiſten, wie der Rotulus von 1450 (Bo. 
p. 56) zeigt. und die Stadt erſtreckte ihre Aufſicht auch auf die f 


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1111 


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388 England. 


laubnis von ſich aus. Die Herzöge von Mailand endlich, welche 
1361 bei der Neugründung von Pavia ein kaiſerliches und ſpäter 
noch ein päpſtliches Gründungsprivileg erbaten und für Piacenza ein 
kaiſerliches, vollzogen die Verlegung des Generalſtudiums von Pavia 
nach Piacenza und die Neugründang des Studiums von Pavia 1412 
durch eigene Autorität“). 

Die gleiche Erſcheinung zeigt ſich in den übrigen Ländern. Der 
König von England bat?) den Papſt 1318 um eine Beſtätigung und 
Stärkung des Studiums in Cambridge, und dieſer erteilte ſie in der 
Form eines Stiftungsbriefes, als ob in Cambridge bisher kein 
Generalſtudium geweſen jei?). In Frankreich und den Grenzlanden 


In deren Verwaltung offenbarte ſich dann der humaniſtiſche Zug, der damals 
Ferrara beherrſchte. Borsetti p. 50 teilt einen in dieſer Beziehung überaus 
merkwürdigen Beſchluß des Rats von 1443 mit. 

Nach Coppi p. 90 hat der Senat von Mailand 1447 eine Univerfität 
aus eigener Autorität errichtet und nach den von ihm p. 95 mitgeteilten, 
dem 15. Jahrhundert angehörigen Statuten von Cremona war daſelbſt ebenfalls 
ein Generalſtudium, deſſen rechtliche Grundlage darauf ruhte, daß die Stadt be⸗ 
ſchloſſen hatte, die von den Scholaren gewählten Profeſſoren zu ehren und ihnen 
ſowie den Scholaren der Univerſitas die üblichen Privilegien zu gewähren. Im 
15. Jahrhundert ſcheint ſogar noch eine Univerſität durch Auswanderung entſtanden 
zu ſein, indem Profeſſoren und Scholaren von Turin nach Chieri zogen und die 
dort gegründete Anſtalt einige Jahre nachher von dem Herzog von Savoyen als 
legales Generalſtudium anerkannt wurde. Coppi p. 89. Auf die Unterſuchung 
dieſer Fälle bin ich nicht weiter eingegangen, die obigen Beiſpiele genügten für 
die Feſtſtellung der bezüglichen Anſchauung. Ebenſowenig durfte ich das Schwanken 
der Poſtgloſſatoren weiter verfolgen. Aber von großem Intereſſe wäre es, dieſer 
Aufgabe eine beſondere Unterſuchung zu widmen. Auch auf die Fortdauer der 
Lehre von den civitates regiae wäre das Augenmerk zu richten. Pavia nannte 
ſich noch ſo bei der Wiederaufrichtung ſeines Studiums 1412. Memorie II p. 10. 

) Memorie e Documenti per la storia dell universitä di Pavia Bd. II 
(1877) enthält die Documenti. Daſelbſt p. 8 f. Nro. 8 der Erlaß von 1412. 
Merkwürdig iſt die Verkündigung, welche die Stadt ausgehen ließ, ib. p. 10. 
Darin beruft ſich die Stadt auf die Studien in Pavia zur Zeit der Langobarden 
und auf die im 9. Jahrhundert, auf den Beſtand des Studiums im 14. Jahr⸗ 
hundert und die Privilegien dagegen nicht. 

) Rymer II. 1, 147. Die Bulle Johanns XXII. ſteht bei Fuller p. 80. 

) In Irland und Schottland wurden bei der Gründung von Dublin (1312 
und St. Andrews ebenfalls päpftlihe Stiftungsbrieſe erbeten, und es macht ſich 
die Vorſtellung von der Notwendigkeit eines ſolchen in eigentümlicher Weiſe geltend, 


doch laſſen ſich die Vorgänge nicht beurteilen, ohne auf die politiſchen Verhältniſſe 
dieſer Länder einzugehen. 


3 5 


erhielten Avignon 1303, Cahors 1332, Grenoble 1339, Orange 
1379 papſtliche Stiftungsbriefe, dazu kommt noch die Neugründung 
deer theologiſchen Fakultat zu Toulouſe durch den Papſt 1360. Von 
dieſen Orten lagen Toulouſe und Cahors im Gebiet der Krone Frank⸗ 
reichs, und die Verhältniſſe Frankreichs fordern eine nähere Unter: 


In Frankreich war die Stellung der königlichen Gewalt zu den 
Univerſitäten inſofern eine andere wie in Spanien, als die Könige 
das Recht, Univerſitäten zu gründen, nicht ausſchließlich für ſich in 
Anſpruch nahmen. Im 13. und im 14. Jahrhundert iſt in Frank⸗ 
reich keine einzige Univerſität durch den König förmlich gegründet 
worden. Die Könige gewährten den entſtehenden Univerſitäten Pri⸗ 
vilegien, griffen auch ordnend ein, aber während des 13. Jahrhunderts 
Uberließen fie die Bildung dem Zuſammenwirken der kirchlichen Orts⸗ 


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ſpaniſchen oder auch die engliſchen Könige. Dies bildet wohl die 
Veranlaſſung, daß die Päpſte in Frankreich auch im 14. Jahrhundert 
in Univerſitätsangelegenheiten ſelbſtändiger auftraten, und darüber 
kam es zum Konflikt mit der königlichen Gewalt ). Den Anlaß gab, 


* ) Durch die Bulle Sedes Apostolica vom Auguſt 1308 verbot Bonifacius VIII. 
Alen, welche in Frankreich das Recht, die Lizenz zu verleihen, beſaßen, irgend einem 

die Ligenz in der Theologie oder den beiden Rechten zu verleihen, bis ſich der 
Stuhle unterworfen habe. Bu l. IV. 54. Jourd. 384. Ich glaube 
dem obigen Zuſammenhang behandeln zu ſollen, weil der Papſt 
nicht eine beſondere Befugnis über die Univerſudt geltend macht, ſondern 
jener Allgewalt handelte, mit der er auch die Könige abſetzen zu konnen 
ſorderte die Magiſter nach Rom, aber fo wie er andere hervottagende 
die Kardinäle ermahnten die Magifter, exsurgant . stent in 
m Domino, aber nicht, weil die Univerfitäten dem Papfte unterftänden, 
weil der Bapft ihnen Benefizien verliehen habe, während ſich die Pralaten 


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ihrer Armut nicht erbarmten. Bulaeus IV, 27: Quis unquam praedecessorum 
formas providendi pauperibus clerieis plus extendit ... De 


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daß die Univerfität in diefem Kampfe auf feiten des Könige fad, HR 
ö zur Beurteilung der Nuffaſſung der Zeit von der Stellung ber fl 
. Gewalt zu den Univerfitäten, aber es iſt beſſer, über die mit diefem Mampf ver. 


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390 Streit um Orleans. 


daß Papſt Clemens V. der bereits im 13. Jahrhundert blühenden 
Univerſität Orleans auf ihre Bitte mehrere Privilegien verlieh, welche 
ihre Verfaſſung und namentlich ihre Rechtsverhältniſſe gegenüber der 
Bürgerſchaft änderten. Er hatte zwar erklärt, daß er die Beſtim⸗ 
mungen, welche die königliche Gerichtsbarkeit berührten, nur vor⸗ 
behaltlich der königlichen Genehmigung erlaſſe; aber König Philipp 
ſah in dem Vorgehen des Papſtes einen Eingriff in ſeine Rechte und 
erklärte die päpſtlichen Privilegien für ungültig und aufgehoben. Es 
war das im Jahre 1312, aber mit ſeinem Tode brach über Frank⸗ 
reich eine Reihe von Verwirrungen herein, in denen die königliche 
Gewalt ſchwere Einbußen erlitt. Die Großen ſuchten wieder zu ge⸗ 
winnen, was ſie unter Philipps ſtarkem Regiment an Rechten ein⸗ 
gebüßt hatten, und nahmen Rache an Philipps Räten. Noch gefähr⸗ 
licher wurde die Lage des Königtums, als nach dem Tode des älteſten 
Sohnes der zweite den Thron beſtieg, und zwar erſt auf Grund 
einer Aenderung der geltenden Erbfolge, durch Einführung des ſo⸗ 
genannten ſaliſchen Geſetzes. Das geſchah im Jahre 1316, und da 
nun in dieſen Wirren die Scholaren und Doktoren den königlichen 
Befehlen dauernd Widerſtand leiſteten und die Gültigkeit der päpſt⸗ 
lichen Privilegien behaupteten, ſo gab Philipp V. den Standpunkt 
ſeines Vaters auf, vereinbarte mit Johann XXII. einige Veränderungen 
des von Papſt Clemens erlaſſenen Privilegs und erließ dann ein 
entſprechendes Statut, das als eine Neugründung der Univerſität 
anzuſehen iſt. 

Rechtlich vollzog ſich dieſe Neugründung von Orleans durch 
königlichen Erlaß), aber der Papſt hatte in der Sache ſeinen Willen 
durchgeſetzt. In Frankreich war eine große Univerſität dem päpſt⸗ 
lichen Willen entſprechend und im Gegenſatz zu den urſprünglichen 
Abſichten der Regierung geordnet worden. 

Noch ſelbſtändiger verfuhr Papſt Johann XXII., indem er in 


bundenen Vorgänge hier ganz hinwegzugehen, da fie durch den Partetſtreit ver⸗ 
dunkelt worden ſind und deshalb mit Nutzen nur in eingehender Unterſuchung 
verwertet werden können. 

) Le Maire I, 19-37 gibt die wichtigſten Aktenſtücke. Ueber die Ber: 
handlungen, welche dem Erlaß des neuen Statuts Philipps V. von 1320 voran 
gingen, berichtet das Rescriptum Papae ib. p. 30 f. In dem Edikt Philipps V. 
heißt es Le Maire II, 35 ganz ſcharf: Placet nobis et volumus, quod Aure- 
lianis sit studium generale. 


1 
— 
— 


Tonlonie. 391 


war zweifelhaft, ob die Stadt zu dem unmittelbaren Gebiet der 


Ss Krone gerechnet werden könne ), aber die Errichtung der Univerfität 


durch den Papſt ohne den König war ein Schritt, der noch 
ng über das, was Philipp V. dem Papſte in Orleans zu⸗ 
hatte. Der König ließ es trotzdem geſchehen. Ein drittes 
bietet vielleicht die Gründung eines Generalftubiums der 
) in Toulouſe durch den Papſt im Oktober 1360, ohne 

bekannten Akten erkennen laſſen, auch nur 
mitwirkte. Allein es iſt zu erwägen, daß Toulouſe von der Grün⸗ 


dung her beſonders nahe Beziehungen zum römiſchen Stuhle hatte, 
daß ferner in Toulouſe auch ſchon eine theologiſche Fakultät geweſen 
war, und endlich, daß ſich die Gründung einige Monate nach dem 


Frieden von Bretigny vollzog, der Frankreich tief gedemütigt und 
Toulouſe zu einer Grenzſtadt gemacht hatte). Im 15. Jahrhundert 
1 

) Im Jahre 1333 kam es zu einem ſolchen Streit zwiſchen der Stadt und 


den königlichen Beamten gelegentlich einer für das unmittelbare Gebiet der Krone 


ausgeſchriebenen Steuer. Der König befahl feinen Beamten, der Anſicht der Stadt 
nadzugeben; aber der Streit zeigt doch, daß die Stellung der Stadt zur Krone 
im ganzen nicht ſo locker war, wie in vielen Grenzgebieten. Lacoste, Histoire 
de la province de Querey III. 68. 

J Unrichtig wäre es, das Beiſpiel deshalb zurückzuweiſen, weil der Payſt 
bezüglich der theologiſchen Fakultat die allgemeine Entſcheidung gehabt habe. Freilich 
war die Theologie die Wiſſenſchaft der Kirche und in dieſer Fakultat mußte det 
Bapft ſeinen Einfluß am leichteſten zur Geltung bringen, aber es war keineswegs 
die herrſchende Meinung dieſer Jahrhunderte, daß der Papft Generalſtudien ber 
Theologie gründen könne, wo er wolle, oder daß nur der Papft hierzu berechtigt 
fei. In England würde der König dies ebenſowenig geduldet haben, wie König 
Jakob von Aragonien, der jede Gründung eines Generalſtudiums neben Lerida 


———— Tkanr. Ferner haben ſpaniſche Könige und die Raifer 
mehrfach Generalſtudien in allen Fakultäten einſchließlich der Theologie errichtet, 
und in Montpellier und Liſſabon entſtanden im Laufe des 14. Jahrhunderts theo ⸗ 
logiſche Fakultäten nicht nur ohne, ſondern ſogar im Gegenfag zu den fie aus 
schließenden päpftlihen Stiſtungsbrieſen dieſer Univerfitäten, und beide wurden 
trozdem von der Kurie als legitime Generalſtudien behandelt. 

eine nähere Unterſuchung der Univerfitätspolitit der tranzöſiſchen Rönige 
in dieſen und anderen Fällen würde ein intercſſantes Kapitel ber 1 
Geſchichte bilden. Bisher iſt laum darauf geachtet worden. 5 


uw 


392 Die im 15. Jahrhundert gegründeten Univerſitäten. 


find in Caen, Dole, Poitiers, Bordeaux, Bourges, Beſangon, Valence 
und Nantes Generalſtudien und in Angers und Montpellier theolo⸗ 
giſche Fakultäten errichtet und für alle ſind päpſtliche Stiftungsbriefe 
erbeten worden. Die Bittſteller waren die Stadt Bordeaux, die 
Stände der Bretagne, der Herzog von Anjou und andere Lehns⸗ 
fürſten der Krone Frankreich oder England; aber beſonderes Intereſſe 
erregen Poitiers und Bourges, weil hier die Könige von Frank⸗ 
reich, Karl VII. und Ludwig XI., ſelbſt um die päpſtlichen Stiftungs⸗ 
briefe nachſuchten. Allein man darf daraus nicht ſchließen, daß die 
Könige ſich nicht für berechtigt gehalten hätten, ſelbſtändig Univerſi⸗ 
täten zu gründen; es gab Rückſichten genug, die damals den anderen 
Weg empfahlen !). Karl VII. bezeichnete vielmehr in der Urkunde 
für Angers?) die Univerſitäten Frankreichs allgemein als Stiftungen 
der Könige, und wenn dies ſachlich unrichtig war, ſo zeugt dieſe 
Aeußerung um ſo ſchärfer dafür, daß Karl VII. die Gründung von 
Univerſitäten für ein Recht des Landesherrn hielt. Ferner hat der⸗ 
ſelbe König Karl, der den Papſt um die Errichtung eines General⸗ 
ſtudiums in Poitiers bat, nach dem Stiftungsbrief ein Edikt erlaſſen, 
durch welches er die Annahme desſelben erklärte und ihn aus ſeiner 
königlichen Vollgewalt gut hieß und beftätigte?). Die gleiche Auf⸗ 


) Nur auf einen Punkt will ich hinweiſen. Es war die Zeit der engliſch⸗ 
franzöſiſchen Kriege und die Zeit des Basler Konzils; die Univerſität Paris war 
in beide Kämpfe ſtark verwickelt, die Bedeutung der Univerſitäten als einflußreicher 
Korporationen war wiederholt hervorgetreten: ſo knüpften ſich denn auch an die 
Errichtung neuer Univerſitäten in Frankreich lebhafte Intereſſenkämpfe. Die alten 
Univerfitäten wollten die Errichtung neuer Univerſitäten möglichſt hindern (Bu- 
laeus V, passim), und die neuen Univerſitäten Poitiers, Bourges, Caen u. ſ. w. 
hatten die Rivalität der alten zu fürchten. Namentlich bei der Gründung von 
Poitiers 1431 kam dies in Betracht, denn damals ſtand Paris und die Univerfität 
Paris auf ſeiten Englands, nannte den König Heinrich von England Roy de 
France et d' Angleterre, nostre trés-redouté et souverain seigneur und 
unterſtützte ihn durch ihr Gutachten bei der Verurteilung der Jungfrau von Orleans. 
Bulaeus V, 402 f. Die Gründung von Valence (1452 u. 1459) verdiente in dieſer 
Beziehung eine ausführliche Unterſuchung. Vgl. Ordonn. d. Roys XVII. 75 f. u. Nadal. 

) Bei Lens p. 18 Note. Qua moti consideratione nostri ineliti pro- 
genitores universitates studiorum .. et inter alias de facultatibus juris 
eanoniei pariter et eivilis universitatem Andegavensem erigi ſecerunt. Die 
Acußerung behielte die gleiche Schlußkraft, wenn der König nicht alle, ſondern nur 
einige gemeint haben follte, 

’) Bulaeus V. 844 f. Nos igitar dietam ipsias Smi. Patris nostri 


Der König und die Unirerſitäten. 393 


zeigte der Konig, als Papſt Eugen IV. auf Bitten des Herzogs 
— des Bruders des Königs, in Angers auch in den bisher 
Fakultäten Theologie, Philoſophie und Medizin ein General⸗ 
* aufrichtete. Der Herzog von Anjou legte das papſtliche 
a Privileg dem Konig zur Beſtatigung vor, der dann dieſe Betätigung 
* in einer feierlichen Urkunde erteilte und die oberſten Verwaltungs: 
| beamten der Provinz zu Konſervatoren der Univerfität') ernannte. 
Die königliche Urkunde gab der päpſtlichen Rechtskraft. Im ganzen 
zeigt im 14. und 15. Jahrhundert eine ſteigende Bedeu⸗ 
tung der königlichen Verwaltung auf dem Gebiete der Univerſitaten; 
Fragen, die im 13. Jahrhundert durch den Papſt oder ſeinen Legaten 
entſchieden wurden, kamen im 14. und 15. Jahrhundert meiſtens vor 
den König und ſein Parlament. Mehren ſich im 15. Jahrhundert 
die päpſtlichen Stiftungsbriefe für franzöſiſche Univerſitäten, haben 
fie ſelbſt die Könige erbeten, jo nahm doch der päpſtliche Einfluß“) 
thatfächlich ab. 
In Spanien bietet gleich das erſte Jahr des 14. Jahrhunderts 
dein ſprechendes Zeugnis für den fteigenden Einfluß der Privilegien: 
3 theorie. König Jakob II. richtete ſich bei der Gründung ſeiner 
UAUniverſität Lerida, wie wir ſahen, teilweiſe nach dem Muſter der 
Staatsuniverſität Neapel, aber ehe er die Gründung vollzog, erbat 
er ſich von dem Papſte das Privileg, daß er „an einem Orte ſeines 
Neiches ein Generalſtudium gründen könne“, und gründete es dann 
„kraft der päpſtlichen Autorität, welche wir in dieſem Punkte aus: 
üben und kraft unſerer eigenen“ ). Ferner find bei der Erhebung 


dispositionem, voluntatem et ordinationem sie nostro proposito nostroque 
desiderio conſormem .. cognoscentes, ipsam grato animo excepimus et 
ncceplavimus ac eam in quantum melius „.. possumus de nostra certa 
scientia, plenaria potestate ac authoritate Regia juxta plenarium ipsius 
Sanctissimi Patris nostri literarum effectum laudavimus, ratißcavimus et 
 approbavimus, laudamusque, ratificamus et approbamus per praesentes: 
ipsum studium generale sic in dicta nostra civitate P. authoritate apostolica 
erectum, institutum et ordinatum nostra etiam ex parte nostraque authori- 

tate in quantum in nobis est firmando, instituendo et ordinando. 
) Die Urkunde des Papſtes bei Lens p. 16 f., die des Königs ib. p. 18 f. 


5) Daß er immer noch ſehr groß war, zeigt 3. B. die reformatio ber 2 Ä 


tuten von Paris durch den päyſtlichen Legaten 1452, Bulacus V, 564 f. 
fein Auftreten in Angers. Lens p. 26 Note 3. | 
) Villanueva XVI. 196 f. Nro. 8. = 


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394 Die ſpaniſchen Könige und die Univerſitäten. 


der Partikularſtudien Liſſabon 1377), Valladolid 1346 und Sara⸗ 
goſſa 1474) zu Generalſtudien von den Königen und (in Saragoſſa) 
von dem Prinzen Ferdinand päpſtliche Stiftungsbriefe erbeten worden, 
und ebenſo verfuhr König Johann II. bei der Neugründung des 
Generalſtudiums von Huesca 1464 9 und König Alfons bei der von 
Barcelona 1450 5. 

Aber König Peter von Aragonien gründete 1349 in Per⸗ 
pignan®) und 1354 in Huesca) ein Generalſtudium in allen Fakul⸗ 


1) Ueber Liſſabon⸗Coimbra ſ. Denifle S. 519 f. 

) La Fuente I, 104 gibt die Bulle Clemens VI.: Dignum igitur existi- 
mantes, ut in villa Vallisoletana, quae sicut pro parte ... Alfonsi regis ... 
nobis fuit expositum ... et in ea studium licet particulare ab antiquo 
viguit .. regis supplicationibus inclinati .. auctoritate apostolica statui- 
mus, ut in villa V. perpetuis temporibus generale studium vigeat in 
qualibet lieita, praeterquam theologica facultate. 

) La Fuente I, 340 f. Bulle Sixtus IV. 

) Die Bulle Pauls II. bei La Fuente I, 338 f. 

) Die Bulle Nikolaus V. bei La Fuente 1, 336 f. 

„) Die Urkunde für Perpignan iſt mitgeteilt von J. Massot Reynier, 
Les Coutumes de Perpignan als Publikation de la société archéologique de 
Montpellier. 1848. p. 79 f. Perpignan iſt damals nicht zuſtande gekommen und 
wurde 1379 durch einen päpſtlichen Stiftungsbrief von neuem gegründet. Siehe 
über dieſen Punkt die ſcharfſinnige Auseinanderſetzung von Denifle p. 515 f. 

