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Full text of "Geschichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, im Auftrage der Akademie bearb"

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GESCHICHTE 

DER 

KÖNIGLICH   PREUSSISÜHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

zu  BERLIN 


IM  AUFTRAGE  DER  AKADEMIE  BEARBEITET 


VON 


ADOLF  HARNACK 


ERSTEHE  BAND  —  ERSTE  HÄLFTE 


BERLIN  1900 

GEDRUCKT  IN  DER  REICHSDRUCKEREI 


I 

VON  DER  GRÜNDUNG  BIS  ZUM  TODE 
FRIEDRICHS  DES  (IROSSEN 


Inhalt. 


Seite 


Einleitung:   Leibniz  und  der  Gedanke  der  Akademieen.    Die  Vorgeschichte 
der  Brandenburgischen  Societät  der  Wissenschaften  (1697—1700)     .    .         1—69 

I.    Die    Wissenschaft    beim   Ausgang    des    17.  Jahrhunderts    S.  5  ff.    — 

2.  Leibniz  als  universaler  Denker  und  Organisator  S.  gff.  —  3.  Leikniz 
und  der  Gedanke  der  Akademieen  S.  20 f.  —  4.  Die  Akademieen  des  17.  Jahr- 
hunderts S.  21  ff.  —  5.  Leibnizcus  Societätspläne  vor  1697  S.  270".  —  6.  Die 
Kurfürstin  Sophie  Charlotte;  Brandenburg  tritt  in  Leibnizcus  Gesichtskreis 
S.  34  ff".  —  7.  Sophie  Charlotte  und  Leibniz.  Plan  der  Erbauung  eines  Ob- 
servatoriums und  der  Stiftung  einer  Societät  in  Berlin  S.4off'.  — •  8.  Weitere 
Verhandlungen  über  diesen  Plan  nach  Danckelmann's  Sturz  im  Jahre  1698 
S.  56  ff".  —  9.  Verwirklichung  des  Plans  in  Folge  der  nothwendigen  Kalender- 
reform im  Winter  1 699/1 700  S.  64ff". 

Erstes  Buch:  Geschichte  der  Brandenburgischen  (Königlich  Preussischen) 
Societät  der  Wissenschaften  unter  Friedrich  I.  und  Friedrich  Wilhelm  I. 

(1700-1740) 7>-244 

Erstes  Capitel:   Die  Gründung  der  Societät  im  Jalire  1700  (19.  März 

bez.  II. Juli) 73  —  105 

Zweites  Capitel:    Geschichte    der  Societät   von  ihrer  Gründung  bis 

zu   ihrer  wirklichen  Einrichtung   im   Januar  1711 105  —  175 

I.  Berlin  um  das  Jahr  1700,  die  französische  Colonie,  die  Berliner 
Gelehrten,  die  beiden  Jablonski.  Kirch,  Frisch  und  Andere.  Die  Gewinnung 
der  ersten  einheimischen  und  auswärtigen  Mitglieder.  LEiBNizens  Corre- 
spondenz   S.  losff".  —  2.    Das   Jahr   1701,    die   Königskiönung  S.  ii8ft'.   — 

3.  Die  Jahre  1702  — 1705  S.  131  ff".  —  4.  Die  Jalire  1705  — 1 711;  die  wirk- 
liche Einrichtung  der  Societät  S.  1 4 1  ff". 

Drittes    Capitel:    Geschichte    der   Societät    von    ihrer   Einrichtung 
im  Januar  1711  bis  zum  Tode  LEiBNizens  (14.  November  1716).    Der 

Anfang  der  Regierung  Friedrich  Wilhelm's  1 176  —  215 

I.  Die  Jahre   1711  — 1713,   Tod   des  Königs    Friedrich's  L  S.i76ff. — 
2.  Die  Jahre  1713  — 1716,  Friedrich  Wilhelm's  L  Regierungsantritt,  Leib- 
nizcus letzte  Jahre  S.  1890". 
Viertes  Capitel:  Fortsetzung:  Geschichte  der  Societät  unterFRiED- 

rich  Wilhelm  1 215  —  241 

Einleitung   S.  215  ff".  —    i.  Geschichte    der  Societät   von   17 16  bis   1740 
S.  2 19  ff".  —  2.  Die  wissenschaftlichen  Leistungen  der  Societät  S.  235  ff". 
Anhang:    Zum   Personalstand   der   Societät   (1700  — 1740) 242  —  244 

Zweites  Buch:  Geschichte  der  Academie  Royale  des  Sciences  et  Belles- 

Lettres  Friedrich's  des  Grossen  (1740-1786) 245-492 

Erstes   Capitel:    Die   Reorganisation    der  Societät  und    ihre  Ver- 
einigung mit  der  »Nouvelle  Societe  Litteraire«  (1740  — 1746):   Die 

Academie   Royale    des   Sciences   et   Belles-Lettres 247  —  316 

I.  Erste  Maassnahmen  Friedrich's  zur  Reorganisation  der  Societät 
S.  247  if,   —   2.    Die   Societät    zur    Zeit    des    ersten    schlesischen    Krieges 


.^rom 


VI  Inhalt. 

Soite 

S.  258(r.  —  3.  Die  "Nouvelle  Societe  Llttcraire-  S.  262iT.  —  4.  Die  Ver- 
t'iiiiguiig  der  Ix-ideii  Societäteii  zu  einer  neuen  Akademie  1743/44;  das 
neue  Statut  S.  269  tl'.  —  5.  Der  zweite  sciilesische  Krieg,  Maupkutui.s  wird 
Präsident,  das  Statut  von  1746  S.  293fl".  —  6.  Geist  und  Ziele  der  Aka- 
demie Friedrich's  und  Maupertuis'  S.  304 ff. 
Zweites    Capitel:    Der    König    und    seine    Akademie.      Die    äussere 

Geschiclite  der  Akademie  (1746  — 1786) 317  —  394 

I.  Geschiclite  der  Akademie  unter  dem  Präsidenten  Maupertuis  bis 
zum  Ausbruch  des  Streites  mit  König  und  Voltaire  8.3176".  —  2.  Der 
Streit  mit  König  und  Voltaire,  Maupertuis'  Abreise  von  Berlin  und 
Rückkehr  1751— 1754  S.33ifF.  —  3.  Maupertuis'  letzte  Jahre,  die  Akademie 
unter  Euler's  Leitung,  der  siebenjährige  Krieg  S.  345  fl".  —  4.  Die  Akademie 
unter  der  directeii  Leitung  Friedrich's  des  Grossen,  d'Alembert  der  heim- 
liche Präsident  1763  — 1770  S.  354ft'.  —  5.  Fortsetzung:  Die  Akademie  in 
den  letzten  sechzehn  Jahren  des  grossen  Königs;  d'Alembert  und  Condorcet 
S. 371  ff. 
Drittes  Capitel:  Die  Arbeiten  und  die  wissenschaftliche  Bedeu- 
tung der  Akademie 394  —  465 

I.Vorlesungen,  Gutachten,  die  Preisaufgaben  S.  394  ff.  —  2.  Der  Geist 
und  die  Leistungen  der  fridericianischen  Akademie  (der  König,  Voltaire, 
Maupertuis,  Euler,  Lagrange,  Lambert,  Bode,  Marggraf,  Aciiard, 
Lehmann,  Gerhard,  Gleditsch,  Lieberkühn,  Fokmey,  Sulzer,  Merian, 
SüssMiLCH  U.A.)  S.  422  ff.  —  3.  Die  Schrift  De  la  litterature  allemande 
S.  462  ff. 
Viertes  Capitel  (Anhang):  Der  Personalstand,  die  Publicationen, 
die   äusseren  Einrichtungen   und    der  Etat   der  fridericianischen 

Akademie  (1746— 1786) 465  —  492 

I.  Curatoren  S.  465  f.  —  2.  Präsident  S.  466.  —  3.  Directoren  S.466  f.  — 
4.  Secretar  S.  467.  —  5.  Oekonomische  Commisslon  S.  467.  —  6a.  Ordent- 
liclie  Mitglieder,  nach  dem  Tage  ihrer  Aufnahme  geordnet  S.  467  ff.  — 
61).  Ordentliche  Mitglieder,  nach  dem  Todestage  geordnet  S.  47if  — 
7.  Ehrenmitglieder  S.  472f.  —  8.  Auswärtige  Mitglieder  S.  473  ff.  — 
9.  Beamte;  der  Personalstand  von  1786  S.479f.  —  10.  Publicationen  der 
Akademie  S.  481  ff.  —  11.  Gebäude  und  Listitute  S.  485  ff.  —  12.  Etat 
der  Akademie  S.  487  ff. 


Portraits. 


Titelbild    zur   ersten   Hälfte    des    Bandes:     Friedrich  I.,    König   von   Preussen    (nach    einem 
Kupferstich  von  Johann  Hainzelmann). 
JZiXi  S.  37:      Sophie    Charlotte,    Königin    von   Preussen    (nach    einem    Schabkunstblatt    von 

Peter  Schenk). 
Zu  S.  39:      Leieniz  (nach  einem  Schabkunstblatt  von  J.  E.  Haid). 
JLw  S.  247:    Friedrich  der  Grosse  (nach  einem  Kupferstich  von  Johann  Georg  "Wille). 
Zu  S.  257:    Maupertuis  (nach  einem  Kupferstich  von  J.  Daulle). 


Titelbild  zur  zweiten  Hälfte  des  Bandes:    Wilhelm  H.,  Deutscher  Kaiser  und  König 
/^  von  Preussen  (nach  einer  Originalaufnahme  von  J.  C.  Schaarwächter,  Königl. 

Hofphotograph  in  Berlin). 
Zu  S.  595:    Wilhelm  von  Humboldt  (nach  einer  Lithographie  von  E.  F.  Oldermann). 
'^ Tax  S.  837:    Alexander    von    Humboldt     (nach     einem    Kupferstich     von    Paul    Siegmund 
/  Habelmann). 


EINLEITUNG. 


LEIBNIZ  UND  DER  GEDANKE  DER  AKADEMIEEN. 

DIE  VORGESCHICHTE  DER  BRANDENBURGISCHEN 

SOCIET.ET  DER  AVISSENSCHAFTEN  (161)7-1700). 


Geschichte  der  Akademie.    I. 


J\in  II.  Juli  1700  stiftete  der  Kurfürst  Friedrich  III.  von 
Brandenburg  in  Berlin  die  Societät  der  Wissenschaften. 
Am  folgenden  Tage  ernannte  er  Leibniz  zu  ihrem  Präsidenten.  Sechs 
Jahre  vorher  hatte  er  die  Universität  zu  Halle  begründet,  bald  dar- 
auf das  Collegium  Medicum  in  Berlin  eröffnet  und  im  Jahre  1696 
die  Akademie  der  Künste  gestiftet.  Diese  Schöpfungen  bedeuteten 
den  Anbruch  einer  neuen  Epoche  der  Wissenschaften  und  Künste 
für  Preussen.  Der  den  Glanz  liebende,  aber  auch  für  das  Grosse 
empfangliche  Monarch,  der  sich  am  18.  Januar  170 1  die  Königs- 
krone auf  das  Haupt  setzte,  wollte  auch  die  Musen  in  seiner  Re- 
sidenz versammeln  und  Bildung  in  seinem   Lande  verbreiten. 

Den  aufgeschlossenen  Sinn  für  den  Fortschritt  des  Zeitalters, 
für  die  Pflege  der  schönen  Wissenschaften  und  für  die  Toleranz 
hatte  Friedrich  als  ein  Erbe  von  seinem  Vater,  dem  grossen  Kur- 
fürsten, überkommen.  Dieser  hatte  nach  den  Verwüstungen  des 
schrecklichen  Kriegs  die  Universitäten  Königsberg  und  Frankfurt 
wiederhergestellt  und  die  Hochschule  zu  Duisburg  gestiftet.  Darüber 
hinaus  hatte  er  —  im  Jahre  1667  —  den  grossartigen  Plan  einer 
brandenburgischen  Universaluniversität  «für  die  Völker,  Wissen- 
schaften und  Künste«  bestätigt  und  ihn  in  erhabenen  und  schwung- 
vollen Worten  verkündigen  lassen.  Eine  Freistatt  der  Geister  sollte 
sie  sein,  allen  verfolgten  Gelehrten  Europas  ein  Asyl,  allen  be- 
drückten Confessionen  ein  Zufluchtsort,  den  reinen  und  den  ange- 
wandten Wissenschaften  ein  Mittelpunkt  werden  —  ein  Band  der 
Geister  und  eine  Burg  der  erhabensten  Beherrscherin  der  Welt, 
der  Weisheit!  Sie  wird  im  Genuss  ewigen  Friedens  sein;  denn 
im  Kriege  wird  sie  durch  Verträge  als  unverletzlich  geschirmt; 
auch  unter  dem   Schalle   der  Waffen   werden   die  3Iusen   dort  nicht 

1* 


4  Vorgeschichte  der  Akademie. 

schweigen.  Jede  freie  Kunst  wird  ohne  Einschränkung  gelehrt; 
sie  wird  sich  selbst  A-erwalten,  nur  unter  dem  Kurfürsten  stehen; 
alle  wissenschaftlichen  Hülfsmittel  werden  ihr  gewährt.  Das,  was 
einst  die  Schüler  Plato's  geträumt,  was  die  Poeten  der  Renaissance 
im  Geiste  geschaut  hatten  —  Platonopolis  sollte  als  eine  evange- 
lisch-protestantische Schöpfung  in  Brandenburg  entstehen!^ 

Ein  Ideal  war  hier  gezeichnet  —  Benedict  Skytte,  ein  plian- 
tasievoUer  Schwede,  hatte  es  erdacht  — ,  seine  Undurchführbarkeit 
musste  bald  erkannt  werden.  Streift  man  ihm  aber  die  bizarre 
Hülle  ab,  so  spricht  es  kühn  und  zutreffend  die  Bedingungen  aus, 
unter  denen  die  Wissenschaft  allein  zu  gedeihen  vermag,  und  ver- 
kündet den  Segen  der  Wahrheitserkenntniss ,  die  ihr  Gesetz  in  sich 
selber  trägt.  Es  bedeutet  etwas  in  der  Geschichte  des  preussischen 
Staats  und  der  Wissenschaft,  dass  ein  Monarch  wie  der  grosse  Kur- 
fürst sich  zu  diesen  Grundsätzen  bekannt  hat.  Indem  er  der  Wissen- 
schaft volle  Freiheit,  unbedingten  Schutz  und  alle  nöthigen  Mittel 
zugleich  zusagte,  hat  er  den  unerschütterlichen  Glauben  an  die  heil- 
same Kraft  der  Wahrheit  ausgesprochen.   — 

Das  Project  war  in  Berlin  vergessen,  als  unter  Friedrich  IIL 
der  Plan  zur  Errichtung  einer  Brandenburgischen  Societät  der  Wissen- 
schaften auftauchte".  Aber  ein  geistiges  Band  zwischen  jener  nie 
verwirklichten  Absicht  und  der  gestifteten  Societät  besteht  doch; 
denn  aus  denselben  Bedingungen  sind  beide  geboren.  Hier  Avie 
dort  war  die  Sorge  für  die  geistige  und  materielle  Cultur  Preussens 
und  zugleich  das  Gefühl  der  Verpflichtung  als  Vormacht  des  Pro- 
testantismus maassgebend,  und  hier  wie  dort  legte  der  neue  Besitz 
—  die  grossmüthig  aufgenommene  französische  Einwanderung  — 
den  Gedanken  nahe,   diese  ausgezeichneten  Kräfte  auch  im  Dienste 


^  vSiehe  die  Acten  im  Geh.  Staatsarchiv  über  diesen  Plan  (Kleinert,  Rectorats- 
rede,  Berlin  15.  Oct.  1885).  In  dem  vom  Kurfürsten  am  12.  April  1667  vollzogenen 
und  sodann  gedruckten  Patent  ("Fundatio  novae  üniversitatis  Brandenburgicae 
gentium,  scientiai'um  et  artium«)  heisst  es  U.A.:  »Si  (|ui  sunt  impediti  Divinitatis 
cultu  et  usu  sacrorum,  si  qui  sunt  asjieivae  dominationis  pertaesi,  libertatis  amantes, 
si  qui  sunt  per  ostracismuni  patria  jiuLsi  vel  ob  aliam  (piamcunu[ue  modo  non  in- 
honestam  causam  sedibus  extorres  .  .  .  sciant  sese  in  hac  Universitate  reperturos 
Parnassum ,  Maecenatem ,  scientiarum  et  artium  honorem ,  conscientiarum  et  om- 
nium  rerum  decoram  libertatem,  solamen  afllictis,  exulantibus  refugium  et  asylum  etc.« 

^  Siehe  Urkundenband  Nr.  i.  Hundei'tundzwanzig  Jahi'e  später  hat  Erman  in 
der  öffentlichen  Sitzung  vom  29.  Jajmar  1789  (3Iem.  1788/9  p.  9)  eine  Abhandlung 
gelesen:  »Sur  l'idee  (|u"avait  eue  le  grand  Electeur  de  fondei-  une  ville  savante, 
sous  le  nom  d'Universite  Brandebourgeoise,  de  tous  les  peuples,  de  toutes  les  sciences 
et  de  tous  les  arts.« 


Einleitung.  5 

der  Wissenschaften  zum  Nutzen   des  Vaterlandes    zu  sammeln   und 
mit  den  einheimischen   Kräften  zu  verschmelzen. 

Aher  die  neue  Form  einer  «Societät«  oder  »Akademie«  ver- 
langt doch  noch  eine  besondere  Aufmerksamkeit.  Die  europäischen 
Universitäten  sind  auf  dem  Höhepunkte  des  Mittelalters  entstanden, 
und  ihre  Einrichtung,  die  Lehre  in  festen  Formen  zu  überliefern, 
entspricht  der  mittelalterlichen  Stufe  wissenschaftlicher  Erkenntniss. 
Die  Akademieen  Europas  gehören  der  Epoche  an,  die,  durch  die 
Renaissance  und  die  Reformation  A^orbereitet,  in  der  Mitte  des 
I  7.  Jahrhunderts  beginnt,  und  ihre  Institutionen  sind  ein  Ausdruck 
des  neuen  Geistes,  der  die  Herrschaft  im  Reiche  des  Gedankens 
und  des  Lebens  gewinnen  sollte.  Wir  suchen  die  Grundzüge  dieses 
Geistes,  dem  die  alten  Universitäten  nicht  mehr  genügten,  zu  er- 
kennen, bevor  wir  die  Entstehung  der  Akademieen  überhaupt  und 
der  Preussischen  Akademie  insbesondere  beleuchten.  Dabei  wird 
uns  sofort  die  Gestalt  Leibnizcus  entgegentreten,  der  der  Führer 
seines  Zeitalters  und  der  Schöpfer  der  meisten  Akademieen  des 
Continents,  aber  der  wirkliche  Stifter,  das  Haupt  und  die  Seele 
unserer  Akademie  gewesen  ist.  Friedrich  der  Grosse  hat  ihn  ihren 
»Begründer  und  Chef«  genannt,  und  Diderot  von  ihm  gerühmt: 
»Dieser  Mann  hat  allein  Deutschland  so  viel  Ruhm  gebracht,  wie 
Plato,  Aristoteles  und  Archimedes  zusammen   Griechenland«  \ 


1. 

Aus  dem  Zusammenwirken  von  drei  Elementen  ist  der  ent- 
scheidende Umschwung  im  geistigen  und  gesellschaftlichen  Leben 
Europas  entstanden,  der  das  18.  Jahrhundert  charakterisirt ,  aber 
sich  bereits  seit  der  Mitte  des  17.  deutlich  ankündigte.  Aus  der 
Verbindung  der  Renaissance,  der  Reformation  und  der  neuen 
mathematischen  Naturwissenschaft  haben  sich  jene  herrlichen 
Bildungen  entwickelt,  welche  der  Welt  ein  neues  Gepräge  geben 
sollten. 

Das  Grundelement  hat  die  Renaissance  geliefert.  Sie  hat 
das  Auge  geöflhet  für  den  Menschen  und  für  die  Dinge;  sie  hat 
nach  einer  auf  Anschauung  und  Speculation  sich  gründenden  Pan- 
sophie  getrachtet;  sie  hat  Erkennen  und  geistiges  Geniessen  als  den 
wahrhaft  würdigen  Lihalt  des  Lebens  gelehrt  und  ihre  Jünger  mit 


^    Mem.  de  rAend.  Royale  1748   }).378.      Diderot,  (lüivr.  T.VIl   p.  239  flf. 


6  Voruescliiclitc   dt'v   Aküdcinie. 

dem  stolzen  Bewvisstsein  erfüllt,  die  Herren  ihrer  selbst  und  die 
Herrscher  der  Welt  zu  sein.  An  die  Stelle  der  »Lehre«  setzte  sie 
die  »Forschung«,  an  die  Stelle  des  Himmels  die  veredelte  Welt- 
lichkeit; statt  der  Unsterblichkeit  verhiess  sie  ewigen  Ruhm. 
Durch  die  starken  Kräfte  einer  alten  Überlieferung  immer  wieder 
zurückgedrängt,  in  den  confessionellen  Kämpfen  eines  Jahrhunderts 
scheinbar  geknickt  und  zertreten,  erhob  sich  der  Geist  der  Renais- 
sance nach  Ablauf  des  dreissigj ährigen  Krieges  mit  siegreicher  Ge- 
walt und  bewies  sein  unverwüstliches  Leben.  Die  »Antike«,  kühn 
und  frei  in  ein  goldenes  Zeitalter  oder  in  einen  platonischen  Staat 
der  Weisen  verwandelt  und  mit  ganz  modernen  Errungenschaften 
bereichert,  blieb  das  Ideal,  dem  das  ausgehende  17.  und  das 
18.  Jahrhundert  zustrebten,  und  alle  Lebenskunst,  die  grosse  und 
die  kleine,  bewegte  sich  in  ihren  Überlieferungen.  Wo  sie  unge- 
brochen herrschte,  gab  es  keine  Kirchen  und  Confessionen  melir, 
auch  keine  zweite  Welt  über  dieser,  sondern  nur  ein,  Himmel  und 
Erde  umspannendes  Reich. 

Aber  sie  herrschte  nicht  ungebrochen.  Zwar  aus  dem  Sonder- 
gut der  alten  Kirche  ist  nichts  in  die  neue  Bildung  herübergekommen ; 
aber  von  der  Reformation  ist  sie  durchgreifend  beeintlusst  worden. 
Dass  dem  Menschen  auf  der  Erde  eine  Aufgabe  gesetzt  ist,  dass  er 
seine  Pflicht  zu  thun  hat,  dass  er  eines  guten  Gewissens  bedarf,  dass 
ein  unbestechlicher  Richter  über  ihm  waltet,  sind  Erkenntnisse,  in 
denen  alle  die  grossen  Führer  des  Zeitalters  einig  sind.  Das  Bewusst- 
sein,  zum  gemeinen  Nutzen  wirken  zu  müssen  und  in  dem  Dienst  einer 
heiligen  Aufgabe  zu  stehen,  vor  der  jeder  Eigenwille  und  alle  Eigen- 
lust zurückzutreten  hat,  zeichnet  die  Träger  des  fortschreitenden  Ge- 
dankens seit  der  Mitte  des  i  7.  Jahrhunderts  aus.  Diese  Combination 
freier  Selbstbehauptung  und  gewissenhaften,  thatkräftigen  Dienstes 
zum  gemeinen  Nutzen  als  religiöser  Pflicht  ist  ein  Erwerb  des  Refor- 
mationszeitalters; er  ist  zuerst  in  den  protestantischen  Gemeinwesen 
verwirklicht  worden  und  von  dort  aus  in  die  allgemeine  Bildung  über- 
gegangen. Er  begrenzte  und  versittlichte  die  Cultur  der  Renaissance 
und  hielt  zugleich  den  Zusammenhang  mit  dem  Kerne  der  religiösen 
Überlieferungen  aufrecht:  dieselben  Männer,  die  eine  vollkommene 
Gleichgiltigkeit  gegen  die  confessioneUen  Lehren  zeigen ,  wissen  sich 
doch  aufrichtig  als  Christen  und  fühlen  sich  an  Gott  gebunden.  Die 
mittelalterliche  Weltanschauimg  und  das  mittelalterliche  l^ebenssystem 
sanken  dahin.  Sie  waren  zidetzt  noch  durch  die  Religionskriege 
gründlich   discreditirt  worden.    Jenen  Lehren,   an  denen   so  viel  Blut 


Einleitung.  7 

klebte ,  die  wie  Brandfackeln  ganze  Länder  verwüstet  hatten ,  sagte 
man  innerlich  den  Gehorsam  auf.  Aus  dieser  Art  von  Religion 
schien  nur  Unheil  hervorgehen  zu  können:  sie  hatte  das  irdische 
Leben  und  die  irdische  Wohlfahrt  nahezu  aufgelöst.  Also  muss  man 
es  mit  einer  neuen,  würdigeren  Fassung  der  Religion  versuchen. 
Fromme  und  Aufklärer  sind  darin  einig,  dass  am  Gewissen  und  an 
der  »Praxis«  alles  Religiöse  zu  messen  ist.  Obgleich  diese  Über- 
zeugung sehr  verschiedener  Ausbildung  fähig  war,  schlang  sie  doch 
ein  Band  um  alle  Bürger  des  neuen  Zeitalters. 

Aber  noch  ein  drittes  Element  bestimmte  den  Geist  dieser  Epoche. 
Die  Renaissance  hatte  die  Natur  entdeckt,  für  zugänglich  erklärt  und 
sie  entzückt  als  ein  einheitliches  Kunstwerk  zu  beschauen  begonnen. 
Eine  methodische  Naturerkenntniss  bahnte  sich  indess  im  1 6.  Jahr- 
hundert nur  langsam  an,  und  gerade  die  genialsten  Naturkundigen 
compromittirten  oftmals  ihre  Wissenschaft  durch  Charlatanerie  und 
Dunkelwerk  oder  wurden  doch  von  den  allein  zünftigen  Aristoteli- 
kern  gemieden.  Noch  immer  zogen  sich  der  nüchterne  Verstand 
und  die  Grossmacht  der  Universitäten  von  der  experimentirenden 
Naturwissenschaft  zurück  und  überliessen  das  Feld  trotz  der  grund- 
legenden Entdeckungen,  die  schon  gemacht  worden  waren,  den 
Mystikern  und  Projectenmachern.  Noch  immer  wurde  das  Weltbild 
aus  der  religiösen  Überlieferung  und  aus  logischen  Begriffen  con- 
struirt.  Aber  im  Laufe  des  1 7 .  Jahrhunderts ,  von  Galilei  und 
Kepler  über  Cartesius  zu  den  Engländern,  d.  h.  zu  Newton,  voll- 
zog sich  siegreich  der  bedeutendste  Umschwung,  der  in  der  Ge- 
schichte der  Wissenschaft  überhaupt  je  erlebt  worden  ist.  Die 
mathematische  Naturwissenschaft  —  eigenthümlich  vorbe- 
reitet durch  die  der  Einheit  zustrebende  ästhetische  Betrachtung 
der  Renaissance  —  und  mit  ihr  die  mechanische  Weltanschauung 
entwickelten  sich  und  w^urden  am  Ende  des  Jahrhunderts  bereits 
auf  eine  Höhe  gehoben,  die  in  gewissem  Sinn  einem  Abschluss 
gleichkommt \  Welche  Revolution  in  den  Köpfen  und  Gemüthern 
diese  an  der  Peripherie  der  Renaissance  entstandene,  aber  bald  den 
Mittelpunkt   beherrschende    Entwicklung   hervorgebracht   hat,    lässt 


^  Man  darf  hier  auch  an  die  Lehre  von  der  Erhaltung  der  Kraft  denken,  der 
Leibniz  (im  Jahre  1696)  einen  richtigeren  Ausdruck  gegeben  hat.  die  unzutreffende 
Auffassung  des  Cartesius  corrigirend  (Acta  Eruditormn  Lips.:  »Brevis  demonstratio 
erroris  memorabilis  Cartesii«).  Auch  in  Newton's  Principien  ist  diese  Lehre  so  weit 
enthalten,  als  die  L^nkenntniss  in  Bezug  auf  die  Natur  der  Wärme  es  zuliess  (s. 
DU  Bois-Reymond,  "Leibnizische  Gedanken  in  der  neueren  Naturwissenschaft",  in  den 
'»Reden«  l.  S.32ff..  cf.  328  f.  und  sonst). 


8  Vorgeschichte  der  Akademie. 

sich  nicht  beschreiben:  Mathematik  wurde  ein  Evangelium  —  sie 
wurde  sogar  poetisch  verklärt  und  drang  in  die  höfische  Bildung; 
adelige  Frauen  umgaben  sich  mit  Mathematikern  wie  früher  mit 
Sängern,  und  Maupertuis  verglich  die  Thätigkeit  des  Mathematikers 
mit  der  des  Dichters  oder  Redners';  selbst  Friedrich  IL  verherrlichte 
den  »Apollon  newtonianise"«.  Die  mathematische  Physik  wurde  das 
Centrum,  ja  der  Inbegriif  der  Wissenschaft.  »Was  in  der  Renais- 
sance der  künstlerische  und  gelehrte  Enthusiasmus  der  Alterthums- 
forschung  geleistet  hatte,  nämlich  den  positiven  Ersatz  des  Heiligen, 
das  begannen  seit  dem  Ende  des  i  7 .  Jahrhunderts  die  beobachtenden 
Wissenschaften  zu  leisten.«  Ferner,  dass  Wissenschaft  nicht  »Lehre«, 
auch  nicht  »Curiosität«,  sondern  methodische  Forschung  sei  — 
denn  die  gefundenen  Principien  eröffneten  der  Anwendung  ein  un- 
endliches Gebiet  — ,  dass  der  Verstand,  weit  entfernt,  von  der  Natur 
gelähmt  oder  verwirrt  zu  werden,  erst  durch  sie  zu  einem  sicheren 
Inhalt  und  zur  Entdeckung  immer  neuer  fruchtbarer  Erkenntniss- 
methoden komme,  diese  grundlegenden  Einsichten  sind  damals  er- 
worben worden.  Aber  darüber  hinaus  wirkte  die  Mathematik,  oder 
richtiger  die  Mechanik,  so  mächtig,  dass  man  in  den  neu  gewonnenen 
Naturbegriffen  auch  die  einzigen  Mittel  zu  erkennen  glaubte,  um  das 
Geistesleben  zu  durchschauen  und  zu  erklären.  Oder,  wo  man  so 
weit  nicht  vorzuschreiten  wagte,  da  strebte  man  doch  darnach,  alle 
Lebensverhältnisse  in  derselben  Weise  zu  begreifen  und  klar  zu 
machen ,  wie  es  der  exacten  Philosophie  in  Bezug  auf  die  Bewegung 
der  Körper  gelungen  war.  Dass  die  Steigerung  der  Erkenntniss  den 
Hauptinhalt  des  Lebens  bilde  und  aus  ihr  das  Hochgefühl  des  Lebens 
entspringe,  hatte  die  Renaissance  gepredigt.  Das  hielt  man  fest; 
aber  jetzt  erst  erfuhr  man,  dass  dem  menschlichen  Geiste  Avirklich 
eine  einheitliche,  unerschütterliche  und  voll  befriedigende  Erkennt- 
niss zugänglich  ist,  die  alles  Dunkle  aufzuklären  versprach.  Auf- 
klärung —  nach  den  Principien  der  exacten  Philosophie,  in  denen 
sich  der  Verstand  selber  erkennt,  wurde  die  Losung  und  das  be- 
rauschende Zauberwort  des  neuen  Zeitalters.  Hatte  man  die  stumme 
Natur  zu  reden  gezwungen  und  ihr  ihr  Geheimniss  abgetrotzt,  so 
wird  man  auch  das  Geistesleben  zu  bemeistern  vermögen.  Hatte 
sich    der  Verstand    als    das    zureichende    Mittel    offenbart,    um    die 


^    DU  Bois-Reymond,  Mauperttis  (Sitzungsber.  1892,  S.  411.  413). 

^  Brief  an  Voltaire  vom  5.  August  1740  (Q]uvr.  T.  22,  p.  20).  Euler  hat  (noch 
im  Jahre  1768)  in  den  »Lettres  k  une  princesse  d'Allemagne«  die  Grundzüge  der 
neuen  Mechanik,  Asti'onomie  u.  s.  w.  genieinfasslich  dargelegt. 


Leihxiz  als  universaler  Denkei'  und  Organisator.  9 

Mechanik  des  Himmels  zu  erforschen,  so  wird  er  auch  seinen  eigenen 
Hervorhringungen  gewachsen  sein.  Niemals  ist  die  Wissenschaft 
durch  ihre  Erfolge  zu  gründlicher  Abkehr  von  der  Vergangenheit, 
zu  ausschweifenden  Hoftnungen  für  die  Zukunft  und  zu  kühner 
Politik  so  berechtigt  gewesen   wie  im   Zeitnlter  LEiBNizens. 


2. 

Aber  eben  darin  bestellt  Leibniz'  (1646  — i  716)  Grösse,  dass  er 
nicht  einseitig  einem  jener  Elemente,  Avelche  die  Kräfte  des  Zeit- 
alters bildeten,  gefolgt  ist,  sondern  dass  er  sie  alle  in  sich  ge- 
sammelt und  sie  in  fruchtbare  Beziehungen  zu  einander  gesetzt  hat. 
Die  leitenden  Ideen  der  Renaissance  imd  der  exacten  Naturphilo- 
sophie hat  er  auf  dem  Boden  der  deutsclien  protestantischen 
Überlieferung  mit  einander  in  wahrhaft  conservativem  und  doch 
fortschreitendem  Geiste  verbunden  \  alle  diese  Kräfte  in  ihrer  Breite 
entfaltet  und  durch  eine  unbegreifliche  Virtuosität  der  Anwendung 
seinem  Zeitalter  bekannt  gemacht  und  eingebürgert.  Mag  ihn  Spinoza 
als  empfindender,  Newton  als  kritischer  und  exacter  Denker  über- 
troöen  haben"  —  Niemand  hat  ihn  übertroffen  in  der  Fähigkeit, 
alle  Kräfte  des  Zeitalters  in  sich  aufzunehmen,  jede  einzelne  bei  ge- 
gebener Gelegenheit  stets  gegenwärtig  zu  haben,  nichts  zu  berühren, 
ohne   es  weiter  zu  entwickeln,    und  jeden  Stand  in  der  menschlichen 

^  Auch  mit  der  Arbeit  und  den  Slethoden  der  mittelalterlichen  Scholastik  war 
er  vertraut,  und  wenn  manche  Schranke  seiner  wissenschaftlichen  Eigenart  sich  von 
hier  aus  erklärt,  so  hat  er  doch  auch  der  energischen  Speculation  des  Thomas  nicht 
Weniges  zu  verdanken. 

^  Was  die  Erfindung  der  Differential- Rechnung  anlangt,  so  hat  hereits  Euler 
(\'orrede  zu  seinen  "Institutiones  calculi  differentialis")  in  dem  berühmten  Streit  ge- 
recht und  klar  geurtheilt.  Nachdem  er  zuerst  kiu'z  ausgeführt,  dass  schon  lange 
Zeit  vor  Newton  und  Leibniz  Spuren  dieser  Speculation  in  Anwendung  auf  Rational- 
Functionen  vorhanden  gewesen  seien,  fährt  er  fort:  »Dem  englischen  Erfinder  haben 
wir  unstreitig  die  Anwendung  dieser  Verhältnisse  auf  b-rational- Functionen  zu  ver- 
danken, auf  welchen  glücklichen  Schritt  er  durch  seinen  vortrefflichen  Lehrsatz  von 
der  allgemeinen  Formel  aller  binomischen  Potenzen  ist  geleitet  worden.  LsiBNizen 
sind  wir  verbimden,  dass  er  der  Rechnungsart,  die  man  vorher  nur  als 
einen  besonderen  Kunstgriff  angesehen,  die  Gestalt  einer  Disciplin 
gegeben,  die  Regeln  derselben  in  ein  System  gebracht  und  deutlich 
a u s e i n a n d e i- g e s e t z t  hat.  E r  1) a  1 1 n t e  de n  W e g  z u r  f e i' n e r e n  A u s b i  1  d u n g 
dieser  Wissenschaft  und  zeigte  die  Grundsätze,  aus  welchen  das 
aunoch  Fehlende  herzuleiten  sei.  Endlich  haben  Leibniz  und  die  von  ihm 
aufgemunterten  Bernoullis  die  Grenzen  der  Differentialrechnung  auch  bis  auf  Trans- 
scendental- Functionen,  welcher  Theil  vorhin  noch  unangebauet  war,  mit  vereinigten 
Kräften  ausgedelmt  und  auch  die   Grundsätze  der  Integralrechnung  festgesetzt.« 


10  Voi-iicschichte  di'v   Akademie. 

Gesellscliaft  zu  fördern.  Ininittcn  der  grössteii  Umwälzung  der  Ideen 
und  Institutionen  stellt  Leibniz  als  ein  Heros,  weil  er,  wie  Aristoteles 
und  Origenes,  die  Fähigkeit  besessen  hat,  was  die  Vergangenheit 
WerthvoUes  hinterlassen,  zu  conserviren,  die  Errungenschaften  der 
Gegenwart  daran  anzuknüpfen  und  diese  Errungenschaften  nicht  nur 
selbst  mächtig  zu  steigern,  sondern  sie  auch  überall  in  die  Praxis 
einzuführen   und  zu  Principien   des  Lebens  zu  erheben. 

So  ist  Leibniz  wie  der  klassische  Repräsentant  so  der  Führer 
seines  Zeitalters:  die  aus  der  Renaissance,  der  Reformation  und  der 
exacten  Philosophie  entstammenden  Kräfte  sind  in  ihm  unter  dem 
Zeichen  des  Fortschritts  vereinigt.  Der  Neugestaltung  des  Lebens 
hat  er  sie  dienstbar  gemacht  —  »So  oft  ich  etwas  Neues  lerne, 
so  überlege  ich  sogleich,  ob  nicht  etwas  für  das  Leben  daraus  ge- 
schöpft werden  könne«'  —  mit  dem  sichersten  Sinn  für  das  Er- 
reichbare und  mit  kluger  Schonung  des  Bestehenden.  Zwar  wenn 
man  die  ununterbrochen  hervorquellende  Menge  seiner  Hoffnungen, 
Ideen,  I-Cntwiirfe  und  Projecte  überschaut,  scheint  es  fast,  als  müsse 
ihm  der  Sinn  für  das  Bestehende  und  Erreichbare  abgesprochen 
werden,  und  wirklich  bietet  er  Eigenthümlichkeiten,  nach  denen 
er  auf  die  Linie  jener  wunderlichen  und  zweifelhaften  Natur})hil()- 
soplien  gehört,  die  mit  Paracelsus  begonnen  hat  und  selbst  in  einem 
CoMENius  noch  zu  erkennen  ist.  Allein  wie  schon  die  Zusammen- 
stellung dieser  beiden  Namen  die  Reinigung  jener  productiven  geisti- 
gen Be^vegung  im  Laufe  ihrer  Entwicklung  beweist,  so  wäre  es 
keine  Schande  für  Leibniz  ,  am  Schlüsse  derselben  zu  stehen  und 
gleichsam  das  gelungene  Experiment  der  Natur  nach  vielen  unvoU- 
kommneren   Hervorbringungen   dieser  Gattung  darzustellen".      Aber 


^  Vergl.  auch  seine  charakteristische  Definition  ch^s  i'ehgiösen  Glaubens  (Klopp, 
(li(>  Werke  von  Leibniz,  i.  Bd.  1864  S.  112):  «Der  wahre  Glaube  und  die  wahre 
llofthung  ist  nicht  nur  reden,  ja  nicht  nur  denken,  sondern  practice  denken,  das 
ist  thun,  als  wenn's  wahr  wäre.« 

-  Mit  bewunderungswürdiger  P^insicht  und  richtigem  Scharfblick  hat  Leibniz, 
etwa  24  Jahre  alt,  über  jene  wunderlichen  Natur])hilosophen ,  die  sich  mit  »curiosen« 
Sachen  abgaben,  geurtheilt,  die  in  demselben  Sinne  die  Väter  der  »Akademiker« 
sind,  wie  die  Alchemisten  die  der  Ghemiker.  In  dem  "Bedenken  von  Aufrichtung 
einer  Academie  oder  Societät  in  Teutschland«  (Klopp.  Die  AVerke  von  Leibniz, 
I.  Bd.  1864  S.  143)  schreibt  er:  »Die  Laboranten,  Gharlatans,  Marktschreier,  Alchy- 
misten  und  andere  Ardeliones ,  A'^aganten  und  Grillenfänger  sind  gemeiniglich  Leute 
von  grossem  Ingenio,  bisweilen  auch  Experienz,  nur  dass  die  disprojjortio  ingenii 
et  iudicii,  oder  auch  bisweilen  die  Wollust,  die  sie  haben,  sich  in  ihi-en  eitelen 
Hoffnungen  zu  unterhalten,  sie  ruiniret  und  in  Verderben  und  Verachtung  bringet. 
Gewisslich.  es  weiss  bisweilen  ein  solcher  Mensch  mehr  aus  der  Erfahrung  und 
Natur  gewonnene  Realitäten,  als  mancher  in  der  AVeit  hoch  angesehener  Gelehi'ter, 


Leibxiz  als   iiniv(M'snlci-   Denker  und  Organisator.  11 

es  ist  doch  unrichtig,  den  grossen  Gelehrten  und  Denker  jenen 
Männern  einfach  zuzuordnen .  denn  sein  methodisch  gewonnenes, 
ungeheures  Wissen  schützte  ihn  immer  sicherer  vor  jeder  Aus- 
schweifung ins  Leere:  seine  nie  versagende  Bereitschaft  zu  lerncm 
und  umzulernen  befreite  ihn  von  allen  Capricen,  und  sein  lebendi- 
ger, unverwüstlich  heitrer  Geist,,  der  sich  durch  keine  Enttäuschun- 
gen niederbeugen  Hess,  fand  stets  einen  neuen  Weg,  wenn  sich  der 
zuerst  entdeckte  als  ungangbar  erwiesen  hatte. 

Die  Kraft  seines  Lebens  war  vor  allem  sein  freudiger  Fleiss 
und  seine  rastlose  Thätigkeit.  Mit  Recht  hat  man  ihn  ein  wahres 
Perpetuum  mobile  in  der  Wissenschaft  genannt  und  von  seinem 
viel-  und  allseitigen  Studium ,  von  seiner  immensen,  überallgegen- 
wärtigen, bewunderungswürdigen  Polyhistorie  gesprochen  —  »be- 
wunderungswürdig nicht  sowohl  der  Grösse  ihres  Umfangs  nach, 
als  vielmehr  ihrer  Qualität  wegen;  denn  es  war  nicht  die  Viel- 
wisserei  des  todten  Gedächtnisskrämers,  sondern  eine  geniale,  pro- 
ductive  Polyhistorie'.  Sein  Kopf  war  kein  Herbarium;  seine  Kennt- 
nisse waren  Gedanken,  waren  fruchtbare  Zeugungsstoffe.  Alles  in 
ihm  war  Geist  und  Leben ,  seine  Consumtionskraft  Productionskraft. 
Er  umfasste  nicht  nur  die  verschiedensten,  ja  entgegengesetztesten 
Zweige   des  Wissens,   sondern   auch  die  verschiedenen  Eigenschaften 

der  seine  aus  den  Büchern  znsaninien  gelesene  Wissenschaft  mit  Elocjnenz,  Adresse 
und  anderen  politischen  Streichen  zu  scluniicken  und  zu  ^Nlarkt  zu  bringen  weiss, 
dahingegen  der  andere  mit  seiner  Extravaganze  sich  verhasset  oder  verachtet  machte. 
Daran  sich  aber  verständige  Regenten  in  einer  wohlbestellten  Republique  nicht 
kehren,  sondern  sich  solcher  Menschen  brauchen,  ihnen  gewisse  regulirte 
Employ  und  Arbeit  geben  und  dadurch  sowohl  ihr  als  ihrer  Talente 
Verderben  verhüten  können."  In  welche  gefährliche  Nähe  er  selbst  zeitweilig 
den  pi-ahlerischen  Erfindern  imd  wissenschaftlichen  Grossspi-echern  gekommen  ist, 
zeigt  am  besten  der  Bi'ief  an  Herzog  Joha^-x  Eriedrich  von  Hannover,  den 
GuHRAUER,  LEiBNrrz"s  Deutsche  Schriften,  i.Bd.  1838  S.  277  ff.  abgedruckt  hat. 
Es  hat  übrigens  sowohl  zu  Leibxiz'  Lebzeiten  als  nach  seinem  Tode  stets  ernsthafte, 
aber  bornirte  und  neidische  Leute  gegeben,  die.  wie  z.  B.  sein  Nachfolger  in  Han- 
nover, ihn  als  '-Speculanten,  Projeetenmacher  und  Diarlatan  voll  Prahlerei«,  dazu 
als  Schmeichler  der  Fürsten  lieurtheilt  haben. 

^  In  dieser  Polyhistorie  hat  Leibniz  unter  seinen  Zeitgenossen  nur  einen 
Kivalen  gehabt.  Pierre  Bayle;  aber  wie  verschieden  ist  die  Anwendung,  die  beide 
von  ihrem  Wissen  gemacht  haben  (ülier  die  Beziehungen  zwischen  ihnen  s.  Vahlex, 
Sitzungsberichte  1897,  i.Juli).  Leibniz  hat  noch  einmal  mit  Erfolg  versucht.  Alles 
in  conservativem  Geiste  zusammenzudenken  und  productiv  auszugestalten;  Bayle 
weist  überall  die  Probleme  und  klaffenden  Widersprüche  auf,  ohne  sich  zu  ent- 
scheiden. Dieser  unbestechliche  INIann  j)tlanzte  das  kritische  Streben  nach  Wahr- 
heit in  tausend  Köpfe.  Und  wie  viel  grösser  noch  ist  die  Zahl  dei'  Gemüther.  die 
er  von  den  verjährten  Ansprüchen  der  Theologie  befreit  und  vom  Fanatismus  zur 
Toleranz   Geführt  hat! 


1  2  Vorgeschichte  der  Akademie. 

und  Anlagen,  auf  denen  sie  allein  sprossen  und  Früchte  tragen«'. 
Eine  Akademie  in  sich  darstellend,  so  hatte  ihn  Friedrich  dev  Grosse 
gefeiert,  «vom  Himmel  mit  einer  der  hcvorrechteten  Seelen  bedacht, 
ja  mehr  als  eine  Seele  habend«.  In  der  That,  er  war  exacter 
und  speculativer  Philosoph,  Theolog,  Jurist,  Historiker,  Politiker, 
Sprachforscher,  Physiker  und  in  allen  Zweigen  der  Naturbetrachtung 
ein  sorgsamer  Beobachter,  dazu  Experimentator  und  Constructeur. 
Er  selbst  hat  den  Umfang  seines  Wissens,  das  durch  das  treueste 
Ged<ächtniss  befestigt  war",  darauf  zurückgeführt ,  dass  er,  weil  Auto- 
didakt, niemals  Hohles  und  zu  Verlernendes  gelernt  und  dass  er 
in  jeder  Wissenschaft  stets  nach  Neuem  getrachtet,  auch  Avenn  er 
kaum  die  ersten  Schritte  in  ihr  gethan  habe.  Selbst  bei  guten 
Köpfen  pflegt  das  Ergebniss  einer  solchen  Haltung  ein  sehr  trübes 
zu  sein;  sie  löst  also  das  Räthsel  nicht,  wie  hier  in  einem  Men- 
schenleben geleistet  worden  ist,  was  sonst  nur  die  vereinten  An- 
strengungen  einer  ganzen   Generation  zu  erringen  vermögen. 

Sein  freudiger  Fleiss  und  seine  rastlose  Thcätigkeit,  die  wunder- 
same Vereinigung  extensiver  Empfänglichkeit  und  intensiver  Frucht- 
barkeit, kühnster  Conception  und  nüchternster  Ausarbeitung,  ent- 
sprangen der  Positivität  seiner  universalen  Begabung.  In  ihr  lag 
die  Quelle  seiner  umfassenden  W^irksamkeit.  In  dieser  Richtung  ist 
keines  seiner  Worte  charakteristischer,  als  jenes  Bekenntniss,  das 
er  gegen  Ende  seines  Lebens  (in  einem  Brief  an  Remond  de  Montmaur 
vom  Jahre  17  14)  abgelegt  hat:  »Ich  habe  gefunden,  dass  die  meisten 
Schulen  in  einem  guten  Theil  dessen,  was  sie  behaupten,  Recht 
haben,  aber  nicht  ebenso  in  dem,  was  sie  verneinen«.  Hiermit 
sind  die  öfters  wiederholten  Worte  zu  vergleichen,  dass  auch  in 
Büchern,  »so  am  wenigsten  geistreich  sind«,  sich  immer  ein  oder 
ander  guter  Gedanke  finde  ^.  Überall  stiess  sein  Auge  zuerst  auf 
das  Gute,   Probehaltige ,   Productive  und  hielt  es  fest;  bei  dein  Fal- 


'  Siehe  L.  Feueruach.  Darstelhing,  EntwickhiiiL!,-  und  Ki-itik  der  LEiüMTz'schen 
Pliilosophie,   2.  Aussähe    1844   S.12. 

^  Sein  Secretär  Eckhart  sclireilit  über  iini  (Lebenslauf  des  Herrn  vox  Leirniz. 
in  jNIurr's  Journal  z.  Kunstgescli.  u.  Litt.  Bd. MI  S.r99):  »Er  las  zwar  viel  und 
excerpirte  alles,  machte  auch  last  über  jedes  curiose  Buch  seine  Retlexiones  auf 
kleine  Zetteln ;  sobald  er  sie  aber  geschi-ieben ,  legte  er  sie  weg  und  sähe  sie  nicht 
wieder,  weil  seine  ^Memoire  unvergleichlich  war.« 

^  Siehe  GuHRAUER,  LEinxrrz's  Deutsche  Schriften,  2.  Bd.  1840  S.301.  Hier- 
her gehört  auch  der  Ausspruch :  »Die  Waln-heit  ist  verbreiteter  als  man  glaubt,  aber 
oft  verhüllt:  indem  man  ihre  Spuren  bemerkbar  macht,  findet  man  eine  bleibende 
Philosophie". 


Leibxiz  als  universaler  Denker  und  Organisator.  13 

sehen  hielt  er  sieh  nicht  auf;  es  fiel  von  selber  ah\  Diese  Fähig- 
keit —  Goethe  hat  sie  Wahrheitsliebe  genannt  —  ermöglichte  es 
ihm,  einen  Reichthum  von  Gedanken  einzusammeln,  wie  ihn  kein 
Sterblicher  vor  ihm  besessen  hat;  sie  entwickelte  zugleich  in  ihm 
jene  Universalität,  die  ihn  überall  heimisch  machte.  Die  alte,  auf 
der  kirchlichen  Überlieferung  beruhende  Welt-  und  Lebensanschauung 
hatte  stets  mit  dem  »Entweder-Oder«  gearbeitet  und  damit  vieles 
Herrliche  entwerthet;  aber  auch  die  neue  schickte  sich  an  —  in 
entgegengesetzter  Weise  —  ein  »Entweder-Oder«  aufzurichten.  Da- 
her ist  es  von  höchstem  Werthe  gewesen,  dass  in  Leibniz  die  Zeit 
einen  Führer  erhielt,  der  in  der  grossen  Epoche  des  Umschwungs 
die  Selbständigkeit  des  geistigen  Lebens  anerkannte,  der  nicht  nur 
die  einzelnen,  sich  trennenden  Wissenschaften  zusammenfasste ,  son- 
dern auch  in  den  Wissenschaften  selbst  die  Spannungen  zu  besei- 
tigen und  die  Klüfte  auszufüllen  trachtete.  Wie  die  Natur,  seine 
Lehrmeisterin,  konnte  er  nichts  Leeres  dulden,  und  wie  sie  suchte 
er  allem  Lebendigen  sein  Recht  auf  Existenz  und  Fortexistenz  zu 
lassen ;  denn  in  der  Fülle  des  Individuellen  schaute  er  das  Universum 
an  und  seine  Harmonie.  Im  ihm  lebte  der  Totalsinn  Spinoza's,  aber 
verbunden  mit  der  Ehrfurcht  vor  allem  Besonderen  und  Selbstän- 
digen und  vertieft  durch  die  deutlichste  Einsicht,  dass  die  Erkennt- 
niss  jedes  Objects  eine  besondere   Methode  verlange". 


^  In  dieser  Fähigkeit  des  Geistes  ist  Diderot  Leibniz  verwandt  (»Ich  lese 
die  Menschen«,  schreibt  er  einmal,  »wie  die  Bücher;  ich  beschwere  mein  Gedächt- 
niss  nur  mit  Dingen,  welche  gut  und  nachahnienswerth  sind«).  Auch  in  dem  freu- 
digen Optimismus,  der  Duldsamkeit,  der  Güte  und  der  steten  Hülfsbereitschaft  sind 
sie  sich  ähnlich,  so  diametral  entgegengesetzt  ihre  Philosophie  ist. 

-  »Ich  habe  gelernt«,  sagt  er  einmal,  »dass  man  sich  in  der  Mathematik  auf 
den  Scharfsinn,  in  der  Naturwissenschaft  auf  Experimente,  bei  den  göttlichen  und 
menschlichen  Gesetzen  auf  Autorität,  in  der  Geschichte  aber  auf  Zeugnisse  stützen 
muss«  (vergl.  den  Brief  an  Zacagxi  vom  8.  Mai  1704  auf  der  hannov.  Bibliothek: 
»Ego  dudum  eflfeci,  ut  intelligerent  nostri,  quod  olim  minus  curabatur,  historiam 
monumentis  innixam  esse  debere«).  In  der  Medicin  wollte  er  von  den  berühm- 
testen Theoretikern  nichts  wissen,  weil  man  auch  hier  nur  aus  Beobachtungen  und 
Entdeckungen  etwas  lernen  k()nne.  Er  hielt  sie  neben  der  Ethik  für  die  wichtigste, 
zugleich  aber  für  die  schwierigste  Wissenschaft.  »Virtus  et  sanitas  —  caetera  adjici- 
entur  nobis«,  war  sein  Wahlspruch.  Gern  vei'glich  er  die  Medicin  mit  der  Kriegs- 
wissenschaft, die  beide  deshalb  so  schwierig  seien,  weil  sie  von  so  vielen  Zufällig- 
keiten abhingen.  —  Die  Fähigkeit,  jede  Disciplin  nach  ihrer  Eigenart  zu  fassen, 
alles  Schematisiren  zu  vermeiden,  da  es  die  Eigenthümlichkeit  der  Objecte  verwische, 
und  die  instinctive  und  geniale  Einsicht  in  Bezug  auf  das  INIaass  dessen,  was  die 
Zeit  an  Neuem  zu  ertragen  vermochte,  sind  vielleicht  die  grössten  Eigenthümlich- 
keiten  seiner  Begabung  gewesen.  Obgleich  er  eine  radicale  Umwälzung  der  Welt- 
anschauung einleitete,  schien  er  doch  ein  conservativer  Mann  zu  sein. 


14  \'oi'g('.scliiclite  der  Akademie. 

All  diesem  Punkt  lag  aher  auch  eine  gewisse  Sclnväclie.  Die 
Kraft  der  Exclusive  hat  er  nicht  gekannt:  er  hat  oft  genug  zu  con- 
serviren  und  zu  vermittehi  gesucht,  wo  nichts  zu  vermittehi  war, 
und  Verhin<Uingslinien  gezogen,  wo  es  keine  A^erbindung  mehr  gab\ 
ÄhnUch  verfulir  er  den  Personen  gegenüber.  Wie  er  seine  Welt- 
anschauung in  Bezug  auf  die  Dinge  nach  den  besonderen  Verhält- 
nissen inodificirte ,  unter  denen  er  sie  jedesmal  studirte,  und  den 
letzten  Schritt  zu  einer  einheitlichen  Betrachtung  verzögerte,  so  wur- 
den auch  die  zahlreichen  Beziehungen  zu  Personen  seiner  Philosophie 
verhängnissvoll,  und  das  Beiwerk  seines  Lebens  wurde  immer  um- 
fangreicher. So  natürlich  war  es  ihm,  sich  gleichsam  zu  verviel- 
fältigen ,  mit  Jedem  in  Verbindung  zu  treten  und  sich  augenblick- 
lich in  den  Anderen  zu  versetzen,  um  ihm  zu  helfen  und  die  W^ahr- 
heit  in  der  ihm  nützlichsten  Form  darzubieten,  dass  er  darüber  sich 
selbst  zersplitterte  und  die  Einheitlichkeit  seiner  Weltanschauung 
lockerte.  »Wir  haben  von  Leibniz  keine  unabhängig'e ,  beziehungs- 
lose ,  absolute  Darstellung  seiner  Philosophie ;  denn  er  dachte  mehr 
relativ,  als  absolut«,  sagt  Feuerbach  mit  Recht":  aber  er  geht  zu 
weit,  wenn  er  hinzufügt,  Leibniz  habe  sich  so  sehr  in  das  Garn 
der  Beziehungen  zu  Menschen  verwickelt,  dass  wir  von  ihm  fast 
nur  wissen  und  haben,  was  und  wie  er  für  Andere  war  und  dachte, 
nicht  w^as  und  wie  er  an  und  für  sich  selber  dachte.  Das  können 
wir  wohl  ermitteln,  nur  dass  die  Aufgabe  schwer  ist,  weil  nichts 
als  Fertiges,  Dogmatisches,  Absolutes  bei  ihm  vorliegt,  sondern  seine 
Gedankenwelt  einem  lebendigen  Fluss  vergleichbar  ist,  dessen  Lauf 
von  den  Schichten  bestimmt  wird,  die  er  zu  durchbrechen  hat;  weil 
er  sich  in  steter  Bewegung  befindet,  wie  das  Universum,  die  grosse 
und   die  kleine  Welt,   in   deren  Anschauung  er  lebte.     Und  w^enii  es 

^  DU  Bois-Reymünd  (Reden  I  S.36)  beklagt  die  widernatiirliche  Verbindung 
der  speculativen  Theologie  mit  der  Mathematik  (mathematischen  Physik)  in  Leibniz. 
Gewiss  —  er  hat  diese  Verbindung  in  einer  Weise  aufrechterhalten,  die  selbst  im 
17^  Jahrhundert  befremdet.  Allein  wer  kann  behaupten,  dass  Leibniz  mehi'  und 
Grösseres  geschaffen  haben  würde,  wenn  er  sie  aufgehoben  hätte!'  Wieviel  wirk- 
liche Probleme,  die  er  aufrecht  erhielt,  wären  vorzeitig  zerstört  worden,  wenn  er 
zu  Locke  oder  Bayle  sich  bekehrt  hätte?  Und  wie  hätte  er  die  Allseitigkeit 
seines  Geistes  bewahren  können,  wenn  ihm  nicht  alle  Probleme  der  Natiu",  des 
Geistes  und  der  Geschichte  in  der  Gottesidee  Zusammenhang  und  Einheit  besessen 
hätten?  Die  scheinbar  kindliche  Weise,  in  der  er  Gott  bald  als  Mathematiker,  bald 
als  Physiker,  bald  als  Politiker  oder  als  Richter  vorstellt,  ist  doch  häufig  nwr  ein 
Ausdruck  für  das  energische  Bestreben,  complicirte  Vorgänge  auf  die  einfachste 
und  allgemeinste  Formel   zu  bringen. 

-  A.a.O.  S.  16  und  vergl.  die  ti-eflPende  Chai'akteristik.  die  Vahlen  gegeben 
hat  (Sitzungsberichte  1897   S.7oof.). 


Leirmz  ;i1.s  uni\  ('rs;iler  Denker  und  Oi-ii,;uiis;itor.  15 

denn  wirklich  ein  Naclitheil  ist,  dass  wir  die  Gedanken  des  grossen 
Philosophen  nur  aus  Beziehungen  kennen  lernen  und  uns,  um  sie 
richtig  zu  deuten  und  zu  werthen,  in  sein  rastloses  Schäften  ver- 
setzen müssen ,  so  wird  dieser  Nachtheil  reichlich  aufgewogen  durch 
die  Einsicht  in  die  innere  Bewegung  dieses  Geistes,  der  die  per- 
sonificirte  Vernunft  selbst  zu  sein  scheint  und  doch  immer  frappirt, 
ohne  je  zu  blenden,  der  die  nächste  Aufgabe  stets  mit  aller  Energie 
ergreift  und  doch  ausschliesslich  in  der  Sorge  für  das  »allgemeine 
AVohl«t  lebt.  Die  wirkliche  Schranke  seiner  Eigenart  und  darum 
auch  seiner  nationalen  und  weltgeschichtlichen  Bedeutung  lag  nn 
einem  andern  Punkt:  dem  Umfang  seines  Wissens  und  Könnens 
entsprach  weder  die  Tiefe  seines  Innenlebens  noch  die  Kraft  seiner 
Empfindung  und  Aussprache.  Alle  seine  ungeheuren  Talente,  die 
er  so  virtuos  wirksam  zu  machen  verstand ,  sassen ,  als  Seelenkräfte 
betrachtet,  ziemlich  flach  auf,  erschienen  fast  wie  etwas  Ausserliches 
an  ihm  und  entbehrten  deshalb  der  reflexiven  Wirkung.  Freilich 
fiel  sein  Leben  in  ein  Zeitalter,  w^elches  von  der  Fülle  neuer  ob- 
jectiver  Erkenntnisse  so  ergriöen  und  mit  der  Wegräumung  super- 
stitiöser  Producte  des  Innenlebens  so  beschäftigt  war,  dass  für  die 
Ausbildung  des  Personenlebens,  seine  Einheit,  Kraft  und  Zartheit, 
wenig  Raum  blieb.  Rousseau  und  Herder  fehlten  noch,  und  erst 
loo  Jahre  nach  Leibniz  ist  Goethe  geboren,  in  welchem  jede  Er- 
fahrung und  Erkenntniss  ein  Stück  Seelenleben  geworden  ist.  Eine 
neue  Cultur  gab  es  doch  erst,  seitdem  sich  die  Fähigkeit  entwickelt 
hatte ,  die  neuen  Erkenntnisse  als  Bildungsmittel  für  das  persönliche 
Leben  zu  verwerthen,  und  geniale  Individualitäten  entstehen  konn- 
ten. Aber  keine  andere  Nation  Europas  hat  um  das  Jahr  i  700  und 
wiederum  um  das  Jahr  1800  solche  Männer  besessen,  wie  die  deutsche 
in  Leibniz  und  Goethe.  Neben  einander  dürfen  wir  sie  stellen,  ol»- 
gleich  Leibniz  jene  Genialität,  welche  wir  heute  so  nennen,  gefehlt 
hat  —  aber  wer  besass  sie  vor  Rousseau  und  Herder?  wer  verstand 
die  Kunst,  das  Innere  zu  bereichern  und  wiederum  aus  dem  Innern 
heraus  mit  Phantasie  zu  schafi'en?  wer  besass  die  Fähigkeit,  frei 
schaltende   Genialität  überhaupt  zu  verstehen? 

An  keinem  anderen  Punkte  ofienbart  sich  die  moderne  Zeit 
in  Leibniz  so  kräftig  wie  in  der  Abzweckung  aller  Thätigkeit  auf 
das  »allgemeine  Wohl«.  W"o  die  früheren  Generationen  vom  ».Seelen- 
heil« und  von  der  Kirche  gesprochen  hatten,  da  tritt  nun  überall 
dieser  Begrift*  ein.  Aber  er  entbehrt,  trotz  seiner  Diesseitigkeit, 
doch  nicht  der  religiösen  Färbung.     Es  ist  keineswegs  Phrase,   wenn 


Ib  \'oi'i;escliichte  der  Akndrmic. 

Leibniz  in  .seinen  IVüliesten  wie  in  seinen  spätesten  Kundgel )ung'en 
den  AVillen  und  den  »Rulini«i  Gottes  mit  dem  »allgemeinen  Wohl«, 
dem  «Resten  der  Mensclilieit«  einfach  identificirt,  vielmehr  spricht 
sich  darin  die  neue  Form  der  Frömmigkeit  aus\  die  im  Gegensatz 
zur  correcten  Streittheologie  in  der  Beherrschung  der  Welt  und  in 
der  Veredelung  und  Verbrüderung  der  Menschheit  die  gottgesetzte 
Aufgabe  erkennt.  Wer  hört  nicht  den  wundersamen  Accord  der 
Renaissance  und  Reformation  heraus,  wenn  Leibniz  bereits  in  seinem 
ersten  Project  »von  Aufrichtung  einer  Societät  in  Deutschland« 
(1669/70)  schreibt:  »Die  Stiftenden  setze  ich  also  beschaffen  zu  sein, 
dass  sie,  hohen  Standes,  Vermögens  und  Ansehens  wegen,  nichts 
bedürfen  als  gutes  Gewissen  und.  unsterblichen  Ruhm  bei  den 
unbetrüglichen  Richtern,  Gott  und  der  Posterität  ....  Schliesse 
also,  dass  solche  Gesellschaft  i.  Gewissens,  2.  unsterblichen 
Ruhms  der  Stiftenden  wegen,  und  dann  3.  um  gemeinen  Bestens 
willen  aufzurichten.  Wiewohl  der  gemeine  Nutz  eines  so  löblichen 
Gott  und  Menschen  angenehmen  Werks  den  Nutzen  der  Stiftenden 
gründet  und  des  guten  Gewissens  sowohl  als  unsterblichen  Namens 
wahre  unfehlbare  Ursache  ist«"".  Nicht  anders  hat  er  als  Greis  ge- 
dacht:   »Le  bien  public  est  preferable  h  tous  les  autres  soins,  puisque 


^  Diese  .Stiimnung  wnr  schon  seit  dem  Ul)ergang  des  16.  zum  17.  Jnhrlmiidert 
bei  den  hervorragendsten  ]Männern  verbreitet,  aber  dnrch  die  confessionellen  Kämpfe 
niedergehalten.  So  schreibt  der  treffliche  Mathias  Bernegger  (geb.  1582,  gest. 
1640):  "Durch  die  Betrachtung  mid  Erlbrsclnuig  der  Werke  Gottes  wird  der  Ruhm 
seines  göttlichen  Namens  viel  mehr  verherrlicht  als  durch  die  dornigen  imd  nich- 
tigen Streitfragen,  von  denen  die  Katheder  der  Hochschulen  erschallen«.  Comenius 
lebte  in  dieser  Ubei'zeugung,  s.  Keller,  Comenus  und  die  Akademieen  der  Natur- 
philosophen des  17.  Jahrhunderts.  Berlin  1895  (Vorträge  und  Aufsätze  aus  der 
Comenius- Gesellschaft.  3.  Jahrg.  i.  Stück).  Freudiger  Optimismus  und  Thatkraft 
sind  von  hier  aus  erwachsen  und  haben  den  augustinischen  Pessimisnuis  in  Bezug 
auf  das  empirische  Ich  und  die  Welt  abgelöst.  So  schreibt  Leibniz  im  Jahre  1669/70 
(Klopp,  a.a.O.  Bd.  I  S.  113):  «Die  Liebe  Gottes,  des  höchsten  Guts,  besteht  in 
der  unglaulilichen  Freude,  so  man  auch  aiijetzo  bereits,  ohne  visione  beatifica 
schöpfet  aus  der  Betrachtung  dessen  Schönheit  oder  Proportion,  das  ist  Infinität 
der  Allmacht  und  Allvveisheit«.  Aus  dieser  Stimmung  ist  die  Naturwissenschaft  in 
Deutschland  geboren;  s.  a.a.O.  vS.  ii7f. :  »Als  Philosojjhi  verehren  Gott  diejenigen, 
so  eine  neue  Harmonie  in  der  Natur  und  Kunst  entdecken  und  seine  Allmacht  und 
^Veisheit  sichtbarlich  zu  spüren  machen.  ...  Ich  bin  der  Meinung,  dass  auch  den 
grössten  ^Moralisten  und  Politicis,  die  aber  ganz  keine  Naturalisten  (Naturforscher), 
sondern  der  Wunder  der  Natur  weder  erfahren  sein  noch  achten,  recht  ein  grosser 
Theil  der  rechten  Verwunderung,  der  wahi-en  Erkenntniss  und  brünstigen  Liebe 
Gottes  und  also  der  Perfection  ihrer  Seelen  abgehe,  wo  es  nicht  durch  excellente 
Wissenschaft  und  guten  Gebrauch  ihrer  Kunst,  die  Menschen  zu  erkennen  und  zu 
regieren,    ersetzet  wird«. 

-    Klopp.  Die  Werke  von  Leibxiz,    i.  Bd.  1864  S.  iiif. 


Leibni/,  als  universaler  Denker  und  Organisator.  17 

c'est  dans  le  fond  la  cause  de  Dieu ,  dont  la  gioire  est  interessee 
dans  le  bien  des  hommes«\  Und  an  Peter  den  Grossen  sehreibt 
er  im  Januar  i  7  i  2 " :  » Ob  ich  nun  wohl  oft  in  publiquen  Affairen 
auch  Justizwesen  gebraucht  worden  und  bisweilen  von  grossen  Für- 
sten darin  consultiret  werde,  so  halte  ich  doch  die  Künste  und 
Wissenschaften  für  höher,  weil  dadurch  die  Ehre  Gottes  und  das 
Beste  des  ganzen  menschlichen  Geschlechts  beständig  befördert  wird. 
.  .  .  Denn  ich  nicht  von  denen  bin,  so  auf  ihr  Vaterland  oder  sonst 
auf  eine  gewisse  Nation  erpicht  sind,  sondern  ich  gehe  auf  den 
Nutzen  des  ganzen  menschlichen  Geschlechts;  denn  ich  halte  den 
Himmel  für  das  Vaterland  und  alle  wohlgesinnten  Menschen  für 
dessen  Mitbürger,  und  ist  mir  lieber  bei  den  Russen  viel  Gutes  aus- 
zurichten, als  bei  den  Deutschen  oder  anderen  Europäern  wenig, 
wenn  ich  gleich  bei  diesen  in  noch  so  grosser  Ehre,  Reich thum 
und  Ruhe  sässe,  aber  dabei  Anderen  nicht  viel  nützen  sollte;  denn 
meine  Neigung  und  Lust  geht  aufs  gemeine  Beste«. 

Den  kräftigen  kosmopolitischen  Zug  in  seiner  Sorge  für  das  ge- 
meine Beste  hat  Leibniz  nie  verleugnet;  er  ist  ihm  auch  nicht  eigen- 
thümlich,  sondern  er  theilt  ihn  mit  allen  seinen  hervorragenden 
Zeitgenossen.  Das  universale  Institut  der  Kirche,  durch  die  Re- 
formation eingeschränkt,  durch  die  confessionellen  Kämpfe  zersplittert, 
wird  durch  die  neue,  auf  Wissenschaft  gegründete,  theistische  und 
universale  Weltanschauung  abgelöst.  Ihr  Interesse  umspannt  nicht 
nur  das  christliche  Europa,  sondern  die  Erde  und  die  Menschheit. 
Im  Gegensatz  zu  den  kirchlichen  Anschauungen,  die  nur  noch  als 
particulare  wirksam  waren,  hat  sie  sich  entwickelt.  Den  Ungedanken 
einer  »nationalen  Wissenschaft«  hat  erst  das  19.  Jahrhundert  her- 
vorgebracht. 

Aber  dort,  wo  das  Nationale  hingehört,  ist  es  auch  von  Leibniz 
mit  Kraft  und  Hingebung  verkündigt  worden.  Seinen  edlen  und 
wahrhaft  productiven  Patriotismus ,  seine  nie  rastende  Sorge  für  das 
Wohl  und  die  Grösse  des  ganzen  deutschen  Vaterlandes,  sein  mann- 
haftes und  weises  Eintreten  für  den  Protestantismus,   die  Toleranz"* 


^  Brief  an  den  Abbe  Bigkox,  Frühjahr  1708  (Feder,  Connnerc.  epist.  Leibnit. 
1805   p.  277). 

^  Siehe  Bodemann,  Leibniz's  Briefwechsel  mit  dem  Herzoge  Anton  Ulrich 
von  Braunschweig -Wolfenbüttel  (Ztschr.  d.  histor.  Vereins  f.  Niedersachsen  1888 
S.  73-244). 

^  Leibniz"  Bedeutung  für  die  Wegräumung  der  Vorurtheile  und  die  Toleranz 
hat  Niemand  lebhafter  empfunden  als  Friedrich  der  Grosse.  In  seiner  akademischen 
Abhandlung  »De  la  superstition  et  de  la  religion«  (INIem.  de  TAcad.  royale  1748 
Geschichte  der  Akademie.    I.  2 


18  \'()ru,('sc!ii('lite  der  Akademie. 

und  die  deutsclie  »Li])ertät«  in  den  trübsten  Tagen,  seine  Verdienste 
um  die  deutsche  Sprache  brauchen  heute  nicht  mehr  ans  Licht  ge- 
stellt zu  werden'.  An  dieser  Stelle  mag  es  genügen,  aus  dem  Ent- 
wurf des  Dreissigjährigen  vom  Jahre  1676  zur  Gründung  einer  deut- 
schen Gesellschaft  der  Wissenschaften  die  von  edlem  patriotischen 
Stolz  und  von  heisser  Sorge  für  das  Vaterland  zeugenden  Worte 
mitzutheilen"": 

"Accedit  ])atriae  ainor,  i[uae  praestantissimorum  ingenioniin  et  ])tilclien'i- 
iiiorum  inventonmi  lerax.  nescio  quo  tarnen  torpore  gloriani  suain  nun  satis  tuetiir. 
dum  exteri,  nostra  novo  habitu  producentes,  nobis  ipsis  imponiint  et  iabore  alieno 
saepe  callide  fruuntur.    Nos  vero  interea  non  nisi  ipsos  [istos;']  citamus  laiidamusque. 


p.  42511".),  die  mit  den  berühmten  Worten  schliesst:  »Le  f'aux  zele  est  un  tvran 
<iui  depeuple  les  provinces.  La  tolerance  est  une  tendre  mere  qui  les  rend  lloris- 
santes".  rühmt  er  (p.439)  Leibniz  und  Thomasius  als  die  beiden  verdientesten  Ge- 
lehrten Deutschlands:  »lIs  enseignerent  les  routes  par  lesquelles  la  raison  doit  se 
conduire  pour  parvenir  a  la  verite.  11s  combattirent  les  prejuges  de  tonte  espece. 
ils  en  appelerent  dans  tous  leiu's  ouvrages  a  Tanalogie  et  ä  l'experience,  qui  sont 
les  deux  bequill  es  avec  lesquelles  nous  nous  ti-ainons  dans  la  caiTiere  du  raisonne- 
nient".  Vergl.  hierzu  Hist.  de  mon  temps  (CEuvr.  T.  II)  p.  38:  »11  n'j  eut  qiie 
deiix  honunes  qui  se  distinguerent  a  cause  de  leur  genie.  et  (lui  firent  honneiir 
ä  la  nation:  Tun.  c'est  le  grand  Leibniz,  et  Tautre.  le  docte  Thomasius.  Je  ne 
fais  point  inention  de  WoLFF,  qui  ruminait  le  Systeme  de  Leibniz,  et  rabächait  lou- 
guement  ce  que  l'autre  avait  ecrit  avec  feu«. 

'  Diesen  Verdiensten  thut  der  Nachweis  nicht  den  geringsten  Eintrag,  dass 
die  zuerst  von  Eckhart  nach  Leibniz'  Tode  im  Jahre  17 17  veröffentlichten,  be- 
i'ühinten  »UnvoT'greif liehen  Gedanken  betreffend  die  Ausübung  und  Verbesserung 
der  teiitschen  Sprache«  (s.  Gfhrauer.  Leibnitz's  deutsche  Schriften  i.Bd.  1838 
S.  440  ff.  und  sonst  öfters  gedruckt)  in  allen  wesentlichen  Punkten  auf  den  hoch- 
verdienten Germanisten  Schottelius  zurückzuführen  sind  (s.  Schmarsow,  Jistis 
Georgius  Schottelius.  I:  Leibniz  und  Schottelius.  Strassburger  Dissert.  1877). 
Leibniz  hat  sie,  wie  so  vieles  Andere,  sich  angeeignet  und  erst  wii'ksam  gemacht. 
Dass  die  Deutschen  sich  später  als  andere  Nationen  von  dem  scholastischen  Betrit>b 
der  Wissenschaften  befreit  ha]:)en,  erklärt  Leibniz  aus  ihrem  Festhalten  an  der 
lateinischen  Sprache  und  aus  der  mangelnden  Soi'ge  für  die  eigene  herrliche  Sprache. 
Jene  "Unvorgreif liehen  Gedanken«  sind  in  der  Geschichte  der  Preussischen  Aka- 
demie am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  epochemachend  geworden,  als  sie  sich  von  der 
französischen  Sprache  befreite.  Der  Gurator  und  Minister  v.  Hertzberg  griff  auf 
die  Abhandlung  von  Leibniz  zurück  in  einer  akademischen  Vorlesung  am  26.  Januar 
1792  und  setzte  einen  eigenen  Ausschuss  ein,  um  die  Gedanken  des  Patrioten  aus- 
zuführen: "Wir  dürfen  ihm  nur  pünktlich  folgen  und  die  letzte  Hand  daran  legen, 
indem  wir  die  Veränderungen  hinzufügen ,  die  durch  die  Fortschritte  der  Wissen- 
schaften und  selbst  in  der  deutschen  Sprache  während  dieses  langen  Zeitraums 
von  beinahe  einem  Jahrhundert  nothwendig  gemacht  werden.  .  .  Die  Akademie  zu 
Berlin,  die  unter  ihren  Mitgliedern  mehrere  ansehnliche  deutsche  Gelehrte  zählt,  glaubt 
sich  zur  Ausführung  dieses  grossen  Plans  berufen«. 

^  Klopp,  a.a.O.  3.  Bd.  S.3i2ff. :  "Consultatio  de  naturae  cognitione  ad 
vitae  usus  promovenda  instituendacpie  in  eam  rem  Societate  Germanica,  ([uae  scien- 
tias  artesque  inaxime  utiles  vitae  nosti'a  lingua  desci'ibat  jiatriaetjue  liouorem  vin- 
dicet«. 


Leibxiz  als  universaler  Denker  und  ( )rganisator.  19 

doniesticae  virtutis  ignari,  et  suh  nescio  ([uibus  rhapsodiis  saepe  praeclara  iiostra 
cogitata  obruentes,  quae  alii  speciosis  ratiocinationibus  ornata  venditare  didicerunt. 
Addo  quod  soll  onniium  Gerniani  linguam  nostrani  neglighnus.  cuius  tanien  in  rebus 
solidis  minimeque  chiniaerieis  tradendis  nüi-abilis  efficacia  tot  experimentis  coinpro- 
bata  est  ^ « 

Bei  seinem  grossartigen  Wirken  für  das  allgemeine  Wohl  und 
das  W^ohl  des  Vaterlandes  sali  sich  Leibniz,  abgesehen  von  der  Mit- 
wirkung der  Gelehrten ,  allein  auf  die  Einsicht  und  das  Wohlwollen 
der  Fürsten  angewiesen.  Von  den  Universitäten  hat  er,  kein  Zünf- 
tiger, nie  viel  erwartet,  und  die  Völker  schienen  noch  nicht  ge- 
nügend erzogen.  Alles  für  die  Völker,  aber  alles  durch  die  Fürsten, 
das  war  die  vorgezeichnete  Linie.  Indem  Leibniz  zeitlebens  auf  diesem 
Wege  wandelte,  hat  er  mit  allen  grossen  und  mit  den  meisten  kleinen 
Fürsten  seines  Zeitalters  anzuknüpfen  versucht  —  häufig  mit  Glück, 
aber  auch  nicht  selten  mit  herben  Enttäuschungen,  die  ihn  indess 
niemals  niederbeugten.  Das  sichere  Bewusstsein,  die  Sache  Gottes 
und  der  ganzen  Menschheit  zu  vertreten ,  gab  ihm  Muth  und  Aus- 
dauer, und  mischten  sich  auch  hie  und  da  persönliche  Eitelkeit  und 
eine  unberufene  und  beängstigende  Geschäftigkeit  ein,  so  blieben 
die  grossen  Gesichtspunkte  doch  stets  die  durchschlagenden,  und 
in  dem  Zeitalter  der  politischen  Kabalen  hat  er  sich  —  häufig  in 
Staatsaffairen  wirksam  —  niemals  zu  bedenklichen  oder  gar  niedrigen 
Diensten  brauchen  lassen.  Die  Sprache,  die  er  den  Fürsten  gegen- 
über führte,  ist  nicht  mehr  die  unsrige  und  berührt  uns  in  einigen 
Kundgebungen  peinlich ,  aber  gemessen  an  dem  höfischen  Stile  der 
Zeit,  ist  sie  freimüthig  und  selbstbewusst.     »Stelle  auch  zu  erwägen« 

—  schreibt  er  dem  Könige  Friedrich  L  von  Preussen  im  Jahre  i  7  1 1 

—  »ob  ich  einigen  von  Ew.  Maj.  Ministris  (in  dem,  was  ich  zu 
Ew.  Maj.  Dienst  und  Glorie  gethan)  zu  weichen  Ursach  habe,  in- 
dem dasjenige,  was  durch  meine  Direction  geschieht,  ad  gloriam 
immortalem  vermittelst  des  incrementi  scientiarum  gehet,  welches 
bei  der  Posterität  allezeit  j^retios  sein  wird,  wenn  alle  politische 
Interessen  dermaleins  geändert  sein  dürften«'.  Seine  grossen  Ziele 
hat  er,  mochte  er  für  Braunschweig,  Preussen,  Sachsen,  Österreich 
oder  Russland  wirken,  stets  unverrückt  vor  Augen  behalten,  und 
auch  des  deutschen  Vaterlandes  vergass  er  nicht,  wenn  er  für  die 
Fremden  arbeitete. 


^  Zum  Letzteren  vergl.  die  identischen  Aussagen,  die  Guhrauer  (a.a.O.  I 
S.  52  ff.)  anführt,  dass  "die  deutsche  Sj)rache  an  sich  selbst  zum  Probirsteine  der 
Gedanken  diene". 

^    Klopp,  a.  a.().   Bd.  10  S.  449  f. 

9* 


20  Vorgescliiclit('  der  Akademie. 

3. 

Unter  den  Mitteln  aber,  durch  die  Leibniz  das  Wohl  des  Vater- 
landes und  das  allgemeine  Wohl  befördern  und  die  Menschheit  auf 
eine  höhere  Stufe  heben  wollte,  standen  ihm  zwei  zeitlebens  im 
Vordergrund:  sie  ergaben  sich  aus  der  Idee,  die  Weltharraonie  zu 
befördern  und  jene  Einheit  in  der  menschlichen  Gesellschaft  zu  ver- 
wirklichen, die  in  dem  grossen  W^eltsystem  von  Gott  selbst  bewirkt 
ist\  Das  Eine  war  die  Reunion  der  katholischen  und  evangelischen 
Kirche  oder  —  als  dieses  Ziel  in  immer  weitere  Ferne  rückte"  — 
mindestens  die  Vereinigung  der  beiden  getrennten  protestantischen 
Confessionen.  Für  dieses  Werk  schien  ihm  eine  enge  Verbindung 
von  Hannover  und  Brandenburg  die  noth wendige  Vorbedingung, 
und  von  hier  aus  erklären  sich  seine  lebhaften  Bestrebungen ,  in 
Berlin  festen  Fuss  zu  fassen  (seit  dem  Jahre  1697).  Allein  in  Han- 
nover, obgleich  der  Kurfürst  lutherisch  und  seine  Gemahlin,  die 
freisinnige  Tochter  des  Winterkönigs,  reformirt  waren,  hat  man  es 
mit  den  Reunionsversuchen  nur  so  lange  ernst  genommen,  als  man 
besondere  Vortheile  für  die  Dynastie  von  ihnen  erhoff'te^.  Sobald 
die  englische  Erbschaft  in  Sicht  trat,  hörten  sie  vollends  auf.  In 
Berlin  dagegen  war  man  unter  Friedrich  I.  und  Friedrich  Wilhelm  I. 


*  Vergl.  Fischer,  J.  L.  Frisch"s  Briefweclisel  mit  G.W.  Leibxiz  (Arcliiv  der 
'-Brandenburgia«    2.  Bd.  1896)  S.lVf. 

^  Aufgegeben  hat  Leibniz  diesen  Plan  bekanntlich  niemals  und  ihm  grosse 
Opfer  an  Zeit  luid  Ki-aft  gebracht.  In  den  Annalen  (vergl.  Bodemann,  Ztschr. 
d.  histor.  Vereins  f.  Niedersachsen  1888  S.  86)  stehen  die  zuversichtlichen  Worte: 
»Ich  verzweifle  nicht,  dass  dieses  heilsame  Ziel  einst  noch  erreicht  werden  wird. 
Denn  sollte  nicht  nach  Karl  und  (Jtto  dem  Grossen  ein  dritter  grosser  Kaiser 
aus  dem  zur  Aufklärung  der  A'ölker  berufenen  Deutschland  erstehen 
können,  der  Rom  wieder  katholisch  und  apostolisch  mache!'  Wenn  zwei  oder  drei 
mächtige  Könige  das  Unternehmen  desselben  unterstützen,  so  ist,  glaube  ich,  die 
Sache  geschehen.  Verscheucht  ist  die  Finsterniss  der  Welt  durch  das  Licht  der 
Wissenschaften  und  der  Geschichte;  und  wie  nothwendig  diese  Reform  sei,  wird 
von  den  meisten  durch  Gelehrsamkeit  und  Erfahrung  hervorragenden  Katholiken 
selbst  mehr  verschwiegen  als  geleugnet.  Aber  sie  wird  kommen,  gewiss  sie  wird 
kommen  die  Zeit,  wo  die  segensreiche  Wahrheit  übei'all  sich  wii'd  äussern  dürfen.« 

^  Die  Kurfürstin  Sophie  konnte  an  Leibniz  scherzend  schreiben,  man  müsse 
in  Bezug  auf  die  Reunion  auf  eine  ausserordentliche  Offenbarung  hoff"en,  und  »da 
das  Christenthum  in  die  Welt  durch  eine  Frau  gekommen  sei,  so  würde  es  glor- 
reich für  sie  sein,  wenn  die  LTnion  durch  sie  zu  Stande  käme".  An  ihren  Bruder, 
den  pfälzischen  Kurfürsten,  schrieb  sie:  »Was  mir  am  meisten  bei  der  Reunion  am 
Herzen  liegt,  ist,  dass  für  unsere  Kinder  gute  Vortlieile  daraus  erwachsen,  was 
mehr  befriedigen  wird  als  alle  S])eculationen,  die  Niemand  versteht"  (s.  Bodemann, 
a.  a.  0.  S.85f.). 


Leibx[z  und  der  Gedanke  der  Akadeniieen.  21 

ernstliaft  um  das  grosse  Werk  bemüht.  Aber  die  Theologen  beider 
evangelischer  Kirchen  waren  —  einzelne  hervorragende  Männer  abge- 
rechnet —  noch  nicht  reif  dafür,  und  so  musste  es  aufgegeben  werden, 
zumal  da  die  Aufklärung  bald  die  Orthodoxie  in  dieser  Angelegenheit 
unterstützte.  Sie  hielt  es  nicht  mehr  für  nöthig,  sich  um  die  »abster- 
benden« Gebilde,  die  Confessionen ,  überhaupt  noch  zu  kümmern. 
Der  Plan  der  Kirchen -Reunionen,  so  lebhaft  und  ausdauernd 
ihn  auch  Leibniz  betrieben  hat,  tritt  doch  zurück  hinter  dem  eigent- 
lichen Plane  seines  Lebens,  auf  dem  Boden  der  Wissenschaft  das 
Vaterland  und  die  Völker  zu  einigen,  ja  er  ist  diesem  durchaus  unter- 
geordnet gewesen.  Als  das  wichtigste  Mittel  aber  für  die  Beförde- 
rung des  allgemeinen  Fortschritts  und  einer  productiven  Aufklärung 
vermittelst  der  Wissenschaft  erschien  ihm  die  Stiftung  von  Socie- 
täten\  »Der  Gedanke  der  Stiftung  von  Societäten  zu  wissenschaft- 
lich-praktischen Zwecken  in  der  Gestaltung,  wie  sie  der  Seele  von 
Leibniz  vorschwebte,  ist  nicht  nur  ein  ein-  oder  mehrmaliger,  durch 
zufällige  Umstände,  durch  glückliche  Gelegenheiten  vielleicht  her- 
vorgelockter, sondern  er  entspringt  unmittelbar  aus  der  sittlichen 
und  intellectuellen ,  ja  dass  ich  sage,  aus  der  religiösen  Grundan- 
schauung von  Leibniz"".«  Seine  ersten  Entwürfe  zur  Errichtung  von 
Societäten  oder  vielmehr  zur  Organisirung  der  gesammten  wissen- 
schaftlich-praktischen Arbeit  und  zur  Sammlung  aller  geistigen 
Kräfte  im  Dienste  productiven  Schaffens  stammen  aus  dem  Jahre 
1667,  als  er  einundzwanzig  Jahre  alt  war;  seine  letzten  Bemühun- 
gen um  die  grosse  Sache  sind  vom  28.  October  17 16  datirt,  sieb- 
zehn Tage   vor  seinem  Tode. 


4. 

Der  Gedanke  der  »Akademieen«  oder  »Societäten«  ist  eine  Erb- 
schaft des  auf  Plato  und  seine  Schule  gerichteten  Renaissancezeit- 
alters; aber  er  wurde  erst  im  17.  und  anfangenden  18.  Jahrhundert 
fruchtbar  gemacht.     Die  Neugründung  von  Universitäten  in  den  pro- 


'  Mit  »Zeitschriften«  und  »Dictionnaires'»  allein,  so  hoch  Leibniz  den  Jour- 
nalismus als  neues  Mittel  des  Fortschritts  schätzte,  gab  er  sich  nicht  zufrieden  (im 
Jalire  1697  ei'schien  das  berühmte  Dictionnaire  von  Bayle);  er  wusste,  um  mit 
Goethe  zu  reden,  dass  es  auch  in  der  Wissenschaft  nicht  mit  dem  Wissen  allein 
gethan  ist,  dass  vielmehr  Thaten  und  Organisationen  nöthig  sind.  Eben  deshalb 
AvoUte  er  Akademieen  stiften. 

^  Klopp,  Leibniz"  Plan  der  Gründung  einer  Societät  der  Wissenschaften  in 
Wien  (Archiv  f.  Österreich.  Gesch.  40.  Bd.  1869  S.160). 


22  Vorgescliiclitc   der   Ak;ulciiiie. 

testantisclien  Gebieten  entsprach  den  vom  scholastischen  Betriebe 
sich  abwendenden  Bedürfnissen  noch  nicht',  abgesehen  davon,  dass 
sie  nur  einigen  Ländern  zu  gute  kam.  Diese  Bedürfnisse  gingen 
erstHch  auf  einen  festen ,  freundschaftlichen  Zusammenschluss  der 
CoUegen  zu  gemeinsamer  Arbeit,  sodann  auf  productive  Thätigkeit, 
sei  es  auch  auf  beschränktem  Gebiete,  im  Gegensatz  zu  der  todten 
Reproduction  der  aristotelischen  Wissenschaft.  Damit  war  der  Unter- 
richtszweck, die  »Lehre«  ausgeschlossen  oder  doch  an  die  zweite 
Stelle  gerückt:  »Originale  Erkenntnisse«,  »Beobachten«  und  »Kön- 
nen« sollten  im  Mittelpunkte  stehen,  die  Liebe  zur  Natur  regieren. 
Treten  in  Italien  und  Deutschland  zunächst  die  sprachliebenden  und 
-forschenden  Gesellschaften  in  den  Vordergrund,  die  bei  aller  Be- 
schränktheit doch  den  Anstoss  zur  Entwicklung  der  neueren  Litte- 
ratur  gegeben  haben',  so  fehlen  doch  auch  die  ihnen  geistig  ver- 
wandten, in  der  Regel  freilich  schnell  verkümmernden  Unterneh- 
mungen^ solcher  Naturphilosophen  nicht,  die  mit  frischer  Erkenntniss 


^    Siehe  Paulsen,  Gesch.  d.  gelehrten  Unterriclits .  2.  Autl.  i.  Bd.  1896  8.209  ff. 

^  Die  "fruchtbringende  Gesellschaft«  (der  "Pahnenorden")  ist  1617  vom  Füi'sten 
Ludwig  von  Anhalt -Köthen  gegründet  worden  nach  dem  Muster  der  Accademia  della 
Crusca  in  Florenz,  deren  Mitglied  der  Fürst  im  Jahre  1600  geworden  war.  Keller 
(CoMENius  und  die  Akademieen  1895),  der  sehr  dankenswerthe  Mittheilungen  üljer 
den  Pabnenorden  und  die  anderen  Societäten  macht,  scheint  doch  ihi'e  Bedeutung 
zu  übertreiben.  Nicht  erwiesen  ist,  dass  die  Förderung  der  deutschen  »Spraclie 
für  die  Eingeweihten  nur  das  Kleid  war,  das  die  höchsten  und  letzten  Ziele  vor 
den  Augen  gefährlicher  Gegner  verhüllt  habe  (S.  15).  Richtig  ist,  dass  die  in  den 
verschiede Jien  Gesellschaften  gepflegten  Zweige  der  Wissenschaft  (Naturwissen- 
schaft, Mathematik,  Erziehungslehre,  Volkssprachen)  eben  die  waren ,  in  denen  sich 
der  neue  Geist  des  Zeitalters  ausprägte  und  dass  sie  mit  ihm  und  deshalb  auch  mit 
den  irenischen  religiösen  Bestrebungen  in  Fühlung  standen.  Aber  dass  ein  be- 
stimmter religiös -philosophischer  Standpunkt  von  allen  vertreten  wurde,  luid  dass 
dieser  der  böhmisch -refoi-matorische  gewesen  ist,  ist  zuviel  behauptet. 

^  Geistig  verwandt  darf  man  sie  nennen,  weil  sie  in  der  Abneigung  gegen 
das  Zeitalter  der  Scholastik,  in  den  irenischen  Tendenzen,  in  dem  Streben  nach 
Geistesfreiheit  und  in  der  Richtung  auf  die  Besserimg  des  Lebens  zusammenstehen.  — 
Die  Pflege  der  Volkssprache  und  die  neue  Wissenschaft  waren  Bundesgenossen  und 
sind  stets  zusammengegangen.  Freilich  dauerte  es  in  Deutschland  lange,  bis  die 
Muttersprache  in  die  wissenschaftlichen  Untersuchungen  eindrang.  Schon  in)  Jahre 
1663  constatiren  CoNRiNG  und  Boineburg  (s.  Guhrauer,  a.  a.  O.  I  S.  55  f.)  zu  ihrem 
Arger,  dass  Franzosen,  Engländer,  Italiener,  Sj^anier,  Belgier  in  ilncr  Muttersprache 
in  den  Wissenschaften  schreiben;  von  Deutschen  ist  dabei  noch  gar  nicht  die  Rede. 
In  der  That  wird  in  jener  Zeit  in  Deutschland  kaum  erst  ein  Anfang  gemacht.  Im 
Jahre  1643  wurde  in  Hamburg  die  "Gesellschaft  der  drei  Rosen ■■  (»Deutschgesinnte 
Genossenschaft",  »Die  Kunstliebenden ")  gegründet,  die  auch  die  deutsche  Sj^rache 
pflegen  und  »die  allei-nützlichsten  Bücher  in  allerhand  Wissenschaften  und  Künsten» 
herausgeben  wollte  (s.  Keller,  a.  a.  O.  S.28  ff.).  Über  die  im  Jahre  1633  zu  Strass- 
burg  gegründete    »Aufrichtige   Gesellschaft   von   der  Tanne«,    den   in  Nürnberg   im 


Die  Akadeinieen  des    17.  .L-ilirliuiulerts.  .  23 

die  neue  Wissenschaft  betreiben  wollten  und  den  alten  Schulme- 
tlioden  den  Krieg  erklärten.  So  gründete  bereits  im  Jahre  1622 
der  Lübecker  Joachim  Jungius  (geb.  am  22.  October  1587)  —  in 
mehr  als  einer  Hinsicht  ein  Leibniz  vor  Leibniz'  —  zu  Rostock 
eine  von  der  Universität  ganz  unabhängige  gelehrte  Gesellschaft, 
die  societas  ereunetica  oder  zetetica,  in  deren  Programm  die  Wider- 
legung der  scholastischen  Philosophie  (besonders  der  der  Jesuiten), 
die  Pflege  der  Mathematik  und  die  Erforschung  der  Natur  als  die 
Hauptaufgaben  bezeichnet  wurden.  «Der  Zweck  unseres  Vereins 
soll  einzig  der  sein:  die  Wahrheit  aus  der  Vernunft  und  der  Er- 
fahrung sowohl  zu  erforschen  als  sie,  nachdem  sie  gefunden  ist, 
zu  erweisen  oder  alle  Künste  und  Wissenschaften ,  welche  sich  auf 
die  Vernunft  und  die  Erfahrung  stützen,  von  der  Sophistik  zu  be- 
freien, zu  einer  demonstrativen  Gewissheit  zurückzuführen,  durch 
eine  richtige  Unterweisung  fortzupflanzen,  endlich  durch  glückliche 
Erfindungen  zu  vermehren'".«  Vor  allem  aber  ist  Amos  Comenius 
zu  nennen  als  der  grosse  Führer  und  Erzieher  zu  einer  Reform  der 
wissenschaftlichen  Methode,  zugleich  unermüdlich  thätig,  gleich- 
gestimmte Männer  zu  sammeln  und  zu  vereinigen.  Indessen  alle  diese 
privaten  » Societäten « ,  innerhalb  deren  Valentin  Andeeae  eine  beson- 
ders charakteristische  Figur  ist,  haben  für  die  Gründung  der  grossen 
staatlichen  gelehrten   Körperschaften   doch   nur  indirecte  Bedeutung 


Jalire  1644  gestifteten   » Blumenorden ■<   und  den  »Schwanenürden  an  der  Elbe«   (um 
1660)  vergl.  ebenfalls  Keller  8.350".,  37  ff.,  42  ff. 

^  Es  wäre  eine  schöne  Aufgabe ,  die.  deutschen  Vorläufer  von  Leikxiz  in  den 
.Jahren  1620  — 1670  zusammenzustellen,  und  es  ist  dafür  noch  wenig  geschehen. 

-  Siehe  über  den  Stifter  Hoche  in  der  Allg.  Deutschen  Biographie,  14.  Bd. 
S.72iff. .  GuHRAUER.  J.  JuNGius  imd  sein  Zeitalter,  1850.  und  Keller,  a.  a.  O. 
8.570".  Die  Societät  ging  bereits  im  Jahre  1625  in  den  Schrecken  des  Krieges 
unter.  Der  Grundsatz  von  Jungius  —  Goethe  hat  den  INIann  aus  der  Vergessen- 
heit befreit  — :  »Per  inductionem  et  experimentum  omnia»  lässt  noch  nicht  er- 
kennen, wie  umsichtig  er  als  Erkenntnisstheoretiker  vei-fahren  ist.  Seine  Über- 
zeugung, dass  nur  ein  Zusammenschluss  der  Gelehrten  die  ]Macht  der  scholastischen 
Sophistik  zu  brechen  vermöge,  spricht  er  in  dem  Satze  aus  (Guhrauer,  a.  a.  0.  8.9): 
»Wie  kannst  Du  es  wagen  wollen,  allein  gegen  solche  Lehrmeinungen  zu  kämpfen? 
Wenn  ich  hätte  allein  sein  sollen,  so  hätte  ich  keine  Feder  gegen  die  Schul- 
meinungen geführt«.  —  Auch  alchymistische  Gesellschaften  gab  es.  Einer  solchen  ist 
der  jugendliche  Leibniz  zu  Nürnberg  im  Jahre  1667  beigetreten  (s.  Klopp,  Die 
Wei-ke  von  Leibniz  Bd.  I,  Einleitung  8.  XVI ,  und  Kopp,  Gesch.  d.  Alchymie  Bd.  I 
S.  233)  und  führte  ein  Jahr  lang  das  Secretariat  in  ihr.  Das  Interesse  für  chemische 
Probleme  und  die  Zurückhaltung  gegenüber  vorschnellem  Absprechen  in  alchemisti- 
schen  Dingen  hat  Leibniz  stets  ])e\vahrt.  obgleich  er  vom  Goldinachen  nichts  wissen 
wollte.  Keller,  a.a.O.  8. 50  f['..  überschätzt  die  Bedeutung  jener  Episode  für  das 
Leben  und  die  Entwicklung  Leibnizciis. 


24  Vorgeschiclite  der  Akademie. 

gehabt.  Die  Behauptung  eines  neueren  Forschers':  »Es  lässt  sich 
ebensowenig  eine  Geschichte  der  Berliner  wie  der  Londoner  Aka- 
demie schreiben,  ohne  des  wesentlichen  Antheils  zu  gedenken,  den 
die  älteren  freien  Collegien  und  Gesellschaften  an  ihrem  Entstehen 
gehabt  haben«,  ist  mindestens  miss verständlich.  Das  von  Comenius 
zu  London  im  Jahre  1641  entworfene  Project  einer  höheren  und 
einheitlichen  Organisation  der  in  vielen  Ländern  vorhandenen  Ge- 
sellschaften unter  neuem  Namen  zur  Pflege  der  Pansophie  ist  nie 
verwirklicht  worden,  und  es  lässt  sich  nicht  nachweisen,  dass  es 
auf  die  Stiftung  der  »Royal  Society«  (1662)  irgend  welchen  Ein- 
fluss  ausgeübt  hat".  Diese  hat  vielmehr  ihre  Vorstufe  an  einer 
Gesellschaft  von  Naturforschern,  die  seit  dem  Jahre  1645  oder 
schon  früher  auf  Anregung  eines  in  London  lebenden  Pfälzers, 
Theodor  Haak,  wöchentlich  zusammenkamen,  sich  über  den  Stand 
der  Naturwissenschaften  unterhielten  und  von  neuen  Experimenten 
berichteten^.  Nach  der  Restauration  hat  Karl  II.  diese  Gesellschaft 
in  eine  »königliche«  verwandelt,  um  hervorragende  Männer  von 
der  Politik  abzuziehen  und  mit  anderen  Interessen  zu  beschäftigen. 
Dass  die  neugestiftete  »Royal  Society«  auch  Mitglieder  zählte,  die 
zu  Comenius  und  dessen  Bestrebungen  in  Beziehung  standen,  hat 
für  die  Zwecke  und  die  Entwicklung  dieser  Gesellschaft  gar  keine 
Bedeutung  gehabt.  Dasselbe  ist  von  der  Preussischen  Societät  der 
Wissenschaften  zu  sagen.  Zu  ihren  ersten  Mitgliedern  gehörten 
nicht  wenige,  die  entweder  früher  Genossen  privater  Societäten 
gewesen  waren  oder  in  gewissen  Beziehungen  zu  der  von  Comenius 
erweckten  geistigen  Bewegung  gestanden  hatten.  Aber  das  hat 
weder  für  die  wirkliche  Vorgeschichte  noch  für  die  Stiftung  der 
Königlich  Preussischen  Societät  Bedeutung  gehabt.  Kaum  irgendwo 
begegnet  in  den  einschlagenden  Acten  und  Briefen  eine  Erwähnung 
der  freien  Societäten*,  und  somit  ist  es  lediglich  der  in  diesen  sich 
besonders  kräftig  aussprechende  Geist  des  Zeitalters ,  an  den  zu 
erinnern  ist,   wenn  Verbindungen  zwischen    ihnen    und    den    staat- 


'    Keller,  a.a.O.  S.  107.  s.  auch  8.55. 

"^    Gegen  Keller,  a.  a.  T).  8.7 7  ff. 

^  Auf  die  verschiedenen  englischen  privaten  Gesellschaften  (darunter  auch 
litterarische)  vor  Stiftung  der  Royal  Society  einzugehen,  ist  hier  nicht  der  Ort; 
eine  kurze  Übersicht  über  sie  und  die  naturphilosophischen  der  Italiener  bei  Bar- 
THOLMEss,   Hist.  philosophique  de  TAcademie  de  Prusse  T.  I   1850  p.  XI  ff. 

*  Auch  die  "Kunstrechnungsliebende  Societät«  zu  Hamburg,  gestiftet  von 
H.  Meissner  (s.  Bodemaxn,  Briefwechsel  von  Leiexiz  1889  S.  178).  wird  nicht 
erwähnt. 


Die  Akadeuiieeu  des    17.  ,I;ilirliunderts.  2o 

liehen  gelehrten  Körperschaften,  in  denen  die  strenge,  methodische 
Pflege  der  Naturwissenschaft  von  vorn  herein  Selbstzweck  war', 
aufgewiesen  werden   sollen". 

Die  wirkliche  Vorgeschichte  der  Königlich  Preussischen  Societät 
—  abgesehen  von  den  besonderen  Anlässen  —  liegt  einerseits  in 
der  vorbildlichen  Thatsache,  dass  bereits  in  Frankreich  und  Eng- 
land solche   staatliche  Akademieen   bestanden^,    andererseits    in   den 


*  »EndeaA'Our  by  solid  experiments,  eitlier  to  reforin  or  iiiiprove  PhilüsopliV" 
—  ist  dei'  Zweck  der  englischen  Societät,  die  das  Motto  erhielt:  "Nullius  in  verbat. 
Ks  ist  der  Geist  Bacon's,  der  ihr  die  Wege  wies. 

^  Zwei  deutsche  Gesellschaften  verdienen  hier  noch  eine  Erwähnung,  die 
eine,  weil  sie  mit  der  Erforschung  der  Natur  vorangegangen  ist  (»Quidquid  natui-a 
suo  in  sinu  servavit  reconditum  publico  mundi  theatro  exhiberC")  und  sich  bis  heute 
erhalten  hat  —  das  Kollegium  Natiu-ae  Curiosorum,  später  "Academia  Leopoldino- 
Carolina",  »die  Naturforschenden  Freunde»  genannt,  gestiftet  im  Jahre  1652  — , 
die  andere,  weil  der  Anlass,  der  zu  ilu-er  Begründung  geführt  hat  (sie  kam  übrigens 
über  die  embryonale  Stufe  nicht  hinaus),  die  Kalendei'verbesserung,  in  der  Stiftung 
der  Preussischen  Akademie  fortwirkte  —  das  von  E.  Weigel  seit  etwa  1695  ge- 
plante mathematische  Collegium  artis  consultorum  (s.  über  dasselbe  unten  und 
Wilhelm  Meyer,  Die  Handschriften  in  Göttingen.  1893  S.  161).  —  Über  jene  Ge- 
sellschaft hat  sich  Leibniz  in  seinem  «Bedenken  von  Aufrichtung  einer  Academie 
oder  Societät  in  Teutschland«  (Klopp,  a.  a.  0.  I.  Bd.  S.  141  f.)  nicht  günstig  ausge- 
sprochen: "Dieses  Institut,  ob  es  gleich  an  sich  selbst  gut  und  nicht  zu  verachten. 
ist  doch  nicht  real  genugsam ,  denn  dadurch  nur  bereits  habende  Dinge  aus  andern 
Büchern  gesammelt,  niclit  aber  neue  aus  eigener  Experienz  entdecket  worden«. 
Zwar  räumt  er  ein,  dass  im  letzten  Jahr  ein  Fortschritt  gemacht  sei  und  die  Ge- 
sellschaft observationes  medicas  herausgegeben  habe.  "Es  mangelt  aber  viel  dabei 
zu  einem  rechten  wohlformirten  corpore,  davon  etwas  reales  gehoffet  werden  könnte, 
so  einen  gewissen  Fundum,  Union.  Ruf,  Adresse  und  Anstalt  hätte.«  Als  Leibmz 
im  Jahre  1676  eine  Kaiserlich  Deutsche  Gesellschaft  plante,  hat  er  sich  noch  an 
diese  Gesellschaft  und  die  fruchtbringende  gewandt  und  sie  zur  Mitwirkung  auf- 
gerufen, später  aber  nicht  mehr.  —  In  einem  Aufsatz  »sur  l'utilite  des  Academies« 
(]Mem.  1788/9  p.  460 ff.)  hat  Garve  die  Entstehung  der  Akademieen  mit  der  Entstehung- 
religiöser  Gesellschaften ,  z.  B.  der  bölimischen  Brüder,  verglichen  und  demgemäss. 
nicht  ohne  Grund,  von  einer  Zeit  der  ersten  Liebe  und  von  einem  allmälilichen  Er- 
matten des  gemeinsamen  wissenschaftlichen  Eifers  gesprochen. 

^  In  Frankreich  ist  natürlich  von  einem  Einfluss  der  reformatorischen  "Ge- 
sinnungsgemeinschaften« gar  nichts  zu  spüren.  Im  Jahre  1635  hatte  Richelieu  die 
Academie  frauQaise  gestiftet  (ihre  Anfänge  führen  bis  auf  das  Jahr  1629).  Im  Jahre 
1666  gründete  Colbert  die  Academie  des  Sciences  für  Mathematik  und  Natur- 
wissenschaften. Ihn  leitete  dabei  ein  praktisches  Interesse.  Industrie,  Handel  und 
Schifffahrt  sollten  von  der  Stiftung  Nutzen  ziehen  und  die  Einkünfte  des  Staates 
dadurch  vermehrt  werden.  Aber  die  Pflege  der  reinen  Wissenschaft  im  Sinne  Des- 
CARTEs"  wurde  doch  die  Hauptsache,  ^"orbildlich  wurde  die  Geschäftsführung  der 
Pariser  Akademie  durch  die  ruhmvolle  Thätigkeit  ihres  Secretars  Fontexelle 
(Secretar  seit  1699),  der.  hundert  Jahre  alt.  im  Jahre  1757  stai-b.  Der  langjährige 
Secretar  der  Berliner  Akademie,  Formey,  beginnt  seine  Abhandlung  über  ihn  («Sou- 
venirs d"un    citoyen«    1789  T.  II   p.  253)  mit    den  Worten:    "J"ai  toujours  ete  a  son 


2b  \'(jrgescliiclite   der   Akademie. 

uiicrmüdlicluni  Bemühungen  LEiBNizens,  für  Deutschland  etwas 
Ahnliches  in's  Lehen  zu  rufen  und  eine  organische  Verhindung 
aller  europäischen  Gelehrten  und  aller  wissenschaftlichen  Bestre- 
bungen herheizuführen'.  Da  I^eibxiz  nicht  nur  der  geistige  Ur- 
heber und  der  erste  Präsident  der  Preussischen  Societät  der  Wissen- 
schaften gewesen  ist,  sondern  auch  in  Dresden",  Russland '^  und 
Wien^  Akademieen  zu  stiften  unternommen  hat,  da  ferner  die  Aka- 
demieen  in  München,  Göttingen,  Turin,  Stockholm  und  Leipzig 
theils  gleich   anfangs,   theils  später  nach   dem  Muster   der  Berliner 


egard  dans  les  memes  dispositions  oü  Erasine  etait  ;i  Tegard  de  Socrate  lor.s(ju"il 
disait:    »Sancte  Socrates.  ora  pro  nobis». 

'  Hand  in  Hand  mit  den  Bestrel)ungen ,  niclit  nur  die  deutschen  Gelehrten 
unter  einander  zu  ver])inden,  sondern  auch  die  europäischen  zu  gemeinsamer,  plan- 
voller Arbeit  zu  vereinigen,  gehen  bei  Leibmz  die  immer  wiederholten  Anstren- 
gungen, eine  Pasigraphie,  d.  h.  eine  nova  lingua  characteristica,  zu  erfinden.  Nicht 
um  die  Schöpfimg  eines  Volapüks  handelte  es  sich  ihm  —  der  Widersinn  dieses 
Unternehmens,  das,  wenn  es  gelänge,  zu  einem  halben  Dutzend  Cultui'sprachen 
noch  eine  siebente  hinzufügen  würde,  ging  ihm  bald  auf  — ,  sondern  um  die  l)e- 
grenztere  und  reizvolle  Aufgabe,  eine  in  allen  Sprachen  lesbare  Zeichenschrift  zu 
erfinden  nach  dem  Vorbild  der  mathematischen  Zeichensprache.  Dass  auch  diese 
Aufgabe  selbst  für  den  scharfsinnigsten  Geist  unlösbar  sei,  hat  Leibxiz  nach  unend- 
lichen Bemühungen  gegen  Ende  seines  Lebens  einsehen  müssen. 

^  Siehe  E.  Bodemann,  LEIB^•Iz"  Plan  einer  Societät  der  Wissenschaften  in 
Sachsen  (Neues  Ai-chiv  f.  sächs.  Gesch.  4.  Bd.  1883  S.  177—214).  Die  Angelegen- 
heitspielte 1703— 1705  und  war  nach  vollkommener  Vorbereitung  der  Durchführung 
nahe;  aber  der  Krieg  dui'chkreuzte  sie.  Zu  einer  Akademie  der  Wissenschaften  in 
Dresden  kam  es  überhau])t  nicht,  obgleich  Alles  fertig  war  und  der  Reinschi-ift  des 
.Stiftungsbriefes  nur  die  königliche  Unterschrift  fehlte.  Erst  im  Jahre  1846  wuixle 
die  Sächsische  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Leipzig  am  21.  .luni.  dem  Geburts- 
tag LEiBNizens,  eröffnet. 

^  Die  Beziehungen  von  Leibxiz  zu  Peter  dem  Grossen  und  Russland  sind 
noch  nicht  erschöpfend  dargestellt  worden,  obgleich  ein  ziemlich  umfangreiches 
Actenmaterial  theils  gedruckt  vorliegt,  theils  leicht  zugänglich  ist.  Das  Buch  \-on 
Posselt,  Peter  der  Grosse  und  LEiBNrrz  (Dorpat  1843),  ist  nahezu  werthlos.  Leibxiz 
hat  die  Stiftung  einer  Akademie  der  Wissenschaften  in  Russland  angeregt  und  be- 
trieben (vergl.  u.  a.  den  Briefwechsel  mit  Heineccius  in  der  Hannov.  Bibliothek: 
Plan  der  Eri-ichtung  einei'  Societät  der  Wissenschaften  und  Missionsanstalt  in 
INIoskau,  und  zwar  ausgehend  von  der  Berliner  Societät,  Brief  vom  19.  Novem- 
ber 17 11).  Gestiftet  wurde  sie  nach  seinem  Tode  im  Jahre  1724  von  Peter  L, 
eingerichtet  im  folgenden  Jahre  von  Katharina  L  zu  St.  Petersburg.  Zur  Berli- 
ner Akademie  hat  die  Petersburger  in  dem  ersten  halben  Jahrhundert  ihres  Be- 
stehens die  lebhaftesten  Beziehungen  gehabt.  Eine  heilsame  Rivalität  bestand,  ja 
man  suchte  nicht  ohne  Erfolg  die  tüchtigsten  Mitglieder  der  Schwesterakadeinie 
zu  entfüliren. 

*  Siehe  Klopp,  Leibxiz*  Plan  der  Gründung  einer  Societät  der  Wissenschaften 
in  Wien  (Archiv  f.  Österreich.  Gesch.  40.  Bd.  1869  S.  159!?.).  Hiber,  Gesch.  d. 
<-rründung  u.  d.  AVirksamkeit  d.  K.  Akad.  d.  Wiss.  (Wien  1897)  S.5  ff". 


Leibxiz"  Sofietätspläne  vor  l(ii)7.  27 

eingerichtet  worden  sind\  so  ist  es  der  Mühe  werth,  die  Entwick- 
lung der  Societätspläne ,  Avie  sie  Leibniz  bis  zur  Stiftung  der  Ber- 
hner  Akademie  ausgebildet  hat,  in  Kürze  darzustellen.  Er  ist  durch 
die  Einsicht  und  Kraft,  mit  der  er  den  Gedanken  streng  wissen- 
schaftlicher und  alle  Gebiete  der  menschlichen  Elrkenntniss  um- 
spannender Akademieen  geklärt  und  durchgesetzt  hat,  ihr  eigent- 
licher Patron  geworden.  Doch  nur  in  Preussen  gelang  es  ihm, 
seine  Pläne  durchzuführen. 


Ausgangspunkt  des  Societätsgedankens  ist  der  Plan  des  2  i  jäh- 
rigen Leibniz  gewesen,  sich  in  3Iainz  oder  Frankfurt  eine  selbstän- 
dige Stellung  zu  gründen  durch  ein  kaiserliches  Privilegium  für  eine 
halbjährlich  nach  der  Messe  erscheinende  Zeitschrift.  In  dieser  Zeit- 
schrift sollten  die  neu  erschienenen  Bücher  verzeichnet  und  das 
Wichtige  in  ihnen  herausgehoben  w^erden".  Bald  erweiterte  sich 
der  Plan  zu  dem  anderen,  die  Direction  des  gesammten  deutschen 
Bücherwesens  an  Kurmainz  zu  ziehen  und  es  ganz  neu  zu  gestal- 
ten. Der  hochgesinnte  Erzbischof  von  Mainz ,  Johann  Philipp  von 
ScHÖNBOKN,  berathen  von  dem  Baron  von  Boineburg,  schien  ganz  der 
Mann  dazu ,  der  geistige  Führer  Deutschlands  unter  den  Fürsten  zu 
werden.  Wenn  der  Kurfürst  das  Commissariat  erlangt  habe,  solle 
er  eine  «Societas  eruditorum  Germaniae«  gründen  und  ihr  als  Di- 
rector  vorstehen.     Aufgabe   dieser  Societät   soll   sein: 

1.  corresponsum  eruditorum  universalem  sustinere, 

2.  congregare  bibliothecam  universalem, 

3.  indices  universales  fieri  curare. 

4.  nuituas  operas  iungere  societatibus  regiis  Gallicae  et  Anglicae  et  academiis 
Itniicis. 

5.  rem  medicam  ad  j^erfectionem  tentare  evehere, 

6.  mathematicis  experimentis  invigilare, 

7.  locos  communes  curare  fieri ,  experimentaijue  colligi, 

8.  inspectionem  habere  manufacturarum  et  commercionmi. 

Die  Gesellschaft  wäre  schicklich  in  Frankfurt  niederzusetzen,  solle 
sich  nicht  in  Religionsangelegenheiten  mischen  und  aus  einer  be- 
stimmten Anzahl  von  hervorragenden  Gelehrten  bestehen.  Ihr  Ge- 
halt und   die  Kosten   des  Unt(M-nehmens   sollen   aus   einer  Steuer  auf 


^  Über  den  Einlluss  der  Berliner  Akademie,  also  indirect  LEiBNizens,  auf 
die  Neu-  bez.  Umbildung  der  italienischen  Akademieen  s.  Denina,  «De  l'influence 
qu'a  eue  l'Academie  de  Berlin  sur  d'autres  gi-ands  eta1)lissements  de  la  meme  nature« 
(Mem.  1792/3  p.  562  ff.). 

-    Siehe  Klopp,  Die  Werke  von  Lkihxiz   i.  Bd.  S.  7  ff.  u.  Einl.  S.  XXII  f. 


28  Vorgeschichte  der  Akademie. 

Papier  Itestrittcn  werden,  wie  eine  solche  schon  in  Holland  und  der 
Pfalz  eingeführt  sei.  Hauptaufgabe  aber  bleibe  das  Bücherwesen: 
»Die  Übel  im  Bücherwesen  sind  zahlreich  und  gross  und  dem  Staate 
äusserst  schädlich.  Sie  bestehen  darin,  dass  gerade  das  Beste 
nicht  gedruckt  wird,  dagegen  vieles  Schädliche \  noch  mehr  Über- 
flüssiges und  durchweg  Planloses«.  Daher  —  um  die  scribacitas 
multorum  zu  hemmen  —  müsse  die  Bestimmung  getroffen  werden, 
dass  Niemand  ein  Buch  veröö'entlichen  dürfe,  in  welchem  er  nicht 
anzugeben  vermöge,  was  er  bisher  Unbekanntes  und  dem  Staate 
Nützliches  durch  sein  Werk  zu  Tage  gefördert  habe.  Dies  solle  der 
Verfasser  selbst  in  der  Einleitung  zusammenstellen,  damit  es  leicht 
excerpirt  werden  könne". 

Der  Kaiser  gewährte  das  Privileg  für  die  Zeitschrift  »Semestralia« 
nicht^,  und  noch  w^eniger  hatte  der  grössere  Plan  einer  »Societas 
eruditorum  Germaniae«  Aussicht  auf  Erfolg  —  der  Kaiser  war  dies- 
mal der  Freisinnigere  und  meinte,  »es  lasse  sich  den  ingeniis,  be- 
vorab  den  freien  Künsten,  niclit  der  Weg  versperren,  auf  welchem 
sie  ihre  Talente  zu  gemeinem  Nutzen  zu  gebrauchen  gedächten«. 
Aber  Leibniz,  weit  entfernt,  sicli  abschrecken  zu  lassen,  steuerte  mit 
seinen  Plänen  nun  erst  recht  in  ein  uferloses  Meer.  Der  »Grundriss 
eines  Bedenkens  von  Aufrichtung  einer  Societät  in  Teutschland  zu 
Aufnehmen  der  Künste  und  W^issenschaften« ,  der  bald  nach  dem 
Jahre  1669  entworfen  sein  muss,  ist  ebenso  bemerkenswert]!  durch 
die  Art  seiner  Begründung,  wie  durch  das  Utopische  seines  Umfangs, 
aber  auch  durch  einige  geniale    und  sichere  Blicke   in   die  Bedürf- 

^  Mei'kwürdig  ist,  dass  Leibniz  unter  den  schädlichen  Büchern  ausdrücklicii 
den  berühmten  '■Monzambano«,  De  statu  imperii  Germanici,  nennt,  den  Pufendorf 
unter  diesem  Pseudonym  im  Jahre  1667  hatte  erscheinen  lassen.  Der  Gegensatz 
der  beiden  Männer  wurzelte  in  ihren  gänzlich  verschiedenen  politisclien  Ansichten 
(s.  Leibniz'  Kritik  des  Monzambano  bei  Klopp,  a.  a.  O.  I  S.161  ff.),  in  Leibniz"  Mei- 
nung, die  Geschichtsschreibung  dürfe  nicht  eine  «proditrix  rerum,  quas  aula  sileri 
maluit"  werden  (s.  den  Brief  vom  24.  October  1709  bei  Guhrauer,  G.W.Freiherr 
VON  Leibnitz,  2.Th.,  Beilage  S.  16)  und  in  einem  persönlichen  Erlebniss  (Leibniz 
glaubte  in  einer  jirivaten  Angelegenheit,  in  der  er  sich  an  Pufendorf  gewandt, 
von  diesem  hintergangen  worden  zu  sei,  s.  Guhrauer,  a.a.O.  S.i5f.).  Die  wissen- 
schaftliche Bedeutung  Pufendorf's  als  politischen  Historikers  der  Zeitgeschichte  ist 
Leibniz  verschlossen  geblieben;  er  steckte  selbst  zu  tief  in  der  Politik  der  Höfe 
und  konnte  daher  nur  als  scriptor  temporis  acti  etwas  lehren  und  die  historische 
Wissenschaft  fördei'u. 

^  Siehe  den  vollständigen  Abdruck  der  beiden  Entwürfe  in  dem  Urkunden- 
band Nr.  2  a  und  2  h. 

^  Siehe  Leibniz"  Eingabe  an  den  Kaiser  Leopold  I.  vom  22.  Octol)er  1668 
(bei  Klopp,  a.a.O.  I.  Bd.  S.  27ff.)  und  die  zweite  \'om  18.  November  1669  (a.a.O. 
S.  Biff.). 


Leibniz"  Societätspläne  vor  1697.  21) 

nisse  der  Gegenwart  und  Zukunft.  Abgeleitet  wird  die  Nothwendig- 
keit,  eine  Societcät  zu  begründen,  aus  der  gottgesetzten  Aufgabe  des 
Menschengesclileclits,  den  Schöpfer  zu  verehren,  und  zwar  erstlich 
in  Anbetung  (»oratores  et  sacerdotes«)\  zweitens  in  der  Erkenntniss 
seiner  Werke  (»philosophi  naturales«),  drittens  in  der  Nachahmung 
seines  Regiments  (»morales  seu  politici«).  In  der  Erfüllung  dieser 
Aufgabe  gelangt  die  Menschheit  zur  Glückseligkeit;  aber  die  Men- 
schen müssen  sich  zusammenthun,  um  sie  durchzuführen.  »Dazu 
wird  die  Aufrichtung  einer  wiewohl  anfangs  kleinen,  doch  wohl 
gegründeten  Societät  oder  Academie  eines  der  leichtesten  und  im- 
portantesten  sein. «  Und  nun  folgt  eine  Schilderung  der  Obliegen- 
heiten einer  solchen  Societät,  die  einfach  Alles  an  erspriesslichen 
Thätigkeiten  in  Wissenschaft,  Kunst,  Handel,  Industrie,  Polizei, 
Medicin,  Archiv-,  Schul-,  Maschinenwesen  u.  s.  w.  umfasst,  was 
nur  irgend  erdacht  Averden  kann.  Zoologische  und  botanische  Gärten 
sind  so  wenig  vergessen  wie  Arbeits-  und  Zuchthäuser.  Das  Ganze 
mündet  in  einen  Vorschlag  der  Religionsvereinigung,  die  Leibniz 
stets  für  eine  noth wendige  Voraussetzung  alles  gemeinschaftlichen 
Wirkens  gehalten  hat".  Dieser  »Grundriss«  scheint  für  den  Kur- 
fürsten von  Mainz  bestimmt  gewesen  zu  sein.  Nicht  viel  später 
hat  Leibniz  ein  zweites  »Bedenken  von  x\ufrichtung  einer  Academie 
oder  Societät  in  Teutschland«*  ausgearbeitet,  welches  jenes  erste 
weit  übertrifft.  Es  enthält  zunächst  einen  geistvollen  Überblick  über 
das,  was  die  Deutschen  bisher  in  den  mechanischen  Wissenschaften 
und  Künsten  geleistet,  und  bittre  Klagen  darüber,  wie  wenig  sie 
es  verstanden  haben ,  ihre  Erfindungen  auszunützen.  Deutschland 
wird  als  das  Land  der  realen  Wissenschaften  gefeiert;  aber  die  Aus- 
länder bemächtigen  sich  des  unsrigen  und  wissen  es  besser  in's  Licht 
zu  setzen  und  zu  gebrauchen.  Unsere  Schulen,  Academieen,  Edu- 
cation,  Zünfte,  Künste  und  Wissenschaften  sind  »verstellet,  ver- 
decket und  verwirret«.  »Nunmehr,  nachdem  das  Licht  angezündet 
und  die  Künste  gemein,  auch  alle  Nationen  excitirt  worden,  sind 
wir  diejenigen,  die  da  schlafen,  oder  die  letzten,  die  da  aufwachen.« 
Er  führt  nun   an,   was  in  England  und  Frankreich  durch  Gründung 


^  "Dabei  mir  einfället,«  —  schreibt  Leibniz  —  »dass  bei  Aufrichtung  der 
französischen  zu  Aufnehmen  und  Zierde  ihrer  Sprache  vom  Cardinal  Richelieu  ein- 
gerichteten Academie  oder  Societät  ein  gottseliger  Mann  unter  andern  in  die  Leges 
einzurücken  begehrt,  dass  ein  jedes  Glied  etwas  jährlich  zum  Lobe  Gottes  zu  com- 
poniren  schuldig  sein  sollte,  ist  aber,  weiss  nicht  warum,  verblieben.« 

^    Siehe  den  vollständigen  Abdruck  dieses  Entwurfs  in  dem  Urkundenband  Nr.  3. 


30  \'()i-.ü,('scliiclitc'  der  Akndeiiiic. 

königlicher  Societiiten  zur  Erforscliiing  der  Natur  geschehen  ist  und 
in  Dänemark,  Schweden  und  Toscana  demnächst  geschehen  wird. 
Die  deutschen  privaten  Societäten  sind  ganz  unzureichend.  Wir 
müssen  uns  nunmehr  die  Englische  Königliclie  Societät  zum  Muster 
nehmen.  »Bei  dieser  Societät  tlmt  der  König,  der  Herzog  von  York, 
Prinz  Robert  und  viel  vornehme  Herren  das  ihrige,  nicht  dass  sie 
an  deren  Leges,  an  persönliche  Comparition  und  dergleichen  one- 
rosa  und  solchen  hohen  Personen  unanständige  Dinge  sich  gebunden, 
sondern  dass  sie  Sumptus  beitragen,  auf  ihre  Kosten  durch  ihre 
Ministros  sowohl  Status  als  Privatos  correspondiren  lassen,  Alles, 
was  sie  neues,  rares,  importantes  erfahren,  der  Societät  communi- 
ciren,  die  Directores  der  Coloniarum,  die  Schiffs -Capitains,  ver- 
ständige Mariniers  .  .  .  befehligen  und  anmahnen,  keine  Gelegen- 
heit zu  versäumen,  dadurch  etwas  neues,  merkwürdiges  untersucht 
und  in  hoc  aerarium  eruditionis  solidae  publicum  gebracht  werden 
könnte.  Ja  sie  lassen  die  Societät  Interrogatoria ,  Instructiones  und 
Directoria  vor  Reisende,  vor  Ministros,  vor  Bergleute,  Medicos, 
Hnndwerksleute,  Künstler  formiren,  um  dadurch  immer  tiefer  in 
diese  unerschöpfliche  Mine  der  Natur  zu  menschlichem  Besten  zu 
kommen.«  Was  könnte  Deutschland  leisten I  Wieviel  Fürsten  be- 
sitzt es,  die  sich  an  die  Spitze  stellen,  wieviel  ausserordentliche 
Talente ,  die  in  einer  Societät  richtig  geleitet  werden  könnten !  Mit 
einer  Schilderung,  Avie  in  Deutschland  die  Talente  verkümmern,  und 
mit  einem  Ausfall  wider  die  unvernünftigen  Mediciner,  die  von 
Naturforschung  nichts  wissen,  bricht  das  von  Leibniz  nicht  zu  Ende 
geführte  Manuscript  ab'. 


'  Siehe  den  vollständigen  Abdruck  dieses  Entwurfs  in  dem  Urkundenband 
Nr. 4.  Merkwürdig  ist,  dass  Leibniz  mit  einem  Blick  auf  China  schliesst:  »Wie 
närrisch  auch  und  paradox  der  Chinesen  Reglement  in  re  medica  scheint,  so  ist's 
doch  weit  besser  als  das  unsrige«.  Seitdem  hat  Leibniz  China  nie  aus  den  Augen 
verloren.  Alles,  was  er  irgend  über  dies  Land  hören  konnte,  sammelte  er  ein, 
setzte  sich  mit  den  Jesuiten -Missionaren  in  dauernde  Beziehung,  ermunterte  zur 
Erlernung  der  chinesischen  Sprache,  war  unablässig  bemüht,  Expeditionen  nach 
China  anzuregen ,  und  hat,  wie  sich  zeigen  wird,  die  Preussische  Akademie  mit  zu 
dem  Zweck  gestiftet  und  eine  Societät  in  Moskau  angeregt,  um  China  zu  er- 
schliessen,  die  Cultur  Chinas  und  Europas  auszutauschen  und  das  ungeheure  Land 
dem  Christenthum  zuzuführen.  —  Das  abgerissene  Blatt  am  Schluss,  welches  mit  ab- 
gedruckt ist.  zeigt,  dass  Leibniz  die  Errichtung  einer  Societät  auch  deshalb 
wünsclitc.  um  ..dem  Morden  der  Ärzte"  ein  Ende  zu  machen.  Er  richtete  die 
schärfsten  Angriffe  auf  die  Heilkunde,  ^v•ie  sie  damals  ausgeübt  wurde.  Zeitlebens 
ist  er  auf  die  Arzte  schlecht  zu  sprechen  gewesen  —  eine  Folge  war,  dass  auch 
sie  weder  ihn  noch  seine  Schöpfung,  die  Bei-liuer  Akademie,  liebten.  Die  Akademie 
hat  das  bald  zu  fühlen  bekommen. 


Leibxiz"   Societät.s[)l;iiie   vor  l(ii)7.  31 

In  die  nächsten  Jahre  fällt  der  für  Leibniz'  Entwicklung  so 
hedeutungsvolle  vierjährige  Aufenthalt  in  Paris.  Er  l)rachte  ihn  in 
Verbindung  mit  den  bedeutendsten  Gelehrten ,  er  gab  ihm  die  An- 
schauung eines  grossen  nationalen  Staates  und  einer  nützlichen  und 
hochangesehenen  Königlichen  Akademie  der  Wissenschaften\  Aber 
um  so  wärmer  schlug  sein  Herz  für  sein  Vaterland.  Noch  in  Paris, 
kurz  bevor  er  sich  nach  Hannover  begab,  hat  er  im  Jahre  1676 
die  »Consultatio  de  naturae  congnitione  ad  vitae  usus  promovenda 
instituendaque  in  eam  rem  Socictate  Germanica,  quae  scientias  ar- 
tesque  maxime  utiles  vitae  nostra  lingua  describat  patriaeque  hono- 
rem vindicet«  und  zwei  kürzere  Entwürfe  verfasst.  Mit  Bewunde- 
rung liest  man  die  Consultatio",  die  LEmxiz  anonym  erscheinen 
lassen  wollte,  wie  so  manche  seiner  politischen  Schriften,  um  den 
Anschein  der  Ruhmsucht  oder  des  Eigennutzes  zu  vermeiden.  Seine 
letzten  Absichten  sind  nicht  andere  geworden:  das  Höchste  hat  er 
im  Auge:  eine  Sammlung  aller  Kräfte,  um  in  die  Natur  einzu- 
dringen und  alles  Entdeckte  leicht  zugänglich  zu  machen.  Aber 
viel  lebendiger  tritt  die  Liebe  zum  deutschen  Vaterland  hervor,  und 
zugleich  wird  ein  Modus  der  Ausführung  vorgeschlagen,  der  die 
Möglichkeit  der  Durchführung  näher  rückt.  Diese  »Consultatio« 
soll  nur  als  Grundlage  für  Verhandlungen  unter  den  Berufenen  dienen. 
Es  handelt  sich  um  die  Stiftung  einer  Genossenschaft  solcher  deutscher 
Forscher,  »qui  relationes  operationum  naturae  non  tam  ex  chartis, 
quam  ex  naturae  volumine  et  mentium  thesauro  excerpunt«.     Bücher 

^  In  Paris  hat  Lkibniz  die  Grundziige  der  Differentialrechnung  erfunden. 
Sehr  beachtenswerth  ist.  wie  er  sich  in  die  Aufgaben  der  französischen  Politik  ver- 
setzt hat.  Theils  um  die  Eroberungspolitik  Frankreichs  von  den  deutschen  Grenzen 
abzuhalten .  theils  weil  er  stets  die  höchsten  Ziele  eines  Staates  mit  genialem  Blick 
erkennt,  weist  er  Frankreich  auf  das  östliche  Becken  des  IMittehneers.  Es  soll 
die  ganze  Nordküste  Africas,  besonders  aber  Aegypten  erobern,  soll  diese  Länder 
der  christlichen  Cultur  wiederbringen .  die  Schätze  Aegyptens  heben  und  den  Suez- 
canal  bauen I  Zu  diesem  Zweck  soll  es  sich  mit  Österreich  verbinden.  Avelches  die 
Türken  im  Osten  zu  fassen  hat.  luiropa  wird  dann  kein  Kriegstheater  mehr  sein, 
sondern  eine  Stätte,  auf  der  die  christlichen  Nationen  in  der  Pflege  der  Künste 
und  Wissenschaften  rivalisiren  werden.  Die  beiden  grossen  Unternehmungen  des 
19.  Jahrhunderts,  der  Bau  des  Suezcanals  und  einer  bequemen  Strasse  nach  China 
(die  sibirische  Bahn),  sind  von  Leibniz  in  ihrer  Bedeutung  erkannt  und  in's  Auge 
gefasst  worden.  —  Mitglied  der  Pariser  Akademie  ist  Leibxiz  zunächst  nicht  ge- 
worden; er  musste  noch  lange  warten  und  hat  sich  viel  Mühe,  um  einen  Sitz  zu 
erlangen,  gegeben.  Leider  ist  der  Brief,  in  welchem  er  sich  um  einen  solchen 
bemüht,  der  in  dem  Faseikel  -Correspondenz  mit  Malebranche«  in  der  Bibliothek 
zu  Hannover  aufbewahrt  wird,  nicht  nälier  zu  datiren;  auch  ist  der  Adressat  bis- 
her nicht  sicher  ermittelt  (s.  Bodemann.  Briefwechsel  von  Leibniz  S.  164  f.). 

^    Siehe  den  vollständigen  Abdruck  derselben  in  dem  Urkundenband  Nr.  5. 


32  Vorgeschichte  der  Akiuleiiiie. 

siiitl  stumm:  ziitreßeiule  Ideen  muss  mau  aus  lebendigen  Aut(3ren 
schöpfen,  d.  li.  aus  solchen,  die  selbst  beobachten  und  experimen- 
tiren,  einerlei  ob  sie  zünftig  sind  oder  nicht.  Ihre  Beobachtungen 
muss  man  zusammenstellen,  zuvor  aber  muss  ein  Nomenciator  zur 
richtigen,  kurzen  und  geordneten  Bezeichnung  der  Dinge  in  deut- 
scher Sprache  aufgestellt  werden.  Sodann  muss  eine  Übersicht 
über  die  Probleme  gegeben  werden;  eine  zweckmässige  Anordnung 
derselben,  die  Voranstellung  der  einfachen  und  gelösten,  die  Zu- 
ordnung der  schwierigeren  ungelösten  wird  bereits  ein  wunder- 
bares Licht  verbreiten!  Bis  in  die  Details  wird  mit  vollkommenster 
Sachkenntniss  diese  Aufgabe  entwickelt  luid  die  mathematische 
Methodik  den  Naturwissenschaften  als  Muster  vorgestellt.  Wenn 
die  deutschen  Gelehrten  sich  dazu  entschliessen ,  dieses  Werk  in 
Angriff  zu  nehmen,  werden  sie  bald  alle  anderen  Nationen  über- 
tlügeln.  Augenscheinlich  hatte  Leibniz  erkannt,  dass  die  Pariser 
Gelehrten  ihr  Instrument,  die  Akademie,  nicht  genügend  zu  be- 
handeln und  auszunutzen  verstanden.  In  erhobener  Rede  und  directer 
Ansprache  wendet  er  sich  an  die  Deutschen.  Und  in  ihrer  Sprache 
sollen  sie  schreiben!  Die  anderen  Nationen  haben  das  Latein  ab- 
geworfen ,  und  dort  haben  in  Folge  dessen  Frauen  und  Jünglinge 
Zugang  zu  allen  Künsten  und  Wissenschaften.  Wir  aber  nöthigen 
unsere  Jugend  zuerst  dazu,  »die  Herculesarbeiten  der  Bezwingung' 
verschiedener  Sprachen,  diu-ch  die  oft  die  Schärfe  des  Geistes  ab- 
gestumpft wird,  zu  leisten,  und  verurtheilen  alle  die,  die  durch 
Ungeduld  oder  Geschick  die  Kenntniss  des  Lateinischen  entbehren, 
zur  Unwissenheit«.  Nicht  zu  befürchten  ist,  dass  deshalb  die  la- 
teinische und  griechische  Litteratur  Schaden  leiden  wird:  denn  in 
Frankreich  und  England  sind  die  Kenner  derselben  zahlreich,  und 
niemals  werden  die  Theologen  das  Hebräische  und  Griechische,  nie- 
mals die  Juristen  das  Lateinische  —  wohl  auch  das  Griechische  — , 
niemals  die  Mediciner  beide  Sprachen  entbehren  können,  und  die 
Historiker  werden  sich  nie  den  Zugang  zu  den  Quellen  versper- 
ren lassen.  Nun  redet  er  die  Mitglieder  der  deutschen  privaten 
Societäten,  der  fruchtbringenden  und  der  naturforschenden  Gesell- 
schaft an:  Verbündet  euch  mit  mir  und  mit  allen,  die  diesen  Plan 
billigen,  und  schafft,  dass  wir  eine  Kaiserliche  Societät  be- 
kommen: Protector  sei  der  Kaiser,  den  sich  die  naturforschende 
Gesellschaft  schon  erwählt  hat;  unter  den  Flügeln  des  kaiserlichen 
Adlers  werden  auch  die  Bemühungen  um  die  deutsche  Sprache 
neue  Kraft   gewinnen!      Bereits   führt  Leibniz    die   Namen    von    48 


Lkihmz"  8ociet;its{)l;ine   vor  lOüT.  3B 

(leutsclien  Gelehrten  auf,  an  die  zu  schreiben  sei,  um  sie  für  die 
Vorbereitiuig  des  grossen  Unternelimens  zu  gewinnen.  Wir  finden 
unter  ihnen  E.  Weigel,  Swammerdamm,  Leeweniioeck,  Tschirnhaus, 
(xERUKE.  Eine  genaue  tabellarische  Übersicht  über  die  Aufgaben, 
die  Methode,   die  Arbeitstheilung   bildet  den   Beschluss'. 

Dieses  Geschenk  brachte  Leibniz  den  Deutschen  aus  Paris, 
Noch  hoffte  er  auf  die  Societät  als  eine  allgemeine  Reichssache  — 
eine  kaiserliche  Akademie  sollte  sie  werden.  Aber  auf  deutschem 
Boden  Avurde  er  sofort  wieder  daran  erinnert,  dass  es  ein  Deutsch- 
land überhaupt  nicht  gab,  während  es  ein  Frankreich  gab.  Der 
Plan  fiel  dahin.  Er  selbst  begab  sich  noch  in  demselben  Jahre 
(1676)  in  hannoversche  Dienste  und  kettete  sein  Leben  an  diesen 
kleinen  Staat.  Aber  die  grosse  fruchtbare  Idee  ging  nicht  unter; 
Leibniz  musste  nur  lernen,  dass  sie  zuerst  in  einem  deutschen  Einzel- 
staate zu  verwirklichen  sei. 

In  Hannover  hat  Leibniz  bei  den  Fürsten,  mit  Ausnahme  des  Her- 
zogs Johann  Friedrich,  der  seit  1669  mit  ihm  in  Verbindung  gestan- 
den und  ihn  in's  Land  gezogen  hatte,  aber  schon  am  Ende  des  Jahres 
1679  starb,  eine  wirkliche  Anerkennung  niemals  gefunden.  Aber 
sie  schätzten  die  positiven  Dienste,  die  sein  Name  und  seine  Arbeits- 
kraft den  weifischen  Interessen  leisten  konnten,  und  sie  wachten  eifer- 
süchtig darüber,  dass  er  nicht  die  Bahnen  weifischer  Politik  verlicss. 
Mit  nicht  unbegründetem  Misstrauen  begleitete  nach  dem  Tode  Ernst 
August's,  des  ersten  hannoverschen  Kurfürsten  (1679  bis  1698,  seit 
1692  Kurfürst),  sein  Nachfolger  Georg  Ludwig  (seit  17 14  König 
Georg  I.  von  England)  die  Schritte  des  »allerorten  betriebsamen  und 
mit  der  Regierungspolitik  nicht  immer  conformen  Gelehrten«.  Nie- 
mals hat  Leibniz  das  Vertrauen  dieses  Fürsten  besessen,  der  seinem 
geistigen  Schaffen  theilnahmlos  gegenüberstand  und  ihn  nur  deshalb 


^  Wahrscheinlich  in  Frankreich  ist  Leibniz  auch  die  Analogie  der  Akade- 
niieen  mit  den  kirchlichen  Orden  und  die  Bedeutung  der  letzteren  für  die  Wissen- 
schaft aufgegangen;  aber  er  erkannte,  dass  sie  in  ihrer  gegenwärtigen  Verfassung 
den  neuen  Aufgaben  nicht  mehr  gewachsen  waren;  die  wahren  Gottesfreunde  müssen 
dort  mit  den  Studien  anfangen,  wo  die  Jesuiten  aufhören.  »Ich  liebe  die  Orden 
und  wünsche  sie  erhalten  zu  sehen.  Allein  es  ist  sehr  zu  besorgen,  dass  sie  dem 
Untergang  verfallen ,  wenn  sie  sich  nicht  einer  nützlichen  wissenschaftlichen  Thätig- 
keit  zuwenden.«  Er  sagt  einmal,  er  würde,  wenn  er  Papst  wäre,  die  wissenschaft- 
lichen Untersuchungen,  welche  zur  Verherrlichung  Gottes  dienen,  ebenso  unter  die 
Orden  vertheilen,  wie  die  Liebeswerke,  welche  zu  Nutz  des  Nächsten  geschehen; 
Benedictiner  und  Cistercienser  sollten  Naturwissenschaften  treiben,  andere  Orden 
die  Sprachforschung,  Dominikaner  und  Jesuiten  sollten  sich  dem  Unterrichtswesen 
widmen .   die  Franciskaner  der  Seelsorge  u.  s.  w. 

Geschichte  der  Akademie.    I.  3 


34  Vorgeschichte  der  Akademie. 

nicht  frei  gab,  damit  er  die  Annales  imperii  occidentis  Brunsvicenses 
vollende.  Aber  an  der  Kurfürstinmutter  Sophie  (geb.  1630,  gest. 
am  8.  Juni  17 14),  der  Tochter  Friedeich's  V,  von  der  Pfalz,  der 
Enkelin  Jacob's  I.  von  England,  besass  Leibniz  eine  Beschützerin 
und  vcrständnissvolle  Freundin.  Solange  sie  lebte,  hatte  er  an 
ihr  in  Hannover  einen  Rückhalt;  niemals  entzog  sie  ihm  ihr  Ver- 
trauen; niemals  hemmte  sie  seine  Schritte,  wenn  sie  auch  manche 
seiner  ausländischen  Unternehmungen  mit  Ironie  begleitete.  Wohl 
aber  zoö:  sie  seine  Kräfte  in  ihre  Dienste.  Der  Gedankenaustausch 
mit  Leibniz,  persönlich  und  brieflich,  war  dieser  stets  regen,  auf- 
geklärten und  skeptischen  hohen  Frau  ein  wirkliches  Bedürfniss. 
Die  letzten  wissenschaftlichen  Probleme  berührten  sie  nicht,  denn 
sie  hielt  sie  für  unlösbar;  aber  «jede  gehaltvolle  Anregung  nahm 
sie  mit  derselben  Schnellkraft  in  sich  auf,  mit  der  sie  jeden  stören- 
den Aftect  überwand;  es  gab  kein  geistiges  Interesse  ihres  Jahr- 
hunderts, das  sie  nicht  in  den  Kreis  ihres  Nachdenkens  zog,  und 
stets  bewahrte  sie  sich  die  unverwüstliche  Heiterkeit  einer  von  stol- 
zer Geschlossenheit  und  weltoffener  Klugheit  im  Gleichgewicht  ge- 
haltenen Seele«  \  Leibniz  hat  sich  dem  Zauber  dieser  Fürstin  nie 
zu  entziehen  vermocht.  Immer  war  er  bereit,  ihre  Interessen  zu 
vertreten;  mit  voller  Aufrichtigkeit  sprach  er  sich  ihr  gegenüber 
aus",  und  den  Tod  keiner  Fürstin  und  keines  Fürsten  hat  er  auf- 
richtiger betrauert  als  den  ihrigen ,  der  ihm ,  neben  dem  persön- 
lichen Verlust,   die  Stütze  seiner  öffentlichen  Stellung  raubte. 

Aber  so  willig  sich  Leibniz  dieser  Fürstin  zu  Diensten  stellte 
und  ihre  grossen  politischen  Pläne  förderte,  seine  eigenen  vergass 
er  darüber  nicht,  weder  dort,  wo  sie  mit  den  Absichten  der  auf 
die  Grösse  und  den  Ruhm  ihres  Hauses  bedachten  Kurfürstin  con- 
vergirten,  noch  dort,  wo  sie  in  eine  ganz  andere  Richtung  gingen. 
Die  merkwürdigste  Fügung  hat  es  gewollt,  dass  eben  die  weifische 
Fürstin  das  Mittelglied  geworden  ist,  welches  Leibniz  mit  dem 
Brandenburgischen  Kurhause  und  dem  Preussischen  Staate  in  Ver- 
bindung gebracht  hat. 

6. 

Alle  Versuche,  in  den  weifischen  Landen  unter  der  Führung  Han- 
novers eine  Societät  der  Wissenschaften  zu  srründen .   schluo-en  fehl. 


^    Köcher  in  der  Allg.  Deutschen  Biographie.     34.  Bd.  S.669. 
^    Die  Correspondenz  LEiBNizens  und  der  Kurfürstin  füUt  in  der  Ausgabe  von 
Klopp  drei  stai'ke  Bände  ("Werke  von  Leibxiz,  7.  — 9. Bd.). 


Lf:iBNiz'  Societäts[)läne  vor  KiDT.  35 

In  den  ersten  Jahren  des  Aufenthalts  in  Hannover  standen  bei  Leibniz 
noch  die  naturwissenschaftlichen  Interessen  im  Vordergrund;  der 
Bergbau  im  Harz  soll  gehoben  und  aus  den  gewonnenen  Mitteln 
eine  Societät  für  Deutschland  in  Hannover  begründet  werden.  Im 
Jahre  1681  denkt  er  an  eine  magnetiscli- mathematische  Societät, 
die  ein  Netz  von  Beobachtungen  über  Deutschland  ziehen  sollte, 
um  das  Geheimniss  der  Declination  der  Magnetnadel  zu  ergründen 
und  auszunutzen.  Aber  immer  mehr  fesselten  ihn  die  historischen 
Studien  und  ihre  politische  Verwerthung,  theils  seines  Fürstenhauses 
wegen,  theils  um  der  so  gefährdeten  Lage  Deutschlands  zu  Hülfe 
zu  kommen.  Die  sämmtlichen  braunschweigischen  Linien  hatten 
ihn  zu  ihrem  Historiographen  ernannt;  er  unternahm  Reisen,  um 
die  Archive  zu  erforschen.  In  Frankfurt  besprach  er  mit  Hiob  Ludolf 
den  Plan  einer  kaiserlich -deutschen  historischen  Societät.  Noch  will 
er  den  Gedanken  nicht  aufgeben,  dass  der  Kaiser,  dass  Österreich 
an  die  vSpitze  treten  müsse.  Die  Societät  soll  durch  planvolles  Zu- 
sammenwirken vieler  Gelehrter,  von  denen  sich  ein  jeder  einen  be- 
stimmten Zeitabschnitt  bez.  einen  Kaiser  erwählt,  Annalen  des  deut- 
schen Reiches  schaffen,  wie  Baronius  Annalen  der  Kirchengeschichte 
geschrieben  hat.  Wiederum  wird  der  Plan  bis  in's  Genaueste  ent- 
worfen :  ein  Oberdirector  soll  das  Ganze  leiten ;  in  jedem  deutschen 
Kreise  soll  ein  Unterdirector  die  Geschäfte  führen.  Alle  historischen 
Arbeiten  sollen  der  Controle  und  Leitung  der  Societät  unterstehen. 
Die  »Monumenta  Germaniae«  sind  hier  in  Sicht;  aber  nur  Leibniz 
selbst  hat  seinen  Beitrag  zu  ihnen  geliefert,  und  mehr  als  einen 
Beitrag!  Seine  »Annales«  sind  ein  grundlegendes  deutsches  Ge- 
schichtswerk ^  —  der  glänzende  Ertrag  der  Arbeit  eines  Menschen- 
lebens würde  man  sagen,  wüsste  man  nicht,  dass  sie  Leibniz  fast 
wie  ein  Parergon  neben  unzähligen  anderen  Unternehmungen  aus- 
gearbeitet hat. 

Auch  dieser  grosse  Plan  einer  historischen  deutschen  Societät 
fiel  dahin",  und  immer  sicherer  musste  sich  Leibniz  davon  über- 
zeugen, dass  weder  in  Hannover  noch  in  Wien  zur  Zeit  ein  Boden 
für  seine  universalen  Bestreitungen  vorhanden  war.  Aber  die  Sache 
selbst  gab  er  nicht  auf.  So  hat  er  wenige  Jahre  vor  Gründung  der 
Berliner  Akademie  an  Placcius  geschrieben^:    »Zu  wünschen  wäre  es, 


^    Erst  Pertz  hat  sie  in  drei  starken  Bänden  (1838  tf.)  herausgegeben. 
'■*    Siehe    über    ihn    und    die    vorher    in    Hannover   geliegten    Pläne  Klopp    im 
Archiv  f.  Österreich.  Gesch.  40.  Bd.    1869  8.159  ff". 

^    Siehe  Guhrauer.  G.  W.  Fi-1i.  v.  LKir.Nnz,    2.T!i.  S.rSi. 


36  ^'or,^•(>scllic•llte  der  Akndemie. 

(lass  es  eine  universale  Gesellscliaft  unter  den  Gelehrten  gcäbe,  welche 
aber  gleichsam  in  verschiedene  Collegien  getheilt  wäre.  Denn  der 
Zusammenhang  der  verschiedenen  Theile  der  Gelehrsamkeit  ist  so 
gross,  dass  sie  nicht  besser  als  durch  wechselseitige  Harmonie  und 
ein  gewisses  Einverstcändniss  gefördert  werden  können.  Doch  da 
wir  für  die  Gegenwart  ohne  höhere  Autorität  dahin  zu  gelangen 
nicht  hofi'en  können,  so  müssen  wir  uns  mit  verschiedenen  Ge- 
sellschaften begnügen,  welche  zuletzt,  vermöge  der  inneren  Be- 
schaffenheit der  Sache  selbst,  sich  mit  einander  verknüpft  sehen 
werden«.  Diese  Hoffnung  —  Leibniz  hat  sie  im  Jahre  1696  aus- 
gesprochen —  ist  nach  200  Jahren  der  Erfüllung  nahe  gekommen. 
So  langsam  und  so  sicher  schreitet  die  Geschichte  vorwärts,  und 
ein  so  w^eitschauender  und  zuverlässiger  Prophet  war  der  deutsche 
Philosoph ! 

Am  28.  September  1684  wurde  die  Ehe  zwischen  der  Tochter 
der  Herzogin  (Kurfürstin)  Sophie,  vSopmE  Charlotte  (geb.  20.  Octo- 
ber  a.  St.  1668),  mit  dem  brandenburgischen  Kurprinzen  Friedrich 
geschlossen.  Unter  Leibnizchs  Augen  und  gewiss  auch  unter  sei- 
nem Einlluss  hatte  sich  die  Prinzessin  entwickelt,  von  der  Friedrich 
der  Grosse  gesagt  hat,  sie  habe  den  Geist  der  Gesellschaft,  die  wahre 
Bildung  und  die  Liebe  zu  den  Künsten  und  Wissenschaften  nach 
Preussen  gebracht.  Hervorragende  Eigenschaften,  die  sie  auszeich- 
neten, hat  sie  von  der  Mutter  geerbt,  die  ihr  in  der  Politik  frei- 
lich stets  überlegen  blieb  —  die  Lebendigkeit  des  Geistes,  die  rasche 
Auffassungskraft,  den  klugen  Sinn,  die  entzückende  Frische  der  Aus- 
sprache, die  königliche  Haltung,  die  ein  Ausdruck  ihres  wahrhaft 
vornehmen  Sinns  und  ihres  geschlossenen  Charakters  war.  Aber 
nicht  nur  durch  das,  was  eine  höchst  sorgfältige  und  glückliche 
Erziehung  ihr  dann  gegeben  —  sie  beherrschte  die  modernen  Spra- 
chen vollkommen  und  las  auch  etwas  Latein  — ,  übertraf  sie  die 
Mutter,  sondern  vor  allem  durcli  die  ernste ,  in  die  Tiefe  dringende 
Richtung  ihres  Geistes.  Eingeführt  in  die  neuen  Probleme  der 
Wissenschaft,  begnügte  sie  sich  nicht  damit,  sie,  wie  das  am  fran- 
zösischen Hofe  üblich  war,  als  geistreiche  Conversationsthemata  zu 
benutzen,  sondern  sie  erfasste  sie  mit  dem  Verstände  und  mit  dem 
Herzen  und  wollte,  wie  Leibniz  bewundernd  von  ihr  gesagt  hat, 
das  »Warum  des  Warums«  ergründen.  Das  bedeutete  um  so  mehr, 
als  sie  für  die  ästhetischen  Seiten  des  Lebens,  für  die  feinen,  rei- 
zenden   Formen    der    Geselligkeit    und    den    leuchtenden    Schimmer 


Die  Kurfürstin  Sophie  Charlotte.  37 

aller  Künste,  von  der  Predigtkunst  bis  zum  Kunsthandwerk,  den 
ausgeprägtesten  Sinn  besass.  Sie  liebte  das  Französische;  sie  sprach 
am  liebsten  französisch  und  legte  es  ihrer  Umgebung  auf;  sie  war 
davon  durchdrungen,  dass  das  vielfach  noch  23lumpe  und  widerlich 
rohe  Leben  an  deutschen  Fürstenhöfen  nur  durch  die  Einbürgerung 
französischen  Geistes  und  französischer  Sitten  verbessert  werden  könne. 
Ihr  Aufenthalt  in  Frankreich  hatte  sie,  die  Frühreife,  mit  unver- 
gesslichen  Erinnerungen  erfüllt  —  aber  hinter  dem  Witz  und  Geist 
ruhte  eine  rastlos  strebende  und  alles  Bedeutende  in  sich  aufnehmende 
Seele,  und  der  heitre  Zeitvertreib,  die  Feste,  die  ihr  Lützenburg 
(Charlottenburg)  so  anziehend  machten  \  verdrängten  nicht  das  ernste 
Streben  nach  Wahrheit  und  den  innerlichen  Antheil  an  den  grossen 
Geisteskämpfen  des  Zeitalters.  Confessionell  indifferent,  religiös  fest 
im  Sinne  des  aufgeklärten  Protestantismus,  suchte  sie  von  allen 
Parteien  zu  lernen.  Ihren  beiden  reformirten  Seelsorgern,  Beausobre 
und  Jacques  Lenfant,  vertraute  sie  in  den  confessionellen  Kämpfen; 
denn  es  gab  für  sie  in  der  Religion  eine  Grenze,  von  der  ab  sie, 
verzichtend ,  sich  auf  Autorität  verliess ;  aber  diese  Grenze  zu  finden, 
war  selbst  eine  Aufgabe.  Überall  kannte  sie  die  Probleme,  »die 
noch  nicht  gelöst  waren«.  Sie  hörte  Leibniz  —  den  Gesprächen 
mit  ihr  verdanken  wir  die  Abfassung  der  Theodicee"'  — ;  sie  hörte 
ToLAND ,  den  verwegenen  Aufklärer  —  wahrhaft  enthusiastisch  hat 
er  den  Scharfsinn  der  Fürstin  gepriesen  — ;  sie  hörte  selbst  den 
Jesuitenpater  Vota  —  damals  suchten  die  Jesuiten  noch  die  Ver- 
T)indung  mit  dem  fortschreitenden  Geiste  des  Zeitalters  aufrecht  zu 
erhalten,  freilich  zugleich  rastlos  thätig  im  Fang  fürstlicher  Prose- 
lyten  —  und  war  unermüdlich  in  Fragen  und  Einwürfen.  Aber 
die  Geselligkeit  und  jeder  wissenschaftliche  Austausch,  der  selbst 
mathematische  Probleme  nicht  vermied ,  war  durch  ihre  Gegenwart 
in  das  Element  der  Freiheit  und  des  Maasses  erhoben.  Ihre  zwang- 
lose Hoheit  scliloss  alles  Pedantische  aus  und  bändigte  alles  Ge- 
meine. »Die  Gelehrten,  die  sie  in  ihre  Nähe  zog,  haben  der  Ver- 
bindung von  Schönheit  und  Geist,  Adel  und  Höflichkeit,  die  in 
ihr  war,  nie  vergessen.  So  erschien  sie  auch  in  der  Gesellschaft, 
die   den  Hof  bildete.     Sie   kannte  ihre  Leute  durch  und  durch   und 


^  "Wie  in  einem  irdischen  Paradies«  lebt  man  in  Lützenburg,  schrieb  ihi-e 
Mutter,  die  Kurfürstin  Sophie,  »sans  facjon«.  »Die  dames  und  cavaliers  spülen 
comedi,  und  die  musicanten  machen  operas;  die  beste  pfarrer  von  der  weldt  pre- 
digen." "AUhir  sauffen  und  schweren  die  dames  nicht,  aber  spillen  wol  a.  l'ombr 
und  verquereu"    (citirt    nach  Kratske,    Allg.  Deutsche  Biographie.    34.  I>d.  S.680 

^    Siehe  Guhrauer,  G.  W.  v.  Leibnitz,  2.Th.  S.  244  ff. 


^Sp't 


38  Vorgeschichte  der  Akademie. 

schonte  ihrer  Eigenschaften  im  vertrauten  Gespräche  mit  nichten 
Anmaassung,  namentlich  ungeschickte,  wies  sie  mit  Kälte  von  sich, 
verlegene  Bescheidenheit  zog  sie  eher  hervor.  Sie  war  stolz  und 
vollAnmnth\«  Wie  sie  am  Hofe  und  in  den  höheren  Kreisen  die 
feinere  Bildung  und  den  Sinn  für  Wissenschaft  und  Kunst  einge- 
bürgert hat  —  der  Hof  theilt  seine  Zeit  zwischen  Studien  und  Er- 
götzungen, schreibt  Toland  —  und  deshalb  der  dauernden  Ver- 
ehrung würdig  ist,  so  verehrt  sie  vor  allem  die  Preussische  Aka- 
demie der  Wissenschaften  als  ihre  Stifterin  und  Patronin,  ohne  die 
sie  nicht  in's  Leben  getreten  wäre". 

Diese  Fürstin  zog  im  Jahre  1684  in  Berlin  ein.  Die  Ehe,  von 
Friedrich's  Seite  aus  Neigung  geschlossen,  war  doch  auch  ein  Werk 
der  w^elfischen  Politik.  Hannover  trachtete  damals  nach  dem  Kur- 
hut und  musste  das  Wohlwollen  des  mächtigeren  Nachbarstaats  wün- 
schen. Die  weifische  Politik  Brandenburg  gegenüber,  die  nun  be- 
gann, lenkte  auch  Leibniz',  des  Staatsmanns,  Aufmerksamkeit  auf 
dieses  Land.  Bisher  war  er  nicht  nur  achtlos,  sondern  misstrauisch 
an  Brandenburg  mit  seinen  Plänen  vorübergegangen.  An  den  Kaiser, 
den  Kurfürsten  von  Mainz,  das  Haus  Hannover  hatte  er  gedacht: 
Brandenburg -Preussen  schien  ihm  nur  ein  halbdeutscher  Staat,  seine 
Politik  nicht  vertrauenerweckend,  der  Bildungsstand  des  Landes  ge- 
ring. Dieses  Urtheil  scheint  sich  in  den  ersten  zehn  Jahren  nach 
der  Übersiedelung  der  Prinzessin  nur  langsam  geändert  zu   haben. 


^  Ranke,  Zwölf  Bücher  Preiissischer  Geschichte  (Sämmtliche  Werke,  26.  Bd. 
1874  S.459f.). 

-  Friedrich  II.  hat  in  dem  ^Memoire  über  Friedrich  I.,  das  er  in  der  Aka- 
demie hat  vortragen  lassen,  seine  Grossmutter  also  charakterisirt  (Mem.  de  l'Acad. 
1748  S.382):  »C"etait  une  Princesse  cVun  merite  distingue,  qui  joignait  tous  les 
appas  de  son  sexe  aux  grsices  de  Fesprit  et  aux  lumieres  de  la  raison.  Elle  avait 
voyage  dans  sa  jennesse  en  Italie  et  en  France,  soiis  la  conduite  de  ses  parents.  On 
la  destinait  pour  le  trone  de  France;  Louis  XIV  fut  touche  de  sabeaute,  mais  des 
raisons  de  politique  firent  ecliouer  ce  mariage.  Cette  Princesse  amena  en  Prusse 
Tesprit  de  la  societe,  la  vraie  politesse,  et  l'amour  des  arts  et  des  sciences.  Elle 
fonda  TAcademie  Roj^ile.  Elle  appela  Leibnitz  et  beaucoup  d'autres  savafits  ä  sa 
cour:  sa  curiosite  voulait  saisir  les  premiers  principes  des  choses.  Leibnitz  qu'elle 
pressait  un  jorn*  sur  ce  sujet,  lui  dit:  i> Madame,  il  n"y  a  pas  moyen  de  vous  con- 
tenter; vous  voulez  savoir  le  jjourquoi  du  poui-qiioi".  Charlottenburg  etait  le  rendez- 
vous  des  gens  de  goüt;  toutes  sortes  de  divertissements  et  de  fetes  variees  a  l'infini 
rendaient  ce  sejour  delicieux  et  cette  cour  brillante.  Sophie  Charlotte  avait  Täine 
forte ,  sa  religion  etait  epuree ,  son  humeur  douce ,  son  espi-it  orne  de  la  lecture  de 
tous  les  bons  livres  frangais  et  Italiens. «  —  Am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  hat  Erman 
in  der  Akademie  eine  Reihe  von  Abhandlungen  über  diese  Fürstin  gelesen  (die  erste 
am  30.  September  1790),  die  dann  (1801)  als  »]Mem.  pour  servir  ä  lliist.  de  Sophie 
Charlotte "    erschienen  sind. 


Leibmz   und  Brandenlmrii-.  39 

Die  spärlichen  Quellen,  die  wir  in  Bezug  auf  das  Verliältniss  Leib- 
Nizens  zu  Brandenburg  aus  den  Jahren  1684— 1694  besitzen,  ge- 
statten leider  keinen  sicheren  Schluss.  Sicher  aber  ist,  dass  er  um  das 
Jahr  1694  zu  einer  ganz  anderen  Einsicht  in  Bezug  auf  das  Land 
gelangt  war.  Es  ist  richtig,  dass  die  Kurfürstin  Sophie  Charlotte 
einen  Gelehrten  wie  Leibniz  mindestens  zeitweilig  in  ihrer  Nähe 
haben  wollte;  es  ist  ferner  gewiss,  dass  die  Kurfürstin  -  Mutter  zur 
Verfolgung  ihrer  Pläne  einen  klugen  und  politisch  unverdächtigen 
Vertrauensmann  in  Berlin  zu  sehen  wünschte;  es  ist  endlich  nicht 
zu  bezweifeln,  dass  sowohl  die  Bewerbung  um  das  Amt  eines  bran- 
denburgischen Historiographen ,  als  auch  die  Unionspläne  und  der 
Gedanke  der  Societätsstiftung  in  Berlin  auch  im  Dienste  der  weifischen 
Politik  gestanden  haben  —  allein  weder  hat  es  sich,  soweit  Leibniz 
betheiligt  war,  um  Pläne  gehandelt,  die  für  Brandenburg  verhäng- 
nissvoll oder  gar  verderblich  waren,  noch  ist  Leibniz  je  der  diplo- 
matische Vertrauensmann  des  hannoverschen  Kurfürsten  gewesen, 
noch  hat  er  seine  grossen  LTnternelimungen  nur  als  Mittel  zum  Zweck 
betrachtet.  Sie  lebten  mit  selbständiger  Kraft  in  seiner  Seele;  er 
ordnete  sie  in  seinem  Geiste  allen  politischen  Affairen  über  und  be- 
trieb sie  ehrlich  und  mit  Nachdruck.  Dazu  hatte  sich  sein  Urtheil 
über  den  Beruf  Preussens  wirklich  geändert.  Nicht  nur  hatte  das 
Lebenswerk  des  Grossen  Kurfürsten,  den  auch  die  Herzogin  Sophie 
«un  heros  de  notre  religion«  nennt',  den  tiefsten  Eindruck  auf  ihn 
gemacht,  sondern  er  erkannte  auch  mit  steigender  Klarheit,  dass 
nur  ein  festes  Zusammenhalten  der  protestantischen  Fürsten  unter 
Preussens  Führung  den  in  seiner  Existenz  von  Frankreich  her  be- 
drohten Protestantismus  und  die  deutsche  Libertät  retten  könne. 
Er  sah  in  Deutschland  keinen  anderen  grösseren  Staat,  der  so  Avie 
Brandenburg -Preussen  auf  die  Hebung  der  geistigen  und  materiellen 
Cultur  seiner  Unterthanen  bedacht  war  und  der  jene  religiöse  To- 
leranz so  zielbewusst  übte ,  die  ihm  als  die  Voraussetzung  alles  Fort- 
schritts erschien.  Vollends  seit  dem  Übertritt  des  Kurfürsten  von 
Sachsen  sah  er  im  brandenburgischen  Kurfürsten  »das  Haupt  der 
Protestanten  im  Reiche«',  Darum  hat  er  Verbindungen  mit  dem 
Lande  gesucht^,  und  die  ausgedehnteste  Forschung  hat  bisher  nichts 

^  Im  Briefe  LEiBxizens  vom  22.  ]Mai  1688  (Klopp.  Werke  von  Leibniz. 
7.  Bd.  8.14). 

-  Siehe  den  Brief  an  Cixeau  vom  4.  Juli  1697.  (Abgedruckt  in  der  -Ber- 
linischen Bililiothek« ,   i.  Bd.   1747  S.  133.) 

^  Ausserdem  war  ihm  Preussen  durch  seine  guten  Beziehungen  zu  Peter  I. 
die  Pforte  für  Russland,  Russland  die  Pforte  für  China. 


40  Vorgescliiclite  der  Akademie. 

gefunden,  was  ihm  bei  seinem  Wirken  in  und  für  diesen  Staat  zur 
Unehre  gereichte.  Aber  mehrere  Fäden  nahm  er,  wie  so  häufig, 
auch  diesmal  in  die  Hand,  wissenschaftliche,  politische  und  kirch- 
liche, schlang  sie  in  einander  und  suchte  sie  zu  verspinnen.  Das 
ist  ihm  nicht  geglückt.  Jahre  hindurch  hielt  er  sie  fest  zusammen ; 
aber  die  Interessen  der  beiden  Rivalen,  die  er  zum  Heile  Deutsch- 
lands, des  Protestantismus  und  der  Wissenschaft  zu  verbinden  streikte, 
gingen  zu  weit  aus  einander;  schliesslich  misstraute  man  ihm  in 
Hannover  und  in  Berlin;  hier  schüttelte  man  ihn  ab,  dort  schol) 
man   ihn  bei  Seite,   und  sein  Leben   endete  in  tiefer  Vereinsamung. 

7. 

Der  Briefwechsel  mit  Sophie  Charlotte  stellt  die  ersten  Be- 
ziehungen von  Leibniz  zu  Berlin  dar.  Aus  der  Zeit  bis  zum  9.  Mai 
1697  besitzen  wir  freilich  nur  zwei  Briefe  von  Leibniz  an  die  Kur- 
fürstin und  einen  der  Kurfürstin  an  ihn\  Wir  wissen  auch  be- 
stimmt, dass  bis  zum  Jahre  1692  die  Correspondenz  nicht  lebhafter 
war",  und  wenn  wir  darauf  achten,  dass  sie  überhaupt  erst  kurz 
vor  Danckelmanns  Sturz  w^ieder  nachweisbar  ist  und  auch  dann  zu- 
nächst unter  Vorsichtsmaassregeln  geführt  wird  (s.  unten),  so  können 
wir  uns  der  Annahme  kaum  verschliessen ,  dass  politische  Umstände 
einen  Briefwechsel  bis   1697   unrathsam  gemacht  haben''. 

^  Abgedruckt  bei  Klopp,  7.  Bd.  S.  48,  S.  165 ff.,  10.  Bd.  S.  6f.  Der  erste  ist 
eiu  Gratulationsschreiben  zur  Geburt  des  Kurprinzen  (1688),  in  dem  zweiten 
(16.  Januar  1692)  erinnert  sich  —  nach  drei  Jahren!  —  die  Kurfürstin  noch  jener 
Wünsclie;  in  dem  dritten  (10.  Februar  1692)  spricht  Leibniz  mit  Freimath  und  Witz 
über  die  Pietisten,  besonders  über  den  Superintendenten  Petersen  in  Lüneburg, 
bezeugt  aber  seinen  tiefen  Respect  vor  Spener.  Er  sprach  gewiss  der  Fürstin  aus 
der  Seele,  wenn  er  schrieb:  »11  semble  (^ue  nous  sommes  ä  present  dans  un  temps 
Oll  Texterieur  de  la  devotion  est  ä  la  mode,  et  la  cour  de  France,  la  source  des 
modes,  y  donne  bon  exemple.  Car  tout  s'y  mele  d'ecrire  devotement,  jusqu'au 
celebre  Satirique  Boileai-^.  Wie  sicher  musste  er  des  Wohlwollens  der  jugend- 
lichen Fürstin  sein,  wenn  er  seinen  Bi'ief  mit  der  Wendung  schliessen  durfte:  »Je 
crois  meine  que  la  solide  vertu  qui  brille  dans  une  grande  princesse,  environnee 
des  attraits  du  monde,  vaiit  mieux  que  la  vertu  farouche  et  retiree  d'une  Antoi- 
nette  de  Bourignon,  qui  en  fait  des  livres,  sans  peut-etre  la  pratiquer  comme  il 
faut.  11  est  aise  de  faire  la  prüde,  quand  on  est  sur  Tage,  et  quatre-vingt  et  dix 
ans  sont  d'un  grand  secours  contre  les  plaisirs  du  monde.  Je  prie  Dien  de  con- 
server  V.  A.  E.  jusqu'a  cet  äge  qui  fait  naturelleinent  les  saintes«.  Auch  der  Brief 
vom  9. Mai  1697  ist  noch  unpolitisch;  er  handelt  von  Boetiüs  (Klopp,  8.  Bd.  S.28ff.). 

■^  Nur  ein  Brief  von  Leibniz  ist  verloren  gegangen,  s.  den  Brief  vom  16.  Ja- 
nuar 1692. 

^  Audi  Klopp  nimmt  an  (a.a.O.  Bd.  lo  S.  XXIll  f.),  dass  zwischen  Februar 
1692  und  Mai  1697  keine  Briefe  ausgetauscht  worden  sind.    Bratuscheck  (Erziehung 


Leibxiz'  Bezieliungea  zur  Ivurfiirstin   und  zu   IJcrlin.  41 

Allein  schon  bevor  die  regelmässige  Correspondenz  mit  der 
Kurfürstin  ihren  Anfang  genommen  (1697),  hat  Leibniz  mit  Berliner 
Staatsmännern  und  Gelehrten  Anknüpfung  gesucht  und  gefunden, 
nämlich  mit  Ezechiel  von  Spanheim,  Cuneau\  Is.  Beausobre,  Chauvin 
und  Dan.  Ludolf  von  Danckelmann,  aber  auch  dem  regierenden  Staats- 
minister von  Danckelmann  hat  er  sich  zu  nähern  gewusst^  In  Span- 
heim's  Hause  fanden  in  dem  letzten  Jahrzehnt  des  Jahrhunderts  regel- 
mässige wissenschaftliche  Zusammenkünfte  statt,  an  denen  auch  der 
Hofprediger  Jablonski  Theil  nahm.  Die  Annahme  wird  nicht  irrig 
sein,  dass  in  ihnen  eine  Vorstufe  der  späteren  Akademie  zu  erkennen 
ist^.     Die  Correspondenz  mit  Spanheim,  dem  gelehrten  und  staunens- 


Friedrich's  des  Grossen  1885  S.  3.106)  widerspricht  ihm  unter  Berufung  auf  die 
Thatsache,  dass  Friedrich  I.  ]>ald  nach  dem  Tode  seiner  Gemahlin  den  grössten 
Theil  ihrer  Bi'iefe  hahe  verbrennen  lassen  (s.  Klopp  Bd.  10  S.  i5f. ;  Leibniz"  Brief  an 
Fabricius  in  Hamhurg  vom  Jahre  1707:  »Literas  reginae  Christinae  a  Golomesio  col- 
lectas  ne(^ue  videre  ne(iue  audire  memini.  Oportet  ab  Js.  Vossio  cum  eo  communi- 
catas  fuisse,  qui  cum  regina  fuit.  Utinam  plerasque  a  regina  Borussorum,  et  ad  eam 
scriptas  non  combussissent  mah"  circumspecti  homines!  Haberemus  cjuae  facile  opponi 
reginae  Suecorum  possent.  Non  paucae  tamen  passiin  servatae  sunt,  et  inter  eas 
nonnullae  ad  me  ipsum  mihi  superant,  unde  vim  ingenii  in  principe  femina  ani- 
mumque  mire  ad  doctrinas  erectum  intelligas«).  Allein  es  müssten  sich  doch  in  Leibniz' 
Nachlass  Briefe  aus  dieser  Zeit,  ebenso  wie  aus  der  folgenden,  gefunden  haben,  wenn 
solche  vorhanden  gewesen  wären.  Indirecte  Beziehungen  hat  er  gewiss  auch  damals 
mit  der  Ivurfiirstin  gehabt  —  sie  folgen  schon  aus  der  Correspondenz  der  ^Mutter  mit 
der  Tochter  — .  bei  dem  Aufenthalt  der  Kurfürstin  in  Hannover  1695  hat  er  ])ersönlich 
mit  ihr  verkehrt,  und  Bratuscheck  hat  es  auch  wahrscheinlich  gemacht,  dass  Sophie 
Charlotte's  Instruction  für  die  Erziehung  Friedrich  Wilhelm's  vom  Jahre  1695 
(abgedruckt  bei  Förster,  Friedrich  Wilhelm  L  1834  i.Bd.  8.77^".)  in  Zusammen- 
hang steht  mit  den  Ideen  in  Leibniz'  Projet  de  l'education  d'un  prince  (zuei'st 
erschienen  in  Böhjier's  Magazin  für  das  Kirchenrecht,  die  Kirchen-  und  Gelehrten- 
gesch.,  I.Bd.  1787  S.  177  ff.  und  zuerst  gewürdigt  von  Guhrauer,  G.W.Freiherr 
v.  Leibnitz,  2.Th.  S.205ff. ,  vergl.  dazu  den  Brief  an  Cuneau  vom  28,  August  1696 
in  der  »Berlinischen  Bibliothek«  8.8461".);  aber  mehr  lässt  sich  nicht  sagen,  vergl. 
Koser,  Friedrich  der  Grosse  als  Kronprinz  18868.222.  Entscheidend  aber  dafür, 
dass  ein  wirklicher  brieflicher  Verkehr  früher  nicht  stattgefunden  hat,  sind  die  Worte 
in  dem  Schreiben  vom  29.  December  1697  (Klopp,  Werke,  10.  Bd.  8. 43):  »Je  suis 
demeure  dans  le  silence  la  pluj^art  des  autres  annees,  de  peur  d"etre  importun, 
lors(jue  je  n'avais  rien  de  particulier  a  dire«. 

^  Er  schreibt  sich  sell)er  so,  aber  auch  "CouneaU"  und  "ChunO".  Auch  die 
Form    »CunO"    findet  man. 

^  Die  Correspondenz  mit  Phil.  ,Iak.  8pener.  wie  sie  in  Hannover  aufbe- 
wahrt wird,  hat  zwischen  1692  — 1700  eine  Lücke:  vielleicht  ruhte  der  Briel"- 
wechsel  in  diesen  Jahren  wirklich.  Der  Briefwechsel  mit  Vignoles  (Hannov.  Bibl.) 
gehört  nicht  direct  hierher;  er  fällt  zwar  in  diese  Zeit,  aber  Vignoles  befand  sicli 
damals  nicht  in  Berlin,  sondern  in  Brandenburg. 

■^  An  diese  Zusammenkünfte  in  8panheim*s  Hause  wird  von  Leibniz  in  einem 
Briefe  an  J.  Th.  Jablonski  vom  24.  März  1701   (publicirt  in  den  Abhandl.  d.  Königl. 


42  Vorsi-escliiclite  der  Akademie. 

wertli  vielseitigen  pfölzischen ,  dann  preussisclicn  Diplomaten,  von 
1689  —  97  Curator  der  französisclien  ('olonieen  in  Brandenburg,  Le- 
gann, soviel  wir  feststellen  können,  im  Jahre  1692  und  bezog  sich 
zunächst  auf  wissenschaftliche  und  diplomatische  Fragen  \  Aber  in 
dem  Brief  vom  20.  Noveml)er  1694  giebt  Leibniz  den  Wunsch  zu 
erkennen,  jiun  nach  Pufendorf's  Tode  brandenburgischer  Ilistorio- 
graph  zu  werden.  Spanheim  erwidert  (27.  November  1694),  er  habe 
Danckelmann  günstig  für  die  Sache  gestimmt.  In  seiner  Antwort 
vom  6.  December  1694,  die  so  eingerichtet  ist,  dass  sie  Danckel- 
mann vorgelegt  werden  konnte,  spricht  LEmNiz  die  Hoffnung  aus, 
dass  er  auf  hannoverscher  Seite  keine  erheblichen  Schwierigkeiten 
zu  überwinden  haben  werde;  erwünscht,  dass  offen  gehandelt  werde, 
doch  sei  die  Sache  zur  Zeit  noch  sehr  zu  menagiren.  Am  26.  De- 
cember 1694  bittet  er  um  Nachrichten  über  den  Stand  der  Ange- 
legenheit, da  das  brandenburgische  Fürstenpaar  demnächst  nach 
Hannover  kommen  werde  und  er  seine  Maassregeln  darnach  ergreifen 
müsse.  Die  Verhandlungen  führten  aber  damals  nicht  zum  Ziele  und 
wm-den  erst  anderthalb  Jahre  nach  Danckelmann's  Stiu'z  wieder  auf- 
genommen'. Im  Zusammenhang  mit  seinen  Bemühungen  um  die 
Stelle  eines  Historiographen  in  Berlin  entwirft  er  auch  bereits  Pläne 
zur  Einrichtung  einer   «Societas  Electoralis  Brandenburgica  exemplo 


Preuss.  Akad.  d.  Wiss.  1897  "Briefwechsel  J.Th.  Jabloxski's  mit  Leirniz"  Nr.  10)  er- 
innert: "M.  Ancillon  le  JiGE  sagt  mir,  dass  in  den  Zusammenkünften  bei  dem 
Herrn  von  Spanheim  man  Materien  distribuiret  und  hernach  tractiret;  dergleichen 
etwas  könnte  auf  gewisse  Maasse  resuscitiret  werden«. 

^  In  der  Bibliothek  zu  Hannover  befinden  sich  29  Briefe  von  Spanheiji  an 
Leibniz  und  35  von  diesem  an  jenen  aus  den  Jahren  1692  — 1700  (Bodemann,  Brief- 
wechsel S.  286  ff.). 

^  Die  wissenschaftliche  Correspondenz  mit  Spanheim  ging  auch  in  den  Jahren 
nach  1694  weiter.  Dass  Leibniz  stets  mit  einer  gewissen  Scheu  zu  Danckelmann 
aufgesehen  hat,  solange  dieser  in  Preussen  am  Ruder  war,  lässt  sich  nicht  ver- 
kennen. Andererseits  ist  es  wichtig  zu  constatiren,  dass  Danckelmann  im  Jahre 
1694  den  ernsten  Willen  gehabt  hat,  Leibniz  als  Historiograph  nach  Berlin  zu 
ziehen ,  und  dass  die  Sache  lediglich  an  der  Gehaltsfrage  gesclieitert  ist.  Es  geht 
das  aus  einem  Schreiben  Steinberg's  aus  Pai'is  hervor,  das  in  Spanheim's  Namen 
im  Mai  1699  an  Jablonski  für  Leibniz  gerichtet  ist.  Damals  hatte  Leibniz  den 
Plan,  Historiograph  zu  werden,  wieder  aufgenommen.  Steinberc;  schreibt  (IvAPPens 
Sammlung  einiger  vertrauten  Briefe  zwischen  G.  W.  von  Leibniz,  u.  s.  w.  1745 
S.  44):  i'Spanhemius  tibi  salutem  dicit  plurimam  etc.  Aperuit  mihi  vir  ill.,  verum 
esse,  quod  ipsemet  ill.  domini  Leibnitzii  apud  supremum  praesidem  de  Danckel- 
mann habuerit  mentionem  in  locum  defuncti  domini  Puffendorffii  substituendi,  eundem 
quoque  huic  ])ropositioni  manum  dedisse,  hac  una  exceptione,  quod  ill.  Leibnitzius 
pro  praesentis  temporis  statu  non  lütra  1600  Imperial,  salarii  nomine  posset  frui, 
cum  Puflfendorffius  p.  m.  habuerit  2000.  An  vero  Serenissimus  Elector  aliquid  hac 
de  re  resciverit,  se  ignorare«. 


Leiuxiz"  Beziehungen  zu  Bei'lin  im  Jahre  1694.  43 

Regiariim  Londinensis  et  Parisiensis « .  Nicht  weniger  als  fünf  un- 
datirte  Actenstücke  sind  vorhanden ,  die  höchst  wahrscheinlich  dem 
Jahre  1694  zuzuweisen  und  als  Vorlagen  zu  betrachten  sind,  die 
durch  Spanheim  an  Danckeoiann ,  bez.  an  den  Kurfürsten,  gelangen 
sollten.  Dieser  wird  als  Salomo  gefeiert,  der  den  Bau  des  Hauses 
Gottes ,  den  David  (=  der  Grosse  Kurfürst)  nur  entworfen  hat,  voll- 
enden wird.  Der  furchtbare  Krieg,  der  noch  dauere,  solle  ein  An- 
sporn für  Preussen  und  Deutschland  sein,  auf  dem  Gebiete  der 
praktischen  Künste  Kraft  zu  gewinnen;  denn  die  civilisirteste  und 
gewerbüeissigste  Nation  wird  zuletzt  den  Sieg  gewinnen.  Der  Ge- 
danke der  Societät  steht  hier  ganz  unter  dem  Zweck,  das  pro- 
testantische Deutschland  unter  der  Führung  Preussens  durch  die 
joraktischen  Wissenschaften,  Industrie  und  Agricultur  zu  heben,  nach 
dem  Vorbild  Hollands.  Der  Kurfürst  von  Brandenburg  hat  den  hohen 
Beruf  dazu:  denn  er  allein  hat  zur  Zeit  freie  Hand;  alle  übrigen 
Fürsten  sind  durch  Kriege  in  Anspruch  genommen.  Und  er  hat 
um  so  mehr  den  Beruf  dazu,  als  er  den  besten  Minister  erwählt 
hat  (»qu'il  a  choisi  un  Ministre  qui  a  tout  ensemble  le  credit  en- 
tier,  le  zele  et  les  lumieres;  ce  qui  ne  se  voit  presque  point  ail- 
leurs  aujourdhui«).  Aber  auch  diese  Vorlagen  LEiBxizens  sammt 
dem  Anerbieten,  zur  Einrichtung  einer  Societät  »selbst  etwas  bei- 
zutragen«,  liess  Danckelmann  unberücksichtigt \      Die  Fürsorge   des 


^  Die  fünf  Actenstücke  sind  im  Urkundenband  Nr.  6  —  10  abgedruckt  (nach 
Klopp.  Werke  10. Bd.  8.19  ff.),  jedoch  das  erste  nicht  vollständig.  Sie  sind  nicht 
datirt,  und  Klopp  hat  sie  unmittelbar  vor  das  Jahr  1697  bez.  in  dieses  Jahr  ge- 
stellt. Eine  genaue  Prüfung  ergiebt  aber,  dass  sie  —  abgesehen  von  dem  ersten, 
das  überhaupt  niclit  näher  zu  datiren  ist  und  gleichsam  eine  Einleitung  zu  den 
wieder  aufgenommenen  Societätsplänen  bildet  —  aus  dem  Jahre  1694  stammen, 
d.h.  aus  der  Zeit,  in  der  Leibniz  mit  Spaxheim  über  die  Stelle  eines  branden- 
burgischen Historiographen  verhandelte.  Vom  Gesichtspunkte  des  Historiographen 
einerseits  und  der  Hebung  der  Industrie  andererseits  ist  hier  der  Societätsplan  be- 
handelt; von  der  Kiu'fürstin  ist  überhaupt  noch  nicht  die  Rede,  ebensowenig  vom 
Observatorium.  In  der  Correspondenz  aber,  die  im  Herbst  1697  begann  und  wirk- 
licli  zum  Ziele  führte ,  steht  das  Observatorium  im  ^'ordergrund  und  die  Kurfiirstin 
ist  die  Seele  des  Planes.  Somit  unterscheidet  sich  das  erste  Unternehmen  LEiBxizens 
in  Bezug  auf  Brandenburg  scharf  von  deni  zweiten.  Das  erste  fällt  in  das  Jahr 
1694  und  endigte  resultatlos;  denn  Daxckelmais'n  war  nicht  zu  gewinnen.  Fast 
drei  Jahre  vergehen  nun,  in  denen  Leibniz  nichts  unternommen  hat;  dann  wii'd 
der  in  Berlin  und  von  der  Kurfürstin  selbst  gefasste  Plan,  ein  Observatorium  zu 
gründen .  der  entscheidende.  An  ihn  hat  Leibxiz  seine  Ideen  —  luid  diesmal  mit 
Glück  —  angeknüpft:  er  hatte  inzwischen  auch  den  Berliner  Hof  scharf  beobachtet 
und  im  Jahre  1696  oder  1697  jenes  merkwürdige  Promemoria  abgefasst  (»Sur  la 
COTU'  de  Berlin .>),  dessen  Zwecke  ziemlich  durchsichtig  sind  (es  scheint,  es  sollte 
die  brandenburgische  Kurfürstin  von  Hannover   aus  aufrütteln  und  zum  Eingreifen 


44  Vorgescliiclitc   der   Akiideiiiie. 

weifischen  Gelehrten  für  Brandenburg  mochte  dem  vorsichtigen 
Staatsmann  bedenklich  erscheinen.  An  Beausobre,  den  Prediger 
an  der  französischen  Colonie  in  Berlin,  schrieb  Leibniz  lobend  über 
dessen  Plan,  eine  Geschichte  der  Reformation  zu  verfassen,  und 
schickte  ihm  ein  Empfehlungsschreiben  an  den  Herzog  von  Braun- 
schvveig- Wolfenbüttel  \  Mit  Chauvin,  dem  Professor  der  Philosophie 
am  College  frauQais  zu  Berlin,  correspondirte  er  in  den  Jahren  1696 
und  1697  über  dessen  Zeitschrift  »Nouveau  Journal  des  Savants 
dresse  ä  Berlin«  und  sandte  Beiträge  für  dasselbe".  Mit  dem  Geh. 
Staats-  und  Kriegsrath  Dan.  Ludolf  von  Danckelmann  correspondirte 
er  im  Jahre  1693  über  Schulbücher^.  Aber  diese  immerhin  spär- 
lichen Correspondenzen  treten  zurück  gegenüber  dem  gehaltvollen 
und  für  Leibniz"  Pläne  sehr  wichtigen  Briefwechsel,  der  im  Jahre 
1695  mit  dem  Staatssecretär  und  Hofrath  Cuneau  begann*.  Leibniz 
hatte  diesen  tüchtigen  und  wohlkundigen  Mann  im  Winter  1694,95 
kennen  gelernt,  als  derselbe  im  Gefolge  des  brandenburgischen  kur- 
fürstlichen Paares  in  Hannover  weilte.     Gleich  nach  der  Rückkehr 

in  die  Politik  auffordern)  —  obgleich  der  Adressat  zweifelhaft  ist  — ,  und  in  wel- 
cliem  ein  ÜhelwoUen  gegen  Danckelmaxx  deutlich  hervortritt  (abgedruckt  bei  Klopp, 
Werke,  Bd.  10  S.36  ff.).  Von  der  Kurfürstin  heisst  es:  »L'electrice  ne  se  mele 
de  rien«  —  das  sollte  bald  anders  werden  —  »et  passe  sa  vie  en  entendant  la  nni- 
sique.  On  n'a  pas  le  inoindre  egard  a  ses  recomniandations ,  et  il  semble  menie 
qu'on  prend  le  contrepied.  Comme  eile  est  honnete  et  genereuse,  eile  ne  saurait 
souffrir  cei'tains  badinages  et  puerilites ,  et  ne  saurait  se  contraindre  ni  deguiser 
ses  sentimens«    (vergl.  den  Abdruck  im  Urkundenband  Nr.  11). 

'    Der  Brief  befindet  sich  in  Hannover,  s.  Bodemanx,  a.a.O.  S.  ir. 

^  Der  Briefwechsel  befindet  sich  in  der  Bibliothek  zu  Hannover,  s.  Bode- 
MAXN,  a.  a.  ()..  vergl.  aucli  den  Brief  an  Spanheim  vom  6.  April  1696,  und  Barthol- 
MEss,  Hist.  philosoph.  de  l'Acad.  de  Prusse.   i.  Bd.   1850  p.  46  ff. 

^    Sielie  Bouemann,  a.a.O.  S.  42,  41. 

*  Ein  Theil  des  Briefwechsels  (50  Briefe  von  Ch..  14  von  L.),  der  bis  zum 
Tode  CuNEAu's  dauerte  (1712),  liegt  in  Hannover  (s.  Bodemaxx.  a.  a.  0.  S.  41). 
Dreizehn  sehr  wichtige  Briefe  Cuneau's  aus  den  Jahren  1695  — 1697,  die  sich  nur 
zum  Theil  mit  den  in  Hannover  befindlichen  decken,  veröffentlichte  Oelrichs  in 
der  »Berlinischen  Bibliothek«  r.  Bd.  1747  nach  Mittheilungen  der  Wittwe  Cuneau's. 
Zwei  von  diesen  sind,  wie  Guhrauer,  G.  W.  Freiherr  v.  LEiBxrrz.  2.  Th.  Beilage 
S.ii  mittheilt,  jetzt  auf  der  Univ. -Bibliothek  zu  Breslau.  Da  die  von  Oelrichs 
abgedruckten  Briefe  nur  bis  zum  Jahre  1697  (incl.)  reichen  und  auch  in  der  han- 
noverschen Sammlung  die  Correspondenz  in  den  Jahren  1698  — 1701  aufhört,  um 
dann  im  Jahre  1702  wieder  aufgenommen  zu  werden,  so  darf  man  annehmen,  dass 
der  Briefwechsel  in  jenen  Jahren  wirklich  ruhte.  Das  ist  auch  wohl  verständlich: 
denn  in  dem  Jahre  1698  liegann  der  Briefwechsel  mit  dem  Hofprediger  Jablonski 
und  löste,  ganz  von  der  Unionsfrage  beherrscht,  den  mit  Cuneau  ab.  In  den 
Jahren  1702— 1706  gehen  beide  Con-espondenzen  neben  einander  her.  Im  Jahre 
1706  aber  hört  der  Briefwechsel  mit  Jablonski  auf  (denn  die  Unionsfrage  war  zu 
Boden  gefallen),   wäln-end   die   Korrespondenz  mit   Cuneau   weitergeführt  wh-d. 


Leibxiz*  Beziehuntien   zu  Berlin  in  den  Jahren  1694-1697,  45 

CuNEAu's  nach  Berlin  beginnt  der  Briefwechsel.  Cuneau's  Stellung 
am  Archiv  bildete  die  Brücke:  denn  Leibniz  arbeitete  am  Codex 
diplomaticus.  Aber  die  Correspondenz  erstreckte  sich  in  den  Jahren 
1695,  1696  sofort  anch  auf  viele  wichtige  wissenschaftliche  Fragen 
und  gelehrte  Persönlichkeiten  \  Die  Politik  wird  indess  ganz  ver- 
mieden, höchstens  die  Unionsfrage  bedeutsam  gestreift.  Von  Leibniz' 
Absichten  auf  Berlin  ist  zunächst  nicht  die  Rede.  Aber  seit  dem 
Juli  1697  ändert  sich  das  Bild.  Der  Übertritt  des  Kurfürsten 
von  Sachsen  zum  Katholicismus  und  die  freundlichen  Beziehungen 
Preussens  zu  dem  grossen  russischen  Herrscher  hatten  auf  Leibniz  den 
tiefsten  Eindruck  gemacht;  er  hofft  jetzt,  wo  der  Protestantismus 
in  Gefahr  steht,  auch  bei  Danckelmann  mit  seinen  Unionsplänen 
Eindruck  zu  machen.  «Votre  Grand  Electeur«  —  schreibt  er  am 
4.  Juli  1697  an  CuNEAU  in  einem  Briefe,  der  offenbar  vor  Danc^kel- 
mann's  Augen  kommen  sollte  —  »est  maintenant  le  chef  des  Pro- 
testants  dans  TEmpire.  Je  ne  doute  point  qu'on  ne  songe  serieuse- 
ment  chez  a^ous  a  tout  ce  qui  Importe  ä  la  conservation  des  Pro- 
testants.  II  faut  travailler  entre  autres  ä  dissiper  de  plus  en  plus 
ce  vain  fantome  de  Separation  entre  les  deux  partis  Protestants^. « 
Gleichzeitig  feuert  er  die  preussischen  Staatsmänner  an,  die  aus- 
gezeichneten Beziehungen  zu  Russland  zu  benutzen,  um  durch  eine 
wissenschaftliche  Mission  dieses  Reich  zu  erschliessen^.  In  dem  zehn 
Seiten  langen  Schreiben  vom  7.  October  1697  —  in  Wahrheit  ein 
wissenschaftlich -politisches  Expose  für  den  Minister  —  steigern  sich 
diese  Vorschläge ^  Die  Mission  soll  nun  auch  eine  protestantische 
sein  und  zwar  nach  China  gehen.  Auf  die  Union  wird  gedrungen; 
die  Gegenbemerkungen  Danckelmann's  ,   die  Cuneau  vermittelt  hatte, 

werden  widerlegt: 

»La  chose  est  plus  necessaire  qua  jamais,  et  peut-etre  aussi  plus  faisable  que 
Jamals.  Mais:  est  aliquid  [sie]  prodire  tenus,  si  non  datur  ultra.»  Car  cette  bonne 
intelligence  a  des  degres.  Le  premier  est  purement  civil  et  consiste  dans  un  bon 
concert  et  une  assistance  sincere,  et  c'est  a  quoi  TagTandissement  du  parti  de  Rome 
les  doit  porter  de  part  et  d'autre.  Apres  la  breche  faite  dans  la  maison  de  Saxe, 
votre  puissant  maitre  est  le  ])remier  des  protestants  de  l'Empire  en 
conimun  sans  distinguer  les  deux   partis  et    par   consecjuent  directeur 


^  In  dem  Brief  vom  23.  Februar  1696  steht  das  ürtheil  über  Pufendorf:  «Si 
quelque  chose  m"a  deplu  en  lui,  c'est  qu'il  prenait  lui-meme  trop  de  liberte  ä 
satiriser  contre  les  autres-.  In  den  Briefen  vom  Jahre  1695  bildet  der  Plan  einer 
wissenschaftlichen  Expedition  nach  Russland  und  China  das  Haiiptthema. 

-    »Berlinische  Bibliothek«    1747   S.  133. 

^  Über  die  glänzende  Grossgesandtschaft  des  Czaren  in  Berlin  im  Jahre  1697,  der 
er  sich  selbst  angeschlossen  hatte,  s.  Varnhagex  v.  Exse.  Sophie  Charlotte  S.72ff. 

*    A.  a.  0.  S.  138  ff. 


46  Vorgeschichte  der  Akach'iiiie. 

de  leiirs  affaires.  Ce  n'est  pas  le  Heu  ici  de  m'etendre  sui-  cette  luatiere.  Ce- 
pendant  nion  zele  nie  fait  preiidi'e  ce  point  pour  incontestable  et  pour  fondamental 
ä  l'egard  d"iin  concert  sincere  entre  les  protestants,  qui  pourrait  avoir  de  si  grands 
fruits  d'aiitant  que  je  ne  doute  point  ipie  TAngleterre  et  L-i  lIolLnnde  ne  soient 
pretes  li  rappuyer. 

Leibniz  fülirt  imii  aus,  dass  die  beiden  anderen  Grade  der 
Union  in  der  kireliliclien  und  in  der  Einheit  des  Glaubens 
bestünden.  Danckelmann  hatte  die  MögHchkeit ,  über  die  Verschie- 
denheiten der  Al)endniahls-  und  Prädestinationslehre  hinwegzukom- 
men, bestritten.  Leibniz  antwortet,  eine  vollkommene  Einheit  der 
Glaubensvorstellungen  halte  er  nicht  für  nothwendig.  »On  fait 
bien  d"obtenir  en  cela  ce  qui  se  peut;  mais  on  ne  s'y  attachera 
pas,  puisque  ces  diversites  n'empechent  point  runion  qui  siiffit. « 
»Maintenant  la  question  est,  si  Son  Excellence  desire  qu'on  aille 
jusqii'au  second  degre,  ou  si  eile  veut  seulement  s'arreter  au  premier. 
Oll  les  theologiens  n'ont  rien  a  faire;  il  semble  que  le  second  serait 
bien   desirable  et  rendrait  le  premier  plus  ferme. « 

Diese  treffliche  und  besonnene  Darlegung,  die  die  Aufrichtung 
der  Union  den  Theologen  möglichst  entziehen  sollte,  weil  sie  in 
erster  Linie  als  eine  politische  gedacht  war,  fand  nicht  die  rechte 
Würdigung  in  Preussen.  Danckelmann  ging  sie  wahrscheinlich  schon 
zu  weit,  wenn  er  die  Sache  überhaupt  für  durchführbar  hielt:  der 
Kurfürst  aber,  berathen  von  einigen  Theologen,  wollte  l)ald  viel 
weiter  gehen  und  versprach  sich  nur  von  einer  Union,  die  mit  den 
Kamen  auch  die  Verschiedenheiten  der  Reformirten  und  Lutheraner 
aufhöbe,  etwas.  Doch  die  Verfolgung  dieser  Angelegenheit  ist  von 
unserer  Aufgabe  ausgeschlossen.  Aber  dieses  für  Danckelmann  be- 
stimmte Schreiben  vom  7.  October  1697  enthält  auch  die  erste  An- 
deutung des  Planes   eines  Observatoriums  in  Berlin. 

Cuneau  hatte  Leibniz  mitgetheilt,  dass  die  Kurfürstin  an  die 
Errichtung    einer    Sternwarte    in    Berlin    denket      Dieser    griff  die 


^  Li  den  Brief  an  die  l^randenhurgische  Kiirfürstin  vom  November  1697 
(Klopp,  Werke  Bd.  8  S.47ft".)  hat  Leibniz  die  ihm  von  Cl-xeau  gemachte  Mittliei- 
lung  wörtUch  eingerückt: 

"Son  A.  E. .  jMadame,  etant  venue  ä  parier  :i  im  des  predicateurs  de  la  cour 
au  sujet  de  TAcademie  des  peintres  et  sciilpteurs  et  de  ce  que  cela  commengait  ä 
aller  si  bien,  a  ajoute  qu'il  serait  bon  qu'on  etablit  aussi  un  observatoire  comme 
il  y  en  a  un  ä  Paris.  Sur  cela  on  pense  a  y  travailler,  et  comme  on  n"anra  (pi'ä 
elever  un  peu  un  certain  pavillon  des  nouvelles  ecuries,  et  l'accomoder  pour  les 
observations,  les  Instruments  se  trouveront,  et  des  observateurs  aussi,  de  sorte  qu'on 
espere  cpie  cela  reussira." 

Hiernach  hat  man  also  sofort  an  den  Bau  des  Observatoriums  auf  dem  neuen 
königlichen  3Iarstall  i>edacht. 


Das  01)servati)i-ium  (1(>97).  47 

Nachricht  begierig  auf  und  führte  sie  —  seine  alten  Pläne  von  1694 
hervorholend  —  weiter^:  man  müsse  sofort  auch  andere  curiöse 
Wissenschaften  herbeiziehen;  er  selbst  sei  bereit,  mit  seinem  Rathe 
die   Sache  zu   unterstützen.      Seine  Worte  lauten: 

"Je  suis  encore  ravi  de  ce  ([ue  vous  me  dites,  Monsieur,  des  bous  desseius 
qu'on  forme  chez  vous  pour  ravanceinent  des  sciences,  et  ce  que  vous  me  dites  de 
Toccasion  que  Mad.  l'Electi'ice  y  a  donnee,  me  fera  naitre  un  sujet  propre  ä  lui 
faire  ma  cour  puisque  je  dois  prendre  la  liberte  de  lid  ecrire  un  de  ces  jours  ^. 
Car  eile  m'a  fait  la  gräce  de  me  faire  envoyer  des  airs  Italiens  chantes  ä  Coppen- 
bruck  a  Tentrevue  avec  le  Czar.  C'est  pour  les  envoyer  au  second  Ambassadeur, 
qui  temoignait  alors  qu'ils  lui  plaisaient.  Cai-  je  voudrais  avoir  par-lä  l'occasion  de 
la  faii'e  souvenir  des  reclierches  (pie  je  demande.  L'Astronomie  contribue  a  la 
gloire  des  grands  Princes.  Cela  vous  pourra  engager  cependant  a  aller 
plus  loin  et  penser  encore  ä  d'autres  sciences  curieuses.  Taut  mieux. 
Si  je  puis  contribuer  quelque  chose  en  tout  cela  de  uies  petits  avis,  je  le  ferai  de 
tout  mon  coeur.  Cai"  toutes  mes  vues  ne  tendent  depuis  longtemps  qu'au  bien 
public.  Et  je  me  fais  tout  mon  plaisir  de  ce  devoir.  La  France  (entre  nous) 
a  niaintenant  des  gens  pour  la  plupart  assez  mediocres  dans  les  scien- 
ces. Ainsi  si  nous  pouvons  mettre  les  Allemands  entrain  ils  tiendront 
jieut-etre  tete  en  cela  a   tonte  l'Europe.« 

Näheres  erfahren  wir  über  diesen  für  die  Entstehungsgeschichte 
der  Preussischen  Akademie  grundlegenden  Vorgang  aus  dem  vom 
5.  März  1698  geschriebenen  Brief  des  Hofpredigers  D.  E.  Jablonski 
an  Leibniz^: 

»  .  .  .  Da  im  ^•erwicllenen  Jahr  S.  Churf.  Durchl.  in  Preussen  abwesend  waren, 
Ihre  Churf.  Durclil.  Unsere  Gnädigste  Frau  aber  sich  gefallen  Hessen,  die  angenehme 
Frühlingszeit  auf  einem  nahgelegenen  Lusthaus  beständig  zu  geniessen,  da  dann 
auch  ich  Gelegenheit  hatte,  des  Gottesdienstes  halber  öfters  zu  sein,  und  Ihro  Churf. 


^  Gerade  damals  betrieb  Leibniz  neben  seinen  historischen  Studien  wieder  die 
j^hysikalisch- mechanischen  sehr  lebhaft.  Im  Jahre  1696  erschien  in  den  Acta  Eru- 
ditorum  seine  epochemachende  Abhandlung  gegen  Cartesius:  »Brevis  demonstratio 
erroris  memorabilis  Cartesii",  in  der  dessen  falsche  Ansicht  von  der  Erhaltung  der 
Ivraft  widerlegt  und  die  Lehre,  soweit  es  damals  möglich  war,  auf  den  richtigen 
Ausdruck  gebracht  ist. 

-  Dieser  Brief  ist  im  November  wirklich  geschrieben  und  von  Klopp  (Werke, 
Bd.  8  S.47ff.)  mitgetheilt  worden  (s.  unten). 

^  K.  Bibliothek  zu  Hannover;  zum  ersten  Mal  abgedruckt  von  Kvacsala, 
D.  E.  Jablonsky's  Briefwechsel  mit  Leibxiz  nebst  anderem  Urkundlichen  [Acta  et 
comment.  Imp.  Univ.  Jurievensis  1897].  Icli  selbst  habe  in  Hannover  den  Brief- 
wechsel excerpirt.  Kvacsala's  Publication  bildet  die  Ergänzung  —  aus  dem  in 
Hannover  aufbewahrten  Briefwechsel  —  zu  der  Ausgabe  der  Briefe  von  Leibxiz  und 
Jablonski,  die  Kapp  (1745)  veranstaltet  hat.  Dieser  empfing  im  Jahre  1733  —  also 
noch  bei  Lebzeiten  Jablonski's  —  einen  Theil  der  Briefe  von  dem  Geheimrath  Jordax, 
dem  Freunde  Friedrich's  des  Grossen.  Jordan  ,  der  auch  die  Briefe  La  Croze  s 
gesammelt  hat,  hatte  sie  von  Chrlstfried  Kirch,  dem  Astronomen  (-[-  1740),  erhal- 
ten (s.  Kapp,  Sammlung,  Vorrede,  Bogen  c  2).  Die  Originale  —  denn  diese  selbsr 
benutzte  Kapp  —  sind  meines  Wissens  nicht  wieder  aufgefunden  worden:  der  in 
Hannover  lie2;ende  Theil  des  Briefwechsels  ist  mit  diesem  nicht  identisch. 


48  Vorgeschichte  der  Akademie. 

Durehl.  über  Tal el  sich  Phiisir  machten,  von  allerhand  natürlichen  Dingen,  sondei-- 
Hch  die  Ob(>r-Welt  hetreffend,  Gespräche  zu  führen,  ward  einsmals  erwähnt,  wie 
es  wohl  zu  verwundern,  dass  da  diese  Residenz -Stadt  sonst  mit  allerhand  Künsten 
und  Wissenschaften  reichlich  versehen  wäre,  nur  kein  Liebhaber  der  Astronomie, 
auch  kein  Observatorium  darin  befindlich,  dass  aucli  Berlin  nicht  einen  eigenen 
Kalender  hätte,  sondern  mit  fremden  sich  liehelfen  müsse.  Solches  apprehen- 
dirten  Ihro  Churf.  Durehl.  und  sagten,  Sie  wollten  selbst  gnädigst 
sorgen  helfen,  dass  eine  Specula  angeleget  werde,  befahlen  auch  mir 
solches  weiter  zu  erinnern.  S.  Churf.  Durehl.  kamen  allei-erst  im  Herbst  aus 
Preussen  allhier  an,  da  inzwischen  der  Hr.  Hofrath  Rabener  ein  wohlgefasstes  Pro- 
ject  verfertiget  hatte,  wie  ein  Observatorium  mit  weniger  Mühe  und  Unkosten  zu 
stiften  und  zu  erhalten  wäre.  Solches  trug  der  Herr  Oberhof  M.  Dobrzenski  Ihro 
Churf.  Durehl.  unterthänigst  vor,  erhielt  aber  die  Erklärimg,  dass  I.  Ch.  D.  zwar 
der  Sache  guten  Erfolg  wünscheten,  bei  itziger  Zeit  aber  für  Dero  hohe  Person 
gut  finden,  derselben  sich  nicht  anzimehmen.  Drauf  machte  ich  die  Sache  bei  dem 
Reichshofrath  Hrn.  v.  Danckelmann  als  damaligem  Directore  der  neuangelegten  Aca- 
demie,  und  durch  selbten  bei  dessen  Hrn.  Vater,  dem  Hrn.  Oberpräsidenten 
anhängig,  da  selbige  guten  Ingress  funden  und  vermuthlich  zum  er- 
wünschten Zweck  hätte  kommen  mögen,  wenn  nicht  die  unverhoffte 
Revolution  hiesiges  Hofes  dazwischen  kommen  wäre,  welche  alle 
gute  Hoffnung  des  falls  völlig  niederschlug,  in  Betrachtung  die  neuen 
Directores  der  Finanzen  fürnehmlich  auf  die  Menage,  und  wie  die  churf.  Einkünfte 
etwa  zu  vermehren  imd  zu  besparen,  schienen  bedacht  zu  sein^. •> 

Aus  (lieser  Erzählung  des  hervorragend  ein  der  Sache  bethei- 
ligten Hofpredigers  —  ist  er  nicht  selbst  die  ungenannte  Persön- 
lichkeit, die  die  Angelegenheit  aufgebracht  hat?  —  folgt,  dass  die 
Kurfürstin  Sophie  Charlotte  den  Plan,  ein  Observatorium  in  Berlin 
zu  errichten,  im  Frühjahr  1697  zu  dem  ihrigen  gemacht  hat,  und 
dass  sie  dadurch  die  Urheberin  der  Preussischen  Akademie  gewor- 
den ist.  Ihr  Vertrauensmann  in  der  Sache  war  Jabloxski,  und  er 
hat  bereits  im  Sommer  1697  seinen  Freund,  den  vielseitig  gebil- 
deten Justizrath  Rabener,  zur  Abfassung  eines  ausführlichen  Pro- 
jectes  vermocht".  Bedeutungsvoll  ist  es  auch,  dass  der  umsichtige 
und  erleuchtete  Oberpräsident  von  Danckelmann  von  dem  Plane 
Kenntniss  genommen  und  ihn  —  wenige  Wochen  vor  seinem  Sturz 
—  noch  gebilligt  hat.  P]ndlich  ist  darauf  hinzuweisen ,  dass  Leibniz' 
Mitwirkung  ursprünglich  nicht  in's  Auge  gefasst  war  —  wenigstens 
lässt  sich  das  Gegentheil  nicht  erweisen  — ,  dass  er  es  aber  ge- 
wesen, der,  sobald  er  (im  October  desselben  Jahres)  Kunde  erhalten, 
sowohl  die  Ausdehnung  dessell^en   auf  andere  Wissenschaften  ange- 


^    Die  Fortsetzung  dieses  wichtigen  Schreibens  s.  unten. 

^  Dasselbe  findet  sich  leider  in  den  Acten  nicht  mehr.  Aus  dem  oljen  an- 
geführten Schreiben  Cuneai's  geht  hervor,  dass  der  Vorschlag  Rabener's  darin  be- 
standen hat,  den  Bau  des  Observatoriums  mit  dem  Neubau  des  IVIarstalls  zu  ver- 
liinden. 


Das  01)ser\atoi'ium.      Danckelmann's  Sturz.  4i) 

ratheil  als  sich  selbst  zur  Mitwirkung  angetragen  hat.  Ein  Hoiit- 
nungsstern  für  seine  Societätspläne  ging  auf,  und  er  beschloss,  die 
gegebene  Gelegenheit  mit  allen  Kräften  zu  benutzen.  In  dem  Schrei- 
ben an  die  branden])urgische  Kurfürstin  vom  November  1697,  wel- 
clies  die  regelmässige,  bis  zum  Tode  der  Fürstin  fortgesetzte  Cor- 
respondenz  beginnt,  führt  er  den  Gedanken,  den  er  schon  Cuneau 
gegenüber  angedeutet  hat,  näher  aus  —  in  Berlin  solle  eine  kur- 
fürstliche Societät  gegründet  werden,  die  die  Akademieen  von  Lon- 
don und  Paris  übertreffen  müsse;  die  Kurfürstin  solle  die  Seele 
derselben  werden:  »En  effet,  j'ai  souvent  pense  que  les  dames  dont 
l'esprit  est  eleve,  sont  plus  propres  que  les  hommes  a  avancer  les 
helles  connaissances«.  Sobald  sie  auf  seine  Gedanken  eingehen 
werde,   werde   er  seine  Pläne   genauer  vortragend 

Gleich  nach  Absendung  dieses  Briefs  trat  das  Ereigniss  ein, 
welches  für  den  Staat  Preussen  so  verhängnissvoU  war,  aber  den 
kirchenpolitischen  und  Avissenschaftlichen  Plänen  von  Leibniz  freie 
Bahn  schuf  —  »die  unverhoffte  Revolution  hiesigen  Hofes «("".  Ende 
November  und  im  December  gelang  es  der  Kurfürstin,  berathen 
von  ihrer  Mutter,  den  besten  Staatsmann,  den  Preussen  damals 
besass,   Danckelmann,   zu  stürzen  und   in's  Gefängniss  zu  bringend 

^  Siehe  den  Abdruck  des  wesentlichen  Inhalts  des  Briefs  in  dem  ürkunden- 
l)and  Nr.  12.  Der  Brief  zei^t  übrigens  deutlich,  dass  der  Plan  der  Kurfürstin,  ein 
Observatorium  in  Berlin  zu  bauen,  nicht  etwa  eine  mit  Leibniz  abgekartete  Sache 
war.  ebenso  wenig,  wie  der  daran  sich  schliessende,  näher  noch  nicht  skizzirte 
Vorschlag  von  Leibniz.  an  das  Obseivatorium  eine  Societät  anzuschliessen.  Ledig- 
lich die  Freude  an  der  Sache  s])richt  aus  Leibniz'  Worten,  mit  denen  er  die  Ab- 
schrift der  ihm  so  kostbaren  Nachricht  Cuneau's  begleitet:  »Comme  je  n'aifectionne 
|)resque  rien  davantage  au  monde  (lue  Tavancement  de  ces  sortes  de  connaissances 
et  de  toutes  les  autres  (jui  servent  a  porter  plus  loin  les  perfections  et  lumieres  du 
genre  huinain,  et  ä  nous  donner  plus  d'entree  dans  les  secrets  de  la  nature  ou  de 
Dien  qui  en  est  Tauteur,  pour  admirer  sa  grandeur  et  sa  sagesse,  je  ne  saurais 
(!xi)rimer  k  V.  A.  E.  la  joie  (jue  j'ai  ressentie  de  la  part  qu'Elle  y  prend.  Je 
savais  (jue  Monseigneur  TElecteur  a  mis  ordre  depuis  longtemps .  tant  ä  Berlin 
(lu'ailleurs.  a  des  embellissements  (pii  fönt  aller  sa  Cour  du  pair  avec  celle  des 
plus  grands  monai^pies.  Mais  il  ne  me  man(|uait  encore  que  de  savoir 
(pieV.  A.  P:.  y  ])rend  un  plaisir  jjarticulier«.  Der  letzte  Satz  benimmt  jeden 
Verdacht  eines  diplomatischen  Spiels. 

-  Dass  sie  ihren  Schatten  bereits  vorausgeworfen  hatte,  erkennt  man,  wenn 
man  den  Brief  Jablonski's  genau  best  (s.  oben).  Sophie  Charlotte  hatte  sich  im 
Herbst  von  allen  Affairen  zurückgezogen ,  um  den  Hauptschlag  vorzubereiten ,  oder 
sie  war  von  Danckelmann  zurückgewiesen  worden  und  sammelte  sich  nun  zum 
entscheidenden  Gegenzug.  Eine  Mitwirkung  von  Leibniz  bei  dem  Sturz  Danckel- 
mann's lässt  sich  schlechterdings  nicht  erweisen  und  ist  aucli  nicht  wahrscheinlich. 

3  Siehe  Kosek,  Sophie  Charlotte,  die  erste  preussisclie  Königin  (Deutsche 
Rundschau.  52.  Bd.  1887  S.353ff.).  Schon  Ranke  (Werke.  25.  und  26.Bd.  1874 
S.434ff.)  hat  die  Verhältnisse  durchschaut. 

Geschichte  der  Akademie,    l.  ^ 


V>0  Voi'geschichte  der  Akndemie. 

Sie  war  seine  furchtbare  Gegnerin  geworden,  weil  der  Minister,  wie 
sie  der  Mutter  schreibt,  ihr  vorgeworfen,  dass  sie  mehr  für  das 
Haus,  aus  dem  sie  stammte,  eingenommen  sei,  als  für  das,  dem 
sie  selbst  angehöre.  »Ich  galt  als  beeintlusst  durch  Vorurtheile. « 
Die  Mutter  feierte  den  Sturz  Danckelmann's  als  einen  Triumph  der 
Frauen:  »Gefalle  es  Gott,  dass  Alle,  welche  den  Frauen  etwas  in 
den  Weg  legen,   also  gestraft  werden  mögen«. 

Während  Sophie  Charlotte  an  dem  Sturz  Danckelmann's  ihren 
gekränkten  Stolz  befriedigte ,  ihre  Mutter  ausserdem  in  dem  Ereig- 
niss  einen  Sieg  der  weifischen  Politik  feierte,  begrüsste  es  auch 
Leibniz,  aber  aus  anderen  Gründen.  Der  eben  abgeschlossene  Friede 
von  Ryswijk  hatte  in  ihm  mit  Recht  die  schwersten  Sorgen  und 
Befürchtungen  in  Bezug  auf  die  stets  wachsende  Macht  Frankreichs 
Deutschland  gegenüber  und  für  die  Zukunft  des  deutschen  Protestan- 
tismus erweckt'.  Er  sah  keine  andere  Rettung  für  diesen  als  in 
einem  sofort  zu  schliessenden,  engsten  Bündnisse  zwischen  Branden- 
burg und  Hannover;  gemeinsam  müssten  diese  beiden  Staaten  alle 
Kräfte  anspannen,  um  militärisch,  wirthschaftlich  und  intellectuell 
dem  Katholicismus  zu  begegnen;  Voraussetzung  dafür  sei  die  Union 
in  der  Kirchenfrage.  Danckelmann,  dessen  specifisch  brandenbur- 
gische Politik  Leibniz  nicht  verstand,  schien  ihm  ein  Gegner  einer 
universalen  protestantischen  Staatskunst;  in  diesem  Sinn  erfüllte  ihn 
sein  Sturz  mit  Genugthuung",  und  er  war  bereit,  sich  der  Politik 
der  Kurfürstinnen  im  Hinblick  auf  das  hohe  Ziel  —  Schutz  des 
Protestantismus  und  Union  der  Lutheraner  und  Reformirten  —  zu 
Dienst  zu  stellen.     Sein  dritter  idealer  Zweck,   die  Aufrichtung  einer 


*  Ausserhalb  Deutschlands  erlitt  der  Protestantisuuis  auf  dem  C'ontinent  in 
dem  Menscheualter  zwischen  1680  und  17 10  überall  die  schwersten  Einbussen,  aber 
auch  für  Deutschland  bedeutete  dei-  Friede  von  Ryswijk  eine  Schwächung  und 
bi-achte  einen  empfindlichen  Verlust  (die  Pfalz). 

"^  Damals,  als  Leibniz  sich  zuerst  über  Danckelmann's  Sturz  geäussert  hat. 
war  noch  nichts  anderes  erfolgt  als  eine  sehr  ehrenvolle  Entlassung.  Die  schmäh- 
liche Behandlung,  die  der  Minister  wenige  Wochen  später  erfahren  hat,  hat  Leidniz 
als  ein  schweres  Unrecht  beurtheilt  (s.  seinen  Brief  an  die  Kurfürstin  Sophie  nach 
Fkiedrich  Wilhelm 's  I.  Thronbesteigung  bei  Klopp,  Werke,  9.  Bd.  S.392).  Aber 
dieses  Urtheil  stellte  sich  nicht  sofort  ein.  Als  beim  Ausbruch  des  Krieges  der  Kur- 
fürst sich  seines  kundigen  Staatsmannes  beraubt  sah  und  dalier  dem  im  Gefängniss 
Schmachtenden  aufgab,  das  schriftlich  aufzuzeichnen .  was  ihm  von  den  Affairen  be- 
kannt sei,  schrieb  Leibniz  aus  Lützenburg  (8.  August  1700)  an  die  Kurfürstin  Sophie 
(Klopp,  Werke,  8. Bd.  S.204):  »Je  ne  crois  pas  pourtant  (pie  ce  soit  pour  cela  la 
marque  de  quelcpie  retour  favorable.  Cependant  cela  hü  servira  d'amusement  dans 
sa  prison,  et  le  fera  employer  son  temps  utilement,  et  lui  })eut  donner  occasion 
d'obligei'  l'Electeur  son  maitre  et  disciple«. 


DancivElmaxn's  Sturz.     Die  Kurfürstiiineu  und  Leibniz  (l(Jl)7/8).  51 

Societät  der  Wissenschaften ,  von  ihm  selbst  stets  als  Selbstzweck 
festgehalten,  musste  jenen  grossen  patriotischen,  vom  Augenblick 
gebieterisch  geforderten  Zielen  gegenüber  zeitweilig  fast  auf  die  Stufe 
eines  Mittels  zum  Zweck  rücken,  aber  seine  persönlichen  Wünsche, 
in  Brandenburg  festen  Fuss  zu  fassen,  schienen  jetzt  eine  längst 
erhoffte  Erfüllung  zu  finden. 

Bedenkliche  Verflechtungen  und  peinliche  Verwicklungen !  Ihnen 
verdankt  die  Preussische  Akademie  ihre  Entstehung  in  einer  Zeit, 
da  der  Staat  eines  zielbewussten  Führers  entbehrte !  Indessen  man 
darf  die  Dinge  nicht  übertreiben:  um  staatsgefährliche  Umtriebe  hat 
es  sich  auch  in  der  Politik ,  wie  die  Fürstinnen  sie  betreiben  woll- 
ten, nicht  gehandelt,  sondern  um  ein  enges  politisches  Einvernehmen 
Brandenburgs  mit  dem  Hause,  »daraus  wir  entsprossen«'  —  ein  Ein- 
vernehmen, das,  soviel  wir  wissen,  niemals  von  ihnen  substanziirt 
worden  ist  — ,  und  Leibniz  vollends  hat  niemals  specifisch  weifische, 
sondern  stets  universal -protestantische  Ziele  in  Berlin  verfolgt,  denen 
sich  die  wissenschaftlichen  und  privaten,  wie  er  glaubte,  auf's  glück- 
lichste anschmiegten. 

Beweis  dafür  ist  seine  Correspondenz.  Bereits  am  4.  December 
1697  schreibt  er  an  Sophie  Charlotte  jenen  Brief,  der  die  Action 
eröffnet.  Da  die  Kurfürstin  jetzt  nach  der  so  erfreulichen  Besei- 
tigung Danckelmann's  mit  dem  Kurfürsten  d'accord  sei  —  der  Kur- 
fürst »a  fait  voir  ä  toute  la  terre  non  seulement  combien  il  aime 
V.  A.  E.,  car  cela  ne  s'ignorait  pas,  mais  aussi  avec  combien  de 
confiance  il  entre  dans  Ses  sentimens  et  La  fait  entrer  dans  les 
siens  — ,  so  gelte  es  die  Häuser  Brandenburg  und  Braunschweig 
auf's  engste  zu  verbinden;  keine  andere  Nöthigung  hierfür  wird 
geltend  gemacht  als  der  durch  den  Ryswijker  Frieden  bedrohte  Pro- 
testantismus. Mit  Freimuth  fährt  Leibniz  fort  —  er  ist  augenschein- 
lich von  dem  politischen  Ernst  der  Fürstin  nicht  völlig  überzeugt: 
»La  musique,  la  peinture,  les  heiles  curiosites  et  inventions  de  la 
nature  et  de  l'art  sont  capables  de  charmer  un  esprit  sublime  tel 
que  celui  de  V.  A.  E.  ...,  mais  il  n'y  a  point  de  musique  plus 
touchante  que  Tharmonie  des  peuples  satisfaits,  ni  de  tableau  plus 
beau  que  le  paysage  d'un  grand  etat  fleurissant«.  Mit  der  Auf- 
forderung in  diesem  Sinn,  im  Verein  mit  dem  Gemahl,  Vater  und 
Bruder    thätig   zu    sein,    schliesst    der   merkwürdige  Brief,    der   bei 


^    Beide  Fiirstinnen   hatten    zeitweilig   freiere   Hand;   denn   in  Hannover  war 
Ernst  AcGusr  Anfangs  des  Winters  schwer  erkrankt  und  starb  am   28.  Jaiuiar  1608. 


