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Full text of "Geschichte der grossen amerikanischen Vermögen"

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GUSTAWS  MyERS 

GESCHICHTE 

DEPsJGROSSEN 

AMERIKÄNISOEN 

VERMOEGEN 


Geschichte  der  großen 
amerikanischen  Vermögen 


VON 


GUSTAVUS   MYERS 


ZWEITER   BAND 


1923 


S.FISCHER    .    VERLAG   .    BERLIN 


103 


Fünfte  bis  siebente  Auflage 
Berechtigte  Übertragung.     Alle  Rechte  vorbehalteo. 

Gedruckt  bei  Jalla«  Kliakhardt    ia  Leipcig 


Vierter  Teil: 
GROSSE  VERMÖGEN  DER  INDUSTRIE 


Erites  Kapitel 
EINE  EINSCHALTUNG  ÜBER  SAGE 

Rüssel  Sage  war  an  Erfahrungen  reif,  als  Gould  noch  in 
blühender  Jugend  stand ;  viele  Jahre  bevor  Gould  seine 
räuberische  Laufbahn  begann,  genoß  Sage  unter  den  Ein- 
geweihten den  Ruf,  in  politischer  und  finanzieller  Korrup- 
tion ein  erfahrener  Mann  zu  sein.  War  dieser  Ruf  gerecht- 
fertigt ?  Und  hatte  Sage  seine  ersten  MilHonen  durch  un- 
gesetzliches Verfahren  zusammengebracht  ?  Gewisse  Bio- 
graphen gleiten  über  diese  Fragen  geschickt  hinweg,  während 
andere  ihre  zur  Verteidigung  bereitgehaltenen  Geschich- 
ten erzählen:  wie  er  durch  seine  Sparsamkeit  und  seinen 
Unternehmungsgeist,  durch  seine  wunderbare  geschäftliche 
Schlauheit  und  eine  imponierende  Reihe  anderer  kauf- 
männischer Tugenden  und  Fähigkeiten  sein  großes  Ver- 
mögen erworben  habe  ^).  Es  würde  in  der  Wiedergabe  dieser 
Berichte  einen  Mangel  an  Treue  bezeichnen,  wollte  man  bei 
den  Tugenden  das  Wort  „bewährt"  fortlassen;  wenn  es 
sich  um  unsere  Multimillionäre  handelt,  müssen  Tugenden 
notwendigerweise  „bewährte  Tugenden"  sein. 

Saggs  großer  Fehler 

Eine  der  vorausgesetzten  Tugenden  fehlte  Sage  indessen 
betrüblicherweise,  und  weil  sie  ihm  fehlte,  war  er  sein  Leben 
lang  ein  Gegenstand  des  Spottes  und  der  scharfen  Kritik. 
Soweit  es  sich  um  das  Verfahren  handelte,  das  er  zum  Zu- 


»)  Vgl.  t.  B.  „America'«  Succewful  Men",   Bd.   i. 


—  j^i6  — 

sammenbringen  seiner  Millionen  anwandte,  wurde  er 
nicht  angegriffen;  im  Gegenteil,  in  seinen  späteren  Jahren 
wenigstens,  wurde  er  als  ein  sehr  schlauer  Mann  dargestellt, 
der  sein  Geld  durch  rechtmäßige  Mittel  erworben  habe. 
Es  war  seine  Knickerei,  die  zu  seiner  Unbeliebtheit  den 
Grund  legte.  Die  als  ein  wichtiges  Mittel  zur  Erlangung 
von  Reichtum  gepriesene  strenge  Sparsamkeit  wurde  ver- 
urteilt, nachdem  der  Reichtum  erworben  war.  Es  hatte 
sich  ein  gewisser  Zustand  der  öffentlichen  Meinung  oder 
eine  Regel  ausgebildet,  wonach  man  beinahe  forderte,  daß 
der  Millionär  „auszugeben  verstünde" ;  er  sollte  kostspielig 
leben,  im  Glänze  strahlen  und  irgendeine  Lieblings- 
philanthropie besitzen. 

Sages  widerspenstiges  Wesen  ließ  ihn  ganz  verschieden 
von  den  anderen  reichen  Männern  seiner  Zeit  erscheinen. 
Für  ihn  gab  es  kein  Sich-gehen-lassen,  keine  Verschwendung, 
keine  kostbaren  Steckenpferde  oder  prunkhaften  Schau- 
stellungen. Er  war  ein  Mann,  der  seiner  Klasse  mißfiel 
und  ihre  Vorschriften  verletzte;  seine  Klasse  hatte  den 
Eindruck,  daß  er  der  großen  Masse  des  Volkes  den  Reich- 
tum dadurch  verhaßt  machte,  daß  er  ihn  nicht  mit  jener 
Großmut  anlegen  wollte,  die,  wie  man  annahm,  die  allge- 
meine Feindseligkeit  gegen  das  System  mildere. 

Hieraus  entstand  eine  ungebührliche,  gereizte  Kritik 
seiner  Persönlichkeit.  Er  gab  nur  gerade  genug  aus,  um 
sich  einen  behaglichen  Wohnsitz  in  der  fünften  Avenue 
zu  gestatten;  abgesehen  von  dieser  bescheidenen  Ausgabe 
war  er  notorisch  sparsam,  sogar  seine  Kleider  wurden  im 
Lande  bespöttelt. 

Hätte  er  dem  herrschenden  Brauch  nachgegeben  und 
sich  durch  verblüffende  Schenkungen  oder  Stiftungen 
(die  sich  durch  weitere  Plünderungen  wieder  einbringen 
ließen)  den  Ruf  erkauft,  ein  Philanthrop  und  „Wohltäter 
der  Menschheit"  zu  sein,  so  wäre  er  unfehlbar  anders 
beurteilt  worden.  Er  machte  jedoch  keinen  Versuch,  die 
strenge  öffentliche  Meinung  günstig  zu  stimmen;  zu  seiner 
Ehre  sei  gesagt,  daß  er  seinen  geizigen  Idealen  uner- 
schütterlich treu  blieb;  er  bewarb  sich  niemals  um  Lob, 
noch  machte  er  den  Versuch,  dadurch  versöhnlich  zu  wirken, 


-  417  - 

daß  er  der  Wohltätigkeit  oder  Philanthropie  einen  Happen 
hinwarf;  er  betete  das  Geld  ehrlich  an,  daher  fehlte  alles 
Moralisieren,  alles  vorgebliche  Almosengeben,  jede  Heuchelei 
und  jeder  Humbug  in  seiner  Charakteranlage. 

Der  Beginn  der  Laufbahn 

Sage  wurde  im  Jahre  1816  von  Farmersleuten  in  Oneida 
County,  New  York,  in  Armut  und  Beschränktheit  ge- 
boren. Man  weiß  wenig  über  seine  Jugend.  Wir  er- 
fahren, daß  er  sich  als  Knabe  hauptsächlich  nach  Geld 
sehnte  und  daß  er  ein  bemerkenswertes  Talent  für 
schneidigen  Geschäftsbetrieb  entwickelte.  Er  war  in  dem 
Materialwarenladen  seines  Bruders  kaufmännisch  tätig,  wo 
er,  wie  wir  wohl  annehmen  dürfen,  zweifellos  all  die  vor- 
teilhaften kleinen  Kniffe  in  der  Behandlung  der  Kunden 
lernte,  die  man  einem  tüchtigen  Kommis  beibringt,  von 
ihm  erwartet  und  für  die  man  ihn  bezahlt.  Betrug  war 
damals  wie  jetzt  der  Hebel  jedes  erfolgreichen  Geschäftes. 
Zweifellos  sparte  er  sorgfältig  —  ach,  wie  sorgfältig  — , 
und  dasselbe  taten  Zehntausende  anderer  Kommis,  spar- 
same, ehrgeizige  Bürschchen,  die  Geld  beiseite  legten, 
wie  man  es  ihnen  wohlwollend  geraten  hatte.  Aber  die 
Sparsamkeit  wirkte  bei  den  meisten  von  ihnen  nicht 
richtig;  sehr  wenige  von  ihnen  wurden  reich,  wenn  sie 
auch  an  jedem  einzelnen  der  regelmäßig  vorgeschriebenen 
Grundsätze  aufs  genaueste  festhielten.  Es  ist  immer  klar 
gewesen,  daß  Sparsamkeit,  Mäßigkeit  und  harte  Arbeit 
nicht  das  Rezept  sind,  um  reich  zu  werden,  sonst  würden 
es  viele  Millionen  von  Menschen,  die  schwer  arbeiten 
müssen  und  sparsam  und  mäßig  leben,  sofort  werden. 
Die  üblichen  Vorschriften  erzeugten  keinen  Reichtum,  das 
erfuhren  Sages  Gefährten.  Was  also  brachte  ihm  den 
Reichtum  ? 

„Lange,  ehe  der  Flaum  auf  seinem  Kinn  erschien,  hatte 
er  in  seiner  näheren  Umgebung  den  Ruf  erlangt,  ungewöhn- 
lich scharf  im  , Losschlagen'  zu  sein."  So  schrieb  ein  Lob- 
redner, dessen  Beschreibung,  so  unbedeutend  sie  auch  sein 
mag,  doch  einen  Schlüssel  für  Sages  Verfahren  in  seinen 

»7 


—  4i8  — 

Knabenjahren  gibt.  Wir  erfahren,  daß  er  genug  Geld  an- 
sammelte, um  einen  eigenen  Materialwarenladen  aufzu- 
machen, und  daß  er  im  Jahre  1839  Teilhaber  eines  Engros- 
geschäfts für  Materialwaren  wurde. 

Sage  und  seine  Teilhaber  ersinnen  einen  Betrug 

Am  12.  September  1851  gründeten  Sage  und  zwei  an- 
dere Männer  aus  Troy  unter  dem  Namen  Wheeler,  Sage  und 
Slocum  eine  Genossenschaft  zur  Betreibung  eines  all- 
gemeinen Produktengeschäftes  in  Troy  mit  einem  west- 
lichen Hauptgeschäft  in  Milwaukee  unter  dem  Namen 
Wheeler  &  Co.  Diese  Genossenschaft  führte  sich  durch 
einen  denkwürdigen  Schwindel  ein,  der  eine  der  strengsten 
Entscheidungen  und  Drohungen  hervorrief,  die  jemals  von 
dem  obersten  Gerichtshof  der  Vereinigten  Staaten  ausge- 
sprochen worden  sind^).  Die  Firma  ersann  einen  wohl- 
durchdachten Plan,  um  die  Gläubiger  eines  ihrer  bankrot- 
ten Schuldner  in  Milwaukee  zu  betrügen;  und  während 
sie  mit  diesem  Verfahren  beschäftigt  war,  täuschte  Sage 
seine  eigenen  Teilhaber  und  betrog  sie  um  den  Gewinn 
des  Schwindels. 

Die  in  dem  Bericht  über  den  Fall  und  in  der  Entschei- 
dung des  obersten  Gerichtshofs  der  Vereinigten  Staaten 
mitgeteilten  Tatsachen  waren  folgende: 

Die  Firma  wurde  Eigentümer  einer  Schuldforderung 
gegen  einen  gewissen  Alanson  Sweet  aus  Milwaukee,  einer 
Schuld,  die  durch  Hypotheken  auf  wertvollen  Grund- 
besitz sichergestellt  war.  Zu  diesem  Grundbesitz  gehörte 
ein  großes  Warenhaus,  das  Wheeler  &  Co.  gemietet  hatten. 
Im  Oktober  1854  wurde  ein  Verfahren  gegen  den  ban- 
krotten Sweet  eingeleitet,  um  die  Verfallserklärung  der 
Hypothek  zu  erreichen,  und  im  November  1855  wurde  von 
dem  Gerichtshof  von  Wisconsin  das  Urteil  gefällt.  In  dem 
Bericht  des  obersten  Gerichtshofes  über  den  Fall  hieß  es 
weiter,  daß  Wheeler,  Sage  &  Slocum  den  Wunsch  ge- 
habt hätten,  einen  vollständigen  Rechtsanspruch  auf  das 

^)  Siehe  VValhice's  Reports,  Supreme  Court  of  the  United  States,  iW\.  i, 
S.  5 «8-53!. 


-  4^9  - 

verpfändete  Grundstück  zu  erlangen,  dessen  Wert,  als  die 
Hypothek  gegeben  wurde,  50  000  Dollar  betrug.  Aber 
andere  Gläubiger  hatten  Rechtsansprüche  an  Sweet,  und 
Sweet  beanspruchte  die  Summe  von  12  000  Dollar,  die 
ihm  Wheeler  &  Co.  als  dreijährige  Miete  für  das  Waren- 
haus schuldeten. 

Wenn  Sweet  eine  Klagebeantwortung  erfolgreich  ein- 
brachte, konnte  ein  vollständiger  Rechtsanspruch  nicht  er- 
langt werden.  Auch  war  es  nötig,  die  anderen  Gläubiger 
zu  täuschen  und  abzuschrecken.  Um  das  ganze  Grund- 
stück in  ihre  Hand  zu  bekommen,  sagte  der  Gerichtshof, 
hielten  es  Wheeler,  Sage  &  Slocum  für  notwendig,  ge- 
wisse Ansprüche  aufzukaufen  und  weitere  Arrangements 
in  heimlichem  Einverständnis  zu  treffen.  Sage  teilte  Whee- 
ler und  Slocum  mit,  daß  dies  geschehen  könne,  wenn  man 
Alexander  Mitchell,  der  Sweets  Verteidigung  in  der 
Hand  hatte,  für  10  000  Dollar  aufkaufte.  Der  Bericht  des 
Gerichtshofes  fährt  fort: 

,,Sage  war  autorisiert,  den  Vertrag  abzuschließen  und 
Wheeler  und  Slocum  den  ihnen  zukommenden  Anteil  in 
den  Büchern  der  Firma  in  Rechnung  zu  stellen.  Derselbe 
Vertrag  oder  ein  ähnlicher  wurde  von  Sage  mit  Mitchell 
gemacht  und  rechtskräftige  Ansprüche  daraufhin  erworben. 
Sage  jedoch  gab,  ohne  daß  Wheeler  es  wußte, 
diesen  Vertrag  auf  und  schloß  mit  Mitchell  einen 
zu  seinem  eignen  Vorteil  ab.  Das  verpfändete  Grund- 
stück wurde  verkauft,  und  Mitchell  wurde  der  Käufer,  in- 
dem er  Sage  unter  gewissen  Bedingungen  ein  Drittel  des 
Anteils  überließ;  dies  geschah,  wie  erwähnt,  ohne  Wheelers 
und  Slocums  Wissen  und  mit  Verletzung  ihrer  Rechte. 
Die  verpfändete  Schuld  wurde  auf  24  000  Dollar  fest- 
gesetzt, und  zwei  Drittel  dieser  Summe  von  Sage  an  Whee- 
ler und  Slocum  ausgezahlt,  da  dies,  wie  er  (Sage)  sagte, 
das  Beste  sei,  was  man  tun  könne,  und  dies  wurde  auch 
unter  dieser  Voraussetzung  von  Wheeler  und  Slocum  an- 
genommen"^) 


*)  Ebenda  S.  519. 


—   420    — 

Sage  betrügt  seine  Teilhaber 

Doch  war,  so  fuhr  der  Gerichtshof  fort,  wie  Wheeler 
herausfand  und  berechnete,  von  dem  verpfändeten  Besitz 
genug  verkauft  worden,  um  105  000  Dollar  einzubringen, 
und  dazu  kam  unverkaufter,  noch  in  Mitchells  Hand 
befindlicher  Besitz  im  Werte  von  27  000  Dollar^). 

Auf  der  üblichen  gesetzlichen  Grundlage,  daß,  wenn  ein 
Partner  durch  Betrug  einen  Vorteil  erlangt,  er  als  Güter- 
verwahrer des  betrogenen  Partners  zu  betrachten  ist  und 
Rechenschaft  ablegen  muß,  brachte  Wheeler  eine  Klage 
gegen  Sage  ein.  Er  brachte  vor,  daß  er  Sage  für  sich  (Whee- 
ler) für  ein  Drittel  des  verpfändeten,  noch  unverkauften 
oder  in  Mitchells  Händen  befindlichen  Besitzes  und  für 
ein  Drittel  des  Erlöses  aus  dem  schon  verkauften  Be- 
sitz zum  Bevollmächtigten  eingesetzt  hätte. 

Der  oberste  Gerichtshof  der  Vereinigten  Staaten  er- 
klärte das  ganze  Verfahren  für  betrügerisch;  während  Whee- 
ler, Sage  und  Slocum  sich  erfolgreich  zusammengetan 
hätten,  um  Sweets  zahlreiche  andere  Gläubiger  zu  betrügen, 
habe  Sage  seine  eigenen  Partner  überlistet  und  betrogen. 
Sie  seien  darauf  ausgegangen,  einen  Grundbesitz  im  Werte 
von  50  000  Dollar  auf  betrügerische  Weise  für  30  000  Dollar 
zu  erwerben,  und  hätten  Sage  bevollmächtigt,  dies  heim- 
liche Einverständnis  zur  Ausführung  zu  bringen.  Sage  habe 
später  den  Vertrag  mit  Mitchell  aufgegeben  und  sich  heim- 
lich selbst  „zum  Schaden  der  anderen  Beteiligten"  einen 
Vorteil  gesichert. 

In  der  weiteren  Darlegung  der  gerichtlichen  Entschei- 
dung fährt  Richter  Davis  fort: 

„Das  Beweismaterial  dieses  Falles,  das  hauptsächlich  aus 
zwischen  Wheeler  und  Sage  gewechselten  Briefen  besteht, 
zeigt  ganz  klar,  daß  ein  Plan  entworfen  war,  um  einen 
Rechtsanspruch  auf  das  Grundstück  zu  erlangen,  und  daß 
Sage  der  handelnde  Beauftragte  zur  Ausführung  dieses  Planes 
war;  daß  der  Plan  aber  aus  unaufgeklärten  Gründen  schei- 
terte     Alle  Teilhaber  blieben  in  dem  Glauben,  daß  die 

Verhandlungen     mit    Mitchell    erfolgreich    sein    würden, 

^)  Ebenda  S.  519. 


—   421    — 

aber  ....  Sage  ließ  den  Gedanken,  das  Grundstück  auf  ge- 
meinschaftliche Kosten  zu  kaufen,  fallen  und  verhandelte 
mit  Mitchell  im  eigenen  Interesse  ....  Der  Warenhaus- 
prozeß, wie  er  an  einer  Stelle  des  Berichtes  genannt  wird, 
ist  für  die  beteiligten  Parteien  durchaus  nicht  ehrenvoll,  und 
es  ist  überraschend,  daß  sie  den  Wunsch  haben  konnten,  ihn 
durch  ein  gerichtliches  Verfahren  öffentlich  bekannt  zu 
machen  ....  Der  Plan  bestand  darin,  das  Grundstück 
dadurch  zu  erlangen,  daß  man  seinen  Wert  durch  Eintra- 
gung rechtskräftiger  Ansprüche  von  hohem  nominellem 
Betrag  heruntersetzte  und  andere  Gläubiger  täuschte  und 
abschreckte.  Der  Gerichtshof  in  Wisconsin,  der  die  Hypothek 
für  verfallen  erklärte,  war  getäuscht,  und  es  war  ein  Komplott 
geschmiedet  worden  mit  dem  Ziel  und  der  direkten  Ab- 
sicht, sich  den  Rechtsanspruch  auf  das  wertvolle  Grund- 
stück eines  zahlungsunfähigen  Schuldners  auf  Kosten  und 
mit  Preisgabe  seiner  anderen  Gläubiger  zu  sichern." 

Der  Gerichtshof  weigerte  sich,  nach  der  einen  oder  der 
anderen  Richtung  ein  Urteil  zu  fällen,  mit  der  Begründung, 
daß  eine  Partei,  die  sich  auf  ein  ungesetzliches  Verfahren 
eingelassen  hätte,  nicht,  nachdem  sie  selbst  betrogen  wor- 
den war,  von  einem  „Billigkeitsgerichtshof"  Genugtuung 
erwarten  könne.  „Ein  solches  Verfahren  ist  gegen  das  gute 
Gewissen  und  die  gute  Moral  und  kann  von  keinem  Billig- 
keitsgerichtshof gutgeheißen  werden  ....  Es  ist  gegen  den 
Zweck  der  Gesetze,  in  einer  solchen  Streitsache  einer  der 
beiden  Parteien  zu  helfen^)."  Die  Wirkung  dieser  Ent- 
scheidung war,  daß  Sage  im  Besitz  des  Ertrages  seiner 
schwindelhaften  Operationen  blieb. 

Sieben  Jahre  lang  bekleidete  Sage  die  Ämter  eines  Alder- 
man  von  Troy  und  eines  Schatzmeisters  der  Rensselaer 
County.  Jetzt  erhalten  wir  den  ersten  klaren  Einblick  in 
die  Art  und  Weise,  wie  er  seine  ersten  ansehnlichen  Geld- 
mittel zusammenbrachte.  Es  geschah  nicht  dadurch,  daß 
er  nach  Maß  und  Gewicht  Handel  trieb,  auch  nicht  durch 
kleinliche  Betrügereien,  sondern  durch  ein  Geschäft,  bei 
dem  er  als  öffentlicher  Beamter  die  Stadt  Troy  ver- 
leitete, ihm  für  eine  kleine  Summe  eine  Eisenbahnlinie  zu 

1)  Ebenda  S.  530!. 


—    422    — 

verkaufen,  die  er  später  nach  einem  vorgefaßten  Plan  an 
die  New  York  Zentral- Vereinigung  mit  großem  Nutzen 
verkaufte.    • 

Wie  Sage  seinen  ersten  großen  Reichtum  zusammenrafte 

Es  gibt  nichts  Unklares  oder  auf  Vermutung  Begründetes 
in  diesem  einleuchtenden  Unternehmen ;  die  Tatsachen  sind 
in  den  öffentlichen  Berichten  authentisch  verzeichnet. 

In  den  Jahren  1840 — 1843  fing  die  Stadt  Troy  an,  auf 
öffentliche  Kosten  eine  21  Meilen  lange  Eisenbahn  bis 
Schenectady  zu  bauen.  Die  Stadt  Troy  nahm  dafür  in  den 
Jahren  1837  und  1847  im  ganzen  650000  Dollar  auf,  und 
im  Jahre  1840  lieh  der  Staat  New  York  der  Stadt  Troy 
100  000  Dollar;  dies  machte  im  ganzen  750000  Dollar  für 
den  Bau  und  die  Ausrüstung  der  Troy  und  Schenectady- 
Eisenbahn  aus.  Es  war  eine  Zeit,  in  der  die  Kapitalisten, 
untätig  zusehend,  vielen  Stadtbezirken  und  einigen  Staaten 
gestatteten,  Eisenbahnen  zu  bauen  und  eine  Zeitlang  zu 
betreiben,  um  dann,  nachdem  viele  MiUionen  öffentlichen 
Geldes  ausgegeben  worden  waren,  Wege  zu  ersinnen,  um 
selbst  das  Besitzrecht  in  die  Hand  zu  bekommen.  Das 
taten  sie,  indem  sie  im  Gemeindebesitz  befindliche  Eisen- 
bahnen entwerteten  und  lahmlegten  und  öffentliche  Be- 
amte verführten,  sie  ihnen  für  verhältnismäßig  unbe- 
deutende Summen  zu  verkaufen  oder  zu  verpachten.  Dies 
war  ein  beliebtes  Verfahren  in  jener  Zeit  und  wurde  mit 
großem  Erfolge  betrieben. 

Die  Aufgabe,  sich  mit  modernen  Transportmitteln  zu 
versorgen,  fiel  oft  den  Gemeinden  zu,  da  kein  Kapitalist 
die  Initiative  bei  irgendeinem  Unternehmen  ergreifen 
wollte,  bei  dem  er  nicht  sofort  beträchtlichen  Gev/inn  sah. 
Das  Ziel  der  Gemeinden  war  Nutzbringung,  das  des  Kapi- 
talisten Profit.  Gemeinden  pflegen  niemals  eine  Betrach- 
tung darüber  anzustellen,  ob  eine  Eisenbahn  Gewinn  bringen 
wird;  die  einzige  sie  leitende  Erwägung  ist  das  öffentliche 
Bedürfnis.  Was  die  Leute  gefügig  machte,  privaten  Eisen- 
bahngesellschaften große  Geldsummen  zu  leihen  oder  zu 
stiften,  war  der  Gedanke,  daß  Eisenbahnen  eine  öffentliche 


-  423   - 

Notwendigkeit  sind,  ob  sie  nun  für  öffentliche  Kosten  oder 
privatim  gebaut  werden. 

Da  die  größere  Zahl  der  Eisenbahnen  privaten  Gesell- 
schaften gehörte,  war  es  ihnen,  wenn  sie  es  darauf  anlegten, 
nicht  schwer,  in  öffentlichem  Besitz  befindliche  Eisenbahnen 
bankrott  zu  machen.  Sie  konnten  dies  leicht  tun,  indem  sie 
den  Fracht-  und  Passagierverkehr  ablenkten  und  störten  oder 
öffentliche  Beamte  verführten,  ihn  schlecht  zu  leiten. 
Dieser  Kampf  der  öffentlichen  und  privaten  Interessen 
endete  immer  mit  dem  Siege  letzterer;  notwendigerweise, 
weil  öffentliche  Wohlfahrt  und  privater  Nutzen  nicht 
zusammenpaßten,  weil  das  eine  der  Gegensatz  vom  anderen 
war,  und  auch,  weil  die  leitenden  Beamten  entweder  zu 
den  begüterten  Klassen  gehörten  oder  ihnen  verantwortlich 
oder  untergeordnet  waren. 

Auf  diese  Art  wurde  auch  der  Feldzug  gegen  die  Troy- 
und  Schenectady-Eisenbahn  eröffnet.  Kleine  abgesonderte 
Eisenbahnen  waren  im  besten  Falle  etwas  Ungewöhn- 
liches; die  wirtschaftliche  Entwicklung  verlangte  eine  von 
zwei  Lösungen;  entweder  wurden  diese  Bahnen  einem 
großen  öffentlichen  oder  einem  großen  privaten  Eisenbahn- 
system einverleibt.  Ohne  Zusammenhang  waren  sie  ver- 
schwenderisch, unbequem  und  unsystematisch.  Diese  Grund- 
erfahrung muß  man  bei  jeder  Tatsachendarstellung  im 
Auge  behalten. 

Unter  den  Eisenbahnkapitalisten  setzte  die  Bewegung 
zur  Verbindung  und  Vereinigung  ungefähr  im  Jahre  1850 
ein.  Im  Staate  New  York  kam  im  Jahre  1851  eine  Ver- 
einigung verschiedener  Bankiers,  Landbesitzer  und  Politiker 
zu  dem  Schlüsse,  daß  es  ein  ausgezeichnetes  Unternehmen 
sein  würde,  viele  von  den  getrennten  kleinen  Eisenbahnen 
in  New  York  zu  einem  zentralisierten  System  zu  vereinigen. 
Sie  wurden  allerdings  nicht  von  Besorgnis  für  das  Gemein- 
wesen getrieben ;  sie  waren  weit  davon  entfernt ;  für  sie  be- 
deutete das  Gemeinwesen  nur  ein  Raubgebiet.  Auch  kamen 
ihnen  die  wirtschaftlichen  Kräfte  kaum  zum  Bewußt- 
sein, die  hinter  ihrem  Unternehmen  standen.  Der  ein- 
zige sie  treibende  Gedanke  war,  die  kleinen  Eisenbahnen 
für  unbedeutende   Summen   aufzukaufen    und    dann    eine 


-  424  - 

Gesellschaft  zu  organisieren  und  jene  Eisenoahnen  der 
Gesellschaft  mit  ungeheuren  Gewinnen  zu  verkaufen. 
Trotz  alledem  leisteten  sie  dem  Gemeinwesen  durch  die 
Ausführung  ihrer  Zentralisationsbewegung  einen  notwen- 
digen Dienst,  wie  hoch  das  Volk  ihn  auch  hat  bezahlen 
müssen.  Man  kam  überein,  daß  die  Troy-  und  Schenectady- 
Eisenbahn  eine  der  in  diese  Verbindung  einzuschließenden 
Bahnen  sein  sollte. 

Eine  betrogene  und  geplünderte  Stadt 

Wie  war  die  Stadt  Troy  dazu  zu  bringen,  ihre  Eisenbahn 
an  die  Clique  der  Projektenmacher  zu  verkaufen  ?  Das  war 
das  Problem.  Es  beunruhigte  sie  nicht  lange.  Rüssel  Sage 
unternahm  es,  diesen  Teil  des  Handels  auszuführen.  Er 
war  zu  dieser  Zeit  ein  führendes  Mitglied  des  Gemeinde- 
rates von  Troy  und  für  diese  Stadt  einer  der  Direktoren  in 
der  Verwaltung  der  Troy-  und  Schenectady-Eisenbahn.  Es 
wird  einleuchten,  daß  sein  erster  Schritt  darin  bestand,  eine 
dauernd  schlechte  Leitung  der  Eisenbahngeschäfte  zu 
veranlassen,  um  so  Mißstimmung,  wenn  nicht  sogar  Wider- 
willen gegen  das  Weiterbestehen  des  öffentlichen  Be- 
sitzes und  Betriebes  hervorzurufen.  Sehr  geschickt  führte 
er  sein  Werk  des  Unterminierens  und  Untergrabens  aus  — 
so  geschickt  und  verstohlen,  daß  kein  Verdacht  seiner 
Mitschuld  erweckt  wurde.  Dann  wurde  bei  der  Bevöl- 
kerung in  geschickter  Weise  eine  ungünstige  Stimmung 
gegen  das  Festhalten  der  Stadt  an  der  Bahn  erregt ;  öffent- 
liche Bittschriften,  die  unvorteilhafte  und  unbefriedigende 
Bahn  zu  verkaufen,  fingen  an,  bei  dem  Gemeinderate  ein- 
zulaufen. 

Was  tat  der  Gemeinderat  nun  ?  Er  setzte  eine  Kommis- 
sion zur  Erwägung  der  Verkaufsfrage  ein;  Sage  war  das  tä- 
tigste Mitglied  dieser  Kommission.  Er  war  so  tätig,  daß 
der  Bericht  der  Kommission  sich  für  den  Verkauf  der  Eisen- 
bahn erklärte.  Der  Antrag  wurde  allerdings  nur  mit  einer 
Stimme  durchgebracht;  Sages  Stimme  gab  den  Aus- 
schlag. Dann  wurde  am  24.  Januar  1853  eine  andere  Kom- 
mission   vom    Gemeinderat     eingesetzt.      Die    ihr    zuer- 


-  425-  - 

teilte  Aufgabe  war,  das  Anlagekapital,  die  Konzession  und 
das  Eigentum  der  Eisenbahn  für  nicht  unter  200000  Dollar 
zu  verkaufen.  Wer  war  es,  der  wunderbarerweise  auch  in 
dieser  zweiten  Kommission  unter  den  Mitgliedern  an  erster 
Stelle  stand  ?  Der  phänomenal  fleißige  Alderman  Sage.  Und 
als  die  Eisenbahn  schließlich  verkauft  wurde,  wer  war  es,  der 
sie  kaufte  ?  Eine  Gesellschaft,  an  deren  Spitze  Sage  stand,  und 
es  war  Sage,  der  ihr  Präsident  wurde^).  Die  Verkaufsbe- 
dingungen waren  außerordentlich  überlegt ;  50  000  Dollar 
sollten  sofort  gezahlt  werden,  der  Rest  in  vierzehn  Jahren. 

Eine  kleine  Gratifikation  von  8  Millionen  Dollar 

Ein  ganz  rechtmäßiges  Verfahren,  könnte  der  Verteidiger 
sagen;  nach  dem  Gesetz  jedoch  bedeutete  es  eine  gesetz- 
widrige Handlung  im  Amte ;  in  mehreren  Städten  war  manch 
ein  Beamter  wegen  weniger  schändlicher  Taten  entlassen 
worden.  Jenes  Verfahren  wurde  allgemein  als  ein  starkes 
Stück  von  Verderbtheit  angesehen;  es  geschah  aber  nichts, 
um  seinem  Erfolge  oder  größerer  Verderbtheit,  die  noch 
folgte,  entgegenzutreten.  Nachdem  Sage  die  Troy-  und 
Schenectady-Eisenbahn  unter  der  Form  des  Gesetzes  er- 
gattert hatte,  verkaufte  er  sie  für  ungefähr  900  000  Dollar 
an  die  Gesellschaft  von  Kapitalisten,  die  den  Zentral- 
Eisenbahn-Verband  von  New  York  bildete.  Obgleich  für 
die  Bahn  erst  50000  Dollar  bar  bezahlt  worden  waren,  ver- 
äußerten sie  Sage  und  seine  Genossen  nicht  nur  für  den 
vollen  Kapitalswert  von  650000  Dollar,  sondern  sie  er- 
hielten auch  als  Entgelt  eine  Prämie  von  25  Prozent  jener 
Summe  in  New  York -Zentral -Obligationen.  Bei  dieser 
Entstehung  der  New  York  Zentral  wurden  8  Millionen 
Dollar  in  Obligationen  (alle  nur  auf  „Verwässerung"  be- 
ruhend) als  Gratifikation  unter  die  Eigentümer  der  ver- 
schiedenen in  die  Konsolidierung  eingeschlossenen  Eisen- 
bahnen verteilt  2) ;  kein  unbedeutender  Teil  dieser  8  Millio- 
nen war  Sages  Anteil  an  der  Beute. 

^)  siehe  Investigation  of  the  Railroads  of  the  State  of  New  York,  1879,  Bd.  5, 
S.  28—58. 

')  Die  gesetzliche  Untersuchung  des  „Hepburn  Committee"  von  1879  beschäf- 
tigt sich  mit  der  Geschichte  dieser  Kapitalsverwässerung.    Ein  Bericht  über  das 


—  426  — 

Wie  groß  auch  später  das  Geschrei  der  Bevölkerung  von 
Troy  über  die  unbarmherzigen  Erpressungen  der  New 
York-Central-Eisenbahn  sein  mochte,  Sage  wurde  jetzt 
noch  mehr  als  „hervorragender  Bürger"  ausposaunt  als 
je  zuvor,  als  ein  Bürger  von  außerordentlichem  Verdienst, 
von  Solidität  und  Ansehen.  Die  ruhmreiche  und  patrio- 
tische Beschäftigung  als  politischer  Geschäftsmann  mit  ih- 
rem Bereich  günstiger  Gelegenheiten  hatte  sich  als  sehr 
einträglich  erwiesen.  Doch  Sage  überlegte,  daß  die  Haupt- 
stadt des  Landes  noch  bessere  Aussichten  biete.  Dem- 
gemäß ließ  ihn  die  bestechliche  politische  Clique  von  Troy, 
deren  Führer  er  war,  in  den  Kongreß  wählen;  dort  über- 
nahm er  im  Dezember  1853  seinen  Sitz  und  wurde  im  Jahre 
1854  wiedergewählt. 

Das  war  die  Periode,  in  der  Gesetze  über  Gesetze  erlassen 
wurden,  die  den  Eisenbahngesellschaften  entweder  öffent- 
lich oder  auf  Umwegen  Geld  und  Land  zuerkannten  und 
anderen  Gesellschaften  und  einzelnen  Kapitalisten  verderb- 
liche Machtbefugnisse  und  Vorrechte  der  verschiedensten 
Art  erteilten.  In  dem  einen  Jahre  1856,  ganz  abgesehen 
von  anderen  Jahren,  erließ  der  Kongreß  wenigstens  dreißig 
Eisenbahn-  und  Landbewilligungsgesetze  zum  Nutzen  eben- 
sovieler  verschiedener  Eisenbahngesellschaften  —  Gesetze, 
durch  welche  diese  Eisenbahngesellschaften  in  den  Besitz 
von  über  10  Millionen  Morgen  öffentlichen  Landes  kamen. 
Die  zur  Durchbringung  dieser  Gesetze  angewandten  Be- 
stechungen bildeten  eine  der  größten  Skandalaffären  der  Zeit 
und  führten  zur  Einsetzung  zahlreicher  Kongreß-  und  Staats- 
untersuchungskommissionen. Es  gab  wenige  Mitglieder  des 
Kongresses  und  der  gesetzgebenden  Körperschaften  —  das 
zeigte  sich  überreichlich  — ,  die  nicht,  sei  es  in  Geld  oder  in 
Aktien  oder  Hypotheken,  Bestechungen  annahmen. 

Wenn  Sage  sich  im  Kongreß  auch  kaum  bemerkbar 
machte  und  eine  ziemlich  vollständige  Null  im  öffentlichen 
Leben  war,  so  trat  er  doch  in  um  so  wirksameren  und  enge- 
ren Zusammenhang  mit  vielen  der  erwähnten  reichen  Eisen- 

Troy-Geschäft  von  F.  W.  Powell  mit  dem  Titel:  „Two  Experiments  in  Public 
Owncrshlp  of  Steam  Railroads",  erschien  in  den  „Quarterly  Journal  of  Econo- 
mics"  in  der  Ausgabe  vom  November  1908. 


-  4^7  - 

bahnprojekte.  Die  besonderen  Mittel,  durch  die  er  es  tat, 
lassen  sich  nicht  feststellen,  aber  es  ist  sicher,  daß  er,  als  er 
den  Kongreß  verließ,  einer  der  hervorragendsten  „Betei- 
ligten" an  verschiedenen  Eisenbahngesellschaften  mit  staat- 
lich bewilligtem  Lande  war. 

Unbeschränkte  Betrügereien  und  Bestechungen 

Die  Minnesota-  und  Northwestern -Eisenbahngesell- 
schaft war  eine  der  Eisenbahngesellschaften,  die  ihre  Privi- 
legien und  ihr  Land  gerade  zu  der  Zeit  erlangten,  als  Sage 
Kongreßmitglied  war;  das  Gesetz  ging  durch  im  Anschluß 
an  massenhafte  Betrügereien  und  Bestechungen.  Es  gibt 
allerdings  kein  urkundlich  beglaubigtes  Zeugnis  dafür,  daß 
Sage  mit  dieser  Gesellschaft  in  Verbindung  stand.  Aber 
es  ist  doch  der  Mühe  wert,  darauf  hinzuweisen. 

Eine  besondere  Kommission  des  Hauses  wurde  am  24.  Juli 
1854  beauftragt,  die  Sache  zu  untersuchen;  und  ob- 
gleich die  Kommission  einen  ausweichenden,  weißwaschen- 
den Bericht  einreichte,  so  bewiesen  doch  die  vor  ihr  abge- 
gebenen Zeugenaussagen  zweifellos,  daß  der  Wortlaut  des 
Gesetzes  während  der  Reinschrift  im  Hause  auf  irgendeine 
Weise  betrügerisch  verändert  worden  war.  Diese  Verände- 
rungen verschafften  nach  der  Aussage  des  Sekretärs  des 
Minnesota-Territoriums,  J.  Travis  Rosser,  der  in  Rede  ste- 
henden Eisenbahngesellschaft  „Millionen  Dollar".  Die 
Gesetzesvorlage,  wie  sie  vom  Senat  kam,  hatte  die  Land- 
bewilligung dem  Territorium  von  Minnesota  zugesprochen, 
nicht  der  Eisenbahngesellschaft;  wie  sie  schließlich  lautete, 
als  sie  Gesetz  geworden  war,  enthielt  sie  die  im  Hause  ein- 
gefügten betrügerischen  Änderungen^).  Robert  W.  Low- 
ber,  ein  Aktionär,  erklärte,  daß  während  der  Debatte  über 
die  Vorlage  Arrangements  getroffen  wurden,  durch  welche 
der  Widerstand  verschiedener  ihrer  Gegner  aufgekauft 
wurde,  eine  Behauptung,  die  die  Beschuldigten  in  Abrede 
stellten 2).  —  Die  Majorität  einer  neuen  Kommission,  die 

^)  Reports  of  Committees,  33.  Congress,  First  Session,  Bd.  3,  Rep.  Nr.  352,  30. 

')  Rep.  Nr.  352,  1854,  35.  Dieses  Gesetz  wurde  später  aufgehoben.  Siehe  Kap.  2. 

Lowber  war  eine  Zeitlang  stellvertretender  Präsident  dieser  Gesellschaft.    Er  war 


-  428  — 

am  10.  Juli  1854  eingesetzt  wurde,  um  die  Anklagen  über 
Bestechungen  zu  untersuchen,  berichtete:  Die  Unter- 
zeichneten glauben,  daß  durch  Zeugenaussagen  klar  fest- 
gestellt ist,  daß  Geld  reichlich  benutzt  wurde,  um  das 
Durchgehen  von  Vorlagen  sicherzustellen,  und  sie  glau- 
ben durchaus,  daß  noch  viel  mehr  Beweise  hätten  verschafft 
werden  können,  wenn  der  Kommission  Zeit  gelassen  worden 
wäre,  eine  gründlichere  Untersuchung  der  Tatsachen  vor- 
zunehmen^). 

Die  unternehmenden  Fabrikbesitzer 

Die  Kommission  fand  heraus,  daß  Samuel  Colt,  der 
Gründer  eines  auf  der  Fabrikation  von  Feuerwaffen  beru- 
henden Vermögens,  an  Dickerson,  seinen  Advokaten,  und 
einen  seiner  Lobbyisten  bei  einer  Vorlage  zur  Verlängerung 
seiner  Patentrechte,  deren  Frist  abgelaufen  war,  wenigstens 
15000  Dollar  zur  Bestechung  der  vorhandenen  Opposition 
im  Kongreß  gezahlt  hatte.  Die  Zeugenaussage  zeigte,  daß 
alles  in  allem  ungefähr  60  000  Dollar  zur  Durchsetzung 
der  Vorlage  ausgegeben  worden  waren.  Ein  anderer  Lobbyist, 
Jere  Clemens,  der  auch  die  Verteilung  von  Colts  Beste- 
chungsgeldern besorgte,  war,  wie  er  unter  Eid  zugab,  gleich- 
zeitig Lobbyist  für  verschiedene  Eisenbahngesellschaften, 
die  Landbewilligungen  nachsuchten,  und  für  eine  Vorlage 
ähnUch  der  Colts  zur  Verlängerung  der  Patentrechte  für 


ein  notorisch  bestechlicher  New  Yorker  Stadtpolitiker  und  erwarb  gerade  zu  jener 
Zeit  bedeutende  Summen  durch  betrügerischen  Landverkauf  an  die  Stadt  New  York 
zu  enorm  hohen  Preisen.  („The  History  of  Tammany  Hall",  S.  216.)  Lowber 
verkaufte  bei  einer  dieser  Gelegenheiten  auf  ungesetzliche  Weise  Land  an  die  Stadt 
New  York  für  196  000  Dollar,  die  der  Kontrolleur  sich  zu  zahlen  weigerte  mit  der 
Begründung,  daß  diese  Summe  fünf-  oder  sechsmal  größer  sei  als  der  Wert  des  Lan- 
des. Lowber  erhielt  vor  Gericht  ein  Urteil  gegen  die  Stadt  und  war  im  Jahre  1858, 
als  der  Revisor  sich  weigerte,  ihn  zu  befriedigen,  im  Begriff,  die  Stadthalle  von  New 
York  durch  Auktion  verkaufen  zu  lassen,  als  Bürgermeister  Tiemann  das  Verfahren 
anhielt  und  die  notwendige  Summe  aufbrachte.  Immerhin  waren  die  Gemälde  und 
Standbilder  der  Stadthalle  bereits  verauktioniert  und  von  dem  Sekretär  Tiemanns 
gekauft  worden. 

Andere  Beamte  der  Minnesota-  und  Northwestern-Eisenbahngesellschaft  waren 
ebenso  notorische  New  Yorker  Lobbyisten  (Leute,  die  den  Vorsaal  des  Kongresses 
besuchen,  um  Mitglieder  zu  beeinflussen)  und  gewohnheitsmäßige  Bestecher. 

^)  Reports  of  Committees,  33.  Congress,  First  Session,  Bd.  3,  Report  Nr.  352, 35. 


-  429  - 

Cyrus  H.  McCormick^),  einen  Fabrikanten  von  Mäh- 
maschinen und  Gründer  eines  Vermögens  von  vielen  Mil- 
lionen. 

Wie  andere  Fabrikbesitzer  den  Kongreß  bestachen, 
um  Tarifgesetze  durchzubringen,  das  wurde  durch  die 
Untersuchungen  einer  besondern  Kommission  des  Hauses 
aufgedeckt,  deren  Majorität  berichtete,  daß  speziell  eine 
Firma,  Laurence,  Stone  &  Co.  in  Boston  und  New  York,  die 
Besitzer  der  großen  Middlesex-Spinnereien  und  der  ebenso 
großen  Bay-State-Spinnereien  in  Massachusetts,  87  000 
Dollar  an  Bestechungsgeldern  ausgegeben  hatte,  um  den 
Zoll  auf  Rohwolle  und  gefärbte  Stoffe  herabzusetzen  2). 
Da  es  ihnen  nicht  gelungen  war,  von  dem  Kongreß, 
der  politisch  zu  einem  niedrigen  Zolltarif  verpflichtet  war, 
einen  hohen  Schutzzoll  für  Wollwaren  zu  erreichen,  ver- 
suchten sie  durch  Erlangung  einer  Zollherabsetzung  für 
Rohmaterial  zu  demselben  Resultat  zu  kommen.  Einer 
der  Lobbyisten  für  diese  Firma  war  A.  R.  Corbin,  ein 
Schwager  des  Ulysses  S.  Grant,  derselbe  Corbin,  den  Gould 
später  für  seine  Goldmanipulationen  in  seine  Dienste 
nahm.  Corbin  empfing  1000  Dollar  Bestechungsgelder 
von  Laurence,  Stone  &  Co.  und  machte  aus  der  Tatsache, 
daß  er  für  die  Illinois  Central-Eisenbahn  und  andere  Eisen- 
bahngesellschaften regelmäßig  gearbeitet  hatte,  kein  Ge- 
heimnis. 

Dies  war,  wie  man  sich  erinnern  wird,  die  Zeit,  als 
Kommodore  Cornelius  Vanderbilt,  E.  K.  Collins  und  andere 
Dampfschiff- Kapitalisten  den  Kongreß  bestachen,  um 
Postsubventionen  zu  erhalten,  und  Vanderbilt  zwei  Pacific- 
Dampfschifflinien  um  jährlich  612  000  Dollar  Regierungs- 
subsidien  betrog.  Ebenfalls  während  dieser  Jahre  fand 
eine  Kongreßkommission  bei  einer  Untersuchung  heraus, 
daß  das  gesetzUche  Privilegium  und  die  Landbewilli- 
gung der  Des  Moines  Schiffs-  und  Eisenbahn-Gesellschaft 
durch  Bestechung  durchgebracht  worden  waren.  Wenn 
man  nach  den  Berichten  dieser  verschiedenen  Untersuchungs- 

^)  Rep.  Nr.  352,  etc.,  20.  Es  verdient  Beachtung,  daß  Houghton  sowohl  Colt 
wie  McCornick  in  seinen  „Kings  of  Fortune"  aufführt. 

^)  Reports  of  Committees,  First  Session,  35.  Congress,  Bd.  4,  Report  Nr.  414. 


-  430  - 

kommissionen  und  den  noch  bedeutungsvolleren  Umstän- 
den urteilt,  die  das  Ernennen  dieser  Kommissionen  er- 
forderlich machten,  so  liegt  es  auf  der  Hand,  daß  der  Kon- 
greß von  Betrug  und  Bestechung  triefte,  wovon  nur  wenig 
an  die  Oberfläche  durchsickerte,  und  weitergehend  er- 
halten wir  gelegentlich  einen  klaren  Einbhck,  wie  die  Be- 
gründer großer  auf  Fabrikindustrie  beruhender  Vermögen 
vorgingen. 

Da  wir  eben  bei  diesem  Gegenstande  sind,  wollen  wir 
eine^Abschweifung  machen,  um  zwei  Skandalaffären,  die 
sich  zu  dieser  Zeit  abspielten,  besonders  zu  behandeln. 
Es  lohnt  sich  wohl,  auf  sie  hinzuweisen,  erstens,  weil  auch  sie 
die  außerordentliche,  in  Washington  von  jeder  Gruppe  von 
Kapitalisten  betriebene  Bestechung  enthüllen,  und  zwei- 
tens, weil  sie  etwas  von  der  Art  und  Weise  zeigen,  wie 
einer  der  am  höchsten  gepriesenen  Multimillionäre  und 
„Philanthropen"  der  Vereinigten  Staaten  sein  Vermögen 
aufbaute. 

Dies  war  William  W.  Corcoran,  ein  Bankier  in  Washing- 
ton, der  nach  dem  Bürgerkriege  den  Ruf  erwarb,  einer  der 
gediegensten  und  geachtetsten  Finanzleute  in  den  Vereinig- 
ten Staaten  zu  sein.  Während  der  Jahrzehnte,  in  denen 
Gould  und  Sage  wegen  ihrer  Betrügereien  heftig  angeklagt 
wurden,  ragte  Corcoran  als  ein  ruhiger,  vorsichtiger  Ban- 
kier und  ein  Mann  von  anerkannter,  höchst  ehrenvoller 
Vergangenheit  empor.  Er  war  der  Hauptteilhaber  der 
Bankfirma  Corcoran  &  Riggs,  hinterließ  der  Stadt  Washing- 
ton 2  Millionen  Dollar  für  eine  prächtige  Kunstgalerie 
und  gründete  auch  ein  Heim  für  altersschwache  Frauen. 

Ein  Seitenblick  auf  einen  berühmten  Philanthropen 

Corcoran  war  auch  einer  der  vielen  Kapitalisten,  die 
es  fertig  brachten,  sich  mit  dem  schützenden  Mantel  der 
Ehrbarkeit  zu  umkleiden.  Seine  Handlungsweise  war  jedoch 
von  derselben  betrügerischen  Art  wie  die  aller  anderen  er- 
folgreichen Geldmacher. 

Wie  diese  Handlungsweise  wirklich  beschaffen  war,  darüber 
kam  im  Jahre   1854  Beweismaterial  ans  Licht;  es  erregte 


-  431  - 

einen  solchen  Lärm,  daß  das  Repräsentantenhaus  sich  ge- 
zwungen sah,  einige  Untersuchungen  anzustellen.  Nach 
den  schriftlich  niedergelegten  und  wiederholt  ausgesproche- 
nen Beschuldigungen  Benjamin  E.  Greens,  einer  politischen 
Persönlichkeit  dieser  Zeit,  hatte  Corcoran  öffentliche  Be- 
amte in  weitgehender  Weise  bestochen,  um  aus  der  Ver- 
waltung von  Geldern  der  Vereinigten  Staaten  und  durch 
Spekulation  mit  ihnen  große  Summen  zu  gewinnen.  Durch 
den  Vertrag  von  Guadulupe  Hidalgo  hatten  die  Vereinig- 
ten Staaten  eingewilligt,  an  Mexiko  für  ein  nach  dem  mexi- 
kanischen Kriege  abgetretenes  Territorium  eine  große  Ent- 
schädigungssumme zu  zahlen.  Ein  Teil  dieser  Summe  war 
bis  zum  Jahre  1850  bezahlt  worden,  aber  eine  bedeutende 
Summe  war  noch  zu  entrichten.  Mexiko  brauchte  das 
Geld  sehr  notwendig  und  schlug  vor,  daß  die  Vereinigten 
Staaten  es  ohne  die  Vermittlung  von  Bankhäusern  direkt 
an  die  mexikanische  Regierung  zahlen  sollten.  Green  er- 
hob den  Vorwurf,  daß  Corcoran  den  Vorsitzenden  der 
Kongreß-Budgetkommission,  Thomas  H.  Bayly,  bestochen 
habe,  den  Vorschlag  Mexikos  fälschlich  so  darzustellen  und 
die  Angelegenheit  so  zu  leiten,  daß  die  Firma  Corcoran 
&  Riggs  zum  Vermittler  des  Geschäfts  gemacht  würde. 
,, Bayly,"  so  lautete  Greens  Beschuldigung,  „hatte  alle  Ge- 
setzesvorlagen für  Geldbewilligung  in  seiner  Hand,  und  Cor- 
coran hatte  an  den  meisten  direktes  oder  indirektes  Inter- 
esse^)." Corcoran  erhielt  auf  diese  Weise  die  Verwaltung  der 
Entschädigungsgelder  und  machte  bei  diesem  Unternehmen 
einen  Profit  von  ungefähr  500000  Dollar^).  Eine  beson- 
ders eingesetzte  Kommission  des  Repräsentantenhauses 
gab  sich  den  Anschein,  die  gegen  Bayly  erhobene  Beschuldi- 
gung zu  untersuchen,  und  berichtete  am  3.  August  1854 
über  den  Fall  als  „nicht  bewiesen". 

Der  Gardiner-Mears-Schwindil 

Gerade  zu  derselben  Zeit  war  Corcoran  auch  in  eine 
Untersuchung    der    Gerichtskommission    des    Hauses    ver- 

^)  Reports  of  Committces,  33.  Congress,  First  Session,  Vol.  3,  Rep.  No.  354,  4. 
2)  Kbenda. 


-  432  - 

wickelt  —  einer  Kommission,  deren  Mitglieder  zum  großen 
Teil  selbst  bestechliche  PoHtiker  waren.  Der  Vorgang, 
den  sie  nach  dem  Beschluß  des  Hauses  vom  6.  März  1854 
untersuchte,  war  der  große  Betrug,  den  George  H.  Gardiner 
und  John  H.  Mears  gegen  die  Regierung  der  Vereinigten 
Staaten  verübt  hatten.  Durch  Meineide,  gefälschte  Er- 
klärungen und  Bestechung  erlangten  diese  beiden  Männer  un- 
ter der  Vorspiegelung,  daß  ihnen  gehöriger  Besitz  in  Mexiko 
während  des  mexikanischen  Krieges  zerstört  worden  sei, 
von  der  Regierung  der  Vereinigten  Staaten  581  000  Dollar. 
Nachdem  das  Geld  bewilligt  worden  war,  wurden  die  dem 
„verblüffenden  Betrug"  (wie  eine  Kommission  des  Hauses 
sich  ausdrückte)  zugrunde  liegenden  Tatsachen  öffentlich 
bekannt.  Sowohl  der  Senat  wie  das  Repräsentantenhaus 
untersuchten  den  Vorgang;  eine  Senatskommission  berich- 
tete, daß  die  Ansprüche  „falsch  und  fingiert  und  die 
zuerkannten  Zahlungen  durch  gefälschte  und  nachge- 
machte Papiere  erlangt  seien^)". 

Die  Bevölkerung  der  Vereinigten  Staaten  wurde  durch  die 
Enthüllung  dieses  kühnen  Schwindels  in  die  heftigste 
Aufregung  versetzt,  und  der  Kongreß  hatte  wieder  einmal 
einen  krampfhaften  Anfall  tugendhafter  Neugier.  Ein 
Beschluß  ging  durch,  der  die  Zurückforderung  des  an  Gar- 
diner und  Mears  ausgezahlten  Geldes  verlangte.  Aber  waren 
diese  Männer  die  wirklichen  Empfänger?  Wer  hatte  das 
Geld  tatsächlich  erhalten  ?  Wer  waren  die  Hauptpersonen, 
die  hinter  dem  Betrüge  standen  ?  Das  waren  Punkte,  die 
erforscht  werden  mußten. 

Nach  dem  Ergebnis  der  Untersuchung  schien  es,  daß  eine 
Gruppe  von  Bankiers  und  PoUtikern  hinter  dem  Betrüge 
standen.  Möglicherweise  hatten  sie  ihn  angeregt,  obgleich 
diese  allgemeine  Annahme  nicht  bestätigt  wurde.  Die 
Zeugenaussagen  zeigten  jedoch,  daß  zu  der  Zeit,  als  die 
gefälschten  Zeugnisse  hergestellt  wurden,  zur  erfolgreichen 
Durchführung  des  geplanten  Betrugs  sehr  dringend  Geld 
gebraucht  wurde.  Zu  diesem  Zeitpunkt  trat  Corcoran  in 
den  Vordergrund.  Er  lieh  als  Betriebskapital  zur  Förderung 
des  Betrugs  18750  Dollar,  obgleich  er  vor  der  Untersuchungs- 

^)  U.  S.  Senate  Report  No.   182,  1854. 


-  433  - 

kommission  behauptete,  er  habe  nicht  gewußt,  daß  das 
Geld  benutzt  wurde,  um  Zeugenaussagen  zu  gewinnen 
und  die  Kette  des  Betrugs  auch  sonst  noch  zu  vervoll- 
ständigen. Aber  er  gab  zu,  Robert  G.  Corvin  und  Thomas 
Corvin,  einflußreichen  Politikern  des  Tages,  diese  i8  750 
Dollar  geHehen  zu  haben;  er  hatte  dafür  eine  Anweisung 
auf  die  Forderung  Gardiners  als  doppelte  Sicherheit  er- 
halten ^).  Thomas  Corvin  wurde  später  zum  Schatz- 
sekretär der  Vereinigten  Staaten  ernannt,  und  auf  seine  An- 
ordnung wurde  nach  einer  vom  Kongreß  bewilligten  Vor- 
lage das  Geld  ausgezahlt.  Von  den  bewilligten  581  875  Dol- 
lar fiel  die  Summe  von  321  562,50  Dollar  nominell  auf  Gar- 
diners Namen,  und  107  187,50  Dollar  wurden  Corcoran 
als  Gardiners  Bevollmächtigtem  zugesprochen.  Beide  Sum- 
men wurden  jedoch  Corcoran  ausgezahlt  und  in  den  Büchern 
von  Corcoran  &  Riggs  eingetragen  und  (so  steht  es  in 
dem  Bericht)  „den  Beteiligten  gutgeschrieben 2").  Als  Gar- 
diner wegen  Meineids  verklagt  wurde,  beging  er  Selbst- 
mord. Die  Bankiers  und  Politiker  jedoch,  deren  Werk- 
zeuge Gardiner  und  Mears  gewesen  waren,  hatten  sich,  wie 
kaum  zu  sagen  nötig  ist,  keinem  gerichtlichen,  noch  irgend- 
einem anderen  Verfahren  zu  unterwerfen,  sondern  nur  einer 
freundschaftlichen  und  ausweichenden  Untersuchung.  So- 
weit Corcorans  Mitschuld  in  Betracht  kam,  wurde  er  von 
jeder  rechtlichen  Verantwortung  entlastet. 

Es  ist  anzunehmen,  daß  Sage  aus  seinen  Erfahrungen  in 
Washington  viel  wertvolle  Lehren  zog;  Corcorans  be- 
sondere Art,  Bankgeschäfte  zu  machen,  muß  ihm  die  Augen 
für  allerhand  Möglichkeiten  geöffnet  haben.    Wenigstens 


^)  House  Reports,  Thirty-thlrd  Congress,  First  Session,  Bd.  3,  Report  No.  369,39. 

2)  Ebenda.  Es  ist  hier  zu  erwähnen,  daß  Riggs  von  der  Firma  Corcoran  &  Riggs 
im  Jahre  1868  angeklagt  wurde,  einen  Bestechungsfonds  verwaltet  zu  haben,  den 
der  russische  Minister  den  Vereinigten  Staaten  gegenüber  benutzte,  um  das 
Durchgehen  einer  Vorlage  sicherzustellen,  die  7200000  Dollar  zum  Ankauf 
von  Alaska  bewilligte.  Die  Kongreßkommission  für  öffentliche  Ausgaben  stellte 
eine  Untersuchung  an.  Aber  da  die  Mitglieder  der  russischen  Gesandtschaft, 
obgleich  sie  aufgefordert  wurden,  zu  erscheinen  und  Erklärungen  abzugeben, 
sich  weigerten,  dies  zu  tun,  so  berichtete  die  Kommission  über  die  Untersuchung: 
„Fruchtlos  in  bezug  auf  bejahende  oder  genügende  verneinende  Resultate."  — 
Siehe  Reports  of  Committees,  Third  Session,  Fortieth  Congress,  1868 — 1869, 
Report  No.  35. 

28 


-  434  - 

fing  Sage,  der  schon  durch  die  Verbindung  von  Geschäft 
und  Politik  ein  Millionär  oder  nicht  weit  davon  entfernt 
war,  jetzt  in  Troy  Bankgeschäfte  an  und  wurde  ein  Geld- 
verleiher und  Wucherer  im  großen  Maßstabe. 

Es  war  zu  dieser  Zeit,  daß  er  als  einer  der  größten  Aktio- 
näre der  La  Crosse-  und  Milwaukee- Eisenbahn  auf- 
tauchte. Er  war  diesem  Projekt  ungefähr  damals,  als  er  im 
Kongreß  war,  näher  getreten,  aber  die  Tatsache  wurde 
erst  mehrere  Jahre  später  bekannt,  als  er  eine  gerichtliche 
Verfallserklärung  beantragte.  Der  rühmende  Biograph  in 
„America's  Successful  Men"  behandelte  Sages  Verbindung 
mit  der  La  Crosse-  und  Milwaukee-Eisenbahn  in  folgender 
oberflächlicher  Art:  „Zur  Zeit  der  Panik  vom  Jahre  1857 
war  Sage  ein  bedeutender  Gläubiger  der  La  Crosse-Eisen- 
bahn  ....  Um  die  Darlehen,  die  er  der  Bahn  gegeben 
hatte,  sicherzustellen,  sah  er  sich  gezwungen,  noch  größere 
Summen  vorzustrecken,  und  dann  wurde  er  durch  ein 
zur  Sicherstellung  seines  angelegten  Geldes  angestelltes 
Rechtsverfahren  Besitzer  der  Bahn,  die  später  ein  Teil  der 
Chicago-,  Milwaukee-  und  St.  Paul-Bahn  wurde,  deren 
Direktor  und  Vizepräsident  Sage  zu  verschiedenen  Zeiten 
war." 

Die  Bestechung  eines  ganzen  Staates 

Diese  Erklärung  liest  sich  ganz  glatt,  übergeht  aber  eine 
Menge  wesentlicher  und  aufklärender  Details.  Man  kann 
sagen,  daß  selbst  zu  einer  Zeit,  in  der  Bestechung  und  Be- 
trug so  allgemein  waren,  daß  das  öffentliche  Gefühl  Ekel 
davor  empfand,  wohl  keine  Verhandlung  größere  Sensation 
erregt  oder  auf  das  durch  fortgesetzte  Enthüllungen  von 
Bestechung  ermüdete  Volk  einen  tieferen  Eindruck  hervor- 
gebracht habe,  als  die  von  den  Besitzern  der  La  Crosse- 
und  Milwaukee-Eisenbahn  ausgeführten  großen  Dieb- 
stähle und  Bestechungen. 

Diese  Gesellschaft  war  von  den  regierenden  Körper- 
schaften von  Wisconsin  in  Jahre  1852  ermächtigt  worden, 
eine  Eisenbahn  zu  bauen,  die  Wisconsin  von  Milwaukee 
an  der  östlichen  Grenze  bis  La  Crosse  an  der  westlichen 


-  435  - 

Grenze  durchkreuzte.  Zwei  weitere,  in  demselben  Jahre 
angenommene  Gesetze  gestatteten  ihr  die  KonsoHdierung 
mit  zwei  anderen  —  in  anderen  Richtungen  laufenden  — 
Eisenbahnen. 

Im  Juni  1856  genehmigte  der  Kongreß  eine  Vorlage,  die 
Wisconsin  gestattete,  ungefähr  2  388000  Morgen  öffentlichen 
Landes  in  diesem  Staate  unter  die  Eisenbahnen  zu  verteilen. 
Der  Erlaß  dieses  Gesetzes  war  eine  von  dreißig  verschie- 
denen Eisenbahn-Landbewilligungen,  die  in  diesem  einen 
Jahre  genehmigt  wurden.  Daß  sie  durch  Bestechung  durch- 
gebracht worden  waren,  ging  aus  dem  Bericht  der  Unter- 
suchungskommission des  Hauses  hervor,  welche  die  Aus- 
stoßung von  vier  hervorragenden  Kongreßmitgliedern  emp- 
fahl, da  sie  im  Kongreß  an  der  Spitze  von  Gruppen  stan- 
den, die  Bestechungen  zugänglich  waren^).  Die  La  Crosse- 
und  Milwaukee-Eisenbahngesellschaft  verlor  daraufhin  keine 
Zeit  und  bestach  (und  alle  anderen  Eisenbahnen  mit  staat- 
licher Landbewilligung  taten  dasselbe  in  anderen  Staaten) 
die  regierenden  Körperschaften  von  Wisconsin,  ihr  eine  un- 
geheuer große  Landbewilligung  zuzugestehen.  Was  auf  die 
durch  Bestechung  erlangte  Kongreßakte  folgte,  wäre 
zweifellos  niemals  an  die  Öffentlichkeit  gekommen,  wäre 
nicht  eine  andere  Eisenbahngesellschaft  mit  der  La  Crosse- 
und  Milwaukee-Gesellschaft  in  Wettbewerb  getreten,  um 
von  der  Regierung  in  Wisconsin  eine  noch  größere  Land- 
bewilligung zu  erhalten.  Da  sie  in  dem  Wettkampf  ge- 
schlagen wurde,  erhob  sie  aus  Rache  die  Anklage,  daß  Be- 
stechung verübt  worden  sei.  Der  Erfolg  war  die  Einsetzung 
einer  gemeinsamen  Untersuchungskommission  beider  Häu- 
ser der  regierenden  Körperschaften  von  Wisconsin,  und  aus 
ihrem  Bericht,  der  mehr  als  300  Seiten  umfaßt  und  am 
13.  Mai  1858  eingereicht  wurde,  kann  man  die  eingehend- 
sten Details  erhalten. 

Diese  Kommission  berichtete,  daß  bis  zum  Jahre  1856 
beim  Bau  der  La  Crosse-  und  Milwaukee-Eisenbahn  bei- 
nahe I  700  000  Dollar  von  den  Direktoren  gestohlen  wor- 

^)  Report  of  Select  Committee  appointed  to  Investigate  Certain  Alleged  Corrupt 
Combinations  of  Members  of  Congress.  —  Reports  of  Committees,  1856 — 1857, 
Bd.  3,  Report  No.  245. 


-  43^  - 

den  seien.  Ein  hierzu  eingeschlagenes  Verfahren  bestand 
darin,  mit  sich  selbst  für  den  Bau  ihrer  Bahnen  Kontrakte 
mit  übermäßigen  Forderungen  abzuschließen,  ein  anderes 
darin,  Baurechnungen  zu  fälschen,  ein  drittes  darin,  Land 
als  Privatperson  zu  kaufen  und  der  Gesellschaft  zu  über- 
trieben hohem  Preise  zu  verkaufen.  Dieses  betrügerische 
Verfahren  war  überall  in  den  Vereinigten  Staaten  unter 
den  Eisenbahndirektoren  gebräuchlich.  Nach  dem  Befund 
der  Kommission  hatten  die  Direktoren  der  La  Crosse-  und 
Milwaukee-Eisenbahn,  die  sich  aus  Wallstreet- Bankiers  und 
New  Yorker  Politikern  zusammensetzten,  die  Aktien,  Ob- 
ligationen und  das  Eigentum  der  Gesellschaft  so  aus- 
geplündert, daß  sie  in  einen  bankrotten  Zustand  ver- 
setzt worden  war.  Um  die  Gesellschaft  aus  diesem 
Zustande  zu  erretten  und  die  Direktoren  vor  Strafverfol- 
gung wegen  Betrugs  und  Raubes  zu  bewahren,  war  es  daher 
dringend  notwendig  geworden,  einen  Plan  zur  Erlangung 
großer  Landbewilligungen  zu  ersinnen.  Sage  gehörte  zu 
dieser  Zeit  nicht  zu  den  Direktoren;  sein  Besitz  bestand, 
wie  es  schien,  in  Aktien  und  Obligationen;  er  hielt  sich  im 
Hintergrunde  und  arbeitete  durch  Vermittler. 

800000  Dollar  für  Bestechungen,  um  eine  Vorlage  durchzubringen 

Um  diese  Landbewilligung,  die  aus  ungefähr  i  Million 
Morgen  bestand,  zu  erlangen,  verführten  die  Direktoren 
der  La  Crosse-  und  Milwaukee-Eisenbahn  nicht  nur  einige 
Mitglieder  der  regierenden  Körperschaften,  sondern  tat- 
sächlich die  ganzen  regierenden  Körperschaften,  den  Gou- 
verneur und  andere  Staatsbeamte  und  eine  große  Anzahl 
von  Redakteuren  und  Politikern.  Diese  allgemeine  Beste- 
chung eines  ganzes  Staates,  verbunden  mit  Plündern,  Rauben 
und  mannigfachem  Schwindel,  war  es,  die  einen  so  un- 
gewöhnlich tiefen  Eindruck  auf  die  öffentliche  Meinung 
hervorbrachte;  die  2^itungen,  die  im  allgemeinen  den  Be- 
richten über  Bestechungen  nur  spärlichen  Raum  gestatteten, 
öffneten  bei  dieser  Gelegenheit  in  offenbarem  Verständnis 
für  die  Art  des  Skandals  ihre  Spalten  und  veröffentlichten 
lange,   in    einigen    Fällen   in  kleinerem   Druck   anderthalb 


-  437  - 

Seiten  füllende  Auszüge  aus  dem  Bericht  der  Kom- 
mission. 

Mehr  als  800  000  Dollar  in  Obligationen  und  Geld  — 
aber  hauptsächlich  in  Obligationen  —  waren,  so  berichtete 
die  Kommission,  als  Bestechungsgelder  gezahlt  worden,  um 
die  Landbewilligungsvorlage  des  Jahres  1856  durchzu- 
bringen. Dies  war  indessen  eine  zu  niedrige  Schätzung.  Nach 
dem  Bericht  des  Präsidenten  der  La  Crosse-  und  Milwau- 
kee- Eisenbahngesellschaft  kostete  das  Durchbringen  dieser 
Vorlage  i  Million  Dollar  in  Obligationen^).  Der  Präsident 
der  Gesellschaft  beklagte  in  seinem  Jahresbericht  von  1858 
die  Tatsache,  daß  das  Durchbringen  der  Landbewilligungs- 
vorlage die  Gesellschaft  so  viel  gekostet  habe.  Er  gab  die 
einzelnen  Posten  der  Ausgabe  ausführlich  an.  Der  erste  war 
die  kurze,  aber  vielsagende  Eintragung:  „Bauobligationen 
für  1862,  ausgegeben  zur  Erreichung  von  Privilegien: 
100  000  Dollar."  Der  zweite  in  der  Ausgabenliste  zur  Er- 
langung von  Landbewilligungen  aufgeführte  Posten  be- 
stand in  weiteren  100  000  Dollar  zur  Erwerbung  und 
Abfindung  der  St.  Croix-  und  Lake  Superior-Eisenbahn, 
der  847  000  Morgen  öffentlichen  Landes  zuerkannt  worden 
waren 2).  Eine  dritte  Eintragung  lautete:  „Aktien,  ausge- 
geben zur  Erlangung  von  Privilegien  in  Madison  (der  Haupt- 
stadt von  Wisconsin) :  90  000  Dollar*)."  Ein  vierter  Posten 
bestand  in  210000  Dollar  „für  Dienste"  zur  Erlangung  des 
Privilegiums  für  eine  Zweigbahn,  genannt  die  Milwaukee- 
und  Watertown-Eisenbahn*). 

So  groß  diese  Ausgaben  auch  waren,  so  waren  sie  doch  im 
Vergleich  mit  dem  Werte  der  errreichten  Landbewilli- 
gungen unbedeutende.  Der  Jahresbericht  der  La  Crosse- 
und  Milwaukee-Eisenbahngesellschaft  von  1857  enthielt 
einen  Rechenschaftsbericht  des  Landkommissars  von  Wis- 
consin, der  hervorhob,  daß  die  zuerkannten  Flächen  reiches 
Acker-  und  Bauholzland  seien,  und  ihren  Wert  auf  17  345600 
Dollar  schätzte^).    Siebzehn  Millionen  Dollar  für  die  Aus- 

^)  „The  Sixth  Annual  Report  of  The  La  Crosse  and  Milwaukce  R.  R.  Com- 
pany".  New  York  1858,  16. 

2)  „Sixth  Annual  Rep.,  La  Crosse  and  Milwaukee  R.  R",   16.     ^)  Ebenda. 

*)  Ebenda.  8)  „The  Fifth  Annual  Report  of  The  La  Crosse  and  Milwaukee 
R.  R.  Co.,   1857,"  35  uoo. 


-  438  - 

gäbe   von  i  Million    Dollar    an    Bestechungen    war    kein 
schlechtes  Geschäft. 


Betrügerische  und  räuberische  Taten  ohnegleichen 

Aber  wir  wollen  wieder  auf  den  Bericht  des  allge- 
meinen Gesetzgebungsausschusses  von  Wisconsin  zurück- 
kommen. Er  berichtet,  daß  für  die  Durchbringung  der 
Landbewilligungsvorlage  von  1856  175000  Dollar  in  Ob- 
ligationen an  dreizehn,  namentlich  aufgeführte  Senatoren 
verteilt  worden  seien,  zwischen  IG  000  und  20  000  Dollar 
für  die  Person;  daß  355000  Dollar  in  ObHgationen  an 
siebzig,  namentüch  aufgeführte  Mitgheder  des  Repräsen- 
tantenhauses als  Bestechungen  gezahlt  worden  seien  — 
eine  durchschnittliche  Bestechungssumme  von  5000  Dol- 
lar — ,  daß  50  000  Dollar  in  Obligationen  an  Coles  Bash- 
ford,  den  Gouverneur  von  Wisconsin,  16000  Dollar  an 
andere  Staatsbeamte  und  246000  Dollar  in  verschiedenen 
Posten  an  gewisse,  namentlich  aufgeführte  Redakteure 
und  andere  einflußreiche  Persönlichkeiten  ausgezahlt  wor- 
den seien^). 

Die  Kommission  berichtete,  daß  die  Bestechenden,  um 
die  Tatsache  der  Bestechung  zu  verbergen,  einen  geheimen, 
schriftlichen  Kodex  benutzten.  Dieser  Kodex  wurde  je- 
doch verraten.  Die  Kommission  macht  die  Bemerkung: 
„Die  Bestechung  oder  das  »Aufkaufen*  einer  großen  Majori- 
tät der  gesetzgebenden  Körperschaft  von  1856  erscheint 
im  Hintergrunde  als  eine  harmlose  Tatsache,  während  der 
bei  dem  Versuch,  das  Verfahren  vor  der  MögHchkeit  der 
Entdeckung  zu  bewahren,  entwickelte  Scharfsinn  so  höchst 
eigenartig  ist,  daß  er  Aufmerksamkeit  erregt.  Die  Han- 
delnden scheinen  die  Tatsache  nicht  in  Erwägung  gezogen 
zu  haben,  daß  kein  Deckel  jemals  groß  genug  gewesen  ist, 
um  sich  selbst  ganz  zu  bedecken 2)." 

^)  Reports  of  the  Joint  Select  Committee  Appointed  to  Investigate  Into  Alleged 
Frauds  and  Corruption  in  the  Disposition  of  the  Land  Grant  by  the  Legislature  of 
1856  and  for  Other  Purposes;  Appendix  to  (Wisconsin)  Senate  and  Assembly 
Journals,  1858. 

*)  Ebenda  47.  In  Wisconsin,  ebenso  wie  in  anderen  Staaten,  wurden  sehr  viele 
Farmer  offenkundig  ausgeraubt.  Die  Beraubung  der  Nation,  der  Staaten,  Kreise, 


-  439  - 

„Das  Beweismaterial,"  schließt  die  Kommission,  „stellt 
die  Tatsache  fest,  daß  die  La  Crosse-  und  Milwaukee-Eisen- 
bahngesellschaft  sich  zahlreicher  und  beispielloser  Taten 
von  Mißwirtschaft,  grober  Pflichtverletzung,  von  Betrug 
und  Raub  schuldig  gemacht  hat.  In  der  Tat  sind  Beste- 
chung und  Ausplünderung  im  großen  ihre  allgemeinen 
charakteristischen  Merkmale^)." 

Die  von  der  La  Crosse-  und  Milwaukee-Eisenbahngesell- 
schaft  erlangten  großen  Landbewilligungen  waren  nicht 
die  einzigen  Schenkungen  in  den  gesetzgeberischen  Hand- 
lungen des  Jahres  1856.  Als  Körperschaft  war  die  Gesell- 
schaft für  immer  steuerfrei,  und  auch  das  bewilligte  Land 
wurde  für  zehn  Jahre  von  der  Steuer  befreit  —  eine  ge- 
nügend lange  Zeit,  um  es  seines  Bauholzes  zu  berauben  oder 
zu  verkaufen.  Ungeachtet  aller  gesetzlicher  Schenkungen 
und  anderer  sehr  wertvoller  Stiftungen  von  Städten  und 
Kreisen  wurde  die  Eisenbahn  so  vollständig  ihres  Geldes 
und  ihrer  Hilfsmittel  beraubt,  und  es  war  zur  Zeit  der 
Panik  des  Jahres  1857  so  schwer,  Geld  aufzubringen,  daß 
sie  zum  Bankrott  gezwungen  wurde^). 

Stadtverwaltungen  und  einzelner  Persönlichkeiten  fanden  gleichzeitig  statt. 
Von  den  Bestechungen  und  Betrügereien  bei  der  Milwaukee-  und  Superior- 
Eisenbahngesellschaft  berichtete  eine  Untersuchungskommission,  daß  viele  Farmer 
im  Milwaukce-Distrikt  und  in  anderen  Teilen  von  Wisconsin  auf  ihre  Farmen 
Hypotheken  aufgenommen  hätten,  um  sich  das  Geld  zum  Kauf  von  Eisenbahnaktien 
zu  verschaffen.  Diese  Farmer  „waren  sehr  bestrebt,  den  Bau  einer  Bahn  zu  unter- 
stützen, von  der  sie  annahmen,  daß  sie  ihnen  persönlich  und  auch  dem  Geraeinwesen 
Nutzen  bringen  würde".  Viele  waren  Deutsche,  „vertrauensselige,  unverdorbene 
Leute".  Die  Kommission  fährt  fort:  „Ein  Schwärm  dieser  Geier,  als  ,Aktien- 
händler'  bekannt,  wurde  unter  das  Volk  gesandt,  und,  wie  das  hier  bewiesene  Re- 
sultat zeigt,  wurden  viele  arme  und  würdige  Leute  ihrer  ganzen  Habe  beraubt, 
und  wenn  ihnen  nicht  auf  irgendeine  Weise  geholfen  wird  und  die  erwähnten 
Hypotheken  rechtskräftig  sind,  werden  sie  bald  ihrer  Häuser  beraubt  werden."  .  .  . 
Report  of  Select  Committee  Appointed  under  Resolution  No.  128,  Assembly,  to 
Investigate  the  Affairs  of  the  Milwaukee  and  Superlor  Railroad  Company,  Appendix 
to  Assembly  Journal,  Wisconsin,   10 — 11. 

^)  Report  of  the  Joint  Select  Committee  etc.,  Appendiccs  to  (Wisconsin)  Senate 
and  Assembly  Journals,  1858,  47. 

*)  In  der  Zeugenaussage  vor  der  besonderen  gemeinsamen  Kommission  von 
Wisconsin  vom  Jahre  1858  wurde.  Sages  Name  in  keiner  Weise  genannt.  Es  ist 
jedoch  sicher,  daß  Sage  im  Jahre  1857  ein  Hauptbesitzer  der  La  Crosse-  und 
Milwaukee-Eisenbahn  war.  Die  Untersuchungskommission  berichtete  über  folgende 
Zeugenaussage  des  Aktionärs  Prentiss  Dow:  „Im  August  und  September  1857 
waren  in  New  York  häufig  Gerüchte  im  Umlauf,  daß  in  der  geschäftlichen  Leitung 
der  Gesellschaft  große  Betrügereien  begangen  worden  seien;  daß  die  durch  den  Sub- 


-  44^  - 

Nun  geschah  es,  daß  Sage,  wie  seine  biographischen 
Schilderer  sich  ausdrücken,  in  den  Vordergrund  trat,  um 
„seine  Interessen  zu  schützen".  Wie  er  es  tat,  erzählen 
sie  nicht,  aber  die  gerichtlichen  Protokolle  der  Zeit  beschrei- 
ben sein  Verfahren  in  bemerkenswert  einfacher  Sprache,  ja 
in  klaren  Auseinandersetzungen.  Es  schien,  daß  Sage  die 
ganze  Zeit  vorgeschobene  Direktoren  und  Vermittler  be- 
nutzt hatte;  d.  h.,  er  hatte  verschiedene  Leute  als  nomi- 
nelle Besitzer  und  führende  Leiter  vorgeschoben,  während 
er  im  verborgenen  tatsächlich  der  herrschende  Besitzer 
und  die  führende  Persönlichkeit  war.  Diese  Tatsache  trat 
in  zahlreichen  Klagen  hervor,  die  dem  obersten  Gerichts- 
hof der  Vereinigten  Staaten  zugingen,  und  den  Berichten 
dieses  hohen  Gerichtshofes  sind  gewisse  Einzelheiten  ent- 
nommen. 

Betrügerische  Obligationen  und  betrügerischer  Verkauf 

Sage  war  dem  Wesen  nach  der  Besitzer  einer  an  dritter 
Stelle  stehenden  Hypothek  von  2  Millionen  Dollar,  die  zur 
Deckung  des  sich  von  Milwaukee  nach  Portage  City  oder 
über  die  halbe  Breite  von  Wisconsin  erstreckenden  östlichen 
Zweiges  der  La  Crosse-  und  Milwaukee-Eisenbahn  ausge- 
geben war.  Der  oberste  Gerichtshof  der  Vereinigten  Staa- 
ten hob  in  seiner  Darlegung  des  Falles  im  Jahre  1867  ^^^" 
vor,  daß  für  diese  2  Millionen  Dollar  in  Obligationen  nicht 
mehr  als  280  000  Dollar  bar  bezahlt  worden  seien.  „In  der 
Tat,"  sagte  der  Gerichtshof,  „beträgt  die  wirklich  gezahlte 
Summe  nur  wenig  mehr  als  150000  Dollar"^).  Durch  ein, 
wie  sich  der  Gerichtshof  ausdrückte,  „betrügerisches  Über- 
einkommen", das  die  Aktionäre  und  Gläubiger  der  Bahn  täu- 
schen sollte,  wurde  dieser  dritten  Hypothek  die  Priorität 

skriptionsverkauf  von  Landbewilligungsobligatlonen  aufgebrachten  Summen  für 
andere  Zwecke  als  den  Bau  der  Bahn  verwendet  worden  seien  .  .  .  daß  der  , Bericht' 
der  Gesellschaft  in  bezug  auf  ihre  wirkliche  Lage  unzuverlässig  sei.  Viele  Besitzer 
von  Landbewilligungsobligationen  wurden  unruhig  und  verkauften  für  den  niedrigen 
Preis  von  20  Cent  für  den  Dollar."  —  (Appendix  to  Assembly  Journal,  Wisconsin, 
1858,  S.  165.)  Vielleicht  kaufte  Sage  zu  dieser  Zeit  mehr  von  den  Obligationen. 

^)  James  contra  Railroad  Company,  Wallace  Reports,  Supreme  Court  of  the 
United  States  6,  735. 


-  441  - 

verliehen  und  die  Verfallserklärung  des  Eigentums  bean- 
tragt. Die  Berichte  des  obersten  Gerichtshofes  zeigen 
nicht,  wie  Sage  in  den  Besitz  seiner  Obligationen  gekommen 
war,  aber  sie  machen  bekannt,  daß  auf  die  betrügerische 
Obligationsausgabe  ein  betrügerischer  Zwangsverkauf  folgte. 

„Von  den  2  Millionen  Dollar  in  Obligationen,"  sagte  der 
Gerichtshof,  „wurden  nur  200  000  Dollar  bar  bezahlt.  Der 
Rest  der  zwei  Millionen  war  entweder  in  den  Händen  einer 
der  beiden  Direktoren  oder  stand  ihnen  durch  eine  betrüge- 
rische Vereinbarung  zur  Verfügung".  Der  Gerichtshof  rügte 
die  Verfallserklärung  als  einen  durch  betrügerische  An- 
kündigung zustande  gekommenen  Verkauf,  bei  dem  nur  die 
interessierten  Parteien  gewußt  hätten,  was  vorgehen  soUe^). 

Dieser  zwangsweise  verkaufte  östliche  Zweig  der  La 
Crosse-  und  Milwaukee-Eisenbahn  wurde  als  Milwaukee- 
und  Minnesota-Eisenbahn  mit  Rüssel  Sage  als  Präsidenten 
neu  organisiert.  Die  Verfallserklärung  war  am  17.  August 
1857  beantragt  worden.  Es  könnte  daher  scheinen,  als  ob 
Sage  gerade  während  oder  unmittelbar  nach  der  Zeit,  als 
im  Kongreß  die  Gesetze  durch  Bestechung  durchgebracht 
wurden,  ein  gewichtiger  Aktionär  geworden  war,  und  daß 
er  zur  selben  Zeit  oder  bald  danach,  nachdem  die  La  Crosse- 
und  Milwaukee-Eisenbahngesellschaft  den  ganzen  Staat 
Wisconsin  mit  800  000  Dollar  in  Obligationen  bestochen 
hatte,  einer  der  bedeutendsten  Obligationen-Gläubiger 
war.  Aber  wann  er  mit  der  Bahn  wirklich  in  Verbindung 
trat,  wird  aus  den  Berichten  nicht  vollständig  klar.  Nach 
dem  Zwangsverkauf  erhoben  einige  Aktionäre  und  viele 
Gläubiger,  zu  denen  auch  Firmen  gehörten,  die  für  den  Bau 
der  Eisenbahn  Material  geliefert  hatten,  Einspruch  gegen  den 
Betrug.  Mehrere  Prozesse  folgten;  diese  wurden  auch  vor 
den  obersten  Gerichtshof  der  Vereinigten  Staaten  gebracht, 
und  ihnen  können  weitere  Tatsachen  entnommen  werden. 

Ein  allgemeiner  und  nach  allen  Seiten  ausgedehnter  Betrug 

Einer  dieser  von  dem  genannten  Gerichtshof  im  Jahre 
1863  behandelten  Fälle  war  der  Prozeß  verschiedener,  Sage 

1)  Ebenda  S.  755. 


-  442  - 

vertretender  Bankfirmen  gegen  die  La  Crosse-  und  Mil- 
waukee  -  Eisenbahngesellschaf  t ,  dessen  deutlicher  Zweck 
darin  bestand,  die  Aktionäre  und  rechtmäßigen  Gläubiger 
zu  betrügen.  Nach  Lage  des  Falles  war  es  notwendig,  daß 
Sages  Milwaukee-  und  Minnesota-Eisenbahngesellschaft, 
die  zum  Teil  die  Nachfolgerin  der  ursprünglichen  Gesell- 
schaft war,  eine  Klagebeantwortung  einbrachte,  aber  sonder- 
barerweise tat  sie  das  nicht.  Die  Berichte  über  den  Pro- 
zeß Bronson  und  Genossen  gegen  die  La  Crosse-  und  Mil- 
waukee-Eisenbahngesellschaft  lauteten : 

„Als  die  Zeit  verstrichen  war,  in  der  die  Milwaukee-  und 
Minnesota-Eisenbahngesellschaft  hätte  antworten  sollen, 
aber  noch  keine  Maßnahmen  getroffen  waren  unter  der  An- 
nahme, daß  die  Klage  gegen  sie  durch  Eingeständnis  er- 
ledigt sei,  reichte  ein  gewisser  J.  S.  Rockwell,  ein  Aktionär 
der  vorher  erwähnten  Gesellschaft,  dem  Gerichtshof  seine 
Beschwerde  ein,  in  der  er  klagte,  daß  zwischen  den  Klägern 
oder  deren  Agenten  und  einem  gewissen  Rüssel  Sage,  dem 
Präsidenten  der  vorerwähnten  Milwaukee-  und  Minnesota- 
Eisenbahngesellschaft,  ein  geheimes  Einvernehmen  be- 
stände, um  in  ihrer  Sache  eine  Verfallserklärung  und  einen 
Verkauf  zu  erlangen  zu  dem  Zwecke,  die  Rechte  der  er- 
wähnten Milwaukee-  und  Minnesota-Eisenbahngesellschaft, 
die,  wie  angeführt  wurde,  die  Besitzerin  einer  billigen  Forde- 
rung oder  des  Rückkaufsrechtes  an  dem  verpfändeten 
Grundstück  war,  zu  vernichten,  und  daß  der  Präsident 
(Sage)  der  zuletzt  erwähnten  Gesellschaft,  entgegen  der 
Forderung  seiner  Aktionäre,  sich  geweigert  habe,  eine 
Klagebeantwortung  in  ihrer  Sache  einzubringen^)." 

Offenbar,  denn  das  im  Gange  befindUche  Werk  bestand 
darin,  die  Angelegenheiten  der  Gesellschaft  durch  gericht- 
lichen Hokuspokus  so  zu  verwickeln,  daß  man  einen  trif- 
tigen Grund  erhielt,  die  Aktionäre  und  rechtmäßigen  Gläu- 
biger vollständig  zu  prellen  (oder,  wie  der  Ausdruck  lautete, 
„hinauszugraulen".)  Vier  Jahre  später  erkannte  dies,  wie 
wir  eben  bemerkt  haben,  der  oberste  Gerichtshof  der 
Vereinigten  Staaten  bei  der  Entscheidung  einer  anderen 
Sache. 

*)  Wallace's  Reports,  Supreme  Court  of  the  United  States,  2,  285 — 286. 


-  443  - 

Rockwell  war  nicht  der  einzige  Aktionär,  der  über  ein 
geheimes  Einvernehmen  klagte.  Ein  anderer  Aktionär,  Fle- 
ming, brachte  eine  Beschwerde  mit  zahlreichen  Beschuldi- 
gungen ein,  von  denen  die  eines  geheimen  Einvernehmens 
nur  eine  war.  Er  klagte  auch,  daß  die  von  der  La  Crosse- 
und  Milwaukee-Eisenbahngesellschaft  ausgegebene  Hypo- 
thek nur  das  darstelle,  was  allgemein  als  „Bestechungs- 
obligationen" bekannt  sei,  und  nur  ausgegeben  wurde, 
um  über  die  erwähnten  Obligationen  oder  einen  großen 
Teil  derselben  zur  Bezahlung  angeblicher  Schulden  der 
Beamten  und  Agenten  der  genannten  Gesellschaft  oder 
ihrer  Freunde  verfügen  zu  können,  ohne  daß  dafür 
irgendwelche  Gegenleistung  zu  entrichten  war.  Ferner 
„daß  ein  großer  Teil  der  erwähnten  Obligationen  so  be- 
nutzt und  zum  Schaden  der  Gläubiger  ausgegeben  sei^)." 
Der  Rechtsanwalt  der  klagenden  Aktionäre  sagte  zusam- 
menfassend über  die  Sache :  „Männer,  die  dazu  angestellt 
sind,  Gesellschaften  im  Interesse  der  Aktionäre  zu  leiten, 
leiten  sie  nur  in  ihrem  eigenen.  Sie  werden  Lieferanten, 
ruinieren  beinahe  die  Gesellschaft,  bezahlen  sich  selbst 
aus  dem  Aktivbestand  mit  enormen  Abzügen,  fangen  die 
Sache  dann  wieder  von  neuem  an  und  werden  schließlich 
reich  2)".  Der  oberste  Gerichtshof  der  Vereinigten  Staaten 
hob  schließlich  den  Zwangsverkauf  mit  der  Begründung, 
daß  er  betrügerisch  sei,  auf,  aber  es  gelang  Sage  durch 
andere  Mittel,  seine  Machtstellung  zu  behalten. 

Während  Sage  die  Verfallserklärung  des  östlichen  Zwei- 
ges der  La  Crosse-  und  Milwaukee-Eisenbahn  beantragte, 
tat  er  auf  Grund  seiner  Ansprüche  gleichzeitig  dasselbe  bei 
einem  anderen  Zweige,  der  auch  ein  Teil  des  Chikago-Mil- 
waukee-  und  St.  Paul-Eisenbahnsystems  wurde.  Dieser 
andere  Zweig  war  die  Milwaukee-  und  Horicon-Eisenbahn, 
die  eine  wesentliche  Rolle  bei  den  beständigen  Bestechungs- 
vorgängen spielte.  Der  „Geschichtschreiber"  des  Chikago- 
Milwaukee-  und  St.  Paul-Eisenbahnsystems  schreibt  von 
dieser  Episode  in  folgender  unklarer  Weise :  „Die  im  Jahre 
1852    inkorporierte    Milwaukee-    und    Horicon-Eisenbahn 


1)  Ebenda  S.  287.        2)  Ebenda  S.  295. 


-  444  - 

wurde  im  Jahre  1863  von  Washington  Hunt  und  Rüssel 
Sage  zum  Konkurs  gebracht  und  im  Juni  1863  von  ihnen  an 
die  Chikago-,  Milwaukee-  und  St.  Paul-Bahn  abgetreten^)." 
Die  enormen  Betrügereien  in  Wisconsin  bilden  nur  einen 
Teil  von  Sages  Tätigkeit  in  dieser  Periode.  Zur  selben 
Zeit  führten  er  und  die  ihm  befreundeten  Kapitalisten 
damit  zusammenhängend  ähnliche  -betrügerische  Unterneh- 
mungen in  Minnesota  aus.  Hätten  sie  sich  nicht  gelegent- 
lich über  die  Beute  gestritten  und  vor  Zivilgerichten  Ge- 
heimnisse verraten,  so  würden  wir  über  die  wahre  Natur 
ihrer  Handlungen  in  Ungewißheit  sein.  Wie  die  Sache 
liegt,  geben  gewisse  noch  vorhandene  Prozeßberichte  ein 
ziemlich  klares  Verzeichnis  ihrer  Methoden,  und  wie  diese 
beschaffen  waren,  das  soll  nun  im  Umriß  erzählt  und  aus- 
einandergesetzt werden. 


Zweites  Kapitel 

WEITERE  EINZELHEITEN  ÜBER  DAS  VERMÖGEN  VON 

SAGE 

In  dem  vorhergehenden  Kapitel  haben  wir  gesehen,  wie 
im  Jahre  1854  durch  Bestechung  und  Betrug  im  Kon- 
greß eine  Vorlage  durchging,  deren  Wortlaut  heimlich  so 
abgeändert  war,  daß  durch  sie  beinahe  900000  Morgen  öffent- 
lichen Landes  in  Minnesota  direkt  der  Minnesota-  und 
Northwestern -Eisenbahngesellschaft  überwiesen  wurden. 
Die  aus  einer  Vereinigung  von  Kapitalisten  des  Ostens  und 

*)  „Outline  History  of  the  Chicago,  Milwaukee  and  St.  Paul  Railroad  Company. 
Compiled  by  the  General  Passenger  Department,  1888,"  2.  —  Der  Hauptanwalt  der 
in  diesem  System  verschmolzenen  verschiedenen  Eisenbahnen  war  Samuel  J.  Tilden, 
der  später  in  der  Politik  als  ein  so  großer  „Reformator"  posierte  und  im  Jahre  1867 
der  von  den  Demokraten  vorgeschlagene  Kandidat  für  die  Präsidentschaft  der 
Vereinigten  Staaten  war.  Man  wird  immer  finden,  daß  die  von  beiden  politischen 
Parteien  für  ein  hohes  Amt  der  Exekutive,  der  Gesetzgebung  oder  der  Gerichte  vor- 
geschlagenen Männer  unfehlbar  diejenigen  sind,  die  ihre  Nützlichkeit  als  Werkzeuge, 
Anhänger  oder  Wohltatenempfänger  der  Korporationsinteressen  bewiesen  haben. 
Ein  Beweis  dafür  sind  Garfield  und  Blaine,  die  in  den  Credit-Mobilier-Schwindel 
verwickelt  waren,  Morton  und  viele  andere. 


-  445  - 

Westens,  aus  Lobbyisten  und  Politikern  gebildete  Gesell- 
schaft unternahm  es,  das  Land  mit  hochtönenden  Dar- 
stellungen der  großen  Dinge  zu  beglücken,  die  sie  zur  Er- 
schließung der  Wildnis  des  Nordwestens  zu  unternehmen 
beabsichtigte.  Konnte  die  Nation  die  Wahrhaftigkeit  und 
die  edlen  Absichten  ihrer  Verbreiter,  die  alle  reelle  kapital- 
kräftige Männer  waren,  in  Zweifel  ziehen  ?  Konnte  die 
Rechtschaffenheit  ihrer  Verfasser,  an  deren  Spitze  jener 
bedeutende  Kapitalist  Erastus  Corning  aus  Albany,  New 
York,  stand,  fraglich  sein  ? 

Dieses  eine  Mal  jedoch  gelang  es  dem  süßen  Sänge  nicht, 
das  Publikum  zu  bezaubern;  es  erhob  sich  in  zornigem 
Protest  gegen  die  angewandte  Bestechung,  und  der  Kon- 
greß trat  einen  eiligen  Rückzug  an  und  widerrief  die  Ver- 
fügung i). 

Geschenke  von  vierzehn  Millionen  Morgen 

Aber  das  gute  Betragen  des  Kongresses  war  von  sehr  kur- 
zer Dauer,  nur  eine  Aufwallung,  die  zur  Blendung  des 
Publikums  ihre  Schuldigkeit  tat.  Die  Fabrikation  von  Land- 
bewilligungsvorlagen ging  geschäftig  weiter;  der  Widerruf 
jener  einen  besonderen  Landbewilligung  hatte  die  Wir- 
kung, die  öffentliche  Aufmerksamkeit  abzulenken  und  das 
ungeprüfte  Durchbringen  vieler  anderer  Landbewilligungen 
möglich  zu  machen.  Unter  diesen  befanden  sich  Maß- 
nahmen, die  Flächen  von  6  Millionen  Morgen  öffentlichen 
Landes  —  die  im  ganzen  auf  14  Millionen  erweitert  wer- 
den konnten  —  dem  Territorium  von  Minnesota  (das  bald 
ein  Staat  werden  sollte)  zum  Besten  der  Eisenbahngesell- 
schaften zusprachen.  Die  äußeren  Formen  des  üblichen 
Verfahrens  wurden  jetzt  gewissenhaft  beobachtet;  die  Län- 
dereien wurden  den  einzelnen   Staaten  zur   Überweisung 

^)  Trotz  des  Widerrufs  veranlaßte  die  Minnesota-  und  Northwestern-Eisenbahn- 
gesellschaft  den  Bezirksanwalt  der  Vereinigten  Staaten  für  Minnesota,  eine  erdichtete 
Klagesache  einzubringen,  um  eine  günstige  Gerichtsentscheidung  über  die  Gültig- 
keit ihrer  Rechtsansprüche  zu  erlangen.  Jener  Beamte  wurde,  als  die  Tatsachen  be- 
kannt wurden  —  von  dem  Präsidenten  Pierc&ohne  weitere  Umstände  entlassen.  — • 
House  Executive  Documents,  Thirty-third  Congress,  Second  Session,  1854 — 1855. 
Bd.  5,  Doc.  No.  35. 


-  446  - 

an  die  Eisenbahngesellschaften  geschenkt.  Der  Kongreß 
hatte  seine  Lehre  weg,  daß  die  Beobachtung  äußerer  For- 
men notwendig  ist;  von  jetzt  ab  mußte  bei  Staatsbewilli- 
gungen die  Bestechung  doppelt  ausgeübt  werden,  zum 
Teil  in  Washington  und  zum  Teil  in  den  Hauptstädten  der 
verschiedenen  Staaten. 

Während  der  Tagung  von  1857  ging  eine  kleine  be- 
scheidene Vorlage  tänzelnd  durch,  machte  ungestört  ihre 
Runde  durch  die  Kommissionen  und  wurde  zum  Gesetz. 
Gerade  zu  jener  Zeit  wurde  manches  andere  Gesetz,  als 
durch  Bestechung  durchgebracht,  an  das  Tageslicht  ge- 
zerrt, aber  diese  besondere  kleine  Vorlage  wanderte  an- 
spruchslos ihren  Weg,  vor  dem  forschenden  Lichte  der 
Öffentlichkeit  durchaus  behütet.  Es  war  eine  Vorlage,  die 
der  Minnesota-  und  Pacific-Eisenbahngesellschaft  zum  Bau 
einer  Linie  von  St.  Paul  nach  St.  Anthony's  Falls  (jetzt 
die  Stadt  Minneapolis)  Korporationsrechte  verlieh  und 
mancherlei  Ausdehnungen  nach  verschiedenen  Richtungen 
genehmigte. 

Der  zweite  Teil  des  Programms  wurde  ebenso  erfolgreich 
durchgeführt  wie  der  erste.  Man  wandte  sich,  um  die 
Mittel  zur  Ausführung  dieses  kühnen  Planes  zu  erhalten,  an 
die  regierenden  Körperschaften  von  Minnesota,  und  diese 
gingen  sehr  großmütig  darauf  ein.  Verschiedene  Gesetzge- 
bungsakte sprachen  der  Eisenbahngesellschaft  eine  Bewilli- 
gung von  10  Sektionen  Staatsland  auf  die  Meile  zu,  die  Sektion 
zu  640  Morgen  gerechnet,  und  den  Rechtsanspruch  auf  wei- 
tere der  Gesellschaft  zu  verleihende  Landbewilligungen  nach 
Fertigstellung  von  je  20  Meilen.  Aber  dies  waren  nicht 
die  einzigen  Wohltaten.  Mit  Heblichen  Worten  teilte  die 
Bahn  den  Bürgern  des  Staates  mit,  daß  sie  auch  Geld 
brauche.  Viele  der  vorher  erwähnten  Bürger,  kühne  Pio- 
niere, mit  einer  rauhen  Art  die  Dinge  anzusehen,  wurden 
beim  Lesen  dieser  zarten  Bitten  nicht  von  Rührung  über- 
wältigt. Sie  meinten,  daß  die  Landbewilligung  eine  ge- 
nügende Unterstützung  sei.  Aber  die  gesetzgebenden 
Körperschaften  von  Minnesota  waren  „während  der  ver- 
derbten Verwaltung  durch  Gouverneur  Sibley"  —  wie  sich 
zeitgenössische  Schriftsteller  in  Minnesota  ausdrückten  — 


-  447  - 

von  außerordentlich  empfindsamer  Art  und  unfähig,  eine 
Bitte  abzuschlagen^).  Eine  Vorlage  ging  durch,  die  die 
Berechtigung  zur  Ausgabe  von  5  Millionen  Dollar  Obliga- 
tionen —  die  als  Minnesota-Staatseisenbahn-Obligationen 
bezeichnet  wurden  —  erteilte,  die  den  Eisenbahngesell- 
schaften in  jenem  Staate  ausgehändigt  werden  sollten.  Nicht 
der  ganze  Betrag  wurde  ausgegeben;  die  den  Eisenbahn- 
gesellschaften nach  diesem  besonderen  Gesetze  überwiesene 
Gesamtsumme  belief  sich  auf  2  750  000  Dollar.  Weitere 
große  Summen  wurden  dann  von  Kreisen  und  Stadtbezirken 
beigesteuert,  und  indem  man  Farmer  und  Kaufleute  über- 
redete, ihr  Geld  bei  der  Eisenbahn  anzulegen,  wurde  ein 
,, schneidiges  Geschäft"  gemacht. 

Wessen  herrschender  Geist  stand  hinter  diesem  allen  ? 
Rüssel  Sages.  Selten  erschien  er  zu  auffallend  im  Vorder- 
grunde, aber  er  war  der  Leisetreter,  der,  wie  sich  später 
zeigte,,  aus  den  Geschäften  der  Minnesota-  und  Pacific- 
Eisenbahngesellschaft  hauptsächlich  Nutzen  zog.  Nachdem 
er  und  seine  Teilhaber  die  Stiftungsurkunde,  die  Privile- 
gien, Rechte,  Landbewilligungen,  Geldsummen  und  Steuer- 
freiheiten erlangt  hatten,  was  taten  sie  ?  Tapfer  und  ver- 
führerisch hatten  sie  auf  die  Notwendigkeit  von  beson- 
deren Anziehungs mittein  hingewiesen,  um  den  primitiven 
Nordwesten  zu  erschließen.  Aber  sowie  man  erst  diese  in 
erster  Linie  erstrebten  Lockmittel  gesichert  sah,  hörte  das 
Gerede  auf,  und  die  Arbeit,  ihre  geräumigen  Taschen  zu 
füllen,  setzte  mit  grimmigem  und  schweigendem  Ernste  ein. 

Zuerst  kam  es  nach  dem  üblichen  Verfahren  zu  der  ge- 
bräuchlichen, freibeuterischen  Organisation  einer  Baugesell- 
schaft, die  sich  aus  denselben  Männern  zusammensetzte  wie 
die  Eisenbahngesellschaft.  Sie  machten  Kontrakte  mit  sich 
selbst  und  forderten  ungeheuer  hohe  Preise;  und  dann, 
nach  diesen  großen  Diebereien,  schrieben  sie  sich  noch  als 

^)  Bestechungen  der  gesetzgebenden  Körperschaften  fanden  beinahe  dauernd 
statt.  „Die  zahlreichen  Privilegien,"  so  klagte  Gouverneur  W.  A.  Gorman  bei  den 
gesetzgebenden  Körperschaften  von  Minnesota  im  Jahre  1856,  „die  schon  in  Minne- 
sota für  Fähren,  Holzfällen,  Fabrikanlagen,  Bergwerke  usw.  verliehen  sind,  ge- 
nügen, um  ihre  Aufmerksamkeit  auf  diesen  Gegenstand  zu  lenken."  —  „Viele 
von  diesen  Privilegien",  betonte  er,  „mußten  Quellen  ungeheurer  Einkünfte  für  die 
Gründer   der   Gesellschaften   werden."   —  Minnesota   Council  Journal,   1856,  91. 


-  448  - 

Entgelt  für  angebliche  Dienste  auf  betrügerische  Weise 
selbst  Obligationen  zu.  Gleichzeitig  mit  diesen  Veruntreu- 
ungen machten  sie  sich  ruhig  daran,  die  kleinen  Besitzer 
von  Obligationen  und  Aktien  zu  betrügen  und  die  Gläu- 
biger zu  rupfen,  die  ihnen  die  notwendigen  Vorräte  und 
Ausrüstungsgegenstände  lieferten. 

Bis  zum  Bankrott  ausgeraubt 

Die  Diebstähle  wurden  mit  so  flinker  Geschäftigkeit  aus- 
geführt, daß  ungefähr  ein  Jahr,  nachdem  die  Gesellschaft 
ihre  Privilegien  erhalten  hatte,  ihre  Schatzkammer  ein 
leerer  Raum  geworden  war  und  die  Eisenbahn  in  Konkurs 
geriet  und  im  Jahre  1858  zwangsweise  verkauft  wurde.  Wer 
kaufte  sie  zurück?  Dieselben  Leute,  die  sie  ausgeplündert 
hatten;  als  Vorsitzende  der  Baukommission  hatten  sie 
Sorge  getragen,  sich  mit  genügenden  Obligationen  auszu- 
rüsten, um  die  rechtliche  Stellung  der  Hauptgläubiger 
einzunehmen.  Einige  von  ihnen,  wie  z.  B.  Sage,  ar- 
beiteten meistens  mit  Strohmännern,  andere  zeigten  sich 
öffentlich.  Sie  konnten  darüber  klagen  —  und  taten  es 
auch  — ,  daß  der  Konkurs  der  Gesellschaft  durch  die  Schwie- 
rigkeit veranlaßt  sei,  während  der  Panik  des  Jahres  1857 
Geld  aufzubringen;  aber  dies  war  eine  nichtssagende,  wenn 
auch  glaubwürdig  klingende  Entschuldigung. 

Bald  darauf  kam  es  zu  einer  eigenartigen  Entwicklung. 
Sie  sorgten  dafür,  daß  die  Eisenbahngesellschaft  mit  zwei 
neuen  Namen  ausgestattet  wurde.  Auf  Grund  einer  durch 
die  gesetzgebenden  Körperschaften  von  Minnesota  durch- 
geschlüpften Vorlage  wurde  die  Minnesota-  und  Pacific- 
Eisenbahngesellschaft  in  zwei  Abteilungen  neu  gebildet, 
von  denen  die  eine  St.  Paul-  und  Pacific-,  die  andere  die 
Erste  Abteilung  der  St.  Paul  und  Pacific-Eisenbahngesell- 
schaft  genannt  wurde. 

Warum  diese  beiden  Namen  für  ein  einziges  Eisenbahn- 
projekt ?  Warum  diese  verwirrende  Einrichtung  ?  Der 
Grund  wurde  etwas  später  klar.  Es  war  ein  geschickter 
Kunstgriff,  sich  in  einer  starken  gesetzUchen  Lage  zu 
verschanzen,  um  die  Bahn  noch  weiter  auszuplündern  und 


-  449  - 

bankrott  zu  machen ;  in  Wirklichkeit  leitete  dieselbe  Clique 
beide  Gesellschaften,  und  als  Baumeister  einer  Eisenbahn, 
die  sie  selbst  leitete,  konnte  sie  sich  selbst  Obligationen 
aushändigen,  die  sie  zu  einem  unangreifbaren  Gläubiger 
der  ganzen  Linie  machten.  Ein  Beispiel  schlauer  Findig- 
keit. Wessen  kluger  Kopf  ersann  diesen  Plan  ?  Es  war  der 
des  „großen  Reformators",  es  war  jener  Apostel  „reiner 
und  unverdorbener  Demokratie"  —  Samuel  J.  Tilden. 
Er  wob  sein  Netz  von  Rechtsbestimmungen  so  gut,  so  außer- 
ordentlich gut,  daß  die  kleinen  Aktionäre  und  die  Fabri- 
kanten, die  das  Material  geliefert  hatten,  sich  nach  kurzer 
Zeit  vollständig  und  ohne  Aussicht  auf  gesetzHche  Ent- 
schädigung um  ihre  Ansprüche  betrogen  sahen. 

Einer  dieser  Aktionäre,  Edward  C.  Hopkins,  machte  mit 
einem  wunderbaren  Vertrauen  auf  die  Unparteilichkeit 
der  Rechtsprechung  Anstrengungen,  um  zu  erfahren,  ob 
er  nicht  einige  Kupons  seiner  Obligationen  der  alten 
Minnesota-  und  Pacific-Eisenbahn  einlösen  könne.  Ist 
nicht,  so  lautete  sein  Anspruch,  die  St.  Paul  und  Pacific 
die  Nachfolgerin  der  ursprüngHchen  Gesellschaft  und  daher 
verpfhchtet,  ihre  Schulden  anzuerkennen  und  zu  bezahlen  ? 
Ist  das  nicht  ein  Fall,  in  dem  eine  alte  Gesellschaft  unter 
einem  neuen  Namen  handelt  ?  Der  Fall  kam  vor  dem 
Bundesgericht  der  Vereinigten  Staaten  in  St.  Paul  zur  Ver- 
handlung. Der  hervorragende  und  grundgelehrte  Richter 
war  John  F.  Dillon  —  derselbe  Dillon,  das  paßte  vorzüglich, 
der  später  das  Richteramt  aufgab,  um  Anwalt  von  Gesell- 
schaften zu  werden,  in  denen  Gould  und  Sage  die  bedeutend- 
sten leitenden  Geister  waren. 

Richter  Dillon  verabfolgte  einige  auserlesene  Rechts- 
blitze, die  anderes  kleines  Gläubigervolk  genügend  darüber 
aufklärten,  was  es  zu  erwarten  hätte.  Der  Zweck  seiner 
Entscheidung  war  herrHch  klar;  er  war  der  Ansicht,  daß, 
wenn  die  Gesetzgebung  von  Minnesota  im  Jahre  1862 
den  Namen  der  Gesellschaft  geändert  habe,  sie  eine  voll- 
ständig neue  Vereinigung  geschaffen  habe,  die  für  die 
Schulden  der  alten  nicht  verantwortlich  gemacht  werden 
könne.  Hopkins'  Klage  wurde  von  dem  Gerichtshof  ab- 
gewiesen, und  ihm  und  den  anderen  Gläubigern  wurde  es 

29 


-  450  - 

überlassen,  in  ungestörter  Muße  über  die  geheimnisvollen 
Schönheiten  der  Rechtsprechung  nachzudenken^). 

Aber  wenn  die  Gesellschaft  auch  einen  oder  vielmehr 
zwei  neue  Namen  hatte,  so  behielt  sie  doch  alles  an  Stif- 
tungsurkunden, Privilegien  und  Steuerfreiheiten  der  alten 
Korporation  —  so  lautete  die  Entscheidung.  Von  ihren 
Schulden  war  sie  befreit;  in  allen  ihren  Aktiven  und  Besit- 
zungen war  sie  sichergestellt.  Das  war  der  große  und  wich- 
tige Punkt;  Namen  waren  nur  eine  brauchbare  Maske, 
unter  deren  Schutz  die  „Eingeweihten"  die  kleineren  Kapi- 
talisten betrügen  konnten. 

Ungeheuer  große  Unter  Stützungsgelder  gestohlen 

Was  haben  die  Projektenmacher,  während  sie  diese  große 
Schar  von  Gimpeln  beschwindelten,  mit  den  ungeheuer 
großen  Unterstützungsgeldern  angefangen,  die  sie  in  der 
einen  oder  anderen  Form  zum  Bau  der  Eisenbahn  erhalten 
hatten  ?  Das  Geld  war  tatsächlich  verschwunden.  Wohin  ? 
Abgesehen  von  einigen  hundert  Meilen  planierten  Prärie- 
landes, war  nur  wenig  Eisenbahnbau  für  die  angegebenen 
Ausgaben  aufzuweisen.  Selbst  die  kurze,  zehn  Meilen  lange 
Strecke  der  Hauptlinie  von  St.  Paul  nach  Minneapolis  war 
um  1862  nicht,  wie  es  das  Gesetz  verlangt  hatte,  in  Betrieb 
genommen.  Warum  nicht  ?  Die  Geschwindigkeit,  mit  der 
ein  solches  Vermögen  wie  das  Sages  aufgehäuft  wurde,  war 
die  Antwort.   Das  Geld  war  gestohlen. 

Als  sich  die  Bestecher  von  Beruf,  die  diese  Eisenbahn  aus- 
geplündert hatten,  ursprünglich  um  Gaben  an  Land  und 
Geld  an  den  Kongreß  und  an  Minnesota  wandten,  hatten 
sie  sich  selbst  als  Kapitalisten  mit  „reichen  Hilfsquellen" 
zur  Ausführung  des  Planes  bezeichnet.  Alles,  was  sie  brauch- 
ten, so  führten  sie  aus,  war  die  staatliche  Unterstützung  in 
irgendeiner  Form,  weil  „das  Unternehmen  so  kostspielig 
sei".  Nachdem  sie  die  Eisenbahn  bis  zum  Bankrott  aus- 
geraubt hatten,  fing  eine  besondere  Kommission  des  Senats 
von  Minnesota  an,  ihre  Antezedenzien  und  ihr  Verfahren  zu 

^)  Edward  C.  Hopkins  contra  St.  Paul  and  Pacific  Railroad  Company,  Dillon's 
Circuit  Court  Reports,  1871 — 1873,  2,  396 — 398. 


-  451  - 

untersuchen.  „Das  Ergebnis  zeigte,"  berichtete  die  Kom- 
mission, „daß  die  Gesellschaften  kein  bares  Kapital  zur 
Verfügung  hatten  und  kaum  genügenden  Kredit,  um  eine 
rechtzeitige  Absteckung  ihrer  Bahnlinien  sicherzustellen"^). 
Die  Kommission  fuhr  fort: 

„Soweit  Ihre  Kommission  erkennen  kann,  haben  die 
Gesellschaften  seit  der  Durchbringung  des  Darlehns- 
amendements  nicht  einen  Dollar  Kapital  hergegeben,  um 
die  Ausführung  ihres  riesenhaften  Unternehmens  zu  fördern. 
Sie  haben  große  Mengen  dieser  Obligationen  mit  enorm 
hohem  Diskont  verkauft  oder  verpfändet.  Sie  haben  an 
unbefugte  und  unfähige  Beamte  übertrieben  hohe  Gehälter 
gezahlt.  Mit  Ausnahme  von  ungefähr  fünfzig  Meilen  gut 
ausgeführten  Oberbaues  sind  unvollständige,  fragmen- 
tarische und  unzusammenhängende  Strecken  planierten 
Landes,  von  denen  die  Meile  durchschnittlich  weniger  als 
3000  Dollar  kostet,  alles,  was  die  Gesellschaften  für  die 
vom  Staat  ihnen  gewährte  großmütige  Ausgabe  von  Obli- 
gationen aufweisen  können  2). 

Dies  gibt  ein  lebhaftes  Bild  von  der  ursprünglichen  „Bau- 
fähigkeit" der  Kapitalisten  —  einer  Fähigkeit,  die  sich 
offenbar  in  der  Häufung  der  größten  Betrügereien  be- 
kundete. Aber  wo  in  den  Vereinigten  Staaten  war  es  nicht 
ebenso  ? 

Die  nun  folgenden  späteren  Ereignisse  in  der  Geschichte 
dieser  Gesellschaft  sind  mit  dürren  Worten  aufgezeichnet 
in  den  Berichten  über  den  Prozeß  John  Kennedy  &  Co. 
gegen  die  St.  Paul-  und  Pacific -Eisenbahngesellschaft, 
mit  Einschluß  von  deren  Erster  Abteilung,  gegen  die 
Northern  Pacific -Eisenbahngesellschaft,  Rüssel  Sage,  Sa- 
muel J.  Tilden  und  andere^).  Obgleich  in  diesen  Be- 
richten durchaus  nicht  alle  Details  mitgeteilt  werden,  kann 
man  ihnen  doch  wenigstens  einige  authentische  Einzel- 
heiten entnehmen. 

Um  1871  hatten  Sage  und  seine  Genossen  einige  Eisen- 
bahnerweiterungen    fertiggestellt     und     im     ganzen     für 

*)  Report  of  Special  Committee  on  Railroads  and  Railroad  Grants.  February  3, 
1860,  MinneBOta  Senate  Journal,  1859 — 1860,  343. 

*)  und  3)  Dillon's  Circuit  Court  Reports,  1871 — 1873,  2,  448 — 527. 

29* 


-  452  - 

13  3^0  000  Dollar  verpfändet.  Beinahe  die  ganze  Summe 
war  von  holländischen  Bankhäusern  vorgestreckt  worden. 
Aber  sechzig  Meilen  der  Hauptlinie  waren  noch  in  unfertigem 
Zustande,  und  die  Bewohner  des  Staates  fingen  an,  gefähr- 
lich neugierig  zu  werden,  warum  das  so  sei.  Millionen 
Dollar  waren  verschwunden;  alles,  was  der  Gesellschaft  an 
Gaben  in  Land  und  Geld  bewilligt  worden  war,  war  bis  jetzt 
in  den  Bau  von  nur  wenigen  unzusammenhängenden  und 
halb  wertlosen  Strecken  der  geplanten  Eisenbahn  versunken. 
Die  Direktoren  mußten  etwas  unternehmen.  Sie  taten  es, 
indem  sie  einen  neuen  Plan  entwarfen,  um  die  zu  eifrigen 
und  leichtgläubigen  holländischen  Kapitalisten  bluten  zu 
lassen. 

Holländische  Kapitalisten  betrogen 

Und  sie  taten  folgendes:  Eine  Gruppe  von  Männern, 
die  die  Erste  Abteilung  der  St.  Paul  und  Pacific  bildete, 
tat  sich  korporativ  zusammen  und  gab  Obligationen  für 
15  Millionen  Dollar  aus.  Dieselben  Männer  oder  ihre  Werk- 
zeuge traten  dann  wieder  als  Direktoren  der  St.  Paul  und 
Pacific  zusammen  (es  ist  schwer,  diese  feinen  Unterschiede 
im  Gedächtnis  zu  behalten)  und  verpfändeten  Rechte,  Privi- 
legien und  Eigentum  mit  Einschluß  der  staatlichen  Land- 
bewilligungen für  99  Jahre  an  die  Erste  Abteilung.  Dann 
verpflichtete  sich  der  Verband  der  Ersten  Abteilung,  als 
Baugesellschaft,  zur  Fertigstellung  der  Eisenbahnerweite- 
rungen vor  dem  i.  März  1873,  da  an  diesem  Termin,  nach 
einer  neuen  gesetzlichen  Anordnung,  die  Landbewilligung 
verfallen  sollte,  falls  die  Erweiterungen  nicht  hergestellt 
seien. 

Die  Bedingungen  der  Verpfändung  waren  klar  und  ver- 
lockend. Die  ganzen  15  Millionen  Dollar  sollten  zum  Bau 
der  Erweiterungen  verwandt  werden.  Auf  Grund  dieses 
Abkommens  wurden  im  Jahre  1871  weitere  8  Millionen 
Dollar  in  Holland  aufgebracht.  Aber  etwas  wurde  den 
holländischen  Kapitalisten  von  der  Sage-Clique  sorgfältig 
vorenthalten.  Sie  sagte  den  holländischen  KapitaHsten 
nicht,  daß  ein  großer  Teil  des  aufgebrachten  Geldes  ent- 


-  453  - 

gegen  den  ausdrücklichen  Bedingungen  der  Verpfändung 
für  die  Hauptlinie  verwandt  werden  sollte^). 

Was  geschah  mit  den  in  Holland  aufgebrachten  8  Millio- 
nen Dollar  ?  Diese  Summe,  welche,  wie  die  Entleiher  den 
Holländern  feierlich  zuschworen,  ausschließlich  für  den  Bau 
der  Erweiterungsstrecken  verwendet  werden  sollte,  wurde 
sofort  auf  verschiedene  Art  in  räuberischer  Weise  verteilt. 
Ungefähr  3  Millionen  Dollar  davon  wurden  betrügerischer- 
weise der  Vervollständigung  der  Hauptlinie  zugewandt; 
große  Summen  wurden  schnell  beiseite  gebracht,  um  die 
Zinsen  für  die  Aktien  der  Hauptlinie  zu  bezahlen,  und  wo- 
für wurden  die  anderen  Millionen  verwendet  ?  Für  den  An- 
kauf von  Eisenmaterial  und  die  Bezahlung  der  Bauunter- 
nehmer auf  der  Erweiterungsstrecke.  Und  wer  verkaufte 
das  Eisen  ?  Die  Gesellschaft  der  Ersten  Abteilung.  Das 
Verfahren  war  einfach;  Sage  usw.  verkauften  die  Schienen 
an  sich  selbst  und  verrechneten  den  Betrag  gegen  das  von 
den  holländischen  Kapitalisten  vorgestreckte  Geld  2). 

Das  waren  in  der  Tat  heitere  Zeiten  kühnen  Diebstahls; 
die  Räuberei  war  so  umfassend  und  weitgriffig,  daß  sehr 
natürlich  die  Erste  Abteilung,  deren  Schatz  ebenso  rasch 
geplündert  wie  gefüllt  war,  sich  im  Jahre  1 872  für  insolvent 
erklärte.  In  weniger  als  einem  Jahre  waren  8  Millionen 
Dollar  „verkrümelt";  oder,  wir  wollen  lieber  sagen,  zu- 
sammengebracht worden,  denn  der  größte  Teil  davon  ging 
in  die  Taschen  weniger  Leute  und  blieb  dort.  Und  das  war 
noch  nicht  alles.  Als  die  Erste  Abteilung  im  Oktober  1872 
die  Arbeit  einstellte,  schuldete  sie  ihren  Unternehmern 
—  untergeordneten  Firmen,  die  wirklich  die  Bauarbeit  aus- 
führten —  ungefähr  700  000  Dollar,  obgleich  sie  später 
diese  Schuld  dadurch,  daß  sie  einen  Teil  in  Eisenlieferungen 
zahlte,  auf  500  000  Dollar  herabsetzte.  Sie  stöhnte  auch 
unter  großen  schwebenden  Schulden,  und  ihre  Zinskupons- 
zahlungen waren,  wegen  Protesteinlegung,  gerichtlich  zu- 
rückgehalten. 

^)  In  seiner  trockenen  Ausdrucksweise  teilt  der  Gerichtshof  die  Tatsachen 
folgendermaßen  mit:  „Aber  dieser  Teil  des  Planes,  die  Absicht  einer  Verwendung 
eines  Teiles  der  besagten  Erträge  für  die  Hauptlinic,  wurde  nicht  veröffentlicht  oder 
den  Personen  bekannt  gemacht,  die  besagte  Aktien  später  kauften."    Dillen  5,  459. 

»)  Dillon's  Circuit  Court  Reports,   1879 — '8^°)  5>  45' — ^+59- 


-  454  - 

Anrufung  der  Gerichte 

Betrogen  und  beraubt,  wie  sie  waren,  erkannten  die 
holländischen  Kapitalisten  jetzt  vollständig  ihre  schlimme 
Lage;  das  Geld,  das  sie  ihren  Landsleuten  zu  Hause  ab- 
geschunden hatten,  war  ihnen  geraubt  worden.  Wie  konn- 
ten sie  es  wiedererlangen  ?  Sie  taten  den  einzigen  Schritt, 
den  sie  überhaupt  tun  konnten,  d.  h.,  sie  bewarben  sich  um 
einen  behördlich  bestellten  Verwalter.  Daher  die  Klage, 
die  John  S.  Kennedy  &  Co.  einbrachte,  indem  er  für  sie 
und  andere  Aktionäre  handelte.  In  kühler,  juristischer 
Ausdrucksweise  brachten  sie  ihre  Beschwerde  vor ;  sie  waren 
belogen  und  betrogen  worden.  „Sie  (die  Aktionäre)  be- 
anspruchen auch,"  so  heißt  es  in  der  förmlichen  gerichtlichen 
Darstellung,  „daß  auf  Grund  der  Zahlungsunfähigkeit  der 
besagten  Gesellschaft  der  Ersten  Abteilung  und  verschie- 
dener betrügerischer  und  ungehöriger  Handlungen  ihrer 
leitenden  Beamten  —  die  hier  nicht  angeführt  werden,  weil 
der  Gerichtshof  es  in  bezug  auf  die  tatsächlichen  Haupt- 
punkte des  Gesuches  nicht  für  wesentlich  hält  —  ein  be- 
hördlich bestellter  Verwalter  eingesetzt  werden  solle"  usw.^). 

Richter  Dillon  war  damit  einverstanden,  daß  ein  Ver- 
walter eingesetzt  würde.  Dringende  Gründe,  sagte  er, 
machten  es  notwendig.  Die  Gesellschaft  besaß  eine  aus- 
gedehnte Bewilligung  von  Land,  von  dem  der  Morgen  auf 
6  Dollar  geschätzt  wurde.  Und  dies  war  die  einzige  an- 
gemessene Sicherheit  für  die  15  MiUionen  Dollar  Pfand- 
verschreibung. Aber  es  traf  sich,  daß  dieses  Landgebiet 
oder  ein  großer  Teil  desselben,  wenn  gewisse  Erweiterungs- 
strecken nicht  zu  einer  gewissen  Zeit  vollendet  waren, 
verfiel.  Es  war  dringend  notwendig,  sagte  Dillon,  jenes 
staatlich  bewilligte  Land  zu  retten,  und  da  die  Direktoren 
der  Bahn  zugaben,  daß  kein  Geld  in  ihrer  Kasse  sei,  so  sei 
es  im  Interesse  der  Aktionäre  das  Beste,  daß  ein  Verwalter 
eingesetzt  werde.  Der  Verwalter  sollte  die  Berechtigung 
haben,  die  Erweiterungsstrecken  fertigzustellen.  Dillon 
setzte  darauf  am  i.  September  1875  einen  gewissen  Jesse 
P.  Farley  als  behördlich  bestellten  Verwalter  ein. 

^)  Ebenda. 


-  455  - 

Die  weitere  Entwicklung  zeigte  sich  in  dem  zweiten  Pro- 
zeß von  John  S.  Kennedy  &  Co.  gegen  die  St.  Paul-  und 
Pacific-Eisenbahn^). 

Farley,  scheint  es,  machte  sehr  viel  Aufhebens  von  der 
von  ihm  geleisteten  Bauarbeit,  tatsächlich  aber  gab  er  für 
Bau-  und  Reparaturarbeit  nur  ungefähr  loo  ooo  Dollar 
aus.  Er  hielt  jedoch  den  Schein  genügend  aufrecht,  um 
jenen  Teil  des  staatlich  bewilligten  Landes,  dem  die  Ver- 
wirkung  drohte,  eine  Zeitlang  davor  zu  bewahren.  Aber  um 
das  Jahr  1878  war  die  Bevölkerung  von  Minnesota  wieder  ein- 
mal sehr  erregt.  Einundzwanzig  Jahre  waren  dahingegangen, 
seit  die  Gesellschaft  ihre  Privilegien  erhalten  hatte.  Sie 
hatte  nicht  nur  von  der  Nationalregierung,  von  dem  Staat, 
von  Städten  und  Kreisen,  sondern  auch  von  Privatpersonen 
ungeheuer  große  Unterstützungen  an  Geld  und  Land  er- 
halten. An  der  ganzen  Strecke  entlang,  sowohl  der  fertig- 
gestellten wie  der  projektierten,  hatten  Farmer  und  Kauf- 
leute Aktien  gezeichnet,  um,  wie  sie  erkannten,  nur  wert- 
lose Papierfetzen  zu  besitzen,  die  weder  eine  Eisenbahn 
noch  Zinsen  brachten.  Die  Gesellschaft  hatte  sich  zweimal 
bis  zur  Insolvenz  ausgeplündert;  sie  hatte  durch  wieder- 
holte Taschenspielereien  nicht  nur  eingeborene  Kapita- 
listen, Farmer  und  Kaufleute  betrogen,  sondern  sie  hatte 
auch  die  vielen  Millionen  beiseite  gebracht,  die  durch  hollän- 
dische Kapitalisten  zugeflossen  waren. 

Die  gesetzgebenden  Körperschaften  erwachen 

Jetzt  befand  sich  die  Gesellschaft  noch  in  vollständig 
bankrottem  Zustande.  Die  gesetzgebenden  Körperschaften 
konnten  diesem  überwältigenden  Ausdruck  der  Entrüstung 
des  Volkes  nicht  standhalten.  Am  9.  März  1878  geneh- 
migten sie  ein  Gesetz  des  Inhalts,  daß,  wenn  nicht  eine 
bestimmte    Anzahl    Meilen    zu    einem   gewissen    Termin 

*)  Ebenda  S.  519 — 536.  Kennedy  indessen  verriet  die  Interessen  der  hollän- 
dischen Aktionäre,  befand  sich  im  Einverständnis  mit  dem  Verwalter  und  traf  ein 
betrügerisches  Abkommen,  bei  dem  er  (Kennedy)  enorm  viel  gewann.  Kennedy 
erhielt  auf  diese  Art  viele  Millionen;  die  Wegschenkung  einiger  dieser  Millionen 
setzte  ihn  später  in  den  Stand,  sich  als  ,,großen  Philanthropen"  aufzutun.  — 
Siehe  das  Kapitel  über  das  Vermögen  von  Hill 


-  456  - 

gebaut  sei,  die  unvollendeten  Strecken  zusammen  mit 
dem  staatlich  bewilligten  Lande,  den  Rechten,  Privi- 
legien, Steuerbefreiungen  und  allem  zugehörigen  Eigentum 
„sofort  und  vollständig  dem  Staate  Minnesota  verfallen 
sein  sollten,  ohne  irgendeine  weitere  Verfügung  oder  Förm- 

lichlceitO". 

Es  war  ein  drastisches  Gesetz,  und  es  mußte  sofort  etwas 
geschehen,  wenn  man  die  Absichten  des  Staates  durch- 
kreuzen wollte.  Wer  würde  das  Geld  zum  Bau  der  unvoll- 
endeten Strecken  liefern  und  so  die  Verwirkung  der  Privi- 
legien und  des  staatlich  bewilligten  Landes  verhindern  ? 
Sage  und  andere  hatten  sich,  nachdem  sie  alle  bei  der  Bahn 
in  Aussicht  stehende  Beute  an  sich  gebracht  hatten,  zurück- 
gezogen, um  den  Ertrag  ihrer  Freibeuterei  durch  gleiche 
Handlungen  nach  anderen  Richtungen  nutzbar  zu  machen. 
Die  Eisenbahn  selbst  war  in  einem  beklagenswert  schlechten 
Zustande,  vollständig  unorganisiert,  und  es  war  sehr  ge- 
fährlich, mit  ihr  zu  reisen.  Sie  war  schlecht  ausgestattet 
und  hatte  nur  wenige  in  Betracht  kommende  Bahnhöfe  oder 
Magazine.  Das  war  das  „glänzende  Eisenbahnsystem",  das 
Sage  und  seine  Clique  bauen  wollten;  das  war  das  Resultat 
ihrer  „ungeheuren  Baufähigkeit"!  Wieviel  Beute  Sage  aus 
dem  Projekt  gezogen  hat,  sind  wir  nicht  imstande  zu  sagen; 
es  gibt  keinen  Bericht,  der  die  Summe  genau  oder  annähernd 
feststellt;  sie  belief  sich  sehr  wahrscheinlich  auf  viele  Millio- 
nen Dollar. 

Unterdes  hatte  Sage  in  Troy  Gould  getroffen  und  war 
nach  New  York  übergesiedelt.  „Die  beiden  Männer,"  sagt 
der  vorher  erwähnte  überschwengliche  Biograph,  „machten 
Eindruck  aufeinander,  und  dieser  Eindruck  vertiefte  sich 
später  zu  einer  in  der  Finanzgeschichte  berühmten  Freund- 
schaft." Berühmt  oder  berüchtigt,  je  nachdem  es  einem 
beliebt,  es  anzusehen.  Ein  schätzenswertes  Arbeitsgespann 
gaben  die  beiden  ab;  Sage  verschlagen,  finster  und  ein- 
siedlerisch, Gould  zu  populärer  Verwegenheit  bereit,  beide 
einander  gleich  in  unergründlichen  Ränken  und  Kunst- 
griffen. Der  eine  übertrieben  vorsichtig,  der  andere  über- 
trieben  waghalsig,    einer  dem   anderen   das  Gleichgewicht 

*)  Minnesota  Special  Laws.   1878,  344. 


-  457  - 

haltend.  Gould  bekam  allmählich  einen  ungeheuren  Respekt 
vor  Sage;  Sage  war  der  einzige  Verbündete,  den  Gould 
weder  übervorteilen  noch  ausplündern  konnte. 

Späterhin  und  sehr  zur  rechten  Zeit  eilte  Sage  bei  Beginn 
des  Bürgerkrieges  nach  der  Stadt  New  York.  Dort,  in 
Wallstreet,  war  das  Hauptquartier  vieler  der  Eisenbahn- 
gesellschaften, die  bestochen  und  geraubt  hatten  und 
dies  noch  taten.  Z.  B.  war  das  Büro  der  La  Crosse- 
und  Milwaukee-Eisenbahngesellschaft  dort ;  wer  auch  immer 
der  wirkliche  physische  Erbauer  der  Eisenbahnen  sein 
mochte,  die  Besitzer  waren  entweder  Wallstreet-Leute  oder 
Kapitalisten  gleichen  Schlages  —  Männer,  die  sich  durch 
eine  besondere  Art  des  Betruges  oder  Diebstahls  in  die 
Herrschaft  eingedrängt  hatten. 

Und  dort  in  New  York  war  auch  der  Schauplatz  der 
größten  Tätigkeit  in  der  üblichen  weitverbreiteten  Plün- 
derung. Von  dort  gingen  die  Pläne  und  Entwürfe  aus,  die 
sich  später  als  kolossale  Schwindeleien  entpuppten.  Wäre 
das  Zentrum  dieser  Teufelei  anderswo  gewesen,  dann  wären 
Sage  und  die  ganze  übrige  Brut  zweifellos  dorthin  ge- 
strömt. 

Gestohle7ie  Müliotien  auf  Wucher  ausgeliehen 

Nun  wurde  Sage  ein  Geldverleiher  im  großen  Stile;  er 
erfand  ein  besonderes  Wuchersystem,  das  „put"  and 
„call"-System ,  dessen  Feinheiten  zu  beschreiben  wir  hier 
nicht  versuchen  wollen.  Jetzt  konnte  man  sehen,  was  er 
mit  den  Millionen  tat,  die  er  in  Wisconsin  und  Minnesota 
gestohlen  hatte*).   Im  allgemeinen  pflegte  er  Geld  zu  recht 

*)  Und  auch  in  Iowa,  bei  dessen  Eisenbahnen  er  sehr  weitgehend  beteiligt  war. 
Die  Kapitalisten,  denen  die  Sioux  City-  und  St.  Paul-Eisenbahn  gehörte,  hatten 
sie  so  zickzackartig  bauen  lassen,  daß  sie  in  betrügerischer  Weise  sogar  noch  größere 
Landbewilligungen  stehlen  konnten,  als  die  entgegenkommenden  Maßnahmen 
des  Kongresses  gewähren  wollten.  Durch  das  Vorrücken  dieser  Eisenbahn  in  den 
Kreisen  Osceola,  Dickinson  und  O'Bricn  in  Iowa  erhob  diese  Gesellschaft  An- 
sprüche auf  189  184,54  weitere  Morgen  öffentlichen  Landes  in  jenen  Kreisen,  und  sie 
bewog  die  Staatsbeamten,  ihr  ein  Patent  zu  gewähren.  Sage  war  jedoch  der  Präsident 
einer  Eisenbahngesellschaft  geworden,  die  den  Namen  McGregor  Western  führte, 
und  hatte  seine  Linie  gerade  durch  dieses  Gebiet  gelegt.  Er  verlangte  einen  Anteil 
an  jenen  189  000  Morgen  und  verklagte,  als  ihm  dies  verweigert  wurde,  die  St.  Paul- 


-  458  - 

hohem  Zinsfuß  auszuleihen,  aber  in  Zeiten  der  Panik  und 
der  Wallstreet-,, Klemmen"  verlangte  —  und  erhielt  —  er 
zwei  Prozent  täglich  oder  sechzig  Prozent  monatlich. 
Freund  oder  Feind,  es  kam  nicht  darauf  an,  einer  wie 
der  andere,  mußte  die  enormen  Zinsen  zahlen,  die  er 
verlangte,  wenn  er  eine  Unterstützung  in  barem  Gelde  (das 
Sage  immer  zur  Hand  hatte)  brauchte,  um  sich  d,adurch 
davor  zu  retten,  seinen  Verpflichtungen  nicht  nachkommen 
zu  können  und  so  in  Bankrott  zu  geraten.  Sage  gehörte  zu 
jener  hervorragenden  Vereinigung  von  Patrioten,  die  das 
Gold,  als  es  zur  Fortführung  des  Bürgerkrieges  höchst 
notwendig  war,  aufspeicherten  und  sich  weigerten,  es 
auszuleihen,  wenn  nicht  zu  unglaublich  erpresserischen 
Zinsen. 

Zu  dieser  Zeit  schenkte  man  im  Osten  den  Eisenbahn- 
unternehmungen im  Westen  wenig  Aufmerksamkeit;  die 
Zeitungen  waren  beinahe  vollständig  mit  den  Berichten  über 
die  Ereignisse  des  großen  Bürgerkrieges  gefüllt.  Wenige 
wußten  etwas  von  den  riesenhaften  Diebstählen  und  Betrü- 
gereien, die  Sage  draußen  im  Nordwesten  ausführte;  und 
als  er  plötzlich  als  Multimillionär  bekannt  wurde,  wurden 
glühende  Berichte  über  ihn  als  einen  wunderbaren  Finanz- 
mann veröffentlicht.  Dieses  Lob  wurde  natürlich  immer 
durch  den  Spott  über  seine  außerordentliche  Knickrigkeit 
und  den  Abscheu  vor  seiner  Hartherzigkeit  abgeschwächt. 
Aber  es  gab  Leute,  die  mit  ihm  in  Verbindung  gestanden 
hatten  und  über  die  Geschichten  von  seinen  Zaubertaten 
bei  der  Anhäufung  der  Millionen  lächelten;  sie  wußten,  was 
die  ihm  zugeschriebene  Zauberkunst  in  Wirklichkeit  war; 
sie  wußten  von  den  fortgesetzten  Bestechungen,  Be- 
trügereien und  Diebstählen.  Wenigstens  von  noch  einem 
Verfahren,  an  dem  er  zu  dieser  Zeit  beteiligt  war,  sind  die 
Einzelheiten  zugänglich;  sehr  viele  seiner  anderen  Taten 
sind  für  die  Geschichtschreibung  nicht  faßbar. 

und  Pacific-Eisenbahngesellschaft.  Der. Fall  wurde  schließlich  am  20.  Januar  1882 
vor  das  Bundesgericht  der  Vereinigten  Staaten  in  Iowa  gebracht,  wo  Richter  Love 
mit  feiner  richterlicher  Unparteilichkeit  die  liebenswürdige  Entscheidung  traf, 
daß  jede  der  beiden  Gesellschaften  das  Anrecht  auf  die  Hälfte  des  streitigen  Landes 
habe.  —  Federal  Reporter  10,  435 — 450. 


-  459  - 

Die  Pacific-Postsubsidien 

Eine  der  vielen  Gesellschaften,  in  denen  Sage  ein  be- 
deutender Aktionär  wurde,  war  die  „Pacific-Mail-Steam- 
ship-Company".  Diese  Gesellschaft  bestach,  wie  wir  in  den 
Vanderbilt-Kapiteln  bemerkt  haben,  lange  Zeit  den  Kon- 
greß, um  auf  räuberische  Weise  von  der  Regierung  Post- 
subsidien  zu  erlangen.  Durch  eine  weitere,  von  dem  Kon- 
greß am  17.  Februar  1865  genehmigte  Vorlage  erhielt  sie 
noch  eine  bedeutende  Regierungsunterstützung  zur  Beförde- 
rung der  Post  zwischen  San  Francisco  und  Asien  via  Honolulu. 

Die  Beute  war  so  reich,  daß  verschiedene  Gruppen  von 
Kapitalisten  einander  beständig  bekämpften,  um  den  Schatz 
der  Gesellschaft  in  ihre  Gewalt  zu  bekommen.  Wir  ent- 
nehmen den  Prozeßberichten,  daß  im  Jahre  1867  jene  gute, 
alte,  höchst  achtungswerte  Bankfirma  Brown  Brothers  &  Co. 
zu  den  bedeutendsten  Aktionären  gehörte.  In  ihrem  eigenen 
Namen  und  in  Vertretung  von  Parteien,  die  sie  autorisiert 
hatten,  verfügte  sie  über  jy  839  Anteilscheine  von  der 
Gesamtsumme  der  200  000  Anteilscheine  des  Aktien- 
kapitals der  Pacific-Postdampfergesellschaft. 

Wie  die  Firma  Phelps,  Dodge  &  Co.  besaß  die  Bankfirma 
Brown  Brothers  &  Co.  in  hervorragendem  Maße  den  Ruf 
(wie  noch  heute),  eine  der  „altmodischen  Firmen"  von 
„strenger  Rechtlichkeit"  zu  sein.  Sicherlich  wußte  sie 
offiziell  nichts  von  der  ununterbrochen  vor  sich  gehenden 
Bestechung  zur  Erlangung  von  Subsidien;  wer  ein  geschäft- 
liches Unternehmen  besitzt,  muß  die  Unkenntnis  solcher 
in  Verlegenheit  bringender  Details  kultivieren.  Und  könnte 
es  möghch  sein,  daß,  wie  William  Swinton,  ein  bekannter 
Schriftsteller,  in  seiner  Schmähschrift  vorbringt,  der  „her- 
vorragend achtungswerte"  Alexander  Brown  und  seine  Ge- 
nossen gegen  dieselbe  Gesellschaft,  deren  Aktionäre  sie  waren, 
(nach  unserer  modernen  Ausdrucksweise)  die  „Grafters"  ^) 
spielten  ?  Swinton  erhob  den  Vorwurf,  daß  sie  ein  dem  Eigen- 
tumsrecht gleichkommendes  Pfandrecht  an  den  Kessel-, 
Eisen-  und  anderen  Fabriken  besäßen,  die  die  Ausrüstung  für 

*)  grafters,   deutschamerikanisch    Grabscher:    üblicher    Ausdruck  für  die  un- 
saubersten Beutepolitiker. 


—  4^0  — 

die  Linie  der  Pacific-Mail-Steamship-Company  besorgten. 
Im  Dezember  1867  machte  eine  Gruppe  einen  sehr  starken 
Versuch,  sie  zu  verdrängen;  sie  schlugen  sie  aber  erfolgreich 
zurück.    Das  gab  vor  Gericht  eine  schöne  Verwirrung. 

Da  die  Besitzer  der  Linie  fanden,  daß  der  Kongreß,  wie 
immer,  geneigt  war,  Geschäfte  zu  machen,  eröffneten  sie  neue 
Unterhandlungen  und  mit  so  glänzendem  Erfolg,  daß  im 
Jahre  1872  ein  anderes  Gesetz  durchging,  das  weitere  Post- 
subsidien  von  500  000  Dollar  jährhch  für  zehn  Jahre  be- 
willigte. Die  Beute  an  Subsidien  war  jetzt  so  viel  größer  als 
früher,  daß  der  Kampf  um  ihren  Besitz  oder  vielmehr  um 
ihre  Benutzung  schnell  einen  noch  heftigeren  Streit  unter 
den  Interessenten  herbeiführte.  Le  Grand  Lockwood,  einer 
der  Aktionäre,  erhob,  indem  er  dabei  noch  ein  anderes  Ziel 
ins  Auge  faßte,  öffentlich  die  Anklage,  daß  zur  Durchbrin- 
gung  des  Gesetzes  Bestechung  angewandt  worden  sei. 
Lockwood  wurde  sicherUch  nicht  durch  moralische  Motive 
geleitet,  er  hatte  aus  dem  Credit-Mobilier-Schwindel  großen 
Vorteil  gezogen.  Das  Repräsentantenhaus  setzte  eine  Miene 
schmerzlichen  und  beleidigten  Erstaunens  auf,  war  starr 
vor  Empörung  und  beauftragte  am  20.  Februar  1873  die 
Budgetkommission,  eine  Untersuchung  anzustellen. 

Der  Kongreß  erwartete  natürHch  nicht,  daß  die  Unter- 
suchung wirklich  irgendwelche  vernichtende  Tatsachen  ent- 
hüllen würde;  man  nahm  zuversichtHch  an,  daß  die  Nach- 
forschung leicht  in  harmlose  Kanäle  abgelenkt  werden 
könne.  Aber  die  abgegebenen  Zeugenaussagen  zertrümmer- 
ten diese  fröhlichen  Erwartungen. 

Eine  Million  Dollar  für  Bestechungen 

Die  Kommission  war  von  den  Zeugenaussagen  nicht  sehr 
erbaut;  sie  sah  sich  gezwungen,  zu  berichten,  daß  „eine 
Summe  von  beinahe  einer  Million  Dollar  in  einem  gewissen 
Zusammenhange  mit  der  Durchbringung  der  Vorlage  aus- 
gegeben zu  sein  scheint^)",  und  „daß  die  Resultate  des  Be- 

1)  House  Report  Nr.  269,  Forty-third  Congress,  Second  Session,  1874 — 1875, 
2,  17.  Henry  Clews,  jener  begeisterte  Bankier  und  Moralist,  war  während  dieser 
Periode  einer  der  Direktoren. 


—  4^1  — 

Weisverfahrens  darin  bestehen,  daß  565  000  Dollar  an 
Lobbyisten  ausgezahlt  worden  sind;  die  Verfügung  über 
die  übrigen  335  000  Dollar  bleibt  nach  dem  vorgebrachten 
Beweismaterial  zweifelhaft^)".  Rüssel  Sage  war  zu  dieser 
Zeit  Präsident  der  Pacific-Mail-Steamship-Company;  er 
wurde  herbeigeschleppt,  um  Zeugnis  abzulegen,  und  er  tat 
dies  mit  sehr  beleidigter  Miene.  Er  leugnete,  daß  er  zu  der 
Zeit,  als  die  Subsidien  gewährt  wurden,  mit  der  Gesellschaft 
in  Verbindung  gestanden  habe,  und  behauptete,  daß  er  von  den 
in  Rede  stehenden  Bestechungen  nichts  wisse.  Wenn  wir  sein 
Wort  hinnehmen  sollen,  daß  er  bei  den  Bestechungen  nicht 
beteiligt  war  —  eine  zweifelhafte  Annahme,  da  er  in  anderen 
Angelegenheiten  erwiesenermaßen  ein  Meineidiger  war  2)  — , 
dann  bestand  seine  Handlungsweise  wahrscheinlich  darin, 
zu  warten,  bis  die  5  Millionen  Dollar  Subsidien  bewilligt 
worden  waren,  und  die  Angelegenheiten  dann  so  zu  führen, 
daß  er  sie  in  seine  Gewalt  bekam.  Ohne  Zweifel  wußte  er 
sehr  wohl  von  der  Bestechung,  und  es  ist  eine  glaubliche 
Annahme,  daß  er  Lockwood  dazu  getrieben  hatte,  die  Klage 
einzubringen,  um  allgemeine  Verwirrung  und  Mißtrauen 
hervorzurufen  und  die  herrschende  Clique  zu  stürzen. 

Auf  alle  Fälle,  bei  jedem  Wenn  und  Aber,  war  die  Pacific- 
Mail-Steamship-Company  mit  ihren  großen  Subsidien,  die 
sie  durch  Bestechung  erlangt  hatte,  vorhanden,  und  Sage 
war  im  Jahre  1873  von  allem  das  Haupt.  Soweit  die  Per- 
sönlichkeiten der  Bestecher  und  Bestochenen  in  Betracht 
kamen,  behauptete  die  Kommission,  nichts  zu  wissen.  Ein 
Lobbyist,  Richard  B.  Irwin,  sagte  aus,  daß  er  750000  Dollar 
an  „andere  Personen"^)  ausgezahlt  habe,  aber  wer  jene  Per- 
sonen seien,  das  behauptete  die  Kommission  nicht  zu  wissen ; 
sie  habe,  um  dies  herauszufinden,   alle  „Hilfsquellen  er- 

1)  Ebenda  S.  i8. 

'■')  Jahrelang  schwor  Sage,  daß  sein  steuerbares  Privateigentum  2  Millionen  Dollar 
nicht  übersteige,  und  selbst  von  dieser  Summe  wünschte  er,  daß  sie  herabgesetzt 
oder  in  den  Steuerbüchern  gelöscht  würde.  Nach  seinem  Tode  suchte  die  Steuer- 
behörde der  Stadt  New  York  Steuern  von  wenigstens  50  Millionen  Dollar  persön- 
lichen, von  seiner  Witwe  geerbten  Eigentums  festzusetzen;  die  Höhe  der  Ein- 
schätzung wurde  aber  sehr  herabgesetzt,  als  sein  Testamentsvollstrecker  bewies,  daß 
10  Millionen  Dollar  von  Sages  Vermögen  in  nicht  versteuerbaren  Papieren  angelegt 
seien. 

-)  House  Report,  No.  269  usw.,  1874 — 1875,  2.  123. 


—    4^2    — 

schöpft",  aber  vergebens.  Wie  gewöhnlich  war  es  die 
„ungeregelte  Lobby",  die  man  tadeln  mußte  und  die  ge- 
reinigt werden  sollte. 

So  viel  über  Sages  Laufbahn  bis  zu  der  Zeit,  als  er  und 
Gould  sich  zu  den  Union-Pacific-Manipulationen  und  an- 
deren Geschäften  verbanden. 


Drittes  Kapitel 
NOCH  EINMAL  GOULDS  VERMÖGEN 

Als  Jay  Gould  im  Jahre  1887  vor  den  Untersuchungs- 
ausschuß der  Regierung,  die  Pacific-Eisenbahn- Kom- 
mission, gebracht  wurde,  ließ  er  sich  nur  zu  geringer  Aus- 
kunft herbei;  was  aus  ihm  herausgelockt  werden  konnte, 
war  sehr  dürftiger  Art.  Er  sagte,  daß  er  durch  den  An- 
kauf von  100  000  Anteilscheinen  im  Jahre  1873  einen 
herrschenden  Einfluß  auf  die  Union -Pacific-Eisenbahn- 
gesellschaft  erworben  habe,  und  daß  sein  Besitz  später  auf 
200  000  Anteilscheine  gestiegen  sei^).  Sein  Hauptverbün- 
deter, Rüssel  Sage,  sagte  aus,  daß  er  selbst  im  Jahre  1868 
oder  1869  angefangen  habe  Union-Pacific- Aktien  zu  kau- 
fen 2).  Sobald  diese  Männer  und  ihre  Genossen  sich  die 
Macht  gesichert  hatten,  begann  ihre  geschäftige  Tätigkeit. 
Ohne  irgendeine  vermittelnde  Förmlichkeit  vnirden  sofort 
200  000  Anteilscheine  ausgegeben ,  die  nur  als  Beweis 
dienten,  welche  Macht  zu  gegenwärtiger  und  zukünftiger 
Ausbeutung  sie  sich  anmaßten. 

Die  Beraubung  ganzer  Eisenbahnnetze 

Eine  der  Eisenbahnen,  die  Gould,  Sage,  Sidney  Dillon^) 
und  ihre  Helfershelfer  persönlich  kauften  und  dann  an  sich 

^)  Pacific  Railway  Commission,  U.  S.  Senate  Executive  Documenta,  First 
Session,  Fiftieth  Congress,  i,  53  und  447.       *)  Ebenda,  340. 

3)  Dillon  war  der  Begründer  eines  umfassenden  Vermögens;  seine  Nachkommen 
gehören  zu  den  bedeutendsten  Eisenbahnbesitzern  der  Vereinigten  Staaten. 


-  4^3  - 

selbst  als  an  die  Direktoren  der  Union  Pacific  verkauften, 
war  die  Kansas  Pacific.  Diese  ungefähr  394  Meilen  lange 
Linie  gehörte  auch  zu  den  vielen  Eisenbahnen,  deren  Ge- 
schichte voll  von  ununterbrochener  Bestechung  ist.  Ihre 
Aktiva  bestanden  hauptsächlich  aus  einer  Ausgabe  von  Staats- 
obligationen und  einer  Landbewilligung  von  3  Millionen 
Morgen  in  Kansas  und  Colorado. 

Kaum  war  die  Bahnkonzession  gegeben,  so  wurde  mit 
der  Bestechung  so  lebhaft  vorgegangen,  daß  nur  der  ganz 
Dumme  sie  übersehen  konnte.  Aber  was  kam  es  auf  die 
angewandten  Mittel  an  ?  Je  größer  die  Bestechung,  um  so 
größer  war  die  Sicherheit,  daß  auch  die  daraus  hervor- 
gehenden Privilegien,  Machtbefugnisse  und  Vorteile  um 
so  reicher  sein  würden.  Und  je  lockender  die  Aussichten, 
um  so  eifriger  in  ihrer  Habgier  waren  die  Leuchten  der 
Finanzwelt,  sich  in  die  Sachen  einzumischen.  Hervor- 
ragende Bankiers  traten  in  einen  scharfen  Wettbewerb  mit- 
einander, um  an  der  Finanzierung  des  Projektes  beteiligt 
zu  sein;  schließlich  wurden  zwei  Bankfirmen  beauftragt, 
die  Kansas-Pacific-Anleihe  auf  den  Markt  zu  bringen.  Eine 
von  diesen  Firmen  war  Dabney,  Morgan  &  Co.,  deren  einer 
Teilhaber  J.  Pierpont  Morgan  war,  die  andere  war  das  Haus 
Morris  K.  Jesup  &Co.,  dessen  Chef  es  später  fertig  brachte, 
in  die  glänzende  Schar  der  verherrlichten  Philanthropen 
aufgenommen  zu  werden^).  In  ihren  Ankündigungen 
vom  Jahre  1869  ergingen  sich  diese  Bankiers  in  glühenden 
Schilderungen  der  glänzenden  staathchen  Landbewilligung 
der  Kansas  Pacific  —  einer  Landbewilligung,  die,  wie  sie 
allen,  die  ihr  Geld  dabei  anlegen  wollten,  versicherten,  eine 
mehr  als  genügende  Sicherheit  für  Anleihen  gewähre. 