) Die Stiftungsurkunde für Huesca (La Fuente I, 317) iſt zum großen 
Teile eine wörtliche Wiederholung derjenigen, durch welche König Jakob im Jahre 
1300 Lerida gründete. Aber König Peter ließ die Abſchnitte der Vorlage weg, 
in welchen König Jakob hervorhob, daß er von dem heiligen Vater ein Privileg 
zur Gründung eines Generalſtudiums erhalten habe, und man ſieht alſo, daß ſich 
König Peter mit vollſter Beſtimmtheit und im Hinblick auf die abweichende Haltung 
ſeines Vorgängers dafür entſchied, die Gründung der Univerſität lediglich aus 
königlicher Vollmacht zu vollziehen. Sodann fügte König Peter zu den für Leriba 
aufgezählten Fakultäten noch die Theologie hinzu. Es iſt dies beſonders zu be 
achten, weil die Theorie, welche den univerjalen Gewalten ein Sonderrecht in 
Sachen der Univerfitäten zuſchrieb, auch in der Form auftrat, daß wenigſtens 
die theologiſche Fakultät einer Genehmigung des Heiligen Stuhles bedürfe (S. 391 
Anm. 2). Dieſem Studium verlieh König Peter denn auch alle Freiheiten und 
Rechte, welche der Heilige Stuhl den Univerfitäten Toulouſe, Montpellier und 
Lerida verliehen habe. Ib. p. 318: quae a sede Apostolica Tolosano, Montis- 
pelerii et Ilerdensi studiis sunt concessa, ipsi eidem studio . auctoritate 
nostra de regiae liberalitatis beneficio concedimus et donamus ac etiam 
confirmamus ... Der bezügliche Abſchnitt in der Urkunde für Lerida lautete 
dagegen: quae a 8. Apostolica Tolosano sunt concessae ipsi eidem studlo 
suctoritate Apostolica atque nostra de regine etc, 


Die ſpaniſchen Könige und die Univerfitäten. 39 


ane In derſelben Weiſe 
Br e König Alfons V. von Aragonien 1446 der Stadt Gerona 
En die Befugnis, ein Generalſtudium in allen Fakultäten einzurichten !), 
4 und auch von dem Könige Johann II., der 1464 den Papft um die 
Errichtung eines Generalſtudiume in Huesca bat, liegt eine Urkunde 
4 von 1477 vor, welche zeigt, daß dieſer König dergleichen päpftliche 
Bullen nur als vorläufige Akte anſah, die erft durch eine königliche 
Verordnung Rechtskraft gewinnen könnten ), und eben dies ſagt auch 
eine Urkunde ſeines Sohnes, des Königs Ferdinand “). 

So erſcheint die Gründung, Neugründung oder Verlegung von 
Aniverſitäten im 14. und 15. Jahrhundert als ein Gebiet, auf dem die 
Eiinzelſtaaten mit den univerſalen Gewalten zuſammenwirkten, aber auch 


) Er verlieh den Doktoren und Scholaren desſelben alle Privilegien und 
Breibeiten, welche andere Univerſitäten in ſeinen Staaten de jure, usu seu 
consuetudine vel alias quoquomodo genöſſen. La Fuente I, 330 f. Damit 
wurden ihnen aljo auch die Privilegien erteilt, welche dieſe anderen Univerfitäten 
von Nom empfangen hatten, wie denn König Peter in der Urkunde für Huesca 

) Die Urkunde bezieht ſich darauf, daß Papft Sigtus IV. auf Bitten des 


und ihm die Privilegien von Paris und Jlerda verliehen hatte. La Fuente I. 
346 f. Nro. 37: Et quoniam erectio dieti studii in generale cadit in decorem 
«et ornamentum ejusdem civitatis ... nam ita ad studium ipsum multo 
plures confluent et incendentur ad lectionem cum scient posse gradum ... 
in facultstibus ipsis consequi, atque his et aliis bonis ... inducentibus 
animum nostre Majestatis, erectio predicta sit grata et accepta Majestati 
nostre et velimus literas (d. h. die Bullen des Papftes) suum sortiri effectum 
et executionem ... 1477. 

) Die Stadt Valencia hatte ſich an den Papſt gewandt, um ein General: 
ftubium zu erhalten. Papſt Alexander VI. hatte es durch Bulle vom Januar 1500 
(La Fuente I, 347 f.) errichtet und mit den Privilegien von Rom, Bologna 
und Salamanca ausgeſtattet. Die Bulle gehört zu den ausführlichſten Stiftungs⸗ 
brieſen, die r Aber die Stadt wandte ſich danach 


erſt noch an den König Ferdinand mit der gleichen Bitte, und dieſer betonte in 
einem Erlaß von 1502, daß fie ohne feine Genehmigung ein Generalftubium nicht 
errichten könnte, und gab dann jeine Einwilligung zur Errichtung des General: 
ſtudiums und gewährte demſelben alle Privilegien von Salamanca und anderer 
ahnlicher Studien. Zum Schluß wendet ſich ſein Edikt zu der Bulle Alczundere VI. 
und behandelt fie jo, als hätte der Papſt durch dieſelbe nicht das Studium errigtem, 
quantum ad eum 


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396 Kaiferlihe Stiftungsbriefe. Deutſchland. 


bisweilen mit ihnen um den größeren Einfluß rangen und Sorge trugen, 
ihre Rechte zu wahren. Beide univerſale Gewalten haben Stiftungs⸗ 
briefe verliehen, aber die Kaiſer weit ſeltener und nur in Italien und im 
Königreich Arelat, ſelbſt in Deutſchland während des 14. Jahrhunderts 
niemals, ſondern erſt im 15. Jahrhundert. Die Päpſte haben ſolche 
Briefe dagegen in allen Landen verliehen, in England, Spanien 
Schottland, Irland, Polen, Ungarn, in Deutſchland und Frankreich 
wie in Italien. Auch auf dieſem Gebiet hatte das Kaiſertum den 
beiten Teil ſeines Anſehens und ſeiner Befugniſſe an das Papſttum 
verloren, obſchon die Theorie, welche die Notwendigkeit eines ſolchen 
Privilegs für die Errichtung von Generalſtudien behauptete, von dem 
Satze ausging, daß das römiſche Recht als das Kaiſerrecht nur an 
den von dem Kaiſer dazu privilegierten Orten geleſen werden dürfe. 
Aber die meiſten Kaiſer haben ſich um die Univerſitäten nicht ge⸗ 
kümmert, und bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts war 
Karl IV. der einzige, der in dieſer Beziehung, wie in ſo mancher 
anderen die Rechte des Kaiſers mehrfach ausübte und dadurch wieder 
in Erinnerung und Geltung brachte. So fordern denn zunächſt auch 
nur die päpſtlichen Privilegien und die von den Päpſten erhobenen 
Anſprüche nähere Unterſuchung !). In Deutſchland und ſeinen öft- 
lichen und nördlichen Nachbarlanden, wo keine Erinnerung an ſelb⸗ 
ſtändig erwachſene Generalſtudien hindernd im Wege ſtand, werden 
wir die Lehre des Baldus von der Notwendigkeit ſolcher Privilegien 
und die Anſprüche der Päpſte zu voller Herrſchaft gelangen ſehen ), 
in den bisher behandelten Staaten dagegen, welche im 13. Jahr⸗ 
hundert die ſelbſtändige Entwicklung der Univerſitäten erlebt hatten, 
breitete ſich zwar auch die Regel, bei der Gründung von Univerſi⸗ 
täten kaiſerliche oder päpſtliche Stiftungsbriefe zu erbitten, mehr und 
mehr aus: aber nur in Gebieten mit unſicheren und verwickelten 
Rechtsverhältniſſen oder in Zeiten der Schwäche der Regierung ge⸗ 
langte dieſer Einfluß der Päpſte zum Uebergewicht “), in den Staaten 


) Das Verhältnis der kaiſerlichen Privilegien zu den päpſtlichen zu behandeln, 
wird ſich bei den deutſchen Univerſitäten Gelegenheit bieten. 

) Man leſe 5. B. das Schreiben Urbans V. an den König von Polen: Codex 
Cracoviensis I, p. 6 f., namentlich p. 8, oder die Bulle Martins V. für Löwen, 
beſonders $ 10. Bull. Rom. IV, 725. 

) Hierher iſt doch wohl auch zu rechnen, daß Bonifaz VIII. für die in 
Avignon entftandene Univerfität auf Bitten der Bürgerſchaft einen Stiſtungsbrief 


Andere Privilegien. 397 


und Spaniens, in England und in Frankreich hatte der 
je Stiftungsbrieſ auch im 14. und 15. Jahrhundert regel⸗ 
* — nicht die Bedeutung einer notwendigen Vorbedingung zur 
Gründung einer Univerſität, ſondern den einer unterſtützenden An⸗ 
erkennung. Die Stiftungsbriefe erſcheinen mehr als die allgemeinſte 
Form der Privilegien, welche die Univerſitäten mehr noch als andere 
Korporationen von den Päpften zu erbitten hatten. Mit dieſen anderen 
Privilegien ſind ſie denn auch noch einmal zuſammen zu betrachten. 
Vorher aber iſt noch auf einen anderen Punkt hinzuweiſen. Das 
wichtigſte Recht, das die Univerfitäten übten, war die Verleihung der 
alademiſchen Grade, beſonders des höchſten Grades, der Magiſter⸗ oder 
Doktorwürde, weil mit dieſer Würde allgemein gültige Rechtsvorteile 
und Ehrenvorzüge verknüpft waren). Eben deshalb konnte es auch 
theoretiſch für notwendig erſcheinen, die Befugnis, ſolche Titel zu ver⸗ 
„an die Genehmigung der univerſalen Gewalten zu binden. 
a iſt dieſe Lehre doch nicht zu völliger Anerkennung ge: 
d dann zeigte ſich bald, daß dieſe Maßregel keinen Schutz 
gegen Mißbrauch. Kaiſer und Päpſte haben Stiftungs⸗ 
ſolchen Orten verliehen, denen die Bedingungen fehlten, 
Generalſtudium blühend zu erhalten, und in vielen dieſer 
überhaupt kein Studium entſtanden oder es ging bald 
„aber in manchen Fällen erhielt ſich dann eine Schein⸗ 
Verleihung des Doktorats ). Noch ſchlimmer war, daß 
Päpſte einzelnen Perſonen aus Gnade den Doktor ver⸗ 
anderen ſogar das Recht, den Doktor zu verleihen ). Es 


= 


a5. 


1125 


JE}: 
; 


7 


des Landesherrn, des Grafen von Provence, zu gedenken. Man ver: 
Unterſchied erſt recht, wenn man erwägt, daß dieſer Graf von Provence 
rr 
Staates zu betrachten gewohnt war. Auch bei den in Irland 
een 


i 


Ueber den Doktorenadel ſiehe Fitting, Das Castrense Peculium, $ 81 
p. 580 fi. 

Papft Sixtus IV. Hagte 1475 über dergleichen, wie es ſcheint, ſich auf 
Privilegien ſtützende Doktorfabrilen in Arelat und hob fie auf. Laval 
Ebenſo klagte Pavia 1471 über Piacenza. Murat. 88. XX. 932 f. 
wird Bd. II darüber gehandelt werden, vorläufig verwetſe ich ur 
Zeugnis, welches hierfür in den Statuten der 

30 (BL. XX VIII), fomie in einer Bulle Innocenz VIII. liegt. > 


1.2 


# 
f 


11 


398 Refidenzprivilegien. 


hat dies erheblich dazu beigetragen, den Doktortitel und die Uni⸗ 
verſitätseinrichtungen, ſowie die darauf bezüglichen Privilegien in 
Verachtung zu bringen. Unter den beſonderen Privilegien, welche 
die Päpſte den Univerſitäten verliehen, ſind vor allem die Reſidenz⸗ 
privilegien zu nennen. Schon im 12. Jahrhundert war es üblich 
geweſen, daß die Kapitel und Oberen den Klerikern, welche den Ort 
ihrer Pfründe verließen, um ein Studium zu beſuchen, den Genuß 
der Pfründe auf eine Reihe von Jahren ohne Erfüllung der Reſidenz⸗ 
pflicht geſtatteten, und Honorius III. erhob dieſe Sitte 1219 in der 
Weiſe zum kirchlichen Geſetz, daß er allen, welche an einem Studium 
theologiſche Vorleſungen hielten, für die Dauer ihrer Wirkſamkeit, 
und allen, welche Theologie ſtudierten, für die Dauer von fünf Jahren 
das Reſidenzprivilegium gewährte ). Dies allgemeine Privileg wurde 
von Gregor IX. 1233 der Univerſität Touloufe?) mit der Ausdehnung 
auf die Lehrer aller Fakultäten noch beſonders verliehen, und in ähn⸗ 
licher Weiſe iſt es dann 1246 Valencia und im Laufe des 13., 14. und 


des Königs Ferdinand von Kaſtilien hatte in Rom Klage erhoben, daß in ſeinen 
Staaten viele Perſonen auf Grund päpſtlicher Schreiben für das Doktorat und die 
anderen akademiſchen Grade außerhalb der Univerfitäten des Landes eraminiert 
würden, und daß viele unfähige und ungelehrte Leute, zum Teil ſelbſt Leute geringen 
Standes, die Grade erlangten und dann die gleichen Rechte beanſpruchten wie die, 
welche die vorgeſchriebenen Prüfungen beſtanden hätten. Der Papſt erließ gegen 
dieſen Mißbrauch eine Bulle, die dann Alexander VI. 1493 wiederholte. La 
Fuente II. 545 f. Nro. 8. Der bezügliche Abſchnitt lautet: (der Geſandte des Königs) 
nobis nuper exposuit, quod in regnis predictis sunt plures persone, que 
pretextu litterarum, etiam in forma brevis ab apostolica sede emanatarum, 
per quas eorum examina aliquibus etiam extra universitates studiorum 
generalium dictorum regnorum committebantur, qui tales ut conveniebat 
non examinabant, et si recte examinassent etiam eos idoneos non invenis- 
sent ad magistratus et doctoratus aliosque gradus tam in theologia quam 
in jure assumpte ſuerunt. Quo fit ut plures insufficientes et indocti ac 
etiam infime conditionis viri, sic ad gradus hujusmodi promoti se illis, 
qui in aligua dictarum universitatum previo debito examine ... gradus 
receperunt ..., equiparare conantur et honores illis debitos indebite usurpare, 

) C. 5. X. De magistris V, 5. Super specula ete. Docentes vero in 
theologien facultate dum in scholis docuerint et studentes in ipsa integre 
per annos quinque pereiplant de licentia sedis Apostolicae proventus Prae- 
bendarum et Beneficiorum suorum, non obstante aliqus contraria consue- 
tudine vel statuto ... Ueber die Nefidenzpflicht vgl. Philipps Kirchenrecht VII, 
1, $ 387 und Hinſchius III p. 221 ff. 

) Bulaeas III, 149. 


derts den verſchiedenſten Umiverfitäten ') bald mit, bald 
nkungen nach Zeit, wie nach Perſonen und Fakultäten 


und Dozenten, auch wenn fie hohe geiſtliche Stellen 
mit denen Seelſorge verbunden war, vorausgeſetzt, daß für 
Vertretung geſorgt ſei; 1371 wurde dies Privileg auf fünf 
mit Ausſchluß der dem Biſchof nüchſtſtehenden Aemter an 
Hauptämter an Kollegiatkirchen, 1887 auf zwölf Jahre und 
die Einzelnen je ſieben Jahre innerhalb dieſer zwölf 
Freiheit benutzen durften, 1404 wieder auf zwölf Jahre (Laval Nro. 3 
5 * 1366; Nro. 6 p. 20, 1371; Nro. 9 p. 29, 1387; Nro. 11 p. 35, 1404) und 
11413 erhielt Avignon ein dauerndes und allgemeines Privileg, ohne Beſchränkung 
wer der Geltung des Privilegs noch der dem einzelnen Kleriker verſtatteten Zeit, 
und zwar wieder wie in dem Privileg von 1366 für alle Kleriler, auch für die in 
den Privilegien aus genommenen Kategorien. Laval Nro. 19 p. 61 f.: auctoritate 
apostolica .. „ indulgemus, ut primicerius, magistri, doctores, licentiati, 
baccallarii et studentes praedicti eorumque singuli, qui sunt et erunt pro 
tempore tam seculares quam regulares in praedicto litterarum studio in 
sistendo fructus redditus et proventus omnium et singulorum benefleiorum- 
ecelesiasticorum cum cura et sine cura etismsi ... prioratus eonventuales 
„ personatus administrationes vel offcia in metropolitanis aut 
esthedralibus seu collegiatis ecclesiis et dignitates ipsae in eisdem metro- 
politanis vel cathedralibus post pontificales majores, seu in collegiatis 
.... eselesiis En prineipales fuerint. In ähnlicher Weiſe erhielt Lerida 
1822 und jpäter wiederholt dies Privileg auf je fünf Jahre (Den ifle p. 505 
Note 1131 citiert die betreffenden Urkunden), Angers dagegen 1363 neu auf drei 
Jahre, 1367 wieder auf drei, 1408 aber von Benedikt XIII. auf zwanzig Jahre und 
zwar i 


0 


He 


genießen konnten (Rangeard II. 208 f., 214, 267 f.), und endlich 1413 für alle 
Zeit. Martin V. und Eugen IV. gewährten Padua umfaſſende Refidenzprivilegien, 
den Biſchöſen auf zwei, allen übrigen Klerikern auf fieben Jahre (abgedruckt in 
den Statuts Juristarum 1551 Blatt 116. u. folgende). Florenz bat 1349, 1359 
bis 1360 und 1365 um ſolche Refidenzprivilegien, aber, wie es ſcheint, ohne Erfolg. 
Die Stadt wandte ſich auch an den Sekretär des Papſtes und an einige Kardinale 
um Verwendung für ihr Geſuch, verſicherten, daß fie ſich unauflöslic zu dankdarem 
Gehorfam verpflichtet fühlen würden. 1365 baten fie wieder darum, aber, wie es 
ſcheint, wieder vergebens, und erſt 1392 gewährte ihnen Bonifacius IX. ihren 
gleich in ganz umfaflender Weiſe. (Documenti Nro. 7, 22. 

25 u. 74.) In — — ein Privileg auf zehn Jahre, 


Papſt möge es ein für allemal gewähren, wurden fie gan; abgemicien, um 
eg auf fünf Jahre zu erhalten und 1360 wieber auf zehn 


daß die Aleriter daſelbſt römisches Recht und Medizin ftubieren und dabei ie. 
Pfründen beziehen könnten, und dann noch oftmals, aber als fie 1348 baten, der 


400 Medizin und römiſches Recht. 


Eng verbunden mit den Reſidenzprivilegien waren die über die 
personae prohibitae. Im 12. Jahrhundert hatte Alexander III. allen 
Ordensleuten das Studium der Medizin und des römiſchen Rechts 
verboten, damit ſie ſich deſto eifriger dem Studium der Theologie 
widmen ſollten. Papſt Honorius III. dehnte dies Verbot durch die Bulle 
Super specula 1219 (e. 10 X ne cleriei III, 50) auf die Priefter aus 
und verbot zugleich für Paris, als den Hauptſitz der theologiſchen 
Studien, das Studium des römiſchen Rechts überhaupt. Dieſer Teil 
der Bulle hatte dauernde Wirkung, mit dem allgemeinen Verbot des 
römiſchen Rechts und der Medizin für Prieſter und Mönche ging es 
dagegen wie mit dem Verbot der ariſtoteliſchen Schriften: in der 
ſtarken wiſſenſchaftlichen Bewegung, welche das 13. Jahrhundert auf 
dieſen Gebieten erfüllte, ließen ſich die Kleriker nicht davon zurück⸗ 
halten, und Innocenz IV. behandelte das Verbot bereits 1254 als 
veraltet). Thatſächlich ſtudierten denn auch Prieſter aller Grade 
namentlich römiſches Recht an allen Univerſitäten mit ſolcher Fakultät, 
allein die Univerſitäten hatten trotz dieſer an Stelle des Geſetzes an⸗ 
erkannten Gewohnheit guten Grund, um beſondere Privilegien zu 
bitten, welche dies geſtatteten. Denn die Kapitel und die Oberen 
derjenigen Kleriker, welche Pfründen beſaßen, ohne die Reſidenz zu 


Jahre. (Siehe die Belege bei Denifle 210.) Natürlich ſtudierten in den Zwiſchen⸗ 
jahren die Kleriker doch in Bologna. Perugia erhielt es 1322 auf zehn Jahre 
(Rossi Nro. 36) und dann noch öfter auf zehn und fünf Jahre. 

) Im Jahre 1254 erhob Papft Innocenz IV. die Klage, daß die Prälaten 
nur denjenigen Klerikern größere Benefizien zuwendeten, welche Rechtslehrer oder 
Advokaten ſeien, auch wenn dieſelben in Theologie und Philoſophie nur unzureichende 
Studien gemacht hätten. Er verbot dies. Kenntniſſe im römiſchen Recht ſollten 
keine Empfehlung bilden, wenn ſie nicht mit Kenntniſſen in den Artes verbunden 
ſeien: alſo Papſt Innocenz unternahm es gar nicht mehr, jenes Verbot des 
Studiums des römiſchen Rechts aufrecht zu erhalten, er behandelte es als veraltet 
und ſuchte nur das Studium der Artes demgegenüber zu ſtützen. Er ſchlug dazu 
noch den anderen Weg ein, daß er die Könige und Fürſten von England, Frank: 
reich, Schottland, Wales, Spanien und Ungarn bat, das Studium des römiſchen 
Rechts in ihren Landen zu verbieten, da es in ihren Landen keine praktiſche Ber 
deutung habe. Für Italien machte Innocenz IV. auch nicht einmal dieſen zag⸗ 
haften Berfuch, den Geiſtlichen jenes Studium unmöglich zu machen. Siehe die 
merkwürdige Bulle bei Math. Paris. Chron. maj. IV, 293. Bezeichnend ift ferner, 
daß fein Nachfolger Alexander IV. ſchon im folgenden Jahre (1255) der Univerfität 
Salamanca das Privileg erteilte, daß dort die Kleriker, jedoch mit Ausnahme der 
Regularen, römiſches Recht ſtudieren dürften. Siehe S 405 Anm. 2. 


oder Medizin ſtudierenden Inhaber ganz der Gnade der 
aus!). Andere Privilegien verliehen den 
Zugehörigen beſonderen Schutz gegen den 
„der mit kirchlichen Zenſuren getrieben wurde, oder neben 
dem privilegierten Gerichtsſtande noch das beſondere Recht, nicht vor 
auswärtiges Gericht geladen zu werden, dagegen Auswärtige vor 
Korporationsgericht laden zu dürfen, ſodann Freiheiten von Zöllen, 
bürgerlichen Laſten aller Art. Einige dieſer Privi⸗ 
urſprünglich von dem Papſte, andere von der weltlichen 
der Stadt oder dem Landesherrn gewährt worden, und 
teils bei der Gründung der Univerſitäten, teils ſpäter durch 
Gnadenakte. Aber als es mit dem Ende des 13. Jahr: 
üblich wurde, Univerſitäten durch Stiftungsbriefe zu er: 
wurden in denſelben häufig“) gleich durch eine umfaſſende 
Privilegien von einzelnen genannten oder auch noch all⸗ 
allen Generalſtudien gewährt. Päpfte haben jo die von 
Königen herrührenden Privilegien, auch ſolche, welche 
und die weltliche Gerichtsbarkeit betrafen, auf andere 
übertragen, und umgekehrt haben Kaiſer und Könige“) 


f 


: 


4 


115 


und erhielt ſie 

Form, daß alle Kleriter, gleichviel welchen Ranges oder welcher Stellung, in 

Norenz römiſches Recht ſtudieren und in dieſer Fakultät als Lehrer wirken könnten, 

trotß der Beſtimmung Honorius III. und etwaiger Beſtimmungen derjenigen Kirchen, 
ö Gherardi und Morelli Nro. 74 p. 178. 