52  \'()i'geschiclite  der  Akndeinie. 

allem  Sclimeiclielhafteii  im  Tone  eines  beratlienden  Nestors  geschrie- 
ben ist  und  der  Kurfürslin  deutlich  zu  verstehen  giebt,  dass  ihr 
der  Sturz  Danckelmann's  ernste  politische  Verplbclitungen  auferlege'. 
Leibniz  wagte  es  nicht,  den  Brief  selbständig  abzuschicken;  er 
legte  ihn  der  Kurfürstin  Sophie  vor,  und  sie  hat  ihn  abgesandt^ 
Bestimmte  Vorschlüge  waren  der  l)randenburgischen  Kurfürstin  in 
diesem  Schreiben  noch  nicht  gemacht,  we(U^r  in  Bezug  auf  die  näcli- 
sten  Ziele  der  ihr  empfohlenen  Politik ,  noch  in  Bezug  auf  das  Mittel 
zur  Durchführung.  Solche  fehlen  auch  noch  in  den  beiden  folgen- 
den Schreiben  vom  14.  und  29.  December  1697 '.  In  jenem  ver- 
sichert Leibniz  der  Kurfürstin,  dass  aucli  Spanheibi,  der  eben  auf  seiner 
Reise  nach  Berlin  in  Hannover  eingetroffen  sei,  die  EntSchliessung 
des  Kurfürsten  in  Bezug  auf  Danckelmann  »segne«.  Hauptzweck 
des  Briefs  aber  ist,  sich  dafür  zu  bedanken,  dass  ihn  die  Kurfürstin 
in  Berlin  empfangen  wil^.  Damit  hat  er  endUcii  erreicht,  was  er 
lange  gewünscht:  »Je  sais  que  cette  capitale  est  maintenant  le  siege 
des  sciences  et  des  beaux  arts,  et  011  peut  dire  que  Salomoii  et  hi 
Reine  de  Saba  s'y  trouvent  ä  la  fois«.  Er  lenkt  dann  sofort  die 
Aufmerksamkeit  der  Kurfürstin  auf  Russland  und  auf  die  civilisn- 
torischen  Dienste,  die  Brandenburg  dem  russischen  Hofe  und  Staate 
zu  leisten  vermag.  »En  recompense  nous  irons  a  la  Chine  a  tra- 
vers  de  la  Tartarie.«  Für  China  bin  ich  das  Auskunftsbureau ,  fügt 
er  scherzend  hinzu,  und  wenn  die  Kurfürstin  etwas  über  Confucius 
oder  über  die  alten  chinesischen  Könige  erfahren  wolle,  die  die 
ersten  Nachkommen  Noah's  sind,  so  möge  sie  sich  nur  an  ihn  wen- 
den. Man  sieht  —  die  Beziehungen  zu  Berlin  reizen  ihn  der  neuen 
Bahnen  wegen,  die  sich  der  Wissenschaft  eröffnen.     In  dem  i4Tnqe 


^    Siehe  den  Abdruck  des  Briefs  im  Urkiinden1)<and  Nr.  13. 

^  Siehe  den  Briet'  an  die  Kurfürstin  Sophie,  der  an  demselben  Tage  ge- 
sclu'ieben  ist,  wie  der  an  Sophie  Charlottf:  (Klopp,  Werke,  8. Bd.  8.46!'.):  '.le 
ne  sais  si  V.  A.  E.  troiivera  ä  propos  de  joindre  ä  la  Sienne  la  lettre  ci-jointe  ([ue 
j'ai  pris  la  liberte  d'ecrire  ä  Mad.  TElectrice  de  Brandebonrg.  J'y  ai  vouln  mar- 
quer  non  seulenient  ma  joie  (über  Danckelmann's  Entlassung),  inais  encore  les 
raisons  (|ue  nous  en  devons  avoir,  et  comment  il  semble  que  nous  devrions  ju'o- 
fiter  d'une  si  favoral)le  conjoncture  pour  le  bien  comniun  (nur  dieses  hat  Leiümz 
im  Auge  gehabt).  Et  je  crois  en  effet  (jue  S.  A.  E.  se  lera  adorer  generalement 
et  s"assurera  de  tous  les  canirs  (im  protestantischen  Deutscliland;  Leibniz  denkt 
nicht  an  Hannover  besonders),  si  Elle  ])i-end  cette  route  (pü  est  des  plus  plausibles 
et  des  plus  convenables.. . 

^  Siehe  den  vollständigen  Alxlruck  des  (M'sten.  den  theilweisen  des  letzteren 
in   dem   l'rkundenl)and   Nr.  14  und  15. 

■*  Die  Zusage  bez.  Einladung  erging  wohl  durch  die  Mutter:  ein  Briet"  dar- 
über fehlt. 


Leiismz   und  die  l)eiden   Kurfürstinnen  (1697 '8).  58 

später  geschriebenen  Briefe  spricht  er  von  der  grossen  Aufgabe,  die 
der  Kurfürst  jetzt  übernommen  habe,  der  Union  der  Lutheraner  und 
Keformirten,  und  versichert,  dass  er  mit  allen  Kräften  den  branden- 
burgischen  Theologen,  die  dies  Werk  betreiben,  von  Hannover  ent- 
gegenkommen werde. 

In  diesem  Briefe,  der  auf's  deutlichste  zeigt,  welche  Aufgabe 
Leibniz  der  Verbindung  von  Braunschweig  und  Brandenburg  vor 
Allem  stellte,  ist  auch  die  schwere  Krankheit  des  Kurfürsten  von 
Hannover  erwähnt.  Der  Brief  vom  2.  Februar  1698  ^  ist  das  Con- 
dolenzschreiben  an  die  Kurfürstin  beim  Tode  des  Vaters.  Es  ent- 
hält die  bedeutsamen  Worte  in  Hinblick  auf  den  Kurfürsten -Nach- 
folger, den  Bruder  Sophie  Charlotte's:  «L'union  qui  est  entre  le 
mari  et  le  frere  de  V.  S.  E. .  nous  en  est  le  meilleur  garant  et  le 
fondement  le  plus  solide  ä  mon  avis  de  nos  interets.  Aussi  suis -je 
tellement  penetre  de  la  necessite  qu'il  y  a  de  cultiver  cette  union 
pour  le  bien  commun  des  deux  cours,  et  meme  pour  celui  de  l'Em- 
pire  et  surtout  de  lEglise.   que  je  ne  me  saurais  lasser  d'y  penser«. 

Die  sehr  freundliche  und  verheissungsvolle  Antwort  der  Kur- 
fürstin vom  19.  Februar"  veranlasste  Leibniz,  ein  Pro -Memoria  aus- 
zuarbeiten und.  den  Kurfürstinnen  zu  übersenden,  welches,  seitdem 
es  an's  Licht  gezogen  ist^.  berechtigtes  Aufsehen  erregt  hat.  Es  ist 
das  »Memoire  pour  les  deux  Electrices  de  Bronsvic  et  de  Brande- 
bourg«.     Sein  Hauptinhalt  ist  folgender*: 


^    vSielie  Klopp,  Werke.    10.  Bd.  8.45tK 

■^  Siehe  Klopp,  Werke,  10.  Bd.  8.  48 f.:  »Je  ne  .saurais  vous  dire  connne  je 
vous  suis  obligee,  INIonsieur,  que  vous  j^renez  la  peine  a  me  consoler,  et  vous  assure, 
si  (|uel(iu*ini  y  peut  i-eussir,  personne  ne  le  fera  par  de  meilleures  raisons  que 
vous.  Le  teinps  me  les  fera  ,aoüter  toutes  entieres  et  ne  me  changera  pas  cepen- 
dant  i\  votre  cgard;  car  je  serai  toujours  toute  affectionnee  etc." 

^  kleines  Wissens  zuerst  von  Feder  (Sophie  ,  Cliurfürstin  von  Hannover 
S.  233 ff.),  dann  von  Varxhagen  von   Ense  (Sophie  Charlotte    1837   S.94ff.). 

*  Siehe  den  vollständigen  Abdruck  in  dem  Urkundenband  Nr.  16.  Klopp  hat 
im  8.  Bande  der  W^erke  von  Leibniz  S.  XIII  das  Actenstück  richtig  nach  dem 
28.  Januar  1698  gestellt,  weil  ganz  deutlich  der  Tod  Ernst  Aigust's  und  der  Re- 
gierungsantritt seines  Nachfolgers  in  ihm  vorausgesetzt  ist  (s.  den  Schluss  des  2.  Ab- 
satzes). Im  10.  Bande  aber  S.  XXVI  f.  stellt  Klopp  es  bereits  zum  Brief  vom  4.  De- 
cember  1697  und  glaubt,  dass  es  mit  diesem  übersandt  sei,  ohne  jenes  unwider- 
legliche Argument  überhaupt  zu  würdigen.  Die  chronologische  Frage  ist  nicht 
gleichgültig;  denn  das  Pro -Memoria  erscheint  in  viel  günstigerem  Lichte,  wenn  es 
den  Briefen  nachfolgt,  die  seit  Anfang  December  1697  gewechselt  worden  sind, 
ja  es  wird  überhaupt  erst  dann  verständlich.  Was  Klopp  bewögen  hat,  das  Acten- 
stück flüher  zu  setzen,  scheint  in  der  Bitte  von  Leibniz  zu  liegen,  die  Kui'fürstin 
möge  ihm  ein  Billet  zusenden,  dass  seine  Ankunft  in  Berlin  genehm  sei,  während 
sie  doch   schon    im  Anfang   December   1697    (s.  den  Brief  von  Leibniz  vom   14.  De- 


54  V()r,ii(\scliichte  dor  Ak.-ideiiiie. 

Da  die  brandenburgische  Kurfürstin  jetzt  das  ganze  Vertrauen 
ihres  Gemahls  besitzt  und  als  gute  Tochter  mit  ihrer  Mutter  ver- 
bunden ist  und  auf  ihre  Rathschläge  hört,  so  ist  endlich  die  Ge- 
legenheit gegeben,  die  Fehler  zu  corrigiren,  die  früher  gemacht 
worden  sind,  und  zwar  durch  eine  enge  Verbindung  beider  Häuser. 
Doch  hat  das  mit  grösster  Vorsicht  zu  geschehen  »pour  eviter  une 
trop  grande  apparence  et  affectation  qui  puisse  donner  ombrage  a 
l'Electeur,  jaloux  avec  raison  de  son  autorite  qu'il  a  voulu  reprendre 
en  main«.  Da  Correspondenzen  bösen  Zufälligkeiten  ausgesetzt  sind, 
wird  es  sich  empfehlen,  dass  »une  personne  de  confiance  et  d'in- 
telligence«  erwählt  werde,  «qui  alt  sujet  d'aller  de  temps  en  temps 
d'une  cour  a  l'autre«,  um  geräuschlos,  ohne  Verdacht  zu  erwecken 
und  umsichtig  die  nöthigen  Informationen  zu  überbringen.  Für 
diesen  Zweck  weiss  ich  keinen  anderen  zu  nennen  als  mich  selbst. 
Ich  besitze  das  Vertrauen  der  hannoverschen  Kurfürstin  imd  habe 
Grund  zu  hoffen,  auch  das  der  brandenburgischen  zu  erwerben.  Ich 
rühme  mich  zwar  keiner  vollkommenen  Kenntniss  der  schwebenden 
politischen  Affairen ;  doch  traut  man  mir  einige  Einsicht  zu,  wie  man 
mich  schon  zu  wiederholten  Malen  mit  Abfassung  von  Staatsschriften 
betraut  hat.  Was  aber  den  (für  die  Aussenwelt  geltenden)  Zweck 
für  solche  wiederholte  Reisen  an  den  Berliner  Hof  anlangt,  so  weiss 
man,  dass  ich  in  den  profundesten  Wissenschaften  eine  einzigartige 
Stellung  einnehme,  Mitglied  der  Königl.  Societät  in  London  seit 
mehr  als  20  Jahren  bin,  Mitglied  der  Pariser  Akademie  sein  sollte 
und  die  ausgebreitetste  Correspondenz  mit  europäischen  Gelehrten 
habe.  Wie  mir  nun  die  Inspection  der  Wolfenbüttler  Bibliothek 
Anlass  giebt,  von  Zeit  zu  Zeit  dorthin  zu  reisen,  »de  meme  quelque 
intendance  sur  les  sciences  et  les  arts,  (^u'on  veut  faire  tleurir  de 
plus  en  plus  a  Berlin  d'une  mnniere  fort  glorieuse  a  l'Electeur,  me 
pourrait  fournir  une  raison  encore  plus  plausible  d"aller  de  tem})s 
en  temps  a  Berlin,  d'une  maniere  qui  ne  serait  point  inutile" '. 
Wohl  am   einfachsten  lässt  sich   das   erreichen,   wenn   die  brand(m- 


cember)  Lkiüxiz  zu  einein  Besuch  nacli  Berlin  eingeladen  hat.  Allein  ,)<Hzt  handelt 
es  sich  lun  ein  schriftliches  Zeugniss.  gleichsam  um  einen  Pass,  den  er,  Leibxiz,  in 
Hannover  vorlegen  und  durch  den  er  die  Erlaubniss  zur  Reise  und  zu  längerem  Auf- 
enthalt vom  hannoverschen  Kurfürsten  bewirken  kann. 

'  An  den  Ol^servatoriinns-Plan  knüpft  hier  Leiümz  nicht  an  und  ebensowenig 
an  eine  zu  gründende  .Societät  der  Wissenschaften ;  denn  er  wollte  möglichst  um- 
gehend nach  Berlin  konunen,  jene  Pläne  aber  waren  noch  gestaltlos,  und  der  Bau 
eines  Observatoriums  liatte  für  ihn  so  lange  kein  Interesse,  als  sich  nicht  weiter- 
gehende Unternelimungen   daran   anschlössen,  in  denen  ei-  thätig  sein  konnte. 


Leiümz  und  die   beiden  Kurfürstinnen  (IfJllTyS).  5i> 

biirgisclie  Kurfürstin  durch  ein  an  ihre  Mutter  geschicktes  Billet 
mir  bezeugen  wollte,  dass  es  ihr  genehm  ist,  dass  ich  nach  Berlin 
komme,  und  wenn  sie  es  dann  beim  Kurfürsten  durchsetzte,  dass 
man  mich  mit  einer  Aufgabe  betraute,  wie  ich  sie  angedeutet  habe. 
Ich  könnte  dann  Alles  betreiben,  was  zum  Ruhme  der  Fürsten  und 
Fürstinnen  und  zu  ihrem  gemeinsamen  Wohl  dient,  vor  Allem  aber 
das,  w^as  den  Interessen  der  Kurfürstin  von  Braunschweig  zuträglich 
ist,  deren  edle  und  treffliche  Absichten  mir  bekannt  sind.  Mit  den 
Worten:  »Je  parlerai  une  autre  fois  du  plan  des  desseins  qu'on 
pourrait  former  pour  contribuer  le  plus  au  bien  et  a  la  gloire  des 
deux  maisons  dans  ces  conjonctures,  oü  le  pouvoir  de  la  France  et 
les  succes  du  parti  attache  au  pape  nous  menace  d'une  fächeuse 
revolution,  si  Ton  ne  s'y  oppose  avec  beaucoup  d'adresse  et  de 
vigueur«,   schliesst  das  Actenstück. 

Diese  Urkunde,  an  deren  Veröffentlichung  Leibniz  gewiss  nicht 
gedacht  hat,  scheint  auf  den  ersten  Blick  sehr  gravirend  zu  sein, 
aber  bei  näherer  Erwägung  stellt  sie  sich  in  einem  günstigem  Lichte 
dar  und  gehört  jedenfalls  zu  den  harmloseren  Schriftstücken  in 
dieser  Zeit  der  Geheimpolitik  und  der  politischen  Kabalen.  Man 
muss  die  Briefe  hinzunehmen,  die  vorangegangen  sind  —  die  in 
ihnen  ausgesprochenen  Absichten  sind  unzweideutig  und  rein  — , 
man  muss  vor  Allem  den  Schlusssatz  unsres  Actenstücks  beachten ; 
denn  in  ihm  enthüllt  sich  die  uns  bereits  bekannte  letzte  Absicht 
LEiBNizens.  Eine  echt  deutsche  und  grosse  protestantische  Politik 
zu  treiben,  darin  sieht  er  den  Ruhm  und  die  Aufgabe  der  beiden 
Häuser  —  eine  Aufgabe,  die  sie  nach  seiner  Überzeugung  nur  ge- 
meinsam durchzuführen  vermögen.  Diesem  Ziele  sollte  die  Verbin- 
dung gelten ,  und  ihm  stellte  er  sich ,  Gemeinnützliches  und  per- 
sönlich Erwünschtes  verbindend,  zur  Disposition\  Ihm  ordnete  er 
auch  den  Plan  einer  wissenschaftlichen  Mission  in  Berlin  unter,  der 
doch  um  der  Erschliessung  Russlands  und  Chinas  willen  seine  ganze 
Seele  erfüllte.  Die  Kurfürstin  Sophie  verstand  die  Union  freilich 
anders  —  »dass  für  unsre  Kinder  gute  Vortheile  erwachsen«,  war 
ihr  die  Hauptsache  ■ — ,  und  Leibniz  ist  von  dem  Vorwurf  nicht  frei- 
zusprechen, dass  er  in  diesem,  übrigens  als  ein  Vorläufer  bezeich- 
neten Actenstück  ihr  in  Worten  allzusehr  entgegenkommt  und  sich 
so    ausdrückt,    wie    sie    es    am    liebsten    hörte.     Die  Verantwortung 


^    ]Man  beachte  auch,  dass  er  l)ereits  im  Anfang  December  die  Aufforderung- 
der  Kurfürstin .  nach  Berlin  zu  kommen .  erhalten  hatte. 


5b  ^'()rg■eschichte  der  Ak.'uleinic. 

gegenüber  Brandenburg,  neben  der  öffentlichen  Diplomatie  eine  ge- 
heime der  beiden  Fürstinnen  einzurichten,  hätte  nicht  er,  sondern 
<lie  brandenburgische  Kurfürstin  getragen,  wenn  es  zu  solcher  Ein- 
richtung damals  wirklich  gekommen   wäre. 

Die  Entwicklung  der  Beziehungen  LEiBNizens  zu  Brandenburg 
bietet  ein  last  dramatisches  Interesse:  ob  sie  sich  finden  werden. 
Leibniz  und  Berlin ,  ob  eine  Akademie  der  Wissenschaften  in  Branden- 
burg die  Frucht  dieser  Verbindung  sein  wird?  Das  vorstehende  Acten- 
stück  hat  den  grossen  Plan  LEiBNizens,  der  hier  nur  wie  eine  Hülfs- 
linie  erscheint,  der  Verwirklichung  jedenfalls  um  einen  bedeutenden 
Schritt  näher  gebracht. 

8. 

Die  brandenburgische  Kurfürstin  entschloss  sich  damals  nicht, 
auf  den  von  Leibniz  vorgelegten  gefährlichen  Plan  einzugehen  \  Wohl 
wollte  sie  ihn  in  Berlin  sehen,  aber  sie  erblickte  zunächst  keine 
Möglichkeit,  dies  zu  bewirken,  ohne  sich  in  ein  bedenkliches  po- 
litisches Abenteuer  zu  stürzen.  Wie  sollte  sie  den  Wunsch  des 
sanguinischen  Gelehrten,  Oberstudien -Director  in  Brandenburg  zu 
werden,  im  Handumdrehen  erfüllen?  Und  wie  gefährlich  war  das 
Ansinnen,  eine  Art  von  Vollmacht  für  den  weifischen  Staatsmann  aus- 
zustellen? Leibniz  hatte  ihren  Einlluss  beim  Kurfürsten  überschätzt 
und  die  Reserve,  die  sie  sich  auferlegen  musste,  verkannt.  So  be- 
gnügte sie  sich,  die  Angelegenheit  langsam  zu  fördern,  indem  sie 
einerseits  den  Plan  des  Observatoriums  wieder  aufnahm,  an  den 
sich,  wie  Leibniz  früher  ausgeführt  hatte.  Weiteres  anschliessen 
konnte,  andererseits  ihre  Geneigtheit  erklärte,  mit  Leibniz  in  eine 
Geheimcorrespondenz  zu  treten,  aber  nicht  direct,  sondern  durch 
eine  vertraute  Mittelsperson,  den  Hofprediger  Jablonski.  Merk- 
würdig —  es  war  dersellie  Mann,  der  im  Auftrage  des  Kurfürsten 
die  ebenfalls  geheim  betriebenen  confessionellen  Unionsverhandlungen 
zwischen  Brandenburg  und  Hannover  zu  führen  hatte,  an  denen 
Leibniz  den  regsten  Antheil  nahm.  Am  5.  März  1698  schnell  Ja- 
blonski an  Leibniz  auf  Befehl  der  Kurfürstin  jenen  ausführlichen 
Brief,  der  die  gehaltvolle  Correspondenz  zwischen  beiden  Männern 
eröffnet".     Der  Brief  beginnt  mit   den  Worten: 


^  Später  hat  sie  es  getlian.  s.  die  für  Leibniz  ausgestellte  VüUmacht  vom 
2.December  1701    (Klopp.  Werke.   10. Bd.  S.gif.). 

^  Der  Brief  befindet  sich  auf  der  Bibliothek  zu  Hannover  und  ist  von  Kvac- 
SALA  (a.  a.  O.  S.  1 1  ff.)   abgedruckt.     Vollständig  mitgetheilt  im  Urkundenband  Nr.  17. 


Lkiijni/."  IWv.icIiunncii   zur    Kurrürstin    im   ,l;ilirt'    1 69S.  ;)  / 

"Der  l)esondern  Estiiiie.  welclie  lliro  Cliiirl'.  Diii'clil..  meine  gnädigste  Fniii. 
fiii-  meinen  hochgeehrten  Herren  hal)en,  bin  ich  für  die  Ehre  verhunden,  gegen- 
wärtige Zeilen  an  meinen  hochgeehrten  Herren  in  schuldigster  Eln^erbietigkeit  ab- 
gehen zu  hissen,  und  l)itt('  mir  die  I*"i'eiheit  aus.  die  Gelegenheit  hiezu  etwas  weit- 
läufig anführen   zu  düi'fen." 

Jablonski  erzählt  nun  sehr  ausführlich .  wie  im  vorigen  Jalir 
der  Gedanke,  ein  Ohservatoriuni  zn  hauen,  hei  und  von  der  Kur- 
fnrstin  ani^-eregt,  wie  er  aher  »durch  die  unverhoffte  Revolution  hie- 
sigen Hofes«  zunächst  hinfällig  geworden  sei\   und  fährt  dann  fort: 

"Doch  wuchs  mir  hinwiedei-  der  Muth,  da  I.  Churf.  Durchl.,  als  die  Eln-e  hatte. 
Dero  das  neue  .lahr  zu  wünschen.  \'on  selbsten  nach  dem  Observatorio  fragten  und 
vermeldeten,  mein  hochgeehrter  Herr  habe  bereits  sein  Vei'gnügen  über  das  anzu- 
legende Observatorium  bezeuget,  auch  versprochen  anliero  zu  kommen  und  es  in 
Augenschein  zu  nehmen'-,  wiewohl  Ihi'o  Cli.  D.  darauf  geantwortet,  es  sei  damit 
noch  so  weit  nicht  kommen,  mir  auch  mithin  gnädigst  befahlen .  in  besagter  .Sorge 
fortzufahren.  Weil  nun  der  Ober-Rammerherr  Freiherr  von  Kolbe  eben  zum  Pro- 
tcctoie  der  neuen  Akademie  [der  Künste]  ernennet  worden,  trug  selbtem  die  «Sache 
vor,  überlieferte  das  ehemahlige  Project^  dergleichen  auch  bei  dem  neu  bei-ufenen 
Leib-]Medico  Hrn.  Albino,  als  einem  besonderen  Mathematico,  und  der  oft  Gelegen- 
heit hat.  8.  Chr.  D.  und  des  Ober  -  Kammerherrn  Exe.  zu  sprechen,  gethan;  es  ist 
al)er  hierauf  weiter  kein  Bescheid  erfolget.  Weil  nun  billiges  Bedenken  tragen 
musste,  in  einer  Sache,  welclie  so  gar  ausser  meiner  theologischen  Sphäre  zu  sein 
schiene,  mich  weiter  zu  meliren.  beschloss  selbige  hinfort  gänzlich  bei  Seite  zu  legen, 
liis  neulichst  die  Ehre  hatte.  Ihro  Clu".  D.  imtertliänigst  aufzuwarten,  da  selbte  wie- 
derum auf  das  Observatorium  fielen,  dabei  mich  fragten,  ob  meinem  hochgeehrten 
Herrn  bekannt  sei.  und  auf  Verneinen  gnädigst  befahlen,  mit  selbtem  in  Correspon- 
dence  mich  einzulassen^,  Ihro  Ch.  D.  wollten  selbst  für  der  Briefe  Bestellung  Sorge 
tragen,  nur  es  müsste  in  einer  Sprache  sein,  welche  selbte  nicht  hinderte,  an  diesem 
Briefwechsel  Theil  zu  haben.  Diesei-  gnädigste  Befehl  und  höchstverbindendes  An- 
erbieten der  gütigsten  und  klügsten  Füi'stin  unserer  Zeit  giebt  mir  gegenwärtige 
Kühnheit  und  w'ird  auch,  wie  ich  hoffe,  selbige  entschuldigen.  I"nd  weil  in  der 
fianzösisciien  Sprache  mir  nicht  genugsam  trauen  kann,  habe  die  deutsche  erwählet, 
meinem  liochgeehrten  Herren  zu  beliebigem  Gefallen  anheimstellend,  ob  —  wenn 
ich  das  Glück  haben  sollte,  mit  einer  gütigen  Antwort  beehrt  zu  werden  —  selbiger 
eben  derselben  oder  der  französischen,  deren  I.  Chr.  D.  sicli  gemeinsamer  zu  ge- 
Ijrauchen  pflegen,  sich  bedienen  wolle.  Wann  mein  hochgeehrter  Herr  so  viel  Com- 
plaisance  gegen  Ihro  Chr.  D.  zu  bezeugen  beliebet,  als  selbte  Hochachtung  gegen 
meinen  hochgeehrten  Herren  haben,  zweifle  nicht,  selbter  werde  denen  andern  wich- 
tigen Affairen  einige  Minuten  abbrechen,  diese  Wissens  -  gierige  Fürstin  mit  einem 
Paar  Zeilen  zu  vergnügen,  ^'ielleicht  wird  noch  eben  demselben  das  Publicum  die 
Vortheile  eines  Observatorii  zu  danken  haben  (denn  ein  Clericus  kann  diese  Sache 
nicht  durchtreiben,  hohe  Politicos  aber  finde  gegenwärtig  nicht,  die  derselben  nach- 
drücklich favorisireten .  wo   nicht  der  Churfürstin  Durchl.  selbst  derselben  sich  an- 


^    Dieses  Stück  des  Briefes  ist  oben  S.47f.  bereits  mitgetheilt  worden. 

^  Eine  solche  directe  Zusage  von  Leibniz  an  die  Kurfürstin  fehlt  in  den  uns 
erhaltenen  Briefen  aus  dem  December  1697;  aber  sie  schliesst  sich,  wenn  sie  wirk- 
lich erfolgt  ist.  an  den  Inhalt  jenei-  Schreiben  trefi'lich  an. 

'^    Das  Project  von  Rabener.  s.  oben  S.48. 

*  Die  Kurfürstin  hatte  das  Pi'o- Memoria  Leibnizchs  empfangen,  und  der  hier 
gegebene  Befehl  ist  die  Frucht  desselben. 


58  Vorgeschichte  der  Akruh'inie. 

nehmen);  ich  Jillewege  werde  glücklich  sein,  Gelegenheit  gewonnen  zu  haben,  meine 
schuldigste  Observanz  gegen  meinen  hochgeehrten  Herrn  zu  bezeugen  und  demselben 
unwiirdig  mich  bekannt  zu  machen,  um  von  denen  grossen  Talenten,  welche  Gott 
selbtem   anvertrauet   hat,    nnch  meiner  kleinen  Mass  auch    in    etwas    zu   prolitiren." 

Nun  kommt  Jablonski  von  sicli  aus  auf  die  confessionellen 
Unionsverliandlungen  zu  sprechen.  Leibniz  zeigte  der  Kurfürstin 
am  24.  März  1698  den  Empfang  dieses  Schreibens  an':  »Ce  que 
Mr.  Jablonski  m"a  ecrit  par  son  ordre,  m'a  encore  ravi,  et  j'en 
attends  de  grandes  choses  sans  grand  embarras«.  hi  Wahrheit  war 
er  enttäuscht,  dass,  statt  ihn  kommen  zu  lassen,  nur  eine  Correspon- 
denz  eintreten  solle"'.  Dennoch  ging  er  in  seinem  ersten  Briefe  an 
Jablonski  vom  26.  März^,  der  auch  für  die  Kurfürstin  bestimmt  war. 
mit  Illifer  auf  den   Bau   eines   Observatoriums   ein: 

"Dass  die  durchlauchtigste  Churfürstin ,  unsere  gnädigste  Frau,  sich  dessen 
was  einsmals  von  einem  Observatorio  und  Anstalt  zu  Beförderung  gründlicher  Wissen- 
schaften [Letzteres  ist  sein  Zusatz]  vorkonnnen .  annoch  erinnert,  erfreuet  mich 
sehr,  und  schöpfe  daraus  eine  grosse  Hoffnung  zur  Erreiclumg  solcher  Dinge,  die 
hochnützlich  sein  und  dieser  vortrefflichen  Füi'stin  unsterl)lichen  Ruhm  vermehren 
werden.  Denn  was  dem  menschlichen  Geschlecht  ein  neues  beständiges  Licht  bringet 
und  dessen  Macht  über  die  Natur  und  gleichsam  sein  Gebiete  vermehret,  halte  ich 
höher  als  Eroberung  Land  und  Leute,  dadurch  nichts  gebessert  wird,  sondern  nur 
aus  einer  Hand  in  die  andere,  und  zwar  nicht  ohne  Schaden  gehet.  Und  scheinet, 
dass  denen  Damen  vom  höchsten  Stand,  deren  Geist  so  wohl  als  ihr  »Stand  erhöliet, 
diess  Lob  eigentlich  bescheeret  und  vorbehalten  sei,  dieweil  sie  nicht  mit  dem  ge- 
meinen Lauf  der  mühsamen  Arbeit  beladen,  sondern  ihr  Gemüth  anstatt  lilosser 
menschlicher  Zierlichkeiten,  die  sonst  vor  ihr  Appanage  gehalten  werden,  auf  die 
Schönheiten  Gottes  und  der  Natur  zu  wenden  und  daher  den  Nutzen  zu  schaffen 
Gelegenheit  haben,  welcher  meines  Ermessens  nächst  der  wahren  Religion  der 
grösste.  Zwar  haben  hohe  Damen  sich  noch  bisher  dessen  wenig  angenommen. 
Ich  hoffe  aber  der  Churfürstin  Durchl. ,  die  nicht  nur  ihres  Geschlechts,  sondern 
auch  der  menschlichen  Natur  Vollkommenheiten  in  so  hohem  Grad  besitzet,  soll 
ihrem  Geschlecht  den  Weg  zu  einem  neuen  Trium])he  (")fl['nen ,  dass  [sie]  das  unsrige 
durch  etwas  Wichtiges  Tuid  zugleich  Angenehmes  übertreffe.  Schätze  es  derowegen 
für  eine  hohe  (inade  und  grosses  Glück  füi'  micii.  dass  Sie  meine  wenige  Gedanken 
dabei  zu  vernehmen  gei'uhen  wollen." 

Leibniz  giebt  nun  genaue  Anweisungen,   wie  ein  Observatorium 

zu  bauen   und   einzurichten   sei,    und   dass   man   dann  in  Corres])on- 

denz   mit    den  Akademikern    von    Paris    und    London    treten    müsse. 

L'brigens  —  »wenn  man  nur  thun  wollte,   w^as  schon  gethan,   hätte 


'    Ki.opp.  Werke,    10.  Bd.  S.  49. 

-  Postscri})t  zum  ersten  Schreiben  an  Jablonski  vom  26.  ^lärz  1698  (Ivvac- 
SALA  ,   a.  a.  O.   S.  19). 

■'  K\'A(SALA  hat  den  Brief  (S.  14 ff". )  als  undatirten  gedruckt;  al)er  das  Datum 
ergiebt  sich  aus  dem  datii'ten  Postscript  (S.  18),  welches  —  was  Kvacsala  ent- 
gangen ist  —  zu  diesem  Briefe  gehöi't.  Ich  habe  den  Brief  im  Urkundenband  Nr.  18 
gegeben.  Das  Postscript  stand  auf  einem  anderen  Zettel  und  war  nicht  füi-  die  Kiu-- 
fürstin   bestimmt. 


Leiumz"  Bezielmngen   zur   Kurl'üi'stin   im  .laln-e  1698.  51) 

man  keinen  Ruhm  davon«.  Hierauf  geht  er  auf  das  religiöse  Frie- 
denswerk und  auf  wissenschafthche ,  zwischen  Newton  und  ihm 
schwebende  Fragen  ein\  Jenes  Werk  bildete  fortab  den  Haupt- 
gegenstand in  dem  Briefwechsel  mit  Jablonski  und  brachte  Leibniz 
wiederum  mit  Spanheim,  aber  auch  mit  dem  brandenburgischen  Minis- 
ter von  Fuchs  in  Verbindung.  In  dem  Briefe  vom  April  1698"  suchte 
Leibniz  die  Kurfürstin  durch  die  Mittheilung  dessen,  was  in  Frank- 
reich für  die  Wissenschaften  und  Künste  geschehe,  aufs  Neue  an- 
zufeuern. »(Es  ist)  mir  gewisslich  leid,  da  andere  benachbarte  Völker 
auch  das  ihrige  thun,  dass  wir  Teutschen  allein  so  sehr  zurück 
bleiben,  da  doch  gemeiniglich  der  Grund  der  schönsten  Erfindungen 
von  uns  herrühret.  Es  fehlet  bloss  daran,  dass  man  sich  der  Dinge 
an  hohen  Orten  wenig  annimmt  und  weder  die  Ehre  der  teutschen 
Nation  hierin,  noch  das  gemeine  Beste  und  den  an  dessen  Beförde- 
rung hangenden  unsterblichen  Ruhm  genugsam  zu  Herzen  ziehet. 
Es  stehn  auch  die  Sachen  in  Teutschland  leider  so  verwirret,  und 
die  meisten  Herrn  finden  sich  dermassen  in  Schwierigkeiten  ver- 
wickelt, dass  ich  nicht  sehe,  wer  ausser  Chur- Brandenburg  etwas 
ansehnliches  dabei  thun  könne.  Nun  thun  Chr.  Durchl.  bereits  kein 
geringes,  und  blühen  alle  schöne  Wissenschaften  und  Künste  an  ihrem 
Hof,  doch  zweifle  ich  nicht,  es  werde  darin  zu  dieses  grossen  Poten- 
taten Glorie  noch  immer  weiter  gegangen  werden.« 

Im  Sommer  1698  reiste  die  Kurfürstin  nach  Hannover  und  hielt 
sich  längere  Zeit  dort  auf.  Wir  wissen,  dass  ihr  Leibniz  auf"s  Neue 
daselbst  seinen  Plan,  ein  wissenschaftliches  Institut  in  Berlin  zu  be- 
gründen, vorgetragen  hat^;  wir  wissen  aber  auch,  dass  sie,  zurückge- 
kehrt, Grund  hatte,  im  brieflichen  Austausch  mit  ihm  noch  vorsichti- 
ger zu  werden.  Sie  giebt  Jablonski  den  Befehl,  fortab  die  für  Leibniz 
bestimmten  Briefe  nicht  melir  ihrem  Secretär  zu  übergeben,  sondern  in 


'  Die  sonst  unmotivirte.  austulirliclie  Beliandlung  dieser  Fragen  erklärt  sich 
nur  aus  LEiBNizens  Absicht,  in  der  Ivurfiirstin  die  Sehnsucht  nach  geistigem  Aus- 
tausch mit  ihm,  dem  Gelehi-ten.  zu  verstärken. 

^  KvACSALA,  a.a.O.  8.  19  ff.  Das  Sciu'eiben  ist  undatirt,  alier  das  Datum 
ergieht  sich  aus  dem  Brief  Jabloxski's  vom  6.  August  1698  (Kvacsala  8.  23  ff.). 

^  8ielie  LEiBNizens  Brief  an  die  Kurfürstin  vom  1 1.  August  1698  bei  Klopi', 
Werke.  10.  Bd.  S.  50  tf.  (»Or  comme  j'avais  encoi-e  beaucoup  k  dire  a  V.  S.  E.  sur 
le  personnage  ([u'elle  ferait  admirablement  bien  de  protrectrice  des  belies  sciences, 
personnage  ([ue  peut-etre  personne  d^  son  sexe  n"a  encore  fait,  je  me  flattais  qua 
j"en  trouvei-ais  le  temps  alors.")  Die  Kurfürstin  musste  schneller  von  Hannover 
abreisen,  als  zuerst  geplant  war:  sie  sollte  nicht,  wie  Leibniz  es  gewünscht  hatt 
bei  der  Zusammenkunft  des  Königs  Wilhki.^i  111.  von  England  mit  dem  hannove 
sehen  Hof  in  ("eile  zuaeaen  sein. 


C)0  \'(»i-j><'sc-hiclite  der  Aknclcinie. 

ihre  oig-eiioii  Hjiiide  zu  legen'.  Jablonski  musste  Leibniz  leider  aueli 
mittlieilen  (6.  August  1698),  dass  »die  gegenwärtigen  Aspecten  un- 
seres Hofes  der  projectirten  Himmelsbeschauung  durchaus  nicht  favori- 
siren,  sondern  andere  Conjunctiones  erwartet  werden  müssen,  die  einen 
henignioreni  influxvnn  unsern  Bemühungen  zuwenden  mögen«.  «wSo 
bleibt  denmach  das  Observatorium  nebst  denen  übrigen  subtilen  philo- 
sophischen Materien  für  jetzo  an  die  Seite  gesetzet,  bis  etwa  eine 
Gelegenheit  sich  ereigne,  wegen  des  ersteren  etwas  fruchtbarliches 
auszurichten  und  mit  dem  zweiteren  unsere  gnädigste  Churfürstin 
zu  unterhalten  und  zu  vergnügen";  dahin  aucli  Communicationen  des 
Projects,  so  betreffend  die  Speculam  unterthänigst  überreichet  wor- 
den, verschoben  haben  will,  und  bleibet  übrig  die  zweite  Haupt- 
Materie,  das  durch  desselben  gottselige  Bemühung  glücklich  incami- 
nirte  Negotium  Irenicum.«^ 

Der  Kurfürst  hatte  also  das  Project  des  Observatoriums  über- 
haupt noch  nicht  zur  Kenntniss  genommen,  und  man  verzichtete 
darauf,  zur  Zeit  die  Sache  zu  betreiben.  Damit  schien  LEiBNizens 
Hoffnung,  nach  Berlin  zu  kommen,  vereitelt  zu  sein.  Auch  hatte  die 
unerwartete  Rückkehr  der  Kurfürstin  ihn  darun'i  gebracht,  seine  wis- 
senschaftlichen Berliner  Pläne  so  zu  insinuiren,  wie  er  es  gewünscht 
hatte ^.  Aber  der  Vielgewandte  hatte  zwei  Eisen  im  Feuer.  Jetzt 
eben  waren  die  Verhandlungen  über  das  Negotium  Irenicum  zwischen 
Brandenburg  und  Hannover,  nicht  zum  mindesten  durch  seine  Be- 
mühungen, so  weit  gediehen,  dass  er  es  wagen  konnte,  dem  bran- 
denburgischen Staatsminister  von  Fuchs  vorzuschlagen,  ihn,  Leujniz,  zu' 
})ersönliche]i  Unterredungen  nach  Berlin  kommen  zu  lassen*.  Allein 
man  hatte  Misstrauen  gegen  ihn  und  beschloss  vielmehr,  den  Hof- 
prediger Jablonski  nach  Hannover  zu  senden.  Das  war  ein  harter 
Schlag  für  Leibniz.  Ende  September  trat»  Jablonski  diese  Reise  an 
Sie  wurde  so  geheim  gehalten,  dass  ausser  dem  Kurfürsten,  dem 
Hrn.  VON  Fuchs  und  dem  Grafen  Dohna  Niemand  etwas  von  ihr  er- 
fuhrt    Jablonski  verhandelte  in  Hannover  mit  Leibniz,   den  er  zum 

^  Siehe  den  Brief  Jablonski's  an  Leihmz  vom  6.  August  1698  (Kvacsala, 
a.  a.  ü.  S.  23  ff.). 

"  Jablonski  hatte  also  sehr  wohl  verstanden,  dass  nicht  er  mit  Newton, 
dem  Vacuuni  und  der  Polhöhe  unterlialten  werden  sollte. 

^  Siehe  den  Brief  vom  11.  August  1698  (Klopp.  10.  Bd.  S.  50)  im  Urkunden- 
band Nr.  19. 

*    So  meine  ich  den  Schluss  des  eben  erwähnten  Briefes  verstehen  zu  müssen. 

'"  Siehe  die  Briefe  Jablonski's  vom  17.  .September  u.  ff.  bei  Kvacsala.  a.  a.  O. 
S.  27  ff. 


Leikmz"  Bezielmngeii  zum    Ivurt'iirsten  im  Jahre  1(198.  61 

ersten  Male  sali,  dem  Abt  Molanus  u.  A.  und  kehrte,  erfüllt  von 
Dank  gegen  Leibniz  und  voll  Hoffnungen,  nach  Berlin  zurück.  Er 
unterliess  nicht,  Leibniz'  l)esondere  Verdienste  dem  Kurfürsten  zu 
rühmen,  und  erreichte  es,  dass  dieser  ihn  beauftragte,  den  Gelehrten 
seiner  Gnade  und  seines  Wohlwollens  zu  versichern  \ 

Hiermit  hatte  dieser  sehr  viel  erreicht;  denn  bisher  hatte  der 
Kurfürst  augenscheinlich  wenig  von  ihm  wissen  wollen.  Jetzt  aber 
trug  die  von  der  Wendung  unterrichtete  Kurfürstin  ihrem  Gemahl 
die  Bitte  vor,  dass  sie  Leibniz  in  Berlin  empfangen  dürfe.  Der  Kur- 
fürst gewährte  die  Bitte,  und  die  Kurfürstin  lud  den  Gelehrten 
durch  Jablonski  zu  sich  ein".  Endlich  schien  er  sein  Ziel  erreicht 
zu  haben'. 

Aber  eine  neue  Schwierigkeit  erhob  sich.  Der  Kurfürst  Georg 
Ludwig  von  Hannover,  sein  Landesherr,  verweigerte  ihm  die  Er- 
laubniss  zur  Reise.  Er  war  misstrauisch,  sei  es  dass  er  fürchtete, 
l^EiBNiz  zu  verlieren ,  sei  es  dass  er  argwöhnte ,  dieser  werde  sich  in 
Berlin  für  brandenburgische  Literessen  gewinnen  lassen.  Hier  ist 
bereits  das  Vorspiel  gegeben  zu  dem  tragischen  Ausgang  der  Affaire, 
dass  Leibniz  das  Vertrauen  in  Hannover  verlor  und  in  Brandenburg 
nicht  dauernd  gewann.  Es  blieb  ihm  nichts  übrig,  als  sich  zu 
fügen ;    er  that  das   in   einem    freimüthigen   Schreiben   an   den   Kur- 


'  Siehe  den  Brief  Jaklonski's  an  Leibniz  vom  15.  October  1698  (Kvacsala 
S.  30  ff.):  "S.  Cliurfr.  DurchL  befahlen  mir.  meinen  hochgeehrtesten  Herrn,  wie  auch 
des  Hrn.  Abtes  Hochw.  —  dessen  sie  sicli  gar  familiär  und  gnädigst  erinnerten  — 
dero  besonderen  Gnade  bestens  zu  versichern,  und  wie  dass  S.  Churf.  Durchl.  an 
demjenigen,  so  meine  hocligeehrteste  Herren  zum  gemeinen  Besten  der  evangelischen 
Kirche  bishero  gethan,  ein  vollkommentliches  Gefallen  hätten,  auch  ihres  Ortes 
dazu  kräftiglich  concurriren  wollten:  es  möchten  nui'  meine  hochgeehrteste  Herren 
in  ihrem  gottseeligen  Eifer  fortfahren,  und  von  Sr.  Churf.  Durchl.  sich  alles  dessen 
versichert  halten,  was  in  diesem  wichtigen  Fall  von  Dero  könne  erwartet  werden.«. 
Leibniz"  erfreute  Antwort  darauf  vom  20.  October  1698  (Kvacsala  S.  33).  Der  Ver- 
kehr mit  dem  brandenburgischen  Minister  von  Fuchs  wird  nun  augenscheinlich  ein 
vertrauterer,  s.  JablonskTs  Brief  vom  5.  November  1698  an  Leibniz  (Kvacsala 
S.3SK). 

-  Siehe  das  Antwortschreiben  Leibnizchs  an  Jablonski  vom  8.  Januar  1699 
(KAPpens  Sammlung  einiger  vertrauten  Briefe  zwischen  G.  W.  v.  Leibniz  u.  s.  w. 
1745  8-32  f.).  Schon  am  10.  December  1698  war  Jablonski  der  Reiseplan  bekannt, 
s.  Kvacsala  S.4iff.  Am  15.  December  kann  Leibniz  schreiben,  er  hoffe  in  der 
nächsten  Woche  in  Berlin  zu  sein  (Kvacsala  S.43ff'.).  Der  Zweck  der  Reise  solle 
geheim  bleiben;  Vorwand  sei,  dass  er  längst  gewiinscht  liaLe.  dem  Kurfürsten  auf- 
zuwarten. 

^  Im  Postscript  zum  Brief  vom  8.  Juni  (S.42)  schreibt  er.  er  werde  na  eige- 
nen Wagen  sofort  abreisen  und  keine  Kosten  sclieuen.  (jbgleicli  ilmi  nichts  ersetzt 
Averde. 


62  \'()rg(\schiclite  der  Akademie. 

fürsteii'  und  erklärte,  sein  Ausbleiben  in  Berlin  mit  der  schlechten 
Jahreszeit  entschuldigen  zu  wollen". 

Bis  zum  Sommer  hören  wir  dann  nichts  Näheres;  gewiss  ist 
nur,  dass  der  wissenschaftliche  Briefwechsel  mit  der  Kurfürstin  fort- 
gingt. Gewiss  ist  auch,  dass  Leibniz  —  da  das  religiöse  Friedens- 
werk momentan  stecken  zu  bleiben  drohte  und  das  Observatorium 
nicht  gebaut  wurde  —  jetzt  wieder  auf  den  alten  Plan  zurückge- 
griffen hat,  brandenburgischer  Historiograph  zu  werden*,  und  sich 
deshalb  auf's  Neue  an  Spanheim  wandte  und  auch  Jablonski  in's 
Vertrauen  zog.  Dieser  schrieb  ihm  am  3.  Juni  1699%  Steinbeeg 
habe  ihm  aus  Paris  in  Spanheim's  Namen  mitgetheilt,  dass  im  Jahre 
1694  die  Angelegenheit  lediglich  an  der  Gehaltsfrage  gescheitert  sei, 
und  dass  er,  Spanheim,  vor  seiner  Abreise  nach  Paris  die  Sache  dem 
Minister  von  Fuchs  an's  Herz  gelegt  habe;  er  sei  aber  bereit,  an 
VON  Fuchs  zu  schreiben,  »dignum  enim  virum  incomparabilem  arc- 
tiore  cum  aula  iiostra  coniunctione  judicat«  ;  er,  Jablonski,  habe 
dnnn  sofort  an  Steinberg  zurückgeschrieben,  dieser  möge  ein  Schrei- 
ben an   VON  Fuchs  bei  Spanheim   erwirken. 

Im  August  1699  boten  die  Unionsverhandlungen  noch  weniger 
Aussichten*'.  »Wenn  keine  grosse  Apparenz  zum  Success«,  schreil)t 
Leibniz  an  Jablonski  am  25.  August,  »wie  denn  solcher  sich  in  meinen 
Gedanken  sehr  vermindert,  so  ist  am  rathsamsten  pro  ipso  negotio, 
man  halte  anjetzo  zurück,   bringe  nichts  in  eine  vergebene  oder  doch 

^    Abiiedruckt  im  Urkundenband  Nr.  20.    Das  Sclireiben  ist  vom  19.  Januar  1699 

-  Der  Aberzieht  war  ihm  um  so  schmerzlicher,  als  ihm  Jablonski  (am  3.  Januar) 
Folgendes  geschrieben  hatte:  »Kann  nicht  umhin,  meinem  hochgeehi'testen  Herrn 
part  zu  geben  von  dem  sehr  vverthen  Neujahrspräsent,  damit  I.  Clmrf.  Durchl.. 
unsere  gnädigste  Frau,  da  ehegestern  die  Gnade  hatte,  selbter  das  neue  Jahr  unter- 
thänigst  zuwiinschen,  meine  Wenigkeit  gnädigst  regalirt  haben.  Sie  sagten,  sie 
erwarteten  einen  lieben  Gast  und  hätten  gut  gefunden,  selbten  bei  mir  ein- 
zulogiren.  Ich  gebe  meinem  hochgeehrtesten  Herrn  zu  bedenken,  welche  grosse 
Freude  dieser  gnädigste  Vortrag,  welcher  mit  meinem  ehemaligen  Wunsch  so  voll- 
kommentlich  übereintraf,  in  mir  erwecket.  Ich  nahm  dieses  gnädigste  Erl)ieten  als 
eine  der  grossesten  Gnaden,  welche  Churf.  Durchl.  mir  erz(ngen  konnten,  mit  unter- 
thänigstem  Dank  an,  und  gleich  wie  nicht  hoffen  will,  dass  mein  hochg.  Herr  das- 
jenige Geschenk,  so  Churf.  Durchl.  mir  zugedacht,  mir  ungütig  vorenthalten  werde, 
also  habe  ein  geringes  Zimmer  und  Bette  bereitet,  einen  so  vornehmen,  werthen 
und  recht  erwünschten  Gast,  wo  nicht  nach  Würden,  doch  nach  Vermögen  entre- 
teniren«   (Kvacsala  S.47). 

^  Siehe  den  Brief  der  Kurfürstin  vom  2 2. August  1699  an  Lkihxiz  (Kloim-, 
10.  Bd..  S.  54):    "je  vous  dirai  que  vos  lettres  sont  d'un  grand  agrement   pour  moi". 

■*    Siehe  oben  S.  42. 

^    Siehe  Kappcus  Sammlung  u.  s.  w.  S.43ft". 

**  Doch  wurden  sie  im  Winter  1699/1700  günstiger  und  dehnten  sich  viel 
weiter  aus. 


Li:ii!Xiz"  Bezieluuigen   zur  Kurturstin  im  Jahre  16V)V).  GH 

missliclie  ungewisse  Deliberation ,  und  erwarte  eine  Zeit,  da  mehr 
Eifer.  Sonst  Avird  das  jetzige  nur  alt  und  verlieret  gratiam\«  Zwar 
erklärte  der  Minister  von  Fuchs  dem  Hofprediger,  der  Km-fürst  wäre 
noch  »im  ersten  Eifer«,  und  er  selbst  »wolle  nichts,  so  zu  Fort- 
setzung eines  heiligen  Werkes  gereichen  könnte,  ermangeln  lassen«: 
aber  er  fügte  doch  hinzu,  er  habe  einige  Sorge  dabei  »und  sehe  beson- 
dere Hinderungen,  als  die  Kaltsinnigkeit,  welche  zwischen 
hiesigem  und  hannoverischen  Hofe  schiene  sich  blicken 
zu  lassen,  den  genium  des  hannoverischen  Hofes  selbst,  und  son- 
derlich die  Härtigkeit  des  Evangelischen  Klerus  [der  Lutheraner], 
welche  fast  inexpugnable  schiene«.  In  dem  Briefe,  in  welchem 
Jablonski  dieses  an  Leibniz  berichtet  (vom  19.  September  logg)'-. 
kann  er  aber  hinzufügen,  dass  er  durch  Steinberg  neue  Nachrichten 
von  Spanheim  habe;  dieser  werde  an  von  Fuchs  schreiben  und  zweifle 
nicht,  dass,  wenn  nur  Leibniz  erst  die  Stelle  habe,  die  Gehalts- 
frage sich  zur  Befriedigung  lösen  lassen  werde.  Der  Minister  sei 
Leibniz  wohlgesinnt,  und  sein  Ansehen  steige  täglich ,  wenn  er  auch 
»in  Sachen,  die  Geld -Unkosten  involviren,  etwas  sonderliches  zu 
thun  bisher  nicht  im   Stande  gewesen  sei«^. 

Aber  noch  eine  andere  wichtige  Nachricht  hatte  Jablonski  mit- 
zutheilen:  »Da  ich  ehegestern  das  Glück  hatte,  der  Churf.  Durchl.  in 
Dero  Andacht  zu  Lützenburg  zu  bedienen,  sprachen  sie  bei  der  Tafel 
nach  der  Gewohnheit  von  meinem  hochgeehrten  Herrn  gar  gnädig 
und  bezeugten,  wie  sehr  sie  gewünscht  hätten,  selbten  einmal  hie 
zu  sehen.  Ihro  Churf.  Durchl.  beliebten  auch  mir  die  Sorge  für  das 
Observatorium  ernstlich  anzubefehlen:  dabei  ich  doch  bei  jetzigen 
Conjuncturen  wenig  zu  thun  vermag;  jedoch  hat  der  Ober-Hofmar- 
scliall  Dobrzynski  versprochen,   mit  mir  zusammen  zu  spannen«. 

Das  war  eine  zwiefache  Freudenbotschaft  für  Leibniz:  die  Kur- 
fürstin denkt  noch  immer  darauf,  ihn  zu  sehen,  und  nimmt  auch 
wieder  den  Plan  auf,  ein  Observatorium  zu  bauen.  »Wenn  man  auf 
ein  Observatorium  einsmahls  mit  Ernst  bedacht  sein  sollte, «  erwidert 
er,  freilich  etwas  zweifelnd,  »könnte  solche  Anstalt  gemacht  werden, 
dass  Entdeckungen  von  Wichtigkeit  dadurch  geschehen  möchten, 
zu  welchem  Ende  ein    oder    anders    dienlich    fürzuschlagen  wäre\« 


^    IvAPPens  Sammlung  8. 53. 
^    Siehe  Kappcus  Sammhuig  S.55ff. 

^    Von  der  Sache  ist  weiter  nicht  mehr  die  Rede.     Ob  sie  nur  an  dem  Geld- 
punkt gescheitert  ist?    Historiograph  Avurde  ein  obscurer  Gelehrter. 
*    A.a.O.  S.  67   (Brief  vom  19./29.  October  1699  an  Jablonski). 


{)4  N'orgescliiclitc  der  Akademie. 

Unterdessen  boten  die  Unions Verhandlungen  wieder  neue  Aussichten, 
und  Leitsniz"  umsichtige  und  besonnene  Mitwirkung  wurde  vom  Kur- 
fürsten und  vom  Minister  von  Fuchs  anerkannt'.  Das  Misstrauen 
gegen  ilm  verschwand  mehr  und  melir;  mit  Jablonski  wurde  das 
Verhältniss  immer  herzlicher;  aber  seine  persönlichen  und  wissen- 
schaftliclien  Hoffnungen  in  Bezug  auf  Berlin  blieben  bei  alledem 
unerfüllt.  Da  kam  von  ganz  unerwarteter  Seite  eine  überraschende 
Hülfe,   und   sie   führte  zum  Ziele. 


9. 

Seit  dem  Jahre  1694  war  der  Professor  Erhard  Weigel  in  Jena'' 
unermüdlich  thätig,  die  Abschaffung  des  julianischen  Kalenders  und 
die  Reinigung  des  Kalenderwesens  beim  Corpus  Evangelicorum  in 
Regensburg  zu  bewirken"'.  Im  Zusammenhang  damit  plante  er  ein 
Collegium  Artis  Consultorum  im  heiligen  römischen  Reich  und  legte 
diesen  seinen  Plan  auch  Leibniz  vor.  Eine  allgemeine  Societät  der 
Wissenschaften  in  Deutschland  gehörte  längst  auch  zu  Weigei/s 
Wünschen;  aber  wie  sie  in  dem  zersplitterten  Reiche  verwirklichen? 
Jetzt  glaubte  er  ein  Mittel  gefunden  zu  halben,  zwei  grosse  Zwecke  mit 
einem  Schlage  zu  erreichen:  einer  Reichsanstalt,  die  aus  etwa  zwan- 
zig Mitgliedern  bestehen  könne,  solle  das  Kalender  werk  als  Mono- 
pol für  Deutschland  übertragen  werden:  aus  den  reichen  Einkünften, 
die  dieses  Monopol  gewähren  würde,  solle  sich  jenes  Collegium  Artis 
Consultorum  allmählich  zu  einer  Akademie  entwickeln ,  die  ausser 
der  Astronomie  auch  die  anderen  mathematischen  Wissenschaften 
})tlegen    und   für  die  Plebuug  der  Künste   und  Handwerke  thätig  sein 


^  Siehe  Jablonski"s  Brief  vom  17.  Dec.  1699  (IvAPrens  Sammlung  S.  94!".) 
und  das  Schreiben  der  Kui-fürstin  Sophie  fHARLoriE  an  Leibniz  vom  9.  Deceml)er 
1699  (Klopp,  Werke,  10.  Bd.  S.  56),  dessen  Selihiss  zeigt,  dass  die  Kiiriurstin  die 
Hoffnung,  ihn  in  Berlin  zu  sehen,  nicht  aufgegeben  hat. 

"  Geb.  1625,  seit  1652  Professor  in  Jena,  wo  Pitfendorf  und  Leibniz  bei  ihm 
gehöi't  haben,  gest.  am  31.  März  1699;  vergl.  über  ihn  E.  Spiess,  Erhard  Weigki-, 
1881.  und  den  Art.  i.  d.  AUg.  Deutschen  Biogr.  (41.  Bd.  S.  465 ff.)  von  R.  Knoit. 
Ein  geistvoller  Mann,  in  seiner  Vielseitigkeit  und  in  dem  Gegensatz  zum  herrschen- 
den Schulbetrieb  Leibniz  verwandt,  führte  er  seine  Schüler  in  die  Werke  von  Car- 
TESiT-s ,  Ilroo   (iuorirs  und  Hobbes  ein. 

^  Dass  diese  Pläne  mindestens  bis  in"s  Jahr  1694  hinaufreiciKMi ,  zeigt  der 
Brief  an  Leibniz  vom  16.  April  1694:  «7a\  dem  vor  diesem  schon  unmassgeblich 
vorgeschlagenen  Collegio  Ai'tis  Consultorum  liab  ich  unlängst  zu  Regensburg  einige 
gute  Vertröstung  erhalten,  werde  es  diesen  Sommer  aber  nach  ^Möglichkeit  weiter 
urgiren«    (Bibliothek   zu    Hannover). 


Ehrhard  Weigel's  \'erdienste  inii  die  Begründung  der  Akademie.  65 

werdet  Viele  Gelehrte  waren  für  diesen  Plan  gewonnen,  aucli  die 
Höfe  wurden  bereits  angegangen.  Sehr  merkwürdig  ist  das  Gut- 
achten LEiBNizens  vom  Jahre  1697'".  ^^^  Verbesserung  des  Kalen- 
ders will  er  mit  der  Aufrichtung  der  Societät,  deren  Namen  er  übri- 
gens beanstandet ,  nicht  vermengen ;  auch  der  Societät  etwas  andere 
Aufgaben  stecken;  vor  allem  aber  erkannte  sein  politisch  geschultes 
Auge,  dass  ein  allgemeines  Reichs -CoUegium,  mit  jenem  Monopol 
ausgestattet,  bei  der  Zersplitterung  Deutschlands  undurchführbar 
sei;  denn  jeder  einzelne  Reichsstand  hätte  ja  dann  »über  Privilegia 
Imperatoria  nachdrücklich  zu  halten«,  dazu  aber  waren  sie  alle  viel 
zu  selbstsüchtig  und  kurzsichtig.  Er  schlägt  daher  —  merkwürdig 
genug  —  eine  Art  wissenschaftlichen  Bundesraths  für  Deutschland 
vor;  »neben  einer  gewissen  Universal -Anstalt  im  Reich,  einem  unter 
Kais.  Majestät  allerhöchsten  Direction  stehenden  Collegio,  solle  die 
Sache  zugleich  particulariter  besorgt  werden,  also  dass  Kais.  Majestät 
in  ihren  Erblanden,  einige  der  Kur-  und  Fürstlichen  Häuser  und 
andere  mächtige  Stände  oder  auch  ganze  Kreise,  jeder  für  sich  und 
dero  Lande,  bei  der  Hofstadt  oder  an  einem  andern  vornehmen  Ort 
ein   solches  Collegium  aufrichteten«. 

Welche  Einsicht I  Hier  war  ein  durchführbarer  Plan  geboten! 
Diesen  Plan  hat  Leibniz  verfolgt.  Wenn  er  zuerst  in  Berlin,  dann 
in  Dresden  und  anderswo  Societäten  aufzurichten  versuchte,  so  lag 
stets  die  Absicht  zu  Grunde,  alle  diese  Stiftungen  allmählich  mit 
einander  und  dann  auch  mit  den  ausserdeutschen  zu  verbinden.  Von 
unten  muss  man  bauen,  dann  wird  man  zum  Ziele  kommen;  die 
Errichtung  eines  Collegium  universale  ist  undurchführbar.  Die  Ge- 
schichte hat  ihm  Recht  gegeben  I  Ein  Netz  von  Societäten  entstand 
im  18.  Jahrhundert  auf  Grund  seiner  Bemühungen,  und  wenn  wir 
heute  sehen ,  dass  die  Akademieen  Einrichtungen  treffen ,  um  in 
engste  Verbindung  mit  einander  zu  treten,  so  verwirklicht  sich  die 
»  Universal  -  Anstalt « . 

Aber  Erhard  Weigel  bleibt  der  Ruhm,  nicht  nur  Leibniz  auf's 
Neue  angespornt  und  den  Gedanken  der  Kalenderverbesserung  bei 


^  Wie  weit  dieser  Plan  schon  gediehen  war.  ersieht  man  aus  den  acht  Brie- 
fen von  Weigel  an  den  Prof.  math.  Johakn  INIeyer  in  Regenshurg  (der  letzte  vom 
13.  !März  1699),  die  sich  in  der  hannoverschen  Bibliothek  in  dem  Fascikel  «Leibniz- 
Weigel's  Briefwechsel«  befinden,  vergl.  auch  Wilhelm  Meyer,  Die  Handschriften 
in  Göttingen  (1893)  S.  161;  in  Göttingen  befindet  sich  eine  Sammlung  von  einschla- 
genden Abhandlungen  und  Briefen,  von  dem  oben  genannten  Johann  jMeyer  (-j"  17 19) 
veranstaltet. 

^    Abgedruckt  im  Urkundenband  Nr.  21. 

Geschichte  der  Akademie.    I.  5 


66  Vorgeschichte  der  Akademie. 

den  protestantischen  Ständen  durchgesetzt  \  sondern  auch  den  Plan 
des  Kalendermonopols  aufgebracht  zu  haben.  Ohne  diesen  genialen 
Einfall  wäre  es  in  Berlin  nie  zu  einer  Societät  der  Wissenschaften 
gekommen,  denn  es  fehlten  die  Mittel.  Die  Idee  übernahm  Leibniz 
als  Erbschaft  von  Weigel  —  denn  dieser  starb,  bevor  er  die 
Früchte  seines  Wirkens  sehen  konnte  —  und  hat  sie  sehr  bald 
nach  der  Durchführung  in  Brandenburg  als  seinen  Einfall  bezeich- 
net. Aber  treue  Schüler  Weigel's  haben  nicht  vergessen ,  dass  diesem 
die  Ehre  gebührt.  »Unseres  sei.  Herrn  Vaters  (Weigel)  Vorschlag 
gemäss  dotirt  der  Kurfürst  die  Mathesin  mit  ihrer  eigenen  Arbeit«, 
schreibt  Hamberger  (am  3.  Juni  i  700)'.  —  Am  23.  Sept.  1699  erfolgte 
das  für  die  Verbesserung  der  Kalender  grundlegende  Conclusum 
des  Corpus  Evangelicorum  zu  Regensburg^.  Es  schrieb  vor,  die 
dem  18.  Februar  1 700  folgenden  elf  Tage  in  den  Kalendern  aus- 
zulassen und  «den  Mathematicis  ebenmässig  aufzugeben,  dass  selbige 
darauf  gedenken  sollen,  wie  künftighin  und  mit  der  Zeit  der  bis- 
herige abusus  der  astrologiae  iudiciariae  aus  denen  Kalendern  bleiben 
könne«.  Es  schloss  mit  der  Bestimmung,  dass  in  allen  evange- 
lischen Landen  am  letzten  Sonntag  vor  dem  Advent  1699  die  Neu- 
ordnung zu  publiciren  sei. 

Dem  entsprechend  ist  in  Brandenburg  verfahren  worden.  Am 
14.  November  1699  erging  eine  Verfügung  an  die  Consistorien  und 
an  die  vier  Landes -Universitäten,  den  Beschluss  am  letzten  Sonn- 
tag des  Kirchenjahrs  zu  verlesen. 

Aber  die  Durchführung  der  Kalenderverbesserung  verlangte 
umsichtige  Männer  und  einheitliche  Arbeit  von  der  Regierung,  sollte 
nicht  Alles  im  Lande  in  die  grösste  Verwirrung  gestürzt  werden. 
Die  Einsetzung  einer  kurfürstlichen  Kalender -Commission  war  noth- 
wendig.  Sie  mit  den  eben  wieder  von  der  Kurfürstin  befohlenen 
Bemühungen  um  den  Bau  eines  Observatoriums^  in  Verbindung  zu 
setzen,  ergab  sich  von  selbst,  und  Stahl  und  Stein  kamen  zu- 
sammen, als  Leibniz  gegen  Ende  Februar  1700,  mitten  aus  den 
Unionsverhandlungen  heraus,  an  Jablonski  schrieb,  man  solle  doch 
ein  Monopol  aus   den  Kalendern    machen  und  auf  ihm  das  Obser- 


^  Es  ist  also  nicht  ganz  richtig,  wenn  Idei.er  (Chronologie  2.  Bd.  1826  S.323) 
schreibt,  dass  die  protestantischen  Stände,  besonders  auf  LEiBNizens  Betrieb  und  mit 
Zuziehung  von  Weigel,  den  Beschluss,  den  neuen  Kalender  einzuführen,  gefasst  hätten. 

^  Siehe  Wilhelm  Meyer ,  a.a.O.  Über  die  Spannung,  die  zwischen  W.  und 
Leibniz  bestanden  hatte,  s.  Guhrauer,  G.  W.  v.  L.   2.  Thl.  S.  211. 

"    Siehe  den  Abdruck  im  Urkundenband  Nr.  22. 

*    Siehe  oben  S.  63. 


Die  Kalenderverbesserung  führte  zur  Stiftung  der  Akademie.  G7 

vatorium  und  eine  an  dasselbe  sich  anschliessende  Societät,  die 
sich  des  Kalenders  annähme,  fundiren^  Der  Stein  der  Weisen, 
das  Gold,  war  gefunden!  In  diesem  Schreiben  muss  Leibniz  dem 
Freunde  auch  mitgetheilt  haben,  dass  er  bereit  sei,  eine  solche 
vSocietät  der  Wissenschaften  in  Berlin  selbst  einzurichten,  und  dass 
seine  soeben  vollzogene  Ernennung  zum  Mitglied  der  französischen 
Akademie  ihn  dazu  besonders  qualificire.  Umgehend  antwortete 
Jablonski,  dass  er  und  seine  Freunde  —  Rabener  und  Cuneau  — 
sofort  zusammengetreten  seien,  um  den  alten  Plan  der  Errichtung 
eines  Observatoriums  und,  an  ihn  angeschlossen,  die  Gründung 
einer  Societät  zu  berathen  und  dem  Kurfürsten  eine  Denkschrift 
vorzulegen;   als  Präsidenten   würden   sie  ihn,   Leibniz,   vorschlagen". 


^  Dieser  Brief  ist  leider  nicht  mehr  vorlianden.  aber  er  folgt  aus  dem  Schreiben 
LEiBNizens  an  Jaulonski  vom  12.  März  1700  (Kappcus  Sammlung  8.1450".).  und  aus 
diesem  ergiebt  sich  auch  das  Datum.  Die  Durchführung  der  Kalenderverbesserung 
beschäftigte  Leibxiz  im  Winter  1699  — 1700,  s.  seinen  im  Leibniz -Fascikel  des 
Akademischen  Archivs  befindlichen  Briefwechsel  mit  dem  Abt  Schmidt  in  Helm- 
städt  vom  December  bis  März.  Dieser  erwähnt  auch  den  Astronomen  Kirch  ;  Leibniz 
klagt  über  die  Unzuverlässigkeit  der  Rudolfinischen  Tafeln  und  bemerkt,  dass  das 
negotium  rei  calendariae  nicht  in  solo  calculo  bestehe  (Januar  1700).  Auch  mit 
den  grossen  Astronomen  Reiher,  Bianchini  und  Olaus  Römer  correspondirte  er 
und  sorgte  dafür,  dass  der  hannoversche  Hof  in  Regensburg  die  richtigen  In- 
structionen gab. 

^  Da  leider  auch  dieser  wichtige  Brief  fehlt,  so  lässt  sich  nicht  genau  be- 
stimmen, ob  Leibxiz  sich  selbst  geradezu  als  Präsident  vorgesclilagen  hat.  Wahr- 
scheinlich ist,  dass  er  den  Vorschlag  nahe  gelegt  hat  (seine  Worte  in  dem  auf 
beide  Briefe  zurückblickenden  Schreiben  vom  12.  März  an  Jabloxski  lauten:  »Höre 
auch  gern,  dass  mein  Einfall  wegen  des  Kalenders  Ingress  gefunden  und  Gelegenheit 
gegeben,  die  ehemaligen  Gedanken  von  einer  Churfürstl.  Societät,  dadurch  gründ- 
liche Wissenschaften  und  gemein  nützliche  Künste  zu  verbessern ,  wieder  vorzu- 
nehmen. Und  will  ich  meines  wenigen  Ortes  gern  alles  beitragen,  werde 
auch  dabei  meiner  Gewohnheit  nach  mehr  auf  Ehre  und  Ruhm  als  meine 
Privat-Angelegenheiten  sehen,  doch  ein  und  anders  dabei  in  Betrach- 
tung zu  ziehen  haben  [er  meint  die  Gehaltsfrage  und  sein  Verhältniss  zu  Han- 
nover], welches  aber  keine  Hinderung  bringen  wird«).  Dass  bereits  in  dem 
verlorenen  Schreiben  Jablonski's  von  der  Präsidentschaft  die  Rede  gewesen  ist,  geht 
aus  der  grossen  Denkschrift  der  Berliner  Gelehrten  vom  Anfang  März  1700  (die 
bereits  auf  die  Remuneration  für  Leibniz  eingeht)  und  auch  daraus  hervor,  dass 
sich  Leibniz  nach  Empfang  der  Denkschrift  gar  nicht  wundert,  sich  als  Präsidenten 
vorgeschlagen  zu  finden  (s.  den  Brief  vom  26.  März  an  Jablonski,  in  KAPPens  Samm- 
lung S.  160).  Eine  besondere  Beachtung  verdient  noch  die  Ernennung  zum  Mitglied 
der  Pariser  Akademie.  Obgleich  das  Diplom  erst  vom  13,  März  1700  datirt,  ver- 
weisen die  Berliner  in  der  oben  genannten  Denkschrift,  die  am  19.  dem  Kurfürsten 
übergeben  wurde.  ])ereits  darauf,  dass  Leibniz  Mitglied  der  Pariser  Akademie  sei, 
und  rücken  diese  seine  Stellung  in  den  \'ordergrund.  Das  lässt  sich  nur  bei  der 
Annahme  erklären,  dass  Leibniz  eine  Mittheilung  über  die  Ernennung  nach  Berlin  hat 
gelangen  lassen,  bevor  sie  vollzogen  war.    That  er  das.  so  muss  ihm  eben  in  Hinsicht 


68  Voi'gescliiclite  der  Akademie. 

Diese,  in  Berlin  abgefasste  Denkschrift  wurde  am  19.  März 
I  700  dem  Kurfürsten  in  Oranienburg  in  doppelter  Gestalt  —  einer 
längeren  und  kürzeren  —  vorgelegt.  Weil  die  Zeit  drängte,  konnte 
sie  Leibniz  nicht  erst  zur  Begutachtung  übersandt  werden.  Noch 
an  demselben  Tage  befahl  der  Kurfürst,  «eine  Academie  des  Sciences 
und  ein  Observatorium  in  Berlin  zu  etabliren « \  Acht  Tage  vorher 
muss  er  der  Kurfürstin    zugesagt   haben,    ein   Schreiben    an    seinen 


auf  seine  Berliner  Pläne  viel  an  dieser  Ernennung  gelegen  haben,  wie  schon  Klopp. 
Werke,  8.  Bd.  S.  XXI,  XXIII  f.,  109  ff.,  132  ff".,  to.  Bd.  S.XXXf.,  wenn  auch  mit 
einigen  Übertreibungen,  vermuthet  hat  (ganz  besonders  stark  spricht  für  diese 
Combination  das  Schreiben  LEiBNizens  an  den  Kurfürsten  Georg  Ludwig  vom 
28.  März  1700;  s.  den  Urkundenband  Nr.  31).  Im  Sommer  1699  hatte  Leibniz 
seine  Ernennung  durch  die  Kurfürstin  Sophie  und  die  Herzogin  von  Orleans  in  Paris 
energisch  betrieben;  denn  er  war  gekränkt,  dass  ihm  die  Ehre,  die  man  ihm  schon 
im  Jahre  1677  versprochen  hatte,  noch  immer  nicht  erwiesen  war  (s.  auch  den 
Brief  an  Malebranche  vom  Jahre  1679  bei  Bodemann,  Bi-iefwechsel  S.  165).  Das 
Diplom  selbst  s.  bei  Klopp,  Werke.  8.  Bd.  S.  149  f.  Auch  das  akademische  Archiv 
besitzt  in  seinem  Fascikel  "Ernennungen«  eine  Abschrift.  Sehr  unzutreffend  be- 
merkt Klopp  (Werke,  10.  Bd.  S.  XXI)  im  Zusammenhang  eines  Rückblicks  auf 
die  Vorgeschichte  der  Preussischen  Societät  und  ihren  Abschluss :  «Die  beiden  Kur- 
fürstinnen, Mutter  und  Tochter,  haben  das  von  Leibniz  in  der  Denkschrift  (vom 
Februar  1698,  s.  oben  S.  53f.)  aufgestellte  Programm  angenommen  und  handeln  in 
aller  Beziehung  demselben  entsprechend.  Dieses  Verhältniss  ist  entscheidend  für 
die  Stiftung  der  Societät  in  Berlin«.  Das  Gegentheil  davon  ist  richtig  (auch  Fischer, 
Frisch's  Briefwechsel  mit  Leibniz  1896  S.VH,  erklärt  sich  mit  Recht  gegen  Klopp). 
Die  brandenburgische  Kui^fürstin  hat  jenes  Programm  weder  anfangs  noch  später 
angenommen,  sondern  abgelehnt  nach  ihm  zu  handeln,  und  die  braunschweigische 
Kurfürstin  ist,  abgesehen  von  ihi-er  Verwendung  für  Leibniz  in  Paris,  an  dem  Gange 
der  Dinge  überhaupt  nicht  betlieiligt  gewesen.  Die  Brandenburgische  Societät  der 
Wissenschaften  ist  nicht  aus  einem  wellischen  Complott,  um  politische  Zwecke  zu 
erreichen,  entstanden,  sondei'u  sie  entstand,  weil  das  Kalenderwesen  und  das  Ob- 
servatorium sie  nahe  legten,  und  weil  Leibniz  durch  die  Art,  wie  er  das  Unions- 
werk betrieb,  zeitweilig  das  Vertrauen  des  brandenburgischen  Kurfürsten  und  seines 
Ministers  erworben  hatte.  Dass  das  Ergebniss  den  Wünschen  Sophie  Charlotte"s 
und  LEiBNizens  Plane,  Hannover  und  Brandenburg  enger  zu  verbinden  und  selbst 
hier  festen  Fuss  zu  fassen,  entsprach,  giebt  kein  Recht,  es  als  einen  Vorwand 
für  geheime  politische  Zwecke  zu  fassen ,  die  sich  schlechterdings  nicht  nachweisen 
lassen.  Vor  allem  aber  zeigt  die  Geschichte  der  Societät  unter  Leibnizchs  Leitung, 
dass  er  nicht  im  entferntesten  daran  gedacht  hat,  sie  zu  politischen  Absichten  zu 
gebrauchen  oder  auch  nur  weifische  Gelehrte  zu  bevorzugen. 

^  Die  Promptheit,  mit  der  der  Kurfürst  seine  Genehmigung  ertheilte.  erklärt 
sich  daraus,  dass  es  höchste  Zeit  war,  die  Kalender  für  1701  vorzubereiten.  Ferner 
hatte  die  Denkschi-ift  auf  die  noch  bestehende  Möglichkeit  hingewiesen ,  in  Regens- 
burg werde  nach  Weigel's  Vorschlag  eine  astronomische  Reichsanstalt  gegründet 
und  die  Kalendersache  den  Einzelstaaten  entzogen  werden.  Demgegenüber  wollte 
der  Kurfürst,  wie  es  ihm  nahe  gelegt  war,  ein  fait  accompli  im  Lande  schaffen, 
und  dies  um  so  mehr,  als  Sachsen  mit  einem  solchen  bereits  vorangegangen  war 
und  ein  Kalend<Minonopol  in  sinnen   Grenzen  geschaffen  hatte. 


Bescilluss  der  Stiftung;  Leibniz  wird  nach  Berlin  berufen.  CO 

Seil  wager,  den  Kurfürsten  von  Hannover,  zu  ricliten  und  ilm  um 
Urlaub  für  Leibniz  zu  ersuchen  \  Damit  endigt  die  Vorgescliielite 
der  Akademie.  Auch  jene  Denkschrift  gehört  bereits  der  Geschichte 
selbst  an;  denn  auf  ihrer  Grundlage  hat  der  Kurfürst  die  «Societät« 
genehmigt. 

Die  Kurfürstin ,  die  Patronin  der  Wissenschaften ,  und  Leibniz, 
der  Unermüdliche,  hatten  ihr  Ziel  erreicht:  Brandenburg  öffnete 
seine  Pforten,  um  den  europäischen  Gelehrten  aufzunehmen  und 
durch  ihn  der  neuen  exacten  Wissenschaft  eine  Stätte  zu  bereiten. 
Aber  die  Denkschrift,  die  der  Kurfürst  genehmigte,  war  von  seinen 
eigenen  Gelehrten  in  Berlin  selbständig  entw^orfen  und  ausgearbeitet 
worden.  Wohl  ruhte  sie  auf  Leibnizcus  Ideen,  aber  diese  Ideen 
wären  nicht  verwirklicht  worden,  hätte  nicht  die  Kurfürstin  den 
Bau  des  Observatoriums  in's  Auge  gefasst  und  festgehalten,  und 
wären  Leibnizciis  Freunde  in  Berlin,  allen  voran  Jablonski,  nicht 
so  einsichtsvoll  und  eifrig  seinen  Absichten  entgegengekommen.  Sie 
haben  den  Kurfürsten,  dem  Preussen  die  Stiftung  seiner  Akademie 
verdankt,  überzeugt.  Das  Entscheidende  ist  die  That:  darum  ver- 
ehren wir  die  Kurfürstin  und  ihren  Gemahl  sowie  die  muthigen 
Männer,   die   sie  in  Berlin  berathen  haben,   als  unsere  Stifter. 

Es  lässt  sich  nicht  nachweisen ,  dass  Friedrich  die  Akademie 
bereits  in  Hinblick  auf  die  Königskrone  gegründet  hat;  aber  dass 
er  sich  schon  damals  mit  hohen  Plänen  trug,  ist  bekannt.  Gewiss 
ist  auch  (s.  unten),  dass  er  aus  eigenster  Einsicht  und  EntSchliessung 
der  Akademie  die  nationale  Aufgabe  gestellt  hat,  und  Niemand  wird 
es  für  zufällig  halten,  dass  die  erste  deutsche  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  der  nordischen  Hauptstadt  gegründet  worden  ist,  dass 
das  preussische  Königthum  und  die  preussische  Akademie  in  einem 
Jahre  geboren   sind. 


^  So  wird  der  kui'ze.  freudige  Brief  der  Kurfürstin  an  Leibniz  vom  it.  März 
(das  Jahr  muss  ergänzt  werden)  mit  Klopp  zu  deuten  sein  (Werke,  lo.  Bd.  S.  XXIX. 
S.  57):  »Sitöt  que  j'ai  pu  avoir  le  billet,  je  vous  l'envoie,  Monsieur,  souhaitant 
qu'il  vous  fasse  avancer  vite.  pour  avoir  le  plaisir  de  vous  dire  que  je  suis  tonte 
affectionnee  ä  vous  servir.     Sophie ". 


ERSTES  BUCH. 


GESCHICHTE  DER  BRANDENBÜRGISCHEN  (K.  PREÜSSISCHEN) 

SOCIET.ET  DER  WISSENSCHAFTEN  UNTER  FRIEDRICH  I.  UND 

FRIEDRICH  WILHELM  I.  (1700-1740). 


Erstes  Capitel. 

Die    Gründung   der    Societät    im    Jahre   1700. 

Selten  ist  in  der  Geschichte  eine  grosse  wissenschaftliche  Schöp- 
fung auf  Grund  eines  so  umfassenden  und  gereiften  Plans  in  das 
Leben  getreten  wie  die  Preussische  Societät  der  Wissenschaften. 
Selten  aber  auch  entsprachen  die  vorhandenen  Bedingungen  und  die 
zunächst  gewährten  Mittel  so  wenig  der  Grösse  des  Plans.  Ihn  zu 
entwerfen,  war  eine  Kühnheit,  ihn  anzunehmen,  eine  grössere.  Aber 
die  Verantwortung,  welche  der  Urheber  imd  der  Stifter  auf  sich  nah- 
men, ist  von  der  Zukunft  —  freilich  nicht  der  nächsten  —  glänzend 
gerechtfertigt  worden.  Viele  Schöpfungen  in  der  Geschichte  der 
Wissenschaft  haben  dem  Augenblick  entsprochen  und  sind  mit  ihm 
dahingegangen.  Diese  Schöpfung,  die  Gegenwart  Aveit  überragend, 
hat  ihr  unverwüstliches  Leben  darin  bewährt,  dass  die  folgenden 
Generationen  sie  als  Gabe  und  Aufgabe  zugleich  empfinden  mussten. 
Sie  stärkten  sich  an  ihr,  und  sie  erhielten  von  ihr  den  Antrieb, 
vorwärts  zu  streben.      So   empfinden   wir  es  noch  heute.   — 

Der  von  Jablonski  in  zwei  Fassungen,  einer  längeren  und  kür- 
zeren, niedergeschriebene  und  Namens  »einiger  getreuer  Churfürstl. 
Bedienter«*^  dem  Monarchen  überreichte  Plan  zeigt,  wie  sehr  sich  die 
Berliner  Freunde  mit  LEiBNizens  Gedanken  vertraut  gemacht  hatten. 
Die  Grundzüge   sind  folgende'": 


^  In  dem  Actenstück  selbst  werden  der  Rath  Albinus,  der  Hr.  Chauvin,  der 
Dr.  jAEGEvvrrz,  der  Mathematiker  Naude,  der  Oberingenieur  Bär.  der  Hofrath  Ra- 
BEXER  und  der  Hofrath  Cuxeau  genannt;  Jablonski  selbst  ist  der  achte.  Diese  Ge- 
lehrten hat  man  als  die  Urheber  der  Eingabe  zu  betrachten. 

^  Siehe  den  vollständigen,  bisher  meines  Wissens  niemals  publicirten  Abdruck 
im  Urkundenband  Nr.  23  und  24.  Die  umfangreichere  Fassung  trägt  die  Aufschrift: 
"l'nterthänigster  Vorschlag  wegen  Anrichtung  eines  Observatorii  und  Academiae 
Scientiarum  in  der  Chur-Brandenbui'gischen  Residenz," ;  die  kürzere:  «Unterthänig- 
ster  Vorschlag,  welcher  Gestalt  allhier  in  Berlin  ein  Observatorium  und  Academia 
Scientiarum  oline  Abgang  der  Churfürstl.  Intraden  etal)lirt  und  erhalten  werden 
könne«. 


74  Die  (JrüiHlun.ii-  der  Soeietät  im  .Inlire  !7(l(). 

Nach  dein  Cluster  von  Frankreich,  England  und  China  soll  ein 
Observatorium  eingerichtet  und  dazu  eine  «Acadeinia  vScientiarum  in 
Physik,  Chemie,  Astronomie,  Geographie,  Mechanik,  Optik,  Algebra, 
Geometrie  und  dergleichen  nützlichen  Wissenschaften  nach  und  nach 
etablirt  werden«.  Die  Zeit  ist  günstig,  weil  sich  Gelegenheit  bietet, 
ohne  Kosten  das  Unternehmen  in's  Werk  zu  setzen,  wenn  der  Kur- 
fürst nur  passende  Räumlichkeiten  gewährt.  Für  die  Statuten  können 
die  der  französischen  und  englischen  Akademie  zum  Vorbild  dienen; 
als  Protector  erbittet  man  sich  den  Kurfürsten  selbst,  als  Präsos 
den  Hrn.  Geh.  Rath  Leibniz,  «welcher  ein  Membrum  honorarium  der 
französischen  Akademie  ist  und  dessen  grosse  Erudition  in  omni 
scibili,  auch  stupenda  inventa  promotae  matheseos  nicht  weniger 
als  seine  herausgegebene  scripta  bekannt  seind«.  Er  wird  das  Amt 
von  Hannover  aus  als  Ehrenamt  führen  können,  doch  wird  ihm  für 
seine  Reisen  und  Anderes  eine  Entschädigung,  »ohne  Consequenz 
pro  successoribus«,  zu  gewähren  sein.  Auch  die  Mitglieder  sollen 
zunächst  keine  Besoldung  empfangen  ausser  dem  Astronomen  — 
Hr.  Kirch  in  Guben,  der  bedeutendste  unter  den  deutschen  Astro- 
nomen, sei  zu  gewinnen  —  und  den  jüngeren  Leuten,  die  er  sich 
heranziehen  wird.  Für  Mathematik  und  Chemie  ist  der  Rath  Al- 
BiNUs.  für  Physik  Chauvin  und  Dr.  Jaegewitz,  für  Mathematik  Naude 
und  der  Oberingenieur  Bär,  für  beobachtende  Astronomie  Hofrath 
Rabener  und  Cuneau  in's  Auge  zu  fassen.  Auch  auswärtige  Mit- 
glieder sind  sofort  zu  erwählen,  z.B.  von  Tschirnhausen  in  Sachsen, 
einige  Mathematiker  und  Mediciner  auf  kurfürstlichen  Universitäten, 
der  Prof.  Sturm  in  Altdorf  (Mathematik),  Reiher  in  Kiel  u.  s.  w. 
Für  die  Correspondenz ,  die  Protokolle  und  die  Administration  ist 
ein  besoldeter  Secretär  zu  ernennen,  ein  Fiscal  muss  über  die  Er- 
haltung des  Fundus   wachen. 

Nöthig  wären  ein  Observatorium,  ein  Versammlungszimmer,  ein 
Bibliotheks-  und  Instrumenten -Raum,  eine  Dienstwohnung  für  den 
Astronomen,  sodann  Instrumente,  Holz  und  Licht.  Das  01)serva- 
torium  könnte  auf  dem  mittelsten  Pavillon  des  neuen  Stalls  errichtet 
werden;  unterhalb  desselben  sind  durch  Einschiebung  einer  Etage 
die  nöthigen  Zimmer  zu  gewinnen.  »Die  Instrumente  werden  sich 
schon  finden«;  einige  astronomische  sind  vorhanden,  andere  wird 
Kirch  mitbringen.  Einiges  kann  die  kurf.  Bibliothek  liefern.  Was 
aber  den  Fundus  anlangt,  so  wird  es  zunächst  genügen,  wenn  der 
Kurfürst  der  Soeietät  das  Kalender- Monopol  ertheilt.  Dafür  wird 
der  Astronom  die  Kalenderberechnung  leisten.    Gute  Kalender  werden 


Jablonski's  gTundlegende  Eingabe.  75 

fortab  herausgegeben  werden  statt  der  bisherigen  Kiderlichen  mit 
ihrem  »abgeschmackten,  salbaderischen  Judiciren  und  Prognostici- 
ren«.  Schwere  Gekistrafen,  von  denen  ein  Viertel  der  Akademie 
zu  gute  kommen  Avird,  sollen  auf  den  Druck  anderer  Kalender  und 
die  Einführung  fremder  gelegt  werden.  Die  Einrichtung  dieses  Ka- 
lender-Monopols im  Zusammenhang  mit  einer  Societät  kundiger  Män- 
ner wird  «ein  Mittel  sein,  die  in  dem  Reichs- Concluso  anbefohlene 
Correspondenz  im  Kalenderwerk  mit  den  darin  correspondirenden 
Mathematicis  mit  desto  besserer  Autorität  zu  führen,  und  sie  wird 
verhindern,  dass,  wenn  ein  commune  collegium  in  Deutschland  zum 
Observiren  sollte  aufgerichtet  w^erden,  man  Sr.  Churf,  Durchl.  Mathe- 
maticos  und  Astronomum  observatorem  davon  nicht  ausschliessen 
dürfe«;  ja,  das  drohende  Reichsmonopol  der  Kalenderherstellung, 
welches  wahrscheinlich  einigen  wenig  kundigen  Leuten  überlassen 
werden  würde,  ist  damit  unmöglich  gemacht.  Das  Geld,  welches 
der  Kurfürst  zum  Unterhalt  eines  Observatorii  communis  in  Deutsch- 
land pro  rata  geben  müsste,  kann  weit  besser  den  eigenen  capablen 
Leuten  gegeben  werden,  als  es  für  eine  ungewisse  und  leicht  hin- 
fällige Reichs -Administration   zu  opfern. 

Man  hofft,  durch  die  Kalender  jährlich  eine  Summe  von  2  50oThlr. 
zu  gewinnen  (von  40000  grossen  Kalendern  i666-|Thlr.,  von  40000 
kleinen   833+  Thlr,   Reingewinn). 

Diese   Summe  wäre  also  anzuwenden : 

1.  dem  Präses  —  oline  Consequeiiz  in  futiiro  500  Thlr. 

2.  dem  Astronomen 500 

3.  dessen  Zöglingen 200  » 

4.  dem  Secretär 300  » 

5.  dem  Diener 60  » 

6.  zu  Instrumenten 200  » 

7.  zu  Büchern 200  « 

8.  auf  Experimente 200 

9.  Drucklohn  für  Tractate  der  Akademie  .     .  100  >> 

10.  Correspondenz  (hierbei  wird  ausserdem  auf 

ein  kurfürstl.  Douceur  gerechnet).     .     .     .       100      - 

1 1 .  Kleinigkeiten 50     " 

12.  Prämien  an  Medaillen  (bez.  anfangs  Inspec- 

tion  des  Baus  des  Observatoriums)   .     .     .       100 

Summe    2510  Thlr. 

Sollten  nun  die  Kalender  mehr  abwerfen  (auch  durch  die  Straf- 
gelder) und  der  Kurfürst  ausserdem  geneigt  sein,  das,  was  er  pro 
rata  für  eine  allgemeine  Reichsanstalt  geben  müsste,  der  Societät 
zuzuwenden,    »so  könnte    man    künftig  dahin  bedacht  sein,    gleich 


7()  Die   tirinuliiiig  der  Societät   im  Jahre.  17(»0. 

Frankreicli  gute  observatores  et  matliematieos  in  entfernte  Lande, 
etwa  zu  Lande  durch  Moskau  und  zur  See  über  Batavia  nach  China 
zu  senden,  wekdie  dasell)st  zugleich  die  Ehre  Gottes  durch  Fort- 
püanzung  des  reinen  christlichen  Glaubens  befördern  könnten.  Zu 
welchem  Ende  diese  Leute  gute  Tlieologi  sein  und  mit  eben  den  sub- 
sidiis  wie  die  dort  befindlichen  Jesuiten  vollkommen  instruirt  und 
ausgerüstet  sein  müssen  «\  «Was  für  eine  Glorie  würden  S.  Churf. 
Durchl.  von  einer  solchen  gottseeligen  Entreprise  vor  der  ganzen 
evangelischen  Welt  haben ! « 

Endlich  werden  berühmte  Leute  als  Bibliothekare,  Prediger 
u.  s.  w.  nach  Berlin  zu  ziehen  sein ,  die  daneben  als  Mitglieder  der 
Akademie  thätig  sein  können. 

Damit  Andere  nicht  zuvorkommen,  und  damit  der  Kalender  für 
1701  hergestellt  werden  kann,  ist  eine  baldige  Resolution  i.  w€\gen 
der  Berufung  des  Hrn.  Kirch  aus  Guben,  2.  wegen  Publicirung 
eines  Kalender -Edicts  noth wendig. 

»Es  sind  diese  Vorschläge  so  giorieuse  vor  S.  Churf.  Durchl., 
so  wohl  gemeint  zu  der  Ehre  Gottes,  so  nützlich  zum  Aufnehmen 
der  Scienzen  und  daneben  wegen  des  ausgefundenen  Fonds  zum 
Unterhalt  so  facile,  dass  man  nicht  zweifelt,  es  werde  S.  Churf. 
Durchl.  dieselben  gnädigst  aggreiren  und  ein  oder  andern  Ministrum 
in  hohen  Gnaden  benennen,  welchem  diese  Sache  mit  mehreren 
Umständen  vorgestellt  und  mit  selbigem  Alles  ohne  Zeitverlust  zur 
Perfection  gebracht  werden  könne. « 

Dieses  Project  wurde  dem  Kurfürsten  eingereicht.  Der  Re- 
quetenmeister  Moriz  von  Wedel  nahm  es  nach  Oranienburg  mit,  wo- 
hin der  Kurfürst  plötzlich  aufgebrochen  war.  Bereits  am  19.  März 
konnte   er  dem   Hofprediger  schreiben"": 

"Sr.  Cliurturstl.  Durclil.  haben  gnädigst  resolviret,  eine  Acadeniie  des  Sciences 
und  ein  Observatorium,  wie  vorgeschlagen,  zu  etabliren,  welches  in  Eil  liierniit 
melde  und  particularia  reservire.  bis  ich  die  Ehre  habe,  meinen  hochgeelu'ten  Herrn 
Hofprediger  zu  sprechen,  der  ich  bin  u.  s.w." 

Damit  war  die  Akademie  vom  Kurfürsten  nach  den 
Vorschlägen  Jablonski's  im   Princip  genehmigt. 


^  Die  Art,  wie  liier  der  Missionsgedanke  im  Zusannnenliang  mit  wissen- 
schaftlichen Expeditionen  auftritt,  macht  es  gewiss,  dass  Jablonski  lediglich  den 
Intentionen  LEiBNizens  folgt. 

''■  IvAPPens  Sammlung  S.  150,  s.  Urkundenband  Nr.  25.  Hr.  von  Wedel  war 
bereits  früher  füi-  den  Plan  gewonnen  (s.  LEiBMzens  Brief  vom  12.  März  1700);  er 
hat  dem  Kurfürsten  in  Oranienburg,  »der  favorablen  solitude«,  Vortrag  gehalten 
und   ihn   überzeugt. 


Der  Kiu-iTirst  genehmisit  am    19.  ^März   1700  die  Societät.  77 

Unmittelbar  nachdem  Jablonski  die  Eingabe  dem  Hrn.  von  Wedel 
übergeben  hatte,  erhielt  er  von  Leibniz  einen  eingehenden  Brief 
(geschrieben  am  12.  März)  über  die  Societätssache\  Leibniz  warnt, 
sich  auf  das  Observatorium  und  auf  die  proventus  calendarios  zu 
beschränken,  »weil  solches  nicht  anständig  genug  scheint«'.  »Ich 
hätte  gern  etwas  mit  der  Zeit,  davon  ein  realer  Nutz  und  nicht 
blosse  Curiositäten  zu  erwarten.«  Es  muss  eine  vollständige,  alle 
naturwissenschaftlichen  Disciplinen  unter  dem  Gesichtspunkt  der 
Anwendung  umfassende  Anstalt  werden,  einschliesslich  der  Bo- 
tanik und  Anatomie,  und  ausgestattet  mit  einem  Laboratorium. 
Kann  man  auch  nicht  Alles  gleich  anfangs  erreichen,  so  muss 
doch  der  Plan  sofort  umfassend  entworfen  werden.  Andere  Geld- 
quellen über  das  Kalender- Monopol  hinaus  lial)e  er  im  Sinne ^,  zu- 
nächst sei  aber  allerdings  mit  diesem  und  dem  Observatorium  anzu- 
fangen ,  weil  periculum  in  mora.  Doch  müssten .  wenn  irgend 
möglich ,  sofort  ein  Director,  Secretar,  ein  Physicus  und  ein  Mathe- 
maticus  in  re  architectonica  et  mechanica  probe  versatus  angestellt 
werden. 

Im  Allgemeinen  und  in  vielen  Einzelheiten  stimmt  Leibnizcus 
Skizze  mit  den  eingereichten  Vorschlägen  Jablonski" s  überein.  Seine 
»Verwegenheit,  unerwartet  meines  hochgeehrten  H.  Geh.  Paths  hoch- 
weisen  Judicio  und  Erinnerung,  ein  Project  eingereicht  zu  haben« 
konnte  der  Hofprediger  mit  dem  »periculum  in  mora«  entschuldi- 
gen und  freudig  darauf  hinweisen,  dass  die  Vorschläge,  die  er  an- 
bei übersende,  sich  mit  Leibnizcus  Gedanken  deckten^.  Nur  die  Bo- 
tanik imd  Anatomie  hätten  sie  ausgelassen,  »weil  allhier  seit  einiger 
Zeit  ein  CoUegium  Medicum  etabliret  "worden,  so  zwar  noch  nichts 
j)ublice  prästiret,  jedoch  hat  man,  um  anfänglich  Collision  zu  ver- 
meiden, solclie  Dinge,  darauf  sie  ein  besonders  Recht  sich  zuschrei- 
ben möchten ,  vorbeigehen  -wollen.  Mit  der  Zeit  ward  es  sich  doch 
von  Selbsten  geben,  weil  nicht  nur  die  scientiae  connexae  sein, 
sondern  auch    wir   die    besten  Leute    aus    solchem  Collegio    an    uns 


^    Siehe  Urkundenband  Nr.  26. 

^  Er  hatte  noch  einen  anderen  Grund;  er  erwartete  nicht,  dass  man  in  der 
Astronomie  so  bald  etwas  Neues  entdecken  werde,  womit  man  sich  neben  Paris 
und  London  sehen  lassen  könnte.  »Es  sind  aber  andere  Sachen  zu  thun,  dadurch 
man  versichert,  in  kurzer  Zeit  etwas  Wichtiges  zu  leisten«  (s.  den  Brief  an  Jablonski 
vom  26.  März  1700). 

^  Da  er  in  diesem  Zusammenhang  Moskau  und  China  erwähnt,  so  meint  er 
Avnhl  eine  Steuer  auf  milde  Stiftungen  und  Beiträge  seitens  der  Kirche  (s.  u.). 

*    Siehe  Urkundenband  Nr.  27:  Brief  vom  20,  3Iärz  1700. 


78  Die  Griindung  der  Societät  im  Jahre  1700. 

ziehen  können'.  Ich  hofte,  es  werde  memem  hochgeehrten  Herrn 
Geh.  Rath  niclit  zuwider  sein,  dass  wir  desselben  solcher  massen 
darinnen  gedacht,  zum  wenigsten  hat  unsere  schuldige  Hochach- 
tung gegen  desselben  vornehme  und  geehrte  Person  sich  nicht  an- 
ders gewusst  auszudrücken«.  Auch  eine  Ahschrift  der  bedeutungs- 
vollen Zeilen  Moriz  von  Wedel's  fügt  Jablonski  seinem  Briefe  bei. 
«Mag  dieses  kleine  Billet  mir  eben  das  sein,  was  dem  einen  Weg 
nach  Indien  suchenden  di  Gama  dasjenige  Vorgebirge  war,  dem  er 
den  Namen  von  der  guten   Hoffnung  beigeleget.« 

Drei  Tage  später  richtete  Jablonski  ein  zweites  Schreiben  an 
Leibniz".  Er  hat  nun  von  Wedel  selbst  gesprochen  und  nähere 
Nachrichten  erhalten.  Sie  waren  so  erfreulich,  wie  man  es  sich 
nicht  geträumt  hätte.  Erstlich:  der  Kurfürst  hat  das  Project  in 
allen  Stücken  bestätigt  und  will  die  Societät  gnädigst  fundiren  und 
protegiren,  »nur  noch  gnädigst  hinzufügend,  dass  man  auch 
auf  die  Cultur  der  teutschen  Sprache  bei  dieser  Fundation 
gedenken  möchte,  gleichwie  in  Frankreich  eine  eigene 
Akademie  hiezu  gestiftet«,  sodann:  der  Kurfürst  befiehlt,  den 
Astronomen  zu  berufen,  und  er  genehmigt  Leibnizcus  Wahl  zum 
Präsidenten  und  hat  Jablonski  den  Auftrag  gegeben,  ihn  nach  Berlin 
zu  laden,  um  an  die  wirkliche  Ausführung  des  geschehenen  Projects 
Hand  anzulegen. 

Die  Aufnahme  der  Pflege  der  deutschen  Sprache  in  den  Kreis 
der  Aufgaben  der  zu  stiftenden  Akademie  ist  des  Kurfürsten 
eigenster  Gedanke;  weder  Leibniz  noch  Jablonski  haben  ihn  ge- 
hegt. Sie  hatten  eine  ausschliesslich  naturw^issenschaftliche 
Akademie  geplant.  Indem  der  Kurfürst  der  Akademie  jene  Auf- 
gabe vorschrieb,  die  gleichartige  andere  (deutsche  Geschichte,  deut- 
sches Recht  U.S.W.)  nothw^endig  machte,  ist  er  niclit  nur  der 
Stifter,  sondern  auch  der  geistige  Urheber  der  philolo- 
gisch-historischen Klasse  der  Preussischen  Akademie  ge- 
worden. Sophie  Charlotte  verdankt  man  das  Observatorium,  Fried- 
rich die  Grundlegung  der  philologisch -historischen  Klasse  —  und 
zwar  auf  dem  Boden  der  deutschen  Sprache  — ,  Leibniz  die  uni- 
versalen naturwissenschaftlich -praktischen  Tendenzen.  So  verehrt 
die  Akademie  in   dem  Fürsten,   der  Fürstin  und  dem  Gelehrten  ihre 


^  Damit  war  der  Grund  zu  einer  gefährlichen  Rivalität  und  Eifersucht  ge- 
legt, die  sehr  bald  Avirksam  wurden  und  unter  Friedrich  Wilhel3I  1.  die  Akademie 
an  den  Rand   des  Untergangs  gebracht   liabcn. 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  28:  Brief  vom   23.  März  1700. 


Der  Kurfürst  verl;in<>t  die  Pllege  der  deutschen  Sprache.  79 

wirkliolien  Urheber.  Erst  der  Kurfürst  liat  ihr  die  vaterländische 
Aufgabe  gestellt  und  sie  damit  zugleich  auf  die  Pflege  der  Geistes- 
wissenschaften  überhaupt  gewiesen'. 

Mit  hoher  Freude  begrüsste  Jablonski  diese  Bereicherung  des 
Planes;  »ich  bewundere  die  Generosität  Sr.  Churf.  Durchlaucht,  in- 
massen  einem  teutschen  Fürsten  nichts  mehr  anstehen  will,  als  der 
edlen ,  aber  sehr  verwilderten  Muttersprache  sich  anzunehmen ,  welche 
fürstliche  Sorge  so  viel  mehr  zu  preisen  ist,  je  weniger  es  Fürsten 
giebt,  die  selbige  zu  Herzen  nehmen«.  Bis  zu  seinem  Tode  hat 
FmEDRicH  immer  wieder   die  Akademie    an  diese  Aufgabe   erinnert. 

Aber  auch  die  ihm  übertragene  Einladung  Leibnizcus  nach  Berlin 
gereichte  Jablonski  zu  besonderer  Freude.  »Ich  danke  dem  barm- 
herzigen Gott,  dass  er  mich  so  unverhofft  das  Glück  erleben  lässt, 
dass  im  Namen  Sr.  Churf.  Durchl.  meinen  hochgeehrten  Herrn  Geh. 
Rath  anhero  invitiren  darf«  —  mit  diesen  tief  empfundenen  Worten 
ist  LEiBNizens  Berufung  nach  Berlin  begrüsst  worden.  In  der  That,  es 
war  ein  grosses,  fortwirkendes  Ereigniss  in  der  Geschichte  Preussens 
und  Deutschlands ! 

Aber  noch  mehr  durfte  Jablonski  schreiben:  »S.  Churf.  Durchl. 
sind  in  der  Sache  ganz  eifrig  und  haben  dem  Herrn  von  Wedel 
Ordre  ertheilet,  mit  dem  Baumeister  Grünberg  wegen  Erbauung  des 
Observatorii  und  Aptirung  des  dazu  gewidmeten  Pavillons  u.  s.  w. 
zu  sprechen;  so  auch  geschehen.  Herr  Grünberg  forderte  zu  den 
Unkosten  6-700  Thlr.,  der  Herr  von  Wedel  aber  verstund  sich 
zu  1000.  Man  hat  gestern  Abend  das  Gebäud  in  Augenschein 
genommen  und  genau  Alles  überleget.  Es  finden  sich  auf  allen 
Seiten  Schwierigkeiten,  und  daher,  wenn  wir  Hoffnung  haben  kön- 
nen, dass  mein  h.  Herr  die  Ehre  dero  Anwesenheit  ehestens  uns 
zu  gönnen  gemeinet,  wollten  war  bis  dahin  Alles  anstehen  lassen. 
Sonst  hat  H.  Grünberg  Ordre ,  nächste  Woche  mit  dem  Bau  den 
Anfang  zu  machen«. 

Noch  vor  Empfang  dieses  Schreibens  —  gleich  nachdem  er 
den  Brief  vom  20.  März  sammt  dem  Entwurf  Jablonski's  erhalten 
hatte,  schickte  Leibniz  (am  26.)  eine  sehr  ausführliche  Antwort  an 
diesen".  Er  spricht  zunächst  seine  volle  Zustimmung  zu  dem  ein- 
gereichten Project  aus:   dann  folgen  einzelne  Bemerkungen:   das  Ob- 


^  »Es  wh'd  nur  zu  denken  sein,  wie  die  teutsche  Sprachkunst  mit  den  übrigen 
Wissenschaften  zu  verbinden  sein  wird«,  schreibt  Leibniz,  als  er  von  der  neuen 
Aufgabe  zum  ersten  [Male  hörte. 

^    Sielie  Urkundenband  Nr.  29. 


80  Die  Gründung  der  Societät  im  Jalire  1700. 

servatoriiun  (l;irf  iiiclit  die  Hauptsache  sein  —  das  ist  sein  ceterum 
censeo  — ,  sofort  ist  auoli  auf  ein  Laboratorium  zu  denken;  ebenso 
wenig  darf  das  Kalender -Monopol  den  einzigen  Fundus  bilden.  Der 
Name  »Akademie«  ist  besser  in  »Societät«  zu  verändern,  da  jene 
Bezeichnung  auch  von  Universitäten  gebraucht  wird ' ;  Kirch  ist  ihm 
auch  von  Anderen  als  guter  Calculator  und  Observator  gerühmt 
worden ;  beim  Secretar  ist  nicht  in  erster  Linie  auf  Sprachkenntnisse 
zu  sehen  —  es  genügt,  wenn  er  Französisch  und  Englisch  zu  lesen 
versteht  — ,  sondern  auf  tüchtige  reale  Kenntnisse;  es  muss  ein 
junger  Mediciner  sein,  »der  dabei  in  Mathesis,  Mechanik  und  Chemie 
Kundschaft  liat«.  Es  folgen  noch  eine  Reihe  von  Bemerkungen  über 
Jetons  (Medaillen),  über  den  Bau  des  Observatoriums,  über  In- 
strumente und  Bücher,  über  das  geplante  Kaien  der  werk  des  Corpus 
Evangelicum ,  ferner  über  Ausdehnung  des  brandenburgischen  Kalen- 
der-Monopols d.  h.  Übertragung  einer  Büchercensur  an  die  Societät 
und  Verdoppelung  des  Fundus  aus  dieser  Einrichtung".  Er  schlägt 
auch  vor,  dass  jeder  in's  Land  kommende  Bücherballen  mit  einer 
Steuer  belegt  werde;  er  denkt  zugleich  an  eine  Papiersteuer.  »Es  ist 
in  dieser  meist  unnützen  Waare  eine  solche  luxuria,  wie  mit  andern 
Dingen,  und  sehe  ich  oft  mit  Verwunderung,  wie  die  gewinnsüch- 
tigen Buchhändler  die  Bücher  vertheuern  und  doch  emptores  finden. « 
Aber  er  fürchtet,  dass  man  »das  vulgus  sive  eruditorum  sive  aliorum 
hominum  gegen  sich  sprechen  mache«,  und  räth  daher,  den  Plan 
noch  zurückzustellen.  Auch  seine  eigene  Mitwirkung  an  der  ganzen 
Sache  soll  noch  geheim  bleiben,  »um  unterschiedener  Ursachen 
willen«  —  er  musste  zuerst  die  Erlaubniss  seines  Landesherrn  ein- 
holen. Endlich  legt  er  dem  Briefe  einen  ausgearbeiteten  Entwurf 
bei  in  zwei  Fassungen,  die  eine  (vielleicht  beide)  für  den  Kurfürsten 
bestimmt.  »Ich  habe  darinnen  des  Werks  künftigen  grossen  Nutzen, 
wenn  man  es  damit  recht  anlangt,  gleichsam  in  einer  Perspectiv 
von  fern  in  etwas  zeigen  wollen.  Weil  mich  bedünket,  einem  hohen 
Potentaten,    der  etwas   Grosses  zu  Gottes  Ehre    und   der  Menschen 


^  Für  den  Namen  »Societät«  war  Leibniz  auch  deshalb,  weil  die  englische 
Gesellschaft  so  hiess;  man  folgte  seinem  Rathe  wirklich;  »Societas  Scientiarum«  hat 
der  Kurfürst  seine  neue  Schöpfung  nunmehr  genannt.  Doch  win-de  die  Bezeichnung 
Akademie  in  den  ersten  Jahren  sogar  in  officiellen  Schreiben  ab  und  zu  gebraucht, 
s.  das  Schreiben  von  Wartenberg's  vom  27.  November  1701  im  Geheimen  Staats- 
archiv, Fase.  »Kalendersachen. >. 

^  Die  Beschränkung  der  Bücherproduction  durch  eine  vom  Staate  eingesetzte 
Commission  ist  ein  alter  Gedanke  Leibnizcus.  Hier  ist  er  ganz  der  Bildungs- 
absolutist, dm*  sich  vor  tyi'annischen  Maassregeln  nicht  scheut. 


Lkibniz  legt  den  Plan  genauer  dar.  81 

Besten  tlmn  könnte,  sei  man  einigermassen  schuldig  solelies  anzu- 
zeigen, und  werden  grosse  und  lierrisclie  Gemütlier  auch  am  besten 
durch  solche  Gedanken  gerühret,  die  ihrer  Macht  und  hohen  Muth 
proportionirt  ...  Es  sind  von  mir  einige  Argumenta,  so  ziemlich 
ad  hominem  scheinen,  suppeditirt  worden.  Es  ist  aber  dies  mein 
Beifügen  vielleicht  nicht  so  bequem,  noch  zur  Zeit  von  Vielen  ge- 
sehen zu  werden. « 

Dieses  »Beifügen«  existirt  noch  in  zwei  Fassungen,  deren  in- 
neres Verhältniss  nicht  ganz  deutlich  ist\  In  beiden  - —  und  das 
giebt  ihnen  die  hohe  Bedeutung  —  will  Leibniz  nachdrücklich  zei- 
gen, in  welchem  Sinne  die  neue  Societät  sich  mit  den  Wissen- 
schaften zu  beschäftigen  habe  (davon  ist  im  jABLONSKi'schen  Project 
überhaupt  nicht  die  Rede): 

»Solche  Churf.  Societät  müsste  nicht  auf  blosse  Curiosität  oder 
Wissensbegierde  und  unfruchtbare  Experimenta  gerichtet  sein  oder 
bei  der  blossen  Erfindung  nützlicher  Dinge  ohne  Application  und 
Anbringung  beruhen,  wie  etwa  zu  Paris,  London  und  Florenz  ge- 
schehen, und  ist  dort  dasjenige,  so  von  realen  Scienzien  zu  gemeinem 
Nutz  zu  erwarten ,  nicht  erreichet  worden « ,  sondern  man  muss  gleich 
anfangs  das  Werk  sammt  der  Wissenschaft  auf  den  Nutzen  richten. 
Sonst  wird  die  Regierung  ihre  Hand  zurückziehen;  denn  »reale 
Ministri  werden  unnützer  Curiositäten  bald  überdrüssig 
und  rathen  keinem  grossen  Fürsten  viel  Staat  davon  zu 
machen«.  »Wäre  demnach  der  Z^veck,  theoriam  cum  praxi  zu  ver- 
einigen, und  nicht  allein  die  Künste  und  Wissenschaften,  sondern 
auch  Land  und  Leute,  Feldbau,  Manufacturen  und  Commercien,  und 
mit  einem  Wort,  die  Nahrungsmittel  zu  verbessern,  überdiess 
auch  solche  Entdeckungen  zu  thun,  dadurch  die  überschwengliche 
Ehre  Gottes  mehr  ausgebreitet,  und  dessen  Wunder  besser  als  biss- 
her  erkannt,  mithin  die  christliche  Religion,  auch  gute  Polizei,  Ord- 
nung und  Sitten  theils  bei  heidnischen,  theils  noch  rohen  auch 
wohl  gar  barbarischen  Völkern  gepflanzet  oder  mehr  ausgebreitet 
würden.« 

Im  Folgenden  wird  der  grossartige  Gedanke  einer  evangelischen 
Mission,   für  die  sich  Wissenschaft  und  Religion  die  Hand  reichen 


^  Siehe  Urkundenband  Nr.  30  a,  h.  Beide  Fassungen  stammen  aus  den  Tagen, 
da  Leibxiz  schon  das  Project  von  Jablokski,  aber  noch  nicht  dessen  Mittheilung 
über  die  kurfürstliche  Hinzufügung  der  deutschen  Sprache  (als  Aufgabe  der  Societät) 
erhalten  hatte,  d.h.  sie  sind  zwischen  dem  24.  und  26.  März  niedergeschrieben.  Die 
Fassung^  trägt  in  der  That  das  Datum    "25.  März  1700«. 

Geschichte  der  Akademie.    I.  6 


82  Die  Gründung  der  Societät  im  Jahre  1700. 

sollen*,  weiter  ausgeführt,  und  aus  der  geograpliisclien  Lage  Preussens 
und  seinen  guten  Beziehungen  zu  Russland  wird  insbesondere  der 
BeruC  jenes  Staats  zu  einer  Mission  nach  China,  Indien  und  Persien 
abgeleitet.  Mit  besonderer  Wärme  hat  Leibniz  dies  dem  Kurfürsten 
an's  Herz  gelegt  und  hierin  einen  Hauptzweck  der  zu  begründenden 
Societät  erkennen  wollen^: 

»Was  Cliurl".  Durclil.  hierunter  fürnehnien  würden,  das  würde,  über  alles  Vor- 
erwähnte, noch  zu  der  Ausbreitung  der  Ehre  des  grossen  Gottes  vnid  Foi'tpllanzung 
des  reinen  Evangelii  gereichen,  indem  dadurch  den  Völkern,  so  noch  im  Finstern 
sitzen,  das  wahre  Licht  mit  anzuzünden,  dieweil  die  Wissenschaften  und  der  irdische 
Himmel  bequem  liefunden  worden,  die  verirreten  Menschen,  gleich  wie  der  JStern 
die  niorgenländischen  Weisen,  zu  dem  so  recht  himmlisch  und  göttlich  zu  führen. 
Ich  linbe  mehrmalen  auch  in  öffentlichen  Schriften  mit  Anderen  beklagt,  dass  man 
die  i'ömischen  Missionarios  allein  die  un\ergleichliche  Neigung  und  Wissensbegierde 
des  chinesischen  Monarchen  und  seiner  Unterthanen  sich  zu  Nutz  machen  lasse. 
Davon  ich  viel  besonders  mit  nachdenklichen  Umständen  sagen  könnte.  Es  scheinet, 
als  Gott  sich  Chui'f.  Durchl.  zu  einem  grossen  Instrument  auch  hierin  erwählet  und 
\-orher  ausgerüstet  habe.  Massen  ja  bei  Protestirenden  nirgends  ein  solcher  Grund 
als  zu  Berlin  zu  der  chinesischen  Literatura  et  propaganda  fide  geleget  worden^. 
Wozu  nunmelu'  vermittelst  sonderbarer  Schickung  der  Providenz  das  so  ungemein 
gute  persönliche  Vernehmen  mit  dem  Czaar  in  die  grosse  Tartarei  und  das  herr- 
liche China  ein  weites  Thor  öffnet.  Dadurch  ein  Commercium  nicht  nur  von  Waaren 
und  Manufacturen.  sondern  auch  von  Licht  und  Weisheit  mit  dieser  gleichsam  an- 
dern civilisirten  Welt  und  Anti- Europa  einen  Eingang  finden  dürfte*.« 


^  Siehe  oben  S.  76  das  JABI,o^'SKI'sche  Project  imd  vergl.  die  gründliche  Studie 
von  Plath,  Die  Missionsgedanken  des  Freiherrn  von  Lkihnm-z.  1869.  Die  Frage, 
ob  Leibniz  oder  Jablonski  die  Priorität  des  Missionsgedankens  gebührt  (s.  Kvacsala, 
Fünfzig  Jahre  im  preussischen  Hofpredigerdienste.  D.  E.  Jarlonsky.  Jurjew  1896 
S.  21),  wdrd  so  zu  entscheiden  sein,  dass  zwar  Jabi.onski  sein  Interesse  für  die 
Mission  nicht  ei-st  von  Leibniz  erhalten  hat,  dass  aber  der  Missionsgedanke  als  ein 
Hauptzweck  der  zu  stiftenden  Societät  und  die  besondere  Beziehung  auf  China  und 
den  Osten  von  diesem  stammt.  Die  grösste  Bedeutung  haben  Leibnizcus  Missions- 
gedanken durch  ihren  Einfluss  auf  H.  A.  Franke  erhalten  (s.  Guhrauer,  G.  W.  Frei- 
herr von  Leibnitz,   2.  Theil  Anhang  S.  19  f.). 

^  In  der  Art  der  Begründung  hat  er  freiUch,  wie  er  sel])st  Jablonski  gegen- 
über gestanden  hat  (s.  o.  S,  81),  ..ad  hominem«  gesprochen.  Ihm  selber  war  un- 
zweifelhaft nicht  die  Christianisii-ung  der  fernen  Länder  die  Hauptsache,  sondern 
die  Bereicherung  des  Wissens,  die  man  von  dort  zuriickbringen  würde.  Aber  er 
kannte  des  Kurfürsten  kirchlichen  Sinn,  und  gleichgültig  war  ihm  selbst  der  Mis- 
sionsgedanke keineswegs.  Wissenschaft  und  echte  evangelische  Religion  sah  er  als 
Zwillingsschwestern  an,  die  stets  einander  dienen  müssen:  wissenschaftliche  Auf- 
klärung wird  auch  die  Heiden   zur  i-einen  christlichen  Religion  führen. 

^  Diese  Bemerkung  bezieht  sich  darauf,  dass  die  Kurfürstliche  Bibliothek 
eine  Sammlung  chinesischer  Bücher  besass.  Schon  1683  waren  solche  vorhanden 
(s.  Wii.KEx,  Geschichte  der  Königlichen  Bibliothek  1828  S.  29  und  161)  und  wur- 
den l)al(l  (Inraiif  vermehrt. 

*  Leiümz  macht  hier  noch  folgenden  kühnen,  auf  den  Kurfürsten  berechneten 
Zusatz:  ..Wer  weiss,  ob  Gott  nicht  el)en  deswegen  die  pietistischen,  sonst  fast  ärger- 
liche Streitigkeiten   unter  den  Evangelischen   zuiielassen  .   auf  dass   recht  fromme   und 


Chinesische  Mission  ein  Hauptzweck  der  Societät.  83 

Des  Weiteren  führt  Leibniz  aus ,  wie  Befehl  zu  erlassen  sei ,  dass 
alle  kurfürstlichen  Ingenieurs,  Künstler,  Residenten,  Agenten  und 
Factoren  überall  mit  der  neuen  Societät  correspondiren  und  ihr  alles 
Wichtige  zutragen  sollen.  Würde  man  erst  merken,  dass  Clmrf.  Durchl. 
daran  ein  besonderes  Vergnügen  haben,  so  werden  auch  vornehme  und 
begüterte  Privatpersonen  —  wie  etwa  in  England  und  anderswo  — 
aufgemuntert  werden ,  ihre  Lust  in  Untersuchung  der  Natur  und 
Wunder  Gottes,  auch  mathematicis  und  daher  fliessenden  schönen 
Künsten  zu  suchen.  Ebenso  müssen  die  tauglichsten  Gelehrten  an 
Universitäten  und  Gymnasien  in  kurfürstlichen  Landen  mit  der  So- 
cietät in  Verbindung  treten;  man  muss  ihnen  »die  objecta,  occa- 
siones  und  allerhand  dienliche  Nachrichtungen  suppeditiren « ;  das 
würde  » von  grosser  Extension  und  Wirkung  sein ,  imd  doch  Churf. 
Durchl.  nichts  als  nur  die  Bezeigung  ihres  dazu  geneigten  Willens 
kosten«. 

Am  Schluss  des  Entwurfs  ( i .  Fassung)  geht  Leibniz  noch  aus- 
führlich auf  Erweiterung  des  Fundus  ein.  Er  schlägt  vor  i.  eine 
Expeditionssteuer  bei  allen  beneficia  pure  gratiosa,  die  der  Kurfürst 
ertheilt,  2.  —  nach  Errichtung  einer  guten  Anstalt  gegen  Feuer- 
schäden ,  die  mit  der  Societät  zu  verbinden  sei  und  zu  der  ein  jeder 
Bürger  jährlich  etwas  beizutragen  hätte  —  die  Überweisung  des 
Überschusses  an  die  Kasse  der  Societät.  Ferner  soll  die  Societät 
auf  Abhülfe  gegen  die  Wasserschäden  sinnen  und  dazu  die  Geometrie 
in  rechten  Gebrauch  setzen.  Auch  hier  wird  sich,  wenn  auch  nicht 
sofort,  ein  gewisser  Fundus  ergeben,  wenn  einmal  die  Einrichtung 
(Landesnivellement,  Austrocknen  der  Moräste  u.  s.  w.)  in  Kraft  ge- 
setzt ist. 

Die  zweite  Fassung  des  Entwurfs  deckt  sich  zwar  zum  Theil 
mit  der  ersten ,  giebt  aber  ein  genaues  Schema  der  realen  Wissen- 
schaften als  Unterlage  für  die  Organisation  der  Societät.  Die  realen 
Wissenschaften  sind  Mathematik  und  Physik.  Jene  wie  diese  be- 
greift vier  Hauptstücke,  nämlich  I.  die  Mathematik:  i.  Geometrie 
[Mathesis  generalis  und  Analysis,  so  den  andern  allen  das  Licht  an- 
zündet], 2.  Astronomie  [Geographie,  Chronologie,  Optik  (diese  nur 
zum  Theil)],   3.   Architektonik   [civilis,   militaris,   nautica;   dazu  Pic- 


wohlgesinnte  Geistliche,  die  unter  Churf.  Durchl.  Schutz  gefunden,  Dero  bei  Händen 
sein  möchten,  dieses  capitale  Werk  fidei  purioris  propagandae  besser  zu  befördei'n 
und  die  Aufnahme  des  wahren  Christenthums  bei  uns  und  ausserhalli  mit  dem 
Wachsthum  realer  Wissenschaften  und  gemeinen  Nutzens  als  funiculo  triplici  in- 
dissolubili  zu  vei'knüpfen«. 

6* 


84  Die  Gründung-  der  Societät  im  Jahre  1700. 

tura  und  Statuaria],  4.  Mechanik  [dazu  alle  Handwerke,  so  Bewe- 
gung erfordern,  sammt  den Manufacturen] ;  IL  die  Physik:  i.  Chemie 
[ist  die  rechte  physica  generalis  practica,  so  allen  drei  Reichen  ge- 
mein, dadurch  das  Innerste  der  Körper  zu  erforschen],  2.  Regnum 
Minerale  [Berg-  und  Hüttenwerke,  Salz-,  Salpeter-  und  andere  Sie- 
dereien, Stein-  und  Kohlenbrüche,  Glasarbeit  aller  Art,  das  vor- 
treft'liche  Regal  des  Agtsteins,  so  Churf.  Durchl.  vor  andern  Poten- 
taten haben],  3.  Regnum  Vegetabile  [Botanik,  Agricultur,  Gärtnerei, 
Forstwesen],  4.  Regnum  Animale  [dessen  rechte  Erkenntniss  von 
der  Anatomie  dargegeben  wird,  Thierzucht,  Waidwerk,  die  hohe 
Scienz  der  Medicin]. 

Also  müssen  Leute  für  die  Societas  Scientiarum  gewonnen  wer- 
den, die  diese  Fächer  vertreten  können.  Ausser  den  in  kurfürst- 
lichen Landen  befindlichen,  aus  denen  das  Collegium  der  inneren 
Membra  zu  formiren,  hat  man  Associati  (theils  im  Lande,  theils 
ausserhalb)  zu  gewinnen.   — 

Kaum  hatte  Leibniz  dieses  Schreiben  abgesandt,  als  er  jenen 
Brief  Jablonski's  empfing,  der  ihm  mittheilte,  der  Kurfürst  wünsche 
eine  Ausdehnung  der  Aufgabe  der  Societät  auf  die  Pflege  der 
deutschen  Sprache  und  lade  ihn  ein ,  sich  zur  Durchführung  des 
ganzen  Unternehmens  nach  Berlin  zu  begeben.  Umgehend  liess  er 
nun  seinem  Briefe  vom  26.  einen  zweiten  am  28. März  folgen  und 
gab  ihm  ein  Pro  Memoria  über  den  kurfürstlichen  Plan  bei:  »die 
Zusammenfassung  der  Teutsch-  und  Wissenschaftsliebenden  Gesell- 
schaft ist  die  vernünftigste  und  schicklichste  Sache  von  der  Welt, 
dafern  es  auf  die  von  mir  ausgeführte  Weise  genommen  wird^<. 
Drei  Tage  später  schrieb  er  noch  einmal  an  Jablonski'^,  um  ihm 
zu  sagen,  dass  er  zu  Ostern  in  Wolfenbüttel  sein  Averde.  Den 
kurfürstlichen  Plan  will  er  so  gefasst  wissen,  dass  man  dadurch 
noch  mehr  kurfürstliche  Beamte  heranziehe,  um  sowohl  zu  gründ- 
licheren Nachrichten  von  den  Sachen,  als  auch  zur  rechten  Be- 
nennung derselben  im  Deutschen  zu  gelangen.  Er  hofft  auch, 
der  Kurfürst  werde,  da  er  den  Umfang  der  Societätsaufgaben  ver- 
grössert  habe,  auch  den  Fundus  vergrössern.  Bereits  aber  be- 
schäftigte sich  sein  rastloser  Geist  mit  dem  Plan  einer  Wieder- 
aufnahme des  protestantischen  kirchenhistorischen  Hauptwerks,  der 
Magdeburger  Centurien. 


^    Weder   dieser   Brief  noch   das   beigegebene  Pro  Memoria  sind   mehr   voi- 
banden,  folgen  aber  aus  LEiBNizens  Schreiben  vom  31.  März  1700. 
^    Siehe  Urkundenband  Nr.  32. 


Des  Kurfürsten  und  Leibnizbus  weitere  Pläne.  85 

Nun  galt  es,  Urlaub  vom  liannoversclien  Kurfürsten  zu  erhalten. 
Das  erste  Mal  hatte  dieser  die  Bitte  abschlägig  beschieden  \  Leibniz 
richtete  sein  Gesuch  jetzt  so  ein,  dass  es  kaum  abgeschlagen  werden 
konnte".  Er  verweist  zuerst  darauf,  dass  die  Ehre,  die  ihm  die  fran- 
zösische Akademie  soeben  erwiesen  habe ,  ihm  eine  neue  einzubringen 
scheine.  Der  brandenburgische  Kurfürst  will  eine  ähnliche  Akademie 
und  ein  Observatorium  begründen  und  verlangt  meinen  Rath,  ja 
will  mir  die  Direction  übertragen,  »mais  de  loin  et  sans  que  je  m'y 
arrete,  ce  qu"on  suppose  ne  pouvoir  pas  deplaire  k  V.A.E.,  car 
il  semble  qu'une  teile  demande  qui  m'est  avantageuse,  ne  des- 
honore  pas  la  cour  de  V.  A.E. «  Bedeutungsvoll  fügt  er  hinzu, 
die  Kurfürstin  von  Brandenburg  habe  den  Grund  zu  dem  Plan  des 
Observatoriums  gelegt,  er  müsse  ihn  nun  weiterführen,  und  be- 
fürchtend, dass  dies  Alles  noch  nicht  ausreiche,  wendet  er  die  Sache 
persönlich:  »Ich  lebe  still  für  mich  und  arbeite  Tag  für  Tag  im 
Dienst  Ew.  Durchlaucht  und  für  das  Ansehen  des  hannoverschen 
Hofes;  ich  muss  von  Zeit  zu  Zeit  kleine  Reisen  machen,  die  meine 
einzige  Erholung  und  Zerstreuung  sind;  dazu  zwingt  mich  in  die- 
sem Frühjahr  ein  Leiden,  warme  Bäder  aufzusuchen  —  er  denkt 
an  Teplitz.  »Mais  j'ai  mis  ordre  que  tout  cela  n'empechera  guere 
les  travaux  historiques  oii  il  s'agit  de  ranger  les  materiaux  dejä 
prepares,  en  quoi  je  me  fais  assister,  et  cela  continue  encore  en 
mon  absence. « 

Alle  möglichen  Motive  hat  Leibniz  hier  spielen  lassen;  der 
Kurfürst  mochte  sich  aussuchen,  welches  ihm  vollgültig  schien.  Er 
hat  das  Gesuch,  gewiss  um  seiner  Schwester  willen,  diesmal  ge- 
nehmigt. 

In  den  Briefen  vom  6.  und  21.  April  ^  billigte  Jablonski  alle 
LEiBNizischen    Vorschläge^    und    berichtete,     dass    dem    Kurfürsten 


'    Siehe  oben  8.61. 

^  Siehe  Urkundenband  Nr.  31 :  Bi-ief  vom  28.  März  1700,  also  wohl  an  dem- 
selben Tage  geschrieben,  an  welchem  er  die  Aufforderung  des  brandenburgischen 
Kurfürsten  empfing,  denn  am   26.  März  hatte  er  sie  noch  nicht. 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  33.34. 

*  Wie  gewissenhaft  es  Leibniz  mit  seiner  Sorge  sogar  für  eine  ihm  ferner 
liegende  Sache,  den  Bau  des  Observatoriums,  genommen  hat,  zeigen  die  beiden 
bisher  ungedruckten  Actenstücke  Nr.  35  und  36  des  Akademischen  Archivs.  Das 
erste  enthält  eine  Anfrage  an  einen  nicht  genannten  Astronomen  wegen  Einrichtung 
des  Observatoriums;  das  andere  ist  besonders  lehrreich.  Auf  seiner  Durchreise 
durch  Brandenburg  (auf  dem  Wege  nach  Berlin)  sah  Leibniz  die  auf  dem  Marien- 
berg stehende  alte,  verlassene  hohe  Kirche.  Sofort  steigt  ihm  der  Gedanke  auf, 
sie  zu  astronomischen  Zwecken  zu  benutzen;  er  besichtigt  sie  und  setzt  eine  Ein- 
gabe an  den  Kurfürsten  auf. 


86  Die  Gründung  der  Societät  im  .Inhre  1700. 

LEiBNizens  beide  Entwürfe  vom  26.  und  28.  März  von  Hrn.  von  Wedel 
vorgelegt  worden  seien,  »welches  er  mit  gutem  Effect  gethan,  so 
dass  S.  Cliurf.  Durchlaucht  daher  höchlich  vergnüget  worden,  auch 
Dero  gnädigste  Ordre,  mit  Vollstreckung  des  Entwurfs  zu  eilen, 
erneuert.  Die  Abrede  ist  mit  dem  Baumeister  bereits  genommen, 
und  wird  nach  den  B'eiertagen  der  Anfang  gemacht,  da  zu  dem 
Observatorium  ein  eigener  Pavillon  4  Stock  hoch  von  Grund  aus 
soll  aufgemauret ' ,  dabei  auch  eine  gute  Anzahl  bequemer  Zimmer 
angeleget  werden.  S.  Churf.  Durchl.  wollen  in  hoher  Person  selbsten 
Protector  der  Academie  sein«.  Ferner  berichtet  er,  dass  die  Edicta 
die  Berufung  Kirch's  und  das  Kalenderprivileg  betreffend  von  Cuneau 
abgefasst  und  Hrn.  von  Wedel  übergeben  Avorden  seien".  Dieser 
aber  hat  sie  zurückgegeben,  damit  die  lateinischen  und  französischen 
Termini  ausgemerzt  und  »der  Stilus  gemäss  der  Teutsch- liebenden 
Intention  des  gnädigsten  Fundatoris  eingerichtet  werde«.  So  ernst 
nahm  es  der  Kurfürst  mit  seiner  Sorge  für  die  deutsche  Sprache; 
er  beschämte  seine  Gelehrten!  Am  19. April  wurden  die  Edicte  auf's 
Neue  vorgelegt. 

LEiBNizens  Reise  verzögerte  sich,  da  der  »Fuhrzettel«  nicht  be- 
schafft werden  konnte;  endlich  wurde  ihm  geschrieben,  er  möge 
die  Kosten  der  Reise  auslegen;  sie  würden  ihm  zurückerstattet 
werden.  Etwa  um  den  8.  Mai  traf  er  nach  einer  Fahrt  von  mindestens 
acht  Tagen    in  Berlin    ein^.      Am    10.  Mai    erliess  der  Kurfürst  das 


^  Also  war  der  Plan,  wie  er  wirklich  ausgeführt  worden,  schon  damals 
wesentlich  entworfen;  vergl.  den  Fascikel  »Baulichkeiten«  des  Akademischen  Archivs 
unter  dem  6.  Mai  1700  und  die  daselbst  aufbewahrten  Pläne  und  Zeichnungen. 

^    Mithin  vor  dem  6.  April. 

*  Das  genaue  Datum  ist  nicht  zu  ermitteln;  Klopp's  Annahme,  er  sei  am 
2 I.Mai  eingetroffen,  ist  sicher  falsch.  Besässen  wir  nur  den  Brief  vom  22.  Mai,  den 
ersten,  den  er  von  Berlin  an  die  Kurfürstin  .Sophie  geschrieben  (Klopp.  Werke,  8. Bd. 
S.151  ff.),  so  müssten  wir  annehmen,  dass  er  bereits  etwa  um  den  10.  Mai  angelangt 
ist.  Er  erzählt  dort,  dass  er  seine  Reise  ebenso  langsam  wie  die  grossen  Herren 
ausgeführt  und  sich  in  Celle,  Braunschweig,  Magdeburg  und  Brandenburg  aufge- 
halten habe,  nicht  »pour  la  commodite  et  pour  la  grandeur«,  sondern  »pour  ne 
perdre  point  d'occasion  de  faire  des  recherches«.  Hierauf  habe  er  in  Berlin  Woh- 
nung gesucht  (er  fand  sie  in  der  Brüderstrasse,  s.  den  iS.Brief  des  J.Th.  Jablonski- 
LEiBNiz'schen  Briefwechsels),  dann  sich  in  Lietzenburg  bei  der  Kurfürstin  vorge- 
stellt, wohne  nun  auf  ihre  Einladung  hin  daselbst,  habe  aber  bei  dem  geräusch- 
vollen Leben  dort  vier  oder  fünf  Nächte  nicht  mehr  als  vier  Stunden  geschlafen; 
nun  habe  er  eine  Audienz  beim  Kurfürsten  gehabt.  Er  wohnt  also  in  Lietzenburg 
bereits  geraume  Zeit  und  schreibt  der  Kurfüi'stin  erst  so  spät,  weil  seine  Audienz 
beim  Kurfürsten,  dem  er  einen  Brief  seiner  Schwiegermutter  übergeben  sollte,  sich 
verzögert  hatte.  Wird  man  hiei'nach  für  den  Tag  seiner  Ankunft  in  Berlin  etwa 
auf  den    10.  Mai  geführt,    so    führt    eine  andere  Urkunde  noch  weiter  hinauf.     Die 


LKiBNizens  Ankunft  in  Berlin.  87 

Kalender -Patent  und  -Privileg'  und  am  i8.  die  Bestallungsvirkunde 
für  den  Astronomen  Kirch",  In  dem  Kalenderpatent  wurde  dem 
Lande  der  Entsclduss  des  Kurfürsten  mitgetheilt,  ein  Observatorium 
zu  erbauen  und  eine  Societas  Scientiarum  für  die  nützlichen  (Natur-) 
Wissenschaften  und  Künste   einzurichten^. 

Zu  ungünstiger  Zeit  traf  Leibniz  in  Berlin  ein.  Bereits  hatten 
die  Vorbereitungen  zur  Vermählungsfeier  der  Tochter  des  Kurfürsten 
aus  erster  Ehe,  Luise  Dorothea  Sophie,  mit  dem  Erbprinzen  von 
Hessen-Kassel  begonnen,  und  die  Hochzeit  selbst  wurde  durch  rau- 
schende Feste  von  Ende  Mai  bis  Mitte  Juni  gefeiert^.  Allein  für 
die  Verzögerung  der  Societätspläne   entschädigte  ihn   bald  reichlich 


Denkschrift  nämlich,  die  wir  oben  beriihrt  und  im  Urkundenband  Nr. 36  abgedruckt 
haben,  trägt  in  der  Überschrift  (die  aber,  wenn  sie  von  LEiBNizens  Hand  stammt, 
jedenfalls  nicht  gleichzeitig  ist)  die  Aufschrift  «April  1700«,  doch  hat  dieselbe  Hand 
eist  »Mai«  zu  schreiben  angefangen  und  es  dann  ausgestrichen.  Hiernach  ist  Leib- 
niz bereits  im  April,  wenn  auch  vielleicht  am  letzten  —  denn  er  hat  selbst  später 
augenscheinlich  geschwankt,  ob  es  noch  April  oder  schon  Mai  war  — ,  in  Branden- 
burg gewesen.  Er  ist  also  gleich  nach  Empfang  des  JABLON^SKi'schen  Briefes  (vom 
2  I.April)  etwa  am  25.  April  von  Hannover  aufgebrochen.  Ein  Schreiben  Cuneau's 
an  VON  Wedel  bestätigt  das  (s.  über  dasselbe  unten  bei  den  Nachweisungen  über 
LEiBNizens  Gehalt);  denn  Cuneau  sagt,  Leibniz  sei  am  11.  August  mehr  als  drei  Mo- 
nate in  Berlin,  und  sein  Gehalt  wurde  vom  i.  Mai  1700  an  berechnet.  Andererseits 
zeigt  ein  Actenstück  im  Akademischen  Archiv,  dass  er  am  6.  Mai  noch  nicht  in 
Berlin  gewesen  ist  (s.  Fase.  »Baulichkeiten»);  er  war  also  mindestens  eine  Woche 
in  Brandenburg  und  kam  gleich  nach  dem  6.  Mai  nach  Berlin. 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  37. 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  38. 

^  Das  Kalender-Privileg  wurde  der  Societät  in  dem  Umfange  ertheilt,  wie 
es  in  dem  jABLONSKi'schen  ersten  Entwurf  vorgesehen  war.  Es  galt  für  alle  kur- 
fürstlichen Provinzen  und  Gebiete.  Alle  Kalender  ausser  den  von  der  Societät 
herauszugebenden  werden  verboten.  Wer  mit  fremden  Kalendern  handelt,  soll 
von  jedem  fremden  Stück  ohne  Unterschied  100  Thlr. ,  wenn  er  aber  den  fremden 
Kalender  zu  eigenem  Gebrauch  gekauft  hat.  6  Thlr.  bezahlen.  Die  Strafgelder 
sollen  in  fünf  Theile  getheilt  werden,  nämlich  für  den  Denuncianten ,  den  Fiscal, 
den  Richter,  die  Armen  und  die  Societät,  bez.  in  drei  Theile,  wenn  kein  Denun- 
ciant  noch  Richter  lietheiligt  gewesen  ist.  Mit  Erlaubniss  und  mit  dem  Stempel 
der  Societät  dürfen  fremde  gute  Kalender  —  aber  nur  für  den  doppelten  Preis  — 
von  Liebhal)ern  bezogen  werden;  a,ber,  um  Unterschleife  zu  vermeiden,  soll  die 
Societät  privati\e  das  Verkaufsrecht  haben.  —  Da  in  dem  Kalender -Privileg  nur 
von  den  naturwissenschaftlichen  Aufgaben  der  Societät  die  Rede  ist,  so  wird  sie 
in  einer  Eingabe  der  Regierung  in  Königsberg  vom  29.  Juli  1700  »die  neu  gestiftete 
mathematische  Societät«  genannt  (s.  den  Fascikel  »Kalendersache«  im  Geh.  Staats- 
archiv). 

*  Festliche  Veranstaltungen  dauerten  auch  dann  noch  foi't,  besonders  am  Ge- 
burtstage des  Kurfürsten.  Die  Kurfürstin  Sophie  nannte  daher  Lietzenburg  »Lusten- 
burg«,  und  Leibniz  datirte  einen  Brief  aus  »Lustenburg«  (s.  die  Briefe  vom  4.  und 
10.  August  1700  bei  Klopp,  S.Band,  S.  204,  und   10.  Band,  S.337). 


88  Die  Gründung  der  Societät  im  Jahre  1700. 

der  Vorkehr  mit  der  Kurfürstin  Sophie  Charlotte;  sie  hatte  ihm 
ein  Zimmer  in  ihrem  Lustschloss  Lietzenburg  eingeräumt^  und  fand 
trotz  aller  Feste  Zeit,  gehaltvolle  wissenschaftliche  Gespräche  mit 
ihm  zu  führen,  die  Leibniz  sogar  veranlassten,  ihr  schriftliche  Ex- 
poses zu  übergeben".  Ausserdem  benutzte  er  seine  freie  Zeit  zu 
einer  umfangreichen  Correspondenz  mit  der  hannoverschen  Kur- 
fürstin ^.  Alles  berichtet  er  ihr  treulich,  das  Bedeutende  und  das 
Kleinste,  vor  allem  Politisches,  dann  auch  Wissenschaftliches  und 
Höfisches ,  und  spielt  in  der  Tliat  die  Rolle  eines  ausserordentlichen 
Agenten  der  Kurfürstin  am  brandenburgischen  Hofe.  Vom  Kur- 
fürsten ist  er  entzückt;  derselbe  habe  versprochen,  das  Observa- 
torium oft  zu  besuchen,  wenn  es  hergestellt  sein  wird.  Ironisch 
scherzend  bemerkt  die  Kurfürstin  Sophie:  »Cela  manqua  encore  ä 
la  grandeur  de  Mr.  l'Electeur  de  Brandebourg  d'avoir  toujours  un 
astrologue  a  ses   cotes,   comme  les  Rois  des  Indes«*. 

Am  19.  Juni  hatte  Leibniz  eine  Audienz  beim  Kurfürsten  in 
Schönhausen'^  und  wurde  von  ihm  mit  der  Abfassung  der  Stiftungs- 
urkunde betraut  und  zum  Präsidenten  der  Societät  ernannt'^.     Aber 


^  Er  gab  es  aber  im  Juni  wieder  auf  und  zog  nach  Berlin,  weil  ihn  die  ge- 
räuschvollen Feste  angriffen  und  er  Brunnen  trinken  wollte,  s.  die  Briefe  an  die 
Kurfürstin  Sophie  (Klopp,  Werke,  S.Band,  S.  löyf.  181).  »J'ai  fait  ici  une  vie 
que  Mad.  l'Electrice  appelle  apres  moi  ein  liederlich  Leben.« 

^  Siehe  Klopp,  Werke,  10.  Band,  S.  62  ff.  Es  handelte  sich  um  psycholo- 
gische Fragen ,  die  durch  eine  Schrift  des  Abts  Molanus  angeregt  waren.  So  werth- 
voll  und  entzückend  waren  der  Kurfürstin  diese  Gespräche,  dass  sie  nach  der  Krö- 
nung an  Leibniz  einmal  schrieb:  »Ne  croyez  pas  que  je  prefere  ces  grandeurs  et 
ces  couronnes,  dont  on  fait  ici  tant  de  cas,  aux  charmes  des  entretiens  philoso- 
phiques  (pie  nous  a\"ons  eus  a  Charlottenbourg«,  So  erzählt  Friedrich  der  Grosse  in 
seiner  Abhandlung  über  Friedrich  L  (Mem.  de  l'Acad.  Royale  des  Sciences  1748  p.  378), 
und  die  Wahrheit  dieser  Erzählung  wird  dadurch  nicht  beeinträchtigt,  dass  dieser 
Brief  nicht  erhalten  ist  und  dass  der  König  den  sjiäteren  Namen  » Charlottenburg" 
für   »Lietzenburg«   eingesetzt  hat. 

^  Wir  besitzen  aus  den  drei  Monaten,  die  sich  Leibniz  in  Berlin  aufhielt. 
13  zum  Theil  sehr  ausführliche  Briefe  von  ihm  an  die  Kurfürstin  Sophie  und  14 
von  ihr  an  Leibniz,  dazu  vier  Schreiben  des  Letzteren  an  den  hannoverschen  Kur- 
fürsten (s.  Klopp,  Werke,  S.Band,  S.  151  — 208). 

*    A.a.O.  S.  154.  156. 

^  Ein  intei'essantes  Concept  für  eine  etwas  spätere  L^nterredung  mit  dem 
Kurfürsten  von  Leibnizbus  Hand  findet  sich  im  akademischen  Archiv;  mitgetheilt 
im  Urkundenband  Nr.  39. 

•^  Siehe  den  Brief  an  Sophie  vom  19.  Juni  (Klopp,  Werke,  S.Band,  S.  182). 
In  ilirem  Gratulationsschreiben  vom  23.  Juni  (a.a.O.  S.  1S4)  sjjielt  die  Kurfürstin 
auf  die  preussische  Königskrone  an:  »On  ne  craint  point  les  heros  de  Brandebourg, 
d'autant  qu'il  n"y  a  point  de  royaume  a  concjuerir  pour  M.  l'Electeur  de  Brande- 
bourg de  ce  cote  ici  [sie]».    Den  hannoverschen  Kurfürsten  bat  Leibniz  um  Bestätigung 


Leibxi/,  in  Berlin.  89 

zugleich  musste  er  sich  üV)erzeugen ,  dass  der  Kurfürst  nicht  ge- 
willt war,  baare  Mittel  für  die  Societät  anzuweisen.  Seine  Kassen 
w\aren  erschöpft.  Mit  schwerer  Sorge  erfüllte  es  Lehsniz  ,  die  Zu- 
kunft der  Societät  im  Unsicheren  sehen  zu  müssen';  denn  dass  das 
Kalender- Monopol  niclit  ausreiche,  darüber  hat  er  sich  nie  einer 
Täuschung  hingegeben.  Um  so  energischer  strengte  er  sich  an, 
neue  Monopole  für  die  Societät  zu  erdenken ,  die  dem  Kurfürsten 
nichts  als  »Worte«,  d.h.  Concessionen,  kosten  sollten.  Augenschein- 
lich w\ar  er  nach  Berlin  gegangen  in  der  Hoffnung,  bei  dem  liberalen 
Monarchen,  trotz  der  Ankündigung,  dass  es  der  Societät  nichts  kosten 
solle,  eine  ausreichende  regelmässige  Dotation  zu  erwirken"  und  selbst 
einen  befriedigenden  Gehalt  zu  l)ekommen.  Er  war  es  gewesen,  der 
das  Unternehmen  —  welches  in  Berlin  zuerst  als  ein  schlichtes 
Observatorium  geplant  war,  umgeben  von  einer  ziemlich  nebelhaften 
Societät  —  in  eine  sofort  zu  begründende  umfassende  Akademie 
verwandelt  hatte.     Auf  ihm  lag  jetzt  die  Verantwortung,   die  Sache 


seiner  Wahl  am  Schluss  eines  langen  Schreibens  politischen  Inhalts  (26.  Juni,  s. Klopp. 
a.  a.  0.  S.  186  ff.),  stellte  das  Amt  wieder  so  harmlos  wie  möglich  dar,  verwies  darauf, 
welchen  Nutzen  seine  historischen  Arbeiten  für  Braunschweig  aus  seinem  Berliner 
Aufenthalt  ziehen  würden,  und  schloss  mit  dem  Hinweis  auf  seine  angegriffene 
Gesundheit.  Wii'klich  machte  er  am  8.  Juli  1700  (s.  Urkundenband  Nr.  40)  eine 
Eingabe  an  den  Kurffirsten  Friedrich,  dass  ihm  die  brandenburgischen  Archive 
geöffnet  werden  mögen,  motivirte  sie  aber  nicht  mit  einem  Hinweis  auf  weifische, 
sondern  auf  brandenburgische  Interessen. 

^  Mit  runden  Worten  muss  ihm  der  Kurfürst  wiederholt  haben.'  was  er  selbst 
allzu  rasch  am  Anfang  der  Verhandlungen  zugestanden  hatte  —  dass  die  Societät 
nichts  kosten  dürfe,  und  auch  davon  musste  er  sich  überzeugen,  dass  er  selbst 
nichts  Erhebliches  erhalten  werde  (über  seine  persönliche  Angelegenheit  s.  unten). 
»Jussus  sum  diploma  fundationis  concipere« ,  schreibt  er  am  22.  Juni  1700  (Klopp, 
a.a.O.  S.  172)  an  den  Abt  Molanus;  »si  scribere  tantuin  opus  est,  omnia  in  pote- 
state  habemus" ,  und  an  die  Kurfürstin  Sophie  eine  Woche  später  (a.  a.  0.  S.  190 f.): 
"Jusqu'ici  ma  direction  de  la  Societe  des  Sciences  n'est  qu'un  honneur;  car  la 
Societe  ne  doit  rien  coüter  ä  l'Electeur.  Elle  se  doit  faire  son  propre  fonds ,  qui 
ne  consistera  qu'en  certaines  concessions  que  l'Electeur  veut  accorder,  sans  qu'il 
lui  en  coüte  que  des  paroles.  et  par  consequent  ces  revenus  seront  un  peu  casuels. 
Pour  moi,  je  serais  assez  content,  si  je  suis  dedommage  des  frais  que  je  fais 
quelquefois  pour  le  bien  public  et  pour  Tavancement  des  sciences.  Si  c^uelqu'un 
nous  pouvait  fournir  quelques  propositions  utiles ,  qui  ne  demanderaient  que  le 
consentement  de  S.  A.  E. ,  sans  interesser  ses  finances,  nous  le  recevrions  volontiers«. 
Die  Kurfürstin  Sophie  antwortet  darauf  (3.  Juli  1700,  a.  a.  0.  S.  192  f.)  ebenso  zu- 
treffend wie  weltkundig:  »On  dirait  que  ^'ous  allez  faire  des  miracles  d'eriger  une 
academie,  que  cela  ne  coüte  rien  a  l'Electeur,  quoique  dans  le  siede  oü  nous 
sommes.  les   choses  ne  sont  point  estimees  qui  sont  ;i   bon  marclie". 

^  Nocli  in  dem  oben  erwähnten  Concept  für  eine  Unterredung  mit  dem  Kur- 
fürsten steht  als  18.  Punkt:  "Ob  dem  Fundo  Societatis  mit  einigen  Salariis  zu  Hülf 
zu  kommen". 


90  Die  Gi'ündung  der  Societät  im  .Talire  1700. 

diu'clizuführen.  Konnte  man  baares  Geld  und  regelmässige  Zuschüsse 
nicht  erhalten,  so  musste  man  auf  Privilegia  und  Monopole  bedacht 
sein,  obschon  »ces  revenus  seront  un  peu  casuels«  —  nicht  nur  vm- 
regelmässig,  sondern  auch  odiös\  Im  Laufe  der  Monate  Juni  und 
.luli  hat  Leihniz  seine  Vorschläge  —  theils  schon  früher  gehegte, 
theils  neue  —  zu  Papier  gebracht  und  mit  dem  Requetenmeister 
VON  Wedel  besprochen'.  Fünf  Privilegien  für  die  Societät  hat  er  er- 
dacht, von  denen  die  vier  ersten  mit  den  Aufgaben  der  Societät  in 
eine  sinnvolle  Beziehung  gebracht  sind,  i .  Die  Societät  soll  eine 
teutsch-liebende  und  -pflegende  (Tesellschaft  sein,  also  ist  es  gestattet, 
eine  Steuer  auf  Reisen  in"s  Ausland  zu  legen  und  sie  pro  re  Ger- 
manica zu  Gunsten  der  Societät  zu  verwenden;  2.  die  Societät  soll 
die  mechanischen  Wissenschaften  praktisch  fruchtbar  machen,  also 
ist  es  angemessen,  dass  sie  das  Feuerlöschwesen,  die  Beschaö'ung 
vorzüglicher  Feuerspritzen  u.  s.  w.  für  das  ganze  Land  besorgt  und 
pro  re  mechanica  den  Überschuss  einer  obligatorischen  Feuerkasse, 
die  sie  leitet,  empfangt;  3.  die  Societät  soll  Missionen  in  heidnische 
Länder  ausrüsten,  also  ist  es  billig,  dass  der  Klerus  und  die  milden 
Stiftungen  pro  missionibus  et  propaganda  per  scientias  fide  zu  Gunsten 
der  Societät  etwas  beitragen;  4.  die  Societät  soll  das  Bücherwesen 
überwachen,  daher  soll  sie  pro  re  literaria  sowohl  die  Censur  (auch 
an    Präventiv -Censur,    »soweit   es    thunlich«,    ist  gedacht),    die    sie 


^  Bereits  das  Kalender -Privileg  machte  sehr  viel  böses  Blut  im  Lande;  waren 
docli  noch  am  27.  November  1699  Andere  in  ihrem  Privileg  geschützt  worden  (s.  den 
Fascikel  » Kalendersachen .<  im  Geh.  Staatsarchiv).  Nicht  nur  die  nächstbetheiligten 
Buchdrucker  und  Buchführer  protestirten ,  sondern  auch  der  landschaftliche  Parti- 
cularismus  erhob  sich.  Aus  den  Provinzen,  namentlich  aus  Preussen,  ^Minden.  Stendal, 
kamen  Gegenvorstellungen,  die  zum  Theil  von  den  Provinzialregierungen  unterstützt 
wurden.  Am  lebhaftesten  war  man  natürlich  in  Königsberg;  man  wollte  es  nicht 
ertragen,  aus  Berlin  den  Kalender  zu  erhalten  und  den  eigenen  zu  opfern.  Der 
Prof.  math.  David  Bläsing  in  Königsberg  machte  eine  Eingabe:  ex  officio  habe  er 
den  Kalender  für  Preussen  herzustellen;  im  Jahre  1693  sei  ihm  das  vom  Kurfürsten 
selbst  bestätigt  woi-den;  er  lel)e  davon  neben  seinem  kna^ipen  Gehalt;  auch  passten 
die  brandenburgischen  Kalender  nicht  für  Preussen;  man  möge  ihn  ztim  Mitglied 
der  Societät  machen  und  ihm  die  Kalender -Abfassung  für  Preussen  wie  bisher  über- 
lassen. Eben  der  Petitionssturm  zeigte,  dass  der  Kalender  sowohl  als  auch  die  So- 
cietät gute  Mittel  zur  Verschmelzung  der  getrennten  Theile  der  Monarchie  dar- 
boten, und  in  diesem  Sinne  wird  sie  auch  der  Kurfürst,  dem  diese  Verschmelzung 
am  Herzen  lag  (vergl.  seine  militärisclien  Maassnahmen),  liegrüsst  haben.  Freilich 
musste  manches  Privatinteresse  leiden,  und  mancher  Buchdrucker  und  Buchführer 
kam  in  Noth.  Die  Regierung  suchte  durch  Übertragung  des  Kalenderverschleisses 
an  die  Geschädigten  die  Härten  zu  mildern. 

^  Siehe  die  Übersicht  in  dem  Schreiben  an  vox  Wedel  vom  15.  Juni  1700. 
Urkundenband  Nr. 41    und  di(^  ausführlichere  Darstellung  in  dem  Entwurf  Nr. 42. 


LEiBNizens  Vorschläge,    der  Societät  Privileu'ien    zu  ertheilen.  91 

ausübt,  bezahlt  bekommen,  als  auch  von  den  eingeführten  Bücher- 
ballen etwas  erhalten;  ferner  soll  ihr  ein  Privilegium  generale  per- 
petuum  für  die  Abfassimg  aller  Schulbücher  und  die  Oberaufsicht 
über  die  im  Lande  vorkommenden  Auctionen  und  Lotterien  zuerkannt 
werden;  5.  der  Societät  soll  das  Recht  einer  Lotterie  ertheilt  werden, 
weil    »ihr  Vorhaben  nicht  leicht  einiger  piae  causae  nachgiebt«. 

Diese  fünf  Privilegien  sind  von  Leibniz  in  Form  kurfürstlicher 
Edicte  genau  ausgearbeitet  worden^  und  der  Kurfürst  hat  sie  auch 
genehmigt"',  ja  das  erste  und  zweite  bereits  sogar  unterzeichnet. 
Allein  jenes  hat  der  Societät  nie  einen  Pfennig  eingebracht  und  blieb 
höchst  wahrscheinlich  ganz  unbeachtet.  Die  anderen  —  auch  das 
zweite"^  —  sind  niemals  wirklich  eingeführt  worden*,  und  das  war, 
wenigstens  was   das  Bücher- Commissariat  anlangt,   ein  Segen;   denn 


^  Siehe  Urkundenband  Nr.  43— 47.  Umfangreiche  Parcallehnanuscripte  zu  diesen 
Stücken  befinden  sich  im  Akad.  Archiv  und  in  Hannover. 

^  Es  geht  das  wenigstens  für  vier  Privilegien  aus  einem  Brief  von  Rabener 
an  CuNEAU  vom  19.  Juni  1700  hervor,  der  sich  im  Akademischen  Archiv  (Fascikel 
"Vorschläge  zur  Vermehrung  der  Revenuen«)  befindet:  Leibxiz  ist  gestern  Abends 
bei  mir  gewesen,  berichtete  mir,  dass  er  mit  Hrn.  v.  Colben  (dem  damals  einfluss- 
reichsten Mann  am  Hof)  gespeiset,  nachmals  mit  Sr.  Churf.  Durchl.  in  Schönhausen 
selbst  gesprochen.  Der  Churfürst  hat  gewilligt  und  resolviret:  i.  dass  die  Lotterie 
solle  eingeführt  werden  (diese  Genehmigung  hat  der  Kurfürst  aber  bald  wieder  zu- 
rückgezogen, wie  aus  einem  lunfangreichen ,  stark  durchcoiTigirten  Manusciipt  von 
Leirniz  aus  der  Zeit  um  den  15.  Juli,  das  sich  im  Akad.  Ai'chiv  [Urkundenband  Nr.  52] 
befindet,  hervorgeht,  siehe  in  demselben  den  13.  Abschnitt);  2.  der  Societät  solle  vor 
Verhütung  der  Feuerschäden  ein  Accedens  verordnet  werden;  3.  die  nach  Frank- 
reich Reisenden  sollten  Permission  nehmen  und  pro  discretione  etwas  der  Societät 
erlegen;  4.  der  Klerus  aber  müsste  ein  donum  gratuitum  offeriren,  welches  auch 
in  fundo  separatim  vor  die  emittendos  theologiae  studiosos  müsste  conservirt  werden. 
Das  Büchercommissariat  scheint  nicht  berührt  oder  nur  gestreift  worden  zu  sein. 
A.  a.  0.  findet  sich  in  demselben  Fascikel  von  dem  Generalsuperintendenten  in  Pom- 
mern auch  ein  Vorschlag  (neben  dem  Vorschlag  des  Schulbücher -Vei'lags),  dass  die 
Societät  eine  privilegirte  Nouv eilen -Zeitimg  ediren  solle.  Leibniz  hat  auch  an  die 
^Einrichtung  einer  Bank  im  Zusammenhang  mit  der  Societät  gedacht  (s.  Urkunden- 
band Nr.  52). 

^  Die  Societät  hat  zwar  das  Feuerspritzen -Privileg  erhalten,  aber  es  wurde 
vor  wirklicher  Einführung  durch  die  Gründung  einer  Feuerkasse  hintallig. 

*  Der  Lotterievorschlag  hat  im  Jahre  1701  zum  zweiten  INIal  Leibniz  beschäftigt. 
In  dem  Akademischen  Archiv  (»Vorschläge  zur  Vermehrung  der  Revenuen«)  befindet 
sich  ein  ausgeführter  Entwurf  von  seiner  Hand:  alle  Loose  sollen  gewinnen;  20000 
Loose  ä  2  Thlr.  sollen  ausgegeben  werden,  17660  Loose  sollen  je  -^  Thlr.  gewinnen, 
der  Hauptgewinn  möge  auf  1000  Thlr.  festgestellt  werden;  der  Profit  würde  151 20 
Thlr.  betragen,  bei  Ausgabe  von  25000  Loosen  aber  22670  Thlr.;  die  Societät  und  die 
Armenkasse  sollen  ihn  unter  sich  theilen.  Nach  einem  Schriftstück,  datirt  vom 
25.  November  1701,  haben  Graf  Dohna,  von  Ilgen  und  andere  Staatsmänner  den 
Plan  gebilligt.  Auch  Jablonski  beschäftigte  sich  mit  ihm  und  schlug  25000  Loose 
vor  mit  einem  Hauptgewinn  von  3000  Thlr. 


92  Die  Gründung  der  Societät  im  Jalu-e  1700. 

Leibniz  hatte  hier  seinen  alten  absolutistischen  Vorschlag  (s.  o.  S.27  f.) 
mit  besonderer  Schärfe  wiederholt.  Auch  die  Steuer  auf  Reisen  in's 
Ausland  erscheint  bedenklich,  wenn  man  erwägt,  wie  nützlich  es 
den   Deutschen   damals   war,   sich  im   Ausland  umzusehen. 

Die  finanziellen  Verhältnisse  der  Societät  blieben  unsicher,  oder 
vielmehr,  die  Societät  sah  sich  lediglich  auf  das  Kalender- Privileg 
angewiesen.  Wie  sie  in  den  Anfangen  ihrer  Arbeit  an  die  Anfiinge 
der  Wissenschaft  überhaupt  erinnert  —  denn  diese  hat  überall  mit 
der  Beobachtung  des  Himmels  und  der  Zeitrechnung  begonnen  — , 
so  sollte  sie  auch,  wie  einst  die  wissenschaftlichen  Zeichendeuter  und 
Wahrsager,  auf  den  Ertrag  ihrer  Kunst  angewiesen  sein.  Branden- 
bvu-g-Preussen  war  an  sich  reich  genug,  um  einem  solchen  Unter- 
nehmen eine  entsprechende  Dotation  zu  gewähren ;  aber  der  Hof  ver- 
schlang so  grosse  Summen,  dass  für  die  Wissenschaft  nichts  nach- 
blieb, und  das  Interesse  des  Kurfürsten  für  die  Wissenschaften  ging 
nicht  tief  genug,  um  ihr  ein  grösseres  Opfer  zu  bringen \  Erst 
nach  den  schlesischen  Kriegen  warf  das  Kalender -Privileg  so  viel  ab, 
dass  die  Akademie   sich  kräftiger  zu  entfalten  vermochte. 

Der  Stiftungsbrief,  dessen  Publication  ursprünglich  am  26.  Juni 
erfolgen  sollte,  verzögerte  sich;  bereits  dachte  Leibniz  an  die  Ab- 
reise". Da  beschloss  der  Kurfürst,  der  Societät  als  Stiftungstag  seinen 
eigenen  Geburtstag  zu  geben^.  Am  Sonntag,  den  11.  Juli  1700,  ge- 
nehmigte und  erliess  er  den  von  Leibniz  entworfenen  Stiftungsbrief*. 


^  Das  Urtheil  Friedrich's  des  Grossen  über  das  Verhältniss  seines  Gross- 
vaters zur  Akademie  ist  hart  und  nicht  gerecht;  aber  es  enthält  die  Wahrheit,  dass 
dieser  Fürst  mehr  auf  den  Glanz,  den  die  Wissenschaft  verbreitet,  geachtet  hat, 
als  auf  das  Licht.  Friedrich  II.  schreibt  der  Kurfürstin  und  Leibniz  den  Ruhm 
der  Stiftung  der  Akademie  allein  zu  und  fahrt  dann  fort  (Mem.  de  l'Acad.  Royale  des 
Sciences  1748  p. 378):  »On  persuada  a  Frederic  I  qu'il  convenait  a  sa  Royaute(?) 
d'entretenir  une  Academie ,  comme  on  fait  accroire  ä  uu  nouveau  gentilhomme  qu'il 
est  seant  d'entretenir  une  meute  de  chasse«. 

^  Siehe  den  Brief  der  Kurfürstin  Sophie  an  ihn  vom  6.  Juli  1700  (Klopp, 
Werke,  8.  Bd.  S.  194):    »Ma  fille  me  mande  qu'elle  regrettera  tot  votre  depart". 

^  Auch  das  hat  Leibniz  vorgeschlagen  und  bewirkt,  wie  ein  Brief  von  ihm 
an  Hrn.  von  Wedel  beweist.  Leibniz  wies  auch  nach,  dass  der  Geburtstag  des 
Kurfürsten  nach  dem  neuen  Kalender  auf  den  11.  Juli  fällt.  Darüber  existirt  noch 
ein  zweites,  ausführliches  Schreiben  im  Akademischen  Ai'chiv. 

*  Die  Originalurkunde  ist  leider  aus  dem  Akademischen  Archiv  verschwunden 
und  nirgends  zu  finden.  Im  Akademischen  Archiv  befindet  sich  ein  undatirter  Zettel 
von  LEiBNizens  Hand  (wohl  an  von  Wedel):  »Ich  vermuthe,  es  werde  nun  an  dem 
sein,  dass  das  Diploma  fundationis,  auch  die  General -Instruction  werden  ausge- 
fertiget  werden  können.  Man  ist  begriffen,  einige  Projecta  Churf.  Verordnungen 
und  Concessionen  wegen  Indulgenz  der  Reisen,  wegen  der  Feuersprützen  sammt 
Zugehör   und   wegen    der  Loterie   zu  entwerfen«.     Im  Geheimen  Staatsarchiv    wird 


Die  Stit'tungsurkunde  der  Societät.  93 

Er  lalltet: 

"Wir,  Friderich  der  Dritte,  von  Gottes  gnaden, 
3Iarggraft"  zu  Brandenburg,  des  Heyl.  Rom.  Reichs  Ertz  Cammerer  und 
Churfiii'st,  in  Preufsen.  zu  Magdeburg,  Cleve.  Jülich,  Berge,  Stettin, 
Pommern ,  der  Cal'suben  und  Wenden ,  auch  in  Schlesien  zu  Crofsen  Her- 
tzog,  Burggraff  zu  Nürnberg,  Fürst  zu  Halberstadt,  Minden  und  Camin, 
Graft*  zu  Hohen  Zollei-n ,  der  Marck  und  Ravensberg ,  Herr  zu  Ravenstein, 
Lauenburg  und  Bütow,  für  Uns,  Unsere  Erben  und  Nachkommen ,  Marg- 
grafen und  Churfürsten  zu  Brandenburg,  Thun  kund  und  geben  hiermit 
männiglich,  denen  es  zu  wifsen  nothig,  in  gnaden  zu  vernehmen,  was 
gestalt  Wir  nach  erhaltenem  allgemeinen  Frieden  Unsere  soi'gfalt  zu  be- 
forderung  der  Ehre  Gottes,  ausbreitimg  del'sen  vv^ahrheit  und  cultivirung 
allerhand  tugenden  und  dem  Gemeinen  Wesen  nützlichen  Übungen  eine 
sichere  Societet  derer  Scientien  fundiret  und  gestifftet  haben.  Thun  solches 
auch  fundiren  und  stiff'ten  sothane  Societet  hiermit  und  ki'afl't  dieses,  und 
wollen,  dals  dieselbe  sich  angelegen  seyn  lafsen  und  dahin  trachten  solle, 
dafs  vermittels  betrachtung  der  w'ercke  und  Wunder  Gottes  in  der  Natur, 
auch  anmerckung.  Beschreib-  und  Ausübung  derer  Erfindungen.  Kunst- 
wercke,  geschaffte  und  Lehren,  nützliche  Studia,  wifsenschaft'ten  und  Künste, 
auch  dienliche  Nachrichtungen,  wie  die  nahmen  halien  können,  excoliret, 
gebefsert,  vollgefafset  und  recht  gebrauchet,  und  dadurch  der  Schatz  der 
bisher  vorhandenen  aber  zerstreuten  menschlichen  Erkäntnüfsen  nicht  allein 
mehr  und  mehr  in  Ordnung  und  in  die  enge  gebi'acht,  sondern  auch  ge- 
mehret und  voll  angewendet  werden  möge.  Zu  welchem  ende  Wir  dann 
diese  von  Uns  angerichtete  Societet  mit  tüchtigen  Persohnen  und  behörigem 
apparatu,  Vorschub  und  fundo  theils  bereits  würcklich  versehen  haben, 
theils  nach  und  nach  ferner  zu  versehen  entschlofsen  seynd;  I^nd  wollen 
männiglich  in  Unseren  Landen,  sonderlich  aber  die  in  Unseren  Bedienungen 
stehen,  auch  die  sonsten  dependentz  von  Uns  haben,  zumahlen  aber  alle, 
die  denen  Studien  ergeben,  nach  jedes  gelegenheit  der  Societet  zu  Ihrem 
gemeinnützigen  Zweck  die  Hand  möglichst  zu  bieten  anweisen,  auch  die- 
selbe bereits  insgemein  hiermit  und  in  krafft  dieses  darzu  nachdrücklich 
angewiesen  haben. 

Ferner  erklähren  Wir  Uns  zu  dieser  Societet  Besonderem  Protectore, 
imd  wollen ,  was  an  Uns  Ihrentwegen ,   oder  in  sachen ,  die  sie  betreffen. 


der  eigenhändige  LEiBxiz'sche  Entwurf  aufbewahrt  mit  der  Randbemerkung  «Ex- 
])ediat,  iussu  Serenissimi,  Colin  an  der  Spree  d.  15.  Juni  1700«.  Allein  man  fand 
dann  doch  noch  nöthig,  einige,  wenn  auch  geringfügige  Veränderungen  zu  machen, 
und  so  entstand  am  26.  Juni  das  endgültige  Concept,  welches  aber  erst  am  11.  Juli 
])ublicirt  wurde.  Nach  ihm  ist  der  Abdruck  oben  gegeben.  In  Leibnizcus  Entwurf 
lautete  der  Abschnitt  über  die  deutsche  Sprache  also:  »Wir  haben  auss  eigener 
Bewegniss  in  Gnaden  guth  befunden ,  dass  man  bey  der  Societät  unter  anderen 
guten  Studien  absonderlich  mit  besorgen  solle,  was  zu  Erhaltung  der  Teutschen 
Sprach  in  ihrer  anständigen  Reinigkeit,  auch  zu  Ehr  und  Zierde  Teutscher  Nation 
gereichet:  also  dass  es  eine  Teutsch  gesinnte  Societät  der  Scienzen  seyn,  dabey 
auch  die  ganze  Teutsche,  und  auch  sonderlich  unser  Lands,  weltliche  und  Kirchen 
Histori  nicht  verseumet  werde«.  Bei  der  Bestimmung,  dass  auch  Nicht- Evangelische 
in  die  Akademie  aufgenommen  werden  können,  felilen  in  LEiBNizens  Entwurf  die 
Worte:  »wiewoU  jedesmal  mit  Unserem  Vorbewust  und  gnedigsten  Genehmhaltung«; 
sie  stammen  vom  Älinister  vox  Frcns. 


94  Die  Gründung  der  Societät  im  Jahre  1700. 

Si^^ebnicht  wird,  in  gnaden  anhören  und  beförderen,  Un-e  unterthänigste 
meinung  darüber  vernehmen,  und  was  sie  angehen  kan.  lhn(>n  zu  ihrer 
nacliricht  zu  wifsen  fügen. 

Solchem  nach  soll  hey  dieser  Societet  unter  anderen  nützlichen 
Studien,  was  zai  ei-haltung  der  Teütschen  Sprache  in  ihi-er  anständigen 
reinigkeit.  auch  zur  ehre  und  zierde  der  Teütschen  Nation  gereichet,  ab- 
sonderlich mit  bes«)rget  werden,  also  dafs  es  eine  Teütsch  gesinnete  So- 
cietet der  Scientien  seyn .  dabey  auch  die  gantze  Teütsche  und  sonderlich 
Unserer  Lande  Weltliche-  und  Kirchen -Historie  nicht  verabsäumet  wer- 
den solle. 

Und  weilen  die  ^■erschiedene  arten  der  Wilsenschaft'ten  dergestalt  mit 
einander  verbunden  seynd,  dals  sie  nicht  woU  gäntzlich  getrennet  werden 
können;  So  wollen  Wir,  dafs  insgemein  was  zu  diesen  und  anderen  nütz- 
lichen Studien  oder  Löblichen  Künsten  und  Tugend -Übungen,  insoweit 
sie  von  denen  Studien  herlliefsen ,  und  deren  Erfindung,  ei'lern-  und  er- 
leichterung  auch  richtiger  anweisung  darzu,  so  woll  bey  der  Jugend,  als 
auch  bey  anderen  Leuten  und  Liebhabern  theils  durch  Schritften  und  das 
Bücher- Wesen,  tlieils  auch  durcli  andere  nützliche  anstalten  dienen  mag, 
nicht  vergefsen,  sondern  die  unterschiedene  objecta  Doctrinae  nach  Ihrer 
Zusammenhengung  zu  gewifsen  Zeiten  und  durch  bequehme  Persohnen 
bey  Unserer  Societet  in  augenmei'ck  genommen  werden  solle.  Nachdem 
auch  die  P^rfaiirung  giebet,  dafs  der  rechte  glaube,  die  Christliche  Tu- 
genden und  das  wahre  Christenthumb  so  woll  in  der  Christenheit,  als  bey 
entlegenen  noch  unbekehrten  Nationen  nechst  Gottes  Seegen  denen  ordent- 
lichen mittein  nach  nicht  befser,  als  durch  solche  Persohnen  zu  beforderen, 
die  nebst  einem  unsträflichen  wandel  mit  verstand  und  erkäntnüfs  aus- 
gerüstet seynd;  So  wollen  Wir,  dafs  Unsere  Societet  der  Wilsenschaft'ten 
sich  auch  die  Fortpflanzung  des  wahren  Glaubens  und  deren  Christlichen 
Tugenden  unter  Unserer  Protection  angelegen  seyn  lafsen  solle.  Jedoch 
bleibet  derselben  unbenommen.  Leute  von  anderen  Nationen  und  Religio- 
nen, wiewoll  jedesmahl  mit  Unserem  vorbewust  und  gnädigsten  genehm- 
haltung  einzunehmen  und  zu  gebrauchen. 

Wir  ordnen  und  wollen  auch  gnädigst,  dafs  diese  Societet  be}^  L^n- 
serer  alhiesigen  Residentz.  woselbst  Wir  auch  ehestens  ein  Observatorium 
für  sie  aufbauen  lafsen  werden.  Ihr  haubt - stabiliment  haben  solle. 

Weilen  aber  zu  einem  so  grofsen  Zweck  viele  Persohnen  an  meh- 
reren ohrten  das  Ihrige  beyzutragen  haben ,  So  sollen  auch  anderswo  in 
Unseren  Landen ,  auch  woll  zu  Zeiten  aufser  denenselbigen  gelahrte  oder 
sonsten  bequehme  und  erfahrene  Leute,  wes  Standes  sie  seyen,  in  die 
Societet  auf  gewifse  mafse  aufgenommen  werden  können. 

Schlieslich  wollen  Wir  die  Societet  mit  einer  mehrern  ausführlichen 
General  Instruction  imd  mit  gewifsen  Satzungen  und  Reglementen,  wie 
nicht  weniger  mit  zulänglichen  Begnadigungen  und  Privilegien  zu  genüg- 
samer erreichung  und  bestreitung  ihres ^"orhabens  gnädigst  versehen,  welche 
alle  eben  die  Kraft"t  und  würckung  haben  sollen ,  als  ob  sie  in  dieses  Un- 
ser Diploma  fundationis  von  wort  zu  wort  eingerücket  worden,  wonach 
sich  also  männiglich  gehorsambst  zu  achten. 

Uhrkündlich  unter  Unserer  eigenhändigen  unterschrift't  und  vor- 
gedrucktem Gnaden  Siegel,  Gegeben  zu  Colin  an  der  Spree  den  1 1  ten 
Juli  1700  '. 


So  corrigirt;  das  ursjn-üngliche  Datum   »26.  Juni"    ist  ausgestrichen. 


Die  Stiftungsurkunde  der  Societät.  95 

Absichtlich  ist  dieser  Stiftungshrief  möglichst  allgemein  ge- 
halten. Nach  ihm  handelt  es  sich  nicht  um  eine  mathematisch- 
physikalische  Anstalt  mit  einem  germanistischen  Anhang,  sondern 
um  eine  umfassende  Societät  der  Wissenschaften.  Zum  ersten  Mal 
begegnet  hier  in  einer  öffentlichen  Urkunde  neben  der  Pflege  der 
deutschen  Sprache  auch  die  Pflege  der  deutschen  Geschichte  und 
der  brandenburgischen  politischen-  und  Kirchengeschichte\  Damit 
ist  der  zweite  Keim  für  die  Entstehung  der  philologisch -historischen 
Klasse  gesetzt.  Die  Beschcäftigung  mit  der  Frage  der  Wiederaufnahme 
der  Magdeburger  Centurien  (s.  oben  S.84)  hatte  Leibniz  die  Kirchen- 
geschichte noch  besonders  nahe  gelegt.  Der  christlich- civilisatorische 
Zweck,  d.  h.  die  Aufgabe  fidem  per  scientias  propagandi  ist  bestimmt 
ausgeprägt,  aber  nicht  specialisirt;  daneben  steht  die  Zusicherung 
jener  edlen  Toleranz,  wie  sie  der  Grosse  Kurfürst  in  Brandenburg 
gepflanzt  hat:  auch  Leute  von  anderen  Nationen  und  Religionen 
sollen  aufgenommen  werden  können.  Der  Stiftungsbrief  ist  ein 
Meisterstück  weiser  Wissenschafts -Politik:  er  steckt  das  Gebiet  der 
Aufgaben  weit  und  umfassend  ab  und  hütet  sich  vor  zu  genauen 
Ausführungen,  die  der  zukünftigen  Entwicklung  hinderlich  werden 
könnten.  Niemals  noch  sind  einer  Akademie  so  hohe  Ziele  gewiesen 
worden,  und  Leibniz  hat  Recht,  Avenn  er  sagt,  dass  die  Aufgaben 
der  Pariser  und  Londoner  Akademie  hinter  den  hier  gestellten  zu- 
rückbleiben'". Zu  besonderer  Freude  wird  ihm  der  Schlussabschnitt 
gereicht  haben,  in  welchem  der  Monarch  zusichert,  die  Societät 
»mit  zulänglichen  Begnadigungen  und  Privilegien  zu  genügsamer 
Erreichung  und  Bestreitung  ihres  Vorhabens  gnädigst  zu  versehen«. 
Dass  sich  der  Kurfürst  selbst  zum  Protector  der  neuen  wissenschaft- 
lichen  Anstalt  ernannte,    war  von  hoher  Bedeutung. 

Die  allgemeine  und  ungewöhnliche  Fassung  des  Stiftungsbriefs 
—  er  stellt  der  Societät  ein  dreifaches  Ziel:  das  evangelisch -civili- 
satorische, das  naturwissenschaftlich-praktische  und  das  deutsch- 
nationale —  machte  es  nothwendig,  eine  ausführliche  General- 
instruction  für  die  Mitglieder  der  Societät  hinzuzufügen,   aufweiche 


'  Doch  siehe  schon  LEiBxizens  Eingabe  an  den  Kurfürsten  vom  8.  JuH.  Ur- 
kundenband  Nr.  40. 

^  Es  ist  niclit  richtig,  wenn  Friedrich  der  Grosse  (.luli  1737)  Voltaire  schreibt. 
Leibniz  habe  die  Berliner  Societät  nach  dem  Modell  der  Pariser  Akademie  gegründet; 
denn  erstlich  hat  er  die  I^ondoner  Königliche  Gesellscliaft  niclit  weniger  berück- 
sichtigt, zweitens  ist  sein  Plan  durchaus  originell  gewesen .  und  das  Statut  der  Bei'- 
liner  Societät  ist  den  Statuten  der  älteren  Akademieen  gegenü])er  selbständig  (s. 
Barthoi.mkss,  Hist.  philos.  de  TAcad.  de  Prusse,   i.  Bd.  p.  32  ff.). 


*)()  Die  Gründung  der  Societät  im  .Itdire  1700. 

im  Stiftungsbrief  bereits  verwiesen  ist.  Auch  sie  ist  von  Leibniz 
entworfen  worden  im  Verein  mit  Jablonski  und  den  anderen  Freun- 
den\  Sie  wurde  mit  dem  Stiftungsbrief  zugleich  der  Societät  über- 
geben". 

Die  sehr  ausführliche  Instruction  ist  von  der  Societät,  solange 
sie  noch  kein  förmliches,  verbrieftes  Statut  besass,  als  solches  be- 
trachtet worden;  in  Eingaben  an  den  König  hat  sie  sich  immer 
wieder  auf  sie  berufen.  Diejenigen  Punivte,  die  in  den  bisherigen 
Actenstücken  noch  nicht  oder  nur  tlüchtig  festgestellt  worden  sind, 
müssen  hier  hervorgehoben   werden^. 

Indem  der  Kurfürst  sich  zum  Protector  ernennt,  ordnet  er  zu- 
gleich an,   dass  die  Societät  nach   dem  Beispiel  der  Königlich  Eng- 


^    Das  folgt  aus  dem  Schreiben  an  Hrn.  von  Wedel  (Urkundenband  Nr.  49). 

-  Das  Original  befindet  sich  in  dem  Akademischen  Archiv,  vom  Kurfürsten 
am  II.  Juli  1700  untei'zeichnet  (s.  den  Urkundenband  Nr.  50).  Auf  dem  Geh.  Staats- 
archiv ist  ein  durchcorrigirti^s  Concept  und  eine  Reinschrift,  unterzeichnet  vom  Grafen 
VON  Wartenberg,    II.  Juli  1700. 

^  Wichtig  ist,  dass  die  Instruction  ausdrücklich  der  »unter  unseren  Schutz 
genommenen  neuen  Einwoluier«  gedenkt  und  daran  erinnert,  dass  durch  sie  »aller- 
hand Manufacturen  und  Nahrungsmittel  eingeführet".  Die  Missionsaufgabe  der  So- 
cietät —  die  ja  an  sich  die  Zeit  verräth,  in  welcher  der  vom  König  geschätzte 
Pietismus  INIission  zu  treiben  begann  — -  wii'd  u.  A.  auch  damit  motivirt,  dass  »den 
Evangelischen  keine  Nachlässigkeit  aufgebürdet  werden  könne«.  Sehr  ausführlich 
wird  der  wissenschaftlich  -  religiösen  Mission  im  Osten  gedacht.  Dicht  neben  ein- 
ander stehen  Magnetismus  und  Christenthum.  »Wir  wollen  bedacht  sein,  wie 
mit  dem  (uns  befreundeten)  Czaren  bei  Gelegenheit  Handlung  gepflogen  und  dien- 
liche Anstalt  gemachet  werde,  dass  von  den  Grenzen  unserei'  Lande  an  bis  nach 
China  nützliche  Obsei'vationes  astronomicae,  geographicae,  daneben  nationum,  lin- 
guarum  et  inorum  rerumque  artificialium  et  naturalium  nobis  incognitarum  u.  dergl. 
gemachet  und  der  Societät  zugeschickt  werden.  Weilen  auch  in  Sonderheit  bekannt, 
dass  die  Declination  des  Magnetens  mit  den  Orten  und  Zeiten  sich  ändert,  in  deren 
Erkenntniss  aber  der  Geographie  und  Schitfahrt  ein  überaus  Grosses  gelegen ,  so 
könnte  dieser  Punkt  vom  Rhein  an  bis  an  die  Memel,  und  so  ferner  in  dem 
nordischen  und  östlichen  Theil  der  Welt,  da  er  bisher  ganz  oder  doch  grössesten- 
theils  unerörtert  geblieben,  durch  eigene  Personen  mit  Vergünstigung  oder  Vorschub 
des  Czaren  oder  auch  anderer  Potentaten  untersuchet  werden,  bei  welchen  Gelegen- 
heiten zugleich  auch  dahin  zu  trachten,  wie  denen  barbarischen  Völkern  in  solchen 
Quartieren  bis  an  China,  das  Licht  des  Christenthums  imd  reinen  Evangelii  anzu- 
zünden und  in  China  selbst  von  der  Land-  und  Nordseiten  denen  seewärts  hinkom- 
menden ^Evangelischen  hierunter  die  Hand  geboten  werden  könne.  .  .  .  Wir  wollen 
übrigens  auch  in  obigen  und  anderen  Nachsuchungen  der  Societät  durch  Unsere 
afrikanische  und  amerikanische  Compagnie  an  die  Hand  gehen  lassen.«  Zu  dem 
Plane,  Missionare  nach  China  und  Indien  auszusenden,  bemerkte  die  hannoversche 
Kurfürstin  in  ihrer  ironischen  Weise  (26.  Juni  1700,  Klopp,  Werke  Bd.  8  S.  189): 
»Ce  sera  une  belle  eutreprise  d'envoyer  des  missionnaires  aux  Indes.  11  ine  senible 
({u'il  faudrait  premierement  faire  de  bons  Chretiens  en  AUemagne,  sans  aller  si  loin 
pour  en  former«. 


Die  General -Instruction.  97 

lisclien  »aus  einem  Consilio  und  mehreren  Mitgliedern«  bestehen  soll. 
»Das  Consilium  soll  sich  die  Sachen  der  Societät  absonderlich  an- 
gelegen sein  lassen  und  deren  abwarten ,  auch  zum  öftern  zusammen- 
kommen, um  von  allem  dem  zu  handeln,  so  auf  einige  Weise  zu 
dem  Zweck  der  Societät  gereichen  kann«.  Es  soll  neue  Glieder  zur 
Aufnahme  vorschlagen  und  die  verschiedenen  Versammlungen  an- 
kündigen, in  welchen  bald  von  mathematisch -physikalischen  Din- 
gen, bald  von  der  deutschen  Sprache  oder  von  den  anderen  Studien, 
»zumal  der  Historia  Germaniae«,  gehandelt  werden  soll.  Diese  drei 
Abtheilungen  der  Societät  (Res  physico-mathematicae,  Lingua  Ger- 
manica, Res  litteraria,  vornehmlich  das  Studium  historiae  Germaniae 
sacrae  et  profanae)  werden  unterschieden,  und  damit  ist  der  Grund 
zu  der  Eintheilung  in   Klassen  gelegt. 

Dem  Präses  wird  das  Recht  ertheilt,  »die  Proposition  zu  thun 
und  die  Conclusiones  zu  machen«.  In  seiner  Abwesenheit  soll  ein 
Vicepräses  fungiren ,  » durch  welchen  und  den  Secretarium  dem  Prae- 
sidi  von  den  Vorfälligkeiten  gewisse  Nachricht  zu  geben  und  mit 
ihm  soviel  thunlich  von  den  Angelegenheiten  der  Societät  zu  com- 
municiren   sein  wird«. 

»Ausser  dem  Consilio  Societatis,  worein  voritzo  zumalen  die- 
jenigen zu  nehmen,  welche  mit  deren  Fundation  bemühet  gewesen« 
—  damit  waren  Jablonski,  Cuneau  und  Rabener  bezeichnet  — ,  sollen 
mit  der  Zeit  auch  einige  Standespersonen  und  kurfürstliche  höhere 
Beamte  aus  allen  Zweigen  der  Regierung,  Wissenschaft,  Kunst  und 
des  Militärwesens,  die  fürnehmsten  als  Honorarii,  die  anderen  als 
Mitarbeiter  und  Correspondenten,  aufgenommen  werden.  Auch  Aus- 
länder sind  »nach  Befinden  der  anständigen  Beschaffenheiten  und 
Umstände  herbeizuziehen  und  zu  Mitgliedern  aufzunehmen«.  Die 
Societät  soll  also  i .  ordentliche  Mitglieder  umfassen ,  die  das  Consi- 
lium bilden,  2.  mitarbeitende  bez.  correspondirende  Mitglieder  inner- 
halb^ und  ausserhalb  Berlins  und  des  Landes,    3.  Ehrenmitglieder. 

Angeordnet  wird  auch,  dass  neben  den  secreten  Protokollen 
und  Acta  öffentliche,  zu  allgemeiner  Einsicht  bestimmte,  geführt 
werden  sollen.  Sie  sollen  die  Grundlage  für  ein  zu  druckendes  »Dia- 
rium Eruditorum«  werden,  in  welchem  »hauptsächlich  dasjenige,  so 
in  den  Büchern  eigentlich  neu  und  sonderbar,  dadurch  der  Schatz 
menschlicher  Wissenschaft  und  Nachrichtungen  vermehret  wird,  an- 
gedeutet  und    auch  wohl  nach   Gelegenheit   herausgezogen,    mithin 


^    Nicht  alle  in  Berlin  lebenden  [Mitglieder  geliörten  zum  Consilium. 
Geschichte  der  Akademie.    I.  7 


J)8  Die  (li-iuKlung  der  Societät  im  .lalire  17i)0. 

(las  sonst  in  eine  Unendliclikeit  gehende  Bücherwcsen  zu  gemeinem 
Nutz  einigermassen  in  Grenzen  gehalten  wünh^«.  Hiermit  ist  die 
Herausgabe  von  Schriften  angeordnet.  Besonders  ausführlich  und 
nachdrücklich  ist  die  Pflege  der  deutschen  Sprache  und  Geschichte 
—  einschliesslich  der  Kirchengeschichte  und  der  Vertheidigung  des 
evangelischen  Glaubens  —  in  der  Generalinstruction  vorgeschrieben: 

"Damit  auch  die  uralte  teutsche  Hauptsprache  in  ihrer  natüi'lichen,  anständigen 
Reinigkeit  und  Selbststand  erhalten  werde,  und  nicht  endlich  ein  ungereimtes  Misch- 
masch und  Undeutlichkeit  dai-aus  entstehe,  so  wollen  Wii'  die  vormalige  fast  in  Ali- 
gang  und  Vergess  gekommene  Vorsorge  durch  mehrgedachte  Unsere  Societät  und 
andei'e  dienliclie  Anstalten  erneuern  lassen.  Und  wie  Wir  dahin  sehen  lassen  wer- 
den, dass  in  Unsern  Kanzleien.  Regierungen,  Collegien  und  Gerichten  bei  den  Aus- 
fertigungen die  fremde  unanständige  Worte  und  übel  entlehnte  Reden,  so  viel  füg- 
lich geschehen  kann ,  vermieden ,  hingegen  gute  teutsche  Redarten  erhalten ,  herfür- 
gesuchet  und  vermehret  werden,  also  wollen  Wir  auch  Verordnung  machen,  dass 
der  Societät  mit  teutschen  Benennung-  und  Beschreibungen  derer  vorkommenden 
Dinge  und  Wii'kungen  von  erfahrnen  Leuten  in  allerhand  Lebensarten  an  Hand  ge- 
gangen, niclit  weniger  aus  denen  Archiven  und  Registratui'en  sowohl  die  alten, 
nunmehr  abgegangenen,  als  aus  denen  Provinzen  verschiedene  bei  dem  Landmann 
nur  etwan  noch  übliche,  sonst  aber  unbekannte  Worte,  worin  ein  Schatz  des  teut- 
schen Alterthums,  auch  derer  Rechte  und  Gewohnheiten  Unserer  Vorfahren,  theils 
zu  Erkenntniss  der  Ursprünge  und  Historien,  theils  auch  zu  Erläuterung  heutiger 
hohen  und  anderer  Rechte,  Gewohn-  und  Angelegenheiten  vei'borgen  stecket,  an- 
gemerket,  gesammlet  und  mitgetheilet  werdend 

Wir  wollen  auch,  dass  die  Societät  das  wichtige  Werk  der  Historien,  son- 
derlich der  teutschen  Nation  und  Kirchen,  zumalen  in  Unsern  Landen,  sich  ange- 
legen sein  lasse,  damit  Alles  richtig  beschrieben,  mit  gutem  Gi'unde  und  bewälu'ten 
Zeugnissen,  und  zwar  soviel  möglich  aus  Diplomatibus,  glaubwürdigen  Scripturen 
und  gleichzeitigen  Scribenten  oder  sonst  behörigem  Beweistlunn  dargethan^,  das 
wahre  Alterthum  des  evangelischen  Glaubens  sowohl  als  die  Nothwendigkeit  und 
Beschaffenheit  der  teutschen  evangelischen  Reformation  und  deren  Festsetzung  gegen 
die  Missstellung  und  Verdrehungen  der  Widersacher  behauptet,  der  teutschen  Nation 
Ehre  gerettet  und  ans  Licht  gestellet  .  .  .  werden  möge.  Zu  welchem  Ende  auch 
zu  Zeiten  eine  Relation,  Berichte,  Tentamina  und  Specimina,  bis  grössere  Werke 
ausgearbeitet  werden  möchten,  in  teutscher  oder  lateinischer  Sprache  herfürtreten  und 
von  wegen  der  Societät  oder  mit  Dero  Gutheissen  herausgegeben  werden  könnten.» 

Von  den  Kalendern  heisst  es,  dass  die  Societät  sich  für  sie 
ein  besonderes  Zeichen  erwählen  kann^;  ferner  soll  sie  ein  Siegel 
vorschlagen,   welches  der  Präses  bez.   der  Vicepräses  zu  führen  hat. 


^  Dieses  Prugranun  hat  die  Akademie  140  .fahre  später  durch  die  Gebrüder 
Grimm  ausgeführt. 

^  Diese  Aufgabe  hat  die  Akademie  im  19.  .lahrhundert  durch  die  Betheiligung 
an  der  Herausgabe  der  Monumenta  Germaniae  und  durch  die  Acta  Borussica  zu 
erfüllen  gestrebt. 

*  Die  Societät  wählte  sich  ein  solches.  Eine  gedruckte  Beschreibung  desselben 
aus  etwas  späterer  Zeit  findet  sich  im  Geh.  Staatsarchiv  (..Kalendersachen"):  «Ex- 
plication  der  liieroglyphischen  Figuren,  so  den  Kalender  der  Societät  der  Wissen- 
schaften bezieren,  wie  selbige  sowohl  auf  S.  Königl.  3Iaj.  den  Stifter  dieser  Societät 


Die  General -Instruction.  99 

Neben  diesen  Anordnungen  ist  die  reichste  Fülle  kurfürstlicher 
Gnaden,  Zuwendungen,  neuer  Privilegien,  Geschenke,  Concessionen, 
extraordinärer  Suhsidien  —  neben  dem  Observatorium  ein  Labo- 
ratorium, Bibliothek,  Museum,  Raritätenkammer,  Theatrum  naturae 
et  artis,  die  Lieferung  rarer  Thiere  und  Gewächse  u.  s.  w.  —  ver- 
heissen.  Auch  werden  Belohnungen  und  Beförderungen  besonders 
verdienter  Mitglieder,  sowie  die  Austheilung  von  Medaillen  für  her- 
vorragende Leistungen  verheissen.  Aber  freilich  —  nichts  von  dem 
allen  ist  in  greifbare  Gestalt  gebracht.  In  dieser  Hinsicht  bleibt 
es  lediglich  bei  dem  Kalender-Privileg  und  den  daraus  zu  erwar- 
tenden Einkünften.  Alles  Übrige  wurde  für  eine  unbestimmte  Zu- 
kunft versprochen. 

Auf  dem  Papier  waren  die  Aufgaben  der  Societät  festgestellt  \  und 
sie  selbst  formell  eingesetzt;  nun  galt  es  sie  wirklich  einzurichten. 
Bis  dahin  sollte  auch  der  öffentliche  feierliche  Act  der  Inauguration 
verschoben  werden.  Lediglich  eine  Medaille  mit  dem  erwählten 
Siegel    der  Societät"'  und  dem  Bildnisse   des  Kurfürsten  wurde  zur 


deuten,  als  auch  auf  dieselben  Länder,  wo  dieser  Kalender  gebräuchlich.  Es  er- 
scheinet in  der  Luft  das  Gestirn ,  der  Adler  benaniet ,  unter  welchem  die  Länder 
Preussen  und  Brandenbui'g  gelegen ,  welche  Länder  hier  durch  einen  geharnischten 
Mann,  den  Septentrion  vorstellend,  bemerket  sind.  Dieses  noch  deutlicher  zu  machen, 
ist  neben  ihm  ein  Adler,  das  AVappen  dieser  Länder,  als  auch  sonderlich  die  beiden 
Hauptstädte  Königsbei'g  und  Bei'lin  hieljei  gebracht.  Hierüber  befindet  sich  die 
Musa  Urania,  welcher  Verrichtungen  sind,  den  Himmels-Lauf  zu  betrachten  und 
die  Gedächtnisse  der  berühmten  Leute  unter  die  Gestirne  zu  verzeichnen,  wie  sie 
hier  den  Namen  S.  Königl.  3Lnj.  erhebet  und  solchen  mit  ihrer  Krone  von  Sternen 
bekrönet.  LTnter  einigen  astrologischen  Listrumenten,  so  hiebei  liegen,  ist  auch 
sonderlich  der  hiesige  Kalender  zu  sehen,  endlich  ist  auch  das  Berlinische  Obser- 
vatorium, welches  von  S.  Königl.  Maj.  gestiftet,  in  der  Ferne  zu  erkennen«. 

^  Die  Philosophie  findet  man  nicht  unter  ihnen;  die  alte  aristotelische  ge- 
hörte den  Universitäten,  und  man  wollte  sie  nicht;  eine  neue  neben  Mathematik 
und  Physik  als  besonderer  Zweig  war  noch  nicht  entwickelt  oder  war  doch  noch 
nicht  anerkannt.  Erst  Leibnizcus  Schüler  brachten  eine  neue  Philosophie  in  Gang. 
Er  selbst,  der  grosse  Metaphysiker,  war  ein  realistischer  und  praktischer  Denker; 
er  fürchtete  mit  Recht,  dass  eine  besondere  philosophische  Klasse  sich  in  unfrucht- 
bare Speculationen ,  wie  die  früheren  Zeiten  sie  getrieben,  verlieren  würde.  Die 
»Philosophie«  sollte  sich  in  der  Gesammtarbeit  der  Societät  darstellen  und  aus 
ihr  hervorgehen.  Treffend  hat  über  diesen  Piuikt  Bartholmess  (Hist.  philos.  de 
l'Acad.  de  Prusse,  i.T.  p.  29ff.)  gehandelt:  -Le  seul  travail  philosophique  auquel 
une  academie  doive  se  livrer,  si  l'on  en  croit  Leibniz  ,  consiste  ä  montrer,  de  temps 
en  temps,  l'intime  liaison  de  toutes  les  branches  du  savoir  humain«. 

^  Sie  führt  dieses  .Siegel  noch  heute,  den  zu  den  Sternen  auffliegenden 
Adler,  mit  der  Umschrift:  »Cognata  ad  sidera  tendit«.  Das  Siegel  und  ein  lateini- 
sches Gedicht  auf  die  Medaille  stammen  von  Leibniz,  s.  Urkundenband  Nr.  51.  Aus 
einem  Brief  D.  E.  Jablonski's  an  Leibniz  (Hannov.  Bibliothek)  vom  17.  September 
1700  geht  hervor,  dass  das  Siegel  im  September  hergestellt  sein  sollte,  aus  späte- 


100  Die  Gründung  der  Societät  im  Jahre  1700. 

Erinnerung  an  den  1 1 .  Juli  einige  Monate  später  geschlagen.  Wie 
energisch  Leibniz  in  den  Monaten  Juli  und  August  thätig  gewesen 
ist,  um  die  Einrichtung  der  Societät  durchzusetzen  und  die  in  der 
Generalinstruction  gewährten  allgemeinen  Zusicherungen  zu  verwirk- 
lichen und  fruchtbar  zu  machen,  zeigen  zwei  merkwürdige  Coneepte 
aus  dieser  Zeit,  die  im  Akademischen  Archiv  aufbewahrt  werdend 
Das  eine  ist  zugleich  ein  Zeugniss  der  wunderbaren  Umsicht,  mit  der 
er  nichts  ausser  Acht  liess  und  selbst  das  Kleinste  im  Auge  behielt, 
aber  auch  der  unvergleichlichen  Thatkraft,  mit  der  er  eine  Fülle 
von  Angelegenheiten  neben  einander  betrieb.  Jenes  ist  eine  Auf- 
zeichnung, für  Hrn.  von  Wedel  oder  den  Staatsminister  von  Fuchs 
bestimmt,  um  die  Angelegenheiten  der  Societät  beim  Kurfürsten  in 
der  richtigen  Weise  zum  Vortrag  zu  bringen,  dieses  ist  eine  Über- 
sicht über  63  Geschäfte,  die  er  im  Interesse  der  Societät  bei  seinem 
sich  dem  Ende  zuneigenden  Aufenthalt  in  Berlin  zu  erledigen  habe". 
Die  Übersicht  zeigt  deutlich,  dass  Leibniz  weit  davon  entfernt  war, 
die  Societät  auf  das  Kalenderwerk  —  sei  es  auch  nur  anfangs  — 
zu  beschränken;  vielmehr  sah  er  es  als  seine  Präsidentenpflicht  an, 
sofort  Alles  zu  thun,  was  in  seinen  Kräften  stand,  um  sie  auf  die 
breiteste  Grundlage  zu  stellen  und  zu  einer  umfassenden  Thätigkeit 
zu  fähren;  als  seine  Präsidentenpflicht  —  denn  am  Tage  nach  der 
Stiftung  hatte  der  Kurfürst  das  Diplom  der  Ernennung  LEiBNizens 
zum  brandenburgischen  Geh.  Justizrath  und  zum  Präses  der  Societät 
ausfertigen  lassen^.     Die  Ernennung  legte  ihm  die  Pflicht  auf,   die 


ren  Schreiben  folgt  aber,  dass  es  erst  im  Februai-  1701  fertig  wurde.  Das  Gedicht 
hat  Leibniz  erst  verfertigt,  nachdem  er  vergebens  nach  einem  Dichter  Umschau 
gehalten,  s.  den  Brief  der  Kurfürstin  Sophie  vom  18.  August  1700  (Klopp,  Werke, 
8.  Bd.  S.2o6f.)  und  Leibnizciis  launigen  Brief  an  den  Abt  Mauro  vom  10.  August 
1700  (Klopp,  Werke,  lo.Bd.  S.336f.):  »La  societe  des  sciences  et  belles  lettres, 
que  Msgr.  l'Electeur  de  Brand,  a  fondee,  et  dont  il  veut  que  j'aie  quelque  soin, 
m'olilige  de  chercher  une  source  ou  fontaine  d'AUemagne  qui  puisse  tenir  Heu 
d'Hippocrene,  pour  servir  ä  notre  poesie.  Je  vous  supplie  donc  de  m'en  indiquer 
quelqu'une,  si  vous  en  avez  connaissance.  Car  vous  etes  le  favori  d'ApoUon,  et 
les  Nymphes  des  bois  et  des  eaux  vous  honorent  et  vous  caressent  partout.  Celles 
de  Lustenbourg,  qui  sont  aussi  charmantes  et  delicates  que  les  gräces  meines ,  quoi- 
qu'elles  demeurent  au  inilieu  d'un  bois,  en  donnent  des  marques  dans  toutes  les 
occasions«,  u.  s.  w.     Das  Gedicht  enthält  eine  Anspielung  auf  die  Königskrone. 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  52  und  53. 

^  Man  ersieht  hieraus  unter  Anderem,  dass  Leibniz  den  Mathematiker  Naude 
als  Secretar,  den  Bibliothekar  La  Croze  als  Redacteur  des  Diarium  Eruditorum  in's 
Auge  gefasst  hatte  (s.  Nr.  14  und  15  des  Actenstücks  Nr.  53).  Allein  diese  Pläne  ver- 
wirklichten sich  nicht  (s.  unten). 

^  Auch  "Directeur  de  la  Societe«  wird  er  seitdem  nicht  selten  genannt,  so 
z.  B.   ;uif  den  Adressen  der  Briefe  von  Ch.  Ancillon. 


Leibniz  übernimmt  die  Stelle  des  Präsidenten.  101 

Geschäfte  der  Societät  zu  führen,  »soweit  seiner  Herrschaft  Zulassung 
gehet  und  mit  Vorbehalt  der  Obliegenheit,  womit  er  derselben  ver- 
wandt« —  er  blieb  also  hannoverscher  Unterthan.  Er  solle  7ai 
dem  Zweck  so  oft  nach  Berlin  kommen,  als  «es  seine  jetzige  Char- 
gen und  andere  Geschäfte  leiden  mögen«,  und  «abwesend  über  die 
Objecte  und  Labores  der  Societät  correspondiren ,  dass  alles  Vor- 
fallende ordentlich  abgehandelt  und  gründlich  untersucht  werde«. 
Schwierigkeiten  hatte  die  Gehaltsfrage  gemacht.  Leibniz  hatte 
ursprünglich  looo  Thlr.  verlangt.  Als  man  Bedenken  trug,  ihm 
diese  zuzusichern,  wünschte  er,  dass  in  dem  Diplom  überhaupt  keine 
bestimmte  Summe  genannt,  die  genauere  Feststellung  vielmehr  wei- 
teren Verhandlungen  überlassen  würde.  Diesem  Wunsch  wurde  nach 
längeren  zwischen  von  Wedel,  Cuneau  und  ihm  gepflogenen  Ver- 
handlungen entsprochen  und  endlich  folgender  Text  für  das  Diplom 
festgestellt:  «(Wir  haben  gnädigst  resolvirt),  ihm  ein  anständiges 
Tractament  zu  determiniren,  und  überdiess,  neben  Ersetzung  der  pro 
Publico  zu  Unseren  und  der  Societät  Zweck  bereits  angewendeter 
noch  anzuwendender  Kosten,  ihm  andere  Gnaden  und  Emolumenta 
nach  Gelegenheit  der  von  ihm  verhoffentlich  leistender  nützlichen 
Dienste  wiederfahren  zu  lassen«.  Diese  allgemeine  Zusage  versprach 
also  sowohl  einen  festen  Gehalt  als  Kostenentschädigung  und  be- 
sondere Zuwendungen  für  besondere  Leistungen.  Da  aber  Hof  und 
Regierung  sich  nicht  entschlossen,  etwas  Sicheres  zu  bestimmen^ 
so  wurde  nach  weiteren  »mühsamen«  Verhandlungen  zwischen  Leibniz 
und  dem  Consilium  Societatis  (Jablonski,  Cuneau,  Rabener)  am 
1 1 .  August  festgestellt ,  dass  er  als  Entschädigung  für  Correspondenz 
und  Reisen  jährlich  600  Thlr.  aus  der  Societätskasse  (gerechnet  vom 
I.Mai  1700)  empfangen  solle.  Ausdrücklich  wurde  dabei  bemerkt, 
dass  die  Summe  »bei  genugsam  anwachsendem  Fundo  Societatis  nach 
Noth dürft  erhöht  w^erden  solle«,  und  dass  durch  diese  Entschädi- 
gungssumme weder  der  ex  fundo  der  Societät  bez.  durch  kurfürstl. 
Bewilligung  zu  gewährende  Gehalt  noch  die  besonderen  Zuwendungen 
präjudicirt  seien.  Hierbei  hat  sich  Leibniz  nur  beruhigt,  weil  Hr. 
VON  Wedel  ihm  folgende  Zusicherung  machen  liess":  »Man  gehet 
an  diesem  Hofe  in  dergleichen  Dingen  stets  weiter  als  man  ver- 
spricht, und  hoffe  ich,  dass  der  Hr.  Leibniz  auch  in  diesem  Stücke 
mit  uns  wird  vergnüget  sein,   sobald  nur  der  Fundus  pro  Societate 


^    Wahrscheinlich  dachte  man  daran,  Leibniz  ganz  nach  Berlin  zu  ziehen  uni 
dabei  die  Gehaltsfrage  zu  regeln. 

^    Siehe  im  Urkundenband  Nr.  54. 


102  Die  Gründung  der  Societiit  im  Jahre   1700. 

eingerichtet,  und  ich  Gelegenheit  finde,  vor  dieselbe,  was  ich  vor- 
habe, auszubitten.  Wenn  Societas  wird  etabliret  seyn  und  S.  Churf. 
Durchl.  den  Verfolg  der  gemachten  Hoffnung  sehen  werden,  kommet 
es  derselben  auf  ein  Augmentum  von  etlichen  loo  Thlr.  nicht  an: 
cum  generosis  generöse;  überdem  hat  erwähnter  Hr.  Geheim  Rath 
mir  zum  öftern  contestiret,  dass  er  hierbei  nichts  so  sehr  envisagire 
als  bonum   publicum  ohne  alles  privat  Absehen«. 

Einstweilen  erhielt  Leibniz  also  nichts  Anderes  als  eine  fixirte 
Kostenentschädigung;  dabei  ist  es  überhaupt  geblieben.  Dennoch 
haben  sich  sj)äter  daran  peinliche  Erörterungen  angeschlossen,  die 
für  Leibniz  kränkend  waren,  und  zuletzt  hat  man  die  Entschädigung 
auf  die  Hälfte  herabgesetzt.  Überschlägt  man ,  welche  Versprechun- 
gen ihm  anfangs  gemacht  worden  sind,  so  kann  man  es  ihm  nicht 
verübeln,  weim  er  später  fest  darauf  bestand,  dass  ihm  wenigstens 
die   600  Thlr.  ausbezahlt  würden'. 

Bis  Ende  August  ist  Leibniz  noch  in  Berlin  geblieben,  stark 
beschäftigt  durch  die  hochpolitische  Correspondenz  mit  der  Kur- 
fürstin Sophie  in  Bezug  auf  den  nordischen  Krieg  und  durch  bran- 
denburgische Hofangelegenheiten;  galt  er  doch  schon  so  sehr  als 
der  Vertrauensmann  Sophie  Charlotte's,  dass  Hr.  von  Ilgen  durch 
ihn  das  Vertrauen  der  Kurfürstin  zu  gewinnen  suchte".  Aber  auch 
in  directem  brandenburgischem  Staatsinteresse  war  er  thätig  durch 
Vorschläge  über  Verbesserung  des  Justiz wesens^,  durch  politische 
Vorschläge^  und  durch  ein  Gutachten  über  die  Ebenbürtigkeit  der 
fürstlich  hohenzoUernschen  Linie  mit  den  alten  fürstlichen  Häusern^. 
Aber  seine  Hauptsorge  blieb  die  Societät,  Er  erreichte  wenigstens, 
dass-  ein  grosser,  in  Rom  angefertigter  Tubus,  der  sich  in  Berlin 
befand,  der  Societät  ausgeliefert*^,  dass  der  Kalender  für  1701  wirk- 
lich in  Angriff  genommen  wurde',  und  dass  man  die  Societät  mit 


'  Da  sich  später  Vorwürfe  gegen  Leibniz  an  diesen  Punkt  geheftet  haben, 
umgekehrt  aber  neuerlich  eine  liüchst  gravirende  Anklage  gegen  Foejiey's  Darstellung 
des  Vorgangs  (in  seiner  Histoire  de  l'Acad.  1752)  erhoben  worden  ist,  ist  das  Acten- 
material  im  Urkundenband  Nr.  54  zusammengestellt  und  beleuchtet  worden. 

-    Siehe  die  Briefe  bei  Klopp,  Werke,   10.  Bd.  S.  yoff.  331  ff. 

3    A.a.O.  S.  333  ff. 

*    A.  a.  O.  S.  70  ff. 

'"  Siehe  KAPPens  Sammlung  S.  226  ff.  Auch  Studien  über  die  Oranische  Erb- 
schaft begann  er  damals. 

^    Geh.  Staatsarchiv,  Verfügung  vom   25.  August  1700. 

''  Jn  dem  Fase.  "Wissenschaftl.  Verhandlungen  1704— 1734«  des  Akad.  Archivs 
findet  sich  ein  Kalender -Druck  für  1701  mit  der  Aufschi-ift:  »Hi'sg.  unter  Appro- 
bation der  Churf.  Brandenb.  Soc.  d.  Wissenschaften  ■>. 


Lkiüniz  verlässt  Berlin.  103 

der  Aiitlage  verschonte ,  Vorlesungen  in  deutscher  Sprache  in 
Berlin  für  weitere  Kreise  einzurichten.  Der  ehemalige  Herborner 
Professor  Grau  hatte  einen  heachtenswerthen,  aber  unreifen  Vorschlag 
in  dieser  Hinsicht  gemacht,  und  der  Kurfürst,  der  Willens  war, 
auf  ihn  einzugehen,  hatte  Leibniz  mit  einem  Gutachten  betraut^ 
Am  meisten  lag  ihm  die  Gewinnung  ausgezeichneter  Mitglieder  im 
In-  und  Ausland  und  die  Eiiu'ichtung  eines  regelmässigen  Verkehrs 
mit  den  anderen  Akademieen  am  Herzen;  denn  er  hoffte  noch  immer, 
der  Kurfürst  werde  sich  freigebig  zeigen,  sobald  die  Societät  in  Acti- 
vität  gesetzt  und  durch  glänzende  Namen  empfohlen  sei.  Er  schrieb 
an  den  Präsidenten  der  Londoner  Königlichen  Gesellschaft,  Sloane, 
zeigte  ihm  die  Stiftung  an  und  bat  um  Rath".  Er  gewann  wirklich 
bei-eits  eine  Reihe  von  Mitgliedern''  und  wurde  durch  ein  aufmuntern- 
des Schreiben  Spaniieim's  aus  Paris  (vom  23.  August  1700)  erfreut^. 
Spanheim  war  begeistert,  dass  die  Stiftung  der  vSocietät  gelungen 
und  dass  Leibniz  an  ihre  Spitze  gestellt  war:  »Schon  seit  einer 
Reihe  von  Jahren  wünsche  ich  mit  Begierde,  dass  man  Sie  nach 
Berlin  ziehe;  ich  hoffe,  dass  die  Errichtung  dieser  Akademie  Sie 
jetzt  und  in  Zukunft  an   Berlin  fesseln  wird«. 

Am  2 1 .  August  verabschiedete  sich  Leibniz  l)rief  lieh  von  der 
Kurfürstin  und  bemerkte  in  dem  vertrauensvollen  Schreiben  frei- 
müthig,  dass  sie  ihn  zuletzt  «zu  sehr  als  Fremden  behandelt  habe«^ 
—  doch  war  das  nur  ein  vorübergehender  Eindruck.  Er  begab 
sich  über  Wolfenbüttel  nach  Braunschweig;  bereits  am  6.  Septem- 
ber schrieb  ihm  der  Cabinetssecretär  im  Auftrage  der  Kurfürstin, 
diese  fordere  ihn  auf,  mit  ihr  und  ihrer  Mutter  in  die  Bäder  nach 
Aachen  zu  gehen ^"'.      Dieser  Brief  erreichte    ihn    nicht    mehr;    denn 


^  Dergleichen  Vorschläge  lagen  damals  wie  heute  in  der  Luft  (»University 
Extension").  LEiBNizens  bisher  ungedrucktes  wohlwollendes,  aber  vorsichtiges  Gut- 
achten ist  lehrreich;  es  steht  im  Urkundenband  Nr.  55. 

^  Der  Brief  ist  unmittelbar,  nachdem  Leibniz  Berlin  verlassen,  von  Brauii- 
schweig  aus  (3.  September  1700)  geschrieben.  Sloane  antwortete  am  15.  November 
U.A.:  »I  communicated  the  letter  you  sent  me  to  the  Royal  Society  and  desired 
tlieir  conunands  in  answer  to  it.  Tiie}^  could  not  give  any  particular  directions  or 
proposals  relating  to  the  new  established  Acadeiny  at  Berlin  but  wish  it  all  suc- 
cess  in  whatever  they  undertake.  They  are  ver)^  well  pleased  that  there  shonld 
be  such  coinpanies  of  men  established  in  several  parts  of  the  world.  hoping  tliat 
thereby  knovvledge  may  be  increased"  ...     (llannov.  Bibl.). 

^  Siehe  den  Brief  an  Jabloxski  vom  30.  August  1700  in  IVAPPens  Sammlung 
S.  204  ff. 

*    Hannov.  Bibl.  ^    Klopp,  Werke,  10.  Band,  S.  80. 

*"  Der  Brief  steht  in  Kappcus  Sammlung  S.  209ff. .  wo  aber  im  Text  «Sep- 
tember«  statt   »Auü'ust«   zu  lesen  ist. 


104  Die  Gründung  der  Societät  im  Jahre  1700. 

am  5.  September  war  er  nach  Teplitz  und  von  dort  Ende  Septem- 
ber nach  Wien  gereist,  wo  er  bis  Mitte  December  bUeb  und  hoch- 
politische Verhandlungen  mit  dem  Kaiser  über  die  Union  zwischen 
Katholiken  und  Protestanten  führte \  In  dieser  Zeit  ruhte  seine 
Thätigkeit  für  Brandenburg  und  Hannover  fast  ganz  und  wurde 
erst  wieder  aufgenommen,  nachdem  er  Ende  December  nach  Han- 
nover zurückgekehrt  war.  Aber  unmittelbar  vor  seiner  Abreise  nach 
dem  Süden  hat  er  noch  einen  instructiven  Brief  an  den  Hofprediger 
Jablonski  und  ausserdem  Briefe  an  Cuneau  und  von  Wedel  ge- 
schrieben^. Dazu  hat  er  eine  anonyme  lateinische  Schrift  in  Form 
eines  Briefes  abgefasst,  die  im  Druck  ausgehen  und  weitere  Kreise 
auf  die  neue  Stiftung  aufmerksam  machen  sollte.  Sie  erschien  — 
die  Berliner  Freunde  mögen  mitgewirkt  haben  —  im  Jahre  1701 
in  Berlin  wirklich  im  Druck  unter  dem  Titel  »Epistola  ad  amicum« 
und  wurde  versandt"^. 


'    Siehe  Klopp,  Werke,  S.Band,  S.  XXXf. 

^  Der  an  Jablonski  ist  erhalten  und  stellt  in  IvAPPens  Sammlung  S.  204  ff., 
s.  Urkundenhand  Nr.  56.  In  diesem  Briefe  ist  auch  von  jenem  Pro -Memoria  die 
Rede,  das  er  üher  die  deutsche  Sprache  dem  Kurfürsten  eingereicht  hat  (wohl  die 
auf  ScHOTTELius"  Dai'legungen  ruhenden  »Vorläufigen  Gedanken«,  s.  oben  S.  18). 
Er  erzählt  ferner,  dass  er  Spener's  Sohn,  den  Naturforscher,  bewogen  habe,  mit 
der  Societät  zu  correspondiren ,  und  dass  er  bereits  ffinf  Mitglieder  geworben  habe, 
nämlich  D.  Fabricius  in  Helmstädt  —  dieser  ist  der  erste  gewesen,  der  der  Socie- 
tät zum  Dank  ein  Werk  gewidmet  hat  [sein  Systema  controversiarum]  — ,  den  Abt 
ScHMiD  zu  Marienthal,  den  Propst  Müller  in  Magdeburg,  den  Prof.  von  Hard, 
Pi'opst  zu  Marienberg,  und  den  französischen  Prediger  Vignoles  zu  Brandenburg;  die 
Prälaten  zu  Huysburg  und  Hameivsleben  und  der  Abt  zu  Bergen  werden  wahrschein- 
lich auch  gewonnen  werden.  Jablonski  antwortete  am  17.  September  (Hannov. 
Bibl.):  "...  werde  gleichwohl  nicht  gar  viel,  die  Societät  betreffend,  melden,  weil 
solches  Andere  vor  mir  werden  gethan  und  gemeldet  haben  [so  lebhaft  war  die 
Correspondenz !] ,  dass  der  Societät  Siegel  die  nächste  Woche  werde  fertig  sein, 
dass  der  Secretarius  8  Tage  nach  Michaelis  sich  dahier  einfinden  werde,  dass  so- 
dann unsere  Conventus  ihren  Anfang  nehmen  werden,  dass  das  erste  in  denselben 
sein  werde  die  Denomination  derer  membrorum  honorariorum  ein-  und  ausheimi- 
schen,  dass  man  eine  forinulam  literarum  receptionis  alsdann  aufsetzen,  solche  aber 
zuvor  meinem  Herrn  gehorsamst  communiciren  werde  (allerinassen  ich  par  avance 
umb  geneigte  Communication  eines  solchen  Diplomatis  Societatis  Anglicanae  et  Galli- 
canae  copialiter  dienstlich  bitte,  damit  man  daraus  einiges  Licht  und  Anleitung  nehme); 
dieses  und  dergleichen  werden  die  andern  Herrn  berichtet  haben«. 

^  Der  Inhalt  und  Stil  beweisen  die  Mitwirkung,  wenn  nicht  die  alleinige 
Autorschaft  Leibnizcus,  vergl.  dazu  die  Beziehungen  auf  die  Schrift,  die  sich  bei 
ihm  in  späteren  Kundgebungen  finden.  Dass  er  selbst  in  diesem  offenen  Brief 
(abgedruckt  im  Urkundenband  Ni-.  57)  hoch  gepriesen  wird,  spricht  nicht  dagegen: 
zur  Noth  kann  er  das  selbst  geschrieben  haben,  oder  die  Berliner  Freunde 
haben  es  eingesetzt.  Friedrich  wird  als  »Hercules  Musageta«  gefeiert.  In  Druck 
gegeben  wurde  die  Schi-ift  von  dem  Secretar  am  14.  Juni  170 1  (s.  Diarium  Socie- 
tatis im  Akad.  Archiv). 


Geschichte  der  Societät  von  1700  —  1711.  105 

In  Berlin  hatte  man  unterdessen  in  dem  älteren  Bruder  des  Hof- 
predigers, Johann  Theodor  Jablonski  (1654— 1731),  einen  Secretar 
für  die  Societät  gefunden,  nachdem  man  die  Absicht,  den  schwer- 
hörigen Naude  für  dies  Amt  zu  wählen,  aufgegeben  hatte.  Johann 
Theodor  Jablonski  war  bereits  46  Jahre  alt,  als  er  in  die  Dienste 
der  Societät  trat;  er  kannte  Holland  und  England,  war  an  Höfen 
als  Prinzenerzieher  thätig  gewesen,  zuletzt  seit  1689  in  Barby  am 
Sachsen -Weissenfels'schen  Hofe,  und  besass  umfassende  encyklopä- 
dische  Kenntnisse \  aber  ohne  wissenschaftliche  Selbständigkeit  und 
ohne  irgendwo  als  Fachmann  heimisch  zu  sein.  Anfang  October  trat 
er  sein  Amt  an  und  stellte  sich  am  i  3 .  November  Leibniz  brieflich  vor, 
seine  »beliebigen  Befehle«  erwartend"'.  In  der  Bestallungsurkunde "^ 
wird  ihm  die  Mitgliedschaft  im  Consilium  und  ein  Gehalt  von 
400  Thlr.  zugesichert.  Seine  Obliegenheiten  waren  sehr  umfassende : 
er  war  Secretar,  Archivar,  Cassirer,  Schatzmeister  und  Aufseher  über 
das  Kalenderwesen  zugleich ;  ihm  waren  auch  die  regelmässigen  Be- 
richte  an   Leibniz  übertragen. 

Es  war  nicht  ganz  glücklich,  dass  zwei  Brüder  an  der  Spitze 
der  vSocietät  in  Berlin  standen  —  bei  allen  Spannungen  und  Strei- 
tigkeiten im  Schoosse  der  Societät  musste  das  fühlbar  werden  — ; 
aber  sie  waren  beide  geschäftskundig  und  friedfertig. 

Zweites  Capitel. 

Geschichte    der    Societät   von  ihrer    Gründung   bis   zu 
ihrer   wirklichen    Einrichtung   im   Januar    171 1. 

1. 

Die  wirkliche  Einrichtung  der  Societät  sollte  erfolgen,  sobald 
das  Observatorium  erbaut  Avar  —  man  hoffte,   in  wenigen  Monaten. 

^  Er  hat  Schulbücher  zum  Erlernen  der  französischen  Sprache,  dazu  eine 
"Christliche  Tugendlehre  zum  Privatgebrauch  einer  hohen  Standesperson •«  und  ein 
recht  unbedeutendes  "AUg.  Lexikon  der  Künste  und  Wissenschaften«  (1721)  verfasst 
—  man  erkennt  daraus,  welche  Eigenschaften  man  an  dem  Secretar  der  Societät  da- 
mals suchte  und  schätzte.  Seine  -Geschichte  der  Thorner  Unruhen«  (1724)  wurde 
in"s  Französische  übersetzt. 

^  Siehe  den  in  Hannover  aufbewahrten  Briefwechsel,  abgedruckt  in  den  Ab- 
handl.  d.  K.  Preuss.  Akademie  der  Wissensch.  1897  (Nr.  i).  Er  ergänzt  die  Proto- 
kolle der  Societät.  die  noch  vorhanden  sind;  aber  er  gellt  nii-gendwo  auf  wissen- 
schaftliche Fragen  ein.  Einige  Briefe,  die  in  Hannover  fehlen,  sind  in  der  Sanun- 
lung  von   Kapp  abgedruckt. 

^  Im  Urkundenband  Xr.  58  sind  die  wichtigsten  Bestinnnungen  derselben  ab- 
gedruckt. 


10()  Geschichte  der  Socictät  von  1700-1711. 

