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GUSTAWS MyERS
GESCHICHTE
DEPsJGROSSEN
AMERIKÄNISOEN
VERMOEGEN
Geschichte der großen
amerikanischen Vermögen
VON
GUSTAVUS MYERS
ZWEITER BAND
1923
S.FISCHER . VERLAG . BERLIN
103
Fünfte bis siebente Auflage
Berechtigte Übertragung. Alle Rechte vorbehalteo.
Gedruckt bei Jalla« Kliakhardt ia Leipcig
Vierter Teil:
GROSSE VERMÖGEN DER INDUSTRIE
Erites Kapitel
EINE EINSCHALTUNG ÜBER SAGE
Rüssel Sage war an Erfahrungen reif, als Gould noch in
blühender Jugend stand ; viele Jahre bevor Gould seine
räuberische Laufbahn begann, genoß Sage unter den Ein-
geweihten den Ruf, in politischer und finanzieller Korrup-
tion ein erfahrener Mann zu sein. War dieser Ruf gerecht-
fertigt ? Und hatte Sage seine ersten MilHonen durch un-
gesetzliches Verfahren zusammengebracht ? Gewisse Bio-
graphen gleiten über diese Fragen geschickt hinweg, während
andere ihre zur Verteidigung bereitgehaltenen Geschich-
ten erzählen: wie er durch seine Sparsamkeit und seinen
Unternehmungsgeist, durch seine wunderbare geschäftliche
Schlauheit und eine imponierende Reihe anderer kauf-
männischer Tugenden und Fähigkeiten sein großes Ver-
mögen erworben habe ^). Es würde in der Wiedergabe dieser
Berichte einen Mangel an Treue bezeichnen, wollte man bei
den Tugenden das Wort „bewährt" fortlassen; wenn es
sich um unsere Multimillionäre handelt, müssen Tugenden
notwendigerweise „bewährte Tugenden" sein.
Saggs großer Fehler
Eine der vorausgesetzten Tugenden fehlte Sage indessen
betrüblicherweise, und weil sie ihm fehlte, war er sein Leben
lang ein Gegenstand des Spottes und der scharfen Kritik.
Soweit es sich um das Verfahren handelte, das er zum Zu-
») Vgl. t. B. „America'« Succewful Men", Bd. i.
— j^i6 —
sammenbringen seiner Millionen anwandte, wurde er
nicht angegriffen; im Gegenteil, in seinen späteren Jahren
wenigstens, wurde er als ein sehr schlauer Mann dargestellt,
der sein Geld durch rechtmäßige Mittel erworben habe.
Es war seine Knickerei, die zu seiner Unbeliebtheit den
Grund legte. Die als ein wichtiges Mittel zur Erlangung
von Reichtum gepriesene strenge Sparsamkeit wurde ver-
urteilt, nachdem der Reichtum erworben war. Es hatte
sich ein gewisser Zustand der öffentlichen Meinung oder
eine Regel ausgebildet, wonach man beinahe forderte, daß
der Millionär „auszugeben verstünde" ; er sollte kostspielig
leben, im Glänze strahlen und irgendeine Lieblings-
philanthropie besitzen.
Sages widerspenstiges Wesen ließ ihn ganz verschieden
von den anderen reichen Männern seiner Zeit erscheinen.
Für ihn gab es kein Sich-gehen-lassen, keine Verschwendung,
keine kostbaren Steckenpferde oder prunkhaften Schau-
stellungen. Er war ein Mann, der seiner Klasse mißfiel
und ihre Vorschriften verletzte; seine Klasse hatte den
Eindruck, daß er der großen Masse des Volkes den Reich-
tum dadurch verhaßt machte, daß er ihn nicht mit jener
Großmut anlegen wollte, die, wie man annahm, die allge-
meine Feindseligkeit gegen das System mildere.
Hieraus entstand eine ungebührliche, gereizte Kritik
seiner Persönlichkeit. Er gab nur gerade genug aus, um
sich einen behaglichen Wohnsitz in der fünften Avenue
zu gestatten; abgesehen von dieser bescheidenen Ausgabe
war er notorisch sparsam, sogar seine Kleider wurden im
Lande bespöttelt.
Hätte er dem herrschenden Brauch nachgegeben und
sich durch verblüffende Schenkungen oder Stiftungen
(die sich durch weitere Plünderungen wieder einbringen
ließen) den Ruf erkauft, ein Philanthrop und „Wohltäter
der Menschheit" zu sein, so wäre er unfehlbar anders
beurteilt worden. Er machte jedoch keinen Versuch, die
strenge öffentliche Meinung günstig zu stimmen; zu seiner
Ehre sei gesagt, daß er seinen geizigen Idealen uner-
schütterlich treu blieb; er bewarb sich niemals um Lob,
noch machte er den Versuch, dadurch versöhnlich zu wirken,
- 417 -
daß er der Wohltätigkeit oder Philanthropie einen Happen
hinwarf; er betete das Geld ehrlich an, daher fehlte alles
Moralisieren, alles vorgebliche Almosengeben, jede Heuchelei
und jeder Humbug in seiner Charakteranlage.
Der Beginn der Laufbahn
Sage wurde im Jahre 1816 von Farmersleuten in Oneida
County, New York, in Armut und Beschränktheit ge-
boren. Man weiß wenig über seine Jugend. Wir er-
fahren, daß er sich als Knabe hauptsächlich nach Geld
sehnte und daß er ein bemerkenswertes Talent für
schneidigen Geschäftsbetrieb entwickelte. Er war in dem
Materialwarenladen seines Bruders kaufmännisch tätig, wo
er, wie wir wohl annehmen dürfen, zweifellos all die vor-
teilhaften kleinen Kniffe in der Behandlung der Kunden
lernte, die man einem tüchtigen Kommis beibringt, von
ihm erwartet und für die man ihn bezahlt. Betrug war
damals wie jetzt der Hebel jedes erfolgreichen Geschäftes.
Zweifellos sparte er sorgfältig — ach, wie sorgfältig — ,
und dasselbe taten Zehntausende anderer Kommis, spar-
same, ehrgeizige Bürschchen, die Geld beiseite legten,
wie man es ihnen wohlwollend geraten hatte. Aber die
Sparsamkeit wirkte bei den meisten von ihnen nicht
richtig; sehr wenige von ihnen wurden reich, wenn sie
auch an jedem einzelnen der regelmäßig vorgeschriebenen
Grundsätze aufs genaueste festhielten. Es ist immer klar
gewesen, daß Sparsamkeit, Mäßigkeit und harte Arbeit
nicht das Rezept sind, um reich zu werden, sonst würden
es viele Millionen von Menschen, die schwer arbeiten
müssen und sparsam und mäßig leben, sofort werden.
Die üblichen Vorschriften erzeugten keinen Reichtum, das
erfuhren Sages Gefährten. Was also brachte ihm den
Reichtum ?
„Lange, ehe der Flaum auf seinem Kinn erschien, hatte
er in seiner näheren Umgebung den Ruf erlangt, ungewöhn-
lich scharf im , Losschlagen' zu sein." So schrieb ein Lob-
redner, dessen Beschreibung, so unbedeutend sie auch sein
mag, doch einen Schlüssel für Sages Verfahren in seinen
»7
— 4i8 —
Knabenjahren gibt. Wir erfahren, daß er genug Geld an-
sammelte, um einen eigenen Materialwarenladen aufzu-
machen, und daß er im Jahre 1839 Teilhaber eines Engros-
geschäfts für Materialwaren wurde.
Sage und seine Teilhaber ersinnen einen Betrug
Am 12. September 1851 gründeten Sage und zwei an-
dere Männer aus Troy unter dem Namen Wheeler, Sage und
Slocum eine Genossenschaft zur Betreibung eines all-
gemeinen Produktengeschäftes in Troy mit einem west-
lichen Hauptgeschäft in Milwaukee unter dem Namen
Wheeler & Co. Diese Genossenschaft führte sich durch
einen denkwürdigen Schwindel ein, der eine der strengsten
Entscheidungen und Drohungen hervorrief, die jemals von
dem obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten ausge-
sprochen worden sind^). Die Firma ersann einen wohl-
durchdachten Plan, um die Gläubiger eines ihrer bankrot-
ten Schuldner in Milwaukee zu betrügen; und während
sie mit diesem Verfahren beschäftigt war, täuschte Sage
seine eigenen Teilhaber und betrog sie um den Gewinn
des Schwindels.
Die in dem Bericht über den Fall und in der Entschei-
dung des obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten
mitgeteilten Tatsachen waren folgende:
Die Firma wurde Eigentümer einer Schuldforderung
gegen einen gewissen Alanson Sweet aus Milwaukee, einer
Schuld, die durch Hypotheken auf wertvollen Grund-
besitz sichergestellt war. Zu diesem Grundbesitz gehörte
ein großes Warenhaus, das Wheeler & Co. gemietet hatten.
Im Oktober 1854 wurde ein Verfahren gegen den ban-
krotten Sweet eingeleitet, um die Verfallserklärung der
Hypothek zu erreichen, und im November 1855 wurde von
dem Gerichtshof von Wisconsin das Urteil gefällt. In dem
Bericht des obersten Gerichtshofes über den Fall hieß es
weiter, daß Wheeler, Sage & Slocum den Wunsch ge-
habt hätten, einen vollständigen Rechtsanspruch auf das
^) Siehe VValhice's Reports, Supreme Court of the United States, iW\. i,
S. 5 «8-53!.
- 4^9 -
verpfändete Grundstück zu erlangen, dessen Wert, als die
Hypothek gegeben wurde, 50 000 Dollar betrug. Aber
andere Gläubiger hatten Rechtsansprüche an Sweet, und
Sweet beanspruchte die Summe von 12 000 Dollar, die
ihm Wheeler & Co. als dreijährige Miete für das Waren-
haus schuldeten.
Wenn Sweet eine Klagebeantwortung erfolgreich ein-
brachte, konnte ein vollständiger Rechtsanspruch nicht er-
langt werden. Auch war es nötig, die anderen Gläubiger
zu täuschen und abzuschrecken. Um das ganze Grund-
stück in ihre Hand zu bekommen, sagte der Gerichtshof,
hielten es Wheeler, Sage & Slocum für notwendig, ge-
wisse Ansprüche aufzukaufen und weitere Arrangements
in heimlichem Einverständnis zu treffen. Sage teilte Whee-
ler und Slocum mit, daß dies geschehen könne, wenn man
Alexander Mitchell, der Sweets Verteidigung in der
Hand hatte, für 10 000 Dollar aufkaufte. Der Bericht des
Gerichtshofes fährt fort:
,,Sage war autorisiert, den Vertrag abzuschließen und
Wheeler und Slocum den ihnen zukommenden Anteil in
den Büchern der Firma in Rechnung zu stellen. Derselbe
Vertrag oder ein ähnlicher wurde von Sage mit Mitchell
gemacht und rechtskräftige Ansprüche daraufhin erworben.
Sage jedoch gab, ohne daß Wheeler es wußte,
diesen Vertrag auf und schloß mit Mitchell einen
zu seinem eignen Vorteil ab. Das verpfändete Grund-
stück wurde verkauft, und Mitchell wurde der Käufer, in-
dem er Sage unter gewissen Bedingungen ein Drittel des
Anteils überließ; dies geschah, wie erwähnt, ohne Wheelers
und Slocums Wissen und mit Verletzung ihrer Rechte.
Die verpfändete Schuld wurde auf 24 000 Dollar fest-
gesetzt, und zwei Drittel dieser Summe von Sage an Whee-
ler und Slocum ausgezahlt, da dies, wie er (Sage) sagte,
das Beste sei, was man tun könne, und dies wurde auch
unter dieser Voraussetzung von Wheeler und Slocum an-
genommen"^)
*) Ebenda S. 519.
— 420 —
Sage betrügt seine Teilhaber
Doch war, so fuhr der Gerichtshof fort, wie Wheeler
herausfand und berechnete, von dem verpfändeten Besitz
genug verkauft worden, um 105 000 Dollar einzubringen,
und dazu kam unverkaufter, noch in Mitchells Hand
befindlicher Besitz im Werte von 27 000 Dollar^).
Auf der üblichen gesetzlichen Grundlage, daß, wenn ein
Partner durch Betrug einen Vorteil erlangt, er als Güter-
verwahrer des betrogenen Partners zu betrachten ist und
Rechenschaft ablegen muß, brachte Wheeler eine Klage
gegen Sage ein. Er brachte vor, daß er Sage für sich (Whee-
ler) für ein Drittel des verpfändeten, noch unverkauften
oder in Mitchells Händen befindlichen Besitzes und für
ein Drittel des Erlöses aus dem schon verkauften Be-
sitz zum Bevollmächtigten eingesetzt hätte.
Der oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten er-
klärte das ganze Verfahren für betrügerisch; während Whee-
ler, Sage und Slocum sich erfolgreich zusammengetan
hätten, um Sweets zahlreiche andere Gläubiger zu betrügen,
habe Sage seine eigenen Partner überlistet und betrogen.
Sie seien darauf ausgegangen, einen Grundbesitz im Werte
von 50 000 Dollar auf betrügerische Weise für 30 000 Dollar
zu erwerben, und hätten Sage bevollmächtigt, dies heim-
liche Einverständnis zur Ausführung zu bringen. Sage habe
später den Vertrag mit Mitchell aufgegeben und sich heim-
lich selbst „zum Schaden der anderen Beteiligten" einen
Vorteil gesichert.
In der weiteren Darlegung der gerichtlichen Entschei-
dung fährt Richter Davis fort:
„Das Beweismaterial dieses Falles, das hauptsächlich aus
zwischen Wheeler und Sage gewechselten Briefen besteht,
zeigt ganz klar, daß ein Plan entworfen war, um einen
Rechtsanspruch auf das Grundstück zu erlangen, und daß
Sage der handelnde Beauftragte zur Ausführung dieses Planes
war; daß der Plan aber aus unaufgeklärten Gründen schei-
terte Alle Teilhaber blieben in dem Glauben, daß die
Verhandlungen mit Mitchell erfolgreich sein würden,
^) Ebenda S. 519.
— 421 —
aber .... Sage ließ den Gedanken, das Grundstück auf ge-
meinschaftliche Kosten zu kaufen, fallen und verhandelte
mit Mitchell im eigenen Interesse .... Der Warenhaus-
prozeß, wie er an einer Stelle des Berichtes genannt wird,
ist für die beteiligten Parteien durchaus nicht ehrenvoll, und
es ist überraschend, daß sie den Wunsch haben konnten, ihn
durch ein gerichtliches Verfahren öffentlich bekannt zu
machen .... Der Plan bestand darin, das Grundstück
dadurch zu erlangen, daß man seinen Wert durch Eintra-
gung rechtskräftiger Ansprüche von hohem nominellem
Betrag heruntersetzte und andere Gläubiger täuschte und
abschreckte. Der Gerichtshof in Wisconsin, der die Hypothek
für verfallen erklärte, war getäuscht, und es war ein Komplott
geschmiedet worden mit dem Ziel und der direkten Ab-
sicht, sich den Rechtsanspruch auf das wertvolle Grund-
stück eines zahlungsunfähigen Schuldners auf Kosten und
mit Preisgabe seiner anderen Gläubiger zu sichern."
Der Gerichtshof weigerte sich, nach der einen oder der
anderen Richtung ein Urteil zu fällen, mit der Begründung,
daß eine Partei, die sich auf ein ungesetzliches Verfahren
eingelassen hätte, nicht, nachdem sie selbst betrogen wor-
den war, von einem „Billigkeitsgerichtshof" Genugtuung
erwarten könne. „Ein solches Verfahren ist gegen das gute
Gewissen und die gute Moral und kann von keinem Billig-
keitsgerichtshof gutgeheißen werden .... Es ist gegen den
Zweck der Gesetze, in einer solchen Streitsache einer der
beiden Parteien zu helfen^)." Die Wirkung dieser Ent-
scheidung war, daß Sage im Besitz des Ertrages seiner
schwindelhaften Operationen blieb.
Sieben Jahre lang bekleidete Sage die Ämter eines Alder-
man von Troy und eines Schatzmeisters der Rensselaer
County. Jetzt erhalten wir den ersten klaren Einblick in
die Art und Weise, wie er seine ersten ansehnlichen Geld-
mittel zusammenbrachte. Es geschah nicht dadurch, daß
er nach Maß und Gewicht Handel trieb, auch nicht durch
kleinliche Betrügereien, sondern durch ein Geschäft, bei
dem er als öffentlicher Beamter die Stadt Troy ver-
leitete, ihm für eine kleine Summe eine Eisenbahnlinie zu
1) Ebenda S. 530!.
— 422 —
verkaufen, die er später nach einem vorgefaßten Plan an
die New York Zentral- Vereinigung mit großem Nutzen
verkaufte. •
Wie Sage seinen ersten großen Reichtum zusammenrafte
Es gibt nichts Unklares oder auf Vermutung Begründetes
in diesem einleuchtenden Unternehmen ; die Tatsachen sind
in den öffentlichen Berichten authentisch verzeichnet.
In den Jahren 1840 — 1843 fing die Stadt Troy an, auf
öffentliche Kosten eine 21 Meilen lange Eisenbahn bis
Schenectady zu bauen. Die Stadt Troy nahm dafür in den
Jahren 1837 und 1847 im ganzen 650000 Dollar auf, und
im Jahre 1840 lieh der Staat New York der Stadt Troy
100 000 Dollar; dies machte im ganzen 750000 Dollar für
den Bau und die Ausrüstung der Troy und Schenectady-
Eisenbahn aus. Es war eine Zeit, in der die Kapitalisten,
untätig zusehend, vielen Stadtbezirken und einigen Staaten
gestatteten, Eisenbahnen zu bauen und eine Zeitlang zu
betreiben, um dann, nachdem viele MiUionen öffentlichen
Geldes ausgegeben worden waren, Wege zu ersinnen, um
selbst das Besitzrecht in die Hand zu bekommen. Das
taten sie, indem sie im Gemeindebesitz befindliche Eisen-
bahnen entwerteten und lahmlegten und öffentliche Be-
amte verführten, sie ihnen für verhältnismäßig unbe-
deutende Summen zu verkaufen oder zu verpachten. Dies
war ein beliebtes Verfahren in jener Zeit und wurde mit
großem Erfolge betrieben.
Die Aufgabe, sich mit modernen Transportmitteln zu
versorgen, fiel oft den Gemeinden zu, da kein Kapitalist
die Initiative bei irgendeinem Unternehmen ergreifen
wollte, bei dem er nicht sofort beträchtlichen Gev/inn sah.
Das Ziel der Gemeinden war Nutzbringung, das des Kapi-
talisten Profit. Gemeinden pflegen niemals eine Betrach-
tung darüber anzustellen, ob eine Eisenbahn Gewinn bringen
wird; die einzige sie leitende Erwägung ist das öffentliche
Bedürfnis. Was die Leute gefügig machte, privaten Eisen-
bahngesellschaften große Geldsummen zu leihen oder zu
stiften, war der Gedanke, daß Eisenbahnen eine öffentliche
- 423 -
Notwendigkeit sind, ob sie nun für öffentliche Kosten oder
privatim gebaut werden.
Da die größere Zahl der Eisenbahnen privaten Gesell-
schaften gehörte, war es ihnen, wenn sie es darauf anlegten,
nicht schwer, in öffentlichem Besitz befindliche Eisenbahnen
bankrott zu machen. Sie konnten dies leicht tun, indem sie
den Fracht- und Passagierverkehr ablenkten und störten oder
öffentliche Beamte verführten, ihn schlecht zu leiten.
Dieser Kampf der öffentlichen und privaten Interessen
endete immer mit dem Siege letzterer; notwendigerweise,
weil öffentliche Wohlfahrt und privater Nutzen nicht
zusammenpaßten, weil das eine der Gegensatz vom anderen
war, und auch, weil die leitenden Beamten entweder zu
den begüterten Klassen gehörten oder ihnen verantwortlich
oder untergeordnet waren.
Auf diese Art wurde auch der Feldzug gegen die Troy-
und Schenectady-Eisenbahn eröffnet. Kleine abgesonderte
Eisenbahnen waren im besten Falle etwas Ungewöhn-
liches; die wirtschaftliche Entwicklung verlangte eine von
zwei Lösungen; entweder wurden diese Bahnen einem
großen öffentlichen oder einem großen privaten Eisenbahn-
system einverleibt. Ohne Zusammenhang waren sie ver-
schwenderisch, unbequem und unsystematisch. Diese Grund-
erfahrung muß man bei jeder Tatsachendarstellung im
Auge behalten.
Unter den Eisenbahnkapitalisten setzte die Bewegung
zur Verbindung und Vereinigung ungefähr im Jahre 1850
ein. Im Staate New York kam im Jahre 1851 eine Ver-
einigung verschiedener Bankiers, Landbesitzer und Politiker
zu dem Schlüsse, daß es ein ausgezeichnetes Unternehmen
sein würde, viele von den getrennten kleinen Eisenbahnen
in New York zu einem zentralisierten System zu vereinigen.
Sie wurden allerdings nicht von Besorgnis für das Gemein-
wesen getrieben ; sie waren weit davon entfernt ; für sie be-
deutete das Gemeinwesen nur ein Raubgebiet. Auch kamen
ihnen die wirtschaftlichen Kräfte kaum zum Bewußt-
sein, die hinter ihrem Unternehmen standen. Der ein-
zige sie treibende Gedanke war, die kleinen Eisenbahnen
für unbedeutende Summen aufzukaufen und dann eine
- 424 -
Gesellschaft zu organisieren und jene Eisenoahnen der
Gesellschaft mit ungeheuren Gewinnen zu verkaufen.
Trotz alledem leisteten sie dem Gemeinwesen durch die
Ausführung ihrer Zentralisationsbewegung einen notwen-
digen Dienst, wie hoch das Volk ihn auch hat bezahlen
müssen. Man kam überein, daß die Troy- und Schenectady-
Eisenbahn eine der in diese Verbindung einzuschließenden
Bahnen sein sollte.
Eine betrogene und geplünderte Stadt
Wie war die Stadt Troy dazu zu bringen, ihre Eisenbahn
an die Clique der Projektenmacher zu verkaufen ? Das war
das Problem. Es beunruhigte sie nicht lange. Rüssel Sage
unternahm es, diesen Teil des Handels auszuführen. Er
war zu dieser Zeit ein führendes Mitglied des Gemeinde-
rates von Troy und für diese Stadt einer der Direktoren in
der Verwaltung der Troy- und Schenectady-Eisenbahn. Es
wird einleuchten, daß sein erster Schritt darin bestand, eine
dauernd schlechte Leitung der Eisenbahngeschäfte zu
veranlassen, um so Mißstimmung, wenn nicht sogar Wider-
willen gegen das Weiterbestehen des öffentlichen Be-
sitzes und Betriebes hervorzurufen. Sehr geschickt führte
er sein Werk des Unterminierens und Untergrabens aus —
so geschickt und verstohlen, daß kein Verdacht seiner
Mitschuld erweckt wurde. Dann wurde bei der Bevöl-
kerung in geschickter Weise eine ungünstige Stimmung
gegen das Festhalten der Stadt an der Bahn erregt ; öffent-
liche Bittschriften, die unvorteilhafte und unbefriedigende
Bahn zu verkaufen, fingen an, bei dem Gemeinderate ein-
zulaufen.
Was tat der Gemeinderat nun ? Er setzte eine Kommis-
sion zur Erwägung der Verkaufsfrage ein; Sage war das tä-
tigste Mitglied dieser Kommission. Er war so tätig, daß
der Bericht der Kommission sich für den Verkauf der Eisen-
bahn erklärte. Der Antrag wurde allerdings nur mit einer
Stimme durchgebracht; Sages Stimme gab den Aus-
schlag. Dann wurde am 24. Januar 1853 eine andere Kom-
mission vom Gemeinderat eingesetzt. Die ihr zuer-
- 425- -
teilte Aufgabe war, das Anlagekapital, die Konzession und
das Eigentum der Eisenbahn für nicht unter 200000 Dollar
zu verkaufen. Wer war es, der wunderbarerweise auch in
dieser zweiten Kommission unter den Mitgliedern an erster
Stelle stand ? Der phänomenal fleißige Alderman Sage. Und
als die Eisenbahn schließlich verkauft wurde, wer war es, der
sie kaufte ? Eine Gesellschaft, an deren Spitze Sage stand, und
es war Sage, der ihr Präsident wurde^). Die Verkaufsbe-
dingungen waren außerordentlich überlegt ; 50 000 Dollar
sollten sofort gezahlt werden, der Rest in vierzehn Jahren.
Eine kleine Gratifikation von 8 Millionen Dollar
Ein ganz rechtmäßiges Verfahren, könnte der Verteidiger
sagen; nach dem Gesetz jedoch bedeutete es eine gesetz-
widrige Handlung im Amte ; in mehreren Städten war manch
ein Beamter wegen weniger schändlicher Taten entlassen
worden. Jenes Verfahren wurde allgemein als ein starkes
Stück von Verderbtheit angesehen; es geschah aber nichts,
um seinem Erfolge oder größerer Verderbtheit, die noch
folgte, entgegenzutreten. Nachdem Sage die Troy- und
Schenectady-Eisenbahn unter der Form des Gesetzes er-
gattert hatte, verkaufte er sie für ungefähr 900 000 Dollar
an die Gesellschaft von Kapitalisten, die den Zentral-
Eisenbahn-Verband von New York bildete. Obgleich für
die Bahn erst 50000 Dollar bar bezahlt worden waren, ver-
äußerten sie Sage und seine Genossen nicht nur für den
vollen Kapitalswert von 650000 Dollar, sondern sie er-
hielten auch als Entgelt eine Prämie von 25 Prozent jener
Summe in New York -Zentral -Obligationen. Bei dieser
Entstehung der New York Zentral wurden 8 Millionen
Dollar in Obligationen (alle nur auf „Verwässerung" be-
ruhend) als Gratifikation unter die Eigentümer der ver-
schiedenen in die Konsolidierung eingeschlossenen Eisen-
bahnen verteilt 2) ; kein unbedeutender Teil dieser 8 Millio-
nen war Sages Anteil an der Beute.
^) siehe Investigation of the Railroads of the State of New York, 1879, Bd. 5,
S. 28—58.
') Die gesetzliche Untersuchung des „Hepburn Committee" von 1879 beschäf-
tigt sich mit der Geschichte dieser Kapitalsverwässerung. Ein Bericht über das
— 426 —
Wie groß auch später das Geschrei der Bevölkerung von
Troy über die unbarmherzigen Erpressungen der New
York-Central-Eisenbahn sein mochte, Sage wurde jetzt
noch mehr als „hervorragender Bürger" ausposaunt als
je zuvor, als ein Bürger von außerordentlichem Verdienst,
von Solidität und Ansehen. Die ruhmreiche und patrio-
tische Beschäftigung als politischer Geschäftsmann mit ih-
rem Bereich günstiger Gelegenheiten hatte sich als sehr
einträglich erwiesen. Doch Sage überlegte, daß die Haupt-
stadt des Landes noch bessere Aussichten biete. Dem-
gemäß ließ ihn die bestechliche politische Clique von Troy,
deren Führer er war, in den Kongreß wählen; dort über-
nahm er im Dezember 1853 seinen Sitz und wurde im Jahre
1854 wiedergewählt.
Das war die Periode, in der Gesetze über Gesetze erlassen
wurden, die den Eisenbahngesellschaften entweder öffent-
lich oder auf Umwegen Geld und Land zuerkannten und
anderen Gesellschaften und einzelnen Kapitalisten verderb-
liche Machtbefugnisse und Vorrechte der verschiedensten
Art erteilten. In dem einen Jahre 1856, ganz abgesehen
von anderen Jahren, erließ der Kongreß wenigstens dreißig
Eisenbahn- und Landbewilligungsgesetze zum Nutzen eben-
sovieler verschiedener Eisenbahngesellschaften — Gesetze,
durch welche diese Eisenbahngesellschaften in den Besitz
von über 10 Millionen Morgen öffentlichen Landes kamen.
Die zur Durchbringung dieser Gesetze angewandten Be-
stechungen bildeten eine der größten Skandalaffären der Zeit
und führten zur Einsetzung zahlreicher Kongreß- und Staats-
untersuchungskommissionen. Es gab wenige Mitglieder des
Kongresses und der gesetzgebenden Körperschaften — das
zeigte sich überreichlich — , die nicht, sei es in Geld oder in
Aktien oder Hypotheken, Bestechungen annahmen.
Wenn Sage sich im Kongreß auch kaum bemerkbar
machte und eine ziemlich vollständige Null im öffentlichen
Leben war, so trat er doch in um so wirksameren und enge-
ren Zusammenhang mit vielen der erwähnten reichen Eisen-
Troy-Geschäft von F. W. Powell mit dem Titel: „Two Experiments in Public
Owncrshlp of Steam Railroads", erschien in den „Quarterly Journal of Econo-
mics" in der Ausgabe vom November 1908.
- 4^7 -
bahnprojekte. Die besonderen Mittel, durch die er es tat,
lassen sich nicht feststellen, aber es ist sicher, daß er, als er
den Kongreß verließ, einer der hervorragendsten „Betei-
ligten" an verschiedenen Eisenbahngesellschaften mit staat-
lich bewilligtem Lande war.
Unbeschränkte Betrügereien und Bestechungen
Die Minnesota- und Northwestern -Eisenbahngesell-
schaft war eine der Eisenbahngesellschaften, die ihre Privi-
legien und ihr Land gerade zu der Zeit erlangten, als Sage
Kongreßmitglied war; das Gesetz ging durch im Anschluß
an massenhafte Betrügereien und Bestechungen. Es gibt
allerdings kein urkundlich beglaubigtes Zeugnis dafür, daß
Sage mit dieser Gesellschaft in Verbindung stand. Aber
es ist doch der Mühe wert, darauf hinzuweisen.
Eine besondere Kommission des Hauses wurde am 24. Juli
1854 beauftragt, die Sache zu untersuchen; und ob-
gleich die Kommission einen ausweichenden, weißwaschen-
den Bericht einreichte, so bewiesen doch die vor ihr abge-
gebenen Zeugenaussagen zweifellos, daß der Wortlaut des
Gesetzes während der Reinschrift im Hause auf irgendeine
Weise betrügerisch verändert worden war. Diese Verände-
rungen verschafften nach der Aussage des Sekretärs des
Minnesota-Territoriums, J. Travis Rosser, der in Rede ste-
henden Eisenbahngesellschaft „Millionen Dollar". Die
Gesetzesvorlage, wie sie vom Senat kam, hatte die Land-
bewilligung dem Territorium von Minnesota zugesprochen,
nicht der Eisenbahngesellschaft; wie sie schließlich lautete,
als sie Gesetz geworden war, enthielt sie die im Hause ein-
gefügten betrügerischen Änderungen^). Robert W. Low-
ber, ein Aktionär, erklärte, daß während der Debatte über
die Vorlage Arrangements getroffen wurden, durch welche
der Widerstand verschiedener ihrer Gegner aufgekauft
wurde, eine Behauptung, die die Beschuldigten in Abrede
stellten 2). — Die Majorität einer neuen Kommission, die
^) Reports of Committees, 33. Congress, First Session, Bd. 3, Rep. Nr. 352, 30.
') Rep. Nr. 352, 1854, 35. Dieses Gesetz wurde später aufgehoben. Siehe Kap. 2.
Lowber war eine Zeitlang stellvertretender Präsident dieser Gesellschaft. Er war
- 428 —
am 10. Juli 1854 eingesetzt wurde, um die Anklagen über
Bestechungen zu untersuchen, berichtete: Die Unter-
zeichneten glauben, daß durch Zeugenaussagen klar fest-
gestellt ist, daß Geld reichlich benutzt wurde, um das
Durchgehen von Vorlagen sicherzustellen, und sie glau-
ben durchaus, daß noch viel mehr Beweise hätten verschafft
werden können, wenn der Kommission Zeit gelassen worden
wäre, eine gründlichere Untersuchung der Tatsachen vor-
zunehmen^).
Die unternehmenden Fabrikbesitzer
Die Kommission fand heraus, daß Samuel Colt, der
Gründer eines auf der Fabrikation von Feuerwaffen beru-
henden Vermögens, an Dickerson, seinen Advokaten, und
einen seiner Lobbyisten bei einer Vorlage zur Verlängerung
seiner Patentrechte, deren Frist abgelaufen war, wenigstens
15000 Dollar zur Bestechung der vorhandenen Opposition
im Kongreß gezahlt hatte. Die Zeugenaussage zeigte, daß
alles in allem ungefähr 60 000 Dollar zur Durchsetzung
der Vorlage ausgegeben worden waren. Ein anderer Lobbyist,
Jere Clemens, der auch die Verteilung von Colts Beste-
chungsgeldern besorgte, war, wie er unter Eid zugab, gleich-
zeitig Lobbyist für verschiedene Eisenbahngesellschaften,
die Landbewilligungen nachsuchten, und für eine Vorlage
ähnUch der Colts zur Verlängerung der Patentrechte für
ein notorisch bestechlicher New Yorker Stadtpolitiker und erwarb gerade zu jener
Zeit bedeutende Summen durch betrügerischen Landverkauf an die Stadt New York
zu enorm hohen Preisen. („The History of Tammany Hall", S. 216.) Lowber
verkaufte bei einer dieser Gelegenheiten auf ungesetzliche Weise Land an die Stadt
New York für 196 000 Dollar, die der Kontrolleur sich zu zahlen weigerte mit der
Begründung, daß diese Summe fünf- oder sechsmal größer sei als der Wert des Lan-
des. Lowber erhielt vor Gericht ein Urteil gegen die Stadt und war im Jahre 1858,
als der Revisor sich weigerte, ihn zu befriedigen, im Begriff, die Stadthalle von New
York durch Auktion verkaufen zu lassen, als Bürgermeister Tiemann das Verfahren
anhielt und die notwendige Summe aufbrachte. Immerhin waren die Gemälde und
Standbilder der Stadthalle bereits verauktioniert und von dem Sekretär Tiemanns
gekauft worden.
Andere Beamte der Minnesota- und Northwestern-Eisenbahngesellschaft waren
ebenso notorische New Yorker Lobbyisten (Leute, die den Vorsaal des Kongresses
besuchen, um Mitglieder zu beeinflussen) und gewohnheitsmäßige Bestecher.
^) Reports of Committees, 33. Congress, First Session, Bd. 3, Report Nr. 352, 35.
- 429 -
Cyrus H. McCormick^), einen Fabrikanten von Mäh-
maschinen und Gründer eines Vermögens von vielen Mil-
lionen.
Wie andere Fabrikbesitzer den Kongreß bestachen,
um Tarifgesetze durchzubringen, das wurde durch die
Untersuchungen einer besondern Kommission des Hauses
aufgedeckt, deren Majorität berichtete, daß speziell eine
Firma, Laurence, Stone & Co. in Boston und New York, die
Besitzer der großen Middlesex-Spinnereien und der ebenso
großen Bay-State-Spinnereien in Massachusetts, 87 000
Dollar an Bestechungsgeldern ausgegeben hatte, um den
Zoll auf Rohwolle und gefärbte Stoffe herabzusetzen 2).
Da es ihnen nicht gelungen war, von dem Kongreß,
der politisch zu einem niedrigen Zolltarif verpflichtet war,
einen hohen Schutzzoll für Wollwaren zu erreichen, ver-
suchten sie durch Erlangung einer Zollherabsetzung für
Rohmaterial zu demselben Resultat zu kommen. Einer
der Lobbyisten für diese Firma war A. R. Corbin, ein
Schwager des Ulysses S. Grant, derselbe Corbin, den Gould
später für seine Goldmanipulationen in seine Dienste
nahm. Corbin empfing 1000 Dollar Bestechungsgelder
von Laurence, Stone & Co. und machte aus der Tatsache,
daß er für die Illinois Central-Eisenbahn und andere Eisen-
bahngesellschaften regelmäßig gearbeitet hatte, kein Ge-
heimnis.
Dies war, wie man sich erinnern wird, die Zeit, als
Kommodore Cornelius Vanderbilt, E. K. Collins und andere
Dampfschiff- Kapitalisten den Kongreß bestachen, um
Postsubventionen zu erhalten, und Vanderbilt zwei Pacific-
Dampfschifflinien um jährlich 612 000 Dollar Regierungs-
subsidien betrog. Ebenfalls während dieser Jahre fand
eine Kongreßkommission bei einer Untersuchung heraus,
daß das gesetzUche Privilegium und die Landbewilli-
gung der Des Moines Schiffs- und Eisenbahn-Gesellschaft
durch Bestechung durchgebracht worden waren. Wenn
man nach den Berichten dieser verschiedenen Untersuchungs-
^) Rep. Nr. 352, etc., 20. Es verdient Beachtung, daß Houghton sowohl Colt
wie McCornick in seinen „Kings of Fortune" aufführt.
^) Reports of Committees, First Session, 35. Congress, Bd. 4, Report Nr. 414.
- 430 -
kommissionen und den noch bedeutungsvolleren Umstän-
den urteilt, die das Ernennen dieser Kommissionen er-
forderlich machten, so liegt es auf der Hand, daß der Kon-
greß von Betrug und Bestechung triefte, wovon nur wenig
an die Oberfläche durchsickerte, und weitergehend er-
halten wir gelegentlich einen klaren Einbhck, wie die Be-
gründer großer auf Fabrikindustrie beruhender Vermögen
vorgingen.
Da wir eben bei diesem Gegenstande sind, wollen wir
eine^Abschweifung machen, um zwei Skandalaffären, die
sich zu dieser Zeit abspielten, besonders zu behandeln.
Es lohnt sich wohl, auf sie hinzuweisen, erstens, weil auch sie
die außerordentliche, in Washington von jeder Gruppe von
Kapitalisten betriebene Bestechung enthüllen, und zwei-
tens, weil sie etwas von der Art und Weise zeigen, wie
einer der am höchsten gepriesenen Multimillionäre und
„Philanthropen" der Vereinigten Staaten sein Vermögen
aufbaute.
Dies war William W. Corcoran, ein Bankier in Washing-
ton, der nach dem Bürgerkriege den Ruf erwarb, einer der
gediegensten und geachtetsten Finanzleute in den Vereinig-
ten Staaten zu sein. Während der Jahrzehnte, in denen
Gould und Sage wegen ihrer Betrügereien heftig angeklagt
wurden, ragte Corcoran als ein ruhiger, vorsichtiger Ban-
kier und ein Mann von anerkannter, höchst ehrenvoller
Vergangenheit empor. Er war der Hauptteilhaber der
Bankfirma Corcoran & Riggs, hinterließ der Stadt Washing-
ton 2 Millionen Dollar für eine prächtige Kunstgalerie
und gründete auch ein Heim für altersschwache Frauen.
Ein Seitenblick auf einen berühmten Philanthropen
Corcoran war auch einer der vielen Kapitalisten, die
es fertig brachten, sich mit dem schützenden Mantel der
Ehrbarkeit zu umkleiden. Seine Handlungsweise war jedoch
von derselben betrügerischen Art wie die aller anderen er-
folgreichen Geldmacher.
Wie diese Handlungsweise wirklich beschaffen war, darüber
kam im Jahre 1854 Beweismaterial ans Licht; es erregte
- 431 -
einen solchen Lärm, daß das Repräsentantenhaus sich ge-
zwungen sah, einige Untersuchungen anzustellen. Nach
den schriftlich niedergelegten und wiederholt ausgesproche-
nen Beschuldigungen Benjamin E. Greens, einer politischen
Persönlichkeit dieser Zeit, hatte Corcoran öffentliche Be-
amte in weitgehender Weise bestochen, um aus der Ver-
waltung von Geldern der Vereinigten Staaten und durch
Spekulation mit ihnen große Summen zu gewinnen. Durch
den Vertrag von Guadulupe Hidalgo hatten die Vereinig-
ten Staaten eingewilligt, an Mexiko für ein nach dem mexi-
kanischen Kriege abgetretenes Territorium eine große Ent-
schädigungssumme zu zahlen. Ein Teil dieser Summe war
bis zum Jahre 1850 bezahlt worden, aber eine bedeutende
Summe war noch zu entrichten. Mexiko brauchte das
Geld sehr notwendig und schlug vor, daß die Vereinigten
Staaten es ohne die Vermittlung von Bankhäusern direkt
an die mexikanische Regierung zahlen sollten. Green er-
hob den Vorwurf, daß Corcoran den Vorsitzenden der
Kongreß-Budgetkommission, Thomas H. Bayly, bestochen
habe, den Vorschlag Mexikos fälschlich so darzustellen und
die Angelegenheit so zu leiten, daß die Firma Corcoran
& Riggs zum Vermittler des Geschäfts gemacht würde.
,, Bayly," so lautete Greens Beschuldigung, „hatte alle Ge-
setzesvorlagen für Geldbewilligung in seiner Hand, und Cor-
coran hatte an den meisten direktes oder indirektes Inter-
esse^)." Corcoran erhielt auf diese Weise die Verwaltung der
Entschädigungsgelder und machte bei diesem Unternehmen
einen Profit von ungefähr 500000 Dollar^). Eine beson-
ders eingesetzte Kommission des Repräsentantenhauses
gab sich den Anschein, die gegen Bayly erhobene Beschuldi-
gung zu untersuchen, und berichtete am 3. August 1854
über den Fall als „nicht bewiesen".
Der Gardiner-Mears-Schwindil
Gerade zu derselben Zeit war Corcoran auch in eine
Untersuchung der Gerichtskommission des Hauses ver-
^) Reports of Committces, 33. Congress, First Session, Vol. 3, Rep. No. 354, 4.
2) Kbenda.
- 432 -
wickelt — einer Kommission, deren Mitglieder zum großen
Teil selbst bestechliche PoHtiker waren. Der Vorgang,
den sie nach dem Beschluß des Hauses vom 6. März 1854
untersuchte, war der große Betrug, den George H. Gardiner
und John H. Mears gegen die Regierung der Vereinigten
Staaten verübt hatten. Durch Meineide, gefälschte Er-
klärungen und Bestechung erlangten diese beiden Männer un-
ter der Vorspiegelung, daß ihnen gehöriger Besitz in Mexiko
während des mexikanischen Krieges zerstört worden sei,
von der Regierung der Vereinigten Staaten 581 000 Dollar.
Nachdem das Geld bewilligt worden war, wurden die dem
„verblüffenden Betrug" (wie eine Kommission des Hauses
sich ausdrückte) zugrunde liegenden Tatsachen öffentlich
bekannt. Sowohl der Senat wie das Repräsentantenhaus
untersuchten den Vorgang; eine Senatskommission berich-
tete, daß die Ansprüche „falsch und fingiert und die
zuerkannten Zahlungen durch gefälschte und nachge-
machte Papiere erlangt seien^)".
Die Bevölkerung der Vereinigten Staaten wurde durch die
Enthüllung dieses kühnen Schwindels in die heftigste
Aufregung versetzt, und der Kongreß hatte wieder einmal
einen krampfhaften Anfall tugendhafter Neugier. Ein
Beschluß ging durch, der die Zurückforderung des an Gar-
diner und Mears ausgezahlten Geldes verlangte. Aber waren
diese Männer die wirklichen Empfänger? Wer hatte das
Geld tatsächlich erhalten ? Wer waren die Hauptpersonen,
die hinter dem Betrüge standen ? Das waren Punkte, die
erforscht werden mußten.
Nach dem Ergebnis der Untersuchung schien es, daß eine
Gruppe von Bankiers und PoUtikern hinter dem Betrüge
standen. Möglicherweise hatten sie ihn angeregt, obgleich
diese allgemeine Annahme nicht bestätigt wurde. Die
Zeugenaussagen zeigten jedoch, daß zu der Zeit, als die
gefälschten Zeugnisse hergestellt wurden, zur erfolgreichen
Durchführung des geplanten Betrugs sehr dringend Geld
gebraucht wurde. Zu diesem Zeitpunkt trat Corcoran in
den Vordergrund. Er lieh als Betriebskapital zur Förderung
des Betrugs 18750 Dollar, obgleich er vor der Untersuchungs-
^) U. S. Senate Report No. 182, 1854.
- 433 -
kommission behauptete, er habe nicht gewußt, daß das
Geld benutzt wurde, um Zeugenaussagen zu gewinnen
und die Kette des Betrugs auch sonst noch zu vervoll-
ständigen. Aber er gab zu, Robert G. Corvin und Thomas
Corvin, einflußreichen Politikern des Tages, diese i8 750
Dollar geHehen zu haben; er hatte dafür eine Anweisung
auf die Forderung Gardiners als doppelte Sicherheit er-
halten ^). Thomas Corvin wurde später zum Schatz-
sekretär der Vereinigten Staaten ernannt, und auf seine An-
ordnung wurde nach einer vom Kongreß bewilligten Vor-
lage das Geld ausgezahlt. Von den bewilligten 581 875 Dol-
lar fiel die Summe von 321 562,50 Dollar nominell auf Gar-
diners Namen, und 107 187,50 Dollar wurden Corcoran
als Gardiners Bevollmächtigtem zugesprochen. Beide Sum-
men wurden jedoch Corcoran ausgezahlt und in den Büchern
von Corcoran & Riggs eingetragen und (so steht es in
dem Bericht) „den Beteiligten gutgeschrieben 2"). Als Gar-
diner wegen Meineids verklagt wurde, beging er Selbst-
mord. Die Bankiers und Politiker jedoch, deren Werk-
zeuge Gardiner und Mears gewesen waren, hatten sich, wie
kaum zu sagen nötig ist, keinem gerichtlichen, noch irgend-
einem anderen Verfahren zu unterwerfen, sondern nur einer
freundschaftlichen und ausweichenden Untersuchung. So-
weit Corcorans Mitschuld in Betracht kam, wurde er von
jeder rechtlichen Verantwortung entlastet.
Es ist anzunehmen, daß Sage aus seinen Erfahrungen in
Washington viel wertvolle Lehren zog; Corcorans be-
sondere Art, Bankgeschäfte zu machen, muß ihm die Augen
für allerhand Möglichkeiten geöffnet haben. Wenigstens
^) House Reports, Thirty-thlrd Congress, First Session, Bd. 3, Report No. 369,39.
2) Ebenda. Es ist hier zu erwähnen, daß Riggs von der Firma Corcoran & Riggs
im Jahre 1868 angeklagt wurde, einen Bestechungsfonds verwaltet zu haben, den
der russische Minister den Vereinigten Staaten gegenüber benutzte, um das
Durchgehen einer Vorlage sicherzustellen, die 7200000 Dollar zum Ankauf
von Alaska bewilligte. Die Kongreßkommission für öffentliche Ausgaben stellte
eine Untersuchung an. Aber da die Mitglieder der russischen Gesandtschaft,
obgleich sie aufgefordert wurden, zu erscheinen und Erklärungen abzugeben,
sich weigerten, dies zu tun, so berichtete die Kommission über die Untersuchung:
„Fruchtlos in bezug auf bejahende oder genügende verneinende Resultate." —
Siehe Reports of Committees, Third Session, Fortieth Congress, 1868 — 1869,
Report No. 35.
28
- 434 -
fing Sage, der schon durch die Verbindung von Geschäft
und Politik ein Millionär oder nicht weit davon entfernt
war, jetzt in Troy Bankgeschäfte an und wurde ein Geld-
verleiher und Wucherer im großen Maßstabe.
Es war zu dieser Zeit, daß er als einer der größten Aktio-
näre der La Crosse- und Milwaukee- Eisenbahn auf-
tauchte. Er war diesem Projekt ungefähr damals, als er im
Kongreß war, näher getreten, aber die Tatsache wurde
erst mehrere Jahre später bekannt, als er eine gerichtliche
Verfallserklärung beantragte. Der rühmende Biograph in
„America's Successful Men" behandelte Sages Verbindung
mit der La Crosse- und Milwaukee-Eisenbahn in folgender
oberflächlicher Art: „Zur Zeit der Panik vom Jahre 1857
war Sage ein bedeutender Gläubiger der La Crosse-Eisen-
bahn .... Um die Darlehen, die er der Bahn gegeben
hatte, sicherzustellen, sah er sich gezwungen, noch größere
Summen vorzustrecken, und dann wurde er durch ein
zur Sicherstellung seines angelegten Geldes angestelltes
Rechtsverfahren Besitzer der Bahn, die später ein Teil der
Chicago-, Milwaukee- und St. Paul-Bahn wurde, deren
Direktor und Vizepräsident Sage zu verschiedenen Zeiten
war."
Die Bestechung eines ganzen Staates
Diese Erklärung liest sich ganz glatt, übergeht aber eine
Menge wesentlicher und aufklärender Details. Man kann
sagen, daß selbst zu einer Zeit, in der Bestechung und Be-
trug so allgemein waren, daß das öffentliche Gefühl Ekel
davor empfand, wohl keine Verhandlung größere Sensation
erregt oder auf das durch fortgesetzte Enthüllungen von
Bestechung ermüdete Volk einen tieferen Eindruck hervor-
gebracht habe, als die von den Besitzern der La Crosse-
und Milwaukee-Eisenbahn ausgeführten großen Dieb-
stähle und Bestechungen.
Diese Gesellschaft war von den regierenden Körper-
schaften von Wisconsin in Jahre 1852 ermächtigt worden,
eine Eisenbahn zu bauen, die Wisconsin von Milwaukee
an der östlichen Grenze bis La Crosse an der westlichen
- 435 -
Grenze durchkreuzte. Zwei weitere, in demselben Jahre
angenommene Gesetze gestatteten ihr die KonsoHdierung
mit zwei anderen — in anderen Richtungen laufenden —
Eisenbahnen.
Im Juni 1856 genehmigte der Kongreß eine Vorlage, die
Wisconsin gestattete, ungefähr 2 388000 Morgen öffentlichen
Landes in diesem Staate unter die Eisenbahnen zu verteilen.
Der Erlaß dieses Gesetzes war eine von dreißig verschie-
denen Eisenbahn-Landbewilligungen, die in diesem einen
Jahre genehmigt wurden. Daß sie durch Bestechung durch-
gebracht worden waren, ging aus dem Bericht der Unter-
suchungskommission des Hauses hervor, welche die Aus-
stoßung von vier hervorragenden Kongreßmitgliedern emp-
fahl, da sie im Kongreß an der Spitze von Gruppen stan-
den, die Bestechungen zugänglich waren^). Die La Crosse-
und Milwaukee-Eisenbahngesellschaft verlor daraufhin keine
Zeit und bestach (und alle anderen Eisenbahnen mit staat-
licher Landbewilligung taten dasselbe in anderen Staaten)
die regierenden Körperschaften von Wisconsin, ihr eine un-
geheuer große Landbewilligung zuzugestehen. Was auf die
durch Bestechung erlangte Kongreßakte folgte, wäre
zweifellos niemals an die Öffentlichkeit gekommen, wäre
nicht eine andere Eisenbahngesellschaft mit der La Crosse-
und Milwaukee-Gesellschaft in Wettbewerb getreten, um
von der Regierung in Wisconsin eine noch größere Land-
bewilligung zu erhalten. Da sie in dem Wettkampf ge-
schlagen wurde, erhob sie aus Rache die Anklage, daß Be-
stechung verübt worden sei. Der Erfolg war die Einsetzung
einer gemeinsamen Untersuchungskommission beider Häu-
ser der regierenden Körperschaften von Wisconsin, und aus
ihrem Bericht, der mehr als 300 Seiten umfaßt und am
13. Mai 1858 eingereicht wurde, kann man die eingehend-
sten Details erhalten.
Diese Kommission berichtete, daß bis zum Jahre 1856
beim Bau der La Crosse- und Milwaukee-Eisenbahn bei-
nahe I 700 000 Dollar von den Direktoren gestohlen wor-
^) Report of Select Committee appointed to Investigate Certain Alleged Corrupt
Combinations of Members of Congress. — Reports of Committees, 1856 — 1857,
Bd. 3, Report No. 245.
- 43^ -
den seien. Ein hierzu eingeschlagenes Verfahren bestand
darin, mit sich selbst für den Bau ihrer Bahnen Kontrakte
mit übermäßigen Forderungen abzuschließen, ein anderes
darin, Baurechnungen zu fälschen, ein drittes darin, Land
als Privatperson zu kaufen und der Gesellschaft zu über-
trieben hohem Preise zu verkaufen. Dieses betrügerische
Verfahren war überall in den Vereinigten Staaten unter
den Eisenbahndirektoren gebräuchlich. Nach dem Befund
der Kommission hatten die Direktoren der La Crosse- und
Milwaukee-Eisenbahn, die sich aus Wallstreet- Bankiers und
New Yorker Politikern zusammensetzten, die Aktien, Ob-
ligationen und das Eigentum der Gesellschaft so aus-
geplündert, daß sie in einen bankrotten Zustand ver-
setzt worden war. Um die Gesellschaft aus diesem
Zustande zu erretten und die Direktoren vor Strafverfol-
gung wegen Betrugs und Raubes zu bewahren, war es daher
dringend notwendig geworden, einen Plan zur Erlangung
großer Landbewilligungen zu ersinnen. Sage gehörte zu
dieser Zeit nicht zu den Direktoren; sein Besitz bestand,
wie es schien, in Aktien und Obligationen; er hielt sich im
Hintergrunde und arbeitete durch Vermittler.
800000 Dollar für Bestechungen, um eine Vorlage durchzubringen
Um diese Landbewilligung, die aus ungefähr i Million
Morgen bestand, zu erlangen, verführten die Direktoren
der La Crosse- und Milwaukee-Eisenbahn nicht nur einige
Mitglieder der regierenden Körperschaften, sondern tat-
sächlich die ganzen regierenden Körperschaften, den Gou-
verneur und andere Staatsbeamte und eine große Anzahl
von Redakteuren und Politikern. Diese allgemeine Beste-
chung eines ganzes Staates, verbunden mit Plündern, Rauben
und mannigfachem Schwindel, war es, die einen so un-
gewöhnlich tiefen Eindruck auf die öffentliche Meinung
hervorbrachte; die 2^itungen, die im allgemeinen den Be-
richten über Bestechungen nur spärlichen Raum gestatteten,
öffneten bei dieser Gelegenheit in offenbarem Verständnis
für die Art des Skandals ihre Spalten und veröffentlichten
lange, in einigen Fällen in kleinerem Druck anderthalb
- 437 -
Seiten füllende Auszüge aus dem Bericht der Kom-
mission.
Mehr als 800 000 Dollar in Obligationen und Geld —
aber hauptsächlich in Obligationen — waren, so berichtete
die Kommission, als Bestechungsgelder gezahlt worden, um
die Landbewilligungsvorlage des Jahres 1856 durchzu-
bringen. Dies war indessen eine zu niedrige Schätzung. Nach
dem Bericht des Präsidenten der La Crosse- und Milwau-
kee- Eisenbahngesellschaft kostete das Durchbringen dieser
Vorlage i Million Dollar in Obligationen^). Der Präsident
der Gesellschaft beklagte in seinem Jahresbericht von 1858
die Tatsache, daß das Durchbringen der Landbewilligungs-
vorlage die Gesellschaft so viel gekostet habe. Er gab die
einzelnen Posten der Ausgabe ausführlich an. Der erste war
die kurze, aber vielsagende Eintragung: „Bauobligationen
für 1862, ausgegeben zur Erreichung von Privilegien:
100 000 Dollar." Der zweite in der Ausgabenliste zur Er-
langung von Landbewilligungen aufgeführte Posten be-
stand in weiteren 100 000 Dollar zur Erwerbung und
Abfindung der St. Croix- und Lake Superior-Eisenbahn,
der 847 000 Morgen öffentlichen Landes zuerkannt worden
waren 2). Eine dritte Eintragung lautete: „Aktien, ausge-
geben zur Erlangung von Privilegien in Madison (der Haupt-
stadt von Wisconsin) : 90 000 Dollar*)." Ein vierter Posten
bestand in 210000 Dollar „für Dienste" zur Erlangung des
Privilegiums für eine Zweigbahn, genannt die Milwaukee-
und Watertown-Eisenbahn*).
So groß diese Ausgaben auch waren, so waren sie doch im
Vergleich mit dem Werte der errreichten Landbewilli-
gungen unbedeutende. Der Jahresbericht der La Crosse-
und Milwaukee-Eisenbahngesellschaft von 1857 enthielt
einen Rechenschaftsbericht des Landkommissars von Wis-
consin, der hervorhob, daß die zuerkannten Flächen reiches
Acker- und Bauholzland seien, und ihren Wert auf 17 345600
Dollar schätzte^). Siebzehn Millionen Dollar für die Aus-
^) „The Sixth Annual Report of The La Crosse and Milwaukce R. R. Com-
pany". New York 1858, 16.
2) „Sixth Annual Rep., La Crosse and Milwaukee R. R", 16. ^) Ebenda.
*) Ebenda. 8) „The Fifth Annual Report of The La Crosse and Milwaukee
R. R. Co., 1857," 35 uoo.
- 438 -
gäbe von i Million Dollar an Bestechungen war kein
schlechtes Geschäft.
Betrügerische und räuberische Taten ohnegleichen
Aber wir wollen wieder auf den Bericht des allge-
meinen Gesetzgebungsausschusses von Wisconsin zurück-
kommen. Er berichtet, daß für die Durchbringung der
Landbewilligungsvorlage von 1856 175000 Dollar in Ob-
ligationen an dreizehn, namentlich aufgeführte Senatoren
verteilt worden seien, zwischen IG 000 und 20 000 Dollar
für die Person; daß 355000 Dollar in ObHgationen an
siebzig, namentüch aufgeführte Mitgheder des Repräsen-
tantenhauses als Bestechungen gezahlt worden seien —
eine durchschnittliche Bestechungssumme von 5000 Dol-
lar — , daß 50 000 Dollar in Obligationen an Coles Bash-
ford, den Gouverneur von Wisconsin, 16000 Dollar an
andere Staatsbeamte und 246000 Dollar in verschiedenen
Posten an gewisse, namentlich aufgeführte Redakteure
und andere einflußreiche Persönlichkeiten ausgezahlt wor-
den seien^).
Die Kommission berichtete, daß die Bestechenden, um
die Tatsache der Bestechung zu verbergen, einen geheimen,
schriftlichen Kodex benutzten. Dieser Kodex wurde je-
doch verraten. Die Kommission macht die Bemerkung:
„Die Bestechung oder das »Aufkaufen* einer großen Majori-
tät der gesetzgebenden Körperschaft von 1856 erscheint
im Hintergrunde als eine harmlose Tatsache, während der
bei dem Versuch, das Verfahren vor der MögHchkeit der
Entdeckung zu bewahren, entwickelte Scharfsinn so höchst
eigenartig ist, daß er Aufmerksamkeit erregt. Die Han-
delnden scheinen die Tatsache nicht in Erwägung gezogen
zu haben, daß kein Deckel jemals groß genug gewesen ist,
um sich selbst ganz zu bedecken 2)."
^) Reports of the Joint Select Committee Appointed to Investigate Into Alleged
Frauds and Corruption in the Disposition of the Land Grant by the Legislature of
1856 and for Other Purposes; Appendix to (Wisconsin) Senate and Assembly
Journals, 1858.
*) Ebenda 47. In Wisconsin, ebenso wie in anderen Staaten, wurden sehr viele
Farmer offenkundig ausgeraubt. Die Beraubung der Nation, der Staaten, Kreise,
- 439 -
„Das Beweismaterial," schließt die Kommission, „stellt
die Tatsache fest, daß die La Crosse- und Milwaukee-Eisen-
bahngesellschaft sich zahlreicher und beispielloser Taten
von Mißwirtschaft, grober Pflichtverletzung, von Betrug
und Raub schuldig gemacht hat. In der Tat sind Beste-
chung und Ausplünderung im großen ihre allgemeinen
charakteristischen Merkmale^)."
Die von der La Crosse- und Milwaukee-Eisenbahngesell-
schaft erlangten großen Landbewilligungen waren nicht
die einzigen Schenkungen in den gesetzgeberischen Hand-
lungen des Jahres 1856. Als Körperschaft war die Gesell-
schaft für immer steuerfrei, und auch das bewilligte Land
wurde für zehn Jahre von der Steuer befreit — eine ge-
nügend lange Zeit, um es seines Bauholzes zu berauben oder
zu verkaufen. Ungeachtet aller gesetzlicher Schenkungen
und anderer sehr wertvoller Stiftungen von Städten und
Kreisen wurde die Eisenbahn so vollständig ihres Geldes
und ihrer Hilfsmittel beraubt, und es war zur Zeit der
Panik des Jahres 1857 so schwer, Geld aufzubringen, daß
sie zum Bankrott gezwungen wurde^).
Stadtverwaltungen und einzelner Persönlichkeiten fanden gleichzeitig statt.
Von den Bestechungen und Betrügereien bei der Milwaukee- und Superior-
Eisenbahngesellschaft berichtete eine Untersuchungskommission, daß viele Farmer
im Milwaukce-Distrikt und in anderen Teilen von Wisconsin auf ihre Farmen
Hypotheken aufgenommen hätten, um sich das Geld zum Kauf von Eisenbahnaktien
zu verschaffen. Diese Farmer „waren sehr bestrebt, den Bau einer Bahn zu unter-
stützen, von der sie annahmen, daß sie ihnen persönlich und auch dem Geraeinwesen
Nutzen bringen würde". Viele waren Deutsche, „vertrauensselige, unverdorbene
Leute". Die Kommission fährt fort: „Ein Schwärm dieser Geier, als ,Aktien-
händler' bekannt, wurde unter das Volk gesandt, und, wie das hier bewiesene Re-
sultat zeigt, wurden viele arme und würdige Leute ihrer ganzen Habe beraubt,
und wenn ihnen nicht auf irgendeine Weise geholfen wird und die erwähnten
Hypotheken rechtskräftig sind, werden sie bald ihrer Häuser beraubt werden." . . .
Report of Select Committee Appointed under Resolution No. 128, Assembly, to
Investigate the Affairs of the Milwaukee and Superlor Railroad Company, Appendix
to Assembly Journal, Wisconsin, 10 — 11.
^) Report of the Joint Select Committee etc., Appendiccs to (Wisconsin) Senate
and Assembly Journals, 1858, 47.
*) In der Zeugenaussage vor der besonderen gemeinsamen Kommission von
Wisconsin vom Jahre 1858 wurde. Sages Name in keiner Weise genannt. Es ist
jedoch sicher, daß Sage im Jahre 1857 ein Hauptbesitzer der La Crosse- und
Milwaukee-Eisenbahn war. Die Untersuchungskommission berichtete über folgende
Zeugenaussage des Aktionärs Prentiss Dow: „Im August und September 1857
waren in New York häufig Gerüchte im Umlauf, daß in der geschäftlichen Leitung
der Gesellschaft große Betrügereien begangen worden seien; daß die durch den Sub-
- 44^ -
Nun geschah es, daß Sage, wie seine biographischen
Schilderer sich ausdrücken, in den Vordergrund trat, um
„seine Interessen zu schützen". Wie er es tat, erzählen
sie nicht, aber die gerichtlichen Protokolle der Zeit beschrei-
ben sein Verfahren in bemerkenswert einfacher Sprache, ja
in klaren Auseinandersetzungen. Es schien, daß Sage die
ganze Zeit vorgeschobene Direktoren und Vermittler be-
nutzt hatte; d. h., er hatte verschiedene Leute als nomi-
nelle Besitzer und führende Leiter vorgeschoben, während
er im verborgenen tatsächlich der herrschende Besitzer
und die führende Persönlichkeit war. Diese Tatsache trat
in zahlreichen Klagen hervor, die dem obersten Gerichts-
hof der Vereinigten Staaten zugingen, und den Berichten
dieses hohen Gerichtshofes sind gewisse Einzelheiten ent-
nommen.
Betrügerische Obligationen und betrügerischer Verkauf
Sage war dem Wesen nach der Besitzer einer an dritter
Stelle stehenden Hypothek von 2 Millionen Dollar, die zur
Deckung des sich von Milwaukee nach Portage City oder
über die halbe Breite von Wisconsin erstreckenden östlichen
Zweiges der La Crosse- und Milwaukee-Eisenbahn ausge-
geben war. Der oberste Gerichtshof der Vereinigten Staa-
ten hob in seiner Darlegung des Falles im Jahre 1867 ^^^"
vor, daß für diese 2 Millionen Dollar in Obligationen nicht
mehr als 280 000 Dollar bar bezahlt worden seien. „In der
Tat," sagte der Gerichtshof, „beträgt die wirklich gezahlte
Summe nur wenig mehr als 150000 Dollar"^). Durch ein,
wie sich der Gerichtshof ausdrückte, „betrügerisches Über-
einkommen", das die Aktionäre und Gläubiger der Bahn täu-
schen sollte, wurde dieser dritten Hypothek die Priorität
skriptionsverkauf von Landbewilligungsobligatlonen aufgebrachten Summen für
andere Zwecke als den Bau der Bahn verwendet worden seien . . . daß der , Bericht'
der Gesellschaft in bezug auf ihre wirkliche Lage unzuverlässig sei. Viele Besitzer
von Landbewilligungsobligationen wurden unruhig und verkauften für den niedrigen
Preis von 20 Cent für den Dollar." — (Appendix to Assembly Journal, Wisconsin,
1858, S. 165.) Vielleicht kaufte Sage zu dieser Zeit mehr von den Obligationen.
^) James contra Railroad Company, Wallace Reports, Supreme Court of the
United States 6, 735.
- 441 -
verliehen und die Verfallserklärung des Eigentums bean-
tragt. Die Berichte des obersten Gerichtshofes zeigen
nicht, wie Sage in den Besitz seiner Obligationen gekommen
war, aber sie machen bekannt, daß auf die betrügerische
Obligationsausgabe ein betrügerischer Zwangsverkauf folgte.
„Von den 2 Millionen Dollar in Obligationen," sagte der
Gerichtshof, „wurden nur 200 000 Dollar bar bezahlt. Der
Rest der zwei Millionen war entweder in den Händen einer
der beiden Direktoren oder stand ihnen durch eine betrüge-
rische Vereinbarung zur Verfügung". Der Gerichtshof rügte
die Verfallserklärung als einen durch betrügerische An-
kündigung zustande gekommenen Verkauf, bei dem nur die
interessierten Parteien gewußt hätten, was vorgehen soUe^).
Dieser zwangsweise verkaufte östliche Zweig der La
Crosse- und Milwaukee-Eisenbahn wurde als Milwaukee-
und Minnesota-Eisenbahn mit Rüssel Sage als Präsidenten
neu organisiert. Die Verfallserklärung war am 17. August
1857 beantragt worden. Es könnte daher scheinen, als ob
Sage gerade während oder unmittelbar nach der Zeit, als
im Kongreß die Gesetze durch Bestechung durchgebracht
wurden, ein gewichtiger Aktionär geworden war, und daß
er zur selben Zeit oder bald danach, nachdem die La Crosse-
und Milwaukee-Eisenbahngesellschaft den ganzen Staat
Wisconsin mit 800 000 Dollar in Obligationen bestochen
hatte, einer der bedeutendsten Obligationen-Gläubiger
war. Aber wann er mit der Bahn wirklich in Verbindung
trat, wird aus den Berichten nicht vollständig klar. Nach
dem Zwangsverkauf erhoben einige Aktionäre und viele
Gläubiger, zu denen auch Firmen gehörten, die für den Bau
der Eisenbahn Material geliefert hatten, Einspruch gegen den
Betrug. Mehrere Prozesse folgten; diese wurden auch vor
den obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten gebracht,
und ihnen können weitere Tatsachen entnommen werden.
Ein allgemeiner und nach allen Seiten ausgedehnter Betrug
Einer dieser von dem genannten Gerichtshof im Jahre
1863 behandelten Fälle war der Prozeß verschiedener, Sage
1) Ebenda S. 755.
- 442 -
vertretender Bankfirmen gegen die La Crosse- und Mil-
waukee - Eisenbahngesellschaf t , dessen deutlicher Zweck
darin bestand, die Aktionäre und rechtmäßigen Gläubiger
zu betrügen. Nach Lage des Falles war es notwendig, daß
Sages Milwaukee- und Minnesota-Eisenbahngesellschaft,
die zum Teil die Nachfolgerin der ursprünglichen Gesell-
schaft war, eine Klagebeantwortung einbrachte, aber sonder-
barerweise tat sie das nicht. Die Berichte über den Pro-
zeß Bronson und Genossen gegen die La Crosse- und Mil-
waukee-Eisenbahngesellschaft lauteten :
„Als die Zeit verstrichen war, in der die Milwaukee- und
Minnesota-Eisenbahngesellschaft hätte antworten sollen,
aber noch keine Maßnahmen getroffen waren unter der An-
nahme, daß die Klage gegen sie durch Eingeständnis er-
ledigt sei, reichte ein gewisser J. S. Rockwell, ein Aktionär
der vorher erwähnten Gesellschaft, dem Gerichtshof seine
Beschwerde ein, in der er klagte, daß zwischen den Klägern
oder deren Agenten und einem gewissen Rüssel Sage, dem
Präsidenten der vorerwähnten Milwaukee- und Minnesota-
Eisenbahngesellschaft, ein geheimes Einvernehmen be-
stände, um in ihrer Sache eine Verfallserklärung und einen
Verkauf zu erlangen zu dem Zwecke, die Rechte der er-
wähnten Milwaukee- und Minnesota-Eisenbahngesellschaft,
die, wie angeführt wurde, die Besitzerin einer billigen Forde-
rung oder des Rückkaufsrechtes an dem verpfändeten
Grundstück war, zu vernichten, und daß der Präsident
(Sage) der zuletzt erwähnten Gesellschaft, entgegen der
Forderung seiner Aktionäre, sich geweigert habe, eine
Klagebeantwortung in ihrer Sache einzubringen^)."
Offenbar, denn das im Gange befindUche Werk bestand
darin, die Angelegenheiten der Gesellschaft durch gericht-
lichen Hokuspokus so zu verwickeln, daß man einen trif-
tigen Grund erhielt, die Aktionäre und rechtmäßigen Gläu-
biger vollständig zu prellen (oder, wie der Ausdruck lautete,
„hinauszugraulen".) Vier Jahre später erkannte dies, wie
wir eben bemerkt haben, der oberste Gerichtshof der
Vereinigten Staaten bei der Entscheidung einer anderen
Sache.
*) Wallace's Reports, Supreme Court of the United States, 2, 285 — 286.
- 443 -
Rockwell war nicht der einzige Aktionär, der über ein
geheimes Einvernehmen klagte. Ein anderer Aktionär, Fle-
ming, brachte eine Beschwerde mit zahlreichen Beschuldi-
gungen ein, von denen die eines geheimen Einvernehmens
nur eine war. Er klagte auch, daß die von der La Crosse-
und Milwaukee-Eisenbahngesellschaft ausgegebene Hypo-
thek nur das darstelle, was allgemein als „Bestechungs-
obligationen" bekannt sei, und nur ausgegeben wurde,
um über die erwähnten Obligationen oder einen großen
Teil derselben zur Bezahlung angeblicher Schulden der
Beamten und Agenten der genannten Gesellschaft oder
ihrer Freunde verfügen zu können, ohne daß dafür
irgendwelche Gegenleistung zu entrichten war. Ferner
„daß ein großer Teil der erwähnten Obligationen so be-
nutzt und zum Schaden der Gläubiger ausgegeben sei^)."
Der Rechtsanwalt der klagenden Aktionäre sagte zusam-
menfassend über die Sache : „Männer, die dazu angestellt
sind, Gesellschaften im Interesse der Aktionäre zu leiten,
leiten sie nur in ihrem eigenen. Sie werden Lieferanten,
ruinieren beinahe die Gesellschaft, bezahlen sich selbst
aus dem Aktivbestand mit enormen Abzügen, fangen die
Sache dann wieder von neuem an und werden schließlich
reich 2)". Der oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten
hob schließlich den Zwangsverkauf mit der Begründung,
daß er betrügerisch sei, auf, aber es gelang Sage durch
andere Mittel, seine Machtstellung zu behalten.
Während Sage die Verfallserklärung des östlichen Zwei-
ges der La Crosse- und Milwaukee-Eisenbahn beantragte,
tat er auf Grund seiner Ansprüche gleichzeitig dasselbe bei
einem anderen Zweige, der auch ein Teil des Chikago-Mil-
waukee- und St. Paul-Eisenbahnsystems wurde. Dieser
andere Zweig war die Milwaukee- und Horicon-Eisenbahn,
die eine wesentliche Rolle bei den beständigen Bestechungs-
vorgängen spielte. Der „Geschichtschreiber" des Chikago-
Milwaukee- und St. Paul-Eisenbahnsystems schreibt von
dieser Episode in folgender unklarer Weise : „Die im Jahre
1852 inkorporierte Milwaukee- und Horicon-Eisenbahn
1) Ebenda S. 287. 2) Ebenda S. 295.
- 444 -
wurde im Jahre 1863 von Washington Hunt und Rüssel
Sage zum Konkurs gebracht und im Juni 1863 von ihnen an
die Chikago-, Milwaukee- und St. Paul-Bahn abgetreten^)."
Die enormen Betrügereien in Wisconsin bilden nur einen
Teil von Sages Tätigkeit in dieser Periode. Zur selben
Zeit führten er und die ihm befreundeten Kapitalisten
damit zusammenhängend ähnliche -betrügerische Unterneh-
mungen in Minnesota aus. Hätten sie sich nicht gelegent-
lich über die Beute gestritten und vor Zivilgerichten Ge-
heimnisse verraten, so würden wir über die wahre Natur
ihrer Handlungen in Ungewißheit sein. Wie die Sache
liegt, geben gewisse noch vorhandene Prozeßberichte ein
ziemlich klares Verzeichnis ihrer Methoden, und wie diese
beschaffen waren, das soll nun im Umriß erzählt und aus-
einandergesetzt werden.
Zweites Kapitel
WEITERE EINZELHEITEN ÜBER DAS VERMÖGEN VON
SAGE
In dem vorhergehenden Kapitel haben wir gesehen, wie
im Jahre 1854 durch Bestechung und Betrug im Kon-
greß eine Vorlage durchging, deren Wortlaut heimlich so
abgeändert war, daß durch sie beinahe 900000 Morgen öffent-
lichen Landes in Minnesota direkt der Minnesota- und
Northwestern -Eisenbahngesellschaft überwiesen wurden.
Die aus einer Vereinigung von Kapitalisten des Ostens und
*) „Outline History of the Chicago, Milwaukee and St. Paul Railroad Company.
Compiled by the General Passenger Department, 1888," 2. — Der Hauptanwalt der
in diesem System verschmolzenen verschiedenen Eisenbahnen war Samuel J. Tilden,
der später in der Politik als ein so großer „Reformator" posierte und im Jahre 1867
der von den Demokraten vorgeschlagene Kandidat für die Präsidentschaft der
Vereinigten Staaten war. Man wird immer finden, daß die von beiden politischen
Parteien für ein hohes Amt der Exekutive, der Gesetzgebung oder der Gerichte vor-
geschlagenen Männer unfehlbar diejenigen sind, die ihre Nützlichkeit als Werkzeuge,
Anhänger oder Wohltatenempfänger der Korporationsinteressen bewiesen haben.
Ein Beweis dafür sind Garfield und Blaine, die in den Credit-Mobilier-Schwindel
verwickelt waren, Morton und viele andere.
- 445 -
Westens, aus Lobbyisten und Politikern gebildete Gesell-
schaft unternahm es, das Land mit hochtönenden Dar-
stellungen der großen Dinge zu beglücken, die sie zur Er-
schließung der Wildnis des Nordwestens zu unternehmen
beabsichtigte. Konnte die Nation die Wahrhaftigkeit und
die edlen Absichten ihrer Verbreiter, die alle reelle kapital-
kräftige Männer waren, in Zweifel ziehen ? Konnte die
Rechtschaffenheit ihrer Verfasser, an deren Spitze jener
bedeutende Kapitalist Erastus Corning aus Albany, New
York, stand, fraglich sein ?
Dieses eine Mal jedoch gelang es dem süßen Sänge nicht,
das Publikum zu bezaubern; es erhob sich in zornigem
Protest gegen die angewandte Bestechung, und der Kon-
greß trat einen eiligen Rückzug an und widerrief die Ver-
fügung i).
Geschenke von vierzehn Millionen Morgen
Aber das gute Betragen des Kongresses war von sehr kur-
zer Dauer, nur eine Aufwallung, die zur Blendung des
Publikums ihre Schuldigkeit tat. Die Fabrikation von Land-
bewilligungsvorlagen ging geschäftig weiter; der Widerruf
jener einen besonderen Landbewilligung hatte die Wir-
kung, die öffentliche Aufmerksamkeit abzulenken und das
ungeprüfte Durchbringen vieler anderer Landbewilligungen
möglich zu machen. Unter diesen befanden sich Maß-
nahmen, die Flächen von 6 Millionen Morgen öffentlichen
Landes — die im ganzen auf 14 Millionen erweitert wer-
den konnten — dem Territorium von Minnesota (das bald
ein Staat werden sollte) zum Besten der Eisenbahngesell-
schaften zusprachen. Die äußeren Formen des üblichen
Verfahrens wurden jetzt gewissenhaft beobachtet; die Län-
dereien wurden den einzelnen Staaten zur Überweisung
^) Trotz des Widerrufs veranlaßte die Minnesota- und Northwestern-Eisenbahn-
gesellschaft den Bezirksanwalt der Vereinigten Staaten für Minnesota, eine erdichtete
Klagesache einzubringen, um eine günstige Gerichtsentscheidung über die Gültig-
keit ihrer Rechtsansprüche zu erlangen. Jener Beamte wurde, als die Tatsachen be-
kannt wurden — von dem Präsidenten Pierc&ohne weitere Umstände entlassen. — •
House Executive Documents, Thirty-third Congress, Second Session, 1854 — 1855.
Bd. 5, Doc. No. 35.
- 446 -
an die Eisenbahngesellschaften geschenkt. Der Kongreß
hatte seine Lehre weg, daß die Beobachtung äußerer For-
men notwendig ist; von jetzt ab mußte bei Staatsbewilli-
gungen die Bestechung doppelt ausgeübt werden, zum
Teil in Washington und zum Teil in den Hauptstädten der
verschiedenen Staaten.
Während der Tagung von 1857 ging eine kleine be-
scheidene Vorlage tänzelnd durch, machte ungestört ihre
Runde durch die Kommissionen und wurde zum Gesetz.
Gerade zu jener Zeit wurde manches andere Gesetz, als
durch Bestechung durchgebracht, an das Tageslicht ge-
zerrt, aber diese besondere kleine Vorlage wanderte an-
spruchslos ihren Weg, vor dem forschenden Lichte der
Öffentlichkeit durchaus behütet. Es war eine Vorlage, die
der Minnesota- und Pacific-Eisenbahngesellschaft zum Bau
einer Linie von St. Paul nach St. Anthony's Falls (jetzt
die Stadt Minneapolis) Korporationsrechte verlieh und
mancherlei Ausdehnungen nach verschiedenen Richtungen
genehmigte.
Der zweite Teil des Programms wurde ebenso erfolgreich
durchgeführt wie der erste. Man wandte sich, um die
Mittel zur Ausführung dieses kühnen Planes zu erhalten, an
die regierenden Körperschaften von Minnesota, und diese
gingen sehr großmütig darauf ein. Verschiedene Gesetzge-
bungsakte sprachen der Eisenbahngesellschaft eine Bewilli-
gung von 10 Sektionen Staatsland auf die Meile zu, die Sektion
zu 640 Morgen gerechnet, und den Rechtsanspruch auf wei-
tere der Gesellschaft zu verleihende Landbewilligungen nach
Fertigstellung von je 20 Meilen. Aber dies waren nicht
die einzigen Wohltaten. Mit Heblichen Worten teilte die
Bahn den Bürgern des Staates mit, daß sie auch Geld
brauche. Viele der vorher erwähnten Bürger, kühne Pio-
niere, mit einer rauhen Art die Dinge anzusehen, wurden
beim Lesen dieser zarten Bitten nicht von Rührung über-
wältigt. Sie meinten, daß die Landbewilligung eine ge-
nügende Unterstützung sei. Aber die gesetzgebenden
Körperschaften von Minnesota waren „während der ver-
derbten Verwaltung durch Gouverneur Sibley" — wie sich
zeitgenössische Schriftsteller in Minnesota ausdrückten —
- 447 -
von außerordentlich empfindsamer Art und unfähig, eine
Bitte abzuschlagen^). Eine Vorlage ging durch, die die
Berechtigung zur Ausgabe von 5 Millionen Dollar Obliga-
tionen — die als Minnesota-Staatseisenbahn-Obligationen
bezeichnet wurden — erteilte, die den Eisenbahngesell-
schaften in jenem Staate ausgehändigt werden sollten. Nicht
der ganze Betrag wurde ausgegeben; die den Eisenbahn-
gesellschaften nach diesem besonderen Gesetze überwiesene
Gesamtsumme belief sich auf 2 750 000 Dollar. Weitere
große Summen wurden dann von Kreisen und Stadtbezirken
beigesteuert, und indem man Farmer und Kaufleute über-
redete, ihr Geld bei der Eisenbahn anzulegen, wurde ein
,, schneidiges Geschäft" gemacht.
Wessen herrschender Geist stand hinter diesem allen ?
Rüssel Sages. Selten erschien er zu auffallend im Vorder-
grunde, aber er war der Leisetreter, der, wie sich später
zeigte,, aus den Geschäften der Minnesota- und Pacific-
Eisenbahngesellschaft hauptsächlich Nutzen zog. Nachdem
er und seine Teilhaber die Stiftungsurkunde, die Privile-
gien, Rechte, Landbewilligungen, Geldsummen und Steuer-
freiheiten erlangt hatten, was taten sie ? Tapfer und ver-
führerisch hatten sie auf die Notwendigkeit von beson-
deren Anziehungs mittein hingewiesen, um den primitiven
Nordwesten zu erschließen. Aber sowie man erst diese in
erster Linie erstrebten Lockmittel gesichert sah, hörte das
Gerede auf, und die Arbeit, ihre geräumigen Taschen zu
füllen, setzte mit grimmigem und schweigendem Ernste ein.
Zuerst kam es nach dem üblichen Verfahren zu der ge-
bräuchlichen, freibeuterischen Organisation einer Baugesell-
schaft, die sich aus denselben Männern zusammensetzte wie
die Eisenbahngesellschaft. Sie machten Kontrakte mit sich
selbst und forderten ungeheuer hohe Preise; und dann,
nach diesen großen Diebereien, schrieben sie sich noch als
^) Bestechungen der gesetzgebenden Körperschaften fanden beinahe dauernd
statt. „Die zahlreichen Privilegien," so klagte Gouverneur W. A. Gorman bei den
gesetzgebenden Körperschaften von Minnesota im Jahre 1856, „die schon in Minne-
sota für Fähren, Holzfällen, Fabrikanlagen, Bergwerke usw. verliehen sind, ge-
nügen, um ihre Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand zu lenken." — „Viele
von diesen Privilegien", betonte er, „mußten Quellen ungeheurer Einkünfte für die
Gründer der Gesellschaften werden." — Minnesota Council Journal, 1856, 91.
- 448 -
Entgelt für angebliche Dienste auf betrügerische Weise
selbst Obligationen zu. Gleichzeitig mit diesen Veruntreu-
ungen machten sie sich ruhig daran, die kleinen Besitzer
von Obligationen und Aktien zu betrügen und die Gläu-
biger zu rupfen, die ihnen die notwendigen Vorräte und
Ausrüstungsgegenstände lieferten.
Bis zum Bankrott ausgeraubt
Die Diebstähle wurden mit so flinker Geschäftigkeit aus-
geführt, daß ungefähr ein Jahr, nachdem die Gesellschaft
ihre Privilegien erhalten hatte, ihre Schatzkammer ein
leerer Raum geworden war und die Eisenbahn in Konkurs
geriet und im Jahre 1858 zwangsweise verkauft wurde. Wer
kaufte sie zurück? Dieselben Leute, die sie ausgeplündert
hatten; als Vorsitzende der Baukommission hatten sie
Sorge getragen, sich mit genügenden Obligationen auszu-
rüsten, um die rechtliche Stellung der Hauptgläubiger
einzunehmen. Einige von ihnen, wie z. B. Sage, ar-
beiteten meistens mit Strohmännern, andere zeigten sich
öffentlich. Sie konnten darüber klagen — und taten es
auch — , daß der Konkurs der Gesellschaft durch die Schwie-
rigkeit veranlaßt sei, während der Panik des Jahres 1857
Geld aufzubringen; aber dies war eine nichtssagende, wenn
auch glaubwürdig klingende Entschuldigung.
Bald darauf kam es zu einer eigenartigen Entwicklung.
Sie sorgten dafür, daß die Eisenbahngesellschaft mit zwei
neuen Namen ausgestattet wurde. Auf Grund einer durch
die gesetzgebenden Körperschaften von Minnesota durch-
geschlüpften Vorlage wurde die Minnesota- und Pacific-
Eisenbahngesellschaft in zwei Abteilungen neu gebildet,
von denen die eine St. Paul- und Pacific-, die andere die
Erste Abteilung der St. Paul und Pacific-Eisenbahngesell-
schaft genannt wurde.
Warum diese beiden Namen für ein einziges Eisenbahn-
projekt ? Warum diese verwirrende Einrichtung ? Der
Grund wurde etwas später klar. Es war ein geschickter
Kunstgriff, sich in einer starken gesetzUchen Lage zu
verschanzen, um die Bahn noch weiter auszuplündern und
- 449 -
bankrott zu machen ; in Wirklichkeit leitete dieselbe Clique
beide Gesellschaften, und als Baumeister einer Eisenbahn,
die sie selbst leitete, konnte sie sich selbst Obligationen
aushändigen, die sie zu einem unangreifbaren Gläubiger
der ganzen Linie machten. Ein Beispiel schlauer Findig-
keit. Wessen kluger Kopf ersann diesen Plan ? Es war der
des „großen Reformators", es war jener Apostel „reiner
und unverdorbener Demokratie" — Samuel J. Tilden.
Er wob sein Netz von Rechtsbestimmungen so gut, so außer-
ordentlich gut, daß die kleinen Aktionäre und die Fabri-
kanten, die das Material geliefert hatten, sich nach kurzer
Zeit vollständig und ohne Aussicht auf gesetzHche Ent-
schädigung um ihre Ansprüche betrogen sahen.
Einer dieser Aktionäre, Edward C. Hopkins, machte mit
einem wunderbaren Vertrauen auf die Unparteilichkeit
der Rechtsprechung Anstrengungen, um zu erfahren, ob
er nicht einige Kupons seiner Obligationen der alten
Minnesota- und Pacific-Eisenbahn einlösen könne. Ist
nicht, so lautete sein Anspruch, die St. Paul und Pacific
die Nachfolgerin der ursprüngHchen Gesellschaft und daher
verpfhchtet, ihre Schulden anzuerkennen und zu bezahlen ?
Ist das nicht ein Fall, in dem eine alte Gesellschaft unter
einem neuen Namen handelt ? Der Fall kam vor dem
Bundesgericht der Vereinigten Staaten in St. Paul zur Ver-
handlung. Der hervorragende und grundgelehrte Richter
war John F. Dillon — derselbe Dillon, das paßte vorzüglich,
der später das Richteramt aufgab, um Anwalt von Gesell-
schaften zu werden, in denen Gould und Sage die bedeutend-
sten leitenden Geister waren.
Richter Dillon verabfolgte einige auserlesene Rechts-
blitze, die anderes kleines Gläubigervolk genügend darüber
aufklärten, was es zu erwarten hätte. Der Zweck seiner
Entscheidung war herrHch klar; er war der Ansicht, daß,
wenn die Gesetzgebung von Minnesota im Jahre 1862
den Namen der Gesellschaft geändert habe, sie eine voll-
ständig neue Vereinigung geschaffen habe, die für die
Schulden der alten nicht verantwortlich gemacht werden
könne. Hopkins' Klage wurde von dem Gerichtshof ab-
gewiesen, und ihm und den anderen Gläubigern wurde es
29
- 450 -
überlassen, in ungestörter Muße über die geheimnisvollen
Schönheiten der Rechtsprechung nachzudenken^).
Aber wenn die Gesellschaft auch einen oder vielmehr
zwei neue Namen hatte, so behielt sie doch alles an Stif-
tungsurkunden, Privilegien und Steuerfreiheiten der alten
Korporation — so lautete die Entscheidung. Von ihren
Schulden war sie befreit; in allen ihren Aktiven und Besit-
zungen war sie sichergestellt. Das war der große und wich-
tige Punkt; Namen waren nur eine brauchbare Maske,
unter deren Schutz die „Eingeweihten" die kleineren Kapi-
talisten betrügen konnten.
Ungeheuer große Unter Stützungsgelder gestohlen
Was haben die Projektenmacher, während sie diese große
Schar von Gimpeln beschwindelten, mit den ungeheuer
großen Unterstützungsgeldern angefangen, die sie in der
einen oder anderen Form zum Bau der Eisenbahn erhalten
hatten ? Das Geld war tatsächlich verschwunden. Wohin ?
Abgesehen von einigen hundert Meilen planierten Prärie-
landes, war nur wenig Eisenbahnbau für die angegebenen
Ausgaben aufzuweisen. Selbst die kurze, zehn Meilen lange
Strecke der Hauptlinie von St. Paul nach Minneapolis war
um 1862 nicht, wie es das Gesetz verlangt hatte, in Betrieb
genommen. Warum nicht ? Die Geschwindigkeit, mit der
ein solches Vermögen wie das Sages aufgehäuft wurde, war
die Antwort. Das Geld war gestohlen.
Als sich die Bestecher von Beruf, die diese Eisenbahn aus-
geplündert hatten, ursprünglich um Gaben an Land und
Geld an den Kongreß und an Minnesota wandten, hatten
sie sich selbst als Kapitalisten mit „reichen Hilfsquellen"
zur Ausführung des Planes bezeichnet. Alles, was sie brauch-
ten, so führten sie aus, war die staatliche Unterstützung in
irgendeiner Form, weil „das Unternehmen so kostspielig
sei". Nachdem sie die Eisenbahn bis zum Bankrott aus-
geraubt hatten, fing eine besondere Kommission des Senats
von Minnesota an, ihre Antezedenzien und ihr Verfahren zu
^) Edward C. Hopkins contra St. Paul and Pacific Railroad Company, Dillon's
Circuit Court Reports, 1871 — 1873, 2, 396 — 398.
- 451 -
untersuchen. „Das Ergebnis zeigte," berichtete die Kom-
mission, „daß die Gesellschaften kein bares Kapital zur
Verfügung hatten und kaum genügenden Kredit, um eine
rechtzeitige Absteckung ihrer Bahnlinien sicherzustellen"^).
Die Kommission fuhr fort:
„Soweit Ihre Kommission erkennen kann, haben die
Gesellschaften seit der Durchbringung des Darlehns-
amendements nicht einen Dollar Kapital hergegeben, um
die Ausführung ihres riesenhaften Unternehmens zu fördern.
Sie haben große Mengen dieser Obligationen mit enorm
hohem Diskont verkauft oder verpfändet. Sie haben an
unbefugte und unfähige Beamte übertrieben hohe Gehälter
gezahlt. Mit Ausnahme von ungefähr fünfzig Meilen gut
ausgeführten Oberbaues sind unvollständige, fragmen-
tarische und unzusammenhängende Strecken planierten
Landes, von denen die Meile durchschnittlich weniger als
3000 Dollar kostet, alles, was die Gesellschaften für die
vom Staat ihnen gewährte großmütige Ausgabe von Obli-
gationen aufweisen können 2).
Dies gibt ein lebhaftes Bild von der ursprünglichen „Bau-
fähigkeit" der Kapitalisten — einer Fähigkeit, die sich
offenbar in der Häufung der größten Betrügereien be-
kundete. Aber wo in den Vereinigten Staaten war es nicht
ebenso ?
Die nun folgenden späteren Ereignisse in der Geschichte
dieser Gesellschaft sind mit dürren Worten aufgezeichnet
in den Berichten über den Prozeß John Kennedy & Co.
gegen die St. Paul- und Pacific -Eisenbahngesellschaft,
mit Einschluß von deren Erster Abteilung, gegen die
Northern Pacific -Eisenbahngesellschaft, Rüssel Sage, Sa-
muel J. Tilden und andere^). Obgleich in diesen Be-
richten durchaus nicht alle Details mitgeteilt werden, kann
man ihnen doch wenigstens einige authentische Einzel-
heiten entnehmen.
Um 1871 hatten Sage und seine Genossen einige Eisen-
bahnerweiterungen fertiggestellt und im ganzen für
*) Report of Special Committee on Railroads and Railroad Grants. February 3,
1860, MinneBOta Senate Journal, 1859 — 1860, 343.
*) und 3) Dillon's Circuit Court Reports, 1871 — 1873, 2, 448 — 527.
29*
- 452 -
13 3^0 000 Dollar verpfändet. Beinahe die ganze Summe
war von holländischen Bankhäusern vorgestreckt worden.
Aber sechzig Meilen der Hauptlinie waren noch in unfertigem
Zustande, und die Bewohner des Staates fingen an, gefähr-
lich neugierig zu werden, warum das so sei. Millionen
Dollar waren verschwunden; alles, was der Gesellschaft an
Gaben in Land und Geld bewilligt worden war, war bis jetzt
in den Bau von nur wenigen unzusammenhängenden und
halb wertlosen Strecken der geplanten Eisenbahn versunken.
Die Direktoren mußten etwas unternehmen. Sie taten es,
indem sie einen neuen Plan entwarfen, um die zu eifrigen
und leichtgläubigen holländischen Kapitalisten bluten zu
lassen.
Holländische Kapitalisten betrogen
Und sie taten folgendes: Eine Gruppe von Männern,
die die Erste Abteilung der St. Paul und Pacific bildete,
tat sich korporativ zusammen und gab Obligationen für
15 Millionen Dollar aus. Dieselben Männer oder ihre Werk-
zeuge traten dann wieder als Direktoren der St. Paul und
Pacific zusammen (es ist schwer, diese feinen Unterschiede
im Gedächtnis zu behalten) und verpfändeten Rechte, Privi-
legien und Eigentum mit Einschluß der staatlichen Land-
bewilligungen für 99 Jahre an die Erste Abteilung. Dann
verpflichtete sich der Verband der Ersten Abteilung, als
Baugesellschaft, zur Fertigstellung der Eisenbahnerweite-
rungen vor dem i. März 1873, da an diesem Termin, nach
einer neuen gesetzlichen Anordnung, die Landbewilligung
verfallen sollte, falls die Erweiterungen nicht hergestellt
seien.
Die Bedingungen der Verpfändung waren klar und ver-
lockend. Die ganzen 15 Millionen Dollar sollten zum Bau
der Erweiterungen verwandt werden. Auf Grund dieses
Abkommens wurden im Jahre 1871 weitere 8 Millionen
Dollar in Holland aufgebracht. Aber etwas wurde den
holländischen Kapitalisten von der Sage-Clique sorgfältig
vorenthalten. Sie sagte den holländischen KapitaHsten
nicht, daß ein großer Teil des aufgebrachten Geldes ent-
- 453 -
gegen den ausdrücklichen Bedingungen der Verpfändung
für die Hauptlinie verwandt werden sollte^).
Was geschah mit den in Holland aufgebrachten 8 Millio-
nen Dollar ? Diese Summe, welche, wie die Entleiher den
Holländern feierlich zuschworen, ausschließlich für den Bau
der Erweiterungsstrecken verwendet werden sollte, wurde
sofort auf verschiedene Art in räuberischer Weise verteilt.
Ungefähr 3 Millionen Dollar davon wurden betrügerischer-
weise der Vervollständigung der Hauptlinie zugewandt;
große Summen wurden schnell beiseite gebracht, um die
Zinsen für die Aktien der Hauptlinie zu bezahlen, und wo-
für wurden die anderen Millionen verwendet ? Für den An-
kauf von Eisenmaterial und die Bezahlung der Bauunter-
nehmer auf der Erweiterungsstrecke. Und wer verkaufte
das Eisen ? Die Gesellschaft der Ersten Abteilung. Das
Verfahren war einfach; Sage usw. verkauften die Schienen
an sich selbst und verrechneten den Betrag gegen das von
den holländischen Kapitalisten vorgestreckte Geld 2).
Das waren in der Tat heitere Zeiten kühnen Diebstahls;
die Räuberei war so umfassend und weitgriffig, daß sehr
natürlich die Erste Abteilung, deren Schatz ebenso rasch
geplündert wie gefüllt war, sich im Jahre 1 872 für insolvent
erklärte. In weniger als einem Jahre waren 8 Millionen
Dollar „verkrümelt"; oder, wir wollen lieber sagen, zu-
sammengebracht worden, denn der größte Teil davon ging
in die Taschen weniger Leute und blieb dort. Und das war
noch nicht alles. Als die Erste Abteilung im Oktober 1872
die Arbeit einstellte, schuldete sie ihren Unternehmern
— untergeordneten Firmen, die wirklich die Bauarbeit aus-
führten — ungefähr 700 000 Dollar, obgleich sie später
diese Schuld dadurch, daß sie einen Teil in Eisenlieferungen
zahlte, auf 500 000 Dollar herabsetzte. Sie stöhnte auch
unter großen schwebenden Schulden, und ihre Zinskupons-
zahlungen waren, wegen Protesteinlegung, gerichtlich zu-
rückgehalten.
^) In seiner trockenen Ausdrucksweise teilt der Gerichtshof die Tatsachen
folgendermaßen mit: „Aber dieser Teil des Planes, die Absicht einer Verwendung
eines Teiles der besagten Erträge für die Hauptlinic, wurde nicht veröffentlicht oder
den Personen bekannt gemacht, die besagte Aktien später kauften." Dillen 5, 459.
») Dillon's Circuit Court Reports, 1879 — '8^°) 5> 45' — ^+59-
- 454 -
Anrufung der Gerichte
Betrogen und beraubt, wie sie waren, erkannten die
holländischen Kapitalisten jetzt vollständig ihre schlimme
Lage; das Geld, das sie ihren Landsleuten zu Hause ab-
geschunden hatten, war ihnen geraubt worden. Wie konn-
ten sie es wiedererlangen ? Sie taten den einzigen Schritt,
den sie überhaupt tun konnten, d. h., sie bewarben sich um
einen behördlich bestellten Verwalter. Daher die Klage,
die John S. Kennedy & Co. einbrachte, indem er für sie
und andere Aktionäre handelte. In kühler, juristischer
Ausdrucksweise brachten sie ihre Beschwerde vor ; sie waren
belogen und betrogen worden. „Sie (die Aktionäre) be-
anspruchen auch," so heißt es in der förmlichen gerichtlichen
Darstellung, „daß auf Grund der Zahlungsunfähigkeit der
besagten Gesellschaft der Ersten Abteilung und verschie-
dener betrügerischer und ungehöriger Handlungen ihrer
leitenden Beamten — die hier nicht angeführt werden, weil
der Gerichtshof es in bezug auf die tatsächlichen Haupt-
punkte des Gesuches nicht für wesentlich hält — ein be-
hördlich bestellter Verwalter eingesetzt werden solle" usw.^).
Richter Dillon war damit einverstanden, daß ein Ver-
walter eingesetzt würde. Dringende Gründe, sagte er,
machten es notwendig. Die Gesellschaft besaß eine aus-
gedehnte Bewilligung von Land, von dem der Morgen auf
6 Dollar geschätzt wurde. Und dies war die einzige an-
gemessene Sicherheit für die 15 MiUionen Dollar Pfand-
verschreibung. Aber es traf sich, daß dieses Landgebiet
oder ein großer Teil desselben, wenn gewisse Erweiterungs-
strecken nicht zu einer gewissen Zeit vollendet waren,
verfiel. Es war dringend notwendig, sagte Dillon, jenes
staatlich bewilligte Land zu retten, und da die Direktoren
der Bahn zugaben, daß kein Geld in ihrer Kasse sei, so sei
es im Interesse der Aktionäre das Beste, daß ein Verwalter
eingesetzt werde. Der Verwalter sollte die Berechtigung
haben, die Erweiterungsstrecken fertigzustellen. Dillon
setzte darauf am i. September 1875 einen gewissen Jesse
P. Farley als behördlich bestellten Verwalter ein.
^) Ebenda.
- 455 -
Die weitere Entwicklung zeigte sich in dem zweiten Pro-
zeß von John S. Kennedy & Co. gegen die St. Paul- und
Pacific-Eisenbahn^).
Farley, scheint es, machte sehr viel Aufhebens von der
von ihm geleisteten Bauarbeit, tatsächlich aber gab er für
Bau- und Reparaturarbeit nur ungefähr loo ooo Dollar
aus. Er hielt jedoch den Schein genügend aufrecht, um
jenen Teil des staatlich bewilligten Landes, dem die Ver-
wirkung drohte, eine Zeitlang davor zu bewahren. Aber um
das Jahr 1878 war die Bevölkerung von Minnesota wieder ein-
mal sehr erregt. Einundzwanzig Jahre waren dahingegangen,
seit die Gesellschaft ihre Privilegien erhalten hatte. Sie
hatte nicht nur von der Nationalregierung, von dem Staat,
von Städten und Kreisen, sondern auch von Privatpersonen
ungeheuer große Unterstützungen an Geld und Land er-
halten. An der ganzen Strecke entlang, sowohl der fertig-
gestellten wie der projektierten, hatten Farmer und Kauf-
leute Aktien gezeichnet, um, wie sie erkannten, nur wert-
lose Papierfetzen zu besitzen, die weder eine Eisenbahn
noch Zinsen brachten. Die Gesellschaft hatte sich zweimal
bis zur Insolvenz ausgeplündert; sie hatte durch wieder-
holte Taschenspielereien nicht nur eingeborene Kapita-
listen, Farmer und Kaufleute betrogen, sondern sie hatte
auch die vielen Millionen beiseite gebracht, die durch hollän-
dische Kapitalisten zugeflossen waren.
Die gesetzgebenden Körperschaften erwachen
Jetzt befand sich die Gesellschaft noch in vollständig
bankrottem Zustande. Die gesetzgebenden Körperschaften
konnten diesem überwältigenden Ausdruck der Entrüstung
des Volkes nicht standhalten. Am 9. März 1878 geneh-
migten sie ein Gesetz des Inhalts, daß, wenn nicht eine
bestimmte Anzahl Meilen zu einem gewissen Termin
*) Ebenda S. 519 — 536. Kennedy indessen verriet die Interessen der hollän-
dischen Aktionäre, befand sich im Einverständnis mit dem Verwalter und traf ein
betrügerisches Abkommen, bei dem er (Kennedy) enorm viel gewann. Kennedy
erhielt auf diese Art viele Millionen; die Wegschenkung einiger dieser Millionen
setzte ihn später in den Stand, sich als ,,großen Philanthropen" aufzutun. —
Siehe das Kapitel über das Vermögen von Hill
- 456 -
gebaut sei, die unvollendeten Strecken zusammen mit
dem staatlich bewilligten Lande, den Rechten, Privi-
legien, Steuerbefreiungen und allem zugehörigen Eigentum
„sofort und vollständig dem Staate Minnesota verfallen
sein sollten, ohne irgendeine weitere Verfügung oder Förm-
lichlceitO".
Es war ein drastisches Gesetz, und es mußte sofort etwas
geschehen, wenn man die Absichten des Staates durch-
kreuzen wollte. Wer würde das Geld zum Bau der unvoll-
endeten Strecken liefern und so die Verwirkung der Privi-
legien und des staatlich bewilligten Landes verhindern ?
Sage und andere hatten sich, nachdem sie alle bei der Bahn
in Aussicht stehende Beute an sich gebracht hatten, zurück-
gezogen, um den Ertrag ihrer Freibeuterei durch gleiche
Handlungen nach anderen Richtungen nutzbar zu machen.
Die Eisenbahn selbst war in einem beklagenswert schlechten
Zustande, vollständig unorganisiert, und es war sehr ge-
fährlich, mit ihr zu reisen. Sie war schlecht ausgestattet
und hatte nur wenige in Betracht kommende Bahnhöfe oder
Magazine. Das war das „glänzende Eisenbahnsystem", das
Sage und seine Clique bauen wollten; das war das Resultat
ihrer „ungeheuren Baufähigkeit"! Wieviel Beute Sage aus
dem Projekt gezogen hat, sind wir nicht imstande zu sagen;
es gibt keinen Bericht, der die Summe genau oder annähernd
feststellt; sie belief sich sehr wahrscheinlich auf viele Millio-
nen Dollar.
Unterdes hatte Sage in Troy Gould getroffen und war
nach New York übergesiedelt. „Die beiden Männer," sagt
der vorher erwähnte überschwengliche Biograph, „machten
Eindruck aufeinander, und dieser Eindruck vertiefte sich
später zu einer in der Finanzgeschichte berühmten Freund-
schaft." Berühmt oder berüchtigt, je nachdem es einem
beliebt, es anzusehen. Ein schätzenswertes Arbeitsgespann
gaben die beiden ab; Sage verschlagen, finster und ein-
siedlerisch, Gould zu populärer Verwegenheit bereit, beide
einander gleich in unergründlichen Ränken und Kunst-
griffen. Der eine übertrieben vorsichtig, der andere über-
trieben waghalsig, einer dem anderen das Gleichgewicht
*) Minnesota Special Laws. 1878, 344.
- 457 -
haltend. Gould bekam allmählich einen ungeheuren Respekt
vor Sage; Sage war der einzige Verbündete, den Gould
weder übervorteilen noch ausplündern konnte.
Späterhin und sehr zur rechten Zeit eilte Sage bei Beginn
des Bürgerkrieges nach der Stadt New York. Dort, in
Wallstreet, war das Hauptquartier vieler der Eisenbahn-
gesellschaften, die bestochen und geraubt hatten und
dies noch taten. Z. B. war das Büro der La Crosse-
und Milwaukee-Eisenbahngesellschaft dort ; wer auch immer
der wirkliche physische Erbauer der Eisenbahnen sein
mochte, die Besitzer waren entweder Wallstreet-Leute oder
Kapitalisten gleichen Schlages — Männer, die sich durch
eine besondere Art des Betruges oder Diebstahls in die
Herrschaft eingedrängt hatten.
Und dort in New York war auch der Schauplatz der
größten Tätigkeit in der üblichen weitverbreiteten Plün-
derung. Von dort gingen die Pläne und Entwürfe aus, die
sich später als kolossale Schwindeleien entpuppten. Wäre
das Zentrum dieser Teufelei anderswo gewesen, dann wären
Sage und die ganze übrige Brut zweifellos dorthin ge-
strömt.
Gestohle7ie Müliotien auf Wucher ausgeliehen
Nun wurde Sage ein Geldverleiher im großen Stile; er
erfand ein besonderes Wuchersystem, das „put" and
„call"-System , dessen Feinheiten zu beschreiben wir hier
nicht versuchen wollen. Jetzt konnte man sehen, was er
mit den Millionen tat, die er in Wisconsin und Minnesota
gestohlen hatte*). Im allgemeinen pflegte er Geld zu recht
*) Und auch in Iowa, bei dessen Eisenbahnen er sehr weitgehend beteiligt war.
Die Kapitalisten, denen die Sioux City- und St. Paul-Eisenbahn gehörte, hatten
sie so zickzackartig bauen lassen, daß sie in betrügerischer Weise sogar noch größere
Landbewilligungen stehlen konnten, als die entgegenkommenden Maßnahmen
des Kongresses gewähren wollten. Durch das Vorrücken dieser Eisenbahn in den
Kreisen Osceola, Dickinson und O'Bricn in Iowa erhob diese Gesellschaft An-
sprüche auf 189 184,54 weitere Morgen öffentlichen Landes in jenen Kreisen, und sie
bewog die Staatsbeamten, ihr ein Patent zu gewähren. Sage war jedoch der Präsident
einer Eisenbahngesellschaft geworden, die den Namen McGregor Western führte,
und hatte seine Linie gerade durch dieses Gebiet gelegt. Er verlangte einen Anteil
an jenen 189 000 Morgen und verklagte, als ihm dies verweigert wurde, die St. Paul-
- 458 -
hohem Zinsfuß auszuleihen, aber in Zeiten der Panik und
der Wallstreet-,, Klemmen" verlangte — und erhielt — er
zwei Prozent täglich oder sechzig Prozent monatlich.
Freund oder Feind, es kam nicht darauf an, einer wie
der andere, mußte die enormen Zinsen zahlen, die er
verlangte, wenn er eine Unterstützung in barem Gelde (das
Sage immer zur Hand hatte) brauchte, um sich d,adurch
davor zu retten, seinen Verpflichtungen nicht nachkommen
zu können und so in Bankrott zu geraten. Sage gehörte zu
jener hervorragenden Vereinigung von Patrioten, die das
Gold, als es zur Fortführung des Bürgerkrieges höchst
notwendig war, aufspeicherten und sich weigerten, es
auszuleihen, wenn nicht zu unglaublich erpresserischen
Zinsen.
Zu dieser Zeit schenkte man im Osten den Eisenbahn-
unternehmungen im Westen wenig Aufmerksamkeit; die
Zeitungen waren beinahe vollständig mit den Berichten über
die Ereignisse des großen Bürgerkrieges gefüllt. Wenige
wußten etwas von den riesenhaften Diebstählen und Betrü-
gereien, die Sage draußen im Nordwesten ausführte; und
als er plötzlich als Multimillionär bekannt wurde, wurden
glühende Berichte über ihn als einen wunderbaren Finanz-
mann veröffentlicht. Dieses Lob wurde natürlich immer
durch den Spott über seine außerordentliche Knickrigkeit
und den Abscheu vor seiner Hartherzigkeit abgeschwächt.
Aber es gab Leute, die mit ihm in Verbindung gestanden
hatten und über die Geschichten von seinen Zaubertaten
bei der Anhäufung der Millionen lächelten; sie wußten, was
die ihm zugeschriebene Zauberkunst in Wirklichkeit war;
sie wußten von den fortgesetzten Bestechungen, Be-
trügereien und Diebstählen. Wenigstens von noch einem
Verfahren, an dem er zu dieser Zeit beteiligt war, sind die
Einzelheiten zugänglich; sehr viele seiner anderen Taten
sind für die Geschichtschreibung nicht faßbar.
und Pacific-Eisenbahngesellschaft. Der. Fall wurde schließlich am 20. Januar 1882
vor das Bundesgericht der Vereinigten Staaten in Iowa gebracht, wo Richter Love
mit feiner richterlicher Unparteilichkeit die liebenswürdige Entscheidung traf,
daß jede der beiden Gesellschaften das Anrecht auf die Hälfte des streitigen Landes
habe. — Federal Reporter 10, 435 — 450.
- 459 -
Die Pacific-Postsubsidien
Eine der vielen Gesellschaften, in denen Sage ein be-
deutender Aktionär wurde, war die „Pacific-Mail-Steam-
ship-Company". Diese Gesellschaft bestach, wie wir in den
Vanderbilt-Kapiteln bemerkt haben, lange Zeit den Kon-
greß, um auf räuberische Weise von der Regierung Post-
subsidien zu erlangen. Durch eine weitere, von dem Kon-
greß am 17. Februar 1865 genehmigte Vorlage erhielt sie
noch eine bedeutende Regierungsunterstützung zur Beförde-
rung der Post zwischen San Francisco und Asien via Honolulu.
Die Beute war so reich, daß verschiedene Gruppen von
Kapitalisten einander beständig bekämpften, um den Schatz
der Gesellschaft in ihre Gewalt zu bekommen. Wir ent-
nehmen den Prozeßberichten, daß im Jahre 1867 jene gute,
alte, höchst achtungswerte Bankfirma Brown Brothers & Co.
zu den bedeutendsten Aktionären gehörte. In ihrem eigenen
Namen und in Vertretung von Parteien, die sie autorisiert
hatten, verfügte sie über jy 839 Anteilscheine von der
Gesamtsumme der 200 000 Anteilscheine des Aktien-
kapitals der Pacific-Postdampfergesellschaft.
Wie die Firma Phelps, Dodge & Co. besaß die Bankfirma
Brown Brothers & Co. in hervorragendem Maße den Ruf
(wie noch heute), eine der „altmodischen Firmen" von
„strenger Rechtlichkeit" zu sein. Sicherlich wußte sie
offiziell nichts von der ununterbrochen vor sich gehenden
Bestechung zur Erlangung von Subsidien; wer ein geschäft-
liches Unternehmen besitzt, muß die Unkenntnis solcher
in Verlegenheit bringender Details kultivieren. Und könnte
es möghch sein, daß, wie William Swinton, ein bekannter
Schriftsteller, in seiner Schmähschrift vorbringt, der „her-
vorragend achtungswerte" Alexander Brown und seine Ge-
nossen gegen dieselbe Gesellschaft, deren Aktionäre sie waren,
(nach unserer modernen Ausdrucksweise) die „Grafters" ^)
spielten ? Swinton erhob den Vorwurf, daß sie ein dem Eigen-
tumsrecht gleichkommendes Pfandrecht an den Kessel-,
Eisen- und anderen Fabriken besäßen, die die Ausrüstung für
*) grafters, deutschamerikanisch Grabscher: üblicher Ausdruck für die un-
saubersten Beutepolitiker.
— 4^0 —
die Linie der Pacific-Mail-Steamship-Company besorgten.
Im Dezember 1867 machte eine Gruppe einen sehr starken
Versuch, sie zu verdrängen; sie schlugen sie aber erfolgreich
zurück. Das gab vor Gericht eine schöne Verwirrung.
Da die Besitzer der Linie fanden, daß der Kongreß, wie
immer, geneigt war, Geschäfte zu machen, eröffneten sie neue
Unterhandlungen und mit so glänzendem Erfolg, daß im
Jahre 1872 ein anderes Gesetz durchging, das weitere Post-
subsidien von 500 000 Dollar jährhch für zehn Jahre be-
willigte. Die Beute an Subsidien war jetzt so viel größer als
früher, daß der Kampf um ihren Besitz oder vielmehr um
ihre Benutzung schnell einen noch heftigeren Streit unter
den Interessenten herbeiführte. Le Grand Lockwood, einer
der Aktionäre, erhob, indem er dabei noch ein anderes Ziel
ins Auge faßte, öffentlich die Anklage, daß zur Durchbrin-
gung des Gesetzes Bestechung angewandt worden sei.
Lockwood wurde sicherUch nicht durch moralische Motive
geleitet, er hatte aus dem Credit-Mobilier-Schwindel großen
Vorteil gezogen. Das Repräsentantenhaus setzte eine Miene
schmerzlichen und beleidigten Erstaunens auf, war starr
vor Empörung und beauftragte am 20. Februar 1873 die
Budgetkommission, eine Untersuchung anzustellen.
Der Kongreß erwartete natürHch nicht, daß die Unter-
suchung wirklich irgendwelche vernichtende Tatsachen ent-
hüllen würde; man nahm zuversichtHch an, daß die Nach-
forschung leicht in harmlose Kanäle abgelenkt werden
könne. Aber die abgegebenen Zeugenaussagen zertrümmer-
ten diese fröhlichen Erwartungen.
Eine Million Dollar für Bestechungen
Die Kommission war von den Zeugenaussagen nicht sehr
erbaut; sie sah sich gezwungen, zu berichten, daß „eine
Summe von beinahe einer Million Dollar in einem gewissen
Zusammenhange mit der Durchbringung der Vorlage aus-
gegeben zu sein scheint^)", und „daß die Resultate des Be-
1) House Report Nr. 269, Forty-third Congress, Second Session, 1874 — 1875,
2, 17. Henry Clews, jener begeisterte Bankier und Moralist, war während dieser
Periode einer der Direktoren.
— 4^1 —
Weisverfahrens darin bestehen, daß 565 000 Dollar an
Lobbyisten ausgezahlt worden sind; die Verfügung über
die übrigen 335 000 Dollar bleibt nach dem vorgebrachten
Beweismaterial zweifelhaft^)". Rüssel Sage war zu dieser
Zeit Präsident der Pacific-Mail-Steamship-Company; er
wurde herbeigeschleppt, um Zeugnis abzulegen, und er tat
dies mit sehr beleidigter Miene. Er leugnete, daß er zu der
Zeit, als die Subsidien gewährt wurden, mit der Gesellschaft
in Verbindung gestanden habe, und behauptete, daß er von den
in Rede stehenden Bestechungen nichts wisse. Wenn wir sein
Wort hinnehmen sollen, daß er bei den Bestechungen nicht
beteiligt war — eine zweifelhafte Annahme, da er in anderen
Angelegenheiten erwiesenermaßen ein Meineidiger war 2) — ,
dann bestand seine Handlungsweise wahrscheinlich darin,
zu warten, bis die 5 Millionen Dollar Subsidien bewilligt
worden waren, und die Angelegenheiten dann so zu führen,
daß er sie in seine Gewalt bekam. Ohne Zweifel wußte er
sehr wohl von der Bestechung, und es ist eine glaubliche
Annahme, daß er Lockwood dazu getrieben hatte, die Klage
einzubringen, um allgemeine Verwirrung und Mißtrauen
hervorzurufen und die herrschende Clique zu stürzen.
Auf alle Fälle, bei jedem Wenn und Aber, war die Pacific-
Mail-Steamship-Company mit ihren großen Subsidien, die
sie durch Bestechung erlangt hatte, vorhanden, und Sage
war im Jahre 1873 von allem das Haupt. Soweit die Per-
sönlichkeiten der Bestecher und Bestochenen in Betracht
kamen, behauptete die Kommission, nichts zu wissen. Ein
Lobbyist, Richard B. Irwin, sagte aus, daß er 750000 Dollar
an „andere Personen"^) ausgezahlt habe, aber wer jene Per-
sonen seien, das behauptete die Kommission nicht zu wissen ;
sie habe, um dies herauszufinden, alle „Hilfsquellen er-
1) Ebenda S. i8.
'■') Jahrelang schwor Sage, daß sein steuerbares Privateigentum 2 Millionen Dollar
nicht übersteige, und selbst von dieser Summe wünschte er, daß sie herabgesetzt
oder in den Steuerbüchern gelöscht würde. Nach seinem Tode suchte die Steuer-
behörde der Stadt New York Steuern von wenigstens 50 Millionen Dollar persön-
lichen, von seiner Witwe geerbten Eigentums festzusetzen; die Höhe der Ein-
schätzung wurde aber sehr herabgesetzt, als sein Testamentsvollstrecker bewies, daß
10 Millionen Dollar von Sages Vermögen in nicht versteuerbaren Papieren angelegt
seien.
-) House Report, No. 269 usw., 1874 — 1875, 2. 123.
— 4^2 —
schöpft", aber vergebens. Wie gewöhnlich war es die
„ungeregelte Lobby", die man tadeln mußte und die ge-
reinigt werden sollte.
So viel über Sages Laufbahn bis zu der Zeit, als er und
Gould sich zu den Union-Pacific-Manipulationen und an-
deren Geschäften verbanden.
Drittes Kapitel
NOCH EINMAL GOULDS VERMÖGEN
Als Jay Gould im Jahre 1887 vor den Untersuchungs-
ausschuß der Regierung, die Pacific-Eisenbahn- Kom-
mission, gebracht wurde, ließ er sich nur zu geringer Aus-
kunft herbei; was aus ihm herausgelockt werden konnte,
war sehr dürftiger Art. Er sagte, daß er durch den An-
kauf von 100 000 Anteilscheinen im Jahre 1873 einen
herrschenden Einfluß auf die Union -Pacific-Eisenbahn-
gesellschaft erworben habe, und daß sein Besitz später auf
200 000 Anteilscheine gestiegen sei^). Sein Hauptverbün-
deter, Rüssel Sage, sagte aus, daß er selbst im Jahre 1868
oder 1869 angefangen habe Union-Pacific- Aktien zu kau-
fen 2). Sobald diese Männer und ihre Genossen sich die
Macht gesichert hatten, begann ihre geschäftige Tätigkeit.
Ohne irgendeine vermittelnde Förmlichkeit vnirden sofort
200 000 Anteilscheine ausgegeben , die nur als Beweis
dienten, welche Macht zu gegenwärtiger und zukünftiger
Ausbeutung sie sich anmaßten.
Die Beraubung ganzer Eisenbahnnetze
Eine der Eisenbahnen, die Gould, Sage, Sidney Dillon^)
und ihre Helfershelfer persönlich kauften und dann an sich
^) Pacific Railway Commission, U. S. Senate Executive Documenta, First
Session, Fiftieth Congress, i, 53 und 447. *) Ebenda, 340.
3) Dillon war der Begründer eines umfassenden Vermögens; seine Nachkommen
gehören zu den bedeutendsten Eisenbahnbesitzern der Vereinigten Staaten.
- 4^3 -
selbst als an die Direktoren der Union Pacific verkauften,
war die Kansas Pacific. Diese ungefähr 394 Meilen lange
Linie gehörte auch zu den vielen Eisenbahnen, deren Ge-
schichte voll von ununterbrochener Bestechung ist. Ihre
Aktiva bestanden hauptsächlich aus einer Ausgabe von Staats-
obligationen und einer Landbewilligung von 3 Millionen
Morgen in Kansas und Colorado.
Kaum war die Bahnkonzession gegeben, so wurde mit
der Bestechung so lebhaft vorgegangen, daß nur der ganz
Dumme sie übersehen konnte. Aber was kam es auf die
angewandten Mittel an ? Je größer die Bestechung, um so
größer war die Sicherheit, daß auch die daraus hervor-
gehenden Privilegien, Machtbefugnisse und Vorteile um
so reicher sein würden. Und je lockender die Aussichten,
um so eifriger in ihrer Habgier waren die Leuchten der
Finanzwelt, sich in die Sachen einzumischen. Hervor-
ragende Bankiers traten in einen scharfen Wettbewerb mit-
einander, um an der Finanzierung des Projektes beteiligt
zu sein; schließlich wurden zwei Bankfirmen beauftragt,
die Kansas-Pacific-Anleihe auf den Markt zu bringen. Eine
von diesen Firmen war Dabney, Morgan & Co., deren einer
Teilhaber J. Pierpont Morgan war, die andere war das Haus
Morris K. Jesup &Co., dessen Chef es später fertig brachte,
in die glänzende Schar der verherrlichten Philanthropen
aufgenommen zu werden^). In ihren Ankündigungen
vom Jahre 1869 ergingen sich diese Bankiers in glühenden
Schilderungen der glänzenden staathchen Landbewilligung
der Kansas Pacific — einer Landbewilligung, die, wie sie
allen, die ihr Geld dabei anlegen wollten, versicherten, eine
mehr als genügende Sicherheit für Anleihen gewähre.