ſchon in dem Stiftungsbrieſe Bonifacius VIII. für Avignon. La- 


9 in ausführlicher und ganz umſaſſender Formel Pedro IV. in dem 
Privileg für Huesca bei La Fuente 1, 818: libertates, gratins et indulgentias 
qualescunque, quae a sede apastoliea Tolosano, Montispelerii et Illerdensi 
stadiis sunt concessa, ipsi eidem studio Oscensi, doctoribus, magistris et 
scholaribus ibidem studentibus et studere volentibus auctoritate nostra de 
regiae liberalitatis benefelo concedimus. Kutz, aber nicht weniger umfaſſend 

Raulmann, Gait det deutschen Unieeritätm L 2 


g 
7 
f 
f 


402 Die Uebertragung der Privilegien. 


auch die von Päpſten verliehenen und alſo meiſt kirchliche Verhältniſſe 
betreffenden Privilegien auf die von ihnen geſtifteten Univerſitäten 
übertragen. Die Univerſitätsprivilegien wurden in dieſen Fällen wie 
eine Art gemeines Recht der Univerſitäten behandelt, das von denen, 
welche überhaupt berechtigt waren, Univerſitäten zu gründen, mit 
verliehen werden könnte. Es iſt begreiflich, daß im Fall des Streits 
über die Anwendung eines Privilegs aus ſolchem Urſprung mancherlei 
Einwände erhoben werden konnten — aber dieſe allgemeinen Ueber⸗ 
tragungen von Privilegien hatten überhaupt geringere Kraft!) als 
die beſonders verliehenen Privilegien, und in manchen Stiftungs⸗ 
briefen wurde denn auch die in der Gründung als Generalſtudium 
gegebene Anwartſchaft auf die allgemein üblichen Privilegien nicht 
bloß durch dergleichen allgemeine Zuwendungen verſtärkt, ſondern 
gleich durch ausdrückliche Gewährung beſtimmter einzelner dieſer Rechte 
und Freiheiten). Kaum war es aber üblich geworden, dergleichen 
Stiftungsbriefe zu erbitten, jo verfielen dieſelben zuſammen mit den 
einzelnen Privilegien dem allgemeinen Schickſal des Privilegienweſens; 
ſie wurden Mittel der kaiſerlichen und päpſtlichen Politik, wurden 
aus Gunſt und Gnade dem einen verliehen und dem anderen nicht, 
wurden auch in politiſchen Kämpfen entzogen ?) wie irgend ein anderes 
nutzbares Recht. 


iſt die Formel Bonifacius VIII. für Avignon. Laval I, 7 f. Dagegen beſchrünkt 
ſich derſelbe in der Bulle für Oxford (Munim. academ. I, 78) ſorgfältig auf das 
Gebiet der geiſtlichen Gerichtsbarkeit. Merkwürdig iſt ferner die Formel, welche 
Karl IV. in dem Privileg für Perugia wählte (Rossi Nro. 96), und ſo bietet 
die Vergleichung der von den Päpſten und den verſchiedenen weltlichen Gewalten 
ausgeſtellten Privilegien reichen Stoff zur Beurteilung ihres Machtbewußtſeins und 
ihrer Anſprüche. 

) Die Stadt Florenz hatte in ihrem Stiſtungsbrief auch die Zuſicherung 
aller Privilegien, welche die Scholaren in Bologna, Paris und anderen berühmten 
Generalſtudien genoſſen. Dieſe Univerſitäten hatten Refidenzprivilegien, aber dieſe 
Zuwendung hatte ſo wenig Bedeutung, daß ſich die Florentiner nicht einmal 
darauf beriefen, als fie ſich um das Refidenzprivilegium für die personae pro- 
hibitae bewarben (f. 0. S. 399 Anm. 1). Dieſe Stiftungsbriefe konnten den General: 
ſtudien helfen, leichter Anerkennung zu gewinnen, indeſſen find viele ſolche Schulen 
zu keiner Blüte und zu keiner Anerkennung gekommen, trotz ihrer päpſtlichen 
Stiftungsbrieſe. 

) Recht deutlich zeigt fi darin, daß die Stiftungsbrieſe mehr als der Anfang 
der Reihe von Eingelprivilegien aufgefaßt und geihägt wurden Bol. S. 221 Note g. 

) Beiſpiele oben S. 377 Anm. 1 und S. 389 Anm. 1. 


Die Rechtsverwirrung. 403 


 Bablreihe Papſte haben in dieſen Jahrhunderten warmes Inter: 
eſſe für die Pflege der Wiſſenſchaft gehegt, fie waren meift auch ſelbſt 


hervorragende Vertreter derſelben; aber die Univerfitäten waren im 
I4. und 15. Jahrhundert nicht bloß Stätten der Wiſſenſchaft, ſondern 


einflußreiche Korporationen, und ihre Privilegien berührten und 
ſchädigten oft weite Kreiſe der Stadt und des Landes in empfind⸗ 
licher Weiſe. Die Verwirrung im Rechtsgang !), die durch dieſe 
Maſſe von privilegierten Perſonen geſchaffen wurde, die Mißbrauche, 
die ſich mit den Zoll⸗ und Steuerprivilegien verbanden, haben in 
Paris, Angers, Orleans, Neapel, Oxford u. ſ. w. zu Klagen und 
Aufſtänden geführt, und wie unvermeidlich die Konflikte waren, das 
zeigen die Verſicherungen, welche den Schluß der päpftlichen Reſidenz⸗ 
privilegien zu bilden pflegten. Die Kapitel erhielten Privilegien, daß 
ſie den Klerikern, welche die Reſidenzpflicht nicht erfüllten, die Er⸗ 
trügniſſe ihrer Pfründen nicht auszuzahlen brauchten, und daß fie 
auch durch Ae Erlaſſe hierzu nicht gezwungen werden könnten, 
es ſei denn, daß in dem päpſtlichen Schreiben das ihnen gewährte 
Privileg dem Wortlaut nach angeführt worden ſei. Die Univerſi⸗ 
täten erhielten das Privileg, daß dergleichen Privilegien der Kapitel 
für fie keine Gültigkeit haben ſollten, ja daß das Reſidenzprivileg 
auch dann gelten ſollte, wenn die Magiſter oder Scholaren beim 
Empfang der Pfründe genötigt ſein ſollten, mit dem Eide 
zu verſichern, daß ſie von einem etwaigen Reſidenzprivileg 
keinen Gebrauch machen wollten ). Dieſe Univerſitätsprivi⸗ 


) Beſonders gefährlich war das Recht, alle Gegner, auch ganz fern wohnende, 
vor das Gericht der Univerfität zu laden. In Frankreich wurde es deshalb von 
den Königen teilweiſe nur mit Einſchränkung verliehen. Lebhafte Klage führte 
Clemens IV. 1266 in einem Schreiben an die Univerfität Toulouſe (Hist. de 
Lang. VII. 2, 440 Nro. IX). Ad nostrum ... pervenit auditum, quod rectores 
scolarum civitatis Tholosane, asserentes universitatem ... nonnullis privi- 
legiis .... apostolicis fore munitam, hujusmodi privilegiis multipliciter 
abutuntur, dum eorum pretextu de remotis partibus ad civitatem eandem 
elericos et laicos ... coram se ... citari procurant. Dieſe Privilegien de 
non trahi extra (J. B. Laval Nro. 18 p. 59) ſchufen namentlich bei Streits 
fällen zwiſchen Angehörigen verſchiedener privilegierter Univerfitäten Betwtrrung- 


) Beifpiele find häufig, fo die Bulle Urbans V. von 1306 für Avignon. 


Laval Nro. 3 p. 13 f.: non obstantibus ... alis quibuscunque »tatutis et 
consuetudinibus ecclesiarum ipsarum, in quibus beneficia hujusmodi forsan 
faerint, contrariis juramento, eonfirmatione „postolica vel quscunque firmi- 


9 


404 Die Verleihung als Gunſt bezeichnet. 


legien waren alſo keineswegs einfach ein Akt zur Hebung der Wiſſen⸗ 
ſchaft, ſondern in der Hauptſache eine perſönliche Begünſtigung einer 
Gruppe gegenüber einer anderen. So wurden denn auch, um die 
Privilegien zu erlangen, perſönliche Verhältniſſe geltend gemacht oder 
Beziehungen in Bewegung geſetzt und alle die oft geſchilderten Wege 
betreten, die an der Kurie, in der ungeheueren und unüberſehbaren, 
ſowie trotz der größten Einnahmen immer neue Maſſen von Gold 
verbrauchenden Verwaltung zum Ziele führten. 


Die Päpſte ſagen auch in den Urkunden vielfach ausdrücklich, 
daß ſie dieſe Privilegien als eine Gunſt verleihen. Gregor XI. ge⸗ 
währte Orvieto die Errichtung des Studiums, damit die Treue der 
Stadt auf dem Felſen unerſchütterlicher Beſtändigkeit wurzele ); 
Nikolaus V. der Univerſität Barcelona die Privilegien von Toulouſe 
in Erwägung der ausgezeichneten und unverfälſchten Treue und Er⸗ 
gebenheit, welche König Alfons von Aragonien und ſeine Räte ihm, 
dem Papſte, und der römiſchen Kirche erwieſen haben?); und Boni⸗ 
facius IX. fügte in ſeinem Privileg für Ferrara (1391) zu dieſer 
Erwägung noch die Erwartung hinzu, daß die Stadt dieſe Ergeben⸗ 
heit fortan um jo eifriger bethätigen werde?). Da es ſich um 


tate alia roboratis, etiam si de illis servandis et non impetrandis litteris 
apostolieis et ipsis litteris non utendo, etiam ab alio vel aliis 
impetratis, prefati magistri, doctores seu scolares prestiterint 
vel eos prestare contigerit in posterum forsitan juramentum; 
seu si locorum ordinariis ab eadem sit sede concessum vel in posterum con- 
cedi contingat, quod canonicos et personas ecclesiarum suarum eivitatum et 
dioecesum, etiam dignitates, personatus vel alia quaecunque beneficia ecele- 
siastica in eis obtinentes, per substractionem suorum ... proventuum vel 
alias compellere valeant ad residendum in personaliter in eisdem eto. 

) Fumi, Codice diplom. p. 567. 

?) La Fuente 1, 336 Nro. 32 (1450): Nos praemissa (die Lage der Stadt 
u. ſ. w.) et eximium fidei et devotionis sinceritatem, quam ipse 
rex et consiliarii ad nos et romanam ecclesiam gerere com- 
probantur, attente considerantes. 

) Borsetti p. 18 f. Bulle Bonifacius IX. 1391: Nos praemissa . . wie 
Note 2 für Barcelona mit nur ſtiliſtiſchen Abweichungen, dann: et quod illas 
ad eandem ecclesinm eo amplias debeant augmentari, quo per nos et sedem 
apostolicam se prospexerint gratiis et privilegiis apostolieis honorari ... 
(Im Bull. Rom. IV, 610 mit unweſentlichen Abweichungen.) Bgl. auch Sixtus IV. 
Bulle für Avignon 1479. Laval Nro. 29 p. 123. Dieſe Formel begegnet noch 
nicht in den päpſtlichen Gnadenbriefen für Univerfitäten im 13 Jahrhundert. Bol. 
die Bullen Innocenz IV. für Piacenza 1248 (Bull. Rom. III, 536), Alexanders IV. 


A. 3 » ST Er 2” 


=’ rn. 
„ 


Bewilligung anf Zeit. 405 


“= Rurie gemeint, in denen die Päpfte des 14. Jahrhunderts ihre beſte 
4 gut Teil der durch das Mittelalter hindurch erwor⸗ 
über die Gemüter verzehrte. 

Mit dieſer Entwicklung der Univerſitätsprivilegien zu einem 
weiteren Kapital des päpſtlichen Gnadenſchatzes hängt es ferner zu⸗ 
ſammen, daß die Päpfte die Reſidenzprivilegien u. ſ. w. meift nur 
auf einige Jahre bewilligten und ſich dann von neuem bitten ließen, 
während die Päpſte des 13. Jahrhunderts und noch Bonifacius VIII. 
Neſidenzprivilegien auf alle Zeit zu bewilligen pflegten ), ſowie ferner, 


für Salamanca (Bull. Rom. III, 601), Nitolaus IV. für Montpellier und Liſſabon 
(Bull. Rom. IV, 108 f.), Bonifacius VIII. für Pamiers, Avignon und Rom. In 
biefer letzten (Bull. Rom. IV, 166) wird nur die Bedeutung der Stadt hervorgehoben 
und der Wunſch, Nutzen zu ſchaffen. Jene Formel habe ich zuerſt aus dem Stiftungs: 
briefe Clemens V. für Perugia (1308) (Rossi Nro. 4) angemerkt, und wenn damit 
keineswegs geſagt iſt, daß damals eine ſchroſſe Aenderung in den Motiven bei der 
Verleihung folder Privilegien eintrat, oder daß, wo dieſe Formel gebraucht jei, 
Gründe gefehlt hatten, jo iſt es doch bezeichnend, daß dergleichen Formeln 
auftauchten in der Zeit von Avignon, in welcher politiſche und finanzielle Motive 
bei der Verwaltung des päpſtlichen Gnadenſchatzes ſtärker als zuvor mitzuwirken 
begannen. Ebenſo bezeichnend iſt, daß die Florentiner ihre Bitte mit der Ber: 
ſicherung unterftügten, fie würden ſich für immer zur Dankbarkeit verpflichtet fühlen 
(Gherardi und Morelli Nro. 22 p. 132). 

) In dem Streite Bonifacius VIII. mit König Philipp dem Schönen wandten 
ſich die Karbinäle mit einem Schreiben an die Großen des Königreichs, um zu 
beweisen, daß die von der Partei des Königs gegen die Verwaltung des Bonifacius 
erhobenen Borwürſe unbegründet ſeien. Namentlich habe er die Pfründen der franzö⸗ 
ſiſchen Kirchen nur in ſeltenen Fällen an Ausländer gegeben, und die franzöſiſchen 
beſonderen Grund, ihm dankbar zu fein. In dieſem Zuſammen 
hang fleht dann folgender Abſchnitt: Quis unquam praedecessorum suorum 
formas providendi pauperibus clerieis plus extendit, quibus per nonnullos 
(nullos?) ex praelatis fiebat provisio, et mendicare quodammodo coge- 
bantur in opprobrium clericale. Exsurgant eum ipso Domino magistri 
in theologis, quibus ipse in Parisiensi ecclesis canonicatus 
eontulit et praebendas, Exsurgant, magistri et slit litterati 
et in seie estent cum ipso, qui paupertate gravati multis sudoribus, 
multis vigiliis, multis laboribus adepti sunt scientise margaritam et dieant 
quomodo illorum pietas ad quos beneficiorum collatio pertinebat, respexit 
eosdem. Bal. oben S. 389 Anm. 1. 

) So Gregor IX. für Toulouſe 12988, Bulaens III. 149; Jnnocem IV. 
1246 für Balencia, La Fuente I, 293; Bonifacius VIII. für Rom (Bull. Rom. IV, 


f 


i 
: 


406 Abtrennung des Promotionsrechts. 


daß fie das Gründungsprivileg zerlegten. Einmal wurde das Pro⸗ 
motionsrecht abgetrennt, und ſodann wurden auch einzelne Fakultäten, 
namentlich die theologiſche, in dem Gründungsprivileg ausgeſchloſſen 
und erſt nachträglich, oft erſt nach Jahrzehnten, bewilligt. Dieſe Fälle 
laſſen ſich erſt im folgenden Bande bei den deutſchen Univerſitäten 
unterſuchen, und nur darauf will ich hinweiſen, daß nicht jedes 
Gründungsprivileg ohne theologiſche Fakultät als bewußte Verſagung 
derſelben anzuſehen iſt; es wurde bisweilen auch nur die Gründung 
eines Generalſtudiums in anderen Fakultäten gewünſcht, oder es 
konnte das Auslaſſen dieſer Fakultät auch durch die Vorlage ver⸗ 
anlaßt werden, welche bei Ausſtellung der Urkunde benutzt wurde. 
Die Abtrennung des Promotionsrechts begegnet zuerſt in der 
Bulle Johanns XXII. für Perugia 1318. Die Einrichtung der förm⸗ 
lichen und an eine Prüfung gebundenen Uebertragung des Lehramts 
bildete einen weſentlichen Beſtandteil der Einrichtung der General⸗ 
ſtudien!), und in dem Stiftungsbrief Bonifacius VIII. für Avignon 
erſcheint deshalb auch die Promotion unter den ausführenden Sätzen, 
welche das Weſen der begründeten Anſtalt erläutern. Die Stiftungs⸗ 
briefe wurden nicht immer ſo ausführlich gefaßt, und der Brief 
Clemens V. für Perugia ſprach nur die Gründung aus); aber es 
beſteht auch nicht der geringſte Zweifel, daß Clemens V. an ein den 
anderen gleichwertiges Generalſtudium dachte, nicht an ein Studium, 
dem die weſentliche Einrichtung der Promotion fehlte. Eine ſolche 
Art von Generalſtudien war rechtlich nicht bekannt; es gab Städte, 
in denen Vorleſungen gehalten wurden, ohne daß fie Generalſtudien 
hatten, aber man kannte vor Johann XXII. nicht zwei Arten von 
Generalſtudien mit und ohne Promotion. Auch Johann XXII. ſelbſt 
hatte noch wenige Wochen vorher (Juni 1318) der Univerſität Cam⸗ 
bridge einen Stiftungsbrief ausgeſtellt, der das Promotionsrecht 


166). Alexander IV. verlieh allerdings das Privileg über die personae prohibitae 
für Salamanca 1255 (bei Denifle 485) nur für drei Jahre, aber dies ſollte auch 
als eine Ausnahme von einem noch feftgehaltenen Grundſatz angeſehen werden. 

1) Deutlich tritt dies z. B. in der Entſtehungsgeſchichte von Paris oder 
Montpellier hervor. Concordamentum von 1213, Jourdain 15. Statuten 
von Montpellier von 1220, d’Aigrefeuille III, 515. 

) Rossi Nro. 4: statulimus ut in eivitate predicta sit generale stu- 
diam, illudque ibidem perpetuls ſuturis temporibus vigeat in qualibet 
facultate, 


mch besonders ermähnte ), aber es boch mit verleihen jollte, und fpäter 
bat er den Stiftungsbrief von Cahors in derſelben furzen Form und 
| Er mfaſſenden Bedeutung ausgefertigt. Um jo auffallender ift es, daß 
er bi Stiftungsbriefe Clemens V. den bisher unerhörten engeren 


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Sinn unterſchob. Er that dies, indem er in feiner Bulle zunachſt 
das Privileg Clemens V. wiederholte und dann erklärte, daß er die 
Stadt durch ein umfaſſenderes Gnadengeſchenk für ihre Devotion 
belohnen wolle und deshalb ihren Biſchof ermächtige, die an der 


Zerlegung des Univerſitätsprivilegs war es ihm noch nicht genug, 
er zerlegte nun das Promotionsrecht noch einmal, indem er es zunächſt 
nur für die beiden Rechte bewilligte. Dieſes Privileg Johanns XXII. 
war alſo in Wahrheit eine Verkleinerung oder beſſer eine teilweiſe 
Beſeitigung des von Clemens V. verliehenen Privilegs. Freilich hatte 
Papſt Clemens denjenigen, der ſein der Stadt verliehenes Privileg zu 
ſchwächen oder gegen ſeinen Sinn anzugehen wagte, mit dem Zorne 
Gottes und der ſeligen Apoſtel Paulus und Petrus bedroht; aber 
Johann XXII. ſcheint dieſe Formel nicht gefürchtet zu haben, und die 
Peruginer zogen es vor, nicht mit dieſer Waffe für ihr Hecht zu 
ſtreiten, ſondern mit neuen Bitten. Sie werden dieſelben auch wohl 
mit wirkſamen Mitteln unterſtützt haben, denn ſie gelangten bereits 
1 wieder in den Beſitz eines Teiles des Verlorenen, indem ihnen 
Johann XXII. das Promotionsrecht auch für die Artes und Medizin 
gewährte). An demſelben Tage, an dem er das erſte Privileg für 
Perugia ausfertigte, erließ Johann XXII. ein gleiches Privileg für 
die Stadt Nom, in welchem er ebenfalls den der Stadt für ihre 
Univerſität von Bonifacius VIII. verliehenen Stiftungsbrief durch 
ein Geſchenk „noch reicherer Gnade“ zu erweitern erklärte und damit 
das Promotionsrecht in den beiden Rechten verlieh. Da aber Papit 
Bonifacius VIII. das Generalſtudium in allen Fakultäten und ohne 
derartige Beſchränkung des Promotionsrechts gegründet hatte, jo war 
auch hier die weitere Gnade Johanns XXII. thatſaächlich eine Eins 
ſchränkung des alten Beſitzſtandes der Univerſität wie in Perugia. 


— 
© 


) Fuller p. 80. 
) Bulle vom 1. Aug. 1818. Rossi Nro. 28. 
) Rossi Nro. 38. 


408 Die fpäteren Päpfte. 


Man erinnere fih nur an die Verhandlungen der Peruginer über 
die Frage, ob ſie für ihr Studium auch noch von Johann XXII. 
ein Privileg erwerben ſollten. Ein Makler bot es ihnen an für eine 
Summe, die er erſt dann ausbezahlt haben wollte, wenn die päpſt⸗ 
liche Kanzlei die Urkunde ausgefertigt und ausgehändigt habe. Der 
rein geſchäftliche Charakter tritt unzweideutig hervor. Die Verleihung 
des Privilegs bildete den Gegenſtand eines Handels. 

Man ſieht ſich naturgemäß nach ſachlichen Gründen um, die 
Johanns XXII. Verfahren erklären könnten, und möchte etwa ver⸗ 
muten, daß der ungenügende Zuſtand der Univerſitäten Perugia und 
Rom den Papſt veranlaßt hätte, ihnen das Promotionsrecht zu 
nehmen: allein er erklärte ja nicht, daß er es ihnen nehmen müſſe, 
ſondern daß ſie es noch nicht beſeſſen hätten. Jeden derartigen Er⸗ 
klärungsverſuch macht weiter die Thatſache unmöglich, daß Johann XXII. 
ſeiner Vaterſtadt Cahors das Generalſtudium in allen Fakultäten ge⸗ 
währte, ohne ihr Promotionsrecht einzuſchränken. Alſo den beſtehenden 
Univerſitäten Perugia und Rom entzog er das Promotionsrecht in 
mehreren Fakultäten, ſeiner Neugründung in Cahors!) gewährte er 
alle Fakultäten einſchließlich des Promotionsrechts. Im beſonderen 
muß es auffallen, daß er Rom die Promotionen in der Theologie 
entzog und ſie Cahors gewährte. | 

Bei den Nachfolgern Johanns XXII. begegnet dieſe Bezeichnung 
des Promotionsrechts als einer weiteren Gnade nur vereinzelt ), 
und der Verſuch, Generalſtudien mit und Generalſtudien ohne Pro⸗ 
motionsrecht zu unterſcheiden, iſt nicht oder doch nur in geringem 
Umfange durchgeführt worden. Das Recht, die Grade zu erteilen, 
blieb das bezeichnende Merkmal der Generalſtudien: in der Mehrzahl 
der päpſtlichen Stiftungsbriefe wird auch ſpäter dies Recht nur jo 
erwähnt, wie es ſchon Bonifacius VIII. gethan hatte, nämlich als 


) Bull. Rom. IV, 324. 1332. 