In  Walirlieit  dauerte  es  ül)er  lo  Jahre  bis  zur  feierlichen  Eröffnung. 
In  diesen  Jahren  l)estand  sie  und  bestand  nicht',  eine  schwere  Warte- 
zeit für  alle  Mitglieder,  besonders  aber  für  Leibniz.  Unermüdlich, 
wahrhaft  erfinderisch  hat  er  gearbeitet;  aber  als  er  endlich  durch  Aus- 
dauer und  Z<ähigkeit  das  Ziel  erreicht  hatte  und  die  Societät  ein- 
gerichtet sah,   wurde  er  bei  Seite  geschoben. 

Was  fehlte,  war  Geld  und  wiederum  Geld;  die  Societät  musste 
selbst  durch  ihre  Arbeit  verdienen,  was  sie  brauchte.  Der  Hof  ver- 
schlang Alles.  Ein  kostspieliges  Fest  weniger,  und  der  Societät 
wäre  geholfen  gewesen.  Aber  die  Dinge  bewegten  sich  in  einem 
traurigen  Zirkel:  der  Monarch  wartete  darauf,  dass  die  Societät  An- 
sehen und  Glanz  entfjilte  —  dann  wäre  er  bereit  gewesen,  die  Wissen- 
schaft zu  unterstützen  — ;  wie  aber  sollte  sie  zu  Ansehen  kommen 
ohne  Mittel?  Das,  was  das  Kalenderwerk  ahwarf,  reichte  gerade 
aus,  um  ihr  nothdürftig  das  Lehen  in  kümmerlichen  Formen  zu 
fristen.  Wie  sollte  sie  wissenschaftliche  Unternehmungen  ausführen? 
Die  verheissenen  Monopole  wurden  niclit  eingeführt  oder  erwiesen 
sich  als  unergiebig.  Dazu  kam  der  grosse  nordische  Krieg  und  der 
spanische  Erb  folgekrieg ,  die  die  Arbeit  des  Friedens  hemmten.  Der 
letzte  Grund  des  Stillstandes  lag  noch  tiefer.  «Noch  fehlte  es  an 
den  vornehmsten  Grundlagen  der  Macht  und  des  Gedeihens;  man 
hatte  noch  kein  befestigtes  politisches  Dasein^.« 

Mit  Leibniz,  dem  W^elfen,  wirkten  die  Jablonski's,  die  Slaven, 
und  CuNEAU,  der  Franzose,  muthig  und  unverdrossen  zusammen.  Diese 
»Ausländer«,  und  nur  sie,  haben  die  wirkliche  Einrichtung  der  So- 
cietät durchgesetzt;  denn  der  alte  Rabener,  der  einzige  Branden- 
burger unter  den  Stiftern,  starb  schon  am  29.  Januar  1701.  Aber 
die  drei  Fremden  arbeiteten  mit  ganzer  Seele  für  die  branden- 
burgische Societät.  Nur  epochemachende  Entdeckungen  oder  ge- 
haltvolle Untersuchungen  vermochten  sie  nicht  vorzulegen,  haben 
sie  aber  auch  niemals  verheissen.  Der  einzige  Gelehrte  von  hohem 
Ansehen ,  der  von  Anfang  an  ausschliesslich  für  die  Societät  tliätig 
war  und  ihr  das  Brot  verdiente,  war  der  Astronom  und  Kalender- 
macher Gottfried  Kirch.  Neben  ihm  mühte  sich  der  wackere 
Frisch  ohne  Erfolg  mit  dem  Seidenbau  im  Interesse  der  Societät 
ab.      Die    anderen   Berliner,    die    in    den    ersten   zehn  Jahren  aufge- 


^  Die  erste  Sitzuni;;  wurde  am  6.  December  1700  gehalten.  Bis  zum  Ende 
des  Jahres  17 10  haben  im  Ganzen  nicht  mehi-  als  etwa  =^5  Sitzungen  stattgefunden 
(s.  die  Protokolle). 

^    Ranke,  Werke,   25.  und  26.  Bd.  S.  470. 


Die  Berlin ei'  Gelelirten  um  1700.  107 

nominell  wurden  und  die  Aufnahme  als  hohe  Ehre  betrachteten  und 
begehrten,  hielten  sich  zurück  —  obgleich  treffliche  Gelehrte  unter 
ihnen  waren  — ■,  da  die  Societät  nichts  unternehmen  und  bezahlen 
konnte. 

Wir  versuchen ,  das  gelehrte  Berlin  jener  Tage  —  dass  es  ein 
solches  gab,  verdankt  Brandenburg  dem  Grossen  Kurfürsten  —  und 
die  Personen  kurz  zu  charakterisiren  ,•  die  im  ersten  Jahrzehnt  des 
1 8.  Jahrhunderts   der  Societät  angehört  haben. 

Um  das  Jahr  i  700  mochte  Berlin  etwa  30000  Einwohner  zählen 
und  war  bereits  als  eine  Stadt  des  Gewerbfleisses,  des  Wohlstandes 
und  der  Bildung  berühmt.  Durch  die  Religionspolitik  des  Grossen 
Kurfürsten,  die  sein  Sohn  fortsetzte,  war  es  die  Hauptstadt  des  Pro- 
testantismus und  der  religiösen  Freiheit  im  Norden  Deutschlands  ge- 
worden. Die  eingewanderte  französische  Bevölkerung,  etwa  ein 
Sechstel  der  Einwohnerschaft  umfassend,  bildete  das  fortschreitende 
und  anregende  Element \  In  ihrer  Mitte  standen  die  Gelehrten, 
die  aus  Frankreich  und  Holland  das  wissenschaftliclie  Rüstzeug  her- 
übergebracht hatten,  um  den  Protestantismus  aus  der  Bibel  und 
der  Geschichte  gegen  den  Katholicismus  zu  vertheidigen.  Berlin 
Avurde  durch  sie  ein  Hauptquartier  der  historisch -apologetischen 
protestantischen  Wissenschaft,  die  aus  den  Q\iellen  arbeitete,  den 
Benedictinern  ihr  Monopol  auf  das  kirchengeschichtliche  Studium 
entriss  und  die  Jesuiten  mit  den  Waffen  der  Gelehrsamkeit  be- 
kämpfte. Zwar  Jacques  Abbadie,  dessen  berühmtes  Werk  «LaVerite 
de  la  religion  chretienne«  im  Jahre  1684  zu  Berlin  vollendet  wor- 
den ist,  hatte  die  Stadt  nach  dem  Tode  des  Grossen  Kurfürsten 
verlassen;  aber  Isaac  Beausobre  {1659— 1738),  Jacques  Lenfant 
(i 661  — 1728),  Alphonse  des  Vignoles  (1649  — 1744)  und  Maturin 
Veyssiere  La  Croze  (i 661  — 1739)  führten  die  Kämpfe  fort  und 
zeigten  in  ihnen  eine  auch  von  den  Gegnern  anerkannte  und  ge- 
fürchtete gelehrte  Sachkunde.  In  die  neu  gegründete  Societät  sind 
al)er  nur  die  beiden  letztgenannten  aufgenommen  worden.  Warum 
die  berühmten  Prediger  und  Übersetzer  der  Bibel  in's  Französi- 
sche —  Lenfant  ausserdem  ausgezeichnet  durch  seine  quellen- 
mässige  Darstellung  des  Kostnitzer  Concils,  Beausobre  durch  sein 
noch  jetzt   geschätztes   Werk   über   den   Manichäismus  —  ihr   fern 


^  Siehe  ]\Iuret,  Geschichte  der  französischen  Kolonie  in  Brandenburg-Preussen, 
unter  besonderer  Berücksichtigung  der  BerHner  Gemeinde.  Bei-hn  1885.  du  Bois- 
Reyjiond  .  Die  Berliner  französische  Kolonie  in  der  Akademie  d.  Wissensch.  (Rede, 
gehalten  am   25.  ^lärz  1886,  s.  dessen    »Reden«,   2.  Bd.  8.5030'.). 


108  Geschichte  der  Societät  von  1700-1711. 

geblieben  sind,  lässt  sich  nicht  ermittehi'.  An  Gunst  und  Ansehen 
fehlte  es  ihnen  nicht.  Über  Beausobre,  dessen  unbedeutende  Söhne 
nachmals  in  die  Akademie  aufgenommen  wurden,  schrieb  Friedrich 
der  Grosse  an  Voltaire:  «Er  war  ein  redlicher  Mann  und  ein  Ehren- 
mnnn,  ein  echtes  Genie,  ein  scharfer  und  zarter  Geist,  grosser  Red- 
ner, in  der  Litteratur  ebenso  bewandert  wie  in  der  Kirchengescliichte, 
die  beste  Feder  in  Berlin;  achtzig  Jahre  haben  sein  feuriges  und 
lel)haftes  Gemüth  nicht  zu  erstarren   vermocht«. 

Vignoles  und  La  Croze  (LEiBNizens  und  Friedrich's  des  Grossen 
Urtheile  über  ihn  s.  im  Urkundenband  Nr.  59)  waren  die  bedeu- 
tendsten französischen  Gelehrten,  die  die  Societät  am  Anfang  be- 
sessen hat.  Jener",  Theologe  und  Mathematiker  zugleich  und  seit 
1727  Director  der  mathematischen  Klasse ,  suchte  in  seinen  Studien 
die  Bibel  gegen  die  Angriffe  Richard  Simon's  zu  vertheidigen.  Nach 
jahrzehntelanger  Arbeit  Hess  er  sein  umfassendes  Werk  »Chrono- 
logie« in  zwei  Quartbänden  erscheinen,  um  eine  Aufgabe  zu  lösen, 
die  Simon  für  unlösbar  erklärt  hatte.  Dieses  von  Gelehrsamkeit 
und  guter  Kritik  zeugende  Werk  beweist  die  neue  Kunst  »de  verifier 
les  dates«  und  wird  noch  heute  citirt.  Mit  Leibniz  correspondirte 
Vignoles  u.  A.  über  die  Chronik  des  Martinus  Polonus,  und  eine 
Zeit  lang  hatten  sie  die  Absicht,  sie  gemeinsam  herauszugeben^. 
An  Umfang  des  Wissens  wird  er  aber  übertroffen  von  La  Croze. 
Dieser,  ursprünglich  Katholik  und  Mönch  im  Benedictinerkloster 
St.- Germain  des  pres  zu  Paris,  Mitarbeiter  an  der  grossen  Kirchen- 
väterausgabe, enttloh  im  Jahre  1696,  trat  in  Basel  aus  Überzeugung 
zur  reformirten  Kirche  über  und  wurde  1697  Bibliothekar  zu  Berlin. 
Als  Sprachgenie  und  Polyhistor  hatte  er  seines  Gleichen  nicht  unter 
den  Zeitgenossen.  Nicht  nur  die  Cultursprachen  beherrschte  er 
sämmtlich,  sondern  er  drang  auch,  obgleich  überall  Autodidakt, 
in  die  slavischen  Sprachen,  die  baskische,  die  armenische,  die  se- 
mitischen, die  chinesische,  vor  allem  aber  in  die  koptische  ein. 
Handschriftlich  hat  er  viele  Lexika  hinterlassen,  aber  nur  das  kop- 
tische ist  gedruckt  worden.  Die  Anregungen,  die  hier  von  ihm 
ausgegangen  sind,  lassen  sich  während  eines  ganzen  Jahrhunderts 
nachweisen.      Sein  Wissensdurst  war  unersättlich,   und  gerade  das 


^  Lenfant  ist  erst  im  Jahre  1724  aufgenommen  worden,  vier  Jahre  vor  sei- 
nem Tode.  Auch  Jaquelot,  der  bedeutende  Gegner  Bayle's  und  Spinoza's,  ist 
niemals  Mitglied  gewesen. 

^    Siehe  sein  Eloge  in  den  Mem.  der  Akademie   1745  S.iiift'. 

^    Die  Briefe  befinden  sich  in  Hannover. 


ViGNOLEs  und  La  Croze.  109 

Entlegenste  fesselte  ilm,  das  alte  Cliristentlium  in  Ostindien,  apo- 
kryphe heilige  Schriften  bei  den  Armeniern  und  die  krausen  Anti- 
quitäten aller  Völker.  Seine  Lebhaftigkeit  und  sein  nie  versagen- 
des Gedächtniss  machten  ihn  zum  Ijerühmtesten  Anekdotenerzähler 
unter  den  Freunden  und  bei  Hofe;  aber  man  wusste  ihn  hier  auch 
als  Lehrer  in  Geschichte  und  Geographie  zu  schätzen.  Man  lachte 
herzlich,  wenn  der  wohlbeleibte  ehemalige  Mönch ^  in  weinerlichem 
Tone  die  spasshaftesten  Geschichten  erzählte ;  aber  man  verlachte 
ihn  nicht,  denn  seine  Rechtschaffenheit  und  sein  religiöser  und 
wissenschaftlicher  Ernst  waren  überall  anerkannt.  Mit  den  Je- 
suiten lag  er  in  steter  Fehde;  er  hasste  sie  und  traute  ihnen  alles 
Schlimme  zu,  selbst  ein  Complot  zur  Vernichtung  des  Ansehens  der 
Heiligen  Schrift.  Im  Jahre  1725  erhielt  er  Chauvin's  Stelle  als 
Professor  der  Philosophie  am  französischen  Collegium.  Als  Historiker 
der  Philosophie  war  er  der  Aufgabe  wie  Wenige  gewachsen,  aber 
sein  Scholasticismus  war  veraltet,  und  der  Entwicklung  der  Dinge 
nach  Cartesius,  dessen  Philosophie  er  vertheidigte ,  war  er  nicht 
mehr  gefolgt.  Innerhalb  der  Societät  hat  er  leider  nicht  viel  be- 
deutet, weil  er  sich  in  die  Jablonski's  nicht  zu  schicken  verstand, 
seine  Empfindlichkeit  ihn  zu  heftigen  Äusserungen  und  unaufhör- 
lichen Klagen  fortriss  und  er  bald  nur  die  nothwendigsten  Be- 
ziehungen zur  Societät  aufrecht  erhielt.  Um  so  eifriger  correspon- 
dirte  er,  der  unermüdliche  gelehrte  Briefschreiber,  mit  Leibniz  über  die 
verschiedensten  wissenschaftlichen  Fragen.  »Der  berühmte  La  Croze 
ist  begraben«,  meldet  Friedrich  der  Grosse  an  Voltaire  (Mai  1739; 
ffiuv.XXI  p.  292),  »und  mit  ihm  seine  Kenntniss  von  zwanzig  Sprachen, 
die  Quintessenz  der  W^eltgeschichte  und  eine  Menge  Geschichtchen. 
Fallait-il  tant  etudier  pour  mourir  au  bout  de  quatre-vingts  ans?« 
Aber  er  hat  ihn  auch  als  »den  gelehrtesten  Mann  Berlins,  als  das 
Repertorium  des  gesammten  gelehrten  Deutschlands,  als  ein  wahres 
Magazin   der  Wissenschaften«    bezeichnet^. 


'  »II  avouera,  voyant  cette  figure  immense, 

Que  la  matiere  pense«, 
liat  Friedrich  der  Grosse  auf  ihn  gedichtet  (Qiluvres  XXI  p.42). 

^  Um  das  Andenken  La  Croze's  hat  sich  C.  St.  Jordan  ,  sein  Schüler,  be- 
sonders verdient  gemacht,  s.  seine  Hist.  de  la  vie  et  des  ouvrages  de  M.  La  Croze, 
Amsterd.  1741,  und  den  aus  seiner  BibUothek  von  Uhlius  edirten  Thesaurus  epistol. 
Lacrozianus.  3  Bde. ,  Leipzig  1742  ö".  Formey  hat  ihm  ein  Eloge  geschrieben  (in 
der  zu  Lyon  von  ihm  erschienenen  Elogen -Sammlung)  und  in  den  »Souvenirs  d'un 
citoyen"  (i.T.  1789  p.57  if.)  ihm  einen  Nachruf  in  seiner  anmaassenden  und  in- 
ferioren Weise    gewidmet.     Der   reichhaltige  Briefwechsel  zwischen  La  Croze  und 


110  Gescliichte  der  Socictät  von  1 700  — 1711. 

Neben  diesen  bedeutenden  Männern  standen  in  der  Colonie 
Charles  Ancillon,  Naude,  Chauvin,  d'Angicour  u.  A.  Sie  waren  in 
verscliiedenen  Ämtern  tliätig'  und  —  mit  Ausnahme  des  tüchtigen 
Cartesianers  Chauvin  und  des  gesehätzten  Mathematikers  Naude  — 
wissenschaftlich  nicljt  eben  liervorragend;  aber  man  liatte  sie  in 
die  Societät  aufgenonmien ,  weil  sie  Vertreter  der  höheren  und  all- 
gemeineren Bildung  waren,  die  aus  Frankreich  herübergekommen 
war.  In  der  Wirksamkeit  für  die  Akademie  wurden  sie  Alle  von 
ihrem  Landsmann  Cuneau,  dem  Archivrath  und  Diplomaten,  über- 
troffen. Obgleich  er  für  die  Societät  nur  eine  einzige  mathematische 
Abhandlung  geschrieben  hat,  so  bezeugt  ihm  docli  der  Hofprediger 
Jablonski"':  »Dieser  ist  fast  die  Seele  und  Bewegung  nicht  nur  seiner 
Classis,  sondern  auch  der  ganzen  Societät  gewesen,  welcher  in  allen 
wichtigen  Dingen  auch  die  Societät  bei  Hofe  zu  vertreten  den  meisten 
Nachdruck  zu  geben  gewusst^«.  Die  französische  Litteratur,  »welche 
die  allgemeine  europäische  war«,  hatte  in  Berlin  einen  fruchtbaren 
Boden  gefunden,  auf  dem  sie  durch  Verschmelzung  mit  dem  pro- 
testantischen Princip  und  den  Anforderungen  eines  kräftigen  pro- 
testantischen Gemeinwesens  eine  eigenthümliche  Bedeutung  gewann  \ 

Aber  in  die  inneren  Fragen,  die  den  deutschen  Geist  damals 
beschäftigten,  drangen  jene  Franzosen  nicht  ein;  die  »europäische« 
Litteratur  nahm  an  ihnen  keinen  Antheil,  und  auch  Leibniz  erkannte 
ihre  Tiefe  nicht.  Was  man  mit  dem  abschätzigen  Namen  »Pietistische 
Bewegung«  bezeichnete,  barg,  trotz  seiner  kümmerlichen  Aussenseite, 

Leibniz  wird  in  der  K.  Bibliothek  zu  Hannover  aufbewahrt.  Der  bedeutendste  Schüler 
von  La  Croze  war  Paul  Ernst  Jablonski  (71757),  der  Sohn  des  Hofpredigers. 
Seine  ägyptisch -bibUschen  Studien,  seine  LTntersuchung  de  lingua  Lycaonica,  seine 
Vertheidigung   des  Nestorianismus    waren  Ai'beiten   von  hervorragender  Bedeutung. 

'  Ancillon,  ein  eintlussreicher,  al)er  unbedeutender  Staatsmann  und  massiger 
politischer  und  historischer  Schriftsteller,  war  Legationsrath  und  Juge  Superieur  in 
der  Kolonie;  er  gehörte  zu  den  regelmässigen  Correspondenten  von  Leibniz  in 
Sachen  der  Societät.  Naude  war  Professor  der  IVIathematik  (er  hat  der  Societät 
zwei  Al)liandlungen  geliefert  und  mit  Leibniz  wissenschaftlich  cori-espondirt),  Chau- 
vin Professor  der  Philosophie  am  französischen  Collegium  (er  gehörte,  wie  Naude, 
zu  jenen  Theologen  des  Zeitalters,  die  mit  dem  Interesse  für  die  Philosophie  eine 
starke  Neigung  zur  Physik  oder  Mathematik  verbanden,  und  ist  Verfasser  eines 
bedeutenden  philosophischen  Wörterbuchs).     Angicour  war  Secretär  des  Königs. 

^  Brief  an  Leibniz  vom  1 1.  Januar  17 16  nach  dem  Tode  Cuneau's  (Hannov. 
Bibliothek). 

^  Leibniz  hat  mit  ihm  auch  über  wissenschaftliche  Fragen  correspondii't, 
s.  den  Briefwechsel  in  Hannover. 

*  Von  einer  Bevorzugung  der  Franzosen  in  der  Societät  in  den  ei-sten  De- 
cennien  kann  keine  Rede  sein;  es  wurden  weit  mehr  unbedeutende  Deutsche  aufge- 
nommen. 


CuNEAu.     Die  pietistische  Bewegung.  111 

in  Wahrlieit  das  wiclitigste  Element  des  geistigen  Fortscliritts  in  sich 
und  hatte  eine  ungleich  höhere  Bedeutung  als  die  fruchtlosen  Ver- 
suche protestantisch-katholischer  Unionen.  »Aus  der  Tiefe  der  luthe- 
rischen Theologie  und  der  damit  zusammenhängenden  Weltansicht 
erhoben  sich  neue  Tendenzen,  zwar  im  Widerspruch  mit  den  gerade 
vorwaltenden  Systemen,  aber  auf  ihrem  Grunde  beruhend \«  Wie 
sie  einerseits  die  Kirchen  der  Reformation  zu  reformiren  begannen 
und  sich  mit  den  neuen  Theorieen  verschmolzen,  die  über  Staat  und 
Gesellscliaft  im  Gegensatz  zur  mittelalterlichen  Ordnung  der  Dinge 
aufgestellt  und  durchgeführt  wurden,  so  waren  sie  andererseits  die 
Vorbedingung  für  die  Entwicklung  jener  geistigen  Freiheit  und  jenes 
inneren  Reich thums,  wie  sie  in  der  klassischen  Zeit  des  deutschen 
Geistes  errungen  worden  sind.  Der  brandenburgische  Staat  war  in 
der  Stiftung  der  Universität  Halle  auf  sie  eingegangen,  ja  hatte  sie 
in  seine  Fundamente  aufgenommen,  luid  Berlin  besass  den  Mann,  der 
sie  erweckt  hatte  und  in  den  ►Schranken  einer  fruchtbaren  Entwick- 
lung hielt.  Al)er  vergebens  sucht  man  den  Namen  Philipp  Spener's 
in  dem  Album  der  Societät,  der  in  ihren  Acten  einige  Male  mit 
Hochschätzung  genannt  wird.  Warum  er  fehlt,  bleibt  ebenso  räthsel- 
haft  wie  das  Fehlen  Lenfant's  und  Beausobre's.  Sein  Schüler  und 
Freund,  August  Hermann  Francke,  wurde  bald  nach  der  Stiftung 
zum  auswärtigen  Mitglied  erwählt,  und  nicht  der  Geist  der  Ortho- 
doxie, sondern  ein  milder  Geist  lebte  in  der  Societät,  sofern  sie 
sich  christlich- civilisatorische  Aufgaben  stellte  und  soweit  sie  theo- 
logische Fragen  streifte.  Aber  Spener  galt  vielleicht  der  Societät  als 
ein  zu  enger  Deutscher  —  denn  als  I^utheraner  gehörte  er  nicht  zu 
einer  »europäischen«  Kirche  — ,  und  umgekehrt  mag  ihm  die  So- 
cietät als  eine  seiner  Eigenart  fremde  Einrichtung  erschienen  sein"'. 


^    Ranke,  a.  a.  O.  S.453. 

^  Im  Stiftungsjahr  der  Societät  erschien  das  bahnbrechende  historische  Werk 
des  deutschen  Pietismus,  die  unparteiische  Kirchen-  und  Ketzerhistorie  Gottfried  , 
Arnold's,  welche  Thomasius  in  Halle  -nach  der  H.Schrift  für  das  beste  und  nütz- 
lichste Buch  in  hoc  scribendi  genere«  erklärte,  während  die  Orthodoxen  es  als  das 
schädlicliste  Buch  seit  Christi  Geburt  bezeiclmeten.  (Eine  Anzeige  von  Leibniz  stellt 
in  dem  »Monatlichen  Auszug  aus  allerhand  neu  herausgegebenen  Büchern".)  Arnold 
ist  nie  Mitglied  der  Societät  geworden ,  wohl  aber  wurde  er  als  Prediger  in  Allstedt 
Königlich  Preussischer  Historiograph  (27.  Januar  1702);  s.  Dibelius,  G.Arnold 
(1873)  S.  iigf.  i29f.  161  f.  229ff.  241  ff.  Es  war  eine  eigenthümliche  Fügung,  dass 
Arnold  das  Amt  erhielt,  das  einst  Pufendorf  bekleidet  hatte;  denn  dieser  ist  der 
erste  gewesen,  der  auf  eine  unparteiische  Kirchengeschichtsschreibung  gedrungen 
hat  (vergl.  den  von  E.  Gigas  herausgegebenen  Briefwechsel  zwischen  Pufendorf 
und  Thomasius.     Historische  Bibliothek,   2.  Bd.    1897). 


112  Geschichte  der  Societät  von   1700-1711. 

Das  berlinische  Hauj)t  der  Societät  dagegen,  der  Hofprediger 
D.  E.  Jablonski  (1660-1741),  war  durch  Gehurt,  Schicksal  und  Nei- 
gung ein  »europäischer«  Theologe  und  als  solcher  wohl  berufen,  in 
LEiBNizens  Abwesenheit  die  Societät  zu  leiten.  Sein  ökumenischer 
Protestantismus,  dem  alle  nationalen  Ecken  und  Kanten  fehlten,  war 
ein  Erbtheil  seines  Heimathlandes  und  seines  Grossvaters.  Jablonski 
stammte  aus  der  Unität  der  böhmischen  Brüder  und  war  ein  Enkel 
des  Amos  Comenius.  Die  religiöse  Toleranz  bei  allem  Ernst  in  der 
Vertheidigung  des  eigenen  Glaubens,  die  Richtung  auf  das,  was 
allen  Protestanten  gemeinsam  ist,  das  unermüdliche  Streben,  sie  zu 
einigen  und  die  Bedrängten  zu  schützen,  die  praktische  Haltung  in 
der  Religion  —  alles  hleale,  die  den  quietistischen  und  auf  sich 
beschränkten  Lutheranern  damals  erst  langsam  aufgingen  —  waren 
dem  Enkel  des  Comenius  von  frühester  Jugend  an  gleichsam  etwas 
Selbstverständliches.  In  die  pietistischen  Streitigkeiten  mischte  er  sich 
nicht  —  ihm  waren  sie  längst  entschieden.  Dass  hier  im  deutschen 
Geiste  etwas  Verborgenes  nach  Freiheit  rang,  was  auch  die  Reformirten 
noch  nicht  besassen,  ahnte  er  als  Slave  nicht.  Mit  der  gründlichsten 
Kenntniss  der  reformirten  Kirchen  anderer  Länder  und  der  englischen 
Staatskirche,  die  er  besonders  schätzte,  und  mit  einer  treff"liclien  theo- 
logischen Ausbildung  verband  er  die  sicherste  Einsicht,  dass  alles 
Denken  und  Reden  auch  in  der  Kirche  unfruchtbar  bleibt,  wenn  es 
nicht  zur  That  treibt.  Nach  kurzem  Wirken  in  Magdeburg,  Lissa  und 
Königsberg  wurde  er  im  Jahre  1693  nach  Berlin  als  Hofprediger 
berufen.  In  diesem  Amt  hat  er  48  Jahre  unter  drei  preussischen 
Königen  gestanden  und  41  Jahre  der  Societät  angehört,  deren  Mit- 
stifter er,  Pläne  seines  Grossvaters  verwirklichend,  gewesen  ist.  Wie 
er  in  dieser  Zeit  den  hervorragendsten  Antheil  an  der  preussischen 
Kirchenpolitik  geliabt  hat,  die  so  eng  mit  der  Politik  des  Staates 
verbunden  war,  so  war  er  auch  neben  Leibniz,  dem  Haupte,  und 
CuNEAU,  dem  kundigen  Geschäftsführer,  der  Leiter  der  Societät,  zu- 
letzt auch  ihr  wirklicher  Präsident  (seit  1733).  Weder  durch  glän- 
zende Gaben  noch  durch  bahnbrechende  Leistungen  ausgezeichnet  \ 
war  er  den  Franzosen  durch  die  Weite  und  Umsicht  seines  Blickes 
und  seine  reichen  encyklopädischen  Kenntnisse  ebenbürtig  und  über- 


^  Doch  gilt  seine  Ausgabe  des  Alten  Testaments  als  eine  tüchtige  Leistung, 
die  auf  selbständigen  textkritischen  Studien  beruht.  Aus  einer  von  ihm  gegebenen 
Anregung  stammt  die  Berliner  Ausgabe  des  babylonischen  Talnuids.  Seine  Briefe 
zeigen,  dass  er  der  Entwicklung  der  klassischen  Philologie  in  England  folgte  und 
für  geschichtliche,  geographische  und  auch  jru'istische  Fragen  sich  intei'essirte. 


D.  E.  Jablonski.  113 

traf  sie  dvircli  sein  ungewöhnliches  praktisches  Geschick  und  durch 
die  Ausdauer,  mit  der  er  einmal  gefasste  Pläne  verfolgte.  Ein  recht- 
schaffener Mann,  war  er  nicht  fremd  in  der  Welt  der  Politik,  viel- 
mehr ein  kluger  und  in  der  Regel  gewandter  Geschäftsträger,  hie 
inid  da  auch  geneigt,  verborgene  Wege  zu  gehend  und  nicht  immer 
so  freimüthig  und  zuverlässig,  wie  es  dem  Deutschen  geziemt.  Ob- 
gleich nicht  herrschsüchtig,  machte  es  der  stille,  aber  überall  thätige 
31ann  kräftigen  Talenten  in  der  Societät  doch  schwer,  neben  ihm 
aufzukommen,  und  besass  weder  Neigung  noch  Geschick,  wissen- 
schaftliche Arbeiten  anzuregen,  die  Jüngeren  zu  ermuntern,  den 
Alteren  freie  Bahn  zu  machen  und  die  Gelehrtenrepublik  wirklich 
als  Republik  zu  leiten.  Verdiente  Mitglieder  der  Societät  haben  sein 
Wirken  nicht  selten  als  Druck  und  Bevormundung  empfunden.  Seine 
letzten  Ziele  waren  überall  nicht  wissenschaftliche  im  strengen  Sinne 
des  Wortes,  sondern,  neben  der  nie  rastenden  Sorge  für  den  Pro- 
testantismus im  slavischen  und  ungarischen  Gebiete,  allgemein  pro- 
testantische und  civilisatorisch- pädagogische.  Ihnen  sollte  auch  die 
Societät  dienen ,  die  er  durch  die  schwersten  Tage  —  unter  Friedrich 
Wilhelm  I.  —  hindurch  gerettet  hat,  der  er  aber  höheres  Leihen  ein- 
zuhauchen nicht  lahig  war.  In  der  That  —  ihm,  neben  Leibniz, 
verdankt  die  Societät  ihre  Stiftung  und  ihm,  nach  LEiBNizens  Tode, 
ihre  Erhaltung.  Sie  wäre  untergegangen,  wenn  sie  nicht  diesen 
auch  l)ei  Friedrich  W^ilhelm  hochangesehenen,  ausdauernden  und  — 
wenn  es  sein  musste  —  gefügigen  und  schmiegsamen  Mann  besessen 
hätte". 

Neben  ihm  und  ihm  unbedingt  ergeben,  stand  sein  Bruder 
Johann  Theodor  als  Secretar  der  Societät.  Er  ist  bereits  oben  cha- 
rakterisirt  worden.  Er  war  im  Stande,  der  Wissenschaft  gleichsam 
als  Buchhalter  zu  folgen,  ohne  je  ein  tiefer  gehendes  Interesse  für 
sie  zu  verrathen.    Der  Societät  hat  er  durch  seine  Gewissenhaftigkeit 


^  Aus  dei'  CLEMENx'schen  Aft'aire  ist  er  nicht  tadellos  hei'vorgegangen ;  sie 
hat  ihm  zeitweilige  Suspension  und  ein  halbes  Jahr  Untersuchungshaft  eingetragen, 
auch  musste  er  sich  zu  einer  sehi-  demüthigenden  Abbitte  bequemen.  Docli  erlangte 
er  bald  das  Vertrauen  seines  Königs  wieder. 

^  Einen  Theil  des  Briefwechsels  zwischen  Jablonski  und  Leibniz  hat  Kapp 
im  Jahre  1745  (KAPPens  Sammlung  u.  s.  w.,  Leipzig)  auf  Grund  der  Originalien 
herausgegeben,  die  ihm  Jordan  übermittelte,  der  sie  von  dem  jüngeren  Kirch,  dem 
Astronomen,  erhalten  hatte.  Die  anderen  in  Hannover  liegenden  Briefe  hat  Kvac- 
SALA  in  den  Acta  et  Comment.  Imp.  Univ.  Jurievensis  veröfTentlicht  (1897,  s.  eben- 
dort  1896  Nr.  I  einen  Vortrag  Kvacsala's  über  Jablonski).  Vergl.  die  Artikel  ül)er 
Jablonski  von  Kleinert  in  Herzog's  Theol.  Real-Encyklop.  Bd.  6^  S.  428  ff.  und 
von  R.  Schwarze  in  der  Allgemeinen  Deutschen  Biograjjhie  Bd.  13  S.523ft". 
Geschichte  der  Akademie.    I.  8 


114  Geschichte  der  Societät  von  1700-1711. 

und  Ordnungsliebe  unschätzbare  Dienste  geleistet;  aber  ein  bedeu- 
tenderer Mann,  vor  allem  ein  wirklicher  Gelehrter,  wäre  an  dieser 
Stelle  sehr  nöthig  gewesen,  und  seine  trockene,  gescliäftsmässige 
Art,  sowie  sein  bureaukratisches  Regime  veranlassten  manches  treff- 
liche Mitglied  der  Societät,  sich  von  der  gemeinsamen  Arbeit  mög- 
lichst zurückzuzieh  en  ^ 

Gottfried  Kirch  und  Johann  Leoniiard  Frisch  leisteten  die 
Arbeit.  Kirch,  der  6i  Jahre  alt  aus  Guben  an  die  Societät  berufen 
wurde,  ein  Schüler  Erhard  Weigel's,  war  der  hervorragendste 
Astronom,  den  Deutschland  damals  besass.  Er  musste  in  der  ersten 
Zeit  seines  Berliner  Aufenthalts  seine  Beobachtungen  auf  einer  Pri- 
vat-Sternwarte  machen;  nur  wenige  Jahre  war  es  ihm  vergönnt, 
das  Observatorium  der  Societät  zu  benutzen ;  denn  er  starb  —  durch 
Kränklichkeit  oft  am  Arbeiten  gehindert  —  bereits  am  25.  Juli 
17 10.  Seine  Kalender  waren  der  Zuverlässigkeit  ihrer  astronomi- 
schen Angaben  wegen  geschätzt;  ihm  verdankt  es  die  Societät,  dass 
sie  ihr  Monopol  wirklich  ausnützen  konnte.  Die  grosse  Sammlung 
von  Beobachtungen  aber,  die  er  in  mehreren  Quartanten  veröffent- 
lichen wollte,  fand  auch  nach  seinem  Tode  keinen  Verleger;  so  ist 
nur  Einzelnes  von  ihm  verstreut  gedruckt  worden.  Mit  der  Beob- 
achtung der  Kometen  wird  sein  Name  dauernd  verbunden  bleiben, 
und  auch  den  Sonnenflecken  und  den  veränderlichen  Sternen  wandte 
er  ein  besonderes  Interesse  zu.  Unterstützt  wurde  er  dabei  von 
seiner  Frau  Maria  Margareta  und  von  einem  jüngeren  Astronomen 
Johann  Heinrich  Hoffmann  (f  I  718),   den  die  Societät  ihm  beigab". 

'  Als  Johann  Theodor  Jablonski  am  28.  April  1731  starb,  dichtete  Noltenius 
auf  ihn  folgende  Grabschrift: 

"Gottesfurcht,  ohn  Heuchelei, 

Wissenschaft,  ohn  Prahlerei, 

Liebes  Werke,  im  Verborgen, 

Klugheit,  ohne  eitle  Sorgen, 

Redlichkeit,  die  Probe  hält, 

Ernst,  der  nicht  beschwerlich  fällt. 

Manches  Leid,  doch  ohne  Klagen, 

Grossnnith,  die  nicht  kann  verzagen, 

Und  was  sonst  die  Welt  nicht  kannt'. 

Lieget  hier  verscharrt  im  Sand.« 
2  Auch  dieser  observirte  —  seit  1705  — ,  bis  das  Societätsgebäude  fertig  war, 
auf  einer  Privat -Sternwarte,  der  des  Barons  von  Kroseck  (Krosick),  s.  seinen  Brief 
an  Leibniz  vom  3.  August  1705  (Hannov.  Bibl.)  und  den  Brief  des  Secretars  an 
Leibniz  vom  25.  August  1705  (a.a.O.).  Er  klagt  übrigens:  »Wann  mich  die  Societät 
nur  etwas  besser  wegen  meinen  Salarii  bedenken  wollte».  Er  musste  Nebenbe- 
schäftigungen suchen  und  konnte  daher  nicht  soviel  wie  nöthig  zum  Besten  der 
Societät  observiren. 


J.  Th.  Jabloxski,  Kirch  und  seine  Familie,  Frisch.  llo 

Maria  Margaret a  Kirch  (i 670-1  720)  entdeckte  den  Kometen  von 
1702,  besorgte  einen  grossen  Theil  des  Kalenderwerks,  correspon- 
dirte  mit  Leibniz,  dem  sie  ihre  Beobachtungen  schickte,  und  ist 
sogar  mehrmals  als  astronomische  Schriftstellerin  (Über  die  bevor- 
stehende Conjunction  von  Jupiter  und  Saturn  1712)   aufgetreten  \ 

Der  rüstigste  und  fruchtbarste  Arbeiter,  den  die  Societät  seit 
1 706  besass ,  war  der  aus  Sulzbach  stammende  Johann  Leonhard 
Frisch  {1666  — 1743;  Lehrer  am  grauen  Kloster;  1708  Conrector, 
1727  Rector;  1731  Director  der  Classis  hist.- Germanica  der  Socie- 
tät). LEiBNizens  Vertrauen  geniessend,  nahm  er  sich  ihn  voll  Ver- 
ehrung zum  Vorbild,  arbeitete  zum  Theil  nach  seinen  Rathschlägen 
und  erwarb  sich  in  unermüdlichem  Streben  eine  ähnliche  Vielseitig- 
keit und  praktische  Tüchtigkeit.  Der  vielbeschäftigte  Pädagog  und 
geschätzte  Schulschriftsteller  fand  zu  Allem  Zeit,  was  ihn  inter- 
essirte,  widmete  einen  grossen  Theil  seiner  Kraft  der  Societät  und 
griff  nichts  an,  ohne  es  zu  fördern.  Er  hat  das  Seidenwerk  mit 
höchstem  Fleiss  eingerichtet  und  geleitet  und  blieb  ihm  treu,  auch  als 
ihn  die  Societät  —  die  Jablonski's  wollten  ihm  nicht  wohl  —  ziem- 
lich schnöde  behandelte  (s.  u.).  Aus  dieser  Arbeit  ging  eine  Schrift 
über  den  Seidenbau  (17 13)  hervor,  der  umfassende,  auf  scharfen 
Beobachtungen  ruhende  Studien  über  die  Insecten  und  Parasiten 
folgten.  Neben  dem  grossen  Werk  über  »allerlei  Insecten«,  zu  dem 
er  selbst  die  Abbildungen  zeichnete,  hat  er  eine  noch  umfang- 
reichere Publication  über  die  deutschen  Vögel  begonnen;  die  Zu- 
verlässigkeit der  nur  etwas  steifen  Zeichnungen  hat  Cuvier  gerühmt 
(tres-exactes,  sans  etre  elegantes).  Daneben  trieb  er  gründliche 
slavische  Studien:  seine  grösste  Bedeutung  liegt  aber  auf  dem 
Gebiete  der  deutschen  Lexikographie  und  Dialektforschung.  Hier 
folgte  er  den  von  Schottel  und  Leibniz  gegebenen  bahnbrechenden 
Winken  und  gab  nach  mehr  als  dreissigjährigen  Vorstudien  —  auch 

^  Auch  die  Kindei'  von  Kirch  widmeten  sich  der  Astronomie.  Der  Sohn 
Christfried  (1694  — 1740)  erhielt  im  Jahre  17 17  die  Stelle  seines  Vaters  an  der 
Societät  und  hat  seine  zahlreichen  Beobachtungen  in  den  Abhandlungen  der  Akademie 
niedergelegt.  Die  Tochter  Christine  (1696  — 1782)  wirkte  zuerst  mit  ihrem  Bruder  zu- 
sammen und  hat  später  bis  zum  höchsten  Alter  im  Dienst  und  Auftrage  der  Societät 
die  Kalender  für  Schlesien  hergestellt  (über  ihre  besonders  ehrenvolle  Verabschie- 
dung s.  das  nächste  Buch).  —  Ein  Theil  des  Briefwechsels  von  Leibniz  mit  dem 
Ehepaare  Kirch  befindet  sich  in  Hannover,  s.  Bodemann,  Briefwechsel  S.  113.  102 
(daselbst  auch  vier  Briefe  von  J.  H.  Hoffmann  an  Leibniz,  s.  Bodemann  S.  93),  ein 
anderer  auf  der  Bibliothek  des  Joachimsthalschen  Gymnasiums  zu  Berlin.  Beide 
habe  ich  eingesehen.  LEiBNizens  Urtheil  über  die  Frau  Kirch  s.  im  Urkundenband 
Nr,  60. 


116  Geschichte  der  Societät  von  1700  —  1711. 

über  die  Vocabula  Marcliica  —  ein  deutsch -lateinisches  Wörterbuch 
{1741)  heraus,  dessen  Stärke  in  dem  deutschen  Theil  liegt  vmd  das  in 
der  Geschichte  der  deutschen  Lexikographie  eine  der  vornehmsten 
Stellen  behauptet  —  Grimm  hat  es  das  erste  gelehrte  deutsche  Wörter- 
buch genannt  und  es  als  nicht  veraltet  bezeichnet.  Er  allein  erfüllte 
die  Aufgabe  der  »teutsch- gesinnten  Societät«,  die  der  Kurfürst  ge- 
stellt hatte ;  denn  die  beiden  Jablonski's  ,  die  sich  auch  an  der  deut- 
schen Sprache  versucht  haben,  vermochten  als  Ausländer  nicht,  in 
sie  einzudringen,  und  gaben  Proben  ihrer  Studien ,  die  besser  unter- 
blieben wären.  Endlich  —  auch  im  Chemisch -Technischen  ver- 
suchte sich  Frisch,  und  es  gelang  ihm,  die  Fabrication  des  eben 
von  DipPEL  entdeckten  Berliner  Blaus  so  erheblich  zu  verbessern, 
dass  er  bedeutenden  Nutzen  aus  dieser  Erfindung  ziehen  konnte'. 
Neben  Frisch  sind  unter  den  Deutschen  noch  der  gelehrte  Anti- 
quar und  Bibliothekar  an  der  SpANHEiM\schen  Bibliothek  J.  C.  Schott 
(f  17  18),  der  sich  namentlich  mit  Münzkunde  beschäftigte,  und  der 
junge  Spener  (der  Sohn  Philipp's),  der  als  Zoologe  geschätzt  war 
und  eine  bedeutende  Sammlung  besass  (er  starb  schon  1 7 1 4) ,  zu 
nennen.  Eine  gewisse  Rolle  muss  auch  am  Anfang  der  Ober -In- 
genieur Beer  und  der  erste  Leibarzt  des  Königs,  Krug  von  Nidda, 
gespielt  haben;  doch  ist  Näheres  nicht  bekannt^.  Die  übrigen 
Mitglieder  —  Hofprediger,  Leibärzte,  Architekten  —  dürfen  über- 
gangen werden,  nach  Leibnizchs  Regel,  man  solle  Mitglieder,  die 
nichts  für  die  Societät  thun,  unbeachtet  lassen.  Indessen  sei  an- 
gemerkt,   dass  unter   den  Mitgliedern  auch  der  Ober-Schloss-Bau- 


^  Den  Briefwechsel  von  Leibniz  und  Frisch  (Hannov.  Bibl.)  hat  L.  H.  Fischer 
(1896)  in  der  »Brandenburgia«  herausgegehen  (2.  Band)  und  ein  anziehendes  Lebens- 
bild von  Frisch  dabei  entworfen,  s.  auch  Eckstein  in  der  Allg.  Deutschen  Biographie 
8.  Bands.  93  ff.  und  Geiger,  Berlin  1688— 1840  i.  Band  1892  S.  140  ff.  Über  das 
»Berliner  Blau-  s.  Fischer,  a.a.O.  S.  54f.  Frisch  kam  darum  ein,  seine  Farbe 
mit  Approbation  der  Societät  der  Wissenschaften  und  der  Akademie  der  Künste  ver- 
kaufen lassen  zu  dürfen,  um  sie  gegen  werthlose  Nachahmungen  zu  schützen,  s. 
seine  Briefe  an  Leibniz  vom  25.  August  (Fischer.  S.  20)  und  vom  28.  September 
1709  (S.  21  f.)  u.  ff. 

^  Der  in  dem  ersten  Entwurf  der  Berliner  an  den  Kurfürsten  (s.  oben  S.  73) 
und  in  dem  Vorschlag  an  Leibniz  vom  15.  März  1701  als  Mitglied  in"s  Auge  gefasste 
Leibarzt  Bernhard  Albinos  findet  sich  im  Album  der  Societät  nicht;  denn,  wie 
der  Hofj^rediger  am  18.  Juni  1701  an  Leibniz  schreibt  (Hannov.  Biljl.):  »Herr  Albinus 
hat  wenige  Neigung  zur  Societät  verspüren  lassen.  ]\Lan  wird  ihm  kein  Dipluma 
zuschicken,  bis  zuerst  mit  ihm  geredet  worden,  und  man  versichert  sei,  dass  er's 
annehmen  wolle-.  Dieser  namhafte  Anatom  folgte  schon  1702  einem  Rufe  nach 
Leiden  und  wurde  der  Staminvatei'  eines  berühmten  Anatomengeschlechts  an  den 
niederländisclien  Universitäten. 


Frisch,  Schott,  Speker  jun.,  Schlüter  u.  A.  11  i 

directoi'  Schlüter  aufgeführt  wird^  Ein  Missgriff  war  es,  dass 
der  Rittmeister  C.  H.  Oelven  aufgenommen  wurde.  Er  sollte  der 
Societät  schwere  Tage  bereiten". 

Zusammengehalten  wurde  die  Societät,  deren  Mitglieder  sich 
im  socialen  Leben  zum  Theil  sehr  fern  standen,  durch  Leibniz.  Die 
Ptlicht,   die   er  in   seiner  Bestallung  übernommen  hatte,   mit  der  So- 


^  In  den  Acten  der  Societät  kommt  Schlüter  meiner  Erinnerung  nach  nur 
einmal  vor,  nämlich  in  einem  Brief  des  Secretars  an  Leibniz  vom  26.  September 
1705:  «Wegen  des  Eck -Pavillons  ist  noch  nichts  geschehen,  weil ...  der  Herr  vox 
Schlüter  die  meiste  Zeit  abwesend  gewesen,  weiss  man  also  nichj,  wie  man  da- 
mit noch  auskommen  werde«.  Schlüter  ist  übrigens  nur  kurze  Zeit  Mitglied  der 
Societät  gewesen;  denn  die  Münzthurm- Katastrophe,  in  deren  Folge  er  Berlin 
verlassen  hat,  trat  bereits  im  Jahre  1706  ein,  s.  Adler,  Aus  Andreas  Schlüter's 
Leben,  in  der  Ztschr.  f.  Bauwesen  (1863)  S.  13  ft".  S.  383  ff.  Wie  gross  der  Antheil  ge- 
wesen ist,  den  Schlüter  an  dem  Bau  des  Observatorium  -  Thurms  gehabt  hat,  ist 
leider  aus  den  Societätsacten  nicht  zu  ersehen.  Der  Entwurf,  nach  welchem  ge- 
baut worden  ist,  ist  vom  Hofbaumeister  Grünberg,  dem  auch  die  Ausführung  über- 
tragen war. 

^  Nach  dem  Fase.  "Ernennungen«  im  Akademischen  Archiv  (s.  auch  die  von 
der  Societät  herausgegebenen  Adress  -  Kalender ;  auf  dem  Geh.  Staatsarchiv  befinden 
sich  die  von  1704  und  1706  ff.)  sind  zu  den  sechs  Mitgliedern ,  die  den  Grundstock 
bildeten  (die  Jablonski"s,  Rabener,  Cuxeau  und  Kirch),  im  Jahre  1701  41  Mit- 
glieder (einheimische  und  auswärtige),  im  Jahre  1702.  1703,  1709  und  1710  je  4, 
im  Jahre  1704  und  1708  je  3,  im  Jahre  1706  6  und  im  Jahre  1707  8  Mitglieder 
aufgenommen  worden  (im  Jahre  1705  fand  keine  Aufnahme  statt).  Nach  dem  Kalen- 
der für  1704  waren  es  im  Jahre  1703  ausser  Leibniz  22  Berliner  Mitglieder,  im  Jahre 
1705  nur  19.  Im  Jahre  1707  waren  es  20  einheimische  und  32  auswärtige;  im  Jahre 
171 1  betrug  die  Zahl  der  Einheimischen  und  Auswärtigen  zusammen  80.  Factor  und 
Buchhändler  der  Societät  war  Papen.  —  LTnter  den  auswärtigen  Mitgliedern  der  Socie- 
tät aus  ihrem  ersten  Jahrzehnt  seien  genannt:  der  bedeutende  Orientalist  Acoluthus 
in  Breslau  (er  sollte  nach  Berlin  gezogen  werden,  aber  die  Societät  weigerte  sich, 
zu  seinem  Gehalt  etwas  beizutragen,  um  kein  Präjudiz  zu  schaffen,  s.  die  Briefe 
D.  E.  Jablonski's  an  Leibniz  vom  19.  Februar  und  5.  März  1701  [in  KAPPens  Samm- 
lung] und  vom  23.  August  1701  [Hanno v.  Bibl.]  —  Acoluthus'  Hypothese,  das  Ägyp- 
tische und  Armenische  seien  verwandte  Sprachen,  hielt  Leibniz  für  unwahrschein- 
lich — ),  Basnage  im  Haag,  die  beiden  Bernoulli  in  Basel  und  Groningen,  Chamber- 
laine  in  London,  H.  A.  Francke  in  Halle,  Gothofredus  in  Leipzig,  Hartsoeker  in 
Düsseldorf,  Heineccius  in  Halle,  der  berühmte  Ai'zt  Friedrich  Hoffmann  in  Halle 
(kurze  Zeit  einlieimisches  Mitglied  in  Berlin),  Caspar  Neumann  in  Breslau  —  der 
Lehrer  und  väterliche  Freund  Chr.Wolff's,  ein  sehr  vielseitiger,  gründlicher  Ge- 
lehrter, einer  der  ersten ,  der  bevölkerungsstatistische  Untersuchungen  unternommen 
und  angeregt  hat,  s.  LEiBNizens  Brief  an  den  Secretär  Jablonski  Nr.  10  in  den  Abh. 
d.  K.  Preuss.  Akad.  d.  Wiss.  1897  und  Kappcus  Sammlung  S.  2  f.  — ,  der  Astronom 
Reiher  in  Kiel,  der  Abt  J.  A. Schmid  in  Marienthal,  Varignon  in  Paris  und  Ch.Wolff 
in  Halle.    Mit  allen  diesen  Gelehrten  hat  Leibniz  correspondirt. 

Der  erste  formelle  Vorschlag,  den  die  Berliner  Freunde,  welche  den  Grund- 
stock der  Societät  bildeten,  am  15. März  1701  Leibniz  unterbreiteten,  umfasste  18  Ein- 
heimische und  12  Auswärtige  (s.  den  Brief  des  Secretars  an  Leibniz  von  diesem 
Datum  in  dem  Briefwechsel,  Abh.  d.  K.  Preuss.  Akad.  d.  Wiss.  1897  Nr.  7). 


118  Geschichte  der  Societät  von  1 700  - 1 7 1 1 . 

cietät  ZU  eorrespondiren ,  hat  er  in  den  Jahren  1 700-1 710  in  ge- 
wissenliaftester  Weise  erfüllt  und  ist  ausserdem,  so  oft  er  konnte, 
auf  Monate  nach  Berlin  gekommen.  Da  Leibniz  die  Briefe,  die  er 
erhielt,  sorgsam  aufbewahrte,  und  ein  grosser  Theil  derselben  noch 
jetzt  auf  der  Königlichen  Bibliothek  zu  Hannover  erhalten  ist,  so 
sind  wir  in  den  Stand  gesetzt,  seine  Correspondenz  mit  Berlin  ziem- 
lich vollständig  zu  überschauend  Er  correspondirte  mit  der  Königin 
Sophie  Charlotte,  später  auch  mit  Sophie  Dorothea,  ferner  regel- 
mässig mit  dem  Secretar  J.  Th.  Jablonski",  mit  dem  Hofprediger 
Jablonski,  mit  Cuneau,  Ancillon,  La  Croze  und  Frisch  ;  dazu  kommen 
mehrere  Briefe  an  die  Hof-  und  Staatsmänner  von  Wedel,  von  Fuchs, 
Graf  VON  Wartenberg,  von  Ilgen,  von  Spanheim,  von  Tettau,  von  Ham- 
rath  und  VON  Printzen  u.  A.  Endlich  hat  er  auch  zahlreiche  Briefe 
mit  der  vertrauten  Freundin  der  Königin,  der  Hofdame  von  Pöllnitz, 
mit  Kirch,  dessen  Gattin,  dem  Astronomen  Hoffmann,  dem  Seiden- 
bauer Otto  und  dem  Buchhändler  Papen  gewechselt.  Man  kann  die 
Anzahl  der  Briefe ,  die  von  Berlin  aus  an  Leibniz  bis  i  7  1 6  gerichtet 
worden  sind  —  in  den  letzten  Jahren  wurde  die  Correspondenz 
schwächer  —  auf  mindestens  5  —  600  berechnen,  und  nicht  viel  ge- 
ringer kann  die  Summe  der  Antwortschreiben  gewesen  sein.  Die 
meisten  dieser  Briefe  handeln  von  der  Societät  oder  gehen  auf  wissen- 
schaftliche Fragen  ein,  die  für  die  Societät  bez.  für  die  einzelnen 
Gelehrten  in  ihr  von  Wichtigkeit  waren.  So  ist  Leibniz,  wenigstens 
bis  zum  Ende  des  Jahres  17  10,  nicht  nur  nominell,  sondern  wirklich 
der  das  Äussere  und  Innere  leitende  Präsident  der  Societät  gewesen. 


2. 

Am  18.  Januar  1701  setzte  sich  Friedrich  in  Königsberg  die 
Königskrone  auf's  Haupt.  Leibniz  begrüsste  dieses  Ereigniss  mit 
hoher  Freude.  Li  Briefen  an  den  Grafen  von  Wartenberg  und  Span- 
heim sprach   er  sie  aus  und  schlug  jenem  eine  neue  Devise  für  das 


^  Seine  eigenen  Briefe  sind  leider  nur  zum  kleinsten  Theil  erhalten,  da  er 
nur  für  wichtige  Schreiben  ein  Concejit  zu  machen  pllegte. 

^  In  der  Zeit  vom  November  1700  bis  Ende  17 10  hat  Jahlonski  125  Berichte 
an  Leibniz  gesandt.  Davon  sind  120  in  dem  Diarium  verzeichnet,  welches  Jablonski 
führte  und  welches  sich  noch  in  dem  Akad.  Archiv  befindet.  Erhalten  sind  uns  in 
dieser  Briefe  (der  grösste  Theil  in  Hannover,  einige  dort  sich  nicht  findende  in 
IvAPPens  Sammlung).  Vergl.  den  Alpdruck  in  den  Abh.  d.  K.  Preuss.  Akad.  d.  Wiss. 
1897. 


Das  Jalir  1701.     Die  Königskrone.  119 

Hans  HolienzoUern  vor'.  Auch  in  der  Puhlicistik  war  er  thätig, 
die  Bedeutung  der  neuen  Krone  an's  Lieht  zu  stellen  und  auf  Bücher 
luid  Schriften,  die  im  preussischen  Interesse  erschienen,  aufmerksam 
zu  machen.  Sein  »Auszug  verschiedener,  die  neue  preussische  Krone 
angehender  Schriften«  (Juli  und  August  1701)  beginnt  mit  einer 
Vorrede,  in  der  er  Folgendes  schreibt'^:  »Die  Aufrichtung  des  neuen 
preussischen  Königreichs  ist  eine  der  grössten  Begebenheiten  dieser 
Zeit,  so  nicht,  wie  andere,  auf  wenige  Jahre  ihre  Wirkung  erstrecket, 
sondern  etwas  nicht  weniger  Beständiges  als  Vortreffliches  herfür- 
gebracht.  Sie  ist  eine  Zierde  des  neuen  Säculi,  so  sich  mit  dieser 
Erhöhung  des  Hauses  Brandenburg  angefangen  und  ihm  mit  einem 
so  herrlichen  Eingange  sich  gleichsam  zu  dauerhaftem  Glück  —  Gott 
gebe  beständigst  —  verbindet«.  Die  lateinische  Gratulationsepistel 
der  Societät  an  den  König  hat  er  abgefasst^;  er  sah  voraus,  dass 
die  Königskrone  dem  Protestantismus,  dem  Deutschen  Reich  und 
der  Akademie^  zu  Gute  kommen   werde. 

Mit  grossen  Hoffnungen  freilich  hatte  Leibniz  Berlin  nicht  ver- 
lassen. »Man  wird  vielleicht  verspüret  haben,  dass  nach  meiner 
Abwesenheit  auch  mich  betreffend  eine  Kaltsinnigkeit  sich  erzeiget«, 
schrieb  er  am  3i.December  1700  an  den  Hofprediger  (Hannov. 
Bibl.)  ■ — ;  »bitte  dero wiegen  umb  sincere  Nachricht«;  »aber«,  fügt 
er  muthig  hinzu,  »ich  achte  es  deswegen  nicht,  weil  wir  solche 
Sachen  haben,  dass  wdr  die  Leute  zu  Estime  zwingen  können«.  Die 
»Büchertaxe«,  als  Privileg  der  Societät,  betrieb  er  eifrig,  aber  um- 
sonst. »Bitte  also  ohne  Bedenken,  die  Expedition  möglichst  zu  be- 
fördern, damit  der  Eft'ect  schon  vor  Ostern  da  sei.  Die  Societät 
hat  es  wohl  von  Nöthen;  es  war  bei  meiner  Anwesenheit  eine  aus- 
gemachte Sach  und  wäre  erfolgt,  wenn  ich  etwa  14  Tage  dagewesen. 
Man  lasse  sich  durch  Besorgnisse  und  einige  böse  Dispositiones  bei 
Hof  nicht  schrecken ;   qui  se  fait  brebis ,  le  loup  le  mange. « 

In  den  ersten  sechs  Monaten  des  neuen  Jahres  betrieb  die  So- 
cietät vor  allem  die  Aufnahme  der  einheimischen  und  auswärtigen 
Mitglieder,  die  Vorbereitungen  zur  Eröffnung,  den  Bau  des  Obser- 
vatoriums  und    die   Kalendersache.      Immer   hoffte    man    noch,    am 


'  Siehe  die  Bi'iet'e  vom  11.  Januar  und  20.  Februar  1701.  auch  den  undatirten 
an  Spanheim  vom  Jahre  1703  (Hannov.  Bibliothek).  Als  Devise  schlägt  er  vor:  ^'Vn 
canon  d'artillerie  et  en  eloignement  les  machines  dont  les  anciens  se  servaient  pour 
rompre  les  murailles,  avec  ce  mot:    »Ultra  majores«. 

^    Siehe  Guhrauer,    LEisNrrz's  Deutsche  Schriften,   2.Bd.  S.  30of. 

^    Siehe  den  ürkundenband  Nr.  61. 

*    In  dem  Brief  an  von  Wartenberg  vom  11.  Januar  gedenkt  er  ihrer. 


120  Geschichte  der  Societät  von  1700-1711. 

Geburtstage  des  Königs  die  Societät  wirklich  einricliten  zu  können, 
«damit  sie  an  dem  Tage,  an  welchem  sie  vorigen  Jahres  empfangen 
worden,  nun  auch  geboren  würdet'.  Allein  man  hoffte  vergeblich. 
So  musste  man  sich  damit  begnügen,  wenigstens  die  Diplome  für 
alle  Mitglieder  auf  einen  Tag,  eben  den  Geburtstag  des  Königs, 
auszufertigen.  Diese  selbst  wurden  nach  einem  von  Leibniz  corri- 
girten  Concepte  der  Societät  (als  Vorbild  diente  das  Pariser  Diplom) 
hergestellt".  Ohne  sein  Vorwissen  ist  am  Anfang  kein  Mitglied  auf- 
genommen worden;  eifrig  correspondirte  man  über  sie,  und  nicht 
alle  Vorschläge  des  Präsidenten  wurden  acceptirt.  Von  einer  Be- 
vorzugung weifischer  oder  französischer  Gelehrten  durch  diesen  kann 
keine  Rede  sein,  ja  man  wundert  sich,  wie  spärlich  ihre  Anzahl 
gewesen  ist^. 


^    Der  Hofprediger  an  Leibniz,    i8.  Juni  1701   (Hannov.  Bibl.). 

^  Siehe  Urkundenband  Nr.  62.  Man  entschied  sich  zunächst  für  die  deutsche 
Sprache,  s.  des  Seci-etars  Brief  an  Leibniz  vom  15. Februar  (Abh.  d.  Preuss.  Akad.  d. 
Wiss.  1897   Nr.  5). 

^  Die  Verhandlungen  über  die  Aufnahme  von  Mitgliedern  finden  sich  in  der 
Correspondenz  mit  dem  Hofprediger  vom  31.  December  1700  (Hannov.  Bibl.),  13.  Ja- 
nuar, 19.  Februar,  5.  März  und  16.  Ajjril  1701  (KAprens  Sammlung)  und  in  der 
Correspondenz  mit  dem  Secretar,  die  in  den  Abli.  d.  Preuss.  Akad.  d.  Wiss.  T897  al> 
gedruckt  ist  (s.  Nr.  4— 17);  ich  citire  diese  Correspondenz  im  Folgenden  nach  den 
Nummern  unter  Secr.-LEiBN.  An  Leibniz  pflegten  die  Gewählten  ihre  Dankesbriefe 
zu  richten,  s.  z.  B.  den  Brief  vom  Mediciner  F.  Hoffmann  in  Halle  vom  8.  No- 
vember 1701  (Hannov.  Bibl.)  oder  den  von  Naude  vom  18.  April  1701.  (Der  in 
Hannover  liefindliche  Briefwechsel  mit  ihm  enthält  manche  mathematisch  wichtige 
Partieen ;  auch  bittet  Naude  Leibniz,  seine  treftliche  Prüfung  des  LocKE'schen  Werkes 
"Lipon  human  understanding"  herauszugeben  [6.  October  1706];  in  dem  Dankschreil)en 
für  die  Annahme  sagt  Naude,  um  seiner  Harthörigkeit  willen  könne  er  eigentlich 
die  Ehre  nicht  annehmen;  »cependant  je  regois  ä  grand  honneur  cette  proposition".) 
Als  der  jüngere  Naude  aufgenommen  wurde,  dankte  er  in  einem  ebenso  entzückten 
wie  demüthigen  Schreiben  Leibniz  (Brief  vom  30.  November  171 1;  Hannov.  Bibl.). 
Der  treffliche  Theologe  und  Statistiker  Caspar  Neumann  in  Breslau  schreibt  (23.  Fe- 
bruar 1707,  Hannov.  Bibl.):  »Nehme  mir  aber  dabei  Erlaubniss  zu  sagen,  es  sei  die 
Ehre,  so  die  hochlöbliche  K.  Societät  meiner  Wenigkeit  hat  zudenken  wollen, 
beides  zu  gross  und  aucli  zu  spät;  denn  in  meinen  Jahren  will  es  schon  Abend 
werden  und  der  Tag  hat  sich  geneiget.  Ln  Übrigen  occupirt  mich  mein  Amt  der- 
maassen.  dass  ich  Curiosa  und  Nova,  wie  sie  eine  solche  Societät  wird  verlangen, 
nur  als  ein  klein  Neben -Werk  gar  selten  fürzunehmen  vermag.  Zudem  ich  weiss 
noch  nicht,  was  eigentlich  die  Leges  dieser  vornehmen  Societät  sein  werden.  Ich 
kenne  auch  zur  Zeit  keinen  einzigen  von  den  Herrn  Collegen».  Er  erklärt  weiter, 
er  könne  nicht  nach  Berlin  kommen;  denn  er  könne  sich  von  seiner  Kirche  nicht 
entfernen;  dagegen  sei  er  bereit,  etwas  von  seinen  statistischen  Arbeiten  in  den  So- 
cietäts -Werken  zu  ediren,  wenn  solche  erscheinen  werden.  In  dem  Briefe  vom 
13.  Juli  1707  kommt  er  noch  einmal  auf  seine  Aufnahme  und  sieht  sie  als  ein  hohes 
Glück  an,  das  er  einzig  Leibniz  verdanke.  LTnter  LEiBNizens  Papieren  fand  sich 
(IvAPpens  Sammlung  S.  2  f.)  ein  Brief  von  Neumann,  den  man  zu  den  grundlegenden 


Erste  Organisation.  121 

Für  die  Convente  suchte  man  im  Februar  ein  Gemacli  im  Ratli- 
haus  zu  bekommen,  erhielt  es  aber  nicht;  so  kam  man  zwanglos 
—  wöchentliche  Sitzungen  wurden  beschlossen,  scheinen  aber  nicht 
streng  eingehalten  worden  zu  sein  —  in  den  Wohnungen  der  lei- 
tenden Mitglieder  zusammen,  bis  am  7.  December  1701  durch  könig- 
liche Anordnung  der  Societät  die  Marine  -  Commissionsstube  im  Col- 
legien-Haus  in  der  Brüderstrasse  eingeräumt  wurde.  In  dieses  Haus 
sollte  auch  die  grosse  SpANHEiM'sche  Bibliothek,  die  der  König  an- 
gekauft hatte,  gebracht  werdend  Das  Wichtigste  war  nach  Aufnahme 
zahlreicher  Mitglieder  in  Berlin,  die  Societät  zu  formiren  und  die 
Ptlichten  und  Rechte  der  Mitglieder  festzusetzen.  Hier  traf  man  leider 
Bestimmungen,  die  die  Wirksamkeit  der  Societät  lähmen  und  den 
Keim  zu  Unzufriedenheit  und  Eifersucht  legen  mussten.  Man  konnte 
sich  nicht  entschliessen,  alle  Einheimischen  als  vollberechtigte  Mit- 
glieder aufzunehmen,  schuf  vielmehr  solche  erster  und  zweiter  Klasse. 
Nur  das  Concilium  (auch  Consilium  genannt)  sollte  die  inneren  und 
äusseren  Angelegenheiten  der  Societät  leiten;  die  übrigen,  d.  h.  die 
grosse  Mehrzahl,  sollten  lediglich  wissenschaftliche  Mitarbeiter  sein, 
ohne  Eintluss  auf  den  Gang  der  Geschäfte.  Nicht  einmal  die  Ge- 
neral-Instruction  bekamen  sie  zu  Gesicht;  es  sollte  vielmehr  nur 
ein  kurzer  Auszug  für  sie  ausgearbeitet  werden.  Bei  den  »ausser- 
ordentlichen« Sitzungen  sollten  sie  nicht  zugegen  sein,  sondern  nur 
zu  den  ordentlichen  wissenschaftlichen  hinzugezogen  werden.  Die 
ganze  ökonomische  Lage  der  Societät  blieb  ihnen  verborgen,  und 
die  Anregung  zu  Unternehmungen  konnte  niemals  von  ihnen  aus- 
gehen. Diese  Organisation  ist  in  den  Briefen  zwischen  Leibniz  und 
den  Jablonski's  festgestellt  worden"";  sie  ist  vielleicht  eine  Noth- 
wendigkeit  gewesen:  man  durfte  der  grossen  Menge  von  Mitgliedern 
nicht  sofort  die  Geschäfte  einer  noch  werdenden  Anstalt  ausliefern; 
aber  sie  schuf  in  Wahrheit  eine  unbeschränkte  Oligarchie  der  Concils- 


Urkunden  der  Entstehungsgeschichte  der  Bevölkerungsstatistik  rechnen  darf  (s.  Ur- 
kundenband Nr.  63). 

^  Siehe  J.  Th.  Jablonski's  Diarium  und  Secr.-LEiBN.  Nr.  2 ;  die  Königliche 
Ordre  im  Geh.  Staatsarchiv,  das  Gesuch  der  Societät  im  Akad.  Archiv  ("Baulich- 
keiten"), Beschluss  der  wöchentlichen  Sitzungen  Secr.-LEiBN.  Nr.  5.  Instruction  für 
den  Pedell  am  i2.0ctoher  1701  vom  Concil  nach  dem  Entwurf  D.  E.  Jablonski's 
(Akad.  Archiv),  s.  Secr.-LsiBN.  Nr.  18. 

^  Vergl.  besonders  die  Briefe  in  Secr.-LEisN.  Nr.  7  ff.,  namentlich  den  Brief 
LEiBNi/.ens  vom  24.  März  (Nr.  10).  Die  Zahl  der  Concilsmitglieder  ist  meines  Wissens 
nie  fixirt  worden,  war  aber  bis  17 11  sehr  gering.  Nach  einem  Briefe  des  Hof- 
predigers an  Leibniz  (16.  April  i 701)  wurde  gleich  anfangs  Dr.  Jägwitz  in  das 
Concil  aufgenommen  (IvAPPens  Sammlung  S.  262). 


122  Geschirhte  der  Sodetät  von  1700  —  171]. 

mitgiieder,  rief  in  steigendem  Maasse  den  Unwillen  gegen  diese  »Ar- 
canisten«  hervor  und  nahm  den  Rechtlosen  die  Freudigkeit  zvu* 
Mitarbeit. 

In  den  ordentlichen  Sitzungen  sollten  nach  LEiBNizens  Vorschlag 
sowohl  eigene  Untersuchungen  und  Experimente  vorgetragen  als  plan- 
mässige  Referate  über  neue  wichtige  Erscheinungen  erstattet  werden. 
Zu  dem  Zwecke  sollte  man  alle  wissenschaftlichen  Zeitschriften  an- 
schaffen und  die  Berichte  über  ihren  werthvollen  Inhalt  unter  die 
Mitglieder  vertheilen\  Der  Plan,  über  jedes  der  drei  Hauptdeparte- 
ments der  Societät  einen  Decan  zu  stellen  und  einen  Vicepräsidenten 
zu  ernennen,  wird  vom  Hofprediger  in  einem  Schreiben  an  Leibniz 
vom  1 8.  Juni  vorgetragen".  Wichtig  ist  es  endlich  zu  bemerken, 
dass  Leibniz  es  gewesen  ist,  der  in  einem  Brief  an  vonWedel^  ver- 
langt hat,  dass  die  grosse  wissenschaftliche  Unternehmung  magne- 
tischer Beobachtungen  in  Russland  unter  die  Direction  des  ersten 
Ministers  gestellt  werde.  Er  hat  damit  selbst  die  Oberleitung  der 
Societät  durch  den  Minister  angeregt  —  eine  Sache,  die  ihm,  als 
sie  durchgeführt  wurde,  doch  unerwartet  kam  und  ihm  eine  schwere 
Kränkung  bereitete.   — 

Am  15.  Januar  1701  schrieb  der  Hofprediger  an  Leibniz*:  «Der 
Hauptpavillon  des  Observatorii  ist  ein  Stock  über  die  Erde  herauf- 
bracht, zu  dem  Eck -Pavillon  des  Observatorii  ist  der  Grund  durch 
Einrammung  der  nöthigen  Pfähle  geleget,  so  dass  beide  nächsten 
Sommer  werden  fertig  sein  können«.  Gemeint  ist  der  westliche 
Eck-Pavillon:  der  östliche,  der  Ende  des  Jahres  1700  fertig  gestellt 
und  ursprünglich  der  Societät  als  Wohnung  des  Astronomen  Kirch 
(ausser  dem  Mittel -Pavillon)  versprochen  w^ar,  wurde  ihr  nicht  über- 
geben. Dagegen  sicherte  ihr  eine  königliche  Ordre  vom  7.  Februar  i  701 
den  Mittel -Pavillon  und  den  zu  erbauenden  westlichen  Pavillon  (als 
Wohnung  des  Astronomen)  zu  und  befahl  die  Ausführung  des  letz- 
teren ^  Am  I  I .  Juli  wurde  durch  ein  Rescript  die  Fertigstellung 
beider  Gebäude  bis  zum  Winter  eingeschärft*'.  Die  Arbeit  blieb  aber 
bald  liegen. 


^    Secr.-LEiBN.  Nr.  10. 

^    Hannov.  Bibliothek. 

^    Vom  12.  November  1701.   Kxeerjit  bei  Bode.iiaxx,  Bi-iet'wechsel  8.382!'. 

*    IvAPpens  Sainiiiluny  S.236.  verjil.   .Secr.-Li:ii!.N.   Nr.  2. 

^    Siehe  Urkundenbiiiid  Nr.  64. 

"  Secr.-LEiBN.  Ni'.  14  und  die  Oi-di-e  an  den  Amtsrath  von  Port/,  im  Geheimen 
Staatsai'chiv.  Die  Pläne  beiluden  sieh  im  Akademischen  Archiv  »Batdichkeiten«. 
Auch   Leirniz   h.'it   an   ihnen   üeai'beitet.      Der  Mittel -Pavillon    (( )rdre    an    die    Amts- 


Sitzungen.    Observatorium.    Kalender  (1701).  123 

Die  Sorge  für  die  Kalender  musste  die  wichtigste  Aufgabe  sein; 
denn  auf  ihnen  beruhte  die  Existenz  und  die  Zukunft  der  Societät. 
Der  Kalender  für  1701  wurde  in  den  Provinzen  keineswegs  freudig 
begrüsst,  und  die  Provinzialregierungen  unterstützten  häufig  den 
Widerwillen  der  Leute.  Die  Anlage  sei  anders  als  es  die  Bürger 
und  Bauern  gewohnt  seien ;  die  Mondveränderungen  müssten  mit  aus- 
geschriebenen Buchstaben  stehen;  es  müsste  gesagt  sein,  »was  in  je- 
dem Viertel  vor  Witterung  zu  vermuthen  sei,  item  was  sonsten  einem 
Hausmann  nützlich  zu  observiren«;  die  Sonn-  und  Feiertage  müss- 
ten mit  rotlien  Buchstaben  abgesetzt  werden  u.s.w.^  Das  Ansinnen, 
im  Voraus  anzugeben,  wie  viel  Kalender  ungefähr  in  ihrem  Bereiche 
nöthig  seien,  hatten  die  Pro vinzial- Regierungen  schon  früher  zurück- 
gewiesen; auf  diese  Frage  Antwort  zu  geben,  sei  unmöglich"'.  Das 
3Iinisterium   erklärte   am   6.  November  i  701^,   die  Societäts- Kalender 


kanimer  des  Baus  wegen  im  Geheimen  Staatsarchiv  vom  26.  August  1701)  umfasst 
mit  dem  Erdgeschoss  vier  Stockwerke  (Observatorium ,  Versammhnigszinuner.  Biljlio- 
thek).     Dieser  Plan  ist  wirklich  ausgeführt  worden. 

^  Siehe  z.B.  die  Vorstellung  der  halberstädtischen  Regiei'ung  vom  12.  April  1701 
im   Geheimen  Staatsarchiv. 

'^  Siehe  die  Antwort  der  kurmärkischen  Regierung  vom  26.  August  1700  im 
Geh.  Staatsarchiv.  —  Aus  dem  Fascikel  >>  Kalendersachen «  des  Geh.  Staatsarchivs 
geht  hervor,  dass  die  Societät  Bevollmächtigte  in  die  einzelnen  K.  Provinzen  gesandt 
hat.  um  fremden  Kalendern  nachzuspüren  und  Verkäufer  und  Käufer  zur  Anzeige 
zu  bringen.  Von  den  Provinzialregierungen  wurden  diese  Denuncianten  natürlich 
nicht  gern  gesehen;  im  Geheimen  waren  sie  alle  gegen  das  Privileg  und  machten 
sich  die  Klagen  der  Bevölkerung  zu  eigen  —  die  Kalender  seien  zu  theuer;  sie  unter- 
richteten nicht  genügend  über  die  Witterung,  dass  man  sich  mit  der  Feldarbeit  ein- 
richten könne;  die  sächsischen  Kalender  seien  besser  u.  s,  w.  Kamen  die  Societäts- 
BevoUmächtigten  auf  die  Güter  der  adeligen  Herren,  so  wurden  sie  mit  Schmäh- 
nnd  Drohworten  tractirt,  ja  sogar,  »wie  verlauten  will«,  ist  ilmen  mit  Arrest  be- 
gegnet und  ihnen  die  Vollmacht  der  Societät  weggenommen  worden,  »nicht  ohne 
strafbare  Verachtung  des  K.  Edicts«.  »Es  zeigt  sich  gegen  das  Edict  und  seine 
Ausführung  eine  vorsätzliche  Widerspenstigkeit  der  Unterthanen  sowohl  als  theils 
der  Unterobrigkeiten  seilest. «  Unter  den  Klagen  und  Eingaben  der  Societät  ist  das 
grosse  Pro  Memoria  von  1705  die  wichtigste  (Geh.  Staatsarchiv).  Eine  gründliche 
Vertheidigung  der  Societäts -Kalender  wird  hier  gegeben  und  namentlich  gezeigt, 
dass  sie  in  Astronomicis  wirklich  zuverlässig  sind,  während  die  anderen  oft  von 
unwissenden  Leuten  verfasst  werden,  bez.  von  jungen  Autoribus,  "denen  es  an  ge- 
nügsamem Fleiss,  Behutsandveit  und  Exercitio  fehlet".  ]Mit  Stolz  weist  die  Societät 
dem  Könige  nach,  was  für  einen  Gelehrten  sie  an  ihrem  Kirch  besitzt.  Dieser 
giebt  in  einer  ^Beilage  zum  Pro  Memoria  eine  Tabelle  der  groben  astronomischen 
Fehler  des  Leipziger  Kalenders  in  den  Jahren  1702  — 1704.  und  im  Jahre  1706  wies 
der  andere  Astronom.  Hoffmanx,  nach,  dass  der  sächsische  Astronom  Juxn:s  die 
bevorstehende  grosse  Sonnenfinsterniss  ganz  verkehrt  in  seinem  Kalender  dargestellt 
halje  (Secr.  -  Leirx.  Nr.  5  I    vom   9.  März  1706). 

3    A.a.O. 


124  Geschichte  der  Societät  von  1700-1711. 

Avürden  in  Zukunft  so  gut  eingerichtet  werden ,  dass  sie  anderen 
Kalendern  in  nichts  nachstehen  werden;  deshall)  müsse  man  das 
Privik^gium  der  Societät  streng  einhalten.  Wirklich  that  diese 
ihr  Möglichstes,  etwas  Gutes  zu  liefern.  Wieder  war  es  Leibniz, 
der  auch  hier  eingrift*  und  sich  nicht  für  zu  vornehm  hielt,  dieses 
Werk  zu  betreiben.  Er  bezeichnete  die  Kalender  als  »die  Bildio- 
thek  des  gemeinen  Mannes«  und  erkannte,  dass  man  zweckmässige 
Varietäten   bieten  müsse ,   um  sie  einzubürgern : 

"Die  Kalender  haben  Ireilich  mehr  Varietät  nötliig,  imd  muss  man  suchen, 
sie  auf  allerhand  Weise  angenehm  7AI  machen  und  zu  consideriren  als  die  Biblio- 
thek des  gemeinen  Mannes.  Es  wäre  /.u  dem  Ende  gut,  dass  man  eine  gute  Quan- 
tität alter  Kalender  ansehe  und  consultire.  Item  Simplicissimi  [sie  dicti]  ewigen 
Kalender. 

Es  wäre  auch  gut,  weil  die  Veränderung  die  Feste  verrücket,  dass  man 
denen  Bauern  zum  Besten  anzeige  und  specificire,  wo  nun  die  ihnen  bekannten 
Tage  hingefallen.  Ich  schicke  hier  einen  Hof- Kalender  von  Wien.  In  den  unsrigen 
könnte  man  die  Krönungs- Acta  bringen. 

Es  könnte  auch  ein  Kalender  gemacht  werden,  darin  alle  K.  vornehmste 
Bedienten  nach  den  Collegiis  und  allerhand  Landsachen,  so  den  Unterthanen  zu 
wissen  dienlich  ^  Item  ein  allgemeiner  Post-Kalender"  vor  die  Reisenden  in 
allen  K.Landen,  so  mit  einer  Geographischen  Karte,  so  die  Post- Routen  andeutete, 
und  dai-aus  zu  ei'sehen,  welche  Zeit  die  Post  an  den  fürnehmsten  Orten  durch 
passire. 

Also  ein  Gerichts-Kalender,  darin  die  Termini  und  andere  dienliche  Nach- 
richtungen die  Tribunalia  betreffende. 


^  Einen  solchen  gab  die  Societät  wirklich  —  zum  ersten  Mal  für  das  Jahr 
1704  (s.  das  Actenstück  vom  2. Mai  1704  im  Geh.  Staatsarchiv  und  Secr.-LEiüN.  Nr.  28 
vom  6.  November  1703;  Nr.  29  vom  r.  März  1704) — -regelmässig  heraus  (Exemplai-e 
im  Geh.  Staatsarchiv).  Die  Anlage  solcher  Hof-  und  Staatskalender  hat  Leibniz 
mit  CuNEAU  und  dem  Secretar  genau  erörtert,  s.  den  Brief  vom  12.  August  1701 
(Secr.-LEiBN.  Nr.  16).  Hier  handelt  er  von  der  Stelle,  die  man  der  Societät  in  dem 
Hofkalender  geben  soll.  Der  Secretar  will  sie  mit  der  Akademie  der  Künste  beim 
Hofstaat  nächst  der  Bibliothek  und  Kunstkammer  stellen.  Cuneau  will  einen 
eigenen  Titel  nach  dem  Kirchenwesen  machen.  Leibniz  neigt  sich  zur  Ansicht  des 
Secretars  und  giebt  Anordnungen  über  die  Disposition  des  Kalenders  übei'haupt. 
Der  erste  Kalender  dieser  Art  fand  schlechten  Absatz  (s.  Secr.-LEiBN.  Nr.  30  vom 
15.  April  1704  und  Nr.  31  vom  10. Mai  1704)  «wegen  vieler  Fehler,  so  ziemlich  ein- 
geschlichen, und  desfalls  von  den  Interessenten  täglich  mehr  Erinnerungen  geschehen«, 
und  wurde  ausserdem  »boshaft"  bei  Renger  in  Flalle  nachgedruckt  vom  Bei'liner 
Buchführer  Rüdiger  (s.  auch  Nr.  32).  Derselbe  wurde  aber  trotz  eines  Briefs  von 
Leibniz  an  Wartenberg  vom  3. Mai  1704  [nicht  9. Mai.  wie  Klopp  druckt,  10. Bd. 
S.387f.]  und  trotz  Vorstellungen  der  Societät  zunächst  nicht  zur  Rechenschaft  ge- 
zogen, denn  »er  hat  gewisse  Patronos  am  Hofe,  die  ihn  gegen  allen  Anlauf  ver- 
treten« (s.  Nr.  33  vom  2.  August  1704);  erst  am  6.  September  erfolgte  ein  K.  Befehl 
zur  Bestrafung  (s.  die  Eingabe  der  Societät  an  den  König  vom  27.  August  und  die 
K.  Ordre  im  Geh.  Staatsarchiv   »Kalendersachen«). 

^  Gedruckte  Blätter,  die  Abfahrten  und  Ankünfte  der  Posten  enthaltend,  lin- 
den sich  im  Akad.  Archiv. 


Die  Kalender.  125 

So  könnte  auch  wohl  ein  Polizei-Kalender  gemacht  werden,  darin  aller- 
hand Verordnung  zu  Nachricht  vor  manniglich  angedeutet.  Also  Münz-  und  Wechsel- 
Rechnungen,  Reductio  nach  dem  Leipzigischen  Fuss,  Zins -Rechnungen.  Es  könnte 
auch  ein  Andachts-Kalender  sein,  darin  alle  Wochen  und  bei  den  sonderbaren 
Tagen  kurze  doch  nachdenkliche  Andachten  an  Hand  gegeben. 

Andere  ^lathematische ,  Physicahsche .  Oeconomische  und  histoi-ische  Sachen, 
Veränderungen  durch  Geburt.  Absterben,  Verheirathung  grosser  Herrn,  Wappen 
und  deigl.  zu  geschweigen.  Ich  habe  einsmals  zu  Berlin  erinnert,  dass  man  von 
Regensburg  aus,  auch  aus  den  Mercuriis  und  Relationibus  leicht  die  Veränderungen 
haben  und  zu  Ende  des  Jahres  in  einem  Reichs -Kalender  aller  Fürstl.  und  im 
Reich  Stimme  habender  Familien,  Gräll.  Personen  und  Residentzen  oder  doch  we- 
nigstens die  \'eränderungen  anführen  könnte. 

Allein  zu  diesen  Dingen  werden  mehr  Personen  und  andere  Anstalt  erfoi'dei't, 
als  wir  jetzo  haben.  Doch  kann  man  ein  und  anders  bereits  vornehmen,  viel  auch 
aus  alten  Kalendern  brauchen.  Theil-Appendices  können  a  part  verkauft  werden, 
und  gehen  sie  nicht  alle  ab.  dienen  sie  künftiges  Jahr  Aviederum.  Innige  Sachen, 
so  beständig  bleiben,  kann  man  in  Kupfer  stechen,  die  Ephemerides  figuratae  wären 
nicht  zu  vergessen.  Ich  habe  unterschiedene  Vorschläge  gelassen,  so  Herr  Hofr. 
CuNO  communiciren  wird.  Bitte  daraus  dienliche  Agenda  pro  Memoria  zu  ziehen. 
Ich  habe  im  Vorigen  geschrieben  wegen  der  Spi-itzen  zu  Duisburg,  bitte,  dass  man 
sich  deshalben  wegen  der  Societät  erkimdige '.« 

Schon  am  31.  Januar  1701  erkundigte  sieh  Leibniz,  oh  das  Ka- 
lenderwerk »proportionirhche  Hofihung  eines  guten  Ertrags  gehe«. 
Der  Secretar  antwortete,  der  Ahgang  sei  so  gross  nicht  gewesen, 
als  vermuthet  worden;  »es  werden  derselhen  viel  tausend  liegen 
l)leihen«.  Bald  darauf  schreibt  er,  der  vierte  Theil  werde  liegen 
hleihen ;  man  dürfe  aber  für  das  nächste  Jahr  auf  besseren  Vertrieb 
hoffen,  da  der  Kalender  rechtzeitig  erscheinen  und  man  auch  eine 
Varietät  beobachten  werde".  Leider  wurde  das  Erscheinen  doch 
durch  Kirch's  Unpässlichkeit  aufgehalten ;  erst  um  Michaelis  wurde 
er  ausgegeT)en.  Der  projectirte  Hof-  und  Staatskalender  war  in 
Arbeit^   — 

Schon  lange  hatte  die  Königin  gewünscht,  Leibniz  wieder  bei 
sich  in  Berlin  zu  sehen.  Der  Hofprediger  hatte  ihm  dies  in  ihrem 
Auftrag    auf's  Neue   im  April    geschrieben^,    aber    seine  Reise  ver- 


^  Siehe  Secr.-LEiuN.  Nr.  8.  11.  17  und  den  Brief  des  Hofpredigers  an  Leibxiz 
vom  16.  April  1701  in  Kappcus  Sammlung  S.  26if.  Dem  Feuerspritzen -Privileg 
stellten  sich  Schwierigkeiten  in  den  Weg,  s.  a.  a.  0.  Nr.  5.  Auf  einem  LEisNiz'schen 
Zettel  (IvAPPens  Sammlung  S.442)  findet  sich  die  Bemerkvmg:  »Kalender  mehr  zu 
variiren.  nicht  zu  »sec.«  Feuerspritzen  beim  Commissariat  pi'o  mechanicis.  ßücher- 
zoU  bei  Hrn.  v.  Ilgen  pro  diario  eruditoi'um  et  literis  humanioi-ibus.  Heri'u  Neu- 
kirch's  Vorschläge  pro  rebus   Germanicis  mit  Hi'U.  Grauen's  Gedanken". 

-    A.  a.  O.  Nr.  4.  5.  6. 

3    A.  a.  O.  Nr.  17. 

^  Kappcus  Sammlung  S.  260,  262  f.  (Brief  vom  16.  April  und  den  vorher- 
gehenden undatirten). 


126  Geschichte  der  Societät  von   1700  —  1711. 

zögerte  sich  aus  Gründen,  die  wir  nicht  kennen.  Seit  dem  Herbst 
waren  es  aber  nicht  mehr  Angelegenheiten  der  Wissenschaft  oder 
der  Societät,  die  Sophie  Charlotte  LEiBNizens  Gegenwart  wünschens- 
w^erth  erscheinen  Hessen',  sondern  hochpolitische  Affairen.  Die  eng- 
lische Successionsacte,  die  am  7.  September  im  Haag  geschlossene 
grosse  Allianz  gegen  Ludwig  XIV.  und  die  hannover  -  wolfenbüt- 
telsche  Verwicklung  erregten  die  Königin  und  brachten  sie  zu  dem 
Entschluss,  einzugreifen  und  die  preussische  Politik  zu  leiten.  Als 
Leibniz  am  7,0.  September  in  Berlin  eintraf',  war  seine  Sorge  für 
die  Societät  nur  der  Vorwand;  in  Wahrheit  kam  er  als  ausseror- 
dentlicher geheimer  Geschäftsträger  der  Königin.  Die  Kurfürstin- 
Mutter  in  Hannover,  der  Kurfürst  und  der  hannoversche  Geheime 
Rath  waren  im  Einverständniss,  der  letztere  beargwöhnte  dennoch 
den  unzünftigen  Diplomaten.  Auf  die  Sache  selbst  ist  hier  nicht 
einzugehen.  Leibniz  hat  vielleicht  niemals  eine  so  actuelle  Rolle 
als  Politiker  gespielt  wie  in  diesem  Winter,  in  welchem  er,  zwischen 
Berlin  und  Hannover  hin  und  her  reisend  und  jene  förmliche  Voll- 
macht der  Königin  in  der  Tasche,  die  er  vor  ein  paar  Jahren 
umsonst  begehrt  hatte ^,  die  Absichten  der  beiden  Fürstinnen  zu 
verwirklichen  strebte.  Diese  gingen  auf  die  engste  Verbindung 
und  die  gemeinsame  Politik  der  beiden  Höfe.  Dem  hinter  dem 
hohlen  Staatsmann  Grafen  von  Wartenberg  klug  zurücktretenden, 
umsichtigen  Minister  von  Ilgen  war  LEiBNizens  Mission  nicht  unbe- 
kannt, aber  ob  er  ganz  in  die  umfassende  Correspondenz  eingeweiht 
war,  die  dieser  damals  von  Berlin  aus  mit  der  Kurfürstin  Sophie 
führte,  darf  man  wohl  fragen*.  Erst  nach  vier  Monaten  kehrte 
Leibniz  definitiv  nach  Hannover  zurück. 


^    Sie  interessii-te  sich  übrigens  auch  weiter  für  die  Societät.  s.  Secr.-LEiBN.  Nr.  9. 

^  Das  Datum  nach  Jablonski's  Diarium.  Drei  Wohnungen  waren  ihm  zur 
Auswahl  gestellt:  in  der  Brüderstrasse,  wo  er  das  erste  Mal  einige  Tage  gewohnt 
hatte,  an  der  Langen  Brücke  und  in  der  Heiligen  Geiststrasse,  s.  Secr.-LEiBN. 
Nr.  18.  Eine  politische  Correspondenz  mit  der  Königin  war  vorhergegangen,  s.  Klopp, 
Werke,   10.  Bd.,  S.  XXXII  ff.  und  81  ff. 

^  Siehe  oben  S.56.  Die  Vollmacht  ist  vom  2.  December  1701,  abgedruckt  bei 
Klopp,  a.a.O.  S.pif. 

*  Siehe  Klopp,  a.a.O.  8.  Bd.  S.  288  ff.  Siehe  dort  und  auch  10.  Bd.  S.  86  ff., 
112  ff.  über  Ilgen's  Mitwirkung.  In  jenen  Monaten  hat  Sophie  Charlotte  den 
stärksten  Kinthiss  auf  die  preussische  Politik  und  auf  ihren  Gatten  ausgeübt.  Dass 
Leibxiz  auch  diesmal  einen  höhei-en  Zweck  im  Auge  hatte,  zeigt  u.  A.  sein  Brief 
an  die  Kurfürstin  Sophie  vom  19.  November  1701  (Klopp,  Werke,  8.  Bd.,  S.3iof.): 
»Le  ministere  täche  de  plaire  a  la  reine,  et  il  a  raison,  et  la  reine  aussi  de  son 
cöte  en  use  le  mieux  du  monde.  p]t  comme  Ton  sait  que  rien  ne  saurait  faire  plus 
de  plaisir  a  la  reine  c|ue  la   bonne  inteUigence  des  deux  cours,  on  est  fort  dispose 


LEiBxizeiis  zweitei"  Aufenthalt  in  Berlin  (1701 '"2).  i'2  i 

Aber  obgleich  er  damals  ganz  durch  die  Politik  in  Anspruch 
genommen  schien,  vergass  er  doch  weder  die  «Irenica«,  die  aller- 
dings mit  den  politischen  Fragen  in  Zusammenhang  standen,  noch  die 
Societät.  Am  4.  October,  7.  November  und  30.  December  präsidirte 
er  den  Sitzungen'.  Um  ihr  ein  gemeinnützliches  Wirken  zu  sichern, 
arbeitete  er  wiederum  Denkschriften  an  den  König  aus  —  über 
medicinische  und  meteorologische  Observationen ,  die  allgemein  im 
Lande  anzustellen  seien,  aus  denen  die  Societät  »Annales  physici« 
auf  Grund  halbjährlicher  Berichte  zu  entwerfen  habe,  ferner  über 
die  civilisatorisch- evangelische  Mission  der  Societät  in  die  östlichen 
Länder.  Dabei  plante  er,  ein  Privilegium  auf  den  Druck  slavischer 
Erbauungsbücher  beim  Czaren  für  die  »Societät  zu  erbitten ,  von  dem 
er  sich  für  die  Mission  und  für  den  Fundus  der  Gesellschaft  viel  ver- 
sprach. A^erhandlungen  mit  einem  Drucker  Avurden  bald  begonnen". 
In  dieser  Denkschrift  erinnert  er  auch  an  die  magnetischen  Beob- 
achtungen, deren  Bedeutung  für  die  Schiffahrt  dem  Czaren  ein- 
leuchten   werde;    der  nach   Russland  gehende  preussische  Gesandte 


a  la  cultiver.  üutre  que  c'est  le  grand  et  veritable  interet  des  uns  et  des  autres. 
et  qu'on  reconnait  ((ue  c'est  Tunique  nioyen  de  nous  sauver  tous  e.t  la 
liberte  publique.  Ce  qui  est  aussi  le  texte  ordinaire  de  mes  sermonS". 
Über  den  zu  blinden  geborenen  Minister  vonIlgex.  dem  die  Societät  Vieles  ver- 
dankt, s.  den  Artikel  von  Isaacsohn  in  der  Allg.  Deutschen  Biogr.  14.  Bd.  S.  16  ff. 
Leibniz  soll  ihn  schon  im  Jahre  1678  in  Minden  kennen  gelernt  und  nach  Berlin 
gewiesen  haben.  Bereits  unter  dem  Grossen  Kurfürsten  war  er  als  geheimer  Kammer- 
secretär  ein  einllussreicher  Beamter  in  der  inneren  Verwaltung.  Unter  Kolbe  vox 
Warten  BERG  war  er.  der  auch  in  der  äusseren  Politik  geschidt  war.  der  verstän- 
digste und  thätigste.  aber  nach  aussen  wenig  hervortretende  Staatsmann.  Dass  die 
Dinge  in  diesen  Jahren  nicht  noch  trostloser  wurden,  verdankt  man  ihm.  Seit  der 
Königsberger  Krönung,  die  er  vorbereitet  hatte,  war  er  wirklicher  geheimer  Rath 
und  Mitglied  des  Staatsraths;  auf  seinen  Schultern  lag  die  ganze  Arbeit;  er  leitete 
die  politische  Correspondenz ,  stand  an  der  Spitze  der  Justizreform  und  suchte  die 
Domänenverwaltung  zu  verbessern.  Im  nordischen  Krieg  stand  er  wesentlich  auf 
Schwedens  Seite,  suchte  —  darin  mit  Leibniz  zusammenwirkend  —  eine  Ver- 
einigung mit  den  mächtigsten  norddeutschen  Fürsten  herbeizuführen  und  hatte  die 
Erwerbung  jenes  Theils  von  Polen,  der  Preussen  von  Brandenbvu'g  und  Pommern 
trennte,  stets  im  Auge.  Nach  von  Wartenberg's  Sturz  im  Sommer  17 11  wurde  er  der 
leitende  Kabinetsminister.  Als  ein  durch  und  durch  zuverlässiger  Charakter  be- 
wahrte   er  sich  auch   das  Vertrauen  Friedrich  Wilhelm's  I.  (7  6.  December   1728). 

^    Siehe  Jablonski's  Diarium. 

^  In  dem  Akademischen  Archiv  (Fase.  »Revenuen«)  sind  Acten  über  Ver- 
handlungen vorhanden,  die  mit  einem  gewissen  Kopijewitz  geführt  wurden,  der 
den  Druck  polnischer  und  russischer  Bücher  übernehmen  sollte  (Verhandlungen  mit 
iluu  im  Plenum  am  18.  und  24.  August  1702  nach  dem  Diarium).  Auch  wurden 
Pläne  gemacht,  selbst  eine  Druckerei  und  Buchhandlung  einzurichten,  aber  sie 
kamen  nicht  über  das  ^'orstadium  heraus. 


128  Geschichte  der  Societät  von  1700—1711. 

solle  angewiesen  werden,  in  diesem  Sinn  thätig  zu  sein.  Endlieli 
verknüpft  er  das  Missionswerk  mit  den  Unionsbestrebungen:  der 
Mission  würde  es  höchst  schädlich  sein,  wenn  Lutheraner  und  Re- 
formirtc  getrennt  wirkten ;  das  müsste  man  auch  in  Sachsen  ein- 
sehen; so  w^äre  »mit  Saxonicis  zu  überlegen,  wie  die  Sacli  zu  fassen, 
damit  iu  den  entfernten  Landen  beiderseits  Protestirende  de  iisdem 
sacris  participiren  könnten«;  damit  wäre  aber  das  negotium  paci- 
ficum  sehr  gefördert.  Das  Geld,  das  man  nöthig  habe,  könne  aus 
einer  Erbschaftssteuer  gewonnen  werden,  auch  könne  »lege  publica 
eingeführt  werden,  dass  bei  jedem  Vermächtniss  ein  legatum  ad 
pias  causas  sub  certo  modo  et  sub  certa  poena  nicht  vergessen 
werden   dürfte«'. 

In  einem  am  Ende  seines  Berliner  Aufenthalts  für  den  König- 
aufgesetzten  Pro  Memoria'"  hat  Leibniz  zusammengefasst,  was  die 
Societät  bisher  geleistet  und  wodurch  sie  gehindert  worden,  und 
auf's  Dringendste  gebeten,  ihren  Fundus  zu  vermehren,  da  sie  sonst 
der  ihr  gesetzten  Aufgabe  nicht  zu   entsprechen  vermöge. 

»Man  liat  astronomisclie  Observationes  angestellet,  so  viel  vor  Ausbaiiung  des 
Observatorii  füglich  geschehen  können,  man  hat  neue  Rechnungs-  und  Messkünste 
angewiesen,  dadni-ch  schwere  und  nützliclie  Aufgaben  aufzulösen,  lils  ist  ein  neuer 
Phosphorus  von  einem  Gliedmaass  der  Societät  erfunden  worden,  so  in  einem  ver- 
schlossenen Glas  durcli  blosse  Bewegung  allezeit  leuchtet  und  die  vermeinten  lu- 
cernas  immortales  der  Alten  dargeben  kann  ^,  auch  sind  andere  schöne  Experimenta 
gepriesen  worden.  Man  hat  auch  besondere  machinas  ausgedacht,  dadurch  Dinge 
von  Nuzen  und  Wichtisikeit  auszurichten.     Man  liat  einioe  uralte  Zeichen  der  Clii- 


^  Siehe  Urkundenband  Nr.  65,  66.  Die  Vorschläge  medicinisch- meteoro- 
logische Beobachtungen  betreffend,  die  im  ganzen  Lande  anzustellen  sind  (Nr. 65), 
stammen  indirect  von  dem  berühmten  Professor  der  Medicin,  Friedrich  Hoffmann 
in  Halle,  mit  dem  Leibniz  seit  1699  im  Briefwechsel  stand;  vergl.  die  Regesten  bei 
BoDEMANN,  Briefwechsel  S.93;  die  dort  verzeichneten  geschriebenen  Abhandlungen 
stammen,  obgleich  sie  nicht  von  seiner  Hand  geschrieben  sind,  von  Hoffmann: 
I.  Anzeige  des  vortrefflichen  Nutzens  derer  Observationum  aus  dem  Gewitter  und 
Krankheiten,  und  auf  wes  Art  dieselben  an  unterschiedenen  Orten  füglich  anzu- 
stellen. 2.  Vorschlag  wie  in  S.  K.  M.  Landen  die  höchst  nützliche  Observationes 
meteorologicae  anzustellen  sein,  nebst:  Wahrnehnumg  der  Gewitterung  nach  den 
Baro-  und  Thermometris  vom  Monat  Jänner  des  1700.  Jahres,  und  Beschaffenheit 
der  gemeinen  Krankheiten  im  Jänner-Monat.  Li  dem  Convolut  befinden  sich  aucli 
zwei  Briefe  von  Leibniz  an  den  Minister  von  Fuchs.  Li  dem  Brief  vom  17.  A])ril  1701 
empfiehlt  er  den  Plan  \-on  Wetterbeobachtungen,  um  den  Einfluss  des  Wetters  auf 
Menschen,  Thiere  und  Plhuizen  besser  festzustellen,  zunächst  für  den  preussischen 
Staat;  in  dem  Brief  vom  9.  November  1701  liittet  er.  dass  Hoffmanx  Gelder  für 
seine  Expeiimente  bewilligt  werden  möchten. 

^    Siehe  Urkundenband  Nr. 67. 

^  Hierzu  s.  den  Briefwechsel  zwischen  dem  Hofprediger  und  Leibniz  in 
IvAPrens  Sammlung  S.  257  ff.  vom  5.  iNIärz  und  16.  April  1701.  Der  Entdecker  ist 
Dl'.  Jägwitz.      Docli  scheint  die  Sache  nicht  bedeutend  gewesen  zu  sein. 


LEinxizens  Bericht  an  den  König  ül)er  die  Soeietät  (1702  AnfVmg).        129 

nesei'  erläutert,  so  sie  nun  von  2000  Jahren  lier  selbst  nicht  mehr  verstehen,  und 
die  doch  einen  neuen  mathematischen  Schlüssel  in  sich  halten.  Man  hat  in  dem 
Alterthum  der  teutschen  Sprache  nicht  wenig  entdecket,  das  Celtische  mit  dem 
Teutschen  zusammen  gehalten,  alte  teutsche  Manuscripta  nützlich  angewendet,  auch 
3Ionumenta  der  teutschen  Historia  ans  Licht  bracht  und  hoö'et,  dermaleins  zu  einem 
rechtschaifenen  teutschen  Wörter- Schatz  gelangen  zu  können,  sonderlich  da  durch 
liohe  Hülfe  die  Kunst-  und  andere  besondere  Wörter,  so  bei  verschiedenen  Sorten 
der  Menschen  in  Gebrauch,  zusammen  zu  bringen  sein  möchten,  so  den  Sprachen 
und  Künsten  zugleich  zur  Beförderung  gereichen  würde.  Es  würde  auch  verhof- 
fentlich  K.  Maj.  bereits  einen  oder  mehr  Observatores  durch  Moscau  in  die  grosse 
Tartai'ei  und  bis  nach  China  haben  gehen  lassen,  in  den  fast  noch  imberührten 
Ländern  ganz  neue  Dinge  zu  entdecken  und  zugleich  Missiones  evangeUcas  zu  veran- 
lassen, wenn  nicht  der  nordische  Krieg  dazwischen  kommen.  Und  jezo  ist  man 
begriffen  die  Sache  also  zu  fassen,  dass  jährlich  einige  Miscellanea 
durch  Veranlassung  der  Soeietät  herfür  kommen  mögen.« 

Aber  die  Durchführung  aller  dieser  Unternehmungen  und  der 
Druck  der  KiRcn'schen  Ohservationen  erfordere  Geld.  Wieder  wer- 
den die  alten  Vorschläge  nutzreicher  Privilegien  gemacht,  besonders 
das  Büchercommissariat,  und  neue  hinzugefügt.  Unter  diesen  ist 
der  Vorschlag  einheitlicher  Regelung  der  Maasse  und  Gewichte  durch 
die  Soeietät  (nach  dem  Decimalsystem  zur  Vermeidung  der  Brüche) 
der  werthvollste. 

Aber  auch  in  seiner  politischen  Correspondenz  mit  der  Kur- 
fürstin-Mutter zeigt  Leibniz,  dass  er  die  Soeietät  nicht  vergessen 
hat.     Am   2i.October  1701    schreibt  er  ihr^: 

"Je  suis  maintenant  ä  Oranienbourg  pour  quelques  jours,  pour  travailler  aux 
interets  de  la  nouvelle  Societe  Royale  des  Sciences.  Le  roi  me  temoigne  de  la  vouloir 
favoriser.  Et  comme  on  depeche  au  resident  en  Moscou,  il  sera  charge  encore 
de  quelques  ordres  cpü  regardent  nos  missions  dans  ce  pays-lä  et  vers  la  Chine-. 
(Jn  traite  aussi  avec  les  Anglais  et  Hollandais,  touchant  le  passage  dans  la  Medi- 
terranee  et  les  Etats  du  grand  seigneur  par  ceux  de  Brandebourg  et  de  Femperevu-. 
Car  on  peut  aller  par  eau  de  Hambourg  a  Breslau,  et  apres  quelque  trajet  de  teri-e 
jusqu'a  Vienne,  on  va  par  le  Danube  jusque  dans  la  mer  noire.  On  attend  aussi 
des  Armeniens  pour  le  negoce  de  Koenigsberg,  juscju"en  Perse. 

iNIons.  le  grand  chambellan  m'a  temoigne,  combien  le  roi  est  resolu  de  faire 
ce  qui  depend  de  lui  pour  la  cause  commune,    et  le  comte  de  Wartenbourg  [sie] 


^    Siehe  Klopp,   8.  Bd.   S.agif. 

-  Der  Gesandte  Lubitsuezki  erhielt  im  Januar  wirklich  solche  Aufträge,  s.  die 
Schreiben  von  Leibxiz  an  den  Hofprediger  vom  26.  Januar  1702  (KAPpens  Samm- 
lung S.318)  und  an  die  Königin  vom  15.  Januar  (Klopp,  10. Bd.  S.  132).  Li  letzterem 
spricht  Leibniz  sogar  von  "Al.Lubiniezki  envoye  de  la  societe  vers  leTzar".  übrigens 
war  er  am  13.  Mai  noch  nicht  al)gereist.  »Er  hat  sich  in  der  Astronomie,  soviel 
ihm  zu  seinem  Zweck  nöthig,  genugsam  perfectioniret  und  wartet  nur  noch  einiger 
Instrumente,  nacli  deren  Erhaltung  er  fertig  sein  wird,  seine  Reise  anzutreten.  Die 
Cliartam  magneticam,  im  Fall  er  es  vergessen  sollte,  abzufordern  wird  man  schon 
eingedenk  sein«  (Secr. -Leibn.  Xr.  24).  Auch  am  2  7.1\rai  "übte  er  sich  noch  in  der 
Astronomie"   (a.  a.  O.  Xr.  25). 

Geschichte  der  Akademie.    I.  9 


130  Geschichte  der  Societiil  von   1700  —  1711. 

Iiii  -  iiieiiK;    considerc  coinme    an    i^raiid  honlKMir    la   })rc'.sentc   imion   des    inaisoiis  de 
Brandebourg  et  de  Brunsvic,  qu'U  travaillera  toujours  d'entretenir^" 

»Par  la  vötre«  —  erwidert  die  Kurfürstin  am  29.  Oetober"  — 
i>d'Oranienbourg  je  vois  qiie  vous  avez  le  plaisir  de  voir  executer 
vos  belles  idees.  J'espere  que  nous  verrons  bientöt  un  livre  des 
missions  qiii  se  doivent  faire,  et  que  j'aurai  au  moins  le  plaisir 
de  le  lire.« 

In  den  Briefen,  die  er  in  diesen  Monaten  —  sobald  er  vorüber- 
gehend wieder  in  Hannover  war  —  der  Königin  geschrieben,  findet 
er  Zeit,  sich  witzig  mit  einem  Goldmacher  zu  beschäftigen,  der  da- 
mals Berlin  unsicher  machte,  und  zugleich  der  Societät  zu  gedenken. 
»Bei  mir  vermehrt  sich  nicht  das  Gold,   sondern   die  Jahre«: 

"pour  V.  M.  c'est  une  autre  affaire.  Son  age  et  sa  bourse  lui  doiiaent  le 
moyen  d'attendre  et  de  parvenir.  Amsi  je  lui  conseille  tres  humblement  de  prac- 
tiqiier  quelque  laboratoire  dans  son  batiment  de  Luzenbourg,  et  d'y  loger  quelqne 
hal)ile  chimiste  ä  qui  j'irai  souvent  rendre  visite  au  soi-tir  de  la  Bibliotheque  que 
V.  M.  y  va  dresser,  passant  par  le  cabinet  des  raretes  naturelles,  qui  sera  entre 
deux  ....  11  est  vi*ai  que  l'or  nous  fournirait  bien  d'autres  choses.  Mais  V.  JNI. 
n"en  a-t-elle  pas  plus  que  tous  les  chimistes  ne  nous  feront?  Ainsi  Luzenbourg 
peut  devenir  Heliosophopolis  sans  la  pierre«^. 

Seine  Abreise  aus  Berlin  verzögerte  sich  einer  Unpässlichkeit 
wegen.  Als  er  es  endlich  verliess,  hatte  er  nichts  fiir  die  Societät 
erreicht,  kaum  Versprechungen*.  Schmerzlich  war  es  ihm  auch, 
dass  seine  in  den  Denkschriften  niedergelegte  ausserordentliche  Arbeit 
für  die  Societät  und  seine  Bemühung  in  Irenicis,  die  ihm  manche 
Kosten  verursachte ,  vom  Könige  nicht  belohnt  wurde.    Auf  seine  Be- 


^  Dieser  Brief  war  zur  rechten  Zeit  geschrieben ;  denn  er  kreuzte  sich  mit 
einem  Schreiben  der  Kurfürstin  Sophie  vom  22.  Oetober  (a.a.O.  S.  293),  in  wel- 
chem diese  mit  der  Vielgeschäftigkeit  ihrer  Tochter  imd  Leibnizcus  nicht  zufrieden 
ist,  weil  ihr  misstrauischer  Sohn,  der  Kurfürst,  unwillig  geworden.  «Vous  avez 
trop  vastes  entreprises  pour  que  l'Electeur  puisse  etre  mal  satisfait  de  votre  voyage. 
Nous  en  avons.  fait  un  discours  de  table  ...  La  reine  fait  bien  mieux  de  parier 
de  son  batiment  que  des  intrigues  de  la  cour.  Je  vois  par  la  lettre  du  comte  ch^ 
Wartenberg  qu'il  croit  avoir  des  ennemis  qui  ont  en  dessein  de  lui  faire  un 
mechant  ragoüt  etc.«  Diese  Verstimmung  oder  richtiger  Sorge  hielt  aber  nicht  an. 
Bereits  am  21.  Nov.  1701  schreibt  sie  an  Leibniz  (a.a.O.  S.313):  »Mon  fils  l'Electeui' 
a  lu  avec  plaisir  ce  que  vous  me  mandez  de  la  bonne  dis})()sition  de  la  cour  de 
Brandebourg,  et,  je  crois.  souhaite  d'en  voir  les  effets«. 

2    A.a.O.  S.249f. 

^    Klopp,   10. Bd.  S.iii.  Brief  vom  i4.Dec.  1701. 

*  \'ün  Interesse  ist  das  Unternehmen  der  in  Königsberg  wohnenden  auswär- 
tigen Mitglieder  der  Societät,  in  ihrer  Stadt  eine  Art  Filiale  zu  gründen,  regel- 
mässig wöchentliche  Versammlungen  zu  halten,  eine  Druckerei  einzurichten  und 
so  die  Wirksamkeit  der  Societät  zu  erhöhen  (sie  wollten  auch  —  ohne  dem  Privileg 
der  Societät  zu  nahe  zu  treten  —  besondere  Kalender  für  Preussen  drucken).  Das 
Berliner  Concilium  nahm  diese  Absichten  freundlich  auf  und  befürwortete  auch  eine 


LEiBNizens  Kückkelir  von  Berlin    (Februar  17n2).  1dl 

merkung  an  den  vertrauten  Hofprediger  antwortete  dieser^:  «Es  ge- 
scliieht  wohl,  dass  ein  grosser  Herr  eine  Zeit  lang  etwas  schuldig 
bleibt;  zu  seiner  Zeit  aber  erfolgt  Capital  und  Zinsen  mit  einander«. 
An  Burnet  de  Kemney  schrieb  Leibniz  gleich  nach  seiner  Rückkehr 
aus  Berlin  etwas  resignirt",  die  Societät,  die  der  König  eingerichtet 
und  mit  deren  Sorge  er  ihn  betraut  habe,  könne  »mit  der  Zeit« 
etwas  nützlicher  werden;  »mais  on  ne  peut  avancer  que  lentement 
en  ces  matieres  dans  les  conjonctures  presentes,  ou  les  princes  sont 
obliges  de  tourner  leurs  princi2:)aux  soins  du  cote  de  la  guerre«. 


3. 

Der  Astronom  der  Societät  entdeckte  im  Frühjahr  1702  einen 
neuen  Kometen  —  der  gelehrten  Welt  wurde  das  freudig  mitge- 
theilt^  — ,  aber  der  Ausbau  des  Observatoriums  kam  nicht  zu  Stande. 
Wiederholt  schrieb  man  LEmxiz ,  es  werde  in  einigen  Monaten  be- 
ziehbar sein,  bereits  Averde  das  Innere  in  Angriif  genommen;  man 
verschob  die  »Einrichtung«  der  Societät  bis  zur  Einweihung  des 
Gebäudes;  noch  am  15.  April  1704  berichtete  der  Secretar,  »der 
Bau  gehe  immer  fort«  ;  aber  er  blieb  bei  allem  Fortschritt  so  un- 
fertig wie  die  Societät  selbst,  und  sein  Zustand  lähmte  diese  so 
sehr,  dass  die  regelmässigen  Sitzungen  aufhörten  —  man  nahm  sich 
vor,  sie  wieder  einzurichten,  wenn  man  das  eigene  Haus  bezogen 
habe.  Plötzlich  kam  die  niederschlagende  Kunde  von  einer  grossen 
Veränderung  im  Kammerwesen,   durch  die   alle  königlichen  Bauten 


Eingabe  der  Königsberger  beim  König,  in  der  sie  ein  Gemach  im  Schloss  für  ihre 
Zusammenkünfte  wünschten;  »zur  Zeit,  wenn  der  Hof  anwesend,  wiirden  sie  das 
Gemach  jedesmal  räumen«  (15.  Februar  1702).  Die  Bitte  wurde  nicht  bewilligt 
(s.  Briefe  vom  21.  April  und  5.  August  1702),  und  der  Plan  scheint  dann  überhaupt 
nicht  durchgeführt  worden  zu  sein  (Acten  im  Geheimen  Staats-  und  im  Akademisclien 
Archiv  » Fundation").  Doch  kamen  die  Königsberger  im  October  1703  noch  einmal 
auf  ihn  zurück;  sie  wollten  nun  in  der  Bibliothek  zusammenkommen  (Akademisches 
Archiv). 

^  Brief  A'om  25.  Januar  1702  (Hannoversche  Bibliothek).  LEiDxizens  Brief 
vom  26.  Januar,  in  welchem  er  augenscheinlich  zum  zweiten  Mal  auf  die  Sache 
kommt,  steht  in  KAPPens  Sammlung  S.319,  Hier  will  er  speciell  für  die  Irenica 
honorirt  sein.  Dazu  ist  das  undatirte  Schreiben  in  Kappcus  Sammhmg  S.327  zu 
vergleichen:  «Weil  die  Sache,  soviel  mich  betrifft,  nicht  ohne  allerhand  Bedenklich- 
keit, so  würde  nöthig  sein,  micli  durch  ein  zulängliches  Fixum  (ausser  der  Cassa 
Societatis)  in  solchen  Stand  zu  setzen,  dass  ich  der  Sache  mit  völligem  Nachdruck 
insistiren  und  besser  abwarten  könne«. 

^    Klopp,  8. Bd.  S.340  (vom  27.  Februar  1702). 

^    Secr.-LEinx.  Nr.  22.23  ^'om  25.  und  29.  April  1702. 

9* 


132  Geschichte  der  Societät  von  1  700-1  TH. 

sistirt  wiirdon  (Mai  I704)\  Die  finanzielle  Lage  war  in  der  Tliat 
(lureli  den  Aufwand  des  Hofes  und  die  schlechte  Verwaltung  so  be- 
denklich geworden,  dass  die  neue  Amtskammer  nur  noch  das  Noth- 
wendigste  weiterführte  und  die  Gebäude  halb  fertig  stehen  Hess, 
Zwar  machte  die  Societät  sofort  eine  Eingabe  beim  Oberkammer- 
lierrn  (Juni  1704);  aber  trotz  einer  königlichen  Anweisung  an  die 
Kammer  geschah  nichts".  Diese  verweigerte  den  Bau  «unter  aller- 
hand nichtigen  Vorwänden«,  So  blieb  nur  die  Hoffnung,  dass  Leib- 
Nizens  Autorität,  persönlich  geltend  gemacht.  Hülfe  bringen"  oder 
dass  der  Gönner  der  Societät,  Hr.  von  Tettau,  sein  Versprechen 
halten  und  eine  neue  königliche  Ordre  bewirken  werde ^.  Man  l)e- 
fand  sich  also  nach  Verlauf  von  vier  Jahren  auf  dem  alten  Fleck: 
wohl  ragte  das  stattliche  Thurmgebäude  in  die  Lüfte,  aber  kaum 
im  Rohbau  war  es  fertig.  — 

Im  Februar  1702  war  Leibniz  nach  Hannover  zurückgekehrt; 
bereits  im  März  wollte  ihn  die  Königin,  die  ihn  als  ihren  Beamten 
betrachtete,  wieder  in  Berlin  sehen •\  Im  Mai  ging  er  dorthin,  der 
wissenschaftliche  Austausch  mit  der  Königin,  an  dem  auch  Toland 
Theil  nahm"^  und  der  die  höchsten  Fragen  umfasste,  überragte  jetzt 
den  politischen^.     Nach  zwei  Monaten  verliess  er  Berlin,   kehrte  aV)er 


^  Berichte  über  den  guten  Fortgang  des  Baues  a.  a.  O.  Nr.  24  (13. Mai  1702), 
Nr.  26  (4.  August  1703),  Nr.  29  (i.März  1704),  Nr.  30  (15.  April  1704),  s.  auch  des 
Hofpredigers  Brief  an  Leibniz  vom  i.  Dec einher  1703  (IvAPpens  Sammkmg  S.334). 
Einschlafen  der  Zusammenkünfte  und  Verschiebung  der  Einrichtung  regelmässiger 
Conventebis  zur  Fertigstellung  des  Baues  Nr.  24  (vei'gl.  Nr.  32  vom  17.  Juni  1704:  «Vier 
Wochen  lang  ist  keine  Zusammenkunft  gewesen").  »Grosse  im  Kammerwesen  vor- 
gegangene Veränderung"   in  Nr.  31  vom  10.  ]Mai  1704. 

^    Secr.-LEiBN.  Nr.  32. 

^    A.a.O.  Nr. 33  vom   2.  August  1704. 

*    A.  a.  0.  Nr.  34  vom  4.  April  1705. 

"    Siehe  Klopp,  Werke,    10.  Bd.  8.  136  ff. 

^  Die  Auseinandersetzung  mit  ihm  erfüllte  die  Gedanken  LEiBNizens  und  der 
Königin  bis  zum  Ende  des  Jahres;  auch  die  Kurfürstin -JMutter  nahm  an  dieser 
geistigen  Bewegung  Theil.  Näheres  bei  Guhrauer,  G.  W.  Frhr.  von  Leibnitz  2.  Bd. 
S.  224  ff. 

'  A.  a.  O.  S.  145  —  194  und  8. Bd.  8.352ff.,  363ff.  Auch  glänzende  Feste  fehlten 
niclit;  s.  10. Bd.  S.  188  ff.  und  LEiBNizens  Brief  an  Krebs  vom  6.  Juni  (Bodemann, 
Briefwechsel  S.  122):  »Ich  befinde  mich  anjezo  allliier  mit  der  Churfürstin  Durch- 
laucht in  der  Königin  von  Preussen  Lusthaus.  Da  passiret  man  die  Zeit  nur  all- 
zuwohl;  denn  sie  fleugt  gar  sclinell  dahin,  also  dass  es  scheinet,  die  allzu  grosse 
Becpiemlichkeit  sei  nicht  gut,  indem  sie  mnchet.  dass  die  Menschen  ihr  Leben  mit 
ihrer  Zeit  gleichsam  ohnvermerkt  verlieren  und  es  nicht  genugsam  brauchen  noch 
empfinden".  Vergl.  auch  den  schalkhaften  Einladungsbrief,  den  Frl.  von  Pöllnitz 
am  8.  April  im  Auftrag  der  Königin  an  Leibniz  gerichtet  hatte:  ».  .  .  S.  M.  la  reine 
vous  invite  de  venir  ä  Luzembourg  et  vous  ea  fait  instamment  prier,  vous  ne  jiourriez 


Die  Societät  in  den  Jahren  1702—1704.    Das  ^Monopol  auf  Seide.         13^) 

im  September  abermals  dorthin  zurück  und  blieb  nun  mindestens 
bis  zum  8.  Mai  I703\  Da  er  sich  überzeugt  hatte,  dass  die  bisher 
von  ilim  für  die  Societät  vorgeschlagenen  Privilegien  keine  Hoffnung 
gewährten"',  so  fasste  er  nun  einen  neuen  Plan ,  den  er  sofort  mit 
allem  Nachdruck  betrieb.  Er  hatte  sich  schon  seit  lo  Jahren  für 
den  Seidenbau  interessirt^;  nun  wollte  er  ihn  in  Preussen  ein- 
führen und  der  Societät  das  Monopol  erwirken.  Keine  andere  An- 
gelegenheit der  Societät  hat  er  in  den  folgenden  Jahren  mit  solchem 
Eifer  und  solcher  Zähigkeit  betrieben  wie  diese.  Er  klammerte  sich 
an  sie,  weil  er  in  ihr  die  letzte  Hoffnung  sah,  der  Societät  eine 
breitere  Grundlage  zu  geben  und  sie  für  grössere  Unternehmungen  aus- 
zustatten. Die  Zahl  der  Entwürfe  für  das  Seidenwerk  von  seiner  Hand 
(in  der  Bil)liothek  zu  Hannover,  in  den  Societätsacten  fol.  149  — 179. 
112  — 125  und  sonst)  ist  ausserordentlich  gross  und  ebenso  die  Zahl 
der  Briefe,  die  er  in  dieser  Sache  geschrieben  hat.  Da  er  bei  sei- 
nen früheren  Vorschlägen  nicht  die  nöthige  Unterstützung  gefunden 
hatte,  so  beschloss  er  diesmal,  die  Autorität  der  Königin  anzurufen: 
sie  sollte  die  Protection  des  Seidenbaus  übernehmen  und  den  König 
bestimmen,   seine   Gunst  diesem  Werk   zuzuwenden. 

Die  erste  Nachricht  besitzen  wir  in  einem  undatirten,  aber  spä- 
testens dem  December  1702  angehörenden  Briefe  von  Leibniz  an  die 
Königin*: 

"Conformement  aux  ordres  de  V.  M.,  j'ai  parle  hier  ä  ]M.  le  grand  chambellan. 
touchant  la  concession  de  la  culture  de  la  soie.  II  m'a  demande  un  papier  pour 
sc  mieux  souvenir  des  circonstances,  et  je  lui  ai  donne  celui-lä  meine  que  j'ai  lu 
ä  V.  INI.,  oü  la  chose  etait  expliquee  en  peii  de  mots.  Je  laisse  juger,  si  V.  31. 
voudra  faire  appeler  Elle-meme  M.  le  grand  chambellan  chez  Elle  expres,  pour 
lui  en  parier;  mais  surtout  il  sera  bon  qu'ElIe  parle  au  plus  tot  a  M.  le  grand  veneuj-. 


ä  la  verite  mieux  faire  (jue  de  venir  presentement.  C'ar  nous  sommes  conune  le 
j^roverbe  allemand  dit:  Wenn  die  Katze  niclit  zu  Haus  ist,  danzen  die  Meuse  auf 
den  Bänken«,   u.  s.  w. 

^  Siehe  Klopp,  10.  Bd.  8.3840'.  Nach  dem  Diarium  Jablonski's  präsidirte  er 
den  Sitzungen  der  Societät  am  16.  Juni  und  24.  November  1702.  Die  Abreise  hat 
sicli   zuletzt  durch  eine  Krankheit  verzögert. 

^  Nur  das  Kalenderprivileg  war,  um  den  fortgesetzten  Nachdrucken  zu  be- 
gegnen, am  24.  August  1702  vom  Könige  wiederholt  und  eingeschärft  worden.  Aber 
die  Nachdrucke  nahmen  nicht  ab,  s.  die  Eingabe  der  Societät  an  den  König  vom 
2.  Mai  1704  (Geh.  Staatsarchiv).  Das  Lotterie- Project  wurde  im  Mai  1702  noch 
einmal  in  Berlin  berathen  (s.  Secr.-LEiBN.  25),  Hess  sich  aber  nicht  durchsetzen. 

^    Siehe  Klopp,  Werke,  6.  Bd.  S.  227ff. :  -Bedenken  über  Seidenziehung«  (1692). 

*  Siehe  Klopp,  Werke,  10. Bd.  S.  194.  Aber  wahrscheinlich  hat  Leibniz  schon 
im  September  den  Plan  aus  Hannover  mitgebracht,  s.  seine  Versicherung  an  Cu- 
NEAu  (Brief  vom  19.  September  1702;  Hannoversche  Bibliothek),  er  habe  den  höch- 
sten Eifer    .[lour  tout  ce  <[ui  regarde  la  gloire  de  S.  31.« 


134  Gescliichte  der  Societät  von  1700-1711. 

afin  qii'il  favorise  Faffaire.  JMais  il  sera  bon  surtout  que  V.  M.  continue  d'en  parier 
au  roi.  L'affaire  est  plus  importante  qu'elle  ne  semble.  Je  rends  compte  de  Taffaire 
par  ee  billet,  n'etant  pas  en  etat  de  le  faire  aujourd'hui  de  vive  voix'.« 

Die  Königin  übernahm  die  Protection  und  stellte  am  8.  Ja- 
nuar 1703  Leibniz  eine  förmliche  Vollmacht  aus,  »von  Unseretwegen 
und  zum  Besten  der  Societät,  die  Einführung  der  Seidenziehung  in 
diesen  Landen  gehörigen  Orts  zu  suchen  und,  so  viel  an  ihm,  zu 
Richtigkeit  zu  bringen""«.  Der  König  zeigte  sich  in  einer  Leibniz 
gewährten  Audienz  der  Sache  günstig,  und  dieser  stellte  nun  auf 
Grund  eines  ausführlichen  Pro  Memoria's  den  Antrag,  dass  mit  der 
Vorberathung  die  beiden  Minister  von  Fuchs  und  von  Ilgen  betraut 
würden^.  In  mehreren  »Schreiben*  suchte  er  selbst  die  Minister  und 
höheren  Beamten  für  die  Sache  zu  interessiren.  Nach  seinem  Vor- 
schlag sollte  der  König  neun  Punkte  gewähren: 

1.  Ein  Privilegium  perpetuuni  an  die  Societät,  dass  sie  allein  in  dem  ganzen 
Königreiche  Rohseide  herstellen  dürfe. 

2.  Die  Überweisung  der  Königlichen  Maulbeei'gärten  zu  Cöpenick,  Potsdam, 
Glinike,  Bornim  u.  s.  w.  an  die  Societät  (gegen  einen  Grundzins). 

3.  Die  Anweisung  geeigneter  Plätze  in  allen  Provinzen  zur  Anlage  von  IMaul- 
beer- Baumschulen  und  die  Unterstützung  der  Einrichtung  durch  Frohn- 
dienste  und  Zaunholz -Lieferung. 

4.  Die  Anlage  von  jNIaulbeer- Alleen  zur  Nutzung  der  Societät. 

5.  Das  Vei'bot.  dass  irgend  Jemand  INIaulbeerbäume  ohne  Bewilligung  der 
Societät  pflanze. 

6.  Die  Einräumung  von  Gebäuden  zur  Zucht  der  Seidenraupen. 

7.  Das  Recht  zur  Verarbeitung  der  Seide  (dabei  soll  sich  die  Societät  der 
Leute  bedienen,  welche  bereits  mit  dergleichen  in  des  Königs  Landen  ihre 
Nahrung  treiben,  wenn  sie  sicli  billig  und  bequem  erzeigen). 

8.  Die  Bestimmimg,  dass  Jeder,  der  der  Societät  Verbesserungen  für  den 
Seidenbau  vorschlägt,  für  sich  und  seine  Erben  den  10.  Theil  des  Über- 
schusses geniessen  solle. 

9.  Einen  Vorschuss  zur  Eini-ichtung  des  Werks. 

Alles  schien  im  besten  Gang  zu  sein,  als  plötzlich  der  Rath 
Hamrath  (5.  Februar  1703)  Leibniz  im  Auftrag  des  Königs  mittheilte, 
die   Jahreszeit   sei   bereits    zu   weit   vorgeschritten ,    um    für    diesen 


^  Vergl.  den  Brief  an  die  Königin  vom  30.  December  1702  (Klopp.  10.  Bd. 
vS.  196):  "Mais  si  je  Tose  dire,  V.M.  me  rejouira  infiniment  davantage,  si  Elle  me 
fait  apjn-endre  le  progres  qu'Elle  aura  fait  ou  fera  en  matiere  de  la  culture  de  la 
soie.  Cela  est  si  beau  et  si  important,  et  V.M.  en  tirera  tant  de  satisfaction ,  si 
I^lle  veut  bien  y  donner  un  peu  d'application  presentement,  qu"en  qualite  de  ser- 
viteur  zele  je  dois  Ten  su])plier.  Et  tout  ce  ([ue  V.  ]M.  pourra  faire  poiu-  en  tirer 
au  plus  tot  la  parole  du  roi  en  gencral .  au  moiiis  (|u"il  en  donne  la  concession  a 
V.  M.,  sera  le  mieux  du  niondc". 

^    Siehe  L'^rkundenband  Nr.  68,  A  und  B. 

^    Siehe  LTrkundenl)and  Nr.  69  und  70. 

*    Klopp.  AVei'ke.  10.  Bd.  S.  379  ff. 


Das  Monopol  auf  Seide.     ]\Iissgunst  gegen  Leibxiz  (Frühjahr  170;|).       135 

Sommer  das  Werk  einzurichten ;  es  sei  auf  das  nächste  Jahr  zu  ver- 
schieben; wenn  die  Betreibung  der  Seidensache  der  einzige  Grund 
seines  Aufenthalts  in  Berlin  sei,  so  stünde  seiner  Abreise  nichts  im 
Wege\ 

Man  war  am  Hofe  augenscheinlich  misstrauisch  gegen  ihn  ge- 
worden und  suchte  ihn  zu  entfernen".  Bereits  trat  das  ein,  was 
zu  befürchten  war  und  was  Leibniz  selbst  in  einem  Brief  an  die 
Königin  vom  S.Mai  1703  aussprach  —  er  gerieth  zwischen  zwei 
Stühle : 

"Je  n'espere  pas  que  le  roi  sera  prevenu  contre  moi,  parce  que  je  suis 
d  "Ha  no  vre,  et  que  la  societe  royale  en  souffrira.  En  ce  cas  je  serais  doublement  mal- 
heureux,  ayant  ete  soupc^onne  a  Hanovre  d"un  trop  grand  attachement 
pour  Berlin.  iNIais  je  vais  au  bien  general  qui  est  le  vrai  interet  des  deux  cours. 
y.  31.  nie  peut  rendre  bon  temoignage  de  Fun  et  de  l'autre  cote.« 

Diesen  Brief  schrieb  er  von  Berlin  aus  an  die  in  Hannover 
weilende  Königin;  er  hatte  sie  nicht  dorthin  begleiten  können,  ob- 
gleich man  ihm  den  Wink  gegeben  hatte;  denn  er  war  leidend,  und 
er  wollte  das  Schlachtfeld  nicht  verlassen,  ohne  das  Seidenprivileg 
erobert  zu  haben.  An  diesem  lag  ihm  jetzt  Alles;  denn  er  sah 
die  Societät  und  mit  ihm  das  Ansehen  des  Königs,  der  sie  gestiftet, 
dahin  fallen,  wenn  es  nicht  bewilligt  wurde.  »So  legte  er  jenem 
Brief  ein  ostensibles,  für  den  König  bestimmtes  Schreiben  bei,  in 
dem  er  noch  einmal  die  kritische  Lage  der  Societät  auseinander- 
setzte und  in  den  dringendsten  Worten  die  Einführung  des  Privi- 
legs, das  ja  so  gut  wie  nichts  koste,  erbat^.  Mit  Recht  durfte  er 
sagen,  dass  ihn  die  reinsten  Absichten  beseelen  und  dass  er  nur 
die  Wissenschaft  und  den  Ruhm  des  Königs  im  Auge  habe^.  Allein 
dass  er  nebenher  auch  politische  Geschäfte  geführt  hatte,  war  un- 
leugbar, und  dass  man  sie  in  Berlin  unter  einem  anderen  Gesichts- 
punkt betrachtete  als  unter  dem  »des  Wirkens  für  das  allgemeine 
Wohl«,   ist  nicht  verwunderlich. 


'    Siehe  den  Brief  bei  Klopp,  10.  Bd.  S.383f. 

-  Hr.  VON  Ilgen  kann  nicht  zu  seinen  Gegnern  gehört  haben;  er  hat  ihn  noch 
kurz  vorher  zu  einem  Gutachten  in  der  Neufchäteler  Sache  aufgefordert  (ein  un- 
datirter  Brief  Ilgen's  und  die  Antwort  LEiuNizens  vom  20.  Januar  1703  in  der 
Hannoverschen  Bibliothek;  über  Leibnizcus  Gutachten  s.  GuHRArER,  G.  W.  Frhr. 
VON  LEiBNrrz,   2.  Bd.  vS.  2  2of.,  s.  u.  Anhang  S.  2if.). 

^    Beide,  von  demselben  Tage  stammenden  Briefe  im  Urkundenband  Nr. 71.  72. 

*  Kurz  vorher  hatte  er  an  Wartenberg  geschrieben  (Klopp,  10.  Bd.  S.379  f.): 
A\  E.,  qui  ne  peut  manquer  de  connaitre  la  sincerite  de  mes  intentions,  n'ignore 
pas  que  je  ne  me  sacrifie  que  trop  j^our  le  bien  public,  et  surtout  pour  l'avance- 
nient  des  sciences,  dont,    excepte    quelcpie   reputation  et  applaudissement   des  plus 


1H6  Geschichte  der  Societät  von  1701»— 1711. 

Von  Hannover  aus  liat  Leibniz  die  Erlangung  des  Privilegs 
w(nter  betrieben  und  sich  keineswegs  durch  den  ersten  Misserfolg 
abschrecken  lassen  —  Cuneau  übernahm  es,  in  Berlin  für  dasselbe 
thätig  zu  sein'  — ;  allein  seine  Freudigkeit  zur  Sache  hatte  doch 
einen  gewaltigen  Stoss  erlitten.  Die  neue  Spannung,  die  zwischen 
Hannover  und  Preussen  eintrat,   stimmte  ihn  traurig  und  unmuthig"; 


gi-ands  hommes  de  l'Eui-ope,  je  n'ai  retire  que  du  dt'sa\aiitage  dans  ines  affaires 
])articulieres;  neanaioins  je  ne  m"en  repens  point,  et  je  m'arrete  encore  ici.  avec 
inou  incommodite,  pour  cette  seule  raison  de  venir  a  tiuelque  reglement  necessaire 
et  preliminaire«.  AhnHch  in  dem  Brief  S.  381  ff.  und  in  dem  Schreiben  an  Ilc4en 
(Hannoversche  Bibliothek)  vom  3.  Januar  1703:  »Si  je  suis  reserve  dans  mes 
propres  interets,  je  ne  le  suis  point  de  meme  dans  ceux  de  la  Societe  Roj^ale 
des  Sciences«;  denn  hier  handelt  es  sich  um  den  Ruhm  des  Königs  und  das  all- 
gemeine Wohl. 

'  Siehe  Secr. -Leibniz  Nr.  27  und  28  (i  i.  September  und  6.Novenil)ei' 1703). 
Auch  der  Hof23rediger  zeigte  anfangs  Interesse  für  die  Sache,  .s.  seinen  Brief  vom 
i.December  1703  (KAPpens  Sammlung  S.334),  in  welchem  er  auf  die  vertriebenen 
Oranger  als  auf  Leute  verweist,  die  mit  dem  Seidenbau  mnzugehen  wüssten,  und 
dazu  den  Brief  LEiBKizens  an  ihn  vom  Januar  1704  (a.  a.  0.  S.404  f.).  —  Ein  ge- 
wisser Anfang  wurde  zur  Probe  schon  im  Jahre  1703  gemacht,  s.  Urkundenba iid 
Nr.  76  Punkt  5.  Leibniz  Hess  sich  für  Sachsen  ein  Privilegium  geben  und  fing  sell)st 
in  Hannover  an.  Seide  zu  bauen  (in  der  Hannov.  Bibliothek  Fase.  »Societät"  ist 
eine  Quittung  von  ilmi  iiber  den  Empfang  von  zehn  Pfund  Maulbeerbaum -Samen 
vom  14.  Januar  1703,  s.  dazu  ebendort  die  Briefe  vom  14.  Januar  und  23.  März  1703: 
Anstellung  des  Meisters  Otto  in  Berlin  für  die  Seidensache),  aber  er  hatte  mehr 
Schaden  als  Nutzen  davon,  da  er  nicht  Zeit  gewann,  selbst  für  die  Sache  genügend 
zu  sorgen.  Er  liess  sie  aber  nicht  liegen,  sondern  betrieb  sie  bis  an's  Ende.  »Wie 
denn  dies  sein  Naturell  war,  in  schweren  Sachen  niemals  nachzulassen,  sondern 
alles  aufs  äusserste  zu  treiben«   (Bericht  von  Eckhardt). 

^  Sehr  charakteristisch  und  lehrreich  sind  die  Worte,  die  er  am  7.  December 
1703  (BoDEMANN ,  Briefwechsel  S.380)  an  Wassenaer  über  den  Berliner  Hof  imd 
sein  Verhältniss  zu  dem  von  Hannover  geschrieben  hat;  sie  zeigen  zugleich  die 
Reinheit  seiner  Absichten:  ...  Je  vois  que  presque  par  tout  l'Einpire  ceux,  (|ui 
ont  le  meme  but,  ne  s'entendent  gueres  et  par  consequent  ne  s'entr'aident  point 
coinine  ils  pourraient,  s'il  y  avait  de  la  cordialite  et  si  on  ne  melait  pas  de  petits 
interets  particuliers  qui  s'opposent  au  grand  interet  commun.  Je  vois  meine  que 
bien  souvent  ce  n'est  pas  meme  Tinteret  qui  brouille  les  gens  et  que  c'est  plutut 
quelque  piquanterie  011  passion:  telles  me  paraissent  les  differences  entre  la  cour  de 
Brandebourg  et  la  maison  de  Luneboui-g.  J'ai  oui  dire  iin  jour  au  feu  Electeur 
(jue.  lors(|ue  son  aine  Christian  Louis  vivait  encore.  ils  avaient  20  controverses 
pour  le  moins  avec  Hesse- Cassel  au  sujet  des  limites  et  autres  affaires  qu'il  y  a 
souvent  entre  voisins,  et  cependant  les  princes  etaient  bons  amis.  II  laut  faire 
terminer  ces  sortes  d"affaires  par  des  voies  amiables  ou  de  la  justice  et  surtout 
s'abstenir  des  voies  de  fait,  et  ne  point  faire  entrer  ces  controverses  en  ligne  de 
compte,  quand  il  s'agit  des  affaires  importantes  et  generales  qui  regardent  la  patrie. 
Je  Tai  assez  preche  ä  Berlin,  »sed  non  omnes  capiunt  verbum  hoc«.  La  cour  de 
Berlin  jjrend  feu  sur  la  moindre  chose,  qui  merite  h  peine  qu'on  en  prenne  con- 
naissance  .... 


LEiBxizens  Versuche,  in  Dresden  eine  Akademie  zu  begründen.  18/ 

er  sah  sich  in  Berlin  beargwöhnt,   und  das  konnte  auch  nicht  oline 
Folgen  für  sein  Verhältniss  zur  Societät  bleibend 

Unter  solchen  Umständen  wandte  sich  der  unermüdliche  Mann, 
ohne  seine  Beziehungen  zu  Berlin  aufzugeben,  Dresden  zu  und 
suchte  dort  eine  Societät  der  Wissenschaften  zu  begründen,  die  mit 
der  Berliner  correspondiren  sollte.  Von  Anfang  an  war  ja  sein 
Absehen  nicht  auf  eine  Avissenscliaftliche  Anstalt  gerichtet,  son- 
dern auf  die  Schöpfung  eines  ganzen  Systems  von  Akademieen. 
Mit  dem  sächsischen  General  Grafen  von  Flemming  und  dem  Pater 
Vota  betrieb  er  den  Plan,  dessen  er  zuerst  in  einem  Briefe  an  den 
letzteren  vom  3.  September  1703  Erwähnung  thut.  Im  Januar  1704 
war  er  persönlich  in  Dresden,  wusste  auch  Patkul  zu  interessiren 
und  setzte  sich  mit  dem  berühmten  Leipziger  Gelehrten  von  Tsciiirn- 
HAUSEN,  der  bereits  eine  mathematisch -physikalische  Akademie  in 
Leipzig  plante,  in  Verbindung.  Die  Erfahrungen,  die  er  in  Berlin 
gemacht  hatte,  sollten  dem  Dresdener  Unternehmen  zu  Gute  kommen. 
Diesmal  dachte  er  an  eine  Tabaksteuer  zu  Gunsten  der  Societät. 
Die  praktisch -realistische  Tendenz  tritt  in  dem  Dresdener  Plan  noch 
stärker  hervor  als  in  dem  Berliner;  auch  sollte  ein  statistisches 
Bureau  mit  der  Anstalt  verbunden  sein,  ein  »Intelligenzamt«;  auf 
die  Leitung  des  Jugendunterrichts  war  ein  besonderes  Gewicht  ge- 
legt; alle  neuen  Erfindungen  sollte  die  Societät  zu  prüfen  haben 
u.  s.  w.  Während  des  Jahres  1 704  hat  Leibniz  dies  Unternehmen 
betrieben ,  das  als  ein  allgemein  sächsisches  —  auch  für  die  herzog- 
lichen Linien  —  gedacht  w^ar.  Finde  i  704  war  er  zum  zweiten  Mal 
in  Dresden,  und  im  W^inter  1 704/5  hatten  Tsciurnhausen  und  er 
die  Sache  so  weit  gefördert,  dass  Alles  fertig,  ja  mundirt  w^ar, 
und  nur  die  Unterschrift  des  Königs  fehlte.  Der  verhängnissvolle 
Krieg  durchkreuzte  den  Plan,  und  er  wurde  nicht  wieder  aufge- 
nommen". 


^  Ob  die  Thatsache,  dass  man  seit  dem  Herbst  1703  begann,  Auswärtige  in 
die  Societät  aufzunehmen  und  Leibxiz  nicht  vorher  davon  in  Kenntniss  zu  setzen 
(s.  Secr.- Leibniz  Nr.  27.28),  aus  einer  beginnenden  "Kaltsinnigkeit»  zu  erklären 
ist,  steht  dahin.  —  Der  wissenschaftliche  Briefwechsel  mit  La  Croze  begann  im 
Frühjahr  1704;  Leibniz  hat  ihn  angefangen.  Mit  dem  Astronomen  Kirch  war  Leib- 
niz in  Berlin  in  engen  wissenschaftlichen  Verkehr  getreten  und  hatte  ihn  mit  be- 
sonderen astronomischen  Aufgaben  betraut.  Ein  reger  Briefwechsel  entwickelte  sich, 
s.  die  Briefe  vom  5.  und  13.  August,  20,  October,  27.  November  und  4.  December 
1703  (im  Joachimsthalschen  Gymnasium)  und  vom  24.  Juni  und  13.  August  1704  in 
Hannover,  u.  s.  w. 

^  Vergl.  die  erschöpfende  Darstellung  von  Bodemann  im  Neuen  Archiv  für 
Sachs.  Gesch.    4.  Bd.    1883    S.  177  — 214:    Leibniz"    Plan    einer    Societät    der  Wissen- 


138  Geschichte  der  Societät  von   1700-1711. 

In  dieser  Zeit  der  Spannung  zwischen  Leibniz  und  dem  Ber- 
liner Hofe  war  die  Societät  thatenlos.  Von  der  Anstellung  des 
berühmten  Gundelsheim(er),  der  mit  Tournefort  eine  Reise  in  den 
Orient  gemacht  hatte,  als  Leibarzt  des  Königs  erwartete  sie,  «es 
werde  durch  dessen  Reception  der  Societät  ein  sonderbarer  Nutz 
und  Ansehen  zuwachsen'«.  Sie  tävischte  sich  grausam;  Gundels- 
UEIM  wollte  nicht  aufgenommen  sein,  verachtete  die  Societät  und 
wurde  ihr  schlimmster  Feind.  Kurz  bevor  die  Arbeiten  am  Ob- 
servatorium eingestellt  wurden,  hatte  die  Societät  endlich  das  Con- 
cej^t  eines  ausführlichen  Statuts  zu  Stande  gebracht.  Sie  legte  es 
Leibniz  zur  Begutachtung  vor".  Diese  Angelegenheit  sollte  sechs 
Jahre  später  verhängnissvoll  werden.      Der  Plan,   Acta  eruditorum 


Schäften  in  Sachsen.  Das  Actenstück,  welches  Formey  (Hist.  de  I'Acad.  Royale 
S.2iff.)  als  LEiBNizens  Vorschlag  für  die  Errichtung  einer  Societät  in  Berlin  ab- 
gedruckt hat,  ist  vielmehr  sein  Vorschlag  für  Dresden.  Es  ist  identisch  mit  dem 
Stück,  welches  BooEaiANN  (die  LEUtNiz- Handschriften  der  K.  öffentl.  Bibliothek  zu 
Hannover  1895  S.220  Bl.  75  — 78)  beschrieben  und  iirthümlich  ebenfalls  zu  "Berlin« 
und  nicht  zu  »Dresden"  gestellt  hat.  Das  Richtige  schon  bei  Guhrauer,  G.  W.v.  L. 
2.  Bd.  S.  203  f.  —  hn  Anfang  des  Jahres  1704  hat  Leibniz  auch  das  berühmte  po- 
litische Manifest  ausgearbeitet  zu  Gunsten  Carl's  Hl.  von  Spanien,  Avelches,  wie  so 
viele  seiner  politischen  Ai'beiten,  anonym  erschien,  aber  in  unserem  Jahrhundert  als 
sein  Eigenthum  erkannt  worden  ist:  »Manifeste  contenant  les  droits  de  Charles  HL, 
roi  d"Espagne,  et  les  justes  motifs  de  son  expedition,  public  en  Portugal  le  9  Mars 
1704".  Die  Schilderung  und  Kritik  der  Zustände  in  Fi^ankreicli  und  des  Verfalls 
des  religiösen  und  sittlichen  Geistes ,  sowie  die  einschneidende  Beurtheilung  der 
Politik  Ludwig"s  XIV.  sind  sehr  lehrreich.  Auch  an  eine  in  Wien  zu  gründende 
Akademie  hat  er  damals  gedacht  und  den  Schwager  des  Kaisers,  den  Kurfürsten 
von  der  Pfalz,  dafür  zu  interessiren  gesucht;  s.  Huber  ,  Gesch.  d.  Kais.  Akademie 
d.  Wissensch.  S.  5  f. 

'■    Siehe  Secr. -Leibn.  Nr.  28  vom  6.  November  1703. 

^  Siehe  Secr. -Leibn.  Nr.  29  (i.  März  1704)  und  den  Brief  des  Hofpredigers 
an  Leibniz  vom  5.  Alärz  1704  (Kaitcus  Sammlung  S.  416).  Das  Schreiben  des  Secre- 
tars  lautet:  »Demnach  das  vor  die  Societät  gewidmete  (Observatorium  nach  und  nach 
zu  brauchbarem  Stand  gelanget,  also  dass  in  Kurtzem  die  gehörige  Versammlungen 
darin  angetreten  und  fortgesetzt  werden  können,  so  hat  man  nötig  gefunden,  das 
ehemals  punktweise  entworfene  Project  eines  Regleinents  nach  denen  darüber  ge- 
haltenen Deliberationen  in  eine  Form  zu  bringen  und  zu  der  K.  Bestätigung  zu 
befördern,  hiemit  auch  um  so  weniger  säumen,  als  von  einer  baldigen  Reise  S.K.M. 
bei  Hofe  stark  gesprochen  zu  w^erden  beginnet.  Und  wenn  liiemit  allein  auf  Ew. 
Ex.  Wiederanherokunft,  zu  av elcher,  dass  sie  mit  dem  Gefolg  L  M.  unserer  Königin 
geschehen  werde,  uns  die  Hoffnung  gemachet  worden,  zugewartet  wurde,  solche 
aber  unvermuthet  weiter  hinaus  verschoben  worden,  so  habe  den  abgefassten  Ent- 
wurf sotanen  Reglements  anbefohlener  ]NLTssen  hiemit  übersenden  sollen,  zugleich 
im  Namen  derer  meml)roriiiii.  so  dazu  concurrirt,  dienstlich  bittend,  denselben 
hoch  geneigt  zu  durchsehen  und  nebst  denen  etwa  beyfallenden  ]Monitis  mit  näch- 
stem zuriickgehen  zu  lassen,  damit  die  Sache  zum  Bestand  zu  bringen  die  bequeme 
Zeit  nicht  entgehen  mÖ2;e". 


Leibniz  aufs  Neue  in  Berlin  (1704.  170.")).  139 

herauszugeben,  ruhte  auch.  Die  Auswärtigen  erkundigten  sich  be- 
reits ,  wann  sie  erscheinen  würden ,  ob  man  Beiträge  liefern  dürfe 
—  denn,  wie  der  Breslauer  Neu3iann  schrieb  —  »Es  ist  noch  immer 
viel  übrig  zu  sagen,  was  nicht  gesagt  ist  worden«  — ,  aber  es 
geschah   nichts;  man  konnte   sie   nur  vertröstend 

Allmählich  überwand  der  König  durch  Vermittlung  der  Kö- 
nigin das  Misstrauen  —  ihre  Correspondenz  mit  Leibniz  war  unter- 
dess  nicht  unterbrochen  worden"  — ,  und  nach  einem  Jahre  etwa 
konnte  Leibniz  wieder  versuchen,  direct  in  Berlin  zu  arbeiten  und 
das  Seidenprivileg  zu  erlangen.  In  einem  vertraulichen  und  an- 
muthigen  Schreiben  an  die  Königin  bittet  er  sie,  sich  auf's  Neue 
der  Sache  anzunehmen  und  sie  beim  Könige  durchzusetzen.  »V.M. 
sait  que  je  pretends  que  le  ver  a  soie  est  Fanimal  de  la  terre  le 
plus  fait  pour  les  philosophes  apres  Thomme,  avec  Tarbre  dont 
il  est  la  chenille,  c'est-a-dire  avec  le  inürier. «  Er  hofft  auch, 
die  Königin  werde  Theile  ihrer  Gärten  für  das  Werk  bestimmen. 
In  dem  Antwortschreiben  erwidert  diese,  dass  der  König  jetzt  der 
Unternehmung  sehr  günstig  gestimmt  sei^.  Ende  August*  traf  Leibniz 
auf  drei  Monate  wieder  in  Berlin  ein.  Sofort  fasste  er  alle  seine 
früheren  Vorschläge  wegen  Privilegien  in  einer  Eingabe  zusammen 
und  fügte  ihnen  die  erneute  Bitte  um  das  Seidenprivileg  bei.  Da 
er  sich  aber  nicht  verhehlen  konnte,  dass  im  günstigsten  Fall  alle 
diese  Monopole  erst  nach  Jahren  gewinnbringend  sein  würden, 
schliesst  er  mit  der  Bitte,  der  Societät  daneben  »eine  gewisse  Ein- 
nahme«   zu  geben "". 

Im  Januar  i  705  begab  sich  Leibniz  bereits  wieder  nach  Berlin. 
Die  Königin  hatte  ihren  Gemahl  endlich  bestimmt,  sich  ihm  dank- 
bar  zu    erweisen   und    ihm    die    grossen   Unkosten ,    die    er   gehabt, 


'  Siehe  die  Briefe  von  Neumann,  dem  Professor  StuRM  in  Frankfurt,  dem 
Hofprediger  und  von  Leibniz  an  Neumann  in  IvAPPens  Sammlung  S.323.  328.  420. 

-  Am  II.  Juli  1703  schrieb  sie  ihm  (Klopp,  10.  Bd.  S.  21  i  f.):  -Voici  un  long 
griffonnage.  monsieur,  mais  c'est  que  je  me  delasse  en  vous  parlant  des  fatigues 
Sans  plaisir  (|ue  j'ai  essuyees  a  Berlin,  oü  je  voudrais  etre  toujoui's  paralytique 
comme  le  Feldmarechal  Fleming,  quand  j'y  suis  au  depens  d'avoir  sa  patience  et 
sa  raison.  Ne  montrez  pas  ma  lettre,  je  vous  prie,  car  je  vous  ecris  comme  a  un 
ami  sans  reserve«.  Schon  im  September  1703  wünschte  sie  ihn  wieder  in  Berlin 
zu  sehen  und  Hess  ihm  einen  Fuhrzettel  zugehen  (a.  a.  0.  S.  218);  im  April  1704 
hoffte  sie  ihn  in  wenigen  Tagen  begrüssen  zu  können  (a.  a.  O.  S.  226). 

^  Briefe  vom  18.  Mai  und  7.  Juni  1704;  s.  Urkundenband  Nr.  73  — 75.  Das 
Stück  74  enthält  eine   «Instruction  pour  la  graine  des  müriers  blancs". 

*    Siehe  Secr. -Leibn.  Nr.  S3  (2.  August  1704)  und  Klopp,  Werke,  9. Bd.  S.  92  f. 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  76. 


140  Geschichte  der  Societät  von  1700 -1711. 

einigermaasseii  zu  ersetzen.  Der  König  Hess  ihn  auffordern,  eine  Über- 
sicht über  seine  Leistungen  und  seine  Ausgaben  im  Dienste  Preussens 
einzureiclien.  Leibniz  entsprach  der  Aufforderung  und  übergab  eine 
Darh'gung,  in  der  er  nachwies,  dass  er  mindestens  2000  Thlr.  zu- 
gesetzt habe  \  Daraufhin  wurden  ihm  1000  Tldr.  ausgezahlt.  Dank- 
bar meldete  er  das  der  Königin"'.  Zugleich  sann  sein  erfinderischer 
Geist  auf  neue  Privilegien,  da  das  Seidenmonopol  noch  immer  nicht 
bewilligt  wurde.  Er  arbeitete  den  umfangreichen  Entwurf  eines 
Privilegs  in  Betreff  des  Unterrichtswesens  für  die  Societät  aus  und, 
als  einen  besonderen  Theil,  ein  Privileg  der  Ephoria  generalis  der 
Societät  über  die  Stipendien,  dazu  einen  Plan,  wie  junge  reisende 
Gelehrte  in  den  grösseren  Städten  ebenso  passende  Arbeit  und  damit 
Unterhalt  finden  könnten,  wie  die  reisenden  Handwerksburschen ^ 
Jenen  Brief,  den  Leibniz  am  31.  Januar  1705  an  die  Königin 
gerichtet  hatte,  hat  sie  nicht  empfangen.  Sie  war  im  Januar,  wie 
gewöhnlich,  zum  Carneval  nach  Hannover  gereist  und  hatte  ge- 
wünscht, Leibniz  solle  sie  begleiten.  Aber  die  Sorge  für  die  So- 
cietät hielt  ihn  in  Berlin  zurück  (er  blieb  daselbst  bis  Anfang  März). 
Wenige  Tage  nach  der  Ankunft  in  der  alten  Heimath  erkrankte  die 
Königin  plötzlich  und  starb  schon  am  i.  Februar  1705  in  Herren- 
hausen.  Gefasst  und  muthig  sah  sie  dem  Tode  entgegen;  er  hatte 
für  sie  keine  Schrecken.  Unvergesslich  blieb  Allen,  die  an  ihrem 
Sterbelager  stehen  durften ,  der  Eindruck ,  dass  diese  Fürstin ,  die 
den  ganzen  Reichthum  des  Lebens  in  sich  aufgenommen  hatte,  nicht 
nur    zu   leben,    sondern    auch    zu   sterben  verstand^.      Die  Societät, 


^    Siehe  das  interessante  Actenstück  im  Urkundenhand  Nr.  77. 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  78  (31.  Januar  1705). 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  79,   80. 

*  Siehe  LEiBNizens  Brief  an  die  Pi'inzessin  Caroline  von  Ansbach  vom 
18.  März  1705  (Klopp,  9.  Bd.  S.  116 ff.):  »Mgr.  l'Electeur  [der  Bruder  der  Königin] 
m'a  raconte  qu'elle  kii  a  dit  eile  meme:  »Ich  sterbe  eines  gemächlichen  Todes«; 
eile  est  morte  avec  un  merveilleux  serein  d'esprit  et  avec  de  grands  sentiments 
d'une  tranquillite  d'ame  resignee  aux  ordres  de  la  supreme  jirovidence«.  Friedrich 
der  Grosse  hat  sich  bei  der  Schilderung  des  Todes  seiner  Grossmutter  (Mem.  de 
l'Acad.  Royale  1748  p. 382)  die  Freiheiten  eines  antiken  Schriftstellers  genommen: 
»On  voulut  introduire  un  ministre  reforme  dans  son  appartement :  »Laissez-moi 
mourir,  lui  dit -eile,  sans  disputer«.  Une  dame  d'honneur  qu'elle  aimait  beaucoup, 
se  fondait  eu  larmes.  «Ne  me  plaignez  pas«,  reprit  eile,  »car  je  vais  a  present 
satisfaire  ma  curiosite  sur  les  principes  des  choses,  que  Leibniz  n"a  jamais  jju  m'ex- 
pliquer,  sur  Tespace,  sur  l'infini,  sur  l'etre,  et  sur  le  neant,  et  je  prepare  au  roi 
moii  epoux  le  spectacle  de  mon  enterrement,  oü  il  aura  une  nouvelle  occasion  de 
deployer  sa  inagnificence«.  Elle  recommanda  en  inourant  les  savants  qu'elle  avait 
proteges,    et   les    arts  (ju'elle  avait  cultivcs,    a  l'Electeur  son  frere.     Frederic  I.  se 


Der  Tod  der  Königin  Sophie  Charlotte  (1.  Februar  1705).  141 

unentwickelt  und  pflegebedürftig,  verlor  in  ihr  nicht  nur  die  Be- 
schützerin, sondern  die  Mutter.  LEiBNizens  tiefer  Kummer  spricht 
sich  nicht  immer  in  Worten  aus,  die  uns  überzeugen.  Aber  es 
war  Wahrheit,  wenn  er  in  einem  seiner  Trostschreiben  versicherte: 
»La  lettre  est  pkis  philosophe  que  mon  coeur'«.  Seine  Freund- 
schaft mit  der  Königin  war  so  bekannt,  dass  er  förmliche  Beileids- 
besuche und   Condolenzschreiben   empfing. 

4. 

Nicht  nur  die  Pflege  guter  Beziehungen  zwischen  Hannover 
und  Berlin"",  sondern  auch  die  Einrichtung  der  Societcät  sah  Leibniz 
als  ein  Vermächtniss  der  entschlafenen  Königin  an.  In  diesem  Sinn 
legte  er  in  einem  Briefe  vom  17.  Juni  ihrer  vertrauten  Freundin, 
der  Staatsdame  Frl.  von  Pöllnitz,  die  Sorge  für  das  SeidenAverk 
an's  Herz  und  hofl'te  auf  den  Kronprinzen,  dem  es  Freude  machen 
werde,  die  Absichten  seiner  Mutter  auszuführend  Auf  den  König 
hoffte  er  zur  Zeit  nicht;  denn  der  Graf  von  Wartenbeeg  hatte  ihm 
geschrieben,  Majestät  werde  sich  wahrscheinlich  von  der  Sache  zu- 
rückziehen^. 


consola,  par  la  ceremonie  de  cette  pompe  funebre.  de  la  perte  d'une  epouse  qu"il 
n'aurait  Jamals  assez  pu  regretter".  —  Vier  Tage  nach  dem  Tode  der  Königin  starb 
in  Bei'lin  der  Propst  Spener.  Der  Hof  und  die  Societät  haben  von  seinem  Tode 
keine  Notiz  genommen,  auch  Leibniz  nicht,  und  doch  hatte  dieser  fromme  und 
schhchte  Mann  die  Entwickhing  des  religiösen  und  geistigen  Lebens  in  Deutscliland 
stärker  beeinthisst  als  die  meisten  der  gefeierten  Gelehrten. 

^  An  Frl.  VON  Pöllnitz  (Klopp,  Werke,  10.  Bd.  S.  264).  Anweisungen  die 
Briefe  der  Königin  betreffend,  die  die  Kurfürstin  Sophie  in  LEiBNizens  Händen  ver- 
muthete,  a.  a.  0.  S.  265  ff".,   271. 

^  Siehe  die  beiden  l)edeutenden  Briefe  von  Leibniz  an  den  Kurfürsten  Georg 
Ludwig  vom  Sommer  1705  (Klopp,  Werke,  9.  Bd.  S.  126  — 142),  in  denen  er  ein 
Expose  giebt  über  die  Stellung  Hannovers  in  Norddeutschland  und  sein  Verhältniss 
zu  Preussen.  Wer  noch  zweifelt,  dass  Leibniz  eben  so  sehr  das  Wohl  Preussen  s 
als  Hannovers  im  Auge  hatte  —  weil  er  wirklich  auf  das  Ganze  sah  — ,  der  muss 
dies  Pro  Memoria  lesen.  Die  Aussöhnung  gelang  im  Jahre  1706  wirklich  (Verlobung 
des  Kronprinzen  Friedrich  Wilhelm  mit  der  Tochter  des  Kurfürsten.  Sophie  Do- 
rothea, am   18.  Juni,  Heirath  am   14.  November  1706). 

^  Klopp,  Werke,  10.  Bd.  S.  286.  Schon  am  28.  ]März  1705  hatte  er  ihr  ge- 
schrieben (Klopp,  10.  Bd.  S.  271):  »Vous  aurez  eu  deja  occasion  de  faire  rendre 
la  lettre  que  j'ai  pris  la  liberte  de  vous  donner,  et  aussi  de  rendre  temoignage  au 
besoin  des  intentions  rjue  notre  grande  reine  avait  de  favoriser  la  societe  des 
Sciences  dans  la  plantation  des  müriers.  Elle  voulait  en  faire  un  essai  dans  son 
jardin,  et  puis  y  einployer  plus  de  terrain,  de  teile  sorte  que  l'utilite  qu'on  en 
attendait   avec   le    temps,    devait   etre  employee  pour  les  recherches  de  la  societe«. 

*  Leibniz  hatte  ihm  bereits  im  März  1705  geschrieben  (Hann.  Bibl.):  »Je  me 
souviens  d'une  des  intentions  de  feu  la  Majeste,  que  le  roi  peut-etre  voudra  faire 


142  Geschichte  der  Societät  von  1700-1711. 

In  Berlin  dachte  man  jetzt  an  nichts  Anderes  als  an  die  Vor- 
bereitungen zu  dem  prächtigen  Leichenbegängniss,  mit  welchem  der 
König  seine  Gemahlin  ehren  wollte.  Leibniz  und  die  Societät  wurden 
aufgefordert,  Inschriften  und  Sinnbilder  zur  Auszierung  des  Trauer- 
tempels, Gedichte,  Ehrengedächtnisse  u.  s.  w.  zu  verfassend  Alle 
verfügbaren  Arbeiter  wurden  zum  Bau  des  Mausoleums  gebraucht; 
im  Juni  fand  die  Feier  statt. 

Erst  im  Juli  konnte  die  Societät  wieder  daran  denken,  den 
Bau  des  Observatoriums  zu  betreiben".  »Schläfrig«  wurden  die  Ar- 
beiten im  August  aufgenommen^;  endlich  kam  man  im  Mai  1706 
so  weit,  dass  sieben  Fenster  eingesetzt  und  ein  Gemach  noth dürftig 
mit  Brettern  belegt  wurde,  um  dort  Observationen  anzustellen.  Auch 
zeigte  sich  einige  Aussicht,  die  längst  versprochene  Wohnung  für 
den  Astronomen  im  fertigen  östlichen  Eck -Pavillon  —  der  Bau  des 
anderen  lag  noch  immer  darnieder  —  zu  erhalten*;  aber  Kirch  selbst 
verzögerte  durch  Ungeschicklichkeit  diese  Sache,  und  so  wurde  sie 
bis  Ostern  1707  verschoben^.  Der  zweite  Astronom,  Hoffmann,  wollte 
Berlin  verlassen.  Für  einen  lächerlich  geringen  Gehalt  musste  er 
häufig  auch  des  kränklichen  Kirch's  Arbeiten  übernehmen:  nur  mit 
Mühe  vermochte  man  ihn  zu  halten''.  Die  Versammlungen  hörten 
fast  ganz  auf;  der  Secretar  spricht  in  seinen  Briefen  an  Leibniz  »von 
den  Avenigen  noch  zur  Zeit  privatim  zusammenkommenden  Mit- 
gliedern«^, Als  ein  interessanter  Brief  eines  gewissen  Brochhausen 
aus  Moskau  einlief,  der  Russland  bis  nach  China  durchreist  hatte  und 
gewichtige  Fingerzeige  gab,  wie  man  Beziehungen  anknüpfen  könne, 
musste  man  sich  damit  begnügen,   Leibniz  über  ihn  Bericht  zu  er- 

executer  comme  beaucoup  d'autres,  c'est  qu'elle  voulait  faire  planter  des  müriers 
blancs  en  bonne  quantite  ä  Luzembourg  et  soulager  en  cela  les  commencements  de 
la  societe  royale  des  scienceS". 

^  Siehe  Ilgen  an  Leibniz  vom  25.  April  1705  (Hannov.  Bibl.);  auch  Klopp, 
10.  Bd.  S.  273  ff.,  284  ff.  Die  Societät  meinte,  dergleichen  käme  ihr  nicht  zu,  ent- 
sprach dem  Wunsche  aber  doch  (Secr.-LEiBN.Nr.35  vom   2i.Apinl  1705). 

'^    Siehe  Secr.-LEiBN.  Nr.  38.  39  vom  30.  Juni  und  4.  Juli. 

^  A.  a.  0.  Nr.40  und  den  Brief  des  Hofpredigers  an  Leibniz  vom  25,  Sep- 
tember 1705  (Hannov.  Bibl.);  doch  zeigte  sich  die  Kammer  etwas  williger,  s.  Nr. 43 
vom  26.  September  1705. 

*  Siehe  Secr.-LsiBN.  Nr.  53  vom  15.  Mai  1706  imd  den  Brief  des  Hofpredigers 
von  demselben  Datum  (Hannov.  Bibl.). 

"  Nr.  55  vom  16.  October  1706.  Wirklich  brauchbare  Instrumente  fehlten 
noch  inuner,  s.  den  Brief  von  Hoffmann  an  Leibniz  von  demselben  Datum  (Han- 
nov. Bibl.). 

"    Siehe  Nr.  36  vom   19.  Mai  und  Nr.  45  vom  6.  October  1705. 

'    Nr.  45. 


llnthätigkeit  der  Societät  in  den  Jahren  1705   und  1705.  148 

statten \  Das  Einzige,  was  die  Societät  that,  war,  eine  Sammlung 
von  Beobachtungen  über  die  letzte  Sonnenfinsterniss  zu  veranstalten 
und  mit  ihren  eigenen  Observationen  zusammen  herauszugeben". 
Ausserdem  entschloss  sie  sich,  Schütze's  (in  Belgrad)  meteorologische 
Jahresbeobachtungen  drucken  zu  lassen^.  Schon  aber  zeigte  sich 
eine  böse  Folge  ihrer  oligarchischen  Verfassung  und  ihrer  Gelieim- 
nissthuerei  in  finanziellen  Dingen.  Das  Mitglied  der  Societät  Prof. 
L.  Chr.  Sturm  in  Frankfurt  a.O.,  der  für  wissenschaftliche  Beob- 
achtungen jährlich  50  Thlr.  von  der  Societät  erhielt  und  ihr  grollte, 
weil  sie  die  Absicht  hatte,  dieses  Honorar  zurückzuziehen,  wandte 
sich  mit  einer  Beschwerde  an  Leibniz  und  sprengte  zugleich  aus, 
die  Mitglieder  des  Conciliums  bezögen  jährlich  je  100  Thlr.  Man 
liess  ihm  seinen  Gehalt,  nachdem  man  festgestellt  hatte,  dass  er 
wirklichen  Anspruch  besass^:  aber  man  ertheilte  ihm  brieflich  eine 
Rüge  und  forderte  ihn  zur  «Klugheit«  auf.  Leibniz  schlug  vor, 
ihm,  der  ein  wenig  brauchbarer  Astronom  gewesen  zu  sein  scheint', 
die  Aufgabe  zu  übertragen,  die  artes  mechanicas,  namentlich  die 
Webereien ,  wissenschaftlich  zu  beschreiben ,  da  es  solche  Bücher 
noch  nicht  gebe''.      Zu   einem  geharnischten  Protest  raffte   sich  die 


^  Siehe  Nr. 42  nebst  Beilage,  da/u  den  Fase.  "Wissensch.  Verhandlungen.' 
von  1704— 1734  im  Akademischen  Archiv,  aus  dem  hervorgeht,  dass  Vorbereitungen 
für  eine  Expedition  seitens  der  Societät  getroffen  wurden.  Jablonski  wollte  vor 
allem  über  die  Juden  in  China  etwas  erfahren,  und  die  Societät  setzte  100  Thlr. 
aus  für  eine  hebräische  Bibel  aus  China.  Auch  Proben  sibirischer  Ei-ze  liatte  Broch- 
HAUSEN  übersandt;  s.  Nr. 49  vom  12.  Januar  1706. 

-  Siehe  Secr.-LEiBN.  Nr.  54  vom  31.  Juli  1706.  Der  Verkehr  LEiBNizens  mit 
Kirch  dauerte  im  Jahre  1705  fort.  Am  16.  October  1705  schrieb  dieser  (Coneept 
im  Joachimsthalschen  Gjannasium,  Reinschrift  in  Hannover):  «Was  meine  Obser- 
vationes  anlangt,  dieselbe  alle  zum  Drucke  zu  befördern,  wäre  es  mir  wohl  sehr 
lieb,  dass  es  geschähe,  weil  ich  noch  lebe.  Es  wird  aber  ein  grosser  Verlag  darzu 
erfordert  werden,  weil  ihrer  sehr  viel  sein,  indem  ich  schon  von  42  Jahren  her 
Observationes  habe,  die  geschrieben  in  acht  feinen  Quartbänden  bestehen,  worzu  viel 
Kupfer  gehören.  Lässt  mich  Gott  noch  eine  Zeit  leben,  und  das  Observatorium  zu 
Stande  kommen,  so  hoffe  ich  einen  neuen  Catalogum  stellarum  fixarum  in  zodiaco, 
v.'o  die  Planeten  laufen,  zu  verfertigen«.  Über  die  Publication  jener  Observationen 
sind  mehrere  Briefe  zwischen  beiden  Gelehrten  gewechselt  Avorden. 

^  Siehe  Nr.  42  vom  i.  September  1705.  Dazu  Nr.  58  vom  2.  Juli  und  Nr.  63 
vom  26.  November  1707.  Aus  letzterem  Brief  geht  hervor,  dass  diese  Publication 
schlechten  Absatz  fand,  und  die  Societät  daher  Bedenken  trug,  sie  fortzusetzen. 

'^  Abschrift  der  Verschreibung  von  50  Thlr.  (21.  Juli  1702)  von  des  Hofpre- 
digers Hand  im  Akademischen  Archi\-. 

^    A.  a.  O.  Nr.  54. 

^  Siehe  über  diesen  Handel  Nr.  43.  44  (Brief  von  Leibxiz).  46.49  und  den 
Brief  von  Sturji  an  Leibxiz  vom  31.  October  1705,  sowie  das  Schreiben  des  Hof- 
predigers an  SxuRai  (beide  in  der  Hannov.  BibL).     Beachtenswerth  ist.  dass  Sturji 


144  Geschichte  der  Societät  von   1700-1711. 

Societät  auf,  als  sich  der  Buchdrucker  Luppius  in  Cliarlottenburg  an 
den  König  mit  der  Eingabe  wandte,  in  dem  Observatorium  eine 
Wolinung  bezielien,  dort  eine  Druckerei  einrichten  und  die  Societäts- 
kalender  herstellen  zu  dürfen.  Sie  erklärte,  sie  habe  selbst  ein  Euch- 
druckerprivileg,  das  sie  seiner  Zeit  ausbeuten  werde,  wozu  schon 
Anstalten  getroffen  seien;  Luppius  habe  hinterlistig  beim  König  um 
die  Erlaubniss   nachgesucht^ 

Das  ist  Alles,  was  sich  über  die  Societcät  aus  den  Jahren  1705 
und  1706  berichten  lässt;  sie  war  dem  Untergang  nahe.  Da  ent- 
schloss  sich  Leibniz,  der  19  Monate  Berlin  gemieden  hatte,  weil  er 
auf  geneigtes  Gehör  nicht  rechnen  durfte,  im  Anfang  November  1706 
dorthin  zu  gehen.  Durch  die  Eheschliessung  des  Kronprinzen  mit 
der  Tochter  des  Kurfürsten  waren  sich  Preussen  und  Hannover 
wieder  näher  gerückt;  er  erwartete  mit  Recht,  dass  dieser  Bund 
auch  seiner  Stellung  in  Berlin  und  der  Societät  zu  Gute  kommen 
werde".  Seine  Beziehungen  zu  Preussen  waren  in  der  Zwischenzeit 
doch  nicht  völlig  abgerissen;  der  Minister  von  Ilgen  hielt  sie  aufrecht. 
Auf  sein  Ersuchen  hatte  er  im  Januar  1706  ein  Pro  Memoria  über 
die  Sammlung  von  Actenstücken  zur  brandenburgischen  und  preussi- 
schen  Geschichte  eingereiclit^.  Nun  versuchte  er  es  auf's  Neue,  per- 
sönlich für  die  Societät  einzutreten  —   inid  nicht  ohne  Erfolg*. 

in  seinem  Brief  an  Leibniz  den  Hofprediger  Jaüloxski  als  »Prneses  noster  vicariuS" 
bezeichnet.     Er  fungirte  als  solcher  ohne  formelle  Bestallung. 

^    Acten  im  Geh.  Staatsarchiv;  Eingabe  der  Societät  vom  15.  November  1706. 

-  Sehr  charakteristisch  für  das  Doppelverhältniss,  in  welchem  Leibniz  stand, 
ist  das  misstrauische  Schreiben,  das  der  Km-fürst  am  15.  November  des  Religions- 
standes seiner  Tochter  wegen  an  ihn  gerichtet  hat.  Ausseixlem  verbietet  er  ihm 
förmlich  die  Fortsetzung  der  Unionsversuche  (s.  Urkundenband  Nr.  81).  Diese  zogen 
sich  zwar  noch  etwas  über  ein  Jalir  hin,  aber  Leibniz  wusste  bereits,  dass  man  sie 
in  Hannover  nicht  mehr  wolle.  Im  Januar  1708  schrieb  er  an  Fabricius  nach 
Helmstädt:  »Wie  jetzt  der  Stand  der  Dinge  ist,  erwarte  icli  nichts  mehr  von  dem 
Vereinigungsgeschäfte;  ipsa  res  se  ali(iuando  conficiet!« 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  82. 

*  Dem  Hinweise  seiner  alten  Freundin,  der  Kurfürstin  Sophie,  er  werde 
wenig  Dank  ernten,  begegnete  er  mit  den  schönen  Worten  (Brief  aus  Bei-lin  vom 
4.  Januar  1707,  Klopp,  Werke,  9.  Bd.  S.  265):  »Mon  principe  est  de  travailler  pour 
le  bien  public,  sans  me  mettre  en  peine  si  quelqu'vin  m"en  sait  gre.  Je  crois  (jue 
c'est  imiter  la  divinite  (pii  a  soin  du  bien  de  Tunivers,  soit  que  les  hommes  le  re- 
connaissent  ou  non.  II  m'est  arrive  bien  des  fois  que  des  particuliers  que  j'avais 
obliges,  ont  manque  de  reconnaissance,  et  cela  ne  m"a  point  rebute.  Bien  moins 
serai-je  rebute,  si  le  public  (|ui  manque  d"information ,  ne  nous  tient  j^oint  de 
compte  de  nos  soins«.  Dem  in  Berlin  hoch  angesehenen  Lord  Rabv  schrieb  er 
(18.  ]\Iai  1707,  Klopp,  Bd.  10  S.412):  »]Mad.  l'Eleetrice  se  moque  de  moi,  que  je 
travaille  pour  autrui,  mais  h^  bien  public,  et  surtout  par  rapport  aiix  sciences,  est 
ma  marotte". 


Das  Seidenl)nu- Privileg  der  Socit'tät.  145 

Gleich  nach  seiner  Ankunft  in  Berlin  setzte  er  sich  mit  deni 
tliätigsten  Mitglied  der  Societät,  mit  dem  eben  aufgenommenen  Frisch, 
in  Beziehung^;  dann  versammelte  er  am  27.  Decemher  die  »Asso- 
ciati,  welche  sich  der  rei  mathematicae  annehmen«,  in  der  Conferenz- 
stube,  um  speciell  mit  ihnen  über  folgende  vier  Punkte  zu  ver- 
handeln: I.  Beförderung  der  astronomischen  Observationen,  2.  Ma- 
thematische und  mechanische  »Decouverten«,  3.  Auffindung  von 
Mitteln ,  um  aus  der  mathematischen  und  mechanischen  Arbeit  den 
Fundus  der  Societät  zu  erhöhen,  4.  Publication  —  mindestens  jähr- 
lich einmal  —  »gewisser  Miscellanea,  darin  sowohl  Communicationes 
curiosae  von  denen  Membris  und  Andern  als  einige  Recensiones  und 
Excerpta  neuer  Bücher  enthalten  sein  möchten""«.  Vor  allem  aber 
kam  es  darauf  an,  beim  Könige  nun  das  Maulbeerprivileg  und  die 
endliche  Fertigstellung  des  Observatoriums  sammt  der  Wohnung  für 
den  Astronomen  und  Räume  für  ein  Laboratorium  zu  bewirken.  In 
einer  Audienz,  die  Leibniz  beim  Könige  hatte,  versicherte  ihm  dieser, 
das  Privileg  ertheilen  zu  wollen.  Leibniz  setzte  demgemäss  ein  Pro 
Memoria  über  Einrichtung  eines  solchen  auf  (10.  Januar  1707)^  und 
bereits  am  25.  Januar  übersandte  der  König  dieses  Actenstück  an 
die  Lelinskanzlei  mit  dem  Befehl,  ein  conformes  Privilegium  aus- 
zufertigen und  der  Societät  der  Wissenschaften   zu   ertheilen^. 

Am  28.  März  erschien  das  Königliche  Maulbeer-  und  Seidenbau- 
privileg für  die  Societät';  wie  ein  Concept  im  Akademischen  Archiv 
zeigt,  hat  Leibniz  es  entworfen.  Es  war  so  umfassend,  wie  man 
nur  wünschen  konnte  —  ein  Privilegium  privativum  generale  per- 
petuum  — ,  legte  das  ganze  Werk  in  die  Hände  der  Societät,  von 
(.ler  Anpflanzung  der  Bäume  an  bis  zur  Bearbeitung  und  zum  Ver- 
triebe der  einheimischen  Seide ,  überwies  ihr  alle  Maulbeerpflanzungen 
in  den  königlichen  Gärten,  auch,  soweit  es  thunlich,  Räume  in 
öffentlichen  Gebäuden  unentgeltlich,  gestattete  ihr  die  Anpflanzung 
im    weitesten    Umfang    (an  Wällen    und   Werken,    an  Strassen    und 

^  Siehe  den  Briefwechsel  mit  ihm  Nr.  i;  ich  bezeichne  an  einigen  Stellen 
diesen  Briefwechsel  mit   -•  Frisch -Leibn.«. 

^  Das  von  Leibniz  niedergeschriebene  Concept  zu  dieser  Verhandlung  ist  zu- 
erst von  Kapp  (S.  460  ff.,  s.  Urkundenband  Nr.  83)  gedruckt  worden.  Merkwürdig 
ist,  dass  Leibniz  hier  die  drei  Klassen  der  Societät  als  ]NLathematische,  Physische, 
Litterarische  unterscheidet.  Nach  der  General  -  Listruction  war  die  Societät  in  die 
Physico- Mathematische,  die  Deutsche  und  die  Litterarische  Klasse  eingetheilt.  Die- 
ses Schwanken  zeigt,  wie  unfertig  noch  Alles  war. 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  84. 

'^    Concept  im  Gehehnen  Staatsarchiv. 

°    Siehe  Urkundenband  Nr.  85. 

Geschichte  der  Akademie.    I.  10 


146  Geschichte  der  Societät  von  1700—1711. 

Dämmen)  und  Avies  die  königlichen  Gärtner  an,  die  Societät  ge- 
währen zu  lassen  und  ihr  mit  dem  zu  Hülfe  zu  kommen,  »was  sonst 
nicht  besser  gebraucht  wird  und  so  viel  sonst  ohne  Unser  und  ander 
Nachtheil  und  Abgang  geschehen  kann«  u.  s.  w.  Allein  die  Haupt- 
sachen fehlten  —  es  wurde  der  Societät  kein  Pfennig  Betriebscapital 
und  kein  einziger  königlicher  Arbeiter  gewährt,  und  die  ausländische 
Seide  nicht  zu  ihren  Gunsten  besteuert.  Unter  solchen  Umständen 
das  Privilegium  auszubeuten,  war  eine  Kühnheit.  Dennoch  griff  es 
Leibniz  muthig  auf  und  gewann  in  Frisch,  der  vom  Meister  Otto 
unterstützt  wurde,  einen  unermüdlichen  Arbeiter.  Aber  die  Socie- 
tät —  mit  Ausnahme  Cuneau's  —  hielt  von  der  Sache  nichts  (be- 
sonders der  Secretar  war  ihr  ungünstig) ;  sie  bewilligte  ihrerseits 
auch  kein  Geld  oder  nur  die  bescheidensten  Summen;  so  konnte 
das  Werk  nicht  gedeihen \  Dazu  kam,  dass  alle  königlichen  Gärtner 
und  Beamten  widerwillig  waren  und  der  neuen  Arbeit  Steine  in 
den  Weg  legten.  Es  war  ja  lediglich  auf  ihren  guten  W^illen  ge- 
rechnet, ohne  Verpflichtung  und  ohne  Entgelt;  wie  weit  konnte  man 
dabei  kommen?  Die  «gräce  d'une  assistance  efficace«,  die  Leibniz 
wiederholt  vom  Grafen  von  Wartenberg  erbat",  konnte  schlechter- 
dings nichts  fruchten,  solange  man  nicht  königliche  Gärtner  förm- 
lich für  das  Werk  in  Pflicht  nahm  und  bezahlte;  das  geschah  aber 
nicht  ^. 


^  Fischer  hat  in  seiner  Monogra])hie  über  Frisch -Leibniz  diese  Angelegen- 
heit erschöpfend  behandelt.  Über  das  Übelwollen  des  vSecretars  s.  die  Briefe  von 
Frisch  vom  August  1707,  21.  Februar  1708  (Fischer  S.3.  6).  Man  spottete  über 
Frisch,  vi^as  er  mit  Würmern  zu  thun  hätte;  «welche  Mocpierie  auch  Einigen  von 
denen  Membris  Societatis  gemein,  die  doch  das  Wei'k  am  meisten  beföi'dern  sollten« 
(31.  März    1708,  S.9). 

■-^    Brief  vom   24.  April   1708,  Fischer  S.  10. 

^  Dass  das  Werk  hätte  gedeihen  können,  wenn  sich  die  Societät  entschlossen 
hätte,  etwas  mehr  dafür  zu  thun  —  einen  Planteur  besoldete  sie,  aber  das  war 
viel  zu  wenig;  Frisch  musste  Manches  aus  seiner  Tasche  bezahlen  — ,  geht  aus  dem 
Briefwechsel  des  rüstigen  Frisch  (der  übrigens  auch  werthvolle  Untersuchungen 
und  Experimente  an  den  Seidenraupen  machte,  s.  seinen  Brief  Nr.  22  vom  20.  No- 
vember 17 10)  deutlich  hervor.  Aber  auch  Cuneau  wurde  gleichgültig,  und  nach  dem 
ersten  Schlaglluss,  den  er  im  November  1709  erlitten,  war  er  überhaupt  nur  noch 
eine  halbe  Kraft.  Friedrich  Hoffmann,  der  Arzt  (im  Jahre  1709  aus  Halle  als 
Leibarzt  berufen),  auf  dessen  Unterstützung  Frisch  rechnete  (s.  Briefwechsel  mit 
Leibniz  Nr.  12  vom  20.  April  1709,  Fischer  S.  17).  kehrte  schon  17 12  nach  Halle 
zurück.  »Ew.  Excellenz ",  schreibt  Frisch  an  Leibniz  am  31.  Juli  1709,  »seien  so 
gütig  und  muntern  mich  durch  dergleichen  Assistenz  ferner  auf,  sonst  muss  ich 
mit  Spott  davon  ablassen,  da  ich  mich  am  Hof  und  in  der  Stadt,  ja  im  ganzen 
Land  desswegen  schon  so  weit  eingelassen ,  dass  ich  weiss  nicht  was  für  Beinamen 
davon  bekommen."      Am   28.  September  1709  schreibt  er  an  Leibniz:    »Ich  bin  nun 


Das  Seidenbau -Privileg  der  Societät.     Das  Laboratorium.  147 

Da  Leibniz  einsah,  dass  auch  unter  den  günstigsten  Bedin- 
gungen das  neue  Privileg  erst  nach  Jahren  etwas  abwerfen,  bis 
dahin  aber  nur  Kosten  verursachen  werde,  so  griff  er  zu  seinen  frühe- 
ren Vorschlägen  zurück.  Aus  den  ersten  Monaten  des  Jahres  1707 
stammt  eine  ganze  Reihe  dringlicher  Entwürfe  von  Eingaben  an 
den  König  von  seiner  Hand,  die  sich  im  Akademischen  Archiv  be- 
finden. Eine  grössere  Feuersbrunst  bestimmte  ihn,  das  Feuerspritzen- 
monopol wieder  hervorzuholen^:  er  sann  über  ein  Unternehmen  nach, 
das  Land  einzudeichen,  die  Flüsse  zu  reguliren  und  so  Acker-  und 
Wiesenland  zu  gewinnen";  aber  diese  Entwürfe  und  andere  sind, 
mit  Ausnahme  eines  über  die  Wasserschäden ,  wahrscheinlich  gar 
nicht  eingereicht  worden. 

Dagegen  gelang  es  ihm,  beim  Könige  nicht  nur  den  Befehl 
zur  Beschleunigung  des  Baues  des  Observatoriums,  sondern  auch 
eine  Ordre  zu  erwirken,  nach  welcher  die  Amtskammer  der  So- 
cietät  2100  Thlr.  auszahlen  solle  zur  Erwerbung  eines  Grundstücks. 
Da  der  König  eine  Wohnung  für  den  Astronomen  und  Räume  für 
ein  Laboratorium  förmlich  zugesichert  hatte,  der  Eck -Pavillon  sich 
aber  als  ungeeignet  erwies  und  auch  von  der  Marstallverwaltung  ge- 
braucht wurde,  so  befahl  der  König  auf  Vorschlag  der  Societät,  dass 
jenes  Grundstück  —  heute  Dorotheenstrasse  10  und  noch  gegenwärtig 
im  Besitz  der  Akademie  —  angekauft  werde.  Es  war  70  Fuss  lang 
und  200  Fuss  tief;  ein  kleines  Haus  stand  im  Hintergrunde,  w^elches 
sofort  bezogen  werden  konnte,  und  es  liess  Raum,  ein  grösseres 
Gebäude  vorn  zu  errichten  für  eine  Druckerei,  Laboratorium  und 
Repräsentationszimmer.     Am  28.  April  1707   erschien  die  königliche 


auch  hinter  den  Vortheil  gekommen,  die  Seide  weiss  zu  machen,  und  zwar  so, 
dass,  wo  mir  die  Franzosen  acht  Loth  Abgang  rechnen,  ich  nur  fünfe  habe,  welches 
dereinsten  im  Grossen  viel  austragen  wii'd.  Es  hat  unsere  Seide,  wenn  sie  vom 
Gummi  befreit,  ein  solch  Lustre,  dass  ich  keinen  Unterschied  unter  der  besten 
Seide  sehe,  die  man  hier  zu  Kauf  hat«.  Im  November  17 10  konnte  ein  span- 
dauischer Weber  »sieben  Stück  Atlass  von  allerley  Färb«  an  den  Hof  bringen  mit 
einem  Attest  von  Frisch,  dass  es  Societätsseide  sei  (s.  den  Brief  Nr.  21  vom  7.  No- 
vember 17 10,  vergl.  auch  den  folgenden  Brief).  In  Hannover  wird  unter  den  Leibxiz- 
Papieren  auch  eine  Probe  der  von  der  Societät  (von  Frisch)  hergestellten  Seide 
aufbewahrt.  Das  vom  Secretar  geführte,  im  Akademischen  Archiv  aufbewahrte 
Diarium  über  die  Seidensache  bietet  wenig  Bemerkenswerthes. 

^  Neue  Fassung  in  einem  zu  Hannover  befindlichen  Concept,  zweimal  von 
Leibkiz  selbst  geschrieben,  und  einer  Reinschrift  (ebendort)  vom  26.  März  1707.  Es 
beginnt:  »Weilen  vermuthlich  die  neuliche  Feuersbrunst  eine  gute  Verordnung  be- 
fördern möchte«.  Übrigens  war  im  October  1705  in  Preussen  ein  obligatorisches 
General -Feuerkassen -Reglement  erlassen  ohne  Mitwirkung  der  Societät. 

'^    Siehe  Urkundenband  Nr.  86. 

10* 


148  Geschichte  der  Societät  von  1700—1711, 

Ordre;  aber  nun  entwickelte  sich  eine  Tragikomödie,  die  ein  trübes 
Licht  auf  die  damaligen  finanziellen  Zustände  in  Preussen  wirft. 
Ein  volles  Jahr  dauerte  es,  bis  der  Kauf  abgeschlossen  wurde  und 
Kirch  einziehen  konnte  —  so  lange  hatte  sich  die  Finanzkammer 
gesträubt,  theils  weil  sie  kein  Geld  geben  wollte,  theils  weil  sie 
keins  hatte.  Und  der  Kauf  kam  erst  wirklich  zu  Stande,  nachdem 
Leibniz  brieflich  noch  einmal  energische  Vorstellungen  beim  Könige 
selbst  gemacht  und  sich  die  Hofpredigerwittwe  Sturm  entschlossen 
hatte,  der  Societät,  d.h.  dem  Staate,  2100  Thlr.  vorzustrecken,  die 
die  Societät  zu  A^erzinsen  hatte  und  die  die  Finanzkammer  in  drei 
Jahren  (zu  700  Thlr.)  zurückerstatten  sollte!  Aber  auch  jetzt  noch 
erklärte  die  Kammer,  nicht  zahlen  zu  können,  und  es  dauerte 
noch  mehrere  Jahre,  bis  sie  die  ersten  700  Thlr.  aufzutreiben  ver- 
mochte ^ ! 

Immerhin  war  durch  Leibnizcus  Eintreten  etwas  erreicht  —  eine 
feste  Zusicherung  wegen  eines  Grundstücks  und  eines  Hauses  nahe 
beim  Observatorium  war  gegeben ,  und  dieses  selbst  ging  seiner  Voll- 
endung entgegen"'.  Aber  noch  mehr,  durch  energische  Mahnungen 
hatte  Leibniz  es  durchgesetzt,  dass  die  Mitglieder  seit  dem  Früli- 
jahr  1707  ernsthaft  an  die  Herausgabe  eines  ersten  Bandes  «Mis- 
cellanea  Berolinensia«  dachten  —  die  deutsche  Sprache  für  sie  zu 
wählen,  glaubte  man  noch  nicht  wagen  zu  dürfen  —  und  Abhand- 
lungen einreichten;  die  Redaction  des  Ganzen  hatten  Cuneau  und 
Leibniz  selbst  übernommen.  Die  Früchte  seiner  Thätigkeit  stellte 
er  Ende  April,  kurz  bevor  er  nach  Hannover  zurückkehren  musste, 
in  einem  Schreiben  an  den  König  übersichtlich  zusammen^  und 
fertigte  auch  einige  Schreiben  an  den  Rath  von  Berlin  und  die  Amt- 
männer in  Cöpenick  und  Potsdam  zur  Unterstützung  des  Seidenbaus 
im  Namen  der  Societät  aus^.  Aber  obgleich  ihm  der  König  bei  der 
Abschiedsaudienz    huldvoll   versichert   hatte,    er   werde    ihm    seine 


^    Die  Verliandhingen  sind  im  Urlcundenband  Nr.  87   ausführlich  dargestellt. 

^  Siehe  den  Brief  der  Frau  Kirch  im  Urkundenband  Nr.  87.  Am  Hof  zeigte 
sich  einiges  Interesse  für  Astronomie.  Die  Frau  Kirch  fragt  in  einem  Billet  bei 
Leibniz  an  (Hannov.  Bibl.),  ob  sie  selbst  auf  dem  Schlosse  den  von  ihr  entdeckten 
Sonnentlecken  anzeigen  solle  oder  ob  er  es  thun  wolle.  -Werde  nach  Ew.  Exe. 
Befehl  und  Anordnung  allezeit  der  Gnade  gewärtig  leben,  vor  K.  Maj.  zu  erschei- 
nen« (sie  hatte  eine  astronomische  Schrift  verfasst,  die  sie  überreichen  wollte). 
Lii  April  1708  erzählt  Kirch  Leibniz,  dass  der  Kronprinz  das  neue  ausgebaute  Ob- 
servatoi'ium    zu   besehen  gewürdigt  habe  (Brief  vom   29.  April  1708;  Hannov.  Bibl.). 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  88. 

*    Siehe  Ui'kundenband  Nr.  89  vom    10.  Mai  1707. 


Die   "Miscellanea«.     Leibxiz  verlässt  Berlin  im  Mai  1707.  149 

Gnade  bewahren  und  alle  Anordnungen  durchsetzen  \  so  war  er. 
als  er  in  der  zweiten  Hälfte  Mai  Berlin  verliess"^,  weder  des  einen 
noch  des  andern  sicher.  Der  Frau  Kirch  sagte  er  bei  seinem  Scheiden, 
es  werde  wohl  Alles  liegen  bleiben,  wenn  er  abgereist  sei^,  und 
die  Art,  wie  er  sich  an  den  bei  Hof  einflussreichen  Lord  Raby 
wandte,  damit  er  sein  Fürsprecher  sei,  zeigt  deutlich  seine  Un- 
sicherheit in  Bezug  auf  die  Gnade  des  Königs*.  Um  diese  sich  zu 
erhalten,  schrieb  er  auch  an  die  Kvu-fürstin,  die  damals  mit  ihrem 
königlichen  Schwiegersohn  freundlicher  verkehrte^,  einen  für  den 
König  bestimmten  Brief",  der  mit  ärztlichen  Rathschlägen  beginnt, 
dem  Monarchen  und  dem  Zustande  seiner  Staaten  und  seines  Hofes 
sehr  viel  Lob  spendet  —  auch  viel  ungerechtfertigtes  — ,  dann  wie- 
derum auf  den  Gesundheitszustand  des  Königs  eingeht  und  mit  einem 
kühnen  Übergang  persönlich  wird: 

"...  Et  c'est  le  moyen  de  contribuer  ä  la  conservation  de  sa  vie.  Personne 
ne  le  pourra  faire  avec  plus  d'efficace  qiie  V.  A.  E.  Si  j'en  disais  autant,  cela  ne 
servirait  guere  quand  j'avais  [sie]  meme  plus  d'aeces  aupres  de  lui  et  plus  de  credit 
que  je  n'en  ai.  11  est  vrai  que  Sa  M*«  m'ecoute  toujours  favorablement,  mais  il  ne 
parait  pas  qu'il  cherche  trop  ä  m'ecouter,  et  je  ne  suis  pas  d'humeur  ä  in'ingerer. 
Je  ne  sais  si  quelqu"un  ni"a  rendu  autrefois  mauvais  offices,  par  je   ne  sais  quelle 


'■  Siehe  den  Brief  an  Wartenberg  bei  Klopp,  io.  Bd.  S.  414,  LEiBNizens 
Schreiben  an  den  König  im  Urkundenband  Nr.  87,  LEiBNizens  Schreiben  an  Kirch 
vom  23.  Juni  1707:  »K.  Maj.  haben  mir  bei  dem  Abschied  nachdrücklich  versprochen, 
über  Dero  gnädigsten  Concessionibus  nachdrücklich  zu  halten «  (Joachimsth.  Gym- 
nasium) und  das  undatirte  Schreiben  an  Lord  Raby  im  Urkundenband  Nr.  91. 

^  Noch  am  18.  Mai  1707  war  er  daselbst,  s.  den  Bi-ief  an  Lord  Raby  von 
diesem  Datum  bei  Klopp,  a.  a.  0.  S.412:  «Je  devais  etre  parti,  mais  les  interets 
de  la  societe  m'ont  arrete  encore  quelques  jours«.  Damals  ist  er  in  Berlin  zum  ersten 
Mal  mit  Ch.  Wolff  zusammengetroffen,  s.  Guhrauer,  G.  W.  v.  L.,  2.  Bd.  S.  262  f. 

^    Siehe  den  Brief  der  Kirch  im  Urkundenband  Nr.  87. 

*  Leibniz  an  Lord  Raby,  a.a.O.:  >'J'ai  employe  une  bonne  partie  de  mon 
temps  a  cela  depuis  sept  ans  sans  en  avoir  tire  le  moindre  fruit  pour  moi;  car  je  ne 
compte  pas  ce  qui  ne  suffit  pas  meine  k  me  dedommager,  outre  (jue  je  puis  dire 
que  cela  m'a  cause  bien  de  la  perte  ailleurs,  mais  je  ne  m"en  repens  pas,  pourvu 
qu'enfin  il  en  provienne  quelque  chose  de  bon.  C'est  ce  que  je  me  promets,  si 
les  ordres  du  roi  sont  executes.  Mais  je  ne  sais  comment  je  m'emancipe  d'importuner 
V.  E.  de  ces  choses:  je  n'aurais  point  ose  le  faire,  si  je  ne  savais,  Mylord,  que 
vous  entrez  dans  les  belles  connaissances  et  les  favorisez.  Mit  Recht  vermuthet 
Klopp,  der  Brief  sei  ein  ostensibler  und  für  den  König  mitgeschrieben. 

°  Der  König  hatte  ihr  auch  von  Leibxiz  geschrieben  und  von  seinen  Geld- 
forderungen für  die  Societät,  die  die  Kurfürstin  augenscheinlich  befürwortet  hatte; 
s.  ihren  Brief  an  Leibniz  vom  23.  April  1707  (Klopp,  9.  Bd.  S.  279):  »Le  roi  me 
mande  que  vous  avez  fait  voir  une  eclipse  a  la  lune.  II  ine  reproche  que  je  crois 
qu'il  est  Croesus,  et  ([u'il  peut  donner  tant  de  pennins.  J"ai  repondu  que  cela  ne 
serait  pas  etrange  apres  toutes  les  magnificences  et  liberalites  qu'il  fait-. 

•^    Berlin,  den  12.  Mai  1707,  Klopp,  9.  Bd.  S.  280  ff. 


15Ö  Geschichte  dei-  Societät  von  1700-1711. 

vue:  mais  je  vais  toujours  mon  train,  et  sans  faire  la  moindre  chose  pour  moi. 
Je  travaille  pour  un  etablissement  raisonnable  de  la  societe  des  sciences.  Cependant 
j'y  ai  trouve  presque  aiitant  de  difficulte  c|ue  si  je  negociais  pour  le 
pa])e.  Et  meine  dans  les  choses  resolues,  il  y  a  eu  des  longueurs  qui  auraient 
rebute  tout  autre  que  moi,  et  qui  m'ont  fait  perdre  plus  de  deux  mois.  On  nie 
fait  esjierer  une  heureuse  issue,  et  a]Dres  six  ou  sept  ans  on  a  ordonne  enfin  d'une 
maniere  expressive  que  l'observatoire  soit  acheve,  et  le  roi  emploiera  quelques  mille 
ecus  pour  un  autre  batiment  necessaire  a  la  societe.  Si  les  autres  messieurs  se 
tiennent  aux  luesures  que  j'ai  prises  avec  eux,  on  publiera  quelque  chose  tous  les 
ans,  qui  ne  sei'a  peut-etre  pas  indigne  de  paraitre,  et  dorenavant  les  choses  iront 
mieux  leur  train,  sans  que  j'aie  jdIus  besoin  de  me  tant  remuer.  Aussi  ne  sais-je 
pas  si  je  serais  longtemps  en  etat  de  le  faire,  car  des  fluxions  froides  excitees  par 
la  mauvaise  saison  &c. " 

Im  Postscript  bemerkt  Leibniz  ausdrücklich,  beim  Durchlesen 
finde  er,  dass  der  Brief  geeignet  sei,  dem  Könige  zugestellt  zu 
werden  \ 

Mit  Recht  durfte  Leibniz  sagen,  er  habe  in  seiner  Arbeit  für 
Preussen  so  viele  Schwierigkeiten  gefunden,  als  arbeite  er  für  den 
Papst.  Sieben  Jahre  waren  seit  der  Stiftung  der  Societät  bereits 
verflossen,  und  noch  war  sie  kaum  vom  Fleck  gekommen. 

In  den  folgenden  1 1  Monaten  bis  zum  April  1 708  hat  er  von 
Hannover  aus  die  drei  Angelegenheiten  unablässig  gefördert,  den 
Seidenbau,  den  Hauskauf  und  die  Miscellaiiea.  Der  letzteren  wegen 
hat  er  mit  dem  Secretar,  Cuneau  und  dem  Hofprediger""  sehr  ein- 
gehend correspondirt.  Im  Octoberiyoy  wurden  die  eingelaufenen 
Manuscripte  ihm  zugeschickt;  im  März  1708  sandte  er  sie  zurück^. 
Eine  Abhandlung  A^on  Chauvin  wurde  abgelehnt,  dann  aber  doch 
unter  der  Bedingung,  dass  er  sie  verbessere,  angenommen*.  Eine 
Arbeit  von  Starke  konnte  man  nicht  aufnehmen,  da  man  nicht 
arabisch  drucken  wollte''.  Der  Verleger,  den  man  zuerst  gewonnen, 
trat  zurück;  nach  langen  Verhandlungen  wurde  die  Ausführung  dem 
Buchhändler   Papen    übertragen,    der    seinen  Verlag   durch   wissen- 


^  Ein  zweites,  undatirtes  Schi-eiben  dieser  Art  an  die  Kurfürstin  ist  im  Ur- 
kundenband Nr.  90  grösstentheils  abgedruckt.  Es  ist  auch  deshalb  interessant,  weil 
er  hier  auf  das  jNIisstrauen  eingeht,  das  man  ihm  schon  zur  Zeit,  da  die  Königin 
Sophie  Charlotte  noch  lebte,  in  Berlin  erzeigt  hat.  Er  sagt  direct,  dass  man  ihn 
beim  König  angeschwärzt  habe. 

'^  Siehe  Secr. -Leibn.  Nr.  58  (2.  Juli  1707)  ff.  Auch  mit  Kirch  hat  er  über 
Beiträge  verhandelt,  s.  die  Briefe  vom  15.  October  und  5.  November  1707  (Joachimsth. 
G^^un.;  Hannover).  Sehr  zahlreich  und  auf  das  Kleinste  eingehend  sind  die  Briefe 
an  Cuneau. 

^    Secr. -Leibn.  Nr.  61   und  70. 

*    A.  a.  0.  Nr.  61,  71  (7.  April  1708)  und  73  (5.  Mai  1708). 

5    A.a.O.  Nr.  61. 


Vorbereitung  der  »i\Iiscellanea'>.  151 

scliaftliche  Werke  zu  bereichern  wünschtet  Dem  gelehrten  Publi- 
cum endlich  etwas  von  den  Arbeiten  der  Societät  vorzulegen  und 
dem  König  etwas  Redeutendes  zu  zeigen,  war  LEiBNizens  Haupt- 
sorge; denn  er  hatte  sich  ihm  gegenüber  geradezu  verpflichtet,  dass 
die  Societät  einen  Band  wissenschaftlicher  Abhandlungen  heraus- 
geben werde.  Sein  Wort  und  seine  Ehre  standen  auf  dem  Spiel, 
Um  den  König  sich  geneigt  zu  erhalten  und  den  immer  noch  schwe- 
benden Hauskauf  durchzusetzen,  sicherte  er  sich  das  Vertrauen  der 
Kronprinzessin  —  »je  vous  connais  de  mes  amis«,  schrieb  sie 
ihm""  —  und  trat  mit  Madame  de  Gacetot,  der  Oberhofmeisterin, 
in  Verbindung^.  Dem  Lord  Raby  schrieb  er  noch  einmal  einen  für 
den  König  bestimmten  Briefe  Mit  Recht  konnte  er  hier  darauf 
hinweisen,   dass   der  König  die  besten  Intentionen  in  Bezug  auf  die 


^  Er  stand  schon  zur  Societät  in  Beziehung.  In  einem  Brief  an  Leibniz  vom 
26.  Mai  1708  (Hannov.  BibL)  schreibt  er:  »Ich  vernehme  auch,  dass  S.  K.  M.  in 
Preussen  nun  mehro  eine  Commission  zu  Errichtung  der  universalen  Schulbücher 
angeordnet  und  dass  mit  der  Grammatica  der  Anfang  gemacht  werden  solle;  weilen 
ich  nun  nicht  weiss ,  ob  den  Verlag  dieser  Grammatica  die  Societät  über  sich  nehmen 
wird.  U.S.W.«  Er  möchte  diesen  Verlag  Namens  der  Societät  erhalten.  Siehe  dazu 
seinen  Brief  an  Leibxiz  in  Secr. -Leibn.  Nr.  77  vom  3.  Juli  1708.  Die  Grammatiken 
und  Schriftsteller- Ausgaben  für  die  Gymnasien  der  Mark  wurden  wirklich  von  einigen 
Directoren  und  Conrectoren  der  Gymnasien  auf  Befehl  Friedrich's  I.  bearbeitet  und 
erschienen  in  der  Officin  von  Papen,  s.  darüber  Fischer,  Frisch -Leibniz  S.  23. 
29.  59  f.  Die  Obei'leitung  hatte  eine  Commission.  Der  Secretar  Jabloxski  schreibt 
am  2i.Juhi7o8  an  Leibkiz  (Nr.  78):  Ȁlit  der  neuen  Anstalt  bei  dem  Schulwesen 
ist  der  Anfang  zwar  gemacht  und  ein  Versuch  gethan  worden,  zu  einer  Conformitat 
mit  der  lateinischen  Grammatik  zu  gelangen.  Allein  weil  die  Directores  solcher 
Sache  mit  mehr  andern  Geschäften  beladen,  können  sie  dieses  nicht  mit  genüg- 
samen Fleiss  warten.  Hr.  Chuno  und  mein  Bruder  sind  zwar  auch  zu  denen  dies- 
falls angestellten  Berathschlagungen  gezogen  worden,  jener  vigore  commissionis 
regiae,  dieser  bloss  jjro  consilio,  der  Societät  in  corpore  aber  ist  noch  nichts  zu- 
gemuthet  worden;  ich  glaube  auch  nicht,  dass,  wenn  sie  dai-an  Theil  nehmen  wollte, 
man  sie  gerne  zulassen  würde,  nachdem  gewöhnlicher  Maassen  ein  Jeder  hie  über 
seinem  Ansehn  eifert  und  nicht  gerne  etwas  davon  vergiebet".  Augenscheinlich 
hatte  Leibniz  gewünscht,  dass  die  Societät  hinzugezogen  werde;  hatte  er  doch 
durch  seine  Vorschläge  über  das  Bücher -Commissariat  einen  Anstoss  zu  der  Saclie 
gegeben.  Er  hoffte  gewiss  auch ,  dass  der  Societät  Einnahmen  daraus  erwachsen 
würden.  Aus  dem  Brief  Papen's  (vom  3.  Juli  1708)  geht  hervor,  dass  Director  der 
Universal -Eini'ichtung  des  Schulwesens  der  General -Commissarius  von  Danckel- 
MANN  war;  Commissarii  waren  Professor  Bekmann  in  Frankfurt,  der  Hofpi-ediger 
und  Cuneaü.  Der  Societät  vertraute  man  die  Sache  nicht  an.  Frisch  wünschte, 
dass  sie  die  Logik  herausgäbe  (Briefe  Nr.  21  und  22  vom  7.  und  20.  November  17 10): 
»die  Societät  muss  hier  das  Werk  wegen  Scientien  angreifen  und  nebst  der  Ehre 
auch  den  Profit  ziehen«.     Zu  vergleichen  ist  noch  Nr.  105  des  Urkundenbandes. 

^    Siehe  ihren  Brief  vom   29.  October  1707   (Klopp.   10.  Bd.  S.  415  f.). 

3    A.a.O.  S.  4i6f. 

*    Siehe  Urkundenband  Nr.  91. 


152  Geschichte  der  Societät  von  1700  —  1711. 

Societät  habe,  aber  seine  Beamten  sie  nicht  ausführen.  »Les  bonnes 
intentions  du  roi  ont  souvent  le  malheur  d'etre  mal  executees.« 
.  .  ,  »Cela  rendra  meme  la  societe  meprisable,  car  eile  a  des  membres 
dans  les  pays  etrangers,  qui  ne  peuvent  pas  manquer  d'apprendre 
ces  contretemps. « 

Das  Haus  wurde  gekauft  —  voll  Freude  zog  die  Familie  Kirch 
ein^  — ,  und  das  Observatorium  war  im  September  1 708  so  weit 
fertig,  dass  die  Kammer  es  der  Societät  übergeben  wollte.  Allein 
diese  fand  noch  Manches  nicht  nach  Wunsch  und  wies  die  tJl)er- 
gabe  noch  zurück.  Ihre  finanziellen  Verhältnisse  hatten  sich  lang- 
sam, aber  sicher  gebessert",  weil  der  Kalenderverkauf  in  den  letzten 
Jahren  sehr  gestiegen  war^.  Da  trat  ein  Handel  ein,  der  der  Socie- 
tät, die  ohnehin  noch  nicht  viel  Ansehen  genoss,  in  der  öffentlichen 
Meinung  höchst  schädlich   sein  musste. 

Die  Societät  hatte  in  den  letzten  Jahren  drei  Mitglieder  auf- 
genommen, die  zwar  rühriger  waren  als  die  meisten  anderen,  aber 
durch  Leichtfertigkeit  und  andauernde  Geldnoth  sich  dem  Industrie- 
ritterthum  in  bedenklicher  Weise  näherten.  Der  eine  von  ihnen, 
Cn.  H.  Oelven,  ein  Krankheits  halber  verabschiedeter  preussischer 
Eittmeister,  gab  seit  1708  die  erste  Berliner  populäre  Zeitschrift 
in  deutscher  Sprache  heraus:  »Monatliche  curieuse  Natur-,  Kunst-, 
Staats-  und  Sitten -Präsenten,  zum  Nutzen  und  Ergötzen«.  Er  war 
ein  nicht  unbegabter  Mann  von  mancherlei  guten  Ideen,  aber  ein 
zucht-  und  kritikloser  Geist,  mit  allerlei  Ijuntem  Wissen,  überall 
unzuverlässig,  unsolid  und  marktschreierisch,  entschlossen  auf  jede 
Weise  Geld  zu  verdienen,  sei  es  auch  durch  wüstes  Sykophanten- 
thum*.      Auf  seinen  Vorschlag  war   im   Frühjahr    1708    Marperger 


'  »Kirch  wohnet  in  dem  neuen  Societätshause  ganz  vergnügt"  .  schreibt  der 
Buchhändler  Papen  an  Leibniz  (26.  IMai  1708).  Auch  Leibniz  sollte  dort  ein  Zimmer 
als  Absteigequartier  erhalten;  s.  Secr. -Leibn.  Nr.  77  vom  3.  Juli  und  Nr.  78  vom 
2 I.Juli  1708.  Der  Buchhändler  Papen  wohnte  ebendort;  auf  dem  Grundstück  be- 
fand sich  auch  ein  Stall  und   ein  Schuppen. 

-  Besondere  Atisgaben  hatte  die  Societät  damals  nicht;  wir  liören  nur,  dass 
Scheuchzer's  Iter  Alpinum  mit  ihrer  Unterstützung  gedruckt  worden  ist  (Secr.- 
Leibk.  Nr.  57   vom    18.  Juni  und  Nr.  61  vom  8.  October  1707). 

^    Siehe  die  Briefe  Papen's  an  Leibniz  vom  21.  Febr.  1708  und  17.  Juni  1709. 

*  Über  Oelven  und  seine  Zeitschrift  s.  Geiger,  Berlin  1688  — 1840  i.Bd.  S.  141  ff. 
Erschienen  sind  nicht  volle  zwei  Jahrgänge,  vergl.  auch  Fischer,  Frisch  S.  55f., 
der  die  bishei'ige  Litteratur  über  Oelven  verzeichnet  und  neue  ]Mittheilungen  über 
ihn  verspricht.  La  Croze  luid  Frisch  stimmen  im  abschätzigen  Urtheil  über  den 
Mann  überein  (Briefwechsel  mit  Leibniz  in  Hannover).  Man  kann  es  ihm  zu  Lobe 
sagen ,  dass  er  deutsch  gesinnt  war,  die  Resultate  der  Wissenschaft  in's  praktische 
Leben  einführen  wolUe   und  die    unfruchtliare  Zettelüelehrsamkeit  der  Stuben-  und 


Die  OELVEN'scheu  Händel.  153 

aufgenommen  worden  \  Als  Gelehrter  war  er  von  ganz  anderem 
Schlag  als  Oelven.  Sein  Name  hat  in  der  Geschichte  der  Handels- 
wissenschaft, der  politischen  Geographie  und  Statistik  einen  sehr 
guten  Klang:  er  hat  diese  Disciplinen  in  Deutschland  mitbegründet; 
allein  auch  er  war  durch  bittere  Noth  ein  mercennarius  geworden, 
dichtete  und  schrieb  um  Geld,  was  man  ihm  auftrug,  auch  bittere 
Angriffe"'.  Der  Dritte  war  ein  Herr  von  Meisebuch  (Meisebug),  von 
dem  nur  bekannt  ist,  dass  er  mit  jenen  zusammenhielt.  Wahr- 
scheinlich ist  er  identisch  mit  dem  Dichter  des  Festliedes  auf  die 
Taufe  der  Prinzessin  Friederike  Sophie  Wilhelmine.  Da  drei  Könige 
persönlich  bei  ihr  Gevatter  standen  (Juli  1709:  die  Könige  A^on 
Preussen,  Sachsen  und  Dänemark),  so  verglich  er  sie  mit  den  hei- 
ligen drei  Königen,  die  Prinzessin  mit  dem  Jesuskind,  und  erhielt 
dafür    ein    ansehnliches    Geschenk^.      Dass    diese    Collegen    ernsten 


Bibliothek -Gelehrten  verspottete;  aber  er  besass  weder  das  Wissen  noch  den  Cha- 
rakter, um  als  Reformer  auftreten  zu  dürfen. 

^  Siehe  Secr.-LEiBx.  Nr.  66  vom  4.  Februar,  Nr.  69  und  70  vom  10.  und 
17.  jNIärz  1708.  Der  Secretar,  der  den  Vorschlag  Leibniz  unterbreitet,  ist  Marperger 
als  Gelehrten  günstig  gesinnt,  "wenn  nicht  seiner  Person  wegen  einiges  Bedenken 
wäre«.    Doch  heisst  es  dann:   »hat  keinen  anderen  Vorwurf  als  rem  angustam  domi". 

^  Frisch  schreibt  über  ihn  (Fischer  Nr.  10  vom  18. Juni  1708  8.14):  "Herr 
Marperger  ist  mein  Landsmann  und  mir  also  von  langer  Zeit  her  bekannt;  ich 
halte  ilm,  wenn  ich  unparteiisch  und  nach  meinem  Begriff  urtheilen  soll,  fiir  des 
Hrn.  Oelvex  guten  Freund,  der  da  fähig  ist,  noch  wohl  mehr  als  jener  zu  thun, 
sonderlich  in  dergleichen  Monath-praesenten.  Sein  Calamus  ist  bissher  mercenarius 
gewesen.  In  den  Commercien -Wesen  ist  er  ein  guter  Theoreticus.  Zu  Lübeck  hat 
ihn  die  Armuth  viel  gelehret.  Er  war  der  ganzen  Statt  Verssmacher  und  hat,  da 
er  hier  nichts  damit  erstümpern  können,  ein  und  andere  bittere  Zeilen  in  faveur 
des  H[errn]  Oelven  gemacht.  Ich  kan  leicht  errathen,  wer  ihn  recommendirt;  aber 
dergleichen  Leuthe  sind  ulcera  und  keine  Zierden  einer  Societät.  Herr  Stark  wird 
bezeugen  können,  dass  er  sich  zu  üblen  Streichen  gegen  ihm  von  denen  Bucli- 
führern  gebrauchen  lassen.  Ew.  Exc[ellenz]  verzeihen  mir  mein  allzu  freyes  Urtheil, 
das  ich  hier  beygefügt,  und  seyen  versichert,  dass  ich  viel  Zeugen  darinnen  be- 
kommen kan.  Die  Begierde,  die  Societät  in  Renommee  zu  sehen,  ist  bey  mir 
grösser,  als  alle  Landsmannschafft,  und  weiss  ich  gewiss,  dass,  wann  dergleichen 
INIembra  sollten  anwachsen,  wie  Herr  Oelven  ist,  einige  andere,  die 
lobwürdigere  Absichten  bissher  gehabt,  wünschen  werden,  dass  sie 
nicht  möchten  in  solcher  Zahl  seyn,  oder  wohl  gar  mit  Zurück- 
schickung des  diplomatis  sich  vor  solche  Ehre  bedancken...  Fischer 
sagt  (S.56):  »Frisch's  Urtheil  wird  von  der  Geschichte  nicht  bestätigt«;  allein  die 
Geschichte  erzählt  nur  von  der  wissenschaftlichen  Bedeutung  Marperger"s,  die 
Frisch  nicht  ausschhesst.  Siehe  über  Marperger  auch  Geiger,  a.a.O.  I  S.  131  ff., 
und  J.  Franck  in  d.  Allg.  Deutsch.  Biographie,  20.  Bd.  S.405  ff.,  der  die  Schranken 
der  Bedeutung  Marperger's  wohl  kennt  und  ausserdem  seine  sehr  uncultivirte 
Sprache  rügt. 

^  Siehe  über  ihn  La  Croze's  Briefe  an  Leibxiz  und  Fischer,  a.  a.  0.  S.66. 
Geiger,  a.  a.  0.  S.4.     Dass  August  der  Starke  von  einem  :\ritulied  der  Preussischen 


154  Geschichte  der  Societät  von  1700-1711. 

wissenschaftlichen  Arbeitern,  wie  La  Croze  und  Frisch,  äusserst 
missfielen,   ist  wohl  verständlich. 

Bereits  im  September  i  709  hat  Meisebug  Berlin  schimpflich  ver- 
lassen müssen  \  und  einige  Monate  später  wurde  Oelven  von  seinen 
Verwandten ,  die  den  geistig  und  körperlich  völlig  gebrochenen  Mann 
endlich  bei  sich  aufnahmen,  nach  Neu-Ruppin  gebracht",  während 
Marperger  sich  künniierlich  durchschlug'.  Aber  im  Jahre  1708 
waren  sie  durch  Oelven's  Zeitschrift  eine  Macht  und  schienen  ent- 
schlossen zu  sein,  die  schlafende  Societät  aufzuwecken  und  ihr  eine 
neue  Eichtung  —  die  nationale  und  politisch -ökonomische  —  zu 
geben.  Sie  kamen  regelmässig  Mittwochs  zusammen,  und  auch  der 
Secretar  und  Ancillon  haben  anfangs  an  den  Besprechungen  Theil 
genommen. 

Streitigkeiten  zwischen  den  Gelehrten  Berlins  rissen  nicht  ab  — 
so  beklagte  sich,  ebenfalls  im  Jahre  1708,  Naude  bitter  bei  Leibniz* 
über  einen  schmachvollen  und  lügenhaften  anonymen  Angriff  und 
hielt  den  Berliner  Jaqüelot  für  den  Verfesser^  — ;  aber  eine  so  pöbel- 
hafte Invective,  wie  sie  Oelven  im  Märzheft  1708  gegen  La  Croze 
richtete,  war  doch  unerhört*'.  Der  Anlass  war  ganz  nichtig.  Oelven 
fühlte  sich  als  Geschäftsdichter  durch  ein  abschätziges  Urtheil  über 
ein  für  den  Hof  bestimmtes ,  schmeichlerisches,  prophetisches  Ana- 
gramm, das  La  Croze  gefällt  haben  sollte,  beeinträchtigt  und  über- 
schüttete den  Societätscollegen  nun  mit  den  gröbsten  Schimpfreden. 


Societät  der  Wissenschaften  mit  einem  der  drei  heiligen  Könige  verglichen  worden 
ist,  charakterisirt  das  Zeitalter  in  seinem  Verhältniss  zu  den  Fürsten. 

^  Siehe  Secr.-LEiBN.  Nr. 94  vom  28.  September  1709:  »Der  Hr.  von  Meisen- 
bug hat  einen  garstigen  Handel  gehabt,  aus  welchem  er  doch  durch  Hiilfe  seiner 
Freunde  sich  so  weit  herausgewickelt,  dass  er  mit  einer  Ehi-enerklärung  davon 
kommen  und  des  Arrests  erlassen  worden.  Bald  darauf  verlautete,  dass  er  die 
Römische  Religion  angenonunen  und  als  Resident  am  Kaiserlichen  Hofe  in  Chur- 
pfalzische  Dienste  trete.  Nachdem  habe  weiter  nichts  von  ihm  gehöret,  will  aber 
mich  diessfalls  näher  ei'kimdigen«. 

^  A.  a.  0.  Nr.  107  vom  17.  Mai  1710:  »Mit  dem  Herrn  Oe[l]ven  ist  es  so  weit 
gekommen,  dass  er  von  seinem  Schwager  nach  Ruppin  abgeführet  worden,  weil 
er  sich  ganz  contraet  nicht  nur  am  Leib,  sondern  aucli  am  Gemüth  befunden  und 
so  wenig  seine  Gliedmassen  als  den  Verstand  mehr  brauchen  können». 

^  Frisch  an  Leihniz  vom  12.  Januar  1712  (Fischer  Nr.  23  S.33):  »Zwei  von 
denen  ehmalen  eingenommenen  drei  Membris  haben  wenig  Reputation  hier  behalten, 
nämlich  Hr. Oelven  und  Hr.  von  Meisebug,  der  dritte  manutenirt  sich  kümmerlich, 
nämlich  Hr.  Marperger«. 

■*    La  Croze  an  Leibxiz,   15.  Mai  1708  (Hannov.  Bibl.). 

^    Naude  an  Leibniz,   5.  INIai   1708   (Hannov.  Bibl.). 

•^  Siehe  einen  Auszug  aus  ihr  in  Secr.-LEiBN.  Nr.74  vom  19. 3Iai  1708 
(vergl.  Nr.  72  vom   28.  April)   und  Frisch  vom   28.  April    1708. 


Die  OELVEN'schen  Händel.  15d 

Dahinter  lag  die  Abneigung  gegen  den  Franzosen  und  die  Verachtung 
seiner  dem  deutschen  Rittmeister  antipathischen  kosmopolitischen 
und  antiquarischen  Gelehrsamkeit  \  Sollte  dieser  maasslose  Angriff 
den  Feldzug  gegen  die  Buchwissenschaft  eröffnen  und  dem  Betriehe 
einer  neuen  nationalen  und  ökonomischen  Wissenschaft  die  Bahn 
frei  machen  —  Oelven  behauptete,  dass  er  allein  die  Reputation 
der  Societät  aufrecht  erhalte!"  — ,  so  konnte  er  nicht  ungeschickter 
gewählt  sein. 