Erpressung  und  Raub 

Aber  die  übliche  Krisis  kam.  Das  Kansas-  und  Pacific- 
Projekt  bildete  keine  Ausnahme  in  der  sich  immer  gleich- 
bleibenden Erfahrung  mit  Eisenbahnangelegenheiten.    Die 

^)  Sein  Besitztum  wurde  nach  seinem  Tode  am  22.  Januar  1908  auf  12  814  894 
Dollar  netto  in  persönlichem  und  Grundbesitz  geschätzt.  Ein  großer  Teil  de»  Be- 
sitzes waren  Eisenbahnobligationen. 


-  4^4  - 

Eisenbahn  wurde  von  den  Männern,  die  an  der  Spitze  der 
Menge  standen,  emsig  beraubt,  und  die  Gefolgschaft  der 
kleinen  Geldanleger  wurde  glatt  betrogen.  Natürlich  sank, 
nachdem  sie  so  ausgeplündert  war,  der  Marktwert  ihrer 
Aktien  auf  einen  sehr  tiefen  Punkt  herab.  Gould  hatte 
gerade  auf  diese  Gelegenheit  gewartet,  aber  er  benutzte  sie 
nicht,  bevor  er  nicht  eine  Art  Erpressungsplan  durchgeführt 
hatte,  durch  den  er  die  Kansas  Pacific  noch  wirksamer  in 
seinen  Besitz  bringen  konnte. 

Mit  einer  Geschwätzigkeit,  die  scharfen  Verdacht  hätte 
erregen  müssen,  sprach  er  seine  Absicht  aus,  das  Monopol  der 
Kansas  Pacific  niederzubrechen;  wieder  einmal  posierte  er 
als  ein  Wohltäter  des  Bürgertums.  Daraufhin  begann  er, 
oder  vielmehr  veranlaßte  er,  den  Bau  emer  Eisenbahn  in 
Colorado,  die  als  Konkurrenzbahn  einen  Teil  gerade  des- 
jenigen Territoriums  durchschnitt,  das  die  Besitzer  der 
Kansas  Pacific  als  das  ihnen  zugesicherte  Gebiet  betrach- 
teten. Goulds  Plan  schlug  vollkommen  ein.  Die  Kansas- 
Pacific- Aktien  wurden  noch  mehr  herabgedrückt  und  ihre 
erschreckten  Besitzer  schnell  gezwungen,  einen  Vergleich 
zu  suchen.  Kaum  hatte  Gould  die  Kansas-Pacific  in  seinen 
Besitz  gebracht  und  mit  der  Union  Pacific  verbunden,  als 
er  sofort  die  Colorado-Eisenbahn  aufgab^). 

Wieviel  von  den  Kansas-Pacific-Eisenbahn- Aktien  Gould, 
Sage  und  Dillon  sich  im  besonderen  sicherten,  ist  nicht  klar, 
aber  der  Betrag  der  Beute,  den  sie  zusammen  durch  das 
betrügerische  Verfahren,  diese  Eisenbahn  und  andere  Eisen- 
bahnen an  sich  selbst  als  an  die  Herren  der  Union  Pacific 
zu  verkaufen,  einheimsten,  ist  ganz  klar.  Es  war  kein  ge- 
wöhnliches Verfahren  —  es  lag  etwas  Massiges  darin  — 
etwas,  das  in  einer  Gesellschaft,  in  der  große  Diebstähle  als 
etwas  Erhabenes  betrachtet  werden,  staunende  Bewunde- 
rung hervorrufen  konnte. 

Durch  die  listige  Vertauschung  von  Aktien  und  Obli- 
gationen und  die  betrügerische  Abwendung  von  Kapitalien 
stahlen  sie  (die  Regierung  nannte  es  „unrechtmäßige  An- 
eignung") allein  mehr  als  20  Millionen  Dollar  in  der  Kansas 
Pacific,  der  Denver,  South  Park  und  Pacific  und  anderen 

^)  Padfic  Railwaj  Commission  i,  175. 


-  465  - 

Bahnsystemen.  Nach  den  Berichts-  und  Untersuchungs- 
büchern der  Pacific-Eisenbahnkommission  lassen  sich  ge- 
wisse Tatsachen  genau  feststellen.  Sowohl  der  Majoritäts- 
bericht der  Kommissionsmitglieder  Littler  und  Anderson 
wie  auch  der  Minoritätsbericht  des  Kommissionsmitgliedes 
Pattison  wiesen  nach,  daß  die  Betrügereien  der  Union- 
Pacific-Eisenbahngesellschaft  unter  der  Direktion  von  Gould, 
Sage  und  Dillon  wahrhaft  riesenhaft  waren. 

Millionen  Morgen  öffentlichen  Landes  sind  geradezu  ge- 
stohlen worden.  Nicht  weniger  als  7  Millionen  Morgen  wur- 
den ohne  Ermächtigung  der  Regierung  verkauft^).  Kohlen- 
land von  unschätzbarem  Werte  wurde  auf  betrügerische 
Weise  in  Besitz  genommen  2).  Millionen  Dollar  wurden  be- 
trügerisch von  einer  Gesellschaft  der  anderen  zugeschoben. 
Das  Kapital  der  Union  Pacific  wurde  von  38  Millionen 
Dollar  künstlich  auf  50  Millionen  Dollar  gebracht,  die  Obli- 
gationsschulden von  88  Millionen  Dollar  auf  126  Millionen 
Dollar  und  verschiedene  andere  Verpflichtungen  von  un- 
gefähr 4  Millionen  Dollar  auf  beinahe  10  Millionen  Dollar. 
Der  Majoritätsbericht  wies  auf  die  „verschwenderische  und 
sorglose  Verteilung  der  Aktiva  der  Gesellschaft  in  Divi- 
denden" hin  und  brachte  eine  starke  Wißbegierde  zum 
Ausdruck,  warum  sich  die  Union-Pacific-Eisenbahngesell- 
schaft,  obwohl  sie  ein  großes  und  gewinnbringendes  Ge- 
schäft betrieb,  „am  Anfang  des  Jahres  1884  am  Rande  des 
Bankrotts  befand". 

Vierzig  Millionen  Dollar  als  Goulds  Anteil 

Der  Minoritätsbericht  war  sogar  noch  schärfer  und  aus- 
führlicher. Er  wies  nach,  daß  die  Union  Pacific  und  die 
Kansas  Pacific  ungefähr  35  Millionen  Dollar  von  der  Re- 
gierung als  Vorschuß  erhalten  hätten,  wovon  nur  wenig 
zurückgezahlt  worden  sei,  und  daß  bis  zum  Jahre  1887  die 
Summe  von  136314010,73  Dollar  von  den  Direktoren 
dieser  beiden  Eisenbahnen  „vergeudet  worden  sei".  Reich- 
lich 84  Millionen  Dollar  nur  nominell  erhöhter  Aktien  seien 


*)  Pacific  Railway  Commission,  i,  192.       ^)  Ebenda. 

30 


-  466  - 

ausgegeben  worden.  „Die  Union -Pacific -Gesellschaft," 
fuhr  der  Minoritätsbericht  fort,  „hat  in  einem  Zeitraum 
von  achtzehn  Jahren  durch  Überschüsse  und  Landverkäufe 
176294793,53  Dollar  erhalten,  und  wenn  ihr  Betriebs- 
material voll  bezahlt  worden  wäre,  wie  es  der  Kongreß  ver- 
langt hatte  und  wie  es  nach  der  eidlichen  Versicherung  der 
Beamten  nie  geschehen  sei,  so  würde  diese  ganze  Summe 
heute  zur  Bezahlung  der  Regierungsschuld  verwendet  wer- 
den können.  Die  Gesellschaft  hat  an  Dividenden  28  650  770 
Dollar  ausgezahlt  und  an  Zinsen  auf  Obligationen  82  742  850 
Dollar,  und  beinahe  diese  ganze  Summe  wurde  ohne  Be- 
denken unter  die  Aktionäre  verteilt.  Sie  hat  über  10  Millio- 
nen Dollar  bei  der  Denver-,  South  Park-  und  Pacific- 
Eisenbahn  angelegt;  sie  bezahlte  10  Millionen  Dollar  an 
Jay  Gould  und  seine  Gesellschafter  für  Zweigbahnen 
und  andere  Geldanlagen,  die  wertlos  sind  .  .  .  ."  Das 
Kommissionsmitglied  Pattison  schätzte,  daß  Jay  Goulds 
persönlicher  Gewinn  aus  seinen  Machenschaften  bei  der 
Union  Pacific  sich  wahrscheinlich  auf  40  Millionen  Dollar 
behef. 

Ein  großer  Teil  der  Summe,  die  Pattison  bei  seiner 
Schätzung  des  seit  Bestehen  der  Union-Pacific-Bahn  ver- 
übten Diebstahls  mitrechnete,  war,  wie  wir  gesehen  haben, 
von  Goulds  Vorgängern  in  dem  Credit-Mobilier-Schwindel 
gestohlen  worden. 

Gerichtliches  Possens  fiel 

Natürlich  ist  hier  die  Frage  zu  erwarten:  Warum  wurde 
Gould  nicht  wegen  seiner  Missetaten  verklagt  ?  Solange  er 
das  Volk,  die  große,  sich  mühende,  machtlose  Menge,  die  ohne 
wirkliche  Vertretung  in  politischer  Stellung  war,  beraubte, 
konnte  man  es  verstehen,  daß  sich  seiner  Zügellosigkeit 
nichts  in  den  Weg  stellte,  da  man  ja  sieht,  wie  das  ganze 
Gesetz  den  reichen  Freibeutern  zur  Verfügung  steht.  Aber 
Gould  beraubte  seine  eigenen  Standesgenossen  ebensosehr; 
er  schädigte,  betrog  und  plünderte  seine  eigenen  Gesell- 
schafter; sie  waren  mächtige  Männer;  warum  riefen  sie 
nicht  die  Schrecken  des  Strafgesetzes  auf  ihn  herab  ? 


-  4^7  - 

Nun,  einige  von  ihnen  taten  es.  Aber  es  nützte  ihnen 
nicht  mehr  als  seinen  Gegnern  bei  seinen  berühmten  Erie- 
Diebstählen.  War  er  auch  verschiedene  Male  mit  Gefängnis 
bedroht,  so  brachte  er  es  doch,  wie  seinesgleichen  bei  jedem 
großen  kapitalistischen  Betrug,  leicht  fertig,  außerhalb  der 
Mauern  zu  bleiben.  Eine  gegen  ihn  am  13.  Mai  1879  von 
der  Anklagejury  von  Monmouth  County,  Nev^^  Jersey, 
wegen  behaupteten  betrügerischen  Verfahrens  vorgebrachte 
Klage  beunruhigte  ihn  nicht  im  geringsten.  In  diesem 
Falle  wurde  von  der  Lehigh  Waggonfabrikgesellschaft  die 
Anklage  erhoben,  daß  sie  ihm  auf  falsche  Darstellungen  hin 
Waggone  geliefert  habe,  daß  sie  sich  damit  einverstanden 
erklärt  habe,  erste  Hypothekenscheine  der  New  Jersey 
Zentral-Eisenbahn  in  Zahlung  zu  nehmen,  um,  als  es  zu 
spät  war,  zu  entdecken,  daß  diese  Scheine  falsche  „Konso- 
lidierungs-Scheine" waren,  nämlich  von  einer  Konsoli- 
dierung, die  niemals  gemacht  worden  war. 

Aus  dieser  Anklage  wand  sich  Gould  auf  irgendeine  Art 
heraus,  und  neun  Jahre  später  gelang  es  ihm  ebensogut 
einem  anderen  Strafverfahren  das  Licht  auszublasen. 

Das  war  im  Jahre  1888;  mächtige  Gegner  machten  große 
Anstrengungen,  ihn  ins  Gefängnis  zu  bringen,  und  da  Gould 
ihre  Macht  und  Beharrlichkeit  kannte,  fühlte  er  sich  sehr 
beunruhigt. 

Gewisse  dieser  Gegner  waren  enttäuschte  Obligationen- 
inhaber der  Denver-Pacific-Eisenbahn,  und  sie  wurden  von 
dem  Besitzer  einer  bedeutenden  New  Yorker  Zeitung,  dessen 
Interessen  in  Telegraphen-  und  unterseeischen  Kabel-An- 
gelegenheiten Gould  durchkreuzt  und  vereitelt  hatte,  unter- 
stützt. Die  Anklage  drehte  sich  um  einen  durchtriebenen 
Meineidsfall,  durch  den  Gould,  Sage  und  Dillon  bei  ihren 
Eisenbahn- Konsolidierungen  im  Spiel  mit  30  000  Anteil- 
scheinen des  Denver-Pacific-Aktienkapitals  mehrere  Millio- 
nen Dollar  unterschlagen  hatten.  Diese  Obligations- 
inhaber hatten  im  Jahre  1885  in  New  York  gegen  Gould 
und  Sage  eine  Klage  auf  Ersatz  eingebracht;  der  Zeitungs- 
besitzer ließ  täglich  wilde  verwünschende  Breitseiten  gegen 
Gould  los  und  verlangte  seine  Bestrafung.  Und  um  allem 
die  Krone  aufzusetzen:  der  Obmann  der  eben  tagenden 

30* 


-  468  - 

Anklagejury  war  ein  Kapitalist  seines  Schlages,  den  Gould 
vor  fünfzehn  Jahren  in  einer  seiner  Eisenbahnunterneh- 
mungen betrogen  hatte. 

Es  war  eine  schreckliche  Vereinigung,  die  gegen  ihn  auf- 
rückte. Gould  wußte  es.  Er  machte  sich  sofort  klar,  daß 
er  besser  täte,  sich  mit  den  klagenden  Inhabern  von  Obli- 
gationen zu  vergleichen  und  sich  aus  dem  Staube  zu  machen, 
und  zwar  eiligst;  er  einigte  sich  darauf  mit  ihnen  und  floh 
dann  auf  seiner  Jacht  und  blieb  im  Auslande,  bis  —  soweit 
ein  Strafverfahren  in  Betracht  kam  —  das  Verjährungsgesetz 
erfolgreich  zu  seinen  Gunsten  geltend  gemacht  werden 
konnte. 

Ein  ganzer  Schweif  von  Bestechungen 

Noch  eine  andere,  wenn  auch  müßige  Frage  könnte  auf- 
tauchen :  Wie  war  Gould  imstande,  den  für  seine  zahlreichen 
Betrügereien  notwendigen  Spielraum  zu  erlangen  und  von 
juristischer  Verfolgung  und  anderem  amtlichen  Vorgehen 
verschont  zu  bleiben  ?  Der  Bericht  der  Mitglieder  der 
Pacific-Eisenbahn-Kommission  gibt  auf  diese  Frage  keine 
aufklärende  Antwort,  Der  Minoritätsbericht  wirft  jedoch 
auf  seine  Handlungsweise  einiges  Licht.  „Hunderte  und 
Tausende,"  sagt  er,  „sind  in  den  Hauptstädten  des 
Staates  und  des  Landes  ausgegeben  worden,  um  die 
Gesetzgebung  zu  beeinflussen^)".  „Zahlungen  für  un- 
ziemliche Zwecke"  werden  häufig  erwähnt.  Aber  wenn 
selbst  die  Kommission  in  ihrer  dürren,  widerwilligen  Art 
die  Bestechung,  die  Gould  überall  hin  folgte,  nicht  auf- 
gedeckt hätte,  so  könnte  man  sie  doch  als  selbstverständlich 
annehmen.  Der  hinter  ihm  herziehende  Schweif  von  Be- 
stechung und  Betrug  ist  volle  zwanzig  Jahre  lang  ein  öffent- 
licher Gestank  gewesen;  in  dieser  Hinsicht  unterschied  er 
sich  von  den  meisten  zeitgenössischen  Geld  Jägern,  denn 
diese  sackten  ihre  Beute  so  listig  ein,  daß  es  ihnen  möglich 
war,  unter  den  Deckmantel  des  guten  Rufes  zu  schlüpfen. 

Ungefähr  um  das  Jahr  1883  gab  Gould  die  Union  Pacific 


^)  Pacific  Railway  Commiseion,  i,  192. 


-  4^9  - 

auf,  nachdem  er  sie,  wie  er  glaubte,  bis  aufs  Mark  ausgesogen 
hatte.  Zweifellos  war  sein  Entschluß  richtig,  da  auf  dieser 
besonderen  Linie  und  zu  jener  Zeit  keine  weitere  unmittel- 
bare Beute  in  Aussicht  stand.  Aber  als  die  Zeit  gekommen 
war,  nämlich  fünfzehn  Jahre  später,  als  sich  die  Bevölkerung 
und  die  Hilfsquellen  des  Landes  sehr  vermehrt  hatten,  kam 
in  der  Person  Harrimans  ein  würdiger  Nachfolger  unwider- 
stehlich daher,  um  Goulds  Verfahren  nachzuahmen  und  zu 
vollenden. 

Die  40  Millionen  Dollar  oder  ungefähr  soviel  an  Beute, 
die  Gould  sich  aneignete,  kamen  zum  großen  Teil  von  dem 
Kansas-Pacific-Unternehmen  her.  Der  endgültige  Betrug 
der  Regierung  um  viele  der  Vorschüsse,  die  sie  für  diese 
Strecke  geleistet  hatte,  fand  im  Jahre  1898  statt  —  gerade 
zu  der  Zeit,  als  Harriman  sich  glänzend  zu  Reichtum  und 
Macht  entfaltete. 

Die  Regierung  hatte  an  die  Kansas  Pacific  noch  eine  Rest- 
forderung von  1 3  Millionen  Dollar.  Ein  betrügerischer  Plan 
war  ausgeheckt  worden,  die  Regierung  ihr  Pfandrecht  für 
die  Hälfte  des  Wertes  verkaufen  zu  lassen ;  es  war  ein  äußerst 
geschickt  ersonnener  Plan,  und  erst  kurz  vor  seiner  Ausfüh- 
rung erhob  sich  darüber  einiger  Lärm.  Turpie  beantragte 
bei  dem  Senat  der  Vereinigten  Staaten,  daß  der  Verkauf 
nicht  bestätigt  werden  solle;  zur  Unterstützung  dieses 
Antrags  erhob  sich  am  16.  Februar  1898  Senator  Allen  und 
bemerkte:  „Wir  könnten  ebenso  gut  ein  Gesetz  erlassen, 
dem  Staatsschatz  zu  einer  direkten  Schenkung  6  700  000 
Dollar  zu  entnehmen.  Es  würde  nicht  verbrecherischer  sein 
und  die  gesetzmäßigen  Rechte  des  Volkes  nicht  mehr  ver- 
letzen^)." Senator  Morgan- Alabama  bezeichnete  den  Ver- 
kauf als  Raub,  Harris  nannte  ihn  einen  Betrug  und  die, 
die  ihn  ausführten,  Diebe.  Kräftige  Worte,  aber  sie  hinder- 
ten nicht,  daß  von  der  Forderung  der  Regierung  noch  an 
demselben  Tage  schleunigst  für  6  Millionen  Dollar  preis- 
gegeben wurde. 

^)  The  Congressional  Record,  55.  Congress,  Second  Session,  Bd.  t;,  2.  Teil,  1761 


-  470  - 

Diebstahl  großer  Kohlengebiete 

Will  man  sich  eine  passende  Vorstellung  von  Goulds 
Diebstählen  bei  den  Machenschaften  und  dem  Zustande- 
bringen der  Union-Pacific- Konsolidierung  bilden,  so  bleibt 
eine  bloße  Geldberechnung  wirkungslos.  Die  von  Gould 
und  seinen  Nachfolgern  geraubten  natürlichen  Schätze 
können  nicht  in  Geldwert  ausgedrückt  werden.  Z.  B. 
die  dem  Volke  gestohlenen  enormen  Kohlenlager  —  wer 
kann  sagen,  wie  groß  ihr  Geldwert  ist  ?  Die  Kommission 
für  den  Handel  von  Staat  zu  Staat  gibt  an,  daß  tatsächlich 
der  ganze  Kohlenvorrat  von  Oklahoma,  Utah  und  Wyoming 
Eigentum  und  Monopol  des  Gould-Eisenbahnsystems  ist, 
hauptsächlich  der  Denver-  und  Rio  Grande-Eisenbahn, 
eine  der  zahlreichen  westlichen  Eisenbahnlinien,  die  Gould 
in  der  Gewalt  hatte  und  seinen  Kindern  hinterließ. 

Seit  1866  sind  diese  Diebstähle  von  Kohlen-  und  öl- 
gebieten  beständig  fortgesetzt  worden,  abgesehen  von  ge- 
legentlichen, durch  amthche  Untersuchungen  hervor- 
gebrachten Unterbrechungen.  Diese  verhinderten  in  keiner 
Weise  eine  noch  stärkere  Wiederaufnahme.  Die  Kommission 
für  den  Handel  von  Staat  zu  Staat  berichtete  kürzlich,  daß 
die  Gould-  und  Harriman-Linien  in  einem  großen  Gebiet 
jenseit  des  Mississippi  „den  Bergwerksbetrieb,  Transport 
und  Verkauf  der  Kohlen  an  ihren  Linien  vollständig  be- 
herrschen". Ungezählte  Aktenstücke  und  Zeugenaus- 
sagen, die  in  amtlichen  Bänden  gesammelt  sind,  er- 
härten die  Anklagen  auf  Betrug,  Meineid  und  Gewalttat. 
Aber  diejenigen,  die  aus  jenen  kolossalen  Betrügereien 
Nutzen  zogen,  haben  guten  Grund,  über  all  diese  wirkungs- 
losen Untersuchungen  belustigt  zu  lächeln.  Das  Besitz- 
recht an  dem  größten  Teil  des  gestohlenen  Eigentums,  wie 
es  auch  erlangt  sein  mochte,  haben  sie;  der  Regierung 
gelang  es  nur,  etwas  davon  zurückzubekommen,  aber  ver- 
hältnismäßig wenig.  Im  ganzen  sind  die  Gewinnenden  sehr 
zufrieden. 

Man  darf  nicht  annehmen,  daß  Goulds  geistige  Tätigkeit 
von  seinen  Räubereien  bei  der  Union  Pacific  so  in  Anspruch 
genommen  war,   daß  er  in  anderen  Richtungen  liegende 


-  471  - 

Gelegenheiten  vergaß.  Weit  entfernt.  Dieser  untersetzte 
Mann  mit  der  sanften  Stimme  und  der  unauffälligen,  bei- 
nahe weibischen  Persönlichkeit  war  in  der  Tat  ein  unbe- 
zähmbarer Eroberer,  der  nicht  an  vielen  Orten  und  auf 
verschiedenen  Gebieten  gleichzeitig  zupackte  und  raubte. 
In  seiner  selbstgewählten  Art  der  Kriegführung  war  er 
außerordentlich  vielseitig,  wunderbar  begabt  in  der  Berech- 
nung und  von  starker  Fähigkeit,  eine  ungeheuer  große 
Anzahl  verschiedener,  verwickelter  Unternehmungen  gleich- 
zeitig im  Auge  zu  behalten.  Um  ihren  rechtlichen  Aus- 
gang brauchte  er  sich  nicht  zu  kümmern.  Wurde  er  vor- 
geladen, so  konnte  er  jederzeit  ein  Korps  der  geschicktesten 
Anwälte  engagieren,  von  denen  sich  keiner  ein  Gewissen 
daraus  machte,  einen  Bruchteil  seiner  Diebstähle  als  Be- 
zahlung anzunehmen.  Rechtsgelehrte,  von  denen  einige 
später  an  den  höchsten  Gerichtshöfen  des  Landes  Richter 
wurden,  Andere  Richter  gewesen  waren  und  ihr  Amt  auf- 
gegeben hatten,  um  von  denselben  Gesellschaften,  zu  deren 
Gunsten  sie  Entscheidungen  erlassen  hatten,  große  Honorare 
zu  beziehen,  plädierten  und  planten  für  Gould.  Er  war 
ein  vortrefflicher  Klient;  die  Rechtsstreitigkeiten,  in  die 
er  verwickelt  war,  waren  grenzenlos. 

Goulds  T exas-Pacific-Unternehmen 

Überall,  wo  er  erschien,  wurden  die  kleinen  Betrüger 
überwältigt  und  vertrieben,  und  er,  der  große  Betrüger, 
trat  an  ihre  Stelle.  Dies  bewies  er  wieder  bei  der  Erwerbung 
und  Plünderung  der  Texas -Pacific -Eisenbahn.  Diese 
Strecke  hatte  die  üblichen  Regierungssubsidien  und  Land- 
geschenke erhalten.  Die  Bestechungen,  die  zu  deren  Er- 
langung angewandt  waren,  wurden  in  den  berühmten 
„Huntington -Briefen",  die  später  in  einem  zwischen 
zwei  Eisenbahnparteien  entstandenen  Rechtsstreit  ans  Licht 
kamen,  vollständig  aufgedeckt.  Der  Schreiber  dieser  Briefe 
war  ein  Kenner,  selbst  ein  hervorragender  Bestecher;  es 
war  kein  anderer  als  Collis  P.  Huntington,  einer  der  maß- 
gebenden Eisenbahnmagnaten  dieser  Zeit.  In  den  Jahren 
1876  bis  1878,  über  die  sich  seine  Briefe  erstrecken,  wurde 


-  472  - 

in  Washington  ein  wilder  Wettkampf  in  Bestechungen  ge- 
führt, und  Huntington  schrieb  darüber  rückhaltlos^). 

Nachdem  der  Kongreß  das  Texas-Pacific-Eisenbahngesetz 
angenommen  hatte,  tauchte  Gould  mit  einem  Plane  auf, 
der  dem  Credit-Mobilier-Schwindel  sehr  ähnlich  war.  Er 
gründete  eine  Baugesellschaft  und  schloß  mit  der  Texas- 
Pacific-Eisenbahngesellschaft  einen  Kontrakt,  um  die  west- 
lichen Verlängerungsstrecken,  die  ungefähr  6io  Meilen 
lang  waren,  zu  bauen.  Für  diese  Arbeit  sollten  12  Millionen 
Dollar  in  Obligationen  und  eine  Prämie  in  Aktien  von  wei- 
teren 12  Millionen  Dollar  gezahlt  werden.  Es  war  ein  sehr 
merkwürdiger  Kontrakt,  der  darauf  hinauslief,  Gould  das 
Eisenbahnnetz  zum  Geschenk  zu  machen ;  seine  Ausführung 
war  nur  unter  der  Voraussetzung  zu  erklären,  daß  Gould 
eine  genügende  Anzahl  der  Eisenbahndirektoren  durch  die 
Zusicherung,  daß  sie  einen  reichlichen  Griff  in  die  Beute  tun 
sollten,  erkauft  hatte.  Denn  nach  den  Bedingungen  des 
Kontraktes  waren  die  Aktionäre  der  Texas  Pacific  nur  mit 
einem  Sechstel  an  der  Baugesellschaft  beteiligt;  dadurch 
blieben  dem  Gould- Syndikat  10  Millionen  Dollar  Kapital, 
und  dies  genügte  vollständig,  um  ihm  die  Herrschaft  über 
die  Bahn  zu  geben.  Es  versetzte  Gould  in  die  Lage,  ihre 
Direktoren  zu  wählen,  weitere  Kontrakte  mit  sich  selbst  auf 
jeder  Basis,  die  ihm  beliebte,  abzuschließen,  ihre  Geschäfte 
zu  leiten  und  diese  mit  seinen  vielen  anderen  Plänen  in  festen 
Zusammenhang  zu  bringen. 

Weitere  eingeheimste  Eisenbahnsysteme 

Die  Texas  Pacific  war  eine  der  vier  Hauptlinien,  die  Gould 
und  Sage  durch  ihre  wohlbekannten  Methoden  in  ihre  Ge- 
walt bekamen.    Eine  andere  ihrer  Linien  war  die  Wabash, 

^)  In  einem  Briefe  vom  17.  Dezember  1877  schrieb  Huntington:  „Jay  Gould 
ging  vor  ungefähr  zvs^ei  Wochen  nach  Washington  und  traf,  wie  ich  vireiß,  mit  dem 
Senator  Mitchell  aus  Oregon  zusammen.  Seit  dieser  Zeit  ist  in  Washington  das  Geld 
sehr  reichlich  ausgegeben  worden  .  .  .  Gould  hat  große  Summen  Bargeld  und  gibt  es 
schrankenlos  aus,  um  seine  Ziele  zu  erreichen."  In  einem  Briefe  vom  3.  Mai  1878 
schrieb  Huntington,  daß  die  Texas-  und  Pacific-Leute  einem  Kongreßmitgliede 
1000  Dollar  bar  anboten,  wenn  er  für  das  Gesetz  stimmen  würde,  und  weitere 
5000  Dollar  bar  und  10  000  Dollar  Obligationen,  falls  das  Gesetz  durchgehen 
würde,  usw.  usw. 


-  473  - 

die  sich  aus  achtundsechzig,  ursprünglich  getrennten  kleinen 
Eisenbahnen  in  Ohio,  Michigan,  Indiana,  Illinois,  Missouri 
und  Iowa  zusammensetzte.  Gould  und  Sage  hatten  eine 
lange  Reihe  von  Privilegien  von  verschiedenen  Staaten 
erlangt,  hatten  der  Eisenbahn  Millionen  Dollar  geraubt  und 
sie  dann  in  Bankrott  gestürzt^).  So  widerwärtig  betrüge- 
risch war  ihr  Verfahren,  daß  Richter  Gresham  vom  Bundes- 
gericht der  Vereinigten  Staaten  —  einer  der  wenigen  Richter 
von  selbständigem  Charakter  —  behördliche  Verwalter,  die 
auf  Goulds  und  Sages  Veranlassung  eingesetzt  waren,  ent- 
ließ und  diese  Tat  mit  einer  kaustischen  Drohung  be- 
gleitete; aber  das  alles  hatte  keine  Wirkung  auf  Goulds 
Eigentum;  er  behielt  es  in  seiner  Gewalt,  und  es  ging  auf 
seine  Familie  über. 

Jeder  neue  Gewinn  verschaffte  Gould  und  Sage  noch 
größere  Mittel,  um  andere  Eisenbahnen  und  andere  öffent- 
liche nutzbringende  Einrichtungen  in  ihre  Gewalt  zu  be- 
kommen. Die  Missouri  Pacific  mit  ihrer  Reihe  von  Eisen- 
bahnen, für  die  der  Staat  Missouri  25  Millionen  Dollar  vor- 
geschossen hatte,  wurde  der  Liste  zunächst  hinzugefügt. 
Es  paßte  in  Goulds  und  Sages  Plan,  diese  Eisenbahn  nicht 
zum  Bankrott  zu  treiben,  wie  sie  es  bei  den  anderen  getan 
hatten.  In  diesem  Falle  hatten  sie  eine  besondere  Absicht. 
Indem  sie  auf  Kosten  ihrer  andern  Eisenbahnen  den  Fracht- 
verkehr in  betrügerischer  Weise  ablenkten,  steigerten  sie  die 
Einnahmen  der  Bahn  so,  daß  ihre  Aktien  einen  hohen  Wert 
erzielten;  der  Verkauf  der  Aktien  zum  höchsten  Kurse 
brachte  ihnen  große  Summen.  Dann  ließen  sie  den  Wert  der 
Aktien  wieder  fallen  und  kauften  sie  zurück.  Die  Missouri 
Pacific  gehört  heute  zu  den  geschätztesten  Besitztümern 
der  Familie  Gould;  die  Herrschaft  über  sie  ist  so  ganz  und 
gar  eine  Angelegenheit  unverhüUter  Familienerbschaft,  daß 
erst  kürzlich,  im  Jahre  1909,  Kingdon  Gould,  ein  Enkelsohn 
Jay  Goulds,  zum  Direktor  eingesetzt  wurde. 

Alle  diese  verschiedenen  Eisenbahnsysteme  wurden  von 
Gould  ungefähr  in  denselben  Jahren,  in  denen  er  die  Union 
Pacific  ausraubte,  annektiert. 


*)  Ein  ausführlicher  Bericht  über  dieses  vernichtende  Vorgehen  erechien  in  der 
„North  American  Review"  im  Februar  1888. 


-  474  - 

Fanderbilt  ausgeräubert  und  ausgestochen 

Im  Ausblick  nach  neuem  Eigentum  zur  Vermehrung  ihres 
Besitzes  beschlossen  Gould  und  Sage  zur  Zeit,  als  sie  die 
Union -Pacific -Eisenbahn  ausplünderten,  daß  auch  das 
Western -Union -Telegraphensystem  ihnen  gehören  solle. 
Jede  andere  Kapitalistengruppe  würde  lange  gezögert  haben, 
ehe  sie  sich  auf  einen  solchen  Plan  einließ,  denn  jene  Ge- 
sellschaft, die  stärkste  aller  Telegraphengesellschaften,  stand 
unter  der  Herrschaft  William  H.  Vanderbilts,  des  reichsten 
Kapitalisten  in  den  Vereinigten  Staaten.  Gould  und  Sage 
wurden  durch  die  Verhältnisse  in  keiner  Weise  abgeschreckt ; 
sie  hatten  einen  Plan,  um  Vanderbilt  auszudrängen ;  es  war 
kein  anderer  Plan  als  das  besondere  Erpressungssystem,  das 
sie  benutzt  hatten,  um  die  Kansas-Pacific-Direktoren  zu 
berauben,  ein  System,  das  Vanderbilt  selbst  angewandt 
und  das  konkurrierende  Kapitalisten  gegen  ihn  benutzt 
hatten. 

Dieses  zur  Zeit  oft  benutzte  System  bestand  sehr  einfach 
darin,  eine  konkurrierende  Telegraphenlinie  zu  bauen. 
Wieder  trat  Gould  in  der  Pose  „eines  Gegners  der  Mono- 
pole" auf;  lieblich  sprach  er  über  die  Notwendigkeit  voll- 
ständig freien  Wettbewerbs.  Zu  dieser  Zeit  prägte  Senator 
Vest  sein  schneidendes  Urteil  über  die  Berufstätigkeit  der 
Geldjäger:  „Wenn  sie  sprechen,  lügen  sie;  wenn  sie  schwei- 
gen, stehlen  sie,"  ein  Ausspruch,  der  Verewigung  verdient. 

An  der  Strecke  der  Union-Pacific-Eisenbahn  und  an  ihren 
anderen  Eisenbahnen  ließen  Gould  und  Sage  eine  Telegra- 
phenlinie bauen  mit  der  festen  Absicht,  Vanderbilt  ent- 
weder zum  Kauf  oder  zum  Verkauf  zu  zwingen.  Das  Ge- 
schäft der  Western-Union-Telegraphengesellschaft  wurde  so 
ernsthaft  geschädigt,  daß  sie  in  der  Notwehr  schließlich 
gezwungen  war,  Goulds  Konkurrenzlinie  für,  wie  man 
annimmt,  lo  Millionen  Dollar  zu  kaufen.  Nachdem  Gould 
diese  Vanderbilt  und  seinen  Gesellschaftern  entrissenen 
großen  Summen  eingesteckt  hatte,  begann  er  ein  hohes 
Spiel  und  nahm  ihnen  ihr  ganzes  Telegraphensystem  weg. 
Durch  jede  Art  List  und  Spekulation  an  der  Geldbörse 
drückte  er  den  Preis  der  Western-Union- Aktien  und  kaufte 


-  475  - 

allmählich  eine  Menge  davon.  Zu  Vanderbilts  vollständiger 
Überraschung  und  äußerstem  Ärger  erschien  Gould  im  Jahre 
1881  nicht  nur  als  Herrscher  über  die  Western  Union,  sondern 
auch  über  die  Amerikanische  Union -Telegraphengesell- 
schaft, die  er  erst  kurz  vorher  an  Vanderbilt  verkauft  hatte. 

Die  Geldaristokratie  und  Gould 

Nachdem  Gould  die  Western -Union -Telegraphengesell- 
schaft in  seine  Gewalt  bekommen  hatte,  vermehrte  er  so- 
gleich ihre  Aktien  und  setzte  diese  Tätigkeit  beständig  fort. 
Siegreich,  überladen  mit  Beute  und  Macht,  brauchte  Gould 
nicht  um  die  Unterstützung  alles  dessen  zu  werben,  was  in 
der  Geldaristokratie  für  solide  und  achtungswert  angesehen 
wurde.  Sie  kannte  ihn  als  großen  Dieb,  und  er  kannte  ihren 
Wert,  ungeachtet  des  äußern  Scheins,  den  sie  um  sich  ge- 
woben hatte.  Der  Instinkt  von  Art  für  Art  ist  unfehlbar, 
und  dieser  Instinkt  wird  in  der  Geldwelt  noch  durch  jenes 
sich  immer  gleichbleibende  Prinzip  der  Handlungsweise 
verstärkt,  wonach  die  Geldjäger  sich  um  denjenigen  scharen, 
der  die  größte  Geschicklichkeit  zeigt,  sich  mit  der  Beute  auf 
und  davon  zu  machen.  Den  Besiegten  wird  man  schnell  un- 
treu, den  Siegreichen  strömt  man  zu.  Geldkönige  gleicher 
Art  wie  John  Jacob  Astor,  J.  Pierpont  Morgan,  Collis  P. 
Huntington  und  andere  befanden  sich  in  der  edlen  Schar, 
die  Goulds  Direktorium  zusammensetzte;  bemerkenswerte 
Kerle,  von  denen  viele  oder  alle  eine  Laufbahn  eingeschlagen 
hatten,  die  der  Goulds  mehr  oder  weniger  gleich  war;  sie 
bildeten  eine  verderbte  Bruderschaft,  die  vollständig  und 
aufs  beste  imstande  war,  sich  zu  verstehen. 

Alle  waren  schlaue,  alte  Praktiker;  Gould  konnte  sie  nicht 
leicht  übervorteilen;  waren  auch  nicht  alle  so  scharfsinnig 
wie  Sage,  so  waren  doch  die  meisten  von  ihnen  in  jeder  vom 
Rechten  abweichenden  Taktik  und  List  des  finanziellen 
und  industriellen  Kampfes  sehr  geschult.  Ihre  Sicherheit 
lag  in  ihrem  Mangel  an  Vertrauen;  gerade  die  Kehrseite 
der  von  ihnen  gepredigten  Tugenden  wurde  durch  die 
Erfordernisse  ihres  Kampfes  entwickelt.  Aber  wenn  ein 
leichtgläubiger  Mann  wie  Cyrus  W.  Field,  der  Begründer 


-  476  - 

des  unterseeischen  Kabels,  mit  seinem  vertrauensvollen 
Glauben  an  Goulds  Freundschaft  daherkam,  dann  waren  Be- 
raubung und  Sturz  leicht  auszuführen.  Field  war  einfältig 
genug,  an  Gould  zu  glauben;  erst  nachdem  Gould  ihm  seinen 
Reichtum  erbarmungslos  ausgepreßt  und  ihm  als  Ban- 
krotteur den  Laufpaß  gegeben  hatte,  fing  Field  —  zu 
spät  —  an,  zu  begreifen,  daß  es  in  dem  Taumel  des  Konkur- 
renzkampfes keinen  Platz  für  Freundschaft  gibt.  Field 
hatte  jedoch  wenig  Grund,  über  sein  Unglück  zu  klagen;  der 
Reichtum,  den  Gould  ihm  entrissen  hatte,  war  das  Er- 
zeugnis einer  Folge  von  Betrügereien,  an  deren  Resultaten 
er  sehr  gern  teilgenommen  hatte. 

Gould  streicht  Hochbahnen  ein 

Diese  Plünderung  Fields  geschah  bei  Goulds  Gaunerspiel 
mit  den  Aktien  der  Hochbahn  in  der  Stadt  New  York. 
Gould  hatte  gar  keinen  Anteil  an  dem  Bau  dieses  Hochbahn- 
netzes. Die  Privilegien  zum  Bau  und  Betrieb  dieser  Bahn 
waren  durch  Bestechung  erlangt  worden.  Nachdem  andere 
Kapitalisten  die  Bestechungen  besorgt  und  gezeigt  hatten, 
wie  einträglich  diese  Hochbahnen  sind,  streckten  Gould 
und  Sage  die  Hände  nach  ihrem  Besitz  aus. 

Es  wurde  vor  dem  Hepburn-Untersuchungsausschuß  im 
Jahre  1879  ziemlich  klar  festgestellt,  daß  ungefähr  650000 
Dollar  an  Bestechungsgeldern  ausgegeben  worden  waren,  um 
das  Privilegium  für  eine  dieser  Hochbahnen,  die  Gilbert-Bahn, 
später  Metropolitan-Bahn  genannt,  zu  erlangen.  Im  Verhör 
sagte  Jose  F.  Navarro,  einer  der  Beamten  der  Gesellschaft, 
aus,  daß  bis  zu  der  Zeit,  in  welcher  der  Bau  dieser  Bahn  be- 
gann, 650  000  Dollar  ausgegeben  worden  seien.  Auf  die 
Frage,  ob  sie  in  New  York  oder  in  Albany  (dem  Sitz  der  re- 
gierenden Körperschaften)  ausgegeben  worden  seien,  ant- 
wortete er,  das  wisse  er  nicht.  Es  ging  aus  den  Fragen  und 
Antworten  ganz  klar  hervor,  daß  diese  650  000  Dollar  als 
Bestechungsfonds  benutzt  worden  waren^).  Wahrscheinlich 
war  eine  ziemlich  gleichhohe  Summe  verwendet  worden, 

1)  Railroad  Investigation  of  the  State  of  New  York  1879,  5,  43.  Diese  Privilegien 
stammen  aus  der  Zeit  der  Tweed-Herrschaft.   Als  das  Privilegium  für  die  Bleeker- 


-  477  - 

um  das  Privilegium  für  die  andere,  die  New  York-Hochbahn, 
zu  erlangen. 

Der  alte  im  Eisenbahnbau  so  gebräuchliche  Kunstgriff, 
eine  Baugesellschaft  zu  organisieren,  wurde  auch  beim  Bau 
der  Hochbahnen  angewandt.  Eine  Gesellschaft  unter  dem 
Namen  New  Yorker  Leih-  und  Betriebsgesellschaft  wurde 
gegründet,  um  die  Bauarbeit  auszuführen.  Dieselben  Män- 
ner waren  die  Direktoren  sowohl  der  Baugesellschaft  wie 
der  Hochbahngesellschaften  und  schlössen  betrügerische 
Kontrakte  mit  sich  selbst  ab^).  Kapitalisten  und  „Phil- 
anthropen" wie  George  M.  PuUman^),  John  P.  Kennedy  und 
andere  hatten  bei  diesem  betrügerischen  Verfahren  großen 
Gewinn,  sie  heimsten  gleichzeitig  auch  sonst  durch  manches 
andere  Verfahren  derselben  Art  Reichtum  ein. 

Nachdem  die  ersten  beiden  Hochbahnen  gebaut  waren, 
wurde  ein  neues  Plünderungssystem  entworfen  und  aus- 
geführt. Eine  „Manhattan"  genannte  Gesellschaft  wurde 
mit  einem  Kapital  von  2  Millionen  Dollar  konzessioniert, 
offenbar,  um  Hochbahnen  zu  bauen.  Aber  sie  baute 
nicht  einen  einzigen  Fuß;  dieselbe  Clique,  die  über  die 
New  Yorker  Leih-  und  Betriebsgesellschaft  herrschte,  trat 
als  Herrscherin  über  die  Manhattan  auf  und  verpachtete 
die  beiden  vorhandenen  Bahnen  an  die  Manhattan.  Diese 
Pacht  kostete  sie  in  der  Tat  wenig  Geld  bar;  sie  erhöhten 
das  Aktienkapital  der  Manhattan  in  unrechtmäßiger  Weise 
von  2  auf  1 3  Millionen  Dollar  und  verteilten  den  Betrag  als 


Street  und  Fulton  Ferry- Linie  in  der  Stadt  New  York  erlangt  wurde,  wurden 
434000  Dollar  in  Obligationen  gratis  verteilt.  (The  History  of  Public  Franchises 
in  New  York  City,  S.  121.)       ^)  Ebenda,  12. 

*)  Über  Pullman  sind  einige  Tatsachen  im  ersten  Bande  dieses  Werkes  vor- 
gebracht worden.  Ein  weiteres  Beispiel  seiner  Methoden  und  Ansichten  zu  ungefähr 
derselben  Zeit  dürfte  lehrreich  sein.  Nachdem  Jacob  Sharp  im  Jahre  1884  das 
Magistratskollegium  der  Stadt  New  York  durch  bare  Zahlung  von  500  000  Dollar 
verleitet  hatte,  ihm  das  Privilegium  für  die  Broadway- Linie  zu  erteilen,  gaben 
die  Besitzer  des  Privilegiums  952  000  Dollar  in  Aktien  und  2  500  000  Dollar 
in  Obligationen  für  den  Bau  einer  Linie  aus,  die  nur  drei  Meilen  lang  war  und 
tatsächlich  nur  160  000  Dollar  kostete.  Die  Ausgabe  dieser  Obligationen  war  un- 
gesetzlich und  unehrlich.  Pullman  wußte  davon  und  auch  von  der  Bestechung. 
Für  Wagen,  die  er  geliefert  hatte,  erhielt  er  150000  Dollar  von  diesen  Obligationen, 
den  Dollar  zu  50  Cent  gerechnet.  —  Report  of,  and  testimony  before,  the 
New  York  Senate  Investigating  Committee,  „Senate  Committee  Broadway  Railway, 
1886".  i8i. 


-  478  - 

Beute^).  Durch  Aktienspekulationen  zermalmten  dann 
Gould  und  Sage  die  meisten  kleinen  Aktionäre  und  verschaff- 
ten sich  die  Herrschaft.  Sie  gingen  dann  dazu  über,  die 
Aktien  noch  weiter  nominell  zu  erhöhen,  das  ganze  System 
zu  konsolidieren  und  die  mächtigeren  Aktionäre  zu  ver- 
drängen. 

Field  wird  hinausgeworfen 

Einige  der  gewichtigen  Aktionäre,  wie  z.  B.  Field,  steckten 
mit  Gould  und  Sage  unter  einer  Decke,  andere  aber  be- 
kämpften erbittert  die  verschiedenen  betrügerischen  Maß- 
regeln und  Hilfsmittel,  die  Gould  und  Sage  in  Bewegung 
setzten.  Das  Resultat  des  daraus  hervorgehenden  Rechts- 
streites war  vorauszusehen.  Gould  erschien  selten  vor 
Gericht,  ohne  daß  er  den  Richter  in  der  Tasche  hatte. 
Das  richterliche  Werkzeug  war  zu  dieser  Zeit  Westbrook 
vom  obersten  Gerichtshof  in  New  York;  als  Gould  seine 
Diebskarriere  angefangen  hatte,  war  Westbrook  sein  erster 
Rechtsanwalt  gewesen.  Jetzt,  als  Richter,  erließ  Westbrook 
Befehle  und  Vorschriften,  die  Gould  und  Sage  bei  ihren  be- 
trügerischen Taten  den  Rücken  deckten.  Seine  Willfährig- 
keit war  allgemein  bekannt;  einmal  hielt  er  eine  Gerichts- 
sitzung in  Goulds  Privatzimmer  im  Büro  der  Western 
Union  Telegraphengesellschaft  ab  und  erließ  von  dort  eine 
Verordnung^). 

Nachdem  Gould  und  Sage  unbeschränkte  Herren  der 
Hochbahnsysteme  von  New  York  geworden  waren,  hatten 
sie  Field  nicht  mehr  nötig.  Bei  erster  Gelegenheit  wurde 
die  Effektenbörse  beeinflußt,  Field  aufzugeben,  und  er 
wurde  hinausgeworfen,  um  kümmerlich  dahinzuleben  und 
als  ruinierter  Mann  zu  sterben. 


^)  Railroad  Investigation  of  the  State  of  New  York,  1879,  5,  6  und  7. 

2)  Das  Repräsentantenhaus  von  New  York  beschuldigte  später  den  Richter 
Westbrook,  gesetzwidrige  Handlungen  im  Amt  begangen  zu  haben;  aber  vom  Senat, 
als  untersuchender  Körperschaft,  gelang  es  ihm,  ein  freisprechendes  Urteil  zu  er- 
halten. 


Viertes  Kapitel 

DER  GEGENWÄRTIGE  STAND  DES  GOULDSCHEN  VER- 
MÖGENS 

Was  war  nun  das  konkrete  Ergebnis,  was  war  die  groß- 
artige Höhe,  die  Gould  nach  fünfzehnjähriger  Räuberei 
erreicht  hatte  ?  Er  selbst  zeigte  es  auf  anschauHche  Weise, 
als  er  am  13.  März  1882  Sage  und  seine  andern  Gesellschafter 
zusammenrief  und  ihnen  einen  mit  Wertpapieren  vollge- 
stopften Kasten  vorwies.  Es  waren  in  Wallstreet  ihn  herab- 
setzende Gerüchte  ausgestreut  worden,  ein  Fallen  der 
Kurse  habe  ihn  vor  kurzem  schwer  getroffen,  und  um  diese 
Behauptungen  Lügen  zu  strafen,  rief  er  Zeugen  herbei, 
um  durch  eindrucksvolle  Beweise  darzutun,  daß  sein  Reich- 
tum und  seine  Macht  unversehrt  seien.  Er  legte  23  Millio- 
nen Dollar  Western-Union- Aktien,  1 2  Millionen  Dollar  Mis- 
souri-Pacific- Aktien  und  19  Millionen  Dollar  anderer  Aktien 
vor.  „Es  gibt  außer  Vanderbilt  keinen  Mann  in  Amerika," 
bemerkte  Sage,  „der  eine  solche  Schaustellung  von  Aktien 
veranstalten  könnte."  Aber  die  Wertpapiere,  die  Gould  so 
aufdeckte,  bildeten  nur  einen  Teil  seines  Reichtums;  vieles 
andere  war  nicht  darin  enthalten.  Zwei  Jahre  später  ver- 
anstaltete er  in  prahlerischer  Weise  eine  zweite  noch  größere 
Schaustellung. 

Diese  Haufen  von  Aktien  und  Obligationen  waren  die 
rechtskräftigen  Beweise  von  der  weitreichenden  Macht 
dieses  einen  Mannes.  Durch  ihren  Besitz  stand  ihm  nicht 
nur  die  Verfügung  über  die  von  zahlreichen  Gesellschaften 
herbeiströmenden  großen  Einkünfte  zu,  sondern  auch  die 
unbeschränkte  Macht  über  eine  ungeheuer  große  Schar  von 
Lohnarbeitern.  Jeder  Dollar  seines  Vermögens  war  durch 
Hinterlist,  Bestechung,  Betrug  und  Diebstahl  erlangt  worden ; 
doch  nun  stand  er  da  als  einer  der  herrschenden  Magnaten 
des  Landes,  als  der  Eigentümer  verzweigter  Besitzungen,  als 
der  Herr  über  das  Schicksal  von  Zehntausenden  von  Arbeitern. 
Hinter  ihm  als  unüberwindlicher  Schutz  stand  das  Gesetz 
und  sicherte  ihm  den  Besitz  des  durch  Diebstahl  Erreichten. 


^  480  — 

Im  Jahre  1881  waren  er  und  seine  Clique  mit  Beute  über- 
laden; das  Volk  war,  durch  seine  Armut  auf  der  einen  und 
den  Anblick  des  riesenhaften  Reichtums  der  Kapitalisten 
auf  der  anderen  Seite,  aufgestachelt,  außerordentlich  un- 
ruhig geworden.  Gould  strebte  vorwärts,  als  ob  ein  öffent- 
licher Protest  nichts  bedeute.  Er  fügte,  wie  wir  gesehen 
haben,  dem  Kapital  der  Hochbahnen  der  Stadt  New  York 
13  Millionen  Dollar  Verwässerungsaktien  hinzu  und  zwang 
gleichzeitig  die  Angestellten  und  Bahnwärter  dieser  Linien, 
sich  neuen  Lohn-  und  Arbeitsbedingungen  zu  unterwerfen. 
Sie  hatten  sich  beklagt,  daß  sie  12 — 15  Stunden  täglich  für 
den  armseligen  Lohn  von  2  Dollar  und  1,75  Dollar  den  Tag 
arbeiten  mußten.  Gould  hörte  ihre  Klagen  an  und  tröstete 
sie  mit  der  Anordnung,  daß  ihre  tägliche  Arbeitszeit  auf 
zwölf  Stunden  herabgesetzt  werden  solle.  Aber  ihre  Visio- 
nen eines  kümmerlichen  Triumphes  schwanden  dahin,  als 
sie  erfuhren,  daß  er  auch  ihren  Lohn  gekürzt  habe. 

Zur  selben  Zeit,  als  er  die  Eisenbahnen  im  Westen  plün- 
derte, setzte  er  die  Löhne  der  Leute  an  der  Missouri  Pacific 
herab  und  trat  den  Arbeiterorganisationen  entgegen;  da- 
durch veranlaßte  er  in  den  Jahren  1885  und  1886  große 
Streike,  durch  die  indessen  seine  Eisenbahnarbeiter  so  gut 
wie  nichts  gewannen.  Höchst  typisch  für  die  Kriecherei 
vieler  Zeitungen  und  Politiker  war  die  Schmähung  und  Ver- 
leumdung, mit  denen  die  jene  Streike  leitenden  Arbeiter- 
führer überhäuft  wurden.  Die  Diener  der  öffentlichen 
Presse  und  die  Gefolgschaft  der  politischen  Führer  verbanden 
sich  zu  bösartiger  Verfolgung;  Martin  Irons,  der  den 
Missouri-Pacific-Streik  leitete,  wurde  verleumdet,  gehetzt 
und  auf  die  schwarze  Liste  gesetzt.  Es  war  jammervoll,  zu 
sehen,  wie  dieser  Mann,  einer  der  Reinsten,  Besten  und  Auf- 
opferndsten, in  späteren  Jahren  gezwungen  war,  sich  durch 
den  Verkauf  von  Erdnüssen  einen  unsicheren  Lebensunter- 
halt zu  erwerben;  und  jetzt  ruht  er  in  einem  unbekannten 
Grabe,  ganz  vergessen,  während  die  sterblichen  Reste 
Goulds,  eines  der  Meisterdiebe  der  Zeit,  in  einem  geräu- 
migen Mausoleum  ruhen,  und  die  Kinder  Goulds  zu  der 
Familienohgarchie  gehören,  die  die  Vereinigten  Staaten 
beherrscht. 


-  4^1  - 

Diebstahl  durch  Macht  und  Glanz  belohnt 

Mit  fünfundvierzig  Jahren  besaß  Gould  mehr  als  loo  Mil- 
lionen Dollar.  Er  war  vor  der  Zeit  alt  geworden ;  sein  Bart  war 
mit  Grau  gemischt,  sein  Haar  dünn,  und  sein  gebräuntes, 
galliges,  finsteres  Gesicht  war  von  harten  tiefen  Linien  durch- 
furcht. Seine  Gestalt  war  zusammengeschrumpft,  so  daß  er 
noch  unbedeutender  aussah  als  je  zuvor.  Aber  wenn  er  reiste, 
konnte  niemand  die  Zeichen  fürstlicher  Macht  mißver- 
stehen. Von  einem  Ende  des  Landes  bis  zum  anderen  fuhr  er 
in  einem  schön  eingerichteten,  palastartigen  Eisenbahnwagen, 
der  mit  allem  zu  jener  Zeit  erdachten  Komfort  und  Luxus 
ausgestattet  war  —  mit  einem  Aussichtszimmer,  einem 
Wohnzimmer,  einer  Speisehalle,  Schlafzimmern,  einer  Küche 
und  Räumen  für  die  Gepäckträger.  Seine  Jacht,  Atalanta, 
war  wirklich  prächtig.  Seine  Lebensweise  war  so,  wie  sie 
sich  für  einen  vollendeten  Magnaten  geziemte.  In  Irving- 
ton am  Hudson  lebte  er  zurückgezogen  in  einem  großen, 
kostbaren,  von  500  Morgen  umgebenen  Herrenhause.  Mit 
diesem  verbunden  war  eins  der  schönsten  Gewächshäuser 
der  Welt.  Seine  Stadtwohnung  in  New  York  war  ein 
massives,  düsteres  Haus  aus  dunkelbraunem  Sandstein  an 
der  nordösthchen  Ecke  der  5.  Avenue  und  47.  Straße,  recht 
im  Mittelpunkte  des  aristokratischen  Viertels. 

Er  besaß  jedoch  noch  manche  andere  gewaltige  Macht, 
die  nicht  in  äußerem  Pomp  zutage  trat.  Jahrelang  besaß 
er  eine  Zeitung,  die  New  Yorker  „World";  es  war  merk- 
würdig, zu  sehen,  wie  einer  der  größten  Räuber,  der  so 
manches  Mal  nur  mit  genauer  Not  dem  Gefängnis  entgan- 
gen war,  das  Publikum  in  bezug  auf  seine  Pflicht  und  Moral 
in  politischer  und  anderer  Hinsicht  unterwies.  Aber  die 
bekannte  Tatsache,  daß  die  Zeitung  Gould  gehörte,  trug 
auch  dazu  bei,  den  Wert  ilirer  Äußerungen  herabzusetzen 
und  ihre  Verbreitung  zu  beschränken^). 

Viel  erfolgreicher  und  hinterlistiger  beeinflußte  er  die 

^)  Aber  als  Gould  die  „World"  an  Joseph  Pulltzer  verkauft  hatte,  wurde  diese 
Zeitung  eine  der  bittersten  Anklägerinnen  Goulds,  wahrscheinlich  mit  der  Absicht, 
eich  vor  der  öffentlichen  Meinung  soviel  wie  möglich  von  der  Tatsache  loszulösen, 
daß  sie  früher  Gould  gehört  hatte. 

31 


-    4^2    - 

öffentliche  Meinung  durch  die  Beherrschung  der  Western- 
Union-Telegraphengesellschaft  und  mittels  dieser  des 
Presseverbandes,  der  ersten  Agentur  zur  Verbreitung  von 
Neuigkeiten  in  den  Vereinigten  Staaten.  Entstellte,  irre- 
leitende oder  falsche  Nachrichtentelegramme  wurden  her- 
gestellt oder  künstlich  gefärbt  und  der  öffentlichen  Presse 
geliefert.  Diese  verschafften  Gould  nicht  nur  vortreffliche 
geheime  Hilfsmittel,  um  die  Bewegung  des  Geldmarktes  zu 
beeinflussen,  sondern  wurden  auch  bei  jeder  Gelegenheit 
zugunsten  der  Kapitalisten  und  gegen  Arbeiter-  und  radi- 
kale Bewegungen  benutzt.  Das  Publikum  wurde  mit  gröb- 
lich gefälschten  Berichten  über  Streike  und  politische 
und  Arbeiterbewegungen  gefüttert;  auf  diese  zurecht- 
gemachten Nachrichten  stützten  die  Besitzer  der  Zeitungen, 
die  selbst  Kapitalisten  oder  dem  Kapital  in  hohem  Maße 
unterwürfig  waren,  feindselige,  wenn  nicht  böswillige  Leit- 
artikel; und  alles  zusammen  wurde  benutzt,  um  die 
große  Masse  des  Publikums  von  vornherein  gegen  jede  Be- 
wegung oder  Gärung  einzunehmen,  die  die  unbeschränkte 
Herrschaft  des  Kapitals  bedrohen  konnte. 

"Jay  Goulds  Tod 

Jay  Gould  wurde  in  seinen  letzten  Jahren  teils  von  einem 
schweren  Magenleiden,  teils  von  Schlaflosigkeit  gequält. 
Stundenlang  pflegte  er  in  den  langen  dunklen  Nächten 
an  dem  Häuserblock,  der  seinem  Hause  in  der  Stadt 
New  York  gegenüberlag,  auf  und  ab  zu  schreiten  —  ein 
kleiner,  abgemagerter,  verdrießlicher  Mann,  der  sich  ver- 
gebens bemühte,  Körper  und  Geist  bis  zu  einer  den  Schlaf 
erzwingenden  Erschöpfung  zu  ermüden.  Er  starb  am 
Morgen  des  2.  Dezembers  1 892,  und  seine  Leiche  wurde  auf 
dem  Woodlawn-Friedhof  in  einem  klassischen  Mausoleum, 
das  HO  000  Dollar  gekostet  hatte,  bestattet.  Viele  Multi- 
millionäre, deren  Lebensweg  und  Stellung  seinen  eigenen 
glichen,  und  deren  Laufbahnen  zum  Teil  mit  der  seinen 
verknüpft  waren,  erschienen  bei  den  Begräbniszeremonien. 
Rüssel  Sage  war  da  und  J.  Pierpont  Morgan  und  Collis 
P.  Huntington  und  eine  Gruppe  anderer  —  eine  pompöse 


-  4^3  - 

Prozession  von  Geldfürsten  mit  passendem  Gesichtsaus- 
druck und  in  tadelloser  Trauerkleidung,  obgleich  mit  Aus- 
nahme seiner  eigenen  Familie  nicht  eine  Seele  wirklich  um 
Gould  trauerte.  Sein  Testament  enthüllte  einen  Besitz 
von  nominell  77  Millionen  Dollar,  aber  dieses  war  nur  die 
öffentliche  Seite  des  testamentarischen  Schriftstücks;  sein 
Besitz  belief  sich  auf  viel  mehr.  Die  ganze  Hinterlassenschaft 
sollte  für  seine  sechs  Kinder  —  vier  Söhne  und  zwei  Töch- 
ter —  verwaltet  werden;  Gould  hinterließ  nicht  wie  die 
Astors  und  einige  andere  Magnaten  die  große  Masse  seines 
Vermögens  seinem  ältesten  Sohne. 

Jetzt,  da  Gould  gestorben  war,  stießen  viele  Zeitungs- 
besitzer, die,  solange  er  lebte,  vor  ihm  gedienert  oder  furcht- 
sam geschwiegen  hatten,  wie  Gassenkehrer  ihre  Schmähun- 
gen hervor  und  zählten  seine  hassenswerten   Taten  auf. 

Die  Unrichtigkeit  ihrer  Darstellungen  bestand  nicht  in 
der  Übertreibung  seiner  Lasterhaftigkeit  —  das  wäre  nicht 
möglich  gewesen  —  sondern  darin,  daß  sie  ihn  als  einen 
außergewöhnlichen  Betrüger  herausgriffen  und  von  dem 
System  loslösten,  das  ihn  hervorgebracht  hatte  und  das 
allein  verantwortlich  gemacht  werden  konnte. 

Gould  ging  dahin  als  der  gehaßteste  Mann  der  Ver- 
einigten Staaten.  Sozialer  Ehrgeiz  hatte  ihn  niemals  berührt, 
aber  in  seinen  Kindern  entwickelte  sich  das  Streben  nach 
Anerkennung.  Zuerst  kam  es  bei  jedem  Schritt  zu  einem 
Hervorbrechen  der  alten  Schmähung,  daß  ihres  Vaters 
Vermögen  durch  Raub  und  Vernichtung  gewonnen  sei. 
Aber  alle  Begründer  von  Reichtümern  waren  ohne  eine 
einzige  Ausnahme  von  derselben  Art;  alle  hatten  überlistet, 
gelogen,  getäuscht,  bestochen,  betrogen  und  gestohlen. 

Jedoch  die  Goulds  mit  Hunderten  von  Millionen  Dollar 
zu  ihrer  Verfügung  waren  imstande,  alle  sozialen  Hinder- 
nisse zu  überwinden.  Wenn  jemand  genug  Geld  hat,  dann 
braucht  man  ihm  eine  auserwählte  gesellschaftliche  Stellung 
nicht  erst  zu  bewilligen,  er  kann  sie  im  Sturme  nehmen. 
Einer  der  leichtesten  Wege  besteht  darin,  sich  den  Eintritt 
in  die  Gesellschaftsklasse  des  europäischen  Erbadels  zu  er- 
kaufen, da  dieser  in  der  heutigen  praktischen  Zeit  mit  der 
Verhökerung  von  Namen  für  Bargeld  einen  lebhaften  Handel 

31* 


-  484  - 

betreibt.  Demgemäß  wurde  im  Jahre  1895  Anna  Gould, 
eine  von  Jays  Töchtern,  in  die  Gräfin  Castellane  ver- 
wandelt, und  der  Graf  erhielt  die  Gelegenheit,  viele  der 
Gouldschen  Millionen  für  sich  in  Anspruch  zu  nehmen. 
Während  der  folgenden  elf  Jahre  machte  er  einen  fröhlichen 
Gebrauch  davon,  streute  mit  verschwenderischer  Frei- 
gebigkeit MiUionen  aus  und  trieb  phantastische  Possen, 
bis  eine  Ehescheidung  ihnen  ein  grausames  Ende  bereitete. 
Aber  M^e  Gould  stieg  auf  den  Seiten  des  Gothaer  Kalenders 
noch  höher  auf.  Der  Nachfolger  des  Grafen  ist  der  Herzog 
von  Sagan,  ein  bemerkenswerter  Sproß  seines  Hauses,  der 
seine  wichtige  Rolle  spielt,  indem  er  zeigt,  wie  der  feudale 
Adel,  oft  der  gestohlenen  Besitzungen  zu  Hause  durch  Re- 
volutionen und  Verschwendung  beraubt,  sich  bequem  schad- 
los halten  kann,  indem  er  sich  mit  gestohlenen  Gütern  aus 
neueren  Ländern  verbindet, 

Der  Kampf  um  die  weitere  Existenz 

Würden  wir  zu  großen  Nachdruck  auf  die  Bestrebungen 
und  Taten  der  Familie  Gould  in  gesellschaftlicher  Hinsicht 
legen,  so  würden  wir  den  riesenhaften  Industriekampf  in 
den  Schatten  stellen,  in  den  sie  verwickelt  wurden.  Nach 
Jay  Goulds  Tode  nahmen  der  Reichtum  und  die  Besitzungen 
der  Famihe  bedeutend  zu,  und  ihre  Eroberungen  wurden 
weiter  ausgedehnt. 

Aber  dieser  Fortschritt  wurde  nicht  ungehindert  ge- 
stattet. Die  allerletzten  Jahre  leiteten,  worauf  wir  schon 
hingewiesen  haben,  einen  furchtbaren  Kampf  um  die  aus- 
schließliche Beherrschung  der  Hilfsquellen  der  Nation  ein. 
Wenn  wir  fünfzig  Jahre  zurückblicken,  so  sehen  wir  eine 
große  Anzahl  kleiner  wichtigtuender  Fabrikherren,  von  denen 
jeder  seine  eigne  kleine  Eisenbahn  oder  Fabrik  betrieb. 
Dann  tritt  eine  Veränderung  ein ;  große,  energische  Kapi- 
talisten entwickeln  sich,  die  mit  den  kleinen  Herren  Krieg 
führen,  sie  mit  guten  oder  schlechten  Mitteln  vernichten, 
ihre  Besitzungen  an  sich  reißen  und  zu  großen  Systemen  ver- 
einen. Die  kleinen  Eisenbahnbesitzer  verschwinden,  und 
an  ihre   Stelle   treten  herrschsüchtige  Magnaten  wie  die 


-  4^5  - 

Vanderbilts,  die  Goulds,  Huntington,  Morgan,  Hill  und 
ähnliche.  Vor  zehn  Jahren  waren  alle  diese  Männer  Ma- 
gnaten mit  ungeheurer  Macht,  jeder  an  der  Spitze  irgend- 
eines großen  Systems  und  despotisch  auf  einem  besonderen 
Gebiete  herrschend. 

In  dem  industriellen  Entwicklungsprozeß  ist  jetzt  ein 
neues  Stadium  im  Werden,  das  den  Niedergang  der  Ober- 
herren des  Gould-Typus  ankündigt  und  den  nahenden 
Höhepunkt  kapitalistischer  Einrichtungen  voraussagt.  Wie 
mächtig  auch  diese  Magnaten  gewesen  sind,  sie  werden  all- 
mählich und  unerbittHch  von  einer  noch  gewaltigeren  Macht, 
der  mächtigsten  von  allen,  niedergeworfen.  Das  Ziel  dieser 
alles  durchdringenden  Macht  ist  industrieller  Absolutismus; 
und  in  der  Verfolgung  dieses  unvermeidlichen  Endzweckes 
zermalmt  diese  Macht  jeden  Widerstand,  ebenso  wie  die 
Goulds,  die  Vanderbilts  und  andere  ehemals  kleinere 
Magnaten  ihn  zermalmt  haben.  Nicht  länger  sind  die  Goulds 
imstande,  ihre  Macht  weit  auszudehnen;  die  kritische  Pe- 
riode ist  eingetreten,  in  der  sie  um  das,  was  sie  besitzen, 
schwer  zu  kämpfen  haben. 

Die  aufsteigende  Autokratie 

Diese  höchste  Macht,  die  nach  jeder  Form  der  Produktion 
und  der  Verteilung  der  Produkte  die  Hand  ausstreckt,  ist 
die  Standard  Oil-Company,  an  deren  Spitze  die  Rocke- 
fellers  stehen. 

Vor  fünfunddreißig  Jahren  erhielt  sie  durch  Erlangung 
geheimer  Eisenbahntarife  und  andere  Formen  der  Unter- 
drückung ein  Monopol  für  ölprodukte.  Zuerst  trat  sie  in 
verbindlicher  Form  an  die  Eisenbahnmagnaten  heran,  als 
Bittende,  die  eine  Gunst  nachsucht.  Bald  darauf  ließ  sie, 
aus  Politik,  diese  Magnaten  an  ihrem  Gewinn  teilnehmen. 
Dann  fing  sie  an,  sich  ihren  Weg  in  das  Besitzrecht  von 
Eisenbahnen  zu  erkaufen.  Ihre  Einkünfte  sind  so  fabelhaft 
groß,  daß  sie  unter  dem  dauernden  und  unvermeidlichen 
Zwange  steht,  ihren  ungeheuer  großen  und  noch  immer 
größer  werdenden  Überschuß  neu  anzulegen.  Diesen  Über- 
schuß hat  sie  dazu  verwandt,  Aktien  von  Eisenbahnen,  Ban- 


-  486  - 

ken,  Bergwerken,  gemeinnützigen  Einrichtungen  und  Indu- 
strien und  Wertpapieren  aller  Art  aufzukaufen.  Infolge  dieser 
feststellenden  unveränderlichen  PoHtik  nahm  ihre  Macht 
eine  solche  Ausdehnung  an,  daß  ihre  Mitglieder  anfingen, 
sich  als  Direktoren  in  die  verschiedensten  Gesellschaften 
einzudrängen.  Eine  Zeitlang  führten  sie  dann  die  Politik 
durch,  mit  den  großen  Magnaten  auf  jedem  Gebiete  ,,eine 
Gemeinschaft  der  Interessen"  zu  haben;  mit  ihnen  in  der 
Entscheidung  über  industrielle  Angelegenheiten  zusammen- 
zuarbeiten. Aber  während  der  ganzen  Zeit  kaufte  die  Ge- 
sellschaft in  allmählichem  Vordringen  immer  mehr  Aktien 
aller  Art  an,  so  daß  sie  jetzt  so  weit  gekommen  ist,  daß 
sie  durch  Leiter  wie  den  verstorbenen  Harriman  allmäh- 
Hch  die  Vanderbilts,  die  Goulds  und  andere  Magnaten, 
die  noch  vor  zehn  Jahren  ersten  Ranges  waren,  in  eine  unter- 
geordnete Stellung  drängt  und  sich  hinter  unumschränkter 
Machtvollkommenheit  verschanzt.  Mehrere  Eisenbahnen, 
die  lange  Zeit  von  den  Goulds  beherrscht  wurden,  sind  in 
beträchtlicher  Ausdehnung  Anhängsel  der  Standard  OiJ- 
Gesellschaft  geworden. 

Industriekämpfe,  wie  der  zwischen  George  Gould  und 
der  Pennsylvania-Eisenbahn  im  Jahre  1902,  werden  sich 
so  bald  nicht  wieder  ereignen.  Dieser  Kampf  war  durch 
Goulds  Plan,  die  Wabash-Eisenbahn  bis  an  die  Küste  des 
Atlantischen  Meeres  auszudehnen,  entstanden.  Die  Penn- 
sylvania-Eisenbahn erhob  sofort  Widerspruch  gegen  einen 
Konkurrenten  auf  ihrem  reichen  Nutzen  bringenden  Ge- 
biet. Der  daraus  hervorgehende  Streit  wurde  in  gesetz- 
gebenden Körperschaften,  in  Gemeinderäten,  Gerichts- 
höfen, im  Kongreß  und  durch  wirksame  physische  Kraft 
ausgefochten.  So  vollständig  haben  die  Pennsylvania- 
Eisenbahnmagnaten  jenen  Staat  fünfzig  Jahre  lang  be- 
herrscht, daß  auf  Goulds  Seite  sehr  viel  Tollkühnheit  nötig 
war,  um  mit  ihnen  einen  Krieg  anzufangen^). 

^)  Als  Beispiel,  wie  die  große  politische  Macht  der  Pennsylvania-Eisenbahn 
benutzt  wurde,  ist  der  folgende  Bericht  bezeichnend.  Er  zeigt,  wie  Cassatt,  der 
Präsident  jener  Eisenbahn,  und  einige  andere  Industriemagnaten  und  politische 
Größen  beschlossen,  daß  Philander  Knox  (im  Jahre  19 lo  Staatssekretär  der  Ver- 
einigten Suaten)  zum  Senator  der  Vereinigten  Staaten  gewählt  werden  solle. 
Knox  war  lange  Zeit  Gesellschaftsanwalt.   Der  Gouverneur  von  Pennsjdvania  erliielt 


-  487  - 

Eines  der  bemerkenswertesten  Beispiele,  wie  weit  die  Penn- 
sylvania-Eisenbahn-Magnaten in  ihrer  Herrschaft  gingen, 
bildet  das  Tumult-Entschädigungs-Gesetz,  dessen  Durch- 
bringung  sie  bei  den  gesetzgebenden  Körperschaften  jenes 
Staates  im  Jahre  1 879  versuchten.  Es  ist  nützlich,  etwas  von 
den  Umständen,  unter  denen  dieses  Gesetz  entstand,  kurz 
mitzuteilen,  da  dadurch  eine  gute  Vorstellung  von  den 
Methoden  A.  J.  Cassatts  erweckt  wird,  der  lange  Präsident 
der  Pennsylvania-Eisenbahn  war.  Cassatt  war  es,  den  George 
Gould  im  Jahre  1902  zu  bekämpfen  hatte.  Die  Methoden, 
die  Cassatt  im  Jahre  1879  anwandte,  waren  dieselben,  die 
er  immer  anwandte.  Jay  Gould  besaß  bei  all  seiner  Gewissen- 
losigkeit niemals  die  Dreistigkeit,  etwas  zu  tun,  das  an  Un- 
geheuerlichkeit dem  Tumult-Entschädigungs-Gesetz  Cas- 
satts nahekam.  Trotzdem  wurden,  als  Cassatt  kürzlich  starb, 
überall  Lobpreisungen  in  überreicher  Zahl  veröffentlicht; 
er  starb  umgeben  von  Zeichen  höchster  Ehrbarkeit. 

Selbst  zugefügter  Brandschaden  und  ein  Raub  von  4  Millionen  Dollar 

Wir  haben  in  einem  früheren  Kapitel  gesehen,  wie  die 
Beamten  der  Pennsylvania-Eisenbahn  während  des  großen 
Streiks  von  1877  ihre  Angestellten  beauftragten,  eine  Anzahl 
wertloser  Frachtwagen  in  Pittsburg  in  Brand  zu  stecken, 

den  Befehl,  die  Wahl  dieser  Gruppe  politischer  Diktatoren  zu  bestätigen,  und  tat  es. 
Dieser  Bericht  wurde  in  „Collier's  Weekly"  in  der  Ausgabe  vom  8.  Juni  1907  als 
Leitartikel  veröffentlicht  und  erschien  in  derselben  Zeitschrift  am  27.  November 
1909  noch  einmal.  Seine  Richtigkeit  wurde  nicht  bestritten,  es  wurde  nichts  in 
Abrede  gestellt,  auch  keine  Klagen  auf  Verleumdung  eingebracht.  Der  Bericht 
lautete : 

„Mr.  Knox'  politische  Karriere  wurde  in  den  Hauptbüros  der  Pennsylvania-Eisen- 
bahn in  Philadelphia  in  Szene  gesetzt.  Dort  trafen  sich,  um  für  den  kürzlich  ver- 
storbenen Quay  einen  Nachfolger  zu  ernennen,  Senator  Penrose,  Henry  C.  Frick, 
'Iz'Durham,  der  damals  auf  der  Höhe  seiner  Macht  stehende  Herr  von  Philadelphia, 
und  der  ehemalige  Präsident  Cassatt.  Zwischen  den  Politikern  und  den  beiden  Ge- 
schäftsleuten wurde  ein  Modus  arrangiert.  Knox  sollte  Senator  sein  .  .  .  Dann 
begab  sich  die  Gesellschaft  zum  Mittagessen  in  das  Haus  des  Präsidenten  Cassatt. 
Hierzu  war  Gouverneur  Pennypacker  eingeladen,  dem  die  Kandidaturbestimmung 
zukam.  Während  die  übrigen  mit  den  Walnüssen  beschäftigt  waren,  erhob  sich 
Penrose  und  forderte  den  Gouverneur  auf,  in  den  Hinterhof  zu  kommen,  um 
den  Mond  zu  sehen.  ,E8  ist  Knox,'  sagte  Penrose  zu  dem  Gouverneur.  Und 
Knox  war  es . .  .  Dieser  Geschichte  wird  noch  ein  untergeordnetes  Interesse  durch 
<iie  Tatsache  hinzugefügt,  daß  Präsident  Cassatt  Demokrat  war." 


-  488  - 

um  die  Streikbewegungen  als  aufrührerisch  hinstellen  zu 
können  und  so  einen  Vorwand  für  die  Herbeirufung  von 
Militär  zu  haben. 

Auf  dasselbe  Verbrechen  der  Brandstiftung  gründeten 
zwei  Jahre  später  diese  Magnaten  einen  Versuch,  das  Volk 
mit  einem  Griff  um  4  Millionen  Dollar  zu  berauben.  In  der 
ganzen  Geschichte  der  amerikanischen  Industrie  ist  nie  zuvor 
ein  so  eingestandenermaßen  kühner  Plan  versucht  worden. 
Als  im  Jahre  1879  bei  den  gesetzgebenden  Körperschaften 
von  Pennsylvania  eine  Gesetzesvorlage  eingebracht  wurde, 
die  Eisenbahn  bis  zur  Höhe  von  4  Millionen  Dollar  für  den 
Verlust  von  Eigentum  zu  entschädigen,  wurde  die  Nachricht 
mit  allgemeinem  Erstaunen  aufgenommen.  Cassatt  betrieb 
die  Vorlage,  und  sie  würde  zum  Gesetz  geworden  sein, 
hätten  sich  nicht  einige  der  Gesetzgeber  über  die  Unver- 
schämtheit des  Planes  empört.  Einige  brandmarkten  ihn 
als  einen  ungeheuren  Betrug;  einer  besonders,  der  Re- 
präsentant Wolfe,  erhob  die  Anklage,  daß  Bestechung  an- 
gewandt worden  sei,  und  verlangte  eine  Untersuchung. 
Darauf  wurde  am  9.  April  1879  eine  Untersuchungskom- 
mission eingesetzt. 

Der  Bericht  dieser  Kommission  stellt  ausdrücklich  fest, 
daß  drei  Mitglieder  der  gesetzgebenden  Körperschaften 
sich  der  Bestechung  schuldig  gemacht  hätten.  Nach  dem 
Beweismaterial  war  es  klar,  daß  Cassatt  und  Quay  —  der 
letztere  ein  bestechlicher  Politiker  an  der  Spitze  der 
republikanischen  Parteiorganisation  von  Pennsylvania  — 
sich  verbündet  hatten,  um  die  Vorlage  durchzupeitschen; 
daß  viele  Mitglieder  entweder  mit  Geld  oder  mit  Ver- 
sprechungen, gewisse  ihrer  Vorlagen  durchzubringen,  be- 
stochen worden  waren;  daß  unter  den  Mitgliedern  be- 
stochene Gruppen  zur  Durchbringung  wichtiger  Vorlagen 
bestanden,  und  daß  viele  einflußreiche  Redakteure  im  gan- 
zen Staat  bezahlt  worden  waren,  um  das  Durchgehen  der 
Gesetzesvorlage  zu  befürworten*), 


^)  Petroff,  Kembel,  Salter,  Rumberger  und  Crawford,  alle  Gesetzgeber  oder 
Lobbyisten,  wurden  im  Jahre  1880  der  Bestechung  überführt  und  je  zu  einem 
Jahr  Gefängnis  verurteilt.    Bei  der  Verurteilung  bemerkte  Richter  Pearson,  daß  in 


-  489  - 
Ein  Krieg  der  Multimillionäre 

Das  war  die  Art,  wie  Cassatt,  das  Haupt  der  Streitkräfte, 
mit  denen  George  Gould  zu  kämpfen  hatte,  vorging.  Vor 
allem  anderen  suchte  Gould  in  Pittsburg  mit  seinem  er- 
staunlich hohen  jährlichen  Güterverkehr  von  75  Millio- 
nen Tonnen  einzudringen.  Die  Regierung  der  Stadt  wurde 
von  der  Pennsylvania-Eisenbahn  geführt.  Aber  was  machte 
das  ?  Wenn  Geld  eine  Clique  von  Beamten  einsetzen  und 
arbeiten  lassen  konnte,  dann  konnte  Geld  auch  eine  andere 
Clique  einsetzen.  So  schloß  George  Gould  und  mit  Recht. 
Die  Regierung  von  Pittsburg  wurde  jetzt  der  Kampfpreis. 
Gould  sorgte  in  geschickter  Weise  dafür,  daß  der  in  Frage 
stehende  Zugang  der  Wabash-Eisenbahn  durch  die  städti- 
schen Wahlen  des  Jahres  1902  entschieden  werden  sollte. 

Mit  Hilfe  seiner  Millionen,  so  sagte  man,  wurde  eine 
„Reformbewegung"  hervorgebracht  und  zu  kräftigem 
Wachstum  aufgeblasen.  Gould  setzte  seine  Sache  durch; 
ein  seinen  Plänen  günstig  gesinnter  Gemeinderat  wurde  ge- 
wählt^). Zur  selben  Zeit  ließ  Gould  im  Kongreß  ein  Gesetz 
durchbringen,  das  ihm  die  Überbrückung  des  Monongahela- 
Flusses  gestattete.  Man  hat  berechnet,  daß  ihn  das  Ein- 
dringen in  Pittsburg  12  Millionen  Dollar  gekostet  hat,  aber 
der  urkundliche  Beweis  dafür  fehlt.  Nachdem  er  35  Millio- 
nen Dollar  ausgegeben  hatte,  führte  er  seine  Wabash-Pläne 
durch. 

Nun  begann  der  Kampf  der  rohen  Gewalt.  Aus  Rache  für 
Goulds  Sieg  ließen  die  Magnaten  der  Pennsylvania-Eisen- 

den  gesetzgebenden  Körperschaften  von  Pennsylvania  Bestechung  seit  Jahren  ein 
alltägliches  Vorkommnis  sei.  Aber  obwohl  die  Bestechung  bei  dem  Versuch,  das 
Gesetz  durchzubringen,  aufgedeckt  wurde,  erlangte  die  Eisenbahn  von  Pennsylvania 
schließlich  doch,  wie  vorher  erwähnt,  aus  der  Staatskasse  annähernd  22  Millionen 
Dollar  an  „Entschädigungen". 

^)  Diese  „Reform"  wurde  als  eine  Bewegung  angekündigt,  die  Pittsburg  neu 
beleben  würde.  Die  durch  Bestechung  öffentlicher  Körperschaften  aus  Geschäfts- 
interessen hervorgebrachte  zunehmende  Korruption  war  kürzlich  aufgedeckt  wor- 
den. Der  Überführung  eines  von  denen,  die  am  meisten  bestochen  worden  waren, 
folgte  ein  Geständnis  und  im  März  1910  die  Geständnisse  vieler  anderer  Mitglieder 
des  Pittsburger  Gemeinderates.  Diese  Geständnisse  enthüllten  ein  ausgedehntes 
Bestechungssystem  durch  Stahlmagnaten,  Banken  und  aus  anderen  Geschäfts- 
interessen. Gegenwärtig  (April  1910)  sind  41  Stadtverordnete  im  Anklagezustande 
and  mehr  als  zwanzig  andere  haben  ein  Geständnis  abgelegt. 


-  490  - 

bahn  alle  Telegraphenstangen  seiner  Western  Union  Tele- 
graphen-Gesellschaft an  der  Strecke  jener  Bahn  nieder- 
schlagen. Hätten  die  Telegraphenarbeiter  einen  Streik  an- 
gefangen, dann  hätte  sich  das  Geschrei  erhoben,  daß  sie  auf 
gefährliche  Weise  eine  wichtige  öffentliche  Einrichtung  zer- 
stört hätten,  aber  eine  von  Magnaten  ausgeübte  Gewalttat 
galt  als  heiliges  Eigentumsrecht,  und  kein  Einspruch  von 
Regierungsbeamten  wurde  laut. 

In  einem  Werke,  das  während  der  Abfassung  dieses 
Buches  (1910)  in  Lieferungen  veröffentlicht  wurde  und 
Richter  Ben  B.  Lindsey,  einen  Mann  von  hohem  Gemeinsinn, 
zum  Verfasser  hat,  der  mit  den  Angelegenheiten  von  Colo- 
rado sehr  genau  vertraut  ist,  enthüllt  Richter  Lindsey  im 
einzelnen  etwas  von  der  großen  Korruption  in  jenem  Staate. 
Er  erzählt,  wie  beinahe  alle  Beamten  und  Richter  Werk- 
zeuge der  Gesellschaften  sind ;  was  für  eine  ungeheuer  große 
Zahl  betrügerischer  Stimmen  bei  den  Wahlen  gezählt  wer- 
den; und  wie  die  Gesellschaften  in  vielen  Fällen  die  Wahl 
oder  Ernennung  gerade  derjenigen  Richter  diktiert  haben, 
deren  Entscheidungen  für  die  Arbeiterklassen  so  drückend 
gewesen  sind.  Im  besondern  erzählt  er  ausführlich,  wie 
im  Jahre  1905  Gouverneur  Peabody  in  betrügerischer  Weise 
für  gewählt  erklärt  wurde,  und  wie  Peabody  mit  der  Be- 
setzung von  Richterstellen  im  obersten  Gerichtshof  durch 
gewisse,  von  den  Gesellschaften  bezeichnete  Männer  Handel 
getrieben  habe. 

Lindsey  fährt  fort :  „Erscheint  dies  unglaublich  ?  Dann  lese 
man  die  Berichte  des  obersten  Gerichtshofes  von  Colorado, 
Bd.  35,  S.  325  und  das  weitere.  Man  wird  dort  die  Anklage 
finden,  daß  die  Colorado-  und  Southern-Eisenbahngesell- 
schaft,  die  Denver-  und  Rio  Grande-Eisenbahngesellschaft 
und  die  Staatsbehörden  von  Denver  mit  Gouverr  eur  Peabody 
ein  Abkommen  getroffen  hatten,  wonach  diese  Korporatio- 
nen in  die  Lage  versetzt  werden  sollten,  die  für  den  obersten 
Gerichtshof  zu  ernennenden  Richter  zu  bestimmen.  Man 
wird  die  Anklage  finden,  daß  Luther  M.  Goddard  von  den 
Straßenbahn-  und  ähnlichen  Konzessions-Gesellschaften  als 
passender  Richter  bestimmt  wurde,  daß  aber  die  beiden 
Eisenbahngesellschaften  Einspruch  gegen  ihn  erhoben,  da  er 


-  491  - 

„zu  eng  mit  den  Interessen  der  Denver  City-Straßenbahn- 
gesellschaft und  der  Denver  Union- Wassergesellschaft  ver- 
bunden sei".  „Als  letztes  Hilfsmittel,"  fährt  der  Bericht  fort, 
„wurde  der  Agent  und  Vertreter  der  besagten  Colorado-  und 
Southern-Eisenbahngesellschaft  aufgefordert  —  und  er 
folgte  der  Aufforderung — ,  sich  am  Sonntag,  dem  achten  Tage 
des  Januar,  nach  Mitternacht,  also  am  Montag,  dem  neunten 
Tage  des  Januar,  ungefähr  um  ein  Uhr  morgens  in  einem 
Wagen  nach  der  Wohnung  des  besagten  Luther  M.  Goddard 
zu  begeben,  ihn  aus  dem  Bett  zu  holen  und  dann  und  dort 
mit  dem  besagten  Goddard  eine  Unterredung  zu  haben, 
wonach  die  besagten  Eisenbahngesellschaften  durch  ihre 
Agenten  den  Widerspruch  gegen  seine  Bestätigung  zurück- 
zogen, und  nun  verkündeten  sie  an  dem  besagten  Morgen 
ungefähr  um  3  Uhr  den  übrigen  Korporationen  durch  ihre 
Agenten  und  Vertreter,  daß  ihr  Widerspruch  zurück- 
gezogen sei,  und  nachdem  die  Zurückziehung  des  Wider- 
spruches verkündet  worden  war,  bestätigte  der  Senat  des 
15.  Repräsentantenhauses  beinahe  unmittelbar  nach  seinem 
Zusammentreten  am  Montag,  dem  neunten  Tage  des  Januar, 
morgens  die  Ernennung  des  besagten  Goddard. 

„Das  diese  Anklagen  enthaltende  Schriftstück  ist  unter- 
zeichnet von  Henry  M.  Teller,  Ex- Kabinettmitglied  und 
Senator  der  Vereinigten  Staaten,  und  vom  Ex-Gouverneur 
Thomas  als  Anwalt  für  Senator  T.  M.  Patterson,  der  in 
seiner  Zeitung  The  Rocky  Mountain  News  die  Anklagen 
erhoben  hatte.  Diese  Herren  erboten  sich,  die  Anklage- 
punkte vor  Gericht  zu  beweisen,  aber  der  Gerichtshof 
wies  das  Anerbieten  in  einer  höchst  erstaunlichen  Ent- 
scheidung zurück;  er  war  der  Ansicht,  daß,  wie  wahr  auch 
solche  Beschuldigungen  sein  mochten,  es  eine  ,, Ver- 
achtung des  Gerichtshofes"  sei,  sie  vorzubringen,  und 
verurteilte  den  Senator  Patterson  zu  einer  Geldstrafe  von 
1000  Dollar!"  .  .  .^) 

Also  scheint  es,  wenn  Anklagen  wie  diese  wahr  sind,  daß 


^)  „The  Beast  and  the  Jungle,"  Everybody's  Magazine,  Februar-Ausgabe  1910, 
241 — 242.  Moody's  „Truth  about  the  Trusts,"  herausgegeben  im  Jahre  1904, 
beschreibt  die  Denver-  und  Rio  Grande-Eisenbahn  als  ein  ausgesprochenes  Gould- 
System  (S.  435). 


-  492  ~ 

die  jetzt  lebenden  Goulds  die  Methoden  ihres  Vaters  fort- 
setzen. Es  läßt  sich  auch  wohl  annehmen,  daß  diese  öffent- 
lichen Enthüllungen  nur  Andeutungen  von  ausgedehnten 
heimlichen  Anschlägen  und  Unternehmungen  sind,  von 
denen  viele  niemals  öffentlich  enthüllt  wurden. 

Wenn  die  Familie  Gould  nun  auch,  wie  die  Verhältnisse 
liegen,  langsam  zu  einer  entsagenden  Stellung  in  der  Rang- 
ordnung des  Reichtums  hinabsinkt  im  Vergleich  mit  dem 
Vermögen  und  der  Macht  eines  Rockefellers,  so  ist  sie 
trotz  alledem  noch  ungeheuer  reich.  Vor  vierzig  Jahren 
tat  Jay  Gould  alles,  was  er  konnte,  um  dem  Gefängnis  zu 
entgehen;  heute  leben  seine  Kinder  und  Großkinder  in 
schimmernden  Palästen. 

Georgian  Court  in  Lakewood,  New  Jersey,  ^  einer  der 
Wohnplätze  George  Goulds,  ist  sinnbildlich  für  ihren  Glanz. 
Das  Hauptgebäude,  im  georgianischen  Stil  erbaut,  ist 
200  Fuß  lang  und  50  breit.  Die  große  Haupteintrittshalle 
ist  30  Fuß  breit  und  50  lang;  an  einem  Ende  befindet  sich 
ein  von  Marmorsäulen  getragenes  massives  elliptisches 
Treppenhaus  aus  Marmor  und  Bronze  und  am  anderen  Ende 
ein  prächtiger  Marmorkamin.  An  drei  Seiten  der  Halle 
befindet  sich  eine  16  Fuß  hohe  und  80  Fuß  lange  Wand- 
malerei —  eine  Darstellung  der  „Canterbury  Pilger"  nach 
Chaucer.  Hundertundfünfzig  Gehänge  aus  geschliffenem 
Glas  strahlen  prismatische  Farben  von  dem  Kronleuchter 
herab.  Das  Mobiliar  dieser  Halle  im  Stile  Ludwigs XIV.  glänzt 
von  Vergoldung  und  ist  mit  dunkelrotem  Samt  bezogen. 
Dieser  Palast  enthält  dreißig  Zimmer  für  George  Goulds 
Famihe  und  ihre  Gäste.  Selbst  das  Bettgestell,  in  welchem 
George  Gould  schläft,  kostet  25  000  Dollar.  Und  rund 
herum  um  dieses  graue  und  weiße  Herrenhaus  aus  Ziegel- 
mauern, bedeckt  mit  grauem  Stuck,  befinden  sich  feenhafte, 
italienische,  tiefliegende  Gärten  voll  Statuen  und  prächtigen 
Springbrunnen.  Verbunden  mit  dem  Schloß  ist  ein  mit 
einem  Kostenaufwand  von  250  000  Dollar  erbauter  Hof 
mit  einer  mit  Lohe  gefüllten  Reitbahn,  einer  Turnhalle, 
mit  Kegelbahnen  und  Ruhezimmern,  mit  einem  bedeckten 
Schießstand,  einem  großen  Schwimmbad  und  türkischen 
und  russischen  Bädern. 


-  493  - 

Und  dieses  ist  nur  einer  der  vielen  Paläste  der  Mitglieder 
der  Familie  Gould. 


Fünftes  Kapitel 
DAS  VERMÖGEN  VON  BLAIR  UND  GARRETT 

Von  John  J.  Blair  hört  man  jetzt  wenig,  doch  als  er  im 
Jahre  1 899  im  Alter  von  97  Jahren  starb,  hinterließ  er 
ein  großes  persönliches  Vermögen,  das  man  verschieden  — 
zwischen  60  und  90  Millionen  Dollar  —  schätzte;  sein 
zum  größten  Teil  auf  seinen  Sohn  De  Witt  C.  Blair  über- 
gegangener Reichtum  bildete  eines  der  großen  Vermögen 
in  den  Vereinigten  Staaten.  Hier  war  nach  den  Lieferanten 
für  die  öffentliche  Meinung  einmal  ein  ehrlicher  Mann; 
hier  war  unbestreitbar  ein  Kapitalist  von  „ungewöhnlichem 
kaufmännischem  Instinkt,"  dessen  Vermögen  aus  reinem, 
gesetzlichem  und  rechtschaffenem  Tun  hervorgegangen 
war.  „Länger  als  ein  halbes  Jahrhundert,"  sagte  der  Leit- 
artikel einer  Zeitung^)  bei  seinem  Tode,  „ist  er  einer  der 
führenden  Kaufleute  des  Landes  gewesen  und  länger  als  ein 
Vierteljahrhundert  einer  der  reichsten  Männer  der  Welt, 
da  sein  Vermögen  auf  50  bis  loo  Millionen  Dollar  gescljätzt 
wird,  von  denen  jeder  Pfennig  ihm  durch  rechtliche 
Kanäle  zufloß  und  auf  dem  Wege  zu  ihm  sowohl,  wie  später 
in  seinen  Händen,  neuen  Reichtum  schuf."  Dies  war  keine 
vereinzelt  dastehende  Lobpreisung;  überall  in  den  Spalten 
der  Presse  ertönte  dieser  Sang,  ohne  irgendeinem  Wider- 
spruch oder  einer  Einwendung  zu  begegnen. 

Eim  Nachforschung  über  Blairs  Laufbahn 

Auf  allen  diesen  ermüdenden  Seiten  haben  wir  weit  und 
breit  mit  äußerster  Sorgfalt  nach  einem  Vermögen  gesucht, 
das  durch  ehrliche  Mittel  erworben  ist.  Auch  sind 
die  Methoden  nicht  an  dem  Kodex  einer  höheren  Ethik 

^)  New  York  „Tribüne",  27.  August  1899. 


-  494  - 

gemessen  und  geprüft  worden,  sondern  nur  an  den  Gesetzen, 
die  zu  der  betreffenden  Zeit  bestanden.  Niemals  hat  die 
Entdeckung  eines  „ehrlich  erworbenen  Vermögens"  unser 
entschlossenes  Bemühen  belohnt.  Oft  glaubten  wir  ein 
Beispiel  angetroffen  zu  haben,  erlebten  aber  nur  schmerz- 
liche Enttäuschung.  Durch  aUe  Vermögen,  große  wie 
kleine,  zieht  sich  derselbe  Faden  von  Betrug  und  Dieb- 
stahl; der  kleine  Handelsmann  mit  seinen  irrigen  Angaben 
und  Schwindeleien  unterscheidet  sich  nur  dem  Grade  nach 
von  den  großen  Betrügern.  Sind  wir  endlich  bei  Blair  auf 
ein  durch  gar  keinen  Makel  beflecktes  Vermögen  gestoßen  ? 
Können  wir  jetzt  ausrufen:  Heureka!  So  möchte  man 
glauben,  wenn  man  landläufige  Urteile  als  Tatsachen  hin- 
nehmen könnte.  Aber  da  wir  nun  einmal  hartnäckig  eine 
nachforschende,  wo  nicht  eigensinnig  skeptische  Sinnesart 
entfaltet  haben,  wollen  wir  ihr  auch  durch  die  Untersuchung 
der  Laufbahn  dieses  Musterbildes  kaufmännischer  Tugend 
voll  Genüge  tun. 

Nun  trifft  es  sich,  daß  Blair,  wenn  er  auch  in  seinem 
kindischen  Alter,  als  er  sich  in  dem  ihm  beigelegten  Ruhme 
eines  wunderbaren  Geschäftsmannes  und  Philanthropen 
sonnte,  sehr  zurückgezogen  und  abgeschlossen  lebte,  doch  auf 
die  kaufmännischen  Ereignisse  vor  fünfzig  und  sechzig  Jahren 
einen  großen,  widerhallenden  Eindruck  hinterlassen  hat 
Die  noch  vorhandenen,  in  Dunkelheit  begrabenen  Berichte 
kommen  von  ihren  vergessenen  Regalen  herab  und  machen 
die  Märchen  der  heutigen  Lobredner  zuschanden.  Er  war 
ein  Zeitgenosse  von  Kommodore  Vanderbilt,  vom  ersten 
John  Jacob  Astor  und  von  Rüssel  Sage;  und  er  war  ein 
ebenso  vortrefflicher  Geschäftsmann  wie  nur  irgendeiner 
von  ihnen;  d.  h.  seine  Methoden  waren  verhältnismäßig 
dieselben  wie  die  ihrigen. 

Er  wurde  im  Jahre  1802  in  der  Nähe  von  Belvidere, 
New  Jersey,  geboren;  seine  Eltern  waren  Farmersleute; 
und  seine  Biographen  erzählen  mit  einem  wohlgefälligen 
Schmunzeln  der  Anerkennung,  daß  er  seiner  Mutter,  als 
er  noch  sehr  jung  war,  ankündigte:  „Ich  könnte  mich  auf 
das  Studium  legen,  ich  beabsichtige  aber,  reich  zu  werden." 
Wie  Sage  fing  er  als  Kommis  in  einem  ländlichen  Laden  an 


-  495  -- 

und  entwickelte  sich  dann  zum  Besitzer  eines  allgemeinen 
Warenhauses  in  dem  jetzigen  Blairstown,  New  Jersey. 
Jahre  vergingen,  und  er  hatte  Glück,  wie  seine  Lobredner 
erzählen;  er  eröffnete  dann  eine  Anzahl  von  Zweig- 
geschäften. Aber  dieser  Teil  seiner  Laufbahn  verbirgt  sich 
in  reiner  Tradition;  von  seinen  Methoden  zu  dieser  Zeit  ist 
nichts  A\ithentisches  bekannt. 

Blair  als  Erbauer  von  Eisenbahnen 

Blair  trat  dann  als  Besitzer  einer  Eisengießerei  in  Oxford 
Furnace,  New  Jersey,  auf,  und  von  diesem  Punkte  seiner 
Laufbahn  an  sind  bestimmte  Tatsachen  in  amtlichen  Be- 
richten gesammelt.  „Die  Notwendigkeit,  das  Metall  an  die 
Meeresküste  zu  befördern,"  sagt  ein  Biograph,  „führte 
Mr.  Blair  und  andere  dazu,  die  Lackawanna  Kohlen-  und 
Eisen-Gesellschaft  zu  organisieren,  au^  der  sich  das  große 
Delaware-,  Lackawanna-  und  Western-Eisenbahnsystem 
entwickelt  hat."  Mit  diesem  alles  umfassenden  Satze  er- 
ledigt der  Biograph  leichten  Sinnes  diesen  Teil  des  Gegen- 
standes. Aber  es  sind  gewichtige  Gründe  vorhanden,  wes- 
halb wir  mit  einer  kurzen,  jedoch  ausreichenden  Erklärung 
dabei  verweilen  müssen,  denn  in  diesem  Unternehmen 
erwarb  Blair  seine  ersten  Millionen;  hier  war  es,  wo  er  die 
ersten  glänzenden  Beweise  seines  „ungewöhnlichen  kauf- 
männischen Instinktes"  gab. 

Wäre  es  zwischen  ihm  und  seinen  Genossen  in  diesem 
Eisenbahngeschäft  nicht  zu  einem  bittern  Streit  gekommen, 
so  würde  die  Wahrheit  unerreichbar  sein.  Wie  die  Sache 
liegt,  begingen  diese  Männer  das  ungeheuer  große  Versehen, 
ihrem  Streit  durch  Veröffentlichung  Dauer  zu  verleihen; 
ein  unverzeihlicher  Fehler,  wenn  es  sich  darum  handelt, 
die  gute  Meinung  der  Nachwelt  aufrechtzuerhalten.  Dieser 
Streit  entstand  aus  einer  sehr  gemeinen  Sache,  nämlich 
aus  der  Verteilung  des  Raubes;  es  war  ein  erbitterter, 
unwürdiger  Zank,  wie  aus  den  gegenseitigen,  bissigen  Ver- 
unglimpfungen, die  von  den  Streitenden  selbst  in  die  Be- 
richte gebracht  wurden,  nur  allzu  klar  hervorgeht.  Aus 
diesen  Berichten  ergibt  sich,  daß  Blair  in  der  Tat  das  Ge- 


-  496  - 

schäft  in  dem  gewohnten  Stile  betrieben  hat;  er  verkaufte 
die  Erzeugnisse  seiner  Fabrik  zu  enorm  hohen  Preisen  an 
eine  Eisenbahngesellschaft,  deren  Direktor  er  selbst  war, 
und  baute  persönlich  Zweigbahnen,  die  er  mit  enormem 
Gewinn  der  Gesellschaft  unterschob. 

Die  Delaware-,  Lackawanna-  und  Western-Eisenbahn, 
jetzt  eine  der  allerreichsten  des  Landes,  wurde  im  Jahre  1850 
durch  die  Zusammenfassung  einer  Anzahl  kleiner  einzelner 
Bahnen  gebildet.  Um  Privilegien  und  besondere  Rechte 
und  Unterstützungen  zu  erlangen,  nahm  man  zu  dem  ge- 
wöhnlichen Bestechungsverfahren  seine  Zuflucht,  und  mit 
unfehlbarem  Erfolge.  Die  an  der  Spitze  stehenden  Männer 
verstanden  ihre  unehrenhafte  Arbeit  sehr  gut;  es  waren 
dieselben  reichen  Kaufleute,  die  in  manche  andere  Betrü- 
gerei verwickelt  waren.  Einigen  von  ihnen  sind  wir  in 
diesen  Kapiteln  schon  früher  begegnet  —  George  D.  Phelps, 
John  J.  Phelps,  William  E.  Dodge,  Moses  Taylor  und 
anderen.  Mit  John  J.  Blair  zusammen  bildeten  diese  Männer 
das  Direktorium  der  Delaware-,  Lackawanna-  und  Western- 
Eisenbahngesellschaf  t . 

Eine  der  besonderen  Bahnen,  die  in  diese  Eisenbahn  auf- 
genommen wurden,  war  die  Warren-Linie,  die  durch  New 
Jersey  und  Pennsylvania  führt.  Der  Bau  dieser  Bahn  war, 
soweit  es  sich  aus  den  gerichtlichen  Protokollen  feststellen 
läßt,  von  einigen  sehr  merkwürdigen  Umständen  begleitet. 
Zwei  Gruppen  von  Kapitalisten  konkurrierten  um  ein 
Privilegium,  ihre  Eisenbahnen  durch  die  Berge  nach  der 
Delaware-Schlucht  ausbauen  zu  dürfen;  die  eine  war  die 
Morris-  und  Essex-Eisenbahngesellschaft,  die  andere  die 
Warren-Eisenbahngesellschaft,  an  deren  Spitze  Blair  und 
Dodge  standen.  Beide  Gesellschaften  erhielten  im  Jahre 
1851,  kurze  Zeit  hintereinander,  von  den  gesetzgebenden 
Körperschaften  von  New  Jersey  ihre  Patente.  In  jenen 
Jahren  wurde  in  aufeinanderfolgenden  Sessionen  der  gesetz- 
gebenden Körperschaften  von  New  Jersey  ein  Skandal  nach 
dem  anderen  enthüllt ;  es  war  kein  Geheimnis,  daß  die  Eisen- 
bahnmagnaten nicht  nur  die  gesetzgebenden  Körperschaften 
und  die  Ratsversammlungen  der  Städte  bestachen  und  ver- 
führten, sondern  auch  regelmäßig  auf  echt  geschäftsmäßige 


-  497  - 

Art  die  staatlichen  Wahlen  verfälschten.  Im  Jahre  1851 
z.  B.  waren  die  einzigen  Kandidaten  für  den  Posten  des 
Senators  der  Vereinigten  Staaten,  über  die  von  den  gesetz- 
gebenden Körperschaften  abgestimmt  wurde,  rivalisierende 
Eisenbahnnabobs,  dieselben  Männer,  die  notorisch  jahre- 
lang bestochen  und  gefälscht  hatten. 

Welcher  der  beiden  Gruppen  würde  es  gelingen,  ihre 
Eisenbahnerweiterung  zuerst  auszuführen?  Die  gesetz- 
gebenden Körperschaften  hatten  beide  mit  Privilegien  für 
dieselbe  Route  ausgestattet;  in  dieser  Beziehung  standen 
sie  gleich.  Aber  Blair  und  Dodge  überlisteten  die  Morris- 
und  Essex-Eisenbahngesellschaft  vollständig  und  behaup- 
teten, ältere  Rechte  für  ihre  Linien  zu  haben.  Die  Morris- 
und  Essex-Eisenbahngesellschaft  klagte  auf  Betrug,  ging  in 
größter  Eile  vor  Gericht,  um  einen  Einspruch  zu  erhalten, 
und  erhielt  ihn  auch  vorübergehend.  Der  Fall  kam  im 
Jahre  1854  zu  endgültiger  richterlicher  Entscheidung  vor 
das  Kanzleigericht  von  New  Jersey.  Die  Morris-  und- 
Essex- Gruppe  behauptete,  das  Recht  des  Bahnbaus  durch 
die  Van  Neß-Schlucht  gekauft  zu  haben,  und  beschul- 
digte Blair,  von  diesem  Gebiet  widerrechtlich  Besitz  er- 
griffen zu  haben,  „um  die  Klagenden  auf  betrügerische 
Weise  an  der  Verlängerung  der  Strecke  zu  verhindern"; 
sie  behaupteten  ferner,  daß  die  von  Blair  und  Dodge  ver- 
anstaltete Landvermessung  betrügerisch  sei  und  daß  noch 
andere  Betrügereien  vorlägen.  In  seiner  Erwiderung 
leugnete  Blair  im  allgemeinen,  obgleich  er  zugab,  daß  die 
Morris-  und  Essex-Eisenbahngesellschaft  das  Land  gekauft 
und  Dokumente  darüber  erhalten  habe;  er  behauptete  aber, 
daß  dies  geschehen  sei,  nachdem  das  Gebiet  bereits  der  Warren- 
Eisenbahngesellschaft  zugewiesen  worden  war.  Jede  Partei 
beschuldigte  die  andere  des  Betruges;  zweifellos  waren  die 
Behauptungen  beider  richtig.  Richter  Green  entschied  zu 
Blairs  Gunsten  und  hob  den  gerichtlichen  Einspruch  auf^). 
Später  wurde  die  Warren-Eisenbahn  mit  großem  Gewinn 

^)  New  Jersey  Equity  Reports,  9,  635 — 649. 

Der  Haupteigentümer  der  Morris-  und  Essex-Eisenbahn  war  Edward  A.  Stevens, 
der  viele  Jahre  lang  von  einer  konkurrierenden  Bahn,  der  New  Jersey- Transport- 
gesellschaft, Geld  erpreßte,  und,  als  diese  Gesellschaft  sich  schließlich  weigerte, 

32 


-  498  - 

an   die   Delaware-,   Lackawanna-   und   Western-Eisenbahn 
verkauft. 


Anklagen  auf  Diebstahl  und  Mißbrauch  amtlicher  Stellung 

Zuerst  müssen  die  Beziehungen  zwischen  Blair,  den 
Phelpses  und  Dodge  von  jener  brüderlichen  Eintracht  ge- 
wesen sein,  die  einer  zufriedenstellenden  Verteilung  guter 
Dinge  entspringt.  Vor  1856  wehte  aus  den  Jahresberichten 
des  Verwaltungsrates  der  Delaware-,  Lackawanna-  und 
Western-Eisenbahngesellschaft  ein  Hauch  herrlichster,  nie- 
mals durch  die  geringste  Uneinigkeit  getrübter  Harmonie. 
Phelps  hatte  als  Präsident  der  Gesellschaft  Blair  zum  Land- 
agenten für  die  Warren- Abteilung  der  Eisenbahn  ernannt. 
Augenscheinlich  durchdrang  ein  freudiges,  behagliches 
Gefühl  der  Genugtuung,  daß  die  Dinge  so  schön  vorwärts- 
gingen, diese  wackere  Gruppe  von  Ehrenmännern. 

Plötzlich  änderte  sich  die  Beschaffenheit  ihrer  privaten 
und  öffentlichen  Mitteilungen.  Gepfefferte  Erklärungen, 
die  häufig  ganze  Seiten  füllten  und  mit  Beschuldigungen 
und  Gegenbeschuldigungen  angefüllt  waren,  wurden  ver- 
öffentlicht, und  es  entspann  sich  ein  bissiger  Streit  über  die 
Diebstahlsfrage,  besonders  in  Verbindung  mit  der  Warren- 
Eisenbahn.  Am  9.  September  1856  verzichtete  Phelps  auf 
das  Präsidentenamt  und  beschuldigte  damit  tatsächlich 
andere  Direktoren,  bei  der  Erwerbung  von  Land,  Hilfs- 
geldern und  Zweigbahnen  ein  ausgedehntes  System  von 
Diebereien  betrieben  zu  haben. 

Legte  Phelps  sein  Amt  nieder,  um  einen  Protest  zu  er- 
heben ?  Wahrscheinlich  war  die  Situation  tatsächlich  so, 
daß  der  interne  Kampf  der  Schwierigkeit  entsprang,  die 
Beute  richtig  zu  verteilen,  und  daß  sich  die  Anti-Phelps- 
Partei  als  die  stärkere  erwiesen  hatte.  Phelps  setzte  seine 
Angelegenheit  in  privaten  Erklärungen,  die  im  Anschluß  an 
die  Jahresberichte  veröffentlicht  wurden,  auseinander. 
Er   rühmte   sich,   daß,   als   die  Privilegien  der  Delaware-, 

weiterhin  den  Räubersold  zu  zahlen,  die  gesetzgebenden  Körperschaften  von  New 
Jersey,  wie  die  Klage  lautete,  durch  Bestechung  dahin  brachte,  Vergeltungsmaß- 
regeln zu  beschließen.  — 


-  499  - 

Lackawanna-  und  Western-Eisenbahn  wegen  Nichterfüllung 
verwirkt  waren,  er  es  gewesen  sei,  der  am  2.  April  1855  eine 
Vorlage  durchgebracht  habe,  die  „alle  Privilegien  vdeder- 
herstellte  und  weitere  wichtige  Rechte  gewährte".  Er 
klagte  über  die  übertriebenen  Ausgaben  der  Direktoren 
und  hob  ausdrücklich  hervor,  daß,  als  er  gewünscht  hatte, 
einen  Rechnungsrevisor  zu  erhalten,  Blair  und  die  anderen 
Direktoren  sich  geweigert  hätten,  einen  zu  ernennen.  In 
bezug  auf  den  Diebstahlsprozeß  schrieb  Phelps,  „einer 
unserer  Leiter  (Blair)  ist  ein  Direktor  und  großer  Aktionär 
in  der  Lackawanna-Eisen-  und  Kohlengesellschaft;  er  be- 
sitzt den  achten  Teil  der  Lehigh-  und  Tobyanna-Land- 
gesellschaft ;  er  hat  weitgehendes  Interesse  an  dem  Grund- 
besitz längs  der  Bahnlinie  und  ist  Präsident  der  Warren- 
Eisenbahn,  deren  wichtigster  Unternehmer  sein  Sohn  ist. 
Ein  anderer  Sohn  ist  Direktor  und  sehr  großer  Mitbesitzer 
der  Lackawanna-Eisen-  und  Kohlengesellschaft" ^)  usw. 
In  einem  anderen  privaten,  vom  17.  Januar  1857  datierten 
Rundschreiben  bezeichnete  Phelps  Blair  als  „einen  der  Teil- 
haber, auf  die  er  besonders  Bezug  genommen  habe"  und  als 
„meinen  Maßregeln  systematisch  sich  entgegenstellend". 
Die  abgerissenen  Einblicke,  die  wir  aus  diesen  Berichten 
gewinnen,  bilden  zweifellos  nur  einen  Hinweis  auf  die 
vielseitigen  sorgfältig  ersonnenen  Diebstähle,  die  von  Blair 
nach   jeder  zugängHchen   Richtung  ausgeführt  wurden 2). 

Blairs  Eisenhahnen  im  Westen 

Blairs  Beute  bei  diesen  Unternehmungen  scheint   sehr 
groß  gewesen  zu  sein.    Sein  Verfahren  war  so  erfolgreich, 

^)  „Private  Erklärung  an  die  Aktionäre  der  Delaware-,  Lackawanna-  und  Western 
Eisenbahngesellschaft,  1856",  6. 

*)  So  sehr  nachgiebig  das  Gesetz  auch  war,  wenn  kapitalistische  Interessen  in 
Frage  kamen,  so  hat  es  doch  nachdrücklich  erklärt,  daß  es  als  grundlegendes  Prinzip 
anerkenne,  es  sei  gegen  die  Staatspolitik,  Kontrakte  über  den  Bau  einer  Eisenbahn 
mit  einem  Direktor  oder  Beamten  der  Gesellschaft  zuzulassen.  „Alle  solche  Kon- 
trakte," sagt  Elliott,  „erscheinen  sehr  verdächtig  und  sind  nach  den  klarsten  Prin- 
zipien der  Staatspolitik,  wenigstens  dann,  wenn  der  gute  Glaube  fehlt,  aufhebbar 
oder,  nach  einigen  Autoritäten,  nichtig."  (Siehe  Elliott  on  Railroads,  2,  839 — 840.) 
Dies  klingt  in  der  Theorie  ganz  schön,  aber  in  der  Praxis  haben  die  Gerichtshöfe 
mmer  wieder  Gründe  gefunden,  diese  Betrügereien  zu  sanktionieren. 

32* 


—  500  — 

daß  er  den  Bau  von  Eisenbahnen  als  regelmäßige  Beschäfti- 
gung aufnahm;  und  wie  Sage  verband  er  die  politische 
Berufstätigkeit  mit  dem  Geschäft.  Die  günstigste  Gelegen- 
heit für  ihn  kam,  als  die  Privilegien,  Subsidien  und  Land- 
bewilligungen für  die  Union-Pacific-  und  andere  Eisenbahnen 
durch  Bestechungen  im  Kongreß  durchgebracht  wurden. 

„In  den  ersten  Tagen  der  Besiedlung  des  weiten  Westens", 
schrieb  einer  seiner  Reklamemacher,  „fand  Mr.  Blair  reich- 
liche Gelegenheit  zur  Ausübung  seiner  ungewöhnlichen 
Urteilskraft  und  unermüdlichen  Energie,  und  sein  Name 
war,  sei  es  als  Erbauer  oder  als  Direktor,  mit  nicht  weniger 
als  fünfundzwanzig  verschiedenen  Eisenbahnlinien  verbun- 
den." Was  für  eine  symmetrisch  gebaute  und  ansprechende 
Beschreibung !  Alles,  was  fehlt,  um  sie  vollständig  zu  machen, 
sind  einige  unbedeutende  Details,  die  jetzt  hier  nachgetragen 
werden  sollen. 

Als  einer  der  zuerst  gewählten  Direktoren  der  Union- 
Pacific-Eisenbahn  nahm  Blair  an  ihren  beständigen  un- 
geheuerlichen Betrügereien  teil.  Aber  es  war  in  Iowa,  wo 
er  die  meisten  seiner  vielen  Millionen  raubte  —  in  Iowa  mit 
seinem  schönen  uralten  Ackerboden,  der  zu  dem  reichsten 
in  den  Vereinigten  Staaten  gehörte^).  Nicht  weniger  als 
50  Millionen  Dollar  Subsidien  in  der  emen  oder  der  anderen 
Form  wurden  von  den  Eisenbahngesellschaften  in  Iowa 
erlangt ;  ihre  Landbewilligungen  beliefen  sich  fast  auf  5  Mil- 
lionen Morgen.  Im  Entwerfen  der  Eisenbahnen  in  jenem 
Staat  war  Blair  die  einflußreichste  —  mit  Ausnahme  von 
Sage  beinahe  die  einzige  —  Persönlichkeit ;   er  schien  alles 

^)  „Die  ersten  Landbewilligungen  des  Kongresses,"  schrieb  Gouverneur 
J.  G.  Newbold  von  Iowa  in  seinem  Jahresbericht  von  1878,  „wurden  den  Gesell- 
schaften bedingungslos  zugesprochen,  obgleich  das  Kongreßgesetz  beabsichtigte, 
daß  der  Verkauf  des  Landes  für  den  Staat  eine  Einnahme  sein  und  der  Ertrag  dem 
Bau  der  Eisenbahnen  zugewendet  werden  sollte;  die  Gesellschaften  durften  die 
Ländereien  ohne  Rücksicht  auf  ihre  Bahnlinie  wählen;  und  sie  durften  die  Zeit  bis 
zur  Vollendung  ihrer  Arbeit  im  wesentlichen  selbst  bestimmen;  obgleich  ein  Haupt- 
zweck der  Landbewilligungen  darin  bestand,  diese  Fertigstellung  zu  einem  früheren 
Termin  sicherzustellen. 

Stadtgebiete,  größere  und  kleinere  Städte  durften  zur  Unterstützung  des 
Bahnbaues  den  Besitz  innerhalb  ihrer  Grenzen  besteuern,  und  das  so  erlangte  Geld 
wurde  den  Baugesellschaften  unbeschränkt  zugewiesen,  während  viel  von  dem  Besitz 
dieser  Gesellschaften  sich  tatsächlich  der  städtischen  Besteuerung  entzieht."  — 
Iowa  Documents,  1878,  Reports  of  State  Officers,  27. 


-  50I  - 

zu    leiten;    und   er   gestattete  sicherlich  keinem  anderen, 
etwas  einzustecken,  was  er  selbst  beiseite  bringen  konnte. 


Die  Betrügereien  bei  der  Sioux  City-  und  Pacific-Eisenbahn 

Zu  einem  Komplex  seiner  Eisenbahnen  gehörte  die 
Sioux  City-  und  Pacific  —  eine  Bahn  von  einem  sehr  ehr- 
geizigen Namen,  aber  von  bescheidener  Länge.  Ihre  Privi- 
legien, Subsidien  und  Landbewilligungen  wurden  von  Blair 
genau  zu  derselben  günstigen  2^it  erlangt,  als  die  Maß- 
nahmen für  die  Union  Pacific  mit  Hilfe  von  Bestechung 
durchgebracht  wurden. 

Ob  Blair  jedoch  bei  der  Bestechung  des  Kongresses  Geld 
benutzte,  läßt  sich  aus  den  amtlichen  Berichten  nicht 
nachweisen.  Aber  wenn  er  es  nicht  tat,  dann  wandte  er 
jedenfalls  eine  noch  schlauere  und  wirksamere  Art  der  Ver- 
führung an.  Die  Untersuchungen  des  Kongresses  zeigen, 
daß  sein  System  darin  bestand,  Kongreßmitglieder  durch 
Geschenke  von  Aktien  seiner  Gesellschaften  zu  betören^); 
diese  ehrenwerten  Mitglieder  versicherten  natürlich  hoch 
und  teuer,  daß  sie  dafür  bezahlt  hätten,  aber  niemand  glaubt 
ihren  Ausflüchten.  Poors  Eisenbahnhandbuch  für  1 872 — 73 
zeigt  außerdem,  daß  zu  den  Direktoren  und  Aktionären  von 
Blairs  Eisenbahnen  gerade  einige  derjenigen  Kongreß- 
mitglieder —  sowohl  des  Repräsentantenhauses  wie  des 
Senates  —  gehörten,  die  für  die  Privilegien,  Subsidien  und 


^)  Siehe  Credit  Mobilier  Reports.  Diese  sind  voll  von  Zeugenaussagen,  die  diese 
Art  des  Aufkaufes  von  Kongreßmitgliedern  bestätigen.  Seine  Hauptmitschuldigen 
bei  dieser  Arbeit  im  Kongreß  waren  William  B.  Allison  und  Oakes  Arnes.  Als 
Repräsentant  und  späterer  Senator  der  Vereinigten  Staaten  für  Iowa  war  Allison 
lange  Zeit  ein  mächtiger  republikanischer  Politiker.  Die  Tatsache,  daß  sowohl 
Allison  wie  Arnes  zu  derselben  Zeit,  als  sie  Kongreßmitglieder  waren,  Beamte  der 
Sioux  City-  und  Pacific-Eisenbahn  waren,  war  wohl  bekannt,  ehe  das  Gesetz  von 
1868  durchging.  Am  15.  Dezember  1867  vrarde  dem  Finanzminister  der  Vereinig- 
ten Staaten  Hugh  McCulloch  von  Blair  bestätigt,  daß  folgende  Beamte  der  Ge- 
sellschaft am  7.  August  1867  gewählt  worden  seien:  John  F.  Blair,  Präsident; 
William  B.  Allison,  Vizepräsident;  John  M.  S.  Williams  aus  Boston,  Schatzmeister, 
usw.  Der  an  jenem  Tage  zur  Leitung  gewählte  Ausschuß  setzte  sich  aus  Blair,  Arnes, 
Charles  A.  Lambard,  D.  C.  Blair  und  William  B.  Allison  zusammen.  —  Siehe  Ex. 
Documents,  Nr.  18 1 — 252,  Second  Session,  Fortieth  Congress,  1867 — 1868,  Doc. 
Nr.  203. 


—    502    — 

Landbewilligungen  für  diese  Eisenbahnen  gesprochen  und 
gestimmt  hatten. 

Für  die  Sioux  City-  und  Pacific-Eisenbahn  sicherte  sich 
Blair  eine  Landbewilligung  von  loo  Sektionen  Staatsland  und 
für  jede  Meile  Eisenbahn  i6o  ooo  Dollar  Staatsobligationen. 
Was  geschah  nun  ?  Der  zweite  Akt  bestand  in  der  Organi- 
sation einer  Baugesellschaft,  die  genau  nach  denselben 
Grundsätzen  gebildet  wurde  wie  die  Credit  Mobilier- 
Gesellschaft.  Als  Haupt  dieser  Gesellschaft  erpreßte  Blair 
große  Summen  zum  Bau  der  Eisenbahn.  In  den  Prärien  von 
Iowa,  wo  beinahe  gar  keine  Planierung  notwendig  war, 
machte  der  Eisenbahnbau  verhältnismäßig  geringe  Kosten. 
Aussagen  von  Sachverständigen  von  der  Pacific-Eisenbahn- 
kommission  berechneten  im  Jahre  1887,  daß  die  Eisenbahn 
für  2  600  000  Dollar  hätte  gebaut  werden  können,  und  es 
wurde  noch  hinzugefügt  (und  was  für  einen  Kommentar  bildet 
dies  für  die  Geschäftsnormen  der  Zeit !),  daß,  wenn  „ehrlich 
verfahren"  worden  wäre,  die  Gesamtkosten  i  Million  Dollar 
nicht  hätten  übersteigen  dürfen. 


Ein  kleiner  Diebstahl  von  4  Millionen  Dollar 

Was  forderte  Blairs  Gesellschaft  (die  hauptsächlich  aus  ihm 
und  seinen  Söhnen  bestand)  ?  Sie  sprach  sich  49  865  Dollar 
für  die  Meile  oder  eine  Gesamtsumme  von  mehr  als  5  Millio- 
nen DoUar  zu.  Nachdem  dann  Blair  die  Eisenbahn  bis  zum 
Bankrott  hatte  bluten  lassen,  bereicherte  er  sich  weiter, 
indem  er  sie  an  die  Chicago-  und  Nordwest-Eisenbahn 
verkaufte.  Wenn  noch  irgend  jemand  daran  zweifeln  kann, 
daß  diese  hervorragenden  Kapitalisten  es  mit  kalter  Über- 
legung darauf  anlegten,  die  Regierung  zu  betrügen,  so 
muß  dieser  Zweifel  durchaus  durch  die  Erwägung  folgender 
Tatsache  zerstreut  werden:  „Als  die  Verhandlungen  über 
die  Übertragung  des  Betriebsmaterials  der  Sioux  City-  und 
Pacific-Eisenbahngesellschaft  an  die  Chicago  und  Nord- 
west schwebten,"  so  lautet  der  Bericht  der  Pacific- 
Eisenbahn-Kommission,  „machte  Blair  den  in  den  Proto- 
kollen   aufgezeichneten   Vorschlag,   daß   die   Chicago   und 


-  503  - 

Nordwest  sich  verpflichten  müsse,  jede  Verbindlichkeit 
der  Gesellschaft,  mit  Ausnahme  derjenigen  gegenüber  der 
Regierung  der  Vereinigten  Staaten,  zu  honorieren^)". 
Das  war  eine  erfrischend  aufrichtige  Art,  Betrügereien  im 
voraus  zu  arrangieren.  Und  in  der  Tat  wurde  im  Jahre  1900 
die  Regierung  schließlich  um  viele  der  von  ihr  geleisteten 
Vorschüsse  betrogen.  Durch  ein  dann  von  den  Lobbyisten 
im  Kongreß  durchgebrachtes  Gesetz  wurde  die  Gesellschaft 
in  Wirklichkeit  davon  befreit,  mehr  als  ein  Zehntel  der 
Summe,  die  sie  der  Regierung  noch  schuldete,  zurück- 
zuzahlen^). 


Noch  eine  gef Hinderte  Eisenhahn 

Aber  Blairs  Betrügereien  beim  Beginn  und  Bau  der 
Sioux  City  und  Pacific-  und  einiger  anderer  Eisenbahnen 
wurden  —  wenigstens  dem  Grade  nach  —  von  denen  über- 
troffen, die  er  bei  einem  anderen  seiner  Eisenbahnprojekte 
in  Iowa  —  der  Dubuque  und  Sioux  City-Linie  —  beging. 
Das  Privilegium  und  die  LandbewiUigungen  für  diese  Eisen- 
bahn und  auch  für  die  Iowa  Falls-  und  Sioux  City-Eisenbahn 
wurden  durch  ein  Gesetz  erteilt,  das  im  Kongreß  am  15.  Mai 
1856  durchging.  Wir  haben  gesehen,  welche  skrupellose 
Bestechung  im  Jahre  1856  und  in  den  folgenden  Jahren 
im  Kongreß  betrieben  wurde;  wie  die  Landbewilligung  für 
die  Des  Moines  Schiffs-  und  Eisenbahngesellschaft  durch 
Bestechung  erlangt  worden,  und  wie  nach  Kommissions- 
berichten bestechliche  Verbindungen  im  Kongreß  vorhanden 
waren.  Es  liegt  kein  ausdrücklicher  amtlicher  Nachweis  vor, 
daß  das  Privilegium  und  die  Landbewilligungen  der 
Dubuque-  und  Sioux  City-Eisenbahngesellschaft  und  die- 
jenigen der  Iowa  Falls  und  Sioux  City  durch  Bestechung 
erlangt  worden  sind,  aber  wenn  man  nach  den  Begleit- 
umständen beim  Durchbringen  anderer  Gesetze  zur  selben 

^)  Pacific  Railroad  Commission,  i,  193. 

2)  Allison,  der  als  ein  hervorragendes  Mitglied  des  Hauses  vor  beinahe  vierzig 
Jahren  in  Blairs  Bestechungen  verwickelt  gewesen  war,  war  jetzt  einer  der  Führer 
in  dem  Senat  der  Vereinigten  Staaten.  Dies  war  der  Mann,  den  die  Zeitungen  nach 
seinem  Tode  als  einen  „großen,  erfinderischen  Staatsmann"  priesen. 


-  504  - 

Zeit  urteilt,  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit  sehr  groß,  daß  e$ 
der  Fall  war.  Durch  das  Gesetz  von  1856  erhielten  diese 
beiden  Gesellschaften  die  BewiUigung  von  ungefähr 
I  200000  Morgen  Staatsland  in  lowa^).  Trotz  dieses  reich- 
lichen Geschenkes  machten  die  Begründer  der  Gesellschaften 
geringe  oder  gar  keine  Versuche,  die  ganze  Eisenbahn  zu 
bauen;  sie  beschäftigten  sich  beinahe  ausschließlich  mit 
Aktienspekulationen  und  mit  dem  Geschäft,  das  Land  an 
Ansiedler  vorteilhaft  zu  verkaufen.  Der  Kongreß  wurde 
unter  dem  Druck  der  öffentlichen  Meinung  gezwungen, 
einen  großen  Teil  des  ihnen  bewilligten  Landes  für  ver- 
fallen zu  erklären. 

Bestechung  des  Kongresses 

Blair  erkannte,  was  für  glänzende  Gelegenheiten  durch 
die  Verfallserklärung  verloren  gegangen  waren.  Aber  der 
Schaden  konnte  wieder  gut  gemacht  werden.  Wenn  eine 
Gruppe  von  Kapitalisten  so  dumm  war,  nicht  zu  wissen, 
wie  eine  Wiederherstellung  der  Landbewilligung  herbei- 
geführt werden  konnte  —  er  wußte  es.  So  trat  er  vor,  nahm 
die  Gesellschaften  in  eigenen  Besitz  und  wandte  sich  an  den 
Kongreß  und  an  die  gesetzgebenden  Körperschaften  von 
Iowa  zur  Wiedererlangung  der  Rechte  und  Bewilligungen, 
die  man  den  Gesellschaften  entzogen  hatte. 

Es  gelang  ihm;  sowohl  der  Kongreß  wie  die  gesetzgeben- 
den Körperschaften  von  Iowa  erließen  im  Jahre  1868  Ge- 
setze, die  die  Rechte  und  die  Landbewilligung  wieder- 
herstellten. Wie  kam  es,  daß  er  bei  seinem  Plan  auf  keine 
Hindernisse  stieß  ?  Warum  waren  diese  gesetzgebenden 
Körperschaften  so  willfährig  ?  Natürlich  konnten  sie  geltend 
machen,  daß  sie  einfach  aus  Rücksicht  auf  Eingaben  der 


^)  Das  Gesetz  vom  15.  Mai  1856  überließ  im  ganzen  1233481,70  Morgen 
der  Dubuque-  und  Sloux  City-Eisenbahngesellschaft  und  der  Iowa  Falls-  und 
Sioux  City-Eisenbahngesellschaft.  Durch  dasselbe  Gesetz  erhielt  die  Iowa  Central 
Air-Linie  und  die  Cedar  Rapids-  and  Missouri  River -Eisenbahngesellschaft 
eine  Gesamtsumme  von  783  096,53  Morgen,  zu  denen  durch  das  Gesetz  vom 
Z.Juni  1864  noch  347317,64  Morgen  hinzukamen.  Dieselben  Gesetze  gaben 
auch  der  Chicago-,  Rock  Island-  und  Pacific-Eisenbahngesellschaft  ausgedehnte 
Landbevnlligungen. 


-  505  - 

Bürger  von  Iowa  handelten;  aber  Denkschriften  waren 
leicht  zu  durchschauende  Dinge,  deren  Herstellung  einfach 
war.  Und  die  „Wilson- Kommission"  (die  Credit  Mobilier- 
Untersuchungskommission)  des  Jahres  1872  konnte  ihren 
weißwaschenden  Bericht  verfassen,  daß  „kein  Beweis  dafür 
gefunden  werden  konnte",  daß  im  Kongreß  oder  in  den 
gesetzgebenden  Körperschaften  von  Iowa  Geld  für  „un- 
rechte Zwecke"  ausgegeben  worden  sei.  Aber  die  gerade  vor 
dieser  Kommission  abgegebenen  Zeugenaussagen  wider- 
sprachen rundweg  ihren  Schlußfolgerungen.  Es  wurde  ent- 
hüllt, daß  eine  ganze  Reihe  hervorragender  Kongreßmit- 
glieder plötzlich  große  Aktionäre  der  Dubuque-  und  Sioux 
City-Eisenbahn  geworden  waren^).  Blair  gründete,  als  er 
die  Wiederherstellung  der  Landbewilligung  erlangt  hatte, 
eine  Baugesellschaft  unter  der  Bezeichnung  Sioux  City- 
Eisenbahn-Baugesellschaft  und  machte  durch  das  bei  der 
Bauarbeit  übliche  System  wiederholter  Betrügereien  un- 
geheuer große  „Profite",  die  an  viele  Millionen  Dollar 
heranreichten.  Einige  der  Eisenbahnen,  die  Blair  ausraubte, 
gehören  jetzt  zu  dem  Illinois  Zentral-System,  dessen  Macht- 
haber Harriman  wurde. 

Man  muß  jedoch  nicht  denken,  daß  man  immer  direkt 
zur  Bestechung  seine  Zuflucht  nahm,  um  Subsidien,  be- 
sondere Rechte  und  Steuerfreiheiten  zu  erlangen.  In  den 
ersten  Stadien  der  Eisenbahngeschichte  war  direkte  Be- 
stechung das  gewöhnliche  Mittel:  aber  als  die  Zeit  vorge- 
schritten war,  wurde  das  Verteilen  von  Geld  in  direkter 
Form  weniger  häufig,  und  ein  weniger  rohes,  schlaueres 
und  heimtückischeres  Bestechungssystem  trat  meistens  an 
seine  Stelle.  Die  Magnaten  im  Westen  fingen  an,  dem  Rate 
des  Magnaten  im  Osten  zu  folgen,  der  erklärte,  daß  es 
leichter  sei,  eine  gesetzgebende  Körperschaft  zu  wählen  als 
zu  kaufen. 


^)  Siehe  den  Abschnitt  der  Credit  Mobilier- Berichte  mit  der  Überschrift: 
„Credit  Mobilier  und  Dubuque  und  Sioux  City",  in  welchem  die  Einzelheiten  mit- 
geteilt sind. 


—  5o6  — 

Bestechung  durch  Geld  und  auf  andere  Weise 

Das  neuere  System,  wie  es  in  Iowa  und  anderen  Staaten 
durchgeführt  wurde,  ist  im  Jahre  1895  von  William  Larrabee, 
dem  ehemaligen  Gouverneur  von  Iowa,  in  gedrängter  Form 
beschrieben  worden :  „Die  Taktik  der  von  den  Gesellschaften 
zu  politischer  Bestechung  eingesetzten  Kommissionen  be- 
steht darin,  die  Schwächen  und  Bedürfnisse  jedes  Mannes, 
dessen  Dienste  sie  wahrscheinlich  brauchen  werden,  zu  er- 
mitteln und  ihn,  wenn  seine  Unterwerfung  zu  ihrem  Siege 
erforderlich  sein  sollte,  an  seinem  schwächsten  Punkte  anzu- 
greifen. Männer  mit  politischem  Ehrgeiz  werden  ermutigt, 
nach  Beförderung  zu  streben,  und  der  Hilfe  der  Gesellschaft 
zu  deren  Erreichung  versichert.  Anwälten  ohne  Praxis 
werden  Aufträge  für  die  Gesellschaft  oder  bezahlte  Anwalt- 
stellen versprochen.  Leute  in  finanzieller  Verlegenheit 
werden  mit  Darlehen  versorgt.  Eitlen  Leuten  wird  ge- 
schmeichelt und  Zeitungsberühmtheit  verschafft.  Andere 
erhalten  Freikarten  für  Familienmitglieder  und  Freunde. 
Schiffsherren  erhalten  vorteilhaftere  Tarife  als  ihre  Kon- 
kurrenten. Die  Absicht  ist,  daß  jeder  Gesetzgeber  für  seine 
Stimme  und  seinen  Einfluß  eine  Entschädigung  erhalten 
soll,  die  das  Maximum  des  für  ihn  Wünschenswerten  mit 
dem  Minimum  der  Verletzung  seiner  Selbstachtung  ver- 
bindet .  .  .  Die  Lobby,  welche  die  Eisenbahngesellschaften 
bei  Sitzungen  der  gesetzgebenden  Körperschaften  vertritt, 
ist  gewöhnlich  die  größte,  klügste  und  gewissenloseste  von 
allen.  In  dringenden  Fällen  läßt  man  im  letzten  Moment 
einflußreiche  Wähler  unsicherer  Mitglieder  holen,  damit  sie 
sich  mit  ihren  Vertretern  besprechen  und  sie  davon  über- 
zeugen, daß  die  Stimmung  in  ihren  Wahlkreisen  der  von  den 
Eisenbahnen  vertretenen  Maßregel  günstig  ist.  Telegramme 
ergießen  sich  über  die  ahnungslosen  Mitglieder.  Petitionen 
zugunsten  der  vorgeschlagenen  Maßregel  werden  unter  den 
Iiarmloseren  Wählern  derjenigen  Mitglieder,  die  für  die 
öffenthche  Meinung  empfindlich  sind,  eiligst  in  Umlauf 
gesetzt  und  ihnen  dann  als  ein  nicht  mißzuverstehendes 
Merkmal  des  Volkswillens  überreicht  .  .  .  Eine  andere 
mächtige  Unterstützung  der  Eisenbahn-Lobby  besteht  nicht 


-  507  - 

selten  in  einer  Subvention  der  Presse  und  ihrer  Korrespon- 
denten." 

Aber  die  Räuberei,  die  Blair  mit  Hilfe  von  Baugesell- 
schaften bei  seinen  zahlreichen  Eisenbahnprojekten  betrieb, 
bildete  nur  einen  Teil  des  Reichtums,  den  er  an  sich  riß. 
Ein  Achtel  des  ganzen  Gebietes  des  sehr  fruchtbaren  Staates 
Iowa  war  den  Eisenbahnen  zugesprochen  worden,  von  denen 
die  meisten  Blair  gehörten.  Es  bildete  eine  beinahe  ebenso 
große  Fläche  wie  der  Staat  Massachusetts.  Ansiedler  waren 
gezwungen  worden,  übertrieben  hohe  Preise  für  Ackerland  zu 
zahlen  und  waren  sehr  oft  Hypothekenschuldner  der  Eisen- 
bahngesellschaften. Eine  ausführliche  Beschreibung  von 
Blairs  Geschäftspraxis  würde  nur  eine  Wiederholung  dessen 
sein,  was  in  früheren  Kapiteln  von  andern  Magnaten  ge- 
sagt worden  ist. 


Philanthropie  und  Taten  einander  gegenübergestellt 

Obwohl  in  persönlichen  Ausgaben  von  unverbesserlichem 
Geiz  —  so  schäbig  wie  nur  irgendeiner  — ,  gab  Blair  doch 
gerade  Geld  genug  für  Stiftungen  aus,  um  sich  den  Ruf  eines 
außerordentlich  frommen  Philanthropen  zu  verschaffen. 
Er  gründete  im  Westen  hundert  Kirchen ;  er  errichtete  mit 
einem  Kostenaufwande  von  150000  Dollar  eine  presby- 
terianische  Akademie  und  gab  der  presbyterianischen  Kirche 
außerdem  mehrere  hunderttausend  Dollar. 

Was  Blair  und  andere  vor,  während  und  nach  dem  Bürger- 
kriege im  Norden  und  Westen  taten,  das  taten  John  W. 
Garrett  und  Johns  Hopkins  in  Maryland.  Wenn  Garrett 
auch  jetzt  kaum  noch  erwähnt  wird,  so  wurde  er  doch  zu 
seiner  Zeit  als  „berühmter  Eisenbahnkönig"  gepriesen; 
und  in  diesem  Falle  ist  es  nicht  so  sehr  der  Mann  selbst, 
noch  sein  Vermögen,  was  Interesse  erregt,  als  vielmehr  die 
Geschichte  der  Eisenbahnstrecke,  die  zum  großen  Teil  ihm 
und  Hopkins  gehörte;  diese  Besitzung  bildet  heute  eines  der 
großen  Verkehrsnetze  des  Landes. 


-  5o8  - 
Die  Baltimore-  und  Ohio-Eisenbahn  auf  öffentliche  Kosten  gebaut 

Wie  andere  Eisenbahnen,  so  wurde  auch  die  Baltimore- 
und  Ohio-Eisenbahn  beinahe  vollständig  mit  Hilfe  eines 
Kapitals  gebaut,  das  Staat,  Kreise  und  Stadtbezirke  her- 
gaben. Im  Jahre  1827  bewilligte  der  Staat  Maryland  eine 
Subskription  von  500  000  Dollar  als  erste  Unterstützung 
und  die  Stadt  Baltimore  dieselbe  Summe.  Am  Anfang 
stellten  die  Unternehmer  stolz  in  Abrede,  daß  sie  die 
Absicht  hätten,  irgendwelche  weitere  öffentliche  Unter- 
stützung zu  verlangen;  die  Bahn,  sagten  sie,  würde  mit 
privatem  Kapital  gebaut  werden.  Aber  sieben  Jahre  später 
machten  sie  einen  zweiten  Angriff  auf  den  Staatsschatz; 
der  Staat  Maryland  wurde  im  Jahre  1835  veranlaßt,  weitere 
3  Millionen  Dollar  zu  zeichnen,  und  die  Stadt  Baltimore  im 
Jahre  1836  zur  Zeichnung  derselben  Summe,  Im  Jahre  1838 
erhielten  die  Unternehmer  von  der  Stadt  Wheeling  i  Million 
Dollar^).  Eine  Zeitlang  waren  sie  vorsichtig  genug,  von 
weiteren  Attacken  auf  den  Staatsschatz  abzusehen;  als  sie 
aber  im  Jahre  1850  den  Gemeinderat  von  Baltimore  um 
weitere  5  Millionen  Dollar  angingen  und  die  Summe  er- 
hielten, wurde  manchmal  die  Frage  aufgeworfen,  was  aus 
den  vielen  von  der  Staatskasse  beigesteuerten  Millionen  ge- 
worden sei.  Ein  großer  Teil  war  augenscheinlich  zum  Bau 
der  Bahn  verwandt  worden,  aber  es  wurde  doch  offen  die 
Ansicht  ausgesprochen,  daß  die  Direktoren  sich  durch  die 
damals  üblichen  „Arbeitsmethoden",  wie  z.  B.  durch  die 
von  Blair  in  New  Jersey,  Pennsylvania  und  New  York  an- 
gewandten, bereichert  hätten. 

Jedesmal  jedoch,  wenn  sich  ein  Widerspruch  gegen  neue 
Geldbewilligungen  erhob  und  beunruhigende  Fragen  ge- 
stellt wurden,  pflegten  die  Direktoren  ihre  glitzernden  Argu- 
mente bereitzuhaben.  „Seht,  was  für  ein  großes  Werk  wir 
ausgeführt  haben!  Ist  es  nicht  ein  Unternehmen  von 
größter  Wichtigkeit  für  das  ganze  Gemeinwesen,  für  den 
Farmer,  den  Handwerker,  den  Geschäftsmann  ?  Jetzt,  da  wir 
auf  dem  besten  Wege  sind,  es  zu  vollenden,  sollen  wir  es  aus 

^)  Laws,  Ordinances  and  Documents  Relating  to  the  Baltimore  and  Ohio 
Railroad  Company;  1840:  67,  108,  133 f.  etc. 


-  509  - 

Mangel  an  Kapital  aufgeben  müssen  ?  Würde  das  nicht  ein 
großes  allgemeines  Unglück  sein  ?"  Solche  Gründe  machten 
auf  das  Publikum  Eindruck,  und  die  durch  Bestechung  beein- 
flußten gesetzgebenden  Körperschaften  und  Gemeinderäte 
konnten  ihre  Erklärungen  immer  damit  begründen. 

Garrett  und  Hopkins  gelangen  zur  Herrschaft 

Von  der  CHque  ihrer  Gründer  ausgeraubt,  geriet  die 
Baltimore-  und  Ohio-Eisenbahn  in  finanziellen  Verfall. 
Trotz  der  großen  Unterstützungen,  die  sie  erhalten  hatte, 
befand  sie  sich  im  Jahre  1856  in  einem  demoraHsierten  Zu- 
stande, und  ihre  Schatzkammer  war  leer.  Garrett  und  Hop- 
kins, die  weitgehend  an  ihr  beteiligt  waren  und  wahrschein- 
lich Anteil  an  der  Beute  gehabt  hatten  (obgleich  es  keinen 
ausdrückUchen  Beweis  dafür  gibt),  kauften  noch  größere 
Mengen  von  Aktien,  die  damals  billig  zu  haben  waren,  auf 
und  rissen  die  Herrschaft  an  sich.  Garrett,  im  Jahre  1820  in 
Baltimore  geboren,  war  der  Sohn  eines  reichen  Schiffsherrn; 
Hopkins  hatte  sein  Geld  im  Kolonialwarengeschäft  erworben. 

Garrett  und  Hopkins  setzten  nicht  nur  die  schon  lange 
herrschenden  Betrügereien  fort,  sondern  führten  noch 
viele  andere  betrügerische  und  schlimme  Taten  aus.  Hier 
ein  Beispiel  der  kleineren  Betrügereien:  Die  Millionen  der 
für  den  Bau  der  Baltimore-  und  Ohio-Eisenbahn  vom 
Staate  Maryland  beigesteuerten  Aktiensubskriptionen  waren 
zum  großen  Teil  in  London  unter  englischen  Kapitalisten 
flüssig  gemacht  worden.  Die  Zinsen  sollten  von  Maryland 
an  diese  Finanzleute  in  Gold  gezahlt  werden.  Bezahlte  nun 
die  Gesellschaft  ihrerseits  den  Staat  in  dieser  Münze  ? 
Durchaus  nicht.  Sie  behauptete  auf  Grund  verschiedener 
richterlicher  Entscheidungen,  daß  es  nicht  erforderlich  sei, 
Zinsen  an  den  Staat  anders  als  in  beliebigem  Umlaufsgeld 
zu  zahlen.  Unter  den  zerrütteten  amerikanischen  Wäh- 
rungsverhältnissen, beim  Sinken  der  amerikanischen  Valuta, 
bedeutete  diese  Art  der  Bezahlung  einen  dauernden  Verlust 
für  den  Staat  Maryland  —  einen  Verlust,  der  sich  im  ganzen 
auf  400000  Dollar  belief;  um  diese  Summe  wurde  der  Staat 
von  der  Baltimore-  und  Ohio-Eisenbahn  betrogen. 


-  5IO  - 

Noch  viel  größer  waren  die  Summen,  um  die  der  Staat 
Maryland  durch  die  betrügerischen  Machenschaften  des 
sogenannten  Washington-Zweiges  der  Baltimore-  und  Ohio- 
Eisenbahn  geprellt  wurde.  Als  Gegenleistung  für  Freibriefe 
und  Unterstützungen  wiUigte  die  Gesellschaft  ein,  dem  Staat 
ein  Fünftel  der  Passagiereinkünfte  zu  zahlen.  Nachdem  die 
Zweigbahn  zu  erfolgreichem  Betrieb  gekojnmen  war, 
wurden  ihre  Finanzen  dauernd  als  so  kümmerHch  dargestellt, 
daß  kein  Geld  zur  Zahlung  an  den  Staat  vorhanden  sei. 
Immer  wieder  wurden  von  anständigen  Gesetzgebern  Er- 
kundigungen eingezogen,  wo  die  großen  Einkünfte  geblieben 
seien.  Niemals  wurde  eine  befriedigende  Antwort  gegeben; 
der  Staat  wurde  durchaus  geprellt;  und  schließlich  wurde 
durch  Bestechung  ein  Gesetz  durchgebracht,  das  tatsächUch 
alle  Ansprüche  des  Staates  preisgab. 

Zerstörung  der  Konkurrenz  durch  den  Kanal 

Das  Kampf  ob  jekt  Garretts  und  Hopkins  bildete  die 
Zerstörung  des  Chesapeake-  und  Ohio- Kanals  als  eines 
Konkurrenten.  Hatte  Kommodore  Vanderbilt  in  New  York 
gefunden,  daß  der  Erie- Kanal  seinen  Eisenbahnlinien 
Konkurrenz  machte,  so  kamen  Garrett  und  Hopkins  zu  dem 
Schluß,  daß  sie  ein  Monopol  für  den  Transport  erst  dann 
erlangen  konnten,  wenn  der  Chesapeake-  und  Ohio- Kanal 
als  Mitbewerber  vernichtet  worden  war.  Die  sich  ihnen  ent- 
gegenstellenden Hindernisse  waren  groß,  denn  der  Staat 
Maryland  hatte  viele  Millionen  für  den  Bau  des  Kanals  aus- 
gegeben, und  er  gehörte  ihm,  und  das  Publikum  wünschte 
auch  nicht,  daß  er  in  seiner  Nützlichkeit  beeinträchtigt 
würde.  Das  traf  besonders  für  den  Kaufmannsstand  zu, 
der  einen  Wettbewerb  verlangte  und  daran  festhielt,  daß 
ein  Monopol  schädUch  sein  würde. 

Im  Jahre  1860  fingen  Garrett  und  Hopkins  an,  die  gesetz- 
gebenden Körperschaften  von  Maryland  zu  bestechen,  bis 
sie  durch  ein  Gesetz  nach  dem  anderen  allmählich  in  den 
Stand  kamen,  dem  Staate  das  Besitzrecht  an  dem  Kanal  zu 
entreißen.  Aber  sie  verließen  sich  nicht  allein  auf  die  Be- 
stechung der  Gesetzgeber,  wenn  diese  bereits  im  Amt  waren. 


-  511  - 

Von  Garrett  und  Hopkins  mit  Geld  versehen,  beschäftigten 
sich  die  politischen  Führer  von  Maryland  damit,  Partei- 
versammlungen zustande  zu  bringen,  Wähler  skrupellos  zu 
bestechen  und  Wahlurnen  mit  gefälschten  Wahlzetteln  zu 
füllen,  um  auf  diese  Weise  die  Wahl  willfähriger  Beamten 
sicherzustellen.  Mit  einem  Male  v^^ar  der  Kanal  tatsächlich 
in  ihren  Händen,  und  Garrett  und  Hopkins  machten  seine 
Konkurrenz  unwirksam. 

Nachdem  sie  ein  vollständiges  Monopol  erreicht  hatten, 
forderten  sie  übertrieben  hohe  Frachtpreise  und  ver- 
mehrten ihre  Einkünfte  auch  dadurch,  daß  sie  die  Gehälter 
ihrer  Angestellten  herabsetzten.  In  ihrer  Verzweiflung 
erklärten  die  Eisenbahnarbeiter  im  Jahre  1877  den  Streik. 
Falsche  Berichte  über  die  Gewalttätigkeit  der  Streikenden 
wurden  sofort  weithin  verbreitet.  Indem  man  diese  Be- 
schuldigungen zum  Vorwand  nahm,  wurde  Militär  herbei- 
gerufen. In  Martinsburg,  West- Virginia,  weigerte  sich  die 
Staatsmiliz  auf  die  Streikenden  zu  schießen,  aber  eine  Kom- 
panie der  Miliz,  die  sich  aus  Elementen  zusammensetzte, 
die  den  Streikenden  feindlich  gesinnt  waren,  eröffnete  das 
Feuer,  tötete  viele  der  Streikenden  und  verwundete  andere^ 

Hopkins  wird  Philanthrop 

Sowohl  Garrett  wie  Hopkins  zogen  aus  ihrer  Herrschaft 
und  ihrer  Behandlung  der  Baltimore-  und  Ohio-Eisenbahn 
große  Summen.  Hopkins'  Vermögen  belief  sich  bei  seinem 
Tode  auf  angeblich  10  Millionen  Dollar.  Zur  Zeit  seines 
Ablebens  im  Jahre  1873  war  er  der  „wohlhabendste  Bürger 
von  Baltimore".  Er  war  ein  sehr  geiziger  Mann,  wurde  aber 
wenigstens  in  einer  Hinsicht  während  seiner  letzten  Lebens- 
jahre freigebiger.  Indem  er  dem  Beispiel  vieler  anderer 
Multimillionäre  seiner  Zeit  folgte,  sicherte  er  sich  ein 
dauerndes  Andenken  als  „großer  Philanthrop".  Zu  diesem 
Zwecke  gab  er  im  März  1873  ein  Vermögen  von  ungefähr 
4  500000  Dollar  zum  Bau  eines  Hospitals  in  Baltimore  herf 
er  beschenkte  Baltimore  mit  einem  öffentlichen  Park  und 
stiftete  3  500  000  Dollar  als  erste  Gabe  zur  Gründung 
der   Johns   Hopkins-Universität.     Hier   ist   die   Frage   an- 


-    512    - 

gebracht,  in  welcher  Art  von  Besitz  diese  Wohltaten  er- 
wiesen wurden.  Zum  großen  Teil  bestanden  sie  in  Baltimore- 
und  Ohio-Eisenbahnaktien;  es  war  ein  Besitz,  der  die  Ver- 
derbtheit des  öffentlichen  Lebens,  die  Erniedrigung  der 
Arbeiter  und  die  allgemeine  Plünderung  der  ganzen  Be- 
völkerung darstellte. 