Erpressung und Raub
Aber die übliche Krisis kam. Das Kansas- und Pacific-
Projekt bildete keine Ausnahme in der sich immer gleich-
bleibenden Erfahrung mit Eisenbahnangelegenheiten. Die
^) Sein Besitztum wurde nach seinem Tode am 22. Januar 1908 auf 12 814 894
Dollar netto in persönlichem und Grundbesitz geschätzt. Ein großer Teil de» Be-
sitzes waren Eisenbahnobligationen.
- 4^4 -
Eisenbahn wurde von den Männern, die an der Spitze der
Menge standen, emsig beraubt, und die Gefolgschaft der
kleinen Geldanleger wurde glatt betrogen. Natürlich sank,
nachdem sie so ausgeplündert war, der Marktwert ihrer
Aktien auf einen sehr tiefen Punkt herab. Gould hatte
gerade auf diese Gelegenheit gewartet, aber er benutzte sie
nicht, bevor er nicht eine Art Erpressungsplan durchgeführt
hatte, durch den er die Kansas Pacific noch wirksamer in
seinen Besitz bringen konnte.
Mit einer Geschwätzigkeit, die scharfen Verdacht hätte
erregen müssen, sprach er seine Absicht aus, das Monopol der
Kansas Pacific niederzubrechen; wieder einmal posierte er
als ein Wohltäter des Bürgertums. Daraufhin begann er,
oder vielmehr veranlaßte er, den Bau emer Eisenbahn in
Colorado, die als Konkurrenzbahn einen Teil gerade des-
jenigen Territoriums durchschnitt, das die Besitzer der
Kansas Pacific als das ihnen zugesicherte Gebiet betrach-
teten. Goulds Plan schlug vollkommen ein. Die Kansas-
Pacific- Aktien wurden noch mehr herabgedrückt und ihre
erschreckten Besitzer schnell gezwungen, einen Vergleich
zu suchen. Kaum hatte Gould die Kansas-Pacific in seinen
Besitz gebracht und mit der Union Pacific verbunden, als
er sofort die Colorado-Eisenbahn aufgab^).
Wieviel von den Kansas-Pacific-Eisenbahn- Aktien Gould,
Sage und Dillon sich im besonderen sicherten, ist nicht klar,
aber der Betrag der Beute, den sie zusammen durch das
betrügerische Verfahren, diese Eisenbahn und andere Eisen-
bahnen an sich selbst als an die Herren der Union Pacific
zu verkaufen, einheimsten, ist ganz klar. Es war kein ge-
wöhnliches Verfahren — es lag etwas Massiges darin —
etwas, das in einer Gesellschaft, in der große Diebstähle als
etwas Erhabenes betrachtet werden, staunende Bewunde-
rung hervorrufen konnte.
Durch die listige Vertauschung von Aktien und Obli-
gationen und die betrügerische Abwendung von Kapitalien
stahlen sie (die Regierung nannte es „unrechtmäßige An-
eignung") allein mehr als 20 Millionen Dollar in der Kansas
Pacific, der Denver, South Park und Pacific und anderen
^) Padfic Railwaj Commission i, 175.
- 465 -
Bahnsystemen. Nach den Berichts- und Untersuchungs-
büchern der Pacific-Eisenbahnkommission lassen sich ge-
wisse Tatsachen genau feststellen. Sowohl der Majoritäts-
bericht der Kommissionsmitglieder Littler und Anderson
wie auch der Minoritätsbericht des Kommissionsmitgliedes
Pattison wiesen nach, daß die Betrügereien der Union-
Pacific-Eisenbahngesellschaft unter der Direktion von Gould,
Sage und Dillon wahrhaft riesenhaft waren.
Millionen Morgen öffentlichen Landes sind geradezu ge-
stohlen worden. Nicht weniger als 7 Millionen Morgen wur-
den ohne Ermächtigung der Regierung verkauft^). Kohlen-
land von unschätzbarem Werte wurde auf betrügerische
Weise in Besitz genommen 2). Millionen Dollar wurden be-
trügerisch von einer Gesellschaft der anderen zugeschoben.
Das Kapital der Union Pacific wurde von 38 Millionen
Dollar künstlich auf 50 Millionen Dollar gebracht, die Obli-
gationsschulden von 88 Millionen Dollar auf 126 Millionen
Dollar und verschiedene andere Verpflichtungen von un-
gefähr 4 Millionen Dollar auf beinahe 10 Millionen Dollar.
Der Majoritätsbericht wies auf die „verschwenderische und
sorglose Verteilung der Aktiva der Gesellschaft in Divi-
denden" hin und brachte eine starke Wißbegierde zum
Ausdruck, warum sich die Union-Pacific-Eisenbahngesell-
schaft, obwohl sie ein großes und gewinnbringendes Ge-
schäft betrieb, „am Anfang des Jahres 1884 am Rande des
Bankrotts befand".
Vierzig Millionen Dollar als Goulds Anteil
Der Minoritätsbericht war sogar noch schärfer und aus-
führlicher. Er wies nach, daß die Union Pacific und die
Kansas Pacific ungefähr 35 Millionen Dollar von der Re-
gierung als Vorschuß erhalten hätten, wovon nur wenig
zurückgezahlt worden sei, und daß bis zum Jahre 1887 die
Summe von 136314010,73 Dollar von den Direktoren
dieser beiden Eisenbahnen „vergeudet worden sei". Reich-
lich 84 Millionen Dollar nur nominell erhöhter Aktien seien
*) Pacific Railway Commission, i, 192. ^) Ebenda.
30
- 466 -
ausgegeben worden. „Die Union -Pacific -Gesellschaft,"
fuhr der Minoritätsbericht fort, „hat in einem Zeitraum
von achtzehn Jahren durch Überschüsse und Landverkäufe
176294793,53 Dollar erhalten, und wenn ihr Betriebs-
material voll bezahlt worden wäre, wie es der Kongreß ver-
langt hatte und wie es nach der eidlichen Versicherung der
Beamten nie geschehen sei, so würde diese ganze Summe
heute zur Bezahlung der Regierungsschuld verwendet wer-
den können. Die Gesellschaft hat an Dividenden 28 650 770
Dollar ausgezahlt und an Zinsen auf Obligationen 82 742 850
Dollar, und beinahe diese ganze Summe wurde ohne Be-
denken unter die Aktionäre verteilt. Sie hat über 10 Millio-
nen Dollar bei der Denver-, South Park- und Pacific-
Eisenbahn angelegt; sie bezahlte 10 Millionen Dollar an
Jay Gould und seine Gesellschafter für Zweigbahnen
und andere Geldanlagen, die wertlos sind . . . ." Das
Kommissionsmitglied Pattison schätzte, daß Jay Goulds
persönlicher Gewinn aus seinen Machenschaften bei der
Union Pacific sich wahrscheinlich auf 40 Millionen Dollar
behef.
Ein großer Teil der Summe, die Pattison bei seiner
Schätzung des seit Bestehen der Union-Pacific-Bahn ver-
übten Diebstahls mitrechnete, war, wie wir gesehen haben,
von Goulds Vorgängern in dem Credit-Mobilier-Schwindel
gestohlen worden.
Gerichtliches Possens fiel
Natürlich ist hier die Frage zu erwarten: Warum wurde
Gould nicht wegen seiner Missetaten verklagt ? Solange er
das Volk, die große, sich mühende, machtlose Menge, die ohne
wirkliche Vertretung in politischer Stellung war, beraubte,
konnte man es verstehen, daß sich seiner Zügellosigkeit
nichts in den Weg stellte, da man ja sieht, wie das ganze
Gesetz den reichen Freibeutern zur Verfügung steht. Aber
Gould beraubte seine eigenen Standesgenossen ebensosehr;
er schädigte, betrog und plünderte seine eigenen Gesell-
schafter; sie waren mächtige Männer; warum riefen sie
nicht die Schrecken des Strafgesetzes auf ihn herab ?
- 4^7 -
Nun, einige von ihnen taten es. Aber es nützte ihnen
nicht mehr als seinen Gegnern bei seinen berühmten Erie-
Diebstählen. War er auch verschiedene Male mit Gefängnis
bedroht, so brachte er es doch, wie seinesgleichen bei jedem
großen kapitalistischen Betrug, leicht fertig, außerhalb der
Mauern zu bleiben. Eine gegen ihn am 13. Mai 1879 von
der Anklagejury von Monmouth County, Nev^^ Jersey,
wegen behaupteten betrügerischen Verfahrens vorgebrachte
Klage beunruhigte ihn nicht im geringsten. In diesem
Falle wurde von der Lehigh Waggonfabrikgesellschaft die
Anklage erhoben, daß sie ihm auf falsche Darstellungen hin
Waggone geliefert habe, daß sie sich damit einverstanden
erklärt habe, erste Hypothekenscheine der New Jersey
Zentral-Eisenbahn in Zahlung zu nehmen, um, als es zu
spät war, zu entdecken, daß diese Scheine falsche „Konso-
lidierungs-Scheine" waren, nämlich von einer Konsoli-
dierung, die niemals gemacht worden war.
Aus dieser Anklage wand sich Gould auf irgendeine Art
heraus, und neun Jahre später gelang es ihm ebensogut
einem anderen Strafverfahren das Licht auszublasen.
Das war im Jahre 1888; mächtige Gegner machten große
Anstrengungen, ihn ins Gefängnis zu bringen, und da Gould
ihre Macht und Beharrlichkeit kannte, fühlte er sich sehr
beunruhigt.
Gewisse dieser Gegner waren enttäuschte Obligationen-
inhaber der Denver-Pacific-Eisenbahn, und sie wurden von
dem Besitzer einer bedeutenden New Yorker Zeitung, dessen
Interessen in Telegraphen- und unterseeischen Kabel-An-
gelegenheiten Gould durchkreuzt und vereitelt hatte, unter-
stützt. Die Anklage drehte sich um einen durchtriebenen
Meineidsfall, durch den Gould, Sage und Dillon bei ihren
Eisenbahn- Konsolidierungen im Spiel mit 30 000 Anteil-
scheinen des Denver-Pacific-Aktienkapitals mehrere Millio-
nen Dollar unterschlagen hatten. Diese Obligations-
inhaber hatten im Jahre 1885 in New York gegen Gould
und Sage eine Klage auf Ersatz eingebracht; der Zeitungs-
besitzer ließ täglich wilde verwünschende Breitseiten gegen
Gould los und verlangte seine Bestrafung. Und um allem
die Krone aufzusetzen: der Obmann der eben tagenden
30*
- 468 -
Anklagejury war ein Kapitalist seines Schlages, den Gould
vor fünfzehn Jahren in einer seiner Eisenbahnunterneh-
mungen betrogen hatte.
Es war eine schreckliche Vereinigung, die gegen ihn auf-
rückte. Gould wußte es. Er machte sich sofort klar, daß
er besser täte, sich mit den klagenden Inhabern von Obli-
gationen zu vergleichen und sich aus dem Staube zu machen,
und zwar eiligst; er einigte sich darauf mit ihnen und floh
dann auf seiner Jacht und blieb im Auslande, bis — soweit
ein Strafverfahren in Betracht kam — das Verjährungsgesetz
erfolgreich zu seinen Gunsten geltend gemacht werden
konnte.
Ein ganzer Schweif von Bestechungen
Noch eine andere, wenn auch müßige Frage könnte auf-
tauchen : Wie war Gould imstande, den für seine zahlreichen
Betrügereien notwendigen Spielraum zu erlangen und von
juristischer Verfolgung und anderem amtlichen Vorgehen
verschont zu bleiben ? Der Bericht der Mitglieder der
Pacific-Eisenbahn-Kommission gibt auf diese Frage keine
aufklärende Antwort, Der Minoritätsbericht wirft jedoch
auf seine Handlungsweise einiges Licht. „Hunderte und
Tausende," sagt er, „sind in den Hauptstädten des
Staates und des Landes ausgegeben worden, um die
Gesetzgebung zu beeinflussen^)". „Zahlungen für un-
ziemliche Zwecke" werden häufig erwähnt. Aber wenn
selbst die Kommission in ihrer dürren, widerwilligen Art
die Bestechung, die Gould überall hin folgte, nicht auf-
gedeckt hätte, so könnte man sie doch als selbstverständlich
annehmen. Der hinter ihm herziehende Schweif von Be-
stechung und Betrug ist volle zwanzig Jahre lang ein öffent-
licher Gestank gewesen; in dieser Hinsicht unterschied er
sich von den meisten zeitgenössischen Geld Jägern, denn
diese sackten ihre Beute so listig ein, daß es ihnen möglich
war, unter den Deckmantel des guten Rufes zu schlüpfen.
Ungefähr um das Jahr 1883 gab Gould die Union Pacific
^) Pacific Railway Commiseion, i, 192.
- 4^9 -
auf, nachdem er sie, wie er glaubte, bis aufs Mark ausgesogen
hatte. Zweifellos war sein Entschluß richtig, da auf dieser
besonderen Linie und zu jener Zeit keine weitere unmittel-
bare Beute in Aussicht stand. Aber als die Zeit gekommen
war, nämlich fünfzehn Jahre später, als sich die Bevölkerung
und die Hilfsquellen des Landes sehr vermehrt hatten, kam
in der Person Harrimans ein würdiger Nachfolger unwider-
stehlich daher, um Goulds Verfahren nachzuahmen und zu
vollenden.
Die 40 Millionen Dollar oder ungefähr soviel an Beute,
die Gould sich aneignete, kamen zum großen Teil von dem
Kansas-Pacific-Unternehmen her. Der endgültige Betrug
der Regierung um viele der Vorschüsse, die sie für diese
Strecke geleistet hatte, fand im Jahre 1898 statt — gerade
zu der Zeit, als Harriman sich glänzend zu Reichtum und
Macht entfaltete.
Die Regierung hatte an die Kansas Pacific noch eine Rest-
forderung von 1 3 Millionen Dollar. Ein betrügerischer Plan
war ausgeheckt worden, die Regierung ihr Pfandrecht für
die Hälfte des Wertes verkaufen zu lassen ; es war ein äußerst
geschickt ersonnener Plan, und erst kurz vor seiner Ausfüh-
rung erhob sich darüber einiger Lärm. Turpie beantragte
bei dem Senat der Vereinigten Staaten, daß der Verkauf
nicht bestätigt werden solle; zur Unterstützung dieses
Antrags erhob sich am 16. Februar 1898 Senator Allen und
bemerkte: „Wir könnten ebenso gut ein Gesetz erlassen,
dem Staatsschatz zu einer direkten Schenkung 6 700 000
Dollar zu entnehmen. Es würde nicht verbrecherischer sein
und die gesetzmäßigen Rechte des Volkes nicht mehr ver-
letzen^)." Senator Morgan- Alabama bezeichnete den Ver-
kauf als Raub, Harris nannte ihn einen Betrug und die,
die ihn ausführten, Diebe. Kräftige Worte, aber sie hinder-
ten nicht, daß von der Forderung der Regierung noch an
demselben Tage schleunigst für 6 Millionen Dollar preis-
gegeben wurde.
^) The Congressional Record, 55. Congress, Second Session, Bd. t;, 2. Teil, 1761
- 470 -
Diebstahl großer Kohlengebiete
Will man sich eine passende Vorstellung von Goulds
Diebstählen bei den Machenschaften und dem Zustande-
bringen der Union-Pacific- Konsolidierung bilden, so bleibt
eine bloße Geldberechnung wirkungslos. Die von Gould
und seinen Nachfolgern geraubten natürlichen Schätze
können nicht in Geldwert ausgedrückt werden. Z. B.
die dem Volke gestohlenen enormen Kohlenlager — wer
kann sagen, wie groß ihr Geldwert ist ? Die Kommission
für den Handel von Staat zu Staat gibt an, daß tatsächlich
der ganze Kohlenvorrat von Oklahoma, Utah und Wyoming
Eigentum und Monopol des Gould-Eisenbahnsystems ist,
hauptsächlich der Denver- und Rio Grande-Eisenbahn,
eine der zahlreichen westlichen Eisenbahnlinien, die Gould
in der Gewalt hatte und seinen Kindern hinterließ.
Seit 1866 sind diese Diebstähle von Kohlen- und öl-
gebieten beständig fortgesetzt worden, abgesehen von ge-
legentlichen, durch amthche Untersuchungen hervor-
gebrachten Unterbrechungen. Diese verhinderten in keiner
Weise eine noch stärkere Wiederaufnahme. Die Kommission
für den Handel von Staat zu Staat berichtete kürzlich, daß
die Gould- und Harriman-Linien in einem großen Gebiet
jenseit des Mississippi „den Bergwerksbetrieb, Transport
und Verkauf der Kohlen an ihren Linien vollständig be-
herrschen". Ungezählte Aktenstücke und Zeugenaus-
sagen, die in amtlichen Bänden gesammelt sind, er-
härten die Anklagen auf Betrug, Meineid und Gewalttat.
Aber diejenigen, die aus jenen kolossalen Betrügereien
Nutzen zogen, haben guten Grund, über all diese wirkungs-
losen Untersuchungen belustigt zu lächeln. Das Besitz-
recht an dem größten Teil des gestohlenen Eigentums, wie
es auch erlangt sein mochte, haben sie; der Regierung
gelang es nur, etwas davon zurückzubekommen, aber ver-
hältnismäßig wenig. Im ganzen sind die Gewinnenden sehr
zufrieden.
Man darf nicht annehmen, daß Goulds geistige Tätigkeit
von seinen Räubereien bei der Union Pacific so in Anspruch
genommen war, daß er in anderen Richtungen liegende
- 471 -
Gelegenheiten vergaß. Weit entfernt. Dieser untersetzte
Mann mit der sanften Stimme und der unauffälligen, bei-
nahe weibischen Persönlichkeit war in der Tat ein unbe-
zähmbarer Eroberer, der nicht an vielen Orten und auf
verschiedenen Gebieten gleichzeitig zupackte und raubte.
In seiner selbstgewählten Art der Kriegführung war er
außerordentlich vielseitig, wunderbar begabt in der Berech-
nung und von starker Fähigkeit, eine ungeheuer große
Anzahl verschiedener, verwickelter Unternehmungen gleich-
zeitig im Auge zu behalten. Um ihren rechtlichen Aus-
gang brauchte er sich nicht zu kümmern. Wurde er vor-
geladen, so konnte er jederzeit ein Korps der geschicktesten
Anwälte engagieren, von denen sich keiner ein Gewissen
daraus machte, einen Bruchteil seiner Diebstähle als Be-
zahlung anzunehmen. Rechtsgelehrte, von denen einige
später an den höchsten Gerichtshöfen des Landes Richter
wurden, Andere Richter gewesen waren und ihr Amt auf-
gegeben hatten, um von denselben Gesellschaften, zu deren
Gunsten sie Entscheidungen erlassen hatten, große Honorare
zu beziehen, plädierten und planten für Gould. Er war
ein vortrefflicher Klient; die Rechtsstreitigkeiten, in die
er verwickelt war, waren grenzenlos.
Goulds T exas-Pacific-Unternehmen
Überall, wo er erschien, wurden die kleinen Betrüger
überwältigt und vertrieben, und er, der große Betrüger,
trat an ihre Stelle. Dies bewies er wieder bei der Erwerbung
und Plünderung der Texas -Pacific -Eisenbahn. Diese
Strecke hatte die üblichen Regierungssubsidien und Land-
geschenke erhalten. Die Bestechungen, die zu deren Er-
langung angewandt waren, wurden in den berühmten
„Huntington -Briefen", die später in einem zwischen
zwei Eisenbahnparteien entstandenen Rechtsstreit ans Licht
kamen, vollständig aufgedeckt. Der Schreiber dieser Briefe
war ein Kenner, selbst ein hervorragender Bestecher; es
war kein anderer als Collis P. Huntington, einer der maß-
gebenden Eisenbahnmagnaten dieser Zeit. In den Jahren
1876 bis 1878, über die sich seine Briefe erstrecken, wurde
- 472 -
in Washington ein wilder Wettkampf in Bestechungen ge-
führt, und Huntington schrieb darüber rückhaltlos^).
Nachdem der Kongreß das Texas-Pacific-Eisenbahngesetz
angenommen hatte, tauchte Gould mit einem Plane auf,
der dem Credit-Mobilier-Schwindel sehr ähnlich war. Er
gründete eine Baugesellschaft und schloß mit der Texas-
Pacific-Eisenbahngesellschaft einen Kontrakt, um die west-
lichen Verlängerungsstrecken, die ungefähr 6io Meilen
lang waren, zu bauen. Für diese Arbeit sollten 12 Millionen
Dollar in Obligationen und eine Prämie in Aktien von wei-
teren 12 Millionen Dollar gezahlt werden. Es war ein sehr
merkwürdiger Kontrakt, der darauf hinauslief, Gould das
Eisenbahnnetz zum Geschenk zu machen ; seine Ausführung
war nur unter der Voraussetzung zu erklären, daß Gould
eine genügende Anzahl der Eisenbahndirektoren durch die
Zusicherung, daß sie einen reichlichen Griff in die Beute tun
sollten, erkauft hatte. Denn nach den Bedingungen des
Kontraktes waren die Aktionäre der Texas Pacific nur mit
einem Sechstel an der Baugesellschaft beteiligt; dadurch
blieben dem Gould- Syndikat 10 Millionen Dollar Kapital,
und dies genügte vollständig, um ihm die Herrschaft über
die Bahn zu geben. Es versetzte Gould in die Lage, ihre
Direktoren zu wählen, weitere Kontrakte mit sich selbst auf
jeder Basis, die ihm beliebte, abzuschließen, ihre Geschäfte
zu leiten und diese mit seinen vielen anderen Plänen in festen
Zusammenhang zu bringen.
Weitere eingeheimste Eisenbahnsysteme
Die Texas Pacific war eine der vier Hauptlinien, die Gould
und Sage durch ihre wohlbekannten Methoden in ihre Ge-
walt bekamen. Eine andere ihrer Linien war die Wabash,
^) In einem Briefe vom 17. Dezember 1877 schrieb Huntington: „Jay Gould
ging vor ungefähr zvs^ei Wochen nach Washington und traf, wie ich vireiß, mit dem
Senator Mitchell aus Oregon zusammen. Seit dieser Zeit ist in Washington das Geld
sehr reichlich ausgegeben worden . . . Gould hat große Summen Bargeld und gibt es
schrankenlos aus, um seine Ziele zu erreichen." In einem Briefe vom 3. Mai 1878
schrieb Huntington, daß die Texas- und Pacific-Leute einem Kongreßmitgliede
1000 Dollar bar anboten, wenn er für das Gesetz stimmen würde, und weitere
5000 Dollar bar und 10 000 Dollar Obligationen, falls das Gesetz durchgehen
würde, usw. usw.
- 473 -
die sich aus achtundsechzig, ursprünglich getrennten kleinen
Eisenbahnen in Ohio, Michigan, Indiana, Illinois, Missouri
und Iowa zusammensetzte. Gould und Sage hatten eine
lange Reihe von Privilegien von verschiedenen Staaten
erlangt, hatten der Eisenbahn Millionen Dollar geraubt und
sie dann in Bankrott gestürzt^). So widerwärtig betrüge-
risch war ihr Verfahren, daß Richter Gresham vom Bundes-
gericht der Vereinigten Staaten — einer der wenigen Richter
von selbständigem Charakter — behördliche Verwalter, die
auf Goulds und Sages Veranlassung eingesetzt waren, ent-
ließ und diese Tat mit einer kaustischen Drohung be-
gleitete; aber das alles hatte keine Wirkung auf Goulds
Eigentum; er behielt es in seiner Gewalt, und es ging auf
seine Familie über.
Jeder neue Gewinn verschaffte Gould und Sage noch
größere Mittel, um andere Eisenbahnen und andere öffent-
liche nutzbringende Einrichtungen in ihre Gewalt zu be-
kommen. Die Missouri Pacific mit ihrer Reihe von Eisen-
bahnen, für die der Staat Missouri 25 Millionen Dollar vor-
geschossen hatte, wurde der Liste zunächst hinzugefügt.
Es paßte in Goulds und Sages Plan, diese Eisenbahn nicht
zum Bankrott zu treiben, wie sie es bei den anderen getan
hatten. In diesem Falle hatten sie eine besondere Absicht.
Indem sie auf Kosten ihrer andern Eisenbahnen den Fracht-
verkehr in betrügerischer Weise ablenkten, steigerten sie die
Einnahmen der Bahn so, daß ihre Aktien einen hohen Wert
erzielten; der Verkauf der Aktien zum höchsten Kurse
brachte ihnen große Summen. Dann ließen sie den Wert der
Aktien wieder fallen und kauften sie zurück. Die Missouri
Pacific gehört heute zu den geschätztesten Besitztümern
der Familie Gould; die Herrschaft über sie ist so ganz und
gar eine Angelegenheit unverhüUter Familienerbschaft, daß
erst kürzlich, im Jahre 1909, Kingdon Gould, ein Enkelsohn
Jay Goulds, zum Direktor eingesetzt wurde.
Alle diese verschiedenen Eisenbahnsysteme wurden von
Gould ungefähr in denselben Jahren, in denen er die Union
Pacific ausraubte, annektiert.
*) Ein ausführlicher Bericht über dieses vernichtende Vorgehen erechien in der
„North American Review" im Februar 1888.
- 474 -
Fanderbilt ausgeräubert und ausgestochen
Im Ausblick nach neuem Eigentum zur Vermehrung ihres
Besitzes beschlossen Gould und Sage zur Zeit, als sie die
Union -Pacific -Eisenbahn ausplünderten, daß auch das
Western -Union -Telegraphensystem ihnen gehören solle.
Jede andere Kapitalistengruppe würde lange gezögert haben,
ehe sie sich auf einen solchen Plan einließ, denn jene Ge-
sellschaft, die stärkste aller Telegraphengesellschaften, stand
unter der Herrschaft William H. Vanderbilts, des reichsten
Kapitalisten in den Vereinigten Staaten. Gould und Sage
wurden durch die Verhältnisse in keiner Weise abgeschreckt ;
sie hatten einen Plan, um Vanderbilt auszudrängen ; es war
kein anderer Plan als das besondere Erpressungssystem, das
sie benutzt hatten, um die Kansas-Pacific-Direktoren zu
berauben, ein System, das Vanderbilt selbst angewandt
und das konkurrierende Kapitalisten gegen ihn benutzt
hatten.
Dieses zur Zeit oft benutzte System bestand sehr einfach
darin, eine konkurrierende Telegraphenlinie zu bauen.
Wieder trat Gould in der Pose „eines Gegners der Mono-
pole" auf; lieblich sprach er über die Notwendigkeit voll-
ständig freien Wettbewerbs. Zu dieser Zeit prägte Senator
Vest sein schneidendes Urteil über die Berufstätigkeit der
Geldjäger: „Wenn sie sprechen, lügen sie; wenn sie schwei-
gen, stehlen sie," ein Ausspruch, der Verewigung verdient.
An der Strecke der Union-Pacific-Eisenbahn und an ihren
anderen Eisenbahnen ließen Gould und Sage eine Telegra-
phenlinie bauen mit der festen Absicht, Vanderbilt ent-
weder zum Kauf oder zum Verkauf zu zwingen. Das Ge-
schäft der Western-Union-Telegraphengesellschaft wurde so
ernsthaft geschädigt, daß sie in der Notwehr schließlich
gezwungen war, Goulds Konkurrenzlinie für, wie man
annimmt, lo Millionen Dollar zu kaufen. Nachdem Gould
diese Vanderbilt und seinen Gesellschaftern entrissenen
großen Summen eingesteckt hatte, begann er ein hohes
Spiel und nahm ihnen ihr ganzes Telegraphensystem weg.
Durch jede Art List und Spekulation an der Geldbörse
drückte er den Preis der Western-Union- Aktien und kaufte
- 475 -
allmählich eine Menge davon. Zu Vanderbilts vollständiger
Überraschung und äußerstem Ärger erschien Gould im Jahre
1881 nicht nur als Herrscher über die Western Union, sondern
auch über die Amerikanische Union -Telegraphengesell-
schaft, die er erst kurz vorher an Vanderbilt verkauft hatte.
Die Geldaristokratie und Gould
Nachdem Gould die Western -Union -Telegraphengesell-
schaft in seine Gewalt bekommen hatte, vermehrte er so-
gleich ihre Aktien und setzte diese Tätigkeit beständig fort.
Siegreich, überladen mit Beute und Macht, brauchte Gould
nicht um die Unterstützung alles dessen zu werben, was in
der Geldaristokratie für solide und achtungswert angesehen
wurde. Sie kannte ihn als großen Dieb, und er kannte ihren
Wert, ungeachtet des äußern Scheins, den sie um sich ge-
woben hatte. Der Instinkt von Art für Art ist unfehlbar,
und dieser Instinkt wird in der Geldwelt noch durch jenes
sich immer gleichbleibende Prinzip der Handlungsweise
verstärkt, wonach die Geldjäger sich um denjenigen scharen,
der die größte Geschicklichkeit zeigt, sich mit der Beute auf
und davon zu machen. Den Besiegten wird man schnell un-
treu, den Siegreichen strömt man zu. Geldkönige gleicher
Art wie John Jacob Astor, J. Pierpont Morgan, Collis P.
Huntington und andere befanden sich in der edlen Schar,
die Goulds Direktorium zusammensetzte; bemerkenswerte
Kerle, von denen viele oder alle eine Laufbahn eingeschlagen
hatten, die der Goulds mehr oder weniger gleich war; sie
bildeten eine verderbte Bruderschaft, die vollständig und
aufs beste imstande war, sich zu verstehen.
Alle waren schlaue, alte Praktiker; Gould konnte sie nicht
leicht übervorteilen; waren auch nicht alle so scharfsinnig
wie Sage, so waren doch die meisten von ihnen in jeder vom
Rechten abweichenden Taktik und List des finanziellen
und industriellen Kampfes sehr geschult. Ihre Sicherheit
lag in ihrem Mangel an Vertrauen; gerade die Kehrseite
der von ihnen gepredigten Tugenden wurde durch die
Erfordernisse ihres Kampfes entwickelt. Aber wenn ein
leichtgläubiger Mann wie Cyrus W. Field, der Begründer
- 476 -
des unterseeischen Kabels, mit seinem vertrauensvollen
Glauben an Goulds Freundschaft daherkam, dann waren Be-
raubung und Sturz leicht auszuführen. Field war einfältig
genug, an Gould zu glauben; erst nachdem Gould ihm seinen
Reichtum erbarmungslos ausgepreßt und ihm als Ban-
krotteur den Laufpaß gegeben hatte, fing Field — zu
spät — an, zu begreifen, daß es in dem Taumel des Konkur-
renzkampfes keinen Platz für Freundschaft gibt. Field
hatte jedoch wenig Grund, über sein Unglück zu klagen; der
Reichtum, den Gould ihm entrissen hatte, war das Er-
zeugnis einer Folge von Betrügereien, an deren Resultaten
er sehr gern teilgenommen hatte.
Gould streicht Hochbahnen ein
Diese Plünderung Fields geschah bei Goulds Gaunerspiel
mit den Aktien der Hochbahn in der Stadt New York.
Gould hatte gar keinen Anteil an dem Bau dieses Hochbahn-
netzes. Die Privilegien zum Bau und Betrieb dieser Bahn
waren durch Bestechung erlangt worden. Nachdem andere
Kapitalisten die Bestechungen besorgt und gezeigt hatten,
wie einträglich diese Hochbahnen sind, streckten Gould
und Sage die Hände nach ihrem Besitz aus.
Es wurde vor dem Hepburn-Untersuchungsausschuß im
Jahre 1879 ziemlich klar festgestellt, daß ungefähr 650000
Dollar an Bestechungsgeldern ausgegeben worden waren, um
das Privilegium für eine dieser Hochbahnen, die Gilbert-Bahn,
später Metropolitan-Bahn genannt, zu erlangen. Im Verhör
sagte Jose F. Navarro, einer der Beamten der Gesellschaft,
aus, daß bis zu der Zeit, in welcher der Bau dieser Bahn be-
gann, 650 000 Dollar ausgegeben worden seien. Auf die
Frage, ob sie in New York oder in Albany (dem Sitz der re-
gierenden Körperschaften) ausgegeben worden seien, ant-
wortete er, das wisse er nicht. Es ging aus den Fragen und
Antworten ganz klar hervor, daß diese 650 000 Dollar als
Bestechungsfonds benutzt worden waren^). Wahrscheinlich
war eine ziemlich gleichhohe Summe verwendet worden,
1) Railroad Investigation of the State of New York 1879, 5, 43. Diese Privilegien
stammen aus der Zeit der Tweed-Herrschaft. Als das Privilegium für die Bleeker-
- 477 -
um das Privilegium für die andere, die New York-Hochbahn,
zu erlangen.
Der alte im Eisenbahnbau so gebräuchliche Kunstgriff,
eine Baugesellschaft zu organisieren, wurde auch beim Bau
der Hochbahnen angewandt. Eine Gesellschaft unter dem
Namen New Yorker Leih- und Betriebsgesellschaft wurde
gegründet, um die Bauarbeit auszuführen. Dieselben Män-
ner waren die Direktoren sowohl der Baugesellschaft wie
der Hochbahngesellschaften und schlössen betrügerische
Kontrakte mit sich selbst ab^). Kapitalisten und „Phil-
anthropen" wie George M. PuUman^), John P. Kennedy und
andere hatten bei diesem betrügerischen Verfahren großen
Gewinn, sie heimsten gleichzeitig auch sonst durch manches
andere Verfahren derselben Art Reichtum ein.
Nachdem die ersten beiden Hochbahnen gebaut waren,
wurde ein neues Plünderungssystem entworfen und aus-
geführt. Eine „Manhattan" genannte Gesellschaft wurde
mit einem Kapital von 2 Millionen Dollar konzessioniert,
offenbar, um Hochbahnen zu bauen. Aber sie baute
nicht einen einzigen Fuß; dieselbe Clique, die über die
New Yorker Leih- und Betriebsgesellschaft herrschte, trat
als Herrscherin über die Manhattan auf und verpachtete
die beiden vorhandenen Bahnen an die Manhattan. Diese
Pacht kostete sie in der Tat wenig Geld bar; sie erhöhten
das Aktienkapital der Manhattan in unrechtmäßiger Weise
von 2 auf 1 3 Millionen Dollar und verteilten den Betrag als
Street und Fulton Ferry- Linie in der Stadt New York erlangt wurde, wurden
434000 Dollar in Obligationen gratis verteilt. (The History of Public Franchises
in New York City, S. 121.) ^) Ebenda, 12.
*) Über Pullman sind einige Tatsachen im ersten Bande dieses Werkes vor-
gebracht worden. Ein weiteres Beispiel seiner Methoden und Ansichten zu ungefähr
derselben Zeit dürfte lehrreich sein. Nachdem Jacob Sharp im Jahre 1884 das
Magistratskollegium der Stadt New York durch bare Zahlung von 500 000 Dollar
verleitet hatte, ihm das Privilegium für die Broadway- Linie zu erteilen, gaben
die Besitzer des Privilegiums 952 000 Dollar in Aktien und 2 500 000 Dollar
in Obligationen für den Bau einer Linie aus, die nur drei Meilen lang war und
tatsächlich nur 160 000 Dollar kostete. Die Ausgabe dieser Obligationen war un-
gesetzlich und unehrlich. Pullman wußte davon und auch von der Bestechung.
Für Wagen, die er geliefert hatte, erhielt er 150000 Dollar von diesen Obligationen,
den Dollar zu 50 Cent gerechnet. — Report of, and testimony before, the
New York Senate Investigating Committee, „Senate Committee Broadway Railway,
1886". i8i.
- 478 -
Beute^). Durch Aktienspekulationen zermalmten dann
Gould und Sage die meisten kleinen Aktionäre und verschaff-
ten sich die Herrschaft. Sie gingen dann dazu über, die
Aktien noch weiter nominell zu erhöhen, das ganze System
zu konsolidieren und die mächtigeren Aktionäre zu ver-
drängen.
Field wird hinausgeworfen
Einige der gewichtigen Aktionäre, wie z. B. Field, steckten
mit Gould und Sage unter einer Decke, andere aber be-
kämpften erbittert die verschiedenen betrügerischen Maß-
regeln und Hilfsmittel, die Gould und Sage in Bewegung
setzten. Das Resultat des daraus hervorgehenden Rechts-
streites war vorauszusehen. Gould erschien selten vor
Gericht, ohne daß er den Richter in der Tasche hatte.
Das richterliche Werkzeug war zu dieser Zeit Westbrook
vom obersten Gerichtshof in New York; als Gould seine
Diebskarriere angefangen hatte, war Westbrook sein erster
Rechtsanwalt gewesen. Jetzt, als Richter, erließ Westbrook
Befehle und Vorschriften, die Gould und Sage bei ihren be-
trügerischen Taten den Rücken deckten. Seine Willfährig-
keit war allgemein bekannt; einmal hielt er eine Gerichts-
sitzung in Goulds Privatzimmer im Büro der Western
Union Telegraphengesellschaft ab und erließ von dort eine
Verordnung^).
Nachdem Gould und Sage unbeschränkte Herren der
Hochbahnsysteme von New York geworden waren, hatten
sie Field nicht mehr nötig. Bei erster Gelegenheit wurde
die Effektenbörse beeinflußt, Field aufzugeben, und er
wurde hinausgeworfen, um kümmerlich dahinzuleben und
als ruinierter Mann zu sterben.
^) Railroad Investigation of the State of New York, 1879, 5, 6 und 7.
2) Das Repräsentantenhaus von New York beschuldigte später den Richter
Westbrook, gesetzwidrige Handlungen im Amt begangen zu haben; aber vom Senat,
als untersuchender Körperschaft, gelang es ihm, ein freisprechendes Urteil zu er-
halten.
Viertes Kapitel
DER GEGENWÄRTIGE STAND DES GOULDSCHEN VER-
MÖGENS
Was war nun das konkrete Ergebnis, was war die groß-
artige Höhe, die Gould nach fünfzehnjähriger Räuberei
erreicht hatte ? Er selbst zeigte es auf anschauHche Weise,
als er am 13. März 1882 Sage und seine andern Gesellschafter
zusammenrief und ihnen einen mit Wertpapieren vollge-
stopften Kasten vorwies. Es waren in Wallstreet ihn herab-
setzende Gerüchte ausgestreut worden, ein Fallen der
Kurse habe ihn vor kurzem schwer getroffen, und um diese
Behauptungen Lügen zu strafen, rief er Zeugen herbei,
um durch eindrucksvolle Beweise darzutun, daß sein Reich-
tum und seine Macht unversehrt seien. Er legte 23 Millio-
nen Dollar Western-Union- Aktien, 1 2 Millionen Dollar Mis-
souri-Pacific- Aktien und 19 Millionen Dollar anderer Aktien
vor. „Es gibt außer Vanderbilt keinen Mann in Amerika,"
bemerkte Sage, „der eine solche Schaustellung von Aktien
veranstalten könnte." Aber die Wertpapiere, die Gould so
aufdeckte, bildeten nur einen Teil seines Reichtums; vieles
andere war nicht darin enthalten. Zwei Jahre später ver-
anstaltete er in prahlerischer Weise eine zweite noch größere
Schaustellung.
Diese Haufen von Aktien und Obligationen waren die
rechtskräftigen Beweise von der weitreichenden Macht
dieses einen Mannes. Durch ihren Besitz stand ihm nicht
nur die Verfügung über die von zahlreichen Gesellschaften
herbeiströmenden großen Einkünfte zu, sondern auch die
unbeschränkte Macht über eine ungeheuer große Schar von
Lohnarbeitern. Jeder Dollar seines Vermögens war durch
Hinterlist, Bestechung, Betrug und Diebstahl erlangt worden ;
doch nun stand er da als einer der herrschenden Magnaten
des Landes, als der Eigentümer verzweigter Besitzungen, als
der Herr über das Schicksal von Zehntausenden von Arbeitern.
Hinter ihm als unüberwindlicher Schutz stand das Gesetz
und sicherte ihm den Besitz des durch Diebstahl Erreichten.
^ 480 —
Im Jahre 1881 waren er und seine Clique mit Beute über-
laden; das Volk war, durch seine Armut auf der einen und
den Anblick des riesenhaften Reichtums der Kapitalisten
auf der anderen Seite, aufgestachelt, außerordentlich un-
ruhig geworden. Gould strebte vorwärts, als ob ein öffent-
licher Protest nichts bedeute. Er fügte, wie wir gesehen
haben, dem Kapital der Hochbahnen der Stadt New York
13 Millionen Dollar Verwässerungsaktien hinzu und zwang
gleichzeitig die Angestellten und Bahnwärter dieser Linien,
sich neuen Lohn- und Arbeitsbedingungen zu unterwerfen.
Sie hatten sich beklagt, daß sie 12 — 15 Stunden täglich für
den armseligen Lohn von 2 Dollar und 1,75 Dollar den Tag
arbeiten mußten. Gould hörte ihre Klagen an und tröstete
sie mit der Anordnung, daß ihre tägliche Arbeitszeit auf
zwölf Stunden herabgesetzt werden solle. Aber ihre Visio-
nen eines kümmerlichen Triumphes schwanden dahin, als
sie erfuhren, daß er auch ihren Lohn gekürzt habe.
Zur selben Zeit, als er die Eisenbahnen im Westen plün-
derte, setzte er die Löhne der Leute an der Missouri Pacific
herab und trat den Arbeiterorganisationen entgegen; da-
durch veranlaßte er in den Jahren 1885 und 1886 große
Streike, durch die indessen seine Eisenbahnarbeiter so gut
wie nichts gewannen. Höchst typisch für die Kriecherei
vieler Zeitungen und Politiker war die Schmähung und Ver-
leumdung, mit denen die jene Streike leitenden Arbeiter-
führer überhäuft wurden. Die Diener der öffentlichen
Presse und die Gefolgschaft der politischen Führer verbanden
sich zu bösartiger Verfolgung; Martin Irons, der den
Missouri-Pacific-Streik leitete, wurde verleumdet, gehetzt
und auf die schwarze Liste gesetzt. Es war jammervoll, zu
sehen, wie dieser Mann, einer der Reinsten, Besten und Auf-
opferndsten, in späteren Jahren gezwungen war, sich durch
den Verkauf von Erdnüssen einen unsicheren Lebensunter-
halt zu erwerben; und jetzt ruht er in einem unbekannten
Grabe, ganz vergessen, während die sterblichen Reste
Goulds, eines der Meisterdiebe der Zeit, in einem geräu-
migen Mausoleum ruhen, und die Kinder Goulds zu der
Familienohgarchie gehören, die die Vereinigten Staaten
beherrscht.
- 4^1 -
Diebstahl durch Macht und Glanz belohnt
Mit fünfundvierzig Jahren besaß Gould mehr als loo Mil-
lionen Dollar. Er war vor der Zeit alt geworden ; sein Bart war
mit Grau gemischt, sein Haar dünn, und sein gebräuntes,
galliges, finsteres Gesicht war von harten tiefen Linien durch-
furcht. Seine Gestalt war zusammengeschrumpft, so daß er
noch unbedeutender aussah als je zuvor. Aber wenn er reiste,
konnte niemand die Zeichen fürstlicher Macht mißver-
stehen. Von einem Ende des Landes bis zum anderen fuhr er
in einem schön eingerichteten, palastartigen Eisenbahnwagen,
der mit allem zu jener Zeit erdachten Komfort und Luxus
ausgestattet war — mit einem Aussichtszimmer, einem
Wohnzimmer, einer Speisehalle, Schlafzimmern, einer Küche
und Räumen für die Gepäckträger. Seine Jacht, Atalanta,
war wirklich prächtig. Seine Lebensweise war so, wie sie
sich für einen vollendeten Magnaten geziemte. In Irving-
ton am Hudson lebte er zurückgezogen in einem großen,
kostbaren, von 500 Morgen umgebenen Herrenhause. Mit
diesem verbunden war eins der schönsten Gewächshäuser
der Welt. Seine Stadtwohnung in New York war ein
massives, düsteres Haus aus dunkelbraunem Sandstein an
der nordösthchen Ecke der 5. Avenue und 47. Straße, recht
im Mittelpunkte des aristokratischen Viertels.
Er besaß jedoch noch manche andere gewaltige Macht,
die nicht in äußerem Pomp zutage trat. Jahrelang besaß
er eine Zeitung, die New Yorker „World"; es war merk-
würdig, zu sehen, wie einer der größten Räuber, der so
manches Mal nur mit genauer Not dem Gefängnis entgan-
gen war, das Publikum in bezug auf seine Pflicht und Moral
in politischer und anderer Hinsicht unterwies. Aber die
bekannte Tatsache, daß die Zeitung Gould gehörte, trug
auch dazu bei, den Wert ilirer Äußerungen herabzusetzen
und ihre Verbreitung zu beschränken^).
Viel erfolgreicher und hinterlistiger beeinflußte er die
^) Aber als Gould die „World" an Joseph Pulltzer verkauft hatte, wurde diese
Zeitung eine der bittersten Anklägerinnen Goulds, wahrscheinlich mit der Absicht,
eich vor der öffentlichen Meinung soviel wie möglich von der Tatsache loszulösen,
daß sie früher Gould gehört hatte.
31
- 4^2 -
öffentliche Meinung durch die Beherrschung der Western-
Union-Telegraphengesellschaft und mittels dieser des
Presseverbandes, der ersten Agentur zur Verbreitung von
Neuigkeiten in den Vereinigten Staaten. Entstellte, irre-
leitende oder falsche Nachrichtentelegramme wurden her-
gestellt oder künstlich gefärbt und der öffentlichen Presse
geliefert. Diese verschafften Gould nicht nur vortreffliche
geheime Hilfsmittel, um die Bewegung des Geldmarktes zu
beeinflussen, sondern wurden auch bei jeder Gelegenheit
zugunsten der Kapitalisten und gegen Arbeiter- und radi-
kale Bewegungen benutzt. Das Publikum wurde mit gröb-
lich gefälschten Berichten über Streike und politische
und Arbeiterbewegungen gefüttert; auf diese zurecht-
gemachten Nachrichten stützten die Besitzer der Zeitungen,
die selbst Kapitalisten oder dem Kapital in hohem Maße
unterwürfig waren, feindselige, wenn nicht böswillige Leit-
artikel; und alles zusammen wurde benutzt, um die
große Masse des Publikums von vornherein gegen jede Be-
wegung oder Gärung einzunehmen, die die unbeschränkte
Herrschaft des Kapitals bedrohen konnte.
"Jay Goulds Tod
Jay Gould wurde in seinen letzten Jahren teils von einem
schweren Magenleiden, teils von Schlaflosigkeit gequält.
Stundenlang pflegte er in den langen dunklen Nächten
an dem Häuserblock, der seinem Hause in der Stadt
New York gegenüberlag, auf und ab zu schreiten — ein
kleiner, abgemagerter, verdrießlicher Mann, der sich ver-
gebens bemühte, Körper und Geist bis zu einer den Schlaf
erzwingenden Erschöpfung zu ermüden. Er starb am
Morgen des 2. Dezembers 1 892, und seine Leiche wurde auf
dem Woodlawn-Friedhof in einem klassischen Mausoleum,
das HO 000 Dollar gekostet hatte, bestattet. Viele Multi-
millionäre, deren Lebensweg und Stellung seinen eigenen
glichen, und deren Laufbahnen zum Teil mit der seinen
verknüpft waren, erschienen bei den Begräbniszeremonien.
Rüssel Sage war da und J. Pierpont Morgan und Collis
P. Huntington und eine Gruppe anderer — eine pompöse
- 4^3 -
Prozession von Geldfürsten mit passendem Gesichtsaus-
druck und in tadelloser Trauerkleidung, obgleich mit Aus-
nahme seiner eigenen Familie nicht eine Seele wirklich um
Gould trauerte. Sein Testament enthüllte einen Besitz
von nominell 77 Millionen Dollar, aber dieses war nur die
öffentliche Seite des testamentarischen Schriftstücks; sein
Besitz belief sich auf viel mehr. Die ganze Hinterlassenschaft
sollte für seine sechs Kinder — vier Söhne und zwei Töch-
ter — verwaltet werden; Gould hinterließ nicht wie die
Astors und einige andere Magnaten die große Masse seines
Vermögens seinem ältesten Sohne.
Jetzt, da Gould gestorben war, stießen viele Zeitungs-
besitzer, die, solange er lebte, vor ihm gedienert oder furcht-
sam geschwiegen hatten, wie Gassenkehrer ihre Schmähun-
gen hervor und zählten seine hassenswerten Taten auf.
Die Unrichtigkeit ihrer Darstellungen bestand nicht in
der Übertreibung seiner Lasterhaftigkeit — das wäre nicht
möglich gewesen — sondern darin, daß sie ihn als einen
außergewöhnlichen Betrüger herausgriffen und von dem
System loslösten, das ihn hervorgebracht hatte und das
allein verantwortlich gemacht werden konnte.
Gould ging dahin als der gehaßteste Mann der Ver-
einigten Staaten. Sozialer Ehrgeiz hatte ihn niemals berührt,
aber in seinen Kindern entwickelte sich das Streben nach
Anerkennung. Zuerst kam es bei jedem Schritt zu einem
Hervorbrechen der alten Schmähung, daß ihres Vaters
Vermögen durch Raub und Vernichtung gewonnen sei.
Aber alle Begründer von Reichtümern waren ohne eine
einzige Ausnahme von derselben Art; alle hatten überlistet,
gelogen, getäuscht, bestochen, betrogen und gestohlen.
Jedoch die Goulds mit Hunderten von Millionen Dollar
zu ihrer Verfügung waren imstande, alle sozialen Hinder-
nisse zu überwinden. Wenn jemand genug Geld hat, dann
braucht man ihm eine auserwählte gesellschaftliche Stellung
nicht erst zu bewilligen, er kann sie im Sturme nehmen.
Einer der leichtesten Wege besteht darin, sich den Eintritt
in die Gesellschaftsklasse des europäischen Erbadels zu er-
kaufen, da dieser in der heutigen praktischen Zeit mit der
Verhökerung von Namen für Bargeld einen lebhaften Handel
31*
- 484 -
betreibt. Demgemäß wurde im Jahre 1895 Anna Gould,
eine von Jays Töchtern, in die Gräfin Castellane ver-
wandelt, und der Graf erhielt die Gelegenheit, viele der
Gouldschen Millionen für sich in Anspruch zu nehmen.
Während der folgenden elf Jahre machte er einen fröhlichen
Gebrauch davon, streute mit verschwenderischer Frei-
gebigkeit MiUionen aus und trieb phantastische Possen,
bis eine Ehescheidung ihnen ein grausames Ende bereitete.
Aber M^e Gould stieg auf den Seiten des Gothaer Kalenders
noch höher auf. Der Nachfolger des Grafen ist der Herzog
von Sagan, ein bemerkenswerter Sproß seines Hauses, der
seine wichtige Rolle spielt, indem er zeigt, wie der feudale
Adel, oft der gestohlenen Besitzungen zu Hause durch Re-
volutionen und Verschwendung beraubt, sich bequem schad-
los halten kann, indem er sich mit gestohlenen Gütern aus
neueren Ländern verbindet,
Der Kampf um die weitere Existenz
Würden wir zu großen Nachdruck auf die Bestrebungen
und Taten der Familie Gould in gesellschaftlicher Hinsicht
legen, so würden wir den riesenhaften Industriekampf in
den Schatten stellen, in den sie verwickelt wurden. Nach
Jay Goulds Tode nahmen der Reichtum und die Besitzungen
der Famihe bedeutend zu, und ihre Eroberungen wurden
weiter ausgedehnt.
Aber dieser Fortschritt wurde nicht ungehindert ge-
stattet. Die allerletzten Jahre leiteten, worauf wir schon
hingewiesen haben, einen furchtbaren Kampf um die aus-
schließliche Beherrschung der Hilfsquellen der Nation ein.
Wenn wir fünfzig Jahre zurückblicken, so sehen wir eine
große Anzahl kleiner wichtigtuender Fabrikherren, von denen
jeder seine eigne kleine Eisenbahn oder Fabrik betrieb.
Dann tritt eine Veränderung ein ; große, energische Kapi-
talisten entwickeln sich, die mit den kleinen Herren Krieg
führen, sie mit guten oder schlechten Mitteln vernichten,
ihre Besitzungen an sich reißen und zu großen Systemen ver-
einen. Die kleinen Eisenbahnbesitzer verschwinden, und
an ihre Stelle treten herrschsüchtige Magnaten wie die
- 4^5 -
Vanderbilts, die Goulds, Huntington, Morgan, Hill und
ähnliche. Vor zehn Jahren waren alle diese Männer Ma-
gnaten mit ungeheurer Macht, jeder an der Spitze irgend-
eines großen Systems und despotisch auf einem besonderen
Gebiete herrschend.
In dem industriellen Entwicklungsprozeß ist jetzt ein
neues Stadium im Werden, das den Niedergang der Ober-
herren des Gould-Typus ankündigt und den nahenden
Höhepunkt kapitalistischer Einrichtungen voraussagt. Wie
mächtig auch diese Magnaten gewesen sind, sie werden all-
mählich und unerbittHch von einer noch gewaltigeren Macht,
der mächtigsten von allen, niedergeworfen. Das Ziel dieser
alles durchdringenden Macht ist industrieller Absolutismus;
und in der Verfolgung dieses unvermeidlichen Endzweckes
zermalmt diese Macht jeden Widerstand, ebenso wie die
Goulds, die Vanderbilts und andere ehemals kleinere
Magnaten ihn zermalmt haben. Nicht länger sind die Goulds
imstande, ihre Macht weit auszudehnen; die kritische Pe-
riode ist eingetreten, in der sie um das, was sie besitzen,
schwer zu kämpfen haben.
Die aufsteigende Autokratie
Diese höchste Macht, die nach jeder Form der Produktion
und der Verteilung der Produkte die Hand ausstreckt, ist
die Standard Oil-Company, an deren Spitze die Rocke-
fellers stehen.
Vor fünfunddreißig Jahren erhielt sie durch Erlangung
geheimer Eisenbahntarife und andere Formen der Unter-
drückung ein Monopol für ölprodukte. Zuerst trat sie in
verbindlicher Form an die Eisenbahnmagnaten heran, als
Bittende, die eine Gunst nachsucht. Bald darauf ließ sie,
aus Politik, diese Magnaten an ihrem Gewinn teilnehmen.
Dann fing sie an, sich ihren Weg in das Besitzrecht von
Eisenbahnen zu erkaufen. Ihre Einkünfte sind so fabelhaft
groß, daß sie unter dem dauernden und unvermeidlichen
Zwange steht, ihren ungeheuer großen und noch immer
größer werdenden Überschuß neu anzulegen. Diesen Über-
schuß hat sie dazu verwandt, Aktien von Eisenbahnen, Ban-
- 486 -
ken, Bergwerken, gemeinnützigen Einrichtungen und Indu-
strien und Wertpapieren aller Art aufzukaufen. Infolge dieser
feststellenden unveränderlichen PoHtik nahm ihre Macht
eine solche Ausdehnung an, daß ihre Mitglieder anfingen,
sich als Direktoren in die verschiedensten Gesellschaften
einzudrängen. Eine Zeitlang führten sie dann die Politik
durch, mit den großen Magnaten auf jedem Gebiete ,,eine
Gemeinschaft der Interessen" zu haben; mit ihnen in der
Entscheidung über industrielle Angelegenheiten zusammen-
zuarbeiten. Aber während der ganzen Zeit kaufte die Ge-
sellschaft in allmählichem Vordringen immer mehr Aktien
aller Art an, so daß sie jetzt so weit gekommen ist, daß
sie durch Leiter wie den verstorbenen Harriman allmäh-
Hch die Vanderbilts, die Goulds und andere Magnaten,
die noch vor zehn Jahren ersten Ranges waren, in eine unter-
geordnete Stellung drängt und sich hinter unumschränkter
Machtvollkommenheit verschanzt. Mehrere Eisenbahnen,
die lange Zeit von den Goulds beherrscht wurden, sind in
beträchtlicher Ausdehnung Anhängsel der Standard OiJ-
Gesellschaft geworden.
Industriekämpfe, wie der zwischen George Gould und
der Pennsylvania-Eisenbahn im Jahre 1902, werden sich
so bald nicht wieder ereignen. Dieser Kampf war durch
Goulds Plan, die Wabash-Eisenbahn bis an die Küste des
Atlantischen Meeres auszudehnen, entstanden. Die Penn-
sylvania-Eisenbahn erhob sofort Widerspruch gegen einen
Konkurrenten auf ihrem reichen Nutzen bringenden Ge-
biet. Der daraus hervorgehende Streit wurde in gesetz-
gebenden Körperschaften, in Gemeinderäten, Gerichts-
höfen, im Kongreß und durch wirksame physische Kraft
ausgefochten. So vollständig haben die Pennsylvania-
Eisenbahnmagnaten jenen Staat fünfzig Jahre lang be-
herrscht, daß auf Goulds Seite sehr viel Tollkühnheit nötig
war, um mit ihnen einen Krieg anzufangen^).
^) Als Beispiel, wie die große politische Macht der Pennsylvania-Eisenbahn
benutzt wurde, ist der folgende Bericht bezeichnend. Er zeigt, wie Cassatt, der
Präsident jener Eisenbahn, und einige andere Industriemagnaten und politische
Größen beschlossen, daß Philander Knox (im Jahre 19 lo Staatssekretär der Ver-
einigten Suaten) zum Senator der Vereinigten Staaten gewählt werden solle.
Knox war lange Zeit Gesellschaftsanwalt. Der Gouverneur von Pennsjdvania erliielt
- 487 -
Eines der bemerkenswertesten Beispiele, wie weit die Penn-
sylvania-Eisenbahn-Magnaten in ihrer Herrschaft gingen,
bildet das Tumult-Entschädigungs-Gesetz, dessen Durch-
bringung sie bei den gesetzgebenden Körperschaften jenes
Staates im Jahre 1 879 versuchten. Es ist nützlich, etwas von
den Umständen, unter denen dieses Gesetz entstand, kurz
mitzuteilen, da dadurch eine gute Vorstellung von den
Methoden A. J. Cassatts erweckt wird, der lange Präsident
der Pennsylvania-Eisenbahn war. Cassatt war es, den George
Gould im Jahre 1902 zu bekämpfen hatte. Die Methoden,
die Cassatt im Jahre 1879 anwandte, waren dieselben, die
er immer anwandte. Jay Gould besaß bei all seiner Gewissen-
losigkeit niemals die Dreistigkeit, etwas zu tun, das an Un-
geheuerlichkeit dem Tumult-Entschädigungs-Gesetz Cas-
satts nahekam. Trotzdem wurden, als Cassatt kürzlich starb,
überall Lobpreisungen in überreicher Zahl veröffentlicht;
er starb umgeben von Zeichen höchster Ehrbarkeit.
Selbst zugefügter Brandschaden und ein Raub von 4 Millionen Dollar
Wir haben in einem früheren Kapitel gesehen, wie die
Beamten der Pennsylvania-Eisenbahn während des großen
Streiks von 1877 ihre Angestellten beauftragten, eine Anzahl
wertloser Frachtwagen in Pittsburg in Brand zu stecken,
den Befehl, die Wahl dieser Gruppe politischer Diktatoren zu bestätigen, und tat es.
Dieser Bericht wurde in „Collier's Weekly" in der Ausgabe vom 8. Juni 1907 als
Leitartikel veröffentlicht und erschien in derselben Zeitschrift am 27. November
1909 noch einmal. Seine Richtigkeit wurde nicht bestritten, es wurde nichts in
Abrede gestellt, auch keine Klagen auf Verleumdung eingebracht. Der Bericht
lautete :
„Mr. Knox' politische Karriere wurde in den Hauptbüros der Pennsylvania-Eisen-
bahn in Philadelphia in Szene gesetzt. Dort trafen sich, um für den kürzlich ver-
storbenen Quay einen Nachfolger zu ernennen, Senator Penrose, Henry C. Frick,
'Iz'Durham, der damals auf der Höhe seiner Macht stehende Herr von Philadelphia,
und der ehemalige Präsident Cassatt. Zwischen den Politikern und den beiden Ge-
schäftsleuten wurde ein Modus arrangiert. Knox sollte Senator sein . . . Dann
begab sich die Gesellschaft zum Mittagessen in das Haus des Präsidenten Cassatt.
Hierzu war Gouverneur Pennypacker eingeladen, dem die Kandidaturbestimmung
zukam. Während die übrigen mit den Walnüssen beschäftigt waren, erhob sich
Penrose und forderte den Gouverneur auf, in den Hinterhof zu kommen, um
den Mond zu sehen. ,E8 ist Knox,' sagte Penrose zu dem Gouverneur. Und
Knox war es . . . Dieser Geschichte wird noch ein untergeordnetes Interesse durch
<iie Tatsache hinzugefügt, daß Präsident Cassatt Demokrat war."
- 488 -
um die Streikbewegungen als aufrührerisch hinstellen zu
können und so einen Vorwand für die Herbeirufung von
Militär zu haben.
Auf dasselbe Verbrechen der Brandstiftung gründeten
zwei Jahre später diese Magnaten einen Versuch, das Volk
mit einem Griff um 4 Millionen Dollar zu berauben. In der
ganzen Geschichte der amerikanischen Industrie ist nie zuvor
ein so eingestandenermaßen kühner Plan versucht worden.
Als im Jahre 1879 bei den gesetzgebenden Körperschaften
von Pennsylvania eine Gesetzesvorlage eingebracht wurde,
die Eisenbahn bis zur Höhe von 4 Millionen Dollar für den
Verlust von Eigentum zu entschädigen, wurde die Nachricht
mit allgemeinem Erstaunen aufgenommen. Cassatt betrieb
die Vorlage, und sie würde zum Gesetz geworden sein,
hätten sich nicht einige der Gesetzgeber über die Unver-
schämtheit des Planes empört. Einige brandmarkten ihn
als einen ungeheuren Betrug; einer besonders, der Re-
präsentant Wolfe, erhob die Anklage, daß Bestechung an-
gewandt worden sei, und verlangte eine Untersuchung.
Darauf wurde am 9. April 1879 eine Untersuchungskom-
mission eingesetzt.
Der Bericht dieser Kommission stellt ausdrücklich fest,
daß drei Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften
sich der Bestechung schuldig gemacht hätten. Nach dem
Beweismaterial war es klar, daß Cassatt und Quay — der
letztere ein bestechlicher Politiker an der Spitze der
republikanischen Parteiorganisation von Pennsylvania —
sich verbündet hatten, um die Vorlage durchzupeitschen;
daß viele Mitglieder entweder mit Geld oder mit Ver-
sprechungen, gewisse ihrer Vorlagen durchzubringen, be-
stochen worden waren; daß unter den Mitgliedern be-
stochene Gruppen zur Durchbringung wichtiger Vorlagen
bestanden, und daß viele einflußreiche Redakteure im gan-
zen Staat bezahlt worden waren, um das Durchgehen der
Gesetzesvorlage zu befürworten*),
^) Petroff, Kembel, Salter, Rumberger und Crawford, alle Gesetzgeber oder
Lobbyisten, wurden im Jahre 1880 der Bestechung überführt und je zu einem
Jahr Gefängnis verurteilt. Bei der Verurteilung bemerkte Richter Pearson, daß in
- 489 -
Ein Krieg der Multimillionäre
Das war die Art, wie Cassatt, das Haupt der Streitkräfte,
mit denen George Gould zu kämpfen hatte, vorging. Vor
allem anderen suchte Gould in Pittsburg mit seinem er-
staunlich hohen jährlichen Güterverkehr von 75 Millio-
nen Tonnen einzudringen. Die Regierung der Stadt wurde
von der Pennsylvania-Eisenbahn geführt. Aber was machte
das ? Wenn Geld eine Clique von Beamten einsetzen und
arbeiten lassen konnte, dann konnte Geld auch eine andere
Clique einsetzen. So schloß George Gould und mit Recht.
Die Regierung von Pittsburg wurde jetzt der Kampfpreis.
Gould sorgte in geschickter Weise dafür, daß der in Frage
stehende Zugang der Wabash-Eisenbahn durch die städti-
schen Wahlen des Jahres 1902 entschieden werden sollte.
Mit Hilfe seiner Millionen, so sagte man, wurde eine
„Reformbewegung" hervorgebracht und zu kräftigem
Wachstum aufgeblasen. Gould setzte seine Sache durch;
ein seinen Plänen günstig gesinnter Gemeinderat wurde ge-
wählt^). Zur selben Zeit ließ Gould im Kongreß ein Gesetz
durchbringen, das ihm die Überbrückung des Monongahela-
Flusses gestattete. Man hat berechnet, daß ihn das Ein-
dringen in Pittsburg 12 Millionen Dollar gekostet hat, aber
der urkundliche Beweis dafür fehlt. Nachdem er 35 Millio-
nen Dollar ausgegeben hatte, führte er seine Wabash-Pläne
durch.
Nun begann der Kampf der rohen Gewalt. Aus Rache für
Goulds Sieg ließen die Magnaten der Pennsylvania-Eisen-
den gesetzgebenden Körperschaften von Pennsylvania Bestechung seit Jahren ein
alltägliches Vorkommnis sei. Aber obwohl die Bestechung bei dem Versuch, das
Gesetz durchzubringen, aufgedeckt wurde, erlangte die Eisenbahn von Pennsylvania
schließlich doch, wie vorher erwähnt, aus der Staatskasse annähernd 22 Millionen
Dollar an „Entschädigungen".
^) Diese „Reform" wurde als eine Bewegung angekündigt, die Pittsburg neu
beleben würde. Die durch Bestechung öffentlicher Körperschaften aus Geschäfts-
interessen hervorgebrachte zunehmende Korruption war kürzlich aufgedeckt wor-
den. Der Überführung eines von denen, die am meisten bestochen worden waren,
folgte ein Geständnis und im März 1910 die Geständnisse vieler anderer Mitglieder
des Pittsburger Gemeinderates. Diese Geständnisse enthüllten ein ausgedehntes
Bestechungssystem durch Stahlmagnaten, Banken und aus anderen Geschäfts-
interessen. Gegenwärtig (April 1910) sind 41 Stadtverordnete im Anklagezustande
and mehr als zwanzig andere haben ein Geständnis abgelegt.
- 490 -
bahn alle Telegraphenstangen seiner Western Union Tele-
graphen-Gesellschaft an der Strecke jener Bahn nieder-
schlagen. Hätten die Telegraphenarbeiter einen Streik an-
gefangen, dann hätte sich das Geschrei erhoben, daß sie auf
gefährliche Weise eine wichtige öffentliche Einrichtung zer-
stört hätten, aber eine von Magnaten ausgeübte Gewalttat
galt als heiliges Eigentumsrecht, und kein Einspruch von
Regierungsbeamten wurde laut.
In einem Werke, das während der Abfassung dieses
Buches (1910) in Lieferungen veröffentlicht wurde und
Richter Ben B. Lindsey, einen Mann von hohem Gemeinsinn,
zum Verfasser hat, der mit den Angelegenheiten von Colo-
rado sehr genau vertraut ist, enthüllt Richter Lindsey im
einzelnen etwas von der großen Korruption in jenem Staate.
Er erzählt, wie beinahe alle Beamten und Richter Werk-
zeuge der Gesellschaften sind ; was für eine ungeheuer große
Zahl betrügerischer Stimmen bei den Wahlen gezählt wer-
den; und wie die Gesellschaften in vielen Fällen die Wahl
oder Ernennung gerade derjenigen Richter diktiert haben,
deren Entscheidungen für die Arbeiterklassen so drückend
gewesen sind. Im besondern erzählt er ausführlich, wie
im Jahre 1905 Gouverneur Peabody in betrügerischer Weise
für gewählt erklärt wurde, und wie Peabody mit der Be-
setzung von Richterstellen im obersten Gerichtshof durch
gewisse, von den Gesellschaften bezeichnete Männer Handel
getrieben habe.
Lindsey fährt fort : „Erscheint dies unglaublich ? Dann lese
man die Berichte des obersten Gerichtshofes von Colorado,
Bd. 35, S. 325 und das weitere. Man wird dort die Anklage
finden, daß die Colorado- und Southern-Eisenbahngesell-
schaft, die Denver- und Rio Grande-Eisenbahngesellschaft
und die Staatsbehörden von Denver mit Gouverr eur Peabody
ein Abkommen getroffen hatten, wonach diese Korporatio-
nen in die Lage versetzt werden sollten, die für den obersten
Gerichtshof zu ernennenden Richter zu bestimmen. Man
wird die Anklage finden, daß Luther M. Goddard von den
Straßenbahn- und ähnlichen Konzessions-Gesellschaften als
passender Richter bestimmt wurde, daß aber die beiden
Eisenbahngesellschaften Einspruch gegen ihn erhoben, da er
- 491 -
„zu eng mit den Interessen der Denver City-Straßenbahn-
gesellschaft und der Denver Union- Wassergesellschaft ver-
bunden sei". „Als letztes Hilfsmittel," fährt der Bericht fort,
„wurde der Agent und Vertreter der besagten Colorado- und
Southern-Eisenbahngesellschaft aufgefordert — und er
folgte der Aufforderung — , sich am Sonntag, dem achten Tage
des Januar, nach Mitternacht, also am Montag, dem neunten
Tage des Januar, ungefähr um ein Uhr morgens in einem
Wagen nach der Wohnung des besagten Luther M. Goddard
zu begeben, ihn aus dem Bett zu holen und dann und dort
mit dem besagten Goddard eine Unterredung zu haben,
wonach die besagten Eisenbahngesellschaften durch ihre
Agenten den Widerspruch gegen seine Bestätigung zurück-
zogen, und nun verkündeten sie an dem besagten Morgen
ungefähr um 3 Uhr den übrigen Korporationen durch ihre
Agenten und Vertreter, daß ihr Widerspruch zurück-
gezogen sei, und nachdem die Zurückziehung des Wider-
spruches verkündet worden war, bestätigte der Senat des
15. Repräsentantenhauses beinahe unmittelbar nach seinem
Zusammentreten am Montag, dem neunten Tage des Januar,
morgens die Ernennung des besagten Goddard.
„Das diese Anklagen enthaltende Schriftstück ist unter-
zeichnet von Henry M. Teller, Ex- Kabinettmitglied und
Senator der Vereinigten Staaten, und vom Ex-Gouverneur
Thomas als Anwalt für Senator T. M. Patterson, der in
seiner Zeitung The Rocky Mountain News die Anklagen
erhoben hatte. Diese Herren erboten sich, die Anklage-
punkte vor Gericht zu beweisen, aber der Gerichtshof
wies das Anerbieten in einer höchst erstaunlichen Ent-
scheidung zurück; er war der Ansicht, daß, wie wahr auch
solche Beschuldigungen sein mochten, es eine ,, Ver-
achtung des Gerichtshofes" sei, sie vorzubringen, und
verurteilte den Senator Patterson zu einer Geldstrafe von
1000 Dollar!" . . .^)
Also scheint es, wenn Anklagen wie diese wahr sind, daß
^) „The Beast and the Jungle," Everybody's Magazine, Februar-Ausgabe 1910,
241 — 242. Moody's „Truth about the Trusts," herausgegeben im Jahre 1904,
beschreibt die Denver- und Rio Grande-Eisenbahn als ein ausgesprochenes Gould-
System (S. 435).
- 492 ~
die jetzt lebenden Goulds die Methoden ihres Vaters fort-
setzen. Es läßt sich auch wohl annehmen, daß diese öffent-
lichen Enthüllungen nur Andeutungen von ausgedehnten
heimlichen Anschlägen und Unternehmungen sind, von
denen viele niemals öffentlich enthüllt wurden.
Wenn die Familie Gould nun auch, wie die Verhältnisse
liegen, langsam zu einer entsagenden Stellung in der Rang-
ordnung des Reichtums hinabsinkt im Vergleich mit dem
Vermögen und der Macht eines Rockefellers, so ist sie
trotz alledem noch ungeheuer reich. Vor vierzig Jahren
tat Jay Gould alles, was er konnte, um dem Gefängnis zu
entgehen; heute leben seine Kinder und Großkinder in
schimmernden Palästen.
Georgian Court in Lakewood, New Jersey, ^ einer der
Wohnplätze George Goulds, ist sinnbildlich für ihren Glanz.
Das Hauptgebäude, im georgianischen Stil erbaut, ist
200 Fuß lang und 50 breit. Die große Haupteintrittshalle
ist 30 Fuß breit und 50 lang; an einem Ende befindet sich
ein von Marmorsäulen getragenes massives elliptisches
Treppenhaus aus Marmor und Bronze und am anderen Ende
ein prächtiger Marmorkamin. An drei Seiten der Halle
befindet sich eine 16 Fuß hohe und 80 Fuß lange Wand-
malerei — eine Darstellung der „Canterbury Pilger" nach
Chaucer. Hundertundfünfzig Gehänge aus geschliffenem
Glas strahlen prismatische Farben von dem Kronleuchter
herab. Das Mobiliar dieser Halle im Stile Ludwigs XIV. glänzt
von Vergoldung und ist mit dunkelrotem Samt bezogen.
Dieser Palast enthält dreißig Zimmer für George Goulds
Famihe und ihre Gäste. Selbst das Bettgestell, in welchem
George Gould schläft, kostet 25 000 Dollar. Und rund
herum um dieses graue und weiße Herrenhaus aus Ziegel-
mauern, bedeckt mit grauem Stuck, befinden sich feenhafte,
italienische, tiefliegende Gärten voll Statuen und prächtigen
Springbrunnen. Verbunden mit dem Schloß ist ein mit
einem Kostenaufwand von 250 000 Dollar erbauter Hof
mit einer mit Lohe gefüllten Reitbahn, einer Turnhalle,
mit Kegelbahnen und Ruhezimmern, mit einem bedeckten
Schießstand, einem großen Schwimmbad und türkischen
und russischen Bädern.
- 493 -
Und dieses ist nur einer der vielen Paläste der Mitglieder
der Familie Gould.
Fünftes Kapitel
DAS VERMÖGEN VON BLAIR UND GARRETT
Von John J. Blair hört man jetzt wenig, doch als er im
Jahre 1 899 im Alter von 97 Jahren starb, hinterließ er
ein großes persönliches Vermögen, das man verschieden —
zwischen 60 und 90 Millionen Dollar — schätzte; sein
zum größten Teil auf seinen Sohn De Witt C. Blair über-
gegangener Reichtum bildete eines der großen Vermögen
in den Vereinigten Staaten. Hier war nach den Lieferanten
für die öffentliche Meinung einmal ein ehrlicher Mann;
hier war unbestreitbar ein Kapitalist von „ungewöhnlichem
kaufmännischem Instinkt," dessen Vermögen aus reinem,
gesetzlichem und rechtschaffenem Tun hervorgegangen
war. „Länger als ein halbes Jahrhundert," sagte der Leit-
artikel einer Zeitung^) bei seinem Tode, „ist er einer der
führenden Kaufleute des Landes gewesen und länger als ein
Vierteljahrhundert einer der reichsten Männer der Welt,
da sein Vermögen auf 50 bis loo Millionen Dollar gescljätzt
wird, von denen jeder Pfennig ihm durch rechtliche
Kanäle zufloß und auf dem Wege zu ihm sowohl, wie später
in seinen Händen, neuen Reichtum schuf." Dies war keine
vereinzelt dastehende Lobpreisung; überall in den Spalten
der Presse ertönte dieser Sang, ohne irgendeinem Wider-
spruch oder einer Einwendung zu begegnen.
Eim Nachforschung über Blairs Laufbahn
Auf allen diesen ermüdenden Seiten haben wir weit und
breit mit äußerster Sorgfalt nach einem Vermögen gesucht,
das durch ehrliche Mittel erworben ist. Auch sind
die Methoden nicht an dem Kodex einer höheren Ethik
^) New York „Tribüne", 27. August 1899.
- 494 -
gemessen und geprüft worden, sondern nur an den Gesetzen,
die zu der betreffenden Zeit bestanden. Niemals hat die
Entdeckung eines „ehrlich erworbenen Vermögens" unser
entschlossenes Bemühen belohnt. Oft glaubten wir ein
Beispiel angetroffen zu haben, erlebten aber nur schmerz-
liche Enttäuschung. Durch aUe Vermögen, große wie
kleine, zieht sich derselbe Faden von Betrug und Dieb-
stahl; der kleine Handelsmann mit seinen irrigen Angaben
und Schwindeleien unterscheidet sich nur dem Grade nach
von den großen Betrügern. Sind wir endlich bei Blair auf
ein durch gar keinen Makel beflecktes Vermögen gestoßen ?
Können wir jetzt ausrufen: Heureka! So möchte man
glauben, wenn man landläufige Urteile als Tatsachen hin-
nehmen könnte. Aber da wir nun einmal hartnäckig eine
nachforschende, wo nicht eigensinnig skeptische Sinnesart
entfaltet haben, wollen wir ihr auch durch die Untersuchung
der Laufbahn dieses Musterbildes kaufmännischer Tugend
voll Genüge tun.
Nun trifft es sich, daß Blair, wenn er auch in seinem
kindischen Alter, als er sich in dem ihm beigelegten Ruhme
eines wunderbaren Geschäftsmannes und Philanthropen
sonnte, sehr zurückgezogen und abgeschlossen lebte, doch auf
die kaufmännischen Ereignisse vor fünfzig und sechzig Jahren
einen großen, widerhallenden Eindruck hinterlassen hat
Die noch vorhandenen, in Dunkelheit begrabenen Berichte
kommen von ihren vergessenen Regalen herab und machen
die Märchen der heutigen Lobredner zuschanden. Er war
ein Zeitgenosse von Kommodore Vanderbilt, vom ersten
John Jacob Astor und von Rüssel Sage; und er war ein
ebenso vortrefflicher Geschäftsmann wie nur irgendeiner
von ihnen; d. h. seine Methoden waren verhältnismäßig
dieselben wie die ihrigen.
Er wurde im Jahre 1802 in der Nähe von Belvidere,
New Jersey, geboren; seine Eltern waren Farmersleute;
und seine Biographen erzählen mit einem wohlgefälligen
Schmunzeln der Anerkennung, daß er seiner Mutter, als
er noch sehr jung war, ankündigte: „Ich könnte mich auf
das Studium legen, ich beabsichtige aber, reich zu werden."
Wie Sage fing er als Kommis in einem ländlichen Laden an
- 495 --
und entwickelte sich dann zum Besitzer eines allgemeinen
Warenhauses in dem jetzigen Blairstown, New Jersey.
Jahre vergingen, und er hatte Glück, wie seine Lobredner
erzählen; er eröffnete dann eine Anzahl von Zweig-
geschäften. Aber dieser Teil seiner Laufbahn verbirgt sich
in reiner Tradition; von seinen Methoden zu dieser Zeit ist
nichts A\ithentisches bekannt.
Blair als Erbauer von Eisenbahnen
Blair trat dann als Besitzer einer Eisengießerei in Oxford
Furnace, New Jersey, auf, und von diesem Punkte seiner
Laufbahn an sind bestimmte Tatsachen in amtlichen Be-
richten gesammelt. „Die Notwendigkeit, das Metall an die
Meeresküste zu befördern," sagt ein Biograph, „führte
Mr. Blair und andere dazu, die Lackawanna Kohlen- und
Eisen-Gesellschaft zu organisieren, au^ der sich das große
Delaware-, Lackawanna- und Western-Eisenbahnsystem
entwickelt hat." Mit diesem alles umfassenden Satze er-
ledigt der Biograph leichten Sinnes diesen Teil des Gegen-
standes. Aber es sind gewichtige Gründe vorhanden, wes-
halb wir mit einer kurzen, jedoch ausreichenden Erklärung
dabei verweilen müssen, denn in diesem Unternehmen
erwarb Blair seine ersten Millionen; hier war es, wo er die
ersten glänzenden Beweise seines „ungewöhnlichen kauf-
männischen Instinktes" gab.
Wäre es zwischen ihm und seinen Genossen in diesem
Eisenbahngeschäft nicht zu einem bittern Streit gekommen,
so würde die Wahrheit unerreichbar sein. Wie die Sache
liegt, begingen diese Männer das ungeheuer große Versehen,
ihrem Streit durch Veröffentlichung Dauer zu verleihen;
ein unverzeihlicher Fehler, wenn es sich darum handelt,
die gute Meinung der Nachwelt aufrechtzuerhalten. Dieser
Streit entstand aus einer sehr gemeinen Sache, nämlich
aus der Verteilung des Raubes; es war ein erbitterter,
unwürdiger Zank, wie aus den gegenseitigen, bissigen Ver-
unglimpfungen, die von den Streitenden selbst in die Be-
richte gebracht wurden, nur allzu klar hervorgeht. Aus
diesen Berichten ergibt sich, daß Blair in der Tat das Ge-
- 496 -
schäft in dem gewohnten Stile betrieben hat; er verkaufte
die Erzeugnisse seiner Fabrik zu enorm hohen Preisen an
eine Eisenbahngesellschaft, deren Direktor er selbst war,
und baute persönlich Zweigbahnen, die er mit enormem
Gewinn der Gesellschaft unterschob.
Die Delaware-, Lackawanna- und Western-Eisenbahn,
jetzt eine der allerreichsten des Landes, wurde im Jahre 1850
durch die Zusammenfassung einer Anzahl kleiner einzelner
Bahnen gebildet. Um Privilegien und besondere Rechte
und Unterstützungen zu erlangen, nahm man zu dem ge-
wöhnlichen Bestechungsverfahren seine Zuflucht, und mit
unfehlbarem Erfolge. Die an der Spitze stehenden Männer
verstanden ihre unehrenhafte Arbeit sehr gut; es waren
dieselben reichen Kaufleute, die in manche andere Betrü-
gerei verwickelt waren. Einigen von ihnen sind wir in
diesen Kapiteln schon früher begegnet — George D. Phelps,
John J. Phelps, William E. Dodge, Moses Taylor und
anderen. Mit John J. Blair zusammen bildeten diese Männer
das Direktorium der Delaware-, Lackawanna- und Western-
Eisenbahngesellschaf t .
Eine der besonderen Bahnen, die in diese Eisenbahn auf-
genommen wurden, war die Warren-Linie, die durch New
Jersey und Pennsylvania führt. Der Bau dieser Bahn war,
soweit es sich aus den gerichtlichen Protokollen feststellen
läßt, von einigen sehr merkwürdigen Umständen begleitet.
Zwei Gruppen von Kapitalisten konkurrierten um ein
Privilegium, ihre Eisenbahnen durch die Berge nach der
Delaware-Schlucht ausbauen zu dürfen; die eine war die
Morris- und Essex-Eisenbahngesellschaft, die andere die
Warren-Eisenbahngesellschaft, an deren Spitze Blair und
Dodge standen. Beide Gesellschaften erhielten im Jahre
1851, kurze Zeit hintereinander, von den gesetzgebenden
Körperschaften von New Jersey ihre Patente. In jenen
Jahren wurde in aufeinanderfolgenden Sessionen der gesetz-
gebenden Körperschaften von New Jersey ein Skandal nach
dem anderen enthüllt ; es war kein Geheimnis, daß die Eisen-
bahnmagnaten nicht nur die gesetzgebenden Körperschaften
und die Ratsversammlungen der Städte bestachen und ver-
führten, sondern auch regelmäßig auf echt geschäftsmäßige
- 497 -
Art die staatlichen Wahlen verfälschten. Im Jahre 1851
z. B. waren die einzigen Kandidaten für den Posten des
Senators der Vereinigten Staaten, über die von den gesetz-
gebenden Körperschaften abgestimmt wurde, rivalisierende
Eisenbahnnabobs, dieselben Männer, die notorisch jahre-
lang bestochen und gefälscht hatten.
Welcher der beiden Gruppen würde es gelingen, ihre
Eisenbahnerweiterung zuerst auszuführen? Die gesetz-
gebenden Körperschaften hatten beide mit Privilegien für
dieselbe Route ausgestattet; in dieser Beziehung standen
sie gleich. Aber Blair und Dodge überlisteten die Morris-
und Essex-Eisenbahngesellschaft vollständig und behaup-
teten, ältere Rechte für ihre Linien zu haben. Die Morris-
und Essex-Eisenbahngesellschaft klagte auf Betrug, ging in
größter Eile vor Gericht, um einen Einspruch zu erhalten,
und erhielt ihn auch vorübergehend. Der Fall kam im
Jahre 1854 zu endgültiger richterlicher Entscheidung vor
das Kanzleigericht von New Jersey. Die Morris- und-
Essex- Gruppe behauptete, das Recht des Bahnbaus durch
die Van Neß-Schlucht gekauft zu haben, und beschul-
digte Blair, von diesem Gebiet widerrechtlich Besitz er-
griffen zu haben, „um die Klagenden auf betrügerische
Weise an der Verlängerung der Strecke zu verhindern";
sie behaupteten ferner, daß die von Blair und Dodge ver-
anstaltete Landvermessung betrügerisch sei und daß noch
andere Betrügereien vorlägen. In seiner Erwiderung
leugnete Blair im allgemeinen, obgleich er zugab, daß die
Morris- und Essex-Eisenbahngesellschaft das Land gekauft
und Dokumente darüber erhalten habe; er behauptete aber,
daß dies geschehen sei, nachdem das Gebiet bereits der Warren-
Eisenbahngesellschaft zugewiesen worden war. Jede Partei
beschuldigte die andere des Betruges; zweifellos waren die
Behauptungen beider richtig. Richter Green entschied zu
Blairs Gunsten und hob den gerichtlichen Einspruch auf^).
Später wurde die Warren-Eisenbahn mit großem Gewinn
^) New Jersey Equity Reports, 9, 635 — 649.
Der Haupteigentümer der Morris- und Essex-Eisenbahn war Edward A. Stevens,
der viele Jahre lang von einer konkurrierenden Bahn, der New Jersey- Transport-
gesellschaft, Geld erpreßte, und, als diese Gesellschaft sich schließlich weigerte,
32
- 498 -
an die Delaware-, Lackawanna- und Western-Eisenbahn
verkauft.
Anklagen auf Diebstahl und Mißbrauch amtlicher Stellung
Zuerst müssen die Beziehungen zwischen Blair, den
Phelpses und Dodge von jener brüderlichen Eintracht ge-
wesen sein, die einer zufriedenstellenden Verteilung guter
Dinge entspringt. Vor 1856 wehte aus den Jahresberichten
des Verwaltungsrates der Delaware-, Lackawanna- und
Western-Eisenbahngesellschaft ein Hauch herrlichster, nie-
mals durch die geringste Uneinigkeit getrübter Harmonie.
Phelps hatte als Präsident der Gesellschaft Blair zum Land-
agenten für die Warren- Abteilung der Eisenbahn ernannt.
Augenscheinlich durchdrang ein freudiges, behagliches
Gefühl der Genugtuung, daß die Dinge so schön vorwärts-
gingen, diese wackere Gruppe von Ehrenmännern.
Plötzlich änderte sich die Beschaffenheit ihrer privaten
und öffentlichen Mitteilungen. Gepfefferte Erklärungen,
die häufig ganze Seiten füllten und mit Beschuldigungen
und Gegenbeschuldigungen angefüllt waren, wurden ver-
öffentlicht, und es entspann sich ein bissiger Streit über die
Diebstahlsfrage, besonders in Verbindung mit der Warren-
Eisenbahn. Am 9. September 1856 verzichtete Phelps auf
das Präsidentenamt und beschuldigte damit tatsächlich
andere Direktoren, bei der Erwerbung von Land, Hilfs-
geldern und Zweigbahnen ein ausgedehntes System von
Diebereien betrieben zu haben.
Legte Phelps sein Amt nieder, um einen Protest zu er-
heben ? Wahrscheinlich war die Situation tatsächlich so,
daß der interne Kampf der Schwierigkeit entsprang, die
Beute richtig zu verteilen, und daß sich die Anti-Phelps-
Partei als die stärkere erwiesen hatte. Phelps setzte seine
Angelegenheit in privaten Erklärungen, die im Anschluß an
die Jahresberichte veröffentlicht wurden, auseinander.
Er rühmte sich, daß, als die Privilegien der Delaware-,
weiterhin den Räubersold zu zahlen, die gesetzgebenden Körperschaften von New
Jersey, wie die Klage lautete, durch Bestechung dahin brachte, Vergeltungsmaß-
regeln zu beschließen. —
- 499 -
Lackawanna- und Western-Eisenbahn wegen Nichterfüllung
verwirkt waren, er es gewesen sei, der am 2. April 1855 eine
Vorlage durchgebracht habe, die „alle Privilegien vdeder-
herstellte und weitere wichtige Rechte gewährte". Er
klagte über die übertriebenen Ausgaben der Direktoren
und hob ausdrücklich hervor, daß, als er gewünscht hatte,
einen Rechnungsrevisor zu erhalten, Blair und die anderen
Direktoren sich geweigert hätten, einen zu ernennen. In
bezug auf den Diebstahlsprozeß schrieb Phelps, „einer
unserer Leiter (Blair) ist ein Direktor und großer Aktionär
in der Lackawanna-Eisen- und Kohlengesellschaft; er be-
sitzt den achten Teil der Lehigh- und Tobyanna-Land-
gesellschaft ; er hat weitgehendes Interesse an dem Grund-
besitz längs der Bahnlinie und ist Präsident der Warren-
Eisenbahn, deren wichtigster Unternehmer sein Sohn ist.
Ein anderer Sohn ist Direktor und sehr großer Mitbesitzer
der Lackawanna-Eisen- und Kohlengesellschaft" ^) usw.
In einem anderen privaten, vom 17. Januar 1857 datierten
Rundschreiben bezeichnete Phelps Blair als „einen der Teil-
haber, auf die er besonders Bezug genommen habe" und als
„meinen Maßregeln systematisch sich entgegenstellend".
Die abgerissenen Einblicke, die wir aus diesen Berichten
gewinnen, bilden zweifellos nur einen Hinweis auf die
vielseitigen sorgfältig ersonnenen Diebstähle, die von Blair
nach jeder zugängHchen Richtung ausgeführt wurden 2).
Blairs Eisenhahnen im Westen
Blairs Beute bei diesen Unternehmungen scheint sehr
groß gewesen zu sein. Sein Verfahren war so erfolgreich,
^) „Private Erklärung an die Aktionäre der Delaware-, Lackawanna- und Western
Eisenbahngesellschaft, 1856", 6.
*) So sehr nachgiebig das Gesetz auch war, wenn kapitalistische Interessen in
Frage kamen, so hat es doch nachdrücklich erklärt, daß es als grundlegendes Prinzip
anerkenne, es sei gegen die Staatspolitik, Kontrakte über den Bau einer Eisenbahn
mit einem Direktor oder Beamten der Gesellschaft zuzulassen. „Alle solche Kon-
trakte," sagt Elliott, „erscheinen sehr verdächtig und sind nach den klarsten Prin-
zipien der Staatspolitik, wenigstens dann, wenn der gute Glaube fehlt, aufhebbar
oder, nach einigen Autoritäten, nichtig." (Siehe Elliott on Railroads, 2, 839 — 840.)
Dies klingt in der Theorie ganz schön, aber in der Praxis haben die Gerichtshöfe
mmer wieder Gründe gefunden, diese Betrügereien zu sanktionieren.
32*
— 500 —
daß er den Bau von Eisenbahnen als regelmäßige Beschäfti-
gung aufnahm; und wie Sage verband er die politische
Berufstätigkeit mit dem Geschäft. Die günstigste Gelegen-
heit für ihn kam, als die Privilegien, Subsidien und Land-
bewilligungen für die Union-Pacific- und andere Eisenbahnen
durch Bestechungen im Kongreß durchgebracht wurden.
„In den ersten Tagen der Besiedlung des weiten Westens",
schrieb einer seiner Reklamemacher, „fand Mr. Blair reich-
liche Gelegenheit zur Ausübung seiner ungewöhnlichen
Urteilskraft und unermüdlichen Energie, und sein Name
war, sei es als Erbauer oder als Direktor, mit nicht weniger
als fünfundzwanzig verschiedenen Eisenbahnlinien verbun-
den." Was für eine symmetrisch gebaute und ansprechende
Beschreibung ! Alles, was fehlt, um sie vollständig zu machen,
sind einige unbedeutende Details, die jetzt hier nachgetragen
werden sollen.
Als einer der zuerst gewählten Direktoren der Union-
Pacific-Eisenbahn nahm Blair an ihren beständigen un-
geheuerlichen Betrügereien teil. Aber es war in Iowa, wo
er die meisten seiner vielen Millionen raubte — in Iowa mit
seinem schönen uralten Ackerboden, der zu dem reichsten
in den Vereinigten Staaten gehörte^). Nicht weniger als
50 Millionen Dollar Subsidien in der emen oder der anderen
Form wurden von den Eisenbahngesellschaften in Iowa
erlangt ; ihre Landbewilligungen beliefen sich fast auf 5 Mil-
lionen Morgen. Im Entwerfen der Eisenbahnen in jenem
Staat war Blair die einflußreichste — mit Ausnahme von
Sage beinahe die einzige — Persönlichkeit ; er schien alles
^) „Die ersten Landbewilligungen des Kongresses," schrieb Gouverneur
J. G. Newbold von Iowa in seinem Jahresbericht von 1878, „wurden den Gesell-
schaften bedingungslos zugesprochen, obgleich das Kongreßgesetz beabsichtigte,
daß der Verkauf des Landes für den Staat eine Einnahme sein und der Ertrag dem
Bau der Eisenbahnen zugewendet werden sollte; die Gesellschaften durften die
Ländereien ohne Rücksicht auf ihre Bahnlinie wählen; und sie durften die Zeit bis
zur Vollendung ihrer Arbeit im wesentlichen selbst bestimmen; obgleich ein Haupt-
zweck der Landbewilligungen darin bestand, diese Fertigstellung zu einem früheren
Termin sicherzustellen.
Stadtgebiete, größere und kleinere Städte durften zur Unterstützung des
Bahnbaues den Besitz innerhalb ihrer Grenzen besteuern, und das so erlangte Geld
wurde den Baugesellschaften unbeschränkt zugewiesen, während viel von dem Besitz
dieser Gesellschaften sich tatsächlich der städtischen Besteuerung entzieht." —
Iowa Documents, 1878, Reports of State Officers, 27.
- 50I -
zu leiten; und er gestattete sicherlich keinem anderen,
etwas einzustecken, was er selbst beiseite bringen konnte.
Die Betrügereien bei der Sioux City- und Pacific-Eisenbahn
Zu einem Komplex seiner Eisenbahnen gehörte die
Sioux City- und Pacific — eine Bahn von einem sehr ehr-
geizigen Namen, aber von bescheidener Länge. Ihre Privi-
legien, Subsidien und Landbewilligungen wurden von Blair
genau zu derselben günstigen 2^it erlangt, als die Maß-
nahmen für die Union Pacific mit Hilfe von Bestechung
durchgebracht wurden.
Ob Blair jedoch bei der Bestechung des Kongresses Geld
benutzte, läßt sich aus den amtlichen Berichten nicht
nachweisen. Aber wenn er es nicht tat, dann wandte er
jedenfalls eine noch schlauere und wirksamere Art der Ver-
führung an. Die Untersuchungen des Kongresses zeigen,
daß sein System darin bestand, Kongreßmitglieder durch
Geschenke von Aktien seiner Gesellschaften zu betören^);
diese ehrenwerten Mitglieder versicherten natürlich hoch
und teuer, daß sie dafür bezahlt hätten, aber niemand glaubt
ihren Ausflüchten. Poors Eisenbahnhandbuch für 1 872 — 73
zeigt außerdem, daß zu den Direktoren und Aktionären von
Blairs Eisenbahnen gerade einige derjenigen Kongreß-
mitglieder — sowohl des Repräsentantenhauses wie des
Senates — gehörten, die für die Privilegien, Subsidien und
^) Siehe Credit Mobilier Reports. Diese sind voll von Zeugenaussagen, die diese
Art des Aufkaufes von Kongreßmitgliedern bestätigen. Seine Hauptmitschuldigen
bei dieser Arbeit im Kongreß waren William B. Allison und Oakes Arnes. Als
Repräsentant und späterer Senator der Vereinigten Staaten für Iowa war Allison
lange Zeit ein mächtiger republikanischer Politiker. Die Tatsache, daß sowohl
Allison wie Arnes zu derselben Zeit, als sie Kongreßmitglieder waren, Beamte der
Sioux City- und Pacific-Eisenbahn waren, war wohl bekannt, ehe das Gesetz von
1868 durchging. Am 15. Dezember 1867 vrarde dem Finanzminister der Vereinig-
ten Staaten Hugh McCulloch von Blair bestätigt, daß folgende Beamte der Ge-
sellschaft am 7. August 1867 gewählt worden seien: John F. Blair, Präsident;
William B. Allison, Vizepräsident; John M. S. Williams aus Boston, Schatzmeister,
usw. Der an jenem Tage zur Leitung gewählte Ausschuß setzte sich aus Blair, Arnes,
Charles A. Lambard, D. C. Blair und William B. Allison zusammen. — Siehe Ex.
Documents, Nr. 18 1 — 252, Second Session, Fortieth Congress, 1867 — 1868, Doc.
Nr. 203.
— 502 —
Landbewilligungen für diese Eisenbahnen gesprochen und
gestimmt hatten.
Für die Sioux City- und Pacific-Eisenbahn sicherte sich
Blair eine Landbewilligung von loo Sektionen Staatsland und
für jede Meile Eisenbahn i6o ooo Dollar Staatsobligationen.
Was geschah nun ? Der zweite Akt bestand in der Organi-
sation einer Baugesellschaft, die genau nach denselben
Grundsätzen gebildet wurde wie die Credit Mobilier-
Gesellschaft. Als Haupt dieser Gesellschaft erpreßte Blair
große Summen zum Bau der Eisenbahn. In den Prärien von
Iowa, wo beinahe gar keine Planierung notwendig war,
machte der Eisenbahnbau verhältnismäßig geringe Kosten.
Aussagen von Sachverständigen von der Pacific-Eisenbahn-
kommission berechneten im Jahre 1887, daß die Eisenbahn
für 2 600 000 Dollar hätte gebaut werden können, und es
wurde noch hinzugefügt (und was für einen Kommentar bildet
dies für die Geschäftsnormen der Zeit !), daß, wenn „ehrlich
verfahren" worden wäre, die Gesamtkosten i Million Dollar
nicht hätten übersteigen dürfen.
Ein kleiner Diebstahl von 4 Millionen Dollar
Was forderte Blairs Gesellschaft (die hauptsächlich aus ihm
und seinen Söhnen bestand) ? Sie sprach sich 49 865 Dollar
für die Meile oder eine Gesamtsumme von mehr als 5 Millio-
nen DoUar zu. Nachdem dann Blair die Eisenbahn bis zum
Bankrott hatte bluten lassen, bereicherte er sich weiter,
indem er sie an die Chicago- und Nordwest-Eisenbahn
verkaufte. Wenn noch irgend jemand daran zweifeln kann,
daß diese hervorragenden Kapitalisten es mit kalter Über-
legung darauf anlegten, die Regierung zu betrügen, so
muß dieser Zweifel durchaus durch die Erwägung folgender
Tatsache zerstreut werden: „Als die Verhandlungen über
die Übertragung des Betriebsmaterials der Sioux City- und
Pacific-Eisenbahngesellschaft an die Chicago und Nord-
west schwebten," so lautet der Bericht der Pacific-
Eisenbahn-Kommission, „machte Blair den in den Proto-
kollen aufgezeichneten Vorschlag, daß die Chicago und
- 503 -
Nordwest sich verpflichten müsse, jede Verbindlichkeit
der Gesellschaft, mit Ausnahme derjenigen gegenüber der
Regierung der Vereinigten Staaten, zu honorieren^)".
Das war eine erfrischend aufrichtige Art, Betrügereien im
voraus zu arrangieren. Und in der Tat wurde im Jahre 1900
die Regierung schließlich um viele der von ihr geleisteten
Vorschüsse betrogen. Durch ein dann von den Lobbyisten
im Kongreß durchgebrachtes Gesetz wurde die Gesellschaft
in Wirklichkeit davon befreit, mehr als ein Zehntel der
Summe, die sie der Regierung noch schuldete, zurück-
zuzahlen^).
Noch eine gef Hinderte Eisenhahn
Aber Blairs Betrügereien beim Beginn und Bau der
Sioux City und Pacific- und einiger anderer Eisenbahnen
wurden — wenigstens dem Grade nach — von denen über-
troffen, die er bei einem anderen seiner Eisenbahnprojekte
in Iowa — der Dubuque und Sioux City-Linie — beging.
Das Privilegium und die LandbewiUigungen für diese Eisen-
bahn und auch für die Iowa Falls- und Sioux City-Eisenbahn
wurden durch ein Gesetz erteilt, das im Kongreß am 15. Mai
1856 durchging. Wir haben gesehen, welche skrupellose
Bestechung im Jahre 1856 und in den folgenden Jahren
im Kongreß betrieben wurde; wie die Landbewilligung für
die Des Moines Schiffs- und Eisenbahngesellschaft durch
Bestechung erlangt worden, und wie nach Kommissions-
berichten bestechliche Verbindungen im Kongreß vorhanden
waren. Es liegt kein ausdrücklicher amtlicher Nachweis vor,
daß das Privilegium und die Landbewilligungen der
Dubuque- und Sioux City-Eisenbahngesellschaft und die-
jenigen der Iowa Falls und Sioux City durch Bestechung
erlangt worden sind, aber wenn man nach den Begleit-
umständen beim Durchbringen anderer Gesetze zur selben
^) Pacific Railroad Commission, i, 193.
2) Allison, der als ein hervorragendes Mitglied des Hauses vor beinahe vierzig
Jahren in Blairs Bestechungen verwickelt gewesen war, war jetzt einer der Führer
in dem Senat der Vereinigten Staaten. Dies war der Mann, den die Zeitungen nach
seinem Tode als einen „großen, erfinderischen Staatsmann" priesen.
- 504 -
Zeit urteilt, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß e$
der Fall war. Durch das Gesetz von 1856 erhielten diese
beiden Gesellschaften die BewiUigung von ungefähr
I 200000 Morgen Staatsland in lowa^). Trotz dieses reich-
lichen Geschenkes machten die Begründer der Gesellschaften
geringe oder gar keine Versuche, die ganze Eisenbahn zu
bauen; sie beschäftigten sich beinahe ausschließlich mit
Aktienspekulationen und mit dem Geschäft, das Land an
Ansiedler vorteilhaft zu verkaufen. Der Kongreß wurde
unter dem Druck der öffentlichen Meinung gezwungen,
einen großen Teil des ihnen bewilligten Landes für ver-
fallen zu erklären.
Bestechung des Kongresses
Blair erkannte, was für glänzende Gelegenheiten durch
die Verfallserklärung verloren gegangen waren. Aber der
Schaden konnte wieder gut gemacht werden. Wenn eine
Gruppe von Kapitalisten so dumm war, nicht zu wissen,
wie eine Wiederherstellung der Landbewilligung herbei-
geführt werden konnte — er wußte es. So trat er vor, nahm
die Gesellschaften in eigenen Besitz und wandte sich an den
Kongreß und an die gesetzgebenden Körperschaften von
Iowa zur Wiedererlangung der Rechte und Bewilligungen,
die man den Gesellschaften entzogen hatte.
Es gelang ihm; sowohl der Kongreß wie die gesetzgeben-
den Körperschaften von Iowa erließen im Jahre 1868 Ge-
setze, die die Rechte und die Landbewilligung wieder-
herstellten. Wie kam es, daß er bei seinem Plan auf keine
Hindernisse stieß ? Warum waren diese gesetzgebenden
Körperschaften so willfährig ? Natürlich konnten sie geltend
machen, daß sie einfach aus Rücksicht auf Eingaben der
^) Das Gesetz vom 15. Mai 1856 überließ im ganzen 1233481,70 Morgen
der Dubuque- und Sloux City-Eisenbahngesellschaft und der Iowa Falls- und
Sioux City-Eisenbahngesellschaft. Durch dasselbe Gesetz erhielt die Iowa Central
Air-Linie und die Cedar Rapids- and Missouri River -Eisenbahngesellschaft
eine Gesamtsumme von 783 096,53 Morgen, zu denen durch das Gesetz vom
Z.Juni 1864 noch 347317,64 Morgen hinzukamen. Dieselben Gesetze gaben
auch der Chicago-, Rock Island- und Pacific-Eisenbahngesellschaft ausgedehnte
Landbevnlligungen.
- 505 -
Bürger von Iowa handelten; aber Denkschriften waren
leicht zu durchschauende Dinge, deren Herstellung einfach
war. Und die „Wilson- Kommission" (die Credit Mobilier-
Untersuchungskommission) des Jahres 1872 konnte ihren
weißwaschenden Bericht verfassen, daß „kein Beweis dafür
gefunden werden konnte", daß im Kongreß oder in den
gesetzgebenden Körperschaften von Iowa Geld für „un-
rechte Zwecke" ausgegeben worden sei. Aber die gerade vor
dieser Kommission abgegebenen Zeugenaussagen wider-
sprachen rundweg ihren Schlußfolgerungen. Es wurde ent-
hüllt, daß eine ganze Reihe hervorragender Kongreßmit-
glieder plötzlich große Aktionäre der Dubuque- und Sioux
City-Eisenbahn geworden waren^). Blair gründete, als er
die Wiederherstellung der Landbewilligung erlangt hatte,
eine Baugesellschaft unter der Bezeichnung Sioux City-
Eisenbahn-Baugesellschaft und machte durch das bei der
Bauarbeit übliche System wiederholter Betrügereien un-
geheuer große „Profite", die an viele Millionen Dollar
heranreichten. Einige der Eisenbahnen, die Blair ausraubte,
gehören jetzt zu dem Illinois Zentral-System, dessen Macht-
haber Harriman wurde.
Man muß jedoch nicht denken, daß man immer direkt
zur Bestechung seine Zuflucht nahm, um Subsidien, be-
sondere Rechte und Steuerfreiheiten zu erlangen. In den
ersten Stadien der Eisenbahngeschichte war direkte Be-
stechung das gewöhnliche Mittel: aber als die Zeit vorge-
schritten war, wurde das Verteilen von Geld in direkter
Form weniger häufig, und ein weniger rohes, schlaueres
und heimtückischeres Bestechungssystem trat meistens an
seine Stelle. Die Magnaten im Westen fingen an, dem Rate
des Magnaten im Osten zu folgen, der erklärte, daß es
leichter sei, eine gesetzgebende Körperschaft zu wählen als
zu kaufen.
^) Siehe den Abschnitt der Credit Mobilier- Berichte mit der Überschrift:
„Credit Mobilier und Dubuque und Sioux City", in welchem die Einzelheiten mit-
geteilt sind.
— 5o6 —
Bestechung durch Geld und auf andere Weise
Das neuere System, wie es in Iowa und anderen Staaten
durchgeführt wurde, ist im Jahre 1895 von William Larrabee,
dem ehemaligen Gouverneur von Iowa, in gedrängter Form
beschrieben worden : „Die Taktik der von den Gesellschaften
zu politischer Bestechung eingesetzten Kommissionen be-
steht darin, die Schwächen und Bedürfnisse jedes Mannes,
dessen Dienste sie wahrscheinlich brauchen werden, zu er-
mitteln und ihn, wenn seine Unterwerfung zu ihrem Siege
erforderlich sein sollte, an seinem schwächsten Punkte anzu-
greifen. Männer mit politischem Ehrgeiz werden ermutigt,
nach Beförderung zu streben, und der Hilfe der Gesellschaft
zu deren Erreichung versichert. Anwälten ohne Praxis
werden Aufträge für die Gesellschaft oder bezahlte Anwalt-
stellen versprochen. Leute in finanzieller Verlegenheit
werden mit Darlehen versorgt. Eitlen Leuten wird ge-
schmeichelt und Zeitungsberühmtheit verschafft. Andere
erhalten Freikarten für Familienmitglieder und Freunde.
Schiffsherren erhalten vorteilhaftere Tarife als ihre Kon-
kurrenten. Die Absicht ist, daß jeder Gesetzgeber für seine
Stimme und seinen Einfluß eine Entschädigung erhalten
soll, die das Maximum des für ihn Wünschenswerten mit
dem Minimum der Verletzung seiner Selbstachtung ver-
bindet . . . Die Lobby, welche die Eisenbahngesellschaften
bei Sitzungen der gesetzgebenden Körperschaften vertritt,
ist gewöhnlich die größte, klügste und gewissenloseste von
allen. In dringenden Fällen läßt man im letzten Moment
einflußreiche Wähler unsicherer Mitglieder holen, damit sie
sich mit ihren Vertretern besprechen und sie davon über-
zeugen, daß die Stimmung in ihren Wahlkreisen der von den
Eisenbahnen vertretenen Maßregel günstig ist. Telegramme
ergießen sich über die ahnungslosen Mitglieder. Petitionen
zugunsten der vorgeschlagenen Maßregel werden unter den
Iiarmloseren Wählern derjenigen Mitglieder, die für die
öffenthche Meinung empfindlich sind, eiligst in Umlauf
gesetzt und ihnen dann als ein nicht mißzuverstehendes
Merkmal des Volkswillens überreicht . . . Eine andere
mächtige Unterstützung der Eisenbahn-Lobby besteht nicht
- 507 -
selten in einer Subvention der Presse und ihrer Korrespon-
denten."
Aber die Räuberei, die Blair mit Hilfe von Baugesell-
schaften bei seinen zahlreichen Eisenbahnprojekten betrieb,
bildete nur einen Teil des Reichtums, den er an sich riß.
Ein Achtel des ganzen Gebietes des sehr fruchtbaren Staates
Iowa war den Eisenbahnen zugesprochen worden, von denen
die meisten Blair gehörten. Es bildete eine beinahe ebenso
große Fläche wie der Staat Massachusetts. Ansiedler waren
gezwungen worden, übertrieben hohe Preise für Ackerland zu
zahlen und waren sehr oft Hypothekenschuldner der Eisen-
bahngesellschaften. Eine ausführliche Beschreibung von
Blairs Geschäftspraxis würde nur eine Wiederholung dessen
sein, was in früheren Kapiteln von andern Magnaten ge-
sagt worden ist.
Philanthropie und Taten einander gegenübergestellt
Obwohl in persönlichen Ausgaben von unverbesserlichem
Geiz — so schäbig wie nur irgendeiner — , gab Blair doch
gerade Geld genug für Stiftungen aus, um sich den Ruf eines
außerordentlich frommen Philanthropen zu verschaffen.
Er gründete im Westen hundert Kirchen ; er errichtete mit
einem Kostenaufwande von 150000 Dollar eine presby-
terianische Akademie und gab der presbyterianischen Kirche
außerdem mehrere hunderttausend Dollar.
Was Blair und andere vor, während und nach dem Bürger-
kriege im Norden und Westen taten, das taten John W.
Garrett und Johns Hopkins in Maryland. Wenn Garrett
auch jetzt kaum noch erwähnt wird, so wurde er doch zu
seiner Zeit als „berühmter Eisenbahnkönig" gepriesen;
und in diesem Falle ist es nicht so sehr der Mann selbst,
noch sein Vermögen, was Interesse erregt, als vielmehr die
Geschichte der Eisenbahnstrecke, die zum großen Teil ihm
und Hopkins gehörte; diese Besitzung bildet heute eines der
großen Verkehrsnetze des Landes.
- 5o8 -
Die Baltimore- und Ohio-Eisenbahn auf öffentliche Kosten gebaut
Wie andere Eisenbahnen, so wurde auch die Baltimore-
und Ohio-Eisenbahn beinahe vollständig mit Hilfe eines
Kapitals gebaut, das Staat, Kreise und Stadtbezirke her-
gaben. Im Jahre 1827 bewilligte der Staat Maryland eine
Subskription von 500 000 Dollar als erste Unterstützung
und die Stadt Baltimore dieselbe Summe. Am Anfang
stellten die Unternehmer stolz in Abrede, daß sie die
Absicht hätten, irgendwelche weitere öffentliche Unter-
stützung zu verlangen; die Bahn, sagten sie, würde mit
privatem Kapital gebaut werden. Aber sieben Jahre später
machten sie einen zweiten Angriff auf den Staatsschatz;
der Staat Maryland wurde im Jahre 1835 veranlaßt, weitere
3 Millionen Dollar zu zeichnen, und die Stadt Baltimore im
Jahre 1836 zur Zeichnung derselben Summe, Im Jahre 1838
erhielten die Unternehmer von der Stadt Wheeling i Million
Dollar^). Eine Zeitlang waren sie vorsichtig genug, von
weiteren Attacken auf den Staatsschatz abzusehen; als sie
aber im Jahre 1850 den Gemeinderat von Baltimore um
weitere 5 Millionen Dollar angingen und die Summe er-
hielten, wurde manchmal die Frage aufgeworfen, was aus
den vielen von der Staatskasse beigesteuerten Millionen ge-
worden sei. Ein großer Teil war augenscheinlich zum Bau
der Bahn verwandt worden, aber es wurde doch offen die
Ansicht ausgesprochen, daß die Direktoren sich durch die
damals üblichen „Arbeitsmethoden", wie z. B. durch die
von Blair in New Jersey, Pennsylvania und New York an-
gewandten, bereichert hätten.
Jedesmal jedoch, wenn sich ein Widerspruch gegen neue
Geldbewilligungen erhob und beunruhigende Fragen ge-
stellt wurden, pflegten die Direktoren ihre glitzernden Argu-
mente bereitzuhaben. „Seht, was für ein großes Werk wir
ausgeführt haben! Ist es nicht ein Unternehmen von
größter Wichtigkeit für das ganze Gemeinwesen, für den
Farmer, den Handwerker, den Geschäftsmann ? Jetzt, da wir
auf dem besten Wege sind, es zu vollenden, sollen wir es aus
^) Laws, Ordinances and Documents Relating to the Baltimore and Ohio
Railroad Company; 1840: 67, 108, 133 f. etc.
- 509 -
Mangel an Kapital aufgeben müssen ? Würde das nicht ein
großes allgemeines Unglück sein ?" Solche Gründe machten
auf das Publikum Eindruck, und die durch Bestechung beein-
flußten gesetzgebenden Körperschaften und Gemeinderäte
konnten ihre Erklärungen immer damit begründen.
Garrett und Hopkins gelangen zur Herrschaft
Von der CHque ihrer Gründer ausgeraubt, geriet die
Baltimore- und Ohio-Eisenbahn in finanziellen Verfall.
Trotz der großen Unterstützungen, die sie erhalten hatte,
befand sie sich im Jahre 1856 in einem demoraHsierten Zu-
stande, und ihre Schatzkammer war leer. Garrett und Hop-
kins, die weitgehend an ihr beteiligt waren und wahrschein-
lich Anteil an der Beute gehabt hatten (obgleich es keinen
ausdrückUchen Beweis dafür gibt), kauften noch größere
Mengen von Aktien, die damals billig zu haben waren, auf
und rissen die Herrschaft an sich. Garrett, im Jahre 1820 in
Baltimore geboren, war der Sohn eines reichen Schiffsherrn;
Hopkins hatte sein Geld im Kolonialwarengeschäft erworben.
Garrett und Hopkins setzten nicht nur die schon lange
herrschenden Betrügereien fort, sondern führten noch
viele andere betrügerische und schlimme Taten aus. Hier
ein Beispiel der kleineren Betrügereien: Die Millionen der
für den Bau der Baltimore- und Ohio-Eisenbahn vom
Staate Maryland beigesteuerten Aktiensubskriptionen waren
zum großen Teil in London unter englischen Kapitalisten
flüssig gemacht worden. Die Zinsen sollten von Maryland
an diese Finanzleute in Gold gezahlt werden. Bezahlte nun
die Gesellschaft ihrerseits den Staat in dieser Münze ?
Durchaus nicht. Sie behauptete auf Grund verschiedener
richterlicher Entscheidungen, daß es nicht erforderlich sei,
Zinsen an den Staat anders als in beliebigem Umlaufsgeld
zu zahlen. Unter den zerrütteten amerikanischen Wäh-
rungsverhältnissen, beim Sinken der amerikanischen Valuta,
bedeutete diese Art der Bezahlung einen dauernden Verlust
für den Staat Maryland — einen Verlust, der sich im ganzen
auf 400000 Dollar belief; um diese Summe wurde der Staat
von der Baltimore- und Ohio-Eisenbahn betrogen.
- 5IO -
Noch viel größer waren die Summen, um die der Staat
Maryland durch die betrügerischen Machenschaften des
sogenannten Washington-Zweiges der Baltimore- und Ohio-
Eisenbahn geprellt wurde. Als Gegenleistung für Freibriefe
und Unterstützungen wiUigte die Gesellschaft ein, dem Staat
ein Fünftel der Passagiereinkünfte zu zahlen. Nachdem die
Zweigbahn zu erfolgreichem Betrieb gekojnmen war,
wurden ihre Finanzen dauernd als so kümmerHch dargestellt,
daß kein Geld zur Zahlung an den Staat vorhanden sei.
Immer wieder wurden von anständigen Gesetzgebern Er-
kundigungen eingezogen, wo die großen Einkünfte geblieben
seien. Niemals wurde eine befriedigende Antwort gegeben;
der Staat wurde durchaus geprellt; und schließlich wurde
durch Bestechung ein Gesetz durchgebracht, das tatsächUch
alle Ansprüche des Staates preisgab.
Zerstörung der Konkurrenz durch den Kanal
Das Kampf ob jekt Garretts und Hopkins bildete die
Zerstörung des Chesapeake- und Ohio- Kanals als eines
Konkurrenten. Hatte Kommodore Vanderbilt in New York
gefunden, daß der Erie- Kanal seinen Eisenbahnlinien
Konkurrenz machte, so kamen Garrett und Hopkins zu dem
Schluß, daß sie ein Monopol für den Transport erst dann
erlangen konnten, wenn der Chesapeake- und Ohio- Kanal
als Mitbewerber vernichtet worden war. Die sich ihnen ent-
gegenstellenden Hindernisse waren groß, denn der Staat
Maryland hatte viele Millionen für den Bau des Kanals aus-
gegeben, und er gehörte ihm, und das Publikum wünschte
auch nicht, daß er in seiner Nützlichkeit beeinträchtigt
würde. Das traf besonders für den Kaufmannsstand zu,
der einen Wettbewerb verlangte und daran festhielt, daß
ein Monopol schädUch sein würde.
Im Jahre 1860 fingen Garrett und Hopkins an, die gesetz-
gebenden Körperschaften von Maryland zu bestechen, bis
sie durch ein Gesetz nach dem anderen allmählich in den
Stand kamen, dem Staate das Besitzrecht an dem Kanal zu
entreißen. Aber sie verließen sich nicht allein auf die Be-
stechung der Gesetzgeber, wenn diese bereits im Amt waren.
- 511 -
Von Garrett und Hopkins mit Geld versehen, beschäftigten
sich die politischen Führer von Maryland damit, Partei-
versammlungen zustande zu bringen, Wähler skrupellos zu
bestechen und Wahlurnen mit gefälschten Wahlzetteln zu
füllen, um auf diese Weise die Wahl willfähriger Beamten
sicherzustellen. Mit einem Male v^^ar der Kanal tatsächlich
in ihren Händen, und Garrett und Hopkins machten seine
Konkurrenz unwirksam.
Nachdem sie ein vollständiges Monopol erreicht hatten,
forderten sie übertrieben hohe Frachtpreise und ver-
mehrten ihre Einkünfte auch dadurch, daß sie die Gehälter
ihrer Angestellten herabsetzten. In ihrer Verzweiflung
erklärten die Eisenbahnarbeiter im Jahre 1877 den Streik.
Falsche Berichte über die Gewalttätigkeit der Streikenden
wurden sofort weithin verbreitet. Indem man diese Be-
schuldigungen zum Vorwand nahm, wurde Militär herbei-
gerufen. In Martinsburg, West- Virginia, weigerte sich die
Staatsmiliz auf die Streikenden zu schießen, aber eine Kom-
panie der Miliz, die sich aus Elementen zusammensetzte,
die den Streikenden feindlich gesinnt waren, eröffnete das
Feuer, tötete viele der Streikenden und verwundete andere^
Hopkins wird Philanthrop
Sowohl Garrett wie Hopkins zogen aus ihrer Herrschaft
und ihrer Behandlung der Baltimore- und Ohio-Eisenbahn
große Summen. Hopkins' Vermögen belief sich bei seinem
Tode auf angeblich 10 Millionen Dollar. Zur Zeit seines
Ablebens im Jahre 1873 war er der „wohlhabendste Bürger
von Baltimore". Er war ein sehr geiziger Mann, wurde aber
wenigstens in einer Hinsicht während seiner letzten Lebens-
jahre freigebiger. Indem er dem Beispiel vieler anderer
Multimillionäre seiner Zeit folgte, sicherte er sich ein
dauerndes Andenken als „großer Philanthrop". Zu diesem
Zwecke gab er im März 1873 ein Vermögen von ungefähr
4 500000 Dollar zum Bau eines Hospitals in Baltimore herf
er beschenkte Baltimore mit einem öffentlichen Park und
stiftete 3 500 000 Dollar als erste Gabe zur Gründung
der Johns Hopkins-Universität. Hier ist die Frage an-
- 512 -
gebracht, in welcher Art von Besitz diese Wohltaten er-
wiesen wurden. Zum großen Teil bestanden sie in Baltimore-
und Ohio-Eisenbahnaktien; es war ein Besitz, der die Ver-
derbtheit des öffentlichen Lebens, die Erniedrigung der
Arbeiter und die allgemeine Plünderung der ganzen Be-
völkerung darstellte.
Und was war Garretts Anteil an den Ergebnissen der ge-
meinsamen Macht? Bei seinem Tode, im Jahre 1884,
sprach man von 15 Millionen Dollar, aber sein Anteil war
zweifellos viel größer. Dieser Reichtum ging an seinen Sohn
Robert über, der sich einer Reihe persönlicher Ausschweifun-
gen hingab, um in Trübsinn und Gehirnerweichung zu
enden. Er war nur zu offenbar geschickten KapitaHsten,
wie den Vanderbilts, Goulds und Scott, nicht gewachsen^) ;
sie fielen über ihn her und beraubten ihn erbarmungslos,
wie sein Vater andere beraubt hatte. Seine unbeschränkte
Macht und Herrschaft verschwand allmählich. Als er im
Jahre 1 896 starb, war sein Vermögen auf ungeiähr 5 Millio-
nen Dollar zusammengeschrumpft, und das Baltimore- und
Ohio-Eisenbahnnetz war in die Gewalt der Magnatengruppe
der Pennsylvania-Eisenbahn geraten.