) Ale weitere Gnade bezeichnet ez Clemens VI. 1349 in dem Privileg für 
Florenz. Gherardi und Morelli, Doc. Nro, 6 p. 117: Insuper civitatem et 
studium preſata .. amplioribus honoribus prosequi intendentes, auctoritate 
ordinamus eadem, ut sigqui ... possint examinari diligenter ibidem et in 
eisdem facultatibus titulo doctoratus seu magisterii decorari. Dies Privileg 
iſt übrigens teilweiſe nach dem Muſter der Privilegien Johanns XXII. für Perugia 
ausgearbeitet. Ebenſo in dem nach dem Muſter der Florentiner Urkunde gearbeiteten 
Privileg Urbans VI. für Orvieto 1878 bei Fumi p. 578. 


Die fpäteren Päpfe. 


läuternt ne tem e 
N eee e 
i ben Briefe Clemens V. für Perugia als ein Beitandteil bes Begriffs 
Generalſtudium behandelt. 


5 ) So in den Stiſtungsbrieſen Benedikts XII. für Berona, Bull. Rom. IV, 
490 Eugend IV. für Angers, Lens p. 16; Pauls II. für Bourges, Bulscue V, 
1 . 
| an. In der Bulle Pius II. für Nantes ſteht das Promotionsrecht in einem 
erläuternden Relativfag. Bulaeus V. 662. 

) In dem Stiftungäbriefe Eugens IV. für Bordeaux 1441 (Barkhaufen 


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Hi 
14 


licentise, magisterii aut doctoratus honorem sibi petierint 

- . archiepiscopo Burdigalensi .. . praesen- 
in ber Bulle Nikolaus V. für Barcelona 1450. La Fuente I, 
et ordinamus, ut ibidem de cetero studium generale... 
in theologia, jure canonico et eivili, artibus et medieina ac 
lieita facnltate legatur. Cuodque legentes, studentes, audientes, 
gradum assumentes ... omnibus et singulis privileglis ... per 
apostolicam vel alias quomodolibet concessis et in ante a forsan 
„ quibus magistri, bacallarii ... in praefato studio Tholosano 
utunter . U et guäßere posiat. et wien Aehnlich in der Bulle Pius IL 
Bafel 1459, Bilder S. 268 f.; Sixtus IV. für Saragoſſa 1474, La Fuente I. 
840 f. und Eugens IV. für Poitiers 1431, Bulseus V, 842 f. 


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Anhang. 


Beilage 1. Zu Seite 217. 
Die Statuten von Bologna. 


Die Unterſuchung über die Statuten von Bologna !), welche uns, abgeſehen 
von einem kürzlich aufgefundenen Bruchſtück der Redaktion von 1317/1347 (Archiv III, 
196 f.), in der Redaktion von 1432 vorliegen (Druck von 1561), und über ihren 
Zuſammenhang mit den Statuten von Padua, Perugia und Florenz bildet die 
wichtigſte Vorarbeit für die Forſchung über die Entwicklung und die Einrichtung 
der italieniſchen Univerſitäten. Ihre Aufgabe iſt einmal, nachzuweiſen, inwieweit 
ſich dieſe anderen Univerſitäten nach dem Muſter von Bologna richteten, und ſo⸗ 
dann, welche Veränderungen die Verfaſſung von Bologna erfuhr. Da die Florentiner 
Statuten in einer Redaktion von 1388 vorliegen, ſo ſtellen ſie uns eine und, wie 
die Vergleichung mit den Bologneſer Statuten zeigt, vielfach die Worte der Vorlage 
wiederholende Ableitung aus den Statuten Bolognas in der zweiten Hälfte des 
14. Jahrhunderts dar. Neben den Statuten von Bologna benutzte Florenz auch 
und, wie mir ſcheint, vorzugsweiſe die Statuten von Perugia. Dieſe liegen uns 
allerdings nur in einer Redaktion von 1457 vor (ed. Padelletti, Bologna 
1872); aber der enge Zuſammenhang, der ſich trotzdem zwiſchen dieſen und den 
Florentiner Statuten zeigt, beweiſt, daß dieſe Peruginer Statuten von 1457 ihrem 
weitaus größten Beſtande nach jo lauten, wie fie ſchon im 14. Jahrh. lauteten, als fie 
von den Florentinern benutzt wurden. Auch die Paduaner haben bei der Redaktion 
ihrer Statuten die von Bologna benutzt und vielfach wörtlich übernommen. In⸗ 
deſſen läßt ſich die Vergleichung der Paduaner Statuten mit der Gruppe wirkſam 
erſt durchführen, wenn die in der Handſchrift Nro. 1381 der bibliotheca civica 
von Padua erhaltene Redaktion der Paduaner Statuten von 1468 veröffentlicht und 
ihr Verhältnis zu dem Druck von 1551 feftgeftellt iſt“). Ich habe den Zuſammen⸗ 


I) Der Druck von 1561 bezeichnet dies Kapitel als rubricae, oder capitula, oder durch eint Urt 
5. Jeichen. Dies feht auch vor vielen Abſchnttten der Rapitel; da aber die Unterabteilung weder bier 
noch in den anderen Statuten durchgeführt i, fo iſt für Teile der Napitel die unbeſtimmtert Bezeichnung 
Abschnitt vorzuziehen und nur wie Rubrik zu verwerten. 

) Deniftes Vergleichung läßt wohl erkennen, daß nicht unweſentliche Unterſchlede ſtattftnden. 
aber er gibt keine Vorſtellung von denſelben Ale Beispiel folge bier det Text des f 11 des zweiten 
Buchen nach der Handschrift Wro. 1901, damit die Benutet des Druckes den Unterſchled zu erfenmen 
vermögen. Die Abschrift danke Ib der Liebenswürdigkelt von Andrea Gloria. 

Quot ot quando debeant disputare vol ropoterv. 

Experte scientes quod in disputactonibus scolartum audatia informatur et dubia 
prodacuntur in noticiam veritatis ducimus statuendum quod quilibet doctor tam in jure 
canonico legens quam eivili, ordinarie sive extraordinarie, teneatur post ſestum domintee 


Anhang. 411 


1 


näher unterſucht, nachdem Padellettt a. a. C. die Peruginer 
den Bologneſern, aber nur ganz allgemein, verglichen hatte. Meine 
ging aus einer Vergleichung der Peruginer und Alorentiner 
„ daß in dem, was beiden gemeiniam iſt, der Grund 
en der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderte zu ber 
ft; danach zog fie die Bologneſer Nedaktion von 1432 (Druck von 1561) 
Babuaner Statuten heran, und zwar neben den Statuten der Yuriften 
von 1551) auch die der Artiften von Padua. Anfangs hatte ich den Druck 
648, dann auch den ohne Jahr, aber wohl 1496 entſtandenen Druck mit 
Titel Statuts dominorum Artistarum Achademiae Patavinae. Bon einem 
‚meiner Ergebniſſe machte ich Gebrauch in dem Auffap Savigny und fein 
* in der Zeitſchrift der Savigny⸗Stiftung für Nechtsgeſchichte, Germanift. 
124 f., ohne fie aber im ganzen Zuſammenhange zu entwickeln oder in 
einzugeben, weil das in einem Anhang dieſes erſten Bandes geſchehen 
damals noch im Laufe desſelben Jahres 1886 herauszugeben hoffte. 

dieſe Ausgabe verzögerte, ift nun das oben erwähnte Bruchſtück 
durch Denifle aufgefunden und herausgegeben worden, 
dabei die Statuten von Perugia, Florenz und Padua Abſchnitt 


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resuretionis saltem semel annis singulis disputare seu repetere 
„ quod ultimo doctoratus primo sabato post epipbaniam suam disputet 
repeticionem et proxima sequens ebdomata sit et penultimi (sie). 
ve et disputent semper in sabato et nullo alio die, In una vero 
utaciones seu due repeticiones non flant, possint tamen doctores si 
septimanam in vicem permutare, Et licet doctor aliquis in sua non disputaverit 
nikilominus illum sequens disputet in sequenti et doctor repetens capitulum 
repetendam cum conclusionibus et correlarlis quot voluerint (sie). Et disputans 
disputandam cum dubliis per decem dies antequam repeti vel disputari debeas, 
tradere teneatur in scriptis ut (in) ipsas scolas tam ordinarie quam extra- 
logentium legat et pablicet easque patenter in stacione teneat ut quicungue 

respieiat et transeribat. Et cum disputantur libros omnes illins sententie 


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possint si voluerint deflerre (in?) scolas. Adicientes quod aliquis, 

per pablicam, non audest disputare, neo aliquis scoolaris sub eo 

 swabstinere. Et quoniam sepissime hii qui disputaciones aut repeticiones publicari fecerint, 

yablicationem ipsam in tam longum tempus protrahunt, quod alios impediunt, qui actus 
g volunt et 


saos fecerunt debeant expectari et nullus preferi infaciendo (sie). 

2 addendum duximus, quod nullus expectetur nisi per mensem qui actum 

aur fecerit, ut si intra mensem actum suum publicatum non expediverit im- 
pedire non possit alium volentem disputare aut repefere. Volumus insuper quod bora 
disputacionis sea repeticionis vel post illas (sic) si post nonam disputatur nullus canombei 
wel civilis Jurte doctor extraordinarie legens possit intrare et prius intrans tencatur xv. 
Et quod ommes doctores ct baccalarii acta legentes in scolis vel ad privasam sf 
dispatacionibas debeant interesse. Et quando quis arguens surrexerit doctor rrpetens vel 
 seolaris sub eo substinens (sic) opponentem sine fraude et calumnia quam cito post (sie) 
sub pena perjarli teneatur et debeat illum andire pacifice et benigne ber cum trırem aut 
reprendere et argumenta pro et contra proposita pro ut melius poterit repetat et in cu, 
rium allegata aperte solvat. 

Adicentes quod quilibet doctor legens, (qui) non rrpecierit vel disputaverit sesundum 

formam ut supra, incidat in penam vigintiquingue librarum parvorum, quarum medietas 

_ applicetur universitati et all (alla) medietas rectori. 


| 


412 Anhang. 


für Abſchnitt verglichen, Uebereinſtimmungen und Abweichungen angemerkt worden 
ſind. Das iſt alſo nicht mehr zu zeigen, wohl aber iſt einmal zu bemerken, daß die 
Vergleichung nicht ganz ohne Fehler iſt. So ſteht z. B. S. 284 in der Note zu Ipsi 
Zeile 1: der Satz Ipsi autem merchatores libros, quos voluntate debitorum 
vel ex pacto vendere poterunt, in stacionibus librorum approbatis libros 
venales exponant nec alibi vendere possint fehle in B (fo bezeichnet Denifle 
den Druck von 1561 der Redaktion der Bologneſer Statuten von 1432); allein er 
ſteht hier p. 9 Zeile 15 v. u. f. wörtlich ſo, nur daß in und approbatis aus⸗ 
gefallen ſind und potuerunt geleſen wird. Auf derſelben Seite Zeile 24 iſt ferner 
nicht angemerkt, daß B vier Worte einſchiebt, S. 267 nicht die Aenderung Z. 6 u. Z. 9, 
S. 279 Zeile 18 nicht, daß B p. 18 Zeile 4 ſtatt electores lieſt syndiei und dann den 
Satz einſchiebt: Et electi ante omnia jurent in manibus utriusque Rectoris, 
quod ... statuti. Ferner iſt von Denifle nicht beachtet, daß auch die Statuten 
der Artiſten von Padua zu der Gruppe gehören, wenn ſie auch ſowohl in dem 
Druck von 1496 wie in dem von 1648 weit geringere Verwandtſchaft mit Bologna 
zeigen als die übrigen Glieder der Gruppe. Die $$ 20 und 21 des lib. 1 (Druck 
von 1496) entſprechen z. B. den $$ I, 13 und 14 der Juriſtenſtatuten von Padua 
(Druck von 1551 Blatt 12) und Bologna I, 8 und I, 11; Perugia I, 7 und I, 10; 
Florenz $ 11 p. 18 f. und $ 14 p. 23 f. Die beiden Paduaner bilden zunüchſt 
dadurch einen gemeinſamen Gegenſatz gegen die anderen, daß die beiden Paragraphen 
unmittelbar aufeinander folgen, während ſie in Bologna, Perugia und Florenz durch 
zwei andere Paragraphen de immunitate rectorum und de jurisdietione reetorum 
getrennt find, und auch ſonſt haben ſich, beſonders die Statuten der Artiften, weit 
mehr von der Faſſung der Bologneſer entfernt als die Peruginer und Florentiner. 
Allein auch die Statuten der Artiften bewahren Teile des Abſchnitts caveant — expedit 
(Bologna I, 11 im Archiv III, 267 Zeile 7-11), welchen die Peruginer nicht haben. 
Dies Beiſpiel mag zeigen, daß man die Artiſtenſtatuten von Padua ebenfalls zur 
Vergleichung heranziehen muß, um ein Bild von dem direkten oder indirekten 
Einfluß der Bologneſer Statuten in dieſer italieniſchen Gruppe zu gewinnen. Die 
Artiſtenſtatuten von Bologna liegen mir in einer Redaktion von 1609 (Druck von 
1612) vor ), die ſich von der Faſſung jener Gruppe zu weit entfernt, als daß fie 
bei dieſer Vergleichung noch berückſichtigt werden könnte. Bei einer neuen Aus⸗ 
gabe dieſer Statuten der Artiſten von Bologna würde man jedoch immer noch 
verpflichtet ſein, nach etwaigen Spuren des Zuſammenhangs zu ſuchen. 

Die von Denifle gewählte Form der Vergleichung iſt ferner ungeeignet, das 
Verhältnis der beiden Redaktionen der Bologneſer Statuten von 1347 und 1432 
klarzuſtellen. Wer die Redaktion von 1432 (Druck von 1561) nicht aus eigener Ans 
ſchauung und Benutzung kennt, kann ſich aus Denifles Noten kein Bild machen von 
dem Verhältnis derſelben zu der älteren Redaktion. Einmal deshalb, weil die Ab⸗ 
weichungen der Statuten von Perugia, Florenz und Padua gleichzeitig und in gleicher 
Weiſe berückſichtigt und weil deshalb zu verſchiedenartige Abweichungen neben: 
einander geftellt werden. Sodann deshalb, weil die abweichende Faſſung der Re: 
daktion von 1492 in den meiſten Fällen nur angedeutet und nicht mitgeteilt wird. 


) Ueber die bisher nicht gedruckte Medaktion von 1408 flete Malagola In den Atti e Memorie 
di Romagna 1897 p. 289; vgl. Dent fte im urch III. 322 zu g. „ Jer Berhälmis zu den 
Juriſtenſtatuten feſtzuſtellen, wäre von höchſtem Imterefe. 


* 
% 
* 


Anhang. 413 


wei beißt es nut: „B (Druck von 1561) enthalt einen längeren oben fehlenben 
ee, „B schiebt nach legere seriatim einen großen Paragraphen cin“ (S. 2800, 
* 9 B felgen zwei Bestimmungen (S. 281) u. f.w., während 48 für bie Be 
teilung der Veränderung gerade darauf antemmt, zu willen, 
4 % worin dieſe Beränderungen beſtehen. Die Bergleihung von Deniſle ift eine 
wertvolle Vorarbeit für die zu löſende Aufgabe, bringt aber das Verhältnis der Her 
dDdaktionen und Ableitungen zu einander nicht mit wiſſenſchaftlicher Bestimmtheit zut 
1 Anſchauung. Dazu bedarf es einer genaueren Vergleichung und einer folden, 
welche die abweichenden Faſſungen, die Zuſatze und Aenderungen ſelbſt mitteilt. 
Wie das am beſten einzurichten iſt, um überſichtlich zu bleiben; ob man nur die 
beiden Redaktionen von Bologna nebeneinander drucken und die Abweichungen ber 
anderen Glieder teils in der Weiſe Denifles andeuten, teils in einer nach be⸗ 
fimmien Grundfägen zu treffenden Auswahl mitteilen, und ob und wie man 
hierbei die Peruginer und Florentiner und dann wieder die Paduaner Redaktionen 
als beſondere Gruppe zuſammenſaſſen ſoll — darüber will ich hier keine Unter 
r betonen, daß der Leſer jetzt auf Denifles Urteil an- 
er es in der ſeiner Ausgabe beigegebenen Abhandlung aus⸗ 
geiptochen W Ueber die Bologneſer Statuten ſagt er daſelbſt S. 216, die Ber: 
Nedaktionen ſei größer als ihre Uebereinſtimmung, und da dies 
eine ung erweckt, ſo muß ich noch einmal auf die Sache eingehen. 
Im Druck von 1561 ſtehen p. 14—16 Verordnungen des Jahres 1514, die 
ſich aber durch die Jahreszahl und ihre Faſſung als Einſchiebſel ankündigen und ſich 


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Ausgabe der Statuten von 1432 geſchehen müßte, fo bietet der Druck alle 44 Para: 
graphen, welche außer der Einleitung in der Red. von 1347 erhalten find, in gleicher 
Zahl und Neihenfolge. Auch darin ſtimmen fie überein, daß fie aus den 8 2—39 
das erfte Buch bilden und mit § 40 das zweite beginnen. Es finden fi nur 
zwei weichungen. Die Redaktion von 1482 hatte einen Paragraphen über einen 
Eid, den der Podeſta der Stadt zu leiſten hatte und der 1347 nicht üblich war, 
er fehlt in dem Druck von 1561, wird aber vorausgeſetzt und ſtand in der Hand: 
ſchrift (Archi III, 269 Note zu 25); ſodann hat die Redaktion von 1347 für die 
Beſtimmungen über die doctores salariati, welche die Redaktion von 1432 in einem 
Paragraphen behandelt, zwei (40, 41), und umgekehrt machte die Redaktion von 
1482 den Schluß von § 2 (Kleidung des Rektors und feiner Diener) zu cinem 
eigenen Paragraphen, der im Druck p. 5 ſteht. Einige dieſer 44 Paragraphen haben 
in der Redaktion von 1482 noch genau den gleichen Wortlaut wie in der Res 
dation von 1847 oder doch nur ſtiliſtiſche Aenderungen. Andere zeigen in der 
ſpäteren Rebaltion auch Zuſätze, Auslaſſungen und andere fachliche Aenderungen; 
aber alle Aemter und Einrichtungen erſcheinen in den Statuten von 
1817/1847 weſentlich ſchon jo wie in den Statuten von 1432. Die 
Bedingungen, welche an die Perſon des Rektors geſtellt wurden, die Zett feineb 
Amtes, die Befugniſſe, die Gehilfen, die Nechenſchaftg ablage u. |. w. find in B 
(Reb. von 1432) dieſelben wie in A (1317/1347). Der Abſchnitt über die Kleidung des 
Rektors bildet in B einen beſonderen Paragraphen, aber der maßgebende Satz von A: 


414 Anhang. 


nee publice aliam pellem quam variam defferat in capite und ebenſo ber bezüglich 
feiner Begleiter: Item duos domicellos una veste indutos habere teneatur 
find darin noch erhalten. Verändert iſt dagegen z. B. die Vorſchrift über das 
Recht, Waffen zu tragen, und die über den Wahltag: 1347 wurde der citra⸗ 
montane Rektor Ende April, der ultramontane den 1. Mai gewählt; nach B fand 
die Wahl des citramontanen erſt am 3. Mai ſtatt. Aehnliche Aenderungen zeigen 
die anderen Aemter, aber in der Hauptſache erſcheint Stellung, Amt und Befugnis 
der Konſiliare, der Syndiken, der Pedelle, des Notars, der Buchhändler und der 
mit Ueberwachung der von ihnen ausgebotenen Abſchriften beauftragten Petiare in 
beiden Abteilungen gleich. Geändert wurde das Amt des Kaſſenverwalters 
(Massarius); nach A (Archiv III, 276 f.) wurden Scholaren, nach B (Druck von 
1561 p. 16 f.) Bürger von Bologna dazu ernannt, aber in der Geſchäftsordnung 
des Amtes begegnet trotzdem vielfach noch wörtliche Uebereinſtimmung. Gleich iſt 
ferner in beiden Redaktionen Stellung und Bedeutung der Nationen, und damit ift 
die Grundlage der ganzen Verfaſſung gleich. Nur in der Gruppierung der Provinzen 
(auch ebenfalls Nationen genannt) zeigen ſich einige Aenderungen, wie denn der Zuzug 
aus manchen Ländern in einigen Jahrzehnten wuchs, in anderen abnahm oder 
ganz aufhörte; aber für den Wechſel unter den Gruppen jeder dieſer Nationen 
hat B noch wörtlich den gleichen Grundſatz, den A aufſtellte: Quod si de nacione 
vel nacionibus, quae debent habere rectorem, non fuerit repertus idoneus 
et (vel) acceptans, tune de toto corpore universitatis illius, cui tune provi- 
dendum est, possit eligi rector. Die größte ſachliche Veränderung zeigt 
$ 44, der in A einen in B fehlenden Abſchnitt über die puncta hat, d. h. über 
die geſetzlich beſtimmten Abſchnitte des Stoffes, welche der Profeſſor je in einer 
beſtimmten Reihe von Stunden (Tagen) erledigen mußte, in B dagegen eine der 
Redaktion A fremde Verteilung des Stoffes eines Buches unter zwei nebeneinander 
leſende Profeſſoren. 