Und  was  war  Garretts  Anteil  an  den  Ergebnissen  der  ge- 
meinsamen Macht?  Bei  seinem  Tode,  im  Jahre  1884, 
sprach  man  von  15  Millionen  Dollar,  aber  sein  Anteil  war 
zweifellos  viel  größer.  Dieser  Reichtum  ging  an  seinen  Sohn 
Robert  über,  der  sich  einer  Reihe  persönlicher  Ausschweifun- 
gen hingab,  um  in  Trübsinn  und  Gehirnerweichung  zu 
enden.  Er  war  nur  zu  offenbar  geschickten  KapitaHsten, 
wie  den  Vanderbilts,  Goulds  und  Scott,  nicht  gewachsen^) ; 
sie  fielen  über  ihn  her  und  beraubten  ihn  erbarmungslos, 
wie  sein  Vater  andere  beraubt  hatte.  Seine  unbeschränkte 
Macht  und  Herrschaft  verschwand  allmählich.  Als  er  im 
Jahre  1 896  starb,  war  sein  Vermögen  auf  ungeiähr  5  Millio- 
nen Dollar  zusammengeschrumpft,  und  das  Baltimore-  und 
Ohio-Eisenbahnnetz  war  in  die  Gewalt  der  Magnatengruppe 
der  Pennsylvania-Eisenbahn  geraten. 


Sechstes  Kapitel 
DAS  PACIFIC-QUARTETT 

In  den  Jahren,  in  denen  die  Vanderbilts,  Gould,  Sage, 
Blair  und  verschiedene  andere  Eisenbahnmagnaten  sich  in 

1)  Eine  allgemein  bekannte,  oft  veröffentlichte  Geschichte  war  folgende: 
Robert  Garrett  hatte  Verhandlungen  zum  Ankauf  der  Philadelphia-,  Wilmington- 
und  Baltimore-Eisenbahn  heimlich  zum  Abschluß  gebracht  und  lud  an  dem  Abend, 
bevor  die  endgültigen  Abmachungen  getroffen  werden  sollten,  einen  Freund  ein, 
um  die  Gelegenheit  zu  feiern.  Als  Garrett  voll  von  Champagner  war,  verriet  er  das 
Geheimnis.  Der  Freund  entschuldigte  sich,  ging  sofort  zu  Scott  von  der  Penn- 
sylvania-Eisenbahn und  benachrichtigte  diesen  Magnaten.  Scott  füllte  sofort  eine 
Tasche  mit  Obligationen  und  eilte  fort,  um  den  Kapitalisten,  die  die  Philadelphia-, 
Wilmington-  und  Baltimore-Eisenbahn  beherrschten,  eine  Offerte  zu  machen, 
überbot  Garrett  und  hatte  den  Besitz  jener  Eisenbahn  für  das  Pennsylvania-Eisen- 
bahnsystem erworben,  beinahe  ehe  Garrett  aus  seiner  trunkenen  Betäubung  er- 
wacht war. 


-  513   - 

die  Regionen  gewaltigen  gebieterischen  Reichtums  empor- 
arbeiteten, taten  vier  andere  berühmte  Kapitalisten,  deren 
Laufbahnen  miteinander  verbunden  waren,  dasselbe  im 
fernen  Westen. 

Diese  Gruppe  bestand  aus  CoUis  P.  Huntington,  Leland 
Stanford,  Charles  Crocker  und  Mark  Hopkins.  Sie  bildeten 
insofern  eine  ungewöhnliche  Kameradschaft,  als  sie  lange 
Zeit  mit  einer  unter  Eisenbahnkapitalisten  nicht  oft  zu 
findenden,  beharrlichen  Treue  aneinander  hingen.  Das 
war  in  der  Tat  eine  so  seltene  Erscheinung,  daß  sie  in 
allererster  Linie  erwähnt  zu  werden  verdient.  Magnaten 
wie  Kommodore  Vanderbilt  und  William  H.  Vander- 
bilt,  Gould  und  Sage  zogen  es  vor,  alles  allein  zu  machen, 
da  sie,  mit  dem  bloßen  Löwenanteil  nicht  zufrieden, 
entschlossen  waren,  wenn  möglich  alles  einzustecken; 
sie  waren  Teilhabern  gegenüber  mißtrauisch  und  intole- 
rant, ausgenommen  wenn  es  die  Zweckmäßigkeit  anders 
erforderte,  und  dann  handelten  sie  mit  ihnen  gemein- 
schaftlich nur,  um  sie  schließlich  doch  zu  betrügen.  In 
dem  Pacific-Quartett  war  auch  jeder  für  sich  eine  starke 
Persönlichkeit,  aber  sie  hielten  ihre  Neigungen  genügend 
zurück,  um  ihre  Interessen  in  einem  gemeinsamen  harmo- 
nischen Ziel  zu  verschmelzen.  Ja  noch  mehr:  sie  erwogen 
scharfsinnig,  wofür  jeder  einzelne  besonders  geeignet  sei, 
setzten  die  Pflichten  nach  dieser  persönlichen  Schätzung 
fest  und  teilten  die  Beute  mit  einem  gewissen  Anflug  von 
Ehrlichkeit. 

Soweit  Eisenbahnmagnaten  in  Betracht  kamen,  war  dies 
zu  ihrer  Zeit  ein  bemerkenswerter  Zug. 


Die  Zusammenarbeit  von  vier  Männern 

Kurz,  diese  Gruppe  zeichnete  sich  durch  eine  Art  intelli- 
genter .Zusammenarbeit  aus.  Diesem  Umstände  verdankten 
sie  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ihren  raschen  Erfolg  in 
Erlangung  großen  Reichtums,  ohne  sich  durch  Zwischen- 
stadien durchschleppen  zu  müssen.  Sie  gehörten  zu  den 
ersten    Magnaten,    die    die    Vorzüglichkeit    des    Prinzips 

33 


-  SH  - 

systematischer  Organisation  erwiesen  —  eine  Lehre,  die 
die  Standard  Oil-Gruppe  etwas  später  aufnahm,  ausdehnte, 
verbesserte  und  zu  einem  überaus  feinen  System  entwickelte. 
Hier  lag  der  Fall  nicht  so,  daß  ein  Mann  gebieterisch  darauf 
bestand,  mit  allen  zu  einem  erfolgreichen  Geschäft  er- 
forderlichen Eigenschaften  allein  ausgerüstet  zu  sein.  Das 
Pacific-Quartett  erkannte  den  Wert  der  Spezialisierung. 
Im  allgemeinen  war  Huntington  die  Aufsicht  über  die 
Finanzangelegenheiten  anvertraut;  Stanford  die  Bezie- 
hungen zu  Gesetzgebung  und  Politik;  Crocker  war  als 
Verwalter  der  Bauarbeit  eingesetzt,  und  Hopkins  war  der 
Leiter  der  Einzelheiten  der  Büroarbeit.  Die  besonders 
nützlichen  Eigenschaften  eines  jeden  der  vier  wurden  von 
den  anderen  geschätzt  und  benutzt.  Abgesehen  von  dieser 
Verteilung  der  Aufsichtsämter  waren  sie  in  der  Förderung 
und  Vollendung  ihrer  Pläne  als  ein  Ganzes  tätig. 

Die  Umstände  trieben  diese  vier  Männer  nicht  dazu, 
ganz  denselben  revolutionären  Kapitalistentypus  anzu- 
nehmen wie  die  Vanderbilts  und  Goulds.  Sie  hatten  nicht 
viel  mit  dem  Verprügeln  kleinerer  Kapitalisten  zu  tun, 
brauchten  auch  nicht  viel  Mühe  darauf  zu  verwenden, 
die  heilige  Lehre  von  dem  „freien  unbeschränkten  Wett- 
bewerb" zu  Boden  zu  schlagen.  Ihr  Landgebiet  war  zum 
großen  Teil  noch  nicht  von  Gesellschaften  kleiner  Kapita- 
listen stückweise  in  Angriff  genommen.  Sie  hatten  die 
günstige  Gelegenheit,  große  Eisenbahnnetze  auf  bis  dahin 
freien  Gebieten  zu  schaffen.  Mit  einem  Satz  sprangen  sie 
aus  einer  unbedeutenden  Stellung  in  die  großer  Kapitalisten. 
Die  Umwandlung  von  Kleinkrämern  in  Waren  oder  Rechts- 
gelehrsamkeit zu  Multimillionären  war  schnell  und  plötzlich. 
Innerhalb  weniger  Jahre  nahmen  sie  ihre  Stellung  unter  den 
Beherrschern  der  Industrie  der  Vereinigten  Staaten  ein: 
als  Besitzer  großer  Eisenbahn-  und  Dampfschiffslinien, 
vielen  Eigentums  in  anderer  Form  und  eines  ungeheuer 
großen  Landgebietes  —  von  nicht  weniger  als  30  Millionen 
Morgen  im  ganzen.  Alle  diese  Männer  sind  dahingegangen, 
aber  der  Reichtum,  der  in  ihren  Besitz  kam,  bleibt;  und 
selbst  wenn  ihre  persönhche  Laufbahn  von  keinem  dauern- 
den Interesse  ist,  so  ist  ihr  Vermögen  doch  noch  tätig,  und 


-  5^5    - 

die  Geschichte  ihres  Eigenstums  ist  füeHch  noch  gegenwärtig 
von  Bedeutung. 

Beginn  mit  geringem  Kapital 

Alle  vier  waren  nach  der  Entdeckung  von  Gold  an  der 
Küste  des  Stillen  Ozeans  vom  Osten  nach  Kalifornien  aus- 
gewandert. Dort  leitete  Huntington  ein  Geschäft  für 
Eisenwaren  und  Bergmannsausrüstungen  in  Sacramento, 
und  Hopkins  wurde  sein  Kompagnon ;  Crocker  war  auch  ein 
kleiner  Kaufmann,  und  Stanford  war  Rechtsanwalt.  Die 
vier  konnten  nur  eine  sehr  unbedeutende  Summe  zusammen- 
bringen, um  ein  Eisenbahnprojekt  auszuführen,  das  damals 
als  eins  der  größten  und  schwierigsten  moderner  Zeiten 
angesehen  wurde. 

Phrasenmacher  sind  geneigt,  sich  in  überschwenglichen 
Ausdrücken  über  das  staunenswerte  Selbstvertrauen  zu  er- 
gehen, das  sie  mit  einem  nur  winzigen  Anfangskapital  eine 
enorme  Eisenbahnlinie  unternehmen  ließ.  Das  mag  eine 
romantische  Art  sein,  ihren  Mut  und  ihren  Scharfsinn  zu  be- 
schreiben. Aber  weder  war  das  Projekt  selbst  von  ihnen  er- 
sonnen, noch  hatten  sie  das  Kapital  zu  beschaffen.  Jahre- 
lang, ehe  sie  die  Arbeit  als  ein  bestimmtes  Unternehmen  in 
die  Hand  bekamen,  hatte  man  den  Bau  der  Pacific-Linie 
erörtert  und  betrieben,  und  die  Regierung  hatte  ausführbare 
Wege  vermessen  lassen^).  Nicht  einer  von  dem  Quartett 
verstand  irgendetwas  vonj  Eisenbahnbau,  auch  hatten  sie 
nicht  die  geringsten  grundlegenden  Kenntnisse  von  der 
Ausrüstung  und  dem  Betrieb  einer  Eisenbahn. 

In  welcher  Richtung  lagen  dann  aber  ihre  Fähigkeiten  ? 
Einzig  und  allein  auf  dem  Gebiete  des  Gründens.  Das 
kapitalistische  System  war  hier  von  einer  so  phantastisch 
verkehrten  Art,  daß  bei  keiner  Sache,  deren  man  sich  be- 
mächtigen wollte,  die  Fähigkeit,  sie  auch  beaufsichtigen  zu 
können,  vorausgesetzt  oder  notwendig  war. 

Die  Geschicklichkeit  des  Gründers  war  das  Wichtigste, 

')  Durch  ein  Gesetz  vom  3.  März  1853  wies  der  Kongreß  Geld  zur  Vermessung 
von  Eisenbahnrouten  vom  Mississippi  bis  zum  Stillen  Ozean  durch  das  Ingenieur- 
korps der  Armee  an.    Die  Resultate  wurden  im  Jahre  1855  veröffentlicht. 

33* 


-  5i6  - 

wenn  auch  nicht  das  Erste  zur  Erlangung  des  Eigentums- 
rechtes. Sehr  häufig  mußten  die  Gründer,  wenn  es  sich  um 
Fabriken  und  Gruben  handelte,  Kapitalien  von  Bankhäusern 
aufnehmen,  und  diesen  gelang  es  gewöhnlich,  durch  ge- 
schicktes, juristisches  Verfahren,  jene  Gründer  in  eine  Ge- 
setzesfalle zu  locken,  sie  beiseite  zu  drängen  und  um  ihr  Eigen- 
tum zu  bringen.  Eisenbahngründer  jedoch  waren  nicht  so 
sehr  von  Privatbankiers  abhängig.  Sie  konnten  sich  an 
Regierung,  Staat  und  Städte  um  Geldvorschüsse  wenden. 
Wenn  es  einem  Manne  oder  einer  Gruppe  von  Männern  ge- 
lang, den  Kongreß  und  die  gesetzgebenden  Körperschaften 
durch  Bestechung  dahin  zu  bringen,  daß  sie  ihnen  Land- 
bewilligungen und  Kapitalvorschüsse  gewährten,  dann  war 
es  eine  sehr  einfache  Sache,  tüchtige  Zivilingenieure  zu 
engagieren,  um  die  Routen  zu  vermessen  und  zu  bauen,  und 
gute  Beamte  anzustellen,  um  sie  nach  der  Fertigstellung  zu 
betreiben. 

Das  Erste  und  Hauptsächlichste,  was  zu  tun  war,  bestand 
in  dem  Erkaufen  der  Gesetzgebung  mit  allen  ihren  Folgen  — 
Privilegien,  Schenkungen  und  freiem  Zugang  zu  dem  Staats- 
schatz. 

Bei  der  Organisation  der  Zentral  Pacific-Eisenbahn  im 
Jahre  1861  konnte  die  Huntington-Gruppe  privatim  nicht 
mehr  als  ungefähr  195  000  Dollar  aufbringen,  wovon  sie 
selbst  ungefähr  50  000  Dollar  einzahlte.  Wie  lächerlich  un- 
angemessen auch  diese  Summe  zum  Bau  einer  Eisenbahn 
war,  deren  Kosten  auf  25  Millionen  Dollar  geschätzt  wur- 
den, so  war  sie  doch  genug  und  mehr  als  genug  für  gewisse 
wohlverstandene  erste  Unternehmungen. 

Mit  ihr  konnten  Ausgaben  an  den  Zentralpunkten  der 
Gesetzgebung  bestritten,  Petitionen  und  Denkschriften 
ausgeheckt,  Advokaten  bezahlt  und  Zeitungen  unterstützt 
werden.  Wurde  der  Streich  gut  gespielt,  so  pflegte  eine 
ganze  Reihe  von  Privilegien,  besonderen  Gesetzen,  Land- 
bewilligungen und  Geldunterstützungen  die  Folge  zu  sein. 

Die  Huntington-Gruppe  hatte  dem  Publikum  gegenüber 
ein  viel  wirksameres  und  eindrucksvolleres  Argument  als 
die  meisten  ihrer  Genossen  im  Gründen  von  Eisenbahnen. 
Schon  in  den  fünfziger  Jahren  bestand  ein  dringendes,  un- 


-  517  - 

verfälscht  enthusiastisches,  beinahe  ungestüm  auftretendes 
Verlangen  nach  einer  Eisenbahnverbindung  von  Küste  zu 
Küste.  Auf  Grund  dieses  heftigen  Begehrens  konnte  viel 
Freigebigkeit  und  viel  Beute  erlangt  werden.  Beim  Aus- 
bruch des  Bürgerkriegs  wurde  dieses  Verlangen  durch  den 
Mangel  an  jeder  schnellen  Eisenbahn-  und  Telegraphen- 
verbindung von  Küste  zu  Küste  unwiderstehlich  verstärkt. 
Überdies  wurde  die  Phantasie  des  Volkes  durch  die  ungeheure 
Größe  des  Unternehmens  gefesselt  und  geblendet.  Da  die 
herrschende  Meinung  dem  Unternehmen  so  günstig  gesinnt 
war,  konnte  man  die  Sache  nach  Wunsch  gestalten. 

Erlangung  von  Gesetzen 

Während  aber  das  Volk  als  Ganzes  die  Pacific-Eisenbahnen 
wünschte,  waren  doch  sehr  viele  Leute  mit  dem  schlimmen, 
gesetzgeberischen  Verfahren,  große  Landgebiete  und  große 
Geldvorschüsse  zu  privater  Bereicherung  herzugeben,  durch- 
aus nicht  einverstanden. 

Der  Farmer,  der  an  dem  Preise,  den  er  für  seine  kleine 
Farm  zahlen  mußte,  schwer  zu  tragen  hatte  und  oft  durch 
eine  Hypothek  betrogen  worden  war,  konnte  die  Ver- 
schleuderung öffentlichen  Besitzes  zugunsten  einer  Hand- 
voll vom  Gesetz  geschaffener  Protzen  nicht  ganz  gutheißen. 
Die  kleinen  Kaufleute,  die  schon  allein  an  dem  Begriff 
einer  über  ihnen  stehenden  Klasse  Anstoß  nahmen,  erhoben 
als  ganzer  Stand  erbitterten  Einspruch  gegen  das  Hervor- 
bringen großer  Kapitalisten  durch  eine  in  diesem  Sinne 
wirksame  Gesetzgebung.  Die  wachsamen  und  wohlorgani- 
sierten Gruppen  der  arbeitenden  Klassen  sahen  in  dieser 
beständigen  Beeinflussung  der  gesetzgebenden  Körper- 
schaften einen  Mißbrauch  der  Regierungsgewalt  zur  Ver- 
größerung einer  kleinen  und  feindlichen  Klasse  und  zum 
raschen  Aufsteigen  einer  alles  in  den  Schatten  stellenden 
Geldherrschaft.  Da  man  dieses  allgemeine  Empfinden 
kannte,  mußte  man  den  gesetzgebenden  Versammlungen 
„Lockmittel"  vorsetzen;  sie  selbst  mochten  bei  Ausein- 
andersetzungen vor  der  Wählerschaft  vielleicht  schön- 
klingende  und  scheinbar  triftige  Gründe  vorbringen,  aber 


-  5i8  - 

ein  ganz  anderer  Antrieb  wirkte  auf  sie  selbst;  man  mußte 
Geschenke  in  barem  Gelde  oder  in  entsprechenden  Werten 
machen*). 

Eine  verlockendere  und  für  räuberische  Unternehmungen 
günstigere  Zeit  als  die  des  Bürgerkrieges  hätte  kaum  ge- 
funden werden  können.  Ganz  erfüllt  von  den  stürmischen 
Umwälzungen  jener  erschütternden  Jahre  hatte  das  Volk 
weder  Geduld  noch  Neigung,  mit  den  alltäglichen  Be- 
schlüssen im  Kongreß  oder  in  den  gesetzgebenden  Körper- 
schaften in  enger  Fühlung  zu  bleiben.  Gerade  am  Anfang  des 
Krieges  hatte  die  Huntington-Gruppe  die  Zentral  Pacific- 
Eisenbahngesellschaft  mit  einem  Aktienkapital  von  8500000 
Dollar  gegründet,  das,  soweit  wirklich  eingezahltes  Geld  in 
Betracht  kam,  fast  ganz  fingiert  war.  Sofort  wandte  sie 
ihre  Energie  dem  Kernpunkt  der  Dinge  zu.  Huntington 
selbst  begab  sich  nach  Washington,  um  als  Lobbyist  im 
Kongreß  zu  wirken,  während  Stanford,  der  zum  Gouverneur 

^)  Man  warf  der  gesetzgebenden  Körperschaft  von  Kalifornien  oft  Bestechung 
vor,  aber  die  lächerlichen  Untersuchungen,  die  sie  gegen  sich  selbst  anstellte, 
endeten  immer  mit  weißwaschenden  Berichten. 

Eine  dieser  Skandalaffären  war  die  vom  April  1861,  als  John  F.  McCauIey  die 
Beschuldigung  erhob,  daß  Gesetzgeber  von  ihm  Bestechungsgelder  erlangt  hätten, 
um  eine  Forderung,  die  er  gegen  den  Staat  Kalifornien  erhob,  durchzubringen. 
Die  gesetzgebenden  Körperschaften  setzten  am  18.  April  1861  eine  Untersuchungs- 
kommission ein.  (Siehe  Appendix  to  Journal  of  California  Assembly,  Twelfth  Session 
1861,  Doc.  No.  15.)  McCauley  sagte  aus,  daß  ein  gewisser  Wittgenstein,  ein  Zwi- 
schenträger für  Waiden,  den  Vorsitzenden  der  Kommission  des  Repräsentanten- 
hauses für  Rechtsansprüche,  sich  an  ihn  herangemacht  und  ihm  gesagt  habe,  daß 
Waiden  für  einen  günstigen  Bericht  400  oder  500  Dollar  beanspruche  (S.  2 — 4). 
In  seiner  Zeugenaussage  gab  Wittgenstein  zu,  McCauley  erzählt  zu  haben,  daß 
Waiden  während  der  Session  sehr  viel  Geld  erworben  habe.  Wittgenstein  räumte  im 
wesentlichen  die  Wahrheit  von  McCauleys  Beschuldigungen  ein  (S.  5— n).  Und 
doch  war  der  Bericht  weißwaschend. 

Einen  anderen  Skandal  gab  es,  als  der  Herausgeber  der  Zeitung  „TheAmerican 
Flag"  im  Jahre  1866  die  besondere  Beschuldigung  erhob,  daß  von  ortsangesessenen 
Bankiers,  Kommissionären  und  Importeuren  in  den  gesetzgebenden  Körperschaften 
ein  Kapital  von  108  000  Dollar  ausgegeben  worden  sei,  um  die  Aufhebung  des  sog. 
„Besonderen  Kontraktgesetzes"  zu  verhindern.  Er  beschuldigte  sieben  Senatoren, 
ihre  Stimmen  für  je  12000  Dollar  verkauft  zu  haben.  Eine  Untersuchungskommission 
des  kalifornischen  Senates  wurde  ernannt.  Einer  der  verhörten  Zeugen  war  Darius 
O.  Mills,  damals  Bankier  in  San  Francisco  und  später  hervorragender  Multimillionär, 
Er  und  andere  Zeugen  behaupteten,  von  einem  Bestechungskapital  nichts  zu  wissen. 
Der  Kommissionsbericht  sprach  die  Angeklagten  frei.  —  „Bericht  der  Unter- 
suchungskommission über  gewisse  von  dem  Herausgeber  der  ,American  Flag'  er- 
hobene Beschuldigungen",  Appendix  to  Journal  of  Senate  and  Assembly  of  the 
Legislature  of  California,  1866,  Bd.  z. 


-  519  - 

von  Kalifornien  gewählt  worden  war,  sich  zu  Hause  mit 
ähnlichen  Zielen  beschäftigte.  Sie  waren  keine  Träumer, 
sondern  praktische  Männer,  die  geradeaus  zu  gehen  ver- 
standen. 

Stanfords  Arbeit  trug  in  Kalifornien  bald  Früchte;  die 
Stadt  Sacramento  wurde  ermächtigt,  400  000  Dollar  zu 
spenden,  Placer  County,  550000  Dollar  zu  leihen,  und  der 
Staat  Kalifornien,  2  100  000  Dollar  auszuhändigen.  Gleich- 
zeitig tat  Huntington  als  Cliquenschieber  vortrefflich  seine 
Pflicht  im  Kongreß.  Im  Jahre  1862  wurde  ein  Gesetz  er- 
lassen, wonach  dem  Quartett  ungefähr  25  Millionen  Dollar 
in  sechsprozentigen  Regierungsobligationen  und  ungefähr 
4  500000  Morgen  Staatsland  zur  Verfügung  gestellt  wurden. 
Die  geringen  Einwendungen,  die  sich  gegen  diese  großen 
Schenkungen  erhoben,  wurden  sofort  zum  Schweigen  ge- 
bracht. „Ist  die  Regierung  nicht  vollständig  gedeckt?" 
fragten  die  Gründer  mit  unschuldiger  Miene.  „Sind  nicht 
ihre  Darlehen  durch  eine  erste  Hypothek  sichergestellt  ? 
Wenn  die  Gesellschaft  ihren  Verpflichtungen  nicht  nach- 
kommt, kann  die  Regierung  dann  nicht  einschreiten  und  sich 
schadlos  halten  ?"  Das  klang  glaubwürdig.  Zwei  Jahre  spä- 
ter jedoch,  zu  derselben  Zeit,  als  (wie  wir  gesehen  haben) 
die  Union  Pacific-Clique  den  Kongreß  bestach,  um  größere 
Landbewilligungen  und  eine  Veränderung  der  Gesetze  zu 
erlangen,  verführte  Huntington  den  Kongreß  aufs  neue. 
Ein  Gesetz  wurde  erlassen,  das  die  Landbewilligung  der 
Zentral  Pacific  verdoppelte  und  die  Regierungsforderung 
gegenüber  der  Zentral  Pacific  in  die  untere  Stellung  einer 
zweiten  Hypothek  verwies.  Und  wie  sich  später  heraus- 
stellte, war  der  Kontrakt  mit  der  Regierung  so  geschickt 
abgefaßt,  daß  nach  einer  später  gefällten  Entscheidung 
des  obersten  Gerichtshofs  der  Vereinigten  Staaten  die 
Regierung  ein  Pfandrecht  nur  auf  die  Hauptlinien  und 
nicht  auf  die  Zweiglinien  besaß.  Ob  der  so  abgefaßte  Kon- 
trakt das  Resultat  geheimen  Einvernehmens  mit  Regie- 
ningsbeamten  war,  ist  niemals  festgestellt  worden. 

„Im  Jahre  1869,  ehe  der  letzte  Schienennagel  in  Promon- 
tory  eingeschlagen  war,  hatte  das  Eisenbahnquartett,  ab- 
gesehen davon,  daß  ihm  die  Strecke  gehörte,  ein  Darlehn 


—    520    — 

von  24  Millionen  Dollar  Regierungsobligationen  als  zweite 
Hypothek  auf  die  Bahn  erhalten,  ferner  400  000  Dollar 
San  Francisco  -  Obligationen  als  bedingungslose  Gabe, 
550000  Dollar  Kreisobligationen  und  2  100 000  Dollar,  die 
von  dem  Staate  Kalifornien  entweder  schon  gezahlt  oder  für 
noch  von  der  Gesellschaft  zu  leistende  Dienste  zu  zahlen 
waren^)." 

Das  Verfahren  des  Quartetts  war  einfach  genug.  Nach- 
dem sie  einmal  die  erforderlichen  Darlehen  und  Gaben  er- 
halten hatten,  ließen  sie  alle  falschen  Vorspiegelungen  bei- 
seite und  machten  sich  öffentlich  und  tatkräftig  daran, 
alles,  was  ihnen  erreichbar  war,  zu  betrügen;  nicht  nur  die 
Bundesregierung,  sondern  auch  die  Staaten,  Kreise,  Städte 
und  Geldanleger.  Zuerst  organisierten  sie  eine  Bau- 
gesellschaft, genannt  die  Kredit-  und  Finanzgesellschaft. 
Dann  machten  sie  einen  Kontrakt  mit  sich  selbst,  um  die 
Zentral  Pacific  zu  bauen.  Mit  Hilfe  der  von  Sacramento 
und  Placcr  County  gegebenen  Darlehen  bauten  sie  ein  ge- 
nügendes Stück  der  Bahn,  um  von  der  Regierung  als  Unter- 
stützung für  den  ersten  Teil  848  000  Dollar  zu  erlangen. 
Indem  sie  dieses  Verfahren  wiederholten,  bauten  sie  die 
ganze  Bahn,  fast  ohne  einen  einzigen  Dollar  ihres  eigenen 
Geldes  auszugeben.  Der  nächste  Schritt  bestand  darin, 
die  Bahn  mit  einer  Neuaufnahme  von  139  Millionen  Dollar 2) 
zu  belasten,  und  dies  war  der  Anfang  einer  weiteren  künst- 
lichen Vermehrung  der  Aktien. 

Ein  Diebstahl  von  50  Millionen  Dollar 

Der  Bericht  der  Pacific-Eisenbahnkommission  gibt  keine 
zutreffende  Vorstellung  von  den  ungeheuer,  wertvollen 
Rechten  und  Besitzungen  aller  Art,  die  sie  durch  Bestechung 
und  Betrug  erlangten.  Aber  er  gibt  eine  umfassende  Dar- 
stellung ihrer  Beute  in  Geld  und  Aktien.  „In  den  Regie- 
rungsbüchern der  Zentral  Pacific-Eisenbahngesellschaft", 
so  stellt  der  Bericht  der  Pacific-Eisenbahnkommission  von 
1887  fest,  „belief  sich  der  Abschnitt  der  in  der  Verfolgung 
unlauterer    Zwecke,    durch    Kontrakte,    die.    die    Herren 

^)  Bancroft, -„History  of  the  Pac.  Stat.",  19, 62.  2)  Hudson's  „Railways  and  tbe 
Republic",  265.  ■■ 


-    521     - 

Stanford,  Huntington,  Hopkins  und  Crocker  mit  sich  selbst 
abschlössen,  gewonnenen  Einnahmen  auf  viele  Millionen." 
Nach  diesem  Bericht  kostete  der  Bau  einer  Strecke  von 
1171  Meilen  27217000  Dollar,  aber  sie  berechneten  be- 
trügerischerweise das  Dreifache  dieser  Summe.  Dies  war 
ein  Diebstahl  von  mehr  als  50  Millionen  mit  einem  Griff. 
Außer  dem  gestohlenen  baren  Gelde  gaben  sie  für  sich 
selbst  33722000  Dollar  in  Obligationen  und  49  005  ooo 
Dollar  in  Aktien  aus.  Aber  diese  Summen  bildeten  nur 
einen  Teil  des  Gesamtdiebstahls.  Der  Bericht  der  Pacific- 
Eisenbahnkommission  fährt  folgendermaßen  fort: 

„Dann  verpachteten  sie,  als  Direktoren  der  Pacific  Cen- 
tral, ihre  eignen  Linien  an  die  Zentral  Pacific  für  3  400  000 
Dollar  jährlich;  was  beinahe  13  Prozent  ausmachte.  Fünf 
Vierteljahre  vorher  (im  Jahre  1886)  schlössen  drei  dieser 
Direktoren  (Stanford,  Huntington  und  Crocker)  zum  Bau 
einei  Bahnerweiterung  von  103  Meilen  mit  sich  selbst  einen 
Kontrakt.  Zur  Bezahlung  gaben  sie  Aktien  in  Höhe  von 
8  Millionen  Dollar  und  Obligationen  in  Höhe  von  4  500  000 
Dollar  aus;  der  Marktwert  der  Aktien  und  Obligationen 
betrug  zu  der  Zeit  8  340  000  Dollar.  Der  Bau  kostete  tat- 
sächlich 3  505  000  Dollar,  so  daß  sie  persönlich  durch  ihre 
selbstverfügten  Geschäftsabschlüsse  allein  bei  diesem  Ver- 
fahren einen  Gewinn  von  4  834  000  Dollar  machten"  usw. 

Grobe  Bestechung  des  Kongresses 

Das  Bestechen  und  Stehlen  wurde  bei  dem  Bau  der 
Southern  Pacific-Eisenbahn  fortgesetzt. 

Im  Jahre  1871  ermächtigte  der  Kongreß  die  Texas-  und 
Pacific-Eisenbahn  zu  einem  Bau  von  Marshall  in  Texas  bis 
San  Diego  in  Kalifornien  und  schenkte  der  Gesellschaft 
annähernd  18  Millionen  Morgen  Staatsland  unter  der  Be- 
dingung, daß  die  Bahn  in  zehn  Jahren  fertiggestellt  würde; 
im  andern  Falle  sollte  die  Landbewilligung  für  verfallen  er- 
klärt werden.  Zur  selben  Zeit  ermächtigte  der  Kongreß 
die  Southern  Pacific-Eisenbahngesellschaft  zum  Bau  einer 
Linie  von  El  Paso  in  Texas  nach  San  Francisco  und  schenkte 
ihr  ungefähr  5  Millionen  Morgen  Staatsland.  Das  Texas-  und 


—    522    — 

Pacific-Untemehmen  gehörte  einer  Gruppe  von  Kapita- 
listen, an  deren  Spitze  Scott  von  der  Pennsylvania-Eisen- 
bahn stand;  die  Huntington-Männer  standen  an  der  Spitze 
der  Southern  Pacific-Eisenbahngesellschaft. 

Diese  beiden  Kapitalistengruppen  gerieten  bald  anein- 
ander; jede  versuchte  leidenschaftlich,  die  andere  auszu- 
stechen und  in  dem  in  Frage  stehenden  Gebiet  ein  unbestrit- 
tenes Monopol  für  den  Transport  zu  erlangen.  Der  Kampf 
wurde  bis  vor  den  Kongreß  gebracht;  jede  Partei  veranlaßte 
die  Einführung  von  Gesetzen,  die  die  andere  lahmlegen 
sollten.  Der  Kampf  lief  schließlich  auf  die  Frage  hinaus, 
welche  Partei  den  Kongreß  am  wirksamsten  bestechen  würde. 

„Scott,"  so  schrieb  Huntington  am  29.  Januar  1876, 
„macht  fürchterliche  Anstrengungen,  um  sein  Gesetz  durch- 
zubringen, und  er  hat  viele  Vorteile  von  seiner  Bahn,  die 
von  Washington  aus  beinahe  nach  allen  Richtungen  läuft 
und  auf  der  er  jedem,  der  ihm  auch  nur  im  geringsten 
nützen  kann,  Freibillette  gibt ...  Es  hat  Geld  gekostet, 
die  Sache  zu  schieben;  nun  weiß  ich,  daß  sein  Gesetz 
nicht  durchgehen  dürfte.  Ich  glaube,  mit  200  000  Dollar 
können  wir  unser  Gesetz  durchbringen^)." 

Am  6.  März  1876  schrieb  Huntington:  „Die  Eisenbahn- 
kommission des  Hauses  war  für  Scott  eingenommen,  und 
es  ist  sehr  schwer  gewesen,  eine  Majorität  der  Kommission 
von  ihm  abzulenken,  aber  ich  denke,  es  ist  gelungen."  Am 
II  November  1876  schrieb  Huntington  weiter  an  einen 
seiner  Gesellschafter:  „Ich  freue  mich,  zu  hören,  daß  Du 
bis  zum  I.  Januar  2  Millionen  Dollar  an  unser  Büro 
schicken  willst."  Am  3.  Mai  1878  benachrichtigt  er  seine 
Teilhaber:  „Die  T.-  und  P.-Leute  arbeiten  kräftig  für  ihr 
Gesetz  und  sagen,  daß  sie  sicher  sind,  es  durchzubringen, 
aber  ich  glaube  es  nicht.  Sie  haben  einem  Kongreßmitglied, 
falls  er  für  das  Gesetz  stimmen  würde,  1000  Dollar  in  bar, 
weitere  5000  DoUar  bar,  wenn  das  Gesetz  durchgegangen  ist, 

*)  Wir  haben  in  der  Erzählung  von  Göulds  Vermögen  gesehen,  wie  Scott  mit  der 
Regierungsüberwachung  des  Eisenbahntransports  während  des  Bürgerkrieges  be- 
auftragt worden  war,  und  wie  eine  Kongreßkommission  die  seiner  Ernennung 
unmittelbar  folgenden  ungeheuren,  von  verschiedenen  Eisenbahnen  des  Nordens 
erfolgreich  durchgeführten  Brandschatzungen  bei  der  Beförderung  von  Soldaten, 
Kriegsmaterial  und  Vorräten  aufdeckte. 


-  523  - 

und  lo  ooo  Dollar  von  den  Obligationen,  wenn  sie  sie  er- 
halten haben,  angeboten^)." 

Huntington  war  siegreich.  „Es  kann  kein  Zweifel  sein," 
so  berichtete  die  Pacific-Eisenbahnkommission  vom  Jahre 
1887,  „daß  ein  großer  Teil  von  4818  535  Dollar  benutzt 
wurde,  um  die  Gesetzgebung  zu  beeinflussen  und  den 
Erlaß  von  Maßregeln  zu  verhindern,  die  gegen  die  Inter- 
essen der  Eisenbahngesellschaft  gerichtet  zu  sein  scheinen, 
und  um  die  Wahlen  zu  beeinflussen."  2) 

Das  Nächste,  was  die  Huntington-Gruppe  tat,  bestand 
darin,  die  Kapitalisten  des  Ostens  aus  der  Texas-  und 
Pacific-Eisenbahn  zu  verdrängen,  diese  Linie  ganz  in  ihr 
eigenes  Netz  aufzunehmen  und  die  18  Millionen  Morgen 
Staatsland  der  Texas-  und  Pacific-Eisenbahn  auf  ungesetz- 
liche Weise  einzustecken.  Dabei  hatte  von  Rechts  wegen 
die  Texas-  und  Pacific-Eisenbahn  gar  nicht  einmal  wirk- 
lichen Anspruch  auf  die  Landbewilligung.  Die  Justizkom- 
mission des  Hauses  erklärte  nach  einer  Untersuchung  am 
3.  August  1882,  daß  die  Texas-  und  Pacific-Eisenbahn  von 
der  Route,  für  welche  die  Landbewilligungen  in  New  Mexico, 
Arizona  und  California  erteilt  worden  waren,  gar  nichts 
fertiggestellt  habe;  daß  sie  die  „Landbewilligung  niemals 
verdient  habe",  daß  sie  nicht  beabsichtigt  habe,  die  Bahn, 
für  die  sie  privilegiert  und  ausgestattet  war,  zu  bauen,  und 
daß  sie  der  Southern  Pacific -Eisenbahngesellschaft  „alle 
Rechte  und  Titel  des  in  Frage  stehenden  Landes"  über- 
tragen habe 3).  Die  Justizkommission  bereitete  eine  Resolu- 
tion vor,  die  die  Landbewilligung  für  verfallen  erklären  sollte, 
und  betrieb  ihre  Annahme  in  beiden  Häusern  des  Kon- 
gresses. Diese  Resolution  wurde  jedoch  nicht  angenommen. 

*)  Es  gab  viele  solche  Briefe.  Sie  wurden  vollständig  veröffentlicht  in  „Driven 
from  Sea  to  Sea"  von  C.  C.  Post.  „Es  ist  unmöglich,"  berichtete  die  Pacific- 
Eisenbaha  im  Jahre  1887,  „das  Beweismaterial  zu  lesen,  das  die  C.  P.  Huntington- 
und  Leland  Stanford-  und  Colton-Briefe  enthalten,  ohne  zu  der  Schlußfolgerung 
zu  kommen,  daß  sehr  große  Summen  Geldes  in  unziemlicher  Weise  in  Zusammen- 
hang mit  der  Gesetzgebung  gebraucht  worden  sind."  —  Bd.  i,  121.  Huntington 
prahlte  gewohnheitsmäßig  mit  seinem  Bestechungsverfahren.  „Überall,  wo  e$ 
möglich  ist,  versuche  ich  mit  Schecks  zu  bezahlen,  denn  die  Männer,  die  sie 
nehmen,  bleiben    späterhin  immer  meine  Sklaven." 

*)  Report  of  U.  S.  Pacific  Railway  Commission,  i,  84. 

8)  HouseReport  No.  1803,  Fortj-seventh  Congress,  Second  Session. 


-  524  - 

'Zusammenfassung  der  Räubereien 

Wenn  wir  die  allgemeinen  Resultate  möglichst  so  dar- 
stellen, wie  die  amtlichen  Untersuchungen  sie  feststellen 
konnten,  dann  taten  Huntington  und  seine  Genossen  fol- 
gendes .  Sie  hatten  von  der  Regierung,  von  Staaten,  Kreisen 
und  Stadtbezirken  Hunderte  von  Millionen  Dollar  in  Geld, 
Obligationen  und  Land  erhalten.  Als  Kontrolleure  der 
,, Kontrakt-  und  Finanz-Gesellschaft"  und  anderer  Bau- 
gesellschaften hatten  sie  sich  für  angebliche  Bauarbeit  alles 
in  allem  142  Millionen  Dollar  selbst  zugewiesen.  Sie  hatten 
wenigstens  5  Millionen  für  verbrecherische  politische 
Zwecke  ausgegeben.  Sie  hatten  die  Aktien  ihrer  Bahn  in 
unerhörter  Weise  nominell  erhöht  und  sich  mit  Hilfe  der 
aufgespeicherten  Ergebnisse  ihrer  Diebstähle  die  Gewalt 
über  neunzehn  verschiedene  Eisenbahnnetze  und  auch  über 
Dampferlinien  verschafft.  Sie  hatten  der  Regierung  durch 
Betrug  viele  Millionen  Morgen  Land  geraubt;  sie  hatten  die 
Regierung  um  die  Hauptmasse  des  vorgeschossenen  Kapi- 
tals betrogen;  sie  weigerten  sich,  mehr  als  eine  rein 
nominelle  Steuer  zu  zahlen,  und  sie  erpreßten  drückende 
Transportgebühren. 

Bancroft  erzählt :  „Es  ist  eine  Tatsache  in  der  Wirtschafts- 
geschichte Kaliforniens,  daß  der  Leser  einer  städtischen 
Tageszeitung  oder  eines  ländlichen  Wochenblattes  kaum 
eine  Zeitung  aufmachen  kann,  ohne  darin  irgendeine  Klage 
über  die  Eisenbahnverwaltung,  besonders  die  Frachtpreise 
zu  finden."  Die  Eisenbahnen  „pflegten  aus  einem  bestimm- 
ten Artikel  herauszuziehen,  soviel  er  hergeben  wollte^)". 
Diese  Beschreibung  paßte  nicht  nur  für  Kalifornien,  sondern 
für  jeden  Staat  und  jedes  Gebiet,  das  von  der  Eisenbahn 
direkt  oder  indirekt  erreicht  wurde.  Gerade  die  Leute, 
deren  Vertreter  in  so  verschwenderischer  Weise  Staatseigen- 
tum an  wenige  weggegeben  hatten,  wurden  in  jeder  nur 
zu  ersinnenden  Weise  beraubt.  Aber  nicht  nur  das  Volk 
wurde  beraubt;  Huntington  und  seine  Gesellschafter  er- 
drückten ihre  kleineren  Aktionäre  in  derselben  betrügeri- 
schen Weise,  die  Gould  und  Sage  anwandten,  und  betrogen, 

*)  ,.History  of  the  Pacific  States",    19,  628. 


-  525  - 

auch   wie    Gould   und   Sage,    eine   Schar   vertrauensvoller 
Geldanleger. 

Huntington  und  seine  Gesellschafter,  die  man  zuerst  als 
öffentliche  Wohltäter  gepriesen  hatte,  wurden,  als  das  Volk 
die  enormen  Betrügereien,  die  sie  begangen  hatten,  erkannte, 
den  heftigsten  Anklagen  unterworfen.  Denn  die  Betrü- 
gereien, über  die  hier  kurz  berichtet  worden  ist,  bildeten 
nur  einen  Teil.  Es  ist  kaum  nötig,  sich  in  die  vielen 
gewundenen  und  irreführenden  Details  zu  vertiefen;  wie 
sie,  um  sich  ihren  Verpflichtungen  zu  entziehen,  zu  ge- 
schickten Ausflüchten  ihre  Zuflucht  nahmen  und  die  Re- 
gierung betrogen;  wie  sie  Staaten  und  Territorien  be- 
stachen und  beherrschten  und  einen  Besitz  nach  dem  andern 
in  ihre  Gewalt  brachten;  und  wie  sie  durch  ihre  Beherrschung 
der  politischen  Mache  Repräsentanten  und  Senatoren  nach 
Washington  schickten,  als  ob  sie  eben  nur  so  Laufburschen 
wären.  Das  Pacific-Quartett  gehörte  zu  den  ersten  Magna- 
ten, die  öffentlich  auftraten  und  selbst  die  politische  Macht 
ausübten,  statt  sie  Anhängern  anzuvertrauen.  Um  eins 
seiner  eigenen  Mitglieder  im  Senat  der  Vereinigten  Staaten 
zu  haben,  damit  es  dort  über  seine  Interessen  wache,  veran- 
laßte  das  Quartett  im  Jahre  1887  die  gesetzgebenden  Körper- 
schaften von  Kalifornien,  Stanford  in  den  Senat  zu  wählen. 

Hopkins  starb  im  Jahre  1876,  Crocker  im  Jahre  1888. 
Sehr  charakteristisch  für  die  Eigentümlichkeiten  der  herr- 
schenden Gesellschaft  war  die  Art,  wie  ein  Teil  von  Hopkins 
Millionen  verwendet  wurde.  Seine  Witwe  erbte  seinen 
Reichtum  und  heiratete  wieder,  und  ein  Teil  ihrer  Erbschaft 
wurde  zum  Ankauf  einer  alteingeführten  New  Yorker 
Zeitung  verwendet.  So  sah  man  wieder,  wie  in  Goulds  Fall, 
wie  eine  Zeitung  aus  gestohlenem  Reichtum  finanziert 
wurde  und  wie  die  Erben  jenes  Reichtums  bestimmten, 
woraus  die  dem  Publikum  darzureichende  moralische  und 
politische  Nahrung  bestehen  solle.  Ein  prächtiges,  2  Millio- 
nen Dollar  kostendes  Landhaus  in  Great  Barrington,  Mass., 
ist  ein  dauerndes  Zeugnis  davon,  wie  einige  andere  von 
Hopkins  Millionen  verwendet  wurden.  Crocker  hinterließ 
ein  Vermögen,  das  nominell  auf  40  Millionen  Dollar  ge- 
schätzt wurde. 


-  526  - 

Stanfords  Reichtum  war  so  groß,  daß  er  wie  die  Vander- 
bilts,  Astors,  Goulds  und  andere  Magnaten  gezwungen 
wurde,  den  Überschuß  auf  ganz  anderen  Gebieten  unter- 
zubringen. Ein  Teil  der  vielen  der  Regierung  und  dem 
Volke  entzogenen  Millionen  wurde  bei  den  Straßenbahnen 
von  San  Francisco  angelegt;  von  diesen  gehörte  ihm  ein 
Viertel  und  brachte  ihm  jährlich  lo  Prozent^).  Andere  Mil- 
lionen wurden  in  anderem  Besitz  angelegt.  Stanford  wurde 
ein  großer  Landeigentümer.  Ihm  gehörte  der  ungeheuer 
große,  ICO  ooo  Morgen  umfassende  Vina- Weinberg  und  die 
Palo  Alto-Viehwirtschaft  mit  ihren  ausgedehnten  Zucht- 
anlagen und  großen  Weingärten  und  mancher  andere  Grund- 
besitz in  San  Francisco  und  anderwärts.  Sein  Aktien-  und 
Landbesitz  brachte  ihm,  wie  man  schätzt,  ein  jährliches 
Einkommen  von  i  Million  Dollar. 

Bis  zum  Jahre  1885  war  er  nur  ein  sogenannter  Finanzier 
gewesen,  der  von  einigen  als  großer  Eisenbahnbauer,  von 
anderen  als  kolossaler  Dieb  bezeichnet  worden  war.  Jetzt 
wurde  er  ein  vollbeschwingter  Philanthrop,  indem  er  Eigen- 
tum im  Werte  von  vielen  Millionen  zur  Gründung  der 
Leland  Stanford  jr.-Universität  hergab. 

So  wurde  wieder  ein  „Sitz  der  Gelehrsamkeit"  gegründet, 
der  unter  der  Aufsicht  des  Geldes  stehen  sollte. 

Stanford  im  Senat  der  Vereinigten  Staaten 

Als  Senator  der  Vereinigten  Staaten  bezog  Stanford  ein 
jährliches  Gehalt  von  5000  Dollar;  er  gab  in  jeder  Session 
75  000  Dollar  aus;  es  machte  diesem  Manne  Vergnügen, 
den  Zeitungsjungen  Zwanzigdollarstücke  zuzuwerfen.  Seine 
Hauptarbeit  in  Washington  bestand  darin,  die  Regierung 
von  selbständigen  Maßnahmen  abzuhalten,  die  ihn  und 
seinen  Klüngel  hätten  zwingen  können,  ihren  Raub  wieder 
herzugeben,  alles  feindliche  Vorgehen  zu  ersticken  und  Ge- 
setze durchzubringen,  die  noch  mehr  an  Konzessionen,  Land, 
Wasserstraßenrechten  und  besonderen  Privilegien  gewährten, 

*)  Was  durch  neuere  Enthüllungen  in  San  Francisco  davon  zutage  gebracht 
worden  ist,  wie  Straßenbahn-Privilegien  durch  Bestechung  erlangt  wurden,  ist  nur 
ein  Anzeichen  des  herrschenden  Bestechungssystems. 


-  527  - 

und  für  Erpressungen  die  amtliche  Genehmigung  zu'"  er- 
langen. Im  ganzen  hatte  er  Erfolg.  Dieser  gewichtige, 
234  englische  Pfund  wiegende  Magnat  war  der  poHtische 
Drahtzieher  des  Quartetts,  während  Huntington  der  schlaue 
Finanzmann  war,  voll  scharfer  Kunstgriffe  und  durchtrie- 
bener Ränke.  Als  Stanford  im  Jahre  1893  starb,  wurde  der 
nominelle  Wert  seines  Besitzes  auf  ungefähr  18  Millionen 
Dollar  geschätzt,  er  war  aber  viel  größer.  Er  hatte  große 
Summen  für  die  Leland-Stanfordjr. -Universität  hergegeben 
und  hinterließ  ihr  in  seinem  Testament  noch  weitere  Millio- 
nen. Der  Rest  seines  Besitzes  ging  an  seine  Witwe  über,  die 
auch  der  Universität  Stiftungen  machte.  Alles  in  allem 
gaben  Mr.  und  Mrs.  Stanford  reichlich  30  Millionen  Dollar 
für  die  Gründung,  Erweiterung  und  Fortführung  dieses 
Instituts  aus,  das  nach  ihrem  Sohne  benannt  wurde. 

Das  Vermögen,  das  Huntington  zusammenraffte,  war 
größer  als  das  der  anderen  Mitglieder  des  Quartetts.  Bei 
seinem  Tode,  im  Jahre  1900,  wurde  es  auf  50  bis  80  Millionen 
Dollar  geschätzt.  Es  umfaßte  Anteile  an  einer  ungeheuren 
Anzahl  von  Eisenbahnen-,  Dampfschiffs-  und  anderen 
Gesellschaften  —  Anteile,  die  er  durch  seinen  Teil  der 
Beute  an  den  Pacific-Eisenbahnen  erkauft  oder  durch  Betrug 
in  seine  Gewalt  gebracht  hatte.  Eine  seiner  Lieblings- 
prahlereien bestand  gelegentlich  darin:  daß  er  in  seinen 
eigenen  Wagen  und  auf  seinen  eigenen  Schienen  vom  Atlanti- 
schen bis  zum  Stillen  Ozean  und,  wenn  es  ihm  beliebte,  auch 
in  seinen  eigenen  Dampfschiffen  von  Brasilien  nach  New  York, 
von  dort  nach  Colon,  von  Panama  nach  San  Francisco  und 
von  dort  nach  Jokohama  und  Hongkong  reisen  könne. 
Seine  Macht  war  riesenhaft;  er  beherrschte  das  wirtschaft- 
liche Leben  von  Millionen  von  Arbeitern  und  verfügte  über 
die  Regierung  von  einem  halben  Dutzend  Staaten.  Seine 
Beute  war  unversehrt.  Im  Jahre  1884  erzählte  man,  daß  er 
in  Erwiderung  auf  einen  Bericht  gesagt  habe:  „Ich  habe 
niemals  eine  Schaustellung  von  44  Millionen  Dollar  in 
Obligationen  veranstaltet,  obgleich  ich  doppelt  soviel  hätte 
aufzeigen  können."^) 

^)  Vergleiche  hierzu  S.  479  über  Gould. 


-   52ö    - 
Sie  werden  Aristokraten 

Jeder  intelligente  Mensch  kannte  die  lange  und  große 
Reihe  von  Betrügereien  und  Diebstählen,  durch  die 
Huntington,  Stanford,  Crocker  und  Hopkins  sich  durch- 
gearbeitet hatten,  um  ihren  Reichtum  zusammenzubringen. 
Doch  wenn  sie  auch  schwer  beschuldigt  wurden,  so  mußten 
sie  doch  nicht  denselben  Schmähungen  und  Vorwürfen  be- 
gegnen, mit  denen  Jay  Gould  beständig  überhäuft  wurde. 
Im  wesentlichen  waren  sie  von  demselben  Schlage  wie 
Gould;  aber  Gould  stand  vor  den  Verwünschungen  des 
Volkes  als  ein  Eisenbahnzerstörer  da,  während  die  Kritik 
an  der  Huntington-Gruppe  immer  durch  die  Bemerkung 
gemildert  wurde:  „Nun,  wenn  sie  auch  kolossale  Summen 
gestohlen  haben,  so  haben  sie  doch  wenigstens  große  Eisen- 
bahnen gebaut  und  sind  von  großer  Bedeutung  für  die  Ent- 
wicklung des  Landes  gewesen."  Und  sie  hatten  keine 
Schwierigkeit,  sofort  in  die  Kreise  aufgenommen  zu  werden, 
die  die  ,, beste  Gesellschaft"  repräsentierten.  Die  Frage, 
ob  sie  zugelassen  werden  könnten,  wurde  nicht  aufgeworfen. 
Durch  die  Macht  des  Geldes  wurden  sie  sofort  ein  Teil  der 
Geldaristokratie.  Durch  die  nämliche  Macht  des  Geldes 
fand  auch  Huntingtons  Adoptivtochter  leicht  Eingang  in 
die  vornehmen  Kreise  der  europäischen  hohen  Aristokratie; 
sie  heiratete  im  Jahre  1889  einen  Prinzen  Hatzfeld  und  erhielt 
ein  väterliches  Geschenk  von  mehreren  Millionen  Dollar. 

Huntington  lebte  wie  ein  Grandseigneur,  wenigstens  so- 
weit es  sich  um  die  Wohnung  handelte.  Er  hatte  ein  Herren- 
haus in  San  Francisco;  eine  prächtige  Besitzung  in  den 
Adirondack-Bergen,  für  welche  er  250  000  Dollar  bezahlt 
hatte;  ein  palastartiges  ländliches  Heim  in  Throgg's  Neck, 
N.  Y. ;  und  er  baute  mit  einem  Kostenaufwand  von  Millio- 
nen ein  imponierendes  Gebäude  in  der  5.  Avenue  und  57. 
Straße  der  Stadt  New  York^)  —  jener  aristokratischen 
Straße,  in  die  so  viele  Magnaten  nach  einer  Laufbahn  von 
Betrug  und  Diebstahl  kamen,  um  sich  hinter  geziemendem 

^)  Aber  nachdem  es  fertiggestellt  war,  war  er  nicht  zu  bewegen,  darin  zu  leben. 
Sein  Grund  war  der  Aberglaube,  daß  die  Menschen  ihre  Häuser  nur  bauen,  um  darin 
zu  sterben. 


-  529  - 

Glanz  zu  verstecken.  Acht  Jahre  wurden  gebraucht,  um 
unter  Aufwendung  von  250  000  Dollar  auf  dem  Woodland- 
Friedhof  ein  Mausoleum  zu  erbauen  —  ein  klassisches, 
geräumiges  Marmorgrab. 

Die  Linien  werden  von  Harriman  übernommen 

Und  dort  ruhen  nun  seine  sterblichen  Reste.  Nach 
seinem  Tode  zeigte  das  Inventar  seines  Besitztums,  daß 
sein  Reichtum  wahrscheinlich  ungefähr  60  Millionen  Dollar 
betrug;  zweifellos  war  die  Summe  im  ganzen  noch  viel 
höher.  Seine  noch  lebende  Witwe  erbte  den  größten  Teil 
davon.  Aber  was  wurde  aus  der  Herrschaft  über  die  Eisen- 
bahnen und  Dampfschifflinien,  die  er  in  seiner  Gewalt 
hatte  ?  Sein  Tod  ereignete  sich  ungefähr  zu  derselben  Zeit, 
als  die  durch  Harriman  und  seine  Bankhäuser  vertretene 
Standard  Oil-Oligarchie  bei  ihrem  wachsenden  Streben  nach 
Eisenbahnbesitz,  bereit  war,  das  Eigentumsrecht  an  den 
Pacific-Eisenbahn-  und  Dampfschifflinien  zu  kaufen.  Der 
große  Überschuß  der  Standard  Oil-Finanzen  lieferte  be- 
quem die  vielen  Millionen,  die  zum  Ankauf  der  in  Mrs, 
Huntingtons  Besitz  befindlichen  Aktien  nötig  waren;  und 
die  Herrschaft  über  die  Southern  Pacific  und  andere  aus- 
gedehnte, durch  Betrug  und  Diebstahl  gebaute  und  in 
Betrieb  erhaltene  Eisenbahn-  und  Dampfschifflinien  wurde 
von  den  allmächtigen  Standard  Oil-Magnaten  angetreten. 


Siebentes  Kapitel 
DAS  WERDEN  J.  PIERPONT  MORGANS 

Badete  sich  je  ein  reicher  Mann  mehr  in  Lobpreisungen 
als  jener  siegreiche  Held  des  Geldes  neuster  Zeiten 
J.  Pierpont  Morgan?  Schon  lange  war  sein  Ruhm  nach 
allen  vier  Himmelsgegenden  ausposaunt  worden.  Sein  über- 
reiches Lob  ist  mit  einer  Übertreibung  gesungen  worden, 
die  man  bei  jedem  anderen  als  schwülstig  zurückgewiesen 

34 


-  530  - 

hätte.  Der  höchst  mächtige  Patriot  und  Bürger  von  un- 
übertroffener nationaler  Gesinnung,  der  große  Finanzmann 
und  edle  Philanthrop,  der  wunderbare  „Führer  der  In- 
dustrie", der  Beschützer  des  sozialen  Gebäudes,  der  Freund 
von  Königen  und  der  König  unter  Männern  —  das  sind 
nur  einige  ausgewählte  Verherrlichungen,  die  nur  zu  oft 
von  der  großen  Menge  ernsthaft  aufgefaßt  wurden.  Ein 
Schriftsteller  besonders,  der  verzückt  nach  einem  umfassen- 
den Huldigungsausdruck  suchte,  hat  beinahe  den  Gipfel 
der  Verehrung  erreicht,  in  dem  er  ihn  als  „Morgan,  den 
Glänzenden^)",  feierte. 

Morgans  vorzüglicher  Ruf 

Niemals  ist  er  kritischen  Bemerkungen  über  „anrüchigen 
Reichtum"  unterworfen  gewesen,  hat  auch  niemals,  wie 
Jay  Gould  seinerzeit  und  wie  Rockefeller  während  seiner 
ganzen  Laufbahn,  eine  feindliche  öffentliche  Meinung  be- 
kämpfen müssen. 

In  all  den  vielen,  immer  wiederholten,  ausgeschmückten 
Geschichten,  die  über  Morgans  Karriere  aufgebracht  wor- 
den sind,  ist  kein  Fünkchen  Wahrheit,  abgesehen  von 
einer  einzigen  unbestrittenen  Tatsache.  Unleugbar  ist  er 
einer  der  hoch  emporragenden  aggressiven  Geldfürsten 
der  Vereinigten  Staaten.  Was  besitzt  oder  beherrscht  er 
nicht  ?  Man  prüfe  den  angehäuften  Besitz,  der  ihm  allein 
oder  in  Verbindung  mit  anderen  gehörte.  Was  für  eine  ver- 
wirrende Liste!  Es  ist  anstrengend,  ein  Verzeichnis  davon 
zu  machen,  und  man  unterläßt  besser  die  Aufzählung. 
Banken  und  Eisenbahnen,  Industrieanlagen  und  Gruben, 
Ländereien,  gemeinnützige  Einrichtungen  oder  Anteile 
daran,  Dampfschiffe,  Verlagsanstalten  und  Zeitungen  — 
alle  ganz  oder  zum  Teil  sein  Eigentum. 

Nicht  ganz  ein  ^^Selfmademan** 

Morgan  ist  nicht  einer  der  Magnaten,  die  vollständig  in 
die  Rubrik  eines  „Selfmademan"  gehören. 

^)  Unter  diesem  Titel  erschien  ein  Artikel  von  einem  „populären  Schriftsteller" 
in  „Pearson's  Magazine",  Februar-Ausgabe  1908 


-  531  - 

Hier  gibt  es  einmal  eine  Abweichung  in  der  fast  unver- 
änderlichen Folge  von  Ähnlichkeiten.  Über  den  Beginn 
der  Laufbahnen  fast  aller  anderen  Multimillionäre  ist  von 
verherrlichenden  Schriftstellern  dieselbe  Geschichte  me- 
chanisch niedergeschrieben  worden:  wie  diese  Männer  als 
arme  Jungen  anfingen,  irgendwo  einen  kleinen  Laden  auf- 
machten, Geld  sparten  und  sich  allmählich  zu  Reichtum 
emporarbeiteten.  Im  neunzehnten  Jahrhundert  wurde  der 
Bezeichnung  „Selfmademan"  eine  unangebrachte  Wich- 
tigkeit beigelegt,  insofern  sie  große  persönliche  Energie  und 
Tüchtigkeit  bedeuten  sollte;  so  viel  Anerkennung  schien 
in  ihr  enthalten  zu  sein,  daß  sie  immer  als  Lob  ausgesprochen 
und  mit  Stolz  entgegengenommen  wurde. 

Dies  konnte  jedoch  von  J.  Pierpont  Morgan  nicht  gesagt 
werden.  Sein  Vater  Junius  S.  Morgan  war  ein  Millionär. 
Stufenweise  aufsteigend,  vom  Farmerjungen  zum  Kommis 
im  Schnittwarengeschäft,  zum  Bankbeamten  und  Handels- 
herrn wurde  Junius  S.  Morgan  Kompagnon  von  George 
Peabody  im  Bankgeschäft.  Als  der  Bürgerkrieg  ausbrach, 
wurden  George  Peabody  &  Co.  zu  den  finanziellen  Vertre- 
tern der  Vereinigten  Staaten  in  England  ernannt.  Gleich- 
zeitig mit  dieser  Ernennung  fing  ihr  Reichtum  plötzlich  an 
stark  anzuwachsen;  Avährend  sie  bis  dahin  Reichtümer  in 
nicht  bemerkenswert  schnellen  Etappen  angesammelt  hat- 
ten, fügten  sie  jetzt  in  sehr  wenigen  Jahren  viele  Millionen 
hinzu. 

Die  Laufbahn  des  Vaters 

Biographische  Berichte  behaupten,  daß  es  durch  recht- 
mäßige Bankoperationen  geschah,  wenn  auch  nicht  aus- 
einandergesetzt wird,  worin  diese  Operationen  bestanden. 
Aber  wenn  wir  dem  Urteil  und  der  Kritik,  die  zu  dieser  Zeit 
in  den  amerikanischen  Zeitungen  erschienen,  glauben  sollen, 
dann  waren  ihre  Operationen  nicht  nur  sehr  weit  davon 
entfernt,  rechtmäßig  zu  sein,  sondern  bewegten  sich  auf 
dem  Gebiete  lebhaftesten  Verrates.  Die  Verfassung  der 
Vereinigten  Staaten  definiert  den  Verrat  als  darin  be- 
stehend, daß  Bürger  gegen  die  Nation  einen  Krieg  beginnen 

34* 


-  532  - 

oder  dem  Feinde  Hilfe  und  Unterstützung  gewähren.  Nach 
zeitgenössischen  Schriftstellern  waren  die  Operationen  von 
George  Peabody  &  Co.  derartig,  daß  sie  nicht  nur  ver- 
räterisch, sondern  ein  doppelter  Verrat  waren,  insofern, 
als  George  Peabody  &  Co.  gerade  zu  der  Zeit,  als  sie  dem 
Feinde  hinterlistige  Hilfe  zuwendeten,  die  finanziellen  Be- 
vollmächtigten der  Vereinigten  Staaten  waren  und  sehr  gut 
bezahlt  wurden,  um  deren  Interessen  zu  fördern. 

Ein  Artikel  z.  B.,  der  im  Oktober  1866  in  dem  Spring- 
fielder  Rcpublican^)  veröffentlicht  wurde,  behauptete: 
„Denn  alle,  die  irgendetwas  von  dem  Gegenstand  wissen, 
wissen  sehr  gut,  daß  er  (Peabody)  und  seine  Teilhaber  uns 
in  unserem  Kampfe  um  die  nationale  Existenz  keine  Treue 
und  keine  Hilfe  erwiesen.  Sie  teilten  vollständig  das  all- 
gemeine Mißtrauen  der  Engländer  gegen  unsere  Sache  und 
unseren  Erfolg  und  sprachen  und  handelten  eher  im  Interesse 
des  Südens  als  für  die  Nation." 

Augenscheinlich  riefen  die  großen  wohltätigen  Stiftungen, 
die  Peabody  damals  machte,  die  Bemerkungen  über  den 
Ursprung  seines  Vermögens  hervor. 

Der  Schreiber  dieses  Artikels  sagte  weiter,  daß  George 
Peabody  &  Co.  das  Gefühl  der  Unsicherheit  steigerten  und 
daraufhin  spekulierten.  „Niemand  sonst,"  fuhr  er  fort, 
„trug  so  viel  dazu  bei,  unsere  Geldmärkte  mit  den  Scheinen 
unserer  europäischen  Schuld  zu  überfluten,  die  Preise 
zu  schädigen  und  das  finanzielle  Vertrauen  zu  unserer 
Nation  zu  schwächen,  wie  George  Peabody  &  Co.,  und 
niemand  gewann  durch  dieses  Verfahren  mehr  Geld  als  sie. 
Alles  Geld  und  noch  mehr,  das  Mr.  Peabody  so  verschwen- 
derisch für  unsere  Unterrichtsanstalten  ausgibt,  wurde,  so 

*)  Diese  Zeitung  hat  immer  den  Ruf  genossen,  außerordentlich  sorgfältig  und 
genau  zu  sein;  sie  ist  eine  der  besten  Zeitungen  der  Vereinigten  Staaten  geblieben. 
Der  Artikel  wurd«  auch  in  der  New  Yorker  „Times"  vom  31.  Oktober  1866  ver- 
öffentlicht. 

„Wir  haben  in  diesem  Lande,"  schrieb  Cloud  in  seinem  im  Jahre  1873  ver- 
öffentlichten Buch:  Monopolies  and  the  People,  „eine  Geldaristokratie,  die  sich 
hauptsächlich  aus  Männern  zusammensetzt,  die  während  des  letzten  Bürgerkrieges 
mit  dem  Unglück  ihres  Vaterlandes  spekulierten  und  unter  dem  Vorwande,  die 
Regierung  zu  unterstützen,  ihre  zwanzig,  fünfzig  und  hundert  Prozent  machten 
und  große  Vermögen  aufspeicherten,  indem  sie  die  Kriegsflut,  in  der  die  Hoffnungen 
einer  Nation  versanken,  sich  zunutze  machten."  —  S.  227. 


-  533  - 

nehmen  wir  an,  durch  die  Spekulationen  seines  Hauses  in 
unserem  Mißgeschick  gewonnen."  Ein  Schriftsteller  der 
New  Yorker  Evening  Post  stellt  in  der  Nummer  vom 
26.  Oktober  1866  dieselben  Behauptungen  auf  und  klagt 
Peabody  und  Junius  S.  Morgan  an,  ihre  Stellung  als 
finanzielle  Vertreter  der  Vereinigten  Staaten  benutzt  zu 
haben,  gerade  die  Sache  zu  untergraben,  für  deren  Ver- 
tretung sie  bezahlt  wurden,  und  aus  ihrem  Verrat  großen 
Nutzen  gezogen  zu  haben. 

Dies  sind  einige  Zeitungsurteile  aus  jener  2^it.  Ob  sie 
alle  wahr  oder  teilweise  wahr  oder  ganz  falsch  waren,  wissen 
wir  nicht;  in  den  amtlichen  Aufzeichnungen  kann  man 
keine  Bestätigung  für  sie  finden.  Die  Berichte  werden  hier 
als  das  gegeben,  was  sie  wert  sein  mögen^).  Aber  man  sollte 
sich  vergegenwärtigen,  daß  nicht  der  tausendste  Teil  von 
dem,  was  in  der  kapitalistischen  Welt  vor  sich  geht,  jemals 
seinen  Weg  in  die  amtlichen  Dokumente  gefunden  hat. 
Wenn  man  nach  den  damals  herrschenden  Zuständen  urteilt, 
ist  es  mehr  als  wahrscheinlich,  daß  die  Beschuldigungen 
durchaus  nicht  unbegründet  waren. 

DeT  Sohn 

J.  Pierpont  Morgan  war  im  Jahre  1861  ein  kräftiger  junger 
Mann,  der  eben  vierundzwanzig  Jahre  alt  geworden  war. 

*)  In  bezug  auf  eine  andere  von  Peabodys  Unternehmungen  sind  jedoch  be- 
stimmte Tatsachen  in  amtlichen  Dokumenten  niedergelegt.  Aus  diesen  Dokumenten 
scheint  beweiskräftig  hervorzugehen,  daß  Peabody  lange  Zeit  hindurch  Operationen 
ausgeführt  hat,  ähnlich  jenen,  deren  man  ihn  auch  während  des  Bürgerkrieges 
verdächtigte. 

Im  Jahre  1839  hatte  die  Chesapeake-  and  Ohio-Canal-Company  Veranlassung, 
sich  über  die  Handlungsweise  Peabodys,  der  in  London  ihr  finanzieller  Vertreter  war, 
bitter  zu  beklagen.  Das  Kapital  dieser  Gesellschaft  war  durch  Obligationen,  die  der 
Staat  Maryland  als  Pfand  für  seine  Schuld  ausgegeben  hatte,  sichergestellt.  Peabody 
verkaufte  diese  Obligationen  in  Europa  weit  unter  Pari  und  weigerte  sich,  die 
Wechsel  der  Gesellschaft  zu  honorieren,  obwohl  er  im  Besitz  großer,  ihr  gehören- 
der Summen  war.  Aus  diesem  Verfahren  zog  er  großen  Nutzen.  Er  entschuldigte 
sich  mit  der  kritischen  Lage  der  europäischen  Geldmärkte.  Die  Direktoren  der  Ge- 
sellschaft billigten  der  Form  nach  seine  Handlungsweise,  wahrscheinlich,  um  ihn 
gnädig  entwischen  zu  lassen,  freuten  sich  aber,  als  er  sein  Amt  niederlegte.  — 
U.  S.  Senate  Documents,  First  Session,  Twcnty-sixth  Congress,  1839 — 1840 
Vol.  8,  Doc.  No.  610.  Dieses  Dokument  enthält  die  ganze  Korrespondenz  zwischen 
der  Gciellschaft  und  Peabody. 


-  534  " 

,,Er  erbte  von  seinen  Eltern,"  sagt  einer  seiner  Biographen, 
„ihre  Reinheit  des  Charakters  und  ihre  ungewöhnlichen 
Fähigkeiten^)."  Diese  ihm  zugeschriebenen  erhabenen 
Tugenden  traten  nicht  besonders  hervor.  In  einem  kriti- 
schen Zeitpunkt,  als  die  Regierung  der  Union  am  nötigsten 
Soldaten  brauchte,  beliebte  es  Morgan  nicht  nur  zu  Hause 
zu  bleiben,  sondern  auch  noch  aus  dem  Verkauf  wertloser 
Flinten  zur  Bewaffnung  der  Männer,  die  dem  Ruf  zu  den 
Waffen  folgten,  Nutzen  zu  ziehen. 

Abraham  Lincoln  erließ  seine  Proklamation  mit  dem  Rufe 
nach  Freiwilligen.  Der  Kampf  war  ein  folgenschweres  Rin- 
gen nicht  nur  zwischen  Parteien,  sondern  zwischen  zwei 
widerstreitenden  kapitalistischen  Systemen.  Die  sogenann- 
ten gewöhnlichen  Leute  —  die  Fabrik-  und  Werkstätten- 
arbeiter, die  Bewohner  der  Armenquartiere,  die  Vertreter 
der  liberalen  Berufe  und  die  Farmer  —  strömten  helden- 
mütig zur  Anwerbung  herbei.  Hunderttausende  zogen 
hinaus  in  die  Lager  und  auf  die  Schlachtfelder,  um  niemals 
zurückzukommen. 

Obgleich  Morgan  körperlich  und  geistig  für  den  Militär- 
dienst wohl  geeignet  war,  ging  er  doch  jeder  Art  von 
Pflichterfüllung  aus  dem  Wege,  die  ihn  im  Gelderwerb  und 
behaglichen  Leben  stören  konnte.  Er  unterschied  sich  darin 
in  keiner  Weise  von  beinahe  allen  Männern  von  Stellung 
und  Vermögen.  Sie  beschränkten  ihren  überschwenglichen 
Patriotismus  auf  Reden  und  Fahnenschwenken,  waren  aber 
sehr  sorgfältig  darauf  bedacht,  sich  vom  Gebiete  persön- 
licher Gefahr  fernzuhalten.  Die  Reichen,  für  deren 
Interessen  die  nördlichen  Armeen  im  Grunde  fochten,  ver- 
mieden nicht  nur  als  Klasse  die  Anwerbung,  sondern  gingen 
darauf  aus,  ihre  eigenen  Armeen  zu  demoralisieren,  Un- 
tüchtigkeit  unter  ihnen  zu  verbreiten  und  den  Tod  unter 
sie  zu  säen.  Während  sie  dieses  taten  und  gleichzeitig  in 
Armeekontrakten  die  Regierung,  die  Staaten  und  die  Städte 
um  große  Summen  betrogen,  ließen  sie  das  Aushebungs- 
gesetz so  berichtigen,  daß  es  Männern  von  Vermögen  leicht 
Gelegenheit  gab,  sich  der  Konskription  zu  entziehen,  indem 
es  ihnen  erlaubte,  Stellvertreter  zu  mieten. 

^)  „America's  Succespfull  Men,"  i,  452. 


-  535  - 

Morgans  erster  Geschäftsstreich 

Das  erste  feststellbare  Geschäftsunternehmen  J.  Pierpont 
Morgans  war  einer  dieser  Armeekontrakte;  und  wenn  es 
auch  nicht  in  so  großem  Maßstabe  gehalten  war  wie  die 
älterer  Kapitalisten,  so  war  es  doch  (nach  der  herrschenden 
kapitalistischen  Auffassung  beurteilt)  ein  sehr  tüchtiger 
Streich  für  einen  jungen  Mann  von  vierundzwanzig  Jahren. 
Sein  Erfolg  ließ  in  Zukunft  viel  größere  Dinge  erwarten, 
und  in  dieser  Beziehung  wurden  Morgans  Bewunderer  nicht 
enttäuscht. 

Im  Jahre  1857  bezeichneten  die  Armeeinspektoren  eine 
große  Anzahl  Hallscher  Karabiner  als  durchaus  unbrauch- 
bar und  als  ein  veraltetes  und  gefährliches  Muster.  Die 
Regierung  verauktionierte  daraufhin  von  Zeit  zu  Zeit  große 
Mengen  davon  zum  Preise  von  je  i  bis  2  Dollar;  fünftau- 
send davon  blieben  jedoch  in  dem  in  New  York  befindlichen 
Armeearsenal  und  lagen  noch  dort,  als  der  Bürgerkrieg  aus- 
brach. 

Am  28.  Mai  1861  machte  ein  gewisser  Arthur  M.  Eastman 
aus  Manchester,  New  Hampshire,  der  Regierung  das  An- 
gebot, diese  Flinten  zu  3  Dollar  das  Stück  zu  kaufen.  Die 
Regierungsbeamten  hätten,  da  sie  die  bei  den  Armee- 
lieferungen herrschenden  großen  Betrügereien  kannten, 
bei  diesem  Angebot  wohl  Verdacht  schöpfen  können, 
zogen  aber  augenscheinlich  seine  Ehrlichkeit  nicht  in  Frage. 
Die  Flinten  wurden  zu  je  3,50  Dollar  an  Eastman  verkauft. 
Aber  entweder  fehlte  Eastman  das  Geld  zur  Bezahlung,  oder 
er  war  von  einer  im  Hintergrund  stehenden  Hauptperson 
als  Strohmann  vorgeschoben  worden.  Ein  gewisser  Simon 
Stevens^)  erschien  jetzt  auf  dem  Schauplatz  und  willigte  ein, 

^)  Die  Hausuntersuchungskommission  für  Regierungskontrakte  berichtete  im 
Jahre  1862  dem  Kongreß,  daß  Simon  Stevens  zu  der  Clique  gehöre,  die  in  die 
Zollhausbetrügereien  verwickelt  war.  Vor  dem  Jahre  1859  hatte  der  Zollcinnehmer 
des  New  Yorker  Hafens  zum  Überführen  der  Güter  in  die  behördlichen  Lager- 
häuser für  unverzollte  Waren  die  Arbeiter  und  Fuhrleute  aus  dem  Warenhause  des 
Taxators  verwendet.  Im  August  1859  schloß  Zolleinnehmer  Schell  (ein  bestechlicher 
Tammany-Politiker)  einen  Kontrakt,  wonach  das  Überführen  einigen  seiner  politi- 
schen Genossen  übertragen  wurde.  Sie  erhielten  jährlich  1 23  000  Dollar.  „Durch  diesen 
Kontrakt,"  so  berichtete  der  Vorsitzende  Van  Wyk,  „verdienten  die  Betreffenden 


-  536  - 

für  Eastman  bis  zur  Höhe  von  20  ooo  Dollar  zu  bürgen; 
diese  Summe  sollte  zur  Bezahlung  der  Flinten  verwandt 
werden;  als  doppelte  Sicherheit  nahm  Stevens  ein  Pfand- 
recht auf  die  Flinten.  Aber  von  wem  erhielt  Stevens  das 
Kapital?  Aus  den  amtlichen  und  gerichtlichen  Aufzeich- 
nungen geht  hervor:  von  J.  Pierpont  Morgan. 

Eine  große  Skandalaffäre  der  Zeit 

Der  nächste  Schritt  in  diesem  Geschäft  bestand  darin, 
daß  Stevens  am  5.  August  1861  dem  General  Fremont,  der 
in  St.  Louis  kommandierte,  telegraphisch  mitteilte,  daß  er 
fünftausend  neue  Karabiner  von  tadelloser  Verfassung  habe 
und  anfrage,  ob  Fremont  sie  nehmen  wolle.  Aus  Fremonts 
Hauptquartier  kam  die  Order,  sie  sofort  nach  dem  Haupt- 
quartier der  Armee  in  St.  Louis  zu  verschiffen.  Während 
der  ganzen  Zeit  waren  die  Karabiner  in  dem  in  New  York 
befindlichen  Arsenal  geblieben.  Als  Fremonts  Auftrag  ein- 
traf, bezahlte  Morgan  der  Regierung  die  Summe  von 
17  486  Dollar  —  3,50  Dollar  für  den  Karabiner.  Die  Flinten 
wurden  direkt  von  dem  Arsenal  nach  St.  Louis  verschifft. 
Und  welches  war  die  Summe,  die  die  Regierung  dafür  be- 
zahlen mußte?  Die  Fremont  aufgemachte  Rechnung 
lautete  auf  den  Betrag  von  22  Dollar  für  das  Stück  der 
Sendung*). 

jährlich  50  000  bis  70  000  Dollar."  Die  Kommission  zeigte,  wie  der  Kontrakt  durch 
Bestechung  erlangt  worden  war,  und  stellte  fest,  daß  Stevens  den  achten  Teil  der 
Einkünfte  erhalten  habe.  Stevens  ließ  auch  jeden  im  Zollhaus  angestellten  Beamten, 
der  etwas  gegen  den  Kontrakt  sagte,  aus  dem  Dienste  entfernen.  —  The  Congressio- 
nal  Globe,  Third  Session,  37.  Congress,  1862 — 1863,  Part  2  Appendix;  118. 

^)  Reports  of  Committees,  Second  Session,  Thirty-seventh  Congres«,  i86i  bis 

1862,  Bd.  2. 

Die  Betrügereien  in  Fremonts  Hauptquartier  in  St.  Louis  waren  ganz  besonders 
groß.  Major  McKinstry,  der  Quartiermeister  der  U.  S.  Armee  in  jener  Stadt, 
wurde  wegen  61  verschiedener  verbrecherischer  Taten  von  einem  Kriegsgericht 
verhört  und  in  26  Fällen  schuldig  befunden.  Die  Zeugenaussagen  enthüllten  sehr 
große,  auf  geheimen  Abmachungen  beruhende  Betrügereien  bei  allen  Arten  von 
Armeelieferungen.  Morgans  Flintengeschäft  wurde  jedoch  unter  den  verschiedenen 
Fällen  nicht  erwähnt.  McKinstry  wurde  aus  der  Armee  entlassen.  House  Reports, 
Committees  and  Court  of  Claims,  Third  Session,  Thirty-seventh  Congress,  1862  bis 

1863,  Report  No.  49,  i — 24. 

Daß  gewisse  Offiziere  der  Union  tatsächlich  bestochen  vsrurden,  wurde  durch 
folgende  Mitteilung  aufgedeckt,  die  Major-General  Frederick  Steele  am  26.  Juli 


-  537  - 

Dies  war  einer  der  vielen  Armeekontrakte,  die  öffentlich 
und  amtlich  als  höchst  skandalös  angesehen  wurden;  eine 
der  besonderen  Kongreßkommissionen  des  Jahres  1862  ging 
unverzüglich  an  die  Untersuchung  der  Sache.  Nachdem  sie 
umfassende  Nachforschungen  angestellt  hatte,  berichtete 
diese  Kommission: 

So  wurde  tatsächlich  der  Vorschlag  gemacht,  der  Regie- 
rung fünftausend  ihrer  eigenen  Flinten  zu  je  22  Dollar  zu 
verkaufen,  wobei,  falls  das  Anerbieten  angenommen  wurde, 
die  Absicht  bestand,  diese  Flinten  von  der  Regierung  für  je 
3,50  Dollar  zu  erlangen  ...  Es  ist  sehr  klar,  daß  sogar  das 
Kapital,  mit  dem  der  Erwerb  ausgeführt  wurde,  im  Ver- 
trauen auf  die  vorher  getroffene  Abmachung,  wieder  zu  ver- 
kaufen, geborgt  wurde.  Die  Regierung  verkaufte  nicht  nur 
an  einem  Tage  für  1 7  486  Dollar  Waffen,  die  sie  sich  am 
Tage  vorher  verpflichtet  hatte,  für  109  912  Dollar  zurück- 
zukaufen —  wobei  die  Vereinigten  Staaten  92  426  Dollar 
verloren  — ,  sondern  sie  lieferte  tatsächlich  das  Geld,  um 
selbst  die  17  486  Dollar  zu  bezahlen,  die  sie  empfing. 

Die  Regierung  weigerte  sich,  die  für  jeden  der  fünftausend 
Karabiner  verlangten  22  Dollar  an  Morgan  zu  bezahlen, 
worauf  Morgan  auf  die  Erfüllung  seiner  Ansprüche  drang. 
So  kam  der  Prozeß  J.  Pierpont  Morgan  gegen  die  Regierung 
der  Vereinigten  Staaten  in  die  gerichtlichen  Protokolle.  Er 
steht  dort  als  Fall  Nr.  97^).  Um  über  diese  Ansprüche, 
wie  über  viele  andere  ähnliche,  zu  einer  Entscheidung  zu 
kommen,  ernannte  der  Kriegsminister  eine  Kommission, 
die  von  J.  Holt  und  Robert  Dale  Owen,  dem  Sohne  des 
berühmten  Robert  Owen,  gebildet  wurde. 

1864  aus  Little  Rock  Ark.  an  Major-General  E.  R.  S.  Canby,  der  die  Militär-Division 
von  West-Mississippi  befehligte,  schickte: 

„General,  Ihre  Mitteilung  über  Bestechung  unter  den  Offizieren  meines  Kom- 
mandos ist  soeben  eingetroffen.  Wenn  Bestechungsgclder  angenommen  worden  sind, 
muß  es  durch  Vermittler  geschehen  sein.  Ich  bin  überzeugt,  daß  die  Offiziere 
nichts  davon  wissen.  General  Marcy,  der  Inspektionsgeneral,  ist  in  Fort  Smith,  um 
die  Sache  zu  untersuchen.  Carr  ist  Hauptqu^rtiermeister  meines  Korps  und  ist 
Oberstleutnant.  Brigadegeneral  J.  W.  Davidson  hat  Carr  bei  jeder  Gelegenheit 
verleumdet ...  Er  hätte  Belege  über  Bestechung  seiner  eigenen  mit  der  Kassen- 
verwaltung beauftragten  Offiziere  haben  können,  wenn  er  sie  gewünscht  hätte. 
Ich  habe  solche  Belege  gesehen."  —  House  Miscellaneous  Documents,  Second 
Session,  52.  Congress,  1892 — 1893  (Rebellion  Record  Series  I,  Bd.  41),  S.  401. 

^)  Ebenda  64 — 72. 


„  538  - 

In  ihrem  Bericht  vom  i.  JuH  1862  stellt  diese  Kommission 
fest,  daß  ihr  104  Fälle  von  Forderungen  an  den  Staatsschatz 
bis  zur  Höhe  von  50  Millionen  Dollar  zugewiesen  worden 
seien  und  daß  sie  17  Millionen  Dollar  davon  als  übertrieben 
und  betrügerisch  ausgeschaltet  habe^).  In  bezug  auf  Mor- 
gans Anspruch  erklärte  sie,  daß  General  Fremont  nicht  das 
Recht  gehabt  habe,  den  Kontrakt  für  die  Lieferung  der 
Flinten  abzuschließen  daß  sie  aber  aus  der  Tatsache,  daß 
die  Waffen  in  den  Dienst  der  Armee  übergegangen  seien, 
eine  rechtliche  Verpflichtung  der  Regierung  anerkenne. 
Als  besten  Ausweg  aus  dem  schlimmen  Handel  bestimmte 
sie,  daß  Morgan  mit  13,31  Dollar  für  den  Karabiner  be- 
zahlt werden  solle,  und  sie  wies  darauf  hin,  daß  selbst  bei 
diesem  Preise  Morgan  und  Stevens  so  ständen,  daß  sie 
49  000  Dollar  über  den  Preis  erhielten,  für  den  ihnen  von 
den  Vereinigten  Staaten  die  Flinten  verkauft  worden 
waren  ^).  Nach  dieser  Entscheidung  wurden  von  der  Re- 
gierung im  ganzen  55  550  Dollar  an  Morgan  gezahlt,  was 
nur  als  Abschlagssumme  angenommen  wurde. 

Diese  Regelung  entsprach  nicht  den  Ansprüchen.  Das 
ganze  Pfund  Fleisch  wurde  verlangt.  Eine  Klage  auf 
Zahlung  von  weiteren  58  000  Dollar  wurde  beim  Be- 
schwerdehof in  Washington  eingebracht.  Dieses  Mal  wurde 
der  Fall  als  Simon  Stevens  gegen  die  Regierung  der  Ver- 
einigten Staaten  bezeichnet.  In  der  Darlegung  des  Falles 
vor  Gericht  wurde  Nachdruck  auf  die  Tatsache  gelegt, 
daß  nach  Aussage  der  Regierung  die  Karabiner  von  dem 
von  der  Regierung  beauftragten  Artillerieoffizier  unter- 
sucht und  für  unbrauchbar  erklärt  worden  seien.  Richter 
Peck  sagte,  als  er  die  Entscheidung  aussprach:  „Nach 
einer  Vereinbarung  zwischen  Stevens  und  einem  gewissen 
J.  Pierpont  Morgan  sollte  die  Zahlungsanweisung  für  die 
ersten  2500  gelieferten  Karabiner  auf  den  Namen  Morgan 
ausgestellt  werden,  was  auch  geschah;  die  besagte  Anwei- 
sung wurde  von  dem  Artilleriehauptmann  der  Armee  der 
Vereinigten  Staaten  F.  D.  Cadwallader  unterzeichnet  und 

^)  Reporte  of  Committees,  Second  Session,  37.  Congress,  1861  bis  1862,  Bd.  2,  77. 

2)  Ebenda  75. 

')  Court  of  Claims  Report  II,  98  usw. 


_   539  - 

lautete  auf  die  Summe  von  55  550  Dollar.  Nach  einer  wei- 
teren Vereinbarung  kam  diese  Anweisung  in  die  Hände  der 
Herren  Ketchum,  Sohn  &  Co."  Diese  Zahlungsanweisung 
wurde  ungefähr  am  10.  September  1861  honoriert.  Die 
anderen  2500  Flinten,  sagte  der  Gerichtshof,  waren  von 
Fremont  ebenfalls  in  Empfang  genommen  worden^). 

Gerichtshöfe  veranlassen  die  Regierung,  zu  zahlen 

Erhielten  Morgan  und  seine  Genossen  von  der  Regierung 
alles,  was  sie  verlangten  ?  Ja,  sie  erhielten  es.  Richter  Peck 
war  der  Ansicht,  daß  Fremont,  wenn  er  eingewilligt  habe, 
die  Flinten  zu  kaufen,  einen  für  die  Regierung  bindenden 
Kontrakt  abgeschlossen  habe,  und  Kontrakt  sei  Kontrakt. 
Der  Gerichtshof  nahm  keine  Kenntnis  von  der  Tatsache, 
daß  die  wertlosen,  für  untauglich  erklärten  Flinten  als  neu 
bezeichnet  worden  waren,  zog  auch  nicht  in  Betracht, 
daß  das  Geld,  mit  dem  sie  von  der  Regierung  gekauft 
worden  waren,  tatsächlich  Regierungsgeld  gewesen  war. 
Er  sprach  Stevens  in  dem  Urteil  gegen  die  Regierung 
58  175  Dollar  zu. 

Infolge  dieser  besonderen  Entscheidung  konnte  die  Re- 
gierung jetzt  geltend  machen,  daß  sie  gegen  die  Horde  der 
Kontrahenten  schutzlos  sei,  die  die  Beamten  durch  Be- 
stechung dazu  gebracht  hätten,  beschädigte  Schiffe  und 
mangelhafte  Panzerung,  wertlose  Gewehre  und  Kleider  aus 
Lumpenwolle,  dünne  Zelte,  Decken  und  Schuhe  und  Futter- 
beutel, die  in  Stücke  zerfielen,  verdorbene  Nahrung  und 
ähnliche  Ausrüstungsgegenstände  und  Vorräte  anzunehmen. 
Kein  einziger  dieser  Betrüger  kam  ins  Gefängnis  oder  wurde 
auch  nur  damit  bedroht. 


*)  Ebenda  99.  Für  die  Regierung  der  Vereinigten  Staaten  eintretend,  sagte 
der  Hilfsanwalt  der  Vereinigten  Staaten  vor  dem  Gerichtshof: 

„Die  Waffen  wurden  von  Arthur  M.  Eastman  von  den  Vereinigten  Staaten  für 
yit  Dollar  das  Stück  gekauft,  weil  sie  von  dem  Artillerieoffizier  untersucht  und 
für  unbrauchbar  erklärt  worden  waren.  Sie  wurden  von  Eastman  an  den  Kläger  für 
12'/»  Dollar  das  Stück  verkauft,  und  der  Kläger  verkaufte  sie  sofort  an  General 
Fremont  für  22  Dollar  das  Stück.  Der  Regierungspreis  für  neue  Waffen  dieser 
Art,  sofern  sie  von  guter  Qualität  und  für  den  Gebrauch  geeignet  sind,  betrug 
17^/,   Dollar."    -  Ebenda  98. 


-  540  - 

Dies  war  in  Wahrheit  der  Beginn  von  J.  Pierpont  Morgans 
geschäfdicher  Laufbahn;  die  Tatsachen  finden  sich  unver- 
rückbar und  unangreifbar  in  den  gerichtUchen  Protokollen. 
Von  dieser  Art  waren  die  „Patrioten",  zu  denen  er  und  seine 
kapitalistischen  Genossen  gehörten;  doch  füttern  seitdem 
und  heute  mehr  als  je  Geistlichkeit  und  Politiker  und  seichte, 
kriecherische  Schriftsteller  das  Publikum  beständig  mit 
Fabeln,  die  sämtlich  Morgans  schrankenlose  Wohltätigkeit 
und  seinen  erhabenen  Patriotismus  dartun  sollen^). 


Achtes  Kapitel 
DAS  AUFBLÜHEN  VON  MORGANS  VERMÖGEN 

Groß  ist  Mr.  Morgans  Macht,  größer  in  mancher  Hin- 
sicht noch  als  die  eines  Präsidenten  oder  Königs", 
so  schrieb  ein  akklimatisierter  englischer  Beobachter  vor 
einigen  Jahren 2),  eine  Tatsache,  die  selbst  für  den  nur  ge- 
legentlich Hinblickenden  offenkundig  ist  und  leicht  un- 
widersprochen bleibt.  Wer  kann  in  der  Tat  ihre  Wahrheit 
bestreiten  ?  Über  alle  Rechtsformen  und  Beamte,  über  die 
höchsten  Volksvertretungen  und  Gerichtshöfe,  über  Ge- 
setze und  Verfassungen,  über  85  Millionen  amerikanischen 
Volkes  weit  hinaus  ragt  dieser  eine  Mann  empor  im  festen 
Besitz  einer  Macht,  die  ebenso  ungeheuer  wie  verhängnis- 
voll ist. 

Die  Albany-  und  Susquehanna-Eisenbahn^),  die  jetzt  einen 
Teil  der  Delaware-  und  Hudson-Eisenbahn  bildet,  war  mit 

*)  Zum  Beispiel  ein  Artikel  mit  der  Überschrift:  „Cleveland's  Opinion  of  Men", 
in  „IVIcCIures'  Magazine",  Aprilnummer  1909.  Der  Schreiber  des  Artikels  erzählt, 
daß  Cleveland,  der  mehrmals  Präsident  der  Vereinigten  Staaten  war,  im  Jahre  1894, 
als  eine  Ausgabe  von  Obligationen  vorbereitet  wurde,  von  Morgans  Benehmen  gesagt 
habe :  „Ich  sah  auch,  daß  es  bei  ihm  nicht  nur  eine  geschäftliche  Angelegenheit  war, 
sondern  ein  klar  sehender,  weitblickender  Patriotismus.  Er  schaute  nicht  nach  per- 
sönhchem  Vorteil  aus,  sondern  saß  da  als  großer  politischer  Bankier,  mit  mir  und 
meinen  Ratgebern  Maßregeln  zur  Abwendung  einer  Gefahr  überlegend,  entschlossen, 
in  einer  ernsten  und  gefährlichen  Krisis  sein  Bestes  zu  tun." 

')  A.  Maurice  Low  in  „The  Independent",  Ausgabe  vom  30.  Oktober  1902. 

s)  Siehe  Railroad  Investigation  of  the  State  of  New  York,  1879.  Poor's  Railroad 
Manual  of  the  United  States  für  1869 — 70  berichtet:  »Der  Bau  die«er  Bahn  ist  in 


-  541  - 

öffentlichem  Gelde  gebaut  worden,  das  den  Kassen  des 
Staates  New  York  und  anderer  Kreise  und  Stadtbezirke 
in  jenem  Staate  entnommen  worden  war.  Von  den  45  Millio- 
nen Dollar,  die  dem  Schatze  des  Staates  New  York  für  den 
Bau  von  Eisenbahnen  entzogen  worden  waren,  ist  wenig- 
stens I  Million  Dollar  der  Konstruktion  der  Albany-  und 
Susquehanna-Eisenbahn  zugewendet  worden. 

Die  üblichen  Diebereien  begleiteten  ihren  Bau;  große 
Summen  wurden  durch  alle  möglichen  „Grabschereien" 
gestohlen ;  und  wie  bei  der  Erie-Eisenbahn  und  vielen  an- 
deren Bahnen  wurde  der  Staat  um  einen  großen  Teil  seiner 
Darlehen  betrogen.  Dann  erhöhte  die  herrschende  Kapita- 
listengruppe das  Aktienkapital  der  Albany  und  Susque- 
hanna  nominell  und  benutzte  es  zu  Spekulationszwecken, 
bis  diese  Kapitalisten  durch  andere  verdrängt  wurden, 
die  ihre  Machenschaften  in  größerem  Umfange  wiederholten. 
Der  Hauptwert  dieser  Eisenbahn  lag  darin,  daß  sie  mit  dem 
Kohlengrubengebiet  von  Pennsylvania  in  direkter  Ver- 
bindung stand. 

Zwei  konkurrierende  Kapitalistenparteien  stürzten  jetzt 
herbei,  um  sie  in  ihre  Gewalt  zu  bekommen.  Die  eine 
Gruppe  wurde  von  Gould  und  Fisk  geführt,  die  andere  von 
J.  Pierpont  Morgan.  Die  älteren  Kapitalisten  sahen  mit 
äußerstem  Erstaunen,  wie  diese  jungen  Männer  kühn  um  den 
Besitz  eines  wertvollen  Eisenbahnnetzes  kämpften,  an  dessen 
Bau  keine  der  beiden  Gruppen  irgendeinen  Anteil  gehabt 
hatte.  Der  alte  Kommodore  Vanderbilt  sah  es  mit  einer 
Mischung  von  Bewunderung  und  Neid.  Gould  war  erst 
33  Jahre  alt  und  Morgan  31.  Jede  Partei  kaufte  so  viele 
Aktien,  wie  sie  konnte ;  Gould  mit  dem  Ertrag  seiner  Dieb- 
stähle und  Morgan  möglicherweise  mit  dem  Ertrag  von 
Unternehmungen  von  der  Art  des  Fhntenverkaufs  zum 
Beispiel.  Die  Wahlen  der  Aktionäre  führten  zu  tumultuari- 
schen  Szenen;  jede  Partei  beanspruchte  die  Wahl  ihres 
eigenen  Direktoriums  und  beschuldigte  die  andere  der  gröb- 
sten Betrügereien. 

hohem  Maße  durch  das  vom  Staate  bewilligte  Geld  unterstützt  worden;  die  dafür 
auegegebenen  Suramen  (i  Million  Dollar  alles  in  allem)  erscheinen  nicht  in  den 
Hauptabreclinungen." 


-  542  - 

Ganz  wie  es  sich  gehörte,  wurde  der  Kampf  bis  vor  das 
Gericht  gebracht.  Einundzwanzig  verschiedene  Prozesse 
wurden  von  Gould  und  Fisk  angestrengt  und  ein  ganzes 
Bündel  gerichtHcher  Verbote  dadurch  erlangt.  Die  Morgan- 
Partei  focht  heftig  dagegen.  Aber  solange  der  juristische 
Kampf  sich  auf  die  Gerichtshöfe  der  Stadt  New  York 
beschränkte,  war  der  Sieg  Goulds  und  Fisks  sicher.  Und 
zwar  darum,  weil  Richter  des  obersten  Gerichtshofes,  wie 
Barnard  und  Cardozo,  früher  Werkzeuge  Vanderbilts, 
jetzt  Goulds  Sklaven  waren  und  alles  taten,  was  er  befahl. 

Sehr  bald  trat  eine  erbauliche  Situation  ein.  Jede  Partei 
war  so  leidenschaftlich  entschlossen,  die  andere  hinaus- 
zustoßen, daß  die  Eisenbahn  in  einen  Zustand  vollständiger 
Unordnung  geriet  und  nicht  mehr  in  Betrieb  erhalten 
werden  konnte.  Das  Volk  war,  nachdem  es  i  Million 
Dollar  öffentlichen  Geldes  für  ihren  Bau  ausgegeben  hatte, 
gezwungen,  zuzusehen,  wie  die  beiden  Parteien,  von  denen 
keine  einen  Dollar  für  ihren  Bau  angelegt  hatte,  das  Eigen- 
tumsrecht beanspruchten  und  einander  mit  gerichtlichen 
Befehlen  und  Verboten  in  den  Weg  traten. 

Der  Ausgang  war  zweifelhaft,  blieb  es  aber  nicht  sehr 
lange.  Gould  und  Fisk  wurden  auf  kluge  Weise  ver- 
leitet, einen  Kontrakt  zu  schließen,  der  in  der  Folge  zu 
ihrer  vollständigen  Niederlage  führte.  Der  Kontrakt  hatte 
folgenden  Inhalt:  Die  beiden  streitenden  Parteien  hätten, 
da  sie  zu  keiner  Einigung  kommen  konnten,  im  gegen- 
seitigen Übereinkommen  beschlossen,  Gouverneur  Hoff- 
mann schriftlich  mitzuteilen,  daß  es  unausführbar  ge- 
worden sei,  die  Eisenbahn  in  Betrieb  zu  erhalten,  und  daß 
daher  die  Einsetzung  eines  Staatsbeamten  erwünscht  sei,  der 
sie  bis  zur  Neuwahl  von  neuen  Direktoren  leiten  solle.  Diese 
Mitteilung  wurde  am  1 1 .  August  1 869  an  Gouverneur  Hoff- 
mann geschickt,  und  ihre  Vorschläge  woirden  angenommen. 

Beide  Parteien  des  Betruges  angeklagt 

Weniger  als  einen  Monat  später  wurden  gesonderte 
Wahlen  abgehalten;  wieder  beanspruchte  jede  Partei,  daß 
ihre  Direktoren  gewählt  würden.  Weitere  Prozesse  folgten. 


-  543  - 

Gould  und  Fisk  klagten,  daß  Ramsey,  der  Präsident  der 
Eisenbahn,  3000  Anteilscheine  für  die  Morgan-Partei  un- 
rechtmäßig ausgegeben  habe,  und  verlangten  die  Un- 
gültigkeitserklärung dieser  Emission.  Morgan,  Samuel 
Sloan  und  andere  der  Gegenpartei  rächten  sich  mit  Anklagen, 
daß  Gould  und  Fisk  Gewalt  und  Betrug  angewandt  hätten. 
Nun  trat  der  Staat  New  York  dazwischen  und  strengte  durch 
einen  Anwalt  einen  Prozeß  gegen  beide  Parteien  an.  Der 
Staat  erhob  die  Beschuldigung,  daß  beide  Wahlen  der  Aktio- 
näre ungesetzlich,  unregelmäßig  und  ungültig  gewesen, 
daß  falsche  Stimmen  mitgezählt  worden  seien,  und  sie 
auch  in  anderer  Beziehung  voll  Betrug  wären  ^).  Der 
Staat  verlangte  ein  Verbot,  das  beide  Vorstände  an  der 
Besitzergreifung  hindern  sollte. 

Der  Fall  kam  im  November  1869  i^och  einmal  vor  Richter 
Darwin  Smith  im  obersten  Gerichtshof  zu  Rochester,  N.  Y. 
Gould  und  Fisk  befanden  sich  sehr  im  Nachteil.  In  der 
Stadt  New  York,  mit  den  ihnen  zur  Verfügung  stehenden 
erkauften  Richtern,  konnten  sie  den  Entscheidungen  vor- 
arbeiten, aber  in  Rochester  befanden  sie  sich  auf  einem  Ge- 
biet, wo  die  Macht  konkurrierender  Magnaten  stark  be- 
festigt war.  Richter  Smiths  Entscheidung  fiel  durchaus 
zugunsten  der  von  J.  Pierpont  Morgan  geleiteten  Kapita- 
listengruppe aus,  und  die  Älbany-  und  Susquehanna-Eisen- 
bahn  ging  in  ihren  Besitz  über  2). 

Dies  scheint  J.  Pierpont  Morgans  erster  Eintritt  in  das 
Eisenbahngeschäft  gewesen  zu  sein,  in  dem  er  später  eine 
so  mächtige  Rolle  spielen  sollte.  Von  nun  an  waren  beinahe 
30  Jahre  lang  —  bis  die  Periode  der  Organisation  industrieller 
Truste  einsetzte  —  Bankgeschäfte  und  die  sogenannte  „Reor- 
ganisation von  Eisenbahnen"  seine  Hauptunternehmungen. 

Die  beiden  Unternehmungen  arbeiteten  gut  zusammen. 
Mit  Hilfe  von  erschlichenen  Finanzgesetzen  zwangen 
die  internationalen  wie  die  nationalen  Bankiers  das  Volk 
der    Vereinigten    Staaten    durch    seine    Regierung,    ihnen 

*)  Lanzings  Reports,  New  York  Supreme  Court,  i,  308  etc.  Die  in  der  Ent- 
scheidung enthaltene  Darstellung  des  Falles  erwähnt  häufig  die  Partei,  „an  deren 
Spitze  J.  Pierpont  Morgan  stand". 

*)  Siehe  The  People  of  the  State  of  New  York.  The  Albany  and  Susquehanna 
Railroad  Company,  Lanzings  Reports  N.  Y.  Supreme  Court  i,  308 — 34";. 


-   544  " 

Kapital  zu  geben,  mit  dem  sie  Eisenbahnen  und  anderes 
Eigentum  aufkaufen  konnten^).  Wir  haben  das  in  den  Ver- 
einigten Staaten  während  des  Bürgerkrieges  und  unmittel- 
bar darauf  herrschende  Finanzsystem  schon  beschrieben :  wie 
dem  Volke  Steuern  in  Höhe  von  i8  bis  20  Millionen  im 
Jahre  auferlegt  wurden,  damit  die  Bankiers  und  andere 
Obligationeninhaber  ihre  jährlichen  Zinsen  erhielten. 

Gesetzgebung  zur  Begünstigung  des  Raubes 

Aber  die  während  des  Bürgerkrieges  erlassenen  außer- 
ordentlichen Finanzgesetze  waren  nur  die  Vorläufer  anderer, 
in  späteren  Jahren  durch  die  Bankiers  und  die  aUgemeine 
Klasse  der  Gläubiger  veranlaßten  Gesetze,  durch  welche 
diese  ihr  Vermögen  und  ihre  Macht  sofort  bedeutend  ver- 
mehrten und  in  den  Stand  gesetzt  wurden,  den  Produzenten 
noch  viel  wirksamer  als  vorher  die  Daumenschrauben  an- 
zulegen. 

Das  bemerkenswerteste  dieser  Gesetze  war  das  am 
12.  Februar  1873  im  Kongreß  durchgebrachte,  das  die  Ent- 
thronung des  Silbers  als  Münze  tatsächlich  durchführte. 
Dies  war  derselbe  Kongreß,  der  mit  i  Million  Dollar  be- 
stochen wurde,  um  ein  Gesetz  zu  erlassen,  das  der  Pacific- 
Dampfschiffsgesellschaft  weitere  5  Millionen  Dollar  Sub- 
sidien  gewährte.  Die  Vorlage  über  die  Demonetisierung  des 
Silbers  wurde  durch  eine  Umgehung  durchgebracht;  mit 
keinem  Worte  wurde  darin  die  Ausschaltung  des  Silbers  er- 
wähnt, nur  wenige  wußten,  was  sie  bedeutete.  Es  war  eine 
der  geschicktesten  Gesetzesvorlagen,  die  jemals  im  Kongreß 
durchgebracht  worden  sind,  und  erst  nachdem  sie  Gesetz 
geworden  war,  fing  man  an,  ihre  geheimen  Bestimmungen  zu 
verstehen. 

1)  Im  geheimen  haben  die  Rothschilds  schon  lange  einen  mächtigen  Einfluß 
ausgeübt,  indem  sie  die  amerikanische  Finanzgesetzgebung  in  Händen  hielten.  Die 
gesetzlichen  Protokolle  zeigen,  daß  sie  in  der  alten  Bank  der  Vereinigten  Staaten 
mächtige  Personen  waren.  August  Belmont  &  Co.  waren  ihre  amerikanischen  Ver- 
treter. Im  Jahre  1873  schätzte  man,  daß  375  Millionen  Dollar  amerikanische  Eisen- 
bahnpapiere außerhalb  de«  Landes  seien,  hauptsächlich  im  Besitz  ausländischer 
Bankiers.  Der  Schlußbericht  der  Industriekommission  vom  Jahre  1902  (siehe  S.  404 
des  Berichtes)  schätzte  die  Höhe  dieser  im  Besitze  fremder  Bankhäuser  und  sonst 
im  Ausland  befindlichen  Wertpapiere  auf  ungefähr  3  loo  000  000  Dollar. 


T  545  - 

Die  Mittelklasse  wurde  hart  getroffen;  der  Geldvorrat 
schrumpfte  sofort  zusammen,  die  Kaufkraft  des  Goldes 
wurde  erhöht  und  das  Übergewicht  der  großen  Kapitalisten 
und  Bankinstitute  über  die  Klasse  der  kleinen  Besitzer 
wurde  bedeutend  vermehrt.  Dies  Gesetz  wurde  ungefähr 
zu  derselben  Zeit  durchgebracht,  als  der  erste  Trust,  die 
Standard  Oil-Company,  sich  bildete,  um  der  Lehre  vom 
freien  Wettbewerb  im  Handel  den  Todesstoß  zu  versetzen 
und  den  Vermittler  im  Geschäftsleben  zu  vernichten.  Das 
war  für  den  Mittelstand  nach  seiner  langen  Herrschaft  ein 
trauriger  Tag. 

Die  Vertreter  des  Mittelstandes  im  Kongreß  und  in 
anderen  Körperschaften  begannen  jetzt  eine  Agitation,  die 
mehrere  Jahre  dauerte^).  Sie  erhoben  die  Beschuldigung, 
daß  die  Entwährung  des  Silbers  durch  das  Komplott  John 
Shermans  und  einiger  anderer  bedeutender  Kongreßmit- 
glieder mit  den  Finanziers  von  Wallstreet  und  Europa  zu- 
stande gekommen  sei.  In  der  Tat  sind  die  Bände  der  „Kon- 
greßprotokolle" jener  Jahre  der  Reihe  nach  voll  von  Reden, 
in  denen  diese  Beschuldigung  immer  und  immer  wieder  vor- 
gebracht wird.  Aber  das  Gesetz  bestand;  und  was  den 
Mittelstand  noch  mehr  reizte,  John  Sherman,  der  so  heftig 
als  Verräter  und  als  Mietling  der  Bankiers  angeklagt  worden 
war,  wurde  wenige  Jahre  später  zum  Finanzminister  der 
Vereinigten  Staaten  ernannt.  Von  jener  Zeit  an  traten  die 
nationalen  und  internationalen  Bankiers  immer  unverhüllter 
als  direkte  Diktatoren  in  der  Finanzgesetzgebung  und  der 
Politik  der  Vereinigten  Staaten  auf. 

Die  große  Emission  von  Staatspapieren  des  Jahres  1877, 
die  den  Bankiers  kolossalen  Vorteil  brachte,  folgte  auf 
Shermans  Ernennung.  Ehe  wir  uns  jedoch  dieser  denk- 
würdigen Transaktion  zuwenden,  wird  es  gut  sein,  einen 
flüchtigen  Blick  auf  Morgans  mannigfache  Tätigkeiten  und 
ihre  Art  zu  werfen.  Die  erste  Firma,  deren  Teilhaber 
Morgan  wurde,  war  die  Firma  Dabney,  Morgan  &  Co., 
wie   man   sich  erinnern  wird,   eines   der  Bankhäuser,  die 

*)  Die  Millionäre,  denen  die  Silberminen  des  Westens  gehörten,  waren,  obgleich 
man  sie  nicht  zum  Mittelstände  rechnen  kann,  die  Führer  dieser  Agitation.  Eigenes 
Interesse  trieb  sie  dazu. 

3S 


-  546  - 

an  der  bekannten  Kansas  Pacific-Eisenbahn-Anleihe  be- 
teiligt waren.  Diese  Anleihe  wurde  von  den  Leuten,  die 
Geld  anlegen  wollten,  hauptsächlich  im  Hinblick  auf  eine 
Landbewilligung  von  3  Millionen  Morgen  in  Kansas  und 
Colorado  begehrt,  die  die  Kansas  Pacific-Eisenbahngesell- 
schaft  von  dem  Kongreß  durch  Bestechung  erlangt  hatte 
und  die  den  Anfang  von  nicht  nur  einer,  sondern  von  vielen 
aufeinanderfolgenden  Betrügereien  und  Räubereien  bildete. 
Morgan  konnte  —  und  soweit  die  landläufige  Auffassung 
ging,  mit  Recht  —  behaupten,  daß  es  ein  „rechtmäßiges 
Bankverfahren"  sei,  diese  Anleihe  auf  den  Markt  zu  bringen ; 
aber  die  Tatsache,  daß  kein  Bankier  es  ablehnte,  aus  der 
Finanzierung  von  Unternehmungen  Nutzen  zu  ziehen,  die, 
nach  seinem  Wissen,  mit  Bestechung  und  Betrug  begonnen 
und  ebenso  fortgesetzt  wurden,  gibt  eine  sehr  klare  Vor- 
stellung von  der  in  den  kapitalistischen  Klassen  herrschenden 
Moral  und  Ethik. 

Die  große  Obligationenausgabe  des  Jahres  i8yy 

Morgan  wurde  dann  Teilhaber  der  Firma  Drexel, 
Morgan  &  Co.  Er  fing  an,  sich  bei  sehr  großen  geschäft- 
lichen Unternehmungen  hervorzutun.  Eine  dieser  Unter- 
nehmungen bestand  darin,  daß  er  die  Ausgabe  der  260  Millio- 
nen Dollar  amerikanischer  Staatspapiere  vom  Jahre  1877  auf 
den  Markt  brachte.  Es  genüge,  wenn  wir  sagen,  daß  man 
diese  Ausgabe  von  Staatspapieren  allgemein  und  nicht  ohne 
volle  Berechtigung  als  einen  der  allerschlimmsten,  jemals 
bekannt  gewordenen  Fälle  betrachtete,  wie  das  Volk  an 
einige  wenige  Bankiers  verraten  wurde.  Der  Verkauf  der 
Papiere  wurde  den  folgenden  Bankhäusern  zugeteilt: 
August  Belmont,  den  Rothschilds,  J.  und  W.  Seligmann 
Brothers  und  Drexel,  Morgan  &  Co.  in  London.  Dieses 
Syndikat  verkaufte  die  Papiere  sofort  mit  einem  Aufschlag 
von  I  bis  4  Prozent  über  den  Preis,  den  es  der  Regierung  ge- 
zahlt hatte.  DerGewinn  des  Syndikats  ging  über  10  Millionen 
Dollar  hinaus.  Von  Drexel,  Morgan  &  Co.  allein  glaubte 
man,  daß  sie  einen  Reingewinn  von  5  Millionen  Dollar 
,, gemacht"  hatten.  Ihre  ganze  Tätigkeit  bestand  einzig  und 


-  547  - 

allein  darin,  als  konzessionierte  uhternehmende  Vermittler 
für  eine  Regierung  zu  handeln,  die  über  diese  Papiere  auch 
ohne  Zwischenhändler  hätte  verfügen  können.  Außerdem 
konnten  die  beteiligten  Bankiers  die  Papiere  für  sich  selbst 
zu  Vorzugspreisen  kaufen  und  dann  durch  die  verbündeten 
Landesbanken  die  übliche  Praxis  durchführen,  doppelte 
Zinsen  einzuziehen  —  einmal  Zinsen  von  der  Regierung 
und  zweitens  Zinsen  für  das  auf  Grund  derselben  Papiere 
ausgegebene  Bargeld^). 

Diese  Unternehmungen  umfaßten  augenscheinhch  nur 
einen  Teil  von  Morgans  mannigfacher  Tätigkeit  in  den 
Jahrzehnten,  die  dem  Bürgerkriege  folgten;  man  kann  wohl 
überzeugt  sein,  daß  er  zur  selben  Zeit  in  eine  Menge  rein 
privater  Geschäfte  verwickelt  war,  deren  Einzelheiten 
niemals  öffentlich  bekannt  wurden.  Selbst  von  seinen 
öffentlich  bekannten  Unternehmungen  sind  die  in  den 
gerichtlichen  Protokollen  niedergelegten  Tatsachen  mehr  An- 
deutungen als  wirkliche  und  vollständige  Berichte  über  die 
zugrundeliegenden  Umstände.  Die  Bankiers  und  Ge- 
schäftsleute hatten  allen  Grund,  ihre  Angelegenheiten  mit 
der  größten  Heimlichkeit  zu  umgeben,  besonders  wenn 
diese  Angelegenheiten  in  irgendeiner  Weise  mit  der  Ver- 
wertung amtlicher  Tätigkeit  für  eigene  Zwecke,  mit  dem 
verdächtigen  Erlaß  parteiischer  Gesetze  oder  der  Über- 
tretung von  Gesetzen  zusammenhingen.  Der  ganze  Kauf- 
mannsstand wurde  von  dem  Gedanken  geleitet,  das  Pu- 
blikum soviel  wie  möglich  im  Dunkeln  zu  lassen;  und  selbst 
wenn  die  üblichen  gesetzlichen Untersochungskommissionen, 
von  höchster  Gesetzesmacht  umgeben,  nur  die  an  der 
Oberfläche  liegenden  Tatsachen  auf  milde  Art  festzustellen 
suchten,  ohne  zu  sehr  in  die  Tiefe  zu  gehen,  stießen  sie 
der  Regel  nach  bei  jeder  Wendung  auf  Hindernisse. 

Wurden  Tatsachen  öffentlich  bekannt,  so  geschah  dies 


k 


^)  Die  skandalösen  Umstände  dieser  Obligationsausgabe  verursachten  Im  ganzen 
Lande  lebhafte  Erregung  und  riefen  Im  Kongreß  hitzige  Debatten  hervor.  Am 
24.  Januar  1879  nahm  der  Senat  der  Vereinigten  Staaten  einen  Vorschlag  an,  den 
Finanzminister  Sherman  um  Aufklärung  zu  ersuchen  über  die  angeblich  von  Banken 
und  Syndikaten  erhobenen  doppelten  Zinsen.  —  Siehe  Senate  Executive  Docu- 
ment,  No.  9,  1879. 

35* 


-  548  - 

zufällig  und  trotz  aller  Anstrengungen  der  betreffenden 
Magnaten,  sie  zu  vertuschen.  Manchmal  versorgten  er- 
bitterte Konkurrenten  die  Untersuchungskommissionen  mit 
Enthüllungen;  bei  anderen  Gelegenheiten  versuchte  ein 
Magnat  den  andern  bei  der  Verteilung  der  Beute  zu  be- 
trügen oder  auf  seine  Kosten  Vorteile  zu  erlangen,  und  dann 
pflegte  man  den  Streit  vor  Gericht  zu  bringen,  wobei 
wenigstens  einige  bemerkenswerte  Punkte  aufgedeckt  wur- 
den. Es  kann  nicht  stark  genug  betont  werden,  daß  auf  jede, 
von  Untersuchungskommissionen  und  Staatsbeamten  gegen 
Kapitalisten  erhobene  Anklage  der  Unehrlichkeit  und  Be- 
stechung hundert  solche  Anklagen  von  Kapitalisten  selbst 
ausdrücklich  gegen  ihren  eigenen  Stand  vorgebracht  wurden, 
eine  Tatsache,  die  durch  die  umfangreichen  gerichtlichen 
Protokolle  von  der  ersten  Zeit  der  Regierung  der  Vereinig- 
ten Staaten  an  bis  zur  Gegenwart  überreich  bestätigt  wird. 

Morgan  und  William  H.  Vanderbilt 

Morgan  hatte  es  nicht  nötig,  sich  um  das  „Vertrauen" 
irgendeines  anderen  zu  bewerben;  er  war  ein  grausamer, 
angriffslustiger  Finanzmann,  von  herrischer,  ja  leidenschaft- 
licher Natur  und  von  großer  Macht  auf  seinem  eigenen 
Gebiete  —  dem  Bankgeschäft.  Sein  Charakter  war  von  jener 
entschlossenen,  despotischen  Art,  die  es  ablehnt,  sich  von 
irgendeinem  Menschen  oder  einer  Folge  von  Umständen 
hindern  zu  lassen,  und  seine  Handlungsweise  zeichnete  sich 
nicht  durch  Zartgefühl  aus.  „Seine  Art,  zu  handeln,  ist 
drastisch,"  schrieb  einer  seiner  Biographen  von  seinen 
Eisenbahnorganisationen,  „und  die  Besitzer  jüngerer  Wert- 
papiere haben  manch  saures  Gesicht  gezogen,  aber  sein 
Vorgehen  scheint  wirksam  gewesen  zu  sein,  i  bis  3  Mil- 
lionen Dollar  werden  gewöhnlich  als  die  Kommissions- 
gebühr angegeben,  die  das  Haus  J.  Pierpont  Morgan  &  Co.^) 
dafür  erhielt,  daß  es  die  Reorganisation  verstand  und 
ausführte." 

Zwischen  diesen  Zeilen  kann  man  deutlich  lesen,   von 


^)  Die  Nachfolger  von  Drexel,   Morgan  &  Co. 


-  549  - 

welcher  Art  Morgans  „wirksames"  Vorgehen  war;  es  wird 
weiterhin  in  dieser  Erzählung  durch  seine  eigenen  Worte  und 
Taten  noch  mehr  beleuchtet  werden. 

Entgegen  der  so  weit  und  so  beständig  verbreiteten  Schil- 
derung sind  viele  Kapitalisten  nicht  Männer  von  persön- 
Hchem  Mut  in  dem  Sinne,  daß  sie  Mann  gegen  Mann  ein- 
ander gegenübertreten  und  es  buchstäblich,  wie  man  zu 
sagen  pflegt,  einander  „gehörig  geben".  Verschlagenheit, 
Habgier,  Niederträchtigkeit  und  Verrat,  die  das  Geschäfts- 
leben durchtränken  und  in  der  Tat  die  Grundlage  eines 
erfolgreichen  Geschäftes  sind,  erzeugen  sowohl  physische 
wie  moralische  Feigheit.  Die  Kapitalisten  sind  wohl  fähig, 
ihre  Kämpfe  durch  Rechtsanwälte  auskämpfen  zu  lassen, 
aber  den  meisten  von  ihnen  fehlt  es  infolge  einer  gewissen 
Entartung  an  der  Fähigkeit,  auf  andere  Menschen  einen 
starken,  direkten,  persönlichen,  männlichen  Einfluß  aus- 
zuüben, wie  ihn  der  kämpfende  Seeräuberhäuptling  alter 
Tage  auf  seine  Schar  ausübte.  Morgan  bildete  eine  der 
wenigen  Ausnahmen.  Verbunden  mit  seinem  Reichtum 
war  bei  ihm  eine  kraftvolle  kriegerische  Persönlichkeit, 
eine  ungeheure  geistige  und  physische  Lebenskraft;  er  war 
ein  Mann,  der  seinen  Willen  ebensosehr  bloß  durch  brutale 
Stärke  wie  durch  Vernunftgründe  durchsetzen  konnte, 
der  durch  Beweise  überzeugen  und,  wenn  es  notwendig  war, 
durch  Gewalt  einschüchtern  und  in  Schrecken  versetzen 
konnte. 

Eine  solche  Verbindung  im  Verein  mit  Reichtum  und 
Erziehung  (denn  er  hatte  höhere  Schulen  besucht)  und  einer 
vollständigen  Kenntnis  aller  geschäftlichen  Kniffe  mußte 
sich  als  unüberwindlich  oder  fast  unüberwindlich  erweisen. 
Selbst  seine  durch  eine  unglückliche  Entstellung  des  Ge- 
sichts hervorgerufene  äußere  Erscheinung  vermehrte  den 
kraftvollen  Eindruck  und  den  Schrecken,  den  er  einflößte. 
Nicht  unpassend  nannte  er  seine  Jacht  The  Corsair;  er 
war  eine  moderne,  mit  dem  Gewände  der  Gegenwart  be- 
kleidete Verkörperung  eines  antiken  Korsaren,  dessen  Eigen- 
schaften sich  neuen  Verhältnissen  angepaßt  haben. 


-  550  - 

Große  Magnaten  unterwerfen  sich  ihm 

Anstatt  sich  in  Vanderbilts  Vertrauen  einschleichen  zu 
müssen,  zwang  er  jenen  hochmütigen  Magnaten,  sich  mit 
ihm  zu  verständigen.  Diese  Tatsache  bezeugte  Morgan 
selbst  in  dem  Prozeß,  der  aus  Vanderbilts  Süd-Penn- 
sylvania-Eisenbahnprojekt entstand  —  einem  Unternehmen, 
das  schon  früher  beschrieben  wurde.  Morgan  hatte  aller- 
dings als  Vanderbilts  finanzieller  Vertreter  gehandelt,  aber 
er  hatte  auch  bedeutenden  Anteil  an  der  Pennsylvania- 
Eisenbahn,  und  sein  Bankhaus  vertrat  große  ausländische 
Besitzansprüche  an  jene  Linie.  Vor  allem  war  er  scharf 
dahinter,  die  Interessen  ].  Pierpont  Morgans  zu  wahren. 
In  einem  Verhör,  am  13.  Dezember  1885  vor  dem  Unter- 
suchungsbeamten John  H.  Weiß  im  Bundesgericht  zu 
Philadelphia,  erzählte  er,  daß  er,  als  er  im  Juni  1885  aus 
Europa  zurückkehrte,  „zu  der  Überzeugung  gekommen  war, 
es  müsse  etwas  geschehen,  um  eine  größere  Harmonie  in 
die  Hauptlinien  zu  bringen",  und  er  fügte  hinzu,  daß  er 
geglaubt  habe,  „man  könne  auf  Mr.  Vanderbilt  einen  ge- 
nügenden Druck  ausüben,  um  ihn  zum  Verkauf  der  Süd- 
Pennsylvania-Linie  zu  veranlassen".  Über  die  besondere 
Art  dieses  „Druckes"  wurde  keine  Erklärung  abgegeben, 
aber  diejenigen,  die  mit  der  ungeheuren  zwingenden  Macht 
der  Pennsylvania-Eisenbahn,  mit  der  Macht  von  Morgans 
Bank  und  den  mit  ihm  in  Beziehung  stehenden  Banken 
vertraut  waren,  waren  über  seine  Bedeutung  nicht  im  Zwei- 
fel. Der  Friedensvertrag  zwischen  den  kriegführenden 
Magnaten  wurde  schließlich  an  Bord  von  Morgans  Jacht 
abgeschlossen.  Worin  bestand  Morgans  Anteil?  Um  seine 
eigenen  Worte  zu  gebrauchen,  er  „kaufte  von  der  Süd- 
Pennsylvania  und  verkaufte  an  die  Pennsylvania".  Welche 
Belohnungen  er  als  Vermittler  erhielt,  wurde  nicht  öffent- 
Hch  bekannt  gemacht;  wir  können  vermuten,  daß  seine 
Rechnung  nicht  gering  war.  Dieser  Frieden,  wie  alle  solche 
Kontrakte,  wurde  nur  geschlossen,  um  gebrochen  zu  werden ; 
die  Reading-Eisenbahn,  die  nach  dem  Vertrage  für  gewisses 
Eigentum  entschädigt  werden  sollte,  erhob  die  Beschuldi- 
gung, daß  sie  betrogen  worden  sei ;  daraus  entstand  der  Prozeß. 


-  551  - 

Bis  zu  dieser  Zeit,  d.  h.  bis  zum  Jahre  1886,  hatte  Morgan 
keine  große  Rolle  als  Eisenbahnmagnat  gespielt;  er  machte 
sich  mehr  als  mächtiger  Bankier  bemerkbar,  dessen  Spezia- 
lität es  war,  Eisenbahnen  zu  reorganisieren.  Man  darf  aber 
nicht  annehmen,  daß  unter  „Reorganisation"  kostspielige 
Verbesserungen  in  der  äußeren  Ausstattung  und  dem 
Betrieb  von  Eisenbahnen  verstanden  wurden,  wie  die  Ein- 
führung von  Vorrichtungen  und  Ausrüstungen  zu  größerer 
Sicherheit  und  die  Verringerung  der  Gefahr  für  Passagiere 
und  Eisenbahnarbeiter.  Eine  „Reorganisation"  bestand  in 
dem  Reduzieren  oder  in  dem  summarischen  Auslöschen  der 
Schulden  und  in  dem  Ersinnen  neuer  Pläne,  nach  denen  der 
Gewinn  größer  sein  würde. 

Wiederholte  Anklagen  wegen  Betrugs 

Dafür,  daß  er  das  tat,  wurde  Morgan  als  ein  Mann  von 
wunderbarem  erfinderischem  Scharfsinn  gepriesen  —  als  ein 
Finanzmann  erster  Größe.  Häufig  jedoch  teilten  —  wie  wir 
sehen  werden  —  die  kleinen  Aktionäre  diese  Ansicht  nicht ; 
und  gelegentlich  vergaßen  sie  die  von  ihnen  erwartete 
Dankbarkeit  so  weit,  daß  sie  ihn  vor  Gericht  des  Betrugs 
anklagten^). 

Das  Aggressive  in  seinem  Charakter  und  seiner  Handlungs- 
weise, seine  wilde  Kühnheit  in  der  Zertrümmerung  von 
Hindernissen,  seine  Verachtung  jeder  künstlichen  Be- 
schränkung durch  das  Gesetz,  seine  Nichtachtung  der 
öffentlichen  Meinung  und  die  Art,  wie  er  es  verstand,  seine 
Gewalt  dort  anzuwenden,  wo  sie  die  besten  Resultate  her- 
vorbringen würde  —  alle  diese  Eigenschaften  und  Fähig- 
keiten waren  gerade  diejenigen,  die  zu  jener  besondern  Zeit 
notwendig  waren. 

*)  Z.  B. :  In  dem  Falle  der  Toledo-Eisenbahn  und  Terminal- Company  brachte 
die  Ohio-Sparkasse  und  -Kredit-Gesellschaft  beim  Bundesgericht  in  Toledo,  Ohio, 
am  5.  August  1907  einen  Protest  ein  mit  der  Behauptung,  daß  beim  Verkaufe 
jener  Bahn  Betrug  verübt  worden  sei  und  zwischen  Morgan  und  anderen  Eisenbahn- 
magnaten ein  geheimes  Einverständnis  bestanden  habe.  Durch  die«  geheime  Ein- 
verständnis sei,  so  wurde  behauptet,  ein  Abkommen  erreicht,  wonach  durch  Unter- 
drückung konkurrierenden  Angebots  der  Besitz  zu  einem  niedrigen  Preise  ver- 
kauft wurde;  dies  sei  geschehen,  um  nicht  sichergestellte  Gläubiger  zu  betrügen. 
Der  Protest  wurde  zurückgewiesen. 


Neuntes  Kapitel 
MORGAN  ALS  BANK-  UND  EISENBAHNKÖNIG 

Am  2.  Januar  1889  wurde  von  den  drei  Bankhäusern 
Drexel,  Morgan  &  Co.,  Brown  Brothers  &  Co.  und 
Kidder,  Peabody  &  Co.  ein  als  „privat  und  vertraulich"  be- 
zeichnetes Zirkular  versandt.  Die  äußerste  Sorgfalt  war 
darauf  verwendet  worden,  daß  dieses  Dokument  nicht  seinen 
Weg  in  die  Presse  fände  oder  auf  andere  Weise  bekannt 
würde.  Man  hatte  in  der  Tat  außergewöhnliche  Vorkehrun- 
gen getroffen,  um  seinen  Inhalt  mit  allen  Vorsichtsmaß- 
regeln der  Geheimhaltung  zu  umgeben. 

Woher  diese  Furcht  ?  Weil  dieses  Zirkular  eine  —  un- 
ausgesprochen als  Befehl  aufgefaßte  —  Einladung  an  die 
großen  Eisenbahnmagnaten  enthielt,  sich  in  Morgans  Haus 
in  der  Madison-Avenue  Nr.  219  zu  versammeln  und  dort, 
nach  der  Ausdrucksweise  des  Tages,  eine  „eisengepanzerte" 
Verbindung  einzugehen.  Der  Plan  war,  einen  festen  Pakt  zu 
schließen,  der  die  Konkurrenz  zwischen  gewissen  Eisen- 
bahnen vernichten  und  die  Bahninteressen  einheitlich 
zusammenfassen  sollte,  so  daß  man  das  Volk  der  Vereinig- 
ten Staaten  noch  wirkungsvoller  bluten  lassen  könnte  als 
vorher.  Um  für  den  Fall,  daß  etwas  über  die  Natur  des 
Unternehmens  in  die  öffentHche  Presse  durchsickern  sollte, 
den  Schein  zu  wahren,  garnierten  die  Gründer  ihre  wirk- 
lichen Pläne  mit  einer  Kette  ablenkender  Phrasen.  Ihr 
einziges  Ziel  bestehe,  so  drückten  sie  sich  Hebenswürdig 
aus,  in  der  Gründung  einer  Vereinigung,  „um  volkstümliche, 
vernünftige,  gleichmäßige  und  feste  Preise  aufrechtzuer- 
halten", und  —  so  fügten  sie  hinzu  —  ein  weiteres  Ziel 
würde  in  dem  Sammeln  statistischen  Materials  über  die 
Eisenbahnen  bestehen. 

Durch  solche  Vorwände  wurde  niemand  außer  den 
Leichtgläubigen  und  Unwissenden  getäuscht. 


-  553  - 

Eing  historische  Zusammenkunft  in  Morgans  Haus 

Jenes  Zirkular  ist  ein  historisches  Dokument  und  verdient 
mehr  als  vorübergehende  Beachtung;  und  wer  mit  den 
Kräften,  die  damals  am  Werke  waren,  vertraut  ist,  wird  ihm 
mit  Recht  eine  viel  größere  Bedeutung  zuerkennen  als  den 
Botschaften  der  Präsidenten,  den  Anordnungen  des  Kon- 
gresses oder  den  Entscheidungen  der  Gerichtshöfe. 

Zu  einer  Zeit,  als  jeder  auf  Gesetz  oder  auf  Präzedenz- 
fällen beruhende  Klagegrund  benutzt  wurde,  um  darauf 
zu  bestehen,  daß  die  Industriemächte  unverändert  in  dem- 
selben Zustande  verharrten,  kam  dieses  Zirkular  wie  eine 
Herausforderung.  Das  geschriebene  und  das  ungeschrie- 
bene Gesetz  erklärte  streng,  daß  das,  was  man  Konkurrenz 
im  Handel  nennt,  lebendig  erhalten  werde,  und  daß,  wenn 
es  sich  nicht  aus  eigener  Kraft  erhalten  könne,  das  Gesetz 
seine  Aufrechterhaltung  verlangen  müßte.  Was  die  Kon- 
kurrenz hervorgerufen  und  ihr  Berechtigung  verliehen  hatte, 
ging  vorüber,  aber  keine  der  gesetzgebenden  Körperschaften 
erkannte  die  neuen  Bedingungen  oder  traf  irgendwelche 
Vorkehrungen  für  sie.  Die  Magnaten  aber  machten  sich 
klar,  daß  das  alte  System  allgemeiner  Konkurrenz  anfing, 
schnell  zu  veralten,  und  daß  die  2^it  für  eine  systematische 
Organisation  der  Industrie  gekommen  war.  Und  während 
so  die  gesetzgebenden  Körperschaften  ein  Gesetz  nach  dem 
andern  scheinbar  als  „Verordnungen  des  suveränen  Volkes 
der  Vereinigten  Staaten"  erließen,  versandten  einige  wenige 
Magnaten  ein  kurzes  Zirkular,  das  tatsächlich  wirkungsvoller 
war  als  ganze  Bände  von  Gesetzen,  die  im  Angesicht  der 
vorwärts  treibenden  ökonomischen  Kräfte  schließlich  kraft- 
los sind. 

Aber  die  Ansichten  des  Volkes  im  allgemeinen  und  das 
eigene  Interesse  der  Mittelklasse  waren  gegen  jeden  Umsturz 
des  Konkurrenzsystems.  Mochten  auch  die  Magnaten  die 
Ankündigung  ihrer  Zwecke  milde  halten  und  mochten  sie 
auch  ihre  Ziele  noch  so  harmlos  darstellen,  der  Plan  dieser 
Gruppe  von  Bankiers  und  Eisenbahnkönigen  mußte  sicher- 
lich den  schärfsten  Argwohn  erregen.  Eine  ruhelose,  trübe 
Gemütsstimmung  durchdrang  die  Masse  des  Volkes.   Es  war 


-  554  - 

voll  Mißtrauen  gegenüber  jeder  von  den  Magnaten  auf- 
gestellten Behauptung  und  immer  bereit,  unter  freundlichen 
Ankündigungen  unheilvolle  Pläne  zu  sehen.  Überdies  war 
die  Definition  der  Magnaten  von  „vernünftig"  der  des 
Volkes  in  seiner  Gesamtheit  diametral  entgegengesetzt. 
Beträge  und  Forderungen,  die  von  den  Magnaten  als  „ver- 
nünftiger Ausgleich"  überzuckert  wurden,  erschienen  dem 
Verständnis  des  Volkes  außerordentlich  unvernünftig:  als 
grobe  Erpressungen,  denen  das  Gesetz  gebührende  Beach- 
tung schenken  soUte. 

Allmähliches  Zugrunderichten  der  Mittelklasse 

Auf  das  Geheiß  der  Mittelklasse  wurden  überall  Gesetze 
durchgebracht,  die  sich  wenigstens  oberflächlich  gegen  die 
willküriiche  Macht  der  Magnaten  und  die  Konzentration 
der  Hilfsquellen  richteten.  Seit  der  Unterdrückung  und 
Auflösung  der  großen  Arbeiterbewegung  des  Jahres  1886 
wurden  von  dieser  Seite  ernste  Angriffe  nicht  mehr  be- 
fürchtet. Aber  die  Vernichtung  der  Mittelklassen  mußte 
langsam  und  vorsichtig  vonstatten  gehn. 

Arbeiteraufstände  —  politische  oder  andere  —  konnten 
durch  Gewalt  und  richterliche  Entscheidungen  und  bei 
den  Wahlen  durch  Bestechung  und  Betrug  vernichtet  wer- 
den. Vorkommendenfalls  pflegte  bei  der  Unterdrückung 
der  arbeitenden  Klassen  die  ganze  Mittelklasse  mit  den 
Interessen  der  Besitzenden  zusammen  zu  gehen.  Doch 
wenn  es  sich  beim  Kampf  um  die  Herrschaft  nur  um  die 
Mittelklasse  und  die  Plutokratie  handelte,  dann  hatten 
die  Magnaten  guten  Grund,  die  Mittelklassen  nicht  zu  offen 
anzugreifen.  Das  Land  wimmelte  von  Organisationen  von 
Gewerbetreibenden,  Maklern  und  kleinen  Händlern,  und 
im  Westen  und  Süden  befand  sich  als  Verbündeter  der 
Farmerbund  in  seiner  größten  Macht.  Diese  Mittelklasse 
maßte  sich  die  Bedeutung  an,  das  „Volk"  zu  sein.  Die  von 
ihr  benutzte  und  ausgebeutete  Arbeiterklasse  besaß,  um 
ihre  Ansichten  zu  verbreiten  und  ihre  Forderungen  zum 
Ausdruck  zu  bringen,  nur  wenige  unbekannte  Fachzei- 
tungen und  hatte,  obwohl  sie  die  ungeheuer  große  Masse 


-  555  - 

der  Wähler  umfaßte,  nicht  einen  einzigen  wirkHchen  Ver- 
treter in  poHtischem  Amt.  Aber  die  Interessen  der  Mittel- 
klasse waren  durch  Tausende  von  Zeitungen  und  Zeit- 
schriften, durch  eine  Schar  politischer  Redner,  Anwälte  und 
Universitätsprofessoren  und  durch  die  Kraft  des  herrschen- 
den Gesetzes  und  der  Wirtschaftseinrichtungen  vertreten. 

Morgan  leitet  die  Sache 

Diese  Tatsachen  dürften  eine  ziemlich  klare  Vorstellung 
von  der  Zusammensetzung  und  den  Ansprüchen  jener 
Mittelklasse  geben,  die  durch  die  Nachricht  von  der  Zu- 
sammenkunft in  Morgans  Haus  in  krampfhafte  Erregung 
versetzt  werden  mußte.  Eine  folgenschwere  Versammlung 
war  es  sicherlich,  die  am  8.  Januar  1889  in  Morgans  Herren- 
haus zusammenkam.  Wen  bemerken  wir  da  ?  Dem  An- 
schein nach  private  Bürger,  in  Wirklichkeit  Herrscher  des 
Landes:  Jay  Gould  mit  seinem  am  Gängelbande  geführten 
Sohn  George;  Stickney  aus  dem  Nordwestgebiet;  Roberts 
von  der  Pennsylvania-Eisenbahn ;  den  geschmeidigen  Depew, 
das  Echo  der  Vanderbilts;  Sloan  von  der  Delaware-,  Lacka- 
wanna-  und  Western-Eisenbahn  und  ein  halbes  Dutzend 
weitere  Magnaten  oder  ihre  bevollmächtigten  Wortführer. 
Die  ehrenwerten  gesetzgeberischen  Körperschaften  mochten 
über  die  Ratsamkeit  dieser  oder  jener  gesetzgeberischen 
Maßregel  würdevoll  debattieren;  der  geräuschvolle  „Kon- 
greß der  Vereinigten  Staaten"  mochte  feierlich  zusammen- 
treten und,  nachdem  er  Monate  in  Großsprecherei  verbracht 
hatte,  behaupten,  Gesetze  gegeben  zu  haben;  die  hohen 
und  mächtigen  Gerichtshöfe  mochten  eine  strenge  Miene 
aufsetzen  und  mit  Wichtigtuerei  ihre  Entscheidungen  ver- 
abfolgen. Aber  in  jenem  Zimmer  in  Morgans  Hause  saßen 
viele  der  tatsächlichen  Herrscher  der  Vereinigten  Staaten, 
saßen  die  Männer,  welche  die  Macht  hatten,  in  der  Bestim- 
mung dessen,  was  geschehen  solle,  das  letzte  Wort  zu 
sprechen. 

Morgan  führte  den  Vorsitz  bei  der  Versammlung  und  kam 
mit  gewohnter  schroffer  Offenheit  direkt  zur  Sache.  Dank 
einem  stenographischen  Bericht  über  die  Verhandlungen, 


-  556  - 

dessen  wir  glücklicherweise  habhaft  werden  konnten,  ist  das 
Werk  jener  Versammlung  klar.  Der  Name  der  Organisation 
sollte  sein:  „Interstate  Commerce  Railway  Asso- 
ciation", ihr  wesentlicher  Zweck  das  Aufhören  der  Kon- 
kurrenz unter  ihren  Mitgliedern.  Aber  wie  sollte  irgendein 
Magnat  verhindert  werden,  mit  einem  andern  zu  kon- 
kurrieren, oder  von  einem  Eingriff  in  das  Gebiet  eines  anderen 
zurückgehalten  werden  ?  Welche  Strafen  sollte  es  geben, 
und  wie  konnten  sie  erzwungen  werden  ?  Sicherlich  konnte 
kein  Gesetz  angerufen  werden,  um  die  Durchführung  eines 
solchen  Übereinkommens  zu  erzwingen,  denn  das  Gesetz 
untersagte  Ringbildungen  ausdrücklich,  und  jede  Gesetz- 
gebung würde  nicht  nur  unwirksam  sein,  sondern  die  Aus- 
dehnung des  ganzen  verbrecherischen  Paktes  aufdecken. 

Morgan  erläßt  ein  Ultimatum 

Es  gab  jedoch  eine  weit  größere  Macht  als  die  des  Ge- 
setzes, die  Macht  des  aufgehäuften  Geldes.  Wäre  irgend- 
einer der  anwesenden  Magnaten  geneigt  gewesen,  dem  vor- 
bereiteten Programm  zu  widersprechen,  so  wurde  ihm  die 
Strafe  sofort  klar  vor  Augen  geführt,  als  Morgan  ver- 
kündete : 

„Ich  bin,  wie  ich  glaube,  in  bezug  auf  die  hier  vertretenen 
Bankhäuser  zu  der  Erklärung  autorisiert,  daß,  wenn  eine 
Organisation  auf  der  von  der  Kommission  unterbreiteten 
Grundlage  und  mit  einem  unter  Beteiligung  der  Bankiers 
gebildeten  Exekutivkomitee,  das  seine  Vorkehrungen  soll 
durchsetzen  können,  praktisch  möglich  ist,  diese  Bankhäuser 
für  den  Bau  von  Parallellinien  oder  zur  Erweiterung  von 
Linien,  die  nicht  von  jenem  Exekutivkomitee  gebilligt 
worden  sind,  keine  Geschäfte  mit  Wertpapieren  machen 
und  auch  alles  in  ihrer  Macht  Stehende  tun  werden,  um 
solche  Geschäfte  zu  verhindern.  Ich  möchte,  daß  dieses 
deutlich  verstanden  wird." 

Die  Drohung  oder  das  Versprechen,  wie  man  es  verschie- 
den auslegen  konnte,  wurde  zweifellos  verstanden.  So  un- 
geheuer groß  auch  der  Reichtum  der  anwesenden  oder  ver- 
tretenen Magnaten  war,  nicht  einer  von  ihnen  oder  eine 


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Vereinigung  von  ihnen  wagte  (wenn  auch  Neigung  vor- 
handen war),  einem  solchen  Ultimatum  Trotz  zu  bieten. 
Dies  tun,  hieße,  den  rachsüchtigen,  vernichtenden  Zorn 
einer  Clique  von  nationalen  und  internationalen  Bankiers 
herausfordern,  deren  Geld  und  Macht  die  verderblichsten 
Wirkungen  hervorrufen  konnten.  Auch  gab  es  keinen 
irgendwie  möglichen  Weg,  sich  an  eine  höhere  Gewalt  zu 
wenden. 

Was  tat  es,  wenn  viele  der  gesetzgebenden  Körperschaften 
der  Staaten  Verbindungen  zur  Beschränkung  des  Handels 
mit  Strafen  belegt  hatten  ?  Was  tat  es,  wenn  die  zornige 
Mittelklasse  mit  wildem  Geschrei  die  Durchführung  dieser 
Gesetze  verlangte  ?  Was  tat  es,  daß  nach  dem  geschriebenen 
wie  nach  dem  ungeschriebenen  Gesetz  dieser  Zwangserlaß 
der  Bankiers  eine  verbrecherische  Verschwörung  war  ? 
Jeder  Mann  jener  Versammlung  wußte,  daß  er  nach  dem 
Urteil  der  herrschenden  Gesetze  an  einer  Verschwörung 
teilnahm,  doch  niemand  fürchtete  ernsthaft,  daß  die  zahl- 
reichen Landes-  und  Staatengesetze  streng  gegen  ihn  zur 
Anwendung  gebracht  werden  würden.  Die  Versammlung 
fühlte  sich  auf  so  sicherem  Boden,  daß  an  die  MögHchkeit 
einer  Verfolgung  überhaupt  nicht  gedacht  wurde. 

Eine  andere  in  jener  Zusammenkunft  (eine  „Konferenz" 
nannte  man  sie)  auftretende  Erscheinung  verdient  Erwäh- 
nung. Wie  sehr  Menschen  als  Nichtigkeiten  angesehen 
wurden,  auch  wenn  sie  Magnaten  waren,  und  wie  sehr  der 
Besitz  als  das  allein  Wichtige  betrachtet  wurde,  das  zeigte 
sich  bei  der  Art  der  Abstimmung.  Die  Namen  der  Magnaten 
wurden  beim  Aufruf  der  Stimmen  nicht  genannt;  man  er- 
wartete, daß  die  inkorporierten  Eisenbahnen  ihre  Stimmen 
abgaben,  und  diese  waren  es  auch,  die  abstimmten.  So  wurde 
statt  des  Namen  Gould  der  Name  seiner  Eisenbahnen  auf- 
gerufen ;  die  Missouri-Pacific  und  die  Wabash  stimmten  ab, 
nicht  Gould.  Was  hätte  schöner,  einfacher  und  direkter 
sein  können,  so  frei  von  Heuchelei,  so  sehr  dem  Geiste  der 
anwesenden  menschlichen  Geldsäcke  entsprechend  ?  Wenn 
diese  Methode  nur  auch  im  Kongreß  angenommen  würde, 
so  würde  für  das  allgemeine  Verständnis  viel  gewonnen 
werden;  denn  solange  die  alten  Methoden  dort  noch  be- 


-  558  - 

stehen,  würden  die  meisten  unserer  „Staatsmänner"  nicht 
verlästert  werden,  wenn  die  Stimmliste  von  Korporationen 
und  nicht  von  vermeintlichen  Vertretern  des  Volkes  ge- 
bildet würde. 

Wenn  eine  bloße  Drohung  der  mächtigen,  von  Morgan 
geführten  Bankiers  genügte,  um  eine  Gruppe  der  Eisenbahn- 
diktatoren der  Vereinigten  Staaten  zu  überzeugen  oder  in 
Furcht  zu  versetzen,  was  konnte  die  Bankmacht  dann  nicht 
vollbringen,  wenn  sie  ihre  Geldkraft  energisch  einem  be- 
stimmten Ziele  zuwandte  ?  Weder  ein  kapitalistischer 
Gegner,  noch  irgendeine  Regierung  konnte  dieser  Macht 
widerstehen.  Wie  weit  sie  in  der  erfolgreichen  Durchfüh- 
rung ihrer  Pläne  und  in  der  Zerstreuung  aller  Hindernisse 
durch  ihren  Terrorismus  gehen  konnte,  zeigte  sich  typisch 
in  einem  bekannten  Obligationenhandel  vom  Jahre  1895, 
wobei  die  Regierung  der  Vereinigten  Staaten  von  einem 
Syndikat  von  Bankiers  mit  Morgan  an  der  Spitze  unter- 
stützt und  gezwungen  wurde,  dem  Wesen  nach  ein  Geschenk 
von  vielen  Millionen  Dollar  für  das  Privilegium  eines  nomi- 
nellen und  vorübergehenden  Anspruchs  auf  einen  Gold- 
vorrat herzugeben,  den  dieselben  Bankiers  nur  kurze  Zeit 
vorher  der  Schatzkammer  der  Vereinigten  Staaten  entzogen 
hatten. 

Was  Wallstreet  über  Morgan  dachte 

Ehe  wir  dieses  Unternehmen  beschreiben,  wollen  wir 
eine  Abschweifung  machen,  um  über  einige  dazwischen- 
tretende Ereignisse  aus  Morgans  Laufbahn  zu  berichten. 
Sein  Vater  starb  im  Jahre  1890  und  hinterließ  ihm  ein  ober- 
flächlich auf  10  Millionen  Dollar  geschätztes  Vermögen. 
Es  ist  aber  unnötig,  zu  sagen,  daß  J.  Pierpont  Morgan  schon 
damals  ein  unabhängiger  Multimillionär  war.  Daß  er  von 
einem  großen  Teil  des  im  Finanzgebiet  lebenden  Elements 
intensiv  gehaßt  wurde,  ist  unleugbar,  aber  es  war  ein  Haß, 
der  nicht  aus  einem  Einwand  gegen  seine  Methoden  hervor- 
ging, sondern  daraus,  daß  er  in  der  Brutalität  oder  in  der 
Feinheit  jener  Methoden  die  andern  erheblich  übertraf. 
Alle    ihn    schmähenden  Mitglieder   seiner    eigenen  Klasse 


-  559  - 

hatten  im  Grunde  irgendeinen  persönlichen,  in  erbitterter 
Feindschaft  zum  Ausdruck  kommenden  Klagegrund,  von 
Morgan  überlistet  oder  übertroffen  worden  zu  sein.  Hätte 
er  ihnen  nur  die  geringste  Möglichkeit  gegeben,  sie  würden 
ihn  umgarnt  und  betrogen  und  sich  an  der  Tat  geweidet 
haben. 

Aber  mit  Ausnahme  eines  einzigen  hervorragenden  Geg- 
ners, auf  den  wir  später  zu  sprechen  kommen  werden,  kam  er 
allen  zuvor  und  überwand  sie  alle,  und  vielen  von  ihnen 
hinterließ  er  die  bittere  Erinnerung  an  ihren  Zusammenstoß 
mit  ihm,  aber  sonst  nichts.  Unzweifelhaft  trug  Morgans 
Persönlichkeit  viel  zu  diesem  allgemein  verbreiteten  Hasse 
derjenigen,  die  mit  ihm  in  Berührung  kamen,  bei;  er  konnte 
nie  in  den  Verdacht  geraten,  zu  den  salbungsvollen  Leuten  zu 
gehören,  die  voller  Schmeichelei  und  sanfter  Arglist  sind. 
Er  war  vielmehr  eine  Art  Raufbold  auf  den  Finanz- 
gebieten, kriegerisch  und  unbarmherzig,  von  rauher,  ge- 
bieterischer Art,  schonungslos  gegenüber  den  Gefühlen  oder 
Interessen  derer,  die  auf  irgendeine  Art  seinen  Willen  oder 
seine  Pläne  kreuzten. 

Diese  persönlichen  Details  waren  jedoch  der  großen  Masse 
des  Volkes  weiter  im  Lande  nicht  bekannt.  Die  populäre 
Ansicht  über  Leute  von  öffentlicher  Bedeutung  bildete  si-^h 
beinahe  vollständig  nach  dem,  was  die  Zeitungen  sagte»\, 
und  diese  schilderten  mit  seltenen  Abweichungen  Mor- 
gan immer  als  großes  Finanzgenie  und  wohlwollenden 
Herrn.  Bei  Morgans  finanziellen  Unternehmungen  ver- 
loren große  Scharen  von  Leuten  aus  der  Mittelklasse  wie 
auch  Leute,  die  auf  der  Stufenleiter  der  Wohlhabenheit 
höher  standen,  große  Summen  Geldes,  das  ihnen  durch  die 
Börsenspekulationen  in  Wallstreet  entrissen  wurde.  Aber 
sie  tadelten  Morgan  nicht  persönlich  deswegen;  ihre  Er- 
bitterung richtete  sich  gegen  die  ganze  Gattung,  das  Un- 
geheuer Wallstreet.  Und  doch  war  unter  den  so  Beraubten 
nicht  ein  einziger,  der  nicht  mit  voller  Überlegung  darauf 
ausgegangen  wäre,  sich  selbst  auf  Kosten  irgendeines  andern 
zu  bereichern;  selbst  diejenigen,  die  ihre  Kapitalien  einer 
„berechtigten  Geldanlage"  wegen  in  Aktien  steckten,  taten 
es  mit  dem  vollen  Bewußtsein,  daß,  je  niedriger  die  bei  den 


—  56o  — 

Eisenbahnen  und  in  den  Fabriken  gezahlten  Löhne  und  je 
länger  die  tägliche  Arbeitszeit  der  Arbeiter  wären,  desto 
glänzender  die  Aussichten  auf  eine  größere  Dividende. 

Gleichzeitig  wurde  der  auf  dem  Finanzgebiet  gehaßte 
Morgan  wegen  seiner  weitreichenden  Macht  und  seines  un- 
barmherzigen Vorgehens  bei  der  Durchführung  seiner 
Ziele  sowohl  wie  bei  der  Erledigung  von  Schuldposten  in 
hohem  Grade  gefürchtet.  Seine  Politik  bestand  darin, 
so  nahm  man  an,  in  einer  Korporation  einen  schwachen 
Punkt  herauszufinden  und  sie  dann  „nach  ihrem  ganzen 
Wert  auszupressen"  —  eine  Beschuldigung  von  sehr  großer 
Voreingenommenheit,  insofern  als  jeder  andere  erfolgreiche 
Finanzmann  unstreitig  dieselben  Methoden  verfolgte,  wenn 
auch  nicht  immer  auf  demselben  Wege.  Seine  Lieblings- 
redensart, wenn  man  ihn  nach  seinen  Unternehmungen 
fragte,  war:  „Ich  halte  mich  nicht  meiner  Gesundheit 
wegen  in  Wallstreet  auf."  Seine  Feinde  verbreiteten  es 
flüsternd,  daß  er  ein  „Freibeuter  in  der  Finanzwelt"  sei; 
seine  Bewunderer  —  diejenigen,  die  aus  seiner  Freigebigkeit 
Nutzen  zogen  —  verkündeten  laut  seine  Größe. 

Morgan  tritt  als  Kohlenmagnat  in  den  Vordergrund 

Wie  Morgan  verfuhr,  als  er  zusammen  mit  William 
H.  Vanderbilt  im  Jahre  1893  die  Philadelphia-  und  Reading- 
Eisenbahn  von  McLeod  an  sich  riß,  davon  haben  wir  schon 
eine  Beschreibung  gegeben.  Als  Eisenbahn  war  die  Reading- 
Linie  nicht  ausgedehnt ;  ihr  großer  Wert  lag  in  ihrem  Be- 
sitz von  Anthrazitkohlengruben,  von  großen  ungeschürften 
Lagern  und  in  ihrem  Kohlenfrachtverkehr. 