Sechstes Kapitel
DAS PACIFIC-QUARTETT
In den Jahren, in denen die Vanderbilts, Gould, Sage,
Blair und verschiedene andere Eisenbahnmagnaten sich in
1) Eine allgemein bekannte, oft veröffentlichte Geschichte war folgende:
Robert Garrett hatte Verhandlungen zum Ankauf der Philadelphia-, Wilmington-
und Baltimore-Eisenbahn heimlich zum Abschluß gebracht und lud an dem Abend,
bevor die endgültigen Abmachungen getroffen werden sollten, einen Freund ein,
um die Gelegenheit zu feiern. Als Garrett voll von Champagner war, verriet er das
Geheimnis. Der Freund entschuldigte sich, ging sofort zu Scott von der Penn-
sylvania-Eisenbahn und benachrichtigte diesen Magnaten. Scott füllte sofort eine
Tasche mit Obligationen und eilte fort, um den Kapitalisten, die die Philadelphia-,
Wilmington- und Baltimore-Eisenbahn beherrschten, eine Offerte zu machen,
überbot Garrett und hatte den Besitz jener Eisenbahn für das Pennsylvania-Eisen-
bahnsystem erworben, beinahe ehe Garrett aus seiner trunkenen Betäubung er-
wacht war.
- 513 -
die Regionen gewaltigen gebieterischen Reichtums empor-
arbeiteten, taten vier andere berühmte Kapitalisten, deren
Laufbahnen miteinander verbunden waren, dasselbe im
fernen Westen.
Diese Gruppe bestand aus CoUis P. Huntington, Leland
Stanford, Charles Crocker und Mark Hopkins. Sie bildeten
insofern eine ungewöhnliche Kameradschaft, als sie lange
Zeit mit einer unter Eisenbahnkapitalisten nicht oft zu
findenden, beharrlichen Treue aneinander hingen. Das
war in der Tat eine so seltene Erscheinung, daß sie in
allererster Linie erwähnt zu werden verdient. Magnaten
wie Kommodore Vanderbilt und William H. Vander-
bilt, Gould und Sage zogen es vor, alles allein zu machen,
da sie, mit dem bloßen Löwenanteil nicht zufrieden,
entschlossen waren, wenn möglich alles einzustecken;
sie waren Teilhabern gegenüber mißtrauisch und intole-
rant, ausgenommen wenn es die Zweckmäßigkeit anders
erforderte, und dann handelten sie mit ihnen gemein-
schaftlich nur, um sie schließlich doch zu betrügen. In
dem Pacific-Quartett war auch jeder für sich eine starke
Persönlichkeit, aber sie hielten ihre Neigungen genügend
zurück, um ihre Interessen in einem gemeinsamen harmo-
nischen Ziel zu verschmelzen. Ja noch mehr: sie erwogen
scharfsinnig, wofür jeder einzelne besonders geeignet sei,
setzten die Pflichten nach dieser persönlichen Schätzung
fest und teilten die Beute mit einem gewissen Anflug von
Ehrlichkeit.
Soweit Eisenbahnmagnaten in Betracht kamen, war dies
zu ihrer Zeit ein bemerkenswerter Zug.
Die Zusammenarbeit von vier Männern
Kurz, diese Gruppe zeichnete sich durch eine Art intelli-
genter .Zusammenarbeit aus. Diesem Umstände verdankten
sie bis zu einem gewissen Grade ihren raschen Erfolg in
Erlangung großen Reichtums, ohne sich durch Zwischen-
stadien durchschleppen zu müssen. Sie gehörten zu den
ersten Magnaten, die die Vorzüglichkeit des Prinzips
33
- SH -
systematischer Organisation erwiesen — eine Lehre, die
die Standard Oil-Gruppe etwas später aufnahm, ausdehnte,
verbesserte und zu einem überaus feinen System entwickelte.
Hier lag der Fall nicht so, daß ein Mann gebieterisch darauf
bestand, mit allen zu einem erfolgreichen Geschäft er-
forderlichen Eigenschaften allein ausgerüstet zu sein. Das
Pacific-Quartett erkannte den Wert der Spezialisierung.
Im allgemeinen war Huntington die Aufsicht über die
Finanzangelegenheiten anvertraut; Stanford die Bezie-
hungen zu Gesetzgebung und Politik; Crocker war als
Verwalter der Bauarbeit eingesetzt, und Hopkins war der
Leiter der Einzelheiten der Büroarbeit. Die besonders
nützlichen Eigenschaften eines jeden der vier wurden von
den anderen geschätzt und benutzt. Abgesehen von dieser
Verteilung der Aufsichtsämter waren sie in der Förderung
und Vollendung ihrer Pläne als ein Ganzes tätig.
Die Umstände trieben diese vier Männer nicht dazu,
ganz denselben revolutionären Kapitalistentypus anzu-
nehmen wie die Vanderbilts und Goulds. Sie hatten nicht
viel mit dem Verprügeln kleinerer Kapitalisten zu tun,
brauchten auch nicht viel Mühe darauf zu verwenden,
die heilige Lehre von dem „freien unbeschränkten Wett-
bewerb" zu Boden zu schlagen. Ihr Landgebiet war zum
großen Teil noch nicht von Gesellschaften kleiner Kapita-
listen stückweise in Angriff genommen. Sie hatten die
günstige Gelegenheit, große Eisenbahnnetze auf bis dahin
freien Gebieten zu schaffen. Mit einem Satz sprangen sie
aus einer unbedeutenden Stellung in die großer Kapitalisten.
Die Umwandlung von Kleinkrämern in Waren oder Rechts-
gelehrsamkeit zu Multimillionären war schnell und plötzlich.
Innerhalb weniger Jahre nahmen sie ihre Stellung unter den
Beherrschern der Industrie der Vereinigten Staaten ein:
als Besitzer großer Eisenbahn- und Dampfschiffslinien,
vielen Eigentums in anderer Form und eines ungeheuer
großen Landgebietes — von nicht weniger als 30 Millionen
Morgen im ganzen. Alle diese Männer sind dahingegangen,
aber der Reichtum, der in ihren Besitz kam, bleibt; und
selbst wenn ihre persönhche Laufbahn von keinem dauern-
den Interesse ist, so ist ihr Vermögen doch noch tätig, und
- 5^5 -
die Geschichte ihres Eigenstums ist füeHch noch gegenwärtig
von Bedeutung.
Beginn mit geringem Kapital
Alle vier waren nach der Entdeckung von Gold an der
Küste des Stillen Ozeans vom Osten nach Kalifornien aus-
gewandert. Dort leitete Huntington ein Geschäft für
Eisenwaren und Bergmannsausrüstungen in Sacramento,
und Hopkins wurde sein Kompagnon ; Crocker war auch ein
kleiner Kaufmann, und Stanford war Rechtsanwalt. Die
vier konnten nur eine sehr unbedeutende Summe zusammen-
bringen, um ein Eisenbahnprojekt auszuführen, das damals
als eins der größten und schwierigsten moderner Zeiten
angesehen wurde.
Phrasenmacher sind geneigt, sich in überschwenglichen
Ausdrücken über das staunenswerte Selbstvertrauen zu er-
gehen, das sie mit einem nur winzigen Anfangskapital eine
enorme Eisenbahnlinie unternehmen ließ. Das mag eine
romantische Art sein, ihren Mut und ihren Scharfsinn zu be-
schreiben. Aber weder war das Projekt selbst von ihnen er-
sonnen, noch hatten sie das Kapital zu beschaffen. Jahre-
lang, ehe sie die Arbeit als ein bestimmtes Unternehmen in
die Hand bekamen, hatte man den Bau der Pacific-Linie
erörtert und betrieben, und die Regierung hatte ausführbare
Wege vermessen lassen^). Nicht einer von dem Quartett
verstand irgendetwas vonj Eisenbahnbau, auch hatten sie
nicht die geringsten grundlegenden Kenntnisse von der
Ausrüstung und dem Betrieb einer Eisenbahn.
In welcher Richtung lagen dann aber ihre Fähigkeiten ?
Einzig und allein auf dem Gebiete des Gründens. Das
kapitalistische System war hier von einer so phantastisch
verkehrten Art, daß bei keiner Sache, deren man sich be-
mächtigen wollte, die Fähigkeit, sie auch beaufsichtigen zu
können, vorausgesetzt oder notwendig war.
Die Geschicklichkeit des Gründers war das Wichtigste,
') Durch ein Gesetz vom 3. März 1853 wies der Kongreß Geld zur Vermessung
von Eisenbahnrouten vom Mississippi bis zum Stillen Ozean durch das Ingenieur-
korps der Armee an. Die Resultate wurden im Jahre 1855 veröffentlicht.
33*
- 5i6 -
wenn auch nicht das Erste zur Erlangung des Eigentums-
rechtes. Sehr häufig mußten die Gründer, wenn es sich um
Fabriken und Gruben handelte, Kapitalien von Bankhäusern
aufnehmen, und diesen gelang es gewöhnlich, durch ge-
schicktes, juristisches Verfahren, jene Gründer in eine Ge-
setzesfalle zu locken, sie beiseite zu drängen und um ihr Eigen-
tum zu bringen. Eisenbahngründer jedoch waren nicht so
sehr von Privatbankiers abhängig. Sie konnten sich an
Regierung, Staat und Städte um Geldvorschüsse wenden.
Wenn es einem Manne oder einer Gruppe von Männern ge-
lang, den Kongreß und die gesetzgebenden Körperschaften
durch Bestechung dahin zu bringen, daß sie ihnen Land-
bewilligungen und Kapitalvorschüsse gewährten, dann war
es eine sehr einfache Sache, tüchtige Zivilingenieure zu
engagieren, um die Routen zu vermessen und zu bauen, und
gute Beamte anzustellen, um sie nach der Fertigstellung zu
betreiben.
Das Erste und Hauptsächlichste, was zu tun war, bestand
in dem Erkaufen der Gesetzgebung mit allen ihren Folgen —
Privilegien, Schenkungen und freiem Zugang zu dem Staats-
schatz.
Bei der Organisation der Zentral Pacific-Eisenbahn im
Jahre 1861 konnte die Huntington-Gruppe privatim nicht
mehr als ungefähr 195 000 Dollar aufbringen, wovon sie
selbst ungefähr 50 000 Dollar einzahlte. Wie lächerlich un-
angemessen auch diese Summe zum Bau einer Eisenbahn
war, deren Kosten auf 25 Millionen Dollar geschätzt wur-
den, so war sie doch genug und mehr als genug für gewisse
wohlverstandene erste Unternehmungen.
Mit ihr konnten Ausgaben an den Zentralpunkten der
Gesetzgebung bestritten, Petitionen und Denkschriften
ausgeheckt, Advokaten bezahlt und Zeitungen unterstützt
werden. Wurde der Streich gut gespielt, so pflegte eine
ganze Reihe von Privilegien, besonderen Gesetzen, Land-
bewilligungen und Geldunterstützungen die Folge zu sein.
Die Huntington-Gruppe hatte dem Publikum gegenüber
ein viel wirksameres und eindrucksvolleres Argument als
die meisten ihrer Genossen im Gründen von Eisenbahnen.
Schon in den fünfziger Jahren bestand ein dringendes, un-
- 517 -
verfälscht enthusiastisches, beinahe ungestüm auftretendes
Verlangen nach einer Eisenbahnverbindung von Küste zu
Küste. Auf Grund dieses heftigen Begehrens konnte viel
Freigebigkeit und viel Beute erlangt werden. Beim Aus-
bruch des Bürgerkriegs wurde dieses Verlangen durch den
Mangel an jeder schnellen Eisenbahn- und Telegraphen-
verbindung von Küste zu Küste unwiderstehlich verstärkt.
Überdies wurde die Phantasie des Volkes durch die ungeheure
Größe des Unternehmens gefesselt und geblendet. Da die
herrschende Meinung dem Unternehmen so günstig gesinnt
war, konnte man die Sache nach Wunsch gestalten.
Erlangung von Gesetzen
Während aber das Volk als Ganzes die Pacific-Eisenbahnen
wünschte, waren doch sehr viele Leute mit dem schlimmen,
gesetzgeberischen Verfahren, große Landgebiete und große
Geldvorschüsse zu privater Bereicherung herzugeben, durch-
aus nicht einverstanden.
Der Farmer, der an dem Preise, den er für seine kleine
Farm zahlen mußte, schwer zu tragen hatte und oft durch
eine Hypothek betrogen worden war, konnte die Ver-
schleuderung öffentlichen Besitzes zugunsten einer Hand-
voll vom Gesetz geschaffener Protzen nicht ganz gutheißen.
Die kleinen Kaufleute, die schon allein an dem Begriff
einer über ihnen stehenden Klasse Anstoß nahmen, erhoben
als ganzer Stand erbitterten Einspruch gegen das Hervor-
bringen großer Kapitalisten durch eine in diesem Sinne
wirksame Gesetzgebung. Die wachsamen und wohlorgani-
sierten Gruppen der arbeitenden Klassen sahen in dieser
beständigen Beeinflussung der gesetzgebenden Körper-
schaften einen Mißbrauch der Regierungsgewalt zur Ver-
größerung einer kleinen und feindlichen Klasse und zum
raschen Aufsteigen einer alles in den Schatten stellenden
Geldherrschaft. Da man dieses allgemeine Empfinden
kannte, mußte man den gesetzgebenden Versammlungen
„Lockmittel" vorsetzen; sie selbst mochten bei Ausein-
andersetzungen vor der Wählerschaft vielleicht schön-
klingende und scheinbar triftige Gründe vorbringen, aber
- 5i8 -
ein ganz anderer Antrieb wirkte auf sie selbst; man mußte
Geschenke in barem Gelde oder in entsprechenden Werten
machen*).
Eine verlockendere und für räuberische Unternehmungen
günstigere Zeit als die des Bürgerkrieges hätte kaum ge-
funden werden können. Ganz erfüllt von den stürmischen
Umwälzungen jener erschütternden Jahre hatte das Volk
weder Geduld noch Neigung, mit den alltäglichen Be-
schlüssen im Kongreß oder in den gesetzgebenden Körper-
schaften in enger Fühlung zu bleiben. Gerade am Anfang des
Krieges hatte die Huntington-Gruppe die Zentral Pacific-
Eisenbahngesellschaft mit einem Aktienkapital von 8500000
Dollar gegründet, das, soweit wirklich eingezahltes Geld in
Betracht kam, fast ganz fingiert war. Sofort wandte sie
ihre Energie dem Kernpunkt der Dinge zu. Huntington
selbst begab sich nach Washington, um als Lobbyist im
Kongreß zu wirken, während Stanford, der zum Gouverneur
^) Man warf der gesetzgebenden Körperschaft von Kalifornien oft Bestechung
vor, aber die lächerlichen Untersuchungen, die sie gegen sich selbst anstellte,
endeten immer mit weißwaschenden Berichten.
Eine dieser Skandalaffären war die vom April 1861, als John F. McCauIey die
Beschuldigung erhob, daß Gesetzgeber von ihm Bestechungsgelder erlangt hätten,
um eine Forderung, die er gegen den Staat Kalifornien erhob, durchzubringen.
Die gesetzgebenden Körperschaften setzten am 18. April 1861 eine Untersuchungs-
kommission ein. (Siehe Appendix to Journal of California Assembly, Twelfth Session
1861, Doc. No. 15.) McCauley sagte aus, daß ein gewisser Wittgenstein, ein Zwi-
schenträger für Waiden, den Vorsitzenden der Kommission des Repräsentanten-
hauses für Rechtsansprüche, sich an ihn herangemacht und ihm gesagt habe, daß
Waiden für einen günstigen Bericht 400 oder 500 Dollar beanspruche (S. 2 — 4).
In seiner Zeugenaussage gab Wittgenstein zu, McCauley erzählt zu haben, daß
Waiden während der Session sehr viel Geld erworben habe. Wittgenstein räumte im
wesentlichen die Wahrheit von McCauleys Beschuldigungen ein (S. 5— n). Und
doch war der Bericht weißwaschend.
Einen anderen Skandal gab es, als der Herausgeber der Zeitung „TheAmerican
Flag" im Jahre 1866 die besondere Beschuldigung erhob, daß von ortsangesessenen
Bankiers, Kommissionären und Importeuren in den gesetzgebenden Körperschaften
ein Kapital von 108 000 Dollar ausgegeben worden sei, um die Aufhebung des sog.
„Besonderen Kontraktgesetzes" zu verhindern. Er beschuldigte sieben Senatoren,
ihre Stimmen für je 12000 Dollar verkauft zu haben. Eine Untersuchungskommission
des kalifornischen Senates wurde ernannt. Einer der verhörten Zeugen war Darius
O. Mills, damals Bankier in San Francisco und später hervorragender Multimillionär,
Er und andere Zeugen behaupteten, von einem Bestechungskapital nichts zu wissen.
Der Kommissionsbericht sprach die Angeklagten frei. — „Bericht der Unter-
suchungskommission über gewisse von dem Herausgeber der ,American Flag' er-
hobene Beschuldigungen", Appendix to Journal of Senate and Assembly of the
Legislature of California, 1866, Bd. z.
- 519 -
von Kalifornien gewählt worden war, sich zu Hause mit
ähnlichen Zielen beschäftigte. Sie waren keine Träumer,
sondern praktische Männer, die geradeaus zu gehen ver-
standen.
Stanfords Arbeit trug in Kalifornien bald Früchte; die
Stadt Sacramento wurde ermächtigt, 400 000 Dollar zu
spenden, Placer County, 550000 Dollar zu leihen, und der
Staat Kalifornien, 2 100 000 Dollar auszuhändigen. Gleich-
zeitig tat Huntington als Cliquenschieber vortrefflich seine
Pflicht im Kongreß. Im Jahre 1862 wurde ein Gesetz er-
lassen, wonach dem Quartett ungefähr 25 Millionen Dollar
in sechsprozentigen Regierungsobligationen und ungefähr
4 500000 Morgen Staatsland zur Verfügung gestellt wurden.
Die geringen Einwendungen, die sich gegen diese großen
Schenkungen erhoben, wurden sofort zum Schweigen ge-
bracht. „Ist die Regierung nicht vollständig gedeckt?"
fragten die Gründer mit unschuldiger Miene. „Sind nicht
ihre Darlehen durch eine erste Hypothek sichergestellt ?
Wenn die Gesellschaft ihren Verpflichtungen nicht nach-
kommt, kann die Regierung dann nicht einschreiten und sich
schadlos halten ?" Das klang glaubwürdig. Zwei Jahre spä-
ter jedoch, zu derselben Zeit, als (wie wir gesehen haben)
die Union Pacific-Clique den Kongreß bestach, um größere
Landbewilligungen und eine Veränderung der Gesetze zu
erlangen, verführte Huntington den Kongreß aufs neue.
Ein Gesetz wurde erlassen, das die Landbewilligung der
Zentral Pacific verdoppelte und die Regierungsforderung
gegenüber der Zentral Pacific in die untere Stellung einer
zweiten Hypothek verwies. Und wie sich später heraus-
stellte, war der Kontrakt mit der Regierung so geschickt
abgefaßt, daß nach einer später gefällten Entscheidung
des obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten die
Regierung ein Pfandrecht nur auf die Hauptlinien und
nicht auf die Zweiglinien besaß. Ob der so abgefaßte Kon-
trakt das Resultat geheimen Einvernehmens mit Regie-
ningsbeamten war, ist niemals festgestellt worden.
„Im Jahre 1869, ehe der letzte Schienennagel in Promon-
tory eingeschlagen war, hatte das Eisenbahnquartett, ab-
gesehen davon, daß ihm die Strecke gehörte, ein Darlehn
— 520 —
von 24 Millionen Dollar Regierungsobligationen als zweite
Hypothek auf die Bahn erhalten, ferner 400 000 Dollar
San Francisco - Obligationen als bedingungslose Gabe,
550000 Dollar Kreisobligationen und 2 100 000 Dollar, die
von dem Staate Kalifornien entweder schon gezahlt oder für
noch von der Gesellschaft zu leistende Dienste zu zahlen
waren^)."
Das Verfahren des Quartetts war einfach genug. Nach-
dem sie einmal die erforderlichen Darlehen und Gaben er-
halten hatten, ließen sie alle falschen Vorspiegelungen bei-
seite und machten sich öffentlich und tatkräftig daran,
alles, was ihnen erreichbar war, zu betrügen; nicht nur die
Bundesregierung, sondern auch die Staaten, Kreise, Städte
und Geldanleger. Zuerst organisierten sie eine Bau-
gesellschaft, genannt die Kredit- und Finanzgesellschaft.
Dann machten sie einen Kontrakt mit sich selbst, um die
Zentral Pacific zu bauen. Mit Hilfe der von Sacramento
und Placcr County gegebenen Darlehen bauten sie ein ge-
nügendes Stück der Bahn, um von der Regierung als Unter-
stützung für den ersten Teil 848 000 Dollar zu erlangen.
Indem sie dieses Verfahren wiederholten, bauten sie die
ganze Bahn, fast ohne einen einzigen Dollar ihres eigenen
Geldes auszugeben. Der nächste Schritt bestand darin,
die Bahn mit einer Neuaufnahme von 139 Millionen Dollar 2)
zu belasten, und dies war der Anfang einer weiteren künst-
lichen Vermehrung der Aktien.
Ein Diebstahl von 50 Millionen Dollar
Der Bericht der Pacific-Eisenbahnkommission gibt keine
zutreffende Vorstellung von den ungeheuer, wertvollen
Rechten und Besitzungen aller Art, die sie durch Bestechung
und Betrug erlangten. Aber er gibt eine umfassende Dar-
stellung ihrer Beute in Geld und Aktien. „In den Regie-
rungsbüchern der Zentral Pacific-Eisenbahngesellschaft",
so stellt der Bericht der Pacific-Eisenbahnkommission von
1887 fest, „belief sich der Abschnitt der in der Verfolgung
unlauterer Zwecke, durch Kontrakte, die. die Herren
^) Bancroft, -„History of the Pac. Stat.", 19, 62. 2) Hudson's „Railways and tbe
Republic", 265. ■■
- 521 -
Stanford, Huntington, Hopkins und Crocker mit sich selbst
abschlössen, gewonnenen Einnahmen auf viele Millionen."
Nach diesem Bericht kostete der Bau einer Strecke von
1171 Meilen 27217000 Dollar, aber sie berechneten be-
trügerischerweise das Dreifache dieser Summe. Dies war
ein Diebstahl von mehr als 50 Millionen mit einem Griff.
Außer dem gestohlenen baren Gelde gaben sie für sich
selbst 33722000 Dollar in Obligationen und 49 005 ooo
Dollar in Aktien aus. Aber diese Summen bildeten nur
einen Teil des Gesamtdiebstahls. Der Bericht der Pacific-
Eisenbahnkommission fährt folgendermaßen fort:
„Dann verpachteten sie, als Direktoren der Pacific Cen-
tral, ihre eignen Linien an die Zentral Pacific für 3 400 000
Dollar jährlich; was beinahe 13 Prozent ausmachte. Fünf
Vierteljahre vorher (im Jahre 1886) schlössen drei dieser
Direktoren (Stanford, Huntington und Crocker) zum Bau
einei Bahnerweiterung von 103 Meilen mit sich selbst einen
Kontrakt. Zur Bezahlung gaben sie Aktien in Höhe von
8 Millionen Dollar und Obligationen in Höhe von 4 500 000
Dollar aus; der Marktwert der Aktien und Obligationen
betrug zu der Zeit 8 340 000 Dollar. Der Bau kostete tat-
sächlich 3 505 000 Dollar, so daß sie persönlich durch ihre
selbstverfügten Geschäftsabschlüsse allein bei diesem Ver-
fahren einen Gewinn von 4 834 000 Dollar machten" usw.
Grobe Bestechung des Kongresses
Das Bestechen und Stehlen wurde bei dem Bau der
Southern Pacific-Eisenbahn fortgesetzt.
Im Jahre 1871 ermächtigte der Kongreß die Texas- und
Pacific-Eisenbahn zu einem Bau von Marshall in Texas bis
San Diego in Kalifornien und schenkte der Gesellschaft
annähernd 18 Millionen Morgen Staatsland unter der Be-
dingung, daß die Bahn in zehn Jahren fertiggestellt würde;
im andern Falle sollte die Landbewilligung für verfallen er-
klärt werden. Zur selben Zeit ermächtigte der Kongreß
die Southern Pacific-Eisenbahngesellschaft zum Bau einer
Linie von El Paso in Texas nach San Francisco und schenkte
ihr ungefähr 5 Millionen Morgen Staatsland. Das Texas- und
— 522 —
Pacific-Untemehmen gehörte einer Gruppe von Kapita-
listen, an deren Spitze Scott von der Pennsylvania-Eisen-
bahn stand; die Huntington-Männer standen an der Spitze
der Southern Pacific-Eisenbahngesellschaft.
Diese beiden Kapitalistengruppen gerieten bald anein-
ander; jede versuchte leidenschaftlich, die andere auszu-
stechen und in dem in Frage stehenden Gebiet ein unbestrit-
tenes Monopol für den Transport zu erlangen. Der Kampf
wurde bis vor den Kongreß gebracht; jede Partei veranlaßte
die Einführung von Gesetzen, die die andere lahmlegen
sollten. Der Kampf lief schließlich auf die Frage hinaus,
welche Partei den Kongreß am wirksamsten bestechen würde.
„Scott," so schrieb Huntington am 29. Januar 1876,
„macht fürchterliche Anstrengungen, um sein Gesetz durch-
zubringen, und er hat viele Vorteile von seiner Bahn, die
von Washington aus beinahe nach allen Richtungen läuft
und auf der er jedem, der ihm auch nur im geringsten
nützen kann, Freibillette gibt ... Es hat Geld gekostet,
die Sache zu schieben; nun weiß ich, daß sein Gesetz
nicht durchgehen dürfte. Ich glaube, mit 200 000 Dollar
können wir unser Gesetz durchbringen^)."
Am 6. März 1876 schrieb Huntington: „Die Eisenbahn-
kommission des Hauses war für Scott eingenommen, und
es ist sehr schwer gewesen, eine Majorität der Kommission
von ihm abzulenken, aber ich denke, es ist gelungen." Am
II November 1876 schrieb Huntington weiter an einen
seiner Gesellschafter: „Ich freue mich, zu hören, daß Du
bis zum I. Januar 2 Millionen Dollar an unser Büro
schicken willst." Am 3. Mai 1878 benachrichtigt er seine
Teilhaber: „Die T.- und P.-Leute arbeiten kräftig für ihr
Gesetz und sagen, daß sie sicher sind, es durchzubringen,
aber ich glaube es nicht. Sie haben einem Kongreßmitglied,
falls er für das Gesetz stimmen würde, 1000 Dollar in bar,
weitere 5000 DoUar bar, wenn das Gesetz durchgegangen ist,
*) Wir haben in der Erzählung von Göulds Vermögen gesehen, wie Scott mit der
Regierungsüberwachung des Eisenbahntransports während des Bürgerkrieges be-
auftragt worden war, und wie eine Kongreßkommission die seiner Ernennung
unmittelbar folgenden ungeheuren, von verschiedenen Eisenbahnen des Nordens
erfolgreich durchgeführten Brandschatzungen bei der Beförderung von Soldaten,
Kriegsmaterial und Vorräten aufdeckte.
- 523 -
und lo ooo Dollar von den Obligationen, wenn sie sie er-
halten haben, angeboten^)."
Huntington war siegreich. „Es kann kein Zweifel sein,"
so berichtete die Pacific-Eisenbahnkommission vom Jahre
1887, „daß ein großer Teil von 4818 535 Dollar benutzt
wurde, um die Gesetzgebung zu beeinflussen und den
Erlaß von Maßregeln zu verhindern, die gegen die Inter-
essen der Eisenbahngesellschaft gerichtet zu sein scheinen,
und um die Wahlen zu beeinflussen." 2)
Das Nächste, was die Huntington-Gruppe tat, bestand
darin, die Kapitalisten des Ostens aus der Texas- und
Pacific-Eisenbahn zu verdrängen, diese Linie ganz in ihr
eigenes Netz aufzunehmen und die 18 Millionen Morgen
Staatsland der Texas- und Pacific-Eisenbahn auf ungesetz-
liche Weise einzustecken. Dabei hatte von Rechts wegen
die Texas- und Pacific-Eisenbahn gar nicht einmal wirk-
lichen Anspruch auf die Landbewilligung. Die Justizkom-
mission des Hauses erklärte nach einer Untersuchung am
3. August 1882, daß die Texas- und Pacific-Eisenbahn von
der Route, für welche die Landbewilligungen in New Mexico,
Arizona und California erteilt worden waren, gar nichts
fertiggestellt habe; daß sie die „Landbewilligung niemals
verdient habe", daß sie nicht beabsichtigt habe, die Bahn,
für die sie privilegiert und ausgestattet war, zu bauen, und
daß sie der Southern Pacific -Eisenbahngesellschaft „alle
Rechte und Titel des in Frage stehenden Landes" über-
tragen habe 3). Die Justizkommission bereitete eine Resolu-
tion vor, die die Landbewilligung für verfallen erklären sollte,
und betrieb ihre Annahme in beiden Häusern des Kon-
gresses. Diese Resolution wurde jedoch nicht angenommen.
*) Es gab viele solche Briefe. Sie wurden vollständig veröffentlicht in „Driven
from Sea to Sea" von C. C. Post. „Es ist unmöglich," berichtete die Pacific-
Eisenbaha im Jahre 1887, „das Beweismaterial zu lesen, das die C. P. Huntington-
und Leland Stanford- und Colton-Briefe enthalten, ohne zu der Schlußfolgerung
zu kommen, daß sehr große Summen Geldes in unziemlicher Weise in Zusammen-
hang mit der Gesetzgebung gebraucht worden sind." — Bd. i, 121. Huntington
prahlte gewohnheitsmäßig mit seinem Bestechungsverfahren. „Überall, wo e$
möglich ist, versuche ich mit Schecks zu bezahlen, denn die Männer, die sie
nehmen, bleiben späterhin immer meine Sklaven."
*) Report of U. S. Pacific Railway Commission, i, 84.
8) HouseReport No. 1803, Fortj-seventh Congress, Second Session.
- 524 -
'Zusammenfassung der Räubereien
Wenn wir die allgemeinen Resultate möglichst so dar-
stellen, wie die amtlichen Untersuchungen sie feststellen
konnten, dann taten Huntington und seine Genossen fol-
gendes . Sie hatten von der Regierung, von Staaten, Kreisen
und Stadtbezirken Hunderte von Millionen Dollar in Geld,
Obligationen und Land erhalten. Als Kontrolleure der
,, Kontrakt- und Finanz-Gesellschaft" und anderer Bau-
gesellschaften hatten sie sich für angebliche Bauarbeit alles
in allem 142 Millionen Dollar selbst zugewiesen. Sie hatten
wenigstens 5 Millionen für verbrecherische politische
Zwecke ausgegeben. Sie hatten die Aktien ihrer Bahn in
unerhörter Weise nominell erhöht und sich mit Hilfe der
aufgespeicherten Ergebnisse ihrer Diebstähle die Gewalt
über neunzehn verschiedene Eisenbahnnetze und auch über
Dampferlinien verschafft. Sie hatten der Regierung durch
Betrug viele Millionen Morgen Land geraubt; sie hatten die
Regierung um die Hauptmasse des vorgeschossenen Kapi-
tals betrogen; sie weigerten sich, mehr als eine rein
nominelle Steuer zu zahlen, und sie erpreßten drückende
Transportgebühren.
Bancroft erzählt : „Es ist eine Tatsache in der Wirtschafts-
geschichte Kaliforniens, daß der Leser einer städtischen
Tageszeitung oder eines ländlichen Wochenblattes kaum
eine Zeitung aufmachen kann, ohne darin irgendeine Klage
über die Eisenbahnverwaltung, besonders die Frachtpreise
zu finden." Die Eisenbahnen „pflegten aus einem bestimm-
ten Artikel herauszuziehen, soviel er hergeben wollte^)".
Diese Beschreibung paßte nicht nur für Kalifornien, sondern
für jeden Staat und jedes Gebiet, das von der Eisenbahn
direkt oder indirekt erreicht wurde. Gerade die Leute,
deren Vertreter in so verschwenderischer Weise Staatseigen-
tum an wenige weggegeben hatten, wurden in jeder nur
zu ersinnenden Weise beraubt. Aber nicht nur das Volk
wurde beraubt; Huntington und seine Gesellschafter er-
drückten ihre kleineren Aktionäre in derselben betrügeri-
schen Weise, die Gould und Sage anwandten, und betrogen,
*) ,.History of the Pacific States", 19, 628.
- 525 -
auch wie Gould und Sage, eine Schar vertrauensvoller
Geldanleger.
Huntington und seine Gesellschafter, die man zuerst als
öffentliche Wohltäter gepriesen hatte, wurden, als das Volk
die enormen Betrügereien, die sie begangen hatten, erkannte,
den heftigsten Anklagen unterworfen. Denn die Betrü-
gereien, über die hier kurz berichtet worden ist, bildeten
nur einen Teil. Es ist kaum nötig, sich in die vielen
gewundenen und irreführenden Details zu vertiefen; wie
sie, um sich ihren Verpflichtungen zu entziehen, zu ge-
schickten Ausflüchten ihre Zuflucht nahmen und die Re-
gierung betrogen; wie sie Staaten und Territorien be-
stachen und beherrschten und einen Besitz nach dem andern
in ihre Gewalt brachten; und wie sie durch ihre Beherrschung
der politischen Mache Repräsentanten und Senatoren nach
Washington schickten, als ob sie eben nur so Laufburschen
wären. Das Pacific-Quartett gehörte zu den ersten Magna-
ten, die öffentlich auftraten und selbst die politische Macht
ausübten, statt sie Anhängern anzuvertrauen. Um eins
seiner eigenen Mitglieder im Senat der Vereinigten Staaten
zu haben, damit es dort über seine Interessen wache, veran-
laßte das Quartett im Jahre 1887 die gesetzgebenden Körper-
schaften von Kalifornien, Stanford in den Senat zu wählen.
Hopkins starb im Jahre 1876, Crocker im Jahre 1888.
Sehr charakteristisch für die Eigentümlichkeiten der herr-
schenden Gesellschaft war die Art, wie ein Teil von Hopkins
Millionen verwendet wurde. Seine Witwe erbte seinen
Reichtum und heiratete wieder, und ein Teil ihrer Erbschaft
wurde zum Ankauf einer alteingeführten New Yorker
Zeitung verwendet. So sah man wieder, wie in Goulds Fall,
wie eine Zeitung aus gestohlenem Reichtum finanziert
wurde und wie die Erben jenes Reichtums bestimmten,
woraus die dem Publikum darzureichende moralische und
politische Nahrung bestehen solle. Ein prächtiges, 2 Millio-
nen Dollar kostendes Landhaus in Great Barrington, Mass.,
ist ein dauerndes Zeugnis davon, wie einige andere von
Hopkins Millionen verwendet wurden. Crocker hinterließ
ein Vermögen, das nominell auf 40 Millionen Dollar ge-
schätzt wurde.
- 526 -
Stanfords Reichtum war so groß, daß er wie die Vander-
bilts, Astors, Goulds und andere Magnaten gezwungen
wurde, den Überschuß auf ganz anderen Gebieten unter-
zubringen. Ein Teil der vielen der Regierung und dem
Volke entzogenen Millionen wurde bei den Straßenbahnen
von San Francisco angelegt; von diesen gehörte ihm ein
Viertel und brachte ihm jährlich lo Prozent^). Andere Mil-
lionen wurden in anderem Besitz angelegt. Stanford wurde
ein großer Landeigentümer. Ihm gehörte der ungeheuer
große, ICO ooo Morgen umfassende Vina- Weinberg und die
Palo Alto-Viehwirtschaft mit ihren ausgedehnten Zucht-
anlagen und großen Weingärten und mancher andere Grund-
besitz in San Francisco und anderwärts. Sein Aktien- und
Landbesitz brachte ihm, wie man schätzt, ein jährliches
Einkommen von i Million Dollar.
Bis zum Jahre 1885 war er nur ein sogenannter Finanzier
gewesen, der von einigen als großer Eisenbahnbauer, von
anderen als kolossaler Dieb bezeichnet worden war. Jetzt
wurde er ein vollbeschwingter Philanthrop, indem er Eigen-
tum im Werte von vielen Millionen zur Gründung der
Leland Stanford jr.-Universität hergab.
So wurde wieder ein „Sitz der Gelehrsamkeit" gegründet,
der unter der Aufsicht des Geldes stehen sollte.
Stanford im Senat der Vereinigten Staaten
Als Senator der Vereinigten Staaten bezog Stanford ein
jährliches Gehalt von 5000 Dollar; er gab in jeder Session
75 000 Dollar aus; es machte diesem Manne Vergnügen,
den Zeitungsjungen Zwanzigdollarstücke zuzuwerfen. Seine
Hauptarbeit in Washington bestand darin, die Regierung
von selbständigen Maßnahmen abzuhalten, die ihn und
seinen Klüngel hätten zwingen können, ihren Raub wieder
herzugeben, alles feindliche Vorgehen zu ersticken und Ge-
setze durchzubringen, die noch mehr an Konzessionen, Land,
Wasserstraßenrechten und besonderen Privilegien gewährten,
*) Was durch neuere Enthüllungen in San Francisco davon zutage gebracht
worden ist, wie Straßenbahn-Privilegien durch Bestechung erlangt wurden, ist nur
ein Anzeichen des herrschenden Bestechungssystems.
- 527 -
und für Erpressungen die amtliche Genehmigung zu'" er-
langen. Im ganzen hatte er Erfolg. Dieser gewichtige,
234 englische Pfund wiegende Magnat war der poHtische
Drahtzieher des Quartetts, während Huntington der schlaue
Finanzmann war, voll scharfer Kunstgriffe und durchtrie-
bener Ränke. Als Stanford im Jahre 1893 starb, wurde der
nominelle Wert seines Besitzes auf ungefähr 18 Millionen
Dollar geschätzt, er war aber viel größer. Er hatte große
Summen für die Leland-Stanfordjr. -Universität hergegeben
und hinterließ ihr in seinem Testament noch weitere Millio-
nen. Der Rest seines Besitzes ging an seine Witwe über, die
auch der Universität Stiftungen machte. Alles in allem
gaben Mr. und Mrs. Stanford reichlich 30 Millionen Dollar
für die Gründung, Erweiterung und Fortführung dieses
Instituts aus, das nach ihrem Sohne benannt wurde.
Das Vermögen, das Huntington zusammenraffte, war
größer als das der anderen Mitglieder des Quartetts. Bei
seinem Tode, im Jahre 1900, wurde es auf 50 bis 80 Millionen
Dollar geschätzt. Es umfaßte Anteile an einer ungeheuren
Anzahl von Eisenbahnen-, Dampfschiffs- und anderen
Gesellschaften — Anteile, die er durch seinen Teil der
Beute an den Pacific-Eisenbahnen erkauft oder durch Betrug
in seine Gewalt gebracht hatte. Eine seiner Lieblings-
prahlereien bestand gelegentlich darin: daß er in seinen
eigenen Wagen und auf seinen eigenen Schienen vom Atlanti-
schen bis zum Stillen Ozean und, wenn es ihm beliebte, auch
in seinen eigenen Dampfschiffen von Brasilien nach New York,
von dort nach Colon, von Panama nach San Francisco und
von dort nach Jokohama und Hongkong reisen könne.
Seine Macht war riesenhaft; er beherrschte das wirtschaft-
liche Leben von Millionen von Arbeitern und verfügte über
die Regierung von einem halben Dutzend Staaten. Seine
Beute war unversehrt. Im Jahre 1884 erzählte man, daß er
in Erwiderung auf einen Bericht gesagt habe: „Ich habe
niemals eine Schaustellung von 44 Millionen Dollar in
Obligationen veranstaltet, obgleich ich doppelt soviel hätte
aufzeigen können."^)
^) Vergleiche hierzu S. 479 über Gould.
- 52ö -
Sie werden Aristokraten
Jeder intelligente Mensch kannte die lange und große
Reihe von Betrügereien und Diebstählen, durch die
Huntington, Stanford, Crocker und Hopkins sich durch-
gearbeitet hatten, um ihren Reichtum zusammenzubringen.
Doch wenn sie auch schwer beschuldigt wurden, so mußten
sie doch nicht denselben Schmähungen und Vorwürfen be-
gegnen, mit denen Jay Gould beständig überhäuft wurde.
Im wesentlichen waren sie von demselben Schlage wie
Gould; aber Gould stand vor den Verwünschungen des
Volkes als ein Eisenbahnzerstörer da, während die Kritik
an der Huntington-Gruppe immer durch die Bemerkung
gemildert wurde: „Nun, wenn sie auch kolossale Summen
gestohlen haben, so haben sie doch wenigstens große Eisen-
bahnen gebaut und sind von großer Bedeutung für die Ent-
wicklung des Landes gewesen." Und sie hatten keine
Schwierigkeit, sofort in die Kreise aufgenommen zu werden,
die die ,, beste Gesellschaft" repräsentierten. Die Frage,
ob sie zugelassen werden könnten, wurde nicht aufgeworfen.
Durch die Macht des Geldes wurden sie sofort ein Teil der
Geldaristokratie. Durch die nämliche Macht des Geldes
fand auch Huntingtons Adoptivtochter leicht Eingang in
die vornehmen Kreise der europäischen hohen Aristokratie;
sie heiratete im Jahre 1889 einen Prinzen Hatzfeld und erhielt
ein väterliches Geschenk von mehreren Millionen Dollar.
Huntington lebte wie ein Grandseigneur, wenigstens so-
weit es sich um die Wohnung handelte. Er hatte ein Herren-
haus in San Francisco; eine prächtige Besitzung in den
Adirondack-Bergen, für welche er 250 000 Dollar bezahlt
hatte; ein palastartiges ländliches Heim in Throgg's Neck,
N. Y. ; und er baute mit einem Kostenaufwand von Millio-
nen ein imponierendes Gebäude in der 5. Avenue und 57.
Straße der Stadt New York^) — jener aristokratischen
Straße, in die so viele Magnaten nach einer Laufbahn von
Betrug und Diebstahl kamen, um sich hinter geziemendem
^) Aber nachdem es fertiggestellt war, war er nicht zu bewegen, darin zu leben.
Sein Grund war der Aberglaube, daß die Menschen ihre Häuser nur bauen, um darin
zu sterben.
- 529 -
Glanz zu verstecken. Acht Jahre wurden gebraucht, um
unter Aufwendung von 250 000 Dollar auf dem Woodland-
Friedhof ein Mausoleum zu erbauen — ein klassisches,
geräumiges Marmorgrab.
Die Linien werden von Harriman übernommen
Und dort ruhen nun seine sterblichen Reste. Nach
seinem Tode zeigte das Inventar seines Besitztums, daß
sein Reichtum wahrscheinlich ungefähr 60 Millionen Dollar
betrug; zweifellos war die Summe im ganzen noch viel
höher. Seine noch lebende Witwe erbte den größten Teil
davon. Aber was wurde aus der Herrschaft über die Eisen-
bahnen und Dampfschifflinien, die er in seiner Gewalt
hatte ? Sein Tod ereignete sich ungefähr zu derselben Zeit,
als die durch Harriman und seine Bankhäuser vertretene
Standard Oil-Oligarchie bei ihrem wachsenden Streben nach
Eisenbahnbesitz, bereit war, das Eigentumsrecht an den
Pacific-Eisenbahn- und Dampfschifflinien zu kaufen. Der
große Überschuß der Standard Oil-Finanzen lieferte be-
quem die vielen Millionen, die zum Ankauf der in Mrs,
Huntingtons Besitz befindlichen Aktien nötig waren; und
die Herrschaft über die Southern Pacific und andere aus-
gedehnte, durch Betrug und Diebstahl gebaute und in
Betrieb erhaltene Eisenbahn- und Dampfschifflinien wurde
von den allmächtigen Standard Oil-Magnaten angetreten.
Siebentes Kapitel
DAS WERDEN J. PIERPONT MORGANS
Badete sich je ein reicher Mann mehr in Lobpreisungen
als jener siegreiche Held des Geldes neuster Zeiten
J. Pierpont Morgan? Schon lange war sein Ruhm nach
allen vier Himmelsgegenden ausposaunt worden. Sein über-
reiches Lob ist mit einer Übertreibung gesungen worden,
die man bei jedem anderen als schwülstig zurückgewiesen
34
- 530 -
hätte. Der höchst mächtige Patriot und Bürger von un-
übertroffener nationaler Gesinnung, der große Finanzmann
und edle Philanthrop, der wunderbare „Führer der In-
dustrie", der Beschützer des sozialen Gebäudes, der Freund
von Königen und der König unter Männern — das sind
nur einige ausgewählte Verherrlichungen, die nur zu oft
von der großen Menge ernsthaft aufgefaßt wurden. Ein
Schriftsteller besonders, der verzückt nach einem umfassen-
den Huldigungsausdruck suchte, hat beinahe den Gipfel
der Verehrung erreicht, in dem er ihn als „Morgan, den
Glänzenden^)", feierte.
Morgans vorzüglicher Ruf
Niemals ist er kritischen Bemerkungen über „anrüchigen
Reichtum" unterworfen gewesen, hat auch niemals, wie
Jay Gould seinerzeit und wie Rockefeller während seiner
ganzen Laufbahn, eine feindliche öffentliche Meinung be-
kämpfen müssen.
In all den vielen, immer wiederholten, ausgeschmückten
Geschichten, die über Morgans Karriere aufgebracht wor-
den sind, ist kein Fünkchen Wahrheit, abgesehen von
einer einzigen unbestrittenen Tatsache. Unleugbar ist er
einer der hoch emporragenden aggressiven Geldfürsten
der Vereinigten Staaten. Was besitzt oder beherrscht er
nicht ? Man prüfe den angehäuften Besitz, der ihm allein
oder in Verbindung mit anderen gehörte. Was für eine ver-
wirrende Liste! Es ist anstrengend, ein Verzeichnis davon
zu machen, und man unterläßt besser die Aufzählung.
Banken und Eisenbahnen, Industrieanlagen und Gruben,
Ländereien, gemeinnützige Einrichtungen oder Anteile
daran, Dampfschiffe, Verlagsanstalten und Zeitungen —
alle ganz oder zum Teil sein Eigentum.
Nicht ganz ein ^^Selfmademan**
Morgan ist nicht einer der Magnaten, die vollständig in
die Rubrik eines „Selfmademan" gehören.
^) Unter diesem Titel erschien ein Artikel von einem „populären Schriftsteller"
in „Pearson's Magazine", Februar-Ausgabe 1908
- 531 -
Hier gibt es einmal eine Abweichung in der fast unver-
änderlichen Folge von Ähnlichkeiten. Über den Beginn
der Laufbahnen fast aller anderen Multimillionäre ist von
verherrlichenden Schriftstellern dieselbe Geschichte me-
chanisch niedergeschrieben worden: wie diese Männer als
arme Jungen anfingen, irgendwo einen kleinen Laden auf-
machten, Geld sparten und sich allmählich zu Reichtum
emporarbeiteten. Im neunzehnten Jahrhundert wurde der
Bezeichnung „Selfmademan" eine unangebrachte Wich-
tigkeit beigelegt, insofern sie große persönliche Energie und
Tüchtigkeit bedeuten sollte; so viel Anerkennung schien
in ihr enthalten zu sein, daß sie immer als Lob ausgesprochen
und mit Stolz entgegengenommen wurde.
Dies konnte jedoch von J. Pierpont Morgan nicht gesagt
werden. Sein Vater Junius S. Morgan war ein Millionär.
Stufenweise aufsteigend, vom Farmerjungen zum Kommis
im Schnittwarengeschäft, zum Bankbeamten und Handels-
herrn wurde Junius S. Morgan Kompagnon von George
Peabody im Bankgeschäft. Als der Bürgerkrieg ausbrach,
wurden George Peabody & Co. zu den finanziellen Vertre-
tern der Vereinigten Staaten in England ernannt. Gleich-
zeitig mit dieser Ernennung fing ihr Reichtum plötzlich an
stark anzuwachsen; Avährend sie bis dahin Reichtümer in
nicht bemerkenswert schnellen Etappen angesammelt hat-
ten, fügten sie jetzt in sehr wenigen Jahren viele Millionen
hinzu.
Die Laufbahn des Vaters
Biographische Berichte behaupten, daß es durch recht-
mäßige Bankoperationen geschah, wenn auch nicht aus-
einandergesetzt wird, worin diese Operationen bestanden.
Aber wenn wir dem Urteil und der Kritik, die zu dieser Zeit
in den amerikanischen Zeitungen erschienen, glauben sollen,
dann waren ihre Operationen nicht nur sehr weit davon
entfernt, rechtmäßig zu sein, sondern bewegten sich auf
dem Gebiete lebhaftesten Verrates. Die Verfassung der
Vereinigten Staaten definiert den Verrat als darin be-
stehend, daß Bürger gegen die Nation einen Krieg beginnen
34*
- 532 -
oder dem Feinde Hilfe und Unterstützung gewähren. Nach
zeitgenössischen Schriftstellern waren die Operationen von
George Peabody & Co. derartig, daß sie nicht nur ver-
räterisch, sondern ein doppelter Verrat waren, insofern,
als George Peabody & Co. gerade zu der Zeit, als sie dem
Feinde hinterlistige Hilfe zuwendeten, die finanziellen Be-
vollmächtigten der Vereinigten Staaten waren und sehr gut
bezahlt wurden, um deren Interessen zu fördern.
Ein Artikel z. B., der im Oktober 1866 in dem Spring-
fielder Rcpublican^) veröffentlicht wurde, behauptete:
„Denn alle, die irgendetwas von dem Gegenstand wissen,
wissen sehr gut, daß er (Peabody) und seine Teilhaber uns
in unserem Kampfe um die nationale Existenz keine Treue
und keine Hilfe erwiesen. Sie teilten vollständig das all-
gemeine Mißtrauen der Engländer gegen unsere Sache und
unseren Erfolg und sprachen und handelten eher im Interesse
des Südens als für die Nation."
Augenscheinlich riefen die großen wohltätigen Stiftungen,
die Peabody damals machte, die Bemerkungen über den
Ursprung seines Vermögens hervor.
Der Schreiber dieses Artikels sagte weiter, daß George
Peabody & Co. das Gefühl der Unsicherheit steigerten und
daraufhin spekulierten. „Niemand sonst," fuhr er fort,
„trug so viel dazu bei, unsere Geldmärkte mit den Scheinen
unserer europäischen Schuld zu überfluten, die Preise
zu schädigen und das finanzielle Vertrauen zu unserer
Nation zu schwächen, wie George Peabody & Co., und
niemand gewann durch dieses Verfahren mehr Geld als sie.
Alles Geld und noch mehr, das Mr. Peabody so verschwen-
derisch für unsere Unterrichtsanstalten ausgibt, wurde, so
*) Diese Zeitung hat immer den Ruf genossen, außerordentlich sorgfältig und
genau zu sein; sie ist eine der besten Zeitungen der Vereinigten Staaten geblieben.
Der Artikel wurd« auch in der New Yorker „Times" vom 31. Oktober 1866 ver-
öffentlicht.
„Wir haben in diesem Lande," schrieb Cloud in seinem im Jahre 1873 ver-
öffentlichten Buch: Monopolies and the People, „eine Geldaristokratie, die sich
hauptsächlich aus Männern zusammensetzt, die während des letzten Bürgerkrieges
mit dem Unglück ihres Vaterlandes spekulierten und unter dem Vorwande, die
Regierung zu unterstützen, ihre zwanzig, fünfzig und hundert Prozent machten
und große Vermögen aufspeicherten, indem sie die Kriegsflut, in der die Hoffnungen
einer Nation versanken, sich zunutze machten." — S. 227.
- 533 -
nehmen wir an, durch die Spekulationen seines Hauses in
unserem Mißgeschick gewonnen." Ein Schriftsteller der
New Yorker Evening Post stellt in der Nummer vom
26. Oktober 1866 dieselben Behauptungen auf und klagt
Peabody und Junius S. Morgan an, ihre Stellung als
finanzielle Vertreter der Vereinigten Staaten benutzt zu
haben, gerade die Sache zu untergraben, für deren Ver-
tretung sie bezahlt wurden, und aus ihrem Verrat großen
Nutzen gezogen zu haben.
Dies sind einige Zeitungsurteile aus jener 2^it. Ob sie
alle wahr oder teilweise wahr oder ganz falsch waren, wissen
wir nicht; in den amtlichen Aufzeichnungen kann man
keine Bestätigung für sie finden. Die Berichte werden hier
als das gegeben, was sie wert sein mögen^). Aber man sollte
sich vergegenwärtigen, daß nicht der tausendste Teil von
dem, was in der kapitalistischen Welt vor sich geht, jemals
seinen Weg in die amtlichen Dokumente gefunden hat.
Wenn man nach den damals herrschenden Zuständen urteilt,
ist es mehr als wahrscheinlich, daß die Beschuldigungen
durchaus nicht unbegründet waren.
DeT Sohn
J. Pierpont Morgan war im Jahre 1861 ein kräftiger junger
Mann, der eben vierundzwanzig Jahre alt geworden war.
*) In bezug auf eine andere von Peabodys Unternehmungen sind jedoch be-
stimmte Tatsachen in amtlichen Dokumenten niedergelegt. Aus diesen Dokumenten
scheint beweiskräftig hervorzugehen, daß Peabody lange Zeit hindurch Operationen
ausgeführt hat, ähnlich jenen, deren man ihn auch während des Bürgerkrieges
verdächtigte.
Im Jahre 1839 hatte die Chesapeake- and Ohio-Canal-Company Veranlassung,
sich über die Handlungsweise Peabodys, der in London ihr finanzieller Vertreter war,
bitter zu beklagen. Das Kapital dieser Gesellschaft war durch Obligationen, die der
Staat Maryland als Pfand für seine Schuld ausgegeben hatte, sichergestellt. Peabody
verkaufte diese Obligationen in Europa weit unter Pari und weigerte sich, die
Wechsel der Gesellschaft zu honorieren, obwohl er im Besitz großer, ihr gehören-
der Summen war. Aus diesem Verfahren zog er großen Nutzen. Er entschuldigte
sich mit der kritischen Lage der europäischen Geldmärkte. Die Direktoren der Ge-
sellschaft billigten der Form nach seine Handlungsweise, wahrscheinlich, um ihn
gnädig entwischen zu lassen, freuten sich aber, als er sein Amt niederlegte. —
U. S. Senate Documents, First Session, Twcnty-sixth Congress, 1839 — 1840
Vol. 8, Doc. No. 610. Dieses Dokument enthält die ganze Korrespondenz zwischen
der Gciellschaft und Peabody.
- 534 "
,,Er erbte von seinen Eltern," sagt einer seiner Biographen,
„ihre Reinheit des Charakters und ihre ungewöhnlichen
Fähigkeiten^)." Diese ihm zugeschriebenen erhabenen
Tugenden traten nicht besonders hervor. In einem kriti-
schen Zeitpunkt, als die Regierung der Union am nötigsten
Soldaten brauchte, beliebte es Morgan nicht nur zu Hause
zu bleiben, sondern auch noch aus dem Verkauf wertloser
Flinten zur Bewaffnung der Männer, die dem Ruf zu den
Waffen folgten, Nutzen zu ziehen.
Abraham Lincoln erließ seine Proklamation mit dem Rufe
nach Freiwilligen. Der Kampf war ein folgenschweres Rin-
gen nicht nur zwischen Parteien, sondern zwischen zwei
widerstreitenden kapitalistischen Systemen. Die sogenann-
ten gewöhnlichen Leute — die Fabrik- und Werkstätten-
arbeiter, die Bewohner der Armenquartiere, die Vertreter
der liberalen Berufe und die Farmer — strömten helden-
mütig zur Anwerbung herbei. Hunderttausende zogen
hinaus in die Lager und auf die Schlachtfelder, um niemals
zurückzukommen.
Obgleich Morgan körperlich und geistig für den Militär-
dienst wohl geeignet war, ging er doch jeder Art von
Pflichterfüllung aus dem Wege, die ihn im Gelderwerb und
behaglichen Leben stören konnte. Er unterschied sich darin
in keiner Weise von beinahe allen Männern von Stellung
und Vermögen. Sie beschränkten ihren überschwenglichen
Patriotismus auf Reden und Fahnenschwenken, waren aber
sehr sorgfältig darauf bedacht, sich vom Gebiete persön-
licher Gefahr fernzuhalten. Die Reichen, für deren
Interessen die nördlichen Armeen im Grunde fochten, ver-
mieden nicht nur als Klasse die Anwerbung, sondern gingen
darauf aus, ihre eigenen Armeen zu demoralisieren, Un-
tüchtigkeit unter ihnen zu verbreiten und den Tod unter
sie zu säen. Während sie dieses taten und gleichzeitig in
Armeekontrakten die Regierung, die Staaten und die Städte
um große Summen betrogen, ließen sie das Aushebungs-
gesetz so berichtigen, daß es Männern von Vermögen leicht
Gelegenheit gab, sich der Konskription zu entziehen, indem
es ihnen erlaubte, Stellvertreter zu mieten.
^) „America's Succespfull Men," i, 452.
- 535 -
Morgans erster Geschäftsstreich
Das erste feststellbare Geschäftsunternehmen J. Pierpont
Morgans war einer dieser Armeekontrakte; und wenn es
auch nicht in so großem Maßstabe gehalten war wie die
älterer Kapitalisten, so war es doch (nach der herrschenden
kapitalistischen Auffassung beurteilt) ein sehr tüchtiger
Streich für einen jungen Mann von vierundzwanzig Jahren.
Sein Erfolg ließ in Zukunft viel größere Dinge erwarten,
und in dieser Beziehung wurden Morgans Bewunderer nicht
enttäuscht.
Im Jahre 1857 bezeichneten die Armeeinspektoren eine
große Anzahl Hallscher Karabiner als durchaus unbrauch-
bar und als ein veraltetes und gefährliches Muster. Die
Regierung verauktionierte daraufhin von Zeit zu Zeit große
Mengen davon zum Preise von je i bis 2 Dollar; fünftau-
send davon blieben jedoch in dem in New York befindlichen
Armeearsenal und lagen noch dort, als der Bürgerkrieg aus-
brach.
Am 28. Mai 1861 machte ein gewisser Arthur M. Eastman
aus Manchester, New Hampshire, der Regierung das An-
gebot, diese Flinten zu 3 Dollar das Stück zu kaufen. Die
Regierungsbeamten hätten, da sie die bei den Armee-
lieferungen herrschenden großen Betrügereien kannten,
bei diesem Angebot wohl Verdacht schöpfen können,
zogen aber augenscheinlich seine Ehrlichkeit nicht in Frage.
Die Flinten wurden zu je 3,50 Dollar an Eastman verkauft.
Aber entweder fehlte Eastman das Geld zur Bezahlung, oder
er war von einer im Hintergrund stehenden Hauptperson
als Strohmann vorgeschoben worden. Ein gewisser Simon
Stevens^) erschien jetzt auf dem Schauplatz und willigte ein,
^) Die Hausuntersuchungskommission für Regierungskontrakte berichtete im
Jahre 1862 dem Kongreß, daß Simon Stevens zu der Clique gehöre, die in die
Zollhausbetrügereien verwickelt war. Vor dem Jahre 1859 hatte der Zollcinnehmer
des New Yorker Hafens zum Überführen der Güter in die behördlichen Lager-
häuser für unverzollte Waren die Arbeiter und Fuhrleute aus dem Warenhause des
Taxators verwendet. Im August 1859 schloß Zolleinnehmer Schell (ein bestechlicher
Tammany-Politiker) einen Kontrakt, wonach das Überführen einigen seiner politi-
schen Genossen übertragen wurde. Sie erhielten jährlich 1 23 000 Dollar. „Durch diesen
Kontrakt," so berichtete der Vorsitzende Van Wyk, „verdienten die Betreffenden
- 536 -
für Eastman bis zur Höhe von 20 ooo Dollar zu bürgen;
diese Summe sollte zur Bezahlung der Flinten verwandt
werden; als doppelte Sicherheit nahm Stevens ein Pfand-
recht auf die Flinten. Aber von wem erhielt Stevens das
Kapital? Aus den amtlichen und gerichtlichen Aufzeich-
nungen geht hervor: von J. Pierpont Morgan.
Eine große Skandalaffäre der Zeit
Der nächste Schritt in diesem Geschäft bestand darin,
daß Stevens am 5. August 1861 dem General Fremont, der
in St. Louis kommandierte, telegraphisch mitteilte, daß er
fünftausend neue Karabiner von tadelloser Verfassung habe
und anfrage, ob Fremont sie nehmen wolle. Aus Fremonts
Hauptquartier kam die Order, sie sofort nach dem Haupt-
quartier der Armee in St. Louis zu verschiffen. Während
der ganzen Zeit waren die Karabiner in dem in New York
befindlichen Arsenal geblieben. Als Fremonts Auftrag ein-
traf, bezahlte Morgan der Regierung die Summe von
17 486 Dollar — 3,50 Dollar für den Karabiner. Die Flinten
wurden direkt von dem Arsenal nach St. Louis verschifft.
Und welches war die Summe, die die Regierung dafür be-
zahlen mußte? Die Fremont aufgemachte Rechnung
lautete auf den Betrag von 22 Dollar für das Stück der
Sendung*).
jährlich 50 000 bis 70 000 Dollar." Die Kommission zeigte, wie der Kontrakt durch
Bestechung erlangt worden war, und stellte fest, daß Stevens den achten Teil der
Einkünfte erhalten habe. Stevens ließ auch jeden im Zollhaus angestellten Beamten,
der etwas gegen den Kontrakt sagte, aus dem Dienste entfernen. — The Congressio-
nal Globe, Third Session, 37. Congress, 1862 — 1863, Part 2 Appendix; 118.
^) Reports of Committees, Second Session, Thirty-seventh Congres«, i86i bis
1862, Bd. 2.
Die Betrügereien in Fremonts Hauptquartier in St. Louis waren ganz besonders
groß. Major McKinstry, der Quartiermeister der U. S. Armee in jener Stadt,
wurde wegen 61 verschiedener verbrecherischer Taten von einem Kriegsgericht
verhört und in 26 Fällen schuldig befunden. Die Zeugenaussagen enthüllten sehr
große, auf geheimen Abmachungen beruhende Betrügereien bei allen Arten von
Armeelieferungen. Morgans Flintengeschäft wurde jedoch unter den verschiedenen
Fällen nicht erwähnt. McKinstry wurde aus der Armee entlassen. House Reports,
Committees and Court of Claims, Third Session, Thirty-seventh Congress, 1862 bis
1863, Report No. 49, i — 24.
Daß gewisse Offiziere der Union tatsächlich bestochen vsrurden, wurde durch
folgende Mitteilung aufgedeckt, die Major-General Frederick Steele am 26. Juli
- 537 -
Dies war einer der vielen Armeekontrakte, die öffentlich
und amtlich als höchst skandalös angesehen wurden; eine
der besonderen Kongreßkommissionen des Jahres 1862 ging
unverzüglich an die Untersuchung der Sache. Nachdem sie
umfassende Nachforschungen angestellt hatte, berichtete
diese Kommission:
So wurde tatsächlich der Vorschlag gemacht, der Regie-
rung fünftausend ihrer eigenen Flinten zu je 22 Dollar zu
verkaufen, wobei, falls das Anerbieten angenommen wurde,
die Absicht bestand, diese Flinten von der Regierung für je
3,50 Dollar zu erlangen ... Es ist sehr klar, daß sogar das
Kapital, mit dem der Erwerb ausgeführt wurde, im Ver-
trauen auf die vorher getroffene Abmachung, wieder zu ver-
kaufen, geborgt wurde. Die Regierung verkaufte nicht nur
an einem Tage für 1 7 486 Dollar Waffen, die sie sich am
Tage vorher verpflichtet hatte, für 109 912 Dollar zurück-
zukaufen — wobei die Vereinigten Staaten 92 426 Dollar
verloren — , sondern sie lieferte tatsächlich das Geld, um
selbst die 17 486 Dollar zu bezahlen, die sie empfing.
Die Regierung weigerte sich, die für jeden der fünftausend
Karabiner verlangten 22 Dollar an Morgan zu bezahlen,
worauf Morgan auf die Erfüllung seiner Ansprüche drang.
So kam der Prozeß J. Pierpont Morgan gegen die Regierung
der Vereinigten Staaten in die gerichtlichen Protokolle. Er
steht dort als Fall Nr. 97^). Um über diese Ansprüche,
wie über viele andere ähnliche, zu einer Entscheidung zu
kommen, ernannte der Kriegsminister eine Kommission,
die von J. Holt und Robert Dale Owen, dem Sohne des
berühmten Robert Owen, gebildet wurde.
1864 aus Little Rock Ark. an Major-General E. R. S. Canby, der die Militär-Division
von West-Mississippi befehligte, schickte:
„General, Ihre Mitteilung über Bestechung unter den Offizieren meines Kom-
mandos ist soeben eingetroffen. Wenn Bestechungsgclder angenommen worden sind,
muß es durch Vermittler geschehen sein. Ich bin überzeugt, daß die Offiziere
nichts davon wissen. General Marcy, der Inspektionsgeneral, ist in Fort Smith, um
die Sache zu untersuchen. Carr ist Hauptqu^rtiermeister meines Korps und ist
Oberstleutnant. Brigadegeneral J. W. Davidson hat Carr bei jeder Gelegenheit
verleumdet ... Er hätte Belege über Bestechung seiner eigenen mit der Kassen-
verwaltung beauftragten Offiziere haben können, wenn er sie gewünscht hätte.
Ich habe solche Belege gesehen." — House Miscellaneous Documents, Second
Session, 52. Congress, 1892 — 1893 (Rebellion Record Series I, Bd. 41), S. 401.
^) Ebenda 64 — 72.
„ 538 -
In ihrem Bericht vom i. JuH 1862 stellt diese Kommission
fest, daß ihr 104 Fälle von Forderungen an den Staatsschatz
bis zur Höhe von 50 Millionen Dollar zugewiesen worden
seien und daß sie 17 Millionen Dollar davon als übertrieben
und betrügerisch ausgeschaltet habe^). In bezug auf Mor-
gans Anspruch erklärte sie, daß General Fremont nicht das
Recht gehabt habe, den Kontrakt für die Lieferung der
Flinten abzuschließen daß sie aber aus der Tatsache, daß
die Waffen in den Dienst der Armee übergegangen seien,
eine rechtliche Verpflichtung der Regierung anerkenne.
Als besten Ausweg aus dem schlimmen Handel bestimmte
sie, daß Morgan mit 13,31 Dollar für den Karabiner be-
zahlt werden solle, und sie wies darauf hin, daß selbst bei
diesem Preise Morgan und Stevens so ständen, daß sie
49 000 Dollar über den Preis erhielten, für den ihnen von
den Vereinigten Staaten die Flinten verkauft worden
waren ^). Nach dieser Entscheidung wurden von der Re-
gierung im ganzen 55 550 Dollar an Morgan gezahlt, was
nur als Abschlagssumme angenommen wurde.
Diese Regelung entsprach nicht den Ansprüchen. Das
ganze Pfund Fleisch wurde verlangt. Eine Klage auf
Zahlung von weiteren 58 000 Dollar wurde beim Be-
schwerdehof in Washington eingebracht. Dieses Mal wurde
der Fall als Simon Stevens gegen die Regierung der Ver-
einigten Staaten bezeichnet. In der Darlegung des Falles
vor Gericht wurde Nachdruck auf die Tatsache gelegt,
daß nach Aussage der Regierung die Karabiner von dem
von der Regierung beauftragten Artillerieoffizier unter-
sucht und für unbrauchbar erklärt worden seien. Richter
Peck sagte, als er die Entscheidung aussprach: „Nach
einer Vereinbarung zwischen Stevens und einem gewissen
J. Pierpont Morgan sollte die Zahlungsanweisung für die
ersten 2500 gelieferten Karabiner auf den Namen Morgan
ausgestellt werden, was auch geschah; die besagte Anwei-
sung wurde von dem Artilleriehauptmann der Armee der
Vereinigten Staaten F. D. Cadwallader unterzeichnet und
^) Reporte of Committees, Second Session, 37. Congress, 1861 bis 1862, Bd. 2, 77.
2) Ebenda 75.
') Court of Claims Report II, 98 usw.
_ 539 -
lautete auf die Summe von 55 550 Dollar. Nach einer wei-
teren Vereinbarung kam diese Anweisung in die Hände der
Herren Ketchum, Sohn & Co." Diese Zahlungsanweisung
wurde ungefähr am 10. September 1861 honoriert. Die
anderen 2500 Flinten, sagte der Gerichtshof, waren von
Fremont ebenfalls in Empfang genommen worden^).
Gerichtshöfe veranlassen die Regierung, zu zahlen
Erhielten Morgan und seine Genossen von der Regierung
alles, was sie verlangten ? Ja, sie erhielten es. Richter Peck
war der Ansicht, daß Fremont, wenn er eingewilligt habe,
die Flinten zu kaufen, einen für die Regierung bindenden
Kontrakt abgeschlossen habe, und Kontrakt sei Kontrakt.
Der Gerichtshof nahm keine Kenntnis von der Tatsache,
daß die wertlosen, für untauglich erklärten Flinten als neu
bezeichnet worden waren, zog auch nicht in Betracht,
daß das Geld, mit dem sie von der Regierung gekauft
worden waren, tatsächlich Regierungsgeld gewesen war.
Er sprach Stevens in dem Urteil gegen die Regierung
58 175 Dollar zu.
Infolge dieser besonderen Entscheidung konnte die Re-
gierung jetzt geltend machen, daß sie gegen die Horde der
Kontrahenten schutzlos sei, die die Beamten durch Be-
stechung dazu gebracht hätten, beschädigte Schiffe und
mangelhafte Panzerung, wertlose Gewehre und Kleider aus
Lumpenwolle, dünne Zelte, Decken und Schuhe und Futter-
beutel, die in Stücke zerfielen, verdorbene Nahrung und
ähnliche Ausrüstungsgegenstände und Vorräte anzunehmen.
Kein einziger dieser Betrüger kam ins Gefängnis oder wurde
auch nur damit bedroht.
*) Ebenda 99. Für die Regierung der Vereinigten Staaten eintretend, sagte
der Hilfsanwalt der Vereinigten Staaten vor dem Gerichtshof:
„Die Waffen wurden von Arthur M. Eastman von den Vereinigten Staaten für
yit Dollar das Stück gekauft, weil sie von dem Artillerieoffizier untersucht und
für unbrauchbar erklärt worden waren. Sie wurden von Eastman an den Kläger für
12'/» Dollar das Stück verkauft, und der Kläger verkaufte sie sofort an General
Fremont für 22 Dollar das Stück. Der Regierungspreis für neue Waffen dieser
Art, sofern sie von guter Qualität und für den Gebrauch geeignet sind, betrug
17^/, Dollar." - Ebenda 98.
- 540 -
Dies war in Wahrheit der Beginn von J. Pierpont Morgans
geschäfdicher Laufbahn; die Tatsachen finden sich unver-
rückbar und unangreifbar in den gerichtUchen Protokollen.
Von dieser Art waren die „Patrioten", zu denen er und seine
kapitalistischen Genossen gehörten; doch füttern seitdem
und heute mehr als je Geistlichkeit und Politiker und seichte,
kriecherische Schriftsteller das Publikum beständig mit
Fabeln, die sämtlich Morgans schrankenlose Wohltätigkeit
und seinen erhabenen Patriotismus dartun sollen^).
Achtes Kapitel
DAS AUFBLÜHEN VON MORGANS VERMÖGEN
Groß ist Mr. Morgans Macht, größer in mancher Hin-
sicht noch als die eines Präsidenten oder Königs",
so schrieb ein akklimatisierter englischer Beobachter vor
einigen Jahren 2), eine Tatsache, die selbst für den nur ge-
legentlich Hinblickenden offenkundig ist und leicht un-
widersprochen bleibt. Wer kann in der Tat ihre Wahrheit
bestreiten ? Über alle Rechtsformen und Beamte, über die
höchsten Volksvertretungen und Gerichtshöfe, über Ge-
setze und Verfassungen, über 85 Millionen amerikanischen
Volkes weit hinaus ragt dieser eine Mann empor im festen
Besitz einer Macht, die ebenso ungeheuer wie verhängnis-
voll ist.
Die Albany- und Susquehanna-Eisenbahn^), die jetzt einen
Teil der Delaware- und Hudson-Eisenbahn bildet, war mit
*) Zum Beispiel ein Artikel mit der Überschrift: „Cleveland's Opinion of Men",
in „IVIcCIures' Magazine", Aprilnummer 1909. Der Schreiber des Artikels erzählt,
daß Cleveland, der mehrmals Präsident der Vereinigten Staaten war, im Jahre 1894,
als eine Ausgabe von Obligationen vorbereitet wurde, von Morgans Benehmen gesagt
habe : „Ich sah auch, daß es bei ihm nicht nur eine geschäftliche Angelegenheit war,
sondern ein klar sehender, weitblickender Patriotismus. Er schaute nicht nach per-
sönhchem Vorteil aus, sondern saß da als großer politischer Bankier, mit mir und
meinen Ratgebern Maßregeln zur Abwendung einer Gefahr überlegend, entschlossen,
in einer ernsten und gefährlichen Krisis sein Bestes zu tun."
') A. Maurice Low in „The Independent", Ausgabe vom 30. Oktober 1902.
s) Siehe Railroad Investigation of the State of New York, 1879. Poor's Railroad
Manual of the United States für 1869 — 70 berichtet: »Der Bau die«er Bahn ist in
- 541 -
öffentlichem Gelde gebaut worden, das den Kassen des
Staates New York und anderer Kreise und Stadtbezirke
in jenem Staate entnommen worden war. Von den 45 Millio-
nen Dollar, die dem Schatze des Staates New York für den
Bau von Eisenbahnen entzogen worden waren, ist wenig-
stens I Million Dollar der Konstruktion der Albany- und
Susquehanna-Eisenbahn zugewendet worden.
Die üblichen Diebereien begleiteten ihren Bau; große
Summen wurden durch alle möglichen „Grabschereien"
gestohlen ; und wie bei der Erie-Eisenbahn und vielen an-
deren Bahnen wurde der Staat um einen großen Teil seiner
Darlehen betrogen. Dann erhöhte die herrschende Kapita-
listengruppe das Aktienkapital der Albany und Susque-
hanna nominell und benutzte es zu Spekulationszwecken,
bis diese Kapitalisten durch andere verdrängt wurden,
die ihre Machenschaften in größerem Umfange wiederholten.
Der Hauptwert dieser Eisenbahn lag darin, daß sie mit dem
Kohlengrubengebiet von Pennsylvania in direkter Ver-
bindung stand.
Zwei konkurrierende Kapitalistenparteien stürzten jetzt
herbei, um sie in ihre Gewalt zu bekommen. Die eine
Gruppe wurde von Gould und Fisk geführt, die andere von
J. Pierpont Morgan. Die älteren Kapitalisten sahen mit
äußerstem Erstaunen, wie diese jungen Männer kühn um den
Besitz eines wertvollen Eisenbahnnetzes kämpften, an dessen
Bau keine der beiden Gruppen irgendeinen Anteil gehabt
hatte. Der alte Kommodore Vanderbilt sah es mit einer
Mischung von Bewunderung und Neid. Gould war erst
33 Jahre alt und Morgan 31. Jede Partei kaufte so viele
Aktien, wie sie konnte ; Gould mit dem Ertrag seiner Dieb-
stähle und Morgan möglicherweise mit dem Ertrag von
Unternehmungen von der Art des Fhntenverkaufs zum
Beispiel. Die Wahlen der Aktionäre führten zu tumultuari-
schen Szenen; jede Partei beanspruchte die Wahl ihres
eigenen Direktoriums und beschuldigte die andere der gröb-
sten Betrügereien.
hohem Maße durch das vom Staate bewilligte Geld unterstützt worden; die dafür
auegegebenen Suramen (i Million Dollar alles in allem) erscheinen nicht in den
Hauptabreclinungen."
- 542 -
Ganz wie es sich gehörte, wurde der Kampf bis vor das
Gericht gebracht. Einundzwanzig verschiedene Prozesse
wurden von Gould und Fisk angestrengt und ein ganzes
Bündel gerichtHcher Verbote dadurch erlangt. Die Morgan-
Partei focht heftig dagegen. Aber solange der juristische
Kampf sich auf die Gerichtshöfe der Stadt New York
beschränkte, war der Sieg Goulds und Fisks sicher. Und
zwar darum, weil Richter des obersten Gerichtshofes, wie
Barnard und Cardozo, früher Werkzeuge Vanderbilts,
jetzt Goulds Sklaven waren und alles taten, was er befahl.
Sehr bald trat eine erbauliche Situation ein. Jede Partei
war so leidenschaftlich entschlossen, die andere hinaus-
zustoßen, daß die Eisenbahn in einen Zustand vollständiger
Unordnung geriet und nicht mehr in Betrieb erhalten
werden konnte. Das Volk war, nachdem es i Million
Dollar öffentlichen Geldes für ihren Bau ausgegeben hatte,
gezwungen, zuzusehen, wie die beiden Parteien, von denen
keine einen Dollar für ihren Bau angelegt hatte, das Eigen-
tumsrecht beanspruchten und einander mit gerichtlichen
Befehlen und Verboten in den Weg traten.
Der Ausgang war zweifelhaft, blieb es aber nicht sehr
lange. Gould und Fisk wurden auf kluge Weise ver-
leitet, einen Kontrakt zu schließen, der in der Folge zu
ihrer vollständigen Niederlage führte. Der Kontrakt hatte
folgenden Inhalt: Die beiden streitenden Parteien hätten,
da sie zu keiner Einigung kommen konnten, im gegen-
seitigen Übereinkommen beschlossen, Gouverneur Hoff-
mann schriftlich mitzuteilen, daß es unausführbar ge-
worden sei, die Eisenbahn in Betrieb zu erhalten, und daß
daher die Einsetzung eines Staatsbeamten erwünscht sei, der
sie bis zur Neuwahl von neuen Direktoren leiten solle. Diese
Mitteilung wurde am 1 1 . August 1 869 an Gouverneur Hoff-
mann geschickt, und ihre Vorschläge woirden angenommen.
Beide Parteien des Betruges angeklagt
Weniger als einen Monat später wurden gesonderte
Wahlen abgehalten; wieder beanspruchte jede Partei, daß
ihre Direktoren gewählt würden. Weitere Prozesse folgten.
- 543 -
Gould und Fisk klagten, daß Ramsey, der Präsident der
Eisenbahn, 3000 Anteilscheine für die Morgan-Partei un-
rechtmäßig ausgegeben habe, und verlangten die Un-
gültigkeitserklärung dieser Emission. Morgan, Samuel
Sloan und andere der Gegenpartei rächten sich mit Anklagen,
daß Gould und Fisk Gewalt und Betrug angewandt hätten.
Nun trat der Staat New York dazwischen und strengte durch
einen Anwalt einen Prozeß gegen beide Parteien an. Der
Staat erhob die Beschuldigung, daß beide Wahlen der Aktio-
näre ungesetzlich, unregelmäßig und ungültig gewesen,
daß falsche Stimmen mitgezählt worden seien, und sie
auch in anderer Beziehung voll Betrug wären ^). Der
Staat verlangte ein Verbot, das beide Vorstände an der
Besitzergreifung hindern sollte.
Der Fall kam im November 1869 i^och einmal vor Richter
Darwin Smith im obersten Gerichtshof zu Rochester, N. Y.
Gould und Fisk befanden sich sehr im Nachteil. In der
Stadt New York, mit den ihnen zur Verfügung stehenden
erkauften Richtern, konnten sie den Entscheidungen vor-
arbeiten, aber in Rochester befanden sie sich auf einem Ge-
biet, wo die Macht konkurrierender Magnaten stark be-
festigt war. Richter Smiths Entscheidung fiel durchaus
zugunsten der von J. Pierpont Morgan geleiteten Kapita-
listengruppe aus, und die Älbany- und Susquehanna-Eisen-
bahn ging in ihren Besitz über 2).
Dies scheint J. Pierpont Morgans erster Eintritt in das
Eisenbahngeschäft gewesen zu sein, in dem er später eine
so mächtige Rolle spielen sollte. Von nun an waren beinahe
30 Jahre lang — bis die Periode der Organisation industrieller
Truste einsetzte — Bankgeschäfte und die sogenannte „Reor-
ganisation von Eisenbahnen" seine Hauptunternehmungen.
Die beiden Unternehmungen arbeiteten gut zusammen.
Mit Hilfe von erschlichenen Finanzgesetzen zwangen
die internationalen wie die nationalen Bankiers das Volk
der Vereinigten Staaten durch seine Regierung, ihnen
*) Lanzings Reports, New York Supreme Court, i, 308 etc. Die in der Ent-
scheidung enthaltene Darstellung des Falles erwähnt häufig die Partei, „an deren
Spitze J. Pierpont Morgan stand".
*) Siehe The People of the State of New York. The Albany and Susquehanna
Railroad Company, Lanzings Reports N. Y. Supreme Court i, 308 — 34";.
- 544 "
Kapital zu geben, mit dem sie Eisenbahnen und anderes
Eigentum aufkaufen konnten^). Wir haben das in den Ver-
einigten Staaten während des Bürgerkrieges und unmittel-
bar darauf herrschende Finanzsystem schon beschrieben : wie
dem Volke Steuern in Höhe von i8 bis 20 Millionen im
Jahre auferlegt wurden, damit die Bankiers und andere
Obligationeninhaber ihre jährlichen Zinsen erhielten.
Gesetzgebung zur Begünstigung des Raubes
Aber die während des Bürgerkrieges erlassenen außer-
ordentlichen Finanzgesetze waren nur die Vorläufer anderer,
in späteren Jahren durch die Bankiers und die aUgemeine
Klasse der Gläubiger veranlaßten Gesetze, durch welche
diese ihr Vermögen und ihre Macht sofort bedeutend ver-
mehrten und in den Stand gesetzt wurden, den Produzenten
noch viel wirksamer als vorher die Daumenschrauben an-
zulegen.
Das bemerkenswerteste dieser Gesetze war das am
12. Februar 1873 im Kongreß durchgebrachte, das die Ent-
thronung des Silbers als Münze tatsächlich durchführte.
Dies war derselbe Kongreß, der mit i Million Dollar be-
stochen wurde, um ein Gesetz zu erlassen, das der Pacific-
Dampfschiffsgesellschaft weitere 5 Millionen Dollar Sub-
sidien gewährte. Die Vorlage über die Demonetisierung des
Silbers wurde durch eine Umgehung durchgebracht; mit
keinem Worte wurde darin die Ausschaltung des Silbers er-
wähnt, nur wenige wußten, was sie bedeutete. Es war eine
der geschicktesten Gesetzesvorlagen, die jemals im Kongreß
durchgebracht worden sind, und erst nachdem sie Gesetz
geworden war, fing man an, ihre geheimen Bestimmungen zu
verstehen.
1) Im geheimen haben die Rothschilds schon lange einen mächtigen Einfluß
ausgeübt, indem sie die amerikanische Finanzgesetzgebung in Händen hielten. Die
gesetzlichen Protokolle zeigen, daß sie in der alten Bank der Vereinigten Staaten
mächtige Personen waren. August Belmont & Co. waren ihre amerikanischen Ver-
treter. Im Jahre 1873 schätzte man, daß 375 Millionen Dollar amerikanische Eisen-
bahnpapiere außerhalb de« Landes seien, hauptsächlich im Besitz ausländischer
Bankiers. Der Schlußbericht der Industriekommission vom Jahre 1902 (siehe S. 404
des Berichtes) schätzte die Höhe dieser im Besitze fremder Bankhäuser und sonst
im Ausland befindlichen Wertpapiere auf ungefähr 3 loo 000 000 Dollar.
T 545 -
Die Mittelklasse wurde hart getroffen; der Geldvorrat
schrumpfte sofort zusammen, die Kaufkraft des Goldes
wurde erhöht und das Übergewicht der großen Kapitalisten
und Bankinstitute über die Klasse der kleinen Besitzer
wurde bedeutend vermehrt. Dies Gesetz wurde ungefähr
zu derselben Zeit durchgebracht, als der erste Trust, die
Standard Oil-Company, sich bildete, um der Lehre vom
freien Wettbewerb im Handel den Todesstoß zu versetzen
und den Vermittler im Geschäftsleben zu vernichten. Das
war für den Mittelstand nach seiner langen Herrschaft ein
trauriger Tag.
Die Vertreter des Mittelstandes im Kongreß und in
anderen Körperschaften begannen jetzt eine Agitation, die
mehrere Jahre dauerte^). Sie erhoben die Beschuldigung,
daß die Entwährung des Silbers durch das Komplott John
Shermans und einiger anderer bedeutender Kongreßmit-
glieder mit den Finanziers von Wallstreet und Europa zu-
stande gekommen sei. In der Tat sind die Bände der „Kon-
greßprotokolle" jener Jahre der Reihe nach voll von Reden,
in denen diese Beschuldigung immer und immer wieder vor-
gebracht wird. Aber das Gesetz bestand; und was den
Mittelstand noch mehr reizte, John Sherman, der so heftig
als Verräter und als Mietling der Bankiers angeklagt worden
war, wurde wenige Jahre später zum Finanzminister der
Vereinigten Staaten ernannt. Von jener Zeit an traten die
nationalen und internationalen Bankiers immer unverhüllter
als direkte Diktatoren in der Finanzgesetzgebung und der
Politik der Vereinigten Staaten auf.
Die große Emission von Staatspapieren des Jahres 1877,
die den Bankiers kolossalen Vorteil brachte, folgte auf
Shermans Ernennung. Ehe wir uns jedoch dieser denk-
würdigen Transaktion zuwenden, wird es gut sein, einen
flüchtigen Blick auf Morgans mannigfache Tätigkeiten und
ihre Art zu werfen. Die erste Firma, deren Teilhaber
Morgan wurde, war die Firma Dabney, Morgan & Co.,
wie man sich erinnern wird, eines der Bankhäuser, die
*) Die Millionäre, denen die Silberminen des Westens gehörten, waren, obgleich
man sie nicht zum Mittelstände rechnen kann, die Führer dieser Agitation. Eigenes
Interesse trieb sie dazu.
3S
- 546 -
an der bekannten Kansas Pacific-Eisenbahn-Anleihe be-
teiligt waren. Diese Anleihe wurde von den Leuten, die
Geld anlegen wollten, hauptsächlich im Hinblick auf eine
Landbewilligung von 3 Millionen Morgen in Kansas und
Colorado begehrt, die die Kansas Pacific-Eisenbahngesell-
schaft von dem Kongreß durch Bestechung erlangt hatte
und die den Anfang von nicht nur einer, sondern von vielen
aufeinanderfolgenden Betrügereien und Räubereien bildete.
Morgan konnte — und soweit die landläufige Auffassung
ging, mit Recht — behaupten, daß es ein „rechtmäßiges
Bankverfahren" sei, diese Anleihe auf den Markt zu bringen ;
aber die Tatsache, daß kein Bankier es ablehnte, aus der
Finanzierung von Unternehmungen Nutzen zu ziehen, die,
nach seinem Wissen, mit Bestechung und Betrug begonnen
und ebenso fortgesetzt wurden, gibt eine sehr klare Vor-
stellung von der in den kapitalistischen Klassen herrschenden
Moral und Ethik.
Die große Obligationenausgabe des Jahres i8yy
Morgan wurde dann Teilhaber der Firma Drexel,
Morgan & Co. Er fing an, sich bei sehr großen geschäft-
lichen Unternehmungen hervorzutun. Eine dieser Unter-
nehmungen bestand darin, daß er die Ausgabe der 260 Millio-
nen Dollar amerikanischer Staatspapiere vom Jahre 1877 auf
den Markt brachte. Es genüge, wenn wir sagen, daß man
diese Ausgabe von Staatspapieren allgemein und nicht ohne
volle Berechtigung als einen der allerschlimmsten, jemals
bekannt gewordenen Fälle betrachtete, wie das Volk an
einige wenige Bankiers verraten wurde. Der Verkauf der
Papiere wurde den folgenden Bankhäusern zugeteilt:
August Belmont, den Rothschilds, J. und W. Seligmann
Brothers und Drexel, Morgan & Co. in London. Dieses
Syndikat verkaufte die Papiere sofort mit einem Aufschlag
von I bis 4 Prozent über den Preis, den es der Regierung ge-
zahlt hatte. DerGewinn des Syndikats ging über 10 Millionen
Dollar hinaus. Von Drexel, Morgan & Co. allein glaubte
man, daß sie einen Reingewinn von 5 Millionen Dollar
,, gemacht" hatten. Ihre ganze Tätigkeit bestand einzig und
- 547 -
allein darin, als konzessionierte uhternehmende Vermittler
für eine Regierung zu handeln, die über diese Papiere auch
ohne Zwischenhändler hätte verfügen können. Außerdem
konnten die beteiligten Bankiers die Papiere für sich selbst
zu Vorzugspreisen kaufen und dann durch die verbündeten
Landesbanken die übliche Praxis durchführen, doppelte
Zinsen einzuziehen — einmal Zinsen von der Regierung
und zweitens Zinsen für das auf Grund derselben Papiere
ausgegebene Bargeld^).
Diese Unternehmungen umfaßten augenscheinhch nur
einen Teil von Morgans mannigfacher Tätigkeit in den
Jahrzehnten, die dem Bürgerkriege folgten; man kann wohl
überzeugt sein, daß er zur selben Zeit in eine Menge rein
privater Geschäfte verwickelt war, deren Einzelheiten
niemals öffentlich bekannt wurden. Selbst von seinen
öffentlich bekannten Unternehmungen sind die in den
gerichtlichen Protokollen niedergelegten Tatsachen mehr An-
deutungen als wirkliche und vollständige Berichte über die
zugrundeliegenden Umstände. Die Bankiers und Ge-
schäftsleute hatten allen Grund, ihre Angelegenheiten mit
der größten Heimlichkeit zu umgeben, besonders wenn
diese Angelegenheiten in irgendeiner Weise mit der Ver-
wertung amtlicher Tätigkeit für eigene Zwecke, mit dem
verdächtigen Erlaß parteiischer Gesetze oder der Über-
tretung von Gesetzen zusammenhingen. Der ganze Kauf-
mannsstand wurde von dem Gedanken geleitet, das Pu-
blikum soviel wie möglich im Dunkeln zu lassen; und selbst
wenn die üblichen gesetzlichen Untersochungskommissionen,
von höchster Gesetzesmacht umgeben, nur die an der
Oberfläche liegenden Tatsachen auf milde Art festzustellen
suchten, ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen, stießen sie
der Regel nach bei jeder Wendung auf Hindernisse.
Wurden Tatsachen öffentlich bekannt, so geschah dies
k
^) Die skandalösen Umstände dieser Obligationsausgabe verursachten Im ganzen
Lande lebhafte Erregung und riefen Im Kongreß hitzige Debatten hervor. Am
24. Januar 1879 nahm der Senat der Vereinigten Staaten einen Vorschlag an, den
Finanzminister Sherman um Aufklärung zu ersuchen über die angeblich von Banken
und Syndikaten erhobenen doppelten Zinsen. — Siehe Senate Executive Docu-
ment, No. 9, 1879.
35*
- 548 -
zufällig und trotz aller Anstrengungen der betreffenden
Magnaten, sie zu vertuschen. Manchmal versorgten er-
bitterte Konkurrenten die Untersuchungskommissionen mit
Enthüllungen; bei anderen Gelegenheiten versuchte ein
Magnat den andern bei der Verteilung der Beute zu be-
trügen oder auf seine Kosten Vorteile zu erlangen, und dann
pflegte man den Streit vor Gericht zu bringen, wobei
wenigstens einige bemerkenswerte Punkte aufgedeckt wur-
den. Es kann nicht stark genug betont werden, daß auf jede,
von Untersuchungskommissionen und Staatsbeamten gegen
Kapitalisten erhobene Anklage der Unehrlichkeit und Be-
stechung hundert solche Anklagen von Kapitalisten selbst
ausdrücklich gegen ihren eigenen Stand vorgebracht wurden,
eine Tatsache, die durch die umfangreichen gerichtlichen
Protokolle von der ersten Zeit der Regierung der Vereinig-
ten Staaten an bis zur Gegenwart überreich bestätigt wird.
Morgan und William H. Vanderbilt
Morgan hatte es nicht nötig, sich um das „Vertrauen"
irgendeines anderen zu bewerben; er war ein grausamer,
angriffslustiger Finanzmann, von herrischer, ja leidenschaft-
licher Natur und von großer Macht auf seinem eigenen
Gebiete — dem Bankgeschäft. Sein Charakter war von jener
entschlossenen, despotischen Art, die es ablehnt, sich von
irgendeinem Menschen oder einer Folge von Umständen
hindern zu lassen, und seine Handlungsweise zeichnete sich
nicht durch Zartgefühl aus. „Seine Art, zu handeln, ist
drastisch," schrieb einer seiner Biographen von seinen
Eisenbahnorganisationen, „und die Besitzer jüngerer Wert-
papiere haben manch saures Gesicht gezogen, aber sein
Vorgehen scheint wirksam gewesen zu sein, i bis 3 Mil-
lionen Dollar werden gewöhnlich als die Kommissions-
gebühr angegeben, die das Haus J. Pierpont Morgan & Co.^)
dafür erhielt, daß es die Reorganisation verstand und
ausführte."
Zwischen diesen Zeilen kann man deutlich lesen, von
^) Die Nachfolger von Drexel, Morgan & Co.
- 549 -
welcher Art Morgans „wirksames" Vorgehen war; es wird
weiterhin in dieser Erzählung durch seine eigenen Worte und
Taten noch mehr beleuchtet werden.
Entgegen der so weit und so beständig verbreiteten Schil-
derung sind viele Kapitalisten nicht Männer von persön-
Hchem Mut in dem Sinne, daß sie Mann gegen Mann ein-
ander gegenübertreten und es buchstäblich, wie man zu
sagen pflegt, einander „gehörig geben". Verschlagenheit,
Habgier, Niederträchtigkeit und Verrat, die das Geschäfts-
leben durchtränken und in der Tat die Grundlage eines
erfolgreichen Geschäftes sind, erzeugen sowohl physische
wie moralische Feigheit. Die Kapitalisten sind wohl fähig,
ihre Kämpfe durch Rechtsanwälte auskämpfen zu lassen,
aber den meisten von ihnen fehlt es infolge einer gewissen
Entartung an der Fähigkeit, auf andere Menschen einen
starken, direkten, persönlichen, männlichen Einfluß aus-
zuüben, wie ihn der kämpfende Seeräuberhäuptling alter
Tage auf seine Schar ausübte. Morgan bildete eine der
wenigen Ausnahmen. Verbunden mit seinem Reichtum
war bei ihm eine kraftvolle kriegerische Persönlichkeit,
eine ungeheure geistige und physische Lebenskraft; er war
ein Mann, der seinen Willen ebensosehr bloß durch brutale
Stärke wie durch Vernunftgründe durchsetzen konnte,
der durch Beweise überzeugen und, wenn es notwendig war,
durch Gewalt einschüchtern und in Schrecken versetzen
konnte.
Eine solche Verbindung im Verein mit Reichtum und
Erziehung (denn er hatte höhere Schulen besucht) und einer
vollständigen Kenntnis aller geschäftlichen Kniffe mußte
sich als unüberwindlich oder fast unüberwindlich erweisen.
Selbst seine durch eine unglückliche Entstellung des Ge-
sichts hervorgerufene äußere Erscheinung vermehrte den
kraftvollen Eindruck und den Schrecken, den er einflößte.
Nicht unpassend nannte er seine Jacht The Corsair; er
war eine moderne, mit dem Gewände der Gegenwart be-
kleidete Verkörperung eines antiken Korsaren, dessen Eigen-
schaften sich neuen Verhältnissen angepaßt haben.
- 550 -
Große Magnaten unterwerfen sich ihm
Anstatt sich in Vanderbilts Vertrauen einschleichen zu
müssen, zwang er jenen hochmütigen Magnaten, sich mit
ihm zu verständigen. Diese Tatsache bezeugte Morgan
selbst in dem Prozeß, der aus Vanderbilts Süd-Penn-
sylvania-Eisenbahnprojekt entstand — einem Unternehmen,
das schon früher beschrieben wurde. Morgan hatte aller-
dings als Vanderbilts finanzieller Vertreter gehandelt, aber
er hatte auch bedeutenden Anteil an der Pennsylvania-
Eisenbahn, und sein Bankhaus vertrat große ausländische
Besitzansprüche an jene Linie. Vor allem war er scharf
dahinter, die Interessen ]. Pierpont Morgans zu wahren.
In einem Verhör, am 13. Dezember 1885 vor dem Unter-
suchungsbeamten John H. Weiß im Bundesgericht zu
Philadelphia, erzählte er, daß er, als er im Juni 1885 aus
Europa zurückkehrte, „zu der Überzeugung gekommen war,
es müsse etwas geschehen, um eine größere Harmonie in
die Hauptlinien zu bringen", und er fügte hinzu, daß er
geglaubt habe, „man könne auf Mr. Vanderbilt einen ge-
nügenden Druck ausüben, um ihn zum Verkauf der Süd-
Pennsylvania-Linie zu veranlassen". Über die besondere
Art dieses „Druckes" wurde keine Erklärung abgegeben,
aber diejenigen, die mit der ungeheuren zwingenden Macht
der Pennsylvania-Eisenbahn, mit der Macht von Morgans
Bank und den mit ihm in Beziehung stehenden Banken
vertraut waren, waren über seine Bedeutung nicht im Zwei-
fel. Der Friedensvertrag zwischen den kriegführenden
Magnaten wurde schließlich an Bord von Morgans Jacht
abgeschlossen. Worin bestand Morgans Anteil? Um seine
eigenen Worte zu gebrauchen, er „kaufte von der Süd-
Pennsylvania und verkaufte an die Pennsylvania". Welche
Belohnungen er als Vermittler erhielt, wurde nicht öffent-
Hch bekannt gemacht; wir können vermuten, daß seine
Rechnung nicht gering war. Dieser Frieden, wie alle solche
Kontrakte, wurde nur geschlossen, um gebrochen zu werden ;
die Reading-Eisenbahn, die nach dem Vertrage für gewisses
Eigentum entschädigt werden sollte, erhob die Beschuldi-
gung, daß sie betrogen worden sei ; daraus entstand der Prozeß.
- 551 -
Bis zu dieser Zeit, d. h. bis zum Jahre 1886, hatte Morgan
keine große Rolle als Eisenbahnmagnat gespielt; er machte
sich mehr als mächtiger Bankier bemerkbar, dessen Spezia-
lität es war, Eisenbahnen zu reorganisieren. Man darf aber
nicht annehmen, daß unter „Reorganisation" kostspielige
Verbesserungen in der äußeren Ausstattung und dem
Betrieb von Eisenbahnen verstanden wurden, wie die Ein-
führung von Vorrichtungen und Ausrüstungen zu größerer
Sicherheit und die Verringerung der Gefahr für Passagiere
und Eisenbahnarbeiter. Eine „Reorganisation" bestand in
dem Reduzieren oder in dem summarischen Auslöschen der
Schulden und in dem Ersinnen neuer Pläne, nach denen der
Gewinn größer sein würde.
Wiederholte Anklagen wegen Betrugs
Dafür, daß er das tat, wurde Morgan als ein Mann von
wunderbarem erfinderischem Scharfsinn gepriesen — als ein
Finanzmann erster Größe. Häufig jedoch teilten — wie wir
sehen werden — die kleinen Aktionäre diese Ansicht nicht ;
und gelegentlich vergaßen sie die von ihnen erwartete
Dankbarkeit so weit, daß sie ihn vor Gericht des Betrugs
anklagten^).
Das Aggressive in seinem Charakter und seiner Handlungs-
weise, seine wilde Kühnheit in der Zertrümmerung von
Hindernissen, seine Verachtung jeder künstlichen Be-
schränkung durch das Gesetz, seine Nichtachtung der
öffentlichen Meinung und die Art, wie er es verstand, seine
Gewalt dort anzuwenden, wo sie die besten Resultate her-
vorbringen würde — alle diese Eigenschaften und Fähig-
keiten waren gerade diejenigen, die zu jener besondern Zeit
notwendig waren.
*) Z. B. : In dem Falle der Toledo-Eisenbahn und Terminal- Company brachte
die Ohio-Sparkasse und -Kredit-Gesellschaft beim Bundesgericht in Toledo, Ohio,
am 5. August 1907 einen Protest ein mit der Behauptung, daß beim Verkaufe
jener Bahn Betrug verübt worden sei und zwischen Morgan und anderen Eisenbahn-
magnaten ein geheimes Einverständnis bestanden habe. Durch die« geheime Ein-
verständnis sei, so wurde behauptet, ein Abkommen erreicht, wonach durch Unter-
drückung konkurrierenden Angebots der Besitz zu einem niedrigen Preise ver-
kauft wurde; dies sei geschehen, um nicht sichergestellte Gläubiger zu betrügen.
Der Protest wurde zurückgewiesen.
Neuntes Kapitel
MORGAN ALS BANK- UND EISENBAHNKÖNIG
Am 2. Januar 1889 wurde von den drei Bankhäusern
Drexel, Morgan & Co., Brown Brothers & Co. und
Kidder, Peabody & Co. ein als „privat und vertraulich" be-
zeichnetes Zirkular versandt. Die äußerste Sorgfalt war
darauf verwendet worden, daß dieses Dokument nicht seinen
Weg in die Presse fände oder auf andere Weise bekannt
würde. Man hatte in der Tat außergewöhnliche Vorkehrun-
gen getroffen, um seinen Inhalt mit allen Vorsichtsmaß-
regeln der Geheimhaltung zu umgeben.
Woher diese Furcht ? Weil dieses Zirkular eine — un-
ausgesprochen als Befehl aufgefaßte — Einladung an die
großen Eisenbahnmagnaten enthielt, sich in Morgans Haus
in der Madison-Avenue Nr. 219 zu versammeln und dort,
nach der Ausdrucksweise des Tages, eine „eisengepanzerte"
Verbindung einzugehen. Der Plan war, einen festen Pakt zu
schließen, der die Konkurrenz zwischen gewissen Eisen-
bahnen vernichten und die Bahninteressen einheitlich
zusammenfassen sollte, so daß man das Volk der Vereinig-
ten Staaten noch wirkungsvoller bluten lassen könnte als
vorher. Um für den Fall, daß etwas über die Natur des
Unternehmens in die öffentHche Presse durchsickern sollte,
den Schein zu wahren, garnierten die Gründer ihre wirk-
lichen Pläne mit einer Kette ablenkender Phrasen. Ihr
einziges Ziel bestehe, so drückten sie sich Hebenswürdig
aus, in der Gründung einer Vereinigung, „um volkstümliche,
vernünftige, gleichmäßige und feste Preise aufrechtzuer-
halten", und — so fügten sie hinzu — ein weiteres Ziel
würde in dem Sammeln statistischen Materials über die
Eisenbahnen bestehen.
Durch solche Vorwände wurde niemand außer den
Leichtgläubigen und Unwissenden getäuscht.
- 553 -
Eing historische Zusammenkunft in Morgans Haus
Jenes Zirkular ist ein historisches Dokument und verdient
mehr als vorübergehende Beachtung; und wer mit den
Kräften, die damals am Werke waren, vertraut ist, wird ihm
mit Recht eine viel größere Bedeutung zuerkennen als den
Botschaften der Präsidenten, den Anordnungen des Kon-
gresses oder den Entscheidungen der Gerichtshöfe.
Zu einer Zeit, als jeder auf Gesetz oder auf Präzedenz-
fällen beruhende Klagegrund benutzt wurde, um darauf
zu bestehen, daß die Industriemächte unverändert in dem-
selben Zustande verharrten, kam dieses Zirkular wie eine
Herausforderung. Das geschriebene und das ungeschrie-
bene Gesetz erklärte streng, daß das, was man Konkurrenz
im Handel nennt, lebendig erhalten werde, und daß, wenn
es sich nicht aus eigener Kraft erhalten könne, das Gesetz
seine Aufrechterhaltung verlangen müßte. Was die Kon-
kurrenz hervorgerufen und ihr Berechtigung verliehen hatte,
ging vorüber, aber keine der gesetzgebenden Körperschaften
erkannte die neuen Bedingungen oder traf irgendwelche
Vorkehrungen für sie. Die Magnaten aber machten sich
klar, daß das alte System allgemeiner Konkurrenz anfing,
schnell zu veralten, und daß die 2^it für eine systematische
Organisation der Industrie gekommen war. Und während
so die gesetzgebenden Körperschaften ein Gesetz nach dem
andern scheinbar als „Verordnungen des suveränen Volkes
der Vereinigten Staaten" erließen, versandten einige wenige
Magnaten ein kurzes Zirkular, das tatsächlich wirkungsvoller
war als ganze Bände von Gesetzen, die im Angesicht der
vorwärts treibenden ökonomischen Kräfte schließlich kraft-
los sind.
Aber die Ansichten des Volkes im allgemeinen und das
eigene Interesse der Mittelklasse waren gegen jeden Umsturz
des Konkurrenzsystems. Mochten auch die Magnaten die
Ankündigung ihrer Zwecke milde halten und mochten sie
auch ihre Ziele noch so harmlos darstellen, der Plan dieser
Gruppe von Bankiers und Eisenbahnkönigen mußte sicher-
lich den schärfsten Argwohn erregen. Eine ruhelose, trübe
Gemütsstimmung durchdrang die Masse des Volkes. Es war
- 554 -
voll Mißtrauen gegenüber jeder von den Magnaten auf-
gestellten Behauptung und immer bereit, unter freundlichen
Ankündigungen unheilvolle Pläne zu sehen. Überdies war
die Definition der Magnaten von „vernünftig" der des
Volkes in seiner Gesamtheit diametral entgegengesetzt.
Beträge und Forderungen, die von den Magnaten als „ver-
nünftiger Ausgleich" überzuckert wurden, erschienen dem
Verständnis des Volkes außerordentlich unvernünftig: als
grobe Erpressungen, denen das Gesetz gebührende Beach-
tung schenken soUte.
Allmähliches Zugrunderichten der Mittelklasse
Auf das Geheiß der Mittelklasse wurden überall Gesetze
durchgebracht, die sich wenigstens oberflächlich gegen die
willküriiche Macht der Magnaten und die Konzentration
der Hilfsquellen richteten. Seit der Unterdrückung und
Auflösung der großen Arbeiterbewegung des Jahres 1886
wurden von dieser Seite ernste Angriffe nicht mehr be-
fürchtet. Aber die Vernichtung der Mittelklassen mußte
langsam und vorsichtig vonstatten gehn.
Arbeiteraufstände — politische oder andere — konnten
durch Gewalt und richterliche Entscheidungen und bei
den Wahlen durch Bestechung und Betrug vernichtet wer-
den. Vorkommendenfalls pflegte bei der Unterdrückung
der arbeitenden Klassen die ganze Mittelklasse mit den
Interessen der Besitzenden zusammen zu gehen. Doch
wenn es sich beim Kampf um die Herrschaft nur um die
Mittelklasse und die Plutokratie handelte, dann hatten
die Magnaten guten Grund, die Mittelklassen nicht zu offen
anzugreifen. Das Land wimmelte von Organisationen von
Gewerbetreibenden, Maklern und kleinen Händlern, und
im Westen und Süden befand sich als Verbündeter der
Farmerbund in seiner größten Macht. Diese Mittelklasse
maßte sich die Bedeutung an, das „Volk" zu sein. Die von
ihr benutzte und ausgebeutete Arbeiterklasse besaß, um
ihre Ansichten zu verbreiten und ihre Forderungen zum
Ausdruck zu bringen, nur wenige unbekannte Fachzei-
tungen und hatte, obwohl sie die ungeheuer große Masse
- 555 -
der Wähler umfaßte, nicht einen einzigen wirkHchen Ver-
treter in poHtischem Amt. Aber die Interessen der Mittel-
klasse waren durch Tausende von Zeitungen und Zeit-
schriften, durch eine Schar politischer Redner, Anwälte und
Universitätsprofessoren und durch die Kraft des herrschen-
den Gesetzes und der Wirtschaftseinrichtungen vertreten.
Morgan leitet die Sache
Diese Tatsachen dürften eine ziemlich klare Vorstellung
von der Zusammensetzung und den Ansprüchen jener
Mittelklasse geben, die durch die Nachricht von der Zu-
sammenkunft in Morgans Haus in krampfhafte Erregung
versetzt werden mußte. Eine folgenschwere Versammlung
war es sicherlich, die am 8. Januar 1889 in Morgans Herren-
haus zusammenkam. Wen bemerken wir da ? Dem An-
schein nach private Bürger, in Wirklichkeit Herrscher des
Landes: Jay Gould mit seinem am Gängelbande geführten
Sohn George; Stickney aus dem Nordwestgebiet; Roberts
von der Pennsylvania-Eisenbahn ; den geschmeidigen Depew,
das Echo der Vanderbilts; Sloan von der Delaware-, Lacka-
wanna- und Western-Eisenbahn und ein halbes Dutzend
weitere Magnaten oder ihre bevollmächtigten Wortführer.
Die ehrenwerten gesetzgeberischen Körperschaften mochten
über die Ratsamkeit dieser oder jener gesetzgeberischen
Maßregel würdevoll debattieren; der geräuschvolle „Kon-
greß der Vereinigten Staaten" mochte feierlich zusammen-
treten und, nachdem er Monate in Großsprecherei verbracht
hatte, behaupten, Gesetze gegeben zu haben; die hohen
und mächtigen Gerichtshöfe mochten eine strenge Miene
aufsetzen und mit Wichtigtuerei ihre Entscheidungen ver-
abfolgen. Aber in jenem Zimmer in Morgans Hause saßen
viele der tatsächlichen Herrscher der Vereinigten Staaten,
saßen die Männer, welche die Macht hatten, in der Bestim-
mung dessen, was geschehen solle, das letzte Wort zu
sprechen.
Morgan führte den Vorsitz bei der Versammlung und kam
mit gewohnter schroffer Offenheit direkt zur Sache. Dank
einem stenographischen Bericht über die Verhandlungen,
- 556 -
dessen wir glücklicherweise habhaft werden konnten, ist das
Werk jener Versammlung klar. Der Name der Organisation
sollte sein: „Interstate Commerce Railway Asso-
ciation", ihr wesentlicher Zweck das Aufhören der Kon-
kurrenz unter ihren Mitgliedern. Aber wie sollte irgendein
Magnat verhindert werden, mit einem andern zu kon-
kurrieren, oder von einem Eingriff in das Gebiet eines anderen
zurückgehalten werden ? Welche Strafen sollte es geben,
und wie konnten sie erzwungen werden ? Sicherlich konnte
kein Gesetz angerufen werden, um die Durchführung eines
solchen Übereinkommens zu erzwingen, denn das Gesetz
untersagte Ringbildungen ausdrücklich, und jede Gesetz-
gebung würde nicht nur unwirksam sein, sondern die Aus-
dehnung des ganzen verbrecherischen Paktes aufdecken.
Morgan erläßt ein Ultimatum
Es gab jedoch eine weit größere Macht als die des Ge-
setzes, die Macht des aufgehäuften Geldes. Wäre irgend-
einer der anwesenden Magnaten geneigt gewesen, dem vor-
bereiteten Programm zu widersprechen, so wurde ihm die
Strafe sofort klar vor Augen geführt, als Morgan ver-
kündete :
„Ich bin, wie ich glaube, in bezug auf die hier vertretenen
Bankhäuser zu der Erklärung autorisiert, daß, wenn eine
Organisation auf der von der Kommission unterbreiteten
Grundlage und mit einem unter Beteiligung der Bankiers
gebildeten Exekutivkomitee, das seine Vorkehrungen soll
durchsetzen können, praktisch möglich ist, diese Bankhäuser
für den Bau von Parallellinien oder zur Erweiterung von
Linien, die nicht von jenem Exekutivkomitee gebilligt
worden sind, keine Geschäfte mit Wertpapieren machen
und auch alles in ihrer Macht Stehende tun werden, um
solche Geschäfte zu verhindern. Ich möchte, daß dieses
deutlich verstanden wird."
Die Drohung oder das Versprechen, wie man es verschie-
den auslegen konnte, wurde zweifellos verstanden. So un-
geheuer groß auch der Reichtum der anwesenden oder ver-
tretenen Magnaten war, nicht einer von ihnen oder eine
- 557 -
Vereinigung von ihnen wagte (wenn auch Neigung vor-
handen war), einem solchen Ultimatum Trotz zu bieten.
Dies tun, hieße, den rachsüchtigen, vernichtenden Zorn
einer Clique von nationalen und internationalen Bankiers
herausfordern, deren Geld und Macht die verderblichsten
Wirkungen hervorrufen konnten. Auch gab es keinen
irgendwie möglichen Weg, sich an eine höhere Gewalt zu
wenden.
Was tat es, wenn viele der gesetzgebenden Körperschaften
der Staaten Verbindungen zur Beschränkung des Handels
mit Strafen belegt hatten ? Was tat es, wenn die zornige
Mittelklasse mit wildem Geschrei die Durchführung dieser
Gesetze verlangte ? Was tat es, daß nach dem geschriebenen
wie nach dem ungeschriebenen Gesetz dieser Zwangserlaß
der Bankiers eine verbrecherische Verschwörung war ?
Jeder Mann jener Versammlung wußte, daß er nach dem
Urteil der herrschenden Gesetze an einer Verschwörung
teilnahm, doch niemand fürchtete ernsthaft, daß die zahl-
reichen Landes- und Staatengesetze streng gegen ihn zur
Anwendung gebracht werden würden. Die Versammlung
fühlte sich auf so sicherem Boden, daß an die MögHchkeit
einer Verfolgung überhaupt nicht gedacht wurde.
Eine andere in jener Zusammenkunft (eine „Konferenz"
nannte man sie) auftretende Erscheinung verdient Erwäh-
nung. Wie sehr Menschen als Nichtigkeiten angesehen
wurden, auch wenn sie Magnaten waren, und wie sehr der
Besitz als das allein Wichtige betrachtet wurde, das zeigte
sich bei der Art der Abstimmung. Die Namen der Magnaten
wurden beim Aufruf der Stimmen nicht genannt; man er-
wartete, daß die inkorporierten Eisenbahnen ihre Stimmen
abgaben, und diese waren es auch, die abstimmten. So wurde
statt des Namen Gould der Name seiner Eisenbahnen auf-
gerufen ; die Missouri-Pacific und die Wabash stimmten ab,
nicht Gould. Was hätte schöner, einfacher und direkter
sein können, so frei von Heuchelei, so sehr dem Geiste der
anwesenden menschlichen Geldsäcke entsprechend ? Wenn
diese Methode nur auch im Kongreß angenommen würde,
so würde für das allgemeine Verständnis viel gewonnen
werden; denn solange die alten Methoden dort noch be-
- 558 -
stehen, würden die meisten unserer „Staatsmänner" nicht
verlästert werden, wenn die Stimmliste von Korporationen
und nicht von vermeintlichen Vertretern des Volkes ge-
bildet würde.
Wenn eine bloße Drohung der mächtigen, von Morgan
geführten Bankiers genügte, um eine Gruppe der Eisenbahn-
diktatoren der Vereinigten Staaten zu überzeugen oder in
Furcht zu versetzen, was konnte die Bankmacht dann nicht
vollbringen, wenn sie ihre Geldkraft energisch einem be-
stimmten Ziele zuwandte ? Weder ein kapitalistischer
Gegner, noch irgendeine Regierung konnte dieser Macht
widerstehen. Wie weit sie in der erfolgreichen Durchfüh-
rung ihrer Pläne und in der Zerstreuung aller Hindernisse
durch ihren Terrorismus gehen konnte, zeigte sich typisch
in einem bekannten Obligationenhandel vom Jahre 1895,
wobei die Regierung der Vereinigten Staaten von einem
Syndikat von Bankiers mit Morgan an der Spitze unter-
stützt und gezwungen wurde, dem Wesen nach ein Geschenk
von vielen Millionen Dollar für das Privilegium eines nomi-
nellen und vorübergehenden Anspruchs auf einen Gold-
vorrat herzugeben, den dieselben Bankiers nur kurze Zeit
vorher der Schatzkammer der Vereinigten Staaten entzogen
hatten.
Was Wallstreet über Morgan dachte
Ehe wir dieses Unternehmen beschreiben, wollen wir
eine Abschweifung machen, um über einige dazwischen-
tretende Ereignisse aus Morgans Laufbahn zu berichten.
Sein Vater starb im Jahre 1890 und hinterließ ihm ein ober-
flächlich auf 10 Millionen Dollar geschätztes Vermögen.
Es ist aber unnötig, zu sagen, daß J. Pierpont Morgan schon
damals ein unabhängiger Multimillionär war. Daß er von
einem großen Teil des im Finanzgebiet lebenden Elements
intensiv gehaßt wurde, ist unleugbar, aber es war ein Haß,
der nicht aus einem Einwand gegen seine Methoden hervor-
ging, sondern daraus, daß er in der Brutalität oder in der
Feinheit jener Methoden die andern erheblich übertraf.
Alle ihn schmähenden Mitglieder seiner eigenen Klasse
- 559 -
hatten im Grunde irgendeinen persönlichen, in erbitterter
Feindschaft zum Ausdruck kommenden Klagegrund, von
Morgan überlistet oder übertroffen worden zu sein. Hätte
er ihnen nur die geringste Möglichkeit gegeben, sie würden
ihn umgarnt und betrogen und sich an der Tat geweidet
haben.
Aber mit Ausnahme eines einzigen hervorragenden Geg-
ners, auf den wir später zu sprechen kommen werden, kam er
allen zuvor und überwand sie alle, und vielen von ihnen
hinterließ er die bittere Erinnerung an ihren Zusammenstoß
mit ihm, aber sonst nichts. Unzweifelhaft trug Morgans
Persönlichkeit viel zu diesem allgemein verbreiteten Hasse
derjenigen, die mit ihm in Berührung kamen, bei; er konnte
nie in den Verdacht geraten, zu den salbungsvollen Leuten zu
gehören, die voller Schmeichelei und sanfter Arglist sind.
Er war vielmehr eine Art Raufbold auf den Finanz-
gebieten, kriegerisch und unbarmherzig, von rauher, ge-
bieterischer Art, schonungslos gegenüber den Gefühlen oder
Interessen derer, die auf irgendeine Art seinen Willen oder
seine Pläne kreuzten.
Diese persönlichen Details waren jedoch der großen Masse
des Volkes weiter im Lande nicht bekannt. Die populäre
Ansicht über Leute von öffentlicher Bedeutung bildete si-^h
beinahe vollständig nach dem, was die Zeitungen sagte»\,
und diese schilderten mit seltenen Abweichungen Mor-
gan immer als großes Finanzgenie und wohlwollenden
Herrn. Bei Morgans finanziellen Unternehmungen ver-
loren große Scharen von Leuten aus der Mittelklasse wie
auch Leute, die auf der Stufenleiter der Wohlhabenheit
höher standen, große Summen Geldes, das ihnen durch die
Börsenspekulationen in Wallstreet entrissen wurde. Aber
sie tadelten Morgan nicht persönlich deswegen; ihre Er-
bitterung richtete sich gegen die ganze Gattung, das Un-
geheuer Wallstreet. Und doch war unter den so Beraubten
nicht ein einziger, der nicht mit voller Überlegung darauf
ausgegangen wäre, sich selbst auf Kosten irgendeines andern
zu bereichern; selbst diejenigen, die ihre Kapitalien einer
„berechtigten Geldanlage" wegen in Aktien steckten, taten
es mit dem vollen Bewußtsein, daß, je niedriger die bei den
— 56o —
Eisenbahnen und in den Fabriken gezahlten Löhne und je
länger die tägliche Arbeitszeit der Arbeiter wären, desto
glänzender die Aussichten auf eine größere Dividende.
Gleichzeitig wurde der auf dem Finanzgebiet gehaßte
Morgan wegen seiner weitreichenden Macht und seines un-
barmherzigen Vorgehens bei der Durchführung seiner
Ziele sowohl wie bei der Erledigung von Schuldposten in
hohem Grade gefürchtet. Seine Politik bestand darin,
so nahm man an, in einer Korporation einen schwachen
Punkt herauszufinden und sie dann „nach ihrem ganzen
Wert auszupressen" — eine Beschuldigung von sehr großer
Voreingenommenheit, insofern als jeder andere erfolgreiche
Finanzmann unstreitig dieselben Methoden verfolgte, wenn
auch nicht immer auf demselben Wege. Seine Lieblings-
redensart, wenn man ihn nach seinen Unternehmungen
fragte, war: „Ich halte mich nicht meiner Gesundheit
wegen in Wallstreet auf." Seine Feinde verbreiteten es
flüsternd, daß er ein „Freibeuter in der Finanzwelt" sei;
seine Bewunderer — diejenigen, die aus seiner Freigebigkeit
Nutzen zogen — verkündeten laut seine Größe.
Morgan tritt als Kohlenmagnat in den Vordergrund
Wie Morgan verfuhr, als er zusammen mit William
H. Vanderbilt im Jahre 1893 die Philadelphia- und Reading-
Eisenbahn von McLeod an sich riß, davon haben wir schon
eine Beschreibung gegeben. Als Eisenbahn war die Reading-
Linie nicht ausgedehnt ; ihr großer Wert lag in ihrem Be-
sitz von Anthrazitkohlengruben, von großen ungeschürften
Lagern und in ihrem Kohlenfrachtverkehr.
Seiner andern vielseitigen Macht fügte Morgan jetzt die
eines Kohlenmagnaten hinzu. Die Verfassung von Pennsyl-
vania untersagte es, wie wir gesehen haben, den Eisenbahn-
gesellschaften ausdrücklich, Kohlenbergwerke zu besitzen
und zu betreiben. Aber es existiert kein Gesetz, das die
sehr Reichen nicht umgehen konnten. Gesellschaften von
Strohmännern wurden organisiert, und obwohl jedermann
wußte, daß diese Gesellschaften nur eine Umgehung be-
deuteten, so unternahmen die Behörden des Landes doch
- 56i -
keine Schritte dagegen, und als sie nach vielen Jahren der
Untätigkeit in kraftloser Weise eine Klage einbrachten,
appellierten die Magnaten an den obersten Gerichtshof
der Vereinigten Staaten; aus diesem Prozeß gingen die
Eisenbahnen im Jahre 1909 siegreich hervor, da die Ent-
scheidung von so zweideutigem Charakter war, daß sie einer
zu ihren Gunsten gleichkam.