La  Croze  benahm  sich  in  der  Öffentlichkeit  den  Beleidigungen 
gegenüber  würdig;  als  sie  sich  wiederholten,  verklagte  er  Oelven; 
aber  in  Briefen  an  Leibniz  schüttete  er  seine  ganze  Empörung  aus 
und  übertrieb  die  Sache  in  maassloser  Weise:  er  sprach  von  einem 
Complot,  das  gegen  ihn  bei  der  Societät  bestände,  erging  sich  in 
bitteren  Anklagen  gegen  »die  polnischen  Brüder«  —  die  beiden 
Jablonski  — ,  besonders  gegen  den  Secretar,  behauptete,  sie  steckten 
hinter  der  Sache  und  seien  verkappte  Socinianer,  die  ihm  seiner 
Orthodoxie  wegen  feindlich  seien,  schmähte  auch  Ancillon,  der  ihn 
ebenfalls  angegriffen  habe  —  »ein  Mensch,  der  nicht  im  Stande  ist 
vier  vernünftige  Worte  auf  das  Papier  zu  bringen«  —  luid  erklärte, 
er  »wolle  dem  Gebell  der  Cyniker  der  Societät  nicht  länger  aus- 
gesetzt sein,  und  er  trete  aus  einer  Gesellschaft  aus,  von  der  ihm 
neulich  ein  hochangesehener  Mann  gesagt  habe:  'Leute,  die  man 
anderswo  in's  Narrenhaus  steckt,  nimmt  man  hier  in  die  Societät 
auf«.  Ja,  er  schrieb  zuletzt  rund,  der  ganze  Angriff  gehe  von 
dem  leitenden  Directorium  der  Societät  aus  und  er,  Leibniz,  solle 
sich  nur  in  Acht  nehmen:  »Wenn  die  LIerrn  ihren  Faden  gegen. 
mich  fertig  gesponnen  haben,  w^erden  sie  sich  gegen  einen  Anderen 
wenden;  sie  w^erden  viel  weiter  gehen  als  man  denkt.  Herr  Schott 
wird  Ihnen   dies  Räthselwort  erklären^«. 


^  Dass  beide  sich  schon  früher  feind  waren ,  ersieht  man  aus  dem  Briefe  von 
Leient/.  au  La  Croze  vom  19.  Mai  1708;  Ancillon  hatte  zu  vermittehi  gesucht. 
(Hannov.  BibL,  dort  auch  die  anderen  Briefe  beider  Männer,  die  im  Folgenden  ci- 
tirt  sind.) 

^    Siehe  Secr.-LEiBN.  Nr.  91. 

^  Siehe  La  Croze's  Briefe  an  Leibniz  vom  25.  April  bis  September  1708.  In 
dem  Schreiben  La  Croze's  vom  15.  Mai  1708  heisst  es  auch:  »11  y  a  des  gens  ä 
Berlin  a  qui  on  entend  dire  a  tout  moment  'Unsere  Societät';  ces  gens-lä  s'en 
donneraient  tout  l'honneur  et  voudraient  peut-etre  y  entrer  pour  leur  quote 
part.  Cela  empechera  assurement  que  la  chose  ne  puisse  reussir«.  Zu  dem 
ganzen  Streit  sind  auch  Ancillon's  Briefe  an  Leibniz  vom  Jahre  1708  zu  ver- 
gleichen; man  erkennt  aus  ihnen,  dass  er  La  Croze  nicht  eben  freundlich  gesinnt 
gewesen  ist. 


156  Geschichte  der  Societät  von   1700-1711. 

Ob  ein  Körnclien  Wahrheit  diesen  Verdächtigungen  zu  Grunde 
lag,  Lässt  sich  nielit  mehr  entscheiden.  LEiBNizens  Antwortschreiben 
an  La  Ceoze  sind  wahre  Muster  von  Feinheit,  Mässigung  und  Freun- 
destreue. Es  gelang  ihm  erst  nacli  mehreren  Briefen  und  nach 
ernsten,  aber  liebenswürdigen  Vorhaltungen,  La  Croze  den  Kopf  zu- 
rechtzusetzen und  ihn  zu  beruhigen  \  Für  die  Societät  hatte  die 
Sache  die  unangenehme  Folge,  dass  der  König  sie  als  Censurbehörde 
für  alle  im  Inland  erscheinenden  und  vom  Ausland  eingeführten 
politischen  und  gelehrten  Schriften  einsetzte  und  speciell  befahl,  die 
«Monatlichen  Präsente«  ihres  Collegen  vor  dem  Druck  durchzusehen". 
Letzteres  brachte  sie  in  unaufhörlichen  Streit  mit  Oelven  —  dessen 
Unverschämtheiten  nicht  aufhörten  und  der  noch  ein  ganzes  Jahr 
sich  einen  gewissen  Eintluss  zu  bewahren  verstand^  — ,  und  der 
ganze  Handel  zog  ihr  den  Spott  der  Leute  zu,  die  Akademie  sei 
eine  »societas  obscurorum  virorum^«.  La  Croze  war  nicht  der 
Einzige,  der  mit  seinem  Austritt  drohte",  und  Cuneau  meinte 
mit  Recht,  die  Societät  habe  noch  nichts  geleistet,  um  die  Auf- 
merksamkeit der  Gelehrten  auf  sich  zu  ziehen,  und  dürfe  sich  um  so 
weniger  »durch  nicht  recht  würdige  Dinge  der  Welt  in  die  Augen 
stellen « . 

Hatte  das  Directorium  wirklich  anfangs  Oelven  und  seinem  An- 
hang zu  viel  nachgegeben  und  La  Ckoze  nicht  energisch  genug  gegen 
ihn  vertheidigt,  so  sollte  es  im  folgenden  Jahr  bitter  bestraft  wer- 
den. Im  Beginn  des  Jahres  1709  war  Leibniz  auf  der  Rückreise 
von  Wien    nach  Hannover  einige  Wochen   in  Berlin    anwesend  ge- 


'    Siehe  LEiBNizens  Briefe  vom   19.  Mai  u.  ff. 

^  Die  Zeitschrift  Oelven's  ist  wirklich  von  da  ab  stets  von  der  Societät  durch- 
gesehen worden:  ob  aber  sonst  das  Edict  eingehalten  worden  (s.  den  Abdruck  im 
Urkundenband  Nr.  92),  vermag  ich  nicht  festzustellen. 

^  Er  schlug  viele  neue  Mitglieder  vor,  und  die  Societät  war  ihm  gegenüber 
niclit  energisch  genug,  s.  Secr.-LEiuK.  Nr.  86  und  88  vom  6.  Juli  und  3.  August  1709: 
»Hr.  Oelven,  welcher  vor  andern  mit  solchen  Recommandationen  sich  gern  beladet, 
hat  noch  zween  andere  vorgeschlagen,  nemlich  einen  Prediger  zu  Brandenburg,  so 
mit  einem  neuen  systemate  philosophiae  ad  veritatem  s.  scripturae  exactae  schwanger 
gehet«.  ■ —  Oelven  spielte  sich  auch  als  \^ertheidiger  der  Kirchenlehre  gegenülier  dem 
Rationalismus  auf.  «Der  Herr  Oelven  hat  ohne  Zweifel  seine  eigenen  Absichten 
bei  allen  denen,  welche  er  der  Societät  präconisiret,  womit  er  doch  meistentheils 
eben  wie  mit  seinen  übrigen  Dingen  nur  Verdruss  und  Beschwerlichkeit  erwecket, 
dergleichen  eine  nicht  der  geringsten  ist  die  Censur  seiner  Älonatlichen  Präsenten« 
u.  s.  w. 

*  Cuneau  an  Leibniz  vom  30.  April  1709.  Da  er  den  Spott  italienisch  und 
lateinisch  anführt,  stammt  er  vielleicht  von  La  Croze. 

^    Siehe  Friscils  Mittheilung  S.  153. 


Leibniz  in  Berlin  (1709).  157 

wesen,  um  den  Druck  der  Miscellanea  —  er  begann  im  Mai  1709 
wirklich^  —  einzuleiten  und  nach  dem  Seidenwerke  zu  sehen".  Seine 
Aufnahme  war  eine  kühle  gewesen;  aber  er  durfte  nicht  bleiben, 
denn  in  Hannover  war  man  über  ihn  erbittert.  Er  war  ohne  Wissen 
seines  Landesherrn  unter  falschem  Namen  mehrere  Monate  in  Wien 
gewesen  und  musste  nun  zurückeilen,  um  sich  zu  entschuldigen.  Die 
Verhältnisse  der  Societät  fand  er  fortschreitend,  LaCroze  beruhigt^; 
einige  Monate  später  erhielt  die  Societät  in  dem  berühmten  Arzt 
Hoffmann  aus  Halle  einen  sehr  willkommenen  Zuwachs  und  wurde 
das  Observatorium  Avirklich  übergeben  (August  1 709^);  aber  die 
feierliche   Einrichtung   der   Gesellschaft,    die   für    den   11.  Juli  1709 


^  Siehe  Papen  an  Leibniz  vom  17.  Juni  1709,  Secr. -Leibn.  Nr.  86  vom  Juli 
1709,  dazu  Nr.  88.  94.  95.  104—108,  fei-ner  Cuneau's  12  Briefe  aus  dem  Jahre  1709. 
Aus  diesen  Schreiben  geht  hervor  —  was  übrigens  an  sich  klar  ist  — ,  dass  Leib- 
niz Zueignung  und  Vorrede  verfasst  hat.  Auch  auf  die  beizugebenden  Tafeln  (es 
ergab  sicli  die  stattliche  Zahl  von  31)  erstreckte  er  seine  Sorge  —  von  ihm  stammt 
die  Anordnung,  sie  so  einzuheften,  dass  man  sie  und  das  Buch  zugleich  aufschlagen 
könne  — ,  und  dem  schönen  Titelkupfer  wandte  er  seine  besondere  Aufmerksam- 
keit zu,  s.  Nr.  81.  93.  99.  106.  Der  Meister  Werner,  der  das  Bild  erfunden  und 
zu  stechen  begonnen,  wurde  durch  schwere  Krankheit  an  der  Ausfiilu-ung  gehindert. 
Eine  Verzögerung  des  Drucks  trat  auch  dadurch  ein,  dass  Cuneau  —  durch  neue 
ÜELVEN'sche  Händel  schwer  gekränkt,  s.  u.  —  im  November  1709  einen  Schlaganfall 
erlitt;  zwar  fing  er  schon  Ende  Januar  wieder  für  die  Societät  zu  arbeiten  an,  war 
aber  seitdem  viel  von  Schmerzen  geplagt  imd  nur  noch  wenig  brauchbar,  s.  Secr.- 
Leibn.  Nr.  97— 100  (i.  Februar  1710). 

-  Siehe  seinen  Brief  an  die  Kurfürstin  Sophie  aus  Berlin  vom  Januar  1709 
(Klopp,  9.  Bd.  S.  294  ff.)  —  es  ist  derselbe  Brief,  in  welchem  er  der  Frau  Kirch 
mit  hohem  Lobe  gedenkt:  «Je  ne  jDense  presque  ici  qu'a  ce  qui  sert  ä  l'accrois- 
sement  des  sciences  (folgt  ein  kurzer  Bericht  über  das  Seidenwerk).  C'est  une 
aflfaire  que  la  feue  reine  favorisait  fort,  et  maintenant  le  prince  royal  la  protege 
dans  les  occasions  (das  sollte  sein  Verweilen  in  Berlin  beim  hannoverschen  Kur- 
fürsten entschuldigen).  Je  suis  apres  ä  parcourir  quelques  memoires  servant  aux 
sciences,  qu'on  a  presentes  ä  la  societe,  et  dont  eile  publiera  des  echantillons. 
Mais  cela  ne  m'arretera  que  peu  de  jours,  et  je  me  depecherai  pour  me  trou- 
ver  promptement  a  Hanovre,  conformement  aux  ordres  et  aux  intentions  de  Mon- 
seigneur  l'Electeur,  ayant  plus  d'envie  que  qui  que  ce  soit  de  voir  mon  ouvrage 
achevc". 

^  Siehe  seine  Bemerkung  unter  La  Croze's  Brief  Nr.  21  der  Hannov.  Samm- 
lung; aber  im  Jahre  1709  hatte  La  Croze  noch  einmal  Grund  zu  bitteren  Klagen, 
liess  sich  aber  diesmal  schneller  beruhigen  und  räumte  ein,  dass  er  plus  d'une  fois  avec 
trop  de  rivalite  geschrieben  habe  (s.  seine  Briefe  vom  23.  September  und  30.  Oc- 
tobcr  1709).  Von  da  ab  wird  der  Briefwechsel  wieder  ein  rein  wissenschaftlicher 
und  bezog  sich  vornehmlich  auf  Linguistik.  Im  Brief  vom  16.  December  1709  theilt 
La  Croze  folgende  wichtige  Entdeckung  mit:  »Je  vous  assure  que  j'ai  reconnu, 
qu'on  peut  retablir  en  plusieurs  endroits  la  veritable  leqon  des  LXX  par  le  moyen 
de  rArmenien". 

*    Siehe  Secr. -Leibn.  Nr.  90  vom  24.  August  1709. 


158  Geschichte  der  Societät  von  ITOO-lTll. 

festgesetzt  war,  musste  wiederum  unterbleiben,  da  die  Anwesenheit 
der  Könige  von  Dänemark  und  Sachsen  in  Berlin  den  Hof  beschäf- 
tigte \  Da.  bracli  Oelven  von  Neuem  los.  In  einer  Eingabe  an  den 
König  erklärte  er,  einen  Mann  zu  kennen,  der  ein  Geheimniss  wisse, 
die  Einkünfte  der  Societät  ausserordentlich  zu  vermehren ;  er  be- 
hauptete zugleich,  die  Kalender  hätten,  richtig  betrieben,  bis  zum 
Jahre  1 708  69840  Thlr.  einbringen  müssen  und  die  bisherige  Ver- 
waltung sei   ganz  unfähig. 

Der  Mann  war  er  wahrscheinlich  selbst,  die  aufgestellte  Rech- 
nung war  ein  heller  Unsinn ,  das  Ganze  ein  letztes  Mittel ,  Geld  zu 
erhalten;  denn  er  und  seine  Familie  waren  dem  Verhungern  nahe. 
Aber  dass  Oelven  den  Minister  mit  Eingaben  in  dieser  Sache  über- 
schütten durfte ,  dass  das  Concilium  zur  Verantwortung  gezogen  und 
dass  zwei  Commissionen  zur  Revision  der  finanziellen  Lage  der  So- 
cietät eingesetzt  wurden ,  daran  war  das  Concilium  doch  nicht  ganz 
unschuldig.  Es  hatte  bisher  Niemandem  Einsicht  in  seine  Rech- 
nungen verstattet,  und  selbst  die  einheimischen  Mitglieder  wurden 
über  sie  in  vollkommener  Unwissenheit  gelassen.  So  konnten  sich 
die  abenteuerlichsten  Gerüchte  über  die  Einkünfte  aus  den  Kalen- 
dern bilden ;  die  rechtlosen  und  unbesoldeten  Mitglieder  —  vor 
allem  Oelven  und  Marperger  —  schauten  begierig  nach  Pensionen 
aus,  und  schliesslich  schöpfte  die  Regierung  selbst  Verdacht  und 
verlangte  Rechenschaft. 

Das  Concilium  gab  diese  sofort.  Aber  die  Regierung  blieb  miss- 
trauisch  und  verlangte  mehr.  In  sehr  würdiger  Weise  verwahrte 
sich  Namens  des  Conciliums  Cuneau  nun  dagegen ,  dass  die  Regierung 
die  Charlatanerieen  und  Frechheiten  «eines  malitiösen  und  gemein- 
gefährlichen Narren«  ernsthaft  nehme  und  die  Societät  auf  solche 
Anklagen  hin  zum  zweiten  Mal  belange;  auch  der  Secretar  war  jetzt 
Feuer  und  Flamme  gegen  Oelven";  aber  schliesslich  blieb  nichts  übrig: 
die  Societät  musste  sich  eine  commissarische  Untersuchung  gefallen 
lassen.  Das  Concilium  konnte  sich  glänzend  rechtfertigen.  Die  Ein- 
nahmen waren  zwar  (von  1701  bis  1708)  allmählich  von  6500  auf 
8560  Thlr.  (incl.  aller  Jahresüberschüsse)  gestiegen^  und  die  Aus- 
gaben  waren  etwas  gefallen;   aber  in  dem  Überschuss,   der  für  das 


^  Siehe  Frisch's  Brief  Nr.  13  vom  31.  Juli  1709,  Fischer  S.  18,  und  den  Brief 
der  Frau  Kirch  vom    17.  Juli  1709  (Secr. -Leibn.  Nr.  87). 

^    Siehe  Secr. -Leibn.  Nr.  90  — 107. 

^  Die  Zahl  der  verkauften  grossen  und  kleinen  Kalender  war  von  70648  im 
Jahre  1701    auf  99132   im  Jahre  1708  gestiegen. 


Die  Finanzvenvaltung  der  Societät  wird  beargvvölmt  und  controlirt.       159 

Jahr  1708  zu  erAvarten  war,  von  etwa  4600  Thlr.  (alle  Jaliresüber- 
schüsse  zusammen),  steckten  2200  Thlr.  aufg-enommene  Capitalien. 
Es  war  also  ein  wirklicher  Uberschuss  nur  von  etwa  2400  Thlr. 
vorhanden,  der  zum  Theil  für  die  Herstellung  des  i.  Bandes  der 
Miscellanea  verwendet  werden  musste.  Das  Besoldungsconto ,  in  wel- 
chem 600  Thlr.  für  Leibniz,  500  für  den  Astronomen,  300  für  den 
Secretar,  200  für  den  jüngeren  Astronomen  zu  verrechnen  waren, 
betrug  in  den  acht  Jahren  1385,  1455,  1395,  1400,  1800,  1700, 
1700,  1405  Thlr.,  d.  h.  die  Kasse,  die  nicht  in  jedem  Jahr  pünkt- 
lich zu  zahlen  vermochte,  war  noch  mit  560  Thlr.  im  Rückstand^; 
von  unbefugten  Zuwendungen  an  die  Mitglieder  des  Conciliums 
konnte  also  keine  Rede  sein.  Das  ßücherconto  schwankte  zwischen 
27  und  98  Thlr.,   also   auch  hier  nur  der  bescheidenste  Aufwand. 

Oelven  wurde  abgewiesen;  er  legte  sich  dann  auf's  Jammern 
und  bat  um  Almosen;   er  hatte  ausgespielt. 

Obgleich  die  Societät  bei  diesem  ganzen  Handel,  der  l)is  in 
den  December  1709  dauerte",  wiederholt  gebeten  hatte,  den  Präsi- 
denten Leibniz  zu  unterrichten  und  sein  Urtheil  einzuholen ,  wurde 
dieses  Ersuchen  vom  Minister  und  bei  Hofe  doch  überhört.  Es  war 
der  deutlichste  Beweis,  dass  man  ihm  misstraute  und  ihn  mög- 
lichst entfernt  halten  wollte.  Dass  er  zu  den  zwei  Fäden,  die  er  in 
der  Hand  hielt,  noch  einen  dritten  in  Wien  anzuspinnen  begon- 
nen hatte,  verübelte  man  ihm:  der  Mann  war  undurchsichtig,  sein 
rastloses  Streben,  alle  grösseren  Höfe  Deutschlands  für  die  Wissen- 
schaft zu  interessiren  und  Deutschland  geistig  zu  einigen,  völlig  un- 
verständlich. Er  achtete  des  Misstrauens  nicht,  sondern  fuhr  fort, 
das  Hauptwerk  zu  l)etreiben,  welches  die  Societät  aufweisen  musste, 
wenn  sie  ihrer  Aufgabe  entsprechen  und  Ansehen  erlangen  sollte  — 
die  Herstellung  eines  Bandes  gediegener  wissenschaftlicher  Abhand- 
lungen. Endlich  war  der  Druck  beendigt.  Im  Mai  17 10  wurde 
das  W^erk  in  Leipzig  ausgegeben^.  Es  trug  den  von  Leibniz  ent- 
worfenen Titel: 


'  Audi  Leibniz  hat  in  den  ersten  Jahren  seinen  Gehalt  nicht  voll  ausbezahlt 
erhalten,  wie  die  Acten  im  Akademischen  Archiv  und  in  Hannover  ausweisen.  Ln 
Jahre  1706  fehlten  noch  1200  Thaler,  die  aber  allmählich  nachgezahlt  wurden.  Auf 
einem  Zettel  (Hannover)  findet  sich  die  Notiz  von  Leibniz,  er  habe  1500  Thlr.  zu 
wenig  bekommen  und  man  entschuldige  sich  damit,  dass  sonst  die  übrigen  un- 
entbehrlichen Personen  nicht  hätten  bezahlt  werden  können. 

"    Siehe  Secr. -Leibn.  Nr.  90  ff.  und  den  Urkundenband  Ni'.  93. 

^    Siehe  Secr. -Leibn.   Nr.107   vom    ly.lMaiijio. 


160  Geschichte  der  Societiit  von  1700-1711. 

Miscellanea 

Berolinensia 

ad 

incrementum  scientia- 

rum 

ex  scriptis 

Societatis  Regiae 

Scientiarum 

exhibitis 

edita, 

cum  figuris  aeneis   et  indice 

materiarum. 

Berolini, 

Sumptibus 

Johann.  Christ.  Papenii, 

Bibliopolae  Regii   et  Societatis  Privilegia.ti. 

A.  MDCCX. 

Im  Juni^  überreichte  die  Societät  mit  einem  Briefe  von  Leibniz 
ein  Exemplar  dem  Könige'.  Der  stattliche  Quartband  ist  als  Leib- 
Nizens  Werk  zu  betrachten ;  er  wurde  von  der  gelehrten  Welt  sehr 
günstig  aufgenommen^,  obgleich  der  Autor  nicht  ganz  mit  ihm  zu- 
frieden war*.  Unter  den  60  Abhandlungen,  die  er  enthält,  sind 
nicht  weniger  als  1 2  von  Leibniz  selbst  (dazu  die  Zueignung  und 
die  Vorrede) ,  und  zwar  in  allen  drei  Abtheilungen  (Litteraria,  Physica 
et  Medica,  Mathematica  et  Mechanica)^.    Mit  Recht  äusserte  sich  der 


^    A.a.O.  Nr.  108  vom  14.  Juni  1710. 

^  Der  Brief  an  den  König  in  Secr. -Leibn.  Nr.  109,  s.  Urkundenband  Nr.  94, 
an  den  Oberkammerlierrn  Nr.  iio. 

^    Darüber  sind   in  LEiBNizens  Briefwechsel   zalilreiche  Zeugnisse   vorhanden. 

*  Siehe  seinen  Brief  an  den  Abbe  Bignon  in  Paris  vom  30.  Oetober  17 10 
(Feder,  Commerc.  p.  2530".):  >>Vous  avez  eu  la  bonte,  monsieur,  de  me  commu- 
niquer  quelquefois  des  nouvelles  litteraires,  j"ai  peiu-  que  mon  peu  de  reciproque 
vous  en  aura  degoüte.  Car  je  ne  suis  guere  en  etat  de  vous  rendre  la  pareille. 
La  societe  des  sciences  de  Berlin  a  public  quelques  «Miscellanea«,  et  j'espere  c|u"on 
vous  les  envoie,  comme  je  Tai  suggere.  Cet  essai  ne  me  contente  pas  en- 
tierement.  II  faut  esperer  qu'on  fera  mieux  avec  le  temps,  et  qu'apres  tant 
d"annees  de  desordre  et  de  malheur  le  genre  luunain  pourra  jouir  quelque  temps 
d'une  tranquillite  oü  les  sciences  avanceront  mieux«. 

'"    Leibniz  hat  in  dem  Bande  folgende  Abhandlungen  verfasst: 

1.  Brevis  designatio  meditationum  de  originibus  Gentium,  ductis  potissimum 
ex  indicio  linguarum. 

2.  Oedipus  C'hymicus  aenigmatis  Graeci  et  Germanici. 


Der  erste  Band  der   -INIiscellanea».     Leibnizchs  Vorrede.  161 

Secretar  der  Pariser  Akademie,  Fontenelle^  Leibniz  erscheine  hier 
unter  beinahe  allen  seinen  verschiedenen  Gestalten,  als  Historiker,  Anti- 
(|uar,  Etymolog,  Physiker  und  Mathematiker,  und  mit  nicht  geringerem 
Recht  fügte  er  hinzu,  dass  auch  der  Redner  Leibniz  in  der  Zuschrift 
an  den  König  sich  zeige.  Diese  Zueignung  ist  sachlich  und  stilistisch 
meisterhaft,  Sie  bezeichnet  in  festen  Zügen  das ,  was  in  der  Wissen- 
schaft seit  dem  grossen  Wandel  der  Dinge  bereits  erreicht  war,  und 
sagt  der  angestrengten  Fortarbeit  eine  glänzende  Zukunft  voraus"": 
Rex  Auguste. 
Gratulatur  sibi  Societas,  quam  scientiis  promovendis  fundasti, 
eo  tempore  curam  eins  a  Te  susceptam,   quo  Regni  novi  fundamenta 

3.  Annotatio  de  quibusdam  ludis,  imprimis  de  liido  quodam  Sinico,  diffe- 
rentiaque  Scachici  et  Latrunc'ulorum ,  et  novo  genere  Ludi  Navalis 
[diese  Abhandlung  beginnt  mit  den  hübschen  Worten :  »Saepe  notavimus, 
nnsquam  homines  cjuani  in  kidici'is  ingeniöseres  esse,  atque  ideo  kidos 
INIathematicorum  curani  niereri,  non  per  se,  sed  artis  inveniendi  causa. 
Ludi  eventus  fortuiti  inter  aha  prosunt  ad  aestiinandas  probabihtates, 
habemuscpie  ingeniosissimas  de  alea  ratiocinationes«]. 

4.  Historia  inventionis  Phosphori. 

5.  Epistola  de  figuris  animahum,  quae  in  lapidibus  observantur  etc. 

6.  De  elevatione  vaporum  et  de  corporibus ,  quae  ob  cavitatem  inchisam 
in  aijua  natare  possunt. 

7.  Annotatio  de  hice,  quam  (piidani  Auroram  boi'ealem  vocant. 

8.  Zui'  Differentiah'echnung. 

9.  Consti'uctio  problematis  ducendi  rectas ,  quae  tangunt  hneas  centrorum 
gravitatis. 

10.  Annotatio  de  arte  Noribergensi  specula  vitrea  conficiendi  sine  fohis. 

11.  Zu  einem  mechanischen  Problem. 

12.  Brevis  descriptio  Machinae  Arithmeticae  cum  figura. 

^  Eloge  de  31.  Leibniz  p.  325  (Hist.  du  Renouvellement  de  l'Acad.  T.  IL 
Amsterdam  1720). 

-  Auch  die  \'orrede  ist  von  Wichtigkeit  (s.  Ui'kundenband  Nr.  95).  Ein  Mit- 
gliederverzeichniss  dem  Bande  beizugeben,  lehnte  er  auf's  Entschiedenste  ab.  Die 
]Motivirung  findet  sich  in  dem  Brief  an  Ch.  Ancillon  vom  6.  September  1709  (Feder, 
Commerc.  p.  3  f.),  der  auch  sonst  interessant  ist  (vergl.  auch  Secr.-LEiBN.  Nr.  107 
vom   i7.]Mai   17 10): 

'■Une  liste  des  membres  de  la  Societe  ne  servirait  de  rien.  II  y  en  a  que 
je  ne  connais  pas,  et  qui  ont  ete  rcQus  sans  que  j'en  aie  pu  juger.  11 
suffit  de  marquer  dans  nos  »Miscellanea«  ceux  qui  contribueront  ä  son  but.  Et  vous 
pourrez,  IVIonsieur,  y  renvoyer  les  curieux.« 

"II  me  parait  peu  convenable  que  les  savants  soient  ä  la  discretion  des  li- 
braires.  II  y  aurait  remede  a  cela,  si  les  jjremiers  formaient  entre  eux  une  maniere 
de  correspondance  ou  d'intelligence  sur  le  debit  des  livres.  Si  j'etais  plus  jeune, 
je  serais  capable  de  pousser  un  tel  projet;  mais  il  n"en  faut  rien  dire.« 

»Ce  mot:  Le  roi  ne  vous  j^aye  point  pour  faire  des  livres,  ne  me 
surprend  point.  II  convient  assez  au  caractere  du  temps.  Ordinaireinent  on  ne 
considere  Tetude  (jue  comme  une  chose  mercenaire,  et  comme  une  echelle,  (pToa 
Ute  ou  neglige,  cpiand  on  n"a  plus  besoin  de  monter.« 

Geschichte  der  Akademie.    I.  11 


162  Geschichte  der  Societät  von   1700  —  1711. 

moliebare:  cuius  inaugurationem  Diploma  nostrmn  nondiiin  diinidio 
anno  antevertit.  Credo  ut  intelligeret  orbis,  Rege  dignum  esse,  uon 
minus  amplificare  opes  humani  generis.  quam  ornare  ditiones  suas. 
Est  enim  communis  liominum  thesaurus  situs  in  magnis  Veritatil)us, 
quibus  tamquam  magicis  carminibus  Natura  paret.  Omnia  elementa 
liodie  humanis  iussibus  serviunt:  Aqua  Terraque  content!  erant  ve- 
teres,  et  ne  bis  quidem  satis  imperabant;  nunc  Ignis  per  Cbemiam, 
Aer  per  Pneumaticen  regitur;  Coeloque  ipso  utimur  velut  duce,  ut 
a,nimo  spatiemur  per  tempora,  corpore  per  loca.  Hinc  et  iuvatur 
navigandi  ars,  quae  partes  nostri  orbis  inter  se  connectit,  cuius 
perfectionem  nobis  paene  spondet  Astronomia,  quae  ipsa  nos  miris 
machinis  in  remotissimum  sublime  attollit,  et  elegantissimam  Mundi 
faciem  aperit:  quam  si  novisset  Alpbonsus  Castellae  Rex,  magis 
meritis  in  scientias,  quam  gestis  etsi  insignibus  immortalis,  nihil 
in  structura  eius  reprehendisset.  lamque  in  ipsa  Divinae  Sapientiae 
arcana  admittimtur  naturae  sacerdotes,  noruntque  et  amant  pulcliri- 
tudinem,  quam  vulgus  tantum  veneratur:  ita  quod  aliis  admirationi 
solummodo,  bis  etiam  voluptati  est.  Nee  unum  inter  Reges  Alpbon- 
sum  laudat 

^^Regoles  nnimos  dignata  moüere<^   Uranie. 

Nam  ut  Atlanten!  Libycum  aut  Zoroastrem  Bactrianum  prae- 
teream,  magis  fabulis  quam  historiis  notos:  ut  principes  multos 
sileam  magis  amore  gloriae,  quam  affectu  intelligentiaque  bene  me- 
ritos:  certe  Ulug  ex  Tamerlanis  posteris  apud  Indos,  Rudolphus  II. 
Imp.  apud  Germanos,  »Tabulas  Astronomicas«  Alphonsi  exemplo  non 
minus  cura  quam  nomine  nobilitarunt.  Quantum  Plantarum  notitia, 
quantum  Animalium  Regibus  debeat,  alii  dixere.  Vicissim  per  Mi- 
neralium  Metallorumque  Scientiam  interdum  Reges  aut  Respublicae 
ad  summas  opes  pervenere.  Alexander  et  Annibal  magni  fuere,  quod 
Philippus  illius  pater  in  Macedonia,  Cartbaginienses  in  Hispania  lia- 
buissent  [sie]  quae  nunc  in  America  miramur.  De  Regibus  scientiarum 
studiosis  dudum  a  viris  doctis  actum  est.  Ptolemaeus  rex  quaesisse 
ex  Euclide  dicitur,  esse.tne  aliqua  Regia  ad  Matbesin  via,  id  est 
plana  facilisque:  negavit  Euclides.  sed  eam  liodie  novis  detectis 
Methodis  aperuimus.  Equidem  ita  sentiunt  intelligentes:  post  in- 
ventam  typographiam,  qua  notitiae  semel  obtentae  perpetuantur,  post 
reperta  Organa ,  quibus  visus  potentia  in  immensum  extenditur,  post 
detecta  sj^stemata  Macrocosmi  in  Astronomia,  post  promotam  ipsam 
Inveniendi  artem,  magnos  admodum  sperandos  progressus,  si  sie  per- 
gitur.    Hactenus  enim  in  infantia  fuere  scientiae,  et  vix  ab  uno  alterove 


I)ei'  erste  Band  der   "Miscellanea«.     Lei uxizens  Vorrede.  163 

saeculo  crepundia  et  nuces  rcliquere.  Et  cum  nihil  post  virtutem  sit 
bona  valetiidine  pretiosiiis  in  terris,  etiam  de  magnis  Medicinae  incre- 
men tis  desperandum  non  est,  malis  tollendis,  minuendis,  difterendis. 
Certe  si  singulis  annorum  centenariis,  quantum  novissimo,  prae- 
stabitur,  quam  longe  iturum  sit  humanum  genus,  quivis  videt.  Et 
quod  tamdiu  tardatum  est,  magis  imperfectis  institutis  publicis  quam 
artificibus  imputari  potest:  hos  enim  suae  suorumque  sustentationi 
dare  operam  necesse  fuit:  at  nunc  nova  luce  exorta  curatores  rei- 
publicae  a  Deo  Principibusque  datos  pro  omnibus  vigilare  par  erit, 
ut  collectis  ordinatisque  observationibus,  quibus  fidi  possit,  quaesi- 
tisque  studiose  experimentis  apparatus  Artium  locupletetur.  Et 
credibile  est,  si  inde  a  quadraginta  et  quod  excurrit  annis,  aut  ex 
quo  scientiarum  causa  in  Societates  coitur,  eo  ardore  perrectum 
fuisset  quo  coeptum  est,  jam  tum  magnos  inde  fructus  percepturos 
fuisse  homines,  et  qui  nihil  humani  alienum  a  se  esse  sentiunt, 
Principes,  etiam  ad  valetudinem  suam  suorumque  tuendam.  Sed 
in  bella  versae  sunt  curae  gentium,  ut  se  mutuo  infelices  facerent: 
dum  nos  tarnen,  Rex  Optime,  Tua  potissimum  cura,  alta  pace  frui- 
mur,  in  qua  inter  ceteras  populorum  felicitates  etiam  scientiae  florere 
solent.  Itaque  nunc  qualescunque  hae  primitiAe  ex  schedis  ad  So- 
cietatem  missis  decerptae  Tuae  Majestati  offeruntur,  ut  intelligas, 
sperari  aliquos  fructus  posse  ex  fundo  non  sterili,  si  ex  praescripto 
mandati  Regii  porro  irrige tur,  animadvertantque  illi  qui  colere  de- 
bent  Scientias  eamque  in  rem  a  publico  akmtur,  ut  in  ceteris  vitae 
officiis,  (piorum  es  exactor  iustissimus,  ita  hie  quoque  nemini  per 
te  negligenti  esse  licere.  Nee  dubitandam  est,  posse  Te  efficere 
pro  magnitudine  Tua ,  ut  inter  unum  alterumve  kistrum  plus  ad- 
jiciatur  notitiis  utilibus,  quam  saeculo  integro  per  lenta  —  ut  hac- 
tenus  —  studia  possit,  modo  Tibi  a  necessariis  iisque  gravissimis 
occupationibus  huc  animum  aliquando  solutiorem  vertere  vacet. 
Quod  equidem  sperare  fas  est,  nam,  ut  auguramur,  in  meliora 
quietioraque  tempora  Te,  Domine,  reservavit  Omnipotens,  et  si 
Vota  publica  audiuntur,  frueris  ipse  diu  bonis,  quae  mortalibus  dare 
parns.  LI  precantur  quicunque  sapientiam  tuam  l)enefaciendique 
animum  norunt,  quibus  Regum  virtutibus  vix  aliquid  salutarius  terris 
dare  eoelum  potest.  Vale  et  fovere  perge 
Rex  Auguste 

Majestati  Tuae 
subjectissimam   et  devinctissimam 


Societatem    Regiam    Berolinensem 


ir 


164  (ieschichte  der  Societät  von   1700-1711. 

Die  grosse  Melirzalil  der  Abhandlungen  (37)  gehört  der  mathe- 
matisch-mechanischen Klasse  an;  hier  haben  von  Einheimischen, 
ausser  Leibniz  (5),  Kirch  (8),  J.  H.  Hoffmann  (3),  d'Angicour,  Cu- 
NEAU,  ViGNOLES  uud  Naude  jun.  mitgearbeitet.  Zwölf  Abhandhingen 
sind  von  auswärtigen  Mitgliedern  eingescliickt  worden,  nämlich  von 
Bernoulli  in  Groningen  (i),  Guilielmini  (i)  und  Ja('.  Hermann  in  Pa- 
dua(i),  Hartsöcker  in  Düsseldorf  (3),  Henfling  in  Ansbach  (i),  Rehier 
in  Kiel  (i),  Sturbi  in  Frankfurt  a.  0.  (i)  und  Wurtzelbau  in  Nürn- 
berg (3);  drei  Arbeiten  von  Nicht -Mitgliedern  wurden  auch  aufge- 
nommen (Teuber,  Hecker  in  Gent;  Flamsted);  zwei  Arbeiten  sind 
anonym  \  Zu  den  physikalisch -medicinischen  Abhandlungen  haben 
die  Einheimischen  9 Abhandlungen  beigesteuert,  nämlich  Leibniz  (4), 
Spener  (2),  Frisch,  Chauvin  und  Kirch  (je  i).  Ferner  haben  sich 
sechs  auswärtige  Mitglieder  betheiligt,  Behrens  in  Hildesheim, 
Scheuchzer  in  Zürich,  Seidel  in  Frankfurt,  J.  A.  Schbiid  in  Maricn- 
tlial,  0.  Römer  in  Kopenhagen  und  Valentini  in  Giessen,  dazu  ein 
Anonymus.  Für  die  litterarische  Klasse ,  die  am  schwächsten  reprä- 
sentirt  ist,  haben  nur  Einheimische  gearbeitet,  nämlich  Leibniz  (3), 
La  Croze  (2)"",  Schott  (i)  und  Frisch  (i).  Die  Mitarbeiter  geben 
sowohl  durch  ihre  Zahl  als  durch  ihre  Arbeit  ein  Bild  von  der  Zu- 
sammensetzung und  den  Interessen  der  Societät.  Dass  das  mathe- 
matisch-physikalische Element  in  dem  Bande  überwiegt,  entspricht 
dem  wirklichen  Zustandet  Die  Sorge  für  die  deutsche  Sprache  ist 
wenigstens  durch  eine  Abhandlung  von  Frisch  (»Origo  ([uorundam 
vocabuloruni  Germanicorum  et  cum  aliis  Unguis  affinitas«),  in  der 
freilich  viel  Verkehrtes  steht,  vertreten.  Unerfüllt  ist  die  christ- 
lich-civilisatorische  Aufgabe  der  Societät,  man  müsste  denn  die  Ab- 
handlung von  La  Croze,  De  libris  »Sinensibus  Bibl.  Reg.  Beroliiieiisis, 

^  Zu  den  Maschinen,  die  besclirie])en  werden,  vergl.  Secr. -Leihn.  Nr. 98  vom 
2i.December  1709,  Nr.99  vom  11. Juni  1710,  Nr.  loi  vom  i.März  1710.  Nr.  100  vom 
I.Februar  17 10,  Nr.  loi  vom  i.März  1710  (dazu  den  Briefwechsel  von  Frisch  aus 
dieser  Zeit,  besonders  Nr.  19  vom  3.  Mai  17 10,  Fischer  S.  27:  «Hr.  Günther  ist 
endlich  überzeugt,  dass  das  perpetuum  mobile  nicht  angehe,  aber  er  will  ein  facil- 
lime  mobile  machen,  wozu  noch  mehr  Apparenz  ist,  als  zu  jenem«).  Die  Societät 
wurde  bereits  häufig  aufgefordert,  über  technische  Erfindungen  Gutachten  abzu- 
geben; auch  ein  Verfahren,  die  Schiffe  gegen  den  Wurmfrass  zu  schützen,  wurde 
ihr  vorgelegt  (s.  Secr. -Leibn.  Nr.  100  vom  i.P'ebruar  17 10). 

^  La  Croze  handelt  in  einer  Abhandlung  vom  Regenwunder  des  Marcus  unter 
Herbeiziehung  einer  »Stelle  Lucian's.  Auch  die  zugehörige  Darstellung  auf  der  Marcus- 
Säule  ist  auf  einer  Tafel  beigegeben. 

^  Dass  medicinische  Abhandlungen  fehlen,  lag  an  dem  Übelwollen  und  der 
Eifersucht,  die  die  Mediciner  gegen  die  Societät  hegten. 


Der  erste  Band  der   »^Miscellanea«.     Das  Statut  (1710).  165 

daliin  recliiien.  Die  neue  Differential -Rechnung  ist  sclion  angewen- 
det, und  überall  legt  der  Band  von  bereits  gewonnenen  Fortschritten 
Zeugniss  ab.  Abhandlungen,  wie  sie  an  den  Universitäten  üblich 
waren,  über  philosophisch-theologische  Streitfragen  und  philologische 
Quisquilien,  fehlen  ganz.  Geniale  Gedanken  und  epochemachende  Ent- 
deckungen sind  freilich  auch  nicht  zu  finden:  aber  solche  zu  com- 
mandiren  vermochte  selbst  ein  Leibniz  nicht.  Der  Band  ist  ein  Be- 
Aveis  dafür,  dass  die  neue  Wissenschaft  der  2.  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts in  Berlin  eine  Stätte  gefunden  hatte.  Der  besondere  Geist 
des  1 8.  Jahrhunderts  kündigt  sich  in  ihm  noch  nicht  an.  Aber  die 
jüngste  Vergangenheit  stellte  noch  Aufgaben  genügt 

Die  Societät  hatte  sich  endlich  würdig  in  die  wissenschaftliche 
Welt  eingeführt;  aber  Leibniz  selbst  sollte  keinen  Dank  ernten.  Wir 
kommen  zu  dem  verhängnissvollsten  Moment  in  der  ältesten  Ge- 
schichte der  Societät.  Die  Sache  ist  öfters,  zuletzt  von  Klopp,  so 
dargestellt  worden,  dass  auf  die  Mitglieder  der  Societät  bez.  des 
Conciliums  ein  dunkler  Schatten  fällt.  Ganz  zu  entschuldigen  sind 
sie  nicht,  aber  längst  nicht  so  schuldig,  wie  man  bei  ungenügen- 
der Kenntniss  der  Vorgänge  gemeint  hat.  Miss  Verständnisse  und 
Zufälligkeiten  haben  eine  bedeutende  Rolle  gespielt  und  die  uner- 
freuliche Sache  noch  schlimmer  erscheinen  lassen  als   sie  war. 

Bereits  im  Jahre  1704  (März),  als  man  glaubte,  das  Observa- 
torium werde  demnächst  fertig  gebaut  sein  und  die  regelmässigen 
Sitzungen  könnten  beginnen,  hatte  man  in  Berlin  ein  ausführliches 
Statut  für  die  vSocietät  ausgearbeitet  und  es  Leibniz  überschickt,  der 
es  gebilligt  hat  (s.  oben  S.  138).  Dieser  Statutenentwurf  von  1704 
ist  so  gut  wie  identisch  mit  dem  Statut,  das  im  Jahre  17  10  (3.  Juni) 
von  dem  Könige  genehmigt  worden  ist.  Diese  Thatsache  war  bis- 
her unbekannt;  aber  im  Akademischen  Archiv  befindet  sich  noch 
der  Entwurf  von  1704  mit  der  Bemerkung,  dass  er  Leibnizcii  com- 
municirt  worden  sei.      In  diesem  Entwurf  heisst  es  i.: 

»Wii-  wollen  aber  von  nun  an  und  jeder  Zeit  Unser  Societät  aus  dem 
Mittel  Unser  Wirklichen  Geheimen  Rähte  einen  Praesidem  honorarium  be- 
nennen, der  in  Unserem  Nahmen  derselben  vorstehen,  ihr  Bestes  beobachten,  über 
denen  von  Uns  bestellten  Gesetzen  und  Ordnunuen  halten  und  die  Ansieleüenheiten 


^  Bemerkenswerth  ist  es,  dass  in  dem  Bande  von  den  grossen  unlösbaren 
Problemen  des  Zeitalters  (Perpetuum  mobile,  Quadratur  des  Zirkels,  Goldmachen 
u.  s.  Av.)  nirgendwo  die  Rede  ist,  ebenso  wenig  von  den  analogen  Projecten,  eine 
Universalsprache  oder  wenigstens  eine  Universalschrift  zu  erfinden.  Letzteres  ist 
mn  so  auffallender,  als  sich  die  Societät  1708  — 171 1  sehr  eingehend  mit  der  Erfin- 
dung einer  Universalschrift  beschäftigt  hat,  die  Caspar  Rödeckex  (Rödickex)  vor- 
gelegt hatte  (s.  darüber  den  Urkundenband  Nr.  96). 


166  Geschichte  der  Societät  von    17(M»-171]. 

der  Societät.  wenn  solche  an  Uns  gelangen  zu  lassen  die  Notlnvendigkeit  erfordert, 
vortragen,  wie  nicht  weniger,  wenn  es  ihm  beliebt,  deren  Versanniilungen  beiwohnen 
und  von  dem.  so  darin  vorgehet,  Bericht  einnehmen  solle  und  möge.  Damit  al)er 
hierdurch  sowohl  er  an  seinen  anderweit  obliegenden  Verrichtungen  nicht  gehindert. 
noch  um  dieser  willen  die  Geschäfte  der  Societät  hindangesetzt  werden  dürfen,  soll 
er  dvu-ch  einen  Vice-Praesidem  aus  den  Gliedern  der  Societät  beständig  vertreten 
werden.« 

Ferner  lieisst  es    2.: 

»Und  damit  dieselben  (die  zu  erw^ählenden  4  Directoren)  bei  solch  ihrer  Be- 
mühung einiger  lilrgetzlichkeit  hiernächst  sich  zu  erfreuen  haben,  soll  auf  begeben- 
den Abgang  des  jetzigen  Praesidis  dasjenige,  so  demselben  wegen  seiner  Abwesenheit 
zu  Erstattung  derer  von  Zeit  zu  Zeit  auf  die  jedesmalige  Hin-  und  Wiederreisen 
zu  wendenden  Kosten,  überhaubt  als  ein  gewisser  Gehalt,  verordnet  worden,  kraft 
dieses  ihnen  sämmtlich  und  die  nebst  ihnen  das  Concilium  constituiren  zugeeignet 
sein  und  unter  sie  gleich  verteilet  werden." 

Diese  beiden  Bestimmungen  hatte  Leibniz  einst  ge- 
nehmigt. Hatte  er  doch  selbst  gewünscht  und  wünschen  müssen, 
dass  einer  der  Minister  sich  ex  professo  der  Societät  annehme,  und 
die  Bestimmung,  dass  einst  sein  Gehalt  unter  die  Mitglieder  des 
Conciliums  vertheilt  werden  solle,  konnte  ihm  gleichgültig  sein.  Ganz 
gleichgültig  war  sie  freilich  doch  niclit;  denn  die  bisher  unbesolde- 
ten Mitglieder  des  Concils  schauten  nun  nach  den  600  Thlrn.  aus. 
Dazu  kam,  dass  eine  gewisse  Unklarheit  darüber  bestand  (s,  oben), 
ob  sie  Leibniz  als  festen  Gehalt  oder  lediglich  als  Entsclicädigung  für 
Reisekosten  oder  für  Reise-  und  Correspondenz- Kosten  bezog.  Wie 
nun,  wenn  er  nicht  mehr  nach  Berlin  kam? 

Als  das  Observatorium  im  August  i  709  übergeben  wurde,  reichte 
das  Concilium  den  Statutenentwurf  auf's  Neue  ein.  Der  Minister  liess 
ihn  einige  Monate  liegen,  da  die  Inauguration  sich  verzögerte,  gab 
ihn  der  Societät  zurück,  um  einige  Correcturen  vorzunehmen ,  und 
erkundigte  sich  dabei  —  augenscheinlich  erstaunt  — ,  auf  welchen 
Rechtstitel  hin  Leibniz  600  Thlr.  bezöge.  Cuneau  antwortete  darauf 
am  10.  April  17  10  in  einer  sacligemässen,  wenn  auch  Leibniz  nicht 
eben  sehr  freundlichen  Weise  und  überzeugte  den  Minister,  dass 
man  Leibniz  die  600  Tlilr.  lassen  müsse;  zwar  seien  sie  bisher  vom 
Könige  nicht  bewilligt  worden,  aber  die  Bewilligung  sei  doch  seiner 
Zeit  mit  Vorwissen  der  Regierung  geschehen  \  Hierauf  bestätigte  der 
König  am  3.  Juni  17  10  das  Statut  und  ernannte  zugleich  —  im  Sta- 
tut das  bereits  ankündigend  —  den  Minister  von  Printzen  zum  Prae- 
ses  honorarius,  mit  der  Bestimmung,  dass  er  zur  Zeit  neben  Leibniz, 
der    wirklicher   Präses    blieb,    fungiren,    nach    dessen  Abgang  aber 


^    Siehe  den  Abdi-uck  im  Urkundenband  Nr.  54. 


Das  neue  Statut  uutl  der  neue  Präses  vox  Printzen  (1710).  16/ 

allein  der  Societät  vorstehen  solle.  In  einer  besonderen  Ordre  vom- 
27.  Juni  wurden  Leibniz  die  600  Thlr.  jetzt  durch  den  König  zuge- 
sichert —  aber  sie  wurden  ausdrückhch  und  gegen  den  Anspruch, 
den  Leibniz  nach  den  Verhandlungen  von  1700  hatte,  lediglich  als 
Reisekosten -Entschädigung  bezeichnet^  — ;  ferner  wurde  die  Bestim- 
mung über  die  spätere  Vertheilung  der  600  Thlr.  aus  dem  Statut" 
entfernt,  aber  in  diese  Ordre  aufgenommen  (je  100  Thlr.  die  4  Direc- 
toreii,  100  der  Fiscal  der  Societät,  100  sollten  an  die  Kasse  zurück- 
fallen) ;  endlich  wurde  in  einer  für  Leibniz  kränkenden  Weise  in  der 
Ordre  bemerkt,  dass  diese  Vertheilung  einzutreten  habe,  wenn  er 
»durch  den  Tod  oder  auf  andere  Weise  vom  Amt  abkommen 
sollte'«.  Am  7.  August  17  10  erfolgte  dann  von  Printzen's  förmliche 
Bestallung^. 

Kein  Zweifel  —  der  Hof  war  Leibniz  ungünstig  gesinnt  und 
wünschte,  möglichst  bald  nichts  mehr  mit  ihm  zu  thun  zu  haben, 
und  das  Concilium  w^ar  auch  nicht  davon  erbaut,  dass  seine  Reisen 
nach  Berlin  immer  seltener  wurden :  aber  es  hat  doch  Leibniz  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  in  seiner  Stellung  als  Präses  dem  Hofe 
gegenüber  geschützt.  Allein  der  schwere  Vorwurf  ist  ihm  nicht  zu 
ersparen,  dass  es  diese  Verhandlungen  geführt  hat,  ohne  ein  Wort 
darüber  an  Leibniz  gelangen  zu  lassen.  In  der  Stille  wurden  die 
Statuten  vom  Könige  bestätigt,  in  der  Stille  LEiBNizens  Gehalt  als 
Reisekosten -Entschädigung  vom  König  confirmirt  —  in  der  Ab- 
machung vom  Jahre  1700  liiess  es  doch  ganz  deutlich:  Reise-  und 
Correspondenz-Entschädigung  — ;  in  der  Stille  w^urde  von  Printzen 
zum  Praeses  honorarius  ernannt.  Weder  Cuneau  noch  die  beiden 
Jablonski's  haben  ein  Wort  darüber  an  Leibniz  geschrieben.  Sie 
müssen    sich    gefürchtet   haben;    aber   verborgen   konnte    die    Sache 


^  Das  Concilium  hat  übrigens  auch  in  der  Folgezeit  daran  festgehalten,  dass 
Leibniz  die  600  Thlr.  nicht  nur  als  Reise-,  sondern  auch  als  Correspondenz-Kosten- 
Entschädigiuig  erhalte. 

'^  Die  übrigen  Unterschiede  des  Statuts  in  der  Recension  vom  Jahre  1704  und 
17 10  sind  unbedeutend.  Der  Advocatus  Fisci  ist  nicht  von  der  Societät  zu  erwäh- 
len, sondern  wird  auf  ihren  Vorschlag  ernannt;  die  Klassen  -  Directoren  bedürfen 
keiner  königlichen  Bestätigung. 

^  Siehe  Urkundenband  Nr.  97.  Das  Concept  ist  vom  Secretar  geschiüeben,  von 
VON  Ilgex  corrigirt.  Kränkend  für  Leibniz  ist  auch  das  Rubrum  des  Actenstücks: 
»Verordnung,  dass  künftig  bei  der  Societät  der  Wissenschaften  des  Praesidis  hono- 
rarii  Besoldung  demselben  nicht  mehr  zu  reichen,  sondern  zum  Besten  der  Societät 
anders  anzuwenden « . 

*  Siehe  Urkundenband  Nr.  98.  Der  Ehrenpräsident  soll  sein  Amt  unentgelt- 
lich führen. 


168  Geschichte  der  Societät  von  1700-1711. 

iiiclit  Mciben;  die  Publicirung  musste  erfolgen,  sobald  die  feierliehe 
Inauguration  vor  sich  ging. 

Das  Statut^  stellt  folgende  Grundzüge  fest:  es  setzt  vier  Klassen 
ein  (i.  Physica  incl.  Medicin,  Chemie  u.  s.w.,  2.  Mathematica  incl. 
Astronomie  und  Mechanik,  3.  Ausarbeitung  der  deutschen  Sprache 
sammt  der  deutschen  Kirchen-  und  politischen  Geschichte,  4.  Litte- 
ratur,  »insonderheit  orientalis,  und  wie  solche  zur  Fortpflantzung  des 
Evangelii  unter  den  Ungläubigen  nützlich  anzuwenden  sein  möchte« ) ; 
jedes  Mitglied  muss  mindestens  zu  einer  Klasse  gehören;  jede  Klasse 
wählt  durch  Stimmenmehrheit  einen  Director;  die  vier  Directoren 
und  der  vom  Concilium  vorzuschlagende,  vom  König  zu  ernennende 
Advocatus  Fisci"'  bilden  (mit  dem  Secretar)  das  Concilium;  die  Direc- 
toren, deren  Amt  lebenslänglich  ist,  wechseln  jährlich  (am  11.  Juli) 
in  dem  Vice -Präsidium  ab;  der  Vice -Präsident  leitet  die  ganze  So- 
cietät; das  Concilium  hat  alle  Intima  Societatis  (dazu  gehört  die  ge- 
sammte  Finanzverwaltung)  zu  besorgen ;  vorzügliche  Mitglieder,  be- 
sonders in  Mathesi  und  Physica,  sollen  besoldet  werden,  sobald  der 
Fundus  der  Societät  das  gestattet;  die  Aufnahme  neuer  Mitglieder 
soll  durch  das  Concilium  geschehen,  nachdem  es  darüber  mit  der 
betreffenden  Klasse  sich  in"s  Einvernehmen  gesetzt  hat;  auch  die 
Herausgabe  der  wissenschaftlichen  Acta  Societatis  ist  Sache  des  Con- 
cils,  ebenso  die  Anschaffungen  (Modelle,  Instrumente,  Naturalien, 
Bücher),  aber  die  Klasse  soll  zuvor  gehört  werden.  Jede  Klasse 
soll  alle  vier  Wochen  zusammenkommen,  so  dass  wöchentlich  eine 
Sitzung  gehalten  wird,  doch  werden  auch  Generalversammlungen 
in's  Auge  gefasst  (ihre  Competenz  wird  nicht  angegeben);  in  jeder 
Sitzung  soll  mindestens  ein  Vortrag  gehalten  werden;  der  Secretar 
ist  verpflichtet,  allen  Sitzungen  beizuwohnen;  den  Klassen -Mitglie- 
dern wird  fleissiger  Besuch  eingeschärft;  jedes  Mitglied  ist  berechtigt, 
in  jede  Klassensitzung  zu  konmien,  auch  wenn  es  der  betreffenden 
Klasse  nicht  angehört;  Fremde  kann  der  Director  einführen.  —  Das 
Statut  enthielt  viel  Gutes,  aber  es  bestätigte  die  bestehende  Oli- 
garchie des  Conciliums;  alle  übrigen  Akademiker  sind  rechtlos,  d.h. 
sie  haben  nur  in  wissenschaftlichen   Fragen  mitzusprechen. 


'    Siehe  Urkundenlmnd  Nr.  99. 

^  Als  erster  Fiscal  wurde  der  Hof-  und  Kanunergerichtsrath  V.  Duhram  er- 
nannt am  21.  December  1710  (Geh.  Staatsarchiv;  Entwurf  im  Akademischen  Archiv; 
s.  Urkundenband  Nr.  99,  Anhang).  Die  Societät  hatte  ilni  am  16.  December  vorgeschla- 
gen; die  Eingabe  ist  unterzeichnet:  »Präses,  Vicepräses  und  ConciHum«,  obgleich 
Leihniz  gar  nicht  betragt  worden  ist  (Akademisches  Archiv,  Fase.  "Ernennungen"). 


LKiBMzens  Zurückset/Aiiig  (1710/11).  1()9 

Im  Deceinber  Hess  sicli  die  Sache  nicht  länger  Leibniz  ver- 
bergen'. Man  hatte  inzwischen  über  sehr  Verschiedenes  mit  ihm 
correspondirt .  über  den  TodKiRcu's,  der  am  25.  Juli  17  10  gestorben 
war',  und  über  die  drohende  Besteuerung  der  besoldeten  Beamten, 
die  keine  Kopfsteuer  zahlen  —  hier  wünschte  man  seine  Intervention^. 
Der  Brief  des  Secretars,  durch  den  Leibniz  von  der  Sache  officiell 
in  Kenntniss  gesetzt  wurde,  zeigt  kein  böses  Gewissen*.  Ebenso 
wenig  der  nächste  %  in  welchem  ihm  mitgetheilt  wird,  dass  der 
König  die  feierliche  Eröffnung  der  Societät  zum  19.  Januar  — 
einen  Tag  nach  dem  Krönungstag  —  befohlen  habe,  und  der  ihn  zu 
dieser  Feier  einladet.  Indess  ist  das  blosse  Schweigen  hinreichend, 
um  ihr  Verfahren  einer  an  Unredlichkeit  angrenzenden  Schwäche 
zu  zeihen.  Leibniz,  der  kurz  vor  jenem  ersten  Brief  auch  von  an- 
derer Seite  über  Printzen's  Einsetzung  gehört  hatte,  war  tief  ge- 
kränkt und  bestürzt.  Des  Statutenentwurfs  von  1 704  erinnerte  er 
sich  nicht  mehr,  und  wenn  auch  —  die  Heimlichkeit,  mit  der  die 
Sache  betrieben  worden  war,  hätte  ihn  empören  müssen.  Gegen 
die  Wahl  eines  Praesidii  honorarii  an  sich  und  besonders  gegen  die 
Ernennung  von  Printzen's  hatte  er  nichts  einzuwenden,  sondern 
hielt  sie  für  vortlieilhaft;  er  hatte  bei  seinem  letzten  Aufenthalt 
in  Berlin  Hrn.  von  Printzen  die  Societät  persönlich  an's  Herz  ge- 
legt. Er  wandte  sich  mit  einer  Klage  an  die  ihm  wohlgesinnte 
Kronprinzessin,  irrthümlich  glaubend  —  auf  Grund  einer  falschen 
Nachricht  — ,  dass  die  Mitglieder  der  Societät  in  einer  General- 
versammlung von  Printzen  gewählt  und  ihn  damit  abgewählt,  ferner 
dass  sie  ganz  neue  Statuten  aufgestellt  hätten.  Auch  über  den 
Fortbezug  des  Gehalts  war  er  unsicher.  Man  kann  nicht  leicht 
etwas  Würdigeres  und  Besonneneres,  in  so  peinlicher  Situation 
geschrieben,   lesen,   als   diesen  Brief".     An  demselben  Tage    schrieb 

^    Siehe  Secr. -Leibn.  Nr.  119  vom  9.  Deceinber  17 10. 

^  Siehe  Secr.-LEiBx.  Nr.  112  vom  26.  Juli  1710.  Im  Akademischen  Archi\'  (111,  i) 
findet  sich  ein  Brief"  dei*  Frau  Kirch  an  Leibniz  mit  der  Bitte,  sie  im  Hause  zu  lassen 
und,  wenn  man  ihr  nicht  förmlich  das  Kalenderwesen  überti'agen  könne,  ihr  eine 
Nebenstelle  bei  demselben  zu  geben  (s.auch  ihren  Brief  an  die  Societät  im  Akademischen 
Archiv  vom  2.  August  17  10);  dazu  ein  ähnlicher  zweiter  Brief  vom  3.  März  17  11  und 
eine  Eingabe  an  den  König  vom  25.  November  171 1  um  die  Stelle  eines  Astrononius 
adiunetus.      Im  Januar  1718    wiu-de    ihr  Sohn  Christfried  Astronom    der   Societät. 

^    Siehe   Secr.-LEiBN.   Nr.  118  — 120  vom    29.  Nov.  und  9.  und  27.Dec.1710. 

"*  Kurz  vorher  hatte  Ancillon  iiim  geschrieben  und  die  Neuordnung  erwähnt. 
Die  Art,  wie  er  es  gethan,  schliesst  die  Annahme  aus,  dass  er  sich  schuldig  fühlte. 

■'    Siehe  a.a.O.  Nr.  120  vom   27.  December  1710. 

■^  Siehe  Urkundenband  Nr.  100  (10.  December  17 10).  Dass  seine  lange  Ab- 
wesenheit von  Berlin  einer  gewissen  Entschuldigung   bedüi'fe,    empfindet  er  selbst; 


170  (Tpsclik'hte  der  .Societät  von    17(1(1-1711. 

er  an  von  Printzen.  gratulirte  iliiii  luul  iasste  seinen  Brief  so.  dass 
der  Minister  ihm  Anfklärung  geben  konntet  Auch  hier  setzt  er  vor- 
aus ,  dass  dieser  einfach  an  seine  Stelle  getreten  sei.  Printzen  ant- 
wortete in  einem  kurzen ,  aber  sehr  freundlichen  Schreiben ,  das 
Leibniz  etwas  beruhigte":  »Faites-moi  seulement  la  grace,.  Monsieur, 
de  me  donner  de  tenips  en  temps  part  de  vos  sages  avis,  comment  et 
par  ou  vous  croyez  que  cette  Societe  se  puisse  rendre  plus  tlorissante 
et  acquerir  plus  de  renommee  dans  le  monde  ....  Le  roi  ne  se 
souvient  ni  ne  parle  jamais  de  votre  personne  qu'avec  cette  conside- 
ration  et  distinction  gracieuse  qm  est  due  a  vos  merites  infinis,  que 
je  revere  aussi«.  In  dem  zweiten  Brief  an  die  Kronprinzessin  schreibt 
Leibniz  bereits  gefasster^;  er  hat  jetzt  den  wirklichen  Thatbestand 
zum  Theil  erfahren  und  weiss,  dass  er  Präsident  geblieben  ist,  aber 
«man  hat  mir  Unrecht  gethan,  en  me  cachant  ce  que  je  devais 
savoir.  Oii  m'a  envoye  depuis  un  reglement  oü  le  roi  me  conserve 
mes  droits,  mais,  coinme  il  serait  peu  honoraljle  a  moi,  et  peut-etre 
peu  avantageux  a  la  Societe  Royale  des  Sciences,  si  Ton  faisait  les 
choses  Sans  en  communiquer  assez  avec  moi,  il  est  juste  qu"on 
remedie  a  ce  desordre«.  Er  bittet  die  Kronprinzessin,  von  Printzen 
ein  Wort  zu  sagen,  »afin  qu'on  m'ecrive  regulierement  et  qu'on 
n'expedie  point  les  choses  qui  souftrent  delai,  sans  m'en  faire  part«. 
Noch  immer  scheint  er  sich  nicht  zu  erinnern,  dass  er  den  Ent- 
wurf von  1 704  selbst  gebilligt  hat.  Dann  legte  er  in  einer  aus- 
führlichen Auseinandersetzung  an  von  Printzen"^  die  Bedürfnisse  der 
Societät  dar,  unverdrossen  selbst  wieder  die  Arbeit  aufnehmend, 
aber  auf's  Bestimmteste  verlangend,  dass  ihm  über  alle  Vorkommnisse 
vom  Concilium  rechtzeitig  Mittheilung  gemacht  werde.  Waren  doch 
auch,  wie  er  rügend  bemerkt,  die  Directoren  der  Klassen  gewählt 
worden,    ohne  dass  er  benachrichtigt  worden   war'\      Auf  den  Se- 


aber  mit  Recht  durfte  er  sagen:  "()n  ne  m'a  Jamais  oblige  a  une  presence  precise, 
et  mon  absence  n"a  point  ete  iniitile.  J'ai  travaille  l'annee  passee  aussi  bien  (jue 
Celle -ci  k  faire  paraitre  un  ouvrage  considerable  de  la  part  de  la  Societe". 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  loi. 

'^    Siehe  llrkundenband  Nr.  102. 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  T03. 

*    Siehe  Urkundenband  Nr.  104. 

■''  Bereits  am  4.Deceniber  1710  waren  sie  gewählt  worden  (Krug  von  Nidda, 
der  llofprediger  Jahlonski,  Cuneau  und  Schott).  In  der  Sitzung  am  15.  Deceni- 
bei"  wurde  von  den  vier  neuei'wählten  Directoren  beschlossen .  dass  die  Zusammen- 
künfte der  Klassen  des  Donnerstags  Nachmittags  um  3  Uhr  gehalten  werden 
sollten  (diese  Ordnung  besteht  noch  heute;  nur  ist  jetzt  4  Uhr  die  angesetzte  Stunde). 
In  der  Sitzung  am  S.Juni  1711  wurde  dann  bestimmt,  am  Donnerstag  festzuhalten  und 


Leibmz  gielit  dein  ^Minister  Rjulischläiie   für  die  Leitunü,-  der  Societät.       1  /  1 

ci'Ptnr  und  auf  Frisch  —  «c'est  un  homme  actif,  d'esprit  et  de  sa- 
voir,  et  qui  a  envie  de  bien  faire«  —  macht  er  den  Minister  l)e- 
sonders  aufmerksam,   beklagt  sich   aber  über  die  Mediciner: 

"11  faut  que  J'ajoute  eiicore  ijue  INIss.  les  Medecins  nous  ont  tait  banqueroute, 
lors(|u"il  s'agissait  de  fournir  (juelque  chose  a  nos  Miscellanea.  J'avais  fort 
coinpte  sur  ]M.  Hof3ian,  et  lürs([u'il  fut  ä  Hall,  il  parut  zele.  inais  depuis  qii"il 
est  ;i   la  Cour,  il  nous  a  oiiblie.« 

Beigelegt  ist  ein  in  deutscher  Sprache  verfasstes  Pro  Memoria, 
das  der  Minister  wohl  dem  Könige  vorlegen  sollte  \  Es  enthält  die 
Directiven  für  die  Arbeit  der  nun  in  Activität  gesetzten  Societät; 
Leibniz  wollte  augenscheinlich  zeigen,  dass  er  die  Zügel  in  der  Hand 
halte,  bereit  sei,  weiter  für  die  Societät  zu  arbeiten  und  den  neu  er- 
nannten Ehrenpräsidenten  zu  instruiren  habe.  Er  beklagt  sich  über 
die  Lauheit  der  meisten  Mitglieder,  die  ihrer  Pflichten  nicht  ein- 
gedenk seien.  Wenn  es  damit  nicht  besser  und  die  Societät  nicht 
reichlicher  ausgestattet  werde,  so  werde  sie  keinen  wissenschaftlichen 
Credit  geniessen. 

"Der  Urspriuii;-  der  bi.slierigen  Kaltsinnigkeit«  —  fährt  er  fort  —  "Scheinet 
grossentlieils  daiier  kommen  zu  sein,  dass  man  sich,  obschohn  ohne  Grund,  einge- 
bildet, I.  31.  nehmen  sich  der  Societät  wenig  an  und  achteten  nicht,  ob  solche  etwas 
rechtschaffenes  zu  Wege  bringe  oder  nicht.» 

Der  Minister  müsse  auf  strenge  Einhaltung  der  Statuten  und 
auf  Erhöhung  der  Einnahmen  der  Societät  bedacht  sein ;  ausserdem 
seien  verdiente  Mitglieder  durch  Prämien  aufzumuntern  und  auch 
an  Rangerhöhung  sei  zu  denken;  die  einst  vorgeschlagenen  Ent- 
würfe zu  Privilegien  seien  auf's  Neue  zu  erwägen  und  in  Vorschlag 
zu  l)ringen.  »Es  wäre  aber  auch  vielleicht  Verordnung  zu  machen, 
dass  die  Glieder,  welche  innerhalb  drei  Jahren  nichts  zu  dem  Scopo 
dienliches  beitragen,  nach  Gutbefinden  aus  dem  Catalogo  membro- 
rum  gelassen  werden  könnten.«  Am  meisten  liegt  ihm  an  den  von 
der  Societät  einzuleitenden  und  zu  überwachenden  medicinisch- sta- 
tistischen Beobachtungen  der  vom  Staat  bezahlten  Ärzte.  Es  war 
der  Punkt,  wegen  dessen  die  Mediciner  der  Societät  grollten;  denn 
sie  betrachteten  das  als  eine   unbefugte  Einmischung. 

So  hat  Leibniz  kurz  vor  der  feierlichen  Eröffnung  der  Societät 
seine  volle  Präsidentenpflicht  wahrgenommen. 

Am  30.  December  entschloss  sich  endlich  der  Hofprediger,  ihm 
zu  schreiben  und  das  Vorgefallene  zu  erklären"": 


die  Sitzungen  um  5  Uhr  zu  schliessen.     Vom  29.  Januar  an  sollten  die  regelmässigen 
Klassensitzungen  beginnen ;  s.  Secr.-LEiBX.  Nr.  122  vom  10.  Juni  1 7 1 1  und  die  Protokolle. 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  105. 

-    Hannov.  Bibl..  Kvacsala  S.  I2^f. 


172  Gescliiclite  der  Societät  von    170U  — 1711. 

....  der  ("i'oii-Priiit/.cssin  Königl.  Hoheit  lint  mir  vorgestern  zu  ver- 
stehen gegehen,  dass  Mein  HocIigeEhrter  Herr  üeheimter  Raht  an  Selbte 
einiges  Misvergnügen  über  dem  so  zeither  bey  der  Societät  der  Wissen- 
sehalTtcn  vorgangen  bezeuget  hätte,  auch  l)egeliret  dass  icli  hiei'über  an 
Eure  Wolügel).  einige  Erklärung  thun  möchte;  absonderlich,  da  Selbter 
empfindlich  falle,  dass  der  Herr  Geheimte  Estats-Raht  von  Printzen  zum 
Praeside  Honorario,  ohne  Dero  Vorwissen  und  Participation  erwehlet 
worden.  Da  aber  Ew  Wohlgeborn  erinnerlich  sein  wii'd,  dass  das  Pro- 
ject  der  Königl  Verordnung,  welche  der  Societät  zu  einem  beständigen 
•  Reglement  dienen  soll,  und  darinn  wegen  Bestellung  eines  solchen  Prae- 
sidis  (oder  vielmehr  Protectoris,  nur  dass  diesen  titul,  Se  Königl.  Majt 
sich  Selbsten  in  der  Eundation  vorbehalten)  veivsehung  geschehen,  Dero 
bereits  vor  etwa  7  Jahren  zur  censur  communiciret.  inzwischen  aber  von 
Dero  hinwieder  nichts  moniret  woi'den ,  so  dienet  nun  zur  gehorsamsten 
Nachricht,  was  die  Person  vor-wolgedachten  IVIinistri  betrift't,  dass  nicht 
die  Societät,  sondern  Seine  Königl.  Majt  Selbsten  aus  eigener  Bewegung 
denselben  gewehlet,  da  das  Reglement,  durch  den  Hm  Geheimten  Raht 
VON  Ii.GEN,  mit  einer  Lücken,  davor  des  Pi-aesidis  Honorarii  Namen 
stehen  sollte,  allei'untgst  vorgetragen  worden.  Dass  aber  nach  einem  zehn- 
jährigen Languore  man  endlich  zur  Sache  thun,  und  damit  durchdringen 
müssen,  hat  ausser  tausenderley  Unlust  und  Spott,  welchen  die  Societät 
wegen  ilu-er  Inaction  erdulden  müssen,  sonderlich  des  Hren  Hoft'Raht 
Ghuno  jüngstere  höchstgefährliche  Krankheit  verursachet,  als  dessen  Leben 
eine  geraume  Zeit  nur  an  einem  seidenen  Faden  gehangen.  Wann  nun, 
da  ohn  dem  die  meisten  die  von  anfang  bey  der  Societät  gewesen,  dar- 
über verstorben,  auch  dieser  Fall  noch  sich  zugetragen  hätte,  würde  dieses 
löbliche,  aber  noch  unvollkommene  Etablissement  gefahr  gelauffen  hal)en, 
zu  trümmern  zu  gehen;  zu  aller  die  darinn  band  gehabt  Beschimpfung, 
und  zu  EwWohlgeb.  eigenem  Schaden. 

Dass  aber  alles  so  hierunter  vorgangen,  gar  niclit  gemeinet  gewesen, 
EwWohlgeb.  auch  mu-  im  allergeringsten  zu  nahe  zu  treten,  erhellet  auch 
schon  aus  dem  g(>drukten  Reglement;  deme  hiebey  füge  Copiam  der  Special- 
Verordnung  an  des  Hm  v.  Printzen  Excel.,  aus  welchen  beiden  stücken 
Eure  Wohlgeb.  deutlich  ei'sehen  werden,  dass  vor  .Selbte,  so  wohl  die  ge- 
bührende Ehre,  als  das  wenige  Utile,  sorgfältig  salviret  worden.  EWohlgeb. 
glauben  dass  gleich  wie  niemand  unter  Uns  ist,  der  Deroselben  Merita  ^\ie 
sonst  um  die  Gelehrte  Welt,  also  in  specie  um  unsere  Societät,  nicht  er- 
kennen sollte;  allso  auch  wir  alle,  und  ich  insbesondere  begierigst  bey- 
tragen  werden,  was  zu  Dero  Vergnügen  gereichen  mag. 

Ob  (lieser  Brief  ausreicht,  darf  man  wohl  fragen.  Wie  hoch- 
gesinnt und  grossmütliig  Leibniz  war,  zeigt  seine  Antwort  vom  9.  Ja- 
nuar 171  i'.  Offen  heklagt  er  sich,  aber  in  der  würdigsten,  ja 
freundlichsten  Weise ,  ohne  Bitterkeit  und  ohne  Groll.  Er  sammelte 
wirklich  feurige  Kohlen  auf  das  Haupt  der  in  ihrer  W^eise  recht- 
schaffenen, aber  kleinUclien  und  furchtsamen  Leute,  die  sicli  an  der 
Grösse  versündigt  hatten,  weil  sie  sie  nicht  liel)ten.  Er  erinnert 
sich  —  aber  nur  ganz  dunkel  und  unsicher  —   vor  7  Jahren   den 


^    Siehe  LTrkundenband  Nr.  106. 


Leibniz   und   der   liofprediuei-  .Iablonski   (1711).  178 

Statutenentwui'f  gesehen  zu  haben;  aber  »wenigstens  hätte  einige 
Nacliricht  von  der  Reassumtion  nicht  schaden,  und  icli  vielleicht 
ein  und  anders  Dienliches  erinnern  können«.  Er  schärft  ein,  dass 
es  nun  vor  allem  darauf  ankomme,  jährlich  einen  Band  Miscellanea 
zu  veröffentlichen,  ^)die  zum  wenigsten  nicht  schlechter  seien,  als 
die  ich   endlich  mit  vieler  Mühe  und  Arbeit  extorquiret«. 

»Wenn  Hr.  HofR.  Hofjiann  als  Leilj-INIedicus  deniialeins  der  Sach  in  seiner 
Sphaere  favorabel  sein  und  nebenst  beitragen,  des  Seinigen  auch  andere  INledicos 
dazu  aniniiren  wollte,  würde  auch  dai-in  was  Gutes  zu  erwarten  sein.  Anfangs  hat 
er  grosse  Hoffnungen  gemacht.  Er  hat  aber  bislier  sich  wenig  an  uns  gekehret; 
wird  er  künftig  der  Sach  sich  mehr  annehmen,  dürfte  es  kein  geringes  sein.« 

Endlich  beklagt  er  sich,  dass  er  zu  wenig  erfahre;  er  sei  zu 
hingebender  Mitarl)eit  bereit,  wenn  man  ihn  nur  in  allen  Stücken 
auf  dem  Laufenden  erhalte.  »Im  übrigen  versichre  m.  H.  Hofpre- 
diger, dass  der  Modus,  so  gebraucht  worden  und  dessen  Ursache 
ich  nicht  genugsam  begreife,  mich  nicht  verhindern  wird,  sowohl 
bei  meinem  Eifer  zur  Aufnahme  der  Societät  zu  verharren,  als  auch 
denen  H.  Sociis,  die  sich  der  Sache  angenommen,  meine  beständige 
Ergebenheit  zu  bezeigen,  wenn  mir  künftig  mit  mehr  Öffnung  und 
nach  Fug  und  Billigkeit  begegnet  wird.  Es  ist  sonst  meine  Schuld 
nicht,  dass  allerhand  Gutes  in  Brunnen  gefallen,  w^ofür  mir  nichts 
als  die  Arbeit  und  Erinnerung  übrig  blieben,  und  stelle  dahin,  was 
die  Nachwelt  davon  urtheilen   und  erfahren   dürfte.« 

Dieser  Brief  kreuzte  sich  mit  einem  gewiss  mit  dem  Bruder  ver- 
abredeten Schreiben  des  Secretars  vom  lo.  Januar  171 1\  in  welchem 
dieser  endlich  sein  Schweigen  1  )rach :  das  Statut  sei  seit  7  Jahren  eine 
beschlossene  Sache  gewesen,  daher  habe  er  es  nicht  mehr  besonders 
erwähnt:  ihm  werde  »hierunter  einiger  üntleiss  und  Nachlässigkeit 
hoff*entlicli  nicht  l)eigelegt  werden,  wie  denn  hierum  gehorsamst  bitte«; 
die  ganze  Sache  sei  so  allmählich  gekommen,  »dass  man  wenig  Anlass 
gehabt,   derselben   oft  zu  erwähnen«.     Das  war  nicht  überzeugend. 

Am  19.  Januar  (am  Tage  nach  dem  Krönungstage)  fand  die 
feierliche  Eröfi^nung  der  Societät  statt  in  dem  Sitzungszimmer  des 
Observatoriums'-.  Leibniz,  der  eingeladen  war^  hatte  sein  Aus- 
bleiben durch  eine  Unpässlichkeit  entschuldigt \     Hr.  von  Printzen 


^    Secr.-LEiBN.  Nr.  122. 

-  Der  später  umgebaute  Raum  dient  jetzt  als  ]Magazin  der  Societät.  Die  Fest- 
stellung des  Ceremoniells  ist  vom  Secretar  aufgezeichnet  (Akad.  Archiv,  Fase.  »Fun- 
dation..,  s.  Urkundenband  Nr.  107),  vergl.  Formet,  Histoire  p.3ift'. 

^    Siehe  Secr.-LEiBN.  Nr.  120  vom   27.  December  1710. 

*  Siehe  den  Brief  von  Printzen's  an  Leibniz  vom  27.  Januar  171 1  (in  Hanno- 
ver).   Als  Leibniz  am  26.  3Iärzi7ii  das  Plenum  der  Societät  um   sich  versammelte, 


174  Gescliichte  der  Societät  von    17U(t-1711. 

hielt  eine  ziemlich  lange,  aber  schwülstige  und  nichtssagende  la- 
teinische Rede,  die  den  Verständigen  LEiBNizens  Abwesenheit  doppelt 
fühlbar  machen  musste^  Der  Hofprediger  Jablonski  beantwortete 
sie  mit  einer  noch  längeren,  al)er  nicht  unbedeutenden  Ansprache, 
die  den  Redner  als  aufmerksamen  Schüler  LEiBNizens  charakterisirt", 
aber  —  in  beiden  Reden  wird  dieser  mit  keinem  Wort  genannt, 
ein  Beweis,  dass  der  König  nichts  von  ihm  wissen  wollte  und  dass 
man  nach  des  Königs  Willen  that.  Benjamin  Neukirch  hatte  ein 
deutsches  Gedicht  zur  Einweihung  verfasst,  welches  dem  Monarchen 
so  gefiel,  dass  er  ihn  in  die  Societät  aufzunehmen  befahl^.  Einen 
Bericht  über  die  Feier  besitzen  wir  in  einer  kleinen  Druckschrift,  die 
die  Societät  im  Herl)st  i  7  i  i  erscheinen  Hess  und  die  zugleich  einen 
kurzen   Aliriss   ihrer  l)isherigen   Geschichte   enthält^. 

So  war  denn  die  Societät  fast  i  i  Jahre  nach  ihrer  Gründung  — 
tantae  inolis   erat!   —  feierlich  eröffnet  worden.      Sie  war  im  Besitz 


entsciuildigte  er  sein  Fernl)leiben  von  der  Inauguration  ausdrücklicli  dui'cli  seine 
Geschäfte,  das  schlechte  Wetter  und  seinen  GesundheitszAistand. 

'  FoRMEY  hat  die  Rede  lateinisch  und  französisch  abgedruckt  (p.  257  fll".,  31  ff.). 
Der  Redner  betonte  besonders  die  christlich -civilisatorische  ^Nlissionsaufgabe  der 
Societät.  feierte  den  König  als  den  Protector  und  Avies  darauf  hin.  dass  sich 
durch  den  Krieg  die  Eröffnung  der  Societät  verzögert  habe. 

^  FoRMEY  p.36ff.  (franz.),  p.  262 ff",  (lat.).  Der  Redner  versucht  es.  einen 
Überblick  über  die  Gescliichte  der  Civilisation  von  den  ältesten  Zeiten  an  (Biblische 
Ur-geschichte)  bis  zu  den  wissenscliaftlichen  und  technischen  Erfindungen  des  17.  Jahr- 
hunderts und  der  Gründung  dei'  Akademieen  7,u  geben.  Besonders  bemerkenswerth 
ist  die  \'erachtung  der  Scholastik;  nach  dieser  Rede  scheint  es.  als  habe  sie  die 
Entwicklung  der  karolingischen  Renaissance  gehemmt!  »Eruditio  cui  isthoc  getuis 
se  dederat,  areanarum  telae  erat  persiniilis,  subtilis  quidem,  sed  nullius  vel  virtutis 
vel  usus  ....  Pro  lunone  nubes  et  rerum  loco  verba  orbi  obtrudebantur."  Als  An- 
bruch einer  neuen  Zeit  gilt  die  Renaissance  einerseits,  das  Auftreten  Baco's  anderer- 
seits; bald  darauf  habe  das  Zeitalter  der  Societäten  l^egonnen;  »eorum  enini  cjuae 
ad  naturani  recte  indagandam  pertinent,  nonnuUa  jjossidere  datuni  est  oninibus, 
onuiibus  gaudere  nemini.  Alius  ingenio  et  speculationis  acumine  poUet,  iudicii  nia- 
turitate  alius,  alium  multijuga  lectio,  alium  frequens  litterarum  commercium,  alios 
alia  commendant.  Istis  in  Societatem  coalescentibus  alter  alterius  defectum  supplet  .  .  . 
Inuno  vero  optanduni  foret,  non  personas  solum,  sed  ipsas  nationes  in  Societatem 
coire,  ut  (si  quidem  id  fieri  possit)  in  unum  iungantur  Gallorum  vivacitas  in  quae- 
rendo ,  subtilitas  Anglorum  in  perscrutando ,  Ilispanorum  Ita,lorum(jue  contentio  in 
progrediendo ,  Germanorum  Studium  et  sedulitas  in   perficiendo.« 

^  Das  Gedicht  im  Urkundenband  Nr.  108.  Die  Aufnahme  nach  Secr.-LEiBX. 
ISi".  124  vom  7.  Februar  171 1.  Fokmey  (p.47)  lässt  Neukirch  jenes  lateinische  Ge- 
dicht verfasst  haben,  welches  (Urkundenl)and  Nr.  51)  von  Leibniz  stammt  und  in's 
Jahr  1700  gehört.  Es  ist  das  eine  der  vielen  Flüchtigkeiten  dieses  Historikei's  der 
Akademie. 

*  Siehe  den  Abdruck  im  Urkundenband  Nr.  109.  Hier  sind  Leibnizcus  Ver- 
lienste  2;ebührend  hervorgehoben. 


Die   feierliche   Einriclituiii;-  der  Societät   ;iiii    1  It.  .hiniinr    \i\\.  1/5 

eines  g-eräumigen  Observatoriums  mit  einem  Versammlungszimmer 
und  kleineren  Räumen,  hesass  dem  Observatorium  gegenüber  ein 
ziemlich  grosses  Grundstück  mit  einem  Hause  für  den  Astronomen 
und  hatte  sich  durch  den  ersten  Band  ihrer  Miscellanea  in  die  ge- 
lehrte Welt  eingeführt.  Zwei  Privilegien  waren  ihr  gewährt,  das 
der  Kalender  und  das  des  Seidenbaus,  aber  nur  das  erste  brachte 
zur  Zeit  etwas  ein.  In  dem  Adresskalender  für  17  12  (171  i  verfasst) 
ist  der  Bestand  der  Societät  also  verzeichnet  (anwesende  Mitglieder): 

Societät    der  Wissenschaften 

ist  auf  dem  Observatorio  am  neuen  Marstall 

auf  der  Dorotheenstadt. 

Pi'aesident    mid    Director':    8.  Exe.  der   wirkHch    geheime    Estats-]Minister    Hi'.  vox 

Prixtzex. 
Praeses    Ordinarius:    Hr.   Gottfr.  Wilh.  vox  LrciHXiz.    Iv.  Preiiss.  wie    auch    Churf. 

Braunsch.-Lüneb.  geheimer  Rath  ,  abwesend. 
Vice-Praeses  p.  t. :  Hr.  D.  E.  Jabloxski. 

Anwesende  Mitglieder : 
In  classe  INIedico-Phvsica:    Krug  vox  Nidda  .    Director:   Chauvix.  Gohl.   HofRath 

HoFFMAXX,   jAGwrrz.   Raue,   Spexer,    StERCIvY. 
In  classe   Mathematica    etc.:    Chuxo.    Director;    Axgicour.    Behr.    .1.  H.  Hoffmaxx. 

jAGwrrz.  Naude  (Vater  u.  Sohn),  vox  Stapff,  Vigxoles. 
In  classe  Hist. -Philol.  Germanica:  Schott,  Director:   Ancillox.  Vigxoles.  Frisch. 

J.  Th.  Jabloxski,  Marperger,  Neukirch.  Schlüter  (Syndicus.   nicht  der 

Baumeister),  Spexer,  von  Stapff,  Volckmaxn. 
In  classe  Hist. -Philol.  Ecclesiast.  et  Orient.:  D.  E.  Jabloxski,  Director;  Achexbach, 

AxciLLOx',    Frisch.    Raue.    Schott.    Stercky.    LaCroze.  Volckmaxx.    — 

Dazu:  Papen,  Factor. 
Durch  Frisch's  Brief  an  Leibniz  vom  i  2.  Januar  i  7  1 1"  ist  uns 
die  Sitzung  vom  4.  December  1 7 10,  in  der  die  Directoren  erwählt 
worden  waren,  näher  bekannt.  Ein  Gegensatz  zwischen  Deutschen 
und  Franzosen  zeigte  sich  bereits.  »Die  Franzosen  fielen  im  dritten 
Departement,  nämlich  in  der  Cultur  der  teutschen  Sprach  und  teut- 
schen  Historie,  auf  den  G.  Rath  Schott  und  ül)erstimmten  die  an- 
dern mit  ihren  Votis,  weil  er  ihnen  wegen  der  französischen  Sprach 
besser  an  die  Hand  gehen  könne.  In  summa:  weil  die  Societät  noch 
in  infantia  ist  oder  dieselbe  kaum  verlassen,  so  passirten  auch  bei 
einigen  Umständen  solche  Dinge,  die  dieses  Alter  zu  haben  pflegt"^.« 

'  So  heisst  er  hier;  von  1713  an  heisst  er  in  den  Kalendern:  »Protector«, 
weil  Friedrich  Wilhelm  I.  das  Protectorat  nicht  übernahm. 

"^  Siehe  Fischer  S.32f.,  theilweise  gedruckt  im  Urkundenband  Nr.  iio.  Dass 
der  erste  Vicepräsident,  D.  E.  Jabloxski,  von  den  Directoren  allein  gewählt  worden 
ist,  erfährt  man  hier.  Sehr  interessant  ist  die  Bemerkung  über  den  Kronprinzen. 
Er  will  der  Societät  gern  etwas  zuwenden,  -wenn  er  würde  sehen,  dass  etwas 
darinnen  gethan   würde". 

^  DU  Bois-Revmoxd  (Reden  H  S.  507  f.)  berichtet,  die  Societät  sei  nach  17 10 
durch    ein   Coinitc   oruanisirt   worden,  welches    aus    dem   Hofprediger    und  aus   zwei 


176  Gcscliiclite  der  Societät  xon   1711  —  1716. 


Drittes  Capitel. 

Gescliiclite   der  Societät  von   ihrer  Einrichtung  im  Januar 

1711    bis    zum    Tode    Leibnizcus    (i  4.  November  i  7  16).       Der 

Anfang  der  Regierung  Friedrich  Wiliielm's  I. 

1. 

Die  Societät  war  endlich  eingerichtet.  Leibniz  beschloss,  das 
jüngst  Geschehene  zu  vergessen  und  mit  dem  Minister  von  Printzen 
zusammenzuwirken.  In  diesem,  der  ihm  persönlich  freundlich  ge- 
sinnt war\  hatte  die  Societät  den  l)esten  Ehrenpräsidenten  erhalten, 
den  sie  sich  unter  den  damaligen  Verhältnissen  wünschen  konnte". 
Hr.  VON  Printzen  gehörte  mit  von  Ilgen  und  Kameke  zu  den  Gegnern 
des  Grafen  von  Wartenberg,  dessen  Sturz  (Ende  i  7  10)  mit  der  defini- 
tiven Einrichtung  der  Societät  zusammenfällt.  Die  unheilvolle  Wirth- 
schaft  dieses  Günstlings  hatte  ihr  Ende  erreicht.  Man  durfte  hoffen, 
dass  das  zerrüttete  Staatswesen  allmählich  wieder  in  Ordnung  ge- 
bracht werden  würde.  Leider  gab  es  nur  sehr  viel  Wichtigeres  zu 
thun ,   als  eine  Akademie  auszustatten   und  zu   leiten. 

Diese  schien  sich  einen  Moment  aufzurafl'en.  Seit  dem  29.  Januar 
begannen  die  regelmässigen  Klassensitzungen.  Die  physikalisch -me- 
dicinische  Section  machte  den  Anfang.  »Seit  der  Neuordnung  be- 
zeugen die  Mitglieder  viel  mehr  Eifer.«  schreibt  der  Hofprediger  an 
Leibniz^,  »besonders  der  Hofrath  Hoffmann;  er  sagt,  die  Societät 
sei  nicht  zum  Bücherschreiben  da,  sondern  zum  Untersuchen ,  und  er 
hat  in  dem  ersten  Convent  proponirt,  dass  in  dem  Observatorium 
ein  Theatrum  anatomicum  möchte  aptirt  werden  und  die  nöthigen 


Mitgliedern  der  französischen  Colonie,  deren  Ober- Richtern  Ch.  Ancillon  und  La 
Croze,  bestanden  hätte.  Das  ist  ein  Irrthuni.  La  Croze  hat  niemals  zu  einem 
leitenden  Coinite  gehurt,  hat  überhaupt  niemals  die  Societät  dii-igirt,  und  An- 
ciLLox  hatte  lediglich  durch  seine  Stellung  als  Legationsrath  und  als  Correspon- 
dent  LEiBNizens  Eintluss.  Die  Leitung  lag  in  den  Händen  des  Präsidenten,  der 
Directoren  und  des  Secretars. 

'  .Siehe  den  Brief  vom  27.  Januar  17 1 1,  in  welchem  es  von  Printzen  leb- 
haft bedauert,  dass  Leibniz  bei  der  Eröft'nungsfeier  nicht  zugegen  gewesen  war 
(Hannov.  BibL). 

^  Siehe  über  ihn  Naudk  in  der  AUg.  Deutsclien  Biograpliie  Bd.  26  S.  596 ff. 
Die  Grabschrift  (gest.  8. November  1725,  geb.  1675):  «religionis  stator,  pietatis  exeiii- 
plar,  bonarum  litterarum  et  solidae  eruditionis  non  patronus  magis  (juam  ipse  cul- 
tor«   —  charakterisirt  den  ]Mann  wirklich. 

^    Am  5.  Februar  1711   (Hannov.  BibL). 


Die  ersten  Arbeiten  der  Societät.  1/7 

Instrumente  angeschafft;  er  wolle  mit  Hülfe  einiger  Cadaver  dann 
Anatomie  vortragen\«  Auch  an  ein  chemisches  Laboratorium  wurde 
gedacht. 

Die  mathematische  Klasse  beschloss  ebenfalls,  einige  Instru- 
mente, vor  allem  eine  Luftpumpe,  zu  erwerben"  und  die  magneti- 
schen Beobachtungen  vorzubereiten.  Die  Hauptaufgabe  aber  fiel  der 
deutschen  Klasse  zu:  denn  der  König  hatte  bei  der  Einweihung  aus- 
drücklich befohlen,  die  Societät  solle  ein  vollständiges  deutsches 
Wörterbuch  herausgeben  und  sofort  in  die  Arbeit  eintreten.  Man 
nahm  sie  in  der  ersten  Sitzung  auf:  aber  die  Befürchtinig,  die  der 
Secretar  äusserte,  dass  wenige  Glieder  vorhanden,  die  etwas  bei- 
tragen können,   war  leider  gerechtfertigt^. 


^  Vergl.  Secr.-LEiBN.  Xr.  123  vom  3i.,Tanuar:  "Vorgestern  ist  die  erste  Zu- 
sannnenkunft  des  medicinischen  Abteils  gehalten  und  dabei  sonderlich  angetragen 
worden,  dass  man  auf  benötigte  Werkzeuge,  die  erforderte  Experimenta  vorzu- 
nehmen, und  deren  Anschaffung,  ingleichen  die  auswärtigen,  sonderlich  in  den 
K.Landen  lebende  ]Medicos  einige  Observationes  anzustellen,  zu  ernuuitern  bedacht 
sein  möge.  Dieser  des  Hrn.  Rath  Hoffmann's  Vortrag  ist  durchgehends  beifällig 
aufgenommen  und  zu  fernerer  Fortsetzung  desselben  ein  und  andere  Anstalten  be- 
liebet, daneben  auch  erinnert  worden,  ob  nicht  die  INIitglieder  unter  sich  die  ver- 
schiedene Objecta  dieser  Classis  theilen  und  ein  Jeder  in  seiner  Ordnung  bei  denen 
kiinftigen  Zusammenkünften  etwas  in  Bereitschaft  mitbringen  wolle,  davon  alsdann 
gehandelt  werden  möge,  worüber  man  sich  hiernächst  zu  vergleichen  beschlossen«. 
Nach  einem  Protokoll -Auszug  ist  es  Krug  von  Nidda  gewesen,  der  den  Vorschlag, 
ein   theatrum  anatomicum  einzurichten,  gemacht  hat. 

-    Siehe  a.a.O.  Nr.  124  vom  7.  Februar. 

^  A.  a.  0.  (und  in  dem  verlorenen  Brief  vom  14. Februar):  »Künftigen  Donners- 
tag wird  die  teutsche  Zunft  zusammenkonnnen,  und  da  insonderheit  auf  K.  Befehl 
über  die  Verfertigung  eines  "vollständigen«,  wie  der  König  sich  ausgedriicket, 
W()rterbuchs  zu  rathschlagen  sein,  wozu  aber  hie  gar  wenige  Glieder,  die  etwas 
l)eitragen  könnten,  vorhanden,  und  auch  auswärtig,  wie  Herr  Neukirch  davoi'  iiält, 
nicht  viele  dürften  gefunden  werden«.  Das  ausführliche  Protokoll  der  ersten  Sitzung 
der  deutschen  Klasse  wii-d  auf  dem  Akademischen  Archiv  ("  Wissensch.  Verhandl. 
u.  Aufsätze  1699  — 1737«)  aufbewahrt,  geschrieben  vom  Hofprediger.  INIan  beschloss 
(um  dem  König  doch  bald  etwas  vorlegen  zu  können),  nel)en  der  Voi-bereitung  des 
Wörterbuchs  ■ —  es  sollte  ein  kritisches  Werk  werden  in  Bezug  auf  Rechtschreibung 
und  Fremdwörter  —  Übersetzungen  von  Klassikern  zu  liefern.  Vorgeschlagen  wurde 
Tacitus*  Germania,  Frontinus'  Strategemata.  Valerius  Maximus  u.  s.w.  An  den  Rand 
des  Protokolls  hat  vox  Prixtzkn  die  Worte  gesetzt:  "S.  K.  M.  haben  allergnädigst 
resolviret,  dass  von  denen  vorgeschlagenen  Autoribus  der  Tacitus  de  moribus  Ger- 
manorum  in's  Deutsche  übersetzt  werden  solle.  20.  Febr.  17 1 1 «.  So  nahm  man 
diese  Arbeit  auf.  Die  Protokolle  lehren,  dass  man  sich  mit  ihr  bis  1721  hinge- 
schleppt hat;  aber  es  wurde  nichts.  Zuerst  überzeugte  man  sich  von  der  Unzuläng- 
lichkeit der  Übersetzung,  wie  sie  der  Secretar  als  Vorlage  ausgearbeitet;  dann  fehlte 
es  an  den  nöthigen  Anmei-kiingen  u.  s.w\  Frisch,  der  Unermüdliche,  rettete  zuletzt 
die  Klasse  durch  sein  Wörterbuch  (s.  oben).  —  Fast  noch  »schläfriger«  war  die 
orientalisch  -  theologische  Klasse.  Sie  beschloss  am  i2.]Mai  171 2,  eine  neue  Über- 
"Gescliichte  der  Akademie.    I.  12 


1/8  Gfscliichte  der  SocietUt  von   1711  — ITHi. 

Leibniz  wurde  über  diese  Unternehmungen  und  die  Berath- 
schlagungen  über  Verstärkung  des  Fundus  Bericht  abgestattet,  und 
er  entschloss  sich .  weil  die  Societcät  seine  Gegenwart  für  nötliig 
hielt,  Ende  Februar  selbst  nach  Berlin  zu  reisen  —  er  befand  sich 
eben  in  Braunschweig  —  und  die  Societät  in  ihrem  Eifer  zu  be- 
stärken. Dieser  rasch  gefasste  Entschluss,  dessen  Genehmigung  an 
höchster  Stelle  er  nicht  abwartete,  war  eine  verhängnissvolle  Über- 
eilung. Preussen  und  Hannover  waren  eben  wieder  in  Spannung 
(Hildesheimer  Angelegenheit).  Als  er  in  Berlin  eintraf,  wurde  er 
nicht  nur  kühl  empfangen,  sondern  sogar  unzweideutig  als  Spion 
bezeichnet  und  ihm  bedeutet,  er  möge  sofort  nach  Hause  zurück- 
kehren. Gleichzeitig  empfing  er  aus  Hannover  die  Nachricht,  dass 
der  Kurfürst  über  ilm  ungehalten  sei.  weil  er  sich  ohne  Urlaub 
entfernt  habe,  seine  Pflichten  als  braunschweigischer  Geschichts- 
schreiber vernachlässige  und  augenscheinlich  lieber  in  Berlin  weile 
als  in  Hannover.  Selbst  seine  Gönnerin,  die  Kurfürstin  .Sophie, 
antwortete  ihm  ironisch,  als  er  sich  entschuldigte,  er  könne  nicht 
sofort  nach  Hannover  zurückkehren ,  weil  er  auf  der  Reise  bei  einem 
unglücklichen  Fall  sich  das  Bein  verletzt  habe,  und  der  preussische 
König  schickte  ihm  sogar  seinen  Leil^arzt  in's  Haus  mit  dem  Auf- 
trage, sich  davon  zu  überzeugen,  ol>  das  Leiden  nicht  nur  ein 
Vorwand  sei.  Man  glaubte  also  nicht  einmal  seinem  Worte  —  er 
war  in  der  peinlichsten  Lage\ 

Allein  es  gelang  ihm  doch  wieder,  das  Vertrauen  des  Königs 
einigermaassen ,  freilich  nur  momentan,  herzustellen"'.  Nachdem  ihm 
dieser  eine  Audienz   bewilligt  hatte,    unterbreitete  ihm  Leibniz  zur 


Setzung  der  Bibel,  bez.  eine  gründliche  Revision  der  LuxHER'schen  ÜV)ersptzung.  zu 
veranstalten  und  mit  dem  Neuen  Testament  zu  beginnen.  In  ihren  monatlichen 
Klassensitzungen  hat  sie  sich,  wie  die  Protokolle  ausweisen,  bis  1743  fast  aus- 
schliesslich mit  dieser  Aufgabe  beschäftigt.  Aber  ti'otz  des  Antheils,  den  der  König 
an  der  Sache  nahm,  und  seiner  Mahnung,  sie  zu  beschleunigen,  war  erst  17 19  die 
Revision  des  Matthäus,  1723  die  des  Marcus.  1728  die  des  Lucas,  1736  die  des 
Johannes  vollendet,  und  am  12.  Septenibei'  1743  war  man  glücklich  bis  Apostel- 
gesch.  26,  17  gekommen I  Die  Akademie  Friedrich's  des  Grossen  Hess  die  Aufgabe, 
für  die  wiederum  Frisch  das  Meiste  gethan  hatte,  fallen.  Vergeblich  habe  ich  mich 
bemüht,   die  Ausarbeitiuigen  der  Klasse  aufzufinden. 

^  Siehe  Urkundenband  Nr.  113.  Die  Kurfürstin  schreibt:  "11  semble  ejue 
S.  M.  est  mal  satisfaite  et  croit  ä  ce  qu'on  dit  que  vous  etes  ;i  Berlin  pour  espion- 
ner«.  Leibniz  erwidei't:  »11  est  vi-ai  qu'il  y  a  eu  des  gens  qui  ont  insiiiue  au  roi 
que  je  venais  ici  pour  les  affaires  courantes". 

^  Siehe  den  Brief  der  Kurfürstin  Sophie  vom  4.  April  17 11  (Klopp,  9.  Bd. 
S.332):  "Comme  je  prends  un  interet  fort  sincere  en  tout  ce  qui  vous  regarde, 
je  suis  ravie  que  vous  soyez  content  de  votre  vovagc". 


LEiBNizens  letzter  Aiifeiitiialt  in  Berlin.  179 

Vorbereitung  derselben  ein  Schriftstück,  welches  alle  die  studiren 
sollten,  die  den  grossen  Mann  noch  immer  beargwöhnen'.  Mit 
edlem  Freimuth  und  in  Worten,  die  den  Stempel  der  Wahrheit 
tragen,  legt  er  dem  Könige  den  Ungrund  aller  Verdächtigungen  dar 
und  zeigt,  dass  seine  Reise  in  Folge  eines  plötzlichen  Entschlusses 
von  ihm  unternommen  worden  sei,  von  dem  er  Niemanden  —  auch 
die  Kurfürstin  nicht  —  in  Hannover  in  Kenntniss  gesetzt  habe'.  Den 
Vorwurf,  Spionage  zu  treiben,  weiss  er  sich  nur  daraus  zu  erklären, 
dass  er  stets  das  höchste  Gewicht  auf  das  Einvernehmen  der  Häuser 
Brandenburg  und  Braunschweig  in  Sachen  des  Protestantismus  und 
der  Religionseinigung  gelegt  und  in  dieser  Angelegenheit  mit  Eifer 
sich  bemüht  habe.  Er  verweist  dann  auf  seine  Arbeiten  für  Preussen 
—  er  gelte  in  Hannover  für  »allzu  Berlinisch«  —  und  vor  allem  auf 
sein  Werk,  die  Societät;  w^as  in  ihr  geschehen  sei,  sei  durch  ihn  zu 
Stande  gebracht  worden,  zuletzt  noch  der  i.Band  der  Miscellanea. 
"Hieravis  ersehen  UM.,  ob  ich  in  der  Societät  Sachen  massig  gangen,  und 
ob  man  nicht  gestehen  muss,  dass  ausser  der  obsem'ationum  Astronomicarum  fast 
Alles  durch  mich  geschehen  müssen.  Nun  lasse  E.  M.  ich  allergnädigst  erwägen, 
ob  bei  meinem  Alter,  da  die  wenige  Zeit,  so  ich  noch  zu  leben  habe,  mir  pretieux, 
ich  nicht  viel  zu  E.  31.  Dienst  und  Glorie  gethan,  und  ob  ichs  nicht  fast  gratis 
thue,  da  ja  600  Thlr.  zu  meinem  jährlichen  Dedommagement  in  keine  Consideration 
gegen  meine  Zeit  kommen  kann;  stelle  auch  zu  erwägen,  ob  ich  einigen 
von  E.  31.  ]Ministris  darin  zu  weichen  Ursach  habe,  indem  dasjenige, 
was  durch  meine  Direction  geschieht,  ad  gloriam  immortalem  ver- 
mittelst des  incrementi  scientiarum  gehet,  welches  bei  der  Poste- 
rität allezeit  pretios  seyn  wird,  Avenn  alle  politischen  Interessen 
dermahleins  geändert  sein  dürften,  und  wird  michs  umb  so  mehr 
schmerzen,  wenn  meine  treue  Devotion  und  wahrer  Eifer  üliel  auf- 
genommen   werden   sollte.« 

Mit  diesen  denkwürdigen  Worten  schliesst  er  seine  persönliche 
Rechtfertigung.  Dann  wendet  er  sich  zu  den  Angelegenheiten  der 
Societät^  —  es  ist  das  letzte  Mal,  dass  er  über  sie  zum  Könige 
gesprochen  und  sie  ihm  an  das  Herz  gelegt  hat.  Er  verweist  auf 
die  umfassenden  Aufgaben,  die  der  König  selbst  der  Societät  gestellt 
habe ;  er  führt  dann  aus  —  wie  oft  hatte   er  es  schon  gethan  I  — , 


^    Siehe  Urkundenband  Xr.  114. 

^    Dem  3Iinister  vox  Bernstorff  hatte  er  aber  doch  Anzeige  gemacht. 

^  Die  Protokolle  zeigen,  dass  er  am  18.  und  26.  März  und  am  4.  Mai  1711 
die  Sitzungen  der  Societät  geleitet  hat.  In  der  ersten  Sitzung  hat  er  (neben  Ande- 
ren) GiNDLiNG  zum  Mitglied  vorgeschlagen;  allein  das  Conciliiun  wollte  damals  auf 
diesen  Vorschlag  nicht  eingehen.  Leibniz  selbst  ist  es  also  gewesen,  der  sich  zu- 
erst fiir  GuNDEixG  erwärmt  hat!  In  der  letzten  Sitzung  erregte  sein  Vorschlag, 
dem  mit  Geschäften  überlasteten  Krug  vox  Nidda  als  Mitdirector  der  physikalischen 
Klasse  den  Mediciner  Hoffmanx  beizugeben,  j^einliche  Discussionen. 

12* 


180  Geschichte  der  Societät  von  1711— 171  (>. 

dass  diese  Aufgaben  nur  erfüllt  werden  können ,  wenn  der  Fundus 
der  Societät  durch  strenge  Beobachtung  der  ertheilten  Concessionen 
und  durch  Gewährung  neuer  ausreichend  wird.  Er  zeigt,  wie  das 
Seidenprivileg  durch  bessere  Anordnungen  nutzbarer  gemacht  wer- 
den könne  und  wie  das  Feuerspritzen -Privileg  noch  immer  auf  seine 
Durchführung  harre.  Endlich  schlägt  er  als  ein  neues  Privileg  vor, 
der  Societät  das  Curatorium  über  alle  Stipendien  zu  ertheilen  und 
diese  für  die  wissenschaftlichen  Arbeiten  durch  Gewinnung  wackerer 
junger  Leute  nutzbar  zu  machen.  »Inzwischen  lasse  ich  mir  son- 
derlich die  Continuation  der  Miscellaneorum  Berolinensium  angelegen 
sein«  —  er  kündigt  übrigens  bereits  an,  dass  sie  nicht  jährlich, 
wie  der  ursprüngliche  Plan  war,  sondern  alle  zwei  Jahre  erscheinen 
sollen  —  »und  verlange,  dass  in  die  nächste  unter  andern  die 
Beschreibung  einer  Sach,  die  E.  M.  Hause  glorios,  gebracht  werde, 
nehmlich  des  Canals,  so  die  Spree  mit  der  Oder  und  folglich  mare 
Balticum  Oceano  conjungiret,  so  der  hochsel.  Churfürst  ausgeführet, 
E.  M.  aber  verbessert. « 

Gleichzeitig  wandte  er  sich  an  von  Pkintzen  mit  einem  kürze- 
ren Pro  Memoria \  Er  trägt  ihm  in  Bezug  auf  die  Societät  das- 
selbe vor  wie  dem  Könige,  fügt  aber  noch  Vorschläge  wegen  der 
Societäts-Convente  und  wegen  Prämiirung  ausgezeichneter  Mitglieder 
hinzu  und  empfiehlt  als  besonders  gelehrten  Mann  den  Hrn.  La 
Croze".  Endlich  verfasste  er  auf  Ilgen's  Begehren  eine  ausführliche 
Denkschrift  »vom  Abgang  der  Studien  und  wie  denenselben  zu 
helfen^«.  Er  zeigt  in  ihr  für  jede  einzelne  Facultät,  welche  Vor- 
bildung und  welches  Wissen  ein  jeder  höher  strebende  Candidat 
besitzen  müsse,  und  schlägt  zur  Hebung  der  Studien  der  Regierung 
das  höchst  einfache,  aber  leider  nie  wirklich  durchgeführte  Mittel 
vor,  bei  Besetzung  aller  Beamtenstellen  ceteris  paribus  stets  dem 
wirklich  wissenschaftlich  geschulten  Bewerber  den  Vorzug  zu  geben. 

Diese  Vorschläge  Hess  man  ihn  machen;  aber  über  ihre  Annahme 
und  über  den  Erfolg  der  Audienz  beim  König  ist  nichts  bekannt; 
die  Hoffnung,   dieser  werde  ihm  nun  dauernd  günstig  gesinnt  blei- 


^    Siehe  Urkundenhand  Nr.  115. 

^  Über  die  VerplHchtung  der  Societätsniitglieder,  die  aus  folgendem  Ersuchen 
hervorgeht,  ist  Näheres  nicht  bekannt:  »Unter  andern,  ob  nicht  die  membra  socie- 
tatis  von  dem  Gebote.  Bücher  zu  corrigiren  aus  Königl.  Bibliothek,  zu  eximii-en«. 
Eine  Bibliothek -Benutzungs- Ordnung  erschien  am  5.  Mai  17 11  (König!.  Ordre  im 
Geh.  Staatsarchiv). 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  116. 


LEiBXizens  letzter  Aulentlialt  in  Berlin.     Er  wendet  sich  nach  Wien.       181 

1)011,  hetrog  ihn.  Plötzlich  reiste  er  ab  —  im  Mai  1711^  —  und 
ist  nie  wieder  nach  Berlin  zurückgekehrt.  Seine  Gegner  am  Hofe 
müssen  die  Oberhand  behalten  haben.  Noch  im  April  hatte  er,  in 
der  letzten  Verzweiflung,  weil  nichts  vorwärts  ging,  ein  neues  Pri- 
vileg (Besteuerung  des  Branntwein -Brennens  zu  Gunsten  der  Socie- 
tät)  vorgeschlagen  und  die  Societät  veranlasst,  in  einem  förmlichen 
Antrage  den  König  zu  bitten,  dass  Preise  für  deutsch -sprachliche 
Forschungen  und  naturwissenschaftliche  Untersuchungen  ausgesetzt 
würden  —  »was  bisher  noch  nirgends  geschehen«  — ,  und  dass  eine 
Commission ,  bestehend  aus  einigen  Mitgliedern  der  Societät  und  des 
General- Kriegs -Commissariats,  niedergesetzt  werde,  um  die  Fassung 
jener   und    anderer  Concessionen    zu   berathen".      Es   war   umsonst. 

Seit  diesen  letzten  Erfahrungen  in  Berlin,  die  dadurch  noch 
trül)er  wurden ,  dass  die  Societät  selbst  keinen  wirklichen  Eifer  zeigte, 
hat  Leibniz  die  Freudigkeit  und  den  Muth,  die  ihn  bisher  trotz 
aller  Widrigkeiten  beseelt  hatten,  verloren.  Man  darf  annehmen, 
dass  er  es  fortan  für  unmöglich  gehalten  hat,  die  Societät  in  Flor 
zu  bringen.  Eine  Initiative  hat  er  nicht  mehr  ergrifien,  da  er  ein- 
gesehen hatte,  dass  sie  am  Hofe  nicht  gewünscht  wurde:  aber  die 
Geschäfte  der  Societät  hat  er,  soweit  man  ihn  benachrichtigte, 
fortgeführt. 

In  Hannover  von  den  politischen  Geschäften  ausgeschlossen 
—  denn  eifersüchtig  wachte  das  Ministerium  darüber,  dass  er  sich 
in  die  Frage  der  englischen  Succession  nicht  mehr  einmische  — , 
in  Preussen  beargw^öhnt,  wandte  er  seine  Blicke  nach  Osterreich 
und  Russland.  Die  Vermählungen  der  beiden  Enkelinnen  seines  alten 
Gönners,  des  Herzogs  Anton  Ulrich  von  Braunschweig -Wolfenbüttel, 
mit  dem  Kaiser  Karl  VI.  und  dem  Sohne  Peter's  des  Grossen  schienen 
seinen  Plänen  eine  glänzende  Zukunft  zu  sichern.  Im  October  i  7  1 1 
kam  er  mit  dem  Czaren  in  Torgau  zusammen ,  den  er  bisher  nur 
tlüchtig  gesehen  hatte.  Er  trug  ihm  seine  Ideen  vor,  die  wissen- 
schaftlichen Reisen  nach  Sibirien  und  China,  die  Veranstaltung  von 
magnetischen  Beobachtungen,  die  Civilisirung  des  russischen  Reiches 
durch  Bildungsanstalten  für  die  höheren  Klassen  und  durch  eine 
verbesserte  Verwaltung;  im  Mittelpunkte  sollte  eine  Hauptanstalt 
stehen  zur  Beförderung  der  Studien,  Künste  und  Wissenschaften. 
Dem  grossen  Monarchen  imponirte  der  grosse  Gelehrte,   dessen  Ge- 


^    Siehe  Secr.-LEiuN.  Nr.  127  vom  23. Mai  1711. 
^    Siehe  Urkundenband  Nr.  117   und  118. 


182  Geschichte  der  Societät    171 1-1 71  tj. 

sichtskreis  die  Erde  umspannte;  eine  lebhafte  Correspondenz  begann, 
auch  mit  russischen  Staatsmännern,  und  wie  zwölf  Jahre  früher  nach 
Brandenburg,  so  sandte  Leibniz  jetzt  nach  Russland  Pläne,  Projecte 
und  Denkschriften'.  Scherzend  durfte  er  sagen,  er  habe  Aussicht, 
der  Solon  Russlands  zu  werden,  »obgleich  aus  grosser  Entfernung«. 
Im  Sommer  1 7 1 2  kam  er  in  Karlsbad  und  Dresden  wiederum  mit 
dem  Czaren  zusammen,  diesmal  als  Bevollmächtigter  Anton  Ulrkii's 
mit  Aufträgen,  zwischen  dem  russischen  und  dem  österreichischen 
Kaiser  zu  vermitteln.  Peter  schenkte  ihm  sein  volles  Vertrauen,  gab 
ihm  seinerseits  diplomatische  Aufträge  nach  Wien  und  ernannte  ihn 
am  I .  November  i  7  i  2  zum  russischen  Geh.  Justizrath  mit  1 000  Thlr. 
Gehalt.  Seit  dem  December  17 12  ist  Leibniz  in  Wien  und  bleibt 
daselbst  bis  zum  August  17  14,  also  fast  zwei  Jahre,  hochangesehen, 
im  Verkehr  mit  allen  hervorragenden  Männern  Österreichs,  beson- 
ders auch  das  Vertrauen  des  Prinzen  Eugen  geniessend  und  an  der 
Kaiserin  die  kräftigste  Stütze  besitzend.  Schon  seit  dem  Frühjahr 
1712  war  ihm  die  Würde  eines  Reichshofraths  zugesichert":  diese 
hohe  Stellung,  selbst  als  wirklicher  Reichshofrath ,  genügte  ihm  aber 
nicht.  Der  längst  gehegte  Plan ,  eine  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Wien  zu  gründen  und  als  Director  an  der  Spitze  einer  gross  ge- 
dachten, das  ganze  Reich  bestimmenden  Anstalt  zu  stehen,  ist  auch 
hier  die  Seele  aller  seiner  Bestrebungen  gewesen^.  Nicht  ohne  phan- 
tastischen Schimmer  und  politische  Naivetät  war  die  letzte  Idee  sei- 
nes Lebens,  Osterreich  und  Russland  wo  möglich  zugleich  wissen- 
schaftlich zu  regieren*  und  sich  dabei  auf  die  braunschweigischen 
Prinzessinnen  zu  stützen.     Aber  das,   was  er  sachlich  gewollt  hat, 


^  Siehe  Posselt,  a.a.O.,  bes.  die  Actenstücke  Nr.  2  — 4,  S.  2i4ff..  und  Nr.  6, 
S.  2 26 ff.,  dazu  den  Brief  an  den  Abt  Fabricius  vom  8.  Deceml)er  1711  und  den  an 
La  Croze  vom  14.  December  171 1.  Wie  tief  er  sich  in  die  Frage  nach  der  Civili- 
sirung  Russlands  vei-senkt  liat,  zeigen  die  Actenstücke  S.  232  ff.  bei  Posseli-.  Minder 
erfreulich  ist  der  Brief  an  den  russischen  Vice  -  Kanzler  Schafirow  (Sommer  17 16), 
s.  a.  a.  0.  S.  271  ff.  Vergl.  auch  die  Publication  an  der  Petersbui-ger  Akademie  »Briefe 
von  Christian  WoLFF«    (1860)  S.  IX  ff. 

^  Doch  erst  im  Laufe  des  Jahres  17 13  wurde  die  Sache  perfect.  s.  Secr.- 
Leibx.  Nr.  154  vom  6.  December  1713. 

^  Siehe  Klopp  im  Archiv  f.  Österreich.  Gesch.,  40.  Bd.  (1869).  S.  159  ff..  176  ff. 
Bergmaxx  in  den  Wiener  Sitzungsber.  XIII  S.4off. 

*  Bedenkt  man,  dass  er  dabei  den  Zusammenhang  mit  Berlin  nicht  aufgab, 
ferner  fortfuhr,  als  Geschichtsschreiber  für  seinen  hannoverschen  Landesherrn  zu 
arbeiten,  weiter  sehnlichst  wünschte,  englischer  Historiograph  zu  werden,  um  in 
London  leben  zu  können,  und  sich  endlich  eine  Thür  offen  hielt,  um  sich  eventuell 
in  Paris  bei  der  Akademie  niederzulassen,  so  kann  man  sich  allerdings  nicht  wiuidern, 
dass  keines  der  zahlreichen  Eisen,  die  er  im  Feuer  hatte,  wirklich  alühend  wurde. 


Leibmz   in  Wien.     Beziehungen   zu   Peit.r   dem   Grossen.  18^ 

ist  doch  schliesslich  in  Wien  und  Petersburg  verwirklicht  worden, 
freilich  erst  lange  nach  seinem  Tode,  aber  nun  in  einem  Umfange 
und  mit   einem  Erfolge,   den   er  sich   nicht  hatte   träumen  lassen. 

Nachdem  Leibniz  Berlin  verlassen  hatte ,  ging  es  mit  der  So- 
cietät  abwärts.  Die  Überlieferung,  dass  sie  erst  unter  dem  Druck 
Friedrich  Wilhelm's  I.  verkümmert  sei,  ist  falsch.  Sie  war  nie- 
mals lebendig  gewesen  —  nur  ihre  Seele,  Leibniz,  war  lebendig. 
Als  er  gezwungen  wurde,  sich  zurückzuziehen  und  seine  Thätigkeit 
auf  das  Nothwendigste  zu  beschränken',  zeigte  es  sich,  noch  zur 
Zeit  Friedrich's  I. ,  dass  sie  kaum  lebensfähig  wnr.  Die  Schuld 
lag  theils  an  dem  mangelnden  wissenschaftlichen  Vermögen  der 
Mehrzahl  der  Mitglieder,  theils  an  dem  sehr  geringen  Interesse  der- 
jenigen Akademiker,  die  von  der  Direction  ausgeschlossen  waren"^, 
theils  an  den  fehlenden  Mitteln^.  Dazu  kam,  dass  der  sehr  ein- 
tlussreiche  Leibarzt  Dr.  Gundelsheim  ,  der  die  Aufnahme  in  die  So- 
cietät  abgelehnt  hatte,  sie  als  ein  völlig  unnützes  Institut  bekämpfte 
und  es  erreichte,  dass  sein  ausgezeichneter  Rivale,  Dr.  Hoffmann, 
auf  den  die  Societät  mit  Recht  die  grössten  Hoffnungen  gesetzt 
hatte,  Berlin  in  Ungnade  verlassen  musste,  Gundelsheim  war  ein 
beliel)ter  Arzt  und  ein  emsiger  Sammler  von  Naturalien  —  von  ihm 
war  der  Vorschlag  ausgegangen,  den  vor  dem  Potsdamer  Thor  ge- 
legenen Königlichen  Hopfen-  und  Küchengarten  in  einen  botani- 
schen Garten  umzuwandeln  — .  aber  er  gehörte  der  alten  Schule 
an  und  wird  als  ein  ränkevoller  und  auf  seine  Stellung  eifersüch- 
tiger Mann    geschildert,    der    vor   allem    seinen   Collegen   Hoffmann 


^  Auch  in  Bezug  auf  die  Aufnahme  neuer  Mitglieder,  die  ihm  übrigens  nicht 
mehr  regehnässig  vorher  angezeigt  wurde,  hielt  er  sich  jetzt  sehr  zurück.  So 
schrieb  er  an  Vogther,  der  ihn  um  Aufnahme  ersucht  hatte:  "Berolinensi  suae 
Societati  me  praefecit  potentissimus  rex  Borussorum.  sed  plerumque  absum  illinc, 
et  sententiae  caetert)rum  exquirendae  sunt,  (piibus  Berolini  est  cura  rerum  societatis« 
(im  Jahre  1712;  Hannov.  Bibl.). 

^  La  Croze  erwähnt  in  seinem  umfangreichen  wissenschaftlichen  Briefwechsel 
mit  Leibmz  die  Societät  höchst  selten. 

^  Im  Auslande  freilich,  wo  man  die  Verhältnisse  nicht  genau  kannte  und 
nur  wusste.  dass  Leibxiz  der  Präsident  sei.  hatte  die  Societät  noch  hohen  Credit, 
vergl.  z.  B.  den  Briefwechsel  von  Jo.  Christoph  Wolf  in  Hamburg  mit  La  Croze 
(Thesaurus  epist.  Laci'oziani  T.  II  S.3if.).  Jener  schreibt  am  30.  Januar  1712: 
»Quod  de  societate  regia,  cuius  ipse  singulare  ornamentum  es,  scribis,  nihil  mihi, 
fateor.  magis  honorificum  futurum  erat,  quam  si  nobilisshnae  principum  nostra 
aetate  virorum  coronae  adjungerer.«  Als  er  aufgenommen  ist,  zeigt  sein  Brief  vom 
17.  April  17 12  (a.  a.  O.  S.  35 f.),  dass  sich  dadurch  seine  ganze  Stellung  in  Hamburg 
niit  einem  Schlage  gebessert  hat;  denn  sein  Name  steht  nun  neben  dem  LEiBMzens. 


184  Gescliiclite  der  Societät  von  1711— 17K). 

ZU  beseitigen  und  die  Societät  zu  vernichten  strebte.  In  den  Briefen 
des  Secretars  an  Leibniz  vom  Aug-ust  i  7  i  i  bis  Juli  i  7  i  2  (Nr.  i  28-1 4 1 ) 
entwickelt  sich  die  Katastrophe  Hoffmann's  vor  unseren  Augen,  und 
selbst  ein  Schreiben  Leibnizcus  an  von  Printzen,  welches  w^arm  für 
den   vorzüglichen  Mann  eintrat  \   fruchtete   nichts. 

Die  Herausgabe  des  2.  Bandes  der  Miscellanea  hätte  die  Haupt- 
sorge der  Akademiker  sein  müssen.  Leibniz  war  bereits  wieder  auf 
dem  Plane;  acht  Beiträge  aus  seiner  Feder  befanden  sich  schon  im 
September  1 7  1 1  in  den  Händen  des  Secretars '" :  allein  die  übrigen 
Mitglieder  «gaben  immer  neue  Vertröstungen '^s  und  Cuneau,  dem 
die  Redaction  der  Abhandlungen  ol)lag,  w'ar  ein  gebrochener  Mann. 
Ein  Königsberger,  de  Colas,  sandte  zwar  Aufsätze  ül)er  Aufsätze 
ein ,  aber  neben  wenigen  brauchbaren  Gedanken  fand  sich  viel  Spreu 
darin.  Der  prahlerische  Mann  versuchte  den  Leibniz  zu  spielen  und 
in  allen  Gebieten ,  sowohl  den  abstract  philosophischen  als  den  tech- 
nischen,  zu  excelliren*. 


'  Der  Bi-ief  findet  sich  in  der  Hannov.  Bibliothek,  s.  auch  das  Schreiben 
von  Frisch  Nr.  24  vom  i.  März  17 12  (Fischer  S.33f.)  und  das  Schreiben  von  Ax- 
ciLLON  an  Leibniz  vom  28.  November  17 13  bei  Feder.  Commerc.  epist.  p.  6.  Hirsch 
in  seinem  Artikel  »Friedrich  Hoffjiaxx"  in  der  Allg.  Deutschen  Biographie  Bd.  12 
S.  584 ff.  bezeichnet  Gundelsheim  als  »unwissenden  Schleiclier«.  Dagegen  rechnet 
er  Fr.  Hoffmann  (s.  auch  Schrader,  Gesch.  der  Friedrichs -Universität  zu  Halle 
i.Bd  S.56ff.)  mit  Boerhave  und  Stahl  zu  der  Trias  der  grossen  Arzte,  welche, 
im  Anfang  des  18. Jahrhunderts  fast  gleichzeitig  auftretend,  in  ihren  Bestrebungen, 
eine  Reform  der  praktischen  Heilkunde  herbeizufiihren ,  das  Zeitalter  der  Aufklärung 
in  dieser  Wissenschaft  angebahnt  haben.  Boerhave  war  der  kritische  Empirist 
unter  ihnen,  Fr.  Hoffmann  —  in  den  »Hoffmannstropfen«  lebt  sein  Andenken  noch 
heute  fort  —  suchte  ein  mechanisch -dogmatisches  vSystem  über  den  menschliclien 
Körper  zu  begründen  und  die  Gesetze,  nach  denen  diese  »Maschine«  sich  bewegt, 
vom  mathematisch  -  phj-sikalischen  Standi^unkte  aus  zu  erforschen  und  zu  begreifen 
(über  Stahl  s.  u.).  Nach  Berlin  ging  Hoffmann  »bene  intelligens,  quam  sit  lubrica 
aulicorum  virorum  fortuna  atcjue  vita,  oinnis  libertatis  et  quietis  i-atione  aniini  et 
corporis  expers«.  Sein  Urtlieil  bestätigte  sich  ihm:  »in  aulis  est  splendida  miseria. 
imo  oinnis  aularum  i-atio  libei'alibus  ingeniis  est  inimicissima".  Seine  litterarische 
Thätigkeit  war  eine  »immense«.  »Dennoch«,  bemerkt  der  berühmte  Blumenbach. 
und  Hirsch  bestätigt  es,  »dürfte  man  in  seinen  Schriften  schwerlich  eine  Seite  finden, 
die  nicht  ihren  grossen  bleibenden  Werth  hätte.«  Die  Societät  darf  stolz  auf  diesen 
Mann  sein,  den  sie  freilich  nur  kurze  Zeit  besessen  hat. 

^  Siehe  Secr. -Leibx.  Nr.  130  vom  19.  September.  Sie  sind  in  den  Acta  eru- 
ditiorum  erschienen ,  weil  zu  Leibnizcus  Lebzeiten  überhaupt  kein  Band  mehr  fertig 
geworden  ist. 

^    A.  a.  O.  Nr.  141  vom  16.  Juli  1712,  und  sonst. 

*  Siehe  a.  a.  O.  Nr.  130,  Nr.  136  vom  5.  März,  Nr.141  vom  16.  Juli.  Nr.  143 
vom  29.  October  1712.  In  Hannover  werden  3  Briefe  von  Colas  an  Leibniz  und 
2  von  diesem  an  jenen  (vom  Jahre  17 12)  aufbewahrt.  Neben  Abhandlungen  über 
architektonische  Probleme,    die    er  eingesandt,    verspricht  der  INIann  Berichte    über 


Arbeiten  der  Societät.  185 

Wenigstens  die  astronomischen  Beobachtungen  und  das  Seiden- 
werk liätte  die  Societät  energisch  l)etreiT)en  sollen,  denn  auf  ihnen 
l)oruhte  ihre  Existenz.  Allein  der  neue  Astronom,  der  im  Mai  171  i 
auf  Vorschlag  der  Societät  an  Kirch's  Stelle  angestellt  worden  war, 
J.  Gr.  HoFFMANx\  War  lässig,  so  dass  er  sich  schliesslich  eine  förm- 
liche Rüge  der  Societät  zuzog.  »Der  Frau  Kirch  Hülfe  hat  er  sich, 
wie  sie  sagt,  zwar  heimlich  liedienet,  öffentlich  aber  allezeit  da- 
wider gesprochen,  sie  auch  niemals  auf  das  Observatorium  lassen 
wollen'".«  Astronomische  und  mathematische  Instrumente  wurden 
allmählich  angeschafft;  auch  die  aus  Holland  Acrschriebene  Luft- 
pumpe traf  ein:  aber  «ausser  Hrn.  Chauvin  weiss  Niemand  mit  ihr 
recht  umzugehen  und  dieser  beginnt  ziemlich  schwach  zu  werden''«. 
Das  anatomische  Theater  konnte  man  nicht  einrichten,  da  der 
Dr.  Hoffmann  nach  Halle  zurückkehren  inusste  und  ausserdem  der 
Hof  den  für  die  Anatomie  bestimmten  Raum  auf  dem  Observatorium 
zeitweilig  mit  Beschlag  belegte^.  Auf  FRisciiens  Betreiben  wurden 
chemische  Utensilien  angeschafft,  aber  »weiter  kommt  es  nicht''«. 
»p]s  ist  ein  Vorschlag  auf  der  Bahn,  wie  die  Societät  zu  dem  Anfang 
eines  Laboratorii  gelangen  kann  durch  Verleihung  eines  Privilegs 
auf  Bereitung  von  Scheidewasser«,  schreibt  der  Secretar  am  31.  De- 
cember  1712    an   Leibniz*^;    aber  es  blieb  bei  dem  Vorschlag.     Man 

seine  physikalischen  und  anatomischen  Beobachtungen.  »Je  donnerai  aiissi  un  nouveau 
Systeme  qui  prouve  que  Dieu  ne  s'est  servi  dans  la  creation  que  d'un  simple  et 
uni(|ue  mecanismc",  u.  s.  \v.  Es  ist  vielleicht  nicht  ohne  feinen  .Spott,  wenn  Leibniz 
dem  Königsberger  antwortet:  »Je  suis  Ijien  fache  de  n'avoir  point  su  plus  tot  que 
notre  Societe  avait  a  Koenigsberg  un  membre  si  curieux  et  meme  si  profond  dans 
les  recherches ■< ;  er  hofft,  dass  Colas  mehr  als  gewöhnliche  Beiträge  zu  dem  Fort- 
schritt und  den  Absichten  der  Societät  bringen  werde. 

^    Antrag  der  Societät  und  Decret  im  Geh.  Staatsarchiv. 

-  Siehe  Secr.-LEiBN.  Nr.  144  vom  20.  December  1712.  Er  scheint  allerdings 
überlastet  gewesen  zu  sein ,  da  er  auch  die  magnetischen  Beobachtungen  für  Russ- 
land vorbereiten  sollte  (s.  a.a.O.  Nr.  133  vom  27.  December  17 11  bis  Nr.  143  vom 
29.  October  17 12);  durch  die  neuen  Beziehungen  LEiBxizens  zu  Russland  war  die  Aus- 
sicht auf  russische  Expeditionen  wieder  gestiegen  (s.  seinen  Brief  an  von  Prixtzen 
vom  14.  December  17 11  auf  der  Hannov.  Bibl.).  Der  Secretar  selbst  räumt  ein, 
dass  HoFFMAXx  einen  Adjunct  brauche.  Die  Frau  Kirch  bot  sich  wiederholt  an, 
aber  die  Societät  war  bedenklich,  sie  förmlich  anzustellen  (Nr.  133.  135).  Im  Oc- 
tober 17 12  bezog  sie  das  KROsiGK'sche  Observatorium  (Nr.  143)  und  setzte  ihre 
Beobachtungen  fort.  Mit  vox  Krosigk  stand  Leibniz  auch  im  Briefwechsel  (s.  Hannov. 
Bibl.).  über  Frau  Kirch  s.  des  Vignoles,  Eloge  de  Mad.  Kirch  et  de  quelques  autres 
Dames  Astronomes  in  der  Biblioth.  Genn.  III  (1722)  p.  155  ff. 

^    Siehe  Secr.-LEiBx.  Nr.  132  vom  5.  December  1711. 

*    A.  a.  0.  Nr.  130  vom  19.  September  17 11. 

'"    Frisch   Nr.24  vom  i.INIärz  1712. 

•^    Nr.  145.  s.  auch  147. 


186  Cicsfliiclite  der  Sm-ietiit  von    1711  — ITltl. 

tröstete  sich  unterdessen  damit,  dass  doch  sclion  viele  Instrumente 
da  seien,  »so  dass  man  mit  der  Zeit  etwas  lial)en  wird,  die  Cu- 
riosität  der  Liel)hal)er  zu  vergnügen«.  Aneli  hraclite  Spener  sein 
naturhistorisclies  Cabinet  auf  das  Observatorium,  »hielt  es  aber 
unter  seinem  Schlüssel«.  Man  begreift  es,  dass  unter  solchen  Um- 
ständen Hr.  VON  Staff  (Stapf),  Mitglied  der  Societät,  an  Leibniz 
schrieb  (24.  August  171  i):  »Je  vous  ai  une  Obligation  tres  parfaite 
de  vos  bons  soins  de  notre  Academie,  qui  en  a  besoin"'«.  Das 
Einzige,  was  man  wirklich  erreichte,  Avar  eine  neue  Einschärfung 
des  Kalenderprivilegs  durch  eine  Königliche  Ordre ■^.  Ausserdem 
benutzte  man  die  Gelegenheit  der  Hochzeit  des  Czarewitsch  mit  der 
braunschweigischen  Prinzessin,  um  an  ihren  Vater,  den  Herzog 
Ludwict  Rudolf,  und  an  I.eibniz  der  christlich -civilisatorischen  Pläne 
wegen  zu  schreiben.  Heineccius  übergab  jenen  Brief  persönlich, 
ohne  Leibniz  vorher  in  Kenntniss  zu  setzen  —  was  dieser  ihm  und 
der  Societät  übel  nahm  — ,  beschrieb  in  einem  ausführlichen  Bericht 
seine  Aufnahme  und  konnte  die  besten  Absichten  des  Herzogs  ver- 
melden. Dieser  selbst  beglückte  die  Societät  mit  einem  Schreiben, 
in  welchem  er  von  Braunschweig  aus  versicherte,  dass  jetzt  »die 
w^ahren  Künste  und  nützlichen  Wissenschaften  in  Russland  verbreitet 
werden  sollen^«.  Bekanntlich  w^artete  der  Prinzessin  in  Russland 
ein  schreckliches  Schicksal. 

Das  Seidenwerk  wurde  von  Frisch  mit  unverdrossenem  Eifer 
betrieben,  und  im  Frühjahr  und  Sommer  171  2  schien  ihm  auch  die 
Societät  ein  wärmeres  Interesse  zu  widmen.  Man  war  entschlossen, 
einen  grossen  Platz  für  eine  Baumschule  zu  kaufen,  ein  Haus  zu 
bauen  und  »viel  andere  vorher  nie  angehörte  Dinge  zu  thun^<.  Im 
Juli  konnte  der  Secretar  an  Leibniz  berichten,   dass   »das  Seidenwerk 


^    Siehe  Secr.-LEinN.  >sr.  141  und  143  (i6..1iili  und  29.  ( )ctol)er  1712). 

-    Hannov.  Bibl. 

^  Vom  12.  April  17 12  (Geh.  JStaatsarcliiv);  die  Societät  liatte  wieder  gegen  die 
Provinziah'egierungen  Klage  füln-en  müssen,  die  ganz  lässig  seien  und  die  faulen 
Ausreden  der   »Verbrecher«    als  gültig  liinnehmen. 

*  Die  Briefe  in  der  Bibliothek  zu  Hannover  (19.  November.  10.  und  22.  De- 
cember  17 11).  LEiBxizens  IMisstranen  in  Bezug  auf  Heineccius  in  dem  gleichzeitigen 
Briefwechsel  mit  dem  Secretar.  s.  seinen  Brief  Nr.  134:  »der  Präses  der  Societät 
hat  bereits  zu  Torgau  das  Verlangte  bei  des  Czars  IMajestät  besorgt'.  Bedeutendes 
Schreiben  von  Heineccits  an  Leibniz  vom  19.  November  171 1:  Plan  der  Eirichtung 
einer  Societät  der  Wissenschaften  und  einer  INIissionsanstalt  in  ^Moskau,  ausgehend 
von  der  Berliner  Societät  (Bodemann  S.83). 

'"  Frisch  Nr.  24  vom  i.^NIärz.  Secr.-LEiiix.  Nr.  138.  141.  142  vi^m  28.  Mai.  16. 
•lull   und   20.  August  1712. 


Beziehungen  zu  Russland.      Fkisph   und  das  Seidenwerk.  IS/ 

am  Hofe  wieder  in  Bewegung  sei«.  Einige  Kammerräthe  hatten 
sicli  günstig  geäussert.  »Der  Kronprinz  hat  nun  auch  bessere  (be- 
danken von  der  Sache  hekommen  und  wird  uns  nicht  mehr  zu 
hindern  hegehren^*.  »Der  Hr.  von  Printzen  ist  dem  Werk  sehr 
geneigt:  wie  der  Hr.  von  Kameke  dagegen  gesinnet,  weiss  man  noch 
niclit  .  .  .  auf  ihn  dürfte  der  Ausspruch  ankommen'"«.  Allein  bereits 
im  September  muss  Frisch  an  Leibniz  schreiben^:  »Wegen  unseres 
Seidenwerks  steht  es  noch  in  den  alten  schläfrigen  Anstalten.  .  .  . 
Es  ist  eine  K.  Commission  gehalten  w^orden.  Ich  werde  in  keinem 
Stück  mehr,  wie  ich  es  um  die  Societät  vermeine  verdient  zu  haben, 
in  fünf  und  mehr  Jahren,  da  ich  dieses  Werk  zu  treiben  gesucht, 
eonsiderirt.  und  unterlasse  doch  nicht,  so  viel  dabei  zu  thun  als 
ich  kann.  Man  lieisst  uns  bei  Hof  des  grands  faiseurs  de 
rien.  Ich  habe  von  der  Commission  nicht  das  geringste  gewusst 
oder  erfahren,  da  ich  doch  denen  Hrn.  Commissariis  hätte  die  beste 
Nachricht  geben  können.  Meine  Administration  hat  der  Societät 
nichts  gekostet,  und  wünsche,  dass  die  neue  nicht  mehr  kosten 
möge « . 

Augenscheinlich  schob  man  den  tüchtigen  Mann  bei  Seite,  weil 
er  nicht  zum  Directorium  gehörte,  vielleicht  auch  aus  der  instincti- 
ven  Feindseligkeit  heraus,  mit  der  die  Masse  der  nichts  Leistenden 
den  Arbeitenden  stets  verfolgt.  Frisch  verlor  den  Muth  zur  Sache 
nicht:  er  empfand  sich  in  dieser  Lage  als  einen  Leidensgenossen  von 
Leibniz   und  stärkte  sich   an   seinem  Vorbilde.      Die   beiden  Männer 

verstanden   sich. 

"Ich  habe  v(jn  Ew.  Ex.  nicht  wenig  Grossnmth  gelernet,  wie  man  durch 
die  Hinderung  des  eigenen  Corporis  Societatis  müsse  suchen  durch- 
zudringen, nachdem  ich  durch  die  Raillerien  des  Hofs  und  der  Bedienten  des- 
selben an  vielerlei  Orten  durchgedrungen.  Gott  erhalte  Ew.  Ex.  noch  lange  Jahre, 
denn  wann  noch  etwas  geschieht,  so  thut  man  es  aus  gebührender 
Reflexion  auf  Sie,  sonst  wäre  unser  AVerk  ein  Gespenst  und  Schat- 
ten,   über    den    man    sich    ungemein    mo([uiren    würde.« 

Dieses  Zeugniss  über  Leibniz  ,  der,  oV)gleich  ein  Verbannter,  die 
Societät  noch  immer  trug  und  ausdauernd  und  grossmüthig  gewesen 
ist,  schlägt  viele  falsche  Behauptungen  und  unrichtige  Vermuthun- 
gen  nieder. 

Die  Societät.  d.  h.  das  Directorium,  nahm  also  das  Werk  selbst 
in    die  Hand.      Das    alte  Übelwollen    gegen   Frisch    spricht    sich    in 


^    Secr.-LKiBN.  Nr.  140  vom   2.  Juli. 

2    A.a.O.  Xr.142. 

"*    Frisch   Xr.  25   vom   2.  Sejjtember. 


188  Geschichte  der  Societät  von  1711  —  1716. 

den  Briefen  des  Sccretars  deutlich  aus.  Als  die  Sache  nun  natür- 
lich viel  schlechter  ging,  klagte  er  «über  Hinderungen  und  Schwierig- 
keiten ,  die  von  denen  kommen ,  so  das  Beste  der  Societät  fördern 
sollten  und  sich  dessen  angemasset^i .  Und  als  gar  Frisch,  der 
jetzt  auf  eigene  Rechnung  weiter  arbeitete,  schöne  Erfolge  erzielte, 
da  schrieb  der  Secretar  in  seinem  Unmuthe:  »Weil  er  die  Kunden 
an  sich  gezogen ,  können  wir  an  keinem  Ort  fortkommen « .  stellte 
es  so  dar,  als  hätte  Frisch  der  Societät  gekündigt  und  scheute  sich 
sogar  nicht,  ihm  zwischen  den  Zeilen  einen  bösen  Vorwurf  zu 
machen".  Als  endlich  das  Directorium  die  Sache  gründlich  ver- 
fahren und  sich  in  Unkosten  gestürzt  hatte,  wandte  es  sich  noth- 
gedrungen  wieder  an  den  thätigen  und  kenntnissreichen  Mann,  der 
denn  auch  edelmüthig  half.  »Wir  hoffen  (mit  FRiscnens  Hülfe)  einen 
Schritt  weiter  vorwärts  zu  thun.  Vom  Hofe  hal)en  wir  nichts  zu 
gewarten ,  weil  der  Hr.  von  Kamekk  gar  keine  Lust  zu  der  Sache 
bezeuget,  also  müssen  wir  sehen,  wie  wir  uns  selbst  forthelfen^.« 
»Vom  Hofe  haben  wir  nichts  zu  gewarten«  —  dies  Wort  sollte 
sich  in  einer  ungeahnten  W'eise  erfüllen.  Am  25.  Februar  1 7 1 3 
starb  Friedrich  I.  nach  kurzer  Krankheit.  Die  Societät  fand  bald 
Grund,  ihn  aufrichtig  zu  betrauern.  Die  Mehrzahl  der  ursprüng- 
lichen Mitglieder  lebte  noch,  als  der  neue  Herr  den  Thron  bestieg: 
aber  sie  besassen  kein  Ansehen  bei  Hofe ;  man  darf  auch  fragen, 
ob  sie  es  verdienten.  Leibniz  befand  sich  in  Wien.  Der  Tod  des 
Monarchen  erweckte  in  ihm  keine  weichen  Stimmungen.  Als  die 
Kurfürstin  Sophie  in  einem  Briefe  von  ihrem  entschlafenen  Schwie- 
gersohn als  dem  »sehr  christlichen«  Könige  sprach,  entgegnete  er, 
dieser  Titel  sei  zutreffend,  wenn  man  auf  die  Erfüllung  der  äusse- 
ren kirchlichen  Ptlichten  sehe:  »il  n'y  a  que  Dieu  qui  connaisse 
l'interieur:  cependant  Taction  du  jeuiie  roi  de  retablir  M.  de  Dan- 
kelman  —  dachte  er  vielleicht  auch  unwillkürlich  an  sich  selbst?  — 
est  plus  chretienne  que  celle  du  pere  non  seulement  de  le  chasser 
de  la  Cour,  mais  meme  de  lui  confisquer  son  bien«.  »Vous  jugez 
tres-bien  ä  l'egard  de  Danquelman,«  erwiderte  in  ihrer  kaustischen 
Weise    die  greise  Fürstin,    »mais    votre    observatoire   ne    sera 


'    Secr.-LEiBN.  Nr.  143  vom   29.  Oetober  1712. 

^  A.  a.  O.  Nr.  144  vom  20.  December  17 12.  Der  ^'orwurf  auf  früheren  Eigen- 
nutz ist  versteckt  und  ist  durcli  Jablonskts  folgenden  Brief  und  Frischcus  Schreiben 
vom  29.  Oetober  17 12  (Nr.  26)  hinreichend  widerlegt  (»Man  coinmunicirt  mir  fast  gar 
nichts  mehr  und  will  mit  Gewalt  mit  Schaden  klug  und  mi'ide  werden»). 

^    A.  a.  ().  Nr.  145   vom  31.  December  1712. 


Der  Tod  des   Königs  Friedrich's  I.      Der  neue   Kcniiü;.  181) 

pas  aussi  l)ien  observe  que  v^otre  impöt  siir  les  alma- 
iiacs  ...  Le  roi  [Friedrich  Wilhelm  I.)  se  piqiie  de  faire  justice 
ä  tovit  le  monde  et  ä  empecher  le  superflii  a  ses  servi- 
teurs'.«      Sie  kannte  ihren  Enkel. 


2. 

Den  Zustand  der  Societät  in  den  l)eiden  ersten  Jahren  der 
Regierung  Friedrich  Wilhelms  I.  kennen  wir  fast  lediglich  aus 
den  Briefen  des  Secretars,  einem  Schreiben  von  Leibniz  an  diesen 
und  den  Klagen  La  Croze's"'.  Aber  jene  Briefe  charakterisiren  die 
Lage  so  vortrefflich,  dass  sie  einen  Abdruck  an  dieser  Stelle  ver- 
dienen. Schon  als  Kronprinz  hatte  Friedrich  Wilhelm  I.  die  Socie- 
tät verachtet,  weil  sie  zu  wenig  leistete  und  weil  er  alle  Gelehr- 
samkeit, die  nicht  praktisch  nutzbar  war,  ebenso  verabscheute  wie 
das  Latein,  die  Philosophie  und  die  Elegantien.  An  das  Kalender- 
privileg scheute  er  sich  die  Hand  zu  legen  und  wollte  auch  die 
Stiftung  seines  Vaters  nicht  einfach  aufheben ;  aber  wo  es  irgend 
möglich  war,  da  sollte  auch  die  Societät  zum  allgemeinen  Sparsam- 
keitssystem ihren  Beitrag  liefern,  und  sie  sollte  nur  ein  Recht  auf 
Existenz  haben,  wenn  sie  thätig  war,  d.  h.  das  militärische  Medi- 
cinalwesen  beförderte  und  im  Technischen  etwas  leistete.  Fast  zwei 
Jahre  wartete  der  König  ruhig  ab ;  er  übernahm  wieder  die  Würde 
eines  Protectors  der  Societät^,  noch  bestätigte  er  ihre  Privilegien, 
noch  entzog  er  ihr  die  Mittel  und  Rechte.  Nur  für  die  Räume  im 
Observatorium  verlangte  er  eine  Miethe,   d.  h.   er  befahl  gleich  nach 


^  LEiBxizens  Brief  ist  nicht  datirt,  die  Antwort  der  Kurfürstin  vom  27.  April 
1713  (Ki-opp,  Werke,  9.  Bd.  S.392.  394f.). 

^  Er  richtete  am  28.  Juni  17 13  einen  kummervollen  Brief  an  Leibniz.  Sein 
Gelialt  war  ihm  gesperrt  worden,  und  er  kam  dadurch  in  die  höchste  Noth;  er 
wollte  nach  Iilngland  gehen,  blieh  dann  al)er  doch  in  Berlin,  da  er  eine  Stelle  als 
Prinzenerzieher  erhielt  und  bald  darauf  in  der  Lotterie  eine  ansehnliche  Summe 
gewann.  »Vous  etes  heureux,  ]Monsieur,  de  n'etre  point  temoin  des  gemissements 
et  des  larmes  qui  se  repandent  en  ce  pays-ci,  oü  11  y  a  bien  des  gens  encore  plus 
mal  traitt-s  que  moi.  Te  tenet  aula  nitens,  nos  lacrymosa  dies.«  J.  G.  Eccard,  der 
La  Croze  nach  Helmstädt  ziehen  wollte,  schrieb  ihm  (Thesaur.  epist.  Lacroz.  T.  111 
p.  286):  »alto  in  otio  vivimus  et  tempestates  non  timemus,  quas  Berolini  sustinuistis. 
Bone  deus  I  quantum  inutata  est  sedes  lila  elegantiarum  ex:  illo  teinj)ore,  quo  ibi 
cum  amicis  Musis  suavissime  vixi«.  Der  wissenschaftliche  Briefwechsel  zwischen  La 
Croze  und  Leibniz,  in  welchem  jener  der  Gebende  war,  ging  ungestöi't  weiter;  der 
letzte  Brief  ist  vom  19.  October  17 16. 

^  Hr.  VON  Printzen  heisst  fortab  —  auch  in  den  Kalendern  —  »Protector 
der  Societät«. 


11)0  (Jcschiclite  der  .Societät   von    1711  — ITHJ. 

soinem  Regierungsantritt,  sie  meistl)ietend  zu  verniietlien.  Da  sieh 
aber  kein  Liebhaber  fand,  behielt  die  Societät  ihre  Räume  zunächst 
ohne  eine  Abgabe;  später  zahlte  sie  50  Thlr.  Das  Ausschreiben 
der  Anitskammer'  ist  charakteristisch  als  ein  besonders  leuchtendes 
Beispiel  bureaukratischer  Unbefangenheit. 

Xaclidein  S.  K.  M.  in  Preussen  u.  s.w.  Unser  allergnädigster  Herr  in 
Gnaden  resolviret.  dass  nicht  allein  die  Stuben  und  Cammern  auf  dein 
K.  Marstall,  sonder-n  auch  die  Logementer  auf  dem  daselbst  befindlichen 
Observatorio  auf  der  Dorotheenstadt.  ingleichen  der  Ochsen-  tnid  Hannnel- 
Stall  vor  dem  Leipziger -Thor  ä  500  Haupt -Schaaf-\'ielie  nebst  der  Hutung 
und  Trifft,  sainmbt  einer  Sttiben  und  Canuner  vermiethet  und  dem  Meist- 
biethenden  gegen  Stellung  zidänglicher  Caution  zugeschlagen  werden  sollen, 
zu  welchem  Ende  der  21.  Aprilis  pi-o  Termino  Licitationis  anberahmet 
worden,  als  wird  solches  männiglich  hierdurch  kundt  gemachet,  und  haben 
sich  diejenige,  so  etwa  zu  solclien  Logementern  auf  dem  Iv.  ^Marstall  oder  zum 
Hammel-Stall  Belieben  tragen,  sich  in  Ijemeltem  Termino  zu  gestehen  u.s.w. 

Colin  an  der  Spree,  den   29.  Martii   1713. 
K.  Preuss.  Am])ts-Cannner'^. 

Der  Eindruck  der  ersten  Maassnahmen  des  Königs  spiegelt  sich 
—  nicht  zum  Nachtheil  des  Monarchen  —  in  den  Briefen  Nr.  147 
bis  149  des  Secretars  an  Leibniz  vom  i.und  22.  April  und  15.  Mai 
1713.      Der  erste  lautet: 

"Der  hohe  Todesfall  hat  mehr  Veränderungen  nach  sich  gezogen,  als  man  je 
vermuthet.  Sie  betreffen  aber  meist  die  üeconomica.  und  haben  S.Iv.  INI.  sich  so  weit 
herausgelassen,  dass  Sie  erst  einen  beständigen  Grund  guter  Haushaltung  legen 
müssen,  damit  Sie  zuvorderst  eine  ansehnliche  Kriegsmacht  wohl  unterhalten  und 
nachgehends  ihren  Unterthanen  einige  Erleichterung  schaffen  können.  Hernach 
werden  Sie  schon  JMittel  finden,  auch  ihre  treue  Diener  zu  belohnen,  vor  den  Anfang 
aber  müssen  sie  sich  mit  ihm  in  die  Zeit  schicken  und  nach  seinem  Exempel  richtiger 
haushalten  lernen.  Die  unmässige  Besoldungen  einiger  Hof-  und  Staatsbedienten 
sind  merklich  eingezogen  und  aller  Uberfluss  bei  Hofe  gemässiget  Avorden.  so  dass 
man  sagt,  es  werde  an  Küche.  Keller  und  Silberkammer  allein  bis  400000  Tld. 
jährlich   ersparet  werden. 

Die  Malerakademie  ist  aufgehoben ,  wenigstens  weil  ihnen  die  Besoldungen 
genommen,  wird  sie  von  selbst  zergehen,  und  man  weiss  noch  nicht,  ob  sie  die 
Gemächer  auf  dem  Stall  behalten  werden.  Von  dem  Observatorio  sind  auch 
gefährliche  Gerüchte  gegangen  und  weiss  man  nocli  nicht  recht,  woran  man  ist, 
wie  denn  nach  der  Leichenbegängniss  erst  Alles  in  rechten  Stand  soll  gebracht 
werden.  Sonst  hat  der  König  von  der  gehaljten  Abneigung  von  der  Feder  viel 
nachgelassen  und  selbst  gestanden,  wie  er  nun  wohl  sehe,  dass  mit  dem  Degen 
allein  sich  nicht  Alles  ausrichten  lasse.  Er  hat  selbst  Hand  angelegt  und  alle  Rech- 
nungen ,  Aufsätze  vuid  was  ihm  nöthig  gewesen  mit  eigener  Hand  hinzugesetzet. 
Er  decretirt  auf  gleiche  Weise  mit  eigener  Hand  theils    publicjue  Sachen,    die   ihm 


'    Druckexemplar  im  Akademischen  Archiv  (»Baulichkeiten"). 

^  Die  Societät  machte  eine  Eingabe  dagegen  bei  der  Amtskannner  (20.  April); 
aber  der  Präsident  erklärte  dem  Hofprediger,  er  habe  viei-mal  wegen  solcher  Yei- 
miethung  vom  Könige  Befehl  bekommen  und  könne  daher  nichts  in  der  Sache 
thun,  wenn  nicht  Gegenbefehl  gebracht  wird. 


Friedrich  Wii.helm's  I.  Stelliini;  zur  Societät  in  den  beiden  ei-sten  Jahren.    1  1)1 

auf  einen  lialljgeljrochenen  Denkzettel  ii'egeVjen  werden  müssen,  tlieils  Privatinenio- 
rialien.  die  er  willig  anninnnt  und  mit  Fleiss  durchlieset.  Kr  will  ei-nstlieh  der 
Jnstiz  aulgeholfen  und  die  Processe  verkürzt  wissen,  wozu  auch  schon  eine  ("om- 
inission  niedergesetzt  ist.  mit  der  es  aber  nicht  recht  fort  will.  Der  Graf  von  Dohxa 
ist  bei  dem  König  wohl  angesehen  und  der  Erste  unter  den  \'ieren.  so  den  neu- 
errichteten C'abinet  recht  ausmachen,  die  andern  sind  die  Hrn.  v.  Ilgen.  v.  Printzex 
und  Grumkow.  .  .  .  Der  Hr.  Oberpräsident  von  Dankelmann  ist  auf  K.  Hefehl 
licrgekoimnen  und  wii-d  sehr  wohl  angesehen.  Worauf  es  aber  gemeint,  ist  noch 
unbekannt." 

In   dem   zweiten   Schreiben  lieisst  es: 

"Ich  hal)e  gehorsamst  melden  sollen,  dass  es  mit  der  Societät  nahe  an  dem  ge- 
wesen und  vielleicht  noch  ist,  dass  sie  das  Gliick  meiir  anderer  Collegien  haben 
dürfte  [d.  h.  aufgehoben  zu  werden].  Allzeit  das  Observatorium  ist  auf  K.  Befehl  von 
der  Amtskanimer  zur  Miethe  öffentlich  angeschlagen  worden,  und  als  man  sich  dagegen 
gemeldet,  hat  man  kaum  erhalten,  dass  das  ^Memorial  nur  ad  acta  genommen  woi'den. 
In  termino  hat  sich  zwar  Niemand  gefunden,  der  das  01)servatorium  zu  miethen 
vei-langet.  also  hat  man  sich  von  Seiten  der  Societät  auf  die  gethane  Vorstellung 
bezogen  und  zur  Antwort  erhalten,  es  solle  derselben  in  dem  Bericht  gedacht  werden. 
Wie  es  nun  ferner  laufen  werde,  lehret  die  Zeit.  Die  jNIalerakademie  hat  ihre 
Zimmer  um  60  Thlr.  in  3Iiethe  genonnnen,  nach  deren  Exempel  es  mit  dem  Ob- 
servatorio  avoIü  auch  wird  geschehen  müssen.  Ol)  es  aber  dabei  aufhören  werde 
stehet  dahin'.  Es  äussern  sich  täglich  neue  iNIachinationes  zum  Nachtheil  der  Socie- 
tät, dagegen  man  zwar  alles  Mögliche  vorkehret,  allein  weil  directe  nichts  auszu- 
richten, muss  man  es  dabei  bewenden  lassen,  dass  man  indirecte  wehret  soviel  man 
kann.  Der  Hof  hat  sich  sehr  verändert,  und  hat  der  ganze  Zustand  eine  andere 
Gestalt  gewonnen,  so  dass  man  sich  kaum  mehr  darein  finden  kann.« 

In   dem  dritten  Briefe  schreibt  der  Secretar: 

"]\Iit  der  Societät  ist  es  also  geblieben,  ausser  dass  der  Ruf  von  Einziehung 
des  Kalenderverlags  sich  wieder  verloren.  Unterdessen  ist  man  doch  nicht  sicher 
und  hat  denmach  beschlossen,  sobald  der  Hr.  von  Printzen  .  .  .  wieder  hier  sein 
wird,  mit  demselben  in  Rath  zu  stellen,  ob  man  nicht  die  Bestätigung  der  vorigen 
Verschreibungen  bei  itzt  regierender  K.  Maj.  suchen  soUe^. 

Sonst  haben  die  Veränderungen  gar  weit  um  sich  gegrifl'en.  und  ist  Niemand 
damit  verschonet  worden  weder  von  Civil-  noch  Militärstand.  Unter  andern  hat  es 
auch  die  Bibliothek  gar  hart  betroften  und  der  Hr.  Schott  nicht  mehr  denn  200  Thlr. 
behalten,  der  Hr.  La  Croze  aber  Alles  verloren. 

Sonst  sind  S.  K.  Maj.  bei  Dero  Regierung  sehr  lleissig  und  dictiien  unzählbare 
Supplicata  mit  eigenei-  Hand.  Sie  eifern  absonderlich  über  schleunige  und  richtige 
Verwaltung  der  Gerechtigkeit  und  haben  schon  einen  Anfang  gemacht,  die  Process- 
ordnung  am  Kammergericht  zu  reformiren.  wodurch  die  Rechtssachen  merklich  ver- 
kürzt werden  sollen. 

Einen  wirklichen  INIaitre  des  requetes  haben  Sie  nicht  bestellet;  es  ist  aber 
einer  Namens  Koppen,    ein  Generaladjutant,   so  stets  um  Dieselben  sein  muss   und 


^  Hierzu  hat  Leibniz  eigenhändig  die  Worte  geschrieben: 

»Am  Saal  des  Parlements,   so  England  kann  geliieten. 
Schrieb  Cromwel  endtlich  an:    Der  Ort  ist  zu  vermiethen. 
Dem  Kunstwei'ck  zu  Berlin  geschieht  noch  grössre  Ehr. 
Ein  König  schreibt  ans  Hauss:    Weicht  oder  Thaler  hehr." 

^  In  margine  bemei'kt  Leibniz  sehr  treffend:    "Man  mache  zugleich  einen  neuen 
tonuun  Miscellaneorum  präsentiren  und  alleiliand  manifeste  utilia   hineinbringen". 


192  Gpscliiclite  der  Societät  von    1711  — ITltl. 

alle  Suppliqueii  niuiiinint.  Der  llr.  v.  Kreuz  ist  wirklicher  Staatsniinistei-  und  Di- 
recteur  general  des  iinances  geworden. 

Die  Gelehrten  möchten  sich  wohl  wenig  zu  erfreuen  liaben.  Von  denen  Con- 
dolenz-  und  Gratulations-Complimenten,  so  ein  und  andere  dem  König  überreichen 
wollen,  hat  er  keine  angenommen.  Es  haben  auch  keine  in  der  Schlossdruckerei 
angenommen  werden  dürfen  ...  So  ist  mir  auch  gesaget  worden ,  der  König  hal)e 
dem  Pagenhofmeister  ausdrücklieh  verlioten.  die  Pagen  im  Latein  unterweisen  zu 
lassen.« 

Jetzt  wäre  es  an  der  Zeit  gewesen ,  dass  sich  die  Societät  zu- 
sammenraffte und  dem  Könige  zeigte,  dass  sie  etwas  Nützliclies  zu 
leisten  im  Stande  sei  —  er  Hess  sie  ja  zunächst  ruhig  gewähren'. 
Leibniz  trieh  auch  unablässig  dazu.  »Miscellanea  esse  edenda«,  war 
sein  Ceterum  censeo.  Er  schlug  vor,  sich  in  die  Zeitverhältnisse  zu 
schicken  und  kriegswissenschaftliclie  und  technische  Abhandhmgen 
aufzunehmen ;  er  zeigte  in  einem  Schreiben  an  den  Secretar,  dass 
er  den  König  zu  würdigen  verstand,  und  war  bereit,  auf  seine  Lieb- 
liabereien  einzugelien  und  selbst  ein  Problema  tacticum  zu  inseriren, 
sowie  eine  ballistische  Abhandlung".  Aber  die  Societät  blieb  völlig 
thatenlos.  Sie  hatte  bisher  überhaupt  noch  nicht  gelernt,  auf  eige- 
nen Füssen   zu  stehen ;    sie  liess  Leibniz  arbeiten  und  hoffte ,    statt 


'  Siehe  Secr.-LKii3x.  Nr.  152  vom  12.  August  1713:  »Der  Zustand  der  Societät 
bleibt  bei  dem  Vorigen,  und  weil  der  König  fast  aller  Alfairen,  ausser  die  das 
Soldatenwesen  betreffen,  sich  entschlägt,  so  wird  zwar  eine  der  Societät  nachtheilige 
Veränderung  nicht  leicht  zu  besoi'gen,  hingegen  auch  vor  dieselbe  wenig  Vortheile 
und  AVohlthaten  zu  hoffen  sein». 

"  Sein  Brief  Nr.  154  vom  6.  December  17 13  an  den  Secretar  ist  für  seinen 
fi'ischen  Blick  und  für  die  Elasticität,  mit  dei'  er  sich  in  neue  ^'erhältnisse  immer 
wieder  zu  schicken  wiisste.  charaktei'istisch.  «Es  hat  des  neuen  Königs  M;ij.  der 
Welt  gezeiget,  dass  Sie  nicht  nur  vor  die  Waffen  sorgen,  sondern  auch  guten  Rnth 
zu  ergreifen  wissen.  Sie  haben  dvu'ch  Erlangung  des  Besitzes  von  Stettin  erhalten, 
wornach  ihr  Hr.  Vater  glorwürdigsten  Andenkens  (des  Hrn.  Grossvaters  zu  ge- 
schweigen)  vergebens  getrachtet.  S.  ^laj.  haben  noch  dazu  Tonningen  erhalten  und 
den  Grund  zu  der  nordischen  Iluhe  wenigstens  in  den  Reichslanden  geleget,  und 
da  anderswo  nur  zugesehen  woi-den.  die  Hand  an  das  Werk  mit  Nachdi-uck  ge- 
leget. Ist  also  auch  billig,  dass  Sie  dessen  geniessen.  Es  heisset  »jura  vigilantibus 
scripta  sunt".  Ich  schliesse  aus  diesem  allem,  dass  S.  ]Maj.  den  Studien  nicht  abge- 
neigt sein,  sondern  wohl  wissen  werden,  was  im  Regimente  daran  gelegen.  Daher 
ich  auch  der  Hoffnung  lebe,  Sie  werden  die  von  ilu'em  Hrn.  Vater  fundirte  Societät 
der  Wissenschaften  allergnädigst  protegiren.  Es  ist  nöthig,  dass  man  dahin  bedacht 
sei,  wie  künftiges  Jahr  ein  neties  Volumen  Miscell.  Berolinensium  zu  Stande  komme, 
darin  nicht  nur  speculativa  et  curiosa,  sondern  auch  practica  et  utilia  zu  bringen, 
wie  man  zwar  auch  beim  ersten  Volumine  darauf  gesehen.  Ich  will  unter  andern 
ein  Problema  tacticum  inseriren:  wie  aus  einer  gegebenen  Zahl  ein  Bataillon  carre 
vide  also  zu  formiren.  dass  am  wenigsten  Personen  übrig  bleiben,  item  etwas 
ad  rem  ballisticam.  Und  weil  der  König  auch  die  Manufacturen  gern  befördert,  so 
stelle  dahin,  ob  einige  merkwürdige  Vortheile  oder  Observationen  u.dergl.  zu  haben 
und  beizufügen.    Ich  sollte  vermeinen,  in  Berlin  würde  sich  dazu  Gelegenheit  finden.« 


Das  TlieJiti'uni  anatoniicum.  11).) 

sicli  anzustrengen,  auf  « Vortheile  und  Wohltliaten  vom  Hof « .  Der 
neue  Band  der  Miscellanea  rückte  nicht  von  der  Stelle,  obgleich  am 
Ende  des  Jahres  1 7 1 3  angeblich  die  meisten  Mitglieder  etwas  bei- 
gesteuert hatten'.  Es  sollten  noch  10  Jahre  dahin  gehen,  bis  er 
erschien!  Das  Seidenwerk,  dem  der  König  nicht  ungünstig  gesinnt 
war",  wurde  ohne  FRisciiens  Hülfe  lässig  und  ungeschickt  betrieben. 
Der  Secretar  weiss  Leibniz  in  der  Regel  nur  zu  berichten,  dass  mit 
der  Societät  Alles  beim  Vorigen  stünde^.  Man  scheint  auf  einen 
deus  ex  machina  gewartet  zu  haben. 

Nur  an  einem  Punkt  war  man  etwas  rühriger*;  hier  aber  stiess 
die  Societät  auf  den  feindseligen  Medicus  Gundelsheim: 

Das  Theatruni  anatomicum  näherte  sich  der  Vollendung,  und 
der  rüstige  Spener,  einer  der  wenigen  Akademiker,  die  etwas  thaten, 
war  eifrig  darauf  bedacht,  mit  den  Sectionen  zu  beginnend  Man 
durfte  hoffen ,  damit  den  Beifall  und  die  Gunst  des  Königs  zu  ge- 
winnen, der  der  Anatomie  (auch  der  Botanik,  um  des  Arzneiwesens 
willen)  ein  besonderes  Interesse  bezeigte.  Aber  hier  drängte  sich 
Gundelsheim  ein  und  belegte  Anatomie  und  Botanik  für  sich  mit 
Beschlag.  Das  anatomische  Theater  war  mit  der  Societät  nicht  ver- 
bunden, sondern  stand  unabhängig  von  ilir^\    Gundelsheim  gestattete 


^    Siehe  Secr.-LEiBN.  Xr.  155   vom   16.  December  1713. 

^  A.a.O.  Nr.  151  vom  i.Juli  17 13.  Eine  kleine  Schrift  ül)er  den  Seidenbau 
wurde  vorbereitet. 

^  Einigermaassen  zur  P^ntschuldigung  diente,  dass  zwei  Klassendirectoren,  C'u- 
NKAt;  und  Schott,  sehr  leidend  waren,  ferner  dass  man  auch  beim  besten  Willen 
in  Berlin  keine  hervorragenden  Gelehrten  finden  konnte,  die  der  Societät  Ansehen 
verliehen  hätten.  Unter  den  auswärtigen,  die  neu  hinzutraten,  waren  einige  glänzende 
Namen,  aber  sie  dienten  doch  nur  zum  Schmuck;  unter  den  einheimischen  wai-en 
die  ursprünglichen  Mitglieder  noch  immer  die  bedeutenderen  (Einheimische  und  Aus- 
wärtige zusammengerechnet,  wurden  171 1— 17 16  14  +  9+11-1-13  +  9  +  0  neue 
Mitglieder  aufgenommen). 

*  Ausserdem  beschäftigte  man  sich  unter  des  Hofpredigers  Leitung  mit  der 
deutschen  Orthographie.  Hess  trotz  LEiBNizens  bestimmter  Warnung  etwas  darüber 
als  Manuscript  drucken  und  schickte  es  an  Gelehrte  (Nr.  156.  157.  159).  Leibniz 
wusste  sehr  wohl,  dass  die  beiden  Slaven  Jabloxski  nicht  fähig  waren,  in  deutscher 
Sprachlehre  etwas  zu  leisten.  Im  Akademischen  Archiv  (Wissensch.  ^^erha^dl.  u.  Auf- 
sätze 1699— 1737)  liegen  verschiedene  Aufsätze  über  die  Einrichtung  eines  deutschen 
Wörterbuchs,  grösstentheils  von  des  Hofpredigers  Hand:  einer  derselben  ist  im  Ur- 
kundenband Nr.  1 19  abgedi'uckt.  Wertlivoller  mögen  die  übrigens  nicht  zahlreichen 
Stücke  zu  einer  neuen  Ausgabe  des  hebräischen  Alten  Testaments  cum  variis  lectionibus 
sein.  Vorarbeiten,  die  ja  wirklich  zum  Ziele  geführt  haben. 

^    Siehe  Secr.-LEiBx.  Nr.  153  vom  9,  September  1713. 

^  Der  Plan,  ein  Theatrum  anatomicum  zu  bauen,  war  proprio  motu  schon 
171 1  von  der  Societät  gefasst  worden  (hierauf  bezieht  sich  die  Societät  in  einer 
Eingabe  an  den  König  vom  15.  December  17 14,  s.  unten).  Sie  war  also  voran- 
Gescliichte  der  Akademie.    I.  \o 


li)4  Geschichte  der  .Societät  von   ITll-lTHi. 

wohl,  dass  Spener  dort  seine  Sectionen  vornaliiii  —  denn  er  selbst 
war  unfähig  dazu  — ,  aber  er  wachte  eifersüchtig  darüber,  dass  die 
Societät  aus  dem  Spiel  blieb,  damit  sie  nichts  von  dem  Ansehen 
und  der  Gunst  der  Sache  genösse.  Dennoch  kam  ihr  die  Arbeit 
Spener's  beim  König  zu  Gute,  und  als  diesem  noch  ein  anderes 
Mitglied  der  Societät,  Colas,  als  Wasserbau -Verständiger  imponirte 
und  dann  ein  gutes  Wort  für  die  Akademie  einlegte  \  da  schien  er 
günstiger  gegen  sie  gestimmt.  Er  ernannte  im  April  1 7 1 4  Spener 
zum  Professor,  äusserte  sich  Colas  gegenüber  freundlicher  über  die 
Societät,  schenkte  ihr  mehrere  grössere  und  seltenere  Thiere  für  die 
Sectionen,  dachte  daran,  ihr  die  Anatomie  dauernd  einzuverleiben, 
und  beschloss,  ihre  Privilegien  zu  bestätigen.  Allein  bereits  im 
Mai  desselben  Jahres  starb  der  treft'liche  Spener,  36  Jahre  alt,  ganz 
plötzlich,  und  sofort  erlangte  wieder  Gundelsheim,  der  Colas  und 
Spener  bereits  mit  seinem  Neid  beehrt  hatte,  den  entscheidenden 
Kiintluss  in  wissenschaftlichen  Dingen  beim  König.  Schon  im  Juli 
musste  der  Secretar  an  Leibniz  von  den  »mancherlei  Bedrückungen 
der  Societät,  darunter  sie  sich  schmiegen  und  biegen  muss'"«, 
schreil)en ,  und  im  November  i  7  1 4  erging  vom  Könige  die  verhäng- 
nissvolle Aufforderung  an  sie,   Rechenschaft  von  ihrem  Etat  abzu- 


gegangen; aber  sie  hatte  keinen  Raum  und  keine  Mittel.  Gundelshkim  war  es 
dann  gehuigen,  Beides,  unabhängig  von  der  Societät,  vom  König  zu  erhalten  und 
die  Anatomie  zu  bauen.  Diese  Situation  war  an  sich  eine  Kränkung  für  die  Akademie. 
Kurz  vor  seinem  Tode  hat  Gundelsheim  allerdings  der  Societät  den  Vorschlag  ge- 
macht, sich  den  botanischen  Garten  und  das  anatomische  Theater  einzuverleiben, 
aber  unter  welchen  Umständen,  wissen  wir  nicht.  Übrigens  ist  auch  nach  der  Ein- 
verleibung (s.  unten)  das  Vei-hältniss  der  Societät  zu  dem  anatomischen  Theater  und 
zur  medico- chirurgischen  Akademie  ein  sehr  unklares  geblieben.  Schon  um  das 
Jahr  1780  hat  man  sich  den  Kojjf  zerbrochen,  wie  es  eigentlich  gestaltet  war.  Das 
beweist  eine  Zusammenstellung  der  wichtigsten  Daten  aus  den  Protokollen,  die  um 
1780  gemacht  worden  ist  (aufbewahrt  im  Fase.  »Acta,  die  Organisation  und  Ver- 
waltung der  K,  Akad,  betreff*,  1773  — 1789  ■  des  Akademischen  Archivs),  Da  die  Acten, 
aus  denen  diese  Auszüge  hei'gestellt  sind,  jetzt  grosstentheils  fehlen  (so  die  Acten 
der  Sitzungen  des  Directoriums  der  .Societät) ,  so  ist  jene  Zusammenstellung  im  Ur- 
kundenband  Nr,  120  abgedruckt  worden. 

'  Auch  der  Hofpredigei-  hatte  einmal  Gelegenheit  gehabt,  beim  König  für 
die  Societät  zu  sprechen,  s.  Secr.-LEiBx.  Nr.  157  vom  17.  Februar  17 14;  die  Königin 
hat  er  mehi-mals  gesprochen. 

-  Die  Belege  siehe  in  den  Briefen  des  Secretars  Nr,  156  —  162  (Januar  l)is  Juli 
17 14).  Über  Colas  drückt  sich  dieser  jetzt  dankbar  und  sehr  anerkennend  aus, 
nicht  minder  rühmlich  spricht  er  von  Spener.  Gundelsheim  ist  höchst  wahrschein- 
lich gemeint,  wenn  der  Secretar  Nr,  160  schreibt:  »Colas  ist  sehr  vergnügt  über 
die  Gnade  des  Königs,  aber  um  so  viel  mehr  mit  neidischen  Augen  angesehen  von 
Anderen,  die  sich  eines  Monopolü  der  K,  Gnade  anmassen«. 


LEiBNizens  \'erliältiiis.s  zur  Sdcietät  im  .lahre  1714.  19») 

legen.  Da  Leibniz  in  diese  Sache  verwickelt  worden  ist,  so  bedarf 
es  einer  kurzen  Bemerkung  über  sein  Verhalten  zur  Societät  in  dem 
letzten  Jahre. 

Bis  zum  April  i  7  1 4  dauerte  der  regelmässige  Verkehr  mit  dem 
Secretar  von  LEiBNizens  Seite  ganz  so  wie  früher.  Wir  können 
aus  den  Briefen  Jablonski's  feststellen,  dass  er  vom  März  17 13 
bis  April  1 7 1 4  mindestens  zwölf  Schreiben  als  Präsident  der  So- 
cietät an  Jenen  gerichtet  hat,  und  aus  den  Antworten  lässt  sich 
erkennen,  dass  sich  Leibniz  nicht  nur  um  das  Kleinste  bekümmert', 
sondern  sich  auch  beklagt  hat,  dass  man  ihn  nicht  genügend  orien- 
tire"' ;  man  theilte  ihm  nicht  einmal  die  Namen  der  neu  aufgenom- 
menen Mitglieder  mit  und  Hess  (s.  oben)  ein  Manuscript  im  Namen 
der  Societät  drucken,  das  er  vorher  nicht  gesehen  hatte.  Was  end- 
lich sein  Gehalt  betrifft,  so  war  die  Societät  bis  zum  Frühjahr  17  13 
mit  900  Thlr.  im  Rückstand;  in  dem  folgenden  Jahr  aber  war  nichts 
mehr  bezahlt  worden,  so  dass  sie  ihm  im  Frühjahr  17  14  1500  Thlr. 
schuldete^. 

Diese  Umstände,  noch  mehr  aber  vielleicht  die  beiden  Todes- 
fälle, die  tief  in  sein  Leben  eingriffen  (der  Herzog  Anton  Ulrich 
starb  im  März,  die  Kurfürstin  SopmE  am  S.Juni  17 14;  er  verlor 
in  ihnen  seine  eintlussreichsten  Gönner  in  Hannover),  sodann  die 
Aussicht,  in  Wien  wirklich  seine  Pläne  durchzusetzen,  endlich  der 
Tod  der  Königin  Anna  am  i  2.  August  i  7  14  und  die  Succession  seines 
Landesherrn  als  König  von  England  —  alles  dies  wirkte  zusammen, 
um  ihn  ein  halbes  Jahr  völlig  von  Berlin  und  der  Societät  abzu- 
ziehen. Er  liess  ein  paar  Briefe  unbeantwortet  und  berührte  auch 
Berlin  bei  seiner  Rückehr  von  Wien  nach  Hannover  nicht;  die  Um- 
wälzung im  Kurstaate  stand  jetzt  selbstverständlich  für  ihn  im  Vor- 
dergrund.    W^as  hätte   er  auch   in  Berlin   thun  sollen?    Rathschläge 


^  Dass  trotzdem  die  Correspondenz  nicht  mannigfaltiger  gewesen  ist,  lag  an 
dem  .schläfrigen  Zustand«  der  Societät;  eine  Initiative  aber  konnte  Leibniz  nicht 
ergreifen,  nicht  nur,  weil  er  weit  entfernt  war,  sondern  auch  weil  er  wusste,  dass 
man  sie  nicht  wünschte. 

2  Das  ist  noch  in  einem  Briefe  vom  Februar  17 14  geschehen.  Der  Brief 
Nr.  157  des  Secretars  vom  17.  Februar  ist  ein  förmliches  Entschuldigungsschreiben. 
"Die  meisten  bei  der  Societät  vorfallenden  Sachen  sind  so  bewandt,  dass  sie  keinen 
langen  Verzug  leiden ,  sondern  bald  abgethan  werden  wollen,  worunter  mehrentheils 
auch  die  Receptiones  membrorum  Societatis,  dieweil  sie  bei  gewissen  Occasionen 
sollicitirt  werden,  da  man  mit  der  Ausfertigung  kaum  fertig  werden  kann.  Sonst 
würde  nicht  ei-mangeln,  von  allem  zeitigen  Voi-ti-ag  zu  thun.« 

^  Diese  Berechnung  stammt  von  der  Societät  selbst  (s.  unten),  nicht  etwa 
von  Leibniz. 

13* 


196  Geschichte  der  Societät  von    1711  — 1  Tili. 

geben,  die  man  nicht  hören  wollte  und  nicht  befolgen  konnte?  Seine 
einzige  Gönnerin  war  die  Königin  Sophie  Dorothea,  auch  eine  braun- 
schweigische  Prinzessin;  er  hatte  sich  ihr  einige  Monate  nach  der 
Tlironbesteigung  ihres  Gatten  brieflich  genähert  und  dabei  der  So- 
cietät im  Allgemeinen  gedacht^;  er  hatte  sich  ihr  zehn  Monate  später, 
gleich  nach  dem  Tode  ihrer  Grossmutter,  der  Kurfürstin  Sophie, 
noch  einmal  in  Erinnerung  gebracht,  ohne  Umschweife  nun  ihre 
Protection  erbittend  und  ziemlich  deutlich  um  Verinittelung  einer 
Einladung  nach  Berlin  ersuchend"^;  allein  man  lud  ihn  nicht  ein, 
und  er  nahm  dalier  an,  dass  man  ihn  nicht  sehen  wolle.  So  reiste 
er  nach  Hannover,   ohne  Berlin  zu  berühren. 

Dass  er  nach  fünfzehnjähriger  ununterbrochener  Arbeit  für  die 
Societät  einmal  ein  halbes  Jahr  pausirte  —  zumal  da  so  gut  wie 
nichts  zu  thun  war  — ,  war  keine  schwere  Unterlassung,  und  dass 
er  mehr  als  drei  Jahre  nicht  nach  Berlin  gekommen  war,  war  nur 
zum  kleinsten  Theil  seine  Schuld,  wenn  man  ihm  hier  überhaupt 
irgend  w^elche  Schuld  beilegen   darf. 

Das,  was  sich  nun  ereignete,  wäre  somit  die  schnödeste  Un- 
dankbarkeit seitens  der  Societät  gewesen,  hätte  sich  nicht  in  Berlin, 
wie  anderswo,  das  Gerücht  verbreitet  gehabt,  Leibniz  sei  definitiv  in 
die  Dienste  des  Kaisers  getreten,  bekleide  als  Reichshofrath  eine  hoch 
besoldete  Stelle  und  habe  Wien  nur  verlassen,  um  seine  Verhältnisse 
in  Hannover  zu  ordnen  und  abzubrechen.  Dieser  irrige  Glaube  — 
denn  in  Wien  war  noch  Alles  unfertig  —  entschuldigt  das  Directo- 
rium   der  Societät  wenigstens  etwas ^. 

Als  VON  Printzen  im  Auftrag  des  Königs  dem  Directorium  auf- 
gegeben hatte,  über  den  Stand  der  Societätskasse  zu  berichten,  ent- 
schloss  sich  dieses  zu  einer  jämmerlichen  Eingabe  an  den  König^. 


'    Siehe  das  .Schreiben  vom  30.  September  1 7 1 3  bei  Ki.otp,  Werke.  10.  Bd.  S.  453  f. 

-  Siehe  das  Schreiben  vom  8.  Juli  17 14  bei  Ki.opp,  a.  a.  O.  S.454  1".  Beide 
Briete  sind  so  gefasst,  dass  sie  dem  Könige  vorgelegt  werden  konnten. 

^  Bereits  im  Protokoll  der  Sitzung  vom  9.  August  17 13  heisst  es:  »Hi-.  Hof- 
prediger Jabi.onski  trägt  vor,  weil  verschiedene  Gerüchte  von  dem  Zustand  des 
Hrn.  V.  Leujniz  zu  Wien  herumgehen  und  der  Societät  daran  gelegen,  dass  sie 
davon  gründliche  Nachricht  halie.  ob  nicht  durch  eine  dritte  Hand  sich  desfalls  zu 
ei'kundigen,  und  zuverlässige  Nachricht  einzuziehen,  damit  man  auch  hier  sich  dar- 
nach zu  richten  wisse«.  Das  wird  beschlossen  und  der  Hofprediger  beauftragt, 
solche  Erkundigungen  vorsichtig  einzuziehen. 

■*  Vom  21.  November  17 14,  s.  Urkunden  band  Nr.  121.  Aus  den  Protokollen 
geht  liervor.  dass  dei-  Plan  schon  seit  dem  Prühjahr  17 14  vo]-l)ereitet  war.  In  der 
Sitztuig  vom  2.  Mai  17 14  hat  der  Hofprediger  den  Vorschlag  gemacht.  "Hrn.  v.  Leibniz 
zu    verstehen    zu    geben,    weil    er   nicht    mehr    in  dem    Stande,    seiner  Kapitulation 


\\)rsclilag  der  Societät.  Li:iiiMzen.s  RtMiiuiiei'ation  einziizielien  (Nov.  1714).    107 

Es  ])erichtete,  der  Secretar  habe  aus  den  Acten  ermittelt,  dem  Prji- 
sidenten  von  Leibniz  sei  vom  König  seiner  Zeit  kein  G-ehalt  zugebilligt 
worden .  sondern  nur  eine  jälirliclie  Reisekosten-  und  Correspondenz- 
Entschädigung  von  600  Thlr. ;  demgemäss  habe  er  bisher  im  Ganzen 
6900 Thlr.  empfangen,  1800  Thlr.  seien  noch  rückständig;  auf  die 
Anfrage  des  Secretars ,  ob  er  Leibniz  diese  Summe  schicken  solle, 
habe  das  Directorium  sich  schlüssig  gemacht  —  »ob  zwar  gedachtem 
VON  Leibniz  hiervon  noch  nichts  eröffnet,  noch  er  darüber  vernom- 
men worden«,  —  ihm  diese  Summe  zu  sperren,  da  er  seit  dem 
Frühjahr  171 1  nicht  mehr  in  Berlin  gewesen  sei  (»er  hat  sich  auch 
vorhin  nicht  alle  Jahre  ordentlich  eingefunden«),  seitdem  April  17  14 
auch  die  Correspondenz  unterlassen  habe,  augenscheinlich  also  selbst 
annehme,  dass  »die  cura  Societatis  bei  dem  zu  Wien  dem  Vernehmen 
nach  erhaltenen  neuen  Engagement  nicht  mehr  convenable  oder  com- 
patible  sei«.  Das  Directorium  verband  mit  diesem  Antrag  den  an- 
deren, fortab  das  Gehalt  des  Hrn.  von  Leibniz  unter  sich  vertheilen 
zu  dürfen,  da  es  ja  nach  der  königlichen  Verordnung  vom  Jahre  i  7  10 
den  Directoren  und  dem  Fiscal  zufallen  solle,  wenn  Leibniz  seine 
Stelle  verlöre.  »AVir  haT)en  nun  14  Jahre  die  Besorgung  des  Status 
und  Aufnehmens  der  Societät  ohne  den  geringsten  Genuss  einiger 
Ergetzlichkeit  treulich  verwaltet. «  Was  aber  die  i  800  Thlr.  anlangt 
(das  Gehalt  der  letzten  3  Jahre,  welches  Leibniz  nicht  ausgezahlt 
war),  so  stellen  sie  den  Antrag,  dafür  das  Naturaliencabinet  des 
verstorbenen  Spener  anzukaufen. 

Man  traut  seinen  Augen  nicht,  wenn  man  dies  liest.  Sind  das 
die  Berliner  Freunde,  die  beiden  Jablonski  und  Cuneau?  Nicht  nur 
förmlich  absetzen  wollte  man  Leibniz  ■ —  denn  darauf  läuft  es  doch 
liinaus  — ,  ohne  ihn  auch  nur  vorher  zu  hören,  sondern  mit  rück- 
wirkender Kraft  absetzen!  Man  wagt  dem  Könige  vorzuschlagen, 
Leibniz  mitzuth eilen ,  dass  er  bereits  seit  3  Jahren  seine  Rechte  ver- 
loren habe!  Dagegen  billigt  man  sich  selbst  für  treue  Dienste  die 
Thaler  zu  und  tauscht  für  einen  Leibniz   ein  Naturaliencabinet  ein! 

Es  ist  das  dunkelste  Blatt  der  Geschichte  der  Societät;  aber 
es  aufzuschlagen,  war  leider  eine  Nothwendigkeit;  denn  der  erste 
officielle  Geschichtsschreiber  der  Akademie,  Formey,  der  Leibniz  über- 
haupt feindselig  gesinnt  war,    hat  in   seiner  Histoire  de  l'Academie 


Genüge  zu  thun.  dass  er  sich  auch  bescheiden  werde,  des  daraus  gehabten  Enio- 
hnnenti  zu  entratheu".  Die  l'brigen  stimmten  zu,  der  Secretar  in  einer  besonders 
anstössigen  Weise. 


198  Geschiclite  der  Societät  von  1711  —  1716. 

die  Sache  nicht  nur  verschleiert,   sondern  auch  deutlich  genug  den 
Präsidenten  als  den  schuldigen  Theil  bezeichnet'. 

Acht  Tage  später  reichte  das  Directorium  eine  Übersicht  über 
die  Einnahmen  und  Ausgaben  ein".  Nach  ihr  hat  der  Überschuss 
in  den  drei  Jahren  17  10  —  17  12  zusammen  nicht  mehr  als  640  Thlr. 
betragen.  Einer  jährlichen  Einnahme  von  durchschnittlich  5980  Thlr. 
aus  den  Kalendern  und  Stempeln  —  der  Seidenbau  hat  stets  mehr 
gekostet  als  eingebracht  —  steht  eine  durchschnittliche  Ausgabe 
von  3050  Thlr.  für  den  Kalender -Druck  u.  s.  w.  und  von  1550  Thlr. 
für  die  Besoldungen  (600  Präsident,  500  Astronom,  400  Secretar, 
50  die  Pedelle)  gegenüber,  wozu  auf  Königlichen  Befehl  noch  50  Thlr. 
für  den  Anatomiediener  kommen.  Es  bleiben  also  1330  Thlr.  »wo- 
von die  zufällige  und  unständige  Ausgaben  vor  Bücher,  Instru- 
mente ,  Hausrath ,  Bau  und  Besserung  an  den  Gebäuden  und  andere 
Extraordinaria  bestritten  werden,  welche  nach  dem  es  die  Gelegen- 
heit erfordert  bald  mehr,  bald  weniger  betragen.  Was  zur  Fort- 
setzung des  Seidenwerks  noch  nöthig  ist,  so  lange  dassell)e  sich 
nicht  selbst  unterhalten  kann,  muss  auch  hievon  genommen  wer- 
den«. Unter  diese  Eingabe  hat  der  König  noch  an  demselben  Tage 
eigenhändig  folgende  Verfügung  gesetzt: 

Leibnitz  soll  hinführo  300  Thlr.  haben,  der  Secretarius  200  Thh-.  hint'ühro, 
zur  extraordienair  830  Tlilr.  zum  Bau  und  Matenia  instrumenta  und  der  geleichem: 
würden  über  diesen  Ettat  1000  Thlr.  Diese  1000  sollen  dem  Gundelsheum  (|uarta- 
liter  mit  250  Thlr.  gezahlet  werden  voi-  meine  angei'ichtete  Sossissiaetaet  die  der  [sie] 
Viell  nützl:  ist  als  diese  narren  Possen,  meine  Sossiaetet  ist  Vor  der  Veldt  und 
]Menschenbeste  die  andehre  nichts  als  der  Dollen  menschen  Ihre  curieusitet  Dieses  ist 
mein  Wille  sondern  Remonstracion  und  soll  der  Ober  Marechall  ausfertiechen  lassend 

den   29.Noven  Fr  Wilhelm 

'''"•■'^'^"  1714. 

'  P.  58:  "M.  DE  Leibnitz  n'entrait  plus  pour  rien  dans  les  affaires  de  la  Societe 
depuis  longtemps.  C'omme  il  paraissait  l'aA'oir  entierement  j^erdue  de  vue,  on  ne  lui 
pava  pas  pendant  les  dernieres  annees  sa  pension  de  president,  quoiqu'il  fit  queUjues 
demarches  pour  cet  effet".  P.  15:  »Nous  avons  deja  insinue  que  Mr.  de  Leibmtz 
avait  eu  im  grand  degre  de  sagacite  pour  pousser  sa  fortune.  et  realiser  les  idees 
avantageuses  que  presque  tous  les  princes  de  son  temps  con(;;urent  de  lui.  et  dcmt 
ils  s'empresserent  presipie  a  l'envi  de  lui  donner  des  marcpies.  Comme  apres  tout 
06  n'est  lä  point  un  defaut,  ä  moins  qu"on  n'outre  Tavidite  des  honnem-s  et  des 
richesses,  je  ne  fais  pas  difficulte  de  convenir  (pie  Mr.  de  Leibnitz  tachait  de  ne 
i'ien  faire,  autant  cju'il  le  pouvait,  a  pure  perte«. 

-  Das  von  dem  Secretar  geschriebene  Schriftstück  befindet  sich  im  Geheimen 
Staatsarchiv. 

^  Die  Ausfertigung  (Akademisches  Ai-chiv;  Abschrift  in  Hannover)  entliält 
natürlicli  die  kräftige  Begründung  nicht,  sondern  nur  das  Thatsächliche  (s.  Ur- 
kundenband Nr.  122);  aber  es  wird  in  ihr  bemerkt,  «dass  die  Societät  ihre  Gelder 
zu  allerliand  und  z.  Tli.  unnötliigen  Dingen  verwende'«. 


Der  König  entzieht  der  Societät  1000  Thlr.  199 

War  der  König  entschlossen,  mit  looo  Thlr.  jährlich  die  So- 
cietätskasse  zu  Gunsten  seiner  medicinisch- chirurgischen  »Societät« 
zu  belasten,  so  konnte  er  die  Sache  niclit  besser  machen.  Das  Ge- 
lialt  des  Astronomen,  des  noth wendigsten  Arbeiters  der  Societät, 
liess  er  unverkürzt  bestehen.  Das  Präsidenten-  und  Secretars-Ge- 
lialt  wurden  auf  die  Hälfte  herabgesetzt,  und  weitere  500  Thlr.  sollten 
den  Betriebsgeldern  der  Societät  entnommen  werden.  Ihr  Ansinnen, 
das  Gehalt  von  Leibniz  ganz  zu  streichen,  würdigte  er  nicht  eines 
Wortes'.  Es  w^ar  eine  heilsame  Strafe  für  den  Secretar,  dass  auch  sein 
Gehalt  um  die  Hälfte  gekürzt  wurde.  Leibniz  blieb  in  Amt  und  Wür- 
den; er  musste  nur,  wie  andere  Staatsl)eamte  auch,  den  Finanzen 
des  Staats  ein  Opfer  bringen.  Wie  der  König  aber  über  die  So- 
cietät dachte,  das  bedarf  keines  Commentars.  Er  hatte  sich  Gun- 
delsheim's  Urtheil  angeeignet,  oder  vielmehr  —  sein  eigenes  Urtheil, 
das  in  den  letzten  zwei  Jahren  durch  keine  wirklichen  Leistungen 
der  Societät  als  ungerecht  erwiesen  war,  traf  im  Negativen  mit  der 
Feindschaft  des  «unwissenden  Schleichers«  zusammen.  Dieser  zog  die 
1000  Thlr.   für  das   medicinische  Collegium   ein. 

Die  erste  Gegenvorstellung,  welche  die  Societät  am  7.  Decem- 
ber  17  14  durch  den  Hofprediger  aufsetzen  liess,  ist  nicht  abgesandt 
worden;  erst  die  zweite  (15.  December),  übrigens  nicht  wesentlich 
verschiedene,  wurde  eingereicht".  Die  Societät  kann  zuvörderst 
ihre  Wehmuth  nicht  bergen,  »indem  wir  vernehmen,  wie  Ew.  K. 
Maj.  in  den  Gedanken  stehen,  als  ob  die  der  Societät  gewidmete 
Gelder  zum  Theil  zu  unnöthigen  Dingen  verwendet  werden«.  »Sollte 
aber  der  Seidenbau  damit  gemeint  sein,  so  ist  es  an  dem,  dass 
die  Societät  wohl  gewünschet  hat,  damit  verschonet  zu  bleiben^'.« 
Der  verstorbene  König  habe  ihn  ihr  auferlegt.  Sehr  bald  sind 
die  Herren  wieder  bei  LEiBNizens  Gehalt,  und  sie  bemühen  sich 
noch  einmal,  ihm  die  600  Thlr.  zu  entreissen*,  verwenden  sich  aber 
lebhaft    dafür,    dass    der  Secretar    sein  volles   Gehalt  behalte.      Aus 


'  Da  er  über  die  Frage  der  Nachzahlung  der  1800  Thh-.  schweigt,  so  darf 
man  vielleicht  annehmen,  dass  er  sie  mit  der  Societät  negativ  beantwortete;  jeden- 
falls hat  Leibniz  das  Geld  nicht  erhalten. 

-  Beide  befinden  sich  im  Akademischen  Archiv,  eine  Mittheilung  aus  der 
ersten  im  Urkundenband  Nr.  123. 

^    Hier  erkennt  man  deutlich,  woran  es  lag,  dass  das  AVerk  nicht  fortschritt. 

■*  Zu  des  Directors  Schott  Ehre  sei  es  gesagt,  dass  er  zu  dem  (in  dem 
ersten  Entwurf)  über  Leibniz  Bemerkten  hinzugesetzt  hat,  dass  ihm  das  »nicht 
allerdings"  gefalle.  Einen  besonders  peinlichen  Eindruck  macht  die  Wendung  in  dem 
Schriftstück,  nach  welcher  die  Directoren  w^enigstens  um  die  Vertheilung  der  300  Thlr. 
bitten,  wenn  der  König  Leibniz  die  anderen  300  Thlr.  doch  lassen  wolle. 


200  Geschichte  der  Societät  von   1711—171»). 

der  zweiten,  eingereicliteii  Eingabe  erfährt  man,  dass  bei  Begrün- 
dung des  KalenderwerkvS  einige  Mitglieder  ihren  eigenen  Credit  ein- 
gesetzt hatten.  Auch  wird  gesagt,  die  Societät  sei  schon  proprio 
motu  vor  drei  Jahren  mit  der  Aufrichtung  des  theatri  anatomici 
umgegangen,  aber  sie  habe  den  nöthigen  Raum  nicht  gehabt;  auch 
Anderes  habe  sie  projectirt,  aber  überall  habe  es  an  Geld  gefehlt; 
nun  würden  ihr  noch  looo  Thlr.  genommen.  Der  Abschnitt  über 
Lkibniz  lautet  in  der  wirklich  eingereichten  Eingabe  fast  genau  so 
wie  im  ersten  Entwurf.  Seine  Wiener  Anstellung  dient  als  Begrün- 
dung. »So  ist  man  auf  den  Gedanken  gerathen,  ob  nicht  diese 
obligatio  ex  causa  (die  ihm  versprochenen  600  Thlr.)  cessante  causa 
erloschen  und  der  Fall  sich  ereignet,  aufweichen  S.  K.  Maj.  höchst- 
seligen Andenkens  von  solchem  Gehalt  in  Faveur  der  Directoren 
der  Societät  u.  s.w. «  Kein  Zweifel  —  der  König  wollte  Leibniz 
300  Thlr.  und  damit  die  Präsidentenwürde  lassen,  die  Directoren 
wollten  ihm  das  Geld  nehmen,  unbekümmert,  was  dann  aus  seiner 
Präsidentschaft  würde,  vielleicht  in  dem  guten  Glauben,  er  wolle 
selber  nicht  mehr  Präsident  sein\  Al)er  warum  schrieben  sie  ihm 
nicht  und  fragten  ihn  nicht? 

Von  der  Veränderung  mussten  sie  ihn  nun  in  Kenntniss  setzen: 
aber  sie  thaten  es  in  einer  ganz  ungehörigen  Weise.  Da  sie  noch 
immer  hofften,  der  Monarch  werde  ihnen  das  ganze  Gehalt  von 
Leibniz  überlassen,  so  schrieben  sie  diesem  durch  den  Secretar",  der 
König  habe  befohlen,  1000  Thlr.  aus  den  Mitteln  der  Societät  jähr- 
lich »zu  einem  anderweiten  Vorwand  zu  zahlen,  ausser  dem  aber 
andere  Zahlungen  zu  thun  verboten«  (der  König  hatte  vielmehr 
befohlen,  Leibniz  quartaliter  75  Thlr.  auszuzahlen!).  »Deine  zufolge 
werden  Ew.  Exe.  mich  hochgeneigt  entschuldigt  halten,  wenn  mit 
der  verlangten  Geldsumme   diesesmal  nicht  andienen  kann.« 


^  Dazu  koimiit  noch  ein  Anderes,  was  sie.  wie  die  confessioneilen  \'erh;ih- 
nisse  damals  lagen,  einigermaassen  entschuldigt:  sie  glaubten  dem  Gerücht,  Lkibxiz 
sei  in  AVien  zum  Katholicismus  übergetreten.  Wir  erfahren  das  aus  einem  Briet' 
von  Frisch  an  Leibniz,  der  ein  Jahr  später  geschrieben  ist  (vom  28.  December  1715 
Nr. 33  8.41!".  bei  Fischer):  »Als  I{]w.  Exe.  zu  Wien  war,  wui'de  hier,  auch  von 
denen,  die  ich  für  so  alber  nie  angesehen,  geglaubt,  Sie  hätten  die  Religion  changirt 
[vergl.  dazu  Kirchner,  Leibniz'  Stellung  zur  katholischen  Kirche,  1874];  ja  ich  bin 
von  einem  vertrauten.  Freund  versichert  worden,  dass  man  die  Präsidenten -Besoldung 
schon  eingetheilt  unter  die  Directores  und  wer  etwa  bei  dem  sog.  Concilio  zugegen, 
wie  viel  jeder  bei  diesem  Fall  davon  bekommen  soll,  welches  ich  für  die  grösste 
Bassesse  in  der  Welt  hielte,  so  von  denen,  so  den  Namen  von  Gelehrten  haben 
wollen,  kann  begangen  werden». 

^    Nr.163  vom  18.  December  17 14. 


Leibmz  begnügt  sich  mit  der  Hälfte  seines  Gehalts.  20] 

AVas  Leibniz  auf  diesen  Brief  geantwortet,  wissen  wir  leider 
nicht;  sein  Brief  an  die  Königin  Sophie  Dorothea  vom  30.  Deceni- 
her  kreuzte  sicli  mit  jenem.  Er  beklagt  sich  in  ihm  über  die 
Mattigkeit  der  Soeietät  und  darüber,  dass  er  zu  wenig  befragt 
werde  und  Vieles  hinter  seinem  Rücken  geschieht;  dennoch  bittet 
er,  dass  der  König  sich  der  Soeietät  annehmen  möge\  Die  Königin 
antwortete  sehr  freundlich  (»Vous  pouvez  etre  assure  que  je  vous 
en  suis  tout-a-fait  obligee,  et  que  je  me  ferai  un  plaisir  de  vous 
marquer  mon  estime«),  aber  in  Bezug  auf  die  Soeietät  ausweichend: 
»Pour  ce  qui  regarde  l'academie  des  sciences,  j'aurais  de  la  peine 
a  vous  pouvoir  parier  hi-dessus.  Je  crois  que  Mr.  Jablonski  s'en 
acquitterait  mieux  que  moi,  ä  (|ui  j'ai  dit  vos  raisons,  et  qui  vous 
manderait  les   siennes"'«. 

Erst  am  6.  April  17  15  bequemte  sich  der  Secretar  dazu^,  Leib- 
niz einen  vollständigen  Bericht  nebst  der  Königlichen  Ordre  vom 
29.  November  17  14  zu  übersenden,  so  dass  er  nun  erfuhr,  dass  ihm 
doch  die  Hälfte  seines  Gehalts  geblieben  sei^.  Er  beruhigte  sich 
grossmüthig  dabei;  denn  was  der  Secretar  in  demselben  Brief  über 
die  Lage  der  Soeietät  und  kurz  vorher  der  Hofprediger  ihm  erzählt 
hatte'',  war  so  traurig,  dass  Leibniz  die  Schwierigkeiten  nicht  ver- 
mehren wollte. 

"Es  ist  zu  beklagen,"  —  schreibt  der  Hofprediger  —  »dass  einige  Genüither 
die  eingebildete  grosse  Revenuen  der  Soeietät  der  Wissenschaften  mit  neidischen 
Augen  schon  längstens  angesehen  und  sich  bemühet  halben  dem  damals  noch  künf- 
tigen Regenten  die  Soeietät  selbst  als  ein  unnützes,  übeleingerichtetes  und  nur  zum 
Eigennutz  abzielendes  Werk  vorzustellen"."  .  .  .  (Dennoch  war  es  nahe  daran,  dass  der 
König  die  Soeietät  confirmirte),  »da  vermochten  widrige  Machinationes  so  viel,  dass  die 
Confirmation  zurückgeleget  worden  und  Alles  in  voriger  üngewissheit  verblieben-.  .  .  . 
"Hiezu  kam,  dass  die  vornehmste  membra  concilii  theils  durch  Kummer  theils  Krank- 
heit des  Leibes  gehindei't  worden,  es  sei  in  den  Wissenschaften  selbst  oder  auch 
vor  die  Soeietät,  zu  deren  Aufrechterhaltung  etwas  Nachdrückliches  zu  prästiren. 
Meinestheils  habe  ich   in  diesem  letztern  getlian,  was  ich  gekonnt,  und  ist  mir  nun 

'    Siehe  Urkundenband  Nr.  124. 

^    Siehe  den  Brief  vom   26.  Januar  1715   (Klopp.  Werke,  10.  Bd.  S.457). 

^    Secr.-LEiBN.  Nr.  164. 

*  Dass  das  Concilium  den  Antrag  gestellt  hatte,  ihm  das  Gehalt  ganz  zu 
entziehen,  verschwieg  der  Secretar.  Leirniz  musste  nach  diesem  Brief  annehmen, 
dass  ihm  der  König  proprio  motu  die  300  Thlr.  entzogen  habe  und  die  Soeietät 
ganz  unschuldig  sei. 

'"  Schreiben  vom  30.  März  17 15  (Hannov.  Bibl.);  der  Hofprediger  knüpfte  jetzt 
wieder  mit  Leibniz  an,  da  die  Soeietät  durch  Gündelsheim  ihi'em  Untergang  nahe 
gebracht  war  und  da  sie  sich  davon  überzeugt  hatte,  dass  Leibniz  weder  nach 
Wien  übersiedelte  noch  katholisch  geworden  war. 

"  Aber  hatte  das  Concilium  dieses  Urtheil  durch  seine  ominöse  Eingabe  vom 
21.  X()veml)er  1714   nicht   bekräftigt'' 


202  Geschichte  ilei'  Societät  von  1711  — 171H. 

fast  leid,  dass  ich  so  viel,  ohne  Frucht,  gethaii.  Icli  habe  oft  den  Vorsat/ 
gehabt,  mich  gänzlich  aus  der  Sach  herauszuziehen,  musste  jedoch  aber 
auch  bedacht  sein,  dass,  da  ein  Inconveniens  zu  vermeiden  vermeinete,  in  ein  an- 
deres ebenso  schweres  verfallen  möchte.  Und  dieses  ist  kürzlich  unser  jetziger 
languissanter  Zustand,  dem  tlott,  welchem  unsere  redliciie  und  desinteressirte  In- 
tention bei  Anlegung  dieses  AVerks  am  besten  bekannt  ist.  nach  seinem  gnädigen 
Wohlgefallen  abhelfen  kaim.» 

Ähnlich   schrieb  der  Secretar: 

"Die  Zeit  her  war  die  Sache  der  Societät  in  einer  steten  Bewegung,  da  man 
inuner  gearbeitet,  die  Bi'üche  derselben  auf  einige  Weise  zu  stopfen  und  sie  vor 
dem  gänzlichen  Einsturz  zu  bewahren.  .  .  .  Die  Hrn.  Chuno  und  Schott  sind  auch, 
und  der  letzte  von  langer  Zeit,  unpässlich.  dass  sie  den  Versammlungen  nicht  bei- 
wohnen können,  wodurcli  denn  die  Societät  in  einen  languorem  verfällt,  daraus  sie 
sich  mit  Mühe  wird  helfen  könnend« 

Die  beiden  folgenden  Briefe  des  Secretars  vom  20.  April  und 
18.  Mai  17 15'  bestehen  fast  nur  aus  immer  neuen   Klagen: 

«Bei  dem  damaligen  Langeiir  der  Societät  ist  der  Seidenbau  das  einige,  wo- 
durch man  gehoffet,  den  Vorwurf  abzuvv^enden ,  dass  bei  der  Societät  nichts  gethan 
werde;  aber  was  dieses  Werk  immer  wieder  hindert,  ist  kaum  mit  der  Einbildung 
zu  fassen.  .  .  .  Das  Unglück  der  .Societät  ist,  dass  diejenigen,  so  derselben  Ehr  und 
Aufnahme  suchen,  nicht  so  mächtig  sind,  als  die  ihr  zu  schaden  trachten,  daher 
alle  gute  Inten tiones  voi-  dieselbe  stecken  bleiben,  insonderheit  zu  dieser  Zeit,  da 
sie  in  languore  und  fast  in  agone  liegt,  nicht  nur  niorali,  sondern  auch  physico, 
indem  diejenigen,  so  bisher  am  meisten  gethan  und  zu  tluui  Lust  gehabt,  durch 
Krankheit  und  andere  Zufälle  in  ihrer  Activität  gehindert  worden,  daher  auch  die 
Zusammenkünfte  des  Concilii  nicht  ordentlich  gehalten  werden.« 

Auf  LEiBNizens  A^orhaltung,  dass  man  von  Anfang  an  die  Sache 
nicht  mit  gehörigem  Eifer  betrieben  habe,  erwidert  der  Secretar 
offenherzig:  »Was  ist  solches  gross  zu  bewundern  von  Leuten,  die 
von  ihrem  Fleiss  und  Arbeit  nichts  zu  gewarten  hatten ;  wenn  man 
hinzusetzt  die  lange  Zeit,  da  die  Societät  als  noch  nicht  formirt  in 
der  Inaction  bleiben  müssen,  und  die  kurze  Zeit,  da  sie  durch  die 
eingefallene  Veränderung  in  ihrer  kaum  erlangten  Activität  wieder 
gestöret  und  fast  gar  daraus  gesetzet  worden ,   so  kann  ein  Mehre- 


'  Er  erzählt  noch  einen  l)esonders  em])örenden  Vorgang:  ».  .  .  Hiebei  ist  das 
widerige  Verhängiiiss  der  Societät  nicht  stehen  blieben,  sondern,  nachdem  man  re- 
solviren  müssen,  weil  anders  das  IMaulbeerlaub  zu  Potstamm  nicht  zu  nuzen  ge- 
wesen, ein  eigen  Haus  mit  nicht  geringen  Kosten  anzurichten,  mit  einem  feinen 
Saal  und  ordentlichen  Rüstungen  in  demselben  zu  Erziehung  der  Seidenwürmer, 
denselben  auch  vor  18  Thli-.  und  mit  einer  jährlichen  Erhöhung  vermietet,  so 
haben  die  grossen  Gi-enadiere,  so  daselbst  eintjuartirt  sind,  sich  den  Ort  so  wohl 
gefallen  lassen,  dass  unter  Vorwand  Königl.  Ordre,  die  aber  nicht  vorgezeiget  wor- 
den, sie  die  Thür  erbrochen,  die  Rüstungen  ab  und  zum  Fenster  hinausgeworfen 
und  den  Saal  eingenommen.  Zum  Unglück  ist.  da  dieses  vorgehet,  der  Hr.  Pro- 
tector  nicht  zugegen,  sondern  abwesend  in  seinen  eigenen  Angelegenheiten,  so  dass 
man  sich  ohne  Raht  und  Hülfe  befindet". 

^    Secr.-LEiiiN.  Nr.  167.  168. 


Der  Societät  droht  die  innere  Auflösuni;-  (1715  ]  (5).  208 

res,  als  was  sie  geleistet,  ihr  kaum  abgefordert  werden,  man  wolle 
denn  von  einem  kaum  geborenen  Kinde  die  Thaten  eines  gesetzten 
Mannes  fordern « . 

In  demselben  Schreiben  (Nr.  167)  berichtet  der  Secretar,  Colas 
sei  beim  Könige  in  Ungnade  gefallen  —  seine  Grosssprechereien 
wurden  durchschaut  — ,  und  das  habe  der  Societät  auf's  Neue  ge- 
schadet; »Herr  Hoffmann,  der  Astronom,  hat  die  Gabe  nicht,  opera 
supererogatoria  zu  thun«;  »Herr  Spener  ist  uns  ein  unersetzlicher 
Verlust«;  »Herr  La  Croze  hat  sich  von  Anfang  der  Societät  ge- 
äussert und  ist  gar  selten  in  denen  Versammlungen  erschienen«. 
Noch  immer  müsse  man  auf  den  Seidenbau  hoft'en,  für  den  sich 
Hr.  VON  Grumkau  interessirt.  »Nur  ist  auch  hiebei  das  Unglück, 
dass  dem  König,  welcher  noch  als  Kronprinz  der  Sache  überaus 
zugethan  gewesen ,  dieselbe  in  odium  Societatis  dermassen  verleidet 
worden,  dass  er  sie  nur  en  ridicule  handelt.«  Die  Vorbereitung 
des  2.  Bandes  der  Miscellanea  stocke,  weil  die  beiden  Directoren, 
denen  die  Arbeit  obliegt,  durch  schwere  Krankheit  arbeitsunfähig 
seien.  »Dem  Könige  ist  zwar  mit  gelehrten  Sachen  nichts  gedienet; 
denn  er  fraget  nicht,  was  die  Societät  denke  oder  erfinde,  sondern 
nur  was  sie  thue;  vor  der  Welt  aber  sich  in  Reputation  zu  erhal- 
ten, würde  freilich  nötliig  sein,  mit  etw^as  Neues  aufzutreten.«  »Hr. 
Frisch,  dessen  ich  eher  gedenken  sollen,«  —  endlich  geschieht  dem 
wackeren  Mann  Gerechtigkeit  —  »ist  ohne  Widerrede  der  activeste, 
aber  unter  so  viel  Objecte  zerstreuet,  dass  man  oft  kaum  weiss, 
wo  man  ihn   suchen   soll.« 

Schliesslich  kündigt  der  Secretar  in  diesem  Briefe  an,  dass  er, 
der  schon  seit  einiger  Zeit  Erzieher  eines  Königlichen  Prinzen  (Sohn 
des  Markgrafen  Philipp  Wilhelm)  sei ,  mit  diesem  auf  Reisen  gehen 
werde  und  dazu  einen  längeren  Urlaub  erbeten  habe.  Sein  Gehalt 
war  ja  auf  die  Hälfte  herabgesetzt.  Der  Urlaub  wurde  ihm  be- 
willigt (zunächst,  wie  es  scheint,  auf  zwei  Jahre),  und  in  seinem 
letzten  Schreiben  an  Leibniz  (i  5.  Juni  i  7 15)  verweist  er  diesen  in 
Bezug  auf  die  Societätsgeschäfte  an  den  Vicepräsidenten ,  den  Hof- 
prediger. 

Spener  gestorben,  Cuneau  seit  langer  Zeit  hinfällig  (er  verschied 
am  30.  December  i  7  15),  Schott  arbeitsunfähig,  Hoffmann,  der  Astro- 
nom, lässig,  La  Croze  ohne  wirkliches  Interesse  für  die  Sache,  der 
Secretar  auf  Reisen  —  nur  der  verzagte  Hofprediger  und  der  rüstige 
Frisch  blielien  übrig!  Sie  allein  bildeten  die  Societät  —  aber  Frisch 
gehörte  nicht  zum  Concilium  I    Wohl  verlor  sie  im  Juni  i  7  i  5  ihren 


204  Geschiclite  dei-  Societät  von    1711— ITKi. 

schlimmsten  Feind,  den  Leilmiedicus  Gundelsheim ,  durch  den  Tod', 
ahcr  dns  Urtheil  des  Königs  änderte  sich  niclit  mehr,  und  die  Societät 
war  in  ihrem  gegenwärtigen  Zustande  auch  nicht  fähig,  es  zu  ändern. 
Mit  Frisch  begann  nun  Leibniz  wieder,  seit  der  Secretar  d("n 
Schauplatz  verlassen  liatte,  einen  regen  Briefwechsel.  Seine  Schrei- 
ben und  La  Croze's  gelehrte  Briefe  erfreuten  ihn  in  seinem  letzten 
Lebensjahre.  Nicht  weniger  als  14  Briefe  von  Frisch  an  ihn  aus 
der  Zeit  vom  26.  Juli  17  15  bis  19.  September  17  16  (zwei  Monate  vor 
LEiBNizens  Tode)  sind  uns  erhalten.  Sie  stechen  durch  ihre  Frische 
und  iliren  Muth  erfreulich  von  den  geschäftsmässigen  und  matten 
Briefen  des  Secretars  ab.  Über  Alles  erstattete  Frisch  Bericht,  was 
mit  der  Societät  in  Zusammenhang  stand"'.      Daneben  schrieb  auch 


'  In  Jordan's  Vie  de  Mr.  La  Croze  (1741)  T.  II  8.310  findet  sich  ein  bissiges 
Epigramm  auf  den  Tod  Gundelsheim's,  welches  La  Croze  aufgezeichnet,  aber  schwei'- 
lich  selbst   verfasst  hat: 

"Hier  liegt  ein  Aretin 

Und  Aeskulapius, 

Ein  gottlos  Lästermaul 

Und  grosser  Medicus, 

Der  seines  gleichen  nicht 

In  beiden  hat  gefunden. 

Der  Kranken  Engel  und 

Ein  Teufel  der  Gesunden.» 
Dass  der  Nachfolger  Gu>'I)elsheiji's,  Stahl,  der  Societät  auch  nicht  günstig 
gesinnt  war  —  liatte  er  doch  dem  Obermarschall  vorgerechnet,  sie  müsse  mindestens 
jährlich    12000  Thlr.   Einkonunen    haben    —   bei'ichtet   der    Hofprediger    an  Leibniz 
am  3.  September  1715. 

"^  Hauptsächlich  beschäftigten  ihn  noch  immer  der  Seidenbau  —  man  hatte 
ihn  wieder  herangezogen  — ,  sodann  die  L^ntersuchungen  über  die  Entwicklungs- 
geschichte der  Insecten  sowie  deutsche  und  slavische  Studien.  Dem  verstorbenen 
Gundelsheim  bezeugt  er  (Nr.  27  vom  26.  Juli  1715),  dass  derselbe  für  den  botani- 
schen Garten  aus  eigenen  Mitteln  viel  gethan  (er  hatte  ihn  auf  eigene  Kosten,  aber 
mit  den  Regalien  übeiniommen,  s.  Nicolai.  Berlins  Bd.  III  S.  1038).  »Bei  der  So- 
cietät wird  es  fast  täglich  schläfriger  in  allen  Departementen;  ich  behalte  indessen 
bei  aller  Schläfrigkeit  der  Andern  eine  ungemeine  Lust,  sonderlich  in  physicis  etwas 
zu  thun.«  In  demselben  Brief  berichtet  er  von  dem  Antrag  eines  nicht  zum  Con- 
ciliuin  gehörigen  Mitglieds  (Achenbach),  dass  sämmtliche  Mitglieder  öfter  als 
jährlich  nur  einmal,  mindestens  vierteljähi"lich,  zusammenkommen  sollten  und  man 
sich  über  die  Bedürfnisse  der  Societät  gemeinsam  berathe,  »dass  es  nicht  alles  auf 
die  wenigen  Directores  in  concilio  ankäme,  man  auch  sich  unter  einander  besser 
kennen  lernte".  Dieser  voitreffliche  Vorschlag  fand  allgemeinen  Beifall;  aber  das 
Concilium  gab  ihm  keine  Folge,  llhw  bedenkliche  Geschichte  erzählt  er  im  Brief 
vom  30.  August  17 15:  "Bei  der  letzten  Sonnenfinsterniss  war  auf  dem  Königl.  Obser- 
vatorio  eine  grosse  Frequenz  von  allerlei  feinen  Leuten.  Einer  von  den  Fremden 
fragte  ein  Membrum  der  Societät,  ob  nicht  die  Societät  anfinge,  eine  Fabel  zu 
werden,  wenn  man  nicht  besser  continuirte.  Da  zeigte  ihm  dieser  das  Observa- 
torium und    sagte:    "Tantum   nobis    profuit    haec  fabula"."      Über    die  Arbeiten  der 


Der  Societät  di-oht  die  innere  Aiifliisung-.  205 

der  Hofprediger  häufiger  und  suclite  das  gute  Verhältniss  mit  Leibniz 
wiederherzustellen. 

Allein  während  er  das  that,  spielte  sich  noch  ein  letzter  Act 
der  Verhandlungen  über  Leibnizcus  Gehalt  und  über  seine  ganze 
Arbeit  für  die  Societät  ab,  der  dem  Hofprediger  nicht  zur  Ehre 
gereicht  und  den  wir  lieber  verschweigen  würden.  Am  3.  Septem- 
ber i  7  i  5  theilte  er  Leibniz  mit\  dass  ihm  bis  auf  Weiteres  sein 
ganzes  Gehalt  entzogen  sei  —  die  Königliche  Verfügung  darüber 
ist  nicht  aufzufinden,  auch  ist  nicht  bekannt,  was  den  Monarchen 
zu  diesem  Befehle  bewogen  hat:  der  Hofprediger  setzte  hinzu,  das 
Concilium  habe  dagegen  nichts  thun  können,  bitte  aber  um  Geduld, 
bis  3Iajestät  vom  Feldzug  zurückgekehrt  sei. 

Die  Reduction  seines  Gehaltes  hatte  sich  Leibniz  ruhig  gefallen 
lassen ,  aber  die  Einziehung  wollte  er  nicht  stillschweigend  hinneh- 
men. Kt  richtete  an  den  Protector  von  Printzen  am  i5.0ctober 
17 15    ein   Schreiben,   dessen   Concept  sich  erhalten   hat". 

Mon  absence  ne  m'avait  pt)int  empeche  d'avoir  soin  de  la  Societe 
des  Sciences  de  Berlin,  et  malgre  tous  les  empechements  j'avais  pris  des 
mesures  pour  faire  paraitre  un  nouveau  tonie  des  Miscellanea  Berolinensia, 
les  habiles  gens  dans  les  pays  etrangers  qui  ont  goüte  le  premier.  le  solli- 
citant,  et  y  voulant  meine  fournir  (juelqiies  materiaux,  ayant  bien  voulu 
etre  de  la  Societe.  C'etait,  ce  nie  senible,  assez  bien  soutenir  la  reputation 
d"un  etablissement  royal.  Et  j'attiübuais  aux  embarras  suscites  a  la  Societe 
par  iin  homme  envieux  et  inedisant  de  son  naturel  [Gundelsheim].  (|ui 
avait   roreille    du    roi,    le   delai   de  mon   payement,    esperant   qu'apres    la 


beiden  Jablonski  zur  deutschen  Sprache  (Übersetzung  des  Germania  des  Tacitus 
durch  J.Th.  Jablonski)  und  Orthographie,  die  zum  Theil  im  Druck  ausgegangen  waren 
und  durch  ihre  Mangelhaftigkeit  die  Akademie  blossstellten  («es  moquiren  sich 
viel  darüber  imd  sagen,  man  spüre  den  Pollacken  gleich  im  ersten  Periodo"), 
spricht  er  sich  rückhaltlos  aus,  und  Leibniz  (Nr.  32,  undatirt,  Fischer  S.41) 
stimmt  ihm  bei.  Von  der  Übersetzung  des  Tacitus  schreibt  Frisch  (Nr.  ^;^  vom 
28.  December  1715):  "Ich  hab  sie  mir  abschreiben  lassen  und  finde  so  grosse 
Felller  wider  den  Genium  unserer  und  der  lateinischen  Sprache  darinnen,  dass  es 
eine  Schande  wäre,  wenn  sie  unter  der  Societät  Namen  publicirt  würde".  »Drei 
Departements  liegen  völlig  darnieder-,  schreibt  er  in  demselben  Brief  (das  Cuneau's, 
Schott's  und  1vrug"s  von  Nidda  ,  -der  selten  kommt,  oder  wenn  er  kommt, 
Niemand  von  den  membris  antrifft«),  »das  vierte  —  es  ist  das  orientalisch  -  christ- 
liche —  wird  dem  Hrn.  Directori  desselben  zu  Gefallen  noch  gestützet,  wird  aber 
nieinal  darinnen  etwas  ausgebrütet  werden,  denn  es  sind  lauter  Dinge,  die  sich 
in  infinitum  trainiren  werden.  Die  Diplomata  sind  jetzund  so  wohlfeil,  dass 
man  nur  recommendiren  darf,  ohne  weitere  Untersuchung,  und  dürfte  wohl  die 
Genever  Reise  (er  meint  die  Reise  des  Secretars)  eine  grosse  Zahl  der  ^Mitglieder 
bringen.' 

^  Der  Brief  wird  in  Hannover  aufbewahrt,  wie  auch  alle  folgenden  des  Hof- 
predigers. 

-    Klopp,  Werke  10.  Bd.   S.458f. 


206  Geschichte  der  Societät  von    1711— ITKl. 

mort  de  ce  personnage  tont  irait  iiiieux.  Mais  j'ai  appris  enfin  depiiis  peii 
par  M.  Jablonski,  le  predicateur  du  i'oi,  que  c'est  par  un  ordre  de  Sa 
M*^  (ju'oii  a  sursis  ce  payement.  Je  ne  saurais  Tattribuer  qu'a  de  fausses 
inij)res.sions  donnees  par  quehjues  personnes  du  caractere  de  celle  dont  je 
viens  d(;  jjarler,  aux(pielles  devrait,  ce  nie  semble,  prevaloir  ropiniou  pu- 
bHijue.  Peut-etre  n'est-elle  pas  assez  connue  de  Sa  M*^;  niais  j"espere 
que  V.  P^.  me  rendra  justice  et  fera  le.ver  ces  obstacles,  (jui  ne  servent 
(ju'ä  decourager  les  bien -intentionnes,  et  poui-raient  donner  quelque  atteinte 
a  la  gloire  d'un  etablissement  royal  menie  aupres  des  gens  qui  ne  con- 
naissent  pas  assez  la  generosite  de  Sa  M'"^.  Si  j'avais  ete,  ou  etais  un 
peu  mieux  seconde,  je  ne  doute  point  (pie  le  i'oi  ne  put  avoir  le  plaisir 
de  voir  cet  etablissement  aussi  utile  au  pays  (pi'il  a  ete  applaudi  ailleurs. 
Comnie  je  puis  m'attribuer  d'avoir  porte  le  feu  roi  ;i  cette  fondation ,  par 
la  Suggestion  d'un  moyen  propre  ä  jeter  les  fondenients  de  sa  subsistence. 
je  in"interesse  a  la  voir  llorissante,  et  j'avais  espere  qu'on  m'en  aurait 
(juelque  Obligation. 

Les  luinieres  de  V.  E.  nie  dispensent  de  dire  davantage,  et  sa  honte 

ine  fait  prendre  la  liberte  de  mettre  mes  interets  h'i-dessus  entre  ses  inains. 

Et  je  suis  entierement,   etc. 