Seiner  andern  vielseitigen  Macht  fügte  Morgan  jetzt  die 
eines  Kohlenmagnaten  hinzu.  Die  Verfassung  von  Pennsyl- 
vania untersagte  es,  wie  wir  gesehen  haben,  den  Eisenbahn- 
gesellschaften ausdrücklich,  Kohlenbergwerke  zu  besitzen 
und  zu  betreiben.  Aber  es  existiert  kein  Gesetz,  das  die 
sehr  Reichen  nicht  umgehen  konnten.  Gesellschaften  von 
Strohmännern  wurden  organisiert,  und  obwohl  jedermann 
wußte,  daß  diese  Gesellschaften  nur  eine  Umgehung  be- 
deuteten, so  unternahmen  die  Behörden  des  Landes  doch 


-  56i  - 

keine  Schritte  dagegen,  und  als  sie  nach  vielen  Jahren  der 
Untätigkeit  in  kraftloser  Weise  eine  Klage  einbrachten, 
appellierten  die  Magnaten  an  den  obersten  Gerichtshof 
der  Vereinigten  Staaten;  aus  diesem  Prozeß  gingen  die 
Eisenbahnen  im  Jahre  1909  siegreich  hervor,  da  die  Ent- 
scheidung von  so  zweideutigem  Charakter  war,  daß  sie  einer 
zu  ihren  Gunsten  gleichkam. 

Zwei  unmittelbar  darauf  folgende  Resultate  verkündeten 
Morgans  Einzug  als  Herrscher  auf  dem  Kohlengebiet.  Auf 
beide  haben  wir  in  einem  früheren  Kapitel  hingewiesen, 
sie  werden  aber  hier  eine  Wiederholung  vertragen.  Jeder, 
der  in  seinem  Haushalt  Hartkohle  verwendete,  wurde  be- 
steuert, um  Morgans  Vermögen  weitere  Millionen  hinzu- 
zufügen. Der  Preis  für  Heizkohle  wurde  um  1,25  bis 
1,35  Dollar  gegen  die  frühere  Forderung  für  die  Tonne 
erhöht.  Das  zweite  Resultat  bestand  in  einem  schnelleren 
Verfahren  zur  Vernichtung  der  unabhängigen  Kohlenpro- 
duzenten. Durch  eine  Reihe  unbarmherziger  Vorgänge^) 
wurden  diese  Unabhängigen  ruiniert  und  vertrieben,  nicht 
ohne  viel  Gejammer  über  Unterdrückung  und  gellende 
Klagen  über  Betrug. 

Dabei  waren  die  Gruben  tatsächlich  von  ihnen  selbst 
oder  von  ihren  Vorgängern  durch  Betrug  erworben  wor- 
den. Die  Bestechung  der  gesetzgebenden  Körperschaften 
von  Pennsylvania  durch  einzelne  Personen  und  Korpo- 
rationen zur  Erlangung  von  Kohlengruben  und  anderen 
Privilegien  und  besondern  Rechten  ist  zugegebenermaßen 
so  dreist  gewesen,  daß  die  gesetzgebenden  Körperschaften 
sich  im  Jahre  1847  gezwungen  sahen,  mit  selbstgerechter 
Prahlerei  ein  „Gesetz  zur  Festsetzung  und  Bestrafung  des 
Vergehens  der  Bestechung"  zu  erlassen,  worin  das  Geben  oder 
Empfangen  einer  Bestechung  zum  Kapitalverbrechen  ge- 
stempelt wurde,  das  mit  einer  Geldstrafe  bis  zu  5000  Dollar 
oder  mit  fünf  Jahren  Gefängnis  zu  bestrafen  sei  2).  Dieses 
Gesetz   wurde    sehr  leicht  genommen,   es  hatte   nur   die 


^)  siehe  Zeugenaussage  vor  der  Kommission  des  Hauses  für  den  Handel  von 
Staat  zu  Staat:  House  Reports,  Fifty-second  Congress,  Second  Session,  1892 — 1893, 
Bd.  I. 

*)  Laws  of  Pennsylvania,   1847,  217. 

36 


—  562  — 

Wirkung,  das  Bestechungswesen  zu  verfeinern  und  zu  ver- 
dunkeln. Ein  zweites  Gesetz  wurde  am  3.  März  1860  er- 
lassen und  ein  drittes  am  29.  April  1874;  diese  Gesetze 
wurden  von  den  Leuten,  die  eingetragene  Privilegien 
zu  erlangen  suchten,  ebenso  scherzhaft  aufgefaßt,  und  die 
Bestechung  ging  beständig  weiter^).  Wieder  und  wieder 
wurden  die  gesetzgebenden  Körperschaften  von  Pennsyl- 
vania gezwungen,  Untersuchungskommissionen  einzusetzen, 
um  über  diese  oder  jene  Beschuldigung,  daß  Bestechungen 
angewandt  worden  seien,  zu  berichten;  einer  der  wenigen 
Fälle,  daß  einer  der  Bestochenen  einmal  ins  Gefängnis 
wanderte,  ereignete  sich  in  den  Jahren  1879  bis  1880  bei 
den  gerichtlichen  Verhandlungen  auf  Grund  des  Aufstands- 
Entschädigungs-Gesetzes. 

Es  bedurfte  einer  gewissen  Entschuldigung,  um  der 
großen  Preissteigerung  der  Kohlen  den  Anschein  der  Not- 
wendigkeit zu  verleihen.  Die  Kohlenmagnaten  sorgten  im 
voraus  dafür.  Sie  fragten,  wie  sie  die  höhere  Forderung 
hätten  vermeiden  können.  War  die  Kohlenproduktion 
nicht  zurückgegangen  ?  Und  waren  die  Frachtsätze  nicht 
außerordentlich  hoch  ?  Aber  die  Regierung  wußte,  daß  diese 
Behauptungen  erdichtet  waren.  Die  Hauskommission  für 
den  Handel  von  Staat  zu  Staat  hatte  einstimmig  berichtet, 
daß  die  Kohlenmagnaten  die  Kohlenförderung  absichtlich 
herabgesetzt  hätten;  daß,  obgleich  die  Ausbeutefähigkeit 
der  Kohlenlager  50  Millionen  Tonnen  im  Jahr  betrage,  nur 
ungefähr  40  Millionen  Tonnen  gefördert  würden,  um  so  den 
Anschein  von  Mangel  hervorzurufen.  Und  was  die  Fracht- 
sätze für  Kohlen  betrifft,  so  berichtete  die  Kommission: 
„Obgleich  die  Frachtbeförderung  von  Kohlen  billiger  be- 
sorgt werden  könne  als  die  von  fast  allen  andern  Fracht- 

^)  Eine  der  vielen  aufeinanderfolgenden  Skandalaffären,  die  aus  der  Korruption 
der  gesetzgebenden  Körperschaften  von  Pennsylvania  hervorgingen,  bestand  in  der 
Durchbringung  eines  Gesetzes  im  Jahre  1876  im  Interesse  der  Holzinteressenten. 
Summen  von  300  bis  500  Dollar  wurden  einzelnen  Mitgliedern  der  gesetzgebenden 
Körperschaften  bezahlt  oder  angeboten,  damit  sie  für  oder  gegen  das  Gesetz  stimm- 
ten. Das  Gesetz  wurde  genannt:  „Ein  Gesetz  zur  Regulierung  des  Zolls  und  anderer 
Ausgaben,  aufzuerlegen  und  einzuziehen  von  den  Floßholz-Gesellschaften."  Es 
wurde  von  gewissen  Interessenten  bekämpft.  Siehe  „Testimony  before  the  Committee 
to  Investigate  the  Means  to  Secure  or  Defeat  the  Passage  of  the  Boom  Bill."  Penn- 
sylvania Legislative  Docs.,  1876,  Bd.  5. 


~  563  - 

gütern,  bezahlen  sie  doch  beinahe  doppelt  so  hohe  Sätze 
wie  für  Weizen  und  BaumwoUe^)." 

Ohne  Umschweife:  diese  Ringbildung  war  eine  Ver- 
schwörung und  krimineller  und  zivilrechtlicher  Verfolgung 
ausgesetzt.  Aber  weder  das  Landes-  noch  das  Staatengesetz 
wurde  dagegen  geltend  gemacht.  Die  Hauskommission 
berichtete,  daß  das  Gesetz  für  den  Handel  von  Staat  zu 
Staat  ein  zu  unwirksames  Gesetz  sei,  um  danach  zu  ver- 
fahren, und  damit  endete  das  Gerede  über  eine  strafrecht- 
liche Verfolgung.  Der  Regierungsmechanismus  der  Ver- 
einigten Staaten  wurde  tatsächlich  (wie  in  vielen  anderen 
Fällen)  zum  Mitschuldigen  des  Kohlenrings,  indem  er  ihm 
gestattete,  aus  den  Leiden  der  großen  Volksmasse  noch 
enormere  Erpressungen  herauszuquetschen. 

Übertragung  großer  Eisenbahnnetze 

Morgans  beide  Kompagnons,  Frank  und  Anthony  Drexel, 
starben  und  hinterließen  jeder  ein  Besitztum  von  25  Millio- 
nen Dollar.  Auch  sie  hatten  den  ruhmreichen  Namen  von 
Philanthropen  erworben;  vor  ihrem  Tode  hatten  sie  zu- 
sammen die  Summe  von  8  Millionen  Dollar  zur  Grün- 
dung verschiedener  Wohltätigkeitsanstalten  in  und  bei 
Philadelphia  hingegeben.  Seit  ihrer  Partnerschaft  mit 
Morgan  hatten  sie  natürlich  alle  seine  Unternehmungen 
geteilt. 

Da  Gold  die  internationale  Handelswährung  war,  ver- 
folgte die  Regierung  der  Vereinigten  Staaten  die  Poli- 
tik, eine  gewisse  Summe  als  Reserve  des  Schatzamtes 
zurückzubehalten.  Als  aus  diesem  oder  jenem  Grunde 
dieser  Reservefonds  erschöpft  war,  sah  sich  die  Regierung 
gezwungen,  Schuldscheine  auszugeben,  um  ihn  wieder 
zu  füllen. 

Die  mächtige  Junta  der  führenden  nationalen  und  inter- 
nationalen Bankiers  zwang  die  Regierung  der  Vereinigten 
Staaten  mit  Entschiedenheit  und  Vorbedacht  zur  Ausgabe 
dieser  Obligationen.    Sie  taten  es,  indem  sie  dem  Staats- 

*)  House  Reports,  usw.,  1892 — 1893,  i.  4. 

36* 


-  5^4  - 

schätz  sein  Gold  entzogen  und  dann  in  Scheingeschäften 
jenes  Gold  gegen  Staatsschuldscheine  zurückverkauften. 
Die  Staatsschatzscheine  und  Greenbacks,  die  einen  großen 
Teil  der  Umlaufs  mittel  der  Regierung  der  Vereinigten 
Staaten  umfaßten,  waren  in  Münze  einlösbar.  Diese  Be- 
stimmung wurde  so  ausgelegt,  daß  man  die  Bezahlung  in 
Gold  verlangte.  Die  Bankiers  pflegten  dem  Unterschatz- 
amt der  Stadt  New  York  große  Haufen  von  Staatsschatz- 
scheinen und  Banknoten  zu  überbringen  und  sie  in  Gold  ein- 
zutauschen. Dieses  Gold  pflegten  sie  dann  in  ihren  Ge- 
wölben aufzuspeichern.  Die  Leiter  der  Regierung  be- 
merkten diesen  Vorgang  durchaus  und  wußten  sehr  wohl, 
daß  der  Endzweck  in  der  Erzwingung  einer  Ausgabe  von 
Staatspapieren  bestand.  Nachdem  die  Bankclique  die  Obli- 
gationen erhalten  hatte,  konnte  sie  zweierlei  tun  —  sie  konnte 
eine  große  Menge  derselben  mit  erhöhtem  Kurs  an  kleinere 
Banken,  Sparkassen,  Versicherungsgesellschaften,  an  den 
Grundbesitz  und  an  Geldanleger  im  allgemeinen  verkaufen, 
und  sie  konnte  einen  Teil  der  Ausgabe,  der  als  Basis  zur 
Ausgabe  neuen  Umlaufgeldes  einbehalten  wurde,  auch  nutz- 
bar machen.  Die  großen  Privatbankiers,  wie  Morgan,  hatten 
als  Hilfe  ihre  Reihe  von  Nationalbanken,  durch  welche  die 
Obligationsausgaben  in  Umlaufsgeld  verwandelt  werden 
konnten,  und  die  altehrwürdige  Erpressung  des  doppelten 
Zinsennehmens  konnte  durchgeführt  werden. 

„Plündern"  der  Regierung 

Im  Jahre  1894  war  die  Regierung  dazu  gebracht  worden, 
diesen  Bankiers  zwei  Obligationsausgaben  von  je  50  Millio- 
nen Dollar  auszuhändigen.  Ihr  Gewinn  erreichte,  wie  man 
schätzte,  mehr  als  10  Millionen.  Zur  Adventszeit  des 
Jahres  1895  war  der  Staatsschatz  der  Vereinigten  Staaten 
wieder  ohne  Gold.  Wohin  war  das  Gold  gekommen,  das 
die  Regierung  nur  kurze  Zeit  vorher  zu  Wucherpreisen  er- 
worben hatte  ?  Die  Berichte  der  großen  Bankhäuser  gaben 
die  Antwort.  Gegen  Ende  Januar  hatten  26  Bankhäuser  der 
Stadt  New  York  in  ihren  Gewölben  einen  Schatz  von 
65  Millionen  Dollar  in  Gold.    Gleich  darauf  belief  sich  die 


-  565  - 

Summe,  alles  in  allem  gerechnet,  auf  129  Millionen  Dollar. 
Die  Regierung  schrie  auf  in  Hilflosigkeit;  man  erzählte, 
daß  Präsident  Cleveland  privatim  gesagt  habe:  „Die  Banken 
haben  das  Land  bei  der  Gurgel  gepackt." 

Im  geeigneten  Moment  trat  ein  Syndikat  von  Bankiers 
öffentlich  auf  und  bot  der  Regierung  großmütig  an,  sie  gegen 
Obligationen  mit  Gold  zu  versehen.  Dieses  Syndikat  wurde 
gebildet  von  J.  P.  Morgan  &  Co.,  August  Belmont  &  Co., 
als  Vertreter  der  Rothschilds  James  Speyer,  der  National 
City-Bank  und  vier  andern,  außerordentlich  mächtigen 
Nationalbanken. 

In  den  Verhandlungen  mit  Präsident  Cleveland  über  die 
Ausgabe  der  Obligationen  war  Francis  Lynde  Stetson,  der 
seit  dem  Jahre  1887  regelmäßig  Morgans  Rechtsbeistand  ge- 
wesen war,  sein  Abgesandter  und  kluger  juristischer  Ver- 
treter. Stetson  war  Jacob  Sharps  Anwalt  gerade  zu  der  Zeit 
gewesen,  als  Sharp  im  Jahre  1884  den  New  Yorker  Magistrat 
durch  Zahlung  von  500  000  Dollar  dahin  gebracht  hatte, 
ihm  ein  Privilegium  für  eine  Broadwaystraßenbahn  zu 
geben.  Auf  Grund  seiner  Tätigkeit  bei  Sharps  Unter- 
nehmungen wurde  er  im  Jahre  1886  von  der  Senatskom- 
mission des  Staates  New  York  einem  strengen  Verhör  über 
die  Broadway-Eisenbahn  unterworfen.  Nachdem  Sharp 
die  New  Yorker  Aldermen  mit  Erfolg  bestochen  hatte,  ver- 
suchten Elkins  und  Widener,  die  ihrerseits  den  Gemeinderat 
von  Philadelphia  und  die  gesetzgebenden  Körperschaften 
von  Pennsylvania  bestachen  und  Multimillionär-Magnaten 
von  Straßeneisenbahnen  wurden,  die  Broadway- Eisen- 
bahn (wenn  auch  diesmal  ohne  Erfolg)  für  einen  Zeit- 
raum von  999  Jahren  zu  pachten;  als  Unterpfand  ihrer 
guten  Gesinnung  deponierten  sie  10  000  Anteilscheine 
der  Broadway- Aktien ,  die  sie  sich  verschafft  hatten,  bei 
Drexel,  Morgan  &  Co.^)  Morgan  wußte,  daß  jeder  ein- 
zige dieser  Anteilscheine  durch  Bestechung  erworben  und 
daß  das  ganze  Broadway-Privilegium  so  erlangt  worden 
war.    Vielleicht  war  Stetsons  ausgezeichnete  und  geschickte 

^)  siehe  Testimony  of  James  W.  Forshay,  President  of  the  Broadway  and  Seventh 
Avenue  Railroad  Company,  New  York  Senate  Committee  on  the  Broadway  Railroad, 
1886,  491^ — 492. 


-  566  - 

Arbeit   für   Sharp   eine    große    Empfehlung    für    ihn    bei 
Morgan. 

Nachdem  Cieveland  im  Jahre  1888  in  seiner  zweiten 
Kandidatur  für  die  Präsidentschaft  der  Vereinigten  Staaten 
geschlagen  worden  war,  nahm  er  seine  juristische  Tätigkeit 
wieder  auf  und  assoziierte  sich  mit  Stetson.  Cieveland 
wurde  im  Jahre  1892  wieder  zum  Präsidenten  gewählt; 
darauf  war  Stetson  im  Weißen  Hause  ein  häufiger  und 
vertrauter  Besucher.  Diese  verschiedenen  Umstände  wur- 
den vielfach  besprochen  und  besonders  kritisch,  als  Cieve- 
land im  Jahre  1895  tatsächlich  beschuldigt  wurde,  das  Volk 
der  Vereinigten  Staaten  offenbar  an  das  durch  Stetson  ver- 
tretene Morgan-Syndikat  verkauft  zu  haben. 

Ein  Achtzehn-MiUionen-Geschenk 

Die  Situation  war  damals  so :  Das  Syndikat  hatte  den  Staats- 
schatz der  Vereinigten  Staaten  seines  Goldes  beraubt;  es 
hatte  dann  eine  Ausgabe  von  Obligationen  erzwungen  und 
erklärt,  daß  es  allein  das  verlangte  Gold  liefern  könne.  Dies 
war  eine  leicht  zu  durchschauende  Unwahrheit.  Viele 
Mitglieder  des  Kongresses  drangen  in  Cieveland  und  John 
G.  Carlisle,  den  Finanzminister,  die  Obligationsausgabe  zu 
einer  „populären"  zu  machen.  Mit  „populär"  meinte  man 
nicht  die  Masse  des  Volkes,  die  weder  Gold  noch  irgendeine 
andere  Art  von  Geld  besaß,  sondern  die  kleineren  kapita- 
Hstischen  Interessenten.  Cieveland  und  Carlisle  übergaben 
jedoch  die  62  Millionen  Dollar  vierprozentiger  Obligationen 
dem  Morgan-Syndikat  zum  Preise  von  104.  Das  Syndikat 
verkaufte  die  Obligationen  sofort  wieder  zu  118,  119  und  120 
an  Geldanleger  in  Amerika  und  Europa  und  erzielte,  wie 
man  schätzte,  einen  direkten  Gewinn  von  ungefähr  18  Millio- 
nen Dollar  1).  Diese  Zahl  stellte  die  Summe  dar,  die  der 
Regierung  zugeflossen  wäre,  wenn  der  Obligationenhandel 

^)  Dieser  mit  der  Regierung  am  8.  Februar  1895  abgeschlossene  Obligationen- 
Kontrakt  wurde  einige  Tage  geheimgehalten.  Nach  der  Ausgabe  der  Obligationen 
überwachte  Morgan  den  Empfang  der  Zeichnungen  in  seinem  Büro  persönlich.  Der 
Wunsch,  von  ihm  Obligationen  z\x  kaufen,  war  so  groß,  daß  er  22  Minuten,  nachdem 
das  Angebot  begonnen  hatte,  verkündete,  daß  keine  weiteren  Zeichnungen  ange- 
nommen werden  würden;  der  ganze  Vorrat  von  Obligationen  sei  verkauft. 


-  567  - 

ohne  das  vermittelnde  Verfahren  ausgeführt  worden  wäre. 
Der  mit  der  Regierung  abgeschlossene,  ganz  und  gar  von 
den  Bankiers  unter  Morgans  Leitung  diktierte  Kontrakt  gab 
dem  Syndikat  fernerhin  das  Anrecht  auf  alle  Obligationen- 
ausgaben bis  zum  nächsten  l.  Oktober  und  gestattete  ihm, 
die  Zeit  zur  Ablieferung  der  Hälfte  der  Gesamtsumme  in 
Gold  selbst  zu  wählen. 

Von  allen  Seiten  kamen  die  schärfsten  Anklagen  gegen 
Cleveland  einerseits  und  Morgan  andererseits.  Selbst  Zei- 
tungen von  der  Partei  Clevelands,  die  ihn  regelmäßig  unter- 
stützten, verurteilten  den  Handel  als  skandalös  und  er- 
klärten, daß  die  Regierung  schamlos  „durch  Bauernfängerei" 
ausgeplündert  worden  sei,  wenn  nicht  in  Wirklichkeit  eine 
noch  schlimmere  Beschuldigung  gegen  ihre  höchste  Exe- 
kutivgewalt vorgebracht  werden  könne^).  Seine  eigene  poli- 
tische Partei  sagte  sich  von  Cleveland  los.  Aber  wie  gleich- 
gültig die  großen  Magnaten  auf  Stürme  der  Kritik  herab- 
sahen, davon  gewinnen  wir  einen  bezeichnenden  Einblick 
durch  die  Tatsache,  daß  Morgan  den  gegen  seine  Handlungen 


^)  Kaum  war  der  Reservefonds  an  Gold  durch  diese  Obligationenausgabe  von 
62  Millionen  Dollar  erlangt  worden,  so  wurde  er  durch  die  Bankiers  schnell  wieder 
geleert.  Gegen  Ende  des  Jahres  1895  verbreiteten  sich  düstere  Gerüchte,  daß  eine 
neue  Obligationenausgabe  im  Gange  sei.  Diese  Gerüchte  wurden  durch  den  Erlaß 
eines  privaten  Zirkulars  von  J.  Pierpont  Morgan  &  Co.  bestätigt,  das  ihre  Absicht 
kundtat,  ein  Syndikat  zu  bilden,  um  eine  erwartete  weitere  Ausgabe  von  200  Millio- 
nen Dollar  Regierungsobligationen  zu  übernehmen.  Morgan  und  seine  Teilhaber 
sahen  einen  Gewinn  von  20  Millionen  Dollar  voraus.  Augenscheinlich  wußte  Morgan 
genau,  wieviel  die  Regierung  aufzunehmen  beabsichtigte;  als  die  Regierung  ihren 
Aufruf  erließ,  entsprachen  die  Bedingungen  denen  des  Zirkulars,  das  Morgan  eine 
Woche  vorher  ausgegeben  hatte.  Es  folgte  eine  so  allgemeine  Empörung,  daß  Cleve- 
land und  sein  Kabinett  gezwungen  waren,  das  Morgan-Syndikat  preiszugeben  und 
die  neue  Anleihe  mit  einer  Ersparnis  von  20  Millionen  Dollar  für  den  Staatsschatz 
auf  den  allgemeinen  Markt  zu  bringen. 

Es  braucht  als  typische  und  denkwürdige  Tatsache  kaum  erwähnt  zu  werden, 
daß  Morgan  in  seiner  amtlichen  Korrespondenz  und  in  seinen  öffentlichen  Be- 
kanntmachungen sich  als  angetrieben  durch  „patriotische  Erwägungen"  und  durch 
den  Wunsch,  „den  besten  Interessen  der  Regierung  und  des  Volkes"  zu  dienen, 
darstellte.  Ein  Wallstreet-Makler  bezeichnete  dies  in  einer  öffentlichen  Bekannt- 
machung zynisch  als  „bestrickenden  und  einträglichen  Patriotismus".  Als  Morgan 
die  neue  200-Millionen-Dollar-Anleihe  in  seine  Gewalt  zu  bekommen  suchte,  fragte 
ihn  ein  befreundeter  Bankier,  ob  er  nicht  einige  Details  über  die  Pläne  des  Syndikats 
erfahren  könne,  ehe  er  sich  beteiligte.  „Kann  Ihnen  nichts  Näheres  mitteilen",  soll 
Morgan  geantwortet  haben.  „Wenn  Sie  Geld  machen  wollen  und  das  Gold  haben, 
beteiligen  Sie  sich.    Wenn  nicht,  au  revoir." 


-  568  - 

erhobenen  Anklagen  keine  Beachtung  schenkte,  dagegen 
über  die  Veröffentlichung  einer  Beschreibung  seiner  Person 
als  „eines  Magnaten  von  rubinfarbenem  Angesicht"  un- 
verhohlenen tiefen  Unwillen  zeigte.  Er  war  in  bezug  auf  die 
Entstellung  seines  Gesichts  sehr  empfindlich. 

Soweit  auch  kritische  Bemerkungen  über  seine  Hand- 
lungsweise gingen,  sie  verschwanden  bald  wieder,  und  ge- 
rade die  Zeitungen,  die  an  erster  Stelle  ihn  in  Worten 
zerrissen  hatten,  kehrten  zu  ihrer  alten  schmeichlerischen 
Art,  ihn  als  einen  glänzenden  Finanzmann  und  Philanthro- 
pen zu  preisen,  zurück.  Von  allen  Magnaten  hegte  keiner 
eine  schärfere  Verachtung  für  die  Zeitungen  als  Morgan. 
Keiner  wußte  besser  als  er,  daß,  was  für  Ausfälle  sie  auch 
gelegentlich  machten,  ihre  Richtung  im  ganzen  doch  leicht 
durch  die  Interessen  der  Besitzenden  geregelt  werden 
konnte. 


Nichts  für  die  Arbeitslosen 

Um  jedoch  die  ganze  Bedeutung  des  Regierungsverfahrens 
bei  diesem  besonderen  Obligationenhandel  zu  erkennen, 
durch  welchen  einigen  wenigen  schon  mit  Reichtum  über- 
ladenen Bankiers  ein  Geschenk  von  reichlich  i8  Millionen 
Dollar  gemacht  wurde,  muß  man  sich  die  Verhältnisse  unter 
der  Masse  des  Volkes,  besonders  nach  der  Panik  des  Jahres 
1893  ins  Gedächtnis  zurückrufen.  In  normalen  Zeiten  betrug 
nach  der  Schätzung  von  Caroll  D.  Wright,  der  einige  Jahre 
Arbeitskommissioner  des  Bundes  war,  die  Zahl  der  Arbeits- 
losen immer  ungefähr  i  Million  Männer,  Frauen  und  Kinder. 
Nach  der  Panik  des  Jahres  1 893  wuchs  diese  Zahl  vielleicht 
auf  3  Millionen.  Die  Regierung  rührte  nicht  einen  Finger, 
um  irgendeinem  dieser  Arbeitslosen  zu  helfen,  auch  wur- 
den weder  Mittel  zur  Linderung  dieses  Elends,  noch  die 
Ursachen  seiner  Entstehung  in  Betracht  gezogen.  Maßregeln 
wurden  getroffen,  um  Protestversammlungen  in  den  Straßen 
zu  unterdrücken,  und  Führer  von  Arbeiter  Vereinigungen 
wurden  unter  der  vorgeblichen  Beschuldigung  der  Ver- 
achtung der  Bundesgerichtshöfe  in  das  Gefängnis  geworfen. 
Noch  im  Jahre  1894  hatte    Cleveland    reguläre    Truppen 


-  569  - 

gegen  die  streikenden  Eisenbahnarbeiter  ausgeschickt.  Immer 
und  in  jeder  Hinsicht  führte  die  Regierung  nur  die  Befehle 
aus,  die  ihr  von  den  alle  ihre  Handlungen  beherrschenden 
großen  Kapitalisten  zugingen. 


Zehntes  Kapitel 

MORGAN  DER  „UNVERGLEICHLICHE  FÜHRER  DER 
INDUSTRIE" 

Zur  Adventszeit  des  Jahres  1898  setzte  eine  epoche- 
machende Bewegung  zur  Zusammenfassung  und 
Zentralisierung  des  Besitzes  an  EisenbahnHnien ,  In- 
dustriezweigen, gemeinnötigen  Betrieben  und  Bergwer- 
ken ein.  Die  Trustperiode  war  jetzt  unwiderstehlich  im 
Gange.  Nach  einem  fast  dreißigjährigen  Kampf  in  den 
Gerichtshöfen  und  auf  dem  lebhaften  Tummelplatz  der 
Politik  und  Industrie  sah  sich  die  Mittelklasse  vollständig 
betrogen. 

Acht  Jahre  vorher,  im  Jahre  1890,  hatte  man  im  Staate 
New  York  etwas  erreicht,  was  in  überschwenglichen  Aus- 
drücken als  bemerkenswerter  Triumph  verkündet  wurde. 
Damals  hatten  die  Gerichtshöfe  den  Zuckertrust  nach  der 
Verfügung  des  gemeinen  Rechtes,  wonach  keine  Korpo- 
ration berechtigt  sei,  ihre  Rechte,  Machtbefugnisse  und 
Verpflichtungen  durch  ihre  Aktionäre  oder  auf  andere  Art 
einem  Direktorium  zu  übertragen,  für  ungesetzlich  erklärt^). 

^)  The  People  of  the  State  of  New  York  versus:  „The  North  River  Sugar 
Refining  Company,  121,  N.  Y.,  582." 

Nachdem  die  Regierung  das  Vergehen  dieser  großen  Betrügereien  unbestreit- 
bar bewiesen  hatte,  zahlte  die  Amerikanische  Zuckerraffinerie- Gesellschaft  zur 
Wiedererstattung  des  Erschwindelten  im  April  1909  mehr  als  2  Millionen  Dollar  an 
die  Regierung.  Aber  diese  zwei  Millionen  Dollar  deckten  nur  einen  Teil  des  lange  fort- 
gesetzten Betrugs.  Es  wurde  keiner  von  denen  bestraft,  die  aus  diesem  Diebstahl 
Nutzen  gezogen  hatten;  die  Bestrafung  einiger  unbekannter  Zollwäger  und  einiger 
Beamte  des  Trusts  war  die  einzige  Maßregel,  die  man  ergriff.  Allerdings  wurden 
die  Direktoren  des  Zuckertrusts  im  Jahre  1909  auch  verklagt.  Die  Anklage  bezog 
sich  jedoch  nicht  auf  die  Zollbetrügereien,  sondern  auf  die  Verletzung  des  Antitrust- 
Bundesgesetzes  —  eine  nichtssagende  Anklage,  denn  eine  Verurteilung  daraufhin 
führte  in  der  Praxis  nur  zu  einer  nominellen  Geldstrafe. 


-  570  - 

Die  Mittelklasse  verkündete  frohlockend,  daß  kein  Trust 
einen  so  fundamentalen  und  durchgreifenden  Beschluß 
überleben  könne.  Aber  jener  Klasse  war  eine  neue  Über- 
raschung vorbehalten.  Die  damals  bestehenden  Truste 
nahmen  diese  Entscheidung,  statt  irgendwelche  Bestürzung 
zu  zeigen  oder  ihre  Auflösung  vorzubereiten,  mit  höchst 
ärgerlichem  Gleichmut  auf  und  schritten  dazu,  ihrer  eigenen 
Körperschaft  unter  Umhängung  eines  gesetzlichen  Mäntel- 
chens Dauer  zu  verleihen.  Sie  wurden  nicht  nur  beständig 
größer  und  mächtiger,  sondern  betrogen  unausgesetzt, 
besonders  der  Zuckertrust  mit  den  Havemeyers  an  der 
Spitze,  durch  falsches  Abwiegen  importierten  Zuckers  die 
Regierung  systematisch  in  ungeheurer  Weise.  Diese  Be- 
trügereien wurden  eine  lange  Reihe  von  Jahren  fortgesetzt, 
und  als  sie  im  Jahre  1909  öffentlich  bekannt  wurden,  schätzte 
man  den  Betrag,  um  den  die  Regierung  so  betrogen  worden 
war,  auf  mehrere  zehn  Millionen  Dollar. 

Abgesehen  von  diesen  riesigen  Schwindeleien,  verblieb 
der  Zuckertrust  so  absolut  sicher  in  seinem  Monopol,  daß 
er  alle  Konkurrenten  leicht  vernichten,  Tariftabellen  vor- 
schreiben und  bei  dem  ganzen  Handel  einen  Gewinn  er- 
pressen konnte,  den  einige  maßgebende  Persönlichkeiten 
auf  55  Millionen  Dollar  jährlich  oder  von  der  Zeit  seiner 
Organisation  an  bis  zum  Jahre  1909  auf  eine  Gesamtsumme 
von  660  Millionen  Dollar  schätzten. 

Die  Plutokratie  in  voller  Macht 

McKinleys  Wahl  zum  Präsidenten  der  Vereinigten 
Staaten,  zusammen  mit  einem  Kongreß,  dessen  Majorität 
seine  Ansichten  teilte,  war  ein  deutliches  Zeichen  dafür, 
daß  die  Plutokratie  volle  Macht  erlangt  hatte  —  eine  Macht, 
die  in  regelrechtem  Kampf  gewonnen  war  und  deshalb  als 
volkstümliche  Billigung  der  durch  große  Magnaten  und 
Truste  ausgeübten  Herrschaft  angesehen  wurde. 

Von  jetzt  ab,  das  war  klar,  brauchten  die  Truste  keine 
Gegnerschaft  der  Regierung,  auch  keine  scheinbare,  mehr 
zu  fürchten;  denn  wenn  auch  angebliche  gesetzliche  Maß- 
nahmen die  fundamentale  Herrschaft  der  Truste  niemals 


-  571  - 

schädigten,   so   verursachten   sie   doch   beständige   Belästi- 
jgungen  und  Kosten. 

Als  McKinley  sein  Amt  antrat,  wußten  die  Magnaten 
aller  Art,  daß  die  Trustbewegung  volle,  durch  private  Ab- 
machung bekräftigte  Freiheit  hatte,  ungehindert  und  un- 
belästigt  vorwärts  zu  gehen,  abgesehen  vielleicht  von  einem 
gelegentlichen  Eingriff  mit  schauspielerischer  Wirkung  für 
das  Volk.  Infolgedessen  blühte  das  Geschäft  der  Trust- 
organisation ganz  öffentlich;  ein  Trust  nach  dem  anderen 
wurde  gebildet;  fast  alle  bekannten  Erzeugnisse  wurden 
umfaßt.  Das  Werk  wurde  mit  phänomenaler  Geschwindig- 
keit und  Wirkung  fortgeführt.  Die  Mittelklasse  sah  ohn- 
mächtig zu,  wie  Fabriken,  Eisenbahnen,  Gas-  und  Elektri- 
zitätsanlagen, Straßenbahnlinien,  Telephonnetze  und  Berg- 
werke aus  dem  Zustande  persönlichen  oder  einfachen  Ge- 
sellschaftsbesitzes in  die  Trustform  umgewandelt  und  Eigen- 
tum großer  einzelner  Korporationen  mit  verblüffenden 
Summen  von  Kapital  und  unbeschränkter  Herrschaft  über 
ungeheure  Arbeiterscharen  wurden. 

Bei  diesem  revolutionären  Werk,  der  Organisation  von 
Trusten,  war  J.  Pierpont  Morgan  einer  der  ersten  Ober- 
befehlshaber. So  unerläßlich  es  in  diesem  Werke  ist,  das 
Verfahren  zu  beschreiben,  durch  welches  er  seinen  Reich- 
tum erwarb,  ebenso  notwendig  ist  es,  auf  die  Dienste  hin- 
zuweisen, die  er  und  seinesgleichen  dem  Fortschritt  leisteten. 
Wenn  man  nur  die  fortschrittlichen  Bewegungen  in  Be- 
tracht zieht,  so  ist  es  unwesentlich,  aus  welchen  Motiven 
sie  entstanden;  das,  was  geschah,  ist  das  einzige,  was  histo- 
risch zählt.  Niemand  kann  leugnen,  daß  diese  revolutionären 
Kapitalisten  einzig  durch  ehrgeizige  persönliche  Ziele: 
Habgier,  Mammon  und  die  Sucht  nach  Macht  angetrieben 
wurden.  Aber  schließlich  waren  sie  doch  Revolutionäre, 
ohne  es  zu  wissen,  und  gerade  die  Art  kapitalistischer  Re- 
volutionäre, die  zu  jener  besonderen  Zeit  notwendig  waren. 

Starke,  grausame  Männer,  unerschrocken  in  ihrer  Hinter- 
list und  hinterlistig  in  ihrer  Unerschrockenheit,  waren  zur 
Vernichtung  des  alten  halsabschneiderischen,  willkürlichen, 
individualistischen  Konkurrenzsystems  notwendig.  Jene 
schwerfällige,  geizige,  kleinlich  denkende  Gesellschaft,  die 


-  572  - 

Mittelklasse,  ganz  erfüllt  von  dem  Behagen  des  Bauches 
und  von  ihren  engen  konventionellen  Vorschriften,  setzte 
ihre  persönlichen  Interessen  den  Forderungen  des  Fort- 
schritts entgegen.  Sie  lehnte  es  ab,  sich  zu  rühren;  sie 
schützte  sich  hinter  Mauern  besonderer  Gesetze;  sie  ver- 
suchte eine  rückschreitende  Bewegung.  Unter  diesen  Be- 
dingungen waren  Morgan  und  seine  Genossen  die  rechten 
Männer  für  die  Aufgabe :  starke,  gebieterische,  eigenmächtige 
Männer,  ohne  Bedenken  betreffs  der  Mittel  zur  Erreichung 
ihrer  Ziele,  von  genügender  Verachtung  des  Gesetzes, 
wenn  es  ihnen  im  Wege  stand,  und  mächtig  genug,  ihm 
Trotz  zu  bieten.  Sehr  erfahrene  Zerstörer  waren  sie.  Aber 
sie  waren  auch  Neuschöpfer.  Sie  rissen  ein,  um  wieder  auf- 
zubauen. Ein  verfallenes,  veraltetes  Industriesystem  er- 
setzten sie  durch  eine  weit  systematischere  Ordnung,  den 
Vorläufer  künftiger  schönerer  Systeme,  Der  Fortschritt 
wirkt  oft  mit  seltsamen  Werkzeugen. 

In  den  auf  das  Jahr  1898  unmittelbar  folgenden  Jahren 
tat  sich  Morgan  besonders  in  vielen  dieser  Trustgründungen 
hervor.  Er  war  ein  allgegenwärtiger  Magnat,  der  seine  Er- 
oberungen auf  industriellem  Gebiet  und  seine  Herrschaft 
in  vielen  verschiedenen  Richtungen  vorwärtstrieb.  Jeder  neue 
Erfolg  fügte  seinem  Vermögen  Millionen  Dollar  hinzu. 

Das  unfehlbare  Rezept,  Geld  zu  machen 

Den  Plan,  Kohlengrubenbesitz  und  Eisenbahnen  für 
Kohlentransport  zusammenzubringen  und  zu  einer  Ver- 
einigung zu  verschmelzen,  mit  dem  er  einige  Jahre  vorher 
den  Anfang  gemacht  hatte,  führte  er  beharrlich  weiter 
aus.  Die  wichtigste  aller  übriggebliebenen  unabhängigen 
Gesellschaften  in  dem  Anthrazitgebiet  von  Pennsylvania 
war  die  Pennsylvania -Kohlengesellschaft.  Sie  beherrschte 
einige  der  wertvollsten  Gruben  im  Zentrum  der  reichsten 
Lager.  Während  sie  ihren  Arbeitern  elende  Löhne  zahlte, 
hatte  sie  jahrelang  16%  Dividende  von  einem  Kapital  von 
5  Millionen  Dollar  eingeheimst.  In  ihrer  Schatzkammer 
hatte  sie  in  der  Form  eines  Überschusses  ein  Kapital  von 
IG  Millionen  Dollar  aufgespeichert. 


~  573  - 

Hier  war  eine  herrliche  Gelegenheit.  Konnte  irgendein 
wachsamer  Finanzmann  der  Versuchung  widerstehen  ?  So- 
bald sich  Morgan  mit  den  lockenden  Tatsachen  bekannt 
gemacht  hatte,  war  ein  Feldzugsplan  rasch  entworfen. 
Er  schickte  Agenten  aus,  um  das  nordöstliche  Gebiet 
von  Pennsylvania  zu  durchsuchen  mit  dem  Befehl,  für 
Aktien  der  Pennsylvania-Kohlengesellschaft  j  eden  geforderten 
Preis  zu  zahlen.  Unauffällig  gingen  diese  geheimen  Ab- 
gesandten ihrer  Mission  nach.  Monatelang  durchreisten  sie 
Pennsylvania  und  erlangten  schließlich  genug  Aktien,  um 
Morgans  Herrschaft  sicherzustellen;  für  diese  Aktien  war 
ein  Durchschnittspreis  von  532  Dollar  für  das  Stück  gezahlt 
worden. 

Was  tat  Morgan  dann?  Er  verkaufte  den  Besitz  an  die 
Erie-Eisenbahngesellschaft  für  32  Millionen  Dollar.  Diese 
Bezahlung  geschah  in  der  Form  vierprozentiger  Nebentrust- 
obligationen,  die  durch  Hypotheken  auf  die  Pennsylvania- 
Kohlengesellschaft  und  durch  die  New  York-,  Susquehanna- 
und  Western-Eisenbahn,  die  kurz  vorher  von  der  Erie  er- 
worben worden  war,  sichergestellt  waren.  Auch  war  dieses 
nicht  alles;  eine  Ausgabe  von  5  Millionen  Dollar  Prioritäten 
wurde  noch  hineingeworfen.  Aber  wer  beherrschte  die 
Erie-Eisenbahn  ?  Der  hervorragende  J.  Pierpont  Morgan. 
Als  Privatperson  kaufte  er  den  Kohlenbesitz,  und  dann  be- 
stimmte er  als  Herrscher  über  die  Erie-Bahn,  was  ihm  dafür 
bezahlt  werden  sollte. 

„Die  Kritik,"  so  bemerkte  die  Industriekommission  mit 
der  allen  solchen  euphemistischen  amtlichen  Berichten 
eigenen  zarten  Zurückhaltung,  „hat  dieses  Verfahren  mit 
der  Begründung  angegriffen,  daß  der  von  der  Erie-Eisen- 
bahn J.  P.  Morgan  &  Co.  gezahlte  Preis  übertrieben  hoch 
war.  Zeugenaussagen  vor  der  Industriekommission  weisen 
darauf  hin,  daß  dies  in  der  Tat  der  höchste  Preis  war,  der  in 
der  Geschichte  des  Geschäftslebens  für  solchen  Besitz  ge- 
zahlt worden  ist"^).  Was  diese  Kommission  matt  und  so 
liebenswürdig  als  „Kritik"  bezeichnete,  war  in  Wirklichkeit 
ein  allgemeines  Murren  des  Unwillens  über  die  Leichtigkeit 
und  Kühnheit,  mit  der  Morgan  Millionen  Dollar  an  soge- 

^)  Final  Report  of  the  Industrial  Cotnmission  19,  459 — 460. 


-  574  - 

nanntem  „Gewinn"  gelassen  sich  selbst  zuwies.  Über  diese  Art 
der  Geschäftsführung  und  verschiedenes  Ähnliches  beruhigte 
sich  die  Industriekommission  mit  folgender  Erklärung: 
„Die  Möglichkeit  betrügerischen  Gewinns  ist  unter  diesen 
Umständen  ungeheuer  groß"^).  Indem  die  Industrie- 
kommission dies  klar  aussprach,  überwand  sie  einmal  beinahe 
ihre  gewohnheitsmäßige  Schüchternheit  im  Ausdruck  und 
nannte  die  Dinge  bei  ihrem  wahren  Namen.  Doch  was 
nützte  es,  zu  sagen,  Betrug  sei  Betrug,  wenn  diejenigen, 
die  daraus  Nutzen  zogen,  nicht  einmal  vor  Gericht  ver- 
hört wurden  ?  Die  von  Morgan  bei  diesem  Geschäft  ein- 
gesteckte Summe  kann  nicht  in  Erfahrung  gebracht  werden. 
Die  Industriekommission  gab  sich  mit  der  Erklärung  zu- 
frieden :  „Welche  Höhe  der  Gewinn  der  Bankiers  erreichte, 
wurde  durch  die  Zeugenaussagen  vor  der  Kommission 
nicht  klargestellt"  2).  Wir  können  wohl  annehmen,  daß  der 
Gewinn  auf  Millionen  geschätzt  werden  kann. 

Gehindert  durch  einen  größeren  Magnaten 

Im  Besitz  der  Erie-Eisenbahn,  die  so  reich  an  Erinnerungen 
an  Jay  Goulds  Betrügereien  und  Diebstähle  war,  rannte 
Morgan  unerwartet  und  zu  seinem  großen  Ärger  plötzlich 
in  seine  erste  große  Niederlage.  Es  kam  zu  dieser  Nieder- 
lage bei  seinem  Versuch,  ein  betrügerisches  Eisenbahn- 
geschäft durchzuführen.  Wäre  es  erfolgreich  gewesen,  so 
hätte  er  sich  die  Masse  von  wenigstens  lo  Millionen  Dollar 
an  „Gewinn"  aneignen  können.  Der  Plan  war  von  der 
typischen,  unter  den  Magnaten  üblichen  betrügerischen 
Art,  eine  Eisenbahn  aufzukaufen  und  sie  dann  (um  in  dem 
Finanzjargon  des  Tages  zu  sprechen)  auf  ein  Haupt-Eisen- 
bahnsystem abzuladen,  das  sowohl  von  dem  Käufer  wie  dem 
Verkäufer  beherrscht  wurde, 

Morgan  hatte  einen  beherrschenden  Anteil  an  der  Cin- 
cinnati-,  Hamilton-  und  Dayton-Eisenbahn.  Diese  Linie 
setzte  sich  aus  einer  Anzahl  früherer  Separatbahnen  und  aus 
verschiedenen  gepachteten  Eisenbahnen  zusammen.  Am 
20.  September  1905  kaufte  die  Erie-Eisenbahn  jenen  Anteil 

^)  Final  Report  of  the  Industrial  Commission,  326.       ^)  Ebenda.  460. 


-  575  - 

von  einem  Syndikat,  an  dessen  Spitze  J.  P.  Morgan  &  Co. 
stand.  Die  Erie-Direktoren,  alles  von  Morgan  eingesetzte 
Beamte,  erteilten  die  Berechtigung  zur  Ausgabe  von  1 2  Mil- 
lionen Dollar  vierprozentiger,  in  gewöhnliche  Erie-Aktien 
zu  60  konvertierbarer  Obligationen,  um  Morgan  für  die 
Cincinnati-,  Hamilton-  und  Dayton-Eisenbahn  zu  bezahlen. 
So  weit  war  das  Programm  glatt  verlaufen. 

Plötzlich  erschienen  von  einer  Seite  her,  die  Gehorsam  er- 
heischte, Anzeichen  einer  sehr  mächtigen  Opposition.  Die 
Erie-Direktoren  wurden  vorgeladen,  um  ihre  Handlung  zu 
widerrufen.  Sollten  sie  sich  weigern,  so  würde  es  zu  teuren 
Gegenmaßregeln  kommen,  nicht  nur  in  Prozeßform,  son- 
dern auch  durch  Anwendung  eines  Druckes,  dem  sie  nicht 
würden  widerstehen  können.  Von  wem  kam  dieser  mächtige 
Einspruch  ?  Wer  war  der  Ehrfurcht  einflößende  Magnat, 
der  Morgan  durch  Furcht  zum  Rückzug  bringen  konnte  ? 

Es  ist  niemals  öffentlich  bekannt  geworden,  wer  es  war, 
aber  in  Wallstreet  setzte  sich  die  Vermutung  fest,  daß  es 
niemand  anders  als  E.  H.  Harriman  war.  Es  herrschte  all- 
gemein die  Ansicht,  daß  Harriman,  der  die  Standard  Oil- 
Oligarchie  vertrat,  selbst  die  Herrschaft  über  die  Erie-Eisen- 
bahn  zu  erlangen  suchte  und  daß  es  zu  jenem  besondern 
Zeitpunkt  in  seinem  Interesse  lag,  Morgan  in  den  Weg  zu 
treten.  Die  Folge  hat  jene  Überzeugung  bestätigt:  die 
Erie-Eisenbahn  ging  später  in  Harrimans  Herrschaft  über^). 
Welche  geheimen  Mittel  auch  immer  angewandt  sein 
mochten,  um  Morgan  zu  zwingen,  eine  andere  Richtung  ein- 
zuschlagen, und  wer  sie  auch  immer  angewandt  haben  mag, 
sie  waren  durchaus  erfolgreich.  Die  Erie-Direktoren  er- 
klärten ihr  Verfahren  demütig  für  ungültig,  und  die  in 
Aussicht  stehenden  10  Millionen  Dollar  ,, Gewinn"  schwan- 
den dahin  wie  ein  Traum. 


^)  In  einem  Verzeichnis  der  großen  Eisenbahnaktionäre,  das  im  Januar  1909 
von  der  Kommission  für  den  Handel  von  Staat  zu  Staat  veröffentlicht  wurde,  er- 
schien J.P.  Morgans  Name  nicht  öffentlich  als  der  einesAktionärs  der  Erie-Eisenbahn. 
Aber  man  glaubte,  daß  Walter  B.  Hörn,  ein  Beamter  seines  Büros,  14  502  600  Dollar 
ihrer  Aktien  besäße  und  die  Firma  J.  S.  Morgan  &  Co.  in  London  ungefähr  2  Millio- 
nen Dollar.  Harriman  erlangte  die  Herrschaft  über  die  Erie-Eisenbahn  im  Jahre  1909. 


-  576  ~ 

Eine  Verkettung  von  Folgeerscheinungen 

Was  wurde  aus  Morgans  Cincinnati-,  Hamilton-  und 
Dayton-Eisenbahn,  nachdem  er  gezwungen  war,  sie  zu- 
rückzunehmen ?^)  Dieses  Eisenbahnnetz,  das  er  an  seine 
Erie-Eisenbahn  beinahe  zu  einem  so  extravaganten  Preise 
verkauft  hätte,  daß  selbst  die  in  solchen  Machenschaf- 
ten erfahrenen  Leute  erstaunt  waren,  geriet  ungefähr 
einen  Monat  nach  diesem  mißlungenen  Versuch  in 
Bankrott. 

Am  4.  Dezember  1905  wurde  Judson  Harmon,  einer  der 
Vertrauten  des  Expräsidenten  Cleveland,  zum  behördlich 
bestellten  Verwalter  der  Eisenbahn  mit  Einschluß  ihrer 
Nebenlinien,  der  Pere  Marquette-Eisenbahn  und  der 
Toledo-Eisenbahn  und  Terminal-Gesellschaft,  ernannt. 
Jahre  der  Prozeßführung  folgten.  In  diesen  Rechtskämpfen 
wurde  vor  Gericht  die  Klage  erhoben,  daß  Morgan,  als  er 
diese  Toledo-Eisenbahn  und  Terminal-Gesellschaft  durch 
Kauf  während  des  Bankrotts  zurückerlangte,  und  zwar  als 
einen  noch  unbeschränkteren  Besitz  als  vorher.  Betrug  ver- 
übt habe.  Die  kleineren  Aktionäre  und  Obligationen- 
inhaber protestierten  wütend  gegen  diese  Art  der  Re- 
organisation, die  sie  tatsächlich  ihrer  Anteile  beraubte  und 
ihnen  ihr  bißchen  Reichtum  nahm.  Aber  wenn  sie  auch 
Morgan  mit  einer  Reihe  von  Prozessen  belästigten,  er  fegte 
sie  doch  unerbittlich  aus  seinem  Wege.  Und  mit  welchem 
Reinergebnis  ?  Unter  seinem  ausgezeichneten  Plan  so- 
genannter Reorganisation  würden  die  neu  ausgegebenen 
Aktien  sieben  Jahre  lang  zu  einem  Stimmtrust  fest  ver- 
einigt werden,  über  den  Morgan  mit  diktatorischer 
Gewalt  herrschen  würde,  um  dann  mit  der  Cincinnati- 
Hamilton-  und  Dayton-Eisenbahn  nach  Belieben  ver- 
fahren  zu  können.    Überdies  werden  seine  Kommissions- 


^)  „Movely's  Manual"  für  1908  (S.  230)  gleitet  in  folgender  Weise  über  diese 
Angelegenheit  hinweg:  Im  September  1905  erlangte  die  Erie-Eisenbahngesellschaft 
einen  beherrschenden  Anteil  an  dem  Aktienkapital  dieser  Gesellschaft  (der  C. 
H.  &  D.  R.  R.  Co.),  und  die  Rechtsgewalt  der  Erie-Beamten  wurde  auf  die  Linien 
dieser  Gesellschaft  ausgedehnt;  aber  im  November  desselben  Jahres  befreite  J.  P. 
Morgan  die  Erie-Eisenbahngesellschaft  von  allen  ihren  Verpflichtungen  in  dieser 
Sache,  und  die  C.  H.  &  D.-Beamten  nahmen  den  Betrieb  ihrer  Linien  wieder  auf. 


-  577  - 

gebühren  dafür,  daß  er  die  Eisenbahn  auf  solche  Weise 
„reorganisierte",  daß  die  kleineren  Aktionäre  hinausgedrängt 
wurden  und  der  Besitz  sich  zum  großen  Teil  in  seiner 
Person  konzentrierte,  wahrscheinlich  aus  mehreren  Mil- 
lionen bestanden  haben.  Er  ist  daher  teilweise,  wenn  auch 
nicht  tatsächlich,  für  die  im  Jahre  1905  ihm  entschwundenen 
10  MilUonen  Dollar  entschädigt  worden. 

Ein  Kampf  der  Magnaten 

Das  übliche  tägliche  Bukett  von  Neuigkeiten  wurde  im 
Mai  1901  plötzlich  durch  die  Nachricht  belebt,  daß  eine 
Reihe  großer  Magnaten  sich  Hals  über  Kopf  in  einen  er- 
bitterten Kampf  gestürzt  habe.  Es  gab  einen  ungewöhn- 
lichen Aufruhr  in  hohen  Kreisen.  Morgan,  James  J.  Hill, 
die  Rockefellers  und  Harriman,  die  Vanderbilts  und  andere 
höchste  Persönlichkeiten  waren  in  den  Kampf  verwickelt. 
Hier  gab  es  in  der  Tat  aufregende  Neuigkeiten.  Was  be- 
deutete diese  heftige  Erregung  unter  den  Hochstehenden  ? 
Womit  fing  sie  an  und  womit  würde  sie  enden  ? 

Den  Anlaß  dazu  gab  Hills  Versuch,  den  Einfluß  der 
andern  beteiligten  Magnaten  zu  untergraben.  Offenbar 
war  dies  eine  Handlung,  die  vergeltende  Maßregeln  hervor- 
rufen mußte.  Hill  hatte  seiner  Alleinherrschaft  über  die 
Great  Northern-Eisenbahn,  einer  sich  durch  den  Nord- 
westen und  Canada  erstreckenden  Linie,  kürzlich  einen 
leitenden  Einfluß  auf  die  Northern  Pacific-Eisenbahn  hinzu- 
gefügt, die  ein  parallel  laufendes  Gebiet  durchkreuzte.  Die 
Inangriffnahme  und  der  Bau  der  Northern  Pacific-Eisen- 
bahn waren  wie  gewöhnlich  voll  von  Bestechung  und  poli- 
tischer Korruption,  von  Diebstählen  großer  Strecken  Acker- 
landes, Bauholz-  und  Grubengebietes.  Von  verschiedenen 
Finanziers  ausgeplündert,  war  die  Northern  Pacific  zum 
Bankrott  gezwungen  worden.  Dann  hatte  Hill  sie  in  seine 
Gewalt  bekommen. 

Nun  erweiterte  sich  sein  Gesichtskreis.  Warum  sollte  er 
nicht  einen  direkten  Anteil  an  dem  in  Chicago  zusammen- 
laufenden ungeheuren  Handelsverkehr  haben  ?  Um  das  zu 
erreichen,  machte  er  sich  daran,   in  die  Herrschaft  über 

37 


-  578  - 

die  Chikago-,  Burlington-  und  Quincy-Eisenbahn  hinein- 
zukommen. Dieser  Schritt  beunruhigte  die  konkurrierenden 
Magnaten;  sie  sahen  sofort,  daß  die  Interessen  ihrer  Eisen- 
bahnen im  Nordwesten  und  Westen  sicherHch  gefährdet 
werden  würden.  Wie  konnten  sie  ihn  abwenden  oder  wenig- 
stens seine  Resultate  unschädlich  machen?  Der  tunlichste 
Plan,  der  sich  ihnen  darbot,  bestand  darin,  Hill  auf  seinem 
eigenen  Gebiete  anzugreifen.  In  klugem  Vorgehen  fingen 
sie  an,  die  Northern  Pacific- Aktien  aufzukaufen.  Das  würde 
ihnen  eine  Stimme  bei  einer  seiner  eigenen  Eisenbahnen 
geben.  Während  Harriman,  von  der  Standard  Oil-Oligar- 
chie  unterstützt,  dieses  tat,  strengte  Hill  sich  an,  immer 
mehr  Northern  Pacific-Aktien  aufzukaufen,  und  Morgan 
steckte  tief  im  Getriebe  dieses  Börsenspiels,  um  seine 
eigenen  ausgedehnten  Interessen  zu  schützen. 

Eine  durch  den  Streit  der  Magnaten  hervorgerufene  Panik 

Da  sich  die  allerreichsten  und  mächtigsten  Männer  in 
Amerika  um  die  Northern  Pacific-Aktien  rissen,  wuchs  ihr 
Marktpreis  zu  einer  erstaunlichen  Höhe  an.  Fünf  Monate 
war  er  auf  58  heruntergegangen;  jetzt  stieg  er  manchmal 
täglich  um  23  bis  zu  300  Dollar,  ja,  an  einem  Tage  für  kurze 
Zeit  bis  auf  1000  Dollar  die  Aktie.  Ein  „Spekulantenring", 
der  an  Größe  aUes  übertraf,  was  man  vorher  bei  Eisenbahn- 
aktien erlebt  hatte,  war  die  Folge.  „Die  Opfer,  die  notwen- 
dig wurden,  um  Geld  zur  Erfüllung  von  Kontrakten  zu 
erlangen,"  so  berichtet  die  Handelskommission,  „beschleu- 
nigten den  Ausbruch  einer  verhältnismäßig  weitverbreiteten 
Panik"^).  Tausende  über  Tausende  von  kleineren  Inhabern 
anderer  Eisenbahnpapiere  wurden  von  dem  Wirbel  erfaßt 
und  zugrunde  gerichtet;  in  demselben  Maße  wie  die  Preis- 
notierungen der  Northern  Pacific-Aktien  weiter  stiegen, 
stürzten  die  anderer  Eisenbahnaktien  herab. 

Das  Ende  dieses  Kampfes  ließ  sich  voraussehen.  Die  Stan- 
dard Oil-Clique  ging  aus  ihm  mit  größerer  Herrschergewalt 
und  vermehrter  Macht  auf  einem  Gebiete  hervor,  auf  dem 
sie  bis  dahin  nicht  so  stark  gewesen  war.  Während  das  Land 

^)  Final  Report  of  Industrial  Commission  19,  317. 


-  579  - 

von  dem  kläglichen  Wehgeschrei  der  zerstreuten  Schar 
kleiner,  um  ihr  unbedeutendes  Vermögen  gebrachter  Aktien- 
spekulanten widerhallte,  kamen  die  kämpfenden  Magnaten 
freundschaftlich  überein,  ein  neues  Einverständnis  zu 
arrangieren.  Das  umstrittene  Gebiet  sollte  hübsch  unter 
ihnen  verteilt  werden,  und  die  Angelegenheiten  würden  sich 
in  ruhiger  Weise  befriedigend  lösen.  Eine  „Vereinbarung 
vornehmer  Männer",  anders  ausgedrückt  „eine  Interessen- 
gemeinschaft", würde  ihre  brüderlichen  Beziehungen  mit- 
einander verkitten.  Ein  solcher  Bund  würde  die  Konkurrenz 
ersticken  und  die  angenehme  Beschäftigung,  dem  Volke 
noch  größeren  Tribut  auszupressen,  vereinfachen  und  er- 
weitern. 

Wer  sollte  zum  Schiedsrichter  gewählt  werden  ?  Wer 
besaß  den  gerechten  Sinn,  um  mit  der  Auswahl  der 
neuen  Leiter  der  Northern  Pacific-Eisenbahn  betraut  zu 
werden  ?  Morgan  war  der  für  die  Beilegung  der  Streitig- 
keiten erwählte  Mann.  Für  ihn  gab  es  jedoch  keine  unklare 
„Vereinbarung  vornehmer  Männer",  wenn  man  etwas 
Besseres  an  deren  Stelle  setzen  konnte.  Er  entwarf  den  Plan 
einer  ungeheuer  großen  Besitzgemeinschaft,  einer  inkorpo- 
rierten Genossenschaft,  die  sowohl  an  der  Great  Northern-, 
wie  an  der  Northern  Pacific-Eisenbahn  einen  Besitzanspruch 
hatte.  Daraufhin  wurde  die  „Northern  Securities  Company" 
mit  einem  Kapital  von  400  Millionen  Dollar  gegründet. 

Auf  die  Ankündigung  davon  regten  sich  die  Leute  im 
Nordwesten  in  heftigem  Widerspruch.  Wurden  sie  nicht 
schon  genügend  unterdrückt  ?  Ein  so  vernichtendes  Mono- 
pol dürfe  nicht  gestattet  werden,  erklärten  sie;  es  würde  sie 
in  absolute  Knechtschaft  bringen,  ein  Prozeß  müsse  an- 
gestrengt werden,  um  es  aufzuheben.  Die  Regierung  der 
Vereinigten  Staaten  strengte  in  der  Tat  solch  einen  Prozeß 
an  und  betrieb  ihn  mit  Nachdruck.  Warum  dieser  Prozeß 
mit  so  großer  Energie  und  Geschicklichkeit  betrieben  wurde, 
das  ist  niemals  aufgeklärt  worden.  Lag  es  im  geheimen 
Interesse  gewisser  mächtiger  Magnaten,  die  „Northern 
Securities  Company"  aufzulösen  ?  Der  oberste  Gerichtshof 
der  Vereinigten  Staaten  traf  die  Entscheidung,  daß  die  Ge- 
nossenschaft ungesetzlich  sei.    Aber  —  und  diese  „Aber" 

j7 


-  58o  - 

kommen  immer  dazwischen  —  obgleich  die  Gesellschaft  sich 
formell  und  schicklich  auflöste,  bUeb  das  Prinzip,  nach 
welchem  sie  sich  gebildet  hatte,  praktisch  in  Kraft  vermöge 
einer  neuen  „Vereinbarung  vornehmer  Männer".  Der 
gerichtliche  Erlaß  war  eine  Sache;  seine  Durchsetzung 
gegenüber  dem  Kern  der  Angelegenheit  eine  ganz  andere. 
Aber  die  Auflösung  war  der  Form  nach  durchgebracht 
worden,  und  damit  hielt  man  das  Gesetz  für  befriedigt. 

So  war  diese  von  der  Mittelklasse  als  eine  entscheidende 
Niederlage  der  Truste  froh  begrüßte  Entscheidung  schließ- 
lich nur  leere  Phrase.  Gerade  während  diese  Gegner  der 
Truste  den  obersten  Gerichtshof  der  Vereinigten  Staaten 
freudig  als  „das  Bollwerk  der  Wirtschaftsfreiheit"  priesen, 
veranlaßten  die  Truste  den  Kongreß,  ein  Gesetz  zu  er- 
lassen, das  die  Hauptstütze,  auf  die  sich  die  Mittelklasse  in 
ihrem  Kampf  mit  den  großen  zentraHsierten  Korporatio- 
nen verlassen  hatte,  umstieß. 

Mehr  als  ein  Jahrzehnt  lang  sahen  sich  die  Organisatoren 
von  Trusten  einem  Bundesgesetz  gegenüber,  das  Geldstrafen 
oder  Gefangenschaft  oder  beides  beim  Nachweis  irgend- 
einer Tätigkeit  zur  Beschränkung  des  Handels  vorschrieb. 
Keiner  von  ihnen  war  ins  Gefängnis  gewandert ;  auch  war, 
da  sie  den  ganzen  Regierungsbetrieb  beherrschten,  keine 
Aussicht  vorhanden,  daß  jemand  von  solch  einer  Strafe 
heimgesucht  werden  würde.  Aber  diese  Gefängnisklausel 
war  ein  beständiges  Ärgernis;  warum  sollte  sie  in  den 
Gesetzbüchern  bleiben,  wenn  man  sie  leicht  auslöschen 
konnte  ?  Und  warum  sollte  man  nicht  bestimmte  Be- 
teiligte für  immun  erklären  ?  Gegen  eine  einzelne  Bestim- 
mung, die  im  Falle  des  Nachweises  eine  Geldstrafe  fest- 
setzte, hatten  die  Magnaten  durchaus  nichts  einzuwenden. 
Sie  würde  den  Anschein  erwecken,  daß  man  sich  dem  Volks- 
empfinden unterwerfe,  und  könnte  wohl  gleichzeitig  von 
denen,  gegen  die  sie  gerichtet  war,  scherzhaft  aufgefaßt 
werden.  Wenn  Trustmagnaten  durch  ungesetzliche  Hand- 
lungen ungeheure  Summen  einheimsten,  was  hatte  dann 
eine  Geldstrafe  von  einigen  Tausend  Dollar  zu  bedeuten  ? 
Sie  war  zu  unbedeutend,  um  sich  darüber  zu  beunruhigen. 
Außerdem,  selbst  wenn  in  einem  außerordentlichen  Falle 


-  58i  - 

die  Geldstrafe  drückend  gemacht  werden  sollte,  so  konnte 
sie  dem  Konsumenten  in  Anrechnung  gebracht  werden. 

Völlige  Straflosigkeit  für  die  Magnaten 

Jene  ärgerliche  Gefängnisklausel  mußte  also  aus  dem 
Gesetz  herausgeworfen  werden,  und  dies  geschah  auf  Um- 
wegen durch  ein  Gesetz,  das  im  Jahre  1903  im  Kongreß 
durchging.  Gleichzeitig  bestätigte  und  erweiterte  dasselbe 
Gesetz  das  Prinzip  der  Gewährung  von  Straflosigkeit  an 
Trustbeamte.  Es  kam  nicht  darauf  an,  wie  sehr  und  wie  oft 
sie  das  Antitrustgesetz  verletzt  hatten,  sie  waren  jetzt 
absolut  vor  jeder  Möglichkeit  geschützt,  zu  einer  Gefängnis- 
strafe verurteilt  zu  werden. 

Die  Regierung  mochte  sie  scheinbar  mit  der  größten 
Wißbegier  verhören  und  im  Prozeß  aus  ihnen  Zuge- 
ständnisse von  höchst  selbstanklägerischem  Charakter  her- 
ausziehen; diese  Beweisaufnahme  konnte  nach  dem  Ge- 
setz von  1903  bei  einem  gerichtlichen  Verfahren  nicht  als 
Zeugenaussage  gegen  sie  verwendet  werden.  Nicht  nur  war 
die  einzelne  Persönlichkeit  befreit;  die  Gesellschaft  selbst 
wurde  ausdrücklich  von  jeder  Strafverfolgung,  die  zu  einer 
Geldstrafe  oder  einer  Vermögensbeschlagnahme  führen 
könnte,  befreit. 

Der  Triumph  der  Truste  war  nun  wirklich  vollendet. 


Elftes  Kapitel 
MORGAN  AUF  DER  HÖHE 

Um  das  Ende  des  Jahres  1902  schien  J.  Pierpont  Morgan 
allem  Anschein  nach  in  der  Rangordnung  der  ameri- 
kanischen Magnaten  an  erster  Stelle  zu  stehen;  kaum  ein 
Tag  verging,  an  dem  die  Zeitungen  nicht  irgendeine  neue 
Heldentat  von  ihm  verkündeten  oder  seiner  sich  beständig 
ausdehnenden  Macht  in  serviler  Weise  ihren  Tribut  dar- 
brachten. In  der  öffentlichen  Schätzung  galt  er  für  eine 
übernatürlich  überragende  Persönlichkeit,  für  eine  Gestalt, 


-  5^2  - 

die  sich  durch  eine  ungeheure  und  ganz  besondere  Vor- 
nehmheit auszeichnete  und  die  prominentesten  Verwalter 
poHtischer  und  industrieller  Ämter  in  den  Schatten  stellte. 

Der  unwiderstehliche  Fortschritt  der  Trustbewegung 
und  die  allumfassende  Macht  der  Magnaten  kann  besser 
beurteilt  werden,  wenn  man  sich  erinnert,  daß  gerade 
während  Roosevelts  Präsidentschaft  der  feindseligste  Feld- 
zug gegen  die  Truste  geführt  wurde,  der  je  versucht  worden 
ist^).  Wenigstens  schien  es  so,  wenn  Schmähungen  und 
Gerichtsprozesse  zählen.  Aber  im  Grunde  war  Roosevelt  trotz 
seiner  Vorspiegelungen  ein  Werkzeug  der  Trustmagnaten, 
und  diese  Tatsache  wurde  aufs  neue  durch  den  Umstand 
erwiesen,  daß  gerade  er  als  Präsident  das  Gesetz  unter- 
zeichnete, das  aus  dem  Gesetz  gegen  Frachtbegünstigungen 
die  Haftbestimmung  herausstrich  und  damit  Magnaten  und 
Korporationen  volle  Befreiung  von  Strafverfolgung  zu- 
sicherte 2). 

Es  zeigte  sich  wieder  während  des  großen  Kohlenstreiks 
vom  Jahre  1902,  als  Roosevelt  gezwungen  war,  J.  Pierpont 
Morgan  zu  bitten,  einer  Art  schiedsrichterlicher  Schlichtung 
zuzustimmen.  Es  war  allerdings  wahr,  daß  Roosevelt  oder 
die  von  ihm  Beeinflußten  im  geheimen  darauf  hinweisen 


^)  Das  heißt  gegen  die  „schlechten"  Truste.  Wie  sogar  das  äußere  Auftreten  der 
Beamtenschaft  mit  den  Interessen  der  herrschenden  Klasse  in  Einklang  gebracht 
vnirde,  zeigte  sich  in  der  zunehmenden  Tendenz,  einige  „Truste"  als  gut  anzuneh- 
men und  so  die  anderen  als  „schlecht"  anzuklagen,  obgleich  alle  Truste  durch  Ver- 
letzung des  geschriebenen  Gesetzes  bestanden. 

2)  „Mut,  Ehrlichkeit  und  das  Gnadengeschenk  des  gesunden  Menschenverstandes 
sind  nach  Mr.  Roosevelts  Ansicht  die  drei  Dinge,  die  die  Menschen  groß  machen 
werden"  .  .  .,  so  schrieb  A.  Maurice  Low  in  „The  Independent"  in  der  Ausgabe 
vom  30.  Oktober  1902.  Während  Roosevelt  die  Magnaten  auf  diese  Art  demütig  um 
Kapital  bat,  um  seine  Kampagne  zu  finanzieren,  und  sie  durch  Gesetz  von  der  Ge- 
fangenschaft befreite,  nahm  er  im  Jahre  1907  besondere  Veranlassung,  die  öffentliche 
Meinung  gegen  Moyer,  Haywood  und  Pettibone,  Beamte  der  „Western  Federation 
of  Miners"  zu  beeinflussen,  als  diese  im  Gefängnis  die  gerichtliche  Untersuchung 
gegen  sich  erwarteten.  Sie  wurden  später  von  der  erdichteten  Anklage  des  Mordes, 
die  von  mächtigen  kapitalistischen  Interessenten  gegen  sie  vorgebracht  worden  war, 
um  die  fortschreitende  Arbeiterorganisation,  deren  Führer  sie  waren,  in  Mißkredit 
und  zur  Auflösung  zu  bringen,  freigesprochen.  Sicherlich  war  Roosevelt  außer- 
ordentlich mutig,  indem  er  die  Schwachen  und  diejenigen  angriff,  von  denen  er 
keine  Unterstützung  und  kein  Kapital  erwarten  konnte.  In  neuerer  Zeit  hat  kein 
Mann  gelebt,  der  mehr  überschätzt  worden  ist,  auch  keiner,  der  das  Volk  durch  leere» 
Geschwätz  mehr  zum  Narren  gemacht  hat. 


-  583  - 

konnten,  daß  es  für  die  Kohlenmagnaten  ratsam  wäre,  zu 
einem  Vergleich  zu  kommen;  sie  könnten  sonst  wegen  Ver- 
letzung des  Gesetzes,  das  den  Eisenbahnen  den  Besitz 
von  Kohlenbergwerken  untersagt,  Strafverfolgung  erleiden. 
Aber  die  Magnaten,  die  wohl  wußten,  wie  oft  sie  dieses 
törichte  Gerede  gehört  hatten,  und  wie  leer  und  wirkungslos 
das  alles  war,  konnten  belustigt  und  voller  Verachtung  daran 
vorübergehen.  Dann  folgte  das  Schauspiel,  wie  der  Präsident 
der  Vereinigten  Staaten  —  in  der  Theorie  der  Vertreter 
von  85  Millionen  Menschen  —  gezwungen  war,  mit  einigen 
wenigen  Magnaten  nach  ihren  eigenen  Bedingungen  zu 
parlamentieren  und  zu  unterhandeln.  „Der  eine  Mann, 
der  die  Geldleute  beherrschte,"  schrieb  A.  Maurice  Low 
(der  zweifellos  einer  der  am  besten  unterrichteten  Zeitungs- 
korrespondenten in  Washington  war),  „war  Mr.  J.  Pierpont 
Morgan.  Da  alles  andere  fehlgeschlagen  war,  mußten  seine 
Dienste  gewonnen  werden."  Morgan  zeigte  sofort,  daß  er 
die  Macht  besäße,  das  zu  tun,  was,  wie  der  Präsident  der 
Vereinigten  Staaten  zugab,  die  höchste,  in  seiner  eigenen 
Person  konzentrierte  Exekutivgewalt  des  Landes  nicht  tun 
konnte  —  eine  Tatsache,  die  Low  veranlaßte  (wie  schon 
früher  erwähnt),  ehrfurchtsvoll  auszurufen:  „Groß  ist 
Mr.  Morgans  Macht,  größer  in  mancher  Hinsicht  noch  als 
die  eines  Präsidenten  oder  Königs."  Roosevelt  mochte 
öffentlich  damit  prahlen,  daß  er  jenen  Streik  beigelegt  habe, 
tatsächlich  aber  benutzte  Morgan  Roosevelt  schlau  dazu, 
eine  Schlichtung  gerade  in  dem  Moment  herbeizuführen, 
in  dem  die  Magnaten  sie  für  staatsklug  hielten,  und  mit  dem 
günstigsten  Resultat,  das  sie  in  jener  besonders  beunruhigen- 
den kritischen  Lage  erhoffen  konnten^). 

^)  Low  sagt:  „Folgeades  war  in  nuce  die  Situation,  die  von  Mr.  Morgan  und 
Mr.  Root  während  der  fünf  Stunden  besprochen  wurde,  die  sie  an  jenem  Sonnabend, 
als  Krieg  und  Frieden  in  der  Schwebe  waren,  auf  der  Jacht  des  crsteren  zusammen 
zubrachten:  Den  Streik  weitergehen  zu  lassen,  bedeutete  Möglichkeiten,  an  die 
niemand  auch  nur  zu  denken  wünschte.  Es  könnte  das  Öffnen  von  Pandoras  Büchse 
bedeuten.  Es  könnte  Brandstiftung  und  Aufruhr  und  Blutvergießen  in  dem  Kohlen- 
gebiet bedeuten.  Es  könnte  in  der  Stadt  New  York  sogar  Schlimmeres  bedeuten. 
Schon  schrien  die  Armen  nach  Brennmaterial,  und  noch  hatte  der  Winter  seine  Hand 
nicht  einmal  leicht  auf  die  Stadt  gelegt.  Es  könnte  einen  solchen  Zustand  der  Dinge 
bedeuten,  daß  die  ganze  Armee  ihn  nicht  in  Schranken  hätte  halten  können." 


-  584  -' 

Beherrschung  von  55000  Meilen  Eisenhahn 

Zwischen  Morgan,  dem  frühreifen  jungen  Manne  des 
Jahres  1861,  der  so  eifrig  hinter  dem  Gelde  her  war  und  die 
Unionsarmee  so  erfolgreich  mit  schlechten  Flinten  betrog, 
und  Morgan,  der  unmeßbaren  Geldgröße  des  Jahres  1902, 
lag  eine  lange  Spanne  Zeit  von  einigen  vierzig  Jahren. 
Vier  Jahrzehnte  hatte  er  unaufhörlich  um  großen  Reichtum 
gekämpft;  Tausende  von  ehrgeizigen,  demselben  Ziele  nach- 
jagende Wallstreetstreber  hatten  sich  während  dieser  Zeit 
übermäßig  angestrengt  und  waren  in  elendem  Mißerfolge 
untergegangen.  Überall  konnte  Morgan  im  Vorwärts- 
schreiten mit  eigenen  Augen  die  Trümmer  sehen,  auf  deren 
Mißgeschick  sich  viel  von  seinem  Glück  aufbaute.  Und 
worin  bestand  schließlich  das  Resultat  seines  auf  Gelderwerb 
gerichteten  Lebens  ?  Von  seinem  anderweitigen  Besitz  gibt 
es  keinen  genauen  authentischen  Bericht,  aber  der  Umfang 
seiner  Eisenbahnbesitzungen  läßt  sich  feststellen.  Moody 
schrieb,  daß  er  im  Jahre  1902  mit  55  000  Meilen  Eisen- 
bahn „identifiziert"  wurde*).  „Diese,"  erklärte  Moody, 
„beherrschen  Wegerechte,  Kohlenland,  Kopfstationen, 
Konkurrenzlinien,  Dampf  Schiffsverbindungen  und  ähn- 
liches." 

Seine  Eisenbahnunternehmungen,  so  groß  sie  auch  waren, 
wurden  durch  seine  noch  größeren  Unternehmungen  in  der 
Bildung  von  Trusten  etwas  in  den  Schatten  gestellt. 
„Mr.  Morgan,"  schrieb  Moody  weiter,  „ist  im  wesentlichen 
die  belebende  Kraft,  der  Schöpfer  und  der  Beherrscher  der 
gegenwärtigen  amerikanischen  industriellen  Kräfte."  Ein 
wohltönender  Satz,  aber  sehr  übertrieben.  Lange  vor  jener 
Zeit  hatte  John  D.  Rockefeller  das  Prinzip  der  Zentralisation 
der  Industrie  dargetan.  Morgan  war  nicht  der  einzige,  der 
belebend  und  schöpferisch  oder  herrschend  tätig  war;  er 
war  nur  einer  der  leitenden  Praktiker  beim  Umwandeln  in- 
dustrieller Verhältnisse  aus  der  Konkurrenz-  in  die  Trust- 
form. „Er  ist  fraglos,"  fuhr  Moody  fort,  „der  kühnste, 
fähigste  und  weitsichtigste  aller  modernen  , Finanzgenerale', 
die  an  der  Spitze  der  modernen  Bewegung  für  den  Kon- 

')  „The  Truth  about  the  Trusts,"   107. 


-  585  - 

solidierungsgedanken  in  Produktion  und  Vertrieb  der  Güter 
stehen.  Dies  läßt  sich  leicht  durch  die  Tatsache  beweisen, 
daß  die  Unternehmungen,  in  denen  sein  Einfluß  vorherr- 
schend ist,  heute  die  stärksten  und  geschicktest  angelegten 
aller  großen  Verbindungen  oder  , Truste'  sind"^). 

Morgans  Organisation  des  Stahltrusts 

Welches  war  der  außergewöhnlich  starke  und  geschickt 
angelegte  Trust,  auf  den  Moody  so  hochtrabend  hin- 
weist ?  Es  war  der  große  Stahltrust.  Braucht  es  erwähnt  zu 
v^erden,  daß  dies  durchaus  nicht  das  einzige  Erzeugnis  Mor- 
gans von  dieser  Art  war  ?  Er  hatte  an  der  Organisation 
so  vieler  Truste  Anteil,  daß  der  Ausdruck  „Morganisation 
der  Industrie"  sich  wie  ein  Schreckensruf  überallhin  ver- 
breitete. Es  ist  jedoch  kaum  notwendig,  sich  mit  diesen 
anderen  Trusten  zu  beschäftigen;  als  ein  kristallklares  Bei- 
spiel von  Morgans  Methode  wird  der  Stahltrust  zweifellos 
genügen. 

Dieser  Trust,  das  mag  von  vornherein  ausgesprochen 
werden,  war  keine  lumpige  Sache  von  einigen  hundert  Millio- 
nen Dollar.  Er  war  ein  Unternehmen,  das  der  Anstrengung 
eines  „großen  Generals  der  Finanz"  würdig  war.  Die  Feder 
mag  beim  Niederschreiben  straucheln,  aber  irgendwie 
wollen  wir  doch  versuchen,  die  Tatsache  zum  Druck  zu 
bringen,  daß  dieser  Trust  mit  mehr  als  einer  Milliarde 
Dollar  Kapital  ins  Leben  trat. 

Diesem  Stahltrust  (oder  United  States  Steel  Corporation, 
wie  er  sich  zu  nennen  beliebte)  wurde  allmählich  eine  sehr 
große  Anzahl  wichtiger  Anlagen  einverleibt:  Anlagen  in 
vielen  Teilen  der  Vereinigten  Staaten:  Eisen-  und  Stahl- 
werke und  Fabriken  von  Zinnwaren.  Eisen-  und  Stahlwaren 
von  jeder  Art  und  Beschaffenheit  waren  unter  den  Erzeug- 
nissen der  Fabrikanlagen,  die  in  dieser  riesenhaften  Kor- 
poration zusammengefaßt  wurden,  enthalten.  Es  beliebte 
ihr,  sich  nicht  als  Eigentümerkorporation  sondern  als  Ver- 
mögensverwaltungs-Gesellschaf  t  zu  bezeichnen.  Es  gelang  ihr 
nicht,  alle  in  den  Vereinigten  Staaten  vorhandenen  Fabrik- 

^)  Ebenda  106 — 107. 


-  586  - 

anlagen  zusammenzuschließen,  aber  von  denen,  die  außer- 
halb blieben,  dienten  viele  große  Werke,  die  mit  ihr  ver- 
bündet waren,  zweifellos  nur  dazu,  einen  wohlüberlegten 
Schein  von  Konkurrenz  hervorzurufen.  Andere  gab  es  von 
„unabhängiger"  Art,  Fabrikanlagen,  die  dem  Trust  feind- 
lich gesinnt  und  eifrig  darauf  bedacht  waren,  mit  ihm  zu 
konkurrieren.  Aus  Gründen,  die  weiterhin  in  diesem  Kapitel 
dargelegt  werden  sollen,  fürchtete  der  Stahltrust  die  meisten 
von  diesen  nicht. 

Konflikt  mit  Carnegie 

Der  Brücken-  und  der  Röhrentrust,  die  zum  großen  Teil 
Morgan  gehörten^),  gingen  mit  dem  Plan  um,  gewisse  Halb- 
fabrikate selbst  herzustellen.  Da  die  Carnegie-Werke  durch 
deren  Herstellung  und  Vertrieb  blühten,  war  diese  Nach- 
richt für  Carnegie  von  folgenschwerer  Bedeutung.  Er  tat 
sofort  Schritte,  um  Gleiches  mit  Gleichem  zu  vergelten. 
Aber  wie  konnte  er  es  erfolgreich  tun  ?  Welche  Art  Gegen- 
maßregel würde  am  schnellsten  und  wirksamsten  sein  ?  Car- 
negie war  in  Erfahrung  mit  Handelsmachenschaften  hart 
geworden;  er  war  nicht  der  Magnat,  der  erst  lernen  mußte, 
wie  man  einen  Konkurrenten  an  seinem  empfindlichsten 
Punkte  trifft.  Es  verbreitete  sich  die  Nachricht,  er  beabsich- 
tige, das  Brücken-  und  Röhrengeschäft  aufzunehmen.  Das 
war  eine  Ankündigung,   über  die  Morgan  nachsinnen   und 


1)  Beweise  für  die  Art,  wie  die  im  Brückentrust  vereinigten  Gesellschaften 
verfuhren,  kamen  im  Jahre  1910  ans  Licht  und  riefen  einen  großen  öffentlichen 
Skandal  hervor.  Staatssenator  Conger  und  andere  Zeugen  sagten  vor  dem  als  Kom- 
mission zur  Untersuchung  der  ganzen  Sache  fungierenden  Staatssenat  von  New  York 
aus,  daß  im  Jahre  1901  eine  Bestechungssumme  von  6000  Dollar  unter  drei  einfluß- 
reiche Mitglieder  des  Repräsentantenhauses  verteilt  worden  sei,  um  die  Ungültig- 
keitserklärung eines  Gesetzes  herbeizuführen,  das  für  unvorteilhaft  für  die  Interessen 
des  Brückentrusts  angesehen  wurde.  J.  P.  Allds,  der  zur  Zeit,  als  die  Anklagen  er- 
hoben wurden,  Präsident  des  Senates  war,  gehörte  zu  den  Angeklagten.  Der  Senat 
erklärte  ihn  für  schuldig.  Die  Enthüllungen  vor  dieser  Kommission  im  Februar  und 
März  1910  waren  von  solcher  Art,  daß  man  allgemein  annahm,  daß  sie  die  ungeheuer 
großen  und  beständigen  Bestechungen  der  gesetzgebenden  Körperschaften  durch 
Korporationen  aller  Art  nur  schwach  andeuteten.  Diese  Annahme  wurde  durch 
die  Tatsache  gerechtfertigt,  daß  bei  beiden  Häusern  der  gesetzgebenden  Körper- 
schaften eingereichte  Vorschläge  zu  einer  umfassenden  Selbstuntersuchung  zuerst 
überstinomt  wurden. 


-  587  - 

grollen  mußte.  Aber  ein  neues  Edikt  (es  ist  keine  Über- 
treibung, die  von  Magnaten  ausgehenden  Befehle  als  Edikte 
zu  bezeichnen)  folgte  rasch  darauf.  Carnegie  wußte  natür- 
lich, daß  sehr  viel  von  der  Pennsylvania-Eisenbahn  und 
ihrem  Eigentum  Morgan  gehörte.  Wenn  man  eine  Eisen- 
bahn zur  Konkurrenz  mit  dem  Pennsylvania-Netz  baute, 
würden  Morgans  Einfluß  und  Vermögen  doppelt  angegriffen 
werden.  Carnegie  veranlaßte  die  Verbreitung  der  Nachricht, 
er  beabsichtige,  eigene  Eisenbahnen  von  Pittsburg  nach  den 
großen  Seen  im  Westen  und  im  Osten  bis  zum  Atlantischen 
Ozean  zu  bauen.  Er  betrieb  diesen  Plan  so,  als  ob  es  ihm 
damit  bitterer  Ernst  sei;  er  schickte  zur  Absteckung  der 
Route  Vermessungsgesellschaften  hinaus. 

Die  Wirkung  auf  Morgan  war  schlagend.  Vielleicht 
gab  Carnegie  seine  Schreckschüsse  als  Erwiderung  auf 
Schreckschüsse  ab.  Doch  die  Situation  war  für  eine  Spielerei 
zu  ernst.  Carnegie  konnte  seine  Drohungen  vielleicht  aus- 
führen; darin  lag  die  Gefahr.  Hätte  Morgan  mit  der  Re- 
gierung der  Vereinigten  Staaten  zu  tun  gehabt,  so  würde  er 
sich  über  Drohungen,  die  er,  wie  er  wußte,  ruhig  übersehen 
konnte,  nicht  so  sehr  beunruhigt  haben;  aber  im  Kampf 
mit  Carnegie  stand  er  einem  Magnaten  gegenüber,  dessen 
Macht  er  mit  gutem  Grunde  grimmig  zu  fürchten  hatte. 
Wie  konnte  Carnegie  besänftigt  oder  von  seinem  verhängnis- 
vollen Plane  abgebracht  oder  an  seiner  Ausführung  ver- 
hindert werden  ?  Einen  heroischen  Weg  gab  es  —  ihn  auf- 
zukaufen und  einen  Trust  zu  organisieren.  Der  Erwerb  der 
Anlagen  der  Carnegie-Gesellschaft  kostete  das  Morgan- 
Syndikat  447  Millionen  Dollar.  Man  lese  das  Kapitel  über 
das  Vermögen  Carnegies,  um  weitere  Details  zu  finden. 

Ein  in  allen  Teilen  vollkommener  Trust 

Man  kann  die  Tatsache  nicht  bestreiten,  daß  der  Stahl- 
trust geradezu  den  Höhepunkt  wirksamer  Organisation  für 
kapitaUstische  Zwecke  bildete.  Andere  Truste  mochten  auf 
dem  Gebiet  der  Produktion  und  teilweise  dem  des  Vertriebs 
gut  organisiert  sein  und  doch  der  Herrschaft  hinsichtlich 
der  Versorgung  mit  Rohmaterial  ermangeln.    Der  Stahl- 


-  588  - 

trust  herrschte  auf  allen  diesen  drei  Gebieten.  Er  hatte  seine 
eigenen  Anlagen.  Da  er  mit  Morgan,  den  Standard-Oil- 
Magnaten  und  den  Goulds  entweder  zusammen  herrschte 
oder  verbündet  war,  standen  ihm  die  Eisenbahn-  und 
Dampfschiffslinien  der  Vereinigten  Staaten  zur  Verfügung. 
Ausgedehnte  Eisenerz-  und  Kohlenlager,  von  denen  einige 
von  Carnegie  an  ihn  übergegangen  und  andere  in  John  D. 
Rockefellers  Besitz  waren,  gehörten  ihm.  Der  Stahltrust 
war  tatsächlich  der  erste  Trust,  der  diese  drei  für  den  voll- 
kommenen Betrieb  eines  Trusts  so  unentbehrlichen  Faktoren 
einer  wissenschaftlichen  Kontrolle  unterwarf.  Durch  seinen 
Besitz  großer  Eisenlager  und  die  tatsächhche  Diktatur  über 
die  Transportnetze  machte  er  beinahe  alle  Konkurrenten, 
die  er  noch  hatte,  sofort  zu  Nullen.  Nur  ein  Konkurrent, 
die  Tennessee- Kohlen-  und  Eisen-Gesellschaft,  besaß  eigenen 
Vorrat  an  Rohmaterial;  und  dieser  Konkurrent  wurde 
später  unter  Umständen  aus  dem  Wege  geräumt,  die  weiter- 
hin beschrieben  werden  sollen. 

Da  der  Stahltrust  alle  Hilfsquellen  der  Produktion  und  des 
V^ertriebs  beherrschte,  war  er  imstande,  sich  selbst  mit  mehr 
als  einer  Milliarde  Dollar  zu  kapitalisieren. 

Mehr  als  eine  halbe  Milliarde  verwässerter  Aktien 

Der  Stahltrust  trat  mit  einer  Kapitalisation  von  im 
ganzen  1402  846  817  Dollar,  von  denen  mehr  als  die  Hälfte 
nur  „verwässerte  Aktien"  waren,  als  Korporation  ins 
Leben.  „Die  Zahlen  zeigen  deutlich,"  so  sagt  der  Bericht 
des  Kommissars  der  Vereinigten  Staaten  für  Korporationen^), 
„daß  die  ganze  Ausgabe  von  annähernd  508  Millionen 
Dollar  gewöhnlicher  Aktien  der  Stahlkorporation  im  Jahre 
1901  keine  wirkhchen  Eigentumsbestände  hinter  sich  hatte 
und  auch  ein  bedeutender  Bruchteil,  sagen  wir  ein  bis  zwei 
Fünftel,  der  Prioritäten  ebensowenig  durch  wirkliches 
Eigentum  geschützt  war.  Zugegeben  selbst,  daß  ein  be- 
trächtlicher Wert  in  nicht  greifbaren  Äquivalenten  ge- 
steckt haben  mag,  so  ist  es  doch  für  den  Verständigen  klar, 

^)  „Summary  of  Report  of  the  Commissioner  of  Corporations  on  the  Steel 
InduBtry,"  191 1,  Teil  I,  S.  37 — 38. 


-  589  - 

daß  die  Ausgabe   der  neuen   Aktien   nur   auf   „Verwässe- 
rung"  hinauslief. 

Morgans  erstaunlich  hohe  Provision 

Diese  kurze  Skizze  von  der  Bildung  des  Stahltrusts  würde 
unvollständig  sein,  würde  man  nicht  näher  angeben,  was 
J.  Pierpont  Morgan  &  Co.  für  ihre  Besitzanteile  und  für  ihre 
,, Dienste"  als  Gründer  des  Stahltrusts  erhalten  haben. 
Zuerst  streckten  sie  als  zeichnendes  Syndikat  ein  bares 
Kapital  von  28  Millionen  Dollar  vor,  um  verstreute  Mengen 
Aktien  verschiedener  Anlagen  aufzukaufen.  Für  diese  Aus- 
gabe von  28  Millionen  Dollar  erhielten  sie  von  der  Stahl- 
korporation der  Vereinigten  Staaten  (United  States  Steel 
Corporation)  1300000  Aktienanteilscheine,  von  denen 
die  Hälfte  bevorzugte  und  die  andere  Hälfte  gewöhnliche 
Aktien  waren,  das  Ganze  von  einem  Pariwerte  von  1 30  Mil- 
lionen Dollar.  Der  Verkauf  dieser  Aktien  brachte  ungefähr 
90  500  000  Dollar;  wenn  man  hiervon  die  vorgestreckten 
28  Millionen  Dollar  abzieht,  so  blieb  ein  Nettoertrag  von 
ungefähr  62  500  000  Dollar.  Von  diesen  62  500  000  Dollar 
ging  ein  Fünftel  oder  12  500  000  Dollar  Morgan  und  Teil- 
habern für  „Gründerdienste"  zu,  und  die  übrigen  50  Millio- 
nen Dollar  wurden  unter  Morgan  und  andere  Leiter  des 
Syndikats  verteilt,  wobei  Morgan  den  Hauptteil  erhielt. 
,,Fügt  man  diesem,"  so  sagt  der  Bericht  des  Regierungs- 
kommissars für  Korporationen,  „die  Beträge  hinzu,  die  den 
mitbeteiligten  Gesellschaften  zur  Zeit  ihrer  Neuorganisa- 
tion für  ähnliche  , Provisionen'  zugestanden  worden  sind  und 
zieht  man  in  Betracht,  daß  die  von  den  mitbeteiligten 
Gesellschaften  besessenen  Aktien  von  der  Stahlkorpora- 
tion dieselben  Umtauschbedingungen  erhielten  wie  sie 
eben  geschildert  wurden,  so  dürfte  klar  sein,  daß  von 
den  Aktien  der  Stahlkorporation  im  Jahre  1901  wenigstens 
150  Millionen  Dollar  (worin  mehr  als  40  Millionen  Dollar 
Vorzugsanteile  eingeschlossen  sind)  direkt  oder  indirekt 
für  solche  Gründer-  und  Zeichnerdienste  ausgegeben 
worden  sind;  und  dies  ging  noch  weit  über  die  enormen 
Beträge  an  gewöhnlichen    Aktien  hinaus,   die  als   Gegen- 


-  590  - 

wert  für  wirkliche  Produktionsanlagen  und  für  Bargeld 
anzusehen  sind"^). 

Der  Bericht  der  Majorität  der  Untersuchungskommission 
des  Kongresses  stellt  die  Tatsachen  etwas  anders  dar.  Er 
sagt,  daß  während  der  fünf  Jahre  nach  der  Bildung  des 
Stahltrusts  J.  P.  Morgan  &  Co.  für  „Gründerdienste", 
Preissteigerung  und  Einwechselung  der  Aktien  bei  der  Über- 
tragung der  Bundes-Stahlgesellschaft,  der  National-Röhren- 
gesellschaft  und  der  Amerikanischen  Brückengesellschaft  auf 
den  Stahltrust  123  126  294  Dollar  erhielten  und  daß  der  ganze 
Betrag  in  Papieren  und  bar,  der  von  der  Stahlkorporation 
und  ihren  Hilfsgesellschaften  dem  Moore-,  dem  Morgan- 
und  andern  Syndikaten  für  ähnliche  Dienste  zugewandt 
wurde,  sich  auf  160  765  894  Dollar  oder  auf  annähernd 
50  Prozent  des  wirklichen  Wertes  aller  ihrer  Betriebsanlagen 
und  Besitztümer  zusammen  belief"  2). 

Bei  keiner  dieser  Berechnungen  sind  die  großen  Summen 
in  Betracht  gezogen,  die  Morgan  und  seine  Verbündeten 
später  durch  ihre  Machenschaften  auf  dem  Geldmarkte  ein- 
heimsten. Einige  von  eben  diesen  Aktien  wurden  schlauer- 
weise an  einen  Teil  der  in  den  Stahlfabriken  beschäftigten 
Arbeiter  verkauft,  in  der  Absicht,  ihren  Widerstand  gegen- 
über den  Bedingungen,  unter  denen  sie  zu  arbeiten  gezwun- 
gen waren,  aufzuheben  und  sie  zu  veranlassen,  gerade  das 
System  zu  unterstützen,  durch  das  sie  ausgebeutet  wurden. 

Vierzig  Millionen  Aktiengewinn  innerhalb  eines  Jahres 

Morgans  Gewinn  stellte  sich  sofort  ein  und  war  riesenhaft. 
Die  erworbenen  Aktien  konnte  er  zum  Marktpreis  von  un- 
gefähr 50  verkaufen.  Bis  zum  Oktober  1902  hatten  Morgan 
und  seine  direkten  Teilhaber  im  Syndikat  schon  40  Millionen 
Dollar  an  Gewinn  verteilt^).  Von  wem  kam  dieser  durch 
Spekulation  mit  Aktien  erlangte  Gewinn  f  Von  einer  Menge 
Geldanleger  der  Mittelklasse  aus  allen  Teilen  der  Welt. 
Angelockt    durch    die    glühend    gefärbten    Prospekte    des 

^)  „Summary  of  Report  of  the  Commissioner  of  Corporations  on  the  Steel 
Industry,"  191 1,  Teil  I,  S.  38—39.     a)  Report  Nr.  1127,  S.  67.      »)  „The  Truth 

about  the  Trusts",  172. 


-  591  - 

Stahltrusts  und  ganz  davon  überzeugt,  daß  das  dabei  an- 
gelegte Geld  große  Dividenden  bringen  und  daß  die 
Aktien  im  Preise  steigen  würden,  rissen  sie  sich  buch- 
stäblich darum,  ihr  Geld  für  die  Aktien  einzuzahlen.  Nach- 
dem dieses  Geschäft  von  den  Unternehmern  erschöpfend 
betrieben  worden  war,  wurde  der  Preis  gewöhnlicher  Aktien 
allmählich  heruntergebracht,  bis  er  im  Jahre  1904  auf  8^/4 
sank.  Scharen  von  Geldanlegern  der  Mittelklasse  waren 
ruiniert ;  die  Magnaten  hatten  ihr  Geld  in  die  eigenen  Ta- 
schen übertragen.  Dieses  Verfahren  wurde  mehrere  Male 
mit  großem  Erfolg  wiederholt.  Wenn  die  kleinen  Leute 
sich  von  ihren  Aktien  bei  niedrigem  Preise  trennten,  pflegten 
die  Magnaten  sie  zurückzukaufen,  und  wenn  sie  dann  eine 
Dividendenerklärung  erzwungen  und  rosige  Berichte  über 
das  Stahlgeschäft  verbreitet  hatten,  wodurch  die  Markt- 
notierungen in  die  Höhe  getrieben  wurden,  verkauften  sie 
die  Aktien  wieder  mit  dem  Ergebnis  ungeheuer  großen  Ge- 
winnes. Durch  solches  Verfahren  haben  Morgan  und  die 
ihm  verbündete  Clique  Hunderte  von  Millionen  Dollar  ge- 
wonnen. 

Wenn  man  fragt,  von  wem  diese  durch  Spekulationen  in 
Aktien  gewonnenen  Hunderte  von  MilUonen  unmittelbar 
kamen,  so  ist  die  Antwort  einfach.  Von  den  Wohlhabenden, 
nicht  nur  in  den  Vereinigten  Staaten,  sondern  in  der  ganzen 
Welt.  Zu  den  unfreiwilligen  Wohltätern  gehörte  die  aus- 
ländische Aristokratie  ebensowohl  wie  die  amerikanischen 
Kaufleute,  die  kleinen  Fabrikanten  und  Leute  verschiedener 
Berufsklassen.  Die  britischen  Lords  und  die  wohlhabenden 
Kreise  des  europäischen  Kontinents  zeigten  sich  reichlich  so 
eifrig,  Morgan  von  seiner  ungeheuren  Last  von  Papier- 
vorrat, sonst  auch  Aktien  genannt,  zu  befreien,  wie  die  Geld- 
anleger des  eignen  Landes.  Sie  überschütteten  ihn  mit 
ihrem  Gelde,  und  er  verteilte  sein  Papier;  er  wurde  mit  Auf- 
trägen überschwemmt. 

Eine  andere  merkwürdige  Erscheinung  muß  besonders 
hervorgehoben  werden.  Selbst  wenn  sich  bedeutende  Teile 
dieser  Mittelklasse  vorsichtig  von  den  Gefahren  des  Geld- 
marktes fern  hielten,  so  wurde  ihr  Geld  doch  von  den 
Magnaten  benutzt,  wie  wenn  es  das  sichere  Eigentum  jener 


-  592  - 

Magnaten  sei.  So  erstaunlich  paradox  dies  auch  scheinen 
mag,  es  war  und  ist  ein  der  stockblinden  Mittelklasse  ge- 
spielter bitterer  Possen.  Der  Gewinn,  den  die  kleineren 
Fabrikanten  und  Kaufleute  dadurch  machten,  daß  sie  die 
Arbeiter  durch  den  Verkauf  verfälschter,  minderwertiger 
und  schlecht  gewogener  Waren  betrogen,  wurde  in  den 
Banken  angelegt.  Diese  eingezahlten  Gelder  wurden  von 
den  Organisatoren  der  Truste  benutzt,  um  gerade  die  Klasse 
zu  vertilgen,  der  sie  gehörten  —  eine  KJasse,  die  die  Truste 
mit  tödlicher  Feindschaft  haßte.  Das  war  die  widersinnige 
Situation,  die  die  Mittelklasse  sich  nicht  klar  machte.  Die 
großen  Magnaten  beherrschten  ungeheuer  mächtige  New 
Yorker  Banken^);  diese  Institute  ihrerseits  herrschten  über 
Hunderte,  wenn  nicht  Tausende  kleinerer  Banken  im  ganzen 
Lande.  Die  Aktienausgabe  des  Stahltrusts  sowohl  wie  die 
vieler  anderer  Truste  wurden  an  diese  Banken  verkauft. 
Die  Trustmagnaten  hoben  das  Geld  der  Mittelklasse  ab, 
und  die  Banken  erhielten  dafür  die  nur  nominell  erhöhten 
Aktien  und  Obligationen. 

Die  großen  BetTÜgereien  hei  Versicherungsgesellschaften 

Weitere  Hunderte  von  Millionen  Dollar  waren  im  Besitz 
der  großen  Versicherungsgesellschaften  als  Depots  und  als 
Überschuß  von  den  Prämien,  die  jährlich  von  zahllosen  Be- 
sitzern von  Policen  eingezahlt  wurden,  zu  denen  die  ganz 
Reichen,  die  Mittelklasse  und  die  Arbeiterklasse  gehörten. 
In  Versicherungsgesellschaften,  wie  der  „New  York",  der 
,,Equitable"  und  der  „Mutual",  war  die  Arbeiterklasse  nur 

^)  Die  drei  großen  New  Yorker  Banken,  die  Morgan,  wie  man  animmt,  damals 
lange  beherrschte,  waren  die  „First  National",  die  „National  Bank  of  Commerce" 
und  die  „Hanover  National".  Ihre  ungeheuren  Hilfsquellen  mögen  aus  folgenden 
Tatsachen  klar  werden:  Die  „First  National"  besitzt  ein  Kapital  von  lo  Millionen 
Dollar,Depots  inHöhe  von  113  Millionen  Dollar  und  eine  Reserve  von  i86Millio- 
nen  Dollar.  Die  „National  Bank  of  Commerce"  besitzt  ein  Kapital  von  25  Millionen 
Dollar,  Depots  in  Höhe  von  170  Millionen  Dollar  und  eine  Reserve  von  15  Millio- 
nen Dollar.  Die  „Hanover  National"  besitzt  ein  Kapital  von  3  Millionen  Dollar, 
Depots  in  Höhe  von  82  Millionen  Dollar  und  eine  Reserve  von  10  Millionen 
t)ollar.  Seit  jener  Zeit  hat  Morgan,  wie  wir  sehen  werden,  seine  Herrschaft  über 
eine  große  Anzahl  anderer  tatsächlich  einen  Geldtrust  bildender  Banken  aus- 
gedehnt. 


-  593   - 

wenig  vertreten;  die  Arbeiter  konnten  es  sich  nicht  leisten, 
die  verlangten  hohen  Prämien  zu  zahlen.  Da  sie  gezwungen 
waren,  von  den  Volksversicherungsgesellschaften  Policen 
mit  wöchentlichen  Ratenzahlungen  zu  nehmen,  wurden 
sie  sogar  in  noch  größerem  Maße  betrogen  als  die  Policen- 
besitzer der  Gesellschaften  der  „alten  Schule".  Auch  ihr 
Geld  wurde  benutzt,  um  die  Truste  mit  hinreichendem 
Kapital  zu  versorgen,  mit  dem  diese  die  gesetzgebenden 
Körperschaften  bestechen  konnten,  um  Privilegien  und 
andere  Gesetze  durchzubringen  und  ausgedehnte  Aus- 
rüstungen zu  erlangen.  Die  „Public  Service  Corporation" 
zum  Beispiel,  der  die  Anlagen  und  Betriebe  gemein- 
nütziger Einrichtungen  des  ganzen  Staates  New  Jersey  (mit 
Ausnahme  der  Eisenbahnen)  gehören,  wurde  mit  dem  Geldc 
finanziert,  das  von  einer  dieser  großen  Volksversicherungs- 
gesellschaften vorgestreckt  wurde. 

In  der  Herrschaft  über  die  kolossalen  Kapitalien  der 
Lebens  Versicherungsgesellschaft  „New  York"  stand  Morgan 
an  der  Spitze  der  leitenden  Faktoren,  während  er  auch, 
durch  vorgeschobene  Personen  gedeckt,  in  den  Geschäften 
der  Lebensversicherungsgesellschaft  „Equitable"  tätig  war*). 
Beweise  von  seiner  auf  Umwegen  ausgeübten  Macht  wur- 
den wiederholt  in  den  bemerkenswerten,  wenn  auch  im 
Grunde  wirkungslosen  Untersuchungen  aufgedeckt,  die  von 
einer  Kommission  der  gesetzgebenden  Körperschaften  von 
New  York  angestellt  wurden.  Die  Versicherungsgesell- 
schaften hatten  Überfluß  an  Bargeld;  Morgan,  Harriman 
und  andere  Magnaten  hatten  die  Aktienausgabe.  Da  augen- 
scheinlich diese  Aktien  nicht  zum  Zwecke  ästhetischer  Schau- 
stellungen ausgegeben  waren,  war  es  von  großer  und  unmittel- 
barer Bedeutung,  sie  in  ein  Einkommen  zu  verwandeln. 
Durch  heimliches  Einverständnis  mit  den  Beamten  der  Ver- 


^)  Morgans  Einfluß  auf  die  Lebensversicherungsgesellschaft  „New  York"  kam 
durch  George  W.  Perkins,  den  Vizepräsidenten  jener  Gesellschaft,  zustande.  Schließ- 
lich wurde  Perkins  im  Jahre  1902  Mitglied  der  Firma  J.  P.  Morgan  &  Co.,  blieb 
aber  gleichzeitig  Beamter  der  Lebensversicherungsgesellschaf  t  New  York.  Perkins 
Methode  mag  nach  folgenden  nebensächlichen  Tatsachen  beurteilt  werden:  Er 
nahm  Policen  für  60000  Dollar  auf  sein  Leben  und  erhielt  die  Agentenprovision 
für  seine  eigene  Versicherung.  Report  of  the  (New  York)  Legislative  Insurance 
Committee,  1906,  ro,  85. 

38 


-  594  - 

Sicherungsgesellschaften  wurden  ungeheuer  große  Mengen 
von  Obligationen  und  Aktien  an  die  Versicherungsgesell- 
schaften verkauft^)-  Zum  großen  Teil  mit  diesem  Gelde 
der  Mittelklasse  wurden  die  Magnaten  in  den  Stand  gesetzt, 
ihre  großen  Eisenbahn-  und  Trustprojekte  zu  finanzieren. 
Andere  Teile  der  Aktienausgabe  wurden  direkt  an  die  Mittel- 
klasse verkauft,  und  dann  verfuhr  man  mit  ihnen  so,  daß  jene 
Klasse  noch  weiter  ausgepreßt  wurde. 

Streit  um  die  Beute 

Lange  Zeit  wurde  dieses  Plündern  der  Versicherungs- 
gesellschaften ungehindert  und  ohne  die  öffentUche  Auf- 
merksamkeit auf  sich  zu  ziehen,  fortgesetzt.  Die  Ursachen 
dieses  Freibleibens  von  amtlicher  Verfolgung  und  Bloß- 
stellung wurden  erst  im  Jahre  1905  aufgedeckt.  In  diesem 
Jahre  kam  es  zu  der  gewöhnlichen  kapitalistischen  Ent- 
wickelung.  Ein  Streit,  zuerst  nur  privates  Murren,  dann 
zu  lärmendem  Kampfe  anwachsend,  setzte  unter  Gruppen 
von  Magnaten  ein.  Und  was  war  die  Veranlassung  ?  Be- 
stand sie  in  persönlicher  Feindschaft  ?  Durchaus  nicht. 
Die  Sache  entstand  aus  Uneinigkeiten  über  die  Vertei- 
lung der  Beute  bei  der  Lebensversicherungsgesellschaft 
„Equitable".  Magnat  rüstete  sich  gegen  Magnat,  und 
Gruppe  stand  gegen  Gruppe.  Je  klarer  es  wurde,  daß  der 
Kampf  um  die  Beherrschung  der  verblüffend  hohen  Ein- 
künfte nicht  geschlichtet  werden  konnte,  desto  feindseliger 
wurden  die  Magnaten.  Bald  war  es  so  weit,  daß  häßliche 
Anklagen  auf  Betrug,  Diebstahl  und  Bestechung  ihren  Weg 
in  die  öffentliche  Presse  finden  konnten.  Hier  gab  es  ein 
Schauspiel  für  Götter.  Diese  Angriffe  kamen  nicht  von 
irgendeinem  „Arbeiterführer"  her,  auch  nicht  von  irgend- 
einer „unverantworthchen  Zeitung";  nein,  sie  kamen 
von  einigen  der  fürstlichsten  Magnaten  des  Landes,  von 
Männern  „tadellosester  Ehrbarkeit".    Jetzt  beschuldigten 

')  Der  „Equitable"  gehörten  z.  B.  162  364034  Dollar  Eisenbahn-  und  Straßen- 
bahn-Gesellschafts-Obligationen, der  „Mutual"  ungefähr  dieselbe  Summe  in  Eisen- 
bahn- und  verschiedenen  andern  Obligationen  und  der  „New  York"  eine  ähnlich 
große  Summe. 


-  595  - 

sie  einander  auf  die  gewöhnlichste  Art,  Lügner,  Betrüger 
und  durch  und  durch  Schurken  zu  sein. 

Der  Streit  wurde  so  heftig,  daß  allgemein  und  immer 
wieder  das  Verlangen  nach  einer  Kommission  der  gesetz- 
gebenden Körperschaften  laut  wurde,  die  eine  erschöpfende 
und  heilsame  Untersuchung  führen  sollte.  Wenigstens 
schien  dieses  Verlangen  durchaus  ursprünglich  und  populär 
zu  sein,  aber  man  darf  mit  gutem  Grunde  vermuten,  daß, 
nachdem  jedes  andere  Mittel  zur  Vertreibung  der  herrschen- 
den Magnatengruppe  versucht  worden  war,  die  Oppositions- 
partei in  geschickter  Weise  die  Entrüstung  des  Volkes  er- 
regte, um  eine  Untersuchung  zu  erzwingen  und  die  herr- 
schende Clique  in  Mißkredit  zu  bringen.  Spätere  Enthül- 
lungen zeigten,  daß  Harriman  lange  Zeit  versucht  hatte,  die 
ausschließliche  Herrschaft  über  die  von  der  Lebensversiche- 
rungsgesellschaft „Equitable"  aufgehäuften  Kapitalien  zu 
gewinnen.  Überdies  bestätigte  seine  eigne  Aussage  die  Tat- 
sache, daß  Gouverneur  Odell  von  New  York  sein  Geschöpf 
war,  und  daß  sogar  die  gesetzgebenden  Körperschaften,  die 
die  Untersuchung  anordneten,  seinen  Befehlen  gehorchten. 

Das  Volk  hatte  wieder  einmal  Gelegenheit,  einen  Einblick 
in  das,  was  hinter  der  Szene  vor  sich  geht,  zu  gewinnen, 
wenn  die  Untersuchungskommission  der  gesetzgebenden 
Körperschaften  im  Jahre  1906  berichtet: 

„Die  von  der  Kommission  entgegengenommenen  Zeugen- 
aussagen machen  es  klar,  daß  die  großen  Versicherungsgesell- 
schaften systematisch  versucht  haben  (sie),  auf  die  Gesetz- 
gebung in  diesem  (New  York)  und  andern  Staaten,  soweit 
sie  ihre  Interessen  direkt  oder  indirekt  berühren  konnte, 
einen  Einfluß  auszuüben.  Die  drei  Gesellschaften  teilten, 
um  unnütze  Anstrengung  zu  vermeiden,  das  Land  außer- 
halb New  Yorks  und  einiger  anderer  Staaten  unterein- 
ander; jede  achtete  auf  das  von  ihr  gewählte  Gebiet  und 
trug  den  ihr  zukommenden  Teil  der  Gesamtausgaben."^) 

Vortrefflich!  Sogar  Bestechung  wird  wie  die  Industrie 
in  ein  System  gebracht  und  modernisiert.  Bei  dem  Ver- 
fahren werden  zarte  Äußerlichkeiten  beibehalten.  Be- 
stechungsfonds als  Geld  zur  Korruption  in  Hauptbücher 

^)  Report  of  the  (New  York)  Legislative  Insurance  Committee,  1906,  10,  23» 

38* 


-  596  - 

einzutragen,  ist  eine  grobe  Verletzung  des  feineren  Ge- 
schmacks und  unverzeihlich  ungeschäftlich.  Daher,  so  be- 
richtet die  Kommission,  wurden  Ausgaben  für  Bestechungs- 
zwecke unter  die  Rubrik  „juristische  Ausgaben"  gebracht. 
Die  Kommission  bezeichnete  sie  als  außerordentlich  groß. 
Die  „Mutual"  gab  im  Jahre  1904  364  254,95  Dollar  aus, 
die  „Equitable"  172  698,42  Dollar  und  die  „New  York" 
mit  Morgans  Partner  Perkins  als  tatsächlichem  Leiter 
204  019,25  Dollar^).  Dieses  machte  nach  den  einfachen 
Regeln  der  Arithmetik  eine  Gesamtsumme  von  mehr  als 
dreiviertel  Millionen  Dollar,  die  in  einem  Jahre  zur  Be- 
stechung von  regierenden  Körperschaften,  Verwaltungs- 
beamten und  gewissen  Zeitungsschreibern  ausgegeben 
wurde'').  „Diese  juristischen  Ausgaben",  so  schrieb  die 
Kommission  überflüssigerweise,  „übertrafen  bei  weitem 
die  für  rechtmäßige  Zwecke  erforderlichen  Summen."*) 

Zu  welchen  Zwecken  wurden  diese  Korruptionsgelder 
verwendet  ?  Um  Gesetze  zu  erlangen,  unter  deren  Schutz 
große  Betrügereien  durchgeführt  werden  konnten,  und  um 
die  Annahme  störender  Gesetze  zu  verhindern.  Und  wer 
waren  die  unmittelbaren  Verteiler  der  Kapitalien  ?  Geübte, 
umsichtige  Lobbyisten,  die  gründliche  Erfahrung  hatten, 
wer,  wann  und  wo  zu  bestechen  sei.  Sie  waren  in  ihren 
Ausgaben  niemals  beschränkt.  Andrew  C.  Fields,  der  lange 
von  der  Lebensversicherungsgesellschaft  „Mutual"  enga- 
giert war,  um  die  Gesetzgebung  inAlbany  zu  ,, bearbeiten", 
hielt  dort  in  einem  kostbar  eingerichteten  Hause  seine 
Sprechstunden.  Dieses  Hauptquartier  wurde  scherzhaft 
das  „Haus  des  Frohsinns!"  genannt.  Die  Miete  und 
andere  Ausgaben  wurden  den  „juristischen  Ausgaben" 
zugeschrieben.  Auf  diese  Weise  gab  die  „Mutual"  von 
1898  bis  1904  mehr  als  2  MiUionen  Dollar  für  „juristische 
Ausgaben"  aus*).  Und  wieviel  betrugen  diejenigen  der 
Lebensversicherungsgesellschaft  „New  York?"  Von  1895 
bis  1904  beUefen  sich  die  Zahlungen  an  Andrew  Hamilton, 

^)  Report  of  the  (New  York)  Legislative  Insurance  Committee,  1906,  10,  16. 

2)  Die  Beweisaufnahme  zeigte,  daß  viele  Zeitungsschreiber  für  die  Unter- 
drückung von  Artikeln,  die  das  Verfahren  dieser  Gesellschaften  aufdeckten,  große 
Summen  erhalten  hatten.       ^)  Ebenda,  16.      *)  Ebenda, 


-  597  - 

ihren  Hauptlobbyisten,  im  ganzen  auf  i  312  197,16  Dollar, 
und  diese  ganze  Summe  war  ehrbar  als  „juristische  Ausgaben" 
eingetragen  worden^).  J.  P.  Morgan  &  Co.  schössen  Hamil- 
ton Geld  vor  2). 

Aber  es  war  weder  der  Anfang  noch  das  Ende  der  Kor- 
ruption, daß  Stimmen  in  der  Gesetzgebung  oder  strafbare 
Nachsicht  in  der  Verwaltung  erkauft  wurden.  Weit  über 
den  Politikern  im  Amt  standen  die  politischen  Führer,  die 
den  Mechanismus  sowohl  der  republikanischen  wie  der 
demokratischen  Partei  beherrschten.  Diese  Parteiorgani- 
sationen konnten  die  Stimmen  kommandieren;  und  die  Be- 
fehle der  Männer  an  der  Spitze  forderten  Unterwerfung 
von  den  untergeordneten  Politikern.  Weigerung  brachte 
Bestrafung  und  Entfernung.  Durch  die  Beherrschung  des 
geheimen  Wirkens  der  Parteiorganisationen  beherrschten  die 
Magnaten  tatsächlich  die  Rednertribünen  jener  Parteien, 
ihre  Kandidaten  und  die  allgemeine  Laufbahn  der  zum  Amt 
erwählten  Männer. 

Als  weiterer  Beweis  hierfür  wird  ein  nochmaliges  Ein- 
gehen auf  den  Bericht  jener  berühmten  Untersuchungs- 
kommission für  die  Versicherungsgesellschaften  vom  Jahre 
1905  genügen.  „Die  Versicherungsgesellschaften",  so  be- 
richtet er,  „trugen  zu  dem  Fonds  für  die  Kampagne  der 
republikanischen  sowohl  wie  der  demokratischen  Partei 
regelmäßig  große  Summen  bei."  Dies  war  jedoch  keine  un- 
gewöhnliche Handlung;  es  war  der  herkömmliche  Brauch 
der  Zeit;  alle  großen  Korporationen  taten  das  gleiche. 
Hatte  nicht  Jay  Gould  vor  ungefähr  dreißig  Jahren  das  Ver- 
fahren auseinandergesetzt  ?  Und  hatten  nicht  andere 
Kapitalisten  lange  vor  Jay  Gould  gezeigt,  wie  wirksam  es 
war?  Ein  Geschenk  von  beinahe  50000  Dollar  wurde  im 
Jahre  1894  von  der  Lebensversicherungsgesellschaft  „New 
York"  zu  dem  Fonds  für  die  Kampagne  des  republikanischen 
Nationalkomitees    gestiftet^)    und    ähnliche    Summen    zu 


1)  Ebenda,   50. 

2)  Ebenda,  49.  Zum  Beispiel  schössen  J.  P.  Morgan  &  Co.  im  Oktober  1902 
Hamilton  59310,79  Dollar  vor.  Diese  Summe  wurde  von  den  Einkünften  der 
Lebensversicherungsgesellschaft  „New  York"  abgezogen.  Von  Hamilton  wurde 
keine  Abrechnung  verlangt.      *)  Ebenda,  62. 


-  598  - 

demselben  Zwecke  in  den  Jahren  1896  und  1900^).  Alle 
großen  Versicherungsgesellschaften  gaben  Beiträge  2).  Man 
fand,  daß  es  unmögHch  sei,  allen  Richtungen  dieser  fort- 
gesetzten Korruption  nachzugehen.  „Enorme  Summen," 
so  stellte  die  Kommission  fest,  „sind  in  heimlicher  Weise 
ausgegeben  worden." 

Die  auf  diese  Weise  für  politische  Korruption  ausgegebe- 
nen ungeheuren  Summen  wurden  in  diebischer  Weise  von 
dem  Gelde  genommen,  das  man  an  den  Policeninhabern 
verdiente.  Mit  diesem  gestohlenen  Gelde,  das  zu  MiUionen 
Dollar  anwuchs,  erkauften  sich  die  Magnaten  ihren  Weg  in 
die  gesetzgebenden  Körperschaften  aller  Staaten  der  Union; 
sie  verschafften  sich  für  sich  selbst  oder  ihre  Verbündeten  den 
Weg  in  den  Senat  der  Vereinigten  Staaten,  und  sie  setzten 
ihre  Forderungen  sowohl  bei  der  republikanischen  wie  bei 
der  demokratischen  Partei  durch.  Eine  vernichtendere  An- 
klage gegen  die  bestehende  Gesellschaftsordnung  als  die, 
welche  in  den  von  jener  Kommission  berichteten  Tatsachen 
(und  das  waren  durchaus  nicht  alle  Tatsachen)  enthalten 
war,  ließe  sich  nicht  finden.  Das  wesentliche,  wenn  auch 
nicht  in  so  dürren  Worten  ausgesprochene  Ergebnis  war, 
daß  die  Verwaltungsbeamten,  die  gesetzgebenden  Körper- 
schaften, der  Kongreß,  die  Gerichtshöfe  und  die  alten 
politischen  Parteien  von  Gruppen  beispielloser  Betrüger 
und  Räuber  beeinflußt  und  beherrscht  wurden.  Denn  die 
der  Sicherstellung  dieser  politischen  Herrschaft  zugewen- 
deten Summen  bildeten  nur  ein  Zehntel  von  der  Gesamt- 
heit der  erstaunlichen  Diebstähle.  Direkt  auf  die  Unter- 
suchung folgten  Prozesse  gegen  die  „hohen  Finanziers"  zur 
Herausgabe  von  mehr  als  10  MiUionen  Dollar,  und  diese 
Prozesse  bildeten  nur  Hinweise  auf  noch  viel  größere,  auf 
betrügerische  Weise  genommene  Summen.  Die  Prozesse 
führten  zu  Vergleichen 

^)  Ebenda,  62. 

*)  Ebenda,  398.  Die  „Equitable"  gab  z.  B.  Im  Jahre  1904  dem  republikanischen 
Nationalkomitee  50  000  Dollar  und  auch  dem  republikanischen  Komitee  des 
Staates  New  York  viele  Jahre  hindurch  jährlich  30  000  Dollar  (S.  10) 


-  599  - 

Dunkle  Tage  für  Ehrbarkeit 

Zm  den  Direktoren  und  Beherrschern  jener  Versicherungs- 
gesellschaften gehörten  einige  der  hervorragendsten  Magna- 
ten und  der  am  meisten  gepriesenen  Philanthropen  in  den 
Vereinigten  Staaten.  Die  fashionable  Gesellschaft  wurde 
durch  die  Enthüllungen  nicht  erschüttert,  denn  sie  war 
selbst  in  jedem  Teile  und  in  jeder  Faser  auf  Diebstahl,  Be- 
trug, Bestechung  und  Ausbeutung  aufgebaut  und  dadurch 
erhalten. 

Aber  die  Apologeten  und  Anhänger,  die  ihrem  Berufe 
gemäß  den  Pfad  der  Geldfürsten  mit  Lob  bestreuten,  wur- 
den in  unerhörter  Weise  aus  der  Fassung  gebracht.  Was 
konnten  sie  sagen,  wenn  von  ihren  Helden  Leute  wie  George 
J.  Gould,  Alfred  G.  Vanderbilt,  John  Jacob  Astor,  August 
Belmont,  Jacob  H.  Schiffe),  Henry  C.  Frick,  Darius  O.  Mills 
und  viele  andere  entweder  als  Beteiligte  oder  als  verantwort- 
liche Führer  bloßgestellt  wurden  ?  Noch  verdrießlicher  war 
die  Besudelung  ihrer  großen  Abgötter,  E.  H.  Harrimans  und 
vor  allem  des  frommen  und  menschenfreundlichen  J.  Pier- 
pont  Morgan  2).  Alle  diese  Gelderoberer  waren  grenzenlos 
verherrlicht  worden;  nichts  war  so  überspannt,  daß  man  es 
nicht  von  ihnen  gesagt  hätte;  und  nun  konnte  man  sehen, 
wie  sie  bei  dem  unbequemen  Ereignis,  „ertappt  worden  zu 
sein",  sich  drehten  und  wandten. 

Ein  guter  Ruf  mag,  wie  die  Dichter  und  Philosophen 
sagen,  ein  unschätzbarer  Besitz  sein.    Aber  diese  Magnaten 

^)  Die  Lebensversicherungsgeselhchaft  „Equi table"  lieh  „ungeheuer  große 
Summen"  an  Kuhn,  Loeb  &  Co.,  bei  denen  Schiff  eine  leitende  Stellung  innehatte, 
(Ebenda,  ii8.)  Dieses  Kapital  wurde  zum  großen  Teile  Harriman  zugewendet, 
um  bei  seinen  Plänen  zur  Vereinigung  und  Zentralisierung  von  Eisenbahnen  Ver- 
wendung zu  finden.  Schiff  galt  beim  Publikum  als  einer  der  wohlwollenden  Phil- 
anthropen der  Zeit. 

*)  Wie  weit  Morgan  in  der  Verwendung  von  Versicherungsgeldern  ging,  wurde 
durch  die  gesetzliche  Untersuchungskommission  dargetan.  „Der  Beweis  ist  er- 
bracht," berichtete  sie,  „daß,  während  Mr.  Perkins  Teilhaber  von  J.  P.  Mor- 
gan &  Co.  war,  die  Lebensversicherungsgesellschaft  ,New  York'  von  jener  Firma 
Wertpapiere  im  Pariwerte  von  39286075  Dollar  für  den  Preis  von  38804981,51 
Dollar  erlangt  hat."  Ebenda,  81.  Der  Bericht  weist  oberflächlich  darauf  hin,  daß 
die  Lebensversicherungsgesellschaft  „New  York"  auf  diese  Weise  beim  Erwerb  jener 
Wertpapiere  ein  „Geschäft"  machte.  In  Wirklichkeit  bestand  ein  großer  Teil  der 
Papiere  aus  „verwässerten"  Aktien. 


—  6oo  — 

machten  sich  nichts  aus  der  vorübergehenden  Verletzung. 
Denn  vorübergehend  war  sie  sicherlich;  eine  kurze  Zeit 
würde  hingehen,  und  dann  würden  die  Zeitungen  und 
Wochenschriften,  die  Universitätspräsidenten  und  die  Geist- 
lichkeit, die  zum  großen  Teil  den  Magnaten  gehörten  oder 
von  ihnen  unterstützt  wurden,  ihren  unterbrochenen  Lob- 
gesang wieder  aufnehmen,  und  alles  würde  wieder  gut  sein. 
Würde  den  Universitäten  und  Kirchen  noch  ein  bißchen 
von  dem  Raube  hingeworfen,  so  würde  dies  die  zauber- 
hafte Wirkung  erhöhen. 

Daher  war  es  durchaus  nicht  ein  Verlust  an  gutem  Ruf, 
den  die  Magnaten  und  ihre  Satrapen  fürchteten.  Die  eine 
und  einzige  beunruhigende  Aussicht  bestand  darin,  in  das 
Gefängnis  abgeschoben  zu  werden.  Überall  in  den  Vereinig- 
ten Staaten  hatten  die  Enthüllungen  über  die  Versicherungs- 
gesellschaften —  die  zutage  liegenden  Tatsachen  in  bezug 
auf  die  ungeheuren,  lange  fortgesetzten  Bestechungen  und 
Betrügereien  —  zuerst  das  ungestüme  Verlangen  hervor- 
gerufen, daß  die  Schuldigen  vor  Gericht  und  ins  Gefängnis 
geschleppt  werden  sollten. 

Aber  dieses  Verlangen  würde,  wenn  man  es  durchgeführt 
hätte,  eine  eigenartige  beispiellose  Situation  hervorgebracht 
haben.  Sollten  alle  Schuldigen  oder  auch  nur  ein  Teil  von 
ihnen  ins  Gefängnis  gebracht  werden,  so  würde  die  Nation 
vieler  ihrer  vornehmsten  Magnaten,  ihrer  größten  Philan- 
thropen, ihrer  musterhaftesten  Patrioten  beraubt  worden 
sein.  Wie  hätte  die  Gesellschaft  einen  solchen  Verlust 
überleben  können  ?  Nach  orthodoxen  Lehren  waren  diese 
Männer  für  die  richtige  Verwaltung  und  das  Wohlbefinden 
des  ganzen  sozialen  und  industriellen  Systems  unbedingt 
notwendig.  Diese  großen  Magnaten,  Philanthropen  und 
Patrioten  sollte  man  einkerkern?  Der  Gedanke  war  un- 
möghch. 

Die  Betroffenen  brauchten  indessen  keine  Furcht  vor 
dem  Gefängnis  zu  hegen.  War  nicht  vorher,  Jahrzehnt  für 
Jahrzehnt,  beinahe  Jahr  für  Jahr,  manch  eine  Untersuchung 
abgehalten  worden,  manchmal  mehrere  Untersuchungen  in 
einem  einzigen  Jahre  ?  War  jemals  irgendeiner  der  reichen, 
in  diesen  Untersuchungen  überführten  Betrüger  ins  Ge- 


—  6oi  — 

f ängnis  geschickt  ?  Welcher  Grund  lag  für  die  Annahme  vor, 
daß  diese  Untersuchung  irgendein  anderes  Resultat  haben 
sollte  ? 

Die  Magnaten  entgehen  dem  Gesetz 

Man  sah  bald,  wie  das  Gesetz  ausgelegt  wnrde.  Unter 
dem  Druck  der  öffentlichen  Meinung  veranlaßte  endlich 
der  Distriktsanwalt  des  Kreises  New  York,  ein  gewisser 
William  Travers  Jerome  (lange  Zeit  als  „Reformator"  be- 
rühmt), den  Anklagegerichtshof,  gegen  einige  wenige  der 
Satrapen  und  Strohmänner  vorzugehen.  Aber  im  Falle 
Perkins  z.  B.  wurde  entschieden,  daß,  wenn  er  große  Dieb- 
stähle begangen  hätte,  dies  ohne  „verbrecherische  Ab- 
sicht" geschehen  sei.  Die  Tausende  von  armen,  ins 
Gefängnis  getriebenen  Übeltäter  Htten  augenscheinlich 
an  einem  Übermaß  dieser  nämhchen  „verbrecherischen 
Absicht".  Doch  daß  ein  reicher  und  mächtiger  Mann 
irgendeine  Betrügerei  mit  „verbrecherischer  Absicht*'  be- 
gehen könnte,  war  ein  der  praktischen  Jurisprudenz  un- 
bekanntes Motiv.  Die  Farce  wurde  noch  eine  Weile 
hingezogen ;  nicht  einer  der  Beteiligten  von  großem  Reich- 
tum wurde  auch  nur  mit  der  FormaUtät  eines  Verhörs  be- 
lästigt^). 

Und  was  war  das  Ergebnis  jener  außerordentlichen  Unter- 
suchung ?  Wieder  sah  man  die  Wirkung  jenes,  so  oft  in 
diesen  Kapiteln  dargestellten  Prinzips:  daß  jede  „Reform- 
woge" einer  kapitahstischen  Gesellschaftsordnung  von  den 
großen  Kapitalisten  dazu  benutzt  wird,  ihren  Reichtum 
und  ihre  Macht  zu  vergrößern.  Indem  Thomas  F.  Ryan  aus 
dem  allgemein  verbreiteten  schlechten  Ruf  der  Versiche- 
rungsgesellschaften Nutzen  zog  und  hinsichtlich  der  Re- 
formen, die  er  auszuführen  gedachte,  schöne  Worte  machte, 
erwarb  er  die   Herrschaft  über  die  Lebensversicherungs- 

*)  Die  Tatsachen  in  dieser  Allgemeinheit  sind  so  bekannt,  daß  es  kaum  nötig  ist, 
auf  einzelnes  näher  einzugehen.  Obgleich  Jerome  viel  getadelt  wurde,  wich  er  doch 
nicht  von  dem  allgemeinen,  so  oft  in  diesem  Buch  beschriebenen  Brauche  ab,  die 
Gesetze  gegen  die  Armen  kräftig  durchzuführen,  während  er  die  reichen  Betrüger 
und  Diebe  frei  ausgehen  Ueß.  Jerome,  einst  ein  „populärer  Held",  war  in  der  öffent- 
lichen Meinung  vollständig  verrufen,  als  er  sein  Amt  verließ. 


—  6o2  — 

gesellschaft  „Equitable"  und  machte  damit  Harrimans  An- 
strengungen, dasselbe  zu  erreichen,  vollständig  zunichte. 
Ryans  Laufbahn  und  die  Mittel,  durch  die  er  seinen  un- 
geheuren Reichtum  erwarb,  waren  so  allgemein  bekannt, 
daß  sein  Auftreten  in  der  Rolle  eines  „Reformators"  sofort 
zum  Signal  für  den  Ausbruch  allgemeinen  beißenden  Spottes 
wurde,  woraus  sich  Ryan  nicht  das  geringste  machte,  da  er 
seinen  Angriff  durchgeführt  hatte^). 

Genug  jedoch  von  den  Methoden,  von  diesen  großen 
Versicherungskapitalien  für  pohtisch-finanzielle  Zwecke  Ge- 
brauch zu  machen.  Die  durch  die  Enthüllungen  hervor- 
gerufene Sensation  war  ebenso  tiefgehend  wie  die  darauf 
folgende  Reaktion.  Eine  kurze  Zeit  war  es  den  Massen 
gestattet,  hinter  die  Kulissen  zu  blicken  und  über  das,  was 
sie  sahen,  sich  zu  erregen,  dann  wurde  der  Vorhang 
wieder  zugezogen  und  die  alte  Komödie  weitergespielt. 
Die  tiefgehende  Erregung  des  Volkes  verflachte  zu  bloßer 
Müdigkeit. 

Welche  bemerkenswerten  Veränderungen  waren  das  Er- 
gebnis jenes  in  die  Länge  gezogenen  Nachforschens  ?  Gar 
keine.  Einige  Juristen  erlangten  dadurch  pohtische  Be- 
förderung, andere  bereicherten  sich  aus  einem  Schweif 
von  Prozessen,  einige  minderwertige  Gesetze  wurden  er- 
lassen, und  eine  Kapitalistengruppe  wurde  entthront,  um 
für  eine  andere  Platz  zu  machen.  Und  das  war  das  Ende 
jener  großen  Untersuchung,  die  solch  „wohltätige  Re- 
formen" hatte  bringen  sollen. 

^)  In  seiner  Rede  am  17.  März  1907  im  Senat  der  Vereinigten  Staaten  nahm  Se- 
nator La  Folette  in  folgender  Weise  auf  Ryan  Bezug: 

„Die  jMetropolitan  Interborough  Traction  Company'  machte  nach  der  niedrig- 
sten Schätzung  einen  Reingewinn  von  100  MilHonen  Dollar  durch  Methoden, 
die  viele  der  Teilnehmer  hätten  ins  Zuchthaus  bringen  sollen.  Das  Publikum 
und  die  Aktionäre  wurden  in  gleicher  Weise  ausgeraubt.  Daß  Dividenden  mit  ge- 
borgtem Gelde  bezahlt  wurden,  nur  um  das  Publikum  mit  den  Aktien  zu  betrügen, 
ist  jetzt  als  ganz  sicher  bekannt.  Die  Untersuchung  hat  aufgedeckt,  daß  i  Million 
Dollar  zur  Korruption  öffentlicher  Beamter  ausgegeben  wurden.  Im  Jahre  1886  war 
Thomas  F.  Ryan  ein  armer  Mann.  Im  Jahre  1905  schätzte  Henry  D.  McDonough, 
sein  offizieller  Vertreter,  Ryans  Vermögen  auf  50  Millionen.  Die  Grundlage  seines 
ganzen  Reichtums  und  seiner  Macht  war  die  Metropolitan-Straßeneisenbahn." 
,,Centralization  and  Community  Control  of  Industry"  usw.  Government  Doc.  24. 


6o3 


Stahltrust  und  Stahlarbeiter 

Über  die  Zustände  in  den  Stahltrustwerken  gibt  ein  Be- 
richt unter  dem  Titel  „Die  Pittsburger  Übersicht"  eine 
erschöpfende  Untersuchung  der  Lebensbedingungen  der 
Arbeiterklasse  von  Pittsburg.  Weiter  forschend  finden  wir, 
daß  diese  Untersuchung  mit  Hilfe  der  von  der  „Russel- 
Sage-Stiftung"  beigesteuerten  Kapitalien  ausgeführt  wurde^). 
Diese  Tatsache  erhöht  ihren  Wert  zur  Angabe  von  Zitaten. 
Was  bemerken  wir  ferner  unten  auf  dem  Deckel  ?  Daß  der 
Bericht  in  einer  von  der  New  Yorker  Gesellschaft  zur 
Organisation  von  Wohltätigkeit  geleiteten  Wochenschrift 
veröffentlicht  worden  ist,  und  unter  dieser  Bemerkung  er- 
scheint —  was  ?  Der  Name  J.  Pierpont  Morgan  als  Schatz- 
meister jener  Gesellschaft.  Nun  stehen  wir  auf  unanfechtbar 
sicherem  Boden.  Wer  würde  so  rücksichtslos  sein,  einen 
unter  so  erhabenen  Auspizien  veröffentHchten  Bericht  der 
Ungenauigkeit  oder  Parteilichkeit  zu  beschuldigen?  Noch 
besonders,  da  dieser  Bericht  allgemein  wegen  seiner  Genauig- 
keit gerühmt  worden  ist  —  wegen  einer,  so  möge  hinzu- 
gefügt sein,  mit  außerordentlich  vorsichtiger  Behandlung 
gefärbten  Genauigkeit. 

„Die  ,United  States  Steel  Corporation'",  so  sagt  der  Be- 
richt, „besitzt  Eigentum  auf  der  Südseite  von  Pittsburg, 
dicht  hinter  Point  Bridge.  Hier  liegt  die  alte  Painter's 
Mill,  eine  der  Anlagen  der  Carnegie  Steel  Company,  die 
ihrerseits  eine  der  hauptsächlichen  Gesellschaften  der 
United  States  Steel  Corporation  ist;  und  hier  liegt  auch, 
was  von  Painter's  Row  übriggeblieben  ist,  wo  die  Ge- 
sellschaft gewisse  ihrer  Angestellten,  besonders  Einwanderer, 
untergebracht  hat.  Als  die  Carnegie  Steel  Company 
Painter's  Mill  übernahm,  verbesserte  sie  die  Anlage,  um 
einen  entsprechenden  Ertrag  herauszuwirtschaften.    Als  sie 

^)  „Die  Russel-Sage-Stiftung"  —  ein  von  Rüssel  Sages  Witwe  gespendetes  Ka- 
pital von  mehreren  Millionen  zum  Zwecke  (unter  anderen  Zwecken)  der  Unter- 
suchung der  Bedingungen,  durch  welche  Armut  hervorgebracht  wird.  Ein  Teil  de» 
von  Sage  in  früheren  Generationen  geraubten  Geldes  wird  auf  diese  Weise  dazu  be- 
nutzt, herauszufinden,  warum  so  viele  Millionen  der  gegenwärtigen  Generation  in 
Entbehrung  leben.    Was  für  eine  groteske  Folge! 


—  6o4  — 

Painter's  Row  übernahm,  tat  sie  nichts.  Als  ich  vor  etwas 
über  einem  Jahre  und  mehrere  Jahre  nach  dem  Ankauf 
der  Besitzung  eine  genaue  Untersuchung  des  Ortes  an- 
stellte, fand  ich,  daß  ein  halbes  Tausend  Leute  dort  unter 
unglaublichen  Bedingungen  lebte  —  Rücken  an  Rücken 
stehende  Häuser  ohne  durchgehende  Ventilation;  Keller- 
küchen; dunkle,  ungesunde,  schlecht  ventilierte,  überfüllte 
Schlafzimmer;  kein  Trinkwasser  auf  den  Grundstücken; 
und  einen  Mangel  an  sanitären  Einrichtungen,  der  schmach- 
voll war."i) 

Der  Verfasser  beeilt  sich,  hinzuzufügen: 

„Die  Geschichte  von  Painter's  Row  sollte  nach  allen 
Seiten  hin  betrachtet  werden.  Die  United  States  Steel  Cor- 
poration baut  eine  ansehnliche  neue  Stadt  in  Gary,  Indiana; 
ihre  Hilfsgesellschaften  haben  das  Bauen  von  Häusern  nach 
Originalentwürfen  in  hervorragender  Weise  in  Vandergraft, 
Ambridge  und  Lorain  gefördert,  und  die  Carnegie  Steel 
Company  besitzt  schöne  Häuser  zu  niedrigem  Mietzins  in 
Munhall  und  andern  Orten.  Andererseits  besitzen  andere 
Pittsburger  Korporationen  Häuser,  die  ebenso  schlecht  sind 
wie  Painter's  Row;  und  eine  ähnliche  Geschichte  könnte 
von  einer  Holzbaracke  geschrieben  werden,  die  einmal  einer 
der  ersten  protestantischen  Kirchen  von  Pittsburg  gehörte 
und  nur  darum  dem  Boden  gleich  gemacht  wurde,  weil  der 
Werkführer  von  Kingsley  House  den  Mut  hatte,  das  Bild 
des  Hauses  und  den  Namen  des  Besitzers  zu  veröffentlichen." 

Painter's  Row  ist,  so  berichtet  man,  seit  der  Veröffent- 
Hchung  des  Berichts  in  einen  besseren  Zustand  versetzt 
worden;  die  Beamten  des  Stahltrusts  wurden  durch  das 
öffentliche  Bekanntwerden  der  Zustände  dazu  getrieben. 
Aber  Painter's  Row  ist  nur  ein  typischer  FaU  in  einer  un- 
geheuren Anhäufung  von  Armut  und  Elend,  wie  man  sie 
überall  in  den  Städten  der  Stahlwerke  antrifft.  Jene  be- 
sänftigende Kunde  von  dem  Bau  schöner  neuer  Häuser  für 
die  Arbeiter  in  Gary  und  andern  Städten  des  Stahltrusts 
hat  einen  Anflug  von  Menschenfreundlichkeit;  sie  lautet 
sehr  melodisch  und  enthusiastisch.     Doch  haben   wir   bei 


^)  „The  Pittsburg  Survey",  2,  899. 


—  6o5   — 

Gelegenheit  der  Stadt  Pullmans  gesehen,  wie  sich  diese 
„Musterstädte"  herausarbeiten;  wie  die  Arbeiter  in  einen 
Zustand  von  Sklaverei  heruntergebracht  und  bei  jeder  Be- 
wegung innerhalb  und  außerhalb  des  Werks  ausgebeutet 
werden,  und  wie  die  Tüchtigkeit,  die  von  leidHch  anstän- 
digen Wohnungsgelegenheiten  herrührt,  einfach  als  eine 
„gute  Geldanlage"  den  Fabrikbesitzern  zum  Nutzen  ge- 
reicht. Von  den  weiterhin  in  Pittsburg  bemerkten  Verhält- 
nissen wird  ein  anderer  Auszug  aus  dem  umfangreichen  Be- 
richt (der  sehr  wohl  als  eine  Schreckenskammer  bezeichnet 
werden  könnte)  ein  ergänzendes  Bild  geben: 

„Man  ist  in  dem  Bezirk  allgemein  der  Ansicht,  daß  einige 
Arbeitgeber  den  Slawen  und  Italienern  wegen  ihrer  Ge- 
lehrigkeit, ihrer  Gewohnheit  schweigenden  Gehorsams,  ihrer 
ZugängHchkeit  für  Disziplin  und  wegen  ihrer  BereitwilHgkeit, 
lange  Zeit  und  über  die  Zeit  hinaus  ohne  Murren  zu  arbeiten, 
den  Vorzug  geben.  Ausländer  erhalten  in  der  Regel  die 
niedrigsten  Löhne  und  arbeiten  die  volle  Stundenzeit. 
Ich  fand,  daß  sie  in  den  Maschinenwerkstätten  sechzig 
Stunden  wöchentlich  arbeiten;  daß  sie  in  den  Hochöfen  an 
sieben  Tagen  der  Woche  zwölf  Stunden  täglich  arbeiten. 
Der  gewöhnliche,  in  und  bei  den  Fabriken  beschäftigte 
Arbeiter  arbeitet  72  Stunden  wöchentlich.  Die  Lohneinheit 
ist  ein  Stundenpreis  für  Wochentagsarbeit,  und  der  Slawe  ist 
bereit,  die  lange  Arbeitszeit  zu  übernehmen  (zwölf  Stunden 
täglich  für  Männer,  die  in  ihrem  Vaterlande  vierzehn  und 
sechzehn  arbeiten)  mit  Extraarbeit  am  Sonntag,  haupt- 
sächlich in  Verbindung  mit  dem  Aufräumen  der  Höfe  und 
Ausbesserungen.  Hochgerechnet  haben  60 — 70%  der  Fa- 
brikarbeiter an  Sonntagen  frei ;  die  Handwerker  und  andere 
Arbeiter  sind  bei  Gelegenheit  36  Stunden  hintereinander 
tätig,  damit  der  Betrieb  ununterbrochen  bleibt.  In  einer 
Fabrik  fand  ich  Russen  (griechisch-orthodoxe)  besonders 
beliebt,  weil  sie  gern  an  Sonntagen  arbeiteten. 

Viele  arbeiten  in  starker  Hitze,  bei  dem  Lärm  der 
Maschinen  und  dem  Geräusch  ausströmenden  Dampfes. 
Das  enge  Zusammengedrängtsein  der  meisten  Fabrik- 
anlagen in  Pittsburg  erhöht  das  physische  Mißbehagen  der 
an  freie  Luft  gewöhnten  Leute,  während  ihre  Unkenntnis 


-  6o6  - 

der  Sprache  und  moderner  Maschinen  die  Gefahr  ver- 
mehrt. Wie  viele  der  Slawen,  Litauer  und  ItaHener  im 
Laufe  eines  Jahres  in  Pittsburg  verletzt  werden,  ist  unbe- 
kannt. Zuverlässige  statistische  Nachrichten  darüber  sind 
nicht  gesammelt.  Da  sie  fehlen,  stellt  man  Vermutungen  an, 
und  dem  Unfug,  der  durch  sich  widersprechende  oder  ge- 
färbte Erzählungen  hervorgerufen  wird,  begegnet  man  auf 
allen  Seiten.  Als  ich  einem  Priester  gegenüber  eine  in 
schlechtem  Ruf  stehende  Fabrikanlage  erwähnte,  sagte  er: 
,  Ach,  das  ist  das  Schlachthaus ;  dort  werden  alle  Tage  welche 
getötet.'  Ich  zitiere  ihn  nicht  seiner  Genauigkeit  wegen, 
sondern  um  zu  zeigen,  wie  Gerüchte  im  Umlauf  sind  und 
dem  Volke  selbst  als  wahr  erscheinen.  Es  ist,  wenn  die 
Berichte  auch  übertrieben  sein  mögen,  zweifellos  wahr,  daß 
die  Verschwendung  an  Leben  und  Gliedern  groß  ist,  und 
wenn  dies  alles  den  Eingebornen  zustieße,  so  hätte  sich 
schon  lange  ein  Schrei  erhoben,  der  das  Gemetzel  unter- 
brochen hätte."!) 

Dieses  ist  nur  ein  höchst  flüchtiger  Überblick  über  einige 
der  herrschenden  Zustände.  Alle  Besitzer  von  Obliga- 
tionen und  Aktien,  die  Großen  und  die  Kleinen 2),  große 
Magnaten  und  kleine  Parasiten  haben  sich  nicht  nur  mit  die- 
sen Zuständen  zufrieden  gegeben,  sondern  haben  auf  ihrer 
Fortdauer  bestanden,  nach  dem  (so  oft  im  Verlauf  dieses 
Buches  erwähnten)  Prinzip,  daß,  je  niedriger  die  Löhne  und 
je  länger  die  Arbeitsstunden,  desto  größer  und  lockender  die 
Aussichten  für  die  Dividenden  sind.  Prächtige  Herrenhäu- 
ser, geräumig  und  schmuckreich  wie  Paläste,  erheben  sich 
aus  der  straffen  Arbeit,  aus  dem  Leiden  und  Sterben  jener 
Arbeitermassen.  Carnegie  mit  seiner  prahlerisch  entfalteten 
Wohltätigkeit  zieht  sein  Einkommen  geradezu  aus  dem 
Lebensblut  jener  Arbeiter  und  ihrer  Familien  und  Kinder 
heraus^),  und  Morgan,  der  so  fromm  Liebesgaben  spendet, 

^)  Ebenda,  i,  537  und  539.  Die  Carnegie  Steel  Company  fing  vor  mehreren 
Jahrzehnten  mit  der  systematischen  Anwerbung  eingewanderter  Arbeiter  an. 
Der  Durchschnittslohn  dieser  Arbeiter  beträgt  1,60  Dollar  täglich. 

*)  Abgesehen  von  den  wenigen  früher  genannten  Ausnahmen. 

8)  „Ein  Drittel  aller  derer,  die  in  Pittsburg  sterben ,  sterben,  ohne  daß  sie 
darüber  sprechen  können.  Das  heißt,  sie  sterben  vor  ihrem  fünften  Lebensjahre. 
Ein   Viertel   von   allen,   welche   sterben,   sterben,   ohne   überhaupt   sprechen    zu 


—  6o7  — 

bei  religiösen  Versammlungen  amtiert  und  als  die  Ver- 
körperung fürstlichen  Wohlwollens  posiert,  läßt  keine  so 
unpraktischen  Erwägungen  wie  Mitleid  oder  Gefühl  auf- 
kommen, um  das  Leben  in  den  tobenden  Höllen,  aus  denen 
durchschnittlich  145  Millionen  Dollar  Reingewinn  her- 
geleitet werden,  auch  nur  um  ein  Geringes  erträghcher  zu 
machen^). 


Zwölftes  Kapitel 
MORGAN  ALS  „RETTER  DER  NATION" 

Kurz  nachdem  die  Panik  des  Jahres  1907  eingesetzt 
hatte,  wurde  in  einer  „volkstümlichen  Zeitschrift "2) 
ein  Artikel  veröffentlicht  (und  er  bildete  nur  eins  von 
vielen  solchen  Machwerken)  mit  der  Überschrift:  „Morgan 
der  HerrUche".  Der  schwülstige  Stil  des  Artikels,  wenn  auch 
sonst  nichts,  mußte  Interesse  und  Verwunderung  erregen, 

können.  Das  heißt,  sie  sterben  in  ihrem  ersten  Lebensjahre.  Die  meisten  dieser 
Todesfälle  wären  zu  verhüten,  da  sie  das  Ergebnis  von  Lebensbedingungen  sind, 
die,  menschlich  gesprochen,  keine  Existenzberechtigung  haben."  Dieser  Massen- 
mord wird  zum  großen  Teil  durch  verfälschte  Milch  und  schlechte  Wohnungs- 
verhältnisse hervorgebracht.  —  Ebenda,  2,  943. 

*)  Der  amerikanische  Arbeiterbund  (The  American  Federation  of  Labor)  er- 
klärte bei  seiner  Jahreszusammenkunft  in  Toronto,  im  November  1909,  daß  der 
Stahltrust  eifrig  darauf  bedacht  sei,  Arbeiterverbände  zu  zerstören,  und  daß  er  der 
bedeutendste  Feind  dieser  Bewegung  sei.  Das  Ziel  ist,  die  Arbeiter  in  einen  noch, 
größeren  Zustand  der  Dienstbarkeit  zu  bringen. 

Da«  Aktienverzeichnis  der  United  Steel  Corporation,  das  bei  der  Jahresversamm- 
lung der  Aktionäre  am  18.  April  1910  in  Hoboken,  New  Jersey,  zur  Einsicht  ausgelegt 
wurde,  zeigte,  daß  der  Name  J.  Pierpont  Morgan  &  Co.  für  die  Firma  und  als 
Inhaber  für  andere  mit  einer  großen  Aktiensunmie  auf  den  Listen  stand.  Morgans 
Londoner  Firma,  früher  als  J.  S.  Morgan  &  Co.  bekannt,  gegenwärtig  Morgan, 
Grenfell  &  Co.,  besaß  auch,  wie  sich  zeigte,  große  Summen  Aktien.  Der  Besitz 
auf  den  Namen  Luke  H.  Cutler,  der  sich  auf  17  395  Anteilscheine  belief,  wurde  all- 
gemein als  John  D.  Rockefellers  Besitz  angesehen.  Von  den  ausländischen  Aktio- 
nären zeigte  sich  das  „Holländische  Syndikat"  als  das  größte;  sein  Besitz  betrug 
216  870  Anteilscheine  gewöhnlicher  Aktien.  Die  Rothschilds  entpuppten  sich  eben- 
falls als  große  Aktionäre.  Zahlreiche  hervorragende  amerikanische  Kapitalisten 
und  Bankfirmen  waren  mit  verschiedenen  großen  und  kleinen  Besitzanteile» 
als  Aktionäre   in  die  Bücher  eingetragen. 

')  „Pearson's  Magazine",  Februarausgabe  1908. 