Zwei unmittelbar darauf folgende Resultate verkündeten
Morgans Einzug als Herrscher auf dem Kohlengebiet. Auf
beide haben wir in einem früheren Kapitel hingewiesen,
sie werden aber hier eine Wiederholung vertragen. Jeder,
der in seinem Haushalt Hartkohle verwendete, wurde be-
steuert, um Morgans Vermögen weitere Millionen hinzu-
zufügen. Der Preis für Heizkohle wurde um 1,25 bis
1,35 Dollar gegen die frühere Forderung für die Tonne
erhöht. Das zweite Resultat bestand in einem schnelleren
Verfahren zur Vernichtung der unabhängigen Kohlenpro-
duzenten. Durch eine Reihe unbarmherziger Vorgänge^)
wurden diese Unabhängigen ruiniert und vertrieben, nicht
ohne viel Gejammer über Unterdrückung und gellende
Klagen über Betrug.
Dabei waren die Gruben tatsächlich von ihnen selbst
oder von ihren Vorgängern durch Betrug erworben wor-
den. Die Bestechung der gesetzgebenden Körperschaften
von Pennsylvania durch einzelne Personen und Korpo-
rationen zur Erlangung von Kohlengruben und anderen
Privilegien und besondern Rechten ist zugegebenermaßen
so dreist gewesen, daß die gesetzgebenden Körperschaften
sich im Jahre 1847 gezwungen sahen, mit selbstgerechter
Prahlerei ein „Gesetz zur Festsetzung und Bestrafung des
Vergehens der Bestechung" zu erlassen, worin das Geben oder
Empfangen einer Bestechung zum Kapitalverbrechen ge-
stempelt wurde, das mit einer Geldstrafe bis zu 5000 Dollar
oder mit fünf Jahren Gefängnis zu bestrafen sei 2). Dieses
Gesetz wurde sehr leicht genommen, es hatte nur die
^) siehe Zeugenaussage vor der Kommission des Hauses für den Handel von
Staat zu Staat: House Reports, Fifty-second Congress, Second Session, 1892 — 1893,
Bd. I.
*) Laws of Pennsylvania, 1847, 217.
36
— 562 —
Wirkung, das Bestechungswesen zu verfeinern und zu ver-
dunkeln. Ein zweites Gesetz wurde am 3. März 1860 er-
lassen und ein drittes am 29. April 1874; diese Gesetze
wurden von den Leuten, die eingetragene Privilegien
zu erlangen suchten, ebenso scherzhaft aufgefaßt, und die
Bestechung ging beständig weiter^). Wieder und wieder
wurden die gesetzgebenden Körperschaften von Pennsyl-
vania gezwungen, Untersuchungskommissionen einzusetzen,
um über diese oder jene Beschuldigung, daß Bestechungen
angewandt worden seien, zu berichten; einer der wenigen
Fälle, daß einer der Bestochenen einmal ins Gefängnis
wanderte, ereignete sich in den Jahren 1879 bis 1880 bei
den gerichtlichen Verhandlungen auf Grund des Aufstands-
Entschädigungs-Gesetzes.
Es bedurfte einer gewissen Entschuldigung, um der
großen Preissteigerung der Kohlen den Anschein der Not-
wendigkeit zu verleihen. Die Kohlenmagnaten sorgten im
voraus dafür. Sie fragten, wie sie die höhere Forderung
hätten vermeiden können. War die Kohlenproduktion
nicht zurückgegangen ? Und waren die Frachtsätze nicht
außerordentlich hoch ? Aber die Regierung wußte, daß diese
Behauptungen erdichtet waren. Die Hauskommission für
den Handel von Staat zu Staat hatte einstimmig berichtet,
daß die Kohlenmagnaten die Kohlenförderung absichtlich
herabgesetzt hätten; daß, obgleich die Ausbeutefähigkeit
der Kohlenlager 50 Millionen Tonnen im Jahr betrage, nur
ungefähr 40 Millionen Tonnen gefördert würden, um so den
Anschein von Mangel hervorzurufen. Und was die Fracht-
sätze für Kohlen betrifft, so berichtete die Kommission:
„Obgleich die Frachtbeförderung von Kohlen billiger be-
sorgt werden könne als die von fast allen andern Fracht-
^) Eine der vielen aufeinanderfolgenden Skandalaffären, die aus der Korruption
der gesetzgebenden Körperschaften von Pennsylvania hervorgingen, bestand in der
Durchbringung eines Gesetzes im Jahre 1876 im Interesse der Holzinteressenten.
Summen von 300 bis 500 Dollar wurden einzelnen Mitgliedern der gesetzgebenden
Körperschaften bezahlt oder angeboten, damit sie für oder gegen das Gesetz stimm-
ten. Das Gesetz wurde genannt: „Ein Gesetz zur Regulierung des Zolls und anderer
Ausgaben, aufzuerlegen und einzuziehen von den Floßholz-Gesellschaften." Es
wurde von gewissen Interessenten bekämpft. Siehe „Testimony before the Committee
to Investigate the Means to Secure or Defeat the Passage of the Boom Bill." Penn-
sylvania Legislative Docs., 1876, Bd. 5.
~ 563 -
gütern, bezahlen sie doch beinahe doppelt so hohe Sätze
wie für Weizen und BaumwoUe^)."
Ohne Umschweife: diese Ringbildung war eine Ver-
schwörung und krimineller und zivilrechtlicher Verfolgung
ausgesetzt. Aber weder das Landes- noch das Staatengesetz
wurde dagegen geltend gemacht. Die Hauskommission
berichtete, daß das Gesetz für den Handel von Staat zu
Staat ein zu unwirksames Gesetz sei, um danach zu ver-
fahren, und damit endete das Gerede über eine strafrecht-
liche Verfolgung. Der Regierungsmechanismus der Ver-
einigten Staaten wurde tatsächlich (wie in vielen anderen
Fällen) zum Mitschuldigen des Kohlenrings, indem er ihm
gestattete, aus den Leiden der großen Volksmasse noch
enormere Erpressungen herauszuquetschen.
Übertragung großer Eisenbahnnetze
Morgans beide Kompagnons, Frank und Anthony Drexel,
starben und hinterließen jeder ein Besitztum von 25 Millio-
nen Dollar. Auch sie hatten den ruhmreichen Namen von
Philanthropen erworben; vor ihrem Tode hatten sie zu-
sammen die Summe von 8 Millionen Dollar zur Grün-
dung verschiedener Wohltätigkeitsanstalten in und bei
Philadelphia hingegeben. Seit ihrer Partnerschaft mit
Morgan hatten sie natürlich alle seine Unternehmungen
geteilt.
Da Gold die internationale Handelswährung war, ver-
folgte die Regierung der Vereinigten Staaten die Poli-
tik, eine gewisse Summe als Reserve des Schatzamtes
zurückzubehalten. Als aus diesem oder jenem Grunde
dieser Reservefonds erschöpft war, sah sich die Regierung
gezwungen, Schuldscheine auszugeben, um ihn wieder
zu füllen.
Die mächtige Junta der führenden nationalen und inter-
nationalen Bankiers zwang die Regierung der Vereinigten
Staaten mit Entschiedenheit und Vorbedacht zur Ausgabe
dieser Obligationen. Sie taten es, indem sie dem Staats-
*) House Reports, usw., 1892 — 1893, i. 4.
36*
- 5^4 -
schätz sein Gold entzogen und dann in Scheingeschäften
jenes Gold gegen Staatsschuldscheine zurückverkauften.
Die Staatsschatzscheine und Greenbacks, die einen großen
Teil der Umlaufs mittel der Regierung der Vereinigten
Staaten umfaßten, waren in Münze einlösbar. Diese Be-
stimmung wurde so ausgelegt, daß man die Bezahlung in
Gold verlangte. Die Bankiers pflegten dem Unterschatz-
amt der Stadt New York große Haufen von Staatsschatz-
scheinen und Banknoten zu überbringen und sie in Gold ein-
zutauschen. Dieses Gold pflegten sie dann in ihren Ge-
wölben aufzuspeichern. Die Leiter der Regierung be-
merkten diesen Vorgang durchaus und wußten sehr wohl,
daß der Endzweck in der Erzwingung einer Ausgabe von
Staatspapieren bestand. Nachdem die Bankclique die Obli-
gationen erhalten hatte, konnte sie zweierlei tun — sie konnte
eine große Menge derselben mit erhöhtem Kurs an kleinere
Banken, Sparkassen, Versicherungsgesellschaften, an den
Grundbesitz und an Geldanleger im allgemeinen verkaufen,
und sie konnte einen Teil der Ausgabe, der als Basis zur
Ausgabe neuen Umlaufgeldes einbehalten wurde, auch nutz-
bar machen. Die großen Privatbankiers, wie Morgan, hatten
als Hilfe ihre Reihe von Nationalbanken, durch welche die
Obligationsausgaben in Umlaufsgeld verwandelt werden
konnten, und die altehrwürdige Erpressung des doppelten
Zinsennehmens konnte durchgeführt werden.
„Plündern" der Regierung
Im Jahre 1894 war die Regierung dazu gebracht worden,
diesen Bankiers zwei Obligationsausgaben von je 50 Millio-
nen Dollar auszuhändigen. Ihr Gewinn erreichte, wie man
schätzte, mehr als 10 Millionen. Zur Adventszeit des
Jahres 1895 war der Staatsschatz der Vereinigten Staaten
wieder ohne Gold. Wohin war das Gold gekommen, das
die Regierung nur kurze Zeit vorher zu Wucherpreisen er-
worben hatte ? Die Berichte der großen Bankhäuser gaben
die Antwort. Gegen Ende Januar hatten 26 Bankhäuser der
Stadt New York in ihren Gewölben einen Schatz von
65 Millionen Dollar in Gold. Gleich darauf belief sich die
- 565 -
Summe, alles in allem gerechnet, auf 129 Millionen Dollar.
Die Regierung schrie auf in Hilflosigkeit; man erzählte,
daß Präsident Cleveland privatim gesagt habe: „Die Banken
haben das Land bei der Gurgel gepackt."
Im geeigneten Moment trat ein Syndikat von Bankiers
öffentlich auf und bot der Regierung großmütig an, sie gegen
Obligationen mit Gold zu versehen. Dieses Syndikat wurde
gebildet von J. P. Morgan & Co., August Belmont & Co.,
als Vertreter der Rothschilds James Speyer, der National
City-Bank und vier andern, außerordentlich mächtigen
Nationalbanken.
In den Verhandlungen mit Präsident Cleveland über die
Ausgabe der Obligationen war Francis Lynde Stetson, der
seit dem Jahre 1887 regelmäßig Morgans Rechtsbeistand ge-
wesen war, sein Abgesandter und kluger juristischer Ver-
treter. Stetson war Jacob Sharps Anwalt gerade zu der Zeit
gewesen, als Sharp im Jahre 1884 den New Yorker Magistrat
durch Zahlung von 500 000 Dollar dahin gebracht hatte,
ihm ein Privilegium für eine Broadwaystraßenbahn zu
geben. Auf Grund seiner Tätigkeit bei Sharps Unter-
nehmungen wurde er im Jahre 1886 von der Senatskom-
mission des Staates New York einem strengen Verhör über
die Broadway-Eisenbahn unterworfen. Nachdem Sharp
die New Yorker Aldermen mit Erfolg bestochen hatte, ver-
suchten Elkins und Widener, die ihrerseits den Gemeinderat
von Philadelphia und die gesetzgebenden Körperschaften
von Pennsylvania bestachen und Multimillionär-Magnaten
von Straßeneisenbahnen wurden, die Broadway- Eisen-
bahn (wenn auch diesmal ohne Erfolg) für einen Zeit-
raum von 999 Jahren zu pachten; als Unterpfand ihrer
guten Gesinnung deponierten sie 10 000 Anteilscheine
der Broadway- Aktien , die sie sich verschafft hatten, bei
Drexel, Morgan & Co.^) Morgan wußte, daß jeder ein-
zige dieser Anteilscheine durch Bestechung erworben und
daß das ganze Broadway-Privilegium so erlangt worden
war. Vielleicht war Stetsons ausgezeichnete und geschickte
^) siehe Testimony of James W. Forshay, President of the Broadway and Seventh
Avenue Railroad Company, New York Senate Committee on the Broadway Railroad,
1886, 491^ — 492.
- 566 -
Arbeit für Sharp eine große Empfehlung für ihn bei
Morgan.
Nachdem Cieveland im Jahre 1888 in seiner zweiten
Kandidatur für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten
geschlagen worden war, nahm er seine juristische Tätigkeit
wieder auf und assoziierte sich mit Stetson. Cieveland
wurde im Jahre 1892 wieder zum Präsidenten gewählt;
darauf war Stetson im Weißen Hause ein häufiger und
vertrauter Besucher. Diese verschiedenen Umstände wur-
den vielfach besprochen und besonders kritisch, als Cieve-
land im Jahre 1895 tatsächlich beschuldigt wurde, das Volk
der Vereinigten Staaten offenbar an das durch Stetson ver-
tretene Morgan-Syndikat verkauft zu haben.
Ein Achtzehn-MiUionen-Geschenk
Die Situation war damals so : Das Syndikat hatte den Staats-
schatz der Vereinigten Staaten seines Goldes beraubt; es
hatte dann eine Ausgabe von Obligationen erzwungen und
erklärt, daß es allein das verlangte Gold liefern könne. Dies
war eine leicht zu durchschauende Unwahrheit. Viele
Mitglieder des Kongresses drangen in Cieveland und John
G. Carlisle, den Finanzminister, die Obligationsausgabe zu
einer „populären" zu machen. Mit „populär" meinte man
nicht die Masse des Volkes, die weder Gold noch irgendeine
andere Art von Geld besaß, sondern die kleineren kapita-
Hstischen Interessenten. Cieveland und Carlisle übergaben
jedoch die 62 Millionen Dollar vierprozentiger Obligationen
dem Morgan-Syndikat zum Preise von 104. Das Syndikat
verkaufte die Obligationen sofort wieder zu 118, 119 und 120
an Geldanleger in Amerika und Europa und erzielte, wie
man schätzte, einen direkten Gewinn von ungefähr 18 Millio-
nen Dollar 1). Diese Zahl stellte die Summe dar, die der
Regierung zugeflossen wäre, wenn der Obligationenhandel
^) Dieser mit der Regierung am 8. Februar 1895 abgeschlossene Obligationen-
Kontrakt wurde einige Tage geheimgehalten. Nach der Ausgabe der Obligationen
überwachte Morgan den Empfang der Zeichnungen in seinem Büro persönlich. Der
Wunsch, von ihm Obligationen z\x kaufen, war so groß, daß er 22 Minuten, nachdem
das Angebot begonnen hatte, verkündete, daß keine weiteren Zeichnungen ange-
nommen werden würden; der ganze Vorrat von Obligationen sei verkauft.
- 567 -
ohne das vermittelnde Verfahren ausgeführt worden wäre.
Der mit der Regierung abgeschlossene, ganz und gar von
den Bankiers unter Morgans Leitung diktierte Kontrakt gab
dem Syndikat fernerhin das Anrecht auf alle Obligationen-
ausgaben bis zum nächsten l. Oktober und gestattete ihm,
die Zeit zur Ablieferung der Hälfte der Gesamtsumme in
Gold selbst zu wählen.
Von allen Seiten kamen die schärfsten Anklagen gegen
Cleveland einerseits und Morgan andererseits. Selbst Zei-
tungen von der Partei Clevelands, die ihn regelmäßig unter-
stützten, verurteilten den Handel als skandalös und er-
klärten, daß die Regierung schamlos „durch Bauernfängerei"
ausgeplündert worden sei, wenn nicht in Wirklichkeit eine
noch schlimmere Beschuldigung gegen ihre höchste Exe-
kutivgewalt vorgebracht werden könne^). Seine eigene poli-
tische Partei sagte sich von Cleveland los. Aber wie gleich-
gültig die großen Magnaten auf Stürme der Kritik herab-
sahen, davon gewinnen wir einen bezeichnenden Einblick
durch die Tatsache, daß Morgan den gegen seine Handlungen
^) Kaum war der Reservefonds an Gold durch diese Obligationenausgabe von
62 Millionen Dollar erlangt worden, so wurde er durch die Bankiers schnell wieder
geleert. Gegen Ende des Jahres 1895 verbreiteten sich düstere Gerüchte, daß eine
neue Obligationenausgabe im Gange sei. Diese Gerüchte wurden durch den Erlaß
eines privaten Zirkulars von J. Pierpont Morgan & Co. bestätigt, das ihre Absicht
kundtat, ein Syndikat zu bilden, um eine erwartete weitere Ausgabe von 200 Millio-
nen Dollar Regierungsobligationen zu übernehmen. Morgan und seine Teilhaber
sahen einen Gewinn von 20 Millionen Dollar voraus. Augenscheinlich wußte Morgan
genau, wieviel die Regierung aufzunehmen beabsichtigte; als die Regierung ihren
Aufruf erließ, entsprachen die Bedingungen denen des Zirkulars, das Morgan eine
Woche vorher ausgegeben hatte. Es folgte eine so allgemeine Empörung, daß Cleve-
land und sein Kabinett gezwungen waren, das Morgan-Syndikat preiszugeben und
die neue Anleihe mit einer Ersparnis von 20 Millionen Dollar für den Staatsschatz
auf den allgemeinen Markt zu bringen.
Es braucht als typische und denkwürdige Tatsache kaum erwähnt zu werden,
daß Morgan in seiner amtlichen Korrespondenz und in seinen öffentlichen Be-
kanntmachungen sich als angetrieben durch „patriotische Erwägungen" und durch
den Wunsch, „den besten Interessen der Regierung und des Volkes" zu dienen,
darstellte. Ein Wallstreet-Makler bezeichnete dies in einer öffentlichen Bekannt-
machung zynisch als „bestrickenden und einträglichen Patriotismus". Als Morgan
die neue 200-Millionen-Dollar-Anleihe in seine Gewalt zu bekommen suchte, fragte
ihn ein befreundeter Bankier, ob er nicht einige Details über die Pläne des Syndikats
erfahren könne, ehe er sich beteiligte. „Kann Ihnen nichts Näheres mitteilen", soll
Morgan geantwortet haben. „Wenn Sie Geld machen wollen und das Gold haben,
beteiligen Sie sich. Wenn nicht, au revoir."
- 568 -
erhobenen Anklagen keine Beachtung schenkte, dagegen
über die Veröffentlichung einer Beschreibung seiner Person
als „eines Magnaten von rubinfarbenem Angesicht" un-
verhohlenen tiefen Unwillen zeigte. Er war in bezug auf die
Entstellung seines Gesichts sehr empfindlich.
Soweit auch kritische Bemerkungen über seine Hand-
lungsweise gingen, sie verschwanden bald wieder, und ge-
rade die Zeitungen, die an erster Stelle ihn in Worten
zerrissen hatten, kehrten zu ihrer alten schmeichlerischen
Art, ihn als einen glänzenden Finanzmann und Philanthro-
pen zu preisen, zurück. Von allen Magnaten hegte keiner
eine schärfere Verachtung für die Zeitungen als Morgan.
Keiner wußte besser als er, daß, was für Ausfälle sie auch
gelegentlich machten, ihre Richtung im ganzen doch leicht
durch die Interessen der Besitzenden geregelt werden
konnte.
Nichts für die Arbeitslosen
Um jedoch die ganze Bedeutung des Regierungsverfahrens
bei diesem besonderen Obligationenhandel zu erkennen,
durch welchen einigen wenigen schon mit Reichtum über-
ladenen Bankiers ein Geschenk von reichlich i8 Millionen
Dollar gemacht wurde, muß man sich die Verhältnisse unter
der Masse des Volkes, besonders nach der Panik des Jahres
1893 ins Gedächtnis zurückrufen. In normalen Zeiten betrug
nach der Schätzung von Caroll D. Wright, der einige Jahre
Arbeitskommissioner des Bundes war, die Zahl der Arbeits-
losen immer ungefähr i Million Männer, Frauen und Kinder.
Nach der Panik des Jahres 1 893 wuchs diese Zahl vielleicht
auf 3 Millionen. Die Regierung rührte nicht einen Finger,
um irgendeinem dieser Arbeitslosen zu helfen, auch wur-
den weder Mittel zur Linderung dieses Elends, noch die
Ursachen seiner Entstehung in Betracht gezogen. Maßregeln
wurden getroffen, um Protestversammlungen in den Straßen
zu unterdrücken, und Führer von Arbeiter Vereinigungen
wurden unter der vorgeblichen Beschuldigung der Ver-
achtung der Bundesgerichtshöfe in das Gefängnis geworfen.
Noch im Jahre 1894 hatte Cleveland reguläre Truppen
- 569 -
gegen die streikenden Eisenbahnarbeiter ausgeschickt. Immer
und in jeder Hinsicht führte die Regierung nur die Befehle
aus, die ihr von den alle ihre Handlungen beherrschenden
großen Kapitalisten zugingen.
Zehntes Kapitel
MORGAN DER „UNVERGLEICHLICHE FÜHRER DER
INDUSTRIE"
Zur Adventszeit des Jahres 1898 setzte eine epoche-
machende Bewegung zur Zusammenfassung und
Zentralisierung des Besitzes an EisenbahnHnien , In-
dustriezweigen, gemeinnötigen Betrieben und Bergwer-
ken ein. Die Trustperiode war jetzt unwiderstehlich im
Gange. Nach einem fast dreißigjährigen Kampf in den
Gerichtshöfen und auf dem lebhaften Tummelplatz der
Politik und Industrie sah sich die Mittelklasse vollständig
betrogen.
Acht Jahre vorher, im Jahre 1890, hatte man im Staate
New York etwas erreicht, was in überschwenglichen Aus-
drücken als bemerkenswerter Triumph verkündet wurde.
Damals hatten die Gerichtshöfe den Zuckertrust nach der
Verfügung des gemeinen Rechtes, wonach keine Korpo-
ration berechtigt sei, ihre Rechte, Machtbefugnisse und
Verpflichtungen durch ihre Aktionäre oder auf andere Art
einem Direktorium zu übertragen, für ungesetzlich erklärt^).
^) The People of the State of New York versus: „The North River Sugar
Refining Company, 121, N. Y., 582."
Nachdem die Regierung das Vergehen dieser großen Betrügereien unbestreit-
bar bewiesen hatte, zahlte die Amerikanische Zuckerraffinerie- Gesellschaft zur
Wiedererstattung des Erschwindelten im April 1909 mehr als 2 Millionen Dollar an
die Regierung. Aber diese zwei Millionen Dollar deckten nur einen Teil des lange fort-
gesetzten Betrugs. Es wurde keiner von denen bestraft, die aus diesem Diebstahl
Nutzen gezogen hatten; die Bestrafung einiger unbekannter Zollwäger und einiger
Beamte des Trusts war die einzige Maßregel, die man ergriff. Allerdings wurden
die Direktoren des Zuckertrusts im Jahre 1909 auch verklagt. Die Anklage bezog
sich jedoch nicht auf die Zollbetrügereien, sondern auf die Verletzung des Antitrust-
Bundesgesetzes — eine nichtssagende Anklage, denn eine Verurteilung daraufhin
führte in der Praxis nur zu einer nominellen Geldstrafe.
- 570 -
Die Mittelklasse verkündete frohlockend, daß kein Trust
einen so fundamentalen und durchgreifenden Beschluß
überleben könne. Aber jener Klasse war eine neue Über-
raschung vorbehalten. Die damals bestehenden Truste
nahmen diese Entscheidung, statt irgendwelche Bestürzung
zu zeigen oder ihre Auflösung vorzubereiten, mit höchst
ärgerlichem Gleichmut auf und schritten dazu, ihrer eigenen
Körperschaft unter Umhängung eines gesetzlichen Mäntel-
chens Dauer zu verleihen. Sie wurden nicht nur beständig
größer und mächtiger, sondern betrogen unausgesetzt,
besonders der Zuckertrust mit den Havemeyers an der
Spitze, durch falsches Abwiegen importierten Zuckers die
Regierung systematisch in ungeheurer Weise. Diese Be-
trügereien wurden eine lange Reihe von Jahren fortgesetzt,
und als sie im Jahre 1909 öffentlich bekannt wurden, schätzte
man den Betrag, um den die Regierung so betrogen worden
war, auf mehrere zehn Millionen Dollar.
Abgesehen von diesen riesigen Schwindeleien, verblieb
der Zuckertrust so absolut sicher in seinem Monopol, daß
er alle Konkurrenten leicht vernichten, Tariftabellen vor-
schreiben und bei dem ganzen Handel einen Gewinn er-
pressen konnte, den einige maßgebende Persönlichkeiten
auf 55 Millionen Dollar jährlich oder von der Zeit seiner
Organisation an bis zum Jahre 1909 auf eine Gesamtsumme
von 660 Millionen Dollar schätzten.
Die Plutokratie in voller Macht
McKinleys Wahl zum Präsidenten der Vereinigten
Staaten, zusammen mit einem Kongreß, dessen Majorität
seine Ansichten teilte, war ein deutliches Zeichen dafür,
daß die Plutokratie volle Macht erlangt hatte — eine Macht,
die in regelrechtem Kampf gewonnen war und deshalb als
volkstümliche Billigung der durch große Magnaten und
Truste ausgeübten Herrschaft angesehen wurde.
Von jetzt ab, das war klar, brauchten die Truste keine
Gegnerschaft der Regierung, auch keine scheinbare, mehr
zu fürchten; denn wenn auch angebliche gesetzliche Maß-
nahmen die fundamentale Herrschaft der Truste niemals
- 571 -
schädigten, so verursachten sie doch beständige Belästi-
jgungen und Kosten.
Als McKinley sein Amt antrat, wußten die Magnaten
aller Art, daß die Trustbewegung volle, durch private Ab-
machung bekräftigte Freiheit hatte, ungehindert und un-
belästigt vorwärts zu gehen, abgesehen vielleicht von einem
gelegentlichen Eingriff mit schauspielerischer Wirkung für
das Volk. Infolgedessen blühte das Geschäft der Trust-
organisation ganz öffentlich; ein Trust nach dem anderen
wurde gebildet; fast alle bekannten Erzeugnisse wurden
umfaßt. Das Werk wurde mit phänomenaler Geschwindig-
keit und Wirkung fortgeführt. Die Mittelklasse sah ohn-
mächtig zu, wie Fabriken, Eisenbahnen, Gas- und Elektri-
zitätsanlagen, Straßenbahnlinien, Telephonnetze und Berg-
werke aus dem Zustande persönlichen oder einfachen Ge-
sellschaftsbesitzes in die Trustform umgewandelt und Eigen-
tum großer einzelner Korporationen mit verblüffenden
Summen von Kapital und unbeschränkter Herrschaft über
ungeheure Arbeiterscharen wurden.
Bei diesem revolutionären Werk, der Organisation von
Trusten, war J. Pierpont Morgan einer der ersten Ober-
befehlshaber. So unerläßlich es in diesem Werke ist, das
Verfahren zu beschreiben, durch welches er seinen Reich-
tum erwarb, ebenso notwendig ist es, auf die Dienste hin-
zuweisen, die er und seinesgleichen dem Fortschritt leisteten.
Wenn man nur die fortschrittlichen Bewegungen in Be-
tracht zieht, so ist es unwesentlich, aus welchen Motiven
sie entstanden; das, was geschah, ist das einzige, was histo-
risch zählt. Niemand kann leugnen, daß diese revolutionären
Kapitalisten einzig durch ehrgeizige persönliche Ziele:
Habgier, Mammon und die Sucht nach Macht angetrieben
wurden. Aber schließlich waren sie doch Revolutionäre,
ohne es zu wissen, und gerade die Art kapitalistischer Re-
volutionäre, die zu jener besonderen Zeit notwendig waren.
Starke, grausame Männer, unerschrocken in ihrer Hinter-
list und hinterlistig in ihrer Unerschrockenheit, waren zur
Vernichtung des alten halsabschneiderischen, willkürlichen,
individualistischen Konkurrenzsystems notwendig. Jene
schwerfällige, geizige, kleinlich denkende Gesellschaft, die
- 572 -
Mittelklasse, ganz erfüllt von dem Behagen des Bauches
und von ihren engen konventionellen Vorschriften, setzte
ihre persönlichen Interessen den Forderungen des Fort-
schritts entgegen. Sie lehnte es ab, sich zu rühren; sie
schützte sich hinter Mauern besonderer Gesetze; sie ver-
suchte eine rückschreitende Bewegung. Unter diesen Be-
dingungen waren Morgan und seine Genossen die rechten
Männer für die Aufgabe : starke, gebieterische, eigenmächtige
Männer, ohne Bedenken betreffs der Mittel zur Erreichung
ihrer Ziele, von genügender Verachtung des Gesetzes,
wenn es ihnen im Wege stand, und mächtig genug, ihm
Trotz zu bieten. Sehr erfahrene Zerstörer waren sie. Aber
sie waren auch Neuschöpfer. Sie rissen ein, um wieder auf-
zubauen. Ein verfallenes, veraltetes Industriesystem er-
setzten sie durch eine weit systematischere Ordnung, den
Vorläufer künftiger schönerer Systeme, Der Fortschritt
wirkt oft mit seltsamen Werkzeugen.
In den auf das Jahr 1898 unmittelbar folgenden Jahren
tat sich Morgan besonders in vielen dieser Trustgründungen
hervor. Er war ein allgegenwärtiger Magnat, der seine Er-
oberungen auf industriellem Gebiet und seine Herrschaft
in vielen verschiedenen Richtungen vorwärtstrieb. Jeder neue
Erfolg fügte seinem Vermögen Millionen Dollar hinzu.
Das unfehlbare Rezept, Geld zu machen
Den Plan, Kohlengrubenbesitz und Eisenbahnen für
Kohlentransport zusammenzubringen und zu einer Ver-
einigung zu verschmelzen, mit dem er einige Jahre vorher
den Anfang gemacht hatte, führte er beharrlich weiter
aus. Die wichtigste aller übriggebliebenen unabhängigen
Gesellschaften in dem Anthrazitgebiet von Pennsylvania
war die Pennsylvania -Kohlengesellschaft. Sie beherrschte
einige der wertvollsten Gruben im Zentrum der reichsten
Lager. Während sie ihren Arbeitern elende Löhne zahlte,
hatte sie jahrelang 16% Dividende von einem Kapital von
5 Millionen Dollar eingeheimst. In ihrer Schatzkammer
hatte sie in der Form eines Überschusses ein Kapital von
IG Millionen Dollar aufgespeichert.
~ 573 -
Hier war eine herrliche Gelegenheit. Konnte irgendein
wachsamer Finanzmann der Versuchung widerstehen ? So-
bald sich Morgan mit den lockenden Tatsachen bekannt
gemacht hatte, war ein Feldzugsplan rasch entworfen.
Er schickte Agenten aus, um das nordöstliche Gebiet
von Pennsylvania zu durchsuchen mit dem Befehl, für
Aktien der Pennsylvania-Kohlengesellschaft j eden geforderten
Preis zu zahlen. Unauffällig gingen diese geheimen Ab-
gesandten ihrer Mission nach. Monatelang durchreisten sie
Pennsylvania und erlangten schließlich genug Aktien, um
Morgans Herrschaft sicherzustellen; für diese Aktien war
ein Durchschnittspreis von 532 Dollar für das Stück gezahlt
worden.
Was tat Morgan dann? Er verkaufte den Besitz an die
Erie-Eisenbahngesellschaft für 32 Millionen Dollar. Diese
Bezahlung geschah in der Form vierprozentiger Nebentrust-
obligationen, die durch Hypotheken auf die Pennsylvania-
Kohlengesellschaft und durch die New York-, Susquehanna-
und Western-Eisenbahn, die kurz vorher von der Erie er-
worben worden war, sichergestellt waren. Auch war dieses
nicht alles; eine Ausgabe von 5 Millionen Dollar Prioritäten
wurde noch hineingeworfen. Aber wer beherrschte die
Erie-Eisenbahn ? Der hervorragende J. Pierpont Morgan.
Als Privatperson kaufte er den Kohlenbesitz, und dann be-
stimmte er als Herrscher über die Erie-Bahn, was ihm dafür
bezahlt werden sollte.
„Die Kritik," so bemerkte die Industriekommission mit
der allen solchen euphemistischen amtlichen Berichten
eigenen zarten Zurückhaltung, „hat dieses Verfahren mit
der Begründung angegriffen, daß der von der Erie-Eisen-
bahn J. P. Morgan & Co. gezahlte Preis übertrieben hoch
war. Zeugenaussagen vor der Industriekommission weisen
darauf hin, daß dies in der Tat der höchste Preis war, der in
der Geschichte des Geschäftslebens für solchen Besitz ge-
zahlt worden ist"^). Was diese Kommission matt und so
liebenswürdig als „Kritik" bezeichnete, war in Wirklichkeit
ein allgemeines Murren des Unwillens über die Leichtigkeit
und Kühnheit, mit der Morgan Millionen Dollar an soge-
^) Final Report of the Industrial Cotnmission 19, 459 — 460.
- 574 -
nanntem „Gewinn" gelassen sich selbst zuwies. Über diese Art
der Geschäftsführung und verschiedenes Ähnliches beruhigte
sich die Industriekommission mit folgender Erklärung:
„Die Möglichkeit betrügerischen Gewinns ist unter diesen
Umständen ungeheuer groß"^). Indem die Industrie-
kommission dies klar aussprach, überwand sie einmal beinahe
ihre gewohnheitsmäßige Schüchternheit im Ausdruck und
nannte die Dinge bei ihrem wahren Namen. Doch was
nützte es, zu sagen, Betrug sei Betrug, wenn diejenigen,
die daraus Nutzen zogen, nicht einmal vor Gericht ver-
hört wurden ? Die von Morgan bei diesem Geschäft ein-
gesteckte Summe kann nicht in Erfahrung gebracht werden.
Die Industriekommission gab sich mit der Erklärung zu-
frieden : „Welche Höhe der Gewinn der Bankiers erreichte,
wurde durch die Zeugenaussagen vor der Kommission
nicht klargestellt" 2). Wir können wohl annehmen, daß der
Gewinn auf Millionen geschätzt werden kann.
Gehindert durch einen größeren Magnaten
Im Besitz der Erie-Eisenbahn, die so reich an Erinnerungen
an Jay Goulds Betrügereien und Diebstähle war, rannte
Morgan unerwartet und zu seinem großen Ärger plötzlich
in seine erste große Niederlage. Es kam zu dieser Nieder-
lage bei seinem Versuch, ein betrügerisches Eisenbahn-
geschäft durchzuführen. Wäre es erfolgreich gewesen, so
hätte er sich die Masse von wenigstens lo Millionen Dollar
an „Gewinn" aneignen können. Der Plan war von der
typischen, unter den Magnaten üblichen betrügerischen
Art, eine Eisenbahn aufzukaufen und sie dann (um in dem
Finanzjargon des Tages zu sprechen) auf ein Haupt-Eisen-
bahnsystem abzuladen, das sowohl von dem Käufer wie dem
Verkäufer beherrscht wurde,
Morgan hatte einen beherrschenden Anteil an der Cin-
cinnati-, Hamilton- und Dayton-Eisenbahn. Diese Linie
setzte sich aus einer Anzahl früherer Separatbahnen und aus
verschiedenen gepachteten Eisenbahnen zusammen. Am
20. September 1905 kaufte die Erie-Eisenbahn jenen Anteil
^) Final Report of the Industrial Commission, 326. ^) Ebenda. 460.
- 575 -
von einem Syndikat, an dessen Spitze J. P. Morgan & Co.
stand. Die Erie-Direktoren, alles von Morgan eingesetzte
Beamte, erteilten die Berechtigung zur Ausgabe von 1 2 Mil-
lionen Dollar vierprozentiger, in gewöhnliche Erie-Aktien
zu 60 konvertierbarer Obligationen, um Morgan für die
Cincinnati-, Hamilton- und Dayton-Eisenbahn zu bezahlen.
So weit war das Programm glatt verlaufen.
Plötzlich erschienen von einer Seite her, die Gehorsam er-
heischte, Anzeichen einer sehr mächtigen Opposition. Die
Erie-Direktoren wurden vorgeladen, um ihre Handlung zu
widerrufen. Sollten sie sich weigern, so würde es zu teuren
Gegenmaßregeln kommen, nicht nur in Prozeßform, son-
dern auch durch Anwendung eines Druckes, dem sie nicht
würden widerstehen können. Von wem kam dieser mächtige
Einspruch ? Wer war der Ehrfurcht einflößende Magnat,
der Morgan durch Furcht zum Rückzug bringen konnte ?
Es ist niemals öffentlich bekannt geworden, wer es war,
aber in Wallstreet setzte sich die Vermutung fest, daß es
niemand anders als E. H. Harriman war. Es herrschte all-
gemein die Ansicht, daß Harriman, der die Standard Oil-
Oligarchie vertrat, selbst die Herrschaft über die Erie-Eisen-
bahn zu erlangen suchte und daß es zu jenem besondern
Zeitpunkt in seinem Interesse lag, Morgan in den Weg zu
treten. Die Folge hat jene Überzeugung bestätigt: die
Erie-Eisenbahn ging später in Harrimans Herrschaft über^).
Welche geheimen Mittel auch immer angewandt sein
mochten, um Morgan zu zwingen, eine andere Richtung ein-
zuschlagen, und wer sie auch immer angewandt haben mag,
sie waren durchaus erfolgreich. Die Erie-Direktoren er-
klärten ihr Verfahren demütig für ungültig, und die in
Aussicht stehenden 10 Millionen Dollar ,, Gewinn" schwan-
den dahin wie ein Traum.
^) In einem Verzeichnis der großen Eisenbahnaktionäre, das im Januar 1909
von der Kommission für den Handel von Staat zu Staat veröffentlicht wurde, er-
schien J.P. Morgans Name nicht öffentlich als der einesAktionärs der Erie-Eisenbahn.
Aber man glaubte, daß Walter B. Hörn, ein Beamter seines Büros, 14 502 600 Dollar
ihrer Aktien besäße und die Firma J. S. Morgan & Co. in London ungefähr 2 Millio-
nen Dollar. Harriman erlangte die Herrschaft über die Erie-Eisenbahn im Jahre 1909.
- 576 ~
Eine Verkettung von Folgeerscheinungen
Was wurde aus Morgans Cincinnati-, Hamilton- und
Dayton-Eisenbahn, nachdem er gezwungen war, sie zu-
rückzunehmen ?^) Dieses Eisenbahnnetz, das er an seine
Erie-Eisenbahn beinahe zu einem so extravaganten Preise
verkauft hätte, daß selbst die in solchen Machenschaf-
ten erfahrenen Leute erstaunt waren, geriet ungefähr
einen Monat nach diesem mißlungenen Versuch in
Bankrott.
Am 4. Dezember 1905 wurde Judson Harmon, einer der
Vertrauten des Expräsidenten Cleveland, zum behördlich
bestellten Verwalter der Eisenbahn mit Einschluß ihrer
Nebenlinien, der Pere Marquette-Eisenbahn und der
Toledo-Eisenbahn und Terminal-Gesellschaft, ernannt.
Jahre der Prozeßführung folgten. In diesen Rechtskämpfen
wurde vor Gericht die Klage erhoben, daß Morgan, als er
diese Toledo-Eisenbahn und Terminal-Gesellschaft durch
Kauf während des Bankrotts zurückerlangte, und zwar als
einen noch unbeschränkteren Besitz als vorher. Betrug ver-
übt habe. Die kleineren Aktionäre und Obligationen-
inhaber protestierten wütend gegen diese Art der Re-
organisation, die sie tatsächlich ihrer Anteile beraubte und
ihnen ihr bißchen Reichtum nahm. Aber wenn sie auch
Morgan mit einer Reihe von Prozessen belästigten, er fegte
sie doch unerbittlich aus seinem Wege. Und mit welchem
Reinergebnis ? Unter seinem ausgezeichneten Plan so-
genannter Reorganisation würden die neu ausgegebenen
Aktien sieben Jahre lang zu einem Stimmtrust fest ver-
einigt werden, über den Morgan mit diktatorischer
Gewalt herrschen würde, um dann mit der Cincinnati-
Hamilton- und Dayton-Eisenbahn nach Belieben ver-
fahren zu können. Überdies werden seine Kommissions-
^) „Movely's Manual" für 1908 (S. 230) gleitet in folgender Weise über diese
Angelegenheit hinweg: Im September 1905 erlangte die Erie-Eisenbahngesellschaft
einen beherrschenden Anteil an dem Aktienkapital dieser Gesellschaft (der C.
H. & D. R. R. Co.), und die Rechtsgewalt der Erie-Beamten wurde auf die Linien
dieser Gesellschaft ausgedehnt; aber im November desselben Jahres befreite J. P.
Morgan die Erie-Eisenbahngesellschaft von allen ihren Verpflichtungen in dieser
Sache, und die C. H. & D.-Beamten nahmen den Betrieb ihrer Linien wieder auf.
- 577 -
gebühren dafür, daß er die Eisenbahn auf solche Weise
„reorganisierte", daß die kleineren Aktionäre hinausgedrängt
wurden und der Besitz sich zum großen Teil in seiner
Person konzentrierte, wahrscheinlich aus mehreren Mil-
lionen bestanden haben. Er ist daher teilweise, wenn auch
nicht tatsächlich, für die im Jahre 1905 ihm entschwundenen
10 MilUonen Dollar entschädigt worden.
Ein Kampf der Magnaten
Das übliche tägliche Bukett von Neuigkeiten wurde im
Mai 1901 plötzlich durch die Nachricht belebt, daß eine
Reihe großer Magnaten sich Hals über Kopf in einen er-
bitterten Kampf gestürzt habe. Es gab einen ungewöhn-
lichen Aufruhr in hohen Kreisen. Morgan, James J. Hill,
die Rockefellers und Harriman, die Vanderbilts und andere
höchste Persönlichkeiten waren in den Kampf verwickelt.
Hier gab es in der Tat aufregende Neuigkeiten. Was be-
deutete diese heftige Erregung unter den Hochstehenden ?
Womit fing sie an und womit würde sie enden ?
Den Anlaß dazu gab Hills Versuch, den Einfluß der
andern beteiligten Magnaten zu untergraben. Offenbar
war dies eine Handlung, die vergeltende Maßregeln hervor-
rufen mußte. Hill hatte seiner Alleinherrschaft über die
Great Northern-Eisenbahn, einer sich durch den Nord-
westen und Canada erstreckenden Linie, kürzlich einen
leitenden Einfluß auf die Northern Pacific-Eisenbahn hinzu-
gefügt, die ein parallel laufendes Gebiet durchkreuzte. Die
Inangriffnahme und der Bau der Northern Pacific-Eisen-
bahn waren wie gewöhnlich voll von Bestechung und poli-
tischer Korruption, von Diebstählen großer Strecken Acker-
landes, Bauholz- und Grubengebietes. Von verschiedenen
Finanziers ausgeplündert, war die Northern Pacific zum
Bankrott gezwungen worden. Dann hatte Hill sie in seine
Gewalt bekommen.
Nun erweiterte sich sein Gesichtskreis. Warum sollte er
nicht einen direkten Anteil an dem in Chicago zusammen-
laufenden ungeheuren Handelsverkehr haben ? Um das zu
erreichen, machte er sich daran, in die Herrschaft über
37
- 578 -
die Chikago-, Burlington- und Quincy-Eisenbahn hinein-
zukommen. Dieser Schritt beunruhigte die konkurrierenden
Magnaten; sie sahen sofort, daß die Interessen ihrer Eisen-
bahnen im Nordwesten und Westen sicherHch gefährdet
werden würden. Wie konnten sie ihn abwenden oder wenig-
stens seine Resultate unschädlich machen? Der tunlichste
Plan, der sich ihnen darbot, bestand darin, Hill auf seinem
eigenen Gebiete anzugreifen. In klugem Vorgehen fingen
sie an, die Northern Pacific- Aktien aufzukaufen. Das würde
ihnen eine Stimme bei einer seiner eigenen Eisenbahnen
geben. Während Harriman, von der Standard Oil-Oligar-
chie unterstützt, dieses tat, strengte Hill sich an, immer
mehr Northern Pacific-Aktien aufzukaufen, und Morgan
steckte tief im Getriebe dieses Börsenspiels, um seine
eigenen ausgedehnten Interessen zu schützen.
Eine durch den Streit der Magnaten hervorgerufene Panik
Da sich die allerreichsten und mächtigsten Männer in
Amerika um die Northern Pacific-Aktien rissen, wuchs ihr
Marktpreis zu einer erstaunlichen Höhe an. Fünf Monate
war er auf 58 heruntergegangen; jetzt stieg er manchmal
täglich um 23 bis zu 300 Dollar, ja, an einem Tage für kurze
Zeit bis auf 1000 Dollar die Aktie. Ein „Spekulantenring",
der an Größe aUes übertraf, was man vorher bei Eisenbahn-
aktien erlebt hatte, war die Folge. „Die Opfer, die notwen-
dig wurden, um Geld zur Erfüllung von Kontrakten zu
erlangen," so berichtet die Handelskommission, „beschleu-
nigten den Ausbruch einer verhältnismäßig weitverbreiteten
Panik"^). Tausende über Tausende von kleineren Inhabern
anderer Eisenbahnpapiere wurden von dem Wirbel erfaßt
und zugrunde gerichtet; in demselben Maße wie die Preis-
notierungen der Northern Pacific-Aktien weiter stiegen,
stürzten die anderer Eisenbahnaktien herab.
Das Ende dieses Kampfes ließ sich voraussehen. Die Stan-
dard Oil-Clique ging aus ihm mit größerer Herrschergewalt
und vermehrter Macht auf einem Gebiete hervor, auf dem
sie bis dahin nicht so stark gewesen war. Während das Land
^) Final Report of Industrial Commission 19, 317.
- 579 -
von dem kläglichen Wehgeschrei der zerstreuten Schar
kleiner, um ihr unbedeutendes Vermögen gebrachter Aktien-
spekulanten widerhallte, kamen die kämpfenden Magnaten
freundschaftlich überein, ein neues Einverständnis zu
arrangieren. Das umstrittene Gebiet sollte hübsch unter
ihnen verteilt werden, und die Angelegenheiten würden sich
in ruhiger Weise befriedigend lösen. Eine „Vereinbarung
vornehmer Männer", anders ausgedrückt „eine Interessen-
gemeinschaft", würde ihre brüderlichen Beziehungen mit-
einander verkitten. Ein solcher Bund würde die Konkurrenz
ersticken und die angenehme Beschäftigung, dem Volke
noch größeren Tribut auszupressen, vereinfachen und er-
weitern.
Wer sollte zum Schiedsrichter gewählt werden ? Wer
besaß den gerechten Sinn, um mit der Auswahl der
neuen Leiter der Northern Pacific-Eisenbahn betraut zu
werden ? Morgan war der für die Beilegung der Streitig-
keiten erwählte Mann. Für ihn gab es jedoch keine unklare
„Vereinbarung vornehmer Männer", wenn man etwas
Besseres an deren Stelle setzen konnte. Er entwarf den Plan
einer ungeheuer großen Besitzgemeinschaft, einer inkorpo-
rierten Genossenschaft, die sowohl an der Great Northern-,
wie an der Northern Pacific-Eisenbahn einen Besitzanspruch
hatte. Daraufhin wurde die „Northern Securities Company"
mit einem Kapital von 400 Millionen Dollar gegründet.
Auf die Ankündigung davon regten sich die Leute im
Nordwesten in heftigem Widerspruch. Wurden sie nicht
schon genügend unterdrückt ? Ein so vernichtendes Mono-
pol dürfe nicht gestattet werden, erklärten sie; es würde sie
in absolute Knechtschaft bringen, ein Prozeß müsse an-
gestrengt werden, um es aufzuheben. Die Regierung der
Vereinigten Staaten strengte in der Tat solch einen Prozeß
an und betrieb ihn mit Nachdruck. Warum dieser Prozeß
mit so großer Energie und Geschicklichkeit betrieben wurde,
das ist niemals aufgeklärt worden. Lag es im geheimen
Interesse gewisser mächtiger Magnaten, die „Northern
Securities Company" aufzulösen ? Der oberste Gerichtshof
der Vereinigten Staaten traf die Entscheidung, daß die Ge-
nossenschaft ungesetzlich sei. Aber — und diese „Aber"
j7
- 58o -
kommen immer dazwischen — obgleich die Gesellschaft sich
formell und schicklich auflöste, bUeb das Prinzip, nach
welchem sie sich gebildet hatte, praktisch in Kraft vermöge
einer neuen „Vereinbarung vornehmer Männer". Der
gerichtliche Erlaß war eine Sache; seine Durchsetzung
gegenüber dem Kern der Angelegenheit eine ganz andere.
Aber die Auflösung war der Form nach durchgebracht
worden, und damit hielt man das Gesetz für befriedigt.
So war diese von der Mittelklasse als eine entscheidende
Niederlage der Truste froh begrüßte Entscheidung schließ-
lich nur leere Phrase. Gerade während diese Gegner der
Truste den obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten
freudig als „das Bollwerk der Wirtschaftsfreiheit" priesen,
veranlaßten die Truste den Kongreß, ein Gesetz zu er-
lassen, das die Hauptstütze, auf die sich die Mittelklasse in
ihrem Kampf mit den großen zentraHsierten Korporatio-
nen verlassen hatte, umstieß.
Mehr als ein Jahrzehnt lang sahen sich die Organisatoren
von Trusten einem Bundesgesetz gegenüber, das Geldstrafen
oder Gefangenschaft oder beides beim Nachweis irgend-
einer Tätigkeit zur Beschränkung des Handels vorschrieb.
Keiner von ihnen war ins Gefängnis gewandert ; auch war,
da sie den ganzen Regierungsbetrieb beherrschten, keine
Aussicht vorhanden, daß jemand von solch einer Strafe
heimgesucht werden würde. Aber diese Gefängnisklausel
war ein beständiges Ärgernis; warum sollte sie in den
Gesetzbüchern bleiben, wenn man sie leicht auslöschen
konnte ? Und warum sollte man nicht bestimmte Be-
teiligte für immun erklären ? Gegen eine einzelne Bestim-
mung, die im Falle des Nachweises eine Geldstrafe fest-
setzte, hatten die Magnaten durchaus nichts einzuwenden.
Sie würde den Anschein erwecken, daß man sich dem Volks-
empfinden unterwerfe, und könnte wohl gleichzeitig von
denen, gegen die sie gerichtet war, scherzhaft aufgefaßt
werden. Wenn Trustmagnaten durch ungesetzliche Hand-
lungen ungeheure Summen einheimsten, was hatte dann
eine Geldstrafe von einigen Tausend Dollar zu bedeuten ?
Sie war zu unbedeutend, um sich darüber zu beunruhigen.
Außerdem, selbst wenn in einem außerordentlichen Falle
- 58i -
die Geldstrafe drückend gemacht werden sollte, so konnte
sie dem Konsumenten in Anrechnung gebracht werden.
Völlige Straflosigkeit für die Magnaten
Jene ärgerliche Gefängnisklausel mußte also aus dem
Gesetz herausgeworfen werden, und dies geschah auf Um-
wegen durch ein Gesetz, das im Jahre 1903 im Kongreß
durchging. Gleichzeitig bestätigte und erweiterte dasselbe
Gesetz das Prinzip der Gewährung von Straflosigkeit an
Trustbeamte. Es kam nicht darauf an, wie sehr und wie oft
sie das Antitrustgesetz verletzt hatten, sie waren jetzt
absolut vor jeder Möglichkeit geschützt, zu einer Gefängnis-
strafe verurteilt zu werden.
Die Regierung mochte sie scheinbar mit der größten
Wißbegier verhören und im Prozeß aus ihnen Zuge-
ständnisse von höchst selbstanklägerischem Charakter her-
ausziehen; diese Beweisaufnahme konnte nach dem Ge-
setz von 1903 bei einem gerichtlichen Verfahren nicht als
Zeugenaussage gegen sie verwendet werden. Nicht nur war
die einzelne Persönlichkeit befreit; die Gesellschaft selbst
wurde ausdrücklich von jeder Strafverfolgung, die zu einer
Geldstrafe oder einer Vermögensbeschlagnahme führen
könnte, befreit.
Der Triumph der Truste war nun wirklich vollendet.
Elftes Kapitel
MORGAN AUF DER HÖHE
Um das Ende des Jahres 1902 schien J. Pierpont Morgan
allem Anschein nach in der Rangordnung der ameri-
kanischen Magnaten an erster Stelle zu stehen; kaum ein
Tag verging, an dem die Zeitungen nicht irgendeine neue
Heldentat von ihm verkündeten oder seiner sich beständig
ausdehnenden Macht in serviler Weise ihren Tribut dar-
brachten. In der öffentlichen Schätzung galt er für eine
übernatürlich überragende Persönlichkeit, für eine Gestalt,
- 5^2 -
die sich durch eine ungeheure und ganz besondere Vor-
nehmheit auszeichnete und die prominentesten Verwalter
poHtischer und industrieller Ämter in den Schatten stellte.
Der unwiderstehliche Fortschritt der Trustbewegung
und die allumfassende Macht der Magnaten kann besser
beurteilt werden, wenn man sich erinnert, daß gerade
während Roosevelts Präsidentschaft der feindseligste Feld-
zug gegen die Truste geführt wurde, der je versucht worden
ist^). Wenigstens schien es so, wenn Schmähungen und
Gerichtsprozesse zählen. Aber im Grunde war Roosevelt trotz
seiner Vorspiegelungen ein Werkzeug der Trustmagnaten,
und diese Tatsache wurde aufs neue durch den Umstand
erwiesen, daß gerade er als Präsident das Gesetz unter-
zeichnete, das aus dem Gesetz gegen Frachtbegünstigungen
die Haftbestimmung herausstrich und damit Magnaten und
Korporationen volle Befreiung von Strafverfolgung zu-
sicherte 2).
Es zeigte sich wieder während des großen Kohlenstreiks
vom Jahre 1902, als Roosevelt gezwungen war, J. Pierpont
Morgan zu bitten, einer Art schiedsrichterlicher Schlichtung
zuzustimmen. Es war allerdings wahr, daß Roosevelt oder
die von ihm Beeinflußten im geheimen darauf hinweisen
^) Das heißt gegen die „schlechten" Truste. Wie sogar das äußere Auftreten der
Beamtenschaft mit den Interessen der herrschenden Klasse in Einklang gebracht
vnirde, zeigte sich in der zunehmenden Tendenz, einige „Truste" als gut anzuneh-
men und so die anderen als „schlecht" anzuklagen, obgleich alle Truste durch Ver-
letzung des geschriebenen Gesetzes bestanden.
2) „Mut, Ehrlichkeit und das Gnadengeschenk des gesunden Menschenverstandes
sind nach Mr. Roosevelts Ansicht die drei Dinge, die die Menschen groß machen
werden" . . ., so schrieb A. Maurice Low in „The Independent" in der Ausgabe
vom 30. Oktober 1902. Während Roosevelt die Magnaten auf diese Art demütig um
Kapital bat, um seine Kampagne zu finanzieren, und sie durch Gesetz von der Ge-
fangenschaft befreite, nahm er im Jahre 1907 besondere Veranlassung, die öffentliche
Meinung gegen Moyer, Haywood und Pettibone, Beamte der „Western Federation
of Miners" zu beeinflussen, als diese im Gefängnis die gerichtliche Untersuchung
gegen sich erwarteten. Sie wurden später von der erdichteten Anklage des Mordes,
die von mächtigen kapitalistischen Interessenten gegen sie vorgebracht worden war,
um die fortschreitende Arbeiterorganisation, deren Führer sie waren, in Mißkredit
und zur Auflösung zu bringen, freigesprochen. Sicherlich war Roosevelt außer-
ordentlich mutig, indem er die Schwachen und diejenigen angriff, von denen er
keine Unterstützung und kein Kapital erwarten konnte. In neuerer Zeit hat kein
Mann gelebt, der mehr überschätzt worden ist, auch keiner, der das Volk durch leere»
Geschwätz mehr zum Narren gemacht hat.
- 583 -
konnten, daß es für die Kohlenmagnaten ratsam wäre, zu
einem Vergleich zu kommen; sie könnten sonst wegen Ver-
letzung des Gesetzes, das den Eisenbahnen den Besitz
von Kohlenbergwerken untersagt, Strafverfolgung erleiden.
Aber die Magnaten, die wohl wußten, wie oft sie dieses
törichte Gerede gehört hatten, und wie leer und wirkungslos
das alles war, konnten belustigt und voller Verachtung daran
vorübergehen. Dann folgte das Schauspiel, wie der Präsident
der Vereinigten Staaten — in der Theorie der Vertreter
von 85 Millionen Menschen — gezwungen war, mit einigen
wenigen Magnaten nach ihren eigenen Bedingungen zu
parlamentieren und zu unterhandeln. „Der eine Mann,
der die Geldleute beherrschte," schrieb A. Maurice Low
(der zweifellos einer der am besten unterrichteten Zeitungs-
korrespondenten in Washington war), „war Mr. J. Pierpont
Morgan. Da alles andere fehlgeschlagen war, mußten seine
Dienste gewonnen werden." Morgan zeigte sofort, daß er
die Macht besäße, das zu tun, was, wie der Präsident der
Vereinigten Staaten zugab, die höchste, in seiner eigenen
Person konzentrierte Exekutivgewalt des Landes nicht tun
konnte — eine Tatsache, die Low veranlaßte (wie schon
früher erwähnt), ehrfurchtsvoll auszurufen: „Groß ist
Mr. Morgans Macht, größer in mancher Hinsicht noch als
die eines Präsidenten oder Königs." Roosevelt mochte
öffentlich damit prahlen, daß er jenen Streik beigelegt habe,
tatsächlich aber benutzte Morgan Roosevelt schlau dazu,
eine Schlichtung gerade in dem Moment herbeizuführen,
in dem die Magnaten sie für staatsklug hielten, und mit dem
günstigsten Resultat, das sie in jener besonders beunruhigen-
den kritischen Lage erhoffen konnten^).
^) Low sagt: „Folgeades war in nuce die Situation, die von Mr. Morgan und
Mr. Root während der fünf Stunden besprochen wurde, die sie an jenem Sonnabend,
als Krieg und Frieden in der Schwebe waren, auf der Jacht des crsteren zusammen
zubrachten: Den Streik weitergehen zu lassen, bedeutete Möglichkeiten, an die
niemand auch nur zu denken wünschte. Es könnte das Öffnen von Pandoras Büchse
bedeuten. Es könnte Brandstiftung und Aufruhr und Blutvergießen in dem Kohlen-
gebiet bedeuten. Es könnte in der Stadt New York sogar Schlimmeres bedeuten.
Schon schrien die Armen nach Brennmaterial, und noch hatte der Winter seine Hand
nicht einmal leicht auf die Stadt gelegt. Es könnte einen solchen Zustand der Dinge
bedeuten, daß die ganze Armee ihn nicht in Schranken hätte halten können."
- 584 -'
Beherrschung von 55000 Meilen Eisenhahn
Zwischen Morgan, dem frühreifen jungen Manne des
Jahres 1861, der so eifrig hinter dem Gelde her war und die
Unionsarmee so erfolgreich mit schlechten Flinten betrog,
und Morgan, der unmeßbaren Geldgröße des Jahres 1902,
lag eine lange Spanne Zeit von einigen vierzig Jahren.
Vier Jahrzehnte hatte er unaufhörlich um großen Reichtum
gekämpft; Tausende von ehrgeizigen, demselben Ziele nach-
jagende Wallstreetstreber hatten sich während dieser Zeit
übermäßig angestrengt und waren in elendem Mißerfolge
untergegangen. Überall konnte Morgan im Vorwärts-
schreiten mit eigenen Augen die Trümmer sehen, auf deren
Mißgeschick sich viel von seinem Glück aufbaute. Und
worin bestand schließlich das Resultat seines auf Gelderwerb
gerichteten Lebens ? Von seinem anderweitigen Besitz gibt
es keinen genauen authentischen Bericht, aber der Umfang
seiner Eisenbahnbesitzungen läßt sich feststellen. Moody
schrieb, daß er im Jahre 1902 mit 55 000 Meilen Eisen-
bahn „identifiziert" wurde*). „Diese," erklärte Moody,
„beherrschen Wegerechte, Kohlenland, Kopfstationen,
Konkurrenzlinien, Dampf Schiffsverbindungen und ähn-
liches."
Seine Eisenbahnunternehmungen, so groß sie auch waren,
wurden durch seine noch größeren Unternehmungen in der
Bildung von Trusten etwas in den Schatten gestellt.
„Mr. Morgan," schrieb Moody weiter, „ist im wesentlichen
die belebende Kraft, der Schöpfer und der Beherrscher der
gegenwärtigen amerikanischen industriellen Kräfte." Ein
wohltönender Satz, aber sehr übertrieben. Lange vor jener
Zeit hatte John D. Rockefeller das Prinzip der Zentralisation
der Industrie dargetan. Morgan war nicht der einzige, der
belebend und schöpferisch oder herrschend tätig war; er
war nur einer der leitenden Praktiker beim Umwandeln in-
dustrieller Verhältnisse aus der Konkurrenz- in die Trust-
form. „Er ist fraglos," fuhr Moody fort, „der kühnste,
fähigste und weitsichtigste aller modernen , Finanzgenerale',
die an der Spitze der modernen Bewegung für den Kon-
') „The Truth about the Trusts," 107.
- 585 -
solidierungsgedanken in Produktion und Vertrieb der Güter
stehen. Dies läßt sich leicht durch die Tatsache beweisen,
daß die Unternehmungen, in denen sein Einfluß vorherr-
schend ist, heute die stärksten und geschicktest angelegten
aller großen Verbindungen oder , Truste' sind"^).
Morgans Organisation des Stahltrusts
Welches war der außergewöhnlich starke und geschickt
angelegte Trust, auf den Moody so hochtrabend hin-
weist ? Es war der große Stahltrust. Braucht es erwähnt zu
v^erden, daß dies durchaus nicht das einzige Erzeugnis Mor-
gans von dieser Art war ? Er hatte an der Organisation
so vieler Truste Anteil, daß der Ausdruck „Morganisation
der Industrie" sich wie ein Schreckensruf überallhin ver-
breitete. Es ist jedoch kaum notwendig, sich mit diesen
anderen Trusten zu beschäftigen; als ein kristallklares Bei-
spiel von Morgans Methode wird der Stahltrust zweifellos
genügen.
Dieser Trust, das mag von vornherein ausgesprochen
werden, war keine lumpige Sache von einigen hundert Millio-
nen Dollar. Er war ein Unternehmen, das der Anstrengung
eines „großen Generals der Finanz" würdig war. Die Feder
mag beim Niederschreiben straucheln, aber irgendwie
wollen wir doch versuchen, die Tatsache zum Druck zu
bringen, daß dieser Trust mit mehr als einer Milliarde
Dollar Kapital ins Leben trat.
Diesem Stahltrust (oder United States Steel Corporation,
wie er sich zu nennen beliebte) wurde allmählich eine sehr
große Anzahl wichtiger Anlagen einverleibt: Anlagen in
vielen Teilen der Vereinigten Staaten: Eisen- und Stahl-
werke und Fabriken von Zinnwaren. Eisen- und Stahlwaren
von jeder Art und Beschaffenheit waren unter den Erzeug-
nissen der Fabrikanlagen, die in dieser riesenhaften Kor-
poration zusammengefaßt wurden, enthalten. Es beliebte
ihr, sich nicht als Eigentümerkorporation sondern als Ver-
mögensverwaltungs-Gesellschaf t zu bezeichnen. Es gelang ihr
nicht, alle in den Vereinigten Staaten vorhandenen Fabrik-
^) Ebenda 106 — 107.
- 586 -
anlagen zusammenzuschließen, aber von denen, die außer-
halb blieben, dienten viele große Werke, die mit ihr ver-
bündet waren, zweifellos nur dazu, einen wohlüberlegten
Schein von Konkurrenz hervorzurufen. Andere gab es von
„unabhängiger" Art, Fabrikanlagen, die dem Trust feind-
lich gesinnt und eifrig darauf bedacht waren, mit ihm zu
konkurrieren. Aus Gründen, die weiterhin in diesem Kapitel
dargelegt werden sollen, fürchtete der Stahltrust die meisten
von diesen nicht.
Konflikt mit Carnegie
Der Brücken- und der Röhrentrust, die zum großen Teil
Morgan gehörten^), gingen mit dem Plan um, gewisse Halb-
fabrikate selbst herzustellen. Da die Carnegie-Werke durch
deren Herstellung und Vertrieb blühten, war diese Nach-
richt für Carnegie von folgenschwerer Bedeutung. Er tat
sofort Schritte, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten.
Aber wie konnte er es erfolgreich tun ? Welche Art Gegen-
maßregel würde am schnellsten und wirksamsten sein ? Car-
negie war in Erfahrung mit Handelsmachenschaften hart
geworden; er war nicht der Magnat, der erst lernen mußte,
wie man einen Konkurrenten an seinem empfindlichsten
Punkte trifft. Es verbreitete sich die Nachricht, er beabsich-
tige, das Brücken- und Röhrengeschäft aufzunehmen. Das
war eine Ankündigung, über die Morgan nachsinnen und
1) Beweise für die Art, wie die im Brückentrust vereinigten Gesellschaften
verfuhren, kamen im Jahre 1910 ans Licht und riefen einen großen öffentlichen
Skandal hervor. Staatssenator Conger und andere Zeugen sagten vor dem als Kom-
mission zur Untersuchung der ganzen Sache fungierenden Staatssenat von New York
aus, daß im Jahre 1901 eine Bestechungssumme von 6000 Dollar unter drei einfluß-
reiche Mitglieder des Repräsentantenhauses verteilt worden sei, um die Ungültig-
keitserklärung eines Gesetzes herbeizuführen, das für unvorteilhaft für die Interessen
des Brückentrusts angesehen wurde. J. P. Allds, der zur Zeit, als die Anklagen er-
hoben wurden, Präsident des Senates war, gehörte zu den Angeklagten. Der Senat
erklärte ihn für schuldig. Die Enthüllungen vor dieser Kommission im Februar und
März 1910 waren von solcher Art, daß man allgemein annahm, daß sie die ungeheuer
großen und beständigen Bestechungen der gesetzgebenden Körperschaften durch
Korporationen aller Art nur schwach andeuteten. Diese Annahme wurde durch
die Tatsache gerechtfertigt, daß bei beiden Häusern der gesetzgebenden Körper-
schaften eingereichte Vorschläge zu einer umfassenden Selbstuntersuchung zuerst
überstinomt wurden.
- 587 -
grollen mußte. Aber ein neues Edikt (es ist keine Über-
treibung, die von Magnaten ausgehenden Befehle als Edikte
zu bezeichnen) folgte rasch darauf. Carnegie wußte natür-
lich, daß sehr viel von der Pennsylvania-Eisenbahn und
ihrem Eigentum Morgan gehörte. Wenn man eine Eisen-
bahn zur Konkurrenz mit dem Pennsylvania-Netz baute,
würden Morgans Einfluß und Vermögen doppelt angegriffen
werden. Carnegie veranlaßte die Verbreitung der Nachricht,
er beabsichtige, eigene Eisenbahnen von Pittsburg nach den
großen Seen im Westen und im Osten bis zum Atlantischen
Ozean zu bauen. Er betrieb diesen Plan so, als ob es ihm
damit bitterer Ernst sei; er schickte zur Absteckung der
Route Vermessungsgesellschaften hinaus.
Die Wirkung auf Morgan war schlagend. Vielleicht
gab Carnegie seine Schreckschüsse als Erwiderung auf
Schreckschüsse ab. Doch die Situation war für eine Spielerei
zu ernst. Carnegie konnte seine Drohungen vielleicht aus-
führen; darin lag die Gefahr. Hätte Morgan mit der Re-
gierung der Vereinigten Staaten zu tun gehabt, so würde er
sich über Drohungen, die er, wie er wußte, ruhig übersehen
konnte, nicht so sehr beunruhigt haben; aber im Kampf
mit Carnegie stand er einem Magnaten gegenüber, dessen
Macht er mit gutem Grunde grimmig zu fürchten hatte.
Wie konnte Carnegie besänftigt oder von seinem verhängnis-
vollen Plane abgebracht oder an seiner Ausführung ver-
hindert werden ? Einen heroischen Weg gab es — ihn auf-
zukaufen und einen Trust zu organisieren. Der Erwerb der
Anlagen der Carnegie-Gesellschaft kostete das Morgan-
Syndikat 447 Millionen Dollar. Man lese das Kapitel über
das Vermögen Carnegies, um weitere Details zu finden.
Ein in allen Teilen vollkommener Trust
Man kann die Tatsache nicht bestreiten, daß der Stahl-
trust geradezu den Höhepunkt wirksamer Organisation für
kapitaUstische Zwecke bildete. Andere Truste mochten auf
dem Gebiet der Produktion und teilweise dem des Vertriebs
gut organisiert sein und doch der Herrschaft hinsichtlich
der Versorgung mit Rohmaterial ermangeln. Der Stahl-
- 588 -
trust herrschte auf allen diesen drei Gebieten. Er hatte seine
eigenen Anlagen. Da er mit Morgan, den Standard-Oil-
Magnaten und den Goulds entweder zusammen herrschte
oder verbündet war, standen ihm die Eisenbahn- und
Dampfschiffslinien der Vereinigten Staaten zur Verfügung.
Ausgedehnte Eisenerz- und Kohlenlager, von denen einige
von Carnegie an ihn übergegangen und andere in John D.
Rockefellers Besitz waren, gehörten ihm. Der Stahltrust
war tatsächlich der erste Trust, der diese drei für den voll-
kommenen Betrieb eines Trusts so unentbehrlichen Faktoren
einer wissenschaftlichen Kontrolle unterwarf. Durch seinen
Besitz großer Eisenlager und die tatsächhche Diktatur über
die Transportnetze machte er beinahe alle Konkurrenten,
die er noch hatte, sofort zu Nullen. Nur ein Konkurrent,
die Tennessee- Kohlen- und Eisen-Gesellschaft, besaß eigenen
Vorrat an Rohmaterial; und dieser Konkurrent wurde
später unter Umständen aus dem Wege geräumt, die weiter-
hin beschrieben werden sollen.
Da der Stahltrust alle Hilfsquellen der Produktion und des
V^ertriebs beherrschte, war er imstande, sich selbst mit mehr
als einer Milliarde Dollar zu kapitalisieren.
Mehr als eine halbe Milliarde verwässerter Aktien
Der Stahltrust trat mit einer Kapitalisation von im
ganzen 1402 846 817 Dollar, von denen mehr als die Hälfte
nur „verwässerte Aktien" waren, als Korporation ins
Leben. „Die Zahlen zeigen deutlich," so sagt der Bericht
des Kommissars der Vereinigten Staaten für Korporationen^),
„daß die ganze Ausgabe von annähernd 508 Millionen
Dollar gewöhnlicher Aktien der Stahlkorporation im Jahre
1901 keine wirkhchen Eigentumsbestände hinter sich hatte
und auch ein bedeutender Bruchteil, sagen wir ein bis zwei
Fünftel, der Prioritäten ebensowenig durch wirkliches
Eigentum geschützt war. Zugegeben selbst, daß ein be-
trächtlicher Wert in nicht greifbaren Äquivalenten ge-
steckt haben mag, so ist es doch für den Verständigen klar,
^) „Summary of Report of the Commissioner of Corporations on the Steel
InduBtry," 191 1, Teil I, S. 37 — 38.
- 589 -
daß die Ausgabe der neuen Aktien nur auf „Verwässe-
rung" hinauslief.
Morgans erstaunlich hohe Provision
Diese kurze Skizze von der Bildung des Stahltrusts würde
unvollständig sein, würde man nicht näher angeben, was
J. Pierpont Morgan & Co. für ihre Besitzanteile und für ihre
,, Dienste" als Gründer des Stahltrusts erhalten haben.
Zuerst streckten sie als zeichnendes Syndikat ein bares
Kapital von 28 Millionen Dollar vor, um verstreute Mengen
Aktien verschiedener Anlagen aufzukaufen. Für diese Aus-
gabe von 28 Millionen Dollar erhielten sie von der Stahl-
korporation der Vereinigten Staaten (United States Steel
Corporation) 1300000 Aktienanteilscheine, von denen
die Hälfte bevorzugte und die andere Hälfte gewöhnliche
Aktien waren, das Ganze von einem Pariwerte von 1 30 Mil-
lionen Dollar. Der Verkauf dieser Aktien brachte ungefähr
90 500 000 Dollar; wenn man hiervon die vorgestreckten
28 Millionen Dollar abzieht, so blieb ein Nettoertrag von
ungefähr 62 500 000 Dollar. Von diesen 62 500 000 Dollar
ging ein Fünftel oder 12 500 000 Dollar Morgan und Teil-
habern für „Gründerdienste" zu, und die übrigen 50 Millio-
nen Dollar wurden unter Morgan und andere Leiter des
Syndikats verteilt, wobei Morgan den Hauptteil erhielt.
,,Fügt man diesem," so sagt der Bericht des Regierungs-
kommissars für Korporationen, „die Beträge hinzu, die den
mitbeteiligten Gesellschaften zur Zeit ihrer Neuorganisa-
tion für ähnliche , Provisionen' zugestanden worden sind und
zieht man in Betracht, daß die von den mitbeteiligten
Gesellschaften besessenen Aktien von der Stahlkorpora-
tion dieselben Umtauschbedingungen erhielten wie sie
eben geschildert wurden, so dürfte klar sein, daß von
den Aktien der Stahlkorporation im Jahre 1901 wenigstens
150 Millionen Dollar (worin mehr als 40 Millionen Dollar
Vorzugsanteile eingeschlossen sind) direkt oder indirekt
für solche Gründer- und Zeichnerdienste ausgegeben
worden sind; und dies ging noch weit über die enormen
Beträge an gewöhnlichen Aktien hinaus, die als Gegen-
- 590 -
wert für wirkliche Produktionsanlagen und für Bargeld
anzusehen sind"^).
Der Bericht der Majorität der Untersuchungskommission
des Kongresses stellt die Tatsachen etwas anders dar. Er
sagt, daß während der fünf Jahre nach der Bildung des
Stahltrusts J. P. Morgan & Co. für „Gründerdienste",
Preissteigerung und Einwechselung der Aktien bei der Über-
tragung der Bundes-Stahlgesellschaft, der National-Röhren-
gesellschaft und der Amerikanischen Brückengesellschaft auf
den Stahltrust 123 126 294 Dollar erhielten und daß der ganze
Betrag in Papieren und bar, der von der Stahlkorporation
und ihren Hilfsgesellschaften dem Moore-, dem Morgan-
und andern Syndikaten für ähnliche Dienste zugewandt
wurde, sich auf 160 765 894 Dollar oder auf annähernd
50 Prozent des wirklichen Wertes aller ihrer Betriebsanlagen
und Besitztümer zusammen belief" 2).
Bei keiner dieser Berechnungen sind die großen Summen
in Betracht gezogen, die Morgan und seine Verbündeten
später durch ihre Machenschaften auf dem Geldmarkte ein-
heimsten. Einige von eben diesen Aktien wurden schlauer-
weise an einen Teil der in den Stahlfabriken beschäftigten
Arbeiter verkauft, in der Absicht, ihren Widerstand gegen-
über den Bedingungen, unter denen sie zu arbeiten gezwun-
gen waren, aufzuheben und sie zu veranlassen, gerade das
System zu unterstützen, durch das sie ausgebeutet wurden.
Vierzig Millionen Aktiengewinn innerhalb eines Jahres
Morgans Gewinn stellte sich sofort ein und war riesenhaft.
Die erworbenen Aktien konnte er zum Marktpreis von un-
gefähr 50 verkaufen. Bis zum Oktober 1902 hatten Morgan
und seine direkten Teilhaber im Syndikat schon 40 Millionen
Dollar an Gewinn verteilt^). Von wem kam dieser durch
Spekulation mit Aktien erlangte Gewinn f Von einer Menge
Geldanleger der Mittelklasse aus allen Teilen der Welt.
Angelockt durch die glühend gefärbten Prospekte des
^) „Summary of Report of the Commissioner of Corporations on the Steel
Industry," 191 1, Teil I, S. 38—39. a) Report Nr. 1127, S. 67. ») „The Truth
about the Trusts", 172.
- 591 -
Stahltrusts und ganz davon überzeugt, daß das dabei an-
gelegte Geld große Dividenden bringen und daß die
Aktien im Preise steigen würden, rissen sie sich buch-
stäblich darum, ihr Geld für die Aktien einzuzahlen. Nach-
dem dieses Geschäft von den Unternehmern erschöpfend
betrieben worden war, wurde der Preis gewöhnlicher Aktien
allmählich heruntergebracht, bis er im Jahre 1904 auf 8^/4
sank. Scharen von Geldanlegern der Mittelklasse waren
ruiniert ; die Magnaten hatten ihr Geld in die eigenen Ta-
schen übertragen. Dieses Verfahren wurde mehrere Male
mit großem Erfolg wiederholt. Wenn die kleinen Leute
sich von ihren Aktien bei niedrigem Preise trennten, pflegten
die Magnaten sie zurückzukaufen, und wenn sie dann eine
Dividendenerklärung erzwungen und rosige Berichte über
das Stahlgeschäft verbreitet hatten, wodurch die Markt-
notierungen in die Höhe getrieben wurden, verkauften sie
die Aktien wieder mit dem Ergebnis ungeheuer großen Ge-
winnes. Durch solches Verfahren haben Morgan und die
ihm verbündete Clique Hunderte von Millionen Dollar ge-
wonnen.
Wenn man fragt, von wem diese durch Spekulationen in
Aktien gewonnenen Hunderte von MilUonen unmittelbar
kamen, so ist die Antwort einfach. Von den Wohlhabenden,
nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern in der ganzen
Welt. Zu den unfreiwilligen Wohltätern gehörte die aus-
ländische Aristokratie ebensowohl wie die amerikanischen
Kaufleute, die kleinen Fabrikanten und Leute verschiedener
Berufsklassen. Die britischen Lords und die wohlhabenden
Kreise des europäischen Kontinents zeigten sich reichlich so
eifrig, Morgan von seiner ungeheuren Last von Papier-
vorrat, sonst auch Aktien genannt, zu befreien, wie die Geld-
anleger des eignen Landes. Sie überschütteten ihn mit
ihrem Gelde, und er verteilte sein Papier; er wurde mit Auf-
trägen überschwemmt.
Eine andere merkwürdige Erscheinung muß besonders
hervorgehoben werden. Selbst wenn sich bedeutende Teile
dieser Mittelklasse vorsichtig von den Gefahren des Geld-
marktes fern hielten, so wurde ihr Geld doch von den
Magnaten benutzt, wie wenn es das sichere Eigentum jener
- 592 -
Magnaten sei. So erstaunlich paradox dies auch scheinen
mag, es war und ist ein der stockblinden Mittelklasse ge-
spielter bitterer Possen. Der Gewinn, den die kleineren
Fabrikanten und Kaufleute dadurch machten, daß sie die
Arbeiter durch den Verkauf verfälschter, minderwertiger
und schlecht gewogener Waren betrogen, wurde in den
Banken angelegt. Diese eingezahlten Gelder wurden von
den Organisatoren der Truste benutzt, um gerade die Klasse
zu vertilgen, der sie gehörten — eine KJasse, die die Truste
mit tödlicher Feindschaft haßte. Das war die widersinnige
Situation, die die Mittelklasse sich nicht klar machte. Die
großen Magnaten beherrschten ungeheuer mächtige New
Yorker Banken^); diese Institute ihrerseits herrschten über
Hunderte, wenn nicht Tausende kleinerer Banken im ganzen
Lande. Die Aktienausgabe des Stahltrusts sowohl wie die
vieler anderer Truste wurden an diese Banken verkauft.
Die Trustmagnaten hoben das Geld der Mittelklasse ab,
und die Banken erhielten dafür die nur nominell erhöhten
Aktien und Obligationen.
Die großen BetTÜgereien hei Versicherungsgesellschaften
Weitere Hunderte von Millionen Dollar waren im Besitz
der großen Versicherungsgesellschaften als Depots und als
Überschuß von den Prämien, die jährlich von zahllosen Be-
sitzern von Policen eingezahlt wurden, zu denen die ganz
Reichen, die Mittelklasse und die Arbeiterklasse gehörten.
In Versicherungsgesellschaften, wie der „New York", der
,,Equitable" und der „Mutual", war die Arbeiterklasse nur
^) Die drei großen New Yorker Banken, die Morgan, wie man animmt, damals
lange beherrschte, waren die „First National", die „National Bank of Commerce"
und die „Hanover National". Ihre ungeheuren Hilfsquellen mögen aus folgenden
Tatsachen klar werden: Die „First National" besitzt ein Kapital von lo Millionen
Dollar,Depots inHöhe von 113 Millionen Dollar und eine Reserve von i86Millio-
nen Dollar. Die „National Bank of Commerce" besitzt ein Kapital von 25 Millionen
Dollar, Depots in Höhe von 170 Millionen Dollar und eine Reserve von 15 Millio-
nen Dollar. Die „Hanover National" besitzt ein Kapital von 3 Millionen Dollar,
Depots in Höhe von 82 Millionen Dollar und eine Reserve von 10 Millionen
t)ollar. Seit jener Zeit hat Morgan, wie wir sehen werden, seine Herrschaft über
eine große Anzahl anderer tatsächlich einen Geldtrust bildender Banken aus-
gedehnt.
- 593 -
wenig vertreten; die Arbeiter konnten es sich nicht leisten,
die verlangten hohen Prämien zu zahlen. Da sie gezwungen
waren, von den Volksversicherungsgesellschaften Policen
mit wöchentlichen Ratenzahlungen zu nehmen, wurden
sie sogar in noch größerem Maße betrogen als die Policen-
besitzer der Gesellschaften der „alten Schule". Auch ihr
Geld wurde benutzt, um die Truste mit hinreichendem
Kapital zu versorgen, mit dem diese die gesetzgebenden
Körperschaften bestechen konnten, um Privilegien und
andere Gesetze durchzubringen und ausgedehnte Aus-
rüstungen zu erlangen. Die „Public Service Corporation"
zum Beispiel, der die Anlagen und Betriebe gemein-
nütziger Einrichtungen des ganzen Staates New Jersey (mit
Ausnahme der Eisenbahnen) gehören, wurde mit dem Geldc
finanziert, das von einer dieser großen Volksversicherungs-
gesellschaften vorgestreckt wurde.
In der Herrschaft über die kolossalen Kapitalien der
Lebens Versicherungsgesellschaft „New York" stand Morgan
an der Spitze der leitenden Faktoren, während er auch,
durch vorgeschobene Personen gedeckt, in den Geschäften
der Lebensversicherungsgesellschaft „Equitable" tätig war*).
Beweise von seiner auf Umwegen ausgeübten Macht wur-
den wiederholt in den bemerkenswerten, wenn auch im
Grunde wirkungslosen Untersuchungen aufgedeckt, die von
einer Kommission der gesetzgebenden Körperschaften von
New York angestellt wurden. Die Versicherungsgesell-
schaften hatten Überfluß an Bargeld; Morgan, Harriman
und andere Magnaten hatten die Aktienausgabe. Da augen-
scheinlich diese Aktien nicht zum Zwecke ästhetischer Schau-
stellungen ausgegeben waren, war es von großer und unmittel-
barer Bedeutung, sie in ein Einkommen zu verwandeln.
Durch heimliches Einverständnis mit den Beamten der Ver-
^) Morgans Einfluß auf die Lebensversicherungsgesellschaft „New York" kam
durch George W. Perkins, den Vizepräsidenten jener Gesellschaft, zustande. Schließ-
lich wurde Perkins im Jahre 1902 Mitglied der Firma J. P. Morgan & Co., blieb
aber gleichzeitig Beamter der Lebensversicherungsgesellschaf t New York. Perkins
Methode mag nach folgenden nebensächlichen Tatsachen beurteilt werden: Er
nahm Policen für 60000 Dollar auf sein Leben und erhielt die Agentenprovision
für seine eigene Versicherung. Report of the (New York) Legislative Insurance
Committee, 1906, ro, 85.
38
- 594 -
Sicherungsgesellschaften wurden ungeheuer große Mengen
von Obligationen und Aktien an die Versicherungsgesell-
schaften verkauft^)- Zum großen Teil mit diesem Gelde
der Mittelklasse wurden die Magnaten in den Stand gesetzt,
ihre großen Eisenbahn- und Trustprojekte zu finanzieren.
Andere Teile der Aktienausgabe wurden direkt an die Mittel-
klasse verkauft, und dann verfuhr man mit ihnen so, daß jene
Klasse noch weiter ausgepreßt wurde.
Streit um die Beute
Lange Zeit wurde dieses Plündern der Versicherungs-
gesellschaften ungehindert und ohne die öffentUche Auf-
merksamkeit auf sich zu ziehen, fortgesetzt. Die Ursachen
dieses Freibleibens von amtlicher Verfolgung und Bloß-
stellung wurden erst im Jahre 1905 aufgedeckt. In diesem
Jahre kam es zu der gewöhnlichen kapitalistischen Ent-
wickelung. Ein Streit, zuerst nur privates Murren, dann
zu lärmendem Kampfe anwachsend, setzte unter Gruppen
von Magnaten ein. Und was war die Veranlassung ? Be-
stand sie in persönlicher Feindschaft ? Durchaus nicht.
Die Sache entstand aus Uneinigkeiten über die Vertei-
lung der Beute bei der Lebensversicherungsgesellschaft
„Equitable". Magnat rüstete sich gegen Magnat, und
Gruppe stand gegen Gruppe. Je klarer es wurde, daß der
Kampf um die Beherrschung der verblüffend hohen Ein-
künfte nicht geschlichtet werden konnte, desto feindseliger
wurden die Magnaten. Bald war es so weit, daß häßliche
Anklagen auf Betrug, Diebstahl und Bestechung ihren Weg
in die öffentliche Presse finden konnten. Hier gab es ein
Schauspiel für Götter. Diese Angriffe kamen nicht von
irgendeinem „Arbeiterführer" her, auch nicht von irgend-
einer „unverantworthchen Zeitung"; nein, sie kamen
von einigen der fürstlichsten Magnaten des Landes, von
Männern „tadellosester Ehrbarkeit". Jetzt beschuldigten
') Der „Equitable" gehörten z. B. 162 364034 Dollar Eisenbahn- und Straßen-
bahn-Gesellschafts-Obligationen, der „Mutual" ungefähr dieselbe Summe in Eisen-
bahn- und verschiedenen andern Obligationen und der „New York" eine ähnlich
große Summe.
- 595 -
sie einander auf die gewöhnlichste Art, Lügner, Betrüger
und durch und durch Schurken zu sein.
Der Streit wurde so heftig, daß allgemein und immer
wieder das Verlangen nach einer Kommission der gesetz-
gebenden Körperschaften laut wurde, die eine erschöpfende
und heilsame Untersuchung führen sollte. Wenigstens
schien dieses Verlangen durchaus ursprünglich und populär
zu sein, aber man darf mit gutem Grunde vermuten, daß,
nachdem jedes andere Mittel zur Vertreibung der herrschen-
den Magnatengruppe versucht worden war, die Oppositions-
partei in geschickter Weise die Entrüstung des Volkes er-
regte, um eine Untersuchung zu erzwingen und die herr-
schende Clique in Mißkredit zu bringen. Spätere Enthül-
lungen zeigten, daß Harriman lange Zeit versucht hatte, die
ausschließliche Herrschaft über die von der Lebensversiche-
rungsgesellschaft „Equitable" aufgehäuften Kapitalien zu
gewinnen. Überdies bestätigte seine eigne Aussage die Tat-
sache, daß Gouverneur Odell von New York sein Geschöpf
war, und daß sogar die gesetzgebenden Körperschaften, die
die Untersuchung anordneten, seinen Befehlen gehorchten.
Das Volk hatte wieder einmal Gelegenheit, einen Einblick
in das, was hinter der Szene vor sich geht, zu gewinnen,
wenn die Untersuchungskommission der gesetzgebenden
Körperschaften im Jahre 1906 berichtet:
„Die von der Kommission entgegengenommenen Zeugen-
aussagen machen es klar, daß die großen Versicherungsgesell-
schaften systematisch versucht haben (sie), auf die Gesetz-
gebung in diesem (New York) und andern Staaten, soweit
sie ihre Interessen direkt oder indirekt berühren konnte,
einen Einfluß auszuüben. Die drei Gesellschaften teilten,
um unnütze Anstrengung zu vermeiden, das Land außer-
halb New Yorks und einiger anderer Staaten unterein-
ander; jede achtete auf das von ihr gewählte Gebiet und
trug den ihr zukommenden Teil der Gesamtausgaben."^)
Vortrefflich! Sogar Bestechung wird wie die Industrie
in ein System gebracht und modernisiert. Bei dem Ver-
fahren werden zarte Äußerlichkeiten beibehalten. Be-
stechungsfonds als Geld zur Korruption in Hauptbücher
^) Report of the (New York) Legislative Insurance Committee, 1906, 10, 23»
38*
- 596 -
einzutragen, ist eine grobe Verletzung des feineren Ge-
schmacks und unverzeihlich ungeschäftlich. Daher, so be-
richtet die Kommission, wurden Ausgaben für Bestechungs-
zwecke unter die Rubrik „juristische Ausgaben" gebracht.
Die Kommission bezeichnete sie als außerordentlich groß.
Die „Mutual" gab im Jahre 1904 364 254,95 Dollar aus,
die „Equitable" 172 698,42 Dollar und die „New York"
mit Morgans Partner Perkins als tatsächlichem Leiter
204 019,25 Dollar^). Dieses machte nach den einfachen
Regeln der Arithmetik eine Gesamtsumme von mehr als
dreiviertel Millionen Dollar, die in einem Jahre zur Be-
stechung von regierenden Körperschaften, Verwaltungs-
beamten und gewissen Zeitungsschreibern ausgegeben
wurde''). „Diese juristischen Ausgaben", so schrieb die
Kommission überflüssigerweise, „übertrafen bei weitem
die für rechtmäßige Zwecke erforderlichen Summen."*)
Zu welchen Zwecken wurden diese Korruptionsgelder
verwendet ? Um Gesetze zu erlangen, unter deren Schutz
große Betrügereien durchgeführt werden konnten, und um
die Annahme störender Gesetze zu verhindern. Und wer
waren die unmittelbaren Verteiler der Kapitalien ? Geübte,
umsichtige Lobbyisten, die gründliche Erfahrung hatten,
wer, wann und wo zu bestechen sei. Sie waren in ihren
Ausgaben niemals beschränkt. Andrew C. Fields, der lange
von der Lebensversicherungsgesellschaft „Mutual" enga-
giert war, um die Gesetzgebung inAlbany zu ,, bearbeiten",
hielt dort in einem kostbar eingerichteten Hause seine
Sprechstunden. Dieses Hauptquartier wurde scherzhaft
das „Haus des Frohsinns!" genannt. Die Miete und
andere Ausgaben wurden den „juristischen Ausgaben"
zugeschrieben. Auf diese Weise gab die „Mutual" von
1898 bis 1904 mehr als 2 MiUionen Dollar für „juristische
Ausgaben" aus*). Und wieviel betrugen diejenigen der
Lebensversicherungsgesellschaft „New York?" Von 1895
bis 1904 beUefen sich die Zahlungen an Andrew Hamilton,
^) Report of the (New York) Legislative Insurance Committee, 1906, 10, 16.
2) Die Beweisaufnahme zeigte, daß viele Zeitungsschreiber für die Unter-
drückung von Artikeln, die das Verfahren dieser Gesellschaften aufdeckten, große
Summen erhalten hatten. ^) Ebenda, 16. *) Ebenda,
- 597 -
ihren Hauptlobbyisten, im ganzen auf i 312 197,16 Dollar,
und diese ganze Summe war ehrbar als „juristische Ausgaben"
eingetragen worden^). J. P. Morgan & Co. schössen Hamil-
ton Geld vor 2).
Aber es war weder der Anfang noch das Ende der Kor-
ruption, daß Stimmen in der Gesetzgebung oder strafbare
Nachsicht in der Verwaltung erkauft wurden. Weit über
den Politikern im Amt standen die politischen Führer, die
den Mechanismus sowohl der republikanischen wie der
demokratischen Partei beherrschten. Diese Parteiorgani-
sationen konnten die Stimmen kommandieren; und die Be-
fehle der Männer an der Spitze forderten Unterwerfung
von den untergeordneten Politikern. Weigerung brachte
Bestrafung und Entfernung. Durch die Beherrschung des
geheimen Wirkens der Parteiorganisationen beherrschten die
Magnaten tatsächlich die Rednertribünen jener Parteien,
ihre Kandidaten und die allgemeine Laufbahn der zum Amt
erwählten Männer.
Als weiterer Beweis hierfür wird ein nochmaliges Ein-
gehen auf den Bericht jener berühmten Untersuchungs-
kommission für die Versicherungsgesellschaften vom Jahre
1905 genügen. „Die Versicherungsgesellschaften", so be-
richtet er, „trugen zu dem Fonds für die Kampagne der
republikanischen sowohl wie der demokratischen Partei
regelmäßig große Summen bei." Dies war jedoch keine un-
gewöhnliche Handlung; es war der herkömmliche Brauch
der Zeit; alle großen Korporationen taten das gleiche.
Hatte nicht Jay Gould vor ungefähr dreißig Jahren das Ver-
fahren auseinandergesetzt ? Und hatten nicht andere
Kapitalisten lange vor Jay Gould gezeigt, wie wirksam es
war? Ein Geschenk von beinahe 50000 Dollar wurde im
Jahre 1894 von der Lebensversicherungsgesellschaft „New
York" zu dem Fonds für die Kampagne des republikanischen
Nationalkomitees gestiftet^) und ähnliche Summen zu
1) Ebenda, 50.
2) Ebenda, 49. Zum Beispiel schössen J. P. Morgan & Co. im Oktober 1902
Hamilton 59310,79 Dollar vor. Diese Summe wurde von den Einkünften der
Lebensversicherungsgesellschaft „New York" abgezogen. Von Hamilton wurde
keine Abrechnung verlangt. *) Ebenda, 62.
- 598 -
demselben Zwecke in den Jahren 1896 und 1900^). Alle
großen Versicherungsgesellschaften gaben Beiträge 2). Man
fand, daß es unmögHch sei, allen Richtungen dieser fort-
gesetzten Korruption nachzugehen. „Enorme Summen,"
so stellte die Kommission fest, „sind in heimlicher Weise
ausgegeben worden."
Die auf diese Weise für politische Korruption ausgegebe-
nen ungeheuren Summen wurden in diebischer Weise von
dem Gelde genommen, das man an den Policeninhabern
verdiente. Mit diesem gestohlenen Gelde, das zu MiUionen
Dollar anwuchs, erkauften sich die Magnaten ihren Weg in
die gesetzgebenden Körperschaften aller Staaten der Union;
sie verschafften sich für sich selbst oder ihre Verbündeten den
Weg in den Senat der Vereinigten Staaten, und sie setzten
ihre Forderungen sowohl bei der republikanischen wie bei
der demokratischen Partei durch. Eine vernichtendere An-
klage gegen die bestehende Gesellschaftsordnung als die,
welche in den von jener Kommission berichteten Tatsachen
(und das waren durchaus nicht alle Tatsachen) enthalten
war, ließe sich nicht finden. Das wesentliche, wenn auch
nicht in so dürren Worten ausgesprochene Ergebnis war,
daß die Verwaltungsbeamten, die gesetzgebenden Körper-
schaften, der Kongreß, die Gerichtshöfe und die alten
politischen Parteien von Gruppen beispielloser Betrüger
und Räuber beeinflußt und beherrscht wurden. Denn die
der Sicherstellung dieser politischen Herrschaft zugewen-
deten Summen bildeten nur ein Zehntel von der Gesamt-
heit der erstaunlichen Diebstähle. Direkt auf die Unter-
suchung folgten Prozesse gegen die „hohen Finanziers" zur
Herausgabe von mehr als 10 MiUionen Dollar, und diese
Prozesse bildeten nur Hinweise auf noch viel größere, auf
betrügerische Weise genommene Summen. Die Prozesse
führten zu Vergleichen
^) Ebenda, 62.
*) Ebenda, 398. Die „Equitable" gab z. B. Im Jahre 1904 dem republikanischen
Nationalkomitee 50 000 Dollar und auch dem republikanischen Komitee des
Staates New York viele Jahre hindurch jährlich 30 000 Dollar (S. 10)
- 599 -
Dunkle Tage für Ehrbarkeit
Zm den Direktoren und Beherrschern jener Versicherungs-
gesellschaften gehörten einige der hervorragendsten Magna-
ten und der am meisten gepriesenen Philanthropen in den
Vereinigten Staaten. Die fashionable Gesellschaft wurde
durch die Enthüllungen nicht erschüttert, denn sie war
selbst in jedem Teile und in jeder Faser auf Diebstahl, Be-
trug, Bestechung und Ausbeutung aufgebaut und dadurch
erhalten.
Aber die Apologeten und Anhänger, die ihrem Berufe
gemäß den Pfad der Geldfürsten mit Lob bestreuten, wur-
den in unerhörter Weise aus der Fassung gebracht. Was
konnten sie sagen, wenn von ihren Helden Leute wie George
J. Gould, Alfred G. Vanderbilt, John Jacob Astor, August
Belmont, Jacob H. Schiffe), Henry C. Frick, Darius O. Mills
und viele andere entweder als Beteiligte oder als verantwort-
liche Führer bloßgestellt wurden ? Noch verdrießlicher war
die Besudelung ihrer großen Abgötter, E. H. Harrimans und
vor allem des frommen und menschenfreundlichen J. Pier-
pont Morgan 2). Alle diese Gelderoberer waren grenzenlos
verherrlicht worden; nichts war so überspannt, daß man es
nicht von ihnen gesagt hätte; und nun konnte man sehen,
wie sie bei dem unbequemen Ereignis, „ertappt worden zu
sein", sich drehten und wandten.
Ein guter Ruf mag, wie die Dichter und Philosophen
sagen, ein unschätzbarer Besitz sein. Aber diese Magnaten
^) Die Lebensversicherungsgeselhchaft „Equi table" lieh „ungeheuer große
Summen" an Kuhn, Loeb & Co., bei denen Schiff eine leitende Stellung innehatte,
(Ebenda, ii8.) Dieses Kapital wurde zum großen Teile Harriman zugewendet,
um bei seinen Plänen zur Vereinigung und Zentralisierung von Eisenbahnen Ver-
wendung zu finden. Schiff galt beim Publikum als einer der wohlwollenden Phil-
anthropen der Zeit.
*) Wie weit Morgan in der Verwendung von Versicherungsgeldern ging, wurde
durch die gesetzliche Untersuchungskommission dargetan. „Der Beweis ist er-
bracht," berichtete sie, „daß, während Mr. Perkins Teilhaber von J. P. Mor-
gan & Co. war, die Lebensversicherungsgesellschaft ,New York' von jener Firma
Wertpapiere im Pariwerte von 39286075 Dollar für den Preis von 38804981,51
Dollar erlangt hat." Ebenda, 81. Der Bericht weist oberflächlich darauf hin, daß
die Lebensversicherungsgesellschaft „New York" auf diese Weise beim Erwerb jener
Wertpapiere ein „Geschäft" machte. In Wirklichkeit bestand ein großer Teil der
Papiere aus „verwässerten" Aktien.
— 6oo —
machten sich nichts aus der vorübergehenden Verletzung.
Denn vorübergehend war sie sicherlich; eine kurze Zeit
würde hingehen, und dann würden die Zeitungen und
Wochenschriften, die Universitätspräsidenten und die Geist-
lichkeit, die zum großen Teil den Magnaten gehörten oder
von ihnen unterstützt wurden, ihren unterbrochenen Lob-
gesang wieder aufnehmen, und alles würde wieder gut sein.
Würde den Universitäten und Kirchen noch ein bißchen
von dem Raube hingeworfen, so würde dies die zauber-
hafte Wirkung erhöhen.
Daher war es durchaus nicht ein Verlust an gutem Ruf,
den die Magnaten und ihre Satrapen fürchteten. Die eine
und einzige beunruhigende Aussicht bestand darin, in das
Gefängnis abgeschoben zu werden. Überall in den Vereinig-
ten Staaten hatten die Enthüllungen über die Versicherungs-
gesellschaften — die zutage liegenden Tatsachen in bezug
auf die ungeheuren, lange fortgesetzten Bestechungen und
Betrügereien — zuerst das ungestüme Verlangen hervor-
gerufen, daß die Schuldigen vor Gericht und ins Gefängnis
geschleppt werden sollten.
Aber dieses Verlangen würde, wenn man es durchgeführt
hätte, eine eigenartige beispiellose Situation hervorgebracht
haben. Sollten alle Schuldigen oder auch nur ein Teil von
ihnen ins Gefängnis gebracht werden, so würde die Nation
vieler ihrer vornehmsten Magnaten, ihrer größten Philan-
thropen, ihrer musterhaftesten Patrioten beraubt worden
sein. Wie hätte die Gesellschaft einen solchen Verlust
überleben können ? Nach orthodoxen Lehren waren diese
Männer für die richtige Verwaltung und das Wohlbefinden
des ganzen sozialen und industriellen Systems unbedingt
notwendig. Diese großen Magnaten, Philanthropen und
Patrioten sollte man einkerkern? Der Gedanke war un-
möghch.
Die Betroffenen brauchten indessen keine Furcht vor
dem Gefängnis zu hegen. War nicht vorher, Jahrzehnt für
Jahrzehnt, beinahe Jahr für Jahr, manch eine Untersuchung
abgehalten worden, manchmal mehrere Untersuchungen in
einem einzigen Jahre ? War jemals irgendeiner der reichen,
in diesen Untersuchungen überführten Betrüger ins Ge-
— 6oi —
f ängnis geschickt ? Welcher Grund lag für die Annahme vor,
daß diese Untersuchung irgendein anderes Resultat haben
sollte ?
Die Magnaten entgehen dem Gesetz
Man sah bald, wie das Gesetz ausgelegt wnrde. Unter
dem Druck der öffentlichen Meinung veranlaßte endlich
der Distriktsanwalt des Kreises New York, ein gewisser
William Travers Jerome (lange Zeit als „Reformator" be-
rühmt), den Anklagegerichtshof, gegen einige wenige der
Satrapen und Strohmänner vorzugehen. Aber im Falle
Perkins z. B. wurde entschieden, daß, wenn er große Dieb-
stähle begangen hätte, dies ohne „verbrecherische Ab-
sicht" geschehen sei. Die Tausende von armen, ins
Gefängnis getriebenen Übeltäter Htten augenscheinlich
an einem Übermaß dieser nämhchen „verbrecherischen
Absicht". Doch daß ein reicher und mächtiger Mann
irgendeine Betrügerei mit „verbrecherischer Absicht*' be-
gehen könnte, war ein der praktischen Jurisprudenz un-
bekanntes Motiv. Die Farce wurde noch eine Weile
hingezogen ; nicht einer der Beteiligten von großem Reich-
tum wurde auch nur mit der FormaUtät eines Verhörs be-
lästigt^).
Und was war das Ergebnis jener außerordentlichen Unter-
suchung ? Wieder sah man die Wirkung jenes, so oft in
diesen Kapiteln dargestellten Prinzips: daß jede „Reform-
woge" einer kapitahstischen Gesellschaftsordnung von den
großen Kapitalisten dazu benutzt wird, ihren Reichtum
und ihre Macht zu vergrößern. Indem Thomas F. Ryan aus
dem allgemein verbreiteten schlechten Ruf der Versiche-
rungsgesellschaften Nutzen zog und hinsichtlich der Re-
formen, die er auszuführen gedachte, schöne Worte machte,
erwarb er die Herrschaft über die Lebensversicherungs-
*) Die Tatsachen in dieser Allgemeinheit sind so bekannt, daß es kaum nötig ist,
auf einzelnes näher einzugehen. Obgleich Jerome viel getadelt wurde, wich er doch
nicht von dem allgemeinen, so oft in diesem Buch beschriebenen Brauche ab, die
Gesetze gegen die Armen kräftig durchzuführen, während er die reichen Betrüger
und Diebe frei ausgehen Ueß. Jerome, einst ein „populärer Held", war in der öffent-
lichen Meinung vollständig verrufen, als er sein Amt verließ.
— 6o2 —
gesellschaft „Equitable" und machte damit Harrimans An-
strengungen, dasselbe zu erreichen, vollständig zunichte.
Ryans Laufbahn und die Mittel, durch die er seinen un-
geheuren Reichtum erwarb, waren so allgemein bekannt,
daß sein Auftreten in der Rolle eines „Reformators" sofort
zum Signal für den Ausbruch allgemeinen beißenden Spottes
wurde, woraus sich Ryan nicht das geringste machte, da er
seinen Angriff durchgeführt hatte^).
Genug jedoch von den Methoden, von diesen großen
Versicherungskapitalien für pohtisch-finanzielle Zwecke Ge-
brauch zu machen. Die durch die Enthüllungen hervor-
gerufene Sensation war ebenso tiefgehend wie die darauf
folgende Reaktion. Eine kurze Zeit war es den Massen
gestattet, hinter die Kulissen zu blicken und über das, was
sie sahen, sich zu erregen, dann wurde der Vorhang
wieder zugezogen und die alte Komödie weitergespielt.
Die tiefgehende Erregung des Volkes verflachte zu bloßer
Müdigkeit.
Welche bemerkenswerten Veränderungen waren das Er-
gebnis jenes in die Länge gezogenen Nachforschens ? Gar
keine. Einige Juristen erlangten dadurch pohtische Be-
förderung, andere bereicherten sich aus einem Schweif
von Prozessen, einige minderwertige Gesetze wurden er-
lassen, und eine Kapitalistengruppe wurde entthront, um
für eine andere Platz zu machen. Und das war das Ende
jener großen Untersuchung, die solch „wohltätige Re-
formen" hatte bringen sollen.
^) In seiner Rede am 17. März 1907 im Senat der Vereinigten Staaten nahm Se-
nator La Folette in folgender Weise auf Ryan Bezug:
„Die jMetropolitan Interborough Traction Company' machte nach der niedrig-
sten Schätzung einen Reingewinn von 100 MilHonen Dollar durch Methoden,
die viele der Teilnehmer hätten ins Zuchthaus bringen sollen. Das Publikum
und die Aktionäre wurden in gleicher Weise ausgeraubt. Daß Dividenden mit ge-
borgtem Gelde bezahlt wurden, nur um das Publikum mit den Aktien zu betrügen,
ist jetzt als ganz sicher bekannt. Die Untersuchung hat aufgedeckt, daß i Million
Dollar zur Korruption öffentlicher Beamter ausgegeben wurden. Im Jahre 1886 war
Thomas F. Ryan ein armer Mann. Im Jahre 1905 schätzte Henry D. McDonough,
sein offizieller Vertreter, Ryans Vermögen auf 50 Millionen. Die Grundlage seines
ganzen Reichtums und seiner Macht war die Metropolitan-Straßeneisenbahn."
,,Centralization and Community Control of Industry" usw. Government Doc. 24.
6o3
Stahltrust und Stahlarbeiter
Über die Zustände in den Stahltrustwerken gibt ein Be-
richt unter dem Titel „Die Pittsburger Übersicht" eine
erschöpfende Untersuchung der Lebensbedingungen der
Arbeiterklasse von Pittsburg. Weiter forschend finden wir,
daß diese Untersuchung mit Hilfe der von der „Russel-
Sage-Stiftung" beigesteuerten Kapitalien ausgeführt wurde^).
Diese Tatsache erhöht ihren Wert zur Angabe von Zitaten.
Was bemerken wir ferner unten auf dem Deckel ? Daß der
Bericht in einer von der New Yorker Gesellschaft zur
Organisation von Wohltätigkeit geleiteten Wochenschrift
veröffentlicht worden ist, und unter dieser Bemerkung er-
scheint — was ? Der Name J. Pierpont Morgan als Schatz-
meister jener Gesellschaft. Nun stehen wir auf unanfechtbar
sicherem Boden. Wer würde so rücksichtslos sein, einen
unter so erhabenen Auspizien veröffentHchten Bericht der
Ungenauigkeit oder Parteilichkeit zu beschuldigen? Noch
besonders, da dieser Bericht allgemein wegen seiner Genauig-
keit gerühmt worden ist — wegen einer, so möge hinzu-
gefügt sein, mit außerordentlich vorsichtiger Behandlung
gefärbten Genauigkeit.
„Die ,United States Steel Corporation'", so sagt der Be-
richt, „besitzt Eigentum auf der Südseite von Pittsburg,
dicht hinter Point Bridge. Hier liegt die alte Painter's
Mill, eine der Anlagen der Carnegie Steel Company, die
ihrerseits eine der hauptsächlichen Gesellschaften der
United States Steel Corporation ist; und hier liegt auch,
was von Painter's Row übriggeblieben ist, wo die Ge-
sellschaft gewisse ihrer Angestellten, besonders Einwanderer,
untergebracht hat. Als die Carnegie Steel Company
Painter's Mill übernahm, verbesserte sie die Anlage, um
einen entsprechenden Ertrag herauszuwirtschaften. Als sie
^) „Die Russel-Sage-Stiftung" — ein von Rüssel Sages Witwe gespendetes Ka-
pital von mehreren Millionen zum Zwecke (unter anderen Zwecken) der Unter-
suchung der Bedingungen, durch welche Armut hervorgebracht wird. Ein Teil de»
von Sage in früheren Generationen geraubten Geldes wird auf diese Weise dazu be-
nutzt, herauszufinden, warum so viele Millionen der gegenwärtigen Generation in
Entbehrung leben. Was für eine groteske Folge!
— 6o4 —
Painter's Row übernahm, tat sie nichts. Als ich vor etwas
über einem Jahre und mehrere Jahre nach dem Ankauf
der Besitzung eine genaue Untersuchung des Ortes an-
stellte, fand ich, daß ein halbes Tausend Leute dort unter
unglaublichen Bedingungen lebte — Rücken an Rücken
stehende Häuser ohne durchgehende Ventilation; Keller-
küchen; dunkle, ungesunde, schlecht ventilierte, überfüllte
Schlafzimmer; kein Trinkwasser auf den Grundstücken;
und einen Mangel an sanitären Einrichtungen, der schmach-
voll war."i)
Der Verfasser beeilt sich, hinzuzufügen:
„Die Geschichte von Painter's Row sollte nach allen
Seiten hin betrachtet werden. Die United States Steel Cor-
poration baut eine ansehnliche neue Stadt in Gary, Indiana;
ihre Hilfsgesellschaften haben das Bauen von Häusern nach
Originalentwürfen in hervorragender Weise in Vandergraft,
Ambridge und Lorain gefördert, und die Carnegie Steel
Company besitzt schöne Häuser zu niedrigem Mietzins in
Munhall und andern Orten. Andererseits besitzen andere
Pittsburger Korporationen Häuser, die ebenso schlecht sind
wie Painter's Row; und eine ähnliche Geschichte könnte
von einer Holzbaracke geschrieben werden, die einmal einer
der ersten protestantischen Kirchen von Pittsburg gehörte
und nur darum dem Boden gleich gemacht wurde, weil der
Werkführer von Kingsley House den Mut hatte, das Bild
des Hauses und den Namen des Besitzers zu veröffentlichen."
Painter's Row ist, so berichtet man, seit der Veröffent-
Hchung des Berichts in einen besseren Zustand versetzt
worden; die Beamten des Stahltrusts wurden durch das
öffentliche Bekanntwerden der Zustände dazu getrieben.
Aber Painter's Row ist nur ein typischer FaU in einer un-
geheuren Anhäufung von Armut und Elend, wie man sie
überall in den Städten der Stahlwerke antrifft. Jene be-
sänftigende Kunde von dem Bau schöner neuer Häuser für
die Arbeiter in Gary und andern Städten des Stahltrusts
hat einen Anflug von Menschenfreundlichkeit; sie lautet
sehr melodisch und enthusiastisch. Doch haben wir bei
^) „The Pittsburg Survey", 2, 899.
— 6o5 —
Gelegenheit der Stadt Pullmans gesehen, wie sich diese
„Musterstädte" herausarbeiten; wie die Arbeiter in einen
Zustand von Sklaverei heruntergebracht und bei jeder Be-
wegung innerhalb und außerhalb des Werks ausgebeutet
werden, und wie die Tüchtigkeit, die von leidHch anstän-
digen Wohnungsgelegenheiten herrührt, einfach als eine
„gute Geldanlage" den Fabrikbesitzern zum Nutzen ge-
reicht. Von den weiterhin in Pittsburg bemerkten Verhält-
nissen wird ein anderer Auszug aus dem umfangreichen Be-
richt (der sehr wohl als eine Schreckenskammer bezeichnet
werden könnte) ein ergänzendes Bild geben:
„Man ist in dem Bezirk allgemein der Ansicht, daß einige
Arbeitgeber den Slawen und Italienern wegen ihrer Ge-
lehrigkeit, ihrer Gewohnheit schweigenden Gehorsams, ihrer
ZugängHchkeit für Disziplin und wegen ihrer BereitwilHgkeit,
lange Zeit und über die Zeit hinaus ohne Murren zu arbeiten,
den Vorzug geben. Ausländer erhalten in der Regel die
niedrigsten Löhne und arbeiten die volle Stundenzeit.
Ich fand, daß sie in den Maschinenwerkstätten sechzig
Stunden wöchentlich arbeiten; daß sie in den Hochöfen an
sieben Tagen der Woche zwölf Stunden täglich arbeiten.
Der gewöhnliche, in und bei den Fabriken beschäftigte
Arbeiter arbeitet 72 Stunden wöchentlich. Die Lohneinheit
ist ein Stundenpreis für Wochentagsarbeit, und der Slawe ist
bereit, die lange Arbeitszeit zu übernehmen (zwölf Stunden
täglich für Männer, die in ihrem Vaterlande vierzehn und
sechzehn arbeiten) mit Extraarbeit am Sonntag, haupt-
sächlich in Verbindung mit dem Aufräumen der Höfe und
Ausbesserungen. Hochgerechnet haben 60 — 70% der Fa-
brikarbeiter an Sonntagen frei ; die Handwerker und andere
Arbeiter sind bei Gelegenheit 36 Stunden hintereinander
tätig, damit der Betrieb ununterbrochen bleibt. In einer
Fabrik fand ich Russen (griechisch-orthodoxe) besonders
beliebt, weil sie gern an Sonntagen arbeiteten.
Viele arbeiten in starker Hitze, bei dem Lärm der
Maschinen und dem Geräusch ausströmenden Dampfes.
Das enge Zusammengedrängtsein der meisten Fabrik-
anlagen in Pittsburg erhöht das physische Mißbehagen der
an freie Luft gewöhnten Leute, während ihre Unkenntnis
- 6o6 -
der Sprache und moderner Maschinen die Gefahr ver-
mehrt. Wie viele der Slawen, Litauer und ItaHener im
Laufe eines Jahres in Pittsburg verletzt werden, ist unbe-
kannt. Zuverlässige statistische Nachrichten darüber sind
nicht gesammelt. Da sie fehlen, stellt man Vermutungen an,
und dem Unfug, der durch sich widersprechende oder ge-
färbte Erzählungen hervorgerufen wird, begegnet man auf
allen Seiten. Als ich einem Priester gegenüber eine in
schlechtem Ruf stehende Fabrikanlage erwähnte, sagte er:
, Ach, das ist das Schlachthaus ; dort werden alle Tage welche
getötet.' Ich zitiere ihn nicht seiner Genauigkeit wegen,
sondern um zu zeigen, wie Gerüchte im Umlauf sind und
dem Volke selbst als wahr erscheinen. Es ist, wenn die
Berichte auch übertrieben sein mögen, zweifellos wahr, daß
die Verschwendung an Leben und Gliedern groß ist, und
wenn dies alles den Eingebornen zustieße, so hätte sich
schon lange ein Schrei erhoben, der das Gemetzel unter-
brochen hätte."!)
Dieses ist nur ein höchst flüchtiger Überblick über einige
der herrschenden Zustände. Alle Besitzer von Obliga-
tionen und Aktien, die Großen und die Kleinen 2), große
Magnaten und kleine Parasiten haben sich nicht nur mit die-
sen Zuständen zufrieden gegeben, sondern haben auf ihrer
Fortdauer bestanden, nach dem (so oft im Verlauf dieses
Buches erwähnten) Prinzip, daß, je niedriger die Löhne und
je länger die Arbeitsstunden, desto größer und lockender die
Aussichten für die Dividenden sind. Prächtige Herrenhäu-
ser, geräumig und schmuckreich wie Paläste, erheben sich
aus der straffen Arbeit, aus dem Leiden und Sterben jener
Arbeitermassen. Carnegie mit seiner prahlerisch entfalteten
Wohltätigkeit zieht sein Einkommen geradezu aus dem
Lebensblut jener Arbeiter und ihrer Familien und Kinder
heraus^), und Morgan, der so fromm Liebesgaben spendet,
^) Ebenda, i, 537 und 539. Die Carnegie Steel Company fing vor mehreren
Jahrzehnten mit der systematischen Anwerbung eingewanderter Arbeiter an.
Der Durchschnittslohn dieser Arbeiter beträgt 1,60 Dollar täglich.
*) Abgesehen von den wenigen früher genannten Ausnahmen.
8) „Ein Drittel aller derer, die in Pittsburg sterben , sterben, ohne daß sie
darüber sprechen können. Das heißt, sie sterben vor ihrem fünften Lebensjahre.
Ein Viertel von allen, welche sterben, sterben, ohne überhaupt sprechen zu
— 6o7 —
bei religiösen Versammlungen amtiert und als die Ver-
körperung fürstlichen Wohlwollens posiert, läßt keine so
unpraktischen Erwägungen wie Mitleid oder Gefühl auf-
kommen, um das Leben in den tobenden Höllen, aus denen
durchschnittlich 145 Millionen Dollar Reingewinn her-
geleitet werden, auch nur um ein Geringes erträghcher zu
machen^).
Zwölftes Kapitel
MORGAN ALS „RETTER DER NATION"
Kurz nachdem die Panik des Jahres 1907 eingesetzt
hatte, wurde in einer „volkstümlichen Zeitschrift "2)
ein Artikel veröffentlicht (und er bildete nur eins von
vielen solchen Machwerken) mit der Überschrift: „Morgan
der HerrUche". Der schwülstige Stil des Artikels, wenn auch
sonst nichts, mußte Interesse und Verwunderung erregen,
können. Das heißt, sie sterben in ihrem ersten Lebensjahre. Die meisten dieser
Todesfälle wären zu verhüten, da sie das Ergebnis von Lebensbedingungen sind,
die, menschlich gesprochen, keine Existenzberechtigung haben." Dieser Massen-
mord wird zum großen Teil durch verfälschte Milch und schlechte Wohnungs-
verhältnisse hervorgebracht. — Ebenda, 2, 943.
*) Der amerikanische Arbeiterbund (The American Federation of Labor) er-
klärte bei seiner Jahreszusammenkunft in Toronto, im November 1909, daß der
Stahltrust eifrig darauf bedacht sei, Arbeiterverbände zu zerstören, und daß er der
bedeutendste Feind dieser Bewegung sei. Das Ziel ist, die Arbeiter in einen noch,
größeren Zustand der Dienstbarkeit zu bringen.
Da« Aktienverzeichnis der United Steel Corporation, das bei der Jahresversamm-
lung der Aktionäre am 18. April 1910 in Hoboken, New Jersey, zur Einsicht ausgelegt
wurde, zeigte, daß der Name J. Pierpont Morgan & Co. für die Firma und als
Inhaber für andere mit einer großen Aktiensunmie auf den Listen stand. Morgans
Londoner Firma, früher als J. S. Morgan & Co. bekannt, gegenwärtig Morgan,
Grenfell & Co., besaß auch, wie sich zeigte, große Summen Aktien. Der Besitz
auf den Namen Luke H. Cutler, der sich auf 17 395 Anteilscheine belief, wurde all-
gemein als John D. Rockefellers Besitz angesehen. Von den ausländischen Aktio-
nären zeigte sich das „Holländische Syndikat" als das größte; sein Besitz betrug
216 870 Anteilscheine gewöhnlicher Aktien. Die Rothschilds entpuppten sich eben-
falls als große Aktionäre. Zahlreiche hervorragende amerikanische Kapitalisten
und Bankfirmen waren mit verschiedenen großen und kleinen Besitzanteile»
als Aktionäre in die Bücher eingetragen.
') „Pearson's Magazine", Februarausgabe 1908.
- 6o8 -
doch paßte er im Charakter genau zu dem meisten der Art,
was in Büchern und Zeitschriften veröffentlicht wurde.
Dieses Gewäsch nannte man „volkstümlich", nicht weil das
Volk danach verlangte, sondern weil es vielen Verlegern in
hohem Maße als „sicher" galt. Es widersprach nicht den
festbegründeten Interessen des Reichtums. Der Artikel
fing mit folgender, düsterer Einleitung an:
„Es gab, als Wallstreet von John Pierpont Morgan ge-
rettet wurde, Szenen, die niemals beschrieben werden
können, Worte und Taten, deren man selbst in jenen Tagen
der Aufregung, des Schreckens und der Verwirrung nicht
einmal gedenken kann oder sollte, Heldentum, Verbrechen,
Mißgriffe, Verrätereien und Qualen, die alles umfassen'
was der Mensch an Ruhm oder Schande empfinden kann.
Denn bis unser Erdteil halb schreiend, halb fluchend aus dem
zitternden Wahnsinn herauskam, der das Banksystem des
Landes zu vernichten, den Kredit der Nation zu zerschmet-
tern und seinen Namen zu besudeln drohte, befanden sich
die Menschen in einer namenlosen Verwirrung und Furcht,
die Worte nicht schildern können ; wie bei einem drohenden
und unwiderstehlichen Aufruhr der Natur die Kühnsten
und Mutigsten feige und einfältig werden.
Der schlichte Mr. Morgan, der frisch von den eintönigen
Reden einer großen Versammlung der bischöflichen Kirche
in Richmond kam, wurde plötzlich durch die Gefahr der
finanziellen Lage zu einer Kundgebung von Mut, Stärke und
persönlichem Herrschergeiste aufgerüttelt, durch welche
Chaos und Verzweiflung in Ordnung und Vertrauen ver-
wandelt wurden.
Und es wirkt wie ein Roman, wenn man vergleichend
sieht, wie der wackere, verschwiegene amerikanische Bankier
von siebzig Jahren sich aus der leidenschaftslosen Ge-
sellschaft von Bischöfen und Priestern, deren Sinn auf
religiöse Ideale gerichtet ist, zurückzieht, um das Kom-
mando über die leidenschaftlichen, aufeinanderprallenden
Geldkräfte von Wallstreet zu übernehmen, die aus bloßer
Furcht wahnsinnig geworden waren — um der Vorkämpfer
und Held derjenigen menschlichen Elemente zu werden,
denen der höchste Zynismus und Argwohn, die größte Ver-
— 6og —
räterei, List, Grausamkeit, Anmaßung und Feigheit eigen
waren."