Leibniz  glaubte,  dass  der  König  auf  Einflüsterungen  von  Gundels- 

HEiM  ihm  das  Gehalt  genommen  habe  und  die  Societät  unbetheiligt 

sei.   Aber  von  Printzen  wollte  seinen  König  nicht  biosssteilen.     Er 

hielt  es  jetzt  für  seine  Pflicht,  Leibniz  davon  in  Kenntniss  zu  setzen, 

dass  das  Directorium   selbst  hinter  der  Sache  stehe  bez.  gestanden 

habe.    Wie  muss  es  Leibniz  überrascht  und  gekränkt  haben,   als  er 

zur  Antwort  auf  seine  Beschwerde  folgenden  Brief  von  von  Printzen 

(5.  November  1715)   empfing^: 

Mr.  Aussitot  que  j'ai  rcQU  l'honneur  de  votre  lettre  tres  cliere  du 
15  du  mois  passe  il  y  a  a  peu  pres  huit  jours,  je  n'ai  pas  manque  de 
la  communi(juer  aux  chefs  de  la  Societe  des  sciences,  pour  savoir  d'eux 
le  fondement  des  plaintes  que  vous  y  faites  sur  ce  que  Ton  a  siste  le  paye- 
ment de  vos  appointements.  Sur  quoi  les  chefs  de  la  Societe  m'ont  delivre 
le  papier  ci -Joint,  par  lequel  ils  pi-etendent  (jue  les  600  ecus  qui  vous  y  sont 
promis ,  n'avaient  ete  stipules  que  pour  les  frais  de  voyages  et  corres- 
pondances  dont  vous  vous  etiez  charge  pour  le  bien  de  la  Societe,  et 
comme  ils  pretendent  que,  pendant  le  cours  de  trois  ou  quatre  ans,  vous 
n'aviez  pas  ecrit  aucune  lettre  a  la  dite  Societe  ou  pour  elle^  ni  fait  aucun 
voyage,  ils  croient  etre  d'autant  moins  autorises  de  vous  pouvoir  con- 
tinuer  ce  payement,  a  moins  d'un  ordre  expres  d»i  roi,  puisque  Sa  Majeste, 
par  la  nouvelle  disposition  (pi'EUe  a  trouve  bon  de  faire  des  revenus  de 
la  dite  Societe,  leur  avait  lie  tellement  les  mains,  qu'ils  ne  pouvaient  pas 
faire  de  pareils  payements,  qui  ne  fussent  autorises  du  roi  meme,  et  la 
ou  il  leur  semblait  cpie  vous  avez  abandonne  tous  les  soins  de  la  Societe. 
\'oilä  leurs  raisons  que  j'ai  cru  vous  devoir  communiquer  fi-anchement 
telles  qu'ils  me  les  out  alleguees,  et  dans  lescjuelles  je  trouve  le  principal 
point    (jue    ces  appointements   n'ont  point   ete    fixes    par   aucun    rescrit    ni 


Klopp,  Werke  10.  Bd.  S.  459  f. 

Das  war  eine  flagrante  Unwahrheit. 


Das  ganze  Gehalt   LiciBNizens  wird  gesperrt.  20  i 

du  roi  defunt,  ni  du  roi  present.  J'attends  donc  ce  (jue  vous  aurez  äy 
i;e[)ondre,  et  soit  (pie  vous  trouviez  l)on  d'envoyer  pour  cela  urie  i-etjucte 
au  roi,  ou  que  vous  voiiliez  d"une  autre  maniere  me  faire  savoir  vos 
intentions  et  sentiments,  je  ne  inanquerai  pas  d'en  faire  un  exact  rapport 
au  roi,  et  je  in'eniploierai  toujours  avec  autant  de  ])Iaisir  (jue  de  zele. 
quand  il  s"agit  de  vous  itiarquer  avec  (juelle  passiou  sincere  et  parfaite  je 
suis   et  serai  toujours,  etc. 

Die  Antwort,  die  Leibniz  auf  dieses  Schreiben  von  Printzen 
ga1),  der  ihm  das  Intriguenspiel  des  Conciliums  enthüllte,  ist  die 
letzte  officielle  Schrift,  die  er  in  Sachen  der  Societ<ät  verfasst 
hat.  Sie  macht  dem  misshandelten  Präsidenten  in  jeder  Hinsicht 
Ehre  und  muss  hier  vollständig  zum  Ahdruck   kommen': 

IMonsieur.  Je  suis  bien  oblige  a  V.  E.  de  ce  qu'Elle  ni'a  bien  voulu 
desabuser.  J'avais  cru  que  Tiuterruption  entiere  de  mon  payement  venait 
des  ordres  du  roi,  et  je  vois  par  Thonneur  de  sa  lettre,  qu'elle  vient 
d'ailleurs.  M.  le  secretaire  Jablonski  in'avait  ecrit,  un  peu  avant  son  de- 
part,  que,  depuis  une  certaine  disposition  sur  les  revenus  de  la  Societe, 
Sa  M*^*^  trouvait  bon  que  nies  600  ecus  fussent  reduits  ä  300.  Quelque 
temps  apres,  son  fi-ei-e  M.  Jablonski,  predicateur  du  roi,  m'apprit,  que  mon 
payement  etait  suspendu.  Je  joins  ici  les  extraits  de  leui's  lettres.  Main- 
tenant  il  se  decouvre  que  cela  vient  en  bonne  partie  de  quelques  membres 
de  la  Societe.  Mais  la  raison  (ju"ils  en  alleguent  dans  la  lettre  de  V.  VI., 
est  un  fait  dont  je  ne  conviens  point.  11s  disent  qu'en  trois  ou  cjuatre 
ans  je  n'ai  ecrit  aucune  lettre  ä  la  Societe,  ni  pour  eile,  ni  fait  aucun 
voyage.  Je  puis  refuter  l'omission  de  la  correspondance  par  les  lettres 
de  M.  le  secretaire  et  de  plusieurs  savants  hommes,  dont  j'ai  voulu  tirer 
et  tire  des  materiaux  pour  la  continuation  de  nos  Miscellanea.  Mais  il 
pourrait  sem])ler  (ju'on  a  voulu  prouver  Tomission  ([u"on  m'imjiute  parce 
(ßie,  depuis  (juelcpies  annees,  M.  le  secretaire  de  la  Societe  ne  m'a  donne 
aucune  ou  tres  peu  d'information  de  ce  (jui  s'y  passait,  quoique  je  l'eusse 
demandee,  et  ä  peine  ai-je  pu  avoir  quehpie  reponse  imparfaite  a  foi-ce 
dinterroger.  On  a  pris  plusieurs  nouveaux  membres  non  seulement  sans 
me  consulter,  niais  meme  sans  me  Tapprendre.  On  a  fait  imprimer  et 
distribuer  des  pieces  de  la  part  de  la  Societe  sans  me  les  avoir  commu- 
niquees,  comme  touchant  les  listes  des  membres,  sur  l'histoire  et  Finstitution 
de  la  vSociete,  et  sur  l'orthographe  allemande,  et  cette  derniere  piece  n"est 
pas  encore  venue  juscju'ä  moi.  Quand  ces  imprimes  tombaient  enfin  entre 
mes  mains,  j'en  remanjuais  et  redressais  cjuelquefois  les  fautes,  mais  trop 
tard.  Dans  les  listes  des  membres  on  mettait  quelquefois  des  gens  pour 
morts  qui  se  portaient  bien ,  et  cpii  s'en  plaignaient  ä  moi.  On  a  meme 
cesse  de  me  communiquer  les  observations  et  les  almanachs  astronomiques 
et  d'autres  dont  la  reputation  etait  etablie  depuis  annees.  Et  M.  Hofman, 
observateur  de  la  Societe,  ne  m'a  point  ecrit,  quoique  je  Ten  eusse  prie, 
au  Heu  que  M.  Kirch,  dont  la  reputation  etait  etablie  depuis  tant  d'annees, 
me  rendait  compte  de  ses  observations.  J'avais  encourage  M.  Frisch  ä 
pousser  notre  privilege  de  la  culture  de  la  soie,  et  cela  allait  d'un  assez  bon 


^  Nach  dem  Original,  datirt  auf  den  19.  November  17 15,  im  Geheimen  Staats- 
archiv, nach  dem  etwas  anders  lautenden  Concept  in  Hannover  hat  Klopp,  Werke 
10.  Bd.  S.  460  ff.,  gedruckt;  eine  Abschrift  findet  sich  auch  im  Akademischen  Archiv. 


208  (Jcsc'liiclite  der  Societiit  von  1711-171C>. 

train;  mais  oii  liii  t'ii  nta  le  soiii  contre  innii  a\is.  et  on  ivciila  au  licu 
(ravancer. 

Je  ii'ai  pas  lai.ssr  dt>  faire  inon  devoir  iiial,u,i-e  ee  eonipoi'tement  ä 
nion  egard.  Et  sans  j)arler  de  ])eaucoup  d'autres  de  nies  correspondances 
conibnnes  au  bot  de  la  Societe,  M.  l'Abbe  VAKUiNox.  membre  celebre  de 
TAcademie  Royale  des  sciences  de  Paris,  siir  la  vue  de  nos  Miscellanea, 
ine  tenioigna  son  desir  d'etre  de  notre  Societe;  il  fut  re(;ii,  et  depiiis  il 
n\'a  envoye  une  belle  piece  de  niatheniatique,  ([ue  j"ai  transmise  avec  ines 
additions.  M.  personne  ^  et  d'autres  personnes  celebres  ont  aussi  envoye 
des  pieces  considerables  [)ar  nion  entreniise,  et  ils  ont  tenioigne  d'en  vouloir 
envoyer  d'autres,  poui'vu  (ju'on  se  mette  en  devoir  de  continuer  nos  Mis- 
cellanea. C'est  ce  (jue  j'ai  toujours  presse,  et  j'ai  prie  ]\I.  le  Secretaire 
de  mettre  enseinble  toutes  les  pieces  choisies  (|u"on  croyait  pouvoir  servir 
j)our  un  nouvean  Tome,  et  de  m'en  envoyer  le  Recueil  pour  le  revoir 
comme  il  serait  sans  doute  necessaire;  et  je  me  preparais  k  y  mettre  aussi 
plus  d'une  piece  de  mon  clief.  mais  on  n"en  a  i-ien  fait.  Et  cette  inaction 
(qu'on  ne  doit  jjas  imputer  a  moi)  a  fait  baisser  la  reputation  de  la  Societe. 

Partant  de  Berlin  la  derniere  fois  je  pris  des  mesures  pour  avoir 
bientot  un  nouveau  Voltnne  des  Miscellanea.  .T'engageai  certaines  per- 
sonnes ä,  certains  travaux;  je  priai  le  jeune  M.  Naudk  de  donner  une 
description  de  la  belle  invention  du  metier  des  bas  a  soie;  et  j'ai  appris 
(ju'il  Ta  donnc.  Je  ])riai  INI.  n'ÄNGicorRT  de  faire  des  experiences  sur 
les  Couleurs,  pai-ce  (ju'il  avait  commence  d"y  faire  attention,  et  (ju'il  a  du 
genie  pour  mediter.  Je  demandai  aussi  tpi'on  fit  observer  avec  soin  en 
plusieurs  lieux  la  \'ariation  de  TAimant,  chose  tres  importante  pour  la 
geographie  et  pour  la  navigation.  Je  ne  sais  ce  (iu'(m  a  fait.  Mais  je 
crois  que  ce  qu'il  y  a  de  bon  et  de  consequence  dans  les  recueils  de  la 
Societe  est  du  en  bonne  partie  ä  nies  soins,  aussi  bien  (jue  sa  fondation 
ineme.  Je  presse  (pi'on  agisse,  je  m'offre  de  contribuer  (quelcpie  precieux 
([ue  mon  temps  me  soit  ;i  mon  äge),  on  le  neglige,  et  on  m'impute  ces 
inactions.  Une  partie  des  membres  qu'on  prend  ne  servent  qu'a  gi-ossir  la 
liste,  et  a  rebuter  ceux  qui  meritent  d'etre  distingues,  de  sorte  qu"il  faudrait 
faire  a  mon  avis  un  nouveau  reglement  en  vertu  duquel  on  rayerait  ceux 
qui  pendant  le  cours  de  trois  [ans]"  n'envoyeraient  [sie]  rien  de  convenable. 

Quant  a  ma  presence^,  eile  n'est  point  absolument  necessaire,  pourvu 
(ju'on  veuille  se  servir  de  mes  conseils,  sans  quoi  aussi  eile  serait  inutile. 
Cependant  j'avais  dessein  de  passer  ä  Berlin  a  mon  retour  de  Vienne; 
mais  le  grand  changement  de  notre  Cour  m'obligea  de  häter  mon  voyage 
pour  y  etre  au  plus  tot.  Des  occupations  pressantes,  jointes  ä  quelque  indis- 
position,  ne  m'ont  point  permis  de  venir  cette  annee;  mais  mon  dessein 
etait  de  venir  celle  (pii  vient.  et  j'avais  souhaite  ([u'on  jii'eparät  aupara- 
vant  le  nouveau  Recueil  pour  l'ajuster  ä  mon  arrivee,  mais  k  present  je 
ne  sais  (|ue  dire. 

Pour  ce  qui  est  de  mon  payement,  je  ne  demanderai  point  Timpos- 
sible;  je  ne  veux  pas  aussi  intenter  un  Proces  a  ces  messieurs-la  aupres 
du  roi:   il  me  semble  que  de  telles  ])oursuites  ne  soient  guere  bien  a   un 


^  Wie  das  Concept  zeigt,  ist  das  eine  Verschreibung;  es  muss   «Bernoulli« 
heissen. 

-  Ist  nach  dem  Conce})t  einzuschalten. 

^  So  im  Concejit;  in   der  Reinschrift  heisst  es  irrtliümlich    »mon  absence«. 


Angriffe  der  Societät  aul'  Leibxiz.     Seine  Vertheidignng.  209 

honnne  de  ma  sorte;  mais  je  remets  le  tout  aux  sentiments  de  V.  E.  doiit 
je  connais  les  principes  genereux  et  les  linnieres  dignes  de  son  poste.  ne 
doutant  point  qu'Elle  ne  soit  poi'tee  ä  nie  rendre  justice  aupres  du  roi. 
Apres  avoir  pris  les  inforinations  necessaires,  Elle  jugera  ce  qui  est  faisable 
et  raisonnable  ä  mon  egard.  Elle  jugera  aussi  ce  qu'il  faudra  faire  pour 
retablir  la  reputation  chancelante  de  la  Societe,  et  s'il  faut  ecouter  nies 
avis  la-dessus.     Et  je  suis  entierenient,  Monsieur,  de  V.  E. .  etc. 

Dieser  Brief,  dessen  Tragik  jeder  Leser  empfinden,  dessen  vor- 
nehmen Geist  und  Ruhe  er  bewundern  wird,  traf  in  Berlin  am 
30.  Novemher  ein.  Noch  an  demselben  Tage  forderte  von  Printzen 
das  Concilium  zum  Bericht  auf.  Der  Hofprediger  erstattete  ihn  im 
Namen  desselben  am  ii.December\ 

Des  Herrn  Ober  Marschallen  Hol'freiherrl.  Excellenz  stattet  die  So- 
cietät der  Wissenschaften  vor  die  gnädige  Conununication  des  hiebei  ge- 
horsamst zurückkommenden  Schreibens  von  dem  Hrn.  v.  Leibnitz,  unter- 
thänigen  Dank   ab. 

Dasselbe  bestehet  aus  vielerlei  Artikeln  und  Puncten,  bei  deren  jedem 
Verschiedenes  zu  erinnern  wäre,  wenn  solches  nicht  zu  weitläufig  u.  Sr. 
Exe.  zu  vei'driesslich  fallen  müsste. 

Das  Hauptwerk  kommet  darauf  an ,  dass  die  Correspondenz  mit  dem 
Hrn.  V.  Leibnitz  unterbrochen  worden,  und  dass  ]Miscellaneorum  Tonius  H. 
so  lange  nachgeblieben. 

Beides  ist  wahr,  man  kann  aber  kühnlich  sagen,  beides  vornehmlich 
durch  des  Hrn.  v.  Leibnitz  eigene  Schuld,  als  welcher  nicht  allein  selbst 
seit  Niedersetzung  der  Societät  nur  ein  einziges  Mal  (und  in  den  letzten 
fünfthalb  Jahren  gar  nicht)  in  Berlin  gewesen,  sondern  auch  die  Correspon- 
denz so  lau  geführet,  dass  zu  der  Zeit,  da  er  die  Wienerische  Reise  gethan, 
er  an  die  zwei  Jahre  nicht  anbei'  geschrieben^,  auch  vorher  bisweilen  in 
etlichen  Monaten  oder  einem  hallten  Jahre  nicht,  da  es  sich  wohl  zuge- 
tragen, dass  man  in  Hannover  selbst  von  ihm  nicht  gewusst,  wo  er  sich 
etwa  verborgen,  seinen  iSIeditationibus  nachzuhangen,  er  auch  gleichsam 
nur  dann  geschrieben,  wenn  er  Geld  verlanget^. 

Nun  ist  bekannt,  dass  die  Societät  sonderlich  in  den  letzten  Jahren 
mancherlei  Travei^sen  gehabt,  aucli  die  activesten  jMitglieder  allhier  theils 
gestorben ,  theils  lange  krank  gewesen ,  unter  welchen  letzteren  der  Hr.  Rath 
Chuno  sich  befindet,  welcher  die  Besorgung  der  Miscellaneorum  über  sich 
genommen ,  auch  alles ,  was  dazu  etwa  gesammlet  worden ,  noch  itzo  wirk- 
lich in  seiner  Verwahrung  hat.  Je  schläfriger  es  nun  erwähnter  L'rsachen 
halber  bei  der  Societät  zuging,  je  mehr  würde  es  dem  Hrn.  v.  Leibnitz 
angestanden  haben,  durch  seine  Anwesenheit  dieselbe  aufzumuntern,  ihr 
zu  assistiren  und  das  Werk  mit  Ernst  und  Nachdruck  zu  secundiren. 

Die  Particularität  in  des  Herrn  v.  Leibnitz  Schreiben,  welche  son- 
derlich in  die  Au2;en  fällt,  betreffend  den  Abt  de  Varignon,  zu  berühren. 


'^    Concept  im  Akademischen  Archiv,  Original  im  Geheimen  Staatsarchiv. 

^  Das  ist  eine  grosse  Übertreibung;  zur  Entschuldigung  der  Societät  lässt 
sich  nur  sagen,  dass  der  Secretar  damals  auf  Reisen  war  und  die  anderen  Herren 
sich  der  Briefe  von  Leibniz   nicht  erinnert  haben  mögen. 

^  Diesen  letzten  unwahren  Satz  hat  Krug  von  Nidda  dem  Concept  des  Hof- 
predigers hinzugefügt,  und  er  ist  aufgenommen  worden. 

Geschichte  der  Akademie.    I.  14 


210  GesL'hiclite  der  Societät  von   1711  — ITKi. 

so  ist  der  Ileri-  Chixo  neulich  befi'aget  worden,  wie  es  darum  stehe, 
und  hat  derselbe  vermeldet,  dass  der  Ilei-r  w  Leibxhz  ihm  etwas  von 
desselben  Arbeit  zwar  zugeschicket.  a))er  mit  Ordre,  in  die  Leipziger 
Acta  Eruditorum  es  einbringen  zu  lassen,  welches  er  aucli  sagte  gethan 
zu  haben. 

Wann  nun  der  Hr.  v.  LinBNrrz  die  Angelegenheiten  der  Societät  im 
Ernst  wölke  zu  Hertzen  nehmen,  so  könnten  die  bei  dem  Hrn.  Chuno  vor- 
handene, zu  den  Miscellaneis  dienenden  Stücke  demselben  währender  seiner 
Krankheit  abgenommen  werden,  einige  andere  Stücke,  welche  der  Herr 
v.  Leibniiz  bei  sich  haben  wird,  könnt  er  hiernächst  mitherbringen  und 
bei  seiner  Anwesenheit  könnte  dieser  Tomus  11.  in  Ordnung  gebracht  und 
zum  Druck  übergeben  werden.  Auf  solche  Weise  würde  man  des  Hrn. 
VON  Leibxitz  Affection  zu  der  Societät  und  seinen  Eifer,  derselben  Incre- 
mentum  zu  bef()rdern,  erkennen,  und  wann  er  mit  solcher  vSorgfalt  und 
Besuchung  dieses  Orts  jährlich  continuirete,  würde  ihm  die  jährliche  Er- 
kenntlichkeit zu  solcher  Reise  gemäss  S.  K.  Maj.  allergnädigsten  Verord- 
nung keineswegs  geweigert  werden. 

Dör  Punct  wegen  Reception  einiger  Membrorum  in  die  Societät  ist 
zwar  wichtig,  aber  hier  allzu  weitläufig.  So  lang  der  Hr.  \-.  LEiBNrrz  diesen 
Ort  besudlet  und  ordentliche  Correspondenz  mit  selbtem  gehalten,  ist  kein 
einziges  Mitglied  ohne  seine  Approbation  erwählet  worden.  Nachgehends 
hat  es  bei  so  langer  Abwesenheit  und  unterbrochener  Correspondenz  un- 
möglich so  sein  können.  Wir  getrauen  uns  aber  die  geschehenen  Wahlen 
gar  wohl  zu  rechtfertigen.  Und  haben  nur  noch  neulich  zween  berühmte 
IVIänner  in  Italien,  nämlich  Illustris  Marchio  Johannes  Polens,  Philos. 
Prof.  ord.  Patavinus,  und  Dn.  Petrus  Ant.  Micheeotti  ,  Phil,  et  Med.  Dr., 
C'ollegii  apud  Venetos  medici  Assessor  ord.  et  Practicus  ibidem  celeberr., 
reci})iret  zu  werden  verlanget.  Weil  aber  die  Diplomata  noch  nicht  aus- 
gefertiget,  und  Hr.  v.  Leibnitz  in  der  Nähe,  wird  man  an  denselben  dieser- 
halb  vorher  schreiben. 

Nomine  Societatis  ist  ausser  dem  Tomo  I.  Miscell.  nichts  herausge- 
kommen. Doch  sind  ein  paar  Tractätchen,  privato  nomine,  von  einem 
Mitglied  der  K.  Societät  der  Wissenschaften  ans  Licht  gegeben  worden, 
und  zwar  mit  Vorbewusst  und  Consens  der  Glieder  des  Departements, 
dahin  sie  gehöret. 

Uljrigens  wird  die  Societät  in  dieser  so  wohl  als  allen  anderen  Sachen 
lediglich  von  Sr.  hochfreiheri'l.  Excellenz  gnädigem  Befehl  und  erleuchtetem 
Gutachten  dependiren,  welchem  sie  sich  mit  schuldigstem  Respect  gehor- 
samst unterwirft. 

In  ccmcilio  Societatis, 
d.  1 1.  Dec.  1715. 

Um  dieses  Schreiben  eini^-ermaassen  zu  entschuldigen,  muss  man 
sich  erinnern,  dass  Leibniz  elf  Jahre  in  allen  Dingen  die  Initiative 
ergriffen,  nun  aber  fast  fünf  Jahre  sich  zwar  theilnehmend,  aber  ganz 
passiv  verhalten  hatte  und  auch  in  der  letzten  Zeit,  obgleich  er  in  Han- 
nover weilte  und  die  Societät  mit  dem  Tode  rang,  nicht  nach  Berlin 
gekommen  war.  Auch  dann  freilich  noch  erscheint  die  Eingabe, 
die  nicht  einmal  überall  das  Thatscächliche  respectirt,  als  grober 
Undank.      Leibniz  hat  sie  nie  zu  Gesicht  bekommen,   und  wie  von 


LEiBXizens  letzte  Bemühungen  für  die  Societät.  211 

Printzen  sie  beantwortet  hat,  wissen  Avir  nicht \  Merkwürdig  aber 
ist,  dass  der  Hofprediger,  bald  nachdem  er  sie  abgesandt,  wieder 
in  den  regsten  Verkelir  mit  Leibniz,  nicht  nur  in  Sachen  der  So- 
cietät, sondern  auch  in  der  Unionsfrage,  die  mit  dem  Willen  des 
Königs  wieder  aufgenommen  wurde,  getreten  ist.  In  den  zahlreichen 
Briefen  des  Hofpredigers  vom  Jahre  i  7  i6,  die  nalie  bis  an  den  Todes- 
tag von  Leibniz  reichen,  tritt  das  alte  Vertrauen  und  die  Ehrfurcht 
vor  dem  grossen  Mann  wieder  hervor.  Alles  wird  ihm  vorgetragen, 
und  man  darf  vielleicht  annehmen,  dass  der  Hofprediger  sich  jener 
Schriftstücke  geschämt  hat,  die  leider  aus  den  Acten  der  Societät 
nicht  zu  tilgen   sind. 

Was  er  Leibniz  im  Jahre  1716  von  der  Societät  zu  berichten 
hatte,  lautete  freilich  traurig.  Es  begann  jene  Zeit,  die  La  Croze 
seinem  Freunde  Fabricius  in  Hamburg  also  beschrieben  hat":  »Hie 
omnia  frigent,  ipsaeque  litterae  non  negliguntur  modo,  verum  ut 
7r€pi\frt]iuaTa  militum  et  aulicorum   omni  ludibrio   traduntur«. 

Es  machte  grosse  Schwierigkeit,  einen  Director  für  die  mathe- 
matische Klasse  an  Cuneau's  Stelle  zu  finden.  «Sie  besteht  aus  zwei 
Deutschen,  Jägwitz  und  Behr  [Beer],  die  aber  Beide  seit  dem  Tode 
Friedrich's  I.  (also  seit  3  Jahren!)  nicht  mehr  in  die  Sitzungen  gekom- 
men sind",  und  vier  Franzosen  (des  Vignoles  ,  d'Angicour  und  Naude, 
Vater  und  Sohn).  Man  hätte  gern  evitiret,  einen  Franzosen  zum 
Director  zu  haben,  weil  man  im  Concilio,  auch  w^ohl  sonst,  mit 
der  Sprache  nicht  so  wohl  fort  kann.«  Aber  Jägwitz,  an  den  zu 
denken  sei,  müsse,  seitdem  er  seine  Pension  verloren,  de  pane  lu- 
crando  arbeiten  und  sei  ausserdem  in  der  höheren  Mathematik  nicht 
bewandert.  Man  habe  nun  die  Wahl  aufgeschoben  und  bitte  Leib- 
niz um  seine  Antwort  auf  folgende  Fragen: 

i)  was  Ew.  Wohlgeboren  generaliter  vermeinen  liei  jetzigem  Zustand  der  So- 
cietät zuträglich  zu  sein, 

2)  wie  in  specie  die  Classis  mathematica  zu  besorgen,  imd  wie  des  Herrn 
Chuno  Verlust  uteunque  zu  ersetzen  sei, 

3)  die  ersten  18  Stücke  für  den  2.  Band  der  Miscellanea  sind  abhanden  ge- 
kommen, ob  sie  sich  vielleicht  bei  Leibniz  befinden, 

4)  über  die  Aufnahme  einiger  Gelehrten,  die  sich  gemeldet  haben  und  den 
Beifall  der  Societät  besitzen,  »ob  Ew.  Wohlgeboren  gleichfalls  solches  gut 
heissen,    allermassen  wir   nie  Sinnes   gewesen,    ohne   Ew.  "Wohlgeb.   Vor- 


'    INIan   kann    allerdings    schliessen,    dass    er   das    Concilium    angewiesen   hat. 
mit  Leibniz  fortan  lleissig  zu  correspondiren. 

^    Thesaur.  epistol.  T.  III  p.  122  vom  4.  September  17 16. 

^    Frisch  sagt  von  Jägwitz,  er  sei  nicht  gekommen,   »weil  icli  die  Ehre  habe 
ein  meinbrum  zu  sein«    (Nr.35  vom  1 1.  Februar  17 16,  Fischer  S.43). 

14* 


212  Geschichte  der  Societät  von    1711  —  1716. 

wissen,  wann  Sie  nur  in  der  Nähe  und  ahzureichen  sind,  etwas  Wichtiges 
vorzunehmen", 
5)  ob  Ew.  Wohlgeh.  uns  nicht  Hoffnung  machen  wollen,  nächsten  Sommer,  wills 
Gott,  einmal  näher  zu  kommen  und  die  languirende  Societät  durch  Dero 
Anwesenheit  hoffentlich  zu  erquicken  und  sie  zu  stärken.  Wie  bekannt, 
mein  Bruder  ist  auch  entfernt,  und  wir  beide  nur  noch  allein  übrig  von 
denen,  die  zur  Errichtung  der  Societät  den  ersten  Stein  geleget.  Es  sollte 
mir  leid  thun,  wenn  ich  dieselbe  überleben  sollte,  absonderlich  nachdem 
derjenige,  der  ihr  am  meisten  nach  dem  Leben  gestanden  [GuNDKLSHEm], 
vom  Tode  bereits  dahingerissen  worden  ^ 

Als  der  Astronom  Hoffmann  einige  Monate  später  starb,  wandte 
sich  der  Hofprediger  wieder  an  Leibniz:  er  nannte  ihm  den  jüngeren 
Kirch  oder  Wagner  als  Assistenten  des  Astronomen,  diesen  selbst 
aber  —  er  müsse  eine  Kraft  ersten  Ranges  sein  —  solle  Leibniz 
vorschlagen".  In  einem  etwas  späteren  Brief  kommt  Jablonski  auf 
die  ominöse  Gehaltsfrage ^.  Das  Schreiben  ist  etwas  zuversichtlicher; 
er  erwartet,  dass  die  Societät  »ihren  Credit  beim  König  allmählich 
recuperiren«,  und  versichert,  dass  er  Leibnizcus  Interesse  wahrnehmen 
werde,  nur  müsse  er  noch  Geduld  haben.  Bald  darauf  kann  er  in 
zwei  Briefen  die  Hoffnung  aussprechen,  dass  der  König  die  Ana- 
tomie der  Societät  einverleiben  werde  ^.  In  den  letzten  Briefen  vom 
October  kündigt  er  seine  Ankunft  in  Wolfenbüttel  und  Hannover 
an  (in  der  Unionsfrage,  deren  Behandlung  in  jenen  Monaten  Leibniz 
und  Jablonski  fast  ausschliesslich  beschäftigte);  er  werde  persönlich 
über  die  Lage  der  Societät  Vortrag  halten.  Dazu  sollte  es  nicht  mehr 
kommen.  Am  1 4,  November  i  7  1 6  starb  Leibniz  nach  kurzer  Krankheit. 


^    Brief  vom    ir.  Juni  17 16.     Jägwitz  wurde  wirklich  Director. 

^    Brief  vom  11.  April  17 16. 

3    7.  Juli  17 16, 

*  Briefe  vom  8.  August  und  26,  September  17 16.  In  dem  ersten  (Kvacsala 
S.149)  heisst  es:  »Wir  avanciren  in  dem  Vorschlag,  die  Anatomie  der  Societät  zu 
incorporiren ,  und  ist  der  jetzige  Prof,  Anatom.  D,  Henrici,  eine  Creatur  des  Hrn. 
GuNDEi.sHEiM,  selbst  der  Meinung,  welcher  ein  Diploma  als  Socius  dankbarlich  an- 
genommen und  von  der  Sache  mit  mir  weitläuftig  gesprochen  hat.  Der  König  be- 
soldet diesen  Professorem  doch  aparte,  und  den  Aufwärter  bey  der  Anatomie  hat 
Hr,  GuNDELSHEiM  uus  olme  dem  aufgebürdet.  Also  wüi-den  wir  nicht  viel  mehr  Un- 
kosten bey  der  Anatomie  tragen  dürfen,  hingegen  uns  dadurch  bey  Hofe  fest 
setzen«.  In  dem  anderen  schreibt  Jablonski  (a.  a.  O.  S.  153):  »Von  der  Anatomie 
dürfte  ehistes  ein  mehres  zu  schreiben  sein;  denn  ich  sehe,  dass  die  Sache  bey 
Hofe  in  Bewegung  gerathen;  ich  weiss  aber  nicht,  wie  favorabel  vor  die  Societät 
der  Ausschlag  sein  möchte.  Eine  kurze  Zeit  wird  es  uns  geben".  Leibniz  billigte 
die  Aufnahme  der  Anatomie;  er  schrieb  am  i.. September  (a,a, 0,8.151  f.):  »Die  Incor- 
])orirung  der  Anatomie  bej^  der  Societät  ist  allerdings  nöthig.  Es  sollten  billig  junge 
riiirui'gi,  so  etwa  im  Felde  zu  gebrauchen,  gebührend  darin  instruirt  werden, 
und  könnte  etwas  aus  der  Krieges  -  Cassa  wie  anderswo  brauchlich  dazu  kounnen, 
und  also  dasjenige,  so  man  der  Societät  abgezogen,  derselben  wieder  gegeben  werden«. 


LEiKxizens  Tod.  21  O 

Keiner  seiner  letzten  grossen  Pläne  hatte  sich  verwirklicht  — 
der  eine  war  dem  anderen  hinderlich  geworden\  Was  er  gebaut 
hatte,  schien  zusammenzubrechen;  in  tiefer  Vereinsamung  ist  er 
gestorben ,  vom  hannoverschen  Hofe  vernachlässigt"'.  Aber  was  er 
im  Reiche  des  Gedankens  geschaffen  hat,  ist  unvergänglich  ge- 
blieben, und  darüber  hinaus  —  fast  alle  seine  grossen  Projecte 
sind  doch  im  Laufe  der  Zeiten  allmählich  verwirklicht  worden.  Er 
hat  nicht  nur  Saaten  in  die  Zukunft  gestreut,  sondern  er  hat  auch 
der  wissenschaftlichen  Arbeit  der  Zukunft  die  Form  gegeben  und  ihr 
das  Haus  gebaut.  Seine  verfrühte  Schöpfung,  die  Berliner  Societät, 
die  erste  Gesammtakademie  Europas,  schien  dem  Untergange  nahe, 
als  er  starb;  aber  er  hat  niemals  daran  gedacht,  ihr  die  Auflösung 
anzurathen :  er  hoffte,  in  der  Gewissheit,  die  richtige  Form  ge- 
schaffen  zu  haben,   auf  bessere  Zeiten   und  tüchtigere  Männer. 

Niemand  hat  ihm  in  Berlin  eine  Gedächtnissrede  gehalten^; 
auch  in  London  schwieg  man  —  in  dem  Streit  mit  Newton  stand 
die  Royal  Society  parteiisch  auf  Seiten  ihres  einheimischen  Mitgliedes 
gegen  ihr  vornehmstes  auswärtiges.  Nur  die  Pariser  Akademie 
ehrte  am  i  3 .  November  i  7  i  7  den  grossen  Todten  durch  die  würdigste 
Lobrede.      Fontenelle  hat  sie  gehalten^. 


^  Klopp,  Werke.  1 1.  Bd.  S.  XXXVII  sucht  zu  zeigen,  dass  Leibniz  wenige 
Tage  nach  seinem  Tode  wirkhch  zwischen  der  Stelhing  eines  Historiographen  in 
London  und  einem  hervorragenden  Amt  am  Hofe  Cari/s  VI.  in  Wien  zu  wählen 
gehabt  hätte,  dass  man  dagegen  in  Berlin  die  Undankbarkeit  gegen  ihn  bis  ziu'  mo- 
ralischen Misshandlung  getrieben  habe.  Sicher  war  keine  jener  beiden  Aussichten,  und 
in  Hannover  war  man  Leibxiz  nicht  dankbarer  als  in  Berlin;  man  hat  ihn  dort  noch 
viel  schlinmier  behandelt.  Das  hat  Doebner  ("LEiBxizens  Bi'iefwechsel  mit  dem  Minister 
VON  Bernstorff«  1882)  gezeigt.    An  seinem  Leichenbegängniss  nahm  Niemand  Theil. 

-  Nach  dem  Tode  der  Kurfürstin  Sophie  traten  die  Herzogin  von  Orleans, 
Elisabeth  Charlotte,  und  die  Prinzessin  von  Wales,  Caroline,  gleichsam  in  die 
Correspondenz  ein  (s.  Bodemann  i.  d.  Ztschr.  d.  bist.  Vereins  f.  Niedersachsen  1884 
S.  1  —  66  und  Klopp,  Werke,  11.  Bd.  1884);  denn  mit  geistvollen  Prinzessinnen  Aus- 
tausch zu  ptlegen,  war  Leibxiz  ein  Bedürfniss.  Unter  den  männlichen  Gliedern  des 
Hauses  Hannover  stand  er  Niemandem  nahe.  Seine  Erholung  suclite  er,  der  Un- 
verheirathete,  in  Kinderfesten,  die  er  gerne  gab.  Auch  hier  tritt  die  Heiterkeit 
seines  Gemüths  hervor,  das  Freude  stiften  wollte. 

^  Erst  im  Jahre  1785  trugen  Müchler  und  M.  Mendelssohn  dem  Könige 
den  Plan  vor,  Leibniz  (zusammen  mit  Sulzer  und  Lajibert)  eine  Denksäule  mit 
Medaillons  zu  errichten.  Der  König  billigte  den  Plan  am  24.  April  (s.  Q^Iuvr.T.  27  3, 
S.  237)  und  bestimmte  den  ü])ernplatz  für  die  Aufstellung;  allein  unbekannte  Um- 
stände verhinderten  die  Ausführung. 

*  Siehe  Hist.  du  Renouvellement  de  l'Acad.  Royale  des  sciences  etc.  T.  H 
(Amsterdam  1720)  p.  274  —  333.  P.  275  liest  man  die  berühmte  Charakteristik:  »L'ne 
lecture  universelle  et  tres  assidue ,  jointe  a  un  grand  genie  naturel,  le  fit  devenir 
tout  ce  qu'il  avait  lu ;    pareil  en   quelque   sorte   aux   anciens   qui   avaient  Tadresse 


214  Geschichte  der  Societät  von   1711  — 1  Tili. 

Leibniz  ist  der  Begründer  des  modernen  Geistes  in  unserem 
Vaterland.  »Mit  ihm  wächst  der  deutsehe  Geist  in  das  europäische 
Culturleben  hinein,  mit  ihm  ringt  sich  der  deutsche  Protestantismus 
aus  seiner  theologischen  Incrustation  los;  könnte  er  heute  auf  die 
Erde  zurückkehren,  er  würde  sich  in  kürzester  Frist  orientiren' «. 
Das  Erbe,  das  uns  Goethe  hinterlassen  hat,  ist  der  Nation  noch 
immer  als  Aufgabe  gestellt;  was  Leibniz  gewollt  und  erarbeitet 
hat,  ist  in  reicher  Entfaltung  in  die  deutsche  Cultur  und  Wissen- 
schaft übergegangen.  Bis  zur  Entdeckung  des  Gesetzes  von  der 
Erhaltung  der  Kraft  hat  er  den  Gang  der  mechanischen  Wissenschaft, 
bis  zu  den  Monumenta  Germaniae  und  bis  zur  Überwindung  der 
rationalistischen  Geschichtsbetrachtung  hat  er  die  Entwicklung  der 
historischen  vorausgesehen.  Die  Veränderungen  der  Karte  Europas, 
die  nationale  Wiedergeburt  Deutschlands  auf  dem  Boden  des  Pro- 
testantismus und  die  Bedeutung  Russlands,  ja  der  Küsten  des  Stillen 
Oceans,  ahnte  sein  vorauseilender  Geist  ebenso  wie  die  Umwälzungen, 
welche  die  Technik  hervorbringen  werde.  Das  Innenleben  hat  er 
wenig  bereichert;  denn  überall  streifte  sein  realistischer  Sinn  die  sub- 
jectiven  Formen  der  Erfahrungen  und  die  feineren  Empfindungs- 
momente  ab ;  aber  das  Wirkliche  als  Individuelles  und  als  Wirkendes 
hat  er  in  einem  Umfange  geschaut  und  gedeutet,  w^ie  nie  Jemand  zu- 
vor, ohne  doch  dem  Materialismus  zu  verfallen.  Er  hat  vielmehr 
nach  Luther  und  Melanchthon  die  zweite  Stufe  des  deutschen  Idea- 
lismus aufgerichtet,  und  seine  freudige  und  ehrfürchtige  Betrachtung 
der  Natur  und  der  Geschichte  als  eines  Kosmos  wirkender  Ge- 
danken lebt  in  der  deutschen  Wissenschaft  fort.  Die  Aufklärung  des 
i8.  Jahrhunderts  kann  sich  auf  ihn  als  auf  einen  ihrer  Väter  be- 
rufen; aber  auch  die  führenden  Geister  des  19.  sind  ilim  verpflichtet. 

Und  doch  —  sein  tragisches  Geschick  ist  kein  ganz  unverdientes 
gewesen.  Er  kannte  eigentlich  nur  Dinge  und  Ziffern;  sein  Idea- 
lismus hatte  etwas  Frostiges.  Darum  fehlte  ihm  auch  die  Macht 
der  Sprache  und,  wie  ein  grosser  Historiker  richtig  beobachtet 
hat,  die  Macht  über  die  Menschen.  Als  Persönlichkeit  hat  er 
Niemanden  gefesselt,  geschweige  Liebe  und  Hingebung  erweckt. 
War    doch    der   persönliche  Eindruck    so    gering,    dass    selbst  ganz 


de  nienei"  jus(iu'ä  huit  chevaux  atteles  de  front,  il  mena  de  front  toutes  les  sciences. 
Ainsi  nous  soniines  obliges  de  le  partager  ici,  et  pour  pai-ler  philosophiiinenient, 
de  le  decomposer.  De  plusieurs  Hercules  TAntiquite  n'en  a  fait  (in"nn,  et  du  seul 
M.  LEiBNrrz  nous  ferons  ])lusieurs  savants«. 

^    Julian  Schmidt,  Gesch.  der  Deutschen  Litt.  i.  Bd.  (1886)  S.66. 


Friedrich  WiLHFXM  I.   und  die  Wissenschaft.  215 

untergeordnete  Geister  es  sieh  herausnahmen,  über  ihn  hinwegzu- 
schreiten und  ihn  zu  beleidigen.  Er  war  kein  Baum,  gepflanzt  an 
den  Wasserbachen,  der  Schatten  spendet,  an  dessen  Fusse  Blumen 
>)lühen  und  in  dessen  Zweigen  die  Vögel  des  Himmels  wohnen. 
Wohl  gab  er  mit  vollen  Händen  überreichlich,  aber  jene  hohe 
Kraft  fehlte  ihm ,  die  den  Menschen  zum  Menschen  zwingt  und 
ihn  im  Innern  bildet.  Doch  was  ihm  fehlte,  hat  nur  den  Gang 
seines  eigenen  Lebens  tragisch  l)estimmt;  was  er  besass,  hat  den 
ganzen  Zustand  der  Nation   und  ihr  Leben  bereichert  und  gehoben. 

Viertes  Capitel. 

Fortsetzung:    Geschichte   der  Societät  der  Wissenschaften 
unter  Friedrich  Wilhelji  L 

Die  weitere  Geschichte  der  Societät  unter  der  Regierung  Fried- 
RiiH  Wilhelm's  L  seit  Leibnizchs  Tode  (von  1717— 1740)  ist  einförmig 
verlaufen.  Das  Urtheil  über  die  Bedeutung  des  Monarchen  in  mili- 
tärischer, politischer  und  Staats -ökonomischer  Hinsicht  ist  durch  die 
neuere  Forschung  sichergestellt:  deutlich  hat  man  erkannt,  dass 
der  Staat  Friedrich's  des  Grossen  auf  den  Grundlagen  ruhte,  die 
der  Vater  geschaffen^  und  dass  dieser  »das  grosse  Staatsproblem 
gelöst  hat,  ein  faules  Volk  arbeitsam,  ein  üppiges  Volk  sparsam, 
einen  verschuldeten  Staat  reich  zu  machen«.  Allein  das  Verhältniss 
des  Königs  zur  W^issenschaft  ist  nicht  so  einfach  zu  fassen,  wie  die- 
jenigen glauben,  die  sich  lediglich  nach  den  —  sei  es  auch  ver- 
bürgten —  Anekdoten  richten,   die  von   ihm  erzählt  werden. 

Der  König  achtete  die  Wissenschaft,  sofern  sie  nützte,  und  die 
Gelehrten,  welche  wirklich  arbeiteten  und  greifbare  Früchte  ihres 
Fleisses  aufweisen  konnten.  Er  entzog  den  wissenschaftlichen  In- 
stituten seinen  Schutz  und  seine  Fürsorge  nicht,  aber  er  beurtheilte 
fast  den  ganzen  gegenwärtigen  Betrieb  der  W^issenschaften  an  den 
Universitäten  und  hohen  Schulen  als  leeren  Formelkram,  als  ein 
ödes,  eitles  und  gespreiztes  Wortgepränge,  das  nicht  mehr  werth 
sei  als  das  prunkende  Hofceremoniell ;  er  sah  in  den  Zunftge- 
lehrten  mit  ihrem  Latein,  ihren  Bloskeln,  ihrer  steifen  Schulweis- 
heit nur  alte,  unnütze  Ceremonienmeister  der  Wissenschaft,  die  nichts 


^  Niemand  hat  das  sicherer  erkannt  als  Friedrich  der  Grosse  selbst:  »S'il 
est  vrai  de  dire  qu'on  doit  l'ombre  du  chene  qui  nous  couvre,  ä  la  vertu  du 
gland  qui  l'a  produit,  toute  la  terre  conviendra  (ju'on  trouve  dans  la  vie  laborieuse 
de  ce  prince  et  dans  les  niesures  (ju'il  prit  avec  sagesse,  les  principes  de  la  pros- 
perite  dont  la  maison  royale  a  joui  apres  sa  mort«   (Qiluvr.  I,  175). 


216  Geschieh te  der  Societät  von   1717— 174U. 

wirklich  förderten.  Den  ganzen  Apparat  umzugestalten  oder  gar 
einfach  aufzuheben,  dazu  konnte  er  sich  aber  doch  nicht  ent- 
schliessen ;  er  mochte  bei  seiner  grossen  Gewissenhaftigkeit  empfin- 
den, dass  ihm  das  letzte  Wort  in  diesen  Dingen  zu  sprechen  nicht 
zustehe,  da  seine  eigene  Bildung  lückenhaft  war.  So  ergrift"  er  den 
Ausweg,  die  hohen  Schulen  bestehen  und  die  Wissenschaften,  wie 
sie  waren,  gewähren  zu  lassen,  aber  alles  das,  was  ihm  an  der 
Gelehrsamkeit  und  den  Gelehrten  antipathisch  und  verächtlich  war, 
in  der  schonungslosesten  Weise  lächerlich  zu  machen  und  in  den 
Staub  zu  ziehen  —  war  es  ein  Mittel,  sie  zu  zwingen,  ihre  Lebens- 
fähigkeit zu  erweisen?  Mit  Peitschen  und  Fusstritten  —  nicht  nur 
mit  moralischen  —  misshandelte  er  die  unwürdigen  Diener  der 
W^issenschaft,  und  auch  die  würdigen  erfuhren  manche  herbe  De- 
müthigung.  Aber  wie  er  selbst  zeitlebens  darauf  bedacht  war,  sich 
zu  unterrichten  und  keine  Stunde  müssig  sein  wollte,  so  darf  man 
ihm  auch  eine  unmittelbare  Empfindung  für  productive  Wissenschaft, 
für  wirkliche  geistige  Arbeit  und  für  die  Charakterbildung,  die  aus 
ihr  entspringt,  nicht  absprechen,  Dass  ihm  jene  selten  begegnete, 
und  dass  er  sie  nicht  immer  sicher  herausfand,  war  nicht  seine 
Schuld;  denn  hervorragende  und  uneigennützige  Gelehrte  waren 
spärlich,  und  der  Betrieb  der  Geisteswissenschaften  steckte  überall 
in  anspruchsvollen  und  staubigen  Formen.  Die  groben  und  l)arbari- 
sclien  Spässe  übrigens,  die  er  sich  einzelnen  Vertretern  der  »Wissen- 
schaft« gegenüber  gestattete,  waren  nicht  immer  ein  Zeichen  seiner 
Verachtung.  Dieser  Monarch  mit  dem  strengsten  Pflichtgefühl  luid 
einem  zarten  Gewissen  hatte  nur  an  ungeschlachter  Komik  Gefallen 
und  brauchte  sie  zu  seiner  Erheiterung.  Niemals  aber  hat  er,  so- 
viel wir  wissen,  seine  groben  Spässe  mit  den  Lehrern  der  Medicin 
und  Chemie  gemacht;  denn  er  respectirte  ihre  Wissenschaft  —  nicht 
allein  deshalb,  weil  sie  der  Armee  nützlich  war  —  und  suchte  sie 
mit  allen  Mitteln,  ohne  zu  knausern,  zu  unterstützen.  Hier  hat  sich 
der  geniale  Blick  des  Königs  el)enso  glänzend  bewährt,  wie  auf 
anderen  Gebieten.  Chemie  und  Medicin  waren  damals  wirklich  die 
einzigen  Disciplinen,  in  denen  Berlin  etwas  Hervorragendes  leistete, 
und  die  durch  glänzende  Vertreter  repräsentirt  waren  —  Stahl, 
Neumann,  Pott.  Diese  Disciplinen  auf  jede  Weise  zu  fördern  und 
auch  die  Societät  für  sie  in  Contribution  zu  setzen,  war  sein  stetes 
Anliegen.  In  ihnen  sah  er  mit  Recht  allein  den  Fortschritt  des 
Zeitalters  ausgeprägt;  um  ihretwillen  liess  er  die  Societät  bestehen; 
denn  —  etwa  von  Frisch  und  dem  litterarisch  wenig  productiven, 


Der  König  und  die  Societät.  21  / 

auch  nicht  kritisch  scharfen  La  Croze  abgesehen  —  g^ah  es  denn  in 
BerHn  oder  in  Preussen  in  dem  Menschenalter  zwischen  1710  und 
1740  hervorragende  Philologen,  Historiker,  Rechtsgelehrte  oder 
Theologen?  Hat  der  König  nicht  Recht  daran  gethan,  wenn  er  die 
Wissenschaften,  w^elche  wirklich fortschritten,  ermunterte,  die  anderen 
durch  Demüthigungen  hei  Seite  schob,  aber  gewähren  liess?  und  — 
nicht  nur  Ärzte  wie  Gündelsheim,  sondern  auch  solche  wie  Stahl 
urtheilten  über  die  Humanisten  genau  so  abfällig  wie  der  König, 
Auch  die  Societät  der  Wissenschaften  liess  der  König  gewähren, 
nachdem  er  sich  nach  längerer  Wartezeit  überzeugt  hatte,  dass  sie 
in  seinem  Sinne  nichts  zu  leisten  vermochtet  Eine  gelehrte  Societät, 
die  ausser  der  Herausgabe  des  Kalenders"  nichts  oder  doch  nur 
weniges  that,  schien  ihm  die  unnützeste  Einrichtung  von  der  Welt 
zu  sein.  Er  weigerte  sich  mehrere  Jahre,  ihre  Rechte  zu  bestäti- 
gen; er  beargwöhnte  ihre  Einnahmen  und  Ausgaben;  er  griff  in 
ihren  Etat  ein  und  zwang  sie,  Beiträge  zur  Unterhaltung  der  me- 
dicinisch- chirurgischen  Akademie  zu  leisten;  er  verhöhnte  sie,  in- 
dem er  ihr  unwürdige  Präsidenten  gab  und  ihr  schliesslich  aufer- 
legte, die  königlichen  Hofnarren  zu  bezahlen,  aber  er  hob  sie  nicht 
auf;  er  schärfte  vielmehr  ihren  Mitgliedern  die  Pflicht,  mindestens 
jährlich   eine   wissenschaftliche  Arbeit  zu  leisten,    streng  ein^   und 

'  Nicht  einmal  die  Frage,  warum  der  ('hampagner  moussire.  die  der  König 
an  die  Societät  gerichtet  haben  soll,  konnte  sie  beantworten.  Die  Legende  berichtet, 
die  Akademiker  hätten  sich  allem  zuvor  für  die  Untersuchung  60  Flaschen  erbeten, 
der  König  aber  erwidert,  er  wolle  sie  lieber  selbst  trinken  und  zeitleljens  über 
die  Ursache  des  Moussirens  unwissend  bleiben.  Anders  erzählt  Bielfeld  (Lettres 
famil.  et  autr.  IL  Bd.  1763  p.  134)  die  Geschichte:  der  König  habe  die  Societät 
gefragt,  warum  zwei  mit  Champagner  gefüllte  Gläser  beim  Anstossen  nicht  so  gut 
klingen  wie  dieselben  Gläser,  wenn  sie  mit  Wein  gefüllt  sind.  »Les  Academiciens 
firent  repondre  que,  n"etant  pas  k  meme  de  boire  du  vin  de  Champagne,  ils  igno- 
raient  cet  effet.  Le  roi  leur  en  envoya  une  douzaine  de  bouteilles,  pour  les  con- 
vaincre  de  la  verite  du  phenomene.     Ils  burent  le  vin  et  n'eclaircirent  rien.« 

^  Ganz  einfach  war  die  Kalenderberechnung  nicht.  So  erhob  sich  im  Jahre 
1722  ein  Streit  zwischen  den  Astronomen  über  den  Tag  des  Osterfestes  für  das 
Jahr  1724.  Von  Berlin  aus  wurde  an  den  Gesandten  in  Regensburg,  vox  Metter- 
NicH,  geschrieben,  um  ein  einheitliches  Vorgehen  bez.  die  Beseitigung  der  Differenz 
zu  bewirken.  In  seinem  Antwortschreiben  (14.  Sej^tember  1722)  theilt  INIetterxich 
übrigens  einen  Extract  aus  einem  Bericht  vom  12./22.  Januar  1700  über  einen 
Beschluss  des  Corpus  Evang.  mit.  Da  heisst  es  am  Schluss:  «Von  einem  CoUegio 
Mathematico,  welches  im  Reich  an  einem  gewissen  Ort  aufzurichten  und  denen  die 
Duction  des  Kalenderwesens  zu  übergeben,  wiu-de  zwar  damahlen  etwas  disciu'irt; 
man  findet  aber  hiebey  soviel  Bedenken,  dass  hierauf  so  bald  kein  Conto  zu  machen 
sein  wird"   (Geheimes  Staatsarchiv). 

^  Jenes  Schreiben  des  Königs  an  den  Kriegsrath  vox  Happe  (Archiv  f.  Gesch. 
d.  deutschen  Buchhandels  1888  S.359)  darf  man  nicht  generalisiren  (»Ich  habe  aus 


218  Gescliichte  der  Societät  von  1717— 174<i. 

war  ihr  aueli  zeitweilig  freundlicher  gesinnt,  wenn  er  eine  Spur 
nützlicher  Thätigkeit  in  ihrer  Mitte  zu  bemerken  glaubte. 

Bei  den  eigenthümlichen  Vorstellungen,  die  Friedrich  Wilhklm  I. 
von  den  Geisteswissenschaften  hatte,  wäre  es  wohl  auch  der  glän- 
zendsten wissenschaftlichen  Körperschaft  nicht  gelungen,  seine  volle 
Gunst  zu  erwerben ;  aber  dass  der  König  überhaupt  keinen  Respeet 
vor  der  Societät  gewann  und  nur  einige  ihrer  Mitglieder  persönlich 
hochachtete,  war  doch  auch  ihre  eigene  Schuld.  Nach  Leibnizcus 
Tode  wurde  ihr  Zustand  wo  möglich  »noch  schläfriger«^,  und  die  5 
ziemlich  dünnen  Bände  Miscellanea,  die  sie  in  den  Jahren  17  13  bis 
I  740  hat  erscheinen  lassen  —  die  einzigen  Zeugnisse  ihres  Lebens  — , 
sind  ihr  vom  Könige  gleichsam  abgepresst  worden.  Ohne  diesen 
Druck  hätte  sie  vielleicht  gar  nichts  geleistet  als  Kalender.  Von 
einem  bedeutenden  Einfluss  der  Societät  in  Berlin ,  gesclnveige  im 
Königreich  oder  gar  in  Deutschland,  kann  in  allen  diesen  Jahren 
keine  Rede  sein. 

Unter  solchen  Umständen  lässt  sich  keine  »Geschichte«  schrei- 
ben; denn  es  w^uchs  nichts  und  wurde  nichts.  Es  muss  genügen, 
in  knappen  Zügen  die  äusseren  Veränderungen  anzugeben,  welche 
die  Societät  von  Leibnizchs  Tode  bis  zum  Regierungsantritt  Fried- 
rich's  des  Grossen  erlebt  hat,  und  die  wissenschaftlichen  Publi- 
cationen  kurz  zu  charakterisiren ,  in  denen  das  Gedächtniss  an  ihre 
Existenz  in  jenen  Jahrzehnten  bescheiden   fortlebt". 


euern  Schreiben  ersehen,  dass  ihr  abermals  Willens  seid,  einige  Bücher  drucken 
zu  lassen.  Ich  will  solches  durchaus  nicht  liaben.  Werdet  ihr  es  euch  dennoch 
unterstehen,  will  ich  euch  aufhängen  und  eure  Schriften  durch  den  Büttel  ver- 
bi'ennen  lassen").     Der  König  wollte  nicht,  dass  seine  Kriegsräthe  Bücher  schrieben. 

^  Der  Hamburger  J.  Ch.  Wolf,  auswärtiges  Mitglied  der  Societät,  schrieb 
(8.  November  1722)  an  La  Croze  (Thes.  epist.  Lacroziani)  T.  II  p.183):  »Quid  quaeso 
de  scientia  academiarum  [sie]  regia  agitur  apud  vos?  de  ea  nihil  fere  inaudivi  longo 
tempore  .  .  .  Ego  (juidem  eam  intercidisse  quasi  opinatus  fortasse  id  non  egi .  quod 
praestare  debueram?"  Seit  12  Jahren  hatte  die  Societät  nichts  erscheinen  lassen. 
Fünfzehn  Jahre  später  (1737)  schreibt  der  Kronprinz  Friedruh  in  einem  seiner 
vertrauten  Briefe  an  Voltaire  (Qiluvr.  T.  21  p.  76):  »Nos  universites  et  notre  Aca- 
demie  des  sciences  se  trouvent  dans  un  triste  etat;  il  parait  ([ue  les  Muses  veulent 
deserter  ces  climatS". 

-  Aus  frischer  Erinnerung  schi'ieb  Formey  in  seiner  Hist.  de  TAcademie  p.56f. 
Folgendes  (wobei  man  sich  erinnern  muss,  dass  Formey  selbst  für  die  exacten 
Wissenschaften  weder  Sinn  noch  Yerständniss  besass):  »Personne  n'ignore  (pie  le 
regne  du  roi  ne  fut  point  favorable  aux  sciences.  Ce  monanjue.  occupe  de  vues 
toutes  differentes,  et  unicjuement  attentif  k  regier  ses  finances,  et  ä  fomner  des 
troupes  noinbreuses  et  bien  disciplinees,  crut  que  tout  ce  (ju'on  appela  savoir  et 
etude,  n'etait  que  speculations  creuses,  et  temps  perdu  pour  le  bien  public.  Se 
livrant  donc  ä  ce  prejuge,  aucpiel  apres  tout  bien  des  savents  donnent  lieu  par  la 


Die  Protectoren  der  Societät:  vox  Printzen,  von  Creutz,  vox  ^'IERECK.     210 

1. 

Bis  zu  seinem  Tode  am  S.November  1725  führte  der  treffliche 
3Iinister  von  Printzen  das  Protectorat  der  Societät \  Nachfolger 
wurde  der  Minister  von  Creutz  (am  2  i .  November  bez.  24.  Novem- 
ber, 6.  December  1725).  Wie  sein  Vorgänger,  war  er  zugleich  Chef 
des  medicinischen  Collegs.  Jenem  kam  er  weder  an  Talenten  noch 
an  Adel  der  Gesinnung  gleich,  und  die  Societät  bewahrt  in  ihren 
Acten  ein  beredtes  Schweigen  über  ihn ;  aber  man  braucht  nicht 
Alles  zu  glauben ,  was  die  Markgräfin  von  Bayreuth  und  von  Pöll- 
NiTz  in  ihren  Memoiren  von  ihm  erzählen.  Ihm  folgte  nach  seinem 
Tode  (i3.B'ebruar  1733)  am  20.  (bez.  28.)  April  1733  der  Minister 
VON  Viereck.  In  seiner  Bestallung  als  Protector  lieisst  es  ausdrück- 
lich: »Ihr  habt  auch  als  Protector  der  Societät  Euch  von  allem  so 
bei  derselben  vorgehet,  fleissigen  Rapport  thun  zu  lassen,  auch  zu 
urgiren,  dass  von  den  Membris  der  Societät  wenigstens  alle  Jahre 
ein  Specimen  dem  Publico  bekannt  gemachet  und  in  den  Druck  her- 
ausgegeben  werde "' « . 

Im  Gegensatz  zu  seinem  Vorgänger  besass  von  Viereck  ein  wirk- 
liches Interesse  für  die  Wissenschaft  und  ein  warmes  Herz  für  die 
Societät.  Ihm  verdankte  sie  es,  dass  den  unwürdigen  Zuständen 
in  ihrer  Präsidentschaft  ein  Ende  gemacht  wurde  (s.  unten).  Die  So- 
cietät hat  diesen  Dienst  dadurch  anerkannt,  dass  sie  den  4.  Band 
ihrer  «Miscellanea«  (1734)  ihm  gewidmet  hat ^:    »Domino   ac  Maece- 

sterilite  des  recherches  aux(iuelles  ils  se  consacrent,  il  ne  jeta  pas  d'abord  des 
regards  fort  favorables  sur  un  corps  aiissi  etranger  a  ses  desseins  (pie  Tetait  la 
Societe;  et  peu  s'en  fallut  (iu"il  ne  la  supprimät  entierement.  II  courut  pendant 
assez  longtemjxs  des  hriiits  (jiii  annongaient  cette  catastrophe ;  et  les  assemblees  de 
la  Societe  dans  les(|uelles  on  deliberait  sur  ces  bruits,  etaient  fort  embairassees  a 
jireiidre  quel(|ue  parti  (pii  püt  leur  ouvrir  un  acces  au  trone«. 

^  In  der  Societät  hielt  ihm  Gundling  die  laudatio  funebris,  gedruckt  in  dem 
Eln-engedächtnissband  auf  Prixtzex  in  der  Königlichen  Bibliothek. 

^  In  Bezug  auf  sein  Amt  als  Ober-Director  des  medicinischen  Collegs  heisst 
es  in  derselben  Urkunde:  "Im  übrigen  ist  auch  unser  allergnädigster  Wille  und 
Befehl,  dass  wann  ein  Patient  einen  3Iedicum  angenonnnen,  dabei  aber  auch  zu  einem 
andern  JNIedico  oder  Chirurgico  ein  Vertrauen  haben  möchte,  der  erste  bei  Verlust 
der  Practique,  allenfalls  noch  härteren  Strafe,  den  Patienten  desshalb  nicht  verlassen, 
sondern  beide  Medici  zusammen  zu  dessen  Retablissement  allen  Fleiss  anwenden 
sollen.'  (Akademisches  Archiv  und  Geheimes  Staatsarchiv).  Dieselbe  Bestimmung 
findet  sich  schon  in  der  Bestallung  von  CREUxzens.  —  Das  Concept  der  Rede,  mit 
welcher  von  Viereck  das  Protectorat  der  Societät  übernommen  hat  (5.  Juni  1733), 
wii'd  im  Akademischen  Archiv  (»Fundation«)  aufbewahrt  (vergl.  3Iem.  1760  p.  475). 

^  Der  2.  Band  (1723)  ist  von  Printzex  gewidmet.  In  dem  Eloge  auf  von 
ViKRECK,  das  FoRMEV  am  15.  Januar  1759  gelesen  hat  (]Mem.  1760  p. 472  ff.),  heisst  es: 


220  üescliichte  der  Societät  von  1717—1740. 

nati  l)Oiievolentissiino.«  In  der  Zusclirift  T)ekennt  sie,  dass  sie  «amis- 
sione  eorimi  qui  summam  reipublicae  nostrae  literariae  tenuerunt« 
—  sie  denkt  wohl  an  Leibniz  und  von  Printzen  —  »in  eam  per- 
turbationem«  gerathen  sei  »quae  navigantibus  obtingere  solet,  quum 
fato  periit  moderator«,  nun  aber  habe  sie  durch  von  Viereck  ihre 
alte  Kraft  und  ihren  vormaligen  Glanz  (!)  wieder  erlangt;  denn  er 
stehe  inmitten  »dieses  für  die  Wissenschaften  so  frostigen  Jahrhun- 
derts«   als  ein  Patron  und  Freund  der  Musen. 

Der  Protector  hatte  die  Wahlen  zu  bestätigen  und  war  die 
entscheidende  Instanz  in  allen  wichtigen  Fragen,  denn  der  König 
wollte  mit  ihnen  nichts  zu  thun  haben.  Nur  für  die  Finanzver- 
waltung der  Societät   interessirte   er  sich. 

Der  Präsidentenstuhl  der  Societät  blieb  nach  Leibnizcus  Tode 
i6  Monate  unbesetzt.  Dann  (5.  März  17  18)  ernannte  der  König  den 
Ober-Ceremonienmeister  und  Geheimen  Rath  Jacob  Paul  Gundling 
(1673  geb.,  1724  in  den  Freiherrnstand  erhoben)  zum  Präsidenten. 
Dass  er  die  Societät  durch  diese  Ernennung  verhöhnen  wollte,  ist  un- 
richtig. Zur  Verhöhnung  wurde  die  —  freilich  von  vorn  herein  trau- 
rige —  Wahl  erst  durch  das  schimpfliche  Betragen  Gundling's  selbst. 
Der  Sohn  eines  Nürnberger  Predigers,  hatte  er  als  Student  mit  Aus- 
zeichnung seine  Studien  vollendet,  hatte  dann  als  Reisebegleiter  eines 
jungen  Edelmanns  das  geistige  Leben  Deutschlands  an  seinen  Haupt- 
stätten kennen  gelernt  und  war  endlich  von  dem  Geheimen  Staatsrath 
VON  Danckelmann  im  Januar  i  705  als  Professor  des  bürgerlichen  Rechts, 
der  Geschichte  und  Litteratur  an  der  kurz  vorher  gestifteten  Ritter- 
Akademie  in  Berlin  und  als  Historicus  am  Oberheroldsamt  angestellt 
worden.  Acht  Jahre  hat  er  auf's  Fleissigste  gearbeitet  und,  unterstützt 
durch  ein  vorzügliches  Gedächtniss,  sich  sehr  umfassende  Kenntnisse 
in  Geschichte,  Geographie  und  den  verwandten  Disciplinen  erworben. 
Friedrich  Wilhelm  I.  hob  das  Heroldsamt  und  die  Ritter -Akademie 


»Pour  sentii'  tout  le  prix  de  la  conduite  du  Protecteur  de  la  Societe,  il  taiidi'ait 
se  rappeler  ce  qu'etait  alors  la  Societe,  combien  de  contre-temps  eile  avait  eprouve, 
et  combien  eile  en  avait  encore  naturellement  a  craindre.  Je  ne  leverais  pas  im 
bout  du  voile  qui  cache,  et  qui  doit  cacher,  ces  temps  nubileux.  si  je  pouvais  m'en 
dispenser  sans  ingratitude  pour  la  memoire  de  celui  dont  je  fais  l'Eloge,  et  dont 
l'Eloge  interesse  surtout  l'Academie  par  cet  endroit.  M.  de  Viereck  fut  le  Pro- 
tecteur, mais  Protecteur  effectif  de  la  Societe  dans  toute  la  force  du  terme;  il  fut 
le  sage  jjilote  d"une  nacelle  battue  des  tlots,  il  la  preserva  du  naufrage,  et  la  con- 
duisit  jusqu'au  port  assure  de  ce  renouvellement  qui  l'a  mis  pour  jamais  ä  Tabri 
des  ecueils  et  des  tempetes.  11  agit  en  veritable  pere  de  cette  Societe ,  en  ami  gene- 
reux  et  alfectionne  de  tous  ceux  qui  la  composaient". 


Der  Präsident  Gundling.  221 

auf,  und  Gundling  war  brotlos.  Dieses  Erlebniss  war  das  Verhängniss 
des  schwachen  und  charakterlosen  Mannes.  Er  verfiel  dem  Wirthshaus 
und  unterhielt  und  belustigte  die  Stammgäste  durch  Anekdoten  und 
politisch -geschichtliche  Erzählungen,  die  er  mit  grotesken  Witzen 
verbrämte.  Durch  dieses  Talent  wurde  er  in  der  Stadt  bekannt,  und 
noch  im  Jahre  i  7  i  3  ernannte  ihn  der  König  zu  seinem  Zeitungsrefe- 
renten und  Hofrath.  Die  Stellung  war  eine  ganz  bedeutende,  und 
wenigstens  das  lässt  sich  zu  Gundling's  Lobe  sagen,  dass  er  sie  nicht 
zum  Schaden  Anderer  —  obgleich  er  zeitweilig  wirklich  einfluss- 
reich war  —  missbraucht,  vielmehr  sich  bestrebt  hat,  einiges  Nütz- 
liche und  Gute  zu  stiften.  Er  wurde  dem  Könige  bald  unentbehr- 
lich ^  aber  nicht  nur  als  ein  Mann  von  ausgebreiteten  Kenntnissen 
und  einem  zutreffenden  Urtheil  in  politisch -ökonomischen  Fragen, 
sondern  leider  auch  als  Zielscheibe  der  rohesten  Spässe  im  Tabaks- 
collegium;  denn,  dem  Weine  nicht  widerstehend  und  systematisch 
zum  Trinken  gezwungen ,  verlor  er  bald  allen  Halt  und  liess  sich 
die  Rolle  des  lustigen  Raths  und  gelehrten  Hofnarren ,  den  man 
anhörte  und  prügelte,  gefallen.  Doch  hatte  er  nach  drei  Jahren 
noch  so  viel  Kraft,  sich  der  entsetzlichen  Lage,  in  die  er  gerathen 
WRv,  durch  die  Flucht  zu  entziehen.  Als  er  dann  zurückgebracht 
worden  war,  wurde  seine  Stellung  zeitweilig  eine  erträglichere.  In 
den  Jahren  171 7  —  1 719  benahm  er  sich  etwas  würdiger,  und  der 
König,  obgleich  er  ihn  stets  als  gelehrten  Narren  behandelte,  zeigte 
doch  mehr  Respect.  Er  verhöhnte  ihn  freilich  einerseits,  indem 
er  ihm  eine  Reihe  hochtönender  Hofämter -Titel  verlieh,  oder  viel- 
mehr, er  verhöhnte  damit  das  Hofceremoniell :  aber  andererseits  war 
es  kein  Scherz,  wenn  er  ihm  Sitz  und  Stimme  in  verschiedenen 
Landescollegien  gab,  das  Seidenwesen  ihm  unterstellte"'  und  ihn 
auch  zum  Präsidenten  der  Societät  ernannte.  Der  König  gab  wirk- 
lich etwas  auf  sein  Urtheil  und  glaubte  in  ihm  den  rechten  Mann 
zur  Leitung  solcher  Wissenszweige  gefunden  zu  haben ,  deren  Ver- 
treter ihm  nur  durch  Polyhistorie  und  durch  die  Fähigkeit,  witzig 
zu    unterhalten    und    spielend    zu    belehren,    erträglich    erschienen. 


^  Treffend,  spricht  Bartholmess  (Hist. I  p.90)  von  den  »etranges  relations  entre 
deiix  esprits  baroques,  egalement  niais  diversement  bizarres«. 

^  Die  Cabinetsordre  vom  19.  Februar  1718  abgedi-uckt  })ei  Förster,  Friedrich 
Wilhelm  1.  i.  Bd.  1834  8.260!".  Die  S.  261  abgedruckte  Königliche  Erbverschrei- 
bung  an  Gvxdling  ist  bereits  scherzhaft  zu  verstehen.  Gundling  machte  übi-igens 
wirklich  jNIiene,  sich  des  Seidenbaues  anzunehmen,  s.  seinen  Brief  vom  10.  März 
1718  an  Lt;DE\vifi  im  Geheimen  Staatsarchiv. 


222  Geschichte  der  Societät  von  1717—1740. 

Allein  vom  Jahre  17  19  ab'  sank  Gundling  wieder  immer  tiefer  und 
wurde  dementsprechend,  obgleich  nun  Freiherr  und  Kammerherr, 
immer  roher  behandelt.  Dennoch  fand  er  bei  allen  Ausschweifungen 
und  Erniedrigungen  Zeit,  in  den  letzten  15  Jahren  seines  Lebens 
eine  stattliche  Anzahl  (fast  zwei  Dutzend)  historische  und  statistisch- 
geographische Arbeiten  zu  verfassen"  und  einen  Codex  diplomaticus 
Brandenburgicus  aus  mehreren  Tausenden  von  Urkunden  anzulegen. 

Jene  geschichtlichen  Werke  sind  nicht  unbedeutend;  sie  grün- 
den sich  auf  archivalischen  Studien.  »Gundling  ist  einer  der  ersten, 
die  nach  dem  Vorgang  des  grossen  Samuel  Pufendorf  die  Bedeutung 
der  Urkunde  als  Grundlage  der  Geschichtschreibung  voll  würdig- 
ten^«, und  auch  seine  geographisch-statistischen  Zusammenstellungen 
gehören  zu  den  ersten  in  ihrer  Art.  Wäre  er  nicht  ein  moralischer 
Schwächling  gewesen  und  ein  Lump  geworden,  seine  Kenntnisse 
und  sein  gesundes  Urtheil^  hätten  ihn  zu  der  Stellung  als  Präsident 
der  Societät  wohl  befähigt. 

Dreizehn  Jahre  lang  hat  dieser  Mann  als  LEiBNizens  Nachfolger 
an  der  Spitze  der  Societät  gestanden;  je  tiefer  er  sank,  desto  tiefer 
sank  auch  das  Ansehen  der  Societät  bei  Hofe.  Einige  Anläufe  hat 
er  genommen ,  ihre  Rechte  beim  König  zu  schützen  und  wissenschaft- 


'  Dass  er  bis  daliin  keineswegs  nur  komische  Figur  gewesen  ist,  zeigt 
seine  Verheirathung  im  Jahre  17 18  mit  der  Tochter  des  Legationsratlis  de  Larrey, 
eines  hervorragenden  Gelehrten  in  BerUn  und  späteren  preussischen  Gesandten  in 
London. 

^    Siehe  die  Titel  bei  Förster,  a.  a.  0.  S.  255f. 

^    IsAACSOHN  in  der  Allgemeinen  Deutschen  Biographie   10.  Bd.  S.  128. 

*  Auch  über  Friedrich  den  Grossen  hat  er  richtig  geurtheilt,  als  dieser  noch 
ein  Knabe  von  13  Jahren  war.  In  einem  Brief  Gundling's  an  den  Secretar  Ja- 
BLONSKi  vom  28.  November  1725  (Akademisches  Archiv;  vergi.  auch  das  Sitzungs- 
Protokoll  vom  27.  Juli  1725)  findet  sich  das  Postscript:  »Des  Kron-Prinzen  K.  Hoheit 
hat  das  Microscopium  höchst  vergnügt  und  wird  ein  Maecenas  sein«.  Der  Kron- 
prinz Friedrich  erwähnt  Gundling  in  der  Gorrespondenz  mit  seinem  Vater  einmal 
(Qiuvres .  T.  27,  3  p.  7f.  vom  12.  Juli  1721):  »Ich  habe  Gundling  bei  mir  zum 
Essen  gehabt,  welcher  mir  Alles  erzählet  und  sehr  lustig  gewesen".  Dass  Gund- 
ling —  die  Societät  kaufte  nach  seinem  Tode  einen  Theil  seines  gelehrten  Nach- 
lasses an  —  sich  um  die  geographisch-topographisch-historischen  Wissenschaften  wirk- 
liche \'erdienste  erworben  hat,  erkennt  auch  Bartholmess  an  (a.  a.  O.).  Mit  Recht 
fährt  er  fort:  »il  donna  l'exemple  de  l'ardeur  et  de  l'habilete,  etonnant  ses  confreres 
plus  d'une  fois  par  des  prodiges  de  memoire,  par  des  eclairs  de  sagacite  et  de 
penetration,  et  leur  faisant  alors  oublier  la  mortification  de  l'avoir  pour  chef". 
Ausführlich  handelt  über  Gundling  Geiger  in  seinem  Werk  »Berlin«  1688— 1840 
Bd.i    S.  2  26  ff. 

'  Die  Bestallungsurkunde  vom  5.  März  s.  im  Urkundenband  Nr.  131;  sie  ist 
nicht  scherzhaft  gemeint,  übrigens  der  Bestallungsurkunde  für  Leibniz  nachgebildet. 


Die  Präsidenten  Gcndling  und  P'assmanx.  228 

liehe  Arbeiten   anzuregen ',   aber  wirklicli  gescbaften  oder  auch   nur 
gefördert  bat  er  nicbts. 

Nach  seinem  Tode  (ii.  April  1731)  —  er  wurde  auf  Befehl 
des  Königs  in  einem  Fass  beerdigt,  das  mit  den  schimpflichsten 
Versen  beschrieben  war"'  —  sollte  es  nicht  besser,  sondern  noch 
schlimmer  werden.  Der  andere  Historicus  und  Spassmacher  des 
Königs,  D,  Fassmann,  der  ganz  verächtliche,  wissenschaftlich  völlig 
unbedeutende  Rivale  Gundling's  —  sie  hatten  die  unwürdigsten  Kämpfe 
und  Balgereien  mit  der  Feder  und  der  Faust  zur  Belustigung  des 
Tabakscollegium  aufgeführt  — ,  schrieb  seinem  Herrn,  er  verzichte 
auf  das  Präsidentenamt  der  Societät,  bäte  sich  aber  die  200  Thlr. 
aus,  die  Gundling  bezogen^,  und  wünsche  daher  Mitglied  der  So- 
cietät zu  werden^.  Es  wurde  ihm  l)ewilligt  und  er  ausserdem,  trotz 
seiner  Ablehnung,  am  25.  April  1731  vom  Könige  zum  Präsidenten 
ernannt".  Allein  schon  nach  wenigen  Wochen  fiel  er  in  Ungnade 
und  verliess  bald  darauf  ohne  Erlaubniss  Berlin*^;  der  König  ver- 
bot der  Societät  (i.  Juni),  ihm  das  Gehalt  auszuzahlen,  bestimmte 
zuerst,  dass  es  dem  Hofrath  Dkost  angewiesen  werden  solle  (16.  Au- 
gust), nahm  am  27.  September  diese  Ordre  wieder  zurück  —  es  solle 
dem  Rentmeister  Albrecht  gezahlt  werden  —  und  erliess  dann  am 
18.  October  1731   folgende  Verfügung': 

S.  K.  ]Maj.  in  Preussen,  Unser  allergnädigster  Herr  befehlen  der  Societät 
der  Wissenschaften  hiermit  in  Gnaden,  diejenigen  fünfzig  Thh\  so  unterm  27.  vSept. 
an  den  Renthmeister  Albrecht  von  Trinitatis  a.  c.  an  quartaliter  zu  bezahlen  geordnet 
worden,  sub  Titulo  Vor  die  sämtliche  Kö  nigl.  Narren  zur  Rechnungs  Ausgabe 
bringen  zu  lassen. 

Signatum  Berlin  den  18.  Oct.  1731. 

Auf  S.  K.  Maj.  allergnädigsten  Special  Befehl 

M.  V.  Viereck     v.  Kebahx. 

Mit  dieser  entsetzlichen  Verhöhnung  der  Societät  —  der  Rech- 
nungsposten bestand  unter  diesem  Titel  bis  zur  Regierung  Friedricii's 


^  So  entwickelte  er  in  einem  Schreiben  an  von  Creutz  den  Plan,  die  Mit- 
glieder der  Societät  sollten  mit  ihm  eine  umfassende  «Geographie«  herausgeben, 
indem  sie  die  einzelnen  Länder  unter  sich  vertheilen  (i  i.  Mai  1727).  Es  wurde 
natürlich   nichts  daraus. 

^    Sielie  Fürster,  a.  a.  O.  S.  276. 

^  Obgleich  die  Präsidentenstelle  ebenso  wie  die  des  Protectors  imbesoldet  sein 
sollte,  so  hatte  Gundling  doch  bald  200  Thlr.  als  Gehalt  empfangen. 

*    Förster,   a.  a.  O.  S.284. 

^    Anzeige  der  Ernennung  im  Akademischen  Archiv. 

^  Er  Hess  im  Jahre  1737  anonym  ein  umfangreiches  Buch  drucken:  »Leben 
und  Thaten  .  .  .   Friederici  "Wilhelmi". 

'     Dieses  und  die  Belege  für  die  folgenden  königlichen  Bestimmungen  im  AkaÄ^ 
demischen  Archiv  bez.  im  Geheimen  Staatsarchiv. 


SiftVÄ» 


224  Geschichte  der  Societät  von  1717—1740. 

des  Grossen  (s.  unten)  —  begnügte  sich  der  König  noch  nicht,  sondern 
er  befahl  am  1 9.  Januar  1732,  dass  sein  Spassmacher,  Graben  zum  Stein, 
ein  entsprungener  Mönch  und  ehemaliger  Feldprediger  (aus  Tirol),  der 
die  Stelle  eines  Vorlesers  und  höheren  Lakaien  heim  König  bekleidete, 
ein  unwissender,  scurriler  Mensch,  der  weder  Gundling's  Kenntnisse 
noch  seinen  Geist  besass  —  «das  anstössige  Haupt  der  Societät« 
nennt  ihn  von  Viereck  in  seinem  ersten  Bericlit  an  Friedrich  II.  — , 
die  Stelle  eines  Vicepräsidenten  der  Societät  erhalten  sollet  und 
dass  ihm  »ein  recht  ansehnliches  Patent  ausgefertigt  werde,  w^orinnen 
dieses  Mannes  sonderbare  Wissenschaften  und  Meriten  in  antiqui- 
tatibus,  re  nummeraria,  der  Geister-  und  Präadamitenlehre,  in  phy- 
sicis,   botanicis  gerühmt   werde""«. 

Wie  er  es  befohlen  hatte,  so  geschah  es.  DerProtector  vonCreutz 
machte  nicht  einmal  Gegenvorstellungen;  die  Societät  erklärte  (16.  Fe- 
bruar 1732)  durch  den  Hofprediger  Jablonski,  dass  sie  gehorsam 
Alles  nach  Wunsch  thun  und  den  Graben  zum  Stein  —  er  hat  nie 
in  Berlin,  sondern  stets  in  Potsdam  gewohnt  und  war  bisher  natür- 
lich nicht  einmal  Mitglied  der  Societät  gewesen  —  introduciren  werde. 
Die  grotesk -komische  Bestallung  für  ihn  ist  als  Probestück  der  könig- 
lichen Witze  öfters  gedruckt  worden.  Wer  der  Verfasser  ist.  weiss 
man  nicht;  aber  die  »Ideen«  sind  gewiss  vom  Könige  angegeben^. 
Als  Scherz  im  Tabakscollegium  ist  das  Schriftstück  lustig  und  harm- 
los, aber  dass  aus  dem  Scherz  Ernst  gemacht  und  die  Societät  ge- 
zwungen wurde,  einen  solchen  Menschen  als  ihren  wirklichen  Vice- 
präsidenten zu  introduciren,  das  ist  in  der  Geschichte  der  Wissen- 
schaften aller  Zeiten   ein  Unicum*.      Soll   man    sagen,    die  Societät 


'  Ihn  zum  fönnlichen  Präsidenten  zu  ernennen,  das  wollte  der  König  der 
Societät  doch  nicht  bieten.  Dieses  Amt  war  vom  i.Juni  1731  his  14.  Juli  1733 
unbesetzt  (s.  unten). 

-  So  schreibt  der  Cabinetssecretär  Schujiacher  im  Auftrag  des  Königs  an 
den  Wirklichen  Geheimen  Etats-  und  Kriegs -Minister  von  Thulemeyer,  und  noch 
an  demselben  Tage  wurde  das  Patent  ausgefertigt.  Der  Graf  Manteuffel  nennt  ihn 
in  einem  Bi'ief  an  den  Kronprinzen  Friedrich  (24.  August  1736;  CEuvres  T.  25  p.481) 
»rincomparable  AstralicuS";  Graben  von  Stein  hatte  nämlich  die  Theorie  aufge- 
stellt (in  seinem  Buche  »Unterredungen  von  dem  Reiche  der  Geister«  1730),  dass 
der  Mensch  aus  Seele,  Leib  und  einem    » Astralgeist"   bestehe. 

^    Siehe  den  Abdruck  der  Bestallung  im  Urkundenband  Nr.  132. 

^  Die  Ernennung  Graben's  vo3i  Stein  zum  Vicepräsidenten  war  nicht  etwa 
nur  eine  nominelle.  Das  Akademische  Archiv  bewahrt  eine  Verfügung  der  Minister 
an  »den  Grafen  von  Stein«  vom  20. August  1732,  das  Inventar  der  Societät  auf- 
nehmen zu  lassen.  Die  Protokolle  zeigen,  dass  er  auch  in  die  Sitzungen  gekommen 
ist.  und  am  12.  Juni  1732  hat  er  seine  Bestallung,  jenes  Nan-enpatent,  in  einer  be- 
glaubigten  Copie  zu  den   Acten   gegeben! 


Der  Hofprediger  Jablonski  wii-d  Präsident  (1783).  22 0 

verdiente  eine  solche  Behandlung,  weil  sie  sie  duldete?  Aher  hätte 
es  irgend  etwas  geholfen,   wenn  sie  sich  gewehrt  hätte? 

Zum  Glück  für  die  Societät  wurde  von  Viereck  im  folgenden 
JaluT  —  wider  seinen  Willen  —  Protector,  und  seine  erste  Amts- 
handlung (iS.Mai  1733)  bestand  darin,  dass  er  die  Ernennung  des 
Hofpredigers  Jablonski  zum  Präsidenten  beim  Könige  durchsetztet 
Am  14.  Juli  1733  trat  der  greise  Mitstifter  der  Akademie  das  Amt 
als  Präsident  an  mit  einer  Zulage  von  100  Thlr.  zu  seinem  ebenso 
grossen  Directorialgehalt.  Ausdrücklich  aber  bemerkte  der  König,  dass 
Graben  von  Stein  als  Vicepräsident  die  unter  dem  Titel  »Vor  die 
sämmtlichen  Königl.  Narren«  stehenden  200  Thlr.  fortbeziehen  solle. 

Unter  von  Viereck's  und  Jablonski's  Leitung  kam  ein  etwas 
frischerer  Zug  in  die  Societät.  Sie  veröffentlichte  nun  doch  wenig- 
stens alle  drei  Jahre  einen  Band  Miscellanea  (1734.  I737-  1740. 
1743).  Mit  dem  letzten  gelehrten  Narren  des  Königs,  Morgenstern, 
wurde  die  Societät  nicht  mehr  behelligt.  Er  wurde  durch  ein  Patent 
vom  I .  September  1737  zum  » Vicekanzler  derer  sämmtlichen  Espa- 
ces  imaginaires«    ernannt. 

Der  Secretar  J.  Th.  Jablonski  starb  am  28.  April  1731  im  7 7. Le- 
bensjahr. Nachdem  er  mehrere  Jahre  als  Reisebegleiter  eines  Prinzen 
von  Berlin  entfernt  gewesen ,  hatte  er  gegen  Ende  des  Jahres  i  7  i  7 
sein  Amt  bei  der  Societät  wieder  aufgenommen,  und  der  König 
bewilligte  ihm  auf  seine  Eingabe  die  einst  entzogene  Hälfte  seines 
Gehalts  wieder''.  Seine  Stelle  blieb  nach  seinem  Tode  zwei  Jahre 
unbesetzt:  dann  erhielt  sie  auf  Antrag  der  Societät  (11. März  1733) 
der  Hofrath  von  Jariges  (geb.  am  13,  November  1706  zu  Berlin, 
gest.  am  9.  November  1770),  der  spätere  Präsident  des  Kammer- 
gerichts und  Grosskanzler  der  Justiz  unter  Friedrich  IL^.  Kurz  vor- 
her war  das  Amt  eines  Rendanten  von  dem  des  Secretars  getrennt 
und  vom  Könige   dem   Professor   und   Hofapotheker  Neumann  ver- 


^  Der  geistliche  Stand  Jablonski's  diente  ihm  bei  der  Gemüthsverfassung, 
in  der  sich  der  König  damals  befand,  zur  Empfehlung.  Barxholmess  (I  p.  120) 
A'ermuthet,  dass  der  König  auch  Gewissensbisse  gehabt  habe  des  burlesken  Leichen- 
begängnisses wegen,  das  er  für  Gundling  veranstaltet  hatte. 

^  Oixlre  vom  28.  März  1720.  Im  December  1725  wurde  ihm,  weil  er  alterte, 
ein  Secretarius  adiunctus  in  der  Person  des  Hofraths  Coeper  beigege])en ,  s.  Urkun- 
denband Nr.  138  und  Akademisclie  Pi'otokolle  vom  29.  December  1725. 

^    Er  war  auch  Mitarbeiter  Cocceji's  an  der  Justizreform  und  seit  1755  dessen 
Nachfolger  im  Amt.   (Eloge  von  Formey  in  den  Mem.  1771  p.41— 45).   Friedrich's  IL 
günstiges  Urtheil  über  ihn  siehe  in  den  Oeuvres  T.  20  p.  195  vom  Jahre  1776. 
Geschichte  der  Akademie.    I.  lö 


226  Geschiclite  der  Socit-tät  von   1717—1740. 

liehen  worden  (ii.Mai  1731).  Hier  Latte  der  König  souverän  einge- 
grifien  und  Neumann  eingesetzt,  während  die  Societät  den  bisherigen 
Secretarius  adjunctus  Coeper  wünschte \  Neben  dem  Societäts -Factor 
(Buchdrucker)  erscheint  zum  ersten  Mal  im  Adresskalender  für  i  738 
als  Societäts -Kassirer  David  Köhler.  Im  Jahre  i  735  (Q.Mai)  war  auch 
ein  l)esonderer  Societäts -Bibliothekar  ernannt  worden  (der  erste  war 
J.  W.  Wagner)'.  Die  Veranlassung  dazu  wird  später  mitgetheilt  werden. 
In  dem  Concilium  kamen  folgende  Veränderungen  vor:  an  Stelle 
des  recht  unfähigen  Jägwitz  (17  16-1728)  trat  der  tüchtigere,  aber 
schon  hochbejahrte  des  Vignoles  als  Director  der  mathematischen 
Klasse  (seines  Alters  wegen  bekam  er  d'Angicour  als  Adjunct).  In 
der  deutschen  Klasse  folgte  auf  Schott  im  Jahre  i  7  i  8  der  Kammer- 
gerich tsrath  Schlüter,  dann  seit  1732  der  tretf liehe  Frlsch;  in  der 
physikalisch-medicinischen  Klasse,  in  der  die  Ärzte  dominirten,  folgte 
Henrici  1719^  dem  Krug  von  NmDA  und  wurde  1725  durch  Buddeus 
abgelöst;  neben  ihm  petzte  der  König  am  20.  September  1735  den 
Hofrath  Eller,  ersten  Leibmedicus  und  Director  des  Königlich  me- 
dicinisch- chirurgischen  Collegs,  als  ausserordentlichen  wirklichen 
Director  auch  in  der  Societät  ein;  er  hatte  also  Sitz  und  Stimme  im 
Concilium.  In  der  orientalischen  Abtheilung  blieb  der  Hofprediger 
bis   zum  Anfang  der  Regierung  Friedrich's  IL   an  der  Spitze.      Im 


^  Für  Netjma>'n  war  die  Stelle  lediglich  aus  dem  Grunde  gescliafl'en  worden, 
um  ihm  zu  seinem  spärlichen  Gehalt  von  20oThlr.  (als  Hofapotheker)  weitere  2ooTlilr. 
aus  der  Societätskasse  zuzuwenden.  Als  Neumann  nun  nach  einigen  Jahren  stai'b 
(20.  October  1737)  luid  damals  gerade  die  Societät  wieder  einmal  vom  Könige 
angewiesen  wurde,  200  Thlr.  jährlich  an  zwei  Arzte  zu  bezahlen,  stellte  von  Ja- 
RiGEs  den  Antrag,  die  Rendantenstelle  wieder  mit  der  seinigen  (der  des  Secretars) 
zu  ^'ereinigen  und  ihm  den  Aufwärter  der  Societät,  Köhler,  dem  bereits  der  Debit 
verschiedener  Kalender  von  der  Societät  übertragen  war,  zu  Dienstleistungen  mit 
50  Thlr.  Remuneration  beizugeben.  Dann  könnten  die  150  Thlr.  gespart  und  jenen 
beiden  Ärzten  ausgezahlt  werden;  die  Societät  hätte  nur  50  Thlr.  aufzubringen. 
Der  König  entschied  wesentlich  in  diesem  Sinn  (18.  November  1737). 

^  vSeine  Ernennung  liatte  noch  ein  Vorspiel.  Als  es  beschlossen  war,  dass 
die  Societät  einen  Bibliothekar  erwählen  nn"\sse,  wandte  sich  der  Geheime  Rath 
und  Leibmedicus  Horch,  Mitglied  der  Societät,  an  den  König  und  erwirkte  einen 
königlichen  Befehl ,  seinen  Sohn  mit  200  Tlilr.  Besoldung  als  Bibliothekar  anzu- 
stellen (6.  März  1735).  Die  Societät  machte  eine  Gegenvorstellung  (2.  April  1735); 
sie  erklärte,  Wagner  gebühre  die  Stelle,  der  seit  20  Jahren  für  die  Societät  arbeite; 
auch  thue  es  Wagner  für  100  Thlr.  Der  König  schrieb  an  den  Rand  der  Eingabe: 
"habe  es.    FW«   —  wurden  doch   100  Thlr.  gespart. 

^  Henrici  hatte  sich  direct  l)eini  Könige  um  die  Stelle  beworben;  dieser 
setzte  ihn  ohne  AVeiteres  ein  und  liess  das  fait  accompli  der  Societät  mittheilen 
(3.  Juni  1719),  ohne  ihr  Vorschlagsrecht  zu  respectiren.  Sie  erfuhr  die  Ernennung 
officiell  erst  nach  mehreren  Wochen. 


Veränderungen  im  Personalstand  der  Akademie.  11  i 

Vicepräsidium  wechselten  die  vier  Directoren  jährlich  ab  und  be- 
hielten diese  Ordnung  auch  bei,  nachdem  Graben  von  Stein  zum  Vice- 
Praeses  perpetuus  ernannt  worden  war.  Als  Advocatus  fisci  mit 
loo  Thlrn.^  wurde  am  7.  April  i  740  der  Generalfiscal  Uhden  auf  Vor- 
schlag der  Societät  ernannt.  Der  Astronom  der  Societät,  der  jüngere 
Kirch,  starb  im  Jahre  1740,  nachdem  er  wiederholte  Berufungen 
nach  Petersburg,  wo  eine  Akademie  der  Wissenschaften  nach  Leib- 
Nizens  Ideen  vuid  dem  Muster  der  Berlinischen  eingerichtet  war,  aus- 
geschlagen hatte.  An  seine  Stelle  trat  (i6.Aprili740)  J.W.Wagner-. 
Auf  einem  Blatte  hat  der  Secretar  Jablonski  im  Jahre  1730  ver- 
zeichnet, wie  viele  Mitglieder  in  den  Jahren  1716  — 1729  (einheimische 
und  auswärtige  zusammen)  aufgenommen  Avorden  sind.  Ihre  Zahl  be- 
trug 92^.    Im  Adresskalender  für  1739  erscheint  folgender  Bestand 

der  Societät: 

Protector:   v.  Viereck, 

Präses:    der  Hofprediger  Jabloxski. 

Vice -Präses:    Graben  v.  Steix. 

Secretar:    v.  Jariges. 

Medico -Phj'sik.  Klasse:  Buddeus,  Director;  Barfekxecht.  Carita.  Frisch, 

Grischau,    Holtzendorff,    Horch,    Kirsxetter.    Isl.  M.  Ludolff, 

G.  Fr.  Ludolff,  Marggraf,  Pott,  Schaarschmidt,  Sprögel*. 
Matliem.  Klasse:  Des  Vigxoles,  Director;  Frisch,  Grischau,  Kirch,  Naude, 

J.  W.  Wagner  (zugleich  Bibliothekar). 
Historisch -philol.- deutsche  Klasse:    Frisch,    Director;  Hering,  v.  Jariges 

(zugleich  Secretar),  Küster,  v.  Scharden,  Des  Vignoles. 
Historisch -philol.  kirchl.- Orient.  Klasse:     Jablonski,    Director;     Elsner, 

Frisch^,    Heinius,    Küster,    Noltenius,    Reinbeck,    Stubenrauch, 

La  Croze. 

Abwesende  Mitglieder  werden  116  aufgeführt,  unter  ihnen  Bar- 
BEYRAC,  Bentley,  Joh.  Bernoulli,  Celsius,  Gerike  (Helmstädt),  Gott- 
sched,  Maupertuis,   Sloane,   Chr.  Wolff  (Marburg). 

Die  directe  und  indirecte  Correspondenz  der  Societät  mit  dem 
Könige  ist  unter  Friedrich  Wilhelm  L  grösstentheils  durch  finanzielle 
Zumuthungen  veranlasst  worden.  Der  Monarch,  der  es  überhaupt  unnütz 

^  DuHRAH  verlor  1731  sein  Amt.  s.  Fassmann,  Leben  und  Thaten  Friedrich 
Wilhelm's  (1735)  S.  1038. 

^  Über  Kirch's  verzögerte  Bestattung  s.  Friedrich's  des  Grossen  CEuvr. 
T.21  p.373. 

^  In  den  Jahren  17 16  und  17 17  wurden  keine  Mitglieder  aufgenommen;  im 
Jahre  1729  2;  in  den  Jahren  1718,  1719  luid  1727  je  4;  1720  5;  1722  7;  1721, 
1724,   1728  je  8;   1725  9;   1723   13;   1726   20  Mitglieder. 

*  Sieben  von  diesen  14  iMitgliedern  gehören  auch  dem  Collegium  medico- 
chirurgicum  an;   der  berühmte  Marggraf  erscheint  hier  zum  ersten  Mal. 

'"    Frisch  ist  in  allen  vier  Klassen  und  hat  thatsächlich  für  alle  vier  gearbeitet. 

15* 


228  Gescliichte  der  Societät  von   1717—1740. 

fand,  class  ein  so  werthloses  Institut  wie  die  Societät  das  bedeutende 
Kalenderj)rivileg  besass,  und  der  ausserdem  argwöhnte,  die  Akademie 
sei  reicher,  als  sie  glauben  machen  wolle,  dictirte  ihr  immer  wieder 
neue  Auflagen,  grösstentheils  zu  Gunsten  seines  medicinisch- chirur- 
gischen Collegiums  und  der  Militärärzte.  Dieses  CoUegium  rückte 
er  dadurch  und  durch  andere  Bestimmungen  immer  näher  an  die 
Societät  heran,  augenscheinlich  in  der  Absicht,  den  Etat  desselben 
zu  verbessern.  Die  hervorragenden  Mediciner  wurden  regelmässig 
auch  Mitglieder  der  Societät,  und  die  medicinisch-physikalische  Klasse 
verschmolz  nahezu  mit  dem  medicinischen  CoUegium^  Dass  bei  dem 
damaligen  Stande  der  Wissenschaften,  zumal  in  Berlin,  diese  Politik 
des  Königs  wohl  berechtigt  war,  wurde  bereits  oben  (S.  216)  gezeigt. 
Nach  dem  Tode  Gundelsheiji's  und  LEiBxizens  willigte  der  König* 
ein,  dass  statt  der  1000  Thlr.,  die  die  Societät  bisher  für  das  medi- 
cinisch-physikalische CoUeg  hatte  zahlen  müssen  (sie  besoldete  den 
Professor  der  Anatomie,  zwei  Anatomie -Diener  und  gab  einen  Bei- 
trag für  die  anatomischen  und  chirurgischen  Instrumente),  fortab 
nur  800  Thlr.  erlegt  würden.  Dadurch  wurden  (mit  den  30oThlrn., 
die  Leibniz  gehabt  hatte)  500  Thlr.  frei,  welche  die  vier  Directoren 
mid  der  Fiscal  erhielten.  Am  15.  Mai  171  7  übergab  der  König  das 
anatomische  Theater  ganz  der  Societät,  »es  in  einen  guten  und  nütz- 
lichen Stand  zu  setzen  und  dahin  zu  sehen,  dass  solche  anatomische 
Übungen  zu  bequemer  Zeit  und  gewissen  Stunden  das  Jahr  durch 
beständig  fortgesetzet  werden,  wovon  sie  dann  von  Zeit  zu  Zeiten 
allerunterthänigsten  Bericht  al)statten  soll«.  Dafür  bestätige  der 
König  hiermit  die  Fundation  der  Societät  und  versichere  ihr  bei 
seinem  königlichen  Wort,  dass  derselben  keine  weiteren  Aus- 
gaben, unter  welcherlei  Namen,  Prätext  oder  Schein  es 
immer  sein  möge,  zugemuthet  werden  sollen".  Die  Societät 
beeilte  sich  (2 9. Mai  i  7  i  7)  in  einem  Schreiben  an  von  Printzen,  diesen 
ihren  Protector  zu  bitten,  »die  fast  von  ihrer  Einrichtung  an  sehr 
gedrückte  Societät  bei  der  K.  Gnade ,  deren  sie  diesesmal  eine  eclatante 
Probe  geniesset,  beständig  zu  erhalten«.  Am  14.  August  i  7  i  7  Hess 
der  König  die  vSocietät  seiner  Huld  und  Gnade  versichern,  weil  sie 
seinem  Befehl  das  Theatrum  Anatomicum  betreffend  nachgekommen 


^  Mehrere  königliche  Ordres  sind  an  die  Societät  der  Wissenschaften  und  das 
CoUegium  medico-chii-urgicum  gemeinsam  gerichtet. 

-  Siehe  Urlamdenband  Nr.  133.  Am  5.  März  17 19  erfolgte  dann  eine  könig- 
liche Ordre:  "Wie  es  bei  dem  Etal)lissement  dei-  Anatomischen  Wissenschaften  soll 
üehalten  werden«. 


Vei'hältniss  zum  Collegium  medicuin.     Der  Etat  der  Societät.  229 

sei,  und  als  ihr  auf  Betreiben  Stahl's  am  28.  September  weitere 
Ausgaben  für  medicinische  Zwecke  zugemutliet  wurden  und  sie  Ge- 
genvorstellungen machte,  unter  Hinweis  auf  die  grossen  Kosten,  die 
ihr  die  Anatomie  verursache,  und  auf  die  Ordre  vom  15.  Mai,  da 
zog  der  König  die  neuen  Forderungen  diesmal  noch  zurück'. 

Im  Frühling  des  nächsten  Jahres  befahl  er  ihr,  sämmtliche 
medicinische  Werke  des  Joh.  Doläus  in's  Deutsche  zu  übersetzen, 
und  zwar  binnen  Jahresfrist,  »worauf  wir  sodann  des  Drucks  halber 
Verfügung  thun  werden""«.  Am  2.  April  desselben  Jahres  ordnete 
er  an,  dass  die  Societät  die  Pflege  und  Vermehrung  aller  Gewächse 
in  dem  (von  Gundelsiieim)  zu  einem  Apothekergarten  umgewandelten 
Hopfengarten  übernehmen  solle,  dass  aber  der  Garten  selbst  bei  der 
Hofapotheke  verbleibe^. 

Der  Societät  waren  damit  neue  Ausgaben  anbefohlen;  aber  man 
kann  nicht  sagen,  dass  sie  ausserhalb  ihres  Kreises  lagen.  Sie  re- 
monstrirte  daher  auch  nicht;  als  ihr  aber  einige  Monate  später 
auferlegt  wurde,  dem  vom  König  zum  Commerzienrath  ernannten 
Leipziger  Mechaniker  Leopold  (Leupold)  jährlich  100  Thlr.  zu  zahlen, 
«wegen  des  Schönebeekischen  Salzwesens«,  erklärte  sie  zwar  in 
einer  umfangreichen  Eingabe,  sich  zu  fügen,  bat  aber,  sie  mit  wei- 
teren Auflagen  zu  verschonen,  sie  könne  sonst  das  grosse  Werk, 
welches  sie  vorhabe,  nämlich  eben  jenes  Leopold's  Theatrum  Machi- 
narum Universitatis ,  eine  genaue  Beschreibung  aller  Maschinen 
der  Welt  mit  Abbildungen,    nicht   publiciren'*;   auch  sei  der  König 


^    Siehe  Urkundenband  Nr.  134  und  135. 

-  Ordre  vom  15.  März  17 18.  Motive:  der  König  selbst  werde  die  Übersetzung- 
gern  sehen  und  dem  Publico  sei  sie  höchst  zuträglich.  Es  ist  mir  nicht  bekannt, 
dass  die  Societät  den  Auftrag  ausgeführt  hat.  Doläus  (1651  — 1707)  war  ein  gelehrter, 
aber  in  der  mystischen  Medicin  Paracelsisch-Helmontischer  Eichtung  befangener  Arzt. 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  136. 

*  Diese  Aufgabe  hat  die  Societät  lange  Zeit  beschäftigt  (1718—20),  s.  den 
Fase.  "Revenuen«  im  Akademischen  Archiv.  Der  König  war  dem  Unternehmen 
sehr  geneigt.  Es  sollten  1800  Blätter  in  6  Jahren  mit  Beschreibungen  erscheinen. 
Die  Societät  sollte  die  Kosten  aufbringen;  aber  Leupold  (der  Mechaniker)  meinte, 
das  Werk  werde  sich  glänzend  bezahlt  maclien  und  den  Fundus  der  Societät  ver- 
bessern. jMit  geheinmissvoUen  Vorschlägen  zur  Erhöhung  desselben  drängten  sich  nicht 
Wenige  an  die  Societät  heran.  Einer  will  bereits  während  der  \"erhandlungen  ü])er 
sein  Geheimniss  wöchentlich  einen  Ducaten;  ein  Anderer  weiss  ein  Mittel  (10.  Juli 
1720),  wodurch  die  Societät  das  erste  Jahr  wenigstens  eine  Tonne  Goldes ,  hernach 
aber  jährlich  und  perpetuirlich  den  3.  Theil  davon  ziehen  und  einnehmen  kann. 
Natürlicli  bedingt  er  sich  seinen  Antheil  aus.  Ein  Dritter  schlägt  die  Gründung 
einer  Zeitung  vor:  «Da  die  Societät  insbesondere  die  Ausübung  und  Reinigkeit  der 
teutschen  Sprache  beobachten  und  in  Stand  zu  bringen  auf  sich  hat,  es  aber  dieser 
K.Residenz  zu  nicht  geringem  Ubelstand  gereichet,  dass  die  gedruckten  Zeitungen 


230  Geschichte  der  Societät  von   1717—1740. 

von  böswilligen  Leuten  über  die  Societätskasse  falsch  berichtet; 
jene  sprengten  aus,  es  müsste  in  ihr  viel  Geld  sein,  wenn  es  nicht 
wider  die  Bestimmung  anderweitig  verausgabt  wäre  (28.  September 
1718). 

Allein  als  Antwort  kamen  neue  Auflagen;  der  König  schenkte 
den  »böswilligen  Leuten«  (gemeint  ist  wohl  vor  allem  Stahl)  Glauben, 
Unter  dem  27.  Mai  17  19  befahl  er,  dass  die  Societät  den  Gärtner  des 
Hofapotheken-Gartens,  Michelmann,  jährlich  mit  2  86Thlr.  1 8  Groschen 
besolde,  und  am  24.  und  2  8.0ctober  erhielt  die  Societät  zwei  Schreiben 
der  Amtskammer,  nach  denen  der  König  verfügt  hatte,  sie  solle  die 
ausländischen  Pflanzen  in  den  Gewächshäusern  zu  Oranienburg  und 
Alt  -  Landsberg  abholen  lassen  und  in  Zukunft  für  sie  Sorge  tragen, 
die  dortigen  Gärtner  würden  kein  Holz  mehr  zur  Heizung  der 
Orangerien  erhalten. 

Die  Societät  reichte  diesen  Zumuthungen  gegenüber  dem  Minister 
eine  ausführliche  Eingabe  ein  (23.  December  1 7 19),  wies  auf  ihre 
zahlreichen  Aufgaben ,  die  alle  kümmerlich  vorbereitet  seien ,  und 
auf  die  königlichen  Zusicherungen  vom  15.  Mai,  14.  August  und 
20.  November  17  17  hin  und  erklärte,  dass  die  Gerüchte  über  ihren 
Reichthum  aus  «übelgesinnten  und  heimtückischen  Absichten«  ent- 
sprungen seien.  Um  ihnen  zu  begegnen,  legt  sie  ihrem  Schreiben 
eine  Übersicht  über  Einnahme  und  Ausgabe  für  die  Jahre  i  7  i  7  und 
1718  bei\  Diese  ergiebt,  dass  sie  bei  einem  jährlichen  Etat  von 
etwa  öiooTlilrn.  im  Jahre  17  17  ein  Minus  von  83  Thlrn.,  im  Jahre 
1 7 1 8  ein  Plus  von  666  Thlrn.  gehabt  hat.  Nicht  näher  speciali- 
sirt  ist  der  Posten  »Besoldungen«,  der  im  Jahre  17 17  2000,  im 
Jahre  17 18  1548/rhlr.  betragen  hat.  Doch  wird  ausdrücklich  be- 
merkt, dass  für  17  18  noch  2  5oThlr.  Besoldungen  rückständig  seien, 
und  16  — i70oThlr.  fixirte  Besoldungen  kann  man  nach  den  Acten 
sicher  ausrechnen. 

Die  Eingabe  fruchtete  nichts.  Als  die  Societät  zwei  Jahre 
sj^äter  (2  I.  October  I  72  i)  um  Wiederholung  des  Kalenderprivilegs 
bat,   rechnete  sie    dem  Könio'e  vor,    dass    sie  an    ordentlichen  Auf- 


sowohl  was  die  Sprache  als  auch  was  die  übrigen  Umstände  belanget,  sehr  schleclit 
beschaffen  sind,  u.  s.  w.".  —  Ausserdem  wurden  der  Societät  damals  und  später 
die  verschiedensten  Erfindungen  und  technische  sowie  medicinische  Verbesserun- 
gen zur  Begutachtung  vorgelegt,  z.B.  neue  Stubenöfen,  Verfertigung  von  Hemden 
ohne  Naht.  Verbesserung  von  Kalk  und  Mörtel,  Verhinderung  von  Viehseuclien, 
Mittel  gegen  Weinverfälsclumg  u.  s.  w.  Nur  in  einigen  Fällen  scheint  sie  geantwortet 
zu  haben,  nämlich  wenn  der  König  es  verlangte. 

^    Das  Actenstück  ist  grösstentheils  im  Urkundenband  Nr.  137   abgedruckt. 


Der  Etat  der  Societät.     Neue  Auflagen.  231 

lagen  1036  Thlr.  zu  zahlen  liabe^  und  ihr  ausserdem  die  Unter- 
haltung der  Gewächse  im  Apothekergarten  und  andere  extraordinäre 
Lasten  oblägen. 

Durch  Nachdrucke  und  durch  die  Einschleppung  fremder  Ka- 
lender, ferner  durch  säumige  Buchhändler,  die  die  von  ihnen  ver- 
triebenen Kalender  nicht  bezahlten,  erlitt  die  Societät  empfindliche 
Verluste.  Sie  trug  deshalb  wiederholt  auf  Einschärfung  ihres  Privi- 
legs an.  Endlich  im  December  1723  theilte  ihr  Gundling  im 
Auftrag  des  Königs  mit,  das  Privileg  w^erde  erneuert  werden. 
Wirklich  erschien  das  königliche  Ausschreiben  am  14.  December 
1723".  Jener  Brief  Gundling's  an  den  Vicepräsidenten  ist  auch 
sonst  von  Wichtigkeit.  Er  zeigt,  dass  der  König  —  durch  den 
Chirurgen  Holzendoeff  bestimmt  —  zeitweilig  ein  freundlicheres 
Urtheil  über  die  Societät  gewonnen  hatte,  und  dass  man  allen 
Ernstes  damit  umging,  ein  chemisches  LaT)oratorium  nebst  Audito- 
rium zu  bauen.  Der  König,  heisst  es,  habe  beschlossen,  das  medi- 
cinische  und  physikalische  Departement  zu  erweitern. . 

»dieweilen  auch  ein  Laboratorium  soll  gebauet  werden  und  das  Haus  des 
Hrn.  ScHÜzENS  dazu  soll  genommen  werden,  so  wäre  das  Laboratorium  loco  con- 
gruo  zu  bauen,  das  Haus  aber  zum  Auditorio  zu  aptiren,  wobei  in  Acht  zu  nehmen, 
dass  solches  mit  den  mindesten  Kosten  geschehe,  von  dem  Hausbau  aber  ist  gänz- 
lich zu  abstrahiren.  Die  Operationes  Chymicae  werden  zwar  Impensas  machen, 
jedoch  aber  dürfen  wir  dafür  Douceurs  zu  gewarten  haben,  wann  ^vir  die  Prae- 
paration  und  den  Debit  des  Siegel -Lacks  unice  werden  erhalten.  .  ..i 

»Die  Conchylia,  so  Hr.  v.  Gundelsheim  nachgelassen,  wird  unsere  Natura- 
lien-Kammer erhalten;  wir  wei'den  aber  200  Thlr.,  so  ehemalen  der  Factor  gehabt, 
der  C'hvmie  widmen  müssen.  Ich  suche  Alles  zu  menagiren  .  .  .  Den  grössern  Riss 
vom  Hause  bitte  zurückzuhalten.  Im  sondern  es  ist  genug,  wann  das  Laboratorium 
und  Auditorium  malus  et  minus  wol  angeleget  wird.  S.  K.  Maj.  haben  durch  Hrn. 
Chirurgum  Holzendorff  ein  gnädiges  Concept  von  dem  Fleiss  und  Treu  der  Socie- 
tät erhalten;  redeant  in  aurum  secula  prisca!  Die  CoUection  der  Miscellanea  bitte 
gehorsamst  zu  urgiren;  denn  dieses  wird  hier  pressiret. « 

GüNDLiNG  berichtet  weiter,  der  König  werde  demnächst  kom- 
men und  alle  Räume ,  Naturalien  und  optische  Instrumente  der  Socie- 
tät besichtigen;  Alles  soll  daher  in  guten,  reinlichen  Stand  gesetzt 
werden.  Man  soll  Alles  thun,  »so  das  Anschauen  Potentissimi 
Regis  vergnügen  kann.    Ich  verspreche  fest  der  Societät  etwas  Gutes, 


^  500  Thlr.  dem  Professor  der  Anatomie,  Hekrici,  200  für  die  anatomischen 
Bedürfnisse.  50  für  den  Anatomie -Diener,  100  für  Leupold  zu  Leipzig,  186  fin- 
den Gärtner  Michelmann. 

-  Geichzeitig  wurde  erst  jetzt  die  Fundation  der  Societät  durch  eine  Ur- 
kunde bestätigt  (doch  s.  schon  zum  Jahre  17 17).  —  Der  Kalenderpi-eis  ist  im  Jahre 
1724  etwas  erhöht  worden  (s.  den  Bericht  des  Secretars  von  Jariges  an  von  Viereck 
vom  8.  Juni  1740). 


2H2  Gcschiclite  der  Societät  von  1717—1740. 

wann  der  Fundus  couscrviret  und  erweitert  wird,  denn  ich  schätze, 
dass  400  Thh*.  erfordert  werden,  wobei  Dero  Herr  Bruder  sein 
augmentum  debitum  salarii  mandato  Regis  erhalten  wird.  Der  Maul- 
beer-Garten  im  Societäts-Hof  wird  ein  hortus  botanicus  werden, 
dannen  hero  auf  künftigen  Frühling  locum  commodum  wir  erhalten 
werden.      Der  liebste   Gott  gebe  zu  Allem  sein   Gedeihen«. 

Geld  gab  der  König  nicht,  im  Gegentheil  —  an  demselben 
Tage,  an  dem  er  das  Kalenderprivileg  erneuert  hatte,  verfügte  er, 
die  Societät  solle  dem  Prof.  Buddeus,  Pott  und  dem  Hofapotheker 
Neumann,  jährlich  je  100  Thlr.  bezahlen  und  »der  aus  Frankreich 
gekommenen  Waisenmutter  Motet«  50  Thlr.;  der  Secretar  erhielt 
eine  Zulage  von  ebenfalls  50  Thlrn.  Als  PIenrici  als  adjungirter 
Garnisonsmedicus  nach  Magdel)urg  versetzt  wurde,  bestimmte  der 
König,  er  solle  dort  das  Societätsgehalt  von  300  Thlr.  bis  zum 
Absterben   des  alten  Medicus  weiter  beziehen  \ 

In  finanziellen  Dingen  erreichte  Gundling  also  nichts  für  die  So- 
cietät"; dagegen  hat  er  seinen  an  sich  schon  so  trübseligen  Namen  in 
tiefen  Schatten  versenkt  durch  den  Antheil,  den  er  —  die  Sache  ist 
nicht  ganz  sicher  —  an  Chr.  Wolff's  Vertreibung  aus  Halle  genom- 
men haben  soll.  Zu  den  Gegnern  Wolff's  ,  nicht  aus  Princip,  sondern 
aus  Brodneid,  gehörte  sein  College,  der  Jurist  H.  Gundling  in  Halle. 
Er  soll  nun  seinen  Bruder,  den  Präsidenten  der  Societät,  veranlasst 
haben,  dem  Könige  die  praktischen  Gefahren  des  WoLFr'schen  Deter- 
minismus durch  zwei  befreundete  Generäle  im  Tabakscollegium  dra- 
stisch vorzuführen  —  dass  fahnentlüchtige  Grenadiere  nach  Wolff  nicht 
zur  Verantwortung  gezogen  werden  können,  da  alles  prästabilirt  sei — , 
und  soll  im  Bunde  mit  den  pietistischen  Theologen  jene  berüchtigte 


^  Im  Mai  1727  legte  der  König  der  Societät  eine  weitere  Auflage  auf:  die 
100  Tlilr.,  die  bisher  der  Director  adjunctus  der  mathematischen  Klasse,  d'Angi- 
couR,  der  gestorben  war,  bezogen,  sollte  der  Regimentsfeldscheer  Senf  erhalten. 
Ganz  witzig  schreibt  Gundling  über  diese  Zumuthung  an  den  Protector  von  Creutz 
(11.  Mai),  indem  er  ihm  den  Thatbestand  darlegt  und  ausführt,  dass  die  100  Thlr. 
dem  Winden  Dr.  JÄGwnz  gebühren:  »Es  ist  zu  beklagen,  dass  auch  Herr  Stall- 
meister Beer  sich  gemeldet  (seil,  für  die  100  Thlr.)  und  vermeinet,  dass  weilen 
das  Observatorium  auf  dem  Stall  stände,  die  Pferde  gleichfalls  davon  was  haben 
müssten«.  Die  Societät  machte  auch  ihrerseits  eine  Gegenvorstellung  (4.  Juni),  in 
der  sie  darauf  hinwies,  dass  der  König  selbst  den  Directoribus  adjunctis  100  Thlr. 
ausgesetzt  habe;  aber  dieser  Einwand  hat  schwerlich  etwas  genützt. 

^  Da  er  für  seine  liistorischen  Arbeiten  Medaillen  und  Münzen  brauchte ,  so 
erwirkte  er  einen  königlichen  Befehl,  die  Münzsammlung  Raue's  (eines  Mitglieds 
der  vSocietät)  anzukaufen;  aber  die  Societät  musste  sie  bezahlen.  Immeiliin  fand 
sich   noch  Geld  zu  solchen  ErAverbungen. 


Friedrich  "WiLHELJi  I.   und  Wolff.  2oH 

Calünetsordre  vom  8.  Noveml)er  1723  bewirkt  haben ,  nach  welcher 
Wolff  binnen  zweimal  24  Stunden  bei  Strafe  des  Strangs  Halle  ver- 
lassen musste.  Während  die  WoLFF'sche  Philosophie  in  den  Kreisen 
der  Societät  viele  Anhänger  zählte,  veranlasste  ihr  Präsident,  dass  der 
Philosoph  wie  ein  gemeiner  Verbrecher  ])ehandelt  wurde  I  Die  Freude 
aber  erlebte  die  Societät  nach  zehn  Jahren,  dass  ihr  neuer  Präsident, 
der  Hofprediger  Jablonski,  einen  sehr  wesentlichen  Antheil  an  der 
Rehabilitirung  Wolff's  in   Preussen   nehmen   durfte'. 

Das  wenigstens  erwirkte  Guxdling  noch  für  die  Societät,  l)evor 
er  völlig  A'ersank,  dass  ihre  Bibliothek  von  allen  in  Preussen  er- 
scheinenden Büchern  ein  Pflichtexemplar  erhielt"  und  dass  ihr  das 
Recht  der  Publication  der  Gesetzessammlung  und  geographischer 
Karten   als  Monopol  übertragen  wurde. 

In  der  für  die  Societät  dunkelsten  Zeit  von  1 727-1 733,  unter 
der  Leitung  von  von  Creutz  und  Graben  von  Stein,  kam  es  so  weit, 
dass  die  Akademie  ein  ausführliches  Gutachten  abgeben  musste  über 


^  Der  Hergang  ist  in  neuerer  Zeit  öfters  erzählt  worden,  s.  Erdmaxn,  Die 
Aufklärung  des  18.  und  19.  Jahrhunderts  1849  S.333,  Zeller  i.  d.  Preuss.  Jahi'l). 
1862  S.47,  ScHRADER.  Gesch.  d.  Univ.  Halle  i. Bd.  S.  168  ff.,  211  ff.,  Hettner's  Litt.- 
Gesch.  u.  s.  w.  Nach  zehn  Jahren  schlug  das  Urtheil  des  Königs  vollständig  um. 
Eine  Cominission  von  Theologen,  unter  denen  sich  Jablonski  und  Reixbeck  (unter 
CoccEji's  Vorsitz)  befanden,  sprach  sich  in  jeder  Hinsicht  günstig  über  die  WoLFF'sche 
Philoso})hie  aus,  so  dass  ihn  der  König  wiederholt  nach  Halle  zurückzuführen  ver- 
suchte und  kurz  vor  seinem  Tode  sogar  die  WoLFp'sche  Philosophie  an  den  preussi- 
schen  Universitäten  für  obligatorisch  erklärte.  Erst  Friedrich  dein  Grossen  gelang 
es  im  ersten  Jahr  seiner  Regiei-ung,  den  Philosophen  zur  Rückkehr  nach  Halle  zu 
bewegen.  Förster  in  seinem  Leben  Friedrich  Wilhelm's  I.  1835,  2. Bd.  8.352!'. 
berichtet  nichts  über  den  Antheil  Paul  Guxdlixg's  an  Wolff's  Vertreibung,  sondern 
nennt  nur  die  Namen  der  Generale  a'ox  Natzmer  und  vox  Löbex,  die  Wolff  feindlich 
gesinnt  wai'en  und  mit  den  Theologen  in  Halle  in  Verbindung  standen.  Aber  die 
boshafte  Nutzanwendung  der  WoLFF*schen  Philosophie  auf  desertirende  Soldaten  ist 
doch  wohl  ein  Gi'XDLixo'scher  Witz,  der  den  Generalen  suppeditirt  worden  ist.  So 
stellt  die  Sache  auch  Dexixa  dar  (La  Prusse  litter.  1791  HL  Bd.  S.495).  Das  Aka- 
demische Archiv  enthält  natürlich  über  die  Katastrophe  nichts.  Schrauer  (Gesch. 
d.  Univ.  Halle,  i.Bd.  S.  231)  hält  die  Betheiligung  P.  Gixdlixg's  an  ihr  für  nicht 
erwiesen,  die  Aufstachelung  durch  den  Bruder  für  hiichst  unAvahrscheinlich.  — 
Jabloxski  und  Reixbeck  hatten  schon  kurz  vor  der  Katastrophe  des  Jahres  1723 
(am  29.  October)  ein  für  Wolff  günstiges  Votum  abgegeben,  aber  der  König  hatte 
es  damals  nicht  beachtet.  Über  Reinbeck's  Verhältniss  zu  AVolff  s.  Büschixc;,  Bei- 
träge I.Bd.  1783  S.3ff.,  der  übrigens  GuxDLixci's  Betheiligung  an  der  Vertreibung 
Wolff's  auch  nicht  erwälmt. 

^  Am  30.  October  1724  regte  Guxdlixg  dies  beim  Protector  vox  Prixtzex  an. 
und  bereits  am  31.  October  erschien  die  königliche  Ordre  (erneuert  am  19.  März  1746). 
Man  liatte  dem  Könige  gegenüber  die  ]Motivirung  gebraucht:  "damit  die  jungen  Feld- 
scheerer  mit  nöthigen  Büchern  versehen  und  bei  der  Societät  medicinische.  chirur- 
gische und  andere  dienliche  Bücher  angeschaffet  wei'den  können"  (Geh.  Staatsarchiv). 


234  Geschichte  der  Societät  von  1717—1740. 

den  Bericht  eines  Feldscheers  in  Serbien,  dass  sich  dort  mehrere 
Personen  in  Vampyre  verwandelt  und  Anderen  das  Bhit  ausgesaugt 
hätten,  »solche  seien  auch  zu  Vampyren  geworden«.  Jede  Klasse 
musste  über  diesen  Bericht  für  sich  votiren:  diese  Gutachten  fielen 
übrigens  so  verständig  aus,  als  es  die  auch  in  jenem  Zeitalter  bereits 
absurde  Frage  zuliess\ 

Etwas  bessere  Zeiten  kamen  seit  1733.  Zwar  steigerten  sich 
die  finanziellen  Zumvithungen  des  Königs  unaufhörlich,  so  dass  beim 
Regierungsantritt  Friedkich's  des  Grossen  die  Leistungen  der  Societät 
für  fremde  Zwecke  gegen  2400  Thlr.  betrugen"";  aber  durch  eine 
bedeutende  Schenkung  vergrösserte  der  König  doch  auch  das  wissen- 
schaftliche Inventar  der  Societät  in  sehr  willkommener  Weise.  Er 
überwies  ihr  im  Januar  1735  aus  der  Königlichen  Bibliothek  gegen 
3000  mathematische  und  medicinische  Bücher,  dazu  300  Stück  seltene 
Naturalien  u.  A.  Den  Directoren,  die  sich  für  die  reiche  Gabe  be- 
dankten, schärfte  der  König  ein,  tleissiger  als  bisher  zu  arbeiten, 
damit  der  Zweck  erreicht  werde,  zu  dem  sie  eigentlich  gestiftet 
worden  war.  Die  Societät  solle  sich  auf  solche  Erfindungen  legen, 
welche  capable  wären,  die  Künste  und  Wissenschaften  immer  höher 
empor  zu  bringen,  und  zwar  solche,  die  der  Welt  zum  wahren 
Nutzen  gereichen,  keineswegs  aber  in  blosser  Windmacherei  und  in 
falschen  Träumereien  beständen,  womit  sich  viele  Gelehrte  aufzu- 
halten pflegten^.  Im  Mai  desselben  Jahres  wurde  die  erste  Instruction 
für  den  Societäts- Bibliothekar  (Wagner)  entworfen.  Man  erfährt  aus 
ihr,  dass  der  König  in  Bezug  auf  die  geschenkten  Bücher  bestimmt 
hatte  (Ordres  vom  22.  und  26.  Januar),  «dass  Jedermann  jung  oder 
alt  die  Freiheit  haben  solle,  vorerwähnte  Bücher  in  der  Societäts- 
Bibliothek  zu  gebrauchen,    den   Königl.   Bedienten    aber  solche   auf 


^    Im  Akademischen  Archiv  wird  das  seUsame  Actenstück  aufbewahrt. 

^  Siehe  den  Bericht  vox  Viereck"s  an  den  König  vuni  9.  Juni  1740.  Im 
Jahre  1737  (4.  Juli)  vei'fügte  der  König,  dass  die  Societät  den  medicinischen  Pro- 
fessoren Sprögel  und  Schaarschmidt  je  100  Thh-.  jährlicli  auszahlen  solle.  Auf  den 
Rand  der  Gegenvorstellung  der  Societät  bemerkte  er  lakonisch:  -Sossietet  soll  mit 
der  Ch[arite]  zahlen.  F.  W.«.  Am  19.  Juni  1739  wurde  durch  königliche  Ordre  der 
Leichen  -  Kanon  von  400  auf  500  Thlr.  erliöht;  die  Summe  floss  in  die  Kasse  der 
Societät;  allein  sie  hatte  keinen  A'ortheil  davon;  denn  400  Thlr.  sollten,  wie  bisher, 
die  Pensionair -Feldscheers  erhalten  und  100  Thlr.   sollte  der   Prof.  Sprögel    haben. 

^  Siehe  Förster,  Friedrich  WilheljiL,  1835  2.  Bd.  S.35if.  nach  Fassjiann, 
Friedrich  Wilhelm  1735  S.  543.  Da  der  betreuende  Abschnitt  Fassmann's  augen- 
scheinlich nach  Eingaben  der  Societät  und  königlichen  Kundgebungen  gearbeitet 
ist.  die  wir  jetzt  nicht  mehr  besitzen,  so  ist  er  im  Urkundenband  Nr.  139  abge- 
druckt. 


Bücherschenknng.     Die  Publicationen  der  Societät.  235 

ihren  Zettel  nach  Hause  gelehnet,  desgleichen  gegen  Ausstellung  eines 
sicheren  Scheins  an  Leute  sowohl  in  als  ausserhalb  der  Stadt  bis 
auf  20  Meilen  umher  zum  Lesen  ausgeliehen  werden  dürfen,  ausser- 
halb Landes  aber  niemals«.  Auf  vier  Wochen  können  die  Bücher 
verliehen  werden.  Die  Instruction  bestimmt  aber,  dass  diese  libe- 
ralen Bestimmungen  nur  für  die  geschenkten  Bücher  gelten ;  die  früher 
von  der  Societät  selbst  angeschafften  Werke  sollen  in  einem  beson- 
deren Räume  stehen  und  zum  ausschliesslichen  Gebrauch  der  Mit- 
glieder bleiben,   die  sie  auf  vier  Wochen  entleihen  können  \ 

Im  Jahre  1738  wurde,  zunächst  für  die  elf  jährlichen  Sitzungen 
der  medicinisch- physikalischen  Klasse",  eine  feste,  am  Anfang  jeden 
Jahres  zu  veröffentlichende  Leseordnung  auf  Vorschlag  des  Hofraths 
BuDDEUS  eingerichtet.  Die  zehn  Mitglieder  der  Klasse  verpllichteten 
sich,  in  jedem  Jahr  je  einen  selbständigen  Vortrag  und  ein  Referat 
über  eine  wichtige  litterarische  Erscheinung  in  ihrem  Fache  zu  halten^. 


2. 

Während  der  Regierungszeit  Friedrich  Wilhelm's  I.  hat  die  So- 
cietät nur  5  Bände  Miscellanea  herausgegeben;  zwei  von  ihnen  fallen 
in  die  Zeit  von  Guxdling's,  drei  in  die  von  Jabloxski's  Präsidium. 
Da  die  Philosophie  ganz  ausgeschlossen  war  und  Themata  von  princi- 
pieller  Bedeutung  nicht  behandelt  w^urden,  so  ist  der  neue  Geist 
der  Wissenschaft  nicht  kräftig  in  diesen  Bänden  ausgeprägt,  ver- 
leugnet sich  aber  doch  in  vielen  Abhandlungen  nicht*.    Akademisclie 


^  Akademisches  Archiv,  vergi.  auch  Wilken,  Geschichte  der  Königlichen 
Bibliothek  7.11  Berlin  1828  S.  81.  Am  3.  Februar  1735  wurden  die  Bücher  der  80- 
cietät  übergeben. 

^  Jede  Klasse  hielt  monatlich  am  Donnerstag  je  eine  Sitzung;  im  August 
waren  Ferien. 

^  Siehe  den  \'oi'schlag  im  Urkundenband  Nr.  140.  Er  ist  die  Grundlage  der 
noch  gegenwärtig  geltenden  Ordnung. 

*  Das  Urtheil  Geiger's  (Berlin  1688— 1840  Bd.  i  S.  240):  »(In  der  Zeit  Fried- 
rich Wilhelm's  I.)  waren  statt  Männer  der  Wissenschaft  unwissenschaftliche  Thoren 
Hauptmitgiieder  der  Societät«,  ist  nicht  nur  übertrieben,  sondern  einfach  falsch. 
Die  Hauptmitglieder  waren  stets  respectable  Gelehrte;  .IMissgriffe  bei  Aufnahme  neuer 
jMitglieder  waren  allerdings  nicht  selten,  aber  diese  Dunkelmänner  haben  niemals 
der  Societät  das  Gepi-äge  gegeben.  Noch  unrichtiger  aber  ist  es ,  wenn  Geiger 
weiter  bemerkt:  »Es  erschien  geradezu  als  das  Streben  der  gelehi-ten  Gesellschaften, 
die  Wissenschaft  ins  Burleske  zu  verkehren« ,  und  dann  allen  Ernstes  die  Societät 
für  das  ridicule  Patent  Graben's  von  Stein  verantwortlich  macht.  Sie  hat  stets 
ihre  Behandlung  seitens  des  Königs  als  schwere  Kränkung  empfunden  und  ist  weit 
davon  entfernt  gewesen,  die  Wissenschaft  in"s  Scherzhafte  zu  ziehen  (Bielfeld,  Lettres 


23()  Gescliichte  der  Societät  von   1717— 174(). 

Schönrednerei,  wie  sie  Montesquieu  in  den  Lettres  Persanes  (172  i) 
verspottet  und  wie  sie  sicli  später  in  den  Abhandlungen  so  breit 
gemacht  hat,  vermisst  man  mit  Genugthuung,  freiUch  —  man  ver- 
misst  auch  noch  jene  treffliche  formale  Schulung  des  Geistes,  durch 
die  Frankreich  die  Völker  Westeuropas  im  Zeitalter  Ludwig's  XIV. 
und  des  Regenten  erzogen  hat'.  Der  2.  Band  (1723),  zu  welchem 
die  Mediciner  und  Chemiker  noch  nichts  beigesteuert  haben,  ent- 
hält vornehmlich  mathematische  und  astronomische  Abhandlungen, 
ausserdem  nur  sechs  litterarische,  unter  denen  der  Vorschlag  einer 
Universalschrift  von  D,  Solbrig"  und  eine  Untersuchung  von  Wächter 
über  die  Sprache   des  Codex   Argenteus  hervorzuheben  sind^. 

Endlich  entschlossen  sich  die  Mediciner  und  Chemiker,  nach- 
dem das  Collegium  Medicum  enge  mit  der  Societät  verbunden  worden 
war,  zur  Mitarbeit.  In  dem  3.  Band  (1727)  nehmen  ihre  Abhandlungen 
einen  stattlichen  Raum  ein ,  und  nicht  minder  in  den  folgenden 
Theilen.  Es  ist  die  Schule  Georg  Ernst  Stahl's  (i 660-1  734;  Pro- 
fessor in  Halle  seit  1693,  Leibarzt  des  Königs  in  Berlin  seit  17  16), 
des  grössten  Chemikers  seiner  Zeit,  des  Vaters  der  Phlogiston -Theorie, 
die  nun  zu  Worte  kam.  Jene  Theorie,  von  Lavoisier  widerlegt, 
hat  doch  fast  ein  Jahrhundert  lang  geherrscht  und  sich  fähig  er- 
wiesen ,  die  bisher  zerstreuten  und  unzusammenhängenden  empiri- 
schen Beobachtungen  in  eine  Einheit  zu  fissen  und  neue,  fruchtbare 
Untersuchungen  anzuregen.     Durch  sie  ist  die  Chemie  erst  zu  einer 


T.  II  11.134  .schi'eibt  allei'dings:  »Le  roi  ne  faisait  proposer  de  tenips  ä  autre  que 
des  plaisanteries  a.  laSociete,  et  celle-ci  n'y  repondait  guere  siir  un  meilleur  ton« ; 
aber  als  Beweis  wird  lediglich  die  zweifelhafte  Champagner- Geschichte  mitgetheilt). 
Auch  die  Behauptung:  »Statt  wissenschaftlicher  \'orträge  leistete  man  sicli  eine  Pro- 
duction  Schönemanns«,  der  bei  seiner  Introduction  200  Verse  angeblich  aus  dem 
Stegreife  recitirte  über  das  Tliema  »Gott  ist  das  Licht« ,  ist  aus  der  Luft  gegriffen. 
Solche  poetische  Leistungen  waren  auch  in  der  französischen  Akademie  üblich,  sind 
aber  niemals  an  die  Stelle  wissenschaftlicher  Voi'träge  getreten. 

'■  Der  Kronprinz  Friedrich  schreibt  in  einem  Brief  an  Voltaire  (17.  Juni  1738, 
(Euvres  T.  21  p.  210):  »Les  Memoires  de  l'Acadeinie,  que  je  fais  venir,  seront  ina 
täche  pour  cet  ete  et  pour  rautomne« ,  aber  er  meint  die  der  französischen  Akade- 
mie; die  der  Berliner  hat  er  als  Kronprinz  niemals  erwähnt. 

^  Er  will  die  Begriffe  durch  Zahlen  ausdrücken  und  hat  mit  Beihülfe  der 
Societät  darüber  ein  grosses  Werk  nebst  einem  Lexikon  im  Jahre  1726  in  Salzwedel 
erscheinen  lassen. 

^  Wächter  hat  der  Akademie  nur  zwei  Jahre  (1720— 1722)  angehört;  dann 
siedelte  er  nach  Dresden,  bald  darauf  nach  Leipzig  über.  Hier  hat  er  seine  beiden 
deutschen  Lexika  herausgegeben,  durch  die  er  sicli  um  die  deutsche  Sprache  verdient 
gemacht  hat.  Das  Bestreben,  bei  Worterklärungen  auf  die  älteste  Gestalt  der  Sprache 
zurückzugehen ,  ist  beinerkenswerth. 


Die  PuLIicationeii  der  .Socielät.     Die  Naturforscher.  28/ 

Wissenschaft  geworden,  während  sie  bis  dahin  die  dienende  Magd 
der  Medicin  und  der  Goldmacherkunst  gewesen  war.  Aber  Stahl 
war  nicht  nur  experimentirender  Chemiker,  sondern  auch  Arzt,  und 
seine  Eigenart  bestand  darin,  diese  beiden  Aufgaben  nicht  vorschnell 
zu  vermischen.  Der  Empirie  hat  er  auch  auf  dem  Gebiete  der  Heil- 
kunde gehuldigt,  aber  eben  deshalb  lehnte  er  die  mechanisch -mathe- 
matischen Theorien  seines  Rivalen  Hoff3iann,  die  ihm  in  fremdes 
Gebiet  zu  führen  schienen,  ab  und  suchte  auf  ein  scheinbar  näher 
liegendes  Element,  das  Princip  des  Animismus,  die  Vorgänge  im 
gesunden  imd  kranken  Körper  zurückzuführen.  Unter  den  Berliner 
Naturforschern  und  Ärzten,  die  zugleich  Mitglieder  der  Societät  waren, 
ragen  besonders  der  viel  gereiste  und  mit  den  Gelehrten  des  Aus- 
landes in  Verbindung  stehende  Caspar  Neumann,  der  Hofax^otheker 
(1683 -1737),  Eller,  der  Leibarzt  (1689  — 1760),  vor  allem  aber 
Pott,  der  bedeutende  Chemiker,  der  Erforscher  der  Natur  des  Porzel- 
lans und  Begründer  der  keramischen  Pyrochemie  (1692  — 1777),  her- 
vor. Pott  hat  auch  zuerst  die  Katur  der  Bernsteinsäure  als  eine 
Pflanzensäure  erkannt  und  andere  wichtige  chemische  Entdeckungen 
vorbereitet\  Neben  diesen  Männern  standen  die  trefflichen  Ana- 
tomen BuDDEUs,  ein  Schüler  Boerhave's,  und  Holtzendorff  ,  der  Re- 
formator des  preussischen  Militärlazarethwesens  und  Begründer  des 
Theatrum  Anatomicum,  denen  sich  bald  der  genaue  Beol)achter  J.  Na- 
THANAEL  LiEBERKÜHN  (1711-1756)  zugcselleu  solltc.  Alle  dicse  Ge- 
lehrten befanden  sich  in  scharfem  Gegensatz  zu  den  »Literaten«  und 
den  Franzosen"  der  Societät,  deren  Arbeiten  sie  als  unnütz  und  un- 
solide bespöttelten.  Li  dieser  Haltung  wurden  sie  durch  den  König 
selbst  bestärkt^.  Nur  der  Akademiker  Frisch,  dessen  zoologische 
Untersuchungen  anerkannt  waren,  der  aber  zugleich  als  Sprach- 
forscher und  Historiker  Bedeutendes  leistete,  bildete  ein  Mittelglied 
zwischen  den  beiden  Gruppen  der  Societät,  der  medicinisch-chemi- 


'    Sein  Name  lebt,  allen  bekannt,  in  der   «Pott- Asche«   fort. 

-  Es  gab  allerdings  aucli  einen  Arzt  nnter  den  Mitgliedern  der  Societät,  der 
Franzose  war,  Carita;  aber  von  ihm  sagte  La  Croze  :  -Voiis  savez  le  nom  de  toutes 
les  maladies  en  grec;  vous  n"en  savez  pas  guerir  nne  en  franc^ais.  Votre  art  est 
doublement  muet«   (Bartholmess,  Histoire  I  p.  86). 

^  Umgekehrt  waren  die  »Literaten«  am  Hofe  der  Königin  gern  gesehen  nnd 
waren  znm  Theil  die  Erzieher  der  königlichen  Kinder.  Hier  traf  man  die  Pastoren 
Beausobre  und  Lenfant,  Jablonski  und  Reinbeck  und  die  Franzosen  du  Han, 
La  Croze,  Chauvin,  Naude,  Pelloutier  u.  s.  w.  Für  die  Zurücksetzung  am  Hofe 
des  Königs  entschädigte  sie  einigermaassen  die  Gunst  der  Königin,  und  den  Kron- 
prinzen gewannen  sie  für  ihre  Sache. 


2B8  Gescliiclite  der  Societät  von   1717—1740. 

scheu  und  der  litterarisclien'.  Die  uiatliematiscli-astronomischen  Publi- 
cationeu  standen  nicht  mehr  auf  der  Höhe,  namentlich  seit  des  jün- 
geren Kirch's  Tode"^ 

In  dem  3.  Bande (1727)  haben  Buddeus,  Frisch,  Neumann,  Holtzen- 
DORFF  und  Pott  eine  Reihe  von  Abhandlungen  geliefert^ ;  der  fleissige 
Kirch  jun.  hat  nicht  weniger  als  1 2  astronomische  Aufsätze  beige- 
steuert. In  der  litterarischen  Abtheilung  ist  besonders  die  Münz- 
kunde gepflegt. 

In  dem  4.  Bande  (i  734)  sind  Frisch  und  Wagner  in  der  mathe- 
matischen Abtheilung  die  fleissigsten ,  in  der  litterarischen  ebenfalls 
Frisch,  in  der  medicinisch- naturwissenschaftlichen  Caspar  Neumann 
und  wiederum  Frisch. 

Der  5.  und  6.  Band  (1737.  1740)  haben  ihre  Bedeutung  fast 
ausschliesslich  in  den  naturwissenschaftlich -medicinischen  Arbeiten^. 
Der  unermüdliche  Frisch  veröffentlichte  seine  zuverlässigen  Beob- 
achtungen weiter;  aber  neben  ihm,  Pott  und  Neumann  erscheint  im 
Jahre  1740  bereits  der  junge  A.  S.  Marggraf  mit  einer  Abhand- 
lung über  den  Phosphor  (»Relationes  Phosphori  solidi  versus  me- 
talla  et  semimetalla«).  Unter  den  litterarisclien  Abhandlungen  ragt 
die  von  Brucker  »De  vestigiis  philosophiae  Alexandrinae  in  libro 
Sapientiae«  vor  allen  hervor;  sie  behandelt  ein  Thema,  welches, 
weiter  gefasst,  in  der  Folgezeit  eines  der  fruchtbarsten  auf  dem  Ge- 
biete der  alten  Kirchengeschichte  werden  sollte. 

Was  die  Geisteswissenschaften  noch  nicht  zu  einem  frischen 
Leihen  gelangen  Hess,  das  war  der  Mangel  einer  die  Erkenntniss 
beherrschenden  und  die  Einzeluntersuchungen  bestimmenden  Welt- 
anschauung und  damit  der  Mangel  an  Problemen.  Der  alte  melan- 
chthonische  Betrieb  der  Wissenschaften  war  aufgelöst;  ihre  Emanci- 
pation  von  der  Kirche  und  der  Theologie  war  im  Princip  vollzogen; 
aber  die  Elemente  für  einen  neuen  Bau  waren  noch  zerstreut  und 
besassen  noch  nicht  die  Kraft  durchschlagender  productiver  und  kriti- 


^  Bemerkenswei'th  ist,  dass  Frisch  (in  der  Sitzung  vom  10.  Februar  1734) 
den  Antrag  gestellt  hat,  einen  Theil  der  akademischen  Arbeiten  in  den  Miscellanea 
in  deutscher  Sprache  zu  veröffentlichen.  Der  Antrag  ist  einstimmig  angenommen, 
aber  nicht  ausgeführt  worden  (Akademisches  Protokoll). 

^  Siehe  den  Brief  Euler's  an  vox  Jariges  (7.  September  1742,  Akademisches 
Archiv),  in  welchem  er  schreibt,  die  Astronomie  sei  bei  der  Societät  sehr  in  Ver- 
fall gekommen. 

^    Frisch  besonders  zur  Insecten-  und  Parasitenkunde  (10  Abhandlungen). 

*  Auch  schon  der  Zahl  nacli;  es  sind  40  Abhandlungen,  während  die  litte- 
rai'ische  Klasse  nur  19,  die  mathematische  nur  14  geliefert  hat. 


Die  Piil)Iicationen  und  die  wissenschaftliche  SteUung  der  Societät.        239 

scher  Principien\  Wohl  waren  sie  längst  Besitz  einzelner  hervor- 
ragender Geister,  aber  in  der  ganzen  Breite  der  wissenschaftlichen 
Arl)eit  wirkten  sie  noch  nicht  mit  souveräner  Kraft.  Weder  die 
Philosophie  des  Cartesius,  noch  die  LriBNizens  oder  Spinoza"s  be- 
stimmte den  Betriel)  der  Wissenschaft  überhaupt;  die  Antithesen 
Bayle's  erschütterten  die  Berliner  Akademiker  noch  nicht;  noch  weni- 
ger waren  die  Feinheit  und  der  strenge  Stil  in  der  Ausbildung  litte- 
rariselier  Formen,  wie  sie  Frankreich  lehrte,  in  den  allgemeinen 
Besitz  übergegangen.  Auch  das,  was  die  Engländer  an  Sicherheit 
und  Schärfe  der  Beobachtung  und  an  praktischer  Regelung  des  Lebens 
darboten,  war  erst  von  Wenigen  in  Deutschland  aufgenommen.  Hieran 
lag  es,  dass  die  wissenschaftlichen  Arbeiten  der  Gelehrten  zweiten 
Ranges,  wie  sie  die  Societät  besass,  in  dem  ersten  Drittel  des  1 8.  Jahr- 
hunderts nicht  den  Eindruck  einer  neuen  Epoche  der  Cultur  her- 
vorrufen". 

Aber  eben  in  dem  Jahrzehnt ,  welches  dem  Tode  Friedrich  Wil- 
helm's  I.  vorangeht,  vollzog  sich  der  grosse  Umschwung,  der  bisher 
auf  den  Höhen  des  geistigen  und  wissenschaftlichen  Lebens  statt- 
gefunden hatte ,  auch  in  den  Niederungen  und  riss  Alles  mit  sich 
fort.  Das  System  Chr.  W^olff's  ist  es  gewesen,  in  welchem  die  Auf- 
klärung ihre  erste  universale  Ausgestaltung  in  Deutschland  empfing 
und  den  Sieg  auf  dem  ganzen  »Seh lach tfelde  erstritt.  Scheinbar 
conservativ,  war  es  doch,  gemessen  an  den  alten  Überlieferungen, 
durch  und  durch  radical  und  aggressiv,  da  es  die  Autorität  in  jeder 
Form  negirte,  an  ihre  Stelle  die  Vernunft  setzte  und  die  Geschichte 
nicht  nöthiff  zu  haben  erlaubte^.     Mit  ilim  wirkte  der  von  Ensiands 


^  Man  kann  das  an  der  Haltung  so  bedeutender  Prediger  wie  Jablonski  und 
Reinbeck  studiren.  Sehr  bezeichnend  ist  es  auch,  dass  noch  am  12.  October  1740 
—  also  bereits  unter  der  Regierung  Friedrich's  des  Grossen  —  die  Akademie  dem 
Verfasser  eines  philosophischen  Werks ,  der  ein  Urtheil  iiber  sein  Buch  wünschte, 
die  Antwort  gegeben  hat.  »die  in  dem  Essai  philosophique  enthaltenen  Lehren  seien 
sowohl  den  protestantischen  als  katholischen  Gottesgelehrten  höchst  anstössig,  und 
die  Societät  könne  sich  daher  dieser  und  anderer  Ursachen  wegen  hierüber  mit  ihm 
gar  nicht  einlassen«   (Sitzungs- Protokoll). 

-  Angesehen  blieb  die  Akademie  durch  ihre  Miscellanea  bei  den  auswärtigen 
Gelehrten.  Im  Jahre  1735  bewarb  sich  ^Maupertuis  um  die  Aufnahme ;  Wolff  schrieb 
ihr  1738,  er  habe  die  Absicht,  "Seine  lateinische  Philosophie  der  Societät  zu  über- 
machen«;  in  demsellien  Jahre  fragte  Gottsched  an,  ob  er  seinen  kritischen  Bei- 
trägen, deren  5.  Theil  der  Societät  gewidmet  war,  den  Titel  geben  dürfe:  »Von 
einigen  Mitgliedern  der  K.  Preuss.  Societät  der  "Wissenschaften  in  Berlin«. 

•"'  "Alle  moralischen  Wahrheiten  liegen  in  der  Vernunft;  wir  brauchen  dazu 
so  wenig  eine  Offenbarung,  als  zu  dem  Satz:  2  X  2  =  4"  —  so  sprach  man  in  Tho- 
MAsius'  und  Wolff's  Schule. 


24(.)  Geschichte  der  Societät  von   1717—174". 

Aufklärung  illumiiiirtc  und  sie  umformende  französische  Geist  in 
eigenthümlicher  Verbindung  zusammen,  um  jene  Culturstufe  lierauf- 
zufüliren,  in  der  das  Mittelalter  in  unserem  Vaterlande  erst  wirklieli 
beseitigt  worden  ist^ 

Die  Societät,  so  wie  sie  eingerichtet  war  und  sich  bis  zum  Jahre 
1740  entwickelt  hatte,  war  trotz  der  hohen  Absichten  ihres  Stifters 
Leiijniz  nicht  das  zweckmässige  Organon  zur  Durchführung  des  Um- 
schwungs geworden".  Beweis  dafür,  wenn  ein  solcher  noch  nöthig 
ist,  ist  die  Thatsache,  dass  mit  ihr  concurrirende  wissenschaftliche 
Gesellschaften  und  Unternehmungen  in  Berlin  emporwuchsen,  Sie 
zeigten,  dass  die  Societät  den  Bedürfnissen  nicht  entsprach.  Franzö- 
sische Mitglieder  der  Societät  versammelten  sich  seit  1720  regelmässig 
im  Hause  Lenfant's  und  gaben  als  «Societe  anonyme«  eine  »Biblio- 
theque  Germanique«  heraus,  die  später  als  »Nouvelle  Bibliotheque 
Germanique«  erschien  und  es  bis  auf  25  Bände  gebracht  hat.  Hier 
schuf  sich  das  französische  Element  auf  deutschem  Boden  ein  Organ ^. 
Die  Mediciner  und  Chemiker  gaben  seit  17  17  bis  1732  '>x\cta  Medi- 
corum  Berolinensium  in  incrementum  artis  et  scientiarum  collecta  et 
digesta«  heraus;  eben  deshalb  entschlossen  sie  sich  so  schwer,  für  die 
Miscellanea  der  Societät  Beiträge  zu  liefern.  Im  Jahre  1736  stifteten 
die  Anhänger  der  WoLFF'schen  Philosophie  in  Berlin,  unter  des  Grafen 
VON  Manteuffel  und  des  Propstes  Reinbeck  Führung,  eine  Gesellschaft 
der  Alethophilen  zur  Verbreitung  dieser  Philosophie  und  des  «be- 
gründeten Denkens«*.  Sie  l)edeutete  an  sich  wenig  —  ursprünglich 
war  sie  gegründet  »par  badinerie  plutot  que  dans  une  Intention  se- 
rieuse«  — ,  aber  sie  war  doch  ehi  beachtenswerthes  Zeichen  der  Zeit; 
denn  sie  wies  auf  den  Mangel  hin,  der  der  Societät  der  Wissen- 
schaften anhaftete:  diese  Akademie  war  noch  immer  ganz  unphilo- 
sophisch. Endlich,  wenige  Jahre  später,  bildete  sich  in  den  vor- 
nehmsten Kreisen  Berlins  eine   französisch -litterarische  Gesellschaft, 


^  Auch  der  Höhepunkt  der  Wirksamkeit  Gottsched"s,  in  der  sicli  eine  Com- 
hination  des  Woi.FF"schen  Geistes  mit  französischem  Formensinn  darstellt,  fällt  in 
die  Zeit  1730-1735. 

-  Siehe  Friedrich's.  des  Kronprinzen,  Schilderung  der  Entstehung  und  Ge- 
schichte der  Societät  in  dem  vertraulichen  Briefe  an  Voltaire  vom  6.  Juli  1737,  theil- 
weise  abgedruckt  im  Urknndenhand  Nr.  141.  Ebendort  (Nr.  142)  ist  seine  spätere 
Skizze  der  Geschichte  der  Societät  in  einer  akademischen  Abhandlung  vom  Jahre  1748 
mitgetheilt. 

^    Siehe  Formet,  Souvenirs  I.Bd.  p.37;  Büsching.  Beiträge,  I.Bd.  S.iöff'.  124!'. 

*  Die  Gesellschaft  hatte  sich  den  Spruch  der  Aufklärung  »Sapere  aude«  zum 
^Nlotto  erwählt  und  führte  auf  ihren  Diplomen  die  Namen  von  Leibniz  und  Woi.ff. 


Die  wissenschaftliche  Stelhmg  der  Societät.  241 

die  die  Existenz  der  Societät  der  Wissenschaften  geradezu  bedrohte. 
Wir  werden  sie  im  nächsten  Buch  kennen  lernen. 

Kein  Zweifel  —  die  Societät  in  ihrem  »schläfrigen«  Zustande' 
war  von  dem  Gang  der  Entwickelung  überholt".  Ihre  Lebensfähig- 
keit hing  davon  ab,  dass  sie  eines  der  grossen  Elemente,  in  denen 
der  Fortschritt  des  Zeitalters  gegeben  war,  energisch  aufgriff  und 
die  Protection  desselben  übernahm,  sei  es  nun  die  Wolff'scIic  Philo- 
sophie oder  die  Newton'scIic  Mechanik  oder  die  französische  litte- 
rarische Cultur  oder  eine  eigenthümliche  Verbindung  aller  dieser 
Elemente.     Ein  Reformator  war  nöthig,   und  er  kam  wirklich. 

Am  31.  Mai  1740  schloss  Friedrich  Wilhelm  I.  die  Augen: 
der  einzige  preussische  König,  der  nicht  Protector  der  Societät  ge- 
wesen ist.  Sein  gerader  Sinn  hatte  es  verschmäht,  das  zu  scheinen, 
was  er  nicht  sein  wollte.  Bereits  die  ersten  Erlasse  des  neuen 
Herrschers  aber  zeigten ,  dass  die  Zeit  der  Noth  und  des  Drucks 
für  die  Akademie  nun  vorbei  w^ar.  Die  Nacht  war  vergangen  — 
nicht  mehr  sollte  die  Societät  im  Schatten  des  Theatrum  anatomi- 
cum  ein  kümmerliches  Dasein  fristen^  — ,  und  strahlend  kam  der 
neue  Tag  herauf. 


^  Viele  Mitglieder  kamen  fast  nie  in  die  Sitzungen.  Als  im  Jahre  1727  die 
Exemplare  des  neuen  Bandes  der  Miscellanea  vertheilt  werden  sollten,  schlug  der 
Secretar  vor,  neun  Mitglieder  —  unter  ihnen  La  Croze  —  von  der  Vertheilung 
auszuschliessen,  da  sie  nie  in  den  Sitzungen  zu  sehen  seien  (Sitzungs- Protokoll). 

-  Nur  Eines  blühte  einigermaassen  —  das  waren  die  Finanzen  der  Societät. 
Seit  VON  Jariges  im  Jahre  1733  das  Secretariat  übernommen  hatte,  hatten  sich  die 
Einnahmen  aus  den  Kalendern,  Dank  seiner  Umsicht  (s.  das  Eloge  auf  ihn  von 
FoRMEY  in  den  Mem.  1771  p.  44  f.),  sehr  vermehrt.  Der  Rendant  Koehler ,  obschon 
er  auch  in  seine  eigene  Tasche  arbeitete,  war  ein  sehr  geschickter  Subalternbeamter, 
der  unter  von  Jariges'  Oberaufsicht  den  Vertrieb  der  Kalender  ausserordentlich  zu 
steigern  verstand.  Als  es  sich  im  Winter  1743/44  i^^i^  ^ie  Schliessung  der  alten 
Societät  und  die  Eröffnung  einer  ganz  neuen  handelte,  ist  sie  durch  ihre  gute  finan- 
cielle  Lage  vor  dem  Untergang  bewahrt  geblieben.  Hätte  sie  nichts  besessen,  so 
hätte  man  sie  schwerlich  respectirt. 

^  Bielfeld,  Lettres  famil.  et  autres  T.  II  1763  p.  131.  Maupertuis,  Brief 
an  Friedrich  den  Grossen  (Le  Sueur,  Maupertuis  p. 87)  vom  Herbst  1748:  »Sous  le 
regne  du  feu  roi  la  Societe  des  sciences  n'a  ete  proprement  qu'une  societe  de  Chi- 
rurgie (das  ist  eine  Übertreibung)  et  meme  n'a  jamais  fait  faire  aucun  progres  ä 
cet  art". 


Geschiclite  der  Akademie.    I.  16 


242  Geschichte  der  Societät  von   1700-1740. 


ANHANG. 


.-     Zum  Personalstand  der  Societät  (1700-1740). 

1.  Protector: 

S.  Maj.  der  König  Friedrich  I.  (f  25.  Februar  17  13). 

Der  Staatsminister  von  Printzen  (f  S.November  1725). 

Der  Staatsminister  von  Creutz   (21.  November  1725   bis   13.  Februar 

1733)- 
Der  Staatsminister  von  Viereck  (seit  dem   20.  April  1733). 

2 .  Präsident: 

VON  Leibniz  (f  14.  November  17  16);  seit  dem  7.  August  17  10  stand 
der  Staatsminister  von  Printzen  als  Praeses  honor.  neben  bez. 
über  ihm ;  von  Printzen  war  also  von  i  7  1 3  bis  i  7  1 8  Protector 
und  Präsident  (honor.)  zugleich. 

V.  Gundling  (5 .  März   i  7  i  8   bis   1 1 .  April   i  7  3  i ). 

[Fassmann  (25.  April  1731,  musste   schon  im  Mai  resigniren)]. 

D.  E.  Jablonski  (seit  dem   14.  Juli  1733). 

3.  Vice  Präsident  (neben  den  jährlich  im  Vicepräsidium  wechselnden 

Directoren) : 
Graben  zum  Stein  (seit  dem   19.  Januar  1732). 

4.   Directoren: 

Der  physik.  Klasse:  Krug  von  Nidda  (f  17  19),  Henrici  (3.  Juni  17  19 
bis  1725),  BuDDEUS  (seit  1725);  seit  dem  20.  September  1735 
ist  Eller  überzähliger  Director  (vom  König  eingesetzt). 

Der  mathem.  Klasse :  Cuneau  (f  30.  December  i  7  1 5),  Jägwitz  ( i  7  i  6  bis 

1728),    DES    ViGNOLES    (scit     l  7  2  8). 

Der  deutschen  Klasse:  Schott  (f  i  7  i8),  Kammergerichtsrath Schlüter 

(1718   bis   1732),   Frisch   (seit   1732). 
Der  kirchlich -orientalischen  Klasse:   D.  E.  Jablonski. 


Der  Personalstaiid  der  Societät.  243 

5.   Secretar: 
J.  Th.  Jablonski  (f  28.  April  i  73  i :  sein  Adjunct  in  den  letzten  Jahren: 
Cöper):   von  Jariges   (seit  dem  11.  März  1733). 

6a.  Vollständige  Liste  der  einheimischen  ordentlichen  Mit- 
glieder bis  zur  Mitte  des  Jahres  1713. 
Leibniz  (f  1 4.  November  i  7  1 6) ,  D.E.  Jablonski  ,  Hofprediger  (f 
25.  Mai  1741),  CuNEAU,  Archivrath  (f  30.  December  17  15),  Rabener, 
Hofrath  (f  29.  Januar  1701),  Ancillon,  Legationsrath  (f  5.  Juli  17  15), 
Beer  [Behr],  Oberingenieur  (-j-  nach  i  7  i  5).  —  Achenbach,  Kirchenrath 
und  Hofprediger  (f  1720),  d'Angicour[t],  Königl. Secretar  und  Mathe- 
matiker, Beyer,  Königl.  Bibliothekar  {\  vor  dem  i  i.Juli  1705),  Chau- 
VAIN,  Professor  (7  6.  September  1725),  La  Croze,  Bibliothekar  (f  2  i . Mai 
1739),  Frisch,  Conrector  (f  2 1 . März  1 743),  Gohlius,  Mediciner  (-{-1731), 
Grünberg,  Architekt,  Henrich,  Hofprediger,  F.  Hoffmann,  Mediciner 
(f  12.  November  1742),  J.  H.  Hoffmann,  Astronom  (f  6.  April  17  16), 
J.  Th.  Jablonski,  Secretar  der  Societät  (f  28.  April  1731),  Jägwitz, 
Hofarzt  (f  1727),  Kirch,  Astronom  (f  25.  Juli  i  709),  Krug  von  Nidda, 
erster  Leibarzt  (7  i  7  19),  Liciitscheid,  Kirchenrath,  Marperger  (7  i  730), 
VON  Meisenburg,  Naude  sen.,  Professor  der  Mathematik  (f  7.  März 
1729),  Naude  jun.,  Professor  (f  17.  Januar  1745),  Neukirch,  Professor 
der  schönen  Wissenschaften  (f  1729),  Oelven,  Rittmeister,  Raue, 
Pastor,  Schlüter,  Oberbaudirector  (begab  sich  17  13  nach  Petersburg), 
Schott,  Rath  und  Bibliothekar  (f  12.  December  17  18),  Spener,  Medi- 
ciner (7  I  7  14),  Stapf,  Oberst,  Stercky  [Sterke]  ,  Professor  und  Pastor, 
Sturm,  Hofprediger,  Thormann  [Thermann],  des  Vignoles,  Pastor 
(7  24.  Juli  1744),  Volkmann,  Gj^mnasialdirector  [\  1722),  Wagner, 
Astronom  (7  16.  September  i  745),  Werner,  Director  der  Akademie  der 
Künste   (7   21.  September  i  7  10). 

61).  Liste  der  zwischen  17 13  und  1740  aufgenommenen 
oi'dentlichen  einheimischen  Mitglieder,  die  wirklich  für 
die  Akademie  gearbeitet  haben. 
Christfried  Kirch  (1717  bis  1740),  Gundling  (5.  März  17  18  bis 
1 1 .  April  I  7  3  I ),  Wächter  (24.  Juni  i  720,  siedelte  1722  nach  Dresden 
über),  Seidel  (3.  Juli  1720  bis  8.  Juni  1723),  Neumann  (1721  bis  20. Oc- 
tober  1737),  Pott  (30.  März  1722  bis  29. März  1777),  Elsner  (5. No- 
vember 1722  bis  8.0ctober  1750),  Buddeus  ( i  3 . September  1723  bis 
25.  December  1753),  Holtzendorff  (16.  November  1724,  -1-1751), 
Grischow  [Grischau]   (12.  Juli    1725   bis  10.  November  1749),   Eller 

16* 


244  Geschiclite  der  Societät  von   1700-1740. 

(27.  Juli  1725  bis  1 3 .  September  1760),  Henning  (17.  Juli  1726), 
Küster  (21.  Juli  1728  bis  28.  März  1776),  de  Jariges  (3i.October 
1731  bis  9.  November  1770),  Heinius  (19.  April  1732  bis  8.  August 
1775),  Sprögel  (i  7.  October  I  735  bis  18.  Mai  1760),  Schaarschmidt 
(i7.0ctober  1735  bis  17. Juni  1747),  Horch  (i  5.  Januar  i  738),  Marg- 
graf (19. Februar  1738  bis  7.  August  1782),  Ludolff  sen.  (4.  December 
1738   bis   2  2 ,  October  1763). 

Die  Gesammtzalil  der  Mitglieder  zwischen  1700  und  1740  be- 
trug etwa   70. 

7.   Die  bedeutendsten  auswärtigen  Mitglieder  der  Akademie 

(i  700-1  740)\ 

a.  bis  Mitte  i  7  1 3  :  Barbeyrac,  Basnage,  Bentley,  Jakob  Bernoulli, 
Johann  Bernoulli,  Heinrich  Bernoulli,  Chamberlaine,  Fabricius,  H.  A. 
Francke,  Gothofredus,  Gottsched,  Hartsoeker,  Heineccius,  F.  Hoff- 
mann (Halle),  Römer,   Sloane,  Turretin,  Wolff  (Halle). 

h.  bis  1740:  Celsius,  Clairaut,  Gerike,  Gesner,  P.  E.  Jablonski, 
JussiEU,  Maupertuis,  Reaumur,   Schöttgen. 


'    Die  Zahl  der  auswärtigen  Mitglieder  war  gross  und  betrug  z.  B.  im  Jahre 
1 739  einhundertsechzehn. 


ZWEITES  BUCH. 


GESCHICHTE  DER  ACADEMIE  ROYALE  DES  SCIENCES 
ET  BELLES  LETTRES  FRIEDRICH'S  DES  GROSSEN 

(1740-1786). 


Erstes  Capitel. 

Die    Reorganisation    der    Societät    und    ihre    Vereinigung 

mit    der    »Nouvelle    Societe    Litteraire«    (i  740-1 746):    Die 

Academie  Royale   des  Sciences  et  Beiles  Lettres. 

1. 

»Die  Wissenschaften  und  Künste  sind  auf  den  Thron  gestie- 
gen«  —  das  war  der  Jubelruf,  mit  dem  die  um  Voltaire  geschaarte 
Gemeinde  der  europäischen  Philosophen ,  welche  die  Welt  regieren 
und  reformiren  wollten,  den  jungen  König  begrüsste.  Sie  zählten 
ihn  zu  den  ihrigen.  Seit  vier  Jahren  stand  er  in  lebhafter  Cor- 
respondenz  mit  ihnen,  und  wie  einst  in  den  Tagen  des  Konstantins 
die  neuplatonischen  Philosophen  auf  Julian  blickten,  der  der  Bar- 
barei der  Kirche  ein  Ende  machen  und  das  goldene  Zeitalter  herauf- 
führen werde,  so  schauten  jene  Männer  auf  Friedrich  und  sein  Rheins- 
berg: »Ex  Oriente  lux!«  »Votre  Majeste  ou  Votre  Humanite«,  so 
redete  Voltaire  den  Monarchen  an  in  dem  ersten  Brief,  den  er  nach 
der  Thronbesteigung  an  ihn  gerichtet  hat\ 

Friedrich  kannte  die  Hoffnungen,  die  auf  ihn  gesetzt  waren, 
und  wollte  die  Philosophen  und  die  Dichter  nicht  enttäuschen;  hatte 
er  doch  noch  dreizehn  Tage  vor  seinem  Regierungsantritt  im  An- 
gesicht des  Thrones  an  Voltaire  geschrieben:  «Je  vous  assure  que 
la  Philosophie  me  parait  plus  charmante  et  plus  attrayante  que  le 
trone;  eile  a  Tavantage  d*un  plaisir  solide;  eile  Temporte  sur  les 
illusions  et  les  erreurs  des  hommes""«.  In  der  That  —  der  Freund- 
schaftsbund mit  den  gleichgestimmten  Geistern,  der  Austausch  mit 


^  CEuvres  T.  22  p.6  vom  18.  Juni  1740.  Derselbe  Ausdruck  findet  sich  auch 
noch  in  einem  der  letzten  Briefe  (6.  Januar  1778  T.  23  p.  419). 

^  (Euvres  T.  21  p.  378  vom  18.  Mai  1740.  Die  Worte  erinnern  an  ähnlich  lau- 
tende seiner  Grossmutter  Sophie  Charlotte. 


248     üeschiclite  dei*  Akadeinie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1740—1746). 

ihnen,  ihr  Beifall  und  Lob,  aber  auch  die  tiefen  Probleme  der  Lebens- 
philosophie und  wiederum  die  Genüsse  jener  feinen  Cultur,  die  man 
damals  auch  «Philosophie«  nannte,  entzückten  seine  Seele.  Aber 
sobald  er  den  Thron  bestiegen  hatte ,  nahm  er  alle  Pflichten  des 
Herrschers  gleichzeitig  auf,   sich  von  jeder  Einseitigkeit  und  jeder 

Abhängigkeit  befreiend. 

>>Non.  ce  n'est  plus  du  mont  Remus. 
Douce  et  studieuse  retraite, 
D'oü  nies  vers  vous  sont  parvenus. 
Que  je  date  ces  vers  confus«, 

schreibt  er  am  12.  Juni  von  Charlottenburg  aus  an  Voltaire \ 
"Car,  dans  ce  moment,  le  poete 
Et  le  prince  sont  confondus. 
Desormais  mon  peuple  que  j'aiine 
Est  l'unique  dieu  que  je  sers. 
Adieu  les  vers  et  les  concerts 
Tous  les  plaisirs,  Voltaire  meme; 
Mon  devoir   est  mon  dieu  supreme, 
Qu'il  [qui  m']  entraine  de  soins  divers.« 

«Ich  bewege  mich  zwischen  zwanzig  Beschäftigungen  und  be- 
klage nur  die  Kürze  des  Tages,  der  vierundzwanzig  Stunden  mehr 
haben  müsste.  Ich  versichere  Euch,  dass  mir  das  Leben  Eines,  der 
nur  für  die  Erkenntniss  und  für  sich  selber  lebt,  unendlich  viel 
begehrenswerther  erscheint  als  das  Leben  des  Mannes,  dessen  ein- 
zige Beschäftigung  sein  darf,  für  das  Glück  der  Anderen  zu  sorgen. 
Ich  arbeite  mit  beiden  Händen,  mit  der  einen  für  die  Armee,  mit 
der  andern  für  das  Volk  und  die  schönen  Künste.« 

Für  die  schönen  Künste  —  zu  ihnen  rechnete  Friedrich  auch 
die  Wissenschaften  in  freier,  vornehmer  Darstellung,  und  dass  ihr 
wirksamer  Betrieb  nur  auf  Akademieen  gedeihen  könne,  Avar  ihm 
nicht  zweifelhaft.  So  hatte  er  bereits  als  Kronprinz  einen  Plan  ent- 
worfen, in  Berlin  eine  neue  Akademie  der  Wissenschaften  und 
Künste  zu  gründen,  und  hatte  schon  Umschau  in  Europa  gehalten, 
um  die  Gelehrten   zu  finden  und  zu  sammeln ,    deren  er   bedurfte". 


^    Oeuvres  T.  22   p.  4  f. 

^  Es  ist  bekannt,  dass  Friedrich  auch  sonst  mit  ganz  bestimmten  und  wolil 
durchdachten  Plänen  den  Thron  bestiegen  hat.  Was  die  neue  Akademie  der  Wissen- 
schaften betrifft,  so  kommt  vor  allem  der  Brief  an  Voltaire  vom  3.  Mai  1740  —  also 
vier  Wochen  vor  der  Thronbesteigung  —  in  Betracht  ((Euvres  T.  21  p.  369  ff.).  Je 
deutUcher  es  wurde,  dass  das  Leben  Friedrich  Wilhelm's  I.  zu  Ende  ging,  desto 
zudringlichere  Briefe  schrieb  Voltaire.  Einen  besonders  schmeichelhaften  vom 
April  1740  (p.  366 ff.),  in  welchem  er  einen  Traum  erzählt,  beantwortete  der  König 
ebenfalls  mit  der  Erzählung  eines  Traiunes: 


Der  König  forciert  einen  Bericht  über  die  Societät  (6.  Jnni  1740).        249 

Ol)  und  in  welcher  Weise  die  neue  Akademie  an  die  alte  Societät 
anzuknüpfen  sei,  das  war  eine  zweite  Frage.  Zunächst  kam  es  darauf 
an ,  die  rechten  Männer  zu  gewinnen  und  die  alte  Societät  von  dem 
Druck,   der  auf  ihr  lastete,   zu  befreien. 

Bereits  am  6.  Juni  verlangte  der  König  einen  genauen  Bericht 
von  der  Beschaffenheit  des  Fonds  und  der  Einrichtung  der  Societät, 
da  er  gründlich  orientirt  sein  wolle \  Am  S.Juni  lieferte  der  Secre- 
tar  der  Societät ,  von  Jariges  ,  dem  Minister  von  Viereck  das  Material 
für  einen  solchen".  Schon  am  nächsten  Tage  reichte  der  Minister 
auf  Grund  dieser  Vorlage  dem  Könige  den  ausführlichen  Bericht 
nehst  einer  Übersicht  über  den  Etat  ein ,  nicht  nur  die  Einrichtung 
der  Societät  kurz  und  doch  ausreichend  schildernd,  sondern  auch 
eine  Skizze  ihrer  Geschichte  hinzufügend^.  W^eit  entfernt,  den 
kümmerlichen  Zustand  der  Societät  zu  verschleiern,  weist  der  Mi- 
nister vielmehr  deutlich  darauf  hin ,  dass  sie  in  ihrer  gegenwärtigen 
Gestalt  nicht  lebensfähig  sei  und  dass  er  bisher  nicht  mehr  habe 
thun  können,  als  das  Schlimmste  abzuwehren.  Er  weiss  aber  auch, 
dass  der  König  nicht  nur  gefragt  hat,  um  orientirt  zu  sein,  son- 
dern   um    zu    helfen.      »Übrigens    ist   Ew.  K.  M.  höchst    berühmte, 


»L'ange  protecteur  de  Berlin, 
Voulant  y  porter  la  science. 
Chercha,  parini  le  genre  humain, 
Un  sage  en  qui  sa  confiance 
Des  beaux-arts  reniit  le  destin« ,  etc. 
Er    findet    natürlich  Voi/rAiRE;    dann  fäiirt  Friedrich  in  Prosa  fort:    »Cet  ange.  ou 
ce   genie   de   la  Prusse.   n"en    resta    pas    la;    il  voulait,  ä  quelque  prix  qua  ce  fiit, 
vous  engager  ä  vous  mettre  ä  la  tete  de  cette  nouvelle  Academie  dont 
le  reve   fait   mention.      Je  lui  dis  que  nous  n'en  etions  pas  encore  oü  nous  en 
croyons  etre; 

"Car  que  peut  iine  academie 
Contre  l'appät  de  la  beaute.^ 
Le  poids  seul  que  donne  Emilie 
Entraine  tout  de  son  cote.« 
Hiernach  ist  es  nicht  zweifelhaft,  dass  Friedrich  schon  vor  seiner  Thronbesteigung 
den  Plan    einer   neuen  Akademie   gefasst   hat.     Den    Gedanken,  Voltaire    an    ihre 
Spitze  zu  setzen,  darf  man  nicht  allzu  ernsthaft  nehmen;  denn  Friedrich  wusste,  dass 
Voltaire  sich  damals  nicht  von  seiner  Freundin,  der  Marquise,  trennen,  und  diese 
nicht  nach  Berlin  kommen  würde. 

Immerhin  aber  hat  Friedrich  in  diesem  Brief  Voltaire  Aussicht  auf  die  Präsi- 
dentenwürde in  der  neuen  Akademie  gemacht.  Voltaire  hat  das  gewiss  niemals 
vergessen  (vergi.  seinen  Brief  vom  i8.  Juni  1740,  s.  unten),  und  das  erklärt  sein 
späteres  Verhalten  zu  Maupertuis. 

^  Siehe  Urkundenband  Nr.  143. 
^  Siehe  Urkundenband  Nr.  144. 
^    Siehe  Urkundenband  Nr.  145. 


250     Gesoliiclite  der  Akademie  unter  Friedkuu  dem  Grossen  (1740—1746). 

gnädige  Intention  vor  die  Aufnahme  der  Wissenschaften  so  bekannt 
und  weltkundig,  dass  derselben  das  Wort  zu  reden  oder  einige 
unmassgebliche  allerunterthänigste  Vorschläge  zu  thun,  eine  Ver- 
wegenheit sein  würde.«  Er  sollte  sich  nicht  täuschen.  Bereits  am 
I  I.Juni  beantwortete  der  König  den  Bericht^: 

"Ich  habe  resolviret,  dass  in  dem  Etat  von  nun  an  die  odiöse  Ausgabe  »Vor 
die  sännntUchen  Königliclien  Narren"  cessiren  soll  .  .  .  Ich  werde  auch  noch  ferner 
vor  obgedachte  Societät  alle  Vorsorge  tragen  und  derselben  von  Meine  Hulde  und 
Protection  reelle  mai-que  zu  geben  nicht  ermangeln.« 

Damit  war  der  Bann,  der  auf  der  Societät  27  Jahre  gelastet 
hatte,  gebrochen.  Der  König  kündigte  ihr  ein  neues  Zeitalter  an! 
Welche  Em2)findungen  mag  diese  Botschaft  in  dem  greisen  Präsi- 
denten der  Societät,  dem  Hofprediger  Jablonski,  erweckt  hal)en, 
der  sie  vor  40  Jahren  mitgestiftet  und  die  bösen  Tage  vom  An- 
fang bis  zum  Ende  durchlebt  hatte!  Seine  Antwort  (vom  17.  Juni) 
an  den  Minister,  der  ihm  das  Königliche  Schreiben  mitgetheilt,  ist 
voll  Dankes,  aber  verhehlt  nicht,  dass  sich  die  Societät  nun  auch 
ihrerseits  aufraffen  müsse'. 

Allein  mit  dem  Aufraffen ,  auch  wenn  sie  es  noch  vermocht 
hätte ,  war  es  nicht  gethan !  Nicht  nur  waren  ihre  besten  Mitglieder, 
wie  Frisch  und  des  Vignoles  ,  alt  geworden  und  jüngere  treffliche 
Kräfte  spärlich^,  sondern  auch  ihre  Verfassung  und  ihre  Einrichtung 
entsprachen  der  Aufgabe  der  Gegenwart  nicht.  Sie  bildete  keine 
Gelehrtenrepublik,  sondern  wurde  von  den  Directoren  bevormundet; 
weder  die  Wolff'scIic  noch  die  französisch -englische  Philosophie  — 
die  beiden  Grossmächte  des  Zeitalters  —  regierten  in  ihr;  das  Vor- 
herrschen der  medicinischen  Abtheilung  liess  sie  untergeordnet  er- 
scheinen, und  die  theologisch -kirchlichen  Aufgaben,  die  ihr  von 
ihrem  Ursprung  her  gestellt  waren ,  galten  als  veraltet.  Aber  über  das 
alles  —  sie  entbehrte  des  Zusammenhangs  mit  der  vornehmen  höfi- 
schen Welt,  die  die  höhere  Cultur  damals  beherrschte.  Es  fehlten  ihr 
Esprit,  Geschmack  und  Grazie.  In  schwerfälligem  Latein  schritt  sie 
daher,  »pedantisch«,  während  sich  bereits  der  Bund  der  englischen 
exacten  Philosophie  mit  dem  elastischen  und  schlagfertigen  Geiste  der 


'    Siehe  Urkundenband  Nr.  146. 

^    Siehe  Ui'kundenband  Nr.  147. 

^  Lieberkühn,  der  Mikroskopiker  und  Anatom,  dessen  Bedeutung  dem  schar- 
fen Auge  des  Kronprinzen  nicht  entgangen  war  (s.  den  Brief  an  Voltaire  vom 
4.  Deceinber  1739,  CEuvres  T.  21  p.337,  und  das  Schreiben  an  Algarotti  von  dem- 
selben Datum,  Oeuvres  T.  18  p.  7  vergl.  p.6o  und  T.13  p.6o,  T.  2  p.35).  war  noch 
nicht  Mitglied  der  Societät:  er  wurde  es  aber  bald  dfirauf.  Formey  in  seinem 
Eloge  auf   ihn  (Mem.1756  p-5i9  — 532)  nennt  ihn  mit  Recht   «Philosophe- Artiste«. 


Der  König  ruft  die  Koryphäen  der  Wissenschaft  nach  Berlin  (1740).      251 

Franzosen  und  ihrer  durchsichtigen  Sprache  vollzogen  hatte  und 
in  den  höheren  Kreisen  keine  Erkenntniss  Aufnahme  fand,  die  nicht 
in  Anmuth,  Witz  oder  Ironie  getaucht  und  von  gefälligen  Formen 
umflossen   war. 

Deshalb  Hess  der  König  in  denselben  Tagen,  da  er  die  alte 
Societät  vom  Druck  befreite,  seine  Einladungen  ergehen  an  die  Kory- 
phcäen  der  Wissenschaft  und  der  schönen  Litteratur,  sich  nach  Berlin 
zu  begeben  und  eine  glänzende  Gelehrtenrepublik  zu  begründen. 
Der  Rheinsberger  Freundeskreis  Friedrich's  reichte  dafür  nicht  aus. 
Zwar  Jordan,  der  frühere  reformirte  Prediger,  der  Vielgereiste, 
Weltkundige,  war  ein  wirklicher  Gelehrter  und  ein  vortrefflicher 
Cabinetssecretär  für  die  litterarischen  Absichten  des  Königs'.  Wie 
er  ihn  in  Bezug  auf  die  französische  Litteratur  auf  dem  Laufenden 
hielt,  so  bemühte  sich  von  Stille,  dem  Monarchen  Literesse  für  die 
modernen  Erscheinungen  der  allerdings  noch  unsäglich  dürftigen 
deutschen  Litteratur   einzutlössen  und  sein  Pflichtgefühl    auf  dieses 


^  Über  Charles  Etienne  Jordan  (geb.  zu  Berlin  am  27.  August  1700,  gest.  am 
23. Mai  1745)  s.  die  Allg.  Deutsche  Biogi'aphie.  14. Bd.  8.5040'.,  Koser.  Friedrich  der 
Grosse  als  Kronprinz  S.i28f.  252.  Nach  dem  Tode  seiner  Frau  gab  er  seine  Prediger- 
stelle auf,  machte  grosse  Reisen  und  trat  zu  bedeutenden  Gelehrten  in  Frankreich, 
Holland  und  England  in  persönliche  Beziehungen,  s.  seine  Histoire  d'un  voyage  litte- 
]-aire,  fait  en  1733  (ä  la  Haye,  1735).  Der  Wolffianer  und  frühere  sächsische  Minister 
VON  Makteuffel  empfahl  ihn  dem  Kronprinzen,  der  ihn  nach  Rheinsberg  zog  und 
bald  zu  seinem  Vertrauten  machte.  Jordan  übersetzte  Wolff's  iMoral  für  den  Kron- 
prinzen in"s  Französische  und  corrigirte  die  französischen  Arbeiten  seines  Gebie- 
ters ("Jordan,  mon  critique  et  copiste«).  Daneben  aber  arbeitete  er  selbst  weiter 
und  suchte  namentlich  das  Andenken  La  Croze"s  durch  eine  umfangreiche  Mono- 
graphie über  ihn  (Amsterdam,  1741)  lebendig  zu  erhalten.  Nach  der  Thronbesteigung 
betraute  Friedrich  den  Freund  mit  Aufgaben ,  in  denen  Jordan  sein  Wissen  und 
seine  praktisch- organisatorischen  Talente  zugleich  verwerthen  konnte,  fand  aber 
doch  nicht  die  rechte  Stellung  für  den  trefflichen  INIann.  Erst  sechzehn  Monate  vor 
seinem  Tode  wurde  er  zum  \'icepräsidenten  der  neuen  Akademie  ernannt;  er  hat 
ihr  leider  keine  Dienste  mehr  leisten  können.  Der  frühzeitige  Tod  Jordan's  war 
für  den  König  ein  schwerer  Schlag,  nicht  nur.  weil  sein  Herz  an  dem  Freunde 
hing,  sondern  vor  allem,  weil  Jordax  durch  seinen  religiösen  Sinn  und  seine  ernste 
Wissenschaftlichkeit  ein  schätzenswerthes  Gegengewicht  bildete  gegenüber  den  Ein- 
llüssen  Voltaire's.  Die  liebenswürdige  und  feste  Weise,  in  der  Jordan  seinen 
Standpunkt  zu  vertreten  wusste,  erfüllte  Friedrich  mit  Respect.  Er  hat  ihm  selbst 
das  ..Eloge«  gehalten  (INIem.  1746  p. 457— 464,  doch  vergl.  dazu  Formey,  Souv.  I 
p.45ff.).  Jordan's  Verhältniss  zur  Religion  und  zur  Aufklärung  geht  am  deutlich- 
sten aus  dem  letzten  Brief  hervor,  den  er  an  den  König  gerichtet  hat  (Oeuvres  T.  17 
p.  264  vom  24. April  1745):  »Je  sens  bien,  dans  la  Situation  oü  je  me  trouve,  la 
necessite  d'une  religion  eclairee  et  retlechie.  Sans  eile,  nous  sommes  les  etres  de 
Tunivers  les  plus  a  plaindre.  V.M.  voudra  bien.  apres  ma  mort,  me  rendre  la 
justice  que,  si  j"ai  combattu  la  superstition  avec  acharnement,  j'ai  toujours  soutenu 
les  interets  de  la  religion  chretienne.  quoiipie  fort  eloigne  des  idees  des  theologiens". 


252     Geschichte  der  Akademie  unter  Frikdiuch  dem  Grossen  (1740—174*)). 

Gebiet  zu  lenken'.  Aber  beide  waren  nicht  productiv,  besassen 
auch  keinen  Namen  in  der  Wissenschaft.  Die  übrigen  Freunde  aber, 
der   gehebte    Keyserlingk"',    Fouque    und   die  Anderen,    konnten    in 


^  Über  Chri.stoi'h  Ludwig  von  Stille  (gel),  zu  Berlin  am  ij.iSepteniber  1696. 
gest. am  i9.0ctoberi752)  s.  die  Allg.  Deutsche  Biographie  36.Bd.S.  24oflf.,  Koser,  a.a.O. 
S.130,  Derselbe,  König  Friedrich  der  Grosse  i. Bd.  S.  168.  259.  264.  273.  285. 
486.633.  Stille,  »gleich  geschaffen  für  die  Wissenschaften  wie  für  den  Krieg, 
fiir  den  Hof  wie  für  die  gelehi-te  Zurückgezogenheit",  genoss  bei  Friedrich  alle 
Vortheile  des  hochgebildeten  Officiers.  Bereits  im  Juni  1740  wurde  er  General- 
adjutant  und  Oberst  und  einige  Jahre  vor  seinem  Tode  Curator  der  Akademie.  Ein 
ausgezeichneter  Militär  und  bis  zu  seinem  Tode  mit  einem  Werk  über  die  Caval- 
lerie  beschäftigt,  fühlte  er  sich  doch  vor  allem  zu  den  schönen  Wissenschaften  im 
Sinne  der  Alten  gezogen  und  hielt  es  für  seine  heilige  Pflicht,  dem  Könige  Interesse 
lind  Fürsorge  für  die  deutsche  Litteratur  der  Gegenwart  einzullössen ,  im  Gegen- 
satz zur  modernen  französischen  Litteratur,  die  er  um  ihrer  Leichtfertigkeit  willen 
verachtete.  Aber  jene  war  noch  zu  unbedeutend  und  Stille's  eigene  Versuche 
Avaren  zu  schwach,  als  dass  er  etwas  Nennenswerthes  zu  erreichen  vermochte.  Da- 
zu kam,  dass  sein  streng  lutherischer  Standpunkt,  dem  er  unvei'hohlen  Aus- 
druck gab,  dem  Könige  ganz  fern  lag.  Auch  in  der  Akademie  hat  Stille  für  die 
Pflege  der  deutschen  .Sprache  und  Litteratur  nichts  zu  thun  vermocht,  nachdem 
Maupertuis  Präsident  geworden  war,  der  kein  Deutsch  verstand.  Immerhin  aber 
gebührt  ilim  das  Verdienst,  nach  Kräften  sich  bemüht  zu  haben,  Friedrich's  Ent- 
fremdung von  der  Muttersprache  zu  besiegen  und  Voltaire's  Einfluss  zu  beschrän- 
ken. Der  König,  der  wenige  Monate  vor  Stille's  Tode  ihn  durch  eine  bittere 
Äusserung  tief  verwundet  hatte,  hat  in  seinem  glänzenden  »Eloge«  auf  den  Freund 
(Mem.  1751  p.  I52ff.)  die  Kränkung  gut  zu  machen  versucht:  »II  est  honteux  de 
le  dire,  mais  il  n'en  est  pas  moins  vrai,  qu'on  trouve  rarement  parmi  les  personnes 
de  naissance  des  esprits  aussi  eclaires  que  le  sien,  et  un  merite  aussi  digne  de 
l'Acadeinie,  .  .  .  il  etait  de  ce  petit  nombre  de  gens  qui  ne  devraient  jamais  mourir«. 
Aber  über  Stille's  patriotische  Bemühungen  um  die  deutsche  Litteratur  schw'eigt 
das  Eloge;  nur  sein  ernstes  Interesse  für  die  alten  Klassiker  im  Gegensatz  zu  den 
Modernen  wird  erwähnt. 

^  Dietrich  von  Keyserlingk,  der  dem  Könige  »Alles  war«  (s.die  Allg.  Deutsche 
Biographie  15. Bd.  S.7oif.,  Koser,  Friedrich  der  Grosse  als  Kronprinz  S.  i29f.),  der 
lebhafte  und  bezaubernde  Kurländer  (geb.  am  5.  Juli  1698,  gest.  am  15.  August  1745) 
verdient  hier  eine  Erwähnung ,  weil  auch  er  Mitglied  der  neuen  Akademie  wurde  — 
nicht  um  wissenschaftlicher  Verdienste  willen,  sondern  als  Freund  des  Königs,  und 
weil  er  wie  kein  anderer  durcli  die  Feinheit  seiner  Bildung  und  seiner  Formen 
geeignet  war,  den  ungezwungenen  und  vornehmen  Ton  in  die  Akademie  zu  tragen 
und  sie  vor  kleinlichem  Sinn  zu  be\\ahren.  Ursprünglich  wollte  ihm  der  König 
selbst  das  Eloge  verfassen;  allein  es  kam  nicht  dazu;  Maupertuis  hat  es  entworfen 
und  gehalten  (INIem.  1746  p. 469  — 472).  Über  Bielfeld  s.  unten.  Seinen  verehrten 
alten  Lehrer  Duhan  de  Jandun  liess  der  König  aus  Blankenburg  zu  sich  nach  Berlin 
kommen  und  gab  ihm  eine  sorgenfreie  Stellung.  Er  wurde  nacli  der  Errich- 
tung der  neuen  Akademie  Ehrenmitglied  derselben;  aber  er  konnte  ihr  nichts  mehr 
leisten.  Auch  dem  Könige  ist  der  alte  Hugenotte  nicht  mehr  näher  getreten.  Siehe 
sein  Eloge  in  den  Mcm.  1746  p. 475  — 478.  Hier  heisst  es,  er  habe  »Extraits  pour 
servir  a  l'Histoire  de  Prusse  et  de  Brandebourg"  gemacht.  Hiernach  darf  man  an- 
nehmen, dass  er  dem  Könige  Materialien  für  seine  historischen  Aufsätze  geliefert  hat. 


i 


Der  Freundeskreis  des  Köniüs  und  die  Societät.  253 

keinem  Sinne  den  Gelehrten  zugerechnet  werden,  wenn  sie  auch 
geistreich  und  beweghch  genug  waren,  um  an  jenen  Unterhaltungen 
Theil  zu  nehmen,  in  denen  wissenschaftliche  Fragen  leicht  und 
gefallig  besprochen  wurden.  Der  König  wusste  ganz  genau,  wie 
weit  das  Können  eines  Jeden  reichte  und  wies  ihnen  darnach  — 
nicht  selten  zur  schmerzlichen  Enttäuschung  der  Betheiligten  — 
ihre  PLätze  im  öffentlichen  Leben   an. 

Nicht  ebenso  siclier  war  sein  Urtheil  in  Bezug  auf  die  Aus- 
länder. Der  erste,  an  den  schon  am  4.  Juni  der  Ruf  erging,  war 
der  Italiener  FRANgois  Algarotti\  der  im  Herbst  1739  in  Rheinsberg 
gewesen  war.  Als  Verfasser  eines  Fontenelle  gewidmeten  Werks 
»Newtonianisme  pour  les  dames«  (1736)  und  als  Eleve  Voltaire's 
wurde  er  von  Friedrich  ausserordentlich  überschätzt";  später  hat 
er  den  «unbeständigen  Schmetterling«  richtiger  zu  würdigen  gelernt. 
Aber  so  lange  und  so  oft  er  den  persönlichen  Umgang  mit  Vol- 
taire entbehren  musste,  schien  ihm  Algarotti  der  beste  Ersatz  zu  sein, 
und  wirklich  zeichnete  sich  der  Italiener,  der  sein  Wissen  stets  in 
kursfähiger  Münze  bei  sich  trug,  durch  eine  ungewöhnliche  Klarheit 
und  Schlagfertigkeit  des  Geistes  aus  und  war  durch  seine  mannig- 
faltigen Kenntnisse  zum  Gesellschafter  des  Königs  wie  geschaffen. 
Doch  Hess  er  sich,  weil  der  König  seine  ehrgeizigen  Hoffnungen 
auf  eine  glänzende  Diplomatenlaufbahn  nicht  erfüllte,  nicht  dauernd 
an   Berlin  fesseln ;   die  Akademie  hat  ihm  wenig  zu  verdanken. 

Voltaire  war  zunächst  unerreichbar;  aber  er  suchte  im  Voraus 
Beschlag  auf  die  neue  Schöpfung,  die  Akademie,  zu  legen;  hatte 
ihm  doch  Friedrich  in  seinem  Traume  ein  glänzendes  und  schmeichel- 
liaftes  Bild  seiner  Zukunft  gezeigt:  Voltaire,  eine  Gelehrtenrepublik 
regierend!     Am  18.  Juni  1740  schrieb  er  dem  König ^: 

"Je  demanderai  encore  une  autre  gräce  a  V.  M. ;  c'est.  quand  eile  aura  fait 
quelque  nouvel  etablissement,  qu'elle  fait  tleurir  (^uelqu'un  des  beaux-arts,  de  daigner 
ni'en  instruire,  car  ce  sera  m'apprendre  les  nouvelles  obligations  que  je  lui  aurai. 
11  y  a  un  niot,  dans  la  lettre  de  V.M.,  qui  m'a  transporte;  eile  me  fait  espei-er 
une  Vision  beatifique  cette  annee.  Je  ne  suis  pas  le  seul  qui  soupire  apres  ce  bon- 
lieur.  La  reine  de  Saba  voudrait  prendre  des  mesures  pour  voir  Salomon  dans  sa 
gloire.  J'ai  fait  part  ä  31.  de  Keyserlingk  d"un  petit  projet  sur  cela;  mais  j'ai  bien 
peur  qu"il  n'echoue.« 


'  QSuvres  T.  18  p.  15.  Der  ganze  Brief  lautet:  »Mon  eher  Algarotti,  mon  sort 
a  change.    Je  vous  attends  avec  impatience;  ne  me  faites  point  languir.     Federic.« 

^  QEuvres  T.  17  p.67  vom  2.  September  1740  schreibt  Friedrich  an  Jordan 
aus  "Wesel:  »Maupertuis  est  arrive,  joli  gargon,  aimable  en  compagnie,  cependant 
de  Cent  piques  inferieur  a  Algarotti ". 

^    ffiuvres  T.  22   p.  7. 


254     Geschichte  der  Akndemie  unter  Frikdrich  dem  Grossen   (1740  — 174(5). 

Bereits  am   27.  Juni  erwiderte  der  König ^ 

",rai  d'abord  conimence  par  augmenter  les  forces  de  I'Etat  de  seize  bataillons, 
de  cinq  escadrons  de  hussards,  et  d'un  escadron  de  gardes  du  corps.  J'ai  pose 
les  fondements  de  notre  nouvelle  Aeademie.  J'ai  fait  acquisition  de  Wolff,  de 
Mauperttis,  d'ÄLGAROTTi.  J'attends  la  i-eponse  de  s'Gravesande  ,  de  Vaucanson 
et  d'EuLKR.  .l'ai  etahli  un  nouveau  coUege  pour  le  commerce  et  les  manufactures; 
j'engage  des  peintres  et  des  scvdpteurs;  et  je  pars  pour  la  Prusse,  pour  y  recevoir 
l'hommage ,  etc.,  sans  la  sainte  ampoule ,  et  sans  les  ceremonies  inutiles  et  frivoles 
(pie  Tignorance  et  la  superstition  ont  etablies,  et  que  la  coutume  favorise." 

Maupertuis  und  Wolff  —  das  waren  die  beiden  Fürsten  der 
Wissenschaft,  deren  Gegenwart  Friedrich  am  heissesten  ersehnte"'. 
Sie  sollten  ihm  die  neue  Akademie  bauen  helfen  und  sie  leiten. 
Noch  hing  der  junge  Monarch  mit  hoher  Verehrung  an  Wolff,  dessen 
Philosophie  ihm  nach  dem  Zusammenbruch  des  confessionell  refor- 
mirten  Glaubens  einen  Halt  gewährte^.  Aber  bereits  fascinirte  ihn 
die  moderne  englisch -französische  W^issenschaft,  deren  vornehmster 
Repräsentant  Maupertuis  war  —  der  Mann,  dessen  Ruhm  durch 
seine  Reise  an  den  »Pol«,  d.  h.  nach  Lappland,  und  durch  den  Beweis 
der  Abplattung  des  Erdballs ,  den  er  geführt  hatte ,  auf  aller  Lippen 
war.  Friedlich  sollten  in  der  neuen  Akademie  Wolff  und  Newton 
—  dieser  repräsentirt  durch  Maupertuis  —  neben  einander  herrschen ; 
aber  nicht  nur  »zur  Parade«  sollte  sie  dienen,  sondern  »zur  Instruction«. 
Vorlesungen  sollten   von  allen  Mitgliedern  gehalten  werden;   schon 


^    Qiiuvres  T.  22  p.  12!'. 

^  Sie  waren  übrigens  beide  bereits  auswärtige  INIitglieder  der  Societät  —  Mau- 
pertuis seit  dem  Jahre  1735.  Er  hatte  durch  einen  Freund  auf  seine  Aufnahme 
angeti'agen  (Akademisches  Protokoll  vom  23.  Juni  1735).  Die  Schrift,  in  der  er  die 
Ergebnisse  seiner  lappländischen  Reise  niedergelegt,  hatte  er  dann  in  mehreren  Exem- 
plai'en  der  Societät  übersandt  und  von  ihr  ein  schmeichelhaftes  Schreiben  ziu'ück- 
erhalten ,  in  welchem  sie  einen  Theil  der  Ehre  auch  für  sich  in  Ajispruch  nahm, 
da  Maupertuis  ihr  Mitglied  sei  (Akademisches  Protokoll  vom  4.  December  1738). 
Vergl.  über  ilin  die  beiden  Festreden  von  du  Bois-Reymond  und  Diels  (Sitzungs- 
berichte 1892  S.  393ff. ,   1898  S.5iff.). 

^  SuHM  ist  es  gewesen,  der  den  Kronprinzen  zuerst  auf  die  WoLFF'sche  Philo- 
sophie aufmerksam  gemacht  hat.  In  dem  Brief  an  den  Grafen  von  Manteuffel 
vom  19.  August  1736  (Qiuvres  T.  25  p.  473f.)  zählt  Friedrich  seine  Sterne  noch  in 
folgender  Rangordnung  auf:  »Les  etudes  se  succederont  ici  les  unes  aux  autres. 
Premierement  Wolff,  ce  prince  des  philosophes,  aura  la  preference;  ensuite  Rollin, 
cet  auteur  sage,  qui,  avec  tant  de  labeur,  nous  transmet  les  evenements  remar- 
quables  de  rantiquite,  et  dont  le  judicieux  pinceau  ne  sait  flatter  ni  amoindrir  les 
caracteres  de  ses  heros.  L'aimable,  relegant,  le  spirituel  Voltaire  [die  Correspon- 
denz  mit  ihm  hatte  Friedrich  am  8.  August  1736  begonnen]  vient  ensuite  sur  leurs 
traces  regayer  de  ses  ileurs ,  fleurs  que  les  Amours  et  les  Gräces  cueillent  elles- 
memes,  le  serieux  et  la  gravite  que  les  deux  auteurs  j^recedents  inspirent«.  Auch 
mit  FoNTENELLE.  dem  greisen  Secretar  der  Pariser  Akademie,  correspondirte  Fried- 
rich vor  seiner  Thronbesteigung  und  hielt  ihn  sehr  hoch  (s.  Oeuvres  T.  16). 


Versuche  des  Künigs  eine  neue  Akademie  zu  gründen.  255 

dachte  der  König  an  ein  Palais,  das  er  der  Akademie  bauen  wollte 
zusammen  mit  einem  neuen  Observatorium.  Einen  Platz  hatte  er 
bereits  in's  Auge  gefasst  und  die  ersten  Verfügungen  an  die  Finanz- 
kammer ergehen  lassen'.  Die  Zukunft  Preussens,  die  adelige  Jugend, 
sollte  hier  die  Wissenschaft  von  den  grössten  Meistern  lernen.  In 
diesem  Sinne  hat  er  Maupertuis  und  Wolff  gleichzeitig  eingeladen. 
An  Jenen   schrieb  er"': 

"Mon  coeur  et  mon  inelination  exciterent  en  moi.  des  le  nionient  que  je  nion- 
tai  sur  le  trone,  le  desir  de  vous  avoir  ici,  pour  (jue  vous  donnassiez  ä  rAcadeniie 
de  Berlin  la  forme  que  .vous  seul  pouvez  lui  donner.  Venez  done,  venez  enter 
sur  ce  sauvageon  la  greffe  des  sciences,  afin  qu'il  Üeurisse.  \'ous  avez  montre  la 
figure  de  la  terre  au  monde;  montrez  aussi  a  un  roi  comhien  il  est  doux  de  pos- 
seder  un  homme  tel  que  vous.« 

Maupertuis,  der  in  Frankreich  keine  Stellung  fand,  die  seinem 
Ehrgeiz  entsprach,  war  von  Anfang  an  entschlossen,  dem  wieder- 
holten Ruf  des  Königs  zu  folgend 

An  Wolff  nach  Marburg  musste  der  Propst  Reinbeck  schreiben. 
In  dem  Brief,  in  welchem  der  König  Reinbeck  den  Auftrag  ertheilte 
(6.  Juni   1740),    stehen    die   berühmten,    eigenhändig  von  Friedrich 

geschriebenen  Worte : 

"Ich  hitte  Ihn.  sich  um  des  WoLFFen  Mühe  zu  geben.  Ein  Mensch,  der  die 
Wahrheit  sucht  imd  sie  liebet,  muss  unter  aller  menschlichen  Gesellschaft  werth 
gehalten  werden;  und  glaube  Ich,  dass  er  eine  Conquete  im  Lande  der  Wahrheit 
gemacht  hat.  wo  Er  den  Wolff  hierher  persuadiret.« 

Aber  Wolff  war  ein  A^orsichtiger  Mann.  Der  Plan  einer  neuen 
Akademie  erschien  ihm  nebelhaft.  Die  Aussicht,  die  ihm  anfangs 
gemacht  wurde,  sie  mit  zu  leiten,  lockte  ihn  nicht,  da  er  bald  hören 


^    Siehe  darüljer  den  Urkundenband  Nr.  148. 

^  QEuvres  T.  17  p.  335f.  Wahrscheinlich  durch  Voltaire  ist  Friedrich  als 
Kronprinz  auf  Maupertuis  aufmerksam  geworden,  s.  Voltaire's  Briefe  vom  6.  August 
1738  (T.  21  23.  223  f.)  und  vom  November  1738  (p.  244):  »M.  de  Maupertuis,  homme 
qui  ose  aimer  et  dire  la  verite,  quoique  persecutee«.  Dass  Maupertuis  sein  berühmtes 
Werk  über  die  Gestalt  der  Erde  Friedrich  übersandte  (ffiuvres  T.  17  p.  335).  ist 
vielleicht  auch  auf  Voltaire's  Veranlassung  geschehen.  Ja  es  scheint,  dass  Voltaire 
INIaupertuis  auch  deshalb  in  den  Gesichtskreis  des  Prinzen  gebracht  hat,  um  diesen 
dem  Einlluss  Wolff's  zu  entziehen.  Nicht  ganz  ohne  Spott  spi'icht  Voltaire  schon 
in  einem  Brief  vom  Juni  1738  (T.  21  p.  205)  vom  »sapientissimus  WolffiuS"  und 
möchte  sein  Urtheil  erfahren,  «wenn  er  nur  französische  Verse  lesen  könnte". 
Fast  sich  entschuldigend  schreibt  Friedrich  (6.  August  1738.  T.  21  p.  223:  -Quant 
ä  sapientissimus  Wolffius,  je  ne  le  connais  en  aucune  maniere.  ni  lui  ayant  jamais 
parle  ni  ecrit;  et  je  crois.  comme  vous.  (pie  la  langue  fran^aise  n'est  pas  son  fort". 
Al)er  Voltaire's  Eifersucht  auf  IMaupertuis  begann  von  dem  Moment  an,  wo  der 
König  sich  wirklich  um  ihn  bemfilite. 

^  In  einem  zweiten  Brief  des  Königs  an  ilm  vom  14.  Juli  1740  (Geheimes 
Staatsarchiv)  heisst  es:  «Je  me  Hatte  que  la  professiou  d'apötre  de  la  verite  ne  vous 
sera  pas  desagreable .  et  tpie  Vous  vous  deciderez  en  faveur  de  Berlin«. 


256     Gescliiclite  der  Akadcinic  iiiiter  Frieurich  dem   Grossen   (1740  —  1746). 

musste,  dass  der  eigentliche  Leiter  Maupertuis  sein  werde.  Ein 
fruchtbares  Zusammenwirken  mit  den  ausländischen  Gelehrten  schien 
ihm  unmöglich;  denn  nur  seine  eigene  Philosophie  Hess  er  gelten; 
Newton  und  die  Newtonianer  betrachtete  er  nicht  als  Philosophen, 
sondern  nur  als  Mathematiker;  die  englisch -französische  Aufklärung 
war  ihm  ein  Greuel.  Dazu  —  er  war  mit  ganzer  Seele  Universitäts- 
professor und  wollte  als  »Professor  generis  humani«  auf  Hochschulen 
dociren.  Als  Akademiker  »Kadeten  zu  informiren«,  denn  darauf 
werde  es  hinauslaufen,  schien  ihm  eine  Degradation.  So  bat  er 
den  König,  ihn  nach  Halle  als  Professor  und  Vice -Kanzler  zu  ver- 
setzen. Nur  ungern  willigte  Friedrich  ein,  sich  vorbehaltend,  ihn 
nach  Berlin  an  die  Akademie  zu  berufen,  sobald  diese  eingerichtet 
und  ein  würdiger  Wirkungskreis  für  den  Philosoj)hen  bereitet  sein 
werde  \ 

WoLFF  kam  nicht;  auf  Voltaire  war  höchstens  für  die  Zukunft  zu 
rechnen :  der  berühmte  Leydener  Mathematiker  und  Philosoph  s'Grave- 
SANDE  und  der  Pariser  Mechaniker  Vaücanson  lehnten  ab.  Vergebens 
bemühte  sich  der  König  auch ,  den  liebenswürdigen  Dichter  Gresset 
für  seinen  akademischen  Kreis  zu  gewinnen".  Friedrich  schwebte 
noch  das  antike  Ideal  des  königlichen  Genies  vor  Augen ,  das  in  sich 
und  um  sich  Wissenschaft  und  Poesie,   Gehalt  und  glänzende  Form 

^  Die  interessanten  Verhandlungen  mit  Wolff  sind  in  dem  Urkundenband 
Nr.  148  zusammengestellt.  Wolff  ist  bekanntlich  in  Halle  geblieben.  —  Aus  einem 
Brief  Samuel  König's  an  Maupertuis  vom  Herbst  1740  (Le  Sueur,  Maupertuis 
p.  III  ff".)  ersieht  man,  welchen  Eindruck  es  auf  die  gelehrte  Welt  Europas  machte, 
als  sich  durch  die  Zeitungen  die  Nachricht  verbreitete,  der  König  habe  Mauper'j-uis 
imd  Wolff  in  sein  Land  berufen:  »Si  j'avais  jamais  eu  le  bonheur  de  vous  faire 
connaitre  mes  sentiments,  vous  pourriez  sentir,  ce  que  je  ne  puis  exprimer,  combien 
je  dois  avoir  triomphe.  lorsque  j'ai  lu  dans  la  gazette.  que  S.  Maj.  Prussienne  avait 
reconnu  vos  merites  et  qu'elle  l'avait  temoigne  publiquement  d'une  faQon  qui  fait 
egalement  honneur  a  ce  digne  roi  et  ä  vous,  Monsieur  ....  Le  monde  est  bien 
surpris  de  voir  reparaitre  un  philosophe  couronne,  mais  la  haute  opinion  qu'on  se 
forme  de  lui  vient  en  bonne  partie  de  ce  qu'on  sait  qu"il  vous  a  aupres  de  sa  per- 
sonne. Je  souhaite  ....  que  la  philosophie,  le  plus  bei  ornement  de  l'humanite 
et  la  seule  source  d'une  gloire  solide  et  durable,  reprenne  son  ancienne  place  au- 
pres des  trones  et  des  rois.  Je  vois  aussi  avec  admiration  combien  le  monde  est 
touche  des  efforts  d'un  prince  qui  aime  et  qui  veut  instruire  ses  peuples.  II  faut 
que  la  veritable  gloire  s'insinue  bien  puissamment  dans  le  coeur  de  l'homine,  puisque 
ce  prince,  qui  ne  fait  que  de  commencer  son  regne,  jouit  dejä  d'une  plus  belle 
rcj)utation  que  s'il  eüt  gagne  des  batailles  ....  11  me  vient  dans  ce  moment  une 
autre  bonne  nouvelle.  J'apprends  (jue  M.  Wolff  est  enfin  determine  de  suivre  la 
^■()cation  de  S.  Maj.  a  Halle.  Je  Tavais  fort  exhorte  de  ne  point  se  refuser  aux  in- 
tcrets  des  sciences  dans  cette  occasion,  mais  je  vois  que  toutes  les  representations 
auraient  ete  sans  effet  sans  la  bonte  que  Sa  Maj.  a  eiie  de  lui  procurer  sa  demission". 

-    (T^uvres  T.  20  j).  3. 


Et'ler  komuit  nach  Berlin.    Erste  Begegnung  des  Königs  mit  ^Iat'pertuis.   25  / 

vereinigt.  So  hlieheii  nur  Maupertuis  und  der  Schweizer  Euler. 
Diesen,  der  als  Petersburger  Akademiker,  ^t^  Jahre  alt  (geb.  den 
15.  April  1707  zu  Basel),  bereits  den  Ruf  des  ausgezeichnetsten  Mathe- 
matikers genoss ,  hatte  der  König  durch  Suhm  einladen  lassen ,  nach 
Berlin  überzusiedeln,   und  im  .Sommer   1741    kam  Euler   wirklich \ 

An  die  Einrielitung  der  neuen  Akademie  konnte  erst  gedaclit 
werden,  wenn  Maupertuis  in  Berlin  sein  würde.  Im  September  lud 
ihn  der  König  nach  Schloss  Moyland  bei  Kleve  ein.  Es  war  jene 
berühmte  Zusammenkunft,  in  der  Friedrich  auch  Voltaire  zum  ersten 
Male  sah".  Dieser  war  von  der  Anwesenheit  Maupertuis'  wenig  er- 
baut und  tliat  Alles ,  um  ihn  zu  bewegen ,  den  Ruf  des  Königs  aus- 
zuschlagen. Aber  Maupertuis  folgte  dem  Monarchen  nach  Berlin, 
während  Voltaire  zu  seiner  Marquise  zurückkehrte.  Er  hat  schon 
damals  ein  doppeltes  Spiel  gespielt;  er  speculirte  gleichzeitig  auf  den 
Präsidentenstuhl  der  neuen  Berliner  Akademie  und  auf  den  Posten 
eines  französischen  Gesandten  an  dem  Preussischen  Hofe.  Nie  hat 
er  es  Maupertuis  verziehen ,  dass  er  wider  seinen  Ratli  und  Willen 
nach  Berlin  gegangen  ist;  aber  zunächst  verbarg  er  seine  Stimmung 
oder  gab  ihr  nur  in  beissenden  Bemerkungen  Ausdruck.  »Es  giebt 
auch  andere  Talente  in  der  Welt,  als  das,  Curven  zu  messen.« 
An  Maupertuis  schrieb  er:  »Als  wir  beide  von  Kleve  abreisten,  Sie 
rechts  und  icli  links ,  glaubte  ich  beim  letzten  Gericht  zu  sein ,  avo 
Gott  die  Auserwählten  von  den  Verdammten  sondert.  Der  göttliche 
Friedrich  sagte  Ihnen:  'Setze  Dich  zu  meiner  Rechten  in"s  Para- 
dies von  Berlin',   und  mir :    Geh ,  Verdammter,   nach  Holland' « . 

Mit  Maupertuis  hat  Friedrich  die  Grundlagen  der  neuen  Aka- 
demie besprochen,  und  schon  wurde  es  allgemein  bekannt,  dass 
er  ihr  Präsident  werden  sollte^.      Dem  König  hatte   der  vielseitige 


^  Siehe  die  Briefe  an  Suhm  (den  sächsischen  Gesandten  in  Petersburg)  vom 
14.  Jmii  und  15.  Juli  1740  (CEuvres  T.  16  p.  391.  394):  »Faites  ce  que  vous 
pourrez  pour  engager  M.  Euler,  gi-and  algebriste,  et,  si  vous  pouvez,  amenez-le 
avec  vous.  Je  lui  donnerai  mille  ou  douze  cents  ecus  de  gages«.  Am  25.  Juli  1741 
siedelte  Euler  nach  Berlin  über.  Die  Königin  -  INIutter,  die  gern  Gelehrte  um  sich 
sah  und  auch  Euler  empfangen  hatte,  stellte  ihn  bald  seiner  Einsilbigkeit  wegen 
zur  Rede;  er  antwortete:  «Majestät,  ich  komme  aus  einem  Lande,  wo  man  gehängt 
wird,  wenn  man  spricht«.  Dennoch  hatte  er  dieses  Land,  in  welchem  er  dreizehn 
Jahre  zugebracht  hatte,   vor  allem  aber  die  Petersburger  Akademie,  lieb  gewonnen. 

^  In  Bezug  auf  Maupertuis  schrieb  er  kurz  vorher  dem  Könige  (22.  August, 
CEuvres  T.  22  p.  23):  ^>M.  de  Maupertuis  est  ä  Wesel  pour  vous  observer  et  vous 
mesurer.     11  n"a  vu  ni  ne  verra  jamais  d"etoile  d'une  si  heureuse  inlluence«. 

^  Weidler,  Professor  der  Astronomie  in  Wittenberg,  gratulirte  am  15.  Octo- 
ber  !\L\upertuis  (s.  Le  Sueur,  Maupertuis  et  ses  correspondants  1897  p.405).  Am 
Geschichte  der  Akademie.    I.  17 


"258    Geschichte  der  Akadeinic  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1740—1746). 

Gelehrte  trotz  seiner  lioclifalirend- brüsken  Art  bei  der  Zusammen- 
kinift  imponirt,  und  er  war  entschlossen,  ihn  niemals  wieder  ziehen 
zu  lassen.  Wie  er  ihn  allezeit  geschützt,  mit  welcher  Grossmuth 
Tuid  königlichen  Treue  er  den  unbequemen  Mann  in  allen  Fährlich- 
keiten  verth eidigt  und  aufrecht  erhalten  hat,  das  ist  ein  leuchten- 
des Blatt  in  Friedrich's  Geschichte.  Zunächst  Hess  er  ihn  nicht 
Ton  seiner  Seite,  und  als  er  zeitweilig  von  ihm  getrennt  war  — 
Maupertuis  war  in  Berlin,  der  König  in  Rheinsberg  — ,  da  schrieb 
er  an  Algarotti^:  »Faites  mes  compliments  k  Maupertuis,  et  dites- 
lui  que  j"avais  arrange  dans  ma  tete  de  quoi  lui  donner  de  loccu- 
pation  süffisante«.  Dann  rief  er  ihn  nach  Rheinsberg  zu  jenen 
heiteren  Festen,  in  denen  zum  letzten  Mal  —  bereits  rüstete  der 
König  zum  Schlesischen  Krieg  —  der  Remusberg  strahlen  sollte. 
Auch  Voltaire  war  erschienen,  «der  verkappte  Aushorcher«,  Alles 
l)erückend  durch  die  zauberische  Gewalt  seines  glänzenden  Geistes, 
Maupertuis,  obgleich  lebhaft  und  schlagfertig,  wusste  sich  doch 
nicht  in  diesen  Zirkeln  der  Jugend  und  Anmuth  zurechtzufinden. 
»Maupertuis  est  si  amoureux  des  nombres  et  des  chiffres,  qu'il 
prefere  o  plus  b  minus  x  a  toute  la  societe  d"ici.  Je  ne  sais  si 
c'est  qu'il  aime  tant  Talgebre,   ou  si  notre  monde  Tennuie". « 


2. 

In   den   ersten  Tagen  des  December  zog  der  König  in\s  Feld ; 
an  die  Einrichtung  der  Akademie  war  jetzt  nicht  zu  denken^.    Aber 


23.  ]Mai  1741  schriel)  er  ihm  (p.408):  »On  attend  partout  a\'ec  impatience  la  nou- 
velle  de  Petahlissement  du  nouvel  observatoire  ä  BerUn  etc.". 

^    duvres  T.  18  ]).  16,  vom    ii.October  1740. 

^    Quivres  T.  18  2^.26,  Brief  an  Algarotti  vom   2i.Novemljer  1740. 

^  Die  einzige  Neuerung  im  litterai'ischen  Lehen,  die  getroffen  worden  war, 
war  das  »Journal  de  Berlin«,  zu  dessen  Gründung  Friedrich  am  2. Tage  nach  seiner 
Thi'onhesteigung  durch  Jordan  den  jugendlichen  Professor  am  französischen  Colleg 
FoRMEY  (geb.  am  31.  Mai  17 11)  hatte  auffordei-n  lassen.  Es  sollte  eine  litterarisch- 
politische  Zeitung  sein,  und  der  König  selbst  wollte  die  Materialien  liefern.  Die 
Zeitung  erschien  zuerst  am  Q.Juli  1740  (s.  Formey,  Souv,  I  p.  107  ff.),  und  wirklich 
lieferte  der  König  anfangs  regelmässig  Beiträge.  So  kam  Formet  früh  zu  Ansehen. 
Bei  der  Neugründung  der  Akademie  im  Jahre  1744  wurde  er  ]\Iitglied  und  nicht 
lange  darnach  Secretarius  perpetuus  (die  Redaction  der  Zeitung  hatte  er  schon  im 
Januar  1741  niedergelegt).  Die  Akademie  ist  diesen  unsäglich  eiteln  und,  wie  seine 
»Souvenirs«  bewiesen  haben,  kleinlichen  und  boshaften  Mann  nie  wieder  losgeworden. 
Er  behauptete  den  eintlussreichen  Posten  und  wurde  fast  86  Jahre  alt.  Friedrich 
liat  ihn  bald  durchschaut,  aber  war  zu  grossmüthig,  um  ihn  zu  entfernen.  Dafür 
hat  ihn  Formev  mit  giftigem  Undank  in  seinen   »Souvenirs«   belohnt. 


Der  erste  schlesisclie  Krieg.      Friedrich  und  Maupertuis.  2.)9 

auch  im  Lager  vergass  Friedrich  Maupertuis  und  die  Wissenschaft 
nicht.  »Dis  a  Maupertuis«,  schreibt  er  an  Jordan  von  Herrendorf 
am  27.  December\  >>que  j'accorde  les  pensions  de  ses  academi- 
ciens,  et  que  j'espere  trouver  de  hons  sujets  pour  des  eleves  dans 
le  pays  011  je  suis'«,  und  am  3.  März  1741  an  denselben  aus  einem 
Dorfe  «doiit  j'ignore  la  figure  et  le  nom« :  »Mes  compliments  a 
Maupertuis;  dis-lui  qu'il  ne  depend  que  de  lui  d'opter  entre  l'Is- 
lande^  et  la  Silesie,  et  que,  de  quelque  cöte  qu'il  se  tourne,  inon 
amitie  et  mon  estime  l'accompagneront  toujours*«.  An  Maupertuis 
selbst  richtete  er  aus  Breslau  (3.  Januar  1 741)  die  liebenswürdigen 
Zeilen:  >>J"ai  ici  une  autre  espece  d'algebre  a  calculer  et  souvent 
des  tluxions  qui  me  donnent  bien  du  fil  a  retordre:  notre  geome- 
trie  va  grace  a  vos  bonnes  inlluences  parfaitement  bien;  des  que 
j'aurai  acheve  de  regier  la  ügure  de  la  Silesie "",  je  reviendrai  ä 
Berlin  et  nous  songerons  a  Tacademie.  Adieu,  eher  Maupertuis,  un  peu 
de  patience  et  Vous  serez  contente  sur  tout  ce  que  vous  souhaitez''«. 
Aber  der  König  fürchtete  nicht  ohne  Grund,  Maupertuis,  der 
noch  immer  ohne  Beschäftigung  in  Berlin  weilte,  werde  ihn  doch  wie- 
der verlassen.  Er  rief  ihn  deshalb  zu  sich  in's  Lager',  und  Mau- 
pertuis,  der  seine  Laufl)ahn   als  Soldat  begonnen  hatte,   folgte  dem 


^    Qiluvres  T.  17   p.79. 

^  Ln  zweiten  .Sclilesischen  Krieg,  als  der  König  in  Sachsen  war.  liat  ihn 
Maupertuis  an  diese  Zusage  erinnei't  in  einem  Briefe  vom  20.  Deceinber  1745  (Geh. 
»Staatsarchiv). 

^  Das  bezieilt  sich  auf  einen  Brief,  den  Maupertuis  am  13.  Januar  1741  aus 
Berlin  an  den  König  gerichtet  hatte  (Geh.  Staatsarchiv),  in  welchem  er  ihn  um  Ur- 
laub gebeten,  sei  es  nach  Frankreich,  wenn  seine  Gegenwart  dort  nöthig,  sei  es 
zu  einer  wissenschaftlichen  Reise  nach  Island.  Aus  dem  Eingang  des  Briefs  geht 
hei'vor,  dass  Maupertuis  bereits  einen  fertigen  Plan  zur  Einrichtung  der  Akademie 
(nebst  Personen-Bezeichnung)  dem  Könige  vorgelegt  hatte. 

*    A.  a.  0.  p.90. 

^  Ahnlich  schreibt  die  Markgrätin  von  Bayreuth  an  den  König  (17,  Februar 
1741,  Qiuvres  T.  27,  i  S.99):  "II  faut  avouer  que  vous  avez  merveilleusement  bien 
profite  des  legons  de  Maupertuis.  felui-ci  a  arrondi  la  terre,  et  vous  avez  arrondi 
votre  pays". 

""  Geh.  Staatsarchiv,  Briefe  an  Maupertuis.  —  Auch  Euler  wurde  im  Felde 
nicht  vergessen.  Nachdem  er  in  Berlin  eingeti-ofien  war  und  sich  brieflich  beim 
König  gemeldet  hatte,  schrieb  dieser  (Camp  de  Reichenbach,  4.  September  174 1, 
Qiluvres  T.  20  p.  199):  »J'ai  ete  bien  aise  d'apprendre  que  vous  etes  content  de  voti'e 
sort  et  etablissement  present.  J'ai  donne  les  ordres  necessaires  au  grand  directoh-e 
pour  la  pension  de  seize  cents  ecus  que  je  vous  ai  accordee.  S'il  y  a  encore  (juel- 
(jue  chose  dont  vous  aurez  besoin,  vous  n'avez  qu'a  attendre  mon  retour  k  Berlin«. 
In  einem  Briefe,  geschrieben  in  Znaym  (i.März  1742,  a.a.O.),  gestattet  der  König, 
dass  Euler  dem  Prinzen  von  Württemberg  Lectionen   in    der  jNIathematik   ertheile. 

"^    Im  März  1741   (Geh.  Staatsarchiv,  Briefwechsel). 

17* 


2f)0    Gescliiclito  der  Akademie    unter  Frikdrich  dem   Grossen   (1740  — 174G). 

Rufe  gern.  Bereits  in  der  Schlacht  bei  Mollwitz  aber,  am  lo.  April, 
Avurde  der  Gelehrte  von  den  Österreichern  gefangen  und  ausgeplün- 
dert, dann  aber,  als  man  erfuhr,  wen  man  vor  sich  hatte,  mit 
Zuvorkommenheit  behandelt,  nach  Wien  geschickt,  der  Kaiserin 
vorgestellt  und  ehrenvoll  entlassen.  Maupertuis  kehrte  zwar  nach 
Berlin  zurück,  aber  nur  auf  kurze  Zeit.  Da  er  nichts  zu  thun  fand, 
so  begab  er  sich  wieder  nach  Paris,  ohne  Friedrich  die  Hoffnung, 
in  seine  Dienste  zu  treten,  ganz  zu  rauben.  AT)er  zunächst  arbei- 
tete er  in  Paris  für  sein  Vaterland,  stellte  wissenschaftliche  Unter- 
suchungen an,  die  sich  auch  für  das  praktische  Seewesen  als  förder- 
lich erwiesen,  und  fuhr  fort,  der  vornehmen  Welt  die  Ergel)nisse 
der  astronomiscli- geographischen  Wissenschaft  in  fasslicher  Darstel- 
lung zugänglich  zu  machen.  Er  wurde  im  Jalire  1742  Director  der 
Academie  des  Sciences,  im  Jahre  1743  auf  Montesquieu's  Vorschlag 
unter  die  vierzig  Unsterblichen  aufgenommen  und  hielt  am  2 7.  Juni 
1743  seine  Antrittsrede,  in  der  er  die  Thätigkeit  des  Mathematikers 
mit  der  des  Dichters  und  Redners  verglich  \  Sein  Ruhm  strahlte 
wie   vierzig  Jahre  früher  der  LEiBNizens! 