Die Unterſuchung über dieſes Verhältnis iſt erſchwert worden durch die 
Angriffe, welche Denifle gegen Savignys Benutzung der Statuten gerichtet hat, 
und da die Bücher von Savigny und Denifle die wichtigſten Hilfsmittel auf dieſem 
Forſchungsgebiete bilden, ſo iſt es notwendig, auf dieſen Streit hier einzugehen. 
Denifle hatte (Univerſ. des Mittelalters S. X) Savigny vorgeworfen, bei ſeiner 
Darſtellung von Bologna und Padua komme „im Grunde nicht das 13. und 
14. Jahrhundert zur Darſtellung, ſondern, von manchen Einzelheiten abgerechnet, 
eine fpätere Epoche“. „Savignys Quellen waren hierin großenteils die gedruckten 
Statuten des 16. Jahrhunderts.“ Er wiederholte dieſen Vorwurf für Bologna 
S. 181, indem er ſchrieb: „In der That hat Savigny auch hier (bei Schilderung des 
Rektorat), wie auch ſonſt zumeiſt, nur die gedruckten Statuten zur Hand genommen.“ 
In der Zeitſchr. der Savigny ⸗Stiftung für Rechtsgeſch., Germ. Abt. Bd. VII S. 124 f. 
hatte ich dann die bezüglichen Abschnitte bei Savigny zuſammengeſtellt und mit 
Nachweis der Seitenzahlen gezeigt, daß dieſe Behauptung Denifles eine falſche 
Beſchuldigung fei. Es genügt ein Blick in Savignys Buch, um zu erkennen, daß 
er mit bekannter Sorgfalt aus den Gloſſatoren des 13. und 14. Jahrhunderts, 
ſowie aus Sarti, Savioli und Ghirardazsi die Nachrichten zuſammengetragen hat, 
welche einen Einblick in die geſchichtliche Entwicklung des Nektorats gewähren. 
Und wie bei dem Rektorat, fo iſt dies bei der ganzen Behandlung von Bologna 


Anbang. 415 


| Streben, wie denn feine Art, die Dinge zu betrachten, durch biefen geſchicht⸗ 
lichen Zug charakteriſtert wird. Die Beſchuldigung Denilles ift cine Erfindung, 
bie ein trauriges Gegenſtück bildet zu der Beschuldigung des Plagtats, welche 
Denifle (Archie I, 51 Anm. 1) gegen Dollinger erhoben hat und an welche hier 
erinnert werden muß, um das Vorgehen Denifles gegen Savigny zu beleuchten. 
es bedarf auch da nur des Nachſchlagens, jo ſieht der Leſer, dat die Beschuldigung 
Fdtrundlos iſt, wie ich das in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1836 S. 115 gegeigt 
babe; abet die wenigſten Leſer ſchlagen ja nach. 
Die gegen Savigny erhobene Beſchuldigung hüllt Denifle dadurch in eine 
Staubed, daß er zugleich zu beweiſen ſucht, Savigny habe eine 
Unveründerlichkeit der Statuten gehabt; aber Denifle entſtellt 
„um fie dann als falſch nachzuweiſen. Savigny begründet 
. die Auffindung der Redaktion von 1817/1847 (A) nun als 
erwieſene Vermutung, daß der Redaktion von 1432 (Druck von 1561) eine 
der erſten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu Grunde liege, und fährt 
„Sogar laſſen ſich einigermaßen die älteren und neueren Stücke von: 
unterſcheiden, indem der erfte Verfaſſer die Anfangsworte der einzelnen 
augenſcheinlich ſo gewählt hat, daß ihre erſten Buchſtaben die Ordnung 
befolgen; da ſich nun von dieſer Regel zuweilen Ausnahmen 
können ſolche Kapitel nur zu einer ſpäteren Bearbeitung gehören. Allein 
Zeitalter (erfte Hälfte des 14. Jahrhunderts) betrifft nur die ſchriftliche 
„nicht den Inhalt; denn ohne Zweifel iſt dieſer größtenteils aus noch 
Zeiten herübergenommen, ſo daß wohl das meiſte und wichtigſte, was 
jetzt in den Statuten findet, aus der Zeit der erften beſtimmteren Einrichtung 
Univerfität herrühren mag. Folgende Gründe machen dieſe Annahme ſehr 
wahrſcheinlich: erſtlich die beſtimmte Nachricht, daß wenigſtens im Jahre 1253 
ſchon Statuten der Univerſität wirklich vorhanden waren. Dagegen wendet 
ſich Denifle S. 182 mit den Worten: „Savigny macht ſich hier einer petitio 
prineipii ſchuldig. Sind denn die von 1258 von Innocenz IV. beftätigten Statuten 
ibentiih mit denen von 14327 Bon einer ſolchen Identität hat Savigny nicht 
nur fein Wort geſagt, ſondern feine Worte ſchließen dieſen Gedanken geradezu 
aus. Nachdem ich Denifle dieſe Entſtellung in der Zeitichrift für Rechtsgeſchichte 
a. a. O. nachgewieſen habe), drückt er ſich in ſeiner Antwort (Archo III, 399 f.) 


8 feiner Gewohnheit Überigüttet Denifle meine Perfon deshalb mit ben stöber Beihuldie 
gungen, die ich ignoriere; nut einen Punkt hebe ich beramb, der einen fachlichen Anschein trägt. ri 
ben von mir erbradtien Wache, daß der Beier nur Gapiguys Bud III 5 6% 1. um I 12 . 


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aufzuiälagen branche, um ſich von der Gtundloftgkelt der gegen Ihm von Denifle erhobenen Beg ata 
gu Überpeugen,, wicht beseitigen tounte, ſ lenkte er die Hufmerflamtrit durch die Brhauptuns eb, dag 

„ ohne die Statuten von Bologna gejchen zu haben, und mur bir wruigem 
 Hubeilen kenne, weiche Banigny abbrude. Es if das ein belichteh Nittel ſeinet iethobe. Mi: ih In den 
Singet Gelehrten Marien 1446 S. 108 eine falle Interpretation Denities einer tet Bade geormftrn 
rang er mit der für jebem Menmer der Arrape Anniolem Unihuinigung, Ih 


| 


den Dudes nicht benutzt, fondeen nur den Index Chartarum von Jourbein Und nun 6 iM 
die Statuten von Bologna nit benutzt haben! Gr bat zur Aran zg ttt Broriieh foper ande 
gemacht, dai die Strasberg Biblieihet er feit dem Depember lee ein Gzrmplar set Statten 
befikt, und Hält mir vor, meihalb ich mir das Mündener Grrmplar tet babe fommen lan Bir 
Vabuaner Statuten will er mir grohmütig erlafım. any Erin binburs rs III. 40% 4 
verwertet ct biet Moto zu den bätichen Berieumbungen; oder it tiert damit mar rs Beisge für 


1 


416 Anhang. 


über dieſen Punkt allgemeiner aus, erhebt aber nun einen Angriff gegen die Worte 

Savignys über die alphabetiſche Ordnung, indem er (Archiv III, 400) ſagt: Savigny 

hat auch nicht bedacht, daß der Anfang einzelner Rubriken, wie dies oft thatſächlich 

der Fall iſt, alt ſein kann, während die Rubrik ſelbſt ſpäter überarbeitet wurde, 

d. h. er unterſtellt ihm die Anſicht, alle Rubriken der Redaktion von 1432, welche 

das der alphabetiſchen Ordnung entſprechende Anfangswort hätten, ſeien unver: 

ändert aus der Redaktion des 14. Jahrhunderts übernommen, und nur die wenigen 
Rubriken ſeien verändert worden, welche ein falſches Anfangswort zeigten. Bor 

der Unterſtellung einer ſo abſurden Anſicht ſollte den großen Gelehrten ſchon ſein 

vorſichtiges „einigermaßen“ ſchützen. Zudem aber liefert Savigny einen unmittel⸗ 
baren Beweis, daß er nicht ſo thöricht urteilte. S. 187 handelt Savigny nämlich 
auf Grund der Rubriken Dudum S. 2 und Numerum S. 11 f. über die Zahl der 
Nationen, und obſchon beide Rubriken (Paragraphen) das richtige, von dem Alphabet 
geforderte Anfangswort haben, ſagt er, daß die in dieſen Rubriken gegebene Ein⸗ 
teilung der Nationen im Laufe der Zeit geändert worden ſei, „je nachdem mehr oder 
weniger Scholaren aus einzelnen Gegenden vorhanden waren“. Ebenſo führt er 
S. 543 aus, daß die Verteilung des Stoffes, welche die mit dem richtigen Buchſtaben 
beginnende Rubrik Cum expediat (Druck p. 3 mit der Ueberſchrift Quem modum ete.) 
bietet, „nicht früher als in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entſtanden 
fein“ könne. Abgeſehen davon, daß jene ihm von Denifle unterſtellte Abjurbität 
damit dem Unterſteller zugeſchoben wird, iſt dieſer Satz wieder ein Beleg für den 
glücklichen Erfolg, mit dem Savigny der geſchichtlichen Entwicklung der Einrichtungen 
von Bologna nachſpürte. Die Redaktion von 1347 hat an Stelle dieſer Rubrik 
eine andere, die wohl das gleiche Anfangswort, aber andere Beſtimmungen zeigte. 
Als Savignys Anſicht ergibt ſich für jeden unbefangenen Leſer folgendes: 1) Die 
Redaktion von 1432 geht auf eine Redaktion aus der erſten Hälfte des 14. Jahr⸗ 
hunderts zurück, welche bereits die alphabetiſche Ordnung der Rubriken hatte. 
Beides iſt durch das neugefundene Bruchſtück der Redaktion von 1317/1347 un: 
mittelbar bewieſen. 2) Die Redaktion des 14. Jahrhunderts hat „wohl das meiſte 
und wichtigſte“ ihres Inhalts nicht neu geſchaffen, ſondern hat dies aus der bisher 
geltenden Ordnung herübergenommen, die Redaktion hat mehr nur die Faſſung 
der Statuten, aber nicht den weſentlichen Beſtandteil des Inhalts geändert, und 
dieſer iſt auch in der Redaktion von 1432 bewahrt worden. 

Wie Savigny den von ihm S. 163 gebrauchten Ausdruck wohl das meiſte 
und wichtigſte verſtand, darüber gibt feine weitere Darſtellung Aufſchluß, indem 
ſie zeigt, daß Zahl und Benennung der Nationen (Provinzen), Umfang der Gerichts⸗ 
barkeit des Rektors, Stellung der Doktoren zu der Stadt wie zu der Korporation, ihr 
Eid, ihre Beſoldung, die Verfügung des Doktorenkollegtiums über die Promotion, 
die Vorſchriften über die Borlefungen, Zeit und Zahl der Disputationen, daß dieſe 
und manche andere Punkte der Verfaſſung und Gewohnheiten im Laufe der Jahr⸗ 
hunderte allerlei Aenderungen erfuhren. Jener Ausdruck wollte alſo nicht ſagen, 
daß die Statuten unverändert geblieben ſeien, ſondern nur, daß die Stellung und 
die Befugnis der Beamten und das Weſentliche der Einrichtungen bereits im Laufe 


die Wiltür, mit welcher er Behauptungen für Bewelſe ausgibt: München und Göttingen haben mir 
Bologneſet und Paduanetr Statuten geliefert, folange Me in Straßburg fehlten. 


Anhang. | 417 


Fr; allen Seiten beweilen, weil wir feine Statuten des 19. Jahrhunderts haben. Füt 
d. des 14. Jahrhunderts ergab dagegen bereits die oben an 
1 deſtellte Vergleichung, daß Savigny recht vermutet hat. Die Unterschiede det 


welche Savigny teils nachweiſen, teils vermuten konnte. Die 
ſand fi in der Lehrordnung, indem die Redaktion von 1432 
die Einteilung in puncta nicht kennt, ſondern in dem entſprechenden Paragraphen 
———  ambere Beſtimmungen bat. Aber wir ſahen auch, daß Savigny der Anſicht war. 
daß dieſer Paragraph nicht fo in der Redaktion der erſten Halfte des 14. Jahr: 
1 Zum Schluß iſt noch auf die merkwürdige Thatſache hinzuweiſen, 

daß Denifle zwar Savignys Anſicht mit Worten heftig bekämpft, daß 
er ihr aber thatſächlich beigetreten iſt, indem er das Bruchſtück der 
Redaktion von 1317/1847 aus der Redaktion von 1432 ergänzt. Und 
zwar ihut er dies fo, daß er alle Paragraphen, welche das zweite Buch der 
Statuten in der Redaktion von 1432 noch hat, als Fortſetzung des Bruchſtücks 


| ihm im ganzen fpäteren Urfprungs zu fein feinen. Er nimmt alſo aus ber 
E Nedaktion von 1432 das in dem Bruchſtück von 1347 fehlende Stüd — und dies 
h die größere Hälfte — und gibt es als Fortſetzung der Rebaltion von 1347 
und zwar fo, daß er in die der Reihe nach übernommenen Paragraphen nur zwei 
(78 und 101) aus den übrigen Gliedern der Gruppe einſchiebt und noch zwei als 
Appenbig mitteilt. Er gibt dazu in den Noten die Abweichungen der übrigen 
lieder der Gruppe von der als Text der Rekonſtruktion des fehlenden Teiles der 
Nedaktion 1317/1347 mitgeteilten Faſſung der Redaktion von 1432 in gleicher 
Weiſe, wie er dieſe Abweichungen zuſammen mit denjenigen von B (Handſchrift von 
1507, Druck von 1561) in den F 2—45 zu dem Text des Bruchſtücks mitgeteilt 
hatte. Er legt dabei die Handſchrift von 1507 zu Grunde und benutzt dieſe Ber: 
gleichung, um fpätere Beſtandteile nachzuweiſen. Hier und da wird auch die Lesart 
eines der anderen Glieder in den Text aufgenommen, aber nur vereinzelt; im 
ganzen ſtellt dieſe Rekonſtruktion der fehlenden Hälfte der Nedaktton 
von 19317/1847 eine verbeſſerte Ausgabe dieſes Teils der im Druck 
von 1561 erhaltenen Statuten dar. Da nun Denifle doch nicht ein Bild 
der Statuten von 1317/1347 geben wollte, in dem er ſelbſt „das meifte und 
wichtigſte für unrichtig hielt, ſo zeigt feine Ausgabe thatſächlich, daß auch er zu 
4 der Ueberzeugung gelangt iſt, daß die von Savigny benutzten Statuten mit Aus- 
1 ſchluß jener 18 Paragraphen ein in den meiſten und wichtigſten Punkten auch der 
1 Zeit von 1317/1347 entſprechendes Bild geben. Wo bleibt da Denifles wiederholte 
Beſchuldigung, daß bei Savigny nicht das 13. und 14. Jahrhundert, ſondern „eine 
fpätere Epoche zur Darſtellung komme, mit der Erläuterung, daß feine Quellen 
großenteils die gedruckten Statuten des 16. Jahrhunderts waren, wenn nun 
Denifle dieſe gedruckten Statuten mit wenig Aenderungen abdruckt, um das 
Raufmann, Gen der beuten liniorrätäten. 1. 27 


418 Anhang. 


Bruchſtück der Statuten von 1317/1347 zu vervollftändigen! Ob die Redaktion 
von 1317 den Statuten aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in ähnlicher 
Weiſe glich, wie ihr die Redaktion von 1432, darüber laſſen ſich nur Vermutungen 
hegen. Denifle meint, die Aenderung von 1317 ſei einſchneidender geweſen, und 
kann ſich dafür auf die Worte der hiſtoriſchen Einleitung ſtützen, allein die hiſto⸗ 
riſche Einleitung der Redaktion von 1432 klingt noch entſchiedener. Daraus iſt 
alſo kein Beweis zu entnehmen. Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts 
vollzog ſich eine wichtige Umgeſtaltung, indem ſich die Mediziner und Artiſten zu 
einer eigenen Univerſität vereinigten und einen beſonderen Rektor wählten, aber 
dieſe Veränderung hat Savigny III, 179 ſelbſt in Rechnung geſtellt und auch 
bereits erwähnt, daß 1316 der Anſpruch der Artiſten durch einen Vergleich förmlich 
anerkannt wurde. (Vgl. darüber jetzt Malagola, I rettori in den Atti e memorie 
di Romagna 1887 p. 249 und p. 255.) Es war dies vielleicht die Veranlaſſung, 
daß die Juriſten 1317 ihre Statuten einer Reviſion unterwarfen. Einen wichtigen 
Beitrag gewährt das von Rieci im Annnario di Bologna 1886/1887 p. 327 ” 
mitgeteilte Protokoll von 1321. 


Beilage 2. Zu Seite 239 und 376. 
Reggio und Siena. 

Der von Tacoli, Memorie I, 373 mitgeteilte Vertrag, durch den die Stadt 
Reggio 1270 den Guido de Suzaria verpflichtete, in Reggio Vorleſungen über 
römiſches Recht zu halten, enthält nichts, was darauf ſchließen ließe, daß in der 
Stadt ein Generalſtudium beſtand, vielmehr gewinnt man durchaus den Eindruck, 
daß Guido für ſich allein zu leſen hatte, an keine gemeinſame Ordnung gebunden 
war. Er wird verpflichtet, ordinarie et continue sicut moris est zu leſen, aber 
damit wurde er nur auf die allgemeine, an allen Generalſtudien übliche Methode 
verwieſen. Das argumentum ex silentio hat zwar immer ſeine Bedenken, aber 
in dieſem Falle iſt es von großer Kraft, denn der Vertrag iſt ſehr ausführlich 
und geht vielfach in das Einzelnſte hinein. Ich hebe einiges heraus. Der Vertrag 
beſtimmt, daß Guido de Suzaria fieret eivis, rector et doctor juris eivilis in 
eivitate Regii prout in ipsis capitulis continetur, quae capitula sunt haec: 
in primis, quod ipse D. Guido sit et esse debeat civis et habitator con- 
tinuus, sieut moris est a festo S. Michaelis proxime venturi in anten. Item 
quod ipse Guido tenentur non regere sive scholas non tenere in legalibus 
in alia eivitate vel loco praetergquam in eivitate Regii et non praestare 
patroeinium seu avocare inter illos de parte intrinseca Reginoram nes 
contra gliquem eorum pro aliquo forense vel cive Regii nee contra com- 
munem. Als Lohn werden ihm Grundſtücke zur Nutznießung überwieſen, darunter 
auch eine Mühle. Dieſe ſollen ſein Eigentum werden und auch auf ſeine Kinder 
übergehen, wenn er fünf Jahre geleſen habe. Nach einem ſtädtiſchen Statut von 
1268 bei Tacoli III, 756: doctores legum et scholares non tenea(n)tur 
venire nd eonsilium . eum erunt in scholis hielten 1268 mehrere Rechts: 
lehrer in Reggio Vorleſungen und wurden von der Stadt privilegiert — aber 
eine Vereinigung derſelben zu einer geordneten ehranſtalt iſt darum noch nicht 
notwendig anzunehmen, es ſpricht dagegen, daß 1270 eine ſolche nicht beſtand; dieſe 


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2 a 419 


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man ſich vor allem nicht durch Oinweiſe auf jenes Statut perbunfeln, 
de ac Neggio ein geordnetes Generalftubium, wie dat über bie 
Prufu Petrus Amadeus Kiginkoltus bei Tacoli III, 215 und 216 (anach 
ch bei ee III. 712 f.) mitgeteilte Protokoll und das ihm auf Grund 
der Prüfung von dem Biſchof erteilte Diplom (ebenfalls a a. O. bewelſen. Guido 
de Sugaria präfentiert den Bewerber dem Biſchof, dieſer laßt ihn in feiner 
Segenwart von verſchledenen Rechtslehrern prüfen und verfündet dann de con- 
silio praedictorum praedictum . Dominum Petrum in privata examina- 
tione „.. esse idoneum ac — ad publicam admittendum. Die publica 
fand danach ſtatt in Gegenwart mehrerer Rechtslehrer und der Scholatenlotpo⸗ 
dation (universitate etiam scholarium civitatis Regii posita coram co]. Die 
Dien wurde im Namen des Biſchofs verliehen de consilio magistrorum und 
m den Zeugen wird an erſter Stelle der Podeſta der Stadt genannt. Die 
dien wurde bezeichnet als licentiam hie et ubique in Jure civili regendi et 
dtaendl cathedram magistralem. Alſo hat Reggio zwiſchen 1270 und 1276 
* ein Generalſtudium eingerichtet und dabei die Promotion nach Analogie der 
anderen Generalſtudien jo geregelt, daß der Biſchof die Befugnis eines Kanzlers 
übernahm. Die Formel hie et ubique — regendi licentiam iſt dabei ein unmittel- 
. bares Zeugnis dafür, daß man nicht der Meinung war, dieſe Promotionen hätten 
4 mur für die Stadt ſelbſt Bedeutung. In Reggio hatte man damals nicht die 
= Anſicht, daß Generalſtudien und insbeſondere daß das jus doctorandi den 
5 Städten nur von den univerſalen Gewalten verliehen werden könne. Im beſonderen 
ergibt ſich, daß Guido de Suzaria damals ſolche Theorie nicht anerlannte. Das 
Generalftubium iſt dann bald wieder eingegangen Die von Tacoli III. 225 
und 226 mitgeteilten Geſuche mehrerer Bürger an die ſtädtiſche Regierung 1313 
und 1315, fie möge einen Rechtslehrer berufen, geben ein anſchauliches Bild von 
dem Verhalten der Städte in dieſen Dingen und zeigen deutlich, daß man damals 
einen ſcharſen Unterſchied machte zwiſchen dem Beſolden einzelner Lehrer und dem 
Errichten eines Generalſtudiums. Ueber die Bedeutung einer ſolchen Gründung 
war man ſich durchaus klar. 

In denſelben Jahren machte Siena den gleichen Uebergang durch. In Siena 
hatte früher (1252) ein Generalſtudium beſtanden, aber es war wieder eingegangen, 
wenn auch einzelne Lehrer auf eigene Hand Vorleſungen halten mochten und dabei 
von der Stadt unterſtützt wurden. — 1275 faßte die Stadt den Beſchluß. quod in 
eivitate Senensi habeatur et reducatur studium generale, ernannte eine Kom 
miſſion, welche Vollmacht erhielt de facto studii et super predictis debeant ordi- 
nare et videre securitates, privilegia et immunitates concedendas magistris et 
rectoribus legum et aliarum professionum et scolaribus universis. Es find 
über dieſen Beſchluß ausführlichere Protokolle erhalten als über ähnliche Beſchlüſſe 
anderer Stäbte, aber Denifle, der fie in den Noten 871 und 872 S. 431 f. aufs 
neue und aus den Driginalaften mitgeteilt hat, will nicht anerkennen, daß 
die Stadt hierzu berechtigt geweſen ſei. Er ſagt S. 433: „Diefe Beſchluſſe der 
Kommune von Siena bilden ein einzigartiges Faktum in der Geſchichte der mittel 
alterlichen Univerfitäten. Es tam wohl anderwärts vor, daß ſich in einer Stadt 
ein Generalftubium ex consnetudine entwickelte, auch ließen es ſich die Kom⸗ 
munen faft überall angelegen fein, in den Beſit ciner Hochſchule zu gelangen, wie 


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420 Anhang. 