Man könnte sich einbilden, daß Morgan, der „Kunst-
kenner", der „Literaturfreund", der große „Arbiter ele-
gantiae", den Verfasser dieser Frivolität hätte holen
und auf dem Fleck verprügeln lassen. Augenscheinlich
— da uns der Beweis vom Gegenteil fehlt — fand er an
dem Machwerk Gefallen. Es würde hier nicht der Er-
wähnung wert gewesen sein, wenn nicht die Pointe davon
— daß Morgan der „Retter der Nation" sei — von vielen
andern Schriftstellern und Veröffentlichungen ernsthaft
und wiederholt vorgebracht worden wäre.
Bei der Erforschung von Morgans Laufbahn begegnet
man einer unheilvollen Tugend. Es ist die der Beständigkeit,
Die Art seines Patriotismus und Heroismus änderte sich
seit seinem Eintritt in das Geschäftsleben niemals. Jener
Flintenverkauf beim Ausbruch des Bürgerkrieges bildete die
erste Bekundung seines intensiven Patriotismus. Im Jahre
1894 offenbarte sich wieder ganz konsequent seine patrio-
tische Natur, als er und seine Clique von der Regierung in
einer Zeit der Not einen Gewinn von wenigstens 18 Millio-
nen Dollar erpreßten. In der Panik des Jahres 1907 zeigte
sich sein untrüglicher Patriotismus sogar noch auffallender.
Während die Ergüsse der „volkstümlichen Schriftsteller"
die Runde durch das ganze Land machten, langweilte ein
widerspenstiger Senator den erlauchten Senat der Ver-
einigten Staaten mit einer langen, ermüdenden Rede.
Der größere Teil des erlauchten Senats hatte gar nicht
den Wunsch, zu hören, was dieser Senator, ein gewisser
La Folette aus Wisconsin, zu sagen hatte, war aber
durch die Vorschriften dazu gezwungen. Der Senat der
Vereinigten Staaten war auf sein Ansehen und seine
Würde in empfindlichster Weise bedacht. Die meisten sei-
ner Mitglieder waren Multimillionäre. La Folette fehlte
diese höchst wichtige Eigenschaft. Überdies zeigte er der
Kaste gegenüber auch in anderer Hinsicht einen peinlichen
Mangel. Er hatte sich seinen Weg in den Senat der Vereinig-
ten Staaten nicht erkauft und damit eine der heiligsten
Regeln freventlich verletzt. Er konnte daher keinen wirk-
39
— 6io —
liehen Standesnachweis führen oder irgendwelche Garantie
für eine weise, vorsichtige politische Tätigkeit geben.
Aber die Majorität seiner Kollegen hatte guten Grund,
über La Folettes Rede ungeduldig zu werden. Er bildete
eine Stimme aus der Vergangenheit. Sie vertraten die neue
Ordnung, die Ordnung einer zentralisierten Industrie und
einer von den Magnaten selbst direkt geleiteten Regierung.
Er war ein Überbleibsel der alten Überzeugung, ein Über-
bleibsel des Zeitalters des Wettbewerbs in der Industrie.
Inmitten seiner Beschuldigungen, Klagen und nichts-
sagenden Redensarten brachte Senator La Folette gewisse
Tatsachen von wirklichem historischen Wert zum Aus-
druck — Tatsachen, die durch die Berichte über das, was
wirklich geschehen war, bestätigt wurden und allen auf-
merksamen Beobachtern der während der Panik vor sich
gegangenen Ereignisse vertraut waren.
Die Panik des Jahres 1907 gab wie frühere solche Ereig-
nisse den großen Magnaten die günstige Gelegenheit, klei-
nere Magnaten zu vernichten und die Herrschaft über ihren
Besitz an sich zu reißen.
Wie die kleinen Magnaten ihre Millionen erwerben
Eine dieser kleinen kapitalistischen Cliquen war die so-
genannte „Heinze-Morse-Thomas-Gruppe". Ihre Herr-
schaft umfaßte zwölf Banken und zwei Trustgesellschaften,
eine durch die Einverleibung einer Anzahl von Dampf-
schiffahrtsgesellschaften konsolidierte Küsten-Dampfschif-
fahrtgesellschaft, große Kupferbergwerke, einen Eistrust und
verschiedene andere Besitzungen. Die Beherrschung einiger
dieser Besitzungen wurde in vollem Maße durch die enormen
Einkünfte sichergestellt, die den Armen durch die Er-
pressungen des Eistrusts geraubt wurden, und diese Räu-
berei wurde durch eine korrupte Verbindung zwischen
Morse und der Tammany- Verwaltung in New York möglich
und leicht gemacht.
Ehe Morse den Eistrust organisierte, war er ein unauf-
fälliger Bankier gewesen. Bei Gelegenheit dieses Geschäfts
hatte er mit der Diskontierung der Wechsel verschiedener
- 6ii -
Persönlichkeiten und Firmen zu tun, die mit dem Verkauf
von Eis beschäftigt waren. Da ihm der Gedanke kam, einen
Trust in diesem notwendigen Artikel zu bilden, machte er
sich daran, die kleineren Händler zu vernichten. Einer
seiner ersten Schritte war, sich des heimlichen Einverständ-
nisses mächtiger, die Regierung der Stadt New York beherr-
schender PoUtiker zu versichern.
Die „Mazet"-Kommission — eine von den gesetzgebenden
Körperschaften im Jahre 1899 eingesetzte Untersuchungs-
kommission — enthüllte in ihrer Untersuchung der Ver-
waltung der Stadt New York die Verschwörung zwischen
dem Eistrust einerseits und den Dock- und anderen städti-
schen Departements andererseits zur Bildung und Aufrecht-
erhaltung eines Monopols für die Lieferung von Eis an die
Stadt New York. Bürgermeister Van Wyck, ein Werkzeug
der großen Tammany-Führer, gab in seiner Zeugenaussage
vor dem Richter Gaynor des Obersten Gerichtshofes von New
York später zu, daß er von den Eistrustaktien 5000 Anteil-
scheine im Werte von 500 000 Dollar erhalten habe. Er
erklärte, 57 000 Dollar bar dafür bezahlt zu haben. Als er
gedrängt wurde, seine Aussage durch Beweise zu erhärten,
gelang es ihm nicht darzutun, daß er tatsächlich irgend
etwas gezahlt habe. Die Zeugenaussagen vor der „Mazet"-
Kommission zeigten schließhch, daß die korrupte Verein-
barung zwischen dem Eistrust und den städtischen Beamten
derart war, daß das Volk gezwungen woirde, 60 Cent für
100 Pfund zu zahlen, und daß der Trust die Fünf Cent-
Abgabe von Eis aufgehoben und dadurch die Versorgung
der ganz Armen tatsächlich abgeschnitten hatte i).
Der Eistrust, im Besitz seines sichergestellten Monopols,
weigerte sich, die geringsten Konzessionen zu machen.
Millionen aus Leid, Krankheit und Tod
Das Resultat war ein auffallend großes Anwachsen der
Sterblichkeitsziffer unter den Kindern der Armen. Zahl-
reiche, in höchst prekärem Notzustande lebende Familien
konnten es sich nicht leisten, die für ein Stück Eis verlangten
^) Siehe: The History of Tammany Hall,
39*
— 6l2 —
fünf Cent mehr zu bezahlen. Die Milch wurde sauer und
wirkte wie Gift auf die Kinder. Die wachsende Zahl der
Todesfälle in einer Reihe von Sommern, in denen die
schreckliche Hitze, besonders in den überfüllten Wohnungen,
Eis zu einer absoluten Notwendigkeit machte, ließ sich zum
großen Teil auf das Verfahren des Eistrusts zurückführen.
Millionen anderer Leute, die nur schlecht imstande waren,
die ungebührlichen Forderungen zu bezahlen, waren ge-
zwungen, die Extrasteuer darauf zu geben oder ohne Eis zu
bleiben.
Dies war kein vorübergehender Zustand; er hat seit der
Organisation des Eistrusts immerfort bestanden; das da-
mals angenommene Verfahren herrscht noch jetzt. Auch
war das Verfahren in keiner Weise von dem des Kapitalis-
mus auf jedem anderen Gebiete verschieden. Das unver-
änderliche Prinzip, nach dem Kapitalisten handelten
und durch das sie ihre Einkünfte ungeheuer vermehrten,
bestand im Verkauf der notwendigsten Lebensbedürfnisse
zum allerhöchsten Preise gerade dann, wenn das Volk sie am
nötigsten brauchte. Im tiefsten Winter wurde der Kohlen-
preis immer übermäßig hinaufgetrieben. Während der er-
folgreiche Kapitalist seine Schenkungsbrocken zur Grün-
dung von Hospitälern hergab, erwarb er seine Millionen aus
Zuständen, die nach allen Seiten hin in ungeheurem Maße
Leid und Krankheit hervorbrachten.
Je größere Profite er machte, desto mehr wurde er von
seiner Klasse und von allen, die von den Auffassungen dieser
Klasse beeinflußt wurden, als Finanzgenie angesehen. So-
bald Morse bewiesen hatte, daß er großen Gewinn erpressen
konnte, wurde er als einer der allerersten und erfolgreichsten
Kapitalisten begrüßt. Die Zeitungen fingen an, lange Arti-
kel über ihn zu bringen, der Preis der Eistrustaktien ging in
Wallstreet in die Höhe, und vornehme Männer und Frauen
der eleganten Gesellschaft waren nur zu eifrig dahinter,
Aktien zu erwerben, die solche reiche Dividenden brachten.
Allerdings wurden Anklagen über Gesetzesübertretung
gegen Morse und seine Teilhaber erhoben, aber jene An-
klagen gründeten sich nicht auf irgend etwas, das die große
Masse des Volkes betraf, auch nicht auf irgendeine Ent-
- 6i3 -
rüstung über die durch das Verfahren des Eistrusts ver-
ursachten Entbehrungen, Leiden und Todesfälle ; sie wurden
allein zugunsten der kleineren Firmen erhoben, die Morse
aus dem Geschäft verdrängt hatte. Jerome, der einige
Jahre Distriktsanwalt des Kreises New York war, konnte in
keinem Verfahren Morses etwas Strafbares finden und ver-
anlaßte die Aufhebung des gegen die Beamten des Eistrusts
eingeleiteten Strafverfahrens.
Durch diese Erpressung und indirekten Mord in großem
Maßstabe wurde der Gewinn des Eistrusts sehr groß.
Das auf diese Art eingenommene Geld benutzte Morse
zur Finanzierung anderer Unternehmungen. Indem er
die Herrschaft über eine Anzahl Küsten-Dampfschiff-
fahrtslinien aufkaufte, verband er sie zu einer Korporation
mit den vertrauten Begleiterscheinungen: Überemission
von Aktien und Börsenspekulationen. Er verband sich
mit den Heinzes, die große Kupferbergwerke in Montana
besaßen und deren Art, die Politik und die Politiker jenes
Staates zu behandeln, der von Morse in der Stadt New York
angewandten einigermaßen ähnlich war. Er schloß auch ein
Bündnis mit Thomas, der einige New Yorker Banken be-
herrschte.
Allem Anschein nach war dies eine sehr mächtige Ver-
bindung; Morse und seine Genossen ließen sich keine
Gelegenheit entgehen, um den Eindruck zu verbreiten, daß
sie zu fürchterlich seien, um gestürzt zu werden.
Die großen Magnaten liegen auf der Lauer
Diese Männer machten in der Finanzwelt viel von sich
reden und teilten mit erstaunlichem Glauben an ihre Un-
verletzlichkeit nach allen Seiten ihre Schläge aus. Sie
wurden als große Finanziers gepriesen; zweifellos hielten sie
sich, aufgeblasen durch ihren eignen Erfolg, selbst auch dafür,
und sie glaubten durchaus fähig zu sein, sich mit den großen
Magnaten zu messen. Mittlerweile beobachtete die Mor-
gan- und Rockefeller-Gruppe sorgfältig ihre Operationen
und wartete auf den geeigneten Moment, sie mit einem
Schlage zu vernichten. Die Standard Oil-Gesellschaft
— 6i4 —
brauchte jene Kupferminen, und die von Morse organisierte
Dampfschiffahrtsgesellschaft wurde als drohende Kon-
kurrenz für die unter Morgans und Rockefellers Herrschaft
stehenden Eisenbahnlinien angesehen.
Senator La Folettes Bericht über die nun folgenden Er-
eignisse war in bezug auf die Tatsachen genau. In seiner
Rede im Senat der Vereinigten Staaten erzählte er folgendes :
„Plötzlich, in den ersten Tagen des Oktober, begann je-
mand(umeinenWallstreet-Ausdruckzu gebrauchen) „United
Copper auf die Straße zu werfen". Die Aktien fielen erbärm-
lich. Standard Oil befand sich auf dem Wege. Heinze, furcht-
los, und ohne die Quelle zu ahnen, kaufte und kaufte durch
seinen Bruder, ein Mitglied der Geldbörse, und durch
Makler, bis United Copper jeden festen Halt verlor, Heinzes
Bruder, eine Firma seiner Makler, mit sich riß und die
Morse-Heinze-Banken in den Krach hineinzog.
„Bis zu diesem Punkte war die Panik noch gezügelt worden,
aber mit den Enthüllungen, die den Untersuchungen der
Abrechnungsstelle unmittelbar folgten, gingen die Zügel
verloren, und die Situation fing an, ernst auszusehen. Aber
nicht einen Augenblick verpaßten Morgan oder die Standard
Oil die sich ihnen darbietende Gelegenheit. Morse und
Heinze waren unterlegen. Sie wurden genötigt, ihre
Direktorstellen zu reorganisieren und halbabhängige Stan-
dard-Oil-Leute als ihre Nachfolger einzusetzen. Sie wurden
gezwungen, ihre Aktien für das, was sie noch bekommen
konnten, zu verkaufen. Morgan machte einen Angriff auf
Aktien und Obligationen von Morses konsolidierter Dampf-
schiffahrtsgesellschaft, und Morse wurde schließlich ge-
zwungen, seinen Dampfschiffahrtsgesellschaft- Verband ab-
zutreten und tat es auch.
„Man trachtete nach der Knickerbocker-Trust-Gesell-
schaft, deren Präsident Charles T. Barney war, ein vertrauter
Verbündeter Morses. Es wurde in New York darüber geklagt,
daß die Interessenten mit Überlegung einen Sturm auf die
Knickerbocker-Gesellschaft in Szene setzten. Man wandte
sich an Morgan um Hilfe. Morgan, dem man gerade hier
in dieser Kammer Beifall geklatscht hat, war in der Lage,
jeden Schritt und jede Phase dieses Vorgehens sorgfältig zu
-6i5 -
verfolgen. Zuerst gab Morgan, wie man in Wallstreet ver-
breitete, bekannt, daß die Knickerbocker-Gesellschaft unter-
stützt werden würde, wenn sie den Forderungen der Depo-
nenten, die einen Ansturm auf sie hervorgerufen hätten,
nachkommen würde. Die folgenden Ereignisse zeigten in
keiner Weise, daß dieses Versprechen irgendwie aufrichtig
gewesen wäre, sondern eine Untersuchung jedes Schrittes
überzeugt vom Gegenteil. Unterstützung wurde nicht ge-
geben; sie wurde verhindert. Nachdem die Gesellschaft
im Vertrauen auf jenes Versprechen Millionen ausgegeben
hatte, sah sie sich gezwungen, ihre Türen zu schließen, und
Barney endete als Selbstmörder.
„Barney war auch Direktor der Trust Company of
America gewesen, eines verhältnismäßig neuen Instituts,
mit einigen Abteilungsdirektoren; dies gab den großen
Gruppen halb und halb ein Interesse an dem Institut,
obgleich sie es noch nicht übernommen hatten. Der An-
griff auf Heinze, Morse, Barney und andere und die direk-
toriale Verbindung des Letztgenannten mit der Trust
Company of America führte dazu, daß diese allgemein das
Vertrauen einbüßte. Ein starker Ansturm setzte ein. Dies
stand nicht auf dem Programm; vielmehr, da die Vander-
bilts, die Verbündeten der Standard Oil, in dem Direk-
torium der Trust Company of America vertreten waren,
war Standard Oil verpflichtet, einigen Beistand anzubieten.
Obgleich Gold und Banknoten auf den Zahltischen prahle-
risch aufgehäuft wurden, um auf die Deponenten Eindruck
zu machen, und der junge Vanderbilt sich als sichtbares
Zeichen der Zahlungsfähigkeit darbot und an den Schalter
des Kassierers stellte, beharrten die erregten Deponenten
auf der Rückzahlung ihres Geldes"^).
In einem Tage sozusagen wurde die Morse-Heinze-
Thomas-Gruppe vollständig zermalmt und ihr Eigentum
konfisziert. Wenn dies die letzte Erfahrung jener waghalsi-
gen kleinen Magnaten gewesen wäre, so hätten sie Grund ge-
habt, sich ihres großen Glückes zu freuen. Aber ihre Nieder-
^) „Ccntralisation and Community of Control in Industry, Franchises, Trans-
portation and Finance, Die Panik im Oktober 1907 und ihre Lehren." — Rede de«
Hon. Robert M. La Folette von Wisconsin usw., 21 — 22.
- 6i6 -
läge mußte vollendet werden. Die Bundesregierung fing
plötzlich an, sich für ihre Operationen zu interessieren.
Während früher die Anklagebeamten der Regierung gar
nichts davon gewußt hatten, daß Morse, Heinze und Tho-
mas bei ihren finanziellen Operationen Betrug verübt hatten,
so entdeckten sie jetzt die vollste Gewißheit. Von gewisser
Seite wurden Beweise von Gesetzesübertretungen des
gefallenen Trios angeboten. Das New Yorker Büro des
Bezirksanwalts der Vereinigten Staaten wurde in seiner
Energie ganz lebendig. Es veranlaßte die Anklagejury,
Untersuchungen anzustellen, und zeigte in der Verfolgung
auffallenden amtlichen Eifer. Heinze wurde verklagt und
Morse vor Gericht gebracht, für schuldig erklärt und zu
fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt — eine Entscheidung,
gegen die er Berufung einlegte. Das Appellations-Bundes-
gericht der Vereinigten Staaten bestätigte das Urteil^).
Morse wurde von Präsident Taft begnadigt, nachdem er
noch nicht zwei ganze Jahre von seiner Strafe in dem Bun-
desgefängnis von Atalanta abgesessen hatte.
Morse und Heinze lernten zwei wertvolle Regeln, die sich
alle ehrgeizigen kleinen Magnaten wohl zu Herzen nehmen
sollten. Erstens, daß es außerordentlich unklug ist, die
Interessen der wirklich großen Magnaten zu durchkreuzen,
und zweitens, daß jene großen Magnaten den Strafmecha-
nismus der Gerichtshöfe gegen Widersacher ihrer eignen
Klasse ebensogut gebrauchen können wie gegen Arbeiter-
führer, Arbeiterverbände und die Besitzlosen im all-
gemeinen.
Aber die Wegnahme des Eigentums des vertriebenen Ver-
bandes war nicht der einzige Vorgang dieser Art in jenen
Erntetagen der Panik des Jahres 1907. Die Fabriken elektri-
scher Apparate der Westinghouse-Gesellschaft waren der
1) Während seiner Haft in dem New Yorker Stadtgefängnis erlaubten ihm die
Richter der Vereinigten Staaten, täglich auszugehen, „damit er seinen notwendigen
Geschäften nachgehen könne". Von der großen Zahl der eines Verbrechens über-
führten Personen ist niemals ein einziges Beispiel bekannt geworden, daß es einem
armen Gefangenen gestattet worden wäre, das Gefängnis während des Tages zu
verlassen, um für seine Familie arbeiten zu können. Der Gerichtshof bestimmte
später, daß Morse bis zur Entscheidung über seine Berufung gegen Bürgschaft
freigelassen werden solle. Keinem armen Gefangenen wurde dieses Vorrecht ge-
währt.
— 6i7 —
Standard Oil-Gesellschaft, der die General Electric Com-
pany gehörte, lange im Wege gewesen. Die Standard Oil-
Gesellschaft übte während der Panik einen finanziellen
Druck aus, der die Westinghouse-Gesellschaft bald in Ver-
wicklungen brachte, aus denen sie sich nur dadurch befreien
konnte, daß sie in den Besitz der Standard Oil-Gesellschaft
überging. Und in den Konferenzen, die die Finanziers von
Wallstreet in den ersten Tagen der Panik abhielten, erfuhr
Morgan, daß die Herrschaft über die Tennessee Kohlen- und
Eisengesellschaft von John W. Gales und seinen Gesell-
schaftern zur Erlangung von Darlehen an die Trust Com-
pany of America abgetreten worden war. Das war eine
Nachricht von höchstem und bedeutungsvollstem Werte.
Der Stahltrust verschlingt einen gefährlichen Konkurrenten
Die Tennessee Kohlen- und Eisengesellschaft war der ge-
fährHchste Konkurrent des Stahltrusts. Sie war der einzige
große Konkurrent, der seine eignen Eisenerzlager und
Kohlenvorräte besaß. Bei dem Sturz im Jahre 1907 ge-
hörten ihr, wie man schätzte, 500 bis 700 Millionen Tonnen
Eisenerz, 2000 Millionen Tonnen Kohlen und „sehr
große Mengen Fluß und Flußmittel". Alle diese Kohlen-
lager befanden sich in einem Umkreis von dreißig Meilen
von ihrer Fabrikanlage in Birmingham, Ala^). Die Be-
sitzer dieser Gesellschaft planten Verbesserungen, die sie
zu einem noch ernsthafteren Konkurrenten des Stahltrusts
gemacht hätten, und sie hatten Pläne in Vorbereitung zur
Verschmelzung der Republic Steel Company mit ihrer
eignen Korporation. Überdies stand die Tennessee Kohlen-
und Eisengesellschaft in der Entwickelung des Flammofen-
systems zur Herstellung von Stahlschienen an erster Stelle.
Ihre Schienen woirden stärker gefragt und brachten höhere
Preise als die des Stahltrusts.
In der schwierigen finanziellen Lage der Trust Company
of America sahen die gemeinsam arbeitenden Interessen
von Morgan und Rockefeller ihre große Gelegenheit, die
^) Zeugenaussage vor der gerichtlichen Senatskommission der Vereinigten
Staaten am 2. Februar 1909.
- 6i8 -
Konkurrenz der Tennessee Kohlen- und Eisengesellschaft
auszumerzen. Um sich vor dem Bankrott zu bewahren
brauchte die Trust Company of America sofort große Sum-
men Bargeld, das knapp war. Morgan und seine Clique be-
saßen das Bargeld. Die Bedingung, auf der Morgan be-
stand, war, daß die Gesellschaft ihm die Aktien der Ten-
nessee Kohlen- und Eisengesellsfhaft, die sie als doppelte
Sicherheit für Darlehen im Besitz hatte, verkaufen sollte.
Schwer bedrängt, mußte die Trust Company nachgeben und
die Aktien zu dem gebotenen niedrigen Preise verkaufen.
Der nächste Schritt war, die Tennessee Kohlen- und Eisen-
gesellschaft zu einem Teil des Stahltrusts zu machen.
Da gab es jedoch ein Hindernis. Das Antitrust-Bundes-
gesetz untersagte solche Verbindungen. Wie konnte diese
Lage überwunden werden? Präsident Roosevelt drohte
den großen Magnaten wiederholt und stürmisch mit der
strengen Durchführung dieses Gesetzes. Aber Morgan
kannte Roosevelt augenscheinHch viel besser, als das Land
ihn kannte. Er rechnete zweifellos damit, daß Roosevelts
Reden nichts als Worte waren und daß Roosevelt von neuem
seine Unterwürfigkeit durch Taten beweisen würde. Es
zeigte sich später — am 3. Oktober 191 2 — vor einer Unter-
suchungskommission des Kongresses, daß Morgan im Jahre
1904 zu dem Fonds der Roosevelt-Kampagne 150 000 Dollar
beigetragen hatte. Morgan selbst gab zu, daß er dieses Geld
hergegeben habe, als Roosevelt Kandidat für die Präsident-
schaft war.
Man erzählte, daß Morgan durch Abgesandte nach dem
Weißen Hause Roosevelt mitgeteilt habe, daß, wenn die
Verschmelzung der beiden Stahlgesellschaften von der Re-
gierung nicht zugelassen werde, die Trust Company of
America fallieren, eine Reihe anderer Bankrotte her-
vorrufen und die Panik vielfach verschärft werden würde.
Was auch immer die Gründe für Roosevelts Unter-
werfung waren, er gab seine Einwilligung. Gerade zu
dieser Zeit brachten die Gerichtshöfe das Antitrust-Gesetz
zur Geltung, auf Grund einer Auslegung, die sich niemand
hatte träumen lassen, als das Gesetz durchgebracht wurde.
Die hochwürdigen Richter fanden heraus, daß Arbeiter-
— 6ig —
verbände auch Truste seien, und erließen Vorladungen
gegen sie mit der Begründung, daß sie Verschwörungen dar-
stellten, jenem Gesetze zum Trotz ! Man erhob bittere An-
klagen gegen Roosevelt^); das Vorgehen gegen ihn hatte je-
doch, soweit die Verschmelzung der beiden Korporationen
in Betracht kam, wenig zu bedeuten; hätte der Stahltrust
nicht zu jener Zeit die Herrschaft erlangt, so würde er sie
unvermeidlich zu einer andern Zeit und durch ein anderes
Vorgehen erlangt haben 2). Nach Enthüllungen vor der
Justizkommission des Senats hatte der Stahltrust dadurch,
daß er die Trust Company of America zwang, die Kontrolle
über die enorm wertvollen Fabrikanlagen und Gruben der
Tennessee Kohlen- und Eisengesellschaft zu einem ganz
unnatürlich niedrigen Preise zu verkaufen, einen Gewinn
von 670 Millionen Dollar.
Woher erlangten Morgan und seine Gefährten das Geld,
^) Sieben Senatoren der Vereinigten Staaten unterzeichneten ein Dokument,
in dem er wegen der Verletzung des Antitrust- Gesetzes und wegen des tatsächlichen
Befehls an das Justizdepartement der Vereinigten Staaten, keine Schritte zur Durch-
führung des Gesetzes zu unternehmen, heftig angeklagt wurde. Unter der Über-
schrift „Morgan, Diktator" brachte das Berliner Tageblatt am 3. Dezember 1907
in seinem finanziellen Teil einen Leitartikel, der auf die Strafverfolgung Morgans
wegen Erpressung drang, da er mit einer verhängnisvolleren Kalamität gedroht
hätte, falls Roosevelt ihm nicht nachgeben würde. Nach deutschen Gesetzen,
sagte das Tageblatt, würde Morgan sofort wegen Erpressung verhaftet worden
sein. Eine amüsante Bemerkung, wenn man in Erwägung zieht, daß Morgan und
seinesgleichen in den Vereinigten Staaten die Regierung sind.
2) Die Nutzlosigkeit des Antitrust-Gesetzes, soweit seine Anwendung auf kapi-
talistische Korporationen in Betracht kommt, wurde von dem Kongreßmann Little-
field, einem der republikanischen Diktatoren des Kongresses und einem Trust-
Advokaten von großer Geschicklichkeit, höhnisch dargetan. In einer Rede an die
„Illinois Bar Association" führte er am 27. Juni 1908 folgendes aus: „Im Jahre 1907
hatte die Regierung einhundertundeinundsiebzig Distrikt- und Hilfsdistrikt-
anwälte in ihrem Dienst. Diese kleine Armee von Juristen kostete die Regierung
außer den 270 965,58 Dollar betragenden Gehältern des Justiz-Departements noch
735 612,06 Dollar an Gehältern und Auslagen. Durch Ausübung schuldigen
Fleißes erlangten sie 9741 Schuldigerklärungen wegen Übertretung des Gesetzes.
Die Durchschnittszahl der Überführungen wegen Verletzung des Sherman-Anti-
trust-Gesetzes während der letzten sechseinhalb Jahre beträgt etwas mehr als eine
jährlich, nur sieben seit dem 14. September 1904." Um die volle Bedeutung dieses
Berichtes zu verstehen, muß man bedenken, daß während dieser Periode die Regie-
rung zur Durchführung dieses besonderen Statuts im Jahre 1904 500000 Dollar
und im Jahre 1908 250 000 Dollar zur Verfügung hatte. Seit dem 14. September 1901
sind bei acht gerichtlichen Vorladungen und sieben Schuldigerklärungen 386 242,88
Dollar für diesen besonderenZweckausgegeben, aber an Geldstrafen nur 96000 Dollar
gezahlt worden.
— 620 —
mit dem sie die Terrorisierung des Landes und die Auf-
speicherung ungeheuer großen Besitzes auf dem Gebiete
der Industrie und anderwärts durchführten ? Wieder hatte
das Volk eine jener häufig auftretenden Gelegenheiten, deut-
lich zu erkennen, wie vollständig die Regierung der Ver-
einigten Staaten ein Werkzeug der Kapitalisten war. In
den Banken lagen mehr als 200 Millionen Dollar, die
hauptsächlich aus dem Schweiße der arbeitenden Klasse
durch Besteuerung herausgepreßt waren. Die wenigen, die
großen Banken beherrschenden Oligarchen durften dieses
Geld so benutzen, als ob es ihr privates Eigentum wäre.
Sie lehnten es ab, irgendwelches Geld an irgend jemand zu
verleihen, so lange ihre Pläne noch nicht fertig waren, und
wenn sie es ausliehen, so geschah dies zu übertrieben hohen
Zinssätzen. Selbst diese vollständige Übertragung der Re-
gierungsgelder genügte ihnen nicht, sie verlangten mehr.
Die Regierung ging sofort darauf ein. Der Finanzminister
Cortelyou gestattete den Nationalbanken ohne weiteres,
weitere 30 Millionen in Papiergeld auszugeben und ließ die
Münzen Tag und Nacht arbeiten, um neues Geld zu prägen.
In seiner Pose als Retter des Landes trat Morgan am
Nachmittag des 24. Oktober 1907 zur günstigen Stunde
hervor und verkündigte großmütig seinen Wunsch, „die
Spannung zu lösen". Die ganze Kapitalistenklasse, mit Aus-
nahme der sehr wenigen Magnaten, die die ganze Situation
geschaffen hatten, schrie nach Gelddarlehen. Die Dar-
lehen wurden an jenem Nachmittag endlich hergegeben.
Der „Retter des Landes" verlangte für Darlehen 20 Prozent
und mehr und forderte bei schwerer Schädigung der Leihen-
den Obligationen als doppelte Sicherheit. Das Geld, das er
auf diese Weise ausUeh, war Regierungsgeld, das von den
Produzenten durch Besteuerung erpreßt worden war.
Keine Hilfe für die Arbeitslosen
Was tat nun die Regierung, während sie Morgan den Staats-
schatz zur Verfügung stellte, für die Millionen Arbeiter,
die in erzwungenen Müßiggang und Mangel gestürzt worden
waren ? Gegen Juni 1908 waren nach vorsichtiger Schätzung
— 621 —
vielleicht 5 Millionen Arbeiter in den Vereinigten Staaten
ohne Arbeit und konnten keine bekommen. Berichte der
Wohltätigkeitsorganisationen aller Städte zeigten, daß alle
Städte von ^Obdach- und Arbeitslosen überfüllt waren.
Überall herrschte Mangel, und Fälle von Hungertod bei
Männern, Frauen und Kindern waren häufiger, als die amt-
lichen Berichte aufzudecken wagten. Die Gefängnisse
überall im Lande waren mit Männern überfüllt, die, von
der Arbeit vertrieben, für Landstreicher erklärt und ver-
urteilt worden waren. Viele Obdachlose begingen absicht-
lich irgendeine Gesetzesübertretung, um ins Gefängnis ge-
schickt zu werden. Dort bekamen sie wenigstens Obdach
und Nahrung. Viele Städte faßten den Plan, die Arbeits-
losen vorsichtig zu vertreiben. Überall nahmen die Ver-
brechen zu; viele Arbeiter, zu äußerster Not getrieben,
stahlen und wurden natürlich ins Gefängnis befördert.
Die Sozialethische Liga der Stadt New York berichtete,
daß im Zeitraum von sechs Monaten die Zahl der Ver-
brechen um 50% zugenommen habe.
Überall herrschte Mangel und Hungertod, und was tat
die Regierung des Landes, der Staaten, der Städte für die
Arbeitslosen ? Nichts, außer daß sie dreinschlug und eine
Schreckensherrschaft führte, wenn sie sich anmaßten,
Straßenversammlungen abzuhalten, um für das Recht auf
Arbeit zu sprechen.
Eing noch zu verfolgende Laufbahn
Das ist im Umriß die wahre Geschichte der Laufbahn des
großen „Retters des Landes". Aber das ist nicht alles.
Morgan ist zweifellos in sehr zahlreiche andere Unterneh-
mungen verwickelt gewesen, deren Einzelheiten niemals
öffentlich bekannt geworden sind. Einige Ereignisse
neuesten Datums sind jedoch ziemlich gut bekannt. Er und
andere amerikanische Bankiers waren mit dem Unterbringen
einer Anleihe von 27 500 000 Dollar bei europäischen Ban-
kiers unzufrieden und drangen in die Regierung der Ver-
einigten Staaten — ihre Regierung — , ihnen einen Anteil
daran zu sichern. Auch ist es nicht so lange her, daß
— 622 —
ein anderes Unternehmen Morgans öffentlich bekannt
wurde. Er „willigte ein", eine sechsprozentige Ausgabe
New Yorker Stadtobligationen in Höhe von 30 Millionen
Dollar zu übernehmen, um „den Kredit von New York zu
retten". Bezahlte er diese Obligationen in barem Gelde ?
Nein. Er unterzeichnete einen Scheck über 15 Millionen
Dollar auf die First National Bank von New York und
einen zweiten über 15 Millionen Dollar auf die National
City Bank von New York. Wem gehörte tatsächlich das in
diesen Banken befindliche Geld, auf das Morgans Schecke
ausgestellt waren ? Es war von dem Staatsschatz deponiertes
Geld. Außerdem erhielt er über 10 Millionen mehr von den
New Yorker Stadtobligationen zu einem hohen Zinsfuß. Die
heroischen Eigenschaften des Retters des Landes werden
ferner durch die Feststellung des Kontrolleurs Metz beleuch-
tet, daß er, Metz, um Morgan zur Annahme der New Yorker
Stadtobligationen zu bewegen, sich nach Albany begeben und
dafür sorgen mußte, daß in den gesetzgebenden Körper-
schaften ein besonderes Gesetz durchgebracht würde, das
den höheren Zinsfuß der Obligationen ermöglichte. Ein
anderes solches Beispiel zur Beleuchtung der Methoden
Morgans oder der von ihm beherrschten Korporationen
wird später gegeben werden.
Mit einem Kostenaufwande von mehr als 22 Millionen
Dollar 1) (bis zum November 1909 gerechnet) hatte die Stadt
New York am Hudson von der 12. bis zur 22. Straße von
Little West eine Reihe ausgedehnter moderner Landungs-
brücken gebaut. Diese Landungsbrücken heißen die Chelsea
Pier Improvements. Die ganzen Kosten wurden von der
Stadt New York bestritten, und das Geld wurde durch den
Verkauf von Stadtschuldscheinen erlangt. Der Zinssatz
wechselte von drei bis fast fünf Prozent. Ein Teil der Obli-
gationen ist in dreißig Jahren, ein sehr kleiner Teil in vier-
zig Jahren rückzahlbar, und der größte Teil der Gesamt-
ausgabe „reift'* in fünfzig Jahren.
Diese Landungsbrücken wurden an drei Dampfschiffs-
gesellschaften verpachtet, von denen eine die von Morgan
*) Statement of New York City Dock Department.
— 623 —
organisierte International Mercantile Marine Company
ist; eine andere ist die Cunard-Linie , die dritte die
Compagnie Generale Transatiantique. Diese Gesellschaf-
ten verschafften sich durch die Tammany- Verwaltung
im Jahre 1904 einen Pachtkontrakt so skandalöser Art,
daß die Stadt nicht genug einnimmt, um auch nur die Zin-
sen der für die Landungsbrücken ausgegebenen Obligationen
zu bezahlen. Am 16. Dezember 1903 machte die Interna-
tional Mercantile Marine Company das schriftliche An-
gebot, fünf ganze Landungsbrücken und eine halbe für
jährlich 450 000 Dollar zu pachten^). Die Frage, ob dieser
Verpachtung zuzustimmen sei, war noch nicht entschieden,
als Tammany wieder zur Macht kam. Die International
Mercantile Marine Company erlangte darauf die Zurück-
gabe ihres ersten Angebots ^)y und es wurde später eine dreißig-
jährige Pacht abgeschlossen, wonach die drei Gesellschaften
neun Landungsbrücken für einen jährlichen Pachtbetrag
von 565 000 Dollar erhielten 3). Insofern, als die Inter-
national Mercantile Marine Company allein ursprünglich
willens gewesen war, 3 392 35 1,46 Dollar für die neun Dämme
für einen Zeitraum von dreißig Jahren anzubieten, bürdete
diese Veränderung der Bedingungen der Stadt einen Verlust
von beinahe drei Millionen Dollar auf. Das Resultat kann
folgendermaßen festgestellt werden:
Die Chelsea Improvements kosteten die Stadt 22 Millio-
nen Dollar.
Die jährlichen Zinsen, welche die Stadt aufbringen
muß, belaufen sich auf 844 800 Dollar.
Die Amortisationskosten betragen 220 000 Dollar.
Die jährliche Abnutzung wird auf 345 553,50 Dollar be-
rechnet.
Die jährlichen Gesamtausgaben betragen daher
I 410 353,50 Dollar.
Die jährliche, von Dampfschiffsgesellschaften für diese
Dämme gezahlte Pacht beträgt 565 000 Dollar.
Daher beträgt der Nettoverlust für die Stadt jährlich
845 353,50 Dollar, das sind pro Tag 2316,04 Dollar.
^) New York City Dock Department Report 1903, 942. *) Sinking Fund
Report, 1904, 2. *) Ebenda, 1906, 786.
— 624 —
So wurden die Beamten der Stadt New York dazu ge-
bracht, die damals größten und schönsten Landungsbrücken
in New York, wenn nicht in den Vereinigten Staaten, für eine
geringere Summe zu verpachten, als die Stadt für ältere
und viel schlechtere Landungsbrücken erhalten hatte, so
daß die Stadt New York in jedem Jahre 845 353,50 Dollar
verlor. Und während Morgans International Mercantile
Marine Company aus diesem Geschäft Nutzen zog, zahlte
Morgan jährhch 20 000 Dollar an das städtische Unter-
suchungsbüro, damit kleiner Diebstahl untersucht und
bloßgestellt wurde! Ein Kommentar ist unnötig.
Diese Geschäfte sind jedoch unbedeutend, wenn man sie
mit seiner Tätigkeit in noch neuerer Zeit vergleicht. Am
2. Dezember 1909 kaufte Morgan persönlich den größten
Teil der Aktien der Lebensversicherungsgesellschaft
Equitable, den Thomas F. Ryan im Jahre 1905 von der
Familie Hyde gekauft hatte. Durch diesen Kauf erwarb
Morgan die Aktien, um deren Besitz vier Jahre vorher ein so
bitterer Kampf geführt worden war — ein Kampf, der (wie
schon beschrieben) im Jahre 1905 die großen, Aufsehen und
Ärgernis erregenden Enthüllungen über Versicherungs-
gesellschaften hervorrief. Durch den Kauf dieser Aktien
erlangte Morgan die Kontrolle über die auf 470 Millionen
Dollar berechneten Aktiva; er bezahlte, so sagte man, an-
nähernd 2 500 000 Dollar für Ryans Aktien. Dreizehn
Tage nach dieser Erwerbung kaufte er eine Anzahl von
Telephonlinien, Konkurrenten der Bell-Telephongesell-
schaft, wahrscheinlich um sie mit dem Beil-Netz zu ver-
einen.
Morgans nächster Schritt zeigte, wie schnell er seine
schon riesenhafte Macht ausdehnte. Durch Kauf, Ring-
bildung oder Gemeinschaftlichkeit der Interessen erwarb
er die Guarantee Trust Company von New York, ein
Unternehmen von 90 Millionen Dollar; die Mercantile
Trust Company mit Hilfsquellen von 68475 000 Dollar; die
Equitable Trust Company, deren Aktiva 63800000 Dollar
betrugen; die Morton Trust Company — früher unter
Ryans Kontrolle — ; die Fifth Avenue Trust Company
und andere sehr mächtige Bankinstitute. Morgans Macht
— 625 —
umfaßte jetzt Bank- und Trust-, Versicherungs-, Industrie-
und Transportgesellschaften und beherrschte oder beein-
flußte ein Kapital, das nach den Tatsachen, die im Jahre
191 2 bei der Untersuchung des Geldtrusts durch eine be-
sondere Kommission des Kongresses aufgedeckt wurden,
auf wenigstens 22 245 000 000 Dollar geschätzt wird. Nach-
dem er diesen Geldtrust zum Abschluß gebracht hatte,
wurde er als „Geldkaiser" begrüßt, und sein ungeheurer
Besitz wurde als ein eindrucksvolles und unbarmherziges
Beispiel von der Macht eines einzigen Menschen bezeichnet,
obgleich dieser Schritt tatsächlich nur ein weiterer unver-
meidlicher Markstein in der Zentralisation der Hilfsquellen
des Landes und der Oberherrschaft über sie war. Nur die-
jenigen, die für diese Entwicklung blind waren, waren
darüber erstaunt.
Schließlich, um mit der Erzählung von Morgans Lauf-
bahn zu Ende zu kommen, bleibt noch die riesengroße, auf
einen Wert von 900 Millionen bis 2000 Millionen Dollar
geschätzte Expropriation der Hilfsquellen in Alaska und
großer Strecken von Wasserkraftgebieten in jenem Terri-
torium und in verschiedenen andern westlichen Staaten —
Gebiete, die nach ihrem wirklichen und potentiellen Wert
auf Hunderte von Millionen, wenn nicht Milliarden Dollar
geschätzt werden. Den von selten großer kapitalistischer
Interessen unternommenen erfolgreichen Anstrengungen,
sehr große Strecken von Kohlen-, Kupfer- und anderem
Mineralland, von Ries^nholzungen und Wasserkraftgebieten
zu erwerben, widersetzte sich Gifford Pinchot, der Ober-
forstmeister der Vereinigten Staaten. Ein kritischer Rechts-
streit folgte darauf in den Jahren 1909 und 1910 zwischen
Pinchot und Ballinger, dem Minister des Innern. Es wurde
die Anklage erhoben, daß Ballinger, vor seiner früheren
Anstellung als Landbevollmächtigter, als Anwalt für einige
der Ansprucherhebenden gehandelt habe, besonders für die
Cunninghams, die große Landstriche mit den wertvollsten
Hilfsquellen erhalten hätten. Es kam zu einer Untersuchung
durch den Kongreß.
Nach einer glaubwürdigen Aussage schien es, daß J. P.
Morgan & Co. im Jahre 1906 mit den Guggenheims ein
- 626 -
Syndikat gebildet und die Ansprüche der Cunninghams
übernommen hatte. Am i8. Februar 1910 erschienen
John N. Steele, der Generalanwalt des Syndikats, und Ste-
phen Birch, sein leitender Direktor, in Alaska, freiwillig vor
der aus beiden Häusern des Kongresses gebildeten Kommis-
sion und machten jene Aussage, stellten es auch in Abrede,
daß das Syndikat jemals Geld, Landbewilligungen oder be-
sondere Rechte von der Regierung erhalten habe. Die Aus-
sage wollte die durch Strohmänner bewirkten ungeheuer
großen Betrügereien bei dem erfolgreichen oder versuchten
Erlangen von Mineral-, Bauholz- und Wasserkraft-Gebieten,
die auf Hunderte von Millionen, wenn nicht Milliarden
Dollar geschätzt wurden, aufdecken und dadurch zeigen,
daß die in der Zeit der Ansiedlung begonnene Wegnahme
von Land durch mehr als drei Jahrhunderte bis zur Gegen-
wart ohne irgendeine ernste Unterbrechung fortgesetzt
worden ist.
Morgan, der seine Laufbahn während des Bürgerkrieges
mit dem Verkauf jener unbrauchbaren Flinten an die
Unionsarmee begann, ist erfolgreich weiter geschritten,
bis er zuletzt als ein finanzieller Koloß und einer der tat-
sächlichen Herrscher des Landes alles überragte. Er lebte
in einem glänzenden Herrenhause in der Madison Avenue
in New York und baute an dieses, zu seinem eignen Ge-
nuß, eine schöne, geräumige, marmorne Kunstgalerie an, die
voll der kostbarsten Kunstwerke ist. Er zeigte eine Leiden-
schaft für die Literatur, und seine Bibliothek ist sehr aus-
gedehnt. Er beherrschte sogar die Moral der andern Leute,
wie eine Unterbrechung der Oper „Salome" bei ihrer ersten
Aufführung im Metropohtan Opera House zeigt, von dem er
ein Patron und Direktor war. Geld, Größe, Ansehn, Macht
— alles gehörte ihm. Und die ganze Zeit über sind die Ge-
fängnisse voll von kleinen Dieben.
Dreizehntes Kapitel
DAS ELKINSSCHE VERMÖGEN
Mit einem Vermögen, das nach vorsichtiger Schätzung
50 Millionen Dollar beträgt, zweifellos aber viel größer
ist, ist Stephen B. Elkins einer der bedeutenden Multimillio-
näre der Vereinigten Staaten. Mit dem Reichtum solcher
Magnaten, wie der Vanderbilts, der Goulds, Morgans und
Hills verglichen, sind Elkins Besitzungen nicht bemerkens-
wert ; er kann nicht in ihre besondere Klasse eingereiht wer-
den. Aber sein Reichtum hat ihn zu der Stellung eines der
mächtigsten Politiker des Landes erhoben; er ist einer der
rührigen, herrschenden Führer in dem Senat der Vereinig-
ten Staaten; der Staat West-Virginia ist im wesentlichen
sein Gebiet, nicht nur politisch, sondern in ausgedehntem
Maße sein persönliches Eigentum. Er besitzt oder beherrscht
viele seiner Berge und seiner Kohlenzechen und viel von
seinen andern natürlichen Hilfsquellen; einige seiner Eisen-
bahnen und auch seine Straßenbahngesellschaften gehören
ihm. Auch die vor einigen Jahren für 18 Millionen Dollar
an die Goulds verkaufte West -Virginia -Zentraleisenbahn
wurde von ihm beherrscht. In demselben Staate gehören
ihm Banken und Sicherungsgesellschaften, Baukorporatio-
nen, Koksanlagen, Wasserwerke und verschiedene andere
Besitzungen. Er hat große Gruben-, Land- und andere
Interessen im Westen.
West- Virginia ist Elkins^ Gebiet
Elkins ist der große reiche Herr, dessen Wort in West-
Virginia Gesetz ist. Ob der Staat demokratisch oder repu-
blikanisch ist, macht wenig aus ; die Herrschaft über ihn ist
ausschließlich eine Familienangelegenheit. Während er ein
republikanischer Herrscher ist, war sein Schwiegervater,
Henry G. Davis, der in dem Rufe stand, ein Vermögen von
wenigstens 30 Millionen Dollar zu besitzen, lange Zeit der
demokratische Führer. Welche politische Partei auch die
Macht hatte, diese Familie stand immer auf der Seite der
40*
- 628 -
Gewinnenden. Vor einigen wenigen Jahren, als die „kon-
servative Demokratie" in der National Democratic Con-
vention die Oberhand über die Elemente des Mittelstandes
gewann, wurde Davis als ihr Kandidat für das Amt des \'ize-
präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Die Formen
einer sogenannten „populären" Regierung herrschen noch in
West- Virginia, aber nur zur Durchführung der Pläne und
des Willens solcher Magnaten wie Elkins und Davis, wie sie in
andern Staaten zur Ausführung der Pläne der dort herrschen-
den Magnaten benutzt werden. Die Familie Elkins-Davis
erteilte den gesetzgebenden Körperschaften den Befehl,
Elkins in den Senat der Vereinigten Staaten zu wählen, und
die ehrenwerten gesetzgebenden Körperschaften taten es.
Staats- und Kreisbeamte, Richter und andere Angestellte
schulden dieser Familie ihre öffentliche Stellung und damit
ihre Ergebenheit. Elkins ist gegenwärtig das große Fak-
totum der Politik West- Virginias. Doch noch vor zwanzig
Jahren wurde er als Eindringling angesehen.
Senator Elkins erbte keinen Reichtum; er ist vollständig
der „Baumeister seines eigenen Glückes". Wie waren Art.
und Stil seines Bauwerks .? Nach den schablonenmäßigen,
gewöhnlich mit Reklamepreisen bezahlten Biographien war
ihm die bemerkenswerte Laufbahn des armen Knaben eigen,
der sich durch harte Arbeit, Fleiß und überlegene Fähigkeit
zu großem Reichtum erhebt. Aber amtliche Dokumente
haben eine ganz andere Geschichte zu erzählen ; und wenn sie
auch nicht erklären, wie Elkins zu allen seinen Millionen
kam, so geben sie doch genügende lebendige Einzelheiten von
den Methoden, durch welche er zuerst Millionär wurde.
Als junger Mann wurde Elkins häufig beschuldigt, wäh-
rend des Bürgerkrieges einer der Marodeure von Quantrells
Bande gewesen zu sein; es findet sich aber für diese Be-
schuldigung in den Berichten kein wirklicher Beweis. Nach
dem Bürgerkriege ging er nach New Mexico. Dort studierte
er Spanisch und wurde Mitglied der Territorial-Gesetz-
gebung. Seine politischen sowie seine persönlichen Feinde
beschuldigten ihn, Urheber und Haupt der ungeheuren
Landschwindeleien zu sein, die in New Mexico übHch
waren. Dieser besondere Vorwurf war ebenso ungerecht
— 629 —
wie falsch. Lange bevor Elkins nach dem Südwesten ver-
schlagen wurde, waren die Landschwindeleien allgemein
bekannt; was er und andere nach dem Bürgerkriege taten,
bildete nur eine Fortsetzung von dem, was viele Jahre lang
vor sich gegangen war.
Elkins war lange Zeit ein mächtiger republikanischer
Politiker in New Mexico. Während Präsident Grants
Verwaltung war er Distriktsanwalt der Vereinigten Staaten
in jenem Gebiet. Zu jener Zeit war in New Mexico
Sklaverei in Form von Schuldknechtschaft weit verbreitet,
wie noch jetzt in Mexico. Die Arbeiter, die bei ihrem
Arbeitgeber in Schulden gerieten, konnten ihren Dienst
nicht verlassen, solange die Schuld nicht bezahlt war.
Dies führte zu tatsächlicher Sklaverei der Arbeiter. Nach
den Gesetzen der Vereinigten Staaten bezahlte die Regie-
rung für jede Überführung von Personen, die wegen Ver-
letzung der Sklavereigesetze der Vereinigten Staaten an-
geklagt waren, eine Belohnung von 25 Dollar. Elkins, sagte
man, verschaffte sich die Anklagen von Tausenden von
mexikanischen Übertretern dieses Gesetzes, überführte sie
oder führte Vergleiche herbei und war so imstande, in jedem
Falle das Honorar von 25 Dollar einzustecken. Er wurde
ziemlich reich durch dieses Verfahren.
Er wurde dann zum Kongreßdelegierten für New Mexico
gewählt, und während dieser Zeit bekam er die seit langem
heftig umstrittene sogenannte Maxwell-Landüberweisung
in seine Gewalt^) und vertrat ihre Anerkennung im Kongreß.
Die Protokolle des Oberlandamtes vom 28. Januar 1874
zeigen, daß Stephen B. Elkins sich dafür interessierte, daß
diese angebHche Landbewilliguiig vermessen würde; er
war gerade zu der Zeit im Kongreß. Unmittelbar nachdem
der betrügerische Verkauf wegen nichtbezahlter Steuern
abgehalten worden war, wandte sich die Maxwell-Land
Grant and Railroad Company im Jahre 1877 noch einmal
an das Oberlandamt, um eine Vermessung und ein Patent
zu erlangen. Dieses Mal gab es keinen Widerstand bei den
Regierungsbeamten in Washington. Die Angelegenheit
verlief außerordentlich glatt.
1) Vgl. S. Z5i{., 256.
- 630 -
Das Oberlandamt ordnete eine Vermessung an. Am
15. August 1877 schloß der Oberlandvermesser der Ver-
einigten Staaten in New Mexico zur Ausführung der
Vermessung einen Kontrakt mit John T. Elkins, dem
Bruder Stephens, und Robert T. Marmon. Ihre Bürgen
waren Stephen B. Elkins und James L. Johnson^). Diese
Landmesser berichteten, daß das verliehene Land alles
in allem i 714 764,94 Morgen umfasse. Nach ihrem Be-
richt umschloß es das schönste, vom Rio-Grande und
seinen zahlreichen Nebenflüssen bewässerte Land New
Mexicos, große und kleine Städte und Dörfer, Berge voll
von Mineralien; es umfaßte eine lange Kette der Raton-
Berge mit ihren reichen Gold-, Silber- und Kohlenlagern
und Holzgebieten und erstreckte sich weit nach Colorado
hinein, wo es große Landstrecken bedeckte. Das Oberland-
amt erteilte am 19. Mai 1879 ein Patent in der Form eines
Verzichtes für die ganzen 1714764,94 Morgen, die auf
Grund der Vermessung beansprucht worden waren.
Unterdessen war das verliehene Land an ein Syndikat
holländischer Kapitalisten für die Summe von 700 000 Pfund
in englischer Münze und holländischem Kurant verpfändet
worden 2). Zu ihrer Bestürzung fanden sie bald, daß sie
einen schweren Rechtsstreit auf dem Halse hatten.
Die Tatsache, daß die Regierung die Gültigkeit der
Landbewilligung anfocht, war ihnen vollständig unbekannt.
Die Regierung erhebt Anklage auf Betrug
Die Regierung brachte eine Klage ein, daß die Land-
bewilligung für nichtig erklärt würde. Am 25. August 1882
verklagte sie die Maxwell-Land Grant Company, die
Denver und Rio Grande Railway Company, die Atchison,
Topeka and Santa Fe-Railway Company und die Pueblo
and Arkansas Valley- Railway Company. Die „Klageschrift
der Regierung", so lautet das gerichtliche Protokoll, „erhob
die Beschuldigung, daß die Landvermessung, auf Grund
derer das Patent erteilt worden war, falsch und betrügerisch
^) House Reports, usw., 1891 — 92, Bd. 4, Report Nr. 1253.
*) Ebenda, 7,
- 631 -
ausgeführt worden sei und daß die Maxwell-Land Grant
Company und verschiedene Parteien, die diese Vermessung
nach einem Kontrakt mit der Regierung ausgeführt hatten,
sich verschworen hätten, die Regierung der Vereinigten
Staaten zu betrügen, indem sie einen größeren Landkomplex
einschlössen, als nach der ursprünglichen Überweisungs-
urkunde der Republik Mexico umschlossen werden sollte,
und sie erhob im besondern die Beschuldigung, daß un-
gefähr 265 000 Morgen, nämlich alles Land, das in dem Kreis
Las Animas im Staate Colorado lag, auf betrügerische Weise
in diese Vermessung eingeschlossen worden sei, und dieses
Land habe den Wert von 2 Millionen Dollar."
Das Bundesgericht der Vereinigten Staaten für Colorado
wies, wie zu erwarten war, die Klage der Regierung ab, denn
es war bekannt, daß die Eisenbahn- und Landraub-Inter-
essenten Gerichtshöfe dieser Art, deren Richter zum Teil
ihre eigenen Anwälte gewesen waren, weitgehend be-
herrschten. Die Regierung brachte den Fall vor den
Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. In der Be-
weisführung vor diesem Gerichtshof am 8., 9., 10. und
II. März 1887 behauptete die Regierung:
1. Daß die Landbewilligung der Republik Mexico nach
den mexikanischen Gesetzen alles in allem nicht 22 Quadrat-
Leagues, d. h. 97 424,8 Morgen Land, überschreiten konnte;
2. daß der Bericht des Oberlandvermessers von New
Mexico vom 15. September 1857 die LandbewilHgung für
keine größere Ausdehnung als 22 Quadrat-Leagues zur Be-
stätigung empfohlen habe;
3. daß die Bestätigungsakte vom 21. Juni 1860 nicht als
eine neue Bewilligung über 22 Quadrat-Leagues hinaus
wirksam war;
4. daß die Vermessung, nach der das Patent erteilt worden
war, und das Patent selbst außer den 22 Quadrat-Leagues
viele hunderttausend Morgen umfaßte, die nicht in der be-
stätigten Landbewilligung enthalten waren, und auch
mehrere hunderttausend Morgen (ungefähr 400000), die
außerhalb der östlichen und nördlichen Grenzen liegen und
ebenfalls nicht in der bestätigten Landbewilligung ent-
halten waren;
- 632 -
5- daß das Patent auf den Mehrbetrag von 1600000
Morgen von Beamten des Landesdepartements erteilt
worden war, auf Grund „der Betrügereien und Täuschun-
gen, die gegen den Kommissar des Oberlandamtes und seine
Agenten von dem Oberlandmesser Spencer und von den
von den Vereinigten Staaten abgesandten Vermessern Elkins
und Marmon im Interesse solcher Besitzer verübt worden
waren"^).
In seiner Beweisführung sagte der Oberhilfsanwalt der
Vereinigten Staaten Maury: . . . „Da die Verleihung zu
Anfang mexikanisch und den Gesetzen und Gebräuchen
Mexicos unterworfen war, so hat dieser Gerichtshof zu
entscheiden, ob es einen berechtigten Entwicklungsprozeß
gibt, durch welchen diese ursprünglich mexikanische Ver-
leihung von 22 Quadrat-Leagues an Beaubien und Miranda
bis zu der in diesem Patent enthaltenen fürstlichen Herr-
schaft zugenommen und sich erweitert hat"*). Maury be-
hauptete, daß Betrug reichlich erwiesen sei. J. A. Bentley,
ein von der Regierung für diesen Fall besonders ernannter
Anwalt, unterbreitete eine längere Ausführung, um zu be-
weisen, daß bei der Erweiterung der Grenzen der Land-
bewilligung Betrügereien gegen die Regierung verübt
worden seien, und er legte auch dar, daß die Entscheidung
des Ministers des Innern Cox im Jahre 1869 endgültig war.
Die Entscheidung des obersten Gerichtshofs
Stöße über Stöße von Beweisen, daß die gröbsten Be-
trügereien begangen worden waren, konnten den Obersten
Gerichtshof der Vereinigten Staaten nicht überzeugen.
In seiner Entscheidung vom 18. April 1887 hielt er die
Meinung aufrecht, daß die Akte vom 21. Juni 1860 dem
Wesen nach eine neue Verleihung darstelle, und er bestä-
tigte die Bewilligung bis zu der vollen Ausdehnung der
beanspruchten i 714 764,94 Morgen — eine Entscheidung,
die von dem ganzen Lande mit dem äußersten Erstaunen
aufgenommen wurde.
*) United States Reports, Bd. 121, 327.
*) Ebenda, 330.
- ^33 -
Im Besitze dieser Entscheidung schritten die Eigen-
tümer der Maxwell-Landbewilligung nun zur Vertreibung
von Ansiedlern nach rechts und nach links. Das erregte
einen großen Sturm. Die Ansiedler auf dem zugesprochenen
Gebiet taten sich zusammen und ernannten O. P. McMains
zu ihrem Vertreter, der dem Kongreß ihre Petition um
Rückgängigmachung überreichen sollte. In einem Affidavit
zugunsten der Ansiedler, datiert vom 9. Mai 1892, be-
schuldigte McMains die verschiedenen obersten Beamten
der Vereinigten Staaten, wie den Minister des Innern,
Noble, den Landkommissar Carter (jetzt, im Jahre 1909,
Senator der Vereinigten Staaten für Montana) und andere
Beamte, sie hätten es abgelehnt, das bewilligte Land als
öffentliches Gebiet zugänglich zu machen. Diese Weige-
rung war, wie das Affidavit betonte, eine Verletzung des
ausdrücklichen Kongreßgesetzes vom 21. Juni 1860. Das
Affidavit fuhr dann fort:
„Und der Deponent bezeugt ferner eidlich und sagt;
Daß S. B. Elkins der letzte Präsident der Maxwell-Land
Grant and Railway Company war, die zur Zeit seiner
Amtsniederlegung im Jahre 1875 bankrott war; daß nach
dem Jahre 1875 der besagte Elkins mit der besagten Gesell-
schaft weder als Beamter noch als Anwalt in Verbindung
stand und an den Angelegenheiten der Gesellschaft keinen
Anteil hatte; daß er trotz alledem als Outsider und Speku-
lant Interesse daran hatte, daß das Land, das nach dem
Gesetze als öffentliches Land behandelt werden sollte,
wieder als die angebliche Beaubien- und Miranda- oder
Maxwell-Landbewilligung behandelt und vermessen würde,
und daß er Ende des Jahres 1875 — 1876 eine Reise nach
Europa machte, mit einem Plan für die Reorganisation der
Maxwell-Land Grant Company vor Augen.
„Daß T. B. Catron aus New Mexico, der ebenso wie
Elkins Interesse daran hatte, daß das Land, das nach dem
Gesetz als öffentliches Land behandelt werden sollte,
wieder als die angebliche Maxwell Landbewilligung behan-
delt und vermessen würde, am 19. Juli 1877 durch eine
ungesetzliche und betrügerische Steueranspruchsurkunde
ein angeblicher Besitzer von beinahe zwei Millionen Morgen
- 634 -
öffentlichen Landes, der sogenannten Beaubin- und Mi-
randa- oder Maxwell-Landbewilligung, wurde ; daß, um von
der ungesetzlichen Steueranspruchsurkunde auf öffentliches
Land, der angeblichen Maxwell-Landbewilligung, Nutzen zu
ziehen, es nötig wurde, die Durchführung des endgültigen
und rechtskräftigen Befehls des Ministeriums des Innern
vom 28. Januar 1874, welche verlangte, daß die von den
Reklamierenden der Maxwell-Landbewilligung beanspruch-
ten Ländereien als öffentliches Land behandelt werden
sollten, dadurch unwirksam zu machen, daß man den
Maxwell-LandbewilUgungs- Anspruch von neuem gegen die
Vereinigten Staaten zur Vermessung und Patentierung ein-
klagte.
„Daß die Parteien, die sich verschworen hatten, besagten
Anspruch gegen die Vereinigten Staaten unter Verletzung
der Sektion 5498 der revidierten Gesetze einzuklagen,
der Hon. S. B. Elkins, damals Kongreßdelegierter von
New Mexico; Hon. T. B. Catron, damals Anwalt der
Vereinigten Staaten für Mexico, und Hon. J. A. Wil-
liamson, damals Kommissar des Oberlandamtes waren;
daß das Ziel besagter Verschwörung erreicht wurde; daß
die Durchführung des rechtskräftigen Befehls vom 28. Ja-
nuar 1874 und das Kongreßgesetz vom 21. Juni 1860 bei-
seite geschoben wurden ; daß Ansiedler, die das Land in freien
Besitz genommen oder das Vorkaufsrecht hatten, ohne ein
richtiges gesetzliches Verfahren ihrer privaten und verlie-
henen Rechte und die Vereinigten Staaten ihrer vermessenen
öffenthchen Ländereien beraubt wurden"^^.
Das Affidavit sagte weiter, daß „die Weigerung der Be-
amten, das Kongreßgesetz durchzuführen, im Interesse
der vorhererwähnten Verschwörung geschah; daß durch
solche unrechtmäßige Weigerung der besagte Minister
und der Kommissar durch List und Betrug der besagten
Verschwörung Vorschub leisteten und sie unterstützten" 2).
Die Hauskommission für private Landansprüche, an die
die Petition der Ansiedler verwiesen wurde, fand, daß die
Angaben in bezug auf den in New Mexico gelegenen Teil
^) House Reports, First Session, Fifty-second Congress, 1891 — 1892, Bd. 7,
Report Nr. 1824, 4 — 5. a) House Reports usw. Nr. 1824, 1891 — 1892, 5.
- 635 -
der Landbewilligung richtig waren. In betreff der vier-
hunderttausend Morgen in Colorado berichtete die Kom-
mission :
„Die Maxwell-Land Grant and Railroad Company hat
sich im Jahre 1877 nicht wegen einer Vermessung öffent-
lichen Landes in Colorado, als eines Teiles der angeblichen
Maxwell-Bewilligung, an den Kommissar des Oberland-
amtes gewandt; aber eine Partei, die in keiner Weise mit
der Gesellschaft in Verbindung stand oder in irgendeiner
Eigenschaft im Namen der Gesellschaft handelte — Hon.
S. B. Elkins — forderte tatsächlich, daß eine Vermessung
bestätigt werden sollte", die öffentliches Land in Colorado
als zu der Maxwell-Landbewilligung gehörig einschließen
würde. Nach dieser Vermessung geschah es, daß das ganze
Gebiet von i 714 764,94 Morgen für 700000 Pfd. Sterling an
holländische Kapitalisten verpfändet wurde. Dieses Land in
Colorado war, wie die Kommission feststellte, unrechtmäßig
in Besitz genommen worden. Die Kommission schloß:
„Und es ist die Ansicht Ihrer Kommission, daß nach dem
Gesetz vom 21. Juni 1860 die Ländereien, die zu dem in
Colorado gelegenen Teil der angeblichen Maxwell-Land-
bewilligung gehören, als öffentliches Land behandelt wer-
den sollten . . . und nicht einen Teil der ursprünglichen
Beaubin- und Miranda- Landbewilligung bilden^).
Oberlandesvermgsser Julian legt den Fall dar
Der Kongreß leitete auf den Bericht der Hauskommission
für private Landansprüche hin keine Maßregeln ein, und
diese vollständige Untätigkeit, verbunden mit der Ent-
scheidung des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten
Staaten, hatte die Folge, daß die Personen, die sich die
I 714 764,94 Morgen angeeignet hatten, oder ihre Bevoll-
mächtigten ein Besitztum behalten konnten, das in der
Folge unangefochten blieb. George W. Julian, während
der ersten Verwaltungsperiode des Präsidenten Cleveland
Oberlandesvermesser der Vereinigten Staaten in New
^) „Land Titles in New Mexico and Colorado", House Reports, First Session,
Fifty-second Congress, 1891 — 189z, Bd. 4, Report Nr. 1253, 8.
- 636 -
Mexico, fand in jenem Gebiete Zustände vor, die er am
14. September 1892 in einer Rede vor dem Hendricks-Klub
in Indianopolis, als er von Elkins' Laufbahn berichtet, be-
schrieb. Nachdem er von einigen der früheren Unterneh-
mungen von Elkins in New Mexico berichtet hatte, sagte
JuHan :
„Diese Erfahrungen bereiteten ihn reichhch für die bril-
lanten Grundstückspekulationen vor, durch die er reich
wurde. Er hatte hauptsächlich mit spanischen Land-
bewilligungen zu tun, die er mexikanischen Reklamierenden
oder denen, an die sie ihre Ansprüche abgetreten hatten,
für einen sehr geringen Preis abkaufte. Die Grenzen dieser
Bewilligungen waren unklar und unbestimmt, und ihre
genaue Festsetzung mußte von dem Oberlandesvermesser
des Territoriums getroffen werden und unterlag dann der
endgültigen Entscheidung des Kongresses. Elkins wurde
Mitglied des Landringes des Territoriums, und haupt-
sächlich durch seinen Einfluß kam es dahin, daß die Ver-
messung dieser Landbewilligungen Hunderte und Tausende
von Morgen enthielt, die nicht dazu gehörten. Er wurde
auf diese Art ein großer Landbesitzer, denn infolge der Be-
arbeitung der Kongreßausschüsse wurden so unrechtmäßig
vermessene Landbewilligungen mit ihren gefälschten Gren-
zen bestätigt.
,Er erregte besonderes Aufsehen als Held der berühmten
Maxwell-Landbewilligung, die nach der Entscheidung des
Ministers Cox vom Jahre 1 869 nur ungefähr 96 000 Morgen
umfaßte, aber unter Elkins' Behandlung auf i 714 764,94
Morgen vermessen und so patentiert wurde. Der Kon-
greß wurde durch die Arbeit seiner Kommissionen ge-
täuscht und bestätigte die Landbewilligung mit den
darin unbestimmt angedeuteten äußeren Grenzen, die so
ausgedehnt waren, daß sie dieses ganze ungeheure Gebiet
bedeckten, und diese Bestätigung durch den Kongreß
zwang den Obersten Gerichtshof, diesen verblüffenden
Raub als rechtskräftig anzuerkennen. Auf solche Weise sind
mehr als 10 Millionen Morgen öffentlichen Gebietes in New
Mexico die Beute der Landräuber geworden, und der Rädels-
führer in diesem Raubzug war Stephen B. Elkins, der Ver-
- 637 -
bündete Stephen W. Dorseys und der leitende Geist der
ganzen Bewegung.
„Er war für sein Werk vollkommen qualifiziert. Er ließ
sich nicht unterdrücken, und er hatte viele geistige Fähig-
keiten. Er war ein kaufmännisches Genie und bei der Ver-
folgung seiner Ziele ungemein wenig durch Gewissensfragen
gehemmt. Er benutzte den Oberlandesvermesser des Terri-
toriums, das Landdepartement in Washington und die
Kongreßkommissionen als seine Werkzeuge, um arme An-
siedler auszuplündern und der Regierung ihre Ländereien
zu rauben. Einen Menschen um sein Heim betrügen wird
mit Recht als ein Verbrechen angesehen, das nur dem Morde
nachsteht, und ein Volk seines öffentlichen Landes berauben
und damit unbegüterten Menschen die Gelegenheit ver-
kürzen, sich ein Heim zu verschaffen, ist nicht nur ein
Verbrechen gegen die Gesellschaft, sondern eine grausame
Verhöhnung der Armen. Wenn irgendwelche Erwägungen
dieser Art jemals Mr. Elkins' Träume störten, so wurden
sie durch seinen überwältigenden Eifer in dem Werke
, praktischer Politik' kurzerhand zum Schweigen gebracht.
Nach Dorseys Ansicht wußte Elkins mehr als irgendein
anderer von den ,Star-route*-Fällen, welche ein Dutzend
Jahre früher berühmt wurden, und man wird sich auch
erinnern, daß er mit der Verfolgung eines Anspruchs auf
50 Millionen Dollar gegen Brasilien zu tun hatte, während
Blaine unter Garfield Staatsminister war, eines Anspruchs,
der später von Minister Bayard entrüstet zurückgewiesen
wurde . . .
„Wenn ich auf diese Sachen Bezug nehme, so spreche ich
nicht aufs Geratewohl, sondern ich folge amtlichen Doku-
menten und beglaubigten Tatsachen, mit denen ich während
meines vierjährigen öffentlichen Dienstes in jenem Terri-
torium unter der letzten Verwaltung bekannt wurde."
Die „Star-route"-Betrügereien, auf die Julian hinwies,
wurden vor dreißig Jahren ein großer öffentlicher Skandal.
Durch sie wurden dem Schatz der Vereinigten Staaten
große Summen geraubt. Der Ausdruck „Star-route"
wurde auf inländische Postwege angewandt, auf denen
die Postsachen nicht durch Eisenbahnen und Dampfschiffe,
~ 638 -
sondern in anderer Weise befördert wurden. Diese Routen
wurden in den Büchern der Postverwaltung amtlich mit
einem Sternchen versehen, daher die Bezeichnung. Die
von der Postverwaltung und von Kongreßkommissionen
angestellten Untersuchungen ließen Elkins nicht als einen
Unternehmer erkennen. Seine Unterschrift fand sich
jedoch auf den Schuldverschreibungen gewisser führender
Unternehmer von Postrouten im Südwesten, und er war
sehr energisch dahinter her, die Einrichtung von Überland-
routen in New Mexico und andern Gegenden zu erlangen.
Es wurde schließlich festgestellt, daß er an der sogenannten
„Kerens- Kombination" beteiligt war, an deren Spitze
Richard C. Kerens, ein mächtiger republikanischer Poli-
tiker aus St. Louis, stand. Aber Elkins verfuhr so schlau
und heimlich, daß er bei den großen „Star-Route"-Unter-
nehmungen der Jahre 1882 und 1883 gar nicht zum Vor-
schein kam^).
Elkins wird ofiiziell zum ehrenwerten Mann gestempelt
Zu dieser Zeit war er ein bekannter republikanischer
Politiker von nationaler Bedeutung. Im Jahre 1884 war er
Vorsitzender des Republican National Committee, und
im Dezember 1891 ernannte ihn Präsident Harrison zum
Kriegsminister. Harrison waren die Einzelheiten von El-
kins' Laufbahn in New Mexico nicht unbekannt, denn als
Senator der Vereinigten Staaten war Harrison ein Mitglied
der Kommission für die Territorien gewesen und hatte den
Angelegenheiten von New Mexico besondere Aufmerksam-
keit geschenkt.
Harrison kannte auch die Tatsachen des brasilianischen
Anspruchs, der sich aus einer einem gewissen D. G. M.
^) Man hatte lange öffentlich die Beschuldigung ausgesprochen, daß Elkins
nicht vor Gericht gebracht worden sei, weil er im geheimen Staatszeuge geworden
war und dem Generalpostmeister viel wertvolle Auskunft über seine früheren
Teilhaber geliefert hatte. So weit die gerichtlichen Protokolle in Betracht kommen,
kann kein dokumentarischer Beweis für diese Anklage gefunden werden. Kerens
setzte, wie erwähnt sein mag, seine Laufbahn als bemerkenswerter republikanischer
Politiker fort und wurde Im Jahre 1909 von Präsident Taft zum Gesandten In
Österreich ernannt.
— 639 —
Jewett von der brasilianischen Regierung erteilten Konzession
ergab, gewisse Nitratlager auf einer Insel an der brasilia-
nischen Küste aufzuschließen. Jewett behauptete, daß er ein
Schiff ausgerüstet und 27 000 Dollar ausgegeben habe, als
die brasilianische Regierung die Konzession aufhob. Elkins
wurde Jewetts Anwalt und reichte bei dem Staatsministe-
rium ein sorgfältig ausgearbeitetes Schreiben zur Unter-
stützung des Anspruchs ein, wobei er die enorme Summe
von 50 Millionen Dollar als Schadenersatz verlangte.
Elkins versuchte einen Staatsminister der Vereinigten
Staaten nach dem andern dafür zu gewinnen, die Forderung
nachdrücklich zu betreiben, aber Minister Bayard unter-
suchte sie im Jahre 1886 ausführlich, und Präsident Cleve-
land schickte die Korrespondenz an den Senat mit einer
besondern Botschaft, die folgendermaßen schloß: „Eine
so unerhörte Forderung ist eine Schmach für jede Nation,
mit der die Vereinigten Staaten in freundlichen Beziehun-
gen stehen oder zu stehen wünschen. Ich habe es abgelehnt,
die Papiere anzunehmen oder Minister Jarvis irgendwelche
Mitteilungen über den Fall zuzusenden."
Die Maxwell -Landbewilligung und die „Star-Route"-
Angelegenheit waren nur zwei von Elkins' vielen Unter-
nehmungen in New Mexico. Mittlerweile hatte er die
Tochter von Henry G. Davis, Senator der Vereinigten
Staaten und Millionär in Eisenbahn- und Bergwerksbesitz
in West -Virginia, geheiratet. Elkins zog nach diesem
Staate. Mit den Millionen, die er im Südwesten zusammen-
gebracht hatte und mit Hilfe der vielen Millionen seines
Schwiegervaters wurde er dort ein großer Magnat, dem die
Herrschaft über ein Besitztum nach dem andern zufiel.
Er, Kerens und Davis bauten mehrere Eisenbahnen in
West- Virginia und erwarben die Herrschaft über Kohlen-,
Koks-, öl- und Holzbesitzungen. Sie finanzierten auch
den Bau von Eisenbahnen in Kalifornien, Nevada und
Utah. Elkins baute einen glänzenden schloßartigen Palast
in der Stadt, die seinen Namen trug; am Bergabhang
liegend überschaut er Berggipfel und Täler im Umkreis
von 35 Meilen. Im Jahre 1895 wurde er von den ge-
setzgebenden Körperschaften von West-Virginia in den
— 640 —
Senat der Vereinigten Staaten gewählt, nach einer Kam-
pagne, in der, wie öffentlich behauptet wurde, Bestechungs-
gelder in der Form von Kampagnefonds im ganzen Staate
verteilt worden waren, um die Wahl von Mitgliedern
sicherzustellen, die seinen Plänen günstig gesinnt waren.
Im Senat der Vereinigten Staaten ist Elkins einer der ge-
schicktesten und brauchbarsten Entwerfer von Gesetzen
für die Plutokratie gewesen. Ein bemerkenswertes Gesetz
von ihm war ein Amendement zu dem Gesetz für den
Handel von Staat zu Staat, das die Bestimmung, wonach
auf der Verletzung des Antirabatt-Gesetzes Gefängnis
stand, aufhob, und den Magnaten, die in einem daraufhin
gegen sie eingeleiteten Verfahren als Zeugen auftraten,
vollständige Straflosigkeit gewährte.
Als einer der Geldherrscher und Gesetzemacher der Ver-
einigten Staaten ist Elkins augenscheinlich ein sehr mächtiger
und hervorragender Magnat. Moralisten mögen über seine
Laufbahn wohl nachsinnen und ihren Höhepunkt betrachten.
Würde man auch nur zum Scherz den Vorschlag machen,
daß unsere Gesetzgeber nur aus Stammgästen der Gefäng-
nisse gewählt werden sollten, so würde dieser Vorschlag,
je nach dem Temperament, entweder mit staunender Em-
pörung oder als nichternstzunehmender Einfall aufgenom-
men werden. Und doch sollte er keiner derartigen Auffassung
begegnen, denn haben wir nicht in diesem Buche aus einer
überzeugenden Fülle von Tatsachen erkannt, wie die Ge-
schäftswelt schließlich zum größten Teile aus denen be-
steht, die nicht ausfindig gemacht und bestraft wurden,
und aus denen, die es wurden ? Eine solche Schlußfolge-
rung ist, wie wir sehen, keine Übertreibung. Und haben
wir nicht auch aus den Tatsachen erkannt, daß die großen
Räuber die Diktatoren gerade der Gemeinschaften werden,
die sie berauben ? Wie wäre es, wenn man das Verfahren
umdrehte und die kleinen Räuber, und wären sie auch
Sträflinge, zu Herrschern wählte? Es würde nicht
schlimmer sein und vielleicht besser. Aber keine der
beiden Klassen kann wegen der Leidenschaften und Ver-
brechen, die das System und die Macht dieses Systems
hervorruft und nur zu oft erzwingt, verurteilt werden;
— 641 —
das System, nicht die einzelnen, bedarf der Veränderung.
Im Lichte dieser Tatsache und in ihm allein sollte Elkins'
Laufbahn und die der Großen und Kleinen, die ihm
gleichen, betrachtet werden.
Vierzehntes Kapitel
DAS VERMÖGEN HILLS
James J. Hill, der im Beginn seiner Laufbahn hart
getadelt und häufig mit äußerster Heftigkeit ange-
griffen worden war, wurde in seinen späteren Jahren der
Gegenstand so verschwenderischer Lobpreisungen wie
wenige Magnaten. Als sein Reichtum und seine Macht
schnell zunahmen und er ein Multimillionär und Leiter
der politischen und industriellen Angelegenheiten großer
Gebiete der Vereinigten Staaten und Canadas wurde,
kam es zu der üblichen Umwandlung. Er hörte auf, der
vertraute „Jim" Hill zu sein, von dem geringschätzig als
dem „Jay Gould des Nordwestens" gesprochen wurde,
und verwandelte sich in den großen Mr. Hill, das impo-
nierende Genie. Eine Schar von Schriftstellern, die in der
übertriebenen Sprache niedriger Schmeichelei wohlgeschult
waren, traten hervor und verkündeten seinen heldenhaften
Anteil als leitender Geist an der aufbauenden Entwicklung
der Hilfsquellen des Landes.
Volle dreißig Jahre lang sind diese Lobpreisungen, die
alle einander verdächtig ähnlich waren, wie wenn sie von
einer Zentralquelle inspiriert wären, fortgesetzt veröffent-
licht worden. In ihnen allen ist ein besonderer dithyram-
bischer Ton nachdrücklich zum Vorschein gekommen.
Mit unendlich vielen rhetorischen Varianten sind Aus-
drücke wie „Genie des Verkehrs" und „Verstandesriese"
häufig auf Hill angewandt worden. Erfinderisch vorge-
bracht unter manchen verhüllenden Ausdrücken und
kunstreichen stilistischen Kniffen war der Refrain dieser
Gesänge immer derselbe, den wir in den Lobliedern auf die
4»
— 642 —
Astors, die Vanderbilts, J. Pierpont Morgan, Blair, Sage
und beinahe alle andern Magnaten wahrgenommen haben.
Immer liegt der Nachdruck — was stark auf einen Schütz-
ling hindeutet — auf Hills ungewöhnlicher Befähigung
und Lauterkeit; wie er jeden Dollar seines großen Ver-
mögens ehrlich erwarb und wie (es wird namentlich auf-
geführt) Bestechung und Diebstahl bei seinem Verfahren,
sein Vermögen aufzuhäufen, in bemerkenswerter Weise
gefehlt haben. Ein gleichmäßiges, monotones Lied war es
— in weit auseinanderliegenden Abständen durch eine
feindliche Tirade aus der Feder eines nicht unterjochten
Genossen belebt — eine Tirade mit etwas Wahrheit, aber
ohne Augenmaß und Verständnis.
Hills enormes Vermögen
Die Ausdehnung von Hills Vermögen ist enorm, aber
während der Abfassung dieses Buches kann weder die ge-
naue noch die annähernde Zahl von den Hunderten seiner
Millionen Dollar nur einigermaßen zuverlässig angegeben
werden. In einem wichtigen Punkte geben die Leute, die
ihn in den Himmel erheben, keine falsche Darstellung:
Hill fing mit gar keinem Gelde an. Nun, da er ein kolossales
Vermögen hat, sollte diese Tatsache allein genügen, um
eine sorgfältige Untersuchung herauszufordern; denn Geld
kommt nicht herab wie Regen; es muß auf irgendeine
Weise eingebracht werden; und während es für Millionen
von schwer arbeitenden Leuten schwierig genug ist. Ge-
nügendes für ihre bescheidensten Bedürfnisse zu erwerben,
ist die Leichtigkeit, mit der ein Mann sich in den Besitz
mächtiger Schatzhäuser des Reichtums gesetzt hat, eine
ernste und grimmige Tatsache, die, nach allgemeinen Grund-
sätzen, von Anfang an sehr wohl geeignet ist, an den er-
habenen allgemeinen Behauptungen von Hills Lobrednern
Zweifel hervorzurufen. Aber gerade die Tatsache, die
sofort Fragen veranlassen und Untersuchungen herbei-
führen sollte, wird von seinen Panegyrikern in einen be-
geisterten Tribut verwandelt — in einen überzeugenden
Beweis seines besonderen Vermögens, sich als „Seifmade-
- 643 -
man"zu zeigen. Wir wissen nur zu gut, was dieser Geschäfts-
jargon des Tages bedeutet; nicht einen Mann von Intelli-
genz, Idealen oder Bildung, sondern nur einen Mann von
Reichtum; der gewöhnliche Bürgersinn kann sich, allgemein
gesprochen, keine andere Vorstellung von einem erfolg-
reichen Manne machen.
Wenn man jedoch Reichtum für Größe setzen kann,
dann ist Hill ein wirklich großer Nabob. Er besitzt und be-
herrscht ausgedehnte Eisenbahnnetze im Nordwesten und
Westen ; er ist der Besitzer weiter Landgebiete und Mineral-
lager, deren fabelhafter Wert jeder Berechnung spottet.
Er ist Besitzer von Dampfschiffslinien und von Eigentum
manch anderer Art; er lebt in einem richtigen Palast, und
Politiker, Verleger, Geistlichkeit und Richter sind seine
Puppen. Da er nun — wie seine Lobredner es ausdrücken —
ohne Geld „begann", wie stellte er es an, all seinen Reichtum
zu erlangen ? Diejenigen, die ihm huldigen, erklären diese
wesentliche Frage nicht; in salbungsvollem Ton haspeln
sie Daten und Zahlen herunter und erzählen fließend,
wann er diesen oder jenen Besitz erwarb, aber wie er tat-
sächlich dabei verfuhr, das erzählen sie nicht.
Wie der Nordwesten besiedelt wurde
Hill wurde in Guelph, Kanada, im Jahre 1838 geboren
und wanderte im Jahre 1856 nach St. Paul, Minnesota,
aus. Man kann sich die Umgebung, in die er als achtzehn-
jähriger Jüngling kam, leicht vorstellen, wenn man die
früheren Kapitel gelesen hat. Der Nordwesten befand
sich in seiner ersten wirklichen Besiedlungsperiode; und
diese Besiedlung wurde nicht, wie die üblichen Geschichten
erzählen, ganz allein von „sturmfesten Pionieren", son-
dern auch von Landräubern, Holzdieben, Spielern, kauf-
männischen Schwindlern, Halsabschneidern und Schurken
im allgemeinen ausgeführt. Der Ansturm, um Landbewil-
ligungen, Minerallager, Eisenbahnprivilegien und jedes
andere erreichbare Gut zu erlangen, hatte seinen Höhe-
punkt erreicht. ,, Schwindel" aller Art wurde geplant;
eine Horde käuflicher Personen schwärmte herbei, um so
4«*
- 644 -
viele Vorkaufsrechte als möglich zu erlangen und jeden,
den sie konnten, auszuplündern. Es herrschte eine rasende
Sucht nach schnellem Gelderwerb, ohne Rücksicht auf die
angewandten Mittel.
Freilich kam auch ein Strom von Ackerbauern, die nur
billiges Land erwerben und es ehrlich bestellen wollten,
herbei. Aber dieses Element gab dem allgemeinen Trei-
ben nicht seinen Charakter. Den wirklich aggressiven
Charakter erhielt es durch Abenteurer, Kapitalisten und
auf andere Weise. Alle diese Kapitalisten kamen tatsächlich
aus den östlichen Staaten, und viele von ihnen waren,
wie die Protokolle zeigen, an den Schwindeleien im Osten
beteiligt gewesen. Verschiedene Gruppen von ihnen be-
stachen eifrig den Kongreß, Regierungsbeamte und die
gesetzgebenden Körperschaften, um Landbewilligungen,
Eisenbahnpatente, Privilegien, Minerallager und besondere
Gesetze zu erlangen. Schneidige Kaufleute, handeltrei-
bende Ränkeschmiede und Grundstückschwindler über-
liefen die neu gegründeten großen und kleinen Städte.
Jedem Gedanken und jedem Plan war der Stempel des
Geldes aufgedrückt; das überall herrschende Ideal war
Reichtum, gleichviel, wie erworben; alle Klassen waren
davon durchdrungen. Die ganze Luft war von Habgier
erfüllt, und wenn die vielen Prozeßprotokolle in den
Gerichtshöfen von Minnesota als Symptom angesehen
werden können, so bildeten Spekulationen, Schwindel und
Betrug geradezu eine gewohnheitsmäßige Leistung bei
jedem geschäftlichen Unternehmen.
Hill kam in diese Atmosphäre von KäufHchkeit, Hab-
sucht und Korruption, in einen gesellschaftlichen Zustand,
bei dem jedermann nach der bedeutungsvollen Frage be-
urteilt wird: „Wieviel ist er wert?" Lange, ehe er kam,
war diese Korruption in vollem Gange. Überall im ganzen
Westen, Nordwesten und Südwesten waren das betrüge-
rische Ansichreißen von Acker-, Holz- und Grubenland
und die Bestechung des Kongresses und der gesetzgebenden
Körperschaften zur Erlangung von unentgeltlichen Zu-
wendungen öffentlichen Geldes (wie wir es in früheren
Kapiteln überreichlich gesehen haben) lange allgemein
- 645 -
bekannt. Die Gemeinderäte der Städte und öffentliche
Ämter aller Art waren gewöhnlich in den Händen von
Männern, die ihre Stellungen dazu benutzten, sich unrecht-
mäßige Einkünfte zu verschaffen. Bestochen, oder auf
andere Art dazu gebracht, besondere Freibriefe und Privi-
legien zu gewähren, oder bei Betrügereien strafbare Nach-
sicht zu üben, verließen viele dieser Männer Ämter, die
nur bescheidene Gehälter brachten, mit einem Vermögen.
Die kolossalen Holzdiebstähle
Die ungeheuren Waldaneignungen in Minnesota und
andern Staaten und Territorien und die Bestechung öffent-
licher Beamten, die bei diesen Diebstählen ein Auge zu-
drücken sollten, waren ein Beispiel des weitverbreiteten
und alles durchdringenden Betrugs.
Der Kongreß hatte ein ausdrückliches Gesetz erlassen,
das Verheerungen in den Staatswaldungen untersagte und
für jede Verletzung dieses Gesetzes eine Geldstrafe von
nicht weniger als dem dreifachen Werte des geschnittenen,
zerstörten oder fortgeschafften Holzes und Gefangenschaft
bis zur Dauer von zwölf Monaten festsetzte. Dieses Gesetz
wurde von einzelnen Holz - KapitaHsten oder Holz-
Korporationen mit Erfolg unbeachtet gelassen oder um-
gangen. In einem langen, behördlich bestellten, an den
Minister des Innern der Vereinigten Staaten, Robert
Mc Clelland, am 12. Februar 1854 eingesandten Bericht
meldet James B. Estes, U. S. Holz- Kontrolleur für Iowa,
Minnesota und den westlichen Distrikt von Wisconsin,
daß allein in einem Teil Minnesotas — dem Black-
River- Distrikt — mehr als zweihundert Millionen Fuß
Nadelholz geschnitten und fortgebracht worden waren.
„Am Black River," so schreibt Estes, „sind sechzehn
Holzzurichtungswerke bis zum letzten Jahre mit Baum-
stämmen, die den Staatsländereien entnommen wurden,
versorgt worden^).
*) Executive Documents, First Seesion, Thirty-third Congreß, 1853 — 1854
Bd. 24, Doc. Nr. 113, 8,
- 646 -
„An den Chippewa- und Red Cedar- oder Menominee-
Flüssen besteht derselbe Zustand der Verwüstung und ist
eine Reihe von Jahren fortgeführt worden. Es hegen auch
an diesen Flüssen und an ihren Nebenflüssen acht Säge-
mühlen, die zweifellos im Durchschnitt mehr als zwei
Millionen Fuß jährlich schneiden. Die Menge der in allen
diesen Mühlen geschnittenen Hölzer ist klein, wenn man sie
der tatsächlichen Verwüstung auf den Staatsländereien
gegenüberstellt, da jetzt, wie schon jahrelang, ein sehr
ausgedehntes Geschäft im „Holzfällen" zur Versorgung
der stromab gelegenen Handelsplätze des Mississippi be-
trieben wird^)."
„An einigen Flüssen außer den genannten," fügt Estes
hinzu, „lagen neunzehn Sägemühlen mit Dampf- und
Wasserkraft, die mit Schneiden beschäftigt sind und zweifel-
los jährlich vierzig oder fünfzig Millionen Fuß Bauholz
verarbeiten. Dazu kommt, daß es einen großen Floßholz-
handel den Mississippi hinunter nach St. Louis und andern
tiefer gelegenen Handelsplätzen gab 2)."
Bestechung von Beamten
Diese ungeheure Menge Holz war fast ganz gestohlen.
Gewöhnlich wurden die Holzkontrolleure der Regierung
bestochen, um bei diesem kolossalen betrügerischen Treiben
ein Auge zuzudrücken, und zu andern Zeiten wurden sie
ebenso bestochen, um für unbedeutende Zahlungen an die
Regierung Genehmigungen oder Erlaubnisscheine (deren
Verkauf ihnen gesetzlich nicht zustand) zum Schneiden von
Holz von den Staatsländereien zu verkaufen. Estes berichtete,
daß er einundzwanzig Anklagen gegen einige dieser Holz-
diebe veranlaßt habe und daß sich unter der Zahl der auf
seine Veranlassung Angeklagten auch Stunton, ein früherer
Holzkontrolleur der Vereinigten Staaten, befand, „da er
ein Mitschuldiger jener Übertreter war, insofern er an ein-
zelne Personen Erlaubnisscheine zum Schneiden und zum
Verwüsten verkauft habe^)."
^) Executive Documents, First Session, Thirty-third Congress, 1853 — 1854,
Bd. 24, Doc. Nr. 113, 8. 2) Ebenda. ^) Ebenda, 9.
- 647 -
Dieses System enormen Diebstahls war so tief eingedrun-
gen, daß, wenn ein ehrlicher Regierungsbeamter den Ver-
such machte, das Gesetz durchzuführen, alle Holzinter-
essenten ihn und sein Vorhaben zu diskreditieren und seine
Absetzung herbeizuführen suchten.
Die Geschichte einer von Hill erworbenen Eisenbahn^)
Die versuchte widerrechtliche Aneignung öffentlichen
Landes in Minnesota nahm im Jahre 1854 i^^en Anfang,
als durch Lobbyisten im Kongreß mit Hilfe von Bestechun-
gen ein Gesetz durchgebracht wurde, das der Minnesota-
und Northwestern -Eisenbahngesellschaft auf Umwegen
neunhunderttausend Morgen öffentlichen Landes verlieh.
Der darauffolgende öffentliche Skandal erzwang den Wider-
ruf jenes Gesetzes. Aber andere Gesetze wurden im Jahre
1857 mit Hilfe desselben erprobten Bestechungsverfahrens
im Kongreß durchgebracht, die, zwar indirekt, aber tat-
sächlich verschiedenen Eisenbahnkorporationen ein Ge-
schenk von sechs Millionen Morgen Staatsland in Minnesota
machten.
Eine dieser am 3. März 1857 genehmigten Maßnahmen
des Kongresses gewährte dem Territorium von Minnesota
zum Besten der Minnesota and Pacific Railroad Company
eine große Landbewilligung. Die weitere Geschichte dieser
Eisenbahn ist früher ausführlich beschrieben worden.
Hill beginnt, wo Sage aufhört
Hill imd seine Gesellschafter begannen, wo Sage aufhörte.
Hill sah, daß die Gelegenheit vorhanden war, für beinahe
nichts eine fünfhundert Meilen lange Eisenbahn und eine
Landbewilligung von mehr als zwei und einer halben
Million Morgen zu erlangen. Wie stellte er es an ? Nach
Farleys wiederholten Darlegungen bei späteren gericht-
lichen Verhandlungen hatten Hill und Norman W. Kittson
mit ihm (Farley) eine strafbare Verabredung getroffen,
^) Executive Documents. First Session, Thirty-third Congress, 1853 — 1854,
Bd. 2<j., Doc. Nr. 113, 9.
~ 648 -
um die Gerichtshöfe der Vereinigten Staaten zu betrügen,
und gleichzeitig verabredete Kennedy mit ihm einen Be-
trug der holländischen Aktionäre. Hill bestritt diese An-
gaben, aber Farley stellte in vielen gerichtlichen Verhand-
lungen immer wieder dieselben Behauptungen auf*).
Das Verjähren^ durch welches die Herrschaft erlangt wurde
Farley war ein unwissender, kaum des Lesens und Schrei-
bens kundiger Mann, der in Iowa etwas von den Eisenbahnen
kennen gelernt hatte, und seine Habgier war wohlbekannt.
Daß er zum behördlichen Verwalter von Kennedy gewählt
oder vielmehr dem Gerichtshof empfohlen wurde, wird in den
Sitzungsprotokollen der Gerichtshöfe bestimmt versichert'').
Zweifellos wurde er von Kennedy infolge einer geheimen
Abmachung gewählt, da es bekannt war, daß er sich als ein
geschmeidiges Werkzeug erweisen würde. Wenn man
Farleys eigene beschworene Aussagen gelten lassen kann,
sollte er die Geschäfte der Eisenbahn schlecht leiten, damit
der Preis der Obligationen herabgedrückt würde; und er
sollte Hill und Kittson von jedem neu unternommenen
Schritt unterrichten. Zur rechten Zeit sollten Hill und Kitt-
son vortreten und die Herrschaft über die Eisenbahn er-
langen. Weder Hill noch Kittson besaßen das nötige Geld
dazu, aber nach Farley sollten sie jemand, der das Kapital
liefern würde, zwei Fünftel oder vierzig Prozent Zinsen
geben. Farley behauptete, daß in diesem Abkommen
ferner dafür gesorgt war, daß drei Fünftel oder sechzig
Prozent Zinsen für ihn selbst und für Hill und Kittson
reserviert werden sollten — ein Fünftel für jeden der
Drei").
Die allerwichtigste Sache war, im Hinblick auf den Er-
laß der gesetzgebenden Körperschaften von Minnesota,
der die Privilegien und Landbewilligungen mit Verfall
bedrohte, der sofortige Bau der Verlängerungen. Aber
^) Farley vs. St. Paul, Minneapolis and Manitoba Railroad Company, Federal
Reporter, 14, 114 — 118; United States Reports, Bd. 19, 303 — 318; Farley vs. Hill,
Federal Reporter, 39, 513—522; Farley vs. Norman W. Kittson et al., Minnesota
Reports, 27, 102 — 107. *) Federal Reporter 39, 516. ») Farley vs. Norman
W. Kittson et al., Minnesota Reports 27, 103.
- 649 -
wer würde das Kapital für diesen Bau liefern? Kittson
brachte zwei befreundete kanadische Landsleute herbei —
George Stephen, den Direktor der Bank von Montreal,
und Alexander Donald Smith, der mit der Hudson Bay
Handelsgesellschaft lange Zeit assoziiert war. Woher Stephen
und Smith die Millionen Dollar nahmen, die sie jetzt vor-
streckten, ist niemals klar dargetan worden. Es wurde lange
Zeit, unter anderen von wenigstens einem verantwortlichen
Mitgliede des kanadischen Parlaments, hartnäckig die Be-
schuldigung erhoben, daß Stephen, Smith und ein gewisser
Angus ohne Wissen ihrer Mitdirektoren aus der Bank von
Montreal 6 Millionen Dollar herauszogen, um das Unter-
nehmen damit zu finanzieren. Soweit es sich um einen
dokumentarischen Beweis für diese Behauptung handelt,
ist nichts gefunden worden; es mag einer vorhanden sein,
aber wir sind nicht imstande gewesen, ihn zu entdecken.
Hill und seine Clique erlangen die Eisenhahn
Der Feldzug, um die Herrschaft über die Eisenbahn zu
erlangen, war nun ziemlich beendet. Die verschiedenen,
in dem Rechtstitel der Eisenbahngesellschaft enthaltenen
Besitzungen waren in verschiedenen Hypotheken, die sich
im ganzen auf 28 Millionen Dollar in Obligationen be-
liefen, verpfändet worden. Hill und seine Partner kauften
diese 28 Millionen Dollar Obligationen zu einem lächerlich
niedrigen Preise auf, in einzelnen Fällen beträchtliche Massen
nur zu drei Prozent ihres Wertes. Die Preise schwank-
ten sonst zwischen dreizehneinviertel bis fünfundsiebzig
Prozent ihres Pariwertes^). Aber Hill und seine Partner
hatten es nicht nötig, sofort bar zu bezahlen. Die Obliga-
tionen wurden hauptsächlich unter der Voraussetzung ge-
kauft, daß sie erst nach der Reorganisation der Eisenbahn
bezahlt werden sollten.
Das Geld, das wirklich ausgegeben wurde, wurde in
eifrigen Anstrengungen dazu verwandt, die Verlängerungen
zu bauen und so dem Verwirkungsgesetz zuvorzukommen.
„Unter diesen Umständen," so berichtete das Gerichts-
*) Fcderal Reporter, 39, 516.
— 650 — %^
Protokoll, „eilte der behördliche Verwalter auf Veranlas-
sung von Mr. George Stephen und andern großen Obliga-
tions'nhabern (James ]. Hill, A. Donald Smith und
Norman W. Kittson) vor Gericht und erlangte am 18. April
1878 eine Verfügung, die ihm die Berechtigung erteilte,
Schuldverschreibungen zur Vollendung der Verlängerungs-
strecken auszugeben^)".
Mit gerichtlicher Vollmacht baute Farley mit den
von der Hill -Stephen -Vereinigung vorgestreckten Kapi-
talien einhundertfünfundzwanzig Meilen Eisenbahnstrecke
bei I 016 300 Dollar Gesamtkosten. Diese Verlängerung
schaffte eine zusammenhängende Eisenbahnverbindung
zwischen St. Paul und dem kanadischen Eisenbahnnetz
in Manitoba.
Nur noch eine Sache war nötig, um die ganze Eisenbahn-
linie aus der Oberaufsicht des Gerichtshofes in unbe-
schränkten privaten Besitz zu bekommen. Dies war ein
Erlaß, der die Hypotheken für verfallen erklärte. Am
II. April 1879 wurde eine endgültige Verfügung, die diesen
Verfall aussprach, erlassen, und am 14. Juni 1879 wurde die
Bahn an die St. Paul, Minneapolis und Manitoba-Eisenbahn-
gesellschaft verkauft. Diese Gesellschaft hatten Hill und
seine Verbündeten einen Monat vorher zu dem ausdrück-
lichen Zwecke gegründet, die in Konkurs geratene Linie
aufzukaufen. Die Gesamtkosten für die Hauptlinien und
die Erweiterungen der St. Paul and Pacific in beiden Ab-
teilungen betrugen 6 780 000 Dollar. Aber die Hill-Clique
war nicht genötigt, diese Summe bar zu zahlen. Es wurde
ihr gestattet, Schuldverschreibungen des behördlichen Ver-
walters und Obligationen als Bezahlung für den Kaufpreis
anzubringen.
Vorteilhafter Kauf
Farley sagte später, daß die so für 6 780 000 Dollar ver-
kaufte Eisenbahn wenigstens 15 Millionen Dollar v/ert
war, und gab damit seine verbrecherische Mitschuld zu,
1) John Kennedy et al. vs. The St. Paul and Pacific Railroad Company et al.,
Pillon's Ciruit Court Reports, 1879 — 1880, 5, 527.
-651 -
an einem heimlichen Abkommen beteiligt zu sein (wie er
beschwor), durch welches ein solcher Verkauf auf betrüge-
rische Weise vorbereitet worden war. In dem Prozeß des
Jahres 1880 von Wetmore gegen die St. Paul und Pacific-
Eisenbahngesellschaft auf Aufhebung des Verkaufs schätzte
Richter Miller den Wert der fünfhundertfünfundsech-
zig Meilen Eisenbahn und der 2 586 606 Morgen Land
auf 20 Millionen Dollar oder mehr^). In der Tat brachte
allein ein Teil der LandbewiUigung, abgesehen von dem
Eisenbahnbesitz selbst, der Gesellschaft Hill & Co. mehr als
das Doppelte der Summe, die sie für das ganze Besitztum
gezahlt hatten. Unmittelbar nach dem Zwangsverkauf
schlugen sie den größeren Teil der Landbewilligung für
13068 887 Dollar los.
Einige Jahre vorher war Hill ein armer Mann; vielleicht
besaß er einige Tausend Dollar. Das beschriebene Ver-
fahren machte ihn sofort zum Millionär. Er und seine Ge-
sellschafter besaßen nicht nur die Eisenbahnobligationen,
sie verteilten auch das Aktienkapital unter sich. Hill und
Kittson erhielten je 57 646 Stammaktien und die andern
Mitglieder der Vereinigung ihren Anteil. Dazu kam, daß
sie in anderer Weise viel gewannen 2). Sobald die Eisenbahn
sicher in ihrem Besitz war, begannen sie mit dem üblichen
Verfahren einer ausgedehnten Neuemission von Aktien.
Der behördliche Verwalter schwört^ daß er in geheimem
Einvernehmen war
Farley war bitter enttäuscht, daß er nichts von der Beute
erhielt. Er war so fest entschlossen, das zu erhalten, was,
wie er behauptete, sein Anteil war, daß er sich nicht
scheute, seinen Verrat an seiner Pflicht als behördlicher Ver-
walter öffentlich bekannt zu machen. Er prozessierte vor
dem Obersten Gerichtshof von Minnesota gegen Kittson,
Hill usw. und behauptete, daß er nach der Abmachung
ein Fünftel des Aktienkapitals der Eisenbahn erhalten
sollte und ein Fünftel alles dessen, was Kittson, Hill und die
^) Dillons Circuit Court Reports, 1879 — 1880, 5, 531. *) United States
Reports, Bd. 120, 308.
~ 652 —
andern Mitglieder der Vereinigung als Resultat des ge-
heimen Einverständnisses sonst an Papieren und anderem
Eigentum erworben hatten. Das war ein sehr kühner
Grund zur Erhebung einer Klage. Farley konnte keine
schriftliche Abmachung vorzeigen, und Richter Gilfilla
entschied im Oktober 1880, daß er sein Recht nicht be-
wiesen habe^).
Gleichzeitig verklagte Farley die St. Paul, Minneapolis
und Manitoba-Eisenbahngesellschaft bei dem Bundes-
gericht der Vereinigten Staaten. Die Anwälte der Ver-
teidigung begründeten — was interessant zu verzeichnen
ist — ihren Haupteinwand zur Abweisung der Klage
damit, daß ein Gerichtsbeamter, der seine Pflicht ver-
raten habe, keine Stellung vor Gericht habe. In diesem
besonderen Einwand stimmten die Richter Treat und Nel-
son überein. Ihre im Jahre 1882 abgegebene Entscheidung
lautete zu einem Teile:
„Gerichtshöfe werden und sollen nicht zur Vermitt-
lung dienen, damit Betrügereien in irgendeiner Hinsicht
anerkannt oder unterstützt werden. Sie werden ein ver-
wickeltes Gewebe von Betrug nicht zugunsten irgend-
einer davon umgarnten Person, durch deren Mitwirkung
das Gewebe ersonnen wurde, entwirren. Dies muß besonders
die Regel sein, wenn ein verpflichteter Beamter eines
Gerichtshofes, der sowohl eine Berater- wie eine Vertrauens-
stellung hat, die Hilfe des Gerichtshofes nachsucht, um
angebliche Bundesgenossen zu zwingen, mit ihm die
Beute zu teilen, die sie durch seine Verheimlichungen
und Täuschungen, seine Pflichtverletzung also, erworben
haben"2).
Der Gerichtshof bestätigt im wesentlichen die Beschuldigungen
Dann folgten Teile der Gerichtsentscheidung, die Farleys
Behauptung, daß er sich auf eine böswillige Verabredung
geheimen Einverständnisses mit Hill, Kittson, Stephen,
1) Minnesota Reports, 27, 102 — 107.
2) Federal Reporter, 14, 114 — u8.
- 653 -
Smith usw. einerseits und Kennedy anderseits eingelassen
habe, tatsächlich bestätigten. „Der Kläger," fuhr das
Protokoll fort, „entwarf einen Plan, um das große Eisen-
bahngeschäft, das zu schützen seine Pflicht war, zum Zu-
sammenbruch zu bringen. Dadurch, daß er unter diesen
Umständen an seiner Pflicht zum Verräter wurde, ist,
nach seiner Auffassung, diese ungeheuer große Eisenbahn-
besitzung erworben und ein Gewinn von 15 Millionen
Dollar oder mehr gemacht worden^).
Der Gerichtshof sagte weiterhin, daß Farley für seinen
Treubruch einen Teil der Beute erhalten sollte und daß
seiner Klage der Umstand zugrunde lag, daß seine Ver-
bündeten den betrügerischen Kontrakt nicht anerkannt
hätten. Da sie sich weigerten, die Beute zu teilen, hatte
er die Hilfe des Gerichts nachgesucht, um sie dazu zu
zwingen — eine sehr seltsame Forderung, sagt das Protokoll,
für die Entscheidung irgendeines Gerichtshofes. Was
Kennedys Rolle bei dem Unternehmen betrifft, so stellt
das Protokoll fest : „Es wird indessen auch die Beschuldigung
erhoben, und man mag dies immerhin als richtig unter-
stellen, daß Mr. Kennedy, der Agent des Amsterdamer
Komitees, von dem Kläger (Farley) während der Durch-
führung des Planes benachrichtigt wurde, daß er, der Kläger,
im geheimen seine Pflicht verletze" 2). Das Protokoll schloß
damit, daß es sagte, Farleys Veranlassung zum Prozeß
gründe sich auf „angeborene Verderbtheit" und die Ge-
richtshöfe würden keinen solchen Prozeß als rechtskräftig
anerkennen^).
Farley besteht auf seinem Beuteanteil
Farley brachte den Fall bis vor den Obersten Gerichts-
hof der Vereinigten Staaten. Dieser Gerichtshof entschied
im Oktober 1886, daß der in dem Unteren Gerichtshof
vorgebrachte Einwand ungenügend sei, insofern er keine
Untersuchung der Tatsache angestellt habe. Der Fall
^) Federal Reporter 14, 117.
2) Ebenda. ») Ebenda. 117.
- 6s4 -
wurde mit Anweisungen tür eine neue Untersuchung an
das Untergericht zurückverwiesen^).
Der Prozeß kam daher wieder vor das Bundesgericht der
Vereinigten Staaten in St. Paul, diesmal im September 1889.
Die Darstellung des Falls durch diesen Gerichtshof lautet :
„Im Jahre 1876 war der Kläger, Farley, eingesetzt von
diesem Gerichtshofe, behördlicher Verwalter des Eigentums
der St. Paul und Pacific-Eisenbahn und auch Hauptleiter
der Linien der ersten Abteilung der St. Paul und Pacific-
Eisenbahngesellschaft . . . Mehrere Serien Hypotheken-
scheine, zum großen Teil in holländischem Besitz, waren
im Verkehr. Der Kläger behauptet, daß er und die Ver-
klagten Kittson und Hill ein Abkommen trafen, um diese
Obligationen oder den größten Teil davon zu erwerben
und sie bei Verfallserklärung der Hypotheken zur Er-
werbung der Eisenbahn zu benutzen. Die Verklagten
sollten das dazu nötige Kapital liefern und der Kläger Tat-
sachen, Informationen und Beistand. Sicher ist, daß die
Obligationen von den Verklagten Hill und Kittson und
zwei Genossen gekauft wurden, die Verfallserklärung aus-
geführt und der Eisenbahnbesitz erworben wurde 2)."
Es fragte sich nun, erklärte der Gerichtshof, ob ein solches
Abkommen getroffen worden sei und, wenn es getroffen
worden sei, ob es gegen die öffentliche Wohlfahrt verstoße.
Farley sagte aus, daß ein mündliches Abkommen ge-
troffen sei, und seine Aussage wurde durch seinen Sekretär
Fisher bestätigt. Hill leugnete es, und was Kittson betraf,
so war er gestorben, ehe seine Aussage entgegengenommen
werden konnte. Verschiedene Briefe aus Farleys Korre-
spondenz mit der Bankfirma John S. Kennedy & Co.
wurden demy Gericht vorgelegt und den gerichtlichen
Protokollen eingefügt. Einer dieser, von Farley am 23. Mai
1879 an John S. Barnes, ein Mitglied der Firma Kennedy,
geschriebenen Briefe lautete:
„Seit der Wahl von Bigelow und Galusch als Direktoren
der neuen Gesellschaft, Männern ohne Geld, Eisenbahn-
erfahrung oder Einfluß, und nach meiner Kaltstellung bin ich
zu dem Schluß gezwungen, daß meine Zeit und Ansprüche
^) United States Reports, Bd. 120, 303—318. ^) Federal Reporter, 34, 514.
- 655 -
bei der St. Paul und Pacific vorbei sind, ich erwartete
Besseres von Hill und Kittson. Ich sprach mit Jim Hill
gestern abend. Er leugnet, daß er irgendwelche Absicht
habe, meine Ansprüche unbeachtet zu lassen, aber er ist
solch ein Lügner, man kann ihm nicht glauben. Jeder
Mensch in St. Paul wundert sich, wie Jim Hill Mr.
Stephens behandelt. Er ist allgemein als der größte
Lügner im Staate bekannt. Mr. Kittson hat mir immer und
immer wieder gesagt, Jim Hill sei der schlechteste Mensch,
den er jemals gesehen habe. Upham, P. H. Kelly, Thomp-
son und tatsächlich jeder Bürger in St. Paul, wenn sie sich
nur frei aussprächen, würden alle dieselbe Geschichte
erzählen. Du mußt mich nicht tadeln, wenn ich versuche,
mit Jim Hill klar zu werden, ehe ich hier fortgehe^)."
Bei der Entscheidung des Falles sagte Richter Brewer,
er glaube nicht, daß solch ein Abkommen getroffen
worden sei, und er gründete seinen Glauben auf folgende
eigentümliche und sehr amüsante Erwägung: „Ist es
wahrscheinlich," schreibt er über Farley, „daß ein Mann
in einer solchen Lage, mit seinen jahrelangen Erfahrungen
in Zwangsverkäufen von Eisenbahnen und mit solcher
Verpflichtung den Inhabern von Obligationen gegenüber
sich auf ein geheimes Abkommen mit einer dritten Partei
zum Aufkauf der Obligationen einlassen würde — auf ein
Abkommen, bei welchem es in seinem Interesse liegen
würde, den Marktpreis der Obligationen herunterzudrücken ?
Ist es wahrscheinlich, daß ein solcher Mann mit Über-
legung einen Schatten auf den Bericht über sein Leben
werfen würde?" usw. usw.^). Natürlich nicht.
*) Federal Reporter, 34, 521. Einer von Hills Lobrednern schrieb in einer im
ganzen sehr überschwenglichen „Biographie", die in der New Yorker „Tribüne"
in der Nummer vom 7. April 1907 veröffentlicht wurde, folgendermaßen über
Hill: „Mr. Hill hat im Nordwesten den Ruf, ein sehr harter Geschäftsmann zu sein . .
Er hat niemals mit irgend jemand Geduld gehabt, der nicht unermüdlichen Fleiß
und Selbstverleugnung an den Tag legte. Aus diesem selben Charakterzug ist bei
den Eisenbahnleuten die Überzeugung entstanden, daß „Jim" Hill der härteste
Mann im Geschäft ist, für den man arbeiten kann. Für ihn hat es nie eine Ruhezeit
gegeben. Gerade jetzt ist er, wenn Arbeit zu tun ist, in den Nächten und an Sonn-
tagen tätig. Mit denjenigen seiner Angestellten, die es nicht vergessen konnten,
daß es so etwas wie Geschäftsstunden und Feiertage gibt, ist nie lange gefackelt
worden." ^) Federal Reporter, 39, 516.
- 6^6 -
Wieder brachte Farley den Fall vor den Obersten Ge-
richtshof der Vereinigten Staaten. Dieser Gerichtshof hielt
im Oktober 1893 die Entscheidung des Bundesgerichts, daß
Farley seinen Anspruch nicht bewiesen habe, aufrecht^).
Nach dreizehnjährigem Rechtskampfe war Farley nicht
imstande, einen einzigen Dollar einzutreiben.
Hill und seine Partner werden große Würdenträger
Von den Männern, die, wie Farley behauptete, mit ihm
eine böswillige Verabredung getroffen hatten, oder von
denen man behauptete, daß sie aus seiner Pflichtverletzung
Nutzen gezogen hatten, wurde Hill der große Multimillio-
när-Selbstherrscher des Nordwestens, und Stephen und
Smith erhielten von der britischen Krone den Adel —
Stephen als Lord Mount Stephen, Ritter des Großkreuzes
des Königlichen Viktoria-Ordens usw., und Smith als Lord
Strathcona, Ritter des Ordens von St. Michael und St.
George 2) usw. Kennedy erhob sich zu der Stellung eines
Multimillionärs; als er am 31. Oktober 1909 starb, hinter-
ließ er ein auf 30 — 60 Millionen geschätztes Vermögen, zu
welchem Aktien der Great Northern-Eisenbahn im Werte
von sieben Millionen Dollar gehörten, die zum größten
Teil gerade zu der Zeit erworben worden waren, als er
seine Klienten, die holländischen Kapitalisten, betrog. Er
besaß auch 10 Millionen Aktien der Northern Pacific-Eisen-
bahn, die er ungefähr zu der Zeit erwarb, als die Northern
Pacific-Eisenbahngesellschaft, wie wir sehen werden, vom
Kongreß durch Bestechung große Landbewilligungen er-
langte und dem Staatsgute ausgedehnte Minerallager stahl.
In den späteren Jahren seines Lebens gab Kennedy einige
wenige Millionen für „philanthropische Zwecke" her und
wurde als „ein großer Philanthrop" gepriesen. Sein Testa-
ment enthüllte, daß er philanthropischen und Erziehungs-
anstalten mehrere Zehnmillionen vermachte.
Dieses nur als vorübergehende Erklärung. Um jedoch
mit der Geschichte von Hills Vermögen fortzufahren:
Hill und seine Gesellschafter erwarben weitere Privilegien
1) United States Reports, Bd. 150, 572—577. «) Siehe: „Burke's Passage".
- 657 -
und -besondere Gesetze, bauten Ergänzungsbahnen und bil-
deten aus den Eisenbahnen, die sie erworben, und aus den
Erweiterungen, die sie gebaut hatten, die Great Northern
Eisenbahn. Die gesetzgebenden Körperschaften des Nord-
westens wurden mit Bestechungsgeldern überschüttet, wenn
auch niemals ausdrücklich bewiesen worden ist, daß Hill
sie verteilt hatte. Die ganze Zeitungspresse erhielt Unter-
stützungen, und große und kleine Städte und Kreise
wurden bewogen, Dotationen und Freiheiten aller Art zu
gewähren. So allgemein war diese Korruption, daß im Jahre
1883 einige dagegen protestierende Mitglieder des Senats
von Minnesota eine Resolution einreichten, die ange-
nommen wurde und in deren Begründung es hieß:
„Da der Erwerb und Besitz großer Anteile an Eisen-
bahnen mit staatlicher Landbewilligung, an Staatskon-
trakten und andern von der allgemeinen Regierung unter-
stützten Unternehmungen durch hohe Beamte der Bundes-
regierung solche Beamte in Situationen bringt, in denen
sie den staatlichen Interessen nicht treu dienen können,
ohne ihre Privatinteressen zu opfern; und
„Da das in dieser Weise von öffentlichen Beamten er-
worbene Geld gewöhnlich dazu benutzt wird, die Quellen
politischen Einflusses zu vergiften und den Ausdruck der
wahren Gefühle des Volkes zu verhindern, und
„D a man behauptet, daß bei der letzten Wahl zum Senat
gewisse Mitglieder dieser gesetzgebenden Körperschaften
in ungeziemender und korrupter Weise durch Verspre-
chungen von Geld, öffentlichen Ämtern oder anderen wert-
vollen Sachen zugunsten gewisser Kandidaten beeinflußt
worden sind."
Schließlich verlangte die Resolution die Einsetzung einer
besonderen Untersuchungskommission von sieben Mit-
gliedern. Der Bericht dieser Kommission deutete, ob-
wohl er weißwaschend und parteiisch war, doch auf einen
schrecklichen Zustand von Korruption hin."
Die Bedeutung dieser Korruption, die sich mehrere auf-
einanderfolgende Körperschaften von Minnesota gestatteten,
wird besser verstanden werden, wenn man unter den zahl-
reichen charakteristischen Episoden eine näher betrachtet.
42
- 658 -
Am I. März 1877, als die allgemeine Empörung 'über
die von Rüssel Sage und seiner Clique ausgeführten Räube-
reien und widerrechtlichen Aneignungen auf dem Höhe-
punkt war, hatten die gesetzgebenden Körperschaften von
Minnesota verfügt, daß die St. Paul- und Pacific-Eisenbahn-
gesellschaft kein „direktes oder indirektes" Anrecht auf
irgendwelches Land haben sollte, auf dem sich Ansiedler
in gutem Glauben niedergelassen hatten. Da ein ge-
wisser Teil der Eisenbahn nicht bis zum November 1878
fertiggestellt worden, waren die Bestimmungen des Kon-
greßgesetzes vom 22. Juni 1874 verletzt. Dieses Gesetz
hatte den Termin für die Fertigstellung bis zum 3. März
1876 hinausgeschoben; sonst sollte die Landbewilligung
verfallen sein^). Aber der Oberste Gerichtshof der Verei-
nigten Staaten entschied in hilfsbereiter Weise, daß eine
bloße Übertretung der Bestimmungen des Kongreßgesetzes
an sich noch nicht einen Verfall der Landbewilligung mit
sich bringe; entweder der Kongreß oder die gesetzgebenden
Körperschaften von Minnesota müßten ein besonderes
Verfahren zur Erklärung des Verfalls einleiten"). Daher
mußten Hill und seine Gesellschafter vor allem den Kongreß
und die gesetzgebenden Körperschaften von Minnesota
verhindern, ein den Verfall aussprechendes Gesetz zu er-
lassen; und sie hatten Erfolg.
Gewaltsame Vertreibung von Ansiedlern in Dakota
Nachdem Hill die Herrschaft über die St. Paul- und
Pacific-Eisenbahn unter dem Namen der St. Paul, Minnea-
polis und Manitoba- Eisenbahn erlangt und ihren Namen
in Great Northern-Eisenbahn umgewandelt hatte, erhob
er im Jahre 1884 den Anspruch auf fünfundsechzigtausend
Morgen Land in Dakota. Vor dem Jahre 1884 hatte
die Gesellschaft niemals einen Anspruch auf dieses Land
erhoben. Der Anspruch gründete sich auf das alte Land-
bewilligungs-Gesetz vom Jahre 1857, das erlassen war, als
^) Senate Executive Documents, First Session, Fifty-second Congress, 1891
bis 1892, Bd. 5, Doc. Nr. 67. ^) Gase of St. Paul, Minneapolis and Manitoba
Railroad Co. vs. Charles and Jame» Greenlaugh, March 2, 1891.
- 659 -
Dakota noch einen Teil von Minnesota bildete. Jahrelang
war das Land an dem Red River in Dakota eine Wildnis
geblieben, bis sich Farmer dort angesiedelt und es in einen
der reichsten Ackerbaudistrikte des Westens verwandelt
hatten. Das Oberlandamt nahm als selbstverständlich an,
daß dieses Land nicht der Eisenbahngesellschaft gehöre,
und hatte den Ansiedlern das volle Besitzrecht gegeben.