Die  alte  Societät  führte  unterdess  ihr  stilles  Dasein  unverändert 
fort;  nur  die  Alten  starben  aus.  Jablonski  verschied  am  25.  Mai  i  741, 
Frisch  am  21.  März  1743.  Aber  man  wollte  dem  Könige  doch  zeigen, 
dass  nicht  alle  Lebenskraft  erloschen  sei.  Als  Friedrich  siegreich 
aus  dem  ersten  Schlesischen  Krieg  zurückkehrte,  konnte  ihm  die 
Societät  einen  neuen  Band  ihrer  «Miscellanea«  widmen  und  über- 
reichen. Es  ist  der  letzte,  den  die  alte  Societät  hat  erscheinen  lassen, 
der  letzte,  der  in  lateinischer  Sprache  verfasst  ist;  die  Geschichte 
der  Societas  Brandenburgica  beschliesst  er  nicht  unwürdig.  Er  ent- 
hält fünf  Abhandlungen  von  Euler  und  ebenso  viele  von  dem  Chemi- 
ker Pott.  Durch  die  schlesischen  Eroberungen  Friedrich's  wuchsen 
auch  die  Einnahmen  der  Societät;  denn  die  reiche  Provinz  bot  ein 
grosses  Absatzgebiet  für  die  Kalender,  auf  deren  Verkauf  noch  immer 
der  ganze  Etat  der  Societät  l)eruhte.  Trotz  der  nie  aufhörenden 
Klagen  über  die  Einschleppung  fremder  Kalender  und  den  Kalender- 
Nachdruck  —  Friedrich  hat  bereits  im  Jahre  1741  die  Societät  in 
ihren  Rechten  auf's  Neue  schützen  müssen"  —  hoben  sich  ihre  Ein- 
künfte beständig^.    Ein  neuer  Astronom  wurde  am  2 2. November  i  742 


^    Vergi.  dttBois-Reymond,  INIaupertuis,  in  den  Sitzungsber.  1892  8.393!!'.  412  t'. 
■■^    Siehe  Geh.  Staatsarchiv.   Kalendersachen  vom  Jahre  1741. 
^    Wie  gross  die  Zahl  der  vertriebenen   Kalender  war,    kann   man    aus  einer 
Rechnung    ei'sehen,    die    im    Geheimen    Staatsarchiv    (Kalendersaclien)    erhalten    ist. 


Euler  betreibt  die  Enichtiuig  einer  neuen  Akademie  (1743).  2('>1 

in  der  Person  von  Johann  Kies  angestellt;  Euler  hatte  ihn  empfohlen'. 
Dagegen  wurde  die  durch  Jablonski's  Tod  erledigte  Director-Stellung 
in  der  Klasse  der  deutschen  Sprache  zunächst  nicht  wieder  besetzt. 
Der  König  befahl  vielmehr  am  4.  Juli  1741,  dass  für  das  frei  ge- 
wordene Gehalt,  das  um  100  Thlr.  zu  vermehren  sei,  ein  recht  guter 
luid  geschickter  Mechanicus  angenommen  werde"'.  Aber  anderer- 
seits hörten  die  verhassten  Auflagen  zu  Gunsten  der  Militärärzte 
nicht  auf  —  der  Krieg  Hess  an  keine  Abhülfe  denken.  Noch  am 
7.  April  1743  verordnete  Friedrich,  dass  einem  General -Chirurg 
»aus  den  Kalender -Revenuen«  ein  Gehalt  von  300  Thlr.  ausgezahlt 
werde". 

Ohne  Maupertuis  wollte  der  König,  der  übrigens  im  Jahre  1743 
an  Wichtigeres  zu  denken  hatte  als  an  eine  Akademie*,  die  Reor- 
ganisation der  Societät  nicht  unternehmen,  und  der  Ersehnte  war 
in  Paris.  Aber  Einen  gab  es,  der  ungeduldig  an  die  Errichtung 
einer  neuen  Akademie  erinnerte,  das  war  Euler.  Die  Reorganisa- 
tion war  ihm  bei  seiner  Berufung  aus  Petersburg  versprochen,  ja 
er  war  eigentlich  gar  nicht  an  die  alte  Societät  berufen  worden, 
sondern  an  die  zu  gründende  neue.  So  schrieb  er  denn,  nachdem 
ein  halbes  Jahr  seit  dem  Frieden  von  Breslau  verstrichen  war  und 
der  König  keine  Ordre  erliess,  am  19.  Januar  i  743  einen  freimüthigen 
Brief  an  diesen"".  Durch  die  Eroberung  von  Schlesien  seien  die 
Revenuen  der  alten  Societät  so  gestiegen,  dass  sich  jetzt,  fast  ohne 
Zuschüsse,  eine  Akademie  der  Wissenschaften  auf  dem  Fusse  der 
Peters1)urger  oder  Pariser  einrichten  lasse;  die  Petersburger  koste 
nicht  mehr  als  etwa  12000  Thlr.,  und,  wenn  auch  die  Einnahmen 
der  Societät  nicht  öffentlich  bekannt  seien,  so  werde  doch  glaubhaft 


p]in  Buchdrucker,  Hübner  in  Frankfurt  a/0.  empfing  im  December  1741  3500  Duo- 
dez-Kalender, 900  in  Sedez,  1300  Haushaltungskalender  in  Quart,  700  historische 
Kalender,  70  combinirte.  36  Schreib-,  40  Tafel-.  12  Blatt -Kalender,  dann  noch 
am  5.  Januar  1742  144  Duodez-,  12  astronomische,  48  Sedez-Kalender.  INIan  sieht 
auch,  wie  mannigfaltig  die  gedruckten  Kalender  waren. 

^  Siehe  seinen  Brief  an  von  Jariges  vom  7.  September  1742  im  Akademischen 
Archiv.  Euler  beklagt  hier  den  tiefen  Verfall  der  Astronomie  bei  der  Societät  und 
macht  auf  Kies  aufmerksam,  den  man  für  wenig  Geld  gewinnen  könne  (Kies'  Be- 
stallungs- Ordre  ebenfalls  im  Akademischen  Archiv). 

-    Ordre  im  Akademischen  Archiv. 

^  Noch  im  Jahre  1748/49  zahlte  die  Akademie  den  Medicinern  1950  Thlr.  Ge- 
halt, und  die  Anatomie  kostete  ihr  ausserdem  450  Thlr.  (Bericht  von  Maupertuis 
an  den  König  bei  Le  Sueur.  Maupertuis  p.  87). 

'^    Siehe  den  Brief  an  d'Argens  vom  18.  Juni  1743   (CEuvres  T.  19  ]).  10). 

°    Ü']uvres  T.  20  p.  i99f. 


262     llesclüolitc  der  Akademie  unter  Friedrich  dem   Grossen  (1740—1746). 

versichert,  dass  sie  schwerlich  weniger  als  20000  Thlr.  betrügen'. 
Mit  dieser  Summe  könne  man  treffliche  Gelehrte  in  ausreichender 
Zahl  gewinnen  und  so  eine  Akademie  schaffen,  die  mit  jeder  an- 
deren wetteifern  werde. 

Euler  hatte  den  Etat  der  Societät  stark  üherschcätzt,  und  seine 
Mahnung,  die  neue  Akademie  einzurichten,  war  dem  König  zur  Zeit 
unbequem.  »Ich  glaube,«  schrieb  er  ihm  mit  Spott  zurück",  »Ihr 
seid  so  sehr  an  die  abstracten  grossen  Zahlen  der  Algebra  gewöhnt, 
dass  Ihr  Euch  an  den  elementaren  Regeln  des  Calculs  versündiget. 
Sonst  könntet  Ihr  Euch  nicht  einbilden,  dass  der  Kalendervertrieb  in 
Schlesien  einen  so  grossen  Gewinn  abwerfe. «  Von  der  Einrichtung 
der  Akademie  schwieg  der  König.  Aber  Euler  Hess  sich  nicht  ab- 
weisen. Umgehend  erwiderte  er  dem  Monarchen^,  seine  Vorstellung 
sei  dem  lebhaften  Wunsche  entsprungen ,  endlich  in  eine  Lage  ver- 
setzt zu  werden,  die  ihm  ermögliche,  die  Dienste  zu  leisten,  um 
deren  willen  ihn  der  König  berufen  habe.  »Ich  wollte  nur  beweisen, 
dass  die  Einnahmen  der  Societät  beinahe  ausreichen ,  um  eine  Akade- 
mie der  Wissenschaften  einzurichten,  und  Dr.  Lieberkühn  wird  besser 
als   ich  die  Solidität  meines  Projects  erweisen  können.« 

Der  König  erwiderte  auf  diese  Zeilen  nichts  mehr,  oder  viel- 
mehr er  schrieb  wohl  an  Euler^  —  es  waren  in  dem  Briefwechsel 
auch  andere  Fragen  berührt  worden  — ,  aber  die  Errichtung  der 
Akademie  liess  er  einfach  bei  Seite.  Die  Männer,  die  eine  solche 
in's  Leben  rufen  konnten ,  schienen  ihm  zu  fehlen ,  und  er  vermochte 
sie  im  Moment  nicht  herbeizurufen. 

Allein  der  Gedanke  einer  neuen  Akademie,  seit  drei  Jahren 
lebendig,  liess  sich  nun  nicht  mehr  zurückhalten,  und  als  der  König 
zögerte,  verwirklichte  man  ihn  vorläufig  ohne  ihn.  Verschiedene 
Umstände  wirkten  dabei  zusammen. 


3. 

Erstlich  waren  ohne  Aufforderung  des  Königs,  aber  gelockt  durch 
den  Glanz  seines  Namens  und  seiner  Regierung,  Männer  »von  Welt« 

^  Die  Ausdrucksweise  Euler's  zeigt,  dass  die  alte  Geheimnisskrämerei  der 
Directoren  der  Societät  in  Bezug  auf  die  Finanzen,  die  ihr  schon  öfters  geschadet 
hatte,  noch  fortdauerte.  Euler,  obgleich  JMitglied,  ist  ohne  jede  zuverlässige  Kunde 
üher  die  Einnahmen  der  Societät! 

-    ffiuvres  T.  20  p.  2oof.  vom  21.  Januar  1743  (Chai-lottenburg). 

•^    CEuvres  T.  20  p.  201  vom   24.  Januar  1743. 

''    (Euvres  T.  20  p.  202   vom   29.  Januai'  1743. 


Die   »Noiivelle  Societe  Litteraire«.  2()0 

aus  dem  Ausland  nach  Berlin  gekommen,  die  sich  in  ihrer  Heimath 
miterdrückt  sahen  oder  eine  bessere  Carriere  wünschten.  Der  gütige 
Jordan  war  liier  häufig  der  Vermittler.  Auch  Talente  zweiten  und 
dritten  Ranges,  wenn  sie  nur  die  neue  französische  Bildung  besassen, 
waren  ihm  willkommen,  um  auf  dem  rauhen  Felde  der  Berliner 
Gesellschaft,  wie  es  Friedrich  Wilhelbi  I.  hinterlassen,  einen  blü- 
henden Garten  hervorzuzaubern.  Der  vielgereiste,  bewegliche  Kauf- 
mannssohn BiELFELD,  der  französisch  parlirte  wie  ein  Franzose,  war 
schon  seit  1739  als  Jordan's  Freund  in  Friedrich's  Umgebung'.  Im 
Winter  i  741/42  kam  der  Provencale  Marquis  d'Argens"  zusammen  mit 
seiner  Protectrice  und  Freundin,  der  wnmderlichen  Herzogin  von  Würt- 
temberg, nach  Berlin  und  blieb  daselbst  mit  dem  Titel  eines  könig- 
lichen Kammerherrn.  Er  hatte  sich  bereits  durch  seine  »Jüdischen 
Briefe«  in  der  litterarischen  Welt  als  witziger  Gegner  der  Kirche 
und  des  Christenthums  einen  Namen  gemacht  und  wurde  nach  dem 
zweiten  Schlesischen  Krieg  dem  Könige  unentbehrlich,  der  ihn  auch 
mit  allerlei  litterarischen  Aufträgen  im  Interesse  der  Akademie  be- 
traute. Bereits  im  Sommer  1743  trachtete  d'Argens  darnach,  an 
Maupertuis'  Stelle  eine  Akademie  einzurichten,  und  schrieb  dem 
Könige  in  diesem  Sinn.  Sein  Brief  ist  leider  nicht  mehr  erhalten, 
wohl  aber  die  Antwort  des  Königs,  die  nicht  so  abweisend  ist,  wie 
die  Euler  gegebene,  aber  zur  Geduld  ermahnt^.  Bald  sollte  der 
Marquis  Director  in  der  neuen  Akademie  werden.  Im  October  1742 
trat  Joseph  du  Fresne  de  Francheville^  durch  Jordan's  Vermittelung 
in  den  preussischen  Staatsdienst,  nachdem  er  sich  in  Frankreich  als 
national -ökonomischer  Schriftsteller  und  Litterat  unmöglich  gemacht 


'  Geb.  zu  Hamburg  am  3i.]März  1717,  gest.  in  Altenburg  am  5. April  1770. 
Eloge  von  Formey  in  den  Mem.  1770  p.  68  —  74.  Seine  »Lettres  familieres  et 
autres«   (2  Bände   1763  Haag)   enthalten  viele  zeitgeschichtlich  interessante  Notizen. 

^  Geb.  im  Jahre  1704,  gest.  am  12.  (13.)  Januar  1771.  Eloge  von  Formey 
in  den  Mem.  1771  23.46—52. 

^  Qiluvres  T.  19  p.  10  vom  18.  Juni  1743  (iMagdeburg) :  »Je  viens  de  recevoir 
votre  lettre  au  sujet  de  l'Academie  des  savants  que  vous  pensez  etablir  a 
Berlin,  sur  laquelle  je  vous  dirai  que,  etant  actuellement  occupe  a  des  affaires 
serieuses  qui  demandent  toute  mon  attention,  je  serais  bien  aise  si  a'ous  vouliez 
prendre  patience  sur  la  susdite  jus(iu*a  ce  cpie  je  serai  de  retour  ä  Berlin,  et  que 
j'aurni  assez  de  loisir  pour  y  penser«.  Der  König  wollte  sich  die  Aufgalie,  selbst 
die  Akademie  zu  begründen,  nicht  nehmen  lassen. 

*  Geb.  am  18.  September  1704,  gest.  zu  Berlin  am  9.  ]Mai  1781.  Eloge  von 
seinem  Sohne  in  den  Mem.  1782  p.  70  —  77.  Nach  Denina,  La  Prusse  litt.  H  p.  57, 
war  Francheville  dem  Weingenuss  ergeben.  Die  Akademie  hat  er  als  Dichter  diu-ch 
widerliclie  Schmeicheleien,  die  er  dem  Könige  widmete,  und  als  Historiker  durcli 
lächerlieh  unkritische  Abliandlun"en  blaniirt. 


264     Geschichte  dei-  Akademie  unter  Fiuedrich  dem   CJrossen  (1740  —  1746). 

Latte  —  als  Historiker,  Philosoph,  dilettireiider  Naturforscher  und 
Dichter  gleich  unbedeutend,  aber  fähig,  sich  ül)er  alle  Fragen  in 
Prosa  oder  Poesie  zu  äussern  und  bei  Festen  französische  Oden  vor- 
zutragen. Diese  Männer  und  andere,  ihnen  ähnliche,  dazu  einige 
Gelehrte  der  Berliner  französischen  Colonie,  die  nicht  in  die  alte 
Societät  aufgenommen  waren,  suchten  nach  einem  Zusammenschluss, 
der  ihnen  zugleich  ein   Ansehen  verschaffen  sollte. 

Zweitens  hatte  Friedrich's  Vorbild  und  Beispiel  die  Folge  gehabt, 
dass  auch  in  den  hohen  diplomatischen  und  militärischen  Kreisen 
Preussens  solche  Männer  in  den  Vordergrund  traten,  welche  Bildung 
besassen  und  litterarischen  Interessen  huldigten.  Sie  verachteten  die 
Haudegen  Friedrich  Wilhelm's  I.  mit  ihren  rohen  und  plumpen  Spässen. 
Julius  Caesar,  der  Feldherr,  Staatsmann  und  Schriftsteller,  wurde  ihr 
Ideal,  das  sie  in  dem  jungen  Könige  auf's  Neue  verwirklicht  sahen. 
Ihm  und  den  grossen  französischen  Aristokraten  wollten  sie  es  nach- 
thun,  die  auch  den  Degen  und  die  Feder  zu  verbinden  verstanden,  die 
die  Truppen  in  die  Schlacht  führten ,  aber  sich  im  Frieden  mit  der  ho- 
hen europäischen  Politik  beschäftigten,  die  geistige  Entwickelung  aller 
Länder  verfolgten,  sich  über  die  neuen  Errungenschaften  der  Wissen- 
schaft unterrichteten  und  an  der  schönen  Litteratur  lebendigen 
Antheil  nahmen.  Schon  während  des  ersten  Schlesischen  Krieges 
hatten  diese  Militärs  zusammen  mit  den  Litteraten ,  die  Friedrich 
in's  Feld  gefolgt  waren,  hin  und  her  zwanglose  Versammlungen 
gehalten.  Nun  im  Frieden  erwachte  das  Bedürfniss  mit  doppelter 
Stärke,  etwa  nach  dem  Muster  des  Pariser  »Club  de  l'P^ntresor« 
in  Berlin  eine  wissenschaftlich -litterarische  Gesellschaft  zu  begrün- 
den. An  der  Spitze  dieser  Aristokraten  standen  der  Staatsminister 
Kaspar  Wilhelm  von  Borcke",  einer  der  ersten  Übersetzer  Shake- 
speare's,  und  der  Generalfeldmarschall  Samuel  Graf  von  Schmettau^. 
Dieser  darf  zu  den  merkwürdigsten  Männern  in  der  ersten  Hälfte 
des  1 8.  Jahrhunderts  gezählt  werden.  Als  Preusse  geboren,  stand 
er,  wie  ein  alter  Landsknecht,  bis  zum  Jahre  1741  erst  in  däni- 
schen, dann  in  niederländischen,  ansbachischen,  hessischen,  kur- 
sächsischen  und  kaiserlichen  Diensten  und  brachte  es,  durch  siegreiche 
Schlachten  berühmt,  ausgezeichnet  im  Festungskrieg  und  als  Karto- 


^    Siehe  Hettner,  Französ.  Litt,  im   18.  Jahrhunderts  8.83!'. 

^  Er  starb  schon  im  März  1747  als  Curator  der  Akademie.  Eloge  von  Mau- 
pERTiTis  in  den  Mem.  1747  p.  18  — 21.     Allg.  Deutsche  Biographie  Bd.  31   S.  644 ff. 

^  Geb.  am  26.  März  1684,  gest.  zu  Berlin  am  18.  August  1751.  Eloge  von 
jNIaupertuis  in  den  INIem.  1750  p.  31— 44. 


Die  Xouvelle  yociete  Littei'aire  (von  Schmettau).  2b 5 

grapli,  zum  österreichischen  Feld  marsch  all.  In  Oesterreich  beneidet 
mid  angefeindet,  trat  er  am  12.  Juni  1741  in  preussische  Dienste  als 
Generalfeldzeugmeister  inid  Grand-Maitre  d 'Artillerie  und  genoss  in 
der  ersten  Zeit  als  Militär  und  als  »homme  d'esprit«  des  Königs 
Vertrauen  im  höchsten  Maasse.  Im  Jahre  1743/44  war  sein  Ansehen 
beim  Könige  besonders  gross.  Der  Monarch  glaubte  in  dem  öster- 
reichischen Renegaten  einen  Mann  gefunden  zu  haben,  der  im  Krieg 
wie  im  Frieden,  auf  dem  Schlachtfeld,  in  der  Politik,  der  Wissen- 
schaft und  der  höheren  Conversation  gleich  brauchbar  und  zum 
Organisator  geboren  sei.  Aber  die  Zuverlässigkeit  (auch  die  Un- 
eigennützigkeit?)  Schmettau's  war  nicht  über  jeden  Zweifel  er- 
haben, und  im  November  1744  erfolgte  sein  Stürzt  Doch  das 
liegt  bereits  hinter  dem  Zeitabschnitt,  der  uns  hier  beschäftigt.  Im 
Jahre  1743  war  Schmettau  das  anerkannte  Haupt  der  »Societe  de 
Berlin«,  und  er  war  entschlossen,  diese  »Societe«  in  eine  littera- 
rische Gesellschaft,  in  eine  Akademie,  zu  verwandeln.  Ihm  ver- 
dankt es  die  Akademie,  dass  die  Frage  ihrer  Reorganisation  wirk- 
lich in  Fluss  kam. 

Drittens,  in  der  Societät  selbst  war  nicht  nur  Euler  mit  den 
veralteten  Zuständen  unzufrieden,  auch  einige  andere  Mitglieder  er- 
warteten sehnlichst  eine  Änderung,  vor  allem,  um  die  lästige  Be- 
vormundung durch  die  Directoren  los  zu  werden;  denn  noch  immer 
waren  die  Mitglieder  ohne  Charge  von  der  Einsicht  in  die  Finanz- 
verwaltung ausgeschlossen.  Die  »Arcanisten«,  d.  h.  die  Directoren 
mit  dem  vSecretar  und  dem  Protector,  dem  Minister  von  Viereck, 
besorgten  Alles  allein.  Der  eigentlich  Eingeweihte  war  aber,  wie 
es  zu  geschehen  pllegt,  der  Subalternbeamte  Köhler,  der  den  Ka- 
lendervertrieb l)esorgte.  Nicht  mit  Unrecht  nahm  man  an,  dass 
er  dabei  ebenso  viel  für  sich  gewann  wie  für  die  Societät.  Zwi- 
schen den  Klassen  war  aller  Zusammenhang  geschwunden;  eine  jede 
tagte  für  sich;  nur  einmal  im  Jahr  wurde  eine  Gesammtsitzung  ge- 
halten. Aber  auch  die  Klassensitzungen  wurden  schlecht  besucht; 
eine  anregende  Discussion  fand  überhauj^t  nicht  statt.  Kein  Wunder, 
dass  die  jüngeren  Mitglieder  sich  nach  einer  Reorganisation  oder 
nach   einer  neuen,   gehaltvolleren  Verbindung  sehnten. 

Da  traten  von  Borcke  und  von  Schmettau  im  Juli  1743  zusam- 
men, um  eine  »Societe  Litteraire«  als  dauernde  Fortsetzung  der 
zwanglosen  A^ereinigungen    zu   gründen ,    deren    man    sich    während 


^    Koser,  König  Friedrich  der  Grosse  S.240. 


206     Geschichte  der  Akndemie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1740—1746). 

des  Schlesischen  Feldzugs  in  Breslau  erfreut  hatte  \  Die  Gesell- 
schaft sollte  abwechselnd  in  ihren  Hotels  tagen.  Sie  beauftragten 
Jordan  und  Bielfeld  ,  Mitglieder  zu  werben ,  d'Argens  interessirte 
sich  lebhaft  für  die  Gründung,  und  überraschend  schnell  konnte 
die  neue  Gesellschaft  etablirt  werden  —  ein  Beweis,  welches  An- 
sehen SciiiMETTAU  genoss.  Sechzehn  Membres  honoraires  wurden 
in  wenigen  Wochen  aufgenommen'  und  zwanzig  ordentliche  Mit- 
glieder, von  denen  nicht  weniger  als  zehn  der  alten  Societät  an- 
gehörten^. Mit  einem  Schlage  war  erreicht,  was  damals  die  Vor- 
aussetzung für  die  Autorität,  den  Glanz  und  das  Gedeihen  einer 
Akademie  schien,  die  Mischung  aller  Elemente,  die,  sei  es  durch 
Stand  und  Erziehung,  sei  es  durch  Wissenschaft  und  Gelehrsamkeit, 
oder  durch  feine  litterarische  Bildung,  etwas  zur  gegenseitigen  Be- 
lehrung und  Unterhaltung  beizutragen  vermochten.  Diplomaten, 
Generale,  Historiker,  Naturforscher,  Mathematiker,  Journalisten  und 
Litteraten  reichten  sich  die  Hand,  und  da  vertraute  Freunde  des 
Königs  Mitglieder  geworden  waren,  so  durfte  man  der  Huld  und 
Gnade  des  Monarchen  sicher  sein.  Neben  Schmettau  w^aren  es  vor 
allem  die  Franzosen  bez.  Hugenotten  d'Argens,  Francheville,  For- 
met, Jordan  und  Pelloutier,  die  sich  der  neuen  Akademie  freuten 
und  den  französischen  Geist  auf  sie  übertrugen.  Sich  des  Deutschen 
und  der  deutschen  Bildung  zu  erinnern,  kam  Niemandem  in  den 
Sinn ,   auch  nicht  dem  kosmopolitischen   Schweizer  Euler. 

Am  I.August  1743  wurde  die  erste  Sitzung  gehalten  und  der 
Vorstand  gewählt.  d'Argens,  Sack  und  von  Jariges  wurden  beauf- 
tragt, die  Statuten  zu  entwerfen.  Der  Letztere  —  er  war  zugleich 
secretarius  perpetuus  der  alten  Societät  —  hat  sie  abgefasst.  Sie 
wurden  in  der  zweiten  Sitzung  am  S.August  geprüft  und  angenom- 
men \    d'Argens  hielt  eine  Rede  über  »den  Nutzen  der  litterarischen 


^  Siehe  Bielfeld,  Lettres  familieres  et  autres  T.II  p.  136 ff.  und  die  Briefe, 
die  voi'hergehen. 

^  Ausser  von  Schmettau  und  von  Borcke  der  Grossmarscliall  Graf  von  Got- 
ter, die  drei  Minister  von  Viereck,  Graf  von  Podewils  und  Graf  von  Mi'nchow, 
der  Generalmajor  von  Goltz,  von  Pölnitz,  von  Keyserlingk  ,  von  Swerts  (er  leitete 
die  Schauspiele),  Vockerodt,  von  Knobelsdorff,  Graf  von  Finckenstein,  der  Ge- 
neral-Adjutant VON  Borcke,  der  Oberst  Stille  und  Duhan  de  Jaudun. 

^  Euler,  Pott,  Lieberkühn,  Marggraf,  Ludolff,  Naude,  Kies,  Eller, 
VON  Jariges,  Gleditsch  •  (diese  gehörten  auch  der  alten  Societät  an),  d'Argens, 
Achaed  sen.  et  jun..  Formet,  Pelloutier,  Humbert,  Jordan,  Bielfeld,  Franche- 
ville, Sack. 

■*  Bielfeld  a.  a.  O.  erzälilt,  dass  er  sie  dann  redigii't  liabe  und  zum  Protokoll- 
führer und  Secretar  gewälilt  worden  sei. 


Die  Nouvelle  Societe  Litteraire.  26  < 

Gesellscliaften«,  und  Francheville  recitirte  eine  schwülstige  Ode  auf 
»die   Errichtung  der  Berliner  Societät^^. 

Die  Statuten",  die  denen  der  Pariser  Akademie,  zum  Theil  auch 
denen  der  alten  Societät,  nachgebildet  sind,  legen  auf  die  freie,  demo- 
kratischeVerfassung  der  Societät  grosses  Gewicht,  schliessen  alles  bloss 
Unterhaltende  aus  dem  Kreise  der  Aufgaben  aus,  ziehen  aber  Philo- 
sophie —  sie  steht  voran  — ,  Mathematik,  Naturgeschichte,  Ge- 
schichte, Litteratur  und  Kritik  hinein.  Der  Director  (aus  der  Zahl 
der  Ehrenmitglieder)  und  der  A^ice- Director  (aus  der  Zahl  der  ordent- 
lichen Mitglieder)  sollen  jedes  halbe  Jahr  neu  gewählt  werden:  der 
erste  Director  war  von  Schmettau.  Sitzungen  sollen  jeden  Donnerstag 
—  an  diesem  Tage  waren  auch  die  Sitzungen  der  alten  Societät,  die 
man  auf  diese  Weise  umzubringen  gedachte  —  von  4  bis  6  Uhr 
gehalten  werden;  die  ordentlichen  Mitglieder  waren  zum  regelmässi- 
gen Erscheinen  und  zu  jährlichen  Vorträgen  verptlichtet.  Die  So- 
cietät sollte  Sitzungsberichte  herausgeben;  aber  nur  solche  Abhand- 
lungen, die  von  der  Mehrzahl  genehmigt  waren,  durften  dem  Druck 
übergeben  werden.  Als  Sprache  war  das  Französische  in's  Auge 
gefasst;  auch  die  Statuten  waren  französisch  redigirt.  Doch  war 
das  Deutsche  nicht  ausgeschlossen. 

Kein  Zweifel,  dass  man  mit  Ernst  an  das  neue  Unternehmen 
gegangen  ist.  Wir  besitzen  einen  Auszug  aus  den  Protokollen  der 
21  Sitzungen,  welche  die  junge  Akademie  vom  i,  August  1743  bis 
zum  16.  Januar  1744  —  also  ziemlich  regelmässig  —  gehalten  hat^, 
und  erkennen  aus  ihnen ,  dass  man  nicht  Allotria  trieb.  Euler  hat 
über  mechanische  Probleme  gesprochen  und  astronomische  Mitthei- 
lungen gemacht;  Lieberkühn  trug  seine  Entdeckungen  über  die  »par- 
ties  plus  subtiles  dans  les  intestins«  am  14.  November  vor;  Pott 
sprach  über  »die  chemische  Untersuchung  der  gemeinen  Steine  und 
Erden«;  Francheville  kündigte  eine  Geschichte  der  Künste  an;  der 
schnellfertige  Formey  entwarf  einen  Plan  für  ein  philosophisches 
Wörterbuch;  Marggraf  trug  über  Metall -Lösungen  vor;  d'Argens 
sprach  über  den  Pyrrhonismus  in  der  Behandlung  der  Geschichte 
bei  dem  Jesuiten  Hardouin;  Jordan  las  eine  Abhandlung  über  das 
Leben  Herodot's.      Das  Protokoll  bemerkt,   dass  in  der  Sitzung  vom 


^  Rede  und  Ode  sind  abgedruckt  in  Formey's  Hist.  de  TAcad.  Royale  (1752) 
p.  73ft".  78 ff.  Bartholmess  in  seiner  Geschichte  der  Akademie  (Ip.  i54f.)  hat  sie 
irrtliünilich  auf  die  Eröffnungsfeier  der  neuen  Akademie  im  Jahre  1744  verh'gt. 

-    Siehe  Urkundenband  Nr.  149. 

^    Abgedruckt  im  Urkundenband  Nr.  150. 


2()8    Ge.scliiclite   der  Akademie   unter  Fi{ii:uKirii   dein   Grossen  (1740— 174()). 

S.October,  als  Eller  physikalische  Experimente  zeigte,  Mr.  Voltaire 
anwesend  gewesen  sei.  Auf  Einladung  Friedrich's  war  er  im  Herbst 
1743  zum  zweiten  Mal  auf  einige  Wochen  nach  Berlin  gekommen^; 
aber  er  konnte  nicht  l)leiben  und  das  Scepter  der  Akademie  in  die 
Hand  nehmen,  denn  offenkundig  war  er  damals  als  französischer 
Geschäftsträger  in  Berlin.  Immerhin  erhielt  die  Societät  durch  seine 
Gegenwart  in  den  Augen  der  »Welt«  die  Weihe,  und  der  König, 
der  in  jenen  Monaten  keine  Zeit  hatte,  eine  Akademie  zu  gründen, 
liess  sich  die  neue  Schöpfung  Schmettau's,  Jordan's  und  d'Argens', 
die  ohne  sein  Zuthun,  aber  nicht  wider  seinen  Willen,  entstanden 
war,  gefallen,  räumte  ihr  ein  Appartement  im  Schloss  ein  und  er- 
klärte, wenn  wir  Bielfeld  Glauben  schenken  dürfen",  das  Protec- 
torat  der  neuen  Gesellschaft  übernehmen  zu  wollen. 

Die  Betheiligten  sahen  in  der  «Nouvelle  Societe  litteraire«  die 
neue  Akademie,  die  Friedrich  verheissen  hatte.  Demgemäss  schrieb 
Euler  an  den  König  und  bat  ihn,  jetzt  sein  Versprechen  zu  er- 
füllen und  ihm  die  Übersiedelungskosten  (von  Petersburg)  zu  er- 
statten. Bisher  habe  er  an  das  Versprechen  nicht  erinnert,  weil 
er  dem  Könige  noch  keine  Dienste  habe  leisten  können,  nun  aber 
sei  die  Societe  litteraire  eingerichtet,  und  er  werde  alle  seine  Kräfte 
für  sie  einsetzen.  »Cette  Societe  se  trouve,  a  mon  avis ,  dejä  sur 
un  si  bon  pied,  qu'il  ne  manque  plus  qu'un  bon  mathematicien 
avec  un  habile  astronome  pour  la  rendre  aussi  et  peut-etre  plus 
parfaite  que  celle  de  Paris. «  Er  empfiehlt  D.  Bernoulli  in  Basel 
und  Heinsius  in  Petersburg". 

Man  sieht,  an  die  alte  Societät  wurde  überhaupt  nicht  mehr 
gedacht.  Schmettau  Lind  Euler  wünschten  augenscheinlich,  sie 
sollte  still  verlöschen.  Allein  hatte  sie  nicht  noch  in  eben  diesem 
Jahre  einen  Band  Miscellanea  herausgegeben?  Stand  nicht  ein  Staats- 
minister als  Protector  an  ihrer  Spitze?  Bewahrte  sie  nicht  eine 
glänzende  Erinnerung  an  ihren  ersten  Chef,  an  Leibniz?  Und  — 
das  war  nicht  das  Geringste  —  besass  sie  nicht  aus  dem  Kalender- 
privileg reiche  Einkünfte,  während  die  »Nouvelle  Societe  Litteraire 
de  Berlin«  über  keinen  Groschen  verfügte?  So  einfach  war  es  doch 
nicht,    die  Schöpfung  Friedrich"s  I.   und   Leibnizcus    zu    beseitigen! 


^    Koser,  a.a.O.  8.218. 

^    Die  Acten  enthalten  nichts  davon. 

^    CEuvres  T.  20  p.  202  f.  vom    19.  Octoher  1743. 


Vereinigung  der  alten  Societät  mit  der  Societe  Litteraire  (1743/44).       2G9 

Am  2.  November  1 743  unterbreitete  der  Minister  von  Viereck 
dem  Könige,  der  bereits  unter  dem  2  9.0ctober  eine  Untersuchung 
der  Fonds  und  der  ganzen  Verwaltung  der  alten  Societät  verlangt 
hatte,  einen  Bericht.  Er  erinnert  in  demselben  zuerst  an  seine 
frühere  Eingabe  vom  9.  Juni  1740  (s.  oben  S.  249  und  Urk.  Nr.  145). 
Sodann  bemerkt  er,  dass  Frisch,  der  Director  der  historisch -philo- 
logischen Klasse,  gestorben  und  einstimmig  der  Director  des  Joachims- 
thalschen  Gymnasiums  Heinius  zu  seinem  Nachfolger  gewählt  worden 
sei.  In  der  mathematischen  Klasse  stehe  es  so,  dass  der  nun  95  Jahre 
alte ,  treffliche  Director  des  Vignoles  gebeten  habe ,  ihm  einen  Director 
zu  adjungiren ;  Euler  sei  von  der  mathematischen  Klasse  in  Vorschlag 
gebracht;  der  Minister  bittet,  der  König  möge  diese  Wahlen  bestätigen. 

Der  König  legte  diesen  Brief  Scidiettau  vor.  Dieser  äusserte 
sich  in  einem  Bericht  an  den  König  vom  9.  November.  Es  geht 
aus  ihm  hervor,  dass  der  Feldmarschall  schon  früher  dem  Mon- 
archen vorgestellt  hatte,  es  müsse  durch  zweckmässige  Verbindung 
der  alten  Societät  mit  der  litterarischen  eine  ganz  neue  Societät, 
(1.  h.  eine  würdige  Akademie,  geschaffen  werden.  Der  König  hatte 
geantwortet,  dass  er  glücklich  sei,  Schmettau  an  der  Spitze  der 
neuen  Akademie  zu  sehen,  und  sich  freue,  dass  er  bereits  an  die 
Befestigung  derselben  durch  Vereinigung  mit  der  alten  Societät 
denke.  Jetzt,  schreibt  Schmettau,  sei  der  Moment  gekommen: 
denn  Euler  habe  erklärt,  er  werde  die  Direction  der  ma- 
thematischen Klasse  nicht  übernehmen,  w^enn  nicht  beide 
Societäten  mit  einander  vereinigt  würden.  Demgemäss  unter- 
breitet VON  ScHJiETTAu  —  gcwiss  im  Einvernehmen  mit  Euler  (wahr- 
scheinlich auch  mit  Jordan  und  d'Argens)  —  dem  Könige  folgende 
Vorschläge: 

i)  De  nommer  une  coinmission,  composee  de  deux  ministres 
parmi  lesquels  M.  de  Viereck  [der  Protector  der  alten  Societät]  de- 
vait  necessairement  etre,  de  trois  des  premiers  honoraires  de  la 
nouvelle  Societe,  comme  aussi  de  deux  membres  de  l'Academie 
ancienne   et  de   deux  de  la  nouvelle,   et  de  donner  les  ordres,   que 

2)  Cette  commission  examine  exactement  tous  les  revenus  de 
l'iVcademie,   leurs   emoluments,  privileges   et  pensions   accordees, 

^  Die  folgende  Darstellung  fusst  fast  ausscliliesslicli  auf  dem  innfangreichen 
Actenfascikel  des  Akademischen  Archivs,  betreffend  die  Neugründung  der  Akademie 
in  den  Jaln-en    1743  — 1746. 


2/0     (i(\sclii('litc  der  Ak;ulciiiic   unter  Frikürich   dein   (irossen   (1740  — 174()). 

3)  La  irieme  coinmission  formerait  im  nouveau  plan  dAcado- 
iiiie,  siir  (juel  pied  les  deux  Academies  pourraient  etre  reunies.  Ce 
plan  devrait  etre  presente  a  Votre  Majeste  ponr  (pi'Ellle  decide  du 
tout,  mais  le  plus  sur  moyen  ä  faire  reussir  la  nouvelle  Acadeniie 
serait, 

4)  Si  Votre  Majeste  voudrait  Tlionorer  de  ses  gräces  particu- 
lieres,  en  Se  nommant  Son  Chef,  parce  que  ce  serait  le  moyen  de 
donner  a  TAcademie  un  lustre  infini,  et  aux  membres  qui  la  com- 
poseront  une  emulation,  au  lieu  que  ci-devant,  lorsqu'on  y  a  mis 
des  gens  ridicules,  cela  a  discredite  chez  les  Etrangers  l'Academie  et 
Inen  loin  d'encourager  les  membres  savants  les  a  entierement  al)attus. 

Der  König  handelte  nach  dieser  Eingabe.  Am  13.  November 
theilte  er  Schmettau  mit,  dass  er  in  die  Verbindung  der  alten  und 
der  neuen  Societät  willige  und  nach  Schmettau's  Vorschlag  eine 
Ordre  an  die  Minister  von  Viereck,  von  Marschall  und  von  Arnim 
gerichtet  habe,  welche  die  Untersuchung  der  ganzen  Verwaltung 
der  alten  Societät  und  die  Einsetzung  einer  Commission  zur  Begrün- 
dung einer  neuen  Akademie  aus  den  beiden  Gesellschaften  anbe- 
fehle. Diese  Ordre  erging  ebenfalls  am  13.  November.  Statt  zweier 
Minister,  wie  Schmettau  vorgeschlagen,  ernannte  der  König  drei 
in  die  Commission ,  so  dass  sie  aus  i  o  Mitgliedern  bestand ;  dass 
er  selbst  das  Protectorat  der  neuen  Schöpfung  übernehmen  wolle, 
stellt  er  bereits  in  Aussicht.  An  demselben  Tage  endlich  schrieb 
der  König  an  von  Viereck,  seine  Eingabe  vom  2.  November  sei  wohl- 
T)egründet,  sie  solle  aber  zusammen  mit  der  Neuordnung  der  Ver- 
hältnisse in  der  niedergesetzten  Commission  ihre  Erledigung  findend 

Damit  war  die  Vereinigung  der  beiden  Societäten  be- 
schlossen, aber  über  den  Modus  war  nichts  angegeben.  Hier 
inussten  Kämpfe  entstehen.  Die  Minister,  vor  allem  von  Viereck, 
und  der  Secretar  von  Jariges  waren  für  möglichste  Schonung  der 
alten  Societät  und  wünschten  deshalb  eine  einfache,  glatte  Combi- 
nation  der  l)eiden  Societäten  bez.  die  Aufnahme  sämmtlicher  Mit- 
glieder der  neuen  litterarischen  Societät  in  die  alte;  einige  Reformen 
sollten  dann  folgen.  Dagegen  verlangten  von  Schmettau,  Euler 
und  ihre  Freunde  die  Aufhebung  der  alten  Societät  und  eine  ganz 
neue  Akademie,  die  durch  Auswahl  aus  der  Zahl  der  bisherigen 
Mitglieder  beider  Societäten  geschaffen  werden  solle  (in  Wahrheit 
hätte  die  »Auswahl«  nur  die  Mitglieder  der  alten  Societät  betroffen), 


^    Siehe  die  drei  Actenstücke  im  Urkundenband  Nr.  151— 153. 


Vereinigung-  der  alten   Societät  mit   der  .Societe  Litteraire  (1743/44).       '2  i  1 

dazu  neue  Statuten.  Wie  liocli  Schmettau  damals  beim  Könige  an- 
gesehen war,  gellt  daraus  hervor,  dass  er  sich  bereits  am  i2.No- 
veml)er  —  also  noch  bevor  die  Königliche  Ordre  zur  Vereinigung 
der  Societäten  erschienen  war  —  vom  Minister  von  Viereck  die  Ur- 
kunde über  die  Fundation  der  alten  Societät  erbat;  er  war  also  schon 
im  Voraus  seiner  Sache  sicher.  Der  Minister  übersandte  ihm  das 
einzige  Exemplar,  d.  h.  das  Original.  Es  wird  heute  im  Akademi- 
schen Archiv  vermisst;   hat  es  Schmettau  nicht  zurückgeschickt? 

Die  Minister  betrauten  den  Geheimrath  Durham  und  den  Kriegs- 
rath  Bastinelles  (Bastinet)  mit  der  Untersuchung  der  Finanzen  der 
alten  Societät  und  forderten  am  17.  November  beide  Societäten  auf, 
die  Commissionsmitglieder  —  am  22.  November  sollte  die  erste 
Sitzung  stattfinden  —  zu  erwählen.  Um  aber  die  Entwicklung 
der  Angelegenheit  möglichst  in  ihrer  Hand  zu  behalten,  schlugen 
sie  den  beiden  Societäten  zugleich  die  Männer  vor,  die  sie  gewählt 
zu  sehen  wünschten,  der  neuen  Societät  den  General -Major  von  der 
Goltz,  den  Geheimen  Rath  Vockerodt  und  den  Grafen  von  Fincken- 
stein  (aus  der  Zahl  der  Membres  honoraires)  und  Jordan  und  Biel- 
feld  (aus  der  Zahl  der  ordentlichen  Mitglieder  der  litterarischen  So- 
cietät), der  alten  den  Hofrath  Eller  und  den  Secretar  von  Jariges. 
Sie  suchten  also  im  Voraus  von  Schmettau  aus  der  Commission  aus- 
zuschliessen.  Allein  die  neue  Societät  Hess  sich  nichts  vorschreil)en. 
Zwar  Jordan  und  Bielfeld  wählte  sie,  aber  aus  der  Zahl  der  Membres 
honoraires  ernannte  sie  von  Podewils',  K.W.  von  Borcke  und  von 
Schmettau. 

Die  Minister,  mit  diesen  Wahlen  unzufrieden,  thaten  nun  einen 
Schritt,  der  Schjiettau  mit  Recht  erzürnen  musste.  Um  den  König 
für  ihre  conservativen  Absichten  in  Bezug  auf  den  Modus  der  A"er- 
einigung  der  1  )eiden  Societäten  zu  gewinnen ,  übergaben  sie  am  2  i .  No- 
vember, d.  h.  am  Tage  vor  der  ersten  Sitzung  der  Commission,  dem 
Könige  ein  Pro  Memoria,  welches  sie  allerdings  als  ein  vorläufiges 
bezeichneten.  Auf's  Wärmste  traten  sie  für  die  alte  Societät  ein ; 
sie  riethen  davon  ab,  sie  aufzuheben;  man  solle  sie  vielmehr  ver- 
bessern, vermehren  und  ihren  Glanz  erhöhen;  ihre  Statuten  und 
Ordnungen  seien  beizubehalten;  denn  sie  seien  nach  dem  Muster 
der  anderen  Akademieen  gearbeitet  und  gut,  auch  gehörten  viele 
auswärtige  berühmte  Männer  zu  ihr.      Sie   erklären ,   dass  auch   die 


^    Vergl.  über  ilni  den  Artikel  von  Koser  in  der  AUg.  Deutschen  Biographie 
Bd.  26  S.  344 ff. 


272    (icsclüclite  der  AkfulcMnic  unter  Friedrich  dem   Grossen  (1740—1746). 

neue  litterarische  Societät  ihre  Statuten  nach  denen   der  alten   ent- 
worfen liabe;  diese  sei  nur  «zeither  nicht  mit  der  Gegenwart  so  vieler 
vornehmer  Männer  beehrt  worden«.     Sie  schlagen  demgemäss  vor, 
(i)  sämmtliche  Membra   honoraria    der  neuen  litterarischen  So- 
cietät in   die  alte  als  Ehrenmitglieder  aufzunehmen, 

(2)  da  A^on  den  ordentlichen  Mitgliedern  der  neuen  Societät  nur 
etwa  acht  nicht  in  der  alten  seien,  so  wären  diese  in  die 
alte  aufzunehmen  und  in  die  Klassen   zu  vertheilen, 

(3)  die  so  vermehrte  Societät  könne  dann  über  die  nöthigen  Ver- 
besserungen im   Einzelnen   l)erathen, 

(4)  die  Versammlungen  sollen  zur  A'ermehrung  des  Lustre  in 
einem  Zimmer  des  Schlosses  in  Gegenwart  der  Ehreimiit- 
glieder  gehalten   werden, 

(5)  wenn  der  König  diese  Grundsätze  billige,  würden  sie  sie  als 
Eichtsclmur  der  Commission   mittheilen. 

Weiter  bemerken  sie,  dass  die  Societät  seit  Jablonski\s  Tod 
keinen  Präsidenten  mehr  besitze;  bei  Aufstellung  des  Etats  sei  da- 
her des  Königs  allerhöchste  Intention  zu  wissen  nöthig,  »ob  ein 
berühmter  Mann  aus  fremden  Landen  dazu  vorgeschlagen  und  berufen 
werden  solle,  welchenfalls  man  wohl  auf  eine  zulängliche  Besoldung 
den  Vorschlag  wird  machen  müssen«.  .Schliesslich  zeigen  sie  dem 
Könige  die  Namen  der  gewählten  Commission smitglieder  an  und  er- 
bitten sich  das  Recht,  von  sich  aus  noch  den  einen  oder  anderen 
hinzuziehen   zu  dürfen. 

Die  Vorschläge  der  Minister  waren  wohlerwogen  und  unter  den 
gegebenen  Verhältnissen  die  besten  —  warum  sollte  man  die  alte 
Societät  aufheben,  auch  wenn  sie  einige  wenig  taugliche  Mitglieder 
besass?  Allein  die  Art,  wie  die  Königlichen  Räthe  vorgingen,  war 
nicht  richtig  und  entsprach  auch  nicht  der  Willensmeinung  ihres 
Herrn.  Er  hatte  befohlen,  dass  die  Commission  den  Modus  der  Ver- 
einigung der  beiden  Societäten  ausfindig  machen  sollte ;  die  Minister 
griffen  vor.  Stimmte  der  König  ihnen  bei,  so  war  die  Commission 
überflüssig;  denn  alle  Directiven  für  den  Modus  der  Verbindung 
waren  bereits  gegeben.  Auch  die  Bitte,  die  Commission  von  sich  aus 
durch  Hinzuziehung  neuer  Mitglieder  verstärken  zu  dürfen ,  kam  einem 
Gewaltstreich  gleich.  Die  Minister  fürchteten,  dass  nach  dem  Ausfall 
der  Wahlen  in  der  Commission  Fünf  gegen  Fünf  stehen  würden ,  und 
w^ollten  sich  daher  im  Voraus  die  Majorität  sichern.  Bereits  wurde 
von  den  Mitgliedern  beider  Societäten  die  Frage  der  Vereinigung  und 
die  Aufstellung    eines    neuen   Statuts    auf's    Lebhafteste    verhandelt. 


Vereinigung  der  alten  Societät  mit  der  Societe  Litteraire  (1743/44).      2/3 

So  sclirieb  BiELFELD  am  2 1 .  November,  sich  beklagend,  dass  Elsner 
alle  pliilosopliisclien  Untersucliungen  aus  dem  Kreise  der  Aufgaben 
der  neuen  Akademie  auszusch  Hessen  anratlie\  »Si  au  contraire  mon 
avis  peut  etre  de  quelque  consideration,  j'en  proscrirai  une  infinite 
de  pedanteries  philologiques ,  par  lesquelles  on  a  täclie  de  briller 
dans  l'ancienne  Societe  [das  geht  direct  gegen  Elsner].  L'erudition 
grammairienne  serait  a  mes  yeux  fort  peu  de  chose  en  comparaison 
d'une  bonne  et  solide  logique.«  Es  war  der  Gegensatz  der  alten  und 
der  neuen  Zeit. 

Am  22.  November  hielt  die  Commission  ihre  erste  Sitzung  ab. 
Da  die  Minister  vom  Könige  noch  keinen  Bescheid  auf  ihre  Eingabe 
erhalten  hatten,  so  Hessen  sie  es  zu  sachlichen  Verhandlungen  nicht 
kommen.  Was  aber  that  der  König?  Er  sandte  den  Bericht  der 
Minister  an  von  Schmettau  und  forderte  ihn  zur  Äusserung  auf". 
So  war  in  loyalster  Weise  die  Freiheit  der  Commissionsberathung 
wiederhergestellt. 

Schmettau  war  verletzt,  weil  die  Minister  den  Versuch  gemacht 
hatten ,  vorzugreifen ;  er  war  ausserdem  mit  den  von  ihnen  gemachten 
Vorschlägen  höchst  unzufrieden.  In  zwei  Eingaben  vom  26.  November 
(einer  französischen  und  einer  deutschen,  die  letztere  war  wohl  für 
die  Commission  bestimmt)  kritisirte  er  sie  scharf.  Es  sei  unmöglich, 
wie  die  Minister  wollen ,  die  alte  Societät  einfach  zu  conserviren ; 
denn  in  ihr  befinde  sich  eine  »grande  quantite  de  gens  qui  n'ont 
ni  litterature  ni  merite  distingue,  pour  etre  admis  dans  une  Societe 
dont  V.M.  meme  veut  bien  prendre  le  titre  de  Chef« ;  dieser  Meinung 
sei  die  ganze  neue  Societät^.  Namens  eben  dieser  Societät  legt  er 
einen  Plan  bei  über  die  Gestaltung  der  zu  gründenden  Akademie  (auch 
die  Mitglieder  werden  bereits  von  ihm  aufgeführt).  Die  alte  Societät, 
führt  er  aus,  stand  unter  ganz  anderen  Anspielen :  sie  war  fast  ein 
CoUegium  de  propaganda  fide  [das  ist  eine  sehr  starke  Übertreibung 


^    Akademisches  Archiv;    Adressat   nicht    sicher  zu  ermitteln,    wahrscheinlich 

VOX     SCH3IETTAU. 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  154. 

^  Hiernach  lässt  sich  leicht  feststellen,  welche  ^Mitglieder  der  alten  Societät 
auf  der  Proscriptionsliste  standen.  Nicht  zur  neuen  Societät  gehörten  unter  den 
]Mitgliedern  der  alten  die  Mediciner  Buddeus,  CARrrA.  Gkiscuau.  Horch,  Kirstetiek, 
LuDOLFFsen.,  Schaarschmidt,  Sprögel,  ferner  Wac^xer,  Herixg,  Küster,  Elsner, 
Heinius,  Stubenrauch,  dazu  der  emeritirte  des  Vignoles,  der  nicht  mehr  in  Be- 
tracht kam  (er  starb  als  der  Nestor  der  europäischen  Gelehrten  am  24.  Juli  1744; 
sein  Eloge  imd  ein  Katalog  seiner  sämmtlichen  Publicationen  in  den  ]Mem.  1745 
p.  III ff.). 

Geschichte  der  Akademie.    I.  18 


"274    (icscliiclite  der  Akademie  unter  Friedrich  dem   Grossen  (1740— 174G). 

oder  vielinelir  eine  Unwahrheit],  »worunter  eine  theologische  Prä- 
potentz  mag  verborgen  gelegen  haben«.  Sie  hat  so  »algecta  membra« 
besessen  wie  den  Astralicus  Gundling  [nicht  Gundling  war  «astra- 
licus«,  sondern  Graben  von  Stein],  und  in  Folge  dessen  wollen  Aus- 
länder wie  Barbeyrac  ihre  Mitgliedschaft  nicht  mehr  auf  ihre  Bücher- 
titel schreiben.  Auch  ist  es  des  Königs  Wille,  nicht  die  neue  Societät 
der  alten  einzuverleiben,  sondern  durch  Auswahl  etwas  Neues  zu 
schaffen. 

Am  29.  Noveml^er  trat  die  Commission  zum  zweiten  Male  zu- 
sammen. Sofort  drehte  sich  der  Streit  um  die  Frage,  was  die  In- 
tention des  Königs  sei,  ob  er  die  alte  Societät  restauriren  oder  mit 
Aufhebung  derselben  etwas  Neues  stiften  wolle.  Beide  Eingaben,  die 
der  Minister  und  Schbiettau's,  lagen  noch  unbeantwortet  in  seinem 
Cabinet.  Man  beschloss,  den  König  direct  zu  befragen;  unterdess 
sollten  die  Vertrauensmänner  beider  Parteien ,  Bielfeld  und  von  Ja- 
RiGES,  den  Versuch  machen,  einen  Plan  »conjunctim  zu  concertiren«. 

Bereits  am  nächsten  Tage  traf  die  Antwort  des  Königs  in  Form 
einer  Ordre  an  die  Minister  eui\  Sie  erklärte  »die  Retlexiones  des 
Grafen  von  Schmettau  für  nicht  ungegründet«. 

Der  König  trat  also  auf  die  Seite  von  Schmettaü's  und  befahl 
den  Ministern ,  sich  auf  der  Basis  der  Vorschläge  des  Feldmarschalls 
mit  diesem  zu  verständigen ,  mit  ihm  einen  Plan  auszuarbeiten  und 
ihn   der  Commission   vorzulegen. 

Schmettau  hatte  gesiegt;  aber  er  sollte  sich  seines  Sieges  nicht 
vollkommen  freuen.  Die  Minister  hielten  zäh  an  ihrer  Ansicht  fest, 
und  da  man  es  dabei  beliess,  dass  Bielfeld  und  von  Jariges  den 
Plan  im  Detail  ausarbeiteten,  so  hatten  sie  einen  grossen  Vortheil; 
denn  Bielfeld  war  nicht  sachkundig,  dazu  leichtfertig,  von  Jariges 
aber,  der  auf  Seite  der  Minister  stand,  w^ar  als  Secretar  der  alten 
Societät  in  alle  Verhältnisse  eingeweiht  und  ein  kluger  Mann,  Er 
hat  denn  auch,  wie  die  Acten  ergeben,  den  Plan  der  »Verbindung« 
fast  allein  liearbeitet,  freilieh  auch  von  dem  Misstrauen  der  littera- 
rischen Societät,  der  er  doch  selbst  angehörte,  zu  leiden  gehabt. 
Zu  statten  kam  es  ihm,  dass  das  Gutachten,  welches  Durham  und 
Bastinelles  (s.  oben)  am  30.  November  über  das  Kalenderwesen 
und  den  Fonds  der  »Societät  abgaben,  im  Wesentlichen  günstig 
für  die  alte  Societät  war,  wenn  sie  auch  nicht  verhehlen  konnten, 
dass  Köhler,   der  Rendant,   auch  in   seine  eigene  Tasche  gearbeitet 


'    Siehe  Urkundenbnnd   Nr.  155. 


Vereinigung  der  alten  Societät  mit  der  Societe  Litteraire  (1743/44).       2V5 

habe :  in  den  Rechnungen  herrsche  eine  schöne  Ordnung  und  Richtig- 
keit; auch  hahe  der  Kassirer  Köhler  verschiedene  gute  Vorschläge 
nacJi  den  Actis  gethan,  «wek-he  aber  doch  grösstentheils  seinen 
Eigennutz  zum  Grunde  gehabt  haben ,  den  er  so  weit  extendiret ,  dass 
die  Societät  und  das  Pubhcum  dabei  gehtten«.  Die  Revisoren  hatten 
das  bisherige  Kalenderwesen  der  Societät  sehr  eingehend  kritisirt 
und  machten  viele  neue  Vorschläge.  Man  erfahrt,  dass  neun  ver- 
schiedene Kalender  unter  eigener  Administration  der  Societät  standen 
und  dass  vier  an  Köhler  für  1676  Thlr.  verpachtet  waren.  Ausser- 
dem zahlten  die  Juden  für  iliren  Kalender  eine  Pauschalsumme  von 
400  Thlrn.  an  die  Societät.  Die  Revisoren  schlugen  vor,  dass  künftig 
alle  Kalender  von  der  Societät  selbst  administrirt  und  den  Steuer- 
räthen  zum  Debit  durch  die  Accisekasse  zugesandt  werden  sollen. 
Sie  glaubten,  »dass  die  Steuer-  und  Accisebedienten  solches  gegen 
5  Procent  gern  übernehmen  werden«  ;  auch  werde  so  die  Einfuhr 
fremder  Kalender  desto  eher  verhindert.  P]ndlich  bemerken  sie, 
Köhler  solle  nicht  weiter  betheiligt  bleiben. 

Die  Minister  hatten  sich  pro  forma  mit  Schmettau  nach  Befehl 
des  Königs  verständigt.  In  der  Sitzung  der  Commission  vom  6.De- 
cember  wurde  bereits  der  Entwurf  von  Jariges'  und  Bielfeld's  vor- 
gelesen und  im  Einzelnen  durchgegangen.  Es  war  dabei  noch  Ver- 
schiedenes zu  erinnern.  Man  beschloss,  den  modificirten  Plan  ab- 
schreiben und  bei  den  Commissions- Mitgliedern  circuliren  zu  lassen; 
die  dann  sich  ergebenden  Monita  sollten  in  der  nächsten  Sitzung 
überlegt  werden. 

Dieser  erste,  in  Wahrheit  von  Jariges  allein  ausgearbeitete  Ent- 
wurf kam  Schmettau  doch  ziemlich  weit  entgegen.  Die  Hauptvor- 
schläge waren   folgende: 

Die  beiden  philologischen  Klassen  der  alten  Societät  sollen  in 
eine  zusammengezogen  imd  neben  ihr  eine  neue  philosophische  Klasse 
gegründet  werden,  in  die  die  »Physik«  aufzunehmen  sei;  diese  soll 
also  von  der  Medicin  getrennt  werden,  welche  eine  besondere  Klasse 
zu  bilden  habe.  Die  vier  Klassen  wären  also:  Mathematik,  Medicin, 
Philosophie  (incl.  Physik),  Philologie  (incl.  Belles-Lettres ;  ausserdem 
war  die  deutsche  Sprache  und  Geschichte  noch  immer  als  Gegen- 
stand der  besonderen  Pflege  der  Akademie  genannt).  Jede  Klasse 
solle  eine  feste  Anzahl  von  Stellen  besitzen,  die  nicht  überscliritten 
werden  dürfe ,  entweder  fünf  oder  sechs.  Die  Klassensitzungen  fallen 
fort,  es  sollen  sich  vielmehr  jeden  Donnerstag  alle  Mitglieder  (auf  dem 
Schloss)  versammeln.     Abwechselnd  nach  den  Klassen  soll  eine  Ab- 

18* 


276     Geschichte  der  Akndcinip  luitor  Friedrich  dem  Grossen  (1740—1746). 

liandlimg  verlesen  werden ;  das  Erscheinen  ist  für  diejenigen  Akade- 
miker, zu  deren  Klasse  der  Vortragende  gehört,  obligatorisch.  Die 
Vortragenden  sollen  schon  einige  Wochen  vorher  bestimmt  werden 
und  ver2:)flichtet  sein,  vor  dem  Vortrage  ihre  Abhandlung  der  Klasse 
zu  communiciren ,  damit  diese  Zeit  habe,  die  Materie  zu  untersuchen. 
Briefe  der  neuen  Societät  sollen  portofrei  sein,  auch  an  sie  adressirte 
Schreiben,  "da  die  Kais.  Akademie  in  Petersburg  solche  Freiheit 
geniesset«.  Grosse  Herren  sollen  sich  gefallen  lassen,  der  Societät 
als  membra  honoraria  beizutreten';  einige  von  ihnen  sollen  als 
Curatores  die  Einnahmen  und  Ausgaben  überwachen,  weil  so  alle 
Hindernisse  aus  dem  Weg  geräumt  würden.  Diese  »grossen  Herrn« 
könnten  sich  auch  bei  der  Administration  in  die  Klassen  theilen 
und  in  dem  Präsidium  abwechseln.  Ausserdem  sollen  bei  jeder 
Klasse  Directores  ordinarii  eingesetzt  werden  für  die  laufenden  An- 
gelegenheiten; sie  könnten  zugleich  mit  den  Herrn  Curatoribus  die 
Administration  der  Oekonomie  führen.  Auch  wird  für  jede  Klasse 
ein  besonderer  Secretar  in  Aussicht  genommen.  Monatlich  sollen 
die  Curatoren,  Directoren  und  Secretare  Sitzungen  halten  und  wich- 
tigere Sachen  alsdann  der  grossen  Versammlung  vortragen.  »Diese 
monatliche  Versammlung  würde  also  mit  dem  Concilio  der  alten 
Societät  übereinkommen.«  Auch  die  Zahl  der  auswärtigen  Mit- 
glieder soll  fest  bestimmt  werden,  damit  nicht  Wahlen  geschehen, 
die  nicht  zur  Ehre  gereichen:  nur  24  Auswärtige,  sechs  für  jede 
Klasse,  von  den  berühmtesten  Leuten  werden  in  Aussicht  genommen. 
Bei  Vacanzen  soll  jede  Klasse  dem  Concilio  zwei  bis  drei  Personen 
vorschlagen;  dieses  stellt  den  Erwählten  immediate  dem  Könige 
zur  Bestätigung  vor,  »wie  in  Paris  zu  geschehen  pflegt«.  Jährlich 
soll  ein  Volumen  aus  den  besten  vorgetragenen  Stücken  gebildet 
und  publicirt  werden  —  in  welcher  Sprache,  das  lässt  der  Entwurf 
noch  offen. 

Aber  nun  der  difficilste  Punkt:  wie  soll  es  mit  den  bisherigen 
Mitgliedern  der  beiden  Societäten  gehalten  werden?  Die  beiden 
Societäten  zählten  zusammen  34  Mitglieder,  aber  nur  24  Stellen 
waren  für  die  neue  Akademie  in's  Auge  gefasst!     Hier  macht  der 


^  Auch  Leibniz  hat  seiner  Zeit  darauf  hohes  Gewicht  gelegt  (s.  seinen  Brief- 
wechsel mit  J.  Th.  Jablonski  i.  d.  Abh.  d.  K.  Preuss.  Akad.  d.  Wiss.  1897,  Nr.  10 
V.  24.  März  1701),  aber  das  Gewünschte  nicht  erreicht,  weil  der  König  Friedrich  I. 
ihn  in  dieser  Hinsicht  nicht  unterstützte.  Unter  den  damaligen  socialen  ^^erhältnissen 
war  eine  Akademie,  mochte  sie  auch  die  berühmtesten  Gelehrten  umfassen,  ohne 
Eintliiss  und  Ansehen,  wenn  die  Hofgesellschaft  ihr  fern  blieb. 


Vereinigung  der  alten  Societät  mit  der  Societe  Litteraire  (1743/44).      2/V 

Entwurf  Scidiettau  die  grosse  Concessioii,  niclit  sämmtliche  Mit- 
glieder der  alten  Societät  in  die  neue  Akademie  überzuführen, 
aber  er  hält  sich  doch  vorsichtig \  «Die  habilsten  Mitglieder  aus 
l)eiden  Societäten  sind  für  die  neue  Akademie  auszuwählen;  solches 
kann  aber  nur  der  König  selbst  thun  auf  Vorschlag  der 
Curatores. «  In  der  Folgezeit  soll  sich  jede  Klasse  bei  Vacanzen 
nach  tüchtigen  Leuten  umsehen  und  solche  den  Curatoren  vor- 
stellen ;  diese  sollen  dann  unter  der  Autorität  des  Königs  die  Wahl 
vollziehen. 

Dieser  Entwurf  circulirte  bei  den  Mitgliedern  der  Commission. 
Das  akademische  Archiv  enthält  mehrere,  leider  nicht  unterzeichnete 
Gutachten  (nicht  nur  von  den  Mitgliedern  der  Commission);  sie 
gehen  sämmtlich  weiter  als  der  Entwurf,  erklären  ihn  für  zu  con- 
servativ  und  fordern  Aufhebung  der  alten   Societät. 

In  dem  einen  Gutachten  lieisst  es:  »Die  hiesige  Societät  der 
^A'issenschaften  ist  seit  ihrer  Einrichtung  nicht  nur  nicht  weiter 
in  die  Höhe  gekommen,  sondern  hat  noch  dazu  abgenommen.  Die 
Ursachen  davon  sind:  i.  die  Geringhaltung  der  Societät  bei  der 
vorigen  Regierung,  2.  die  wenigen  Revenuen,  3.  die  üble  Admini- 
stration der  Revenuen,  indem  man  theils  nicht  gesucht  hat,  die 
Fonds  zu  vermehren,  theils  das  wirklich  Eingekommene  nicht  wohl 
ausgetheilet  hat,  4.  die  wenige  Capacität  der  jetzigen  Membrorum, 
welches  des  Herrn  von  Viekeck  Exc.  in  einem  Schreiben  an  den 
König  vom  Jahre  1740  selbst  anführen,  5.  die  Arcanisten,  da  ge- 
wisse Membra  der  Societät  dominirten  und  durch  das  harte  Tracta- 
ment  die  übrigen  Membra  leidig  machten.  Seitdem  des  jetzigen 
Königs  Maj.  die  Regierung  angetreten  haben,  ist  nicht  mehr  als 
das  erste  Hinderniss  abgegangen ;  nun  solle  auch  den  übrigen  ge- 
holfen werden.  Ad  2.,  es  scheint,  dass  die  Revenuen  nur  aus  dem 
Kalenderwesen,  welche  bis  dato  auf  lOOOoThlr.  höchstens  gekom- 
men ,  sehr  leicht  auf  1 3  bis  1 4000  Thlr.  gebracht  werden  und  mit- 
hin eine  Summe  von  15000  Thlr.  ungefähr  erzielet  werden  könne. 
Ad  3.,  die  Fonds  können  vermehrt  werden,  i.  durch  eine  Instru- 
menten-Manufactur,     2.   w^enn    die    Societät    die   Intelligenz -Blätter 


'  Aussei'dem  hatte  Jariges  durch  Beibehaltung  sämmtlicher  Klassen  der  alten 
vSocietät  (auch  der  medicinischen  und  der  deutschen,  die  in  der  philologischen 
untergebracht  ist)  dafür  gesorgt,  dass  man  nicht  leicht  Mitglieder  ausweisen  konnte. 
Er  rechnete  wohl  darauf,  dass  der  König  unter  solchen  Umständen  doch  nlle  INIit- 
glieder  in  die  neue  Akademie  überführen,  imd  dass  die  Herabsetzung  der  Zahl 
der  jMitgiieder  auf  24  erst  allmählich  eintreten  werde. 


278     Geschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1740— 174()). 

wieder  bekommt  \  3.  wenn  ihr  das  Collegium  med.  -  cliiriirgiciim  ab- 
genommen wird.  Die  Revenuen  können  wohl  ausgetheilet  werden, 
wenn  Niemand  als  wirklich  in  nützlichen  Dingen  arbeitende  Per- 
sonen besoldet  werden.  Ad.  4.  Da  des  Königs  Maj.  selbst  Chef 
der  künftigen  neuen  Akademie  sein  wollen,  so  können  nur  capable 
Leute  darin  aufgenommen  werden,  und  wenn  man  die  Sache  recht 
besiehet,  so  dürften  die  zwei  Departements  vor  der  Mathematik 
und  der  Physik  vor  das  erste  die  zwei  einzige  sein,  deren  die  beste 
Membra  gute  Besoldung  nöthig  haben.  Die  Classis  medica,  soweit 
sie  nicht  unter  die  Physica  mitbegriffen,  gehört  nicht  in  die  Aka- 
demie; dass  sie  aber  in  den  Plan  von  Jaeiges  gesetzt  worden,  ist 
XJrsach,  weil  man  immer  die  Akademie  mit  einem  ganzen  Haufen 
von  Medicis  chargiren  will.  Aus  der  alten  Societät  sind  die  zwei 
einzige  Membra  Wagner  und  Grischau,  welche  man  in  Ansehung 
ihres  Alters  bei  der  neuen  Einrichtung  zu  bedenken  hätte,  ausser 
dem,  dass  sie  sonst  keine  Besoldung  haben.  Die  übrigen,  als  Bud- 
DEus,  Elsner,  Heinius,  Sprögel,  ScHAARScimmT  etc.  sind  Leute,  die 
ihre  Besoldung  anderswoher  haben  und  der  Societät  wenig  Ehre 
machen  können.  Wenn  nun  viele  unnöthige  Personen  von  der  neuen 
Societät  und  Partieipirung  der  Besoldung  ausgeschlossen  werden, 
so  wird  sich  zeigen,  dass  vor  die  übrigen  geschickte  Leute  con- 
venable  Gages  können  bestimmt  werden.  Ad  5.,  dem  Arcanisten- 
Wesen  kann  gesteuert  werden,  i.  Avenn  das  Directorium  jedes  De- 
partements alle  halbe  Jahr  sich  ändert,  2.  wenn  die  Verwaltung 
der  Oeconomie  jemand  anders  als  Jariges  —  er  also  galt  als  der 
»Hauptarcanist«  —  gegeben  wird«.  »Dass  Köhler  ein  unnützes 
Membrum  sei,   ist  ohne  diess  klar.« 

Wie  kräftig,  aber  auch  wie  pietätslos  wird  hier  der  neue  Be- 
griff der  reinen  Wissenschaft  geltend  gemacht.  Leibniz  war  noch 
für  den  überkommenen  Complex  der  Wissenschaften  eingetreten, 
obgleich  schon  er  der  Mathematik  und  Mechanik  die  Führung  zu- 
wies; aber  ein  radicaler  Schnitt  war  nöthig,  sollte  das  Neue  sich 
wirklich  kräftig  entfalten :  wenigstens  in  der  Akademie  mussten  die 
reinen  Wissenschaften  von  den  angewandten  scharf  geschieden  wer- 
den;  nur  jene  gehören  in  ihren  Bereich.  Derselbe  Geist  spricht 
sich  auch  in  anderen   Gutachten  aus. 

In  einem  zweiten  heisst  es  schonungs-,  aber  nicht  grundlos,  in 
dem  Entwürfe  stände ,  der  König  wolle  die  deutsche  Sprache  und  die 

^  Dass  sie  sie  früher  besassen.  darüber  ist  aus  den  Acten  nichts  bekannt; 
es  nuiss  sich  um  eine  Concession  handehi,  die  nie  ausgeführt  worden  ist  (s.  unten). 


Vereinigung  der  alten  Societät  mit  der  Societe  Litteraire  (1743/44).      2/9 

Keiclis-  und  Brandenburgisclie  Historie  besonders  excoliret  wissen; 
«wie  weit  aber  Sr.  Maj.  Gedanken  hiervon  entfernt  sein ,  kann  We- 
nigen unbekannt  bleiben«.  In  Bezug  auf  den  Vorschlag,  alle  Mit- 
glieder der  alten  Societät  in  die  neue  Akademie  aufzunehmen,  wird 
rund  gesagt,  »dann  würde  die  Akademie  in  eben  die  Verachtung 
fallen,  worinnen  eine  gewisse  Societät  sich  befindet«.  Dieses  Gut- 
achten möchte  gar  nur  zwei  Klassen  errichtet  sehen,  die  der  Phy- 
sik und  Mathematik;  wolle  es  S.  Maj.,  so  können  » Beiles -Lettres« 
hinzugethan  werden:  aber  »Medicin  und  Teutsche  Sprache  sind  ganz 
besondere  Dinge«.  Weiter:  die  Stelle  eines  Vice -Präsidenten  solle 
man  aufgeben,  »welche  Stelle  wegen  des  Graben  von  Stein  nicht 
in   dem  besten   Andenken  ist«. 

Ein  drittes  Gutachten  bezeichnet  den  Entwurf  von  Jariges  als 
schlechterdings  verwerflich  und  verlangt  den  Bruch  mit  der  alten 
Societät.  Jariges,  heisst  es,  sei  in  allem  verdächtig  in  Ansehung 
der  alten  Societät,  er  wolle  die  neue  Akademie  auf  den  Fuss  der 
alten  bringen,  »damit  ratione  der  Mitglieder  ordentliche  subalterne 
alle  Zeit  existiren  und  Arcanisten  in  Ansehung  der  Ausgabe  und 
Einnahme  der  Akademie  beibehalten  werden  mögen«.  Die  deutsche 
Sprache  gehöre  überhaupt  nicht  in  die  Akademie;  zu  Gefallen  von 
zwei  Mitgliedern  sei  ihre  Vertretung  beibehalten;  wünsche  man  sie 
aufzunehmen,  so  sei  ein  Stuhl  dafür  genug,  rathsam  aber  sei  es 
nicht;  »denn  bald  würden  sich  die  lateinische,  griechische,  italieni- 
sche u.  s.  w.  Sprache  melden.  Da  es  aber  hier  Grundwahrheiten 
und  reale  nützliche  Experimente  zu  des  Königs  Ehre  und  gemeinem 
Besten  betrifft,  nicht  aber  schöne  Worte  und  Redensarten,  so  kann 
dieses  gar  nicht  einmal  stattfinden«.  Directores  perpetui  sollen  nicht 
regieren;  denn  sonst  entstehen  die  Arcanisten  wieder;  die  Leitung 
solle  wechseln   wie   auf  den   Universitäten. 

Ein  viertes  Gutachten  stimmt  der  gänzlichen  Ausschliessung 
der  Theologia  revelata  sowie  der  Rechtsgelehrsamkeit  zu,  wünscht 
aber  fünf  Klassen  (Physik,  Mathematik,  Medicin,  Litteratur  und 
Beiles -Lettres,  Deutsche  Sprache).  Ein  fünftes  Gutachten  endlieh 
in  französischer  Sprache  ist  ebenso  radical  wie  das  dritte.  Von 
den  vierzehn  Mitgliedern  der  alten  Societät,  die  nicht  zugleich  3Iit- 
glieder  der  neuen  sind,  sollen  nur  fünf  in  die  zu  begründende 
Akademie  aufgenommen  werden;  die  anderen  sollen,  so  lange  sie 
leben,  den  Titel  »Associe  de  la  vieille  Societe«  führen.  Eine  unbe- 
schränkte, aber  kleine  Zahl  von  »Associes«  neben  den  ordentlichen 
Mitgliedern   soll  auch  bei  der  neuen  Akademie   zugelassen  werden. 


280     Ciescliiclite  der  Akailcinie  unter  Friedrich  dem   Grossen  {1740—1741)).  - 

Die  Frage  nach  dem  periodisclieii  Wechsel  in  der  Leitung 
wurde  auch  in  l)esonderen  Gutachten  erörtert,  ebenso  die  Besoldungs- 
frage. Einer  bemerkt,  dass  der  Akademie  die  besten  Kräfte  ent- 
führt werden  würden  —  z.  B,  nach  Göttingen,  »wo  ein  Professor 
600  Thlr.  erhält«  — ,  wenn  man  nicht  für  ausreichende  Besoldungen 
sorge;  aber  diese  seien  auch  zu  beschaffen:  nach  dem  Etat  von 
1740  seien  10063  Thlr.  eingenommen  worden;  Köhler  hat  152  i  Thlr. 
für  sich  erarbeitet;  wenn  ihm  das  in  der  Folgezeit  entzogen  wird, 
verfüge  man  über  ii584Thlr. ,  mit  Schlesien  aber  dürfe  man  auf 
13000  Thlr.  rechnen:  die  2400  Thlr.  für  die  Mediciner  müssten 
fortfallen;  dann  habe  man  für  die  wirkliche  Wissenschaft  eine  statt- 
liche  Summe. 

Nach  Kenntnissnahme  dieser  Gutachten^  bearbeiteten  Bielfeld 
und  VON  Jariges  (oder  vielmehr  der  letztere)  den  Entwurf  zum  zwei- 
ten Mal.  In  der  Frage  der  Constitution  der  neuen  Akademie  änderten 
sie  wenig  (sie  strichen  die  Medicin  und  setzten  dafür  Physik);  da- 
gegen ging  VON  Jariges  —  es  war  eine  kluge  Digression  —  jetzt 
ausführlicher  auf  die  Absicliten  ein,  die  Einnahmen  der  alten  Societät 
zu  steigern  mid  in  Zukunft  allen  Mitgliedern  einen  Einblick  in  die 
Finanzverwaltung  und  eine  gewisse  Theilnahme  an  derselben  zu  ge- 
statten. Alle  sechs  Wochen  solle  eine  allgemeine  Versammlung  für 
die  allgemeinen  und  ökonomischen  Angelegenheiten  abgehalten  wer- 
den. Das  Knienderwesen  solle  gründlich  beaufsichtigt  werden.  «Die 
Intelligenzblätter  waren  vor  diesem  zu  dem  Einkommen  der  Socie- 
tät bestimmt,  seit  einiger  Zeit  aber  dem  Potsdamischen  Waisen- 
haus gegeben;  dieses  habe  fundos  genug;  K.  Maj.  ist  zu  bitten, 
solches  Recht  der  Societät  wiederzugeben.«  »Sollte  dies  nicht 
thunlich  sein ,  so  wäre  zu  bitten ,  dass  doch  in  anderen  grossen 
Städten  als  Breslau,  Königsberg,  Magdeburg  der  Societät  die  In- 
telligenzblätter zugestanden  würden.  Bücher  und  Zeitungen,  son- 
derlich eine  gelehrte  französische  Zeitung,  könnten  durch  die  Societät 
l)esorget  und  vmter  ihrer  Approbation  und  ihrem  Stempel  publicirt 
werden.  Eine  wöchentliche  Publication  der  meteorologischen  Ob- 
servatorien dürfte  ebenfalls  guten  Abgang  finden.  Wann  unter  der 
Societät  Aufsicht  allerlei  Instrumenta  mathematica  und  physica,  als 
tul)i  astronomici ,  Perspective ,  Globi ,  Landkarten ,  Microscopia  ,  Ther- 
mometra,  Barometra,   Quadranten,   Brennspiegel  u.  s.  w.  verfertiget, 

^  In  einein  findet  sieh  auch  die  Bemerkung:  .-Leibniz  hat  zu  einer  Zeit  ge- 
arbeitet, da  der  gusto  der  Gelelirsamkeit  änderst  war,  als  heute  zu  Tage,  da  man 
grainmaticalische  Sachen  nicht  mehr  so  sehr  achtet". 


Vereinigung  der  alten  Societät  mit  der  Societe  Littei'aire  (1743/44).       281 

examinirt  und  also  approbirt  und  eing-ravirt  und  durch  Beidruckung 
des  Stempels  verkauft  würden \  so  dürfte  solches  mit  der  Zeit  eine 
gute  Revenue  werden.  Endlich  —  wenn  die  Societät  das  Privile- 
giimi  bekäme,  protestantische  Religionsbücher  drucken  zu  lassen 
und  solche  in  die  angrenzenden  Lande  als  Polen  und  Ungarn  zu 
debitiren,   so  ist  el)enfalls   ein  Zuwachs   der  Revenuen   zu  hoffen«"". 

Auch  über  diesen  verbesserten  und  vermehrten  Entwairf  von 
Jariges  ist  ein  Gutachten  von  Schmettau's  erhalten.  Er  ist  noch 
keineswegs  zufrieden.  »Sr.  Maj.  Willensmeinung  ist,  eine  ganz  neue 
Academie  des  Sciences  zu  errichten,  welche  in  der  Welt  brilliren 
soll«  - —  das  ist  sein  ceterum  censeo.  Also  dürfen  nur  solche  auf- 
genommen werden,  welche  in  suo  genere  excellent  sind.  »Bei  der 
Akademie  sind  nur  solche  Sachen  abzuhandeln,  welche  ganz  be- 
sondere Untersuchungen  nöthig  haben,  dem  Publico  nützlich  sind 
und  auf  Schulen  und  Universitäten  nicht  tractirt  werden  können. 
Nur  soviele  Mitglieder  sind  aufzunehmen,  als  aus  den  Fonds  recht- 
schaffen besoldet  w^ erden  können,  damit  sie  mit  Lust  arbeiten«; 
»nicht  Crethi  und  Plethi  sind  aufzunehmen,  damit  die  Akademie 
nicht  in  Verachtung  gerathe«.  Für  den  Wechsel  in  den  Directorial- 
stellen  tritt  er  auf"s  Lebhafteste  ein;  denn  alle  Mitglieder  müssten 
dazu  geschickt  sein.  Bevor  die  Curatoren  und  Directoren  erwählt 
würden,  müssten  Sr.  Maj.  die  Listen  der  ordentlichen  Mitglieder 
beider  Societäten  vorgelegt  werden ,   damit  Er  auswähle. 

Die  beiden  Auffassungen,  die  sich  gegenüber  standen,  waren 
jede  in  ihrer  Weise  berechtigt;  aber  es  war  bei  gutem  Willen  nicht 
unmöglich ,  einen  Ausgleich  zu  finden ,  der  das  Beste  auf  l)eiden 
Seiten  bewahrte.  Dort  stand  die  ehrwürdige  Schöpfung  von  Leibniz, 
ein  umfassender,  aber  nicht  geklärter  Begriff  von  Wissenschaft ,  die 
Aufgabe,  die  deutsche  Sprache  und  die  vaterländische  Geschichte 
zu  pflegen,  dazu  die  Verpflichtung,  die  Wissenschaft  in  Fühlung 
zu  erhalten  mit  dem  Protestantismus  und  seinen  Interessen.  Hier 
begehrte  die  moderne,  auf  Mechanik  und  rationaler  philosophischer 
Speculation  ruhende,  reine  Wissenschaft  freie  Bahn  und  souveräne 
Geltung;  sie  duldete  nichts  Halbes  und  wollte  kein  altes  Kleid  tragen 


^  Jariges  wollte  also  der  neuen  Akademie  die  Aufgaben  zuweisen,  die  heute 
der  pliysikaliscli -technischen  Reichsanstalt  obliegen. 

-  Wollte  Jariges  auf  diese  Weise  die  der  alten  Societät  gestellte  Aufgabe 
de  Propaganda  fide  festhalten?  Blan  wird  das  annehmen  dürfen;  denn  man  %^ ersteht 
sonst  nicht,  wie  er  mit  diesem  Vorschlag  kommen  konnte  in  einem  3Ioment,  wo 
der  kirchlich -tlieologische  Zweck  der  Societät  auf's  Ausserste  gefährdet  war.  Er 
suchte  ihn  durch  den  Hinweis  auf  die  finanziellen  Vortheile  festzuhalten. 


282     Geschichte  der  Ak.-idcinie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1740—1746). 

und  sich  endlicli  aus  den  Fesseln  der  Vergangenheit  befreien.  Aher 
daneben  waltete  auch  der  Gegensatz  des  bescheidenen,  kleinbürger- 
lichen Betriebs  der  Wissenschaft  —  der  mit  geringen  Erfolgen  und 
geringem  Lohne  zufrieden  war  —  und  ihrer  Ausbildung  in  freien, 
vornehmen  Formen ,  in  der  Sphäre  der  europ.äischen  Gesellschaft 
und  getragen  von  dem  Beifall  der  aristokratischen  Kreise.  Kein 
Zweifel  —  wenn  Leibniz  wieder  erstanden  wäre,  er  hätte  sich  auf 
VON  ScHMETTAu's  Seite  gestellt,  aber  er  hätte  ihm  auch  klar  gemacht, 
dass  die  Wissenschaft  nicht  erst  von  gestern  ist,  dass  Philologie 
und  Geschichte  auch  Wissenschaften  sind,  dass  man  Kosmopolit 
und  Patriot  zugleich  sein  kann,  und  dass  aller  Radicalismus  sich 
durch  Rückschläge  rächt. 

Ein  Compromiss  wurde  wirklich  geschlossen.  Das  endgültige 
Statutenproject,  wie  es  die  zehn  Commissionsmitgiieder  am  20.  De- 
cember  1743  unterzeichnet  haben,  ruht  ganz  auf  dem  Entwurf 
von  Jariges.  Es  bezeichnet  die  zu  begründende  Königliche  Akademie 
der  Wissenschaften  als  die  «vereinigten  Societäten«  und  umgeht 
damit  die  Frage  nach  der  Aufhebung  der  alten  Societät.  Die  Vor- 
schläge, nur  zwei  Klassen  (Mathematik  und  Physik)  beizubehalten, 
sind  zurückgewiesen  und  der  Akademie  so  die  umfassenden  Auf- 
gaben gelassen,  die  ihr  Leibniz  gestellt  hat.  Ausdrücklich  heisst 
es,  dass  die  neue  Gesellschaft  »alle  die  Vorwürfe  zusammenfassen 
soll,  womit  die  zu  London  inid  Paris  aufgerichteten  Societäten 
und  Academie's  des  sciences,  des  inscriptions  et  des  belles  lettres 
beschäftigt  sind« ;  aber  ausgeschlossen  werden  die  geoftenbarte 
Theologie,  die  bürgerliche  Rechtsgelehrsamkeit,  die  blosse  Poesie 
und  Beredsamkeit.  Was  die  Mitglieder  der  neuen  Akademie  be- 
trifft, so  schwieg  man  über  die  feste  Zahl  von  24  Ordinarien;  man 
reichte  vielmehr  dem  Könige  eine  Liste  ein,  auf  der  man  kurz 
die  einzelnen  Mitglieder  beider  Societäten  charakterisirte ,  ihm  die 
Auswahl  überlassend.  In  Wahrheit  aber  machte  man  doch  einen 
Vorschlag;  man  hatte  sich  nämlich  zu  folgendem  Compromiss  ver- 
einigt. Von  den  14  Mitgliedern  der  alten  Societät,  die  nicht  zu- 
gleich Mitglieder  der  neuen  litterarischen  waren  \  stellte  man  sechs 
in  die  Hauptliste  ein,  nämlich  Grischau,  Wagner,  Hering,  Küster, 
Heinius  und  Stubenraucii  ,  und  erklärte  sie  damit  als  der  Aufnahme 
würdig;  die  fünf  Mediciner  Buddeus,  Ludolff  sen.,  Sproegel, 
ScHAARSCHMiDT  uud  Pallas  bezeichnete  man  als  solche,   die  lediglich 


^    Vierzehn  ohne  des  Vignoles. 


Vereinigung  der  alten  Sücietät  mit  der  Societe  Litteraire  (1743/44).       288 

als  Professoren  am  anatomisch- chirurgischen  Colleg  auch  MitgUeder 
der  alten  Societät  gewesen  seien;  man  müsse  es  dem  Könige  über- 
lassen, ob  er  sie  zu  der  neuen  Akademie  zulassen  wolle  (d.  h.  man 
wünschte  die  Mediciner  überhaupt  zu  entfernen);  über  die  drei 
Mediciner  Carita,  Horch  und  Kirstetter  aber  ging  man  einfach 
schweigend  hinweg\  Die  i6  Ehrenmitglieder  der  litterarischen 
Gesellschaft  (s.  oben)  sollten  in  derselben  Eigenschaft  in  die  neue 
Akademie  übergehen";  aber  auch  die  84  auswärtigen  Mitglieder 
der  alten  Societät  sollen  von  ihr  übernommen  werden  —  damit 
w^ar  auf's  Deutlichste  ausgesprochen,  dass  die  neue  Schöpfung 
keine  Neuschöpfung,  sondern  die  Fortsetzung  der  alten 
Societät  sei.  Sobald  der  König,  dem  man  den  Statuten -Entwurf 
einreichte,  ihn  genehmigt  und  die  Mitglieder  der  neuen  Akademie 
bestätigt   haben    würde  ^,    sollte    die  Wahl  der  vier  Curatoren,   der 


^  Von  Horch  und  Kirstetter  ist  auch  weiter  nicht  mehr  die  Rede;  sie 
waren  also  das  Opfer  der  Neugründung,  während  der  König  die  anderen  Mediciner 
[ausser  Pallas?]  für  die  neue  Akademie  bestätigte.  Die  Akademie  konnte  jene  beiden 
gewiss  missen;  denn  für  die  Miscellanea  hatte  nur  Horch  geschrieben,  und  auch 
dieser  nur  eine  einzige  Abhandlung  »Ueber  die  Milbe  des  Kanarienvogels«  (INIiscell. 
Berol.  T.  VI.).  CARrrA  war  ein  Mediciner  der  alten  Schide,  der  allen  Fortschritten 
zum  Trotz  an  der  medicinischen  Wissenschaft  der  Römer  festhielt.  Uebi-igens 
taucht  er  nach  1744  doch  wieder  in  den  Listen  der  ordentlichen  Mitglieder  auf, 
und  FoRjiEY  hat  ihm  ein  Eloge  gehalten,  als  er  Sojährig  im  Jahre  1756  gestoi'ben 
war  (Mem.   1756  p.   515-518). 

^  Dazu  standen  noch  zwei  weitere  in  Aussicht,  nämlich  der  Graf  vox  Dohxa 
und  der  Lieutenant  Colonel  von  Ketth. 

^    Die  Personalvorschläge  lauteten: 

L  Departement  de  Physique:  Eller,  on  le  propose  pour  Direc- 
teur  a  cette  Classe,  parce  que  sa  capacite  est  connue;  Lieberkuehn,  cVun  savoir 
notoire;  Ludolff  jun.,  bon  physicien;  Marggraf,  bon  physicien  et  grand  chimiste, 
NB  ce  n'est  j)as  l'apoticaire;  Pott,  bon  physicien  et  tres  fort  dans  la  chimie; 
Gleditsch,  tres  bon  botaniste  et  pour  l'histoire  naturelle;  Francheville,  pour  la 
physique  et  l'histoire  naturelle;  Buddeus,  Ludolff  sen.,  Sproegel,  Schaar- 
scHMiDT,  Pallas,  ces  cinq  membres  sont  dans  Tancienne  Societe  membres  du  College 
d"Anatomie  et  de  Chirurgie.  Ou  suppose  que  quoique  ce  College  doive  continuer 
a  recevoir  des  fonds  des  Almanacs  2400  ecus  jusqu'ä  temps  c|u'on  puisse  proposer 
ä  S.  Maj.  un  autre  fonds  qui  ne  soit  pas  ä  charge  au  paj^s;  on  ne  sait  pourtant 
pas,  si  S.  Maj.  voudra  les  admettre  ä  la  Nouvelle  Academie. 

H.  Departement  des  Mathematiques:  des  Vignoles,  emeritus,  c'est 
pourquui  on  propose  de  hü  laisser  le  titre  et  les  100  ecus  de  gages,  qu'il  a  eus  du 
fonds  de  l'Academie;  Euler,  propose  pour  Directeur  de  cette  Classe;  Grischau, 
pour  la  meteorologie,  NB  il  a  400  ecus  de  pension  du  fonds;  Humbert,  pour 
l'architecture  civile  et  militaire,  et  en  general  pom-  la  pratique  des  mathematiques; 
Kies,  poiu-  Tastronomie,  on  propose,  qu'outre  les  200  ecus  de  gages  qu'il  a  et 
avec  lesquels  il  ne  peut  pas  subsister,  on  lui  ajoute  200  autres;  Naude,  pour  les 
mathematiques  et  l'algebre;  Wagner,  observateur  et  bibliothecaire.  fort  vieiix, 
il  a  400  ecus  de  pension  du  fonds  de  TAcademie. 


284     Geschiclite  der  Akademie  iinter  Friedrich  dem  Grossen  (1740—1746). 

Directorcii  —  diese  Latte  man  zum  Theil  dem  Könige  schon  vor- 
geschlagen —  und  der  Secretare  erfolgen.  Die  Sprachenfrage  liess 
man  noch  immer  offen,  proponirte  aber,  in  der  philologischen 
Klasse  zwei  Directoren  zu  ernennen,  einen  für  die  deutsche  Sprache 
und  die  orientalischen,  und  einen  für  die  » Beiles -Lettres « ,  den 
Marquis  d  '  Akgens. 

Am  27.  December  wurden  diese  Vorschläge  dem  Könige  unter- 
breitet. Bereits  nach  drei  Tagen  genehmigte  er  in  einer  Ordre  an 
den  Grafen  von  Schmettau  und  die  fünf  Staatsminister  den  gesammten 
Entwurf  (incl.  der  Personalvorschläge;  Buddeus,  Ludolff  sen., 
vSproegel  und  Schaarschmidt  wurden  Mitglieder,  Pallas  nicht), 
befahl  ihn  auszuführen  und  die  vier  Curatoren  auszuwählen,  »que 
vous  jugez  necessaires«.  »Si  cette  nouvelle  Academie«,  fügte  er 
hinzu,  »s'efforce  de  repondre  dignement  ä  mon  attente  et  au 
louable  but  de  son  Institution,  eile  peut  toujours  compter  sur  ma 
protection  Royale « \ 

Schmettau  war  doch  keineswegs  durch  diesen  Gang  der  Dinge 
zufriedengestellt,  vor  allem  waren  auch  die  finanziellen  Fragen 
noch  nicht  gelöst.  Er  wollte  den  Einfluss  von  Jariges  auf  sie 
brechen  und  den  eigennützigen  Rendanten  Köhler  entfernen.  Daher 
fanden  noch  Berathungen  zwischen  den  Ministern  und  ihm  selbst, 
dem  Vertrauensmann   des  Königs,   statt"'. 

Die  Ober- Rechnungskammer  wurde  vom  Könige  aufgefordert, 
dem  Köhler  die  Rechnung  über  den  Kalender- Debit  mit  aller 
Accuratesse  abzunehmen  und  eine  genaue  Uebersicht  über  die 
gesammten    Einnahmen     aus     den    Kalendern    nach    einem     sechs- 


III.  Departement  de  Philosophie:  Heinius,  ponr  l'histoire,  les  langnes 
orientales  et  la  critique,  Jariges,  pour  l'histoire  et  philosophie,  il  est  propose  pour 
Secretah'e  perpetuel;  Formey,  prof.  de  Philosophie,  sans  gages  aupres  du  Ibnds 
de  l'Academie;  Sack,  ])oar  Thistoire,  la  philosophie  et  la  critique;  les  deuK 
Achard. 

R'.  Departement  de  Philologie:  Jordan,  sa  capacite  est  connue; 
Elsner,  pour  les  langues  orientales,  antiquites  et  inscriptions  et  pour  l'histoire  et 
la  langue  du  pays  [das  behielt  man  also  bei],  on  le  propose  pour  Directeur  des 
langues  allemande  et  orientales;  il  a  500  ecus  de  l'Academie;  Marquis  d'Argens, 
pour  les  belles  lettres,  on  le  propose  pour  Directeur  des  dites  belles  lettres; 
BiELFELD,  pour  Ics  bcllcs  lettres;  Hering,  pour  l'histoire  et  geographie;  Lamprecht, 
])our  riiistoire;  Pelloutier,  Küster,  pour  l'histoire  de  Brandebourg;  Stubenrauch. 

'    Siehe  Urkundenband  Nr.  156. 

^  In  einer  SitzAing  vom  10.  Januar  1744  ist  auch  vom  •■Hopfengarten«  die 
Rede.  Der  König  soll  gebeten  werden,  ihn  zu  verkaufen  und  einen  anderen  in 
oder  neben  dei-  Stadt  zu  kaufen.     Der  Garten  lac;  also   zu  weit  entfernt! 


Vereinigtmg  der  alten  Societät  mit  der  Societe  Litteraire  (1743/44).       28 0 

jährigen  Durchschnitt  zu  geben'.  Noch  am  15.  Januar  richtete 
VON  ScHMETTAU  eiuc  Eingabe  an  den  König  in  Bezug  auf  die 
Finanzverhältnisse,  die  sich  sehr  scharf  gegen  die  alte  Societät 
richtete,  Jariges  als  Protector  Köhler's  bezeichnete  und  anrieth, 
den  vSecretar  ganz  von  der  Administration  des  Oekonomischen  aus- 
zuschliessen;  auch  der  Minister  von  Viereck  sei  zu  beschäftigt,  um 
sich  gründlich  um  die  Fonds  zu  kümmern.  Weiter  hielt  sich 
Schmettau  darüber  auf,  dass  in  der  philologischen  Klasse  zAvei 
Directoren  eingesetzt  werden  sollten ;  Elsner  solle  wieder  gewöhn- 
liches Mitglied  werden;   so  könne  man  die    100  Thlr.   sparen. 

Unterdessen  rückte  der  Geburtstag  des  Königs,  der  24.  Januar, 
heran.  Am  Vortage,  einem  Donnerstag,  sollte  die  feierliche  Er- 
öffnungssitzung der  neuen  Akademie  gehalten  werden ;  ihre  Statuten 
wollte  der  König  an  seinem  Festtage  bestätigen  und  ausgehen 
lassen.  Mit  der  peinlichsten  Sorgfalt  wurde  Alles  für  die  Sitzung 
vorbereitet;  sie  fand  im  Schloss  statt.  Die  Königlichen  Prinzen, 
die  Ehrenmitglieder  und  andere  Standespersonen  waren  anwesend; 
al)er  der  König  selbst  erschien  nicht.  Die  Akademie  war  doch 
nicht  so  geworden,  wie  er  es  gewünscht  hatte  —  Maupertuis 
fehlte,  und  manches  Compromiss  war  geschlossen,  das  er  nicht 
missbilligen,  dessen  er  sich  aber  auch  nicht  freuen  konnte". 
In  der  Sitzung  sprach  zuerst  von  Schmettau  und  setzte  die  Al)- 
sichten  des  Königs  bei  der  C4ründung  dieser  neuen  Akademie  aus- 
einander. Dann  las  von  Jariges  die  Statuten  vor;  zum  Schluss 
wurden  elektrische  Experimente  gezeigt.  Zu  Curatoren  wurden 
durch  die  Commission,  der  der  König  die  Wahl  überlassen  hatte, 
die  HH,  Grafen  von  Schmettau,  von  Götter^,  von  Viereck  und 
VON  BoRCKE   ernannt*. 


^    S.  Urkundenband  Nr.  157. 

^  Die  Kritik,  die  Maupertuis  in  dem  Eloge  auf  von  Schmettau  an  den 
Statuten  von   1744  übt,  ist  im  Sinne  des  Königs. 

^  VON  Gotter  (-[-  28.  Mai  1762)  war  in  der  Hofgesellschaft  der  liebens- 
würdigste und  frivolste  unter  den  Deutschen,  »Juppiter  tonans  und  der  Fürst  der 
Epikureer«,  ein  kluger,  beweglicher  Thüringer,  der  ganz  in  das  französische  Wesen 
eingetaucht  war  und  sich  dabei  August  den  Starken  zum  Muster  genommen  hatte, 
ihn  aber  an  Geist  und  Witz  übertraf.  Seine  litterarischen  Kenntnisse  waren 
nicht  gering;  als  Gesellschafter  hatte  er  nicht  seines  Gleichen;  s.  Allg.  Deutsche  Bio- 
graphie Bd.  9,  S.  451  ff.     KosER,  a.  a.  O.  I  S.  490. 

*  Gotter  erbat  schon  im  Sommer  1744  seinen  Abschied  und  zog  sich 
nach  einem  Jahr  aus  Gesundheitsrücksichten  auf  sein  Gut  in  Thüringen  zurück. 
"Ich  beklage  einen  liebenswürdigen  Mann«,  schrieb  Friedrich  am  16.  Februar  1745 
mit  eigener  Hand,   »dessen  Verlust  ein  Bankerott  für  Berlin  ist.«      (Qiluvres  T.   17 


28G     Cicscliiclite  der  Akademie  unter  Friedricii  dem   Grossen  (1740—174(5). 

Die  neuen  Statuten  sind  noch  deutsch  abgefasst^  Die  «ver- 
einigten Societäten«  sollen  den  Namen  einer  «Königlichen  Akademie 
der  Wissenschaften«  führen.  Sind  auch,  Avie  wir  schon  erfahren 
haben,  die  geoffenbarte  Theologie,  die  bürgerliche  Rechtsgelehrsam- 
keit, die  blosse  Poesie  und  Beredsamkeit  gänzlich  ausgeschlossen, 
so  soll  doch  «das  übrige  ganze  Wissenschafts-  und  Kunstwesen« 
eingeschlossen  sein,  «in  gleichen  die  alte  und  neue  Historie, 
sonderlich  von  Unsern  Landen  und  dem  teutschen  Reiche,  nicht 
weniger  die  Erhaltung  der  teutschen  Sprache  in  ihrer  anständigen 
Reinigkeit«.  Unter  den  Aufgaben  der  physikalischen  Klasse  ist 
die  Medicin  überhaupt  nicht  genannt,  die  zur  Zeit  der  Akademie 
angehörenden  Mediciner  sind  also  auf  den  Aussterbe  -  Etat  gesetzt. 
Die  neue  philosophische  Klasse  soll  alle  Theile  der  Philosophie, 
die  Physik  ausgenommen,  umfassen,  nämlich  Metaphysik,  Moral, 
lus  Naturae  und  die  Historia  und  Kritik  der  Philosophie.  Der 
Vorstand  besteht  aus  den  vier  Curatoren  und  den  vier  Directoren, 
die,  wenn  es  nothwendig,  den  General -Fiscal  hinzuziehen;  dieser 
Körperschaft  liegt  die  Verwaltung  des  Fundus  und  der  ökonomischen 
Angelegenheiten  ob,  sowie  die  Publicationen  der  Akademie;  sie 
können  in  lateinischer,  deutscher  und  französischer  Sprache  er- 
scheinen. Alle  drei  Monate  sollen  die  Curatoren  im  Präsidium  ab- 
wechseln und  mindestens  alle  sechs  Wochen  eine  Directorialsitzung 
l)erufen.  Die  Directoren  sollen  auf  Lebenszeit  von  den  Klassen 
unter  dem  Vorsitz  der  Curatoren  gewählt  werden;  ausserdem  soll 
aus  der  Zahl  der  ordentlichen  Mitglieder  ein  Vice -Präses  erwählt 
werden  auf  Lebenszeit,  der  zu  allen  Sitzungen  Zutritt  und  auch 
im  Directorium  Stimme  hat  (Jordan  wurde  vom  Könige  zum  Vice- 
Präsidenten  ernannt).  Ein  Secretarius  perpetuus  für  die  ganze 
Akademie  soll  die  Geschäfte  führen,  ausserdem  wird  aber  eine 
jede  Klasse    ihren   besonderen  Secretar   haben;    daneben    soll    noch 


p.  325.  Später  kelirte  Gotter  wieder  nach  Berlin  zurück  und  bekleidete 
wiederum  das  Curatorenamt).  An  seine  Stelle  als  Curator  dei-  Akademie  trat 
der  Minister  G.  D.  von  Arnim  (geb.  1679,  -f  1753).  Er  hatte  unter  Friedrich 
Wilhel:m  I. ,  so  weit  es  möglich  war,  die  Gelehrten  und  Künstlei*  geschützt 
und  ihnen  sein  Haus  geöffnet.  Es  war  daher  eine  sehr  glückliche  Wahl. 
Worauf  jedoch  Bartholmess  in  seiner  Geschichte  der  Akademie  das  Urtheil  stützt 
(1  p.  153),  Arnim  sei  der  eifrigste  Curator  gewesen,  den  die  Akademie  je  besessen 
habe,  ist  mir  unbekannt  geblieben.  Die  Curatoren  waren  sämmtlich  lleissig  im 
Interesse  der  Akademie  und  kümmerten  sich,  wie  die  Acten  ausweisen,  auch  um 
die  kleinsten  Dinge.  Aber  bereits  im  Jahre  1746  wurde  ihr  Amt  ein  blosser  Titel, 
da  Maupertuis  alles  allein  besorgte. 

^    Abgedruckt  im   ürkundenband  Nr.  158. 


Vereinigung  der  alten  Societät  mit  der  Societe  Litteraire  (1743/44).      28/ 

ein  Tresorier  auf  Lebenszeit  stellen.  Ausser  den  wöchentlichen 
Sitzungen  sind  zwei  öffentliche  im  Jahr  zu  halten  (die  Königstage, 
der  24.  Januar  und  31.  Mai,  wurden  dazu  bestimmt).  Neue  Mit- 
glieder sollen  erst  durch  die  Klasse,  dann  durch  das  Directorium, 
endlich  durch  die  General -Versammlung  gewählt  werdend  Von 
Wichtigkeit  wurde  die  Bestimmung,  dass  jährlich  Preisaufgaben  zu 
stellen  seien:  »Das  Directorium  hat  jährlich  ein  Praemium  von 
etwa  50  Ducaten  zur  Ausarbeitung  einer  wichtigen  und  dem  Lande 
nützlichen  Materie  aus  den  Wissenschaften  oder  Litteratur  aus- 
zusetzen und  das  Problema  durch  die  Zeitungen  bekannt  zu  machen. 
Es  werden  zu  dieser  Ausarbeitung  zw^ar  sonderlich  auswärtige  Ge- 
lehrte eingeladen ,  jedoch  aber  sollen  auch  die  Abhandlungen  ein- 
heimischer Gelehrten,  nicht  weniger  Mitglieder  der  Akademie,  an- 
genommen werden.  Die  zur  Erhaltung  dieses  Praemii  eingekommene 
Stücke  sollen  in  der  jährlich  zu  haltenden  Versammlung  aller 
Glieder  verlesen,  wem  der  Preis  zuerkannt  worden,  öffentlich  an- 
gezeigt, und  dabei  diese  Regel  beobachtet  werden,  dass  wenn  die 
Abhandlungen  eines  ausländischen  und  hiesigen  Gelehrten  in  gleichem 
Grade  der  Gründlichkeit  und  Schönheit  stehen,  in  solchem  Falle 
dem  Fremden  allemal  der  Vorzug  zu  geben  sei.«  Im  letzten  Ab- 
schnitt heisst  es:  »Ob  gleich  im  Articulo  XIL  der  ordentliche  Ver- 
sammlungs  -  Platz  auf  dem  hiesigen  K.  Schlosse  bestimmt  ist,  so 
bleibet  jedoch  dem  Directorio  frei  gestellet,  wenn  es  für  rathsam 
erachtet,  diese  Zusammenkünfte  in  dem  Observatorio  auf  dem 
K.  Marstall  halten  zu  lassen«.  Soviel  bekannt,  ist  das  nicht  mehr 
geschehen;  die  Räume,  in  denen  die  LEiBNiz'sche  Societät  getagt 
hatte,  w^urden  für  die  Versammlungen  nicht  mehr  benutzt.  Man 
konnte  die  »grossen  Herrn«  nicht  gut  in  diese  hochgelegenen  und 
kleinen  Räume   einladen. 

Die  Verfassung  der  neuen  Akademie,  wäe  diese  Statuten  sie  vor- 
zeichnen, war  von  grosser  Schwerfälligkeit:  vier  Curatoren ,  ein  Vice- 
Präsident,  vier  Directoren,  fünf  Secretare,  ein  Tresorier  —  und 
doch  kein  Präsident;  denn  der  König  konnte  den  Mann  noch  nicht 
wieder  erreichen,  den  er  allein  der  Präsidentschaft  für  wiirdig 
hielt.  Auch  von  Schmettau  hat  er  nicht  zum  Präsidenten  ernannt, 
sondern  Hess  sich  in  der  Zwischenzeit  das  complicirte  Verwaltungs- 
system  gefallen,  das  der  Graf  erdacht  hatte,  um  die  Akademie 
nicht  wieder  unter  die  Bürs:erlichen  fallen  zu  lassen,   und  um  einer 


^    Diese  tritt  nur  hier  und  in  den  beiden  üffentliclien  Sitzungen  liervor;  sonst 
sind  nur  Klassensitzunoen  vorgesehen. 


288     Geschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1740— 174()). 

ökonomisclien  Geheim -A'^erwaltuiig  vorzubeugen.  Aiicli  zum  Pro- 
tector  ernannte  sich  der  König  noch  nicht  —  (h^r  deutlichste 
Beweis,  dass  er  den  neuen  Zustand  nicht  als  einen  detinitiven 
ansah.  Dass  es  noch  nicht  »Seine«  Akademie  war,  ergiebt  sich 
auch  daraus,  dass  er  sich  die  drei  Sprachen  gefallen  liess.  Da 
er  deutsch  nicht  lesen  wollte  und  lateinisch  nicht  lesen  konnte, 
so  bedeutete  das  Zugeständniss  dieser  Sprachen,  dass  er  von  den 
Publicationen  der  Akademie  keine  Notiz  nehmen  werde.  Aber  er 
schaute  nach  einer  Akademie  aus,  deren  Schriften  ihn  belehren 
und  erfreuen  sollten,  und  er  wusste,  dass  er  sie  noch  schaffen 
werde.  Dieses  aus  zwei  Societäten  —  die  eine  gab  den  Glanz  und 
das  Ansehen,  die  andere  die  finanziellen  Mittel  —  entstandene 
zwei-  und  dreisprachige  Gebilde  ohne  strengen,  einheitlichen  Stil 
war  nicht  im   Sinne  Friedrichs. 

War  der  König  mit  dem  Erreichten  nicht  zufrieden,  so  hatte  auch 
ScHMETTAU  kcincswegs  durchgesetzt,  was  er  wollte.  Noch  kurz  vor 
der  Bestätigung  der  vStatuten  hat  er  eine  Eingabe  an  den  König  ge- 
richtet, in  der  er  Jariges,  dem  die  Akademie  die  Erhaltung 
ihrer  philologischen  Klasse  verdankt,  in  böser  Weise  denun- 
cirte  und  sich  über  die  Annahme  seines  Entwurfs  in  der  Commission 
also  äusserte:  »Cependant  la  ruse  de  Jariges  a  reussi,  dont  le  nouveau 
plan  dernierement  presente  ä  V.  M.  est  une  preuve  convaincante.  On 
y  voit  les  memes  Directeurs  perpetuels  qui  l'etaient  auparavant, 
excepte  le  seul  Euler;  il  y  a  le  meme  Secretaire  Jariges,  qui  veut 
encore  etre  tresorier,  et  on  est  resolu  d'employer  de  nouveau  le 
rendant  Koehler.  Mes  instances  opposees  n'ont  pas  pu  prevaloir, 
et  il  n'y  a  plus  autre  remede  a  y  porter,  qui  [que  que?]  V.M. 
ordonne,  i.  Que  le  Directoire  change  tous  les  ans;  car  c'est  le  moyen 
d'empecher  les  arcanistes,  2.  Que  Jariges  soit  tout-a-fait  exclu  du 
maniement  des  affaires  de  l'economie,  en  cas  que  V.M.  trouve  pourtant 
ä  propos  de  le  laisser  comme  Secretaire. « 

Auch  nach  der  Neugründung  war  Schmettau  noch  unermüdlich 
thätig,  seine  neuen  Gedanken  durchzusetzen,  und  bestürmte  den  König 
mit  Eingaben  und  Projecten.  Er  mochte  noch  immer  hoffen,  zum 
Präsidenten  ernannt  zu  werden,  um  so  mehr,  als  der  König  in  den 
ersten  Monaten  des  Jahres  1744  in  der  Regel  durch  ihn  mit  der  Aka- 
demie verhandelte. 

Die  Frage  der  Gehälter  war  durch  die  neuen  Ordnungen  noch 
nicht  völlig  geklärt.  Man  musste  sie  jetzt  behandeln,  und  dabei 
musste  die  ganze  finanzielle  Lage  der  Akademie  auf's  Neue  erwogen 


Die  neue  Akademie  vor  ]Maupertuis'  Eintritt  (1744/46).  289 

und  festgestellt  werden \  Am  27.  Januar  erklärten  die  Minister  dem 
Könige,  auf  dem  von  Duriiam  und  Bastinelles  erstatteten  Gutachten 
(s.  oben)  fussend,  dass  die  finanzielle  Verwaltung  der  Societat  in  guter 
Ordnung,  dass  aber  die  Verpachtung  ungünstig  sei;  Köhler  habe 
zwar  bereits  für  das  Jahr  1744  tausend  Thaler  mehr  zahlen  müssen, 
aber  für  i  745  werde  man  noch  andere  Einrichtungen  zu  treffen  haben, 
da  allein  aus  Schlesien  3200  Thlr.  zu  erwarten  seien.  Die  Minister 
brachten  w^eiter  bereits  Gratificationen  und  Pensionen  für  die  Mit- 
glieder der  neuen  Akademie  aus  den  Überschüssen  in  Vorschlag, 
fügten  aber  hinzu,  es  sei  das  alles  jetzt  der  Akademie  selbst  zu  über- 
lassen,  da  sie  in  Activität  gesetzt  sei. 

Drei  Tage  später  legte  Schmettau  dem  Könige  eine  Reihe  von 
Beschlüssen  des  Directoriums  vor:  Köhler  habe  man  bei  den  Ka- 
lendern gelassen,  »a  cause  de  sa  capacite  et  experience«,  aber  man 
habe  ihm  eine  viel  genauere  Instruction  gegeben,  die  es  unmöglich 
mache,  dass  er  seinem  eigenen  Vortheil  nachgeht.  Man  habe  be- 
schlossen, i.dass  nicht  die  vier  Directoren,  sondern  vier  eigens  dazu 
(und  nur  auf  ein  Jahr)  gewählte  Klassen -Deputirte  zusammen  mit  den 
Curatoren  das  Ökonomische  besorgen  sollen",  2.  dass  keine  Klasse 
mehr  als  einen  Director  habe^,  3.  dass  das  Amt  des  Secretarius  per- 
petuus  und  des  Tresorier  getrennt  sein  solle  ^,  4.  dass  Buddeus,  da  er 
nicht  mehr  Director,  auch  die  100  Thlr.  nicht  mehr  beziehen  soll, 
die  er  bisher  gehabt%  5.  dass  die  Mitglieder  der  philosophischen  und 
philologischen  Klasse  erst  dann  Gehälter  beziehen  sollen ,  wenn  sich 
die  Revenuen  vermehrt  haben   würden*'. 


^  Der  Etat,  der  dem  Könige  zusammen  mit  dem  Statuten  -  Ent\vurf  vorgelegt 
und  von  ilnn  bestätigt  worden  ist,  existirt  meines  Wissens  leider  nicht  mehr.  So- 
viel ist  gewiss,  dass  in  ihm  für  die  Directoren  je  100  Thlr.  und  für  je  vier 
arbeitende  Mitglieder  der  Ader  Klassen  1600  Thlr.  (400  Thlr.  für  jeden)  ausgeworfen 
waren.  Dazu  kamen  die  Gehälter  für  den  Astronomen ,  den  Secretarius  perpetuus, 
den  Fiscal,  die  Diener,  vmd  die  besonderen  Gehälter,  wie  sie  einzelne  Mitglieder  der 
alten  Societat  besassen,  vmd  wie  sie  z.B.  Euler  zugesichert  waren. 

-  Damit  war  ein  Hauptwunsch  Schmettau's  in  Bezug  auf  die  P'inanzver- 
waltung  erfüllt. 

^  Damit  war  Elsner  abgesetzt  und  d'Argexs  einziger  Director  in  der  philo- 
logischen Klasse. 

*    Das  war  gegen  a'on  Jariges  gemünzt. 

^  Das  war  eine  Kränkung  für  den  verdienten  ^Nlann;  aber  Schmettat  ver- 
achtete die  ]Mediciner. 

•^  Damit  waren  die  [Mitglieder  dieser  Klassen  zu  Akademikern  zweiten  Grades 
herabgesetzt;  Schjiettau  wollte  diese  Klassen  ursprünglich  überhaupt  nicht  in  der 
x\kademie.  Für  je  vier  «arbeitende  [Mitglieder"  der  vier  Klassen  waren  im  Etat 
1600  Thlr.  ausgesetzt,  und  der  König  hatte  das  bestätigt. 

Geschichte  der  Akademie.    I.  19 


21)0     Gescliiolitf!  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1740— 174(j). 

ScHMETTAU  hatte,  wie  offenbar,  in  der  letzten  Woclie  wieder 
das  Heft  in  die  Hände  bekommen  —  wie,  weiss  man  nichts  Der 
König  billigte  in  Ordres  an  ihn  und  an  die  Commission  vom  2.  Fe- 
bruar alle  diese  Vorschläge  bis  auf  den  Buddeus  betreffenden.  Sein 
Gerechtigkeitsgefühl  gestattete  es  ihm  nicht,  dem  Gelehrten  die 
100  Thlr.  zu  entziehen;  er  beliielt  auch  den  Charakter  als  Director 
bei.  Mit  Zuversicht  blickte  Friedrich  nicht  auf  die  neue  Schöpfung; 
das  zeigen  auf's  Neue  die  Schlussworte  der  Ordre  an  Schmettau"^: 

»ainsi  voyant  cette  affaire  de  l'union  des  deux  societes  terminee,  il  ne  me  reste 
que  d'en  attendre   des   fruits,    tels    que  Vous  et  les    autres  membres    en  esperent.« 

Am  13.  Februar  wählte  man  die  vier  ökonomischen  Deputirten 
auf  ein  Jahr  (Eller,  Humbert,  Formey  und  Pelloutier)  und  die 
vier  Klassen -Secretare  (Lieberkühn,  den  neu  aufgenommenen  Faber, 
Formey  und  Lamprecht);  weder  diese  noch  jene  haben  wirkliche  Be- 
deutung zu  erlangen  vermocht;  die  ganze  Einrichtung  kam  bald  wieder 
in  Wegfall.  In  der  Sitzung  der  Curatoren  und  Deputirten  am  näch- 
sten Tage  wurde  beschlossen,  ein  neues  Diplom  »nach  dem  Muster 
des  Petersburger«  anfertigen  zu  lassen,  aber  das  Siegel  der  alten 
Soeietät  und  ihr  Motto  beizubehalten;  nur  die  Umschrift  soll  jetzt 
«Academia  Regia  Scientiarum  Berolinensis  1744«  lauten.  Faber, 
der  Secretar  der  mathematischen  Klasse,  wurde  zum  Tresorier  er- 
wählt, sollte  aber  eine  Caution  von  3000  Thlrn.  stellen.  Eller  zeigte, 
wie  man  von  der  Summe,  die  dem  chirurgischen  Collegium  zu 
zahlen  sei,  100  Thlr.  abstreichen  könne;  sie  wurden  Pelloutier 
als  Gehalt  zugebilligt.  Der  neue  Entwurf  Durham's  ,  XJhden's  und 
Bastinelles'  zur  Administration  des  Kalenderwesens  wurde  geprüft^. 
In  der  Sitzung  vom  lö.Feljruar  wurde  der  Diplom-Entwurf,  wie  ihn 


^  ScHMETTAu's  Einfluss  ist  es  wohl  auch  zuzuschreiben ,  dass  die  Leseordnung 
für  das  Jahr  1744  so  festgestellt  wurde,  dass  die  philosophische  und  philologische 
Klasse  nur  halb  so  oft  an  die  Reihe  kamen  wie  die  beiden  anderen.  Das  im 
Archiv  der  Akademie  aufbewahrte  Schema  für  1744  lautet:  Phys.,  Math.,  Phys., 
Math..  Philos.,  Philol.     Viele  Jahre  lang  blieb  es  bei  dieser  Ordnung. 

^  Die  Ordre  an  ihn  ist  abgedruckt  im  Urkundenband  Nr.  159.  In  Nr.  160 
(vom  7.  Februar)  theilen  von  Schmettau  und  die  Minister  der  Akademie  die  vom 
Könige  genehmigten  Bestimmungen  mit.  Aus  dem  Actenstück  Nr.  161  vom  S.Fe- 
bruar ei-giebt  sich,  dass  der  kecke  Vorschlag  der  Suspension  der  2  x 400  Thh-.  für 
die  arbeitenden  Mitgheder  der  philosophischen  und  philologischen  Klass.e ,  der  allzu 
schnell  vom  Könige  genehmigt  worden  war  —  wahrscheinlich  war  dieser  Punkt 
im  Cabinet  übersehen  worden  — ,  sich  doch  nicht  so  glatt  durchzusetzen  vermochte. 

^  Nebenbei  erfährt  man,  dass  die  Ober- Rechnungskammer  bisher  mit  der 
Finanzverwaltiuig  der  Soeietät  nichts  zu  thun  gehabt  hat.  Die  Akademie  wünschte 
beiircnf lieber  Weise,  dass  es  auch  ferner  so  bleibe. 


Die  neue  Akademie  vor  Maupertuis'  Eintritt  (1744/46).  291 

VON  Jariges  und  Formey  vorgelegt  hatten,   angenommen  und  weiter 
über  die   Kalendersaclie  verhandelt  \ 

ScHMETTAU,  der  in  den  ersten  drei  Monaten  das  Präsidium  ver- 
waltete, nahm  es  mit  seinen  Obliegenheiten  sehr  ernst  (während 
Jordan,  der  Vice-Präsident,  sich  in  dieser  ganzen  Zeit  im  Hinter- 
grunde gehalten  hat,  ja  wahrscheinlich  in  den  Sitzungen  gar  nicht 
erschienen  ist).  So  theilte  er  mit,  dass  er  jüngst  auf  dem  Obser- 
vatorium gewesen,  den  Vorrath  von  Instrumenten,  Naturalien,  Mo- 
dellen, sowie  die  Bibliothek  in  Augenschein  genommen  «und  manche 
UnVollständigkeit  gefunden  habe«  ;  auf  seinen  Vorschlag  werden 
LiEBERKÜHN  uud  der  Secretar  der  mathematischen  Klasse  mit  der 
Aufsicht  über  den  Apparat  betraut.  Schmettau  berichtete  ferner, 
dass  Reparaturen   an   dem  Observatorium  selbst  nöthig   seien,    und 


^  Was  für  Fragen  sonst  noch  verhandelt  werden  mussten,  mag  das  Protokoll 
einer  Sitzung  lehren: 

»Ob  in  den  Kalendern  nicht  eine  Colonne,  den  katholischen  Kalender  ent- 
haltend, beigegeben  werden  solle. 

Ob  nicht  in  den  Kalendern  gemeinnützige  Anweisungen  über  Feuerung, 
Brunnen,  Baumpllanzungen,  Culturen  aufzunehmen  seien. 

Ob  nicht  die  Pacht  des  Juden -Kalenders  zu  erhöhen  sei. 

Ob  nicht  ein  holländischer  Kalender  (wegen  Wesel  und  Westfalen)  zu 
drucken  sei. 

Über  Buchdruckerei  und  Anfertigung  von  Instrumenten. 

Ob  nicht  die  Intelligenzblätter  in  grösseren  Städten  der  Akademie  zu  über- 
tragen seien. 

Ob  nicht  jeder  Pfarrer  seine  Gemeindemitglieder  fragen  solle,  wie  viele  und 
was  für  Kalender  sie  brauchen,  damit  die  Quantität  richtig  bemessen  werden  könnte. 

Ob  nicht  die  x\kademie  die  Censur  für  alle  hebräisch  gedruckten  Büclier 
haben  soll  und  ohne  ihre  Approbation  nichts  zu  drucken  sei;  ob  es  nicht  mit 
allen  Büchern  in  fremden  Sprachen  so  zu  halten  sei. 

Ob  nicht  die  Einnahmen  von  den  Maulbeerblättern,  Pacht  vom  Leichenwesen 
luid  das  Einkommen  von  dem  Garten  zu  erhöhen? 

Ob  nicht  wöchentlich  eine  gelehrte  Zeitung  edirt  werden  soll  und  meteoro- 
logische Observationen  ? 

Protestantische  Religionsbücher,  so  nach  Polen,  Hungarn  zu  debitiren,  könn- 
ten auch  gedruckt  werden,  wie  das  bisher  schon  Köhler  mit  Vortheil  gethan.« 

Man  sieht,  Schmettau  hat  bald  Wasser  in  seinen  Wein  der  reinen  Wissen- 
schaft schütten  müssen.  —  Die  von  der  Akademie  herausgegebenen  Staatskalender, 
welche,  wie  heute  der  Gothaische,  die  Genealogieen  dei'  europäischen  Fürstenfamilien 
enthielten,  waren  übrigens  auch  im  Ausland  hochgeschätzt.  So  schrieb  ein  Lon- 
doner Buchhändler  im  Jahre  1744,  indem  er  sieben  Exemplare  für  das  englische 
Ministerium  bestellte,  der  Minister  habe  erklärt,  dass  unter  allen  Almanachen  die 
der  Preussischen  Akademie  die  besten  seien  (Geh.  Staatsarchiv).  Gegen  das  Un- 
wesen des  Nachdrucks  (der  Kalender  imd  der  Memoires)  hatte  sich  deshalb  die 
Akademie  auch  stets  zu  wehren.  So  erging  am  2.  October  1745  an  alle  einzelnen 
Staaten  der  Eidgenossenschaft  das  Ersuchen,  den  Nachdruck  der  Memoires  zu 
verbieten.  ^ 

19* 


292    Geschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1740—1746). 

auf  seinen  Antrag  wurde  Humbert  beauftragt,  mit  Bauverständigen 
einen  Kostenanschlag  zu  machen. 

Weiter  setzte  er  als  Präsident  das  Directorium  davon  in  Kennt- 
niss,  »dass  die  Söhne  von  Naude  und  Grischau  Lust  zur  Astronomie 
bezeigen  und  schon  manches  auf  dem  Observatorium  gethan  hätten. 
Da  man  zu  Paris  und  Petersburg  alumnos  zuziehet,  so  solle  man  auch 
dergleichen  einführen  und  der  mathematischen  Klasse  mittheilen,  man 
würde  von  Zeit  zu  Zeit  jenen  ein  Gratial  zufliessen  lassen« .  Auch  einen 
Vorschlag  Euler's  befürwortete  der  Präsident,  einen  gewissen  Schu- 
macher als  Calculator  zur  Fortsetzung  der  MANFREnischen  Ephemeriden 
für    loo  Thlr.  zu  gewinnen  ^ 

Zunächst  —  nach  dem  ersten  Anheizen  —  schien  die  schwer- 
fällige Maschine  mit  ihren  vier  Kammern^  ganz  gut  zu  functioniren ; 
aber  bald  zeigte  es  sich,  wie  unzweckmässig  es  Avar,  das  wissen- 
schaftliche und  das  ökonomische  Directorium  von  einander  zu  trennen 
und  die  ökonomischen  Deputirten  jährlich  wechseln  zu  lassen.  Schon 
schlug  man  vor,   das  Verbot,   sie  wieder  zu  wählen,   aufzuheben. 

In  den  wenigen  Monaten  bis  zum  Ausbruch  des  zweiten  schle- 
sischen  Krieges  hat  Schmettau  noch  allerlei  finanzielle  Pläne  —  da- 
rin Leibniz  ähnlich  —  gehegt  und  durchzusetzen  versucht.  Vom 
7.  März  stammt  das  Project,  durch  Errichtung  einer  Druckerei  dem 
Fundus  aufzuhelfen  und ,  damit  sie  beschäftigt  sei ,  ihr  ausser  den  Ka- 
lendern und  Opera  der  Akademie  den  Druck  der  Medicinal-Ordnung, 
des  Dispensatorium  Brandenburgii  und  der  kleinen  protestantischen 
Religionsbücher  zu  übertragen.  »Übrigens  hat  sich  der  König  selbst 
dahin  geäussert,  wie  Sie  wünschten,  dass  eine  solche  Druckerei  er- 
richtet werden  möchte,  welche  an  Schönheit  und  Feine  sowohl  des 
Papiers  als  der  Buchstaben  und  Drucks  dem  Holländischen  und  Fran- 
zösischen gleich  käme.«  Auch  unterbreitete  Schmettau  dem  Könige 
eine  Eingabe,  der  Akademie  den  Debit  der  protestantischen  Religions- 
bücher für  Polen  und  Ungarn,    sowie  aller  hebräischen  Bücher  zu 


^  Alle  Gesuche  um  Gehaltsei'höhung  u.s.  w.  gingen  in  den  Jahren  1744  und  1745 
an  die  Curatoren.  In  den  Acten  des  Akademischen  Ai'chivs  findet  sich  ein  solches 
von  Lieberkühn  (vom  13.  Februar  1744),  in  welchem  er  seinen  Lel)enslauf,  seine 
Studien  in  Holland  unter  Boerhaave  u.  s.  w.  einzahlt.  —  Laut  Cabinetsordre  vom 
6.  April  1744  v^rurde  Schaarschmidt  wegen  Nachlässigkeit  als  JMedicus  in  der  Chi- 
rurgie die  Stelle  genommen  und  ihm  ausserdem  von  seinem  akademischen  Gehalt 
(150  Thlr.)  zwei  Drittel  gestrichen. 

^  Das  Plenum,  das  Präsidium  der  vier  Curatoren,  das  wissenschaftliche 
Dii-ectorium  (bestehend  aus  den  vier  Curatoren  und  den  Directoren),  das  ökonomische 
Curatorium  (bestehend  aus  den  vier  Curatoren  und  den  vier  Deputirten). 


Der  zweite  schlesische  Krieg.     Maupertuis  kehrt   nach  Berlin  zurück.    293 

übertragen  und  ihr  das  allgemeine  Censiirrecht  zu  ertheilen  »in  Bezug 
auf  alle  Bücher  und  andere  Stücke  (ausgeschlossen  die  Affaires  d'etat), 
die  in  Berlin  und  in  den  anderen  Städten ,  wo  es  keine  Universitäten 
giebt,   gedruckt  werden«. 


5. 

Aber  der  König  konnte  seit  dem  Frühjahr  1744  seine  Sorge 
der  Akademie  nicht  widmen ;  es  galt,  die  im  ersten  Krieg  gewonnene 
Grossmachtstellung  Preussens  zu  behaupten.  Der  zweite  schlesische 
Krieg  brach  aus,  und  bis  zur  Schlacht  von  Hohenfriedberg  am  4.  Juni 
1745  hören  wir  nichts  von  Beziehungen  des  Königs  zur  Akademie, 
ausser  einer  eigenhändigen  Bemerkung,  die  er  an  den  Rand  einer 
Eingabe  derselben  geschrieben  hat\  Sie  hatte  vorgeschlagen,  die 
durch  den  Tod  des  Astronomen  Naude  erledigten  200  Thlr.  Lieber- 
kühn zu  geben ,  und  glaubte  damit  die  Meinung  des  Königs  zu  treffen ; 
er  aber  erwiderte   (30.  Januar    1745): 

"Nein  der  Eilers  [lies  Ecler]  wirdt  einen  aus  Russlandt  verschreiben  der 
Habil  ist  und  Profeser  in  Node  Seiner  Stelle  werden  kan.« 

Man  sieht,  der  König  hat  die  Akademie  nicht  ganz  vergessen 
und  nicht  darauf  verzichtet,   ihr  Directive  zu  geben. 

Kurz  nach  der  Schlacht  von  Hohenfriedberg  aber  empfing  er 
eine  Nachricht,  die  sein  volles  Interesse  an  der  gelehrten  Gesell- 
schaft wieder  wachrief,  Maupertuis  schrieb  ihm,  dass  er  die  Er- 
laubniss  erhalten  habe,  Frankreich  zu  verlassen,  und  dass  er  nun 
nach  Berlin  kommen  werde.  Mit  beiden  Händen  griff  der  König 
zu.  Nicht  weniger  als  sechzehn  Briefe  hat  er  in  dem  halben  Jahr 
bis  zum  Frieden  von  Dresden  aus  dem  Felde  an  den  Gelehrten 
gerichtet,  um  ihn  festzuhalten^.  »Das  Opfer,  das  Ihr  mir  bringt, 
ist  gross;  was  kann  ich  thun.  Euch  Euer  Vaterland,  Eure  Freunde 
und  Eure  Eltern  zu  ersetzen ! «  Dann ,  mit  freudigem  Ausblick, 
dass  die  Zeit  kommen  wird,  wo  diese  Kriege  aufhören:  »alors, 
mon  eher  Maupertuis  ,  alors  nous  pourrions  philosopher  ä  notre  aise « ^. 
Wie  zu  einem  vertrauten  Freunde  redet  er  zu  dem  Gelehrten,  und 
darum   spricht    er   ihm    gegenüber    auch    seinen  Schmerz  über    den 


^    Akademisches  Archiv. 

^  Diese  Briefe  und  die  im  Folgenden  citirten  befinden  sich  fast  sämmtlich  im 
Geh.  Staatsarchiv;  in  den  (Euvres  sind  nur  fünf  Briefe  des  Königs  an  Maupertuis 
und  zwei  von  diesem  gedruckt. 

^    Camp  de  Rusec  v.   10.  Juli  1745. 


294    Geschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen    (1740—1746). 

Verlust  Jordan's  und  Keyserlingk's  in  diesen  Briefen  aus  —  »ich. 
suche  vergebens  in  meiner  Pliilosophie  und  in  Cickro's  Tusculanen 
Trost  und  besitze  nicht  die  Fähigkeit  des  Stoikers,  der  sagen 
konnte:  Ich  wusste  wohl,  dass  er  nicht  unsterblich  war;  Keyser- 
LiNGK  und  ich  waren  wie  eine  Seele«.  Voll  Freude  aber  empfing 
er  die  Nachricht,  dass  sich  Maupertuis  bald  nach  seiner  Ankunft 
in  Berlin  mit  einem  Fräulein  von  Borck  verlobt  habe  und  die  Hoch- 
zeit bevorstehe.  Diese  Verbindung  des  Gelehrten  mit  einer  der 
vornehmsten  Familien  des  Landes  schien  ihm  Gewähr  dafür  zu  sein, 
dass  er  ihn  nicht  wieder  verlieren  werde.  »Ich  wünsche,  dass  Ihr 
ebenso  glücklich  seid,  das  was  Ihr  sucht  in  Eurer  Liebe  in  Berlin  zu 
finden,  wie  Ihr  glücklich  gewesen  seid  in  Euren  physikalischen 
Entdeckungen  in  Lappland.«  Die  wiederholten  Klagen  über  den 
Tod  der  Freunde  unterbricht  er  durch  den  Ausruf:  »Lassen  wir 
das  Klagen  und  sprechen  wir  von  den  Hymnen,  die  Urania  und 
Newton  zu  Eurer  Hochzeit  anstimmen«  \ 

Es  war  selbstverständlich,  dass  der  König  sofort  den  früheren  Plan 
wieder  aufnahm,  Maupertuis  an  die  Spitze  der  Akademie  zu  stellen"'. 
Er  gab  Ordre,  ihm  ein  Gehalt  von  3000  Thlrn.  auszuzahlen;  zu- 
gleich Hess  er  schon  Mitte  Juli  an  die  Akademie  —  sie  war  eben  mit 

Igen  beschäftigl 


der  Herausgabe  des  ersten  Bandes  ihrer  Abhandlungen  beschäftigt^  — 


^    Brief  v.  6.  October  aus  Soor. 

^  Ihr  Pei'sonalstand  war  im  Jahre  1744  folgender:  Vice-Pi-äsident  Jordan.  Phy- 
sikalische Klasse  11  Mitglieder  (Eller,  Buddeus,  Francheville,  GLEorrscH,  Lieber- 
kühn, LuDOLFF  sen.  et  jun.,  Marggraf,  Pott,  Schaarschmidt,  Sproegel);'  Mathe- 
matische Klasse  7  Mitglieder  ausser  dem  Veteran  des  Vignoles,  der  am  24.  Juli 
1744  starb  (Euler,  Faber  [Januar  1744  aufgenommen  und  bald  darauf  gestorben], 
Grischau,  Humbert,  Kies,  Naude,  Wagner);  Philosophische  Klasse  7  Mitglieder 
(Heinius,  Achard  sen.  et  jun.,  Formey,  Jariges,  Sack,  Stubenrauch  [dieser  ist 
aus  der  philologischen  in  diese  Klasse  übergegangen]);  Philologische  Klasse  6  Mit- 
glieder (d'Argens,  Elsner,  Hering,  Küster,  Lamprecht,  Pelloutier  [Bielfeld 
wurde  Ehrenmitglied]).  In  der  Zeit  bis  zu  Maupertuis"  Antritt  ist  nur  Süssmilch 
(29.  Januar  1745)  hinzugekommen  und  Carita  wui'de  wieder  in  den  Listen  geführt 
(s.  oben).  Uhden,  der  General -Fiscal,  ist  bei  der  philosophischen  Klasse  erwähnt, 
und  Sack  ist  in  die  physikalische  übei'gegangen.  Lamprecht,  Redactear  der 
SpENER'schen  Zeitung  und  Herausgeber  einer  moralischen  Wochenschrift  "Der  Welt- 
bürger« (Geiger,  Berlin,  I  S.  4i3f.).  stai'b  im  December  1744,  Naude  starl)  am 
17.  Januar  1745. 

^  Der  Contract  wurde  am  16.  vSeptember  mit  dem  Buchhändler  A.  Haude  in 
Bei'lin  abgeschlossen  (Geh.  Staatsarchiv).  Kurz  vorher  war  in  Bezug  auf  die  Kalen- 
der ein  merkwürdiges  Ansinnen  an  die  Akademie  gestellt  worden.  Die  Busstage 
lagen  in  den  verschiedenen  Landestheilen  des  Königreichs  verschieden,  und  in  den 
Kalendern  der  Akademie  wurden  diese  Verschiedenheiten  nicht  immer  hinreichend 
beriicksiclitigt,  woraus  sich  Unzuträglichkeiten  ergaben.    Daher  schrieb  die  Preussische 


^lArPERTuis  tritt  an  die  Spitze.     Die  Akademie  wird  französiscli.         295 

die  Verfügung  ergehen  ^ ,  dass  diese  Publicationen  sämmtlicli  in 
französischer  Sprache  zu  erscheinen  haben  (wünsche  es  der  Autor, 
so  könne  das  Original  in  einer  fremden  Sprache  mitgedruckt  wer- 
den)"". Das  war  bereits  die  Vorbereitung  auf  Maupertuis'  Präsident- 
sc] laft.  Ferner  bestimmte  er,  gewiss  im  Hinblick  auf  den  Tod 
Jorüan's,  dass  jährlich  eine  Lebensgeschichte  der  verstorbenen  Mit- 
glieder, wie  in  Paris,  in  den  Memoires  gegeben  werde.  Endlich 
theilte  er  mit,  er  habe  Fokmey  mit  200  Thlrn.  zum  Historiographen 
ernannt. 

Aus  der  Bestallung  Forjiey's^  ersieht  man,  dass  in  allen  Stücken 
die  Publicationen  der  Pariser  Akademie  der  Berliner  zum  Muster 
dienen  sollten.  Wie  in  diesen  sollten  künftig  neben  den  Abhand- 
lungen die  »Lebensgeschichten«  stehen;  Alles  aber  sollte  »in  der 
ül)erall  beliebten  Sprache«,  dem  Französischen,  gedruckt  werden, 
»damit  die  ganzen  Memoires  auf  eine  dem  Gelehrten  sowohl  als 
dem  Publico  angenehme  und  nützliche  Art  an's  Licht  treten  mögen«. 
Formet  übernahm  ausserdem  die  schwierigen  Verpflichtungen,  alle 
deutsch  oder  lateinisch  eingereichten  Stücke  in's  Französische  zu 
übersetzen,  die iLebensgeschichten  der  Verstorbenen  jährlich  zu  A'er- 
fassen  und  endlich  für  den  ersten  Jahrgang  der  Memoires  eine  Ge- 
schichte der  Akademie  von  ihren  Anfängen  (d.  h.  vom  Jahre  i  700) 
an  zu  schreiben.  Er  hat  die  drei  Aufgaben  mit  der  ihm  eigenen 
Leichtfertigkeit  zu  lösen  verstanden. 

Bereits  im  October  1745  wollte  Maupertuis  mit  dem  Könige 
über  Details  der  Einrichtung  der  Akademie  verhandeln.    Aber  noch 

winkte   der  Monarch  ab, 

«Si  le  reglement  de  l'academie  etait  Taftaire  la  plus  difficile  ä  regier,  je  vous 
reponds,  mon  eher  Maupertuis,  qu"ä  moins  de  huit  jours  tont  serait  reforme,  mais 
j'ai   tant   d'embarras,    et   des   clioses   si   difficiles    ä   manier,    que  je    n'ai  pas  peiise 


Provinzialregierung  am  29.  Mai  1745  "nomine  des  Departements  der  christlichen 
Sachen«  an  die  Akademie:  »Wir  stellen  der  hochlöblichen  Societät  der  Wissen-* 
Schäften  [sie]  anheim,  ob  es  nicht  dahin  zu  richten,  dass  künftig  die  Busstage  in 
Preussen  und  in  denen  übrigen  Königl.  Landen  an  einem  und  demselben  Tage 
gefeiert  Averden«.  Dass  die  Akademie  allgemeine  Busstage  für  das  Königreich  ein- 
richten helfen  solle,  ist  wohl  die  auffallendste  Anforderung,  die  je  an  sie  gestellt 
worden  ist. 

^  Die  Verfügung  selbst  ist  nicht  erhalten,  wohl  al)er  das  auf  ihr  hissende 
Schreiben  der  Curatoren  vom  19.  Juli  (Akademisches  Archiv). 

'^    Von  dieser  Erlaubniss  ist  nie  Gebrauch  gemacht  worden. 

^  Siehe  Urkundenband  Xr.  162.  Jariges,  mit  Geschäften  überhäuft,  war  factisch 
schon  im  Jahre  1745/46  von  dem  Secretariat  zurückgetreten;  im  April  1748  legte 
er  es  <\uch  formell  nieder.  Die  Stelle  erhielt  ebenfalls  For3iey.  Das  Amt  eines 
Bibliothekars  erhielt  am  7.  November  1745  Pelloutier. 


296    Gcscliiclitc  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1740— 174()). 

a  racadeinie,  ce  soia  sera  Touvrage  de  inon  loisir.  Vous  en  etes  le  direoteur  et 
du  moment  de  mon  retour  ä  Berlin  (qui  sera  dans  12  jours)  vous  voudrez  l)ien 
vous  en  charger  ^ " 

Es  dauerte  doch  noch  mehr  als  zwei  Monate,  bis  der  König 
nach  Abschluss  des  Dresdener  Friedens  nach  Hause  zurückkehren 
konnte.  Noch  mancher  Brief  wurde  mit  Maupertuis  gewechselt. 
Die  Schreiben  des  Königs  drücken  immer  wieder  die  Freude  aus, 
die  er  an  der  Correspondenz  empfindet;  sie  sind  zugleich  ergreifende 
Zeugnisse  von  den  schrecklichen  Eindrücken  des  Kriegs  auf  die 
Seele  des  Königs  und  von  seiner  heissen  Liebe  zu  seinem  Volke. 
Endlich  konnte  Friedrich  Maupertuis  von  Potsdam  aus  begrüssen 
{3.  Januar  1746)  und  ihm  die  tröstlichen  Worte  schreiben:  »je 
fais  un  grand  etat  sur  les  ressources  de  Votre  Societe«.  Am  15.  Ja- 
nuar richtete  Maupertuis  an  den  König  jene  Vorstellung,  die  für  die 
weitere  Geschichte  der  Akademie  entscheidend  geworden  ist.  Mit 
scharfem  Blick  erkannte  er,  dass  die  Wissenschaften  in  Preussen 
so  lange  nicht  in  der  ihnen  gebührenden  Achtung  standen, 
als  nicht  ein  Mann  der  Wissenschaft  mit  der  vollen  Gewalt 
eines  Präsidenten  die  Akademie  regiere,  anders  ausgedrückt:  er 
weigerte  sich  Präsident  zu  Averden,  wenn  er  nicht  auch  den  vier 
Curatoren  in  der  Akademie  übergeordnet  würde  (ausserdem  lehnte 
er  es  ab,  sich  an  der  Finanzverwaltung  der  gelehrten  Gesellschaft 
irgendwie  zu  betheiligen).  Der  Brief,  der  einen  vollen  Einblick  in 
die  Schwierigkeit  der  Lage  zeigt,  lautet:"" 

Votre  Majeste  pourrait  croire  que  j'ai  perdu  de  vue  Tchjet  pour 
lequel  eile  m'a  pris  k  son  service,  si  je  ne  lui  parlais  de  son  academie. 
J'aurais  honte  de  mon  loisir  et  des  bienfaits  memes  dont  V.  M.  m'honore, 
si  je  ne  pouvais  les  meriter.  Je  vols  beaucoup  de  contradiction  et  de 
mecontentement  dans  la  maniere  dont  cette  compagnie  est  administree, 
fort  peu  d'esperance  pour  le  succes  de  ses  ouvrages.  Je  ne  puis  cepen- 
dant  remedier  a  rien,  pas  meine  assister  a  ses  assemblees,  jusqu'a  ce  que 
V.  M.  m'ait  fait  expedier  la  patente  pour  la  place  de  president,  i(ue  je 
n'ai  encore  que  par  les  appointements  et  jiar  le  billet  de  V.  M.,  dont  je 
n'oserais  pas  me  servir  sans  son  ordre. 

Cette  place,  rendue  d'abord  honorable  parLsiBNiz,  ridicule  ensuite 
par  GuNDLiNG,  et  enfin  mediocre  par  Jablonski,  sei-a  pour  moi,  Sire,  ce 
que  vous  voudrez  cprelle  soit.  Je  sens  la  difficulte  de  la  bien  i-emplir  et 
d'exciter  l'emulation  parmi  des  gens  de  lettres  gouvernes  par  des  ministres 
d'Etat  et  des  generaux  d'armee,  que  leurs  seuls  titres  rendent  superieurs 
k  tout  le  reste.  J'ai  cependant  souvent  preside,  dans  l'Academie  des 
Sciences,  des  ducs  et  des  ministres;  mais  en  France,  le  goüt  de  la  nation 
pour   les    sciences,    et    peut-etre  une  espece  de  fortune,    m'avaient  donne 


^    RoHNSTocK,  den  22.  October  1745. 

^    CEuvrcs.  T.  17  p.  336  f.  (Original  im  Geh.  Staatsarchiv.) 


Maupertuis"  Brief  an  Friedrich  II.  (lö.  Januar  174G).  2.)l 

une  certaine  consideration  (|u'il  est  impossüjle  que  je  troiive  ici,  si  voiis 
ne  me  la  donnez.  Les  sciences  y  sont  dans  un  aiTaissement  et  un  etat 
d'humilite  marques  par  le  reglement  meme  de  l'Academie;  on  peut  y  dire 
jusqu"ici  ce  que  Fontenelle  a  dit  des  temps  gothiques  de  la  France, 
oü  il  n'etait  pas  encore  decide  si  les  sciences  ne  derogeaient  point.  Je 
sens,  Sire,  que,  tandis  que  je  vous  parle  pour  les  sciences,  il  seinble  (]ue 
je  parle  aussi  pour  inoi;  je  ne  vous  cacherai  pas  meine  le  degre  d'ambi- 
tion  que  je  joins  au  bien  de  votre  Service.  Je  vous  demanderai  tout  ce 
qui  2^ourra  me  donner  la  consideration  et  le  credit  necessaires  pour  le 
bien  de  l'Academie  et  pour  remplir  avec  honneur  une  place  qui  doit  etre 
honorable  sous  le  regne  d'AuGusTE. 

jNIais,  s'il  est  permis  de  mettre  des  restrictions  ä  vos  gräces  et  des 
limites  aux  fonctions  qui  regardent  votre  service,  j'oserai  prier  V.  M.  de 
me  dispenser  d'une  partie  d'administration  dont,  etant  etranger  ici,  je 
craindrais  de  ne  pouvoir  pas  bien  m'acquitter:  c'est  celle  des  deniers  de 
l'Academie,  ä  laquelle  je  voudrais    bien  n'avoir  aucune  part.     Je  suis,  etc. 

Friedrich  war  entschlossen,  alle  Wünsche  Maupertuis'  zu  er- 
füllen. Bereits  am  i.  Februar  Hess  er  ihm  die  Bestallung  als  be- 
ständigem Präsidenten  zugehen^;  aber  noch  blieb  das  Verhältniss 
des  Präsidenten  zu  den  Curatoren  unklar.  Das  Directorium  der 
Akademie  hatte  schon  vor  der  förmlichen  Bestallung  Maupertuis' 
am  6.  December  1745  verhandelt,  wie  man  den  künftigen  Präsi- 
denten aufzunehmen  habe,  Dass  auch  für  die  Discussion  in  den 
Sitzungen  nunmehr  nur  das  Französische,  höchstens  noch  das  La- 
teinische, zulässig  sei,  da  der  Präsident  kein  Deutsch  verstand, 
war  klar.  Als  nun  seine  Ernennung  eintraf,  als  man  merkte,  dass 
der   König   Alles    durch   ihn   bei    der   Akademie    zu   betreiben    ent- 


^  Abgedruckt  im  Urkundenband  Nr.  163.  Unmittelbar  vor  der  Einsetzung 
Maupertuis'  zum  Präsidenten  muss  der  erste  Jahrgang  der  Hist.  und  Mem.  der 
Akademie  für  das  Jahr  1745  erschienen  sein.  Er  trägt  bereits  die  Jahreszahl  1746, 
aber  in  dem  kurzen  Abriss  der  Geschichte  der  Akademie,  die  Formet  verfasst  hat, 
ist  Maupertuis  noch  nicht  erwähnt.  Der  übrigens  noch  ziemlich  dünne  Band  ist 
dem  Könige  gewidmet  und  luiterscheidet  sich  dadurch  von  den  folgenden,  dass 
den  Memoires  ausführliche,  besonders  paginirte  Sitzungsberichte  vorangehen.  INIau- 
pertuis  hat  das  wieder  abgeschafft.  Abhandlungen  enthält  der  Band  nur  zwölf 
(drei  für  jede  Klasse),  aber  von  gediegenem  Inhalte.  Ludolff  hat  über  »Electricite 
des  Barometres«  geschrieben,  Marggraf  über  Metalllösungen,  Lieberkühn  über 
ein  anatomisches  IMikroskop.  welches  es  gestattet,  lebende  Thiere  zu  beobachten. 
Zwei  mathematische  Abhandlungen  haben  Euler  zum  Verfasser,  eine  dritte  ist 
von  D.  Bernoulli  geschrieben.  Die  neue  philosophische  Klasse  führt  sich  würdig 
ein  durch  eine  kritische  Abhandlung  von  Jariges  über  den  Spinozismus  und  die 
P^^inwürfe  Bayle's  gegen  dies  System.  Elsner  schreibt  über  »l'Excellence  de  la 
Palestine« ,  d.  h.  über  die  besonderen  klimatischen  u.  s.  w.  Vorzüge  des  Landes  im 
Alterthum.  Süssmilch  versucht  den  Beweis  der  Abhängigkeit  des  Keltischen  und 
Deutsclien  von  den  orientalischen  Sprachen.  Die  Vorrede  ist  deshalb  bemerkens- 
werth,  weil  sie  das  hohe  Selbstbewusstsein  des  18.  Jahrhunderts  in  ausgeprägter 
Form  zeigt. 


298    lieschiclitc  flcr  Al^ndeniic  iintei'  Friedrich  dem   Grossen   (1740  —  1746). 

schlössen  war\  als  man  den  Enthusiasmus  fühlte,  mit  dem  Friedrich 
dem  grossen  Gelehrten  anhing",  da  erklärten  die  Curatoren  von  Arniji, 
VON  Viereck  und  Bokcke  ihr  Amt  niederlegen  zu  wollen  (19.  März). 
SciiMETTAu,  der  in  diesen  Monaten  wieder  die  Geschäfte  führte, 
wandte  ein,  er  könne  nicht  allein  diesem  Werke  vorstehen;  auch 
genüge  es  nicht,  den  Rücktritt  im  Protokoll  zu  verzeichnen;  sie 
müssten  ihren  Abschied  beim  Könige  einreichen.  Allein  Arnim  er- 
widerte, er  habe  das  Amt  nur  auf  Probe  übernommen;  Viereck 
erklärte,  nicht  der  König,  sondern  die  Commission  habe  sie  zu 
Curatoren  ernannt,  und  Borcke  antwortete,  er  wolle  seine  drei 
Monate  noch  abdienen,  damit  es  nicht  an  einem  Curator  fehle,  aber 
auf  längere  Zeit  engagire  er  sich  nicht^.  Man  kann  es  den  hohen 
Herren  nicht  verdenken ,  dass  sie  ihre  Mitwirkung  versagten  — 
es  war  etwas  Unerhörtes,  dass  ein  Gelehrter,  und  dazu  ein  Aus- 
länder, über  den  höchsten  Staatsbeamten  stehen  sollte;  ihnen  war 
das  Präsidium  anvertraut  worden,  und  sie  sollten  es  plötzlich  ver- 
lieren! Aber  der  König  liess  sich  nicht  beirren.  P]r  verlangte, 
dass  die  Curatoren  blieben^  —  nur  von  Viereck,  der  frühere  Protector 
der  Societät,  schied  aus  — ,  und  er  war  zugleich  entschlossen,  die 
Gewalt,  die  er  Maupertuis  übertragen  hatte,  in  den  Statuten  zum 
Ausdruck  zu  bringen  und  ihm  auch  (obgleich  er  sich  anfangs  ge- 
weigert hatte,  sich  mit  den  finanziellen  Fragen  zu  befassen)  das 
ausschliessliche  Recht,  Pensionen  zu  verleihen,  zu  übertragen.  Zu 
diesem  letzten  Schritt  veranlassten  ihn  vor  allem  ärgerliche  Ver- 
handlungen, die  noch  immer  über  Naude's  erledigtes  Gehalt  ge- 
führt wurden,   ob   es   Gleditscii   oder  Marggraf  beziehen   solle^. 

Dass    die  vor   zwei  Jahren   gegebenen    Statuten   weitschweifig, 
schwerfällig  und  unvollkommen  seien,  hatte  Maupertuis  dem  Könige 


^  Dei'  erste,  den  Maitertuis  empfohlen  und  Friedrich  als  Professor  dei' 
Mathematik  angestellt  hat,  war  Beguelin  (s.  den  I>i-ief  vom   22.  März    1746). 

^  Siehe  den  Brief  vom  5.  März  1745,  in  welchem  sich  der  König  mit  Mau- 
pertuis über  die  zu  schlagenden  Medaillen  heräth  und  schreibt:  »Es  ist  Eure  und 
Eurer  Genossen  Aufgabe,  die  Ihr  als  Devise  die  Unsterblichkeit  habt,  sie  in  Bruch- 
stücken denen  auszutheilen,  die  kein  anderes  Verdienst  haben  als  das  der  physischen 
Kraft  imd  des  Muthes". 

^    Die  Erklärungen  befinden  sich  im  Akademischen  Archiv. 

*  Ihre  letzte  selbständige  That  war  die  Einschärfung  des  Gebotes  (vom 
31.  October  1724),  dass  die  Verleger  ein  Exemplar  der  von  ihnen  gedruckten 
Bücher  an  die  Bibliothek  der  Akademie  abzuliefern  haben.  Der  König  erliess  eine 
entsprechende  Verfügung  (19.  INIärz  1746).  Vei'anlasst  war  die  Sache  durch  eine 
Eingabe  des  Fiscals  der  Akademie  Uhden  an  Schmettau  (Geh.  Staatsarchiv). 

^    Akademisches  Archiv. 


Das  Statut  der  Akademie  vom  10.  ]Mai  174f).  299 

wiederholt  vorgestellt.  Jetzt  beauftragte  Friedrich  den  Präsidenten, 
neue  Statuten  zu  entwerfen.  Dieser  unterzog  sich  der  Aufgabe, 
nahm  sich  die  einfachen  und  straffen  Reglements  der  Pariser  Aka- 
demie überall  dort  zum  Muster,  wo  nicht  Besonderheiten  der  Ber- 
liner Akademie  eine  Abweichung  erforderten,  und  legte  dann  seine 
kurz  und  präcis  gefassten  Bestimmungen  dem  Könige  vor.  Der 
Monarch  billigte  am  i O.Mai  die  Vorlage,  fügte  aber  eigenhändig 
zum  8.  und  1 3.  Paragraphen  zwei  Sätze  hinzu,  die  des  Präsidenten 
Stellung  betrafen.  In  dem  ersten  verfügte  er,  dass  der  Präsident 
über  alle  Mitglieder,  also  auch  die  Ehrenmitglieder,  gesetzt  sei,  wie 
ja  auch  ein  General  Herzöge  und  Prinzen  commandire;  in  dem  zwei- 
ten bestimmte  er,  dass  der  Präsident  die  Pensionen  allein  zu  ver- 
geben habe.  In  dieser  Gestalt  erschienen  die  Statuten  am  10.  Mai 
1746  und  wurden  in  der  Sitzung  vom  2.  Juni  verlesen;  sie  unter- 
Marfen  die  Akademie  der  fast  autokratischen  Gewalt  des  neuen 
Präsidenten.  Borcke,  der  bisher  präsidirender  Curator  gewesen, 
legte  sein  Amt  in   die  Hände  Maupertuis'. 

Diese  Statuten  sind  viele  Jahrzehnte  hindurch  gültig  geblieben 
—  deshalb  mögen  sie  hier  in  extenso  folgen \  Freilich  verloren 
sie  dadurch  einen  Theil  ihrer  Bedeutung,  dass  nach  Maupertuis' 
Abgang  kein  Präsident  mehr  ernannt  worden  ist;  aber  an  seine 
Stelle  trat  der  König  selbst;  die  streng  monarchische  Ver- 
fassung der  Akademie  blieb  also  unverändert.  So  lange  aber  Mau- 
pertuis regierte,  fühlte  sich  der  König  entlastet;  er  sah  sich  als 
Protector  an",  der  die  Macht  hat,  das  auszuführen,  was  der  Prä- 
sident vorschlägt,  und  —  als  wirkliches,  mitarbeitendes  Mit- 
glied der  Akademie. 

Reglement  de  rAcademie: 

Le  roi  s"etant  fait  representer  les  differens  reglements  de  l'Academie  Royale 
des  Sciences  et  Beiles  -  Lettres ,  et  voulant  donner  a  cette  compagnie,  une  derniere 
forme,  plus  j^ropre  ä  augmenter  son  lustre  et  ses  progres:  Sa  ]Majeste  a  ordonne 
qu'elle  observe  desormais  le  regiement  suivant. 


^  Nach  der  Coj)ie,  die  sich  im  Akademischen  Archiv  befindet;  gedruckt  sind 
sie  in  den  ]Mem.  1746  p.3ff.  vind  in  Fgrmey's  Hist.  de  TAcad.  p.gSff. 

^  Jetzt  erst  löste  der  König  sein  Versprechen  ein  und  nannte  sich  «Protec- 
tor« der  »Academie  des  sciences  et  belles -lettres«  (verkündigt  von  IMaupertuis  in 
der  Sitzung  vom  23.  [nicht  28.,  wie  Forjiey  druckt]  Juni  1746).  Der  Zusatz  »belles- 
lettres«  steht  noch  nicht  im  Statut  von  1744.  aber  der  Sache  nach  ist  er  in  ihm 
enthalten,  wurde  schon  in  den  Jahren  1744  und  1745  officiell  gebraucht  und  findet 
sich  auch  auf  dem  Titel  des   i.  Bandes  der  ^Nlemoires  der  Akademie  von  1745. 


300    Geschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1740  —  1746). 

I. 
L'Academie  demeurera  coinme  eile  est,  divisee  en  qiiatre  classes. 

1.  La  classe  de  philosophie  experimentale  coinprendra  la  chiniie, 
ranatoinie.   la  botanique,    et    toutes    les  sciences  qui  sont  fondees  sur  l'experience. 

2.  La  classe  de  mathematiques  comprendra  la  geometrie,  Talgebre, 
la  mechanic^ue,  l'astronomie,  et  toutes  les  sciences  qui  ont  pour  objet  l'etendue 
abstraite,  ou  les  nombres. 

3.  La  classe  de  philosophie  speculative  s"appli(juera  ä  la  logique, 
a  la  inetaphysique  et  ;i  la  morale. 

4.  La  classe  de  belles-lettres  comprendra  les  antiquites,  Fhistoire  et 
les  langues. 

2. 
L'Academie  sera  composee  de  trois  sortes  d'academiciens ,  d'honoraires ,  d'or- 
dinaires  et  d'etrangers. 

3. 

Les  academiciens  honoraires  ne  seront  attaches  ä  aucune  classe,  ni  obliges 
ä  aucun  travail.  Lorsque  leurs  places  viendront  ä  vaquer,  elles  ne  seront  point 
remplies  au-dessus  du  nombre  de  seize. 

4- 

Les  academiciens  ordinaires  formeront  les  quatre  classes;  sans  que  cependant 
chacun  soit  tellement  confine  dans  jla  sienne,  qu'il  ne  puisse  traiter  les  matieres 
des  autres,  lorsqu'il  aura  quelque  decouverte,  ou  quelque  vue  a  proposer. 

Chaque  classe  sera  composee  de  veterans,  de  pensionnaires  et  d'associes. 

Les  veterans  seront  ceux  (jui.  apres  de  longs  Services,  auront  merite  d'etre 
dispenses  des  fonctions  academiques,  et  de  conserver  leurs  pensions  et  toutes 
leurs  prerogatives. 

Les  pensionnaires  seront  au  nombre  de  douze ,  egalement  repandus  dans  chaque 
classe.  Et  comme  dans  quelques  -  unes  il  s'en  trouve  actuellement  plus  de  trois, 
l'intention  de  Sa  Majeste  est  que  chacun  continue  de  jouir  de  tous  les  avantages 
dont  il  jouit;  mais  qu'on  observe  ä  l'avenir  de  ne  point  reinjilir  les  places  au- 
dessus  de  ce  nombre. 

Les  associes  seront  pareillement  an  nombre  de  douze,  repandus  egalement 
dans  chaque  classe:  ou  reduits  ä  ce  nombre,  lorsque  les  places  viendront  ä  vaquer. 

5- 
Les  academiciens  etrangers  seront  pris  indistinctement  dans  toutes  les  nations, 
pourvu  (ju'ils  soient  d'un  merite  connu. 

6. 
Tous  les  academiciens,  tant  honoraires  qu'ordinaires  et  etrangers,  seront 
eins  ä  la  plui'alite  des  voix  de  tous  les  academiciens  presents,  avec  cette  seule 
difterence  que  pour  chaque  place  de  pensionnaire  on  elira  trois  sujets,  dont  deux 
soient  de  l'Academie  et  le  troisieme  n'en  soit  pas,  qui  sei^ont  presentes  au  roi, 
afin  qu'il  plaise  ä  Sa  Majeste  de  choisir  celui  qui  remplira  la  place. 

7- 
Aucune   election   ne   se   fera  qu'elle  n'ait  ete  indiquee  huit  jours  auparavant. 


Das  Statut  dei'  Akademie  vom   10.  Mai   1746. 


BOl 


Le  President  perpetuel  nomme  par 
le  roi  aura  soin  de  faire  observer  le 
reülement,  d'indiquer  les  elections,  de 
presenter  au  roi  les  sujets  elus  pour 
les  places  de  pensionnaire ,  de  faire  de- 
liberer  sur  les  matieres  qiii  sont  du  ressort 
de  l'Academie,  de  recueillir  les  voix,  de 
prononcer  les  resolutions  et  de  nommer 
les  commissaires  pour  l'examen  des  de- 
couvertes ,  ou  des  ouvrages  qui  seront 
presentes  k  l'Academie. 


Dazu  bemerkt  der  König: 

"11  aura  la  ])residence,  independam- 
ment  des  rangs,  sur  tous  les  academi- 
ciens  honoraires  et  actuels,  et  rien  ne 
se  fera  que  par  lui;  ainsi  qu'un  general 
gentilhomme  commande  des  ducs  et  des 
jjrinces  dans  une  armee,  sans  que  per- 
sonne s'en  oflense.« 


Le  secretaire   perpetuel  tiendra  les   registres  de  l'Academie,    entretiendra   ses 
correspondances  et  assistera  a  toutes  les  assemblees,  tant  generales  que  particulieres. 


Chaque  classe   aura.   son  directeur  perpetuel ,    elu   entre   les  pensionnaires ,    a 
la  pluralite  des  voix  de  tous  les  academiciens  presents. 


Les  assemblees  de  TAcademie  se  tiendront  tous  les  jeudis  et  seront  com- 
posees  des  membres  de  toutes  les  classes.  Ceux  qui  ne  seront  pas  du  corps  n'y 
pourront  assister,  a  inoins  qu'ils  ne  soient  introduits  par  le  president  ou  par 
racademicien  qui  preside  a  sa  place. 


Chaque  academicien  pensionnaire  lira  dans  Tannee  deux  memoires;  chaque 
associe  en  lira  un,  ä  tour  de  röle.  Ces  memoires  seront  annonces  quinze  jours 
auparavant  au  president  et  remis  immediatement  apres  la  lecture  au  secretaire, 
pour  etre  transcrits  sur  le  registre. 


13- 


Comme  les  affaires  economiques 
seraient  difficilement  traitees  dans  les 
assemblees  generales ,  l'Academie ,  ä  la 
pluralite  des  voix  de  tous  les  academi- 
ciens presents ,  elira  quatre  curateurs ,  qui 
avec  le  president,  les  directeui-s  et  le 
secretaire,  formeront  un  directoire  pour 
veiller  aux  interets  de  l'Academie  et  de- 
cider  ä  la  i^luralite  des  voix  de  tout  ce 
qui  les  concerne. 


Dazu  bemerkt  der  König: 

»Le  president  Maupertuis  aura  l'au- 
torite  de  dispenser  les  pensions  vacantes 
aux  Sujets  qu'il  jugera  en  meriter,  d"a- 
bolir  les  petites  pensions,  et  d'en  grossir 
Celles  qui  sont  trop  minces,  selon  qu'il 
le  jugera  convenable;  de  plus  il  presidera 
dessus  les  ciu-ateurs  dans  les  affaires 
economiques.« 


14. 
Le  directoire  s'assemblera  a  la  fin  de  chacpie  trimestre.  11  reglera  l'etat  et 
reinploi  des  fonds  de  l'Academie  et  expediera  pour  cela  les  ordres  au  commissaire 
qui  en  a  la  regie,  sans  que  ces  ordres  regardent  le  payement  des  pensions  une  fois 
reglees.  Et  lorsqu'entre  deux  assemblees  du  directoire  il  se  presentera  quelque 
depense  qui  ne  poiu^ra  j^as  etre  differee,  le  commissaire  payera  sur  Tordre  par  ecrit 
du  secretaire,  qui  en  rendra  compte  a  la  premiere  asseiublee  du  directoire. 


302     Geschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1740—174(5). 

15- 

Le  President,  les  cjuatre  directeurs ,  le  secretaire,  l'historiographe  et  le  biblio- 
thecaire  de  rAcademie  formej-ont  un  comite  qui  s'assemblera  ä  la  fin  de  chaque 
mois.  On  y  fera  le  choix  des  pieces  qui  seront  aclmises  dans  le  recueil  qu'on 
donnera  au  public,  et,  l'on  y  reglera  tout  ce  qui  concerne  la  librairie  de  l'Academie. 

i6. 
L'absence  d'aucun  de  ceux  cpü  formeront  le  directoire,  ou  le  comite,   n'em- 
pechera  ni  n'invalidera  les  deliberations. 

17- 
Aucun    academicien    ne   pourra   k    la  tete   des    ouvrages   cpi'il    fera   inqjrimer, 
2)i'endre  le  titre  d'academicien,  si  ces  ouvrages  n'ont  ete  approuves  par  rAcademie. 

i8. 
Les  vacances  de   TAcademie   seront  de    quatre   semaines   pendant   la  moisson 
et  de  deux  semaines  ä  chaque  fete  de  Päques,  de  Pentecote  et  de  Noel. 

19. 

L'Academie  ayant  destine  tous  les  ans  un  prix  pour  celui  qui  aura  le  mieux 
traite  le  sujet  qu'elle  propose,  ses  membres  ne  pourront  concourir.  Le  menie 
jour  au(|uel  le  prix  sei'a  decerne  on  indiquera  le  sujet  pour  l'annee  suivante. 

20. 
Sa  Majeste  veiit  que  le  present  reglement  soit  In  dans  la  prochaine  assemblee 
de  l'Academie  et  insere  dans  le  regitre  jiour  etre  exactement  obsei've. 
Fait  ä  Potzdam,  le   10.  mai  1746. 

Federic. 

Am  1 1 .  Mai  Hess  der  König  an  von  Viereck  folgende  Ordre 
ergehen^: 

»Mein  lieber  Geheimder  Etats -Ministre  von  Viereck!  Nachdem  Ich  aus  eigner 
Bewegung  resolvirt  habe,  dass  wenn  forthin  bey  der  Academie  der  Wissenschaften 
zn  Berlin  Pensiones  erlediget  und  vacant  werden,  alsdann  der  Präsident  von  Mau- 
PERTuis  lediglich  und  allein  die  Wiedervei'gebung  sothaner  Pensionen  Mir  vor- 
schlaget, auch  mir  deshalb  seinen  Bericht  erstatten  soll,  So  befehle  ich  hierdurch, 
dass  Ihr  gedachter  Academie  solches  zur  Nachricht  und  Achtung  bekannt  machen, 
auch  das  deshalb  erforderliche  aus s fertigen  lassen,  imd  zu  Meiner  Unter- 
schrift einsenden  sollt.     Icli  bin  Euer 

Wohlaffectionirter  König.  <■ 

Demgemäss  ergingen  Ordres  an  die  Akademie  und  an  Maupertuis". 

Die  vom  Könige  gegebenen  Statuten  brachten ,  auch  abgesehen 
von  der  Stellung,  die  sie  dem  Präsidenten  einräumten,  einschneidende 
Neuerungen.     Zwar  die  vier  Klassen,  Avie  sie  durch  die  Ordnung  vom 


^    Gelieimes  Staatsarchiv. 

^    Abgedruckt  im  Urkundenband  Nr.  165.  166. 


Das  vStatut  der  Akademie  vom  10.  Mai  1746. 


303 


Jahre  1744  festgestellt  waren,  blieben  bestehen^;  aber  die  Klassen- 
sitzungen wurden  sämmtlicli  in  Plenarsitzungen  verwandelt,  und  in 
jeder  Klasse  sollten  Veteranen,  Pensionäre  und  Associes  unterschieden 
werden.  Nur  drei  Pensionäre  sollten  in  Zukunft  in  jeder  Klasse  sein 
und  ebensoviele  Associes.  Die  Zahl  der  Ehrenmitglieder  ist  auf  16  be- 
schränkt, die  der  auswärtigen  ist  imbeschränkt"".  Alle  Wahlen,  auch 
die   der  vier  Directoren,    sind  einfach  in  der  Generalversammlung  zu 

dass  bei 


vollziehen,    mit  der  Beschränkung 


Erledigung  der  Stelle 


eines  Pensionärs  dem  Könige  drei  Candidaten  vorzuschlagen  sind, 
unter  denen  immer  zwei  Associes  und  ein  fremder  sich  befinden 
sollen.  Jeder  Pensionär  soll  im  Jahr  zwei  Abhandlungen  lesen, 
jeder  Associe  eine.  Diese  Abhandlungen  müssen  14  Tage,  bevor  sie 
gelesen  werden,  dem  Präsidenten  angezeigt  werden.  Am  Ende  jedes 
Trimesters  hat  das  Directorium,  welches  den  Etat  und  die  Fonds  der 
Akademie  zu  verwalten  hat,  eine  Sitzung  zu  halten.  Schmettau's 
vier  Klassen -Deputirte  für  die  ökonomischen  Angelegenheiten  sind 
wieder  weggefallen.  Für  die  Publikationen  der  Abhandlungen  ist 
ein  besonderes  Comite  eingesetzt,  das  aus  dem  Präsidenten,  den  vier 
Directoren,  dem  Secretar,  dem  Historiographen  [die  beiden  Aemter 
fielen  aber  factisch  und  bald  auch  ordnungsmässig  zusammen]  und 
dem  Bibliothekar  besteht.  Nicht  unwesentlich  ist  die  Bestimmung, 
dass  der  Titel  » Academicien«  nur  auf  die  Titel  solcher  Werke  ge- 
setzt werden  darf,  welche  die  Akademie  gebilligt  hat.  Die  jährlichen 
Preisaufgaben  wurden  beibehalten  —  schon  wurde  zum  zweiten  Mal 
der  Preis  ertheilt:  (am  3  i .  Mai  i  745  an  Waitz  »sur  TElectricite«)  näm- 
lich 1746  an  d'Alembert  »sur  la cause  des  Vents«  ;  durch  letztere  Preis- 
ertheilung  markirte  die  Akademie  ihren  Platz  unter  den  europäischen 
Akademieen  — ,  aber  es  wurde  im  Gegensatz  zu  der  früheren  An- 
ordnungbestimmt, dass  Berliner  Akademiker  nicht  concurriren  dürfen. 
Die  Akademie  war  eingerichtet.  Ein  anerkannter  Fürst  der 
Wissenschaft,  zugleich  ein  energischer  Mann,  stand  an  ihrer  Spitze. 
A^on  allen  Seiten  kamen  die  Gratulationen^,  Friedrich  aber  rief  aus: 


^    Auch  die  Curatoren  wurden  beibehalten,  um  den  Zusammenhang  der  Aka- 
demie mit  der  Aristokratie  und  dem  höheren  Beamtenthum  zu  bewahren. 

-  Die  ersten  von  der  neuen  Akademie  (einstimmig)  gewählten  auswärtigen 
^Mitglieder  waren  d'Alejibert  (2.  Juni  1746  —  in  der  ersten  Sitzung,  der  Maupertuis 
präsidirte,  und  auf  seinen  Vorschlag),  Voltaire  und  Coxdamine  (9.  Juni  1746). 
In  der  Sitzung  vom  30.  Juni  wurden  nicht  weniger  als  18  gewählt,  unter  ihnen  Lixx 
luid  Montesquieu. 

^    Auch  WoLFF  aus  Halle  gratulirte  (s.  le  Sueur,  Maupertuis  u.  s.  w.  p.  426 
Brief  vom  15.  November  1746). 


iövoe/. 


804     Geschichte,  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1740— 174(!). 

»MAurERTUis  ist  unser  Palladium  und  die  schönste  Eroberung,  die 
ich  in  meinem  Lehen  gemacht  habe«.  Er  wusste  jetzt,  dass  er 
ihn  behalten  würde,  auch  wenn  er  ihn  auf  Reisen  schickte,  auch 
als  er  ihm  schon  im  Juni  1746  Urlaub  nach  Frankreich  ertheilen 
musste,  damit  er  seinen  todtkranken  Vater  noch  sähe':  in  der  Ferne 
wird  er  für  die  Akademie  sorgen  und  das  Feuer  des  Prometheus 
nach  Berlin  zTirückbringen,  Nur  das  körperliche  Befinden  des  Prä- 
sidenten verursachte  ihm  Kummer;  Maupertuis  litt  an  einem  Lungen- 
übel, das  ihn  hypochondrisch  machte.  Mit  wirklich  väterlicher  Sorge 
Avachte  der  König  über  dem  leidenden  Gelehrten,  hörte  seine  ein- 
förmigen Klagen  geduldig  an,  empfahl  ihm  Ärzte,  schrieb  ihm  eine 
Diät  vor  und  vergass  über  den  Schmerzen  des  Freundes  seine  eigene 
Krankheit.  Er  sah  die  Akademie  unter  Maupertuis'  Scepter  schnell 
zur  Blüthe  kommen,  und  das  entzückte  ihn.  Mit  Freude  betheiligte 
er  sich  jetzt  selbst  an  ihren  Arbeiten.  Schon  am  10.  April  1746 
schickte  er  Maupertuis  eine  Abhandlung,  sie  mit  einigen  scherzenden 
und  ironischen  Worten  begleitend".  Wie  stolz  der  König  auf  seine 
Akademie  war,  was  er  von  ihr  erwartete  und  wie  sehr  ihn  ihre  erste 
Thätigkeit  befriedigte ,  das  zeigt  die  Ode ,  die  er  auf  ihre  Neugrün- 
dunü-  sredichtet  hat^.  Nicht  nur  die  genauen  Kenner  des  Französi- 
sehen  finden  an  dem  Gedicht  allerlei  auszusetzen;  aber  mit  Recht 
ist  gesagt  worden ,  dass  es  als  ein  besonders  charakteristisches  Denk- 
mal des  Geistes  der  Epoche  und  als  ein  lehrreiches  Blatt  in  der 
Geschichte  Friedrich 's   zu  betrachten  sei. 


6.* 

«Un  prince  cheri  des  Muses,  comme  des  destinees,  devait  monter 
sur  le  tröne:  celui  qui,  s'il  füt  ne  dans  une  autre  condition,  eüt 
ete  Tornement  de  TAcademie ,  devait  devenir  le  maitre  de  TEtat  . . . 
La  guerre  a  assez  rendu  les  Prussiens  formidables:  c'est  a  la  justice 
a    les    rendre    heureux   .  .  .   Frederic   rappelle  les  Muses :  cette   com- 


^    Brief  vorn  4.  Juni   1746  nus  Pyrmont. 

-  Briefe  an  Maupertuis  im  Geh.  Staatsarchiv.  Welche  Abhandlung  gemeint  ist, 
wissen  wir  nicht  sicher,  vielleicht  das  Eloge  auf  Jordan,  das  gedruckt  werden  sollte. 

^  Abgedruckt  im  Urkundenband  Nr.  167;  gelesen  wurde  sie  in  der  Aka- 
demie von  Darget  am   25.  Januar  1748. 

*  Für  den  folgenden  Abschnitt  habe  ich  dankbar  die  Hist.  philosopliique  de 
l'Acad.  de  Prusse  von  Bartholmess  T.  I  p.  162  ff.  benutzt.  Die  doi't  gegebene 
Darstellung  ist  so  zutreffend  und  fein  empfunden,  dass  es  Pflicht  ist,  sich  an  sie 
anzuschliessen.     Die  Übertreibungen  habe  ich  unterdrückt. 


Geist  und  Ziele  der  Akademie  nach  Friedrich   und  Maupertuis.  B05 

pagnie  reprend  sa  premiere  vigiieur.  II  lui  donne  de  nouveaux  titres, 
de  nouveaux  regiements ,  une  nouvelle  vie:  il  la  rassemble  dans  son 
palais  et  se  declare  son  protecteur.  Physicien ,  Geometre .  Pliilosophe, 
Orateur,  eultivez  vos  talents  sous  les  yeux  d'un  tel  maitrel  Vous 
n"aurez  que  son  loisir,  et  ce  loisir  n'est  que  quelques  instants:  mais 
les  instants  de  Frederic  valent  des  annees.« 

Mit  diesen  Worten  seliliesst  Maupertuis"  Festrede  am  Geburtstag 
des  Königs  i  746  \  Der  letzte  Satz  frappirte  die  Akademie  und  Europa, 
aber  die  folgenden  17  Jahre  haben  ihn  wahr  gemacht,  und  die  Welt 
stimmte  dem  Urtheile  bei,  das  Condamine  im  Jahre  1759  gefällt  hat: 
»Friedrich  findet  Zeit  zu  Allem,  und  man  kann  von  diesem  Monarchen 
sagen:     Pluribus  intentus   superest  ad  singula  sensus'«^. 

Die  Reden ,  die  Maupertuis  in  den  Festsitzungen  gehalten  hat, 
zeigen  am  besten,  in  welchem  Geiste  die  neue  Akademie  nach  den  Ab- 
sichten Friedrich's  wirken  sollte ;  denn  zwischen  dem  Könige  und  sei- 
nem Präsidenten  herrschte  volles  Einvernehmen  hierüber.  Die  Pflichten 
des  Akademikers^,  die  Stellung  des  Protectors,  der  erhabene  Zweck  und 
der  nützliche  Einfluss  einer  zugleich  litterarischen  und  wissenschaftli- 
chen Gesellschaft  —  über  all  diese  Themata  verbreitete  sich  Maupertuis 
wiederholt  in  beredten  Reflexionen  und  Anweisungen.  Immer  wieder 
setzte  er  auseinander,  dass  der  König  die  Societät  der  Wissenschaften 
erneuert  habe ,  um  eine  ganze  Reihe  gleich  wichtiger  Aufgaben  durch 
sie  erfüllt  zu  sehen :  Die  Universitäten  sollten  durch  ihre  Einwirkung 
von  der  »Pedanterie«  geheilt  werden ,  von  dem  gelehrten  W^örterkram 
und  den  steifen  Formen:  Unterweisungen  sollten  gegeben  werden, 
nicht  schwerfällige  und  langweilige,  sondern  geschmackvolle  und 
anziehende.  »Gedankenfreiheit«  soll  über  ihrem  Hause  stehen:  die 
Barbarei  der  gothischen  Zeiten  und  der  Aberglaube  in  allen  Formen 
soll  vernichtet  werden;  Kritik  und  Phantasie,  nicht  nur  das  Ge- 
dächtniss,  soll  sie  wecken  und  üben,  und  in  das  öö'entliche  Leben 
soll  sie  Feinheit  und  Eleganz,  Vernunft  und  Gerechtigkeit  tragen. 
In  diesem  Institut  begann  man  allgemein  das  zweckmässige  Mittel 
zu  sehen,  um  dem  Talent  das  Studium  der  Natur  und  die  Aus- 
bildung zur  Humanität  zu  ermöglichen  und  um  in  Preussens  Haupt- 
stadt eine  Elite  von  hohen  Geistern  zu  sammeln,   deren  Licht  die 


^    Abgedruckt  in  den  Mem.  1746  p.  loff. 

^    Brief  an  Formet  vom  28.  September  1759. 

^  IMaupertuis  hat  über  dieses  Thema  eine  Averthvolle  Rede  gehahen  (am 
18.  Juni  1750.  abgedruckt  in  den  INIem.  1753  p.  511— 521  und  bei  Formey.  Hist. 
p.  137  ff.). 

Geschichte  der  Akademie.    I.  20 


H()()     (iescliiclite  der  Akndciiiic  unter  Friedrich  dem   Grossen  (1740  —  1746). 

Welt  erleuchten  und  entzücken  sollte.  Alle  sahen  in  dieser  Aka- 
demie eine  ehrenvolle  Bühne  für  das  verkannte  Verdienst,  ein  sicheres 
Asyl  für  den  unterdrfickten  Freimuth  und  die  verfolgte  Wahrheit; 
hier  linkten  Aufmunterung  und  Belohnung;  sie  sollte  der  Mittelpunkt 
eines  fruchtbaren  Wetteifers  für  ganz  Deutschland  werden. 

Um  diese  Zwecke  zu  erreichen,  hat  Friedrich  die  Statuten  der 
alten  LEiBNiz"schen  Societät  umarbeiten  lassen.  Im  Grunde  kommt 
hier  nur  zum  vollen  Durch bruch,  was  auch  Leibniz  gewollt  hatte; 
denn  die  Gedanken  der  Aufklärung,  die  den  König  beseelten,  waren 
auch  bei  Leibniz  die  übergeordneten.  Sie  w^aren  bei  ihm  nur  nieder- 
gehalten durch  die  Rücksichten,  die  er  nehmen  musste  in  einem 
Zeitalter,  das  noch  stärker  an  der  Überlieferung  hing,  und  sie 
waren  begrenzt,  weil  Leibniz  mit  Recht  noch  sehr  Vieles  für  l)e- 
achtenswerth  und  werthvoll  hielt,  was  für  Friedrich  und  sein  Zeit- 
alter allen  W^erth  verloren  hatte.  Kein  Zweifel,  Leibniz  war  un- 
gleich universaler  als  das  Geschlecht,  das  ihm  folgte;  aber  dafür 
ist  er  auch  nicht  im  Stande  gewesen,  so  zu  wirken,  wie  es  nur 
der  Einseitige  vermag.  Jene  »philosophische  Kirche«,  deren  Führer 
in  Deutschland  der  König,  deren  europäisches  Haupt  Voltaire  war, 
war  eine  streitende  und  erobernde  Kirche  wie  die  alte. 

Es  war,  wie  man  mit  Recht  gesagt  hat,  auf  einen  Vernich- 
tungskampf abgesehen.  Die  Aufklärungsphilosophie  strebte,  wie 
einst  der  Neuplatonismus  im  3.  und  4.  Jahrhundert,  mit  allen  Kräften 
darnach,  die  Kirche  zu  verdrängen  und  selbst  allgemeine  Welt- 
religion zu  werden.  W^ie  man  über  diese  Unternehmungen  auch 
vu'theilen  mag,  was  von  ihnen  geblieben  ist,  ist  uns  zum  Segen 
geworden. 

Den  Zweck,  deutsche  Sprache  und  deutsche  Geschichte  zu 
pflegen,  Hess  der  König  zwar  nicht  ganz  fallen  —  ein  Akademiker 
wurde  mit  dieser  Aufgabe  betraut  — ,  aber  als  genereller  Zweck, 
wie  ihn  sein  Grossvater  und  Leibniz  gedacht  hatten,  musste  er  ver- 
schwinden. Es  ist  sehr  w^ohlfeil,  heute  dem  Könige  deshalb  Vorwürfe 
vom  patriotischen  Standpunkte  aus  zu  machen ;  aber  die  Frage  darf 
wohl  aufgeworfen  werden,  ob  die  Universalgeschichte  ihm  nicht 
doch  Recht  giebt.  Dass  Deutschland  zwei  Menschenalter  hindurch 
eine  streng  kosmopolitische  Epoche  erlebt  hat,  dass  der  deutsche 
Geist  in  die  Schule  Fluropas  gegangen  ist,  ist  von  unendlichem 
Segen  gewesen.  Und,  darüber  hinaus,  wir  haben  heute  mehr 
denn  je  Grund,  daran  zu  erinnern,  dass  die  Wissenschaft  ihrer 
Natur   nach   kosmopolitisch   ist,    und    dass    auch    die   Bildung   ver- 


Geist  und  Ziele  der  Akademie  nach  Friedrich  und  Maupertuks.  ö07 

kümmert,  wenn  sie  exclusiv  als  nationale  gepflegt  Avird.  Erinnert 
man  sieh  aber,  dass  es  um  1746  kein  Deutschland,  weder  ein 
politisches  noch  ein  geistiges,  gegeben  hat,  sondern  nur  grössere 
und  kleinere  Einzelstaaten  mit  kümmerlichen  Bildungscentren,  so 
muss  man  es  verstehen,  dass  Friedrich  die  Ideale  des  Weltbürger- 
thums  seinem  Lande  zuführen  wollte,  um  es  aus  der  Dumpfheit 
und  der  Beschränktheit  des  Kleinbürgerthums  herauszuführen.  Dass 
die  Preussen  nicht  vergassen,  dass  sie  Preussen  sind,  dafür  sorgte 
des  Königs   Schwert  und  sein  Lorbeer. 

Auch  der  praktische  Zweck,  den  Leibniz  so  enge  mit  dem 
theoretischen  verbunden  hatte,  trat  in  der  neuen  Schöpfung  zu- 
rück —  nicht  mehr  sollte  die  Akademie  zugleich  eine  Hochschule 
der  Technik  sein.  Aber  dafür  trat  die  andere  Vorstellung  kräftig 
hervor,  dass  die  reine  Wissenschaft  selbst  und  jene  neue  Kunst, 
Alles  vorurtheilslos  und  nach  den  Principien  einer  gesunden  Auf- 
klärung zu  beurtheilen,  die  Staatsbürger  am  besten  auszubilden  ver- 
möge und  zum  Wohl  des  Gemeinwesens  das  Meiste  beitrage.  «Le 
bien  public«  ist  am  besten  gesichert,  wenn  das  vernünftige  Denken 
regiert  und  die  reine  W^issenschaft  fortschreitet  —  in  diesem  Sinne 
ist  die  Arbeit  der  Akademie  » praktisch « ,  ja  die  beste  Praxis.  Bereits 
in  der  Vorrede  zum  ersten  Bande  der  Memoires  (1745)  hat  Formet, 
zum  Theil  in  Worten,  die  der  König  oft  gebrauchte,  diesem  Gedanken 
Ausdruck  gegeben.  Früher,  so  schreibt  er  —  und  erst  seit  kurzem 
ist  diese  Zeit  vergangen  — ,  musste  man  den  Nutzen  rein  theoretischer 
wissenschaftlicher  Arbeiten  immer  erst  nachweisen ,  wenn  man  sich 
mit  einem  solchen  Werke  hervorwagte,   aber 

"les  choses  ont  bien  change.  L'enipire  des  prejuges ,  qui  avait  dejä  regu 
de  foi-tes  atteintes  dans  cette  partie  de  sa  doniination  qui  concerne  rutilite  des  con- 
naissances  speculatives ,  est  entiereinent  detruit  ä  cet  egard.  On  regarde  aujourd'hui 
un  grand  niathematicien ,  un  habile  physicien,  un  lioninie  de  lettres  qui  excelle 
dans  quelque  genre  que  ce  soit,  on  les  regarde,  dis-je,  comme  ils  nieritent  de 
l'etre,  c'est-a-dire,  non-seulement  comnie  des  gens  qui  fönt  honneur  k  leur  j^atrie 
par  la  sublimite  de  leurs  connaissances,  mais  comnie  des  citoyens  utiles,  sous  le 
2:)as  descjuels  naissent,  ou  du  moins  peuvent  naitre  les  decouvertes  les  plus  in- 
teressantes pour  le  bien  public.  Je  suppose  donc  couune  une  chose  avouee,  que 
l'etablissement  d"une  Academie,  son  maintien,  son  accroissement,  sont  des  objets 
dignes  de  l'attention  des  souverains,  et  que  la  publication  de  ces  savantes  archives 
oü  les  academiciens  deposent  et  consignent  h  la  posterite  le  fruit  de  leui's  travaux, 
est  un  des  presents  les  plus  considerables   qui  puissent  etre  faits  au  public." 

Immer  wieder  machte  der  König  selbst  darauf  aufmerksam, 
dass  die  Aufgaben  der  Akademie  und  der  Staatsverwaltung  streng 
getrennt  gehalten  werden  müssten,  und  wachte  eifrig  darüber,  dass 
sie    nicht   vermischt    wurden.      Seine    Akademiker   sollten    sich  um 

20* 


308     Geschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1740  —  1746). 

die  Wissenschaft,  nicht  um  den  Staat  kümmern.  Sie  haben  die 
reine  Wahrheit  zu  erforschen  und  auf  allen  Linien  die  Ideale  vor- 
zuzeiclmen.  Sache  der  Staatsmänner  ist  es,  diese  Wahrheiten  nach 
und  nach  in  das  öffentliche  Leben  einzuführen  und  zu  verwirk- 
lichen. Niemals  sind  bei  einem  Könige  die  Männer  der  Wissen- 
schaft so  angesehen  und  zugleich  so  einflusslos  auf  die  Leitung  der 
öffentlichen  Angelegenheiten   gewesen   wie   unter  Friedrich. 

Dass  der  evangelische  Charakter  der  Societät  sowie  die  Auf- 
gabe, dem  Protestantismus  zu  dienen  und  sich  an  der  Mission  zu 
betheiligen,  wegfielen,  war  in  dem  neuen  Zeitalter  selbstverständlich. 
Forme Y,  obgleich  ein  orthodoxer  Theologe,  spricht  in  seiner  Ge- 
schichte der  Akademie  nur  mit  A'erwunderung  und  einem  Lächeln 
von  jener  Bestimmung  der  alten  Statuten.  Allein  wie  Friedrich 
selbst  sich  höchstens  zeitweilig  in  seinem  Gottesglauben  erschüttert 
fühlte ,  so  sollte  auch  die  Akademie  keine  Stätte  des  Atheismus 
werden.  Zwar  durfte  der  Philosoph  jeden  Gedanken  vortragen, 
wenn  er  ihn  philosophisch  begründete;  Niemand  wurde  nach  seinem 
Glaubensbekenntniss  gefragt,  und  Niemand  brauchte  seinen  Glauben 
oder  Unglaul)en  zu  verbergen  —  aber  in  Wirklichkeit  hat  in  der 
Akademie  Friedrich^s  zu  allen  Zeiten  eine  viel  conservativere  Haltung 
der  Religion  gegenüber  geherrscht,  als  der  König  selbst  sie  ein- 
nahm. La  Mettrie  und  d'Argens  haben  ihre  Lehren  nicht  in  der 
Akademie  vorgetragen,  und  der  Spott  Voltaire's  und  Friedrich's 
über  die  positive  Religion  ist  nicht  über  ihre  Schwelle  gedrungen, 
obgleich  die  grosse  Mehrzahl  der  Akademiker  mit  dem  Könige 
der  Meinung  war,  dass  die  philosophische  Religion,  der  Deismus, 
die  wahre  und  einzige  sei.  Sehr  charakteristisch ,  aber  mit  einer 
der  positiven  Religion  freundlichen  Wendung,  hat  Maupertuis  dieser 
Überzeugung  in  einer  Rede  Ausdruck  gegeben. 

»Le  premier  reglement  de  la  societe  royale  portait  qu'une  de  ses 
classes  devait  s'appliquer  ä  l'etude  de  la  religion  et  a.  la  conversion  des 
infideles:  article  plus  singulier  par  la  maniere  dont  il  etait  presente,  (ju"il 
ne  Test  peut-etre  en  effet.  Notre  reglement  moderne  ne  charge  aucune 
classe  en  particulier  de  cette  occupation;  mais  ne  peut-on  pas  dii-e  que 
toutes  y  concourent?  Ne  trouve-t-on  pas  dans  l'etude  des  merveilles  de 
la  nature  des  preuves  de  l'existenee  d'vin  Etre  supreme?  Quoi  de  plus 
capable  de  nous  faire  connaitre  sa  sagesse,  que  les  verites  geoinetriques ; 
que  ces  lois  eternelles  par  lescpielles  il  regit  l'univers?  La  philosophie 
speculative  ne  nous  fait-elle  pas  voir  la  necessite  de  son  existence?  Enfin 
l'etude  des  faits  nous  apprend  qu'il  s'est  manifeste  aux  hommes  d'une  maniere 
encore  phis  sensible;  (ju'il  a  exige  d'eux  un  culte  et  le  leur  a   prescrit.«^ 


^    »Des  devoirs  de  rAcademicien«    (Formey,  Hist.   de  l'Acad.  j).  146 f.). 


Geist  und  Ziele  der  Akademie  nach   Friedrich   und  Maipertuis.  309 

Nicht  als  kirchliche  Theologen  sollen  die  Akademiker  die  reli- 
giösen Fragen  behandeln;  aber  sie  sollen  sie  doch  nicht  ausschliessen, 
ja  Maupertuis  scheint,  wie  Wolff,  anzvniehmen ,  dass  der  Idealismus 
und  das  «natürliche«  System  der  Religion  Iseweisbar  seien  und  mit 
dem  christlichen  Theismus  der  Evangelien  zusammenstimmen.  Ein 
grosser  Theil  der  Akademiker  Feiedrich's  hat  sich  mit  religions- 
philosophischen  Fragen  fort  und  fort  beschäftigt.  Wir  sind,  sagten 
sie,  weder  abergläubisch  noch  ungläubig;  wir  leben  auf  einem 
Boden,  wo  man  die  Grenzen  der  Vernunft  und  des  Glaubens  in 
gerechter  Weise  gezogen  hat,  wo  man  jene  ausbildet  und  diesen 
respectirt.  »Die  Religionsphilosophie  verbannen,  das  bedeutet,  sich 
auf  eine  Akademie    der  Sonnette    und  Madrigale    zurückziehen « \ 

Die  wichtigste  Neuerung  in  den  Statuten  von  1744  und  1746 
war  die  Errichtung  einer  besonderen  Klasse  für  die  speculative 
Philosophie.  Wie  die  Berliner  Akademie  die  erste  gewesen  ist, 
welche  alle  Disciplinen  der  W^issenschaft  in  sich  vereinigt  hat 
—  weil  Leibniz  mit  scharfem  Blick  erkannt  hatte,  dass  das  Princip 
der  kritischen  Forschung  nicht  nur  auf  naturwissenschaftlichem 
Gebiete,  sondern  in  allen  Wissenschaften  anzuwenden  sei"  — ,  so 
ist  sie  auch  die  erste  gewesen,  welche  die  Pflege  der  speculativen 
Philosophie  unter  ihre  Aufgaben  aufgenommen  hat.  Maupertuis 
und  Formet  haben  noch  das  Bedürfniss  gefühlt,  diese  Neuerung 
zu  rechtfertigen.  Beide  fassen  die  Metaphysik  als  die  Mutter  und 
Königin  der  Wissenschaften,  als  die  Wissenschaft  der  Wissen- 
schaften, als  die  Theorie,  welche  die  allgemeinen  Principien,  die 
nothwendigen  und  universalen  Ideen  liefert,  und  welche  die  Quelle 
der  Evidenz  und  die  Grundlage  der  Gewissheit  bildet.  Beide  zeigen, 
dass  dieses  hohe  Studium,  von  den  grossen  Denkern  der  neuen 
Zeit  so  glücklich  weitergeführt  und  gereinigt  von  dem  scholastischen 
Roste,  aufgehört  hat  ein  »Wörterbuch  barbarischer  Terminologieen« 
zu  sein  und  die  grundlegende  W^issenschaft  geworden  ist,  die  jeder 
Disciplin  die  massgebenden  Grundbegriffe  giebt.  Sie  schliessen 
daraus,  dass  eine  Akademie  der  Wissenschaften  eine  besondere 
Klasse  für  die  Metaphysik    einrichten   und    eine    eigene  Abtheilung 


^  PRibiONTVAL  in  den  Mein.  1761  p.  4161".  Ausdrücklich  verweist  er  dabei 
auf  LEiBNizens  Theodicee. 

^  Dazu  kam,  dass  er  letztlich  von  der  Akademie  (bez.  von  dem  Netz  von 
x\kademieen,  das  er  gründen  wollte)  die  Herstellung  einer  grossen  Encyklopädie 
alles  Wissenswürdigen  oder  —  wie  er  sich  auszudrücken  liebte  —  Logarithmen- 
tafeln für  alle  Wissenschaften  erwartete. 


BIO     Ciescliiclitc  der  Akademie  imter  Friedrich  dem   Grossen  (1740  — 174H). 

schaffen    müssf;    zur  Ausbildung   der    »rationalen«    Philosophie    »au 
progrcs  de  l'esprit  universel«\ 

"La  metaphysi([ue  est  sans  coiiti'edit  la  mere  des  autres  sciences,  la  theorie 
(lui  fournit  les  prineipes  les  plus  generaux,  la  source  de  l'evidence  et  le  fondement 
de  la  certitiide  de  nos  connaissances.  Ces  Ijeaux  caracteres  ne  convenaient  ])as,  a  la 
verite,  ä  la  metaphysique  des  scolastiques,  terre  ingrate  qui  ne  prodnisait  gueres 
cpie  des  i'onces  et  des  epines.  Et  comme  on  n"en  eonnaissait  point  d'autre,  lors- 
que  les  principales  Academies  ont  ete  fondees,  on  Ta  laissee  a  l'ecart  avec  une 
espece  de  dedain.  et  on  l'a  regardee  comme  im  obstacle  plutot  que  connne  une 
aide  a  Tetendue  de  nos  connaissances.  De  grands  genies,  en  donnant  une  nouvelle 
culture  ä  cette  portion  de  l'empire  des  sciences,  lui  ont  fait  revetir  une  tout  autre 
face.  Au  lieu  d'un  dictionnaire  de  ternies  harbares ,  nous  coinmentjoiis  ä  avoir  une 
pepiniere,  oh  chaque  science  trouve,  pour  ainsi  dire,  sa  semence,  et  d"oü  naissent 
tous  les  prineipes,  toutes  les  notions  directrices  qui  nous  gaident,  de  cpielque  cote 
que  nous  tournions  nos  jJas-  Ajoutons  que  l'examen  de  ces  matieres  demande  des 
esprits  debarrasses  des  entra\'es  d'un  certain  respect  sujierstitieux,  qui  regne  dans 
bien  des  conti-ees.  ou  Ton  n"a  pas  fixe  d'une  maniere  assez  juste  les  limites  de  la 
raison  et  de  la  toi .  et  (|ue  nous  nous  trouvons  a  cet  egard  dans  la  Situation  la  plus 
fa\'oral)le  que  Ton  puisse  souhaiter.« 

So  schrieb  Formey  in  der  Vorrede  der  Memoires  von  1745.  Es 
war  der  Sieg  Wolff's  über  die  Scholastik,  aber  auch  über  Locke  und 
Bayle,  den  Formey,  der  Verfasser  der  »Belle  Wolffienne« ,  hier  ver- 
kündete, und  er  wurde  mit  derselben  Zuversicht  und  Sicherheit  pro- 
clamirt,  die  dem  Halleschen  Philosophen  eigenthümlich  war.  Noch 
hatte  Kant  nicht  gesprochen! 

Aber  auch  Maupertuis  ,  der  Schüler  Newton's  ,  scheint  von  der 
speculativen  Philosophie  in  mancher  Hinsicht  ähnlich  wie  ein 
Wolffianer  zu  sprechen;  doch  weil  er  die  Methoden  der  empiri- 
schen Forschung  und  den  Begriff  der  mathematischen  Gewissheit 
kannte,  redete  er  viel  vorsichtiger.  Er  rechtfertigte  die  Existenz 
einer  besonderen  Klasse  für  speculative  Philosophie  in  der  Akademie 
in   folgender  wohl  abgewogenen  Weise": 

»La  classe  de  philosophie  speculative  est  la  troisieme.  La  philosoj^liie  experi- 
mentale  avait  examine  les  corps  tels  qu'ils  sont:  revetus  de  toutes  leurs  proprietes 
sensibles.  La  mathematique  les  avait  depouilles  de  la  plus  grande  partie  de  ces 
proprietes.  La  philosophie  speculative  considere  des  objets  cpii  n'ont  plus  aucune 
propriete  des  corps.  L"Etre  supreme,  l'esprit  humain,  et  tout  ce  qui  appartient 
a  l'esprit  est  l'objet  de  cette  science.  La  nature  des  corps  memes,  en  taut  que 
rejjresentes  par  nos  perceptions ,  si  encore  ils  sont  autre  chose  que  ces  perceptions, 
est  de  son  ressort. 

Mais  c"est  une  remarque  fatale,  et  que  nous  ne  saurions  nous  empeclier  de 
faire:  Que,  plus  les  ohjets  sont  interessants  pour  nous,  plus  sont  difficiles  et  incer- 
taines  les  connaissances  que  nous  ^^ouvons  en  acquerir!  Nous  serons  exjjoses  ä 
bien  des  erreurs,  et  a  des   erreurs  bien   dangereuses,   si   nous   n'usons  de   la   plus 


^    Der  Ausdruck  ist  von  Fontenelle  geprägt. 

■^    »Des  devoirs  de  racademicieu",  bei  Formey,   llist.  11.142 f. 


Geist  und  Ziele  der  Akademie  nach  Frieurich  und  IMaupertuis.  ö  1  1 

<>rande  eirconspection  dans  cette  science  qui  considere  les  esprits.  Gardons-nous 
de  ci'oire  qu'en  v  eniployant  la  nieme  methode  ou  les  memes  mnts  (ju'aux  sciences 
mathematiques,  on  y  ])ai'vienne  a  la  meme  certitudc  \  Cette  certitiidc  n'est  attachee 
(ju'ä  la  simplicite  des  objets  que  le  geometre  considere,  qu";i  des  ()])jets  dans  les- 
quels  il  n'entre  que  ce  qu'il  a  voulu  y  supjioser. 

Si  je  vous  expose  ici  toute  la  grandeur  du  peril  des  speculations  qui  concer- 
nent  l'Etre  supreme,  les  premieres  causes  et  la  nature  des  esprits,  ce  n"est  pas, 
MINI.,  que  je  veuille  vous  detourner  de  ces  recherches.  Tout  est  permis  au  philo- 
sophe.  pourvu  qu'il  traite  tout  avec  l'esprit  philosophi(|ue.  c*est-ä-dire ,  avec  cet 
es]jrit  (jui  niesure  les  differents  degres  d'assentiment:  (|ui  distingue  revidence.  la 
prcjbabilite ,  le  doute:  et  qui  ne  donne  ses  speculations  que  sous  celui  de  ces 
differents  asjiects   qui  leur  appartient. 

Si  la  plupart  des  objets  (pie  la  j^hilosophie  speeulative  considere,  pai'aissent 
trop  au-dessus  des  forces  de  notre  esprit,  certaines  parties  de  cette  science  sont 
plus  a  notre  portee.  Je  parle  de  ces  devoirs  qui  nous  lient  a  TEtre  su]:»renie ,  aux 
autres  lioinnies  et  ä  nous-niemes:  de  ces  lois  auxquelles  doivent  etre  soumises 
toutes  les  intelligences;  vaste  chanip,  et  le  plus  utile  de  tous  a  cultiver!  A])pliquez-y 
vos  soins  et  vos  veilles:  inais  n'oubliez  jainais,  lorsque  l'evidence  vous  niancpiei-a 
qu'une  aiitre  luniiere  aussi  siu-e  encore  doit  vous   conduire^. " 

Das  waren  die  Gedanken,  auf  Grund  deren  das  Departement 
der  speculativen  Philosophie  an  der  Berhner  Akademie  eingerichtet 
worden  ist.  Fast  fünfzig  Jahre  hindurch  besass  nur  sie  eine  solche 
Klasse.  Vier  Sitze  w^aren  in  ihr  errichtet:  für  Metaphysik  (einschliess- 
lich Kosmologie,  natürliche  Theologie,  Psychologie  und  Logik), 
für  Naturrecht  (im  Unterschied  vom  bürgerlichen,  das  eben  so 
ausgeschlossen  sein  sollte  Avie  die  positive  Religion),  für  Moral 
(Social-  und  Individual-Ethik)  und  für  Geschichte  und  Kritik  der 
Philosophie.  Mit  Stolz  blickten  die  Berliner  Akademiker  während 
eines  Menschenalters  auf  diese  ihre  Klasse.  Wenn  sie  zugestehen 
mussten,  dass  ihr  physikalisches  und  philologisches  Departement 
von  den  Pariser  Akademieen  des  Sciences  luid  des  Inscriptions  über- 
troffen wurde,  so  behaupteten  sie,  dass  ihre  philosophische  Klasse 
eine  Macht  repräsentire ,  der  nichts  in  Paris  entspräche.  »Digne 
fille  du  grand  Leibniz«,  riefen  sie  aus,  »notre  Academie  seule  se 
devoue  a  la  science  des  sciences,  a  la  recherche  des  principes  dont 
tout  devrait  emaner,  auxquels  tout  va  aboutir,  et  que  Thomme  est 
peut-etre  condamne  a  ignorer  et  cependant  a  chercher  toujours  I « 
Und  dem  Könige  sprachen  sie  immer  wieder  öffentlich  den  wärmsten 
Dank  dafür  aus,  dass  er  dem  freien  Gedanken  und  dem  freien 
Wort  nicht  nur  Schutz  gewähre,  sondern  beide  liebe  und  fördere. 
In   der  That,   es  gab  in   ganz  Europa  keine  Akademie,   deren  Mit- 


^    Die  Polemik  gegen   Cartesius  und  Spinoza  ist  offenl)ar. 
"    Hier    am    Schluss  scheint  INlArPERri'is  auf  die    positive  Religion,    hr.z..  auf 
die  christliche,  zu  deuten. 


H12     Cieseliiclite  der  Ak.-ulemie  unter  Friedrich  dein  Grossen  (1740— 1740). 

glieder  über  Gott  und  die  Welt  so  freimütliig  reden  durften,  wie 
die  Berliner,  und  eben  die  Einrichtung  einer  besonderen  Klasse 
der  Philosophie  bezeugt  es,  dass  der  König,  der  selbst  die  Luft 
der  Freiheit  athmete,  nur  freie  Denker  gelten  Hess  und  nur  solche 
wollte. 

"Les  devoirs  meme  qua  TAeademie  vous  iuipose  sont-ils  autre  chose  (|ue  ce 
que  Taniour  seul  des  sciences  vous  ferait  faire?  Ti'ouveriez-vous  trop  de  contrainte 
dans  ]"Academie  de  TEurope  la  plus  librei'  Tons  les  phenomenes  de  la  natiire, 
toutes  les  sciences  niatheniatiques ,  tous  les  genrcs  de  litterature  sont  soumis  a  vos 
recherches:  et  des-la  cette  compagnie  enibrasse  un  champ  plus  vaste  que  la  plupart 
des  autres  academies:  niais  il  est  certains  sanctuaires  dans  lesquels  11  n'est  pennis 
a  aucune  de  penetrer:  votre  fondateur  meine,  tout  sublime  et  tout  profond  qu'il 
etait,  tout  exerce  qu'il  etait  dans  ces  routes  [Leibniz],  n'osa  y  conduire  ses  premiers 
disciples  ^  Les  legislateurs  de  toutes  les  academies ,  en  leur  livrant  la  nature  entiere 
des  Corps ,  leur  ont  interdit  celle  des  esprits  et  la  speculation  des  premieres  causes : 
un  monarque  qui  a  daigne  dicter  nos  lois,  un  esprit  plus  vaste,  plus  sur  peut- 
etre  aussi  de  votre  prudence,  n'a  rien  voulu  vous  interdire^. « 

Auf  die  Forschungen  der  Akademie  Avollte  Friedrich  keinen 
Eintluss  ausüben,  aber  die  Sprache  hat  er  ihr  vorgeschrieben. 
Zwar  in  den  Sitzungen  konnten  die  Abhandlungen  lateinisch  oder 
deutsch  vorgelesen  werden^;  aber  die  Sprache  der  gedruckten  Abhand- 
lungen sollte  die  französische  sein.  Maupertuis  und  Formey  haben 
sich  verptlichtet  gefühlt,  auch  diese  Neuerung  zu  erklären  und  zu 
vertheidigen  —  war  doch  selbst  die  Pariser  Akademie  des  Sciences 
erst  im  Jahre  1699  vom  Lateinischen  zum  Französischen  über- 
gegangen. Die  Weise,  in  der  sie  es  gethan  haben,  wirft  wiederum 
ein   helles   Licht  auf  den   Geist  der  Zeit: 

>>0n  a  substitue  le  frangais  au  latin  pour  rendre  l'usage  de  ces  Memoires 
plus  etendu;  car  les  limites  du  Pays  latin  se  reserrent  a  vue  d'oeil,  au  Heu  que  la 


^  Maupertuis,  obgleich  eifersüchtig  aul' LEiBNizens  Ruhm,  hat  doch  sein  An- 
denken wach  ei'halten  und  das  Genie  des  grossen  Mannes  gefeiert.  Dagegen  hat 
der  Secretar  der  Akademie  und  Schüler  Wolff's,  Formey.  ihn  todtzuschweigen 
versucht  und  in  seiner  Hist.  de  l'Acad.  theils  nur  das  Nothdürftigste  über  ihn  liemerkt, 
theils  Unrichtiges  berichtet.  Li  seiner  Rede  »Des  devoirs  de  l'academicien"  bei 
Formey,  Hist.  p.  105,  sagt  Maupertuis:  »C'est  un  avantage  qu'a  cette  com])agnie 
sur  toutes  les  autres  academies  de  l'Europe,  qu"elle  a  paru  d'abord  avec  tout  l'eclat 
auqiiel  les  autres  ne  sont  parvenues  que  par  degres.  Toutes  ont  eu  des  commence- 
ments  obscurs:  elles  se  sont  formees  peu  ä  peu,  etant  formes  leurs  grands  hommes: 
un  grand  homme  forma  la   notre.   et  eile  fut  celebre  des  sa  naissance». 

■^     "Des  devoirs  de  racademicieu"  ,  bei  Formet,  Hist.  p.  139. 

^  Formet  8ouv.  1  ]).  165:  «Le  roi  n'a  jainais  exige  que  les  academiciens 
lussent  leurs  memoires  en  fran^ais.  II  est  de  notoriete  qu'ils  ont  lu  en  allemand 
ou  en  latin,  lorsqu'ils  l'ont  voulu.  II  etait  d'ailleurs  naturel,  tant  que  M.  de 
Maupertuis  a  ete  president,  et  a  paru  aux  assemblees  de  l'academie.  que  ceux 
qui  savaient  un  peu  de  fi-angais  ecrivissent  et  lussent  dans  cette  Langue:  ce  qui  a 
produit  quelquefois  des  lectures  tres  singulieres  par  le  baragouin  des  lecteurs«. 


Geist  und  Ziele  der  Akademie  nach  Friedrich   und  ^Iaupertcis.  olH 

langue  IranQaise  est  ä  peu  pres  aujourd'hui  dans  le  cas  oii  etait  la  langue  grecijue 
du  teinps  de  Ciceron,  on  l'apprend  pai-tout,  on  recherche  avec  empressement  les 
livres  ecrits  en  fran^ais ,  on  traduit  en  cette  langue  tous  les  bons  ouvrages  c^ue 
rAlleniagne ,  on  l'Angleterre  produisent ;  il  semble  en  un  mot  qu'elle  soit  la  seule 
(jui  donne  aux  clioses  cette  nettete  et  ce  tour  (pxi  captivent  l'attention  et  qui 
tlattent  le  goiit\« 

Maupertuis"'  begründet  zuerst  aus  der  Natur  der  Akademieen, 
dass  sie  sich  einer  Weltsprache  bedienen  müssen.  Nur  das  La- 
teinische oder  das  Französische  könne  in  Frage  kommen:  aher 
jenes  sei  eine  todte  Sprache;  man  könne  sich  hier  nur  der  Phrasen 
der  alten  Schriftsteller  bedienen,  «et  des  qu'on  s'en  ecarte,  on 
forme  un  Jargon  heterogene  dont  l'ignorance  seule  empeche  de 
sentir  le  ridicule«.  Das  Französische  dagegen  ist  heute  in  Wahr- 
heit mehr  die  Sprache  von  ganz  Europa  als  die  der  Franzosen. 
Aber  es  giebt  noch   andere  Gründe,   diese  Sprache  zu  bevorzugen: 

"Ce  sont  la  perfection  de  la  langue  meme,  l'abondance  que  nos  progres  dans 
tuus  les  arts  et  dans  toutes  les  sciences  y  ont  introduite,  la  facilite  avec  laquelle 
on  peut  s"y  exprimer  avec  justesse  sui'  toutes  sortes  de  suJets,  le  nombre  inoni- 
brable  d'excellents  livres  ecrits  dans  cette  langue.« 

Aber  Maupertuis    musste   bereits    einen  Einwurf  hören.      Man 

ist    erstaunt,    ihm    schon    vor    der   Mitte    des    i8.  Jahrhunderts    zu 

begegnen : 

Si  l'on  peut  faire  un  reproche  a  notre  langue,  c'est  celui  qu'on  fit  ä  la  langue 
des  Romains,  lorsqu"apres  avoir  atteint  sa  plus  grande  perfection,  eile  vint  a  perdre 
sa  noble  simplicite  pour  cette  subtilite  vaine  qu'on  appelle  si  impi-oprement  »bei 
esprit".  Certaines  gens  ne  sauraient  encoi^e  pardonner  a  un  auteur  frauQais,  d'avoir 
refuse  le  »bei  esprit«  aux  AUemands.  S'ils  savaient  mieux  ce  qu'on  entend  d'ordi- 
naire  par  »bei  esprit«,  ils  verraient  qu'ils  ont  peu  lieu  de  se  plaindre.  Ce  n'est 
le  plus  souvent  que  l'art  de  donner  ä  une  pensee  commune  un  tour  sententieux: 
c'est,  dit  un  des  plus  grands  hommes  de  TAngleterre,  >d'art  de  faire  paraitre  les 
clioses  plus  ingenieuses  qu'elles  ne  sont«   [Baco]. 

Quelques  auteurs  allemands  se  sont  venges  en  refusant  aux  FrauQais  l'erudition 
et  la  profondeur;  la  vengeance  aurait  ete  plus  juste,  si,  nous  abandonnant  le  »bei 
esprit« ,  ils  s'etaient  contentes  de  dire  que  nous  en  faisons  trop  de  cas.  3Iais  si 
ces  auteurs  entendent  par  Terudition  qu'ils  refusent  aux  Frangais  un  fatras  de  cita- 
tions  latines,  grecques  et  hebrafques,  un  style  diffus  et  embarrasse,  on  leur  saura 
gre  du  reproche,  et  l'on  s'applaudira  du  defaut. 

Cette  nettete  et  cette  precision  qui  caracterisent  les  auteurs  frauQais ,  depend 
Sans  doute  autant  du  genie  de  la  langue,  que  la  langue  a  dependu  elle-meme  du 
tour  d'esjjrit  de  ceux  qui  l'ont  parlee  les  premiers  et  qui  en  ont  pose  les  regles. 
Mais  ce  sont  ces  avantages  qui  la  rendent  si  universelle,  qui  fönt  qu'un  monarque 
dont  le  goüt  est  le  suffrage  le  plus  decisif  la  parle  et  l'ecrit  avec  tant  d'elegance, 
et  veut  qu'elle  soit  la  langue  de  son  Academie. 


'    FoRMEV  i.  d.  Vorrede  zu  den  Mem.  1745.     Die  Ausführung  giebt  Gedanken 
des  Königs  selbst  wieder,  s.  Koser.   König  Friedrich  der  Grosse  I  S.  5i2f. 
"^    »Des  devoirs  de  l'acad.«   p.  144 f. 


314    Cieschiclitc  dei-  Akademie  unter  Frikdrich  dem  Grossen   (1740—174(5). 

Das  letzte  Argument  ist  allerdings  entsclieitlend.  Der  König 
verlangte  es,  weil  er  die  Abhandlungen  seiner  Akademie  lesen 
wollte  und  weil  er  wünschte  oder  voraussetzte,  dass  die  deut- 
schen Gelehrten  sich  doch  bald  dem  Französischen  als  der  Ge- 
lehrtensprache anbequemen  müssten^  Wäre  die  Frage,  ob  die  la- 
teinische oder  eine  lebende  Sprache,  erst  30  Jahre  später  brennend 
geworden,  so  wäre  vielleicht  sclion  damals  das  Deutsche  gewählt 
worden;  aber  um  das  Jahr  1746  und  unter  der  Herrschaft  eines 
französischen  Präsidenten  musste  das  Französische  den  Sieg  gewinnen. 

Es  ist  nicht  leicht,  die  Nachtheile  und  die  Vortheile  abzuwägen, 
welche  die  Akademie  von  dieser  Wahl  gehabt  hat.  Durch  die 
französische  Sprache  trat  sie  in  bequemeren  Austausch  mit  den 
Akademieen  Europa"s  und  wurde  namentlich  in  Paris  beachtet  und 
hochgeschätzt.  Den  Eintluss  auf  die  mittlere  Bildung  des  eigenen 
Landes  gewann  sie  doch;  denn  theils  verstand  man,  vor  allem 
in  Berlin,  der  Stadt  der  Hugenotten",  französisch,  theils  schrieben 
diejenigen  Akademiker,  welche  jenen  Eintluss  besassen,  ihre  Bücher 
und  populäreren  Schriften  in  deutscher  Sprache.  Gewiss  ist  aber 
■ —  wir  werden  das  in  einem  späteren  Capitel  zeigen  — ,  dass  die 
wissenschaftlichen  Arbeiten  der  Akademie  von  wirklicher  Bedeutung 
grösstentheils  deutsch  oder  lateinisch  gelesen  und  erst  nachträg- 
lich in's  Französische  übersetzt  worden  sind.  Nicht  die  Franzosen, 
sehr  wenige  Ausnahmen,  wie  Maupertüis,  abgerechnet,  sind  die 
wahren  Männer  der  Wissenschaft  in  der  Akademie  gewesen ,  sondern 
die  Deutschen  und  Schweizer.  Aber  die  Franzosen  glänzten,  gaben 
der  gelehrten  Körperschaft  das  Lustre,  und  in  dem  französischen 
Gewand  schienen   alle  Arbeiten  Hervorbringungen  des  französischen 


^  Siehe  seinen  Brief  an  Voltaire  vom  Juli  1737  im  Urkundenband  Nr.  141. 
Der  König  wünschte  auch  deshalb  die  allgemeine  Verbreitung  des  Französischen, 
weil  er  glaubte,  man  werde  um  so  mehr  Zeit  für  die  Sachen  haben,  wenn  man 
sich  nicht  nüt  Erlernung  mehrerer  Sprachen  plagen  müsse. 

^  Keine  deutsche  Akademie  ausser  der  Berliner  hat  das  Französische  als 
Sprache  angenommen:  in  München  schrieb  man  deutsch  und  in  Göttingen  lateinisch; 
al)er  die  Publicationen  dieser  gelehrten  Gesellschaften  fanden  desshalb  auch  eine 
viel  geringere  Verbreitung  als  die  der  Berliner.  Wenn  man  hier  das  Französische 
annahm,  so  geschah  es  auch  deshalb,  weil  in  der  preussischen  Hauptstadt  ein  so 
hervorragender  Theil  der  eingewanderten  Bevölkerung  sich  seiner  JMuttersprache, 
des  Fi'anzösischen,  noch  inuner  bediente.  Freilich  —  das  Französische  verwilderte 
auch  in  dei-  Fremde.  Schon  im  Jahre  1761  Hess  der  Akademiker  Prejiontval 
seine  satirische  Abhandlung  erscheinen:  «Preservatif  contre  la  corruption  de  la 
langue  fran(;;aise  en  Allemagnc";  sie  wurde  von  den  deutsch -patriotischen  Schiift- 
stellern  mit  Schadenfreude  ü'elesen. 


Geist  und  Ziele  der  Akademie  nacli  Friedrich  und  iMAUPERiris.  H  1  5 

Geistes  zu  sein.  Erst  die  Nachwelt  hat  Jedem  das  Seine  gegeben 
und  das  Bleibende  und  das  Vergängliche  geschieden ;  da  ist  von 
den  Werken  der  Franzosen  und  von  den  Arbeiten  der  philosophi- 
schen Klasse  nur  Weniges  übrig  geblieben.  Indessen  —  sie  haben 
Frucht  geschaÖt.  für  ihre  Zeit,  und  das  ist  auch  etwas.  Sie  haben 
nicht  nur  die  Form  und  den  Geschmack  der  Deutschen  bilden 
helfen,  sondern  auch  ihren  Geist  geklärt  und  sie  von  manchem 
Aberglauben  befreit.  In  der  Geschichte  der  Wissenschaft  und  der 
Aufklärung  giebt  es  Erkenntnisse  und  Kräfte,  die  in  ihrem  Zeit- 
alter wie  ein  Evangelium  gewirkt  haben ,  aber  schon  in  der  folgen- 
den Epoche  wieder  beseitigt  werden  mussten,  weil  sie  nun  hemmten 
und  störten. 

Friedrich  erwartete  mit  Antheil  und  Eifer,  dass  seine  Akademie 
blühe  und  Früchte  trage.  Alle  guten  Geister  wünschte  er  ihr  und 
Hess  einem  Jeden  in  der  Wissenschaft  freien  Spielraum;  aber  mit 
der  Spende  irdischer  Güter  war  er  sparsam.  Er  meinte,  der  Ge- 
lehrte müsse  nicht  nur  die  Freiheit  und  die  Wahrheit,  sondern 
auch  die  Armuth  lieben \  Die  Fabel  von  dem  Pferde,  das  foul 
wurde,  als  man  es  reichlich  nährte,  schwebte  ihm  stets  vor.  Die 
schlechten  Besoldungen  hemmten  die  Arbeit,  und  manche  Bitterkeiten 
in  den  Kreisen  der  Akademiker  hat  die  Sparsamkeit  des  Königs 
erzeugt;  mussten  doch  nicht  wenige  unter  ihnen  täglich  den  harten 
Kampf  mit  der  Notli  bestehen;  andere  verliessen  die  Akademie  und 
Berlin !  Aber  über  alle  diese  Stimmungen  siegte  in  den  Herzen  der 
Meisten  das  erhebende  Gefühl,  einem  Könige  zu  dienen,  der  Freiheit 
gewährte.  Wie  hatten  doch  ein  Richelieu  und  Ludwig  XIV.  sogar  die 
vierzig  Unsterblichen  eingeschränkt!  Wie  mussten  sie  als  Höflinge  und 
Sclaven  nach  dem  Willen  des  Mächtigen  denken  und  dichten,  reden 
und  schreiben!  Die  Berliner  Akademiker  wiederholten  dem  gegen- 
über mit  Stolz,  dass  sie  weder  vom  Hof  noch  von  der  Sorbonne, 
weder  von  Sans-Souci  noch  von  einem  Consistorium  abhängig  seien, 
dass  sie  für  ihre  Memoires  nicht  die  Approbation  von  zwei  Doctoren 
der  Theologie  nöthig  hätten ,  dass  sie  ihre  Sitzungen  nicht  mit 
einem  Stossgebet  an  Jesus  Christus  zu  schliessen  brauchten  oder 
mit  einem  Gebet  für  den  König,   wie   das  in  der  französischen  Aka- 


^  An  DE  Catt  schrieb  der  König  1764  (CEuvres  T.  24  p.  19):  »Les  gens  de 
lettres  deviennent,  a  la  honte  du  siecle,  aussi  avides  d'interet  que  les  financiers. 
Ce  ToussAixT  n'a  rien  ä  Bruxelles,  et  refuse  500  ecus,  qu'on  lui  offre  avec  une 
place  ä  l'Academie.     Ce  siecle  philosophique  est  tres-peu  philosophe«. 


Hl  6     Geschichte  der  Akademie  unter  Frikdrkii  dem   Grossen  (1740— 174()). 

demie  gcsclichen  musste.  Sie  beglückwünschten  sicli,  dass  sie  in 
dem  vollem  Besitze  jenes  republicanisehen  Geistes  waren,  dessen 
Erhaltung  Fontenelle  für  seine  tlieure  Akademie  so  heiss  begehrte. 
Ganz  frei  stand  ihnen  die  Wahl  der  Themata,  und  sie  durften 
über  sie  reden,  wie  sie  wollten;  nur  im  Sinne  der  Wissenschaft 
sollten  sie  sprechen,  »avec  cette  espece  de  sentiment  du  vrai  qui 
le  fait  decouvrir  partout  oii  il  est,  et  empeche  de  le  chercher  oii 
il  n'est  pas«. 