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die von ihnen darüber gefaßten Beſchlüſſe beweiſen, allein man findet ſonſt nirgends, 
daß ſich eine Stadtobrigkeit für mächtig genug gehalten hätte, dieſelben mit - 
gehung der päpſtlichen oder kaiſerlichen Autorität ins Werk zu ſetzen.“ Schon 
Beiſpiel von Reggio genügt, um dieſe Erörterung zu beſeitigen, aber wir 
oben geſehen, daß Arezzo, Vicenza, Treviſo und andere Städte, für die 
keineswegs den Ausweg der anerkannten consuetudo ſuchen kann, im 13. 
14. Jahrhundert in ähnlicher Weiſe Generalſtudien errichteten; ja Siena j 
hatte bereits früher ein Generalſtudium und dies war ebenfalls ohne 
Autorität errichtet worden. Siehe das Schreiben Innocenz IV., in dem es 
wird, bei Denifle S. 430 ſelbſt. Das Beiſpiel von Reggio zeigt noch im 
deren, daß die Städte auch die Einrichtung der Promotionen ohne Papft 
Kaiſer vollzogen. Es hat ferner keinen Sinn, zu ſagen, Siena habe bei 
richtung des Generalſtudiums 1275 die kaiſerliche und päpſtliche Autorität 
gangen, denn es galt damals nicht für nötig und war nicht üblich, ſie einzuholen. 
Denifle geſteht dies in dem folgenden Satze ſelbſt zu, indem er fortfährt: „Wenn 
dies in Siena geſchah, ſo iſt der Grund darin zu ſuchen, daß das Faktum in eine 
Periode fällt, in welcher der Uſus, ſich beim Papſte oder beim Kaiſer um ein 
Univerſitätsprivileg zu bewerben, noch nicht ausgebildet war. Hätte 
dieſen richtigen Geſichtspunkt im Auge behalten, ſo hätte er uns die ganze Er⸗ 
örterung erſpart, die nur dazu dient, die Thatſache zu verdunkeln, daß Siena 1275 
aus eigener Machtvollkommenheit ein Generalſtudium errichtete und keinerlei 
Zweifel in feine Befugnis ſetzte. Darauf aber wird es doch ankommen, die Auf: 
fafjung der Italiener des 13. Jahrhunderts über dieſe Sache klarzuſtellen, nicht fie 
nach unſeren Anſichten zu meiſtern. Denifle behauptet dann weiter S. 434, daß 
dies von Siena 1275 errichtete Generalſtudium „nicht als ſolches betrachtet wurde“ 
d. h. doch, von den Zeitgenoſſen. Aber das iſt eine Behauptung, für welche er 
keinerlei Beweiſe zu erbringen im ſtande iſt. Er ſuchte ihn gewiſſermaßen in der 
Thatſache, „daß Siena mit ſeinem Studium kein beſonderes Glück hatte,“ indem 
er dies als eine Folge der mangelnden Autoriſation durch Kaiſer oder Papſt auf: 
ſaßt — aber wie viele durch kaiſerliche oder päpſtliche Stiftungäbriefe gegründete 
Generalſtudien ſind nicht zur Blüte gekommen! Es gibt doch Gründe genug, die 
ſolche Erſcheinung erklären. Die gleiche Auffaſſung zeigt Siena in den Verband» 
lungen mit den Scholaren 1321 (mitgeteilt von Banchi in Giorn. storico T. V 
[T. XIV des Archiv. stor. ital. 1861] p. 309 f). 


4 5 


Fit 


E95 


: 


Beilage 3. Zu Seite 345. 
Toulouſe, Montpellier und Orleans. 


Weſentlich verſchieden von Paris und den übrigen franzöſiſchen Univerfitäten 
erweiſt ſich Montpellier zunächſt dadurch, daß daſelbſt mehrere Univerfitäten neben: 
einander ſtanden, daß die Fakultäten ſich teilweiſe getrennt organifiert hatten. Es 
war das alſo ähnlich wie in Bologna und Padua, aber andererſeits glich ihre Ent⸗ 
wicklung doch den Kanzleruniverfitäten. Die Statuten der Mediziner von 1220 
(D’Aigrefeuille III, 515) und von 1240 (Germain III. 424), ſowie die der 
Artiſten von 1242 (Germain III. 449 f.) zeigen, daß fi dieſe Iniverfitäten 
unter der Leitung des Biſchofs entwickelten; und auch was von ihrer inneren 


Unbang. 421 


weiſt auf den Typus von Paris. Aber ihre Statuten 
ris. Die Befugnis des Bischofs erscheint . U. in 

en Stat fo ausgedehnt, wie fie in Parte nücmals war, und 
der Kanzler von Montpellier hatte mit dem Pariſet noch weniger gemein. Der 
Kanzler war nicht der Kanzler der Kirche, ſondern einer von den Nagiſtern; wenn 
man ihn aber deshalb cher dem Rektor von Paris vergleichen könnte, fo unter 
ſich dieſem ſchon dadurch, daß er von dem Biſchof ernannt wurde . 
dagegen ihre Berfaſſung dem Muſter von Bologna nach 
gebildet. Die Korporation beſtand fireng genommen nur aus den Scholaten, die 
Doktoren bildeten ein Doktorenkollegium ) neben der Scholarentorpotatton, hatten 
er die durch Verletzung der Statuten verwirkten Geldſtraſen an die Kaßſe der 
zahlen J. Sie hatten ferner dem Rektor einen Eid zu leiſten, der 
NMektor aber ſeinerſeits wieder dem Biſchof von Maguelone. Durch denſelben ver: 
pflichtete er ſich, ihm treu und gehorſam zu fein, die Rechte des Biſchofs nicht zu 
mindern, ihn und feinen anderen als den Oberen (superior) der Univerfität an: 
zuerfennen oder anzurufen, das Studium nicht ohne Wiſſen und Willen des 
Bischofs zu verlegen oder länger als acht Tage zu ſchließen. Ferner wurde der 
Generalpebell, welcher die wichtigſten Befugniſſe hatte, zwar vom Rektor ernannt, 
inte aber keinen Akt rechtskräftig vollziehen, ehe er nicht vom Biſchof beftätigt 
war ). In dieſen und ähnlichen Beſtimmungen tritt deutlich hervor, daß 

die Juriſtenſakultät von Montpellier unter der Oberleitung des Biſchofs 
und in ähnlicher Weiſe wie die der Mediziner. Sie machte den Berſuch, 
Rechte des Biſchofs zu beſchrünken, aber die Statuten von 1339 ftellten fie 


Yu Toulouſe hatten der Kanzler und die Korporation der Magiſter durch 
IV. von 1245 (Hist. de Lang. VIII. 1184 f.) diejenigen Rechte 

erhalten, wie fie die Bulle Parens scientiarum für Paris geregelt hatte, allein 
der Kanzler von Toulouſe eine ſehr viel größere Befugnis. Er 

ernannte einen der beiden Generalpebelle und empfing wie in Montpellier von 
dem Nektor alsbald nach der Wahl einen Treueid, ebenſo von den anderen Beamten. 
Zu der Wahlverſammlung dieſer Beamten wurde er eingeladen und führte, wenn 
er erſchien, den Ehrenvorſitz. Bei Feierlichkeiten der Univerſität hatte er den 
Ehrenplaß, und als ihm die Nektoren im 15. Jahrhundert dieſen Vorrang nicht 
weiter zugeſtehen wollten, kam es zu einem Vergleich, in welchem die Platze in 
der Weiſe beſtimmt wurden, daß Kanzler und Rektor im allgemeinen gleich gechrt 


1) D’Aigrefeuille III. 515. Gtatuien von 1220 Rap. 3 und Rap. 7. 1308 grwarnım bie 
egit din Bahlecht. Germain III. 433. 
2) Die Statuten von 1339 wurden (nah det hiteriiden Einleitung unt det in derhette ringriägten 


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422 Anhang. 


erſchienen, dem Kanzler aber doch immer noch ein Uebergewicht blieb ). Neben 
und über ihm bewahrte ferner der Biſchof eine kräftige Obergewalt über die 
Univerfität, er wurde geradezu als ihr „Oberer“ bezeichnet) und hatte neben dem 
Kanzler noch einen beſonderen Vertreter“) zur Ausübung dieſer Befugniffe. 

Die Verfaſſung zeigt zwar die Aemter des Rektors und der Profuratoren 
wie in Paris, aber die Bedeutung derſelben war weſentlich verſchieden. Der Rektor 
wurde abwechſelnd aus den verſchiedenen Fakultäten gewählt, nicht wie in Paris 
aus den Artiſten allein, und innerhalb der Fakultät kamen die Magiſter nach dem 
Alter an die Reihe ). Die Prokuratoren ferner waren nicht wie in Paris die 
Vorſtände der Nationen, ſondern ein dem Rektor gegebener Beirat von zwei Bacca⸗ 
laren und zwei Scholaren “), fie bildeten alſo eine Vertretung der Scholaren gegen: 
über dem aus den Magiftern gewählten Rektor, die der Pariſer Verfaſſung fremd 
war. Die Prokuratoren begegnen übrigens nur in den Statuten von 1313, in 
denjenigen von 1311 und ſchon wieder in denjenigen von 1314 ſtehen an ihrer 
Stelle zehn Konſiliare, von denen je einen der Biſchof und der Kanzler und acht 
die Univerſität ernannte, und zwar vier aus den Magiſtern und vier aus den 
Baccalaren und Scholaren ). Der Name der Konſiliare und der Anteil der 
Scholaren ) an der Verwaltung weiſen auf italieniſchen Einfluß, der vielleicht 
durch Montpellier vermittelt war, und hierin ſowie in anderen Zügen, unter denen 
namentlich das Fehlen der Einteilung in Nationen e iſt ), zeigt 
Toulouſe weſentliche Unterſchiede von Paris. 


Orleans. 


1) Zu Seite 245 Note 1. Das Programm, durch das Magiſter Poncius 1259 
in Orleans ſeine Vorleſungen ankündigte, bildet einen Beſtandteil ſeines Grundriß 
(Summa) und iſt mitgeteilt von Delisle in dem Annuaire-Bulletin de la Societe 
de Thistoire de France, Tom. VII. Année 1869 p. 150, vgl. dazu ib. p. 142: Ma- 


) Der Schiedsſpruch findet ſich Hist. de Lang. VII, 2, 604 f. gl. auch die Statuten von 
1811 Rap. 24 ib. p. 487. 

2) H. de Lang. VII, 2, 468. Statuten von 1311 Kap. 26: interdicatur eis per superiorem 
(der Bischof ift gemeint) vel eius offleialem. 

) Der Kanzler war zu ſelbſtändig, um die Rechte des Biſchofs genügend zu verirrten. Ger 
wöhnlich war der Offizial dieſer Vertreter. 

) H. de Lang. VII, 2 p. 451, Statuten von 1811 Kap. 5. 

) Ib. p. 467. Statuten von 1313 Rap. 7. 

6) Statuten von 1311 Kap. 1. Hist. de Lang. VII, 2, p. 449, Statuten von 1814 Cintettung 
ib. p. 479 und an mehreren anderen Stellen. 

) Ste batten auch Stimmtecht bei manchen Berwaltungsangelegenhelten. Siebe 3. B. die Ab- 
flimmung über eine Bitiſchrift der Pedelle wegen Erhöhung Ihrer Einkünfte 1828, Juli; der Beschluß 
wurde ſogat von Scholaren mit unterſchrieben und unterſtegelt. Vermutlich nut von ſolchen, die ger 
ee Hist. de Lang. VII, 2, 818 f. 

) Der Name If mie nut einmal aufgeſtoßen, nämlich in den Statuten von 1313 Na 4 
(H. de Lang. VII. 2 p. 406) heißt ce, daß beim Begräbnis eines Sholarem det Pede Namen und 
Herkunft verkünde talis de tall nacione. Allein in dieter Berbindung If das Wort kein Beweis 
für das Vothandenſein von techtlich organtſterten Abtetlungen det Umiverfität mit diefer Bezeichnung. 
und dleſes Statut erbringt auch welter den Briveis, daß es eine derartige Einteilung det Universitit in 
Toulouſe nicht gab. Es bestimmt nämlich, daß man die Untverſttät in ziel Abteilungen ſcheiden jollte, von 
denen immer die eine einen verſtorbenen Schelaten zur Nute getetten ſollte. Die Abteilung, welche an 
der Reihe war, hieß pars pietatis. Hätte die Nationmeintellung beſtandem, fo würde doch zumädt 
die Nation des Verſtotbenen das Gelelte gebildet haben. 5 


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Anhang. 423 


lter Poncius, seolaribus, quod rhetorica sibi tradidit claves dieiaminis et 


1  paratus est aperire vulentibus intrare ydoneis quibuscangque, Universis doeto- 
nribus et scolaribus Aurelianis studio commorantibus, F. magister in dietamine 
allem et audire mirabilia que secuntur. Cum egu Poncius irem sollieitus 


per montes et planicies et convalles, inveni quamdam virginem, in amore 
cajus ful statim medallitus sauciatus, nec fuit mirum quonlam ipsius 
virginis decoro capiti flava cesaries, auro multo splendidior, inherebat. 
Generosa frontis planities non enlcata, nive candidior ... fo noch weiter. 


‚Et quamvis soror mea Gramatica se dicat fore meam proporclonartam 
A@enoffin), ego tamen optineo principatum. Et quoniam paucos bonos 
habitatores habeo, tibi elaves accommodo, tali federe quod predictas VII 
portas, per quas tots doctrina epistolaris dictaminis figuratur, aperias 
üideliter et benigne volentibus.“ Ad me veniant igitur qui esse desiderant 
in brevi tempore optimi dietatores. Ego enim sum qui claves habeo et 
sum paratus quibuscunque ydoneis aperire. Valete. Man erinnere ſich an 


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anfügte. ; 
Alſo jenes Berbot ſelbſt ins Auge ſaſſen, und dabei find folgende Thatſachen feft: 
zuhalten. Der König beſeitigte die neue Berfafjung aus drei Gründen: 1) Weil 
die Stadt durch die von den Scholaren in Anſpruch genommenen Urtollegten 
geſchüdigt fühlte und die Neuerung nicht dulden wollte. 2) Weil die Rewerung 


eingeführt worden war auf Grund einer päpftlichen Bulle und ohne die Ein: 
willigung 


des Königs zu erbitten (universitatem hujusmodi, que causam huie 
prestabat scandalo nec fuerat auctoritate nostra subnixa, tolli decrevimus) 
) Weil die neue Berfaffung zu unruhigen Bewegungen unter den Doktoren und 
Scholaren ſelbſt Anlaß gegeben hatte. Ordonn. des roys de France I, 502. Der 
Konig fügte hinzu, daß manches berühmte Generalſtudtum durch ſolche Kämpfe zu 


424 Anhang. 


Grunde gegangen ſei. Man gewinnt aus des Königs Erlaſſen den Eindruck, daß 
die Klagen der Stadt und die in Anlaß der Verfaſſung entſtandenen Unruhen 
den vorzüglichſten Beweggrund für ihn bildeten, und wir haben keinen Grund, 
anzunehmen, daß dieſe Thatſachen nicht richtig geweſen ſeien. Von dem Wider⸗ 
ſtande der Stadt namentlich wiſſen wir auch aus anderen Zeugniſſen, und in 
Oxford, Paris, Neapel, Angers u. ſ. w. haben die Privilegien der Scholaren in 
gleicher Weiſe zu Klagen und Kämpfen Anlaß gegeben. Auch ſcheinen die Scho⸗ 
laren noch über die in der päpſtlichen Bulle verliehenen Privilegien hinausgegangen 
zu fein, denn dieſe gewährte: habeant universitatem et collegium regendum 
et gubernandum ad modum universitatis et collegii generalis »tudii Tholo- 
sani (Le Maire I, 2 p. 20), aber in Toulouſe fehlte die Einteilung nach Nationen, 
und gerade dieſe verbot König Philipp, „weil fie eine Quelle der Unruhen ſei“ 
Wenn ich nicht irre, ſo ſind übrigens dieſe Verſuche der Scholaren von Orleans 
als die Aeußerung einer im 14. Jahrhundert allgemeiner verbreiteten Strömung 
zu betrachten; in Montpellier ſuchten fie die Rechte des Biſchofs einzuſchränken, in 
Angers trat der Scholaſter hinter den Rektor zurück, und in Avignon mußten die 
Scholaren durch den Papſt (Bulle von 1367, Laval p. 18 Nro. 5) gehindert werden, 
eine Scholarenverfaſſung mit einem Rektor an der Spitze einzurichten. Namentlich 
dies letzte Beiſpiel iſt herbeizuziehen. So viel über die Motive der Erlaſſe. Sodann 
iſt hervorzuheben, daß die Erlaſſe ſowohl in der Form wie durch verſchiedene 
Stellen ihres Inhalts entſchiedenes Wohlwollen des Königs bekunden (vgl. z. B. 
Kap. 14, Ordonn. 1, 504, wo der König ſelbſt für ſich und ſeine Nachkommen das 
Amt eines Konſervators der Privilegien der Scholaren und Doktoren übernimmt), 
und daß der König eine Neuerung verbot, daß er alſo im ganzen den Zuſtand 
wiederherſtellen wollte, in welchem die Univerſität ihren Ruhm gewonnen hatte, 
und daß er ſogar eine darüber hinausgehende Entwicklung gewährte. Ob wir 
größere Freiheit für wünſchenswert erachten, iſt gleichgültig, es gilt, den Stand⸗ 
punkt des Königs zu verſtehen. Der König verbot nämlich zwar universitatem 
hujusmodi, d. h. die beſtimmte Form der Korporation, welche damals in Orleans 
von Doktoren und Scholaren gefordert wurde, als deren Charakteriſtikum er die 
Gliederung in Nationen und die Generalverſammlungen von Doktoren und Scho⸗ 
laren anführt, und im beſonderen verbot er, daß die Scholaren und Doktoren als 
Korporation oder ihre Konjervatoren für fie das Recht in Anſpruch nähmen, 
Leute aus allen Landen vor ihr Gericht zu citieren. Dieſen Mißbrauch dulde er 
nirgends in ſeinem Reiche. Der König gebraucht auch einmal eine Wendung, als 
ob er jede korporative Vereinigung unterſage, allein ausdrücklich geſtattet er, daß 
die Doktoren Statuten über die Lehrordnung und die Disziplin machen, Dekane 
haben und auch, im Fall einem Genoſſen Gewalt geſchehen jei, Berſammlungen 
berufen konnten, zu denen fie nicht nur die Doktoren, ſondern auch Baccalare 
und andere geeignete Perjonen (offenbar find nichtgraduierte Scholaren von An: 
ehen gemeint) zuziehen dürften. Außerdem gewährte er Gerichts-, Zoll: und 
Steuerprivilegien. Nach dieſen Privilegien hätten die Magiſter eine Ordnung 
aufrichten können, welche ihnen im weſentlichen diejenigen Rechte gewährte, die in 
Toulouſe von den Magiſtern geübt wurden. Toulouſe hatte zwar einen Rektor 
mit einem Beirat von Konſiliaren und Generalverjammlungen der Doktoren und 
Scholaren, allein ihre Beſugniſſe wurden in Kap. 25 der Statuten von 1311 fo eng 


P 


* ‚daginem vel cognieionem allquam, faculistelm) sui (sibi) penitus inter 
e, „„ Hist. de Lang. VII. 2, 487 1. 


Beilage 4. Zu Seite 306 Note 1. 
Tholud entnimmt S. 32 Sabign III. 357 f. die Borftellung, daß Nuten 


der Artiſtenſakultät aus dem Jahre 1472 über Mittel und Wege, wie dem groben 
Unfug und den wüſten Schlägereien der Scholaren unter ſich und mit ben 
Bürgern ein Ende gemacht werden könne. Da wurde denn beſchloſſen, bie: 
jenigen Frewler, deren Namen man kenne, und diejenigen, die bereits im Ge: 
fängnis gehalten würden, zu beftrafen. IIli autem, qui delinquere assueti 
men essent, sive per 3 sive per virorum fide diguorum 

0 „sive per registrum dieti castelli (dad Gefängnis), quis sacpe 
de dietarum insolentiarum cessatione praemoniti fuerant, secundum statum 
 enjuslibet punirentur. Hoc est si magistri essent, quod absit, gradus 
* honore, franchisiis, emolumentis ac libertatibus usque ad vitae emendationem 
sppareniem privarentur. Si autem scholares essent et licentiandi sive 
mägistrandi, a promotione ad dictos gradus pro illo anno simpliciter et 
quosd annos sequentes usque ad rectoris et rectorise beneplacitum repel- 
lerentur. Si autem baccalarii illo anno efecti essent, sive simplices scho- 
lares grammaticae vel artibus insistentes, in suis collegiis coram dd. pro- 
eurstoribus virgis acriter affieianter. Si autem graduati non essent et 
studentes in aliqus aliaram facultatum, illad decano suae facultatis notif- 
earentur, ut poena condigna puniantur. Alſo felbft in dieſem Falle wurde 
die Prügelftrafe durch ein gerichtliches Verfahren verhängt und nur über diejenigen 
„welche noch nicht determiniert hatten oder im Laufe desſelben Jahres 
determiniert hatten und Baccalare geworden waren. Man konnte im fünfzehnten 
beierminieren und war dann alſo bereits im ſechzehnten frei von dieſer Strafe. 
Wer allerdings erſt im achtzehnten und neunzehnten determiniert hatte, wurde wie 
bie jüngeren behandelt. — Bulacus V. 783 f. gibt ein Statut der Fakultät von 1458 
gegen Unfug der Scholaren an den Feſttagen: puniatur delinquens juvenis 
scholasticus in aula collegii, cujus se profitetur scholasticum a 4 regentibus, 
et a singulis eorum verberetur virgis in dorso nudus, praesentibus omnibus 
scholasticis de suo collegio ad pulsum campanae, ac praesente d. reciore 
cum dd. procuratoribus, si illis placet hie adesse, si opus est, aut saltem 
praesente aliqua gravi persons, quam magister paedagogus appellare de- 
ereverit ad majorem delinquentis juvenis erubescentiam. Alfo auch hier die 
Form einer richterlichen Exekution und die Beſchränkung auf die jüngeren Scho⸗ 
laren. Aber auch dieſe konnten ſich weigern, ſich der Strafe zu unterwerfen — 


Al 


426 Anhang. 


dann wurden fie aus der Univerfität ausgeſtoßen. Quod si hane poenam subire 
delinquens ille noluerit, aut per fugam aut alia via, ne puniatur, impedi- 
mento sit: privabitur omnino ac perpetuis temporibus et in libro procura- 
toris suae nationis hujusmodi privatio ad memoriam ac terrorem aliorum 
inscribetur. Dasſelbe gilt von einem Beiſpiel aus dem Jahre 1469, das 
Jourdain Nro. 1369 p. 294 bietet. — Den gleichen Charakter trug die Disziplin 
in Oxford. Anſtey gibt Mun. acad. p. LXXX ein anſchauliches Bild, aus dem ich 
einige Züge heraushebe. Der Pedell tritt in eine Vorleſung to summon a scholar 
before the chancellor, for last night he was discovered in the act of vio- 
lently carrying off beer from a taverner ... he has frequently been fined 
to the extreme limit allowed by the statute for wearing a dagger, more 
than once he has been excommunicated for violence and now he has shot 
ät the proctor walking the streets by night. He... accompanies the bedel 
to the lodge of the chancellors commissary ... a large number of scholars 
accompany him, not a few seem inclined to attempt a rescue, but the idea 
is abandoned and only two companions enter the lodgings with him. The 
chancellors commissary and proctors are all armed ... and the offence 
being grave and aggravated by previous delinquences, the culprit is in- 
stantly banished from Oxford for ever. 