Im November und Dezember 1891 herrschte heftige
Aufregung unter den Farmern im Red River -Tal. Die
Great Northern-Eisenbahngesellschaft hatte eine Verfügung
erlassen, die die Farmer zwang, das der Gesellschaft ge-
hörende Land bis zum 15. Dezember zu räumen. Diese
Verfügung gründete sich auf eine Entscheidung des Obersten
Gerichtshofes der Vereinigten Staaten, die aussprach, daß
sich die Landbewilligung der Gesellschaft auf das Terri-
torium von Dakota erstrecke — jetzt die Staaten North
Dakota und South Dakota*). Diese Entscheidung gab der
Gesellschaft einen Teil des fruchtbarsten und wertvollsten
Gebietes in Dakota. Fraglos war dieses Land, selbst wenn
sich die ursprüngliche Landbewilligung von dem Red River
nach Westen ausgedehnt hätte, nach den Kongreßgesetzen
längst verfallen. Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten
Staaten setzte sich jedoch in mehreren aufeinanderfolgen-
den Entscheidungen über die ausdrücklichen Gesetze des
Kongresses hinweg. Die Great Northern-Eisenbahn be-
gann darauf mit der gewaltsamen Vertreibung der Farmer
innerhalb ihrer Landbewilligung. Dieser Befehl der Ge-
sellschaft traf die Ansiedler wie ein Donnerschlag. Viele
hatten zwanzig Jahre lang auf diesem Lande gewohnt.
Die Ansiedler wandten sich an den Kongreß. Diese
Körperschaft erließ ein Gesetz, das der Eisenbahngesellschaft
gestattete, an Stelle der besiedelten Ländereien ein gleich-
großes Landgebiet zu wählen. Dieses Gesetz war, obgleich
es dem Anschein nach zum Besten der Ansiedler erlassen
war, genau das, worauf die Great Northern-Eisenbahn-
gesellschaft wartete. Das von der Gesellschaft aufgegebene
Land war kein Mineralgebiet; das Kongreßgesetz setzte
1) United States Reports, Bd. 137, 528.
42*
- 66o -
daher voraus, daß die zum Ersatz anderswo gewählten
Ländereien auch kein Mineralgebiet sein sollten. Aber
nachdem der Tausch gemacht war, zeigte es sich, daß die
Gesellschaft die wertvollsten Holzgebiete in Idaho, Montana
und Washington gewählt hatte — Ländereien, die sehr viel
mehr wert waren als die in Dakota — , und daß sich in
einigen dieser Gebiete unter den Wäldern reiche Mineral-
lager befanden. Der Kommissar des Oberlandamtes war
zu jener Zeit, wie wir in einem früheren Kapitel bemerkt
haben, T. H. Carter. Sein gutachtlicher Bericht war für
Hill, den Beherrscher der Politik des Nordwestens, so be-
friedigend, daß die gesetzgebenden Körperschaften von
Montana die Erlaubnis erhielten, Carter in den Senat der
Vereinigten Staaten zu schicken, dessen hervorragendes
Mitglied er jetzt ist.
Hills Eisenerzlager
Hill besitzt persönlich sehr große Eisenerzlager in Minne-
sota. Der Wert dieser Lager wird allgemein auf wenigstens
eine Milliarde Dollar geschätzt. Im Jahre 1906 verpachtete
er an den Stahltrust einen nur kleinen Teil dieser Lager
auf einen Zeitraum von fünfundzwanzig Jahren auf der
Grundlage von Ertragsabgaben, wobei sich die Zahlungen
im ganzen auf mehrere Zehnmillionen Dollar beliefen. Wie
er diese Lager erwarb, ist in den amtlichen Dokumenten
nicht klar ausgesprochen. Wir haben in früheren Kapiteln
gesehen, daß die vom Kongreß verliehenen ursprünglichen
Landbewilligungen, so korrupt auch die Umstände bei der
Durchbringung der verschiedenen Gesetze waren, niemals
Kohlen-, Eisen- oder andere Minerallager einschließen
sollten. Aber auf Grund betrügerischer Auslegungen der
Gesetze durch Landkommissare und Gerichtshöfe wurde
bestimmt, daß Kohlen- und Eisengebiete nicht in die Be-
deutung des Wortes Mineral eingeschlossen sein sollten.
Nach Senator Pettigrews Auffassung erwarb Hill große
Eisenlager in Minnesota durch privaten Kauf. Hierfür
besaß er reichliches Kapital, bis zu Hunderten von Millionen
Dollar. Dieses Geld entstammte den St. Paul und Pacific-
- 66i -
Eisenbahngeschäften wiederholter ungesetzlicher Vermeh-
rung des Aktienumlaufes und dem aus seinem Eisen-
bahnnetz gezogenen übermäßigen Gewinn — einem Ge-
winn, der für die Leute des Nordwestens schrecklich
drückend war. Senator Pettigrew schreibt über Hills Er-
werb dieser Eisenlager: „Das Eisen lagerte unter Fichten-
wäldern, und die Holzgesellschaft hatte einen Holzweg
angelegt, um die Fichten herauszuschaffen; nachdem
sie die Fichten geschlagen hatte, verkaufte sie den Weg
und das Land zu einem, wie sie glaubte, übertrieben hohen
Preise an Mr. Hill, aber es erwies sich, daß sich unter dem
Lande ausgedehnte Eisenerzlager befanden. Ich glaube,
Mr. Hill schätzt die Gruben auf fünfhundert Millionen
Tonnen^)." Wenn dieser Bericht wahr ist, kann man mit
Sicherheit annehmen, daß Hill die Art des Landes kannte,
ehe er es kaufte; vom geschäftlichen Standpunkt beurteilt,
war es ein sehr schlaues Unternehmen.
Diese Annahme wird durch die Tatsachen, die in einem
von H. W. Pearson, einem Geologen aus Duluth, gegen
Hill und die Great Northern -Eisenbahngesellschaft am
29. Januar 1901 in St. Paul angestrengten Prozeß auf-
gedeckt wurden, bestätigt. Die Summe, um die es sich bei
dem Prozeß handelte, wurde auf 14 Millionen Dollar
angegeben, den angeblichen Wert des Besitztums, das
Hill und seiner Eisenbahn gehörte und von ihnen in Besitz
genommen war, nachdem Pearson es entdeckt hatte. In
*) In einem Privatbrief an den Verfasser erzählt. In früheren Kapiteln diese«
Buches haben wir gesehen, wie große, den Kanalgesellschaften als angeblich sumpfiges
Gebiet gewährte Landstriche so betrügerisch vermessen wurden, daß sie einige
der allerreichstcn Kupferlager im Nordwesten einschlössen. Dasselbe traf für
einige der Landbewilligungen an Eisenbahngesellschaften auf Eisenerzlager zu.
Man kann nicht behaupten, daß denjenigen, die aus diesen Betrügereien Nutzen
zogen, die Tatsache unbekannt war, daß die von ihnen auf so betrügerische Art
erworbenen Ländereien Kupfer- und Eisenerzlager enthielten. Mehrere Berichte
von geologischen Sachverständigen der Regierung hatten die Ausdehnung und
Lage dieser Minerallager beschrieben. Ein umfangreicher Bericht im besonderen
war der von den Regierungsgeologen der Vereinigten Staaten J. W. Foster und
J. D. Whitney erstattete. Er wurde im Jahre 185 1 veröffentlicht und enthielt
ausführliche Beschreibungen über die besondere Art der Mineralgebiete. Er
beschrieb besonder« die Eisenerzlager in der Gegend des Lake Superior als solche
von beinahe beispielloser Reinheit. — U. S. Senate Document«, Special Session
32. Congre««, 1851, Bd. III, Doc. No. 4.
- 662 -
seiner Klage behauptete Pearson, daß diese Minerallager
von ihm auf einen Kontrakt mit Hill hin, wonach er
— Pearson — einen Anteil an dem Gewinn haben sollte,
festgestellt worden seien. Pearson behauptete weiter, daß
er im Jahre 1 896 von Hill angestellt worden sei, um Kohlen-
und Eisenlager in den Staaten Washington und Montana
festzustellen, daß er die Lager gefunden habe, daß unter
seiner Leitung das Hillsche Geschäft Tausende von Morgen
wertvollen Landes erwarb und daß er, als er seinen An-
spruch auf einen Anteil geltend machte, beiseite geschoben
wurde. Von der endgültigen Entscheidung in diesem
Prozeß erscheint kein Protokoll in den zugänglichen ge-
richtlichen Dokumenten.
Wenn jedoch die von der Great Northern-Eisenbahn
zur Aneignung von Mineralländereien benutzten Methoden
dieselben waren, die die Northern Pacific-Eisenbahn an-
wandte, dann ist ihre Art klar. Die zuletzt genannte Eisen-
bahn gehörte ursprünglich nicht Hill, aber jetzt haben er
und die mit ihm Verbündeten sie in ihrem Besitz. „Das
Reinergebnis," sagt Moody, „des Ringes der Northern
Pacific-Bahn und des Northern Securities-Zwischenf alles ^)
bestand darin, daß die Hill-Interessenten in unbestrittener
Herrschaft über die drei großen Eisenbahnnetze bleiben,
die jetzt als Hill -Besitz bezeichnet werden, nämlich über
die Northern Pacific, die Great Northern und die Chikago,
Burlington und Quincy, die zusammen über 18 000 Meilen
Eisenbahnlinien darstellen 2)."
Die Northern Pacific-Eisenbahn
Die Northern Pacific-Eisenbahn erhielt ihre Privilegien
im Jahre 1864. Durch ein Kongreßgesetz vom 2. Juli dieses
Jahres erhielt sie das Wegerecht durch öffentliches Gebiet,
das Recht, den Staatsländereien Baumaterial zu entnehmen,
und ein ungeheuer großes Gebiet der öffentlichen Lände-
reien in Montana, Idaho und andern Teilen des Nordwestens.
Diese enormen Privilegien und Bewilligungen wurden ihr
^) In einem der Kapitel über J. Pierpont Morgan beschrieben.
2) „The Romance of the Railways", „Moody's Magajdne", Julinummer 1908, 17.
-663 -
zu eben derselben Zeit erteilt, als die Union Pacific-Eisen-
bahn und andere mit Landbewilligungen und Subsidien
ausgestattete Eisenbahngesellschaften den Kongreß be-
stachen. Alles in allem erhielt die Northern Pacific-Eisen-
bahn ungefähr 57 Millionen Morgen öffentlichen Landes.
Was dann in der Geschichte der Northern Pacific-Eisen-
bahn folgt, war dasselbe wie bei allen andern Eisenbahnen.
Sie wurde nacheinander von verschiedenen Kapitalisten-
gruppen ausgeplündert. Einer der Kapitalisten, der die
Northern Pacific-Eisenbahn einige Jahre lang machtvoll
beherrschte, war Henry Villard, ein Mann von bemerkens-
wertem Charakter und Unternehmungsgeist. Verschiedene
kapitalistische Parteien bekämpften ihn heftig und suchten
ihn aus der Herrschaft über die Northern Pacific-Eisenbahn
und andere Eisenbahnen im Nordwesten zu vertreiben.
In seinen „Memoiren" erzählt Villard von einer macht-
vollen, im Jahre 1889 gegen ihn aufgestellten Vereinigung,
die von Hill und großen Finanzgesellschaften gebildet war.
Vier Jahre später wurde Villard von seinen Gegnern an-
geklagt, große Vorteile dadurch erlangt zu haben, daß er
als Privatperson „halb wertlose" Eisenbahnen in Manitoba
und sonstigen Gegenden kaufte und sie dann zu enorm
hohen Preisen auf die Northern Pacific-Eisenbahn „ablud",
die er als Teilhaber der Korporation beherrschte. Soweit
die gerichtlichen Protokolle die Tatsachen andeuten,
scheinen diese Behauptungen zu einem Plane gehört zu
haben, Villards Ruf zu schädigen und seinen Sturz herbei-
zuführen; als über diese Anklagen von den Gerichtshöfen
entschieden wurde, wurde Villard persönlich gerecht-
fertigt. Aber daß der Eisenbahnschatz von früheren
Kapitalistengruppen geplündert worden war, ist vollständig
klar; streitende Parteien machten einander beständig für
Gründungen, Erweiterungen und Unternehmungen ver-
antwortlich, die zum großen Teil zu dem besonderen Zweck
ersonnen wurden, sich große Beutemassen anzueignen.
So widersprechend und verwickelt waren diese Beschul-
digungen und Gegenbeschuldigungen, daß es nicht leicht
ist, die relative, viel weniger noch die absolute Wahrheit
festzustellen. Gewisse kapitalistische Gegner Villards waren
- 664 -
wegen ihrer iDÖsen Vergangenheit besonders berüchtigt;
so sehr, daß von ihnen ausgehende Anklagen von der All-
gemeinheit mit Mißtrauen und zynischer Skeptik aufge-
nommen und von den Gerichtshöfen im besondern aus
materiellen Gründen abgewiesen wurden.
Jahrelang wurde leidenschaftlich gekämpft, um Villard
aus der Herrschaft zu vertreiben.
Große Diebstähle von Mineralgebieten
Während der Zeit, in der verschiedene Kapitalisten die
Northern Pacific-Eisenbahn beherrschten, waren die Dieb-
stähle von Mineralgebieten so ausgedehnt, daß sowohl der
Kongreß wie der Staat Montana gezwungen waren, Unter-
suchungen anzustellen. Die Einwohner von Montana
waren über den Anspruch der Eisenbahn auf Land, das die
allerreichsten Gold-, Silber-, Blei- und Kupfergruben, im
besonderen die den Ruhm Montanas bildenden großen
Kupferlager enthielt, sehr erregt. In der Tat waren die
Leute des ganzen Westens tief erregt, denn wenn die Ge-
richtshöfe schließlich das Vorgehen der Northern Pacific-
Eisenbahn unterstützen sollten, dann konnten alle andern
Pacific-Eisenbahnen den gleichen Anspruch auf alle Gruben
und Minerallager innerhalb ihrer Landbewilligungen
erheben. Schon im Jahre 1890 hatte der Oberste Ge-
richtshof der Vereinigten Staaten eine provisorische Ent-
scheidung erlassen, die den Anspruch der Northern Pacific-
Eisenbahn, daß ,,nur das Mineralgebiet, das zur Zeit
der Landbewilligung als mineralisch bekannt war'*, von
der Landbewilligung ausgenommen sein solle, unter-
stützte.
Der Trans-Mississippi-Kongreß, der im Mai und Oktober
1891 in Denver zusammentrat, nahm Resolutionen an, die
erklärten :
„Da dieser Ausspruch des Obersten Gerichtshofes, sollte
er Gesetz werden, die im Besitz von Landbewilligungen
befindlichen Pacific -Eisenbahngesellschaften mit einer
großen Anzahl bester Gruben belehnen würde, die innerhalb
der Grenzen besagter Bewilligungen von Schürfern und
- 665 -
Bergleuten entdeckt sind, die sich darauf in gutem Glauben
angesiedelt, sie aufgeschlossen und verkauft haben in dem
ehrlichen Glauben, daß besagte Landbewilligungen sich
auf Ackerland beschränkten, laut den Kongreßgesetzen,
durch die sie verliehen wurden; und
„Da die Bürger der Vereinigten Staaten für die Auf-
schließung von Gruben auf besagten Ländereien, die nach
dem Termin der besagten Bewilligungen entdeckt worden
sind, Millionen Dollar angelegt haben; und
„D a diese neugebildete Auslegung besagter Landbewilli-
gungen zur Konfiskation privaten Eigentums und zur
Beraubung einzelner Personen zugunsten besagter Eisen-
bahngesellschaften in einem bisher nicht dagewesenen Um-
fang, sowie zur Einbringung von Klagen führen muß, um
den Wert der bis dahin auf besagtem Lande geschürften
Erze wiederzuerlangen, die, wenn erfolgreich, einen großen
Teil unserer Bürger in Mangel und an den Bettelstab
bringen müssen; und
„Da, wenn besagte Auslegung rechtsverbindlich wird,
sie, zum offenbaren Schaden des Volkes, große Gebiete
Minerallandes dem Markte, entweder zu späterer Erfor-
schung oder zum Kaufe, entziehen wird. Daher sei es
„Beschlossen, daß der Kongreß gegen jede Auslegung
der Gesetze der Vereinigten Staaten protestiert, die zu
einem solchen System der Konfiskation im großen und zu
der daraus folgenden Bereicherung großer, die Großmut
der Regierung schon genießender Verbände führen muß,
und die im Kongreß versammelten Vertreter des Volkes
auffordert, schnell und unverzüglich Maßregeln innerhalb
ihres unmittelbaren verfassungsmäßigen Vorrechtes zu er-
greifen, um diese drohende Gefahr zu zerstören."
Zur selben Zeit berichtete Martin Maginnis, der Kom-
missar für Mineralland in Montana, an Gouverneur Toole,
daß die
,, große Landbewilligung der Northern Pacific -Eisen-
bahngesellschaft sich in einem mit Einschluß des wieder-
erstatteten Landes beinahe einhundertundzwanzig Meilen
breiten und über siebenhundert Meilen langen Gürtel von
der östlichen bis zur westlichen Grenze des Staates Montana
- 666 -
erstrecke. Der Kongreß, der diese Korporation ins Leben
rief, gab ihr eine Hälfte der Ländereien in diesen Grenzen,
schloß dabei aber sorgfältig alles Mineralland aus und be-
tonte diesen Ausschluß von der Landbewilligung dadurch,
daß er der Gesellschaft für solche Ländereien, die sich
möglicherweise als mineralisch erweisen sollten, Entschädi-
gung gewährte. Bis dahin war nur wenig geschürft worden;
man wußte sehr wenig von der Beschaffenheit dieser Län-
dereien. Alle Entdeckungen von Mineralland mußten noch
erst gemacht, die Gruben auf ihm erschlossen und diese
schließlich von der Landbewilligung der Gesellschaft ab-
gesondert und die Gesellschaft dafür mit anderem nicht-
mineralischen Lande entschädigt werden.
„Nichts könnte einfacher erscheinen als die Tatsache,
daß der Ausschluß zu der Landbewilligung gehörte und
einen Teil von ihr bildete und daß spätere Erforschung,
Vermessung und Feststellung notwendig sein würde, um
das nichtmineralische Land, das Eigentum der Gesell-
schaft werden würde, und das mineralische Land, das reser-
viert bleiben sollte, um nach den Bergwerksgesetzen der
Vereinigten Staaten dem Schürfer und dem Bergmann
immer offen zu stehen, zu bestimmen.
„Hätte die Bahn ebensoschnell genau abgesteckt und durch
das Land gebaut werden können, wie das Privilegium beirii
Kongreß durchgebracht wurde, so würde es der Zukunft
überlassen geblieben sein, den Charakter des Landes dar-
zutun; und hätte die Gesellschaft damals auf Grund einer
fertigen Bahnlinie das ganze vermessene und unvermessene,
unerforschte und bergbaulich ununtersuchte Land bean-
sprucht, so würde diese Gesellschaft einfach alles bekommen
haben ; denn die Entdeckungen von Mineralien sind alle erst
späterhin gemacht worden. Erst später wurde der dreiste
Anspruch erhoben, daß Gebiete, die damals oder an einem
bestimmten Datum nicht als mineralisch bekannt waren,
deshalb nicht-mineralisch seien und infolgedessen an die
Gesellschaft übergingen."^)
Der Kommissar für Mineralland Maginnis behandelte
^) Annual Report of the Mineral Land Commissioner for the State of Montana,
for the Year Ending November 30, 1891. Helena, Montana, 1892, 3—4.
- 66-] -
dann ausführlich das lange Zögern der Unternehmer der
Northern Pacific -Eisenbahn beim Bau der Eisenbahn —
ein Zögern, durch das, wie er schrieb,
,,sie einen der Hauptzwecke ihrer Schöpfung und das
anständige Verdienen jenes Teiles ihrer Ausstattung ver-
fehlte, der dazu dienen sollte, ihre Fertigstellung wenigstens
fünfzehn Jahre vor der Zeit, als sie zu uns kam, sicherzustellen,
zu uns, die wir in sehnsüchtigem Warten auf ihr Kommen
das Land ohne ihre Hilfe in Besitz genommen, unterworfen
und zum Teil erschlossen haben. Man hat es sich niemals
träumen lassen, daß die Eisenbahngesellschaft zu irgend-
einer Zeit ihres Daseins einen Anspruch auf die Mineral-
gebiete erheben würde, die von der Bewilligung in der
Bewilligungsakte selbst durch besondere Vorbehalte aus-
geschlossen waren, Vorbehalte, die von der Bewilligung un-
trennbar und von gleicher Dauer sein sollten wie die Be-
willigung selbst.
„Der Kongreß hatte kein Tribunal eingesetzt, um zu ent-
scheiden, welche Gebiete mineralisch und welche nicht-
mineralisch seien. Er überließ dies der Exekutivabteilung,
welche die Kontrolle über Verkauf, Vermessung und
Klassifikation alles Staatslandes, hat. Ein großer Teil des
Landes innerhalb der Grenzen der Bewilligung ist von der
Regierung niemals vermessen oder in irgendeiner Weise
untersucht, einer Schürfung unterworfen oder klassifiziert
worden. Die Arbeit und Mühe des freiwilligen Schürfers
und des Bergmanns haben allein bekannt gemacht, welche
Gebiete mineralisch sind und welche nicht.
„Plötzlich wurde der erstaunliche Anspruch erhoben, daß
alle diejenigen Teile des Landes, die an einem bestimmten
Datum noch nicht als mineralisch anerkannt worden waren,
als nichtmineralisch angesehen und Eigentum der Nor-
thern Pacific -Eisenbahn werden sollten, trotzdem der
Freibrief selbst ausdrücklich aussprach, daß solche Gebiete
niemals ihr Eigentum werden und daß die Gesellschaft an
ihrer Statt andere Ländereien nehmen sollte, um die Ge-
samtmenge zu erreichen, die sie beanspruchte.
Es ist einleuchtend, daß weder nach Gesetz noch nach
Billigkeit irgendeine Berechtigung zu einem solchen An-
- 668 -
Spruch bestehen und die Gesellschaft auf Umwegen jene
Ländereien erlangen könnte, die ausdrücklich von der
Bewilligung ausgeschlossen und nach der wohldefinierten
Politik der Vereinigten Staaten, wie sie in ihren Gesetzen
über die Verteilung von Mineralländereien niedergelegt
ist, dem Schürfer und dem Bergmann offen gehalten wer-
den. Aber nach gewissen Auslegungen gewisser Fälle durch
einige Gerichtshöfe erhob die Gesellschaft ihre Ansprüche
nicht nur auf die Mineralländereien, sondern auch auf die
Mineralien, die dort gewonnen worden waren. Sie focht die
Bewerbungen um Patente für Gruben an und klagte auf
Rückerstattung der diesen Gruben entnommenen Erze.
„Die Bewohner des Staates wurden allgemein durch den
Verlauf einer Sache, der ihre Interessen mit solchem Unheil
bedrohte, sehr beunruhigt, und da der Staat erkannte,
daß in dieser Beziehung arme Schürfer und Bergleute
ebensowenig wie reiche eine so mächtige Korporation er-
folgreich bekämpfen könnten, beschloß er, die Sache seiner
Untertanen zu seiner eigenen zu machen ; mit diesem Ziel
vor Augen erließen die gesetzgebenden Körperschaften fol-
gendes Gesetz"^) :
Hier folgten die besonderen Verfügungen dieses Gesetzes,
das die Interessen der privaten Bergleute schützen soUte.
Trotz der Annahme dieses Gesetzes fällten die unteren
Gerichtshöfe, deren Richter vielfach Eisenbahnanwälte
gewesen oder durch den Einfluß der Eisenbahngesellschaft
auf die Richterbank erhoben worden waren, eine Ent-
scheidung nach der anderen zugunsten der Northern
Pacific - Eisenbahn. Die Hauptgegner dieser Eisenbahn
waren große Kupfergesellschaften, wie z. B. die Gesell-
schaft, die die große, damals auf 25 Millionen Dollar ge-
schätzte Kupfergrube in Anaconda beherrschte. Diese
Gesellschaften hatten ihre Gruben zum großen Teil selbst
durch Betrug erworben. Aber auch Bergleute und Schürfer,
die in keiner Weise mit irgendwelchen betrügerischen
Operationen in Verbindung standen, wurden sehr beun-
ruhigt und mitunter auch die große Masse der Einwohner.
Nunmehr nahm im Washingtoner Repräsentantenhaus
*) Annual Report of the Mineral Land Commissioner, usw., 5 — 6.
- 669 -
der Ausschuß für öffentliche Ländereien diese Angelegen-
heit, die vorwiegend die Bevölkerung des Staates Montana
berührte, in die Hand. Villard, als Präsident der Finanz-
kommission der Northern Pacific - Eisenbahn , war mit
seinen Anwälten eifrig mit Beweismaterial beschäftigt.
„Mr. Henry Villard," so meldete der Bericht Maginnis,
„zog zunächst die Aufmerksamkeit der Kommission auf
sich. Er behauptete auch, daß die Gesellschaft nun voll-
ständig im Besitz des Rechtstitels auf die bestrittenen
Mineralgebiete sei. Er betrachtete dies nicht mehr als eine
offene Frage. Der Oberste Gerichtshof könne nur die
zahlreichen schon zugunsten der Eisenbahngesellschaft er-
teilten Entscheidungen bestätigen. Die Eigentumsrechte
der Gesellschaft seien außerhalb des Bereiches der Gesetz-
gebung; aber es läge ihm viel daran, daß diese Streitfrage
erledigt würde. Sie schädige die Bahn und die Gruben-
industrie, und er sei bereit, von selten seiner Gesellschaft
einen Vergleich anzubieten. Er sei autorisiert, der Kom-
mission einen Vorschlag zu unterbreiten. Die Gesellschaft
würde diesem Gesetz, der Vermessung und Klassifizierung
zustimmen und den Vereinigten Staaten alle Gebiete, die
so als Mineralland ausgenommen seien, zurückerstatten:
vorausgesetzt, daß die Gesellschaft dafür mit andern
Ländereien entschädigt würde, entweder durch die Er-
weiterung gegenwärtiger Entschädigungsgebiete oder durch
Auswahl sowohl aus den geradzahligen wie aus den ungerad-
zahligen Sektionen innerhalb der Landbewilligung^)."
Die Hauskommission für öffentliches Land berichtete,
daß in die Landbewilligung der Northern Pacific-Eisenbahn
die reichsten und am weitesten erschlossenen Gruben in
Montana und Idaho eingeschlossen seien. „In diese Land-
bewilligung sind auch Millionen Morgen Land eingeschlossen,
die noch nicht vollständig oder überhaupt noch nicht nach
Mineralien durchforscht sind; sie werden aber . . . wahr-
scheinlich Minerallager enthalten, die ebenso wertvoll sind
wie nur irgendwelche je entdeckte." Die Eisenbahngesell-
schaft behauptete, so hob die Kommission hervor, daß die
rechtskräftige Auslegung der Akte vom Jahre 1 864 der Gesell-
^) Annual Rep., Mineral Land Com., usw., 28.
— öyo —
Schaft alle Ländereien innerhalb der Schenkung gebe, die
zur Zeit der Akte, oder wenigstens zur Zeit, als die Gesell-
schaft den genauen Entwurf ihrer Route einreichte, nicht
als mineralisch bekannt waren.
„Dies," so fährt der Bericht fort „erscheint der Kom-
mission als ein höchst merkwürdiger Anspruch . . . Viele
der wertvollsten Gruben in Montana und die meisten aller
jener in Idaho sind nach dem Jahre 1882 entdeckt worden.
Die Gesellschaft, die mit ihrer ungeheuer großen Land-
bewilligung und andern, besonders von der Regierung er-
teilten Privilegien nicht zufrieden ist, versucht nun darauf-
hin, was im besten Falle eine Förmlichkeit ist, gerade die
Mineralgebiete, die ausdrücklich von der Bewilligung aus-
geschlossen sind, denen fortzunehmen, die sie entdeckt
und erschlossen haben^)."
Mittlerweile hatte jedoch die Northern Pacific-Eisenbahn
ihr Ziel erreicht. Während die Zeit mit Gerede und Be-
rufungen gegen richterliche Entscheidungen hingebracht
wurde, geschah nach Senator Pettigrew folgendes: „Alle
Kraft in Washington, in dem Land-Department in Wa-
shington wurde ausschließlich darauf verwandt, diese Pa-
tente für die Northern Pacific durchzubringen, und wenn
Sie die gerichtlichen Protokolle aufschlagen, werden Sie,
glaube ich, finden, daß der Richter gegen einen von den
Verwaltern gemeldeten Posten von ungefähr 3000 Dollar
Einspruch erhob, der an einen besonders guten Freund
des Landkommissars als Anwalthonorar gezahlt worden
war, um den Erlaß jener Patente zu beschleunigen; auf
diese Art erlangte die Northern Pacific das Recht auf aus-
gedehnte Gebiete außerordentlich wertvoller Mineral-
ländereien in den Staaten Montana, Idaho und Washington.
Der Landkommissar war in dieser Sache zweifellos bestochen,
und es herrscht kein Zweifel, daß die Beamten der Northern
Pacific seine Tätigkeit bei der Erlangung dieser Patente
erkauften."
„Späterhin," so fährt Exsenator Pettigrew fort, „ging
im Kongreß ein Gesetz durch, es war, glaube ich, im Jahre
^) House Reports, Fifty-second Congreß, Second Session, 1891 — 1892, Bd. 5,
Report Nr. 1145, i — 4.
— 671 —
1898, das dafür Sorge trug, daß Inspektoren die an Land-
bewilligungs-Bahnen gelegenen Ländereien untersuchen
und feststellen sollten, welche mineralisch seien und welche
nicht, damit für mineralische Gebiete nach jenem Datum
keine Patente ausgestellt werden sollten; aber das Unheil
war schon fast ganz geschehen^)."
Pettigrews Darlegungen werden jedoch von Villards
Freunden, die den Anspruch erheben, die Sache zu kennen,
bestritten. Sie leugnen, daß die Northern Pacific auf diese
Art Patente erhalten habe. Keine Patente, behaupten sie,
seien während der herrschenden Bewegung von der Eisen-
bahn erlangt oder ihr gewährt worden. Sie fügen hinzu,
daß die vom Kongreß eingesetzte Kommission nur berech-
tigt war, Patente für nichtmineralisches Land auszugeben.
Wenn Bestechung angewandt worden ist, um mineralisches
Land unter dem Vorgeben, daß es nichtmineralisch sei,
zu erlangen, dann sei es nicht wahrscheinlich, daß Villard
persönlich es gebilligt habe.
Ungefähr während dieser Zeit, am 15. August 1893,
machte die Northern Pacific-Eisenbahn bankrott.
Unter dem Vorwande, daß die Eisenbahn in armseliger
finanzieller Verfassung sei, beschnitten die Verwalter die
Löhne der Eisenbahnangestellten. Diese Arbeiter wußten,
daß sie so besteuert wurden, um den Eisenbahnschatz für
einen Teil der von den Finanziers geraubten immensen
Summen schadlos zu halten; sie erhoben jedoch keine offi-
*) In einem Pnvatbrief an den Verfasser erzählt. Die Tatsache, daß einflußreiche
Mitglieder des Kongresses gleichzeitig bezahlte Anwälte für Landbewilligungs-
Eisenbahnen waren und in dieser Eigenschaft im Kongreß wirkten, veranlaßte die
Einbringung einer Vorlage in dem Senat der Vereinigten Staaten am i. Juni i886
durch Senator Beck aus Kentucky, wonach es keinem Mitgliede des Kongresses
mehr erlaubt sein sollte, als Anwalt oder Vermittler für irgendeine Eisenbahn, die
vom Kongreß eine Landbewilligung erhalten hat, tätig zu sein. In der Debatte
über seine Maßnahme führte am 22. Juni 1886 Senator Beck aus: „Wird irgendein
Herr darauf bestehen, daß jemand, der der Anwalt irgend einer Eisenbahn ist,
jemand, der in irgendeiner Weise von irgendeiner dieser Bahnen abhängig ist,
wenn diese großen Fragen, bei denen es sich vielleicht um fünfzig oder hundert
Millionen für das mit Steuern belastete Volk dieses Landes handelt, zur Entschei-
dung kommen, die Interessen jener Eisenbahn vertreten soll, deren Geld er in der
Form von Angeld oder Honorar in seiner Tasche hat und der diese Tatsache ver-
birgt und die ganze Zeit behauptet, daß er im Interesse der Vereinigten Staaten
handelt und spricht?" Natürlich gelang es nicht, die Vorlage zum GeseU zu
machen.
— 672 —
zielle Beschwerde. Als jedoch eine zweite Herabsetzung
der Löhne von fünfzehn bis dreißig Prozent angekündigt
wurde, beschlossen die Arbeiter, es nicht zu dulden, daß
sie um des erschöpften Zustandes des Eisenbahnschatzes
willen leiden müßten.
Aber die Justiz war schnell dabei, das Gesetz in rechts-
widriger Weise so zu dehnen, daß den Arbeitern verboten
wurde, in einen Streik einzutreten. Als die Arbeiter der
Northern Pacific um eine Unterredung mit den Verwaltern
baten, willigten diese ein. Heimlich jedoch entwarfen die
Anwälte der Verwalter ein durchgreifendes gerichtliches
Verbot, das dem Richter Jenkins von dem Bundesgericht
der Vereinigten Staaten gerade am Vorabend der verein-
barten Unterredung vorgelegt und von ihm unterzeichnet
wurde. Der Hauptanwalt bei der Abfassung dieses Verbots
und bei dem Bemühen, es durchzusetzen, war Senator
Spooner, Dies gerichtliche Verbot untersagte es den
Männern, „sich zum Verlassen der Arbeit mit oder ohne
Kündigung zu verbinden oder zu verschwören". Es folgte
noch ein ergänzendes Verbot, welches den Arbeitern unter-
sagte, „andern das Verlassen des Dienstes bei den Verwaltern
vorzuschreiben, zu empfehlen, zu billigen oder zu raten".
Das ganze Verfahren war so kraß ungesetzlich, daß die
Justizkommission des Repräsentantenhauses sich zur Unter-
suchung gezwungen sah. Diese Kommission berichtete,
daß der Einhaltsbefehl „eine Verletzung der Verfassungs-
bestimmungen, einen Mißbrauch der richterlichen Gewalt
darstelle und ohne gesetzliche Kraft sei"; daß Jenkins'
Verfahren „eine tyrannische Anwendung der Gewalt seines
Gerichtshofes und einen Eingriff in die Rechte ameri-
kanischer Bürger bedeute^)."
Abgesehen von dieser Anklage wurde kein Strafverfahren
gegen Jenkins, Spooner, die Verwalter oder irgendeinen an-
dern der Beschuldigten eingeleitet. Mittlerweile hatte das
Verbot den erwarteten Dienst, die Arbeiter einzuschüchtern
und die Wirksamkeit ihres Streiks zu lähmen, geleistet.
*) House Report No. 1049, June 1894, Second Session, Fifty-thlrd Congrcss.
Während dieser ganzen Zeit war John S. Kennedy, „der große Philanthrop", einer
der größten Aktionäre dieser Eisenbahn.
- 673 -
Villards Herrschaft über die Northern Pacific wurde
durch eine Verbindung feindlicher Kapitalisten gestürzt^),
und Hill fing allmählich an, als herrschender Besitzer eine
Rolle zu spielen. Es ist hier angebracht, zu bemerken, daß
man behauptete, Maginnis sei heimlich im Dienste von
Hills Great Northern-Eisenbahn gewesen, zu derselben
Zeit, als er mit der Northern Pacific im Kampfe lag.
Der große Kampf zwischen Hill und Harriman im Jahre
1901 um die Herrschaft über die Northern Pacific ist schon
in einem der Kapitel über J. Pierpont Morgan beschrieben
worden. Das Resultat von alledem war, daß die Hill-Inter-
essen die Herrschaft über die Northern Pacific-Eisenbahn,
wie auch über die Great Northern-Eisenbahn und die
Chicago, Burlington und Quincy erhielten.
Nach Charles Edward Rüssel, der die wiederholten nomi-
nellen Aktienvermehrungen der Great Northern-Eisenbahn
sorgfältig studiert hat, haben Hill, Kennedy, Lord Mount
Stephen, Lord Strathcona und andere Magnaten aus den
Aktienmanipulationen der Great Northern eine Gesamt-
summe von 407 Millionen Dollar gezogen. Rüssel sagt,
daß in dieser Summe nichts von Dividenden, Zinsen und
andern Nebeneinkünften enthalten ist. Diese haben allein
enorme Summen erreicht 2). Eine von dem Senate des
Staates Minnesota im Jahre 1907 ernannte Kommission
zur Untersuchung der Kapitalisierung von Eisenbahnen
in Minnesota berichtete, daß diese Eisenbahnen mit un-
gefähr 400 Millionen Dollar oder mit ungefähr 50 000 Dollar
1) Villard kaufte die New Yorker „Evening Post"j sein Verfahren beim Er-
werb dieser Zeitung bildete nicht nur eine Ausnahme, sondern einen starken Gegen-
satz zu dem von den andern Kapitalisten unabänderlich angewandten Verfahren,
wenn sie Zeitungen erwarben. Er verzichtete auf jeden Einfluß auf die redaktionelle
Politik jener Zeitung, indem er drei Bevollmächtigten die unbeschränkte Herrschaft
in dieser Beziehung übertrug. Er benutzte die,,Evening Post" niemals, um die Ope-
rationen in Wallstreet zu beeinflussen. In der Tat schrieb er ihr keine einzige Zeile
ihrer Leitartikel vor. Anderseits kritisierten die Herausgeber manchmal freimütig
seine Politik in Eisenbahnangelegenheiten. — Es mag hinzugefügt werden, daß
(nach des Verfassers persönlicher Kenntnis) die New Yorker „Evening Post" sich kon-
sequent geweigert hat, sich in ihren redaktionellen Äußerungen durch das Angebot
oder die Entziehung regierungsseitiger, finanzieller und anderer Annoncen beein-
flussen zu lassen. Sie hat ihre Richtung beibehalten trotz sehr schwerer, durch
die Entziehung solcher Annoncen entstandener Verluste.
2) „The Heart of the Railroad Problem", Hampton's Magazine, May, 1909.
43.
- 674 -
für die Meile kapitalisiert seien, während die tatsächliche
Kapitalisation, bei einem durchschnittlichen Kostenauf-
wande von 27 000 Dollar für die Meile, 215 Millionen
Dollar betragen sollte. Die Great Northern-Eisenbahn,
der in Minnesota 2040 Meilen Strecke gehörten, war, wie
die Kommission berichtete, sehr überkapitalisiert. Die
Kommission erklärte, daß die Great Northern schätzungs-
weise einen jährlichen Gewinn von 16^/2 Prozent gemacht
habe, wenn man als Bau- und Unterhaltungskosten für die
Meile 33 000 Dollar zugrunde legt^). Die Northern Pacific,
die ebenfalls stark überkapitalisiert war, erzielte nach dem
Bericht, wenn man 35 000 DoUar als Wert der Meile an-
nimmt, einen jährlichen Gewinn von 12V2 Prozent 2).
Eine von Hills neusten Börsenspekulationen führte zu
einem Prozeß, indem er wegen groben Betrugs verklagt
wurde. Am 22. Juli 1907 wurde bei dem County-Gerichts-
hof in St. Paul eine Klage von einem Aktionär Clarence
A. Venner eingereicht, der behauptete, daß am i . November
1900 Hill als Präsident der Great Northern-Eisenbahn und
andere der Beamten und Direktoren einen Plan entworfen
hätten, um vereint mit der Northern Pacific-Eisenbahn
einen herrschenden Einfluß auf die Chikago-, Burlington-
und Quincy-Eisenbahn zu erlangen. In der Klage wurde
behauptet, daß HiU am 23. April 1901 von dem Direk-
torium beauftragt wurde, die Burlington mit 200 DoUar
für den Anteilschein zu erwerben, und daß er dies im Verein
mit der Northern Pacific vor dem i. Januar 1902 tat, zu
welchem Zwecke Neben-Trust-Obligationen von den beiden
Eisenbahnen ausgegeben wurden.
In der Klage wurde weiter behauptet, daß HiU, der
den Plan, die Burlington durch die Aktionäre der beiden
Bahnen zu erwerben, kannte, in Verletzung seiner Pflicht
als Beamter und Direktor der Great Northern, „die An-
gelegenheiten besagter Great Northern zu ihrem besten
Vorteil ehrlich, fleißig, getreu und sorgfältig zu leiten,
gewisse ungesetzliche, unrechte und betrügerische Pläne
^) Report of the Committee of the State Senate of Minnesota Appointed for
the Purpose of Investigating the Value and Cost of Operation of the Railroads of
the State of Minnesota, 14. *) Ebenda.
- 675 -
und Anschläge entwarf und unternahm, um für sich selbst
persönlich, auf Kosten und zum Verlust und Schaden der
Great Northern, einen großen Profit zu machen, indem er
eine große Menge des Aktienkapitals der Chikago-, Burling-
ton- und Quincy-Eisenbahngesellschaf t persönlich kaufte und
kaufen und zu seiner Verfügung halten ließ, welche Menge
dann von den Great Northern- und Northern Pacific-
Eisenbahngesellschaften zu viel höheren Preisen erworben
wurde, als er selbst für die Aktien gezahlt hatte*'.
Venner behauptete in seiner Klage weiter, daß Hill bei
dem Unternehmen einen persönlichen Gewinn von mehr als
10 Millionen Dollar hatte, und forderte Rechnungslegung.
Wir sind nicht imstande, Hills Antwort oder das Resultat
dieses Prozesses festzustellen^).
Man soll jedoch nicht annehmen, daß die Geschichte
von Hills wiederholten, in gerichtlichen und andern Pro-
tokollen nacheinander enthüllten Taten seinem hohen
Ansehen nur im geringsten geschadet hätte. Überallhin ver-
breiten seine Schmeichler bei der Presse noch immer laut
ihre phantastischen, begeisterten Beschreibungen von ihm,
wobei sie die wirklichen Mittel, durch welche er seinen
großen Reichtum erwarb, immer sorgfältig unerwähnt
lassen. Man hat viel von seiner Frömmigkeit geredet. Daß
er zum Beispiel 500 000 Dollar zur Ausstattung einer
römisch-katholischen Kathedrale in St. Paul hergegeben
hat. Viel wird unaufhörlich über seine außerordentliche
Rechtschaffenheit geschrieben, seinen „finanziellen Scharf-
sinn" und seine „Tugenden als Geschäftsmann". Wenn
er spricht, wird er als ein wahres Orakel gepriesen, und mit
^) Es ist sehr häufig die Beschuldigung erhoben worden, daß in den ganzen
Vereinigten Staaten oft Eisenbahnanwälte die richterlichen Entscheidungen in
Eisenbahnprozessen ausfertigen. Viele solche eigentümliche Skandalaffären sind
kürzlich ans Tageslicht gekommen. Erst kürzlich erhob die Anklagejury von Spo-
kane, Washington, gegen den Richter M. J. Gordon, den früheren Rechtsbeistand
der Great Northem-Eisenbahn für ihren westlichen Teil, Anklagen wegen Unter-
schlagung. Die Anklagejury beschuldigte gleichzeitig Hill und andere Beamte der
Great-Northern-Eisenbahn, den Versuch gemacht zu haben, ihre Arbeit zu hemmen
und die Anklage gegen Gordon zu hintertreiben, und sie erteilte ferner dem Richter
Milo A. Root eine Rüge, weil er Gordon zur Zeit, als er Anwalt der Great Northern-
Eisenbahn war, gestattet habe, in einem Prozeß mit dieser Eisenbahn ein Gutachten
auszufertigen. Dieses Gutachten unterbreitete Richter Root ah sein eigenes.
43*
- e-je -
Recht, denn die Götter der gegenwärtigen Gesellschaft
sind die „Geldgötter". Die Gesellschaft, die mit ungeheuren
Kosten Kerker und Gefängnisse für die kleinen Verbrecher
gebaut hat, errichtet Paläste für die großen Verbrecher und
fährt fort, immer größeren Reichtum in ihre Truhen zu
schütten und sie als Diktatoren zu preisen. Und wer kann
die Magnaten tadeln, wenn sie das Volk, das sie so verehrt
und das System, das sie hervorbringt und erhält, verspotten
und strafen ? Denn nicht sie, sondern das System sollte
verantwortlich gemacht werden.
Harriman und die Standard Oil-Company
Umfassende Schlußfolgerungen wären hier verfrüht;
es bliebe noch übrig, zu erzählen, wie Edward H. Harriman
und vor allem die Standard Oil Company, für die er, wie
man annimmt, in so ausgedehnter Weise tätig war, in den
Besitz großer Eisenbahnnetze gelangten. Die Standard
Oil- Oligarchie ist in der Tat der mächtigste Eisenbahn-
besitzer von allen; viele jener Eisenbahnen, deren Anfangs-
stadium und Entwicklung hier beschrieben worden sind,
gehören ihr oder stehen unter ihrer Herrschaft; ihr ist der
endgültige Gewinn aus vielen jener ursprünglichen Betrü-
gereien und Diebstähle zugeflossen, die zum Teil in diesem
Buche geschildert worden sind. Aber der Umfang dieses
Buches gestattet hier nicht die ausführliche Erzählung
von Harrimans Laufbahn mit ihren Begleiterscheinungen
enormer Betrügereien und heilsamer aufbauender Tätig-
keit ; noch weniger gestattet er die ausgedehnte Beschreibung
davon, wie die Standard Oil Company mit einigen Ölraffi-
nerien den Anfang machte und es fertig brachte, einen so
großen Teil der Güter der Vereinigten Staaten, ihrer Eisen-
bahnen und anderes in Besitz zu nehmen. Diese Erzählung
wird auf spätere Bände verschoben werden müssen, ebenso
wie die Geschichte der großen Vermögen, die sich auf Staats-
privilegien, Bergwerke und Industrien gründen. Nur der
Entwicklung des Reichtums von Andrew Carnegie und
der Lage der Arbeiterschaft seien für die deutsche
Ausgabe noch einige ergänzende Betrachtungen gewidmet.
Fünfzehntes Kapitel
DAS CARNEGIE -VERMÖGEN
Der große Philanthrop
n den Annalen des amerikanischen Kapitalismus gibt
es kein bemerkenswerteres Beispiel von einem Multi-
millionär, der seinen Namen fortpflanzt und den Beifall
der ganzen Welt gewinnt, indem er ungeahnte Summen
für öffentliche Zwecke stiftet — als Andrew Carnegie.
Noch vor wenigen Jahrzehnten sah man in der Stiftung von
einer Million Dollar, oder auch eines Teiles davon, für
wohltätige, religiöse oder erziehliche Zwecke durch einen
Multimillionär eine Großtat. Mit der üblichen Phrase
des Tages begrüßte man sie als „fürstliche Gabe" und pries
den Stifter als freigebigen Philanthropen. Manche Leute
sprachen freilich den Verdacht aus, er würde sich für seine
Verschwendung schon schadlos halten, indem er die Preise
für die Waren erhöhen oder dem Volke eine andere Form
industrieller Besteuerung auferlegen würde. Aber diese
zynische Haltung war weder üblich noch populär. Die
Kreise, die von der Gunst und Güte der reichen Männer
profitierten, waren ja gerade diejenigen, welche die öffent-
liche Meinung beherrschten. Kirchen, Universitäten, Ver-
leger und Politiker waren dem Reichtum im großen Ganzen
ebenso unterwürfig wie heutzutage.
Nun zeigte sich unwandelbar immer wieder dieselbe
Erscheinung: wie rücksichtslos und brutal die Laufbahn
des Multimillionärs auch gewesen war, durch was für fort-
laufende Betrügereien und Räubereien er sein Vermögen
auch erworben haben mochte — sobald er einen Bruchteil
davon für philanthropische Zwecke weggab, durchlief sein
Charakter, soweit das breite Publikum in Betracht kommt,
eine vollständige Wandlung. Man bezeichnete ihn nicht
länger als den gierigen Räuber; die Stimmen derer, die
sein Siegeswagen zermalmt hatte, wurden von dem lauten
Lobgeschrei übertönt, das seinen Wohltaten folgte. Seine
- 678 -
Opfer wurden begraben, und der Bericht von seinen Misse-
taten wurde obskuren Strafregistern anvertraut, die mehr
und mehr in Vergessenheit gerieten. Die Bibliothek aber
und das Hospital, die er gebaut, oder das Asyl und die Uni-
versität, die er gegründet oder beschenkt hatte, dauerten
fort als sichtbare, bleibende Zeugnisse seiner philanthropi-
schen Güte.
So war die soziale Absolution, so war der erbliche Glanz
aristokratischer Gesinnung leicht zu gewinnen. Und gleich-
zeitig wurden weit größere Vorteile für die ganze Kapi-
talistenklasse erzielt : die Institutionen, die die Schenkungen
der großen Kapitalisten annahmen, wurden dadurch der
sozialen Ordnung, die diese großen Vermögen erzeugte,
noch ergebener. Die direkten Schenkungen baren Geldes
waren bindend genug; noch bindender aber waren die
Schenkungen von Aktien und Anteilen, wodurch Kirchen,
Universitäten und andere Institutionen interessierte Ver-
teidiger des Systems wurden, das den „sicheren Papieren",
aus denen ein so großer Teil ihres Einkommens floß, ihren
Wert verlieh.
Die Philanthropie wurde für den amerikanischen Multi-
millionär eine fast obligatorische Mode. Es verbreitete sich
die allgemeine Überzeugung und Erwartung, er müsse ent-
weder bei Lebzeiten oder letztwillig große Summen ver-
teilen. Daß er sich, wenn er es unterließ, allgemeine Ver-
achtung zuzog, zeigte sich schlagend im Falle von Russell
Sage, der von seinen hundert Millionen Dollar auch nicht
einen Dollar für philanthropische Zwecke gab, was seine
Witwe dann wieder gut machte, indem sie Millionen für
die Erforschung der Ursachen der Armut aussetzte. Wenn
man aber jeden aus der langen Reihe amerikanischer Multi-
millionäre, die erhebliche Summen gestiftet haben, einen
großen Menschenfreund nennt — mit welchem Super-
lativ soll man dann erst Andrew Carnegie bezeichnen ?
John Jacob Astor und Kommodore Cornelius Vanderbilt
gaben Hunderttausende, J. Pierpont Morgan und John
D. Rockefeller viele Millionen. Carnegie aber hat seine
1 50 Millionen gestiftet — man rechnet in der Tat, daß er bis
heute ungefähr 157 Millionen Dollar hergegeben habe — .
- Ö79 -
und das Ende dieser verblüffenden Ergüsse ist noch gar
nicht abzusehen. Seit seinem ersten Auftreten auf dem
Felde der Philanthropie hat die lumpige Stiftung von ein,
zwei, fünf oder zehn Millionen Dollar aufgehört, Eindruck
zu machen. Es gibt oft zehn oder fünfundzwanzig Millionen
Dollar auf einmal weg.
Hat man je etwas gesehen, das diesem verschwenderischen,
verblüffenden Ausstreuen von Dollars auch nur im ent-
ferntesten gleichkam? Andere amerikanische Multimillio-
näre haben ihre Freigebigkeit auf die Vereinigten Staaten
beschränkt, so daß ihr Ruf an die nationalen Grenzpfähle
gebunden ist. Carnegie aber ist der große internationale
Stifter: in ganz Amerika und Europa bezeugen Gebäude
und Einrichtungen, die seinen Namen tragen, den weiten
Kreis, den seine Freigebigkeit sich gesteckt hat.
In diesen Tagen der tieferen Untersuchung von Ursache
und Wirkung aber genügt es nicht, zu wissen, daß Carnegie
ein großes Vermögen besitzt und daß er einen Teil dieses
Vermögens mit so königlicher Verschwendung verteilt,
daß er sich bereits eine geschichtliche Stellung als unüber-
troffener Wohltäter seines Zeitalters erkauft hat. Die
brennende Frage, die Erklärung erheischt, ist die: wie es
möglich ist, daß in einer Zeit, wo Tausende von Arbeitern
in elender Armut dahinleben, dieser Mann seinen Reichtum
erwerben konnte, einen so unermeßlichen Reichtum, daß
selbst die Hingabe von einigen 200 Millionen Dollar ihm
nichts Ernstliches anhaben konnte. Ihm fließt freilich,
wie man schätzt, in jedem Jahre ein Einkommen von
25 Millionen Dollar zu. Aber während dieser unaufhörliche
Strom von Gold in den Geldschrank eines einzigen Menschen
fließt, der auch nur die Fähigkeit eines einzigen Menschen
zu essen, zu trinken und zu schlafen hat, bekommen drei
Viertel der erwachsenen Männer in den Industrien der
Nordost- und der Nordzentral-Partie der Vereinigten
Staaten augenblicklich weniger als 600 Dollar jährlichen
Lohn; und dasselbe gilt von neunzehn Zwanzigstel der
Frauen in diesen Industrien. Zehn und aber zehn Millionen
Männer und Frauen sind nach einem Leben voll harter
Arbeit und schwerer Entbehrung in Armut, ja im Elend
- 68o -
dahingestorben; Millionen von Männern, Frauen und Kin-
dern fristen ihr Leben in äußerster Notdurft und sehen die
paar Spargroschen, die sie haben, durch Arbeitslosigkeit,
Krankheit oder Alter dahinschwinden. Große Scharen von
Männern, die für Carnegie arbeiten, haben nach Jahren
voll grausamen, aufreibenden Schuftens für sich und die
Ihren nichts als Armut erschafft.
Hier liegt sicher ein Problem, das auch ein Problem
bleibt, weil diejenigen, deren bezahlter Beruf es ist, diese
abgründigen Kontraste zu übertünchen und Ergebenheit
zu predigen, es einen Gemeinplatz nennen. Wie kommt es,
daß dieser eine Mensch, namens Andrew Carnegie, in der
Lage war, solche Berge von Reichtum zu seinem Privat-
besitz aufzuhäufen! Wie erwarb der Handelsfürst, der
Trustmagnat, der Eisenkönig, der „große Philanthrop"
diesen Reichtum, und unter welchen Verhältnissen?
Die Laufbahn
Vor dreißig Jahren jedoch hatte Carnegie einen anderen
Titel : er hieß damals der „Eisenmeister" — eine bloß un-
gefähre Bezeichnung; und doch, wenn man die Tatsachen
prüft, ist sie nicht ganz vag. Er war nicht gerade Meister
der Eisen- und Stahlindustrie, denn er hatte bedeutende
Konkurrenten, aber seine Werke waren die größten, und
daher bekam er seinen Namen. In diesem Namen „Eisen-
meister" lag freilich mehr: er besagte eigentlich, daß er
seine Laufbahn in der Produktion von Eisen oder Stahl
begonnen hätte, daß er selber den Prozeß verbessert, Er-
findungen gemacht, neue Methoden entdeckt und auch
sonst jede Einzelheit gemeistert hätte. Das war aber bloß
eine nützliche Fiktion, die vortrefflich zu der herrschenden
Lehre stimmte, Reichtum käme von höherer Geschicklich-
keit, tatsächlich aber keine andere Basis hatte, als daß
Carnegie Meister der größten Stahl- und Eisenwerke
x^merikas war. Wenn er nun, wie es doch der Fall war, die
Fabrikation von Eisen und Stahl niemals regelrecht erlernt
hatte und, als er zuerst finanziell daran interessiert wurde,
weder vom Fabrikationsprozeß noch vom Handel das
- ^8i -
geringste verstand — , wie war es möglich, daß er allmählich
zu einer Höhe emporstieg, wo er Hauptbesitzer der enormen
Stahlwerke und Diktator der Industrie war ? Das wollen
wir im folgenden erklären.
Schon um 1861 war Andrew Carnegie ein fleißiger und
umsichtiger junger Geldmacher, wenn es auch nie genau
aufgeklärt worden ist, durch welchen modus operandi er
seine ersten zehntausend Dollar angesammelt hat. Er wurde
1835 zu Dumferline in Schottland geboren; sein Vater
war ein Damastweber, der 1848 nach Amerika ging, weil
daheim die Handarbeit durch Maschinenarbeit ersetzt
wurde. Mit seiner Frau und zwei Söhnen ging der alte
Carnegie nach Pittsburg und wohnte dort in einem kleinen
Hinterhaus in jenem Stadtbezirk, der als „Slabtown" be-
kannt ist. Dort verdiente Vater Carnegie seinen Lebens-
unterhalt, indem er für den Vater von Henry Phipps, der
nebenan wohnte, Schuhe knüpfte; die Mutter trug durch
Wascharbeit im Hause etwas zum Verdienst bei. Andrew
wurde im Alter von vierzehn Jahren als Laufbursche für
ein Spulendrechselgeschäft in die Arbeit gesteckt und be-
kam drei Dollar Lohn wöchentlich. Ein Jahr später wurde
er Telegraphenbote. Er erlernte das Telegraphieren und
wurde Telegraphist; 1854 nahm ihn Thomas A. Scott,
damals Oberintendant der Westlichen Abteilung der Penn-
sylvania-Eisenbahn, als Telegraphisten in seine Dienste.
In den nächsten neun Jahren machte er im Geldverdienen
rapide Fortschritte. Tausend andere junge Leute verdienten
fleißig ihren Lohn als Telegraphisten, er aber war einer
der wenigen, denen es auf geheimnisvolle Weise gelang,
innerhalb weniger Jahre ein kleines Vermögen zusammen-
zubringen. Die Erklärung, er habe es von seinem Lohn
erspart, ist weder von seinen Anbetern noch von ihm selber
riskiert worden. Die übliche Erklärung ist die, er habe sich
mit Hilfe von Scott, bei dem er sich beliebt zu machen
wußte, gewisse Informationen verschafft und sich an ver-
schiedenen einträglichen Geschäften beteiligt.
Über Scott muß einiges gesagt werden. Niemand ver-
stand sich besser als er auf die Wirkung der Schmier-
gelder und der Bestechung von Beamten und Politikern,
- 682 -
wenn auch viele Kapitalisten ihn durch die Größe derartiger
Manipulationen übertrafen. Beim Ausbruch des Bürger-
krieges war Kriegsminister der Politiker und Eisenbahn-
spekulant Simon Cameron, der die korrupte Staatsmaschine
von Pennsylvanien beherrschte. Thoraas A. Scott war
inzwischen Vizepräsident der Pennsylvania-Eisenbahn —
oder Pennsylvania-Zentralbahn, wie sie jetzt heißt — ge-
worden. Er ernannte Andrew Carnegie zu seinem Assi-
stenten, der die Militärtransporte und die Telegraphen der
östlichen Eisenbahnen und Telegraphenlinien unter sich
hatte.
Die Erpressungen und Betrügereien in den Kontrakten
der Kriegsverwaltung waren ein derartiger Skandal, daß das
Abgeordnetenhaus eine besondere Untersuchungskommis-
sion dafür ernannte. Diese Kommission erbrachte eine
Menge Beweise für ein weites System von Betrug, Be-
stechung und Erpressung im Ankauf und in der Beauf-
sichtigung von Proviant, Zelten, Waffen und Munition,
Kleidern, Decken und anderen Heeresartikeln, wovon vieles
minderwertig, verfälscht oder wertlos befunden wurde.
Hier soll nur auf eine Seite des Kommissionsberichtes ein-
gegangen werden — auf den Teil, der von den ungeheuer-
lichen Anklagen handelt, die man gegen die Eisenbahnen
wegen der Beförderung der Truppen und des Proviants
erhob.
Die Kommission berichtete, unter dem Regime von
Cameron und Scott hätten die Eisenbahnen 33 bis 50 Pro-
zent mehr an Frachtgebühren erpreßt, als sie Privatleuten
berechneten; seit Scotts Ernennung hätten die Profite
der Eisenbahnen sich jährlich verdoppelt oder wären enorm
gestiegen, bei einer einzigen Bahn, der Pennsylvania-
Zentralbahn, seien sie 1862 um i 350 237 Dollar höher
gewesen als im Jahre zuvor. Bei der Beförderung der Regi-
menter sei die Bestechung der Quartiermeister zugunsten
gewisser Linien durchaus üblich gewesen.
Da gewisse schmeichelnde „Biographien" bei der Dar-
stellung von Carnegies Tätigkeit als Eisenbahn-Militäragent
während des Bürgerkrieges behaupten (ohne sich um die
Tatsachen zu kümmern), „in dieser Kriegsverwaltung gab
- 683 -
es keine Klage und keinen Skandal" (z. B. in Band 3 der
Encyclopedia Americana), so wird es gut sein, hier ein
wenig auf die Tatsachen einzugehen.
Am 7. Februar 1862 berichtete der Abgeordnete Charles
H. van Wyck, der Vorsitzende der Untersuchungskommis-
sion, über einige der aufgedeckten Schwindeleien. Er er-
zählte, wie eine Firma einen Kontrakt auf Lieferung von
Vieh für die Armee erhalten und sofort an eine Gruppe
von Spekulanten verkauft hätte, von denen zwei zu den
Eisenbahnlieferanten und zu den Freunden Camerons ge-
hörten. Diese Clique machte sofort einen Profit von
32 000 Dollar auf 2000 Stück Vieh, Er gab noch weitere
Beispiele. „Die Obersten stecken mit den Lieferanten unter
einer Decke, vergeben die Aufträge an Günstlinge, kaufen
Artikel und lassen falsche Rechnungen ausstellen." „Eine
weitere Unverschämtheit," so fuhr er fort, „war es, dem
Kriegsministerium zwei Cent pro Meile für Truppen-
transporte und ansehnliche Preise für Gepäck und Pferde
anzurechnen." Die Profite waren so enorm, daß die Eisen-
bahngesellschaften im Westen 1500 bis 2500 Dollar an fast
jedes Regiment bezahlten für das Recht, es zu befördern.
,,Es ist doch seltsam," sagt von Wyck ironisch, „daß der
Kriegsminister (Cameron), der doch selbst durch lange
Erfahrung und Beobachtung mit dem Eisenbahnwesen
vertraut ist und sich eines mit Eisenbahnen vertrauten
Freundes erfreut (Scott), den Eisenbahngesellschaften
solche Summen bewilligte, daß sie für die Erlangung der
Truppentransporte Tausende vergeuden konnten. Züge, die
nicht so schnell gingen und oft nicht bessere Wagen hatten
als Auswandererzüge, berechneten sie doppelt so hoch!
Wußte Cameron nicht, daß jeder Passagier auf acht Pfund
Gepäck Anspruch hatte ? Aber das Gepäck, das mit den
Truppen befördert wurde, ist noch extra berechnet worden."
Nachdem er noch weitere Einzelheiten angeführt hatte,
erklärte van Wyck: „Die Piraten, die den Ozean unsicher
machen, verdienen den Abscheu der Menschheit nicht mehr
als die Bande, die sich auf dem Lande von dem Schweiß
der Armen und dem Blut der Tapferen mästet."
William G. Holman, ein anderes Mitglied der Unter-
- 684 ~
suchungskommission, lieferte am 29. April 1862 weitere
Einzelheiten. „Der Präsident der Nördlichen Zentral-
bahn," sagte er, „ist der Schwager von Simon Cameron,
und Vizepräsident der Gesellschaft ist sein Sohn. William
Colder, der größte Pferdelieferant der Regierung, ge-
hört der Bankfirma Cameron, Colder, Ely & Co. an, von
der auch Cameron Mitglied war und welche Gelder in
Höhe von 800 000 Dollar beschaffte, um die Lieferung aus-
zuführen, die Simon Camerons Heeresverwaltung seinen
Kompagnons gesichert hatte." So bestand eine wundervolle
Verbindung zwischen den Eisenbahnen von Pennsylvanien
und der Heeresverwaltung; Scott bekam sein Gehalt von
der Pennsylvaniabahn und gleichzeitig sein Gehalt von der
Regierung als Superintendant des Transportwesens und
als Kriegsminister. „Diese Beschäftigung von Thomas
A. Scott hat die Regierung Hunderttausende, ja Millionen
Dollar gekostet." Und Carnegie war Scotts hilfreicher
Agent.
Es ist eine bekannte Tatsache, daß Andrew Carnegie
während des Bürgerkrieges (unter anderen Geschäfts-
projekten) finanziell an einem Projekt beteiligt war, im
Feldlager Marketendergeschäfte zu errichten, und weiter-
hin an einem Konzern zur Lieferung von Kavalleriepferden
an die Regierung. Beide Unternehmungen warfen, wie wir
gesehen haben, lockende, ja exorbitante Profite ab. Doch
die näheren Umstände der Beziehungen Carnegies zu diesen
Projekten sind in Dunkel gehüllt, und die benutzbaren
Berichte werfen kein Licht auf diesen Punkt: es war bei
den Spekulanten und Lieferanten durchaus üblich, sich
heimlich an Projekten zu beteiligen, bei denen ihre Namen
niemals offen auftauchten.
Gerade in diesen Jahren, 1861 — 1862, als er die mili-
tärischen Geschäfte der Eisenbahnen und Telegraphen-
linien leitete, bereitete Andrew Carnegie sich auf seine
Rolle als künftiger Kapitalist vor. Er selbst hat seinen ersten
Kapitalbesitz damit erklären wollen, daß er sagte, er habe
ihn von Banken geliehen. Es ist aber bezeichnend, daß er
und seine Biographen es direkt vermeiden, diesen Teil
seiner Laufbahn zu Anfang des Bürgerkrieges zu beschreiben
- 685 -
und auf die verblüffenden Enthüllungen der Untersuchungs-
kommission von 1862 einzugehen. Sogar Herr James H.
Bridge, der zu jener Zeit sein Privatsekretär war und der
sich in seinem Buche über die Entwicklung der Carnegie-
Werke durchaus anständig zeigt, scheint von den Beziehun-
gen zwischen Scott und Carnegie während des Bürgerkrieges
und von dem Kommissionsbericht von 1862 keine Ahnung
zu haben. Die Kommission konstatiert im besonderen,
daß die Tabelle der Frachtgebühren, die den Eisenbahnen
so enorme Profite zuwies, von Scott festgesetzt worden
war, und fügte hinzu, diese vielen Millionen Dollar, die der
Regierung so auf schwindelhafte Weise abgenommen
wurden, wären „aus dem geplünderten Staatsschatz der
Vereinigten Staaten gekommen, zu einer Zeit, wo die
Arbeitskraft und die Geldquellen bis zum Äußersten be-
steuert werden mußten, um den Krieg weiterführen zu
können". Carnegie bekleidete eine wichtige Inspektions-
stelle bei diesen Transporten, und es kann ihm nicht ver-
borgen geblieben sein, was für Riesenschwindeleien zum
Besten seiner Brotherrin, der Pennsylvania-Eisenbahn, mit
der er bis 1865 in Verbindung geblieben ist, begangen
wurden.
Ohne Kenntnis von diesen wichtigen Transaktionen er-
klärt Bridge die ersten Kapitalanhäufungen Carnegies damit,
daß er sagt, Carnegie habe vor 1863 in verschiedenen außer-
halb liegenden Unternehmungen mit Hilfe seines Chefs,
Herrn Scotts, oft „Geld gemacht". Bevor wir auf diese
„Unternehmungen" eingehen, wird es gut sein, noch einen
Blick auf Scotts Manipulationen zu werfen.
Es war derselbe Scott, der so hervorragend tätig war als
Mitglied einer Gruppe amerikanischer und kanadischer
Kapitalisten, die 1873 den Plan faßten, sich von der Re-
gierung Kanadas auf korrupte Weise eine Gerechtsame
und eine große Beihilfe an Geld und Grund und Boden im
Umfang von fünfzig Millionen Morgen zum Bau der Kana-
dischen-Pacific-Eisenbahn zu sichern. In dem Skandal und
der Untersuchung, die den Fall der Regierung Sir John A.
Macdonalds herbeiführte, gab Sir Hugh Allan, das Ober-
haupt der amerikanisch-kanadischen Kapitalistengruppe,
- 686 -
zu, daß er insgesamt 350 000 Dollar zur schwindelhaften
Wahl der Mitglieder jener Regierung beigesteuert hatte.
Es war derselbe Scott, der als Direktor der Union-Pacific
und der Kansas-Pacific-Bahn mit Jay Gould, Sydney Dillon
und anderen Kapitalisten zur selben Zeit assoziiert war,
als sie die gigantischen Schwindeleien verübten, die ich
erzählt habe. Für die Durchbringung der Nachtragsakte
des Kongresses vom Juli 1864 haben die Männer von der
Union-Pacific-Bahn 436 000 Dollar an Bestechungsgeldern
und Honoraren verteilt, um sich von der Regierung eine
Beihilfe von 16 000 bis 48 000 Dollar pro Meile und eine
Bewilligung von Grund und Boden im Umfang von zwölf
Millionen Morgen zu sichern; und diese Bestechungen
waren nur der Anfang einer langen Reihe von Schwin-
deleien und Schmiergeldern, nachdem Jay Gould ans Ruder
gekommen war.
Es war derselbe Scott, der 1876 als Haupt einer Kapi-
talistengruppe mit dem Eisenbahnmagnaten CoUis P,
Huntington einen wütenden Konkurrenzkampf kämpfte,
indem er den Kongreß mit reichlichen Summen bestach,
um im Südwesten ein Transportmonopol zu erhalten.
Scott beherrschte die Texas- und Pacific - Eisenbahn,
Huntington die Southern Pacific-Bahn. Die Einzelheiten
dieses Kampfes sind in dem Kapitel über das „Pacific-
Quartett" erzählt.
In den rutinierten Biographien von Andrew Carnegie
ist von seiner Tätigkeit als Superrevisor der Truppen- und
Provianttransporte keine Rede, und auch die wichtige Tat-
sache wird nicht erwähnt, daß er diese Tätigkeit genau zu
derselben Zeit ausübte, als er bei Gesellschaften wie der
Woodruff-Schlafwagengesellschaft, der Columbia-Ölgesell-
schaft und anderen Konzernen Teilhaber wurde. Bridge
versichert, Carnegie habe seine Anteile an diesen beiden Ge-
sellschaften von Scott als Gratifikation erhalten, sagt aber
nicht, für welche Dienste. Ein anderer Bericht sagt,
Carnegie habe den Erfinder Woodruff bei Scott eingeführt
und so den Anstoß zur Gründung der Woodruff-Schlaf-
wagengesellschaft gegeben.
Was die Columbia-Ölgesellschaft betrifft, so wird gleich-
- 68; -
falls behauptet, Carnegie habe Scott und J. Edgar Thomp-
son, den Superintendanten der Pennsylvania-Bahn, ver-
anlaßt, mit ihm für 40 000 Dollar die Storey-Farm an der
Ölbucht in Pennsylvanien zu kaufen, wo Petroleum ge-
funden worden war. In der Folge hätten die Aktien der
Gesellschaft einen Gesaijitwert von 5 Millionen Dollar
gehabt, und in einem Jahre hätte sich die Bardividende auf
mehr als i Million Dollar belaufen. Diese Gesellschaft
produzierte freilich öl und besaß eine Raffinerie zu Bayonne
in New-Jersey, aber ihre großen Profite scheint sie mehr mit
schwindelhaften Spekulationen als anderswie erzielt zu
haben. Nach einer Entscheidung des Kammergerichts von
Pennsylvanien vom Jahre 1865 mißbrauchten die Gründer
und Direktoren der Gesellschaft, die mit 10 000 Anteilen
gegründet worden war, das Kapital zu Spekulationen.
Einer der Aktionäre, Coleman, reichte Klage ein wegen
Unterschlagung seines Anteils, das Kammergericht von
Pennsylvanien wies seine Klage jedoch ab mit der Begrün-
dung, er habe selber an dem Schwindel teilgenommen.
Die Columbia-Ölgesellschaft ist lange als tote Gesellschaft
geführt worden.
Eine bezeichnende Geschichte über Carnegies Methoden
zu dieser Zeit wird uns von Bridge erzählt. Carnegie habe
sich unter vie^.en Freundschaftsbeteuerungen „gütigst herbei-
gelassen", an Thomas N. Miller einige Anteile der Columbia-
Ölgesellschaft „zum Selbstkostenpreis" zu verkaufen, und
zwar betrug dieser Selbstkostenpreis 6,3772 Dollar pro An-
teil. Später glaubte Miller Grund zu der Meinung zu
haben, Carnegie habe ihn erheblich übers Ohr gehauen. Die
Gewißheit bekam er freilich erst viel später — 1896, als er
in den Besitz der alten Bücher der Columbia-Ölgesellschaft
gelangte und im Protokoll der Gesellschaft einen Bericht
darüber fand, daß Andrew Carnegie unter Protest der an-
dern Aktionäre die Anteile für je zwei Dollar gekauft hatte.
Diese drei Jahre des Bürgerkrieges — 1861 bis 1863 —
waren sicherlich einträgliche Zeiten für Andrew Carnegie.
Außer den bereits erwähnten Unternehmungen steckte er
tief in einer Anzahl anderer kapitalistischer Projekte. Dazu
gehörte der Plan einer Telegraphenlinie längs der Pennsyl-
- 688 -
vania-Bahn, einer Eisenbahnbau- und einer Brückenbau-
Gesellschaft. Ferner die Entenbucht-Ölgesellschaft, die
Birmingham-Pferdebahn, die Pittsburger Entkörnungs-
gesellschaft, die Dritte Nationalbank von Pittsburg, die
Dutton-Ölgesellschaft, die Bürger-Eisenbahn und eine ganze
Liste anderer Unternehmungen.
Um 1863 war Carnegie zu Scotts früherer Stellung als
lokaler Superintendant der Pennsylvania-Bahn zu Pittsburg
befördert worden. Sein um neun Jahre jüngerer Bruder,
Thomas M. Carnegie, war sein Assistent.
Carnegies Kompagnons
Carnegie war achtundzwanzig Jahre alt, als er zuerst mit
der Eisenbahnindustrie in Verbindung kam. Diese Ver-
bindung war eine rein zufällige und schrieb sich lediglich
von einer Geldsumme her, die er in einem kritischen Augen-
blick in das Geschäft zu legen imstande war. Im Jahre 1858
hatten Andrew und Anton Kloman, zwei Brüder, die aus
Treves in Preußen eingewandert waren, zu Girtys Run in
Duquesne, einem Marktflecken Pennsylvaniens, eine kleine
Schmiede errichtet, ein primitives Unternehmen mit einer
kleinen Maschine und einem hölzernen Hammer, das als
Spezialität aus Ramaßeisen Radachsen herstellte und an
Eisenbahnen und Wagenbauer verkaufte.
Eine der Eisenbahnen, die von den Brüdern Kloman
kaufte, war die Pittsburg-, Fort Wayne- und Chikago-Bahn,
die jetzt einen wesentlichen Teil der Pennsylvania-Bahn
bildet. Der Angestellte, der den Kauf besorgte, war Tho-
mas N. Miller, ein junger Mann von vierundzwanzig Jahren,
der die Bedeutung des Geldverdienens sehr wohl einsah
und gegen die üblichen Methoden keineswegs allzu emp-
findlich war.
Das wachsende Geschäft der Klomans erforderte 1859
eine Kapitalserhöhung, und Andrew Kloman verfiel auf
eine glänzende Idee. An wen konnte man sich besser wenden
als an Miller ? Konnte man Miller dazu bewegen, 1 600 Dollar
gegen ein Drittel der Anteile in den Eisenwerken anzulegen,
so hieß das, daß Miller als Einkäufer einer großen Eisenbahn
- 689 -
natürlich größere Aufträge für die Werke sammeln würde,
an denen er beteiligt war. Obgleich alle, oder fast alle
Hauptbeamten der Eisenbahn sich in ähnlicher Weise be-
mühten, Anteile von den Firmen oder Gesellschaften zu
bekommen, von denen sie als Eisenbahnbeamte kauften,
soll Miller Zweifel geäußert haben, ob er dasselbe tun dürfe.
Er war eben noch sehr jung und sehr schüchtern. Endlich
aber verfiel er doch auf einen Ausweg, durch den er um den
delikaten Punkt herumkam : er habe, sagte er, einen Freund,
Henry Phipps, der als nomineller Teilhaber fungieren könne.
Phipps war damals gerade zwanzig und jagte eifrig nach
Geld. Sein Vater war ein Schuhmacher und versuchte ver-
gebens, 1600 Dollar aufzutreiben. Jedenfalls streckte Miller
schließlich die ganze Summe vor unter der Abmachung,
Phipps solle ihm die Hälfte des Kapitals von seinen Profiten
zurückzahlen und dafür die Hälfte der Zinsen einstecken.
Soweit Miller in Betracht kam, schützte er sich vor einer
peinlichen Untersuchung, indem er seinen Anteil auf
Phipps' Namen eintragen ließ.
Mit Millers Geld und seinen Beziehungen dehnte das
Geschäft der Gebrüder Kloman sich aus. Sie stellten einen
weiteren Hammer ein, der sehr gebraucht wurde, denn
Miller brachte Aufträge von seiner Eisenbahn in Hülle und
Fülle und empfahl die Klomans bei verschiedenen Wagen-
baufirmen: eine Empfehlung, auf die man etwas geben
mußte.
Nun brach der Bürgerkrieg aus, und damit begann eine
wahnsinnige Nachfrage nach Munition, Munitionswagen
und anderen Ausrüstungsgegenständen und schleuniger
Beförderung derselben. Aufträge von den Eisenbahnen
strömten nur so herbei, und der Verkaufspreis von Rad-
achsen sprang von zwei auf zwölf Cent das Pfund. Noch
größere Profite warfen die Lieferungskontrakte mit der Re-
gierung ab. Die dringende Notwendigkeit, eine plötzlich
geschaffene Armee und Flotte zu bewaffnen und aus-
zurüsten, erforderte die allergrößte Hast in der Vergebung
großer Aufträge. Exorbitante Preise wurden verlangt und
gezahlt; gerade während des Bürgerkrieges wurden die
kolossalsten Bestechungen ausgeführt, wodurch sich sowohl
44
— 690 —
die Lieferanten wie auch die Regierungsbeamten, die sich
diese Erpressungen gefallen ließen, enorm bereicherten.
Die Gebrüder Kloman gaben die Achsenfabrikation auf und
konzentrierten sich auf die Regierungsaufträge.
Von einem Teil der Profite, die auf diese Weise herbei-
strömten, bauten sie ein neues Eisenwalzwerk an der
29. Straße in Pittsburg, auf einem Grundstück, das sie für
jährlich 324 Dollar auf zwanzig Jahre mieteten, und er-
höhten das Kapital auf 80 000 Dollar. Die Einnahmen einer
Walzmühle waren damals enorm; zwischen 1860 und 1864
stieg der Preis für gewalztes Eisen von 58 Dollar auf
146 Dollar die Tonne, obgleich der Preis des Roheisens nur
von 22 Dollar auf 59 Dollar die Tonne stieg. Um 1863 hatte
Miller genug Geld beisammen, um Anton Kloman seinen
Anteil für 20 000 Dollar abkaufen zu können. Diese Zession
beunruhigte seinen Bruder Andrew, weil er glaubte, es
seien Pläne im Gange, ihn gleichfalls auszukaufen.
Nun entstand ein Streit zwischen Miller, Andrew Kloman
und Phipps, von denen jeder den anderen stark verdächtigte,
er wolle ihn übervorteilen. Anscheinend hatte Phipps auf
Millers Anregung einen Anteil ihres gemeinsamen Gut-
habens an einen beiderseitigen Freund, William Cowley,
für 8500 DoUar verkauft. Cowley war in der Armee an
Typhus gestorben, worauf Miller den Anteil Cowleys aus
dessen Nachlaß zurückgekauft hatte. Darüber ärgerten sich
sowohl Kloman wie Phipps, und Kloman verdächtigte auch
den Phipps. Die Streitigkeiten wurden so bösartig, daß man
eine Art Schiedsrichter anrief, um die Sache wieder einzu-
renken.
Man wählte Carnegie. Dieser kam und lenkte die Sache
allmählich so, daß er einen Teilhaber nach dem anderen
vollständig hinaus- oder in den Hintergrund drängte und
sich zum Herrn der Anlagen machte, die sich zu der un-
geheuren Stahlfabrik und großenteils zu dem Stahltrust
der späteren Tage entwickelten.
Als Schiedsrichter war er offenbar deshalb angerufen
worden, weil er sowohl mit Miller als mit Phipps befreundet
war. Er hatte in der Tat zu einer Gruppe ehrgeiziger junger
Leute gehört, die aus Miller, John Phipps (dem Bruder von
— 691 —
Henry Phipps) und Cowley bestand und mit einer anderen
Gruppe aus Henry Phipps, Thomas Carnegie (dem Bruder
Andrews), Henry W. Oliver und gewissen anderen liiert war,
lauter strebsamen Jünglingen, die schnell Geld machen
wollten, die Intrigen des Geschäftslebens noch nicht so
kannten und daher anfangs ein gewisses Vertrauen in-
einander hatten. Daher wurde Andrew Carnegie als Freund
der Streitenden gebeten, den Streit in freundschaftlicher
Weise zu schlichten.
Carnegie selbst hat freilich am 10. und 11. Januar 1912
als Zeuge vor der (Stanley-) Kongreßkommission, die den
Stahltrust untersuchen sollte, eine andere Darstellung seiner
frühen Laufbahn gegeben. Er sagte, er sei mit der Eisen-
branche zuerst im Jahre 1861 in Verbindung getreten, als
er sich mit einer Firma, namens Miller & Small, assoziierte,
und 1862 habe er von der Pittsburger Nationalbank
1500 Dollar geliehen, um sie als Teilhaber bei der „Schluß-
stein-Brückengesellschaft" anzulegen, was fünf oder sechs
seiner Bekannten auch getan hätten. „1863 bauten wir in
Pittsburg ein weiteres Werk, und 1864 "^^^ i^^ einer der
Gründer der ,Edelerz-Mühle und Schmelzanlage*. 1866
bauten wir die Lokomotivenwerke in Pittsburg und 1867
nahmen wir zwei weitere Walzwerke in Pittsburg hinzu.
Das war der Anfang des Carnegie-Stahltrustes." Er be-
zeugte ferner, er und seine Gesellschafter hätten damals sehr
wenig Kapital gehabt : „zu verschiedenen Zeiten legten wir
jeder 20 000 oder 30 000 Dollar ein". Aber in Einem Atem
damit fügte er hinzu, allein die Edelerz-Mühle habe damals
oder etwas später 500 000 Dollar Kapital gehabt.
Wo und wie er, ein junger Mann von 26 Jahren, noch in
Diensten der Pennsylvania-Bahn, es fertig brachte, das
Kapital aufzutreiben, das ihn instand setzte, sich zu solch
einem Kapitalisten auszudehnen, das zu erklären hütete er
sich wohl, und die bedachtsame Kommission hütete sich
ebenso sorgfältig, ihn allzu angelegentlich danach zu fragen.
Es ist jedenfalls Tatsache, daß sein Zeugnis voller Erinne-
rungsfehler ist, wie wir wohlwollend sagen wollen. Er ist
erst 1863 in die Eisenbranche eingetreten, und die „Schluß-
stein-Brückengesellschaft" kann er nicht gut 1862 ge-
44*
— 692 —
gründet haben, da sie erst im April 1865 ins Leben gerufen
worden ist.
Es waren nicht bloß die sogenannten Tatsachen, die er
angab, zum großen Teil erdichtet, sondern es waren auch
gerade die Einzelheiten, die er ausließ, das eigentlich Wich-
tige. Nachdem ein einziger Mensch 420 bis 500 Millionen
Dollar angesammelt hat, ist es dringend wünschenswert, zu
wissen, wie dieses Vermögen entstanden ist. Aber gerade
hier haben sich Vorgänge abgespielt, die der Magnat nicht
enthüllen und nicht enthüllt haben möchte; nachdem er,
im Besitze eines riesigen Privatvermögens, ein ehrwürdiges
Alter erreicht hat, liegt es in seinem Interesse und in seiner
Eitelkeit, es als durch ehrliche Methoden und überlegene
Geschicklichkeit erworben hinzustellen. Verlangt aber
jemand einen weiteren Beweis für die Wertlosigkeit von
Carnegies eigenem Bericht, so brauchen wir bloß darauf hin-
zuweisen, daß er im Laufe seiner Aussage vor der Unter-
suchungskommission ernsthaft behauptete, er habe keine
Ahnung von dem Inhalt des Shermanschen Anti-Trust-
gesetzes von 1892 gehabt. Also von dem wichtigsten Han-
delsgesetz der Vereinigten Staaten, das Kombinationen jeder
Art zur Beschränkung des Handels verbietet und das sogar
die Füchse auf unseren Handelshochschulen kennen, be-
hauptete Carnegie, ein Multimillionär und Besitzer von
Stahlwerken, Minen und Eisenbahnen, er habe zwar „von
seiner Annahme gehört", habe aber geglaubt, es beziehe sich
nur auf Eisenbahnen! Die Juristen der Carnegie-Stahl-
gesellschaft, so erklärte er feierlich, hätten ihm niemals ge-
sagt, daß es seinen eigenen Handel beträfe! Wir weisen auf
diese Tatsache hin, nur um zu zeigen, wie lächerlich seine
Aussage war.
Um aber den Faden unserer Erzählung wieder aufzu-
nehmen: Als Carnegie von Kloman, Miller und Phipps
gebeten wurde, ihre Streitigkeiten zu schlichten, erzeugte
sein Dazwischentreten nur neuen Zwist, und nach Bridge
entschied er dahin, Miller sei als Hauptursache der Uneinig-
keit auszuschließen. Unterm i. September 1863 wurde
zwischen den Teilhabern eine neue Vereinbarung getroffen,
wonach Miller als Sonderteilhaber mit einem Sechstel an
- 693 -
der neuen, auf den Namen Kloman und Phipps lautenden
Gesellschaft beteiligt war; der Vertrag enthielt eine Klausel,
die Miller unter Protest unterzeichnete, wonach seine Teil-
haberschaft mit einer Frist von sechzig Tagen gekündigt
werden konnte.
Nur wenige Monate später zeigte sich die wahre Be-
deutung dieser Klausel : ihm wurde gekündigt, er hatte sich
in einer gesetzlichen Schlinge gefangen und konnte, da er
den Vertrag unterzeichnet hatte, nichts tun, als vergeblich
protestieren. Es stellte sich heraus, daß der Friedensengel
bei dieser Abmachung zur Austreibung Millers geschickt
intrigiert hatte, um sich selbst als Teilhaber in das Unter-
nehmen hineinzuschmuggeln. Er tat es nicht direkt : er lieh
seinem Bruder Thomas M. Carnegie die nötigen Gelder,
damit er als Teilhaber eintreten könne, und kalkulierte,
wie er seinerzeit selbst zugab, daß bei Millers Aus-
scheiden die Hälfte seines Anteils an der Eisenschmelze auf
Thomas M. Carnegie überschrieben würde. Miller konnte
nichts dagegen tun.
Auf diese Art erzwangen die Brüder Carnegie ihren Ein-
tritt in die Eisenindustrie. Keiner von beiden war in dieser
Branche in die Lehre gegangen; keiner von beiden hatte die
geringsten technischen oder sonstigen Kenntnisse vom
Prozeß der Eisenbereitung. Die Geschicklichkeit Andrew
Carnegies zeigte sich lediglich in seiner Funktion als
„Friedensstifter", indem er die Zwistigkeiten der Teilhaber
untereinander zu seinem Vorteil auszunutzen wußte. Bei
einer derartigen Sachlage war es für ihn verhältnismäßig
leicht, aus der Eifersucht und Geldgier der anderen zu
profitieren, besonders da er über das zu erfolgreichen Eisen-
unternehmungen nötige Kapital verfügte. Seine Verbin-
dungen mit dem Eisenbahnwesen und ähnlichen Geschäfts-
zweigen sowie seine Stellung als Beamter setzten ihn in-
stand, eine große Ausdehnung der Eisenindustrie voraus-
zusehen. Er erkannte, wie diese Ausdehnung sich auf höchst
vorteilhafte Weise in Geld umsetzen ließ, wenn man die
interessierten hohen Eisenbahnbeamten als „stille Teil-
haber" ins Geschäft aufnahm und sich von ihnen Aufträge
besorgen ließ, an deren Ausführung sie einen pekuniären
- 694 -
Anteil hatten. Alles das erkannte er klar. Es wirft gewiß
ein helles Licht auf Carnegies Geschicklichkeit oder auf
Millers Mangel an Einsicht, wenn dieser nach seinem Hinaus-
wurf sich mit Carnegie und anderen zur Gründung der
Zyklopen-Eisenmühlen zu Pittsburg in der 33. Straße zu-
sammentat, um mit Kloman-Phipps zu konkurrieren. Wir
können daraus schließen, daß Carnegie die verschiedenen
Schritte, die zu Millers Hinauswurf aus den Kloman- Werken
führten, so umsichtig getan hatte, daß Miller die Kunst-
griffe Carnegies immer noch nicht durchschaute. Nicht
weniger erbaulich als Symptom für die Geschäftsmethoden
jener Zeit ist die Tatsache, daß Carnegie ein Konkurrenz-
unternehmen gegen die Klomanschen Städtischen Eisen-
schmieden gründete, bei denen er selbst ,, stiller" Teil-
haber war. Wie wir aber sehen werden, führte Carnegie
dabei einen kühnen und offenbar wohlbedachten Plan aus.
Es sollte die Zeit kommen, wo er, der ursprünglich nur
als erbetener Schiedsrichter auf der Bildfläche erschienen
war, die volle Herrschaft über die ganze Eisen- und Stahl-
industrie im Pittsburger Distrikt erlangte. Er besaß eine
bemerkenswerte Gabe, die wärmste Freundschaft und Hoch-
achtung für Leute zu beteuern, auf deren Kosten er in dem-
selben Augenblick seine eigenen Interessen durchsetzte. Das
allein aber hätte nicht genügt. Er verstand es auch, sich
vor allem der Hilfe des Gesetzes zu bedienen, d. h. gesetz-
licher Abmachungen und Verträge, die er so raffiniert ab-
faßte, daß der arme Teilhaber oder Erfinder nachher ge-
wöhnlich erkannte, er könne gesetzlich gegen Carnegie
nichts machen, da er sich durch den Vertrag, den er so ver-
trauensselig unterzeichnete, die Hände gebunden hatte.
Gewöhnliche Juristen genügten für Carnegie nicht; er
brauchte mit allen Hunden Gehetzte, und der beste Beweis
für ihre Geschicklichkeit ist die Tatsache, daß selten jemand
gegen Carnegie einen Prozeß riskierte. Ein Teilhaber nach
dem anderen verließ ihn unfreiwillig und voller Wut und
Groll, aber die Prozeßberichte wird man vergebens nach
Klagen durchsuchen — bis auf ein oder zwei Fälle, auf die
wir sogleich eingehen wollen. Was Thomas M. Carnegie
betrifft, so war er ein Mann, der keinerlei überwältigende
- 695 -
finanzielle Fähigkeiten besaß, wohl aber eine außerordent-
lich überzeugende Art und Weise, die mit jedem Einwand
fertig wurde. Die Brüder ergänzten einander vortrefflich.
Den Zyklopen-Werken ging es schlecht; da sie niemand
hatten, der etwas vom Eisenwesen verstand, konnten sie
mit den Städtischen Eisenschmieden nicht wirksam kon-
kurrieren. Weder Miller noch Andrew Carnegie konnten sie
erfolgreich leiten; keiner von beiden hatte die geringste
mechanische Fertigkeit. Da es mit der Mühle schnell bergab
ging, erhob sich die dringende Frage, wie man sie loswerden
könnte.
Das erreichte man bald durch eine Verschmelzung, die
so trefflich eingefädelt wurde, daß sie Andrew Carnegie in
seinem Ehrgeiz, eine beherrschende Stellung für sich zu
erreichen, einen Schritt weiter brachte.
Thomas M. Carnegie redete in seiner einschmeichelnden
Weise so lange auf Kloman und Phipps ein, bis sie sich zu
einer Verschmelzung der Zyklopen-Eisenwerke mit ihrem
eigenen Unternehmen verstanden; sein Hauptargument war
die Notwendigkeit einer Kapitalserhöhung, und nicht
minder schlagend war seine Versicherung, Andrew Carnegie
wäre bereit, 50 000 Dollar zur Verteilung an die Teilhaber
der Kloman-Werke vorzustrecken.
Es wurde ein Vertrag abgeschlossen, wonach eine neue
Gesellschaft, die „Union-Eisenmühlen-Gesellschaft", ge-
gründet werden soUte, welche die Städtischen Eisenschmie-
den mit 150000 Dollar und die Zyklopen-Eisenwerke mit
50 000 Dollar übernehmen und 500 000 Dollar Kapital be-
sitzen sollte. Für die Einhändigung der Zyklopen-Eisen-
werke sollten Andrew Carnegie, Miller und andere aus ihrer
Gruppe etwas weniger als die Hälfte der Anteile an der
neuen Gesellschaft bekommen, und Kloman sollte Leiter der
Gesellschaft bleiben. Das war der Inhalt des Vertrages vom
I. Mai 1865.
Um diese Zeit war der Bürgerkrieg vorbei, und damit be-
gann für die Eisenbahnen und ähnliche Unternehmungen
eine glänzende Periode. Die Eisenbahnen im Süden, die
von den Truppen der Union zerstört worden waren, mußten
wieder aufgebaut werden; in den weiten Territorien west-
- 696 -
lieh des Mississippi wurden große transkontinentale Eisen-
bahnen projektiert und zur Ausführung gebracht. Durch
diesen Antrieb fielen den Eisenleuten mehr als große Auf-
träge für Eisenbahnartikel zu. Obgleich eiserne Brücken
eine keineswegs neue Erfindung waren, hatte man die
Eisenbahnen mit solcher Eile und Geldgier erbaut, daß es
viele Holzbrücken gab, die häufige und schwere Unfälle im
Gefolge hatten. Die Eisenbahnkapitalisten sahen jetzt ein,
daß eiserne Brücken wegen ihrer Dauerhaftigkeit sich zu
guter Letzt doch mehr rentierten — eine Einsicht, die ihnen
nicht so sehr aus dem Verlust an Menschenleben kam, als
aus dem Skandal, der darauf folgte, und aus dem Untergang
rollenden Materials.
Es gab in Pittsburg eine Eisenbrückenfirma namens
Piper & Schißler. Einen Monat vor Gründung der Union-
Eisenmühlen hatte Carnegie auch bei der Gründung einer
,, Schlußstein- BrückengeseUschaft" zur Übernahme der
Werke von Piper & Schiffler eine wichtige Rolle gespielt.
Das war ein äußerst vorteilhaftes Geschäft. Die Schlußstein-
Brückengesellschaft kaufte alles Material von den Union-
Eisenmühlen, deren Verdienste enorm in die Höhe gingen.
Andrew Carnegie war dabei mehr Teilhaber, Gründer und
finanzieller Hintermann als Leiter, aber diese Interessen-
verknüpfung vermehrte sein Ansehen und sein Vermögen
beträchtlich. Das wahre Haupt der Union-Eisenmühlen-
Gesellschaft war Andrew Kloman, der wohl in der allmäch-
tigen Wissenschaft finanzieller Manipulationen versagte,
dafür aber die Überwachung der technischen Einzelheiten
beim Eisenschmieden verstand und ein ausgesprochenes
mechanisches Talent für Verbesserungen besaß. Kloman
war es, der die Maschinen und Methoden so vervollkomm-
nete, daß die Stangen so dick gerollt werden konnten, wie
es für den Brückenbau nötig war. Er war auf seinem Platz
unentbehrlich, er war der Mann, der die Mühlen wirklich
leitete. Carnegie wußte wohl, daß die Zeit noch nicht ge-
kommen war, einen so nützlichen und nötigen Mann wie
Kloman hinauszusetzen.
Die Zeit war jedoch höchst günstig, um Miller zu
verdrängen. Konnte Miller überredet oder gezwungen
- 697 -
werden, seine Anteile zu verkaufen, so mußte Carnegies
Einfluß auf die Union-Eisenmühlen noch wachsen. 1867
brach zur guten Stunde ein Streit aus, oder vielmehr eine
Neuauflage des alten, geschickt aufgefrischten. Miller hatte
eine besondere Wut auf Phipps und weigerte sich, mit ihm
und gewissen anderen Männern, gegen die er einen Groll
hatte, an den Versammlungen der Direktoren teilzunehmen.
Die Transaktion mit der Columbia-Ölgesellschaft, die Car-
negie ihm vermittelt hatte, nagte auch an seinem Gemüt.
Inzwischen gab sich Carnegie die größte Mühe, Miller zum
Verkauf seiner Union-Eisenmühlen-Aktien zu bringen.
Gleichzeitig machte er Miller die größten Freundschafts-
beteuerungen und erklärte ihm nach Bridge in einem Briefe
vom 4. September 1 867, der Anteil habe keinen großen Wert
und er selber sei froh, wenn er den seinen loswerden
könnte, wenn ihm jemand dafür nur 27,40 Dollar pro Aktie
geben würde. Er besaß damals 1600 Aktien.
Miller fand seine Stellung als Teilhaber bei den Union-
Eisenwerken immer unerträglicher und schaute sich nach
jemand um, der ihm seinen Anteil abkaufen würde.
Andrew Carnegie erbot sich in zuvorkommender Weise,
jemand zu finden. Schließlich erschien einer auf der Bild-
flät h i, den Miller für einen gewissen David A. Stewart hielt
und dem er seine Aktien schließlich für je 32 Dollar ver-
kaufte. Zu seiner Überraschung und Kümmernis erfuhr er
aber bald, daß der wirkliche Käufer kein anderer war als
Andrew Carnegie selber! Der Anteil, den Miller verkaufte,
umfaßte gewisse Aktien, die er vorher von einem Herrn
Matthews gekauft hatte. Auf diese Weise vergrößerte
Andrew Carnegie seinen Anteil auf fast vierzig Prozent aller
ausgegebenen Aktien der Union-Eisenwerke.
Miller war jetzt vollständig abgesägt, und Carnegie war
in seinem Streben, sich der Eisenwerke zu bemächtigen,
einen großen Schritt weiter gekommen.
Nun aber trat in der Eisenindustrie ein Zwischenfall oder,
besser gesagt, ein Ereignis ein, das deutlich bewies, es sei
keineswegs nötig, tüchtige mechanische Aufseher zu Teil-
habern zu haben; es zeigte sich klar, daß die erfindenden
Mechaniker einfach als Werkmeister oder in einer sonstigen
- 698 -
Eigenschaft gemietet werden konnten, in der sie ein Gehalt
bekamen, aber in keiner Weise Sitz und Stimme in der
Direktion besaßen.
Vom kapitalistischen Standpunkte war das eine großartige
Entdeckung. Danach konnten also industrielle Anlagen
gänzlich von Gründern und Finanzleuten besessen und be-
herrscht werden. Es war belanglos, ob sie von den techni-
schen Herstellungsprozessen etwas verstanden oder davon
bloß die unvollkommensten Laienkenntnisse besaßen. Die
Männer, die darin geschickt und erfahren waren, konnte
man als Revisoren oder Werkmeister engagieren und sie
Kontrakte unterzeichnen lassen, wonach für ihr Gehalt alles,
was sie in der Zeit ihrer Beschäftigung erfanden und ent-
deckten, unumschränktes Eigentum der Gesellschaft werden
sollte.
Der Zwischenfall, der zu dieser neueren Organisations-
methode führte — ein Zwischenfall, der Carnegie und seinen
Teilhabern viele Millionen Dollar einbrachte — trug sich
in der Folge von Arbeiterunruhen zu. Die Union-Eisen-
werke und andere Eisenfabrikations-Unternehmungen ver-
langten, daß die „Vulkan-Söhne", eine Vereinigung von
Eisenpuddlern, in eine Lohnherabsetzung einwilligten. Man
begründete diese Forderung damit, daß die Eisenpreise ge-
fallen seien. Die Puddler weigerten sich. Es waren intelli-
gente Leute, die wohl wußten, daß die Gesellschaft bei
ihrer Ausgabe von Aktien, wofür teilweise nicht ein Dollar
Anlagekapital gezahlt worden war, große Profite eingesackt
hatte. Sie sahen auch, daß die Aktienschieber an der Spitze
der Werke reich geworden waren, während sie, die Puddler,
für einen Lohn arbeiten mußten, der in keinem Verhältnis
stand zum Verkaufspreis der Eisenprodukte, die sie erzeug-
ten. Deshalb wollten sie sich die Lohnherabsetzung nicht
gefallen lassen. Die Folge war die Aussperrung von 1867.
Aber die Eisenkapitalisten hatten einen Plan bereit,
die Arbeitervereinigung zu bekämpfen und zu schlagen.
Ein Plan, der später in indirekter Weise mit gleichem Er-
folge von der Carnegie-Stahlgesellschaft und ihrer Nach-
folgerin, dem Stahltrust, angewandt wurde und bereits
von den Wollmühlen Neu-Englands benutzt worden war.
- 699 -
Man schickte einfach Agenten nach Europa, damit sie
billige Arbeitskräfte aufstöberten. Damals gab es keine
gesetzliche Schranke gegen die offene und direkte Aus-
führung dieses Planes ; erst viele Jahre später wurde das Ge-
setz angenommen, das die Einführung Fremder unter
Kontrakt verbietet.
Ein buntscheckiges Gemisch von europäischen Arbeitern
aller Nationalitäten wurde importiert. Viele waren Eng-
länder, Iren und Leute aus Wales, die an viel niedrigere Be-
zahlung und Lebenshaltung gewöhnt waren als die ameri-
kanischen Arbeiter; ein großer Teil bestand auch aus
Deutschen, die, da sie kein Englisch verstanden, den Union-
Eisenmühlen überwiesen wurden, wo Andrew Kloman,
selbst ein Deutscher, ihnen in ihrer Muttersprache Befehle
geben konnte. Einer von diesen importierten Deutschen
war ein besonders tüchtiger, begabter Mann, namens Jo-
hannes Zimmer, der in einer deutschen Eisenmühle ge-
arbeitet hatte. Er gab Kloman eine Beschreibung von einer
gewissen Art von Walzwerken, die in Deutschland üblich
waren und Platten lieferten, wie sie damals in Amerika gänz-
lich unbekannt waren — Platten von verschiedener Größe
mit glatten Rändern. Kloman baute nach Zimmers Beschrei-
bung ein derartiges Walzwerk, das gerollte Platten von ver-
schiedener Dicke und Größe produzierte. Carnegies Gesell-
schaft machte sich diese Erfindung ruhig zu eigen, eine Er-
findung, die von Anfang an einen Bombenerfolg brachte und
später in dem riesigen Plattenwalzwerk zu Homestead aus-
genutzt wurde. „Diese kleine Idee des deutschen Arbei-
ters," schreibt Bridge, „hat der Firma, die ihn an die Stelle
eines Ausständigen gesetzt hatte, Millionen eingetragen.
Was Zimmer selbst betrifft, so bestand sein Lohn in einer
gut bezahlten Stellung als Obmann des Walzwerkes, das er
gebaut hatte, und der folgenden verbesserten Auflagen da-
von. Er sparte Geld und soll bei seinem Tode mehr als
100 000 Dollar besessen haben."
Das war aber nicht der einzige Fall der frechen Aus-
nutzung einer deutschen Erfindung. Phipps machte als
finanzieller Regent der Union-Eisenwerke häufige Reisen
nach Europa, mehr in der Absicht, der Gesellschaft aus-
— yoo —
ländische Absatzmärkte zu eröffnen, als zu anderen Zwecken.
Aber er verpaßte keine Gelegenheit, sich mit jedem neuen
Verfahren und jeder neuen Erfindung bekannt zu machen,
wovon er zu hören bekam. Er besichtigte die europäischen
Eisenwalzwerke, prüfte jede Einzelheit aufs genaueste und
wählte davon, was ihm wertvoll erschien. So beobachtete er
einmal, als man ihm, ohne Verdacht zu hegen, die Freund-
lichkeit erwies, ihm die Besichtigung eines deutschen Werkes
zu gestatten, daß durch einen gewissen dort angewandten
Prozeß eine große Ersparnis in bezug auf die Haufen alten
Schieneneisens, die zur Bereitung der Eisenbalken in den
Hochofen geworfen werden mußten, erzielt wurde. Ohne
Zögern skizzierte er sich die Methode und führte sie nach
seiner Rückkehr nach Pittsburg dort anstatt des bis dahin
üblichen Verfahrens ein. Man sagt, die Firma habe seitdem
jeden Tag so viel gespart, wie seine Reise nach Europa ge-
kostet hatte.
Nun wurde die Firma geändert: am i. Dezember 1870
gründeten Kloman, Phipps und die Brüder Carnegie die
Firma Kloman, Carnegie & Co. Ein paar Monate später
begannen sie mit dem Bau des berühmten Hochofens
,,Lucie" an der 59. Straße in Pittsburg. Dieser Hochofen
war so leistungsfähig, daß er mit der Erzeugung von
350 Tonnen Roheisen wöchentlich begann — was man
damals kaum für möglich gehalten hatte — und dreizehn
Jahre später sogar 800 Tonnen täglich produzierte. Und
dieser Ofen war es, dessen Einrichtung Kloman in finanzielle
Schwierigkeiten stürzte, die Andrew Carnegie die vermut-
lich lang erwartete Gelegenheit boten, ihn hinauszuwerfen.
Wie hoch Carnegies Reichtum sich damals genau belief —
das zu ermitteln, ist unmöglich. Doch floß seine wachsende
Macht nicht bloß aus seinem persönlichen Einkommen,
sondern auch aus der Kühnheit, mit der er vorging, und be-
sonders daraus, daß er die Interessen großer Kapitalisten
mit seinen Plänen zu verflechten wußte. So vermittelte er
der Schlußstein-Brückengesellschaft noch vor ihrer Grün-
dung eine Fülle von Aufträgen und von Frachtermäßigun-
gen, indem er sich mit den höchsten Beamten der Pennsyl-
vania-Bahn in Verbindung setzte. J. Edgar Thompson, der
— JOl —
Präsident dieser Bahn, war ein bedeutender Aktionär der
Brückengesellschaft; er fürchtete sich freilich so sehr vor
der öffentlichen Kritik, die ihn dieserhalb angreifen könnte,
daß er die Aktien auf den Namen seiner Frau eintragen
ließ; er gab der Gesellschaft große Aufträge. Auch der
Vizepräsident der Bahn, Thomas A. Scott, war im geheimen
Aktionär der Gesellschaft, ebenso auch gewisse andere ein-
flußreiche Beamte der Bahn. Natürlich benutzten sie ihre
hohen Stellungen bei der Pennsylvania-Bahn, um die
Produkte der Schlußstein -Brückengesellschaft bei den
Beamten der anderen Bahnen aufs wärmste zu empfehlen.
Die Schlußstein-Brückengesellschaft rühmte sich dieser
weiten Beziehungen zu Eisenbahnen in ihren Annoncen
und zählte die Bahnen auf, für die sie Aufträge ausführte :
es waren die Pennsylvania-, die Nördliche Zentral-, die
Nord-Missouri-, die Illinois-Zentral-, die Baltimore-Ohio-,
die New-Jersey-Zentralbahn und viele andere. Sie rühmte
ihre schmiedeeisernen Brücken, „Patent Linville und Piper".
Linville war noch 1877 ihr Präsident, und Piper blieb lange
ihr Hauptleiter; Andrew Carnegie aber hielt sich im Hinter-
grund und operierte durch seinen Bruder Thomas, der
Schatzmeister der Schlußstein-Gesellschaft war.
So brauchte die Schlußstein -Brückengesellschaft nicht
wie viele andere Unternehmungen mit dem Kleinen und
Ungewissen zu beginnen und nach Aufträgen herumzu-
tappen ; sie erfreute sich schon bei ihrer Geburt einer hohen,
einflußreichen Gönnerschaft. Und diese Gönnerschaft ge-
reichte nicht bloß ihr selbst zum Vorteil, sondern wirkte in
großem Maße auch zugunsten der Union-Eisenwerke, von
denen die Schlußstein-Gesellschaft ihren Bedarf an Roh-
eisen bezog. Für Carnegie aber war seine Herrschaft über
die Schlußstein-Gesellschaft ein höchst wertvolles Hilfs-
mittel in seinem ständigen Streben, auch die Union-Eisen-
werke unter seine Botmäßigkeit zu bringen; konnte er
seinen Mitteilhabern bei den Union-Eisenwerken im kriti-
schen Moment, wenn sie gewisse Dinge nicht tun wollten,
nicht immer damit drohen, die Brückengesellschaft würde
ihren Eisenbedarf anderwärts decken ?
Parallel mit dem Umschwung, der sich in der Leitung
— 702 —
der Union-Eisenwerke vollzog, lief ein ähnlicher Vorgang
bei der Schlußstein -Brückengesellschaft. Genau wie die
Unionwerke ursprünglich unter den Gebrüdern Kloman ein
Unternehmen gewesen waren, das persönlich von Besitzern
geleitet wurde, die in der Branche technische Erfahrung be-
saßen, dann aber unter die Herrschaft von Leuten geraten
war, die lediglich als Geschäftsmänner und Geldgeber ge-
kommen waren — genau so wurde die ursprüngliche Firma
Piper & Schiffler durch die Schlußstein-Gesellschaft er-
setzt.
Piper war ein Mann von großer technischer Begabung,
der andauernd Erfindungen auf dem einen oder auf dem
anderen Gebiet ausbrütete. Sein Kompagnon Schiffler war
„ein guter Antreiber", d. h. er verstand mit den Arbeitern
umzuspringen und die äußerste Leistung aus ihnen heraus-
zuquetschen. Beide Kompagnons hatten gleichzeitig im
Eisenbahnbau gearbeitet; den Piper hatte Carnegie schon
1858 in Altona kennen gelernt, wo Carnegie damals bei der
Pennsylvania-Bahn bedienstet war. Den Dienst bei dieser
Bahn gab Carnegie erst 1865 auf, gerade im Gründungs-
jahr der Schlußstein -Brückengesellschaft. Sobald diese
Gesellschaft gebildet war, wurden sowohl Piper wie
Schiffler zu Handlangern heruntergedrückt. Es ist nicht zu
leugnen, daß die großen Kapitalien, die in die Schlußstein-
Gesellschaft gesteckt wurden, hauptsächlich der Gewißheit
einträglicher Aufträge durch Thompson, Scott und andere
Eisenbahnbeamte zu danken waren. Bridge, der als persön-
licher Sekretär Carnegies Zugang zu gewissen privaten Doku-
menten hatte, versichert, Carnegie hätte seine Hauptanteile
an der Brückengesellschaft lediglich als Gratifikation für
seine Dienste bei der Gründung erhalten, ohne daß er dafür
einen Pfennig bezahlt hätte; da ihm diese Anteile aber nicht
genügten, habe er zur Erlangung weiterer Aktien einen
Schuldschein gegeben, zu dessen Bezahlung die vier ersten
Dividenden hingereicht hätten.
Wie durch die Binnenhandels-Kommission der Ver-
einigten Staaten 1906 festgestellt wurde, billigte J. Edgar
Thompson als Präsident der Pennsylvania-Eisenbahn es auch,
daß hohe Eisenbahnbeamte Geld bei Kohlengesellschaften
- 703 -
anlegten — dieselben Beamten, die den Konkurrenten dieser
Kohlengesellscliaften Frachtwagen verweigern und ihre
Sendungen verbummeln oder sie sonstwie benachteiligen
konnten. Nach dem Kommissionsbericht bekamen viele
Beamte Aktien geschenkt oder so gut wie geschenkt, weil
es den Gesellschaften nützlich schien, oder dafür, daß sie
ihre Namen als Förderer solcher Gesellschaften hergaben.
Das Krisenjahr 1873 war für Carnegie eine günstige Zeit.
Am IG. Januar 191 2 bezeugte er vor der Untersuchungs-
kommission des Senats über Stahltruste, dieses Jahr hätte
viele von seinen Kompagnons gezwungen, an ihn zu ver-
kaufen, und in diesem Jahre hätte er die Herrschaft über die
Stahlindustrie errungen. Wenn Carnegie gewollt hätte,
so hätte er dies gut durch sein Verhalten gegen Andrew
Kloman illustrieren können. Kloman hatte sich heftig bei
zwei Schmelz- und Erzminen-Gesellschaften in Michigan
engagiert, die ihm vorgestellt hatten, sie könnten ihm genug
Eisenerz für die „Lucie" liefern. Diese Gesellschaften ge-
rieten im Krisenjahr 1873 in Konkurs. In seiner relativen
Geschäftsunkenntnis hatte Kloman gemeint, es wären Ge-
sellschaften mit beschränkter Haftung, jetzt aber merkte er,
daß er sich tiefer engagiert hatte, als er dachte. Es war
höchst wahrscheinlich, daß die Gläubiger, wenn sie wollten,
ihm auch noch die Zinsen von anderen Gesellschaften, an
denen er beteiligt war, wegnehmen würden.
Da kam Andrew Carnegie als der treue Freund in der Not
und machte Kloman schließlich das Anerbieten, er solle ihm
für die Zeit der Auseinandersetzung mit seinen Gläubigern
seine Anteile bei der Gesellschaft zedieren und während die-
ser Zeit als Angestellter mit 5000 Dollar Gehalt arbeiten,
um dann wieder in den Vollgenuß seiner Teilhaberschaft ein-
zutreten. Kloman nahm dieses Anerbieten an und arbeitete
drei Jahre lang für 5000 Dollar jährlich, immer in der
Hoffnung, bald wieder voller Teilhaber zu sein. Endlich
gelang es ihm, sich mit seinen Gläubigern auf Zahlung der
Hälfte seiner Verbindlichkeiten zu einigen. Wie erstaunt
und bestürzt war er, als er erfuhr, seine Abmachung mit
Andrew Carnegie habe nicht die geringste gesetzliche Gültig-
keit! Er konnte nichts machen, als die 100 000 Dollar an-
- 704 -
nehmen, die Carnegie ihm als seine Anteile an den verschie-
denen Werken anbot, obgleich er sie für ein armseliges
Almosen hielt im Vergleich zu dem wahren Wert seiner
Interessen. Aber gesetzlich konnte er nichts machen; er
ging weg und nährte sein Lebenlang bitteren Groll gegen
Carnegie. Seitdem war er eine abgetane Figur und hatte mit
der Gesellschaft, die aus seinem Werk entsprungen war,
nichts mehr zu tun.
Bereits 1855 — 56 hatte Sir Henry Bessemer in England
die Stahlbereitung mittels der großen drehbaren Gefäße,
der „Bessemer-Birnen", gezeigt; zwischen 1868 und 1873
hatten in den Vereinigten Staaten mindestens vier ver-
schiedene Werke begonnen, nach dem Bessemer- Verfahren
zu arbeiten.
Die Carnegies schickten jetzt William Coleman aus, um
diese amerikanischen Stahlwerke zu besichtigen, und bald
darauf ging Andrew Carnegie selber nach England, um da-
selbst das Bessemer- Verfahren zu studieren. Coleman war
der Schwiegervater von Thomas M. Carnegie, und er soll
die Idee gehabt haben, Stahlschienen zu produzieren. Man
begrüßte die Idee als außerordentlich glänzend und zeit-
gemäß: die alten Eisenschienen, die bis dahin gebraucht
wurden, waren für den immer größeren Verkehr voll-
kommen unzulänglich; sie bekamen Brüche, und daraus er-
gaben sich Entgleisungen von Lokomotiven und Zügen mit
großen Verlusten an Menschenleben. Außerdeni mußte
sie sich sofort rentieren : da die Eisenbahnbeamten als „stille
Teilhaber" wirkten, mußten sofort große Aufträge kommen,
und wenn erst die Pennsylvania-Bahn die Stahlschienen ein-
geführt haben würde, würden die anderen Bahnen gezwun-
genermaßen folgen.
Aber zwischen der Idee und ihrer erfolgreichen Aus-
führung war ein himmelweiter Unterschied. Die Idee war
einfach, die Ausführung aber verlangte technische Ein-
richtungen und Erfindungen, wovon weder Coleman, noch
Phipps, noch die Carnegies die leiseste Idee hatten. Mit
wessen Hilfe sie es fertig bekamen, diesem Mangel abzu-
helfen, soll später beschrieben werden. Es mag genügen,
wenn wir sagen, daß Colemans Bericht so günstig ausfiel.
- 705 -
daß er sich selbst beteiligte. Im selben Jahre wurde die
Firma Carnegie, McCandleß & Co. gegründet zur Erzeu-
gung von Stahlschienen und anderen Produkten. McCand-
leß war Vizepräsident der großen Pittsburger Bank. Das
Kapital der Gesellschaft betrug 700 000 Dollar. Coleman
zeichnete igogog; David A. Stewart, der Präsident der
Pittsburger Lokomotivenwerke, John Scott, einer der
Direktoren der Alleghany-Bahn, Phipps, Thomas M. Car-
negie, McCandleß und Kloman zeichneten je 50 000 Dollar
(Kloman war damals noch nicht hinausgeworfen); Andrew
Carnegie aber zeichnete 250 000 Dollar. Im nächsten
Jahre, am 12. Oktober 1874, wurde die Firma Carnegie,
McCandleß & Co. aufgelöst, und an ihrer Statt erhob sich
die Edgar Thompson-Stahlgesellschaft (m. b. H.) — so
genannt nach dem Präsidenten der Pennsylvania-Bahn; sie
erklärte, eine Million Dollar Kapital zu haben.
Woher, so fragt man sich, nahm Andrew Carnegie jene
250 000 Dollar, die er zeichnete ? Abgesehen von seinen
Profiten aus den früheren Transaktionen, gelang es ihm, fast
diese ganze Summe beim Verkauf von Obligationen während
seines Ausfluges nach Europa im Jahre 1872 zu erzielen.
Wir erfahren aus dem Zeugnis von Bridge, daß Thompson,
sein getreuer Chef, ihn beauftragte, für sechs Millionen
Dollar Obligationen zum Bau einer neuen Eisenbahn nach
Davenport in Iowa auf den europäischen Markt zu werfen;
und obgleich die Bahn bloß auf dem Papier stand und nie
gebaut wurde, obgleich die Käufer dieser Obligationen
jeden Dollar verloren — bekam Carnegie dennoch 150000
Dollar als Provision. Zur selben Zeit bekam er 75 000 Dollar
Provision für den Verkauf gewisser anderer Obligationen.
Die Inhaber dieser sechs Millionen Obligationen gaben sich
die größte Mühe, ihn zum Schadenersatz heranzuziehen,
es gelang ihnen aber nicht. Braucht man da länger zu er-
klären, warum Carnegie von Thompson eine so überaus hohe
Meinung hatte, daß er seine Stahlwerke nach ihm benannte ?
Aber Thompson und Scott waren nicht die einzigen Eisen-
bahnmagnaten, bei denen Andrew Carnegie sich einschmei-
chelte. In der Darstellung seiner Laufbahn, die er der Unter-
suchungskommission des Senates über Stahltruste am
45
— 7o6 —
II. Januar 191 2 gab, prahlte er folgendermaßen: „Ich er-
innere mich, daß die Union-Atlantische Eisenbahn einmal
die Lieferung von 70 000 Tonnen Schienen ausgeboten hatte,
und die Offerten sollten in Omaha geöffnet werden. Dort
waren all meine Konkurrenten. Ich aber ging nach New
York zum Präsidenten Sydney Dillon (von der Union-
Atlantischen Eisenbahn). Ich hatte der Union- Atlantischen
einmal mit etwa 600 000 Dollar in Philadelphia ausgeholfen,
und sie hatten mich und George M. PuUman in den Auf-
sichtsrat gewählt. Ich sprach mit Dillon über das Schienen-
Ausgebot und fragte ihn, ob die Carnegie-Schienen gut genug
wären. Er bejahte. Gut, sagte ich, ich möchte, daß die
Union- Atlantische das Geschäft mit mir macht, und will
Ihnen den niedrigsten Preis machen. Abgemacht, Carnegie,
sagte er, und ich bekam den 70 000-Tonnen -Vertrag."
Carnegie fügte hinzu, er habe einmal CoUis P. Huntington
Kredit gegeben, als dieser Eisenbahnmagnat „krumm lag".
Die genaue Zeit, wann er diese Darlehen gegeben hatte,
wagte Carnegie nicht anzugeben; wir müssen annehmen,
daß es in früheren Jahren geschah, als die Union-Atlan-
tische und Huntington noch nicht mit Reichtümern über-
schwemmt waren wie später, nachdem sie den Kongreß und
die Gesetzgebungen zur Erlangung großer Geld- und
Bodenbeihilfen erfolgreich bestochen hatten.
Noch ein anderer Eisenbahnbeamter wurde in die
Edgar Thompson-Stahlwerke hineingebracht, nämlich Wil-
liam P. Shinn, Generalagent der Pennsylvania-Eisenbahn,
Teilhaber der Edel -Eisen -Gesellschaft und Präsident der
Ashtabula-, Joungstown- und Pittsburger Eisenbahn. Shinn
war es, der das Überschlagssystem einführte, das sich bei
der Standard -Ölgesellschaft und bei der Pennsylvania-
Bahn schon so nützlich und vorteilhaft gezeigt hatte: ein
System, das darin bestand, vor Annahme eines Auftrages
den jeweiligen Kostenpreis jedes Rohmaterialteils, der bei
der Schienenproduktion gebraucht wurde, genau zu berech-
nen. Shinns Dienste waren für die Gesellschaft höchst
wertvoll.
Von noch größerem Wert aber waren ihr die Dienste
jenes bedeutenden Eisenschmelzers A. L. Holley und des
- 1^1 -
Erfinders Kapitän William L. Jones. HoUey war ein Mensch,
der ganz in seinem Beruf aufging und sich wenig oder gar
nicht um Geld kümmerte. Sein Leben war von dem einen
Ehrgeiz beherrscht, den Prozeß der Stahlbereitung zu ver-
bessern. HoUey, dieser feingebildete und hochgeistige Kon-
strukteur, war, nachdem er Stahlwerke zu Troy, St. Louis
und an anderen Plätzen geleitet hatte, in Carnegies Dienste
getreten und dort geblieben, bis er 1882 starb, „aus-
gebrannt" im wahren Sinne des Wortes, im frühen Alter von
fünfzig Jahren.