-  6o8  - 

doch  paßte  er  im  Charakter  genau  zu  dem  meisten  der  Art, 
was  in  Büchern  und  Zeitschriften  veröffentlicht  wurde. 
Dieses  Gewäsch  nannte  man  „volkstümlich",  nicht  weil  das 
Volk  danach  verlangte,  sondern  weil  es  vielen  Verlegern  in 
hohem  Maße  als  „sicher"  galt.  Es  widersprach  nicht  den 
festbegründeten  Interessen  des  Reichtums.  Der  Artikel 
fing  mit  folgender,  düsterer  Einleitung  an: 

„Es  gab,  als  Wallstreet  von  John  Pierpont  Morgan  ge- 
rettet wurde,  Szenen,  die  niemals  beschrieben  werden 
können,  Worte  und  Taten,  deren  man  selbst  in  jenen  Tagen 
der  Aufregung,  des  Schreckens  und  der  Verwirrung  nicht 
einmal  gedenken  kann  oder  sollte,  Heldentum,  Verbrechen, 
Mißgriffe,  Verrätereien  und  Qualen,  die  alles  umfassen' 
was  der  Mensch  an  Ruhm  oder  Schande  empfinden  kann. 
Denn  bis  unser  Erdteil  halb  schreiend,  halb  fluchend  aus  dem 
zitternden  Wahnsinn  herauskam,  der  das  Banksystem  des 
Landes  zu  vernichten,  den  Kredit  der  Nation  zu  zerschmet- 
tern und  seinen  Namen  zu  besudeln  drohte,  befanden  sich 
die  Menschen  in  einer  namenlosen  Verwirrung  und  Furcht, 
die  Worte  nicht  schildern  können ;  wie  bei  einem  drohenden 
und  unwiderstehlichen  Aufruhr  der  Natur  die  Kühnsten 
und  Mutigsten  feige  und  einfältig  werden. 

Der  schlichte  Mr.  Morgan,  der  frisch  von  den  eintönigen 
Reden  einer  großen  Versammlung  der  bischöflichen  Kirche 
in  Richmond  kam,  wurde  plötzlich  durch  die  Gefahr  der 
finanziellen  Lage  zu  einer  Kundgebung  von  Mut,  Stärke  und 
persönlichem  Herrschergeiste  aufgerüttelt,  durch  welche 
Chaos  und  Verzweiflung  in  Ordnung  und  Vertrauen  ver- 
wandelt wurden. 

Und  es  wirkt  wie  ein  Roman,  wenn  man  vergleichend 
sieht,  wie  der  wackere,  verschwiegene  amerikanische  Bankier 
von  siebzig  Jahren  sich  aus  der  leidenschaftslosen  Ge- 
sellschaft von  Bischöfen  und  Priestern,  deren  Sinn  auf 
religiöse  Ideale  gerichtet  ist,  zurückzieht,  um  das  Kom- 
mando über  die  leidenschaftlichen,  aufeinanderprallenden 
Geldkräfte  von  Wallstreet  zu  übernehmen,  die  aus  bloßer 
Furcht  wahnsinnig  geworden  waren  —  um  der  Vorkämpfer 
und  Held  derjenigen  menschlichen  Elemente  zu  werden, 
denen  der  höchste  Zynismus  und  Argwohn,  die  größte  Ver- 


—  6og  — 

räterei,  List,  Grausamkeit,  Anmaßung  und  Feigheit  eigen 
waren." 

Man  könnte  sich  einbilden,  daß  Morgan,  der  „Kunst- 
kenner", der  „Literaturfreund",  der  große  „Arbiter  ele- 
gantiae",  den  Verfasser  dieser  Frivolität  hätte  holen 
und   auf   dem    Fleck   verprügeln    lassen.    Augenscheinlich 

—  da  uns  der  Beweis  vom  Gegenteil  fehlt  —  fand  er  an 
dem  Machwerk  Gefallen.  Es  würde  hier  nicht  der  Er- 
wähnung wert  gewesen  sein,  wenn  nicht  die  Pointe  davon 

—  daß  Morgan  der  „Retter  der  Nation"  sei  —  von  vielen 
andern  Schriftstellern  und  Veröffentlichungen  ernsthaft 
und  wiederholt  vorgebracht  worden  wäre. 

Bei  der  Erforschung  von  Morgans  Laufbahn  begegnet 
man  einer  unheilvollen  Tugend.  Es  ist  die  der  Beständigkeit, 
Die  Art  seines  Patriotismus  und  Heroismus  änderte  sich 
seit  seinem  Eintritt  in  das  Geschäftsleben  niemals.  Jener 
Flintenverkauf  beim  Ausbruch  des  Bürgerkrieges  bildete  die 
erste  Bekundung  seines  intensiven  Patriotismus.  Im  Jahre 
1894  offenbarte  sich  wieder  ganz  konsequent  seine  patrio- 
tische Natur,  als  er  und  seine  Clique  von  der  Regierung  in 
einer  Zeit  der  Not  einen  Gewinn  von  wenigstens  18  Millio- 
nen Dollar  erpreßten.  In  der  Panik  des  Jahres  1907  zeigte 
sich  sein  untrüglicher  Patriotismus  sogar  noch  auffallender. 

Während  die  Ergüsse  der  „volkstümlichen  Schriftsteller" 
die  Runde  durch  das  ganze  Land  machten,  langweilte  ein 
widerspenstiger  Senator  den  erlauchten  Senat  der  Ver- 
einigten Staaten  mit  einer  langen,  ermüdenden  Rede. 
Der  größere  Teil  des  erlauchten  Senats  hatte  gar  nicht 
den  Wunsch,  zu  hören,  was  dieser  Senator,  ein  gewisser 
La  Folette  aus  Wisconsin,  zu  sagen  hatte,  war  aber 
durch  die  Vorschriften  dazu  gezwungen.  Der  Senat  der 
Vereinigten  Staaten  war  auf  sein  Ansehen  und  seine 
Würde  in  empfindlichster  Weise  bedacht.  Die  meisten  sei- 
ner Mitglieder  waren  Multimillionäre.  La  Folette  fehlte 
diese  höchst  wichtige  Eigenschaft.  Überdies  zeigte  er  der 
Kaste  gegenüber  auch  in  anderer  Hinsicht  einen  peinlichen 
Mangel.  Er  hatte  sich  seinen  Weg  in  den  Senat  der  Vereinig- 
ten Staaten  nicht  erkauft  und  damit  eine  der  heiligsten 
Regeln  freventlich  verletzt.    Er  konnte  daher  keinen  wirk- 

39 


—  6io  — 

liehen  Standesnachweis  führen  oder  irgendwelche  Garantie 
für  eine  weise,  vorsichtige  politische  Tätigkeit  geben. 

Aber  die  Majorität  seiner  Kollegen  hatte  guten  Grund, 
über  La  Folettes  Rede  ungeduldig  zu  werden.  Er  bildete 
eine  Stimme  aus  der  Vergangenheit.  Sie  vertraten  die  neue 
Ordnung,  die  Ordnung  einer  zentralisierten  Industrie  und 
einer  von  den  Magnaten  selbst  direkt  geleiteten  Regierung. 
Er  war  ein  Überbleibsel  der  alten  Überzeugung,  ein  Über- 
bleibsel des  Zeitalters  des  Wettbewerbs  in  der  Industrie. 

Inmitten  seiner  Beschuldigungen,  Klagen  und  nichts- 
sagenden Redensarten  brachte  Senator  La  Folette  gewisse 
Tatsachen  von  wirklichem  historischen  Wert  zum  Aus- 
druck —  Tatsachen,  die  durch  die  Berichte  über  das,  was 
wirklich  geschehen  war,  bestätigt  wurden  und  allen  auf- 
merksamen Beobachtern  der  während  der  Panik  vor  sich 
gegangenen  Ereignisse  vertraut  waren. 

Die  Panik  des  Jahres  1907  gab  wie  frühere  solche  Ereig- 
nisse den  großen  Magnaten  die  günstige  Gelegenheit,  klei- 
nere Magnaten  zu  vernichten  und  die  Herrschaft  über  ihren 
Besitz  an  sich  zu  reißen. 

Wie  die  kleinen  Magnaten  ihre  Millionen  erwerben 

Eine  dieser  kleinen  kapitalistischen  Cliquen  war  die  so- 
genannte „Heinze-Morse-Thomas-Gruppe".  Ihre  Herr- 
schaft umfaßte  zwölf  Banken  und  zwei  Trustgesellschaften, 
eine  durch  die  Einverleibung  einer  Anzahl  von  Dampf- 
schiffahrtsgesellschaften konsolidierte  Küsten-Dampfschif- 
fahrtgesellschaft, große  Kupferbergwerke,  einen  Eistrust  und 
verschiedene  andere  Besitzungen.  Die  Beherrschung  einiger 
dieser  Besitzungen  wurde  in  vollem  Maße  durch  die  enormen 
Einkünfte  sichergestellt,  die  den  Armen  durch  die  Er- 
pressungen des  Eistrusts  geraubt  wurden,  und  diese  Räu- 
berei wurde  durch  eine  korrupte  Verbindung  zwischen 
Morse  und  der  Tammany- Verwaltung  in  New  York  möglich 
und  leicht  gemacht. 

Ehe  Morse  den  Eistrust  organisierte,  war  er  ein  unauf- 
fälliger Bankier  gewesen.  Bei  Gelegenheit  dieses  Geschäfts 
hatte  er  mit  der  Diskontierung  der  Wechsel  verschiedener 


-  6ii  - 

Persönlichkeiten  und  Firmen  zu  tun,  die  mit  dem  Verkauf 
von  Eis  beschäftigt  waren.  Da  ihm  der  Gedanke  kam,  einen 
Trust  in  diesem  notwendigen  Artikel  zu  bilden,  machte  er 
sich  daran,  die  kleineren  Händler  zu  vernichten.  Einer 
seiner  ersten  Schritte  war,  sich  des  heimlichen  Einverständ- 
nisses mächtiger,  die  Regierung  der  Stadt  New  York  beherr- 
schender PoUtiker  zu  versichern. 

Die  „Mazet"-Kommission  —  eine  von  den  gesetzgebenden 
Körperschaften  im  Jahre  1899  eingesetzte  Untersuchungs- 
kommission —  enthüllte  in  ihrer  Untersuchung  der  Ver- 
waltung der  Stadt  New  York  die  Verschwörung  zwischen 
dem  Eistrust  einerseits  und  den  Dock-  und  anderen  städti- 
schen Departements  andererseits  zur  Bildung  und  Aufrecht- 
erhaltung eines  Monopols  für  die  Lieferung  von  Eis  an  die 
Stadt  New  York.  Bürgermeister  Van  Wyck,  ein  Werkzeug 
der  großen  Tammany-Führer,  gab  in  seiner  Zeugenaussage 
vor  dem  Richter  Gaynor  des  Obersten  Gerichtshofes  von  New 
York  später  zu,  daß  er  von  den  Eistrustaktien  5000  Anteil- 
scheine im  Werte  von  500  000  Dollar  erhalten  habe.  Er 
erklärte,  57  000  Dollar  bar  dafür  bezahlt  zu  haben.  Als  er 
gedrängt  wurde,  seine  Aussage  durch  Beweise  zu  erhärten, 
gelang  es  ihm  nicht  darzutun,  daß  er  tatsächlich  irgend 
etwas  gezahlt  habe.  Die  Zeugenaussagen  vor  der  „Mazet"- 
Kommission  zeigten  schließhch,  daß  die  korrupte  Verein- 
barung zwischen  dem  Eistrust  und  den  städtischen  Beamten 
derart  war,  daß  das  Volk  gezwungen  woirde,  60  Cent  für 
100  Pfund  zu  zahlen,  und  daß  der  Trust  die  Fünf  Cent- 
Abgabe  von  Eis  aufgehoben  und  dadurch  die  Versorgung 
der  ganz  Armen  tatsächlich  abgeschnitten  hatte  i). 

Der  Eistrust,  im  Besitz  seines  sichergestellten  Monopols, 
weigerte  sich,  die  geringsten  Konzessionen  zu  machen. 

Millionen  aus  Leid,  Krankheit  und  Tod 

Das  Resultat  war  ein  auffallend  großes  Anwachsen  der 
Sterblichkeitsziffer  unter  den  Kindern  der  Armen.  Zahl- 
reiche, in  höchst  prekärem  Notzustande  lebende  Familien 
konnten  es  sich  nicht  leisten,  die  für  ein  Stück  Eis  verlangten 

^)  Siehe:  The  History  of  Tammany  Hall, 

39* 


—    6l2    — 

fünf  Cent  mehr  zu  bezahlen.  Die  Milch  wurde  sauer  und 
wirkte  wie  Gift  auf  die  Kinder.  Die  wachsende  Zahl  der 
Todesfälle  in  einer  Reihe  von  Sommern,  in  denen  die 
schreckliche  Hitze,  besonders  in  den  überfüllten  Wohnungen, 
Eis  zu  einer  absoluten  Notwendigkeit  machte,  ließ  sich  zum 
großen  Teil  auf  das  Verfahren  des  Eistrusts  zurückführen. 
Millionen  anderer  Leute,  die  nur  schlecht  imstande  waren, 
die  ungebührlichen  Forderungen  zu  bezahlen,  waren  ge- 
zwungen, die  Extrasteuer  darauf  zu  geben  oder  ohne  Eis  zu 
bleiben. 

Dies  war  kein  vorübergehender  Zustand;  er  hat  seit  der 
Organisation  des  Eistrusts  immerfort  bestanden;  das  da- 
mals angenommene  Verfahren  herrscht  noch  jetzt.  Auch 
war  das  Verfahren  in  keiner  Weise  von  dem  des  Kapitalis- 
mus auf  jedem  anderen  Gebiete  verschieden.  Das  unver- 
änderliche Prinzip,  nach  dem  Kapitalisten  handelten 
und  durch  das  sie  ihre  Einkünfte  ungeheuer  vermehrten, 
bestand  im  Verkauf  der  notwendigsten  Lebensbedürfnisse 
zum  allerhöchsten  Preise  gerade  dann,  wenn  das  Volk  sie  am 
nötigsten  brauchte.  Im  tiefsten  Winter  wurde  der  Kohlen- 
preis immer  übermäßig  hinaufgetrieben.  Während  der  er- 
folgreiche Kapitalist  seine  Schenkungsbrocken  zur  Grün- 
dung von  Hospitälern  hergab,  erwarb  er  seine  Millionen  aus 
Zuständen,  die  nach  allen  Seiten  hin  in  ungeheurem  Maße 
Leid  und  Krankheit  hervorbrachten. 

Je  größere  Profite  er  machte,  desto  mehr  wurde  er  von 
seiner  Klasse  und  von  allen,  die  von  den  Auffassungen  dieser 
Klasse  beeinflußt  wurden,  als  Finanzgenie  angesehen.  So- 
bald Morse  bewiesen  hatte,  daß  er  großen  Gewinn  erpressen 
konnte,  wurde  er  als  einer  der  allerersten  und  erfolgreichsten 
Kapitalisten  begrüßt.  Die  Zeitungen  fingen  an,  lange  Arti- 
kel über  ihn  zu  bringen,  der  Preis  der  Eistrustaktien  ging  in 
Wallstreet  in  die  Höhe,  und  vornehme  Männer  und  Frauen 
der  eleganten  Gesellschaft  waren  nur  zu  eifrig  dahinter, 
Aktien  zu  erwerben,  die  solche  reiche  Dividenden  brachten. 
Allerdings  wurden  Anklagen  über  Gesetzesübertretung 
gegen  Morse  und  seine  Teilhaber  erhoben,  aber  jene  An- 
klagen gründeten  sich  nicht  auf  irgend  etwas,  das  die  große 
Masse  des  Volkes  betraf,  auch  nicht  auf  irgendeine  Ent- 


-  6i3  - 

rüstung  über  die  durch  das  Verfahren  des  Eistrusts  ver- 
ursachten Entbehrungen,  Leiden  und  Todesfälle ;  sie  wurden 
allein  zugunsten  der  kleineren  Firmen  erhoben,  die  Morse 
aus  dem  Geschäft  verdrängt  hatte.  Jerome,  der  einige 
Jahre  Distriktsanwalt  des  Kreises  New  York  war,  konnte  in 
keinem  Verfahren  Morses  etwas  Strafbares  finden  und  ver- 
anlaßte  die  Aufhebung  des  gegen  die  Beamten  des  Eistrusts 
eingeleiteten  Strafverfahrens. 

Durch  diese  Erpressung  und  indirekten  Mord  in  großem 
Maßstabe  wurde  der  Gewinn  des  Eistrusts  sehr  groß. 
Das  auf  diese  Art  eingenommene  Geld  benutzte  Morse 
zur  Finanzierung  anderer  Unternehmungen.  Indem  er 
die  Herrschaft  über  eine  Anzahl  Küsten-Dampfschiff- 
fahrtslinien aufkaufte,  verband  er  sie  zu  einer  Korporation 
mit  den  vertrauten  Begleiterscheinungen:  Überemission 
von  Aktien  und  Börsenspekulationen.  Er  verband  sich 
mit  den  Heinzes,  die  große  Kupferbergwerke  in  Montana 
besaßen  und  deren  Art,  die  Politik  und  die  Politiker  jenes 
Staates  zu  behandeln,  der  von  Morse  in  der  Stadt  New  York 
angewandten  einigermaßen  ähnlich  war.  Er  schloß  auch  ein 
Bündnis  mit  Thomas,  der  einige  New  Yorker  Banken  be- 
herrschte. 

Allem  Anschein  nach  war  dies  eine  sehr  mächtige  Ver- 
bindung; Morse  und  seine  Genossen  ließen  sich  keine 
Gelegenheit  entgehen,  um  den  Eindruck  zu  verbreiten,  daß 
sie  zu  fürchterlich  seien,  um  gestürzt  zu  werden. 

Die  großen  Magnaten  liegen  auf  der  Lauer 

Diese  Männer  machten  in  der  Finanzwelt  viel  von  sich 
reden  und  teilten  mit  erstaunlichem  Glauben  an  ihre  Un- 
verletzlichkeit nach  allen  Seiten  ihre  Schläge  aus.  Sie 
wurden  als  große  Finanziers  gepriesen;  zweifellos  hielten  sie 
sich,  aufgeblasen  durch  ihren  eignen  Erfolg,  selbst  auch  dafür, 
und  sie  glaubten  durchaus  fähig  zu  sein,  sich  mit  den  großen 
Magnaten  zu  messen.  Mittlerweile  beobachtete  die  Mor- 
gan- und  Rockefeller-Gruppe  sorgfältig  ihre  Operationen 
und  wartete  auf  den  geeigneten  Moment,  sie  mit  einem 
Schlage    zu    vernichten.     Die    Standard    Oil-Gesellschaft 


—  6i4  — 

brauchte  jene  Kupferminen,  und  die  von  Morse  organisierte 
Dampfschiffahrtsgesellschaft  wurde  als  drohende  Kon- 
kurrenz für  die  unter  Morgans  und  Rockefellers  Herrschaft 
stehenden   Eisenbahnlinien   angesehen. 

Senator  La  Folettes  Bericht  über  die  nun  folgenden  Er- 
eignisse war  in  bezug  auf  die  Tatsachen  genau.  In  seiner 
Rede  im  Senat  der  Vereinigten  Staaten  erzählte  er  folgendes : 

„Plötzlich,  in  den  ersten  Tagen  des  Oktober,  begann  je- 
mand(umeinenWallstreet-Ausdruckzu  gebrauchen)  „United 
Copper  auf  die  Straße  zu  werfen".  Die  Aktien  fielen  erbärm- 
lich. Standard  Oil  befand  sich  auf  dem  Wege.  Heinze,  furcht- 
los, und  ohne  die  Quelle  zu  ahnen,  kaufte  und  kaufte  durch 
seinen  Bruder,  ein  Mitglied  der  Geldbörse,  und  durch 
Makler,  bis  United  Copper  jeden  festen  Halt  verlor,  Heinzes 
Bruder,  eine  Firma  seiner  Makler,  mit  sich  riß  und  die 
Morse-Heinze-Banken  in  den  Krach  hineinzog. 

„Bis  zu  diesem  Punkte  war  die  Panik  noch  gezügelt  worden, 
aber  mit  den  Enthüllungen,  die  den  Untersuchungen  der 
Abrechnungsstelle  unmittelbar  folgten,  gingen  die  Zügel 
verloren,  und  die  Situation  fing  an,  ernst  auszusehen.  Aber 
nicht  einen  Augenblick  verpaßten  Morgan  oder  die  Standard 
Oil  die  sich  ihnen  darbietende  Gelegenheit.  Morse  und 
Heinze  waren  unterlegen.  Sie  wurden  genötigt,  ihre 
Direktorstellen  zu  reorganisieren  und  halbabhängige  Stan- 
dard-Oil-Leute  als  ihre  Nachfolger  einzusetzen.  Sie  wurden 
gezwungen,  ihre  Aktien  für  das,  was  sie  noch  bekommen 
konnten,  zu  verkaufen.  Morgan  machte  einen  Angriff  auf 
Aktien  und  Obligationen  von  Morses  konsolidierter  Dampf- 
schiffahrtsgesellschaft, und  Morse  wurde  schließlich  ge- 
zwungen, seinen  Dampfschiffahrtsgesellschaft- Verband  ab- 
zutreten und  tat  es  auch. 

„Man  trachtete  nach  der  Knickerbocker-Trust-Gesell- 
schaft, deren  Präsident  Charles  T.  Barney  war,  ein  vertrauter 
Verbündeter  Morses.  Es  wurde  in  New  York  darüber  geklagt, 
daß  die  Interessenten  mit  Überlegung  einen  Sturm  auf  die 
Knickerbocker-Gesellschaft  in  Szene  setzten.  Man  wandte 
sich  an  Morgan  um  Hilfe.  Morgan,  dem  man  gerade  hier 
in  dieser  Kammer  Beifall  geklatscht  hat,  war  in  der  Lage, 
jeden  Schritt  und  jede  Phase  dieses  Vorgehens  sorgfältig  zu 


-6i5  - 

verfolgen.  Zuerst  gab  Morgan,  wie  man  in  Wallstreet  ver- 
breitete, bekannt,  daß  die  Knickerbocker-Gesellschaft  unter- 
stützt werden  würde,  wenn  sie  den  Forderungen  der  Depo- 
nenten, die  einen  Ansturm  auf  sie  hervorgerufen  hätten, 
nachkommen  würde.  Die  folgenden  Ereignisse  zeigten  in 
keiner  Weise,  daß  dieses  Versprechen  irgendwie  aufrichtig 
gewesen  wäre,  sondern  eine  Untersuchung  jedes  Schrittes 
überzeugt  vom  Gegenteil.  Unterstützung  wurde  nicht  ge- 
geben; sie  wurde  verhindert.  Nachdem  die  Gesellschaft 
im  Vertrauen  auf  jenes  Versprechen  Millionen  ausgegeben 
hatte,  sah  sie  sich  gezwungen,  ihre  Türen  zu  schließen,  und 
Barney  endete  als  Selbstmörder. 

„Barney  war  auch  Direktor  der  Trust  Company  of 
America  gewesen,  eines  verhältnismäßig  neuen  Instituts, 
mit  einigen  Abteilungsdirektoren;  dies  gab  den  großen 
Gruppen  halb  und  halb  ein  Interesse  an  dem  Institut, 
obgleich  sie  es  noch  nicht  übernommen  hatten.  Der  An- 
griff auf  Heinze,  Morse,  Barney  und  andere  und  die  direk- 
toriale Verbindung  des  Letztgenannten  mit  der  Trust 
Company  of  America  führte  dazu,  daß  diese  allgemein  das 
Vertrauen  einbüßte.  Ein  starker  Ansturm  setzte  ein.  Dies 
stand  nicht  auf  dem  Programm;  vielmehr,  da  die  Vander- 
bilts,  die  Verbündeten  der  Standard  Oil,  in  dem  Direk- 
torium der  Trust  Company  of  America  vertreten  waren, 
war  Standard  Oil  verpflichtet,  einigen  Beistand  anzubieten. 
Obgleich  Gold  und  Banknoten  auf  den  Zahltischen  prahle- 
risch aufgehäuft  wurden,  um  auf  die  Deponenten  Eindruck 
zu  machen,  und  der  junge  Vanderbilt  sich  als  sichtbares 
Zeichen  der  Zahlungsfähigkeit  darbot  und  an  den  Schalter 
des  Kassierers  stellte,  beharrten  die  erregten  Deponenten 
auf  der  Rückzahlung  ihres  Geldes"^). 

In  einem  Tage  sozusagen  wurde  die  Morse-Heinze- 
Thomas-Gruppe  vollständig  zermalmt  und  ihr  Eigentum 
konfisziert.  Wenn  dies  die  letzte  Erfahrung  jener  waghalsi- 
gen kleinen  Magnaten  gewesen  wäre,  so  hätten  sie  Grund  ge- 
habt, sich  ihres  großen  Glückes  zu  freuen.   Aber  ihre  Nieder- 

^)  „Ccntralisation  and  Community  of  Control  in  Industry,  Franchises,  Trans- 
portation and  Finance,  Die  Panik  im  Oktober  1907  und  ihre  Lehren."  —  Rede  de« 
Hon.  Robert  M.  La  Folette  von  Wisconsin  usw.,  21 — 22. 


-  6i6  - 

läge  mußte  vollendet  werden.  Die  Bundesregierung  fing 
plötzlich  an,  sich  für  ihre  Operationen  zu  interessieren. 
Während  früher  die  Anklagebeamten  der  Regierung  gar 
nichts  davon  gewußt  hatten,  daß  Morse,  Heinze  und  Tho- 
mas bei  ihren  finanziellen  Operationen  Betrug  verübt  hatten, 
so  entdeckten  sie  jetzt  die  vollste  Gewißheit.  Von  gewisser 
Seite  wurden  Beweise  von  Gesetzesübertretungen  des 
gefallenen  Trios  angeboten.  Das  New  Yorker  Büro  des 
Bezirksanwalts  der  Vereinigten  Staaten  wurde  in  seiner 
Energie  ganz  lebendig.  Es  veranlaßte  die  Anklagejury, 
Untersuchungen  anzustellen,  und  zeigte  in  der  Verfolgung 
auffallenden  amtlichen  Eifer.  Heinze  wurde  verklagt  und 
Morse  vor  Gericht  gebracht,  für  schuldig  erklärt  und  zu 
fünfzehn  Jahren  Gefängnis  verurteilt  —  eine  Entscheidung, 
gegen  die  er  Berufung  einlegte.  Das  Appellations-Bundes- 
gericht  der  Vereinigten  Staaten  bestätigte  das  Urteil^). 
Morse  wurde  von  Präsident  Taft  begnadigt,  nachdem  er 
noch  nicht  zwei  ganze  Jahre  von  seiner  Strafe  in  dem  Bun- 
desgefängnis von  Atalanta  abgesessen  hatte. 

Morse  und  Heinze  lernten  zwei  wertvolle  Regeln,  die  sich 
alle  ehrgeizigen  kleinen  Magnaten  wohl  zu  Herzen  nehmen 
sollten.  Erstens,  daß  es  außerordentlich  unklug  ist,  die 
Interessen  der  wirklich  großen  Magnaten  zu  durchkreuzen, 
und  zweitens,  daß  jene  großen  Magnaten  den  Strafmecha- 
nismus der  Gerichtshöfe  gegen  Widersacher  ihrer  eignen 
Klasse  ebensogut  gebrauchen  können  wie  gegen  Arbeiter- 
führer, Arbeiterverbände  und  die  Besitzlosen  im  all- 
gemeinen. 

Aber  die  Wegnahme  des  Eigentums  des  vertriebenen  Ver- 
bandes war  nicht  der  einzige  Vorgang  dieser  Art  in  jenen 
Erntetagen  der  Panik  des  Jahres  1907.  Die  Fabriken  elektri- 
scher Apparate  der  Westinghouse-Gesellschaft  waren  der 

1)  Während  seiner  Haft  in  dem  New  Yorker  Stadtgefängnis  erlaubten  ihm  die 
Richter  der  Vereinigten  Staaten,  täglich  auszugehen,  „damit  er  seinen  notwendigen 
Geschäften  nachgehen  könne".  Von  der  großen  Zahl  der  eines  Verbrechens  über- 
führten Personen  ist  niemals  ein  einziges  Beispiel  bekannt  geworden,  daß  es  einem 
armen  Gefangenen  gestattet  worden  wäre,  das  Gefängnis  während  des  Tages  zu 
verlassen,  um  für  seine  Familie  arbeiten  zu  können.  Der  Gerichtshof  bestimmte 
später,  daß  Morse  bis  zur  Entscheidung  über  seine  Berufung  gegen  Bürgschaft 
freigelassen  werden  solle.  Keinem  armen  Gefangenen  wurde  dieses  Vorrecht  ge- 
währt. 


—  6i7  — 

Standard  Oil-Gesellschaft,  der  die  General  Electric  Com- 
pany gehörte,  lange  im  Wege  gewesen.  Die  Standard  Oil- 
Gesellschaft  übte  während  der  Panik  einen  finanziellen 
Druck  aus,  der  die  Westinghouse-Gesellschaft  bald  in  Ver- 
wicklungen brachte,  aus  denen  sie  sich  nur  dadurch  befreien 
konnte,  daß  sie  in  den  Besitz  der  Standard  Oil-Gesellschaft 
überging.  Und  in  den  Konferenzen,  die  die  Finanziers  von 
Wallstreet  in  den  ersten  Tagen  der  Panik  abhielten,  erfuhr 
Morgan,  daß  die  Herrschaft  über  die  Tennessee  Kohlen-  und 
Eisengesellschaft  von  John  W.  Gales  und  seinen  Gesell- 
schaftern zur  Erlangung  von  Darlehen  an  die  Trust  Com- 
pany of  America  abgetreten  worden  war.  Das  war  eine 
Nachricht    von  höchstem  und  bedeutungsvollstem  Werte. 

Der  Stahltrust  verschlingt  einen  gefährlichen  Konkurrenten 

Die  Tennessee  Kohlen-  und  Eisengesellschaft  war  der  ge- 
fährHchste  Konkurrent  des  Stahltrusts.  Sie  war  der  einzige 
große  Konkurrent,  der  seine  eignen  Eisenerzlager  und 
Kohlenvorräte  besaß.  Bei  dem  Sturz  im  Jahre  1907  ge- 
hörten ihr,  wie  man  schätzte,  500  bis  700  Millionen  Tonnen 
Eisenerz,  2000  Millionen  Tonnen  Kohlen  und  „sehr 
große  Mengen  Fluß  und  Flußmittel".  Alle  diese  Kohlen- 
lager befanden  sich  in  einem  Umkreis  von  dreißig  Meilen 
von  ihrer  Fabrikanlage  in  Birmingham,  Ala^).  Die  Be- 
sitzer dieser  Gesellschaft  planten  Verbesserungen,  die  sie 
zu  einem  noch  ernsthafteren  Konkurrenten  des  Stahltrusts 
gemacht  hätten,  und  sie  hatten  Pläne  in  Vorbereitung  zur 
Verschmelzung  der  Republic  Steel  Company  mit  ihrer 
eignen  Korporation.  Überdies  stand  die  Tennessee  Kohlen- 
und  Eisengesellschaft  in  der  Entwickelung  des  Flammofen- 
systems zur  Herstellung  von  Stahlschienen  an  erster  Stelle. 
Ihre  Schienen  woirden  stärker  gefragt  und  brachten  höhere 
Preise  als  die  des  Stahltrusts. 

In  der  schwierigen  finanziellen  Lage  der  Trust  Company 
of  America  sahen  die  gemeinsam  arbeitenden  Interessen 
von  Morgan  und  Rockefeller  ihre  große  Gelegenheit,  die 

^)  Zeugenaussage  vor  der  gerichtlichen  Senatskommission  der  Vereinigten 
Staaten  am  2.  Februar   1909. 


-  6i8  - 

Konkurrenz  der  Tennessee  Kohlen-  und  Eisengesellschaft 
auszumerzen.  Um  sich  vor  dem  Bankrott  zu  bewahren 
brauchte  die  Trust  Company  of  America  sofort  große  Sum- 
men Bargeld,  das  knapp  war.  Morgan  und  seine  Clique  be- 
saßen das  Bargeld.  Die  Bedingung,  auf  der  Morgan  be- 
stand, war,  daß  die  Gesellschaft  ihm  die  Aktien  der  Ten- 
nessee Kohlen-  und  Eisengesellsfhaft,  die  sie  als  doppelte 
Sicherheit  für  Darlehen  im  Besitz  hatte,  verkaufen  sollte. 
Schwer  bedrängt,  mußte  die  Trust  Company  nachgeben  und 
die  Aktien  zu  dem  gebotenen  niedrigen  Preise  verkaufen. 
Der  nächste  Schritt  war,  die  Tennessee  Kohlen-  und  Eisen- 
gesellschaft zu  einem  Teil  des  Stahltrusts  zu  machen. 

Da  gab  es  jedoch  ein  Hindernis.  Das  Antitrust-Bundes- 
gesetz  untersagte  solche  Verbindungen.  Wie  konnte  diese 
Lage  überwunden  werden?  Präsident  Roosevelt  drohte 
den  großen  Magnaten  wiederholt  und  stürmisch  mit  der 
strengen  Durchführung  dieses  Gesetzes.  Aber  Morgan 
kannte  Roosevelt  augenscheinHch  viel  besser,  als  das  Land 
ihn  kannte.  Er  rechnete  zweifellos  damit,  daß  Roosevelts 
Reden  nichts  als  Worte  waren  und  daß  Roosevelt  von  neuem 
seine  Unterwürfigkeit  durch  Taten  beweisen  würde.  Es 
zeigte  sich  später  —  am  3.  Oktober  191 2  —  vor  einer  Unter- 
suchungskommission des  Kongresses,  daß  Morgan  im  Jahre 
1904  zu  dem  Fonds  der  Roosevelt-Kampagne  150  000  Dollar 
beigetragen  hatte.  Morgan  selbst  gab  zu,  daß  er  dieses  Geld 
hergegeben  habe,  als  Roosevelt  Kandidat  für  die  Präsident- 
schaft war. 

Man  erzählte,  daß  Morgan  durch  Abgesandte  nach  dem 
Weißen  Hause  Roosevelt  mitgeteilt  habe,  daß,  wenn  die 
Verschmelzung  der  beiden  Stahlgesellschaften  von  der  Re- 
gierung nicht  zugelassen  werde,  die  Trust  Company  of 
America  fallieren,  eine  Reihe  anderer  Bankrotte  her- 
vorrufen und  die  Panik  vielfach  verschärft  werden  würde. 
Was  auch  immer  die  Gründe  für  Roosevelts  Unter- 
werfung waren,  er  gab  seine  Einwilligung.  Gerade  zu 
dieser  Zeit  brachten  die  Gerichtshöfe  das  Antitrust-Gesetz 
zur  Geltung,  auf  Grund  einer  Auslegung,  die  sich  niemand 
hatte  träumen  lassen,  als  das  Gesetz  durchgebracht  wurde. 
Die  hochwürdigen  Richter  fanden  heraus,  daß  Arbeiter- 


—  6ig  — 

verbände  auch  Truste  seien,  und  erließen  Vorladungen 
gegen  sie  mit  der  Begründung,  daß  sie  Verschwörungen  dar- 
stellten, jenem  Gesetze  zum  Trotz !  Man  erhob  bittere  An- 
klagen gegen  Roosevelt^);  das  Vorgehen  gegen  ihn  hatte  je- 
doch, soweit  die  Verschmelzung  der  beiden  Korporationen 
in  Betracht  kam,  wenig  zu  bedeuten;  hätte  der  Stahltrust 
nicht  zu  jener  Zeit  die  Herrschaft  erlangt,  so  würde  er  sie 
unvermeidlich  zu  einer  andern  Zeit  und  durch  ein  anderes 
Vorgehen  erlangt  haben  2).  Nach  Enthüllungen  vor  der 
Justizkommission  des  Senats  hatte  der  Stahltrust  dadurch, 
daß  er  die  Trust  Company  of  America  zwang,  die  Kontrolle 
über  die  enorm  wertvollen  Fabrikanlagen  und  Gruben  der 
Tennessee  Kohlen-  und  Eisengesellschaft  zu  einem  ganz 
unnatürlich  niedrigen  Preise  zu  verkaufen,  einen  Gewinn 
von  670  Millionen  Dollar. 

Woher  erlangten  Morgan  und  seine  Gefährten  das  Geld, 

^)  Sieben  Senatoren  der  Vereinigten  Staaten  unterzeichneten  ein  Dokument, 
in  dem  er  wegen  der  Verletzung  des  Antitrust- Gesetzes  und  wegen  des  tatsächlichen 
Befehls  an  das  Justizdepartement  der  Vereinigten  Staaten,  keine  Schritte  zur  Durch- 
führung des  Gesetzes  zu  unternehmen,  heftig  angeklagt  wurde.  Unter  der  Über- 
schrift „Morgan,  Diktator"  brachte  das  Berliner  Tageblatt  am  3.  Dezember  1907 
in  seinem  finanziellen  Teil  einen  Leitartikel,  der  auf  die  Strafverfolgung  Morgans 
wegen  Erpressung  drang,  da  er  mit  einer  verhängnisvolleren  Kalamität  gedroht 
hätte,  falls  Roosevelt  ihm  nicht  nachgeben  würde.  Nach  deutschen  Gesetzen, 
sagte  das  Tageblatt,  würde  Morgan  sofort  wegen  Erpressung  verhaftet  worden 
sein.  Eine  amüsante  Bemerkung,  wenn  man  in  Erwägung  zieht,  daß  Morgan  und 
seinesgleichen  in  den  Vereinigten  Staaten  die  Regierung  sind. 

2)  Die  Nutzlosigkeit  des  Antitrust-Gesetzes,  soweit  seine  Anwendung  auf  kapi- 
talistische Korporationen  in  Betracht  kommt,  wurde  von  dem  Kongreßmann  Little- 
field,  einem  der  republikanischen  Diktatoren  des  Kongresses  und  einem  Trust- 
Advokaten  von  großer  Geschicklichkeit,  höhnisch  dargetan.  In  einer  Rede  an  die 
„Illinois  Bar  Association"  führte  er  am  27.  Juni  1908  folgendes  aus:  „Im  Jahre  1907 
hatte  die  Regierung  einhundertundeinundsiebzig  Distrikt-  und  Hilfsdistrikt- 
anwälte  in  ihrem  Dienst.  Diese  kleine  Armee  von  Juristen  kostete  die  Regierung 
außer  den  270  965,58  Dollar  betragenden  Gehältern  des  Justiz-Departements  noch 
735  612,06  Dollar  an  Gehältern  und  Auslagen.  Durch  Ausübung  schuldigen 
Fleißes  erlangten  sie  9741  Schuldigerklärungen  wegen  Übertretung  des  Gesetzes. 
Die  Durchschnittszahl  der  Überführungen  wegen  Verletzung  des  Sherman-Anti- 
trust-Gesetzes  während  der  letzten  sechseinhalb  Jahre  beträgt  etwas  mehr  als  eine 
jährlich,  nur  sieben  seit  dem  14.  September  1904."  Um  die  volle  Bedeutung  dieses 
Berichtes  zu  verstehen,  muß  man  bedenken,  daß  während  dieser  Periode  die  Regie- 
rung zur  Durchführung  dieses  besonderen  Statuts  im  Jahre  1904  500000  Dollar 
und  im  Jahre  1908  250  000  Dollar  zur  Verfügung  hatte.  Seit  dem  14.  September  1901 
sind  bei  acht  gerichtlichen  Vorladungen  und  sieben  Schuldigerklärungen  386  242,88 
Dollar  für  diesen  besonderenZweckausgegeben,  aber  an  Geldstrafen  nur  96000  Dollar 
gezahlt  worden. 


—    620    — 

mit  dem  sie  die  Terrorisierung  des  Landes  und  die  Auf- 
speicherung ungeheuer  großen  Besitzes  auf  dem  Gebiete 
der  Industrie  und  anderwärts  durchführten  ?  Wieder  hatte 
das  Volk  eine  jener  häufig  auftretenden  Gelegenheiten,  deut- 
lich zu  erkennen,  wie  vollständig  die  Regierung  der  Ver- 
einigten Staaten  ein  Werkzeug  der  Kapitalisten  war.  In 
den  Banken  lagen  mehr  als  200  Millionen  Dollar,  die 
hauptsächlich  aus  dem  Schweiße  der  arbeitenden  Klasse 
durch  Besteuerung  herausgepreßt  waren.  Die  wenigen,  die 
großen  Banken  beherrschenden  Oligarchen  durften  dieses 
Geld  so  benutzen,  als  ob  es  ihr  privates  Eigentum  wäre. 
Sie  lehnten  es  ab,  irgendwelches  Geld  an  irgend  jemand  zu 
verleihen,  so  lange  ihre  Pläne  noch  nicht  fertig  waren,  und 
wenn  sie  es  ausliehen,  so  geschah  dies  zu  übertrieben  hohen 
Zinssätzen.  Selbst  diese  vollständige  Übertragung  der  Re- 
gierungsgelder genügte  ihnen  nicht,  sie  verlangten  mehr. 
Die  Regierung  ging  sofort  darauf  ein.  Der  Finanzminister 
Cortelyou  gestattete  den  Nationalbanken  ohne  weiteres, 
weitere  30  Millionen  in  Papiergeld  auszugeben  und  ließ  die 
Münzen  Tag  und  Nacht  arbeiten,  um  neues  Geld  zu  prägen. 
In  seiner  Pose  als  Retter  des  Landes  trat  Morgan  am 
Nachmittag  des  24.  Oktober  1907  zur  günstigen  Stunde 
hervor  und  verkündigte  großmütig  seinen  Wunsch,  „die 
Spannung  zu  lösen".  Die  ganze  Kapitalistenklasse,  mit  Aus- 
nahme der  sehr  wenigen  Magnaten,  die  die  ganze  Situation 
geschaffen  hatten,  schrie  nach  Gelddarlehen.  Die  Dar- 
lehen wurden  an  jenem  Nachmittag  endlich  hergegeben. 
Der  „Retter  des  Landes"  verlangte  für  Darlehen  20  Prozent 
und  mehr  und  forderte  bei  schwerer  Schädigung  der  Leihen- 
den Obligationen  als  doppelte  Sicherheit.  Das  Geld,  das  er 
auf  diese  Weise  ausUeh,  war  Regierungsgeld,  das  von  den 
Produzenten  durch  Besteuerung  erpreßt  worden  war. 

Keine  Hilfe  für  die  Arbeitslosen 

Was  tat  nun  die  Regierung,  während  sie  Morgan  den  Staats- 
schatz zur  Verfügung  stellte,  für  die  Millionen  Arbeiter, 
die  in  erzwungenen  Müßiggang  und  Mangel  gestürzt  worden 
waren  ?  Gegen  Juni  1908  waren  nach  vorsichtiger  Schätzung 


—    621    — 

vielleicht  5  Millionen  Arbeiter  in  den  Vereinigten  Staaten 
ohne  Arbeit  und  konnten  keine  bekommen.  Berichte  der 
Wohltätigkeitsorganisationen  aller  Städte  zeigten,  daß  alle 
Städte  von  ^Obdach-  und  Arbeitslosen  überfüllt  waren. 
Überall  herrschte  Mangel,  und  Fälle  von  Hungertod  bei 
Männern,  Frauen  und  Kindern  waren  häufiger,  als  die  amt- 
lichen Berichte  aufzudecken  wagten.  Die  Gefängnisse 
überall  im  Lande  waren  mit  Männern  überfüllt,  die,  von 
der  Arbeit  vertrieben,  für  Landstreicher  erklärt  und  ver- 
urteilt worden  waren.  Viele  Obdachlose  begingen  absicht- 
lich irgendeine  Gesetzesübertretung,  um  ins  Gefängnis  ge- 
schickt zu  werden.  Dort  bekamen  sie  wenigstens  Obdach 
und  Nahrung.  Viele  Städte  faßten  den  Plan,  die  Arbeits- 
losen vorsichtig  zu  vertreiben.  Überall  nahmen  die  Ver- 
brechen zu;  viele  Arbeiter,  zu  äußerster  Not  getrieben, 
stahlen  und  wurden  natürlich  ins  Gefängnis  befördert. 
Die  Sozialethische  Liga  der  Stadt  New  York  berichtete, 
daß  im  Zeitraum  von  sechs  Monaten  die  Zahl  der  Ver- 
brechen um  50%  zugenommen  habe. 

Überall  herrschte  Mangel  und  Hungertod,  und  was  tat 
die  Regierung  des  Landes,  der  Staaten,  der  Städte  für  die 
Arbeitslosen  ?  Nichts,  außer  daß  sie  dreinschlug  und  eine 
Schreckensherrschaft  führte,  wenn  sie  sich  anmaßten, 
Straßenversammlungen  abzuhalten,  um  für  das  Recht  auf 
Arbeit  zu  sprechen. 

Eing  noch  zu  verfolgende  Laufbahn 

Das  ist  im  Umriß  die  wahre  Geschichte  der  Laufbahn  des 
großen  „Retters  des  Landes".  Aber  das  ist  nicht  alles. 
Morgan  ist  zweifellos  in  sehr  zahlreiche  andere  Unterneh- 
mungen verwickelt  gewesen,  deren  Einzelheiten  niemals 
öffentlich  bekannt  geworden  sind.  Einige  Ereignisse 
neuesten  Datums  sind  jedoch  ziemlich  gut  bekannt.  Er  und 
andere  amerikanische  Bankiers  waren  mit  dem  Unterbringen 
einer  Anleihe  von  27  500  000  Dollar  bei  europäischen  Ban- 
kiers unzufrieden  und  drangen  in  die  Regierung  der  Ver- 
einigten Staaten  —  ihre  Regierung  — ,  ihnen  einen  Anteil 
daran   zu    sichern.     Auch  ist  es  nicht  so  lange   her,    daß 


—    622    — 

ein  anderes  Unternehmen  Morgans  öffentlich  bekannt 
wurde.  Er  „willigte  ein",  eine  sechsprozentige  Ausgabe 
New  Yorker  Stadtobligationen  in  Höhe  von  30  Millionen 
Dollar  zu  übernehmen,  um  „den  Kredit  von  New  York  zu 
retten".  Bezahlte  er  diese  Obligationen  in  barem  Gelde  ? 
Nein.  Er  unterzeichnete  einen  Scheck  über  15  Millionen 
Dollar  auf  die  First  National  Bank  von  New  York  und 
einen  zweiten  über  15  Millionen  Dollar  auf  die  National 
City  Bank  von  New  York.  Wem  gehörte  tatsächlich  das  in 
diesen  Banken  befindliche  Geld,  auf  das  Morgans  Schecke 
ausgestellt  waren  ?  Es  war  von  dem  Staatsschatz  deponiertes 
Geld.  Außerdem  erhielt  er  über  10  Millionen  mehr  von  den 
New  Yorker  Stadtobligationen  zu  einem  hohen  Zinsfuß.  Die 
heroischen  Eigenschaften  des  Retters  des  Landes  werden 
ferner  durch  die  Feststellung  des  Kontrolleurs  Metz  beleuch- 
tet, daß  er,  Metz,  um  Morgan  zur  Annahme  der  New  Yorker 
Stadtobligationen  zu  bewegen,  sich  nach  Albany  begeben  und 
dafür  sorgen  mußte,  daß  in  den  gesetzgebenden  Körper- 
schaften ein  besonderes  Gesetz  durchgebracht  würde,  das 
den  höheren  Zinsfuß  der  Obligationen  ermöglichte.  Ein 
anderes  solches  Beispiel  zur  Beleuchtung  der  Methoden 
Morgans  oder  der  von  ihm  beherrschten  Korporationen 
wird  später  gegeben  werden. 

Mit  einem  Kostenaufwande  von  mehr  als  22  Millionen 
Dollar  1)  (bis  zum  November  1909  gerechnet)  hatte  die  Stadt 
New  York  am  Hudson  von  der  12.  bis  zur  22.  Straße  von 
Little  West  eine  Reihe  ausgedehnter  moderner  Landungs- 
brücken gebaut.  Diese  Landungsbrücken  heißen  die  Chelsea 
Pier  Improvements.  Die  ganzen  Kosten  wurden  von  der 
Stadt  New  York  bestritten,  und  das  Geld  wurde  durch  den 
Verkauf  von  Stadtschuldscheinen  erlangt.  Der  Zinssatz 
wechselte  von  drei  bis  fast  fünf  Prozent.  Ein  Teil  der  Obli- 
gationen ist  in  dreißig  Jahren,  ein  sehr  kleiner  Teil  in  vier- 
zig Jahren  rückzahlbar,  und  der  größte  Teil  der  Gesamt- 
ausgabe „reift'*  in  fünfzig  Jahren. 

Diese  Landungsbrücken  wurden  an  drei  Dampfschiffs- 
gesellschaften verpachtet,  von  denen  eine  die  von  Morgan 


*)  Statement  of  New  York  City  Dock  Department. 


—  623  — 

organisierte  International  Mercantile  Marine  Company 
ist;  eine  andere  ist  die  Cunard-Linie ,  die  dritte  die 
Compagnie  Generale  Transatiantique.  Diese  Gesellschaf- 
ten verschafften  sich  durch  die  Tammany- Verwaltung 
im  Jahre  1904  einen  Pachtkontrakt  so  skandalöser  Art, 
daß  die  Stadt  nicht  genug  einnimmt,  um  auch  nur  die  Zin- 
sen der  für  die  Landungsbrücken  ausgegebenen  Obligationen 
zu  bezahlen.  Am  16.  Dezember  1903  machte  die  Interna- 
tional Mercantile  Marine  Company  das  schriftliche  An- 
gebot, fünf  ganze  Landungsbrücken  und  eine  halbe  für 
jährlich  450  000  Dollar  zu  pachten^).  Die  Frage,  ob  dieser 
Verpachtung  zuzustimmen  sei,  war  noch  nicht  entschieden, 
als  Tammany  wieder  zur  Macht  kam.  Die  International 
Mercantile  Marine  Company  erlangte  darauf  die  Zurück- 
gabe ihres  ersten  Angebots  ^)y  und  es  wurde  später  eine  dreißig- 
jährige Pacht  abgeschlossen,  wonach  die  drei  Gesellschaften 
neun  Landungsbrücken  für  einen  jährlichen  Pachtbetrag 
von  565  000  Dollar  erhielten 3).  Insofern,  als  die  Inter- 
national Mercantile  Marine  Company  allein  ursprünglich 
willens  gewesen  war,  3  392  35 1,46  Dollar  für  die  neun  Dämme 
für  einen  Zeitraum  von  dreißig  Jahren  anzubieten,  bürdete 
diese  Veränderung  der  Bedingungen  der  Stadt  einen  Verlust 
von  beinahe  drei  Millionen  Dollar  auf.  Das  Resultat  kann 
folgendermaßen  festgestellt  werden: 

Die  Chelsea  Improvements  kosteten  die  Stadt  22  Millio- 
nen Dollar. 

Die  jährlichen  Zinsen,  welche  die  Stadt  aufbringen 
muß,  belaufen  sich  auf  844  800  Dollar. 

Die  Amortisationskosten  betragen  220  000  Dollar. 

Die  jährliche  Abnutzung  wird  auf  345  553,50  Dollar  be- 
rechnet. 

Die  jährlichen  Gesamtausgaben  betragen  daher 
I  410  353,50  Dollar. 

Die  jährliche,  von  Dampfschiffsgesellschaften  für  diese 
Dämme  gezahlte  Pacht  beträgt  565  000  Dollar. 

Daher  beträgt  der  Nettoverlust  für  die  Stadt  jährlich 
845  353,50  Dollar,  das  sind  pro  Tag  2316,04  Dollar. 

^)  New  York  City  Dock  Department  Report  1903,  942.  *)  Sinking  Fund 
Report,  1904,  2.       *)  Ebenda,  1906,  786. 


—  624  — 

So  wurden  die  Beamten  der  Stadt  New  York  dazu  ge- 
bracht, die  damals  größten  und  schönsten  Landungsbrücken 
in  New  York,  wenn  nicht  in  den  Vereinigten  Staaten,  für  eine 
geringere  Summe  zu  verpachten,  als  die  Stadt  für  ältere 
und  viel  schlechtere  Landungsbrücken  erhalten  hatte,  so 
daß  die  Stadt  New  York  in  jedem  Jahre  845  353,50  Dollar 
verlor.  Und  während  Morgans  International  Mercantile 
Marine  Company  aus  diesem  Geschäft  Nutzen  zog,  zahlte 
Morgan  jährhch  20  000  Dollar  an  das  städtische  Unter- 
suchungsbüro, damit  kleiner  Diebstahl  untersucht  und 
bloßgestellt  wurde!    Ein  Kommentar  ist  unnötig. 

Diese  Geschäfte  sind  jedoch  unbedeutend,  wenn  man  sie 
mit  seiner  Tätigkeit  in  noch  neuerer  Zeit  vergleicht.  Am 
2.  Dezember  1909  kaufte  Morgan  persönlich  den  größten 
Teil  der  Aktien  der  Lebensversicherungsgesellschaft 
Equitable,  den  Thomas  F.  Ryan  im  Jahre  1905  von  der 
Familie  Hyde  gekauft  hatte.  Durch  diesen  Kauf  erwarb 
Morgan  die  Aktien,  um  deren  Besitz  vier  Jahre  vorher  ein  so 
bitterer  Kampf  geführt  worden  war  —  ein  Kampf,  der  (wie 
schon  beschrieben)  im  Jahre  1905  die  großen,  Aufsehen  und 
Ärgernis  erregenden  Enthüllungen  über  Versicherungs- 
gesellschaften hervorrief.  Durch  den  Kauf  dieser  Aktien 
erlangte  Morgan  die  Kontrolle  über  die  auf  470  Millionen 
Dollar  berechneten  Aktiva;  er  bezahlte,  so  sagte  man,  an- 
nähernd 2  500  000  Dollar  für  Ryans  Aktien.  Dreizehn 
Tage  nach  dieser  Erwerbung  kaufte  er  eine  Anzahl  von 
Telephonlinien,  Konkurrenten  der  Bell-Telephongesell- 
schaft,  wahrscheinlich  um  sie  mit  dem  Beil-Netz  zu  ver- 
einen. 

Morgans  nächster  Schritt  zeigte,  wie  schnell  er  seine 
schon  riesenhafte  Macht  ausdehnte.  Durch  Kauf,  Ring- 
bildung oder  Gemeinschaftlichkeit  der  Interessen  erwarb 
er  die  Guarantee  Trust  Company  von  New  York,  ein 
Unternehmen  von  90  Millionen  Dollar;  die  Mercantile 
Trust  Company  mit  Hilfsquellen  von  68475  000  Dollar;  die 
Equitable  Trust  Company,  deren  Aktiva  63800000  Dollar 
betrugen;  die  Morton  Trust  Company  —  früher  unter 
Ryans  Kontrolle  — ;  die  Fifth  Avenue  Trust  Company 
und  andere  sehr  mächtige  Bankinstitute.    Morgans  Macht 


—  625  — 

umfaßte  jetzt  Bank-  und  Trust-,  Versicherungs-,  Industrie- 
und  Transportgesellschaften  und  beherrschte  oder  beein- 
flußte ein  Kapital,  das  nach  den  Tatsachen,  die  im  Jahre 
191 2  bei  der  Untersuchung  des  Geldtrusts  durch  eine  be- 
sondere Kommission  des  Kongresses  aufgedeckt  wurden, 
auf  wenigstens  22  245  000  000  Dollar  geschätzt  wird.  Nach- 
dem er  diesen  Geldtrust  zum  Abschluß  gebracht  hatte, 
wurde  er  als  „Geldkaiser"  begrüßt,  und  sein  ungeheurer 
Besitz  wurde  als  ein  eindrucksvolles  und  unbarmherziges 
Beispiel  von  der  Macht  eines  einzigen  Menschen  bezeichnet, 
obgleich  dieser  Schritt  tatsächlich  nur  ein  weiterer  unver- 
meidlicher Markstein  in  der  Zentralisation  der  Hilfsquellen 
des  Landes  und  der  Oberherrschaft  über  sie  war.  Nur  die- 
jenigen, die  für  diese  Entwicklung  blind  waren,  waren 
darüber  erstaunt. 

Schließlich,  um  mit  der  Erzählung  von  Morgans  Lauf- 
bahn zu  Ende  zu  kommen,  bleibt  noch  die  riesengroße,  auf 
einen  Wert  von  900  Millionen  bis  2000  Millionen  Dollar 
geschätzte  Expropriation  der  Hilfsquellen  in  Alaska  und 
großer  Strecken  von  Wasserkraftgebieten  in  jenem  Terri- 
torium und  in  verschiedenen  andern  westlichen  Staaten  — 
Gebiete,  die  nach  ihrem  wirklichen  und  potentiellen  Wert 
auf  Hunderte  von  Millionen,  wenn  nicht  Milliarden  Dollar 
geschätzt  werden.  Den  von  selten  großer  kapitalistischer 
Interessen  unternommenen  erfolgreichen  Anstrengungen, 
sehr  große  Strecken  von  Kohlen-,  Kupfer-  und  anderem 
Mineralland,  von  Ries^nholzungen  und  Wasserkraftgebieten 
zu  erwerben,  widersetzte  sich  Gifford  Pinchot,  der  Ober- 
forstmeister der  Vereinigten  Staaten.  Ein  kritischer  Rechts- 
streit folgte  darauf  in  den  Jahren  1909  und  1910  zwischen 
Pinchot  und  Ballinger,  dem  Minister  des  Innern.  Es  wurde 
die  Anklage  erhoben,  daß  Ballinger,  vor  seiner  früheren 
Anstellung  als  Landbevollmächtigter,  als  Anwalt  für  einige 
der  Ansprucherhebenden  gehandelt  habe,  besonders  für  die 
Cunninghams,  die  große  Landstriche  mit  den  wertvollsten 
Hilfsquellen  erhalten  hätten.  Es  kam  zu  einer  Untersuchung 
durch  den  Kongreß. 

Nach  einer  glaubwürdigen  Aussage  schien  es,  daß  J.  P. 
Morgan  &  Co.  im  Jahre  1906  mit  den  Guggenheims  ein 


-  626  - 

Syndikat  gebildet  und  die  Ansprüche  der  Cunninghams 
übernommen  hatte.  Am  i8.  Februar  1910  erschienen 
John  N.  Steele,  der  Generalanwalt  des  Syndikats,  und  Ste- 
phen Birch,  sein  leitender  Direktor,  in  Alaska,  freiwillig  vor 
der  aus  beiden  Häusern  des  Kongresses  gebildeten  Kommis- 
sion und  machten  jene  Aussage,  stellten  es  auch  in  Abrede, 
daß  das  Syndikat  jemals  Geld,  Landbewilligungen  oder  be- 
sondere Rechte  von  der  Regierung  erhalten  habe.  Die  Aus- 
sage wollte  die  durch  Strohmänner  bewirkten  ungeheuer 
großen  Betrügereien  bei  dem  erfolgreichen  oder  versuchten 
Erlangen  von  Mineral-,  Bauholz-  und  Wasserkraft-Gebieten, 
die  auf  Hunderte  von  Millionen,  wenn  nicht  Milliarden 
Dollar  geschätzt  wurden,  aufdecken  und  dadurch  zeigen, 
daß  die  in  der  Zeit  der  Ansiedlung  begonnene  Wegnahme 
von  Land  durch  mehr  als  drei  Jahrhunderte  bis  zur  Gegen- 
wart ohne  irgendeine  ernste  Unterbrechung  fortgesetzt 
worden  ist. 

Morgan,  der  seine  Laufbahn  während  des  Bürgerkrieges 
mit  dem  Verkauf  jener  unbrauchbaren  Flinten  an  die 
Unionsarmee  begann,  ist  erfolgreich  weiter  geschritten, 
bis  er  zuletzt  als  ein  finanzieller  Koloß  und  einer  der  tat- 
sächlichen Herrscher  des  Landes  alles  überragte.  Er  lebte 
in  einem  glänzenden  Herrenhause  in  der  Madison  Avenue 
in  New  York  und  baute  an  dieses,  zu  seinem  eignen  Ge- 
nuß, eine  schöne,  geräumige,  marmorne  Kunstgalerie  an,  die 
voll  der  kostbarsten  Kunstwerke  ist.  Er  zeigte  eine  Leiden- 
schaft für  die  Literatur,  und  seine  Bibliothek  ist  sehr  aus- 
gedehnt. Er  beherrschte  sogar  die  Moral  der  andern  Leute, 
wie  eine  Unterbrechung  der  Oper  „Salome"  bei  ihrer  ersten 
Aufführung  im  Metropohtan  Opera  House  zeigt,  von  dem  er 
ein  Patron  und  Direktor  war.  Geld,  Größe,  Ansehn,  Macht 
—  alles  gehörte  ihm.  Und  die  ganze  Zeit  über  sind  die  Ge- 
fängnisse voll  von  kleinen  Dieben. 


Dreizehntes  Kapitel 
DAS  ELKINSSCHE  VERMÖGEN 

Mit  einem  Vermögen,  das  nach  vorsichtiger  Schätzung 
50  Millionen  Dollar  beträgt,  zweifellos  aber  viel  größer 
ist,  ist  Stephen  B.  Elkins  einer  der  bedeutenden  Multimillio- 
näre der  Vereinigten  Staaten.  Mit  dem  Reichtum  solcher 
Magnaten,  wie  der  Vanderbilts,  der  Goulds,  Morgans  und 
Hills  verglichen,  sind  Elkins  Besitzungen  nicht  bemerkens- 
wert ;  er  kann  nicht  in  ihre  besondere  Klasse  eingereiht  wer- 
den. Aber  sein  Reichtum  hat  ihn  zu  der  Stellung  eines  der 
mächtigsten  Politiker  des  Landes  erhoben;  er  ist  einer  der 
rührigen,  herrschenden  Führer  in  dem  Senat  der  Vereinig- 
ten Staaten;  der  Staat  West-Virginia  ist  im  wesentlichen 
sein  Gebiet,  nicht  nur  politisch,  sondern  in  ausgedehntem 
Maße  sein  persönliches  Eigentum.  Er  besitzt  oder  beherrscht 
viele  seiner  Berge  und  seiner  Kohlenzechen  und  viel  von 
seinen  andern  natürlichen  Hilfsquellen;  einige  seiner  Eisen- 
bahnen und  auch  seine  Straßenbahngesellschaften  gehören 
ihm.  Auch  die  vor  einigen  Jahren  für  18  Millionen  Dollar 
an  die  Goulds  verkaufte  West -Virginia -Zentraleisenbahn 
wurde  von  ihm  beherrscht.  In  demselben  Staate  gehören 
ihm  Banken  und  Sicherungsgesellschaften,  Baukorporatio- 
nen, Koksanlagen,  Wasserwerke  und  verschiedene  andere 
Besitzungen.  Er  hat  große  Gruben-,  Land-  und  andere 
Interessen  im  Westen. 

West- Virginia  ist  Elkins^  Gebiet 

Elkins  ist  der  große  reiche  Herr,  dessen  Wort  in  West- 
Virginia  Gesetz  ist.  Ob  der  Staat  demokratisch  oder  repu- 
blikanisch ist,  macht  wenig  aus ;  die  Herrschaft  über  ihn  ist 
ausschließlich  eine  Familienangelegenheit.  Während  er  ein 
republikanischer  Herrscher  ist,  war  sein  Schwiegervater, 
Henry  G.  Davis,  der  in  dem  Rufe  stand,  ein  Vermögen  von 
wenigstens  30  Millionen  Dollar  zu  besitzen,  lange  Zeit  der 
demokratische  Führer.  Welche  politische  Partei  auch  die 
Macht  hatte,  diese  Familie  stand  immer  auf  der  Seite  der 

40* 


-  628  - 

Gewinnenden.  Vor  einigen  wenigen  Jahren,  als  die  „kon- 
servative Demokratie"  in  der  National  Democratic  Con- 
vention die  Oberhand  über  die  Elemente  des  Mittelstandes 
gewann,  wurde  Davis  als  ihr  Kandidat  für  das  Amt  des  \'ize- 
präsidenten  der  Vereinigten  Staaten  gewählt.  Die  Formen 
einer  sogenannten  „populären"  Regierung  herrschen  noch  in 
West- Virginia,  aber  nur  zur  Durchführung  der  Pläne  und 
des  Willens  solcher  Magnaten  wie  Elkins  und  Davis,  wie  sie  in 
andern  Staaten  zur  Ausführung  der  Pläne  der  dort  herrschen- 
den Magnaten  benutzt  werden.  Die  Familie  Elkins-Davis 
erteilte  den  gesetzgebenden  Körperschaften  den  Befehl, 
Elkins  in  den  Senat  der  Vereinigten  Staaten  zu  wählen,  und 
die  ehrenwerten  gesetzgebenden  Körperschaften  taten  es. 
Staats-  und  Kreisbeamte,  Richter  und  andere  Angestellte 
schulden  dieser  Familie  ihre  öffentliche  Stellung  und  damit 
ihre  Ergebenheit.  Elkins  ist  gegenwärtig  das  große  Fak- 
totum der  Politik  West- Virginias.  Doch  noch  vor  zwanzig 
Jahren  wurde  er  als  Eindringling  angesehen. 

Senator  Elkins  erbte  keinen  Reichtum;  er  ist  vollständig 
der  „Baumeister  seines  eigenen  Glückes".  Wie  waren  Art. 
und  Stil  seines  Bauwerks .?  Nach  den  schablonenmäßigen, 
gewöhnlich  mit  Reklamepreisen  bezahlten  Biographien  war 
ihm  die  bemerkenswerte  Laufbahn  des  armen  Knaben  eigen, 
der  sich  durch  harte  Arbeit,  Fleiß  und  überlegene  Fähigkeit 
zu  großem  Reichtum  erhebt.  Aber  amtliche  Dokumente 
haben  eine  ganz  andere  Geschichte  zu  erzählen ;  und  wenn  sie 
auch  nicht  erklären,  wie  Elkins  zu  allen  seinen  Millionen 
kam,  so  geben  sie  doch  genügende  lebendige  Einzelheiten  von 
den  Methoden,  durch  welche  er  zuerst  Millionär  wurde. 

Als  junger  Mann  wurde  Elkins  häufig  beschuldigt,  wäh- 
rend des  Bürgerkrieges  einer  der  Marodeure  von  Quantrells 
Bande  gewesen  zu  sein;  es  findet  sich  aber  für  diese  Be- 
schuldigung in  den  Berichten  kein  wirklicher  Beweis.  Nach 
dem  Bürgerkriege  ging  er  nach  New  Mexico.  Dort  studierte 
er  Spanisch  und  wurde  Mitglied  der  Territorial-Gesetz- 
gebung.  Seine  politischen  sowie  seine  persönlichen  Feinde 
beschuldigten  ihn,  Urheber  und  Haupt  der  ungeheuren 
Landschwindeleien  zu  sein,  die  in  New  Mexico  übHch 
waren.    Dieser  besondere  Vorwurf   war   ebenso   ungerecht 


—  629  — 

wie  falsch.  Lange  bevor  Elkins  nach  dem  Südwesten  ver- 
schlagen wurde,  waren  die  Landschwindeleien  allgemein 
bekannt;  was  er  und  andere  nach  dem  Bürgerkriege  taten, 
bildete  nur  eine  Fortsetzung  von  dem,  was  viele  Jahre  lang 
vor  sich  gegangen  war. 

Elkins  war  lange  Zeit  ein  mächtiger  republikanischer 
Politiker  in  New  Mexico.  Während  Präsident  Grants 
Verwaltung  war  er  Distriktsanwalt  der  Vereinigten  Staaten 
in  jenem  Gebiet.  Zu  jener  Zeit  war  in  New  Mexico 
Sklaverei  in  Form  von  Schuldknechtschaft  weit  verbreitet, 
wie  noch  jetzt  in  Mexico.  Die  Arbeiter,  die  bei  ihrem 
Arbeitgeber  in  Schulden  gerieten,  konnten  ihren  Dienst 
nicht  verlassen,  solange  die  Schuld  nicht  bezahlt  war. 
Dies  führte  zu  tatsächlicher  Sklaverei  der  Arbeiter.  Nach 
den  Gesetzen  der  Vereinigten  Staaten  bezahlte  die  Regie- 
rung für  jede  Überführung  von  Personen,  die  wegen  Ver- 
letzung der  Sklavereigesetze  der  Vereinigten  Staaten  an- 
geklagt waren,  eine  Belohnung  von  25  Dollar.  Elkins,  sagte 
man,  verschaffte  sich  die  Anklagen  von  Tausenden  von 
mexikanischen  Übertretern  dieses  Gesetzes,  überführte  sie 
oder  führte  Vergleiche  herbei  und  war  so  imstande,  in  jedem 
Falle  das  Honorar  von  25  Dollar  einzustecken.  Er  wurde 
ziemlich  reich  durch  dieses  Verfahren. 

Er  wurde  dann  zum  Kongreßdelegierten  für  New  Mexico 
gewählt,  und  während  dieser  Zeit  bekam  er  die  seit  langem 
heftig  umstrittene  sogenannte  Maxwell-Landüberweisung 
in  seine  Gewalt^)  und  vertrat  ihre  Anerkennung  im  Kongreß. 
Die  Protokolle  des  Oberlandamtes  vom  28.  Januar  1874 
zeigen,  daß  Stephen  B.  Elkins  sich  dafür  interessierte,  daß 
diese  angebHche  Landbewilliguiig  vermessen  würde;  er 
war  gerade  zu  der  Zeit  im  Kongreß.  Unmittelbar  nachdem 
der  betrügerische  Verkauf  wegen  nichtbezahlter  Steuern 
abgehalten  worden  war,  wandte  sich  die  Maxwell-Land 
Grant  and  Railroad  Company  im  Jahre  1877  noch  einmal 
an  das  Oberlandamt,  um  eine  Vermessung  und  ein  Patent 
zu  erlangen.  Dieses  Mal  gab  es  keinen  Widerstand  bei  den 
Regierungsbeamten  in  Washington.  Die  Angelegenheit 
verlief  außerordentlich  glatt. 

1)  Vgl.  S.  Z5i{.,  256. 


-  630  - 

Das  Oberlandamt  ordnete  eine  Vermessung  an.  Am 
15.  August  1877  schloß  der  Oberlandvermesser  der  Ver- 
einigten Staaten  in  New  Mexico  zur  Ausführung  der 
Vermessung  einen  Kontrakt  mit  John  T.  Elkins,  dem 
Bruder  Stephens,  und  Robert  T.  Marmon.  Ihre  Bürgen 
waren  Stephen  B.  Elkins  und  James  L.  Johnson^).  Diese 
Landmesser  berichteten,  daß  das  verliehene  Land  alles 
in  allem  i  714  764,94  Morgen  umfasse.  Nach  ihrem  Be- 
richt umschloß  es  das  schönste,  vom  Rio-Grande  und 
seinen  zahlreichen  Nebenflüssen  bewässerte  Land  New 
Mexicos,  große  und  kleine  Städte  und  Dörfer,  Berge  voll 
von  Mineralien;  es  umfaßte  eine  lange  Kette  der  Raton- 
Berge  mit  ihren  reichen  Gold-,  Silber-  und  Kohlenlagern 
und  Holzgebieten  und  erstreckte  sich  weit  nach  Colorado 
hinein,  wo  es  große  Landstrecken  bedeckte.  Das  Oberland- 
amt erteilte  am  19.  Mai  1879  ein  Patent  in  der  Form  eines 
Verzichtes  für  die  ganzen  1714764,94  Morgen,  die  auf 
Grund  der  Vermessung  beansprucht  worden  waren. 

Unterdessen  war  das  verliehene  Land  an  ein  Syndikat 
holländischer  Kapitalisten  für  die  Summe  von  700  000  Pfund 
in  englischer  Münze  und  holländischem  Kurant  verpfändet 
worden  2).  Zu  ihrer  Bestürzung  fanden  sie  bald,  daß  sie 
einen  schweren  Rechtsstreit  auf  dem  Halse  hatten. 

Die  Tatsache,  daß  die  Regierung  die  Gültigkeit  der 
Landbewilligung  anfocht,  war  ihnen  vollständig  unbekannt. 

Die  Regierung  erhebt  Anklage  auf  Betrug 

Die  Regierung  brachte  eine  Klage  ein,  daß  die  Land- 
bewilligung für  nichtig  erklärt  würde.  Am  25.  August  1882 
verklagte  sie  die  Maxwell-Land  Grant  Company,  die 
Denver  und  Rio  Grande  Railway  Company,  die  Atchison, 
Topeka  and  Santa  Fe-Railway  Company  und  die  Pueblo 
and  Arkansas  Valley- Railway  Company.  Die  „Klageschrift 
der  Regierung",  so  lautet  das  gerichtliche  Protokoll,  „erhob 
die  Beschuldigung,  daß  die  Landvermessung,  auf  Grund 
derer  das  Patent  erteilt  worden  war,  falsch  und  betrügerisch 

^)  House  Reports,  usw.,  1891 — 92,  Bd.  4,  Report  Nr.  1253. 
*)  Ebenda,  7, 


-  631  - 

ausgeführt  worden  sei  und  daß  die  Maxwell-Land  Grant 
Company  und  verschiedene  Parteien,  die  diese  Vermessung 
nach  einem  Kontrakt  mit  der  Regierung  ausgeführt  hatten, 
sich  verschworen  hätten,  die  Regierung  der  Vereinigten 
Staaten  zu  betrügen,  indem  sie  einen  größeren  Landkomplex 
einschlössen,  als  nach  der  ursprünglichen  Überweisungs- 
urkunde der  Republik  Mexico  umschlossen  werden  sollte, 
und  sie  erhob  im  besondern  die  Beschuldigung,  daß  un- 
gefähr 265  000  Morgen,  nämlich  alles  Land,  das  in  dem  Kreis 
Las  Animas  im  Staate  Colorado  lag,  auf  betrügerische  Weise 
in  diese  Vermessung  eingeschlossen  worden  sei,  und  dieses 
Land  habe  den  Wert  von  2  Millionen  Dollar." 

Das  Bundesgericht  der  Vereinigten  Staaten  für  Colorado 
wies,  wie  zu  erwarten  war,  die  Klage  der  Regierung  ab,  denn 
es  war  bekannt,  daß  die  Eisenbahn-  und  Landraub-Inter- 
essenten Gerichtshöfe  dieser  Art,  deren  Richter  zum  Teil 
ihre  eigenen  Anwälte  gewesen  waren,  weitgehend  be- 
herrschten. Die  Regierung  brachte  den  Fall  vor  den 
Obersten  Gerichtshof  der  Vereinigten  Staaten.  In  der  Be- 
weisführung vor  diesem  Gerichtshof  am  8.,  9.,  10.  und 
II.  März  1887  behauptete  die  Regierung: 

1.  Daß  die  Landbewilligung  der  Republik  Mexico  nach 
den  mexikanischen  Gesetzen  alles  in  allem  nicht  22  Quadrat- 
Leagues,  d.  h.  97  424,8  Morgen  Land,  überschreiten  konnte; 

2.  daß  der  Bericht  des  Oberlandvermessers  von  New 
Mexico  vom  15.  September  1857  die  LandbewilHgung  für 
keine  größere  Ausdehnung  als  22  Quadrat-Leagues  zur  Be- 
stätigung empfohlen  habe; 

3.  daß  die  Bestätigungsakte  vom  21.  Juni  1860  nicht  als 
eine  neue  Bewilligung  über  22  Quadrat-Leagues  hinaus 
wirksam  war; 

4.  daß  die  Vermessung,  nach  der  das  Patent  erteilt  worden 
war,  und  das  Patent  selbst  außer  den  22  Quadrat-Leagues 
viele  hunderttausend  Morgen  umfaßte,  die  nicht  in  der  be- 
stätigten Landbewilligung  enthalten  waren,  und  auch 
mehrere  hunderttausend  Morgen  (ungefähr  400000),  die 
außerhalb  der  östlichen  und  nördlichen  Grenzen  liegen  und 
ebenfalls  nicht  in  der  bestätigten  Landbewilligung  ent- 
halten waren; 


-  632  - 

5-  daß  das  Patent  auf  den  Mehrbetrag  von  1600000 
Morgen  von  Beamten  des  Landesdepartements  erteilt 
worden  war,  auf  Grund  „der  Betrügereien  und  Täuschun- 
gen, die  gegen  den  Kommissar  des  Oberlandamtes  und  seine 
Agenten  von  dem  Oberlandmesser  Spencer  und  von  den 
von  den  Vereinigten  Staaten  abgesandten  Vermessern  Elkins 
und  Marmon  im  Interesse  solcher  Besitzer  verübt  worden 
waren"^). 

In  seiner  Beweisführung  sagte  der  Oberhilfsanwalt  der 
Vereinigten  Staaten  Maury:  .  .  .  „Da  die  Verleihung  zu 
Anfang  mexikanisch  und  den  Gesetzen  und  Gebräuchen 
Mexicos  unterworfen  war,  so  hat  dieser  Gerichtshof  zu 
entscheiden,  ob  es  einen  berechtigten  Entwicklungsprozeß 
gibt,  durch  welchen  diese  ursprünglich  mexikanische  Ver- 
leihung von  22  Quadrat-Leagues  an  Beaubien  und  Miranda 
bis  zu  der  in  diesem  Patent  enthaltenen  fürstlichen  Herr- 
schaft zugenommen  und  sich  erweitert  hat"*).  Maury  be- 
hauptete, daß  Betrug  reichlich  erwiesen  sei.  J.  A.  Bentley, 
ein  von  der  Regierung  für  diesen  Fall  besonders  ernannter 
Anwalt,  unterbreitete  eine  längere  Ausführung,  um  zu  be- 
weisen, daß  bei  der  Erweiterung  der  Grenzen  der  Land- 
bewilligung Betrügereien  gegen  die  Regierung  verübt 
worden  seien,  und  er  legte  auch  dar,  daß  die  Entscheidung 
des  Ministers  des  Innern  Cox  im  Jahre  1869  endgültig  war. 

Die  Entscheidung  des  obersten  Gerichtshofs 

Stöße  über  Stöße  von  Beweisen,  daß  die  gröbsten  Be- 
trügereien begangen  worden  waren,  konnten  den  Obersten 
Gerichtshof  der  Vereinigten  Staaten  nicht  überzeugen. 
In  seiner  Entscheidung  vom  18.  April  1887  hielt  er  die 
Meinung  aufrecht,  daß  die  Akte  vom  21.  Juni  1860  dem 
Wesen  nach  eine  neue  Verleihung  darstelle,  und  er  bestä- 
tigte die  Bewilligung  bis  zu  der  vollen  Ausdehnung  der 
beanspruchten  i  714  764,94  Morgen —  eine  Entscheidung, 
die  von  dem  ganzen  Lande  mit  dem  äußersten  Erstaunen 
aufgenommen  wurde. 

*)  United  States  Reports,  Bd.  121,  327. 
*)  Ebenda,  330. 


-  ^33  - 

Im  Besitze  dieser  Entscheidung  schritten  die  Eigen- 
tümer der  Maxwell-Landbewilligung  nun  zur  Vertreibung 
von  Ansiedlern  nach  rechts  und  nach  links.  Das  erregte 
einen  großen  Sturm.  Die  Ansiedler  auf  dem  zugesprochenen 
Gebiet  taten  sich  zusammen  und  ernannten  O.  P.  McMains 
zu  ihrem  Vertreter,  der  dem  Kongreß  ihre  Petition  um 
Rückgängigmachung  überreichen  sollte.  In  einem  Affidavit 
zugunsten  der  Ansiedler,  datiert  vom  9.  Mai  1892,  be- 
schuldigte McMains  die  verschiedenen  obersten  Beamten 
der  Vereinigten  Staaten,  wie  den  Minister  des  Innern, 
Noble,  den  Landkommissar  Carter  (jetzt,  im  Jahre  1909, 
Senator  der  Vereinigten  Staaten  für  Montana)  und  andere 
Beamte,  sie  hätten  es  abgelehnt,  das  bewilligte  Land  als 
öffentliches  Gebiet  zugänglich  zu  machen.  Diese  Weige- 
rung war,  wie  das  Affidavit  betonte,  eine  Verletzung  des 
ausdrücklichen  Kongreßgesetzes  vom  21.  Juni  1860.  Das 
Affidavit  fuhr  dann  fort: 

„Und  der  Deponent  bezeugt  ferner  eidlich  und  sagt; 
Daß  S.  B.  Elkins  der  letzte  Präsident  der  Maxwell-Land 
Grant  and  Railway  Company  war,  die  zur  Zeit  seiner 
Amtsniederlegung  im  Jahre  1875  bankrott  war;  daß  nach 
dem  Jahre  1875  der  besagte  Elkins  mit  der  besagten  Gesell- 
schaft weder  als  Beamter  noch  als  Anwalt  in  Verbindung 
stand  und  an  den  Angelegenheiten  der  Gesellschaft  keinen 
Anteil  hatte;  daß  er  trotz  alledem  als  Outsider  und  Speku- 
lant Interesse  daran  hatte,  daß  das  Land,  das  nach  dem 
Gesetze  als  öffentliches  Land  behandelt  werden  sollte, 
wieder  als  die  angebliche  Beaubien-  und  Miranda-  oder 
Maxwell-Landbewilligung  behandelt  und  vermessen  würde, 
und  daß  er  Ende  des  Jahres  1875 — 1876  eine  Reise  nach 
Europa  machte,  mit  einem  Plan  für  die  Reorganisation  der 
Maxwell-Land  Grant  Company  vor  Augen. 

„Daß  T.  B.  Catron  aus  New  Mexico,  der  ebenso  wie 
Elkins  Interesse  daran  hatte,  daß  das  Land,  das  nach  dem 
Gesetz  als  öffentliches  Land  behandelt  werden  sollte, 
wieder  als  die  angebliche  Maxwell  Landbewilligung  behan- 
delt und  vermessen  würde,  am  19.  Juli  1877  durch  eine 
ungesetzliche  und  betrügerische  Steueranspruchsurkunde 
ein  angeblicher  Besitzer  von  beinahe  zwei  Millionen  Morgen 


-  634  - 

öffentlichen  Landes,  der  sogenannten  Beaubin-  und  Mi- 
randa-  oder  Maxwell-Landbewilligung,  wurde ;  daß,  um  von 
der  ungesetzlichen  Steueranspruchsurkunde  auf  öffentliches 
Land,  der  angeblichen  Maxwell-Landbewilligung,  Nutzen  zu 
ziehen,  es  nötig  wurde,  die  Durchführung  des  endgültigen 
und  rechtskräftigen  Befehls  des  Ministeriums  des  Innern 
vom  28.  Januar  1874,  welche  verlangte,  daß  die  von  den 
Reklamierenden  der  Maxwell-Landbewilligung  beanspruch- 
ten Ländereien  als  öffentliches  Land  behandelt  werden 
sollten,  dadurch  unwirksam  zu  machen,  daß  man  den 
Maxwell-LandbewilUgungs- Anspruch  von  neuem  gegen  die 
Vereinigten  Staaten  zur  Vermessung  und  Patentierung  ein- 
klagte. 

„Daß  die  Parteien,  die  sich  verschworen  hatten,  besagten 
Anspruch  gegen  die  Vereinigten  Staaten  unter  Verletzung 
der  Sektion  5498  der  revidierten  Gesetze  einzuklagen, 
der  Hon.  S.  B.  Elkins,  damals  Kongreßdelegierter  von 
New  Mexico;  Hon.  T.  B.  Catron,  damals  Anwalt  der 
Vereinigten  Staaten  für  Mexico,  und  Hon.  J.  A.  Wil- 
liamson,  damals  Kommissar  des  Oberlandamtes  waren; 
daß  das  Ziel  besagter  Verschwörung  erreicht  wurde;  daß 
die  Durchführung  des  rechtskräftigen  Befehls  vom  28.  Ja- 
nuar 1874  und  das  Kongreßgesetz  vom  21.  Juni  1860  bei- 
seite geschoben  wurden ;  daß  Ansiedler,  die  das  Land  in  freien 
Besitz  genommen  oder  das  Vorkaufsrecht  hatten,  ohne  ein 
richtiges  gesetzliches  Verfahren  ihrer  privaten  und  verlie- 
henen Rechte  und  die  Vereinigten  Staaten  ihrer  vermessenen 
öffenthchen  Ländereien  beraubt  wurden"^^. 

Das  Affidavit  sagte  weiter,  daß  „die  Weigerung  der  Be- 
amten, das  Kongreßgesetz  durchzuführen,  im  Interesse 
der  vorhererwähnten  Verschwörung  geschah;  daß  durch 
solche  unrechtmäßige  Weigerung  der  besagte  Minister 
und  der  Kommissar  durch  List  und  Betrug  der  besagten 
Verschwörung  Vorschub  leisteten  und  sie  unterstützten"  2). 

Die  Hauskommission  für  private  Landansprüche,  an  die 
die  Petition  der  Ansiedler  verwiesen  wurde,  fand,  daß  die 
Angaben  in  bezug  auf  den  in  New  Mexico  gelegenen  Teil 

^)  House  Reports,  First  Session,  Fifty-second  Congress,  1891 — 1892,  Bd.  7, 
Report  Nr.  1824,  4 — 5.  a)  House  Reports  usw.  Nr.  1824,  1891 — 1892,  5. 


-  635  - 

der  Landbewilligung  richtig  waren.  In  betreff  der  vier- 
hunderttausend Morgen  in  Colorado  berichtete  die  Kom- 
mission : 

„Die  Maxwell-Land  Grant  and  Railroad  Company  hat 
sich  im  Jahre  1877  nicht  wegen  einer  Vermessung  öffent- 
lichen Landes  in  Colorado,  als  eines  Teiles  der  angeblichen 
Maxwell-Bewilligung,  an  den  Kommissar  des  Oberland- 
amtes gewandt;  aber  eine  Partei,  die  in  keiner  Weise  mit 
der  Gesellschaft  in  Verbindung  stand  oder  in  irgendeiner 
Eigenschaft  im  Namen  der  Gesellschaft  handelte  —  Hon. 
S.  B.  Elkins  —  forderte  tatsächlich,  daß  eine  Vermessung 
bestätigt  werden  sollte",  die  öffentliches  Land  in  Colorado 
als  zu  der  Maxwell-Landbewilligung  gehörig  einschließen 
würde.  Nach  dieser  Vermessung  geschah  es,  daß  das  ganze 
Gebiet  von  i  714  764,94  Morgen  für  700000 Pfd.  Sterling  an 
holländische  Kapitalisten  verpfändet  wurde.  Dieses  Land  in 
Colorado  war,  wie  die  Kommission  feststellte,  unrechtmäßig 
in  Besitz  genommen  worden.  Die  Kommission  schloß: 
„Und  es  ist  die  Ansicht  Ihrer  Kommission,  daß  nach  dem 
Gesetz  vom  21.  Juni  1860  die  Ländereien,  die  zu  dem  in 
Colorado  gelegenen  Teil  der  angeblichen  Maxwell-Land- 
bewilligung gehören,  als  öffentliches  Land  behandelt  wer- 
den sollten  .  .  .  und  nicht  einen  Teil  der  ursprünglichen 
Beaubin-  und  Miranda- Landbewilligung  bilden^). 

Oberlandesvermgsser  Julian  legt  den  Fall  dar 

Der  Kongreß  leitete  auf  den  Bericht  der  Hauskommission 
für  private  Landansprüche  hin  keine  Maßregeln  ein,  und 
diese  vollständige  Untätigkeit,  verbunden  mit  der  Ent- 
scheidung des  Obersten  Gerichtshofs  der  Vereinigten 
Staaten,  hatte  die  Folge,  daß  die  Personen,  die  sich  die 
I  714  764,94  Morgen  angeeignet  hatten,  oder  ihre  Bevoll- 
mächtigten ein  Besitztum  behalten  konnten,  das  in  der 
Folge  unangefochten  blieb.  George  W.  Julian,  während 
der  ersten  Verwaltungsperiode  des  Präsidenten  Cleveland 
Oberlandesvermesser    der    Vereinigten    Staaten    in    New 

^)  „Land  Titles  in  New  Mexico  and  Colorado",  House  Reports,  First  Session, 
Fifty-second  Congress,   1891 — 189z,  Bd.  4,  Report  Nr.   1253,  8. 


-  636  - 

Mexico,  fand  in  jenem  Gebiete  Zustände  vor,  die  er  am 
14.  September  1892  in  einer  Rede  vor  dem  Hendricks-Klub 
in  Indianopolis,  als  er  von  Elkins'  Laufbahn  berichtet,  be- 
schrieb. Nachdem  er  von  einigen  der  früheren  Unterneh- 
mungen von  Elkins  in  New  Mexico  berichtet  hatte,  sagte 
JuHan : 

„Diese  Erfahrungen  bereiteten  ihn  reichhch  für  die  bril- 
lanten Grundstückspekulationen  vor,  durch  die  er  reich 
wurde.  Er  hatte  hauptsächlich  mit  spanischen  Land- 
bewilligungen zu  tun,  die  er  mexikanischen  Reklamierenden 
oder  denen,  an  die  sie  ihre  Ansprüche  abgetreten  hatten, 
für  einen  sehr  geringen  Preis  abkaufte.  Die  Grenzen  dieser 
Bewilligungen  waren  unklar  und  unbestimmt,  und  ihre 
genaue  Festsetzung  mußte  von  dem  Oberlandesvermesser 
des  Territoriums  getroffen  werden  und  unterlag  dann  der 
endgültigen  Entscheidung  des  Kongresses.  Elkins  wurde 
Mitglied  des  Landringes  des  Territoriums,  und  haupt- 
sächlich durch  seinen  Einfluß  kam  es  dahin,  daß  die  Ver- 
messung dieser  Landbewilligungen  Hunderte  und  Tausende 
von  Morgen  enthielt,  die  nicht  dazu  gehörten.  Er  wurde 
auf  diese  Art  ein  großer  Landbesitzer,  denn  infolge  der  Be- 
arbeitung der  Kongreßausschüsse  wurden  so  unrechtmäßig 
vermessene  Landbewilligungen  mit  ihren  gefälschten  Gren- 
zen bestätigt. 

,Er  erregte  besonderes  Aufsehen  als  Held  der  berühmten 
Maxwell-Landbewilligung,  die  nach  der  Entscheidung  des 
Ministers  Cox  vom  Jahre  1 869  nur  ungefähr  96  000  Morgen 
umfaßte,  aber  unter  Elkins'  Behandlung  auf  i  714  764,94 
Morgen  vermessen  und  so  patentiert  wurde.  Der  Kon- 
greß wurde  durch  die  Arbeit  seiner  Kommissionen  ge- 
täuscht und  bestätigte  die  Landbewilligung  mit  den 
darin  unbestimmt  angedeuteten  äußeren  Grenzen,  die  so 
ausgedehnt  waren,  daß  sie  dieses  ganze  ungeheure  Gebiet 
bedeckten,  und  diese  Bestätigung  durch  den  Kongreß 
zwang  den  Obersten  Gerichtshof,  diesen  verblüffenden 
Raub  als  rechtskräftig  anzuerkennen.  Auf  solche  Weise  sind 
mehr  als  10  Millionen  Morgen  öffentlichen  Gebietes  in  New 
Mexico  die  Beute  der  Landräuber  geworden,  und  der  Rädels- 
führer in  diesem  Raubzug  war  Stephen  B.  Elkins,  der  Ver- 


-  637  - 

bündete  Stephen  W.  Dorseys  und  der  leitende  Geist  der 
ganzen  Bewegung. 

„Er  war  für  sein  Werk  vollkommen  qualifiziert.  Er  ließ 
sich  nicht  unterdrücken,  und  er  hatte  viele  geistige  Fähig- 
keiten. Er  war  ein  kaufmännisches  Genie  und  bei  der  Ver- 
folgung seiner  Ziele  ungemein  wenig  durch  Gewissensfragen 
gehemmt.  Er  benutzte  den  Oberlandesvermesser  des  Terri- 
toriums, das  Landdepartement  in  Washington  und  die 
Kongreßkommissionen  als  seine  Werkzeuge,  um  arme  An- 
siedler auszuplündern  und  der  Regierung  ihre  Ländereien 
zu  rauben.  Einen  Menschen  um  sein  Heim  betrügen  wird 
mit  Recht  als  ein  Verbrechen  angesehen,  das  nur  dem  Morde 
nachsteht,  und  ein  Volk  seines  öffentlichen  Landes  berauben 
und  damit  unbegüterten  Menschen  die  Gelegenheit  ver- 
kürzen, sich  ein  Heim  zu  verschaffen,  ist  nicht  nur  ein 
Verbrechen  gegen  die  Gesellschaft,  sondern  eine  grausame 
Verhöhnung  der  Armen.  Wenn  irgendwelche  Erwägungen 
dieser  Art  jemals  Mr.  Elkins'  Träume  störten,  so  wurden 
sie  durch  seinen  überwältigenden  Eifer  in  dem  Werke 
, praktischer  Politik'  kurzerhand  zum  Schweigen  gebracht. 
Nach  Dorseys  Ansicht  wußte  Elkins  mehr  als  irgendein 
anderer  von  den  ,Star-route*-Fällen,  welche  ein  Dutzend 
Jahre  früher  berühmt  wurden,  und  man  wird  sich  auch 
erinnern,  daß  er  mit  der  Verfolgung  eines  Anspruchs  auf 
50  Millionen  Dollar  gegen  Brasilien  zu  tun  hatte,  während 
Blaine  unter  Garfield  Staatsminister  war,  eines  Anspruchs, 
der  später  von  Minister  Bayard  entrüstet  zurückgewiesen 
wurde  .  .  . 

„Wenn  ich  auf  diese  Sachen  Bezug  nehme,  so  spreche  ich 
nicht  aufs  Geratewohl,  sondern  ich  folge  amtlichen  Doku- 
menten und  beglaubigten  Tatsachen,  mit  denen  ich  während 
meines  vierjährigen  öffentlichen  Dienstes  in  jenem  Terri- 
torium unter  der  letzten  Verwaltung  bekannt  wurde." 

Die  „Star-route"-Betrügereien,  auf  die  Julian  hinwies, 
wurden  vor  dreißig  Jahren  ein  großer  öffentlicher  Skandal. 
Durch  sie  wurden  dem  Schatz  der  Vereinigten  Staaten 
große  Summen  geraubt.  Der  Ausdruck  „Star-route" 
wurde  auf  inländische  Postwege  angewandt,  auf  denen 
die  Postsachen  nicht  durch  Eisenbahnen  und  Dampfschiffe, 


~  638  - 

sondern  in  anderer  Weise  befördert  wurden.  Diese  Routen 
wurden  in  den  Büchern  der  Postverwaltung  amtlich  mit 
einem  Sternchen  versehen,  daher  die  Bezeichnung.  Die 
von  der  Postverwaltung  und  von  Kongreßkommissionen 
angestellten  Untersuchungen  ließen  Elkins  nicht  als  einen 
Unternehmer  erkennen.  Seine  Unterschrift  fand  sich 
jedoch  auf  den  Schuldverschreibungen  gewisser  führender 
Unternehmer  von  Postrouten  im  Südwesten,  und  er  war 
sehr  energisch  dahinter  her,  die  Einrichtung  von  Überland- 
routen  in  New  Mexico  und  andern  Gegenden  zu  erlangen. 
Es  wurde  schließlich  festgestellt,  daß  er  an  der  sogenannten 
„Kerens- Kombination"  beteiligt  war,  an  deren  Spitze 
Richard  C.  Kerens,  ein  mächtiger  republikanischer  Poli- 
tiker aus  St.  Louis,  stand.  Aber  Elkins  verfuhr  so  schlau 
und  heimlich,  daß  er  bei  den  großen  „Star-Route"-Unter- 
nehmungen  der  Jahre  1882  und  1883  gar  nicht  zum  Vor- 
schein kam^). 

Elkins  wird  ofiiziell  zum  ehrenwerten  Mann  gestempelt 

Zu  dieser  Zeit  war  er  ein  bekannter  republikanischer 
Politiker  von  nationaler  Bedeutung.  Im  Jahre  1884  war  er 
Vorsitzender  des  Republican  National  Committee,  und 
im  Dezember  1891  ernannte  ihn  Präsident  Harrison  zum 
Kriegsminister.  Harrison  waren  die  Einzelheiten  von  El- 
kins' Laufbahn  in  New  Mexico  nicht  unbekannt,  denn  als 
Senator  der  Vereinigten  Staaten  war  Harrison  ein  Mitglied 
der  Kommission  für  die  Territorien  gewesen  und  hatte  den 
Angelegenheiten  von  New  Mexico  besondere  Aufmerksam- 
keit geschenkt. 

Harrison  kannte  auch  die  Tatsachen  des  brasilianischen 
Anspruchs,  der  sich  aus  einer  einem   gewissen  D.  G.  M. 

^)  Man  hatte  lange  öffentlich  die  Beschuldigung  ausgesprochen,  daß  Elkins 
nicht  vor  Gericht  gebracht  worden  sei,  weil  er  im  geheimen  Staatszeuge  geworden 
war  und  dem  Generalpostmeister  viel  wertvolle  Auskunft  über  seine  früheren 
Teilhaber  geliefert  hatte.  So  weit  die  gerichtlichen  Protokolle  in  Betracht  kommen, 
kann  kein  dokumentarischer  Beweis  für  diese  Anklage  gefunden  werden.  Kerens 
setzte,  wie  erwähnt  sein  mag,  seine  Laufbahn  als  bemerkenswerter  republikanischer 
Politiker  fort  und  wurde  Im  Jahre  1909  von  Präsident  Taft  zum  Gesandten  In 
Österreich  ernannt. 


—  639  — 

Jewett  von  der  brasilianischen  Regierung  erteilten  Konzession 
ergab,  gewisse  Nitratlager  auf  einer  Insel  an  der  brasilia- 
nischen Küste  aufzuschließen.  Jewett  behauptete,  daß  er  ein 
Schiff  ausgerüstet  und  27  000  Dollar  ausgegeben  habe,  als 
die  brasilianische  Regierung  die  Konzession  aufhob.  Elkins 
wurde  Jewetts  Anwalt  und  reichte  bei  dem  Staatsministe- 
rium ein  sorgfältig  ausgearbeitetes  Schreiben  zur  Unter- 
stützung des  Anspruchs  ein,  wobei  er  die  enorme  Summe 
von  50  Millionen  Dollar  als  Schadenersatz  verlangte. 
Elkins  versuchte  einen  Staatsminister  der  Vereinigten 
Staaten  nach  dem  andern  dafür  zu  gewinnen,  die  Forderung 
nachdrücklich  zu  betreiben,  aber  Minister  Bayard  unter- 
suchte sie  im  Jahre  1886  ausführlich,  und  Präsident  Cleve- 
land  schickte  die  Korrespondenz  an  den  Senat  mit  einer 
besondern  Botschaft,  die  folgendermaßen  schloß:  „Eine 
so  unerhörte  Forderung  ist  eine  Schmach  für  jede  Nation, 
mit  der  die  Vereinigten  Staaten  in  freundlichen  Beziehun- 
gen stehen  oder  zu  stehen  wünschen.  Ich  habe  es  abgelehnt, 
die  Papiere  anzunehmen  oder  Minister  Jarvis  irgendwelche 
Mitteilungen  über  den  Fall  zuzusenden." 

Die  Maxwell -Landbewilligung  und  die  „Star-Route"- 
Angelegenheit  waren  nur  zwei  von  Elkins'  vielen  Unter- 
nehmungen in  New  Mexico.  Mittlerweile  hatte  er  die 
Tochter  von  Henry  G.  Davis,  Senator  der  Vereinigten 
Staaten  und  Millionär  in  Eisenbahn-  und  Bergwerksbesitz 
in  West -Virginia,  geheiratet.  Elkins  zog  nach  diesem 
Staate.  Mit  den  Millionen,  die  er  im  Südwesten  zusammen- 
gebracht hatte  und  mit  Hilfe  der  vielen  Millionen  seines 
Schwiegervaters  wurde  er  dort  ein  großer  Magnat,  dem  die 
Herrschaft  über  ein  Besitztum  nach  dem  andern  zufiel. 
Er,  Kerens  und  Davis  bauten  mehrere  Eisenbahnen  in 
West- Virginia  und  erwarben  die  Herrschaft  über  Kohlen-, 
Koks-,  öl-  und  Holzbesitzungen.  Sie  finanzierten  auch 
den  Bau  von  Eisenbahnen  in  Kalifornien,  Nevada  und 
Utah.  Elkins  baute  einen  glänzenden  schloßartigen  Palast 
in  der  Stadt,  die  seinen  Namen  trug;  am  Bergabhang 
liegend  überschaut  er  Berggipfel  und  Täler  im  Umkreis 
von  35  Meilen.  Im  Jahre  1895  wurde  er  von  den  ge- 
setzgebenden   Körperschaften    von  West-Virginia    in   den 


—  640  — 

Senat  der  Vereinigten  Staaten  gewählt,  nach  einer  Kam- 
pagne, in  der,  wie  öffentlich  behauptet  wurde,  Bestechungs- 
gelder in  der  Form  von  Kampagnefonds  im  ganzen  Staate 
verteilt  worden  waren,  um  die  Wahl  von  Mitgliedern 
sicherzustellen,  die  seinen  Plänen  günstig  gesinnt  waren. 
Im  Senat  der  Vereinigten  Staaten  ist  Elkins  einer  der  ge- 
schicktesten und  brauchbarsten  Entwerfer  von  Gesetzen 
für  die  Plutokratie  gewesen.  Ein  bemerkenswertes  Gesetz 
von  ihm  war  ein  Amendement  zu  dem  Gesetz  für  den 
Handel  von  Staat  zu  Staat,  das  die  Bestimmung,  wonach 
auf  der  Verletzung  des  Antirabatt-Gesetzes  Gefängnis 
stand,  aufhob,  und  den  Magnaten,  die  in  einem  daraufhin 
gegen  sie  eingeleiteten  Verfahren  als  Zeugen  auftraten, 
vollständige  Straflosigkeit  gewährte. 

Als  einer  der  Geldherrscher  und  Gesetzemacher  der  Ver- 
einigten Staaten  ist  Elkins  augenscheinlich  ein  sehr  mächtiger 
und  hervorragender  Magnat.  Moralisten  mögen  über  seine 
Laufbahn  wohl  nachsinnen  und  ihren  Höhepunkt  betrachten. 
Würde  man  auch  nur  zum  Scherz  den  Vorschlag  machen, 
daß  unsere  Gesetzgeber  nur  aus  Stammgästen  der  Gefäng- 
nisse gewählt  werden  sollten,  so  würde  dieser  Vorschlag, 
je  nach  dem  Temperament,  entweder  mit  staunender  Em- 
pörung oder  als  nichternstzunehmender  Einfall  aufgenom- 
men werden.  Und  doch  sollte  er  keiner  derartigen  Auffassung 
begegnen,  denn  haben  wir  nicht  in  diesem  Buche  aus  einer 
überzeugenden  Fülle  von  Tatsachen  erkannt,  wie  die  Ge- 
schäftswelt schließlich  zum  größten  Teile  aus  denen  be- 
steht, die  nicht  ausfindig  gemacht  und  bestraft  wurden, 
und  aus  denen,  die  es  wurden  ?  Eine  solche  Schlußfolge- 
rung ist,  wie  wir  sehen,  keine  Übertreibung.  Und  haben 
wir  nicht  auch  aus  den  Tatsachen  erkannt,  daß  die  großen 
Räuber  die  Diktatoren  gerade  der  Gemeinschaften  werden, 
die  sie  berauben  ?  Wie  wäre  es,  wenn  man  das  Verfahren 
umdrehte  und  die  kleinen  Räuber,  und  wären  sie  auch 
Sträflinge,  zu  Herrschern  wählte?  Es  würde  nicht 
schlimmer  sein  und  vielleicht  besser.  Aber  keine  der 
beiden  Klassen  kann  wegen  der  Leidenschaften  und  Ver- 
brechen, die  das  System  und  die  Macht  dieses  Systems 
hervorruft   und   nur   zu   oft   erzwingt,   verurteilt  werden; 


—  641  — 

das  System,  nicht  die  einzelnen,  bedarf  der  Veränderung. 
Im  Lichte  dieser  Tatsache  und  in  ihm  allein  sollte  Elkins' 
Laufbahn  und  die  der  Großen  und  Kleinen,  die  ihm 
gleichen,  betrachtet  werden. 


Vierzehntes  Kapitel 
DAS  VERMÖGEN  HILLS 

James  J.  Hill,  der  im  Beginn  seiner  Laufbahn  hart 
getadelt  und  häufig  mit  äußerster  Heftigkeit  ange- 
griffen worden  war,  wurde  in  seinen  späteren  Jahren  der 
Gegenstand  so  verschwenderischer  Lobpreisungen  wie 
wenige  Magnaten.  Als  sein  Reichtum  und  seine  Macht 
schnell  zunahmen  und  er  ein  Multimillionär  und  Leiter 
der  politischen  und  industriellen  Angelegenheiten  großer 
Gebiete  der  Vereinigten  Staaten  und  Canadas  wurde, 
kam  es  zu  der  üblichen  Umwandlung.  Er  hörte  auf,  der 
vertraute  „Jim"  Hill  zu  sein,  von  dem  geringschätzig  als 
dem  „Jay  Gould  des  Nordwestens"  gesprochen  wurde, 
und  verwandelte  sich  in  den  großen  Mr.  Hill,  das  impo- 
nierende Genie.  Eine  Schar  von  Schriftstellern,  die  in  der 
übertriebenen  Sprache  niedriger  Schmeichelei  wohlgeschult 
waren,  traten  hervor  und  verkündeten  seinen  heldenhaften 
Anteil  als  leitender  Geist  an  der  aufbauenden  Entwicklung 
der  Hilfsquellen  des  Landes. 

Volle  dreißig  Jahre  lang  sind  diese  Lobpreisungen,  die 
alle  einander  verdächtig  ähnlich  waren,  wie  wenn  sie  von 
einer  Zentralquelle  inspiriert  wären,  fortgesetzt  veröffent- 
licht worden.  In  ihnen  allen  ist  ein  besonderer  dithyram- 
bischer Ton  nachdrücklich  zum  Vorschein  gekommen. 
Mit  unendlich  vielen  rhetorischen  Varianten  sind  Aus- 
drücke wie  „Genie  des  Verkehrs"  und  „Verstandesriese" 
häufig  auf  Hill  angewandt  worden.  Erfinderisch  vorge- 
bracht unter  manchen  verhüllenden  Ausdrücken  und 
kunstreichen  stilistischen  Kniffen  war  der  Refrain  dieser 
Gesänge  immer  derselbe,  den  wir  in  den  Lobliedern  auf  die 

4» 


—  642  — 

Astors,  die  Vanderbilts,  J.  Pierpont  Morgan,  Blair,  Sage 
und  beinahe  alle  andern  Magnaten  wahrgenommen  haben. 
Immer  liegt  der  Nachdruck  —  was  stark  auf  einen  Schütz- 
ling hindeutet  —  auf  Hills  ungewöhnlicher  Befähigung 
und  Lauterkeit;  wie  er  jeden  Dollar  seines  großen  Ver- 
mögens ehrlich  erwarb  und  wie  (es  wird  namentlich  auf- 
geführt) Bestechung  und  Diebstahl  bei  seinem  Verfahren, 
sein  Vermögen  aufzuhäufen,  in  bemerkenswerter  Weise 
gefehlt  haben.  Ein  gleichmäßiges,  monotones  Lied  war  es 
—  in  weit  auseinanderliegenden  Abständen  durch  eine 
feindliche  Tirade  aus  der  Feder  eines  nicht  unterjochten 
Genossen  belebt  —  eine  Tirade  mit  etwas  Wahrheit,  aber 
ohne  Augenmaß  und  Verständnis. 

Hills  enormes  Vermögen 

Die  Ausdehnung  von  Hills  Vermögen  ist  enorm,  aber 
während  der  Abfassung  dieses  Buches  kann  weder  die  ge- 
naue noch  die  annähernde  Zahl  von  den  Hunderten  seiner 
Millionen  Dollar  nur  einigermaßen  zuverlässig  angegeben 
werden.  In  einem  wichtigen  Punkte  geben  die  Leute,  die 
ihn  in  den  Himmel  erheben,  keine  falsche  Darstellung: 
Hill  fing  mit  gar  keinem  Gelde  an.  Nun,  da  er  ein  kolossales 
Vermögen  hat,  sollte  diese  Tatsache  allein  genügen,  um 
eine  sorgfältige  Untersuchung  herauszufordern;  denn  Geld 
kommt  nicht  herab  wie  Regen;  es  muß  auf  irgendeine 
Weise  eingebracht  werden;  und  während  es  für  Millionen 
von  schwer  arbeitenden  Leuten  schwierig  genug  ist.  Ge- 
nügendes für  ihre  bescheidensten  Bedürfnisse  zu  erwerben, 
ist  die  Leichtigkeit,  mit  der  ein  Mann  sich  in  den  Besitz 
mächtiger  Schatzhäuser  des  Reichtums  gesetzt  hat,  eine 
ernste  und  grimmige  Tatsache,  die,  nach  allgemeinen  Grund- 
sätzen, von  Anfang  an  sehr  wohl  geeignet  ist,  an  den  er- 
habenen allgemeinen  Behauptungen  von  Hills  Lobrednern 
Zweifel  hervorzurufen.  Aber  gerade  die  Tatsache,  die 
sofort  Fragen  veranlassen  und  Untersuchungen  herbei- 
führen sollte,  wird  von  seinen  Panegyrikern  in  einen  be- 
geisterten Tribut  verwandelt  —  in  einen  überzeugenden 
Beweis  seines  besonderen  Vermögens,   sich  als  „Seifmade- 


-  643  - 

man"zu  zeigen.  Wir  wissen  nur  zu  gut,  was  dieser  Geschäfts- 
jargon des  Tages  bedeutet;  nicht  einen  Mann  von  Intelli- 
genz, Idealen  oder  Bildung,  sondern  nur  einen  Mann  von 
Reichtum;  der  gewöhnliche  Bürgersinn  kann  sich,  allgemein 
gesprochen,  keine  andere  Vorstellung  von  einem  erfolg- 
reichen Manne  machen. 

Wenn  man  jedoch  Reichtum  für  Größe  setzen  kann, 
dann  ist  Hill  ein  wirklich  großer  Nabob.  Er  besitzt  und  be- 
herrscht ausgedehnte  Eisenbahnnetze  im  Nordwesten  und 
Westen ;  er  ist  der  Besitzer  weiter  Landgebiete  und  Mineral- 
lager, deren  fabelhafter  Wert  jeder  Berechnung  spottet. 
Er  ist  Besitzer  von  Dampfschiffslinien  und  von  Eigentum 
manch  anderer  Art;  er  lebt  in  einem  richtigen  Palast,  und 
Politiker,  Verleger,  Geistlichkeit  und  Richter  sind  seine 
Puppen.  Da  er  nun  —  wie  seine  Lobredner  es  ausdrücken  — 
ohne  Geld  „begann",  wie  stellte  er  es  an,  all  seinen  Reichtum 
zu  erlangen  ?  Diejenigen,  die  ihm  huldigen,  erklären  diese 
wesentliche  Frage  nicht;  in  salbungsvollem  Ton  haspeln 
sie  Daten  und  Zahlen  herunter  und  erzählen  fließend, 
wann  er  diesen  oder  jenen  Besitz  erwarb,  aber  wie  er  tat- 
sächlich dabei  verfuhr,  das  erzählen  sie  nicht. 

Wie  der  Nordwesten  besiedelt  wurde 

Hill  wurde  in  Guelph,  Kanada,  im  Jahre  1838  geboren 
und  wanderte  im  Jahre  1856  nach  St.  Paul,  Minnesota, 
aus.  Man  kann  sich  die  Umgebung,  in  die  er  als  achtzehn- 
jähriger Jüngling  kam,  leicht  vorstellen,  wenn  man  die 
früheren  Kapitel  gelesen  hat.  Der  Nordwesten  befand 
sich  in  seiner  ersten  wirklichen  Besiedlungsperiode;  und 
diese  Besiedlung  wurde  nicht,  wie  die  üblichen  Geschichten 
erzählen,  ganz  allein  von  „sturmfesten  Pionieren",  son- 
dern auch  von  Landräubern,  Holzdieben,  Spielern,  kauf- 
männischen Schwindlern,  Halsabschneidern  und  Schurken 
im  allgemeinen  ausgeführt.  Der  Ansturm,  um  Landbewil- 
ligungen, Minerallager,  Eisenbahnprivilegien  und  jedes 
andere  erreichbare  Gut  zu  erlangen,  hatte  seinen  Höhe- 
punkt erreicht.  ,, Schwindel"  aller  Art  wurde  geplant; 
eine  Horde  käuflicher  Personen  schwärmte  herbei,  um  so 

4«* 


-  644  - 

viele  Vorkaufsrechte  als  möglich  zu  erlangen  und  jeden, 
den  sie  konnten,  auszuplündern.  Es  herrschte  eine  rasende 
Sucht  nach  schnellem  Gelderwerb,  ohne  Rücksicht  auf  die 
angewandten  Mittel. 

Freilich  kam  auch  ein  Strom  von  Ackerbauern,  die  nur 
billiges  Land  erwerben  und  es  ehrlich  bestellen  wollten, 
herbei.  Aber  dieses  Element  gab  dem  allgemeinen  Trei- 
ben nicht  seinen  Charakter.  Den  wirklich  aggressiven 
Charakter  erhielt  es  durch  Abenteurer,  Kapitalisten  und 
auf  andere  Weise.  Alle  diese  Kapitalisten  kamen  tatsächlich 
aus  den  östlichen  Staaten,  und  viele  von  ihnen  waren, 
wie  die  Protokolle  zeigen,  an  den  Schwindeleien  im  Osten 
beteiligt  gewesen.  Verschiedene  Gruppen  von  ihnen  be- 
stachen eifrig  den  Kongreß,  Regierungsbeamte  und  die 
gesetzgebenden  Körperschaften,  um  Landbewilligungen, 
Eisenbahnpatente,  Privilegien,  Minerallager  und  besondere 
Gesetze  zu  erlangen.  Schneidige  Kaufleute,  handeltrei- 
bende Ränkeschmiede  und  Grundstückschwindler  über- 
liefen die  neu  gegründeten  großen  und  kleinen  Städte. 
Jedem  Gedanken  und  jedem  Plan  war  der  Stempel  des 
Geldes  aufgedrückt;  das  überall  herrschende  Ideal  war 
Reichtum,  gleichviel,  wie  erworben;  alle  Klassen  waren 
davon  durchdrungen.  Die  ganze  Luft  war  von  Habgier 
erfüllt,  und  wenn  die  vielen  Prozeßprotokolle  in  den 
Gerichtshöfen  von  Minnesota  als  Symptom  angesehen 
werden  können,  so  bildeten  Spekulationen,  Schwindel  und 
Betrug  geradezu  eine  gewohnheitsmäßige  Leistung  bei 
jedem  geschäftlichen  Unternehmen. 

Hill  kam  in  diese  Atmosphäre  von  KäufHchkeit,  Hab- 
sucht und  Korruption,  in  einen  gesellschaftlichen  Zustand, 
bei  dem  jedermann  nach  der  bedeutungsvollen  Frage  be- 
urteilt wird:  „Wieviel  ist  er  wert?"  Lange,  ehe  er  kam, 
war  diese  Korruption  in  vollem  Gange.  Überall  im  ganzen 
Westen,  Nordwesten  und  Südwesten  waren  das  betrüge- 
rische Ansichreißen  von  Acker-,  Holz-  und  Grubenland 
und  die  Bestechung  des  Kongresses  und  der  gesetzgebenden 
Körperschaften  zur  Erlangung  von  unentgeltlichen  Zu- 
wendungen öffentlichen  Geldes  (wie  wir  es  in  früheren 
Kapiteln    überreichlich    gesehen    haben)    lange    allgemein 


-  645  - 

bekannt.  Die  Gemeinderäte  der  Städte  und  öffentliche 
Ämter  aller  Art  waren  gewöhnlich  in  den  Händen  von 
Männern,  die  ihre  Stellungen  dazu  benutzten,  sich  unrecht- 
mäßige Einkünfte  zu  verschaffen.  Bestochen,  oder  auf 
andere  Art  dazu  gebracht,  besondere  Freibriefe  und  Privi- 
legien zu  gewähren,  oder  bei  Betrügereien  strafbare  Nach- 
sicht zu  üben,  verließen  viele  dieser  Männer  Ämter,  die 
nur  bescheidene  Gehälter  brachten,  mit  einem  Vermögen. 

Die  kolossalen  Holzdiebstähle 

Die  ungeheuren  Waldaneignungen  in  Minnesota  und 
andern  Staaten  und  Territorien  und  die  Bestechung  öffent- 
licher Beamten,  die  bei  diesen  Diebstählen  ein  Auge  zu- 
drücken sollten,  waren  ein  Beispiel  des  weitverbreiteten 
und  alles  durchdringenden  Betrugs. 

Der  Kongreß  hatte  ein  ausdrückliches  Gesetz  erlassen, 
das  Verheerungen  in  den  Staatswaldungen  untersagte  und 
für  jede  Verletzung  dieses  Gesetzes  eine  Geldstrafe  von 
nicht  weniger  als  dem  dreifachen  Werte  des  geschnittenen, 
zerstörten  oder  fortgeschafften  Holzes  und  Gefangenschaft 
bis  zur  Dauer  von  zwölf  Monaten  festsetzte.  Dieses  Gesetz 
wurde  von  einzelnen  Holz  -  KapitaHsten  oder  Holz- 
Korporationen  mit  Erfolg  unbeachtet  gelassen  oder  um- 
gangen. In  einem  langen,  behördlich  bestellten,  an  den 
Minister  des  Innern  der  Vereinigten  Staaten,  Robert 
Mc  Clelland,  am  12.  Februar  1854  eingesandten  Bericht 
meldet  James  B.  Estes,  U.  S.  Holz- Kontrolleur  für  Iowa, 
Minnesota  und  den  westlichen  Distrikt  von  Wisconsin, 
daß  allein  in  einem  Teil  Minnesotas  —  dem  Black- 
River- Distrikt  —  mehr  als  zweihundert  Millionen  Fuß 
Nadelholz  geschnitten  und  fortgebracht  worden  waren. 
„Am  Black  River,"  so  schreibt  Estes,  „sind  sechzehn 
Holzzurichtungswerke  bis  zum  letzten  Jahre  mit  Baum- 
stämmen, die  den  Staatsländereien  entnommen  wurden, 
versorgt  worden^). 

*)  Executive  Documents,  First  Seesion,  Thirty-third  Congreß,  1853 — 1854 
Bd.  24,  Doc.  Nr.  113,  8, 


-  646  - 

„An  den  Chippewa-  und  Red  Cedar-  oder  Menominee- 
Flüssen  besteht  derselbe  Zustand  der  Verwüstung  und  ist 
eine  Reihe  von  Jahren  fortgeführt  worden.  Es  hegen  auch 
an  diesen  Flüssen  und  an  ihren  Nebenflüssen  acht  Säge- 
mühlen, die  zweifellos  im  Durchschnitt  mehr  als  zwei 
Millionen  Fuß  jährlich  schneiden.  Die  Menge  der  in  allen 
diesen  Mühlen  geschnittenen  Hölzer  ist  klein,  wenn  man  sie 
der  tatsächlichen  Verwüstung  auf  den  Staatsländereien 
gegenüberstellt,  da  jetzt,  wie  schon  jahrelang,  ein  sehr 
ausgedehntes  Geschäft  im  „Holzfällen"  zur  Versorgung 
der  stromab  gelegenen  Handelsplätze  des  Mississippi  be- 
trieben wird^)." 

„An  einigen  Flüssen  außer  den  genannten,"  fügt  Estes 
hinzu,  „lagen  neunzehn  Sägemühlen  mit  Dampf-  und 
Wasserkraft,  die  mit  Schneiden  beschäftigt  sind  und  zweifel- 
los jährlich  vierzig  oder  fünfzig  Millionen  Fuß  Bauholz 
verarbeiten.  Dazu  kommt,  daß  es  einen  großen  Floßholz- 
handel den  Mississippi  hinunter  nach  St.  Louis  und  andern 
tiefer  gelegenen  Handelsplätzen  gab  2)." 

Bestechung  von  Beamten 

Diese  ungeheure  Menge  Holz  war  fast  ganz  gestohlen. 
Gewöhnlich  wurden  die  Holzkontrolleure  der  Regierung 
bestochen,  um  bei  diesem  kolossalen  betrügerischen  Treiben 
ein  Auge  zuzudrücken,  und  zu  andern  Zeiten  wurden  sie 
ebenso  bestochen,  um  für  unbedeutende  Zahlungen  an  die 
Regierung  Genehmigungen  oder  Erlaubnisscheine  (deren 
Verkauf  ihnen  gesetzlich  nicht  zustand)  zum  Schneiden  von 
Holz  von  den  Staatsländereien  zu  verkaufen.  Estes  berichtete, 
daß  er  einundzwanzig  Anklagen  gegen  einige  dieser  Holz- 
diebe veranlaßt  habe  und  daß  sich  unter  der  Zahl  der  auf 
seine  Veranlassung  Angeklagten  auch  Stunton,  ein  früherer 
Holzkontrolleur  der  Vereinigten  Staaten,  befand,  „da  er 
ein  Mitschuldiger  jener  Übertreter  war,  insofern  er  an  ein- 
zelne Personen  Erlaubnisscheine  zum  Schneiden  und  zum 
Verwüsten  verkauft  habe^)." 

^)  Executive  Documents,  First  Session,  Thirty-third  Congress,  1853 — 1854, 
Bd.  24,   Doc.  Nr.  113,  8.  2)  Ebenda.  ^)  Ebenda,  9. 


-  647  - 

Dieses  System  enormen  Diebstahls  war  so  tief  eingedrun- 
gen, daß,  wenn  ein  ehrlicher  Regierungsbeamter  den  Ver- 
such machte,  das  Gesetz  durchzuführen,  alle  Holzinter- 
essenten ihn  und  sein  Vorhaben  zu  diskreditieren  und  seine 
Absetzung  herbeizuführen  suchten. 

Die  Geschichte  einer  von  Hill  erworbenen  Eisenbahn^) 

Die  versuchte  widerrechtliche  Aneignung  öffentlichen 
Landes  in  Minnesota  nahm  im  Jahre  1854  i^^en  Anfang, 
als  durch  Lobbyisten  im  Kongreß  mit  Hilfe  von  Bestechun- 
gen ein  Gesetz  durchgebracht  wurde,  das  der  Minnesota- 
und  Northwestern -Eisenbahngesellschaft  auf  Umwegen 
neunhunderttausend  Morgen  öffentlichen  Landes  verlieh. 
Der  darauffolgende  öffentliche  Skandal  erzwang  den  Wider- 
ruf jenes  Gesetzes.  Aber  andere  Gesetze  wurden  im  Jahre 
1857  mit  Hilfe  desselben  erprobten  Bestechungsverfahrens 
im  Kongreß  durchgebracht,  die,  zwar  indirekt,  aber  tat- 
sächlich verschiedenen  Eisenbahnkorporationen  ein  Ge- 
schenk von  sechs  Millionen  Morgen  Staatsland  in  Minnesota 
machten. 

Eine  dieser  am  3.  März  1857  genehmigten  Maßnahmen 
des  Kongresses  gewährte  dem  Territorium  von  Minnesota 
zum  Besten  der  Minnesota  and  Pacific  Railroad  Company 
eine  große  Landbewilligung.  Die  weitere  Geschichte  dieser 
Eisenbahn    ist    früher    ausführlich    beschrieben    worden. 

Hill  beginnt,  wo  Sage  aufhört 

Hill  imd  seine  Gesellschafter  begannen,  wo  Sage  aufhörte. 

Hill  sah,  daß  die  Gelegenheit  vorhanden  war,  für  beinahe 
nichts  eine  fünfhundert  Meilen  lange  Eisenbahn  und  eine 
Landbewilligung  von  mehr  als  zwei  und  einer  halben 
Million  Morgen  zu  erlangen.  Wie  stellte  er  es  an  ?  Nach 
Farleys  wiederholten  Darlegungen  bei  späteren  gericht- 
lichen Verhandlungen  hatten  Hill  und  Norman  W.  Kittson 
mit  ihm   (Farley)    eine    strafbare  Verabredung   getroffen, 

^)  Executive  Documents.  First  Session,  Thirty-third  Congress,  1853 — 1854, 
Bd.  2<j.,  Doc.  Nr.  113,  9. 


~  648  - 

um  die  Gerichtshöfe  der  Vereinigten  Staaten  zu  betrügen, 
und  gleichzeitig  verabredete  Kennedy  mit  ihm  einen  Be- 
trug der  holländischen  Aktionäre.  Hill  bestritt  diese  An- 
gaben, aber  Farley  stellte  in  vielen  gerichtlichen  Verhand- 
lungen immer  wieder  dieselben  Behauptungen  auf*). 

Das  Verjähren^  durch  welches  die  Herrschaft  erlangt  wurde 

Farley  war  ein  unwissender,  kaum  des  Lesens  und  Schrei- 
bens kundiger  Mann,  der  in  Iowa  etwas  von  den  Eisenbahnen 
kennen  gelernt  hatte,  und  seine  Habgier  war  wohlbekannt. 
Daß  er  zum  behördlichen  Verwalter  von  Kennedy  gewählt 
oder  vielmehr  dem  Gerichtshof  empfohlen  wurde,  wird  in  den 
Sitzungsprotokollen  der  Gerichtshöfe  bestimmt  versichert''). 
Zweifellos  wurde  er  von  Kennedy  infolge  einer  geheimen 
Abmachung  gewählt,  da  es  bekannt  war,  daß  er  sich  als  ein 
geschmeidiges  Werkzeug  erweisen  würde.  Wenn  man 
Farleys  eigene  beschworene  Aussagen  gelten  lassen  kann, 
sollte  er  die  Geschäfte  der  Eisenbahn  schlecht  leiten,  damit 
der  Preis  der  Obligationen  herabgedrückt  würde;  und  er 
sollte  Hill  und  Kittson  von  jedem  neu  unternommenen 
Schritt  unterrichten.  Zur  rechten  Zeit  sollten  Hill  und  Kitt- 
son vortreten  und  die  Herrschaft  über  die  Eisenbahn  er- 
langen. Weder  Hill  noch  Kittson  besaßen  das  nötige  Geld 
dazu,  aber  nach  Farley  sollten  sie  jemand,  der  das  Kapital 
liefern  würde,  zwei  Fünftel  oder  vierzig  Prozent  Zinsen 
geben.  Farley  behauptete,  daß  in  diesem  Abkommen 
ferner  dafür  gesorgt  war,  daß  drei  Fünftel  oder  sechzig 
Prozent  Zinsen  für  ihn  selbst  und  für  Hill  und  Kittson 
reserviert  werden  sollten  —  ein  Fünftel  für  jeden  der 
Drei"). 

Die  allerwichtigste  Sache  war,  im  Hinblick  auf  den  Er- 
laß der  gesetzgebenden  Körperschaften  von  Minnesota, 
der  die  Privilegien  und  Landbewilligungen  mit  Verfall 
bedrohte,    der   sofortige   Bau    der   Verlängerungen.     Aber 

^)  Farley  vs.  St.  Paul,  Minneapolis  and  Manitoba  Railroad  Company,  Federal 
Reporter,  14,  114 — 118;  United  States  Reports,  Bd.  19,  303 — 318;  Farley  vs.  Hill, 
Federal  Reporter,  39,  513—522;  Farley  vs.  Norman  W.  Kittson  et  al.,  Minnesota 
Reports,  27,  102 — 107.  *)  Federal  Reporter  39,  516.  »)  Farley  vs.  Norman 
W.  Kittson  et  al.,  Minnesota  Reports  27,   103. 


-  649  - 

wer  würde  das  Kapital  für  diesen  Bau  liefern?  Kittson 
brachte  zwei  befreundete  kanadische  Landsleute  herbei  — 
George  Stephen,  den  Direktor  der  Bank  von  Montreal, 
und  Alexander  Donald  Smith,  der  mit  der  Hudson  Bay 
Handelsgesellschaft  lange  Zeit  assoziiert  war.  Woher  Stephen 
und  Smith  die  Millionen  Dollar  nahmen,  die  sie  jetzt  vor- 
streckten, ist  niemals  klar  dargetan  worden.  Es  wurde  lange 
Zeit,  unter  anderen  von  wenigstens  einem  verantwortlichen 
Mitgliede  des  kanadischen  Parlaments,  hartnäckig  die  Be- 
schuldigung erhoben,  daß  Stephen,  Smith  und  ein  gewisser 
Angus  ohne  Wissen  ihrer  Mitdirektoren  aus  der  Bank  von 
Montreal  6  Millionen  Dollar  herauszogen,  um  das  Unter- 
nehmen damit  zu  finanzieren.  Soweit  es  sich  um  einen 
dokumentarischen  Beweis  für  diese  Behauptung  handelt, 
ist  nichts  gefunden  worden;  es  mag  einer  vorhanden  sein, 
aber  wir  sind  nicht  imstande  gewesen,  ihn  zu  entdecken. 

Hill  und  seine  Clique  erlangen  die  Eisenhahn 

Der  Feldzug,  um  die  Herrschaft  über  die  Eisenbahn  zu 
erlangen,  war  nun  ziemlich  beendet.  Die  verschiedenen, 
in  dem  Rechtstitel  der  Eisenbahngesellschaft  enthaltenen 
Besitzungen  waren  in  verschiedenen  Hypotheken,  die  sich 
im  ganzen  auf  28  Millionen  Dollar  in  Obligationen  be- 
liefen, verpfändet  worden.  Hill  und  seine  Partner  kauften 
diese  28  Millionen  Dollar  Obligationen  zu  einem  lächerlich 
niedrigen  Preise  auf,  in  einzelnen  Fällen  beträchtliche  Massen 
nur  zu  drei  Prozent  ihres  Wertes.  Die  Preise  schwank- 
ten sonst  zwischen  dreizehneinviertel  bis  fünfundsiebzig 
Prozent  ihres  Pariwertes^).  Aber  Hill  und  seine  Partner 
hatten  es  nicht  nötig,  sofort  bar  zu  bezahlen.  Die  Obliga- 
tionen wurden  hauptsächlich  unter  der  Voraussetzung  ge- 
kauft, daß  sie  erst  nach  der  Reorganisation  der  Eisenbahn 
bezahlt  werden  sollten. 

Das  Geld,  das  wirklich  ausgegeben  wurde,  wurde  in 
eifrigen  Anstrengungen  dazu  verwandt,  die  Verlängerungen 
zu  bauen  und  so  dem  Verwirkungsgesetz  zuvorzukommen. 
„Unter   diesen   Umständen,"  so  berichtete  das  Gerichts- 

*)  Fcderal  Reporter,  39,  516. 


—  650  —  %^ 

Protokoll,  „eilte  der  behördliche  Verwalter  auf  Veranlas- 
sung von  Mr.  George  Stephen  und  andern  großen  Obliga- 
tions'nhabern  (James  ].  Hill,  A.  Donald  Smith  und 
Norman  W.  Kittson)  vor  Gericht  und  erlangte  am  18.  April 
1878  eine  Verfügung,  die  ihm  die  Berechtigung  erteilte, 
Schuldverschreibungen  zur  Vollendung  der  Verlängerungs- 
strecken auszugeben^)". 

Mit  gerichtlicher  Vollmacht  baute  Farley  mit  den 
von  der  Hill -Stephen -Vereinigung  vorgestreckten  Kapi- 
talien einhundertfünfundzwanzig  Meilen  Eisenbahnstrecke 
bei  I  016  300  Dollar  Gesamtkosten.  Diese  Verlängerung 
schaffte  eine  zusammenhängende  Eisenbahnverbindung 
zwischen  St.  Paul  und  dem  kanadischen  Eisenbahnnetz 
in  Manitoba. 

Nur  noch  eine  Sache  war  nötig,  um  die  ganze  Eisenbahn- 
linie aus  der  Oberaufsicht  des  Gerichtshofes  in  unbe- 
schränkten privaten  Besitz  zu  bekommen.  Dies  war  ein 
Erlaß,  der  die  Hypotheken  für  verfallen  erklärte.  Am 
II.  April  1879  wurde  eine  endgültige  Verfügung,  die  diesen 
Verfall  aussprach,  erlassen,  und  am  14.  Juni  1879  wurde  die 
Bahn  an  die  St.  Paul,  Minneapolis  und  Manitoba-Eisenbahn- 
gesellschaft  verkauft.  Diese  Gesellschaft  hatten  Hill  und 
seine  Verbündeten  einen  Monat  vorher  zu  dem  ausdrück- 
lichen Zwecke  gegründet,  die  in  Konkurs  geratene  Linie 
aufzukaufen.  Die  Gesamtkosten  für  die  Hauptlinien  und 
die  Erweiterungen  der  St.  Paul  and  Pacific  in  beiden  Ab- 
teilungen betrugen  6  780  000  Dollar.  Aber  die  Hill-Clique 
war  nicht  genötigt,  diese  Summe  bar  zu  zahlen.  Es  wurde 
ihr  gestattet,  Schuldverschreibungen  des  behördlichen  Ver- 
walters und  Obligationen  als  Bezahlung  für  den  Kaufpreis 
anzubringen. 

Vorteilhafter  Kauf 

Farley  sagte  später,  daß  die  so  für  6  780  000  Dollar  ver- 
kaufte Eisenbahn  wenigstens  15  Millionen  Dollar  v/ert 
war,  und  gab  damit  seine  verbrecherische  Mitschuld  zu, 

1)  John  Kennedy  et  al.  vs.  The  St.  Paul  and  Pacific  Railroad  Company  et  al., 
Pillon's  Ciruit  Court  Reports,  1879 — 1880,  5,  527. 


-651  - 

an  einem  heimlichen  Abkommen  beteiligt  zu  sein  (wie  er 
beschwor),  durch  welches  ein  solcher  Verkauf  auf  betrüge- 
rische Weise  vorbereitet  worden  war.  In  dem  Prozeß  des 
Jahres  1880  von  Wetmore  gegen  die  St.  Paul  und  Pacific- 
Eisenbahngesellschaft  auf  Aufhebung  des  Verkaufs  schätzte 
Richter  Miller  den  Wert  der  fünfhundertfünfundsech- 
zig  Meilen  Eisenbahn  und  der  2  586  606  Morgen  Land 
auf  20  Millionen  Dollar  oder  mehr^).  In  der  Tat  brachte 
allein  ein  Teil  der  LandbewiUigung,  abgesehen  von  dem 
Eisenbahnbesitz  selbst,  der  Gesellschaft  Hill  &  Co.  mehr  als 
das  Doppelte  der  Summe,  die  sie  für  das  ganze  Besitztum 
gezahlt  hatten.  Unmittelbar  nach  dem  Zwangsverkauf 
schlugen  sie  den  größeren  Teil  der  Landbewilligung  für 
13068  887  Dollar  los. 

Einige  Jahre  vorher  war  Hill  ein  armer  Mann;  vielleicht 
besaß  er  einige  Tausend  Dollar.  Das  beschriebene  Ver- 
fahren machte  ihn  sofort  zum  Millionär.  Er  und  seine  Ge- 
sellschafter besaßen  nicht  nur  die  Eisenbahnobligationen, 
sie  verteilten  auch  das  Aktienkapital  unter  sich.  Hill  und 
Kittson  erhielten  je  57  646  Stammaktien  und  die  andern 
Mitglieder  der  Vereinigung  ihren  Anteil.  Dazu  kam,  daß 
sie  in  anderer  Weise  viel  gewannen  2).  Sobald  die  Eisenbahn 
sicher  in  ihrem  Besitz  war,  begannen  sie  mit  dem  üblichen 
Verfahren  einer  ausgedehnten  Neuemission  von  Aktien. 

Der    behördliche   Verwalter    schwört^    daß   er    in   geheimem 
Einvernehmen  war 

Farley  war  bitter  enttäuscht,  daß  er  nichts  von  der  Beute 
erhielt.  Er  war  so  fest  entschlossen,  das  zu  erhalten,  was, 
wie  er  behauptete,  sein  Anteil  war,  daß  er  sich  nicht 
scheute,  seinen  Verrat  an  seiner  Pflicht  als  behördlicher  Ver- 
walter öffentlich  bekannt  zu  machen.  Er  prozessierte  vor 
dem  Obersten  Gerichtshof  von  Minnesota  gegen  Kittson, 
Hill  usw.  und  behauptete,  daß  er  nach  der  Abmachung 
ein  Fünftel  des  Aktienkapitals  der  Eisenbahn  erhalten 
sollte  und  ein  Fünftel  alles  dessen,  was  Kittson,  Hill  und  die 

^)  Dillons  Circuit  Court  Reports,  1879 — 1880,  5,  531.  *)  United  States 
Reports,  Bd.  120,  308. 


~  652  — 

andern  Mitglieder  der  Vereinigung  als  Resultat  des  ge- 
heimen Einverständnisses  sonst  an  Papieren  und  anderem 
Eigentum  erworben  hatten.  Das  war  ein  sehr  kühner 
Grund  zur  Erhebung  einer  Klage.  Farley  konnte  keine 
schriftliche  Abmachung  vorzeigen,  und  Richter  Gilfilla 
entschied  im  Oktober  1880,  daß  er  sein  Recht  nicht  be- 
wiesen habe^). 

Gleichzeitig  verklagte  Farley  die  St.  Paul,  Minneapolis 
und  Manitoba-Eisenbahngesellschaft  bei  dem  Bundes- 
gericht der  Vereinigten  Staaten.  Die  Anwälte  der  Ver- 
teidigung begründeten  —  was  interessant  zu  verzeichnen 
ist  —  ihren  Haupteinwand  zur  Abweisung  der  Klage 
damit,  daß  ein  Gerichtsbeamter,  der  seine  Pflicht  ver- 
raten habe,  keine  Stellung  vor  Gericht  habe.  In  diesem 
besonderen  Einwand  stimmten  die  Richter  Treat  und  Nel- 
son überein.  Ihre  im  Jahre  1882  abgegebene  Entscheidung 
lautete  zu  einem  Teile: 

„Gerichtshöfe  werden  und  sollen  nicht  zur  Vermitt- 
lung dienen,  damit  Betrügereien  in  irgendeiner  Hinsicht 
anerkannt  oder  unterstützt  werden.  Sie  werden  ein  ver- 
wickeltes Gewebe  von  Betrug  nicht  zugunsten  irgend- 
einer davon  umgarnten  Person,  durch  deren  Mitwirkung 
das  Gewebe  ersonnen  wurde,  entwirren.  Dies  muß  besonders 
die  Regel  sein,  wenn  ein  verpflichteter  Beamter  eines 
Gerichtshofes,  der  sowohl  eine  Berater-  wie  eine  Vertrauens- 
stellung hat,  die  Hilfe  des  Gerichtshofes  nachsucht,  um 
angebliche  Bundesgenossen  zu  zwingen,  mit  ihm  die 
Beute  zu  teilen,  die  sie  durch  seine  Verheimlichungen 
und  Täuschungen,  seine  Pflichtverletzung  also,  erworben 
haben"2). 

Der  Gerichtshof  bestätigt  im  wesentlichen  die  Beschuldigungen 

Dann  folgten  Teile  der  Gerichtsentscheidung,  die  Farleys 
Behauptung,  daß  er  sich  auf  eine  böswillige  Verabredung 
geheimen  Einverständnisses    mit   Hill,    Kittson,    Stephen, 

1)  Minnesota  Reports,  27,  102 — 107. 

2)  Federal  Reporter,  14,  114 — u8. 


-  653  - 

Smith  usw.  einerseits  und  Kennedy  anderseits  eingelassen 
habe,  tatsächlich  bestätigten.  „Der  Kläger,"  fuhr  das 
Protokoll  fort,  „entwarf  einen  Plan,  um  das  große  Eisen- 
bahngeschäft, das  zu  schützen  seine  Pflicht  war,  zum  Zu- 
sammenbruch zu  bringen.  Dadurch,  daß  er  unter  diesen 
Umständen  an  seiner  Pflicht  zum  Verräter  wurde,  ist, 
nach  seiner  Auffassung,  diese  ungeheuer  große  Eisenbahn- 
besitzung erworben  und  ein  Gewinn  von  15  Millionen 
Dollar  oder  mehr  gemacht  worden^). 

Der  Gerichtshof  sagte  weiterhin,  daß  Farley  für  seinen 
Treubruch  einen  Teil  der  Beute  erhalten  sollte  und  daß 
seiner  Klage  der  Umstand  zugrunde  lag,  daß  seine  Ver- 
bündeten den  betrügerischen  Kontrakt  nicht  anerkannt 
hätten.  Da  sie  sich  weigerten,  die  Beute  zu  teilen,  hatte 
er  die  Hilfe  des  Gerichts  nachgesucht,  um  sie  dazu  zu 
zwingen  —  eine  sehr  seltsame  Forderung,  sagt  das  Protokoll, 
für  die  Entscheidung  irgendeines  Gerichtshofes.  Was 
Kennedys  Rolle  bei  dem  Unternehmen  betrifft,  so  stellt 
das  Protokoll  fest :  „Es  wird  indessen  auch  die  Beschuldigung 
erhoben,  und  man  mag  dies  immerhin  als  richtig  unter- 
stellen, daß  Mr.  Kennedy,  der  Agent  des  Amsterdamer 
Komitees,  von  dem  Kläger  (Farley)  während  der  Durch- 
führung des  Planes  benachrichtigt  wurde,  daß  er,  der  Kläger, 
im  geheimen  seine  Pflicht  verletze"  2).  Das  Protokoll  schloß 
damit,  daß  es  sagte,  Farleys  Veranlassung  zum  Prozeß 
gründe  sich  auf  „angeborene  Verderbtheit"  und  die  Ge- 
richtshöfe würden  keinen  solchen  Prozeß  als  rechtskräftig 
anerkennen^). 

Farley  besteht  auf  seinem  Beuteanteil 

Farley  brachte  den  Fall  bis  vor  den  Obersten  Gerichts- 
hof der  Vereinigten  Staaten.  Dieser  Gerichtshof  entschied 
im  Oktober  1886,  daß  der  in  dem  Unteren  Gerichtshof 
vorgebrachte  Einwand  ungenügend  sei,  insofern  er  keine 
Untersuchung   der   Tatsache    angestellt   habe.     Der    Fall 


^)  Federal  Reporter   14,   117. 
2)  Ebenda.  »)  Ebenda.   117. 


-  6s4  - 

wurde  mit  Anweisungen  tür  eine  neue  Untersuchung  an 
das  Untergericht  zurückverwiesen^). 

Der  Prozeß  kam  daher  wieder  vor  das  Bundesgericht  der 
Vereinigten  Staaten  in  St.  Paul,  diesmal  im  September  1889. 
Die  Darstellung  des  Falls  durch  diesen  Gerichtshof  lautet : 

„Im  Jahre  1876  war  der  Kläger,  Farley,  eingesetzt  von 
diesem  Gerichtshofe,  behördlicher  Verwalter  des  Eigentums 
der  St.  Paul  und  Pacific-Eisenbahn  und  auch  Hauptleiter 
der  Linien  der  ersten  Abteilung  der  St.  Paul  und  Pacific- 
Eisenbahngesellschaft .  .  .  Mehrere  Serien  Hypotheken- 
scheine, zum  großen  Teil  in  holländischem  Besitz,  waren 
im  Verkehr.  Der  Kläger  behauptet,  daß  er  und  die  Ver- 
klagten Kittson  und  Hill  ein  Abkommen  trafen,  um  diese 
Obligationen  oder  den  größten  Teil  davon  zu  erwerben 
und  sie  bei  Verfallserklärung  der  Hypotheken  zur  Er- 
werbung der  Eisenbahn  zu  benutzen.  Die  Verklagten 
sollten  das  dazu  nötige  Kapital  liefern  und  der  Kläger  Tat- 
sachen, Informationen  und  Beistand.  Sicher  ist,  daß  die 
Obligationen  von  den  Verklagten  Hill  und  Kittson  und 
zwei  Genossen  gekauft  wurden,  die  Verfallserklärung  aus- 
geführt und  der  Eisenbahnbesitz  erworben  wurde 2)." 

Es  fragte  sich  nun,  erklärte  der  Gerichtshof,  ob  ein  solches 
Abkommen  getroffen  worden  sei  und,  wenn  es  getroffen 
worden  sei,  ob  es  gegen  die  öffentliche  Wohlfahrt  verstoße. 

Farley  sagte  aus,  daß  ein  mündliches  Abkommen  ge- 
troffen sei,  und  seine  Aussage  wurde  durch  seinen  Sekretär 
Fisher  bestätigt.  Hill  leugnete  es,  und  was  Kittson  betraf, 
so  war  er  gestorben,  ehe  seine  Aussage  entgegengenommen 
werden  konnte.  Verschiedene  Briefe  aus  Farleys  Korre- 
spondenz mit  der  Bankfirma  John  S.  Kennedy  &  Co. 
wurden  demy  Gericht  vorgelegt  und  den  gerichtlichen 
Protokollen  eingefügt.  Einer  dieser,  von  Farley  am  23.  Mai 
1879  an  John  S.  Barnes,  ein  Mitglied  der  Firma  Kennedy, 
geschriebenen  Briefe  lautete: 

„Seit  der  Wahl  von  Bigelow  und  Galusch  als  Direktoren 
der  neuen  Gesellschaft,  Männern  ohne  Geld,  Eisenbahn- 
erfahrung oder  Einfluß,  und  nach  meiner  Kaltstellung  bin  ich 
zu  dem  Schluß  gezwungen,  daß  meine  Zeit  und  Ansprüche 

^)  United  States  Reports,  Bd.  120,  303—318.      ^)  Federal  Reporter,  34,  514. 


-  655  - 

bei  der  St.  Paul  und  Pacific  vorbei  sind,  ich  erwartete 
Besseres  von  Hill  und  Kittson.  Ich  sprach  mit  Jim  Hill 
gestern  abend.  Er  leugnet,  daß  er  irgendwelche  Absicht 
habe,  meine  Ansprüche  unbeachtet  zu  lassen,  aber  er  ist 
solch  ein  Lügner,  man  kann  ihm  nicht  glauben.  Jeder 
Mensch  in  St.  Paul  wundert  sich,  wie  Jim  Hill  Mr. 
Stephens  behandelt.  Er  ist  allgemein  als  der  größte 
Lügner  im  Staate  bekannt.  Mr.  Kittson  hat  mir  immer  und 
immer  wieder  gesagt,  Jim  Hill  sei  der  schlechteste  Mensch, 
den  er  jemals  gesehen  habe.  Upham,  P.  H.  Kelly,  Thomp- 
son und  tatsächlich  jeder  Bürger  in  St.  Paul,  wenn  sie  sich 
nur  frei  aussprächen,  würden  alle  dieselbe  Geschichte 
erzählen.  Du  mußt  mich  nicht  tadeln,  wenn  ich  versuche, 
mit  Jim  Hill  klar  zu  werden,  ehe  ich  hier  fortgehe^)." 

Bei  der  Entscheidung  des  Falles  sagte  Richter  Brewer, 
er  glaube  nicht,  daß  solch  ein  Abkommen  getroffen 
worden  sei,  und  er  gründete  seinen  Glauben  auf  folgende 
eigentümliche  und  sehr  amüsante  Erwägung:  „Ist  es 
wahrscheinlich,"  schreibt  er  über  Farley,  „daß  ein  Mann 
in  einer  solchen  Lage,  mit  seinen  jahrelangen  Erfahrungen 
in  Zwangsverkäufen  von  Eisenbahnen  und  mit  solcher 
Verpflichtung  den  Inhabern  von  Obligationen  gegenüber 
sich  auf  ein  geheimes  Abkommen  mit  einer  dritten  Partei 
zum  Aufkauf  der  Obligationen  einlassen  würde  —  auf  ein 
Abkommen,  bei  welchem  es  in  seinem  Interesse  liegen 
würde,  den  Marktpreis  der  Obligationen  herunterzudrücken  ? 
Ist  es  wahrscheinlich,  daß  ein  solcher  Mann  mit  Über- 
legung einen  Schatten  auf  den  Bericht  über  sein  Leben 
werfen  würde?"  usw.  usw.^).    Natürlich  nicht. 

*)  Federal  Reporter,  34,  521.  Einer  von  Hills  Lobrednern  schrieb  in  einer  im 
ganzen  sehr  überschwenglichen  „Biographie",  die  in  der  New  Yorker  „Tribüne" 
in  der  Nummer  vom  7.  April  1907  veröffentlicht  wurde,  folgendermaßen  über 
Hill:  „Mr.  Hill  hat  im  Nordwesten  den  Ruf,  ein  sehr  harter  Geschäftsmann  zu  sein  . . 
Er  hat  niemals  mit  irgend  jemand  Geduld  gehabt,  der  nicht  unermüdlichen  Fleiß 
und  Selbstverleugnung  an  den  Tag  legte.  Aus  diesem  selben  Charakterzug  ist  bei 
den  Eisenbahnleuten  die  Überzeugung  entstanden,  daß  „Jim"  Hill  der  härteste 
Mann  im  Geschäft  ist,  für  den  man  arbeiten  kann.  Für  ihn  hat  es  nie  eine  Ruhezeit 
gegeben.  Gerade  jetzt  ist  er,  wenn  Arbeit  zu  tun  ist,  in  den  Nächten  und  an  Sonn- 
tagen tätig.  Mit  denjenigen  seiner  Angestellten,  die  es  nicht  vergessen  konnten, 
daß  es  so  etwas  wie  Geschäftsstunden  und  Feiertage  gibt,  ist  nie  lange  gefackelt 
worden."       ^)  Federal  Reporter,  39,  516. 


-  6^6  - 

Wieder  brachte  Farley  den  Fall  vor  den  Obersten  Ge- 
richtshof der  Vereinigten  Staaten.  Dieser  Gerichtshof  hielt 
im  Oktober  1893  die  Entscheidung  des  Bundesgerichts,  daß 
Farley  seinen  Anspruch  nicht  bewiesen  habe,  aufrecht^). 
Nach  dreizehnjährigem  Rechtskampfe  war  Farley  nicht 
imstande,  einen  einzigen  Dollar  einzutreiben. 

Hill  und  seine  Partner  werden  große  Würdenträger 

Von  den  Männern,  die,  wie  Farley  behauptete,  mit  ihm 
eine  böswillige  Verabredung  getroffen  hatten,  oder  von 
denen  man  behauptete,  daß  sie  aus  seiner  Pflichtverletzung 
Nutzen  gezogen  hatten,  wurde  Hill  der  große  Multimillio- 
när-Selbstherrscher des  Nordwestens,  und  Stephen  und 
Smith  erhielten  von  der  britischen  Krone  den  Adel  — 
Stephen  als  Lord  Mount  Stephen,  Ritter  des  Großkreuzes 
des  Königlichen  Viktoria-Ordens  usw.,  und  Smith  als  Lord 
Strathcona,  Ritter  des  Ordens  von  St.  Michael  und  St. 
George  2)  usw.  Kennedy  erhob  sich  zu  der  Stellung  eines 
Multimillionärs;  als  er  am  31.  Oktober  1909  starb,  hinter- 
ließ er  ein  auf  30 — 60  Millionen  geschätztes  Vermögen,  zu 
welchem  Aktien  der  Great  Northern-Eisenbahn  im  Werte 
von  sieben  Millionen  Dollar  gehörten,  die  zum  größten 
Teil  gerade  zu  der  Zeit  erworben  worden  waren,  als  er 
seine  Klienten,  die  holländischen  Kapitalisten,  betrog.  Er 
besaß  auch  10  Millionen  Aktien  der  Northern  Pacific-Eisen- 
bahn,  die  er  ungefähr  zu  der  Zeit  erwarb,  als  die  Northern 
Pacific-Eisenbahngesellschaft,  wie  wir  sehen  werden,  vom 
Kongreß  durch  Bestechung  große  Landbewilligungen  er- 
langte und  dem  Staatsgute  ausgedehnte  Minerallager  stahl. 
In  den  späteren  Jahren  seines  Lebens  gab  Kennedy  einige 
wenige  Millionen  für  „philanthropische  Zwecke"  her  und 
wurde  als  „ein  großer  Philanthrop"  gepriesen.  Sein  Testa- 
ment enthüllte,  daß  er  philanthropischen  und  Erziehungs- 
anstalten mehrere  Zehnmillionen  vermachte. 

Dieses  nur  als  vorübergehende  Erklärung.  Um  jedoch 
mit  der  Geschichte  von  Hills  Vermögen  fortzufahren: 
Hill  und  seine  Gesellschafter  erwarben  weitere  Privilegien 

1)  United  States  Reports,    Bd.  150,  572—577.        «)  Siehe:  „Burke's  Passage". 


-  657  - 

und  -besondere  Gesetze,  bauten  Ergänzungsbahnen  und  bil- 
deten aus  den  Eisenbahnen,  die  sie  erworben,  und  aus  den 
Erweiterungen,  die  sie  gebaut  hatten,  die  Great  Northern 
Eisenbahn.  Die  gesetzgebenden  Körperschaften  des  Nord- 
westens wurden  mit  Bestechungsgeldern  überschüttet,  wenn 
auch  niemals  ausdrücklich  bewiesen  worden  ist,  daß  Hill 
sie  verteilt  hatte.  Die  ganze  Zeitungspresse  erhielt  Unter- 
stützungen, und  große  und  kleine  Städte  und  Kreise 
wurden  bewogen,  Dotationen  und  Freiheiten  aller  Art  zu 
gewähren.  So  allgemein  war  diese  Korruption,  daß  im  Jahre 
1883  einige  dagegen  protestierende  Mitglieder  des  Senats 
von  Minnesota  eine  Resolution  einreichten,  die  ange- 
nommen wurde  und  in  deren  Begründung  es  hieß: 

„Da  der  Erwerb  und  Besitz  großer  Anteile  an  Eisen- 
bahnen mit  staatlicher  Landbewilligung,  an  Staatskon- 
trakten und  andern  von  der  allgemeinen  Regierung  unter- 
stützten Unternehmungen  durch  hohe  Beamte  der  Bundes- 
regierung solche  Beamte  in  Situationen  bringt,  in  denen 
sie  den  staatlichen  Interessen  nicht  treu  dienen  können, 
ohne  ihre  Privatinteressen  zu  opfern;  und 

„Da  das  in  dieser  Weise  von  öffentlichen  Beamten  er- 
worbene Geld  gewöhnlich  dazu  benutzt  wird,  die  Quellen 
politischen  Einflusses  zu  vergiften  und  den  Ausdruck  der 
wahren  Gefühle  des  Volkes  zu  verhindern,  und 

„D  a  man  behauptet,  daß  bei  der  letzten  Wahl  zum  Senat 
gewisse  Mitglieder  dieser  gesetzgebenden  Körperschaften 
in  ungeziemender  und  korrupter  Weise  durch  Verspre- 
chungen von  Geld,  öffentlichen  Ämtern  oder  anderen  wert- 
vollen Sachen  zugunsten  gewisser  Kandidaten  beeinflußt 
worden  sind." 

Schließlich  verlangte  die  Resolution  die  Einsetzung  einer 
besonderen  Untersuchungskommission  von  sieben  Mit- 
gliedern. Der  Bericht  dieser  Kommission  deutete,  ob- 
wohl er  weißwaschend  und  parteiisch  war,  doch  auf  einen 
schrecklichen  Zustand  von  Korruption  hin." 

Die  Bedeutung  dieser  Korruption,  die  sich  mehrere  auf- 
einanderfolgende Körperschaften  von  Minnesota  gestatteten, 
wird  besser  verstanden  werden,  wenn  man  unter  den  zahl- 
reichen charakteristischen  Episoden  eine  näher  betrachtet. 