Fontenelle  gratulirte  im  Jahre  1750  der  Akademie,  weil  sie 
allein  vor  allen  anderen  Akademieen  einen  grossen  König  zum  Vater 
habe,  «und  einen  so  zärtlichen  Vater«.  Der  Zusatz  ist  wenig 
passend;  zärtlich  ist  Friedrich  niemals  gewesen;  er  blieb  der  König, 
arbeitete  für  seine  Akademie  inid  schützte  sie,  wenn  sie  Schutz 
bedurfte \  Und  auch  jener  Freiheit,  die  ein  Maupertuis  so  hoch 
pries,  waren  doch  sehr  bestimmte  Schranken  gezogen.  Nicht  die 
Freiheit  des  selbständigen  Mannes  in  einem  freien  Gemeinwesen 
galt,  sondern  der  Denker  hatte  das  Recht,  frei  zu  philosophiren 
in  einem  absoluten  Staat,  dessen  Herrscher  ein  aufgeklärter  Pliilo- 
sopli  war.  Lessing's  vernichtende  Charakteristik  der  »Berlinischen 
Freiheit«  —  »Sagen  Sie  mir  von  Ihrer  Berlinischen  Freiheit  zu 
denken  und  zu  schreiben  ja  nichts;  sie  reducirt  sich  einzig  und 
allein  auf  die  Freiheit,  gegen  die  Religion  soviele  Sottisen  zu  Markte 
zu  bringen,  als  man  will.  Lassen  Sie  es  aber  doch  einmal  Einen 
versuchen ,  ül)er  andere  Dinge  frei  zu  schreiben ;  lassen  Sie  es  ihn 
versuchen,  dem  vornehmen  Hofpöbel  die  Wahrheit  zu  sagen;  lassen 
Sie  einen  in  Berlin  auftreten,  der  für  die  Rechte  der  Unterthanen, 
der  gegen  Aussaugung  und  Despotismus  seine  Stimme  erheben  wollte, 
und  Sie  werden  bald  die  Erfahrung  haben,  welches  Land  bis  auf 
den  heutigen  Tag  das  sclavischste  von  Europa  ist«  —  diese  Charak- 
teristik ist  stark  übertrieben,  aber  doch  nicht  falsch.  Die  Luft  der 
Freiheit  wehte  in  Preussen  noch  nicht.  Die  Freiheit  aber,  welche  der 
Akademie  gewährt  war,  konnte  jene  nicht  ersetzen;  ja  selbst  die 
Wissenschaft  musste  allmählich  verkümmern ;  denn  erst  in  der  poli- 
tischen und  socialen  Freiheit  ist  die  intellectuelle  wirklich  gewährleistet. 


^  Vor  allem  in  dem  Handel  zwischen  Maupertuis  und  Voltaire;  aber  wie 
wahrhaft  königlich  ist  er  für  sie  auch  in  dem  Brief  an  Gresset  gegenüber  dem 
Director  der  französischen  Akademie  eingetreten  (28.  Dec.  1748,  QEuvres  T.  20  p.  6)! 


Geschichte    der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1746—1786).    ol  / 


Zweites  Capitel. 

Der  König    und    seine   Akademie.      Die    äussere   Geschichte 
der  Akademie  1746-1786. 

1. 

In  einem  Actenstück  des  Akademischen  Archivs,  das  hald  nach 
dem  Tode  Friedrich's  des  Grossen  entstanden  ist,  heisst  es:  »Es 
sind  während  des  Präsidii  des  Hrn.  von  Maupertuis  wenig  oder  gar 
keine  Papiere  gesammlet  und  aufbehalten,  mithin  sind  die  Acten 
von  diesem  Zeitraum  äusserst  mangelhaft ^(.  Maupertuis  hielt  dem 
Könige  in  der  Regel  mündlichen  Vortrag  und  ordnete  dann  in  den 
Sitzungen  das  Notlüge  an.  Unsere  Kenntniss  der  Verwaltung  der 
Akademie  unter  diesem  Präsidenten  müssen  wir  daher  grösstentheils 
aus  seinem  Briefwechsel  mit  dem  Könige  und  mit  zahlreichen  andern 
Gelehrten  schöpfen". 

So  nahe  hat  Friedrich  der  Grosse  der  Akademie  später  nicht 
mehr  gestanden  wie  in  den  Jahren  1746-53.  In  dieser  Zeit  be- 
trachtete er  sich  selbst  als  »Academicien« ,  nannte  sich  auch  so, 
sprach  in  den  Briefen  an  Maupertuis  von  »unserer«  Akademie^  und 
war  der  lleissigste  und  beste  Arbeiter  in  der  Klasse  des  Belles- 
Lettres.  Aber  man  würde  sich  ein  sehr  falsches  Bild  machen,  wenn 
man  sich  den  König  vorstellte  umgeben  von  seinen  Akademikern 
und  im  persönlichen  Austausch  mit  ihnen.  Er  ist  niemals  in 
eine  Sitzung  gekommen,   weder  in  eine  öffentliche  noch   in   eine 


^  Hinzu  kommt  noch  —  und  dadurch  ist  das  Archiv  auch  für  die  Zeit  vor 
und  nach  INIaupertuis  nicht  ganz  vollständig  — ,  dass  die  napoleonischen  Franzosen 
Stücke  aus  ihm  verschleppt  oder  vernichtet  haben.  In  der  Einleitung  zu  den  Aka- 
demischen Abhandhingen  1804/11  heisst  es:  «Wenn  hie  und  da  der  Vollständigkeit 
dieses  Berichts  und  seiner  Belege  etwas  abgeht,  so  ist  es  Folge  der  VerStreuung 
und  theilweisen  Vernichtung  des  akademischen  Archivs  durch  den  zweimaligen  ge- 
waltsamen Einbruch,  der  während  der  feindlichen  Besetzung  der  Hauptstadt  geschah«. 

^  Der  Briefwechsel  zwischen  dem  König  und  Maupertuis  findet  sich  im  Geh. 
Staatsarchiv  (in  den  QEuvres  sind  nur  ein  paar  Briefe  abgedruckt);  den  Briefwechsel  mit 
einigen  Gelehrten  hat  Le  Sueur  (»Maupertuis  et  ses  Correspondants.«  Paris  1897)  — 
leider  sehr  fehlerhaft  —  herausgegeben.  Unter  diesen  Briefen  befinden  sich  einige 
von  Maupertuis  an  den  König  mit  den  Antworten  des  Königs,  die  im  Staatsarchiv 
felilen.  Sie  sind  im  Urkundenband  Nr.  169  abgedruckt.  Grobe  Fehler  sind  still- 
schweigend corrigirt. 

^  Doch  nennt  er  sie  fast  noch  häufiger  »Euere«  Akademie,  um  ^Maupertuis 
zu  bezeugen,  dass  er  volle  Gewalt  in  der  Akademie  habe. 


H18     Geschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem   Grossen  (174G— 1786). 

geschlossene',  sondern  er  liat  seine  Abhandlungen  und  Eloges  von 
Anderen  vorlesen  lassen.  Auch  empfing  er  die  grosse  Mehrzahl  der 
Akademiker  nicht  bei  sich.  Fokmey  z.  B.,  der  beständige  Secretar, 
hat  die  erste  Audienz  im  39.  Regierungsjahr  Fkiedrich's  gehabt  und 
hat  ihn  dabei  zum  ersten  Male  gesprochen  "■.  Erst  in  den  letzten 
Jahren,  etwa  seit  1779,  hat  der  Monarch,  nachdem  er  das  Interesse 
an  der  Musik  verloren  hatte,  diesen  oder  jenen  Akademiker  zu  sich 
befohlen^.  Der  Kreis,  der  in  Potsdam  seine  Umgebung  bildete, 
und  der  Berliner  Kreis  der  Akademiker  waren  getrennt*.  Dort  ver- 
kehrten einzelne  bevorzugte  Generale  und  Minister,  ferner  die  beiden 
Schotten  Keith,  weiter  Chazot,  Rothenburg,  Algarotti,  Fouque, 
PöLLNiTZ,  Darget,  d'Argens,  Maupertüis,  LA  Mettrie  uud  zeitweilig 
Voltaire.  Die  Beziehungen  der  Person  des  Monarchen  zur  Akademie 
hielt  erst  Maupertüis,  dann  d'Argens  aufrecht;  aber  der  letztere  ist, 
obgleich  er  Director  der  Klasse  des  Beiles -Lettres  war,  höchst  selten 
in  die  Sitzungen  gekommen^;  die  übrigen  Tischgenossen  Friedrich's 
kamen  nie  oder  nur  in  die  Festversammlungen.  In  den  letzten 
achtzehn  Jahren  fehlte  jedes  persönliche  Mittelglied  zwischen  dem 
Monarchen  und  der  Akademie.  Der  König  liess  ihr  durch  de  Catt 
und  Andere  seine  Verfügungen  zukommen ;  nur  Merian  sprach  er 
öfters,   ohne  ihn  jedoch  zum  Vertrauten  zu  machen. 

Maupertüis  besass  die  Gunst  und  das  Vertrauen  des  Königs*' 
in  unbeschränktem  Maasse  —  »Vous  etes  le  pape  de  notre  Aca- 
demie«  —  und  hat  dasselbe  nie  getäuscht.  »Das  griesgrämigste 
Gesicht,   welches  ich  in  meinem  Leben  gesehen  habe":   dabei  aber 

^  Aber  er  hielt  darauf,  dass  die  k()nigiichen  Prinzen  die  öffentlichen  Sit/Aingeii 
besuchten,  sah  es  auch  gerne,  wenn  fürstliche  Personen  und  auswärtige  Diplomaten 
und  Celebritäten  seine  Akademie  ehrten,  em])fahl  ilmen  den  Besuch  und  wies  die 
Akademiker  an,  sie  feierlich  zu  empfangen. 

^  Allerdings  hatte  der  König  von  Formky  eine  sehr  geringe  Meinung;  aber 
auch  liessere  Gelehrte  haben  den  König  nie  oder  nur  ganz  selten  gesprochen. 

^    Siehe  Denina,  La  Prusse  litt.  II  p.  53. 

*  Nur  von  jenem,  nicht  von  diesem  gilt  die  Schilderung  Voltaire's:  »Jamais 
on  ne  parla  en  aucun  lieu  du  monde  avec  tant  de  liberte  de  toutes  les  suj^erstitions 
des  hommes,  et  jamais  elles  ne  furent  traitees  avec  plus  de  plaisanterie  et  de  mejji'is! 
Dieu  etait  respecte,  mais  tous  ceux  qui  avaient  trompe  les  hommes  en  son  nom 
n'etaient  pas  epargnes". 

•*    Das  zeigen  die  Sitzungs- Protokolle. 

^  Als  ein  unbekannter  Feind.  Maupertüis'  in  eine  Kölner  Zeitung  die  Nach- 
richt einrückte,  der  Präsident  sei  in  Ungnade  gefallen  und  müsse  die  preussischen 
Staaten  verlassen,  interessirte  sich  der  König  für  eine  energische  Berichtigung ,  die 
auch  ei-schien  (Juni  1749,  Geh.  Staatsarchiv). 

"  INIaupertüis  war  Choleriker  und  Pessimist.  Seinen  oft  wiederholten  Satz, 
dass   "la  somme  des  maux  surpasse  celle  des  biens«   hat  sich  Friedrich  später  an- 


Die  persünlicheu  Beziehungen  des  Königs  zu  Mat-peritis  und  der  Akademie.  319 

ein  ehrlicher  Kerl,  brutal  ehrlich.  Nachgehen  wollte  er  nie.  Von 
Voltaire's  Liebenswürdigkeit  eine  Million  Meilen  entfernt.  Aber 
was  das  Herz  anlangt,  so  ist  der  Lappländer  Maupertuis  ein  Jahr- 
hundert von  dem  Affen  Voltaire  entfernt  «^  Der  Grundzug  der 
Ehrlichkeit  neben  der  Fähigkeit,  durch  schlagfertige  Antworten  die 
Conversation  zu  beleben ,  musste  freilich  für  Vieles  entschädigen, 
wodurch  der  grosse  Gelehrte  sonst  lästig  fiel.  Wie  Alexander  von 
Humboldt  jede  Gesellschaft  mit  seiner  amerikanischen  Reise  unter- 
hielt, als  wäre  er  eben  erst  von  dort  zurückgekehrt,  so  kam  Mau- 
pertuis zeitlebens  »vom  Pol«  zurück,  und  das  Selbstgefühl,  »der 
Erde  ihre  Gestalt  gegeben  zu  haben«  ,  sprach  er  in  einer  so  drasti- 
schen Weise  aus,  »als  habe  er  die  Pole  selbst  abgeplattet«.  Jeden, 
der  seine  wissenschaftliche  Majestät  antastete,  betrachtete  er  als 
abscheulichen  Feind  —  in  seinem  maasslosen  Ehrgeiz  der  echte  Epi- 
gone der  Renaissance,  der  nur  in  einer  Wolke  von  Ruhm  zu  leben 
vermochte"',  dabei  schrullenhaft  und  sich  in  Excentricitäten  gefallend. 
Er  kleidete  sich  seltsam,  verblüffte  durch  Paradoxieen  und  über- 
spannte Einfalle  und  sorgte  auch  dafür,  dass  von  seinem  häuslichen 
Thun  und  Treiben  —  er  hatte  allerlei  Thiere  um  sich ,  um  stets 
der  »Naturforscher«  zu  sein  —  gesprochen  wurde.  Aber  über  alles 
das  sah  Friedrich  hinweg;  er  besass  den  ersten  Gelehrten  Europa's, 
er  schätzte   das  Gespräch  mit  ihm  als  gehaltvollste  Erholung^,   und 


geeignet  (s.  die  Briefe  an  d'Argens  vom  i.  und  27,  März  1759,  Qi^uvres  T.  19  p.5.  61, 
xuid  sonst). 

^  Gespräche  Friedrich's  des  Grossen  mit  H.  de  Catt  (deutsche  Ausgabe) 
Leipzig  1885,  S.  30  Nr.  9. 

^  Chr.  Wulff,  der  ebenso  selbstbewusst  wie  jMaupertuis  war  imd  im  Grunde 
diesen  geringschätzte  —  obgleich  er  ihm  versicherte,  seine  Liebe  sei  ihm  theurer  als 
Gold  und  Silber — ,  hatte  es  bald  heraus,  wie  man  an  ihn  zu  schreiben  habe.  In 
einem  Brief  vom  18.  Juli  1747  (Le  Sueur  p,  433)  giebt  er  nicht  undeutlich  zu 
verstehen,  dass  er  mit  Maupertuis  ein  Compagniegeschäft  des  Ruhms  auf  Gegen- 
seitigkeit begründen  wolle:  »Gi^atias  tibi  maximas  habeo,  vir  summe,  quod  famae 
meae  studere  velis .  nee  permittere  ut  quicquam  publicetur  quod  eamdem  laedere 
possit".  Es  handelte  sich  um  die  Kritik  LEiBNizens  und  seiner  Philosophie  (die 
Monadenlehre) ,  namentlich  um  Euler's  ablehnende  Haltung  zu  ihr.  Über  diesen  hatte 
der  Philosoph  am  i.  Juli  1747  an  Maupertuis  einen  bösen  Brief  geschrieben  (p.429), 
in  dem  er  sich  sogar  zu  Verleumdungen  der  Gegner  der  JMonadenlehre  fortreissen 
liess:  "Quis  famae  suae  adeo  negligens  est,  ut  eam  alii  committere  velit,  aut  aequo 
animo  ferre  potest  ut  sibi  praeferatur  homo  ad  cavillanduin  et  conducendum  [?]  con- 
ductus,  cuius  pennam  venalem  fecit  paupertas».  • — -Wie  man  an  Maupertuis  schrieb, 
zeigt  auch  der  Brief  des  Herzogs  Karl  von  Braunschweig  an  ihn  (vom  13.  März 
1752,  Geh.  Staatsarchiv):    »Un   savant  qui  instruit  Tünivers  apres  l'avoir  mesure«. 

^  Selbst  der  Conversation  mit  Voltaire  zog  er  es  auf  die  Dauer  vor,  s.  den 
Brief  an  die  jNLarkgräfin  von  Bayreuth  (2.  Februar  1751,  (Euvres  T.  27,  i  p.  200 f.): 


820     (icsc'hichtc  (lo)'  Akademie  unter  Friedrich  dem   (irossen  {174H— ITSH). 

er  kannte  ihm  g-egenüber  keine  andere  Verpflichtung,   als  ihn  sich 
um  jeden  Preis  zu   erhalten'. 

In  den  ersten  Jahren  hat  Maupertuis  Alles  gethan ,  um  die 
Akademie  zu  heben.  Zunächst  nahm  er  in  der  Zeit  bis  1751  nicht 
weniger  als  80  Auswärtige  als  Mitglieder  auf,  d.  h.  er  versammelte 
wirklich  die  grössten  Gelehrten  Europas  um  sie.  An  die  Deutschen 
dachte  er  dabei  kaum ;  aber  es  fanden  sich  auch  in  Deutschland 
nur  wenige ,  die  sich  mit  den  Pariser  und  Londoner  Gelehrten  als 
Schriftsteller  messen  konnten.  Die  Aufnahme  wurde  als  die  höchste 
Ehre  geschätzt;  denn  Friedkich's  Name  war  aiif  Aller  Lippen,  und 
die  Berliner  Akademie  war  seine  Akademie.  DmEnoT,  der  seit 
1751  mit  d'Alembert  die  Encyklopädie  herausgab,  der  vielseitig 
gebildete  und  liebenswürdige  Freigeist,  setzte  zu  seinem  Namen 
lediglich  die  Worte:  »de  TAcademie  Royale  des  Sciences  et  des  Belles- 
Lettres  de  Prusse«.  Andere  schrieben,  Leibniz  würde  sich  trösten 
über  den  zeitweiligen  Verfall  seiner  Akademie,  wenn  er  jetzt  Zeuge 
ihres  rapiden  Aufschwungs  wäre"^.  Vor  allem  strahlte  die  Schöpfung 
Friedrich's,  weil  die  aus  anderen  Ländern  von  dem  Absolutismus 
oder  Fanatismus  vertriebenen  Gelehrten  hier  Schutz  fanden.  Die 
Akademie  galt  besonders  als  Freistätte  und  als  Burg  gegenüber  der 
Litoleranz  der  Kirchen  —  sie  war  wie  Potsdam  »le  tripot  d"ex- 
communies«  — ,  und  Männer  wie  d'Argens  sorgten  dafür,  dass  dieser 
Ruhm  sich  verbreitete,  mehr  als  der  gelehrten  Gesellschaft  lieb  war. 
Nach  dem  Erscheinen  der  ersten  beiden  Bände  der  Encyklopädie 
dachte  d'Alembert  daran,  das  Werk  in  Berlin  erscheinen  zulassen, 
um  sich  vor  unliebsamen  Folgen  in  seiner  Heimath  zu  schützen. 


»A  In  longue,  j'aime  mieux  vivre  avec  Maupertuis  qu"avec  Voltaire.  Son  caractere 
est  sür,  et  il  a  jjlus  le  ton  de  la  conversation  que  le  poete,  qui,  si  vovis  y  avez 
bien  pris  garde,  dogmatise  toujours". 

^  Und  —  gesund  zu  ei'halten.  Die  Stellen  in  den  Briefen  des  Königs,  die 
von  dem  Befinden  Maupertuis'  handeln,  würden  zusammen  gedruckt  mehr  als  einen 
Bogen  füllen.  Unter  anderem  hat  er  ihm  wiederholt  gegen  sein  Magenübel  den 
Gebrauch  von  Ammenmilch  angerathen.  In  Ernst  und  Scherz  spricht  er  die  Sorge 
für  seinen  »Newton«  aus.  Einmal  schickte  er  ihm  Verse  und  beschloss  sie  mit  dem 
Ausmif:  »Icli  bin  hoch  erfreut,  zu  wissen,  dass  es  Euch  besser  geht;  ich  fürchte 
nur,  dass  ihr  ein  Recidiv  bekommen  werdet,  wenn  Ihr  meine  Verse  lest«  (Decein- 
ber  1746).  oder;  »Ich  werde  mich  mit  der  Akademie  überwerfen,  wenn  sie  Euch 
krank  macht«    (13.  Februar  1747). 

^  In  dem  oben  citirten  Brief  des  Herzogs  von  Bi'aunschweig.  —  Friedrich 
war  übrigens  mit  dieser  grossen  Anzahl  auswärtiger  Mitglieder  nicht  ganz  einver- 
standen; »ich  will  lieber  an  ihrer  Stelle  ein  paar  gute  einheimische  Mitglieder 
haben«    (Brief  an  3Iaupertuis  vom  4.  März  1747). 


Aiitnalinie  auswärtiger  Mitglieder.  o2l 

Die  Aufnahme  berühmter  Männer,  wenn  sie  in  Berlin  anwesend 
waren ,  geschah  nach  dem  Muster  der  Pariser  Akademie  unter  be- 
sonderen Feierlichkeiten,  Der  Erste,  den  man  so  begrüsste,  war 
der  Marquis  de  Paulmy  d'Argenson,  der  auf  einer  Reise  im  Winter 
1747  nach  Berlin  kam.  Er  hielt  in  der  Sitzung  am  2.  Februar  eine 
steife  Rede  «Sur  la  necessite  d'admettre  des  etrangers  dans  les  Societes 
litteraires « ,  die  Maupertuis  in  schmeichelhaftester  Weise  beant- 
wortete. Die  zweite  ööentliche  Reception  fand  am  18.  Juni  1750 
statt.  Es  waren  von  Marschall  und  der  junge  französische  Verse- 
schmied d'Arnaud,  die  »aufgehende  Sonne«,  der  Rivale  Voltaire"s, 
die  eingeführt  wurden  und  sprachen.  Beide  feierten  den  König. 
Bald  darauf  hielt  der  Spanier  de  lasTorres  seine  Dankrede  (i .  October) 
und  suchte  seine  erstaunten  Hörer  zu  belehren,  dass  die  Philosophie, 
die  Jurisprudenz ,  die  Geschichte  und  die  schönen  Wissenschaften 
nicht  nur  im  letzten  Jahrhundert  in  seinem  Vaterland  in  Flor  gestan- 
den hätten,  sondern  noch  immer  blühten.  In  Gegenwart  Maüpertuls", 
Eulers  und  dArgens',  vielleicht  auch  vor  den  Ohren  La  Mettries 
wurden  die  jesuitischen  Scholastiker  gefeiert,  freilich  mit  einer 
brillanten  Restriction,  die  doch  Jedem  gestattete,  über  sie  zu  denken 
wie  er  wollte.  »Vous  y  trouverez  une  metaphysique  subtile,  oii 
Tesprit  prend  un  essor  qui  devient  ä  la  verite  souvent  un  vol 
dicare,  mais  qui  ne  laisse  pas  cependant  de  montrer  une  grande 
force  de  genie,  dans  ceux  meme  dont  les  chutes  sont  celebres. 
Si  nos  Molinas,  si  nos  Suarez  et  tant  d'autres  genies  profonds  que 
l'Espagne  a  nourris,  n"ont  pas  trouve  la  verite,  c'est  plutot  pour 
avoir  ete  au  delä,  que  pour  etre  demeures  en  arriere\«  Immerhin 
ist  diese  Rede  ein  Beweis,  dass  die  Akademie  in  schrankenloser 
Universalität  allen  anderen  überlegen  war:  in  ihrer  Mitte  steht  ein 
La  Mettrie  als  College  neben  Süssmilch,  dem  streng  orthodoxen  evan- 
gelischen Geistlichen,  und  vor  ihnen  rühmt  ein  Spanier  die  wissen- 
schaftliche Grösse  seines  Vaterlandes  und  der  spanischen  Jesuiten! 

Aber  nicht  nur  durch  Universalität  und  Freisinn  zeichnete  sich 
die  Akademie  Friedrich's  vor  allen  aus:  von  den  ernsteren  Ge- 
lehrten wurde  auch  anerkannt,  dass  sie  nicht,  wie  die  Mehrzahl 
der  modernen  Akademieen,  so  sehr  von  der  »fureur  du  bei  esprit« 
ergrifien    sei,    dass    sie  nur  schöne  Phrasen  drechsle.      Hier  wurde 


'  Diese  Reden  sind  in  den  Memoires  und  in  Formey's  Hist.  de  l'Acad.  p.  119  fr. 
gedruckt.  Von  Argenson  sagt  Friedrich  (Brief  an  Maupertuis  vom  13.  Februar 
1747),  er  habe  »infiniment  plus  d'esprit  que  de  figure  et  de  connaissances  que 
d"annees". 

Geschichte  der  Akademie.    I.  21 


322     Cicscliiclitc  der  Akiideinie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1746  — 17S6). 

wirklich  gearbeitet,  und  darum  galt  das  Diplom  der  Berliner  Aka- 
demie als  die  beste  Empfehlung  zur  Aufnahme  in  andere  Akademieen  \ 

Maupertüis  nahm  die  auswärtigen  Gelehrten  nicht  deshalb  auf, 
um  mit  ihnen  Staat  zu  machen,  sondern  er  wünschte  ihre  Mitarbeit"^. 

Zwar  gelang  es  ihm  nicht,  Wolff"s  Feder  für  die  Memoires  zu 
gewinnen  —  der  Hallesche  Philosoph  schrieb  nur  dicke  Bücher  und 
stellte  sich  über  jede  wissenschaftliche  Gesellschaft  — ,  aber  er 
brachte  doch  eine  stattliche  Zahl  von  auswärtigen  Gelehrten  zu- 
sammen, welche  den  ordentlichen  Mitgliedern  halfen,  den  Abhand- 
lungen der  Akademie  Gehalt  und  Glanz  zu  geben.  Niemals  wieder 
im  1 8.  Jahrhundert  haben  so  viele  Ausländer  in  den  Memoires  ge- 
schrieben wie  in  dem  Decennium  von  1746— 1755.  Gleich  der 
Jahrgang  1746  brachte  Beiträge  von  d'Alembert,  d'Argenson,  Con- 
DAMiNE,  Lerch  (meteorologischc  Beobachtungen  aus  Astrachan)  und 
Krafft;  d'Alembert  blieb  den  Memoires  treu  und  liess  fort  und 
fort  mathematische  Abhandlungen  in  ihnen  erscheinen.  Ausser 
diesen  Gelehrten  schrieben  Daniel  Bernoulli,  de  Lalande,  Cassini, 
Raynal,  Sam.  König  u.  A.  Auch  «vornehme  Herren«  lieferten  Beiträge. 
Graf  H.  C.  Keyserlingk  veröffentlichte  1748  »Recherches  sur  Tabro- 
gation    du    droit   d'elire   un   roi    des  Romains,    faussement    imputee 


^  Besonders  lehrreich  ist  liier  der  Brief  de  Tressan's  an  Maupertüis  aus  dem 
Jahre  1754  oder  1755  (Le  Sueur,  p.  345  f.):  »Je  suis  au  milieu  de  la  societe  de  Nancy 
comme  ('assandre  au  milieu  des  Troyens.  Je  crie  en  vain  pour  exciter  a  quelque 
travail  utile,  la  fureur  du  bei  esprit  les  a  gagnes:  ils  sont  occupes  uniquement 
a  tourner  des  phrases,  et  si  je  ne  m'etais  oppose  a  l'impression  d'un  recueil  pret 
a  paraitre,  on  eüt  fait  voyager  en  Europe  un  voluine  plein  de  discours  supportables 
a  peine  dans  mie  classe  de  rhetorique:  rien  d'interessant  pour  les  sciences  de  fait; 
eniin  je  vois  avec  douleur  que  cette  societe  aura  bien  de  la  peine  ä  sortii-  de  son 
bei'ceau  et  c'est  un  enfant  piaillard  que  je  suis  bien  ennuye  de  bercei-.  Je  ne  suis 
pas  etonne  que  les  societes  etrangeres  croient  Sa  Majeste  prussienne  infaillible  et 
son  President  de  l'academie  de  Berlin.  L'honneur  (pie  j'ai  regu  en  etant  admis 
dans  cette  celebre  compagnie.  est  le  seul  titre  que  je  me  reconnaisse  pour  etre 
elu  pai-  Celle  d'Edimbourg«.  Auch  Haller  spricht  in  einem  Brief  an  Maupertüis 
(12.  October  1749,  Le  Sueur  p.  182  f.)  von  der  »Academie  celebre,  dont  les  occupations 
sont  plus  relevees  et  moins  penibles  que  Celles  d'une  universite«,  und  Kaestner 
(18.  März  1750,  Le  Sueur  ]).  278)  nennt  die  Berliner  Akademie  »la  plus  illustre  dans 
la  republique  des  lettres".  Vergl.  auch  Denina,  Essai  sur  la  vie  et  le  regne  de 
Frederxc  IL  (1788)  p.  242. 

-  Auch  auf  methodisches  Zusammenarbeiten  mit  der  Pariser  Akademie  ist 
Maupertüis  bedacht  gewesen;  namentlich  interessirte  er  sich  dafür,  dass  sich  er- 
gänzende, gleichzeitige  astronomische  Untersuchungen  an  verschiedenen  Punkten  der 
Erde  angestellt  würden.  »11  avait  dresse  pour  cet  effet  le  projet  d'un  voyage  en 
Ii'lande« ,  schreibt  Formey  in  dem  Eloge  auf  ihn,  Mein.  1759  p.  487,  »et  ce  fut  lui  qui 
proposa  a  l'academie  des  sciences  de  Paris,  d'envoyer  M.  de  Lalande  a  Berlin,  oü  il 
vint  en  eftet,  et  fit  a  notre  obsei'vatoire  les  observations  correspondantes  acelles  du  Cap«. 


Die   o^leinoires"   der  Akademie.  323 

a  Tempereur  Henri  VI.«,  der  junge  E.  F.  von  Hertzberg,  der  40  Jahre 
später  Curator  der  Akademie  werden  sollte,  schrieb  über  die  alten 
Wappen  der  Markgrafen  von  Brandenburg  (1752),  und  der  damalige 
Curator  Graf  Redern  publicirte  seine  »Considerations  sur  le  globe«. 
Waren  bereits  die  «Miscellanea«  der  alten  Societät  in  der  wissen- 
schaftlichen Welt  stets,  geschätzt  gewesen,  so  wuchs  der  Ruhm  der 
»Memoires«  weit  über  sie  hinaus,  zumal  da  man  in  jenen  ersten 
zehn  Jahren  fast  in  jedem  Bande  eine  Abhandlung  oder  ein  Eloge 
von  Friedrich  selbst  erhielt.  Auf  den  Schreibtischen  der  Gelehrten 
und  auf  den  zierlichen  Tischen  der  Prinzessinnen  und  der  Damen 
von  Welt  lagen  die  Quartbände  der  Akademie ;  ungeduldig  wurde 
das  Erscheinen  des  neuen  Jahrgangs  erwartet.  War  ihr  Franzö- 
sisch auch  nicht  untadelig  —  es  wurde  darüber  manche  spöttische 
und  nicht  ungerechtfertigte  Bemerkung  gemacht^  — ,  so  war  es  doch 


^  Maüpertuis  musste  bald  einsehen,  dass  nicht  wenige  Abhandlungen  durch 
die  Übersetzung  in's  Französische  verloren  —  abgesehen  davon,  dass  einige  stümper- 
haft und  falsch  übersetzt  wurden.  Er  fragte  deshalb  bei  dem  König  an  (22.  Juli 
1748,  ffiuvres  T.  17  p.  337f.),  ob  nicht  die  chemischen  Abhandlungen  lateinisch  er- 
scheinen dürften,  da  die  Chemie  in  dieser  Sprache  eine  feste,  in  Deutschland  ge- 
läufige und  unmissverständliche  Terminologie  besitze,  und  da  die  Übersetzer  die 
termini  technici  nicht  kennten.  Er  lässt  dabei  einfliessen,  dass  auch  andere  Abhand- 
hmgen  einen  Theil  ihi'es  Werthes  an  dem  schönen  lateinischen  Stil  besässen.  und 
dass  ihre  Verfasser  sie  in  dieser  Sprache  gedruckt  sehen  möchten.  Er  meint,  man 
könne  ja  daneben  ein  französisches  Resume  geben,  und  könne  es  mit  deutsch  ge- 
schriebenen Abhandlungen  ebenso  halten.  Man  sieht,  Maüpertuis  ist  durch  harte 
Thatsachen  von  der  Alleinherrschaft  des  Französischen  zurückgekommen.  Aber  der 
König  muss  das  Gesuch  abschlägig  beschieden  haben;  denn  in  den  Memoires  er- 
scheint auch  in  der  Folgezeit  ausschliesslich  die  französische  Sprache.  —  Einen 
heftigen  Angriff  gegen  die  Akademie  und  gegen  Maüpertuis  richtete  Gottsched  in 
seinem  Journal,  weil  die  Akademie  zur  fi-anzösischen  Sprache  übergegangen  sei  und 
in  der  Philosophie  Sätze  zulasse,  die  von  den  seinigen  abwichen.  Maüpertuis'  Ex- 
pedition an  den  Pol  nannte  er  dabei  »une  de  ces  bagatelles  dont  la  vanite  francjaise 
tirait  gloire  pour  avoir  decouvert  une  chose  que  Newton  et  Huygens  avaient  sue 
longtemps  auparavant«.  Li  liebenswürdiger  Weise  suchte  ihn  als  »laudator  temjDoris 
acti«  Kaestner  bei  Maüpertuis  zu  entschuldigen  in  einem  Briefe  von  15.  April  1750 
bei  Le  Si'eur  p.  281.  —  Zu  Klopstock's  und  Lessing's  Urtheilen  über  Friedrich's 
Bevorzugung  des  Französischen  s.  Koser,  a.  a.  O.  S.  513.  In  den  Acten  der  Akademie 
überwiegt  das  Deutsche  übrigens  noch  bis  etwa  1768;  die  volle  Herrschaft  des  Französi- 
schen gilt  erst  für  die  Jahre  1768  — 1790.  Doch  brach  in  den  letzten  Jahren  Friedrich's 
und  unter  Friedrich  Wilhelm  IL  das  deutsche  Selbstgefühl  durch.  Damals  riclitete 
BüscHiNG  (Charakter  Friedrich's  IL  1788  S.  74.  78)  seinen  scharfen  und  ungerechten 
Angriff  gegen  den  längst  verstorbenen  Maüpertuis:  «jMaupertuis  war  ein  seichter  und 
eben  deswegen  ein  hochmüthiger  Gelehrter  .  .  .  der  König  hat  sich  gleich  in  der 
Wahl  des  ersten  Präsidenten  geirrt;  denn  Maüpertuis  war  nicht  der  Mann,  der 
die  Akademie  gut  einrichten,  verständig  regieren  und  zu  einem  gegründeten  und 
vorzüglichen  Ansehen  erheben  konnte.  Sie  ward  gleich  im  Zuschnitt  verdorben 
und  wurde  zu   Deutschlands  Scliimpf  und  zu  der  preussischen  Länder  Schaden  eine 

21* 


824     Geschichte  der  Akiuleiiiie  unter  Friedhich  dem  Grossen  (1740—1786). 

Französisch'!  Männer  von  wissenschaftlichem  Ansehen  als  ordent- 
liche Mitglieder  nach  Berlin  zu  ziehen,  war  ferner  eine  Hauptsorge 
Maupertuis".  Der  König  liess  ihm  freie  Hand,  aber  an  den  noch 
knapi)en  Mitteln  der  Akademie  scheiterte  manche  Berufung.  Friedrich 
gewährte  zwar  ein  paar  Mal  einige  hundert  Thaler  aus  seiner  Privat- 
chatulle,  aber  er  erklärte  seinem  Präsidenten,  die  Sorge  für  die  In- 
validen und  für  die  Colonisation  in  den  Provinzen  müsse  vorgehen'. 
Vergebens  bemühte  sich  Maupertuis,  den  grossen  Physiologen  und 
Dichter  A.  von  Haller  aus  Göttingeii  für  Berlin  zu  gewinnen^.  Ebenso- 
wenig gelang  es,  Kaestner  zu  überreden,  Leipzig  mit  Berlin  zu  A^er- 
tauschen*.    Aber  der  tüchtige  Anatom  Meckel,  der  Schüler  Haller"s, 

französische  Akademie,  bei  welcher  französische  und  italienische  Gelehrte  einen  be- 
trächtlichen, deutsche  Gelehrte  a,ber  entweder  einen  geringen  oder  wohl  gar  keinen 
Geldwerth  hatten,  und  der  Titel  »Academicien.'  an  und  für  sich  selbst  gab  weder 
in  der  sogenannten  grossen,  noch  in  der  gelehrten  Welt  einen  Rang".  [Letzteres 
mag  zu  Büsching's  Zeit  der  Fall  gewesen  sein,  zu  Maupertuis'  Zeit  war  es  anders, 
s.oben].  Büsching  erscheint  als  ein  incompetenter  Beurtheiler;  denn  er  sagt  (a.  a.  0.), 
FoRMEY  ha.be  Alle  an  Gelehrsamkeit  übertroffen  und  bis  an  seinen  Tod  des  Königs 
Gunst  genossen. 

'  Siehe  das  Schreiben  des  Herzogs  von  Orleans  an  Maupertuis  vom  5.  Sep- 
temljer   1749  (Geh.  Staatsarchiv). 

-  Siehe  den  Brief  vom  Januar  1747  im  Geh.  Staatsarchiv,  und  die  Briefe  im 
Urkundenband  Nr.  169,  i  und  2:  »Le  roi  est  j^auvre«,  schreibt  er  am  5.  Juli  1747, 
"comme  un  rat  d'eglise;  il  etablit  grand  nombre  de  colonies  de  paysans;  lorsque 
Celles -ki  sont  poui'vues,  on  pensera  aux  astronomes«. 

^  P"ür  Haller's  Berufung  interessirte  sich  der  König  selbst  auf's  Lebhafteste, 
s.  Urkundenband  Nr.  169.  2.  4  und  Le  Sueur  p.  180 ff. ;  sie  spielte  im  Herbst  und 
Winter  1749/50.  Ob  IVIaupertuis  Haller's  Übersiedelung  mit  rückhaltslosem  Eifer 
betrieben,  ob  er  nicht  in  ihm  einen  gefährlichen  Rivalen  gesehen  hat,  darf  man 
fragen.  Ganz  präcise  Bedingungen  sind  Haller  nicht  vorgelegt  worden.  Dieser 
stellte  freilich  hohe  Anforderungen;  u.  A.  wollte  er  Curator  sämmtlicher  Universitäten 
werden  und  ein  bedeutendes  Gehalt  beziehen.  Doch  im  Grunde  strebte  er  in  die 
Schweiz  zurückzukehren.     Die  Correspondenz  bricht  ab  und  wird  dann  wieder,  am 

10.  November  1751.  von  Haller  aufgenommen,  der  sich  in  würdigster  Weise  bei  dem 
Präsidenten  über  La  JMettrie  beschwert.  Dieser  hatte  in  einer  Lügenbroschüre 
einen  Bubenstreich  gegen  den  grossen  Gelehrten  verübt,  der  ihn  für  immer  unter 
anständigen  Leuten    hätte    unmöglich    machen    müssen,    wäre    er   nicht  bereits  am 

11.  November  gestorben.  Maupertuis*  Antwort  an  Haller  (Le  Sueur  p.  440 ff.) 
ist  niclit  befriedigend.  Er  sucht  das  empörende  Gebahren  seines  Landsmanns  — 
auch  La  Mettrie  stammte  aus  St.  Malo  —  durch  den  Hinweis  auf  dessen  Haltlosig- 
keit und  Gutmüthigkeit  abzuschwächen. 

*  Auch  Kaestner  war  wie  Haller  ein  hervorragender  Gelehrter  (JNIathe- 
matiker)  und  ein  Dichter.  Es  ist  charakteristisch,  dass  Friedrich  und  Maupertuis 
nach  solchen  wissenschaftlichen  Männern  in  Deutschland  Umschau  hielten,  die  »zu 
den  beiden  Reichen  gehörten ,  dem  der  schönen  Künste  und  dem  der  Wissen- 
schaften" (Friedrich  an  Maupertuis  16.  August  1747).  Man  erwartete  von  ihnen 
Wissen,  Esprit  und  eine  gefällige  Formgebung.  Maupertuis  hätte  Kaestner  gerne 
aus  Leij)zig  nach  Berlin  gezogen  (1750,  an  Passavant's  Stelle);  aber  die  Berufung 


Berufungen.     Hervorragende  Mitglieder  der  Akademie.  62') 

kam ;  durch  Lieberkühn  und  ihn  war  die  anatomische  Disciphn  nun 
glänzend  vertreten.  Die  älteren  Mediciner,  die  Maupertuis  sammt  ihrer 
Kunst  gering  schätzte,  wurden  mit  dem  Abschied  bedroht,  wenn  sie 
nicht  mindestens  alle  zwei  Jahre  eine  Abhandlung  läsen.  Eine  könig- 
liche Ordre  vom  26.  August  1749  verfügte  dann  generell,  dass  jeder 
Akademiker,  der  nicht  seine  jährliche  Abhandlung  liefere,  in  den 
Stand  der  »Veteranen«  übergehen  und  seine  Pension  verlieren  solle \ 
»Unsere  Chemiker  stechen  alle  Chemiker  Europas  aus"';  unsere 
Mathematiker  können  es  mit  den  Mathematikern  aller  anderen  Aka- 
demieen  aufnehmen^;  unsere  Astronomie,  ausgestattet  mit  guten 
Instrumenten,    fängt   an    sich    zu    entwickeln*;    aber   unsere    beiden 

scheiterte  an  dem  geringen  Gehalt  und  an  dem  Wunsche  Kaestner's,  in  seinem  Ver- 
wandtenkreise zu  bleiben  (Le  Sueur  p.  272!!'.   2841?.). 

^  Maupertuis  hatte  sich  darüber  beklagt,  dass  die  älteren  Mediciner  keine 
Abhandlungen  läsen  und  auch  nur  selten  in  den  Sitzungen  erschienen.  Darauf 
schrieb  der  König  zurück  (Winter  1748/49,  Le  Sueur  p.  86,  Urkundenband 
Nr.  169.  2):  »II  faut  faire  une  loi  par  laquelle  un  academicien  qui  dans  deux 
ans  n'aura  pas  lu  de  memoire,  n'etant  point  empeche  du  tra.vail  par  la  maladie, 
sera  raye«.  Aber  bereits  am  26.  August  1749  (s.  Akad.  Protokolle)  erschien  folgende 
Cabinets- Ordre,  in  welcher  nicht  mehr  von  zwei,  sondern  nur  von  einem  Jahr 
die  Rede  ist:  »Le  roi  etant  informe  du  peu  d'exactitude  que  quelques  academiciens 
apportent  a  remplir  leur  devoir,  m'a  ordonne  de  faire  savoir  k  Tacademie,  qu'il 
avait  decide  irrevocablement  que  tous  ceux  de  ce  corps,  tant  pensionnaires 
qu'associes  ordinaires,  qui  passeront  un  an  sans  y  produire  aucun  memoire,  seront 
ranges  dans  l'ordre  des  veterans ,  et  que  leiirs  pensions,  s'ils  en  ont.  seront  sup- 
pi-imees  et  rentreront  dans  les  fonds  de  TAcademie,  afin  que  S.  Maj.  en  dispose  en 
faveur  de  ceux  qui  par  leurs  travaux  meriteront  des  encouragements  et  desrecompenses. 

Maupertuis." 

^  Zu  ihnen  (Pott,  Marggraf)  kam  im  Jahre  1754  der  ausgezeichnete  Che- 
miker und  Geologe  Lehmann. 

^  Mit  Vorschlägen,  die  Zahl  der  Mathematiker  imd  Geometer  zu  vermehren, 
musste  Maupertuis  zurückhaltend  sein ;  denn  es  war  bekannt,  dass  der  König  kein 
Freund  der  Mathematik  war  und  gerne  auf  die  Mathematiker  stichelte  —  er  hatte 
sie,  wenn  sie  sonst  nichts  trieben  als  Mathematik,  in  Verdacht,  etwas  verdreht  zu 
sein;  doch  zählte  er  einen  Euler  zu  den  wenigen  grossen  Männern  des  Zeitalters 
(Brief  an  Maupertuis  vom  3.  Juli  1756).  Von  Maupertuis  behauptete  er,  er  habe 
ein  unersättliches  Verlangen  nach  neuen  Curven.  »Ihr  Mathematiker  erhebt  euch 
gleich  Adlern  in  die  Wolken ,  aber  auch  die  am  Boden  kriechenden  Thiere  haben 
Verdienste,  freilich  der  Geometrie  gegenüber  nur  untergeordnete."  Als  er  einmal 
gefallen  war,  schrieb  er  an  Maupertuis:  »Das  kommt  davon,  dass  man  kein  Geo- 
meter ist.  Wenn  ich  den  Schwerpunkt  beobachtet  hätte«  u.  s.  w.  Auch  von  der 
Metaphysik  hielt  der  König  immer  weniger,  und  deshalb  entfernte  er  sich  immer 
mehr  von  Wolff.  An  Voltaire  schrieb  er  schon  am  13.  Februar  1749  (CEuvres  T.  22 
p.  181):  »La  metaphysique  est  un  ballon  entle  de  vent  (so  hatte  sie  Voltaire  be- 
zeichnet) ....  Je  me  persuade  que  la  nature  ne  nous  a  point  faits  pour  deviner 
ses  secrets,  mais  pour  cooperer  au  plan  (ju'elle  s'est  propose  d'executer". 

*  »Va  faire  des  progres  ou  plutot  va  naitre«  —  es  wurde  freilich  nicht  so, 
wie   Maupertuis    es    wünschte.      Der    alte    Grischow    starb    am  10.  November  1749, 


B26    Geschichte  der  Akademie  unt«>r    Friedrich  dem   Grossen  (1746—1786). 

Klassen  der  speculativen  Philosophie  und  der  Beiles -Lettres  leiden 
an  äusserster  Schwäche  und  wären  vielleicht  ohne  die  so  kräftige 
und  mächtige  Hülfe,  die  Ew.  Majestät  selbst  ihnen  gewährt  haben, 
bereits  an  Entkräftung  gestorben«  —  so  schrieb  Maupertuis  im 
Winter  1748/49  an  den  König\  Grade  auf  diese  beiden  Klassen 
hatte  man  die  kühnsten  Hoffnungen  gesetzt,  aber  sie  verwirklichten 
sich  nicht.  Dass  Formey's  Arbeiten  inhaltlich  ungenügend  waren, 
sah  man  bald  ein"  —  erst  nach  und  nach  gewöhnte  sich  die  Aka- 
demie an  seine  gespreizten  und  leeren  Worte,  und  nachdem  er  durch 
seine  Stellung  ein  berühmter  Mann  geworden  war,  kritisirte  man 
ihn  nicht  mehr^  — ;  Francheville  konnte  über  seine  Unbedeutendheit 
nur  Wenige  täuschen;  d'Argens  schrieb  nicht  für  die  Akademie, 
und  was  er  sonst  schrieb,  war  mehr  keck  als  lehrreich;  die  gehalt- 
vollen Abhandlungen  einiger  deutscher  Gelehrter  aber,  wie  Süss- 
milch's,  wurden  nicht  genügend  geschätzt  und  waren  in  ihrem 
schlechten  Französisch  keine   anziehende  Leetüre. 


und  sein  Sohn,  der  unmittelbar  vorher,  23  Jahre  alt,  ordentliches  Mitglied  geworden 
war  und  auf  dessen  Fähigkeiten  als  Astronom  jMaupertuis  viele  Hoffnungen  setzte, 
verliess  sclion  nach  einem  Jahre  Berlin  und  ging  an  die  Petersburger  Akademie  über. 
Der  König  war  erzürnt,  hi  seinem  Namen  theilte  Maupertuis  dem  Secretar  Fol- 
gendes mit  (Akademisches  Protokoll):  -Le  Seign.  Grischow,  ayant  furtivement  con- 
tracte  un  engagement  avec  l'Academie  de  Russie  et  Sa  Maj.  lui  ayant  non-seulement 
accorde  la  joermission  de  le  remplir,  mais  encore  ordonne  de  sortir  au  plus  tot  de 
Berlin ,  vous  en  ferez  part  a  l'Academie  et  le  declarerez  dechu  du  titre  d'academicien « 
(30.  November  1750).  A'on  dem  andern  Astronomen ,  Kies,  hielt  Maupertuis  wenig 
(s.  Urkundenband  Nr.  169,3).  Auch  er  verliess  später  Bei-Un,  ebenso  der  dritte 
Astronom,  Aepinus,  der  1755  Akademiker  W'urde,  aber  bereits  1757  Grischow  nach 
Petersburg  folgte. 

1  Siehe  Urkundenband  Nr.  169,  2.  Schon  im  Jahre  1747  (4.  März)  hatte  der 
König  in  einem  Brief  an  ^Maupertuis  die  Klasse  der  Beiles -Lettres,  "ä  la(inelle 
mon  genie  peut  le  mieux  atteindre",  für  die  am  meisten  vernachlässigte   erklärt. 

2  Die  Akademie  weigerte  sicli  sogar  im  Jahre  1754,  Formey's  Eloges  auf 
VON  Arnim  und  von  Münchow  drucken  zu  lassen.  Das  Icam  zu  den  Ohren  des 
Königs.  Wie  er  über  den  beständigen  Secretar  urtheilte,  geht  aus  dem  Brief  an 
Algarotti  (9. Februar  1754,  OEuvres  T.  18  p.93f.)  hervor:  «Formey  a  lu  a  l'Academie 
les  eloges  de  MM.  d'Arnim  et  de  Münchow,  et  l'Academie  s'est  opposee  a  leur 
Impression.  J'ai  ete  curieux  de  les  lire.  Jainais  il  n'y  a  eu  bavardage  plus  inepte 
et  plus  plat.  Formey  a  voulu  avoir  de  l'esprit;  il  a  fait  assaut  contre  la  nature, 
et  certainement  cela  n'a  pas  toui'ne  a  son  avantage«.  Vergl.  den  Brief  an  Maupertuis, 
der  damals  in  Frankreich  war,  vom  12.  März  1754:  »Votre  secretaire  fait  des  eloges 
si  pitoyables,  il  a  la  sottise  encore  plus  pitoyable  de  les  faire  imjirimer,  de  sorte 
que  je  crains  j)our  la  reputation  de  notre  Acadeinie.  Vous  voyez  que  je  n'ai  pas 
eu  tord  [tort]  de  dire  que  vous  la  vouliez  [sie]  tont  seul«. 

^  Man  schmeichelte  ihm  sogar  von  vielen  Seiten,  in  Berlin  und  im  Ausland,  weil 
er  einllussreich  war  oder  man  ihn  dafür  hielt.  Selbst  Montesquieu  hat  ihm  starke 
Schmeicheleien  gesagt.  Formey  hat  alle  diese  Blumen  in  seinen  »Souvenirs«  gesammelt. 


Die  Schweizer  in  der  Akademie.  327 

Maupertuis  suchte  auch  hier  nach  neuen  Kräften ,  und  Bernoulli 
empfahl  ihm  den  jungen  Merian  sehr  warm.  Er  wurde  wirklich 
berufen  (Q.April  1750).  Was  er  in  den  57  Jahren,  in  denen  er 
an  der  Akademie  wirkte,  geleistet  hat,  wird  in  einem  anderen  Zu- 
sammenhang darzulegen   sein, 

Maupertuis  hatte  eine  Vorliebe  für  die  ScliAveizer.  Zwei  Jahre 
vor  Merian  hatte  er  Passavant  berufen,  und  bereits  im  Jahre  1747 
war  Sulzer  durch  seinen  Einfluss  Lehrer  am  Joachimsthalschen  Gym- 
nasium geworden \  Die  Akademie  hat  Jahrzehnte  erlebt,  in  denen 
ihr  die  Schweizer  das  Grepräge  gegeben  haben"  —  in  höherem  Masse 
als  die  Franzosen  — ,  denn  auch  nach  Maupertuis'  Tode  dauerte 
die  Vorliebe  für  sie  beim  Könige  fort.  Sie  \var  nicht  unbegründet, 
und  die  persönlichen  Beziehungen ,  in  die  der  König  zu  Merian  trat, 
bestärkten  sie.  Das  kleine,  ruhmvolle  Land  erzeugte  mehr  Männer 
der  Wissenschaft,  als  es  brauchen  konnte.  Der  Exodus  der  schwei- 
zerischen Gelehrten  ist  im  17.  und  i  8.  Jahrhundert  eine  ebenso  cha- 
rakteristische Erscheinung  wie  das  Reislaufen  der  Landsknechte. 
In  München,  in  Berlin,  in  Holland,  in  London,  Paris  und  Petersburg 
—    überall    traf   man    schweizerische    Professoren'.      Ihre    Eigenart 


^  Von  Sulzer  ist  zuerst  in  einem  Brief  des  Königs  an  Maupertuis  vom 
16.  August  1747  die  Rede;  man  ersieht  hier,  dass  dieser  auf  ihn  aufmerksam  gemacht 
hat.  Der  König  bezweifelt,  ob  Sulzer  sich  entschliessen  wird,  »seine  algebraischen 
Gleichungen  in  Berlin  zu  etabliren«.  Doch  noch  in  demselben  Jahr  kam  ei-  an  das 
Joachimsthalsche  Gjannasium;  auch  Euler  hatte  ihn  empfohlen.  Es  war  ihm  die 
Aufnahme  in  die  Akademie  versprochen  worden.  Allein  bald  wandten  sich  Maupertuis 
und  Euler  von  ihm  ab,  weil  er  Wolffianer  und  Anhänger  der  Monadenlehre  war, 
und  es  bedurfte  des  Einflusses  des  Leibarztes  Eller,  um  seine  Aufnahme  zu  be- 
wirken (1750).  In  dem  König -MAUPERTUis'schen  Streit  verdarb  es  Sulzer  vollends 
mit  diesem,  so  dass  er,  so  lange  Maupertuis  Präsident  war,  keine  Pension  erhielt 
(Sulzer,  Lebensbeschreibung,  von  ihm  selbst  aufgesetzt,  herausgegeben  von  Merian 
und  Nicolai.     Berlin  1809). 

^  Beguelin,  Bernoulli,  de  Catt,  Euler,  Labibert,  Merian,  Passavant, 
Sulzer,  Weguelin  waren  Schweizer;  auch  Castillon,  obgleich  Italiener  von  Geburt, 
darf  man  als  halben  Schweizer  zählen. 

^  Nach  einer  Statistik  Condolle's  (Hist.  des  Sciences  et  des  Savants  depuis 
deux  siecles.  1873  p.  186)  stellte  von  etwa  1750  bis  etwa  1850  die  Schweiz  das  i-elativ 
grösste  Contingent  zu  den  auswärtigen  und  correspondirenden  INIitgliedern  der  Berliner, 
Pariser  und  Londoner  Akademieen.  Zwischen  den  Franzosen  und  den  Schweizern 
in  der  Akademie  muss  nicht  selten  ein  Gegensatz  bestanden  haben;  besonders  Formet 
Jiasste  die  Schweizer  und  hat  in  seinen  Souvenirs  I  p.  153  f.,  als  kaum  Einer  sich 
mehr  vertheidigen  konnte,  empörende  Anklagen  auf  Spiondienste ,  die  sie  dem  Könige 
geleistet  hätten,  wider  sie  ausgesprochen.  Ausserdem  zeigen  die  bösen  Worte: 
»Ces  academiciens  suisses  —  (|ui  ont  eu  diverses  destinees  pi'opres  a  les  avilir«, 
welches  Gift  der  alte  Secretar  bis  zum  Jahre  1789  in  sich  gegen  sie  aufgespeichert 
hat.     Über   die  Bevorzugung   der  Schweizer  vergl.  Denina,   Essai   sur  la  vie   et  le 


328    Gescbiclite  der  Akndeiuie    unter  Friedrich    dem  Grossen  (174(5— 1786). 

schmiegte  sicli  dem  Geist  des  1 8 .  Jahrhunderts  besonders  an:  alle 
waren  sie  kosmopolitisch  gesinnt,  alle  zweisprachig;  sie  brachten 
aus  Zürich  und  Basel  eine  tüchtige  Bildung  mit  und  die  Traditionen 
des  fleissigen  und  bücherschreibenden  Gelehrten.  Dazu  zeichnete 
sie  eine  leichte,  populäre  Formgebung  aus.  Speciell  aber  für  die 
deutsche  Litteratur  war  Zürich  durch  Bodmer  und  Breitinger  ein 
Mittelpunkt  geworden  und  hatte  Leipzig  besiegt.  Wie  hätte  ein  König, 
der  eine  französische  Akademie  in  und  für  Preussen  aufrichtete,  an 
den  Schweizern  vorübergehen  können ,  und  wie  begreiflich  ist  es, 
dass  Maupertuis  nach  ihnen  Umschau  hielt! 

In  Passavant  hatte  er  sich  freilich  getäuscht.  Die  kleine  tragi- 
komische Episode  ist  erst  jüngst  bekannt  geworden\  Im  April  1750 
schrieb  Maupertuis  dem  Könige  einen  höchst  erregten  Brief,  Herr 
Passavant  aus  Basel  habe  in  den  zwei  Jahren,  seitdem  er  Mitglied  der 
Akademie  sei,  die  stärksten  Proben  der  Sorglosigkeit  und  Faulheit 
gegeben,  nun  aber  habe  er  gar  eine  Hauslehrerstelle  bei  Mad.  von 
FuLMAiER  angenommen:  »Comme  cette  place  non-seulement  le  met 
encore  plus  hors  d'etat  de  travailler  poiir  l'Academie,  mais  degrade 
et  avilit  Tacademicien,  je  crois  qu'il  conviendrait  d'en  faire  un  exemple 
et  de  priver  de  sa  pension  le  Sieur  Passavant;  j'attends  l'ordre  de 
Votre  Majeste   sur  cela«. 

Passavant  mag  ganz  untauglich  gewesen  sein,  aber  der  Zorn 
Maupertuis'  entsprang  seiner  Eitelkeit:  mit  einem  Hauslehrer  wollte 
er  nicht  zusammensitzen.  Der  König  verstand  ihn  vollkommen;  er 
Hess  ihn  gewähren  und  opferte  ihm  den  armen  Passavant,  aber  in 
folgenden  ironischen  Worten: 

"Cela  depend  du  bon  j)laisir  et  des  lumieres  superieures  de  Isl.  le  President. 
Quant  ä  moi  son  fidele  academicien,  je  l'assure  que  je  n'ai  Jamals  oui  nominer  mon 
confrere  Passavant  et  que  dans  mon  petit  particulier  je  suis  ti-es-humilie  de  Taffront 
qu'il  a  fait  a  votre  Academie.  Pour  ne  point  meriter  pareil  traitement  de  votre 
part,  je  vous  promets  de  ti'availler  pour  votre  seance  du  mois  de  mal  et  de  ne 
Jamals  me  faire  precepteur  de  cjuelque  jeune  hoinme  que  ce  puisse  etre. 

Frederic.« 

Maupertuis  verstand  in  seinem  blinden  Eifer  diese  Zurecht- 
weisung nicht,  sondern  schrieb  umgehend  an  die  Akademie,  der 
König  erkläre  Passavant's  Stelle  für  vacant,  da  er  ein  Amt  ül)er- 
nommen  habe,  das  mit  der  Stellung  eines  Akademikers  unverträglich 


regne  de  Frederic  II  (1788)  p.  239.  Als  1752  eine  Stelle  für  deutsche  Beredtsainkeit 
und  Poesie  am  Joaclnmstlialschen  Gj'innasium  begründet  wei'den  sollte,  schien  es 
SfLZER  selbstverständhch ,  dass  ein  Schweizer  berufen  werde  (s.  L.  Hirzel.  Wieland 
und  KÜNZLi,    1891   S.  53). 

^    Siehe  Urkundenband  Nr.  169.    6.   7. 


Passavaxt.     La  Mettrie.  H21) 

sei.  Passavant  erhob  keine  Einwendung,  wolil  aber  Mad.  von  Ful- 
MAiER,  hinter  die  er  sich  gesteckt  haben  mag.  Sie  wandte  sich  mit  der 
Bitte  an  die  Akademie,  dass  Passavant  in  ihrem  Hause  unterricliten 
und  doch  seinen  akademischen  Gehalt  fortbeziehen  dürfe.  In  lieUer 
Entrüstung  brachte  Maupertuis  dieses  Ansinnen  der  Dame  vor  (h'n 
König.  »Wollten  wir  solche  Dinge  billigen,  dann  würde  erstens 
jedes  neue  Mitglied  sofort  eine  Erzieherstelle  nebenher  übernehmen, 
\md  wir  könnten  zweitens  nicht  mehr  erwarten,  dass  angesehene 
Männer  auf  den  Titel  eines  Akademikers  stolz  wären,  wenn  wir  in 
unsrer  Mitte  Domestiken  hätten.« 

Diesmal  gab  der  König  dem  Präsidenten  eine  kürzere  Zurecht- 
weisung: «Que  fait  ä  vous  et  a  moi  Madame  de  Fulmaier?«  Da- 
mit endete  diese  Correspondenz ;  aber  bei  Passavant's  Ausschliessung 
blieb  es. 

Nicht  nur  mit  Passavant  und  Grischow  jun.,  sondern  auch 
mit  Becmann  und  Battier  —  jener  arbeitete  wenig  mit,  dieser  trat 
bald  zu  den  Herrnhutern  über  und  verliess  die  Akademie  —  hatte 
Maupertuis  kein  Glück :  d'Arnaud  kam  als  wirkliches  Mitglied  nicht 
in  Betracht:  so  blieben  unter  den  neugewählten  (bis  1751)  neben 
Meckel  nur  die  drei  Schweizer  Beguelin,  Merian  und  Sulzer,  von 
denen  sich  etwas  erwarten  Hess.  La  Mettrie,  der  auf  Befehl  des 
Königs  am  4.  Juli  1748  aufgenommen  worden  war,  schrieb  nichts  für 
die  Akademie,  und  diese  hätte  sich  auch  für  seine  Mitarbeit  bedankt. 
Sie  war  entrüstet  über  diese  Aufnahme,  zu  der  Maupertuis  der 
Lokalpatriotismus  \  den  König  das  unbedingte  Eintreten  für  alle 
verfolgten  »Philosophen«  verleitet  hatte.  Drei  Jahre  hat  dieser 
gescheite,  aber  völlig  haltlose  Mann,  der  den  Materialismus  nur 
compromittirte ,  als  geistreicher  Causeur  —  von  seiner  Philosophie 
wollte  der  König  selbst  nichts  wissen  —  in  Potsdam  als  Vorleser 
Friedrich's  zugebracht.  »II  etait  gai,  bon  diable,  bon  medecin,  et 
tres-mauvais  auteur;  mais,  en  ne  lisant  pas  ses  livres,  il  y  avait 
moyen   d'en   etre  tres- content"'.« 


^  Unter  den  auswärtigen  Mitgliedei-n  der-  Akademie  findet  man  auch  einen 
Herrn  Trublet,  Canonicus  zu  St.  Malo  (8.  Mai  1749),  der  seine  Aufnahme  wohl 
auch  nur  dem  glückUchen  Umstände  verdankt,  dass  er,  wie  Maupertuis,  Bürger 
von  St.  ^lalo   war. 

^  QiuvresT.27,  I  p.  203(21.  November  1751).  Büschixg,  Charakter  Friedrich]!. 
2.Ausg.  S.  74,  nennt  ihn  einen  schlechten  Arzt,  aber  einen  guten  IVinker,  einen 
Erzspötter  der  Religion  und  einen  Nai-ren.  Dass  der  König  La  Mettrie  nur  an- 
fangs um  sich  gehabt  und  später  gar  nicht  mehr  gesehen  habe,  behauptet  Krause 
in  einem  Brief  an   Gleim  etwa  1750  (bei  Geiger,  Berlin  I  vS.484). 


330     Cicsoliiclite  (lei-  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (174t!— 1786). 

FoRMEY  griff  im  Interesse  der  Akademie  in  Zeitscliriften  die 
Lehre  La  Mettrie's  an  und  behauptet,  dieser  habe  ihm  das  übel 
genommen  und  ihn  beim  Könige  als  intoleranten  Theologen  und 
verunglückten  Philosophen  angeschwärzt.  Ob  dem  so  ist,  weiss 
man  nicht;  aber  es  ist  höchst  wahrscheinlich,  dass  der  König  mit 
der  Haltung  Formey's  nicht  zufrieden  war.  Nach  dem  plötzlichen 
Tode  La  Mettrie's  beschloss  er,  die  Theologen  Europas  durch  ein 
Eloge  auf  den  Mann  in  Schrecken  zu  setzen.  Das  Eloge  wurde 
wirklich  in  der  öffentlichen  Sitzung  vom  Januar  1752  verlesen,  aber, 
wie  FoRMEY  behaiq^tet,  mit  tödtlichem  Schweigen  aufgenommen  \ 
In  der  That  fühlte  sicli  die  Akademie,  die  diesen  Collegen  hatte 
dulden  müssen,  durch  die  Lobrede  noch  mehr  gekränkt;  aber  auch 
Friedrich  gereicht  dieser  Act  der  Pietät  gegen  den  zuchtlosen  Lit- 
teraten nicht  zum  Ruhme  und  trübte  eine  Zeit  lang  das  Urtheil 
über  seine  eigene  Weltanschauung^. 

Wir  besitzen  für  das  Jahr  1749  eine  Schilderung  einiger  nam- 
hafter Akademiker  aus  der  Feder  Büsching's'',  der  damals  einen 
Besuch  in  Berlin  gemacht  hat.  Da  der  Bericht  manche  charakte- 
ristische Züge  enthält,   so  mag  er  hier  eine  Stelle  finden: 

Von  den  damaligen  hiesigen  Gelehrten  besuchte  ich  folgende,  die  ich  in 
alphabetischer  Ordnung  nenne:  der  Kirchenrath  D.  Jacob  Elsner  schien  von  der 
Vortrefflichkeit  seiner  eigenen  gelehrten  Ai-beiten  sehr  überzeuget  zu  sein,  aber 
anderer  Gelehrten  Arbeiten  nicht  unparteiisch  zu  beurtheilen.  Mir  machte  er  das 
Compliment,  dass  meine  Einleitung  in  Paulus'  Brief  an  die  Philipper  nicht  viel  Neues 
enthalte.  Ich  gab  dieses  zu,  sagte  aber,  er  werde  doch  gestehen,  dass  mehr  Neues 
in  derselben  sei,  als  in  seiner  Einleitung  in  diesen  Brief,  die  er  seiner  Erklärung 
desselben  vorgesetzet  habe.  Von  dem  Augenblick  an  war  er  sehr  höflicli  gegen 
mich.  .  .  .  Leonhard  I{]uler  ist  nicht,  wie  die  grossen  Algebraisten  zu  sein  pflegen, 
ein  finsterer  Kopf  und  im  Umgang  beschwerlicher  Mann ,  sondern  munter  und  leb- 
haft (insonderheit  vmter  Bekannten),  und  obgleich  sein  verlorenes  rechtes  Auge 
etwas  ekelhaft  aussiebet,  so  gewöhnet  man  sich  doch  bald  daran  und  findet  sein 
Gesicht  angenehm.    Die  Akademiker  Augustin  Nath.  Grischow  (der  ein  paar  Jahre 


^    Souvenirs  I  p.  iiöft". 

-  Er  hat  später  La  Mettrie  völlig  preisgegeben,  als  die  Materialisten  nicht 
mehr  die  Verfolgten  waren,  sondern  eine  gefährliche  Macht  bedeuteten,  der  er  zu 
begegnen  für  noth^vendig  hielt.  Abei'  aucli  dann  fühlt  man  noch ,  dass  es  ihm  schwer 
fiel,  den  Mann  zu  opfern,  den  er  einst  aus  den  Händen  der  Priester  gerissen  hatte. 
»J'ai  ete  oblige«,  schreibt  er  an  d'Argens  (12.  November  1761,  Qiluvres  T.  19  p. 264), 
»d'a-bandonner  La  Mettrie;  c'est  un  enfant  perdu,  qu'il  m'a  fallu  sacrifier  dans  le 
combat;  niais ,  s'il  est  devenu  vme  victime  necessaire,  j'ai  bien  arrose  son  tombeau 
du  sang  des  theologiens,  et  j'espere  qu'a  favenir  on  ne  dira  plus  qu'on  peut  juger 
de  la  fagon  de  penser  du  Philosophe  de  Sans-Souci  et  des  gens  de  lettres  qui  l'ap- 
prochent  par  les  ouvrages  du  medecin  La  Mettrie •<.  Über  das  Aufsehen ,  welches 
Friedrich's  dem  Schriftsteller  huldigendes  Eloge  gemacht  hat,  s.  Denina,  Essai  p.98. 

^    Beiträge  z.  d.  Lebensgesch.  denkwürdiger  Personen  ö.Theil  (1789)  S.  i38f[". 


Büsciiixg's  Schilderung  einiger  Akademiker  (1749).  331 

liernacli  an  die  Akademie  zu  St.  Petersburg  berufen  \vui"de)  und  Jon.  Kiess  zeigten 
mir  die  Sternwarte  mit  ihren  "Werkzeugen ,  deren  genaue  Richtigkeit  sie  rühmten, 
und  unter  denen  auch  der  parisische  Quadrant  war,  den  der  Präsident  vox  Mau- 
PERTUis  in  Lappland  gebraucht  hatte.  Der  Anblick  der  Stadt  vom  Altan  dieses 
Gebäudes  ist  ungemein  angenehm.  In  der  Bibliothek  der  Akademie ,  die  eben  offen 
stand,  traf  ich  ausser  dem  Bibliothekar  Wagner  den  französischen  Prediger  Pelloutier 
an.  Die  Bibliothek  war  nicht  gross,  aber  schön,  und  enthielt  die  besten  und  meisten 
mathematischen  und  physikalischen  Bücher,  auch  die  Scriptores  medii  aevi  und, 
wie  man  sagt,  alle  periodische  litterarische  Schriften  vollständig.  [Folgen  Be- 
merkungen über  den  Prediger  J.  J.  Hecker,  die  drei  Rectoren  J.  Phil.  Heixius, 
G.  Fried.  Küster  und  Joh.  Jag.  Wipfel  und  über  den  Inspector  Ulr.  Chr.  Köpfen; 
von  Heinius  heisst  es:  »er  hat  in  der  gründlichen  Gelehrsamkeit  den  Vorzug  vor 
den  beiden  anderen  Rectoren«].  Der  berühmte  Dr.  Nath.  Lieberkühn  hat  ein  vor- 
treffliches Cabinet  von  anatomischen  Präparaten,  die  er  selbst  mit  unbeschreiblicher 
INIühe  imd  Geduld  verfertiget  hat.  Er  zeigte  ein  Stück  von  einem  Darm ,  mit 
welchem  er  es  dreihundert  mal  versuchet  hat,  ehe  es  ihm  gelingen  wollen,  und 
jeder  Versuch  hat  ihm  einen  Gulden  gekostet.  Der  Herzog  von  Braunschweig  hat 
ihm  das  ganze  Cabinet  für  das  Carolinum  abkaufen.  Lieberkühn  al)er  20000  Thlr. 
dafür  haben  wollen ,  die  der  Herzog  daran  zu  wenden  sich  nicht  entschliessen 
können.  Es  sind  Stücke  darin,  die  sich  den  blossen  Augen  kaum,  und  als  kleine 
graue  Klümpchen,  zeigen;  wenn  man  sie  aber  durch  ein  Vergrösserungsglas  be- 
trachtet, so  erblicket  man  nicht  niu-  unzählige  Adern,  sondern  es  sind  auch  die 
\'enae  und  Arteriae  durch  verschiedene  Farben  des  eingespritzten  Wachses  kennt- 
lich gemacht  worden.  Die  mathematischen  und  physikalischen  Erklärungen,  die 
er  von  einzelnen  Dingen  machte,  waren  sehr  gründlich  und  einleuchtend.  Sein 
Microscopium  solare  ist  eine  bewunderungswürdige  Erfindung.  Er  leistet  viel  in 
den  mechanischen  und  optischen  Wissenschaften ,  wie  seine  erfundene  Werkzeuge 
beweisen.  [Folgen  Bemerkungen  über  den  Prediger  Joh.  Ernst  Müller,  den  Hof- 
pi'ediger  A,  F.  W.  Sack  —  er  wird  sehr  gerühmt;  »von  ihm  habe  ich  erfahren, 
dass  die  Verfasser  der  Berlinischen  Bibliothek  lauter  geschickte  Candidaten  sind, 
einen  jNIitarbeiter  ausgenommen,  der  ein  Prediger  ist«  — ,  J.  J.  Spalding:  Von 
dem  Dr.  de  la  Mettrie,  Verfasser  der  Schrift  »L'homme  machine«,  sagte  er,  »der 
Verstand  desselben  sei  beständig  am  hitzigen  Fieber  krank«,  und  Joh.  Georg  Sucro]. 
Es  scheinet,  dass  Jon.  Georg  Sulzer,  Prof.  beim  joachimsthalschen  Gymnasium,  die 
Theologie  fast  ganz  bei  Seite  setzet  und  seinen  Kopf  und  Fleiss  ganz  der  Philosophie 
und  Mathematik  widmet.  Als  ich  zu  ihm  kam ,  unterhielt  er  sich  mit  einem  rei- 
senden Schweizer  fast  zu  lustig,  welches  dem  Begriffe  nicht  gemäss  war,  den  ich 
mir  aus  seinen  Unterredungen  von  den  Schönheiten  der  Natur  von  ihm  gemacht 
hatte;  ich  sähe  aber  wohl,  dass  sein  Landsmann  dazu  veranlassete.  Der  Consist.- 
Rath  und  Probst  bei  der  Peterskirche,  Jon.  Peter  Süssmilch,  ist  ein  Mann  von 
vielen  Kenntnissen  und  gastfrei;  man  erzählet  aber  in  Gesellschaften  viel  von  seinen 
Anmaassungen  in  Consistorialsachen ,  dessen  Wahrheit  ich  nicht  untersuchen  kann. 
[f\)lgt  eine  Bemerkung  über  den  gelehrten  und  klugen,  aber  als  Skeptiker  höchst 
gefährlichen  Geh.  Rath  Joh.  Gotthilf  Vockerodt].  Süssmilch  sammlete  eine  be- 
trächtliche Bibliothek. 

2. 

Während  das  Eloge  auf  La  Mettkie  die  Akademie  zwar  peinlich 
horührte,  aber  ihren  Frieden  nicht  störte,  war  bereits  eine  andere 
Action  im  Gange,   die  sie  auf's  Tiefste   erregte  —  der  grosse  Streit 


BH2     (icscliirlite   der   Akademie   unter  Fkiedrich   dem   Grossen   (174()— 178(5). 

ZAviscIlcn  S.  König  und  Maupertuis,  in  welchen  erst  sie  selbst,  dann 
Voltaire,  dann  der  Monarch ^  eingriffen,  und  der  mit  einer  Niederlage 
aller  Acteure  endigte.  Aber  Friedrich's  Gerechtigkeit  und  Edelsinn 
triuniphirte,  und  ein  Gewinn  Avar  es,  dass  er  den  Mann  los  wurde, 
dessen  Gegenwart  er  nur  zu  lange  geduldet  hatte: 

Nur  Kleinheit  sollte  hier  sich  ängstlich  fühlen, 
Der  Neid,  der  sich  zu  seiner  Schande  zeigt; 
Wie  keiner  Spinne  schmutziges  Gewebe 
An  diesen  Marmorwänden  haften  soll. 

Die  Geschichte  aufs  Neue  zu  erzählen,  ist  unerfreulich;  aber  sie  darf 
hier  nicht  übergangen  werden'. 

Samuel  König  (geb.  i  7  i  2  in  Büdingen) ,  ein  hervorragender  Ma- 
thematiker, stand  vom  Haag  aus,  wo  er  als  Professor  lebte,  in  litte- 
rarischen Beziehungen  zu  den  besten  Gelehrten  seines  Fachs.  Bereits 
im  Jahre  1740  war  er  Correspondent  der  Pariser  und  1749  aus- 
wärtiges Mitglied  der  Berliner  Akademie  geworden.  Er  verdankte 
diese  Auszeichmmgen  seinen  trefflichen  Untersuchungen  zur  mecha- 
nischen Principienlehre  und  der  Werthschätzung  Maupertuis'.  Die 
Briefe  König's  an  ihn,  die  jüngst  veröffentlicht  worden  sind,  zeigen 
bis  zum  Ende  des  Jahres  1750  das  beste  Einvernehmen  und  resj^ect- 
voll  bewundernde  Freundschaft  von  Seiten  König's;  sie  erweisen  bis 
zum  letzten  Blatt  seine  ehrenhafte  Gesinnung.  Noch  im  November 
1750  schickte  er  eine  Abhandlung  für  die  Berliner  Memoires  ein, 
die  Maupertuis  drucken  liess"\  In  den  Schreiben,  die  sie  begleiteten, 
durfte  er  es  wagen,  dem  Präsidenten  den  Franzosen  de  Premontval, 
der  mittellos  umherirrte,  zur  Aufnahme  in  die  Akademie  dringend 
zu  empfehlen*.     Nichts  deutet  daraufhin,   dass  ein  Zwist  zwischen 


'  Er  hat  es  später  bereut,  sich  in  diese  litterarischen  Kämpfe  und  in  den 
Streit  Maupkrtuis"  mit  Voltaire  eingemischt  zu  haben. 

^  Zuletzt  haben  du  Bois-Reymond  und  Diei.s  ihren  Verlauf  ausführlich  dar- 
gelegt (Sitzungsberichte,  2.  Mai  1892  und  27.  Januar  1898.  Der  Verdacht,  den  Jener 
gegen  König  S.420  erhebt,  ist  meines  Erachtens  durch  nichts  gerechtfertigt).  Eine 
kürzere  Darstellung  giebt  Koser,  a.  a.  O.  S.  514  ff.  Zu  dem  bisher  bekannten  Materiale 
—  s.  v(jr  allem  Mein.  1750  (hrsg.  1752)  ]).52  ff.  —  sind  die  Briefe  von  König  an  Mau- 
PERTHis  und  Formf':y  hinzugekommen,  die  Le  Sueur  p.  106  ff.  veröffentlicht  hat  (die 
Briefe  Nr.  11  und  12  sind  vom  Jahre  1752  und  nicht,  wie  Le  Sueur  gedruckt  hat,  vom 
Jahre  1751).  Ausserdem  sind  in  den  Akademischen  Protokollen  einige  einschlagende 
Briefe  in  Abschrift  mitgetheilt,  unter  ihnen  auch  der  von  Le  Sueur  p.  134  ff.  ge- 
druckte wichtige  Brief  König's  Nr.  14  vom  10.  December  und  die  dort  fehlende  Ant- 
wort Maupertuis'  vom  23.  December  1751    (abgedruckt  im  Urkundenband  Nr.  1700). 

^    Sie  erschien  im  Jahrgang  1749,  der  1 751  ausgegeben  worden  ist. 

*  Premon-j'val  siedelte  nach  Berlin  über  und  wurde  im  Sommer  1752  wirklicli 
in  die  Akademie  aufgenommen. 


Der  Streit  ]\Iai"pertuis'   und   Kömg's   ( IT.jl/ö'J).  oHH 

ihnen  ausbrechen  sollte'.  König  war  ein  Bewunderer  LEiBxizens 
und  als  Philosoph  ein  Schüler  und  Verehrer  Wolff's.  Gerade  da- 
mals wurde  der  Streit  über  die  Monadenlehre  auf's  Heftigste  geführt. 
Auch  die  Akademie  war  in  dieser  Frage  in  zwei  feindliche  Heer- 
lager gespalten.  Auf  Wolff's  Seite  standen  Heinius,  Formey,  zu  denen 
Itald  Sulzer  trat;  aber  die  Gegner  Euler,  Maupertuis  und  Merian 
waren  ihnen  überlegen"'.  König's  Eintreten  für  Leibniz  und  Wolff 
musste  bereits  eine  latente  Spannung  zwischen  ihm  und  Maupertuis 
erzeugen^. 

Völlig  arglos  kam  König  im  Winter  1750  51  nach  Berlin.  Er 
brachte  ein  Manuscript  mit,  welches  er  unbefangen  und  »mit  hel- 
vetischem Freimuth^«  Maupertuis  vorlegte  —  ohne  Zweifel,  um  es  in 
den  Memoires  abdrucken  zu  lassen.  Es  enthielt  eine  scharfe,  aber, 
wie  die  Kenner  behaupten ,  wesentlich  richtige  Kritik  eines  grossen 
Principes,  das  Maupertuis  entdeckt  zu  haben  glaubte,  des  »Principe 
de  la  moindre  action«,  d.  h.,  »dass  die  zu  den  in  der  Natur  geschehen- 
den Veränderungen  verwendete  Menge  von  Action  stets  ein  Mini- 
mum sei,  so  dass  man  aus  der  Bedingung  für  das  Minimum  Bahn 
und  Geschwindigkeit  der  bewegten  Masse   eindeutig  erhalte«. 

Es  ist  ein  Beweis  für  die  richtigen  Spuren,  auf  denen  sich 
Maupertuis  in  der  Physik  bewegte,  dass  er  nach  einem  Gesetze 
suchte,  in  welchem  die  Newton'scIic  Theorie  ihre  Krönung  durch 
Erweiterung  empfangen  sollte;  aber  nicht  nur  war  er  zu  oberfläch- 
lich und  voreingenommen  bei  seinen  Beobachtungen  und  zu  hastig 
in  seinen  Beweisen,  sondern  auch  hier  spielten  ihm  sein  Ehrgeiz 
und  seine  Ruhmsucht  die  schlimmsten  Streiche.  Er  wollte  etwas 
entdeckt  haben,  was  allen  Wissenschaften  zugleich  zu  Gute  komme, 
ja  sie  neu  begründe.  Darum  zog  er  ausschweifende  Consequenzen 
und  verkündigte  dazu,   in   seinem  »Princip«  den  einzigen  haltbaren 


^  Dass  auch  ^Maupertuis  noch  im  Spätherbst  1750  König  freundlich  gesinnt 
war,  geht  daraus  hervor,  dass  er  durch  ihn  seine  Werke  dein  Prinzen  von  Oranien 
hat  überreichen  lassen  (Brief  des  Prinzen  an  Maupertuis  im  Geh.  Staatsarchiv  vom 
30.  October  1750). 

'^  Bis  zum  Könige  drang  der  Streit,  s.  den  Brief  an  Voltaire  vom  Jahre  1752 
(CEuvres  T.  22  p.  298). 

^  König  war  einige  Jahre  früher  auch  in  Cirey  bei  der  Marquise  vox  Chatelet 
und  Voltaire  gewesen  und  hatte  die  hervorragende  Frau  in  der  WoLrr'schen  Philo- 
sophie und  in  der  Mathematik  unterrichtet.  Fortdauernde  Beziehungen  zu  Voltaire 
hatten  sich  daraus  aber  nicht  entwickelt,  im  Gegentheil  —  König  nimmt,  wie  ein 
Brief  von  ihm  erweist  (Le  Sueur  p.  142),  an,  dass  Voltaire  ihm  ungünstig  ge- 
sinnt sei. 

*    Siehe  P'ormey  im  Eloge    auf  jNIaupertuis,    Mein.  1759  (hrsg.  1766)   p.  498. 


H34    Geschichte  der  Ak;i(h'niie  unter  Fhikdricii   dem  Grossen  (174()  — 178t)). 

Beweis  für  das  Dnsein  Gottes  gefunden   zu    haben;    denn  es   olfen- 
bnre  die  Weisheit  und  Alhnacht  eines  Schöpfers. 

Das  Princip,  wie  Maupertuis  es  fasste,  war  falsch,  die  ge- 
wählten Beispiele  unpassend,  und  die  Beweise,  die  er  nur  so  hin- 
geworfen hatte,  misslungen.  Eben  das  deutete  König  in  seiner 
Abhandlung  an^;  aber  er  zeigte  noch  mehr:  er  wies  nach,  dass, 
soweit  das  Princip  richtig  sei,  es  Leibniz  schon  im  Zusammenhang 
seiner  Untersuchungen  über  die  lebendige  Kraft  und  ihre  Erhaltung 
entdeckt  und  in  einem  Briefe  an  Jacob  Hermann  im  Jahre  1707 
ausgesprochen  liabe^.  Das  betreffende  Bruchstück  dieses  Briefes 
legte  er  seiner  Abhandlung  bei.  Natürlich  war  er  weit  davon  ent- 
fernt, Maupertuis  des  Plagiats  zu  beschuldigen;  er  hoffte  sogar, 
diesen  sich  auf's  Neue  zu  verbinden,  indem  er  auf  seine  Ideen 
einging,  sie  freilich  auch  kritisirte,  aber  damit  die  Discussion  in 
Fluss  brachte.  Was  das  Zusammentreffen  Maupertuis'  mit  Leibniz 
betriff't,  so  meinte  er,  »que  cette  rencontre  avec  un  tres  grand  homme 
ne  peut  etre  que  fort  honorable«.  Um  aber  alle  Rücksicht  zu 
nehmen,  überliess  er  es  Maupertuis,  indem  er  ihn  das  Manuscript 
zu  lesen  bat,  darüber  zu  entscheiden,  ob  es  gedruckt  werden  solle. 
Dieser,  bereits  durch  den  Gedanken  eines  Widerspruchs  beleidigt, 
gab  König  die  Abhandlung  ungelesen  zurück  mit  der  Bemerkung, 
er  solle  sie  nur  drucken  lassen.  So  geschah  es;  sie  erschien  im 
Märzheft  1751    der  Leipziger  Nova  Acta  Eruditorum. 

Maupertuis  war  ausser  sich,  als  er  sie  gelesen  hatte.  Sein 
ganzer  Stolz  bäumte  sich  auf  In  krankhafter  Verblendung  sah  er 
vor  allem  darin  das  grösste  Attentat  auf  seine  wissenschaftliche 
Majestät,  dass  sein  « Princip«  bereits  von  Leibniz  ausgesprochen  sein 
sollte.  Er  richtete  an  König  ein  Schreiben,  in  welchem  er  erklärte, 
in  den  gedruckten  Leibniz -Briefen  nichts  von  seinem  Principe  linden 


^  Sehr  bald  nach  König  hat  der  Graf  d'Arcy  die  Unhaltbarkeit  des  Mau- 
i'ERTuis"schen  Princips  nachgewiesen,  welches  erst  in  Eüler's  Behandlung  discutabel 
wurde.     Aber  einen  allgemeinen  Beweis  hat  auch  er  nicht  zu  geben  vermocht. 

-  Über  das  Princip  vergl.  Adolf  Mayer,  Geschichte  des  Princips  der  kleinsten 
Action.  Akademisclie  Antrittsvorlesung  1877;  von  Helmholtz,  Zur  Geschichte  des 
Princips  dei"  kleinsten  Action  (Sitzungsberichte  10.  März  1887,  S.  225f.,  10.  ]März 
1892  S.  459  ff.,  vergl.  dazu  die  im  Urkundenband  Nr.  170 /v  zum  ersten  Male  publi- 
cirte  akademische  Rede  von  Helmholtz  "Über  die  Entdeckungsgeschichte  des  Prin- 
cips der  kleinsten  Action«);  du  Bois-Reymond,  a.a.O.  S.  418  ff.  Lagrange  hat 
bereits  im  Jahre  1760  das  Pi'incip  so  gestaltet,  dass  es  nach  Jacobi's  Ausspruch  in 
seinen  Händen  die  Mutter  der  heutigen  analytischen  Mechanik  geworden  ist.  Nach 
ihm  haben  Hamilton.  Jacobi,  Nel'jiann  und  von  Helmholtz  es  ausgedehnt,  und 
namentlich    der  Letztere    hat    es    auf  neue  Gebiete  von  Erscheinungen  angewendet. 


Der  Streit  JMaupertuis'  und  Köxiü"s  {17ö\/')'2}.  oöD 

ZU  können,  König  solle  daher  das  Original  jenes  angeblichen  Schrei- 
hens  an  Hermann  vorlegen ;  er  drohte  zugleich  mit  einer  öffentlichen 
Antwort.  König  schrieb  zurück,  dass  er  einer  weiteren  Discussion 
mit  Freuden  entgegensehe,  dass  er  aber  das  Original  jenes  Briefes 
in  seiner  Sammlung  von  Leil)niziana  nicht  besitze,  sondern  nur 
eine  Copie;  seine  Abschriften  von  LEiBNiz-Briefen  seien  aus  der  Samm- 
lung des  Schweizer  Capitäns  Samuel  Henzi^;  er  sei  übrigens  gern 
bereit,  selbst  Nachforschungen  in  der  Schweiz  über  den  Verbleib 
der  Originale   anzustellen  (Juni  und  Juli  1751). 

Mehr  konnte  er  nicht  thun ;  aber  Maüpertuis  genügte  das  nicht. 
Er  veranlasste  vielmehr  die  Akademie,  die  Sache  ihres  Präsidenten 
zu  ihrer  eigenen  zu  machen  und  durch  ein  officielles  Schreiben  an 
König  die  Forderung  zu  stellen ,  binnen  vier  Wochen  den  fraglichen 
LEiBNiz-Brief  vorzulegen  (y.October).  Ein  unerhörtes  Ansinnen,  wel- 
ches indirect  die  schwerste  Beleidigung  für  König  enthielt!  Zugleich 
richtete  man  Briefe  nach  Bern  und  bat  Nachforschungen  zu  halten, 
ja  Friedrich  selbst  liess  Schreiben  an  die  Berner  Regierung  ergehen. 
Als  König  nach  acht  Wochen  noch  nicht  geantwortet  hatte  —  weil 
er  sich  bemühte,  das  Original  ausfindig  zu  machen  ■ — ,  wiederholte 
die  Akademie  ihre  Aufforderung  an  ihn  noch  dringlicher. 

Das  gesuchte  Schreiben  wurde  nicht  gefunden ;  Maüpertuis 
theilte  in  der  Sitzung  vom  23.  December  1751  der  Akademie  sehr 
befriedigt  mit,  dass  auch  die  vom  Monarchen  veranlassten  Nach- 
forschungen vergeblich  gewesen  seien.  Kurz  vorher  aber  hatte 
König  sowohl  Maüpertuis  (10.  December)  als  der  Akademie  (18.  De- 
cember) geantwortet.  Man  kann  nichts  Ruhigeres  und  Würdigeres 
lesen  als  diese  Briefe.  Sie  mussten  auch  in  den  Gegnern  die  sichere 
Überzeugung  erwecken,  dass  König  in  reinster  Absicht  und  mit 
gutem  Gewissen  gehandelt  hatte.  Der  Brief  an  Maüpertuis  w^ar 
ausserdem  in  W^orten  einer  ungeheuchelten  Verehrung  abgefasst, 
erklärte,  was  zu  erklären  war,  bedauerte  herzlich  die  Missverständ- 
nisse und  autorisirte  den  Präsidenten  überdiess,  öffentlichen  Gebrauch 
von   diesen  Zeilen  zu  machen. 

Maüpertuis  war  nicht  im  Stande,  für  seine  Person  nach  diesem 
Briefe  den  Streit  fortzusetzen;  aber,  unversöhnlich  wie  er  war,  ver- 
anlasste  er  zum   zweiten  Mal  die  Akademie,   eine  unwürdige  Rolle 


^  Dieser  war  ain  16.  Juli  1749  in  Bern  als  Staatsverbrecher  enthauptet  worden. 
Nach  KÜNZLi's  INIuthmaassung  (L.  Hirzel.  Wieland  und  Künzli  S.59)  vom  Jahre 
1754  wären  die  von  Hexzi  gesammelten  Briefe  an  einen  holländischen  Kaufmarni 
gekonunen. 


38()    Gcscliiclite  der  Akademie  unter  Frikdkich  dein   Grossen  (1746—1786). 

ZU  spielen.  Sie  inusste  an  König  schreiben,  der  Präsident  sei  zwar 
durch  die  Erklärungen  vom  lo.  December  befriedigt,  nicht  aber  die 
Akademie;  denn  die  Hauptsache  sei  unerledigt  geblieben,  der 
LEiBNiz-Brief;  sie  habe  allen  Grund  zu  der  Annahme,  dass  der  Brief 
gefälscht  sei\  Auch  jetzt  noch  blieb  König  ruhig;  er  erklärte  mit 
Recht  in  zwei  Briefen  vom  15.  Februar  1752  (an  Maupertuis  und 
die  Akademie),  dass  die  Haltung  der  Akademie  der  Sachlage  nicht 
entspreche;  er  setzte  noch  einmal  eingehend  seine  reinen  Absichten 
bei  Veröffentlichung  jener  Abhandlung  auseinander  —  »mon  Intention 
ayant  simplement  ete  de  remarquer  en  passant  que  M.  de  Leibniz 
avait  eu  des  idees  fort  etendues  sur  la  dynamique  dont  nous  nous 
trouvions  prives  par  Fentetement  des  premiers  adversaires  des  forces 
vives«  — ,  und  er  wies  die  Gründe  nach,  weshalb  er  an  der  Echt- 
heit des  Briefs  nicht  zweifle.  »Je  Tai  donne  comme  je  l'ai  trouve: 
je  crois  que  la  lettre  est  de  M.  de  Leibniz,  quelqu'un  veut-il 
etre  d"un  autre  sentiment,  cela  ne  doit  point  me  faire  de  la  peine.« 
Friedfertiger  konnte  er  sich  nicht  ausdrücken.  Aber  das  Un- 
glaubliche geschah.  Maupertuis  stellte  am  13.  Aj^ril  in  der  Akademie 
den  förmlichen  Antrag",  sie  solle  in  ihrer  Gesainmtheit  ein  Urtheil 
abgeben  über  die  Echtheit  des  Briefs  (über  die  Thatfrage,  sagte 
Maupertuis  ausdrücklich,  nicht  über  König's  Moral:  ein  solcher  Zusatz 
fehlte  nur  noch!).  Die  Akademie  gehorchte  wiederum  und  erklärte 
feierlich  und  einstimmig  —  doch  war  nur  die  Hälfte  der  Mitglieder 
in  der  Sitzung  erschienen  — ,  der  von  König  mitgetheilte  Brief 
LEiBNizens  an  Hermann  sei  eine  Fälschung,  zu  dem  Zweck  gemacht, 
LEiBNizens  Ruhm  zu  erhöhen  oder  Maupertuis  zu  schaden'^! 


^  "Die  Argumente  der  Soc.  Reg.  Berol.  sind  dumm,  zum  Exempel,  dass 
Leibniz  an  Hermann  nur  lateinisch  geschrieben,  und  der  sei  französisch;  dass  Leibniz 
an  Hermann  nur  alle  halbe  Jahre  geschrieben  imd  der  sei  mitten  inne«  (Künzli, 
Äussei'ung  an  Ring  bei  L.  Hirzel  S.  59). 

^  Kurz  vorher  hatte  König  noch  einmal  an  Maupertuis  geschrieben  und  mit 
wirklicher  Langmuth  versucht,  ihm  die  Zweifel  an  der  Unechtheit  des  Briefs  zu 
nehmen.  Nocli  immer  hoffte  er,  aus  der  Schweiz  das  Original  zu  erhalten.  Dass 
er  Haller  Mittheilung  von  seiner  Correspondenz  mit  Maupertuis  gemacht  hatte 
—  dieser  hatte  auch  das  übel  genommen  — ,  erklärt  er  in  befriedigender  Weise. 
Ül)erhaupt  ist  König  in  allen  seinen  Briefen  an  Maupertuis  in  liebenswürdigem 
Entgegenkommen  l)is  an  die  Gi'enze  des  Erlaubten  gegangen. 

^  Im  akademischen  Protokoll  ist  der  Brief  Maupertuis'  an  die  Akademie  und 
der  ominöse  Beschluss  der  Akademie  in  extenso  mitgetheilt.  Es  wird  hier  behauptet, 
dem  von  König  citirten  Brief  LEiBNizens  komme  nicht  einmal  ein  Schatten  von  Auto- 
rität zu.  Ein  officieller  Bericht  über  das  Material,  welches  dem  Beschluss  der 
Akademie  zur  Unterlage  gedient  hat  (ausgearbeitet  von  Euler),  und  über  ihren  Be- 
schluss   findet   sich    auch    in    den  jNIemoires   1750    [erschienen    1752]  p.  52  —  64.      In 


Der  Streit  Matpertuis'  und  Köxio's  (1751/52).  337 

Die  einzige  Entscliuldigung ,  die  die  Akademie  für  diese  er- 
staunliche Erklärimg  hatte,  war  die  Autorität  Euler's.  Dieser  grosse 
Mathematiker  hatte  nicht  nur  in  einem  Memoire,  das  nicht  zu 
seinen  bedeutendsten  Leistungen  gerechnet  wird,  Maupertuis'  Princip, 
allerdings  in  wesentlicher  Umformung,  zu  vertheidigen  gesucht 
(Dissertatio  de  principio  minimae  actionis  una  cum  examine  objectio- 
num  Koenigii),  sondern  er  war  auch  von  der  Unechtheit  des  Leibniz- 
briefs  überzeugt  und  glaubte  Beweise  dafür  zu  besitzen  \  Ohne  Ver- 
ständniss  für  LEiBNizens  Universalität,  von  seiner  Weise  zu  arbeiten 
antipathisch  berührt,  traute  er  ihm  in  der  Mechanik  nichts  Gutes 
zu  und  war  überall  bereit,  gegen  ihn  Partei  zu  nehmen.  Sein 
Memoire  wurde  der  Erklärung  vom  13.  April  zu  Grunde  gelegt, 
und  die  schwachen  Argumente  für  die  Unechtheit  des  Briefs"  - —  als 
ob  das  Fehlen  des  Originals  ernsthaft  in  Betracht  käme  —  für  zu- 
reichend erachtet. 

Jetzt  riss  auch  König  die  Geduld;  er  schickte  der  Akademie 
sein  Diplom  zurück^  und  legte  in  einem  »Appell  gin  das  Publicum« 
diesem  den  ganzen  Handel  vor  —  »ein  bei  aller  Lebhaftigkeit  doch 
nicht  maassloses,  sondern  nach  Inhalt  und  Form  lobenswertlies  Acten- 
stück^«,  dem  der  angeblich  gefälschte  Brief  von  Leibniz  nunmehr 
beilag,  zwar  nicht  urschriftlich,  doch  mit  allen  inneren  Merkmalen 
der  Echtheit.      Ein  Sturm  der  Entrüstung  erhob  sich.     Waren  auch 


der  Sitzung  vom  13.  April  1752  waren  anwesend  die  beiden  Curatoren  von  IvErrn 
imd  VON  Redern,  die  Ehrenmitglieder  von  Marschall  und  von  Cagnony,  die  Di- 
rectoren  Eller,  Heinius  und  Euler,  ferner  Forjiey,  Pelloutier,  Sproegel,  die 
beiden  Ludolff,  GLEDrrscH,  Beausobre,  Meckel,  Sclzer,  Pott,  Küster,  Becmann, 
Kies  und  Merian,  ausserdem  das  auswärtige  INIitglied  Lalande,  dazu  die  Gäste 
Hesse  imd  Hirzel.  Nicht  anwesend  waren  Maupertuis,  d'Argens,  Beguelin, 
[BuDDEUs],  [Carita],  Francheville,  Lieberkühn,  Marggraf,  Hujibert,  die  beiden 
Achard,  von  Jariges,  Sack  und  Süssmilch.  Auf  Euler's  Autorität  hin  erklärte 
man  (p.  62),  dass  das  von  König  verwerthete  Bi-ieffragment  eine  Fälschung  sei, 
«ou  pour  faire  tort  ä  M.  de  Maupertuis,  ou  pour  exagerer,  comme  par  une 
fraude  pieuse,  les  louanges  du  grand  Leibniz,  qui  sans  contredit  n'ont  pas  besoin 
de  ce  secours«.  Jenes  officielle  Actenstück,  in  welchem  der  motivirte  Beschluss 
der  Akademie  publicirt  worden  ist  (Expose  concernant  Texamen  de  la  lettre  de 
Leibniz  u.  s.w.,   Memoires  1 7  50  p.  5  2  ff.),  ist  in  dem  Urkundenband  Nr.  171  abgedruckt. 

^    Siehe  seinen  Brief  an  Maupertuis  vom  31.  März  1752  bei  Le  Sueur  p.  i44f. 

^  Dass  der  Brief  echt  ist,  ist  heute  wohl  anerkannt  (s.  du  Bois-Reymond 
S.  423f.);  nur  das  ist  fraglich,  ob  Hermann  der  Adressat  gewesen  ist  und  nicht 
vielmehr  Varignon;  Letzteres  hat  Gerhardt  (Sitzungsberichte  1898,  23.  Juni)  sehr 
wahrscheinlich  gemacht. 

^  Am  6.  Juli  theilte  das  der  Secretar  der  Akademie  mit;  sie  beschloss,  still- 
schweigend davon  Kenntniss  zu  nehmen. 

*    du  Bois-Rey3iond  S.  425, 

Geschichte  der  Akademie.  1.  22 


338     Gescliiclitc  der  Ak;id(Mni<*.  unter  Fkikdrich   dem   Grossen   ( 174(5  — ITlStj). 

die  Wenigsten  in  der  Streitfrage  selbst  sachkundig  —  um  einzu- 
sehen, dass  der  Präsident  seine  Macht  missbraucht  und  die  Akademie 
sich  unwürdig  gegen  König  benommen  hatte ,  dazu  bedurfte  man 
der  Kenntniss  des  »Princips«  nicht.  Maupertuis'  Sieg  war  in  Wahr- 
heit eine  Niederlage^;  sein  Process  war  vor  der  Akademie  ge- 
wonnen, aber  vor  dem  Forum  Europas  verloren,  und  schon  nach 
wenigen  Monaten  erhielt  der  Streit  ein  Nachspiel,  in  welchem  ein 
unbarmherziges  Gericht  über  den  Präsidenten  erging". 

^  Der  sachliche  Streit  dauerte  noch  bis  zum  Tode  Maupertuis'  fort;  denn 
dieser  hatte  jetzt  für  nichts  mehr  in  der  Welt  Sinn  als  für  das  neue  Princip,  an 
welches  er  seinen  ganzen  Ruhm  geknüpft  sah.  In  der  Sitzung  vom  15.  November  1753 
las  Euler  ein  Memoire  Maupertuis'  gegen  d'Arcy  vor  und  am  7.  Mai  1756  einen  Brief 
und  ein  Memoire  von  Lagrange  über  das  Princip.  Auf  Grund  dieser  Arbeit  wurde 
Lagrange  wenige  Monate  später  zum  auswärtigen  Mitgliede  ernannt.  So  verdankt 
die  Akademie  dem  unglücklichen  Princip  doch  den  Gewinn  eines  grossen  Matiie- 
matikers.  —  Schon  im  März  1753  hatte  König  wieder  ein  versöhnliches  Schreiben 
an  Maupertuis  gerichtet,  voll  Anerkennung  und  Werthschätzung,  und  ihm  in  dem- 
selben versichert,  dass  er  an  den  weiteren  Angriffen  auf  ihn  völlig  unschuldig  sei 
(s.  Le  Sueur  j).  141  ff.).  Auf  die  Seite  des  Präsidenten  trat  auch  Kaestner  in  Leipzig, 
imd  jener  bemühte  sich,  durch  ihn  die  Abhandlung  Euler's  in  die  Leijiziger  Acta 
Eruditorum  zu  bringen. 

^  Dass  eine  Minorität  in  der  Akademie  mit  der  Art,  wie  der  Streit  officiell  ge- 
führt worden  war  (und  besonders  mit  Maupertuis)  ,  höchst  unzufrieden  gewesen  ist, 
lehrt  der  spärliche  Besuch  der  entscheidenden  Sitzung  vom  13.  April  1752  (s.  oben). 
Es  wird  aber  auch  aus  einem  Brief  Sulzer's  an  Künzli  vom  Martinstag  1752  deutlich 
(L.  Hirzel,  Wieland  und  Künzli  S.  5 5 f.):  "Ich  habe  keinen  Antheil  an  dein  Streit, 
obgleich  mein  Name  in  der  Liste  der  Richter  steht;  denn  ich  habe  zu  dem  harten 
Verla lu'en  gegen  Herrn  König  meine  Einwilligung  nicht  gegeben  [aber  aus  dem 
Sitzungsprotokoll  vom  13.  Ajjril  1752  ergiebt  sich,  dass  er  in  der  ominösen  Sitzung- 
anwesend  war,  und  es  heisst  dort  ausdrücklich,  dass  ein  einstimmiger  Beschluss 
erfolgt  sei].  .  .  .  Überhaupt  ist  die  ganze  Sache  ein  Streit  de  lana  caprina,  und 
Maupertuis  glaubt  nur  desswegen  etwas  erfunden  zu  haben,  weil  er  sich  niemalen 
die  Mühe  gegeben  hat  LEisNizens  Sachen  zu  lesen;  denn  das,  was  er  minimum  actionis 
nennt,  ist  offenbar  das,  was  Leibniz  minimam  vim  vivam  nennt.  Ich  glaube  zwar 
wohl,  dass  Maupertuis  sich  für  den  Erfinder  der  Sache  hält,  aber  dass  Euler  die 
Sachen  so  embrouillirt  und  die  vollkommene  Identität  der  beiden  Sachen  nicht  ein- 
sehen will,  wundert  inicli.  Denn  er  giebt  sich  alle  Mühe  von  der  Welt,  eben  das, 
was  Leibniz  entdeckt  hat,  unter  andern  Begriffen  als  neu  vorzutragen.  Überhaupt 
so  gross  er  in  der  Mathesi  ist,  so  ein  schlechter  Philosoph  ist  er.  Indessen  hat 
diese  hässliche  affaire  hier  viel  Händel  gemacht.  Weil  Maupertuis  alle  Gewalt  in 
Händen  hat,  und  man  nicht  sehr  laut  gegen  ihn  reden  darf,  so  ist  die  Verbitte- 
rung im  Geheim  desto  stärker,  und  dieses  thut  der  Academie  grossen  Schaden.  Man 
siehet  die  Parteilichkeit  überall.  Maupertuis  ist  seit  bald  einem  Jahr  stark  an  der 
Lunge  krank.  Er  wird  kaum  davon  kommen.  Man  kann  schwerlich  sagen,  ob  sein 
Tod  für  die  Akademie  gut  oder  schlimm  sein  wird.  Er  hat  als  Präsident  seine 
guten  und  schlimmen  Seiten.  Es  ist  hier  ein  Brief  unter  der  Presse,  den  man  aus 
Potsdam  zu  sein  glaubet  und  sogar  dem  König  zuschreibt,  in  welchem  den  Ge- 
lehrten ihre  Eifersucht  und  ihre  Zänkereien  scharf  verwiesen  werden«.  Ein  lehr- 
reicher Stimmunosbericht  I 


Der  Streit  Maupertuis'  und  Voltaire's  (1752/53).  339 

Seit  dem  Juli  i  750  weilte  Voltaire  als  Gast  des  Königs  in  Sans- 
souci. Es  fehlte  ihm  nichts  zu  einem  amüsanten  Leben;  er  konnte 
sich  ergehen,  wie  er  wollte,  und  täglich  das  Glück  gemessen,  sich 
an  der  Tafel  des  grossen  Königs  bewundern  zu  lassen.  Und  doch 
nagte  an  seiner  Seele  ein  Wurm:  er  war  nur  Gast,  zwar  mit  dem 
Kammerherrnschlüssel  und  dem  Verdienstorden  geschmückt,  aber 
nicht  aufgenommen  in  den  Kreis  der  hohen  Staatsdiener.  Wie  lange 
wird  der  Monarch  ihn  bei  sich  dulden?  Durch  einen  schmutzigen 
Process  hatte  sich  der  Dichter  bereits  verächtlich  gemacht;  dazu  hatte 
La  Mettrie  ihm  in's  Ohr  geflüstert,  der  König  habe  über  ihn  ge- 
äussert: »Ich  werde  ihn  höchstens  noch  ein  Jahr  brauchen;  man  presst 
die  Orange  aus  und  wirft  die  Schale  weg«.  Dieses  Wort  liess  ihn 
nicht  mehr  los:  ob  es  der  König  wirklich  gesagt  oder  nicht,  darüber 
grü])elte  er  unablässig;  La  Mettrie  war  leider  nicht  mehr  zu  einem 
Bekenntniss  zu  bringen,  denn  er  starb  ein  paar  Monate  nach  der 
Enthüllung. 

Wenn  Voltaire  bei  sich  überdachte,  welche  Stellung  im  Dienste 
des  Königs  für  ihn  erstrebenswert!!  sei,  so  haftete  sein  Auge  am 
Präsidentenstuhl  der  Akademie.  Er  war  ihm  vor  zwölf  Jahren  in 
Aussicht  gestellt  worden;  aber  jetzt  fand  er  ihn  breit  besetzt  von 
jenem  Maupertuis,  auf  den  er  selbst  den  König  einst  aufmerksam 
gemacht  hatte.  Er  sah  den  rücksichtslosen  und  hochfahrenden  Mann, 
der  auch  sein  Präsident  war\  im  Besitze  der  Macht  und  in  Ehren; 
aber  noch  deutlicher  sah  er  die  Schwächen  des  phantastischen 
Naturforschers.  Er  beschloss  sie  zu  benutzen  und  ihn  zu  ver- 
nichten".     Der  Streit  mit  König  kam  ihm  wie  gerufen. 


^  Voltaire  war  Academicien ,  aber  es  lässt  sich  nachweisen,  dass  er  die 
Sitzungen  nur  sehi-  selten  besucht  hat;  doch  knüpfte  er  mit  einigen  Akademikern, 
namentlich  mit  Francheville,  Beziehungen  an. 

^  Dass  es  Voltaire  auf  den  Präsidentenstuhl  abgesehen  hatte,  sagt  Friedrich 
mit  dürren  Worten  in  dem  Brief  an  die  Markgräfin  von  Bayreuth  vom  12.  April  1753 
(OEuvres  T.  27,  i  p.  226).  Dass  man  schon  im  November  1750  —  also  vier  Monate 
nach  Voltaire's  Ankunft  in  Berlin  —  von  Zerwürfnissen  zwischen  Voltaire  und 
Maupertuis  sprach,  wissen  wir  jetzt  aus  dem  Brief  des  Prinzen  Wilhelm  an  diesen 
(Geh.  Staatsarchiv);  aber  erst  zwei  Jahre  später  schritt  Voltaire  zum  Angriff.  Ein 
besonderer  Anlass  für  den  Ausbruch  der  tödtlichen  Feindschaft  findet  sich  mehrfach 
erzählt;  der  Bericht  geht  auf  den  König  selbst  zurück.  »Der  Streit  begann  an  der 
Tafel  des  Königs.  Voltaire  war  sehr  unterhaltend;  alle  waren  darüber  einer  INIeinung, 
Maupertuis  allein  schwieg.  Nach  der  Ursache  gefragt,  sagte  er,  er  habe  sich  dabei 
tödtlich  gelangweilt«  (Lucchesini  z.  7.  October  und  4.  December  1780  bei  Bischoff, 
Gespräche  Friedrich's  des  Grossen  mit  H.  de  Catt  u.  s.w.  1885  S.  167.  187);  aus- 
führlicher DE  Catt,  a.a.O.  S.  11,  der  den  König  erzählen  lässt,  Voltaire  habe 
versetzt:    »Das  überrascht  mich  nicht;   Sie  sind  auch  ein  ^lensch  zum  Langweilen» 

■22* 


340     Geschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1746—1786). 

Im  Herbst  1752  erschien  ein  angeblich  am  18.  September  von 
einem  Berliner  Akademiker  als  Antwort  auf  die  Anfrage  eines  Pariser 
Collegen  geschriebener  Brief,  in  welchem  die  Streitfrage  ganz  im 
Sinne  König's  besprochen,  Maupertuis  aber  ausserdem  —  daran  war 
König  unschuldig  —  des  Plagiats  beschuldigt  wurde.  Das  Schreiben 
schloss  mit  der  Bemerkung,  mehrere  Akademiker  wären  entschlossen, 
eine  Akademie  zu  verlassen,  die  Maupertuis  vergewaltige,  wenn  sie 
nicht  die  Ungnade  des  Königs  fürchteten.  Der  Brief,  der  sonst  sach- 
lich gehalten  war,  so  dass  man  den  Verfasser  nicht  sofort  errathen 
konnte,  war  von  Voltaire.  Der  König  war  über  dieses  Pamphlet  und 
andere  Angriffe  auf  Maupertuis  auf's  Höchste  entrüstet.  In  mehreren 
Briefen  tröstete  er  seinen  Präsidenten  und  goss  die  Schale  seines 
Zorns  über  die  Leute  aus,  die  den  anspruchsvollen  Namen  Philosoph 
tragen  wollen ,  aber  alle  Leidenschaften  in  ihrer  Seele  regieren  lassen : 
»Komödianten,  auf  der  Bühne  stellen  sie  erhabene  Gefühle  dar,  und 
im  Foyer  stiften  sie  Händel  an  und  beschimpfen  sich«.  Der  König 
muthmaasste  richtig,  dass  Voltaire  der  Verfasser  sei;  aber  in  der 
Absicht,  den  hässlichen  Streit  womöglich  noch  auszulöschen,  respec- 
tirte  er  die  Anonymität.  Eine  scharfe  Antwort  sollte  der  »Philosoph« 
jedoch  erhalten,  und  da  die  Akademie  unbegreiflicherweise  schwieg, 
so  beschloss  der  König  sie  selbst  zu  geben;  denn  »man  soll  nicht 
sagen,  dass  ein  Mann  von  Verdienst  ungestraft  beschimpft  worden 
ist^«.  Bereits  am  1 1.  November  war  Friedrich's  Gegenschrift,  eben- 
falls anonym  und  als  Brief  eines  Berliner  Akademikers  an  einen 
Pariser,  in  Maupertuis'  Händen,  und  der  König  versicherte  ihm  zu- 
gleich,  dass   er  ihre  weiteste  Verbreitung  angeordnet  habe. 

Die  Sorge  für  Maupertuis  —  er  schrieb  ihm  damals  zweimal 
wöchentlich,  und  wie  zartfühlend  hat  er  ihm  Trost  und  Muth  zu- 


(vergl.  Urkundenband  172).     Die   letzten    Gründe    des  Streits   lagen  tiefer.     Es  war 
der  Kampf  um   den  König.     Voltaire  wollte  absichtlich    eine  Katastrophe  herbei- 
führen, weil  er  hoffte,  Sieger  zu  bleiben  und  den  König  allein  und  dauernd  an  sich 
zu   fesseln.     Wie  er  über  den  Monarchen  dachte,  zeigen  die  berühmten  Verse,  die 
er  sogar  nach  Bayreuth  an  die  Markgräfin  zu  schicken  sich  erdreistet  hat: 
»Assemblage  eclatant  de  qualites  contraires, 
Ecrasant  les  mortels  et  les  nommant  ses  freres, 
Misanthrope  et  farouche  avec  un  air  humain, 
Souvent  impetueux  et  quelquefois  trop  fin, 
jNIodeste  avec  orgueil,  colere  avec  faiblesse, 
Petri  de  passions  et  cherchant  la  sagesse, 
Dangereux  politique  et  dangereux  auteur, 
Mon  patron,  mon  disciple,  et  mon  persecuteur. « 
^    Brief  an  Maupertuis  vom  7.  November  1752   (Geh.  Staatsarchiv). 


Der  Streit  Maupertuis'  und  Voltaire's  (1752/53).  341 

gesprochen '  I  —  dazu  die  Entrüstung  über  einen  schlimmen  Streich 
haben  den  König  zu  dem  ungewöhnlichen  Schritt  veranlasst,  selbst 
Partei  zu  ergreifen  und  sicli  in  den  bösen  Handel  zu  mischen.  Auch 
wenn  die  Sache  der  Akademie  und  ihres  Präsidenten  ganz  rein  ge- 
wesen wäre,  war  Friedrich's  Eingreifen  ein  Wagniss;  nun  aber  hatten 
sie  einen  tüchtigen  Gelehrten  misshandelt  —  diese  Thatsache  war  nicht 
aus  der  Welt  zu  schaffen!  Doch  Friedrich  dachte  nur  an  seinen  be- 
leidigten Präsidenten  und  an  den  giftigen  Stich  des  «litterarischen 
Insects«.  Die  zweite  Ausgabe  der  Broschüre  erschien  mit  einer 
Vignette,  die  über  den  königlichen  Autor  keinen  Zweifel  Hess.  Die 
Ausführungen  schössen  über  das  Ziel  hinaus  und  mussten  den  Gegen- 
sinn hervorrufen,  Maupertuis  wurde  in  ihnen  als  der  unvergleichlich 
grosse  Mann  gefeiert  und  mit  Ruhm  überschüttet.  Eine  scharfe  Ant- 
wort —  man  weiss  nicht  von  wem  —  unter  der  Maske  eines  Pariser 
Akademikers  folgte  dem  Panegyricus  auf  dem  Fusse. 

Aber  sie  genügte  Voltaire  nicht;  er  nahm  all  seinen  Witz,  die 
furchtbare  Fähigkeit,  die  er  besass,  Menschen  lächerlich  zu  machen 
und  durch  Spott  zu  zermalmen,  zusammen,  um  den  Präsidenten  zu 
vernichten  und  dem  Könige  zu  zeigen,  welch  einen  Phantasten  und 
Charlatan  er  für  «den  Herrscher  zweier  Reiclie«  halte.  Der  Streit  mit 
König  bot  ihm  für  dieses  Unternehmen  so  gut  wie  keinen  Stoff 
mehr,  aber  unglücklicherweise  hatte  Maupertuis  im  Herbst  1752  eine 
Sammlung  von  Abhandlungen  in  Briefform  veröffentlicht ,  die  das  Ge- 
suchte in  überreichem  Maasse  enthielt.  Sie  sind  in  der  That  zum 
Theil  höchst  sonderbar,  diese  Briefe !  Maupertuis'  ungemessener  Ehr- 
geiz, als  der  Universalgelehrte  zu  gelten,  sein  Bestreben,  durch 
Bizarrerien  den  Eindruck  des  tiefsinnigen  Forschers  zu  erwecken,  der 
Probleme  aufwirft,  an  die  Niemand  gedacht,  und  Unternehmungen 
vorschlägt,  die  in  Erstaunen  versetzen,  sein  hastiges  Übergreifen  auf 
Gebiete,  die  ihm  fremd  waren,  endlich  Nachklänge  von  Paracelsus 
und  den  Alchemisten  her,  die  immer  noch  fortwirkten,  wo  die  Stim- 
mung der  Renaissance  herrschte  —  das  Alles  trieb  zusammen  in  diesen 
Briefen  die  wunderlichsten  Blüthen  hervor.  Auch  wenn  man  er- 
kennt, dass  Maupertuis  hier  nicht  Lehren  vorgetragen  hat,  sondern 
nur  anregen  und  zum  Nachdenken  reizen  wollte,  auch  wenn  Vieles 
in   dem  Sinne  gesagt  ist,   in  welchem  in  unseren  Tagen  Jules  Verne 


^  Als  Maupertuis  trotz  der  königlichen  Broschüre  doch  noch  selbst  antworten 
wollte,  hat  ihm  der  König  das  auf's  Dringendste  widerrathen  und  schliesslich  aus- 
geredet; »j'ai  ete  Torgane  du  public;  ce  que  j'ai  ecrit  sur  votre  sujet,  tout  le  monde 
le  pensait». 


342    Geschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1746—1786). 

seine  naturwissenschaftlichen  Plaudereien  vorgetragen  hat,  auch  wenn 
man  anerkennt,  dass  Manches,  was  auf  den  ersten  Blick  befremdet, 
doch  einen  guten  Sinn  hat  —  der  Eindruck  lässt  sich  doch  nicht  ver- 
wischen, dass  der  Angriff  auf  sein  Princip  der  kleinsten  Action  und 
auf  seine  wissenschaftliche  Unfehlbarkeit  den  auch  körperlich  schwer 
leidenden  Maupertuis  aus  seiner  Bahn  geworfen  hat. 

Vom  Stein  der  Weisen  reden  die  Briefe  und  von  anderen 
alchemistischen  Dingen,  von  der  Fähigkeit  der  Seele,  in  die  Zukunft 
zu  schauen,  von  wunderlichen  Kuren,  die  man  versuchen  solle,  von 
gewagten  Vivisectionen ,  von  den  zwölf  Fuss  hohen  Patagoniern, 
deren  Gehirn  man  untersuchen  müsse,  und  von  geschwänzten  Menschen 
in  der  Südsee;  sie  schlagen  vor,  ein  Loch  bis  an  den  Mittelpunkt 
der  Erde  zu  graben,  eine  lateinische  Stadt  zu  gründen  u.  s.  w.  Da- 
zwischen finden  sich  allerdings  Vorschläge,  in  denen  Maupertuis  der 
Zeit  vorausgeeilt  ist,  und  auch  in  dem  Angeführten  steckt  mancher 
gute  Gedanke,  auf  den  nur  ein  sinnender  Naturforscher  verfallen 
konnte;  aber  Alles  ist  so  rasch  hingeworfen  und  so  stark  vermischt 
mit  Absurdem,  dass  der  Eindruck  des  Ganzen  ein  peinlicher  bleibt, 
ja  an"s  Lächerliche  streift. 

Diese  Briefe  erwählte  sich  Voltaire,  der  übrigens  von  den 
Naturwissenschaften  nichts  verstand  und  der  incompetenteste  Richter 
war,  und  schrieb  seine  Spottschrift  nieder:  »Diatribe  du  Docteur 
Akakia,  Medecin  du  Pape«.  «Jede  Ungereimtheit,  die  dem  armen 
Maupertuis  in  dem  Ringen  nach  Erhabenheit,  das  ihm  oft  beinahe, 
aber  niemals  ganz  gelang,  zufallig  entfallen  ist,  hebt  Voltaire  auf, 
manipulirt  sie,  setzt  sie  in  das  Erhaben -Lächerliche  und  schleudert 
sie  in  der  Gestalt  von  brennendem  Staub  an  das  Haupt  von  mon 
President ^<.  Voltaire  hatte  die  Kühnheit,  dem  Könige  die  Schrift  im 
Manuscript  vorzulesen,  und  wie  sollte  dieser  nicht  einen  Moment  ge- 
lacht haben?  aber  er  verbot  Voltaire  auf's  Strengste,  sie  zu  veröffent- 
lichen und  liess  ihn  vor  seinen  Augen  das  Manuscript  verbrennen. 
Doch  für  die  Publicität  hatte  dieser  bereits  gesorgt:  er  hatte  auf 
Grund  einer  Druckerlaubniss,  die  er  für  eine  andere  Schrift  erlangt  und 
betrügerisch  producirt  hatte,  das  Libell  bereits  in  Potsdam  drucken 
lassen.  Als  das  Friedrich  erfuhr,  zwang  er  Voltaire,  der  zuerst 
Alles  ableugnete,  zur  Abbitte  und  zu  demüthigenden  Erklärungen"'; 


^    Carlyle. 

-  An  Maupertuis  schrieb  er  (lo.  December  1752):  «Ich  habe  ihm  den  Kopf 
gewaschen  und  gesagt,  dass  mein  Hans  ein  Heiligthum  sein  muss  und  nicht  eine 
Zuthichtsstätte  für  Briganten  und  Giftmischer".    An  Darget  (9.  April  1753,  (Euvres 


Der  Streit  Maipertuis'  und  Voltaire's  (1752/53).  34B 

die  ganze  Auflage  Hess  er  vernichten.  Allein  Voltaire  betrog  den 
König  zum  zweiten  Mal.  Er  schickte  ein  Exemplar  in's  Ausland,  und 
bald  erschien  der  »Akakia«  auf's  Neue,  jetzt  in  Tausenden  von  Exem- 
plaren, und  wurde  mit  Schadenfreude  vom  Publicum  gelesen  \ 

In  hellem  Zorn  flammte  Feiedeich  auf;  er  schrieb  Voltaire: 
»Wenn  Eure  Werke  Statuen  verdienen,  so  verdient  Eure  Aufführung 
die  Galeere«,  und  er  liess  am  Weihnachtsabend  1752  das  Libell  von 
Henkershand  auf  dem  Gensdarmen -Markt  zu  Berlin  verbrennen  — 
die  Freiheit  der  Wissenschaft  stand  hier  nicht  zur  Frage".  Damit 
war  Voltaire's  Rolle  in  Berlin  ausgespielt.  Zwar  suchte  der  König, 
nachdem  er  den  Mann  »von  infamstem  Charakter«  so  hart  bestraft 
hatte,  doch  noch  einen  Ausgleich  herbeizuführen;  allein  Voltaire 
wollte  nicht  mehr  bleiben.  Nachdem  er  noch  einmal  vor  Friedeich 
Komödie  gespielt,  d.  h.  den  Verdienstorden  wieder  angelegt,  öffent- 
lich das  gegen  Maupeetuis  geschleuderte  Pasquill  verleugnet  und  auch 
gelobt  hatte,  nicht  mehr  gegen  ihn  zu  schreiben,  verliess  er  im  März 
Potsdam  und  die  preussischen  Staaten,  um  sofort  von  Leipzig  giftige 
Schmähbriefe  gegen  Maupeetuis,  die  Akademie,  der  er  die  Mitglied- 
schaft kündigte,  und  den  König  —  der  »Salomo  des  Nordens«  war 
nun  zum  »Dionysius  von  Syrakus«  geworden  —  ausgehen  zu  lassen. 
Das  drakonische  Nachspiel  in  Frankfurt,  das  dieser  Wortbruch  zur 
Folge  hatte,   gehört  nicht  mehr  hierher^. 

Der  furchtbare  Angriff  auf  Maupeetuis  —  vergebens  hatte  er 
an   VoLTAiEE    eine    Herausforderung    geschickt   —   liess    sich    durch 


T.  20  p.  39):  »Voltaire  est  le  plus  mechant  fou  que  j'ai  connu  de  ma  vie;  il  n'est 
bon  qu"ä  lire.  Vous  ne  sauriez  imaginer  toutes  les  duplicites ,  les  fourberies  et  les 
infämies  qu'il  a  faites  ici;  je  suis  indigne  que  tant  d'esprit  et  tant  de  connaissances 
ne  rendent  pas  les  hommes  meilleurs.  J'ai  pris  le  parti  de  Maupertuis  ,  parce  que 
c'est  un  fort  honnete  homme,  et  que  Tautre  avait  pi'is  ä  täche  de  le  perdre«. 

^  Dies  in  Kürze  der  Vei-lauf  der  Sache;  die  Darstellungen  bei  Thiebaut 
(Souvenirs  T.  V  p.  261  ff.)  und  Formet  (Souvenirs  T.  Ip.  270)  lassen  sich  vereinigen; 
der  Bericht  des  Ersteren  hat  an  dem  Brief  Friedrich"s  an  ^Maupertuis  vom  29.  No- 
vember wenigstens  theilweise  eine  Stütze  erhalten. 

^  Voltaire  fasste  es  freilich  so  auf  (s.  Lucchesixi  zum  4.  December  1780  bei 
Bischöfe  S.  187). 

^  Dass  Voltaire  bereits  nach  einem  Jaln-e  trotz  der  gemeinsten  Verleumdun- 
gen, die  er  über  den  König  ausgesprengt  hatte,  doch  wieder  mit  ihm  anzuknüpfen 
suchte  und  dass  dieser  nach  einigem  Zögern  (Qiluvres  T.  20  p.45  vom  i.  April  1754) 
darauf  einging,  wäre  ein  Räthsel,  hätte  uns  Moliere  nicht  im  Misanthrope  gezeigt, 
dass  solche  Fälle  häufiger  sind.  Aber  auch  damals  vergass  Friedrich  nicht,  dass 
Voltaire  etwas  an  der  Akademie  und  ihrem  Präsidenten  gut  zu  machen  hatte  und 
dass  die  Einstellung  aller  Feindseligkeiten  gegen  sie  die  erste  Bedingung  des  Frie- 
dens sein  müsse:  s.  den  Brief  vom   16.  März  1754  ((Euvres  T.  23  p.3f.). 


344    Geschichte  der  Akadeiiiie  unter  Fkikdrich  dem  Grossen  (174(3— 178(i). 

keine  königliche  Huld  ungeschehen  nlachen,  und  der  Gegner  sorgte 
im  Auslande  dafür,  dass  der  Skandal  nicht  vergessen  wurde.  Mit 
unerbittlichem  Hass  verfolgte  er  den  Präsidenten  immer  auf's  Neue; 
dieser  aber  war  körperlich  und  gemüthlich  gebrochen.  Seit  einem 
Jahre  bereits  hatte  er  Urlaub  nehmen  und  in  einem  wärmeren  Klima 
Heilung  suchen  wollen ;  er  besass  seit  Monaten  die  Genehmigung  des 
Königs  zur  Reise;  aber  die  Kämpfe  hinderten  ihn  an  der  Ausfüh- 
rung. Im  Frühjahr  1753  endlich,  fast  gleichzeitig  mit  Voltaire, 
verliess  er  Berlin  und  begab  sich  nach  Frankreich.  Schon  früher 
hatte  er  dem  Könige  Euler  als  den  Mann  bezeichnet,  der  am  ge- 
eignetsten sei ,  an  seiner  Stelle  die  Geschäfte  der  Akademie  zu 
führen  »par  sa  probite,  par  ses  lumieres  et  par  son  zele  pour  TAca- 
demie«;  jetzt  wurde  Euler  förmlich  mit  ihnen  betraut \  Der  König 
liess  Maupertuis  nur  ziehen,  weil  er  sein  Brustleiden  für  tödtlich 
hielt"'  und  nichts  verabsäumen  wollte.  Unter  der  Hand  aber  musste 
bereits  im  Jahre  1752  Darget  in  Paris  sondiren,  ob  d'Alembert 
sich  nicht  entschliessen  könne,  nach  Berlin  zu  kommen  und  im 
Falle  einer  Katastrophe  Maupertuis'  Nachfolger  zu  werden^.  Doch 
seine  liebevolle  Sorge  für  diesen  hörte  deshalb  nicht  auf.  Er  stattete 
den  Präsidenten  mit  einem  förmlichen  Achtungs-  und  Ehrendiplom 
aus,  das  er  Jedem  vorlegen  sollte,  der  seine  Verdienste  antasten 
würde*;  er  schrieb  ihm  die  herzlichsten  Briefe,  tröstete  ihn  über 
die  fortgesetzten  Angrifie  Voltaire's  —  «wir  sind  Collegen  in  dieser 
Affaire«  — ,  beruhigte  ihn  über  das  Befinden  seiner  Frau,  die  in 
Berlin  zurückgeblieben  war,  und  gab  ihm  Nachrichten  über  die  Zu- 
stände in  «seiner«  Akademie,  die  freilich  nicht  immer  erbaulich 
Avaren^.  «0,  Avenn  doch  Einer  von  Euren  Medicinern  die  Kunst, 
delabrirte  Lungen  zu  flicken ,   erfände  I «   ruft  er  Maupertuis  zu. 


^  In  emem  Brief  von  Maupertuis  an  Köhler  vom  24.  x\pril  1753  (Akademi- 
sches Arcliiv)  liest  man:  «S.  Maj.  ayant  approuve  que  je  remisse  le  detail  de  Tad- 
ministration  de  l'Academie  pendant  mon  absence  entre  les  mains  de  M.  le  Prof.  Euler«. 

^    Er  versicherte  Maupertuis,  er  werde  für  seine  Frau  sorgen  (Frühjahr  1753). 

^  Siehe  den  Briefwechsel  mit  Darget  vom  31.  Juli,  vom  August  und  18.  Sep- 
tember 1752  (Qiuvres  T.  20  j)-34ff-)-  d'Alembert  lehnte  schon  damals  ab  mit  Grün- 
den, die  in  Friedrich  nur  den  Wunsch  verstärkten,  ihn  zu  besitzen. 

*  Sielie  Urkundenband  Nr.  173  (vom  19.  April  1753).  Wie  gespannt  man  auch 
in  Frankreich  den  ganzen  Handel  mit  dem  König  und  Voltaire  verfolgt  liatte, 
zeigt  der  Brief  Tressan's  an  jNIaupertuis  vom  24.  Januar  1754  (Le  Sueur  p.324ff"., 
vergl.  S.344). 

^  Siehe  z.B.  den  Brief  vom  12.  März  1754:  es  handelte  sich  um  Zänkereien 
zwischen  den  Chemikern.  Aufnahmen  in  die  Akademie  fanden  während  Maupertuis' 
Abwesenheit  nicht  statt. 


Maupertuis  verlässt  Berlin  auf  ein  Jahr.    Seine  Rückkehr  (1754).        d45 

Im  Juli  1754  kehrte  der  Präsident  nach  Berlin  zurück;  sein 
Gesundheitszustand  hatte  sich  wider  Erwarten  doch  gebessert  \  Aber 
er  war  nur  noch  eine  halbe  Kraft.  Seine  Gegenwart  konnte  kein 
neues  Leben  in  die  Gesellschaft  des  Königs  bringen,  der  einsam  ge- 
worden war.  »Notre  societe  s'en  est  allee  au  diable:  le  fou  [Voltaire] 
est  en  Suisse ,  Fltalien  [Algarotti]  a  fait  un  trou  ä  la  lune ,  Maupertuis 
est  sur  le  grabat,  et  d'Argens  s'est  blesse  le  petit  doigt,  ce  qui 
lui  fait  porter  le  bras  en  echarpe,  comme  s'il  avait  ete  blesse  ä 
Philippsbourg  d'un  coup  de  canon.  C'est  la  plus  grande  nouvelle 
de  Potsdam;  ne  m'en  demandez  pas  davantage.  Je  vis  avec  mes 
livres,  je  converse  avec  les  gens  du  siecle  d' Auguste,  et  bientöt  je 
ne  connaitrai  pas  plus  les  gens  de  ce  siecle -ci  que  defunt  Jordan 
ne  connaissait  les  rues  de  Berlin'.«  In  der  That  —  den  oberfläch- 
lichen, frivolen  und  pedantischen,  immer  witzelnden  Directeur  des 
Beiles -Lettres  d'Argens  allein  zum  Gesellschafter,  das  war  eine  trau- 
rige Gesellschaft!  In  Friedrich  zuckte  es  manchmal,  ihn  zu  be- 
handeln, wie  sein  Vater  Gundling  behandelt  hatte.  Überhaupt  — 
es  erinnert  doch  Manches  in  den  Zuständen  und  in  der  Art,  wie  der 
König  untergeordnete  litterarische  Acteure  verhöhnt  hat,  an  die  Tage 
seines  Vaters,  der  Streit  zwischen  Voltaire  und  Maupertuis  an  die 
Balgerei  zwischen  Fassbiann  und  Gundling,  aber  aus  dem  Märkischen 
in 's  Französische  übersetzt  und  auf  die   europäische  Bühne  gestellt. 


3. 

Zwei  Jahre  brachte  Maupertuis  wieder  in  Berlin  zu.  Die  Ver- 
theidigung  seines  »Princips«  und  die  Verstärkung  der  Akademie 
beschäftigten  ihn^.  Er  nahm  sechs  neue  ordentliche  Mitglieder  auf, 
darunter  zur  Freude  des  Vaters  den  jungen  Euler.  Aber  die  ge- 
wonnenen tüchtigen  Gelehrten  blieben  bis  auf  L.  deBeausobre  sämint- 
lich  der  Akademie  nicht  treu^.    Unter  den  fünf  Ehrenmitgliedern,  die 


^  Das  Erste,  was  er  that,  als  er  die  Geschäfte  der  Akademie  wieder  über- 
nahm, war,  zu  veranlassen,  dass  die  Hospitäler  bei  Übersendungen  von  Leichen  an 
die  Anatomie  womöglich  eine  psychologische  Anamnese  der  Verstorbenen  aufsetzten. 
Der  König  verfügte  in  diesem  Sinne  (Friedrich  an  Maupertuis  8.  Juli  1754). 

^    Schreiben  an  Darget  vom  25.  Februar  1754  (CEuvres  T.  20  p.43). 

^  Ausserdem  hat  er  damals  seinen  »Schwanengesang"  in  der  Akademie  ge- 
halten, das  schöne  Pflöge  auf  Montesquieu  (Mem.  1754  p.  445  ff.).  INIoxtesquieu 
war  bei  den  Berliner  Akademikern  besonders  verehrt. 

*  Auch  26  auswärtige  Mitglieder  nahm  Maupertuis  in  diesen  zwei  Jahren 
auf,  unter  ihnen  den  Baron  Holbach  und  den  Herzog  von  Nivernais  (S.April  1756). 
A'on  ihm.  der  im  Januar  1756  als  französischer  Unterhändler  nach  Berlin  gekommen 


346    Geschichte  der  Akademie   unter  Friedrich  dem  Grossen  (1746—1786). 

hinzutraten,  maclite  dem  Könige  die  Wahl  des  Fürstbischofs  von  Bres- 
lau, des  lockeren  und  witzigen  Grafen  von  Schaffgotsch  ,  besonderes 
Vergnügen,  »Er  kann  in  der  Eigenschaft  eines  Schülers  des  Petronius 
bei  uns  eintreten'.«  Gleichzeitig  mit  ihm  wurde  der  Abbe  de  Prades 
zum  Ehrenmitglied  gewählt,  wieder  ein  Freigeist,  der  sich  aus 
Frankreich  hatte  flüchten  müssen.  Auf  d'Alembert's  Empfehlung 
hatte  ihn  Friedrich  zu  seinem  Vorleser  gemacht.  Beide  Männer 
sind  s]3äter  beim  Könige  in  Ungnade  gefallen".  Der  Vorschlag,  den 
Prinzen  Radziwill  aufzunehmen ,  stiess  bei  Friedrich  auf  Schwierig- 
keiten. »Ihr  könnt  es  mit  Eurer  Akademie  machen,  wie  Ihr  wollt, 
mein  lieber  Maupertuis,  aber  das  weiss  ich,  w^enn  ich  eine  hätte, 
sollte  mir  kein  Fürst  und  kein  Mönch ^  hineinkommen.  Wir  Fürsten 
sind  In  der  Regel  sehr  oberflächliche  Geschöpfe ,  die  den  Vereinen, 
in  die  wir  eintreten ,  nur  die  lange  Litanei  unserer  Titel  bringen 
und  sonst  nichts;  aber  der  jiolnische  Prinz,  der  sich  Euch  j^räsen- 
tirt,  übertrifft  unsere  Gattung  noch  durch  ein  Stück  Narrheit,  das 
ihm  eigenthümlich  ist.  Damit  ist  nicht  gesagt,  dass  ich  mich 
und  meine  Mitbrüder  ausnehme,  aber  seine  Narrheit  überragt  doch 
die  unsere.  Man  muss  bei  der  Wahl  auswärtiger  Mitglieder  die 
strengste  Kritik  üben,  sonst  wird  die  Ehre,  nicht  zur  Akademie 
zu  gehören,  grösser  sein  als  die  Ehre  der  Mitgliedschaft.  Eine 
Körperschaft,  die  Maupertuis,  d'Alembert  und  Montesquieu  zu  ihren 
Mitgliedern  zählt,  darf  keine  Radzi  will's  und  Ansaldi's  aufnehmen*.« 
Als  Maupertuis  bei  seinem  Vorschlag  beharrte,  gab  der  König 
scheinbar  nach''.  »Da  die  gemeinen  Vorurtheile  in  Bezug  auf  Rang 
und  Geburt  Eindruck  auf  Euren  philosophischen  Kopf  gemacht 
haben,  so  bin  ich  bereit  zu  unterschreiben.  Nehmt  also  Euren 
Prinzen,  aber  —  um  der  Ehre  Eurer  Akademie  willen  —  lasst 
doch    noch    vorher   eine   Berechnung   anstellen   über    die    Zahl    der 


war.  sagte  Friedrich,  er  sei  mehr  werth  als  zwanzig  sarmatische  Prinzen  »oder 
als  dreissig"    (Briefe  an  Maupertuis  vom  S.April  imd  3.  Juli  1756). 

^    Siehe  den  eben  citirten  Brief  vom  3.  Juli. 

^  Euler  schrieb  über  sie  am  24.  December  1757  (Le  Sueur  p.  1491!:'.)  an 
Maupertuis:  "On  nous  a  conseille  d'omettre  son  nom  [den  des  Abbe  de  Pradcs] 
dans  la  liste  des  Academiciens  cpie  nous  allons  publier;  peut-etre  meme  serons-nous 
obliges  d"omettre  aussi  l'eveque«.  Es  geschah  jedoch  nicht.  An  de  Prades"  Stelle 
trat  als  Secretaire  des  commandements  und  Vorleser  beim  Könige  der  Schweizer 
DE  Catt,  den  Friedrich  zufällig  auf  einer  Reise  als  Gouverneur  eines  jungen  Hol- 
länders kennen  gelernt  hatte. 

^    Maupertuis  wollte  auch  einen  Dominicaner,  Axsaldi.  aufnehmen. 

*    Brief  vom   12.  März  1756. 

'"    Brief  vom  20.  März  1756. 


Maupertuis"  letzte  Jahre  in  Berlin  (1754/56);   sein  Tod  (1759).  347 

Narren  in  der  Londoner  und  Pariser  Akademie,  ob  sie  grösser  ist 
als  in  der  Eurigen ,  weiter,  ob  es  sich  etwa  darum  handelt,  die 
ungerade  Zahl  derselben  gerade  zu  machen.  Nehmt  Euren  Prinzen! 
nur  hütet  Euch,  mir  nicht  seine  polnische  Übersetzung  des  Milton 
zu  schicken,-  die  er  Euch  anzubieten  nicht  ermangeln  wird.  Ich 
sehe,  dass  die  Welt  in  allen  Ländern  dieselbe  ist,  und  dass  die 
Narren  sich  überall  eindrängen:  sie  dienen  als  Schönheitspflaster 
für  solche,  welche  nicht  ganz  ebenso  närrisch  sind  wie  sie.  Bei  der 
Königin  von  Polen  erinnere  ich  mich  eine  Negerin  gesehen  zu  haben, 
ein  africanisches  Monstrum,  und  ich  kann  nicht  leugnen,  an  ihrer 
Seite  nahm  sich  die  Königin  weniger  abschreckend  aus.  Euer  Prinz 
wird  Euren  Herrn  Grischow  und  Sack^  und  noch  vielen  anderen, 
die  ich  nur  aus  der  Entfernung  gesehen  habe,  denselben  Dienst 
leisten....«  Maupertuis  verzichtete  jetzt  auf  die  Aufnahme  des 
Prinzen, 

Am  7.  Juni  1756  verliess  der  Präsident,  dessen  Gesundheits- 
zustand sich  wieder  verschhmmert  hatte,  Berlin  abermals,  diesmal 
für  immer.  Gleich  darauf  brach  der  Siebenjährige  Krieg  aus,  der 
Maupertuis  ,  dessen  Herz  zwischen  Preussen  und  Frankreich  getheilt 
war,  besonders  hart  traf".  Aber  er  blieb  dem  Könige  treu^.  Als 
sein  Urlaub  ablief,  wollte  er  nach  Berlin  zur  See  über  Hamburg  zu- 
rückkehren, fand  aber  die  Häfen  gesperrt.  Er  plante  nun,  von  Bor- 
deaux aus  die  Seereise  zu  machen,  aber  Friedrich  rieth  dem  kranken 
Manne  nach  Italien  zu  gehen  und  verlängerte  ihm  den  Urlaub.  Zur 
italienischen  Reise  kam  es  nicht.  Maupertuis,  immer  noch  hoffend, 
in  sein  Amt  zurückkehren  zu  können,  begab  sich  über  Neufchätel 
nach  Basel  zu  seinem  Freunde  Jon.  Bernoulli.  Dort  ist  er  am 
27.  Juli  1759  gestorben^.    Der  König  hatte  ihn  auch  im  Kriege  nicht 


^  Der  Hofprediger;  einen  Grischow  gab  es  damals  nicht  in  der  Akademie; 
denn  der  ältere  war  seit  mehr  als  sechs  Jahren  todt,  und  der  jüngere  fast  ebenso 
lange  schon  in  Petersburg. 

^  In  seinen  Briefen  aus  Fi^ankreich  hat  Maupertuis  daher  immer  wieder  dem 
Könige  vorgestellt,  er  solle  Friedensfürst  Averden  und  Pacificator  Europas  (s.  die 
Briefe  im  Geh.  Staatsarchiv  vom  6.  October  1756,  27.  Deceinber  1757,  12.  Septem- 
ber i758)_._ 

^  Über  einen  Versuch,  der  von  Paris  aus  gemacht  wurde,  Maupertuis  zurück- 
zuholen, s.  den  Brief  Maupertuis'  an  den  König  vom  18.  INIai  1756  (Geh.  Staats- 
archiv). 

*  »Zwischen  zwei  Kapuzinern«,  sagte  Voltaire  höhnisch,  und  Formet  wieder- 
holte das  Wort  (Souv.I  p,  216);  aber  Voltaire  hat  in  seinem  Hass  noch  mehr  gesagt:  »II 
est  mort  pour  avoir  voulu  noyer  ses  chagrins  dans  de  l'eau-de-vie«.  —  Die  interessante 
Thatsache,    dass  Wieland  sich  bemüht  hat,   Maupertuis'   Stelle   in  der  Akademie, 


348     (.ieschichte  der  Akademie    unter  Friicdricii  dem   Grossen  (1746—1786). 

vergessen.  Aus  Struppen,  aus  Dresden,  aus  dem  Feldlager  von  Prag 
hat  er  ilim  geschrieben.  »Ihr  seid  vielleicht  der  einzige  Franzose 
in  Frankreich,   der  an  mich  denkt \« 

In  den  letzten  Monaten  vor  Ausbruch  des  Krieges  war  Friedrich 
anscheinend  in  resignirter  Stimmung.  »Unser  Zeitalter  ghänzt  nicht 
durch  grosse  Männer,  die  es  besitzt,  sondern  durch  das  grosse  Erd- 
beben; es  ist  steril"'.«  Als  ihn  Maupertuis  ersuchte,  wieder  etwas 
für  die  Memoires  zu  schreiben,  erwiderte  er:  »Ich  bin  nichts  als 
ein  trister  Politiker;  ich  könnte  nur  ein  Memoire  schreiben  über 
die  besten  Mittel,  ein  ruinirtes  Königreich  wieder  herzustellen; 
aber  man  würde  sich  darüber  moquiren  und  sagen:  er  hindert  das 
seinige  so  zu  sein,  wie  es  ihm  genügen  sollte.  Bis  zur  öffentlichen 
Sitzung  sind  nur  noch  drei  Tage ;  ich  erwarte  daher  Eure  Ordres 
für  das  nächste  Jahr  oder  wann  es  Euch  beliebt^«.  Das  nächste 
Jahr,  ja  schon  die  nächsten  Monate  sollten  andere  Aufgaben  bringen! 
Aber  während  sich  bereits  die  Wolken  zusammenzogen,  am  3.  Juli 
1756,  sprach  er  Maupertuis  gegenüber  noch  die  Absicht  aus,  den 
Wunsch  des  Fürstbischofs  von  Breslau  zu  erfüllen  und  ihm  die  Rede 
für  den  Eintritt  in  die  Akademie  auszuarbeiten:  »Ich  werde  das 
Vergnügen  haben ,  ihn  sagen  zu  lassen ,  was  ich  über  Euch  denke, 
und  werde  die  Rede  auf  die  Siege  bringen,  welche  die  Fortschritte 
des  menschlichen  Geistes  über  den  Glauben  gewinnen.  Ich  bin  zwar 
für  meine  Person  nicht  allzu  überzeugt  davon,  aber  es  ist  gut,  der- 
gleichen zu  sagen;   denn   es  giebt  so  dumme  Priester«    u.  s.  w.     Zu 


wenn  auch  nicht  die  des  Pi'äsidenten ,  zu  erhalten,  ist  durcli  L.  Hirzel  (Wieland  und 
KÜNZLi,  S.  I39f.)  bekannt  geworden.  Wieland  wandte  sich  an  Bodmer  und  Künzli, 
damit  diese  Sulzer  für  den  Plan  gewönnen.  Er  schrieb  an  Bodmer  (6.  September 
1759):  "Man  könnte  das  'Gedicht  von  der  Natur  der  Dinge'  und  'Cyrus'  so  viel 
gelten  machen,  dass  die  Herrn  Academiciens  mich  dieser  Ehre  wohl  so  würdig 
finden  könnten,  als  Herrn  Berteand  [Elie  Bertrand  in  Bern,  aufgenommen  29.  Juni 
1752].  Formey  kann  viel  thun.  Aber  ich  möchte  mich  von  hier  aus  nicht  briguiren, 
sonst  wäre  die  Sache  vielleicht  auch  noch  durch  Hrn.  Bertrand  zu  machen.  Ich 
will  aber  unendlich  Mal  lieber  Ihnen  und  Hrn.  Künzli  und  Hrn.  Sulzer  dafür  ver- 
bunden sein,  als  Jemand  anderem«.  Wieland's  Ambition  ist  sehr  auffallend;  denn 
er  hatte  die  Akademie  wenige  Jahre  vorher  bitter  verhöhnt.  Er  wurde  übrigens 
nicht  aufgenommen;  erst  im  Jahre  1786  (nach  Friedrich  des  Grossen  Tode)  ist  er 
auswärtiges  Mitglied  geworden.  —  Maupertuis'  Eloge  hat  Formey  gehalten  (Mem. 
1759  [1766]  p.  464  ff.)  und  ihm  darin  alle  Ehre  angethan.  Dass  Voltaire  die  Unter- 
drückung der  Rede  durchzusetzen  versucht  hat,  erfährt  man  aus  einem  Brief 
Tressan's  an  Formey  (Souv.  I  jj.  204).  In  der  KöNio'schen  Angelegenheit  erkennt 
Formey  an,  dass  Maupertuis  und  die  Akademie  Fehler  begangen  haben. 

^    Briefe  vom   19.  October   1756  und  vom   18.  Januar  und  19.  Mai  1757. 

^    Brief  vom  3.  Juli  1756. 

^    Brief  vom  21.  Januar  1756. 


Der  Siebenjährige  Krieg  und  die  Akademie  (unter  Euler's  Leitung).       ö-tl) 

dem  Ulanenstreifzug  in  das  feindliche  Gebiet  der  Kirche  im  Bunde 
mit  dem  verweltlichten  Bischof  kam  es  nicht  mehr ;  bereits  im  August 
rückte  Friedrich  in   Sachsen   ein. 

Während  des  furchtbaren  Krieges,  in  welchem  der  Feind  bis 
in  die  Hauptstadt  vordrang,  stockten  die  Arbeiten  der  Akademie  nicht 
sofort,  aber  sie  wurden  doch  sehr  gehemmt  und  hörten  zuletzt  fast 
ganz  auf\  Einige  Akademiker  verliessen  Berlin;  sie  folgten  Berufungen 
nach  Petersburg  an  die  dortige  Akademie,  die  damals  der  Berliner 
die  gefährlichste  Concurrenz  machte.  Es  lassen  sich  w^ährend  des 
Krieges  zwei  Perioden  unterscheiden.  In  der  ersten  von  1756-59 
gingen  die  Geschäfte  im  Ganzen  ruhig  fort;  Euler,  der  sie  leitete", 
correspondirte  regelmässig  mit  Maupertuis  ,  und  das  Erscheinen  der 
Memoires  wurde  nicht  unterbrochen.  Aber  nach  Maupertuis'  Tode, 
als  Euler  factisch  Präsident  geworden  war  —  den  Titel  erhielt  er 
nicht  — ,  stellte  man  unter  dem  Druck,  der  auf  Allem  lag,  die 
Herausgabe  der  Memoires  ein  (von  1760-64  ist  nichts  erschienen), 
und  auch  die  Sitzungen  wurden  nicht  mehr  ganz  regelmässig  ge- 
halten »a  cause  des  circonstances  publiques^«.  Ordentliche  Mitglieder 
und  Ehrenmitglieder  sind  bis  1759  (während  Maupertuis'  Abwesen- 
heit bis  zu  seinem  Tode)  überhaupt  nicht  mehr  gewählt  worden; 
dann  (1760)  ernannte  man  de  Gatt  und  die  Mediciner  Brandes  und 
EoLOFF,  die  schon  seit  fünf  Jahren  Associes  waren,  zu  ordent- 
lichen Mitgliedern^.     Als  man  aber  den  König  ersuchte,  Marggraf's 


^  Über  die  Stimmung  der  Akademie  während  des  Krieges  belehren  vor  allem 
die  von  Forjiey  in  den  öffentlichen  Sitzungen  gehaltenen  Reden  (s.  Mem.  1757 
p.  448  ff.,  1758  p.  471  ff.  und  1761  p.  4960".),  soweit  solche  Reden  es  vermögen, 
vergl.  Bartholmess  (Hist.  Philos.  de  l'Acad.  I  p.  196  ff.),  der  die  Haltung  der 
Akademie ,  die  schöne  Verbindung  von  Patriotismus  und  kosmopolitischer  Philosophie, 
von  Freimuth  und  von  Verehrung  für  den  König  bewundert.  Er  glaubt  auch  an- 
nehmen zu  dürfen,  dass  Lessing  im  Jahre  1760  um  seiner  patriotisch-preussischen  Hal- 
tung willen  von  der  Akademie  zum  Mitglied  ernannt  worden  sei,  und  rechnet  es  ihr 
hoch  an,  dass  sie  zuerst  dem  «preussischen  Grenadier«,  Gleim,  den  Ehrennamen 
"der  preussische  Tyrtäus«   gegeben  hat. 

^  Im  Jahre  1755  war  ihm  die  Ehre  zu  Theil  geworden ,  unter  ganz  besonders 
riihmlichen  Umständen  auswärtiges  Mitglied  der  Pariser  Akademie  zu  werden;  er 
hatte  aber  auch  siebenmal  den  Preis  dieser  Akademie  gewonnen. 

^  Dagegen  hatte  noch  im  September  1758  Euler  an  Maupertuis  geschrieben: 
"Alles  ist  bei  uns  ruhig  in  der  Akademie.  Wir  versammeln  uns  regelmässig  und 
leben  zusammen  in  bester  Harmonie«.     Nur  Pott  störte  durch  Zänkereien. 

*  Die  Wahl  des  Leibarztes  Cothenius,  im  September  1760,  zum  Ehren- 
mitglied war  eine  blosse  Form;  als  auswärtiges  Mitglied  gehörte  er  der  Akademie 
schon  seit  10  Jahren  an.  —  In  den  drei  Jahren  bis  zu  Maupertuis'  Tode  sind  zehn 
auswärtige  Mitglieder  gewählt  worden,  aber  mit  seiner  Zustimmung  (s.  die  Briefe 
Euler's  an  ihn  vom  16.  September  und  4. November  1758),  wenn  auch  nicht  sämmtlich 


350    (lescliiclite  der  Akademie  unter  FRiEnRirii  dem  Grossen  (1 746  — 178»)). 

Walil  zum  Director  zu  bestätigen  und  die  Verleihung  einiger  er- 
ledigten Pensionen  zu  genehmigen  \  vollzog  der  Monarch  zwar  die 
Ernennung  Marggraf's  unter  Anerkennung  seiner  grossen  Verdienste, 
genehmigte  aber  die  Pensionen -Verleihung  nicht,  sondern  liess  der 
Akademie  durch  d'Akgens  mittheilen'",  alle  erledigten  Gehälter  seien 
bis  zur  Beendigung  des  Krieges  zu  thesauriren^  und  jede  Neuerung 
habe  zu  unterbleiben;  sobald  der  Friede  geschlossen,  werde  erder 
Akademie  eine  ganz  besondere  Sorge  zuwenden,  die  eingeschlichenen 
Missbräuche  abstellen  und  ihr  neue  Kraft,  zur  Befriedigung  aller 
Mitglieder,  einflössen *.  Er  spricht  ferner  sein  Befremden  aus,  dass 
die  Drucklegung  der  Memoires  Schwierigkeiten  finde,  und  ermahnt 
zur  tleissigen  Arbeit,  Ȋ  donner  par  la  diversite  des  ouvrages  et  des  ma- 
tieres  une  nouvelle  vie  ä  ces  Memoires,  que  quelques-unes  des  classes 
paraissent  avoir  trop  negliges,  quoique  ce  ne  soit  pas  la  faute  des 
Academiciens  qui  composent  ces  classes ,  mais  celle  de  quelques  abus, 
que  le  Roi  se  propose  de  reformer  ä  la  paix«.  Die  Mahnung  fruchtete 
nichts;  die  Memoires  erschienen  zunächst  überhaupt  nicht  mehr. 
Unmittelbar  bevor  diese  Ordre  an  die  Akademie  erging,  hatte 
sie  neun  auswärtige  Mitglieder  aufgenommen  (13.  März,  16.  und 
23.  October  1760),  und  der  König  hatte  diese  Wahlen  bestätigt, 
wahrscheinlich  ohne  nähere  Prüfung.  Diese  Neun  sind  mithin  die 
einzigen  Mitglieder,  die  nicht  mehr  unter  Maupertuis'  Präsident- 
schaft und  noch  nicht  durch  Initiativentschliessung  des  Königs 
(s.  unten)  aufgenommen  worden  sind.  Sie  verdanken  ihre  Re- 
ception  also  lediglich  der  freien  Wahl  der  Akademie  unter  Euler's 
Leitung.  Unter  ihnen  befanden  sich  drei  Deutsche:  Silberschlag  in 
Magdeburg   (später   ordentliches  Mitglied  der  Akademie),    der  Arzt 


mehr  auf  seine  Veranlassung.  Unter  ihnen  befand  sich  Lagrange.  Die  Hälfte 
waren  Deutsche. 

^  SüssMiLCH ,  Meckel  Und  Euler  jun.  sollten  Pensionen  erhalten  (s.  Akademische 
Protokolle,  25.  September  1760). 

^    Leipzig,  den  25.  December  1760  (Akademisches  Archiv). 

^  Dies  geschah;  der  König  genehmigte  die  Anlage  der  Capitalien  (Mittheilung 
durch  d'Argens  an  die  Akademie,  Akademische  Protokolle,  6.  Januar  1763).  An- 
fangs hatten  die  Einkünfte  der  Akademie  schwer  unter  dem  Krieg  zu  leiden  (s. 
Euler's  Briefe  an  Maupertuis);  aber  theils  stellte  sich  der  Kalendervertrieb  doch 
wieder  her,  theils  verringerten  sich  die  Ausgaben  dui-ch  erledigte  Pensionen  und 
durch  Einstellung  der  Zuschüsse  zu  den  wissenschaftlichen  bistituten.  Schon  am 
16. September  1758  schrieb  Euler  an  Maupertuis,  dass  er  noch  etwa  6000  Thlr.  habe 
auf  Zinsen  legen  können  (vergl.  die  Briefe  vom  16.  December  1758  und  30.  Januari759). 

*  Friedrich  suchte  nach  einem  neuen  Präsidenten  —  oder  vielmehr,  er  dachte 
an  d'Alembert;  bis  dahin  sollte  nichts  geschehen. 


Lessing's  Aufnahme  (1760).  Der  König  entzieht  d.  Akad.  d.AVahh-echt  (17<>4).  o51 

Huber  in  Cassel  und  —  Lessing.  Wer  ihn  vorgeschlagen  hat  (Sulzer?), 
ist  aus  den  Acten  nicht  zu  ersehen.  Von  1748  —  55  hatte  er  sich 
mit  Unterbrechungen  in  Berlin  aufgehalten ,  war  bekanntlich  auch 
zu  Voltaire  in  nahe  Beziehungen  getreten  und  von  seinem  Geist  und 
Stil  stark  beeintlusst  worden.  Dann  aber  hatte  er,  i  758  60  wiederum 
in  Berlin,  anonym,  jedoch  den  Freunden  bekannt,  mit  der  Geissei 
in  der  Hand  den  Tempel  der  deutschen  Litteratur  zu  reinigen  be- 
gonnen. Die  Aufnahme  w^ar  eine  würdige  Belohnung  im  rechten 
Moment  —  endlich  einmal  eine  Wahl,  bei  der  die  Akademie  sich 
ihrer  Aufgabe,   die  deutsche  Litteratur  zu  x^Hegen,   erinnert  hati 

Aber  der  König  missbilligte  die  Entschliessung.  Wir  wissen  be- 
stimmt, dass  er  mit  den  Receptionen,  die  seit  Maupertuis'  Tode 
vollzogen  w^orden  waren ,  unzufrieden  gewesen  ist.  Da  sich  diese 
Unzufriedenheit  schwerlich  auf  die  sechs  gew^ählten  Ausländer  (in 
Paris,  Bologna,  der  Schweiz  und  im  Haag)  bezogen  hat,  so  kann 
sie  nur  durch  Silberschlag's ,  Hubers  oder  Lessing's  Wahl  veranlasst 
worden  sein.  Von  diesen  dreien  kannte  er  die  beiden  ersten  kaum, 
von  Lessing  aber  wusste  er  genug;  Voltaire  hatte  ihn  früher  bei 
ihm  verleumdet.  Die  Folge  war,  dass  der  König  die  nächsten  Vor- 
schläge, die  die  Akademie  am  2.  April  1761  zur  Bestätigung  vor- 
legte —  es  handelte  sich  wieder  um  zwei  hervorragende  Deutsche, 
Gellert  und  Lambert  — ,  zunächst  überhaupt  nicht  beantwortete, 
dann  aber  nach  drei  Jahren  (am  6.  Januar  1764,  s.  Akademisches 
Protokoll  und  Memoires  1770  p.  7  f.)  durch  d'Argens  der  Akademie 
erklärte,  S.  Maj.  halte  es  zur  Zeit  nicht  für  opportun,  die  gemachten 
Personalvorschläge  zu  bestätigen,  und  Sie  befehlen,  »qu'on  ne  reQÜt 
ä  l'Academie  aucun  membre  jusqu'ä  ce  qu'Elle  eüt  nomme  un  Pre- 
sident, et  qu'Elle  se  reservait  pour  le  present  le  droit  de  nommer 
Elle  seule  jusqu'ä  ce  temps  les  membres  que  l'Academie  recevrait«. 
Dabei  blieb  es.  Der  König  hat  in  den  folgenden  22  Jahren  bis  zu 
seinem  Tode  die  Wahlen  als  sein  Reservatrecht  behandelt  und  der 
Akademie  durch  diese  Ordre  das  Vorschlagsrecht  ganz  (so  hat  es 
F0R31EY,  Souv.  I  p.  163  f.  aufgefasst)  oder  doch  nahezu  genommen.  Es 
ist  wahrscheinlich,  dass  die  missliebige  Wahl  Lessing's  diesen  Ent- 
schluss  mitverursacht  hat.  Der  erste  richtige  und  muthige  Schritt 
hat  der  Akademie   die  Ungnade  des  Königs  zugezogen! 

Über  Euler's  Geschäftsführung  (bis  i  759)sindwirdurch  seine  Briefe 
an  Maupertuis  einigermaassen  unterrichtet  \    Er  war  gewissenhaft  und 


^    Le  Sueur  p.  146  —  179. 


B52    Geschichte   der  Akademie   unter  Friedrich  dem  Grossen  (1746—1786). 

sparsam,  aber  kaum  weniger  heftig  und  eigensinnig  als  der  alte 
Präsident,  zwar  gerecht,  aber  nicht  ohne  Vorurtheile.  Auf  sein 
Betreiben  wies  die  Akademie  eine  Abhandlung  d'Alembert's  —  wenn 
auch  in  schmeichelhaften  Worten  —  zurück,  weil  sie  eine  Polemik 
gegen  ihn  enthielt\  Dagegen  wurde  der  jugendliche  Merian  von  ihm 
sehr  bevorzugt^.  Maupertuis,  Euler  und  er  bildeten  ein  Triumvirat,  das 
es  sich  zur  Aufgabe  gesetzt  hatte,  die  angeblich  übertriebene  Hoch- 
schätzung LEiBNizens  auf  das  rechte  Maass  zurückzuführen  und  den 
Einfluss  seiner  Philosophie  zu  brechen.  Eine  Sammlung  von  Leibniz- 
Briefen,  beleuchtet  durch  ein  ausführliches  Vorwort  von  Merian, 
sollte  in  den  Memoires  erscheinen^.  Maupertuis  hatte  auch  eine 
deutsche  Übersetzung  der  Briefe  gewünscht,  aber  Merian  fand,  als 
er  sie  unternahm ,  zu  grosse  Schwierigkeiten ;  denn ,  wie  Euler  sagte, 
«die  Anhänger  Leibnizchs  sind  sehr  scrupulös  in  Bezug  auf  gewisse 
Ausdrücke,  und  es  ist  fast  unmöglich,  sie  zu  befriedigen«.  Neben 
Euler  war  Eller,  der  Leibarzt,  das  einflussreichste  Mitglied  der  Aka- 
demie zur  Zeit  des  grossen  Krieges*.  Formet  stand  noch  zurück;  über 
eine  seiner  Reden  bemerkt  Euler,  dass  sie ,  soweit  er  urtheilen  könne, 
gelungen  war^.  Es  geschieht  das  in  Anlass  der  Schilderung  der  öffent- 
lichen Sitzung  zur  Feier  des  Geburtstages  des  Königs  im  Jahre  1759; 
sie  sei  gut  verlaufen,  auch  gut  besucht  gewesen,  obgleich  kein  könig- 
licher Prinz  das  Fest  verherrlicht  habe*'.  Nach  diesem  Schreiben  sind 
nur  noch  drei  Briefe  an  Maupertuis  erhalten,  der  letzte  vom  9.  Juni  1759. 
I]uLER  hat  dem  Präsidenten  treulich  über  alle  Vorgänge  Bericht 
erstattet.  Es  war  wenig  zu  erzählen ;  aber  nach  Maupertuis'  Tode 
wurde  es  noch  stiller.  Die  Acten  der  Akademie  versagen  für  die 
Jahre  1760-63   so  gut  wie  ganz^.      Aber  auch  Friedrich  konnte  in 


^  Akademische  Protokolle,  17.  Februar  1757.  d'Alembert  suchte  ohne  Erfolg 
mit  Euler  in  der  Mathematik  zu  rivalisiren,  s.  Euler"s  Brief  an  jMaupertuis  vom 
3.  September  1757,  vergl.  Formey  11  p.  239. 

^  Auch  d'Argens  lobte  ihn  vor  dem  Könige:  »intime  ami  de  feu  ^Matpertuis 
et  homme  sage  et  de  beaucoup  de  merite«  (Qiluvres  T.  19  p.  195  vom  25.  Septem- 
ber 1760). 

^  Siehe  Euler"s  Briefe  an  Maupertuis  vom  14.  October,  25.  November  und 
16.  December  1758. 

*  Aus  einem  Legat  Eller"s  wurde  im  Jalire  1769  ein  Pi*eis  (physikalisches 
Thema)  gebildet,  der  alle  vier  Jahre  zur  Vertheilung  kommen  sollte  (s.  ]\Ieni.  1770 

p.  29f.). 

°  Augenscheinlich  war  das  in  Euler's  Sinn  eine  Ausnahme;  er  liielt  wenig 
von  Formey,  und  dieser  hasste  ihn. 

^    Brief  vom  30.  Januar  1759. 

'  An  alte  traurige  Zeiten  wurde  die  Akademie  erinnert,  als  sie  im  März  1760 
in  kläglichen  Worten  um  eine  UnterstützunQ-  angelleht  wurde.     Die  Bittstellerin  war 


Die  Akademie  während  des  Siebenjährigen  Krieges.  ö5ö 

dem  grossen  Kriege  nicht  für  die  Akademie  sorgend  Er  las  Vieles, 
aber  er  schickte  ihr  nichts  ein.  Seinen  Abriss  der  Kirchengeschichte, 
eine  Frucht  der  Leetüre  von  Fleury's  Werk,  unter  der  schlechten 
Beratlmng  des  frivolen  Hoftheologen  d'Argens  entstanden,  liess  der 
König  nicht  'in  den  Memoires  drucken".  Auch  was  er  sonst  pro- 
ducirte  und  zu  Papier  brachte,  theilte  er  der  Akademie  nicht  mit; 
denn  sie  galt  ihm  gleichsam  für  suspendirt,  solange  er  ihr  keinen 
Präsidenten  schaffen  konnte.  Einen  gewissen  Zusammenhang  hielt 
d"Arc4ens  aufrecht;  aber  geschäftliche  Mittheilungen  waren  nur  spär- 
lich zu  machen^.  Dafür  plauderte  der  witzige  Marquis  von  diesem 
und  jenem  und  erzählte  akademische  Klatschgeschichten ,  unter  An- 
derem, dass  der  Botaniker  Gleditsch  steif  und  fest  behaupte,  den 
verstorbenen  Präsidenten  Maupertuis  im  Saale  der  Akademie  neben 
der  grossen  Uhr    gesehen   zu   haben;    fast  eine  Viertelstunde    habe 


die  Wittwe  des  ehemahgen  \'icepräsidenten  Graben  von  Steix  (Akademisches  Archiv 
<>  Gratificationen « ). 

^  Nur  Maupertuis'  Andenken  in  Ehren  zu  halten,  vergass  er  nicht,  zumal 
da  Voltaire  noch  immer  nicht  Ruhe  gab;  s.  den  Brief  an  diesen  vom  3.  April  1760 
mit  den  ernsten  Versen  (CEuvres  T.  23  p.  73): 

Laissez  en  paix  la  froide  cendre 

Et  les  mänes  de  Maupertuis; 

La  Verite  va  le  defendre, 

Elle  s'arme  dejä  pour  lui. 

Son  äme  etait  noble  et  fidele; 

Qu'elle  vous  serve  de  modele. 

^Maupertuis  sut  vous  pardonner 

Ce  noir  ecrit,  ce  vil  libelle 

Que  votre  fureur  ci'iminelle 

Prit  soin  chez  moi  de  griffonner. 
Aber  noch  im  Jahre  1769  musste  er  an  d'Ale>ibert  schreiben:  »Voltaire 
^vird  mir  nie  vergeben,  dass  ich  ein  Freund  Maupertuis'  gewesen  bin;  das  ist  in 
seinen  Augen  ein  unverzeihliches  Verbrechen«  (Qi^uvres  T.  24  p.457  vom  2.  Juli  1769), 
und  an  Voltaire  am  27.  Januar  1775  (QEuvres  T.  23  p.307):  »Maupertuis,  que 
vous  hai'ssez  encore.  avait  de  bonnes  qualites:  son  äme  etait  honnete;  il  avait  des 
talents  et  de  belles  connaissances.  II  etait  brusque,  j'en  conviens;  et  c'est  ce  qui 
vous  a  brouilles  ensemble  .  .  .  Enfin  il  est  bien  temps  d'oublier  les  fautes  quand 
ceux  qui  les  ont  commises  n'existent  plus«, 

-  Die  Vergleichung  dieses  in  Form  eines  »Avant- propos«  gegebenen  Abrisses 
mit  GiBBOx"s  berühmtem  Werk  hätten  die  Schmeichler  Friedrich's  besser  unterlassen. 
Aber  interessant  ist  der  kleine  Aufsatz,  weil  sich  das  18.  Jahrhundert  nirgendwo 
schärfer  über  die  Geschichte  der  Kirche  ausgesprochen  hat. 

^    Am  wichtigsten  ist  noch  der  Bericht  d'Argens'  in  dem  Brief  vom  25.  Sep- 
tember 1760  (Qiiuvres  T.  19  23-i94)-     Er  zeigt    dem   Könige  an,    dass    nach   Eller's 
Tode  die  Akademie  statutengemäss  zur  Neuwahl  eines  Directors  geschritten  sei  und 
Marggraf  gew'ählt  habe  (s.  oben),   »sans  contredit  le  plus  habile  chimiste  de  l'Eu 
rope ,    grand   physicien ,   et   que  les  Academies   de  Pai-is   et    de  Londres    consulten 
comme  un  oracle«.  ,  / 

Geschichte  der  Akademie.     I.  23 


rl^^'^ 


354    Geschiclite  der  Akademie  unter  F'kiedrich  dem  Grossen  (174:tj— 178()). 

die  Erscheinung  gedauert,  und  ganz  Berlin  spreche  davon.  Den  König 
amüsirte  und  ärgerte  die  Geschiclite  zugleich ,  und  er  benutzte  sie 
zu  einer   »Ode«,   die  für  die   Akademie  nicht   schmeichelhaft  war': 

Quoi !  mai-quis,  toujours  des  prodiges. 

Des  prophetes  et  des  prestiges, 

Tout  au  beau  milieu  de  Bei'lin! 

II  faut  que  votre  Academie. 

Par  vetuste,  sur  son  declin, 

Radote  ou  soit  en  lethargie; 

Et  Maupertuis,  le  trepasse. 

Qu'a  Bäle  on  avait  enfonce, 

Reclus  dans  une  triste  biere, 

Dans  un  recoin  de  eimetiere. 

Reparait  aux  yeux  eperdus 

De  nos  badauds  d'esprit  perclus  I 

"\^oilä  la  honte  de  notre  äge, 

Voila  le  coup  qui  nous  presage 

Qu'enfin  l'erreur,  par  son  poison, 

Trioniphera  de  la  raison. 
Im  Winter  1760/61  war  der  König  in  Leipzig  und  liess  sich 
die  beiden  Koryphäen  der  Stadt,  Gottsched  und  Gellert,  vorstellen. 
Jener,  der  grosse  Duns,  der  sich  längst  überlebt  hatte,  stiess  ihn 
ab  durch  die  Anmaassung  und  Eitelkeit,  die  er  im  Gespräch  zur 
Schau  trug.  Dagegen  gewann  er  Respect  vor  Gellert.  Dennoch 
hat  er  den  Vorschlag  der  Akademie,  der  bald  darauf  erfolgte,  ihn 
zum  Mitgliede  zu  machen ,  niemals  bestätigt  (s.  oben).  Deutsche 
Litteraten  sollten  ausgeschlossen  bleiben;  der  eine,  der  zwei  Monate 
vorher  durchgeschlüpft  war,  Lessing,  war  schon  zu  viel.  Auch 
eines  französischen  Schriftstellers,  des  grössten  Genies,  das  Frank- 
reich besass,  hat  Friedrich  damals  gedacht  —  Rousseau's".  Aber 
der  Mann  w^ar  ihm  unverständlich  und  antipathisch.  Ihn  nach 
Berlin  zu  ziehen,  konnte  dem  Freunde  Voltaire's  nie  in  den  Sinn 
kommen,   wenn  er  auch   dem  Verfolgten   ein  Asyl  gewährte, 

4. 

Endlich  wurde  der  Friede  geschlossen.  Die  Akademie  hatte 
während  des  Krieges  25000  Thlr.  »erspart«,  aber  ihr  Personal- 
bestand war  reducirt^  —  auf  Vorschläge  hatte  der  König  seit  dem 


^  d'Argens"  Brief  (4.  Februar  1760)  und  die  Antwort  des  Königs  aus  Freiberg 
(7.  Februar)  in  den  (Euvres  T.  19  p.  123 ff. 

■■^  Der  berühmte  Brief  an  den  Marschall  IvErrn  über  ihn  ist  vom  i.  Septem- 
ber 1762   (CEuvres  T.  20  p.  288f.),  s.  die  Dankesbriefe  Rousseau's  a.  a.  0.  p.  299  ff. 

^  Nicht  nur  durch  den  Tod;  mehrere  Mitglieder  hatten  die  Akademie  ver- 
lassen (s.  das  4.  Capitel). 


Versuche  Friedrich's.  d'Alejibert  für  die  Akademie  zu  gewinnen.       öOO 

Jahre  1761  überhaupt  nicht  mehr  geantwortet  (s.  ol^en)  — ,  ihre 
Arbeiten  stockten,  und  nicht  wenige  Mitglieder  waren  verbittert, 
weil  sie  noch  immer  kein  Gehalt  bezogen.  Friedrich  dachte  sofort 
an  die  Erneuerung  der  Akademie.  Erneuerung  —  das  bedeutete 
nach  seiner  Auffassung  der  Dinge  einen  neuen  Präsidenten;  denn 
der  Präsident  war  ihm  die  Akademie.  Euler,  der  fast  zehn  Jahre 
die  Geschäfte  geführt  hatte,  genügte  ihm  nicht.  Einzig  d'Alembert 
hielt  er  für  würdig,  LsiBNizens  und  Maupertuis'  Nachfolger  zu  werden. 
Dass  Euler  als  Mathematiker  viel  bedeutender  als  der  Pariser  Ge- 
lehrte war,  wusste  Friedrich  nicht,  und  wenn  er  es  gewusst  hätte, 
so  hätte  es  ihn  nicht  anders  gestimmt:  d'Alembert  war  Philosoph, 
Kritiker,   Redacteur  der  Encyklopädie,   Franzose! 

Schon  im  Jahre  1752  hatte  er  ihn  nach  Berlin  ziehen  und 
statt  des  todtkranken  Maupertuis  zum  Präsidenten  ernennen  wollen. 
Nicht  nur  Darget  hatte  sicli  im  Auftrag  des  Königs  um  ihn  be- 
mühen müssen  (s.  oben  S.  344),  sondern  auch  d'Argens.  Zwölf- 
tausend Franken ,  freie  Wohnung  im  Potsdamer  Schloss ,  freien  Tisch 
am  Hofe  und  das  volle  Verfügungsrecht  über  die  akademischen 
Gehälter  hatte  er  ihm  in  Aussicht  gestellt.  Allein  d'Alembert,  ob- 
gleich er  nur  1700  Franken  Rente  bezog,  hatte  abgelehnt.  Er 
wollte  seine  Unabhängigkeit  und  Zurückgezogenheit  bewahren;  er 
verwies  auf  die  schlimmen  Kämpfe,  in  die  Maupertuis  verwickelt 
worden  sei,  weiter  auf  seine  gemeinsame  Arbeit  mit  Diderot,  ferner 
auf  das  ihm  unzuträgliche  Klima  von  Potsdam ,  endlich  —  auf 
Maupertuis,  der  sein  Freund  sei  und  ja  noch  lebe.  d'Argens  musste 
in  seiner  Antwort  diese  Bedenken  zu  zerstreuen  suchen:  werde 
Maupertuis  wider  Erwarten  gesund  aus  Frankreich  zurückkehren, 
so  bliebe  ihm  doch  die  sichere  Anwartschaft  auf  den  Präsidenten- 
stuhl und  ausserdem  alle  die  günstigen  Bedingungen ,  die  der  König 
ihm  habe  anbieten  lassen.  Allein  d'Alembert  verharrte  bei  seiner  Ab- 
lehnung —  weder  seine  körperlichen  noch  seine  geistigen  und  seeli- 
schen Kräfte  seien  der  Stelle  gewachsen.  Auch  als  ihn  Maupertuis 
selbst  im  folgenden  Jahre  persönlich  aufsuchte  und  des  Königs 
Bitten  unterstützte,  blieb  er  fest\  Den  letzten  Grund  durfte  er 
nicht  deutlich  aussprechen:  »es  ist  besser,  einen  König  zum  Freunde 
als  zum  Herrn  zu  haben«.  In  dieser  Stimmung  bestärkte  ihn  nament- 
lich  Voltaire   fort   und   fort:    war   ihm    selbst    der   Präsidentensitz 


^  Siehe  den  Briefwechsel  zwischen  d'Argens  und  d'Alesibert  in  den  ffiuvi'es 
T.  25  p.  2581^'.  und  Maupertuis'  Brief  an  den  Abbe  de  Prades  vom  25.  Mai  1753 
a.  a.  O.  p.  270. 

23* 


356     Geschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem   Grossen  (174Ü— 1786). 

entgangen,  so  sollte  ihn  auch  kein  anderer  erhalten.  In  ül)ertrie- 
bener  Weise  schilderte  er  dem  Freunde  die  Gefahren ,  die  den  Philo- 
sophen am  Hofe  Fkiedrich's  drohen  —  als  wären  sie  alle  so  intrigant 
wie  er  oder  so  hochfahrend  und  unvorsichtig  wie  Maupertuis. 

Da  der  König  d'Alembert  zur  Übersiedelung  nicht  zu  bewegen 
vermocht  und  auch  die  Aussichten  auf  einen  Besuch  des  Gelehrten 
in  Berlin  sich  zunächst  zerschlagen  hatten ,  so  hatte  er  ihm  schon  im 
Jahre  1754  eine  Pension  von  1200  Franken  ausgesetzt;  denn,  wie  er 
an  den  Marschall  Keith  schrieb,  »d'Alembert  ne  jouit  pas  d'avantages 
de  la  fortune  proportionnes  ä  ses  talents  et  ä  son  caractere«^  Eine 
Empfehlung  brauchte  d'Alembert  schon  damals  nur  auszusprechen 
—  wieder  handelte  es  sich  um  einen  Verfolgten,  Toussaint"  — , 
und  der  König  versprach  seine  Protection.  Dann  kam  der  grosse 
Krieg.  Die  Correspondenz  riss  nicht  ganz  ab;  denn  Friedrich  hatte 
den  Plan,  d'Alembert  an  die  Spitze  der  Akademie  zu  stellen,  keines- 
wegs aufgegeben.  Unmittelbar  nach  dem  Friedensschluss  lud  er  ihn 
zu  einer  Zusammenkunft  ein  und  schrieb  ihm  am  14.  April  1763^: 

Nos  campagnes  sont  finies.  Je  suis  sensible  a  la  part  que  vous  y  prenez. 
...  Je  vais  donc  vivre  tranquillement  avec  les  Muses,  et  occupe  a  reparer  les  mal- 
heurs  de  la  guerre,  dont  j'ai  toujoui's  gemi.  Je  compte  faire  en  juin  ou  juillet 
un  jjetit  voyage  dans  le  pays  de  Cleves.  Si  vous  voulez  a^ous  y  rendre,  je  vous 
ferai  marquer  le  temps  precis  de  mon  depart,  et  je  vous  ramenerai  en  toute  sürete 
a  Potsdam. 

Friedrich  hofi'te,  durch  persönliche  Vorstellungen  das  zu  er- 
reichen, was  die  Briefe  nicht  vermocht  hatten.  Im  Kreise  der 
Akademie  wurde  die  Absicht  des  Königs  bekannt  und  mit  wenig 
Freude  aufgenommen'*.  Wie  musste  es  Euler  empfinden,  wenn 
ihm  der  Mann  vorgesetzt  wurde,  dem  er  als  Mathematiker  unstreitig 
überlegen  war   und    der   in   den  Beziehungen   zu   ihm  nicht  immer 


^    Brief  vom  Mai  1754  (Qiiuvres  T.  20  p.  257). 

^  Das  französische  Parlament  hatte  sein  Buch  «Les  Mceurs«  verbrennen  lassen, 
s.  d'Argens'  Brief  vom  20.  November  1753  (OEuvres  T.  25  p.  266f) 

^    ffiuvres  T.  24  p.378. 

*  An  Diderot  als  Präsidenten  der  Akademie  ist  nie  ernsthaft  gedacht  worden, 
obgleich  Voltaire  ihn  —  den  Goethe  den  "Deutschesten  unter  den  Franzosen«  ge- 
nannt, LessinCt  als  den  besten  französischen  Kritiker  gerühmt  hat  —  empfohlen  hatte. 
Dagegen  scheint  de  Jaucourt,  der  Mitarbeiter  d'Alembert's  an  der  «Encyklopädie", 
ernsthaft  in  Frage  gekommen  zu  sein ;  die  Akademie  selbst  —  so  behauptet  wenigstens 
Bartholmess  (I  p.  2  2oflF.)  —  hat  ihn  als  Calvinisten,  freisinnigen  Mann  und  Polyhistor 
gewünscht.  Allein  sein  Artikel  «Prusse«^  hatte  den  König  beleidigt,  auch  soll 
d'Argens,  der  noch  immer  auf  die  Präsidentenwürde  hoft'te,  gegen  ihn  gearbeitet 
haben.  Vor  allem  aber  —  der  König  wollte  auf  dem  Präsidentenstuhl  der  Aka- 
demie nur  einen  Gelehrten  und  Schriftsteller  ersten  Ranges  sehen,  und  das  war 
Jaucourt  nicht. 


Versuche  Friedrich's.  d'Alembert  für  die  Akademie  zu  gewinnen.       o5< 

die  Probität  bekundet  hatte,  die  ihn  sonst  auszeichnete M  Wie  bitter 
niusste  es  der  Mehrzahl  der  Akademiker  sein,  wenn  ihnen  jetzt 
wieder  —  nach  einem  siegreichen  Krieg  über  die  Franzosen  — 
ein  Franzose  als  Präsident  gegeben  wurde!  Welche  Gefühle  mussten 
in  ihnen  aufsteigen,  wenn  hier  12000  Franken  ausgeworfen  wurden, 
während  sie  nach  jahrelanger  Arbeit  vergeblich  um  200  Thlr. 
l)aten!  Ganz  verzweifelt  schrieb  der  alte,  hochverdiente  Süssmilch 
in  einer  Eingabe  an  das  Curatorium,  in  der  er  unter  Beilegung  eines 
gelehrten  Werkes  wieder  einmal  um  die  ihm  vorenthaltene  Pension 
nachsuchte  (am   5.  Mai  i  763)"': 

Ich  bin  muthlos  und  zweifle  an  einem  erwünschten  Erfolg,  theils  weil  mein 
Buch  deutsch  geschrieben,  theils  weil  die  Akademie  der  neuen 
Schöpfung  des  d'Alembert  soll  unterworfen  werden,  woraus  doch 
nichts  als  Tort  für  die  Deutschen  zu  erwarten.  Der  Untergang  der  Aka- 
demie erfolgt  alsdann  gewiss,  weil  die  wenigen  Franzosen  es  nicht  aus- 
machen werden,  unter  denen  ohnedem  kein  einziger  wahrer  Gelehrter 
zu  finden.     Also  hat  auch  anjetzt  die  Akademie  ihre  Stunde  der  Vorsehung. 

Süssmilch  hatte  Recht:  d'Argens,  Beguelin,  Francheville,  Pre- 
MONTVAL,  Achard  sen.,  Formey,  Beausobre  jun.,  de  Catt  bedeuteten 
als  Gelehrte  nichts  —  das  waren  die  Franzosen  und  die  französi- 
schen Schweizer.  Euler,  Vater  und  Sohn,  Pott,  Marggraf,  Gle- 
DiTSCH,  Merl\n,  Sulzer  und  Süssmilch  leisteten  die  wissenschaftliche 
Arbeit,  und  galten  in  ihren  Fächern  als  die  vorzüglichsten  Gelehrten, 
ja  als  die  ersten  Autoritäten  Europas  —  das  waren  die  Deutschen. 
Aber  der  König,  so  hoch  er  einen  Euler  und  Marggraf  schätzte, 
urtheilte  in  der  Gesammtauffassung  nach  einem  anderen  Maassstab, 
und  die  Wünsche  der  Majorität  der  Akademiker  drangen  nicht  bis 
zu  ihm^. 


^  d'Alembert's  Haltung  gegenüber  Euler  ist  der  schwache  Punkt  in  seinem 
sonst  untadeligen  Charakter  als  Gelehrter.  Er  suchte  Euler  hie  und  da  zu  verklei- 
nern und  zu  zeigen,  dass  er  selbst  bereits  die  Entdeckungen  gemacht  habe,  die  Euler 
vortrug  (vergl.  Deni?; a,  La  Prusse  litt.  11  p.  38).  Andererseits  aber  hat  er  ihn  doch 
auch  hoch  gerühmt  (s.  die  Briefe  an  Friedrich  vom  7.  Februar  1764,  Oeuvres  T.  27,  3 
p.304f.,  vom  I.  März  1765,  a.  a.  O.  T.  24  p.  394  und  vom  29.  März  1766,  a.  a.  O. 
T.27,  3    p.3I2f). 

^  Geh.  »Staatsarchiv.  Noch  am  22.  September  1765  hat  Süssmilch  die  Bitte 
wiederholt  (Akademisches  Archiv)  und  darauf  hingewiesen ,  dass  er  nun  20  Jahre 
umsonst  für  die  Akademie  gearbeitet  habe;  aber  er  erhielt  nichts;  denn  Friedrich 
schätzte  ihn  nicht.     Im  "März  1766  ist  er  gestorben. 

^  Bald  darauf  ist  auch  die  letzte  Hoffnung,  Winckelmann  zu  gewinnen,  durch 
den  König  zerstört  worden.  Dass  der  Gedanke  an  Berlin  dreimal  in  Winckelmanx's 
römisches  Leben  eingegriffen  hat,  hat  Justi  (Winckelmann  Bd.  H  2,  1872  S.301  ff.) 
nachgewiesen.  Im  Jahre  1761  zeigte  sich  eine  entfei^nte  Möglichkeit  beim  Ankauf 
des  SxoscH'schen  Museums.     Im  Jahre  1763  suchte  ihn  Sulzer  zu  gewinnen;  aber 


858     Geschiclitc  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1746—1786). 

Wirklich  brachte  er  d'Alembert  von  Wesel,  wo  er  mit  ihm 
zusammengetroffen  Avar,  nach  Berlin  und  genoss  zwei  Monate  den 
Umgang  mit  dem  verehrten  Mann',  aber  zum  Bleiben  und  zur  Über- 
nahme der  Präsidentenstelle  konnte  er  ihn  nicht  bewegen.  Mit 
Schmerzen  Hess  er  ihn  im  August  1763  wieder  ziehen:  endlich 
hatte  er  einen  Freund  gefunden,  der  Maupertuis  ersetzte,  ja  der 
ihn,  wie  er  sicher  empfand,  übertraf,  und  diesen  Mann  konnte  er 
nicht  halten!  Doch  für  die  Nachwelt  ist  es  der  höchste  Gewinn  ge- 
wesen, dass  d'Alembert  nach  Paris  zurückkehrte;  denn  der  Brief- 
w^echsel,  der  nun  begann  und  fast  ununterbrochen  bis  zum  Tode 
des  Gelehrten  fortdauerte,  ist  in  der  gesammten  litterarischen  Corre- 
spondenz  Friedrich's  weitaus  der  gehaltvollste  und  lehrreichste.  Hier 
gab  sich  der  König  völlig  ungezwungen  und  frei;   hier  kommen  alle 


WiNCKELMANN  warcn  die  in  Berlin  dominirenden  Franzosen  fatal  sowie  die  mathe- 
matische Richtung  der  Akademie.  Wenn  sich  Sulzer's  Vorschlag  A'erwirkliche .  so 
»müsse  die  erste  Sache  in  Berlin  sein,  den  Marquis  d'Argens  ■ —  er  hatte  einen 
'Wisch'  über  die  Malerschulen  geschrieben  —  für  einen  unwissenden  Esel  auf's 
höflichste  zu  erklären ;  solche  Leute  sind  ein  Schandfleck  aller  gelehrten  Gesell- 
schaften«. Aber  doch  hörte  man  bereits  im  Herbst  1763  in  Berlin,  Winckelmann 
werde  kommen,  und  im  Jahre  1765  hatten  es  die  Freunde  so  weit  gebracht,  dass 
ein  förmlicher  Antrag  an  ihn.  Bibliothekar  des  Königs  zu  werden,  durch  Nicolai 
erging.  Diesmal  willigte  Winckelmann  mit  befi'eindlichem  Enthusiasmus  ein  und  er- 
fuhr eine  peinliche  Zurückweisung  durch  den  König,  der  ihn  so  wenig  kannte, 
dass  er  ihn  rnit  einem  verrückt  gewordenen  Auditeur  und  ^'agabunden  verwechselte. 
Er  stiess  sich  an  den  2000  Thalern,  die  Winckelmann,  irre  geführt  durch  Nicolai's 
unldares  Schreiben,  gefordert  hatte.  "Für  einen  Deutschen  sind  1000  Thaler  ge- 
nug.« Winckelmann  war  tief  vei'letzt.  »Der  König  weiss  nicht,  dass  man  einem 
Menschen,  welcher  Rom  gegen  Berlin  verlässt,  und  sich  nicht  anzutragen  nöthig 
hat,  wenigstens  soviel  geben  müsse,  als  Jemand,  welcher  von  Petersburg  gerufen 
wird.  .  .  Ich  verlasse  nicht  das  Eismeer,  wie  Euler,  oder  die  Froschpfütze  von 
Holland,  wie  Catt,  sondern  den  schönsten  Ort  der  Welt.  .  .  Doch  sollte  er  wissen, 
dass  ich  mehr  als  ein  Algebraist  Nutzen  schaffen  kann,  und  dass  die  Erfahrung  nur 
von  zehn  Jahren  in  Rom  weit  kostbarer  sei  als  ebensoviele  Jahre  Ausi-echnung  von 
Verhältnissen  von  parabolischen  Linien,  die  man  zu  Tobolsk  so  gut  als  in  Smyrna 
machen  kann.  .  .  Ich  kann  mit  eben  so  viel  Recht  sagen,  was  ein  Castrat  in  einem 
ähnlichen  Fall  in  Berlin  sagte:  Ebbene!  faccia  cantare  il  suo  generale.«  —  Für 
Winckelmann  selbst  war  es  ein  Glück,  dass  er  nicht  nach  Berlin  gekommen  ist. 
Nicht  vierzehn  Tage  hätte  er  es  als  Privatbibliothekar  des  Königs  ausgehalten. 
Dafür  kam  Pernety,  aber  der  falsche;  der  König  hatte  eigentlich  seinen  Bruder, 
der  über  Physionomik  geschrieben  hatte,  gemeint.  Das  Archiv  der  Akademie  ent- 
hält über  Winckelmann  nichts. 

^  Siehe  den  Brief  an  die  Herzogin  von  Sachsen -Gotha  vom  22.  Juli  1763 
(OEuvres  T.  18  p.  227).  —  In  der  Akademie  ist  d'Alembert  einmal  gewesen  (14.  Juli; 
Ei'LER  las  in  seiner  Gegenwart  eine  Abhandlung)  und  auf's  Ehrenvollste  aufgenom- 
men worden.  Er  besichtigte  auch  das  Observatorium.  Seine  Persönlichkeit  hat 
überall  den  besten  Eindruck  gemacht  —  endlich  ein  Franzose,  der  ein  wirklicher 
Gelehrter  war  vmd  mit  bescheidener  Würde  auftrat  I 


Versuche  Friedrich"s.  d'Alembert  liu"  die  Akademie  zu  gewinnen.       «löü 

seine  wirklichen  Interessen  nach  ihrem  Maasse  und  ihrer  Stärke  znm 
Ausdruck;  hier  sucht  er  nicht  Voltaire  an  Esprit,  d'Argens  an  Ge- 
wandtheit zu  übertreffen,  sondern  es  spricht  sein  eigenes  Talent 
und  sein  eigener  Genius.  In  d'Alembert  fand  er  einen  Partner,  der 
ihm  gewachsen  war.  Stahl  und  Stein  Hessen  hier  nicht  Funken 
des  Witzes  sprühen ,  sondern  Geistesblitze.  Aber  auch  sie  sind  nicht 
das  Charakteristische.  Der  Briefwechsel  war  dem  alternden  Könige 
ein  wärmendes  Feuer.  Zu  ihm  muss  man  greifen,  um  den  sich  gegen 
seine  Umgebung  abschliessenden,  einsamen  Mann  theilnehmend  und 
lebendig  zu  finden \ 

Und  die  Akademie  ?  —  sie  erhielt  d'Alembert  nicht  zum  öffent- 
lichen Präsidenten,  wohl  aber  zum  heimlichen.  Am  6.  Januar 
1764  erliess  der  König  jene  Ordre,  die  bereits  oben  mitgetheilt  wor- 
den ist,  dass  er  die  Personalvorschläge,  die  die  Akademie  vor  drei 
Jahren  gemacht  habe,  zur  Zeit  nicht  genehmige,  ferner,  dass  die 
Akademie  kein  Mitglied  erwählen  solle,  bis  er  einen  Präsidenten  er- 
nannt habe,  und  dass  er  sich  selbst  bis  dahin  das  Recht  reservire, 
allein  diejenigen  zu  bezeichnen,  die  die  Akademie  als  Mitglieder 
aufzunehmen  habe".  Wie  ernst  das  gemeint  war,  hatte  er  bereits 
sechs  Tage  vorher  durch  die  That  gezeigt,  indem  er  der  Akademie 
einfach  befohlen  hatte,  Qüintus  Icilius,  Bernoulli  und  Castillon  als 
ordentliche  Mitglieder  zu  begrüssen^. 


^  Am  Anfang  gab  es  kleine  Plänkeleien  zwischen  dem  königlichen  Poeten 
und  dem  Geometer  (s.  Friedrich"s  » Reflexions  sur  les  Reflexions  des  Geometres 
sur  la  Poesie«,  CEuvres  T.IX  p.  öiff.,  dazu  d'Alembert 's  Antwoi't  vom  27.  Mai 
1762),  aber  sie  waren  schon  vergessen,  als  der  König  in  ein  näheres  Verhältniss 
zu  dem  Philosophen  trat.  Die  Abneigung  Friedrich's  gegen  die  »Geometrie«  hat 
auch  d'Alembert  nicht  überwinden  können;  aber  die  bitteren  Witze  über  die  Mathe- 
matik sind  in  der  Correspondenz  spärlich.  —  Ein  eingeschränktes  Lob  d'Alembert's 
in  den  Gesprächen  Friedrich's  giebt  Lucchesini  wieder  (Bischöfe,  Gespräche  Fried- 
rich's des  Grossen  mit  de  Catt  u.  s.  w.  1885,  S.  244). 

^  Er  traute  der  Akademie  nicht  die  nöthige  Kritik  bei  den  Wahlen  zu,  und 
er  war,  wie  wir  wissen,  mit  den  letzten  Ernennungen  (Lessing)  unzufrieden.  Ausser- 
dem hatte  ihm  d'Alembert  gesagt,  dass  die  Qualität  der  auswärtigen  Mitglieder  zu 
wünschen  übrig  lasse  und  dass  ihrer  zu  viele  seien.  Was  wir  in  seinem  Briefe 
vom  3.  Juli  1767  (CEuvres  T.  24  p.  423  f.)  lesen  —  dass  die  Liste  der  Auswärtigen 
»bien  grand  dans  un  sens,  mais  assez  court  dans  un  autre«  sei  — ,  Avird  er  wohl 
schon  früher  geäussert  haben. 

^  Siehe  die  Akademischen  Protokolle.  Quintus  Icilius  (Guischard),  geb.  1724, 
gest.  1775,  war  erst  Theologe  gewesen ,  hatte  dann  diese  Laufbahn  aufgegeben  und 
sich  durch  das  Werk  »Memoires  militaires  sur  les  Grecs  et  les  Romains«  dem  Könige 
bekannt  gemacht,  der  ihn  1757  zu  sich  berief.  Er  blieb  auch  nach  dem  Kriege  in 
seiner  Umgebung  und  setzte  seine  Studien  über  die  Kriegsgeschichte  fort.  Johaxn 
Bernoulli  (geb.  1744,  gest.  1807)  entstammte  der  berühmten  Basler  Gelehrtenfamilie; 


360     Geschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1746—1786). 

Durch  die  Ordre  vom  6.  Januar  hat  sich  der  König 
selbst  zum  stellvertretenden  Präsidenten  erklärt  (solange 
d'Alembert  die  Übernahme  des  Präsidiums  verweigern  würde'),  und 
er  ist  es  bis  zu  seinem  Tode  geblieben.  Er  hat  alle  die  Rechte 
direct  an  sich  genommen  und  wirklich  ausgeübt,  die  er  einst 
Maupertuis  übertragen  hatte.  Fortab  ernannte  er  die  Mitglieder,  die 
ordentlichen  und  die  auswärtigen,  und  nur  selten  und  unter  be- 
sonderen Umständen  durfte  die  Akademie  es  wagen,  einen  Vorschlag 
zu  machen.  Von  1 764-1 786  hat  sie  der  König  regiert  und  Aka- 
demiker berufen,  wie  er  Minister  berief.  Wie  eingehend  er  sich  bis 
zu  seinem  Tode  auch  um  das  Einzelne  bekümmert  hat,  werden  die 
folgenden  Blätter  lehren"!  Im  Auslande  wusste  man  es  bald,  dass 
jetzt  Alles  in  den  Händen  des  Königs  selbst  lag,  und  demgemäss 
erhielten  die  Diplome  der  Akademie  einen  höheren  Werth,  ihr  Ur- 
theil  ein  grösseres  Ansehen^. 

Aber  der  wirkliche  Präsident  war  d'Alembert.  Kaum  eine 
einzige  Ernennung  hat  der  König  vollzogen,  ohne  seinen  Rath  ein- 
zuholen, und  er  betrachtete  diesen  Rath  fast  immer  als  entscheidend. 
Aber  auch  von  sich  aus  hat  d'Alembert  Vorschläge  gemacht*.     Noch 


ein  frühreifer  Knabe,  der  die  Versprechungen  nicht  ganz  gehalten  hat,  die  er  er- 
weckte, und  die  ihm  schon  mit  19  Jahren  den  Ruf  nach  Berhn  verschafften.  Ur- 
sprünghch  Astronom  (seit  1767  Director  der  Sternwarte)  und  Algebraiker,  ging  er 
mehr  und  mehr  zur  Geographie  über.  Castillon  (geb.  1709,  gest. 1 791),  Mathematiker 
und  Philosoph,  hatte  bereits  in  der  Schweiz  litterarische  Beziehungen  zu  Euler 
gehabt.  Er  wurde  Professor  in  Utrecht;  Friedrich  zog  ihn  nach  Berlin  als  Lehrer 
an  die  Artillerieschule;  dann  wurde  er  in  die  Akademie  aufgenommen  auf  Grund 
seiner  Übersetzung   und    seines    Commentars    zu  Newton's    allgemeiner  Arithmetik. 

^  Der  König  hat  die  Hoffnung  darauf  nie  aufgegeljen.  Gleich  nach  d'Alembert's 
Abreise  schrieb  er  ihm  am  15.  oder  16.  August  1763  (CEuvres  T.  24  p.  381):  »Je 
conservai  la  place  de  president  de  l'Academie  qui  ne  peut  etre  remplie  que  par  vous. 
Un  certain  pressentiment  m'avertit  que  cela  arrivera,  mais  qu'il  faut  attendre  jusqu'a 
ce  que  son  heure  soit  venue».  Vergl.  den  Brief  vom  19.  Juli  1765  (ffiuvres  T.  27.  3 
p.308). 

^  in  dem  Akademischen  Archiv  sind  die  Ordres  des  Königs  sammt  den  Couverts 
aufbewahrt.     Diese  tragen  in  der  Regel  die  Aufschrift :   » ä  mon  Academie  des  Sciences « . 

^  Siehe  Formey,  Souvenirs  T.  I  p.  163 ff.  (»Le  Roi  a  ete  reellement  le  curateur 
aussi  bien  que  le  protecteur«);  Denina,  Essai  p.  242. 

*  Allein  in  den  sechziger  Jahren  hat  d'Alembert  Castillon,  Toussaint, 
Thiebailt,  Lacjrange  und  Perxety  mit  Erfolg  als  ordentliche  ^Mitglieder  vorge- 
schlagen (vielleicht  auch  Bitaube)  und  Castillon,  Bernoulli,  Beguelin,  Lambert, 
Lagrange  zu  Pensionen  bez.  zur  Erhöhung  ihres  Gehalts  empfohlen.  Auch  neu- 
ernannte auswärtige  Mitglieder  bedankten  sich  durch  ihn  beim  Könige,  s.  den  Brief 
vom  7.  Februar  1764,  (Euvres  T.  27.  3  p.  304!*.  (d'Alembert  hatte  seinen  Collegen 
an  der  »Encyklopädie« ,  Jaucourt,  aufnehmen  lassen).  Wie  sehr  er  sich  als  latenter 
Präsident  der  Akademie  fühlte,  geht  am  deutlichsten  aus  den  Briefen  vom  26.  Mai  und 


d'Alembert.  der  heimliche  Präsident  der  Akademie.  361 

häufiger  freilich  wandten  sich  die  Mitglieder  der  Akademie  an  ihn 
und  suchten  ihn  für  ihre  Wünsche  zu  erwärmen.  Es  war  ein  ganz 
geregelter,  aber  heimlicher  Geschäftsgang.  Die  Akademiker  richteten 
ihre  Gesuche  an  de  Catt,  den  königlichen  vSecretär,  der  seihst  Mitglied 
der  Akademie  war,  und  er  schrieb  confidentiell  an  d'Ale3ibert.  Dieser 
machte  die  Vorschläge  zu  seinen  eigenen  und  trug  sie  in  dieser  Form 
dem  Könige  vor\  Auch  Euler  scheute  sich  nicht,  im  Interesse  seines 
Sohnes  d'Alembert's  Vermittelung  direct  anzurufen"',  und  man  muss 
anerkennen,  dass  der  Pariser  Gelehrte  hier  wie  sonst  mit  unbe- 
stechlicher Uneigennützigkeit,  mit  viel  Wohlwollen  und  mit  gutem 
Tact  seines  schwierigen  Amtes  gewaltet  hat.  Allerdings  nimmt  es 
sich  sonderbar  aus,  wenn  er,  scheinbar  proprio  motu,  von  Paris  aus 
dem  Könige  den  Potsdamer  Hofprediger  Cochius  zum  ordentlichen  Mit- 
giiede  vorschlägt  unter  Berufung  auf  ein  gutes  Buch ,  das  er  von  ihm 
gelesen  habe^.  Aber  andererseits  ist  es  d'Alembert  gewesen,  der 
dem  Monarchen  Lagrange  als  Nachfolger  Euler's  empfohlen  und 
seine  Berufung  durchgesetzt  hat.  Auf  keine  andere  Erwerbung  ist 
er,  mit  Recht,  so  stolz  gewiesen.  Durch  den  ganzen  Briefwechsel 
mit  dem  Könige  zieht  sich  der  immer  wiederholte  Ausdruck  der 
Freude,  dass  er  ihm  den  grossen  Mathematiker  hat  zuführen  können^. 

I  I.Juli  1766  (QEuvres  T.  24  p.  404f.  408  f.)  hervor  —  aus  der  Art,  wie  er  hier  über 
die  Aufgaben  spricht,  mit  denen  die  beiden  Castillon's,  Vater  und  Sohn,  zu  be- 
trauen seien,  und  aus  den  Worten,  in  denen  er  beantragt,  Lagrange  solle  über  Paris 
nach  Berlin  reisen:  «Je  pourrais  le  mettre  au  fait  de  plusieurs  choses  concernant 
l'Academie,  dont  il  est  bon  qu'il  soit  instruit  pour  pouvoir  etre  plus  utile  dans  la 
place  qu'il  va  occuper,  et  qu'il  remplira  certainement  avec  succes«.  Auch  auf  die 
Verbesserung  der  Einrichtungen  des  Observatoriums  ist  er  bedacht,  unterbricht  sich 
aber  dann  selbst  und  schreibt:  »mais  je  m'aperQois,  Sire,  peut-etre  un  peu  tard, 
que  je  fais  ici  ou  parais  faire  le  role  de  jiresident  de  l'Academie,  qui  n'en 
saurait  avoir  de  plus  digne  et  de  plus  eclaire  que  son  protecteur  meme,  et  qui  n'a 
besoin,  pour  obtenir  ce  qui  est  juste,  que  de  le  proposer  ä  ce  grand  roi«.  In  der 
That  erreichte  d'Alembert  diesmal  nicht  ganz  die  Ausführung  seiner  Vorschläge,  was 
ihm  empfindlich  war  (s.  29.  Januar  1768,  Oeuvres  T.  24  p.  43if.):  die  astronomische 
Hauptstelle  erhielt  nicht  Castillon,  sondern  Bernoulli. 

'  Vergl.  den  gesammten  Briefwechsel  mit  d'Alejibert,  dazu  Dexina,  La  Prusse 
litt.  I  p.327. 

^    Siehe  d'Alembert  an  den  König,  CEuvres  T.  27, 3  p.  304 f.  vom  7.  Februar  1764. 

^    Brief  vom  16.  October  1769,  CEuvres  T.  24  p.  462!'. 

*  Die  Correspondenz  über  Lagrange  beginnt  mit  dem  Brief  vom  29.  3Iärz 
1766  (ffiuvres  T.  27.  3  p.  3i2f.);  die  sich  anschliessenden  Briefe  stehen  im  24.  Bd. 
p.  403ff.  Der  König  bedankt  sich  im  Brief  vom  26.  Juli  1766  (Qiluvres  T.  24  p.  407), 
dass  er  für  einen  einäugigen  Geometer  einen  mit  zwei  Augen  eingetauscht  habe. 
Auch  der  Wunsch  Lagrange's,  sofort  Director  der  mathematischen  Klasse  zu  werden, 
ist  durch  d'Alembert  an  den  König  gekommen  (12.  September  1766,  CEuvres  T.  24 
p.  409). 


362     Gescliiclitc  der  Akndeinie  unter  Fkikdrich  dem  Grossen   (1746— ITSti). 

Friedrich  und  i/Alembert  waren  beide  der  Meinung,  dass  die 
grossen  Talente  —  in  Frankreich  wie  überall  —  immer  seltner  wür- 
den',  und  dass  man  eine  Akademie  lieber  spärlich  als  mit  wenig  taug- 
lichen Gelehrten  besetzen  solle"".  In  Folge  dessen  hat  Friedrich  in 
der  zweiten  Hälfte  seiner  Regierung,  d.  h.  in  22  Jahren,  nur  18 
ordentliche  Mitglieder  und  i  7  auswärtige  ernannt.  Es  war  ein  Ver- 
hängniss  für  die  Akademie,  dass  weder  der  König  noch  der  grosse 
französische  Gelehrte  den  Fortschritten  der  deutschen  Wissenschaft 
(mit  Ausnahme  der  Mathematik)  und  Litteratur  folgten,  ja  sie  nicht 
einmal  beachteten^.  Sie  haben  in  einer  Zeit,  in  der  der  deutsche  Geist 
mächtig  emporstrebte,  eben  in  jenen  22  Jahren,  nicht  einen  einzigen 
Deutschen  zum  auswärtigen  Mitglied  ernannt  und  nur  fünf  Special- 
gelehrte zu  ordentlichen.  Weder  die  Begründer  und  Mitarbeiter  der 
»Allgemeinen  Deutschen  Bibliothek«,  noch  die  Männer  der  neu  herauf- 
steigenden Zeit,  wie  Winckelmann  und  Herder,  obgleich  der  letztere 
mehrmals  den  akademischen  Preis  gewonnen  hatte,  wurden  der  Auf- 
nahme für  würdig  erachtet!  Jetzt  erst  wurde  die  Isolirung  der  Akade- 
mie in  der  eigenen  Heimath  wirklich  vollständig.  Auch  ihre  Geschäfts- 
sprache wurde  französisch,  sie  selbst  eine  Societät  französischer  Litte- 
raten, in  dereinige  deutsche  und  schweizer  Specialgelehrten  arbeiteten, 
geleitet  von  dem  preussischen  Könige,  der  völlig  befriedigt  w^ar,  wenn 
ihm  der  grosse  Pariser  Geometre-litterateur  das  Zeugniss  ausstellte, 
dass  seine  Akademie  in  gutem  Zustande  sei*.  Und  doch  - —  auch 
Friedrich,  der  Akademiker,  hat  einen  Geisteskampf  gekämpft,  den 
er    mit    Anspannung    aller    Kräfte    für    sein    Land    und    sein    Volk 


^  Qiuvres  T.  24  p.  461!'.  vom  14.  September  1769  schreibt  Friedrich:  »Les 
hommes  a  talents  en  tout  genre  se  fönt  rares ;  on  a  bien  de  la  peine  a  trouver  des 
hommes  superiem-s«,  vergl.  den  Brief  an  Voltaire  vom  3.  November  1766  (Oeuvres 
T.  23  p.  113):  «Je  ne  suis  pas  le  seul  qui  remarque  que  le  genie  et  les  talents  sont 
plus  rares  en  France  et  en  Europe  dans  notre  siecle  cpx'ä  la  fin  du  siecle  j^recedent«. 

'■^    d'Alembert  am  3.  Juli  1767,  OEuvres  T.  24  p.  423^ 

^  Doch  erlaubt  sich  d'Alembert,  mit  der  dreisten  Sicherheit  der  Unkenntniss 
zu  schreiben  (7.  August  1769,  Qiuvres  T.  24  p.  460):  »Heureusement,  Sire,  voti'e 
Academie  des  Sciences  ne  ressemble  pas  au  reste  de  la  nation^.  Dieser  Franzose 
ist  sonst  ein  ernster  und  gerechter  Mann  gewesen ,  aber  bei  Beurtheilung  deutscher 
Zustände  dispensirte  er  sich  von  aller  Kenntniss  und  Gewissenhaftigkeit. 

*  Als  d'Alembert  die  Memoires  der  Akademie  als  excellent  bezeichnet  hatte 
—  »sie  erweisen,  dass  diese  gelehrte  Gesellschaft  eine  der  bestzusammengesetzten 
in  Europa  ist«  (a.a.O.)  — ,  schrieb  Friedrich  (14.  September  1769,  OEuvres  T.24  p.46if): 
»Je  suis  bien  aise  que  vous  soyez  content  des  Memoires  de  notre  Academie«,  und 
zwei  Monate  später  (p.464):  -Pour  notre  Academie,  sans  etre  brillante,  eile  va 
doucement  son  chemin.  L'approbation  que  vous  donnez  k  quelques -uns  de  ses 
membres  me  les  rend  encore  plus  precieux". 


Reiielung-  der  Finanzen  der  Akademie  (1763  —  65).  368 

führte:  es  sollte  aus  Siiperstition  und  sittlicher  Unfreiheit  zur  Ver- 
nunft und  zu  edlen  Formen  emporstreben.  Aber  bei  allem  Scharf- 
blick fehlte  ihm  die  Einsicht,  dass  sich  kein  Volk  willkürlich  modeln 
lässt,  und  dass  man  volksthümliche  Kräfte  benutzen  muss,  wenn 
man  es  fördern  will.  Dazu:  das  Bildungsideal,  das  ihm  vorschwebte, 
Avar  abstract  und  höfisch  zugleich ;   es  bot  Formen   statt  Kräfte. 

Noch  im  Winter  1763/64  schritt  der  König  zur  Neuordnung  der 
Finanzen  der  Akademie.  Trotz  der  grossen  Summen,  die  während 
des  Krieges  erspart  worden  waren,  war  er  mit  der  Verwaltung  wenig 
zufrieden:  die  Kalender  hätten  mehr  einbringen  müssen;  Euler  sei 
von  dem  Ober-Commissar  —  es  war  noch  immer  Köhler  —  zu 
abhängig,  der  ungebührlich  viel  in  seine  eigene  Tasche  lliessen  lasse. 
Das  behaupteten  auch  Andere ;  aber  Euler  hielt  Köhler  für  unentbehr- 
lich und  traute  ihm,  wie  ihm  einst  von  Jariges  getraut  hatte;  doch 
wurde  das  Kalenderwesen  nun  schärfer  controlirt\  Ein  Theil  der 
ersparten  Gelder  (s.  oben  S.  354)  wurde  auf  königlichen  Befehl  zu 
einem  grossen  Umbau  des  chemischen  Laboratoriums  und  der  mit 
ihm  verbundenen  Wohnungen,  zur  Einfriedigung  des  botanischen 
Gartens  und  zur  Reparatur  aller  Gebäude  der  Akademie  verwendet. 
Die  Klagen  über  die  Verwaltung  hörten  aber  nicht  auf,  und  die 
Kalender  wurden  nach  Inhalt  und  Ausstattung  schlechter.  Dennoch 
scheute  Euler  vor  einer  Neuordnung  zurück,  und  eine  förmliche 
Klage  Sulzer's  bei  der  Akademie  blieb  ohne  Erfolg;  denn  die  Aka- 
demiker fürchteten  Euler.  Einige  sagten  wohl  mit  Beguelin,  er  werde 
Berlin  verlassen,  wenn  man  ihm  Ungelegenheiten  mache,  und 
dieser  Verlust  würde  grösser  als  alle  Vortheile  einer  besseren  Einrich- 
tung sein.  Jetzt  steckte  sich  Sulzer  hinter  de  Catt,  und  der  König 
erliess  eine  Ordre,  in  welcher  er  eine  Commission  niedersetzte  zur 
Reform  der  Administration  der  Akademie  (2  i.  Februar  1765)".  Ob- 
gleich Euler  selbst  (neben  Merian,  Sulzer,  Beausobre,  Castillon 
und  Lambert)  in  die  Commission  gewählt  wurde,  empfand  er  diese 
Maassnahme  doch  als  ein  Misstrauensvotum  und  als  eine  persönliche 
Kränkung;  bisher  »hatte  er  alles  allein  regiert,  und  er  wollte  auch 
nichts  Nachtheiliges  gegen  Köhler  geschehen  lassen«.  Übrigens 
hatte  er  wirklich  Feinde  in  der  Akademie,  vor  allem  Formet,  aber 
auch  Sulzer  und  Lambert  scheinen  ihm  nicht  günstig  gesinnt  ge- 
wesen zu  sein. 


^    Schon  damals  hat  Euler  daran  gedacht,  Berlin  den  Rücken  zu  kehren  und 
wieder  nach  Petersburg  zu  gehen  (s.  seinen  Brief  an  Goldbach  vom  i.  October  1763)- 
-    Siehe  Akademisches  Archiv  und  Sulzer,  Lehensbeschreibung  S.43tT. 


364    Geschichte  der  Akademie  unter  P'rikdrich  dem  Grossen    (1746—1786). 

Die  Commis.sioii  konnte  sich  über  die  an  den  König  zu  rich- 
tenden Vorschläge  nicht  einigen  und  sandte  daher  drei  verschiedene 
ein.  Sulzer  und  Beausobre  riethen,  das  Kalenderwesen  zu  ver- 
pachten: Lambert  wollte,  die  Commission  solle  es  in  die  Hand 
nehmen  —  man  hehauptete,  er  wünsche  es  seihst  zu  verwalten  — ; 
Euler  schlug  vor,  es  Köhler  unter  neuen  Bedingungen  zu  lassen. 
Ohne  Wissen  der  Commission ,  um  sich  den  Sieg  zu  sichern ,  schrieb 
er  an  den  König;  aber  dieser  Schritt  hatte  den  entgegengesetzten 
Erfolg:  der  König  entschied  sich  für  die  Verpachtung,  bevor  ihm 
noch  die  Vorschläge  eingereicht  waren,  und  richtete  an  Euler  ein 
scharfes  Schreiben^:  »ich  verstehe  zwar  keine  Curven  zu  berechnen, 
aber  das  weiss  ich,  dass  16000  Thlr.  mehr  sind  als  13000«.  Die 
Commission  war  entrüstet,  als  sie  von  dem  Briefwechsel  Euler's 
mit  dem  König  erfuhr,  und  nöthigte  ihn,  das  wenig  schmeichelhafte 
königliche  Schreiben  in  der  Sitzung  zu  verlesen.  Dennoch  war  er  so 
unvorsichtig,  sich  noch  einmal  direct  an  den  Monarchen  zu  wenden, 
was  ihm  nur  «eine  sehr  ernsthafte  Antwort  eintrug,  die  er  Niemandem 
gezeigt  hat«,  «In  dergleichen  Fällen  verrechnete  sich  unser  grosser 
Geometer  erstaunlich«,  sagte  sein  Freund  Merl\n.  Schärfer  drückte 
sich  Sulzer  aus:  «Es  ist  ganz  unglaublich,  von  was  für  kindischen 
Besorgnissen  —  er-  glaubte ,  bei  einer  Neuordnung  würde  sein  Gehalt 
nicht  mehr  regelmässig  aus])ezalilt  werden  —  und  Vorurtheilen  dieser 
in  seinem  Fach  so  grosse  Mann  eingenommen  war«.  Der  peinliche 
Vorgang  reifte  in  Euler  den  Entschluss,  Berlin  zu  verlassen  und 
nach  Petersburg  zurückzukehren.  Dass  er  d'Alembert  nachgesetzt 
worden  war  und  nun  auch  in  seinem  Wirken  für  die  Akademie  durch 
eine  Commission  beschränkt  werden  sollte,  war  ihm  zuviel.  Wer 
wird  diesen  Entschluss  dem  Manne  verargen,  der  fast  zehn  Jahre 
der  Leiter  der  Akademie  gewesen  war  und  jetzt  seine  Herrschaft 
mit  kleineren  Geistern  theilen  sollte"?  Erst  auf  das  dritte  Abschieds- 
gesuch  antwortete  der  König,   und  zwar  mit  der  freundlichen  Auf- 


^    Am  16.  Juni  1765   (Oiuvres  T.  20  p.  208 f). 

^  Etwas  dunkel  schreibt  Formey  (Souv.  I  p.  159),  der  Rücktritt  Eüler's  >>ne 
vient  d'aucun  nieprls  pour  I'Academie.  II  l'aimait  et  aurait  volontiei's  fini  ses  jours 
dans  une  capitale  oü  il  jouissait  de  tous  les  agrements  possibles.  Je  pourrais  ra- 
conter  au  long  et  fort  exactement  tout  ce  qui  occasionna  son  mecontentement  et  sa 
retraite.  Mais  je  ne  ci'ois  pas  que  c'en  soit  encore  le  temps».  Vermuthen  darf 
man,  dass  Lambert's  Art  Euler  unsympathisch  war.  und  dass  dieser  sich  nicht 
freundlich  zu  ihm  gestellt  hat.  Auch  ist  es  wahrscheinlich,  dass  er  an  der  im  Jabre  1765 
vom  Könige  gegründeten  Ritterakademie  unterrichten  sollte,  und  dass  ihm  diese  Aus- 
sicht nicht  verlockend  war. 


EcLER  verlässt  die  Akademie  (1766).  3b5 

forderung,  Euler  möge  seine  Eingabe  zurückziehen  und  nicht  wieder 
auf  die  Sache  zu  sprechen  kommend  Allein  er  war  entschlossen, 
Berlin  zu  verlassen,  und  zwar  mit  seinem  Sohne,  dem  Akademiker. 
Am  2 .  Mai  ertheilte  ihm  Friedrich  in  kurzen  Worten  und  ohne  Dank 
den  Abschied  «pour  aller  en  Russie«,  und  in  der  Sitzung  am  29.  Mai 
war  Euler  zum  letzten  Mal  in  der  Akademie,  die  ihm  ihr  Bedauern 
über  sein  Scheiden  aussprach".  Fünfundzwanzig  Jahre  hatte  er  ihr 
angehört  und  ihren  Ruhm  erhöht^.  Der  König  war  betrübt  und 
gekränkt;  wieder  sah  er  einen  Akademiker,  und  einen  so  hervor- 
ragenden, nach  Petersburg  ziehen^.  Auch  d'Alembert  bestärkte 
ihn  in  der  schmerzlichen  Überzeugung,  dass  er  diesen  Verlust  nicht 
hoch  genug  schätzen  könne.  Erst  nach  zehn  Jahren  hören  wir  von 
einer  Correspondenz  des  Königs  mit  Euler,  der  unterdess  völlig  er- 
blindet war,  aber  fortfuhr,  die  Welt  durch  mathematische  Arbeiten 
ersten  Ranges  in  Erstaunen  zu  setzen.  In  zwei  Briefen  dankt  ihm 
Friedrich  für  seine  Vorschläge  über  eine  zweckmässige  Calculation  der 
Wittwenkasse ,  in  einem  dritten  für  seine  Wahl  zum  Ehrenmitglied 
der  Petersburger  Akademie^.     Der  Friede  war  nun  wieder  hergestellt^. 

^  Brief  vom  17.  März  1766  (Qiluvres  T.  20  p.210):  »Je  veux  bien  vous  dire  par 
la  presente  que  vous  me  ferez  plaisir  de  vous  desister  de  cette  demande  et  de  ne 
plus  m"ecrire  sur  ce  sujet". 

-    Akademische  Pi'otokoUe. 

^  Auch  sonst  hatte  er  sich  im  Staate  nützlich  gemacht.  Er  hat  öfters  Gut- 
achten abgegeben  über  die  Besetzung  von  Universitätsprofessuren  und  über  grosse 
Unternehmungen ,  so  über  Finanzfragen ,  zu  deren  Lösung  es  der  INIathematik  be- 
durfte (Lotterien,  Pensionskassen  u.  s.  w.),  und  über  technische  Pläne  (Oder- 
Havel -Kanal,  Wasserwerke  zu  Sanssouci,  Ausbeutung  von  Salzbergwerken  u.  s.  w.). 
LuccHESiNi  berichtet  (7.  Juli  1783),  der  König  habe  in  einem  Gespräch  gesagt, 
Euler  habe  zwei  h'rthümer  begangen ,  erstlich ,  dass  er  Berlin  für  eine  Stadt  hielt, 
in  der  sich  etwas  machen  Hesse,  zweitens,  dass  er  die  Arbeiten  für  den  Kanal  zur 
Herstellung  der  Wasserkünste  im  Garten  von  Sanssouci  schlecht  leitete. 

*  Es  will  dagegen  wenig  besagen,  was  Lucchesini  (19.  Juni  1782)  von  dem 
Verhältniss  des  Königs  zu  Euler  erzählt  hat  (Bischoff,  Gespräche  Friedrich's  des 
Grossen  mit  H.  de  Catt  u.  s.  w.   1885  S.  23of.). 

"  Vergl.  den  Brief  an  Domaschnew,  den  Director  der  Petersburger  Akademie, 
vom   17.  November  1776  (CEuvres  T.  20  p.  191). 

^  Bi'iefe  vom  16.  April  und  ii.October  1776  und  i. Februar  1777  (CEuvres  T.  20 
p.  2ioff.).  —  Bei  der  Übersiedelung  Euler's  nach  Petersburg  waren,  so  hörte  der 
König,  seine  Papiere  untergegangen.  Friedrich  meldete  das  d'Alembert  nicht 
ohne  Schadenfreude,  an  der  aber  seine  Abneigung  gegen  die  Mathematik  den  meisten 
Antheil  hat  (26.  Juli  1766,  Qj^uvres  T.  24  p.  407):  »M.  Euler  qui  aiine  a  la  folie 
la  grande  et  la  petite  Ourse,  s'est  approche  du  nord  pour  les  observer  plus  ä  son 
aise.  Un  vaisseau  qui  portait  ses  xz  et  son  kk  a  fait  naufrage;  tout  a  ete  perdu, 
et  c'est  dommage,  parce  qu'il  y  aurait  eu  de  quoi  remplir  six  volumes  in-folio  de 
memoires  chiffres  d'un  bout  äl'autre,  et  l'Europe  sera  vraisemblableinent  privee  de 
Tagreable  amusement  que  cette  lecture  lui  aurait  donne«. 