Was Kapitän Jones betrifft, so war er von anderem
Kaliber; ein rauher, energischer Mann, ohne feinere Bil-
dung, aber mit zwei Fähigkeiten ausgestattet, die für Car-
negie von größtem Nutzen waren : mit einem Geschick, die
Arbeiter anzuspannen und in einer gegebenen Zeit das
größtmögliche Arbeitsquantum aus ihnen herauszubekom-
men, und anderseits seiner Leidenschaft, das Verfahren der
Stahlbereitung zu verbessern. Jones war Werkmeister in
einem Konkurrenzkonzern, der Cambria- Eisengesellschaft,
gewesen. Andrew Carnegie hatte 1873 einen Streik in die-
sem Unternehmen ausgenutzt und Jones und einige andere
Werkmeister bewogen, in seine Dienste zu treten. Niemand
verstand es besser als Jones, von den Arbeitern die größte
Arbeit für die geringste Bezahlung zu erlangen; niemand
außer Andrew Carnegie selbst wußte billige und gute Pro-
duktion so gut zu vereinen. Jones vermied es, Amerikaner
einzustellen, und war gegen Engländer noch strenger —
nicht nur, weil sie „auf hohe Löhne stichelten", wie er
sagte, sondern auch, weil sie sich weigerten, sich bei der
Arbeit abzuhetzen, und daher nicht so viel schafften. Er
sorgte dafür, daß Deutsche, Iren, Schweden und junge
amerikanische Landjungen gemietet wurden, und erklärte,
in richtiger Mischung ergäben sie „den wirksamsten Brei,
den man finden kann". Zwischen sie setzte er Schotten und
Walliser, in der Erwartung, bei ihren verschiedenen Spra-
chen, Gemütsarten und nationalen Feindschaften würden
sie sich nicht leicht zu einem Streik zusammenfinden.
Während er diese kluge Politik der Verfeindung betrieb,
suchte Jones gleichzeitig immerfort nach Mitteln, die
45*
— 7o8 -
Maschinen zu verbessern und leistungsfähiger zu machen.
Es war ihm gleich, wieviel eine Maschine gekostet hatte,
oder wie neu sie war — sobald es sich zeigte, daß eine
andere mehr leistete, wenn auch nur wenig, so stellte er
sofort die neue ein und warf die frühere zum alten Eisen.
Aus dieser Kombination von billiger, gefügiger Arbeit
und leistungsfähigen Maschinen resultierte eine immer
größere imd billigere Produktion, die die Profite der
Edgar Thompson-Stahlwerke beständig anschwellen ließ, bis
sie 1877 die Höhe von 43^4 Prozent erreichten.
Die Profite waren so enorm, daß Carnegie mit seiner
Eindrittel-Beteiligung an den Werken nicht zufrieden war.
Er strebte jetzt nach persönlicher Herrschaft über das Unter-
nehmen. Nach einer besonders erbitterten Streitigkeit
wurde Coleman 1876 hinausgesetzt, und Andrew Carnegie
kaufte seine Anteile; die näheren Umstände dieser Affäre
sind aus keinem Gerichtsprotokoll zu ermitteln. Die
Zwistigkeiten dauerten fort; Thomas M. Carnegie und
Phipps verkauften die Hälfte ihrer Anteile an Andrew Car-
negie — warum sie es taten, darüber geben die Protokolle
nicht die geringste Auskunft. Klomans kleiner Anteil von
50 000 Dollar ging als nächster in den Besitz Andrew Car-
negies über und ebenso die kündbaren Obligationen einer
Anzahl kleiner Aktionäre, denen Carnegie kurzerhand mit-
teilte, das Beste, was sie tun könnten, wäre: anzunehmen,
was man ihnen anböte.
Und so ging die Sache weiter. Thomas A. Scott — der
große Scott — Carnegies alter Chef, geriet mit Carnegie in
eine heftige Streitigkeit — die Carnegie sehr gelegen kam,
denn Scott zog voller Ärger seine Kapitalien von der
Edgar Thompson-Stahlgesellschaft zurück und schwor, er
wolle mit ihr nichts mehr zu tun haben. Und was wurde
aus Thompsons Einlagen ? Carnegie erwarb sie bald : beim
Tode Thompsons im Jahre 1 874 entschlossen sich die Testa-
mentsvollstrecker, Bargeld dafür zu nehmen, obgleich die
Obligationen noch nicht fällig waren. Es befanden sich aber
noch andere Obligationen und Aktien im Besitz von
McCandleß, Shinn und John Scott. McCandleß starb 1879,
und seine Witwe sah sich gezwungen, von Carnegie einen
- 709 -
niedrigen Preis anzunehmen, der dem Wertzuwachs nicht
im geringsten Rechnung trug. Ein heftiges Ringen zwischen
Carnegie und Shinn war jetzt das Vorspiel zu Shinns Hinaus-
wurf — da die Majorität des Aufsichtsrates ein gefügiges
Werkzeug Carnegies war. Shinn aber war selber so etwas wie
ein gewiegter Geschäftsmann, dem es keineswegs an Zähig-
keit gebrach. Er verklagte Carnegie, was diesem sehr mißfiel,
denn er hatte eine große Abneigung gegen die Gerichte.
Er verglich sich schließlich mit Shinn auf Zahlung von
200 000 Dollar und ließ einen neuen Feind auf seinem Wege.
Was John Scott betrifft, so wurde er 1882 ohne weiteres auf-
gefordert, die Firma Gebrüder Carnegie & Co. zu ver-
lassen — worüber er noch lange grollte, nachdem er ein-
gesehen hatte, daß es für ihn keine andere Möglichkeit gab,
als seinen Anteil von 175 000 Dollar an Andrew Carnegie
zu verkaufen.
Die Firma Gebrüder Carnegie & Co. (m. b. H.) wurde
i88r mit einem Kapital von fünf Millionen Dollar als Nach-
folgerin der Edgar Thompson-Stahlgesellschaft und der
Union-Eisenwalzwerke gegründet. Andrew Carnegie hatte
jetzt sein Ziel erreicht. Mit seinen drei Millionen Aktien
war er bei weitem der größte Aktionär und konnte die Ge-
sellschaft nach seinem Belieben regieren. Thomas M. Car-
negie und Henry Phipps waren jeder mit 878 000 Dollar be-
teiligt, aber Thomas M. Carnegie starb schon ein paar Jahre
später, 1886. Die anderen Aktionäre waren verhältnismäßig
einflußlos; ihre Anteile gingen, wie wir schon gezeigt haben,
bald in Carnegies Besitz über. Woher aber kam das Kapital
von fünf Millionen Dollar ? Es war zum größten Teil eine
Fiktion, die sich auf die enormen Profite gründete, welche
sich im Jahre vor der Konsolidierung auf i 885 197 Dollar
belaufen hatten. In dem Kapital von fünf Millionen Dollar
waren die Werke, Anlagen und Erzminen mit vier Millionen
Dollar angesetzt und bloß eine Million mußte in bar ge-
zeichnet werden — eine einfache Sache, die sich mit dem
Profit eines einzigen Jahres machen ließ.
Der wichtigste Punkt aber, den diese Konsolidierung ent-
hüllte, war die vitale Tatsache, daß die Carnegie-Gesell-
schaft, bei jenem Pioniertrust, der Standard-Oil Company
— 710 —
in die Schule gehend, Schritte getan hatte, um sich selbst
die Herrschaft über die Rohmaterialquellen zu sichern.
Das war ein Schritt vorwärts in der kapitalistischen Evo-
lution. Unter dem alten System mußte der Fabrikbesitzer
sein Rohmaterial von anderen Kapitalisten kaufen. Durch
die neueren Methoden wurden die Profite auf diese Aus-
gaben erspart. Um 1881 besaß die Carnegie-Stahlgesell-
schaft bereits ihre Kohlenminen und Koksöfen so gut wie
ihre Erzgruben ; diese Besitzungen waren freilich nicht groß,
aber es war immerhin ein Anfang und ein Vorbote der nicht
fernen Zeit, wo große Rohmaterialquellen in den Besitz
der Stahlmagnaten kamen. In der Tat kam die Carnegie-
Gesellschaft durch diese billigeren Methoden rapide zu
einer Position, wo sie mit Leichtigkeit die nach dem alten
System organisierten Konkurrenten unterbieten konnte.
Andrew Kloman und andere Pittsburger Männer hatten die
Pittsburger Bessemer-Stahlgesellschaft (m. b. H.) mit einem
Kapital von zweieinhalb Millionen gegründet und zu
Homestead bei Pittsburg ein Stahlwerk erbaut. Als aber
dort zur rechten Zeit ein Streik ausbrach, sahen die Be-
sitzer sich mannigfachen Verlegenheiten gegenüber und
mußten ihre Werke 1883 an die Carnegie-Gruppe ver-
kaufen. Auch die Duquesne-Stahlgesellschaft ging für eine
Million Obligationen an Carnegie über, und damit war
jede Konkurrenz im Pittsburger Distrikt beseitigt.
Carnegie und die Arbeiter
Damit das Aufhäufen riesiger Profite alle Jahre fort-
dauere und wachse, war es nötig, die Koksbesitzungen der
Carnegie-Stahlgesellschaft zu erweitern und zu verhindern,
daß die Arbeiter höhere Löhne und kürzere Arbeitszeit er-
rangen. Diese beiden Probleme wurden 1882 durch die
Aufnahme von Henry C. Frick in die Gesellschaft gelöst.
Frick hatte durch gewisse Machinationen die Herrschaft in
der Koksindustrie errungen und besaß damals mehr als
tausend Koksöfen und volle dreitausend Morgen Kohlen-
länder. In jener Industrie hatte Frick, und nicht mit Un-
recht, den Ruf eines geschworenen Feindes der organisierten
- 711 -
Arbeit erworben : sein bloßer Name war den Arbeitern ver-
haßt. Trotz der Verschiedenheit der Nationalitäten in den
Carnegie-Stahlwerken und der geschickten Art und Weise,
wie Vorurteile und Feindschaften genährt und entflammt
wurden, mußten die Arbeitsbedingungen die Arbeiter not-
wendig zum Anschluß an die Vereinigte Gewerkschaft der
Eisenarbeiter treiben. Die Arbeit, die von ihnen verlangt
wurde, war entsetzlich. Die Werke ein paar Stunden täglich
zu schließen hätte einen großen ökonomischen Verlust be-
deutet; anstatt aber die vierundzwanzig Stunden in drei
Schichten einzuteilen, so daß jede Schicht acht Stunden zu
arbeiten hätte, hatte man nur zwei Schichten, so daß die
Leute zu zwölfstündiger Arbeit am Tage gezwungen waren.
Mit diesem unmenschlichen System noch nicht zufrieden,
stachelte Carnegie seine Werkmeister an, „einen noch
besseren Rekord" herauszudrücken; er überwachte die Ein-
künfte aus jeder Abteilung mit scharfen Augen; waren die
Kosten der Arbeit und der Produktion in einer Abteilung
höher als in der anderen, so machte er den Meistern dieser
Abteilung Vorwürfe und lobte die Meister der anderen Ab-
teilungen. Auf diese Weise säte er mit diabolischer List
Eifersüchteleien unter den Werkmeistern, hetzte sie gegen-
einander auf und erzeugte so bittere Feindschaften, daß
manche Werkmeister jahrelang nicht miteinander sprachen.
Um diese Zeit begann jene Periode der Reklame und des
Selbstlobs, die noch andauert. Er schrieb in der Zeitschrift
„Forum" 1886 Artikel, in denen er die tiefste Rücksicht auf
das Wohlergehen der Arbeiter ausdrückte. Wir wollen
einige charakteristische Stellen zitieren, die er später, kühn
genug, wieder veröffentlichte (,, Probleme von heutzutage",
von Andrew Carnegie, 1908), trotz der Enthüllungen des
großen Homestead-Streiks. Er schrieb: seiner Meinung
nach „entstehen die Streike nicht so sehr aus Zwistigkeiten
wegen der Arbeit, als aus Mangel an Verständigung unter
den Parteien. Der Unternehmer kennt den Arbeiter und
seine Gedanken und Sorgen nicht, und der Arbeiter kennt
die Meinungen und Sorgen des Unternehmers nicht. Eben-
sowenig kennt der Unternehmer die guten Seiten seiner
Arbeiter, und der Arbeiter die guten Seiten seines Unter-
— 712 —
nehmers. Jeder sieht nur die eine Seite des Problems; und
dies verursacht die meisten Zwistigkeiten."
Dieses kindische Gewäsch wurde, wie gesagt, 1886 in
einer, wie man meinte, der ernsthaftesten amerikanischen
Zeitschriften publiziert. Und zur selben Zeit überwachte
Carnegie die Arbeitsbedingungen in seinen Unternehmun-
gen aufs schärfste. Nur wenige Jahre vorher hatte er Frick
engagiert, den hartnäckigsten, rücksichtslosesten und un-
versöhnlichsten Feind der Arbeitervereinigung. Und wenige
Jahre später geschah das Niederschießen der streikenden
Stahlarbeiter in Carnegies Walzwerken zu Homestead.
Gerade während der Jahre, wo er seine Teilhaber aus dem
Felde schlug und die Werkmeister anstachelte, aus den
Arbeitern das äußerste Maß von Arbeit herauszuquetschen,
verkündigte Carnegie sein Motto : „Konzentration ! Erst
Ehrlichkeit, dann Fleiß, dann Konzentration"!
Diese Worte, von servilen Skribenten und schmeichelnden
Schönrednern oft genug wiederholt, wurden schließlich
ernst genommen von einem Publikum, das nichts von den
gigantischen Eisenbahnschwindeleien gegen die Schatz-
kammer der Vereinigten Staaten während des Bürgerkrieges
wußte und keine Ahnung von den ständigen Machinationen
hatte, wodurch Carnegie die Herrschaft über die großen
Pittsburger Stahlwerke an sich gebracht hatte. Selbst die
Enthüllungen über die großen Panzerplatten-Betrügereien
in Carnegies Werken, einige Jahre später, taten dem Ein-
druck von Carnegies berühmtem Motto nicht allzusehr
Abbruch.
Die Carnegie-Stahlgesellschaft hatte alles, was in ihrer
Macht stand, getan, um die Arbeitervereinigung zu zer-
brechen, und wie gut es ihr gelungen war, zeigte sich darin,
daß viele Arbeiter aus der Vereinigung ausschieden, „um
sich mit der Gesellschaft zu verständigen". Stahlarbeiter,
die monatlich 120 Dollar bei achtstündiger Arbeitszeit be-
kommen hatten, mußten, ein Jahr vor den erbaulichen
Forum-Artikeln, zwölf Stunden täglich für 60 Dollar arbei-
ten. Während des nächsten Jahres — 1886 — bewilligte
die Gesellschaft großmütig zehn Prozent Lohnerhöhung,
weigerte sich aber, zum Achtstundentag zurückzukehren.
- 713 -
„Aber die intelligenten und kampflustigen Iren," sagt Fitch
in seinen , Stahlarbeitern', „verlangten eine Rückkehr zum
Achtstundensystem von 1884 und schlugen die Lohn-
erhöhung aus. Dafür wurden 700 Hochofenarbeiter ent-
lassen. 1886 aber wurde der Ausstand allgemein, und die
Gesellschaft bewilligte den Achtstundentag."
1887 baute die Carnegie-Stahlgesellschaft ein Schienen-
stahlwerk letzter Konstruktion zu Braddock in Pennsyl-
vanien. Maschinen wurden eingestellt, um die Handarbeit
zu ersetzen. Die Gesellschaft schlug jetzt eine Herabsetzung
der Löhne um zehn Prozent vor, aber die Arbeitervertreter
gingen darauf nicht ein. „Im März 1888," so erzählt Fitch,
„schickten die Arbeitervertreter eine Kommission nach New
York zu Andrew Carnegie. Er empfing sie und schlug eine
Herabsetzung um zehn Prozent, in anderen Abteilungen um
acht Prozent vor, zugleich mit einer Wiederaufnahme
des Zwölf Stundentages." Carnegie habe erklärt, diese Be-
dingungen seien nötig, um ihm die Konkurrenz mit den
Chicagoer Schienenwerken zu ermöglichen. Bei dieser
Konferenz erklärte Carnegie, er werde in seinen Werken
hinfort nur nichtorganisierte Arbeiter anstellen, und wer
in seinen Diensten bleiben wolle, habe einen Vertrag zu
unterzeichnen, wonach er nicht Mitglied der Arbeiter-
vereinigung bleiben oder werden würde. „Im Mai," so
fährt Fitch fort, „lehnte Carnegie es ab, noch eine Kom-
mission zu empfangen oder eine weitere Konferenz abzu-
halten, und um die Mitte des Monats akzeptierten die Arbei-
ter, die den ganzen Winter gestreikt hatten, die Bedingun-
gen und nahmen die Arbeit wieder auf."
Damit endete die Arbeitervereinigung in den Edgar
Thompson-Werken. In den zwanzig Jahren, die seitdem ver-
flossen sind, ist niemals ein organisierter Versuch von irgend-
welcher Bedeutung gemacht worden, das Recht auf kollek-
tive Abschlüsse wieder zu erobern. Über Carnegies Vor-
wand, er müsse mit den Chicagoer Schienenwerken konkurrie-
ren können, sagt Fitch, die Bezahlung der Arbeit in den und
den Teilen der Edgar -Thompson-Werke sei jetzt auf 35,30
Dollar beschnitten worden, d. h. fast neunzehn Prozent
unter den Kosten der Arbeit in denselben Teilen der Chi-
- 714 -
cagoer Stahlschienenwerke. Nur wenige von den Stahl-
arbeitern, die bei Carnegie beschäftigt waren, bekamen mehr
als zwei Dollar täglich, viele aber weniger. Und wie hoch
waren die Profite der Carnegie-Werke zu dieser Zeit ?
1889 betrugen sie 3 540000 Dollar; 1890 stiegen sie auf
5 350 000 Dollar, und im nächsten Jahre waren es 4 300 000
Dollar.
Die Erfinder
Während Carnegie solchermaßen damit beschäftigt war,
die Arbeitervereinigung zu zerschmettern, trat in seinen
Werken ein Ereignis ein, das ihm ein Monopol und un-
zählige Millionen Dollar einbrachte. Das war die Ent-
deckung einer neuen Methode, geschmolzenes Eisen zu
mischen, durch Kapitän Jones. Laut einem Protokoll des
Höchsten Gerichtes der Vereinigten Staaten übertrug Jones
sein Patent unterm 4. Juni 1889 an die Carnegie-Stahl-
gesellschaft. Bessemers Verfahren hatte darin bestanden,
das Eisen ohne Anwendung von Brennmaterial dadurch zu
reinigen, daß man einen Luftstrom durch eine geschmolzene
Metallmasse in einer drehbaren „Birne" blies. Mushet hatte
ein ergänzendes Verfahren zur Wiederzuführung von Kohlen-
stoff erfunden. Das Verfahren von Jones bestand in einem
bedeckten Reservoir geschmolzenen Metalls, das zwischen
Hochofen und Birne eingeschaltet wurde und so eingerichtet
war, daß es, während eine große Menge geschmolzenen Me-
talls abfloß, in kleinen Mengen auf einmal wieder aufgefüllt
wurde. „Es hatte sowohl Vorteile wie Nachteile," bezeugte
Carnegie von dem früheren Verfahren, das vor der Erfin-
dung von Jones angewandt wurde, „aber die Nachteile
waren so groß, daß wir oft darüber debattierten, ob wir das
Verfahren nicht lieber aufgeben sollten. Wir fanden, daß es
genau so unmöglich war, eine gleichartige Masse zu erhalten,
wie bei der Kuppel-Methode . . . Während wir noch sorgen-
voll mit dem Problem rangen und unentschlossen waren,
ob wir es beibehalten oder aufstecken sollten, erklärte uns
Kapitän Jones, er glaube eine Methode erfunden zu haben,
durch welche das Problem gelöst wäre . . . Wir waren sq
- 715 -
überzeugt von seiner Idee, . . . daß ich ihn anwies, die Sache
ins Werk zu setzen ... Er tat es, und fast von diesem Tage
an waren unsere Sorgen fort. Er hatte einen großartigen
Erfolg erzielt, in der Stahlindustrie war man wieder einen
Schritt weiter gekommen, und wir benutzen seine Erfindung
noch heute . . . Vor allen Dingen muß der Fabrikant auf die
Gleichartigkeit seiner Ware halten, auf die Gleichwertigkeit
der Schienen, und das ist ohne die Erfindung von Jones
nicht zu erreichen, soweit ich unterrichtet bin."
Die ganzen Früchte der Erfindung erntete die Carnegie-
Stahlgesellschaft ; Jones selber wurde nur kurze Zeit nach
seiner Entdeckung bei einer Hochofenexplosion in die Luft
geschleudert und getötet. Die Erfindung wurde in Carne-
gies Werken sofort ausgenützt, und sie war so wichtig, daß
alle anderen Stahlfabrikanten von Bedeutung sie einführen
und der Carnegie-Stahlgesellschaft schweren Tribut dafür
zahlen mußten. Die Cambria-Eisengesellschaft indessen
weigerte sich zu zahlen und berief sich darauf, das Deighton-,
das Witherow- und andere Patente, die vorher angemeldet
worden wären, enthielten in der Hauptsache das gleiche
Verfahren oder ein ganz ähnliches. Die Carnegie-Stahl-
gesellschaft reichte am 2. Dezember 1895 Klage ein wegen
Patentverletzung und verlangte Schadenersatz; und als der
Fall schließlich nach sechs Jahren von dem Höchsten Ge-
richtshof der Vereinigten Staaten entschieden wurde, spra-
chen fünf von den neun Richtern sich zugunsten der Car-
negie-Stahlgesellschaft aus.
Richter White vertrat die entgegengesetzte Meinung, der
sich Oberrichter Füller und die Richter Harlan und Brewer
anschlössen. Ihre Ansicht war: „Die Wirkung der eben ge-
fällten Entscheidung ist derart, daß sie dem Patentinhaber
(Carnegie) eine Stellung gibt, in der er, ohne selbst eine
Erfindung gemacht zu haben und ohne ein gesetzliches
Patent vorweisen zu können, von der Stahl- und Eisen-
industrie Tribute erheben darf, sobald die Interessenten
dieser Industrie ihre Werke vergrößern und mit der natür-
lichen Entwicklung der modernen Industrie in vernünftiger
und befriedigender Weise Schritt halten wollen."
Das war im Jahre 1901. Kaum sieben Jahre später
— 7i6 —
stimmte Andrew Carnegie in seinem sonderbaren Buche
„Probleme von heutzutage" eine Rhapsodie auf die Erfinder
an, „Es gibt eine Klasse Millionäre," schrieb er, „deren
Reichtum in viel größerem Grade als bei anderen ihnen
selber zugeschrieben werden muß . . .", und er nannte Bell,
den Erfinder des Telephons, Edison, und Westinghouse, der
durch die Vakuumbremse berühmt ist. „Ihr Reichtum ent-
springt ihrem eigenen Gehirn. Alle Ehren dem Erfinder!
Er steht auf einer höheren Warte als die anderen Menschen!"
Was für edle Gefühle! Was für heiße Ermahnungen!
Leider sind ihm eine Reihe fataler Versehen passiert. Ab-
gesehen von einer langen Liste anderer amerikanischer Er-
finder, welche, von Kapitalisten ausgeplündert, arm zu
Grabe gegangen sind, gibt es eine besondere Klasse von Er-
findern, die Carnegie persönlich kannte und die er mit Fleiß
unerwähnt gelassen hat.
Es waren die Erfinder in seinen eigenen Werken; Er-
finder wie Holley und Jones und andere, weniger bekannte,
wie James H. Simpson, Henry Aiken, Henry W. Borntraeger
und sonstige. Innerhalb dreier Jahre (1887 bis 1889) kam
Carnegie in den Besitz von zwölf Erfindungen Simpsons in
der Herstellung von Ziehstangen, Kopplern, Drehschnallen
usw., und in einem einzigen Jahre übernahm Carnegie vier
dem Aiken patentierte Erfindungen. Das sind nur einige
wenige von den vielen Erfindern, die Carnegie ihre Patente
überließen und dafür nichts als ihren Lohn bekamen und
selber im allgemeinen in Armut oder Halbarmut starben.
Der Schwerpunkt von Carnegies selbstgefälligem Buche
liegt in der Behauptung, Geschicklichkeit habe die Anhäu-
fung großer Reichtümer vollbracht; Geschicklichkeit habe
den Multimillionär auf seinem goldenen Wege vorwärts ge-
bracht; persönliche Geschicklichkeit sei das A und das O
gewesen; für Carnegie ist das eine genügende Erklärung
dafür, warum und wie er ein Vermögen von einigen Hun-
derten von Millionen Dollar zusammenscharren konnte,
und er möchte gerne, daß diese Erklärung vom Publikum als
richtig hingenommen würde. Während er diese Erklärung
aufstellt, bezieht er sich taktvoll und diskret auf seine eigene
Laufbahn, indem er in der dritten Person schreibt und seinen
- 717 -
Namen nicht erwähnt, aber doch durchblicken läßt, daß er
bei Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Scharfsinn, Fleiß und
Geschicklichkeit als Grundlagen großer Vermögen an sich
selbst denkt. Es spielten jedoch außer den bereits erwähnten
Mitteln, wodurch Carnegie sich allmählich vom Telegra-
phisten zum Multimillionär aufschwang, noch gewisse
andere Faktoren eine zeugende Rolle.
Carnegies politischer Einfluß
Carnegie gab regelmäßig Beiträge für den Fonds der
republikanischen Partei; er sagte auch keinen Ton gegen
die Korruption, die diese Partei entfaltete, als sie die
Stadt Pittsburg oder den Staat Pennsylvanien oder die Na-
tionalregierung beherrschte. Es erwartete auch kein ge-
scheiter Mensch, daß er etwas dagegen sagen würde; denn
seine Konzerne hatten ja Vorteile und Liebesgaben aller
Art von der bloßen Existenz der korrupten politischen Ma-
schinen. Außer einem hohen Zolltarif gab es eine bunte
Reihe anderer Wohltaten, die eine ihm und anderen Fa-
brikanten verpflichtete politische Partei nicht gut verwei-
gern konnte. Die Gesetze über Arbeiterschutzmaßregeln,
kürzere Arbeitszeit usw., die von den Arbeitern beantragt
wurden, konnten abgelehnt oder in kastrierter Form an-
genommen und dann nicht so, wie beabsichtigt worden war,
durchgeführt werden. Die Durchführung solcher Gesetze
bedeutete eine Mehrausgabe für den Fabrikbesitzer und
eine Verminderung der Profite; das Menschenleben war zu
billig, um Ausgaben für Schutzvorrichtungen zu recht-
fertigen. Auch im Fall eines Streikes der Arbeiter zur Ver-
besserung der empörenden Bedingungen, unter denen sie
arbeiteten und lebten, ließen sich die regierenden Macht-
haber unschwer beeinflussen, so daß sie Polizei und Mi-
litär zur eventuellen Niederschießung der Streikenden be-
orderten.
Die Spenden für den Wahlfonds der politischen Parteien
wurden von Carnegie und seinen kapitalistischen Kollegen
als „Kapitalseinlagen" betrachtet. Sie wurden nicht bloß
für die Bundeswahlen benötigt, sondern auch für die Wahl-
-^ 718 -
kämpfe in den Einzelstaaten und in den Stadtverwaltungen
und für die Wahlen der Vertreter und Senatoren der Ver-
einigten Staaten. Jede politische Partei brauchte mehrere
Millionen Dollar für die verschiedenen Wahlausgaben, wozu
auch die großen Summen für die politischen „Antreiber" in
jedem Staate gehörten; desgleichen die Gelder zum Kauf
von Stimmen.
So waren zwei Senatoren der Vereinigten Staaten durch
das Parlament eines jeden Staates zu wählen. 1886 ent-
brannte in einem gewissen Parlamente ein Kampf wegen der
Senatorwahl. Es war klar, daß derjenige gewählt werden
würde, der das meiste Geld austeilen konnte. Da schrieb
James G. Blaine, damals ein bekannter Politiker der repu-
blikanischen Partei, an Andrew Carnegie und fragte an, ob
er nicht zehntausend Dollar in diesen Senatorenkampf „ein-
legen" möchte ? Und Carnegie gab diese ,, Einlage". Eine
ähnliche „Einlage" machte er bei der Präsidentenwahl im
Jahre 1888, wobei Harrison zum Präsidenten erwählt wurde
— eine Wahl, die durch die offensichtlichste Bestechung
markiert ist. Harrison machte Blaine zum Staatssekretär
für das Innere. Zufällig hatte Carnegies Schlußstein-
Brückengesellschaft gegen eine zentralamerikanische Re-
publik eine alte Forderung von 200 000 Dollar, die schwer
einzutreiben war. Als aber Blaine Staatssekretär wurde und
liebenswürdigerweise etwas „diplomatischen Druck" aus-
übte, wurde die Zahlung bald geleistet.
Diese politischen „Einlagen" sind seitdem von Carnegie
fleißig fortgesetzt worden. Bei dem Verhör vor der Kon-
greßkommission, die kürzlich die Wahlbeiträge untersuchte,
zeigte es sich, daß Carnegie bei den Wahlen von 1904 für
den Roosevelt-Fonds 10 000 Dollar gespendet hatte, und
ebenso wurde ermittelt, daß er 191 2 für einen Fonds zur
Wiederwahl von Taft 25 000 Dollar gegeben hatte (dieser
lediglich für Tafts Wiederwahl bestimmte Fonds betrug
250 000 Dollar).
Der Gesamtbetrag der Summen, die Carnegie während
seines Lebens für politische Wahlfonds gegeben hat, ist
sehr groß. In wie musterhafter Weise die regierenden Mächte
sich für seine Schenkungen revanchierten, zeigte sich deut-
- 719 -
lieh (von anderen Gelegenheiten abgesehen) bei dem großen
Streik von Homestead.
Die Vernichtung der Arbeitervereinigung
Der Vertrag, den Carnegies Arbeiter in den Homesteader
Werken im Jahre 1889 geschlossen hatten, lief 1892 ab.
Die Arbeiter machten sich keine Illusionen über die Ab-
sichten von Carnegie und Frick; sie wußten sehr gut, daß
Carnegie und Frick zur völligen Vernichtung ihrer Vereini-
gungen entschlossen waren, um gemeinsame Anstrengungen
zur Erzielung höherer Löhne und kürzerer Arbeitszeit zu
verhindern. Frick selber bezeugte 1892 vor der Kongreß-
kommission: „Wir wollen Leute haben, mit denen wir
einzeln verhandeln können. Wir lehnten es ab, nach jenem
Termin (dem 24. Juni 1892) noch mit der Vereinigten Ge-
werkschaft (der Eisenarbeiter) zu unterhandeln, und sagten
es ihnen klipp und klar."
Mit jeder neuen Erfindung, welche Arbeit ersparte,
wurden mehr Leute entlassen, und die Bleibenden mußten
sich „beeilen", d. h. noch angestrengter schuften. Ihre
Löhne waren heruntergegangen, die Lebensmittelpreise ge-
stiegen. Alles, was sie besaßen, war ihre Beschäftigung, und
die war nicht bloß unsicher, sondern auch gefährlich; die
sogenannten „Unfälle" in den Werken hatten Verstümme-
lungen und Todesfälle zur Folge. Aber wie schlecht bezahlt
und wie gefährlich diese Beschäftigung auch war, die Ar-
beiter mußten sich daran halten; die meisten hatten Fa-
milien zu ernähren; sie hatten Ausgaben gemacht, um nach
Homestead zu ziehen, und hatten weder Geld zu einem
neuen Umzug, noch Aussicht auf Beschäftigung an einem
anderen Orte. Um die bloße Selbsterhaltung kämpfend,
wollten sie nicht müßig dabeistehen und zusehen, wie ihnen
ihre Beschäftigung durch importierte Banden von nicht-
organisierten Leuten, von „Räudigen", wie sie sagten, weg-
genommen würde.
Die übliche Ausrede, die Carnegie gegen die Forderungen
der Arbeiter vorbrachte, war die, sie seien „unvernünftig".
Zur selben Zeit aber verdienten die Carnegie-Gesellschaften
— 720 —
unvernünftige Gelder. 1891 hatten sie 4300000 DoUai
Reingewinn, 1892 waren es 4 Millionen. Die Arbeiter hatten
nicht die geringste Drohung ausgestoßen, nicht das Geringste
getan, das auf gewalttätige Absichten schließen ließ. Die
Vorbereitungen des Carnegie-Konzerns aber ähnelten den
Vorbereitungen für eine Belagerung oder eine Schlacht.
Carnegie und Frick wußten wohl, daß Männer und Frauen,
die für ihre bare Selbsterhaltung kämpften, durch derartige
feindselige Vorbereitungen aufgereizt werden mußten, und
trafen sie mit vollem Bewußtsein.
Homestead ah Festung
Um die Homesteader Werke herum war ein kräftiger
Bretterzaun von zwölf Fuß Höhe und drei Meilen Länge
errichtet worden. Oben auf diesem Zaun war ein schweres
Kabel gelegt und mit einem starken elektrischen Strom ver-
bunden worden, der im Büro durch einen einfachen Schalter-
druck eingeschaltet werden konnte; der Strom war so stark,
daß er jeden töten mußte, der ihn berührte. Man nannte das
in Homestead „Carnegies lebensgefährlichen Zaun". Den
ganzen Zaun entlang sah man Schießscharten, vier Zoll im
Durchmesser, in Kopfhöhe eingelassen: sie waren für die
Büchsen der Mietlinge bestimmt. An verschiedenen Punk-
ten längs des Zaunes waren Gräben gegraben. An gewissen
Stellen standen Hydranten, durch die ein kräftiger Strom
heißen oder kalten Wassers losgelassen werden konnte.
Hunderte von Bogenlampen waren über die ganzen Werke
hin an hohen Trägern aufgehängt, und den Zaun entlang
waren Scheinwerfer angebracht. Um das Kontor herum
stand ein weiterer Zaun, und mit dem Innern der Werke war
es durch eine 40 Fuß hohe Brücke verbunden; darauf war
ostentativ eine Schildwache unter einer Bogenlampe auf-
gestellt. Blitzlicht-Kameras befanden sich an verschiedenen
Stellen der Werke, um Momentaufnahmen von denen, die
herankamen, machen und sie nachher identifizieren zu
können. Zur Bequemlichkeit der importierten „Räudigen"
waren Baracken errichtet, und auf dem Flusse, dem Stahl-
werke gerade gegenüber, war eine stählerne Dampfbarkasse
— 721 —
in ein kleines Kriegsschiff, mit Drehbrassen bewaffnet,
verwandelt worden. Eine Anzahl anderer Boote war mit
kleinen Haubitzen und Scheinwerfern ausgerüstet.
Mit diesen furchtbaren kriegsmäßigen Vorbereitungen
wurde mindestens sechs Wochen vor dem Streik begonnen.
Pinkertons hewa^nete Mietlinge
Woher aber bekam man die bewaffneten Männer, um die
Ausständigen einzuschüchtern und die Festungen zu be-
mannen ? Auch dafür war lange vorher gesorgt worden.
Carnegie hatte einen jährlichen Kontrakt mit Pinkertons
Detektivbüro — einem Institut, das als Spezialität die
Lieferung bewaffneter Mietlinge betrieb: Meuchelmörder
und andere wüste, gewissenlose Männer, die erbarmungslos
schössen und töteten. Daß die Pinkertonschen Mietlinge
schon lange vorher in Bereitschaft gehalten wurden, unter-
liegt keinem Zweifel ; diese Tatsache wurde später durch das
Zeugnis von Frick und Robert A. Pinkerton ausdrücklich
bestätigt. Sie gaben vor der Untersuchungskommission
des Kongresses zu, es seien sogar schon vor der letzten Kon-
ferenz zwischen der Carnegie-Gesellschaft und den Dele-
gierten der Vereinigten Gewerkschaft der Eisenarbeiter
Verhandlungen über die Zusendung der Pinkertonschen
Mietlinge im Gange gewesen.
Während diese grausigen Vorbereitungen zur offenen und
systematischen Zerschmetterung der Arbeitervereinigung
gemacht wurden, gründeten Carnegie und seine Kompagnons
mit unerhörter Frechheit am l. Juli 1892 eine neue Ge-
sellschaft mit 25 Millionen Dollar Kapital, die Carnegie-
Stahlgesellschaft, welche sämtliche Walzwerke, Hochöfen,
Brückenbauwerke und Eisenerz- und sonstige Bergwerke
Carnegies übernehmen und konsolidieren sollte. Frick wurde
zum Präsidenten dieser Gesellschaft gemacht.
Das Gemetzel bei Homestead
Fünf Tage später, am 6. Juli 1897, kamen 300 Pinkerton-
Leute in Homestead an. Sie waren auf einer Station am Ohio
46
— 722 —
unterhalb Pittsburgs um Mitternacht des 5. Juli an-
gekommen und von dort aus in großen Kähnen nach Home-
stead geschleppt worden, das sie am 6. Juli gegen 4 Uhr
morgens erreichten. Diese Banden von Privatsoldaten hatten
absolut keine gesetzliche Berechtigung. Sie waren weder
für den Krieg noch für den Frieden vereidigt worden, und
soweit das Gesetz galt, stellten sie, bis zu den Zähnen be-
waffnet, wie sie waren, nur eine Bande von Rowdys dar,
die auf Missetaten aus waren. Indessen hat trotz der offen-
baren Tatsache, daß sie eine lebende Gesetzesverletzung ver-
körperten, kein einziger öffentlicher Beamter sich gerührt,
um sie anzuhalten.
Von ihrem Kommen unterrichtet, liefen die schon zur
Verzweiflung gebrachten Homesteader Arbeiter zum Kai
hinter den Stahlwerken — viele mit Frau und Kindern.
Die Ausständigen wußten aus bitterer Erfahrung, daß die
Ankunft der Pinkerton-Leute immer sichere Unruhen be-
deutete und daß sie zu dem ausgesprochenen Zweck ge-
mietet wurden, Gewalttaten zu provozieren, auf daß man
den streikenden Arbeitern die Erregung von Aufruhr zur
Last legen, dadurch die sogenannte öffentliche Meinung
beeinflussen und einen Vorwand finden könne, die Hilfe
des Militärs zu verlangen.
Während die Streikenden so versammelt waren, wurde
von einem Pinkerton-Mann ein Schuß abgefeuert, und
einer von den Streikenden sank tödlich verwundet zu Boden.
Mit einem wilden Wutschrei rüsteten die Ausständigen sich
zum Widerstand.
Sich hinter Haufen von Stahlschienen verbarrikadierend,
gaben sie jetzt Salve auf Salve aus Revolvern auf die in den
Booten verborgenen Pinkerton-Männer ab, und diese erwi-
derten das Feuer sofort aus Büchsen. Gleichzeitig pumpten
andere Scharen ausständiger Arbeiter Ol in die Kähne und
versuchten sie in Brand zu setzen, was ihnen aber nicht ge-
lang. Noch andere Ausständige trieben brennende Flöße an die
Kähne und schleuderten auch Dynamit, aber diese Versuche
hatten keinen Erfolg. Den ganzen Tag über dauerte dieser
Kleinkrieg, und das unheimliche Krachen der Schüsse, die
Flüche der Arbeiter, die Schreie der Verwundeten und Ster-
- 723 -
benden und das Gewimmer der Weiber machte den Ort zu
einem Schauplatz des Schreckens.
Um fünf Uhr nachmittags hißten die Pinkerton-Leute die
weiße Flagge und ergaben sich. Zwölf Männer waren auf
beiden Seiten getötet und mehr als zwanzig ernstlich ver-
wundet worden. Als die Pinkerton-Leute nach der Über-
gabe durch die Reihen der Ausständigen Spießruten liefen,
wurden sie kräftig durchgebläut, besonders von den Frauen
der Streikenden, die noch wütender waren als die Männer.
Nun wurde das Militär von Pennsylvanien nach Homestead
geschickt, und weitere elf Arbeiter wurden erschossen und
verwundet. In dieser Zeit schoß ein 22 jähriger Jüngling,
namens Alexander Beckmann, über Fricks Taten entrüstet,
auf diesen und verwundete ihn. Er wurde zu vierzehn Jahren
Gefängnis verurteilt. Frick wurde wiederhergestellt.
Carnegie versucht, die V er antwortung von sich abzuwälzen
Carnegie hatte all die Ausgaben für die Besoldung be-
waffneter Soldaten und die Umwandlung des Werkes in
eine Festung lieber auf sich genommen, als den Arbeitern eine
Lohnerhöhung von weniger als zehn Prozent zu gewähren.
Als nun die Jahre dahingingen und die Sticheleien über
die Mordtaten von Homestead Carnegies Ohren erreichten,
zu einer Zeit, als er sich bemühte, die allgemeine Achtung
und Lobpreisung zu erringen, da wurde er immer empfind-
licher gegen jede Anspielung auf dieses Ereignis und versuchte
die Verantwortung auf Frick abzuwälzen. Er selber sei da-
mals in Europa gewesen, daher könne ihn kein Tadel treffen.
Noch im September 191 1, als der Vorstand der Man-
chester-Bibliotheken (in England) es ablehnte, von Carnegie
1 5 000 Dollar für die Errichtung von Zweigbibliotheken an-
zunehmen mit der Begründung, der amerikanische Stahl-
magnat habe zu Homestead die für bessere Bedingungen
kämpfenden Arbeiter niedergeschossen, brachte Carnegie
die alte Entschuldigung vor, er sei „im Norden von England
umherkutschiert, als die beklagenswerten Ereignisse von
Homestead sich abspielten", und habe erst zwei Tage später
davon erfahren.
46*
- 724 -
Einige (z. B. Fitch in „Die Stahlarbeiter") meinen nun,
Frick sei allein schuld; er habe den Streik absichtlich an-
gezettelt, um die Arbeitervereinigung aus Homestead zu
vertreiben. Aber Carnegies Mitschuld geht deutlich hervor
aus einer Anzahl Briefe von ihm aus dem Jahre 1892, die
sein früherer Privatsekretär Bridge publiziert hat. In einem
dieser Briefe, am 4. April 1892 aus New York geschrieben,
weist er Frick an, die Homesteader Werke nach dem 30. Juni
nur noch mit nichtorganisierten Arbeitern zu betreiben.
Ein anderer Brief, den er kurze Zeit später vom Coworth-
Park in Berks (England) schrieb, befahl ihm, Konferenzen mit
den Arbeitervereinigungen zu verweigern ; wenn die Gewerk-
schaft den von der Gesellschaft angebotenen Lohntarif aus-
schlage, so solle die Anweisung, nur noch nichtorganisierte
Arbeiter zu beschäftigen, in den Homesteader Werken am
25. Juni angeschlagen werden. Und sie wurde angeschlagen.
Frick handelte offen, während Carnegie ihn im Hinter-
grunde antrieb ; und während Frick zu Hause kommandieren
mußte und dafür verwundet wurde, leistete Carnegie sich
eine Ferienfahrt in England, weit vom Schuß.
Unfälle in Carnegies Werken
Im Grunde genommen war das Homesteader Blutbad
das geringste von allen, die ohne Unterlaß in den Carnegie-
Werken stattgefunden hatten; es hielt die öffentliclie Auf-
merksamkeit nur seiner offenen und dramatischen Natur
wegen in Bann, da es ganz wie eine lokale Revolution aus-
sah. In bezug auf Opfer aber war es nicht zu vergleichen
mit dem Gemetzel, das den alltäglichen Betrieb in den
Werken zur Erzielung von Profiten für Carnegie und seine
Kompagnons begleitete. Die Zahl der sogenannten „in-
dustriellen Unfälle" in den Carnegie-Werken, welche Ar-
beitsunfähigkeit und oft den Tod zur Folge hatten, betrug
häufig sechzig oder siebzig im Jahre. Z. B. ereigneten sich
in dem Jahre vom 3. Dezember 1891 bis zum 26. November
1892 nach dem Bericht des Fabrikinspektors für Pennsyl-
vanien 61 Unfälle in Carnegies Pittsburger Werken, von
denen viele tödlich verliefen.
- 725 ~
Das sind durchschnittlich fünf im Monat oder mehr als
einer in jeder Woche ! Und die Verstümmelten wurden zum
alten Eisen geworfen, denn die Kapitalisten können nur
Leute mit voller Gesundheit brauchen. Im nächsten Jahre,
vom I. Dezember 1892 bis zum 30. November 1893,
passierten bei Carnegie 62 Unfälle, viele mit tödlichem Aus-
gang. Im nächsten Jahre waren es nicht weniger, und 1895
wurden neunzehn Arbeiter bei der Arbeit getötet und noch
viel mehr schwer verwundet.
Carnegie selber zeigte sich, je reicher er wurde, desto mehr
von übermächtiger Todesfurcht besessen ; für seine Arbeiter
aber gab es keinen Tag und keine Stunde, wo sie nicht dem
Tode oder der Verstümmlung ins Auge sahen; das war in
ihrer unterbezahlten Arbeit mit inbegriffen. Und wie bei
Carnegie, so wurden auch bei den anderen Kapitalisten
Hunderte getötet oder verstümmelt. Und dann weigerten
die Unternehmer sich ohne Ausnahme, Unfallgelder zu
zahlen oder sonst etwas für ihre Opfer zu tun. Sie brachten
unfehlbar die Ausrede vor, die Unfälle seien „durch Fahr-
lässigkeit verschuldet". Wenn der Verstümmelte oder seine
überlebende Familie klagten, wozu sie meist kein Geld und
keine Zeit hatten, so wurden ihnen fast immer Präzedenz-
entscheidungen vorgelegt, die ihnen „Fahrlässigkeit" zur
Last legten. Sie gingen von den Gerichten weg und wurden
Bettler ; ihre Söhne wurden oft dem Diebstahl, ihre Töchter
der Prostitution zugetrieben.
„Viele Unfälle, die der Fahrlässigkeit der Arbeiter zu-
geschrieben werden," so erklärte ein Fabrikinspektor auf
der achten Jahresversammlung der Internationalen Fabrik-
inspektoren-Vereinigung am 25. September 1894 zu Phila-
delphia, „fallen vielmehr den Unternehmern zur Last. Wo
Geländer und Schutzvorrichtungen von großem Vorteil
wären, erwartet man einfach von den Angestellten, daß sie
lediglich durch eigene Geschicklichkeit und beständige Auf-
merksamkeit Unfälle vermeiden. Man läßt Gefahren vieler
Art bestehen, bloß um die Kosten zu ersparen, die eine kleine
Schutzmaßregel verursachen würde." „Gefährliche Ma-
schinen," sagt Watchorn weiter, „haben Tausende erschla-
gen, mangelhafte hygienische Maßnahmen, im Verein mit
— 726 —
ungenügender Ventilation, Zehntausende getötet." Dabei
dachte er aber nur an die Verhältnisse in den Fabriken selbst.
Hinzu kamen noch die ekelerregenden Löcher, in denen viele
Arbeiter hausen, und die schlechte Nahrung, mit der die elend
bezahlten Arbeiter und ihre Familien auskommen mußten.
So wurden Männer, Frauen und Kinder dahingemäht; be-
sonders die Sterblichkeitsziffer der Kinder in Pittsburg war
so anormal, daß sie allgeineine Aufmerksamkeit erregte.
Zur Zeit des Homesteader Streiks hatte Carnegies Ge-
sicht noch nicht jenen honigsüßen, gewerbsmäßig wohl-
wollenden Ausdruck angenommen, wie später unter dem
mildernden Einfluß des Alters und der Anbetung einer
ganzen Welt, die (mit seltenen Ausnahmen) seine Wohl-
taten erbettelte und annahm. Man tut Carnegie nicht un-
recht, wenn man sagt, sein Gesicht habe damals selbst bei
ruhigem Ausdruck jeden, der seinen Pfad kreuzte, ent-
mutigen und einschüchtern müssen. Eine hohe, breite
Stirn wies auf seine Gabe scharfen Überlegens hin. Seine
Augen waren lang und schmal, durchbohrend und resolut,
von einem schlauen, harten Ausdruck beherrscht. Was aber
besonderen Eindruck auf den Beschauer machte, waren seine
Lippen und seine Backenknochen. Diese grimmig zusammen-
gekniffenen Lippen zeigten eine eiserne Entschlossenheit,
das durchzuführen, was er sich in den Kopf gesetzt hatte,
koste es, was es wolle; seine schweren Kinnbacken aber, aus
denen Zähigkeit und Kampfsucht sprach, verstärkten den
Eindruck der Lippen. Zum Glück für ihn milderte ein Bart
und ein Schnurrbart wie eine Art Draperie einigermaßen die
harten Linien seines Gesichts.
Die Panzerplatten-Skandale
Das Homesteader Gemetzel hinterließ einen tiefen und
dauernden Eindruck, und Carnegie hätte sicherlich viel
darum gegeben, ihn verwischen zu können. Allein nur zwei
Jahre später war er Gegenstand einer noch lauteren Anklage,
die diesmal aus einer ganz anderen Richtung kam. —
Außer der Einführung von Stahlschienen hatte ein anderer
Faktor der Stahlindustrie einen großen Aufschwung ge-
- 727 -
geben und ihre Profite ungeheuer vermehrt : die allgemeine
Einführung von Panzerplattenschiffen. Obgleich der Kampf
zwischen dem „Merrimac" und dem „Monitor" während des
Bürgerkrieges den Flottenbau revolutioniert und die hölzer-
nen Schlachtschiffe als veraltet erwiesen hatte, begannen die
Vereinigten Staaten erst 1885 systematisch eine Panzerflotte
zu schaffen. Aber schon vor dieser Zeit hatten die Carnegie-
Werke Panzerplatten für fremde Kriegsschiffe fabriziert.
Ais 1 879 ein Krieg zwischen Großbritannien und Rußland
wegen der Türkei drohte (so bezeugt Charles H. Cramp, der
größte Schiffbauer der Vereinigten Staaten, vor der In-
dustriekommission der Vereinigten Staaten im Jahre 1900),
habe die russische Regierung in den Vereinigten Staaten
Schiffe gekauft und Cramp beauftragt, sie zu renovieren.
Dabei habe er sich zur Erlangung von Panzerplatten an
Carnegie und die Bethlehem-Stahlwerke (in Pennsylvanien)
wenden müssen, und diese hätten ihm 600 Dollar pro Tonne
berechnet, ohne daß er etwas dagegen tun konnte, d. h. fast
ein Drittel der Gesamtkosten des Schiffes, so daß er nichts
daran verdient habe. Es ist Tatsache, daß die Carnegie-
Interessenten der Regierung der Vereinigten Staaten und
Cramp 520 — 700 Dollar pro Tonne berechneten und gleich-
zeitig dasselbe Panzermaterial für weniger als 200 Dollar
pro Tonne herstellten und für 249 Dollar pro Tonne direkt
an die russische Regierung verkauften. Charles H. Hurrah,
Präsident der Midvale-Stahlgesellschaft zu Philadelphia,
berechnete den Verdienst an Panzerplatten auf 23 Prozent
und meinte, er sei trotzdem in keiner Weise mit den Profiten
auf Stahlschienen und Stangen und Baumaterial zu ver-
gleichen, die durch einen durchschnittlichen Einfuhrzoll von
45 Prozent geschützt waren.
Man hätte meinen sollen, bei einem Verdienst von min-
destens 23 Prozent hätten die Carnegie-Werke die beste
Qualität von Panzerstahl liefern müssen, um so mehr, als er
für Kriegsschiffe bestimmt war, die im Falle der Gefahr ihre
eigenen Handelsinteressen zu schützen haben würden. Aus der
Menge der Zeugnisse soll nur der Schlußbericht der Unter-
suchungskommission des Kongresses herausgegriffen werden.
„Die Bemühungen der Gesellschaft und ihrer Geschäfts-
- 728 -
führer Cllne, Corey und Schwab, die Inspektoren zu be-
trügen, die Probeplatten zu verfälschen usw., haben Ihrer
Kommission zur Genüge bewiesen, daß die Lieferungen den
Verträgen nicht entsprechen. Der schamlose Charakter
der Schwindeleien, an denen diese Männer sich beteiligt
haben, und die Verachtung des Anstandes und der Wahrheit,
den sie bei der Zeugnisablegung vor Ihrer Kommission be-
wiesen haben, machen sie des Vertrauens unwürdig."
Carnegies ,,Patriotismus^^
Abgesehen von dem besonders abstoßenden Charakter
dieser Schwindeleien, verdienen einige Punkte dieses Be-
richtes einen eigenen Kommentar. Daß Carnegies Werke
Panzerungen von so schlechter Qualität lieferten, daß dar-
aus die Durchlöcherung und der Untergang ganzer Schiffe
mit Mann und Maus resultieren konnte, das war sogar
noch . . . erstaunlicher als die Tatsache, daß seine Werke
so unzulänglich mit Schutzvorrichtungen versehen waren,
daß Hunderte von Arbeitern verstümmelt oder getötet
wurden. Im letzteren Falle entsprach es der allgemeinen
Erwartung, daß der mächtige Kapitalist sich um die Wohl-
fahrt und das Leben seiner Arbeiter nicht kümmerte —
das war die „eiserne Geschäftsregel". Aber im Falle der
nationalen Verteidigung waren es Carnegie und seines-
gleichen, die immerfort ihren großen Patriotismus zur
Schau trugen und einen besonderen „patriotischen Vor-
rang" beanspruchten, sie waren die ersten, die im Falle
innerer und äußerer Gefahr das Heer und die Flotte zum
Schutze ihres Besitzes und ihrer Handelsinteressen herbei-
riefen. Sie selber setzten ihre geweihte Haut weder bei
der Handhabung ihrer eigenen Maschinen noch bei per-
sönlichem Kriegsdienst aufs Spiel. Die Männer aber, die
wirklich für sie kämpfen, hätten wenigstens eine gute Be-
waffnung erwarten können — aber nicht einmal diese
bekamen sie. Nicht wenige Offiziere im Heer und in der
Marine brachten Carnegies kürzliche Schenkung von
I 750 000 Dollar für das Haager Schiedsgericht in ironi-
schen Zusammenhang mit seinen Marinelieferungen,
- 729 -
Hörten die Vereinigten Staaten nach diesen Enthüllungen
nun auf, der Carnegie-Stahlgesellschaft Aufträge zu über-
weisen ? Keineswegs : sie gaben die Aufträge ruhig weiter,
und zwar unter Umständen, die neue Skandale hervorriefen.
Nur wenige Jahre nach dem Berichte der Kommission
gab der Marineminister der Carnegie- und der verbündeten
Bethlehem-Stahlgesellschaft einen Auftrag für i8 Millionen
Dollar, und der Preis war um 17 Dollar pro Tonne höher
als der von der Midvale-Stahlgesellschaft gemachte. Der
Grund — wenigstens der von der Marineverwaltung öffent-
lich vorgebrachte — war der, daß die Carnegie- und Beth-
lehem-Werke schneller liefern konnten als die Midvale-
Stahlgesellschaft.
Carnegie begünstigt die Betrüger
Wenn ein Unternehmer, der sich seiner Ehrlichkeit rühmt,
wie Carnegie es tat, entdeckt, daß ein Angestellter ge-
stohlen oder betrogen hat, so hat er die Möglichkeit, seinen
eigenen Anstand sofort zu erweisen, indem er den Schul-
digen entläßt. Den Herren Cline, Corey und Schwab aber
widerfuhr nichts dergleichen. Sie blieben nicht bloß in
seinen Diensten, sondern wurden im Gegenteil von Zeit
zu Zeit befördert und schließlich zu Kompagnons gemacht.
Carnegie sagt in seinem vor Jahren publizierten Bande, in-
dem er erzählt, wie er viele von seinen früheren Geschäfts-
führern zu Teilhabern erhob : „Sie alle wurden nach langem
Dienste auf Grund erwiesener Leistungen ausgewählt."
Unter diesen erwiesenen Leistungen muß also die skrupellose
Geschicklichkeit und Zähigkeit von Cline, Corey und Schwab
bei der Aufschwatzung schwindelhafter Panzerplatten an die
Regierung der Vereinigten Staaten mitgezählt haben.
In der Tat erwiesen sie sich für Carnegies Bereicherung
als so nützlich, daß er sechs Jahre später, als die Carnegie-
Gesellschaft mit ihrer riesigen Kapitalanhäufung gegründet
wurde, Schwab zum Präsidenten machte, und später, bei
der Organisierung des Stahltrustes, Schwab und Corey nach-
einander zu Präsidenten erkor.
Die Profite der Carnegie-Werke beliefen sich 1894 auf
- 730 -
vier Millionen Dollar; im nächsten Jahre waren es fünf
Millionen, 1896 sechs Millionen, 1897 sieben Millionen;
und 1898 sogar elfeinhalb Millionen. Während des nächsten
Jahres verdoppelten sie sich beinahe und schwollen auf
21 Millionen an, und im nächsten Jahre (1900) verdoppelten
sie sich abermals auf 40 Millionen. Aber man darf nicht
meinen, das Herabdrücken der Löhne, exzessive Preise und
schwindelhafte Methoden seien die einzigen Faktoren ge-
wesen, die diesen gewaltigen Profitstrom erzeugt hätten.
Die Ära des Aufsaugens
Ein weiterer Faktor, auf den wir schon angespielt haben,
war die höhere kapitalistische Methode, jedes nur denkbare
Element und Werkzeug, das bei der Stahlproduktion ge-
braucht wurde, in den Besitz der Carnegie-Stahl-Gesell-
schaft zu bringen. Die Zwischenleute wurden in jeder Rich-
tung unterdrückt oder ausgeschaltet. Die Eisenerzlager der
Carnegie-Stahl-Gesellschaft wurden durch Ankauf der
halben Anteile der Oliver-Minengesellschaft in der Mesaba-
Bergkette vermehrt; dafür gab Carnegie ein Darlehen von
einer halben Million Dollar. Die Carnegie-Stahlgesellschaft
besaß ihre eigenen Seedampfer und Eisenbahnen, um das
Erz nach Pittsburg zu befördern, sie besaß ihre eigenen
Koks-, Kohlen-, Kalkstein- und viele andere Unternehmun-
gen, die sämtlich von Carnegie beherrscht wurden. Schwab
bezeugte vor der Industriekommission der Vereinigten
Staaten im Jahre 1900, zu der Carnegie-Stahlgesellschaft
habe eine solche Menge miteinander verbundener Unter-
nehmen gehört, daß man es der Einfachheit halber ratsam
fand, sie alle — 26 oder 27 an der Zahl — zu einer neuen
Gesellschaft, der Carnegie -Gesellschaft, zu verschmelzen.
„Bei Gründung der Gesellschaft," sagte Schwab aus,
„war es unsere Absicht, daß sie eine geschlossene Gesellschaft
bleiben sollte; daher setzten wir die Aktien auf je 1000 Dol-
lar fest, damit sie nicht in den Handel gebracht würden."
Carnegie behielt die Gewalt über diese Carnegie-Gesell-
schaft, so gut wie er sie in jeder einzelnen Gesellschaft be-
sessen hatte.
- 731 -
Die Gründung der Carnegie-Gesellschaft
So kam im März 1900 die Carnegie-Gesellschaft mit
einem Kapital von 320 Millionen zur Welt. Ihr Besitz an
Rohmaterialquellen wurde noch beträchtlich vermehrt
durch die Abtretung gewisser Eisenerzbecken in der Gegend
von Mesaba, die John D. Rockefeller gehörten. Carnegie
war mächtig stolz darauf, einen so gewiegten Geschäftsmann
wie den Standard-Öl-Magnaten übertrumpft zu haben.
Es gab damals drei besonders große Konzerne in der
Stahlindustrie. Der erste war die Bundes-Stahlgesellschaft,
die sich aus verschiedenen Werken in Chicago und ander-
wärts zusammensetzte; sie hatte ihre eigenen Eisenerzlager,
ihre Erzschiffe und Eisenbahnen und 100 Millionen Dollar
Kapital. Die zweite war die National-Stahlgesellschaft mit
59 Millionen Dollar Kapital, deren Werke hauptsächlich in
Ohio lagen. Pie dritte war die Carnegie-Gesellschaft.
Sie alle kämpften energisch gegen die Gewerkschaften;
sie alle sprachen den Arbeitern die Organisationsfreiheit ab,
obgleich sie gesetzlich festgelegt war — aber was fragten
sie nach dem Gesetz? Und gleichzeitig schlössen sie ge-
heime Verträge zur Festsetzung der Preise und der Produk-
tion, obgleich derartige Verträge gesetzlich verboten waren,
da sie gegen das Gesetz, das Vereinigungen zur Beschränkung
des Handels verbot, verstießen.
Man fragt sich, warum diese Gesellschaften nicht zivil-
und strafrechtlich verfolgt wurden ? Die Erklärung ist ein-
fach. Der Beamte der Vereinigten Staaten, durch dessen
Initiative derartige Verfahren eingeleitet wurden, war der
Oberstaatsanwalt. Nun hatte Carnegie, wie er am 11. Januar
191 2 vor der Untersuchungskommission über den Stahl-
trust zugab, 1901 den Präsidenten McKinley genötigt.
Philander C. Knox zum Oberstaatsanwalt der Vereinigten
Staaten zu ernennen. Knox war seit 1890, als das Sherman-
sche Anti-Trust-Gesetz angenommen wurde, Anwalt der
Carnegie-Stahlgesellschaft gewesen und hatte die Gesell-
schaft 1894 bei der Untersuchung wegen der Panzerplatten
verteidigt. Das war der Mann, der 1901 zum Oberstaats-
anwalt der Vereinigten Staaten ernannt wurde und während
- 732 -
der Präsidentschaften von McKinley, Roosevelt und Taft
in diesem oder jenem hohen Amte als eine Art Premier-
minister verblieb. Seine Anstellung bedeutete für Carnegie
und seine Verbündeten eine Art garantierter Immunität.
Ein drohender Konkurrenzkrieg
Obgleich die drei großen Stahlgesellschaften Konsolidie-
rungen von kleineren Konzernen darstellten und unterein-
ander Handels-„Verständigungen" getroffen hatten, war die
Konkurrenz unter ihnen doch keineswegs aufgehoben. Die
Kapitalistengruppe, die unter Führung von J. Pierpon-
Morgan die Bundes-Stahlgesellschaft, die National-Röhren-
gesellschaft und die Amerikanische Brückengesellschaft bet
herrschte, wurde 1901 von einem heftigen Preiskrieg von
Seiten der anderen Kartelle bedroht, die sich ihrerseits von
derselben Gefahr bedroht fühlten. Die eine Gesellschaft
beschloß, ihr eigenes Roheisen und Stahl herzustellen; eine
andere plante den Bau weiterer Hochöfen und Stahlwerke.
Was Carnegie betrifft, so revanchierte er sich mit der Ankün-
digung des Projektes, eine Konkurrenzlinie zur Pennsylvania-
Bahn (die Morgan unter sich hatte) zu bauen und an der
Küste des Eriesees eine ungeheure Röhrenfabrik zu errichten.
Hätte dieser angedrohte Handelskrieg sich entwickeln
dürfen, so hätte er die ökonomische Auflösung bedeutet.
Was das Gesetz auch zur Verhinderung solcher Zusammen-
schlüsse bestimmte — gegen die Macht der ökonomischen
Kräfte konnte es nicht ankommen.
Die Antitrust-Gesetze waren auf Anregung der Mittel-
klasse beschlossen worden zu einer Zeit, als diese Klasse
noch mächtig war; ihr Zweck war gewesen, die Periode un-
umschränkter Konkurrenz fortdauern zu lassen, aber diese
Periode war vorbei, und die Gesetzesparagraphen waren un-
fähig, sie wieder zu beleben oder die Herrschaft der Truste
zu verhindern. Die vier großen Stahlfabrikations-Organi-
sationen bedeuteten einen Schritt vorwärts in der Organi-
sation der Industrie. Sollten sie nun die Taktik einer frühe-
ren, vergangenen Periode wieder aufnehmen ?
Frick hatte das schon 1899 gesehen. Morgan sah es jetzt
- 733 "
und beeilte sich, danach zu handeln. Daß Morgan, ein
Bankier, eine Sektion der Stahlindustrie beherrschte und die
Rockefeller- und Moore-Gruppen die beiden anderen, war
nicht im mindesten erstaunlich; war doch auch Carnegie
dreiunddreißig Jahre früher zur Herrschaft über ein Werk
gelangt, von dessen Gang er nichts verstand. Um 1898 war
die Zeit gekommen, wo Truste aller Art von Magnaten
organisiert wurden, die ihren Reichtum in anderen Gefilden
erworben hatten und dadurch große Fabrikationszweige be-
herrschten, in denen sie niemals auch nur einen Tag ge-
arbeitet hatten. So wurde z. B. der kolossale Tabaktrust von
Thomas F. Ryan organisiert, der mit seinen Geno3sen zehn-
fache Millionen Dollar aus den New Yorker Straßenbahnen
erbeutet hatte. Er hätte nicht eine Zigarre rollen können,
und wenn man ihm Millionen dafür gezahlt hätte.
Nun wurden schleunigst Pläne geschmiedet, einen weite-
ren Schritt in der kapitalistischen Organisation der Stahl-
industrie zu tun. Gerade wie die großen in der Branche
existierenden Korporationen eine Vereinigung vieler Werke
darstellten, die früher miteinander konkurriert hatten, so
sollte die projektierte Organisation die vier großen Korpora-
tionen zu einer Riesenkorporation verschmelzen.
Um aber diesen Gipfelpunkt zu erreichen, war es nötig,
Carnegie als aktiven Faktor loszuwerden. Die Carnegie-
Werke waren von allen am besten situiert; hinter ihnen
stand reichliches Kapital, und ihre Organisation und Leitung
war vom kapitalistischen Standpunkt aus unübertroffen.
Carnegie war dem alten Brauch der Grobschmiede, welche
die Gehilfen, um sie anzuspornen, oft am Geschäft beteilig-
ten, gefolgt und hatte Schwab, Corey, Gayley, Peacock und
viele andere Werkmeister und Aufseher zu Teilhabern ge-
macht ; er rühmte sich, das Personal seiner Gesellschaft wäre
mehr wert, als der ganze Besitz der Gesellschaft. Frick hatte
die Geschäftsführung unter sich gehabt, Schwab überwachte
die Fabrikation und Peacock den Verkauf.
Carnegie und Friik veruneinigen sich
Zwischen Frick und Carnegie war jedoch ein äußerst er-
bitterter Zank ausgebrochen. Frick hatte 1899 von Carnegie
- 734 -
eine Option auf die Carnegie-Werke für i6o Millionen
Dollar bekommen und suchte an Morgan seinen halben An-
teil an den Werken für diese Summe zu verkaufen. Morgan
aber weigerte sich, i6o Millionen Dollar für den halben
Anteil an einem Unternehmen zu zahlen, dessen eigener
Besitzer, Carnegie, kurz vorher geschworen hatte, es besäße
keinen höheren Nutzwert als 75 610 104 Dollar, und dessen
gesamte Aktiva nach der Bilanz der Carnegie-Gesellschaft
vom I. März 1900 sich auf loi 416 802 Dollar beliefen.
Morgan war ein zu alter Geschäfts- und Finanzbär, um
darauf einzugehen — indessen sollte bald die Zeit kommen,
wo diese ^eigerung ihm teuer zu stehen kam.
Frick und seine Genossen bei der Transaktion mußten
ihren Mißerfolg beim Verkauf der Option mit über einer
Million Dollar bezahlen, die Carnegie als Buße einstrich,
denn „Geschäft ist Geschäft". Frick aber war darüber un-
gehalten und verklagte Carnegie aus anderen Gründen
wegen verschiedener Millionen Dollar, die ihm aus den Gel-
dern der Carnegie-Gesellschaft widerrechtlich vorenthalten
würden. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß die Affäre eine
anmutige Sensation abgab ; aber Frick hatte offenbar guten
Grund, nachzugeben, da sein Prozeß aussichtslos erschien.
Carnegie schröpft Morgan
Damit drohte ein ruinöser Handelskrieg, in welchem jede
Stahlorganisation versuchen würde, Monopole für gewisse
Produkte, welche die anderen innehatten, ins Wanken zu
bringen. Es war also eine Lebensfrage, alle miteinander
streitenden Korporationen zu vereinigen. „Es war für jeden
klar," sagt der Bericht von Herbert Knox Smith, dem
Korporationskommissär der Vereinigten Staaten, „daß eine
derartige Konsolidierung nur erfolgreich sein konnte, wenn
sie die Carnegie-Gesellschaft mit Inbegriff, die in der da-
maligen Situation der mächtigste Faktor war, sich seit lan-
gem durch ihre aggressive Taktik hervorgetan und, wie oben
gezeigt wurde, die Krisis beschleunigt hatte. Anderseits
unterliegt es keinem Zweifel, daß viele Stahlinteressenten
Carnegies persönlichen Einfluß als Gefahr für sich und für
- 735 -
ihr Geschäft betrachteten und den Wunsch hatten, sich
seinen Rückzug aus dem Handel zu sichern; von ihrem
Standpunkt aus war es die beste Lösung, Herrn Carnegie
auszukaufen. Man sah ein, daß dies eine äußerst kostspielige
Transaktion wäre, die das Zusammenwirken der führenden
Interessenten erfordern würde. Daher traf man mit Herrn
Carnegie ein Arrangement, wonach man dessen große An-
teile an seiner Gesellschaft gegen Obligationen der neuen
Konsolidation übernahm."
Mit anderen Worten : Carnegie erpreßte von Morgan eine
ungeheure Summe dafür, daß er der Konkurrenz mit den
von Morgan, Moore und anderen Magnaten beherrschten
Stahlkorporationen entsagte. Diese Tatsache wird auch in
dem kürzlichen Bericht der Kongreßkommission zur Unter-
suchung der Stahlkorporation in den Vereinigten Staaten
konstatiert. „Dieser eine Konzern," sagt er mit Bezug auf die
Carnegie-Gesellschaft, „verlangte unter der Drohung, ein
Monopol zu zerstören, das die verbündeten Gesellschaften
sich gesichert hatten, als , Friedenspreis' ein ,Lösegeld' und
bekam es." Es war vielleicht der größte kommerzielle Räu-
bersold, der je ergaunert wurde, aber man betrachtete das
unter den großen Geschäftsleuten als ein „legitimes Geschäft"
und diejenigen, die ihn erhoben, als höchst geschickte Leute.
Carnegie erpreßt 44y Millionen Dollar
Und wie hoch war der Preis, der an Carnegie gezahlt
wurde? Insgesamt 447416640 Dollar! Ein gewisser Teil
dieser Summe ging an Carnegies jüngere Teilhaber, der
größere Teil aber — über 300 Millionen Dollar — aus-
schließlich an Carnegie; und es scheint, daß er bei dieser
Transaktion durch irgendeinen Kniff „seine jüngeren Teil-
haber übertrumpfte" (nach dem Bericht der Untersuchungs-
kommission).
Hundert Millionen Dollar, die Carnegie sich entgehen läßt
Die weitere Geschichte des Stahltrustes betrifft Carnegie
nicht. Nur etwas soll noch erzählt werden : als Carnegie
- 736 -
eine so riesige Summe — 447 Millionen Dollar — für die
Besitztümer der Carnegie-Gesellschaften bekam, die höch-
stens 160 Millionen Dollar wert waren, war er höchst ver-
gnügt und selbstzufrieden. Hatte er doch Morgan, den
Finanzmonarchen, ausgestochen und einen nie dagewesenen
Coup geschäftlicher Schläue gemacht. Aber zu seiner maß-
losen Verwunderung und Kümmernis merkte er bald, daß
er schließlich doch nicht alle Kühe gemolken hatte, die er
hätte melken können.
Wie er das enorme Anschwellen der Stahltrust-Aktien
sah und die dicken Profite, die Morgan und Genossen ein-
steckten, sagte er sich voller Trauer, daß er mindestens
100 Millionen Dollar mehr hätte fordern sollen. Als er
Morgan zufällig bei einer Reise nach Europa auf einem
Dampfer traf und dieser Meinung ihm gegenüber Ausdruck
gab, sagte Morgan ihm kühl und kurz: wenn er weitere
100 Millionen Dollar gefordert hätte, hätte er sie auch be-
kommen — eine bittere Pille, die Carnegie noch nicht ganz
verdaut hat. Er brachte dies kürzlich, am 10. Januar 191 2,
öffentlich zum Ausdruck, indem er vor der Untersuchungs-
kommission des Kongresses ausrief: „Ich verstehe nicht,
wie ich solch ein Narr sein konnte, der Stahlkorpora-
tion meine Besitztümer für 430 Millionen Dollar zu ver-
kaufen!"
Man weiß in der Wallstreet, daß die Stahltrustmagnaten
für Carnegie noch eine andere Überraschung in petto haben
für den Fall, daß der Stahltrust sich jemals auflösen, oder
daß die Obligationen, die Carnegie in Händen hat, jemals
zufällig unvorhergesehenerweise gekündigt werden sollten.
Diese Obligationen liegen natürlich auf den früheren Car-
negie-Werken, und seit der Gründung des Stahltrustes haben
die Trustmagnaten ein großes modernes Werk zu Gary
(Indiana) gebaut und andere Werke so sehr vervollkommnet,
daß Carnegies Werke im Vergleich damit mehr oder weniger
veraltet sein sollen. Sollte Carnegie versuchen, zu kündigen,
so würde er merken, daß seine Obligationen auf Werken lie-
gen, die sozusagen Plunder wären. Das sind die Obligatio-
nen, wie wir hinzufügen wollen, die er in seinen zahlreichen
philanthropischen Gründungen so freigebig verteilt.
- 737 -
Carnegies Philanthropien
Diese sogenannten Philanthropien umfassen eine große
Masse von Schenkungen, zum Teil verklausulierten. Für einen
Pensionsfonds für die Arbeiter der Carnegie- Werke gab er
fünf Millionen Dollar. Aber diese Schenkung war dermaßen
mit Bedingungen und Einschränkungen umheckt, daß das Los
der großen Masse jener Arbeiter sich nicht um ein Jota ge-
bessert hat. Es war eine verschwenderische Großtat, mit gro-
ßem Getöse einen Fonds von fünf Millionen Dollar „zugun-
sten" der Arbeiter einzurichten, die Carnegie ein Einkommen
von ungefähr 25 Millionen Dollar jährlich verschafft haben.
Den Instituten gegenüber, die die öffentliche Meinung
beeinflussen und beherrschen, ist Carnegie aber noch viel
freigebiger gewesen. An kleine Universitäten in den Ver-
einigten Staaten gab er 1 8 Millionen Dollar. Mit 1 5 Millio-
nen gründete er einen Pensionsfonds für Universitätspro-
fessoren — eine Tat, wodurch er sich die weithin hallenden
Lobpreisungen der gesamten Universitätslehrer der Mit-
welt wie der Nachwelt gesichert hat. Zur Gründung des
Carnegie-Instituts in Washington gab er 10 Millionen und
für das Carnegie-Institut in Pittsburg 16 Millionen Dollar.
Zehn weitere Millionen gab er zur Gründung des „Helden-
Fonds", der diejenigen belohnen soll, die zur Rettung
menschlichen Lebens Heldentaten vollbringen — was dann
natürlich jedesmal in der Zeitung steht. Die schottischen
Universitäten erhielten zehn Millionen, die Dampferlinie-
Stiftung in Schottland fünf Millionen. Für Bibliotheken
in den Vereinigten Staaten und in Kanada hat er dreißig
Millionen oder mehr gegeben (es ist schwer, diese besonderen
Schenkungen genau zu verfolgen), und für auswärtige Bi-
bliotheken zehn Millionen. Dem Pittsburger Polytechnikum
gab er zwei Millionen Dollar, der Gesellschaft der Verbün-
deten Ingenieure in New York schenkte er einundeinehalbe
Million, dem Haager Friedenspalast einunddreiviertel Mil-
lionen, für andere Stiftungen in Europa zweiundeinhalb
Millionen und dem Büro Amerikanischer Republiken drei-
viertel Million Dollar. Seine verschiedenen Wohltaten in den
Vereinigten Staaten betragen zwanzig Millionen Dollar oder
47
- 73« -
mehr. In dieserListe sind aber keineswegs alle seine Schenkun-
gen aufgeführt. Seine letzte bestand in einem Fonds, aus dem
die Expräsidenten der Vereinigten Staaten oder ihre Witwen
25 000 Dollar jährlich bekommen sollen — eine außerordent-
lich weise Schenkung, die ihren Zweck nicht verfehlen wird.
Aber selbst bei seinen „philanthropischen Unternehmun-
gen" bewahrt Carnegie seine alte feine Kunst, viel für wenig
zu bekommen. Seine Schenkungen an Bibliotheken waren
nicht bedingungslos : gab er einer Stadt eine gewisse Summe
zur Gründung eines Instituts, so stellte er regelmäßig die
Bedingung, daß die Stadt die laufenden Ausgaben decke.
So sicherte er sich durch eine einmalige Ausgabe ein ewiges
Gedächtnis in Form eines Gebäudes, das nach ihm benannt
wurde; aber die dicke Rechnung mußte von den Bürgern
bezahlt werden. Eine Anzahl Städte ist denn auch nicht
blind gewesen gegen diese besondere Art Wohltätigkeit und
hat seine Angebote abgelehnt. Erst kürzlich, am 11. De-
zember 191 2, richtete die Buchdrucker-Gewerkschaft Nr. 27
einen Protest an die Stadt gegen die Annahme von 50 000
Dollar „aus diesem Blut- und Sündengeld zum Bau einer
öffentlichen Bibliothek, die hauptsächlich seinem Gedächtnis
dienen und die Steuerzahler mit 5000 Dollar jährlichen
Unterhaltungskosten belasten soll."
Man darf natürlich nicht erwarten, daß ein einziger
Mensch wie Carnegie, der in seinem Palast an der fünften
Avenue zu New York oder in Schottland in seinem Schlosse
Skibo bequem sein Alter genießen will, die Mühe der Über-
wachung so weitverzweigter Stiftungen und Fonds auf sich
nehme. Gerade so, wie er Leute mietet, die seine Stahl-
werke zu beaufsichtigen haben, so hat er auch Angestellte,
die berufsmäßig seine Wohltätigkeitsunternehmungen leiten.
Sie bilden eine Kommission von acht „hervorragenden
Männern", die die „Carnegie-Korporation" verwalten. Bis
jetzt hat Carnegie insgesamt 125 Millionen Dollar in Pa-
pieren diesen Trabanten überwiesen, die das Geschäft be-
sorgen, während Carnegie das allgemeine Lob einsteckt.
Überblickt man Carnegies Karriere, so sieht man sofort,
daß er, nach den heutigen Begriffen vom Geschäftsleben,
immer als „ehrlicher Mann" gegolten hat.
- 739 -
Wem das nach den hier angeführten Tatsachen sonderbar
vorkommen sollte, der möge nur bedenken, daß es sich —
wie sehr er auch bei der allgemeinen Bestechung und Kor-
ruption die Augen zudrückte und wie sehr er auch davon
profitierte — nicht im mindesten beweisen läßt, wenigstens
soweit die benutzbaren Berichte gehen, daß er jemals per-
sönlich bestochen hat. Daß er gegen die Korruption nicht
protestierte, war bei einem Geschäftsmann, der reich werden
wollte, nur zu erwarten; daß er regelmäßig Geld gab für
die Wahlkampagnen korrupter politischer Parteien, galt
nach den Geschäftsbegriffen als ein patriotischer Akt — der
sich freilich millionenfach bezahlt machte.
Freilich wurde Carnegies Name von seinen früheren Teil-
habern und von den Arbeitergenerationen, die er bedrückt
hatte, verflucht — aber ihre Stimmen verloren sich im
Dunkel. Da sie nicht über Zeitungen, Kirchen, politische
Redner und all die anderen mächtigen Instrumente zur Schaf-
fung einer öffentlichen Meinung, Legende oder Tradition
verfügten, verhallte ihr Groll und ihre Anklagen ungehört.
Die Lage der Stahlarbeiter
Aber allmählich wird es Tag, und die Wahrheit über die
letzte Quelle so stupenden Reichtums und solcher Wirt-
schaftsgewalt in einer Hand dringt siegreich durch. Damit
Riesenprofite gemacht werden können, müssen die Arbeiter
in den Stahlwerken und in den damit verbundenen Anlagen
und Minen unter so harten, brutalen und erniedrigenden
Verhältnissen schuften und existieren, daß eine noch so
oberflächliche Schilderung dieser Verhältnisse Entsetzen
hervorruft. Man findet sie in den Berichten des Arbeitsbüros
der Vereinigten Staaten. Da erfahren wir, daß die unge-
lernten Arbeiter die große Masse von 173 000 Menschen
in allen Abteilungen des Stahltrustes ausmachen. „Überall,
außer im Süden," sagt der Bericht, „sind so gut wie alle, die
zu dieser Klasse ungelernter Arbeiter gehören, kürzlich Einge-
wanderte, von denen der größere Teil nicht englisch spricht
oder versteht. Selbst im Süden gibt es in der Industrie eine
merklich wachsende Anzahl von Einwanderern (60 Prozent),
47"
- 740 -
und fast zwei Drittel dieser Ausländer sind Slawen! Jedes
Jahr zeigt eine Vermehrung der mechanischen Einrichtungen,
zu deren Handhabung unqualifizierte Arbeit ausreicht."
Unter was für Verhältnissen schuftet diese Armee von
Lohnsklaven ? Der Bericht sagt es uns. „Während der
Untersuchungsperiode haben 50 000 = 29 Prozent von den
173 000 Hochofen- und Stahlarbeitern, die dieser Bericht
umfaßt, gewohnheitsmäßig sieben Tage in der Woche ge-
arbeitet, und 20 Prozent waren 84 Stunden oder mehr in
der Woche beschäftigt, was in der Tat eine Zwölfstunden-
arbeit an jedem Tag der Woche mit Einschluß des Sonntags
bedeutet. Dieser Übelstand wurde noch dadurch vermehrt,
daß die siebentägige Arbeit sich, wie die Untersuchungs-
kommission feststellte, nicht auf die Hochofenabteilung be-
schränkte, wo aus technischen Gründen eine ununterbro-
chene Arbeit nötig ist, und wo 88 Prozent der Angestellten
sieben Tage arbeiten; sondern es stellte sich heraus, daß in
beträchtlichem Umfang auch in anderen Abteilungen, wo
derartige technische Gründe nicht geltend gemacht werden
können, produktive Arbeit am Sonntag so gut wie in der
Woche betrieben wird . . . Die Qual eines zwölfstündigen
Tages und einer siebentägigen Woche wird noch größer
durch die Tatsache, daß alle Woche oder alle zwei Wochen,
je nach dem Modus, wonach die Arbeiter der Tagesschicht
die Nachtschicht übernehmen und umgekehrt, die Arbeiter
1 8 oder 24 Stunden hintereinander bei der Arbeit bleiben ..."
Der Bericht sagt weiterhin, daß einige von den Stahlwerken
sofort nach Beginn der Untersuchung des Arbeitsbüros an-
kündigten, sie würden ihren Leuten Sonntagsruhe bewilligen.
„Es ist aber von den Fabrikanten nichts getan und nichts
vorgeschlagen worden, um den Prozentsatz der Arbeiter zu
vermindern, die 72 Stunden und mehr in der Woche arbeiten.
„Die hier beschriebenen Verhältnisse sind um so bezeich-
nender und charakteristischer für die Eisen- und Stahl-
industrie, wenn wir bedenken, daß sich in den anderen In-
dustrien seit Jahren eine Tendenz auf kürzere Arbeitszeit
geltend gemacht hat. Vor Jahren ist der Zehnstundentag
beinahe obligatorisch geworden; seitdem haben weitere
Verkürzungen den Arbeitstag auf neun und in vielen Fällen
- 741 -
auf acht Stunden gebracht, und zu diesen Verkürzungen ist
ein halber Feiertag am Samstag gekommen. Zu dieser all-
gemeinen Tendenz in den anderen Industrien steht es also
in schneidendem Kontrast, wenn man in einer großen grund-
legenden Industrie, wie es der in diesem Bericht behandelte
Teil der Eisen- und Stahlindustrie ist, findet, daß nur etwa
14 Prozent von den 173000 Arbeitern weniger als 60 und
fast 43 Prozent 72 Wochenstunden und mehr arbeiten . . ."
Unter so unerträglichen, menschenunwürdigen Zuständen
müssen die Stahlarbeiter schuften. In diesen Höllenflam-
men, inmitten eines wahnsinnigen, ununterbrochenen Lärms
müssen sie sich alle Tage ihr bißchen Brot verdienen. Sie
dürfen keinen Augenblick aufschauen. Die elenden auto-
kratischen Unter-„Treiber" stehen immer hinter ihnen, um
sie mit Flüchen anzuspornen, wenn sie sich ein wenig ver-
schnaufen wollen; positiver Ungehorsam zieht sofortige
Entlassung nach sich. Die jungen Arbeiter halten diese
Nervenanspannung vielleicht eine Weile aus; von den alten
sind einige so abgestumpft und abgehärtet, daß es auf sie
keinen Eindruck mehr macht, die meisten aber werden bald
krumm und alt und bekommen jenen leeren, flimmrigen
Blick, der für die hoffnungslos Geknechteten charakteri-
stisch ist, während in anderen Augen der Haß brennt gegen
die Klasse und das System, die sie bedrücken. Den ganzen
Tag lang steht diese menschliche Fleischmasse den Ma-
schinen zur Verfügung, die, sobald sie nicht mehr auf der
Höhe sind, sogleich durch neue ersetzt werden. Genau das-
selbe geschieht mit dem Arbeiter, der das „Beschleunigungs-
system" nicht mehr aushält ; er wird auf die Straße geworfen
und darf verhungern. Nur wenige sind darunter, die ihre
Arbeit nicht in erschöpftem Zustande verlassen und nach
Hause wanken, wo sie ein dürftiges Mahl einnehmen und
sich dann todmüde niederlegen, um am anderen Morgen in
derselben hoffnungslosen Lage aufzuwachen. Sie haben
keine Zeit für sich, sie können kaum über etwas nachdenken,
sie kennen ihre Familien kaum, und ihre Kinder wachsen
auf, fast ohne daß sie sie sehen; die meisten von diesen Ar-
beitern haben aufgehört, menschliche Lebewesen zu sein,
und sind tote Automaten geworden.
- 742 -
Weit entfernt davon sitzt Carnegie auf seinem Schlosse
Skibo in Schottland, einem prächtigen Gut von mehr als
35 000 Morgen, mit Gärten, schmucken Terrassen, Grotten,
Laubwäldern, Forellenbächen und Gebirgen, und redet von
Frieden und Wohlwollen. Kein gemeiner Anblick und kein
unangenehmes Geräusch stört den Herrn von Skibo, den
ein bezahlter Dudelsackpfeifer, der unter seinem Fenster
die lieblichsten Weisen spielt, des Morgens erweckt. Auch
in seinem herrlichen Palast in New York kann Carnegie so
zierlichen Unsinn sich entfleußen lassen wie jene Predigt
am amerikanischen Danksagetag, am 29. November 191 2,
wo er (zum Gedrucktwerden) sich also vernehmen ließ :
„Diese Erde wird von Tag zu Tag himmlischer — so viel
gute Männer und Frauen kenne ich, die für andere wirken."
Am selben Tage empfing er ein Telegramm von A. P. Moore,
dem Herausgeber der Pittsburger Zeitung „Der Führer",
der ihn fragte, warum er, anstatt der Expräsidenten der
Vereinigten Staaten und ihrer Witwen — wogegen die
öffentliche Meinung protestierte — nicht lieber seine ver-
stümmelten Arbeiter oder die Witwen und Kinder der in
den Stahlwerken Getöteten mit Pensionen bedächte, da
diese Männer ihm seinen Reichtum machen hülfen.
Solches war, bis heute, die Laufbahn Andrew Carnegies,
des unerreichten Wohltäters der Welt.
Trotzdem wäre es ungerecht, ein zu schweres Urteil über
Carnegie persönlich zu fällen und das Milieu, das System
und die Anschauungen, unter denen er tat, was er tat, außer
acht zu lassen. Früher herrschte die einfältige Praxis, einen
Menschen von seiner Zeit loszutrennen, als wäre er ein
Ungeheuer, jenseits der verzweigten Strömungen mensch-
lichen Tuns, die den Einzelnen in seiner Klasse beeinflussen
und beherrschen; davon aber ist man mit Recht abgekom-
men. Um Carnegies Lebensweg genau abzuschätzen, muß
man das ganze kapitalistische System, wovon er ein Teil ist,
mitumfassen und mitbewerten und den Methoden Rechnung
tragen, die ihm eingeimpft worden sind. Dabei ist und war
das einzige, was das Individuum, das diese Praktiken und
Taktiken benutzt, heraushebt, sein Gelderfolg. Daß Car-
negie diese Probe bestanden hat, läßt sich nicht leugnen.
Sechzehntes Kapitel
DAS AMERIKANISCHE PROLETARIAT
Zwischen der Klasse der Magnaten, die den Reichtum der
Vereinigten Staaten besitzen oder beherrschen, und dem
Proletariat liegt eine so breite und tiefe Kluft, daß selbst
der kühnste und bedeutendste Wortführer der kapitalisti-
schen Klasse die Torheit eines Versuches erkennt, die An-
gehörigen der Arbeiterklasse mit der unsinnigen Hoffnung
zu täuschen, sie könnten sich von ihrer dienenden Stellung
losreißen und selbst Kapitalisten werden. Für einige der
Arbeiter hätte dies in längst vergangenen Tagen ausführ-
bar sein können, als die Werkstätten noch mit den ein-
fachsten und billigsten Werkzeugen betrieben wurden und
deshalb wenig Kapital notwendig war. Aber heutzutage
sind ungeheure Geldsummen nötig, um Industrieanlagen
auszustatten und zu betreiben; selbst mittlere Kapitalisten
mit ihren Hilfsquellen von Hunderttausenden oder Mil-
lionen Dollar können nicht hoffen, mit den Trusten und
ihrem angehäuften Kapital von Milliarden den Wettbewerb
aufzunehmen. Es gibt in den Vereinigten Staaten vielleicht
sechstausend Millionäre, aber sie sind zum größten Teil
unbekannt und treten nicht hervor, und man kann sie
passend als Abhängige und Untergebene, wenn nicht als
Trabanten der großen Multimillionär-Magnaten bezeich-
nen. Kostbarer städtischer Grundbesitz oder Fabriken oder
große Warenhäuser mögen ihnen gehören, oder sie mögen
Aktionäre in einer oder der andern Art von Gesellschaften
sein; trotz alledem sind sie nicht die Männer, die die su-
veräne Herrschaft über die Hilfsquellen und den Reichtum
der Nation ausüben.
Die unbeschränkte Herrschaft über den Reichtum
Diese Herrschaft ist in den Händen von weniger als einem
Dutzend Magnaten vereint, unter denen John D. Rocke-
- 744 -
feller und J. Pierpont Morgan die bedeutendsten sind. Als
tatsächliches Haupt der Standard Oil Company hat Rocke-
feller mit seinen Handelsgenossen die Herrschaft oder doch
die Hauptstimme in einer großen Anzahl angeschlossener
oder Hilfs-Truste, mit Einschluß gewerblicher Truste —
Eisenbahnen, Straßenbahnen, Gas- und Elektrizitäts-An-
lagen — , die alle zusammen eine ungeheuer große Ver-
einigung von Gesellschaften bilden. Das besondere United
States Congressional Committee on Banking and Currency
berichtete kürzlich, daß J. Pierpont Morgan und John
D. Rockefeller zusammen mehr als ein Drittel — 36 Pro-
zent — des tatsächlichen Vermögens und der Naturhilfs-
quellen der Vereinigten Staaten beherrschen. Die allmäch-
tigen kapitalistischen Gruppen, an deren Spitze diese Män-
ner stehen, wirken in gutem Einvernehmen miteinander
und befolgen dasselbe Verfahren. Die Gesamt- Aktiva, die
sie beherrschen, werden auf 39 71 1 328 678 Dollar berechnet
und umfassen 15 636 853 814 Dollar in Industrie und öffent-
lichen Anlagen; 17 250000000 Dollar in Eisenbahnbesitz;
4 000 91 1932 Dollar in Bank- und andern finanziellen
Unternehmungen; i 500 949 342 Dollar in Bergwerks- und
Ölbetrieben und i 322 613 000 Dollar in verschiedenem
anderen Besitz. In den Protokollen der genannten Kom-
mission werden viele von diesen Gesellschaften als „Morgan-
Geschäft" bezeichnet, viele als „Standard Oil-", einige als
„Gould-", einige als „Vanderbilt-", andere als „Hill-" und
„Guggenheim"-Besitz und noch andere als „Ryan und
Belmont-" oder als „Unabhängige Geschäfte". Die Tat-
sachen zeigen aber, daß die Morgan-Rockefeller-Anteile
beherrschenden Einfluß haben und miteinander verbunden
arbeiten.
J. Pierpont Morgans Diktatur
Morgan persönlich beherrscht — nach den der Kom-
mission vorgelegten Berichten — direkt die ungeheure
Summe von 22 245 000 000 Dollar. Die von Morgan be-
herrschten Five banks- und Banktrust-Gesellschaften ver-
fügen über alle Hilfsmittel dieser Summe und haben in
112 Gesellschaften 341 Direktorstellen. Die Firma J. Pier-
- 745 -
pont Morgan & Co. hat allein 63 Direktoren in 39 Gesell-
schaften, welche über alle Hilfsmittel oder über die Kapi-
talisierung von 10 036 000 000 Dollar verfügen. Eine Er-
gänzung dieser ungeheuren Geldmacht und dieses Kapitals
wird durch Morgans indirekte Beherrschung noch weiterer
Hilfsquellen gebildet. Achtzehn Gesellschaften und Privat-
firmen, die eng mit ihm verbunden sind, bilden eine Ver-
einigung von 746 Direktorstellen in 134 Gesellschaften,
welche über alle Hilfsmittel oder über die Kapitalisierung
der verblüffenden Summe von 24 325 000 000 Dollar ver-
fügen.
Das gesamte jährliche Einkommen von Großbritannien
beträgt 950 000 000 Dollar, das der Vereinigten Staaten
900 000 000, das Deutschlands l 800 000 000, das Frank-
reichs 850 000 000 und das Italiens 450 000 000 Dollar.
Morgan verfügt über viermal soviel, als die Einkommen
der genannten vier europäischen Nationen zusammen be-
tragen; er verfügt über zwanzigmal soviel, als die Jahres-
einnahme der Vereinigten Staaten beträgt. In seiner Eigen-
schaft als Bankier hat Morgan in seinen Bankhäusern für
162 000000 Dollar Depositen; diese Summe stellt die De-
pots von Gesellschaften und Privatpersonen dar. Diese
162 000 000 Dollar sind totes Kapital, das bei seiner Firma
angelegt ist.
Nach den Steuerergebnissen von 1904 — den letzten,
die zugänglich sind — wurde der Gesamtreichtum der Ver-
einigten Staaten auf 107 104 211 917 Dollar geschätzt.
Gegenwärtig kann er auf mehrere Billionen Dollar höher
geschätzt werden. Wir sehen also, daß die beiden kapita-
listischen Gruppen, an deren Spitze John D. Rockefeller
und J. Pierpont Morgan stehen, direkt oder indirekt über
mehr als ein Drittel dieser ungeheuren Summe verfügen.
Mit dieser Angabe wird durchaus nicht behauptet, daß
diese beiden Gruppen die Gesamtheit der Banksysteme, die
Eisenbahn-, Industrie-, Bergwerk-, Wasserkraft- und die
andern Vermögen besitzen. Ihr Besitz ist zweifellos un-
geheuer groß, aber zwischen Besitz und Herrschaft besteht
ein sehr bemerkbarer Unterschied. Der in Anlagen vor-
handene Besitz eines beträchtlichen Teiles dieser Vermögen
- 746 -
gehört Tausenden von Millionären und Multimillionären
in allen Teilen der Vereinigten Staaten. Andere Teile des
Kapitals sind im Besitz einer beträchtlichen, aber abneh-
menden Anzahl von kleinen wohlhabenden Aktionären.
Aber der überwiegende Besitz und die unumschränkte
Herrschaft befinden sich in den Händen und zur Verfügung
einiger weniger größter Magnaten. Mit ihnen verbunden
oder unter ihnen steht eine Reihe weiterer Magnaten, wie
James J. Hill, der die Eisenbahnen des Nordwestens be-
herrscht; die Familie Armour, die den „Beef Trust" be-
herrscht; die Vanderbilts, Goulds, Astors, Thomas F. Ryan
und andere Multimillionäre dieser Art, von denen jeder
in seiner Sphäre mächtig ist, die aber in verschiedener
Weise niedrigere und untergeordnetere Schichten beherr-
schen als Rockefeller und Morgan.
Der heiliggesprochene Kapitalismus
Da das Proletariat von der klaren Erkenntnis aller dieser
Tatsachen und Verhältnisse durchdrungen ist, wissen die
erfahrenen Anhänger des bestehenden Systems sehr wohl,
wie abgeschmackt es ist, bei der alten Ausflucht zu bleiben,
daß die Arbeiter selbst Kapitalisten werden können — eine
Ausflucht, die sich durch die Verhältnisse sofort als irre-
leitend und unsinnig erweist. Daher haben die milder ge-
sinnten Magnaten den Versuch, das Proletariat nach dieser
Richtung hin mit den herrschenden Verhältnissen auszu-
söhnen, aufgegeben und vor einigen Jahren angefangen,
eine neue Politik zu verfolgen. Mit einer Dreistigkeit, die
derjenigen entspricht, die sie bei der Ausgabe von unge-
heuren Mengen nur nominell erhöhter Aktien anwandten,
sind sie kühn ausgezogen, sogar den Himmel zu annektieren,
indem sie erklärten, daß den Männern und Frauen von
großem Reichtum dieser Reichtum von Gott anvertraut sei,
damit sie als Verwalter für das übrige Volk handelten. Dies
war die berühmte Erklärung, die George F. Baer, der
Titularchef des Kohlentrusts, im Jahre 1902 während des
Streiks der Kohlenarbeiter abgab. Der Gedanke war jedoch
durchaus nicht originell; er war den von der Geistlichkeit
- 747 -
oft verbreiteten Lobpreisungen philanthropischer Kapita-
listen entlehnt. Seit der Zeit hat man den Gedanken noch
so weit verbessert, daß man die Eigenschaft eines Verwalter-
amtes fallen ließ und das Dogma auf ein Gottesgnadentum
beschränkte.
Als E. H. Harriman vor einigen Jahren seine ungeheuren
Betrügereien ausführte, behauptete sein — nebenbei
bemerkt, sehr berühmter — juristischer Vertreter, daß
„Harriman sich in einer geheiligten Sphäre bewege, in
die keinem von uns gestattet sei, einzutreten". Und
kürzlich, am 23. November 191 2, bei der gerichtlichen
Verhandlung in dem von der Regierung der Vereinigten
Staaten zur Auflösung des Mähmaschinen-Trusts einge-
schlagenen Verfahren, wurde ein von E. N. Wood, dem
Sekretär der internationalen Mähmaschinen-Gesellschaft,
stammender Brief vorgebracht, in dem Wood geschrieben
hatte, daß die Bildung des Trusts sich „in Übereinstimmung
mit der göttlichen Weltordnung" befände.
In einem orthodoxen, religiösen Zeitalter hätte man diesen
weitgehenden Ansprüchen auf göttliches Recht unter den
Abergläubischen und Unwissenden mit einiger Wirkung
Nachdruck verleihen können. Aber in dieser bilderstür-
menden, rationalistischen Zeit sind sie mit unbändigem
Gelächter aufgenommen worden. In einer Periode, in der
man das Gottesgnadentum der Könige nicht ernsthaft
nimmt, kann man nicht wohl den Geldkönigen das zu-
gestehen, was man den erblichen Königen verweigert.
Nur wenn man die unerträglichen Bedingungen, unter
denen das amerikanische Proletariat zu leben gezwungen
ist und den leidenschaftlichen Geist des Grolls und der Em-
pörung kennt, der in großen Kreisen desselben in der Tiefe
glimmt und immer höher anschwillt, versteht man, warum
die großen Magnaten, nachdem sie alle andern Methoden
versucht haben, sich als auserwählte Statthalter der Gottheit
erklären, in einem letzten verzweifelten Versuch, den Ver-
stand und den Arm des Proletariats zu lähmen, indem
sie für ihre Person und ihren Reichtum religiöse Ehrfurcht
anrufen.
- 748 -
Das ländliche Proletariat
Die ökonomischen Verhältnisse haben sich in den Ver-
einigten Staaten mit solcher Geschwindigkeit bewegt, daß
es jetzt ein großes und deutlich erkennbares ländliches Pro-
letariat gibt, das im Begriffe ist, sich in Mitgefühl und in
den Zielen mit dem gewerblichen Proletariat der Städte
rasch zu verbünden. Wohl hat es immer eine große länd-
liche Arbeiterbevölkerung gegeben — eine Bevölkerung
ländlicher Lohnempfänger, die sich von vielleicht einer
Million im Jahre 1820 auf ungefähr 5 Millionen oder weniger
im Jahre 1910 vermehrt hat. Aber bis in die neueste Zeit
hinein stand sie abseits von dem gewerblichen Proletariat,
da sie glaubte, daß sie mit den Arbeitern in Fabriken, Berg-
werken, Werkstätten oder an Eisenbahnen nichts gemein
habe. Bis vor zwei Jahrzehnten glaubten viele der Land-
arbeiter — wenn man sie als Ganzes betrachtet und die
2 Millionen Neger unter ihnen ausnimmt — aufrichtig, daß
es in den Vereinigten Staaten außerordentlich günstige
Gelegenheiten zum selbständigen Vorwärtskommen gäbe.
Jahrelang waren von allen Seiten glühende Zeitungsartikel
und politische Reden erschienen, die die unbegrenzten gün-
stigen Gelegenheiten beschrieben : wie im Westen und Süd-
westen viele Strecken öffentlichen Gebietes lägen, die auf
Ansiedlung warteten, und wie dieses Land frei in Besitz
genommen oder mit sehr geringen Kosten erworben werden
könne. Den ländlichen Elementen wurde das Ideal vor-
gehalten, daß jeder Mann, der es wünscht, seine eigne Farm
haben könne. Horace Greeleys Ausspruch: „Gehe nach
dem Westen, junger Mann", war ein bündiger Ausdruck
dieses allgemein herrschenden Glaubens. Und dieser Glaube
lebte noch lange als Tradition fort, obgleich eine Anzahl
volkswirtschaftlicher Veränderungen zusammen wirkten, um
ihn wertlos zu machen. Große Scharen von eingeborenen
und eingewanderten Farmern und Landarbeitern wanderten
tatsächlich nach den westlichen Staaten. In der Regel fan-
den sie, daß ungeheure Flächen des besten und am leich-
testen zugänglichen Landes schon von Eisenbahn- und
andern Gesellschaften erworben worden waren, die es auf
- 749 -
Grund von staatlichen Landbewilligungen besaßen, welche
gewöhnlich in betrügerischer Weise durch käufliche Ge-
setzgebung oder durch amtliche strafbare Nachsicht erlangt
waren. Begünstigte Privatpersonen erwarben gleichfalls
ausgedehnte Landbewilligungen. Reichlich 200 Millionen
Morgen gingen auf diese Art in den Besitz auswärts lebender
Grundbesitzer über, von denen die Ansiedler das Land oft
zu übertrieben hohen Preisen kaufen mußten.
In den Jahren 1891 — 1893 wurde die letzte große Fläche
nationalen öffentlichen Gebietes — der jetzige Staat Okla-
hama — der Ansiedlung erschlossen; ein großer Teil dieser
Fläche wurde ebenfalls Eigentum auswärtiger Grundbesitzer.
Die Verfügung über diese große Landstrecke erl'chöpfte
tatsächlich die zu Gebote stehende Fläche öffentlichen
Gebietes. Gleichzeitig waren andere Faktoren in Tätigkeit,
die rasch darauf hinarbeiteten, ein landwirtschaftliches
Proletariat hervorzubringen. Primitive Geräte genügten
nicht mehr für die Landwirtschaft ; um die Landwirtschaft
in modernem Maßstabe zu betreiben, waren kostbare Werk-
zeuge und Maschinenkraft erforderlich; um diese zu er-
langen mußte der Farmer oft Schulden machen. Gleich-
zeitig waren die hohen Frachtsätze der Eisenbahnen und
die Erpressungen von Getreidespeicher-Kompanien und
allen möglichen Vereinigungen und Trusten für die große
Masse der Farmer eine schwere Last, die von dem, was
er produzierte, die Sahne abschöpfte.
Mehr als ein Drittel Pächter
Die Folge dieser und anderer zusammenwirkender Um-
stände ist, daß, wie aus der Volkszählung von 1910 hervor-
geht, nicht weniger als 2 349 245 von den 6 362 000 Farmen
der Vereinigten Staaten von Pächtern betrieben werden —
eine Zunahme von 320 000 Pächtern seit 1900. Das An-
wachsen der Pächterbevölkerung hat seit 1880 beständig
zugenommen und jetzt einen so hohen Grad erreicht, daß
die Pächter ein Drittel der ackerbautreibenden Bevölke-
rung der Vereinigten Staaten bilden.
Dieses ist ein wesentlich anderer Zustand als der, auf
- 750 -
den man vor vierzig Jahren hinwies: daß jeder Landwirt
Gelegenheit habe, Eigentümer einer Farm zu werden.
Das Überwiegen der Pachtwirtschaft zeigt sich am deut-
lichsten darin, daß sie besonders zahlreich in ausgesproche-
nen Ackerbaustaaten und vorzugsweise in den reichen Baum-
wolle-, Mais-, Weizen-, Tabak- und Obstlandstrichen auf-
tritt. In einem Gesamtgebiet von 1080 Kreisen, das sich
von Virginia bis an die Grenzen von Texas erstreckt (wobei
die Gebirgsgegenden nicht mitgerechnet sind) gibt es
700 000 Pächter, von denen mehr als 500 000 Neger sind.
Diese Gegend bildet den sogenannten „Schwarzen Gürtel"
— d. h., es sind dies die Staaten, die eine dichte Neger-
bevölkerung haben. Es ist die Gegend, die die Baumwolle
und in ausgedehntem Maße die Tabakernte der Vereinigten
Staaten erzeugt. Die früheren großen Farmen sind in solche
Unterabteilungen zerlegt, daß die Durchschnittsgröße einer
Pachtung, auf der Baumwolle gebaut wird, nur zwischen
15 und 17 Morgen schwankt. Der Besitzer des Landes ist
gewöhnlich der Dorf- oder Stadtbankier oder Ladeninhaber,
und er fordert folgenden Tribut: Wenn der Pächter mit
eignem Pfluge, Maulesel und Düngemittel versehen ist,
dann gibt er dem Besitzer für die Benutzung des Landes
und für ein sehr minderwertiges Gebäude ein Drittel der
Baumwollernte, ebensoviel dort, wo Getreide gebaut wird,
von der Getreideernte und ein Viertel der Maisernte. Aber
wenn der Besitzer Pflug, Maulesel und Düngemittel liefert,
dann erhält der Besitzer die Hälfte der Ernte und häufig
noch ein Pachtgeld in der Form einer Tantieme von i bis
3 Dollar für den Morgen. Die 700000 Pächter im Süden
produzieren jährlich 350 Millionen Dollar in Ernten. Die
jährlichen Einnahmen des einzelnen Pächters belaufen sich
auf 450 bis 500 Dollar, aber von dieser Summe gehen von
einem Drittel bis zur Hälfte oder mehr in Bargeld oder
seinem Äquivalent an den Besitzer. Nachdem der Pächter
seine Pacht und andere Unkosten bezahlt hat, behält er
weniger als 225 Dollar für seine Jahresarbeit und muß aus
dieser Summe noch seine Hilfskräfte bezahlen, wenn er
keine Familie hat, die ihn in der Feldarbeit unterstützt.
Und hier mag erwähnt werden, daß der in der europäischen
- 751 -
Landbevölkerung so bemerkenswerte Zustand, daß Frauen
auf dem Felde arbeiten müssen, in den Vereinigten Staaten
in voller Wirkung ist, obgleich er nicht ebenso entschuldigt
werden kann wie in Europa, wo der Militärdienst die
Männer in die Armee treibt. Es gibt in den Vereinigten
Staaten mehr als 700 000 Frauen, die in der Landwirt-
schaft beschäftigt sind.
Sehr viele Landbesitzer im Süden erhalten nicht nur
Pachtgeld, sondern belasten in ihrer Eigenschaft als Bankiers
und Warenhausbesitzer den Pächter noch mit einer Abgabe
von IG bis IOC Prozent für alles, was er kauft oder leiht.
Das unvermeidliche Resultat ist, daß der Pächter in das
größte Elend gerät und rasch in einen Zustand getrieben
wird, der vollständiger Verarmung sehr nahekommt.
Wenn man die ungefähr 500 000 Neger unter den Päch-
tern im Süden abzieht, sind die von der Gesamtzahl der
2 349 245 Pächter in den Vereinigten Staaten Übrigblei-
benden hauptsächlich Weiße.
Das verhältnismäßig ungeheuer große verpachtete Gebiet
Ohne hier auf eine erschöpfende Darlegung des Pacht-
besitzes in den Vereinigten Staaten einzugehen können
doch von den Zuständen, die in anderen reichen ackerbau-
treibenden Staaten herrschen, noch einige auffallende Tat-
sachen erwähnt werden. Der nördliche Zentralbezirk ist
eins der wichtigsten ackerbautreibenden Gebiete von allen.
Er umfaßt die zwölf Staaten Ohio, Indiana, Iowa, Illinois,
Michigan, Wisconsin, Nebraska, Kansas, Missouri, Minne-
sota, North Dakota und South Dakota. In diesem Gebiete
werden zwei Drittel der Weizenernte der Vereinigten
Staaten hervorgebracht, ein sehr bedeutender Teil der
Gerstenernte, sieben Zehntel der Maisernte, acht Zehntel
der Haferernte und sechs Zehntel der Heu- und Futter-
ernte. Dieses fruchtbare Gebiet ist in hohem Maße die
Kornkammer der Nation. Es liefert den größten Teil des
Brotkornes und sehr viele Erzeugnisse der Milchwirtschaft
und Obst. In Michigan und Wisconsin sind nicht ganz
20 Prozent der Farmer Pächter, und in Ohio, Minnesota
und South Dakota beinahe 30 Prozent. In den Staaten
von Nebraska hingegen gibt es 38,1 Pächter unter je
IOC Farmern; in Iowa 37,8, in Kansas 36,8, in Indiana 30,0,
in Missouri 29,9 und in Illinois 41,1 unter je 100. Es
sind andere reiche ackerbautreibende Staaten vorhanden,
in denen die Hälfte der Farmer oder mehr Pächter sind,
wie in Arkansas (unter je 100 Farmern 50 Pächter) und
in Louisiana (unter je 100 Farmern 55,3 Pächter). In
Oklahoma (das, wie wir gesehen haben, bis 1891/93 öffent-
liches Gebiet war) gibt es jetzt 104 137 Pächter oder 54,8
unter je 100 Farmern. Texas allein hat 219 575 Päch-
ter, oder 52,6 unter je 100 Farmern. Wenn diese Zahlen
auch hoch sind, so werden sie doch noch durch die für
die Staaten Alabama, South Carolina, Georgia und Missis-
sippi übertroffen — alles fruchtbare Baumwollstaaten — ,
wo das Verhältnis der Pachtungen zwischen 60 und 70 Pro-
zent beträgt.
Ein ständiges ländliches Proletariat
Hier gibt es ein klar bestimmtes ländliches Proletariat.
Seine Lage ist in mancher Hinsicht viel schlimmer als die
des gewerblichen Proletariats. Große Scharen sehen nie-
mals Geld, und alle stehen hilflos und wehrlos unter dem
zermalmenden Druck des Pacht-, Anteil- und Wucher-
systems. Sie können nicht hoffen, Eigentümer des von
ihnen bestellten Landes zu werden, da gerade in den Ge-
bieten, wo der Durchschnittspreis für Ackerland am höch-
sten, Pachtbesitz am zahlreichsten ist.
In North Dakota zum Beispiel, wo das Ackerland auf
25,70 Dollar für den Morgen geschätzt wird, sind unter je
IOC Farmern 15 Pächter, in Michigan, wo der Preis
32 Dollar für den Morgen beträgt, 16 Pächter. In South
Dakota beträgt der Preis des Landes 34,70 Dollar für den
Morgen; dort sind beinahe 25 von loo Farmern Pächter.
Der Durchschnittswert des Ackerlandes in Kansas beträgt
35,50 Dollar für den Morgen; in diesem Staate sind bei-
nahe 37 Prozent der Farmer Pächter. Das Ackerland von
Iowa hat einen Durchschnittsverkaufswert von 83 Dollar
- 753 -
für den Morgen, der Anteil der Pächter in diesem Staate
beträgt beinahe 38 Prozent. In Illinois, wo das Ackerland
durchschnittlich auf 94,90 Dollar für den Morgen geschätzt
wird, sind unter je 100 Farmern beinahe 42 Pächter.
Die Lage des Pächters ist daher im allgemeinen offenbar
hoffnungslos. Er kann nicht hoffen, ein Farmbesitzer zu
werden, wenigstens nicht in den Vereinigten Staaten. Aller-
dings bietet Kanada einen Ausweg, wohin seit 1897 784 139
Ansiedler aus den Vereinigten Staaten ausgewandert sind,
um den Ackerbau in den westlichen kanadischen Provinzen
in Angriff zu nehmen. Dies ist an und für sich eine bedeut-
same Tatsache; die landwirtschaftliche Wanderbewegung,
die so lange in die Vereinigten Staaten geführt hat, besteht
jetzt in der Auswanderung aus den Vereinigten Staaten.
Die Hauptmasse der amerikanischen Ansiedler, die nach
Kanada gehen, bestand und besteht jedoch aus amerika-
nischen Farmbesitzern, die ihr Ackerland haben verkaufen
können und sich mit dem Ertrage in Kanada niedergelassen
haben, wo unbesiedeltes, fruchtbares Land für einen ge-
ringeren Preis erlangt oder frei in Besitz genommen werden
kann. Der wirkungsvolle Betrieb des Landbaus auf dem
Prärieboden von Kanada erfordert die neusten landwirt-
schaftlichen Maschinen und damit eine Ausgabe von wenig-
stens einigen Tausend Dollar. Der amerikanische Pächter,
der kein Geld und gewöhnlich Schulden hat, kann sich
diese günstigen Gelegenheiten in Kanada nicht zunutze
machen. Er muß an den Boden gefesselt bleiben.
Außer den 2 Millionen Pachtfarmen in den Vereinigten
Staaten gibt es i 327 439 andere Farmen (unter im ganzen
3 933 705 Eigentumsfarmen), die mit Hypotheken belastet
sind. Die Besitzer dieser Farmen sind jedoch rechtlich und
psychologisch Eigentümer und können nicht unter das
ländliche Proletariat gerechnet werden.
Das Los eines Pächters ist im allgemeinen und besonders
in den reichen ackerbautreibenden Staaten ganz verzweifelt.
Um die geforderte drückende Pacht zu bezahlen, muß er
den Boden bis auf das Letzte, das er hergeben will, aus-
pressen; er kann es sich nicht gestatten, irgendeinen Teil
seines Landes ruhen zu lassen; auch kann er keine wech-
- 754 -
selnde Fruchtfolge haben, da seine Farm nicht groß genug
ist. Diese beständige Ausnutzung des Bodens hat zur Folge,
daß er seine Fruchtbarkeit rasch verliert. Darin liegt ein
Grund, weshalb die Versorgung mit Nahrungsmitteln nicht
mit dem Bedarf der zunehmenden Bevölkerung Schritt
gehalten hat und weshalb nach wenigen Jahren die Ver-
einigten Staaten aufgehört haben werden, Nahrungs-
mittel zu exportieren, und gezwungen sein werden, sie zu
importieren. Dies zeigt sich auffallend in der Statistik der
Produktion und des Exports. Vor zehn Jahren produzierten
die Vereinigten Staaten 500 000 000 Bushel Weizen und
exportierten 37,5 Prozent; sie produzierten damals 2 500000
Bushel Mais und exportierten 17 Prozent. Heute erzeugen
die Vereinigten Staaten 700 000 000 Bushel Weizen, von
denen sie 17 Prozent exportieren; und von der gegenwär-
tigen Produktion von 2 750 000 000 Bushel Mais expor-
tieren sie nur 3 Prozent.
Pächtervereine
Schon in Texas und in den benachbarten Staaten haben
die Pächter Landpächterverbände gebildet, die in der Or-
ganisation den Gewerkschaften der Fabrik- und Berg-
arbeiter ähnlich sind. Diese Tatsache ist im höchsten Grade
bedeutungsvoll; sie zeigt, daß eine beträchtliche Anzahl der
Pächter sich zum Proletariat rechnet und sich bereit macht,
eine Verbindung mit dem gewerblichen Proletariat her-
zustellen. Dieses ist an und für sich ein stark revolutionärer
Schritt, aber das ausgesprochene Ziel der Pächterverbände
hat sogar einen noch stärkeren revolutionären Charakter.
Diese Verbände verlangen, daß der Besitz des Landes sich
nur auf Benutzung und nicht auf geschriebene Ansprüche
gründe. Eine solche Forderung bedeutet einen Umsturz
des ganzen bestehenden Systems des Landbesitzes, und
diesen kann nur eine vollständige Umwälzung herbeiführen.
Eine solche Umwälzung wird nur durch Zuziehung des ge-
werblichen Proletariats erreicht werden, aber das rasch an
Boden gewinnende gewerbliche Verbandwesen verspricht
beide Elemente in einer mächtigen Bewegung zu vereinigen.
- 755 -
Die Landarbeiter
Zu derselben Zeit droht Unruhe von einem beträcht-
lichen Teile der Landarbeiter. Die Volkszählung von 1900
ergab eine Gesamtsumme von 4410877 landwirtschaft-
lichen Lohnarbeitern. Von dieser Zahl waren 663 209
Mädchen oder Frauen. Im Gegensatz zu den in der Fabrik-
industrie herrschenden Verhältnissen ist nur ein kleiner Teil
der Landarbeiter im Auslande geboren. Selbst in den
Staaten im äußersten Osten, wo die Landwirtschaft nicht
in so ausgedehnten Unternehmungen wie in den westlichen
Staaten betrieben wird, ist die Tendenz zur ständigen
Abnahme der Landarbeiter bemerkbar. In den Bezirken
vollends, in denen es ausgedehnte Farmen gibt und in
denen der Prärieboden die Benutzung landwirtschaftlicher
maschineller Geräte leicht macht, wird jetzt diese Tendenz
entschieden bemerkt.
Maschinelle landwirtschaftliche Hilfsmittel
Die fortdauernde Einführung und Benutzung neuerer
landwirtschaftlicher Maschinen, die beständig Verbesse-
rungen erfahren, macht es unvermeidlich, daß der Bedarf
an Handarbeit dauernd abnimmt. Maschinen, die noch
vor wenigen Jahren als die modernsten angesehen wurden
und die ein gewisses Maß von Handarbeit ersetzten, gelten
jetzt als veraltet. Es werden mechanisch bewegte Pflüge
angefertigt, die mit einem Schlage mehrere, sechs Zoll tiefe
Furchen in den Boden schneiden und, mit starkem elek-
trischen Licht versehen, Tag und Nacht betrieben werden
können. Diese Traktorpflüge sind ebenso wie Traktor-
Sämaschinen, -Mähmaschinen und -Garbenbinder bei großer
Ersparnis von Zeit und Geld für die Bewirtschaftung sehr
großer Flächen wunderbar geeignet und bringen die kleinen
und sogar die mäßig großen Farmen in einen deutlichen
Nachteil im Wettbewerb mit den sehr großen. Die Ein-
führung dieser Maschinen bedeutet eine noch größere Ver-
drängung ländlicher Arbeit und weist darauf hin, daß die
Zeit gekommen ist, in der Kapitalisten die Landwirtschaft
- 756 -
auf riesenhafter Stufenleiter betreiben werden; und in der
Tat hat bereits eine Anzahl von Gesellschaften zur Anlage
ihres Geldes damit den Anfang gemacht.
Auf diese Weise geht die Nachfrage nach ländlicher
Lohnarbeit immer mehr zurück. Auf sehr vielen Getreide-
und andern Farmen, auf denen landwirtschaftliche Ma-
schinen gebraucht werden, herrscht keine Nachfrage mehr
nach den kräftigen, geübten, erfahrenen Landleuten des
alten Schlages. Die verlangte Arbeit ist mehr mechanischer
Art; es werden Männer gebraucht, die mit Maschinen
umzugehen verstehen, denn was das Pflügen, Säen, Pflanzen
und Ernten betrifft, so werden diese Verrichtungen von
den Maschinen automatisch besorgt. Die Nachfrage nach
Arbeitskräften wird am dringendsten zur Erntezeit; jeder
Tag, an dem die Hilfe fehlt, zieht dann für den Arbeit-
geber einen empfindlichen wirtschaftlichen Verlust nach
sich; die Ernte muß innerhalb einer kurzen und beschränk-
ten Zeit eingebracht werden, sonst verfault sie auf dem
Boden. Folglich erzeugen diese Umstände in hohem Maße
nomadische ländliche Arbeitselemente; zur Erntezeit ziehen
Scharen von wandernden Fabrik-, Werkstätten- und Gru-
ben-, Eisenbahn- und anderen Arbeitern, die in ihrem be-
sonderen Beruf keine Arbeit haben, nach den Gegenden,
wo Ernten im Gange sind und wo sie einige Dollar auf-
lesen können. Dieselben Maschinenkräfte, die darauf hin-
wirken, das Bedürfnis nach Feldarbeit herabzusetzen, wir-
ken, wie wir sehen werden, ähnlich auf beinahe alle Gebiete
gewerblicher Tätigkeit ein. Die Männer, die auf diese Art
entbehrlich werden, wandern oft weite Strecken, um zur
Erntezeit Arbeit zu finden. Da es ihnen an Geld fehlt,
reisen sie als blinde Passagiere auf Frachtwagen, oder
„hoof it^\ d. h., sie laufen zu Fuß; daher wird die Be-
zeichnung „hobo*^ auf sie angewandt. Ein beträchtlicher
Teil der Erntearbeit wird von diesen ,fhoboes^* ausgeführt,
die nichts mehr oder weniger sind als entlassene oder ver-
triebene Arbeiter, die heruntergekommen sind, weil sie in
ihrem eignen Gewerbe keine Arbeit bekommen können_, oder
weil sie sich weigern, länger Maschinensklaven zu sein.