42 


-  658  - 

Am  I.  März  1877,  als  die  allgemeine  Empörung  'über 
die  von  Rüssel  Sage  und  seiner  Clique  ausgeführten  Räube- 
reien und  widerrechtlichen  Aneignungen  auf  dem  Höhe- 
punkt war,  hatten  die  gesetzgebenden  Körperschaften  von 
Minnesota  verfügt,  daß  die  St.  Paul- und  Pacific-Eisenbahn- 
gesellschaft  kein  „direktes  oder  indirektes"  Anrecht  auf 
irgendwelches  Land  haben  sollte,  auf  dem  sich  Ansiedler 
in  gutem  Glauben  niedergelassen  hatten.  Da  ein  ge- 
wisser Teil  der  Eisenbahn  nicht  bis  zum  November  1878 
fertiggestellt  worden,  waren  die  Bestimmungen  des  Kon- 
greßgesetzes vom  22.  Juni  1874  verletzt.  Dieses  Gesetz 
hatte  den  Termin  für  die  Fertigstellung  bis  zum  3.  März 
1876  hinausgeschoben;  sonst  sollte  die  Landbewilligung 
verfallen  sein^).  Aber  der  Oberste  Gerichtshof  der  Verei- 
nigten Staaten  entschied  in  hilfsbereiter  Weise,  daß  eine 
bloße  Übertretung  der  Bestimmungen  des  Kongreßgesetzes 
an  sich  noch  nicht  einen  Verfall  der  Landbewilligung  mit 
sich  bringe;  entweder  der  Kongreß  oder  die  gesetzgebenden 
Körperschaften  von  Minnesota  müßten  ein  besonderes 
Verfahren  zur  Erklärung  des  Verfalls  einleiten").  Daher 
mußten  Hill  und  seine  Gesellschafter  vor  allem  den  Kongreß 
und  die  gesetzgebenden  Körperschaften  von  Minnesota 
verhindern,  ein  den  Verfall  aussprechendes  Gesetz  zu  er- 
lassen; und  sie  hatten  Erfolg. 

Gewaltsame  Vertreibung  von  Ansiedlern  in  Dakota 

Nachdem  Hill  die  Herrschaft  über  die  St.  Paul-  und 
Pacific-Eisenbahn  unter  dem  Namen  der  St.  Paul,  Minnea- 
polis  und  Manitoba- Eisenbahn  erlangt  und  ihren  Namen 
in  Great  Northern-Eisenbahn  umgewandelt  hatte,  erhob 
er  im  Jahre  1884  den  Anspruch  auf  fünfundsechzigtausend 
Morgen  Land  in  Dakota.  Vor  dem  Jahre  1884  hatte 
die  Gesellschaft  niemals  einen  Anspruch  auf  dieses  Land 
erhoben.  Der  Anspruch  gründete  sich  auf  das  alte  Land- 
bewilligungs-Gesetz  vom  Jahre  1857,  das  erlassen  war,  als 

^)  Senate  Executive  Documents,  First  Session,  Fifty-second  Congress,  1891 
bis  1892,  Bd.  5,  Doc.  Nr.  67.  ^)  Gase  of  St.  Paul,  Minneapolis  and  Manitoba 
Railroad  Co.  vs.  Charles  and  Jame»  Greenlaugh,  March  2,  1891. 


-  659  - 

Dakota  noch  einen  Teil  von  Minnesota  bildete.  Jahrelang 
war  das  Land  an  dem  Red  River  in  Dakota  eine  Wildnis 
geblieben,  bis  sich  Farmer  dort  angesiedelt  und  es  in  einen 
der  reichsten  Ackerbaudistrikte  des  Westens  verwandelt 
hatten.  Das  Oberlandamt  nahm  als  selbstverständlich  an, 
daß  dieses  Land  nicht  der  Eisenbahngesellschaft  gehöre, 
und  hatte  den  Ansiedlern  das  volle  Besitzrecht  gegeben. 

Im  November  und  Dezember  1891  herrschte  heftige 
Aufregung  unter  den  Farmern  im  Red  River -Tal.  Die 
Great  Northern-Eisenbahngesellschaft  hatte  eine  Verfügung 
erlassen,  die  die  Farmer  zwang,  das  der  Gesellschaft  ge- 
hörende Land  bis  zum  15.  Dezember  zu  räumen.  Diese 
Verfügung  gründete  sich  auf  eine  Entscheidung  des  Obersten 
Gerichtshofes  der  Vereinigten  Staaten,  die  aussprach,  daß 
sich  die  Landbewilligung  der  Gesellschaft  auf  das  Terri- 
torium von  Dakota  erstrecke  —  jetzt  die  Staaten  North 
Dakota  und  South  Dakota*).  Diese  Entscheidung  gab  der 
Gesellschaft  einen  Teil  des  fruchtbarsten  und  wertvollsten 
Gebietes  in  Dakota.  Fraglos  war  dieses  Land,  selbst  wenn 
sich  die  ursprüngliche  Landbewilligung  von  dem  Red  River 
nach  Westen  ausgedehnt  hätte,  nach  den  Kongreßgesetzen 
längst  verfallen.  Der  Oberste  Gerichtshof  der  Vereinigten 
Staaten  setzte  sich  jedoch  in  mehreren  aufeinanderfolgen- 
den Entscheidungen  über  die  ausdrücklichen  Gesetze  des 
Kongresses  hinweg.  Die  Great  Northern-Eisenbahn  be- 
gann darauf  mit  der  gewaltsamen  Vertreibung  der  Farmer 
innerhalb  ihrer  Landbewilligung.  Dieser  Befehl  der  Ge- 
sellschaft traf  die  Ansiedler  wie  ein  Donnerschlag.  Viele 
hatten  zwanzig  Jahre  lang  auf  diesem  Lande  gewohnt. 

Die  Ansiedler  wandten  sich  an  den  Kongreß.  Diese 
Körperschaft  erließ  ein  Gesetz,  das  der  Eisenbahngesellschaft 
gestattete,  an  Stelle  der  besiedelten  Ländereien  ein  gleich- 
großes Landgebiet  zu  wählen.  Dieses  Gesetz  war,  obgleich 
es  dem  Anschein  nach  zum  Besten  der  Ansiedler  erlassen 
war,  genau  das,  worauf  die  Great  Northern-Eisenbahn- 
gesellschaft wartete.  Das  von  der  Gesellschaft  aufgegebene 
Land  war  kein   Mineralgebiet;   das   Kongreßgesetz  setzte 


1)  United  States  Reports,  Bd.  137,  528. 

42* 


-  66o  - 

daher  voraus,  daß  die  zum  Ersatz  anderswo  gewählten 
Ländereien  auch  kein  Mineralgebiet  sein  sollten.  Aber 
nachdem  der  Tausch  gemacht  war,  zeigte  es  sich,  daß  die 
Gesellschaft  die  wertvollsten  Holzgebiete  in  Idaho,  Montana 
und  Washington  gewählt  hatte  —  Ländereien,  die  sehr  viel 
mehr  wert  waren  als  die  in  Dakota  — ,  und  daß  sich  in 
einigen  dieser  Gebiete  unter  den  Wäldern  reiche  Mineral- 
lager befanden.  Der  Kommissar  des  Oberlandamtes  war 
zu  jener  Zeit,  wie  wir  in  einem  früheren  Kapitel  bemerkt 
haben,  T.  H.  Carter.  Sein  gutachtlicher  Bericht  war  für 
Hill,  den  Beherrscher  der  Politik  des  Nordwestens,  so  be- 
friedigend, daß  die  gesetzgebenden  Körperschaften  von 
Montana  die  Erlaubnis  erhielten,  Carter  in  den  Senat  der 
Vereinigten  Staaten  zu  schicken,  dessen  hervorragendes 
Mitglied  er  jetzt  ist. 

Hills  Eisenerzlager 

Hill  besitzt  persönlich  sehr  große  Eisenerzlager  in  Minne- 
sota. Der  Wert  dieser  Lager  wird  allgemein  auf  wenigstens 
eine  Milliarde  Dollar  geschätzt.  Im  Jahre  1906  verpachtete 
er  an  den  Stahltrust  einen  nur  kleinen  Teil  dieser  Lager 
auf  einen  Zeitraum  von  fünfundzwanzig  Jahren  auf  der 
Grundlage  von  Ertragsabgaben,  wobei  sich  die  Zahlungen 
im  ganzen  auf  mehrere  Zehnmillionen  Dollar  beliefen.  Wie 
er  diese  Lager  erwarb,  ist  in  den  amtlichen  Dokumenten 
nicht  klar  ausgesprochen.  Wir  haben  in  früheren  Kapiteln 
gesehen,  daß  die  vom  Kongreß  verliehenen  ursprünglichen 
Landbewilligungen,  so  korrupt  auch  die  Umstände  bei  der 
Durchbringung  der  verschiedenen  Gesetze  waren,  niemals 
Kohlen-,  Eisen-  oder  andere  Minerallager  einschließen 
sollten.  Aber  auf  Grund  betrügerischer  Auslegungen  der 
Gesetze  durch  Landkommissare  und  Gerichtshöfe  wurde 
bestimmt,  daß  Kohlen-  und  Eisengebiete  nicht  in  die  Be- 
deutung des  Wortes   Mineral  eingeschlossen  sein  sollten. 

Nach  Senator  Pettigrews  Auffassung  erwarb  Hill  große 
Eisenlager  in  Minnesota  durch  privaten  Kauf.  Hierfür 
besaß  er  reichliches  Kapital,  bis  zu  Hunderten  von  Millionen 
Dollar.    Dieses  Geld  entstammte  den  St.  Paul  und  Pacific- 


-  66i  - 

Eisenbahngeschäften  wiederholter  ungesetzlicher  Vermeh- 
rung des  Aktienumlaufes  und  dem  aus  seinem  Eisen- 
bahnnetz gezogenen  übermäßigen  Gewinn  —  einem  Ge- 
winn, der  für  die  Leute  des  Nordwestens  schrecklich 
drückend  war.  Senator  Pettigrew  schreibt  über  Hills  Er- 
werb dieser  Eisenlager:  „Das  Eisen  lagerte  unter  Fichten- 
wäldern, und  die  Holzgesellschaft  hatte  einen  Holzweg 
angelegt,  um  die  Fichten  herauszuschaffen;  nachdem 
sie  die  Fichten  geschlagen  hatte,  verkaufte  sie  den  Weg 
und  das  Land  zu  einem,  wie  sie  glaubte,  übertrieben  hohen 
Preise  an  Mr.  Hill,  aber  es  erwies  sich,  daß  sich  unter  dem 
Lande  ausgedehnte  Eisenerzlager  befanden.  Ich  glaube, 
Mr.  Hill  schätzt  die  Gruben  auf  fünfhundert  Millionen 
Tonnen^)."  Wenn  dieser  Bericht  wahr  ist,  kann  man  mit 
Sicherheit  annehmen,  daß  Hill  die  Art  des  Landes  kannte, 
ehe  er  es  kaufte;  vom  geschäftlichen  Standpunkt  beurteilt, 
war  es  ein  sehr  schlaues  Unternehmen. 

Diese  Annahme  wird  durch  die  Tatsachen,  die  in  einem 
von  H.  W.  Pearson,  einem  Geologen  aus  Duluth,  gegen 
Hill  und  die  Great  Northern -Eisenbahngesellschaft  am 
29.  Januar  1901  in  St.  Paul  angestrengten  Prozeß  auf- 
gedeckt wurden,  bestätigt.  Die  Summe,  um  die  es  sich  bei 
dem  Prozeß  handelte,  wurde  auf  14  Millionen  Dollar 
angegeben,  den  angeblichen  Wert  des  Besitztums,  das 
Hill  und  seiner  Eisenbahn  gehörte  und  von  ihnen  in  Besitz 
genommen  war,  nachdem  Pearson  es  entdeckt  hatte.    In 


*)  In  einem  Privatbrief  an  den  Verfasser  erzählt.  In  früheren  Kapiteln  diese« 
Buches  haben  wir  gesehen,  wie  große,  den  Kanalgesellschaften  als  angeblich  sumpfiges 
Gebiet  gewährte  Landstriche  so  betrügerisch  vermessen  wurden,  daß  sie  einige 
der  allerreichstcn  Kupferlager  im  Nordwesten  einschlössen.  Dasselbe  traf  für 
einige  der  Landbewilligungen  an  Eisenbahngesellschaften  auf  Eisenerzlager  zu. 
Man  kann  nicht  behaupten,  daß  denjenigen,  die  aus  diesen  Betrügereien  Nutzen 
zogen,  die  Tatsache  unbekannt  war,  daß  die  von  ihnen  auf  so  betrügerische  Art 
erworbenen  Ländereien  Kupfer-  und  Eisenerzlager  enthielten.  Mehrere  Berichte 
von  geologischen  Sachverständigen  der  Regierung  hatten  die  Ausdehnung  und 
Lage  dieser  Minerallager  beschrieben.  Ein  umfangreicher  Bericht  im  besonderen 
war  der  von  den  Regierungsgeologen  der  Vereinigten  Staaten  J.  W.  Foster  und 
J.  D.  Whitney  erstattete.  Er  wurde  im  Jahre  185 1  veröffentlicht  und  enthielt 
ausführliche  Beschreibungen  über  die  besondere  Art  der  Mineralgebiete.  Er 
beschrieb  besonder«  die  Eisenerzlager  in  der  Gegend  des  Lake  Superior  als  solche 
von  beinahe  beispielloser  Reinheit.  —  U.  S.  Senate  Document«,  Special  Session 
32.  Congre««,  1851,    Bd.  III,  Doc.  No.  4. 


-  662  - 

seiner  Klage  behauptete  Pearson,  daß  diese  Minerallager 
von  ihm  auf  einen  Kontrakt  mit  Hill  hin,  wonach  er 
—  Pearson  —  einen  Anteil  an  dem  Gewinn  haben  sollte, 
festgestellt  worden  seien.  Pearson  behauptete  weiter,  daß 
er  im  Jahre  1 896  von  Hill  angestellt  worden  sei,  um  Kohlen- 
und  Eisenlager  in  den  Staaten  Washington  und  Montana 
festzustellen,  daß  er  die  Lager  gefunden  habe,  daß  unter 
seiner  Leitung  das  Hillsche  Geschäft  Tausende  von  Morgen 
wertvollen  Landes  erwarb  und  daß  er,  als  er  seinen  An- 
spruch auf  einen  Anteil  geltend  machte,  beiseite  geschoben 
wurde.  Von  der  endgültigen  Entscheidung  in  diesem 
Prozeß  erscheint  kein  Protokoll  in  den  zugänglichen  ge- 
richtlichen Dokumenten. 

Wenn  jedoch  die  von  der  Great  Northern-Eisenbahn 
zur  Aneignung  von  Mineralländereien  benutzten  Methoden 
dieselben  waren,  die  die  Northern  Pacific-Eisenbahn  an- 
wandte, dann  ist  ihre  Art  klar.  Die  zuletzt  genannte  Eisen- 
bahn gehörte  ursprünglich  nicht  Hill,  aber  jetzt  haben  er 
und  die  mit  ihm  Verbündeten  sie  in  ihrem  Besitz.  „Das 
Reinergebnis,"  sagt  Moody,  „des  Ringes  der  Northern 
Pacific-Bahn  und  des  Northern  Securities-Zwischenf alles ^) 
bestand  darin,  daß  die  Hill-Interessenten  in  unbestrittener 
Herrschaft  über  die  drei  großen  Eisenbahnnetze  bleiben, 
die  jetzt  als  Hill -Besitz  bezeichnet  werden,  nämlich  über 
die  Northern  Pacific,  die  Great  Northern  und  die  Chikago, 
Burlington  und  Quincy,  die  zusammen  über  18  000  Meilen 
Eisenbahnlinien  darstellen 2)." 

Die  Northern  Pacific-Eisenbahn 

Die  Northern  Pacific-Eisenbahn  erhielt  ihre  Privilegien 
im  Jahre  1864.  Durch  ein  Kongreßgesetz  vom  2.  Juli  dieses 
Jahres  erhielt  sie  das  Wegerecht  durch  öffentliches  Gebiet, 
das  Recht,  den  Staatsländereien  Baumaterial  zu  entnehmen, 
und  ein  ungeheuer  großes  Gebiet  der  öffentlichen  Lände- 
reien in  Montana,  Idaho  und  andern  Teilen  des  Nordwestens. 
Diese  enormen  Privilegien  und  Bewilligungen  wurden  ihr 

^)  In  einem  der  Kapitel  über  J.  Pierpont  Morgan  beschrieben. 

2)  „The  Romance  of  the  Railways",  „Moody's  Magajdne",  Julinummer  1908,  17. 


-663  - 

zu  eben  derselben  Zeit  erteilt,  als  die  Union  Pacific-Eisen- 
bahn  und  andere  mit  Landbewilligungen  und  Subsidien 
ausgestattete  Eisenbahngesellschaften  den  Kongreß  be- 
stachen. Alles  in  allem  erhielt  die  Northern  Pacific-Eisen- 
bahn  ungefähr  57  Millionen  Morgen  öffentlichen  Landes. 
Was  dann  in  der  Geschichte  der  Northern  Pacific-Eisen- 
bahn  folgt,  war  dasselbe  wie  bei  allen  andern  Eisenbahnen. 
Sie  wurde  nacheinander  von  verschiedenen  Kapitalisten- 
gruppen ausgeplündert.  Einer  der  Kapitalisten,  der  die 
Northern  Pacific-Eisenbahn  einige  Jahre  lang  machtvoll 
beherrschte,  war  Henry  Villard,  ein  Mann  von  bemerkens- 
wertem Charakter  und  Unternehmungsgeist.  Verschiedene 
kapitalistische  Parteien  bekämpften  ihn  heftig  und  suchten 
ihn  aus  der  Herrschaft  über  die  Northern  Pacific-Eisenbahn 
und  andere  Eisenbahnen  im  Nordwesten  zu  vertreiben. 
In  seinen  „Memoiren"  erzählt  Villard  von  einer  macht- 
vollen, im  Jahre  1889  gegen  ihn  aufgestellten  Vereinigung, 
die  von  Hill  und  großen  Finanzgesellschaften  gebildet  war. 
Vier  Jahre  später  wurde  Villard  von  seinen  Gegnern  an- 
geklagt, große  Vorteile  dadurch  erlangt  zu  haben,  daß  er 
als  Privatperson  „halb  wertlose"  Eisenbahnen  in  Manitoba 
und  sonstigen  Gegenden  kaufte  und  sie  dann  zu  enorm 
hohen  Preisen  auf  die  Northern  Pacific-Eisenbahn  „ablud", 
die  er  als  Teilhaber  der  Korporation  beherrschte.  Soweit 
die  gerichtlichen  Protokolle  die  Tatsachen  andeuten, 
scheinen  diese  Behauptungen  zu  einem  Plane  gehört  zu 
haben,  Villards  Ruf  zu  schädigen  und  seinen  Sturz  herbei- 
zuführen; als  über  diese  Anklagen  von  den  Gerichtshöfen 
entschieden  wurde,  wurde  Villard  persönlich  gerecht- 
fertigt. Aber  daß  der  Eisenbahnschatz  von  früheren 
Kapitalistengruppen  geplündert  worden  war,  ist  vollständig 
klar;  streitende  Parteien  machten  einander  beständig  für 
Gründungen,  Erweiterungen  und  Unternehmungen  ver- 
antwortlich, die  zum  großen  Teil  zu  dem  besonderen  Zweck 
ersonnen  wurden,  sich  große  Beutemassen  anzueignen. 
So  widersprechend  und  verwickelt  waren  diese  Beschul- 
digungen und  Gegenbeschuldigungen,  daß  es  nicht  leicht 
ist,  die  relative,  viel  weniger  noch  die  absolute  Wahrheit 
festzustellen.  Gewisse  kapitalistische  Gegner  Villards  waren 


-  664  - 

wegen  ihrer  iDÖsen  Vergangenheit  besonders  berüchtigt; 
so  sehr,  daß  von  ihnen  ausgehende  Anklagen  von  der  All- 
gemeinheit mit  Mißtrauen  und  zynischer  Skeptik  aufge- 
nommen und  von  den  Gerichtshöfen  im  besondern  aus 
materiellen  Gründen  abgewiesen  wurden. 

Jahrelang  wurde  leidenschaftlich  gekämpft,  um  Villard 
aus  der  Herrschaft  zu  vertreiben. 

Große  Diebstähle  von  Mineralgebieten 

Während  der  Zeit,  in  der  verschiedene  Kapitalisten  die 
Northern  Pacific-Eisenbahn  beherrschten,  waren  die  Dieb- 
stähle von  Mineralgebieten  so  ausgedehnt,  daß  sowohl  der 
Kongreß  wie  der  Staat  Montana  gezwungen  waren,  Unter- 
suchungen anzustellen.  Die  Einwohner  von  Montana 
waren  über  den  Anspruch  der  Eisenbahn  auf  Land,  das  die 
allerreichsten  Gold-,  Silber-,  Blei-  und  Kupfergruben,  im 
besonderen  die  den  Ruhm  Montanas  bildenden  großen 
Kupferlager  enthielt,  sehr  erregt.  In  der  Tat  waren  die 
Leute  des  ganzen  Westens  tief  erregt,  denn  wenn  die  Ge- 
richtshöfe schließlich  das  Vorgehen  der  Northern  Pacific- 
Eisenbahn  unterstützen  sollten,  dann  konnten  alle  andern 
Pacific-Eisenbahnen  den  gleichen  Anspruch  auf  alle  Gruben 
und  Minerallager  innerhalb  ihrer  Landbewilligungen 
erheben.  Schon  im  Jahre  1890  hatte  der  Oberste  Ge- 
richtshof der  Vereinigten  Staaten  eine  provisorische  Ent- 
scheidung erlassen,  die  den  Anspruch  der  Northern  Pacific- 
Eisenbahn,  daß  ,,nur  das  Mineralgebiet,  das  zur  Zeit 
der  Landbewilligung  als  mineralisch  bekannt  war'*,  von 
der  Landbewilligung  ausgenommen  sein  solle,  unter- 
stützte. 

Der  Trans-Mississippi-Kongreß,  der  im  Mai  und  Oktober 
1891  in  Denver  zusammentrat,  nahm  Resolutionen  an,  die 
erklärten : 

„Da  dieser  Ausspruch  des  Obersten  Gerichtshofes,  sollte 
er  Gesetz  werden,  die  im  Besitz  von  Landbewilligungen 
befindlichen  Pacific -Eisenbahngesellschaften  mit  einer 
großen  Anzahl  bester  Gruben  belehnen  würde,  die  innerhalb 
der  Grenzen  besagter  Bewilligungen  von  Schürfern  und 


-  665  - 

Bergleuten  entdeckt  sind,  die  sich  darauf  in  gutem  Glauben 
angesiedelt,  sie  aufgeschlossen  und  verkauft  haben  in  dem 
ehrlichen  Glauben,  daß  besagte  Landbewilligungen  sich 
auf  Ackerland  beschränkten,  laut  den  Kongreßgesetzen, 
durch  die  sie  verliehen  wurden;  und 

„Da  die  Bürger  der  Vereinigten  Staaten  für  die  Auf- 
schließung von  Gruben  auf  besagten  Ländereien,  die  nach 
dem  Termin  der  besagten  Bewilligungen  entdeckt  worden 
sind,  Millionen  Dollar  angelegt  haben;  und 

„D  a  diese  neugebildete  Auslegung  besagter  Landbewilli- 
gungen zur  Konfiskation  privaten  Eigentums  und  zur 
Beraubung  einzelner  Personen  zugunsten  besagter  Eisen- 
bahngesellschaften in  einem  bisher  nicht  dagewesenen  Um- 
fang, sowie  zur  Einbringung  von  Klagen  führen  muß,  um 
den  Wert  der  bis  dahin  auf  besagtem  Lande  geschürften 
Erze  wiederzuerlangen,  die,  wenn  erfolgreich,  einen  großen 
Teil  unserer  Bürger  in  Mangel  und  an  den  Bettelstab 
bringen  müssen;  und 

„Da,  wenn  besagte  Auslegung  rechtsverbindlich  wird, 
sie,  zum  offenbaren  Schaden  des  Volkes,  große  Gebiete 
Minerallandes  dem  Markte,  entweder  zu  späterer  Erfor- 
schung oder  zum  Kaufe,  entziehen  wird.    Daher  sei  es 

„Beschlossen,  daß  der  Kongreß  gegen  jede  Auslegung 
der  Gesetze  der  Vereinigten  Staaten  protestiert,  die  zu 
einem  solchen  System  der  Konfiskation  im  großen  und  zu 
der  daraus  folgenden  Bereicherung  großer,  die  Großmut 
der  Regierung  schon  genießender  Verbände  führen  muß, 
und  die  im  Kongreß  versammelten  Vertreter  des  Volkes 
auffordert,  schnell  und  unverzüglich  Maßregeln  innerhalb 
ihres  unmittelbaren  verfassungsmäßigen  Vorrechtes  zu  er- 
greifen, um  diese  drohende  Gefahr  zu  zerstören." 

Zur  selben  Zeit  berichtete  Martin  Maginnis,  der  Kom- 
missar für  Mineralland  in  Montana,  an  Gouverneur  Toole, 
daß  die 

,, große  Landbewilligung  der  Northern  Pacific -Eisen- 
bahngesellschaft sich  in  einem  mit  Einschluß  des  wieder- 
erstatteten Landes  beinahe  einhundertundzwanzig  Meilen 
breiten  und  über  siebenhundert  Meilen  langen  Gürtel  von 
der  östlichen  bis  zur  westlichen  Grenze  des  Staates  Montana 


-  666  - 

erstrecke.  Der  Kongreß,  der  diese  Korporation  ins  Leben 
rief,  gab  ihr  eine  Hälfte  der  Ländereien  in  diesen  Grenzen, 
schloß  dabei  aber  sorgfältig  alles  Mineralland  aus  und  be- 
tonte diesen  Ausschluß  von  der  Landbewilligung  dadurch, 
daß  er  der  Gesellschaft  für  solche  Ländereien,  die  sich 
möglicherweise  als  mineralisch  erweisen  sollten,  Entschädi- 
gung gewährte.  Bis  dahin  war  nur  wenig  geschürft  worden; 
man  wußte  sehr  wenig  von  der  Beschaffenheit  dieser  Län- 
dereien. Alle  Entdeckungen  von  Mineralland  mußten  noch 
erst  gemacht,  die  Gruben  auf  ihm  erschlossen  und  diese 
schließlich  von  der  Landbewilligung  der  Gesellschaft  ab- 
gesondert und  die  Gesellschaft  dafür  mit  anderem  nicht- 
mineralischen Lande  entschädigt  werden. 

„Nichts  könnte  einfacher  erscheinen  als  die  Tatsache, 
daß  der  Ausschluß  zu  der  Landbewilligung  gehörte  und 
einen  Teil  von  ihr  bildete  und  daß  spätere  Erforschung, 
Vermessung  und  Feststellung  notwendig  sein  würde,  um 
das  nichtmineralische  Land,  das  Eigentum  der  Gesell- 
schaft werden  würde,  und  das  mineralische  Land,  das  reser- 
viert bleiben  sollte,  um  nach  den  Bergwerksgesetzen  der 
Vereinigten  Staaten  dem  Schürfer  und  dem  Bergmann 
immer  offen  zu  stehen,    zu  bestimmen. 

„Hätte  die  Bahn  ebensoschnell  genau  abgesteckt  und  durch 
das  Land  gebaut  werden  können,  wie  das  Privilegium  beirii 
Kongreß  durchgebracht  wurde,  so  würde  es  der  Zukunft 
überlassen  geblieben  sein,  den  Charakter  des  Landes  dar- 
zutun; und  hätte  die  Gesellschaft  damals  auf  Grund  einer 
fertigen  Bahnlinie  das  ganze  vermessene  und  unvermessene, 
unerforschte  und  bergbaulich  ununtersuchte  Land  bean- 
sprucht, so  würde  diese  Gesellschaft  einfach  alles  bekommen 
haben ;  denn  die  Entdeckungen  von  Mineralien  sind  alle  erst 
späterhin  gemacht  worden.  Erst  später  wurde  der  dreiste 
Anspruch  erhoben,  daß  Gebiete,  die  damals  oder  an  einem 
bestimmten  Datum  nicht  als  mineralisch  bekannt  waren, 
deshalb  nicht-mineralisch  seien  und  infolgedessen  an  die 
Gesellschaft  übergingen."^) 

Der   Kommissar   für   Mineralland   Maginnis   behandelte 

^)  Annual  Report  of  the  Mineral  Land  Commissioner  for  the  State  of  Montana, 
for  the  Year  Ending  November  30,  1891.    Helena,  Montana,  1892,  3—4. 


-  66-]  - 

dann  ausführlich  das  lange  Zögern  der  Unternehmer  der 
Northern  Pacific -Eisenbahn  beim  Bau  der  Eisenbahn  — 
ein  Zögern,  durch  das,  wie  er  schrieb, 

,,sie  einen  der  Hauptzwecke  ihrer  Schöpfung  und  das 
anständige  Verdienen  jenes  Teiles  ihrer  Ausstattung  ver- 
fehlte, der  dazu  dienen  sollte,  ihre  Fertigstellung  wenigstens 
fünfzehn  Jahre  vor  der  Zeit,  als  sie  zu  uns  kam,  sicherzustellen, 
zu  uns,  die  wir  in  sehnsüchtigem  Warten  auf  ihr  Kommen 
das  Land  ohne  ihre  Hilfe  in  Besitz  genommen,  unterworfen 
und  zum  Teil  erschlossen  haben.  Man  hat  es  sich  niemals 
träumen  lassen,  daß  die  Eisenbahngesellschaft  zu  irgend- 
einer Zeit  ihres  Daseins  einen  Anspruch  auf  die  Mineral- 
gebiete erheben  würde,  die  von  der  Bewilligung  in  der 
Bewilligungsakte  selbst  durch  besondere  Vorbehalte  aus- 
geschlossen waren,  Vorbehalte,  die  von  der  Bewilligung  un- 
trennbar und  von  gleicher  Dauer  sein  sollten  wie  die  Be- 
willigung selbst. 

„Der  Kongreß  hatte  kein  Tribunal  eingesetzt,  um  zu  ent- 
scheiden, welche  Gebiete  mineralisch  und  welche  nicht- 
mineralisch seien.  Er  überließ  dies  der  Exekutivabteilung, 
welche  die  Kontrolle  über  Verkauf,  Vermessung  und 
Klassifikation  alles  Staatslandes,  hat.  Ein  großer  Teil  des 
Landes  innerhalb  der  Grenzen  der  Bewilligung  ist  von  der 
Regierung  niemals  vermessen  oder  in  irgendeiner  Weise 
untersucht,  einer  Schürfung  unterworfen  oder  klassifiziert 
worden.  Die  Arbeit  und  Mühe  des  freiwilligen  Schürfers 
und  des  Bergmanns  haben  allein  bekannt  gemacht,  welche 
Gebiete  mineralisch  sind  und  welche  nicht. 

„Plötzlich  wurde  der  erstaunliche  Anspruch  erhoben,  daß 
alle  diejenigen  Teile  des  Landes,  die  an  einem  bestimmten 
Datum  noch  nicht  als  mineralisch  anerkannt  worden  waren, 
als  nichtmineralisch  angesehen  und  Eigentum  der  Nor- 
thern Pacific -Eisenbahn  werden  sollten,  trotzdem  der 
Freibrief  selbst  ausdrücklich  aussprach,  daß  solche  Gebiete 
niemals  ihr  Eigentum  werden  und  daß  die  Gesellschaft  an 
ihrer  Statt  andere  Ländereien  nehmen  sollte,  um  die  Ge- 
samtmenge zu  erreichen,  die  sie  beanspruchte. 

Es  ist  einleuchtend,  daß  weder  nach  Gesetz  noch  nach 
Billigkeit  irgendeine  Berechtigung  zu  einem  solchen  An- 


-  668  - 

Spruch  bestehen  und  die  Gesellschaft  auf  Umwegen  jene 
Ländereien  erlangen  könnte,  die  ausdrücklich  von  der 
Bewilligung  ausgeschlossen  und  nach  der  wohldefinierten 
Politik  der  Vereinigten  Staaten,  wie  sie  in  ihren  Gesetzen 
über  die  Verteilung  von  Mineralländereien  niedergelegt 
ist,  dem  Schürfer  und  dem  Bergmann  offen  gehalten  wer- 
den. Aber  nach  gewissen  Auslegungen  gewisser  Fälle  durch 
einige  Gerichtshöfe  erhob  die  Gesellschaft  ihre  Ansprüche 
nicht  nur  auf  die  Mineralländereien,  sondern  auch  auf  die 
Mineralien,  die  dort  gewonnen  worden  waren.  Sie  focht  die 
Bewerbungen  um  Patente  für  Gruben  an  und  klagte  auf 
Rückerstattung  der  diesen  Gruben  entnommenen  Erze. 

„Die  Bewohner  des  Staates  wurden  allgemein  durch  den 
Verlauf  einer  Sache,  der  ihre  Interessen  mit  solchem  Unheil 
bedrohte,  sehr  beunruhigt,  und  da  der  Staat  erkannte, 
daß  in  dieser  Beziehung  arme  Schürfer  und  Bergleute 
ebensowenig  wie  reiche  eine  so  mächtige  Korporation  er- 
folgreich bekämpfen  könnten,  beschloß  er,  die  Sache  seiner 
Untertanen  zu  seiner  eigenen  zu  machen ;  mit  diesem  Ziel 
vor  Augen  erließen  die  gesetzgebenden  Körperschaften  fol- 
gendes Gesetz"^) : 

Hier  folgten  die  besonderen  Verfügungen  dieses  Gesetzes, 
das  die  Interessen  der  privaten  Bergleute  schützen  soUte. 
Trotz  der  Annahme  dieses  Gesetzes  fällten  die  unteren 
Gerichtshöfe,  deren  Richter  vielfach  Eisenbahnanwälte 
gewesen  oder  durch  den  Einfluß  der  Eisenbahngesellschaft 
auf  die  Richterbank  erhoben  worden  waren,  eine  Ent- 
scheidung nach  der  anderen  zugunsten  der  Northern 
Pacific  -  Eisenbahn.  Die  Hauptgegner  dieser  Eisenbahn 
waren  große  Kupfergesellschaften,  wie  z.  B.  die  Gesell- 
schaft, die  die  große,  damals  auf  25  Millionen  Dollar  ge- 
schätzte Kupfergrube  in  Anaconda  beherrschte.  Diese 
Gesellschaften  hatten  ihre  Gruben  zum  großen  Teil  selbst 
durch  Betrug  erworben.  Aber  auch  Bergleute  und  Schürfer, 
die  in  keiner  Weise  mit  irgendwelchen  betrügerischen 
Operationen  in  Verbindung  standen,  wurden  sehr  beun- 
ruhigt und  mitunter  auch  die  große  Masse  der  Einwohner. 

Nunmehr  nahm  im  Washingtoner  Repräsentantenhaus 

*)  Annual  Report  of  the  Mineral  Land  Commissioner,  usw.,  5 — 6. 


-  669  - 

der  Ausschuß  für  öffentliche  Ländereien  diese  Angelegen- 
heit, die  vorwiegend  die  Bevölkerung  des  Staates  Montana 
berührte,  in  die  Hand.  Villard,  als  Präsident  der  Finanz- 
kommission der  Northern  Pacific  -  Eisenbahn ,  war  mit 
seinen  Anwälten  eifrig  mit  Beweismaterial  beschäftigt. 
„Mr.  Henry  Villard,"  so  meldete  der  Bericht  Maginnis, 
„zog  zunächst  die  Aufmerksamkeit  der  Kommission  auf 
sich.  Er  behauptete  auch,  daß  die  Gesellschaft  nun  voll- 
ständig im  Besitz  des  Rechtstitels  auf  die  bestrittenen 
Mineralgebiete  sei.  Er  betrachtete  dies  nicht  mehr  als  eine 
offene  Frage.  Der  Oberste  Gerichtshof  könne  nur  die 
zahlreichen  schon  zugunsten  der  Eisenbahngesellschaft  er- 
teilten Entscheidungen  bestätigen.  Die  Eigentumsrechte 
der  Gesellschaft  seien  außerhalb  des  Bereiches  der  Gesetz- 
gebung; aber  es  läge  ihm  viel  daran,  daß  diese  Streitfrage 
erledigt  würde.  Sie  schädige  die  Bahn  und  die  Gruben- 
industrie, und  er  sei  bereit,  von  selten  seiner  Gesellschaft 
einen  Vergleich  anzubieten.  Er  sei  autorisiert,  der  Kom- 
mission einen  Vorschlag  zu  unterbreiten.  Die  Gesellschaft 
würde  diesem  Gesetz,  der  Vermessung  und  Klassifizierung 
zustimmen  und  den  Vereinigten  Staaten  alle  Gebiete,  die 
so  als  Mineralland  ausgenommen  seien,  zurückerstatten: 
vorausgesetzt,  daß  die  Gesellschaft  dafür  mit  andern 
Ländereien  entschädigt  würde,  entweder  durch  die  Er- 
weiterung gegenwärtiger  Entschädigungsgebiete  oder  durch 
Auswahl  sowohl  aus  den  geradzahligen  wie  aus  den  ungerad- 
zahligen Sektionen  innerhalb  der  Landbewilligung^)." 

Die  Hauskommission  für  öffentliches  Land  berichtete, 
daß  in  die  Landbewilligung  der  Northern  Pacific-Eisenbahn 
die  reichsten  und  am  weitesten  erschlossenen  Gruben  in 
Montana  und  Idaho  eingeschlossen  seien.  „In  diese  Land- 
bewilligung sind  auch  Millionen  Morgen  Land  eingeschlossen, 
die  noch  nicht  vollständig  oder  überhaupt  noch  nicht  nach 
Mineralien  durchforscht  sind;  sie  werden  aber  .  .  .  wahr- 
scheinlich Minerallager  enthalten,  die  ebenso  wertvoll  sind 
wie  nur  irgendwelche  je  entdeckte."  Die  Eisenbahngesell- 
schaft behauptete,  so  hob  die  Kommission  hervor,  daß  die 
rechtskräftige  Auslegung  der  Akte  vom  Jahre  1 864  der  Gesell- 

^)  Annual  Rep.,  Mineral  Land  Com.,  usw.,  28. 


—  öyo  — 

Schaft  alle  Ländereien  innerhalb  der  Schenkung  gebe,  die 
zur  Zeit  der  Akte,  oder  wenigstens  zur  Zeit,  als  die  Gesell- 
schaft den  genauen  Entwurf  ihrer  Route  einreichte,  nicht 
als  mineralisch  bekannt  waren. 

„Dies,"  so  fährt  der  Bericht  fort  „erscheint  der  Kom- 
mission als  ein  höchst  merkwürdiger  Anspruch  .  .  .  Viele 
der  wertvollsten  Gruben  in  Montana  und  die  meisten  aller 
jener  in  Idaho  sind  nach  dem  Jahre  1882  entdeckt  worden. 
Die  Gesellschaft,  die  mit  ihrer  ungeheuer  großen  Land- 
bewilligung und  andern,  besonders  von  der  Regierung  er- 
teilten Privilegien  nicht  zufrieden  ist,  versucht  nun  darauf- 
hin, was  im  besten  Falle  eine  Förmlichkeit  ist,  gerade  die 
Mineralgebiete,  die  ausdrücklich  von  der  Bewilligung  aus- 
geschlossen sind,  denen  fortzunehmen,  die  sie  entdeckt 
und  erschlossen  haben^)." 

Mittlerweile  hatte  jedoch  die  Northern  Pacific-Eisenbahn 
ihr  Ziel  erreicht.  Während  die  Zeit  mit  Gerede  und  Be- 
rufungen gegen  richterliche  Entscheidungen  hingebracht 
wurde,  geschah  nach  Senator  Pettigrew  folgendes:  „Alle 
Kraft  in  Washington,  in  dem  Land-Department  in  Wa- 
shington wurde  ausschließlich  darauf  verwandt,  diese  Pa- 
tente für  die  Northern  Pacific  durchzubringen,  und  wenn 
Sie  die  gerichtlichen  Protokolle  aufschlagen,  werden  Sie, 
glaube  ich,  finden,  daß  der  Richter  gegen  einen  von  den 
Verwaltern  gemeldeten  Posten  von  ungefähr  3000  Dollar 
Einspruch  erhob,  der  an  einen  besonders  guten  Freund 
des  Landkommissars  als  Anwalthonorar  gezahlt  worden 
war,  um  den  Erlaß  jener  Patente  zu  beschleunigen;  auf 
diese  Art  erlangte  die  Northern  Pacific  das  Recht  auf  aus- 
gedehnte Gebiete  außerordentlich  wertvoller  Mineral- 
ländereien  in  den  Staaten  Montana,  Idaho  und  Washington. 
Der  Landkommissar  war  in  dieser  Sache  zweifellos  bestochen, 
und  es  herrscht  kein  Zweifel,  daß  die  Beamten  der  Northern 
Pacific  seine  Tätigkeit  bei  der  Erlangung  dieser  Patente 
erkauften." 

„Späterhin,"  so  fährt  Exsenator  Pettigrew  fort,  „ging 
im  Kongreß  ein  Gesetz  durch,  es  war,  glaube  ich,  im  Jahre 

^)  House  Reports,  Fifty-second  Congreß,  Second  Session,  1891 — 1892,  Bd.  5, 
Report  Nr.  1145,  i — 4. 


—  671  — 

1898,  das  dafür  Sorge  trug,  daß  Inspektoren  die  an  Land- 
bewilligungs-Bahnen  gelegenen  Ländereien  untersuchen 
und  feststellen  sollten,  welche  mineralisch  seien  und  welche 
nicht,  damit  für  mineralische  Gebiete  nach  jenem  Datum 
keine  Patente  ausgestellt  werden  sollten;  aber  das  Unheil 
war  schon  fast  ganz  geschehen^)." 

Pettigrews  Darlegungen  werden  jedoch  von  Villards 
Freunden,  die  den  Anspruch  erheben,  die  Sache  zu  kennen, 
bestritten.  Sie  leugnen,  daß  die  Northern  Pacific  auf  diese 
Art  Patente  erhalten  habe.  Keine  Patente,  behaupten  sie, 
seien  während  der  herrschenden  Bewegung  von  der  Eisen- 
bahn erlangt  oder  ihr  gewährt  worden.  Sie  fügen  hinzu, 
daß  die  vom  Kongreß  eingesetzte  Kommission  nur  berech- 
tigt war,  Patente  für  nichtmineralisches  Land  auszugeben. 
Wenn  Bestechung  angewandt  worden  ist,  um  mineralisches 
Land  unter  dem  Vorgeben,  daß  es  nichtmineralisch  sei, 
zu  erlangen,  dann  sei  es  nicht  wahrscheinlich,  daß  Villard 
persönlich  es  gebilligt  habe. 

Ungefähr  während  dieser  Zeit,  am  15.  August  1893, 
machte  die  Northern  Pacific-Eisenbahn  bankrott. 

Unter  dem  Vorwande,  daß  die  Eisenbahn  in  armseliger 
finanzieller  Verfassung  sei,  beschnitten  die  Verwalter  die 
Löhne  der  Eisenbahnangestellten.  Diese  Arbeiter  wußten, 
daß  sie  so  besteuert  wurden,  um  den  Eisenbahnschatz  für 
einen  Teil  der  von  den  Finanziers  geraubten  immensen 
Summen  schadlos  zu  halten;  sie  erhoben  jedoch  keine  offi- 

*)  In  einem  Pnvatbrief  an  den  Verfasser  erzählt.  Die  Tatsache,  daß  einflußreiche 
Mitglieder  des  Kongresses  gleichzeitig  bezahlte  Anwälte  für  Landbewilligungs- 
Eisenbahnen  waren  und  in  dieser  Eigenschaft  im  Kongreß  wirkten,  veranlaßte  die 
Einbringung  einer  Vorlage  in  dem  Senat  der  Vereinigten  Staaten  am  i.  Juni  i886 
durch  Senator  Beck  aus  Kentucky,  wonach  es  keinem  Mitgliede  des  Kongresses 
mehr  erlaubt  sein  sollte,  als  Anwalt  oder  Vermittler  für  irgendeine  Eisenbahn,  die 
vom  Kongreß  eine  Landbewilligung  erhalten  hat,  tätig  zu  sein.  In  der  Debatte 
über  seine  Maßnahme  führte  am  22.  Juni  1886  Senator  Beck  aus:  „Wird  irgendein 
Herr  darauf  bestehen,  daß  jemand,  der  der  Anwalt  irgend  einer  Eisenbahn  ist, 
jemand,  der  in  irgendeiner  Weise  von  irgendeiner  dieser  Bahnen  abhängig  ist, 
wenn  diese  großen  Fragen,  bei  denen  es  sich  vielleicht  um  fünfzig  oder  hundert 
Millionen  für  das  mit  Steuern  belastete  Volk  dieses  Landes  handelt,  zur  Entschei- 
dung kommen,  die  Interessen  jener  Eisenbahn  vertreten  soll,  deren  Geld  er  in  der 
Form  von  Angeld  oder  Honorar  in  seiner  Tasche  hat  und  der  diese  Tatsache  ver- 
birgt und  die  ganze  Zeit  behauptet,  daß  er  im  Interesse  der  Vereinigten  Staaten 
handelt  und  spricht?"  Natürlich  gelang  es  nicht,  die  Vorlage  zum  GeseU  zu 
machen. 


—  672  — 

zielle  Beschwerde.  Als  jedoch  eine  zweite  Herabsetzung 
der  Löhne  von  fünfzehn  bis  dreißig  Prozent  angekündigt 
wurde,  beschlossen  die  Arbeiter,  es  nicht  zu  dulden,  daß 
sie  um  des  erschöpften  Zustandes  des  Eisenbahnschatzes 
willen  leiden  müßten. 

Aber  die  Justiz  war  schnell  dabei,  das  Gesetz  in  rechts- 
widriger Weise  so  zu  dehnen,  daß  den  Arbeitern  verboten 
wurde,  in  einen  Streik  einzutreten.  Als  die  Arbeiter  der 
Northern  Pacific  um  eine  Unterredung  mit  den  Verwaltern 
baten,  willigten  diese  ein.  Heimlich  jedoch  entwarfen  die 
Anwälte  der  Verwalter  ein  durchgreifendes  gerichtliches 
Verbot,  das  dem  Richter  Jenkins  von  dem  Bundesgericht 
der  Vereinigten  Staaten  gerade  am  Vorabend  der  verein- 
barten Unterredung  vorgelegt  und  von  ihm  unterzeichnet 
wurde.  Der  Hauptanwalt  bei  der  Abfassung  dieses  Verbots 
und  bei  dem  Bemühen,  es  durchzusetzen,  war  Senator 
Spooner,  Dies  gerichtliche  Verbot  untersagte  es  den 
Männern,  „sich  zum  Verlassen  der  Arbeit  mit  oder  ohne 
Kündigung  zu  verbinden  oder  zu  verschwören".  Es  folgte 
noch  ein  ergänzendes  Verbot,  welches  den  Arbeitern  unter- 
sagte, „andern  das  Verlassen  des  Dienstes  bei  den  Verwaltern 
vorzuschreiben,  zu  empfehlen,  zu  billigen  oder  zu  raten". 

Das  ganze  Verfahren  war  so  kraß  ungesetzlich,  daß  die 
Justizkommission  des  Repräsentantenhauses  sich  zur  Unter- 
suchung gezwungen  sah.  Diese  Kommission  berichtete, 
daß  der  Einhaltsbefehl  „eine  Verletzung  der  Verfassungs- 
bestimmungen, einen  Mißbrauch  der  richterlichen  Gewalt 
darstelle  und  ohne  gesetzliche  Kraft  sei";  daß  Jenkins' 
Verfahren  „eine  tyrannische  Anwendung  der  Gewalt  seines 
Gerichtshofes  und  einen  Eingriff  in  die  Rechte  ameri- 
kanischer Bürger  bedeute^)." 

Abgesehen  von  dieser  Anklage  wurde  kein  Strafverfahren 
gegen  Jenkins,  Spooner,  die  Verwalter  oder  irgendeinen  an- 
dern der  Beschuldigten  eingeleitet.  Mittlerweile  hatte  das 
Verbot  den  erwarteten  Dienst,  die  Arbeiter  einzuschüchtern 
und  die  Wirksamkeit  ihres  Streiks  zu  lähmen,  geleistet. 

*)  House  Report  No.  1049,  June  1894,  Second  Session,  Fifty-thlrd  Congrcss. 
Während  dieser  ganzen  Zeit  war  John  S.  Kennedy,  „der  große  Philanthrop",  einer 
der  größten  Aktionäre  dieser  Eisenbahn. 


-  673  - 

Villards  Herrschaft  über  die  Northern  Pacific  wurde 
durch  eine  Verbindung  feindlicher  Kapitalisten  gestürzt^), 
und  Hill  fing  allmählich  an,  als  herrschender  Besitzer  eine 
Rolle  zu  spielen.  Es  ist  hier  angebracht,  zu  bemerken,  daß 
man  behauptete,  Maginnis  sei  heimlich  im  Dienste  von 
Hills  Great  Northern-Eisenbahn  gewesen,  zu  derselben 
Zeit,  als  er  mit  der  Northern  Pacific  im  Kampfe  lag. 

Der  große  Kampf  zwischen  Hill  und  Harriman  im  Jahre 
1901  um  die  Herrschaft  über  die  Northern  Pacific  ist  schon 
in  einem  der  Kapitel  über  J.  Pierpont  Morgan  beschrieben 
worden.  Das  Resultat  von  alledem  war,  daß  die  Hill-Inter- 
essen die  Herrschaft  über  die  Northern  Pacific-Eisenbahn, 
wie  auch  über  die  Great  Northern-Eisenbahn  und  die 
Chicago,  Burlington  und  Quincy  erhielten. 

Nach  Charles  Edward  Rüssel,  der  die  wiederholten  nomi- 
nellen Aktienvermehrungen  der  Great  Northern-Eisenbahn 
sorgfältig  studiert  hat,  haben  Hill,  Kennedy,  Lord  Mount 
Stephen,  Lord  Strathcona  und  andere  Magnaten  aus  den 
Aktienmanipulationen  der  Great  Northern  eine  Gesamt- 
summe von  407  Millionen  Dollar  gezogen.  Rüssel  sagt, 
daß  in  dieser  Summe  nichts  von  Dividenden,  Zinsen  und 
andern  Nebeneinkünften  enthalten  ist.  Diese  haben  allein 
enorme  Summen  erreicht  2).  Eine  von  dem  Senate  des 
Staates  Minnesota  im  Jahre  1907  ernannte  Kommission 
zur  Untersuchung  der  Kapitalisierung  von  Eisenbahnen 
in  Minnesota  berichtete,  daß  diese  Eisenbahnen  mit  un- 
gefähr 400  Millionen  Dollar  oder  mit  ungefähr  50  000  Dollar 

1)  Villard  kaufte  die  New  Yorker  „Evening  Post"j  sein  Verfahren  beim  Er- 
werb dieser  Zeitung  bildete  nicht  nur  eine  Ausnahme,  sondern  einen  starken  Gegen- 
satz zu  dem  von  den  andern  Kapitalisten  unabänderlich  angewandten  Verfahren, 
wenn  sie  Zeitungen  erwarben.  Er  verzichtete  auf  jeden  Einfluß  auf  die  redaktionelle 
Politik  jener  Zeitung,  indem  er  drei  Bevollmächtigten  die  unbeschränkte  Herrschaft 
in  dieser  Beziehung  übertrug.  Er  benutzte  die,,Evening  Post"  niemals,  um  die  Ope- 
rationen in  Wallstreet  zu  beeinflussen.  In  der  Tat  schrieb  er  ihr  keine  einzige  Zeile 
ihrer  Leitartikel  vor.  Anderseits  kritisierten  die  Herausgeber  manchmal  freimütig 
seine  Politik  in  Eisenbahnangelegenheiten.  —  Es  mag  hinzugefügt  werden,  daß 
(nach  des  Verfassers  persönlicher  Kenntnis)  die  New  Yorker  „Evening  Post"  sich  kon- 
sequent geweigert  hat,  sich  in  ihren  redaktionellen  Äußerungen  durch  das  Angebot 
oder  die  Entziehung  regierungsseitiger,  finanzieller  und  anderer  Annoncen  beein- 
flussen zu  lassen.  Sie  hat  ihre  Richtung  beibehalten  trotz  sehr  schwerer,  durch 
die  Entziehung  solcher  Annoncen  entstandener  Verluste. 

2)  „The  Heart  of  the  Railroad  Problem",  Hampton's  Magazine,  May,  1909. 

43. 


-  674  - 

für  die  Meile  kapitalisiert  seien,  während  die  tatsächliche 
Kapitalisation,  bei  einem  durchschnittlichen  Kostenauf- 
wande  von  27  000  Dollar  für  die  Meile,  215  Millionen 
Dollar  betragen  sollte.  Die  Great  Northern-Eisenbahn, 
der  in  Minnesota  2040  Meilen  Strecke  gehörten,  war,  wie 
die  Kommission  berichtete,  sehr  überkapitalisiert.  Die 
Kommission  erklärte,  daß  die  Great  Northern  schätzungs- 
weise einen  jährlichen  Gewinn  von  16^/2  Prozent  gemacht 
habe,  wenn  man  als  Bau-  und  Unterhaltungskosten  für  die 
Meile  33  000  Dollar  zugrunde  legt^).  Die  Northern  Pacific, 
die  ebenfalls  stark  überkapitalisiert  war,  erzielte  nach  dem 
Bericht,  wenn  man  35  000  DoUar  als  Wert  der  Meile  an- 
nimmt, einen  jährlichen  Gewinn  von   12V2  Prozent 2). 

Eine  von  Hills  neusten  Börsenspekulationen  führte  zu 
einem  Prozeß,  indem  er  wegen  groben  Betrugs  verklagt 
wurde.  Am  22.  Juli  1907  wurde  bei  dem  County-Gerichts- 
hof  in  St.  Paul  eine  Klage  von  einem  Aktionär  Clarence 
A.  Venner  eingereicht,  der  behauptete,  daß  am  i .  November 
1900  Hill  als  Präsident  der  Great  Northern-Eisenbahn  und 
andere  der  Beamten  und  Direktoren  einen  Plan  entworfen 
hätten,  um  vereint  mit  der  Northern  Pacific-Eisenbahn 
einen  herrschenden  Einfluß  auf  die  Chikago-,  Burlington- 
und  Quincy-Eisenbahn  zu  erlangen.  In  der  Klage  wurde 
behauptet,  daß  HiU  am  23.  April  1901  von  dem  Direk- 
torium beauftragt  wurde,  die  Burlington  mit  200  DoUar 
für  den  Anteilschein  zu  erwerben,  und  daß  er  dies  im  Verein 
mit  der  Northern  Pacific  vor  dem  i.  Januar  1902  tat,  zu 
welchem  Zwecke  Neben-Trust-Obligationen  von  den  beiden 
Eisenbahnen  ausgegeben  wurden. 

In  der  Klage  wurde  weiter  behauptet,  daß  HiU,  der 
den  Plan,  die  Burlington  durch  die  Aktionäre  der  beiden 
Bahnen  zu  erwerben,  kannte,  in  Verletzung  seiner  Pflicht 
als  Beamter  und  Direktor  der  Great  Northern,  „die  An- 
gelegenheiten besagter  Great  Northern  zu  ihrem  besten 
Vorteil  ehrlich,  fleißig,  getreu  und  sorgfältig  zu  leiten, 
gewisse  ungesetzliche,    unrechte  und  betrügerische  Pläne 

^)  Report  of  the  Committee  of  the  State  Senate  of  Minnesota  Appointed  for 
the  Purpose  of  Investigating  the  Value  and  Cost  of  Operation  of  the  Railroads  of 
the  State  of  Minnesota,  14.       *)  Ebenda. 


-  675  - 

und  Anschläge  entwarf  und  unternahm,  um  für  sich  selbst 
persönlich,  auf  Kosten  und  zum  Verlust  und  Schaden  der 
Great  Northern,  einen  großen  Profit  zu  machen,  indem  er 
eine  große  Menge  des  Aktienkapitals  der  Chikago-,  Burling- 
ton- und  Quincy-Eisenbahngesellschaf t  persönlich  kaufte  und 
kaufen  und  zu  seiner  Verfügung  halten  ließ,  welche  Menge 
dann  von  den  Great  Northern-  und  Northern  Pacific- 
Eisenbahngesellschaften  zu  viel  höheren  Preisen  erworben 
wurde,  als  er  selbst  für  die  Aktien  gezahlt  hatte*'. 

Venner  behauptete  in  seiner  Klage  weiter,  daß  Hill  bei 
dem  Unternehmen  einen  persönlichen  Gewinn  von  mehr  als 
10  Millionen  Dollar  hatte,  und  forderte  Rechnungslegung. 
Wir  sind  nicht  imstande,  Hills  Antwort  oder  das  Resultat 
dieses  Prozesses  festzustellen^). 

Man  soll  jedoch  nicht  annehmen,  daß  die  Geschichte 
von  Hills  wiederholten,  in  gerichtlichen  und  andern  Pro- 
tokollen nacheinander  enthüllten  Taten  seinem  hohen 
Ansehen  nur  im  geringsten  geschadet  hätte.  Überallhin  ver- 
breiten seine  Schmeichler  bei  der  Presse  noch  immer  laut 
ihre  phantastischen,  begeisterten  Beschreibungen  von  ihm, 
wobei  sie  die  wirklichen  Mittel,  durch  welche  er  seinen 
großen  Reichtum  erwarb,  immer  sorgfältig  unerwähnt 
lassen.  Man  hat  viel  von  seiner  Frömmigkeit  geredet.  Daß 
er  zum  Beispiel  500  000  Dollar  zur  Ausstattung  einer 
römisch-katholischen  Kathedrale  in  St.  Paul  hergegeben 
hat.  Viel  wird  unaufhörlich  über  seine  außerordentliche 
Rechtschaffenheit  geschrieben,  seinen  „finanziellen  Scharf- 
sinn" und  seine  „Tugenden  als  Geschäftsmann".  Wenn 
er  spricht,  wird  er  als  ein  wahres  Orakel  gepriesen,  und  mit 

^)  Es  ist  sehr  häufig  die  Beschuldigung  erhoben  worden,  daß  in  den  ganzen 
Vereinigten  Staaten  oft  Eisenbahnanwälte  die  richterlichen  Entscheidungen  in 
Eisenbahnprozessen  ausfertigen.  Viele  solche  eigentümliche  Skandalaffären  sind 
kürzlich  ans  Tageslicht  gekommen.  Erst  kürzlich  erhob  die  Anklagejury  von  Spo- 
kane,  Washington,  gegen  den  Richter  M.  J.  Gordon,  den  früheren  Rechtsbeistand 
der  Great  Northem-Eisenbahn  für  ihren  westlichen  Teil,  Anklagen  wegen  Unter- 
schlagung. Die  Anklagejury  beschuldigte  gleichzeitig  Hill  und  andere  Beamte  der 
Great-Northern-Eisenbahn,  den  Versuch  gemacht  zu  haben,  ihre  Arbeit  zu  hemmen 
und  die  Anklage  gegen  Gordon  zu  hintertreiben,  und  sie  erteilte  ferner  dem  Richter 
Milo  A.  Root  eine  Rüge,  weil  er  Gordon  zur  Zeit,  als  er  Anwalt  der  Great  Northern- 
Eisenbahn  war,  gestattet  habe,  in  einem  Prozeß  mit  dieser  Eisenbahn  ein  Gutachten 
auszufertigen.    Dieses  Gutachten  unterbreitete  Richter  Root  ah  sein  eigenes. 

43* 


-  e-je  - 

Recht,  denn  die  Götter  der  gegenwärtigen  Gesellschaft 
sind  die  „Geldgötter".  Die  Gesellschaft,  die  mit  ungeheuren 
Kosten  Kerker  und  Gefängnisse  für  die  kleinen  Verbrecher 
gebaut  hat,  errichtet  Paläste  für  die  großen  Verbrecher  und 
fährt  fort,  immer  größeren  Reichtum  in  ihre  Truhen  zu 
schütten  und  sie  als  Diktatoren  zu  preisen.  Und  wer  kann 
die  Magnaten  tadeln,  wenn  sie  das  Volk,  das  sie  so  verehrt 
und  das  System,  das  sie  hervorbringt  und  erhält,  verspotten 
und  strafen  ?  Denn  nicht  sie,  sondern  das  System  sollte 
verantwortlich  gemacht  werden. 

Harriman  und  die  Standard  Oil-Company 

Umfassende  Schlußfolgerungen  wären  hier  verfrüht; 
es  bliebe  noch  übrig,  zu  erzählen,  wie  Edward  H.  Harriman 
und  vor  allem  die  Standard  Oil  Company,  für  die  er,  wie 
man  annimmt,  in  so  ausgedehnter  Weise  tätig  war,  in  den 
Besitz  großer  Eisenbahnnetze  gelangten.  Die  Standard 
Oil- Oligarchie  ist  in  der  Tat  der  mächtigste  Eisenbahn- 
besitzer von  allen;  viele  jener  Eisenbahnen,  deren  Anfangs- 
stadium und  Entwicklung  hier  beschrieben  worden  sind, 
gehören  ihr  oder  stehen  unter  ihrer  Herrschaft;  ihr  ist  der 
endgültige  Gewinn  aus  vielen  jener  ursprünglichen  Betrü- 
gereien und  Diebstähle  zugeflossen,  die  zum  Teil  in  diesem 
Buche  geschildert  worden  sind.  Aber  der  Umfang  dieses 
Buches  gestattet  hier  nicht  die  ausführliche  Erzählung 
von  Harrimans  Laufbahn  mit  ihren  Begleiterscheinungen 
enormer  Betrügereien  und  heilsamer  aufbauender  Tätig- 
keit ;  noch  weniger  gestattet  er  die  ausgedehnte  Beschreibung 
davon,  wie  die  Standard  Oil  Company  mit  einigen  Ölraffi- 
nerien den  Anfang  machte  und  es  fertig  brachte,  einen  so 
großen  Teil  der  Güter  der  Vereinigten  Staaten,  ihrer  Eisen- 
bahnen und  anderes  in  Besitz  zu  nehmen.  Diese  Erzählung 
wird  auf  spätere  Bände  verschoben  werden  müssen,  ebenso 
wie  die  Geschichte  der  großen  Vermögen,  die  sich  auf  Staats- 
privilegien, Bergwerke  und  Industrien  gründen.  Nur  der 
Entwicklung  des  Reichtums  von  Andrew  Carnegie  und 
der  Lage  der  Arbeiterschaft  seien  für  die  deutsche 
Ausgabe  noch  einige  ergänzende  Betrachtungen  gewidmet. 


Fünfzehntes  Kapitel 
DAS  CARNEGIE -VERMÖGEN 

Der  große  Philanthrop 

n  den  Annalen  des  amerikanischen  Kapitalismus  gibt 
es  kein  bemerkenswerteres  Beispiel  von  einem  Multi- 
millionär, der  seinen  Namen  fortpflanzt  und  den  Beifall 
der  ganzen  Welt  gewinnt,  indem  er  ungeahnte  Summen 
für  öffentliche  Zwecke  stiftet  —  als  Andrew  Carnegie. 
Noch  vor  wenigen  Jahrzehnten  sah  man  in  der  Stiftung  von 
einer  Million  Dollar,  oder  auch  eines  Teiles  davon,  für 
wohltätige,  religiöse  oder  erziehliche  Zwecke  durch  einen 
Multimillionär  eine  Großtat.  Mit  der  üblichen  Phrase 
des  Tages  begrüßte  man  sie  als  „fürstliche  Gabe"  und  pries 
den  Stifter  als  freigebigen  Philanthropen.  Manche  Leute 
sprachen  freilich  den  Verdacht  aus,  er  würde  sich  für  seine 
Verschwendung  schon  schadlos  halten,  indem  er  die  Preise 
für  die  Waren  erhöhen  oder  dem  Volke  eine  andere  Form 
industrieller  Besteuerung  auferlegen  würde.  Aber  diese 
zynische  Haltung  war  weder  üblich  noch  populär.  Die 
Kreise,  die  von  der  Gunst  und  Güte  der  reichen  Männer 
profitierten,  waren  ja  gerade  diejenigen,  welche  die  öffent- 
liche Meinung  beherrschten.  Kirchen,  Universitäten,  Ver- 
leger und  Politiker  waren  dem  Reichtum  im  großen  Ganzen 
ebenso  unterwürfig  wie  heutzutage. 

Nun  zeigte  sich  unwandelbar  immer  wieder  dieselbe 
Erscheinung:  wie  rücksichtslos  und  brutal  die  Laufbahn 
des  Multimillionärs  auch  gewesen  war,  durch  was  für  fort- 
laufende Betrügereien  und  Räubereien  er  sein  Vermögen 
auch  erworben  haben  mochte  —  sobald  er  einen  Bruchteil 
davon  für  philanthropische  Zwecke  weggab,  durchlief  sein 
Charakter,  soweit  das  breite  Publikum  in  Betracht  kommt, 
eine  vollständige  Wandlung.  Man  bezeichnete  ihn  nicht 
länger  als  den  gierigen  Räuber;  die  Stimmen  derer,  die 
sein  Siegeswagen  zermalmt  hatte,  wurden  von  dem  lauten 
Lobgeschrei  übertönt,  das  seinen  Wohltaten  folgte.   Seine 


-  678  - 

Opfer  wurden  begraben,  und  der  Bericht  von  seinen  Misse- 
taten wurde  obskuren  Strafregistern  anvertraut,  die  mehr 
und  mehr  in  Vergessenheit  gerieten.  Die  Bibliothek  aber 
und  das  Hospital,  die  er  gebaut,  oder  das  Asyl  und  die  Uni- 
versität, die  er  gegründet  oder  beschenkt  hatte,  dauerten 
fort  als  sichtbare,  bleibende  Zeugnisse  seiner  philanthropi- 
schen Güte. 

So  war  die  soziale  Absolution,  so  war  der  erbliche  Glanz 
aristokratischer  Gesinnung  leicht  zu  gewinnen.  Und  gleich- 
zeitig wurden  weit  größere  Vorteile  für  die  ganze  Kapi- 
talistenklasse erzielt :  die  Institutionen,  die  die  Schenkungen 
der  großen  Kapitalisten  annahmen,  wurden  dadurch  der 
sozialen  Ordnung,  die  diese  großen  Vermögen  erzeugte, 
noch  ergebener.  Die  direkten  Schenkungen  baren  Geldes 
waren  bindend  genug;  noch  bindender  aber  waren  die 
Schenkungen  von  Aktien  und  Anteilen,  wodurch  Kirchen, 
Universitäten  und  andere  Institutionen  interessierte  Ver- 
teidiger des  Systems  wurden,  das  den  „sicheren  Papieren", 
aus  denen  ein  so  großer  Teil  ihres  Einkommens  floß,  ihren 
Wert  verlieh. 

Die  Philanthropie  wurde  für  den  amerikanischen  Multi- 
millionär eine  fast  obligatorische  Mode.  Es  verbreitete  sich 
die  allgemeine  Überzeugung  und  Erwartung,  er  müsse  ent- 
weder bei  Lebzeiten  oder  letztwillig  große  Summen  ver- 
teilen. Daß  er  sich,  wenn  er  es  unterließ,  allgemeine  Ver- 
achtung zuzog,  zeigte  sich  schlagend  im  Falle  von  Russell 
Sage,  der  von  seinen  hundert  Millionen  Dollar  auch  nicht 
einen  Dollar  für  philanthropische  Zwecke  gab,  was  seine 
Witwe  dann  wieder  gut  machte,  indem  sie  Millionen  für 
die  Erforschung  der  Ursachen  der  Armut  aussetzte.  Wenn 
man  aber  jeden  aus  der  langen  Reihe  amerikanischer  Multi- 
millionäre, die  erhebliche  Summen  gestiftet  haben,  einen 
großen  Menschenfreund  nennt  —  mit  welchem  Super- 
lativ soll  man  dann  erst  Andrew  Carnegie  bezeichnen  ? 
John  Jacob  Astor  und  Kommodore  Cornelius  Vanderbilt 
gaben  Hunderttausende,  J.  Pierpont  Morgan  und  John 
D.  Rockefeller  viele  Millionen.  Carnegie  aber  hat  seine 
1 50  Millionen  gestiftet  —  man  rechnet  in  der  Tat,  daß  er  bis 
heute  ungefähr  157  Millionen  Dollar  hergegeben  habe  — . 


-  Ö79  - 

und  das  Ende  dieser  verblüffenden  Ergüsse  ist  noch  gar 
nicht  abzusehen.  Seit  seinem  ersten  Auftreten  auf  dem 
Felde  der  Philanthropie  hat  die  lumpige  Stiftung  von  ein, 
zwei,  fünf  oder  zehn  Millionen  Dollar  aufgehört,  Eindruck 
zu  machen.  Es  gibt  oft  zehn  oder  fünfundzwanzig  Millionen 
Dollar  auf  einmal  weg. 

Hat  man  je  etwas  gesehen,  das  diesem  verschwenderischen, 
verblüffenden  Ausstreuen  von  Dollars  auch  nur  im  ent- 
ferntesten gleichkam?  Andere  amerikanische  Multimillio- 
näre haben  ihre  Freigebigkeit  auf  die  Vereinigten  Staaten 
beschränkt,  so  daß  ihr  Ruf  an  die  nationalen  Grenzpfähle 
gebunden  ist.  Carnegie  aber  ist  der  große  internationale 
Stifter:  in  ganz  Amerika  und  Europa  bezeugen  Gebäude 
und  Einrichtungen,  die  seinen  Namen  tragen,  den  weiten 
Kreis,  den  seine  Freigebigkeit  sich  gesteckt  hat. 

In  diesen  Tagen  der  tieferen  Untersuchung  von  Ursache 
und  Wirkung  aber  genügt  es  nicht,  zu  wissen,  daß  Carnegie 
ein  großes  Vermögen  besitzt  und  daß  er  einen  Teil  dieses 
Vermögens  mit  so  königlicher  Verschwendung  verteilt, 
daß  er  sich  bereits  eine  geschichtliche  Stellung  als  unüber- 
troffener Wohltäter  seines  Zeitalters  erkauft  hat.  Die 
brennende  Frage,  die  Erklärung  erheischt,  ist  die:  wie  es 
möglich  ist,  daß  in  einer  Zeit,  wo  Tausende  von  Arbeitern 
in  elender  Armut  dahinleben,  dieser  Mann  seinen  Reichtum 
erwerben  konnte,  einen  so  unermeßlichen  Reichtum,  daß 
selbst  die  Hingabe  von  einigen  200  Millionen  Dollar  ihm 
nichts  Ernstliches  anhaben  konnte.  Ihm  fließt  freilich, 
wie  man  schätzt,  in  jedem  Jahre  ein  Einkommen  von 
25  Millionen  Dollar  zu.  Aber  während  dieser  unaufhörliche 
Strom  von  Gold  in  den  Geldschrank  eines  einzigen  Menschen 
fließt,  der  auch  nur  die  Fähigkeit  eines  einzigen  Menschen 
zu  essen,  zu  trinken  und  zu  schlafen  hat,  bekommen  drei 
Viertel  der  erwachsenen  Männer  in  den  Industrien  der 
Nordost-  und  der  Nordzentral-Partie  der  Vereinigten 
Staaten  augenblicklich  weniger  als  600  Dollar  jährlichen 
Lohn;  und  dasselbe  gilt  von  neunzehn  Zwanzigstel  der 
Frauen  in  diesen  Industrien.  Zehn  und  aber  zehn  Millionen 
Männer  und  Frauen  sind  nach  einem  Leben  voll  harter 
Arbeit  und  schwerer  Entbehrung  in  Armut,  ja  im  Elend 


-  68o  - 

dahingestorben;  Millionen  von  Männern,  Frauen  und  Kin- 
dern fristen  ihr  Leben  in  äußerster  Notdurft  und  sehen  die 
paar  Spargroschen,  die  sie  haben,  durch  Arbeitslosigkeit, 
Krankheit  oder  Alter  dahinschwinden.  Große  Scharen  von 
Männern,  die  für  Carnegie  arbeiten,  haben  nach  Jahren 
voll  grausamen,  aufreibenden  Schuftens  für  sich  und  die 
Ihren  nichts  als  Armut  erschafft. 

Hier  liegt  sicher  ein  Problem,  das  auch  ein  Problem 
bleibt,  weil  diejenigen,  deren  bezahlter  Beruf  es  ist,  diese 
abgründigen  Kontraste  zu  übertünchen  und  Ergebenheit 
zu  predigen,  es  einen  Gemeinplatz  nennen.  Wie  kommt  es, 
daß  dieser  eine  Mensch,  namens  Andrew  Carnegie,  in  der 
Lage  war,  solche  Berge  von  Reichtum  zu  seinem  Privat- 
besitz aufzuhäufen!  Wie  erwarb  der  Handelsfürst,  der 
Trustmagnat,  der  Eisenkönig,  der  „große  Philanthrop" 
diesen  Reichtum,  und  unter  welchen  Verhältnissen? 

Die  Laufbahn 

Vor  dreißig  Jahren  jedoch  hatte  Carnegie  einen  anderen 
Titel :  er  hieß  damals  der  „Eisenmeister"  —  eine  bloß  un- 
gefähre Bezeichnung;  und  doch,  wenn  man  die  Tatsachen 
prüft,  ist  sie  nicht  ganz  vag.  Er  war  nicht  gerade  Meister 
der  Eisen-  und  Stahlindustrie,  denn  er  hatte  bedeutende 
Konkurrenten,  aber  seine  Werke  waren  die  größten,  und 
daher  bekam  er  seinen  Namen.  In  diesem  Namen  „Eisen- 
meister" lag  freilich  mehr:  er  besagte  eigentlich,  daß  er 
seine  Laufbahn  in  der  Produktion  von  Eisen  oder  Stahl 
begonnen  hätte,  daß  er  selber  den  Prozeß  verbessert,  Er- 
findungen gemacht,  neue  Methoden  entdeckt  und  auch 
sonst  jede  Einzelheit  gemeistert  hätte.  Das  war  aber  bloß 
eine  nützliche  Fiktion,  die  vortrefflich  zu  der  herrschenden 
Lehre  stimmte,  Reichtum  käme  von  höherer  Geschicklich- 
keit, tatsächlich  aber  keine  andere  Basis  hatte,  als  daß 
Carnegie  Meister  der  größten  Stahl-  und  Eisenwerke 
x^merikas  war.  Wenn  er  nun,  wie  es  doch  der  Fall  war,  die 
Fabrikation  von  Eisen  und  Stahl  niemals  regelrecht  erlernt 
hatte  und,  als  er  zuerst  finanziell  daran  interessiert  wurde, 
weder    vom    Fabrikationsprozeß    noch    vom    Handel    das 


-  ^8i  - 

geringste  verstand  — ,  wie  war  es  möglich,  daß  er  allmählich 
zu  einer  Höhe  emporstieg,  wo  er  Hauptbesitzer  der  enormen 
Stahlwerke  und  Diktator  der  Industrie  war  ?  Das  wollen 
wir  im  folgenden  erklären. 

Schon  um  1861  war  Andrew  Carnegie  ein  fleißiger  und 
umsichtiger  junger  Geldmacher,  wenn  es  auch  nie  genau 
aufgeklärt  worden  ist,  durch  welchen  modus  operandi  er 
seine  ersten  zehntausend  Dollar  angesammelt  hat.  Er  wurde 
1835  zu  Dumferline  in  Schottland  geboren;  sein  Vater 
war  ein  Damastweber,  der  1848  nach  Amerika  ging,  weil 
daheim  die  Handarbeit  durch  Maschinenarbeit  ersetzt 
wurde.  Mit  seiner  Frau  und  zwei  Söhnen  ging  der  alte 
Carnegie  nach  Pittsburg  und  wohnte  dort  in  einem  kleinen 
Hinterhaus  in  jenem  Stadtbezirk,  der  als  „Slabtown"  be- 
kannt ist.  Dort  verdiente  Vater  Carnegie  seinen  Lebens- 
unterhalt, indem  er  für  den  Vater  von  Henry  Phipps,  der 
nebenan  wohnte,  Schuhe  knüpfte;  die  Mutter  trug  durch 
Wascharbeit  im  Hause  etwas  zum  Verdienst  bei.  Andrew 
wurde  im  Alter  von  vierzehn  Jahren  als  Laufbursche  für 
ein  Spulendrechselgeschäft  in  die  Arbeit  gesteckt  und  be- 
kam drei  Dollar  Lohn  wöchentlich.  Ein  Jahr  später  wurde 
er  Telegraphenbote.  Er  erlernte  das  Telegraphieren  und 
wurde  Telegraphist;  1854  nahm  ihn  Thomas  A.  Scott, 
damals  Oberintendant  der  Westlichen  Abteilung  der  Penn- 
sylvania-Eisenbahn, als  Telegraphisten  in  seine  Dienste. 
In  den  nächsten  neun  Jahren  machte  er  im  Geldverdienen 
rapide  Fortschritte.  Tausend  andere  junge  Leute  verdienten 
fleißig  ihren  Lohn  als  Telegraphisten,  er  aber  war  einer 
der  wenigen,  denen  es  auf  geheimnisvolle  Weise  gelang, 
innerhalb  weniger  Jahre  ein  kleines  Vermögen  zusammen- 
zubringen. Die  Erklärung,  er  habe  es  von  seinem  Lohn 
erspart,  ist  weder  von  seinen  Anbetern  noch  von  ihm  selber 
riskiert  worden.  Die  übliche  Erklärung  ist  die,  er  habe  sich 
mit  Hilfe  von  Scott,  bei  dem  er  sich  beliebt  zu  machen 
wußte,  gewisse  Informationen  verschafft  und  sich  an  ver- 
schiedenen einträglichen  Geschäften  beteiligt. 

Über  Scott  muß  einiges  gesagt  werden.  Niemand  ver- 
stand sich  besser  als  er  auf  die  Wirkung  der  Schmier- 
gelder und  der  Bestechung  von  Beamten  und  Politikern, 


-  682  - 

wenn  auch  viele  Kapitalisten  ihn  durch  die  Größe  derartiger 
Manipulationen  übertrafen.  Beim  Ausbruch  des  Bürger- 
krieges war  Kriegsminister  der  Politiker  und  Eisenbahn- 
spekulant Simon  Cameron,  der  die  korrupte  Staatsmaschine 
von  Pennsylvanien  beherrschte.  Thoraas  A.  Scott  war 
inzwischen  Vizepräsident  der  Pennsylvania-Eisenbahn  — 
oder  Pennsylvania-Zentralbahn,  wie  sie  jetzt  heißt  —  ge- 
worden. Er  ernannte  Andrew  Carnegie  zu  seinem  Assi- 
stenten, der  die  Militärtransporte  und  die  Telegraphen  der 
östlichen  Eisenbahnen  und  Telegraphenlinien  unter  sich 
hatte. 

Die  Erpressungen  und  Betrügereien  in  den  Kontrakten 
der  Kriegsverwaltung  waren  ein  derartiger  Skandal,  daß  das 
Abgeordnetenhaus  eine  besondere  Untersuchungskommis- 
sion dafür  ernannte.  Diese  Kommission  erbrachte  eine 
Menge  Beweise  für  ein  weites  System  von  Betrug,  Be- 
stechung und  Erpressung  im  Ankauf  und  in  der  Beauf- 
sichtigung von  Proviant,  Zelten,  Waffen  und  Munition, 
Kleidern,  Decken  und  anderen  Heeresartikeln,  wovon  vieles 
minderwertig,  verfälscht  oder  wertlos  befunden  wurde. 
Hier  soll  nur  auf  eine  Seite  des  Kommissionsberichtes  ein- 
gegangen werden  —  auf  den  Teil,  der  von  den  ungeheuer- 
lichen Anklagen  handelt,  die  man  gegen  die  Eisenbahnen 
wegen  der  Beförderung  der  Truppen  und  des  Proviants 
erhob. 

Die  Kommission  berichtete,  unter  dem  Regime  von 
Cameron  und  Scott  hätten  die  Eisenbahnen  33  bis  50  Pro- 
zent mehr  an  Frachtgebühren  erpreßt,  als  sie  Privatleuten 
berechneten;  seit  Scotts  Ernennung  hätten  die  Profite 
der  Eisenbahnen  sich  jährlich  verdoppelt  oder  wären  enorm 
gestiegen,  bei  einer  einzigen  Bahn,  der  Pennsylvania- 
Zentralbahn,  seien  sie  1862  um  i  350  237  Dollar  höher 
gewesen  als  im  Jahre  zuvor.  Bei  der  Beförderung  der  Regi- 
menter sei  die  Bestechung  der  Quartiermeister  zugunsten 
gewisser  Linien  durchaus  üblich  gewesen. 

Da  gewisse  schmeichelnde  „Biographien"  bei  der  Dar- 
stellung von  Carnegies  Tätigkeit  als  Eisenbahn-Militäragent 
während  des  Bürgerkrieges  behaupten  (ohne  sich  um  die 
Tatsachen  zu  kümmern),  „in  dieser  Kriegsverwaltung  gab 


-  683  - 

es  keine  Klage  und  keinen  Skandal"  (z.  B.  in  Band  3  der 
Encyclopedia  Americana),  so  wird  es  gut  sein,  hier  ein 
wenig  auf  die  Tatsachen  einzugehen. 

Am  7.  Februar  1862  berichtete  der  Abgeordnete  Charles 
H.  van  Wyck,  der  Vorsitzende  der  Untersuchungskommis- 
sion, über  einige  der  aufgedeckten  Schwindeleien.  Er  er- 
zählte, wie  eine  Firma  einen  Kontrakt  auf  Lieferung  von 
Vieh  für  die  Armee  erhalten  und  sofort  an  eine  Gruppe 
von  Spekulanten  verkauft  hätte,  von  denen  zwei  zu  den 
Eisenbahnlieferanten  und  zu  den  Freunden  Camerons  ge- 
hörten. Diese  Clique  machte  sofort  einen  Profit  von 
32  000  Dollar  auf  2000  Stück  Vieh,  Er  gab  noch  weitere 
Beispiele.  „Die  Obersten  stecken  mit  den  Lieferanten  unter 
einer  Decke,  vergeben  die  Aufträge  an  Günstlinge,  kaufen 
Artikel  und  lassen  falsche  Rechnungen  ausstellen."  „Eine 
weitere  Unverschämtheit,"  so  fuhr  er  fort,  „war  es,  dem 
Kriegsministerium  zwei  Cent  pro  Meile  für  Truppen- 
transporte und  ansehnliche  Preise  für  Gepäck  und  Pferde 
anzurechnen."  Die  Profite  waren  so  enorm,  daß  die  Eisen- 
bahngesellschaften im  Westen  1500  bis  2500  Dollar  an  fast 
jedes  Regiment  bezahlten  für  das  Recht,  es  zu  befördern. 
,,Es  ist  doch  seltsam,"  sagt  von  Wyck  ironisch,  „daß  der 
Kriegsminister  (Cameron),  der  doch  selbst  durch  lange 
Erfahrung  und  Beobachtung  mit  dem  Eisenbahnwesen 
vertraut  ist  und  sich  eines  mit  Eisenbahnen  vertrauten 
Freundes  erfreut  (Scott),  den  Eisenbahngesellschaften 
solche  Summen  bewilligte,  daß  sie  für  die  Erlangung  der 
Truppentransporte  Tausende  vergeuden  konnten.  Züge,  die 
nicht  so  schnell  gingen  und  oft  nicht  bessere  Wagen  hatten 
als  Auswandererzüge,  berechneten  sie  doppelt  so  hoch! 
Wußte  Cameron  nicht,  daß  jeder  Passagier  auf  acht  Pfund 
Gepäck  Anspruch  hatte  ?  Aber  das  Gepäck,  das  mit  den 
Truppen  befördert  wurde,  ist  noch  extra  berechnet  worden." 
Nachdem  er  noch  weitere  Einzelheiten  angeführt  hatte, 
erklärte  van  Wyck:  „Die  Piraten,  die  den  Ozean  unsicher 
machen,  verdienen  den  Abscheu  der  Menschheit  nicht  mehr 
als  die  Bande,  die  sich  auf  dem  Lande  von  dem  Schweiß 
der  Armen  und  dem  Blut  der  Tapferen  mästet." 

William  G.  Holman,  ein  anderes  Mitglied  der  Unter- 


-  684  ~ 

suchungskommission,  lieferte  am  29.  April  1862  weitere 
Einzelheiten.  „Der  Präsident  der  Nördlichen  Zentral- 
bahn," sagte  er,  „ist  der  Schwager  von  Simon  Cameron, 
und  Vizepräsident  der  Gesellschaft  ist  sein  Sohn.  William 
Colder,  der  größte  Pferdelieferant  der  Regierung,  ge- 
hört der  Bankfirma  Cameron,  Colder,  Ely  &  Co.  an,  von 
der  auch  Cameron  Mitglied  war  und  welche  Gelder  in 
Höhe  von  800  000  Dollar  beschaffte,  um  die  Lieferung  aus- 
zuführen, die  Simon  Camerons  Heeresverwaltung  seinen 
Kompagnons  gesichert  hatte."  So  bestand  eine  wundervolle 
Verbindung  zwischen  den  Eisenbahnen  von  Pennsylvanien 
und  der  Heeresverwaltung;  Scott  bekam  sein  Gehalt  von 
der  Pennsylvaniabahn  und  gleichzeitig  sein  Gehalt  von  der 
Regierung  als  Superintendant  des  Transportwesens  und 
als  Kriegsminister.  „Diese  Beschäftigung  von  Thomas 
A.  Scott  hat  die  Regierung  Hunderttausende,  ja  Millionen 
Dollar  gekostet."  Und  Carnegie  war  Scotts  hilfreicher 
Agent. 

Es  ist  eine  bekannte  Tatsache,  daß  Andrew  Carnegie 
während  des  Bürgerkrieges  (unter  anderen  Geschäfts- 
projekten) finanziell  an  einem  Projekt  beteiligt  war,  im 
Feldlager  Marketendergeschäfte  zu  errichten,  und  weiter- 
hin an  einem  Konzern  zur  Lieferung  von  Kavalleriepferden 
an  die  Regierung.  Beide  Unternehmungen  warfen,  wie  wir 
gesehen  haben,  lockende,  ja  exorbitante  Profite  ab.  Doch 
die  näheren  Umstände  der  Beziehungen  Carnegies  zu  diesen 
Projekten  sind  in  Dunkel  gehüllt,  und  die  benutzbaren 
Berichte  werfen  kein  Licht  auf  diesen  Punkt:  es  war  bei 
den  Spekulanten  und  Lieferanten  durchaus  üblich,  sich 
heimlich  an  Projekten  zu  beteiligen,  bei  denen  ihre  Namen 
niemals  offen  auftauchten. 

Gerade  in  diesen  Jahren,  1861 — 1862,  als  er  die  mili- 
tärischen Geschäfte  der  Eisenbahnen  und  Telegraphen- 
linien leitete,  bereitete  Andrew  Carnegie  sich  auf  seine 
Rolle  als  künftiger  Kapitalist  vor.  Er  selbst  hat  seinen  ersten 
Kapitalbesitz  damit  erklären  wollen,  daß  er  sagte,  er  habe 
ihn  von  Banken  geliehen.  Es  ist  aber  bezeichnend,  daß  er 
und  seine  Biographen  es  direkt  vermeiden,  diesen  Teil 
seiner  Laufbahn  zu  Anfang  des  Bürgerkrieges  zu  beschreiben 


-  685  - 

und  auf  die  verblüffenden  Enthüllungen  der  Untersuchungs- 
kommission  von  1862  einzugehen.  Sogar  Herr  James  H. 
Bridge,  der  zu  jener  Zeit  sein  Privatsekretär  war  und  der 
sich  in  seinem  Buche  über  die  Entwicklung  der  Carnegie- 
Werke  durchaus  anständig  zeigt,  scheint  von  den  Beziehun- 
gen zwischen  Scott  und  Carnegie  während  des  Bürgerkrieges 
und  von  dem  Kommissionsbericht  von  1862  keine  Ahnung 
zu  haben.  Die  Kommission  konstatiert  im  besonderen, 
daß  die  Tabelle  der  Frachtgebühren,  die  den  Eisenbahnen 
so  enorme  Profite  zuwies,  von  Scott  festgesetzt  worden 
war,  und  fügte  hinzu,  diese  vielen  Millionen  Dollar,  die  der 
Regierung  so  auf  schwindelhafte  Weise  abgenommen 
wurden,  wären  „aus  dem  geplünderten  Staatsschatz  der 
Vereinigten  Staaten  gekommen,  zu  einer  Zeit,  wo  die 
Arbeitskraft  und  die  Geldquellen  bis  zum  Äußersten  be- 
steuert werden  mußten,  um  den  Krieg  weiterführen  zu 
können".  Carnegie  bekleidete  eine  wichtige  Inspektions- 
stelle bei  diesen  Transporten,  und  es  kann  ihm  nicht  ver- 
borgen geblieben  sein,  was  für  Riesenschwindeleien  zum 
Besten  seiner  Brotherrin,  der  Pennsylvania-Eisenbahn,  mit 
der  er  bis  1865  in  Verbindung  geblieben  ist,  begangen 
wurden. 

Ohne  Kenntnis  von  diesen  wichtigen  Transaktionen  er- 
klärt Bridge  die  ersten  Kapitalanhäufungen  Carnegies  damit, 
daß  er  sagt,  Carnegie  habe  vor  1863  in  verschiedenen  außer- 
halb liegenden  Unternehmungen  mit  Hilfe  seines  Chefs, 
Herrn  Scotts,  oft  „Geld  gemacht".  Bevor  wir  auf  diese 
„Unternehmungen"  eingehen,  wird  es  gut  sein,  noch  einen 
Blick  auf  Scotts  Manipulationen  zu  werfen. 

Es  war  derselbe  Scott,  der  so  hervorragend  tätig  war  als 
Mitglied  einer  Gruppe  amerikanischer  und  kanadischer 
Kapitalisten,  die  1873  den  Plan  faßten,  sich  von  der  Re- 
gierung Kanadas  auf  korrupte  Weise  eine  Gerechtsame 
und  eine  große  Beihilfe  an  Geld  und  Grund  und  Boden  im 
Umfang  von  fünfzig  Millionen  Morgen  zum  Bau  der  Kana- 
dischen-Pacific-Eisenbahn  zu  sichern.  In  dem  Skandal  und 
der  Untersuchung,  die  den  Fall  der  Regierung  Sir  John  A. 
Macdonalds  herbeiführte,  gab  Sir  Hugh  Allan,  das  Ober- 
haupt   der    amerikanisch-kanadischen    Kapitalistengruppe, 


-  686  - 

zu,  daß  er  insgesamt  350  000  Dollar  zur  schwindelhaften 
Wahl  der  Mitglieder  jener  Regierung  beigesteuert  hatte. 

Es  war  derselbe  Scott,  der  als  Direktor  der  Union-Pacific 
und  der  Kansas-Pacific-Bahn  mit  Jay  Gould,  Sydney  Dillon 
und  anderen  Kapitalisten  zur  selben  Zeit  assoziiert  war, 
als  sie  die  gigantischen  Schwindeleien  verübten,  die  ich 
erzählt  habe.  Für  die  Durchbringung  der  Nachtragsakte 
des  Kongresses  vom  Juli  1864  haben  die  Männer  von  der 
Union-Pacific-Bahn  436  000  Dollar  an  Bestechungsgeldern 
und  Honoraren  verteilt,  um  sich  von  der  Regierung  eine 
Beihilfe  von  16  000  bis  48  000  Dollar  pro  Meile  und  eine 
Bewilligung  von  Grund  und  Boden  im  Umfang  von  zwölf 
Millionen  Morgen  zu  sichern;  und  diese  Bestechungen 
waren  nur  der  Anfang  einer  langen  Reihe  von  Schwin- 
deleien und  Schmiergeldern,  nachdem  Jay  Gould  ans  Ruder 
gekommen  war. 

Es  war  derselbe  Scott,  der  1876  als  Haupt  einer  Kapi- 
talistengruppe mit  dem  Eisenbahnmagnaten  CoUis  P, 
Huntington  einen  wütenden  Konkurrenzkampf  kämpfte, 
indem  er  den  Kongreß  mit  reichlichen  Summen  bestach, 
um  im  Südwesten  ein  Transportmonopol  zu  erhalten. 
Scott  beherrschte  die  Texas-  und  Pacific  -  Eisenbahn, 
Huntington  die  Southern  Pacific-Bahn.  Die  Einzelheiten 
dieses  Kampfes  sind  in  dem  Kapitel  über  das  „Pacific- 
Quartett"  erzählt. 

In  den  rutinierten  Biographien  von  Andrew  Carnegie 
ist  von  seiner  Tätigkeit  als  Superrevisor  der  Truppen-  und 
Provianttransporte  keine  Rede,  und  auch  die  wichtige  Tat- 
sache wird  nicht  erwähnt,  daß  er  diese  Tätigkeit  genau  zu 
derselben  Zeit  ausübte,  als  er  bei  Gesellschaften  wie  der 
Woodruff-Schlafwagengesellschaft,  der  Columbia-Ölgesell- 
schaft  und  anderen  Konzernen  Teilhaber  wurde.  Bridge 
versichert,  Carnegie  habe  seine  Anteile  an  diesen  beiden  Ge- 
sellschaften von  Scott  als  Gratifikation  erhalten,  sagt  aber 
nicht,  für  welche  Dienste.  Ein  anderer  Bericht  sagt, 
Carnegie  habe  den  Erfinder  Woodruff  bei  Scott  eingeführt 
und  so  den  Anstoß  zur  Gründung  der  Woodruff-Schlaf- 
wagengesellschaft gegeben. 

Was  die  Columbia-Ölgesellschaft  betrifft,  so  wird  gleich- 


-  68;  - 

falls  behauptet,  Carnegie  habe  Scott  und  J.  Edgar  Thomp- 
son, den  Superintendanten  der  Pennsylvania-Bahn,  ver- 
anlaßt, mit  ihm  für  40  000  Dollar  die  Storey-Farm  an  der 
Ölbucht  in  Pennsylvanien  zu  kaufen,  wo  Petroleum  ge- 
funden worden  war.  In  der  Folge  hätten  die  Aktien  der 
Gesellschaft  einen  Gesaijitwert  von  5  Millionen  Dollar 
gehabt,  und  in  einem  Jahre  hätte  sich  die  Bardividende  auf 
mehr  als  i  Million  Dollar  belaufen.  Diese  Gesellschaft 
produzierte  freilich  öl  und  besaß  eine  Raffinerie  zu  Bayonne 
in  New-Jersey,  aber  ihre  großen  Profite  scheint  sie  mehr  mit 
schwindelhaften  Spekulationen  als  anderswie  erzielt  zu 
haben.  Nach  einer  Entscheidung  des  Kammergerichts  von 
Pennsylvanien  vom  Jahre  1865  mißbrauchten  die  Gründer 
und  Direktoren  der  Gesellschaft,  die  mit  10  000  Anteilen 
gegründet  worden  war,  das  Kapital  zu  Spekulationen. 
Einer  der  Aktionäre,  Coleman,  reichte  Klage  ein  wegen 
Unterschlagung  seines  Anteils,  das  Kammergericht  von 
Pennsylvanien  wies  seine  Klage  jedoch  ab  mit  der  Begrün- 
dung, er  habe  selber  an  dem  Schwindel  teilgenommen. 
Die  Columbia-Ölgesellschaft  ist  lange  als  tote  Gesellschaft 
geführt  worden. 

Eine  bezeichnende  Geschichte  über  Carnegies  Methoden 
zu  dieser  Zeit  wird  uns  von  Bridge  erzählt.  Carnegie  habe 
sich  unter  vie^.en  Freundschaftsbeteuerungen  „gütigst  herbei- 
gelassen", an  Thomas  N.  Miller  einige  Anteile  der  Columbia- 
Ölgesellschaft  „zum  Selbstkostenpreis"  zu  verkaufen,  und 
zwar  betrug  dieser  Selbstkostenpreis  6,3772  Dollar  pro  An- 
teil. Später  glaubte  Miller  Grund  zu  der  Meinung  zu 
haben,  Carnegie  habe  ihn  erheblich  übers  Ohr  gehauen.  Die 
Gewißheit  bekam  er  freilich  erst  viel  später  —  1896,  als  er 
in  den  Besitz  der  alten  Bücher  der  Columbia-Ölgesellschaft 
gelangte  und  im  Protokoll  der  Gesellschaft  einen  Bericht 
darüber  fand,  daß  Andrew  Carnegie  unter  Protest  der  an- 
dern Aktionäre  die  Anteile  für  je  zwei  Dollar  gekauft  hatte. 

Diese  drei  Jahre  des  Bürgerkrieges  —  1861  bis  1863  — 
waren  sicherlich  einträgliche  Zeiten  für  Andrew  Carnegie. 
Außer  den  bereits  erwähnten  Unternehmungen  steckte  er 
tief  in  einer  Anzahl  anderer  kapitalistischer  Projekte.  Dazu 
gehörte  der  Plan  einer  Telegraphenlinie  längs  der  Pennsyl- 


-  688  - 

vania-Bahn,  einer  Eisenbahnbau-  und  einer  Brückenbau- 
Gesellschaft.  Ferner  die  Entenbucht-Ölgesellschaft,  die 
Birmingham-Pferdebahn,  die  Pittsburger  Entkörnungs- 
gesellschaft,  die  Dritte  Nationalbank  von  Pittsburg,  die 
Dutton-Ölgesellschaft,  die  Bürger-Eisenbahn  und  eine  ganze 
Liste  anderer  Unternehmungen. 

Um  1863  war  Carnegie  zu  Scotts  früherer  Stellung  als 
lokaler  Superintendant  der  Pennsylvania-Bahn  zu  Pittsburg 
befördert  worden.  Sein  um  neun  Jahre  jüngerer  Bruder, 
Thomas  M.  Carnegie,  war  sein  Assistent. 

Carnegies  Kompagnons 

Carnegie  war  achtundzwanzig  Jahre  alt,  als  er  zuerst  mit 
der  Eisenbahnindustrie  in  Verbindung  kam.  Diese  Ver- 
bindung war  eine  rein  zufällige  und  schrieb  sich  lediglich 
von  einer  Geldsumme  her,  die  er  in  einem  kritischen  Augen- 
blick in  das  Geschäft  zu  legen  imstande  war.  Im  Jahre  1858 
hatten  Andrew  und  Anton  Kloman,  zwei  Brüder,  die  aus 
Treves  in  Preußen  eingewandert  waren,  zu  Girtys  Run  in 
Duquesne,  einem  Marktflecken  Pennsylvaniens,  eine  kleine 
Schmiede  errichtet,  ein  primitives  Unternehmen  mit  einer 
kleinen  Maschine  und  einem  hölzernen  Hammer,  das  als 
Spezialität  aus  Ramaßeisen  Radachsen  herstellte  und  an 
Eisenbahnen  und  Wagenbauer  verkaufte. 

Eine  der  Eisenbahnen,  die  von  den  Brüdern  Kloman 
kaufte,  war  die  Pittsburg-,  Fort  Wayne-  und  Chikago-Bahn, 
die  jetzt  einen  wesentlichen  Teil  der  Pennsylvania-Bahn 
bildet.  Der  Angestellte,  der  den  Kauf  besorgte,  war  Tho- 
mas N.  Miller,  ein  junger  Mann  von  vierundzwanzig  Jahren, 
der  die  Bedeutung  des  Geldverdienens  sehr  wohl  einsah 
und  gegen  die  üblichen  Methoden  keineswegs  allzu  emp- 
findlich war. 

Das  wachsende  Geschäft  der  Klomans  erforderte  1859 
eine  Kapitalserhöhung,  und  Andrew  Kloman  verfiel  auf 
eine  glänzende  Idee.  An  wen  konnte  man  sich  besser  wenden 
als  an  Miller  ?  Konnte  man  Miller  dazu  bewegen,  1 600  Dollar 
gegen  ein  Drittel  der  Anteile  in  den  Eisenwerken  anzulegen, 
so  hieß  das,  daß  Miller  als  Einkäufer  einer  großen  Eisenbahn 


-  689  - 

natürlich  größere  Aufträge  für  die  Werke  sammeln  würde, 
an  denen  er  beteiligt  war.  Obgleich  alle,  oder  fast  alle 
Hauptbeamten  der  Eisenbahn  sich  in  ähnlicher  Weise  be- 
mühten, Anteile  von  den  Firmen  oder  Gesellschaften  zu 
bekommen,  von  denen  sie  als  Eisenbahnbeamte  kauften, 
soll  Miller  Zweifel  geäußert  haben,  ob  er  dasselbe  tun  dürfe. 
Er  war  eben  noch  sehr  jung  und  sehr  schüchtern.  Endlich 
aber  verfiel  er  doch  auf  einen  Ausweg,  durch  den  er  um  den 
delikaten  Punkt  herumkam :  er  habe,  sagte  er,  einen  Freund, 
Henry  Phipps,  der  als  nomineller  Teilhaber  fungieren  könne. 
Phipps  war  damals  gerade  zwanzig  und  jagte  eifrig  nach 
Geld.  Sein  Vater  war  ein  Schuhmacher  und  versuchte  ver- 
gebens, 1600  Dollar  aufzutreiben.  Jedenfalls  streckte  Miller 
schließlich  die  ganze  Summe  vor  unter  der  Abmachung, 
Phipps  solle  ihm  die  Hälfte  des  Kapitals  von  seinen  Profiten 
zurückzahlen  und  dafür  die  Hälfte  der  Zinsen  einstecken. 
Soweit  Miller  in  Betracht  kam,  schützte  er  sich  vor  einer 
peinlichen  Untersuchung,  indem  er  seinen  Anteil  auf 
Phipps'  Namen  eintragen  ließ. 

Mit  Millers  Geld  und  seinen  Beziehungen  dehnte  das 
Geschäft  der  Gebrüder  Kloman  sich  aus.  Sie  stellten  einen 
weiteren  Hammer  ein,  der  sehr  gebraucht  wurde,  denn 
Miller  brachte  Aufträge  von  seiner  Eisenbahn  in  Hülle  und 
Fülle  und  empfahl  die  Klomans  bei  verschiedenen  Wagen- 
baufirmen: eine  Empfehlung,  auf  die  man  etwas  geben 
mußte. 

Nun  brach  der  Bürgerkrieg  aus,  und  damit  begann  eine 
wahnsinnige  Nachfrage  nach  Munition,  Munitionswagen 
und  anderen  Ausrüstungsgegenständen  und  schleuniger 
Beförderung  derselben.  Aufträge  von  den  Eisenbahnen 
strömten  nur  so  herbei,  und  der  Verkaufspreis  von  Rad- 
achsen sprang  von  zwei  auf  zwölf  Cent  das  Pfund.  Noch 
größere  Profite  warfen  die  Lieferungskontrakte  mit  der  Re- 
gierung ab.  Die  dringende  Notwendigkeit,  eine  plötzlich 
geschaffene  Armee  und  Flotte  zu  bewaffnen  und  aus- 
zurüsten, erforderte  die  allergrößte  Hast  in  der  Vergebung 
großer  Aufträge.  Exorbitante  Preise  wurden  verlangt  und 
gezahlt;  gerade  während  des  Bürgerkrieges  wurden  die 
kolossalsten  Bestechungen  ausgeführt,  wodurch  sich  sowohl 

44 


—  690  — 

die  Lieferanten  wie  auch  die  Regierungsbeamten,  die  sich 
diese  Erpressungen  gefallen  ließen,  enorm  bereicherten. 
Die  Gebrüder  Kloman  gaben  die  Achsenfabrikation  auf  und 
konzentrierten  sich  auf  die  Regierungsaufträge. 

Von  einem  Teil  der  Profite,  die  auf  diese  Weise  herbei- 
strömten, bauten  sie  ein  neues  Eisenwalzwerk  an  der 
29.  Straße  in  Pittsburg,  auf  einem  Grundstück,  das  sie  für 
jährlich  324  Dollar  auf  zwanzig  Jahre  mieteten,  und  er- 
höhten das  Kapital  auf  80  000  Dollar.  Die  Einnahmen  einer 
Walzmühle  waren  damals  enorm;  zwischen  1860  und  1864 
stieg  der  Preis  für  gewalztes  Eisen  von  58  Dollar  auf 
146  Dollar  die  Tonne,  obgleich  der  Preis  des  Roheisens  nur 
von  22  Dollar  auf  59  Dollar  die  Tonne  stieg.  Um  1863  hatte 
Miller  genug  Geld  beisammen,  um  Anton  Kloman  seinen 
Anteil  für  20  000  Dollar  abkaufen  zu  können.  Diese  Zession 
beunruhigte  seinen  Bruder  Andrew,  weil  er  glaubte,  es 
seien  Pläne  im  Gange,  ihn  gleichfalls  auszukaufen. 

Nun  entstand  ein  Streit  zwischen  Miller,  Andrew  Kloman 
und  Phipps,  von  denen  jeder  den  anderen  stark  verdächtigte, 
er  wolle  ihn  übervorteilen.  Anscheinend  hatte  Phipps  auf 
Millers  Anregung  einen  Anteil  ihres  gemeinsamen  Gut- 
habens an  einen  beiderseitigen  Freund,  William  Cowley, 
für  8500  DoUar  verkauft.  Cowley  war  in  der  Armee  an 
Typhus  gestorben,  worauf  Miller  den  Anteil  Cowleys  aus 
dessen  Nachlaß  zurückgekauft  hatte.  Darüber  ärgerten  sich 
sowohl  Kloman  wie  Phipps,  und  Kloman  verdächtigte  auch 
den  Phipps.  Die  Streitigkeiten  wurden  so  bösartig,  daß  man 
eine  Art  Schiedsrichter  anrief,  um  die  Sache  wieder  einzu- 
renken. 

Man  wählte  Carnegie.  Dieser  kam  und  lenkte  die  Sache 
allmählich  so,  daß  er  einen  Teilhaber  nach  dem  anderen 
vollständig  hinaus-  oder  in  den  Hintergrund  drängte  und 
sich  zum  Herrn  der  Anlagen  machte,  die  sich  zu  der  un- 
geheuren Stahlfabrik  und  großenteils  zu  dem  Stahltrust 
der  späteren  Tage  entwickelten. 

Als  Schiedsrichter  war  er  offenbar  deshalb  angerufen 
worden,  weil  er  sowohl  mit  Miller  als  mit  Phipps  befreundet 
war.  Er  hatte  in  der  Tat  zu  einer  Gruppe  ehrgeiziger  junger 
Leute  gehört,  die  aus  Miller,  John  Phipps  (dem  Bruder  von 


—  691  — 

Henry  Phipps)  und  Cowley  bestand  und  mit  einer  anderen 
Gruppe  aus  Henry  Phipps,  Thomas  Carnegie  (dem  Bruder 
Andrews),  Henry  W.  Oliver  und  gewissen  anderen  liiert  war, 
lauter  strebsamen  Jünglingen,  die  schnell  Geld  machen 
wollten,  die  Intrigen  des  Geschäftslebens  noch  nicht  so 
kannten  und  daher  anfangs  ein  gewisses  Vertrauen  in- 
einander hatten.  Daher  wurde  Andrew  Carnegie  als  Freund 
der  Streitenden  gebeten,  den  Streit  in  freundschaftlicher 
Weise  zu  schlichten. 

Carnegie  selbst  hat  freilich  am  10.  und  11.  Januar  1912 
als  Zeuge  vor  der  (Stanley-)  Kongreßkommission,  die  den 
Stahltrust  untersuchen  sollte,  eine  andere  Darstellung  seiner 
frühen  Laufbahn  gegeben.  Er  sagte,  er  sei  mit  der  Eisen- 
branche zuerst  im  Jahre  1861  in  Verbindung  getreten,  als 
er  sich  mit  einer  Firma,  namens  Miller  &  Small,  assoziierte, 
und  1862  habe  er  von  der  Pittsburger  Nationalbank 
1500  Dollar  geliehen,  um  sie  als  Teilhaber  bei  der  „Schluß- 
stein-Brückengesellschaft" anzulegen,  was  fünf  oder  sechs 
seiner  Bekannten  auch  getan  hätten.  „1863  bauten  wir  in 
Pittsburg  ein  weiteres  Werk,  und  1864  "^^^  i^^  einer  der 
Gründer  der  ,Edelerz-Mühle  und  Schmelzanlage*.  1866 
bauten  wir  die  Lokomotivenwerke  in  Pittsburg  und  1867 
nahmen  wir  zwei  weitere  Walzwerke  in  Pittsburg  hinzu. 
Das  war  der  Anfang  des  Carnegie-Stahltrustes."  Er  be- 
zeugte ferner,  er  und  seine  Gesellschafter  hätten  damals  sehr 
wenig  Kapital  gehabt :  „zu  verschiedenen  Zeiten  legten  wir 
jeder  20  000  oder  30  000  Dollar  ein".  Aber  in  Einem  Atem 
damit  fügte  er  hinzu,  allein  die  Edelerz-Mühle  habe  damals 
oder  etwas  später  500  000  Dollar  Kapital  gehabt. 

Wo  und  wie  er,  ein  junger  Mann  von  26  Jahren,  noch  in 
Diensten  der  Pennsylvania-Bahn,  es  fertig  brachte,  das 
Kapital  aufzutreiben,  das  ihn  instand  setzte,  sich  zu  solch 
einem  Kapitalisten  auszudehnen,  das  zu  erklären  hütete  er 
sich  wohl,  und  die  bedachtsame  Kommission  hütete  sich 
ebenso  sorgfältig,  ihn  allzu  angelegentlich  danach  zu  fragen. 
Es  ist  jedenfalls  Tatsache,  daß  sein  Zeugnis  voller  Erinne- 
rungsfehler ist,  wie  wir  wohlwollend  sagen  wollen.  Er  ist 
erst  1863  in  die  Eisenbranche  eingetreten,  und  die  „Schluß- 
stein-Brückengesellschaft"   kann    er    nicht    gut    1862   ge- 

44* 


—  692  — 

gründet  haben,  da  sie  erst  im  April  1865  ins  Leben  gerufen 
worden  ist. 

Es  waren  nicht  bloß  die  sogenannten  Tatsachen,  die  er 
angab,  zum  großen  Teil  erdichtet,  sondern  es  waren  auch 
gerade  die  Einzelheiten,  die  er  ausließ,  das  eigentlich  Wich- 
tige. Nachdem  ein  einziger  Mensch  420  bis  500  Millionen 
Dollar  angesammelt  hat,  ist  es  dringend  wünschenswert,  zu 
wissen,  wie  dieses  Vermögen  entstanden  ist.  Aber  gerade 
hier  haben  sich  Vorgänge  abgespielt,  die  der  Magnat  nicht 
enthüllen  und  nicht  enthüllt  haben  möchte;  nachdem  er, 
im  Besitze  eines  riesigen  Privatvermögens,  ein  ehrwürdiges 
Alter  erreicht  hat,  liegt  es  in  seinem  Interesse  und  in  seiner 
Eitelkeit,  es  als  durch  ehrliche  Methoden  und  überlegene 
Geschicklichkeit  erworben  hinzustellen.  Verlangt  aber 
jemand  einen  weiteren  Beweis  für  die  Wertlosigkeit  von 
Carnegies  eigenem  Bericht,  so  brauchen  wir  bloß  darauf  hin- 
zuweisen, daß  er  im  Laufe  seiner  Aussage  vor  der  Unter- 
suchungskommission ernsthaft  behauptete,  er  habe  keine 
Ahnung  von  dem  Inhalt  des  Shermanschen  Anti-Trust- 
gesetzes von  1892  gehabt.  Also  von  dem  wichtigsten  Han- 
delsgesetz der  Vereinigten  Staaten,  das  Kombinationen  jeder 
Art  zur  Beschränkung  des  Handels  verbietet  und  das  sogar 
die  Füchse  auf  unseren  Handelshochschulen  kennen,  be- 
hauptete Carnegie,  ein  Multimillionär  und  Besitzer  von 
Stahlwerken,  Minen  und  Eisenbahnen,  er  habe  zwar  „von 
seiner  Annahme  gehört",  habe  aber  geglaubt,  es  beziehe  sich 
nur  auf  Eisenbahnen!  Die  Juristen  der  Carnegie-Stahl- 
gesellschaft, so  erklärte  er  feierlich,  hätten  ihm  niemals  ge- 
sagt, daß  es  seinen  eigenen  Handel  beträfe!  Wir  weisen  auf 
diese  Tatsache  hin,  nur  um  zu  zeigen,  wie  lächerlich  seine 
Aussage  war. 

Um  aber  den  Faden  unserer  Erzählung  wieder  aufzu- 
nehmen: Als  Carnegie  von  Kloman,  Miller  und  Phipps 
gebeten  wurde,  ihre  Streitigkeiten  zu  schlichten,  erzeugte 
sein  Dazwischentreten  nur  neuen  Zwist,  und  nach  Bridge 
entschied  er  dahin,  Miller  sei  als  Hauptursache  der  Uneinig- 
keit auszuschließen.  Unterm  i.  September  1863  wurde 
zwischen  den  Teilhabern  eine  neue  Vereinbarung  getroffen, 
wonach  Miller  als  Sonderteilhaber  mit  einem  Sechstel  an 


-  693  - 

der  neuen,  auf  den  Namen  Kloman  und  Phipps  lautenden 
Gesellschaft  beteiligt  war;  der  Vertrag  enthielt  eine  Klausel, 
die  Miller  unter  Protest  unterzeichnete,  wonach  seine  Teil- 
haberschaft mit  einer  Frist  von  sechzig  Tagen  gekündigt 
werden  konnte. 

Nur  wenige  Monate  später  zeigte  sich  die  wahre  Be- 
deutung dieser  Klausel :  ihm  wurde  gekündigt,  er  hatte  sich 
in  einer  gesetzlichen  Schlinge  gefangen  und  konnte,  da  er 
den  Vertrag  unterzeichnet  hatte,  nichts  tun,  als  vergeblich 
protestieren.  Es  stellte  sich  heraus,  daß  der  Friedensengel 
bei  dieser  Abmachung  zur  Austreibung  Millers  geschickt 
intrigiert  hatte,  um  sich  selbst  als  Teilhaber  in  das  Unter- 
nehmen hineinzuschmuggeln.  Er  tat  es  nicht  direkt :  er  lieh 
seinem  Bruder  Thomas  M.  Carnegie  die  nötigen  Gelder, 
damit  er  als  Teilhaber  eintreten  könne,  und  kalkulierte, 
wie  er  seinerzeit  selbst  zugab,  daß  bei  Millers  Aus- 
scheiden die  Hälfte  seines  Anteils  an  der  Eisenschmelze  auf 
Thomas  M.  Carnegie  überschrieben  würde.  Miller  konnte 
nichts  dagegen  tun. 

Auf  diese  Art  erzwangen  die  Brüder  Carnegie  ihren  Ein- 
tritt in  die  Eisenindustrie.  Keiner  von  beiden  war  in  dieser 
Branche  in  die  Lehre  gegangen;  keiner  von  beiden  hatte  die 
geringsten  technischen  oder  sonstigen  Kenntnisse  vom 
Prozeß  der  Eisenbereitung.  Die  Geschicklichkeit  Andrew 
Carnegies  zeigte  sich  lediglich  in  seiner  Funktion  als 
„Friedensstifter",  indem  er  die  Zwistigkeiten  der  Teilhaber 
untereinander  zu  seinem  Vorteil  auszunutzen  wußte.  Bei 
einer  derartigen  Sachlage  war  es  für  ihn  verhältnismäßig 
leicht,  aus  der  Eifersucht  und  Geldgier  der  anderen  zu 
profitieren,  besonders  da  er  über  das  zu  erfolgreichen  Eisen- 
unternehmungen nötige  Kapital  verfügte.  Seine  Verbin- 
dungen mit  dem  Eisenbahnwesen  und  ähnlichen  Geschäfts- 
zweigen sowie  seine  Stellung  als  Beamter  setzten  ihn  in- 
stand, eine  große  Ausdehnung  der  Eisenindustrie  voraus- 
zusehen. Er  erkannte,  wie  diese  Ausdehnung  sich  auf  höchst 
vorteilhafte  Weise  in  Geld  umsetzen  ließ,  wenn  man  die 
interessierten  hohen  Eisenbahnbeamten  als  „stille  Teil- 
haber" ins  Geschäft  aufnahm  und  sich  von  ihnen  Aufträge 
besorgen  ließ,  an  deren  Ausführung     sie  einen  pekuniären 


-  694  - 

Anteil  hatten.  Alles  das  erkannte  er  klar.  Es  wirft  gewiß 
ein  helles  Licht  auf  Carnegies  Geschicklichkeit  oder  auf 
Millers  Mangel  an  Einsicht,  wenn  dieser  nach  seinem  Hinaus- 
wurf sich  mit  Carnegie  und  anderen  zur  Gründung  der 
Zyklopen-Eisenmühlen  zu  Pittsburg  in  der  33.  Straße  zu- 
sammentat, um  mit  Kloman-Phipps  zu  konkurrieren.  Wir 
können  daraus  schließen,  daß  Carnegie  die  verschiedenen 
Schritte,  die  zu  Millers  Hinauswurf  aus  den  Kloman- Werken 
führten,  so  umsichtig  getan  hatte,  daß  Miller  die  Kunst- 
griffe Carnegies  immer  noch  nicht  durchschaute.  Nicht 
weniger  erbaulich  als  Symptom  für  die  Geschäftsmethoden 
jener  Zeit  ist  die  Tatsache,  daß  Carnegie  ein  Konkurrenz- 
unternehmen gegen  die  Klomanschen  Städtischen  Eisen- 
schmieden gründete,  bei  denen  er  selbst  ,, stiller"  Teil- 
haber war.  Wie  wir  aber  sehen  werden,  führte  Carnegie 
dabei  einen  kühnen  und  offenbar  wohlbedachten  Plan  aus. 
Es  sollte  die  Zeit  kommen,  wo  er,  der  ursprünglich  nur 
als  erbetener  Schiedsrichter  auf  der  Bildfläche  erschienen 
war,  die  volle  Herrschaft  über  die  ganze  Eisen-  und  Stahl- 
industrie im  Pittsburger  Distrikt  erlangte.  Er  besaß  eine 
bemerkenswerte  Gabe,  die  wärmste  Freundschaft  und  Hoch- 
achtung für  Leute  zu  beteuern,  auf  deren  Kosten  er  in  dem- 
selben Augenblick  seine  eigenen  Interessen  durchsetzte.  Das 
allein  aber  hätte  nicht  genügt.  Er  verstand  es  auch,  sich 
vor  allem  der  Hilfe  des  Gesetzes  zu  bedienen,  d.  h.  gesetz- 
licher Abmachungen  und  Verträge,  die  er  so  raffiniert  ab- 
faßte, daß  der  arme  Teilhaber  oder  Erfinder  nachher  ge- 
wöhnlich erkannte,  er  könne  gesetzlich  gegen  Carnegie 
nichts  machen,  da  er  sich  durch  den  Vertrag,  den  er  so  ver- 
trauensselig unterzeichnete,  die  Hände  gebunden  hatte. 
Gewöhnliche  Juristen  genügten  für  Carnegie  nicht;  er 
brauchte  mit  allen  Hunden  Gehetzte,  und  der  beste  Beweis 
für  ihre  Geschicklichkeit  ist  die  Tatsache,  daß  selten  jemand 
gegen  Carnegie  einen  Prozeß  riskierte.  Ein  Teilhaber  nach 
dem  anderen  verließ  ihn  unfreiwillig  und  voller  Wut  und 
Groll,  aber  die  Prozeßberichte  wird  man  vergebens  nach 
Klagen  durchsuchen  —  bis  auf  ein  oder  zwei  Fälle,  auf  die 
wir  sogleich  eingehen  wollen.  Was  Thomas  M.  Carnegie 
betrifft,  so  war  er  ein  Mann,  der  keinerlei  überwältigende 


-  695  - 

finanzielle  Fähigkeiten  besaß,  wohl  aber  eine  außerordent- 
lich überzeugende  Art  und  Weise,  die  mit  jedem  Einwand 
fertig  wurde.    Die  Brüder  ergänzten  einander  vortrefflich. 

Den  Zyklopen-Werken  ging  es  schlecht;  da  sie  niemand 
hatten,  der  etwas  vom  Eisenwesen  verstand,  konnten  sie 
mit  den  Städtischen  Eisenschmieden  nicht  wirksam  kon- 
kurrieren. Weder  Miller  noch  Andrew  Carnegie  konnten  sie 
erfolgreich  leiten;  keiner  von  beiden  hatte  die  geringste 
mechanische  Fertigkeit.  Da  es  mit  der  Mühle  schnell  bergab 
ging,  erhob  sich  die  dringende  Frage,  wie  man  sie  loswerden 
könnte. 

Das  erreichte  man  bald  durch  eine  Verschmelzung,  die 
so  trefflich  eingefädelt  wurde,  daß  sie  Andrew  Carnegie  in 
seinem  Ehrgeiz,  eine  beherrschende  Stellung  für  sich  zu 
erreichen,  einen  Schritt  weiter  brachte. 

Thomas  M.  Carnegie  redete  in  seiner  einschmeichelnden 
Weise  so  lange  auf  Kloman  und  Phipps  ein,  bis  sie  sich  zu 
einer  Verschmelzung  der  Zyklopen-Eisenwerke  mit  ihrem 
eigenen  Unternehmen  verstanden;  sein  Hauptargument  war 
die  Notwendigkeit  einer  Kapitalserhöhung,  und  nicht 
minder  schlagend  war  seine  Versicherung,  Andrew  Carnegie 
wäre  bereit,  50  000  Dollar  zur  Verteilung  an  die  Teilhaber 
der  Kloman-Werke  vorzustrecken. 

Es  wurde  ein  Vertrag  abgeschlossen,  wonach  eine  neue 
Gesellschaft,  die  „Union-Eisenmühlen-Gesellschaft",  ge- 
gründet werden  soUte,  welche  die  Städtischen  Eisenschmie- 
den mit  150000  Dollar  und  die  Zyklopen-Eisenwerke  mit 
50  000  Dollar  übernehmen  und  500  000  Dollar  Kapital  be- 
sitzen sollte.  Für  die  Einhändigung  der  Zyklopen-Eisen- 
werke sollten  Andrew  Carnegie,  Miller  und  andere  aus  ihrer 
Gruppe  etwas  weniger  als  die  Hälfte  der  Anteile  an  der 
neuen  Gesellschaft  bekommen,  und  Kloman  sollte  Leiter  der 
Gesellschaft  bleiben.  Das  war  der  Inhalt  des  Vertrages  vom 
I.  Mai  1865. 

Um  diese  Zeit  war  der  Bürgerkrieg  vorbei,  und  damit  be- 
gann für  die  Eisenbahnen  und  ähnliche  Unternehmungen 
eine  glänzende  Periode.  Die  Eisenbahnen  im  Süden,  die 
von  den  Truppen  der  Union  zerstört  worden  waren,  mußten 
wieder  aufgebaut  werden;  in  den  weiten  Territorien  west- 


-  696  - 

lieh  des  Mississippi  wurden  große  transkontinentale  Eisen- 
bahnen projektiert  und  zur  Ausführung  gebracht.  Durch 
diesen  Antrieb  fielen  den  Eisenleuten  mehr  als  große  Auf- 
träge für  Eisenbahnartikel  zu.  Obgleich  eiserne  Brücken 
eine  keineswegs  neue  Erfindung  waren,  hatte  man  die 
Eisenbahnen  mit  solcher  Eile  und  Geldgier  erbaut,  daß  es 
viele  Holzbrücken  gab,  die  häufige  und  schwere  Unfälle  im 
Gefolge  hatten.  Die  Eisenbahnkapitalisten  sahen  jetzt  ein, 
daß  eiserne  Brücken  wegen  ihrer  Dauerhaftigkeit  sich  zu 
guter  Letzt  doch  mehr  rentierten  —  eine  Einsicht,  die  ihnen 
nicht  so  sehr  aus  dem  Verlust  an  Menschenleben  kam,  als 
aus  dem  Skandal,  der  darauf  folgte,  und  aus  dem  Untergang 
rollenden  Materials. 

Es  gab  in  Pittsburg  eine  Eisenbrückenfirma  namens 
Piper  &  Schißler.  Einen  Monat  vor  Gründung  der  Union- 
Eisenmühlen  hatte  Carnegie  auch  bei  der  Gründung  einer 
,, Schlußstein- BrückengeseUschaft"  zur  Übernahme  der 
Werke  von  Piper  &  Schiffler  eine  wichtige  Rolle  gespielt. 
Das  war  ein  äußerst  vorteilhaftes  Geschäft.  Die  Schlußstein- 
Brückengesellschaft  kaufte  alles  Material  von  den  Union- 
Eisenmühlen,  deren  Verdienste  enorm  in  die  Höhe  gingen. 
Andrew  Carnegie  war  dabei  mehr  Teilhaber,  Gründer  und 
finanzieller  Hintermann  als  Leiter,  aber  diese  Interessen- 
verknüpfung vermehrte  sein  Ansehen  und  sein  Vermögen 
beträchtlich.  Das  wahre  Haupt  der  Union-Eisenmühlen- 
Gesellschaft  war  Andrew  Kloman,  der  wohl  in  der  allmäch- 
tigen Wissenschaft  finanzieller  Manipulationen  versagte, 
dafür  aber  die  Überwachung  der  technischen  Einzelheiten 
beim  Eisenschmieden  verstand  und  ein  ausgesprochenes 
mechanisches  Talent  für  Verbesserungen  besaß.  Kloman 
war  es,  der  die  Maschinen  und  Methoden  so  vervollkomm- 
nete, daß  die  Stangen  so  dick  gerollt  werden  konnten,  wie 
es  für  den  Brückenbau  nötig  war.  Er  war  auf  seinem  Platz 
unentbehrlich,  er  war  der  Mann,  der  die  Mühlen  wirklich 
leitete.  Carnegie  wußte  wohl,  daß  die  Zeit  noch  nicht  ge- 
kommen war,  einen  so  nützlichen  und  nötigen  Mann  wie 
Kloman  hinauszusetzen. 

Die  Zeit  war  jedoch  höchst  günstig,  um  Miller  zu 
verdrängen.     Konnte  Miller  überredet    oder    gezwungen 


-  697  - 

werden,  seine  Anteile  zu  verkaufen,  so  mußte  Carnegies 
Einfluß  auf  die  Union-Eisenmühlen  noch  wachsen.  1867 
brach  zur  guten  Stunde  ein  Streit  aus,  oder  vielmehr  eine 
Neuauflage  des  alten,  geschickt  aufgefrischten.  Miller  hatte 
eine  besondere  Wut  auf  Phipps  und  weigerte  sich,  mit  ihm 
und  gewissen  anderen  Männern,  gegen  die  er  einen  Groll 
hatte,  an  den  Versammlungen  der  Direktoren  teilzunehmen. 
Die  Transaktion  mit  der  Columbia-Ölgesellschaft,  die  Car- 
negie ihm  vermittelt  hatte,  nagte  auch  an  seinem  Gemüt. 
Inzwischen  gab  sich  Carnegie  die  größte  Mühe,  Miller  zum 
Verkauf  seiner  Union-Eisenmühlen-Aktien  zu  bringen. 
Gleichzeitig  machte  er  Miller  die  größten  Freundschafts- 
beteuerungen und  erklärte  ihm  nach  Bridge  in  einem  Briefe 
vom  4.  September  1 867,  der  Anteil  habe  keinen  großen  Wert 
und  er  selber  sei  froh,  wenn  er  den  seinen  loswerden 
könnte,  wenn  ihm  jemand  dafür  nur  27,40  Dollar  pro  Aktie 
geben  würde.    Er  besaß  damals  1600  Aktien. 

Miller  fand  seine  Stellung  als  Teilhaber  bei  den  Union- 
Eisenwerken  immer  unerträglicher  und  schaute  sich  nach 
jemand  um,  der  ihm  seinen  Anteil  abkaufen  würde. 
Andrew  Carnegie  erbot  sich  in  zuvorkommender  Weise, 
jemand  zu  finden.  Schließlich  erschien  einer  auf  der  Bild- 
flät  h  i,  den  Miller  für  einen  gewissen  David  A.  Stewart  hielt 
und  dem  er  seine  Aktien  schließlich  für  je  32  Dollar  ver- 
kaufte. Zu  seiner  Überraschung  und  Kümmernis  erfuhr  er 
aber  bald,  daß  der  wirkliche  Käufer  kein  anderer  war  als 
Andrew  Carnegie  selber!  Der  Anteil,  den  Miller  verkaufte, 
umfaßte  gewisse  Aktien,  die  er  vorher  von  einem  Herrn 
Matthews  gekauft  hatte.  Auf  diese  Weise  vergrößerte 
Andrew  Carnegie  seinen  Anteil  auf  fast  vierzig  Prozent  aller 
ausgegebenen  Aktien  der  Union-Eisenwerke. 

Miller  war  jetzt  vollständig  abgesägt,  und  Carnegie  war 
in  seinem  Streben,  sich  der  Eisenwerke  zu  bemächtigen, 
einen  großen  Schritt  weiter  gekommen. 

Nun  aber  trat  in  der  Eisenindustrie  ein  Zwischenfall  oder, 
besser  gesagt,  ein  Ereignis  ein,  das  deutlich  bewies,  es  sei 
keineswegs  nötig,  tüchtige  mechanische  Aufseher  zu  Teil- 
habern zu  haben;  es  zeigte  sich  klar,  daß  die  erfindenden 
Mechaniker  einfach  als  Werkmeister  oder  in  einer  sonstigen 


-  698  - 

Eigenschaft  gemietet  werden  konnten,  in  der  sie  ein  Gehalt 
bekamen,  aber  in  keiner  Weise  Sitz  und  Stimme  in  der 
Direktion  besaßen. 

Vom  kapitalistischen  Standpunkte  war  das  eine  großartige 
Entdeckung.  Danach  konnten  also  industrielle  Anlagen 
gänzlich  von  Gründern  und  Finanzleuten  besessen  und  be- 
herrscht werden.  Es  war  belanglos,  ob  sie  von  den  techni- 
schen Herstellungsprozessen  etwas  verstanden  oder  davon 
bloß  die  unvollkommensten  Laienkenntnisse  besaßen.  Die 
Männer,  die  darin  geschickt  und  erfahren  waren,  konnte 
man  als  Revisoren  oder  Werkmeister  engagieren  und  sie 
Kontrakte  unterzeichnen  lassen,  wonach  für  ihr  Gehalt  alles, 
was  sie  in  der  Zeit  ihrer  Beschäftigung  erfanden  und  ent- 
deckten, unumschränktes  Eigentum  der  Gesellschaft  werden 
sollte. 

Der  Zwischenfall,  der  zu  dieser  neueren  Organisations- 
methode führte  —  ein  Zwischenfall,  der  Carnegie  und  seinen 
Teilhabern  viele  Millionen  Dollar  einbrachte  —  trug  sich 
in  der  Folge  von  Arbeiterunruhen  zu.  Die  Union-Eisen- 
werke und  andere  Eisenfabrikations-Unternehmungen  ver- 
langten, daß  die  „Vulkan-Söhne",  eine  Vereinigung  von 
Eisenpuddlern,  in  eine  Lohnherabsetzung  einwilligten.  Man 
begründete  diese  Forderung  damit,  daß  die  Eisenpreise  ge- 
fallen seien.  Die  Puddler  weigerten  sich.  Es  waren  intelli- 
gente Leute,  die  wohl  wußten,  daß  die  Gesellschaft  bei 
ihrer  Ausgabe  von  Aktien,  wofür  teilweise  nicht  ein  Dollar 
Anlagekapital  gezahlt  worden  war,  große  Profite  eingesackt 
hatte.  Sie  sahen  auch,  daß  die  Aktienschieber  an  der  Spitze 
der  Werke  reich  geworden  waren,  während  sie,  die  Puddler, 
für  einen  Lohn  arbeiten  mußten,  der  in  keinem  Verhältnis 
stand  zum  Verkaufspreis  der  Eisenprodukte,  die  sie  erzeug- 
ten. Deshalb  wollten  sie  sich  die  Lohnherabsetzung  nicht 
gefallen  lassen.    Die  Folge  war  die  Aussperrung  von  1867. 

Aber  die  Eisenkapitalisten  hatten  einen  Plan  bereit, 
die  Arbeitervereinigung  zu  bekämpfen  und  zu  schlagen. 
Ein  Plan,  der  später  in  indirekter  Weise  mit  gleichem  Er- 
folge von  der  Carnegie-Stahlgesellschaft  und  ihrer  Nach- 
folgerin, dem  Stahltrust,  angewandt  wurde  und  bereits 
von  den  Wollmühlen  Neu-Englands  benutzt  worden  war. 


-  699  - 

Man  schickte  einfach  Agenten  nach  Europa,  damit  sie 
billige  Arbeitskräfte  aufstöberten.  Damals  gab  es  keine 
gesetzliche  Schranke  gegen  die  offene  und  direkte  Aus- 
führung dieses  Planes ;  erst  viele  Jahre  später  wurde  das  Ge- 
setz angenommen,  das  die  Einführung  Fremder  unter 
Kontrakt  verbietet. 

Ein  buntscheckiges  Gemisch  von  europäischen  Arbeitern 
aller  Nationalitäten  wurde  importiert.  Viele  waren  Eng- 
länder, Iren  und  Leute  aus  Wales,  die  an  viel  niedrigere  Be- 
zahlung und  Lebenshaltung  gewöhnt  waren  als  die  ameri- 
kanischen Arbeiter;  ein  großer  Teil  bestand  auch  aus 
Deutschen,  die,  da  sie  kein  Englisch  verstanden,  den  Union- 
Eisenmühlen  überwiesen  wurden,  wo  Andrew  Kloman, 
selbst  ein  Deutscher,  ihnen  in  ihrer  Muttersprache  Befehle 
geben  konnte.  Einer  von  diesen  importierten  Deutschen 
war  ein  besonders  tüchtiger,  begabter  Mann,  namens  Jo- 
hannes Zimmer,  der  in  einer  deutschen  Eisenmühle  ge- 
arbeitet hatte.  Er  gab  Kloman  eine  Beschreibung  von  einer 
gewissen  Art  von  Walzwerken,  die  in  Deutschland  üblich 
waren  und  Platten  lieferten,  wie  sie  damals  in  Amerika  gänz- 
lich unbekannt  waren  —  Platten  von  verschiedener  Größe 
mit  glatten  Rändern.  Kloman  baute  nach  Zimmers  Beschrei- 
bung ein  derartiges  Walzwerk,  das  gerollte  Platten  von  ver- 
schiedener Dicke  und  Größe  produzierte.  Carnegies  Gesell- 
schaft machte  sich  diese  Erfindung  ruhig  zu  eigen,  eine  Er- 
findung, die  von  Anfang  an  einen  Bombenerfolg  brachte  und 
später  in  dem  riesigen  Plattenwalzwerk  zu  Homestead  aus- 
genutzt wurde.  „Diese  kleine  Idee  des  deutschen  Arbei- 
ters," schreibt  Bridge,  „hat  der  Firma,  die  ihn  an  die  Stelle 
eines  Ausständigen  gesetzt  hatte,  Millionen  eingetragen. 
Was  Zimmer  selbst  betrifft,  so  bestand  sein  Lohn  in  einer 
gut  bezahlten  Stellung  als  Obmann  des  Walzwerkes,  das  er 
gebaut  hatte,  und  der  folgenden  verbesserten  Auflagen  da- 
von. Er  sparte  Geld  und  soll  bei  seinem  Tode  mehr  als 
100  000  Dollar  besessen  haben." 

Das  war  aber  nicht  der  einzige  Fall  der  frechen  Aus- 
nutzung einer  deutschen  Erfindung.  Phipps  machte  als 
finanzieller  Regent  der  Union-Eisenwerke  häufige  Reisen 
nach  Europa,  mehr  in  der  Absicht,  der  Gesellschaft  aus- 


—  yoo  — 

ländische  Absatzmärkte  zu  eröffnen,  als  zu  anderen  Zwecken. 
Aber  er  verpaßte  keine  Gelegenheit,  sich  mit  jedem  neuen 
Verfahren  und  jeder  neuen  Erfindung  bekannt  zu  machen, 
wovon  er  zu  hören  bekam.  Er  besichtigte  die  europäischen 
Eisenwalzwerke,  prüfte  jede  Einzelheit  aufs  genaueste  und 
wählte  davon,  was  ihm  wertvoll  erschien.  So  beobachtete  er 
einmal,  als  man  ihm,  ohne  Verdacht  zu  hegen,  die  Freund- 
lichkeit erwies,  ihm  die  Besichtigung  eines  deutschen  Werkes 
zu  gestatten,  daß  durch  einen  gewissen  dort  angewandten 
Prozeß  eine  große  Ersparnis  in  bezug  auf  die  Haufen  alten 
Schieneneisens,  die  zur  Bereitung  der  Eisenbalken  in  den 
Hochofen  geworfen  werden  mußten,  erzielt  wurde.  Ohne 
Zögern  skizzierte  er  sich  die  Methode  und  führte  sie  nach 
seiner  Rückkehr  nach  Pittsburg  dort  anstatt  des  bis  dahin 
üblichen  Verfahrens  ein.  Man  sagt,  die  Firma  habe  seitdem 
jeden  Tag  so  viel  gespart,  wie  seine  Reise  nach  Europa  ge- 
kostet hatte. 

Nun  wurde  die  Firma  geändert:  am  i.  Dezember  1870 
gründeten  Kloman,  Phipps  und  die  Brüder  Carnegie  die 
Firma  Kloman,  Carnegie  &  Co.  Ein  paar  Monate  später 
begannen  sie  mit  dem  Bau  des  berühmten  Hochofens 
,,Lucie"  an  der  59.  Straße  in  Pittsburg.  Dieser  Hochofen 
war  so  leistungsfähig,  daß  er  mit  der  Erzeugung  von 
350  Tonnen  Roheisen  wöchentlich  begann  —  was  man 
damals  kaum  für  möglich  gehalten  hatte  —  und  dreizehn 
Jahre  später  sogar  800  Tonnen  täglich  produzierte.  Und 
dieser  Ofen  war  es,  dessen  Einrichtung  Kloman  in  finanzielle 
Schwierigkeiten  stürzte,  die  Andrew  Carnegie  die  vermut- 
lich lang  erwartete  Gelegenheit  boten,  ihn  hinauszuwerfen. 

Wie  hoch  Carnegies  Reichtum  sich  damals  genau  belief  — 
das  zu  ermitteln,  ist  unmöglich.  Doch  floß  seine  wachsende 
Macht  nicht  bloß  aus  seinem  persönlichen  Einkommen, 
sondern  auch  aus  der  Kühnheit,  mit  der  er  vorging,  und  be- 
sonders daraus,  daß  er  die  Interessen  großer  Kapitalisten 
mit  seinen  Plänen  zu  verflechten  wußte.  So  vermittelte  er 
der  Schlußstein-Brückengesellschaft  noch  vor  ihrer  Grün- 
dung eine  Fülle  von  Aufträgen  und  von  Frachtermäßigun- 
gen, indem  er  sich  mit  den  höchsten  Beamten  der  Pennsyl- 
vania-Bahn in  Verbindung  setzte.  J.  Edgar  Thompson,  der 


—    JOl    — 

Präsident  dieser  Bahn,  war  ein  bedeutender  Aktionär  der 
Brückengesellschaft;  er  fürchtete  sich  freilich  so  sehr  vor 
der  öffentlichen  Kritik,  die  ihn  dieserhalb  angreifen  könnte, 
daß  er  die  Aktien  auf  den  Namen  seiner  Frau  eintragen 
ließ;  er  gab  der  Gesellschaft  große  Aufträge.  Auch  der 
Vizepräsident  der  Bahn,  Thomas  A.  Scott,  war  im  geheimen 
Aktionär  der  Gesellschaft,  ebenso  auch  gewisse  andere  ein- 
flußreiche Beamte  der  Bahn.  Natürlich  benutzten  sie  ihre 
hohen  Stellungen  bei  der  Pennsylvania-Bahn,  um  die 
Produkte  der  Schlußstein -Brückengesellschaft  bei  den 
Beamten  der  anderen  Bahnen  aufs  wärmste  zu  empfehlen. 

Die  Schlußstein-Brückengesellschaft  rühmte  sich  dieser 
weiten  Beziehungen  zu  Eisenbahnen  in  ihren  Annoncen 
und  zählte  die  Bahnen  auf,  für  die  sie  Aufträge  ausführte : 
es  waren  die  Pennsylvania-,  die  Nördliche  Zentral-,  die 
Nord-Missouri-,  die  Illinois-Zentral-,  die  Baltimore-Ohio-, 
die  New-Jersey-Zentralbahn  und  viele  andere.  Sie  rühmte 
ihre  schmiedeeisernen  Brücken,  „Patent  Linville  und  Piper". 
Linville  war  noch  1877  ihr  Präsident,  und  Piper  blieb  lange 
ihr  Hauptleiter;  Andrew  Carnegie  aber  hielt  sich  im  Hinter- 
grund und  operierte  durch  seinen  Bruder  Thomas,  der 
Schatzmeister  der  Schlußstein-Gesellschaft  war. 

So  brauchte  die  Schlußstein -Brückengesellschaft  nicht 
wie  viele  andere  Unternehmungen  mit  dem  Kleinen  und 
Ungewissen  zu  beginnen  und  nach  Aufträgen  herumzu- 
tappen ;  sie  erfreute  sich  schon  bei  ihrer  Geburt  einer  hohen, 
einflußreichen  Gönnerschaft.  Und  diese  Gönnerschaft  ge- 
reichte nicht  bloß  ihr  selbst  zum  Vorteil,  sondern  wirkte  in 
großem  Maße  auch  zugunsten  der  Union-Eisenwerke,  von 
denen  die  Schlußstein-Gesellschaft  ihren  Bedarf  an  Roh- 
eisen bezog.  Für  Carnegie  aber  war  seine  Herrschaft  über 
die  Schlußstein-Gesellschaft  ein  höchst  wertvolles  Hilfs- 
mittel in  seinem  ständigen  Streben,  auch  die  Union-Eisen- 
werke unter  seine  Botmäßigkeit  zu  bringen;  konnte  er 
seinen  Mitteilhabern  bei  den  Union-Eisenwerken  im  kriti- 
schen Moment,  wenn  sie  gewisse  Dinge  nicht  tun  wollten, 
nicht  immer  damit  drohen,  die  Brückengesellschaft  würde 
ihren  Eisenbedarf  anderwärts  decken  ? 

Parallel  mit  dem  Umschwung,  der  sich  in  der  Leitung 


—    702    — 

der  Union-Eisenwerke  vollzog,  lief  ein  ähnlicher  Vorgang 
bei  der  Schlußstein -Brückengesellschaft.  Genau  wie  die 
Unionwerke  ursprünglich  unter  den  Gebrüdern  Kloman  ein 
Unternehmen  gewesen  waren,  das  persönlich  von  Besitzern 
geleitet  wurde,  die  in  der  Branche  technische  Erfahrung  be- 
saßen, dann  aber  unter  die  Herrschaft  von  Leuten  geraten 
war,  die  lediglich  als  Geschäftsmänner  und  Geldgeber  ge- 
kommen waren  —  genau  so  wurde  die  ursprüngliche  Firma 
Piper  &  Schiffler  durch  die  Schlußstein-Gesellschaft  er- 
setzt. 

Piper  war  ein  Mann  von  großer  technischer  Begabung, 
der  andauernd  Erfindungen  auf  dem  einen  oder  auf  dem 
anderen  Gebiet  ausbrütete.  Sein  Kompagnon  Schiffler  war 
„ein  guter  Antreiber",  d.  h.  er  verstand  mit  den  Arbeitern 
umzuspringen  und  die  äußerste  Leistung  aus  ihnen  heraus- 
zuquetschen. Beide  Kompagnons  hatten  gleichzeitig  im 
Eisenbahnbau  gearbeitet;  den  Piper  hatte  Carnegie  schon 
1858  in  Altona  kennen  gelernt,  wo  Carnegie  damals  bei  der 
Pennsylvania-Bahn  bedienstet  war.  Den  Dienst  bei  dieser 
Bahn  gab  Carnegie  erst  1865  auf,  gerade  im  Gründungs- 
jahr der  Schlußstein -Brückengesellschaft.  Sobald  diese 
Gesellschaft  gebildet  war,  wurden  sowohl  Piper  wie 
Schiffler  zu  Handlangern  heruntergedrückt.  Es  ist  nicht  zu 
leugnen,  daß  die  großen  Kapitalien,  die  in  die  Schlußstein- 
Gesellschaft  gesteckt  wurden,  hauptsächlich  der  Gewißheit 
einträglicher  Aufträge  durch  Thompson,  Scott  und  andere 
Eisenbahnbeamte  zu  danken  waren.  Bridge,  der  als  persön- 
licher Sekretär  Carnegies  Zugang  zu  gewissen  privaten  Doku- 
menten hatte,  versichert,  Carnegie  hätte  seine  Hauptanteile 
an  der  Brückengesellschaft  lediglich  als  Gratifikation  für 
seine  Dienste  bei  der  Gründung  erhalten,  ohne  daß  er  dafür 
einen  Pfennig  bezahlt  hätte;  da  ihm  diese  Anteile  aber  nicht 
genügten,  habe  er  zur  Erlangung  weiterer  Aktien  einen 
Schuldschein  gegeben,  zu  dessen  Bezahlung  die  vier  ersten 
Dividenden  hingereicht  hätten. 

Wie  durch  die  Binnenhandels-Kommission  der  Ver- 
einigten Staaten  1906  festgestellt  wurde,  billigte  J.  Edgar 
Thompson  als  Präsident  der  Pennsylvania-Eisenbahn  es  auch, 
daß  hohe  Eisenbahnbeamte  Geld  bei  Kohlengesellschaften 


-  703  - 

anlegten  —  dieselben  Beamten,  die  den  Konkurrenten  dieser 
Kohlengesellscliaften  Frachtwagen  verweigern  und  ihre 
Sendungen  verbummeln  oder  sie  sonstwie  benachteiligen 
konnten.  Nach  dem  Kommissionsbericht  bekamen  viele 
Beamte  Aktien  geschenkt  oder  so  gut  wie  geschenkt,  weil 
es  den  Gesellschaften  nützlich  schien,  oder  dafür,  daß  sie 
ihre  Namen  als  Förderer  solcher  Gesellschaften  hergaben. 

Das  Krisenjahr  1873  war  für  Carnegie  eine  günstige  Zeit. 
Am  IG.  Januar  191 2  bezeugte  er  vor  der  Untersuchungs- 
kommission des  Senats  über  Stahltruste,  dieses  Jahr  hätte 
viele  von  seinen  Kompagnons  gezwungen,  an  ihn  zu  ver- 
kaufen, und  in  diesem  Jahre  hätte  er  die  Herrschaft  über  die 
Stahlindustrie  errungen.  Wenn  Carnegie  gewollt  hätte, 
so  hätte  er  dies  gut  durch  sein  Verhalten  gegen  Andrew 
Kloman  illustrieren  können.  Kloman  hatte  sich  heftig  bei 
zwei  Schmelz-  und  Erzminen-Gesellschaften  in  Michigan 
engagiert,  die  ihm  vorgestellt  hatten,  sie  könnten  ihm  genug 
Eisenerz  für  die  „Lucie"  liefern.  Diese  Gesellschaften  ge- 
rieten im  Krisenjahr  1873  in  Konkurs.  In  seiner  relativen 
Geschäftsunkenntnis  hatte  Kloman  gemeint,  es  wären  Ge- 
sellschaften mit  beschränkter  Haftung,  jetzt  aber  merkte  er, 
daß  er  sich  tiefer  engagiert  hatte,  als  er  dachte.  Es  war 
höchst  wahrscheinlich,  daß  die  Gläubiger,  wenn  sie  wollten, 
ihm  auch  noch  die  Zinsen  von  anderen  Gesellschaften,  an 
denen  er  beteiligt  war,  wegnehmen  würden. 

Da  kam  Andrew  Carnegie  als  der  treue  Freund  in  der  Not 
und  machte  Kloman  schließlich  das  Anerbieten,  er  solle  ihm 
für  die  Zeit  der  Auseinandersetzung  mit  seinen  Gläubigern 
seine  Anteile  bei  der  Gesellschaft  zedieren  und  während  die- 
ser Zeit  als  Angestellter  mit  5000  Dollar  Gehalt  arbeiten, 
um  dann  wieder  in  den  Vollgenuß  seiner  Teilhaberschaft  ein- 
zutreten. Kloman  nahm  dieses  Anerbieten  an  und  arbeitete 
drei  Jahre  lang  für  5000  Dollar  jährlich,  immer  in  der 
Hoffnung,  bald  wieder  voller  Teilhaber  zu  sein.  Endlich 
gelang  es  ihm,  sich  mit  seinen  Gläubigern  auf  Zahlung  der 
Hälfte  seiner  Verbindlichkeiten  zu  einigen.  Wie  erstaunt 
und  bestürzt  war  er,  als  er  erfuhr,  seine  Abmachung  mit 
Andrew  Carnegie  habe  nicht  die  geringste  gesetzliche  Gültig- 
keit!   Er  konnte  nichts  machen,  als  die  100  000  Dollar  an- 


-  704  - 

nehmen,  die  Carnegie  ihm  als  seine  Anteile  an  den  verschie- 
denen Werken  anbot,  obgleich  er  sie  für  ein  armseliges 
Almosen  hielt  im  Vergleich  zu  dem  wahren  Wert  seiner 
Interessen.  Aber  gesetzlich  konnte  er  nichts  machen;  er 
ging  weg  und  nährte  sein  Lebenlang  bitteren  Groll  gegen 
Carnegie.  Seitdem  war  er  eine  abgetane  Figur  und  hatte  mit 
der  Gesellschaft,  die  aus  seinem  Werk  entsprungen  war, 
nichts  mehr  zu  tun. 

Bereits  1855 — 56  hatte  Sir  Henry  Bessemer  in  England 
die  Stahlbereitung  mittels  der  großen  drehbaren  Gefäße, 
der  „Bessemer-Birnen",  gezeigt;  zwischen  1868  und  1873 
hatten  in  den  Vereinigten  Staaten  mindestens  vier  ver- 
schiedene Werke  begonnen,  nach  dem  Bessemer- Verfahren 
zu  arbeiten. 

Die  Carnegies  schickten  jetzt  William  Coleman  aus,  um 
diese  amerikanischen  Stahlwerke  zu  besichtigen,  und  bald 
darauf  ging  Andrew  Carnegie  selber  nach  England,  um  da- 
selbst das  Bessemer- Verfahren  zu  studieren.  Coleman  war 
der  Schwiegervater  von  Thomas  M.  Carnegie,  und  er  soll 
die  Idee  gehabt  haben,  Stahlschienen  zu  produzieren.  Man 
begrüßte  die  Idee  als  außerordentlich  glänzend  und  zeit- 
gemäß: die  alten  Eisenschienen,  die  bis  dahin  gebraucht 
wurden,  waren  für  den  immer  größeren  Verkehr  voll- 
kommen unzulänglich;  sie  bekamen  Brüche,  und  daraus  er- 
gaben sich  Entgleisungen  von  Lokomotiven  und  Zügen  mit 
großen  Verlusten  an  Menschenleben.  Außerdeni  mußte 
sie  sich  sofort  rentieren :  da  die  Eisenbahnbeamten  als  „stille 
Teilhaber"  wirkten,  mußten  sofort  große  Aufträge  kommen, 
und  wenn  erst  die  Pennsylvania-Bahn  die  Stahlschienen  ein- 
geführt haben  würde,  würden  die  anderen  Bahnen  gezwun- 
genermaßen folgen. 

Aber  zwischen  der  Idee  und  ihrer  erfolgreichen  Aus- 
führung war  ein  himmelweiter  Unterschied.  Die  Idee  war 
einfach,  die  Ausführung  aber  verlangte  technische  Ein- 
richtungen und  Erfindungen,  wovon  weder  Coleman,  noch 
Phipps,  noch  die  Carnegies  die  leiseste  Idee  hatten.  Mit 
wessen  Hilfe  sie  es  fertig  bekamen,  diesem  Mangel  abzu- 
helfen, soll  später  beschrieben  werden.  Es  mag  genügen, 
wenn  wir  sagen,  daß  Colemans  Bericht  so  günstig  ausfiel. 


-  705  - 

daß  er  sich  selbst  beteiligte.  Im  selben  Jahre  wurde  die 
Firma  Carnegie,  McCandleß  &  Co.  gegründet  zur  Erzeu- 
gung von  Stahlschienen  und  anderen  Produkten.  McCand- 
leß war  Vizepräsident  der  großen  Pittsburger  Bank.  Das 
Kapital  der  Gesellschaft  betrug  700  000  Dollar.  Coleman 
zeichnete  igogog;  David  A.  Stewart,  der  Präsident  der 
Pittsburger  Lokomotivenwerke,  John  Scott,  einer  der 
Direktoren  der  Alleghany-Bahn,  Phipps,  Thomas  M.  Car- 
negie, McCandleß  und  Kloman  zeichneten  je  50  000  Dollar 
(Kloman  war  damals  noch  nicht  hinausgeworfen);  Andrew 
Carnegie  aber  zeichnete  250  000  Dollar.  Im  nächsten 
Jahre,  am  12.  Oktober  1874,  wurde  die  Firma  Carnegie, 
McCandleß  &  Co.  aufgelöst,  und  an  ihrer  Statt  erhob  sich 
die  Edgar  Thompson-Stahlgesellschaft  (m.  b.  H.)  —  so 
genannt  nach  dem  Präsidenten  der  Pennsylvania-Bahn;  sie 
erklärte,  eine  Million  Dollar  Kapital  zu  haben. 

Woher,  so  fragt  man  sich,  nahm  Andrew  Carnegie  jene 
250  000  Dollar,  die  er  zeichnete  ?  Abgesehen  von  seinen 
Profiten  aus  den  früheren  Transaktionen,  gelang  es  ihm,  fast 
diese  ganze  Summe  beim  Verkauf  von  Obligationen  während 
seines  Ausfluges  nach  Europa  im  Jahre  1872  zu  erzielen. 
Wir  erfahren  aus  dem  Zeugnis  von  Bridge,  daß  Thompson, 
sein  getreuer  Chef,  ihn  beauftragte,  für  sechs  Millionen 
Dollar  Obligationen  zum  Bau  einer  neuen  Eisenbahn  nach 
Davenport  in  Iowa  auf  den  europäischen  Markt  zu  werfen; 
und  obgleich  die  Bahn  bloß  auf  dem  Papier  stand  und  nie 
gebaut  wurde,  obgleich  die  Käufer  dieser  Obligationen 
jeden  Dollar  verloren  —  bekam  Carnegie  dennoch  150000 
Dollar  als  Provision.  Zur  selben  Zeit  bekam  er  75  000  Dollar 
Provision  für  den  Verkauf  gewisser  anderer  Obligationen. 
Die  Inhaber  dieser  sechs  Millionen  Obligationen  gaben  sich 
die  größte  Mühe,  ihn  zum  Schadenersatz  heranzuziehen, 
es  gelang  ihnen  aber  nicht.  Braucht  man  da  länger  zu  er- 
klären, warum  Carnegie  von  Thompson  eine  so  überaus  hohe 
Meinung  hatte,  daß  er  seine  Stahlwerke  nach  ihm  benannte  ? 

Aber  Thompson  und  Scott  waren  nicht  die  einzigen  Eisen- 
bahnmagnaten, bei  denen  Andrew  Carnegie  sich  einschmei- 
chelte. In  der  Darstellung  seiner  Laufbahn,  die  er  der  Unter- 
suchungskommission   des    Senates     über    Stahltruste    am 

45 


—  7o6  — 

II.  Januar  191 2  gab,  prahlte  er  folgendermaßen:  „Ich  er- 
innere mich,  daß  die  Union-Atlantische  Eisenbahn  einmal 
die  Lieferung  von  70  000  Tonnen  Schienen  ausgeboten  hatte, 
und  die  Offerten  sollten  in  Omaha  geöffnet  werden.  Dort 
waren  all  meine  Konkurrenten.  Ich  aber  ging  nach  New 
York  zum  Präsidenten  Sydney  Dillon  (von  der  Union- 
Atlantischen  Eisenbahn).  Ich  hatte  der  Union- Atlantischen 
einmal  mit  etwa  600  000  Dollar  in  Philadelphia  ausgeholfen, 
und  sie  hatten  mich  und  George  M.  PuUman  in  den  Auf- 
sichtsrat gewählt.  Ich  sprach  mit  Dillon  über  das  Schienen- 
Ausgebot  und  fragte  ihn,  ob  die  Carnegie-Schienen  gut  genug 
wären.  Er  bejahte.  Gut,  sagte  ich,  ich  möchte,  daß  die 
Union- Atlantische  das  Geschäft  mit  mir  macht,  und  will 
Ihnen  den  niedrigsten  Preis  machen.  Abgemacht,  Carnegie, 
sagte  er,  und  ich  bekam  den  70  000-Tonnen -Vertrag." 
Carnegie  fügte  hinzu,  er  habe  einmal  CoUis  P.  Huntington 
Kredit  gegeben,  als  dieser  Eisenbahnmagnat  „krumm  lag". 