Beilage 5. Zu Seite 365 und 366, 


In dem Druck der Statuten von 1561 findet ſich p. 40 (Archiv III, 327 
Rubr. 53) ein Satz, der als Anfang einer förmlichen und amtlichen Anerkennung 
des Titels Baccalare angeſehen werden kann. Illos volumus baccalarios nun- 
cupari et pro baccalariis haberi etiam, non aliter, qui legendo prosecuti 
fuerint lectiones alicujus libri canoniei vel eivilis vel legem aliquam seu 
decretalem repetierint publice cum oppositis et quaesitis forma et tempore 
in praecedenti proximo statuto particulariter declaratis. In dieſem vorauf⸗ 
gehenden Statut ($ 52) heißt es, daß kein Scholar ſolche Vorleſungen halten dürfe, 
der nicht im kanoniſchen Recht fünf Jahre oder im Zivilrecht ſechs Jahre ſtudiert 
habe, ohne daß die Benennung Baccalar gebraucht wird. Der Zuſatz § 53 ergänzt 
alſo die frühere Beſtimmung, indem er den für dieſe Scholaren außeramtlich üblichen 


Namen Baccalare in die Amtsſprache erhebt und ihn dabei jo näher beſtimmt, daß 


er ihn nicht auf alle leſenden Scholaren, ſondern nur auf diejenigen angewendet 


haben will, die bereits gewiſſe Vorleſungen geleſen haben. Die Statuten von 


Perugia (Redaktion von 1457, Ub. II, 20 bei Padelletti p. 108) haben jene 
Rubrik 58 mit der gleichen Ueberſchrift und bis auf kleine Aenderungen wörtlich 
übernommen, aber jenen Zuſatz haben fie nicht. Statt deſſen haben fie zu Anfang 
die Wendung bachalarii vel alfi scholares extraordinarie legentes, 
während die Statuten von Bologna nur allgemein extraordinarie legentes 
ſchreiben und dann jenen Nachſaß bringen. Die Auffaſſung war in Perugia ohne 
Zweifel dem Brauche von Bologna entſprechend, bacenlarii nannte man die 
Scholaren, die bereits einmal geleſen hatten. Die Florentiner Statuten haben 
dieſe Rubrik nicht, indeſſen iſt damit noch kein ſicherer Beweis erbracht, daß fie 
erſt nach 1388 in die Bologneſer Statuten Aufnahme fand. Das Bruchftüd der 


Aubaug. 427 
— — — — ä — 
Redaktion von 1347 reicht nicht jo weit, geftattet alfo feine Bergleihung. Licentintus 
gebrauchen die Bologneſer Statuten öfter, und $ 46 Qui et quando debeant 
disputare ,.. (Archie III, 821, Druck von 1561 p. 38) werben Barcalar und 
und Ligentiat ausdrücklich als zwel Grabe unterſchieben: scolares non habentes 
ahquem ex praedietis gradibus. Diele Wendung fehlt in den entipredhenben 
Baragraphen der Statuten von Florenz, Perugia und Babu II, 11 fowohl in dem 

auch in dem vielfach abweichenden Text der Handschrift NRro. Ide l. Allem 
rr 


x 
3 
: 


m habentes, ad publicam (privatam) 


admissus, und jeher charafteriſtiſch ſteht dieſe Bezeichnung und nicht licentiatus da, 
wo von der durch den Notar geführten Lifte über die in der privata Geprüften 
die Rebe if. Es heißt p. 44 (Kubr. 59 Archiv III. 341): der Notar ſolle appro- 


I 
! 
: 
2 * 
3 


publicas admissorum seribere in libro quodam. 
lich der Grad des Lizentiaten verliehen, ſondern 
+ Ligentiaten noch als admissi ad publicam betrachtet, und wenn man 
als Grad behandelte, jo geſchah das noch 1561 mehr nach Analogie. 
Statuten der Juriften von Padua (Druck von 1551) habe ich die Be: 
baccalarins gar nicht gefunden, und licentiatus nur lib. III. 13, wo 
„ daß der Notar nomina omnium licentiatiorum et doctoratorum in 
ſolle. Wenn aber die Ausdrücke auch einige Male vorkommen 
doch nicht, wo man fie erwarten müßte, wenn fie regelmäßig 
geweſen wären, auch nicht II, 11, wo die Handſchrift Nro. 1881 


+ 


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Beilage 6. Zu Seite 366 Note 2, 

Statuta dominorum Artistarum Achademine Patavinae XL (nicht XXX VIII 
Blatt, Mein Quart, ohne Jahr; offenbar 1496 oder bald danach, da von dieſem 
Jahre die letzte Beſtimmung. Die Redaktion der Statuten iſt von 1465). Lib. II. 30 
Blatt XXVIlI: De baccalariis (et) doctoribus artium vel medieinne, qui non 
ezaminantur in collegio stadii Patavini. Plerique vel paupertate coacti 
vel alis causa indueti, quum non possint vel nolint ex aliqua causa se 
subjicere examini clarissimi collegii in artibus medieinae, baccalariatus 
vel doctoratus gradum sumunt ab aliquibus, qui ex apostolica, vel impe- 
ratoria auctoritate facultate(m) et privilegium habent, hujusmodi baccalarios 
vel doctores ereandi. (Quare statuimus, quod de caetero nullus Paduse vel 
in Paduano distrietu aliquem de praedietis gradibus assumere a quopiam 
possit, nisi in presentia nostri rectoris vel ejus substituti et notarii nostri. 
quibus sine ulla exceptione solvere eam pecuniam teneatur, quam rectori 
et universitati et notario nostro solvisset, si in collegio doctorum con- 
ventuntus et examinatus fuisset. Nee de predictis pecuniis universitati et 
"reetori et notario spectantibus ulla relaxatio vel gratis fert cufpiam possit: 


1) Eine ane bietet das Statut der german. Nation vom 1816. Acta 5 11 


428 | Anhang. 


sub paena perjurii et dupli et insuper privilegium seu instrumentum, quo 
sic gradum baccalariatus seu doctoratus in artibus vel medieins obtinnerit, 
per nullum alium quam per notarium nostrum fieri possit, pro cujus 
mercede solvat ei ducatum medium; et si fieret ab alio notario, tamen 
noster idem exigat ac si ipse fecisset; recusans vero solvere predietas 
pecunias non solum ad solvendum quibusvis modis cogatur sed etiam per- 
jurus ac infamis, priuatusque omni universitatis commodo publicetur. 
Rector autem in baccalariis ab ipso creandis ex auctoritate, qua fungitur, 
antequam illi gradum baccalariatus conferat, in ejus presentia super duobus 
punctis sibi assignatis, per duos idoneos doctores legentes, quos ipse rector 
elegerit, diligenter examinari faciat. A quibus si approbatus fuerit, illi 
gradum baccalariatus conferat, et privilegium per notariam nostrum fieri 
mandet, subsignatum sigillo pendenti nostrae universitatis. Pro tali autem 
examine et gradu solvat rectori ducatos duos, universitati due. medium, 
doctoribus eum examinantibus unum par cyrothecarum, seu sol. sex, bi- 
dello, sol. XX. Notario vero pro ejns salario et mercede ducatum unum. 
Nee de praedictis pecuniis a quopiam aliguid remitti possit sub paena 
praedicta. 

Neapel zeigt ſchon im 13. Jahrhundert häufigen Gebrauch der Bezeichnungen 
baccalarius und licentiatus, vgl. z. B. die Prüfungsordnung von 1778 (Del 
Giudice I, 265 f. Note), aber eine Baccalariatsperiode hat es in Neapel nicht 
gegeben, und wenn die Stellen, an denen magisier seu licentiatus oder con- 
ventari (promovieren) seu licentiari gejagt wird, zwei verſchiedene Formen der 
Verleihung der Lizenz meinen, jo vertrat doch jedenfalls der mag ter licentiatus 
nicht eine untere Stufe zu dem magister conventatus, ſondern erſcheint im Voll⸗ 
befig der Rechte. Auf eine Prüfung der einzelnen Stellen kann ich hier nicht 
eingehen, aber die Frage verdiente eine beſondere Unterſuchung. 


Beilage 7. Zu Seite 287. 


Der Note 1 erwähnte Brief lautet bei Wad ding, Annales Minorum IV, 5: 
Dolenter audivi processum contra Joannem de Parma, ordinis generalem, 
eumque aemulatorie de haeresi accussari. Ego ejus fidem pariter cum 
sanctitate jamdudum expertus sum, etiam antequam assumerer ad cardi- 
nalatum, neque sanctiorem aut fideliorem cognovi alium: quare non dubi- 
taverim dicere, quod fides ejus mea fides est. Rogaverim ergo affectuo- 
sissime, ne temere aut ex partium studio procedatur contra hominem 
sanctum ... in quibuscunque eum condemnaveritis, me etiam condemna- 
bitis et cum eo esse volo. 


Beilage 8. Zu Seite 362. 


Die Beſchwerde, welche die Baccalare und Scholaren von Montpellier 1390 
über die Faulheit und Habſucht der Proſeſſoren bei den königlichen Behörden und 
gleichzeitig in Abſchrift bei der Stadt einreichten, ſteht Germain III, 444 f. 
Darin heißt es nach anderen Kraftſtellen geradezu: Sie studentes promovendi 


feiert die Dialektik 


non sclentie examina dubitant, sed bursarum, nec magistri promovendos 


querunt scientificos sed opibas refertos et peccunlosos. Hoc tarpis Ineri 
medio appoihacarios ei barbitunsores Ignaros et quasi mere layens (b. . 
mit ſchulmäßig gebildet) sine temporis requesta in universitatis verecundiam 


a e vilipendiam promovent, ut ceteri viri notabiles et scientiffel hoc pro- 
e #pieientes in cadem universitate quasi dedignantur de cetero graduari ... 


scolares igitur, studentes et bacallarli hujus alme universitatis sentientes 
gravamen ... recurrunt ad vos, metuendissimi domini, auctoritate regia 
lingue hoceitane consillarii et rectores bene meriti, humillime suplicantes, 
ut... universatem dietam medicorum ruituram ... aliquatenus reformetis. 


Zu Seite 26. 


Ein Gegenftüd zu der Erklärung von ethicus bietet eine Gloſſe zu Sallust. 
Jug. Cod. Monac. 14748 f 37". Histrionem est joculatorem ab histria regione 


aut a canendo historias, welche mir mein Kollege Dr. Nollweide mitteilte. 


| Zu Seite 28 Note 2. 

Wrobel hat dem während des Druckes dieſes Buches erſchienenen erſten Bande 
feined Corpus grammaticorum medii aevi, welcher Eberhardi Bethuniensis 
Graeeismus enthält, als Motto Worte aus Haase, De medii aevi studiis philo- 
logieis vorgeſetzt, welche zeigen, daß er im ganzen Haaſes günſtiges Urteil teilt. 


Zu Seite 60. 


Dan vergleiche die Schilderung bei Landsberg, Die Gloſſe des Accurſtus S. 27: 
Die formale Logik. . fängt nun an, ſich bloßer Endzweck zu fein und zu einer Reihe 
von Spielereien zu verlocken. Hierher gehören die consequentia, die Lehre von 
der suppositio und den exponibilia, ſpäter treten auf die insolubilia, d. h. die 
Erörterung ſchwer zu löſender logiſcher Probleme, ihren hödften Triumph aber 

in der Theorie der Obligatoria, d. h. förmlicher, weit aus 

und aus geſponnener Regeln über den Disputierkampf, 3. B. darüber, 
ſich gegenſeitig einräumen müſſe und was nicht, wie weit man eine 
unter irgend einer Borausfegung vorgehen könne, um den Gegner zu 
widerlegen, dem aber das Recht zuſteht, im geeigneten Moment dieſe Vorausſctzung 
wieder aufzuheben, wofür er dann den techniſchen Ausdruck „cedit tempus* zu 
gebrauchen .w. Schon zur Zeit des Hollot (T 1349) ſcheint all dies ganz 
ausgebildet geweſen zu fein. (Bol. Prantl IV, 58.) 


Zu Seite 177 Note 1. 
Ueber den Zinsfuß beſtimmte 3. B. die Stadt Padua durch Statut von 1285 
(Statuti del comune di Padova, ed. Andrea Gloria 1873. Padova Nro. 864 


p. 292 vorgeſchrieben, elvis terrerius quam forensis ... aceipere possit pro 
libra alle Monate (in ratione mensis) 


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ee a r ET EG 7 
7 * * 9 2 7 : 


430 Anhang. 


den. 6 supra cartam (gegen Schuldſchein) = 30% für das Jahr 
den. 4 supra pignus (gegen Pfand) zu 20%: 

In ähnlicher Weiſe erlaubte Parma 20% Zinſen. Statuta communis Parmae 
anni 1347 p. XVIII Note 4 in den Monumenta historica ad provineias Par- 
mensem et Placentinam pertinentia. Parmae 1869. 4. Ueber Münzen und 
Geldwert handelt Savigny im Anhang I von Bd. III (S. 611630), in den ſeither 
herausgegebenen Statuten und Chroniken findet ſich viel neues Material. So in 
den Cronache e statuti della eitta de Viterbo (Docum. di stor. ital.), ed. 
J. Ciampi 1872, vgl. die Stellen im Regiſter unter monete und in den Statuta 
civitatis Mutinae reformata (Monum. di storia patria). Nach p. LXXXVII 
der Einleitung war bis 1336 die lira imperiali = 24 fres. (alſo 1 soldo = 1.20 
und 1 denar = 0.10; die lira di Modena = ½ lira imper. = 8 fres. Für 
Padua hat Andrea Gloria in den Monumenti della universitä di Padova 1884 
(Estratto aus den Memorie del Reale Istituto Veneto Bd. XXII, 2, 1885) eine 
die Aufſtellungen Savignys ändernde Tabelle der Paduaner Münzen gegeben. Für 
Spanien ſiehe die Unterſuchung über die Münzen Alfons X. in Bd. VIII der 
Memorias de la Real Academia de la historia. Für Oxford hat Anstey, 
Mun. acad. p. XCV f. eine Unterſuchung über die Koſten des Studiums und den 
Geldwert angeſtellt. Kap. 40 der Toloſaner Statuten von 1314 (Histoire de 
Languedoc VII. 2. 508) enthält Angaben über Preiſe von Kleidern. 


Zu Seite 217 Note 1. 


Als Parallele diene die Beſtimmung der Statuten von Toulouſe (Stat. von 
1311 Kap. 17) Histoire de Languedoc, VII, 2, 456: quilibet ... scolaris, dum 
tamen major X annis extiterit, juret in manibus rectoris secundum formam 
juramenti generalis. 


Zu Seite 238. 


Die Bulle für Kulm iſt danach wiederholt in Arnold, Hiſtorie der Königs⸗ 
bergiſchen Univerfität Bd. I (1746) VII als Beilage 3 und jetzt nach dem Original 
und mit dem richtigen Jahre 1386 bei Woelky, Urkundenbuch des Bistums Kulm 
Bd. 1 (1885) p. 289 f. Nro. 369 gedruckt. 


Zu Seite 352. 


Allgemeine Sommerferien ſcheinen in den Stadtuniverſitäten erſt jpät ein⸗ 
geführt zu fein. Die Statuten von Bologna von 1317/1347, ſowie die von Florenz 
und Perugia erwähnen fie nicht, obſchon in Perugia nach II, 18 und in Florenz 
nach Rubr. 57 (= II, 18) viele Borlefungen ſchon im Juni oder Juli geſchloſſen 
werden mußten. In der Redaktion von 1432 ſetzen die Bologneſer Statuten 
(Druck von 1561 p. 35) generales vacationes vom 7. September bis 19. Oktober, 
die Statuten von Padua (Druck von 1551 Bl. 98) II, 33 vom 15. Auguſt dis 
8. Oktober, die der Artiſten (Druck von 1496 Bl. XXX) II, 42 vom 15. Auguſt 
bis 19. Oktober. 


Zu Seite 360. 


An einzelnen Kanzleruniverſttäten entwickelte ſich auch die Beſoldung. So 
mußte in Toulouſe der Graf gleich bei der Gründung eine beftimmte Summe für 


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man namentlich der Univerfität beftimmte Pfarreien in der Weile zu überweiſen, daß 
fie dauernd von geringer befolbeten Bilaren verwaltet wurden, damit die Ucberſchuſſe 
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Zu Seite 362 f. Note 3. 


Eine beſonders reichhaltige Quelle von Beiſpielen, daß magister und doctor 
und die davon abgeleiteten Begriffe gleichbedeutend gebraucht wurden, bieten die 
Bullen Johanns XXII. für Perugia. Die Bulle von 1818 (Rossi Nro. 28) be: 
zeichnet zunächſt das dem Biſchof für die beiden Rechte verliehene Bromotions recht 
als facultstem impertiendi docendi licentiam, ebenſo das Geſuch durch 
qui sibi in eodem studio docendi licentiam, ut alios licentius erudire valeant 
petierint impertiri in jure canonico et civili, und die Berleihung der juriſtiſchen 
Doktorwürde erſt durch titulo magisterii decorari, dann promoreri ad doecto- 
ratus seu magistratus ofßeium, dann durch impertiri licentiam ober largiri 
licentiam, dem auch entſprechend obtinere licentiam ſteht. Die Mitglieder der 
Fakultät, alſo die doctores juris, werden in dem weitaus größten Teile der aus: 
führlichen Bulle nur (und zwar an vier Stellen) magistri, am Schluß dagegen 


abwechſelnd magistrandi, doctorandi und licentiandi. Denſelben Wechſel des 
Sprachgebrauchs zwiſchen doctor, magister, doctoratus sen magistratus olficium, 
doetorandus und licentiandus zeigt die Bulle von 1821, durch welche Johann XXII. 
das Necht verlieh, in der Medizin und den Artes Promotionen vorzunchmen 
(Rossi Nro. 88). Johann XXII. machte keinen Unterſchied im Gebrauch der Titel 
und Magiſter; er gebrauchte fie abwechſelnd, und zwar ſowohl in der 
der Juriſten wie in der Fakultät der Mediziner und Artiften, und er 
und mit dieſem Sprachgebrauch nicht allein. Bgl. auch oben S. 100 Anm. 2. 


* 


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1 

1 

2 


Alphabetisches Register der citierten Werke. 


Abaelardus, Opera, eitiert nach Migne 178 und ed. Cousin 1869. 

Abhandlungen der königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, 
siehe Jordanus. 

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Agricola, Rud., Lucubrationes. Coloniae 1491. 

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Annuario di Bologna. 1886/1887. Bol. 1886. 

8. Anselmus, Opera. Migne 158. 159. 

Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde. Bd. I. 1820. 

Archiv für Litteratur und Kirchengeschichte des Mittelalters. Herausgeg. 
von H. Denitle O. P. und Franz Ehrle 8.J. Berlin. Weidmann. I—III. 
1885 — 1887 (eitiert als „Archiv*). 

Archivio giuridico. Bol. 1867—1887. 38 Tom. 

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Baker, Th., History of the College of St. John, ed. by John Mayor. 2 Bde, 
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Baldricus, archiepiscopus Dolensis. Migne 166. 

Balliano, Della universitä degli studi di Vercelli. Vercelli 1868. 

Baldus de Ubaldis, Commentaris. Venetiis 1616. 

Baluzius, St., Miscellaneorum libri VII. Paris 1678. 7 vol. 8. 

Barkhausen, H., Statuts et Reglements de l’ancienne Université de Bordeaux. 
Bordeaux 1886. 


1 J. J., Die Stastelehre des Thomas von Aquino, Leipaig 1878. 
Bernard, Eug., Les Dominicains dans l'universit# de Paris. Paris 1888, 


8. Bernardus Olarsevallensis, Opera. Migne 182. 
Bernheim, E., Der Charakter Oos von Freising und seiner Werke, s. 


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1-59 (1885). 
Bezold, von, Die Lehre von der Volkssouveränität im Mittelalter. Histo- 
rische Zeitschrift. Bd. 36. 1876. 
Bimbenet, E., Histoire de l'universitö d. lois d Orleans. 1851. 
Böhmer, J. F., Regesta Imperii. T. V. Die Regesten des Kaiserreichs 1198 bis 
1272, neu herausgegeben und ergänzt von J. Ficker. Iunsb. 1881. Citiert 
Böhmer-Ficker. Die beigefügte Zahl bedeutet die Nummer des Regests. 
S. Bonaventurs, Opera. Lugduni 1668 und Moguntise 1611. 
(Bongars, J.) Gesta Dei per Francos. 2 Bde. Hanovise 1611. j 
Borsetti, Ferrante, Historia almi Ferrarise Gymnasii. 2 tom. Ferrarine 
1735. 
er Receuil des historiens des Gaules et de la France (Rerum franci- 
rum Scriptores). Paris 1738 f. 
L’Eneyelique Aeterni Patris. Strasbourg 1883. 
Brockhaus, H., Spezielle Erörterung der in Hegels Einleitung enthaltenen 
Prineipien. Königsberg 1846. 
Brown, Edward, Appendix ad Fasciculum rerum expetendarum et fugien- 
darum. London 1690. 
Brunner, H., Holtzendorffis Eneyklopadie der Rechtswissenschaft. Erster, 
Teil. 3 A. Leipzig 1877 8. 220 f. 
Buddensieg, R., Joh. Wielif und seine Zeit. Halle 1835. 
Bulaeus (Du Boulay), Historia Universitatis Parisiensis. 6 Tom. Paris 1668 
bis 1670. 
Bullarium Romanum. Augustae Taurinorum 1857 f. 
Bury, Richardus de, Philobiblion, ed. H. Cocheris. Paris 1856. 
Cacheux, N., La philosophie de 8. Thomas. Paris 1858. 
Carmina burana, herausgegeben von Schmeller in der Bibliothek des Lit- 
terarischen Vereins. Bd. XVI. 1847. Neudruck: Breslau 1887. 
Cartulaire municipale de la ville de Lyon, ed. Guigue. Lyon 1876. 
Cenni storiei sulla universith di Torino, Tor. 1872. 
Codex diplomaticus Labecensis. Lübeck 1843— 1868. 
Codice diplomatico del regno di Carlo I, u. II., s. Del Giudice. 
Los codigos espanoles concordados y anotados. Madrid 1847— 1851. 
Coleecion de documentos ineditos para la historia de Espaüs. Madr. 1842 f. 
Colle, Fr., Storia scientifico-letteraria dello studio di Padova. 4 Vol. 1824. 
Coppi, Ettore, Le universitä italiane nel medio evo, 2. ed. Firenze 1880. 
Corpus juris eivilis. Editio stereotypa. Institutiones recens. F. Krüger, 
Digesta recens. Th. Mommsen. Berolini 1872. Codex Justinianus rec. 
P. Krüger. Berol. 1877. Novellae rec. R. Schoell (noch unvollendet). 
Corpus juris canoniei, ed. J. H. Böhmer. 1747; ed. Friedberg. 1879 f. 
Rauimann, Seite der deutschen Uninerfitäten. J. 25 


434 Alphabetisches Register der citierten Werke. 


Dante Alighieri, Opere minori, ed. Fraticelli. 4. Aufl. Firenze 1882. 

Danzas, A., Etudes sur les temps primitives de l’ordre de 8. Dominique. 
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Delisle, L., Le cabinet des manuscrits de la Bibliothèque Imp£riale, s. Histoire 
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Denifle, H., Die Universitäten des Mittelalters bis 1400. Bd. I. 1885. Berlin. 

— Im Archiv für Litteratur und Kirchengeschichte des Mittelalters I, 49 f. 
(1885), Das Evangelium aeternum und die Kommission zu Anagni. 
I. 165 f. Die Konstitutionen des Predigerordens vom Jahre 1228. 
III, 196—397 (1887), Die Statuten der Juristenuniversität Bologna 
vom Jahre 1317—1347 und deren Verhältnis zu jenen Paduas, Perugias, 
Florenz’. 

Deutsch, 8. M., Peter Abälard, Leipzig 1883. 