- 757 -
Sämänner der Unzufriedenheit
Diese Männer sind oft intelligent und aufrührerisch,
wohlbelesen, durchdrungen von dem Geiste des Klassen-
bewußtseins und erfüllt von einem bittern Haß gegen das
bestehende System. Viele von ihnen sind Mitglieder der
Arbeiterverbände und sind mit den Zielen und Methoden
der Streike vertraut. Überall, wo sie hinkommen, säen sie
ihre Propaganda in ruhiger, wirksamer Weise aus; wenn sie
mit dem ausschließlich ländlichen Proletariat in Verbin-
dung treten, erwecken sie sein Gefühl für Klassenbewußt-
sein, pflanzen ihm neue Ideen ein und machen aus dem
Landarbeiter, der ein gedankenloser, selbstzufriedener, lenk-
samer Arbeitsmann war, einen bewußten Rebellen. Wo
früher Farmbesitzer oder Gesellschaft mit der Unterwürfig-
keit und Abgeschlossenheit der Arbeiter rechnen konnten und
keiner organisierten Forderung nach kürzeren Arbeitsstunden
und höherem Lohn begegnen mußten, müssen sie jetzt
(wenigstens in einigen Landstrichen) mit Männern kämpfen,
die Denker, gute Organisatoren und geschickte Führer sind.
Vereinzelt auftretende Streike auf Farmen sind jetzt durch-
aus nichts Seltenes ; und wenn der arbeitgebende Farmer hart-
näckig ist, wird er bald zu der Erkenntnis gebracht, <laß es für
ihn billiger ist, nachzugeben. Er erlebt es, daß zur Erntezeit,
wenn jede Minute zählt, ein Teil seiner landwirtschaftlichen
Maschinen plötzlich zusammenbricht oder verschwindet.
Auch im besten Falle sind die Löhne der Landarbeiter
sehr gering. Im Süden, wo die Negerarbeit erbarmungslos
ausgenutzt wird, erhält der Landarbeiter durchschnittlich
13,10 Dollar monatlich und den dürftigsten Unterhalt.
Auf den nördlichen Farmen beträgt der Lohn durchschnitt-
lich 20,73 bis 22,22 Dollar monatlich mit Unterhalt; und
im Westen sind die Durchschnittslöhne 31,30 Dollar monat-
lich mit Unterhalt. Diese Löhne beziehen sich auf die
Arbeiter, die für das Jahr gemietet werden. Während der
Erntezeit ist der Durchschnittslohn für die Arbeiter, die
für die Säson gemietet werden, überall in den Vereinigten
Staaten 1,43 Dollar täglich, manchmal mehr, je nach der
Fähigkeit und nach besonderen Umständen.
- 758 -
Das Aufhören der ländlichen Abgeschlossenheit
Während sich die Reihen der Landarbeiter so in beträcht-
licher Weise aus denen der entlassenen gewerblichen Ar-
beiter ergänzen, haben auch noch andere Umstände einen
mächtigen Einfluß auf die psychologische Neugestaltung
der ländlichen Elemente und auf die Entwicklung von Ge-
danken, Gärungsstoffen und Erstrebungen unter dem be-
sonderen ländlichen Proletariat. Allgemein gesprochen, ist
diese Bevölkerung nicht mehr so abgeschlossen und ab-
gesondert, wie sie es vor Jahrzehnten war. Die Ausdehnung
der großen und kleinen Städte, die große Ausdehnung des
elektrischen Tfo//<?y-Systems und des Telephons in allen
ländlichen Gebieten, die Einführung und Ausgestaltung des
ländlichen Postbestellsystems, das die Post selbst bis an die
Türen jener ländlichen Heimstätten bringt, die viele Meilen
von den Eisenbahnen oder nächsten Postämtern entfernt
liegen — alle diese Umstände haben dazu gedient, die alte
Atmosphäre des Einsiedlertums zu zerstören, und haben die
ländliche Bevölkerung in enge Berührung mit den laufenden
Ereignissen, Bewegungen und Gärungsstoffen des Tages
gebracht» Überall, wo es eine Wasserkraft, einen Strom
oder einen Fluß gibt, ist oder wird eine Fabrik gebaut;
einige der Landarbeiter suchen dort Arbeit, und während
die Landarbeiter nach den Städten streben, kommen aus
den Städten die Arbeiter hinaus, die durch allmähliche,
wenn auch unterdrückte Propaganda neue wirtschaftliche
Lehren und Ideen verbreiten und die Grundlagen des
Glaubens erschüttern, der früher in den Gegenden herrschte,
in denen man den arbeitgebenden Farmer oder den Kapi-
talisten als Wohltäter und Vorgesetzten der Arbeiter ansah.
Dies sind nur einige der eng miteinander verbundenen
Umstände, die dazu dienen, folgenschwere Veränderungen
unter dem ländlichen Proletariat zu bewirken, das in der
Tat sehr oft (wie hier kurz angegeben wurde), eine Zu-
sammensetzung aus gewerblichem und ländlichem Prole-
tariat ist.
759 -
Das harte Los der Holzarbeiter
In die amtliche Zählung der Landarbeiter sind annähernd
125 000 Bauholzarbeiter, Flößer, Holzfäller und Terpentin-
arbeiter mit eingeschlossen. Wenn bei der vollen Öffent-
lichkeit der städtischen Verhältnisse die Arbeiter brutaler,
unbarmherziger Unterdrückung unterworfen sind, dann
kann man wohl annehmen, daß die Art und Weise der
Unterdrückung in den fern im Urwald liegenden Holz-
fällerlagern sogar noch viel schlimmer ist. In den Terpentin-
lagern des Südens herrschte lange Zeit ein Zustand der
Dienstbarkeit, bei dem die weißen ebenso wie die schwarzen
Arbeiter durch bewaffnete Gewalt wirksam zur Arbeit an-
gehalten wurden; und obgleich die Regierung zahlreiche
Fälle verfolgt hat, ist es doch durchaus nicht sicher, daß
diese Art Sklaverei aufgehört hat. Nur wenn irgendein
außergewöhnlicher Streik unter den Holzarbeitern vor-
kommt, erfährt die ganze Welt etwas von den empörenden
Zuständen in diesen Lagern. Die kürzlich in Grabow,
Louisiana und in Hattiesburg, Texas von den Industrial
Workers of the World organisierten Streike haben die
schmachvollen Zustände in den Waldlagern aufgedeckt.
Die Holzquellen der Vereinigten Staaten sind tatsächlich
von dem Bauholztrust monopolisiert, der sich aus einer
Anzahl scheinbar getrennter Gesellschaften zusammensetzt.
In dem Lager von Grabow hat man die Arbeiter gezwungen,
elf Stunden täglich für einen Lohn von i DoUar den Tag
zu arbeiten. Aber da dieser Lohn nicht wöchentlich, son-
dern monatlich ausgezahlt wurde, waren sie gewöhnlich,
lange bevor der Monat zu Ende ging, ohne Mittel. Einen
bedeutenden Teil ihrer Löhne erhält die Gesellschaft wieder
zurück, indem sie für elende Hütten, die ihr gehören und
die sie mit dem ehrenvollen Namen „Häuser" bezeichnet,
die unerhörte Miete von 15 bis 20 Dollar monatlich erhebt.
In diesen ekelerregenden Gebäuden sind die Arbeiter in
primitiven Räumen zusammengedrängt, die keine Spur von
Kanalisierung oder anderen sanitären Einrichtungen auf-
weisen. Die dafür geforderte Miete ist ebenso hoch, ja
— 760 —
höher, wie die für leidlich gute Häuser in kleineren Städten,
wo der Grundbesitz hohen Wert hat. Ein weiterer großer
Teil der bezahlten Löhne wird den Arbeitern dadurch
wieder abgezwungen, daß sie in der Zeit zwischen den
Zahltagen nichts anderes erhalten als Anweisungen der
Gesellschaft, die nur gegen Waren eingetauscht werden
können. Da die Gesellschaft ihre eignen Lebensmittel- und
Kramläden besitzt, erpreßt sie von ihren Arbeitern einen
übermäßig hohen Preis für Lebensbedürfnisse — 20 bis 50
Prozent mehr, als in andern Detailgeschäften verlangt wird.
Ein solches Ausbeutungssystem bedeutet unvermeidlich
Sklaverei; kaum kommt der Zahltag heran, so wird der
ganze oder beinahe der ganze Lohn für Schulden und Miete
in Abzug gebracht. Als kürzlich A. L. Emerson, der Prä-
sident der neuorganisierten Holzarbeiter Amerikas, zu
diesen Holzsklaven in Grabow sprach und in sie drang, sich
zu organisieren, feuerte eine Schar bewaffneter Mordbuben
unter die Menge und tötete drei der Arbeiter. Dann wurde
Emerson mit vielen andern Arbeitern unter dem dreisten
Vorwand, daß er und seine Verbündeten den Mord ver-
anlaßt hätten, ohne Annahme einer Bürgschaft ins Gefäng-
nis gebracht. Nach dem Verhör wurden sie später frei-
gesprochen. Das Wagnis, für eine bessere Lage der Arbeiter
zu agitieren, wird als schweres Verbrechen angesehen; selbst
wenn später Freisprechung erfolgt, ist der Hauptzweck, die
Angeklagten solange wie möglich im Gefängnis zu halten,
um ihre Agitation zu verhindern.
In den übrigen Lagern der Holzindustrie herrschen die-
selben Zustände — dieselben Hungerlöhne, dieselben Erpres-
sungen, dieselben vernichtenden Ausbeutungen. In diesen
Holzlagern haben die Kapitalisten vor langer Zeit ange-
fangen, das Hilfsmittel anzuwenden, mit dem man in den
Lagern der Eisenbahnbauarbeiter und in Bergwerken und
Fabriken den Anfang gemacht hat, das Hilfsmittel nämlich,
Männer und Frauen der verschiedensten Rassen und Natio-
nalitäten miteinander zu mischen, indem man damit rech-
nete, daß ihre künstlich genährten Vorurteile und Feind-
schaften und die Sprachenverwirrung sie verhindern wür-
den, sich zu gemeinschaftlichem Handeln zusammenzu-
— yöi —
schließen. Aber schwerer wirtschaftlicher Druck veranlaßt
jetzt die weißen Mitarbeiter, sich ohne Rücksicht auf die
Nationalität zu entschlossenem Widerstände zu verbinden;
und dieselben Ursachen bringen jetzt, wenn auch in lang-
samerem und geringerem Grade, Neger und weiße Arbeiter
zusammen. Diese letzte Tatsache ist bedeutungsvoll; es gibt
8 Millionen Neger in den Vereinigten Staaten ; die großen
Kapitalisten machen sich den Vorteil, den sie möglicherweise
noch in anderer Hinsicht aus den Rassenvorurteilen ziehen
können, so scharfsinnig klar, daß sie hier und da Pläne ent-
worfen haben, um eine besondere Negerpolizei zu bil-
den, mit dem weiteren Zweck, im Falle eines allgemeinen
Streiks oder einer plötzlich ausbrechenden Revolte unifor-
mierte bewaffnete Schwarze gegen die weißen Arbeiter zu
verwenden. Aber dieser Plan wird wahrscheinlich, miß-
lingen; der Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse führt
jetzt allmählich große Scharen von Arbeitern zusammen;
allerdings nicht zu einer vollständigen menschlichen und
sozialen Verschmelzung, auch, nicht so weit, daß alte Vor-
urteile vernichtet werden, aber zu einem direkten und ein-
sichtsvollen Verständnis der Tatsache, daß, da alle unter
derselben Ausbeutung leiden, auch alle gegen die Macht,
die sie unterdrückt, zusammenstehen müssen.
Die Resultate wechselnder Beschäftigungen
Noch ein anderer Umstand hat einen wahrnehmbaren
Einfluß auf große Teile der ländlichen Elemente. Sehr
viele Holzarbeiter sind Ackersleute, die im Winter Holz-
fällerarbeit übernehmen. Wenn sie in die Holzlager ver-
schlagen werden, sind sie bitteren Erfahrungen ausgesetzt,
die ihnen um so deutlicher bewußt werden, als sie in den
Lagern mit gewerblichen Arbeitern in Berührung kommen,
von denen sie auf die Ursachen und die Resultate des kapi-
talistischen Systems aufmerksam gemacht werden. Diese
Einflößung von Erfahrungen und Kenntnissen erweitert
ihren Horizont und vernichtet ihre alte Fügsamkeit; sie
fangen an zu verstehen, was das gewerbliche System wirk-
lich bedeutet, und mit dem tatkräftigsten Enthusiasmus
— 7^2 —
werden sie häufig Agitatoren und ziehen als feurige Missio-
nare aus, um sowohl das gewerbliche wie das ländliche Prole-
tariat geistig aufzuwecken und zu belehren. Diese Verschie-
bung und Vermischung von verschiedenen Arten der Arbeit,
dieses abwechselnde Durcheinander von ländlicher und ge-
werblicher Beschäftigung übt die tiefgehendste, zur Gärung
treibende Wirkung aus, deren vollen Umfang man bis jetzt
noch nicht berechnen kann. Bis vor wenigen Jahren war das
ländliche Proletariat gegenüber den Interessen der Mittel-
standsbewegung der Farmbesitzer im allgemeinen nach-
giebig und sich der Tatsache nicht bewußt, daß es zum
Proletariat gehöre. Die großen Veränderungen, die jetzt
stattfinden und das ländliche und gewerbliche Proletariat
verschmelzen, verkünden das Heranstürzen einer tiefreichen-
den sozialen Umwälzung, die wohl geeignet ist, die größte
Beunruhigung unter den herrschenden Klassen hervorzu-
rufen.
Das gebildete Proletariat
Bevor wir zu einer Betrachtung des gewerblichen Pro-
letariats schreiten, ist es notwendig, kurz auf ein in nebel-
hafter Bildung begriffenes Proletariat hinzuweisen. Da es
die Kraft geistiger Regsamkeit, ein gewisses Maß von Muße
und die Fähigkeit zum Agitieren besitzt, hat dieses im Ent-
stehen begriffene Proletariat seinen unverkennbaren Einfluß.
Dieses besondere, wachsende Proletariat ist das „gebil-
dete" oder ,, geistige" Proletariat. Die letzten zugäng-
lichen Listen der Volkszählung berichteten von i 258 538
Personen, darunter 827 941 männliche, die gebildete Be-
rufe haben. Aber mit der charakteristischen Undeutlich-
keit offizieller Berichte machen die Listen keinen Unterschied
zwischen den für Lohn arbeitenden „Intellektuellen" und
denen, die ihr eignes Geschäft haben. Wir können aber
eine annähernde Schätzung erreichen.
Von den 34 760 Schauspielern, berufsmäßigen Schau-
stellern usw. sind beinahe alle Lohnempfänger und sich
vollständig bewußt, daß sie von der Gnade eines habsüch-
tigen und gewöhnlichen Theatertrusts abhängen, der sie
- 763 -
nach Belieben auf die schwarze Liste setzen kann. Wieviele
von den 29 524 Architekten, Zeichnern von Entwürfen und
Mustern usw. von Baumeistern beschäftigt werden, kann
man unmöglich sagen. Sehr wahrscheinlich besteht die große
Masse aus Angestellten. Die iii 638 Geistlichen bilden
eine Gruppe für sich; nicht viele von ihnen haben reiche
und mächtige Gemeinden, und die große Mehrzahl muß
sorgenvolle Zeiten durchmachen, wenn sie auskommen will.
Von den 43 239 Zivilingenieuren und Landmessern sind
die meisten Angestellte. Die 30 038 Journalisten sind mei-
stens Angestellte; im Verhältnis zu der Lebensführung, die
von ihnen verlangt wird, ist ihre Bezahlung gewöhnlich
gering. Ihre Arbeit ist unsicher, und mit zunehmendem
Alter werden sie gewöhnlich als Lohnschreiber auf die Straße
gesetzt. Sobald sie den Forderungen an Jugend, Kraft und
Frische nicht entsprechen, hält man ihre Dienste in der
Regel für überflüssig. Von den 114 460 in den Berichten
erwähnten Advokaten arbeitet eine große Anzahl für andere
Advokaten. Mit der Ausmerzung des Wettbewerbs und
mit dem Erlöschen einer großen Anzahl früherer privater
Geschäftsbetriebe sind die Aussichten für einträgliche juri-
stische Praxis, verhältnismäßig wenige juristische Firmen
ausgenommen, geringer geworden. Die 18 844 literarischen
und wissenschaftlichen Personen sind für ihren Unterhalt
meistens von andern abhängig, und von den 92 174 Musikern
und Musiklehrern erhält die große Masse Gehalt oder
Honorar. Dasselbe gilt von den 446 133 Lehrern und Pro-
fessoren in höheren Bildungsanstalten. Die meisten der
132 002 Ärzte und Operateure praktizieren selbständig, aber
die Konkurrenz ist scharf. Schließlich gibt es noch eine
große Anzahl von Männern und Frauen, die untergeord-
nete Stellungen im Staatsdienste einnehmen.
Seit dieser Volkszählung ist die Zahl der für den Beruf
Ausgebildeten ungeheuer gewachsen. Niemals vorher haben
Schulen und Universitäten Männer und Frauen so geschäftig
für die gebildeten Berufe eingepaukt, deren Reihen schon
überfüllt sind. Die meisten dieser Persönlichkeiten haben
keine bestimmten Aussichten außer der unklaren Hoffnung,
daß es ihnen auf irgendeine Art glücken könnte.
" 7^4 -
Diese beruflichen Klassen als ein bestehendes Proletariat
zu bezeichnen, wäre augenscheinlich absurd. Wie arm auch
viele ihrer Mitglieder, wie gering auch Lohn oder Gehalt
sein mögen, so nehmen sie doch als Ganzes eine Überlegen-
heit über die Handarbeiter für sich in Anspruch. Da sie sich
in einer Atmosphäre von Wohlerzogenheit und Achtbar-
keit bewegen, die oft unecht genug ist, versuchen sie sich mit
einer Miene des Standesbewußtseins und Ansehens zu um-
kleiden. Trotz alledem wirken materielle Kräfte rasch zu-
sammen, um diese angenommene Abgeschlossenheit nieder-
zubrechen. Wie auch immer die Ansprüche dieser beruf-
lichen Gruppen beschaffen sein mögen, es lastet auf ihnen
die schreckliche Gewalt des wirtschaftlichen Druckes. Die
Lebenspreise sind in den letzten zehn Jahren um reich-
lich 50 Prozent gestiegen — abgesehen von den Mieten;
und während die geübten und oft auch die ungeübten
Arbeiter mit Hilfe ihrer Organisationen, Streike, Boykotte
und anderer Mittel eine gewisse, wenn auch ungenügende
Zulage erzwungen haben, sind die Löhne und Gehälter
großer freiberuflicher Gruppen unverändert geblieben. Die
dauernd auferlegte Notwendigkeit, in Kleidung und Woh-
nung einen guten äußeren Schein aufrechtzuerhalten,
hat eine quälende Armut zur Folge, die um so schärfer
gefühlt wird, als Klugheit sie zu verbergen zwingt. Diese
Tatsache ist auch für die Hunderte und Tausende von
Kommis, Verkäufern, Verkäuferinnen und andern solchen
mit dem Verkauf von Handelserzeugnissen beschäftigten
Arbeitern zutreffend, wenn auch diese Arbeiter nicht in
die freiberuflichen Gruppen eingereiht sind.
Im allgemeinen sind deshalb die „geistigen Arbeiter"
durchaus nicht mit den bestehenden Verhältnissen zufrie-
den, unter denen die meisten von ihnen infolge der niedrigen
Löhne und Gehälter bei nur geringer Aussicht, vorwärts-
zukommen, leiden. Diese Unzufriedenheit bedeutet aber
noch lange nicht, daß sie sich selbst zum Proletariat rechnen.
Ihre Art der Erziehung, ihre Umgebung, das Fehlen jeder
Berührung mit der Maschinenarbeit und ihre persönliche
Geistesrichtung haben dazu geführt, daß sie für sich eine
besondere Stellung beanspruchen und die Ideen und
- 7^5 -
Maßnahmen der großen Kapitalisten und der Mittelklassen-
elemente als Grundlagen einer besonderen Gesellschaft be-
trachten. Jedoch die Kraft des wirtschaftlichen Druckes
und die erzieherisch wirkende revolutionäre Agitation, die
von einer schnell anwachsenden Zahl ihrer eignen Gruppen
betrieben wird, sind im Begriff, diese Ideen zu zertrümmern
und ihre Anhänglichkeit zu unterminieren, wenn nicht voll-
ständig zu vernichten. Sich innerlich mit dem gewerblichen
Proletariat vollständig auf gleiche Stufe zu stellen ist für
diese geistigen Arbeiter eine schwere Aufgabe; und nicht
viele bewältigen sie, da sie ihr lange eingewurzeltes Standes-
bewußtsein ausreißen und sich von den zarten Einflüssen
einer Umgebung freimachen müssen, von der sie psycho-
logisch anders beeinflußt werden als der Werkstätten-, Berg-,
Eisenbahn- oder gewerbliche Arbeiter. Aber die Um-
wandlung macht Fortschritte; ist der geistige Arbeiter
einmal von proletarischem Geiste erfüllt, dann wird er einer
der furchtbarsten Widersacher des herrschenden Systems,
da er seine Gabe zu reden und zu schreiben benutzen
kann, um revolutionäre Ideen zu verbreiten und die Menge
zu beherrschen.
Das gewerbliche Proletariat
Wir kommen jetzt zu einer Betrachtung des gewerblichen
Proletariats und schließen die Arbeiter für Verkehr und
Transport in diese Rubrik mit ein. Die letzten zugänglichen
Listen der Volkszählung — die von 1909 — berichteten
von 6615046 Lohnempfängern in der Fabrikindustrie.
Diese Zahl schließt die 579 359 Kommis nicht ein, die als
„Gehalts"empfänger bezeichnet sind. Von den Lohnemp-
fängern sind — oder waren, als die Volkszählung im Jahre
1909 stattfand — 5 163 164 Männer von 16 Jahren und
darüber; i 290 389 waren Frauen von 16 Jahren und dar-
über, und 161 493 waren Kinder unter 16 Jahren. In der
Maschinenindustrie gibt es noch ungefähr eine Million
mehr Lohnempfänger. Im Verkehr und Transport beläuft
sich die Zahl der Lohnempfänger noch nicht auf 2 Millionen,
aber es gehört noch eine große Anzahl besoldeter Arbeiter
- -jf^e -
dazu: wie mehr als loo ooo Stenographen und Maschinen-
schreiber, 630000 Schreiber und Kopisten usw. usw. Dazu
kommen weitere 3 Millionen unter der Bezeichnung Arbeiter
und noch viele Millionen mehr in solchen persönlichen und
häuslichen Diensten wie Barbiere, Büfettkellner, Haushälter,
Pförtner, Wäscher und Wäscherinnen, Diener und Kellner,
Wächter usw.
Das ganze vorhandene Proletariat der Vereinigten Staaten
beläuft sich auf ungefähr 22 Millionen. Die Zahl der dauernd
Arbeitslosen läßt sich in dieser Aufzeichnung unmöglich
angeben; sie ist unzweifelhaft groß und nimmt aus den
hier angegebenen Gründen noch zu. Von den 22 Millionen
Lohnempfängern sind reichlich 5 Millionen Frauen. Die Zahl
der arbeitenden Kinder im Alter von 16 Jahren oder dar-
unter ist annähernd i 750 000. Ungefähr ein Viertel der
Lohnempfänger der Vereinigten Staaten, 700 000 Kinder
eingeschlossen, werden in Fabriken beschäftigt.
Bis jetzt ist kein statistisches Zählergebnis zugänglich, das
die ungeheuer großen Veränderungen nachweist, die in den
letzten zehn oder zwölf Jahren durch die Konzentration
gewerblicher Anlagen und die zunehmende Einführung
automatischer Maschinenkraft in der Verdrängung der
Arbeiter und der Überfüllung der Reihen der Arbeitslosen
bewirkt worden sind.
In einer bemerkenswerten Reihe von Artikeln über „Auto-
matischen Maschinenbetrieb" veröffentlicht Robert John-
stone Wheeler eine Anzahl überraschender Tatsachen in
bezug auf besondere Industriezweige. Bei der Beschrei-
bung der Glasfabrikation konstatiert Wheeler, daß es im
Jahre 1905 nur eine automatische Maschine gab; im
Jahre 1910 gab es 65; bei einer Vermehrung im gleichen
Verhältnis werden um 1915 in den Glasfabriken 350 im
Gebrauch sein. Die Glasbläser verminderten sich von 10 086
im Jahre 1905 auf 7 948 im Jahre 1910; wenn das Verhältnis
dieses Rückgangs anhält, wird es im Jahre 191 5, abgesehen
von gewissen besonderen und kostbaren Glasartikeln, tat-
sächlich keine Glasbläser mehr geben. Handerzeugnisse
haben von 12 365 000 Gros im Jahre 1905 auf ungefähr
8650600 Gros im jähre 191 2 abgenommen, während die
- 1^1 -
Gesamtsumme der Maschinenerzeugnisse von 34710 Gros
im Jahre 1905 bis zu 2 256e 968 Gros im Jahre 1910 zunahm.
Wheelers allgemeine Schlußfolgerungen werden be-
stätigt, wenn man den kürzlich erschienenen Bericht
des f/. 5. Bureau of Labor (Arbeitsamt der Vereinigten
Staaten) über die „Zustände bei der Frauen- und Kinder-
Lohnarbeit" in den Vereinigten Staaten zu Rate zieht.
Dieser Bericht sagt (Bd. III, S. 37 und 45), daß die ersten
dieser automatischen Maschinen, die im Jahre 1895 ein-
geführt worden sind, „die Bläser als solche entbehrlich
machten, aber daß noch ein geübter Glasbläser zur Ver-
sorgung der Maschinen und ein gübter Glasarbeiter zur
Bewegung der Preß- und Blashebel nötig waren. Verbesse-
rungen wurden jedoch ersonnen, und im Jahre 1898 erschien
eine vollständig automatische Flaschenblasmaschine. Ma-
schinisten wurden verlangt, aber keine Glasarbeiter der alten
Art. Die folgenden Verbesserungen in dem Betrieb der
Glasfabrikation berührten nicht nur die geübten Leute,
die ungeübten Hilfsarbeiter, die Jungen wurden auch davon
betroffen . . . Das ganze Verfahren ist vollständig automatisch.
Keine geübten Glasarbeiter werden verwendet, nur Maschi-
nisten sind notwendig. . . ." Wheeler schätzt, daß die Zahl
der durch diesen Vorgang aus der Arbeit vertriebenen
Leute von 26 im Jahre 1905 auf ungefähr 3673 im Jahre
191 2 gestiegen ist; bei diesem Zunahmeverhältnis werden,
wie man berechnet, um das Jahr 1914 9654 Glasbläser aus
der Arbeit vertrieben sein.
Bei der Besprechung der Zementindustrie zeigt Whee-
ler, wie die Dampfschaufel und andere solche Einrichtungen
die alte Methode der Handarbeit beim Brechen, Laden,
Pressen, Befeuchten und Verpacken der Materialien schnell
verdrängen. Beim Bau von Kanälen und Eisenbahnen, bei
der Fundamentierung von Gebäuden und bei anderer Arbeit
macht ebenfalls der Gebrauch automatischer Maschinenkraft
alle Handarbeit, mit Ausnahme des äußersten notwendigen
mechanischen Minimums entbehrlich. Von den Fabriken
sprechend, führt Wheeler auch die Zustände in den aus-
gedehnten Anlagen der Westinghouse Electric Company
in Pittsburg an, wo im Jahre 1907 reichlich 19 000 Mann
- 768 -
beschäftigt waren. Um das Jahr 191 1 war die Arbeiterzahl
auf 10 000 Mann herabgesetzt worden. „Nun beachte man,
was das bedeutet," bemerkt Wheeler. „Im Jahre 191 1
lieferte jene Industrie mit 10 000 Mann einen Ertrag gleich
dem, der durch die Arbeit von 19 000 Mann im Jahre
1907 hergestellt wurde. Die Armee der von der Westing-
house Company beschäftigten Erfinder tat ihre Arbeit gut.
Verbesserte maschinelle Einrichtungen vermin-
derten die notwendige Arbeitskraft um beinahe
50 Prozent in vier Jahren. In jedem Industriezweige
findet derselbe Vorgang der Ausscheidung statt. Wunder
der Mechanik ersetzen Menschenarbeit in solchem Um-
fange, daß die Gesellschaft, in Amerika wenigstens, rasch
einer sozialen Umwälzung entgegengetrieben wird. Ge-
schicklichkeit wird wertlos gemacht. Handfertigkeit wird
abgeschafft. Berufszweige werden ausgemerzt . . . Wir
haben die Zeit erreicht, in der die Maschinenkraft der
Hauptfaktor in der Erzeugung des Reichtums geworden
ist. Von jetzt an werden weniger menschliche Wesen in
der Industrie notwendig sein."
Jedoch wird nicht nur der geübte Arbeiter verdrängt,
sondern die Verhältnisse treiben alle Arbeit im allgemeinen
auf eine gemeinschaftliche maschinelle Grundlage. „Wie
groß auch das Verhältnis der ungeübten Arbeit zu der ge-
samten Arbeitskraft in der Eisen- und Stahlindustrie sein
mag," sagt der kürzlich erschienene Bericht des U. S. Bureau
of Labor über die „Beschäftigungsverhältnisse" in jener In-
dustrie (Bd. I, S. XVI), „Sachverständige in der Stahl-
industrie haben die Tatsache bemerkt, daß in den letzten
Jahren das Bestreben beständig dahin geht, die Zahl be-
sonders geübter angestellter Leute zu vermindern und die
Löhne im allgemeinen auf der Grundlage der gewöhnlichen
oder ungeübten Arbeit festzusetzen. Auch ist nicht anzu-
nehmen, daß dieses Streben abnehmen wird, da jedes Jahr
eine ausgedehntere Anwendung maschineller Hilfsmittel mit
sich bringt, zu deren Bedienung ungeübte Arbeiter allein
leicht erzogen werden können".
Diese Beispiele machen die Art der fortschreitenden ge-
werblichen Revolution ohnegleichen klar, die unerbittlich
- 7^9 ~
eine ungeheure dauernde, zweifellos auf Millionen anwach-
sende Masse von Arbeitslosen schafft. Währenddessen hat
sich die Produktion der Fabrikindustrie in zehn Jahren mehr
als verdoppelt.
Das „Schnelligkeits"- System
Umfassend in eine genaue Beschreibung der Arbeiter-
verhältnisse einzudringen ist im Rahmen dieses Kapitels
leider nicht zulässig. Jedoch werden einige der bedeutend-
sten Tatsachen zweifellos zweckdienlich sein.
Mit dem einen unbezähmbaren Streben, ihre Produk-
tion mit den geringsten Kosten auf eine möglichst große
Höhe zu bringen, haben die amerikanischen Kapitalisten
in ihren Fabriken allgemein das sogenannte Taylor-System
eingeführt oder sind im Begriff, es einzuführen. Dies ist
ein System, bei dem den Arbeitern, durch Aufstellung einer
Normalzeit für rasche Produktion, die Zeit für ein be-
stimmtes Stück Arbeit vorgeschrieben wird. Man kann
eine solche Normalzeit nur erlangen, wenn man die Arbeiter
zu einer so halsbrecherischen Elle antreibt, daß jeder kleinste
Teil ihrer geistigen und körperlichen Kraft in Anspruch
genommen wird.
Es ist ein verderbliches, wahnsinnig machendes System
in seiner entnervenden Wirkung auf die Arbeiter, da
es ihre Lebenskraft schnell verzehrt und ihre Stärke
erschöpft. Unter ihm wird die Produktion gewaltig ver-
mehrt, doch ohne irgendeine entsprechende Entschä-
digung für die Arbeiter. Es ist dies das Auspressungssystem,
das die Kapitalisten mit so viel Anerkennung das „Wirk-
samkeitssystem" nennen — ein in hohem Grade wirksames
System in der Tat, das auf Kosten der Körper von Männern,
Frauen und Kindern ein größeres Ausströmen von Dollars
erpreßt, um die Dividenden für massenhaft ausgegebene,
nur auf „Verwässerung" beruhende Aktien zu bezahlen.
Für die Arbeiter ist es das „Schnelligkeitssystem" — eine
entsetzliche, kräfteverzehrende Einrichtung, die unerbitt-
lich und ohne Unterschied menschliches Leben ver-
schlingt. Im wesentlichen ist sie nicht neu, das häß-
49
- 11^ -
liehe Schwitzsystem im Bekleidungsgewerbe war ihr
Vorläufer.
Das „Wirksamkeitssystem" mag verschiedene Formen
haben, in dem Resultat für den Arbeiter aber führen diese
Verschiedenheiten alle zu demselben Ziel.
Elender Zustand der Arbeiter
Eine kürzlich angestellte Untersuchung des C/. S. Bureau
of Labor deckte die Tatsache auf, daß von den 173 000 in
der Stahl- und Eisenindustrie Beschäftigten 50 000 sieben
Tage in der Woche täglich 12 Stunden arbeiten, und daß
beinahe 43 Prozent sechs Tage in der Woche täglich
12 Stunden arbeiten. Von den 173 000 Arbeitern erhielten
85 815 weniger als 18 Cent für die Stunde, die große Masse
von ihnen erhielt für die Stunde nur 14 oder 16 Cent.
Beinahe 60 Prozent dieser 173 000 Arbeiter sind im Ausland
geboren; beinahe zwei Drittel sind Slawen. In der Auto-
mobilindustrie, in welcher durchschnittlich 75 000 Arbeiter
beschäftigt sind und in welcher das „Wirksamkeitssystem"
eingeführt ist, erhalten die geübtesten Maschinisten den
armseligen Lohn von 22 und 25 Cent für die Stunde bei
einem gewöhnlich zehnstündigen Arbeitstag — ein Lohn,
der im Verhältnis zu den ungeheuren Kosten des Unterhalts
so gering ist, daß nur wenige von ihnen irgendwie anständig
davon leben können. In den riesigen Schlachthäusern plackt
sich die große Menge der Arbeiter 10 bis 14 Stunden täg-
lich für einen Durchschnittslohn von weniger als 7 Dollar
wöchentlich ; die schrecklichen Armenquartiere von Chicago
und andern Städten erzählen anschaulich, wie sie zu leben
gezwungen sind, zusammengepfercht in unbeschreiblichem
Schmutz und Elend. Von der Durchschnittszahl von
90 000 Arbeitern in diesen Niederlassungen ist auch
der größte Teil im Ausland geboren — und wird aus-
drücklich als billige und lenksame Arbeitskraft eingeführt
oder gemietet.
In der Textilindustrie, die mit Ausnahme der Eisen-
produktion und Maschinenbauwerkstätten mehr Arbeiter
als irgendeine andere Fabrikindustrie beschäftigt, sind
- 11"^ -
die Verhältnisse nicht besser. Von der Durchschnitts-
zahl von 378 880 Arbeitern in der Textilindustrie sind
128000 Mädchen und junge Frauen, und 40000 sind
Kinder. Mehr als ein Drittel dieser Mädchen und jungen
Frauen sind zwischen 16 und 20 Jahre alt, und eine große
Anzahl der Kinder steht unter dem vorschriftsmäßigen
Alter von 16 und 14, in einigen Staaten von 12 Jahren.
Die Gesetze werden vermittelst betrügerischer Bescheini-
gungen umgangen; es wird eine große Zahl von Kindern
beschäftigt, die nicht das vorschriftsmäßige Alter haben;
mehr als die Hälfte der Baumwollspinnereien sind voll von
Kindern in zartem Alter, die für weniger als neun Cent
die Stunde arbeiten. Die Arbeiter in den Baumwollspin-
nereien Neu-Englands bilden eine bunte Ansammlung von
französischen Kanadiern und beinahe jeder Art von euro-
päischen Einwanderern, unter denen die Polen und Ita-
liener vorherrschen; in den südlichen Baumwollspinnereien
wird die Arbeit beinahe vollständig von Eingeborenen,
Weißen und Negern geleistet.
In 44 Baumwollspinnereien Neu-Englands beläuft sich
nach einem umfassenden Bericht des C/. 5. Bureau of Labor
über „Frauen- und Kinderlohnarbeit in der Baumwoll-
textil-Industrie" der durchschnittliche Wochenlohn der
großen Masse der männlichen Arbeiter auf 5 bis 6 Dollar.
Die am besten bezahlte Stufe aller Textilarbeiter — die
Weber — erhalten nicht mehr als einen Durchschnittslohn
von 8,78 Dollar wöchentlich. Die Bezahlung der großen
Masse der Frauenarbeit schwankt zwischen 4,85 Dollar bis
zu weniger als 6 Dollar; für die höchste Stufe der weiblichen
Arbeiter, die Weberinnen, beläuft sich der Lohn auf weniger
als 8 Dollar wöchentlich.
Das Geldstrafen- und Schuldsystem
Aber selbst diese armseligen Löhne, die man gewöhnlich
„Hungerlöhne" nennt, werden selten ausgezahlt; durch ein
klug ersonnenes, strenges System von Geldstrafen wird den
Arbeitern oft ein Viertel entzogen. Geldstrafen werden
nicht nur für „unvollkommene Arbeit" und Verspätung
49*
auferlegt, sondern für vielerlei höchst unbedeutende Ver-
stöße, wie z. B. für Fortgehen ohne Meldung, für ,, Miß-
verhalten", indem man dem Aufseher widerspricht, für
das öffnen eines Fensters ohne Erlaubnis, für zu langes
Verweilen, wenn man den Wirkungen der Natur Folge
leistet, und für ein Dutzend anderer solcher schwerer Ver-
brechen, und alle werden mit eiserner Disziplin und mit-
leidloser Tyrannei eingetrieben. Der Arbeiter kann kaum
eine nichtproduktive Bewegung machen, ohne streng dafür
bestraft zu werden.
Das Wenige, was von dem Lohn der Arbeiter übrigbleibt,
wird dann in vielen Fällen noch durch die Schulden ver-
kürzt, die er bei der besonderen Gesellschaft, für die er
arbeitet, hat. Viele von den Textilgeseilschaften in den
Dörfern und kleinen Städten besitzen ihre eignen Blocks
von Miethäusern, welche sie ihren Arbeitern zu übertrieben
hohem Zins vermieten, und führen ihre eignen Gesell-
schaftswarenhäuser, in denen sie Lebensmittel und Waren
zu übermäßigen Preisen an die Arbeiter verkaufen. Sollten
irgendwelche Arbeiter sich weigern, diese zu unterstützen,
so würden sie sofort ohne Arbeit sein, und sollten sie wagen,
zu streiken, so würden sie erbarmungslos vertrieben und
dem Hunger preisgegeben werden.
Die Wollindustrien
Dieselben Verhältnisse gelten für die Woll- und Kamm-
garnspinnereien, die von dem Wolltrust beherrscht werden.
Diese Spinnereien beschäftigen durchschnittlich i68 ooo
Arbeiter. Der soeben ausgegebene Bericht des U. S. Bureau
oj Labor über den „Streik der Textilarbeiter in Lawrence,
Mass." im Jahre 191 2 gibt eine lebhafte Beschreibung der
entsetzlichen Bedingungen, unter denen diese Leute
arbeiten müssen. Die Zustände in den Spinnereien in
Lawrence sind typisch für die Wollspinnereien und
andere Textilfabriken in andern Teilen der Vereinigten
Staaten.
Von den 23 000 Arbeitern in den Woll- und Kammgarn-
und den Baumwollspinnereien in Lawrence sind beinahe
- 773 -
alle Einwanderer — Franzosen, Belgier, Litauer, Polen,
Italiener, Portugiesen und andere Nationalitäten. Wenn
sie auch an eine billige Lebenshaltung gewöhnt waren, so
war doch der bezahlte Lohn so gering, daß selbst die kräf-
tigen Leute nicht genug von der gewöhnlichsten Nahrung
zu essen bekommen konnten. Ein Drittel der gesamten
Arbeitskräfte erhielt wöchentlich weniger als 7 Dollar, und
eine große Zahl 6 Dollar oder weniger. Um diesen elenden
Lohn zu erhalten mußten sie sich den beschwerlichen und
erschöpfenden Erpressungen des „Schnelligkeitssystems"
unterwerfen.
„Die Einkommensziffern zeigen klar," erklärt der Be-
richt überflüssigerweise, „daß die Einkünfte einer großen
Zahl der erwachsenen Angestellten, die die volle Zeit
arbeiten, für den Unterhalt einer Familie vollständig
unzureichend sind." Der Bericht fährt dann fort, zu er-
zählen, wie die „Mahlzeiten" vieler dieser Arbeiter aus
einer Tasse Kaffee beständen, oder aus einem Teller Suppe
von rechter Armseligkeit und aus einem Stück trocknen
Brotes; wieviele Mütter mit ihrer Brut junger Kinder, um
einigermaßen auszukommen, gezwungen seien, in ihre schon
überfüllten Wohnräume noch Mieter aufzunehmen; und
wie andere Mütter und Scharen von Kindern im zartesten
Alter aus denselben drastischen Gründen gezwungen seien,
in die Spinnereien zu gehen. Von dem übrigen Los der
Arbeiter wird noch weiteres in dem Bericht erzählt: wie
sie in dünnen hölzernen Behausungen gegen enorm hohe
Mieten zusammengedrängt sind, wie sie beständig Schulden
haben, da sie gezwungen sind, ihre Waren nach dem Borg-
und Trucksystem zu kaufen, und wie sie die Kohlen, da sie
in kleinen Mengen kaufen, mit 8 bis 13 Dollar die Tonne
bezahlen, d. h. mit einem Zuschlag von 40 bis 80 Pro-
zent zu dem Preis der Kohlen, wenn man sie tonnen-
weise kauft.
Von gewissen ekelhaften und empörenden Verhält-
nissen, die das „Heim" und Fabrikleben der Arbeiter mit
sich bringen, können wir hier keine Details geben. Aber
(Ironie über Ironie!) die Männer, Frauen und Kinder, die
unendliche Mengen von Wollstoff produzieren, haben nicht
- 774 -
einmal angemessene Unterkleidung und können sich keine
Mäntel leisten, um sich in der strengen Winterkälte Neu-
Englands zu schützen.
Dies waren die wohlbekannten Verhältnisse, als am An-
fang des Jahres 191 2 der Wolltrust die Löhne der Arbeiter
um 50 Cent wöchentlich herabsetzte. Unter Verhältnissen,
in denen jeder Bruchteil eines Cents mitzählt, war dieser
Ausfall einem Todesurteil gleichbedeutend. Dann folgte
jener denkwürdige „Hungerstreik", der für kommende revo-
lutionäre Ereignisse so prophetisch war. Nicht weniger
bedeutungsvoll war die Tatsache, daß sich alle Nationali-
täten dabei einmütig zusammenschlössen und daß er von
einer revolutionären Körperschaft organisiert wurde, den
Industrial Workers of the World. „Sie haben," so lautet
die öffentliche Erklärung des Komitees der Streikenden in
dem Teil, der sich auf die kapitalistischen Vorgesetzten be-
zieht, „unsere Frauen aus ihrer Häuslichkeit gerissen, unsere
Kinder sind von den Spielplätzen vertrieben, aus den Schulen
gestohlen, in die Spinnereien getrieben und an die Maschi-
nen festgeschnallt worden, nicht nur um die Väter zu
zwingen, mit ihnen um die Wette zu arbeiten, sondern
damit ihre jungen Körper zum Besten einer Schmarotzer-
klasse in Dollars verwandelt würden, damit sogar ihre
Nerven, ihr Lachen und die ihnen versagten Freuden zu
Wolle verwebt würden."
Bewaffnete Soldaten wurden in Massen in die Stadt ge-
schickt, um die Streikenden einzuschüchtern, und auf Grund
einer zurechtgemachten Anklage, daß sie zum Morde an-
gestiftet hätten, wurden Ettor, Giovannetti und Caruso,
die Führer des Streiks, in das Gefängnis geworfen und neun
Monate gefangengehalten, worauf man sie freisprach. Der
Streik wurde schließlich gewonnen, aber wenn auch eine
Lohnerhöhung erreicht wurde, bestehen doch im Grunde
die gleichen Verhältnisse weiter fort.
In den Wirkwarenfabriken in Little Falls, New York, in
denen der Durchschnittslohn weniger als 7 Dollar wöchent-
lich betrug und Frauen und Mädchen 65 Stunden wöchent-
lich für 3 bis 4 Dollar die Woche arbeiteten, wurde ein
ebensolcher Hungerstreik von den Fabrikanten auf das
- 775 -
heftigste bekämpft. Die erlangten 7 Prozent Lohnerhöhung
werden bald durch die beständig wachsenden Kosten des
Lebensunterhaltes aufgezehrt sein.
Die Löhne der Kleidermacher und anderer Arbeiter
Die Herstellung von Bekleidungsgegenständen ist einer
der größten Industriezweige der Vereinigten Staaten. Er
beschäftigt Männer und Frauen in gleicher Zahl; die Zahl
der gesamten Arbeitskräfte beläuft sich mit Einschluß der
Kinder auf durchschnittlich 240 000. Ein umfangreicher
Bericht, der von dem U. 5. Bureau of Lahor ausgegeben
wurde, stellt folgende Tatsachen fest : Der Werkstättenlohn
für Männer beträgt durchschnittlich weniger als 10 Dollar
wöchentlich und der der Frauen ungefähr 7 E>ollar, vor-
ausgesetzt, daß sie die volle Zeit arbeiten. Diejenigen, die
unter dem abscheulichen Zwischenmeistersystem arbeiten,
erhalten verhältnismäßig weniger. Achtzig Prozent der
Werkstättenarbeiter in Chicago, 90,7 Prozent derjenigen
in New York, 91,4 Prozent derjenigen in Philadelphia und
98,3 Prozent derjenigen in Baltimore werden mit weniger
als 10 Dollar wöchentlich bezahlt. Weniger als 5 Prozent
aller Arbeiter erhalten 12 Dollar oder mehr wöchentlich.
Diese Zahlen beziehen sich natürlich nicht auf die Kinder-
arbeit.
Wie leben diese Arbeiter ? „Gewisse Krankheiten," sagt
der Bericht, „sind in den Armenquartieren aller großen
Städte beständig epidemisch, und gerade in diesen Quar-
tieren lebt die Mehrzahl der Konfektionsarbeiter." Aber
damit ist nicht alles gesagt. Unterernährt, schlecht ge-
kleidet, der Tuberkulose und andern Krankheiten preisge-
geben, werden große Mengen dieser Arbeiter durch den
Druck der Verhältnisse gezwungen, in ihre dunklen, un-
genügend ventilierten Wohnräume Mieter aufzunehmen, so
daß manchmal fünf und nicht selten sechs und acht Per-
sonen in einem Raum zum Schlafen zusammengedrängt
werden,"
Die Glasfabriken sind eine weitere typische Industrie.
Sie beschäftigen 70 000 Lohnarbeiter, von denen die meisten
- 77^ -
Polen, Slawen, Italiener, Litauer und verschiedene andere
Einwanderer sind. In diesen Fabriken erhalten 78,6 Pro-
zent der Männer weniger als 8 Dollar wöchentlich und
95 Prozent weniger als 10 Dollar wöchentlich. Von den weib-
lichen Arbeitern werden 88,6 Prozent mit weniger als
8 Dollar die Woche bezahlt und 91,1 Prozent mit weniger
als IG Dollar wöchentlich. 88 Prozent der Knaben und
IOC Prozent der Mädchen unter 14 Jahren erhalten weniger
als 6 Dollar wöchentlich. Von diesem dürftigen Lohn muß
eine Arbeiterfamilie in dem Bezirk von Pittsburg 124 Dollar
jährlich für verpestete Räume in häßlichen kleinen
Wohnhäusern zahlen; auch hier erpressen die Gesell-
schaftswarenhäuser aus dem Verkauf von Lebensmitteln
und Waren an die Arbeiter jährliche Dividenden von
IG Prozent.
Dies sind die in der ganzen Fabrikindustrie herrschenden
charakteristischen Zustände. In vielen Fabriken hat der
Wettbewerb der Frauen die Löhne der Männer so tief
herabgedrückt, daß ein Unterschied zwischen beiden kaum
noch bemerkbar ist. Die Schrecken der Bedingungen, unter
denen die Frauen arbeiten müssen, wurden durch den
Staatssenator Robert F. Wagner, den Vorsitzenden der
New Tork States Factory Investigating Commission (Unter-
suchungskommission für die Fabriken im Staat New York)
kürzlich wieder der öffentlichen Beachtung sehr eindring-
lich vorgeführt. Er erklärte, daß der Durchschnittslohn
der 293 637 Frauen, die in den Fabrikanlagen im Staat
New York beschäftigt werden, wöchentlich 6,54 Dollar be-
trage. In den Kragen- und Hemdenfabriken müssen er-
wachsene Frauen von einem Lohne leben, der häufig
weniger als 4,50 Dollar wöchentlich beträgt, und in den
Zuckerwarenfabriken von New York, Massachusetts und
anderen, in denen drei Viertel der Arbeiter junge Frauen,
meistens Italienerinnen, sind, erhalten beinahe die Hälfte
dieser über 18 Jahre alten Arbeiterinnen durchschnittlich
weniger als 5 Dollar wöchentlich — wenn sie die volle
Zeit arbeiten.
ni -
Die Schrecken des Gewerbe Systems
Wenn wir in Betracht ziehen, was die Familie eines
Durchschnittsarbeiters ausgeben muß, um unter Verhält-
nissen zu leben, die mit der kümmerlichsten ökonomischen
Leistungsfähigkeit vereinbar sind, so werden uns die demo-
ralisierenden Wirkungen langer Arbeitsstunden und nie-
driger Löhne sofort klar. Die Schätzung dieser jährlichen
Kosten schwankt bei einer Familie von fünf Mitgliedern
zwischen 715 und 1000 Dollar. In der Stadt New York
nimmt man 850 Dollar als das niedrigste Budget jähr-
licher Kosten an, mit dem eine solche Familie eben noch
leben kann, und selbst dabei nur mit sehr geringer Sicher-
heit. In anderen größeren und kleineren Städten sind die
Kosten für den Lebensunterhalt etwas, aber nicht viel
geringer.
Diese vorsichtigen Schätzungen beziehen sich nur auf
die allernotwendigsten Bedürfnisse, wie Miete, Brenn-
material, Nahrung, Kleidung und manchen anderen Bedarf,
die alle notwendigerweise nur mit strengster Sparsamkeit
befriedigt werden können. Es erübrigt, zu sagen, daß
die Lebensführung der Arbeiter von der billigsten Art ist.
Große Scharen sind gezwungen, in schmutzigen, abstoßen-
den Mietshäusern oder in dumpfen, wenig anziehenden
kleinen Häusern zu leben; sie müssen sich mit verdünnter
Milch, mit minderwertiger verfälschter Nahrung und mit
wertloser Kleidung zufriedengeben; ihre sogenannten „Ver-
gnügungen" können in einen winzigen Umfang zusammen-
gedrängt werden und sind von der armseligen Art, die die
Überlegung der Ausgabe jedes Cents bedingt. Obgleich
selbst unter diesen schrecklichen Umständen die den not-
wendigsten Bedürfnissen genügenden normalen jährlichen
Ausgaben einer normalen Arbeiterfamilie sich auf 715 bis
850 Dollar oder mehr belaufen, berechnet das IJ . 5. Bureau
of Labor, daß die Geldmittel von 41,52 Prozent der nor-
malen Arbeiterfamilien weniger als 600 Dollar jährlich
betragen und die Geldmittel von 21 Prozent noch unter
500 Dollar jährlich sinken.
- 77^ -
Einer der Gründe, den die Chicagoer Vice Commission
dafür angibt, daß in den Vereinigten Staaten jährlich
40 000 Mädchen Prostituierte werden, ist „der wirtschaft-
liche Druck des Fabriklebens auf ungeübte Arbeiterinnen,
mit dem abschwächenden Einfluß auf die Willenskraft".
Für ihre geringen Löhne müssen sich die Arbeiter unter
den schwierigsten und anstrengendsten Arbeitsbedingungen
plagen, und diese Verhältnisse haben besonders grausame
physiologische Wirkungen auf die Frauen. In den Fabriken
sind die Arbeiter jedes Alters und Geschlechts unaufhörlich
Unglück und Tod ausgesetzt, nicht nur durch die Gifte,
die in vielen Industriezweigen erzeugt werden, sondern
durch die sogenannten „gewerblichen Unfälle" in allen
Industriezweigen. In dem Bulletin Nr. 78 des U. S. Bureau
of Labor 1908 wird berechnet, daß zwischen 30 000 und
35 000 erwachsene Lohnarbeiter in jedem Jahre getötet
und 2 Millionen erwachsene Lohnarbeiter jährlich verletzt
werden; der Bericht sagt ausdrücklich, daß die Liste der
getöteten und arbeitsunfähig gemachten weiblichen und
kindlichen Arbeiter in diese Berechnung nicht miteingezogen
sei. Es wird in dem Bulletin erklärt, daß es möglich gewesen
wäre, wenigstens die Hälfte dieser Leben durch Sicherheits-
vorrichtungen und eine verständige Art der Fabrikinspek-
tion und Überwachung zu retten. Und innerhalb und
außerhalb der Fabriken müssen alle Arbeiter beständig
Krankheiten, Verarmung und Elend Trotz bieten. Die
statistischen Berichte der Irrenanstalten zeigen, daß eine
ungeheure Zahl von Fällen auf Entbehrung, Qualen und
Überarbeitung zurückzuführen sind. Elend, Krankheit,
Unterernährung und minderwertige oder verfälschte Nah-
rung raffen jährlich Hunderte und Tausende von Arbeitern
und Mitgliedern ihrer Familien dahin und treiben sie vor-
zeitig in das Grab. Dreihunderttausend Kinder sterben in
jedem Jahre in den Vereinigten Staaten, bevor sie ihr erstes
Lebensjahr erreicht haben; die Sterblichkeitsziffer ist in den
Armenvierteln ungefähr doppelt so hoch wie in den besseren
Stadtteilen.
- 779
Tjustände in den Bergwerks-gebieten
Die Menge des gewerblichen Proletariats wird noch durch
ungefähr eine Million Grubenarbeiter vermehrt, von denen
722 335 in den Kohlengruben, die übrigen in Kupfer-,
Gold-, Silber- und andern Bergwerken beschäftigt sind.
Von den 722 335 Kohlenarbeitern sind 172 585 in den
Anthrazitgruben von Pennsylvania beschäftigt und 549 750
in den Steinkohlen- und Braunkohlengruben der Ver-
einigten Staaten.
Auch in diesem Industriezweige gibt es unter den Arbei-
tern dieselbe vielsprachige Zusammenwürfelung verschie-
dener Nationalitäten, die in andern Industriezweigen so
bemerkenswert ist. Auch hier ist eine besondere Form des
„Wirksamkeitssystems" in Kraft, nach welchem die Gruben-
arbeiter nach der Tonne bezahlt werden. Nominell wer-
den ihnen höhere Löhne als in vielen andern Industrie-
zweigen gezahlt ; tatsächlich aber werden sie gezwungen, ihre
Werkzeuge, ihr Sprengpulver und andere Utensilien selbst
zu bezahlen; sogar die Kosten der Sicherheitslampe werden
ihnen auferlegt. Sie werden beim Abwiegen der Kohlen
in hohem Maße betrogen; die richtige kurze Tonne wiegt
2000 Pfund, aber die Tonne als Grubenertrag wird zu
2400 Pfund oder mehr gerechnet, und der Arbeiter wird
um die Differenz betrogen. Millionen Dollar an Lohn
werden so den Grubenarbeitern frech geraubt. Selbst bei
diesen offenkundigen Erpressungen und Betrügereien könnte
der Grubenarbeiter vielleicht in gewissem Grade anständig
leben, wenn er das ganze Arbeitsjahr hindurch arbeiten
könnte. Aber der kürzlich erschienene Bericht des geo-
logischen Büros der Vereinigten Staaten zeigt, daß die
durchschnittliche jährliche Arbeitszeit der Anthrazit-
grubenleute 246 Tage beträgt und die der anderen Stein-
kohlengräber 211 Tage.
Beinahe 138 000 Bergleute arbeiten in Gruben, die
zehn Stunden im Betrieb sind. Der durchschnittliche
jährliche Gesamtlohn für eine sehr große Zahl der Gruben-
arbeiter übersteigt bei reichlichster Schätzung nicht 400
— 7^0 —
bis 525 Dollar; in vielen Fällen belaufen sich die jährlichen
Löhne nur auf ungefähr 360 Dollar.
Einen großen Teil dieser Löhne behalten viele der
Kohlengesellschaften in der Form von Mieten und Un-
kosten. Dem Anscheine nach besondere Körperschaften,
tatsächlich aber dieselben Gesellschaften, bilden einen mäch-
tigen Kohlentrust. Durch ein System von Gesellschafts-
warenhäusern, die viele von ihnen betreiben, erpressen sie
Wucherpreise (die oft doppelt so hoch sind, wie die von
unabhängigen Detailhändlern verlangten), indem sie Waren
und Lebensmittel an die Grubenarbeiter verkaufen. Gleich-
zeitig besitzen und verwalten die Kohlengesellschaften Ge-
sellschaftsmiethäuser, für welche übertrieben hohe Mieten
gefordert werden. Hier und da besitzt ein Bergarbeiter
vielleicht ein eignes Haus, aber die meisten der Bergleute
leben in den elenden Gesellschaftshäusern. Viele der Miet-
verträge, die die Grubenarbeiter zu unterzeichnen ge-
zwungen werden, enthalten eine Klausel, die eine Kündi-
gung festsetzt für den Fall, daß der Angestellte die Arbeit
verlassen oder entlassen werden sollte. Der Bericht des
U. S. Bureau oj Lahor über den „Bergarbeiterstreik in dem
Steinkohlengebiet in Westmoreland County, Pennsylvania,
1910/11" berichtet (S. 57), daß tausend Familien auf diese
Art unbarmherzig hinausgesetzt wurden und daß unter
den Vertriebenen mehrere Frauen in anderen Umständen
waren. Diese Familien wurden gezwungen, in Zelten zu
leben, die von der Gewerkschaft der Bergleute besorgt
wurden. „Die meisten der Zelte," heißt es in dem Bericht,
,, hatten nur je einen Raum und gestatteten den Frauen
und Kindern kein Alleinsein . . . Beinahe hundert Kinder
wurden in diesen Lagern von Zelten und Blockhütten
während der 14 oder 15 Monate, in denen sie bewohnt
wurden, geboren, und die Sorge für die Mütter war not-
wendigerweise ganz unangemessen . . ."
Dieselben wohlbeglaubigten Grausamkeiten kamen wäh-
rend des noch kürzere Zeit zurückliegenden Streiks von
fünftausend Grubenarbeitern in dem Kanawha-Tal in West-
Virginia vor. Bewaffnete Raufbolde trieben Männer, Frauen
und Kinder unterschiedslos in brutaler Weise aus den
- 78i -
Wohnungen heraus; da gab es einen besonders abscheulichen
Fall, den des Bergmanns Isaiah Smith, der mit seiner Frau
und einem drei Wochen alten Kinde gezwungen wurde,
einen Tag und eine Nacht auf der Landstraße zu liegen,
bis die Bergleute Mutter und Kind in Sicherheit bringen
konnten. Während dieses Streiks wurden Hunderte von
Männern, Frauen und Kindern — von denen viele noch
ganz klein waren — vertrieben und gezwungen, in Zelten
zu leben, die vom Verband besorgt wurden; und dort
in diesen schneebedeckten, hin und her schwankenden
Wohnstätten mußten sie die bittere Kälte des Gebirges
und andere schreckliche Leiden erdulden. Während dieses
Streiks geschah es, daß das Militär unter Verkündung des
Kriegsrechtes auch die Frauen aus der Häuslichkeit der
Streikenden vor ein plötzlich zusammenberufenes Kriegs-
gericht zerrte — eine Tat, die selbst in einem Lande, in
dem terroristische Greuel der kapitalistischen Klasse bis an
die äußerste Grenze der Grausamkeit getrieben worden sind,
nicht ihresgleichen hat.
Das Hinopfern der Kohlengräber
Aber das halbe Verhungern, der Raub und die Unmensch-
lichkeit sind nicht die einzigen Leiden, denen das Berg-
arbeiterproletariat ausgesetzt ist. Die Wahrscheinlichkeit
irgendeines durch den Mangel an Sicherheitsvorrichtungen
veranlaßten schrecklichen Unglücksfalls in den Gruben ist
immer vorhanden. Nach der Ausgabe des U. S. Government
Statistical Abstract (Statistische Übersicht der Regierung
der Vereinigten Staaten) vom Jahre 191 2, das sich auf die
Berichte der geologischen Übersicht und des Bergwerks-
büros gründet, wurden von 1897 bis 1910 inkl. 25 223
Bergleute in den Gruben durch „Unglücksfälle" getötet,
und in denselben Jahren wurde eine große Anzahl verletzt.
Dem Wesen nach war jeder dieser Todesfälle ein Mord;
sie hätten durch angemessene Einführung von Sicherheits-
vorrichtungen vermieden werden können. Wenn die Wit-
wen oder andere Überlebende der Erschlagenen sich auch
nur eine geringe Entschädigung für den Verlust ihrer Er-
- 782 -
nährer zu sichern suchten, wurden sie von den Gerichts-
höfen hartherzig abgewiesen. Mit Richtern besetzt, die
entweder kapitalistische Rechtsanwälte oder ehemalige Ge-
sellschafts-Rechtsanwälte sind, haben diese Gerichtshöfe
Interpretationen angewandt wie die Lehren von der „wis-
sentlichen Gefahrenübernahme", von der „Mitarbeiter"-
gefahr und von der „die Verletzung verschuldenden Fahr-
lässigkeit". Nach diesen Lehren wird angenommen, daß
der Arbeiter, indem er in das Dienstverhältnis eingetreten
ist, das ganze Risiko auf sich genommen hat und alle Ver-
antwortung trägt. Wenn ein Arbeiter durch fehlerhafte Ma-
schinenanlagen, die er auf Befehl des Fabrikdirektors oder
Werkführers benutzt hat, zum Krüppel gemacht oder auf
andere Weise verletzt wird, so kann er keine Entschädigung
erlangen, denn die Gerichtshöfe haben sich nach der „Mit-
arbeiter"-Lehre dahin entschieden, daß der Direktor oder
der Werkführer ein Mitangestellter ist und daß deshalb
auf den Fabrikherrn keine Verantwortung fällt.
In bezug auf gewissenlose Ausbeutung sind die Verhält-
nisse in den andern Bergwerksanlagen dieselben. Dieselbe
gewaltsame Anwerbung billiger Einwandererarbeit, die-
selben Betrügereien und Räubereien, dasselbe Erpressungs-
system mit Gesellschaftswohnhäusern und Warenhäusern,
dieselben brutalen Wohnungskündigungen, dasselbe häufige
Vorkommen schrecklicher Unglücksfälle,
Verkehrs- und andere Arbeiter
Es gibt indes noch eine andere große Abteilung des ameri-
kanischen Proletariats, auf die wenigstens kurz hingewiesen
werden muß. Dies sind die Lohnarbeiter — zwischen
4 und 5 Millionen — in Verkehr und Transport. Von
diesen sind nach dem Zählergebnis von 1900 630 127
Schreiber und Kopisten, 254 880 Buchhalter und Rech-
nungsführer, 241 162 Agenten, 611 139 Verkäufer und Ver-
käuferinnen, 112 364 Stenographen und Maschinenschrei-
ber, 92 919 Handelsreisende, 78 406 Bootsleute und Ma-
trosen, 538 933 Fuhrmänner, Rollkutscher usw., und Leute
in andern Beschäftigungen in verschiedener Zahl. Das
- 783 -
volle Ergebnis der Zählung von 1910 ist noch nicht
zugänglich.
Obgleich eine große Anzahl von Schreibern, Buchhaltern,
Verkäufern und Verkäuferinnen für die spärlichsten und
unangemessensten Löhne arbeiten — oft für weniger als
5 Dollar und selten für mehr als 10 Dollar wöchentlich — ,
so können sie als Ganzes doch nur als ein potentielles Pro-
letariat bezeichnet werden. Da sie noch beinahe vollständig
unorganisiert und ungeschützt sind, sind sie als Ganzes noch
lange nicht an dem Punkte angelangt, wo sie sich der
Tatsache bewußt sind, daß sie einen Teil der Arbeiter-
klasse bilden. Gegenwärtig sind die meisten von ihnen
noch innerlich von den organisierten Arbeitern abgeson-
dert und halten sich vielleicht wegen ihrer andern Um-
gebung für etwas Besseres als die gewerbliche arbeitende
Masse.
Die Fuhrmänner, Rollkutscher, Chauffeure, Bootsleute
und Matrosen sind sich ihres Proletariercharakters durchaus
bewußt; das trifft selbst für die Matrosen der Kriegsschiffe
der Vereinigten Staaten zu. Eine der größten Abteilungen
der Lohnempfänger in der Gruppe Verkehr sind die Eisen-
bahnarbeiter. Das Bulletin der Unfälle Nr. 44 der Inter-
state Commerce Commission (Kommission für den Handel
zwischen den Staaten) von 191 2 berichtet, daß am 30. Juni
191 2 I 729 144 Arbeiter auf den Dampfbahnen beschäftigt
waren. Diese Statistik schließt nicht die ungefähr 150000
bis 200 000 Arbeiter auf den Straßenbahnlinien in den
Städten und zwischen den Städten ein.
Selbst die bestbezahlten Eisenbahnarbeiter — die Ma-
schinisten — erhalten selten mehr als 1200 bis 1500 Dollar
jährlich an Lohn. Die großen Massen der Eisenbahn-
arbfiter erhalten 800 Dollar oder weniger jährlichen Lohn
für lange, starke Anforderungen stellende Arbeitsstunden.
Diese Löhne sind allerdings viel höher als die in den meisten
Fabrikzweigen gezahlten, aber sie sind noch immer höchst
ungenügend. Der U. S. Government Statistical Abstract
(Statistische Übersicht der Regierung der Vereinigten
Staaten) für 191 2 zeigt (S. 559), daß die durchschnittlichen
jährlichen Unterhaltungskosten einer Arbeiterfamilie von
- 784 -
31 8 Dollar im Jahre 1890 auf S7^y7S Dollar im Jahre 1907
gestiegen sind. Seit 1907 sind sie beständig weiter gestiegen.
Die Miete beansprucht dazu wenigstens ein Viertel von
dem Lohne des Arbeiters. Man kann daraus entnehmen,
in welche verzweifelte Notlage selbst die „höher bezahlten"
Arbeiter nur durch die Unterhaltskosten getrieben wer-
den. Die Art des Eisenbahnbetriebs verlangt unbedingt
eine englisch sprechende, intelligent« Klasse von Ange-
stellten; die Eisenbahnkapitalisten können, soweit der Be-
trieb der Eisenbahnen in Betracht kommt, nicht von Ein-
wandererarbeit abhängen. Der amerikanische Arbeiter ver-
langt bessere Lebensbedingungen, und es gibt beständige
Konflikte zur Erlangung steigender Löhne, um die stei-
genden Kosten des Unterhalts zu befriedigen,
Menschenverwüstung im Eisenbahndienst
Für ihre jämmerlich unangemessenen Löhne müssen sich
527463 von den i 201 681 Dampfbahnarbeitern täglich der
Gefahr aussetzen, verstümmelt, verkrüppelt oder getötet
zu werden. Dasselbe trifft bei 41 299 der 50 473 Arbeiter
an den elektrischen Bahnen zu. Eine Tabellarisierung in
dem neunzehnten Jahresbericht der Interstate Commerce
Commission (S. 109) zeigt, daß von 1888 bis 1907 im ganzen
53 046 Eisenbahnangestellte getötet und mehr als 800000
bei der Arbeit verstümmelt oder verkrüppelt worden sind.
Seit 1907 ist diese Verwüstung in ebenso großem Umfange
weitergegangen. Von 1907 bis zum 30. Juni 191 2 sind
weitere 15 177 Dampf bahnangestellte getötet und 321 007
im Dienste verletzt worden. Diese Berichte schließen die
Unfälle auf den Linien der Kopfstation- und Rangier-
gesellschaften nicht mit ein. Auch umfassen sie nicht die
Gesamtsumme der Todesfälle; das Bulletin der Unfälle
Nr. 44 meldet gefühllos, daß nur diejenigen, die sofort
oder innerhalb von 24 Stunden nach dem Unfall
sterben, in den Listen der Getöteten aufgeführt
werden. Die gewöhnlichen Ursachen dieses ungeheuren
Blutbades sind klar genug; es liegt auf der Hand, daß die
Unfälle durch veraltete und billige Einrichtungen hervor-
- 785 -
gebracht werden, durch den Mangel an geeigneten Sicher-
heitsvorrichtungen, durch Mängel im Betriebsmaterial, im
Fahrdamm, in den Schienen und andere solche Ursachen.
Die Inspektoren der Interstate Commerce Commission prüften
kürzlich 74 000 Lokomotiven ; mehr als 48 000 erwiesen sich
dabei als fehlerbehaftet. Die Zahl der Zusammenstöße, die
der „Nachlässigkeit" von Zugführern, Signalwächtern usw.
zugeschrieben wird, ist nicht groß ; nicht selten finden diese
Zusammenstöße statt, wenn die Eisenbahnbeamten durch
lange Arbeitsstunden und Mangel an Schlaf erschöpft sind.
Die Eisenbahngesellschaften der Vereinigten Staaten ver-
teilen ungefähr 250 Millionen Dollar jährlich an Dividenden
auf Aktien, deren größerer Teil nur auf „Verwässerung"
beruht und 280 Millionen Dollar jährlich Zinsen auf Obli-
gationen, von denen viele betrügerischen Ursprungs sind.
Aber die Eisenbahnarbeiter haben sich beinahe in jedem
Falle vergeblich nach Entschädigung umgesehen, wenn sie
verletzt worden sind, oder nach Zahlungen an die Über-
lebenden für den Fall, daß sie getötet werden sollten; wie
die Eisenbahngesellschaften jeden solchen vor Gericht ge-
brachten Fall scharf bestritten haben, das ist eines der
traurigsten Blätter in den Annalen des amerikanischen
Proletariats.
Eine Zusammenfassung der bestehenden Verhältnisse
Es ist unverkennbar, daß es den 3 Millionen oder mehr
sogenannten unqualifizierten oder „gewöhnlichen" Arbei-
tern, die abgesondert und unorganisiert dastehen, von allen
männlichen Lohnarbeitern am schlechtesten ergeht; große
Scharen ziehen beständig von einem Ort zum andern, um
Arbeit zu suchen, und diejenigen, die Arbeit bekommen
können, müssen so geringe Löhne annehmen, daß es wunder-
bar erscheint, wie sie überhaupt leben können. Aber sowohl
diese Erscheinung als auch andere Gesichtspunkte in bezug
auf das amerikanische Proletariat können im Verlaufe dieses
Kapitels nur flüchtig berührt werden.
Der Zweck der in diesem Kapitel enthaltenen kurzen
Darstellung besteht darin, einige bemerkenswerte Tatsachen
so
- 786 -
zusammenzufassen, um zu zeigen, auf welcher Grundlage
der kolossale Reichtum und die Macht der kapitalistischen
Klasse aufgebaut und aufrecht erhalten wird. Eine solche
kurzgefaßte Behandlung macht das Eingehen auf die Details
mancher wichtiger Zweige des Gegenstandes unmöglich.
Es ist wahr, einige geübte Arbeiter, besonders amerika-
nische, besitzen eigne Häuser oder vielmehr Landhäuschen
in einigen der größeren und vielen der kleineren Städte,
oder wohnen darin zur Miete, und ihr häusliches Leben ist
anscheinend von einem gewissen Behagen, während es in
Wirklichkeit ein Leben großer Unsicherheit und quälender
Ungewißheit ist. Die statistischen Regierungsberichte zei-
gen, daß ungefähr 72 bis 81 Prozent der Arbeiter in den
Vereinigten Staaten nicht ihr eignes Heim haben, sondern
in gemieteten Wohnungen oder abvermieteten Zimmern
leben. Nur ungefähr zehn Prozent der Arbeiter, die eigne
kleine Häuser besitzen, besitzen sie frei von Hypotheken.
Nicht nur in den großen Städten, sondern auch in den
kleinen, nehmen die bereits in Fäulnis übergehenden Armen-
quartiere zu — eine verhängnisvolle Tatsache, die eine aus-
führliche Darstellung verdient, auf die hier aber nur hinge-
wiesen werden kann. Gegen alle Arbeiter, die Arbeiterorga-
nisationen angehören, kämpfen mit leidenschaftlichster und
gewissenlosester Energie die massiven Truste mit ihrer ge-
schlossenen, modernen Organisationsform, unterstützt durch
ungeheure Geldmittel und durch die gewichtige Macht der
gesetzlichen, gerichtlichen, polizeilichen und militärischen
Gewalt. Die Geschichte dieser riesenhaften Angriffsbewe-
gung gegen die Arbeiterverbände — um sie entweder zu
hindern, sich nach modernen gewerblichen Grundsätzen zu
organisieren oder um sie vollständig zu vernichten — , das
ist ein so umfassender Gegenstand, daß er ein Kapitel für
sich allein verlangen würde.
Auch können wir hier nicht näher beschreiben, was alles
als Folgeerscheinung der entsetzlichen Ausbeutung des
amerikanischen Proletariats eintritt: die verübten Ge-
walttätigkeiten, das Verhungern vieler, das halbe Ver-
hungern großer Mengen, die weitverbreitete Armut und
den zunehmenden Pauperismus, die Ursachen der 15 000
- 7^7 -
jährlich in den Vereinigten Staaten verübten Selbstmorde,
die zunehmende Entartung vieler Arbeiter und ihrer Kinder
aus Mangel an normalen Lebensverhältnissen. Von den an-
nähernd 20 Millionen Schulkindern in den Vereinigten Staaten
haben 300000 bis 400000 organische Herzkrankheiten;
wahrscheinlich i Million hat tuberkulöse Erkrankungen der
Lunge gehabt oder hat sie noch; ungefähr i Million leidet
an Rückgratsverkrümmung oder andern körperlichen Ge-
brechen ; mehr als i Million hat mangelhaftes Gehör und un-
gefähr 5 Millionen haben mangelhaftes Sehvermögen. Kurz,
zählt man noch die Millionen anderer hinzu, die an irgend-
einem Schaden oder Gebrechen leiden, so sind drei Viertel
der 20 Millionen Schulkinder ungesund ; dieses sind die Auf-
stellungen, die Professor Thomas D. Wood von der Columbia
Universität in einem Bulletin gemacht hat, das kürzlich von
dem U, S. Bureau of Education veröffentlicht worden ist.
Man glaubt (wenn auch diese Schätzung nicht ganz genau
verbürgt ist), daß im allgemeinen 10 Millionen Menschen in
den Vereinigten Staaten sich in einem chronischen Zustande
der Armut befinden. Der Gegenstand zeigt noch eine
andere Seite, die hier nicht behandelt werden kann: wie
die Gefängnisse mit Proletariern angefüllt sind, von denen
viele wegen der geringsten Vergehen verurteilt werden,
während die Reichen und Mächtigen das Gesetz verletzen
und überschreiten und doch straflos ausgehen.
Die in diesem Kapitel erzählten Tatsachen sind nur
wenige aus einer umfangreichen Masse. Wie zusammen-
gedrängt sie aber auch sein mögen, sie gewähren doch eine
ziemlich klare Vorstellung von dem Zustande des ameri-
kanischen Proletariats, aus dessen Arbeit und Märtyrertum
jene riesenhaften Privatvermögen entstanden sind und ent-
stehen, deren Geschichte zum Teil in diesem Werke erzählt
worden ist.
Schlußbetrachtung
Den unvermeidlichen Hauptinhalt haben, wie in nur
zu peinlicher Weise offenbar ist, die Betrügereien und
Diebstähle gebildet, mit deren Hilfe ,, Eigentum" er-
worben und große Vermögen aufgebaut worden sind.
so*
,_ 788 -
Das ist nicht so, weil der Verfasser in der Verderbtheit
seines Herzens es so gestaltet hat, sondern weil dies die
unvermeidlichen Tatsachen sind.
„Aber warum," fragen gewisse jammernde, in niedriger
Schmeichelei groß gewordene Kritiker, soll man sich gerade
über die dunkle Seite des Bildes verbreiten ? Haben nicht
alle diese Männer ihre guten Eigenschaften gehabt, ihre
freundlichen Anwandlungen, ihre Fähigkeit, ihren Mit-
menschen einige Dienste zu leisten ?"
Ihr irregeleiteten Kritiker mit eurer aufdringlichen
beschränkten Auffassung und eurer Verschrobenheit, ihr
seid es, die sich so blind weigern, zu sehen und Gerechtig-
keit zu üben. Was würde, so möchte man fragen, euer
Urteil gewesen sein, wäre dieses Werk, statt die Betrüge-
reien, Täuschungen und Räubereien, durch welche unge-
heure Vermögen aufgehäuft worden sind, offen darzulegen,
ein kunstvoller oder (noch wirksamer!) ein ungekünstelter
Lobgesang auf jene Männer und eine Apotheose des
Systems gewesen, das sie hervorgebracht hat ? Was würdet
ihr dann wohl gesagt haben ? Zweifellos würde dieses Werk
dann in hohem Maße „vernünftig und vorurteilsfrei" ge-
wesen sein; keiner Beschuldigung, daß „voreingenommene
Behandlung" vorliege, würde man begegnet sein. Konven-
tionelle Verleger würden eifrig danach gegriffen haben^);
und dem Verfasser wären Ermunterung und Einkünfte
sicher gewesen. Wie es ist, mußte er (was für niemand
außer ihm selbst wirkliches Interesse hat) sein Werk ange-
sichts der größten Hindernisse unternehmen — eine Tat-
sache, die vielleicht zu zeigen vermag, wie derjenige, der
ernste Wahrheit in ernstem Gewände verkündet, es um
der Sache willen tun muß und mit äußerster Verachtung
aller trägen, käuflichen Mächte, die versuchen möchten, seinen
Plan zu ändern oder ihn zurückzuhalten.
Dann gibt es noch jene sentimentalen Kritiker, die,
von den Beweisen überwältigt, ihre letzte Zuflucht dazu
nehmen, auszurufen: „Ist es möglich, daß deine Dar-
^) In diesem Punkte spricht der Verfasser aus Erfahrung. Die in seinem Besitz
befindlichen Briefe von einigen der bedeutendsten Verleger der Vereinigten Staaten
würden, veröffentlicht, eine überaus bezeichnende Lektüre bieten.
- 789 -
Stellungen richtig sind ? Übertreibst du nicht ?" Allen
diesen sollte man nicht mit Einwendungen und Tadel
begegnen, sondern mit Mitleid; mit tiefem Mitleid um ihres
beschränkten geistigen Horizontes willen. Und schließlich
sind sie nur der Widerschein oder vielmehr das Erzeugnis
einer gewissen allgemein herrschenden Auffassung des
Tages, die -prima facie den Mann von unbedeutendem
Auftreten aller ihm zur Last gelegter Missetaten für
schuldig erklärt, sich aber entschieden weigert, dem Manne
von Reichtum und entsprechender hoher Stellung ernst-
hafte Vergehen zur Last zu legen, unbekümmert darum,
wie sehr die Beweise sich häufen. Man könnte viel über
die Wirksamkeit eines Seidenhutes schreiben, als Schutz
für Person und Ruf.
Als des Verfassers „Geschichte von Tammany Hall"
erschien, wurde ihre Richtigkeit nicht in Zweifel gezogen,
weil die Tatsachen zwingend richtig waren und die dort
erzählte Geschichte die einer gewöhnlichen politischen
Organisation ist. Wie sonderbar ist es, bemerkt ein auf-
merksamer Beobachter, daß einige von denen, die das frühere
Werk wegen seiner Reichhaltigkeit und Genauigkeit so
freudig begrüßten, jetzt gerade die Kritiker sind, die an
der Genauigkeit der Tatsachen ihre Zweifel äußern, wenn
diese auf die Gründer der großen Vermögen und ihre
sehr ehrenwerten Nachkommen sich beziehen. Nein, du
weiser Rezensent, das ist durchaus nicht sonderbar; diese
Haltung ist leicht zu durchschauen: je wahrer in diesem
Falle die Tatsachen sind und je umfangreicher und unbe-
streitbarer die Anführungen aus offiziellen Protokollen,
um so mehr werden die Apologeten und Anhänger des
Reichtums zu der ihnen allein möglichen Verteidigung
gedrängt. Sie können nichts anders tun, als nichtssagende
Zweifel äußern — Zweifel, die durch die erschreckende Masse
der Zitate in diesem Buche überreichlich widerlegt sind.
Und es werde bekannt, daß die hier beschriebenen Betrüge-
reien und Räubereien trotz ihres Umfanges und ihrer
ununterbrochenen Folge weit davon entfernt sind, die
vollständige Geschichte zu bilden; weitere Bände bleiben
noch zu schreiben; und auf jedes einzige betrügerische
- 790 -
Unternehmen, das zufällig zu öffentlicher Kenntnis kommt,
kommen zweifellos Mengen solcher Unternehmungen, die
in die Schmutzkanäle der Zeit hinuntergegangen sind, ehe
sie öffentlich beachtet wurden.
Dieses Werk ist selbstverständlich — es ist unnötig, es zu
sagen — keine Geschichte persönlicher Charakterzüge, An-
lagen und Temperamente; es ist eine Erzählung der Mittel,
durch welche Eigentum erworben und große Vermögen in
Besitz genommen worden sind. Aber der Akademiker, im
Hochgefühl seiner einschläfernden Mittelmäßigkeit, kann
vielleicht sagen : „Dies ist nicht Geschichtschreibung, dazu
fehlt die Leidenschaftslosigkeit der Darstellung." Wenn
die Leidenschaftslosigkeit in einer langweiligen Aufzählung
von Daten, Namen und Phrasen besteht, ohne einen flüch-
tigen Blick auf den Ursprung der Dinge und auch ohne
eine klare Auseinandersetzung von Ursachen und Wir-
kungen, dann fehlt diesem Buche sicherlich der „leiden-
schaftslose Stil", und es ist gut, daß dieser Mangel vor-
handen ist. Wer weiß denn nicht, daß es kein wirk-
sameres Mittel gibt, um Unwahrheiten zu erfinden, zu
erzählen und ihnen Dauer zu verleihen als dieser näm-
liche „leidenschaftslose Stil" ? Beschönigung und Beto-
nung gewisser Verkettungen von Tatsachen und ein gering-
schätziges Verschweigen anderer, und siehe, der Streich ist
gelungen.
Bei dieser Gelegenheit wird man es dem Verfasser ver-
zeihen, wenn er (in Anbetracht der vielen ernsten Jahre
eigener Nachforschungen) sein unbegrenztes Erstaunen
darüber ausspricht, daß so viele anspruchsvolle Werke —
theoretischer und anderer Natur — über diesen Gegenstand
von Universitätsprofessoren herausgebracht worden sind,
ohne daß sie sich die geringste Mühe gegeben haben,
die Tatsachen festzustellen. Feingesponnene dogmatische
Theorie ist das meiste davon, oder verkehrte, wohlklingende
Annahmen: Worte, Worte, endlose schwülstige Worte;
keine wirklich eigne Arbeit, kein Gedanke, keine Einsicht,
keine Erklärung außer einer unechten, unzulässigen, ohne
die Kenntnis der Tatsachen erworbenen und mit den der-
zeitigen Vorschriften des herrschenden Reichtums so seit-
- 791 -
sam übereinstimmenden. Diese besondere Geschichte, es
sei gesagt, ist von einem bestimmten Gesichtspunkte aus
geschrieben worden, indem sie Tatsachen erzählt, die nie
vorher veröffentlicht worden sind und deren Genauig-
keit nicht angefochten werden kann; das ist, wie der
Verfasser glaubt, der richtige Standpunkt, der von
jedem hinzukommenden Beweismaterial nur bestätigt wer-
den kann.
Schließlich gibt es noch jene, die herbeistürzen und die
Frage nachdrücklich vorbringen: „Haben die Gründer und
Erhalter der großen Vermögen nicht ihre guten Eigen-
schaften gehabt?" Die Frage ist arg überflüssig; sie haben
sie gehabt und haben sie. Aber denken die in dieser Hin-
sicht so besorgten guten Leute jemals daran, dieselbe Frage
in bezug auf die Hunderttausende von Bewohnern der
Armenquartiere zu stellen, oder in bezug auf die fünfzig-
tausend (oder ungefähr soviel) Sträflinge in den Vereinigten
Staaten ? Werden irgendwelche Rücksichten oder mil-
dernde Umstände für diese verlangt ? Für die Armen, die
Elenden, die Erniedrigten überall ? Und doch sind die Ver-
gehen, um derentwillen kleine Übeltäter bestraft werden,
nicht den tausendsten Teil so bösartig wie die von den
Gründern und Besitzern des Reichtums begangenen; so-
gar einzelner Mord sinkt zu Bedeutungslosigkeit herab, wenn
man ihn mit der endlosen Reihe der durch die Gier nach
Gewinn und Reichtum hervorgebrachten indirekten Morde
vergleicht.
Alle, alle, Kapitalisten und Bewohner der Armenquartiere,
Sträflinge und Multimillionäre sind Geschöpfe des Systems,
das auf diese Weise Habgier und Laster, Armut und Ver-
brechen erzeugt — erschreckende Tatsachen, die durch
keinen eigentlichen Fehler in der menschlichen Natur
hervorgerufen werden, sondern durch die Triebkraft, die
Anreize und die Resultate jenes Systems.
Alle, alle, haben eine unendliche Befähigung für das
Gute, wäre ihr nur die günstige Umgebung zur Entwicklung
gegeben; man kann Erstaunen darüber äußern, daß unter
einem so verderblichen System noch so viel Gutes besteht.
Und jene Magnaten, die in ihrem Pomp und ihrem Hoch-
- 792 -
mut glauben, daß sie die gesellschaftlichen Kräfte beherr-
schen, sind (blinde Geschöpfe!) nur die Werkzeuge jener
Kräfte. Hinter all diesem Tumult, hinter diesem Dahin-
stürmen und Zu-Boden-treten liegt ein langsam wirkender
Plan, der entschlossen und gleichmäßig vorwärts geht, was
alle, die es wollen, klar erkennen können. Diese Magnaten
haben trotz ihrer Habgier, ihrer Korruption und ihres
Betrugs unbewußt ihre große, in diesen Zeiten notwendige
Arbeit getan — die ungemein wichtige Arbeit, Entwick-
lungshemmungen zu vernichten und die ganze Industrie
ihrer einheitlichen Zusammenfassung entgegenzuführen,
damit zu gegebener Zeit das ganze Volk gemeinsam ihren
Besitz antreten und ihren Betrieb übernehmen kann und
künstliche Klassenbildungen mit den sie begleitenden häß-
lichen Leiden, Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen für
immer abgeschafft sein werden.
Sachregister
Adams, Samuel 34 — Aiken, Henry 716 — Albany- und Susquehanna-
Eisenbahn 540 ff. — Aldrich 358 — Alger, Rüssel A, 213 — Allan, Hugh
685 — Allds, J, P. 586 — Alleghany-Bahn 709 — Allen, Senator 469 —
Allen, Samuel 17, 31 — Allison, William B. 501 — Altgeld, John P. 182
— Amerikanische Brückengesellschaft 590, 732 — Amerikanische Pelzgesell-
schaft 72 ff., 98, 128 — Amerikanische Union-Telegraphengesellschaft 475
— Ames, Oakes 406 ff., 501 — Anderson 465 — Angus 649 — Anthony,
D. R. I72f. — Anthony, J. B. 344 — Antitrustgesetz 569, 618, 692, 732f.
— Arbeiterorganisationen 177, 229, 231 ff., 32off., 607, 711 ff., 7i9ff- —
Arbeiterverhältnisse 12, i6ff., 29, 39, 48f., 56f., I36f., i68ff., I75ff., 186,
2z6il., 2^2ii., 263, 268f., 341, 347ff., 3S8ff., 480, 568ff., 6o4ff., 621,
7llff., 7l9ff., 739ff., 748ff. — Arbeitslöhne 12, l7f., 30, 57, 168, 177,
.186, 226, 263, 268, 341, 347, 358, 480, 6osf., 7i2f., 759, 77off. — Armour,
J. Ogden 183, 746 — Astor, Familie 141, 150, l'^o, 183 f., 262, 268, 278,
364, 483, 526, 642, 746 — Astor, Georg Peter 70 — Astor, John Jakob 39 f.,
42, 49, 68 ff., 143, 148, 298, 475, 494, 678 — Astor, John Jakob jun. 130 f.,
I34f., I42f., 154, 374, 599 — Astor, John Jakob II 143, 145 f., 154 —
Astor, Waldorf 147 — Astor, William 141 ff., 145 — Astor, William B. 85,
87, 126 ff., 132 f., 140 ff., 149 — Astor, William Vincent 143 — Astor,
William Waldorf I39f., 143, 146 f. — Atchison-, Topeka- und Sante-Fe-
Bahn 173, 630 — Atkinson, Henry M. 254f. — Atkinson, Oberst 77, 78.
Bacon 16 — Baer, George F. 347, 746 — Bailey 226, 372 — Ballinger
219, 625 — Baltimore, Lord 5 — Baltimore- und Ohio-Eisenbahn 173, 322 f.,
344, 348, 5o8ff., 700 — Bancroft 524 — Bank, General 284ff. — Bankjder
Ratsherren 99 — Bank der Vereinigten Staaten 53 f., 148, 544 — Bank von
Amerika 108 — Bank von New York 106 f., 148, 157 — Banktrust 744 —
Bankwesen 103 ff., 380 ff. — Barbour, James 75 — Baring, Gebr. 53 —
Barlow 395 — Barnard, George C. 385 f., 391, 542 — Barnes, John 654
— Barney, Charles T. 6i4ff. — Barrett, Walter 4of., 47f., 70, 87f., loi
— Bashford, Coles 438 — Bayard 637, 639 — Bayly, Thomas H. 431 —
Beach, Moses Jale 124 — Beaubin- und Miranda-Konzession 251 f., 632 ff.
— Beck 671 — Beckmann, Alexander 723 — Beckwitt 377 — Beeftrust
184, 746 — Beekman, Stephan D. 99 — Beiden 401 — Bellomont, Graf 16 ff,,
29, 31 — Beil-Telephongesellschaft 624, 716 — Belmont, August 544, 546,
565, 599, 744 f. — Bennett, James Gordon 126 — Bentley, J. A. 632 —
Benton 86 — Bessemer, Henry 704, 713 f. — Bethlehem-Stahlwerke 731,
733 — Biddle 77 f. — Bigelor 654 — Bingham, John 95 — Birch, Stephan
626 — Biskuittrust 174 — Blaine, James G. 408, 444, 637, 718 — Blair,
John J. 407, 493 ff., 512, 642 — Blair, de Witt C. 493 — Bliß 407 — Bloemart
9 — Borntraeger, Henry W. 716 — Boston- und Albany-Eisenbahn 357 —
Bradley 288 — Brandeth 373 — Brevoort, Henry 71 — Brewer, Richter
655, 717 — Bridge, James H. 685 ff., 692, 696, 699, 702, 704, 723 —
Broadway-Bahn 292 f. — Bronson 442 — Brooks, James 410 — Brooks,
Peter Charndon 37 — Brown, E. D. 134 — Brown Brother & Co. 459,
552 — Brown, Justice 204 — Brown, Nicholas 38 — Browne, Robert 70 f.
- 794 -
— Brückentrust 586 ff. — Buchanan, Thomas 148 — Bundes-Stahlgesell-
schaft 590, 731 f. — Buford, John 283 — Buren, van 235 — Bürgerkrieg
214, 261, 278, 279ff., 458f., 531 ff., 690, 696 — Burgess 26, 91 — Burr,
Aaron 107, lio, in — Butler, Cyrus 36 — Butterfield 399,
Cabot, George 34f. — Cadwallader, F. D. 539 — Caldwell, Luther 388 —
Calumet- and Hecla Mining Company 203 f. — Cambria-Eisengesellschaft
707, 715 — Cameron, Simon 377f., 682ff. — Canby, E. R. 537 — Candleß,
Mc. 705, 708 — Cardozo 542 — Carey, Matthew 56 — CarUsle, John G. 566
— Carnegie, Andrew 586 f., 606, 677ff. — Carnegie, Thomas M. 688 ff.,
700, 704, 708 — Carnegie-Stahlgesellschaft 721 ff. — Carnegie- Werke 586,
603 ff. — Carnes, F, & G. 41 — Carr 537 — Carter, Robert 20 f. — Carter,
T. H. 633, 660 — Caruso 774 — Caß, Lewis 86 — Cassatt, A. J. 487 ff. —
Castellane, Gräfin 484 — Catron, T. B. 252, 633^ — Canley, John F. 518 —
Chandler 203 f. — Chase, Salmon P. 282 — Chaves, Ignacio 254 — Chemi-
kalien-Bank 108 f., 148 f. — Chesapeake- und Ohio-Eisenbahn 345, 348 —
Chikago-, Burlington- und Quincey-Eisenbahn 578, 662, 674 f. — Chikagoer
Schienenwerke "jizii. — Chikago-, Milwaukee- und St. Paul-Bahn 434,
443 f. — Chikago- und Nordwest-Bahn 173, 395, 502 f. — Churchman,
Samuel 374f. — Cincinnati-, Hamilton- und Dayton-Eisenbahn 574ff. —
Clapp, Asa 36 — Clark, Horace F. 277, 304 — Clark (Montana) 240 —
Clark, William 82 — Clelland, Robert Mc. 645 — Clemens, Jere 428 —
Cleveland, Präsident 177 ff., 540, 565 ff., 576, 635 — Cleveland-, Cincinnati-,
Chicago-, St, Louis-Eisenbahn 338! — Clews, Henry 460 — Cline 728 ff.
— Clinton, George loi, 102 — Cioud 532 — Coke, Thomas Pym 39 —
Colden, Cadwallader 15, 45 — Colder, WilHam 684 — Coleman, Michael
142, 335 — Coleman, William 705 f., 708 — CoUins, E. K. 272 f., 279, 280,
429 — Colorado-Eisenbahn 464 — Colorado- und Southern-Eisenbahn 490 f.
— Colt, Samuel 428 f. — Colton 523 — Columbia-Ölgesellschaft 686 f., 697
— Conger 586 — ConnoUy, Richard B. 133, I34ff. — Conway, T. W. 373
— Cooper, Peter 124 — Corbin, A. R. 398 f., 429 — Corcoran William W.
430 ff. — Corey 728 ff., 733 — Cormick, H. Mc. 429 — Cornick, Cyrus H.
407, 429 — Corning, Erastus 445 — Cortelyou 620 — Corvin, Robert G.
433 — Corvin, Thomas 433 — Cosby 156 — Covode 276 — Cowley, William
690 — Cox, Minister 632, 636 — Cramp, Charles H. 726 — Crawford,
Frank A. 315 — Credit Mobilier Company 407 ff ., 444, 466, 472, 501 f., 505
— Crocker, Charles 407, 513 ff. — Croffut 267, 269, 278, 283, 294, 304,
312, 3i4ff., 333 — St. Croix- and Lake-Superior-Eisenbahn 437 — Crooks
78 — Crosby, WilHam B. 124 — Crosswell, Edwin 274 — Culloch, Hugh
Mc. 501 — Cunard, Edward 131, 298 — Cunard-Linie 623 — Cunningham
625 f. — Cutler, Luke H. 607.
Dabney, Morgan & Co, 463, 545 f. — Dana, Charles A. 238 — Davidge,
William H. 276 — Dav^|^n, J. W. 537 — Davies, Thomas E. 292 — Davis,
Abgeordneter 275, 276 — Davis, Henry G. 627 f. — Davis, Richter 420 —
Debs, Eugene V. I77f. — Deems 311 — Deighton 714 — Delano, Laura A.
133 — Delaware- und Lackawanna-Eisenbahn 335, 495 — Delaware-,
Lackawanna- und Western-Eisenbahn 335, 339, 341, 345, 495 f., 498 ff., 555 —
Delaware- und Hudson-Eisenbahn 341, 345, 540 — Deliius 18 — Denver-
- 795 -
und Rio Grande-Eisenbahn 470, 490, 630 — Denver-South- Park- und Pa-
cific-Eisenbahn 464, 466f., — Depew, Chauncey M. 240, 310, 335, 555 —
Des Meines Schiffs- und Eisenbahngesellschaft 379, 429, 503 — Dicken-
son 428 — Dieterich, Georg 70 — Dillon, John F. 449f., 453f. — Dillen,
Sidney 462 ff., 467, 686, 706 — Dodge, Marcellus Hartley 376 — Dodge,
William E. 98, 132, 496, 498 — Dolan, Thomas 343 — Donough, Henry
D. Mc. 602 — Donghertz, Thomas J. 85 — Dorsey, Stephen W. 637 —
Doubleday, Thomas D, 283 — Dow, Prentiss 439 — Dreieinigkeits-Gesell-
schaft 22 — Dreieinigkeitskirche 96 f., iioff., 140, 155 — Drew, Daniel
299 ff., 382 ff. — Drew, Wolcott 344 — Dreiel, Gebr. 563 — Drexel, Mor-
gan & Co. 546 f. 552 ff., 565 f. — Dubuque- und Sioux-City-Eisenbahn 503 ff.
— Duquesne-Stahlgesellschaft 710 — Durham 487.
Eastman, Arthur M. 535 f., 539 — Edgar Thompson-Stahlgesellschaft
704f, 707f., 713 — Edison 716 — Edwards, Richter 231 — Eistrust 6ioff.
— Elkins, John T. 630 — Elkins, Stephen B. 240, 251 f., 254, 328, 565, 627ff.
— Elliott 499 — Ely 684 — Emerson, A. 760 — Equitable-Lebensversiche-
rungsgesellschaft 310, 592 ff., 624 — Erie-Eisenbahn 299, 365, 381 ff.,
404f., 541, 573 ff. — Eriekanal 64, 20if., 355, 510 — Estes, James B.
645 f. — Ettor 774 — Evans 19 — Everett 37.
Fair 363 — Farley, Jesse P. 454f., 647ff. — Field, Cyrus W. 475 f., 478
Field, Henry i85ff. — Field, Marshall 68f f., 161 ff. — Fields, Andrew C. 596
— First National-Bank 592, 622 — Fisher, Ellwood 276 — Fisk, James 300,
384ff., 411 ff., 541 ff., — Fitch 713, 723 — Fithian, Philipp Vickers 20 —
Flagg 98 — Fleming 443 — Fletcher 14, 29, 94, iio — La Folette 602,
609 f., 6i4f. — Foraker 240 — Forshay, James VV. 565 — Forsyth, Thomas
83f. — Foster, J. W. 661 — Fourth Avenue-Niveaubahn 289, 309 — Frank-
lin, Benjamin 23 — Fremont 536, 538 ff. — Frick, Henry C. 487, 599,
7iof., 718, 72off., 723, 733 f., — Füller 715.
Gales, John W. 617 — Galusch 654 — Gardiner, George H. 432 f. —
Garfield, James A. 408, 444 — Garrett, John W. 323, 507, S09ff. — Garrett,
Robert 512 — Gayley 733 — Gaynor, Richter 611 — Georgia-Mississippi-
Land -Company 195 — Gilfillan 652 — Giovannetti 774 — Girard,
Jean 51 — Girard, Pierre 50 — Girard-Bank 52 f. — Girard, Stephan
40, 42, 49 ff., 159 — Goddard, Luther M. 490 f. — Godyn 9 — Goelet,
Jacobus 148 — Goelet, May 153 — Goelet, Ogden I52f. — Goelet, Peter
68f., 94f., 98, 108, 124, 132, 141, I47ff., 180, 183,268 — Goelet, Peter jun.
150!. — Goelet, Peter P. 148 ff. — Goelet, Robert 151 — Goelet, Robert jun.
I52ff. — Goelet, Robert P. I48ff. — Goelet, Robert Walton 154 — Gon-
zales, Salvador 253 — Gordon, J. M. 675 — Gordon, William M. 82 —
Gorman, W. A. 447 — Gould, Anna 484 — Gould, Famihe 366, 526,
588, 627, 746f. — Gould, George 486, 489ff., 555, 599 — Gould, Jay 238,
3oof., 324, 366ff., 407, 430, 449, 456, 462ff., 492, 5i2f., 522, 524, 528,
530, 541. 555. 557. 574. 597. 686 — Gould, Kingdon 473 — Graham 18 —
Grant Ulysses S. 398 ff., 429, 629 — Gray, William 38 — Great Northern-
Eisenbahn 577ff., 656ff. — Greeley, Horace 748 — Green, Benjamin E.
431 — Green, Richter 497 — Gresham, Richter 473 — Grimes, Senator
285, 287f., — Griswold 48 — Guggenheim 240, 625 f., 744.
_ 796 -
Haie, Senator 286, 288 — Hall, Bürgermeister 307 — Hamilton, Andrew
597 — Hancock, John 34 — Handwerkerbank 108 f. — Hannover National-
bank 592 — Harlan, Richter 719 — Harlemer Eisenbahn 131, 308 — Har-
mon, Judson 576 — Harriman, E. H. 154, 364, 366, 469f., 486, 505,
529. 575, 577^f-, 593. 595, 599, 601, 673, 6j6i., 741 — Harris, Senator 469
— Harris, William H. 283 — Harrison 211, 638, 718 — Harris- und Sloo-
linie 274, 280 — Hartley, Marcellus 376 — Harvier, Ernest 354 — Hatz-
feld, Fürst 528 — Havemeyer, William F, 98, 261, 570 — Haywood 582 —
Hearst, George 240 — Heinze 61 2 ff. — Hepburn 320 — Hewes, Joseph 34
— Hicks, Russell F, 388 — Hill, James 485, 577ff., 627, 641 ff., 744f. —
Historische Gesellschaft 29 — Hitchcock 213 — Hoffmann, Gouverneur
135, 542 — Holländisch-Ostindische Gesellschaft 6 — Holländisch- West-
indische Gesellschaft 6 f., 9f. — Holley, A. L. 7o6f., 716 — Holman, William
G. 683 — Holt, J. 537 — Hopkins, Edward C. 449 f. — Hopkins, John 5, 507,
509 ff. — Hopkins, Mark 513 ff. — Hörn, Walter B. 575 — Houghton 52,
157, 369, 429 — Hudson-Bay-Trading-Company 649 — Hudson-River-
Eisenbahn 297ff., 348, 351, 355 — Hughes, Andrew S. 81 f. — Hunt,
Washington 444 — Huntington, Collis P. 407, 471 f., 475, 482, 485, 513 ff.,
686f., 706 — Hurrah, Charles H. 731 — Hyde 310, 624.
Jackson 5 3 f., 122 — Jefferson 22, 107 — Jenkins, Richter 672 f. — Jerome,
William Travers 601, 613 — Jesup & Co. 463 — Jewett, D. G. M. 638 f.
— Illinois-Zentraleisenbahn 153 f. — Illinois-Zentralgesellschaft 199, 429,
505, 701 — Indianer 25, 27f., 31, 74ff. — IngersoU 275 — International
Mercantile Marine -Company 623 f. — Interstate Commerce - Railway-
Association 556 — Johnson, James L. 630 — Johnson, Senator 77, 79
— Jones, William L. 707f., 7l4ff., — Jowa Central-Air-Bahn 504 —
Jowa Falls- und Sioui City- Eisenbahn 503 f. — Irons, Martin 480 — Ir-
win, Matthew 73, 77 — Irwdn, Richard B. 461 — JuHan, Generalinspektor
255 — Julian, George W. 635 ff. — Justice, Philipp S. 283.
Kanadische Pacific-Eisenbahn 685 — Kansas -Pacific-Eisenbahn 216,
463 ff., 469, 474, 546, 686 — Karl I. 17 — Kaufmannsbank 108, 109 —
Kelly, P. H. 655 — Kembel 488 — Kennedy, John 451, 454, 477, 648,
650 ff., 672, 673 — Kenney, Thomas L. 76, 77, 78, 79ff. — Kerens, Richard
C. 638 — Ketchum, Sohn & Co. 539 — Kidd 26 — Kidder, Peabody & Co.
552 — Kinley, Mc. 570 f., 732 — Kinstry, Major 536 — Kinzie, John 164
— Kipp, Salomon 291 — Kissam, W. H. 98 — Kittson, Norman W. 647 ff.
— Kloman, Gebr. 688 ff., 703 ff., 708 ff. — Knickerbocker-Trust 6i4ff.
— Knox, Philander C. 240, 486 f, 732 — Kohlentrust 346, 746 — Kuhn,
Loeb & Co. 599 — Kupfertrust 203.
Lackawanna-Eisenbahn 365 — Lackawanna-Kohlen- und Eisengesell-
schaft 495, 499 — Lac La Belle Ship-Canal-Company 202 — La Crosse-
und Milwaukee-Eisenbahn 434ff., 457 — Lake Shore-Eisenbahn 305, 345,
355 f., 364 — Lambard, Charles A. 501 — Lanzing 543 — Larrabee, William
506 — Laurence, Stone & Co. 429 — Laurens, Henry 34 — Law, George 274,
291, zgzii. — LaviTence, William 26f. — Lean, George W. 133 — Lehigh-
und Tobyanna-Landgesellschaf t 499 — Lehightal-Bahn 339, 341 — Lebigh-
Waggonfabrik 467 — Leiter, Levi 7, 161 ff. — Leod, Arthur A. Mc.
- 797 ~
341 f., 560 — Leupp, Charles M. 368 f. — Lewis, Francis 34 — Limanhour,
Jose 246 — Lincoln, Abraham 284, 534 — Lincoln, Robert T. 175 — Lindsey,
Ben B. 490 — Linville 701 — Lisperaard, Anthony lll — Littlefield 619
— Littler 465 — Livington 18, 61 — Livingstone, John 382 — Lockwood,
Le Grand 460!. — Londoner Gesellschaft 3 f. — Longworth 68, 157 ff. —
Lorillard 94, 98, 124, 148 — Love, Richter 458 — Low, A. Maurice 540,
582, 583 — Lowber, Robert W. 427f. — Lum, Mary 50 — Luxuswagen-
Trust 174 f.
Macdonald, John A. 685 — Mc. Gregor Western-Eisenbahn 457 —
Macy, William H. 407 — Maginnis, Martin 665 ff., 669, 673 — Mäh-
maschinentrust 173, 746 — Mains, O. P. Mc. 633 — Manhattan - Bank
lo8ff., 113 — Manhattan -Gesellschaft 477 — Marcy, General 537 —
Marius, Peter Jakob 26 — Marlborough, Herzog von 361 — Marmon,
Robert T. 630, 632 — Martin 298, 395 — Martinez, Francis 253 — St. Marys
Falls -Ship-Canal- Company 202, 203 — Mason, John 17 — Matteson,
Erasmus B. 380 — Maury 632 — Maxwell-Landkonzession 251 f., 256,
629 ff. — Mears, John H. 432 f. — Mercantile Trust Company 624 —
Merkantil-Bank 107 — Metropolltan-Interborough-Traction Company 602
— Metropolitan-Street Railway 309, 476, 602 — Metz, Steuerkontrolleur
183, 622 — Meyer, Generalpostmeister 173 — Miami- und Dayton-
Kanalgesellschaft 202 — Middlesex- Spinnereien 429 — Midvale-Stahl-
gesellschaft 731, 733 — Miliard, Bailey 246 — Miller, Henry 246 —
Miller, Richter 651 — Miller, Rutger B. iio — Miller, Thomas N. 688,
689ff. — Mills, Darius O. 518, 599 — Mills, D. O. 328 — MiUs, M. M.
252 — Milwaukee- und Horicon-Eisenbahn 443 — Milwaukee- und Minne-
sota-Eisenbahn 441 f. — Milwaukee- und Superior-Eisenbahn 439 — Minne-
sota- und Northwestern- Eisenbahn 427, 444 ff. — Minnesota- und Pacific-
Eisenbahn 446, 449, 647 — Missouri-Pacific-Eisenbahn 473, 479, 480, 557
— Mitchell, Alexander 419 f. — Mitchell, John 340 — Monroe, James 122
— Montaya, B. M. 254 — Moody, John 175, 338, 365, 584f., 662 — Moore
590, 732, 734 — Moore, A. P. 742 — Mora-Konzession 254 — Morales,
Marquis de 21 1 — Morgan, Grenfell & Co. 607 — Morgan, J. Pierpont
324, 328, 342 ff., 377, 463, 475, 482, 485, 529ff., 590, 61 3 ff., 627, 642,
673, 678, 732ff., 744ff. — Morgan, Junius S. 531 ff. — Morgan, Major
82 — Morgan, Senator 469 — Morris, Edward 183 — Morris, Robert 34
— Morris, Roger 90, 91 — Morris- und Essex-Eisenbahn 496 f. — Morrison
373 — Morse 6loff. — Mortier, Abraham lll — Morton 407, 444 —
Morton Trust -Company 624 — Moyer 582 — Mushet 718 — Mutual-
Versicherungsgesellschaf t 592 ff.
Nationalbank 109, 592 — National-City-Bank 565, 622 — National-
Röhrengesellschaft 590, 732 — National-Stahlgesellschaft 735 f. — Na-
varro, Jose F. 476 — Negersklaven 4, 21, 29, 33, 227, 281 — Neill, Mc. 229
— Nelson, Richter 267 — Newbold, J. G. 500 — New England-Mississippi-
Land -Company 195 — New Jersey-Transportgesellschaft 497 — New
Jersey -Zentraleisenbahn 339, 467, 705 — New Yorker Eisenbahn 131 —
New Yorker Herald 126 — New Yorker Hochbahn 477 — New Yorker
Leih- und Betriebsgesellschaft 477 — New York-, Ontario- und Western-
- 798 -
bahn 345 — New Yorker Zentraleisenbahn i3of., 154, 265, 296^., 301 ff.,
3i3f., 318, 324f., 335, 337, 342, 347f., 351, 353ff., 359, 364, 422, 425ff.—
New York-, New Haven- und Hartford-Bahn 342, 344, 354 — New York-
und Harlem-Eisenbahn 288ff., 318 — New York- und Hudson-River-Eisen-
bahn 295 — New York-, Susquehanna- und Western-Eisenbahn 573 —
New York Versicherungsgesellschaft 592 ff. — New York Zentral- und
Hudson -Eisenbahn 344, 351, 352 — Nicholson, John 344f. — Noble,
Minister 633 — Nolan, Gervacio 253, 256 — Nördliche Zentralbahn 684,
701 — Nord-Missouri-Bahn 701 — Nordwest-Gesellschaft 73 — Norfolk-
und Western-Eisenbahn 348 — Northern Pacific -Eisenbahn 216, 2i8f.,
451, 577ff., 656, 662ff. — Northern Securities Company 579f.
O'Callaghans 6 — Odell, Gouverneur 595 — Oglethorpe 16 — Ohio-Land-
Company 194 — Ohio -Sparkasse- und Kreditgesellschaft 551 — Oliver,
Henry W. 691 — Oliver Minengesellschaft 730 — Owen, Robert 537.
Pablo-Montaya-Konzession 254 — Pacific-Eisenbahn 240, 468, 521 ff.,
660 — Pacific-Mail-Steamship-Company 274, 276 f., 459 f. — Page 298 —
Paine 22 — Painter's MiU 603 f. — Painter's Row 603 f. — Palmer, Potter
163 — Pardee, Gouverneur 219 — Parsons 217 — Patterson 185 f., 491 —
Pattison 465 f. — St. Paul-, Minneapolis- und Manitoba-Eisenbahn 650 ff.
— St. Paul- und Pacific-Eisenbahn 448, 450 ff., 457, 650 ff. — Payn 388 —
Peabody, Gouverneur 490 — Peabody, Joseph 35 — Peabody & Co. 53lff.
— Peacock 733 — Pearson, H. W. 661 f. — Pearson, Magazine 607 — Peck,
Richter 538 — Penn, William 14 — Pennsylvaniabahn 323, 326ff., 342, 348,
365, 378, 486ff., 512, 522, 550, 555, 586f., 68iff., 697, 702, 706, 732 —
Pennsylvania- Kohlen- und Koksgesellschaft 348, 572f. — Pennypacker,
Gouverneur 487 — Penrose, Senator 487 — Pere Marquette - Eisenbahn
576 — Perkins, George W. 593, 596, 599, 601 — Perkins, Thomas
Handasyd 38 — Petroff 488 — Pettibone 582 — Pettigrew, Senator 2l8f.,
660 ff., 670 f. — Phelps, George D. 459, 496, 698 — Phelps, John J. 496,
498 — Philadelphia- und Reading-Eisenbahn 326, 339, 341 ff., 347, 348,
560 — Philadelphia-, Wilmington- und Baltimore -Eisenbahn 512 — *
Philipps, Adolphus 91 — Phillips, Frederick 91, 148 — Phillipps, William A.
2o8f. — Phipps, Henry 681, 689ff., 705, 708, 709 — Phipps, John 691 —
Pierce 445 — Pinchot, Gifford 219, 625 — Pinkerton, Robert A. 721 f. —
Piper 701 ff. — Piper & Schiffler 696 ff., 702 f. — Pittsburger Bessemer-
Stahlgesellschaft 710, 712 — Pittsburg-, Fort-Wayne- und Chikago-Bahn
689 — Pittsburger Nationalbank 691, 705 — Platt 240 — Poor 50lf., 540
— Portage Lake- and Lake Superior Ship-Canal-Company 202, 203 — Pratt,
Zadoc 368 f. — Pruyn 298 — Pueblo- and Arkansas-Valley-Railway-Com-
pany 630 — Pulitzer, Joseph 481 — Pullman, George M. I74f., 343, 407,
477, 706 — Pullman-Gesellschaft i47ff., 369 — Purdy, Elijah 291.
Quantrell 628 — Quay 487, 488.
Rantoul, Robert 234 — Reading-Eisenbahn 327f., 550 — Ream, Nor-
man B. 175 — Rensselaer, Kiliaen van 9, 61 — Rensselaer, Stephan van
23 f. — Republic Steel Company 617 — Rhinelander 68, 94, 95, 97, 99,
132,133, 141, 148, 155 f., 184, 268 — Riggs43o,433 — Roberts, Charles C. 377
— Roberts, Marshall O. 134, 274, 277, 292, 374f. — Roberts, Dr. Peter 347
- 799 -
— Rockefeller, Geraldine 376 — Rockefeller, John D. 262, $igi., 328, 530,
577ff., 584, 588, 607, 6i3ff., 6i7ff., 678, 733, 734, 741, 742 — Rockefeller,
William 328, 492 — Rockwell, J, S. 442 f. — Romaine, Benjamin 94 f. —
Roosevelt 136, 160, 219, 242, 347, 582 ff., 618, 718, 732 — Root, Elihn 136
— Root, Milo A. 675 — Rosser, J. Travis 427 — Rothschild 544, 546, 565,
607 — L'Rourke, Matthew J. 134 — Roxburghe, Herzog von 153 — Rum-
berger 488 — Rüssel, Charles Edward 673 — Russell, Thomas 36 — Rutgers
156 — Rutland- und Washington-Eisenbahn 369 — Ryan, Thomas F. 601 f.,
624. 733, 745, 746.
Sagan, Herzog von 484 — Sage, Russell 404, 407, 415 ff., 462, 464^, 467,
472ff., 478f., 482, 494, 500, 501, 512, 513, 524, 603, 642, 647, 658, 678 —
Salter 488 — Sangre de Cristo- Terrain 254, 256 — Schell 134, 135, 535 f.
— Schermerhorn 94, 141, 148, iSÖf., 183, 184 — Schiff, Jacob H. 599 —
Schiffer 706 f. — Schlußstein-Brückengesellschaft 691 f., 696, 701, 718 —
Schuyler 18, 23 — Schwab 728 ff., 733 — Schwartz, H. H. 220 — Scott,
John 705, 709 — Scott, Thomas A. 378, 512, 522, 681 ff., 701, 702, 706,
708 — Seligmann, Gebr. 546 — Seymour 293 — Sharp, Jacob 291, 477,
565 f. — Shearman, Thomas G. 68, 264 — Sherman, John 545, 619, 692,
732 — Shinn, William P. 706, 709 — Sibley, Gouverneur 446 — Sioux-
City- und Pacific-Bahn 501 ff. — Simpson, James H, 716 — Sioux-City- und St.
Paul-Eisenbahn 457 — Sistare, George K. 134 — Sloan, Samuel 543, 555 —
Slocum4l8f. — Sloo, Albert G. 274 — Smith, Darwin 543 — Smith, Alexander
Donald 649 f. — Smith, Henry N. 395 — Smith, Herbert Knox 735 — Smith,
Thomas H. 48 — Smith, Oberst I9f. — Snelling 75 — Snow, Ambrose 286
— Southard, T. B. 285, 286, 288 — Southern Pacific-Eisenbahn 216, 521 ff,,
686 — Spahr 183, 341,358 — Sparks203, 210, 215, 221, 248, 25of., 254, 255 —
Speyer, James 565 — Spooner, Senator 672 f. — Städtische Eisenschmiede
694ff. — Stahltrust 585 ff., 691 — Standard-Oil-Company 203, 224, 243,
264, 3i9ff., 345, 348, 349, 363, 364, 485 ff., 514, 529ff., 545, 575, 578, 587,
6i3ff., 6ijii., SjSii., 706, 709, 744f. — Stanford, Leland 240, 407, 5i3ff.
— Stanton 284 — Stead, W. T. 170 — Steele, Frederick 536 — Steele,
John N. 626 — Steenyiyck, Cornelius 25 — Stephen, George 649 ff. —
Stephen, Lord Mount 673 — Sterne, Simon 304 — Stetson, Francis 568 f.
— Stevens, Edward A. 497 — Stevens, Simon 5 35 ff. — Steward, John 131,
298 — Stewart, A. T. 124 — Stewart, David A. 697, 705 — Stickney 555 —
Strathcona, Lord 673 — Streike I77f., 225, 231, 233!"., 268, 322ff., 346f.,
480, 487f., 511, 712, 721 ff., 760, 774 — Stunton 646 — Süd-Pennsylvania-
Eisenbahn 326ff., 550 — Swartwout, Samuel 46 — Sweeny 136 — Sweet,
Alanson 418!. — Swinton, William 459 — Szechenyi, Laslo 361.
Tabaktrust 243, 733 — Taft, Präsident 616, 638, 718, 732 — Taintor,
Henry F. 133, 134 — Tammany 623 — Taylor, Jacob 99 — Taylor,
Moses 124, 134, 135, 496 — Taylor-System 769 — Teller, Staatssekretär
211, 221, 491 — Tennessee -Kohlen- und Eisengesellschaft 588, 6i7ff.
— Terminal-Company 551, 576 — Texas-Pacific-Eisenbahn 523, 686 —
Thackery, S. W. 13 — Theater trust 763 — Thomas 61 2 ff. — Thompson,
J. Edgar 388, 655, 687, 700, 702 f., 705 f., 709 — Thorndike, Israel 34 —
Tiemann428 — Tilden, Samuel J. 442, 444, 451 — Tiphon 76 — Tobin,
- 8oo —
John 296 — Todd, Sarah 71 — Toledo-Eisenbahn 551, 576 — Toole, Gou-
verneur 665 — Toombs, Senator 271, 273, 274, 276 — Tracy, Nathaniel
34f. — Traer 207 — Treat, Richter 652 — Troy- und Schenectady-Eisenbahn
422ff, — Trust-Company of America 6l5ff. — Truste I73f., 241 ff., 3i9ff.,
569ff., 733ff. — Tunneltrust 586f. — Turpie469 — Tweed, William M. 133,
I34f., 238, 293, 303, 307, 391 — Tweed-Ring 98, I32ff., 307, 374, 385.
Union-Eisenmühlen 695 ff. — Union-Eisenwakwerke 709 — Union-Paci-
fic-Eisenbahn 208, 214, 216, 364, 404!!., 462, 465, 468ff., 474, 500, 501,
519, 663, 686 — United States Mail-Steamship-Company 274, 276, 277,
292 — United States Steel-Corporation 585 ff. — Upham 655.
Vanderbilt, Alfred G. 599 — Vanderbilt, Cornelius 98, 124, 131 f., 154,
175, 261 ff., 325, 364, 365, 366, 367, 383 ff., 393, 406, 429, 459, 485, 486,
494, 513, 541, 678 — Vanderbilt, Cornelius Jeremiah 315, 316 — Vanderbilt,
Cornelius jun. 154, 264, 336 — Vanderbilt, Familie 615, 627, 642, 679, 746 f.
— Vanderbilt, George 337 — Vanderbilt, William H. 3l6ff., 474ff., 479,
512,513, 526, 548ff., 560, 577 — Vanderbilt, William K. 264 f., 335, 355ff.,
361, 363 — Venner, Clarence A. 674 f. — Vest, Senator 474 — Viadukt-
bahn 135 — Viehzuchtgesellschaften 2loff. — Villard, Henry 663f., 669ff.
— Visayan-Eisenbahn 364.
Wabash-Eisenbahn 473, 486, 489, 557 — Wabash- und Erie-Kanal 202
— Wagner, Robert F. ']'](> — Waiden 518 — Walker 206 — Wallace, J. W.
281 — Wanamaker, John 343 — Ward, George Atkinson 35 — Warren-
Linie 496, 498 — Watchorn 726 — Weaver, Senator 257 — Webb, W. H.
98 — Weeden 37 — Weiss, John H. 550 — Weller 374 — West-Branch-
Kohlengesellschaft 348 — Westbrook 478 — Western-Union-Telegraphen-
gesellschaft 474f., 478, 479, 482, 490 — Westinghouse-Gesellschaft 6l6f.,
716, 767 f. — Westminster, Herzog von 147, 332 — West-Shore-Eisenbahn
236 — West-Virginia- Zentraleisenbahn 627 — Wetmore, Prosper M. 274,
651 — Wheeler & Co. 41 8 ff. — Wheeler, Robert Johnstone 766 f. — White,
Richter 715 — Whitney, Harry Payne 363 — Whitney, J. A. 661 — Whit-
ney, William C. 37f., 309, 328, 363 — Widener 565 — Williams, John M.
S. 501 — WiUiamson, J. A. 634 — Wilson, R. T. 363 — Witherow 714
— Wittgenstein 518 — Wolfe 488 — Wolltrust 778 — Wood, E. N. 747
— Wood, Thomas D. 787 — Woodruff 686 — Wormser, Daniel 288 —
Wright, Caroll D. 177, 323, 568 — Wright, Hendrik B. 257 — Wyck,
C. H. van 282, 375 f., 683 f.
Zentralpacificeisenbahn 216, 516, 5l8ff. — Zimmer, Johannes 699f. —
Zölle 32 f., 49, 85 — Zuckertrust 243, 569f. — Zyklopen-Eisenmühlen 694ff.
HC Myers, Gustavus
103 Geschichte der grossen
M815 amerikanischen Vermögen
Bd. 2
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