Die  genaue  Zeit,  wann  er  diese  Darlehen  gegeben  hatte, 
wagte  Carnegie  nicht  anzugeben;  wir  müssen  annehmen, 
daß  es  in  früheren  Jahren  geschah,  als  die  Union-Atlan- 
tische und  Huntington  noch  nicht  mit  Reichtümern  über- 
schwemmt waren  wie  später,  nachdem  sie  den  Kongreß  und 
die  Gesetzgebungen  zur  Erlangung  großer  Geld-  und 
Bodenbeihilfen  erfolgreich  bestochen  hatten. 

Noch  ein  anderer  Eisenbahnbeamter  wurde  in  die 
Edgar  Thompson-Stahlwerke  hineingebracht,  nämlich  Wil- 
liam P.  Shinn,  Generalagent  der  Pennsylvania-Eisenbahn, 
Teilhaber  der  Edel -Eisen -Gesellschaft  und  Präsident  der 
Ashtabula-,  Joungstown-  und  Pittsburger  Eisenbahn.  Shinn 
war  es,  der  das  Überschlagssystem  einführte,  das  sich  bei 
der  Standard -Ölgesellschaft  und  bei  der  Pennsylvania- 
Bahn  schon  so  nützlich  und  vorteilhaft  gezeigt  hatte:  ein 
System,  das  darin  bestand,  vor  Annahme  eines  Auftrages 
den  jeweiligen  Kostenpreis  jedes  Rohmaterialteils,  der  bei 
der  Schienenproduktion  gebraucht  wurde,  genau  zu  berech- 
nen. Shinns  Dienste  waren  für  die  Gesellschaft  höchst 
wertvoll. 

Von  noch  größerem  Wert  aber  waren  ihr  die  Dienste 
jenes  bedeutenden  Eisenschmelzers  A.  L.  Holley  und  des 


-  1^1  - 

Erfinders  Kapitän  William  L.  Jones.  HoUey  war  ein  Mensch, 
der  ganz  in  seinem  Beruf  aufging  und  sich  wenig  oder  gar 
nicht  um  Geld  kümmerte.  Sein  Leben  war  von  dem  einen 
Ehrgeiz  beherrscht,  den  Prozeß  der  Stahlbereitung  zu  ver- 
bessern. HoUey,  dieser  feingebildete  und  hochgeistige  Kon- 
strukteur, war,  nachdem  er  Stahlwerke  zu  Troy,  St.  Louis 
und  an  anderen  Plätzen  geleitet  hatte,  in  Carnegies  Dienste 
getreten  und  dort  geblieben,  bis  er  1882  starb,  „aus- 
gebrannt" im  wahren  Sinne  des  Wortes,  im  frühen  Alter  von 
fünfzig  Jahren. 

Was  Kapitän  Jones  betrifft,  so  war  er  von  anderem 
Kaliber;  ein  rauher,  energischer  Mann,  ohne  feinere  Bil- 
dung, aber  mit  zwei  Fähigkeiten  ausgestattet,  die  für  Car- 
negie von  größtem  Nutzen  waren :  mit  einem  Geschick,  die 
Arbeiter  anzuspannen  und  in  einer  gegebenen  Zeit  das 
größtmögliche  Arbeitsquantum  aus  ihnen  herauszubekom- 
men, und  anderseits  seiner  Leidenschaft,  das  Verfahren  der 
Stahlbereitung  zu  verbessern.  Jones  war  Werkmeister  in 
einem  Konkurrenzkonzern,  der  Cambria- Eisengesellschaft, 
gewesen.  Andrew  Carnegie  hatte  1873  einen  Streik  in  die- 
sem Unternehmen  ausgenutzt  und  Jones  und  einige  andere 
Werkmeister  bewogen,  in  seine  Dienste  zu  treten.  Niemand 
verstand  es  besser  als  Jones,  von  den  Arbeitern  die  größte 
Arbeit  für  die  geringste  Bezahlung  zu  erlangen;  niemand 
außer  Andrew  Carnegie  selbst  wußte  billige  und  gute  Pro- 
duktion so  gut  zu  vereinen.  Jones  vermied  es,  Amerikaner 
einzustellen,  und  war  gegen  Engländer  noch  strenger  — 
nicht  nur,  weil  sie  „auf  hohe  Löhne  stichelten",  wie  er 
sagte,  sondern  auch,  weil  sie  sich  weigerten,  sich  bei  der 
Arbeit  abzuhetzen,  und  daher  nicht  so  viel  schafften.  Er 
sorgte  dafür,  daß  Deutsche,  Iren,  Schweden  und  junge 
amerikanische  Landjungen  gemietet  wurden,  und  erklärte, 
in  richtiger  Mischung  ergäben  sie  „den  wirksamsten  Brei, 
den  man  finden  kann".  Zwischen  sie  setzte  er  Schotten  und 
Walliser,  in  der  Erwartung,  bei  ihren  verschiedenen  Spra- 
chen, Gemütsarten  und  nationalen  Feindschaften  würden 
sie  sich  nicht  leicht  zu  einem  Streik  zusammenfinden. 

Während  er  diese  kluge  Politik  der  Verfeindung  betrieb, 
suchte    Jones    gleichzeitig    immerfort    nach    Mitteln,    die 

45* 


—  7o8  - 

Maschinen  zu  verbessern  und  leistungsfähiger  zu  machen. 
Es  war  ihm  gleich,  wieviel  eine  Maschine  gekostet  hatte, 
oder  wie  neu  sie  war  —  sobald  es  sich  zeigte,  daß  eine 
andere  mehr  leistete,  wenn  auch  nur  wenig,  so  stellte  er 
sofort  die  neue  ein  und  warf  die  frühere  zum  alten  Eisen. 

Aus  dieser  Kombination  von  billiger,  gefügiger  Arbeit 
und  leistungsfähigen  Maschinen  resultierte  eine  immer 
größere  imd  billigere  Produktion,  die  die  Profite  der 
Edgar  Thompson-Stahlwerke  beständig  anschwellen  ließ,  bis 
sie  1877  die  Höhe  von  43^4  Prozent  erreichten. 

Die  Profite  waren  so  enorm,  daß  Carnegie  mit  seiner 
Eindrittel-Beteiligung  an  den  Werken  nicht  zufrieden  war. 
Er  strebte  jetzt  nach  persönlicher  Herrschaft  über  das  Unter- 
nehmen. Nach  einer  besonders  erbitterten  Streitigkeit 
wurde  Coleman  1876  hinausgesetzt,  und  Andrew  Carnegie 
kaufte  seine  Anteile;  die  näheren  Umstände  dieser  Affäre 
sind  aus  keinem  Gerichtsprotokoll  zu  ermitteln.  Die 
Zwistigkeiten  dauerten  fort;  Thomas  M.  Carnegie  und 
Phipps  verkauften  die  Hälfte  ihrer  Anteile  an  Andrew  Car- 
negie —  warum  sie  es  taten,  darüber  geben  die  Protokolle 
nicht  die  geringste  Auskunft.  Klomans  kleiner  Anteil  von 
50  000  Dollar  ging  als  nächster  in  den  Besitz  Andrew  Car- 
negies über  und  ebenso  die  kündbaren  Obligationen  einer 
Anzahl  kleiner  Aktionäre,  denen  Carnegie  kurzerhand  mit- 
teilte, das  Beste,  was  sie  tun  könnten,  wäre:  anzunehmen, 
was  man  ihnen  anböte. 

Und  so  ging  die  Sache  weiter.  Thomas  A.  Scott  —  der 
große  Scott  —  Carnegies  alter  Chef,  geriet  mit  Carnegie  in 
eine  heftige  Streitigkeit  —  die  Carnegie  sehr  gelegen  kam, 
denn  Scott  zog  voller  Ärger  seine  Kapitalien  von  der 
Edgar  Thompson-Stahlgesellschaft  zurück  und  schwor,  er 
wolle  mit  ihr  nichts  mehr  zu  tun  haben.  Und  was  wurde 
aus  Thompsons  Einlagen  ?  Carnegie  erwarb  sie  bald :  beim 
Tode  Thompsons  im  Jahre  1 874  entschlossen  sich  die  Testa- 
mentsvollstrecker, Bargeld  dafür  zu  nehmen,  obgleich  die 
Obligationen  noch  nicht  fällig  waren.  Es  befanden  sich  aber 
noch  andere  Obligationen  und  Aktien  im  Besitz  von 
McCandleß,  Shinn  und  John  Scott.  McCandleß  starb  1879, 
und  seine  Witwe  sah  sich  gezwungen,  von  Carnegie  einen 


-  709  - 

niedrigen  Preis  anzunehmen,  der  dem  Wertzuwachs  nicht 
im  geringsten  Rechnung  trug.  Ein  heftiges  Ringen  zwischen 
Carnegie  und  Shinn  war  jetzt  das  Vorspiel  zu  Shinns  Hinaus- 
wurf —  da  die  Majorität  des  Aufsichtsrates  ein  gefügiges 
Werkzeug  Carnegies  war.  Shinn  aber  war  selber  so  etwas  wie 
ein  gewiegter  Geschäftsmann,  dem  es  keineswegs  an  Zähig- 
keit gebrach.  Er  verklagte  Carnegie,  was  diesem  sehr  mißfiel, 
denn  er  hatte  eine  große  Abneigung  gegen  die  Gerichte. 
Er  verglich  sich  schließlich  mit  Shinn  auf  Zahlung  von 
200  000  Dollar  und  ließ  einen  neuen  Feind  auf  seinem  Wege. 
Was  John  Scott  betrifft,  so  wurde  er  1882  ohne  weiteres  auf- 
gefordert, die  Firma  Gebrüder  Carnegie  &  Co.  zu  ver- 
lassen —  worüber  er  noch  lange  grollte,  nachdem  er  ein- 
gesehen hatte,  daß  es  für  ihn  keine  andere  Möglichkeit  gab, 
als  seinen  Anteil  von  175  000  Dollar  an  Andrew  Carnegie 
zu  verkaufen. 

Die  Firma  Gebrüder  Carnegie  &  Co.  (m.  b.  H.)  wurde 
i88r  mit  einem  Kapital  von  fünf  Millionen  Dollar  als  Nach- 
folgerin der  Edgar  Thompson-Stahlgesellschaft  und  der 
Union-Eisenwalzwerke  gegründet.  Andrew  Carnegie  hatte 
jetzt  sein  Ziel  erreicht.  Mit  seinen  drei  Millionen  Aktien 
war  er  bei  weitem  der  größte  Aktionär  und  konnte  die  Ge- 
sellschaft nach  seinem  Belieben  regieren.  Thomas  M.  Car- 
negie und  Henry  Phipps  waren  jeder  mit  878  000  Dollar  be- 
teiligt, aber  Thomas  M.  Carnegie  starb  schon  ein  paar  Jahre 
später,  1886.  Die  anderen  Aktionäre  waren  verhältnismäßig 
einflußlos;  ihre  Anteile  gingen,  wie  wir  schon  gezeigt  haben, 
bald  in  Carnegies  Besitz  über.  Woher  aber  kam  das  Kapital 
von  fünf  Millionen  Dollar  ?  Es  war  zum  größten  Teil  eine 
Fiktion,  die  sich  auf  die  enormen  Profite  gründete,  welche 
sich  im  Jahre  vor  der  Konsolidierung  auf  i  885  197  Dollar 
belaufen  hatten.  In  dem  Kapital  von  fünf  Millionen  Dollar 
waren  die  Werke,  Anlagen  und  Erzminen  mit  vier  Millionen 
Dollar  angesetzt  und  bloß  eine  Million  mußte  in  bar  ge- 
zeichnet werden  —  eine  einfache  Sache,  die  sich  mit  dem 
Profit  eines  einzigen  Jahres  machen  ließ. 

Der  wichtigste  Punkt  aber,  den  diese  Konsolidierung  ent- 
hüllte, war  die  vitale  Tatsache,  daß  die  Carnegie-Gesell- 
schaft, bei  jenem  Pioniertrust,  der  Standard-Oil  Company 


—  710  — 

in  die  Schule  gehend,  Schritte  getan  hatte,  um  sich  selbst 
die  Herrschaft  über  die  Rohmaterialquellen  zu  sichern. 

Das  war  ein  Schritt  vorwärts  in  der  kapitalistischen  Evo- 
lution. Unter  dem  alten  System  mußte  der  Fabrikbesitzer 
sein  Rohmaterial  von  anderen  Kapitalisten  kaufen.  Durch 
die  neueren  Methoden  wurden  die  Profite  auf  diese  Aus- 
gaben erspart.  Um  1881  besaß  die  Carnegie-Stahlgesell- 
schaft bereits  ihre  Kohlenminen  und  Koksöfen  so  gut  wie 
ihre  Erzgruben ;  diese  Besitzungen  waren  freilich  nicht  groß, 
aber  es  war  immerhin  ein  Anfang  und  ein  Vorbote  der  nicht 
fernen  Zeit,  wo  große  Rohmaterialquellen  in  den  Besitz 
der  Stahlmagnaten  kamen.  In  der  Tat  kam  die  Carnegie- 
Gesellschaft  durch  diese  billigeren  Methoden  rapide  zu 
einer  Position,  wo  sie  mit  Leichtigkeit  die  nach  dem  alten 
System  organisierten  Konkurrenten  unterbieten  konnte. 
Andrew  Kloman  und  andere  Pittsburger  Männer  hatten  die 
Pittsburger  Bessemer-Stahlgesellschaft  (m.  b.  H.)  mit  einem 
Kapital  von  zweieinhalb  Millionen  gegründet  und  zu 
Homestead  bei  Pittsburg  ein  Stahlwerk  erbaut.  Als  aber 
dort  zur  rechten  Zeit  ein  Streik  ausbrach,  sahen  die  Be- 
sitzer sich  mannigfachen  Verlegenheiten  gegenüber  und 
mußten  ihre  Werke  1883  an  die  Carnegie-Gruppe  ver- 
kaufen. Auch  die  Duquesne-Stahlgesellschaft  ging  für  eine 
Million  Obligationen  an  Carnegie  über,  und  damit  war 
jede  Konkurrenz  im  Pittsburger  Distrikt  beseitigt. 

Carnegie  und  die  Arbeiter 

Damit  das  Aufhäufen  riesiger  Profite  alle  Jahre  fort- 
dauere und  wachse,  war  es  nötig,  die  Koksbesitzungen  der 
Carnegie-Stahlgesellschaft  zu  erweitern  und  zu  verhindern, 
daß  die  Arbeiter  höhere  Löhne  und  kürzere  Arbeitszeit  er- 
rangen. Diese  beiden  Probleme  wurden  1882  durch  die 
Aufnahme  von  Henry  C.  Frick  in  die  Gesellschaft  gelöst. 
Frick  hatte  durch  gewisse  Machinationen  die  Herrschaft  in 
der  Koksindustrie  errungen  und  besaß  damals  mehr  als 
tausend  Koksöfen  und  volle  dreitausend  Morgen  Kohlen- 
länder. In  jener  Industrie  hatte  Frick,  und  nicht  mit  Un- 
recht, den  Ruf  eines  geschworenen  Feindes  der  organisierten 


-  711  - 

Arbeit  erworben :  sein  bloßer  Name  war  den  Arbeitern  ver- 
haßt. Trotz  der  Verschiedenheit  der  Nationalitäten  in  den 
Carnegie-Stahlwerken  und  der  geschickten  Art  und  Weise, 
wie  Vorurteile  und  Feindschaften  genährt  und  entflammt 
wurden,  mußten  die  Arbeitsbedingungen  die  Arbeiter  not- 
wendig zum  Anschluß  an  die  Vereinigte  Gewerkschaft  der 
Eisenarbeiter  treiben.  Die  Arbeit,  die  von  ihnen  verlangt 
wurde,  war  entsetzlich.  Die  Werke  ein  paar  Stunden  täglich 
zu  schließen  hätte  einen  großen  ökonomischen  Verlust  be- 
deutet; anstatt  aber  die  vierundzwanzig  Stunden  in  drei 
Schichten  einzuteilen,  so  daß  jede  Schicht  acht  Stunden  zu 
arbeiten  hätte,  hatte  man  nur  zwei  Schichten,  so  daß  die 
Leute  zu  zwölfstündiger  Arbeit  am  Tage  gezwungen  waren. 

Mit  diesem  unmenschlichen  System  noch  nicht  zufrieden, 
stachelte  Carnegie  seine  Werkmeister  an,  „einen  noch 
besseren  Rekord"  herauszudrücken;  er  überwachte  die  Ein- 
künfte aus  jeder  Abteilung  mit  scharfen  Augen;  waren  die 
Kosten  der  Arbeit  und  der  Produktion  in  einer  Abteilung 
höher  als  in  der  anderen,  so  machte  er  den  Meistern  dieser 
Abteilung  Vorwürfe  und  lobte  die  Meister  der  anderen  Ab- 
teilungen. Auf  diese  Weise  säte  er  mit  diabolischer  List 
Eifersüchteleien  unter  den  Werkmeistern,  hetzte  sie  gegen- 
einander auf  und  erzeugte  so  bittere  Feindschaften,  daß 
manche  Werkmeister  jahrelang  nicht  miteinander  sprachen. 

Um  diese  Zeit  begann  jene  Periode  der  Reklame  und  des 
Selbstlobs,  die  noch  andauert.  Er  schrieb  in  der  Zeitschrift 
„Forum"  1886  Artikel,  in  denen  er  die  tiefste  Rücksicht  auf 
das  Wohlergehen  der  Arbeiter  ausdrückte.  Wir  wollen 
einige  charakteristische  Stellen  zitieren,  die  er  später,  kühn 
genug,  wieder  veröffentlichte  (,, Probleme  von  heutzutage", 
von  Andrew  Carnegie,  1908),  trotz  der  Enthüllungen  des 
großen  Homestead-Streiks.  Er  schrieb:  seiner  Meinung 
nach  „entstehen  die  Streike  nicht  so  sehr  aus  Zwistigkeiten 
wegen  der  Arbeit,  als  aus  Mangel  an  Verständigung  unter 
den  Parteien.  Der  Unternehmer  kennt  den  Arbeiter  und 
seine  Gedanken  und  Sorgen  nicht,  und  der  Arbeiter  kennt 
die  Meinungen  und  Sorgen  des  Unternehmers  nicht.  Eben- 
sowenig kennt  der  Unternehmer  die  guten  Seiten  seiner 
Arbeiter,  und  der  Arbeiter  die  guten  Seiten  seines  Unter- 


—    712    — 

nehmers.  Jeder  sieht  nur  die  eine  Seite  des  Problems;  und 
dies  verursacht  die  meisten  Zwistigkeiten." 

Dieses  kindische  Gewäsch  wurde,  wie  gesagt,  1886  in 
einer,  wie  man  meinte,  der  ernsthaftesten  amerikanischen 
Zeitschriften  publiziert.  Und  zur  selben  Zeit  überwachte 
Carnegie  die  Arbeitsbedingungen  in  seinen  Unternehmun- 
gen aufs  schärfste.  Nur  wenige  Jahre  vorher  hatte  er  Frick 
engagiert,  den  hartnäckigsten,  rücksichtslosesten  und  un- 
versöhnlichsten Feind  der  Arbeitervereinigung.  Und  wenige 
Jahre  später  geschah  das  Niederschießen  der  streikenden 
Stahlarbeiter  in  Carnegies  Walzwerken  zu  Homestead. 
Gerade  während  der  Jahre,  wo  er  seine  Teilhaber  aus  dem 
Felde  schlug  und  die  Werkmeister  anstachelte,  aus  den 
Arbeitern  das  äußerste  Maß  von  Arbeit  herauszuquetschen, 
verkündigte  Carnegie  sein  Motto :  „Konzentration !  Erst 
Ehrlichkeit,  dann  Fleiß,  dann  Konzentration"! 

Diese  Worte,  von  servilen  Skribenten  und  schmeichelnden 
Schönrednern  oft  genug  wiederholt,  wurden  schließlich 
ernst  genommen  von  einem  Publikum,  das  nichts  von  den 
gigantischen  Eisenbahnschwindeleien  gegen  die  Schatz- 
kammer der  Vereinigten  Staaten  während  des  Bürgerkrieges 
wußte  und  keine  Ahnung  von  den  ständigen  Machinationen 
hatte,  wodurch  Carnegie  die  Herrschaft  über  die  großen 
Pittsburger  Stahlwerke  an  sich  gebracht  hatte.  Selbst  die 
Enthüllungen  über  die  großen  Panzerplatten-Betrügereien 
in  Carnegies  Werken,  einige  Jahre  später,  taten  dem  Ein- 
druck von  Carnegies  berühmtem  Motto  nicht  allzusehr 
Abbruch. 

Die  Carnegie-Stahlgesellschaft  hatte  alles,  was  in  ihrer 
Macht  stand,  getan,  um  die  Arbeitervereinigung  zu  zer- 
brechen, und  wie  gut  es  ihr  gelungen  war,  zeigte  sich  darin, 
daß  viele  Arbeiter  aus  der  Vereinigung  ausschieden,  „um 
sich  mit  der  Gesellschaft  zu  verständigen".  Stahlarbeiter, 
die  monatlich  120  Dollar  bei  achtstündiger  Arbeitszeit  be- 
kommen hatten,  mußten,  ein  Jahr  vor  den  erbaulichen 
Forum-Artikeln,  zwölf  Stunden  täglich  für  60  Dollar  arbei- 
ten. Während  des  nächsten  Jahres  —  1886  —  bewilligte 
die  Gesellschaft  großmütig  zehn  Prozent  Lohnerhöhung, 
weigerte  sich  aber,   zum  Achtstundentag  zurückzukehren. 


-  713  - 

„Aber  die  intelligenten  und  kampflustigen  Iren,"  sagt  Fitch 
in  seinen  , Stahlarbeitern',  „verlangten  eine  Rückkehr  zum 
Achtstundensystem  von  1884  und  schlugen  die  Lohn- 
erhöhung aus.  Dafür  wurden  700  Hochofenarbeiter  ent- 
lassen. 1886  aber  wurde  der  Ausstand  allgemein,  und  die 
Gesellschaft  bewilligte  den  Achtstundentag." 

1887  baute  die  Carnegie-Stahlgesellschaft  ein  Schienen- 
stahlwerk letzter  Konstruktion  zu  Braddock  in  Pennsyl- 
vanien.  Maschinen  wurden  eingestellt,  um  die  Handarbeit 
zu  ersetzen.  Die  Gesellschaft  schlug  jetzt  eine  Herabsetzung 
der  Löhne  um  zehn  Prozent  vor,  aber  die  Arbeitervertreter 
gingen  darauf  nicht  ein.  „Im  März  1888,"  so  erzählt  Fitch, 
„schickten  die  Arbeitervertreter  eine  Kommission  nach  New 
York  zu  Andrew  Carnegie.  Er  empfing  sie  und  schlug  eine 
Herabsetzung  um  zehn  Prozent,  in  anderen  Abteilungen  um 
acht  Prozent  vor,  zugleich  mit  einer  Wiederaufnahme 
des  Zwölf  Stundentages."  Carnegie  habe  erklärt,  diese  Be- 
dingungen seien  nötig,  um  ihm  die  Konkurrenz  mit  den 
Chicagoer  Schienenwerken  zu  ermöglichen.  Bei  dieser 
Konferenz  erklärte  Carnegie,  er  werde  in  seinen  Werken 
hinfort  nur  nichtorganisierte  Arbeiter  anstellen,  und  wer 
in  seinen  Diensten  bleiben  wolle,  habe  einen  Vertrag  zu 
unterzeichnen,  wonach  er  nicht  Mitglied  der  Arbeiter- 
vereinigung bleiben  oder  werden  würde.  „Im  Mai,"  so 
fährt  Fitch  fort,  „lehnte  Carnegie  es  ab,  noch  eine  Kom- 
mission zu  empfangen  oder  eine  weitere  Konferenz  abzu- 
halten, und  um  die  Mitte  des  Monats  akzeptierten  die  Arbei- 
ter, die  den  ganzen  Winter  gestreikt  hatten,  die  Bedingun- 
gen und  nahmen  die  Arbeit  wieder  auf." 

Damit  endete  die  Arbeitervereinigung  in  den  Edgar 
Thompson-Werken.  In  den  zwanzig  Jahren,  die  seitdem  ver- 
flossen sind,  ist  niemals  ein  organisierter  Versuch  von  irgend- 
welcher Bedeutung  gemacht  worden,  das  Recht  auf  kollek- 
tive Abschlüsse  wieder  zu  erobern.  Über  Carnegies  Vor- 
wand, er  müsse  mit  den  Chicagoer  Schienenwerken  konkurrie- 
ren können,  sagt  Fitch,  die  Bezahlung  der  Arbeit  in  den  und 
den  Teilen  der  Edgar -Thompson-Werke  sei  jetzt  auf  35,30 
Dollar  beschnitten  worden,  d.  h.  fast  neunzehn  Prozent 
unter  den  Kosten  der  Arbeit  in  denselben  Teilen  der  Chi- 


-  714  - 

cagoer  Stahlschienenwerke.  Nur  wenige  von  den  Stahl- 
arbeitern, die  bei  Carnegie  beschäftigt  waren,  bekamen  mehr 
als  zwei  Dollar  täglich,  viele  aber  weniger.  Und  wie  hoch 
waren  die  Profite  der  Carnegie-Werke  zu  dieser  Zeit  ? 
1889  betrugen  sie  3  540000  Dollar;  1890  stiegen  sie  auf 
5  350  000  Dollar,  und  im  nächsten  Jahre  waren  es  4  300  000 
Dollar. 

Die  Erfinder 

Während  Carnegie  solchermaßen  damit  beschäftigt  war, 
die  Arbeitervereinigung  zu  zerschmettern,  trat  in  seinen 
Werken  ein  Ereignis  ein,  das  ihm  ein  Monopol  und  un- 
zählige Millionen  Dollar  einbrachte.  Das  war  die  Ent- 
deckung einer  neuen  Methode,  geschmolzenes  Eisen  zu 
mischen,  durch  Kapitän  Jones.  Laut  einem  Protokoll  des 
Höchsten  Gerichtes  der  Vereinigten  Staaten  übertrug  Jones 
sein  Patent  unterm  4.  Juni  1889  an  die  Carnegie-Stahl- 
gesellschaft. Bessemers  Verfahren  hatte  darin  bestanden, 
das  Eisen  ohne  Anwendung  von  Brennmaterial  dadurch  zu 
reinigen,  daß  man  einen  Luftstrom  durch  eine  geschmolzene 
Metallmasse  in  einer  drehbaren  „Birne"  blies.  Mushet  hatte 
ein  ergänzendes  Verfahren  zur  Wiederzuführung  von  Kohlen- 
stoff erfunden.  Das  Verfahren  von  Jones  bestand  in  einem 
bedeckten  Reservoir  geschmolzenen  Metalls,  das  zwischen 
Hochofen  und  Birne  eingeschaltet  wurde  und  so  eingerichtet 
war,  daß  es,  während  eine  große  Menge  geschmolzenen  Me- 
talls abfloß,  in  kleinen  Mengen  auf  einmal  wieder  aufgefüllt 
wurde.  „Es  hatte  sowohl  Vorteile  wie  Nachteile,"  bezeugte 
Carnegie  von  dem  früheren  Verfahren,  das  vor  der  Erfin- 
dung von  Jones  angewandt  wurde,  „aber  die  Nachteile 
waren  so  groß,  daß  wir  oft  darüber  debattierten,  ob  wir  das 
Verfahren  nicht  lieber  aufgeben  sollten.  Wir  fanden,  daß  es 
genau  so  unmöglich  war,  eine  gleichartige  Masse  zu  erhalten, 
wie  bei  der  Kuppel-Methode  .  .  .  Während  wir  noch  sorgen- 
voll mit  dem  Problem  rangen  und  unentschlossen  waren, 
ob  wir  es  beibehalten  oder  aufstecken  sollten,  erklärte  uns 
Kapitän  Jones,  er  glaube  eine  Methode  erfunden  zu  haben, 
durch  welche  das  Problem  gelöst  wäre  .  .  .    Wir  waren  sq 


-  715  - 

überzeugt  von  seiner  Idee,  .  .  .  daß  ich  ihn  anwies,  die  Sache 
ins  Werk  zu  setzen  ...  Er  tat  es,  und  fast  von  diesem  Tage 
an  waren  unsere  Sorgen  fort.  Er  hatte  einen  großartigen 
Erfolg  erzielt,  in  der  Stahlindustrie  war  man  wieder  einen 
Schritt  weiter  gekommen,  und  wir  benutzen  seine  Erfindung 
noch  heute  .  .  .  Vor  allen  Dingen  muß  der  Fabrikant  auf  die 
Gleichartigkeit  seiner  Ware  halten,  auf  die  Gleichwertigkeit 
der  Schienen,  und  das  ist  ohne  die  Erfindung  von  Jones 
nicht  zu  erreichen,  soweit  ich  unterrichtet  bin." 

Die  ganzen  Früchte  der  Erfindung  erntete  die  Carnegie- 
Stahlgesellschaft ;  Jones  selber  wurde  nur  kurze  Zeit  nach 
seiner  Entdeckung  bei  einer  Hochofenexplosion  in  die  Luft 
geschleudert  und  getötet.  Die  Erfindung  wurde  in  Carne- 
gies Werken  sofort  ausgenützt,  und  sie  war  so  wichtig,  daß 
alle  anderen  Stahlfabrikanten  von  Bedeutung  sie  einführen 
und  der  Carnegie-Stahlgesellschaft  schweren  Tribut  dafür 
zahlen  mußten.  Die  Cambria-Eisengesellschaft  indessen 
weigerte  sich  zu  zahlen  und  berief  sich  darauf,  das  Deighton-, 
das  Witherow-  und  andere  Patente,  die  vorher  angemeldet 
worden  wären,  enthielten  in  der  Hauptsache  das  gleiche 
Verfahren  oder  ein  ganz  ähnliches.  Die  Carnegie-Stahl- 
gesellschaft reichte  am  2.  Dezember  1895  Klage  ein  wegen 
Patentverletzung  und  verlangte  Schadenersatz;  und  als  der 
Fall  schließlich  nach  sechs  Jahren  von  dem  Höchsten  Ge- 
richtshof der  Vereinigten  Staaten  entschieden  wurde,  spra- 
chen fünf  von  den  neun  Richtern  sich  zugunsten  der  Car- 
negie-Stahlgesellschaft aus. 

Richter  White  vertrat  die  entgegengesetzte  Meinung,  der 
sich  Oberrichter  Füller  und  die  Richter  Harlan  und  Brewer 
anschlössen.  Ihre  Ansicht  war:  „Die  Wirkung  der  eben  ge- 
fällten Entscheidung  ist  derart,  daß  sie  dem  Patentinhaber 
(Carnegie)  eine  Stellung  gibt,  in  der  er,  ohne  selbst  eine 
Erfindung  gemacht  zu  haben  und  ohne  ein  gesetzliches 
Patent  vorweisen  zu  können,  von  der  Stahl-  und  Eisen- 
industrie Tribute  erheben  darf,  sobald  die  Interessenten 
dieser  Industrie  ihre  Werke  vergrößern  und  mit  der  natür- 
lichen Entwicklung  der  modernen  Industrie  in  vernünftiger 
und  befriedigender  Weise  Schritt  halten  wollen." 

Das   war   im   Jahre    1901.     Kaum   sieben   Jahre   später 


—  7i6  — 

stimmte  Andrew  Carnegie  in  seinem  sonderbaren  Buche 
„Probleme  von  heutzutage"  eine  Rhapsodie  auf  die  Erfinder 
an,  „Es  gibt  eine  Klasse  Millionäre,"  schrieb  er,  „deren 
Reichtum  in  viel  größerem  Grade  als  bei  anderen  ihnen 
selber  zugeschrieben  werden  muß  .  .  .",  und  er  nannte  Bell, 
den  Erfinder  des  Telephons,  Edison,  und  Westinghouse,  der 
durch  die  Vakuumbremse  berühmt  ist.  „Ihr  Reichtum  ent- 
springt ihrem  eigenen  Gehirn.  Alle  Ehren  dem  Erfinder! 
Er  steht  auf  einer  höheren  Warte  als  die  anderen  Menschen!" 

Was  für  edle  Gefühle!  Was  für  heiße  Ermahnungen! 
Leider  sind  ihm  eine  Reihe  fataler  Versehen  passiert.  Ab- 
gesehen von  einer  langen  Liste  anderer  amerikanischer  Er- 
finder, welche,  von  Kapitalisten  ausgeplündert,  arm  zu 
Grabe  gegangen  sind,  gibt  es  eine  besondere  Klasse  von  Er- 
findern, die  Carnegie  persönlich  kannte  und  die  er  mit  Fleiß 
unerwähnt  gelassen  hat. 

Es  waren  die  Erfinder  in  seinen  eigenen  Werken;  Er- 
finder wie  Holley  und  Jones  und  andere,  weniger  bekannte, 
wie  James  H.  Simpson,  Henry  Aiken,  Henry  W.  Borntraeger 
und  sonstige.  Innerhalb  dreier  Jahre  (1887  bis  1889)  kam 
Carnegie  in  den  Besitz  von  zwölf  Erfindungen  Simpsons  in 
der  Herstellung  von  Ziehstangen,  Kopplern,  Drehschnallen 
usw.,  und  in  einem  einzigen  Jahre  übernahm  Carnegie  vier 
dem  Aiken  patentierte  Erfindungen.  Das  sind  nur  einige 
wenige  von  den  vielen  Erfindern,  die  Carnegie  ihre  Patente 
überließen  und  dafür  nichts  als  ihren  Lohn  bekamen  und 
selber  im  allgemeinen  in  Armut  oder  Halbarmut  starben. 

Der  Schwerpunkt  von  Carnegies  selbstgefälligem  Buche 
liegt  in  der  Behauptung,  Geschicklichkeit  habe  die  Anhäu- 
fung großer  Reichtümer  vollbracht;  Geschicklichkeit  habe 
den  Multimillionär  auf  seinem  goldenen  Wege  vorwärts  ge- 
bracht; persönliche  Geschicklichkeit  sei  das  A  und  das  O 
gewesen;  für  Carnegie  ist  das  eine  genügende  Erklärung 
dafür,  warum  und  wie  er  ein  Vermögen  von  einigen  Hun- 
derten von  Millionen  Dollar  zusammenscharren  konnte, 
und  er  möchte  gerne,  daß  diese  Erklärung  vom  Publikum  als 
richtig  hingenommen  würde.  Während  er  diese  Erklärung 
aufstellt,  bezieht  er  sich  taktvoll  und  diskret  auf  seine  eigene 
Laufbahn,  indem  er  in  der  dritten  Person  schreibt  und  seinen 


-  717  - 

Namen  nicht  erwähnt,  aber  doch  durchblicken  läßt,  daß  er 
bei  Eigenschaften  wie  Ehrlichkeit,  Scharfsinn,  Fleiß  und 
Geschicklichkeit  als  Grundlagen  großer  Vermögen  an  sich 
selbst  denkt.  Es  spielten  jedoch  außer  den  bereits  erwähnten 
Mitteln,  wodurch  Carnegie  sich  allmählich  vom  Telegra- 
phisten  zum  Multimillionär  aufschwang,  noch  gewisse 
andere  Faktoren  eine  zeugende  Rolle. 

Carnegies  politischer  Einfluß 

Carnegie  gab  regelmäßig  Beiträge  für  den  Fonds  der 
republikanischen  Partei;  er  sagte  auch  keinen  Ton  gegen 
die  Korruption,  die  diese  Partei  entfaltete,  als  sie  die 
Stadt  Pittsburg  oder  den  Staat  Pennsylvanien  oder  die  Na- 
tionalregierung beherrschte.  Es  erwartete  auch  kein  ge- 
scheiter Mensch,  daß  er  etwas  dagegen  sagen  würde;  denn 
seine  Konzerne  hatten  ja  Vorteile  und  Liebesgaben  aller 
Art  von  der  bloßen  Existenz  der  korrupten  politischen  Ma- 
schinen. Außer  einem  hohen  Zolltarif  gab  es  eine  bunte 
Reihe  anderer  Wohltaten,  die  eine  ihm  und  anderen  Fa- 
brikanten verpflichtete  politische  Partei  nicht  gut  verwei- 
gern konnte.  Die  Gesetze  über  Arbeiterschutzmaßregeln, 
kürzere  Arbeitszeit  usw.,  die  von  den  Arbeitern  beantragt 
wurden,  konnten  abgelehnt  oder  in  kastrierter  Form  an- 
genommen und  dann  nicht  so,  wie  beabsichtigt  worden  war, 
durchgeführt  werden.  Die  Durchführung  solcher  Gesetze 
bedeutete  eine  Mehrausgabe  für  den  Fabrikbesitzer  und 
eine  Verminderung  der  Profite;  das  Menschenleben  war  zu 
billig,  um  Ausgaben  für  Schutzvorrichtungen  zu  recht- 
fertigen. Auch  im  Fall  eines  Streikes  der  Arbeiter  zur  Ver- 
besserung der  empörenden  Bedingungen,  unter  denen  sie 
arbeiteten  und  lebten,  ließen  sich  die  regierenden  Macht- 
haber unschwer  beeinflussen,  so  daß  sie  Polizei  und  Mi- 
litär zur  eventuellen  Niederschießung  der  Streikenden  be- 
orderten. 

Die  Spenden  für  den  Wahlfonds  der  politischen  Parteien 
wurden  von  Carnegie  und  seinen  kapitalistischen  Kollegen 
als  „Kapitalseinlagen"  betrachtet.  Sie  wurden  nicht  bloß 
für  die  Bundeswahlen  benötigt,  sondern  auch  für  die  Wahl- 


-^  718  - 

kämpfe  in  den  Einzelstaaten  und  in  den  Stadtverwaltungen 
und  für  die  Wahlen  der  Vertreter  und  Senatoren  der  Ver- 
einigten Staaten.  Jede  politische  Partei  brauchte  mehrere 
Millionen  Dollar  für  die  verschiedenen  Wahlausgaben,  wozu 
auch  die  großen  Summen  für  die  politischen  „Antreiber"  in 
jedem  Staate  gehörten;  desgleichen  die  Gelder  zum  Kauf 
von  Stimmen. 

So  waren  zwei  Senatoren  der  Vereinigten  Staaten  durch 
das  Parlament  eines  jeden  Staates  zu  wählen.  1886  ent- 
brannte in  einem  gewissen  Parlamente  ein  Kampf  wegen  der 
Senatorwahl.  Es  war  klar,  daß  derjenige  gewählt  werden 
würde,  der  das  meiste  Geld  austeilen  konnte.  Da  schrieb 
James  G.  Blaine,  damals  ein  bekannter  Politiker  der  repu- 
blikanischen Partei,  an  Andrew  Carnegie  und  fragte  an,  ob 
er  nicht  zehntausend  Dollar  in  diesen  Senatorenkampf  „ein- 
legen" möchte  ?  Und  Carnegie  gab  diese  ,, Einlage".  Eine 
ähnliche  „Einlage"  machte  er  bei  der  Präsidentenwahl  im 
Jahre  1888,  wobei  Harrison  zum  Präsidenten  erwählt  wurde 
—  eine  Wahl,  die  durch  die  offensichtlichste  Bestechung 
markiert  ist.  Harrison  machte  Blaine  zum  Staatssekretär 
für  das  Innere.  Zufällig  hatte  Carnegies  Schlußstein- 
Brückengesellschaft  gegen  eine  zentralamerikanische  Re- 
publik eine  alte  Forderung  von  200  000  Dollar,  die  schwer 
einzutreiben  war.  Als  aber  Blaine  Staatssekretär  wurde  und 
liebenswürdigerweise  etwas  „diplomatischen  Druck"  aus- 
übte, wurde  die  Zahlung  bald  geleistet. 

Diese  politischen  „Einlagen"  sind  seitdem  von  Carnegie 
fleißig  fortgesetzt  worden.  Bei  dem  Verhör  vor  der  Kon- 
greßkommission, die  kürzlich  die  Wahlbeiträge  untersuchte, 
zeigte  es  sich,  daß  Carnegie  bei  den  Wahlen  von  1904  für 
den  Roosevelt-Fonds  10  000  Dollar  gespendet  hatte,  und 
ebenso  wurde  ermittelt,  daß  er  191 2  für  einen  Fonds  zur 
Wiederwahl  von  Taft  25  000  Dollar  gegeben  hatte  (dieser 
lediglich  für  Tafts  Wiederwahl  bestimmte  Fonds  betrug 
250  000  Dollar). 

Der  Gesamtbetrag  der  Summen,  die  Carnegie  während 
seines  Lebens  für  politische  Wahlfonds  gegeben  hat,  ist 
sehr  groß.  In  wie  musterhafter  Weise  die  regierenden  Mächte 
sich  für  seine  Schenkungen  revanchierten,  zeigte  sich  deut- 


-  719  - 

lieh  (von  anderen  Gelegenheiten  abgesehen)  bei  dem  großen 
Streik  von  Homestead. 


Die  Vernichtung  der  Arbeitervereinigung 

Der  Vertrag,  den  Carnegies  Arbeiter  in  den  Homesteader 
Werken  im  Jahre  1889  geschlossen  hatten,  lief  1892  ab. 
Die  Arbeiter  machten  sich  keine  Illusionen  über  die  Ab- 
sichten von  Carnegie  und  Frick;  sie  wußten  sehr  gut,  daß 
Carnegie  und  Frick  zur  völligen  Vernichtung  ihrer  Vereini- 
gungen entschlossen  waren,  um  gemeinsame  Anstrengungen 
zur  Erzielung  höherer  Löhne  und  kürzerer  Arbeitszeit  zu 
verhindern.  Frick  selber  bezeugte  1892  vor  der  Kongreß- 
kommission: „Wir  wollen  Leute  haben,  mit  denen  wir 
einzeln  verhandeln  können.  Wir  lehnten  es  ab,  nach  jenem 
Termin  (dem  24.  Juni  1892)  noch  mit  der  Vereinigten  Ge- 
werkschaft (der  Eisenarbeiter)  zu  unterhandeln,  und  sagten 
es  ihnen  klipp  und  klar." 

Mit  jeder  neuen  Erfindung,  welche  Arbeit  ersparte, 
wurden  mehr  Leute  entlassen,  und  die  Bleibenden  mußten 
sich  „beeilen",  d.  h.  noch  angestrengter  schuften.  Ihre 
Löhne  waren  heruntergegangen,  die  Lebensmittelpreise  ge- 
stiegen. Alles,  was  sie  besaßen,  war  ihre  Beschäftigung,  und 
die  war  nicht  bloß  unsicher,  sondern  auch  gefährlich;  die 
sogenannten  „Unfälle"  in  den  Werken  hatten  Verstümme- 
lungen und  Todesfälle  zur  Folge.  Aber  wie  schlecht  bezahlt 
und  wie  gefährlich  diese  Beschäftigung  auch  war,  die  Ar- 
beiter mußten  sich  daran  halten;  die  meisten  hatten  Fa- 
milien zu  ernähren;  sie  hatten  Ausgaben  gemacht,  um  nach 
Homestead  zu  ziehen,  und  hatten  weder  Geld  zu  einem 
neuen  Umzug,  noch  Aussicht  auf  Beschäftigung  an  einem 
anderen  Orte.  Um  die  bloße  Selbsterhaltung  kämpfend, 
wollten  sie  nicht  müßig  dabeistehen  und  zusehen,  wie  ihnen 
ihre  Beschäftigung  durch  importierte  Banden  von  nicht- 
organisierten  Leuten,  von  „Räudigen",  wie  sie  sagten,  weg- 
genommen würde. 

Die  übliche  Ausrede,  die  Carnegie  gegen  die  Forderungen 
der  Arbeiter  vorbrachte,  war  die,  sie  seien  „unvernünftig". 
Zur  selben  Zeit  aber  verdienten  die  Carnegie-Gesellschaften 


—    720    — 

unvernünftige  Gelder.  1891  hatten  sie  4300000  DoUai 
Reingewinn,  1892  waren  es  4  Millionen.  Die  Arbeiter  hatten 
nicht  die  geringste  Drohung  ausgestoßen,  nicht  das  Geringste 
getan,  das  auf  gewalttätige  Absichten  schließen  ließ.  Die 
Vorbereitungen  des  Carnegie-Konzerns  aber  ähnelten  den 
Vorbereitungen  für  eine  Belagerung  oder  eine  Schlacht. 
Carnegie  und  Frick  wußten  wohl,  daß  Männer  und  Frauen, 
die  für  ihre  bare  Selbsterhaltung  kämpften,  durch  derartige 
feindselige  Vorbereitungen  aufgereizt  werden  mußten,  und 
trafen  sie  mit  vollem  Bewußtsein. 

Homestead  ah  Festung 

Um  die  Homesteader  Werke  herum  war  ein  kräftiger 
Bretterzaun  von  zwölf  Fuß  Höhe  und  drei  Meilen  Länge 
errichtet  worden.  Oben  auf  diesem  Zaun  war  ein  schweres 
Kabel  gelegt  und  mit  einem  starken  elektrischen  Strom  ver- 
bunden worden,  der  im  Büro  durch  einen  einfachen  Schalter- 
druck eingeschaltet  werden  konnte;  der  Strom  war  so  stark, 
daß  er  jeden  töten  mußte,  der  ihn  berührte.  Man  nannte  das 
in  Homestead  „Carnegies  lebensgefährlichen  Zaun".  Den 
ganzen  Zaun  entlang  sah  man  Schießscharten,  vier  Zoll  im 
Durchmesser,  in  Kopfhöhe  eingelassen:  sie  waren  für  die 
Büchsen  der  Mietlinge  bestimmt.  An  verschiedenen  Punk- 
ten längs  des  Zaunes  waren  Gräben  gegraben.  An  gewissen 
Stellen  standen  Hydranten,  durch  die  ein  kräftiger  Strom 
heißen  oder  kalten  Wassers  losgelassen  werden  konnte. 
Hunderte  von  Bogenlampen  waren  über  die  ganzen  Werke 
hin  an  hohen  Trägern  aufgehängt,  und  den  Zaun  entlang 
waren  Scheinwerfer  angebracht.  Um  das  Kontor  herum 
stand  ein  weiterer  Zaun,  und  mit  dem  Innern  der  Werke  war 
es  durch  eine  40  Fuß  hohe  Brücke  verbunden;  darauf  war 
ostentativ  eine  Schildwache  unter  einer  Bogenlampe  auf- 
gestellt. Blitzlicht-Kameras  befanden  sich  an  verschiedenen 
Stellen  der  Werke,  um  Momentaufnahmen  von  denen,  die 
herankamen,  machen  und  sie  nachher  identifizieren  zu 
können.  Zur  Bequemlichkeit  der  importierten  „Räudigen" 
waren  Baracken  errichtet,  und  auf  dem  Flusse,  dem  Stahl- 
werke gerade  gegenüber,  war  eine  stählerne  Dampfbarkasse 


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in  ein  kleines  Kriegsschiff,  mit  Drehbrassen  bewaffnet, 
verwandelt  worden.  Eine  Anzahl  anderer  Boote  war  mit 
kleinen  Haubitzen  und  Scheinwerfern  ausgerüstet. 

Mit  diesen  furchtbaren  kriegsmäßigen  Vorbereitungen 
wurde  mindestens  sechs  Wochen  vor  dem  Streik  begonnen. 

Pinkertons  hewa^nete  Mietlinge 

Woher  aber  bekam  man  die  bewaffneten  Männer,  um  die 
Ausständigen  einzuschüchtern  und  die  Festungen  zu  be- 
mannen ?  Auch  dafür  war  lange  vorher  gesorgt  worden. 
Carnegie  hatte  einen  jährlichen  Kontrakt  mit  Pinkertons 
Detektivbüro  —  einem  Institut,  das  als  Spezialität  die 
Lieferung  bewaffneter  Mietlinge  betrieb:  Meuchelmörder 
und  andere  wüste,  gewissenlose  Männer,  die  erbarmungslos 
schössen  und  töteten.  Daß  die  Pinkertonschen  Mietlinge 
schon  lange  vorher  in  Bereitschaft  gehalten  wurden,  unter- 
liegt keinem  Zweifel ;  diese  Tatsache  wurde  später  durch  das 
Zeugnis  von  Frick  und  Robert  A.  Pinkerton  ausdrücklich 
bestätigt.  Sie  gaben  vor  der  Untersuchungskommission 
des  Kongresses  zu,  es  seien  sogar  schon  vor  der  letzten  Kon- 
ferenz zwischen  der  Carnegie-Gesellschaft  und  den  Dele- 
gierten der  Vereinigten  Gewerkschaft  der  Eisenarbeiter 
Verhandlungen  über  die  Zusendung  der  Pinkertonschen 
Mietlinge  im  Gange  gewesen. 

Während  diese  grausigen  Vorbereitungen  zur  offenen  und 
systematischen  Zerschmetterung  der  Arbeitervereinigung 
gemacht  wurden,  gründeten  Carnegie  und  seine  Kompagnons 
mit  unerhörter  Frechheit  am  l.  Juli  1892  eine  neue  Ge- 
sellschaft mit  25  Millionen  Dollar  Kapital,  die  Carnegie- 
Stahlgesellschaft,  welche  sämtliche  Walzwerke,  Hochöfen, 
Brückenbauwerke  und  Eisenerz-  und  sonstige  Bergwerke 
Carnegies  übernehmen  und  konsolidieren  sollte.  Frick  wurde 
zum  Präsidenten  dieser  Gesellschaft  gemacht. 

Das  Gemetzel  bei  Homestead 

Fünf  Tage  später,  am  6.  Juli  1897,  kamen  300  Pinkerton- 
Leute  in  Homestead  an.  Sie  waren  auf  einer  Station  am  Ohio 

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—    722    — 

unterhalb  Pittsburgs  um  Mitternacht  des  5.  Juli  an- 
gekommen und  von  dort  aus  in  großen  Kähnen  nach  Home- 
stead  geschleppt  worden,  das  sie  am  6.  Juli  gegen  4  Uhr 
morgens  erreichten.  Diese  Banden  von  Privatsoldaten  hatten 
absolut  keine  gesetzliche  Berechtigung.  Sie  waren  weder 
für  den  Krieg  noch  für  den  Frieden  vereidigt  worden,  und 
soweit  das  Gesetz  galt,  stellten  sie,  bis  zu  den  Zähnen  be- 
waffnet, wie  sie  waren,  nur  eine  Bande  von  Rowdys  dar, 
die  auf  Missetaten  aus  waren.  Indessen  hat  trotz  der  offen- 
baren Tatsache,  daß  sie  eine  lebende  Gesetzesverletzung  ver- 
körperten, kein  einziger  öffentlicher  Beamter  sich  gerührt, 
um  sie  anzuhalten. 

Von  ihrem  Kommen  unterrichtet,  liefen  die  schon  zur 
Verzweiflung  gebrachten  Homesteader  Arbeiter  zum  Kai 
hinter  den  Stahlwerken  —  viele  mit  Frau  und  Kindern. 
Die  Ausständigen  wußten  aus  bitterer  Erfahrung,  daß  die 
Ankunft  der  Pinkerton-Leute  immer  sichere  Unruhen  be- 
deutete und  daß  sie  zu  dem  ausgesprochenen  Zweck  ge- 
mietet wurden,  Gewalttaten  zu  provozieren,  auf  daß  man 
den  streikenden  Arbeitern  die  Erregung  von  Aufruhr  zur 
Last  legen,  dadurch  die  sogenannte  öffentliche  Meinung 
beeinflussen  und  einen  Vorwand  finden  könne,  die  Hilfe 
des  Militärs  zu  verlangen. 

Während  die  Streikenden  so  versammelt  waren,  wurde 
von  einem  Pinkerton-Mann  ein  Schuß  abgefeuert,  und 
einer  von  den  Streikenden  sank  tödlich  verwundet  zu  Boden. 
Mit  einem  wilden  Wutschrei  rüsteten  die  Ausständigen  sich 
zum  Widerstand. 

Sich  hinter  Haufen  von  Stahlschienen  verbarrikadierend, 
gaben  sie  jetzt  Salve  auf  Salve  aus  Revolvern  auf  die  in  den 
Booten  verborgenen  Pinkerton-Männer  ab,  und  diese  erwi- 
derten das  Feuer  sofort  aus  Büchsen.  Gleichzeitig  pumpten 
andere  Scharen  ausständiger  Arbeiter  Ol  in  die  Kähne  und 
versuchten  sie  in  Brand  zu  setzen,  was  ihnen  aber  nicht  ge- 
lang. Noch  andere  Ausständige  trieben  brennende  Flöße  an  die 
Kähne  und  schleuderten  auch  Dynamit,  aber  diese  Versuche 
hatten  keinen  Erfolg.  Den  ganzen  Tag  über  dauerte  dieser 
Kleinkrieg,  und  das  unheimliche  Krachen  der  Schüsse,  die 
Flüche  der  Arbeiter,  die  Schreie  der  Verwundeten  und  Ster- 


-  723  - 

benden  und  das  Gewimmer  der  Weiber  machte  den  Ort  zu 
einem  Schauplatz  des  Schreckens. 

Um  fünf  Uhr  nachmittags  hißten  die  Pinkerton-Leute  die 
weiße  Flagge  und  ergaben  sich.  Zwölf  Männer  waren  auf 
beiden  Seiten  getötet  und  mehr  als  zwanzig  ernstlich  ver- 
wundet worden.  Als  die  Pinkerton-Leute  nach  der  Über- 
gabe durch  die  Reihen  der  Ausständigen  Spießruten  liefen, 
wurden  sie  kräftig  durchgebläut,  besonders  von  den  Frauen 
der  Streikenden,  die  noch  wütender  waren  als  die  Männer. 
Nun  wurde  das  Militär  von  Pennsylvanien  nach  Homestead 
geschickt,  und  weitere  elf  Arbeiter  wurden  erschossen  und 
verwundet.  In  dieser  Zeit  schoß  ein  22 jähriger  Jüngling, 
namens  Alexander  Beckmann,  über  Fricks  Taten  entrüstet, 
auf  diesen  und  verwundete  ihn.  Er  wurde  zu  vierzehn  Jahren 
Gefängnis  verurteilt.    Frick  wurde  wiederhergestellt. 

Carnegie  versucht,  die  V  er  antwortung  von  sich  abzuwälzen 

Carnegie  hatte  all  die  Ausgaben  für  die  Besoldung  be- 
waffneter Soldaten  und  die  Umwandlung  des  Werkes  in 
eine  Festung  lieber  auf  sich  genommen,  als  den  Arbeitern  eine 
Lohnerhöhung  von  weniger  als  zehn  Prozent  zu  gewähren. 

Als  nun  die  Jahre  dahingingen  und  die  Sticheleien  über 
die  Mordtaten  von  Homestead  Carnegies  Ohren  erreichten, 
zu  einer  Zeit,  als  er  sich  bemühte,  die  allgemeine  Achtung 
und  Lobpreisung  zu  erringen,  da  wurde  er  immer  empfind- 
licher gegen  jede  Anspielung  auf  dieses  Ereignis  und  versuchte 
die  Verantwortung  auf  Frick  abzuwälzen.  Er  selber  sei  da- 
mals in  Europa  gewesen,  daher  könne  ihn  kein  Tadel  treffen. 

Noch  im  September  191 1,  als  der  Vorstand  der  Man- 
chester-Bibliotheken (in  England)  es  ablehnte,  von  Carnegie 
1 5  000  Dollar  für  die  Errichtung  von  Zweigbibliotheken  an- 
zunehmen mit  der  Begründung,  der  amerikanische  Stahl- 
magnat habe  zu  Homestead  die  für  bessere  Bedingungen 
kämpfenden  Arbeiter  niedergeschossen,  brachte  Carnegie 
die  alte  Entschuldigung  vor,  er  sei  „im  Norden  von  England 
umherkutschiert,  als  die  beklagenswerten  Ereignisse  von 
Homestead  sich  abspielten",  und  habe  erst  zwei  Tage  später 
davon  erfahren. 

46* 


-  724  - 

Einige  (z.  B.  Fitch  in  „Die  Stahlarbeiter")  meinen  nun, 
Frick  sei  allein  schuld;  er  habe  den  Streik  absichtlich  an- 
gezettelt, um  die  Arbeitervereinigung  aus  Homestead  zu 
vertreiben.  Aber  Carnegies  Mitschuld  geht  deutlich  hervor 
aus  einer  Anzahl  Briefe  von  ihm  aus  dem  Jahre  1892,  die 
sein  früherer  Privatsekretär  Bridge  publiziert  hat.  In  einem 
dieser  Briefe,  am  4.  April  1892  aus  New  York  geschrieben, 
weist  er  Frick  an,  die  Homesteader  Werke  nach  dem  30.  Juni 
nur  noch  mit  nichtorganisierten  Arbeitern  zu  betreiben. 
Ein  anderer  Brief,  den  er  kurze  Zeit  später  vom  Coworth- 
Park  in  Berks  (England)  schrieb,  befahl  ihm,  Konferenzen  mit 
den  Arbeitervereinigungen  zu  verweigern ;  wenn  die  Gewerk- 
schaft den  von  der  Gesellschaft  angebotenen  Lohntarif  aus- 
schlage, so  solle  die  Anweisung,  nur  noch  nichtorganisierte 
Arbeiter  zu  beschäftigen,  in  den  Homesteader  Werken  am 
25.  Juni  angeschlagen  werden.  Und  sie  wurde  angeschlagen. 

Frick  handelte  offen,  während  Carnegie  ihn  im  Hinter- 
grunde antrieb ;  und  während  Frick  zu  Hause  kommandieren 
mußte  und  dafür  verwundet  wurde,  leistete  Carnegie  sich 
eine  Ferienfahrt  in  England,  weit  vom  Schuß. 

Unfälle  in  Carnegies  Werken 

Im  Grunde  genommen  war  das  Homesteader  Blutbad 
das  geringste  von  allen,  die  ohne  Unterlaß  in  den  Carnegie- 
Werken  stattgefunden  hatten;  es  hielt  die  öffentliclie  Auf- 
merksamkeit nur  seiner  offenen  und  dramatischen  Natur 
wegen  in  Bann,  da  es  ganz  wie  eine  lokale  Revolution  aus- 
sah. In  bezug  auf  Opfer  aber  war  es  nicht  zu  vergleichen 
mit  dem  Gemetzel,  das  den  alltäglichen  Betrieb  in  den 
Werken  zur  Erzielung  von  Profiten  für  Carnegie  und  seine 
Kompagnons  begleitete.  Die  Zahl  der  sogenannten  „in- 
dustriellen Unfälle"  in  den  Carnegie-Werken,  welche  Ar- 
beitsunfähigkeit und  oft  den  Tod  zur  Folge  hatten,  betrug 
häufig  sechzig  oder  siebzig  im  Jahre.  Z.  B.  ereigneten  sich 
in  dem  Jahre  vom  3.  Dezember  1891  bis  zum  26.  November 
1892  nach  dem  Bericht  des  Fabrikinspektors  für  Pennsyl- 
vanien  61  Unfälle  in  Carnegies  Pittsburger  Werken,  von 
denen  viele  tödlich  verliefen. 


-  725  ~ 

Das  sind  durchschnittlich  fünf  im  Monat  oder  mehr  als 
einer  in  jeder  Woche !  Und  die  Verstümmelten  wurden  zum 
alten  Eisen  geworfen,  denn  die  Kapitalisten  können  nur 
Leute  mit  voller  Gesundheit  brauchen.  Im  nächsten  Jahre, 
vom  I.  Dezember  1892  bis  zum  30.  November  1893, 
passierten  bei  Carnegie  62  Unfälle,  viele  mit  tödlichem  Aus- 
gang. Im  nächsten  Jahre  waren  es  nicht  weniger,  und  1895 
wurden  neunzehn  Arbeiter  bei  der  Arbeit  getötet  und  noch 
viel  mehr  schwer  verwundet. 

Carnegie  selber  zeigte  sich,  je  reicher  er  wurde,  desto  mehr 
von  übermächtiger  Todesfurcht  besessen ;  für  seine  Arbeiter 
aber  gab  es  keinen  Tag  und  keine  Stunde,  wo  sie  nicht  dem 
Tode  oder  der  Verstümmlung  ins  Auge  sahen;  das  war  in 
ihrer  unterbezahlten  Arbeit  mit  inbegriffen.  Und  wie  bei 
Carnegie,  so  wurden  auch  bei  den  anderen  Kapitalisten 
Hunderte  getötet  oder  verstümmelt.  Und  dann  weigerten 
die  Unternehmer  sich  ohne  Ausnahme,  Unfallgelder  zu 
zahlen  oder  sonst  etwas  für  ihre  Opfer  zu  tun.  Sie  brachten 
unfehlbar  die  Ausrede  vor,  die  Unfälle  seien  „durch  Fahr- 
lässigkeit verschuldet".  Wenn  der  Verstümmelte  oder  seine 
überlebende  Familie  klagten,  wozu  sie  meist  kein  Geld  und 
keine  Zeit  hatten,  so  wurden  ihnen  fast  immer  Präzedenz- 
entscheidungen vorgelegt,  die  ihnen  „Fahrlässigkeit"  zur 
Last  legten.  Sie  gingen  von  den  Gerichten  weg  und  wurden 
Bettler ;  ihre  Söhne  wurden  oft  dem  Diebstahl,  ihre  Töchter 
der  Prostitution  zugetrieben. 

„Viele  Unfälle,  die  der  Fahrlässigkeit  der  Arbeiter  zu- 
geschrieben werden,"  so  erklärte  ein  Fabrikinspektor  auf 
der  achten  Jahresversammlung  der  Internationalen  Fabrik- 
inspektoren-Vereinigung am  25.  September  1894  zu  Phila- 
delphia, „fallen  vielmehr  den  Unternehmern  zur  Last.  Wo 
Geländer  und  Schutzvorrichtungen  von  großem  Vorteil 
wären,  erwartet  man  einfach  von  den  Angestellten,  daß  sie 
lediglich  durch  eigene  Geschicklichkeit  und  beständige  Auf- 
merksamkeit Unfälle  vermeiden.  Man  läßt  Gefahren  vieler 
Art  bestehen,  bloß  um  die  Kosten  zu  ersparen,  die  eine  kleine 
Schutzmaßregel  verursachen  würde."  „Gefährliche  Ma- 
schinen," sagt  Watchorn  weiter,  „haben  Tausende  erschla- 
gen, mangelhafte  hygienische  Maßnahmen,  im  Verein  mit 


—  726  — 

ungenügender  Ventilation,  Zehntausende  getötet."  Dabei 
dachte  er  aber  nur  an  die  Verhältnisse  in  den  Fabriken  selbst. 
Hinzu  kamen  noch  die  ekelerregenden  Löcher,  in  denen  viele 
Arbeiter  hausen,  und  die  schlechte  Nahrung,  mit  der  die  elend 
bezahlten  Arbeiter  und  ihre  Familien  auskommen  mußten. 
So  wurden  Männer,  Frauen  und  Kinder  dahingemäht;  be- 
sonders die  Sterblichkeitsziffer  der  Kinder  in  Pittsburg  war 
so  anormal,  daß  sie  allgeineine  Aufmerksamkeit  erregte. 

Zur  Zeit  des  Homesteader  Streiks  hatte  Carnegies  Ge- 
sicht noch  nicht  jenen  honigsüßen,  gewerbsmäßig  wohl- 
wollenden Ausdruck  angenommen,  wie  später  unter  dem 
mildernden  Einfluß  des  Alters  und  der  Anbetung  einer 
ganzen  Welt,  die  (mit  seltenen  Ausnahmen)  seine  Wohl- 
taten erbettelte  und  annahm.  Man  tut  Carnegie  nicht  un- 
recht, wenn  man  sagt,  sein  Gesicht  habe  damals  selbst  bei 
ruhigem  Ausdruck  jeden,  der  seinen  Pfad  kreuzte,  ent- 
mutigen und  einschüchtern  müssen.  Eine  hohe,  breite 
Stirn  wies  auf  seine  Gabe  scharfen  Überlegens  hin.  Seine 
Augen  waren  lang  und  schmal,  durchbohrend  und  resolut, 
von  einem  schlauen,  harten  Ausdruck  beherrscht.  Was  aber 
besonderen  Eindruck  auf  den  Beschauer  machte,  waren  seine 
Lippen  und  seine  Backenknochen.  Diese  grimmig  zusammen- 
gekniffenen Lippen  zeigten  eine  eiserne  Entschlossenheit, 
das  durchzuführen,  was  er  sich  in  den  Kopf  gesetzt  hatte, 
koste  es,  was  es  wolle;  seine  schweren  Kinnbacken  aber,  aus 
denen  Zähigkeit  und  Kampfsucht  sprach,  verstärkten  den 
Eindruck  der  Lippen.  Zum  Glück  für  ihn  milderte  ein  Bart 
und  ein  Schnurrbart  wie  eine  Art  Draperie  einigermaßen  die 
harten  Linien  seines  Gesichts. 

Die  Panzerplatten-Skandale 

Das  Homesteader  Gemetzel  hinterließ  einen  tiefen  und 
dauernden  Eindruck,  und  Carnegie  hätte  sicherlich  viel 
darum  gegeben,  ihn  verwischen  zu  können.  Allein  nur  zwei 
Jahre  später  war  er  Gegenstand  einer  noch  lauteren  Anklage, 
die  diesmal  aus  einer  ganz  anderen  Richtung  kam.  — 
Außer  der  Einführung  von  Stahlschienen  hatte  ein  anderer 
Faktor  der   Stahlindustrie  einen  großen   Aufschwung  ge- 


-  727  - 

geben  und  ihre  Profite  ungeheuer  vermehrt :  die  allgemeine 
Einführung  von  Panzerplattenschiffen.  Obgleich  der  Kampf 
zwischen  dem  „Merrimac"  und  dem  „Monitor"  während  des 
Bürgerkrieges  den  Flottenbau  revolutioniert  und  die  hölzer- 
nen Schlachtschiffe  als  veraltet  erwiesen  hatte,  begannen  die 
Vereinigten  Staaten  erst  1885  systematisch  eine  Panzerflotte 
zu  schaffen.  Aber  schon  vor  dieser  Zeit  hatten  die  Carnegie- 
Werke  Panzerplatten  für  fremde  Kriegsschiffe  fabriziert. 

Ais  1 879  ein  Krieg  zwischen  Großbritannien  und  Rußland 
wegen  der  Türkei  drohte  (so  bezeugt  Charles  H.  Cramp,  der 
größte  Schiffbauer  der  Vereinigten  Staaten,  vor  der  In- 
dustriekommission der  Vereinigten  Staaten  im  Jahre  1900), 
habe  die  russische  Regierung  in  den  Vereinigten  Staaten 
Schiffe  gekauft  und  Cramp  beauftragt,  sie  zu  renovieren. 
Dabei  habe  er  sich  zur  Erlangung  von  Panzerplatten  an 
Carnegie  und  die  Bethlehem-Stahlwerke  (in  Pennsylvanien) 
wenden  müssen,  und  diese  hätten  ihm  600  Dollar  pro  Tonne 
berechnet,  ohne  daß  er  etwas  dagegen  tun  konnte,  d.  h.  fast 
ein  Drittel  der  Gesamtkosten  des  Schiffes,  so  daß  er  nichts 
daran  verdient  habe.  Es  ist  Tatsache,  daß  die  Carnegie- 
Interessenten  der  Regierung  der  Vereinigten  Staaten  und 
Cramp  520 — 700  Dollar  pro  Tonne  berechneten  und  gleich- 
zeitig dasselbe  Panzermaterial  für  weniger  als  200  Dollar 
pro  Tonne  herstellten  und  für  249  Dollar  pro  Tonne  direkt 
an  die  russische  Regierung  verkauften.  Charles  H.  Hurrah, 
Präsident  der  Midvale-Stahlgesellschaft  zu  Philadelphia, 
berechnete  den  Verdienst  an  Panzerplatten  auf  23  Prozent 
und  meinte,  er  sei  trotzdem  in  keiner  Weise  mit  den  Profiten 
auf  Stahlschienen  und  Stangen  und  Baumaterial  zu  ver- 
gleichen, die  durch  einen  durchschnittlichen  Einfuhrzoll  von 
45  Prozent  geschützt  waren. 

Man  hätte  meinen  sollen,  bei  einem  Verdienst  von  min- 
destens 23  Prozent  hätten  die  Carnegie-Werke  die  beste 
Qualität  von  Panzerstahl  liefern  müssen,  um  so  mehr,  als  er 
für  Kriegsschiffe  bestimmt  war,  die  im  Falle  der  Gefahr  ihre 
eigenen  Handelsinteressen  zu  schützen  haben  würden.  Aus  der 
Menge  der  Zeugnisse  soll  nur  der  Schlußbericht  der  Unter- 
suchungskommission des  Kongresses  herausgegriffen  werden. 

„Die  Bemühungen  der  Gesellschaft  und  ihrer  Geschäfts- 


-  728  - 

führer  Cllne,  Corey  und  Schwab,  die  Inspektoren  zu  be- 
trügen, die  Probeplatten  zu  verfälschen  usw.,  haben  Ihrer 
Kommission  zur  Genüge  bewiesen,  daß  die  Lieferungen  den 
Verträgen  nicht  entsprechen.  Der  schamlose  Charakter 
der  Schwindeleien,  an  denen  diese  Männer  sich  beteiligt 
haben,  und  die  Verachtung  des  Anstandes  und  der  Wahrheit, 
den  sie  bei  der  Zeugnisablegung  vor  Ihrer  Kommission  be- 
wiesen haben,  machen  sie  des  Vertrauens  unwürdig." 

Carnegies  ,,Patriotismus^^ 

Abgesehen  von  dem  besonders  abstoßenden  Charakter 
dieser  Schwindeleien,  verdienen  einige  Punkte  dieses  Be- 
richtes einen  eigenen  Kommentar.  Daß  Carnegies  Werke 
Panzerungen  von  so  schlechter  Qualität  lieferten,  daß  dar- 
aus die  Durchlöcherung  und  der  Untergang  ganzer  Schiffe 
mit  Mann  und  Maus  resultieren  konnte,  das  war  sogar 
noch  . . .  erstaunlicher  als  die  Tatsache,  daß  seine  Werke 
so  unzulänglich  mit  Schutzvorrichtungen  versehen  waren, 
daß  Hunderte  von  Arbeitern  verstümmelt  oder  getötet 
wurden.  Im  letzteren  Falle  entsprach  es  der  allgemeinen 
Erwartung,  daß  der  mächtige  Kapitalist  sich  um  die  Wohl- 
fahrt und  das  Leben  seiner  Arbeiter  nicht  kümmerte  — 
das  war  die  „eiserne  Geschäftsregel".  Aber  im  Falle  der 
nationalen  Verteidigung  waren  es  Carnegie  und  seines- 
gleichen, die  immerfort  ihren  großen  Patriotismus  zur 
Schau  trugen  und  einen  besonderen  „patriotischen  Vor- 
rang" beanspruchten,  sie  waren  die  ersten,  die  im  Falle 
innerer  und  äußerer  Gefahr  das  Heer  und  die  Flotte  zum 
Schutze  ihres  Besitzes  und  ihrer  Handelsinteressen  herbei- 
riefen. Sie  selber  setzten  ihre  geweihte  Haut  weder  bei 
der  Handhabung  ihrer  eigenen  Maschinen  noch  bei  per- 
sönlichem Kriegsdienst  aufs  Spiel.  Die  Männer  aber,  die 
wirklich  für  sie  kämpfen,  hätten  wenigstens  eine  gute  Be- 
waffnung erwarten  können  —  aber  nicht  einmal  diese 
bekamen  sie.  Nicht  wenige  Offiziere  im  Heer  und  in  der 
Marine  brachten  Carnegies  kürzliche  Schenkung  von 
I  750  000  Dollar  für  das  Haager  Schiedsgericht  in  ironi- 
schen Zusammenhang  mit  seinen  Marinelieferungen, 


-  729  - 

Hörten  die  Vereinigten  Staaten  nach  diesen  Enthüllungen 
nun  auf,  der  Carnegie-Stahlgesellschaft  Aufträge  zu  über- 
weisen ?  Keineswegs :  sie  gaben  die  Aufträge  ruhig  weiter, 
und  zwar  unter  Umständen,  die  neue  Skandale  hervorriefen. 

Nur  wenige  Jahre  nach  dem  Berichte  der  Kommission 
gab  der  Marineminister  der  Carnegie-  und  der  verbündeten 
Bethlehem-Stahlgesellschaft  einen  Auftrag  für  i8  Millionen 
Dollar,  und  der  Preis  war  um  17  Dollar  pro  Tonne  höher 
als  der  von  der  Midvale-Stahlgesellschaft  gemachte.  Der 
Grund  —  wenigstens  der  von  der  Marineverwaltung  öffent- 
lich vorgebrachte  —  war  der,  daß  die  Carnegie-  und  Beth- 
lehem-Werke schneller  liefern  konnten  als  die  Midvale- 
Stahlgesellschaft. 

Carnegie  begünstigt  die  Betrüger 

Wenn  ein  Unternehmer,  der  sich  seiner  Ehrlichkeit  rühmt, 
wie  Carnegie  es  tat,  entdeckt,  daß  ein  Angestellter  ge- 
stohlen oder  betrogen  hat,  so  hat  er  die  Möglichkeit,  seinen 
eigenen  Anstand  sofort  zu  erweisen,  indem  er  den  Schul- 
digen entläßt.  Den  Herren  Cline,  Corey  und  Schwab  aber 
widerfuhr  nichts  dergleichen.  Sie  blieben  nicht  bloß  in 
seinen  Diensten,  sondern  wurden  im  Gegenteil  von  Zeit 
zu  Zeit  befördert  und  schließlich  zu  Kompagnons  gemacht. 
Carnegie  sagt  in  seinem  vor  Jahren  publizierten  Bande,  in- 
dem er  erzählt,  wie  er  viele  von  seinen  früheren  Geschäfts- 
führern zu  Teilhabern  erhob :  „Sie  alle  wurden  nach  langem 
Dienste  auf  Grund  erwiesener  Leistungen  ausgewählt." 
Unter  diesen  erwiesenen  Leistungen  muß  also  die  skrupellose 
Geschicklichkeit  und  Zähigkeit  von  Cline,  Corey  und  Schwab 
bei  der  Aufschwatzung  schwindelhafter  Panzerplatten  an  die 
Regierung  der  Vereinigten  Staaten  mitgezählt  haben. 

In  der  Tat  erwiesen  sie  sich  für  Carnegies  Bereicherung 
als  so  nützlich,  daß  er  sechs  Jahre  später,  als  die  Carnegie- 
Gesellschaft  mit  ihrer  riesigen  Kapitalanhäufung  gegründet 
wurde,  Schwab  zum  Präsidenten  machte,  und  später,  bei 
der  Organisierung  des  Stahltrustes,  Schwab  und  Corey  nach- 
einander zu  Präsidenten  erkor. 

Die  Profite  der  Carnegie-Werke  beliefen  sich  1894  auf 


-  730  - 

vier  Millionen  Dollar;  im  nächsten  Jahre  waren  es  fünf 
Millionen,  1896  sechs  Millionen,  1897  sieben  Millionen; 
und  1898  sogar  elfeinhalb  Millionen.  Während  des  nächsten 
Jahres  verdoppelten  sie  sich  beinahe  und  schwollen  auf 
21  Millionen  an,  und  im  nächsten  Jahre  (1900)  verdoppelten 
sie  sich  abermals  auf  40  Millionen.  Aber  man  darf  nicht 
meinen,  das  Herabdrücken  der  Löhne,  exzessive  Preise  und 
schwindelhafte  Methoden  seien  die  einzigen  Faktoren  ge- 
wesen, die  diesen  gewaltigen  Profitstrom  erzeugt  hätten. 

Die  Ära  des  Aufsaugens 

Ein  weiterer  Faktor,  auf  den  wir  schon  angespielt  haben, 
war  die  höhere  kapitalistische  Methode,  jedes  nur  denkbare 
Element  und  Werkzeug,  das  bei  der  Stahlproduktion  ge- 
braucht wurde,  in  den  Besitz  der  Carnegie-Stahl-Gesell- 
schaft zu  bringen.  Die  Zwischenleute  wurden  in  jeder  Rich- 
tung unterdrückt  oder  ausgeschaltet.  Die  Eisenerzlager  der 
Carnegie-Stahl-Gesellschaft  wurden  durch  Ankauf  der 
halben  Anteile  der  Oliver-Minengesellschaft  in  der  Mesaba- 
Bergkette  vermehrt;  dafür  gab  Carnegie  ein  Darlehen  von 
einer  halben  Million  Dollar.  Die  Carnegie-Stahlgesellschaft 
besaß  ihre  eigenen  Seedampfer  und  Eisenbahnen,  um  das 
Erz  nach  Pittsburg  zu  befördern,  sie  besaß  ihre  eigenen 
Koks-,  Kohlen-,  Kalkstein-  und  viele  andere  Unternehmun- 
gen, die  sämtlich  von  Carnegie  beherrscht  wurden.  Schwab 
bezeugte  vor  der  Industriekommission  der  Vereinigten 
Staaten  im  Jahre  1900,  zu  der  Carnegie-Stahlgesellschaft 
habe  eine  solche  Menge  miteinander  verbundener  Unter- 
nehmen gehört,  daß  man  es  der  Einfachheit  halber  ratsam 
fand,  sie  alle  —  26  oder  27  an  der  Zahl  —  zu  einer  neuen 
Gesellschaft,   der  Carnegie -Gesellschaft,  zu  verschmelzen. 

„Bei  Gründung  der  Gesellschaft,"  sagte  Schwab  aus, 
„war  es  unsere  Absicht,  daß  sie  eine  geschlossene  Gesellschaft 
bleiben  sollte;  daher  setzten  wir  die  Aktien  auf  je  1000  Dol- 
lar fest,  damit  sie  nicht  in  den  Handel  gebracht  würden." 
Carnegie  behielt  die  Gewalt  über  diese  Carnegie-Gesell- 
schaft, so  gut  wie  er  sie  in  jeder  einzelnen  Gesellschaft  be- 
sessen hatte. 


-  731  - 

Die  Gründung  der  Carnegie-Gesellschaft 

So  kam  im  März  1900  die  Carnegie-Gesellschaft  mit 
einem  Kapital  von  320  Millionen  zur  Welt.  Ihr  Besitz  an 
Rohmaterialquellen  wurde  noch  beträchtlich  vermehrt 
durch  die  Abtretung  gewisser  Eisenerzbecken  in  der  Gegend 
von  Mesaba,  die  John  D.  Rockefeller  gehörten.  Carnegie 
war  mächtig  stolz  darauf,  einen  so  gewiegten  Geschäftsmann 
wie  den  Standard-Öl-Magnaten  übertrumpft  zu  haben. 

Es  gab  damals  drei  besonders  große  Konzerne  in  der 
Stahlindustrie.  Der  erste  war  die  Bundes-Stahlgesellschaft, 
die  sich  aus  verschiedenen  Werken  in  Chicago  und  ander- 
wärts zusammensetzte;  sie  hatte  ihre  eigenen  Eisenerzlager, 
ihre  Erzschiffe  und  Eisenbahnen  und  100  Millionen  Dollar 
Kapital.  Die  zweite  war  die  National-Stahlgesellschaft  mit 
59  Millionen  Dollar  Kapital,  deren  Werke  hauptsächlich  in 
Ohio  lagen.   Pie  dritte  war  die  Carnegie-Gesellschaft. 

Sie  alle  kämpften  energisch  gegen  die  Gewerkschaften; 
sie  alle  sprachen  den  Arbeitern  die  Organisationsfreiheit  ab, 
obgleich  sie  gesetzlich  festgelegt  war  —  aber  was  fragten 
sie  nach  dem  Gesetz?  Und  gleichzeitig  schlössen  sie  ge- 
heime Verträge  zur  Festsetzung  der  Preise  und  der  Produk- 
tion, obgleich  derartige  Verträge  gesetzlich  verboten  waren, 
da  sie  gegen  das  Gesetz,  das  Vereinigungen  zur  Beschränkung 
des  Handels  verbot,  verstießen. 

Man  fragt  sich,  warum  diese  Gesellschaften  nicht  zivil- 
und  strafrechtlich  verfolgt  wurden  ?  Die  Erklärung  ist  ein- 
fach. Der  Beamte  der  Vereinigten  Staaten,  durch  dessen 
Initiative  derartige  Verfahren  eingeleitet  wurden,  war  der 
Oberstaatsanwalt.  Nun  hatte  Carnegie,  wie  er  am  11.  Januar 
191 2  vor  der  Untersuchungskommission  über  den  Stahl- 
trust zugab,  1901  den  Präsidenten  McKinley  genötigt. 
Philander  C.  Knox  zum  Oberstaatsanwalt  der  Vereinigten 
Staaten  zu  ernennen.  Knox  war  seit  1890,  als  das  Sherman- 
sche  Anti-Trust-Gesetz  angenommen  wurde,  Anwalt  der 
Carnegie-Stahlgesellschaft  gewesen  und  hatte  die  Gesell- 
schaft 1894  bei  der  Untersuchung  wegen  der  Panzerplatten 
verteidigt.  Das  war  der  Mann,  der  1901  zum  Oberstaats- 
anwalt der  Vereinigten  Staaten  ernannt  wurde  und  während 


-  732  - 

der  Präsidentschaften  von  McKinley,  Roosevelt  und  Taft 
in  diesem  oder  jenem  hohen  Amte  als  eine  Art  Premier- 
minister verblieb.  Seine  Anstellung  bedeutete  für  Carnegie 
und  seine  Verbündeten  eine  Art  garantierter  Immunität. 

Ein  drohender  Konkurrenzkrieg 

Obgleich  die  drei  großen  Stahlgesellschaften  Konsolidie- 
rungen von  kleineren  Konzernen  darstellten  und  unterein- 
ander Handels-„Verständigungen"  getroffen  hatten,  war  die 
Konkurrenz  unter  ihnen  doch  keineswegs  aufgehoben.  Die 
Kapitalistengruppe,  die  unter  Führung  von  J.  Pierpon- 
Morgan  die  Bundes-Stahlgesellschaft,  die  National-Röhren- 
gesellschaft  und  die  Amerikanische  Brückengesellschaft  bet 
herrschte,  wurde  1901  von  einem  heftigen  Preiskrieg  von 
Seiten  der  anderen  Kartelle  bedroht,  die  sich  ihrerseits  von 
derselben  Gefahr  bedroht  fühlten.  Die  eine  Gesellschaft 
beschloß,  ihr  eigenes  Roheisen  und  Stahl  herzustellen;  eine 
andere  plante  den  Bau  weiterer  Hochöfen  und  Stahlwerke. 
Was  Carnegie  betrifft,  so  revanchierte  er  sich  mit  der  Ankün- 
digung des  Projektes,  eine  Konkurrenzlinie  zur  Pennsylvania- 
Bahn  (die  Morgan  unter  sich  hatte)  zu  bauen  und  an  der 
Küste  des  Eriesees  eine  ungeheure  Röhrenfabrik  zu  errichten. 

Hätte  dieser  angedrohte  Handelskrieg  sich  entwickeln 
dürfen,  so  hätte  er  die  ökonomische  Auflösung  bedeutet. 
Was  das  Gesetz  auch  zur  Verhinderung  solcher  Zusammen- 
schlüsse bestimmte  —  gegen  die  Macht  der  ökonomischen 
Kräfte  konnte  es  nicht  ankommen. 

Die  Antitrust-Gesetze  waren  auf  Anregung  der  Mittel- 
klasse beschlossen  worden  zu  einer  Zeit,  als  diese  Klasse 
noch  mächtig  war;  ihr  Zweck  war  gewesen,  die  Periode  un- 
umschränkter Konkurrenz  fortdauern  zu  lassen,  aber  diese 
Periode  war  vorbei,  und  die  Gesetzesparagraphen  waren  un- 
fähig, sie  wieder  zu  beleben  oder  die  Herrschaft  der  Truste 
zu  verhindern.  Die  vier  großen  Stahlfabrikations-Organi- 
sationen  bedeuteten  einen  Schritt  vorwärts  in  der  Organi- 
sation der  Industrie.  Sollten  sie  nun  die  Taktik  einer  frühe- 
ren, vergangenen  Periode  wieder  aufnehmen  ? 

Frick  hatte  das  schon  1899  gesehen.   Morgan  sah  es  jetzt 


-  733  " 

und  beeilte  sich,  danach  zu  handeln.  Daß  Morgan,  ein 
Bankier,  eine  Sektion  der  Stahlindustrie  beherrschte  und  die 
Rockefeller-  und  Moore-Gruppen  die  beiden  anderen,  war 
nicht  im  mindesten  erstaunlich;  war  doch  auch  Carnegie 
dreiunddreißig  Jahre  früher  zur  Herrschaft  über  ein  Werk 
gelangt,  von  dessen  Gang  er  nichts  verstand.  Um  1898  war 
die  Zeit  gekommen,  wo  Truste  aller  Art  von  Magnaten 
organisiert  wurden,  die  ihren  Reichtum  in  anderen  Gefilden 
erworben  hatten  und  dadurch  große  Fabrikationszweige  be- 
herrschten, in  denen  sie  niemals  auch  nur  einen  Tag  ge- 
arbeitet hatten.  So  wurde  z.  B.  der  kolossale  Tabaktrust  von 
Thomas  F.  Ryan  organisiert,  der  mit  seinen  Geno3sen  zehn- 
fache Millionen  Dollar  aus  den  New  Yorker  Straßenbahnen 
erbeutet  hatte.  Er  hätte  nicht  eine  Zigarre  rollen  können, 
und  wenn  man  ihm  Millionen  dafür  gezahlt  hätte. 

Nun  wurden  schleunigst  Pläne  geschmiedet,  einen  weite- 
ren Schritt  in  der  kapitalistischen  Organisation  der  Stahl- 
industrie zu  tun.  Gerade  wie  die  großen  in  der  Branche 
existierenden  Korporationen  eine  Vereinigung  vieler  Werke 
darstellten,  die  früher  miteinander  konkurriert  hatten,  so 
sollte  die  projektierte  Organisation  die  vier  großen  Korpora- 
tionen zu  einer  Riesenkorporation  verschmelzen. 

Um  aber  diesen  Gipfelpunkt  zu  erreichen,  war  es  nötig, 
Carnegie  als  aktiven  Faktor  loszuwerden.  Die  Carnegie- 
Werke  waren  von  allen  am  besten  situiert;  hinter  ihnen 
stand  reichliches  Kapital,  und  ihre  Organisation  und  Leitung 
war  vom  kapitalistischen  Standpunkt  aus  unübertroffen. 
Carnegie  war  dem  alten  Brauch  der  Grobschmiede,  welche 
die  Gehilfen,  um  sie  anzuspornen,  oft  am  Geschäft  beteilig- 
ten, gefolgt  und  hatte  Schwab,  Corey,  Gayley,  Peacock  und 
viele  andere  Werkmeister  und  Aufseher  zu  Teilhabern  ge- 
macht ;  er  rühmte  sich,  das  Personal  seiner  Gesellschaft  wäre 
mehr  wert,  als  der  ganze  Besitz  der  Gesellschaft.  Frick  hatte 
die  Geschäftsführung  unter  sich  gehabt,  Schwab  überwachte 
die  Fabrikation  und  Peacock  den  Verkauf. 

Carnegie  und  Friik  veruneinigen  sich 

Zwischen  Frick  und  Carnegie  war  jedoch  ein  äußerst  er- 
bitterter Zank  ausgebrochen.   Frick  hatte  1899  von  Carnegie 


-  734  - 

eine  Option  auf  die  Carnegie-Werke  für  i6o  Millionen 
Dollar  bekommen  und  suchte  an  Morgan  seinen  halben  An- 
teil an  den  Werken  für  diese  Summe  zu  verkaufen.  Morgan 
aber  weigerte  sich,  i6o  Millionen  Dollar  für  den  halben 
Anteil  an  einem  Unternehmen  zu  zahlen,  dessen  eigener 
Besitzer,  Carnegie,  kurz  vorher  geschworen  hatte,  es  besäße 
keinen  höheren  Nutzwert  als  75  610  104  Dollar,  und  dessen 
gesamte  Aktiva  nach  der  Bilanz  der  Carnegie-Gesellschaft 
vom  I.  März  1900  sich  auf  loi  416  802  Dollar  beliefen. 
Morgan  war  ein  zu  alter  Geschäfts-  und  Finanzbär,  um 
darauf  einzugehen  —  indessen  sollte  bald  die  Zeit  kommen, 
wo  diese  ^eigerung  ihm  teuer  zu  stehen  kam. 

Frick  und  seine  Genossen  bei  der  Transaktion  mußten 
ihren  Mißerfolg  beim  Verkauf  der  Option  mit  über  einer 
Million  Dollar  bezahlen,  die  Carnegie  als  Buße  einstrich, 
denn  „Geschäft  ist  Geschäft".  Frick  aber  war  darüber  un- 
gehalten und  verklagte  Carnegie  aus  anderen  Gründen 
wegen  verschiedener  Millionen  Dollar,  die  ihm  aus  den  Gel- 
dern der  Carnegie-Gesellschaft  widerrechtlich  vorenthalten 
würden.  Es  braucht  nicht  gesagt  zu  werden,  daß  die  Affäre  eine 
anmutige  Sensation  abgab ;  aber  Frick  hatte  offenbar  guten 
Grund,  nachzugeben,  da  sein  Prozeß  aussichtslos  erschien. 

Carnegie  schröpft  Morgan 

Damit  drohte  ein  ruinöser  Handelskrieg,  in  welchem  jede 
Stahlorganisation  versuchen  würde,  Monopole  für  gewisse 
Produkte,  welche  die  anderen  innehatten,  ins  Wanken  zu 
bringen.  Es  war  also  eine  Lebensfrage,  alle  miteinander 
streitenden  Korporationen  zu  vereinigen.  „Es  war  für  jeden 
klar,"  sagt  der  Bericht  von  Herbert  Knox  Smith,  dem 
Korporationskommissär  der  Vereinigten  Staaten,  „daß  eine 
derartige  Konsolidierung  nur  erfolgreich  sein  konnte,  wenn 
sie  die  Carnegie-Gesellschaft  mit  Inbegriff,  die  in  der  da- 
maligen Situation  der  mächtigste  Faktor  war,  sich  seit  lan- 
gem durch  ihre  aggressive  Taktik  hervorgetan  und,  wie  oben 
gezeigt  wurde,  die  Krisis  beschleunigt  hatte.  Anderseits 
unterliegt  es  keinem  Zweifel,  daß  viele  Stahlinteressenten 
Carnegies  persönlichen  Einfluß  als  Gefahr  für  sich  und  für 


-  735  - 

ihr  Geschäft  betrachteten  und  den  Wunsch  hatten,  sich 
seinen  Rückzug  aus  dem  Handel  zu  sichern;  von  ihrem 
Standpunkt  aus  war  es  die  beste  Lösung,  Herrn  Carnegie 
auszukaufen.  Man  sah  ein,  daß  dies  eine  äußerst  kostspielige 
Transaktion  wäre,  die  das  Zusammenwirken  der  führenden 
Interessenten  erfordern  würde.  Daher  traf  man  mit  Herrn 
Carnegie  ein  Arrangement,  wonach  man  dessen  große  An- 
teile an  seiner  Gesellschaft  gegen  Obligationen  der  neuen 
Konsolidation  übernahm." 

Mit  anderen  Worten :  Carnegie  erpreßte  von  Morgan  eine 
ungeheure  Summe  dafür,  daß  er  der  Konkurrenz  mit  den 
von  Morgan,  Moore  und  anderen  Magnaten  beherrschten 
Stahlkorporationen  entsagte.  Diese  Tatsache  wird  auch  in 
dem  kürzlichen  Bericht  der  Kongreßkommission  zur  Unter- 
suchung der  Stahlkorporation  in  den  Vereinigten  Staaten 
konstatiert.  „Dieser  eine  Konzern,"  sagt  er  mit  Bezug  auf  die 
Carnegie-Gesellschaft,  „verlangte  unter  der  Drohung,  ein 
Monopol  zu  zerstören,  das  die  verbündeten  Gesellschaften 
sich  gesichert  hatten,  als  , Friedenspreis'  ein  ,Lösegeld'  und 
bekam  es."  Es  war  vielleicht  der  größte  kommerzielle  Räu- 
bersold, der  je  ergaunert  wurde,  aber  man  betrachtete  das 
unter  den  großen  Geschäftsleuten  als  ein  „legitimes  Geschäft" 
und  diejenigen,  die  ihn  erhoben,  als  höchst  geschickte  Leute. 

Carnegie  erpreßt  44y  Millionen  Dollar 

Und  wie  hoch  war  der  Preis,  der  an  Carnegie  gezahlt 
wurde?  Insgesamt  447416640  Dollar!  Ein  gewisser  Teil 
dieser  Summe  ging  an  Carnegies  jüngere  Teilhaber,  der 
größere  Teil  aber  —  über  300  Millionen  Dollar  —  aus- 
schließlich an  Carnegie;  und  es  scheint,  daß  er  bei  dieser 
Transaktion  durch  irgendeinen  Kniff  „seine  jüngeren  Teil- 
haber übertrumpfte"  (nach  dem  Bericht  der  Untersuchungs- 
kommission). 

Hundert  Millionen  Dollar,  die  Carnegie  sich  entgehen  läßt 

Die  weitere  Geschichte  des  Stahltrustes  betrifft  Carnegie 
nicht.    Nur  etwas  soll  noch  erzählt  werden :  als  Carnegie 


-  736  - 

eine  so  riesige  Summe  —  447  Millionen  Dollar  —  für  die 
Besitztümer  der  Carnegie-Gesellschaften  bekam,  die  höch- 
stens 160  Millionen  Dollar  wert  waren,  war  er  höchst  ver- 
gnügt und  selbstzufrieden.  Hatte  er  doch  Morgan,  den 
Finanzmonarchen,  ausgestochen  und  einen  nie  dagewesenen 
Coup  geschäftlicher  Schläue  gemacht.  Aber  zu  seiner  maß- 
losen Verwunderung  und  Kümmernis  merkte  er  bald,  daß 
er  schließlich  doch  nicht  alle  Kühe  gemolken  hatte,  die  er 
hätte  melken  können. 

Wie  er  das  enorme  Anschwellen  der  Stahltrust-Aktien 
sah  und  die  dicken  Profite,  die  Morgan  und  Genossen  ein- 
steckten, sagte  er  sich  voller  Trauer,  daß  er  mindestens 
100  Millionen  Dollar  mehr  hätte  fordern  sollen.  Als  er 
Morgan  zufällig  bei  einer  Reise  nach  Europa  auf  einem 
Dampfer  traf  und  dieser  Meinung  ihm  gegenüber  Ausdruck 
gab,  sagte  Morgan  ihm  kühl  und  kurz:  wenn  er  weitere 
100  Millionen  Dollar  gefordert  hätte,  hätte  er  sie  auch  be- 
kommen —  eine  bittere  Pille,  die  Carnegie  noch  nicht  ganz 
verdaut  hat.  Er  brachte  dies  kürzlich,  am  10.  Januar  191 2, 
öffentlich  zum  Ausdruck,  indem  er  vor  der  Untersuchungs- 
kommission des  Kongresses  ausrief:  „Ich  verstehe  nicht, 
wie  ich  solch  ein  Narr  sein  konnte,  der  Stahlkorpora- 
tion meine  Besitztümer  für  430  Millionen  Dollar  zu  ver- 
kaufen!" 

Man  weiß  in  der  Wallstreet,  daß  die  Stahltrustmagnaten 
für  Carnegie  noch  eine  andere  Überraschung  in  petto  haben 
für  den  Fall,  daß  der  Stahltrust  sich  jemals  auflösen,  oder 
daß  die  Obligationen,  die  Carnegie  in  Händen  hat,  jemals 
zufällig  unvorhergesehenerweise  gekündigt  werden  sollten. 
Diese  Obligationen  liegen  natürlich  auf  den  früheren  Car- 
negie-Werken, und  seit  der  Gründung  des  Stahltrustes  haben 
die  Trustmagnaten  ein  großes  modernes  Werk  zu  Gary 
(Indiana)  gebaut  und  andere  Werke  so  sehr  vervollkommnet, 
daß  Carnegies  Werke  im  Vergleich  damit  mehr  oder  weniger 
veraltet  sein  sollen.  Sollte  Carnegie  versuchen,  zu  kündigen, 
so  würde  er  merken,  daß  seine  Obligationen  auf  Werken  lie- 
gen, die  sozusagen  Plunder  wären.  Das  sind  die  Obligatio- 
nen, wie  wir  hinzufügen  wollen,  die  er  in  seinen  zahlreichen 
philanthropischen  Gründungen  so  freigebig  verteilt. 


-  737  - 

Carnegies  Philanthropien 

Diese  sogenannten  Philanthropien  umfassen  eine  große 
Masse  von  Schenkungen,  zum  Teil  verklausulierten.  Für  einen 
Pensionsfonds  für  die  Arbeiter  der  Carnegie- Werke  gab  er 
fünf  Millionen  Dollar.  Aber  diese  Schenkung  war  dermaßen 
mit  Bedingungen  und  Einschränkungen  umheckt,  daß  das  Los 
der  großen  Masse  jener  Arbeiter  sich  nicht  um  ein  Jota  ge- 
bessert hat.  Es  war  eine  verschwenderische  Großtat,  mit  gro- 
ßem Getöse  einen  Fonds  von  fünf  Millionen  Dollar  „zugun- 
sten" der  Arbeiter  einzurichten,  die  Carnegie  ein  Einkommen 
von  ungefähr  25  Millionen  Dollar  jährlich  verschafft  haben. 

Den  Instituten  gegenüber,  die  die  öffentliche  Meinung 
beeinflussen  und  beherrschen,  ist  Carnegie  aber  noch  viel 
freigebiger  gewesen.  An  kleine  Universitäten  in  den  Ver- 
einigten Staaten  gab  er  1 8  Millionen  Dollar.  Mit  1 5  Millio- 
nen gründete  er  einen  Pensionsfonds  für  Universitätspro- 
fessoren —  eine  Tat,  wodurch  er  sich  die  weithin  hallenden 
Lobpreisungen  der  gesamten  Universitätslehrer  der  Mit- 
welt wie  der  Nachwelt  gesichert  hat.  Zur  Gründung  des 
Carnegie-Instituts  in  Washington  gab  er  10  Millionen  und 
für  das  Carnegie-Institut  in  Pittsburg  16  Millionen  Dollar. 

Zehn  weitere  Millionen  gab  er  zur  Gründung  des  „Helden- 
Fonds",  der  diejenigen  belohnen  soll,  die  zur  Rettung 
menschlichen  Lebens  Heldentaten  vollbringen  —  was  dann 
natürlich  jedesmal  in  der  Zeitung  steht.  Die  schottischen 
Universitäten  erhielten  zehn  Millionen,  die  Dampferlinie- 
Stiftung  in  Schottland  fünf  Millionen.  Für  Bibliotheken 
in  den  Vereinigten  Staaten  und  in  Kanada  hat  er  dreißig 
Millionen  oder  mehr  gegeben  (es  ist  schwer,  diese  besonderen 
Schenkungen  genau  zu  verfolgen),  und  für  auswärtige  Bi- 
bliotheken zehn  Millionen.  Dem  Pittsburger  Polytechnikum 
gab  er  zwei  Millionen  Dollar,  der  Gesellschaft  der  Verbün- 
deten Ingenieure  in  New  York  schenkte  er  einundeinehalbe 
Million,  dem  Haager  Friedenspalast  einunddreiviertel  Mil- 
lionen, für  andere  Stiftungen  in  Europa  zweiundeinhalb 
Millionen  und  dem  Büro  Amerikanischer  Republiken  drei- 
viertel Million  Dollar.  Seine  verschiedenen  Wohltaten  in  den 
Vereinigten  Staaten  betragen  zwanzig  Millionen  Dollar  oder 

47 


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mehr.  In  dieserListe  sind  aber  keineswegs  alle  seine  Schenkun- 
gen aufgeführt.  Seine  letzte  bestand  in  einem  Fonds,  aus  dem 
die  Expräsidenten  der  Vereinigten  Staaten  oder  ihre  Witwen 
25  000  Dollar  jährlich  bekommen  sollen  —  eine  außerordent- 
lich weise  Schenkung,  die  ihren  Zweck  nicht  verfehlen  wird. 

Aber  selbst  bei  seinen  „philanthropischen  Unternehmun- 
gen" bewahrt  Carnegie  seine  alte  feine  Kunst,  viel  für  wenig 
zu  bekommen.  Seine  Schenkungen  an  Bibliotheken  waren 
nicht  bedingungslos :  gab  er  einer  Stadt  eine  gewisse  Summe 
zur  Gründung  eines  Instituts,  so  stellte  er  regelmäßig  die 
Bedingung,  daß  die  Stadt  die  laufenden  Ausgaben  decke. 
So  sicherte  er  sich  durch  eine  einmalige  Ausgabe  ein  ewiges 
Gedächtnis  in  Form  eines  Gebäudes,  das  nach  ihm  benannt 
wurde;  aber  die  dicke  Rechnung  mußte  von  den  Bürgern 
bezahlt  werden.  Eine  Anzahl  Städte  ist  denn  auch  nicht 
blind  gewesen  gegen  diese  besondere  Art  Wohltätigkeit  und 
hat  seine  Angebote  abgelehnt.  Erst  kürzlich,  am  11.  De- 
zember 191 2,  richtete  die  Buchdrucker-Gewerkschaft  Nr.  27 
einen  Protest  an  die  Stadt  gegen  die  Annahme  von  50  000 
Dollar  „aus  diesem  Blut-  und  Sündengeld  zum  Bau  einer 
öffentlichen  Bibliothek,  die  hauptsächlich  seinem  Gedächtnis 
dienen  und  die  Steuerzahler  mit  5000  Dollar  jährlichen 
Unterhaltungskosten  belasten  soll." 

Man  darf  natürlich  nicht  erwarten,  daß  ein  einziger 
Mensch  wie  Carnegie,  der  in  seinem  Palast  an  der  fünften 
Avenue  zu  New  York  oder  in  Schottland  in  seinem  Schlosse 
Skibo  bequem  sein  Alter  genießen  will,  die  Mühe  der  Über- 
wachung so  weitverzweigter  Stiftungen  und  Fonds  auf  sich 
nehme.  Gerade  so,  wie  er  Leute  mietet,  die  seine  Stahl- 
werke zu  beaufsichtigen  haben,  so  hat  er  auch  Angestellte, 
die  berufsmäßig  seine  Wohltätigkeitsunternehmungen  leiten. 
Sie  bilden  eine  Kommission  von  acht  „hervorragenden 
Männern",  die  die  „Carnegie-Korporation"  verwalten.  Bis 
jetzt  hat  Carnegie  insgesamt  125  Millionen  Dollar  in  Pa- 
pieren diesen  Trabanten  überwiesen,  die  das  Geschäft  be- 
sorgen, während  Carnegie  das  allgemeine  Lob  einsteckt. 

Überblickt  man  Carnegies  Karriere,  so  sieht  man  sofort, 
daß  er,  nach  den  heutigen  Begriffen  vom  Geschäftsleben, 
immer  als  „ehrlicher  Mann"  gegolten  hat. 


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Wem  das  nach  den  hier  angeführten  Tatsachen  sonderbar 
vorkommen  sollte,  der  möge  nur  bedenken,  daß  es  sich  — 
wie  sehr  er  auch  bei  der  allgemeinen  Bestechung  und  Kor- 
ruption die  Augen  zudrückte  und  wie  sehr  er  auch  davon 
profitierte  —  nicht  im  mindesten  beweisen  läßt,  wenigstens 
soweit  die  benutzbaren  Berichte  gehen,  daß  er  jemals  per- 
sönlich bestochen  hat.  Daß  er  gegen  die  Korruption  nicht 
protestierte,  war  bei  einem  Geschäftsmann,  der  reich  werden 
wollte,  nur  zu  erwarten;  daß  er  regelmäßig  Geld  gab  für 
die  Wahlkampagnen  korrupter  politischer  Parteien,  galt 
nach  den  Geschäftsbegriffen  als  ein  patriotischer  Akt  —  der 
sich  freilich  millionenfach  bezahlt  machte. 

Freilich  wurde  Carnegies  Name  von  seinen  früheren  Teil- 
habern und  von  den  Arbeitergenerationen,  die  er  bedrückt 
hatte,  verflucht  —  aber  ihre  Stimmen  verloren  sich  im 
Dunkel.  Da  sie  nicht  über  Zeitungen,  Kirchen,  politische 
Redner  und  all  die  anderen  mächtigen  Instrumente  zur  Schaf- 
fung einer  öffentlichen  Meinung,  Legende  oder  Tradition 
verfügten,  verhallte  ihr  Groll  und  ihre  Anklagen  ungehört. 

Die  Lage  der  Stahlarbeiter 

Aber  allmählich  wird  es  Tag,  und  die  Wahrheit  über  die 
letzte  Quelle  so  stupenden  Reichtums  und  solcher  Wirt- 
schaftsgewalt in  einer  Hand  dringt  siegreich  durch.  Damit 
Riesenprofite  gemacht  werden  können,  müssen  die  Arbeiter 
in  den  Stahlwerken  und  in  den  damit  verbundenen  Anlagen 
und  Minen  unter  so  harten,  brutalen  und  erniedrigenden 
Verhältnissen  schuften  und  existieren,  daß  eine  noch  so 
oberflächliche  Schilderung  dieser  Verhältnisse  Entsetzen 
hervorruft.  Man  findet  sie  in  den  Berichten  des  Arbeitsbüros 
der  Vereinigten  Staaten.  Da  erfahren  wir,  daß  die  unge- 
lernten Arbeiter  die  große  Masse  von  173  000  Menschen 
in  allen  Abteilungen  des  Stahltrustes  ausmachen.  „Überall, 
außer  im  Süden,"  sagt  der  Bericht,  „sind  so  gut  wie  alle,  die 
zu  dieser  Klasse  ungelernter  Arbeiter  gehören,  kürzlich  Einge- 
wanderte, von  denen  der  größere  Teil  nicht  englisch  spricht 
oder  versteht.  Selbst  im  Süden  gibt  es  in  der  Industrie  eine 
merklich  wachsende  Anzahl  von  Einwanderern  (60  Prozent), 

47" 


-  740  - 

und  fast  zwei  Drittel  dieser  Ausländer  sind  Slawen!  Jedes 
Jahr  zeigt  eine  Vermehrung  der  mechanischen  Einrichtungen, 
zu  deren  Handhabung  unqualifizierte  Arbeit  ausreicht." 

Unter  was  für  Verhältnissen  schuftet  diese  Armee  von 
Lohnsklaven  ?  Der  Bericht  sagt  es  uns.  „Während  der 
Untersuchungsperiode  haben  50  000  =  29  Prozent  von  den 
173  000  Hochofen-  und  Stahlarbeitern,  die  dieser  Bericht 
umfaßt,  gewohnheitsmäßig  sieben  Tage  in  der  Woche  ge- 
arbeitet, und  20  Prozent  waren  84  Stunden  oder  mehr  in 
der  Woche  beschäftigt,  was  in  der  Tat  eine  Zwölfstunden- 
arbeit an  jedem  Tag  der  Woche  mit  Einschluß  des  Sonntags 
bedeutet.  Dieser  Übelstand  wurde  noch  dadurch  vermehrt, 
daß  die  siebentägige  Arbeit  sich,  wie  die  Untersuchungs- 
kommission feststellte,  nicht  auf  die  Hochofenabteilung  be- 
schränkte, wo  aus  technischen  Gründen  eine  ununterbro- 
chene Arbeit  nötig  ist,  und  wo  88  Prozent  der  Angestellten 
sieben  Tage  arbeiten;  sondern  es  stellte  sich  heraus,  daß  in 
beträchtlichem  Umfang  auch  in  anderen  Abteilungen,  wo 
derartige  technische  Gründe  nicht  geltend  gemacht  werden 
können,  produktive  Arbeit  am  Sonntag  so  gut  wie  in  der 
Woche  betrieben  wird  .  .  .  Die  Qual  eines  zwölfstündigen 
Tages  und  einer  siebentägigen  Woche  wird  noch  größer 
durch  die  Tatsache,  daß  alle  Woche  oder  alle  zwei  Wochen, 
je  nach  dem  Modus,  wonach  die  Arbeiter  der  Tagesschicht 
die  Nachtschicht  übernehmen  und  umgekehrt,  die  Arbeiter 
1 8  oder  24  Stunden  hintereinander  bei  der  Arbeit  bleiben ..." 

Der  Bericht  sagt  weiterhin,  daß  einige  von  den  Stahlwerken 
sofort  nach  Beginn  der  Untersuchung  des  Arbeitsbüros  an- 
kündigten, sie  würden  ihren  Leuten  Sonntagsruhe  bewilligen. 
„Es  ist  aber  von  den  Fabrikanten  nichts  getan  und  nichts 
vorgeschlagen  worden,  um  den  Prozentsatz  der  Arbeiter  zu 
vermindern,  die  72  Stunden  und  mehr  in  der  Woche  arbeiten. 

„Die  hier  beschriebenen  Verhältnisse  sind  um  so  bezeich- 
nender und  charakteristischer  für  die  Eisen-  und  Stahl- 
industrie, wenn  wir  bedenken,  daß  sich  in  den  anderen  In- 
dustrien seit  Jahren  eine  Tendenz  auf  kürzere  Arbeitszeit 
geltend  gemacht  hat.  Vor  Jahren  ist  der  Zehnstundentag 
beinahe  obligatorisch  geworden;  seitdem  haben  weitere 
Verkürzungen  den  Arbeitstag  auf  neun  und  in  vielen  Fällen 


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auf  acht  Stunden  gebracht,  und  zu  diesen  Verkürzungen  ist 
ein  halber  Feiertag  am  Samstag  gekommen.  Zu  dieser  all- 
gemeinen Tendenz  in  den  anderen  Industrien  steht  es  also 
in  schneidendem  Kontrast,  wenn  man  in  einer  großen  grund- 
legenden Industrie,  wie  es  der  in  diesem  Bericht  behandelte 
Teil  der  Eisen-  und  Stahlindustrie  ist,  findet,  daß  nur  etwa 
14  Prozent  von  den  173000  Arbeitern  weniger  als  60  und 
fast  43  Prozent  72  Wochenstunden  und  mehr  arbeiten  .  .  ." 
Unter  so  unerträglichen,  menschenunwürdigen  Zuständen 
müssen  die  Stahlarbeiter  schuften.  In  diesen  Höllenflam- 
men, inmitten  eines  wahnsinnigen,  ununterbrochenen  Lärms 
müssen  sie  sich  alle  Tage  ihr  bißchen  Brot  verdienen.  Sie 
dürfen  keinen  Augenblick  aufschauen.  Die  elenden  auto- 
kratischen Unter-„Treiber"  stehen  immer  hinter  ihnen,  um 
sie  mit  Flüchen  anzuspornen,  wenn  sie  sich  ein  wenig  ver- 
schnaufen wollen;  positiver  Ungehorsam  zieht  sofortige 
Entlassung  nach  sich.  Die  jungen  Arbeiter  halten  diese 
Nervenanspannung  vielleicht  eine  Weile  aus;  von  den  alten 
sind  einige  so  abgestumpft  und  abgehärtet,  daß  es  auf  sie 
keinen  Eindruck  mehr  macht,  die  meisten  aber  werden  bald 
krumm  und  alt  und  bekommen  jenen  leeren,  flimmrigen 
Blick,  der  für  die  hoffnungslos  Geknechteten  charakteri- 
stisch ist,  während  in  anderen  Augen  der  Haß  brennt  gegen 
die  Klasse  und  das  System,  die  sie  bedrücken.  Den  ganzen 
Tag  lang  steht  diese  menschliche  Fleischmasse  den  Ma- 
schinen zur  Verfügung,  die,  sobald  sie  nicht  mehr  auf  der 
Höhe  sind,  sogleich  durch  neue  ersetzt  werden.  Genau  das- 
selbe geschieht  mit  dem  Arbeiter,  der  das  „Beschleunigungs- 
system" nicht  mehr  aushält ;  er  wird  auf  die  Straße  geworfen 
und  darf  verhungern.  Nur  wenige  sind  darunter,  die  ihre 
Arbeit  nicht  in  erschöpftem  Zustande  verlassen  und  nach 
Hause  wanken,  wo  sie  ein  dürftiges  Mahl  einnehmen  und 
sich  dann  todmüde  niederlegen,  um  am  anderen  Morgen  in 
derselben  hoffnungslosen  Lage  aufzuwachen.  Sie  haben 
keine  Zeit  für  sich,  sie  können  kaum  über  etwas  nachdenken, 
sie  kennen  ihre  Familien  kaum,  und  ihre  Kinder  wachsen 
auf,  fast  ohne  daß  sie  sie  sehen;  die  meisten  von  diesen  Ar- 
beitern haben  aufgehört,  menschliche  Lebewesen  zu  sein, 
und  sind  tote  Automaten  geworden. 


-  742  - 

Weit  entfernt  davon  sitzt  Carnegie  auf  seinem  Schlosse 
Skibo  in  Schottland,  einem  prächtigen  Gut  von  mehr  als 
35  000  Morgen,  mit  Gärten,  schmucken  Terrassen,  Grotten, 
Laubwäldern,  Forellenbächen  und  Gebirgen,  und  redet  von 
Frieden  und  Wohlwollen.  Kein  gemeiner  Anblick  und  kein 
unangenehmes  Geräusch  stört  den  Herrn  von  Skibo,  den 
ein  bezahlter  Dudelsackpfeifer,  der  unter  seinem  Fenster 
die  lieblichsten  Weisen  spielt,  des  Morgens  erweckt.  Auch 
in  seinem  herrlichen  Palast  in  New  York  kann  Carnegie  so 
zierlichen  Unsinn  sich  entfleußen  lassen  wie  jene  Predigt 
am  amerikanischen  Danksagetag,  am  29.  November  191 2, 
wo  er  (zum  Gedrucktwerden)  sich  also  vernehmen  ließ : 
„Diese  Erde  wird  von  Tag  zu  Tag  himmlischer  —  so  viel 
gute  Männer  und  Frauen  kenne  ich,  die  für  andere  wirken." 
Am  selben  Tage  empfing  er  ein  Telegramm  von  A.  P.  Moore, 
dem  Herausgeber  der  Pittsburger  Zeitung  „Der  Führer", 
der  ihn  fragte,  warum  er,  anstatt  der  Expräsidenten  der 
Vereinigten  Staaten  und  ihrer  Witwen  —  wogegen  die 
öffentliche  Meinung  protestierte  —  nicht  lieber  seine  ver- 
stümmelten Arbeiter  oder  die  Witwen  und  Kinder  der  in 
den  Stahlwerken  Getöteten  mit  Pensionen  bedächte,  da 
diese  Männer  ihm  seinen  Reichtum  machen  hülfen. 

Solches  war,  bis  heute,  die  Laufbahn  Andrew  Carnegies, 
des  unerreichten  Wohltäters  der  Welt. 

Trotzdem  wäre  es  ungerecht,  ein  zu  schweres  Urteil  über 
Carnegie  persönlich  zu  fällen  und  das  Milieu,  das  System 
und  die  Anschauungen,  unter  denen  er  tat,  was  er  tat,  außer 
acht  zu  lassen.  Früher  herrschte  die  einfältige  Praxis,  einen 
Menschen  von  seiner  Zeit  loszutrennen,  als  wäre  er  ein 
Ungeheuer,  jenseits  der  verzweigten  Strömungen  mensch- 
lichen Tuns,  die  den  Einzelnen  in  seiner  Klasse  beeinflussen 
und  beherrschen;  davon  aber  ist  man  mit  Recht  abgekom- 
men. Um  Carnegies  Lebensweg  genau  abzuschätzen,  muß 
man  das  ganze  kapitalistische  System,  wovon  er  ein  Teil  ist, 
mitumfassen  und  mitbewerten  und  den  Methoden  Rechnung 
tragen,  die  ihm  eingeimpft  worden  sind.  Dabei  ist  und  war 
das  einzige,  was  das  Individuum,  das  diese  Praktiken  und 
Taktiken  benutzt,  heraushebt,  sein  Gelderfolg.  Daß  Car- 
negie diese  Probe  bestanden  hat,  läßt  sich  nicht  leugnen. 


Sechzehntes    Kapitel 
DAS  AMERIKANISCHE  PROLETARIAT 

Zwischen  der  Klasse  der  Magnaten,  die  den  Reichtum  der 
Vereinigten  Staaten  besitzen  oder  beherrschen,  und  dem 
Proletariat  liegt  eine  so  breite  und  tiefe  Kluft,  daß  selbst 
der  kühnste  und  bedeutendste  Wortführer  der  kapitalisti- 
schen Klasse  die  Torheit  eines  Versuches  erkennt,  die  An- 
gehörigen der  Arbeiterklasse  mit  der  unsinnigen  Hoffnung 
zu  täuschen,  sie  könnten  sich  von  ihrer  dienenden  Stellung 
losreißen  und  selbst  Kapitalisten  werden.  Für  einige  der 
Arbeiter  hätte  dies  in  längst  vergangenen  Tagen  ausführ- 
bar sein  können,  als  die  Werkstätten  noch  mit  den  ein- 
fachsten und  billigsten  Werkzeugen  betrieben  wurden  und 
deshalb  wenig  Kapital  notwendig  war.  Aber  heutzutage 
sind  ungeheure  Geldsummen  nötig,  um  Industrieanlagen 
auszustatten  und  zu  betreiben;  selbst  mittlere  Kapitalisten 
mit  ihren  Hilfsquellen  von  Hunderttausenden  oder  Mil- 
lionen Dollar  können  nicht  hoffen,  mit  den  Trusten  und 
ihrem  angehäuften  Kapital  von  Milliarden  den  Wettbewerb 
aufzunehmen.  Es  gibt  in  den  Vereinigten  Staaten  vielleicht 
sechstausend  Millionäre,  aber  sie  sind  zum  größten  Teil 
unbekannt  und  treten  nicht  hervor,  und  man  kann  sie 
passend  als  Abhängige  und  Untergebene,  wenn  nicht  als 
Trabanten  der  großen  Multimillionär-Magnaten  bezeich- 
nen. Kostbarer  städtischer  Grundbesitz  oder  Fabriken  oder 
große  Warenhäuser  mögen  ihnen  gehören,  oder  sie  mögen 
Aktionäre  in  einer  oder  der  andern  Art  von  Gesellschaften 
sein;  trotz  alledem  sind  sie  nicht  die  Männer,  die  die  su- 
veräne  Herrschaft  über  die  Hilfsquellen  und  den  Reichtum 
der  Nation  ausüben. 

Die  unbeschränkte  Herrschaft  über  den  Reichtum 

Diese  Herrschaft  ist  in  den  Händen  von  weniger  als  einem 
Dutzend  Magnaten  vereint,  unter  denen  John  D.  Rocke- 


-  744  - 

feller  und  J.  Pierpont  Morgan  die  bedeutendsten  sind.  Als 
tatsächliches  Haupt  der  Standard  Oil  Company  hat  Rocke- 
feller  mit  seinen  Handelsgenossen  die  Herrschaft  oder  doch 
die  Hauptstimme  in  einer  großen  Anzahl  angeschlossener 
oder  Hilfs-Truste,  mit  Einschluß  gewerblicher  Truste  — 
Eisenbahnen,  Straßenbahnen,  Gas-  und  Elektrizitäts-An- 
lagen — ,  die  alle  zusammen  eine  ungeheuer  große  Ver- 
einigung von  Gesellschaften  bilden.  Das  besondere  United 
States  Congressional  Committee  on  Banking  and  Currency 
berichtete  kürzlich,  daß  J.  Pierpont  Morgan  und  John 
D.  Rockefeller  zusammen  mehr  als  ein  Drittel  —  36  Pro- 
zent —  des  tatsächlichen  Vermögens  und  der  Naturhilfs- 
quellen der  Vereinigten  Staaten  beherrschen.  Die  allmäch- 
tigen kapitalistischen  Gruppen,  an  deren  Spitze  diese  Män- 
ner stehen,  wirken  in  gutem  Einvernehmen  miteinander 
und  befolgen  dasselbe  Verfahren.  Die  Gesamt- Aktiva,  die 
sie  beherrschen,  werden  auf  39  71 1  328  678  Dollar  berechnet 
und  umfassen  15  636  853  814  Dollar  in  Industrie  und  öffent- 
lichen Anlagen;  17  250000000  Dollar  in  Eisenbahnbesitz; 
4  000  91 1932  Dollar  in  Bank-  und  andern  finanziellen 
Unternehmungen;  i  500  949  342  Dollar  in  Bergwerks-  und 
Ölbetrieben  und  i  322  613  000  Dollar  in  verschiedenem 
anderen  Besitz.  In  den  Protokollen  der  genannten  Kom- 
mission werden  viele  von  diesen  Gesellschaften  als  „Morgan- 
Geschäft"  bezeichnet,  viele  als  „Standard  Oil-",  einige  als 
„Gould-",  einige  als  „Vanderbilt-",  andere  als  „Hill-"  und 
„Guggenheim"-Besitz  und  noch  andere  als  „Ryan  und 
Belmont-"  oder  als  „Unabhängige  Geschäfte".  Die  Tat- 
sachen zeigen  aber,  daß  die  Morgan-Rockefeller-Anteile 
beherrschenden  Einfluß  haben  und  miteinander  verbunden 
arbeiten. 

J.  Pierpont  Morgans  Diktatur 

Morgan  persönlich  beherrscht  —  nach  den  der  Kom- 
mission vorgelegten  Berichten  —  direkt  die  ungeheure 
Summe  von  22  245  000  000  Dollar.  Die  von  Morgan  be- 
herrschten Five  banks-  und  Banktrust-Gesellschaften  ver- 
fügen über  alle  Hilfsmittel  dieser  Summe  und  haben  in 
112  Gesellschaften  341  Direktorstellen.    Die  Firma  J.  Pier- 


-  745  - 

pont  Morgan  &  Co.  hat  allein  63  Direktoren  in  39  Gesell- 
schaften, welche  über  alle  Hilfsmittel  oder  über  die  Kapi- 
talisierung von  10  036  000  000  Dollar  verfügen.  Eine  Er- 
gänzung dieser  ungeheuren  Geldmacht  und  dieses  Kapitals 
wird  durch  Morgans  indirekte  Beherrschung  noch  weiterer 
Hilfsquellen  gebildet.  Achtzehn  Gesellschaften  und  Privat- 
firmen, die  eng  mit  ihm  verbunden  sind,  bilden  eine  Ver- 
einigung von  746  Direktorstellen  in  134  Gesellschaften, 
welche  über  alle  Hilfsmittel  oder  über  die  Kapitalisierung 
der  verblüffenden  Summe  von  24  325  000  000  Dollar  ver- 
fügen. 

Das  gesamte  jährliche  Einkommen  von  Großbritannien 
beträgt  950  000  000  Dollar,  das  der  Vereinigten  Staaten 
900  000  000,  das  Deutschlands  l  800  000  000,  das  Frank- 
reichs 850  000  000  und  das  Italiens  450  000  000  Dollar. 
Morgan  verfügt  über  viermal  soviel,  als  die  Einkommen 
der  genannten  vier  europäischen  Nationen  zusammen  be- 
tragen; er  verfügt  über  zwanzigmal  soviel,  als  die  Jahres- 
einnahme der  Vereinigten  Staaten  beträgt.  In  seiner  Eigen- 
schaft als  Bankier  hat  Morgan  in  seinen  Bankhäusern  für 
162  000000  Dollar  Depositen;  diese  Summe  stellt  die  De- 
pots von  Gesellschaften  und  Privatpersonen  dar.  Diese 
162  000  000  Dollar  sind  totes  Kapital,  das  bei  seiner  Firma 
angelegt  ist. 

Nach  den  Steuerergebnissen  von  1904  —  den  letzten, 
die  zugänglich  sind  —  wurde  der  Gesamtreichtum  der  Ver- 
einigten Staaten  auf  107  104  211  917  Dollar  geschätzt. 
Gegenwärtig  kann  er  auf  mehrere  Billionen  Dollar  höher 
geschätzt  werden.  Wir  sehen  also,  daß  die  beiden  kapita- 
listischen Gruppen,  an  deren  Spitze  John  D.  Rockefeller 
und  J.  Pierpont  Morgan  stehen,  direkt  oder  indirekt  über 
mehr  als  ein  Drittel  dieser  ungeheuren  Summe  verfügen. 
Mit  dieser  Angabe  wird  durchaus  nicht  behauptet,  daß 
diese  beiden  Gruppen  die  Gesamtheit  der  Banksysteme,  die 
Eisenbahn-,  Industrie-,  Bergwerk-,  Wasserkraft-  und  die 
andern  Vermögen  besitzen.  Ihr  Besitz  ist  zweifellos  un- 
geheuer groß,  aber  zwischen  Besitz  und  Herrschaft  besteht 
ein  sehr  bemerkbarer  Unterschied.  Der  in  Anlagen  vor- 
handene Besitz  eines  beträchtlichen  Teiles  dieser  Vermögen 


-  746  - 

gehört  Tausenden  von  Millionären  und  Multimillionären 
in  allen  Teilen  der  Vereinigten  Staaten.  Andere  Teile  des 
Kapitals  sind  im  Besitz  einer  beträchtlichen,  aber  abneh- 
menden Anzahl  von  kleinen  wohlhabenden  Aktionären. 
Aber  der  überwiegende  Besitz  und  die  unumschränkte 
Herrschaft  befinden  sich  in  den  Händen  und  zur  Verfügung 
einiger  weniger  größter  Magnaten.  Mit  ihnen  verbunden 
oder  unter  ihnen  steht  eine  Reihe  weiterer  Magnaten,  wie 
James  J.  Hill,  der  die  Eisenbahnen  des  Nordwestens  be- 
herrscht; die  Familie  Armour,  die  den  „Beef  Trust"  be- 
herrscht; die  Vanderbilts,  Goulds,  Astors,  Thomas  F.  Ryan 
und  andere  Multimillionäre  dieser  Art,  von  denen  jeder 
in  seiner  Sphäre  mächtig  ist,  die  aber  in  verschiedener 
Weise  niedrigere  und  untergeordnetere  Schichten  beherr- 
schen als  Rockefeller  und  Morgan. 

Der  heiliggesprochene  Kapitalismus 

Da  das  Proletariat  von  der  klaren  Erkenntnis  aller  dieser 
Tatsachen  und  Verhältnisse  durchdrungen  ist,  wissen  die 
erfahrenen  Anhänger  des  bestehenden  Systems  sehr  wohl, 
wie  abgeschmackt  es  ist,  bei  der  alten  Ausflucht  zu  bleiben, 
daß  die  Arbeiter  selbst  Kapitalisten  werden  können  —  eine 
Ausflucht,  die  sich  durch  die  Verhältnisse  sofort  als  irre- 
leitend und  unsinnig  erweist.  Daher  haben  die  milder  ge- 
sinnten Magnaten  den  Versuch,  das  Proletariat  nach  dieser 
Richtung  hin  mit  den  herrschenden  Verhältnissen  auszu- 
söhnen, aufgegeben  und  vor  einigen  Jahren  angefangen, 
eine  neue  Politik  zu  verfolgen.  Mit  einer  Dreistigkeit,  die 
derjenigen  entspricht,  die  sie  bei  der  Ausgabe  von  unge- 
heuren Mengen  nur  nominell  erhöhter  Aktien  anwandten, 
sind  sie  kühn  ausgezogen,  sogar  den  Himmel  zu  annektieren, 
indem  sie  erklärten,  daß  den  Männern  und  Frauen  von 
großem  Reichtum  dieser  Reichtum  von  Gott  anvertraut  sei, 
damit  sie  als  Verwalter  für  das  übrige  Volk  handelten.  Dies 
war  die  berühmte  Erklärung,  die  George  F.  Baer,  der 
Titularchef  des  Kohlentrusts,  im  Jahre  1902  während  des 
Streiks  der  Kohlenarbeiter  abgab.  Der  Gedanke  war  jedoch 
durchaus  nicht  originell;  er  war  den  von  der  Geistlichkeit 


-  747  - 

oft  verbreiteten  Lobpreisungen  philanthropischer  Kapita- 
listen entlehnt.  Seit  der  Zeit  hat  man  den  Gedanken  noch 
so  weit  verbessert,  daß  man  die  Eigenschaft  eines  Verwalter- 
amtes fallen  ließ  und  das  Dogma  auf  ein  Gottesgnadentum 
beschränkte. 

Als  E.  H.  Harriman  vor  einigen  Jahren  seine  ungeheuren 
Betrügereien  ausführte,  behauptete  sein  —  nebenbei 
bemerkt,  sehr  berühmter  —  juristischer  Vertreter,  daß 
„Harriman  sich  in  einer  geheiligten  Sphäre  bewege,  in 
die  keinem  von  uns  gestattet  sei,  einzutreten".  Und 
kürzlich,  am  23.  November  191 2,  bei  der  gerichtlichen 
Verhandlung  in  dem  von  der  Regierung  der  Vereinigten 
Staaten  zur  Auflösung  des  Mähmaschinen-Trusts  einge- 
schlagenen Verfahren,  wurde  ein  von  E.  N.  Wood,  dem 
Sekretär  der  internationalen  Mähmaschinen-Gesellschaft, 
stammender  Brief  vorgebracht,  in  dem  Wood  geschrieben 
hatte,  daß  die  Bildung  des  Trusts  sich  „in  Übereinstimmung 
mit  der  göttlichen  Weltordnung"  befände. 

In  einem  orthodoxen,  religiösen  Zeitalter  hätte  man  diesen 
weitgehenden  Ansprüchen  auf  göttliches  Recht  unter  den 
Abergläubischen  und  Unwissenden  mit  einiger  Wirkung 
Nachdruck  verleihen  können.  Aber  in  dieser  bilderstür- 
menden, rationalistischen  Zeit  sind  sie  mit  unbändigem 
Gelächter  aufgenommen  worden.  In  einer  Periode,  in  der 
man  das  Gottesgnadentum  der  Könige  nicht  ernsthaft 
nimmt,  kann  man  nicht  wohl  den  Geldkönigen  das  zu- 
gestehen, was  man  den  erblichen  Königen  verweigert. 

Nur  wenn  man  die  unerträglichen  Bedingungen,  unter 
denen  das  amerikanische  Proletariat  zu  leben  gezwungen 
ist  und  den  leidenschaftlichen  Geist  des  Grolls  und  der  Em- 
pörung kennt,  der  in  großen  Kreisen  desselben  in  der  Tiefe 
glimmt  und  immer  höher  anschwillt,  versteht  man,  warum 
die  großen  Magnaten,  nachdem  sie  alle  andern  Methoden 
versucht  haben,  sich  als  auserwählte  Statthalter  der  Gottheit 
erklären,  in  einem  letzten  verzweifelten  Versuch,  den  Ver- 
stand und  den  Arm  des  Proletariats  zu  lähmen,  indem 
sie  für  ihre  Person  und  ihren  Reichtum  religiöse  Ehrfurcht 
anrufen. 


-  748  - 

Das  ländliche  Proletariat 

Die  ökonomischen  Verhältnisse  haben  sich  in  den  Ver- 
einigten Staaten  mit  solcher  Geschwindigkeit  bewegt,  daß 
es  jetzt  ein  großes  und  deutlich  erkennbares  ländliches  Pro- 
letariat gibt,  das  im  Begriffe  ist,  sich  in  Mitgefühl  und  in 
den  Zielen  mit  dem  gewerblichen  Proletariat  der  Städte 
rasch  zu  verbünden.  Wohl  hat  es  immer  eine  große  länd- 
liche Arbeiterbevölkerung  gegeben  —  eine  Bevölkerung 
ländlicher  Lohnempfänger,  die  sich  von  vielleicht  einer 
Million  im  Jahre  1820  auf  ungefähr  5  Millionen  oder  weniger 
im  Jahre  1910  vermehrt  hat.  Aber  bis  in  die  neueste  Zeit 
hinein  stand  sie  abseits  von  dem  gewerblichen  Proletariat, 
da  sie  glaubte,  daß  sie  mit  den  Arbeitern  in  Fabriken,  Berg- 
werken, Werkstätten  oder  an  Eisenbahnen  nichts  gemein 
habe.  Bis  vor  zwei  Jahrzehnten  glaubten  viele  der  Land- 
arbeiter —  wenn  man  sie  als  Ganzes  betrachtet  und  die 
2  Millionen  Neger  unter  ihnen  ausnimmt  —  aufrichtig,  daß 
es  in  den  Vereinigten  Staaten  außerordentlich  günstige 
Gelegenheiten  zum  selbständigen  Vorwärtskommen  gäbe. 
Jahrelang  waren  von  allen  Seiten  glühende  Zeitungsartikel 
und  politische  Reden  erschienen,  die  die  unbegrenzten  gün- 
stigen Gelegenheiten  beschrieben :  wie  im  Westen  und  Süd- 
westen viele  Strecken  öffentlichen  Gebietes  lägen,  die  auf 
Ansiedlung  warteten,  und  wie  dieses  Land  frei  in  Besitz 
genommen  oder  mit  sehr  geringen  Kosten  erworben  werden 
könne.  Den  ländlichen  Elementen  wurde  das  Ideal  vor- 
gehalten, daß  jeder  Mann,  der  es  wünscht,  seine  eigne  Farm 
haben  könne.  Horace  Greeleys  Ausspruch:  „Gehe  nach 
dem  Westen,  junger  Mann",  war  ein  bündiger  Ausdruck 
dieses  allgemein  herrschenden  Glaubens.  Und  dieser  Glaube 
lebte  noch  lange  als  Tradition  fort,  obgleich  eine  Anzahl 
volkswirtschaftlicher  Veränderungen  zusammen  wirkten,  um 
ihn  wertlos  zu  machen.  Große  Scharen  von  eingeborenen 
und  eingewanderten  Farmern  und  Landarbeitern  wanderten 
tatsächlich  nach  den  westlichen  Staaten.  In  der  Regel  fan- 
den sie,  daß  ungeheure  Flächen  des  besten  und  am  leich- 
testen zugänglichen  Landes  schon  von  Eisenbahn-  und 
andern  Gesellschaften  erworben  worden  waren,  die  es  auf 


-  749  - 

Grund  von  staatlichen  Landbewilligungen  besaßen,  welche 
gewöhnlich  in  betrügerischer  Weise  durch  käufliche  Ge- 
setzgebung oder  durch  amtliche  strafbare  Nachsicht  erlangt 
waren.  Begünstigte  Privatpersonen  erwarben  gleichfalls 
ausgedehnte  Landbewilligungen.  Reichlich  200  Millionen 
Morgen  gingen  auf  diese  Art  in  den  Besitz  auswärts  lebender 
Grundbesitzer  über,  von  denen  die  Ansiedler  das  Land  oft 
zu  übertrieben  hohen  Preisen  kaufen  mußten. 

In  den  Jahren  1891 — 1893  wurde  die  letzte  große  Fläche 
nationalen  öffentlichen  Gebietes  —  der  jetzige  Staat  Okla- 
hama  — der  Ansiedlung  erschlossen;  ein  großer  Teil  dieser 
Fläche  wurde  ebenfalls  Eigentum  auswärtiger  Grundbesitzer. 
Die  Verfügung  über  diese  große  Landstrecke  erl'chöpfte 
tatsächlich  die  zu  Gebote  stehende  Fläche  öffentlichen 
Gebietes.  Gleichzeitig  waren  andere  Faktoren  in  Tätigkeit, 
die  rasch  darauf  hinarbeiteten,  ein  landwirtschaftliches 
Proletariat  hervorzubringen.  Primitive  Geräte  genügten 
nicht  mehr  für  die  Landwirtschaft ;  um  die  Landwirtschaft 
in  modernem  Maßstabe  zu  betreiben,  waren  kostbare  Werk- 
zeuge und  Maschinenkraft  erforderlich;  um  diese  zu  er- 
langen mußte  der  Farmer  oft  Schulden  machen.  Gleich- 
zeitig waren  die  hohen  Frachtsätze  der  Eisenbahnen  und 
die  Erpressungen  von  Getreidespeicher-Kompanien  und 
allen  möglichen  Vereinigungen  und  Trusten  für  die  große 
Masse  der  Farmer  eine  schwere  Last,  die  von  dem,  was 
er  produzierte,  die  Sahne  abschöpfte. 

Mehr  als  ein  Drittel  Pächter 

Die  Folge  dieser  und  anderer  zusammenwirkender  Um- 
stände ist,  daß,  wie  aus  der  Volkszählung  von  1910  hervor- 
geht, nicht  weniger  als  2  349  245  von  den  6  362  000  Farmen 
der  Vereinigten  Staaten  von  Pächtern  betrieben  werden  — 
eine  Zunahme  von  320  000  Pächtern  seit  1900.  Das  An- 
wachsen der  Pächterbevölkerung  hat  seit  1880  beständig 
zugenommen  und  jetzt  einen  so  hohen  Grad  erreicht,  daß 
die  Pächter  ein  Drittel  der  ackerbautreibenden  Bevölke- 
rung der  Vereinigten  Staaten  bilden. 

Dieses  ist   ein   wesentlich  anderer  Zustand  als  der,  auf 


-  750  - 

den  man  vor  vierzig  Jahren  hinwies:  daß  jeder  Landwirt 
Gelegenheit  habe,  Eigentümer  einer  Farm  zu  werden. 

Das  Überwiegen  der  Pachtwirtschaft  zeigt  sich  am  deut- 
lichsten darin,  daß  sie  besonders  zahlreich  in  ausgesproche- 
nen Ackerbaustaaten  und  vorzugsweise  in  den  reichen  Baum- 
wolle-, Mais-,  Weizen-,  Tabak-  und  Obstlandstrichen  auf- 
tritt. In  einem  Gesamtgebiet  von  1080  Kreisen,  das  sich 
von  Virginia  bis  an  die  Grenzen  von  Texas  erstreckt  (wobei 
die  Gebirgsgegenden  nicht  mitgerechnet  sind)  gibt  es 
700  000  Pächter,  von  denen  mehr  als  500  000  Neger  sind. 
Diese  Gegend  bildet  den  sogenannten  „Schwarzen  Gürtel" 
—  d.  h.,  es  sind  dies  die  Staaten,  die  eine  dichte  Neger- 
bevölkerung haben.  Es  ist  die  Gegend,  die  die  Baumwolle 
und  in  ausgedehntem  Maße  die  Tabakernte  der  Vereinigten 
Staaten  erzeugt.  Die  früheren  großen  Farmen  sind  in  solche 
Unterabteilungen  zerlegt,  daß  die  Durchschnittsgröße  einer 
Pachtung,  auf  der  Baumwolle  gebaut  wird,  nur  zwischen 
15  und  17  Morgen  schwankt.  Der  Besitzer  des  Landes  ist 
gewöhnlich  der  Dorf-  oder  Stadtbankier  oder  Ladeninhaber, 
und  er  fordert  folgenden  Tribut:  Wenn  der  Pächter  mit 
eignem  Pfluge,  Maulesel  und  Düngemittel  versehen  ist, 
dann  gibt  er  dem  Besitzer  für  die  Benutzung  des  Landes 
und  für  ein  sehr  minderwertiges  Gebäude  ein  Drittel  der 
Baumwollernte,  ebensoviel  dort,  wo  Getreide  gebaut  wird, 
von  der  Getreideernte  und  ein  Viertel  der  Maisernte.  Aber 
wenn  der  Besitzer  Pflug,  Maulesel  und  Düngemittel  liefert, 
dann  erhält  der  Besitzer  die  Hälfte  der  Ernte  und  häufig 
noch  ein  Pachtgeld  in  der  Form  einer  Tantieme  von  i  bis 
3  Dollar  für  den  Morgen.  Die  700000  Pächter  im  Süden 
produzieren  jährlich  350  Millionen  Dollar  in  Ernten.  Die 
jährlichen  Einnahmen  des  einzelnen  Pächters  belaufen  sich 
auf  450  bis  500  Dollar,  aber  von  dieser  Summe  gehen  von 
einem  Drittel  bis  zur  Hälfte  oder  mehr  in  Bargeld  oder 
seinem  Äquivalent  an  den  Besitzer.  Nachdem  der  Pächter 
seine  Pacht  und  andere  Unkosten  bezahlt  hat,  behält  er 
weniger  als  225  Dollar  für  seine  Jahresarbeit  und  muß  aus 
dieser  Summe  noch  seine  Hilfskräfte  bezahlen,  wenn  er 
keine  Familie  hat,  die  ihn  in  der  Feldarbeit  unterstützt. 
Und  hier  mag  erwähnt  werden,  daß  der  in  der  europäischen 


-  751   - 

Landbevölkerung  so  bemerkenswerte  Zustand,  daß  Frauen 
auf  dem  Felde  arbeiten  müssen,  in  den  Vereinigten  Staaten 
in  voller  Wirkung  ist,  obgleich  er  nicht  ebenso  entschuldigt 
werden  kann  wie  in  Europa,  wo  der  Militärdienst  die 
Männer  in  die  Armee  treibt.  Es  gibt  in  den  Vereinigten 
Staaten  mehr  als  700  000  Frauen,  die  in  der  Landwirt- 
schaft beschäftigt  sind. 

Sehr  viele  Landbesitzer  im  Süden  erhalten  nicht  nur 
Pachtgeld,  sondern  belasten  in  ihrer  Eigenschaft  als  Bankiers 
und  Warenhausbesitzer  den  Pächter  noch  mit  einer  Abgabe 
von  IG  bis  IOC  Prozent  für  alles,  was  er  kauft  oder  leiht. 
Das  unvermeidliche  Resultat  ist,  daß  der  Pächter  in  das 
größte  Elend  gerät  und  rasch  in  einen  Zustand  getrieben 
wird,  der  vollständiger  Verarmung  sehr  nahekommt. 

Wenn  man  die  ungefähr  500  000  Neger  unter  den  Päch- 
tern im  Süden  abzieht,  sind  die  von  der  Gesamtzahl  der 
2  349  245  Pächter  in  den  Vereinigten  Staaten  Übrigblei- 
benden hauptsächlich  Weiße. 

Das  verhältnismäßig  ungeheuer  große  verpachtete  Gebiet 

Ohne  hier  auf  eine  erschöpfende  Darlegung  des  Pacht- 
besitzes in  den  Vereinigten  Staaten  einzugehen  können 
doch  von  den  Zuständen,  die  in  anderen  reichen  ackerbau- 
treibenden Staaten  herrschen,  noch  einige  auffallende  Tat- 
sachen erwähnt  werden.  Der  nördliche  Zentralbezirk  ist 
eins  der  wichtigsten  ackerbautreibenden  Gebiete  von  allen. 
Er  umfaßt  die  zwölf  Staaten  Ohio,  Indiana,  Iowa,  Illinois, 
Michigan,  Wisconsin,  Nebraska,  Kansas,  Missouri,  Minne- 
sota, North  Dakota  und  South  Dakota.  In  diesem  Gebiete 
werden  zwei  Drittel  der  Weizenernte  der  Vereinigten 
Staaten  hervorgebracht,  ein  sehr  bedeutender  Teil  der 
Gerstenernte,  sieben  Zehntel  der  Maisernte,  acht  Zehntel 
der  Haferernte  und  sechs  Zehntel  der  Heu-  und  Futter- 
ernte. Dieses  fruchtbare  Gebiet  ist  in  hohem  Maße  die 
Kornkammer  der  Nation.  Es  liefert  den  größten  Teil  des 
Brotkornes  und  sehr  viele  Erzeugnisse  der  Milchwirtschaft 
und  Obst.  In  Michigan  und  Wisconsin  sind  nicht  ganz 
20  Prozent  der  Farmer  Pächter,  und  in  Ohio,  Minnesota 


und  South  Dakota  beinahe  30  Prozent.  In  den  Staaten 
von  Nebraska  hingegen  gibt  es  38,1  Pächter  unter  je 
IOC  Farmern;  in  Iowa  37,8,  in  Kansas  36,8,  in  Indiana  30,0, 
in  Missouri  29,9  und  in  Illinois  41,1  unter  je  100.  Es 
sind  andere  reiche  ackerbautreibende  Staaten  vorhanden, 
in  denen  die  Hälfte  der  Farmer  oder  mehr  Pächter  sind, 
wie  in  Arkansas  (unter  je  100  Farmern  50  Pächter)  und 
in  Louisiana  (unter  je  100  Farmern  55,3  Pächter).  In 
Oklahoma  (das,  wie  wir  gesehen  haben,  bis  1891/93  öffent- 
liches Gebiet  war)  gibt  es  jetzt  104  137  Pächter  oder  54,8 
unter  je  100  Farmern.  Texas  allein  hat  219  575  Päch- 
ter, oder  52,6  unter  je  100  Farmern.  Wenn  diese  Zahlen 
auch  hoch  sind,  so  werden  sie  doch  noch  durch  die  für 
die  Staaten  Alabama,  South  Carolina,  Georgia  und  Missis- 
sippi übertroffen  —  alles  fruchtbare  Baumwollstaaten  — , 
wo  das  Verhältnis  der  Pachtungen  zwischen  60  und  70  Pro- 
zent beträgt. 

Ein  ständiges  ländliches  Proletariat 

Hier  gibt  es  ein  klar  bestimmtes  ländliches  Proletariat. 
Seine  Lage  ist  in  mancher  Hinsicht  viel  schlimmer  als  die 
des  gewerblichen  Proletariats.  Große  Scharen  sehen  nie- 
mals Geld,  und  alle  stehen  hilflos  und  wehrlos  unter  dem 
zermalmenden  Druck  des  Pacht-,  Anteil-  und  Wucher- 
systems. Sie  können  nicht  hoffen,  Eigentümer  des  von 
ihnen  bestellten  Landes  zu  werden,  da  gerade  in  den  Ge- 
bieten, wo  der  Durchschnittspreis  für  Ackerland  am  höch- 
sten, Pachtbesitz  am  zahlreichsten  ist. 

In  North  Dakota  zum  Beispiel,  wo  das  Ackerland  auf 
25,70  Dollar  für  den  Morgen  geschätzt  wird,  sind  unter  je 
IOC  Farmern  15  Pächter,  in  Michigan,  wo  der  Preis 
32  Dollar  für  den  Morgen  beträgt,  16  Pächter.  In  South 
Dakota  beträgt  der  Preis  des  Landes  34,70  Dollar  für  den 
Morgen;  dort  sind  beinahe  25  von  loo  Farmern  Pächter. 
Der  Durchschnittswert  des  Ackerlandes  in  Kansas  beträgt 
35,50  Dollar  für  den  Morgen;  in  diesem  Staate  sind  bei- 
nahe 37  Prozent  der  Farmer  Pächter.  Das  Ackerland  von 
Iowa  hat  einen  Durchschnittsverkaufswert  von  83  Dollar 


-  753  - 

für  den  Morgen,  der  Anteil  der  Pächter  in  diesem  Staate 
beträgt  beinahe  38  Prozent.  In  Illinois,  wo  das  Ackerland 
durchschnittlich  auf  94,90  Dollar  für  den  Morgen  geschätzt 
wird,  sind  unter  je  100  Farmern  beinahe  42  Pächter. 

Die  Lage  des  Pächters  ist  daher  im  allgemeinen  offenbar 
hoffnungslos.  Er  kann  nicht  hoffen,  ein  Farmbesitzer  zu 
werden,  wenigstens  nicht  in  den  Vereinigten  Staaten.  Aller- 
dings bietet  Kanada  einen  Ausweg,  wohin  seit  1897  784  139 
Ansiedler  aus  den  Vereinigten  Staaten  ausgewandert  sind, 
um  den  Ackerbau  in  den  westlichen  kanadischen  Provinzen 
in  Angriff  zu  nehmen.  Dies  ist  an  und  für  sich  eine  bedeut- 
same Tatsache;  die  landwirtschaftliche  Wanderbewegung, 
die  so  lange  in  die  Vereinigten  Staaten  geführt  hat,  besteht 
jetzt  in  der  Auswanderung  aus  den  Vereinigten  Staaten. 
Die  Hauptmasse  der  amerikanischen  Ansiedler,  die  nach 
Kanada  gehen,  bestand  und  besteht  jedoch  aus  amerika- 
nischen Farmbesitzern,  die  ihr  Ackerland  haben  verkaufen 
können  und  sich  mit  dem  Ertrage  in  Kanada  niedergelassen 
haben,  wo  unbesiedeltes,  fruchtbares  Land  für  einen  ge- 
ringeren Preis  erlangt  oder  frei  in  Besitz  genommen  werden 
kann.  Der  wirkungsvolle  Betrieb  des  Landbaus  auf  dem 
Prärieboden  von  Kanada  erfordert  die  neusten  landwirt- 
schaftlichen Maschinen  und  damit  eine  Ausgabe  von  wenig- 
stens einigen  Tausend  Dollar.  Der  amerikanische  Pächter, 
der  kein  Geld  und  gewöhnlich  Schulden  hat,  kann  sich 
diese  günstigen  Gelegenheiten  in  Kanada  nicht  zunutze 
machen.    Er  muß  an  den  Boden  gefesselt  bleiben. 

Außer  den  2  Millionen  Pachtfarmen  in  den  Vereinigten 
Staaten  gibt  es  i  327  439  andere  Farmen  (unter  im  ganzen 
3  933  705  Eigentumsfarmen),  die  mit  Hypotheken  belastet 
sind.  Die  Besitzer  dieser  Farmen  sind  jedoch  rechtlich  und 
psychologisch  Eigentümer  und  können  nicht  unter  das 
ländliche  Proletariat  gerechnet  werden. 

Das  Los  eines  Pächters  ist  im  allgemeinen  und  besonders 
in  den  reichen  ackerbautreibenden  Staaten  ganz  verzweifelt. 
Um  die  geforderte  drückende  Pacht  zu  bezahlen,  muß  er 
den  Boden  bis  auf  das  Letzte,  das  er  hergeben  will,  aus- 
pressen; er  kann  es  sich  nicht  gestatten,  irgendeinen  Teil 
seines  Landes  ruhen  zu  lassen;  auch  kann  er  keine  wech- 


-  754  - 

selnde  Fruchtfolge  haben,  da  seine  Farm  nicht  groß  genug 
ist.  Diese  beständige  Ausnutzung  des  Bodens  hat  zur  Folge, 
daß  er  seine  Fruchtbarkeit  rasch  verliert.  Darin  liegt  ein 
Grund,  weshalb  die  Versorgung  mit  Nahrungsmitteln  nicht 
mit  dem  Bedarf  der  zunehmenden  Bevölkerung  Schritt 
gehalten  hat  und  weshalb  nach  wenigen  Jahren  die  Ver- 
einigten Staaten  aufgehört  haben  werden,  Nahrungs- 
mittel zu  exportieren,  und  gezwungen  sein  werden,  sie  zu 
importieren.  Dies  zeigt  sich  auffallend  in  der  Statistik  der 
Produktion  und  des  Exports.  Vor  zehn  Jahren  produzierten 
die  Vereinigten  Staaten  500  000  000  Bushel  Weizen  und 
exportierten  37,5  Prozent;  sie  produzierten  damals  2  500000 
Bushel  Mais  und  exportierten  17  Prozent.  Heute  erzeugen 
die  Vereinigten  Staaten  700  000  000  Bushel  Weizen,  von 
denen  sie  17  Prozent  exportieren;  und  von  der  gegenwär- 
tigen Produktion  von  2  750  000  000  Bushel  Mais  expor- 
tieren sie  nur  3  Prozent. 

Pächtervereine 

Schon  in  Texas  und  in  den  benachbarten  Staaten  haben 
die  Pächter  Landpächterverbände  gebildet,  die  in  der  Or- 
ganisation den  Gewerkschaften  der  Fabrik-  und  Berg- 
arbeiter ähnlich  sind.  Diese  Tatsache  ist  im  höchsten  Grade 
bedeutungsvoll;  sie  zeigt,  daß  eine  beträchtliche  Anzahl  der 
Pächter  sich  zum  Proletariat  rechnet  und  sich  bereit  macht, 
eine  Verbindung  mit  dem  gewerblichen  Proletariat  her- 
zustellen. Dieses  ist  an  und  für  sich  ein  stark  revolutionärer 
Schritt,  aber  das  ausgesprochene  Ziel  der  Pächterverbände 
hat  sogar  einen  noch  stärkeren  revolutionären  Charakter. 
Diese  Verbände  verlangen,  daß  der  Besitz  des  Landes  sich 
nur  auf  Benutzung  und  nicht  auf  geschriebene  Ansprüche 
gründe.  Eine  solche  Forderung  bedeutet  einen  Umsturz 
des  ganzen  bestehenden  Systems  des  Landbesitzes,  und 
diesen  kann  nur  eine  vollständige  Umwälzung  herbeiführen. 
Eine  solche  Umwälzung  wird  nur  durch  Zuziehung  des  ge- 
werblichen Proletariats  erreicht  werden,  aber  das  rasch  an 
Boden  gewinnende  gewerbliche  Verbandwesen  verspricht 
beide  Elemente  in  einer  mächtigen  Bewegung  zu  vereinigen. 


-  755  - 

Die  Landarbeiter 

Zu  derselben  Zeit  droht  Unruhe  von  einem  beträcht- 
lichen Teile  der  Landarbeiter.  Die  Volkszählung  von  1900 
ergab  eine  Gesamtsumme  von  4410877  landwirtschaft- 
lichen Lohnarbeitern.  Von  dieser  Zahl  waren  663  209 
Mädchen  oder  Frauen.  Im  Gegensatz  zu  den  in  der  Fabrik- 
industrie herrschenden  Verhältnissen  ist  nur  ein  kleiner  Teil 
der  Landarbeiter  im  Auslande  geboren.  Selbst  in  den 
Staaten  im  äußersten  Osten,  wo  die  Landwirtschaft  nicht 
in  so  ausgedehnten  Unternehmungen  wie  in  den  westlichen 
Staaten  betrieben  wird,  ist  die  Tendenz  zur  ständigen 
Abnahme  der  Landarbeiter  bemerkbar.  In  den  Bezirken 
vollends,  in  denen  es  ausgedehnte  Farmen  gibt  und  in 
denen  der  Prärieboden  die  Benutzung  landwirtschaftlicher 
maschineller  Geräte  leicht  macht,  wird  jetzt  diese  Tendenz 
entschieden  bemerkt. 

Maschinelle  landwirtschaftliche  Hilfsmittel 

Die  fortdauernde  Einführung  und  Benutzung  neuerer 
landwirtschaftlicher  Maschinen,  die  beständig  Verbesse- 
rungen erfahren,  macht  es  unvermeidlich,  daß  der  Bedarf 
an  Handarbeit  dauernd  abnimmt.  Maschinen,  die  noch 
vor  wenigen  Jahren  als  die  modernsten  angesehen  wurden 
und  die  ein  gewisses  Maß  von  Handarbeit  ersetzten,  gelten 
jetzt  als  veraltet.  Es  werden  mechanisch  bewegte  Pflüge 
angefertigt,  die  mit  einem  Schlage  mehrere,  sechs  Zoll  tiefe 
Furchen  in  den  Boden  schneiden  und,  mit  starkem  elek- 
trischen Licht  versehen,  Tag  und  Nacht  betrieben  werden 
können.  Diese  Traktorpflüge  sind  ebenso  wie  Traktor- 
Sämaschinen,  -Mähmaschinen  und  -Garbenbinder  bei  großer 
Ersparnis  von  Zeit  und  Geld  für  die  Bewirtschaftung  sehr 
großer  Flächen  wunderbar  geeignet  und  bringen  die  kleinen 
und  sogar  die  mäßig  großen  Farmen  in  einen  deutlichen 
Nachteil  im  Wettbewerb  mit  den  sehr  großen.  Die  Ein- 
führung dieser  Maschinen  bedeutet  eine  noch  größere  Ver- 
drängung ländlicher  Arbeit  und  weist  darauf  hin,  daß  die 
Zeit  gekommen  ist,  in  der  Kapitalisten  die  Landwirtschaft 


-  756  - 

auf  riesenhafter  Stufenleiter  betreiben  werden;  und  in  der 
Tat  hat  bereits  eine  Anzahl  von  Gesellschaften  zur  Anlage 
ihres  Geldes  damit  den  Anfang  gemacht. 