Disputatio Mundi et Religionis, s. Hauréau in der Bibliothöque de l’&cole 
des chartes. 1884. 

Documenti di storia italiana per le provincie di Toscana, dell Umbria e 
delle Marche. 4. Tomo V: Cronache e Statuti della citta di Viterbo, 
ed. J. Ciampi 1872. Tomo VII: s. Statuti della universitä e studio 
Fiorentino. Tomo VIII: Codice diplomatico della eitta d' Orvieto, 
ed. L. Fumi 1884. 

Dollinger, J. v., Der Weissagungsglaube und das Prophetentum in der 
christlichen Zeit, in dem Historischen Taschenbuch. Jahrg. 1871. 

Douais, C., Essai sur Porganisation des études chez les frères Pröcheurs. 
Paris und Toulouse 1884. 

Du Boulay, 8. Bulaeus. 

Dühring, Eug., Geschichte der Philosophie. 3. Aufl. Leipzig 1878. 

Du M£ril, Edélestand, Poésies populaires lat. du moyen-äge. Paris 1847. 

Dümmler, E., Anselm der Peripatetiker. Halle 1872. 

Duns Scotus, Opera (ed. Wadding). Lugd. 1639. 

Dureau de la Malle, M&moire sur la population de la France in den Me- 
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— Documeut statistique inédit in der Bibliothèque de l’&cole des chartes II, 
169 f. 

Ehrle, Fr., Die Spiritualen, ihr Verhältnis zum Franziskanerorden und zu 
den Fraticellen im Archiv f. L. u. K. des Mittelalters I, 509. 

— Bibliotheca theologiae et philosophiae, Parisiis 1885. 

Engelhardt, J. G. V., Kirchengeschichtliche Abhandlungen. Erlangen 1832. 

Erdmann, J. Ed., Grundriss der Geschichte der Philosophie 1866. Berlin. 

— Scholastik, Mystik und Dante, im Jahrbuch der deutschen Dante-Gesell- 
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Espana sagrada, Madrid 1747 f. 

Fabroni, A., Historia Academise Pisanae. 3 Bde. Pisis 1791—179. 

Fantuzzi, Giov., Notizie degli Serittori Bolognesi. Bologna 1781—179. 

Ferry, C., De Marbodi Rhedonensis episcopi vita et carminibus, Nem. 1877. 

Ficker, Jul., Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens. 4 Bde, 
Innsbruck 1868—1874. 


Alphabetisches Register der eitierten Werke. 


, Jul., Ueber die Entsiehungsverhältnisse der 
Romanorum. (Zweiter Ergänzungsband der Mitteilungen des Instituts 
fur österr. Geschichtsforschung. 1886.) 
FPitung. Hermann, Das Castrense Peeulium. Halle 1871. 
Aar Geschichte der Rechiswissenschaft im Mittelalter in der Zeitschrift 
4 der Savigny-Stiftung. Rom. Abt. Bd. VI 1885. Bd. VII 1886. 
Forschungen zur deutschen Geschichte. Göttingen 1862 fl. 
Franklin, A., La Sorbonne. Paris 1875. 
Fuller, Th., History of the University of Cambridge, edited by Prickett 
and Th. Wright. Cambridge u. London 1840. 
Gaggius, Angelus, Collegii Bononiensis origo. Bon. 1710. 
Gariel, Petrus, Series praesulum Magalonensium et Monspeliensium, 2. ed. 
Tolosae 1665. 
Gaudeamus! Carmina vagorum selecta (ed. Peiper), ed. 2. Leipzig 187%. 
Gaullieur, Ernest, Histoire du College de Guyenne. Paris 1874. 
- Gelahrte Preussen, Das. Thorn 1723—1725. 
‚Germain, A., Histoire de la commune de Montpellier. 1851. 
Gersonius, J., Opera. Parisiis 1606. 
‚Gervasius, epistolae, s. Hugo Sacrae Antiquitatis Monumenta. 
Gerte abbatum 8. Albany, ed. Riley 1867. (Rer. Brit. m. aevi 88.) 
| del, Della historia di Bologna. Bol. Bd. 1 1596. Bd. II 1657. 
Gierke, O., Das deutsche Genossenschaftsrecht. 3 Bde. Berl. 1868 - 1881. 
Johannes Althusius (Untersuchungen zur deutschen Staats- und 
Rechtsgeschichte. Bd. VII. 1880.) 
Giesebrecht, W. v., Geschichte der deutschen Kaiserzeit. g. A. Brschw. 1869. 
— Neue Gedichte auf Kaiser Friedrich I. (Sitzungsberichte d. königl. bayer. 
Akademie d. Wissenschaften. Phil. Phil. Histor. Klasse. 1879 II. 269 f) 
— Die Vaganten oder Goliarden und ihre Lieder. Allgemeine Monataschrift 
für Wissenschaft und Litteratur. 1858. 
Gieseler, J., Lehrbuch der Kirchengeschichte. 4. Aufl. Bonn 1844 f. 
Giraldus Cambrensis, Opera, ed. Brewer 1861 f. (Rerum Britannicarum 
medii aevi seriptores.) 
Gloria. A., Monumenti della universitä di Padova. Venezia 1884. (Estr. 
dal V. XXII delle Memorie d. R. Istituto Veneto.) 
Goldast, M., Monarchia Imperii Romani. 3 P. Han. u. Franeof. 1611 1614 
Gonzales (ubersetzt von Nolte), Die Philosophie des heil. Thomas. 3 Bde. 1885. 
Gondin (Bruchard), Philosophie suivant les prineipes de 8. Thomas. 4 Bde. 
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Grimm, Jakob, Deutsche Rechtsaltertümer. Göttingen 1828. 
J Annalen der Universität zu Wittenberg. Meissen 1801. 
Gudenus, V. F. de, Codex diplomatieus exhibens anecdota res Moguntinas 
ilustrantia. 5 Tom. Göttingen 1743. 17471768. 
Guido von Arezzo. Migne 141. 
Guillelmus abbas, disputatio adversus Abaelardum. Migne 180. 
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Guilelmus de S. Amore, Opera. Const. 1632 


ae 


u 


436 Alphabetisches Register der citierten Werke. 


Haase, Fr., De medii aevi studiis philologieis. Breslau 1856, 

Hagelgans, J. G., Orbis literatus academicus. Francofurti 1785. 

Hartwig, O., Leben und Schriften Heinrichs von Langenstein. Zwei Unter- 
suchungen, Marburg 1858. 

Hasse, F. R., Anselm von Canterbury. 2 Bde. Leipzig 1843 und 1852. 

Hauréau, B., Histoire de la philosophie scolastique. 2 A. Paris I 1872. II 1882. 

— Les an poétiques d’Hildebert de Lavardin. Paris 1882. 1 

— s. Notices et Extraits. Tom. 31. 1886. 

Helinandus monachus, Migne 212. 

Hertz, M., Spielmannsbuch. Stuttgart 1886. 

Heumann, s. Chr. A. Conringius, H., De antiquitatibus academieis. Gött. 1739. 

Hildegardis Revelationes. Migne 197. 

Hinschius, Paul, Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in 
Deutschland. 4 Bde. Berlin 1878 — 1886. 

Histoire generale de Languedoc par Devie et Vaissette. Edition accompaguce 
de dissertations et notes nouvelles. Toulouse 1873 fl. 

Histoire générale de Paris. Daraus: Franklin, Les anciennes biblioth&ques 
de Paris 1867; Delisle, Le cabinet des manuserits. 2 T. 1868 u. 1874. 

Holstenius, L., Codex regularum monasticarum et canonicarum, Aug. Vind. 
1759. 6 Tomi. 

Hubatsch, O., Die lateinischen Vagantenlieder des Mittelalters. Görl. 1870. 

Huber, A., Die englischen Universitäten. Kassel 1839. 

Hümer, Joh., Zur Geschichte der mittellat. Dichtung. (Hugo Ambian.) 1880. 

Hugo, C., Sacrae antiquitatis monumenta. Stivagii 1725. Fol. 

Huillard-Breholles, A., Historia diplomatica Frideriei II. 6 T. in 12 Vol. 
Par. 1852—1861. 

Huttler, M., Die Religionsphilosophie d. Raymund v. Sabunde. Augsb. 1851. 

Jaffe, Monumenta Corbejensia (Bd. I der Bibliotheca Rerum Germanicarum). 
Berol. 1864. 

— Die Cambridger Lieder. Berlin 1869. Auch in d. Ztschr. f. D. Altert. XV. 

Jeafferson, J. C., Annals of Oxford. 2 Bde. Lond. 1871. 

Johannes de Garlandia, De triumphis ecclesiae, ed. Wright 1856. (Roxb. Club.) 

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Jocelinus de Brakelonda, Chronica, ed. Rokewode. (Camden Society Nro. 13.) 

Joannes de Oxenedes, Chronicon, ed. Ellis 1859. (Chronicles and Memorials,) 

Joannes Saresberiensis, Opera. Migne 199. 

Des Jordanus von Osnabrück Buch über das Römische Reich. Herausgeg. 
von G. Waitz. Göttingen 1869. (Abh. der Ges. der Wiss, zu Göttingen 
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Jourdain, Car. Index chronologieus chartaram pertinentium ad historiam 
Universitatis Parisiensis, 1862. Parisiis, [Die Zahl des Citats mit 
oder ohne Nro. bezeichnet die Nummer, die Seite ist stets mit p. 
eitiert.] 5 

Jung, Joh. H., Tabula academicn. London 1749. 

Kämpf, S. J., Nichtandalusische Poesie andalasischer Dichter (11.—18.Jahrh.). 
Prag 1858. 


Alphabetisches Register der eitierten Werke. 


Amann, G., Die Werke des C. Sollius Apollinaris Sidonius. Göttingen 18 
— Leben und Charakter des C,Sollius Apollinaris Sidonius, (Neues 
Museum 1865.) 


Deutsche Geschichte bis auf Karl den Grossen. 2 Bde. Leipzig 1880. 1881. 
Xlentgen, J., Die Philosophie der Vorzeit. 2 Bde. 2 A. Innsbruck 1878. 
Korn, G., Breslauer Urkundenbuch. Breslau 1870. 
Krakenberg, H., Ueber die Radikaloperation der Leistenbrüche. Bonn 1888. 
Lacoste, G., Histoire generale de la province de Querey. 4 tom. Cah. 1888 f. 
Laistner, L., Golias. Stuttgart 1879. 
Landsberg, K., Die Glosse des Accursius u. ihre Lehre v. Eigentum. Leipz. 1883. 
 Launoius, J., Opera, Colon. Allobr. 1782. Fol. 
Lal. Viet., Cartulaire de Funiversité d Avignon. Avignon 1884. 
le Maire, Histoire et antiquitez de la ville et duch“ d Orléans. 2 tom. 
Br,“ Lens, L. de, Facultös, collöges et professeurs de l'universit# d' Angers du 
Be 15* siöcle & la révolution frangaise. Angers 1876. 
er Revue d Anjou. 
Leist, O., Der Anticlaudianus des Alanus ab Insulis. Stendal 1878 f. 
Leitner, Fr. X., Der heilige Thomas und das unfehlbare Lehramt. Freib. 1872. 
Leser, Polycarp, Historia Poetaram medii sevil. Halae 1721. 
8. Lietberti Vita bei d’Achery, Spie. II, 138. 
Lotze, H., Mikrokosmus. 3 Bde. Leipzig 1856 — 1864. 
Lyte, Maxwell, History of the university of Oxford. London 1886. 
Maassen, Fr., Geschichte der Quellen und Litteratur des kanonischen Rechts 
im Abendlande. I. Gratz 1870. 
Mansi, Sacrorum Coneiliorum collectio amplissima. Florentiae 1759-1798. 
31 Tom. 
Maitre, Leon, Les ecoles &piscopales et monasticales de l’oceident depuis 
Charlemagne jusque à Philippe Auguste. Paris 1866. 


Major, s. Baker. 
Martene, E. et Durand, Thesaurus aneedotorum novus. Paris. 1717. 5 vol. 


— Veterum scriptorum et monumentorum colleetio amplissima. Paris. 1724. 
9 vol. 

Meiners. Chr., Geschichte der Entstehung und Entwicklung der hohen Schulen. 

| 4 Bde. Göttingen 1802— 1805. 

Melanges d’Archologie et d’histoire (Beole francaise de Rome). 1885. 
V* anne. 

Memoires de la Société de l'histoire de Paris. T. X. 1884. 

Memoires de V’Institut national Generois, Tome XII. 1867 und 1868. 

Mömoires des Antiquaires de Normandie. T. XXV 1863. T. XXVI 1869. 

Memorial historico espalol. Madrid 1851 f. 

Memorie e doeumenti per la storia dell universitä di Pavia. Pavia I 1876. 
II 1877. In 1878. 

Migne, J. P., Patrologiae eursus completus. Paris 1839 seq. 257 vol. Lex. 8. 
Die angeführten Bände gehören sämtlich der Abteilung Patres latini an. 


er 


— Rhetorenschulen und Klosterschulen, (Historisches Taschenbuch 1809.) ¼ 


** 


438 Alphabetisches Register der citierten Werke. 


Migratio Germanorum, ex academia Bononiensi. 1562. 

Mittarelli et Costadoni, Annales Camaldulenses Ordinis S. Benedieti, 9 Tomi. 
Venet. 1755—1773. 

Mone, F. J., Das Schulwesen im 13.— 16. Jahrhundert in der Zeitschrift für 
die Geschichte des Oberrheins I, 257 fl. 

Monumenta Germaniae historica. Hannov. 1826 f. 

Monumenta historiae patriae. Aug. Taurin. 1836 f. 

Monumenta historica ad provincias Parmensem et Placentinam — 
Parmae. Tom. I u. II. Statuta communis Parmae. 1856. 1857. 

Monumenti di storia patria delle provincie Modenesi. Serie degli Statuti. 
Tomo I. Statuta eivitatis Mutine. Parmae 1864. 

Monumenti istoriei pertinenti alle provincie della Romagna, Serie I. Statuti. 
Tom. I-III. Statuti di Bologna, ed. L. Frati. Bologna 1869. 1877. 

Morgott, Franz, Die Mariologie des heil. Thomas von Aquino. Freiburg 1879. 

Müldener, W., Die zehn Gedichte des Walther von Lille, genannt von 
Chätillon. Hannover 1859. 

Muller, Joh., Quellenschriften des deutschsprachlichen Unterrichts. Gotha 1882. 
Müller, Karl, Somnium Viridarii in der Zeitschrift f. Kirchenrecht XIV. 
Munimenta Academica or documents illustrative of academical life and 

studies at Oxford, ed. H- Anstey. London 1868. 2 Bde. (Rerum 
Britannicarum medii aevi scriptores.) Ich eitiere Mun. Oxon. oder 
Mun. acad. 

Munk, S., Mölanges de philosophie juive et arabe. Paris 1857. 

Muratori, Lud., Scriptores rerum Italicarum. Mediol. 1723—1751. 25 tom. 
— Antiquitates Italicae. Mediol. 1738—1742. 6 vol. 

Nadal, Histoire de l’universit& de Valence. Val. 1861. 

Nicolaus de Bibera, Carmen satiricum in den Geschichtsquellen der Pro- 

vinz Sachsen. Bd. I. Halle 1870. 

Nicolaus de Clemangii, Liber de studio theologiae in d’Achery, Spicileg. I. 
Notices et extraits des manuscrits de la Bibliothèque Nationale et autres 

bibliothèques. 

Occam, Dialogus, s. Goldast. 

Ordonnances des Roys de France. Paris 1723 — 1849. 21 Tom. Fol. 
Othlonus, Dialogus de tribus quaestionibus. Migne 146. 

Padelletti, Documenti inediti per servire alla storia delle universitä Italiane, 

(Contributo alla storia di Perugia nel secoli XIV e XV.) Bologna 1872. 

Pannenborg, A., Der Verfasser des Ligurinus. 4. 1883. Programm des Got- 

tinger Gymnasiums. 
Papon, J. P., Histoire generale de Provence, 4 Bde. 1777—1786. Paris. 
Pasquier, H., Baudri, un poöte latin du XI* siöcle, Paris und Angers, ohne 
Jahr, aber nach 1876. 

Pauli, R., Ueber die kirchenpolitische Wirksamkeit des Johannes Sares- 
beriensis, Zeitschr. f. Kirchenrecht, 1881. 

Paulsen, Fr., Die Gründung der deutschen Universitäten im Mittelalter, 
in der Historischen Zeitschrift, Bd. 45 1881. 

Pernwerth von Bärnstein, Carmina Burana selecta. Würzb. 1879. 


on moyen-äge ou Albert le Grand 
point de départ de l'teole experi- 


der Logik. 4 Bde. 1855-1870. 
Publications of the Camden Society. London 1838 f. 
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 Pabliestions of the Roxburghe Society, . Joh. de Garlandia, De triumphis 
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 Radulfas de Dieeto, Opera, ed. Stubbe (Rerum Britannicarum medii aevi 

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Fol. XXIII, 400 f. 1887. London. 

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Bee, 1886 p. 689 f. 


— [Nachricht über ungedruckte Pariser Urkunden in der] Academy 1887 
Nro. 788 p. 415 f. 
5 Röctjac, J., La resurrection de la chair devant la raison et la seience selon 
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5 Les Registres de Boniface VIII. (Bibliotheque des écoles frangaises d’Athönes 


Reusch, Fr., Der Index der verbotenen Bücher. 2 Bde. Bonn 1883 u. 1883. 
XRerue de L’Anjou, 1872. L. de Lens, Deux Hellönistes de l’unirersits 
— — — 1873. L. de Lens, La philosophie en Anjou. 
Richardus de Bury. s. Bury. 
Riezler, 8., Die literarischen Widersacher der Päpste zur Zeit Ludwigs 
des Bayers. 1874. 
Roman de la Rose. Orleans 1858, 
Rossi, Ad., Documenti per la storia dell universitä di Perugia. Perugia 
1875. (Estratto dal Giornale di Erudizione artisties.) 
Rogerus de Hovedene, Chronica, ed. Stubbs. London 184—1871. (Chronicles 
and Memorials.) : 


440 Alphabetisches Register der citierten Werke. 


Rogerus de Wendower, Chronica sive flores historiarum, ed. Coxe, 1841 f. 
(Publikationen der English historical society.) 

Roth, Georg, Dissertatio politica de jure majestatis circa W et 
confirmandas academias. Wittenberg 1695. 

Roziere, L’6cole de droit d’Alais in der Bibl. de l’&cole des chartes. T. XXII. 

Ruteboeuf, Oeuvres completes de R., trouvère du XIIIe siele reeueillies et 
mises au jour par Achille Jubinal. 2 Bde. Paris 1839. * 

Sanctorii Sanctorini Commentaria. Venetiis 1629. 

Sarti, M., De claris Archigymnasii Professoribus (ed. Maurus Fattorini). 
Bonon. 1769. 

Savigny, C. Fr. v., Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, 7 Bde. 
Heidelberg. 2. Aufl. 1834 f. 

Savioli, Lud. Vitt., Annali Bolognesi. 3 Tom. in 6 vol. Bassano 1784— 1795. 

Schäffner, B., Geschichte der Rechtsverfassung Frankreichs. 2. Aufl. 1859. 

Schäzler, C., Divus Thomas contraLiberalismum invietus assertor. Romae 1874. 

Schannat, J. F., Historia episcopatus Wormatiensis. Francof. 1734. 

Schaarschmidt, C., Johannes Saresberiensis. Leipzig 1862. 

Scheffer-Boichorst, Paul, Aus Dantes Verbannung. Strassburg 1882, 

Schopenhauer-Lexikon von J. Frauenstädt. 2 Bde. Leipzig 1871. 

Schulte, Al., im Urkundenbuch der Stadt Strassburg. Bd. III. Strassb. 1884. 

Schulte, J. F. v., Geschichte der Quellen und Litteratur des kanonischen 
Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart. I 1875. II 1877. III 1880. 

— Roberti Flamesburgiensis Summa de matrimonio et usuris. Giessne 
1868. 4. 

— Johannes Teutonicus in der Zeitschr. f. Kirchenrecht Bd. XVI. 

Sitzungsberichte der k. Akademie der Wissenschaften zu Wien. Phil.-histor. 
Klasse. Daraus: 

1) Maassen, Glossen des kanonischen Rechts aus dem karolingischen 
Zeitalter. Bd. 84. 1876. 

2) Schulte, J. F. v., Die Kompilationen Gilberts und Alanus. Bd. 65. 1870. 

3) — Zur Geschichte der Litteratur über das Dekret Gratians. Bd. 65. 

4) — Litteraturgeschichte der compilationes antiquae. Bd. 66. 1870. 

5) — Die Summa Decreti Lipsiensis, ib. Bd. 68. 1871. Daran schliesst 
sich noch die weitere Abhandlung Schultes S. 37 f.: Beiträge zur 
Litteratur über die Dekretalen Gregors IX., Innocenz IV., Gregors X. 

The political Songs of England, ed. Th. Wright. 1839. (Camden Society.) 

Specht, F. A., Geschichte des Unterrichtswesens in Deutschland von den 
ältesten Zeiten bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, Stuttgart 1885. 

Statuta collegii Hispanorum. Bononiae 1558. 

Statuta dominorum Artistaram Achademiae (sic) Patavinae ohne Jahr, das 
letzte Statut ist von 1496 und stammt der Druck wohl aus diesem 
oder den nächstfolgenden Jahren. 

Statuta et privilegia almae Universitatis Juristarum Gymnasii Bononiensis, 
Bononiae 1561. 

Statuta spectabilis et almae Universitatis Juristarum Patavini Gymnasii, 
Padune 1550, aber am Ende steht 1551. 


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’ 1614. 

er Statut det eömmune di Padora dal see. XII all anno 1888, ed. A. Gloria 
Padova 1873, 

Statuti della universith e studio Florentino publicatl da Al. Gherardi con 
un discorso del Carlo Morelli. Firenze 1881 (bildet den Tom. VII der 
Documenti di storia italiana — per le provincie di Toscana, dell 
Umbria e delle Marche. 

Statuti di Bologna, siehe Monumenti istorici pertinenu alle provineie della 


Romagna. 
 Steindorff, E,, Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich III. Bd. 1 
Ri Pr 2 Leipzig: 1874. Bd. II 1881. 
Cort, Cölestin), Statuts des Quatre ſacultés de Funtversité d’Angers. 1878. 
> Stephanus Tornacensis. Migne 211. 
. 2 Stöckl. A., Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Mainz 1868. 
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* . W. G., Geschichte der Philosophie. Leipzig 1798—1819. 
2 f Ir; Toner, Fr., Summa magistri Rolandi. Innsbruck 1874. 
* Tholuck, A., Vorgeschichte des Rationalismus. Erster Teil. Das akade- 
* mische Leben des 17. Jahrhunderts in 2 Abteilungen. I. Abt. Halle 
1853. 2. Abt. Halle 1854. 
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Thomas, A., s. Les Registres de Boniface VIII. 
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— — katholische Theologie. | ‚ 

— — Kirchengeschichte. 

— — Kirchenrecht. 2 

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