Auf  diese  Weise  geht  die  Nachfrage  nach  ländlicher 
Lohnarbeit  immer  mehr  zurück.  Auf  sehr  vielen  Getreide- 
und  andern  Farmen,  auf  denen  landwirtschaftliche  Ma- 
schinen gebraucht  werden,  herrscht  keine  Nachfrage  mehr 
nach  den  kräftigen,  geübten,  erfahrenen  Landleuten  des 
alten  Schlages.  Die  verlangte  Arbeit  ist  mehr  mechanischer 
Art;  es  werden  Männer  gebraucht,  die  mit  Maschinen 
umzugehen  verstehen,  denn  was  das  Pflügen,  Säen,  Pflanzen 
und  Ernten  betrifft,  so  werden  diese  Verrichtungen  von 
den  Maschinen  automatisch  besorgt.  Die  Nachfrage  nach 
Arbeitskräften  wird  am  dringendsten  zur  Erntezeit;  jeder 
Tag,  an  dem  die  Hilfe  fehlt,  zieht  dann  für  den  Arbeit- 
geber einen  empfindlichen  wirtschaftlichen  Verlust  nach 
sich;  die  Ernte  muß  innerhalb  einer  kurzen  und  beschränk- 
ten Zeit  eingebracht  werden,  sonst  verfault  sie  auf  dem 
Boden.  Folglich  erzeugen  diese  Umstände  in  hohem  Maße 
nomadische  ländliche  Arbeitselemente;  zur  Erntezeit  ziehen 
Scharen  von  wandernden  Fabrik-,  Werkstätten-  und  Gru- 
ben-, Eisenbahn-  und  anderen  Arbeitern,  die  in  ihrem  be- 
sonderen Beruf  keine  Arbeit  haben,  nach  den  Gegenden, 
wo  Ernten  im  Gange  sind  und  wo  sie  einige  Dollar  auf- 
lesen können.  Dieselben  Maschinenkräfte,  die  darauf  hin- 
wirken, das  Bedürfnis  nach  Feldarbeit  herabzusetzen,  wir- 
ken, wie  wir  sehen  werden,  ähnlich  auf  beinahe  alle  Gebiete 
gewerblicher  Tätigkeit  ein.  Die  Männer,  die  auf  diese  Art 
entbehrlich  werden,  wandern  oft  weite  Strecken,  um  zur 
Erntezeit  Arbeit  zu  finden.  Da  es  ihnen  an  Geld  fehlt, 
reisen  sie  als  blinde  Passagiere  auf  Frachtwagen,  oder 
„hoof  it^\  d.  h.,  sie  laufen  zu  Fuß;  daher  wird  die  Be- 
zeichnung „hobo*^  auf  sie  angewandt.  Ein  beträchtlicher 
Teil  der  Erntearbeit  wird  von  diesen  ,fhoboes^*  ausgeführt, 
die  nichts  mehr  oder  weniger  sind  als  entlassene  oder  ver- 
triebene Arbeiter,  die  heruntergekommen  sind,  weil  sie  in 
ihrem  eignen  Gewerbe  keine  Arbeit  bekommen  können_,  oder 
weil  sie  sich  weigern,  länger  Maschinensklaven  zu  sein. 


-  757  - 

Sämänner  der  Unzufriedenheit 

Diese  Männer  sind  oft  intelligent  und  aufrührerisch, 
wohlbelesen,  durchdrungen  von  dem  Geiste  des  Klassen- 
bewußtseins und  erfüllt  von  einem  bittern  Haß  gegen  das 
bestehende  System.  Viele  von  ihnen  sind  Mitglieder  der 
Arbeiterverbände  und  sind  mit  den  Zielen  und  Methoden 
der  Streike  vertraut.  Überall,  wo  sie  hinkommen,  säen  sie 
ihre  Propaganda  in  ruhiger,  wirksamer  Weise  aus;  wenn  sie 
mit  dem  ausschließlich  ländlichen  Proletariat  in  Verbin- 
dung treten,  erwecken  sie  sein  Gefühl  für  Klassenbewußt- 
sein, pflanzen  ihm  neue  Ideen  ein  und  machen  aus  dem 
Landarbeiter,  der  ein  gedankenloser,  selbstzufriedener,  lenk- 
samer Arbeitsmann  war,  einen  bewußten  Rebellen.  Wo 
früher  Farmbesitzer  oder  Gesellschaft  mit  der  Unterwürfig- 
keit und  Abgeschlossenheit  der  Arbeiter  rechnen  konnten  und 
keiner  organisierten  Forderung  nach  kürzeren  Arbeitsstunden 
und  höherem  Lohn  begegnen  mußten,  müssen  sie  jetzt 
(wenigstens  in  einigen  Landstrichen)  mit  Männern  kämpfen, 
die  Denker,  gute  Organisatoren  und  geschickte  Führer  sind. 
Vereinzelt  auftretende  Streike  auf  Farmen  sind  jetzt  durch- 
aus nichts  Seltenes ;  und  wenn  der  arbeitgebende  Farmer  hart- 
näckig ist,  wird  er  bald  zu  der  Erkenntnis  gebracht,  <laß  es  für 
ihn  billiger  ist,  nachzugeben.  Er  erlebt  es,  daß  zur  Erntezeit, 
wenn  jede  Minute  zählt,  ein  Teil  seiner  landwirtschaftlichen 
Maschinen   plötzlich  zusammenbricht   oder   verschwindet. 

Auch  im  besten  Falle  sind  die  Löhne  der  Landarbeiter 
sehr  gering.  Im  Süden,  wo  die  Negerarbeit  erbarmungslos 
ausgenutzt  wird,  erhält  der  Landarbeiter  durchschnittlich 
13,10  Dollar  monatlich  und  den  dürftigsten  Unterhalt. 
Auf  den  nördlichen  Farmen  beträgt  der  Lohn  durchschnitt- 
lich 20,73  bis  22,22  Dollar  monatlich  mit  Unterhalt;  und 
im  Westen  sind  die  Durchschnittslöhne  31,30  Dollar  monat- 
lich mit  Unterhalt.  Diese  Löhne  beziehen  sich  auf  die 
Arbeiter,  die  für  das  Jahr  gemietet  werden.  Während  der 
Erntezeit  ist  der  Durchschnittslohn  für  die  Arbeiter,  die 
für  die  Säson  gemietet  werden,  überall  in  den  Vereinigten 
Staaten  1,43  Dollar  täglich,  manchmal  mehr,  je  nach  der 
Fähigkeit  und  nach  besonderen  Umständen. 


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Das  Aufhören  der  ländlichen  Abgeschlossenheit 

Während  sich  die  Reihen  der  Landarbeiter  so  in  beträcht- 
licher Weise  aus  denen  der  entlassenen  gewerblichen  Ar- 
beiter ergänzen,  haben  auch  noch  andere  Umstände  einen 
mächtigen  Einfluß  auf  die  psychologische  Neugestaltung 
der  ländlichen  Elemente  und  auf  die  Entwicklung  von  Ge- 
danken, Gärungsstoffen  und  Erstrebungen  unter  dem  be- 
sonderen ländlichen  Proletariat.  Allgemein  gesprochen,  ist 
diese  Bevölkerung  nicht  mehr  so  abgeschlossen  und  ab- 
gesondert, wie  sie  es  vor  Jahrzehnten  war.  Die  Ausdehnung 
der  großen  und  kleinen  Städte,  die  große  Ausdehnung  des 
elektrischen  Tfo//<?y-Systems  und  des  Telephons  in  allen 
ländlichen  Gebieten,  die  Einführung  und  Ausgestaltung  des 
ländlichen  Postbestellsystems,  das  die  Post  selbst  bis  an  die 
Türen  jener  ländlichen  Heimstätten  bringt,  die  viele  Meilen 
von  den  Eisenbahnen  oder  nächsten  Postämtern  entfernt 
liegen  —  alle  diese  Umstände  haben  dazu  gedient,  die  alte 
Atmosphäre  des  Einsiedlertums  zu  zerstören,  und  haben  die 
ländliche  Bevölkerung  in  enge  Berührung  mit  den  laufenden 
Ereignissen,  Bewegungen  und  Gärungsstoffen  des  Tages 
gebracht»  Überall,  wo  es  eine  Wasserkraft,  einen  Strom 
oder  einen  Fluß  gibt,  ist  oder  wird  eine  Fabrik  gebaut; 
einige  der  Landarbeiter  suchen  dort  Arbeit,  und  während 
die  Landarbeiter  nach  den  Städten  streben,  kommen  aus 
den  Städten  die  Arbeiter  hinaus,  die  durch  allmähliche, 
wenn  auch  unterdrückte  Propaganda  neue  wirtschaftliche 
Lehren  und  Ideen  verbreiten  und  die  Grundlagen  des 
Glaubens  erschüttern,  der  früher  in  den  Gegenden  herrschte, 
in  denen  man  den  arbeitgebenden  Farmer  oder  den  Kapi- 
talisten als  Wohltäter  und  Vorgesetzten  der  Arbeiter  ansah. 
Dies  sind  nur  einige  der  eng  miteinander  verbundenen 
Umstände,  die  dazu  dienen,  folgenschwere  Veränderungen 
unter  dem  ländlichen  Proletariat  zu  bewirken,  das  in  der 
Tat  sehr  oft  (wie  hier  kurz  angegeben  wurde),  eine  Zu- 
sammensetzung aus  gewerblichem  und  ländlichem  Prole- 
tariat ist. 


759  - 


Das  harte  Los  der  Holzarbeiter 


In  die  amtliche  Zählung  der  Landarbeiter  sind  annähernd 
125  000  Bauholzarbeiter,  Flößer,  Holzfäller  und  Terpentin- 
arbeiter mit  eingeschlossen.  Wenn  bei  der  vollen  Öffent- 
lichkeit der  städtischen  Verhältnisse  die  Arbeiter  brutaler, 
unbarmherziger  Unterdrückung  unterworfen  sind,  dann 
kann  man  wohl  annehmen,  daß  die  Art  und  Weise  der 
Unterdrückung  in  den  fern  im  Urwald  liegenden  Holz- 
fällerlagern sogar  noch  viel  schlimmer  ist.  In  den  Terpentin- 
lagern des  Südens  herrschte  lange  Zeit  ein  Zustand  der 
Dienstbarkeit,  bei  dem  die  weißen  ebenso  wie  die  schwarzen 
Arbeiter  durch  bewaffnete  Gewalt  wirksam  zur  Arbeit  an- 
gehalten wurden;  und  obgleich  die  Regierung  zahlreiche 
Fälle  verfolgt  hat,  ist  es  doch  durchaus  nicht  sicher,  daß 
diese  Art  Sklaverei  aufgehört  hat.  Nur  wenn  irgendein 
außergewöhnlicher  Streik  unter  den  Holzarbeitern  vor- 
kommt, erfährt  die  ganze  Welt  etwas  von  den  empörenden 
Zuständen  in  diesen  Lagern.  Die  kürzlich  in  Grabow, 
Louisiana  und  in  Hattiesburg,  Texas  von  den  Industrial 
Workers  of  the  World  organisierten  Streike  haben  die 
schmachvollen  Zustände  in  den  Waldlagern  aufgedeckt. 

Die  Holzquellen  der  Vereinigten  Staaten  sind  tatsächlich 
von  dem  Bauholztrust  monopolisiert,  der  sich  aus  einer 
Anzahl  scheinbar  getrennter  Gesellschaften  zusammensetzt. 
In  dem  Lager  von  Grabow  hat  man  die  Arbeiter  gezwungen, 
elf  Stunden  täglich  für  einen  Lohn  von  i  DoUar  den  Tag 
zu  arbeiten.  Aber  da  dieser  Lohn  nicht  wöchentlich,  son- 
dern monatlich  ausgezahlt  wurde,  waren  sie  gewöhnlich, 
lange  bevor  der  Monat  zu  Ende  ging,  ohne  Mittel.  Einen 
bedeutenden  Teil  ihrer  Löhne  erhält  die  Gesellschaft  wieder 
zurück,  indem  sie  für  elende  Hütten,  die  ihr  gehören  und 
die  sie  mit  dem  ehrenvollen  Namen  „Häuser"  bezeichnet, 
die  unerhörte  Miete  von  15  bis  20  Dollar  monatlich  erhebt. 
In  diesen  ekelerregenden  Gebäuden  sind  die  Arbeiter  in 
primitiven  Räumen  zusammengedrängt,  die  keine  Spur  von 
Kanalisierung  oder  anderen  sanitären  Einrichtungen  auf- 
weisen.    Die   dafür  geforderte  Miete   ist  ebenso  hoch,   ja 


—  760  — 

höher,  wie  die  für  leidlich  gute  Häuser  in  kleineren  Städten, 
wo  der  Grundbesitz  hohen  Wert  hat.  Ein  weiterer  großer 
Teil  der  bezahlten  Löhne  wird  den  Arbeitern  dadurch 
wieder  abgezwungen,  daß  sie  in  der  Zeit  zwischen  den 
Zahltagen  nichts  anderes  erhalten  als  Anweisungen  der 
Gesellschaft,  die  nur  gegen  Waren  eingetauscht  werden 
können.  Da  die  Gesellschaft  ihre  eignen  Lebensmittel-  und 
Kramläden  besitzt,  erpreßt  sie  von  ihren  Arbeitern  einen 
übermäßig  hohen  Preis  für  Lebensbedürfnisse  —  20  bis  50 
Prozent  mehr,  als  in  andern  Detailgeschäften  verlangt  wird. 

Ein  solches  Ausbeutungssystem  bedeutet  unvermeidlich 
Sklaverei;  kaum  kommt  der  Zahltag  heran,  so  wird  der 
ganze  oder  beinahe  der  ganze  Lohn  für  Schulden  und  Miete 
in  Abzug  gebracht.  Als  kürzlich  A.  L.  Emerson,  der  Prä- 
sident der  neuorganisierten  Holzarbeiter  Amerikas,  zu 
diesen  Holzsklaven  in  Grabow  sprach  und  in  sie  drang,  sich 
zu  organisieren,  feuerte  eine  Schar  bewaffneter  Mordbuben 
unter  die  Menge  und  tötete  drei  der  Arbeiter.  Dann  wurde 
Emerson  mit  vielen  andern  Arbeitern  unter  dem  dreisten 
Vorwand,  daß  er  und  seine  Verbündeten  den  Mord  ver- 
anlaßt hätten,  ohne  Annahme  einer  Bürgschaft  ins  Gefäng- 
nis gebracht.  Nach  dem  Verhör  wurden  sie  später  frei- 
gesprochen. Das  Wagnis,  für  eine  bessere  Lage  der  Arbeiter 
zu  agitieren,  wird  als  schweres  Verbrechen  angesehen;  selbst 
wenn  später  Freisprechung  erfolgt,  ist  der  Hauptzweck,  die 
Angeklagten  solange  wie  möglich  im  Gefängnis  zu  halten, 
um  ihre  Agitation  zu  verhindern. 

In  den  übrigen  Lagern  der  Holzindustrie  herrschen  die- 
selben Zustände  —  dieselben  Hungerlöhne,  dieselben  Erpres- 
sungen, dieselben  vernichtenden  Ausbeutungen.  In  diesen 
Holzlagern  haben  die  Kapitalisten  vor  langer  Zeit  ange- 
fangen, das  Hilfsmittel  anzuwenden,  mit  dem  man  in  den 
Lagern  der  Eisenbahnbauarbeiter  und  in  Bergwerken  und 
Fabriken  den  Anfang  gemacht  hat,  das  Hilfsmittel  nämlich, 
Männer  und  Frauen  der  verschiedensten  Rassen  und  Natio- 
nalitäten miteinander  zu  mischen,  indem  man  damit  rech- 
nete, daß  ihre  künstlich  genährten  Vorurteile  und  Feind- 
schaften und  die  Sprachenverwirrung  sie  verhindern  wür- 
den,  sich   zu   gemeinschaftlichem   Handeln   zusammenzu- 


—  yöi  — 

schließen.  Aber  schwerer  wirtschaftlicher  Druck  veranlaßt 
jetzt  die  weißen  Mitarbeiter,  sich  ohne  Rücksicht  auf  die 
Nationalität  zu  entschlossenem  Widerstände  zu  verbinden; 
und  dieselben  Ursachen  bringen  jetzt,  wenn  auch  in  lang- 
samerem und  geringerem  Grade,  Neger  und  weiße  Arbeiter 
zusammen.  Diese  letzte  Tatsache  ist  bedeutungsvoll;  es  gibt 
8  Millionen  Neger  in  den  Vereinigten  Staaten ;  die  großen 
Kapitalisten  machen  sich  den  Vorteil,  den  sie  möglicherweise 
noch  in  anderer  Hinsicht  aus  den  Rassenvorurteilen  ziehen 
können,  so  scharfsinnig  klar,  daß  sie  hier  und  da  Pläne  ent- 
worfen haben,  um  eine  besondere  Negerpolizei  zu  bil- 
den, mit  dem  weiteren  Zweck,  im  Falle  eines  allgemeinen 
Streiks  oder  einer  plötzlich  ausbrechenden  Revolte  unifor- 
mierte bewaffnete  Schwarze  gegen  die  weißen  Arbeiter  zu 
verwenden.  Aber  dieser  Plan  wird  wahrscheinlich,  miß- 
lingen; der  Druck  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  führt 
jetzt  allmählich  große  Scharen  von  Arbeitern  zusammen; 
allerdings  nicht  zu  einer  vollständigen  menschlichen  und 
sozialen  Verschmelzung,  auch,  nicht  so  weit,  daß  alte  Vor- 
urteile vernichtet  werden,  aber  zu  einem  direkten  und  ein- 
sichtsvollen Verständnis  der  Tatsache,  daß,  da  alle  unter 
derselben  Ausbeutung  leiden,  auch  alle  gegen  die  Macht, 
die  sie  unterdrückt,  zusammenstehen  müssen. 

Die  Resultate  wechselnder  Beschäftigungen 

Noch  ein  anderer  Umstand  hat  einen  wahrnehmbaren 
Einfluß  auf  große  Teile  der  ländlichen  Elemente.  Sehr 
viele  Holzarbeiter  sind  Ackersleute,  die  im  Winter  Holz- 
fällerarbeit übernehmen.  Wenn  sie  in  die  Holzlager  ver- 
schlagen werden,  sind  sie  bitteren  Erfahrungen  ausgesetzt, 
die  ihnen  um  so  deutlicher  bewußt  werden,  als  sie  in  den 
Lagern  mit  gewerblichen  Arbeitern  in  Berührung  kommen, 
von  denen  sie  auf  die  Ursachen  und  die  Resultate  des  kapi- 
talistischen Systems  aufmerksam  gemacht  werden.  Diese 
Einflößung  von  Erfahrungen  und  Kenntnissen  erweitert 
ihren  Horizont  und  vernichtet  ihre  alte  Fügsamkeit;  sie 
fangen  an  zu  verstehen,  was  das  gewerbliche  System  wirk- 
lich bedeutet,   und  mit  dem  tatkräftigsten  Enthusiasmus 


—    7^2    — 

werden  sie  häufig  Agitatoren  und  ziehen  als  feurige  Missio- 
nare aus,  um  sowohl  das  gewerbliche  wie  das  ländliche  Prole- 
tariat geistig  aufzuwecken  und  zu  belehren.  Diese  Verschie- 
bung und  Vermischung  von  verschiedenen  Arten  der  Arbeit, 
dieses  abwechselnde  Durcheinander  von  ländlicher  und  ge- 
werblicher Beschäftigung  übt  die  tiefgehendste,  zur  Gärung 
treibende  Wirkung  aus,  deren  vollen  Umfang  man  bis  jetzt 
noch  nicht  berechnen  kann.  Bis  vor  wenigen  Jahren  war  das 
ländliche  Proletariat  gegenüber  den  Interessen  der  Mittel- 
standsbewegung der  Farmbesitzer  im  allgemeinen  nach- 
giebig und  sich  der  Tatsache  nicht  bewußt,  daß  es  zum 
Proletariat  gehöre.  Die  großen  Veränderungen,  die  jetzt 
stattfinden  und  das  ländliche  und  gewerbliche  Proletariat 
verschmelzen,  verkünden  das  Heranstürzen  einer  tiefreichen- 
den sozialen  Umwälzung,  die  wohl  geeignet  ist,  die  größte 
Beunruhigung  unter  den  herrschenden  Klassen  hervorzu- 
rufen. 

Das  gebildete  Proletariat 

Bevor  wir  zu  einer  Betrachtung  des  gewerblichen  Pro- 
letariats schreiten,  ist  es  notwendig,  kurz  auf  ein  in  nebel- 
hafter Bildung  begriffenes  Proletariat  hinzuweisen.  Da  es 
die  Kraft  geistiger  Regsamkeit,  ein  gewisses  Maß  von  Muße 
und  die  Fähigkeit  zum  Agitieren  besitzt,  hat  dieses  im  Ent- 
stehen begriffene  Proletariat  seinen  unverkennbaren  Einfluß. 

Dieses  besondere,  wachsende  Proletariat  ist  das  „gebil- 
dete" oder  ,, geistige"  Proletariat.  Die  letzten  zugäng- 
lichen Listen  der  Volkszählung  berichteten  von  i  258  538 
Personen,  darunter  827  941  männliche,  die  gebildete  Be- 
rufe haben.  Aber  mit  der  charakteristischen  Undeutlich- 
keit  offizieller  Berichte  machen  die  Listen  keinen  Unterschied 
zwischen  den  für  Lohn  arbeitenden  „Intellektuellen"  und 
denen,  die  ihr  eignes  Geschäft  haben.  Wir  können  aber 
eine  annähernde  Schätzung  erreichen. 

Von  den  34  760  Schauspielern,  berufsmäßigen  Schau- 
stellern usw.  sind  beinahe  alle  Lohnempfänger  und  sich 
vollständig  bewußt,  daß  sie  von  der  Gnade  eines  habsüch- 
tigen und  gewöhnlichen  Theatertrusts  abhängen,   der  sie 


-  763  - 

nach  Belieben  auf  die  schwarze  Liste  setzen  kann.  Wieviele 
von  den  29  524  Architekten,  Zeichnern  von  Entwürfen  und 
Mustern  usw.  von  Baumeistern  beschäftigt  werden,  kann 
man  unmöglich  sagen.  Sehr  wahrscheinlich  besteht  die  große 
Masse  aus  Angestellten.  Die  iii  638  Geistlichen  bilden 
eine  Gruppe  für  sich;  nicht  viele  von  ihnen  haben  reiche 
und  mächtige  Gemeinden,  und  die  große  Mehrzahl  muß 
sorgenvolle  Zeiten  durchmachen,  wenn  sie  auskommen  will. 
Von  den  43  239  Zivilingenieuren  und  Landmessern  sind 
die  meisten  Angestellte.  Die  30  038  Journalisten  sind  mei- 
stens Angestellte;  im  Verhältnis  zu  der  Lebensführung,  die 
von  ihnen  verlangt  wird,  ist  ihre  Bezahlung  gewöhnlich 
gering.  Ihre  Arbeit  ist  unsicher,  und  mit  zunehmendem 
Alter  werden  sie  gewöhnlich  als  Lohnschreiber  auf  die  Straße 
gesetzt.  Sobald  sie  den  Forderungen  an  Jugend,  Kraft  und 
Frische  nicht  entsprechen,  hält  man  ihre  Dienste  in  der 
Regel  für  überflüssig.  Von  den  114  460  in  den  Berichten 
erwähnten  Advokaten  arbeitet  eine  große  Anzahl  für  andere 
Advokaten.  Mit  der  Ausmerzung  des  Wettbewerbs  und 
mit  dem  Erlöschen  einer  großen  Anzahl  früherer  privater 
Geschäftsbetriebe  sind  die  Aussichten  für  einträgliche  juri- 
stische Praxis,  verhältnismäßig  wenige  juristische  Firmen 
ausgenommen,  geringer  geworden.  Die  18  844  literarischen 
und  wissenschaftlichen  Personen  sind  für  ihren  Unterhalt 
meistens  von  andern  abhängig,  und  von  den  92  174  Musikern 
und  Musiklehrern  erhält  die  große  Masse  Gehalt  oder 
Honorar.  Dasselbe  gilt  von  den  446  133  Lehrern  und  Pro- 
fessoren in  höheren  Bildungsanstalten.  Die  meisten  der 
132  002  Ärzte  und  Operateure  praktizieren  selbständig,  aber 
die  Konkurrenz  ist  scharf.  Schließlich  gibt  es  noch  eine 
große  Anzahl  von  Männern  und  Frauen,  die  untergeord- 
nete Stellungen  im  Staatsdienste  einnehmen. 

Seit  dieser  Volkszählung  ist  die  Zahl  der  für  den  Beruf 
Ausgebildeten  ungeheuer  gewachsen.  Niemals  vorher  haben 
Schulen  und  Universitäten  Männer  und  Frauen  so  geschäftig 
für  die  gebildeten  Berufe  eingepaukt,  deren  Reihen  schon 
überfüllt  sind.  Die  meisten  dieser  Persönlichkeiten  haben 
keine  bestimmten  Aussichten  außer  der  unklaren  Hoffnung, 
daß  es  ihnen  auf  irgendeine  Art  glücken  könnte. 


"  7^4  - 

Diese  beruflichen  Klassen  als  ein  bestehendes  Proletariat 
zu  bezeichnen,  wäre  augenscheinlich  absurd.  Wie  arm  auch 
viele  ihrer  Mitglieder,  wie  gering  auch  Lohn  oder  Gehalt 
sein  mögen,  so  nehmen  sie  doch  als  Ganzes  eine  Überlegen- 
heit über  die  Handarbeiter  für  sich  in  Anspruch.  Da  sie  sich 
in  einer  Atmosphäre  von  Wohlerzogenheit  und  Achtbar- 
keit bewegen,  die  oft  unecht  genug  ist,  versuchen  sie  sich  mit 
einer  Miene  des  Standesbewußtseins  und  Ansehens  zu  um- 
kleiden. Trotz  alledem  wirken  materielle  Kräfte  rasch  zu- 
sammen, um  diese  angenommene  Abgeschlossenheit  nieder- 
zubrechen. Wie  auch  immer  die  Ansprüche  dieser  beruf- 
lichen Gruppen  beschaffen  sein  mögen,  es  lastet  auf  ihnen 
die  schreckliche  Gewalt  des  wirtschaftlichen  Druckes.  Die 
Lebenspreise  sind  in  den  letzten  zehn  Jahren  um  reich- 
lich 50  Prozent  gestiegen  —  abgesehen  von  den  Mieten; 
und  während  die  geübten  und  oft  auch  die  ungeübten 
Arbeiter  mit  Hilfe  ihrer  Organisationen,  Streike,  Boykotte 
und  anderer  Mittel  eine  gewisse,  wenn  auch  ungenügende 
Zulage  erzwungen  haben,  sind  die  Löhne  und  Gehälter 
großer  freiberuflicher  Gruppen  unverändert  geblieben.  Die 
dauernd  auferlegte  Notwendigkeit,  in  Kleidung  und  Woh- 
nung einen  guten  äußeren  Schein  aufrechtzuerhalten, 
hat  eine  quälende  Armut  zur  Folge,  die  um  so  schärfer 
gefühlt  wird,  als  Klugheit  sie  zu  verbergen  zwingt.  Diese 
Tatsache  ist  auch  für  die  Hunderte  und  Tausende  von 
Kommis,  Verkäufern,  Verkäuferinnen  und  andern  solchen 
mit  dem  Verkauf  von  Handelserzeugnissen  beschäftigten 
Arbeitern  zutreffend,  wenn  auch  diese  Arbeiter  nicht  in 
die  freiberuflichen  Gruppen  eingereiht  sind. 

Im  allgemeinen  sind  deshalb  die  „geistigen  Arbeiter" 
durchaus  nicht  mit  den  bestehenden  Verhältnissen  zufrie- 
den, unter  denen  die  meisten  von  ihnen  infolge  der  niedrigen 
Löhne  und  Gehälter  bei  nur  geringer  Aussicht,  vorwärts- 
zukommen, leiden.  Diese  Unzufriedenheit  bedeutet  aber 
noch  lange  nicht,  daß  sie  sich  selbst  zum  Proletariat  rechnen. 
Ihre  Art  der  Erziehung,  ihre  Umgebung,  das  Fehlen  jeder 
Berührung  mit  der  Maschinenarbeit  und  ihre  persönliche 
Geistesrichtung  haben  dazu  geführt,  daß  sie  für  sich  eine 
besondere    Stellung    beanspruchen    und    die    Ideen    und 


-  7^5  - 

Maßnahmen  der  großen  Kapitalisten  und  der  Mittelklassen- 
elemente als  Grundlagen  einer  besonderen  Gesellschaft  be- 
trachten. Jedoch  die  Kraft  des  wirtschaftlichen  Druckes 
und  die  erzieherisch  wirkende  revolutionäre  Agitation,  die 
von  einer  schnell  anwachsenden  Zahl  ihrer  eignen  Gruppen 
betrieben  wird,  sind  im  Begriff,  diese  Ideen  zu  zertrümmern 
und  ihre  Anhänglichkeit  zu  unterminieren,  wenn  nicht  voll- 
ständig zu  vernichten.  Sich  innerlich  mit  dem  gewerblichen 
Proletariat  vollständig  auf  gleiche  Stufe  zu  stellen  ist  für 
diese  geistigen  Arbeiter  eine  schwere  Aufgabe;  und  nicht 
viele  bewältigen  sie,  da  sie  ihr  lange  eingewurzeltes  Standes- 
bewußtsein ausreißen  und  sich  von  den  zarten  Einflüssen 
einer  Umgebung  freimachen  müssen,  von  der  sie  psycho- 
logisch anders  beeinflußt  werden  als  der  Werkstätten-,  Berg-, 
Eisenbahn-  oder  gewerbliche  Arbeiter.  Aber  die  Um- 
wandlung macht  Fortschritte;  ist  der  geistige  Arbeiter 
einmal  von  proletarischem  Geiste  erfüllt,  dann  wird  er  einer 
der  furchtbarsten  Widersacher  des  herrschenden  Systems, 
da  er  seine  Gabe  zu  reden  und  zu  schreiben  benutzen 
kann,  um  revolutionäre  Ideen  zu  verbreiten  und  die  Menge 
zu  beherrschen. 

Das  gewerbliche  Proletariat 

Wir  kommen  jetzt  zu  einer  Betrachtung  des  gewerblichen 
Proletariats  und  schließen  die  Arbeiter  für  Verkehr  und 
Transport  in  diese  Rubrik  mit  ein.  Die  letzten  zugänglichen 
Listen  der  Volkszählung  —  die  von  1909  —  berichteten 
von  6615046  Lohnempfängern  in  der  Fabrikindustrie. 
Diese  Zahl  schließt  die  579  359  Kommis  nicht  ein,  die  als 
„Gehalts"empfänger  bezeichnet  sind.  Von  den  Lohnemp- 
fängern sind  —  oder  waren,  als  die  Volkszählung  im  Jahre 
1909  stattfand  —  5  163  164  Männer  von  16  Jahren  und 
darüber;  i  290  389  waren  Frauen  von  16  Jahren  und  dar- 
über, und  161  493  waren  Kinder  unter  16  Jahren.  In  der 
Maschinenindustrie  gibt  es  noch  ungefähr  eine  Million 
mehr  Lohnempfänger.  Im  Verkehr  und  Transport  beläuft 
sich  die  Zahl  der  Lohnempfänger  noch  nicht  auf  2  Millionen, 
aber  es  gehört  noch  eine  große  Anzahl  besoldeter  Arbeiter 


-  -jf^e  - 

dazu:  wie  mehr  als  loo  ooo  Stenographen  und  Maschinen- 
schreiber, 630000  Schreiber  und  Kopisten  usw.  usw.  Dazu 
kommen  weitere  3  Millionen  unter  der  Bezeichnung  Arbeiter 
und  noch  viele  Millionen  mehr  in  solchen  persönlichen  und 
häuslichen  Diensten  wie  Barbiere,  Büfettkellner,  Haushälter, 
Pförtner,  Wäscher  und  Wäscherinnen,  Diener  und  Kellner, 
Wächter  usw. 

Das  ganze  vorhandene  Proletariat  der  Vereinigten  Staaten 
beläuft  sich  auf  ungefähr  22  Millionen.  Die  Zahl  der  dauernd 
Arbeitslosen  läßt  sich  in  dieser  Aufzeichnung  unmöglich 
angeben;  sie  ist  unzweifelhaft  groß  und  nimmt  aus  den 
hier  angegebenen  Gründen  noch  zu.  Von  den  22  Millionen 
Lohnempfängern  sind  reichlich  5  Millionen  Frauen.  Die  Zahl 
der  arbeitenden  Kinder  im  Alter  von  16  Jahren  oder  dar- 
unter ist  annähernd  i  750  000.  Ungefähr  ein  Viertel  der 
Lohnempfänger  der  Vereinigten  Staaten,  700  000  Kinder 
eingeschlossen,  werden  in  Fabriken  beschäftigt. 

Bis  jetzt  ist  kein  statistisches  Zählergebnis  zugänglich,  das 
die  ungeheuer  großen  Veränderungen  nachweist,  die  in  den 
letzten  zehn  oder  zwölf  Jahren  durch  die  Konzentration 
gewerblicher  Anlagen  und  die  zunehmende  Einführung 
automatischer  Maschinenkraft  in  der  Verdrängung  der 
Arbeiter  und  der  Überfüllung  der  Reihen  der  Arbeitslosen 
bewirkt  worden  sind. 

In  einer  bemerkenswerten  Reihe  von  Artikeln  über  „Auto- 
matischen Maschinenbetrieb"  veröffentlicht  Robert  John- 
stone Wheeler  eine  Anzahl  überraschender  Tatsachen  in 
bezug  auf  besondere  Industriezweige.  Bei  der  Beschrei- 
bung der  Glasfabrikation  konstatiert  Wheeler,  daß  es  im 
Jahre  1905  nur  eine  automatische  Maschine  gab;  im 
Jahre  1910  gab  es  65;  bei  einer  Vermehrung  im  gleichen 
Verhältnis  werden  um  1915  in  den  Glasfabriken  350  im 
Gebrauch  sein.  Die  Glasbläser  verminderten  sich  von  10  086 
im  Jahre  1905  auf  7  948  im  Jahre  1910;  wenn  das  Verhältnis 
dieses  Rückgangs  anhält,  wird  es  im  Jahre  191 5,  abgesehen 
von  gewissen  besonderen  und  kostbaren  Glasartikeln,  tat- 
sächlich keine  Glasbläser  mehr  geben.  Handerzeugnisse 
haben  von  12  365  000  Gros  im  Jahre  1905  auf  ungefähr 
8650600  Gros  im  jähre  191 2  abgenommen,  während  die 


-  1^1  - 

Gesamtsumme  der  Maschinenerzeugnisse  von  34710  Gros 
im  Jahre  1905  bis  zu  2  256e  968  Gros  im  Jahre  1910  zunahm. 

Wheelers  allgemeine  Schlußfolgerungen  werden  be- 
stätigt, wenn  man  den  kürzlich  erschienenen  Bericht 
des  f/.  5.  Bureau  of  Labor  (Arbeitsamt  der  Vereinigten 
Staaten)  über  die  „Zustände  bei  der  Frauen-  und  Kinder- 
Lohnarbeit"  in  den  Vereinigten  Staaten  zu  Rate  zieht. 
Dieser  Bericht  sagt  (Bd.  III,  S.  37  und  45),  daß  die  ersten 
dieser  automatischen  Maschinen,  die  im  Jahre  1895  ein- 
geführt worden  sind,  „die  Bläser  als  solche  entbehrlich 
machten,  aber  daß  noch  ein  geübter  Glasbläser  zur  Ver- 
sorgung der  Maschinen  und  ein  gübter  Glasarbeiter  zur 
Bewegung  der  Preß-  und  Blashebel  nötig  waren.  Verbesse- 
rungen wurden  jedoch  ersonnen,  und  im  Jahre  1898  erschien 
eine  vollständig  automatische  Flaschenblasmaschine.  Ma- 
schinisten wurden  verlangt,  aber  keine  Glasarbeiter  der  alten 
Art.  Die  folgenden  Verbesserungen  in  dem  Betrieb  der 
Glasfabrikation  berührten  nicht  nur  die  geübten  Leute, 
die  ungeübten  Hilfsarbeiter,  die  Jungen  wurden  auch  davon 
betroffen . . .  Das  ganze  Verfahren  ist  vollständig  automatisch. 
Keine  geübten  Glasarbeiter  werden  verwendet,  nur  Maschi- 
nisten sind  notwendig.  .  .  ."  Wheeler  schätzt,  daß  die  Zahl 
der  durch  diesen  Vorgang  aus  der  Arbeit  vertriebenen 
Leute  von  26  im  Jahre  1905  auf  ungefähr  3673  im  Jahre 
191 2  gestiegen  ist;  bei  diesem  Zunahmeverhältnis  werden, 
wie  man  berechnet,  um  das  Jahr  1914  9654  Glasbläser  aus 
der  Arbeit  vertrieben  sein. 

Bei  der  Besprechung  der  Zementindustrie  zeigt  Whee- 
ler, wie  die  Dampfschaufel  und  andere  solche  Einrichtungen 
die  alte  Methode  der  Handarbeit  beim  Brechen,  Laden, 
Pressen,  Befeuchten  und  Verpacken  der  Materialien  schnell 
verdrängen.  Beim  Bau  von  Kanälen  und  Eisenbahnen,  bei 
der  Fundamentierung  von  Gebäuden  und  bei  anderer  Arbeit 
macht  ebenfalls  der  Gebrauch  automatischer  Maschinenkraft 
alle  Handarbeit,  mit  Ausnahme  des  äußersten  notwendigen 
mechanischen  Minimums  entbehrlich.  Von  den  Fabriken 
sprechend,  führt  Wheeler  auch  die  Zustände  in  den  aus- 
gedehnten Anlagen  der  Westinghouse  Electric  Company 
in  Pittsburg  an,  wo  im  Jahre  1907  reichlich  19  000  Mann 


-  768  - 

beschäftigt  waren.  Um  das  Jahr  191 1  war  die  Arbeiterzahl 
auf  10  000  Mann  herabgesetzt  worden.  „Nun  beachte  man, 
was  das  bedeutet,"  bemerkt  Wheeler.  „Im  Jahre  191 1 
lieferte  jene  Industrie  mit  10  000  Mann  einen  Ertrag  gleich 
dem,  der  durch  die  Arbeit  von  19  000  Mann  im  Jahre 
1907  hergestellt  wurde.  Die  Armee  der  von  der  Westing- 
house  Company  beschäftigten  Erfinder  tat  ihre  Arbeit  gut. 
Verbesserte  maschinelle  Einrichtungen  vermin- 
derten die  notwendige  Arbeitskraft  um  beinahe 
50  Prozent  in  vier  Jahren.  In  jedem  Industriezweige 
findet  derselbe  Vorgang  der  Ausscheidung  statt.  Wunder 
der  Mechanik  ersetzen  Menschenarbeit  in  solchem  Um- 
fange, daß  die  Gesellschaft,  in  Amerika  wenigstens,  rasch 
einer  sozialen  Umwälzung  entgegengetrieben  wird.  Ge- 
schicklichkeit wird  wertlos  gemacht.  Handfertigkeit  wird 
abgeschafft.  Berufszweige  werden  ausgemerzt .  .  .  Wir 
haben  die  Zeit  erreicht,  in  der  die  Maschinenkraft  der 
Hauptfaktor  in  der  Erzeugung  des  Reichtums  geworden 
ist.  Von  jetzt  an  werden  weniger  menschliche  Wesen  in 
der  Industrie  notwendig  sein." 

Jedoch  wird  nicht  nur  der  geübte  Arbeiter  verdrängt, 
sondern  die  Verhältnisse  treiben  alle  Arbeit  im  allgemeinen 
auf  eine  gemeinschaftliche  maschinelle  Grundlage.  „Wie 
groß  auch  das  Verhältnis  der  ungeübten  Arbeit  zu  der  ge- 
samten Arbeitskraft  in  der  Eisen-  und  Stahlindustrie  sein 
mag,"  sagt  der  kürzlich  erschienene  Bericht  des  U.  S.  Bureau 
of  Labor  über  die  „Beschäftigungsverhältnisse"  in  jener  In- 
dustrie (Bd.  I,  S.  XVI),  „Sachverständige  in  der  Stahl- 
industrie haben  die  Tatsache  bemerkt,  daß  in  den  letzten 
Jahren  das  Bestreben  beständig  dahin  geht,  die  Zahl  be- 
sonders geübter  angestellter  Leute  zu  vermindern  und  die 
Löhne  im  allgemeinen  auf  der  Grundlage  der  gewöhnlichen 
oder  ungeübten  Arbeit  festzusetzen.  Auch  ist  nicht  anzu- 
nehmen, daß  dieses  Streben  abnehmen  wird,  da  jedes  Jahr 
eine  ausgedehntere  Anwendung  maschineller  Hilfsmittel  mit 
sich  bringt,  zu  deren  Bedienung  ungeübte  Arbeiter  allein 
leicht  erzogen  werden  können". 

Diese  Beispiele  machen  die  Art  der  fortschreitenden  ge- 
werblichen Revolution  ohnegleichen  klar,  die  unerbittlich 


-  7^9  ~ 

eine  ungeheure  dauernde,  zweifellos  auf  Millionen  anwach- 
sende Masse  von  Arbeitslosen  schafft.  Währenddessen  hat 
sich  die  Produktion  der  Fabrikindustrie  in  zehn  Jahren  mehr 
als  verdoppelt. 

Das  „Schnelligkeits"-  System 

Umfassend  in  eine  genaue  Beschreibung  der  Arbeiter- 
verhältnisse einzudringen  ist  im  Rahmen  dieses  Kapitels 
leider  nicht  zulässig.  Jedoch  werden  einige  der  bedeutend- 
sten Tatsachen  zweifellos  zweckdienlich  sein. 

Mit  dem  einen  unbezähmbaren  Streben,  ihre  Produk- 
tion mit  den  geringsten  Kosten  auf  eine  möglichst  große 
Höhe  zu  bringen,  haben  die  amerikanischen  Kapitalisten 
in  ihren  Fabriken  allgemein  das  sogenannte  Taylor-System 
eingeführt  oder  sind  im  Begriff,  es  einzuführen.  Dies  ist 
ein  System,  bei  dem  den  Arbeitern,  durch  Aufstellung  einer 
Normalzeit  für  rasche  Produktion,  die  Zeit  für  ein  be- 
stimmtes Stück  Arbeit  vorgeschrieben  wird.  Man  kann 
eine  solche  Normalzeit  nur  erlangen,  wenn  man  die  Arbeiter 
zu  einer  so  halsbrecherischen  Elle  antreibt,  daß  jeder  kleinste 
Teil  ihrer  geistigen  und  körperlichen  Kraft  in  Anspruch 
genommen  wird. 

Es  ist  ein  verderbliches,  wahnsinnig  machendes  System 
in  seiner  entnervenden  Wirkung  auf  die  Arbeiter,  da 
es  ihre  Lebenskraft  schnell  verzehrt  und  ihre  Stärke 
erschöpft.  Unter  ihm  wird  die  Produktion  gewaltig  ver- 
mehrt, doch  ohne  irgendeine  entsprechende  Entschä- 
digung für  die  Arbeiter.  Es  ist  dies  das  Auspressungssystem, 
das  die  Kapitalisten  mit  so  viel  Anerkennung  das  „Wirk- 
samkeitssystem" nennen  —  ein  in  hohem  Grade  wirksames 
System  in  der  Tat,  das  auf  Kosten  der  Körper  von  Männern, 
Frauen  und  Kindern  ein  größeres  Ausströmen  von  Dollars 
erpreßt,  um  die  Dividenden  für  massenhaft  ausgegebene, 
nur  auf  „Verwässerung"  beruhende  Aktien  zu  bezahlen. 
Für  die  Arbeiter  ist  es  das  „Schnelligkeitssystem"  —  eine 
entsetzliche,  kräfteverzehrende  Einrichtung,  die  unerbitt- 
lich und  ohne  Unterschied  menschliches  Leben  ver- 
schlingt.    Im  wesentlichen   ist    sie    nicht   neu,    das    häß- 

49 


-  11^  - 

liehe     Schwitzsystem     im    Bekleidungsgewerbe     war    ihr 
Vorläufer. 

Das  „Wirksamkeitssystem"  mag  verschiedene  Formen 
haben,  in  dem  Resultat  für  den  Arbeiter  aber  führen  diese 
Verschiedenheiten  alle  zu  demselben  Ziel. 

Elender  Zustand  der  Arbeiter 

Eine  kürzlich  angestellte  Untersuchung  des  C/.  S.  Bureau 
of  Labor  deckte  die  Tatsache  auf,  daß  von  den  173  000  in 
der  Stahl-  und  Eisenindustrie  Beschäftigten  50  000  sieben 
Tage  in  der  Woche  täglich  12  Stunden  arbeiten,  und  daß 
beinahe  43  Prozent  sechs  Tage  in  der  Woche  täglich 
12  Stunden  arbeiten.  Von  den  173  000  Arbeitern  erhielten 
85  815  weniger  als  18  Cent  für  die  Stunde,  die  große  Masse 
von  ihnen  erhielt  für  die  Stunde  nur  14  oder  16  Cent. 
Beinahe  60  Prozent  dieser  173  000  Arbeiter  sind  im  Ausland 
geboren;  beinahe  zwei  Drittel  sind  Slawen.  In  der  Auto- 
mobilindustrie, in  welcher  durchschnittlich  75  000  Arbeiter 
beschäftigt  sind  und  in  welcher  das  „Wirksamkeitssystem" 
eingeführt  ist,  erhalten  die  geübtesten  Maschinisten  den 
armseligen  Lohn  von  22  und  25  Cent  für  die  Stunde  bei 
einem  gewöhnlich  zehnstündigen  Arbeitstag  —  ein  Lohn, 
der  im  Verhältnis  zu  den  ungeheuren  Kosten  des  Unterhalts 
so  gering  ist,  daß  nur  wenige  von  ihnen  irgendwie  anständig 
davon  leben  können.  In  den  riesigen  Schlachthäusern  plackt 
sich  die  große  Menge  der  Arbeiter  10  bis  14  Stunden  täg- 
lich für  einen  Durchschnittslohn  von  weniger  als  7  Dollar 
wöchentlich ;  die  schrecklichen  Armenquartiere  von  Chicago 
und  andern  Städten  erzählen  anschaulich,  wie  sie  zu  leben 
gezwungen  sind,  zusammengepfercht  in  unbeschreiblichem 
Schmutz  und  Elend.  Von  der  Durchschnittszahl  von 
90  000  Arbeitern  in  diesen  Niederlassungen  ist  auch 
der  größte  Teil  im  Ausland  geboren  —  und  wird  aus- 
drücklich als  billige  und  lenksame  Arbeitskraft  eingeführt 
oder  gemietet. 

In  der  Textilindustrie,  die  mit  Ausnahme  der  Eisen- 
produktion und  Maschinenbauwerkstätten  mehr  Arbeiter 
als    irgendeine    andere    Fabrikindustrie    beschäftigt,    sind 


-  11"^  - 

die  Verhältnisse  nicht  besser.  Von  der  Durchschnitts- 
zahl von  378  880  Arbeitern  in  der  Textilindustrie  sind 
128000  Mädchen  und  junge  Frauen,  und  40000  sind 
Kinder.  Mehr  als  ein  Drittel  dieser  Mädchen  und  jungen 
Frauen  sind  zwischen  16  und  20  Jahre  alt,  und  eine  große 
Anzahl  der  Kinder  steht  unter  dem  vorschriftsmäßigen 
Alter  von  16  und  14,  in  einigen  Staaten  von  12  Jahren. 
Die  Gesetze  werden  vermittelst  betrügerischer  Bescheini- 
gungen umgangen;  es  wird  eine  große  Zahl  von  Kindern 
beschäftigt,  die  nicht  das  vorschriftsmäßige  Alter  haben; 
mehr  als  die  Hälfte  der  Baumwollspinnereien  sind  voll  von 
Kindern  in  zartem  Alter,  die  für  weniger  als  neun  Cent 
die  Stunde  arbeiten.  Die  Arbeiter  in  den  Baumwollspin- 
nereien Neu-Englands  bilden  eine  bunte  Ansammlung  von 
französischen  Kanadiern  und  beinahe  jeder  Art  von  euro- 
päischen Einwanderern,  unter  denen  die  Polen  und  Ita- 
liener vorherrschen;  in  den  südlichen  Baumwollspinnereien 
wird  die  Arbeit  beinahe  vollständig  von  Eingeborenen, 
Weißen  und  Negern  geleistet. 

In  44  Baumwollspinnereien  Neu-Englands  beläuft  sich 
nach  einem  umfassenden  Bericht  des  C/.  5.  Bureau  of  Labor 
über  „Frauen-  und  Kinderlohnarbeit  in  der  Baumwoll- 
textil-Industrie"  der  durchschnittliche  Wochenlohn  der 
großen  Masse  der  männlichen  Arbeiter  auf  5  bis  6  Dollar. 
Die  am  besten  bezahlte  Stufe  aller  Textilarbeiter  —  die 
Weber  —  erhalten  nicht  mehr  als  einen  Durchschnittslohn 
von  8,78  Dollar  wöchentlich.  Die  Bezahlung  der  großen 
Masse  der  Frauenarbeit  schwankt  zwischen  4,85  Dollar  bis 
zu  weniger  als  6  Dollar;  für  die  höchste  Stufe  der  weiblichen 
Arbeiter,  die  Weberinnen,  beläuft  sich  der  Lohn  auf  weniger 
als  8  Dollar  wöchentlich. 

Das  Geldstrafen-  und  Schuldsystem 

Aber  selbst  diese  armseligen  Löhne,  die  man  gewöhnlich 
„Hungerlöhne"  nennt,  werden  selten  ausgezahlt;  durch  ein 
klug  ersonnenes,  strenges  System  von  Geldstrafen  wird  den 
Arbeitern  oft  ein  Viertel  entzogen.  Geldstrafen  werden 
nicht  nur  für  „unvollkommene  Arbeit"  und  Verspätung 

49* 


auferlegt,  sondern  für  vielerlei  höchst  unbedeutende  Ver- 
stöße, wie  z.  B.  für  Fortgehen  ohne  Meldung,  für  ,, Miß- 
verhalten", indem  man  dem  Aufseher  widerspricht,  für 
das  öffnen  eines  Fensters  ohne  Erlaubnis,  für  zu  langes 
Verweilen,  wenn  man  den  Wirkungen  der  Natur  Folge 
leistet,  und  für  ein  Dutzend  anderer  solcher  schwerer  Ver- 
brechen, und  alle  werden  mit  eiserner  Disziplin  und  mit- 
leidloser Tyrannei  eingetrieben.  Der  Arbeiter  kann  kaum 
eine  nichtproduktive  Bewegung  machen,  ohne  streng  dafür 
bestraft  zu  werden. 

Das  Wenige,  was  von  dem  Lohn  der  Arbeiter  übrigbleibt, 
wird  dann  in  vielen  Fällen  noch  durch  die  Schulden  ver- 
kürzt, die  er  bei  der  besonderen  Gesellschaft,  für  die  er 
arbeitet,  hat.  Viele  von  den  Textilgeseilschaften  in  den 
Dörfern  und  kleinen  Städten  besitzen  ihre  eignen  Blocks 
von  Miethäusern,  welche  sie  ihren  Arbeitern  zu  übertrieben 
hohem  Zins  vermieten,  und  führen  ihre  eignen  Gesell- 
schaftswarenhäuser, in  denen  sie  Lebensmittel  und  Waren 
zu  übermäßigen  Preisen  an  die  Arbeiter  verkaufen.  Sollten 
irgendwelche  Arbeiter  sich  weigern,  diese  zu  unterstützen, 
so  würden  sie  sofort  ohne  Arbeit  sein,  und  sollten  sie  wagen, 
zu  streiken,  so  würden  sie  erbarmungslos  vertrieben  und 
dem  Hunger  preisgegeben  werden. 

Die  Wollindustrien 

Dieselben  Verhältnisse  gelten  für  die  Woll-  und  Kamm- 
garnspinnereien, die  von  dem  Wolltrust  beherrscht  werden. 
Diese  Spinnereien  beschäftigen  durchschnittlich  i68  ooo 
Arbeiter.  Der  soeben  ausgegebene  Bericht  des  U.  S.  Bureau 
oj  Labor  über  den  „Streik  der  Textilarbeiter  in  Lawrence, 
Mass."  im  Jahre  191 2  gibt  eine  lebhafte  Beschreibung  der 
entsetzlichen  Bedingungen,  unter  denen  diese  Leute 
arbeiten  müssen.  Die  Zustände  in  den  Spinnereien  in 
Lawrence  sind  typisch  für  die  Wollspinnereien  und 
andere  Textilfabriken  in  andern  Teilen  der  Vereinigten 
Staaten. 

Von  den  23  000  Arbeitern  in  den  Woll-  und  Kammgarn- 
und  den  Baumwollspinnereien   in  Lawrence  sind  beinahe 


-   773  - 

alle  Einwanderer  —  Franzosen,  Belgier,  Litauer,  Polen, 
Italiener,  Portugiesen  und  andere  Nationalitäten.  Wenn 
sie  auch  an  eine  billige  Lebenshaltung  gewöhnt  waren,  so 
war  doch  der  bezahlte  Lohn  so  gering,  daß  selbst  die  kräf- 
tigen Leute  nicht  genug  von  der  gewöhnlichsten  Nahrung 
zu  essen  bekommen  konnten.  Ein  Drittel  der  gesamten 
Arbeitskräfte  erhielt  wöchentlich  weniger  als  7  Dollar,  und 
eine  große  Zahl  6  Dollar  oder  weniger.  Um  diesen  elenden 
Lohn  zu  erhalten  mußten  sie  sich  den  beschwerlichen  und 
erschöpfenden  Erpressungen  des  „Schnelligkeitssystems" 
unterwerfen. 

„Die  Einkommensziffern  zeigen  klar,"  erklärt  der  Be- 
richt überflüssigerweise,  „daß  die  Einkünfte  einer  großen 
Zahl  der  erwachsenen  Angestellten,  die  die  volle  Zeit 
arbeiten,  für  den  Unterhalt  einer  Familie  vollständig 
unzureichend  sind."  Der  Bericht  fährt  dann  fort,  zu  er- 
zählen, wie  die  „Mahlzeiten"  vieler  dieser  Arbeiter  aus 
einer  Tasse  Kaffee  beständen,  oder  aus  einem  Teller  Suppe 
von  rechter  Armseligkeit  und  aus  einem  Stück  trocknen 
Brotes;  wieviele  Mütter  mit  ihrer  Brut  junger  Kinder,  um 
einigermaßen  auszukommen,  gezwungen  seien,  in  ihre  schon 
überfüllten  Wohnräume  noch  Mieter  aufzunehmen;  und 
wie  andere  Mütter  und  Scharen  von  Kindern  im  zartesten 
Alter  aus  denselben  drastischen  Gründen  gezwungen  seien, 
in  die  Spinnereien  zu  gehen.  Von  dem  übrigen  Los  der 
Arbeiter  wird  noch  weiteres  in  dem  Bericht  erzählt:  wie 
sie  in  dünnen  hölzernen  Behausungen  gegen  enorm  hohe 
Mieten  zusammengedrängt  sind,  wie  sie  beständig  Schulden 
haben,  da  sie  gezwungen  sind,  ihre  Waren  nach  dem  Borg- 
und  Trucksystem  zu  kaufen,  und  wie  sie  die  Kohlen,  da  sie 
in  kleinen  Mengen  kaufen,  mit  8  bis  13  Dollar  die  Tonne 
bezahlen,  d.  h.  mit  einem  Zuschlag  von  40  bis  80  Pro- 
zent zu  dem  Preis  der  Kohlen,  wenn  man  sie  tonnen- 
weise kauft. 

Von  gewissen  ekelhaften  und  empörenden  Verhält- 
nissen, die  das  „Heim"  und  Fabrikleben  der  Arbeiter  mit 
sich  bringen,  können  wir  hier  keine  Details  geben.  Aber 
(Ironie  über  Ironie!)  die  Männer,  Frauen  und  Kinder,  die 
unendliche  Mengen  von  Wollstoff  produzieren,  haben  nicht 


-  774  - 

einmal  angemessene  Unterkleidung  und  können  sich  keine 
Mäntel  leisten,  um  sich  in  der  strengen  Winterkälte  Neu- 
Englands  zu  schützen. 

Dies  waren  die  wohlbekannten  Verhältnisse,  als  am  An- 
fang des  Jahres  191 2  der  Wolltrust  die  Löhne  der  Arbeiter 
um  50  Cent  wöchentlich  herabsetzte.  Unter  Verhältnissen, 
in  denen  jeder  Bruchteil  eines  Cents  mitzählt,  war  dieser 
Ausfall  einem  Todesurteil  gleichbedeutend.  Dann  folgte 
jener  denkwürdige  „Hungerstreik",  der  für  kommende  revo- 
lutionäre Ereignisse  so  prophetisch  war.  Nicht  weniger 
bedeutungsvoll  war  die  Tatsache,  daß  sich  alle  Nationali- 
täten dabei  einmütig  zusammenschlössen  und  daß  er  von 
einer  revolutionären  Körperschaft  organisiert  wurde,  den 
Industrial  Workers  of  the  World.  „Sie  haben,"  so  lautet 
die  öffentliche  Erklärung  des  Komitees  der  Streikenden  in 
dem  Teil,  der  sich  auf  die  kapitalistischen  Vorgesetzten  be- 
zieht, „unsere  Frauen  aus  ihrer  Häuslichkeit  gerissen,  unsere 
Kinder  sind  von  den  Spielplätzen  vertrieben,  aus  den  Schulen 
gestohlen,  in  die  Spinnereien  getrieben  und  an  die  Maschi- 
nen festgeschnallt  worden,  nicht  nur  um  die  Väter  zu 
zwingen,  mit  ihnen  um  die  Wette  zu  arbeiten,  sondern 
damit  ihre  jungen  Körper  zum  Besten  einer  Schmarotzer- 
klasse in  Dollars  verwandelt  würden,  damit  sogar  ihre 
Nerven,  ihr  Lachen  und  die  ihnen  versagten  Freuden  zu 
Wolle  verwebt  würden." 

Bewaffnete  Soldaten  wurden  in  Massen  in  die  Stadt  ge- 
schickt, um  die  Streikenden  einzuschüchtern,  und  auf  Grund 
einer  zurechtgemachten  Anklage,  daß  sie  zum  Morde  an- 
gestiftet hätten,  wurden  Ettor,  Giovannetti  und  Caruso, 
die  Führer  des  Streiks,  in  das  Gefängnis  geworfen  und  neun 
Monate  gefangengehalten,  worauf  man  sie  freisprach.  Der 
Streik  wurde  schließlich  gewonnen,  aber  wenn  auch  eine 
Lohnerhöhung  erreicht  wurde,  bestehen  doch  im  Grunde 
die  gleichen  Verhältnisse  weiter  fort. 

In  den  Wirkwarenfabriken  in  Little  Falls,  New  York,  in 
denen  der  Durchschnittslohn  weniger  als  7  Dollar  wöchent- 
lich betrug  und  Frauen  und  Mädchen  65  Stunden  wöchent- 
lich für  3  bis  4  Dollar  die  Woche  arbeiteten,  wurde  ein 
ebensolcher   Hungerstreik    von    den    Fabrikanten  auf   das 


-  775  - 

heftigste  bekämpft.  Die  erlangten  7  Prozent  Lohnerhöhung 
werden  bald  durch  die  beständig  wachsenden  Kosten  des 
Lebensunterhaltes  aufgezehrt  sein. 

Die  Löhne  der  Kleidermacher  und  anderer  Arbeiter 

Die  Herstellung  von  Bekleidungsgegenständen  ist  einer 
der  größten  Industriezweige  der  Vereinigten  Staaten.  Er 
beschäftigt  Männer  und  Frauen  in  gleicher  Zahl;  die  Zahl 
der  gesamten  Arbeitskräfte  beläuft  sich  mit  Einschluß  der 
Kinder  auf  durchschnittlich  240  000.  Ein  umfangreicher 
Bericht,  der  von  dem  U.  5.  Bureau  of  Lahor  ausgegeben 
wurde,  stellt  folgende  Tatsachen  fest :  Der  Werkstättenlohn 
für  Männer  beträgt  durchschnittlich  weniger  als  10  Dollar 
wöchentlich  und  der  der  Frauen  ungefähr  7  E>ollar,  vor- 
ausgesetzt, daß  sie  die  volle  Zeit  arbeiten.  Diejenigen,  die 
unter  dem  abscheulichen  Zwischenmeistersystem  arbeiten, 
erhalten  verhältnismäßig  weniger.  Achtzig  Prozent  der 
Werkstättenarbeiter  in  Chicago,  90,7  Prozent  derjenigen 
in  New  York,  91,4  Prozent  derjenigen  in  Philadelphia  und 
98,3  Prozent  derjenigen  in  Baltimore  werden  mit  weniger 
als  10  Dollar  wöchentlich  bezahlt.  Weniger  als  5  Prozent 
aller  Arbeiter  erhalten  12  Dollar  oder  mehr  wöchentlich. 
Diese  Zahlen  beziehen  sich  natürlich  nicht  auf  die  Kinder- 
arbeit. 

Wie  leben  diese  Arbeiter  ?  „Gewisse  Krankheiten,"  sagt 
der  Bericht,  „sind  in  den  Armenquartieren  aller  großen 
Städte  beständig  epidemisch,  und  gerade  in  diesen  Quar- 
tieren lebt  die  Mehrzahl  der  Konfektionsarbeiter."  Aber 
damit  ist  nicht  alles  gesagt.  Unterernährt,  schlecht  ge- 
kleidet, der  Tuberkulose  und  andern  Krankheiten  preisge- 
geben, werden  große  Mengen  dieser  Arbeiter  durch  den 
Druck  der  Verhältnisse  gezwungen,  in  ihre  dunklen,  un- 
genügend ventilierten  Wohnräume  Mieter  aufzunehmen,  so 
daß  manchmal  fünf  und  nicht  selten  sechs  und  acht  Per- 
sonen in  einem  Raum  zum  Schlafen  zusammengedrängt 
werden," 

Die  Glasfabriken  sind  eine  weitere  typische  Industrie. 
Sie  beschäftigen  70  000  Lohnarbeiter,  von  denen  die  meisten 


-  77^  - 

Polen,  Slawen,  Italiener,  Litauer  und  verschiedene  andere 
Einwanderer  sind.  In  diesen  Fabriken  erhalten  78,6  Pro- 
zent der  Männer  weniger  als  8  Dollar  wöchentlich  und 
95  Prozent  weniger  als  10  Dollar  wöchentlich.  Von  den  weib- 
lichen Arbeitern  werden  88,6  Prozent  mit  weniger  als 
8  Dollar  die  Woche  bezahlt  und  91,1  Prozent  mit  weniger 
als  IG  Dollar  wöchentlich.  88  Prozent  der  Knaben  und 
IOC  Prozent  der  Mädchen  unter  14  Jahren  erhalten  weniger 
als  6  Dollar  wöchentlich.  Von  diesem  dürftigen  Lohn  muß 
eine  Arbeiterfamilie  in  dem  Bezirk  von  Pittsburg  124  Dollar 
jährlich  für  verpestete  Räume  in  häßlichen  kleinen 
Wohnhäusern  zahlen;  auch  hier  erpressen  die  Gesell- 
schaftswarenhäuser aus  dem  Verkauf  von  Lebensmitteln 
und  Waren  an  die  Arbeiter  jährliche  Dividenden  von 
IG  Prozent. 

Dies  sind  die  in  der  ganzen  Fabrikindustrie  herrschenden 
charakteristischen  Zustände.  In  vielen  Fabriken  hat  der 
Wettbewerb  der  Frauen  die  Löhne  der  Männer  so  tief 
herabgedrückt,  daß  ein  Unterschied  zwischen  beiden  kaum 
noch  bemerkbar  ist.  Die  Schrecken  der  Bedingungen,  unter 
denen  die  Frauen  arbeiten  müssen,  wurden  durch  den 
Staatssenator  Robert  F.  Wagner,  den  Vorsitzenden  der 
New  Tork  States  Factory  Investigating  Commission  (Unter- 
suchungskommission für  die  Fabriken  im  Staat  New  York) 
kürzlich  wieder  der  öffentlichen  Beachtung  sehr  eindring- 
lich vorgeführt.  Er  erklärte,  daß  der  Durchschnittslohn 
der  293  637  Frauen,  die  in  den  Fabrikanlagen  im  Staat 
New  York  beschäftigt  werden,  wöchentlich  6,54  Dollar  be- 
trage. In  den  Kragen-  und  Hemdenfabriken  müssen  er- 
wachsene Frauen  von  einem  Lohne  leben,  der  häufig 
weniger  als  4,50  Dollar  wöchentlich  beträgt,  und  in  den 
Zuckerwarenfabriken  von  New  York,  Massachusetts  und 
anderen,  in  denen  drei  Viertel  der  Arbeiter  junge  Frauen, 
meistens  Italienerinnen,  sind,  erhalten  beinahe  die  Hälfte 
dieser  über  18  Jahre  alten  Arbeiterinnen  durchschnittlich 
weniger  als  5  Dollar  wöchentlich  —  wenn  sie  die  volle 
Zeit  arbeiten. 


ni  - 


Die  Schrecken  des  Gewerbe  Systems 

Wenn  wir  in  Betracht  ziehen,  was  die  Familie  eines 
Durchschnittsarbeiters  ausgeben  muß,  um  unter  Verhält- 
nissen zu  leben,  die  mit  der  kümmerlichsten  ökonomischen 
Leistungsfähigkeit  vereinbar  sind,  so  werden  uns  die  demo- 
ralisierenden Wirkungen  langer  Arbeitsstunden  und  nie- 
driger Löhne  sofort  klar.  Die  Schätzung  dieser  jährlichen 
Kosten  schwankt  bei  einer  Familie  von  fünf  Mitgliedern 
zwischen  715  und  1000  Dollar.  In  der  Stadt  New  York 
nimmt  man  850  Dollar  als  das  niedrigste  Budget  jähr- 
licher Kosten  an,  mit  dem  eine  solche  Familie  eben  noch 
leben  kann,  und  selbst  dabei  nur  mit  sehr  geringer  Sicher- 
heit. In  anderen  größeren  und  kleineren  Städten  sind  die 
Kosten  für  den  Lebensunterhalt  etwas,  aber  nicht  viel 
geringer. 

Diese  vorsichtigen  Schätzungen  beziehen  sich  nur  auf 
die  allernotwendigsten  Bedürfnisse,  wie  Miete,  Brenn- 
material, Nahrung,  Kleidung  und  manchen  anderen  Bedarf, 
die  alle  notwendigerweise  nur  mit  strengster  Sparsamkeit 
befriedigt  werden  können.  Es  erübrigt,  zu  sagen,  daß 
die  Lebensführung  der  Arbeiter  von  der  billigsten  Art  ist. 
Große  Scharen  sind  gezwungen,  in  schmutzigen,  abstoßen- 
den Mietshäusern  oder  in  dumpfen,  wenig  anziehenden 
kleinen  Häusern  zu  leben;  sie  müssen  sich  mit  verdünnter 
Milch,  mit  minderwertiger  verfälschter  Nahrung  und  mit 
wertloser  Kleidung  zufriedengeben;  ihre  sogenannten  „Ver- 
gnügungen" können  in  einen  winzigen  Umfang  zusammen- 
gedrängt werden  und  sind  von  der  armseligen  Art,  die  die 
Überlegung  der  Ausgabe  jedes  Cents  bedingt.  Obgleich 
selbst  unter  diesen  schrecklichen  Umständen  die  den  not- 
wendigsten Bedürfnissen  genügenden  normalen  jährlichen 
Ausgaben  einer  normalen  Arbeiterfamilie  sich  auf  715  bis 
850  Dollar  oder  mehr  belaufen,  berechnet  das  IJ .  5.  Bureau 
of  Labor,  daß  die  Geldmittel  von  41,52  Prozent  der  nor- 
malen Arbeiterfamilien  weniger  als  600  Dollar  jährlich 
betragen  und  die  Geldmittel  von  21  Prozent  noch  unter 
500  Dollar  jährlich  sinken. 


-  77^  - 

Einer  der  Gründe,  den  die  Chicagoer  Vice  Commission 
dafür  angibt,  daß  in  den  Vereinigten  Staaten  jährlich 
40  000  Mädchen  Prostituierte  werden,  ist  „der  wirtschaft- 
liche Druck  des  Fabriklebens  auf  ungeübte  Arbeiterinnen, 
mit  dem  abschwächenden  Einfluß  auf  die  Willenskraft". 
Für  ihre  geringen  Löhne  müssen  sich  die  Arbeiter  unter 
den  schwierigsten  und  anstrengendsten  Arbeitsbedingungen 
plagen,  und  diese  Verhältnisse  haben  besonders  grausame 
physiologische  Wirkungen  auf  die  Frauen.  In  den  Fabriken 
sind  die  Arbeiter  jedes  Alters  und  Geschlechts  unaufhörlich 
Unglück  und  Tod  ausgesetzt,  nicht  nur  durch  die  Gifte, 
die  in  vielen  Industriezweigen  erzeugt  werden,  sondern 
durch  die  sogenannten  „gewerblichen  Unfälle"  in  allen 
Industriezweigen.  In  dem  Bulletin  Nr.  78  des  U.  S.  Bureau 
of  Labor  1908  wird  berechnet,  daß  zwischen  30  000  und 
35  000  erwachsene  Lohnarbeiter  in  jedem  Jahre  getötet 
und  2  Millionen  erwachsene  Lohnarbeiter  jährlich  verletzt 
werden;  der  Bericht  sagt  ausdrücklich,  daß  die  Liste  der 
getöteten  und  arbeitsunfähig  gemachten  weiblichen  und 
kindlichen  Arbeiter  in  diese  Berechnung  nicht  miteingezogen 
sei.  Es  wird  in  dem  Bulletin  erklärt,  daß  es  möglich  gewesen 
wäre,  wenigstens  die  Hälfte  dieser  Leben  durch  Sicherheits- 
vorrichtungen und  eine  verständige  Art  der  Fabrikinspek- 
tion und  Überwachung  zu  retten.  Und  innerhalb  und 
außerhalb  der  Fabriken  müssen  alle  Arbeiter  beständig 
Krankheiten,  Verarmung  und  Elend  Trotz  bieten.  Die 
statistischen  Berichte  der  Irrenanstalten  zeigen,  daß  eine 
ungeheure  Zahl  von  Fällen  auf  Entbehrung,  Qualen  und 
Überarbeitung  zurückzuführen  sind.  Elend,  Krankheit, 
Unterernährung  und  minderwertige  oder  verfälschte  Nah- 
rung raffen  jährlich  Hunderte  und  Tausende  von  Arbeitern 
und  Mitgliedern  ihrer  Familien  dahin  und  treiben  sie  vor- 
zeitig in  das  Grab.  Dreihunderttausend  Kinder  sterben  in 
jedem  Jahre  in  den  Vereinigten  Staaten,  bevor  sie  ihr  erstes 
Lebensjahr  erreicht  haben;  die  Sterblichkeitsziffer  ist  in  den 
Armenvierteln  ungefähr  doppelt  so  hoch  wie  in  den  besseren 
Stadtteilen. 


-  779 


Tjustände  in  den  Bergwerks-gebieten 

Die  Menge  des  gewerblichen  Proletariats  wird  noch  durch 
ungefähr  eine  Million  Grubenarbeiter  vermehrt,  von  denen 
722  335  in  den  Kohlengruben,  die  übrigen  in  Kupfer-, 
Gold-,  Silber-  und  andern  Bergwerken  beschäftigt  sind. 
Von  den  722  335  Kohlenarbeitern  sind  172  585  in  den 
Anthrazitgruben  von  Pennsylvania  beschäftigt  und  549  750 
in  den  Steinkohlen-  und  Braunkohlengruben  der  Ver- 
einigten Staaten. 

Auch  in  diesem  Industriezweige  gibt  es  unter  den  Arbei- 
tern dieselbe  vielsprachige  Zusammenwürfelung  verschie- 
dener Nationalitäten,  die  in  andern  Industriezweigen  so 
bemerkenswert  ist.  Auch  hier  ist  eine  besondere  Form  des 
„Wirksamkeitssystems"  in  Kraft,  nach  welchem  die  Gruben- 
arbeiter nach  der  Tonne  bezahlt  werden.  Nominell  wer- 
den ihnen  höhere  Löhne  als  in  vielen  andern  Industrie- 
zweigen gezahlt ;  tatsächlich  aber  werden  sie  gezwungen,  ihre 
Werkzeuge,  ihr  Sprengpulver  und  andere  Utensilien  selbst 
zu  bezahlen;  sogar  die  Kosten  der  Sicherheitslampe  werden 
ihnen  auferlegt.  Sie  werden  beim  Abwiegen  der  Kohlen 
in  hohem  Maße  betrogen;  die  richtige  kurze  Tonne  wiegt 
2000  Pfund,  aber  die  Tonne  als  Grubenertrag  wird  zu 
2400  Pfund  oder  mehr  gerechnet,  und  der  Arbeiter  wird 
um  die  Differenz  betrogen.  Millionen  Dollar  an  Lohn 
werden  so  den  Grubenarbeitern  frech  geraubt.  Selbst  bei 
diesen  offenkundigen  Erpressungen  und  Betrügereien  könnte 
der  Grubenarbeiter  vielleicht  in  gewissem  Grade  anständig 
leben,  wenn  er  das  ganze  Arbeitsjahr  hindurch  arbeiten 
könnte.  Aber  der  kürzlich  erschienene  Bericht  des  geo- 
logischen Büros  der  Vereinigten  Staaten  zeigt,  daß  die 
durchschnittliche  jährliche  Arbeitszeit  der  Anthrazit- 
grubenleute 246  Tage  beträgt  und  die  der  anderen  Stein- 
kohlengräber 211  Tage. 

Beinahe  138  000  Bergleute  arbeiten  in  Gruben,  die 
zehn  Stunden  im  Betrieb  sind.  Der  durchschnittliche 
jährliche  Gesamtlohn  für  eine  sehr  große  Zahl  der  Gruben- 
arbeiter übersteigt  bei  reichlichster  Schätzung  nicht  400 


—  7^0  — 

bis  525  Dollar;  in  vielen  Fällen  belaufen  sich  die  jährlichen 
Löhne  nur  auf  ungefähr  360  Dollar. 

Einen  großen  Teil  dieser  Löhne  behalten  viele  der 
Kohlengesellschaften  in  der  Form  von  Mieten  und  Un- 
kosten. Dem  Anscheine  nach  besondere  Körperschaften, 
tatsächlich  aber  dieselben  Gesellschaften,  bilden  einen  mäch- 
tigen Kohlentrust.  Durch  ein  System  von  Gesellschafts- 
warenhäusern, die  viele  von  ihnen  betreiben,  erpressen  sie 
Wucherpreise  (die  oft  doppelt  so  hoch  sind,  wie  die  von 
unabhängigen  Detailhändlern  verlangten),  indem  sie  Waren 
und  Lebensmittel  an  die  Grubenarbeiter  verkaufen.  Gleich- 
zeitig besitzen  und  verwalten  die  Kohlengesellschaften  Ge- 
sellschaftsmiethäuser, für  welche  übertrieben  hohe  Mieten 
gefordert  werden.  Hier  und  da  besitzt  ein  Bergarbeiter 
vielleicht  ein  eignes  Haus,  aber  die  meisten  der  Bergleute 
leben  in  den  elenden  Gesellschaftshäusern.  Viele  der  Miet- 
verträge, die  die  Grubenarbeiter  zu  unterzeichnen  ge- 
zwungen werden,  enthalten  eine  Klausel,  die  eine  Kündi- 
gung festsetzt  für  den  Fall,  daß  der  Angestellte  die  Arbeit 
verlassen  oder  entlassen  werden  sollte.  Der  Bericht  des 
U.  S.  Bureau  oj  Lahor  über  den  „Bergarbeiterstreik  in  dem 
Steinkohlengebiet  in  Westmoreland  County,  Pennsylvania, 
1910/11"  berichtet  (S.  57),  daß  tausend  Familien  auf  diese 
Art  unbarmherzig  hinausgesetzt  wurden  und  daß  unter 
den  Vertriebenen  mehrere  Frauen  in  anderen  Umständen 
waren.  Diese  Familien  wurden  gezwungen,  in  Zelten  zu 
leben,  die  von  der  Gewerkschaft  der  Bergleute  besorgt 
wurden.  „Die  meisten  der  Zelte,"  heißt  es  in  dem  Bericht, 
,, hatten  nur  je  einen  Raum  und  gestatteten  den  Frauen 
und  Kindern  kein  Alleinsein  .  .  .  Beinahe  hundert  Kinder 
wurden  in  diesen  Lagern  von  Zelten  und  Blockhütten 
während  der  14  oder  15  Monate,  in  denen  sie  bewohnt 
wurden,  geboren,  und  die  Sorge  für  die  Mütter  war  not- 
wendigerweise ganz  unangemessen  .  .  ." 

Dieselben  wohlbeglaubigten  Grausamkeiten  kamen  wäh- 
rend des  noch  kürzere  Zeit  zurückliegenden  Streiks  von 
fünftausend  Grubenarbeitern  in  dem  Kanawha-Tal  in  West- 
Virginia  vor.  Bewaffnete  Raufbolde  trieben  Männer,  Frauen 
und    Kinder    unterschiedslos    in    brutaler    Weise    aus    den 


-  78i  - 

Wohnungen  heraus;  da  gab  es  einen  besonders  abscheulichen 
Fall,  den  des  Bergmanns  Isaiah  Smith,  der  mit  seiner  Frau 
und  einem  drei  Wochen  alten  Kinde  gezwungen  wurde, 
einen  Tag  und  eine  Nacht  auf  der  Landstraße  zu  liegen, 
bis  die  Bergleute  Mutter  und  Kind  in  Sicherheit  bringen 
konnten.  Während  dieses  Streiks  wurden  Hunderte  von 
Männern,  Frauen  und  Kindern  —  von  denen  viele  noch 
ganz  klein  waren  —  vertrieben  und  gezwungen,  in  Zelten 
zu  leben,  die  vom  Verband  besorgt  wurden;  und  dort 
in  diesen  schneebedeckten,  hin  und  her  schwankenden 
Wohnstätten  mußten  sie  die  bittere  Kälte  des  Gebirges 
und  andere  schreckliche  Leiden  erdulden.  Während  dieses 
Streiks  geschah  es,  daß  das  Militär  unter  Verkündung  des 
Kriegsrechtes  auch  die  Frauen  aus  der  Häuslichkeit  der 
Streikenden  vor  ein  plötzlich  zusammenberufenes  Kriegs- 
gericht zerrte  —  eine  Tat,  die  selbst  in  einem  Lande,  in 
dem  terroristische  Greuel  der  kapitalistischen  Klasse  bis  an 
die  äußerste  Grenze  der  Grausamkeit  getrieben  worden  sind, 
nicht  ihresgleichen  hat. 

Das  Hinopfern  der  Kohlengräber 

Aber  das  halbe  Verhungern,  der  Raub  und  die  Unmensch- 
lichkeit sind  nicht  die  einzigen  Leiden,  denen  das  Berg- 
arbeiterproletariat ausgesetzt  ist.  Die  Wahrscheinlichkeit 
irgendeines  durch  den  Mangel  an  Sicherheitsvorrichtungen 
veranlaßten  schrecklichen  Unglücksfalls  in  den  Gruben  ist 
immer  vorhanden.  Nach  der  Ausgabe  des  U.  S.  Government 
Statistical  Abstract  (Statistische  Übersicht  der  Regierung 
der  Vereinigten  Staaten)  vom  Jahre  191 2,  das  sich  auf  die 
Berichte  der  geologischen  Übersicht  und  des  Bergwerks- 
büros gründet,  wurden  von  1897  bis  1910  inkl.  25  223 
Bergleute  in  den  Gruben  durch  „Unglücksfälle"  getötet, 
und  in  denselben  Jahren  wurde  eine  große  Anzahl  verletzt. 
Dem  Wesen  nach  war  jeder  dieser  Todesfälle  ein  Mord; 
sie  hätten  durch  angemessene  Einführung  von  Sicherheits- 
vorrichtungen vermieden  werden  können.  Wenn  die  Wit- 
wen oder  andere  Überlebende  der  Erschlagenen  sich  auch 
nur  eine  geringe  Entschädigung  für  den  Verlust  ihrer  Er- 


-  782  - 

nährer  zu  sichern  suchten,  wurden  sie  von  den  Gerichts- 
höfen hartherzig  abgewiesen.  Mit  Richtern  besetzt,  die 
entweder  kapitalistische  Rechtsanwälte  oder  ehemalige  Ge- 
sellschafts-Rechtsanwälte sind,  haben  diese  Gerichtshöfe 
Interpretationen  angewandt  wie  die  Lehren  von  der  „wis- 
sentlichen Gefahrenübernahme",  von  der  „Mitarbeiter"- 
gefahr  und  von  der  „die  Verletzung  verschuldenden  Fahr- 
lässigkeit". Nach  diesen  Lehren  wird  angenommen,  daß 
der  Arbeiter,  indem  er  in  das  Dienstverhältnis  eingetreten 
ist,  das  ganze  Risiko  auf  sich  genommen  hat  und  alle  Ver- 
antwortung trägt.  Wenn  ein  Arbeiter  durch  fehlerhafte  Ma- 
schinenanlagen, die  er  auf  Befehl  des  Fabrikdirektors  oder 
Werkführers  benutzt  hat,  zum  Krüppel  gemacht  oder  auf 
andere  Weise  verletzt  wird,  so  kann  er  keine  Entschädigung 
erlangen,  denn  die  Gerichtshöfe  haben  sich  nach  der  „Mit- 
arbeiter"-Lehre  dahin  entschieden,  daß  der  Direktor  oder 
der  Werkführer  ein  Mitangestellter  ist  und  daß  deshalb 
auf  den  Fabrikherrn  keine  Verantwortung  fällt. 

In  bezug  auf  gewissenlose  Ausbeutung  sind  die  Verhält- 
nisse in  den  andern  Bergwerksanlagen  dieselben.  Dieselbe 
gewaltsame  Anwerbung  billiger  Einwandererarbeit,  die- 
selben Betrügereien  und  Räubereien,  dasselbe  Erpressungs- 
system mit  Gesellschaftswohnhäusern  und  Warenhäusern, 
dieselben  brutalen  Wohnungskündigungen,  dasselbe  häufige 
Vorkommen  schrecklicher  Unglücksfälle, 

Verkehrs-  und  andere  Arbeiter 

Es  gibt  indes  noch  eine  andere  große  Abteilung  des  ameri- 
kanischen Proletariats,  auf  die  wenigstens  kurz  hingewiesen 
werden  muß.  Dies  sind  die  Lohnarbeiter  —  zwischen 
4  und  5  Millionen  —  in  Verkehr  und  Transport.  Von 
diesen  sind  nach  dem  Zählergebnis  von  1900  630  127 
Schreiber  und  Kopisten,  254  880  Buchhalter  und  Rech- 
nungsführer, 241  162  Agenten,  611  139  Verkäufer  und  Ver- 
käuferinnen, 112  364  Stenographen  und  Maschinenschrei- 
ber, 92  919  Handelsreisende,  78  406  Bootsleute  und  Ma- 
trosen, 538  933  Fuhrmänner,  Rollkutscher  usw.,  und  Leute 
in  andern    Beschäftigungen    in    verschiedener    Zahl.     Das 


-  783  - 

volle  Ergebnis  der  Zählung  von  1910  ist  noch  nicht 
zugänglich. 

Obgleich  eine  große  Anzahl  von  Schreibern,  Buchhaltern, 
Verkäufern  und  Verkäuferinnen  für  die  spärlichsten  und 
unangemessensten  Löhne  arbeiten  —  oft  für  weniger  als 
5  Dollar  und  selten  für  mehr  als  10  Dollar  wöchentlich  — , 
so  können  sie  als  Ganzes  doch  nur  als  ein  potentielles  Pro- 
letariat bezeichnet  werden.  Da  sie  noch  beinahe  vollständig 
unorganisiert  und  ungeschützt  sind,  sind  sie  als  Ganzes  noch 
lange  nicht  an  dem  Punkte  angelangt,  wo  sie  sich  der 
Tatsache  bewußt  sind,  daß  sie  einen  Teil  der  Arbeiter- 
klasse bilden.  Gegenwärtig  sind  die  meisten  von  ihnen 
noch  innerlich  von  den  organisierten  Arbeitern  abgeson- 
dert und  halten  sich  vielleicht  wegen  ihrer  andern  Um- 
gebung für  etwas  Besseres  als  die  gewerbliche  arbeitende 
Masse. 

Die  Fuhrmänner,  Rollkutscher,  Chauffeure,  Bootsleute 
und  Matrosen  sind  sich  ihres  Proletariercharakters  durchaus 
bewußt;  das  trifft  selbst  für  die  Matrosen  der  Kriegsschiffe 
der  Vereinigten  Staaten  zu.  Eine  der  größten  Abteilungen 
der  Lohnempfänger  in  der  Gruppe  Verkehr  sind  die  Eisen- 
bahnarbeiter. Das  Bulletin  der  Unfälle  Nr.  44  der  Inter- 
state Commerce  Commission  (Kommission  für  den  Handel 
zwischen  den  Staaten)  von  191 2  berichtet,  daß  am  30.  Juni 
191 2  I  729  144  Arbeiter  auf  den  Dampfbahnen  beschäftigt 
waren.  Diese  Statistik  schließt  nicht  die  ungefähr  150000 
bis  200  000  Arbeiter  auf  den  Straßenbahnlinien  in  den 
Städten  und  zwischen  den  Städten  ein. 

Selbst  die  bestbezahlten  Eisenbahnarbeiter  —  die  Ma- 
schinisten —  erhalten  selten  mehr  als  1200  bis  1500  Dollar 
jährlich  an  Lohn.  Die  großen  Massen  der  Eisenbahn- 
arbfiter  erhalten  800  Dollar  oder  weniger  jährlichen  Lohn 
für  lange,  starke  Anforderungen  stellende  Arbeitsstunden. 
Diese  Löhne  sind  allerdings  viel  höher  als  die  in  den  meisten 
Fabrikzweigen  gezahlten,  aber  sie  sind  noch  immer  höchst 
ungenügend.  Der  U.  S.  Government  Statistical  Abstract 
(Statistische  Übersicht  der  Regierung  der  Vereinigten 
Staaten)  für  191 2  zeigt  (S.  559),  daß  die  durchschnittlichen 
jährlichen  Unterhaltungskosten  einer  Arbeiterfamilie  von 


-  784  - 

31 8  Dollar  im  Jahre  1890  auf  S7^y7S  Dollar  im  Jahre  1907 
gestiegen  sind.  Seit  1907  sind  sie  beständig  weiter  gestiegen. 
Die  Miete  beansprucht  dazu  wenigstens  ein  Viertel  von 
dem  Lohne  des  Arbeiters.  Man  kann  daraus  entnehmen, 
in  welche  verzweifelte  Notlage  selbst  die  „höher  bezahlten" 
Arbeiter  nur  durch  die  Unterhaltskosten  getrieben  wer- 
den. Die  Art  des  Eisenbahnbetriebs  verlangt  unbedingt 
eine  englisch  sprechende,  intelligent«  Klasse  von  Ange- 
stellten; die  Eisenbahnkapitalisten  können,  soweit  der  Be- 
trieb der  Eisenbahnen  in  Betracht  kommt,  nicht  von  Ein- 
wandererarbeit abhängen.  Der  amerikanische  Arbeiter  ver- 
langt bessere  Lebensbedingungen,  und  es  gibt  beständige 
Konflikte  zur  Erlangung  steigender  Löhne,  um  die  stei- 
genden Kosten  des  Unterhalts  zu  befriedigen, 

Menschenverwüstung  im  Eisenbahndienst 

Für  ihre  jämmerlich  unangemessenen  Löhne  müssen  sich 
527463  von  den  i  201  681  Dampfbahnarbeitern  täglich  der 
Gefahr  aussetzen,  verstümmelt,  verkrüppelt  oder  getötet 
zu  werden.  Dasselbe  trifft  bei  41  299  der  50  473  Arbeiter 
an  den  elektrischen  Bahnen  zu.  Eine  Tabellarisierung  in 
dem  neunzehnten  Jahresbericht  der  Interstate  Commerce 
Commission  (S.  109)  zeigt,  daß  von  1888  bis  1907  im  ganzen 
53  046  Eisenbahnangestellte  getötet  und  mehr  als  800000 
bei  der  Arbeit  verstümmelt  oder  verkrüppelt  worden  sind. 
Seit  1907  ist  diese  Verwüstung  in  ebenso  großem  Umfange 
weitergegangen.  Von  1907  bis  zum  30.  Juni  191 2  sind 
weitere  15  177  Dampf  bahnangestellte  getötet  und  321  007 
im  Dienste  verletzt  worden.  Diese  Berichte  schließen  die 
Unfälle  auf  den  Linien  der  Kopfstation-  und  Rangier- 
gesellschaften nicht  mit  ein.  Auch  umfassen  sie  nicht  die 
Gesamtsumme  der  Todesfälle;  das  Bulletin  der  Unfälle 
Nr.  44  meldet  gefühllos,  daß  nur  diejenigen,  die  sofort 
oder  innerhalb  von  24  Stunden  nach  dem  Unfall 
sterben,  in  den  Listen  der  Getöteten  aufgeführt 
werden.  Die  gewöhnlichen  Ursachen  dieses  ungeheuren 
Blutbades  sind  klar  genug;  es  liegt  auf  der  Hand,  daß  die 
Unfälle  durch  veraltete  und  billige  Einrichtungen  hervor- 


-  785  - 

gebracht  werden,  durch  den  Mangel  an  geeigneten  Sicher- 
heitsvorrichtungen, durch  Mängel  im  Betriebsmaterial,  im 
Fahrdamm,  in  den  Schienen  und  andere  solche  Ursachen. 
Die  Inspektoren  der  Interstate  Commerce  Commission  prüften 
kürzlich  74  000  Lokomotiven ;  mehr  als  48  000  erwiesen  sich 
dabei  als  fehlerbehaftet.  Die  Zahl  der  Zusammenstöße,  die 
der  „Nachlässigkeit"  von  Zugführern,  Signalwächtern  usw. 
zugeschrieben  wird,  ist  nicht  groß ;  nicht  selten  finden  diese 
Zusammenstöße  statt,  wenn  die  Eisenbahnbeamten  durch 
lange  Arbeitsstunden  und  Mangel  an  Schlaf  erschöpft  sind. 
Die  Eisenbahngesellschaften  der  Vereinigten  Staaten  ver- 
teilen ungefähr  250  Millionen  Dollar  jährlich  an  Dividenden 
auf  Aktien,  deren  größerer  Teil  nur  auf  „Verwässerung" 
beruht  und  280  Millionen  Dollar  jährlich  Zinsen  auf  Obli- 
gationen, von  denen  viele  betrügerischen  Ursprungs  sind. 
Aber  die  Eisenbahnarbeiter  haben  sich  beinahe  in  jedem 
Falle  vergeblich  nach  Entschädigung  umgesehen,  wenn  sie 
verletzt  worden  sind,  oder  nach  Zahlungen  an  die  Über- 
lebenden für  den  Fall,  daß  sie  getötet  werden  sollten;  wie 
die  Eisenbahngesellschaften  jeden  solchen  vor  Gericht  ge- 
brachten Fall  scharf  bestritten  haben,  das  ist  eines  der 
traurigsten  Blätter  in  den  Annalen  des  amerikanischen 
Proletariats. 

Eine  Zusammenfassung  der  bestehenden  Verhältnisse 

Es  ist  unverkennbar,  daß  es  den  3  Millionen  oder  mehr 
sogenannten  unqualifizierten  oder  „gewöhnlichen"  Arbei- 
tern, die  abgesondert  und  unorganisiert  dastehen,  von  allen 
männlichen  Lohnarbeitern  am  schlechtesten  ergeht;  große 
Scharen  ziehen  beständig  von  einem  Ort  zum  andern,  um 
Arbeit  zu  suchen,  und  diejenigen,  die  Arbeit  bekommen 
können,  müssen  so  geringe  Löhne  annehmen,  daß  es  wunder- 
bar erscheint,  wie  sie  überhaupt  leben  können.  Aber  sowohl 
diese  Erscheinung  als  auch  andere  Gesichtspunkte  in  bezug 
auf  das  amerikanische  Proletariat  können  im  Verlaufe  dieses 
Kapitels  nur  flüchtig  berührt  werden. 

Der  Zweck  der  in  diesem  Kapitel  enthaltenen  kurzen 
Darstellung  besteht  darin,  einige  bemerkenswerte  Tatsachen 

so 


-  786  - 

zusammenzufassen,  um  zu  zeigen,  auf  welcher  Grundlage 
der  kolossale  Reichtum  und  die  Macht  der  kapitalistischen 
Klasse  aufgebaut  und  aufrecht  erhalten  wird.  Eine  solche 
kurzgefaßte  Behandlung  macht  das  Eingehen  auf  die  Details 
mancher  wichtiger  Zweige  des  Gegenstandes  unmöglich. 
Es  ist  wahr,  einige  geübte  Arbeiter,  besonders  amerika- 
nische, besitzen  eigne  Häuser  oder  vielmehr  Landhäuschen 
in  einigen  der  größeren  und  vielen  der  kleineren  Städte, 
oder  wohnen  darin  zur  Miete,  und  ihr  häusliches  Leben  ist 
anscheinend  von  einem  gewissen  Behagen,  während  es  in 
Wirklichkeit  ein  Leben  großer  Unsicherheit  und  quälender 
Ungewißheit  ist.  Die  statistischen  Regierungsberichte  zei- 
gen, daß  ungefähr  72  bis  81  Prozent  der  Arbeiter  in  den 
Vereinigten  Staaten  nicht  ihr  eignes  Heim  haben,  sondern 
in  gemieteten  Wohnungen  oder  abvermieteten  Zimmern 
leben.  Nur  ungefähr  zehn  Prozent  der  Arbeiter,  die  eigne 
kleine  Häuser  besitzen,  besitzen  sie  frei  von  Hypotheken. 
Nicht  nur  in  den  großen  Städten,  sondern  auch  in  den 
kleinen,  nehmen  die  bereits  in  Fäulnis  übergehenden  Armen- 
quartiere zu  —  eine  verhängnisvolle  Tatsache,  die  eine  aus- 
führliche Darstellung  verdient,  auf  die  hier  aber  nur  hinge- 
wiesen werden  kann.  Gegen  alle  Arbeiter,  die  Arbeiterorga- 
nisationen angehören,  kämpfen  mit  leidenschaftlichster  und 
gewissenlosester  Energie  die  massiven  Truste  mit  ihrer  ge- 
schlossenen, modernen  Organisationsform,  unterstützt  durch 
ungeheure  Geldmittel  und  durch  die  gewichtige  Macht  der 
gesetzlichen,  gerichtlichen,  polizeilichen  und  militärischen 
Gewalt.  Die  Geschichte  dieser  riesenhaften  Angriffsbewe- 
gung gegen  die  Arbeiterverbände  —  um  sie  entweder  zu 
hindern,  sich  nach  modernen  gewerblichen  Grundsätzen  zu 
organisieren  oder  um  sie  vollständig  zu  vernichten  — ,  das 
ist  ein  so  umfassender  Gegenstand,  daß  er  ein  Kapitel  für 
sich  allein  verlangen  würde. 

Auch  können  wir  hier  nicht  näher  beschreiben,  was  alles 
als  Folgeerscheinung  der  entsetzlichen  Ausbeutung  des 
amerikanischen  Proletariats  eintritt:  die  verübten  Ge- 
walttätigkeiten, das  Verhungern  vieler,  das  halbe  Ver- 
hungern großer  Mengen,  die  weitverbreitete  Armut  und 
den  zunehmenden  Pauperismus,  die  Ursachen  der   15  000 


-  7^7  - 

jährlich  in  den  Vereinigten  Staaten  verübten  Selbstmorde, 
die  zunehmende  Entartung  vieler  Arbeiter  und  ihrer  Kinder 
aus  Mangel  an  normalen  Lebensverhältnissen.  Von  den  an- 
nähernd 20  Millionen  Schulkindern  in  den  Vereinigten  Staaten 
haben  300000  bis  400000  organische  Herzkrankheiten; 
wahrscheinlich  i  Million  hat  tuberkulöse  Erkrankungen  der 
Lunge  gehabt  oder  hat  sie  noch;  ungefähr  i  Million  leidet 
an  Rückgratsverkrümmung  oder  andern  körperlichen  Ge- 
brechen ;  mehr  als  i  Million  hat  mangelhaftes  Gehör  und  un- 
gefähr 5  Millionen  haben  mangelhaftes  Sehvermögen.  Kurz, 
zählt  man  noch  die  Millionen  anderer  hinzu,  die  an  irgend- 
einem Schaden  oder  Gebrechen  leiden,  so  sind  drei  Viertel 
der  20  Millionen  Schulkinder  ungesund ;  dieses  sind  die  Auf- 
stellungen, die  Professor  Thomas  D.  Wood  von  der  Columbia 
Universität  in  einem  Bulletin  gemacht  hat,  das  kürzlich  von 
dem  U,  S.  Bureau  of  Education  veröffentlicht  worden  ist. 
Man  glaubt  (wenn  auch  diese  Schätzung  nicht  ganz  genau 
verbürgt  ist),  daß  im  allgemeinen  10  Millionen  Menschen  in 
den  Vereinigten  Staaten  sich  in  einem  chronischen  Zustande 
der  Armut  befinden.  Der  Gegenstand  zeigt  noch  eine 
andere  Seite,  die  hier  nicht  behandelt  werden  kann:  wie 
die  Gefängnisse  mit  Proletariern  angefüllt  sind,  von  denen 
viele  wegen  der  geringsten  Vergehen  verurteilt  werden, 
während  die  Reichen  und  Mächtigen  das  Gesetz  verletzen 
und  überschreiten  und  doch  straflos  ausgehen. 

Die  in  diesem  Kapitel  erzählten  Tatsachen  sind  nur 
wenige  aus  einer  umfangreichen  Masse.  Wie  zusammen- 
gedrängt sie  aber  auch  sein  mögen,  sie  gewähren  doch  eine 
ziemlich  klare  Vorstellung  von  dem  Zustande  des  ameri- 
kanischen Proletariats,  aus  dessen  Arbeit  und  Märtyrertum 
jene  riesenhaften  Privatvermögen  entstanden  sind  und  ent- 
stehen, deren  Geschichte  zum  Teil  in  diesem  Werke  erzählt 
worden  ist. 

Schlußbetrachtung 

Den  unvermeidlichen  Hauptinhalt  haben,  wie  in  nur 
zu  peinlicher  Weise  offenbar  ist,  die  Betrügereien  und 
Diebstähle  gebildet,  mit  deren  Hilfe  ,, Eigentum"  er- 
worben   und    große   Vermögen    aufgebaut    worden    sind. 

so* 


,_  788  - 

Das  ist  nicht  so,  weil  der  Verfasser  in  der  Verderbtheit 
seines  Herzens  es  so  gestaltet  hat,  sondern  weil  dies  die 
unvermeidlichen  Tatsachen  sind. 

„Aber  warum,"  fragen  gewisse  jammernde,  in  niedriger 
Schmeichelei  groß  gewordene  Kritiker,  soll  man  sich  gerade 
über  die  dunkle  Seite  des  Bildes  verbreiten  ?  Haben  nicht 
alle  diese  Männer  ihre  guten  Eigenschaften  gehabt,  ihre 
freundlichen  Anwandlungen,  ihre  Fähigkeit,  ihren  Mit- 
menschen einige  Dienste  zu  leisten  ?" 

Ihr  irregeleiteten  Kritiker  mit  eurer  aufdringlichen 
beschränkten  Auffassung  und  eurer  Verschrobenheit,  ihr 
seid  es,  die  sich  so  blind  weigern,  zu  sehen  und  Gerechtig- 
keit zu  üben.  Was  würde,  so  möchte  man  fragen,  euer 
Urteil  gewesen  sein,  wäre  dieses  Werk,  statt  die  Betrüge- 
reien, Täuschungen  und  Räubereien,  durch  welche  unge- 
heure Vermögen  aufgehäuft  worden  sind,  offen  darzulegen, 
ein  kunstvoller  oder  (noch  wirksamer!)  ein  ungekünstelter 
Lobgesang  auf  jene  Männer  und  eine  Apotheose  des 
Systems  gewesen,  das  sie  hervorgebracht  hat  ?  Was  würdet 
ihr  dann  wohl  gesagt  haben  ?  Zweifellos  würde  dieses  Werk 
dann  in  hohem  Maße  „vernünftig  und  vorurteilsfrei"  ge- 
wesen sein;  keiner  Beschuldigung,  daß  „voreingenommene 
Behandlung"  vorliege,  würde  man  begegnet  sein.  Konven- 
tionelle Verleger  würden  eifrig  danach  gegriffen  haben^); 
und  dem  Verfasser  wären  Ermunterung  und  Einkünfte 
sicher  gewesen.  Wie  es  ist,  mußte  er  (was  für  niemand 
außer  ihm  selbst  wirkliches  Interesse  hat)  sein  Werk  ange- 
sichts der  größten  Hindernisse  unternehmen  —  eine  Tat- 
sache, die  vielleicht  zu  zeigen  vermag,  wie  derjenige,  der 
ernste  Wahrheit  in  ernstem  Gewände  verkündet,  es  um 
der  Sache  willen  tun  muß  und  mit  äußerster  Verachtung 
aller  trägen,  käuflichen  Mächte,  die  versuchen  möchten,  seinen 
Plan  zu  ändern  oder  ihn  zurückzuhalten. 

Dann  gibt  es  noch  jene  sentimentalen  Kritiker,  die, 
von  den  Beweisen  überwältigt,  ihre  letzte  Zuflucht  dazu 
nehmen,   auszurufen:    „Ist   es   möglich,    daß   deine   Dar- 

^)  In  diesem  Punkte  spricht  der  Verfasser  aus  Erfahrung.  Die  in  seinem  Besitz 
befindlichen  Briefe  von  einigen  der  bedeutendsten  Verleger  der  Vereinigten  Staaten 
würden,  veröffentlicht,  eine  überaus  bezeichnende  Lektüre  bieten. 


-  789   - 

Stellungen  richtig  sind  ?  Übertreibst  du  nicht  ?"  Allen 
diesen  sollte  man  nicht  mit  Einwendungen  und  Tadel 
begegnen,  sondern  mit  Mitleid;  mit  tiefem  Mitleid  um  ihres 
beschränkten  geistigen  Horizontes  willen.  Und  schließlich 
sind  sie  nur  der  Widerschein  oder  vielmehr  das  Erzeugnis 
einer  gewissen  allgemein  herrschenden  Auffassung  des 
Tages,  die  -prima  facie  den  Mann  von  unbedeutendem 
Auftreten  aller  ihm  zur  Last  gelegter  Missetaten  für 
schuldig  erklärt,  sich  aber  entschieden  weigert,  dem  Manne 
von  Reichtum  und  entsprechender  hoher  Stellung  ernst- 
hafte Vergehen  zur  Last  zu  legen,  unbekümmert  darum, 
wie  sehr  die  Beweise  sich  häufen.  Man  könnte  viel  über 
die  Wirksamkeit  eines  Seidenhutes  schreiben,  als  Schutz 
für  Person  und  Ruf. 

Als  des  Verfassers  „Geschichte  von  Tammany  Hall" 
erschien,  wurde  ihre  Richtigkeit  nicht  in  Zweifel  gezogen, 
weil  die  Tatsachen  zwingend  richtig  waren  und  die  dort 
erzählte  Geschichte  die  einer  gewöhnlichen  politischen 
Organisation  ist.  Wie  sonderbar  ist  es,  bemerkt  ein  auf- 
merksamer Beobachter,  daß  einige  von  denen,  die  das  frühere 
Werk  wegen  seiner  Reichhaltigkeit  und  Genauigkeit  so 
freudig  begrüßten,  jetzt  gerade  die  Kritiker  sind,  die  an 
der  Genauigkeit  der  Tatsachen  ihre  Zweifel  äußern,  wenn 
diese  auf  die  Gründer  der  großen  Vermögen  und  ihre 
sehr  ehrenwerten  Nachkommen  sich  beziehen.  Nein,  du 
weiser  Rezensent,  das  ist  durchaus  nicht  sonderbar;  diese 
Haltung  ist  leicht  zu  durchschauen:  je  wahrer  in  diesem 
Falle  die  Tatsachen  sind  und  je  umfangreicher  und  unbe- 
streitbarer die  Anführungen  aus  offiziellen  Protokollen, 
um  so  mehr  werden  die  Apologeten  und  Anhänger  des 
Reichtums  zu  der  ihnen  allein  möglichen  Verteidigung 
gedrängt.  Sie  können  nichts  anders  tun,  als  nichtssagende 
Zweifel  äußern — Zweifel,  die  durch  die  erschreckende  Masse 
der  Zitate  in  diesem  Buche  überreichlich  widerlegt  sind. 
Und  es  werde  bekannt,  daß  die  hier  beschriebenen  Betrüge- 
reien und  Räubereien  trotz  ihres  Umfanges  und  ihrer 
ununterbrochenen  Folge  weit  davon  entfernt  sind,  die 
vollständige  Geschichte  zu  bilden;  weitere  Bände  bleiben 
noch  zu   schreiben;  und  auf  jedes   einzige   betrügerische 


-  790  - 

Unternehmen,  das  zufällig  zu  öffentlicher  Kenntnis  kommt, 
kommen  zweifellos  Mengen  solcher  Unternehmungen,  die 
in  die  Schmutzkanäle  der  Zeit  hinuntergegangen  sind,  ehe 
sie  öffentlich  beachtet  wurden. 

Dieses  Werk  ist  selbstverständlich  —  es  ist  unnötig,  es  zu 
sagen  — keine  Geschichte  persönlicher  Charakterzüge,  An- 
lagen und  Temperamente;  es  ist  eine  Erzählung  der  Mittel, 
durch  welche  Eigentum  erworben  und  große  Vermögen  in 
Besitz  genommen  worden  sind.  Aber  der  Akademiker,  im 
Hochgefühl  seiner  einschläfernden  Mittelmäßigkeit,  kann 
vielleicht  sagen :  „Dies  ist  nicht  Geschichtschreibung,  dazu 
fehlt  die  Leidenschaftslosigkeit  der  Darstellung."  Wenn 
die  Leidenschaftslosigkeit  in  einer  langweiligen  Aufzählung 
von  Daten,  Namen  und  Phrasen  besteht,  ohne  einen  flüch- 
tigen Blick  auf  den  Ursprung  der  Dinge  und  auch  ohne 
eine  klare  Auseinandersetzung  von  Ursachen  und  Wir- 
kungen, dann  fehlt  diesem  Buche  sicherlich  der  „leiden- 
schaftslose Stil",  und  es  ist  gut,  daß  dieser  Mangel  vor- 
handen ist.  Wer  weiß  denn  nicht,  daß  es  kein  wirk- 
sameres Mittel  gibt,  um  Unwahrheiten  zu  erfinden,  zu 
erzählen  und  ihnen  Dauer  zu  verleihen  als  dieser  näm- 
liche „leidenschaftslose  Stil"  ?  Beschönigung  und  Beto- 
nung gewisser  Verkettungen  von  Tatsachen  und  ein  gering- 
schätziges Verschweigen  anderer,  und  siehe,  der  Streich  ist 
gelungen. 

Bei  dieser  Gelegenheit  wird  man  es  dem  Verfasser  ver- 
zeihen, wenn  er  (in  Anbetracht  der  vielen  ernsten  Jahre 
eigener  Nachforschungen)  sein  unbegrenztes  Erstaunen 
darüber  ausspricht,  daß  so  viele  anspruchsvolle  Werke  — 
theoretischer  und  anderer  Natur  —  über  diesen  Gegenstand 
von  Universitätsprofessoren  herausgebracht  worden  sind, 
ohne  daß  sie  sich  die  geringste  Mühe  gegeben  haben, 
die  Tatsachen  festzustellen.  Feingesponnene  dogmatische 
Theorie  ist  das  meiste  davon,  oder  verkehrte,  wohlklingende 
Annahmen:  Worte,  Worte,  endlose  schwülstige  Worte; 
keine  wirklich  eigne  Arbeit,  kein  Gedanke,  keine  Einsicht, 
keine  Erklärung  außer  einer  unechten,  unzulässigen,  ohne 
die  Kenntnis  der  Tatsachen  erworbenen  und  mit  den  der- 
zeitigen Vorschriften  des  herrschenden  Reichtums  so  seit- 


-  791  - 

sam  übereinstimmenden.  Diese  besondere  Geschichte,  es 
sei  gesagt,  ist  von  einem  bestimmten  Gesichtspunkte  aus 
geschrieben  worden,  indem  sie  Tatsachen  erzählt,  die  nie 
vorher  veröffentlicht  worden  sind  und  deren  Genauig- 
keit nicht  angefochten  werden  kann;  das  ist,  wie  der 
Verfasser  glaubt,  der  richtige  Standpunkt,  der  von 
jedem  hinzukommenden  Beweismaterial  nur  bestätigt  wer- 
den kann. 

Schließlich  gibt  es  noch  jene,  die  herbeistürzen  und  die 
Frage  nachdrücklich  vorbringen:  „Haben  die  Gründer  und 
Erhalter  der  großen  Vermögen  nicht  ihre  guten  Eigen- 
schaften gehabt?"  Die  Frage  ist  arg  überflüssig;  sie  haben 
sie  gehabt  und  haben  sie.  Aber  denken  die  in  dieser  Hin- 
sicht so  besorgten  guten  Leute  jemals  daran,  dieselbe  Frage 
in  bezug  auf  die  Hunderttausende  von  Bewohnern  der 
Armenquartiere  zu  stellen,  oder  in  bezug  auf  die  fünfzig- 
tausend (oder  ungefähr  soviel)  Sträflinge  in  den  Vereinigten 
Staaten  ?  Werden  irgendwelche  Rücksichten  oder  mil- 
dernde Umstände  für  diese  verlangt  ?  Für  die  Armen,  die 
Elenden,  die  Erniedrigten  überall  ?  Und  doch  sind  die  Ver- 
gehen, um  derentwillen  kleine  Übeltäter  bestraft  werden, 
nicht  den  tausendsten  Teil  so  bösartig  wie  die  von  den 
Gründern  und  Besitzern  des  Reichtums  begangenen;  so- 
gar einzelner  Mord  sinkt  zu  Bedeutungslosigkeit  herab,  wenn 
man  ihn  mit  der  endlosen  Reihe  der  durch  die  Gier  nach 
Gewinn  und  Reichtum  hervorgebrachten  indirekten  Morde 
vergleicht. 

Alle,  alle,  Kapitalisten  und  Bewohner  der  Armenquartiere, 
Sträflinge  und  Multimillionäre  sind  Geschöpfe  des  Systems, 
das  auf  diese  Weise  Habgier  und  Laster,  Armut  und  Ver- 
brechen erzeugt  —  erschreckende  Tatsachen,  die  durch 
keinen  eigentlichen  Fehler  in  der  menschlichen  Natur 
hervorgerufen  werden,  sondern  durch  die  Triebkraft,  die 
Anreize  und  die  Resultate  jenes  Systems. 

Alle,  alle,  haben  eine  unendliche  Befähigung  für  das 
Gute,  wäre  ihr  nur  die  günstige  Umgebung  zur  Entwicklung 
gegeben;  man  kann  Erstaunen  darüber  äußern,  daß  unter 
einem  so  verderblichen  System  noch  so  viel  Gutes  besteht. 
Und  jene  Magnaten,  die  in  ihrem  Pomp  und  ihrem  Hoch- 


-  792  - 

mut  glauben,  daß  sie  die  gesellschaftlichen  Kräfte  beherr- 
schen, sind  (blinde  Geschöpfe!)  nur  die  Werkzeuge  jener 
Kräfte.  Hinter  all  diesem  Tumult,  hinter  diesem  Dahin- 
stürmen und  Zu-Boden-treten  liegt  ein  langsam  wirkender 
Plan,  der  entschlossen  und  gleichmäßig  vorwärts  geht,  was 
alle,  die  es  wollen,  klar  erkennen  können.  Diese  Magnaten 
haben  trotz  ihrer  Habgier,  ihrer  Korruption  und  ihres 
Betrugs  unbewußt  ihre  große,  in  diesen  Zeiten  notwendige 
Arbeit  getan  —  die  ungemein  wichtige  Arbeit,  Entwick- 
lungshemmungen zu  vernichten  und  die  ganze  Industrie 
ihrer  einheitlichen  Zusammenfassung  entgegenzuführen, 
damit  zu  gegebener  Zeit  das  ganze  Volk  gemeinsam  ihren 
Besitz  antreten  und  ihren  Betrieb  übernehmen  kann  und 
künstliche  Klassenbildungen  mit  den  sie  begleitenden  häß- 
lichen Leiden,  Ungerechtigkeiten  und  Unterdrückungen  für 
immer  abgeschafft  sein  werden. 


Sachregister 

Adams,  Samuel  34  —  Aiken,  Henry  716  —  Albany-  und  Susquehanna- 
Eisenbahn  540 ff.  —  Aldrich  358  —  Alger,  Rüssel  A,  213  —  Allan,  Hugh 
685  —  Allds,  J,  P.  586  —  Alleghany-Bahn  709  —  Allen,  Senator  469  — 
Allen,  Samuel  17,  31  —  Allison,  William  B.  501  —  Altgeld,  John  P.  182 

—  Amerikanische  Brückengesellschaft  590,  732  —  Amerikanische  Pelzgesell- 
schaft 72  ff.,  98,  128  —  Amerikanische  Union-Telegraphengesellschaft  475 

—  Ames,  Oakes  406 ff.,  501  —  Anderson  465  —  Angus  649  —  Anthony, 
D.  R.  I72f.  —  Anthony,  J.  B.  344  —  Antitrustgesetz  569,  618,  692,  732f. 

—  Arbeiterorganisationen  177,  229,  231  ff.,  32off.,  607,  711  ff.,  7i9ff-  — 
Arbeiterverhältnisse  12,  i6ff.,  29,  39,  48f.,  56f.,  I36f.,  i68ff.,  I75ff.,  186, 
2z6il.,  2^2ii.,  263,  268f.,  341,  347ff.,  3S8ff.,  480,  568ff.,  6o4ff.,  621, 
7llff.,  7l9ff.,  739ff.,  748ff.  — Arbeitslöhne    12,   l7f.,   30,  57,   168,    177, 

.186,  226,  263,  268,  341,  347,  358,  480,  6osf.,  7i2f.,  759,  77off.  —  Armour, 
J.  Ogden  183,  746  —  Astor,  Familie  141,  150,  l'^o,  183  f.,  262,  268,  278, 
364,  483,  526,  642,  746  —  Astor,  Georg  Peter  70  —  Astor,  John  Jakob  39  f., 
42,  49,  68  ff.,  143,  148,  298,  475,  494,  678  —  Astor,  John  Jakob  jun.  130 f., 
I34f.,  I42f.,  154,  374,  599  —  Astor,  John  Jakob  II  143,  145 f.,  154  — 
Astor,  Waldorf  147  —  Astor,  William  141  ff.,  145  —  Astor,  William  B.  85, 
87,  126 ff.,  132  f.,  140 ff.,  149  —  Astor,  William  Vincent  143  —  Astor, 
William  Waldorf  I39f.,  143,  146 f.  —  Atchison-,  Topeka-  und  Sante-Fe- 
Bahn  173,  630  —  Atkinson,  Henry  M.  254f.  —  Atkinson,  Oberst  77,  78. 
Bacon  16  —  Baer,  George  F.  347,  746  —  Bailey  226,  372  —  Ballinger 
219,  625  —  Baltimore,  Lord  5  —  Baltimore-  und  Ohio-Eisenbahn  173,  322  f., 
344,  348,  5o8ff.,  700  —  Bancroft  524  —  Bank,  General  284ff.  —  Bankjder 
Ratsherren  99  —  Bank  der  Vereinigten  Staaten  53  f.,  148,  544  —  Bank  von 
Amerika  108  —  Bank  von  New  York  106 f.,  148,  157  —  Banktrust  744  — 
Bankwesen  103 ff.,  380 ff.  —  Barbour,  James  75  —  Baring,  Gebr.  53  — 
Barlow  395  —  Barnard,  George  C.  385  f.,  391,  542  —  Barnes,  John  654 

—  Barney,  Charles  T.  6i4ff.  —   Barrett,  Walter  4of.,  47f.,  70,  87f.,  loi 

—  Bashford,  Coles  438  —  Bayard  637,  639  —  Bayly,  Thomas  H.  431  — 
Beach,  Moses  Jale  124  —  Beaubin-  und  Miranda-Konzession  251  f.,  632  ff. 

—  Beck  671  —  Beckmann,  Alexander  723  —  Beckwitt  377  —  Beeftrust 
184,  746  —  Beekman,  Stephan  D.  99  —  Beiden  401  —  Bellomont,  Graf  16 ff,, 
29,  31  —  Beil-Telephongesellschaft  624,  716  —  Belmont,  August  544,  546, 
565,  599,  744 f.  —  Bennett,  James  Gordon  126  —  Bentley,  J.  A.  632  — 
Benton  86  —  Bessemer,  Henry  704,  713  f.  —  Bethlehem-Stahlwerke  731, 
733  —  Biddle  77  f.  —  Bigelor  654  —  Bingham,  John  95  —  Birch,  Stephan 
626  —  Biskuittrust  174  —  Blaine,  James  G.  408,  444,  637,  718  —  Blair, 
John  J.  407,  493  ff.,  512,  642  —  Blair,  de  Witt  C.  493  —  Bliß  407  —  Bloemart 
9  —  Borntraeger,  Henry  W.  716  —  Boston-  und  Albany-Eisenbahn  357  — 
Bradley  288  —  Brandeth  373  —  Brevoort,  Henry  71  —  Brewer,  Richter 
655,  717  —  Bridge,  James  H.  685  ff.,  692,  696,  699,  702,  704,  723  — 
Broadway-Bahn  292  f.  —  Bronson  442  —  Brooks,  James  410  —  Brooks, 
Peter  Charndon  37  —  Brown,  E.  D.  134  —  Brown  Brother  &  Co.  459, 
552  —  Brown,  Justice  204  —  Brown,  Nicholas  38  —  Browne,  Robert  70 f. 


-  794  - 

—  Brückentrust  586 ff.  —  Buchanan,  Thomas  148  —  Bundes-Stahlgesell- 
schaft  590,  731  f.  —  Buford,  John  283  —  Buren,  van  235  —  Bürgerkrieg 
214,  261,  278,  279ff.,  458f.,  531  ff.,  690,  696  —  Burgess  26,  91  —  Burr, 
Aaron  107,  lio,  in  —  Butler,  Cyrus  36  —  Butterfield  399, 

Cabot,  George  34f.  —  Cadwallader,  F.  D.  539  —  Caldwell,  Luther  388  — 
Calumet-  and  Hecla  Mining  Company  203  f.  —  Cambria-Eisengesellschaft 
707,  715  —  Cameron,  Simon  377f.,  682ff.  —  Canby,  E.  R.  537  —  Candleß, 
Mc.  705,  708  —  Cardozo  542  —  Carey,  Matthew  56  —  CarUsle,  John  G.  566 

—  Carnegie,  Andrew  586 f.,  606,  677ff.  —  Carnegie,  Thomas  M.  688 ff., 
700,  704,  708  —  Carnegie-Stahlgesellschaft  721  ff.  —  Carnegie- Werke  586, 
603 ff.  —  Carnes,  F,  &  G.  41  —  Carr  537  —  Carter,  Robert  20 f.  —  Carter, 
T.  H.  633,  660  —  Caruso  774  —  Caß,  Lewis  86  —  Cassatt,  A.  J.  487 ff.  — 
Castellane,  Gräfin  484  —  Catron,  T.  B.  252,  633^  —  Canley,  John  F.  518  — 
Chandler  203  f.  —  Chase,  Salmon  P.  282  —  Chaves,  Ignacio  254  —  Chemi- 
kalien-Bank 108 f.,  148  f.  —  Chesapeake-  und  Ohio-Eisenbahn  345,  348  — 
Chikago-,  Burlington-  und  Quincey-Eisenbahn  578,  662,  674 f.  —  Chikagoer 
Schienenwerke  "jizii.  —  Chikago-,  Milwaukee-  und  St.  Paul-Bahn  434, 
443  f.  —  Chikago-  und  Nordwest-Bahn  173,  395,  502 f.  —  Churchman, 
Samuel  374f.  —  Cincinnati-,  Hamilton-  und  Dayton-Eisenbahn  574ff.  — 
Clapp,  Asa  36  —  Clark,  Horace  F.  277,  304  —  Clark  (Montana)  240  — 
Clark,  William  82  —  Clelland,  Robert  Mc.  645  —  Clemens,  Jere  428  — 
Cleveland,  Präsident  177 ff.,  540,  565  ff.,  576,  635  —  Cleveland-,  Cincinnati-, 
Chicago-,  St,  Louis-Eisenbahn  338!  —  Clews,  Henry  460  —  Cline  728  ff. 

—  Clinton,  George  loi,  102  —  Cioud  532  —  Coke,  Thomas  Pym  39  — 
Colden,  Cadwallader  15,  45  —  Colder,  WilHam  684  —  Coleman,  Michael 
142,  335  —  Coleman,  William  705 f.,  708  —  CoUins,  E.  K.  272 f.,  279,  280, 
429  —  Colorado-Eisenbahn  464  —  Colorado-  und  Southern-Eisenbahn  490  f. 

—  Colt,  Samuel  428  f.  —  Colton  523  —  Columbia-Ölgesellschaft  686 f.,  697 

—  Conger  586  —  ConnoUy,  Richard  B.  133,  I34ff.  —  Conway,  T.  W.  373 

—  Cooper,  Peter  124  —  Corbin,  A.  R.  398  f.,  429  —  Corcoran  William  W. 
430 ff.  —  Corey  728  ff.,  733  —  Cormick,  H.  Mc.  429  —  Cornick,  Cyrus  H. 
407,  429  —  Corning,  Erastus  445  —  Cortelyou  620  —  Corvin,  Robert  G. 
433  —  Corvin,  Thomas  433  —  Cosby  156  —  Covode  276  —  Cowley,  William 
690  —  Cox,  Minister  632,  636  —  Cramp,  Charles  H.  726  —  Crawford, 
Frank  A.  315  —  Credit  Mobilier  Company  407  ff .,  444,  466,  472,  501  f.,  505 

—  Crocker,  Charles  407,  513  ff.  —  Croffut  267,  269,  278,  283,  294,  304, 
312,  3i4ff.,  333  —  St.  Croix-  and  Lake-Superior-Eisenbahn  437  —  Crooks 
78  —  Crosby,  WilHam  B.  124  —  Crosswell,  Edwin  274  —  Culloch,  Hugh 
Mc.  501  — Cunard,  Edward  131,  298  —  Cunard-Linie  623  —  Cunningham 
625  f.  —  Cutler,  Luke  H.  607. 

Dabney,  Morgan  &  Co,  463,  545  f.  —  Dana,  Charles  A.  238  —  Davidge, 
William  H.  276  —  Dav^|^n,  J.  W.  537  —  Davies,  Thomas  E.  292  —  Davis, 
Abgeordneter  275,  276  —  Davis,  Henry  G.  627 f.  —  Davis,  Richter  420  — 
Debs,  Eugene  V.  I77f.  —  Deems  311  —  Deighton  714  —  Delano,  Laura  A. 
133  —  Delaware-  und  Lackawanna-Eisenbahn  335,  495  —  Delaware-, 
Lackawanna-  und  Western-Eisenbahn  335,  339,  341,  345,  495  f.,  498  ff.,  555  — 
Delaware-  und  Hudson-Eisenbahn  341,  345,  540  —  Deliius  18  —  Denver- 


-  795  - 

und  Rio  Grande-Eisenbahn  470,  490,  630  —  Denver-South-  Park-  und  Pa- 
cific-Eisenbahn  464,  466f., —  Depew,  Chauncey  M.  240,  310,  335,  555  — 
Des  Meines  Schiffs-  und  Eisenbahngesellschaft  379,  429,  503  —  Dicken- 
son  428  —  Dieterich,  Georg  70  —  Dillon,  John  F.  449f.,  453f.  —  Dillen, 
Sidney  462  ff.,  467,  686,  706  —  Dodge,  Marcellus  Hartley  376  —  Dodge, 
William  E.  98,  132,  496,  498  —  Dolan,  Thomas  343  —  Donough,  Henry 
D.  Mc.  602  —  Donghertz,  Thomas  J.  85  —  Dorsey,  Stephen  W.  637  — 
Doubleday,  Thomas  D,  283  —  Dow,  Prentiss  439  —  Dreieinigkeits-Gesell- 
schaft 22  —  Dreieinigkeitskirche  96 f.,  iioff.,  140,  155  —  Drew,  Daniel 
299 ff.,  382  ff.  —  Drew,  Wolcott  344  —  Dreiel,  Gebr.  563  —  Drexel,  Mor- 
gan &  Co.  546 f.  552 ff.,  565  f.  —  Dubuque-  und  Sioux-City-Eisenbahn  503  ff. 

—  Duquesne-Stahlgesellschaft  710  —  Durham  487. 

Eastman,  Arthur  M.  535 f.,  539  —  Edgar  Thompson-Stahlgesellschaft 
704f,  707f.,  713  —  Edison  716  —  Edwards,  Richter  231  —  Eistrust  6ioff. 

—  Elkins,  John  T.  630  —  Elkins,  Stephen  B.  240,  251  f.,  254,  328,  565,  627ff. 

—  Elliott  499  —  Ely  684  —  Emerson,  A.  760  —  Equitable-Lebensversiche- 
rungsgesellschaft  310,  592  ff.,  624  —  Erie-Eisenbahn  299,  365,  381  ff., 
404f.,  541,  573 ff.  —  Eriekanal  64,  20if.,  355,  510  —  Estes,  James  B. 
645  f.  —  Ettor  774  —  Evans  19  —  Everett  37. 

Fair  363  —  Farley,  Jesse  P.  454f.,  647ff.  —  Field,  Cyrus  W.  475 f.,  478 
Field,  Henry  i85ff.  —  Field,  Marshall  68f f.,  161  ff.  —  Fields,  Andrew  C.  596 

—  First  National-Bank  592,  622  —  Fisher,  Ellwood  276  —  Fisk,  James  300, 
384ff.,  411  ff.,  541  ff.,  —  Fitch  713,  723  —  Fithian,  Philipp  Vickers  20  — 
Flagg  98  —  Fleming  443  —  Fletcher  14,  29,  94,  iio  —  La  Folette  602, 
609 f.,  6i4f.  —  Foraker  240  —  Forshay,  James  VV.  565  —  Forsyth,  Thomas 
83f.  —  Foster,  J.  W.  661  —  Fourth  Avenue-Niveaubahn  289,  309  —  Frank- 
lin, Benjamin  23  —  Fremont  536,  538 ff.  —  Frick,  Henry  C.  487,  599, 
7iof.,  718,  72off.,  723,  733 f.,  —  Füller  715. 

Gales,  John  W.  617  —  Galusch  654  —  Gardiner,  George  H.  432 f.  — 
Garfield,  James  A.  408,  444  —  Garrett,  John  W.  323,  507,  S09ff.  —  Garrett, 
Robert  512  —  Gayley  733  —  Gaynor,  Richter  611  —  Georgia-Mississippi- 
Land -Company  195  —  Gilfillan  652  —  Giovannetti  774  —  Girard, 
Jean  51  —  Girard,  Pierre  50  —  Girard-Bank  52 f.  —  Girard,  Stephan 
40,  42,  49  ff.,  159  —  Goddard,  Luther  M.  490  f.  —  Godyn  9  —  Goelet, 
Jacobus  148 —  Goelet,  May  153  —  Goelet,  Ogden  I52f.  —  Goelet,  Peter 
68f.,  94f.,  98,  108,  124,  132,  141,  I47ff.,  180,  183,268  —  Goelet,  Peter  jun. 
150!.  —  Goelet,  Peter  P.  148 ff.  —  Goelet,  Robert  151  —  Goelet,  Robert  jun. 
I52ff.  —  Goelet,  Robert  P.  I48ff.  —  Goelet,  Robert  Walton  154  —  Gon- 
zales, Salvador  253  —  Gordon,  J.  M.  675  —  Gordon,  William  M.  82  — 
Gorman,  W.  A.  447  —  Gould,  Anna  484  —  Gould,  Famihe  366,  526, 
588,  627,  746f. — Gould,  George  486,  489ff.,  555,  599  —  Gould,  Jay  238, 
3oof.,  324,  366ff.,  407,  430,  449,  456,  462ff.,  492,  5i2f.,  522,  524,  528, 
530,  541.  555.  557.  574.  597.  686  —  Gould,  Kingdon  473  —  Graham  18  — 
Grant  Ulysses  S.  398 ff.,  429,  629  —  Gray,  William  38  —  Great  Northern- 
Eisenbahn  577ff.,  656ff.  —  Greeley,  Horace  748  —  Green,  Benjamin  E. 
431  —  Green,  Richter  497  —  Gresham,  Richter  473  —  Grimes,  Senator 
285,  287f.,  —  Griswold  48  —  Guggenheim  240,  625  f.,  744. 


_  796  - 

Haie,  Senator  286,  288  —  Hall,  Bürgermeister  307  —  Hamilton,  Andrew 
597  —  Hancock,  John  34  —  Handwerkerbank  108  f.  —  Hannover  National- 
bank 592  —  Harlan,  Richter  719  —  Harlemer  Eisenbahn  131,  308  —  Har- 
mon,  Judson  576  —  Harriman,  E.  H.  154,  364,  366,  469f.,  486,  505, 
529.  575,  577^f-,  593.  595,  599,  601,  673,  6j6i.,  741  —  Harris,  Senator  469 

—  Harris,  William  H.  283  —  Harrison  211,  638,  718  —  Harris-  und  Sloo- 
linie  274,  280  —  Hartley,  Marcellus  376  —  Harvier,  Ernest  354  —  Hatz- 
feld,  Fürst  528  —  Havemeyer,  William  F,  98,  261,  570  —  Haywood  582  — 
Hearst,  George  240  —  Heinze  61 2  ff.  —  Hepburn  320  —  Hewes,  Joseph  34 

—  Hicks,  Russell  F,  388  —  Hill,  James  485,  577ff.,  627,  641  ff.,  744f. — 
Historische  Gesellschaft  29  —  Hitchcock  213  —  Hoffmann,  Gouverneur 
135,  542  —  Holländisch-Ostindische  Gesellschaft  6  —  Holländisch- West- 
indische Gesellschaft  6 f.,  9f.  — Holley,  A.  L.  7o6f.,  716  —  Holman,  William 
G.  683  —  Holt,  J.  537  —  Hopkins,  Edward  C.  449 f.  —  Hopkins,  John  5,  507, 
509 ff.  —  Hopkins,  Mark  513  ff.  —  Hörn,  Walter  B.  575  —  Houghton  52, 
157,  369,  429  —  Hudson-Bay-Trading-Company  649  —  Hudson-River- 
Eisenbahn  297ff.,  348,  351,  355  —  Hughes,  Andrew  S.  81  f.  —  Hunt, 
Washington  444  —  Huntington,  Collis  P.  407,  471  f.,  475,  482,  485,  513  ff., 
686f.,  706  —  Hurrah,  Charles  H.  731  —  Hyde  310,  624. 

Jackson  5 3  f.,  122  —  Jefferson  22,  107  —  Jenkins,  Richter  672  f. — Jerome, 
William  Travers  601,  613  —  Jesup  &  Co.  463  —  Jewett,  D.  G.  M.  638 f. 

—  Illinois-Zentraleisenbahn  153 f.  —  Illinois-Zentralgesellschaft  199,  429, 
505,  701  —  Indianer  25,  27f.,  31,  74ff.  —  IngersoU  275  —  International 
Mercantile  Marine -Company  623  f.  —  Interstate  Commerce  -  Railway- 
Association    556  —  Johnson,   James  L.  630  —  Johnson,   Senator  77,   79 

—  Jones,  William  L.  707f.,  7l4ff.,  —  Jowa  Central-Air-Bahn  504  — 
Jowa  Falls-  und  Sioui  City- Eisenbahn  503  f.  —  Irons,  Martin  480  —  Ir- 
win, Matthew  73,  77  —  Irwdn,  Richard  B.  461  —  JuHan,  Generalinspektor 
255  —  Julian,  George  W.  635  ff.  —  Justice,  Philipp  S.  283. 

Kanadische  Pacific-Eisenbahn  685  —  Kansas -Pacific-Eisenbahn  216, 
463  ff.,  469,  474,  546,  686  —  Karl  I.  17  —  Kaufmannsbank  108,  109  — 
Kelly,  P.  H.  655  —  Kembel  488  —  Kennedy,  John  451,  454,  477,  648, 
650 ff.,  672,  673  —  Kenney,  Thomas  L.  76,  77,  78,  79ff.  —  Kerens,  Richard 
C.  638  —  Ketchum,  Sohn  &  Co.  539  —  Kidd  26  —  Kidder,  Peabody  &  Co. 
552  —  Kinley,  Mc.  570 f.,  732  —  Kinstry,  Major  536  —  Kinzie,  John  164 

—  Kipp,  Salomon  291  —  Kissam,  W.  H.  98  —  Kittson,  Norman  W.  647  ff. 

—  Kloman,   Gebr.   688 ff.,    703 ff.,  708 ff.  —  Knickerbocker-Trust   6i4ff. 

—  Knox,  Philander  C.  240,  486 f,  732  —  Kohlentrust  346,  746  —  Kuhn, 
Loeb  &  Co.  599  —  Kupfertrust  203. 

Lackawanna-Eisenbahn  365  —  Lackawanna-Kohlen-  und  Eisengesell- 
schaft 495,  499  —  Lac  La  Belle  Ship-Canal-Company  202  —  La  Crosse- 
und  Milwaukee-Eisenbahn  434ff.,  457  —  Lake  Shore-Eisenbahn  305,  345, 
355  f.,  364  —  Lambard,  Charles  A.  501  —  Lanzing  543  —  Larrabee,  William 
506  —  Laurence,  Stone  &  Co.  429  —  Laurens,  Henry  34  —  Law,  George  274, 
291,  zgzii.  —  LaviTence,  William  26f.  —  Lean,  George  W.  133  —  Lehigh- 
und  Tobyanna-Landgesellschaf t  499 —  Lehightal-Bahn  339,  341  — Lebigh- 
Waggonfabrik   467   —   Leiter,  Levi  7,    161  ff.   —  Leod,   Arthur  A.  Mc. 


-  797  ~ 

341  f.,  560  —  Leupp,  Charles  M.  368  f.  —  Lewis,  Francis  34  —  Limanhour, 
Jose  246  —  Lincoln,  Abraham  284,  534  —  Lincoln,  Robert  T.  175  —  Lindsey, 
Ben  B.  490  —  Linville  701  —  Lisperaard,  Anthony  lll  —  Littlefield  619 

—  Littler  465  —  Livington  18,  61  —  Livingstone,  John  382  —  Lockwood, 
Le  Grand  460!.  —  Londoner  Gesellschaft  3  f.  —  Longworth  68,  157  ff.  — 
Lorillard  94,  98,  124,  148  —  Love,  Richter  458  —  Low,  A.  Maurice  540, 
582,  583  —  Lowber,  Robert  W.  427f.  —  Lum,  Mary  50  —  Luxuswagen- 
Trust  174  f. 

Macdonald,  John  A.  685  —  Mc.  Gregor  Western-Eisenbahn  457  — 
Macy,  William  H.  407  —  Maginnis,  Martin  665  ff.,  669,  673  —  Mäh- 
maschinentrust 173,  746  —  Mains,  O.  P.  Mc.  633  —  Manhattan  -  Bank 
lo8ff.,  113  —  Manhattan -Gesellschaft  477  —  Marcy,  General  537  — 
Marius,  Peter  Jakob  26  —  Marlborough,  Herzog  von  361  —  Marmon, 
Robert  T.  630,  632  —  Martin  298,  395  —  Martinez,  Francis  253  —  St.  Marys 
Falls -Ship-Canal- Company  202,  203  —  Mason,  John  17  —  Matteson, 
Erasmus  B.  380  —  Maury  632  —  Maxwell-Landkonzession  251  f.,  256, 
629 ff.  —  Mears,  John  H.  432  f.  —  Mercantile  Trust  Company  624  — 
Merkantil-Bank  107  —  Metropolltan-Interborough-Traction  Company  602 

—  Metropolitan-Street  Railway  309,  476,  602  —  Metz,  Steuerkontrolleur 
183,  622  —  Meyer,  Generalpostmeister  173  —  Miami-  und  Dayton- 
Kanalgesellschaft  202  —  Middlesex- Spinnereien  429  —  Midvale-Stahl- 
gesellschaft  731,  733  —  Miliard,  Bailey  246  —  Miller,  Henry  246  — 
Miller,  Richter  651  —  Miller,  Rutger  B.  iio  —  Miller,  Thomas  N.  688, 
689ff.  —  Mills,  Darius  O.  518,  599  —  Mills,  D.  O.  328  —  MiUs,  M.  M. 
252  —  Milwaukee-  und  Horicon-Eisenbahn  443  —  Milwaukee-  und  Minne- 
sota-Eisenbahn 441  f.  —  Milwaukee-  und  Superior-Eisenbahn  439  —  Minne- 
sota- und  Northwestern- Eisenbahn  427,  444  ff.  —  Minnesota-  und  Pacific- 
Eisenbahn  446,  449,  647  —  Missouri-Pacific-Eisenbahn  473,  479,  480,  557 

—  Mitchell,  Alexander  419 f.  —  Mitchell,  John  340  —  Monroe,  James  122 

—  Montaya,  B.  M.  254  — Moody,  John  175,  338,  365,  584f.,  662  —  Moore 
590,  732,  734  —  Moore,  A.  P.  742  —  Mora-Konzession  254  —  Morales, 
Marquis  de  21 1  —  Morgan,  Grenfell  &  Co.  607  —  Morgan,  J.  Pierpont 
324,  328,  342 ff.,  377,  463,  475,  482,  485,  529ff.,  590,  61 3  ff.,  627,  642, 
673,  678,  732ff.,  744ff.  —  Morgan,  Junius  S.  531  ff.  —  Morgan,  Major 
82  —  Morgan,  Senator  469  —  Morris,  Edward  183  —  Morris,  Robert  34 

—  Morris,  Roger  90,  91  —  Morris-  und  Essex-Eisenbahn  496  f.  —  Morrison 
373  —  Morse  6loff.  —  Mortier,  Abraham  lll  —  Morton  407,  444  — 
Morton  Trust -Company  624  —  Moyer  582  —  Mushet  718  —  Mutual- 
Versicherungsgesellschaf t  592  ff. 

Nationalbank  109,  592  —  National-City-Bank  565,  622  —  National- 
Röhrengesellschaft  590,  732  —  National-Stahlgesellschaft  735  f.  —  Na- 
varro,  Jose  F.  476  —  Negersklaven  4,  21,  29,  33,  227,  281  —  Neill,  Mc.  229 

—  Nelson,  Richter  267  —  Newbold,  J.  G.  500  —  New  England-Mississippi- 
Land -Company  195  —  New  Jersey-Transportgesellschaft  497  —  New 
Jersey -Zentraleisenbahn  339,  467,  705  —  New  Yorker  Eisenbahn  131  — 
New  Yorker  Herald  126  —  New  Yorker  Hochbahn  477  —  New  Yorker 
Leih-  und  Betriebsgesellschaft  477  —  New  York-,  Ontario-  und  Western- 


-  798  - 

bahn  345  —  New  Yorker  Zentraleisenbahn  i3of.,  154,  265,  296^.,  301  ff., 
3i3f.,  318,  324f.,  335,  337,  342,  347f.,  351,  353ff.,  359,  364,  422,  425ff.— 
New  York-,  New  Haven-  und  Hartford-Bahn  342,  344,  354  —  New  York- 
und  Harlem-Eisenbahn  288ff.,  318  —  New  York-  und  Hudson-River-Eisen- 
bahn 295  —  New  York-,  Susquehanna-  und  Western-Eisenbahn  573  — 
New  York  Versicherungsgesellschaft  592  ff.  —  New  York  Zentral-  und 
Hudson -Eisenbahn  344,  351,  352  —  Nicholson,  John  344f.  —  Noble, 
Minister  633  —  Nolan,  Gervacio  253,  256  —  Nördliche  Zentralbahn  684, 
701  —  Nord-Missouri-Bahn  701  —  Nordwest-Gesellschaft  73  —  Norfolk- 
und  Western-Eisenbahn  348  —  Northern  Pacific -Eisenbahn  216,  2i8f., 
451,  577ff.,  656,  662ff.  —  Northern  Securities  Company  579f. 

O'Callaghans  6  —  Odell,  Gouverneur  595  —  Oglethorpe  16  —  Ohio-Land- 
Company  194  —  Ohio -Sparkasse-  und  Kreditgesellschaft  551  —  Oliver, 
Henry  W.  691  —  Oliver  Minengesellschaft  730  —  Owen,  Robert  537. 

Pablo-Montaya-Konzession  254  —  Pacific-Eisenbahn  240,  468,  521  ff., 
660  —  Pacific-Mail-Steamship-Company  274,  276 f.,  459  f.  —  Page  298  — 
Paine  22  —  Painter's  MiU  603  f.  —  Painter's  Row  603  f.  —  Palmer,  Potter 
163  —  Pardee,  Gouverneur  219  —  Parsons  217  —  Patterson  185  f.,  491  — 
Pattison  465  f.  —  St.  Paul-,  Minneapolis-  und  Manitoba-Eisenbahn  650  ff. 

—  St.  Paul-  und  Pacific-Eisenbahn  448,  450 ff.,  457,  650  ff.  —  Payn  388  — 
Peabody,  Gouverneur  490  —  Peabody,  Joseph  35  —  Peabody  &  Co.  53lff. 

—  Peacock  733  —  Pearson,  H.  W.  661  f.  —  Pearson,  Magazine  607  —  Peck, 
Richter  538  —  Penn,  William  14  — Pennsylvaniabahn  323,  326ff.,  342,  348, 
365,  378,  486ff.,  512,  522,  550,  555,  586f.,  68iff.,  697,  702,  706,  732  — 
Pennsylvania- Kohlen-  und  Koksgesellschaft  348,  572f.  —  Pennypacker, 
Gouverneur  487  —  Penrose,  Senator  487  —  Pere  Marquette  -  Eisenbahn 
576  —  Perkins,  George  W.  593,  596,  599,  601  —  Perkins,  Thomas 
Handasyd  38  —  Petroff  488  —  Pettibone  582  —  Pettigrew,  Senator  2l8f., 
660 ff.,  670  f.  —  Phelps,  George  D.  459,  496,  698  —  Phelps,  John  J.  496, 
498  —  Philadelphia-  und  Reading-Eisenbahn  326,  339,  341  ff.,  347,  348, 
560  —  Philadelphia-,  Wilmington-  und  Baltimore -Eisenbahn  512  — * 
Philipps,  Adolphus  91  —  Phillips,  Frederick  91,  148  —  Phillipps,  William  A. 
2o8f.  —  Phipps,  Henry  681,  689ff.,  705,  708,  709  —  Phipps,  John  691  — 
Pierce  445  —  Pinchot,  Gifford  219,  625  —  Pinkerton,  Robert  A.  721  f.  — 
Piper  701  ff.  —  Piper  &  Schiffler  696  ff.,  702  f.  —  Pittsburger  Bessemer- 
Stahlgesellschaft  710,  712  —  Pittsburg-,  Fort-Wayne-  und  Chikago-Bahn 
689  —  Pittsburger  Nationalbank  691,  705  —  Platt  240  —  Poor  50lf.,  540 

—  Portage  Lake-  and  Lake  Superior  Ship-Canal-Company  202,  203  —  Pratt, 
Zadoc  368  f.  —  Pruyn  298  —  Pueblo-  and  Arkansas-Valley-Railway-Com- 
pany  630  —  Pulitzer,  Joseph  481  —  Pullman,  George  M.  I74f.,  343,  407, 
477,  706  —  Pullman-Gesellschaft  i47ff.,  369  —  Purdy,  Elijah  291. 

Quantrell  628  —  Quay  487,  488. 

Rantoul,  Robert  234  —  Reading-Eisenbahn  327f.,  550  —  Ream,  Nor- 
man B.  175  —  Rensselaer,  Kiliaen  van  9,  61  —  Rensselaer,  Stephan  van 
23 f.  —  Republic  Steel  Company  617  —  Rhinelander  68,  94,  95,  97,  99, 
132,133,  141,  148,  155  f.,  184,  268  —  Riggs43o,433  —  Roberts,  Charles  C.  377 

—  Roberts,  Marshall  O.  134,  274,  277,  292,  374f.  —  Roberts,  Dr.  Peter  347 


-    799  - 

—  Rockefeller,  Geraldine  376  —  Rockefeller,  John  D.  262,  $igi.,  328,  530, 
577ff.,  584,  588,  607,  6i3ff.,  6i7ff.,  678,  733,  734,  741,  742  —  Rockefeller, 
William  328,  492  —  Rockwell,  J,  S.  442  f.  —  Romaine,  Benjamin  94 f.  — 
Roosevelt  136,  160,  219,  242,  347,  582 ff.,  618,  718,  732  —  Root,  Elihn  136 

—  Root,  Milo  A.  675  —  Rosser,  J.  Travis  427  —  Rothschild  544,  546,  565, 
607  —  L'Rourke,  Matthew  J.  134  —  Roxburghe,  Herzog  von  153  —  Rum- 
berger  488  —  Rüssel,  Charles  Edward  673  —  Russell,  Thomas  36  —  Rutgers 
156  —  Rutland-  und  Washington-Eisenbahn  369  —  Ryan,  Thomas  F.  601  f., 

624.  733,  745,  746. 

Sagan,  Herzog  von  484  —  Sage,  Russell  404,  407,  415  ff.,  462,  464^,  467, 
472ff.,  478f.,  482,  494,  500,  501,  512,  513,  524,  603,  642,  647,  658,  678  — 
Salter  488  —  Sangre  de  Cristo- Terrain  254,  256  —  Schell  134,  135,  535  f. 

—  Schermerhorn  94,  141,  148,  iSÖf.,  183,  184  —  Schiff,  Jacob  H.  599  — 
Schiffer  706  f.  —  Schlußstein-Brückengesellschaft  691  f.,  696,  701,  718  — 
Schuyler  18,  23  —  Schwab  728  ff.,  733  —  Schwartz,  H.  H.  220  —  Scott, 
John  705,  709  —  Scott,  Thomas  A.  378,  512,  522,  681  ff.,  701,  702,  706, 
708  —  Seligmann,  Gebr.  546  —  Seymour  293  —  Sharp,  Jacob  291,  477, 
565  f.  —  Shearman,  Thomas  G.  68,  264  —  Sherman,  John  545,  619,  692, 
732  —  Shinn,  William  P.  706,  709  —  Sibley,  Gouverneur  446  —  Sioux- 
City-  und  Pacific-Bahn  501  ff. — Simpson,  James  H,  716  —  Sioux-City-  und  St. 
Paul-Eisenbahn  457  —  Sistare,  George  K.  134  —  Sloan,  Samuel  543,  555  — 
Slocum4l8f.  —  Sloo,  Albert  G.  274 — Smith,  Darwin  543  —  Smith,  Alexander 
Donald  649  f.  —  Smith,  Henry  N.  395  —  Smith,  Herbert  Knox  735  —  Smith, 
Thomas  H.  48  —  Smith,  Oberst  I9f.  —  Snelling  75  —  Snow,  Ambrose  286 

—  Southard,  T.  B.  285,  286,  288  —  Southern  Pacific-Eisenbahn  216,  521  ff,, 
686  —  Spahr  183,  341,358  —  Sparks203,  210,  215, 221, 248,  25of.,  254, 255  — 
Speyer,  James  565  —  Spooner,  Senator  672  f.  —  Städtische  Eisenschmiede 
694ff.  —  Stahltrust  585 ff.,  691  —  Standard-Oil-Company  203,  224,  243, 
264,  3i9ff.,  345,  348,  349,  363,  364,  485 ff.,  514,  529ff.,  545,  575,  578,  587, 
6i3ff.,  6ijii.,  SjSii.,  706,  709,  744f.  —  Stanford,  Leland  240,  407,  5i3ff. 

—  Stanton  284  —  Stead,  W.  T.  170  —  Steele,  Frederick  536  —  Steele, 
John  N.  626  —  Steenyiyck,  Cornelius  25  —  Stephen,  George  649  ff.  — 
Stephen,  Lord  Mount  673  —  Sterne,  Simon  304  —  Stetson,  Francis  568  f. 

—  Stevens,  Edward  A.  497  —  Stevens,  Simon  5  35  ff.  —  Steward,  John  131, 
298  —  Stewart,  A.  T.  124  —  Stewart,  David  A.  697,  705  —  Stickney  555  — 
Strathcona,  Lord  673  —  Streike  I77f.,  225,  231,  233!".,  268,  322ff.,  346f., 
480,  487f.,  511,  712,  721  ff.,  760,  774  —  Stunton  646  —  Süd-Pennsylvania- 
Eisenbahn  326ff.,  550  —  Swartwout,  Samuel  46  —  Sweeny  136  —  Sweet, 
Alanson  418!.  —  Swinton,  William  459  —  Szechenyi,  Laslo  361. 

Tabaktrust  243,  733  —  Taft,  Präsident  616,  638,  718,  732  —  Taintor, 
Henry  F.  133,  134  —  Tammany  623  —  Taylor,  Jacob  99  —  Taylor, 
Moses  124,  134,  135,  496  —  Taylor-System  769  —  Teller,  Staatssekretär 
211,   221,  491    —   Tennessee -Kohlen-   und   Eisengesellschaft   588,   6i7ff. 

—  Terminal-Company  551,  576  —  Texas-Pacific-Eisenbahn  523,  686  — 
Thackery,  S.  W.  13  —  Theater trust  763  —  Thomas  61 2  ff.  —  Thompson, 
J.  Edgar  388,  655,  687,  700,  702 f.,  705  f.,  709  —  Thorndike,  Israel  34  — 
Tiemann428  —  Tilden,  Samuel  J.  442,  444,  451  —  Tiphon  76  —  Tobin, 


-   8oo  — 

John  296  —  Todd,  Sarah  71  —  Toledo-Eisenbahn  551,  576  —  Toole,  Gou- 
verneur 665  —  Toombs,  Senator  271,  273,  274,  276  —  Tracy,  Nathaniel 
34f.  —  Traer  207  —  Treat,  Richter  652 — Troy-  und  Schenectady-Eisenbahn 
422ff,  —  Trust-Company  of  America  6l5ff.  —  Truste  I73f.,  241  ff.,  3i9ff., 
569ff.,  733ff.  —  Tunneltrust  586f.  — Turpie469  —  Tweed,  William  M.  133, 
I34f.,  238,  293,  303,  307,  391  —  Tweed-Ring  98,  I32ff.,  307,  374,  385. 

Union-Eisenmühlen  695  ff.  —  Union-Eisenwakwerke  709  —  Union-Paci- 
fic-Eisenbahn  208,  214,  216,  364,  404!!.,  462,  465,  468ff.,  474,  500,  501, 
519,  663,  686  —  United  States  Mail-Steamship-Company  274,  276,  277, 
292  —  United  States  Steel-Corporation  585  ff.  —  Upham  655. 

Vanderbilt,  Alfred  G.  599  —  Vanderbilt,  Cornelius  98,  124,  131  f.,  154, 
175,  261  ff.,  325,  364,  365,  366,  367,  383  ff.,  393,  406,  429,  459,  485,  486, 
494,  513,  541,  678  —  Vanderbilt,  Cornelius  Jeremiah  315,  316  —  Vanderbilt, 
Cornelius  jun.  154,  264,  336  —  Vanderbilt,  Familie  615,  627,  642,  679,  746 f. 

—  Vanderbilt,  George  337  —  Vanderbilt,  William  H.  3l6ff.,  474ff.,  479, 
512,513,  526,  548ff.,  560,  577  —  Vanderbilt,  William  K.  264 f.,  335,  355ff., 
361,  363  —  Venner,  Clarence  A.  674  f.  —  Vest,  Senator  474  —  Viadukt- 
bahn 135  —  Viehzuchtgesellschaften  2loff.  —  Villard,  Henry  663f.,  669ff. 

—  Visayan-Eisenbahn  364. 

Wabash-Eisenbahn  473,  486,  489,  557  —  Wabash-  und  Erie-Kanal  202 

—  Wagner,  Robert  F.  ']'](>  —  Waiden  518  —  Walker  206  —  Wallace,  J.  W. 
281  —  Wanamaker,  John  343  —  Ward,  George  Atkinson  35  —  Warren- 
Linie  496,  498  —  Watchorn  726  —  Weaver,  Senator  257  —  Webb,  W.  H. 
98  —  Weeden  37  —  Weiss,  John  H.  550  —  Weller  374  —  West-Branch- 
Kohlengesellschaft  348  —  Westbrook  478  —  Western-Union-Telegraphen- 
gesellschaft  474f.,  478,  479,  482,  490  —  Westinghouse-Gesellschaft  6l6f., 
716,  767 f.  —  Westminster,  Herzog  von  147,  332  —  West-Shore-Eisenbahn 
236  —  West-Virginia- Zentraleisenbahn  627  —  Wetmore,  Prosper  M.  274, 
651  — Wheeler  &  Co.  41 8  ff.  —  Wheeler,  Robert  Johnstone  766  f.  —  White, 
Richter  715  —  Whitney,  Harry  Payne  363  —  Whitney,  J.  A.  661  —  Whit- 
ney, William  C.  37f.,  309,  328,  363  —  Widener  565  —  Williams,  John  M. 
S.  501  —  WiUiamson,  J.  A.  634  —  Wilson,  R.  T.  363  —  Witherow  714 

—  Wittgenstein  518  —  Wolfe  488  —  Wolltrust  778  —  Wood,  E.  N.  747 

—  Wood,  Thomas  D.  787  —  Woodruff  686  —  Wormser,  Daniel  288  — 
Wright,  Caroll  D.  177,  323,  568  —  Wright,  Hendrik  B.  257  —  Wyck, 
C.  H.  van  282,  375  f.,  683  f. 

Zentralpacificeisenbahn  216,  516,  5l8ff.  — Zimmer,  Johannes  699f.  — 
Zölle  32  f.,  49,  85 — Zuckertrust  243,  569f.  —  Zyklopen-Eisenmühlen  694ff. 


HC  Myers,   Gustavus 
103  Geschichte  der  grossen 

M815  amerikanischen  Vermögen 
Bd.  2 


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