366    Geschiclite  der  Akademie  untei-  Friedrich  dem   Grossen  (174(3 —178()). 

Die  Akademie  hatte  Euler  verloren;  aber  noch  in  demselben 
Jahre  trat  J.  Louis  de  Lagrange  für  ihn  ein,  und  das  Jahr  vorher 
war  J.  Heinrich  Lambert  gewonnen  worden.  In  jenem,  der  aus  Turin 
knm.  erhielt  Euler  den  würdigsten  Nachfolger,  der  sich  damals  in 
Europa  finden  liess,  und  dieser^  war  neben  Kant,  mit  dem  er  zu- 
sammen genannt  werden  darf",  der  letzte  universale  Mathematiker 
und  Philosoph  des  i8.  Jahrhunderts,  in  Vielem  an  Leibniz  erinnernd, 
ein  genialer  Autodidakt  von  Kenntnissen,  Tiefsinn  und  einem  uner- 
müdlichen Schaffenstrieb '^,  dazu  ein  Naturbursche  und  in  dieser  Hin- 
sicht der  Gegensatz  zu  Leibniz.  Seine  erste  Begegnung  mit  dem 
König  war  sonderbar  genug  gewesen.  Die  Berliner  Akademiker 
hatten  es  durchgesetzt,  dass  der  König  den  Gelehrten  —  er  war 
Münchener  Akademiker  —  nach  Berlin  kommen  liess,  um  ihn  sich 
anzusehen.  Die  Audienz  enttäuschte  den  Monarchen  bitter;  Lambert 
soll  sich  »wie  ein  Bär«  benommen  und  den  König  zugleich  durch 
hochfahrende  Antworten  abgestossen  haben.  Auf  die  Frage,  welche 
Wissenschaften  er  vorzüglich  verstehe,  antwortete  er  «alle«,  und  auf 
die  weitere  Frage,  wie  er  alles  dieses  Wissen  erlangt  habe,  »gleich 
dem  berühmten  Pascal  durch  mich  selbst«.  Der  König  entliess  ihn 
ungnädig  —  was  Lambert  aber  gar  nicht  merkte  —  und  weigerte 
sich,  ihn  in  die  Akademie  aufzunehmen.  Erst  nach  einem  halben 
Jahr,  als  der  russische  Gesandte  den  bereits  berühmten  Mann  für 
Petersburg  gewinnen  wollte,  gab  er  ihm  die  vStelle  und  500  Thlr.  Ge- 
halt. So  erzählt  Sulzer*,  und  ein  Brief  des  Königs  an  d'Alembert 
bekräftigt  diesen  Bericht''.     Aber  bald  lernte  der  König  den  grossen 


^  Geb.  am  26.  August  1728  zu  Mühlhausen  imElsass,  gest.  am  25.  Septem- 
ber 1777.    Lagrange  ist  am  25.  Januar  1736  geboren,  am   10.  April  1813  gestorben. 

^  Siehe  den  Briefwechsel  zwisclien  beiden  Männern  in  Kant's  Wei'ken  (heraus- 
gegeben von  Hartenstein),  Bd.  VllI,  2  S.  649fr.  Sie  haben  geplant,  sich  zu  ge- 
meinsamen Arbeiten  zusammen  zu  thun.  s.  Lambert's  Brief  vom  December  1770. 

^  Wie  Leibniz  interessirte  er  sich  auch  für  alle  Fortschritte  der  Technik  und 
suchte  die  mechanischen  Wissenschaften  für  die  Praxis  nutzbar  zu  machen.  Über 
i> Tinte  und  Papier»  liat  er  seine  Beobachtungen  niedergeschrieben  (Memoires  1770 
p.  58 ft'.)  und  über  einen  zweckmässigen  Krankenstuhl  ein  Gutachten  abgegeben 
(Akad.  Protokolle,  3.  März  1774). 

*    Lebensbeschreibung  S.  38 f. 

^  Friedrich  an  d'Alembert  (Qiiuvres  T.  24  p.  39if.):  »On  m"a,  pour  ainsi 
dire,  presque  force  de  jjrendre  la  plus  maussade  creature  qui  soit  dans  l'univers 
pour  la  mettre  dans  notre  Academie.  II  se  nomine  Lambert,  et  quoique  je  puisse 
attester  qu'il  n"a  pas  le  sens  commun,  on  pretend  que  c'est  un  des  plus  grands 
geometres  de  l'Europe.  Mais  comme  cet  homme  ignore  les  langues  des  mortels,  et 
qu'il  ne  parle  qu'equations  et  algebre,  je  ne  me  projiDse  pas  de  sitot  d'avoir  l'honneur 
de  nrentretenir  avec  lui.     En  revanche.  je  suis  tres    content  de  M.  Toussaint.  dont 


Lagrange,  Lajibert,  Toussaixt   und  Thikbaili.  o\)  i 

Pliilosophen    und  Mathematiker    schätzen    und    erhöhte    sein  Gehalt 
auf  1 1  oo  Thlr. 

Ungetrübte  Freude  hatte  der  König  neben  Castillon  an  Toussaixt 
und  Thiebault;  jener  wurde  1764,  dieser  1765  in  die  Akademie 
aufgenommen.  Toussaint,  der  freisinnige  Verfasser  des  Buchs  über 
«die  Sitten«,  war  zugleich  an  der  Ritterakademie  angestellt.  Diese 
neue  Schöpfung  (1765)  suchte  Friedrich  in  enge  Verbindung  mit 
der  Akademie  zu  bringen  und  wählte  nicht  selten  die  Akademiker 
im  Interesse  dieser  Schule  aus.  Er  glaubte  davon  einen  doppelten 
Vortheil  zu  haben;  denn  erstlich  trug  die  Akademie  so  einen  Theil 
der  Kosten  jener  Anstalt,  zweitens  mussten  einige  ihrer  Mitglieder 
nun  dociren.  Toussaint  hat  in  Berlin  kein  grösseres  Werk  mehr 
geschrieben;  aber  er  war,  wie  Denina  sagt\  der  einzige  von  Friedrich 
bezahlte  Franzose,  der  es  sich  angelegen  sein  Hess,  seine  Landsleute 
mit  deutschen  Schriftstellern  bekannt  zu  machen.  So  übernahm  er 
auch  die  Übersetzung  von  Winckelmann's  Geschichte  der  Kunst 
—  Winckelmann  selbst  hatte  das  gewünscht  — ,  aber  er  führte  sie 
nicht  zu  Ende.  Eine  ähnliclie  Doppelstellung  wie  er  hatte  Thiebault, 
der  an  der  Ritterakademie  französische  Grammatik  lehrte"";  aber 
ausserdem  trat  er  dem  Könige  selbst  persönlich  nahe,  corrigirte 
sein  Französisch   und  hat  auch  Aufsätze  Friedrich's  in  der  Akademie 


j"ai  fait  l'acquisition.  Sa  science  est  plus  humaine  que  celle  de  l'autre.  Toussaixt 
est  un  habitant  d'Athenes,  et  Lambert  un  Cara'ibe,  ou  qiielque  savivage  des  cotes 
de  la  Cafrei-ie.  Cependant,  jusqu'ä  M.  Euler,  toute  l'Aeademie  est  a  genoux 
devant  lui,  et  cet  animal  tout  crotte  du  bourbier  de  la  plus  crasse  pedanterie  re<^oit 
ces  hommages  comme  Caligula  recueillait  ceux  du  peuple  romain ,  chez  le(iuel  il 
voulait  passer  pour  dieu.  Je  vous  prie  que  ces  petites  aneedotes  de  notre  Aca- 
demie  ne  sortent  pas  de  vos  niains.  II  n"est  pas  de  meine  de  ce  corps.  qui  en 
peut  imposer  de  loin,  si  on  l'examine  en  detail«  u.  s.  w.  Hierauf  antwortete 
d'Alembert  (i.März  1765,  OEuvres  T.  24  ]i.  394),  er  kenne  Lambert  nur  aus  einem 
guten  Buche ,  das  er  geschineben ;  liege  Euler  vor  ihm  auf  den  Knieen ,  so  sei  das 
thöricht.  denn  Euler  sei  viel  bedeutender;  übrigens  gebe  es  in  der  Wissenschaft 
wie  im  Himmel  mehr  als  einen  ehrenvollen  Platz,  und  Lambert  sei  sehr  würdig, 
einen  derselben  zu  besetzen.  Man  versichert  mich  auch,  dass  er  mehrere  treffliche 
Werke  verfasst  hat.  »Je  le  trouverais  encore  assez  bien  jDartage,  quand  il  serait  a 
M.  Euler  (pour  parier  mathematiquement)  en  meme  proportion  que  des  Cartes  et 
Newton  sont  a  Bayle,  suivant  V.M.,  ou  que  Bayle  est  a  des  Cartes  et  Newton, 
Selon  an  geometre  de  votre  connaissance.« 

^    La  Prusse  litt.  T.  Hl  p.  407. 

-  An  d'Alembert,  der  ihn  empfohlen,  schrieb  Friedrich  (October  1764,  Quivres 
T.  24  p.  387):  "Vous  me  ferez  beaucoup  de  plaisir  de  m'envoyer  le  jiretre,  Par 
respect  pour  l'Etre  supreme,  on  ne  le  chargera  pas  trop  ici  du  soin  de  faire  un 
Dieu;  on  ne  lui  demandera  que  de  bien  connaitre  la  grammaire.  en  le  dispensant 
de  TEvanuile«. 


368     Gescliichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1746—1786). 

gelesen.  Ein  dritter  Lehrer  an  der  Schule,  der  Schweizer  Weguelin, 
der  sich  durch  seine  Übersetzungen  aus  dem  Französischen  bekannt 
gemacht  hatte  und  historische  Studien  trieb,  ursprünglich  auch  ein 
Geistlicher,  wurde  1766  aufgenommen.  Zwei  Jahre  später  führte  der 
König  den  Benedictiner  Pernety,  den  er  zu  seinem  Bibliothekar  ge- 
macht hatte,  der  Akademie  zu.  Es  wird  behauptet,  er  sei  in  Folge 
einer  Verwechselung  nach  Berlin  gekommen  (s.  oben  S,  358);  der 
König  habe  den  Verfasser  des  Buches  »sur  les  physionomies«  ge- 
winnen wollen,  den  gleichnamigen  Verwandten  Pernety's\  Die  Aka- 
demie musste  den  bescheidenen,  aber  unbedeutenden  Mann  auf- 
nehmen, um  der  Cabinetskasse  die  1000  Thlr.  zu  ersparen,  die  dem 
Abbe  ausgesetzt  waren.  Noch  vor  dem  Tode  Friedeich' s  nahm  er 
übrigens  seinen  Abschied  (i  783)  und  ging  nach  Valence.  Es  ist  merk- 
würdig, wie  viele  schiffbrüchige  Priester  und  Theologen  der  König 
zu  sich  gezogen  hat;  nur  solche  waren  ihm  willkommen".  Solange 
sie  auf  ihrem  Schiff  aushielten,  verachtete  er  sie;  aber  sie  theilten 
diese  Verachtung  mit  den  zünftigen  Medicinern.  »Pour  moi«,  schrieb 
Friedrich  an  Voltaire^,  »detrompe  des  longtemps  des  charlataneries 
qui  seduisent  les  hommes,  je  ränge  le  theologien,  l'astrologue, 
l'adepte  et  le  medecin  dans  la  meme  categorie«.  Auch  Bitaube, 
der  Hugenott  aus  Königsberg,  der  in  demselben  Jahre  wie  Lagrange 
und  Weguelin  aufgenommen  wurde,  war  ursprünglich  Geistlicher. 
Er  wandte  sich  aber  bald  der  schönen  Litteratur  zu,  beschäftigte 
sich  mit  Rousseau,  lieferte  eine  geschätzte  französische  Übersetzung 
des  Homer  und  verfasste  selbst  heroische  Gedichte,  Diese  Thätig- 
keit  empfahl  ihn  dem  Könige,  und  er  verlieh  ihm  einen  Sitz  in 
der  Akademie;  der  Markgraf  von  Ansbach  machte  ihn  ausserdem 
zu  seinem  Residenten  in  Berlin.  In  der  Mitte  der  achtziger  Jahre 
begab  er  sich  nach  Paris,  ohne  seine  akademische  Stellung  aufgeben 
zu  müssen  —  der  Markgraf  hatte  ihm  das  ausgewirkt  — ,  und  wurde 
dort  in   die  Revolution  verwickelt. 

Alle  diese  Männer  bedeuteten  für  die  Wissenschaft  im  Grunde 
wenig*.    Dagegen  ist  der  einzige  Deutsche,  der  gleichzeitig  mit  ihnen 


^    Siehe  Denina,  La  Prusse  litteraire  T.  III  p.  151,    Forjiey,    Souv.  I    p.  155. 

-  Nie  oder  ganz  ausnahmsweise  erinnerten  sich  diese  Männer  ihrer  früheren 
theologischen  Studien.  Weguelin  hat  in  den  Mem.  1782  p.  5170".  eine  Studie  über 
Athanasius  veröfientlicht;  sie  ist  unbedeutend,  aber  anerkennender,  als  es  damals 
einem  Kirchenvater  gegenüber  üblich  war. 

^    OEuvres  T.  23  p.  91  vom   i.  Januar  1765, 

*  Die  Grenzen  des  französischen  Geistes  kannte  übrigens  Friedrich  sehr  wolil. 
Sclion    1760    liat    er    nn  Voltaire   gesclirieben    (OEuvres  T.  23    p.  83  vom    12.  Mai): 


3Io.sES  ]Mendi:lssuiix  vom  Könige  abgelehnt.     Die  Kaiserin  Katharina.     o69 

aufgenommen  wurde'  (1768),  Carl  Abrahaji  Gerhard  (geb.  26.  Fe- 
))ruar  1738),  einer  der  hervorragendsten  Mineralogen  und  Geologen 
seiner  Zeit  gewesen,  wenn  er  auch  durch  seine  Lehre  von  der  »Ver- 
wandlung und  dem  Übergang  einer  Stein-  und  Erdart  in  die  andere« 
seinem  Ruf  geschadet  hat.  Von  diesem  stillen  Gelehrten  wurde 
aber  in  dem  Kreise  der  französischen  Litteraten  wenig  Aufhebens 
gemacht.  Die  Akademie  besass  andere  Sterne,  vor  allem,  seit  dem 
Herbst  1767  —  die   Kaiserin   Katharina. 

Es  ist  ein  Beweis,  wie  hoch  Friedrich  seine  Akademie  schätzte, 
dass  er  ihr  die  Kaiserin  zugeführt  hat.  Zunächst  wurde  sie  ge- 
beten, die  Ehrenmitgiiedschaft  anzunehmen  (September  i  767);  dann, 
nachdem  sie  dem  Könige  die  von  ihr  verfasste  »Instruction  pour 
la  reformation  des  lois  de  la  Russie«  übersandt  hatte",  wurde  ihr 
auf  Befehl  des  Königs  die  wirkliche  Mitgliedschaft  angeboten  (Ja- 
nuar Februar  176S),  und  sie  nahm  sie  an.  Seitdem  prangte  sie  in 
den  Kalendern  d(n- Akademie  an  der  Spitze  der  auswärtigen  Mitgliedei-. 
Der  König  und   die  Akademiker   waren  stolz   auf  diese  Collegin^  — 


'•La  France  a  p'.i  pioduire  des  des  Cartes,  des  INIalebranche,  niais  ni  des  Leibxiz, 
ni  des  Locke,  ni  des  Newton.  En  revanche,  pour  le  goüt,  vons  surpassez  toutes 
Ips  autres  nations,  et  je  me  rangerai  sons  vos  etendards  quant  ä  ce  qui  regarde  la 
finesse  du  discernement  et  le  clioix  judicieux  et  scrupideux  des  veritables  beautes 
de  Celles  qui  n'ent  ont  que  l'apparence.  C'est  une  grande  avance  pour  les  I)elles- 
lettres.  mais  ce  n"est  pas  tout". 

'■  Der  um  die  »Allgemeine  Deutsche  Bibliothek-  sich  sanunelnde  Kreis,  zu 
dem  auch  Sulzer  gehörte,  versuchte  es  seit  der  ^Nlitte  der  sechziger  Jahre,  ]Moses 
^Mendelssohn  der  Akademie  zuzuführen  (er  hatte  im  .Juni  1763  den  akademischen 
Preis  fiir  eine  Abhandlung  erhalten),  allein  es  gelang  uiclit.  Über  die  im  Jahre  177 1 
wiederholten  Versuche  —  in  der  Akademie  selbst  hatte  Mendelssohn  die  Majorität 
erlangt  —  imd  ihre  Zurückweisung  durch  den  König  s.  unten  Cap.  4.  —  Aus  einem 
Brief  d'Alembert's  an  den  König  vom  15.  December  1775  (CEuvres  T.  25  p.  ^i^,) 
geht  liervor,  dass  d'Alejibert  (bei  seinem  Aufenthalt  in  Berlin)  dem  Könige  Johann 
David  ^Michaelis  in  Göttingen  als  Akademiker  empfohlen  hat;  aber  Michaelis  lehnte 
den  Ruf  ab.  ]Man  wundert  sich,  dass  d'Alembert  die  Aufmerksamkeit  des  Königs 
auf  einen  deutschen  Gelehrten  gelenkt  hat;  aber  das  Räthsel  löst  sich.  jMichaelis  hatte 
im  Jahre  1759  den  akademischen  Preis  gewonnen  mit  einer  Abhandlung,  die  im  Jalire 
1760  auch  tranzösisch  erschienen  war  unter  dem  Titel:  »De  rinlluence  des  opinions 
sur  le  langage  et  du  langage  sur  les  opinions«.  Diese  Übersetzung  hatte  d'Alejibert 
gelesen.  Im  Jahre  1775  hat  der  Pariser  Gelehrte  die  Berufung  noch  einmal  in  Vor- 
schlag gebracht,  als  er  hörte,  ^Michaelis  sei  nun  geneigter  zu  kommen.  Es  wurde 
aber  nichts  aus  der  Sache. 

^  Siehe  die  Correspondenz  in  den  CEuvres  T.  18  p.  259!'.,  260 ff.  vom  17.  Oc- 
tober  und  26.  November  1767.  Dort  auch  die  ÜMotivirung,  weshalb  die  Kaiserin  ihren 
Aufsatz  dem  Könige  handschriftlich  und  deutsch  gesandt  hat. 

^  Der  König  stellte  die  nordische  Seiniramis  mit  Lykurg  und  Solon  zusam- 
men; sie  selbst  hatte  bescheiden  in  ihrem  Schreiben  erklärt,  das  meiste  in  ihrer 
"Instruction"    verdanke  sie  ]\Iontes(^uiei;  und  Beccaria. 

Geschichte  der  Akademie.    I.  24 


B70    (tpscliiclitn  der  Akademie  nntei'  Fiuedrich   dem  Grossen  ( 174<)  — 1786). 

die  einzige,  welche  sie  geliabt  haben;  denn  die  beiden  Damen  Kirch, 
Mutter  und  Tochter,  hatten  zwar  redlich  für  die  Akademie  ge- 
arbeitet, waren  aT)er  nie  Mitglieder  geworden  \  und  die  schöngeistige 
und  gelehrte  Gräfin  Skorzewska  durfte  zwar  ihre  Abhandlung  »Con- 
siderations  sur  l'origine  des  Polonais«  in  der  Akademie  vorlesen 
lassen  —  sie  selbst  war  dabei  zugegen  (26.  Januar  1769)  — ,  aber 
ein   Sitz  wurde  ilir  nicht  eingeräumt"'. 

Die  öffentlichen  Sitzungen  w^aren  noch  immer  Veranstaltungen, 
an  denen  die  ganze  Hofgesellschaft  Antheil  nahm.  Für  berühmte 
Gäste  Hess  der  König  ausserordentliche  Sitzungen  aT)halten.  Viel 
besprochen  wurde  besonders  die  Sitzung,  in  der  Achmed -Effendi 
empfangen  wurde  (3  i.  December  i  763).  Die  Akademie  musste  ihm 
allerlei  Experimente  vorführen,  die  den  Türken  in  Erstaunen  luid 
Schrecken  setzten^.  Friedrich  selbst  hat  seltener  als  früher  Al)hand- 
lungen  in  der  Akademie  lesen  lassen,  in  den  sechziger  Jahren,  so- 
viel l)ekannt,  nur  das  Eloge  auf  den  Prinzen  Heinrich  (30.  Decem- 
ber 1767)*.  Merkwürdig,  je  skeptischer  der  König  in  Bezug  auf 
die  theoretischen  Wissenschaften  wurde,  je  mehr  in  ihm  Bayle  über 
alle  philosophischen  Systeme  siegte ,  um  so  bestimmter  wandte  er 
sein  ganzes  Interesse  der  praktischen  Moral  zu  und  den  Mitteln,  sie 


^  Über  Frau  Kirch,  die  ^Mutter,  s.  oben  S.  ii4f.  Die  Tochter.  Frl.  Chiustixk 
Kirch,  hat  erst  mit  dem  Bruder,  dann  nach  dessen  Tode  allein  an  den  Kalendern, 
und  zwar  an  denen  für  Schlesien,  gearbeitet,  für  ein  so  geiünges  Gehalt,  dass  sie 
immer  wieder  um  Gratificationen  nachsuchen  musste,  die  sie  in  der  Höhe  \on  20 
und  30  Thlrn.  erhielt.  Ihre  Pünktlichkeit  in  den  Berechnungen  A\ar  anerkannt. 
Bis  zu  ihrem  77.  Jahre  hat  die  alte  Dame  die  Kalender  besorgt.  Am  3.  August  1772 
wurde  ihr  mitgetheilt.  dass  ihr  die  Akademie  unter  Belassimg  des  vollen  Gehalts 
ihren  Neffen  Bode  — ■  er  zeichnete  sich  später  als  trefflicher  Astronom  ans  — 
beigegeben  habe;  sie  brauclie  fortan  nur  so  viel  zu  arbeiten,  als  sie  wolle,  und 
solle  BoDK  anleiten.  «Wir  können  übrigens  nicht  umhin,«  schreiben  die  Di- 
rectoren,  »der  Mademoiselle  Kirch  darüber  Glück  zu  wiuischen,  dass  diese  Sache 
denjenigen  glücklichen  Ausgang  genommen,  den  wir  uns  in  Betrachtung  der  von 
den  beiden  Hrn.  KiRcnen  und  besonders  auch  von  der  Mademoiselle  Kirch  uns  seit 
hundert  Jahren  geleisteten  guten  Dienste  vorsetzen  mussten«   (Akademisches  Archiv). 

"    Siehe  Qiluvres  T.  20  p.  XI.  p.  i7ff. 

^  In  der  Sitzung  vom  26.  April  1771  war  der  König  von  Schweden  zugegen 
und  besichtigte  auch  das  Naturaliencabinet.  «Es  Avurde  ihm  ein  Wurm  gezeigt, 
der  lebend  aus  dem  Augapfel  eines  tartarischen  Pferdes  genommen  war.«  Noch 
immer  sollten  die  Naturforscher  «Curiositäten«  sehen  lassen.  Am  24.  Juli  1776 
wurde  auf  Befehl  des  Königs  eine  ausserordentliche  Sitzung  gehalten,  um  einen 
russischen  Grossfüi'sten  zu  empfangen. 

^  Vergl.  den  Brief  an  d'Alembert  vom  7.  Januar  1768  und  dessen  Antwort 
vom  29.  Januar  (OEuvres  T.  24  p.  429 ff.).  Dieses  Eloge  ist  nicht  in  den  Meinoires 
erscliienen  (s.  QSuvres  T.  VII  p.  X,  p.  37ff.). 


Dit:"  letzten  sechzehn  Jahre  Friedrich's.  ö  /  1 

in  einem  Vollve  zu  pflegend  »Alle  die  modernen  naturwissenscliaft- 
lichen  Bemühungen  in  Bezug  auf  Elektricität,  Gravitation  und  Cliemie 
haben  die  Mensehen  nicht  gebessert  und  ihren  moralischen  Zustand 
nicht  geändert;  sie  sind  also  ein  Luxus"";  die  Naturforscher  selbst 
werden  ja  durch  ihre  Wissenschaft  nicht  vorzüglichere  Menschen! 
Was  Avollen  also  alle  jene  Entdeckungen  der  Modernen  für  die  Ge- 
sellschaft bedeuten,  Avenn  die  Philosophie  das  Capitel  der  Moral  und 
der  Sitten  vernachlässigt,  auf  welches  die  Alten  ihre  ganze  Kraft 
verwendet  haben.«  Diese  Gedanken  trug  er  d'Alembert  vor;  er  habe 
sie  lange  im  Herzen  gehegt  und  schütte  sie  jetzt  vor  dem  grössten 
Philosophen  der  modernen  Zeit  aus.  ■  d'Alembert  trat  in  seiner  be- 
sonnenen und  bestimmten  Weise  für  die  theoretischen  Wissenschaften 
ein,  schloss  aber  seine  Ausführungen  mit  den  Worten:  »Je  conviens 
cependant  avec  V.  M.  que  la  morale  est  encore  plus  interessante, 
et  qu"elle  merite  surtout  Tetude  des  philosophes;  le  malheur  est 
<|u"on  Ta  partout  melee  avec  la  religion,  et  que  cet  alliage  lui  a  fait 
beaucoup  de  tort^'«.  Das  war  das  »ceterum  censeo«  des  linken  Flügels 
der  Aufklärung,  den  d'Alembert  commandirte.  Der  König  war  nicht 
ganz   seiner  Meinung. 

5. 

Die  letzten  sechzehn  Jahre  der  Regierung  Friedrich's  des 
Grossen  sind  für  die  Akademie  still  verlaufen.  Nachdem  sie  die 
Bände  Memoires,  die  sie  zur  Zeit  des  grossen  Krieges  ungedruckt 
gelassen,  nachgeholt  hatte  (von  1766  — 1770  erschienen  je  zwei 
Bände,  s.  oben  S.  349),  begann  sie  eine  neue  Serie  derselben  in 
grösserem  Format  und  besserer  Ausstattung,  jedesmal  eingeleitet 
durch  einen  geschichtlichen  Bericht.  Allein  die  wirkliche  Geschichte 
der  Akademie  findet  man  nicht  in  diesen  Einleitungen.  Sie  steht, 
in  den  Hauptzügen,    bis    zu   d'Alembert's  Tode   (29.  October   1783) 


^  Schon  seit  der  «histruction  pour  la  clirection  de  l'Academie  des  Nobles  a 
Berlhi"  (1765,  Oeuvres  T.  IX  p.  yyff.)  rückten  die  paedagogischen  Fragen  für  den 
König  in  den  Vordergrund.  Den  schönen  Ausspruch:  »Es  ist  ganz  sicher  der 
weiseste  Entschluss,  den  man  fassen  kann,  der,  ein  rechtschaffener  Mensch  zu  sein», 
hat  er  schon  im  Jahre  1760  gethan  (s.  Bischoff,  Gespräche  Friedrich's  des  Grossen 
mit  DE  Catt  U.S.W.     1885.  S.  105). 

^  Aber  soweit  die  naturwissenschaftlichen  Entdeckungen  und  Arbeiten  prak- 
tischen Erfolg  versprachen,  hat  sich  der  König  stets  für  sie  interessirt.  So  wies 
er  (24.  Mai  1767)  aus  den  Mitteln  der  Akademie  200  Thlr.  für  Gleditsch  an  zu 
Versuchen  mit   »inländischer  Barnnwolle". 

^    Briefe  vom   7.  und   29.  Januar  1768  (a.a.O.). 

24* 


372    Geschichte  der  Akademie  unter  P^riedkich   dein  Grossen  (174tJ  — 1786). 

in  dem  Briefwechsel  verzeichnet,  den  der  köni^^liche  Proteetor  der 
Akademie  mit  ihrem  heimlichen  Präsidenten  fast  ununterhrochen 
geführt  hat. 

Zunächst  setzte  sich  in  der  Correspondenz  mit  d'Alembert  das 
moralisch-paedagogische  Haiiptthema  fort:  denn  erst  seit  den  sieb- 
ziger Jahren  wurde  der  König  zum  vollkommenen  Moralisten  im 
Sinne  der  antiken  Moralphilosophen  des  2.  Jahrhunderts  und  Hess 
alle  anderen  Interessen,  selbst  die  belletristischen  und  musikalischen, 
hinter  die  paedagogischen  zurücktreten.  Die  negative  und  die  posi- 
tive Seite  des  Problems:  wie  wird  der  schädliche  Aberglaube  über- 
wunden und  wie  werden  Raison  und  Tugenden  gepflanzt?  inter- 
essirten  ihn  in  gleicher  Weise.  Während  aber  d'Alembert,  ebenso 
radical  wie  streng  wahrhaftig,  die  Ausrottung  aller  Superstitionen  em- 
pfahl in  der  sicheren  "Überzeugung,  dass  die  Wahrheit  den  Menschen 
stets  und  unter  allen  Umständen  nützlich  sei,  controlirte  in  Friedrich 
der  Staatsmann  den  Philosophen  und  rieth  zu  behutsamen  Maass- 
nahmen.  Schon  im  Jahre  1769  hatte  d*Ale3ibert  dem  Könige  ge- 
schrieben^: »La  question:  s'il  se  peut  fnire  que  le  peuple  se  passe  de 
fables  dans  un  Systeme  religieux,  meriterait  bien  d'etre  proposee  par 
une  Academie  teile  que  la  vötre.  Je  pense,  pour  moi,  qu'il  taut  tou- 
jours  enseigner  la  verite  aux  hommes,  et  quil  n"y  a  Jamals  davantage 
reel  a  les  tromper.  L' Academie  de  Berlin,  en  proposant  cette  question 
230ur  le  sujet  du  prix  de  metaphysique ,  se  ferait,  je  crois,  beaucoup 
d'honneur  et  se  distinguerait  des  autres  compagnies  litteraires, 
qui  n'ont  encore  que  trop  de  prejuges«.  Damals  wagte  der  König 
noch  nicht,  diese  Frage  als  Preisaufgabe  zu  stellen";  aber  sie  Hess 
ihn  nicht  mehr  los,  und  schliesslich,  im  Jahre  1778,  entschied 
er  sich  zu  dem  Schritt,  der  so  viel  Staub  aufgewirbelt  und  die  Aka- 
demie in  eine  peinliche  Lage  versetzt  hat  (s.  unten).  Einstweilen  l)e- 
gnügte  er  sich  damit,  das  höhere  Unterrichtswesen  zu  heben ,  und 
auch  dabei  sollte  ihm  die  Akademie  behülflich  sein,  nicht  nur  durch 
gute  Übersetzungen  antiker  Schriften ,  auf  die  er  das  grösste  Gewicht 


^    CEuvres  T.  24  p.  467  vom   18.  December  1769. 

^  Er  selbst  entscheidet  sich  in  seiner  Antwort  (8.  Januar  1770  21.4691!'.)  dat'iir, 
dass  der  Irrthuai  leider  nothwendig  sei,  und  oifenbart  dabei  dieselbe  A'orliebe  für 
die  Chinesen  wie  Leibniz;  sie  hätten  von  allen  Völkern  am  wenigsten  Aberglauben: 
»unter  10  ^Millionen  IVIenschen  giebt  es  so  wenige  erleuchtete  Geister,  dass  nichts 
übrig  bleibt,  als  die  Dinge  zu  lassen,  wie  sie  sind;  wer  sie  verbessern  will,  läuft 
grosse  Gefahr«.  Er  schliesst  mit  Fontenelle's  öfters  von  ihm  citirtem  Ausspruch: 
"Wenn  icli  die  Hand  \oll  Wahrheiten  hätte,  ■wüixle  ich  sie  nicht  öffnen,  um  sie  dem 
Publicum  mitzutheilen,   weil  es  sich  der  ]Mühe  nicht  lohnen  würde«. 


INrornlisch -])aedni>,oi;isclie  Tendenzen   Frieprich's.  o/O 

legte  \  sondern  auch  durcli  Gutacliten  über  Studienordnungen.  Bereits 
im  Jahre  1769  legte  der  Obercurator  der  Universitäten  von  Fürst 
der  Akademie  die  methodologische  Anweisung  zum  Studium  vor, 
welche  die  Hallesche  philosophische  Facultät  hatte  ausgehen  lassen". 
Es  erschienen  dann  1770  solche  Anweisungen  gedruckt  für  alle  Facul- 
täten  (Frankfurt  a.O.).  Auf  eine  A'orstellung  von  Fürst"s  (1770)  hat 
der  König  randschriftlich  befohlen":  »Die  Professores  müssen  in 
der  Medicin  besonders  bei  des  Boerhavens  Methode  bleiben,  in  der 
Astronomie  Newton,  in  der  Metaphysik  Locke,  in  den  historischen 
Kenntschaften  der  Methode  des  Thomasius  folgen«.  Am  5.  Sep- 
tember 1779  erfolgte  dann  der  berühmte  Erlass  an  den  Etats-Minister 
vonZedlitz*  über  das  Schulwesen,  der  das  Lateinische  und  Griechische 
streng  festgehalten  wissen  will,  eine  wirkliche  Einführung  in  den 
Geist  der  alten  Schriftsteller  fordert  (in  die  «Sachen«,  nicht  nur  in 
die  Worte)  und  zugleich  ein  tüchtiges  Studium  der  Logik  nach 
Quintilian  und  Wolfe  verlangt.  In  Zedlitz  hatte  Friedrich  einen 
Minister  gefunden,  der  der  herrschenden  paedagogischen  Tradition 
entgegentrat  und  den  Grund  zu  einem  freieren  und  gediegenen  Schul- 
wesen in  Preussen  legte.  Die  Akademie  nahm  ihn  im  September  1776 
als  Ehrenmitglied  auf,  und  er  begrüsste  sie  in  einer  sehr  aus- 
führlichen Antrittsrede,  in  der  er  sein  paedagogisches  Programm  im 
Rahmen  der  Frage  nach  dem  Verhältniss  von  Kosmopolitismus  und 
Patriotismus  geistreich   entwickelt  hat''. 

Der  König  selbst  hat  noch  zweimal  in  der  Akademie  das  Wort 
ergriffen  und  Abhandlungen  über  Themata  vortragen  lassen,  die  ihm 
besonders  am  Herzen  lagen.  Li  der  Sitzung  vom  11.  Januar  1770 
las  Thiebault  in  seinem  Auftrag  das  Memoire  »Sur  le  veritable  ressort 
des  actions    humaines,    considere    comme  le  principe   de  la  vertu«. 


^  Auch  der  Berlinische  Hugenotte  und  Geistliche,  den  der  Grosskanzler 
vox  Jariges  protegirt  hatte  und  der  einst  zu  Voltaire  in  Beziehungen  getreten 
wai-,  MouLI^'ES  (geh.  1730,  gest.  14.  März  1802),  wurde  seiner  Übersetzungen  wegen 
(Aniniianus  INIarcellinus.  später  die  Scriptores  Hist.  August,  und  Cassius  Dio)  auf 
Befelil  des  Königs  am  21.  Juli  1775  in  die  Akademie  aufgenommen.  Er  galt  als  einer 
der  besten  französischen  Stilisten  in  Berlin  und  hat  in  dieser  Eigenschaft  dem  Könige 
und  dem  Hofe  Dienste  geleistet. 

-    Akademisches  Archiv. 

^    Siehe  Büsching,  Charakter  Friedrich's  H.  (1788)  S.  36. 

*    (Euvres  T.  27.  3  p.  253^". 

^  Die  Akademie  liatte  diesmal  selbst  die  Initiative  ergriffen  (Geh.  Staatsarchiv, 
6.  September  1776). 

•^  Memoires  1776  p.  2ott".  Über  von  Zedlitz"  Bedeutung  vergl.RETHWiscH,  Der 
Staatsminister  Frhr.  von  Zedlitz    und  Preussens  höheres  Schulwesen.     2.  Aull.  1886. 


H74     (ieschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (1746—1786). 

Es  erschien  in  den  Publicationen  der  Akademie  unter  dem  Titel: 
»Essai  sur  l'amour- propre,  considere  comme  principe  de  la  Vertuet. 
Im  Jahre  1772  Hess  er  in  der  öffentlichen  Sitzung  vom  27.  Januar 
—  sie  war  besonders  glanzvoll  durch  die  Anwesenheit  seiner 
Schwester,  der  Königin  von  Schweden ,  und  von  neun  Prinzen  und 
Prinzessinnen  —  seinen  kritischen  Essay  lesen  «Discours  de  l'utilite 
des  sciences  et  des  arts  dans  un  etat«,  der  sich  gegen  Rousseau 
richtet"'. 

So  w^enig  der  König  von  diesem  Enthusiasten  wissen  wollte,  so 
stimmte  er  doch  in  der  Anerkennung  des  Daseins  Gottes  mit  ihm  über- 
ein und  beurtheilte  in  steigendem  Maasse  die  Angriffe  der  modernsten 
französischen  Schule  auf  den  Gottesglauben  als  verfehlt  und  ge- 
fährlich. Einst  hatte  er  die  Atheisten  geschützt,  als  sie  in  Frank- 
reich verfolgt  waren,  ja  hatte  sich  selbst  die  leichtfertigen  Sätze 
La  Mettrie's  gefallen  lassen;  jetzt,  als  der  Atheismus  in  Paris  hof- 
fähig geworden  war  —  in  einer  Zeit,  in  der  Holbach  Hume  auf 
die  Bemerkung,   er  habe  noch  nie  einen  Atheisten  gesehen,   spottend 


^  Im  Jahrgang  1763,  der  aber  erst  1770  ausgegeben  worden  ist  (p.  341  ff".).  Vergl. 
dazu  den  launigen  Brief  an  d'Alebibert  vom  4.  Januar  1770  (Q^^uvres  T.  24  p.  468  f.), 
in  welchem  Friedrich  wiederum  energisch  für  die  Beschäftigung  mit  der  ]\IoraI  ein- 
tritt: "de  bonnes  moeurs  valent  mieux  pour  la  societe  que  tous  les  calculs  de 
Newton«.  d'Alembert  stimmte  dem  Könige  in  seiner  Schätzung  der  Selbstliebe 
bei.  s.  die  folgenden  Briefe  p.  472f.  474 f.;  vergl.  auch  den  Brief  des  Königs  an 
Voltaire  vom  4.  Januar  1770  (CEuvres  T.  23  p.  147).  Voltaire's  Dank  für  die 
Zusendung  der  Rede  ist  sehr  witzig  (p.  148 f.):  der  Philosoph  von  Ferney  schreibt 
unter  der  Adresse  des  königlichen  Copisten  Villaume  —  dieser  war  früher  auch 
sein  Copist  gewesen  —  in  Wahrheit  an  den  König  selbst: 

»On  dit  cpi'il  y  a  dans  votre  pays  un  genie  qui  apparait  les  jeudis 
ä  Berlin,    et  cpie,    des    qu'il   est  entre  dans  une  certaine  salle,    on   entend 
une  Symphonie  excellente,   dont  il  a  compose  les  plus  beaux  airs.    Le  reste 
de  la  semaine,   il  se  retire  dans  un  cliäteau  bäti  par  un  necromant;   de  lä 
il  envoie  des  influences  sur  la  terre.    Je  crois  l'avoir  aperQU,   il  y  a  vingt 
ans;  il  me    semble  qu'il  avait  des  alles,  car  il  passait  en  un  clin  d'oeil  d'un 
empire  ä  un  autre.    Je  crois  meme  qu'il  me  fit  tomber  par  terre  d'un  coup 
d'aile.     Si  vous  le  voyez  ou  sur  un  laurier,  on  sur  des  roses,  car   c'est  lä 
iju'il  habite,  mettez-moi  ä  ses  pieds,    suppose  qu'il  en  ait,  car  il  ne  doit 
pas  etre  fait  comme  les  hommes.     Dites-lui  que  je  ne  suis  pas  rancunier 
avec  les  genies.     Assurez-le  que  mon  plus  grand  regret,  ä  ma  mort,   sera 
de  n'avoir  pas  vecu  ä  l'ombre    de   ses  alles,    et  que  j'ose   chei-ir  son  uni- 
versalite  avec  l'admiration  la  plus  respectueuse«. 
-    INIemoires    1772    (erschienen    1774)    p.  pff.      Vergl.  dazu   Voltaire's    Dank- 
schreiben  auf  die  Zusendung  (24.  März  1772   Oeuvres  T.  23  p.  213).     Er  sagt  darin, 
wenn  auch  alle  vier  Akademiker,  Formey,  Premontval  [aber  er  war  schon  seit  mehr 
als  sieben  Jahren  todt!],   Toussaint   und  Merian   erklären   würden,   sie   hätten    es 
geschrieben,   so  würde  ich  antworten:    »Ich  glaube  das  nicht;    ich   finde    auf  jeder 
Seite  die  Hand  eines  grösseren  Meisters  —  voilä  comme  Trajan  aurait  ecrit!« 


Abhandlungen  Friedrich's;  seine  Stellung  zum  Atheismus.  375 

erwidern  konnte,  er  sässe  in  diesem  xVngenblick  mit  sieLzelm 
Atheisten  zu  Tiscli  — ,  jetzt  hielt  es  der  König  für  nöthig,  dieser 
Riclitung  entgegenzutreten ^  Auch  die  Akademie,  die  niemals  von 
der  neuen  Schule  etwas  hatte  wissen  wollen,  betlieiligte  sich  dabei, 
aber  auf  eine  Weise,  die  keine  Nachahmung  verdient.  Ihr  Mitglied 
DE  Castillon  veröflentlichte  ein  Bucli  unter  dem  Titel:  »Observations 
sur  le  livre  intitule:  Systeme  de  la  Nature«.  Vorgedruckt  steht  dem 
Werk  folgende  Approbation  der  Akademie: 

Mss.  les  Academiciens  nommes  pour  examiner  les  «Observations  sur  le  Livre 
intitule:  Systeme  de  la  Nature«,  que  M.  le  Professeur  de  Castillon  fait  actuelle- 
ment  imprimer.  ont  fait  rapport  d'une  voix  unaniine.  qu'ils  l'avaient  trouve  tres 
digne  d'etre  rendu  jjublic,  et  tres  propre  ä  detruire  les  sophismes  de  ce  dangereux 
ouvrage.     En  foi  de  quoi  j'ai  delivre  le  present  certificat  en  pleine  Academie. 

ä  Berlin,  le   i8  Avril   1771. 

Formet.  Secretaire  perpetuel. 

In  den  Memoires  der  Akademie  (1771  p.  I5f.)  ist  dieses  selt- 
same Certificat  abgedruckt,  und  Forme y  hat  es  mit  einer  längeren 
ungesalzenen  Ausführung  begleitet,  in  der  er  das  Buch  cliarakterisirt 
und  dabei  seinen  Abscheu  vor  den  «Absurditäten«  des  Atheismus  zum 
Ausdruck  bringt.  Ob  das  Alles  auf  Befehl  des  Königs  geschehen  ist, 
lässt  sich  nicht  mehr  ermitteln;  aber  es  ist  unwahrscheinlich,  dass 
die  Akademie  diesen  auffallenden  Schritt  gethan  hat,  ohne  sich  der 
Einwilligung  des  Königs  versichert  zu  haben,  d'Alebibert,  der  selbst 
der  »absurden«  Schule  angehörte,  schwieg  kluger  Weise  zu  dem 
peinlichen  Verfahren,   das  ihm  höchst  anstössig  sein  musste. 

Aber  w^enn  der  König  und  seine  Akademie  für  den  Gottesglauben 
eintraten,  so  waren  sie  keineswegs  der  Meinung,  das  alte  System 
der  kirchlichen  Theologie  müsse  geschützt  werden,  im  Gegentheil 
—  je  sicherer  sie  sich  in  ihrem  Deismus  fühlten,  um  so  energischer 
erklärten  sie  jenem  System  den  Krieg".  Besonders  charakteristisch 
dafür  ist  die  Unterredung,    die  Sülzer    ein  Jahr   vor    seinem   Tode 


^  Elr  sah,  dass  die  Freigeister  fanatisch  wurden,  und  das  erregte  seinen  Abscheu. 
Auf  sie  beziehen  sich  die  Worte:  «Je  suis  persuade  qu'un  philosophe  fanatique  est 
le  plus  grand  des  monstres  jiossibles,  et  en  meme  temps  Tanimal  le  plus  inconsequent 
que  la  terra  alt  produit«   (an   d'Alembbrt  T.  24  p.  352  vom  13.  März,  177  i). 

^  In  der  bewundernden  Charakterschilderung,  die  Friedrich  von  Jesus  CJn-istus 
entworfen  hat  (an  d'Alembert,  18.  October  1770,  QEuvres  T.  24  p.  503^".),  erscheint 
er  als  sanfter  Essener,  purer  Deist  und  stoischer  Philosoph.  »Wenn  ich  seine  Religion 
verth eidige,  vertheidige  ich  die  aller  Philosophen,  und  ich  gebe  Ihnen  alle  Dogmen 
])reis,  die  nicht  von  ihm  sind.«  Über  Formey,  der  freilich  kein  gediegener  Ver- 
treter der  kirchlichen  Gläubigkeit  war,  und  über  seinen  plumpen  apologetischen  Trac- 
tat  »Confession  d'un  incredule«  spottete  Friedrich  in  Versen,  die  er  d'Alemrert 
schickte,  s.  den  Brief  vom  27.  April  1773,  Oiuvres  T.  24  p.  597,  dazu  T.  13  p.  97  ff. 


376    <Jescliiclite  der   Akiulcinie   unter   Füikdkuh   dein   Grossen   (174*)— 17S()). 

mit  dem  MoiinrcLeii  geliaht  (3 1.  DecomLor  1777)  und  selbst  aul- 
gezeiclinet  hat'.  Der  König,  der  sonst  nur  mit  Merian,  »notre  l)on 
Suisse«,  persönlich  verkehrte,  wollte  diesmal  —  es  handelte  sich 
um  die  Berufung  J.  C.  Schulzk's,  gegen  die  der  Minister  von  Heynitz 
den  König  im  Interesse  eines  anderen  Candidaten  ungünstig  gestimmt 
hatte  —  auch  den  angesehenen  Director  der  philosophischen  Klasse 
selbst  anhören. 

•■Naclilier  spi-nch  der  König  vieles  über  das  epikureische  System  dei-  Pliilo- 
sopbie.  dem  er  niclit  abgeneigt  scliien.  Er  kam  darauf  auf  die  heutigen  Philosoplien 
in  Frankreich,  von  denen  er,  luigeachtet  seiner  Verbindung  mit  d'Alembert,  keine 
grosse  Vorstellung  zu  haben  schien.  Er  sagte  unter  Anderem ,  dass  diese  Leute  die 
Menschen  i-efcu'miren  wollten,  die  sie  doch  gewiss  nicht  kennten,  dass  sie  von  dem 
kleinen,  sein-  eingeschränkten  Zii-kel  ilu-er  Bekaini tschaft  auf  die  Menschen  über- 
haupt Schlüsse  machen,  die  notlnvendig  sehr  einseitig  sein  müssten  u.  s.  w.  Dann 
kam  die  Unterredung  auf  die  Religion.  Als  S.  M.  unter  anderem  sagten,  dass  man 
in  dem  Unsinn  soweit  gegangen,  einen  Gott  anzunehmen,  der  einen  zweiten  ge- 
mnclit  hat,  und  diese  zwei  dann  einen  dritten  u.  s.  w.,  nahm  ich  mir  die  Freiheit 
zu  sagen,  dass  gegenwärtig  die  vornehmsten  Theologen,  besonders  einige  der  an- 
gesehensten Geistlichen  in  Berlin,  dergleichen  abgeschmacktes  Zeug  niclit  melir  vor- 
bringen, dass  überhaupt  die  christliche  Lehre,  sowie  sie  jetzt  von  den  im  grössten 
Rufe  stehenden  Predigern  in  Berlin  vorgetragen  wei'de,  eine  ganz  andere  Gestalt 
hal)e.  als  sie  zu  den  Zeiten,  da  S.  M.  in  der  Religion  unteri'ichtet  worden,  ge- 
habt U.S.W.  LTnter  anderem  sagte  ich  auch,  dass  der  Propst  Spalding  ein  eigenes, 
mit  grossem  Beifall  aufgenommenes  Werk  geschi'ieben  habe,  worin  er  den  Geist- 
lichen die  stolze  Vorstelhmg,  dass  sie  unmittelbar  einen  göttlichen  Beruf  als  Priester 
Gottes  hätten,  zu  benehmen  suche  und  ilmen  vorstelle,  dass  ihr  Beruf  als  bloss 
politisch  betrachtet,  dem  zu  Folge  sie  das  Volk  über  alle  Pflichten  unterricliten 
und  zur  Befolgung  derselben  ermahnen  sollten,  edel  genug  sei  u.  s.  av.  Worauf  der 
König  sagte:  'Cela  est  tres-bien,  et  je  suis  le  premier  a  respecter  cela'^'.  S.  M. 
setzten  hinzu,  die  Einbildung  der  Geistlichen  von  einem  unmittelbaren  göttlichen 
Beruf  sei  ebenso  ungereimt,  als  das  Vorgeben,  womit  man  den  Souverainen  schnu'i- 
chelte,  dass  sie  das  Ebenbild  Gottes  auf  P^rden  seien.  Er  fügte  wörtlich  hinzu: 
Si  je  reussirais  a  rendre  tous  mes  sujets  parfaitement  heureux,  je  n'aurais  opere 
que  sui-  une  tres-petite  partie  de  ce  globe,  lequel  n'est  qu'une  partie  infiniment 
petite  de  TUnivers.  Connnent  oserais-je  me  comparer  a.  cet  Etre  <|ui  gouverne  et 
tient  en  ordi'e  cet  immense  Univers  ?■< 

Voltaire's  Geist  spricht  aus  diesen  Worten  des  Königs,  und 
in  der  That  —  Friedrich  ist  dem  Einsiedler  von  Ferney  treu  geblie- 
T)en ,  obgleich  er  sich  mit  viel  grösserem  Ernst  als  jener  den  morali- 
schen Problemen  zuwandte.  Die  Correspondenz  mit  ihm  war  wieder 
lebhaft  im  Gange.  Niemals  hat  der  König  Voltaire's  Geist  und 
Feder  höher  gerühmt    als   in   dem  Briefe  an   d'Alembert  aus   dieser 


'■  Sulzer,  Lebensbeschreibung,  S.  6ilf.  Es  ist  das  einzige  Gespi-äch ,  das  er 
mit  dem  Könige  geführt  hat. 

2  Vergl.  den  Schulerlass  des  Königs  (QEuvres  T.  27.  3  p.  256^):  »Darum 
müssen  die  Schulmeister  sich  Mühe  geben,  dass  die  Leute  Attachement  zui'  Religion 
behalten,   und  sie  so  weit  bringen,  dass  sie  nicht  stehlen  und  nicht  morden«. 


Voltaihe's  Biiste.     FRiEDiunfs   Eloge  niif  Voltaire.  6  i  i 

Zeit'.  Sofort  war  er  bereit,  für  eine  Büste,  die  dem  Dichter  in  Paris 
gestiftet  Averden  sollte,  jede  beliebige  Summe  zu  zeichnen,  und 
schickte  dann  200  Louisd'or.  Als  Voltaire  am  30.  Juni  1778  ge- 
storben war,  verfasste  er  das  glänzende  Eloge  auf  ihn  und  liess  es 
in  der  Sitzung  vom  26.  November  verlesen  —  es  ist  die  letzte 
Arbeit  des  Königs  für  die  Akademie  gewesen"'.  Die  Ehre  war  um 
so  grösser,  als  seit  dem  Eloge  Maupertuis'  auf  Montesquieu  keine 
Lobrede  auf  ein  auswärtiges  Mitglied  gehalten  worden  \var.  Die 
Akademie  kann  nach  Allem,  was  zwischen  Voltaire  und  ihr  vorge- 
fallen war,  und  nach  den  Gesinnungen,  die  sie  gegen  ihn  hegte, 
nur  mit  sehr  gemischten  Gefühlen  die  hochgestimmte  Rede  auf  den 
einstigen  Rivalen  Maupertuis'  angehört  haben^.  Aber  der  König  hatte 
alle  Ränke  und  Gemeinheiten  des  Dichters  vergessen.  In  ihm  lebte 
nur  noch  das  Gedächtniss  an. den  unvergleichlichen  Schriftsteller  und 
den  Fürsten  der  Aufklärung.  Im  Jahre  1781  schenkte  er  der  Aka- 
demie eine  vorzügliche  Büste  Voltaire's  und  befahl,  sie  in  ihren 
Räumen  aufzustellen^;  sie  hat  noch  heute  ihren  Platz  daselbst.  »Nous 
sommes  ages  tous  les  deux«*,  schrieb  er  an  d'Ale3ibert,  »contentons- 
nous  d'avoir  vu  la  gloire  d"un   siecle   C|ui  honore  l'esprit  humain'«. 


^    28.  Juli  1770  (Qiluvre.s  T.  24  p.  49if.). 

-  Mem.  1778  p.  5  — 23.  Brief  an  d'Alembert  vom  Deceml)er  177S  ((Eiivres 
T.  25  p.  119).  In  dem  »Eloge"  berührt  der  König  wolil  den  Streit  Voltaire's  und 
Maupertuis",  aber  er  thut  es  nicht  nur  in  schonendster  Weise  —  »ces  deux  sa- 
vants  qui  etaient  faits  pour  s'aimer  et  non  pour  se  liair"  — ,  sondern  ei"  verschleiert 
auch  die  wahren  Gründe  der  Trennung  Voltaire's  von  Berlin  so  sehr,  dass  der 
Leser  glauben  niuss,  der  Siebenjährige  Krieg  habe  den  Dichter  aus  der  preussischen 
Hauptstadt  vertrieben  I  Seinen  Akademikern  stellte  er  Voltaire  als  einen  zweiten 
Leibxiz  vor  Augen,  indem  er  verkündigte,  dass  «M.  de  Voltaire  valait  seul  tonte 
une  academie,  et  qu'il  etait  du  petit  nombre  des  philosophes  qui  pouvaient  dire: 
Omnia  mecum  portO". 

^  Von  den  Mitgliedern,  die  den  »Akakia"  erlebt  hatten,  lebten  noch  neun, 
nämlich  Francheville,  Gleditsch,  Marggraf,  AcHARDJun.,  Forjiey,  Sack,  Begue- 
LiN,  ~Merian  und  Sulzer. 

*  Siehe  Memoires  zum  8.  Februar  1781.  Aus  dem  Brief  d'Alembert's  vom 
2.  Juli  1779  (CE'i^'i'P''  T.  25  p.  126)  ergiebt  sich,  dass  er  die  Anregung  zur  Auf- 
stellung der  Büste  in  der  Akademie  gegeben  hat;  s.  auch  die  Briefe  vom  19.  Sep- 
tember 1779.  15.  September,  2.  October  und  3.  November  1780  (p.  128.  162.  163.  165). 
Von  der  Aufstellung  eines  Kenotaphions  in  der  Berliner  katholischen  Kirche,  wie 
d'Alemrert  auch  gewünscht  hatte,  sah  der  König  ab,  «II  vaut  mieux  placer  son 
buste  dans  l'Academie.  oü  il  n'y  a  i'ien  ä  ecraser,  et  oü  le  souvenir  d'iin  grand 
komme  qui  joignait  tant  de  talents  ä  tant  de  genie  peut  servir  d'encouragement 
aux  gens  de  lettres  et  les  animer  a  meriter  de  la  posterite  de  pareils  suffrages.« 

^  Aber  wie  gering  erscheint  dem  Kiuiige  die  Frucht  dieses  Jahrhunderts, 
wenn  er  (Januar  1780.  ÜEuvres  T.  25  ]>.  138)  d'Alembert  gesteht:  »En  naissant, 
j'ai  trouve  le  monde  esclave  de  la  superstition,   en  mourant.  je  le  laisserai  de  memc". 


3/8     Geschichte  der  Akademie  unter  Fuiedkk  ii  dem   Grossen   (1746—1786). 

d'Alembert,  der  im  Jahre  1772  Secretär  der  Academie  frangaise 
Avurde,  setzte  seine  Fürsorge  für  einzelne  Mitglieder  der  Berliner  Aka- 
demie ungesehwäclit  fort:  er  bedankt  sieh,  dass  Cochius  aufgenommen 
worden  sei  und  eine  Pension  erhalten  hal)e ;  er  bittet  für  Beguelin 
um  eine  Remuneration  \  Dieser  war  sein  besonderer  Schützling,  und 
er  kommt  in  den  Briefen  immer  wieder  aui*  ihn  zu  reden.  Besonders 
in  der  Anweisung  zur  Herstellung  dioptrischer  Gläser  soll  er  Aus- 
gezeichnetes geleistet  haben  —  »ich  kann  das  beurtheilen,  denn  ich 
habe  mich  auch  damit  befasst,  bin  a])er  nicht  so  weit  gekommen 
wie  er«,  schreibt  d'Alembert.  «Ich  will  glauben,  dass  die  Berech- 
nung der  Gläser  bewunderungswürdig  ist, «  antwortete  der  König 
mit  trockenem  Humor,  »aber  Thatsache  ist,  dass  ich  sie  gebraucht 
und  nichts  gesehen  habe"'«.  Er  schätzte  Beguelin  nicht  so  hoch  wie 
sein  Freund  und  hat  ihn  zuletzt  (1784)  sogar  fallen  lassen.  Auch  für 
Lagrange ,  der  1772  zum  vierten  oder  fünften  Mal  den  Pariser  akade- 
mischen Preis  erhalten  hatte,  verwandte d'Alembert  sich  immer  noch, 
um  ihm  weitere  Remunerationen  zu  erwirken,  ebenso  für  Bitaube ^, 
Als  ToussAiNT  gestorben  war,  bat  der  König  d'Alembert,  für  einen  Er- 
satz zu  sorgen:  er  selbst  dachte  an  den  Übersetzer  des  Virgil,  Delille, 
denn  er  wünschte  einen  guten  Rhetoriker.  d'Alembert  schickte  Bor- 
relly.  einen  Landsmann  d'Argens'.  Vor  allem  sollte  er  an  der  Ritter- 
Akademie  unterrichten.  Mit  Sulzer  kam  er  bald  in  einen  wissen- 
schaftlich-paedagogischen  Streit'.  Der  König  stellte  die  Schützlinge 
seines  Freundes  ohne  Weiteres  an,  einmal  mit  den  schmeichelhaften 
Worten:  »Ich  werde  ihn  so  wenig  refüsiren,  wie  Karl  XII.  einen  Offi- 
cier,   den   der  grosse   Conde   empfohlen,   zurückgewiesen   hätte^«. 

Aber  auch  bei  der  Besetzung  der  Directorstellen  in  der  Akademie 
nahm  d'Alembert  das  Wort.  Noch  bevor  Marggraf  gestorben  war, 
schrieb  er  auf  die  Kunde  hin,  dass  der  greise  Gelehrte  einen  Nach- 
folger brauche,    an   den  König  und   erklärte   sich  bereit,    für  einen 


^    CEuvres  T.  24  p.  498  vom  12.  Autiust  1770. 

-    OEuvres  T.  24  p.  523 flf.  vom   3.  und   29.  Januar  1771. 

^    CEuvres  T.  24  }).  564!?.,   613  vom    16.  Mai  1772   und  10.  December  1773. 

^  Siehe  die  Briefe  vom  30.  Juni,  22.  August.  17.  September  und  6.  October 
1772.  CEuvres  T.  24  p.  569 ff.  Die  Akademie,  für  die  sich  der  König  im  Brief  vom 
17.  September  so  besorgt  zeigt,  ist  die  Ritter- Akademie.  —  Der  König  hatte  in  Paris 
stets  Jemanden ,  der  für  ihn  arbeitete,  Auszüge  aus  der  französischen  Tageslitteratur 
machte  u.  s.  w.  Auch  hier  hat  d'Alembert  bei  der  Auswahl  der  Personen  mitge- 
wirkt (s.  den  Brief  vom  9.  October,  CEuvres  T.  24  p.  582  f.).  ebenso  auch  bei  Wahlen 
auswäi'tiger  Mitglieder,  s.  25.  April  1774  p.  622:  Villoison"s,  des  ausgezeichneten 
Herausgebers  der  Ilias. 

^    15.  Mai  1774.  CEuvres  T.  24  p.  625^ 


d'Ai.ejibert's  Sorge  für  die  Akndcmie  (1770—1783).  379 

solchen  zu  sorgen \  Zugleich  fügt  er  hinzu,  er  schlage  als  Ersatz 
für  den  verstorbenen  Heinius"'  Beguelin  zum  Director  der  philoso- 
phischen Klasse  vor.  In  einem  zweiten  Briefe  nannte  er  ihn  noch 
einmal,  empfahl  als  Chemiker  Scheele  in  Stockholm  und  theilte 
ausserdem  dem  Könige  mit,  dass  jetzt  Aussicht  zu  sein  scheine, 
J.  D  Michaelis  (s.  oben)  für  Berlin  zu  gewinnen.  Der  König  ant- 
wortete —  absichtlich  oder  w^ar  es  ein  Irrthum?  —  so,  als  ob 
dAlembert  Weguelin  vorgeschlagen  hätte  und  erklärte,  er  sei  ein- 
verstanden: in  Bezug  auf  Marggraf  aber  schrieb  er:  «il  vit  encore, 
et  je  ne  crois  pas  qu"il  ait  envie  d'aller  sitot  travailler  au  laboratoire 
de  Tautre  monde«.  d'Alembert  nahm  Weguelin  für  Beguelin  und 
fuhr  in  der  Empfehlung  seines  Schützlings  fort.  Friedrich  substituirte 
zum  zweiten  Mal  Weguelin  für  Beguelin  und  schrieb:  «Pourvotre  M. 
Weguelin,  dont  je  connais  le  merite,  je  ne  negligerai  pas,  en  temps 
et  lieu,  d'avoir  egard  k  votre  recommandation ;  il  serait  peut-etre 
Uli  Montesquieu,  si  son  style  repondait  ä  la  force  de  ses  pensees«. 
Erst  nach  einigen  W^ochen  löste  sich  das  Missverständniss^,  wenn  es 
ein  solches  war:  übrigens  erhielt  weder  Begllelin  noch  Weguelin  die 
Directorstelle,  sondern  Sulzer.  Gleich  darauf  wurde  ein  gefälschter 
Brief  Friedrich's  an  d'Alembert  colportirt,  in  dem  die  Worte  stan- 
den: »Mon  Academie  est  trop  bete  pour  vous  fournir  quelque  cliose 
d'interessant«.  d'Alembert  machte  den  König  auf  die  Fälschung  auf- 
merksam, aber  dieser  verzichtete  darauf,  den  Verfasser  polizeilich 
ermitteln  zu  lassen;  »je  n'aime  point  a  me  venger,  et  ce  n'est  pas 
cette  Sorte  d'athletes  qu'il  me  convient  de  combattre.  Je  lis  les 
ReÜexions  de  l'empereur  Marc -Antonin,  qui  m"enseigne  que  je  suis 
dans  le  monde  pour  pardonner  ä  ceux  qui  m'offensent,  et  non  pas 
pour  user  du  pouvoir  de  les  accabler^«. 

Der  briefliche  Verkehr  des  Monarchen  mit  seiner  Akademie  war 
in  diesen  Jahren  ziemlich  lebhaft.  Der  König  sorgte  nicht  nur  für 
die  Besetzung  vacanter  Stellen  %  sondern  auch  Bücher,  technische  Er- 


^    3.  October  1775,  Oeuvres  T.  25   p.  29. 

-  Er  starb,  fast  88  Jahr  alt.  am  8.  August  1775.  Seit  der  Errichtung  einer 
besonderen  Klasse  der  Philosophie  war  er  ihr  Director  gewesen. 

^    Briefe  vom  i5.December  1775  bis   26.  April  1776,  T.  25  p.  32— 43. 

*  26.  Ajjril  und  16.  ]Mai  1776.  p.  41  und  44.  Gehört  der  Brief  vielleicht 
schon  zu  den  Fälschungen  Baumelle's?  Es  finden  sich  in  ihm  die  Worte:  »J'ai  vu 
bien  des  choses;  j'ai  vecu  assez  pour  voir  des  soldats  du  pape  porter  mon  uniforme, 
les  Jesuites  me  choisir  pour  leur  general,  et  Voltaire  ecrii-e  comme  une  vieille  femme«. 

^  Im  Urkundenbande  Nr.  174  ist  ein  Beispieleines  akademischen  Anstellungs- 
decrets  mitgetheilt.  —  Auch  auf  die  Sul)altern1)eamten   hatte  der  König  ein  scharfes 


380     Gescliic-Iitc   der  Akiidcinic   iiiilci-   Friediiicii   dem   Grossen   (174()— 17S<)). 

findungeii,  Anerbieten  aller  Art,  welche  häufig  direct  an  ihn  gingen, 
schickte  er  der  Akademie  zum  Bericht  und  beantwortete  ihre  Gut- 
achten nicht  selten  sel1)st  in  der  bekannten  knappen  Weise.  Einige 
Beis|)iele  mögen   das   illustriren' : 

Auf  Büchersendungen  erfolgte  geAvöhnlich  ein  freundlicher  Dank, 
al)er  es  findet  sich  auch  die  Anweisung  an  den  Cabinetssecretär, 
«dem  N.  N.  soll  so  ein  Compliment  zur  Antwort  gemacht  Merden, 
welches  nicht  viel  bedeutet«'  (Q.September  1776).  Doch  auch  ein- 
gehender  wird  der  Bescheid: 

>'I1  est  tres- l)ien",  lieisst  es  in  einem  Sclu'eiben  an  die  Akademie 
vom  i.,Iuni  1777,  "»]ue  vous  ayez  suivi  jNIes  urdres  en  laisnnt  exnminer 
l'ouvi'age  du  Pi'of.  Meyer,  (lui,  selon  le  rapport  de  ceux  qui  etaient  cliariies 
de  cet  exanien,  ne  contient  lirn  (jui  piiisse  etre  envisage  comme  neuf.  mais 
renferme  cependantdes  observations  utiles,  et  qui  prouvent  avantageusement 
en  faveur  de  rap})lication  de  l'auteur.  11  n'y  a  donc  rien  d'exti-aurdinaire, 
et  il  Me  parait  qu"il  n'est  jias  necessaire  (^ue  vous  le  receviez  })our  le 
present  membre  de  TAcademie«. 

Es  boten  sich  dem  Könige  Gelehrte  zur  Aufnahme  in  die  Aka- 
demie selbst  an.  In  solchen  Fällen  hat  er  auf  die  Akademie  ver- 
wiesen,  bei  der  man  sich   melden  müsse,   obgleich   er  ihr  doch   das 

Vorschlagsrecht  entzogen  hatte. 

"Sa  ölajeste  ne  veut  cependant  pas«,  liess  er  einem  mittheilen,  -dui  dissimuler, 
que  Son  Academie  des  Sciences  se  choisit  elle-meme  ses  membres,  et  tpie,  pour 
etre  Academicien,  il  faut  se  conciliei'  ses  suffrages  et  se  faire  connaitre  immediate- 
ment  ;>   eile  par  ses  ou\rageS'<    (13.  Septemlier  1780)-. 

Lebhaft  interessirte  den  König  das  Problem,  aus  Sand  Steine 
zu  machen,  nachdem  Jemand  behauptet  hatte,  er  sei  hinter  das 
Geheimniss  gekommen.  Marggraf,  Borrelly  und  Gerhard  haben 
darüber  Gutachten  einreichen  müssen  (1776),  und  bis  1780  beschäf- 
tigte die  Akademie  diese  Frage.  In  Bezug  auf  Borrelly's  gelehrte 
Auseinandersetzungen  erklärte  der  König,  an  der  genauen  Beschrei- 
bung der  Sache,   die  man  ihm  geschickt,  läge  ihm  nichts;    »damit 


Auge.  So  hatte  zwar  die  Wahl  des  Copisten  vSchröder  seinen  Beifall;  aber  er  for- 
derte die  Akademie  doch  auf.  stets  zuerst  nach  alten  invaliden  Unterofficieren  auszu- 
schauen (1780  Akademisches  Archiv).  Der  Tresorier  der  Akademie.  Jordax.  liittet 
am  17.  ]NTai  1776  um  den  Titel  »Ivriegsrath«.  Ihm  Avird  geantwortet:  ^vS.  K.  M. 
lassen  dem  Tresorier  Jordan  auf  dessen  Vorstellung  A'om  17.  dieses  hierdurch  be- 
kannt machen,  dass,  da  die  Akademie  mit  dem  Kriege  nichts  zu  thun  hat.  dabei 
auch  keine  Ki'iegsräthe  nöthig  sind,  und  würden  diese  daselbst  schlecht  placirt 
sein.  Es  findet  desshalben  das  Gesuch  des  Jordan's  um  den  Iviüegsraths-Charakter 
keine  statt,  wohl  aber  kann  er  Friedens-Rath  werden;  das  schickt  sich  eher  für  ihn». 

^  Sie  sind  theils  dem  Geh.  Staats-,  theils  dem  Akademischen  Archiv  ent- 
nommen. 

^    Vergl.  dagegen,  was  Formet  berichtet,  Souv.  1  ]>.  i64f. 


Besetzung  der  cliemisclien   Faclistelle  (1776  77).  881 

müsst  ihr  micli  nicht  chargiren,  denn  darin  kann  ich  mich  keines- 
wegs mehren,  sondern  das  müsset  ihr  mit  den  Chemisten  der  Aka- 
demie zu  BerHn  abmachen«;  er  wünsche  nur  zu  wissen,  ol)  das  Ge- 
lieimniss  »allhier  gemacht  werden  könne«;  über  das  Ergebniss  ihrer 
Experimente  sollten  sie  ihm  mit  Ja  oder  Nein  berichten.  Als  sie 
ihm  ein  anderes  Mal  (1776)  mit  Untersuchungen  über  Indigo  kamen, 
schrieb  er:  »dass  Ich  es  gerne  sehe,  wenn  ihr  mich  mit  solchen 
Sachen,  wie  die  sind,  zufrieden  lasset;  denn  Ich  habe  mehr  Sachen 
zu  thun«.  Die  Prüfung  einer  neuen  Maschine  war  der  Akademie  an- 
befohlen (1773).  Die  Directoren  baten  den  König  in  einer  Eingabe, 
den  Erfinder  zu  veranlassen,  sie  ihnen  zu  schicken.  Am  Rande  des 
Actenstücks  liest  man  die  Bemerkung:  »Sie  können  drum  schreiben, 
Bagatelle«.  Die  Sammlung  von  Tabatieren,  die  der  König  besass,  wurde 
l)ereichert  durch  eine  solche  von  besonderer  Composition,  die  ihm 
Marggraf überreichte  (i  774).  »Elle  m"a  reussi«,  schrieb  dieser,  »apres 
boaucoup  d'experiences  d'une  maniere  singuliere:  j"ai  conserve  la 
transparence  avec  la  durete,  presque  semblable  ä  celle  des  pierres  fines. « 
Der  grosse  Chemiker  wurde  alt,  und  d'Alembert  war  recht  be- 
richtet, als  er  dem  Könige  schrieb,  es  werde  daran  gedacht,  ihn 
zu  ersetzen.  Die  Akademie  schlug  im  Januar  1776  vor,  den  jungen 
F.  Charles  Achard  (geb.  1752)  —  er  ist  der  dritte  dieses  Namens,  den 
die  Akademie  besessen  hat,  jener  namhafte  Chemiker,  der  Marggraf's 
Entdeckung  des  Rübenzuckers  technisch  nutzbar  gemacht  hat  — 
als  Collaborator  seinem  Lehrer  beizugeben ;  zugleich  bewarb  sich 
Achard  beim  Könige  selbst  um  die  Stelle.  Er  erhielt  sie  auch  und 
wurde  im  Juni  desselben  Jahres  ordentliches  Mitglied,  aber  zunäclist 
ohne  Gehalt \     Als  dann   im  März  1777  Pott  gestorben  war,   machte 


'  Bald  darauf  ersuchte  Achard  den  König  um  einen  Heirathsconsens  mit  der 
sonderljaren  Bemerkung,  seine  eigene  Familie  sei  mit  seiner  Wahl  nicht  einverstanden. 
Der  König  antwortete  (21.  September  1776):  »dass  er  wegen  seiner  Verheirathung  es 
halten  soll,  wie  er  will,  und  nicht  nöthig  hat,  bei  S.  K.  M.  darüber  anzufragen, 
indem  S.  M.  das  gar  nichts  angeht«.  Nach  einigen  Jahren  rief  Achard  noch  einmal 
den  König  an,  aber  diesmal  für  die  Scheidung  seiner  Ehe;  Aviederum  erklärte 
.dieser,  er  mische  sich  nicht  ein  (QiuvresT.  25  p.  302).  —  Wie  Marggraf ,  so  legte 
auch  Achard  dem  3Ionarchen  Proben  seiner  chemischen  Experimente  vor  und 
empfing  aufmunternde  Anerkennungsschreiben,  s.  OEuvi'es  T.  25  p. 30if.  Li  einem 
(30.  Juni  1782)  heisst  es:  »Je  suis  tres-satisfait  du  resultat  de  vos  experiences  sur 
les  eifets  de  Telectricite  sur  les  facultes  intellectuelles  (vergl.]Mem.  1781  p.9  — 19) .  .  .  ., 
mais  elles  ne  me  fönt  pas  encore  presumer  que  les  commotions  electriques  soient 
capables  de  guerir  egalement  les  fous.  Je  veux  que  souvent  le  siege  de  hi  folie 
soit  dans  le  derangement  du  Systeme  nerveux,  et  que  la  force  electrique  puisse  y 
retablir  l'ordre;  mais  reste  k  savoir  et  ä  constater  par  des  experiences  reiterees  si 
ce  succes  est  permanent  etc.".     Darunter  eigenhändig  die  Worte:    »Si  voiis   pouvez 


382    Geschichte  der  Akndcinie  unter  Friedrich  dem  Grossen    (1746— 17S<)). 

die  Akademie  auf's  Neue  eine  Eingabe,  in  der  sie  den  Zustand  der 
cliemiselien  Fächer  darlegte  und  warm  dafür  eintrat,  dass  einer  der 
jüngeren  Chemiker,  Gerhard  oder  Achaed  (bez.  beide),  eine  akade- 
mische Pension  erhalte  (i.  April  1777).  Sie  hatte  aber  bereits  gehört, 
dass  der  König  einen  Ausländer  zu  berufen  wünsche,  und  erklärte  für 
diesen  Fall,  sich  die  grösste  Mühe  um  einen  solchen  geben  zu  wollen; 
allein  ein  Mann  ersten  Rang-^es  sei  für  200  Thlr.  nicht  zu  bekommen 
(so  viel  betrug  das  erledigte  Gehalt  Pott's)  und  der  Stand  der  Kasse 
erlaid^e  keine  grössere  Ausgabe (?).  Umgehend  schrieb  der  König 
zurück:  »Da  mir  bekannt,  dass  in  Stockholm  ein  sehr  habiler  Mann 
ist,  der  von  der  Chymie  eine  grosse  Kenntniss  besitzet,  sollt  ihr  also 
zusehen,  den  zu  bekommen;  ihr  müsst  ihm  nur  Offerten  machen, 
und  euch  Mühe  um  ihn  geben;  er  wird  es  schon  annehmen«.  Wirk- 
lich schlug  die  Akademie  jetzt  drei  Schweden  vor  (Bergemann, 
Engström,  Scheele);  Verhandlungen  gingen  hin  und  her;  der  König 
interessirte  sich  auf 's  Lebhafteste  für  die  Berufung;  allein  keiner  der 
drei  Gelehrten  nahm  an.  Ob  die  Akademie,  die  Achard  das  Gehalt 
zuwenden  wollte,  die  Angelegenheit  absichtlich  hat  scheitern  lassen, 
ist  nicht  mehr  zu  ermitteln;  der  König  nahm  das  an  und  theilte 
ihr  unvermuthet  mit,  dass  er  Ferber  in  Mitau  —  der  Minister 
A''ON  Heynitz  hatte  ihn  empfohlen  —  berufen  habe;  er  solle  die 
1 600  Thlr.  Marggraf's  als  Gehalt  beziehen ,  die  auch  dem  Schweden 
Bergemann  angeboten  worden  seien.  Die  Akademie  antwortete  (i  i  .No- 
vember 1777),  Marggraf  sei  nicht  gestorben,  sondern  arbeite  noch 
immer  mit  Eifer,  auch  habe  er  nie  1 600  Thlr.  bezogen ,  sondern  Alles 
in  Allem  900  Thlr. ;  dem  Schweden  seien  niemals  1 600  Thlr.  ange- 
boten worden;  endlich,  Ferber's  Gehalt  in  Mitau  sei  nicht  so  hoch, 
dass  man  ihm  eine  so  grosse  Summe  geben  müsse.  In  zwei  weiteren 
Eingaben  empfahl  sie  Achard  noch  einmal  dringend  und  erklärte 
ausserdem ,  sie  habe  bereits  drei  Chemiker  (Marggraf,  Gerhard, 
Achard);  viel  nöthiger  sei  ihr  ein  Astronom;  sie  habe  einen  solchen 
in  J.  C.  Schulze  gefunden,  den  Lagrange  auf's  Beste  empfehle.  Der 
König  liess  sich  Schulze  widerwillig  gefallen  \  entschied  aber,  dass 
ausser  ihm  auch  Ferber  (als  Chemiker)  zu  berufen  sei;  das  nöthige  Geld 

parvenir  ])ar   l'electricite  a  donner  de  Tesprit   aux  imbecilles,    vous   valez  phis  que 
votre  poids  d'or,  car  vous  ne  pesez  pas  autant  que  le  Grand  Mogol". 

^  Ordre  vom  5.  OctoLer  1777:  »Si  les  talents  et  la  capacite  du  Sr.  Schulize 
i'epondent  eifectivement  au  temoignage  avantageux  que  vous  venez  de  ]M"en  rendre, 
vous  pouvez  le  fixer  parmi  vous  eii  hii  confiant  la  classe  de  inatheinatique ,  Cju'avait 
ci-devant  le  Sr.  Lambert.  Au  reste,  J'ai  de  la  pehie  a  croh'e  cpi'il  soit  aussi  ha])ile 
que  son  predecesseur». 


Die  Directorstelle  der  pliilosopliisclicn  Klasse.  080 

werde  sich  schon  finden,  wenn  nicht,  so  sei  es  den  Ü])erschüsseii 
der  Akademie  zu  entnelimen  (7.  December  1777).  Allein  Fekber  kam 
damals  doch  nicht;  der  berühmte  Mineraloge  ist  erst  nach  Friedrich' s 
Tode  der  Akademie  zugeführt  worden.  Aciiard  erhielt  keinen  Rivalen 
und  rückte  nach  3Iarggraf's  Tode  (S.August  1782)  in  die  Haupt- 
stelle und  in  das  Directorat  der  physikalischen   Klasse   ein. 

Auch  Meckel's  Gesundheit  war  so  erschüttert  (er  starb  am 
18.  September  1774),  dass  er  im  October  1773  seine  Stelle  nieder- 
legte. Die  Akademie  empfahl  erst  den  Anatomen  Lobstein  in  Strass- 
burg,  von  dem  uns  Goethe  erzählt  hat,  dann  Neubauer  in  Jena: 
aber  auf  königlichen  Befehl  wurde  (2.  December  1773)  Walter,  der 
Schüler  Meckel's,  ernannt'.  Hoch  geschätzt  in  seinem  Fache,  hat 
er  den  Grund  gelegt  zu  der  grossen  anatomischen  Sammlung,  welche 
die  Berliner  Universität  besitzt. 

Am  nöthigsten  hatte  die  philosophische  Klasse  eine  Auffrischung, 
war  doch  ihr  Director,  der  hochbetagte  Rector  des  Joachimsthal- 
schen  Gymnasiums  Heinius,  seit  dem  Jahre  1766  in  keine  Sitzung 
mehr  gekommen,  und  sie  selbst  war  auf  drei  Mitglieder  zusammen- 
geschmolzen. Aber  der  König,  an  dem  Zustand  der  Philosophie  in 
Frankreich  und  in  Deutschland  verzweifelnd  —  an  Kant  dachte  er 
nicht !  — ,  suchte  einen  Philosophen  nach  seinem  Herzen ,  ohne  ihn 
zu  finden.  Am  25.  Februar  1779  starb  Sülzer,  der  nach  Heinius' 
Tode  nur  drei  Jahre  das  Directorat  bekleidet  hatte.  Der  König  hatte 
ihn  nur  bestätigt,  weil  er  keinen  Würdigeren  finden  konnte.  Nach 
Heinius"  Tode  hatte  sich  sowohl  Beguelin  (s.  oben)  als  Formet  um  die 
Stelle  beworben"',  der  letztere  unter  Berufung  auf  seine  Anciennetät. 
Allein  der  König  hatte  beide  abschlägig  beschieden  und  die  Akademie 
angewiesen,  »einen  anderen  Menschen,  der  die  Direction  zu  führen 
vollkommen  geschickt  ist,  auszumitteln «  (8.  September  i  775).  Ein 
solcher  hatte  sich  jedoch  nicht  gefunden,  und  so  war  nach  einigen 
Monaten  Sulzer  eingesetzt  worden.  Nun  war  auch  er  gestorben, 
und  wiederum  stand  die  Akademie  vor  der  Frage  der  Besetzung. 
Die  laufenden  Geschäfte  führte  einstweilen  de  Beausobre  (er  wird 
auch  einmal  Director  genannt,  ist  es  aber  nie  wirklich  gewesen); 
er  erkrankte  bald  schwer  (gest.  3.  December  1783),  so  dass  an 
seine  Wahl  nicht  zu  denken   war.      Der  König  befahl,   nach  einem 


^  Geb.  am  i.Jiili  1734.  gest.  am  3.  .Januar  1818.  Ein  zweiter  ^lediciner,  der 
im  Juli  1776  in  die  Akademie  aufgenommen  wurde,  Hexckel,  starb  schon  nach 
drei  Jahren. 

^    Die  Akademie  selbst  hatte  BeCtUelin  vorgeschlagen. 


384     Gescliiclito   der  Ak;uli'ini('   unter  Fkikdricii   dein   Grossen   (174(j— 17S(j). 

Ausländer  zu  suchen ,  aber  die  Akademie  reichte  ihm  trotzdem  ein- 
fnch  die  Liste  der  Mitg'lieder  der  philosophischen  Klasse  zur  Aus- 
wahl ein  (d.  li.  nur  zwei  konnten  in  Betracht  kommen),  an  ihrer 
Spitze  den  ältesten,  d.  h.  Formey.  »II  etait  assurement  naturcl«, 
schreibt  FoRMKY  selbst  in  seinen  anonym  erschienenen  »Souvenirs'«, 
»d"en  clioisir  un,  et  surtout  celui  que  son  savoir  distingue,  encore 
plus  que  la  juste  reconnalssance  du  nouveau  monarque,  a  pourvu 
de  ce  poste,  demeure  vacant  jusqu'alors.«  Man  wird  sich  wundern 
zu  hören,  dass  der  hier  so  wohlwollend  charakterisirte  Akademiker 
Niemand  anders  ist  als  For3iey  selbst!  In  der  That  hat  ihn  Fried- 
rich Wilhelm  IL  zum  Director  der  philosophischen  Klasse  ernannt, 
Friedrich  der  Grosse  aber  schätzte  die  Talente  des  beständiuen 
Secretars  geringer  ein.     Er  schrieb  der  Akademie  am   S.Juli  17  So 

zurück': 

'■ToLit  ce  (jue  vous  nie  dites  par  votre  rapport  d"liier  ne  saurait  nie  faire 
chan^er  de  sentinient.  11  faut  poiir  directeur  de  la  classe  de  la  philosophie  un 
philosophe  dans  tonte  retendue  du  tenrie,  sans  <pioi  ce  serait  mettre  un  arclütecte 
ä  la  tete  de  la  Chirurgie.     Ainsi  je  me  refere  ä  in  es  ordres  ulterieurs.« 

Nun  musste  man  sich  doch  entschliessen,  einen  Ausländer  zu  er- 
mitteln. Prevost  aus  Genf  wurde  berufen;  man  konnte  ihn  aber  nicht 
sofort  zum  Director  machen.  Als  er  1784  Berlin  bereits  wieder  ver- 
liess,  suchte  man  nach  einem  Ersatz.  Formey  erzählt,  ein  Stuttgarter 
Gelehrter  (Schwab,  er  erhielt  1784  den  akademischen  Preis)  sei  in's 
Auge  gefasst,  aber  von  seinem  Monarchen  nach  längeren  Verhand- 
lungen zur  Ablehnung  bestimmt  worden.  Bis  in"s  Frühjahr  1782  hatte 
sich  die  Furage  nach  der  Besetzung  des  Directorialpostens  neben  jenen 
Bemühungen  hingezogen ;  dann —  die  Angelegenheit  lässt  sich  aus  den 
Acten  nicht  völlig  in"s  Klare  bringen  —  inuss  die  Ernennung  Formey's 
zum  Director  erschlichen ,  aber  gleich  darauf  vom  Könige  rückgängig 
geinaclit  worden  sein^.    Im  akademischen  Protokoll  ist  zum  25.  April 


1   I,  161  f. 

-  Formey  selbst  theilt  a.  a.  O.  diesen  Briet"  mit,  so  sicher  war  er  seiner  Re- 
putation bei  seinen  Lesern ! 

^  Nach  dem  Akademischen  Actenfascikel  III,  13  (Gehaltsbewinigungen)  scheint 
die  Sache  so  verlaufen  7ai  sein,  dass  Meriax,  der  Freund  Formey's,  eine  könig- 
liche Ordre  in  Bezug  auf  Gehaltserhöhungen  veranlasst  hat,  in  welcher  Formey 
als  Director  der  philosophischen  Klasse  bezeichnet  war.  Der  König  hat  das  nicht 
bemerkt  und  die  Ordre  unterschrieben.  Sie  wui'de  nun  als  königliche  Ernennung 
ausgegeben  und  der  Akademie  Mittheilung  gemacht  (den  Dankesbrief,  den  Formey 
dem  Könige  geschrieben,  hat  dieser  augenscheinlich  nicht  gelesen).  Der  Akademie  aber 
genügte  diese  eigenthümliche  Ernennung  nicht;  sie  fragte  an  und  erhielt  nun  die 
Antwort,  die  S.  385  Z.  5  mitgetheilt  ist.  Forjiey,  tief  gekränkt,  hat  den  Ver- 
lauf der  Sache    zu    den    Acten    iie"eben    und    mit  den  Worten  beschlossen:    »Nolite 


Die  Dircctorstelle  Jcr  philosophischen  Klasse.  385 

1782  vermerkt:  «Merian  a  annonce  la  nomination  de  M.  Forme y  a 
la  place  de  Directeur  de  la  Classe  de  Philosophie«.  Aber  als  wenige 
Tage  sj)äter  die  ökonomische  Commission  der  Akademie  beim  Könige 
anfragte,  ob  Formet  das  Directorialgehalt  von  200  Thlr.  beziehen 
solle,  schrieb  Friedrich  eigenhändig  zurück:  »Jamals  pretre  ne  sera 
philosophe  et  jamais  philosophe  ne  peut  etre  pretre«.  Formet  selbst 
hat  in  seinen  Souvenirs  nichts  von  einer  Ernennung  erzählt,  im 
Gegentheil  gesagt  (s.  oben),  dass  er  die  ihm  zukommende  Anerken- 
nung erst  von  Friedrich's  Nachfolger  erhalten  habe.  Auch  die  akade- 
mischen Kalender  bezeichnen  in  dieser  Zeit  den  Platz  des  Directors 
der  philosophischen  Klasse  stets  als  vacant,  und  dem  entsprechend  ist 
sogar  unter  Friedrich  Wilhelm  II.  bezweifelt  worden,  ob  sein  Vor- 
gänger jemals  eine  Ordre  mit  der  Bezeichnung  Formey's  als  »Director« 
ausgestellt  hat\ 

Der  König  hatte  sich  ül)rigens  in  diesen  Jahren  an  den  unver- 
meidlichen Secretar  gewöhnt,  behandelte  ihn  freundlich  und  erhöhte 
sogar  seine  Pension :  nur  zum  Director  der  philosophischen  Klasse 
hielt  er  ihn  für  ungeeignet.  Seit  dem  letzten  Feldzug  im  Jahre  1779 
liess  er  in  den  Spätnachmittagstunden  Akademiker  zu  sich  kommen, 
um  sich  mit  ihnen  zu  unterhalten  und  sich  zu  zerstreuen.  Früher 
hatte  er  das  niemals  gethan.  So  ist  auch  Formey,  der  den  König  bis- 
her nie  gesprochen  hatte,  in  den  letzten  sieben  Jahren  ein  paar  Mal 
befohlen  worden  und  hat  nicht  unterlassen,  von  diesen  Audienzen 
—  Merian  führte   regelmässig  die  Collegen   ein  —  in   seinen   »Sou- 


confidere  principibus" ;  allein  man  kann  nicht  verkennen,  dass  es  der  König  ge- 
wesen ist,  der  sich  über  ein  illoyales  Verfahren  zu  beklagen  hatte.  —  For:\iev's 
Mittheilung,  dass  an  Stelle  Prevost's  (im  Jahre  1785)  Schwab  aus  Stuttgart  berufen 
werden  sollte,  lässt  sich  aus  den  akademischen  Acten  bestätigen.  Der  König  gab 
den  Befehl,  mit  ihm  zu  verhandeln.  Ein  halbes  Jahr  schrieb  man  hin  und  her; 
schliesslich  zerschlug  sich  die  Sache.  Eine  Zeit  lang  schien  es  auch,  als  werde 
Prevost  wieder  nach  Berlin  zurückkehren  —  der  König  wünschte  es  lebhaft  (s.  die 
Ordre  vom  i.  October  1785)  — ,  aber  es  gelang  nicht,  diesen  tüchtigen  Gelehrten 
wiederzugewinnen.  Die  Stellung  als  Lehrer  an  der  Ritterakademie,  die  der  König 
nicht  von  dem  Sitz  in  der  Akademie  trennen  wollte,  schreckte  ihn  ab.  Man  sieht 
hier  deutlich,  wie  verhängnissvoll  für  die  Akademie  die  Personalunion  beider  An- 
stalten war.  Man  hat  sich  dann  noch  (1785/86)  für  den  erledigten  Stuhl  der  Phi- 
losophie um  den  Schweizer  Valtravers  und  irni  L'Evesqme  —  Merian  empfahl 
jenen,  Condorcet  diesen  • —  bemüht.  Der  König  lehnte  den  bereits  mehr  als 
sechzig  jährigen  Valtravers  mit  der  eigenhändigen  Bemerkung  in  der  Ordre  ab: 
"Er  Avird  hierher  kommen,  imi  sich  bei  uns  begraben  zu  lassen«.  Über  L'Evesque 
s.  unten. 

^  Bis  zum  Tode  Friedrich's  blieb  die  Dircctorstelle  unbesetzt;  doch  trat  in 
die  fast  ausgestorbene  Klasse  am  23.  Februar  1783  d'Anieres  ein,  vermochte  ihr 
al)er  nicht  viel  zu  bieten. 

Geschiclite  der  Akademie.    I.  25 


386     Geschiolite  der  Akndemie  unter  Friedrich  dem  Grossen  (174()— 17Sß). 

venirs«  aiisfülirlich  und  selbstgefällig  zu  erzählen^;  ausdrücklich  be- 
merkt er  dabei,  nienials  habe  der  König  durch  Spott  verletzt,  immer 
sei  er  lebhaft  gewesen  und  habe  durch  Geist  und  Vielseitigkeit  der 
Interessen  die  Hörer  entzückt".  Anziehender  noch  als  Formey's 
Berichte  ist  die  Schilderung  seiner  Unterredungen  mit  Akademikern, 
die  der  König  selbst   in   einem  Brief  an  d'Alembert  gegeben  hat'. 

Depuis  mon  retour  a  Berlin,  j'ai  voulu  decrasser  mon  esprit  de  la 
rouille  de  la  campagne  par  un  vernis  academique.  Je  ine  suis  entretenn 
avec  M.  Formey.  Nous  avons  savainment  et  profondement  discute,  ä 
ma  grande  edification,  les  matieres  les  plus  graves,  dont  notre  secrctaire 
perpetuel  a  voulu  me  convaincre.  Un  autre  jour  Fhomerique  Bitauke 
m'a  fort  assure  que  l'auteur  de  Tlliade  et  de  l'Odyssee  etait  le  seul 
poete  qu'eüt  produit  ce  long  enchainement  de  siecles.  Puis  je  me  suis 
corrobore  par  les  sages  reflexions  politiqnes  et  philosophiques  de  jNI. 
Weguelin;  et  comme  les  soins  de  la  terre  m'avaient  fait  pour  un  temps 
oublier  le  ciel,  M.  Bernoulli  a  bien  voulu  me  communiquer  l'itineraire 
des  astres;  il  m'a  appris  qu'on  soupc^onnait  la  cour  de  Venus  d'etre  plus 
nombreuse  qu'on  ne  Tavait  cru,  et  qu'on  avait  des  indices  d'un  de  ses 
satellites.  ]Moi  qui  vais  un  peu  vite  en  besogne,  j'ai  d'abord  baptise  ce 
satellite,  que  j'ai  nomme  Cupidon.  Je  me  suis  recommande  aux  bonnes 
gräces  de  cette  divinite,  du  nouveau  satellite  et  des  trois  Graces.  M. 
Bernoulli  pretend,  par  le  moyen  de  ce  satellite  (qui  est  apparemment 
un  espion),  savoir  au  juste  la  masse  et  la  taille  de  la  deesse  de  Cythere, 
comme  s'il  l'avait  mesuree  avec  sa  ceinture;  je  Tai  fort  prie  d'en  garder  le 
secret,  pour  ne  point  decrediter  les  chefs -  d'oeuvre  des  Phidias  et  des  Praxi- 
tele  qui  ont  sculpte  cette  deesse  si  superieurement.  Depuis,  j'ai  vu  M. 
Lagrange,  qui  a  bien  voulu  temperer  la  sublimite  de  son  langage  en 
raison  inverse  des  can-es  de  mon  ignorance;  il  m'a  conduit  d'abstraction  en 
abstraction  dans  un  labyrinthe  d'obscurites,  oü  mon  pauvre  esprit  se  serait 
perdu,  si  notre  bon  Suisse  M.  Merian  ne  m'avait  retire  des  sublimes 
regions  infinitesimales  pour  me  reinettre  sur  ce  giobe  abject  et  bi'ut  oü 
je  vegete.  Enfin,  M.  Achard  m'a  appris  ce  que  c'est  que  l'air  fixe,  et  il 
m'a  fait  convenir  sans  peine  que  la  matiere  a  une  infinite  de  proprietes 
qui  ont  echappe  jusqu'ici  a  notre  connaissance,  et  que  ce  ne  sera  qu'en 
suivant  Bacon,  a  force  de  faire  des  experiences,  que  nous  poui-rons,  avec 
le  temps,  etendre  de  quelques  degres  la  sphere  etroite  de  nos  connaissances. 
Malheureusement  les  preiniers  principes  des  choses  demeureront  a  jamais 
hors  de  la  portee  de  notre  faible  penetration.  Tel  est  en  abrege  le  petit 
cours  academique  que  j'ai  fait  durant  ma  maladie.  Cela  ne  valait  pas  la 
joeine  de  le  communiquer  au  sublime  Anaxagoras  (=  d'Alemberi);  nun 
sans  doute;  si  j'avais  vu  quelques  cliose  de  plus  interessant  k  lui  apprendre. 
je  l'aurais  fait**. 


^     I,    p.  122  ff. 

^  Formey  erzählt  u.  A.  von  einer  Audienz,  bei  welcher  der  König  in  mehr 
als  halbstündiger,  zusammenhängender  Rede  den  Kaiser  Tiberius  vertheidigt  habe 
(1,  p.  126). 

^    Januar  1780,  Q^ivres  T.  25   p. 139. 

*  Einen  ähnlichen,  aber  kürzeren  Bericht  hat  Friedrich  am  13.  (23.)  Januar 
1782   (QCuvres  T.  25  p.  212)  noch  einmal  an  d'Alembert  gesandt:    »J'ai  vu  la   plu- 


Friedrich's  Unterhaltungen  mit  der  Akademie.  dö< 

Diese  Unterlialtungen,  die  der  König,  wie  man  sieht,  nicht 
überschätzte,  hatten  begonnen,  nachdem  die  Akademie  durch  den 
Befehl,  als  Preisaufgabe  das  Thema  zu  stellen:  «S'il  est  permis  de 
tromper  le  peuple«,  in  di(^  grösste  Verlegenheit  versetzt  worden 
war  {1777/78).  In  dem  nächsten  Capitel  wird  näher  von  dieser  Auf- 
gabe die  Rede  sein  müssen.  Der  König,  weit  entfernt  sich  einen 
frivolen  Scherz  zu  erlauben,  nahm  die  Frage  sehr  ernst.  Seit  1769 
hatte  er  sich  mit  ihr  auf  d'Alembert's  Anregung  beschäftigt  (s.  oben). 
Jetzt,  nachdem  dieser  (22.  September  1777)  förmlich  den  Antrag  ge- 
stellt hatte,  der  König  möge  das  Thema  als  Preisaufgabe  der  Aka- 
demie vorschreiben,  entschloss  er  sich  dazu,  weil  es  ihn  tief  be- 
wegte, dass  der  Antragsteller  in  dieser  wichtigen  Frage  anderen 
Sinnes  war  als  er.  Der  Areopag  der  europäischen  Philosophen  sollte 
angerufen  werden  und  die  Akademie  dann  entscheiden.  Aber  der 
König  bedachte  nicht,  wie  ungeeignet  die  Frage  war,  vor  einer 
königlichen  Akademie   verhandelt  zu  werden. 

Der  briefliche  Verkehr  mit  d'Alembert  erhielt  noch  im  Novem- 
ber desselben  Jahres  einen  starken  Stoss  durch  eine  Indiscretion 
von  d'Alembert's  Seite.  Ein  halbes  Jahr  dauerte  die  Unterbrechung; 
dann,  nach  dem  Tode  Voltaire's,  wandte  sich  der  König  dem  alten 
Freunde  wieder  zu,  und  bald  war  das  frühere  Verhältniss  wieder- 
hergestellt. Aber  von  der  Akademie  ist  in  dem  Briefwechsel  nicht 
mehr  viel  die  Rede  —  nicht,  weil  d'Alembert's  Verhältniss  zu  ihr 
ein  anderes  gew^orden  wäre,  sondern  weil  der  König  an  den  Dingen 
w^enig  mehr  rührte  und  alle  Veränderungen  auf  das  geringste  Maass 
beschränktet  Im  September  1780  war  der  Genfer  Prevost  Mitglied 
geworden  (s.  oben),  wahrscheinlich  auch  nicht  ohne  d'Alembert's 
Rath ;  wenigstens  rühmte  dieser  später  Prevost's  Euripides- Über- 
setzung dem  Könige"'.  Im  Jahre  1781  empfahl  er  ihm  den  Schweizer 
Johannes  von  Müller,   der  sich   damals  in  Berlin  aufhielt  und  sich 


part  de  nos  academieiens.  On  m"a  parle,  les  uns  d"une  nouvelle  planete,  les  autres 
d'une  nouvelle  comete;  j'attends  qu'ils  decident  de  son  sort,  pour  Thonorer  en  con- 
sequence.  Pour  M.  de  Lagrange,  il  calcvTle,  calcule,  calcule  des  courbes  taut 
que  vous  en  voudrez;  M.  Formey  fait  des  panegyriques ,  Achard  de  Fair  dephlo- 
gistique,  Wegüelix  etudie  comment  on  aurait  pu  terminer  plus  vite  la  guerre  de 
trente  ans,  et  mois.  je  ne  fais  rien.  sinon  des  voeux  pour  votre  conservation .  des 
maledictions  contre  la  nephretique,  et  des  souhaits  pour  le  retal)lissement  de  la  paix 
en  Europe«. 

^    Ulier    d'Alejibert's    Antwort    auf   die    Zusendung    der    Schrift    des    Königs 
über  die  deutsche  Litteratur  s.  das  folgende  Capitel. 

^    16.  Februar  und   28.  April  1783.  CEuvres  T.  25   p.  250.  253. 

25* 


388     Geschichte  clor  Akademie  unter  Friedrich  dem  Grossen   (1746-1786). 

jedeiifolls  an  ihn  um  rürsj)raclie  gewandt  liatte,  nennt  ihn  aher 
»Mayer«.  «On  nie  mande«,  schreibt  er,  »qu'il  y  a  actuellement  a 
Berlin  un  jeune  savant,  nomme  M.  Mayer,  qui  vient  de  publier  en 
allemand  iine  excellente  »Histoire  de  la  Suisse«;  que  cette  histoire 
a  ete  traduite  en  frangais;  qu'elle  est  pleine  de  philosophie  et  de 
verites  courageuses ;  que  l'auteur  est  en  etat  d"ecrire  en  frangais; 
qu"il  desirerait  se  fixer  dans  les  Etats  de  V.  M.,  et  que  l'Academie 
ferait  en  lui  une  excellente  acquisition ,  si  V.  M.  jugeait  ä  propos 
de  Ty  attacher,  en  le  fixant  d'abord  par  une  modique  pension  de 
400  ecus,  dont  il  se  contenterait  jusqu'a  ce  qu'il  eüt  merite  par 
son  travail  d'obtenir  une  plus  forte  recompense«\  Der  König  er- 
widerte": «Ce  M.  Mayer  a  ete  ici.  Je  vous  confesse  que  je  Tai 
trouve  minutieux;  il  a  fait  des  recherches  sur  les  Cimbres  et  sur 
les  Teutons.  dont  je  ne  lui  tiens  aucun  compte;  il  a  encore  ecrit 
une  analyse  de  l'histoire  universelle  dans  laquelle  il  a  studieusenient 
repete  ce  qu'on  a  ecrit  et  dit  mieux  que  lui  .  .  .  Nos  Allemands 
ont  le  mal  qu'on  appelle  logon  diarrhoea«.  Müller  erhielt  damals 
keine  akademische  Stellung^'.  Grosse  Mühe  gab  sich  d'Alembert, 
einen  gewissen  Dubois,  der  über  die  Geschichte  der  polnischen 
Litteratur  geschrieben  und  bereits  Abhandlungen  in  die  Memoires 
eingerückt  hatte,  an  Francheville's  und  Beguelin's  vStelle  in  die 
Akademie  zu  bringen^;  aber  auch  dazu  kam  es  nicht.  Der  König 
war  doch  zurückhaltender  geworden  gegenüber  Empfehlungen  auch 


^    9.  Februar  1781   T.  25  p.174. 

-    24.  Februar  1781  p.  176. 

^  Schon  iin  Jahre  1773  hätte  er,  22  Jahre  alt,  Director  des  Joachimsthalschen 
Gymnasiums  werden  können.  Sein  Landsmann  Merian  hatte  ihn  dem  Minister 
VON  Zedlitz  für  diese  Stelle  empfohlen,  und  dieser  hat  den  Ruf  an  ihn  ergehen 
lassen.  Allein  Müller  schlug  ihn  aus  —  er  wollte  nicht  Schulmann,  sondern  Staats- 
mann werden  • — ,  bewarb  sich  aber,  die  Vermittelung  de  Catt's  anrufend,  vun  eine 
Anstellung  im  preussischen  Staatsdienst.  Doch  dieser  Plan  verwirklichte  sich  da- 
mals nicht.  Erst  nachdem  er  die  »Schweizei'geschichtc"  (erste  Bearbeitung  1780) 
und  die  «Essais  historiques«  —  beide  sind  auf  Friedrich  den  Grossen  berechnet 
—  verötf entlicht  hatte,  begab  er  sich  nach  Bei-lin,  erreichte  aber  seine  Absichten 
bei  dem  Könige  nicht  trotz  d'Alembert's  Vermittelung.  Nach  kurzem  Aufenthalt 
verliess  er  die  Stadt.  Erst  23  Jahre  sjoäter  sollte  er  als  gefeierter  Historiker  und 
Staatsmann  dort  eine  eintlussreiche  Stellung  erhalten. 

*  10.  September  1781  p.  200 ff.  Als  Bibliothekar  hatte  er  ihm  einige  Jahre 
früher  Delisle,  «einen  der  Märtp'er  der  Philosophie«,  empfohlen.  Seit  1774  wurde 
an  dem  neuen  Bibliotheksgebäude  gebaut.  Im  Jahre  1780  war  es  vollendet.  «J'ai 
fait  construire  ä  Berlin  une  bibliothecpie  publique.  Les  oeuvres  de  Voltaire  etaient 
trop  maussadement  logees  aupai^avant«  (an  Voltaire,  9.  November  1777  T.  23  p.412). 
Zu  Friedrich's  Zeiten  wurde  die  Königliche  Bibliothek  noch  niclit  in  ein  näheres 
A'^erhältniss  zur  Akademie  gebracht. 


d'Ale3ibert".s  letzte  Beiiiühuiigen  um  die  Akademie.  381) 

von  i)"Alembert"s  Seite:  nicht  alle  Empfohlenen  hatten  auf  die  Dauer 
den   Erwartungen   entsprochen.      Er  schreibt^: 

"Vous  ne  devez  pas  vous  etoniier  de  ce  que  j'aurais  voulu  parier  ä  ce  M.  Dubois 
avant  de  Tengager.  'S'ous  ne  saiiriez  croire  quelles  caravanes  arrivent  ici  d'insectes 
litteraires.  dont  k  joeine  on  peut  se  debarrasser,  d'autant  plus  que  c'est  en  Pologne 
oii  cette  vermine  pullule;  et  le  sejour  que  le  sieur  Dubois  a  fait  dans  ce  royauine 
(oü  ne  vont  guere  des  gens  de  merite)  faisait  naitre  des  prejuges  defavorables ,  qu'il 
ne  pouvait  detruire  qu'en  prouvant  le  contraire  par  son  merite.« 

Dagegen  ist  der  König  seinem  alten  Grundsatz  treu  geblieben, 
Verfolgte  aufzunehmen  und  zu  ehren.  Am  30.  October  1782  theilt 
er  dem  Freunde  mit,  dass  er  den  Professor  und  Abbe  Denina  aus 
Turin  nach  Berlin  ziehen  werde,  weil  er  dort  einiger  «phrases  rai- 
sonnables  et  modestes«  wegen  schwere  Angriffe  erleide.  «II  vient 
pour  dire  tout  haut  en  Allemagne  ce  qu'il  pensait  tout  bas  en  Italie". « 
Denina  kam  wirklich  (7.  November  1782);  die  Akademie  hat  in  ihm 
einen   recht  unbedeutenden  Vielschreiber  erhalten. 

In  demselben  Jahr  hielt  sich  noch  ein  anderer  Verfolgter  von 
grösserem,  aber  wenig  begründetem  Ruf  in  Berlin  auf.  Es  war  der 
Abbe  Raynal,  der  sich  durch  historische  Arbeiten  bekannt  gemacht 
hatte,  schon  seit  1750  auswärtiges  Mitglied  der  Akademie  war^, 
Frankreich  seines  Werkes  »Histoire  philosophique  du  commerce  des 
Europeens  dans  les  Indes«  wegen  hatte  verlassen  müssen  und  es 
nun  nach  längerem  Aufenthalt  in  England  in  Berlin  versuchte.  An- 
geblich war  er  gekommen,  um  Studien  über  die  Aufhebung  des 
Edicts  von  Nantes  zu  machen.  Man  behauptete  aber,  dass  er 
Präsident  der  Akademie  w^erden  wollte.  Allein  er  erreichte  beim 
Könige  seine  Wünsche  nicht:  »alterte«  auch  die  Akademie  nach 
einem  Ausspruch  Friedkich"s,  so  konnte  ihr  doch  nicht  durch  die 
Einsetzung  eines  Präsidenten  geholfen  werden,  der  selbst  bereits 
siebzig  Jahre  alt  war.  Im  Mai  1783  verliess  Raynal  Berlin  wieder. 
Durch  einen  Preis  von  1400  Franken  für  eine  Abhandlung:  «Sur 
la  maniere  d'ecrire  riiistoire«  suchte  er  sein  Andenken  zu  erhalten. 
Der  Preis  wurde  nicht  ertheilt,  und  die  Summe  dem  Abbe  wieder 
zugestellt''. 


^    13.  (23.)  Januar  17S2   p.2iif. 

-    Qiuvres  T.  25  p.  242. 

^  Er  ist  eines  der  nicht  eben  zahlreichen  auswärtigen  INIitglieder,  das  einen 
Beitrag  für  die  Memoires  geliefert  hat.  Im  Jahrgang  1751  steht  seine  Abhandlung 
über  die  Erhebung  Karl's  V.  auf  den  Kaiserthron. 

*  Siehe  Dexina,  Essai  p.  367,  La  Prusse  litt.  T.  III  p.  197  if.  Der  sonst  so  wohl- 
wollende Bartholmess  (I  p.  224)  bezeichnet  den  Exjesuitea  Raynal  als  »sophiste  cor- 
i'ompu.  rheteur  ambitieux,  compilateur  sans  utilite  comme  sans  probite«.     Friedrich 


390     Uescliiclite  der  Akademie  unter   Friedrich  dem   Grossen  (174(5  —  1786). 

Am  29.  October  1783  starb  dAlembert.  Sein  Tod  beraubte  den 
König  fast  des  letzten  nahen  Freundes^;  aber  er  dachte  bei  dem  Ver- 
luste auch  an  seine  Akademie.  »Trois  grands  geometres  se  sont 
suivis  en  peu  de  temps,  Bernoulli,  Euler  et  d'Alembert,  et  l'Aca- 
demie  royale  de  Berlin  a  fait  une  triple  perte"".«  Einen  Pariser  Rath- 
geber  für  die  Besetzungen  meinte  der  König  nicht  entbehren  zu 
können  —  an  einen  Deutschen  dachte  er  nicht  — ,  und  so  wandte  er 
sich  jetzt  an  Condorcet,  den  beständigen  Secretär  der  Academie  des 
Sciences,  den  Freund  und  Biographen  Voltaire's,  mit  der  Bitte, 
d'Alembert's  Functionen  zu  übernehmen^:  Condorcet  ist  wie  d'Alem- 
BERT  «heimlicher  Präsident«  der  Akademie,  freilich  nur  16  Monate, 
gewesen.     Am  6.  April  1785   schrieb  ihm   der  König*: 

»Autrefois  M.  d'Alembert  m'a  fait  le  plaisir  de  me  procurer  quelques  bons 
Sujets  pour  l'Academie  des  Sciences;  il  vient  de  m"en  manquer  deux,  et  vous  me 
rendriez  un  veritable  service,  si  vous  pouviez  m'en  procurer.  L'un,  c'est  Thiebault, 
([ui  etait  grammairien  et  puriste.  Je  crois  que  Fabbe  Beauzee  serait  le  plus  capable 
de  le  remplacer,  s"il  voulait  accepter  la  place...  L'autre  qui  nous  a  (piittes,  c'est 
M.  Prevost,  qui  avait  le  departement  de  la  philosophie  et  des  belies  -  lettres.  Per- 
sonne n'est  plus  capable  que  vous  de  trouver  des  sujets  dignes  de  les  remplacer." 

Condorcet  empfahl  als  Grammatiker  Dupuis,  Professor  an  der 
Pariser  Universität'.  Eine  lebhafte  Correspondenz  mit  dem  Könige 
ensj)ann  sich,  in  welcher  dieser  u.  A.  dem  Mar(|uis  versicherte,  seine 
Eloges  seien  vorzüglicher  als  die  d'Alembert's.  Im  December  1785 
ersuchte  ihn  Friedrich,  ihm  L'Evesque,  den  Condorcet  als  Philo- 
sophen empfohlen  hatte,  auch  wirklich  zu  besorgen,  »dont  mon 
Academie  a  si  grand  besoin*^«.  Condorcet  antwortete,  dass  L'Evesque 
die  Stelle  annehme;   er  sei  in  der  exacten  Philosophie  ein  Schüler 


hat  ihn  in  früheren  Jahren  geschätzt,  aber  dann  bald  die  Declamationen  des  INlannes 
richtiger  gewürdigt.  Als  in  dem  von  einigen  Akademikern  geleiteten  »Journal  litteraire 
de  Bei'liu"  eine  Anzeige  des  RAVNAL'sclien  Hauptwerkes  erscliienen  war,  schrieb  er  in 
scliarfen  Worten  der  Akademie,  sie  solle  mehr  Sorgfalt  auf  die  Zeitimg  verwenden 
und  zusehen,  dass  seine  Akademie  sich  nicht  durch  das  Blatt  compromittire. 

^  Am  nächsten  stand  ihm  in  dieser  Zeit  Lücchesini  ,  und  wahrscheinlich  hätte 
dieser  den  Pi-äsidentensitz  erhalten,  wenn  er  ihn  gewünscht  hätte.  Einen  nachweis- 
baren Einiluss  auf  die  Akademie  hat  er  nicht  ausgeübt,  wenn  er  auch  vom  Könige, 
ähnlich  wie  früher  d"Argens,  als  ÜNIittelsperson  benutzt  wurde. 

^    Schreiben  an  von  Grimm  vom  31.  October  1783,  OEuvres  T.  25   p.  348. 

^  Condorcet,  den  Voltaire  einen  »Vulkan,  bedeckt  mit  vSchnee«  genannt  hat, 
hatte  im  Jahre  1778  den  Berliner  akademischen  Preis  erhalten  für  eine  Untersuchung 
über  die  Kometen.  Auswärtiges  3Iitglied  wurde  er  erst  nacli  dem  Tode  Friedrich's 
(21.  November  1786),  jedoch  aus  politischen  Gründen  am  25.  Januar  1793  wieder 
gestriclien.     Er  endete  durch  Selbstmord  am  8.  April  1794. 

*    CEuvres  T. 25  p. 371. 

s    2.  :\Iai  1785   p.  373f- 

''    12.  December  1785   p.  381. 


CoNDORCET.     Die  Akademie  altert  mit  dem  Könige  (1785/86).  3i)l 

Locke's,  in  der  Moralphilosophie  ein  Schüler  der  Alten  —  das  war 
ein  wenig  nach  dem  Munde  geredet.  L'Evesque  sollte  Ende  April, 
Dupuis  im  Herbst  1786  nach  Berlin  kommen^;  allein  sie  sind  schliess- 
lich  doch  nicht  Mitglieder  der  Akademie  geworden"'. 

Mit  ihrem  grossen  Könige  alterte  auch  die  Akademie.  Die 
erledigten  Stellen  wurden  nur  zum  Theil  wieder  besetzt.  Die  Zahl 
der  ordentlichen  Mitglieder  betrug  nur  noch  18.  Zwar  die  physi- 
kalische und  die  mathematische  Klasse  behaupteten  ihr  Ansehen  und 
waren  gut  und  ausreichend  besetzt;  aber  die  philosophische,  einst 
der  Stolz  der  Akademie,  war  seit  Sulzer's  Tode  nur  ein  Schatten 
und  starb  aus  - — ■  der  alte  Formey  und  d'Anieres  waren  die  ein- 
zigen Mitglieder  —  und  die  philologische  Klasse  war,  von  Merian 
abgesehen,  nichts  anderes  als  das  Lehrercollegium  der  Ritterakademie. 
Diese  Schule  war  unter  Friedrich  II.  der  Akademie  so  verhängniss- 
voll geworden,  wie  das  Collegium  medico-chirurgicum  unter  seinem 
Vater.  Die  beiden  litterarischen  Klassen  bedeuteten  so  gut  wie 
nichts,  nichts  in  der  deutschen  Litteratur  und  Wissenschaft,  die 
an  ihnen  weder  An  theil  genommen  noch  erhalten  hat,  und  wenig 
in  der  französischen ,  denn  ihre  besten  Kräfte  waren  geschickte 
Übersetzer.  Es  gab  an  der  ganzen  Akademie  nur  einen  Mann, 
der  zwar  in  den  Memoires  französisch  schreiben  musste,  aber  deutsch 
empfand.  Er  gehörte  zu  keiner  Klasse,  sondern  war  Ehrenmitglied; 
aber  er  arbeitete  für  die  deutsche  Litteratur  und  Geschichte:  dieser 
Mann  war  Hertzberg.  Was  er  für  deutsches  Wesen  schon  unter 
Friedrich's  Regierung  gethan,  wird  im  nächsten  Capitel,  was  er  für 
die  Umbildung  der  Akademie  geleistet  hat,  im  folgenden  Buch  zur 
Darstellung  kommen. 

Dreiundzwanzig  Jahre  hindurch  {1763  — 1786)  sass  der  wirk- 
liche Präsident  der  Akademie  in  Paris,  erst  d'Alembeet,  dann  Con- 
dorcet;  die  Secretare  der  französischen  Akademie  leiteten  zugleich 
die  preussische!  W^er  etwas  erreichen  oder  durchsetzen  wollte, 
wandte  sich  über  Paris  an  den  König!  Auch  Leibniz  hat  sechs- 
zehn Jahre  lang  von  Hannover  aus  die  Berliner  Societät  geleitet; 
aber  er  war  ein  Deutscher,  und  Hannover  war  nicht  Paris!  Diese 
Fremdherrschaft  im  eigenen  Lande  hat  der  König  geschaffen  und 
ertragen,  der  im  Felde  die  Franzosen  besiegt  hat  und  der  die 
französische  Litteratur  als  sinkend  beurtheilte.     Während  sich  der 


^    Briefe  vom  Januar  und  26.  März  1786  p.  382!'. 

"    L'EvEStjCE   wurde  Professor  an  der  Ritterakademie. 


392     Geschichte  der  Akademie  unter  Friedrich  dein  Grossen  (1746— 178()). 

deutsche  Geist  um  1786  bereits  mächtig  entwickelt  hatte  und  Un- 
sterbliches schuf,  sassen  in  der  Akademie  Friedrich's  nur  fünf 
Deutsche:  Gleditsch,  Geehard,  Roloff,  Walter  und  Schulze,  fünf 
Naturforscher;  sie  repräsentirten  die  deutsche  Wissenschaft  und 
Litteratur!  Alle  übrigen  waren  Ausländer:  Schweizer,  Hugenotten, 
Franzosen,  Italiener.  Dieser  Zustand  war  unhaltbar;  er  wurde  jetzt 
endlich  in  Berlin,  in  Preussen,  in  ganz  Deutschland  als  eine  Schmach 
empfunden  inid   mit  Groll  und  Bitterkeit  beurtheilt. 

Die  Abhandlungen  der  Akademie  blieben  geschätzt,  und  wenn 
sie  weniger  Aufsehen  machten  als  früher,  so  mag  Denina's  ürtheil 
zutreffen:  »La  maturite  des  productions  les  rendait  moins  piquantes«. 
Die  Akademie  frappirte  nicht  mehr  wie  in  den  Tagen  Maupertuis" 
und  brüskirte  nicht  wie  einst,  als  La  Mettrie,  d"Aegens  und  andere 
Freigeister  unter  ihren  Mitgliedern  aufgeführt  wurden  und  Un- 
kundige sie  für  eine  Hochburg  des  Antichristenthums  halten  mussten. 
Die  schiffln-üchigen  Theologen  der  letzten  Stürme,  die  sich  in  den 
Hafen  der  Akademie  gerettet  hatten,  kämpften  nicht  gegen  Christen- 
tlium  und  Kirche,  mochten  sie  auch  einst  so  schlimme  Bücher  ge- 
schrieben haben   wie  Toussaint. 

Zwischen  den  verschiedenen  Klassen  der  Akademie  hat  zu 
allen  Zeiten  ein  inniger  Zusammenhang  bestanden:  den  natur- 
wissenschaftlichen Abtheilungen  fehlte  nichts,  und  doch  litten  sie 
mit  unter  dem  Niedergang  der  anderen.  Der  «schläfrige  Zustand« 
steckte  auch  sie  an;  es  herrschte  kein  freudiges  Leben  und  Streben 
mehr  in  den  Räumen  der  Akademie.  Beweis  dafür  ist,  dass  sich 
bereits  im  Jahre  1773  eine  »Privatgesellschaft  der  naturforschenden 
Freunde«  neben  der  Akademie  gebildet  hatte  (bestätigt  im  October 
1773),  ^i^^<^  ^^^^  ^ii^  hervorragender  Akademiker,  der  Botaniker 
Gleditsch,  zu  ihren  Stiftern  gehörte'.  Man  erinnert  sich  hier  der 
Bildung  neuer  Gesellschaften  in  den  letzten  Jahren  Friedrich  Wil- 
helm's  L  und  vor  der  Neugründung  der  Akademie  im  Jahre  1743'. 


^  Geh.  Staatsarchiv;  im  October  1777  erhielt  sie  das  Recht,  ein  Siegel  (aber 
ohne  Adler)  zu  führen.  Bestätigt  als  «Naturforschende  Gesellschaft-'  wurde  sie  im 
Februar  1790.  Auch  Achard  und  Bode  waren  Mitglieder.  Die  Gesellschaft  kam 
Dienstags  bei  einem  Mitgliede  zusammen  und  gab  auch  Schriften  heraus  —  bis 
1786  zehn  Bände  — ,  besass  ein  Naturaliencabinet  und  eine  Bibliothek,  s.  Nicolai, 
Beschreibung   der   Könighchen  Residenzstädte  Berlin  und  Potsdam  ^    Bd.  2  S.  72  2f. 

^  Im  Jahre  1783  hatte  sich  auch  eine  freie  philosoj)hische  Gesellschaft  ge- 
bildet, die  sich  alle  vierzehn  Tage  versammelte  und  sich  erst  1798  auflöste.  Ihr  ge- 
hörten alle  bekannten  Berliner  Aufklärungsphilosophen  an.  Mexdelssohn,  Nicolai, 
Teller,  Engel,  Spalding,  Biester  u.  A. 


Tod  des  Königs  (17.  August  1786).  393 

Am  17.  August  1786  starb  der  grosse  König.  Mit  seinem  Tode 
schliesst  aucli  die  Geschichte  seiner  Akademie.  Das  Jahr  vorher 
hatte  er  noch  einen  bedeutsamen  Act  der  Pietät  vollzogen.  J.  G.  Müch- 
LER  und  Moses  Mendelssohn  wollten  den  drei  Pliilosophen  der  Akade- 
mie Leibniz.  Sulzer  und  La3ibert  ein  gemeinschaftliches  Monument 
auf  einem  öffentlichen  Platze  Berlins  errichtet  sehen  und  machten 
deshalb   eine  Eingabe.      Der  König  antwortete   ihnen^ : 

"Denkmäler  von  verdienstvollen  INIännern  sind  von  jeher  als  Aufmiuiterungen 
zu  ihrer  Nachahmung  gestiftet  worden.  Ein  Freiherr  von  Leibniz.  ein  Sulzer.  ein 
Lambert  verdienen  nicht  weniger,  dass  ihr  Andenken  durch  eben  dergleichen  geehrt 
und  ihre  Verdienste  auf  die  Nachwelt  gebracht  werden.  Vielleicht  reizen  auch  ihre 
Ehrenzeichen  manchen  zur  Nachahmung.  In  dieser  Hoifnung  genehmige  Ich  nun- 
mehro  Euren  gestrigen  Antrag,  ihnen  eine  Denksäule  nebst  ihren  Bildnissen  en  me- 
daillons  zu  setzen.  In  der  Mitte  des  Platzes  vor  meinem  grossen  Bibliothek -Hause 
wird  solche  am  schicklichsten  stehen.  Daselbst  verstatte  ich  Euch,  ihnen  solche  er- 
richten zu  lassen." 

Dieses  Denkmal,  welches  das  erste  Jahrhundert  der  Akademie 
in  ausgezeichneter  Weise  verewigt  und  zugleich  einen  Markstein  in 
ihrer  Geschichte  gebildet  hätte,  ist  nie  errichtet  worden"':  aber  sie 
darf  mit  gutem  Reclit  in  dem  herrlichen  Monument,  das  Rauch 
geschaffen  hat,  auch  ein  Denkmal  ihrer  eigenen  Geschichte  als  fride- 
ricianischer  Akademie  erkennen;  denn  der  König,  dem  es  gilt,  ist 
nicht  nur  ihr  erhabener  Protector,  sondern  auch  ihr  wirklicher  Cu- 
rator,  ja  ihr  erlauchter  Mitarbeiter  gewesen.  Es  Avar  nicht  unwürdige 
Schmeichelei,  sondern  der  einfache  Ausdruck  ihres  grenzenlosen 
Dankes,  wenn  sie  Friedrich  nicht  nur  als  den  Grossen  und  Hoch- 
herzigen (»Magnanimus«)  ?  sondern  auch  als  den  Einzigen  ge- 
feiert  hat. 


Eine  Gedächtnissrede  auf  den  grossen  König  ist  in  der  Akademie 
nicht  vorgetragen  worden  —  wie  wäre  auch  For3iey  im  Stande 
gewesen,   eine  Gedenkrede  auf  ihn  zu  halten^ I    —   aber  alljährlich 


^    Qiiuvres  T.  27,  3  ji.  237. 

^  An  der  von  dem  Könige  erwählten  Stelle  (auf  dem  Opernplatz)  steht  jetzt 
das  Denkmal  der  Kaiserin  Augusta. 

^  In  der  öffentlichen  Sitzung  vom  25.  Januar  1787  sprach  er  einige  schwülstige, 
nichtssagende  Worte,  ^'or  allem  erinnerte  er  daran ,  dass  er  der  einzige  noch  übrig 
gebliebene  Akademiker  sei,  der  die  Reorganisation  der  Akademie  im  Jahre  1744 
erlebt  habe.  Dann  gab  von  Hertzberg  eine  Übersicht  über  das  letzte  Jahr  der  Re- 
gierung Friedrich's,  recapitulirte  sein  Leben  und  las  die  Einleitung  zu  den  hinter- 
lasseuen  "Memoires  de  mon  temps«  vor  (eine  Fortsetzung  IrsWöllner  in  der  Sitzung 
vom  27.  September  1787).  Endlich  beschloss  Denina,  der  Gegner  der  französischen 
Sprache,  die  Sitzimg  durch  den  Vortrag  einer  Abhandlung   »Sur  la   preference  que 


394  Die  Avissonschaftliclie  Bedeutung  der  Akademie  Friedrich's  IL 

wird  seiner  in  der  Festsitzung  des  Monats  Januar  gedacht,  und  schon 
in  der  Sitzung  vom  25.  Januar  1787^  verkündigte  Bode,  dass  fortan 
eine  bisher  unbenannte  Constellation  (zwischen  den  Sternbildern 
Cassiopeia,  Andromeda  und  Schwan)  mit  Zustimmung  der  Akade- 
mieen  von  Paris,  London,  Petersburg  und  Kopenhagen  den  Namen 
»Friedrich"s  Ehre«   tragen  solle". 


Drittes  Capitel. 

Die    Arbeiten    und    die    wissenschaftliche    Bedeutung 

der   Akademie. 

1. 

Zahlreiche  Arbeiten  der  Akademiker  sind  in  den  Memoires  nieder- 
gelegt, aber  die  wissenschaftliche  Bedeutung  der  Körperschaft  tritt 
keineswegs  nur  in  ihnen  hervor.  In  Gutachten  und  litterarischen 
Correspondenzen ,  in  den  Preisaufgaben,  auch  in  öffentlichen  Vor- 
lesungen ist  die  Akademie  für  die  Pflege  und  den  Fortschritt  der 
Wissenschaft  ausserdem  thätig  gewesen.  Dazu  kommen  die  besonders 
erschienenen  Werke  ihrer  Mitglieder. 


le  feu  roi  ])ai'aissait  accorder  a  la  Litterature  FraiKjaise,  et  sur  les  progres  qu"a 
l'aits  la  Litterature  Allemande  sous  son  regne"  —  das  war  im  Grunde  eine  Kritik 
Friedrich's  und  keine  Lobrede. 

'■    ]Memoires  1786/87  p.  570*. 

-  Der  Name  ist  jedoch  nicht  geblieben.  —  Einen  Aufsatz  "Sur  la  maniere  de 
rediger  l'histoire  du  regne  de  Frkderic  H"  las  am  ii.]Märzi790  (jMemoires  1790/91 
p.  551  ff.)  Verdy  du  Vernois.  —  Sehr  merkwürdig  und  ein  Zeichen  der  Zeit  ist  es, 
dass  in  der  öffentlichen  Sitzung  am  27.  Januar  1793  der  Minister  und  Curator  der  Aka- 
demie. Graf  VON  Hertzberg,  eine  lange  vorher  angekündigte  Rede  auf  Friedrich 
gelesen  hat  mit  dem  Titel:  «Memoire  sur  le  regne  de  Frederic  II,  Roi  de  Prusse, 
pour  faire  la  preuve  cjue  le  gouvernement  monarchique  peut  etre  bon  et  meine 
preferable  ä,  tout  gouvernement  republicain  (abgedruckt  in  den  Memoires 
1788/89  p.  471  ff.).  Kein  Wunder,  dass  Hertzberg  als  Freund  der  französischen 
Völkerfreiheit  beargwöhnt  wurde  (vergl.  auch  seine  Abhandlung  über  das  3.  Jahr 
Friedrich  Wilhelm's  H.  »et  pour  prouver  que  le  gouvernement  Prussien  n'est  pas 
despotique«,  gelesen  am  i.  October  1789,  Memoires  1786/87  p.645ff.).  Zwölf  Jahre 
später  las  Johannes  von  Müller  (24.  Januar  1805)  »Über  das  Ideal  einer  Geschichte 
Friedrich's  des  Grossen«  (Abh.  1804/11  S.  3)  und  dann  im  Jahre  1807  (a.  a.  0.  S.  7) 
die  berüchtigte,  durch  den  Verrath  am  Vaterland  befleckte  Rede  »Über  den  Rulun 
Friedrich's«,  nachdem  die  Akademie  für  das  Jahr  1800  die  Jubel -Preisaufgabe  ge- 
stellt hatte:  »Comment  Frederic  H  a-t-il  intlue  sur  le  progres  des  lumieres  et  en 
general  sur  l'esprit  de  son  siecle?"  (Den  Preis  erhielt  der  Prediger  Gebhard  an 
der  Jerusalemer  Kirche  in  Berlin). 


Die  Vorlesungen  inid  Gutachten  der  Akademiker.  895 

Zum  Abhalten  von  Vorlesungen  waren  die  Akademiker  als  solche 
nicht  verpflichtet.  Zwar  hat  der  König  stets  gew^ünscht,  sie  möge 
sich  auch  als  Lehranstalt  dem  Staate  nützlich  machen,  aber  ihre 
Statuten,  in  denen  nichts  über  Vorlesungen  enthalten  war,  wurden 
nicht  gCcändert.  Jedoch  haben  einzelne  Akademiker  —  und  zwar 
gegen  Ende  der  Regierung  Friedrich"s  immer  zahlreicher  —  Vor- 
lesungen gehalten.  Verpflichtet  waren  dazu  diejenigen,  welche  als 
Professoren  am  Collegium  Medicum  (Anatomie  und  andere  medici- 
nische  Disciplinen)  und  an  der  Ritterakademie  (Grammatik,  Fran- 
zösisch, Litteratur,  Geschichte,  Mathematik)  angestellt  waren.  Ausser- 
dem wurden  an  der  Sternwarte  der  Akademie  jüngere  Leute  zu 
Astronomen  ausgebildet.  Der  Botaniker  Gleditscii  hielt  seit  1770  im 
Auftrag  des  Generaldirectoriums  forstwissenschaftliche  Vorlesungen 
luid  unterrichtete  dazu  die  Mediciner  in  der  Pflanzenkunde.  Im 
Jahre  1778  wurde  eine  Anstalt  für  »Berg -Eleven«  gegründet;  der 
Akademiker  Gerhard  las  an  derselben  über  Mineralogie,  Metallurgie 
und  Theorie  des  Bergbaus.  Andere  Akademiker  betheiligten  sich 
an  den  privaten  wissenschaftlichen  Kursen ,  die  regelmässig  in  Berlin 
gehalten  wurden.  So  las  Aciiard  über  Chemie,  Experimentalphysik 
und  Elektricität ;  er  hat  auch  einmal  ein  besonderes  Colleg  für  die 
Färber  gehalten  und  dabei  Untersuchungen  über  »inländische  förbende 
Pflanzen«  angestellt.  Bode  hielt  populäre  astronomische  Vorlesungen, 
u.  s.  w.  Die  überwiegende  Mehrzahl  der  Akademiker  war  somit  als 
Lehrer  thätig,  und  Berlin  besass  eigentlich  schon  um  1780,  was 
Zahl  und  Vollständigkeit  der  jährlich  gehaltenen  Vorlesungen  an- 
langt,  eine  Universität;   nur  die   Organisation   fehlte  ihr\ 

Indessen  diese  ganze  Thätigkeit  w^ar  doch  für  die  allgemeine 
wissenschaftliche  Stellung  der  Akademie  ohne  höhere  Bedeutung. 
Es  ist  nicht  bekannt,  dass  Jemand  nach  Berlin  gekommen  wäre,  um 
akademische  Vorlesungen  zu  hören.  Ungleich  wichtiger  waren  die 
zahlreichen  Gutachten,  welche  sie  abzugeben  hatte.  Aus  dem  ge- 
sammten  Gebiet  der  theoretischen  und  der  angewandten  Wissen- 
schaften wurden  Fragen  an  sie  gerichtet  und  ihr  Erfindungen  und 
Entdeckungen  aller  Art  zur  Prüfung  vorgelegt.  Die  Beurtheilung 
kostete    oft  viel   Mühe    und   Zeit:   denn    die   Fehler   und   Irrthümer 


^  VergL  Nicolai.  Berlin  ^  Bd.  2  S.  7 23 ff.  Für  Vorlesungen  über  Gerichtsver- 
fassung und  Processe  sorgte  das  Justizdejiartement.  Vorlesungen  über  die  schönen 
Wissenschaften  und  die  Philosophie  wurden  privatim  gehalten,  so  von  Ramler, 
INIoRirz  und  Anderen.  Theologische  Vorlesungen  sind  meines  Wissens  niemals  an- 
uekündiüt  worden. 


31)G  Dif  wissen.solinl'tlielie  Bedeutung  der  Akadr-iuie  Friedkich"s  II. 

der  eingereichten  Arbeiten  waren  nicht  immer  so  leicht  zu  durch- 
schauen wie  die  »Lösungen«  des  Problems  der  Quadratur  des  Zirkels. 
Jahr  um  Jahr  liefen  solche  ein,  und  die  grossen  Mathematiker  der 
Akademie  widerlegten  sie  unverdrossen^;  noch  war  ja  die  Unmög- 
lichkeit der  Lösung  nicht  bewiesen.  Auch  das  Problem  der  Uni- 
versalsprache konnte  in  einer  Zeit  nicht  zur  Ruhe  kommen,  die 
das  Gewordene  gering  schätzte  und  überzeugt  w^ar,  dass  die  auf- 
geklärte Vernunft  des  Einzelnen  sicherer  und  besser  arbeite  als  die 
Geschichte. 

Als  das  directe  und  eigentliche  Mittel,  den  Fortschritt  der  Wissen- 
schaften im  Grossen  zu  befördern  und  in  richtigen  Bahnen  zu  halten, 
galten  die  Preisaufgaben,  welche  die  Akademieen  jährlich  stellten. 
Ihre  Bedeutung  kann  nicht  hoch  genug  geschätzt  werden.  In  einer 
Zeit,  der  die  Kräfte  und  die  Organisation  für  grosse  wissenschaft- 
liche Unternehmungen  —  mit  Ausnahme  astronomischer  —  noch 
fehlten,  waren  die  Preisaufgaben,  wie  sie  jährlich  von  den  Akade- 
mieen Europas  verkündigt  "w^urden,  die  Ziele  des  wissenschaftlichen 
Wetteifers  und  der  Gradmesser  für  die  Haltung  und  Einsicht  der 
gelehrten  Körperschaften.  In  diesen  Aufgaben ,  die  man  mit  Um- 
sicht nach  langen  Berathungen  auswählte,  stellte  sich  fortschreitend 
der  Gang  der  Wissenschaften  selbst  dar;  denn  in  der  Regel  sah 
man  von  .Specialitäten  ab  und  schrieb  solche  Themata  aus,  die  eine 
vollkommene  Einsicht  in  den  Stand  einer  ganzen  Disciplin  und  ihre 
Förderung  an  dem  wichtigsten  Punkte  verlangten,  oder  die  ein 
Fundamentalproblem  enthielten.  Die  Preisaufgaben  waren  gleichsam 
die  Hebel,  mit  denen  Jahr  um  Jahr  die  verschiedenen  Wissenschaften 
um  eine  Stufe  gehoben  werden  sollten,  und  sie  hatten  daneben 
eine  universale  luid  verbindende  Bedeutung.  Sie  richteten  sich  an 
die  Gelehrten  von  ganz  Europa  und  wiu-den  überall  in  der  wissen- 
schaftlichen Welt  bekannt.  Mit  der  höchsten  Spannung  erwartete 
man  sie,  ja  diese  Spannung  war  fast  grösser  bei  der  Ankündigung 
der  Fragen  als  bei  der  Mittheilung  der  Antworten;  denn  in  der 
Frage  zeigte  sich  die  Meisterschaft.  Die  Aufforderung  richtete  sich 
auch  nicht  an  die  Rekruten  der  Wissenschaft,  sondern  an  die  Füh- 
rer, und  diese  folgten  gern  dem  Rufe  zum  Wettkampf.  Die  ersten 
Denker  und  Gelehrten,  ein  Euler,  Lagrange,  d'Alembert,  Condorcet, 
ein  Kant,  Rousseau  und  Herder  sind  in  die  Arena  gestiegen.     Diese 


^  Vergi.  U.A.  Lagrange  in  den  Meaioires  1781  p.  17Ü'. ,  der  erklärt,  auch 
wenn  die  Quadratur  des  Zirkels  nachgewiesen  würde,  wäre  damit  nichts  für  die 
Geometrie  Gewonnen. 


Die  Preisaulgaben.  3i)/^ 

Thatsaclie,  die  uns  heute  fast  fremd  geworden  ist,  verlangt  doch  noch 
eine  besondere  Erklärung.  Sie  ist  nicht  in  der  Natur  der  gestell- 
ten Aufgaben,  noch  weniger  in  den  lockenden  Preisen  bereits  voll- 
ständig gegeben:  der  grosse  Denker  und  Gelehrte  war  im  iS.Jahr- 
liundert  noch  ein  Universalphilosoph:  sein  Geist  sah  eine  Fülle  von 
Problemen  auf  den  verschiedenen  Gebieten  der  Wissenschaften,  die 
ihn  mit  gleicher  Stärke  reizten  und  lockten.  Welches  sollte  er 
Jierausgreifen  ?  Da  kamen  ihm  die  Akademieen  mit  ihren  Preis- 
aufgaben zu  Hülfe.  Sie  stellten  ihm  ein  bestimmtes  Thema,  und 
er  war  eines  allgemeinen  Interesses  sicher.  Heute  lässt  sich  Nie- 
mand in  der  Wissenschaft,  der  ein  Lustrum  gründlich  gearbeitet 
liat,  so  leicht  Probleme  stellen,  weil  nur  Wenige  über  die  Stufe 
des  höheren  Kärrners  herauskommen,  der  sein  Avissenschaftliches 
Handwerk  methodisch  gelernt  hat  und  sich  wohl  hütet,  es  zu  ver- 
lassen. Und  er  thut  Recht  daran.  Auch  wird  die  Gemeinsamkeit 
und  Folgerichtigkeit  des  wissenschaftlichen  Fortschritts  niclit  mehr 
durch  Preisaufgaben  gewährleistet  —  wie  viel  Hunderte  müsste 
man  jährlich  stellen!  — ,  sondern  sie  muss,  soweit  nicht  der  von 
Akademieen  geleitete  Grossbetrieb  der  Wissenschaften  eintritt,  der 
natürlichen  Auswahl  überlassen  werden. 

Seit  dem  Jahre  1744  folgte  die  Berliner  Akademie  dem  von 
Paris  gegebenen  Beispiel  und  stellte  jährlich  eine  grosse  Preisauf- 
gabe \  Der  Ruhm  des  Königs  und  das  wissenschaftliche  Ansehen 
eines  Maupertüis ,  Euler,  Marggraf  u.  s.  w.  gaben  ihnen  eine  euro- 
päische Bedeutung.  Das  Berliner  Thema  wurde,  wie  das  Pariser, 
ein  Mittelpunkt  des  allgemeinen  wissenschaftlichen  Interesses,  zumal 
nachdem  der  Pariser  Geometer  d'Alembert  bei  der  zweiten  Preis- 
vertheilung  (1746)  gesiegt  hatte ■.  Man  war  bald  gewohnt,  von 
der  Berliner  Akademie  die  kühnsten  Fragen  gestellt  zu  sehen,  weil 
sie  eine  philosophische  Klasse  besass  und  unter  einem  Könige  arbei- 
tete, der  der  Speculation  keine  Schranken  zog.  Allerdings  haben 
gerade  die  philosophischen  Preisaufgaben  mehrmals  eine  scharfe 
Kritik  bei  den  Auswärtigen  herausgefordert;  aber  eben  diese  Kritik 
zeiö'te  auch,  dass  man  £>'anz  Besonderes  von  der  Berliner  Akademie 
erwartete.  Wie  weit  das  Interesse  an  den  Preis vertheilungen  ging, 
bis  in  die  französischen  und  schweizerischen  Tageszeitungen  hinein, 


^    Der  Preis  betrug  50  Ducaten,   die  seit  1747  in   der  Form    einer  goldenen 
Denkmünze  (von  Hedlinger  gestochen)  ausgezahlt  wurden. 

^    Aber  Euler    und  Lagrange   haben   mehr   als   zwölfmal    den    Pariser  Preis 


HOS  Die  wissensclial'tliche  Bedeutiniii'  dei'  Akademie  Friedricii'.s  IT. 

mag  folgende  Mittlioiluiig    in    den    Züricher    »Freimüthigen  Nach- 
rieliten«    vom    26.  Wintermonat  1755    beweisen.      Dort  liest  man^: 

"Den  5.  Juni  Naehuiittags  hielt  die  k.  Akademie  der  Wissenschaften  und 
Beiles -Lettres  ihre  ötrentliche  Versammlung,  welche  sie  jährlich  wegen  der  Be- 
steigung des  Throns  seiner  jNIajestät,  des  Königs,  anzustellen  pflegt.  Gedachte 
Versammlung  wurde  mit  der  Gegenwart  S.  K.  Hoheit  des  Prinzen  Friedrich  Hein- 
rich Carls,  zweiten  .Sohns  S.  K.  Hoheit  des  Prinzen  von  Preussen  beehrt,  Avie 
sich  denn  auch  verschiedne  in-  und  ausländische  Ministres,  nebst  andern  vorneh- 
men Herrn  des  Hofes  und  der  Stadt  dabei  einzufinden  beliebten.  Der  beständige 
Secretär  der  Akademie,  Hr.  Prof.  Formey.  eröffnete  die  Sitzung  dadurch,  dass  er 
bekannt  machte,  wie  der  auf  das  jetzige  Jahr  von  der  Classe  der  tiefsinnigen  Philo- 
sophie zu  vei'gebende  Preis   u.  s.  w.«     [Folgt  der  Bericht  über  die  Preisvertheilung.] 

Der  Antlieil  der  Zeitmigen  ist  ein  sicherer  Beweis  dafür,  dass 
in  allen  Culturländern  Gelehrte  und  Litteraten  mit  Interesse  dieser 
Bethätigung  der  Akademieen  folgten.  Wirklich  giebt  es  kaum  eine 
Preisfrage,  deren  Sj^uren  nicht  im  litterarischen  Verkehr  hervor- 
ragender Männer  des  Zeitalters  zu  finden  wären,  ja.  diese  Spuren 
sind  so  zahlreich,  dass  ihre  vollständige  Aufdeckung  ein  eigenes 
Werk  erfordern  würde.  Die  Betheiligung  an  dem  Wettkampf  war 
sehr  bedeutend  und  legte  der  Akademie  eine  grosse  Arbeitslast  auf. 
Wir  wissen,  dass  ein  Thema,  das  für  das  Jahr  1780  ge.stellte 
(s.  unten),  nicht  weniger  als  zweiund vierzig  Bewerbungen  ge- 
funden hat;  ein  Dutzend  scheint  die  Regel  gewesen  zu  sein.  Die 
Nationalität  der  Bewerber  lässt  sich  nicht  sicher  feststellen,  da  die 
Verfasser  der  nicht  gekrönten  Arbeiten  unbekannt  blieben  und  nur 
selten  der  Eine  und  Andere,  der  das  »Accessit«  erlangt  hatte,  sich 
meldete.  Mit  dem  Preise  gekrönt  wurden  26  deutsche  Arlieiten, 
10  französische  (eingerechnet  zwei  Genfer),  eine  italienische  und  eine, 
deren  Verfasser  Siebenbürge  war.  Hieraus  darf  man  wohl  schliessen, 
dass  die  Zahl  der  deutschen  Bewerber  mindestens  doppelt  so  gross 
gewesen  ist,  als  die  der  ausländischen.  Gedruckt  wurden  mit  dem 
Imprimatur  der  Akademie  nicht  nur  die  gekrönten  Arbeiten,  sondern 
mit  ihnen  zusammen  manchmal  auch  die,  Avelche  das  Accessit  er- 
langt hatten.  Einige  Fragen  haben  keine  befriedigende  Lösung 
gefunden,   so   dass  kein   Preis   zuerkannt   werden  konnte. 

Nur  in  einer  kurzen  Übersicht  kann  hier  die  Arbeit  der 
Akademie,  welche  in  den  Preisaufgal)en  enthalten  ist,  vorgeführt 
werden".  An  einigen  von  ihnen  aber  haftet  ein  besonderes  Interesse 
und  fordert  zu  näherer  Betrachtung   auf. 


^    Mitgetheilt  von  L.  Hirzel,  Wieland  und  Künzli  (1891)  S.  iiif. 
^    Im  Urkundenband  Nr.  175  sind  alle  Preisthemata,  die  die  Akademie  unter 
Friedrich  dem  Grossen  gestellt  hat,  verzeichnet. 


Die  Preisaufgaben  (naturwissenscliaftliclie).  oJl' 

Von  den  gestellten  45  Thematen  gehören  20  der  physikaliseli- 
medicinisclien  und  der  mathematischen  Klasse,  25  der  philosophi- 
schen und  der  philologisch -litterarischen  an.  Das  erste  Thema  war 
ein  physikalisches  «Sur  TElectricite«  (1745)^  Waitz,  Finanzrath 
in  Kassel,  gewann  den  Preis;  er  ist  gegen  Ende  der  Regierung 
Friedrich's  preussischer  Minister  und  Ehrenmitglied  der  Akademie 
geworden.  Bei  der  zweiten  Preisvertheilung  (1746)  siegte,  wie  he- 
reits  oben  S.303  imd  397  bemerkt,  d'Ale.mbert  in  Paris.    Das  Thema 

war  ebenfalls   ein  physikalisches: 

»Determiner  l'ordre  et  la  loi  qne  le  vent  devrait  suivre  si  la  terre  etait  en- 
vironnee  de  tous  cotes  par  l'Ocean,  de  sorte  qu'on  put  en  tout  temps  trouver  la 
direction  et  la  vitesse  du  vent  pour  chaque  endroit.« 

Der  mathematischen  Physik  sind  ferner  solche  Aufgaben  ent- 
nommen, die  sich  an  die  Arbeiten  von  Euler  und  Lagrange  an- 
schlössen; auch  sonst  bemerkt  man,  dass  die  Themata  nicht  selten 
aus  wissenschaftlichen  Erwägungen  und  Controversen  entsprungen 
sind,  die  die  Akademie  selbst  lebhaft  beschäftigt  hatten.  Preise 
erhielten  Adami  in  Aurich  (1752)"",  Gennert  in  Utrecht  (zweimal, 
1766  und  1772)  und  Le  Gendre  in  Paris  (1782:  über  die  Curven, 
welche  Kanonenkugeln  beschreil^en).  Die  Frage,  ob  die  Umdrehung 
der  Elrde  um  ihre  Achse  sich  stets  gleich  schnell  vollzogen  habe, 
wurde  von  Frisi  in  Pisa  beantwortet  (1756);  sie  hat  auch  Kant  zu 
Studien  angeregt.  Eine  andere  Frage,  über  die  Bahnen  der  Kometen, 
blieb  längere  Zeit  ungelöst;  dann  wurde  der  Preis  verdoppelt  und 
(1778)  zwischen  Condorcet  in  Paris  und  dem  preussischen  Artillerie- 
Hauptmann  Tempelhoff  getheilt.  Die  Aufgabe,  eine  klare  und  prä- 
cise  Theorie  des  Begriffs  »Unendlich«  in  der  Mathematik  zu  ent- 
wickeln, löste  Lhuilier  in  Genf  (i  786).  In  der  Chemie  wurden  Unter- 
suchungen über  den  Salpeter  (1749)  und  das  Arsenik  (1773)  g'C'krönt 
{PiETSCH  in  Mansfeld  und  Monnet  in  Paris).  Die  Frage  nach  der 
Theorie  der  Gährung  fand  keine  genügende  Bearbeitung  (zurückge- 
zogen im  Jahre  1786),  sie  kam  noch  zu  früh,  und  auch  die  Aufgabe, 
aus  Sand  Steine  zu  machen  —  in  der  Mark  Brandenl)urg  besonders 
lohnend  — ,  fand  zwar  Dilettanten  genug,  aber  erweckte  noch  keinen 
Erfinder.  Wahrscheinlich  von  Gleditsch  ist  das  Thema  gestellt  worden: 

«Exposer  les  moyens  determines  de  lier  entr'elles  la  Pliysique  et  l'Qi^conoinie 
rurale    plus    etroitement  qu'elles    ne    l'out  ete  jusqu'a  present,    et  en  particulier  de 


^  Die  Jahre  bedeuten  die  Jahre  der  Preisertheihuig. 

"  d'Alembert  hatte  auch  concurrirt  (es  handelte  sich  um  ein  Thema  aus  der 

Theorie  des  Widerstandes),  erhielt  aber  den  Preis  nicht;  er  sah  darin  eine  Kabale 

Euler's  und  beklagte  sich  darüber. 


400  Die  wissenschaftliclie  Bedeutung  der  Akademie  FRiEnRicii's  II. 

rapporter  a  des  principes  susceptibles  d'application  rintluence  de  la  Physitjue  sur  les 
diverses  parties  de  rOEcononiie  susditc." 

Ein  pommerscher  Pastor,  Meyen,  löste  sie  zur  Zufriedenheit  der 
Akademie.  Die  evangelischen  Geistliehen  haben  sich  überhaupt  leb- 
haft betheiligt:  unter  den  38  gekrönten  Arbeiten  sind  zehn  von 
ihnen  verfasst.  In  den  ersten  20  Jahren  nach  Friedrich's  Tode  ist 
der  Procentsatz  evangelischer  Geistlicher  unter  den  von  der  Aka- 
demie Gekrönten  noch  grösser  gewesen. 

Von  allgemeinerem  Interesse  sind  die  physiologisch -medicini- 
schen  Themata.  Gekrönt  v^urden  drei  Arbeiten:  «Si  la  communi- 
cation  entre  le  cerveau  et  les  muscles,  par  l'entremise  des  nerfs, 
s'exeeute  par  une  matiere  fluide,  qui  fait  gontler  le  muscle  dans  son 
action?  Quelle  est  la  nature  de  ce  fluide?«  (1753,  Le  Cat  in  Ronen), 
sodann  eine  Untersuchung  über  den  inneren  Bau  des  Ohres  und  den 
Vorgang  der  Gehörempfindung  (i  763  ,  Belz  in  Neustadt-Eberswalde) 
und  eine  physiologisch -chemische  Abhandlung  über  die  Verände- 
rungen der  Nahrungsmittel  im  menschlichen  Körper  (Dueade  in  Genf). 
Dagegen  fand  die  Preisfrage,  die  seit  den  LEEUwENHOEK'schen  Ent- 
deckungen brennend  geworden  war  und  um  die  sich  auch  Mau- 
PERTUis  selbst  bemüht  hatte,  nach  der  Natur  der  geschlechtlichen 
Zeugung,  keine  ausreichende  Beantwortung.  Die  Akademie  hatte 
die  Frage  scharf  gestellt: 

'>Si  tous  les  etres  vivants,  tant  du  regne  animal  que  du  regne  vegetal,  sortent 
d"un  oeut'  leconde  par  un  germe,  ou  par  une  matiere  prolifique,  analogue  au 
germe  ? " 

Dass  dieses  Problem  und  die  mit  ihm  verwandten  damals  weit 
über  die  Kreise  der  Naturforscher  hinaus  die  wissenschaftlich  Inter- 
essirten  beschäftigten,  erkennt  man  z.  B.  aus  Moses  Mendelssohn"s 
Beiträgen  zu  den  Briefen,  die  neueste  Litteratur  betreffend  (s.  Ges. 
Werke,  Bd.  IV,  i  S.  5  i  2  fl'.  vom  Jahre  1759).  Durch  Lieberkühn's 
Arbeiten  w^ar  das  Interesse  für  diese  Frage  auch  nach  Berlin  getragen 
worden.  Die  akademische  Preisaufgabe  hat  zu  mehreren  Abhand- 
lungen,  die  im  Druck  erschienen,   den  Anstoss  gegeben. 

Grösser  aber  als  die  Gemeinde  derjenigen,  die  mit  Spannung  die 
naturwissenschaftlichen  Preisthemata  der  Akademie  erwarteten,  war 
die  Zahl  der  Gelehrten  und  Litteraten,  die  den  philosoj)hischen  und 
philologischen  Aufgaben  ein  lebhaftes  Interesse  entgegenbrachten. 
Nur  geschichtliche  Themata  im  strengen  Sinne  des  Wortes  hatten 
ein  wenig  zahlreiches  Publikum;  denn  der  Geist  des  18.  Jahrhun- 
derts war  exacten  historischen  Studien  nicht  günstig.  Dennoch  hat 
die  Akademie  sieben  Mal  Aufgaben  aus  der  Geschichte  gestellt,   von 


Die  Preisauf  gaben  (geschichtliclie).  401 

denen  nur  zwei  nicht  genügend  beantwortet  wurden:  Wie  weit  sind 
die  Römer  in  das  nördliche  Deutschland  vorgedrungen?  (1748,  Fein, 
Prediger  in  Hameln).  Wie  hat  sich  die  deutsche  Colonisation  im 
Lande  zwischen  Elbe  und  Oder  vollzogen?  (1752,  von  Hertzberg). 
Historische  Geographie  der  alten  Gaue  von  Brandenburg,  Umfang 
der  Mark  zu  Zeiten  der  Anhaltiner,  Bavern  und  Luxemburger? 
(1760,  BucHHOLTZ,  Prediger  zu  Liehen).  Über  das  Münzrecht  im 
Allgemeinen  und  über  das  alt-brandenburgische  Münzrecht  im 
Besonderen  (nicht  beantwortet).  Über  die  Ursachen,  welche  die 
hervorragende  Stellung  der  alten  Markgrafen  von  Brandenburg  er- 
klären und  die  Entwicklung  Brandenburgs  zur  Weltmacht  vorbereitet 
haben  (unbeantwortet) \  Zeigen  diese  fünf  Themata,  dass  die  Aka- 
demie die  vaterländische  Geschichte  gepflegt  sehen  wollte  —  die 
neuere  preussische  Geschichte  hat  Friedrich  der  Grosse  selbst  als 
Akademiker  bearbeitet  — ,  so  beweisen  die  Themata  der  Jahre  1764 
und  1776,  dass  die  Historiker  der  Akademie  für  die  Probleme  der 
Weltgeschichte  einen  aufgeschlossenen  Blick  besassen.  Jenes  lautete: 
"Quand  est-ce  qvie  la  puissance  souveraine  des  Empereurs  Grecs  a  totale- 
ment  cesse  dans  Rome'*  Quel  gouvernement  les  Romains  eurent-iLs  alors?  Et  dans 
qiiel  temps  la  souverainete   des  Papes   fut-elle   etablie?«   (Sabbathier   in  Chalons). 

Dieses  verlangte  eine  Untersuchung  über  den  Werth  der  Münzen 
(des  Geldes),  bezogen  auf  die  Lebensmittel,  in  der  Zeit  vom  Tode 
Konstantin"s  bis  zur  Theilung  des  Reichs  unter  Theodosius  L,  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  Wechselwirkungen  zwischen  dem 
Schwanken  des  Geldwerthes  und  den  politischen  und  socialen  Ver- 
änderungen  im  Reich   (von  Kessenbrink  in  Stettin). 

Der  Pulsschlag  des  18.  Jahrhunderts  war  die  Philosophie,  und 
zwar  im  Sinne  der  Ermittelung  der  letzten  und  höchsten  Principien 
sowohl  auf  dem  Gebiete  der  Naturwissenschaften  als  auf  dem  des 
geistigen  Lebens.  Dort  war  es  der  Gegensatz  der  englischen  Phi- 
losophie zu  der  Leibniz-Wolff' sehen,  in  Avelchem  sich  das  Interesse 
bewegte;  hier  waren  es  die  Grundfragen  der  Entstehung  und  Ent- 
wicklung der  Sprache,  Moral  und  Cultur,  um  deren  Lösung  man 
sich  in  kühner  Zuversicht  bemühte.  Noch  immer  wirkte  das  epoche- 
machende Erlebniss,  dass  man  die  Mechanik  des  Himmels  kennen 
gelernt  hatte  —  nicht  aus  der  wissenschaftlichen  Tradition,  son- 
dern im  Widerspruch   zu  ihr  — ,   wie  eine  sichere  Bürgschaft,   dass 


^  Dieses  Thema  hat  22  Jahre  später  ein  Akademiker,  de  Ciiambrier,  aufge- 
nommen und  seine  Untersuchung  in  den  Memoires  (1794/95  p.  138  ff.  und  1799 
p.  188  ff.)  veröffentlicht. 

Geschichte  der  Akademie.    I.  26 


402  Die  wissenscliaÜliclie  Bedeutung  der  Akademie  Friedrich's  II. 

avif  die  Dauer  nichts  Wissenwürdiges  dem  menscliliclien  Verstände 
verschlossen  bleiben  werde,  sobald  er  sich  von  jeglicher  Bevor- 
mundung, also  auch  von  der  geschichtlichen  Überlieferung,  befreit 
liabe.  Auf  das  engste  aber  verbanden  sich  —  und  das  erinnert 
noch  immer  an  die  Renaissance,  ja  an  die  Antike  selbst  —  mit 
den  philosophischen  Fragen  die  litterarischen,  der  Sinn  für  die 
Ausbildung  des  «Geschmacks«  und  für  die  Klarheit  und  Schön- 
heit der  Form.  Eigentlich  war  noch  immer  der  didaktische  Poet 
das  höchste  Ideal.  Alle  geistigen  Interessen  lagen  so  zu  sagen  noch 
in  einander:  das  Talent,  das  Genie  durfte  keines  bei  Seite  schieben: 
aber  keines  konnte  sich  noch  mit  eingeborener  Kraft  geltend  machen. 

Von  diesem  geistigen  Zustande,  wie  er  geherrscht  hat,  l)evor 
Rousseau,  Kant  und  der  deutsche  Idealismus  eine  neue  Gedanken- 
bildung erzeugten ,  legt  eine  grosse  Anzahl  der  Preisaufgaben  der 
Akademie  Zeugniss  ab,  und  gerade  diese  Aufgaben  w^aren  es,  die 
mit  dem  lebhaftesten  Interesse  aufgenommen,  besprochen  und  l)ear- 
beitet  wurden.  Nur  in  einer  gedrängten  Übersicht  dürfen  wir  über 
sie  berichten. 

Bereits  für  das  Jahr  1747  wurde  eine  Darstellung  und  Kritik 
der  Monadenlehre  verlangt.  In  dieser  physikalisch -metaphysischen 
Hauptfrage  war  die  Akademie  selbst ,  wie  wir  bereits  wissen ,  ge- 
theilter  Meinung.  Maupektuis,  der  sich  übrigens  nie  die  Mühe  ge- 
nommen hat,  die  Werke  A^on  Leibniz  und  Wolff  gründlich  zu  stu- 
diren ,  stand  mit  Euler  u.  A.  auf  Seite  der  Engländer  und  hielt  die 
Monadenlehre  für  eine  vorwitzige  und  unfruchtbare  Speculation, 
die  beseitigt  werden  müsse.  Mit  höchster  Besorgniss  und  Unruhe 
blickte  W^OLFF  auf  das  gestellte  Thema;  er  fürchtete  für  seinen  Prin- 
cipat  in  Deutschland  und  suchte  durch  Briefe  auf  Maupertuis  in 
einem  seiner  Sache  günstigen  Sinne  einzuwirken\  In  den  zwei 
Jahren  (1745—47)  ^'is  zur  Preis vertheilung  wurde  für  und  gegen 
die  Monadenlehre  öffentlich  in  anonymen  Broschüren  auf's  Leb- 
hafteste gestritten.  In  scharfer  Bekämpfung  schritt  Euler  Allen 
voran.  Er  veröffentlichte  seine  Dissertation  »Considerations  sur  les 
Clements  des  corps,  dans  lesquelles  on  examine  la  doctrine  des 
monades  et  Ton  decouvre  la  A^eritable  essence  des  corps«,  und  suchte 
im  Voraus  die  Frage  zu  entscheiden.  Der  anonyme  Angriff  wurde 
von  Formet  (ebenfalls  anonym)  beantwortet  in  den  »Recherches  sur 
les  Clements  de  la  matiere«,  die  Wolff  selbst  vor  dem  Druck  durcli- 


'    Siehe  Le  Sueur,  a.  a.  O.  p.  430  ft". 


Die  Preisaiifgabea  pionadenlehre).  403 

gesellen  hat.  Die  Akademie  nahm  die  Concurrenz  diesmal  so  wichtig, 
dass  sie  die  Entscheidung  nicht  der  philosophischen  Klasse  über- 
liess,  sondern  eine  eigene  Commission  aus  allen  vier  Klassen  bil- 
dete (vergl.  auch  Memoires  1788/89  p.  66).  «Ganz  Berlin  räsonnirte«, 
sagt  Merian,  «Gott  weiss  wie!«  und  l)lickte  mit  Spannung  auf 
das  Ergebniss;  aber  weit  über  Berlin  hinaus,  in  der  gebildeten 
Welt,  nahm  man  lebhaften  Antheil.  Euler  und  Graf  Dohna,  die 
Gegner  Wolff's  in  der  Commission,  gewannen  den  Sieg,  und  ge- 
krönt wurde  die  Abhandlung  eines  Bestreiters  der  Monadenlehre ,  des 
Advocaten  Justi  in  Sangerhausen.  Unparteiisch  war  diese  Ent- 
scheidung nicht,  und  Euler  selbst  hat  später  anerkannt,  dass  einem 
anderen  Bewerber,  einem  bedingten  Leibnizianer,  Unrecht  geschehen 
sei  und  Justi  den  Preis  hatte  mit  ihm  theilen  sollen.  Aber  die 
Erbitterung  der  Newtonianer  liess  damals  eine  vermittelnde  Ent- 
scheidung nicht  zu:  sie  stritten  für  den  Sieg  der  exacten  Wissen- 
schaft über  eine  Speculation,   die  sie  für  phantastisch  hielten. 

Als  nach  vier  Jahren  die  philosophische  Klasse  wiederum  das 
Preisthema  zu  stellen  hatte,  forderte  sie  (für  1751)  zu  einer  Kritik 
des  LEiBNiz'schen  Determinismus  auf.  So  lautete  das  Thema  zwar 
nicht,  aber  diese  Aufgabe  war  gemeint.  Die  von  Heinius  redigirte 
Fassung  war  wenig  glücklich,  und  d'Alesibert  spottete,  man  könne 
das  akademische  Thema  auch  so  fassen:  «In  Erwägung,  dass  unsere 
Freiheit  sehr  zweifelhaft  ist,  fragt  man  an,  ob  wir  sie  wirklich  be- 
sitzen^t.  Allein  kein  Geringerer  als  der  Mathematiker  Kaestner  in 
Leipzig  bemühte  sich  um  die  Aufgabe  und  gewann  den  Preis. 
Kaestner  ist  zeitlebens  ein  treuer  Schüler  Wolff's  geblieben ,  soweit 
er  auch  in  seiner  Stimmung  und  seinem  Lebensgefühl  über  ihn 
hinauswuchs". 

Die  gewundene  Fassung  des  Themas  war  nicht  aus  zufälliger 
Ungeschicklichkeit  entsprungen.  Ihr  tieferer  Grund  lag  in  den  Span- 
nungen, die  die  Akademie  beherrschten:  LEiBNizens  Freunde  Hessen 
keine  Formulirung  zu,  die  dem  Ansehen  des  grossen  Philosophen 
schädlich  sein  konnte,  und  auch  die  Gegner  selbst  mochten  nicht 
direct  und  unumwunden  zu  seiner  Bekämpfung  auffordern,  wünschten 


^  Vergi.  seinen  fast  beleidigenden  Brief  an  Forjiey  in  den  Souvenirs  T.  II 
p.  362  ff.  Man  erbat  sich  von  Paris  im  Tone  der  Überlegenheit  Auf  klärungen  über  die 
seltsame  Fassung,  die   »tous  les  gens  de  lettres  de  Paris«  in  Erstaunen  gesetzt  habe. 

^  Das  Accessit  ei'hielt  bei  der  Preisvertheilung  der  junge  Frankfurter  Theologe 
TÖLLXER.  und  seine  Arbeit  wurde  mit  der  Kaestner's  zusammengedruckt;  sie  ver- 
schaffte ihm  eine  ausserordentliche  Professur  in  Frankfurt. 

26* 


404  Die  wissenschaftliche  Bedeutung  der  Akademie  Fkiedrich's  II. 

aber  den  Sturz  seiner  Philosophie.  So  geschah  es,  dass,  als  die 
philosophische  Klasse  zum  dritten  Mal  im  Jahre  1753  (^*ür  1755) 
die  Preisaufgabe  zu  stellen  hatte,  die  Formulirung  wiederum  zu 
ernsten  Bedenken  Anlass  gab  —  zu  mn  so  ernsteren,  als  diesmal 
unter  der  durchsichtigen  Hülle  einer  Kritik  des  «Systems«  von  Pope 
in  Wahrheit  eine  Kritik  der  LEiBNiz'schen  Lehre  von  der  besten  Welt 
und  damit  seiner  ganzen  Weltanschauung  verlangt  wurde.  Das 
Thema  lautete: 

"On  demande  l'examen  du  Systeme  de  Pope,  contenu  dans  la  proposition: 
Tout  est  bien.  II  s'agit:  (i)  de  determiner  le  vrai  sens  de  cette  proposition, 
conformement  a  riiypothese  de  son  auteur.  (2)  De  la  comparer  avec  le  Systeme  de 
l'optimisme,  ou  du  clioix  du  meilleur,  pour  en  inai'quer  exactement  les  rapports 
et  les  diiferences.  (3)  Enfin  d'alleguer  les  raisons  qu'on  croira  les  plus  propres 
a   etal)lir  ou  a  detruire  ce  Systeme.« 

SuLZER,  der  Verehrer  LEiBNizens ,  hatte  sich  vergeblich  gegen  das 
Thema  ausgesprochen.  Sobald  es  bekannt  wurde,  rührten  sich 
überall  die  Freunde  des  grossen  Philosoph en\  Als  erster  erhob  sich 
Gottsched  und  erklärte  mit  Recht,  hinter  dem  Thema  verstecke 
sich,  wie  schon  früher  bei  der  Preisaufgabe  über  die  Monaden,  die 
geheime  Absicht  der  Akademie,  die  LEiBNiz'sche  Philosophie  herab- 
zusetzen". Ebenso  ungehalten  war  man  in  Zürich ,  in  dem  Breitinger- 
BoDMER'schen  Kreise,  in  welchem  damals  Wieland  lebte,  und  es  be- 
durfte kaum  der  Aufforderung  Sulzers  an  seine  Schweizer  Freunde, 
die  Gelegenheit  zu  ergreifen,  um  durch  die  Bearbeitung  der  Frage 
Leibniz  einen  Triumph  und  Maupertuis  eine  Niederlage  zu  bereiten. 
M.  KüNZLi,  mit  dem  uns  jüngst  Ludwig  Hirzel  bekannt  gemacht  hat^, 
entschloss  sich  zur  Arbeit.  Ein  Aufenthalt  in  Berlin  bestärkte  ihn 
in  dieser  Absicht.  Sulzer  glaubte  dem  Freunde  den  Sieg  garantiren 
zu  können;  denn  «ich  bin  einer  von  Ihren  Richtern  und  wenigstens 
drei  Viertel  von  diesen  haben  eben  die  Principia,  die  Sie  unfehlbaT 
auch  haben.  Ich  kann  es  Ihnen  sub  rosa  wohl  sagen:  Heinius,  Formey, 
Merian  und  ich  machen  eigentlich  die  ganze  Klasse  der  Philosophen 


^  In  England  fühlte  man  sich  gesclimeiclielt,  dass  ein  Engländer  an  LEiBNizens 
Stelle  gesetzt  war;    s.  den  Brief  von  Maiy  an  Forjiey  vom   22.  Februar  1755. 

-  Siebe  seine  Dissertation:  «De  optimismi  macula  diserte  nu])er  Alexandro 
Popio  Angelo,  tacite  autem  G.  G.  Leibnizio,  perperam  licet,  inusta«  1753.  Ob 
Maupertuis  direct  an  der  Fassung  der  Aufgabe  betheiligt  gewesen  ist.  lässt  sicli  nicht 
mehr  feststellen. 

^  «Wieland  und  Martin  und  Regula  Künzli«  (Leipzig  1891).  In  diesem 
Buche  sind  zum  ersten  Male  die  littei'arischen  Bewegungen .  welche  die  akademische 
Preisaufgabe  hervorgerufen  hat,  zum  Theil  nach  ungedruckten  Briefen  und  wieder- 
aufgefundenen Actenstücken,  umfassend  dargestellt.  A^or  Allem  hat  man  erst  durch 
HiRZEL  "Wieland's  uud  KÜNZLi's  Betheiligung  an  dem  Streit  kennen  «ielernt. 


Die  Prt?i.saulgaben  (PoPE-LEUiXiz).  405 

bei  der  Akademie  aus.  Die  zwei  ersteren  sind  geschworene  Leib- 
nizianer,  Merian  Ivann  allein  nichts  machen^«.  Etwas  weniger  zu- 
versichtlich schrieb  er  vier  Wochen  vor  der  Preisverth eilung:  »Ich 
Avill  Ihnen  noch  keine  gewisse  Hoffnung  machen;  aber  es  ist  wahr- 
scheinlich, dassSie  den  Preis  bekommen  werden,  und  zwar  von  Rechts- 
wegen. Ich  bin  nur  noch  über  einen  Punkt  mit  dem  Dr.  IIeinius  nicht 
eins  u.  s.  w.'"«. 

Allein  es  kam  anders.  Die  Akademie  krönte  unter  den  einge- 
laufenen Arbeiten^  die  französisch  geschriebene  Dissertation  eines 
Herrn  A.F.Reinhard,  Strelitzschen  Justiz -Secretars,  welche  den  Op- 
timismus auf"s  Heftigste,  aber  in  wenig  wissenschaftlicher  Weise  an- 
griff und  LEiBNizens  Philosophie  mit  ganz  unzureichenden  Mitteln  zu 
widerlegen  versuchte.  Wie  es  zu  diesem  Urtheil  gekommen  ist,  hat 
Sulzer  in  Briefen  an  die  Schweizer  Freunde  verrathen:  »die  Stimmen 
waren  bei  der  Abstimmung  zwischen  Vernunft  und  Unvernunft  ge- 
theilt« ,  bis  Formey  aus  Rücksicht  auf  Maupertuis  seine  Meinung  änderte 
und  für  Reinhard  entschied  \  Die  Schw^eizer  waren  auf's  Höchste  er- 
bittert. »Merian  und  Pre3iontval  rasen  wirklich  und  Formey  ist  ein 
höchst  geiziger  und  niederträchtiger  Mann ;  die  zween  ersten  leugnen 
das  Principiurn  rationis  sufficientis  in  öffentlicher  Schrift,  und  Formey 
redet  und  schreibt  um  das  Geld.  Was  hat  man  also  von  solchen 
Männern  anders  zu  erwarten,  als  dass  sie  die  Rechte  der  Menschlich- 
keit auf  den  Kopf  stellen.«  Es  half  der  Akademie  nichts,  dass  sie 
neben  Reinhard"s  Arbeit  dreien  anderen,  darunter  auch  der  vonKüNZLi, 
das  Accessit  ertheilte  und  die  vier  Abhandlungen  zusammen  noch  im 
Herbst  des  Jahres  1755  im  Druck  ausgehen  Hess.  Sie  versuchte 
damit  ihre  Unparteilichkeit  zu  erweisen,  und  diese  Absicht  hätte  An- 
erkennung finden  müssen,  wäre  nur  nicht  die  Schrift  Reinhardts  so 
unbedeutend  und  rabulistisch  gewesen !  So  blieb  der  Makel  auf  ihr 
sitzen,  dass  sie  sich  von  Maupertuis  beherrschen  lasse,  der  die  deutsch 
geschriebene  Abhandlung  Künzli's  nicht  einmal  lesen  konnte  und 
überhaupt  für  eine  ruhige  wissenschaftliche  Discussion  nicht  mehr 
zugänglich   war. 


^    Brief  vom  22.  September  1754  bei  Hirzel  S.  iio. 

■^    Brief  vom  3.  Mai  1755  bei  Hirzel  S.  iii. 

^    Es  wareu  mindestens  acht. 

*  Siehe  Hirzel  S.  114!?.  Maupertuis  selbst  enthielt  sich  der  Abstimmung. 
Anders  stellt  Premontval,  Viies  philosoph.H  23.69  ff.,  den  Verlauf  dar.  Er  behauptet: 
"Rien  n'a  ete  plus  rond  et  plus  degage  d'intrigue  et  de  tracasseries  que  Taffäire  du 
Trix  de   i755"- 


40 ()  Die  wissensclial'tliche  Bedeutuiig  der  Akademie  Friedricu".s  11. 

In  der  Saclie  werden  wir  heute  nicht  so  unbedingt  für  Leibniz 
Partei  nehmen  können,  Avie  die  damaligen  Führer  der  deutschen  Be- 
wegung in  BerUn  und  Zürich.  Maupertuis  und  Mekian  erkannten  ganz 
richtig,  dass  die  LEiBNiz'schen  Speculationen  die  Grenzen  des  wissen- 
schaftlich Erweisbaren  weit  überschritten  und  zugleich  von  dogma- 
tischen Vorurtheilen  bestimmt  waren.  Für  die  Triebkraft  der  kühnen 
Hypothese  hatten  sie  freilich  keinen  Sinn,  und  weder  sie  noch  ihre 
Schildknappen  Avaren  fähig,   einen  Leibniz  zu  Aviderlegen. 

Die  Freunde  der  deutschen  Philosophie  waren  nicht  gewillt 
sich  zu  beruhigen.  Noch  bevor  Reinhard's  Dissertation  im  Druck 
erschienen  war,  wurde  die  Akademie  durch  eine  kühne,  anonyme 
Abhandlung  empfindlich  berührt,  Avelche  die  Aufschrift  trug:  «Pope 
ein  Metaphysiker!«  (1755).  Ihre  Verfasser  waren  Mendelssohn  und 
Lessing.  Sie  hatten  die  Preisaufgabe  bearbeitet,  al)er  ihre  Schrift 
aus  guten  Gründen  der  Akademie  zur  Beurtheilung  nicht  vorgelegt: 
denn  sie  beanstandeten  bereits  die  Fassung  des  Themas  selbst,  ja 
der  Nachweis,  dass  sie  miA^erständig  sei,  bildete  einen  Haupttheil 
ihrer  Ausführungen. 

Wer  wollte  gern  mit  Lessing  anbinden,  zumal  wenn  auch  die 
Nachwelt  geurtheilt  hat,  dass  in  diesem  Streit  mit  der  Akademie 
das  volle  Recht  auf  seiner  Seite  gestanden  habe!  Wer  wird  nicht 
mit  ihm  em})finden,  wenn  er  die  Unaufrichtigkeit  geisselt,  mit  welcher 
die  Akademie  Pope  genannt  und  Leibniz  gemeint  hat'I  Wer  Avird 
nicht  mit  ihm  lachen,  AA^enn  er  am  Schluss  seiner  Abhandlung,  den 
Haupttrumpf  ausspielend,  nachweist,  dass  Pope  selbst  seine  Philo- 
sophie als  »falschen  Bart«  bezeichnet  habe,  »»den  ich  so  lange  tragen 
Avill,  bis  ich  ihn  selbst  ausrupfe  und  ein  Gespötte  daraus  mache««. 
»Wie  sehr  sollte  er  sich  also  Avundern,  wenn  er  erfjihren  könnte,  dass 
gleich Avohl  eine  berühmte  Akademie  diesen  falschen  Bart  für  Averth 
erkannt  habe,  ernsthafte  Untersuchungen  darüber  anzustellen!«  Allein 
prüft  man  die  siegesgCAvisse  Abhandlung  genau,  so  Avird  Aveder  die 
Mendelssohn' sehe  Vertheidigung  der  besten  W^elt  bestehen  bleiben, 
noch  das  Lessing'scIic  peremptorische  Gebot  der  Trennung  des  Philo- 
sophen A^on  dem  Dichter,  so  glänzend  es  begründet  ist  und  so 
nöthig  es  einem  Geschlecht  Avar,   das  sich  in  abgeschmackten  Lehr- 


^  Werke  Bd.  18  (Berlin,  Hempel)  8.48:  »Wenn  ich  der  Akademie  andere 
Absichten  zuschreiben  könnte,  als  man  einer  Gesellschaft,  die  zum  Aufnehmen  der 
Wissenschaften  bestimmt  ist ,  zuschreiben  kann,  so  würde  ich  fi-agen.  ob  man  durch 
diese  befohlene  Vergleichung  mehr  die  PopE'schen  Sätze  für  philosophiscli  oder  mehr 
die  LEiBNiz'schen  Sätze  für  poetisch  habe  erklären  wollen«. 


Die  Preisaufgaben  (Pope-Leibniz -Lessing- Wieland).  40/ 

gedichten  erging.  Aber  auch  die  Beliauptung  ist  einzuschränken, 
dass  die  Akademie  einen  verhängnissvollen  Übersetzungsfehler  be- 
gangen habe,  indem  sie  das  PoPE'sche  »Whatever  is ,  is  right,« 
durch  »tout  ce  qui  est,  est  bien  «  wiedergegeben  hat.  In  Wahrheit 
kommt  jenes    »right«    bei  Pope   einem    «bien«    sehr  nahe. 

Der  Züricher  Kreis  war  mit  der  Lessing  -  MENDELSSoiiN'schen 
Schrift  nicht  einverstanden \  Theils  schien  sie  ihm  zu  viel,  theils 
zu  wenig  zu  beweisen;  auch  »vergehet  sich  darinnen  der  Autor  sehr 
weit  bis  zum  Chicaniren""«.  Man  beschloss  —  und  das  war  das 
Würdigste  und  für  die  Akademie  Empfindlichste  zugleich  —  die 
REiNHAKü'sche  Schrift  einer  scharfen  Kritik  zu  unterziehen.  W^aser 
und  Wieland  wurden  mit  der  Abfassung  beauftragt,  denn  Hirzel 
hat  nachgewiesen,  dass  die  im  Jahre  1757  erschienene,  anonyme 
»Beurtheilung  der  Schrift,  die  im  Jahre  1755  den  Preis  der  Aka- 
demie zu  Berlin  erhalten  hat,  nebst  einem  Schreiben  an  den  Verfasser 
der  Dunciade  für  die  Deutschen«  (Frankfurt  und  Leij^zig  [Zürich]), 
von  ihnen  stammt^.  Lessing  und  Wieland  —  beide  später  auswär- 
tige Mitglieder  der  Akademie,  Lessing  schon  seit  1760  ■ —  haben 
sie  also  in  der  Mitte  der  fünfziger  Jahre  scharf  angegriffen.  In 
Wahrheit  aber  traten  sie  für  die  alte  Societät  ein,  d.  h.  für  Leibniz, 
gegenüber  der  neuen  französischen,  d.h.  Maupertuis,  und  damit  zu- 
gleich für  den  deutschen  Idealismus  gegenüber  einer  fremdländischen, 
noch  nicht  gereiften   Weltanschauung. 

Waser's  Abhandlung  enthält  eine  scharfe ,  aber  keineswegs  aus- 
reichende Kritik  der  REiNHARD*schen  Schrift  und  mündet  in  eine 
Verhöhnung  der  Akademie  aus.  Da  es  unmöglich  sei ,  dass  sie  die 
Schrift  deshalb  gekrönt  habe,  weil  sie  sie  billige,  so  bleibe  nur 
die  Annahme  übrig,  sie  habe  der  gelehrten  Welt  ein  Vergnügen 
machen  wollen  und  gerade  diejenige  Schrift  gekrönt,  der  die  Krone 
am  wenigsten  ansteht,  damit  man  desto  deutlicher  sehe,  wie  übel 
sie  ihr  lässt.  Allein  »unsere  deutsche  Welt  versteht  die  ironische 
Sprache  und  ironische  Handlungen  noch  sehr  schlecht;  sie  glaubt 
insbesondere,  dass,  w^enn  es  wirklich  dergleichen  giebt,  sich  doch 
ein  so  angesehenes  Corps,   wie  eine  Königliche  Akademie,   derselben 


^  ^Iendelssohn  hat  noch  einmal  zur  Feder  gegriffen,  als  die  REiNHARo'sche 
Schrift  erschienen  war  (Ges.  Schriften  Bd.  IV,  i  S.  508  ff.).  In  wenigen  Worten  hat 
er  ihre  Schwäche  aufgedeckt. 

-  Vergl.  die  zutreffende  Kritik  Künzli's  in  einem  Brief  an  Bodmer  vom 
19.  Juli  1756  bei  Hirzel  S.  116. 

^    Die  seltene  Schrift  ist  von  Hirzel  S.  203 ff.  wieder  abgedruckt  worden. 


408  Die   \\iss('ii.scli;irtliche  Becleutiinii;'  der  AJv;i(leinie   FiuEDRicirs   IL 

nicht  bedienen  sollte  .  ,  .  Wir  wünschten  daher,  dass  es  der  Aka- 
demie gelallen  möchte,  dieser  unserer  Sclnvachheit  nachzugehen, 
und  dass  sie  künftig  lieber  gradezu  und  nicht  durch  ironische  Um- 
wege trachten  möchte  zu  verhindern,  dass  Sätze  und  Systeme  be- 
fördert würden,  welche  die  Schande  ihrer  Erfinder  und  das  Argerniss 
aller  derer  sind,  die  ihre  Vernunft  nicht  gänzlich  verschworen  halben«. 
In  einem  ähnlichen  Tone  ist  Wieland's  fictives  Schreiben,  das  den 
Anhang  bildet,  gehalten:  «Berühmte  Doctores  in  den  vier  Facul- 
täten,  geheime  Räthe.  Präsidenten,  Akademieen  und  Gesellschaften 
der  schönen  Künste  sind  als  ööentliche  imd  geheiligte  Personen 
anzusehen,  denen  mehr  erlaubt  ist  als  uns  andern  Privatleuten:  die 
Präsumtion,  dass  die  Wahrheit  allezeit  auf  ihrer  Seite  sei,  ist  so 
stark,  dass  wir  in  jedem  Fall  viel  eher  uns  selbst  als  sie  der  Dumm- 
heit anklagen  müssen«.  Von  Reinhard  aber  heisst  es:  »Es  ist  in 
der  That  eine  lächerliche  Scene,  wenn  dergleichen  nichtsbedeutende 
Geschöpfe  ihre  Frosch -Köpfe  aus  ihrem  angebornen  Sumpf  hervor- 
strecken und  mit  albernem  Spott  einen  Leibniz  an  quäken  ...  die 
Thoren  lachen   auch,   aber  nie  zuletzt«. 

Mendelssohn,  obgleich  in  der  Sache  einverstanden,  wies  mit 
zürnenden  Worten  die  Maasslosigkeit  dieser  Replik  zurück^:  »die 
philosophischen  Stümper  des  vorigen  Jahrhunderts  haben  ihre  Gegner 
verketzert,  und  die  jetzigen  bedienen  sich  einer  Art  von  kahler 
Ironie,  wodurch  sie  den  Pöbel  der  Leser  ebenso  gut  einzunehmen 
wissen,  als  jene  durch  ihre  Verketzerung  ....  Wir  können  von  der 
gegenwärtigen  kleinen  Schrift  weiter  nichts  sagen,  als  dass  sie  eine 
gute  Sache  schlecht  vertheidigt»  so  schlecht  sie  auch  von  Hrn.  Rein- 
hard ist  angegriffen  worden«.  Die  Schweizer  Freunde  dagegen  waren 
mit  dem   Pamphlet  zufrieden"'.     Die  Akademie  schwieg;  für  sie  ist 


1    Ges.  Schriften  Bd.  IV,  i   S.  76  ff. 

^  Siebe  den  Brief  Künzli's  an  Budmer  vom  25.  April  1757  (Hirzel  S.  ii7f.). 
Die  liier  beiläufig  gegebene  Charakteristik  der  inneren  Spannungen  in  der  Akademie 
stammt  aus  vertraulichen  Briefen  Sulzer's  an  Künzli  (Sulzer  hatte  z.  B.  geschrieben: 
i'Premontval  hat  wieder  einen  Band  Vues  philosojDhiques  herausgegeben.  Er  rühmet 
sich  darin,  die  Secte  Wolfienne  gänzlicli  niedergeschlagen  zu  haben;  es  ist  meist 
unphilosophisclies  und  unsinniges  Zeug»  oder:  »Wenn  Sie  oder  Wieland  etwas  gegen 
unsere  philosophischen  Dunse  schreiben  wollen,  so  hüten  Sie  sich,  gewisse  Umstände 
zu  berühren,  die  vei-rathen  könnten,  dass  ich  Ihnen  einige  Anekdoten  hierüber  ge- 
schrieben habe.  Denn  man  jnuss  mit  diesen  Leuten  leben  und  sie  also 
nicht  zu  sehr  für  den  Kopf  stossen«).  Künzli  schreibt :  »Dieser  Premontval 
und  sein  Kamerad,  der  Merian,  dienen  unter  den  Ruthen  des  Franzosen  Maupertiis, 
der  sich  in  Kopf  gesetzt  hat,  sich  an  Leibniz  und  Wolff  zu  rächen,  dass  diese 
Deutsche   haben    dürfen   grössere    Philosophen    und   Mathematici   sein    als   sie,    die 


Die  Preisaiif<>aljen  (J.  D.  ^Michaelis).  40  J 

meines  Wissens  auch  Niemand  eingetreten:  aber  eben  die  Maass- 
losigkeiten  des  Angriffs  wurden  ihr  bester  Schutz.  Gewiss.  Mau- 
PERTUis  hatte  sie  in  eine  schUmme  Situation  gebracht;  aber  der 
Feldzug  wurde  von  den  Gegnern  nicht  gUicldich  geführt,  und  ihre 
Stelhmg  in  der  wissenschaftlichen  Welt  blieb  unerschüttert.  Als 
Maupertuis  nicht  lange  darnach  starb,  war  die  ganze  peinliche  Epi- 
sode bereits  vergessen,  ja  Wieland  selbst  bemühte  sich  nun  (s.oben 
S.347f.),  eine  Stelle  in  der  Akademie  zu  erlmlten,  und  sie  selbst  hat 
Niemanden  so  sehnlichst  zum  Mitgliede  begehrt  als  —  Mendelssohn. 
Durch  das  für  das  Jahr  1759  gestellte  Thema  unterbrach  die 
Akademie  ihre  Bemühungen,  vermittelst  ihrer  Preisaufgaben  auf 
eine  Klärung  der  metaphysischen  Hauptfragen  einzuwirken ,  und 
begab  sich  auf  das  sprachphilosophische  und  sprachgeschicht- 
liche Gebiet,  das  sie  von  da  ab  noch  mehrmals  beschäftigen  sollte. 
Das  neue  Thema  lautete:  »Quelle  est  Tintluence  reciproque  des 
opinions  du  peuple  sur  le  langage  et  du  langage  sur  les  opinions'?»« 
Es  war  in  dem  Ausschreiben  noch  näher  bestimmt  und  schloss  mit 
der  Aufforderung,  praktische  Mittel  ausfindig  zu  machen,  um  den 
Inconveinenzen  der  Sprachen ,  wo  sie  unter  der  Herrschaft  ver- 
alteter Vorstellungen  stehen,  abzuhelfen.  Eine  kühn  gestellte  Auf- 
gabe, in  der  sich  der  muthige  Geist  des  18.  Jahrhunderts  offen- 
bart, freilich  auch  mit  seiner  eigenthümlichen  Schranke.  Die  Haupt- 
aufgabe aber,  die  Wechselwirkung  zwischen  den  populären  Mei- 
nungen und  den  Sprachen  nachzuweisen  und  zu  zeigen,  wie  die 
Sprache  nicht  selten  ein  ernstes  Hemmniss  für  den  Fortschritt  der 
Gedanken  bildet,  ist  richtig  erfasst  und  höchst  fruchtbar.  Nicht 
wenige  Gelehrte  bemühten  sich  um  die  Lösung;  den  Preis  trug  der 
berühmte  Orientalist  J.  D.  Michaelis  davon.  Seine  von  der  Aka- 
demie, zusammen  mit  einigen  anderen  von  ihr  anerkannten  Ab- 
handlungen,   gedruckte,    schöne  Arbeit    gab   den   Anstoss    zu    zahl- 

Franzosen  selber;  und  so  müssen  izt  immer  diese  ....  Knaben  mit  den  Wolfianern 
schei'zen,  und  er  hat  seine  Lust  daran;  wirklich  ist  er  kein  so  grosser  Denker  als 
diese  zween  Lohnknechte,  die  für  ihre  Sottisen  bezahlt  werden;  doch  braucht  er 
sie  nicht  bloss  wie  Könige  ihre  lustigen  Räthe ;  er  denkt  doch  seinen  grossen  Zweck 
durch  sie  zu  erreichen  mid  die  grobe  Vernunft,  die  sich  mit  der  französischen  Höf- 
lichkeit nicht  wohl  vertragen  will,  zu  unterdrücken Die  Beurtheilung  der  ge- 
krönten Preisschrift  und  das  »Schreiloen«  u.  s.  w.  konunen  jetzt  just  zur  rechten 
Zeit,  doch  kann  sie  der  Franzos  [Premontval]  nicht  lesen,  nescit,  en  gratia  dei, 
litteras!  Ich  bin  begierig  zu  vernehmen,  was  der  Deutsche  [Merian]  dazu  sagen 
werde;  vermuthlich  wird  er  sich  hinter  den  langen  Ohren  kratzen  und  seufzen: 
utinam  nescirem  litteras«. 

^    Auch  mit  diesem  Thema    war  man  in  Paris  unzufrieden. 


410  Die  Avis-sensclinltlifhc  Bedeutung  der  Akademie  Friedkich"s  II. 

reichen  wissenschaftlichen  Discussionen  \  In  ihnen  wurde  bereits 
die  letzte  Frage,  die  nach  dem  Ursprung  der  Sprache,  vielfach  ver- 
handelt, die  auch  einige  nndere  Bearbeiter  des  Themas  mit  hinein- 
gezogen hatten.  Einer  derselben  hatte  sich  dabei  beklagt,  dass  ein 
Jahr  eine  zu  kurze  Spanne  Zeit  für  solch  ein  Thema  sei.  In  seiner 
Weise  wies  ihn  Mendelssohn  zurecht.  »Wir  wollen  hoffen,  der  Ver- 
fasser werde  sich  die  Zeit  selber  nehmen,  die  ihm  die  Akademie 
nicht  hat  geben  können.  Er  mag  um  ihren  Beifall  arbeiten,  wenn 
er  um  ihren  Preis  nicht  mehr  arbeiten  kann.«  Von  Michaelis  aber 
safft  er.  er  sei  der  einzige  unter  den  Bewerbern,  der  der  Sache 
gewachsen  gewesen.  »Ihm  ist  gewiss  seine  Abhandlung  saurer  ge- 
worden,  als  seiner  Abhandlung  der  Sieg.« 

Bereits  mit  der  Preisaufgabe  für  1763  kehrte  die  Akademie 
wieder  zur  Kritik  der  WoLFr'schen  Philosophie  zurück  und  forderte 
die  Bearbeitung  einer  Fundamentalfrage,  in  der  im  Grunde  die 
ganze  Erkenntnisstheorie  steckt:  »Sind  die  metaphysischen  Wissen- 
schaften derselben  Evidenz  fähig  wie  die  mathematischen?«  Be- 
denkt man,  dass  das  Thema  im  Jahre  1761  gestellt  worden  ist, 
so  darf  man  es  eine  wissenschaftliche  That  nennen  und  muss  den 
Scharfblick  der  Akademie  bewundern'.  Aber  sie  hatte  auch  die 
Genugthuung,  dass  die  führenden  Philosophen  Deutschlands,  Kant 
und  Moses  Mendelssohn,  sich  um  die  Lösung  der  Preisaufgabe  be- 
mühten, mit  ihnen  der  jugendliche,  glänzend  begabte  Thomas  Abbt, 
der  Verehrer  und  Genosse  Lessing's.  Kant's  Name  tritt  hier  zum 
ersten  Mal  in  Verbindung  mit  der  Akademie  auf:  aber  seine  Ab- 
handlung: »Untersuchung  über  die  Deutlichkeit  der  Grundsätze  der 
natürlichen  Theologie  und  der  Moral«    erhielt    nur  das    »Accessit«, 

1  Siehe  z.B.  Moses  ^Mendelssohn,  Ges.  Sclu'iften  Bd.lV,i  S.  585!?.  Premontval 
übersetzte  ]Michaelis'  Abhandlung  in's  Französische.  Der  König  und  d'Alembert 
lasen  sie  in  dieser  Gestalt  und  lernten  sie  schätzen.  d'Alembert  trat  seitdem  in  Be- 
ziehungen zu  Michaelis  (s.  oben  S.  369).  Der  König  Hess  diesen  nach  Berlin  kommen 
und  unterhielt  sicli  mit  ihm  über  die  besten  Mittel,  Deutschland  aufzuklären,  aber 
versuchte  vergeblich,  ihn  für  die  Akademie  zu  gewinnen.  In  dieser  hat  unter 
ausdrücklicher  Verweisung  auf  Michaells'  vorzügliche  Schrift  der  ältere  Erman 
ähnliche  Studien  fortgesetzt  (s.  Mem.  1786/87  p.  634  ff",  und  in  den  folgenden  Jahr- 
gängen). 

-  Eine  früher  von  der  Akademie  gestellte,  auch  in  die  Fragen  der  Erkennt- 
nisstheorie einschlagende  Aufgabe:  »Si  la  verite  des  principes  de  la  Statique  et 
de  la  Mechanique  est  necessaire  ou  contingente-'  ist  nicht  gelöst  worden.  d'Alembert 
schickte  eine  Abhandlung  ein;  sie  wurde  aber,  Aveil  sie  Euler  niclit  genügte,  nicht 
gekrönt  (s.  Formey.  Souv.  T.  IL  p.  239).  Mit  welchem  Interesse  man  der  Lösung 
der  Preisaufgabe  iilxM-  die  E\idenz  in  den  metaphysischen  Wissenschaften  ent- 
gegensah, zeigt  F.  H.  Jacobi    in    dem   Gespräch   »David  Hume«    (Werke  II  S.  183). 


Die  Preisaufgaben  (^Iendelssohn-Kaxt).  -4 11 

Mendelssohn" s  Arbeit  wurde  gekrönt \  Sulzer,  damals  das  Haupt 
der  philosophischen  Klasse  der  Akademie,  war  Wolffianer  und  ent- 
schied für  die  umsichtig  ausgeführte  und  glänzend  geschriebene 
Untersuchung,  die  den  metaphysischen  Wahrheiten  zwar  nicht  die 
gleiche  Deutliclikeit  und  Fasslichkeit  wie  den  mathematischen  bei- 
legte, wohl  aber  dieselbe  Evidenz.  Heute  ist  kein  Zweifel  darüber, 
dass  Mendelssohn's  Essay  weder  in  die  Tiefe  der  Frage  eindringt 
noch  die  Principien  mit  kritischer  Schärfe  untersucht,  dass  dagegen 
Kant  in  seiner  Abhandlung  dem  Dogmatismus  der  WoLFp'schen 
Philosophie  einen  tödtlichen  Streich  versetzt  hat.  Schon  damals  hat 
er  nachgewiesen ,  dass  die  mathematische ,  synthetische  Methode 
sich  auf  die  Philosophie  nicht  anwenden  lasse,  dass  diese  vielmehr 
empirisch  -  analytisch  vom  Besonderen  zum  Allgemeinen  vorgehen 
müsse  und  ihre  Sätze  deshalb  die  Evidenz  nicht  erreichen  können, 
welche  den  mathematischen  zukommt.  Indem  er  aber  ferner  zeigte, 
dass  die  Metaphysik  und  die  Moral  unzählige  Urtheile  einschliessen,  die 
streng  genommen  unerweislich  sind ,  hat  er  bereits  in  dieser  Schrift 
die  Unterscheidung  der  reinen  Vernunft  von  der  praktischen  vorbe- 
reitet. »Die  Metaphysik  ist  ohne  Zweifel  die  schwerste  unter  allen 
menschlichen  Einsichten:  allein  es  ist  noch  niemals  eine  gesclirieben 
worden«  —  in  diesem  Wort  ist  der  LEiBNiz-WoLFF'schen  Metaphysik 
der  Todtenschein  ausgestellt,  die  Aufgabe  selbst  aber  nicht  für  un- 
lösbar erklärt,  sie  muss  nur  unter  bisher  noch  niemals  befolgten 
Methoden  und  in  eigenthümlicher  Unterscheidung  und  Einschrän- 
kung   unternommen  werden"'. 

Noch  einmal  —  im  Jalire  1768  —  krönte  die  Akademie  eine 
Preisarbeit  »L'Eloge  de  Leibniz«  (Bailly  von  der  Academie  des 
Sciences  in  Paris)  und  schloss  damit  ihre  Bemühungen  um  die  Leibniz- 


^    Beide  AV)liaiidluiiiien  erschienen  zusammen  im  Jahre  1764. 

'^  Die  ])eiden  Ahhandhmgen.  die  znsammen  erschienen,  wnrden  durch  INIeriax 
in  einem  genauen  Auszug  auch  dem  französisch  h^senden  Publicum  noch  in  dem- 
selben Jahre  bekannt  gemacht.  Überall  wusste  man  es  der  Akademie  Dank,  dass 
sie  eine  so  ausgezeichnete  Frage  gestellt  hatte,  auch  wo  man  keine  der  beiden 
Lösungen  befriedigend  fand  (s.  Jacobi.  Werke,  Bd.  II  8. 183 ff.).  Gegen  die  de- 
monsti'irte  Vernunftmoral  ist  Kant  in  dieser  Abhandlung  schon  skeptisch ;  aber 
der  Ausweg  der  praktischen  Vernunft  neben  der  reinen  ist  noch  nicht  gefunden: 
Kant  ist  noch  Kosmologe  und  noch  nicht  ^Moralist.  In  der  Folgezeit  entfernte  er 
sich  als  erkenntnisstheoretischer  Philosoph  noch  viel  mehr  von  Mendelssohn  ,  kam 
ihm  aber  auf  einem  Umwege  nur  näher,  was  sie  freilich  Beide  nicht  merkten.  In 
der  Wendung,  die  seine  Philosophie  genommen  hat,  mag  es  begründet  gewesen 
sein,  dass  Kant  den  Plan,  die  Abhandlung  weiter  auszuführen,  später  fallen  ge- 
lassen hat. 


412  Die  AvisseuschaÜ liehe  Bedeutung  der  Akndeniie  Fiuedkich"s  II. 

WoLFF'sclie  Philosophie  ab\  Die  englische  Philosophie  fand  in  ihrer 
Mitte  keine  Stätte  mehr,  doch  war  es  eben  Sulzer,  der  schon  im 
Jahre  1755  Deutschland  mit  Hume  bekannt  gemacht  hatte.  Noch 
weniger  erwarb  sich  die  materialistische  französische  Philosophie  An- 
hänger in  ihrem  Kreise:  Sieger  blieb,  wenn  auch  eklektisch  erweicht, 
die  WoLFF'sche   Philosophie. 

In  demselben  Jahre,  in  welchem  jenes  Eloge  auf  Leibniz  ge- 
krönt wurde,  wurde  eine  Schrift  des  Hofpredigers  Cochius  in  Pots- 
dam mit  dem  Preise  belohnt,  in  der  das  Thema  bearbeitet  war, 
»ob  es  möglich  sei,  natürliche  Neigungen  zu  zerstören,  und  wie 
man  die  guten  zu  stärken,  die  schlechten  zu  schwächen  habe«. 
Auch  diese  Preisaufgabe  zeigt,  dass  die  Akademie  den  Gang  der 
philosophischen  Forschungen  genau  verfolgte  und  in  ihren  Thematen 
die  Hauptprobleme,  welche  die  Zeit  bewegten,  sicher  zu  fassen  ver- 
stand. Die  »Neigungen«  (les  penchants)  —  sie  bildeten  ja  die  dunkle 
Macht,  welche  die  Fortschritte  der  Vernunft  hemmten  und  den 
sonst  so  spielend  leichten  Aufstieg  zur  Aufklärung  in  unerklärlicher 
Weise  verzögerten.  Jenes  tiefe  Problem ,  welches  Kant,  an  alte 
Überlieferungen  anschliessend,  durch  seine  Lehre  vom  radicalen 
Bösen  zu  bestimmen  versucJit  hat,  steckt  in  der  Frage  nach  »der 
Möglichkeit,  natürliche  Neigungen  zu  zerstören«.  Von  der  »Herr- 
schaft über  die  Neigungen«  hatte  Mendelssohn  schon  im  Jahre  1755 
gehandelt"-,  und  auch  die  übrigen  Moralphilosophen  und  Paedagogen 
des  Zeitalters,  z.  B.  Gellert,  wandten  der  Frage  das  lebhafteste 
Interesse  zu.  Aber  die  gekrönte  Preisschrift  des  Hofpredigers  — 
neben  ihm  haben  auch  Garve  und  Meiners  das  Problem  bearbeitet  — 
war  doch  nicht  bedeutend  genug,  um  einen  kräftigen  Anstoss  zu 
vertiefter  Betrachtung  zu  geben.  Mendelssohn  begnügte  sich  damit, 
sie  und  Garve's  Abhandlung  mit  einigen  Anmerkungen  zu  beglei- 
ten^; tiefblickend  erklärte  der  gescheite  und  witzige  Deutschfranzose 
Grimm,  wer  diese  Frage  in  bejahendem  Sinne  zu  lösen  vermöge, 
habe  so  ziemlich  alle  praktischen  Probleme  gelöst,  die  die  Mensch- 
heit interessiren ;  erst  der  Königsberger  Philosoph  hat  das  Problem 
so  behandelt,   dass  er  an   und  mit  ihm  das  ganze  Moralgebäude  der 


^  Die  Pi-ei.ssclu'ift  war  nicht  bedeutend;  Barthülmess  (IT  p.268)  nennt  sie 
>'un  ouvrage  qui  n'etait  entierement  digne  ni  de  Leibniz  ni  de  Bailly«.  Der  Ge- 
lehrte hatte  sich  die  Aufgabe  leicht  gemacht  und  die  Arbeit  seines  A^orgängers 
DE  Jaucourt  nicht  nur  nicht  übertrofFen,  sondern  nicht  einmal  erreicht. 

2    Ges.  Schriften  Bd.  IV,  i   S.  38  ff. 

^    A.a.O.  IV,  I   S.  102 ff. 


Die  Preisaufgaben  (CüCHirs-GARVK).  Jrlo 

Aufkläruiigsphilosopliie  über  den  Haufen  Avnrf  und  die  Ethik  neu 
begründete.  An  dieser  That  darf  sich  die  Akademie  einen  Antheil 
nicht  zuschreiben,  wohl  aber  darf  sie  sich  rühmen,  schon  im  Jahre 
1766   die   Fundamentalfrage   der  Ethik  richtig  gestellt  zu  haben\ 

Vier  Aufgaben ,  Avelche  die  Akademie  für  die  Jahre  i  7  7  i ,  1775, 
1776  und  I  780  gestellt  hat,  sind  dadurch  ausgezeichnet,  dass  Herder 
sich  um  ihre  Lösung  bemüht  und  dreimal  den  Preis  davongetragen 
hat".  Schon  damit  ist  erwiesen,  dass  die  Akademie  der  Entwick- 
lung des  deutschen  Geistes  in  jenen  Jahren  nicht  so  fern  gestanden 
hat,  wie  das  öfters  behauptet  worden  ist.  Hätte  sich  ein  Herder 
immer  wieder  durch  die  von  ihr  gestellten  Fragen  anregen  lassen, 
Avenn  diese  nicht  die  wichtigsten  Probleme,  wie  sie  gerade  auch 
den  deutschen   Geist  damals  beschäftigten,  getroffen  hätten? 

Mit  der  Preisaufgabe  für  das  Jahr  1771  kehrte  die  Akademie 
zu  einem  Thema  zurück ,  das  sie  selbst  schon  mehrmals  in  ihrer  Mitte 
behandelt  und  bereits  im  Jahre  1757  in  begrenzterer  Fassung  zum 
Gegenstand   einer  Preisbewerbung  gemacht  hatte".     Jetzt  stellte   sie 


^  CocHiüs  —  er  wurde  bald  darauf  in  die  Akademie  aufgenommen  —  hatte 
übrigens  nicht  geringe  Verdienste:  er  war  ein  hervorragender  Leibnizianer.  der 
sich  bemiihte,  die  idealistische  Philosophie  auch  auf  empirischem  Wege  zu  begrün- 
den, und  er  war  der  beste  lateinische  Stilist  in  der  Akademie.  Seine  Abhandlung 
über  die  Neigungen  erwarb  ihm  die  Anerkennung  d*Ale3ibert"s,  die  Gedanken 
über  den  Selbstmord  die  des  Königs.  In  seiner  Untersuchung  über  die  von  Leibniz 
gestellte  Frage  ».Si  toute  succession  doit  renfermer  un  commencement«  (Mem.  1773) 
handelt  er  von  Raum  und  Zeit  in  einer  Weise,  die  über  Leibniz  hinausgeht  und 
Kant's  Ideen  vorbereitet.  Die  beiden  Concurrenten  von  Cochius,  Garve  und  der 
Göttinger  Meiners.  damals  im  jugendlichsten  Alter,  haben  sich  später  rühmliph 
bekannt  gemacht.  Dieser  ist  allerdings  stark  überschätzt  worden.  Garve  hat  als 
^litglied  der  Akademie  (Mem.  1788)  in  einem  feinen  Aufsatze  über  den  Nutzen  der 
Akademieen  seinen  Collegen  die  verkannte  Wahrheit  gesagt,  dass  die  Philosophie 
besser  durch  einzelne  einsame  Denker  betrieben  werde  als  durch  die  vereinten 
Bemühungen  der  gelehrtesten  Gesellschaft. 

-  Siehe  "\'ahlen"s  Festrede  vom  24.  Januar  1895  in  den  Sitzungsberichten 
S.  2  9ff". 

•^  Durch  Condillac's  und  Rousseau  "s  Abhandlungen  (1754)  war  das  Problem 
in  Fluss  gekommen  und  beschäftigte  sowohl  die  französischen  wie  die  deutschen  Ge- 
lehrten (Mendelssohn).  Der  Akademie  gab  Maupertuis  die  Anregung  durch  einen 
Aufsatz,  den  er  am  13.  Mai  1756  verlesen  Hess  (s.  Akadem.  Protokoll):  "Sur  les 
difterents  moyens  dont  les  hommes  se  sont  servis  jjour  exprimer  leurs  idees"  (ab- 
gedruckt in  den  Meinoires  1 754  p.  349  ff.).  Die  rationalistische  Erklärung  des  Ursprungs 
der  Sprache  aus  thierischen  Naturlauten  und  aus  Übereinkunft,  die  er  andeutete, 
reizte  den  Akademiker  Süssmilch  zu  energischem  Widersp)ruch ,  den  er  in  einer  aus- 
führlichen Dissertation  (vorgelesen  am  7.  und  14.  October  1756)  zu  begründen  ver- 
suchte: »Die  Sprache  ist  ein  unmittelbares  göttliches  Geschenk«.  Aus  dieser  Contro- 
verse   im    Schoosse   der  Akademie   stammte   die   im  Jahre   1757    für   das  Jahr  1759 


414  I)i('  A\  isseiiscluiftliclic   Redcutiiiig   der  Akndcinic   Friedrich's   II. 

die  Frage  ganz  allgemein,  deutete  al)er  in  ihrer  Fassung  zugleich  an, 
in  welcher  Richtung  sie  die  Lösung  suchte  und  für  möglich  hielt: 
»En  supposant  les  hommes  abandonnes  a  leurs  facultas  naturelles,  sont-ils  en 
etat  d'inventer  le  langagel*  Et  par  quels  inoyens  pai-viendront-ils  d'eux- meines  ä 
cette  invention?  On  demanderat  une  hypotliese  qui  expliquät  la  chose  clairement, 
et  qui  satisfit  ä  toutes  les  difficultes.« 

Kein  Zweifel  —  die  Akademie  dachte  noch  immer  an  die  «Er- 
ihidung«  der  Sprache,  und  sobald  diese  Art  des  Ursprungs  sicher- 
gestellt Avar,  durfte  man  mit  Recht  hoffen,  eine  zweckmässigere 
Sprache,  die  Universalsprache  werden  und  alle  anderen  Idiome  ver- 
drängen könne,  zu  »erfinden«.  Um  so  grössere  Anerkennung  ver- 
dient es,  dass  sie  unter  den  31  Preisschriften,  die  eingelaufen  waren, 
die  Abhandlung  von  Herder  krönte ,  der  zwar  Süssmilch's  Hypo- 
these vom  göttlichen  Ursprung  der  Sprache  scharf  und  siegreich 
zurückwies,  al)er  ebenso  bestimmt  die  Träumerei  von  »Erfindung«  und 
»Übereinkunft«  ablehnte,  auch  den  »thierischen«  Ursprung  nicht  ein- 
fach gelten  Hess,  sondern  sich  zu  zeigen  bemühte,  dass  die  Sprache 
ein  allmählich  gewordenes  Erzeugniss  der  eigenthümlichen  Natur  des 
Menschen  sei.  Wie  unvollkommen  auch  Herder's  sprachliche  Kennt- 
nisse waren  und  wie  unzureichend  seine  positiven  Erwägungen  — 
Jacob  Grimm  hat  ihm,  fast  ein  Jahrhundert  später,  doch  das  Zeugniss 
ausstellen  können,  dass  »die  von  ihm  ertheilte  Antwort  immer  noch 
zutreffend  bleibt,  wenn  sie  gleich  aus  anderen  Gründen,  als  ihm  dafür 
schon  zu   Gebote  standen,   aufzustellen  und  zu  bestätigen  ist^*. 

Mit  Herder's  Abhandlung  schloss  die  Akademie  für  mehrere 
Jahrzehnte  ihre  Arbeiten  über  den  Ursprung  der  Sprache,  und  sie 
that  recht  daran;  denn  ein  würdigerer  Schluss  konnte  im  18.  Jahr- 
hundert nicht  gefunden  werden. 


gestellte  Pi^eisfrage  über  den  Einfluss  der  JNIeinungen  auf  die  Sprache .  die  jMichaelis 
gelöst  hat(s.  oben  S.  409).  Man  wollte  augenscheinlich  erst  eine  nothige  Vorfrage  stellen, 
bevor  man  das  Hauptproblem  in  Angriff  nahm.  Eine  vorläufige  Zusammenfassung 
versuchte  Formey  in  seiner  Abliandlung:  «Reunion  des  principaux  moyens  employes 
pour  decouvrir  l'origine  du  langage,  des  idees  et  des  connaissances  des  honunes«. 
Auf's  Neue  kam  die  Sache  in  Fluss,  als  Süssmilch  im  Jahre  1766  seine  Dissertation 
vom  Jahre  1756  drucken  liess  und  den  Mitgliedern  der  Akademie  zueignete.  Er  selbst 
zwar,  dem  der  göttliche  Ui'sprung  der  Sprache  eine  religiöse  Gewissheit  war,  starb 
noch  in  demselben  Jahre;  aber  seine  Schrift  reizte  Herder  zum  Widerspruch  — 
er  hat  sich  bereits  in  den  Jahren  1767  und  1768  um  das  Problem  bemüht — ,  und 
im  Jahre  1769  entschloss  sich  die  Akademie,  die  Frage  zum  Gegenstand  einer  aka- 
denüschen  Preisbewerbung  zu  machen. 

^  Siehe  J.  Grimm's  Abhandlung  über  den  Ursprung  der  Sprache  vom  9.  Juni 
185 1  und  Vahlen  a.  a.  O.  S.  31  ff.  Eine  kurze,  feine  Anzeige  der  HEROER'schen  Ab- 
handlung hat  Math.  Claudius  veröffentlicht  (Werke  1879    i.  Bd.  S.  83ff.). 


Die  Preisaulgaben  (Herder).  41») 

Für  (las  Jahr  1775  stellte  sie  zwei  Preisaufgaben,  von  denen 
die  zweite,  pliilosopliisclie,  für  das  Jalir  1776  wiederholt  wurde. 
Um  beide  hat  sich  Herder  bemüht,  aber  den  Preis  nur  für  die 
erste  gewonnen.  Die  Akademie  hatte  i .  eine  Untersuchung  über  die 
Ursachen  des  Verfalls  des  Geschmacks  bei  den  verschiedenen  Völ- 
kern und  2.  eine  Prüfung  der  beiden  Grundkräfte  der  menschlichen 
Seele,  Erkennen  und  Empfinden,  verlangt.  Beide  Aufgaben  waren 
nicht  willkürlich  gewählt,  sondern  hatten  sich  den  Akademikern 
bei  ihren  eigenen  Studien  aufgedrängt.  Über  den  »Geschmack«, 
diesen  eigenthümlichen  und  wichtigen  Begriff  des  Zeitalters  der 
Aufklärung,  hatte  Formey  bereits  in  der  Sitzung  vom  22.  Juli  1756 
einen  Vortrag  gehalten^  und  dann  in  den  Sitzungsberichten  des 
Jahres  1760""  eine  Analyse  des  Begriffs  zu  geben  versucht.  An 
Herder's  Arbeit  vermisste  die  Akademie  eine  ausreichende  princi- 
pielle  Begrifi'sbestimmung ;  aber  sie  ertheilte  ihr  mit  Recht  den 
Preis;  denn  gewiss  kam  keine  andere  Abhandlung  ihr  gleich  an 
Reichthum  der  geschichtlichen  Kenntnisse,  Feinheit  der  Beobachtung 
und  Verständniss  für  den  verschiedenen  Werth  des  »Geschmacks«, 
je  nach  den  Bedingungen  (natürlichen  oder  künstlichen),  unter  denen 
er  entstanden  ist,  und  den  Verbindungen  mit  Überlieferung,  Sitten 
und  Gewohnheiten,  in  denen  er  lebt.  Vor  allem  aber  lag  die  Be- 
deutung der  Abhandlung  darin,  dass  sie  den  »Geschmack«  der  Zeit 
selbst  durch  die  Überleitung  vom  »Geschmack«  zur  Humanität 
zu  vertiefen  suchte:  »Je  mehr  wir  die  Humanität  auf  die  Erde 
rufen,  desto  tiefer  arbeiten  wir  an  Veranlassungen,  dass  der  Ge- 
schmack nie  mehr  eine  blosse  Nachahmung,  Mode  oder  gar  Hof- 
geschmack, ...  sondern  mit  Philosophie  und  Tugend  gepaart  ein 
dauerndes  Organum  der  Menschheit  werde«.  Die  andere  Preisfrage 
über  Erkennen  und  Empfinden  als  die  Grundkräfte  der  Seele  traf 
einen  Hauptpunkt  der  lange  vernachlässigten  Psychologie;  allein 
die  Akademie  besass  selbst  keinen  Gelehrten,  der  als  competenter 
Richter  hätte  gelten  können.  So  wurde  die  Abhandlung  des  Pastor 
Eberhard  in  Charlottenburg,  des  Verfassers  der  »Neuen  Apologie 
des  Sokrates«,  gekrönt,  die  der  Popularphilosophie  jener  Tage  ent- 
sprach^,  aber  das  Problem  zu  fördern  und  aus  den  dogmatistischen 


^    Siehe  Akademisches  Protokull. 

^  Sie  erschienen  1767,  Forjiey's  Abhandhing  ist  also  vielleicht  erst  in  diesem 
Jahre  niedergeschrieben  oder  redigirt  worden. 

^  Vergi.  auch  Mexdelssohx's  Gesammelte  Schriften  Bd.  IV.  i  S.  i22fl".  (vom 
Jahre  1776). 


416  Die  wissenscliai'tliclic  Bedentung  der  Akademie  Friedrich's  IL 

Voi'urtlieilen  lieraiiszutülireii  nicht  im  Stjuide  war.  Herder's  Unter- 
sucliuiig",  die,  oliiie  die  Fesseln  irgend  einer  Schule  und  in  ausge- 
sprochenem Gegensatz  zu  LEiBNiz-WoLFF'schen  Speculationen,  von 
den  einfachsten  empirischen  Erfahrungen  ausgeht  und  bereits  mit 
physiologisch -psychologischen  Mitteln  arbeitet,  unterlag  zweimal  \ 
Aber  diese  Niederlage  entmuthigte  doch  den  Genius  nicht;  in  einer 
dritten  Fassung  liess  er  die  Abhandlung  drucken  und  betheiligte 
sich  dann  noch  einmal  an  einem  von  der  Akademie  veranstalteten 
wissenschaftlichen  Wettkampf.  Diesmal  galt  es  einer  von  der  Klasse 
der  Beiles -Lettres  für  das  Jahr  1780  gestellten  geschichtsphiloso- 
phischen  Frage,  die  im  Zeitalter  des  aufgeklärten  Despotismus  sich 
aufdrängen  musste,  zu  deren  Beantwortung  aber  doch  nicht  nur 
vSachkunde  und  Takt,   sondern  auch  Kühnheit  gehörte: 

»Quelle  n  vtv  Tiniluence  du  Gouvernement  sur  les  Lettres  chez  les  nations 
oü  elles  ont  ileiiril'     Et  (jtielle  a  ete  rintluence  des  Lettres  sur  le  Gouvernement;'" 

Herder,  der  unterdessen  von  Bückeburg  nach  Weimar  über- 
gesiedelt war,  erhielt  den  Preis,  Seine  Abhandlung  zeichnete  sich, 
wie  die  Arbeit  über  den  Verfall  des  Geschmacks,  durch  eine  tief- 
sinnige und  lebendige  Betrachtung  der  Geschichte  aus,  wde  sie  die 
Aufklärimg  nicht  kannte.  Diese  HERDER'schen  Essays  sind  für  den 
grossen  Umschwung  der  historischen  Auffassung  epochemachend  ge- 
wesen; heute  noch  stehen  wir  unter  ihrem  Eintluss.  Was  ihn  zu  der 
Arbeit  bestimmt  hat,  hat  er  in  den  Worten  ausgesprochen:  »Mein 
Bestreben  war,  nicht  leeren  Wetteifer  in  Gelehrsamkeit,  sondern 
eine  Gelegenheit  zu  suchen,  w^o  ich  nach  mancherlei  Nachforschung 
und  Erfahrung  zur  Blüthe  und  Frucht  der  Wissenschaft  auch  in 
unseren  Staaten   etwas  Nützliches  sagen  könnte«. 

Wie  in  Herder's  Antwort,  so  schon  in  der  Fragestellung  der 
Akademie  selbst  erkennt  man  auch  den  Einiluss  der  Regierung  des 
grossen  Königs.  W^ir  brauchen  nicht  erst  Nachforschungen  anzu- 
stellen, ob  Friedrich  die  Frage  gekannt  und  gebilligt  hat:  wir 
wissen  Aäelmehr,  dass  die  Akademie  sie  ausgeschrieben,  um  den 
Absichten  ihres  Monarchen  und  Curators  entgegenzukommen.  Gerade 
damals,  in  dem  Jahre  1777/78,  hat  er  auf's  Entschiedenste  verlangt, 
dass  bedeutende  Themata  aus  der  Geschichts-  und  Moralphilosophie, 
die  ihn  am  Ende  seines  Lebens  fast  ausschliesslich  beschäftigten,  ge- 
stellt würden.  Einen  besonderen  Anlass  zu  dieser  Forderung  hatte  ein 
im  Jahre  1777  von  der  Akademie  gestelltes  Thema  über  die  »primi- 
tive Kraft«  geboten.    Die  umständliche  Formulirung  war  nicht  glück- 


1    Veri»].  Vahlen.  a.a.O.  S.  ^6ff. 


Die  Pi-eisaufgaben  (Nutzen  der  Täuschung  des  Volkes).  41  i 

lieh.  d'Alembert  bezeicliiiete  sie  sogar  als  lächerlich,  schrieb,  dass 
sein  Urtheil  in  Paris  getheilt  werde,  und  legte  es  dem  Könige 
nahe,  die  unzweckmässige  Preisaufgabe  zurückziehen  zu  lassen  und 
dafür  das  Thema  zu  stellen,  das  längst  zwischen  ihnen  schwebte  (s. 
oben  S.372):  »S'il  peut  etre  utile  de  tromper  le  peuple^?«  Fried- 
rich hatte  sich  bisher  noch  gescheut,  diese  Frage  der  Akademie 
als  Preisthema  zu  empfahlen,  obgleich  es  ihm  schmerzlich  war, 
dass  der  Pariser  Freund  sie  anders  beantwortete  als  er  selbst,  und 
er  deshalb  eine  vorurtheilslose  Prüfung  vor  einem  europäischen 
Areopag  wünschen  musste.  Jetzt,  unter  dem  Eindruck,  dass  sich 
die  Akademie  durch  das  Thema  von  der  »primitiven  Kraft«  bloss- 
gestellt  habe  und  zur  Zurückziehung  desselben  bestimmt  werden 
müsse,  wurde  er  schwankend.  Er  schreibt  d'Alembert,  er  wisse 
nicht,  wer  in  seiner  Akademie  fähig  sei,  die  Frage  zu  beantworten, 
nachdem  Lambert  gestorben,  vielleicht  Beguelin.  Er  geht  dann 
wieder  auf  die  Sache  selbst  ein  und  sucht  den  frülier  behaupteten 
Standpunkt  zu  vertheidigen,  dass  zum  Wohle  des  Volkes  Täu- 
schungen erlaubt  seien.  Dieser  Brief  ist  am  5.  October  geschrieben". 
Elf  Tage  später  hat  er  sich  entschieden.  d'Alembert 's  Hinweis, 
dass  nicht  in  Paris,  sondern  nur  in  Berlin  eine  so  freimüthige 
Frage  unparteiisch  und  rein  sachlich  behandelt  werden  könne,  mag 
den  Ausschlag  gegeben  haben.  Am  16.  October  richtete  er  an  die 
Akademie  eine  Cabinetsordre^,  in  welcher  er  befalil,  "questions 
tres- interessantes  et  tres-utiles«  statt  unverständlicher  auszuschrei- 
ben*, und  weiter  anordnet,  das  Thema  von  der  «primitiven  Kraft« 
zurückzuziehen  und  dafür  die  Preisaufgabe  zu  stellen:  »S'il  peut 
etre  utile   de  tromper  le  peuple^«. 

Nur    solange  man    diese  Vorgeschichte    des   ominösen    Themas 
nicht  kannte,  konnte  man  behaupten,   der  König  ha,be  die  Akademie 


^    Bi'ief  vom   22.  September  1777   (OEuvres  T.  25  ]).84ff.). 

"    Qiiuvres  T.  25  p.88. 

^    Akademisches  Archiv,  Fase.  "Preisfragen«. 

^  Der  König  sah  in  der  »primitiven  Kraft«  die  »schwangere  Monade«  wieder- 
kehren ,  um  die  sich  seine  Akademiker  zu  Maupertuis'  Zeiten  gezankt  hatten. 

^  Ein  vertraulicher  Brief  de  Catt's  an  Formet  (16.  October  1777,  CEuvres 
T.  25  p.277),  der  die  Gemüthei%  soweit  möglich,  beruhigen  sollte,  begleitete  die 
Ordre.  Hier  heisst  es:  »Voici  une  lettre  de  S.  M.  que  vous  lirez  dans  votre  prä- 
miere assemblee.  On  a  tronve  la  question  proposee  ....  un  peu  difficile  ä  saisir, 
et  on  y  a  substitue  celle  que  vous  lirez  dans  la  lettre.  J'ignore  si  ce  changement 
pourra  se  faire  [damit  deutete  Catt  an ,  dass  des  Königs  Entschluss  an  diesem 
Punkt  nicht  unwiderruflich  sein  dürfte] ;  vous  aurez  la  bonte  de  nie  dire  le  resultat 
de  l'Academie«. 

Geschichte  der  Akademie.  I.  27 


418  Die  wiss(>iiscliaftliclie  Bedeutmit!;  der  Akademie  Friedrich's  II. 

in  Verlegenheit  setzen  oder  gar  verspotten  wollen.  Niclits  hat  ihm 
ferner  gelegen.  Man  darf  vielmehr  nmgekehrt  behaupten:  damit, 
dass  Friedrich  der  Akademie  dieses  Thema  empfahl  und  vorschrieb, 
hat  er  ihr  einen  Beweis  seines  besonderen  Vertrauens  gegeben;  denn 
er  hat  sie  für  competent  erklärt,  eine  Streitfrage  entscheiden  zu  hel- 
fen, die  seit  fast  zehn  Jahren  ihn  selbst  und  d'Alembert  beschäftigt 
hatte,  und  in  der  sich  für  ihn  das  hödiste  Problem  der  Staats- 
weisheit und  Regierungskunst  darstellte.  Man  darf  nicht  vergessen, 
welchen  Umfang  für  den  alternden,  in  seinen  Überzeugungen  immer 
herber  werdenden  König  der  Begriff  «Täuschung«  hatte!  Das  Ge- 
biet der  »Wahrheit«  war  in  seinen  Augen  durch  die  engsten  Grenzen 
umschrieben  und  lag  in  eisigen  Höhen  —  der  Deismus,  die  Ptlicht 
und  die  Naturphilosophie.  Alles  Übrige,  alle  concreten  Religionen, 
alle  Culturmittel ,  die  ganze  bunte  Welt  des  Lebens  galt  ihm  als 
«Täuschung«.  Mit  welcher  unerbittlichen,  schrecklichen  CJewalt 
musste  da  die  Frage  seine  Seele  bevv^egen:  kann  man  ein  Volk  ohne 
Täuschungen  regieren?  Wie  stark  musste  sich  dem  Staatsmann  die 
Antwort  aufdrängen:  man  kann  es  nicht;  also  muss  man  täuschen! 
Aber  wie  niederschlagend  war  diese  Antwort!  Statt  zu  befreien, 
verstrickte  sie  in  Unwahrhaftigkeit  und  schien  zugleich  jeden  Fort- 
schritt zu  lähmen.  Der  Optimismus  des  Aufklärers  zerschellte  an 
dem  harten  Fels  des  «Volkes«,  das  für  die  reine  Wahrheit  unzu- 
gänglich ist.  Der  Staatsmann  musste  dem  Philosophen  erklären ,  dass 
er  mit  seiner  »Wahrheit«  nicht  regieren  könne.  Aber  vielleicht 
giebt  es  doch  einen  Ausweg?  man  muss  alles  daransetzen,  ihn  zu 
finden!  Alle  Denker  müssen  aufgefordert  werden,  ihn  zu  suchen:  in 
diesem  Sinne  übergab   der  König  seiner  Akademie    das  Thema. 

Duo  cum  quaerunt  idem ,  non  est  idem:  das  hatte  der  König 
doch  nicht  genügend  bedacht!  Von  der  Kränkung  abgesehen,  die  in 
der  Forderung  lag,  ein  bereits  gestelltes  Thema  zurückzuziehen  — • 
was  wird  man  in  Europa  sagen,  wenn  die  Akademie  plötzlich  die 
Preisaufgabe  stellt:  »Kann  es  nützlich  sein,  das  Volk  zu  täuschen?« 
Will  sie  ihren  König  brüskiren?  oder,  wenn  daran  nicht  gedacht 
werden  kann,  will  sie  einen  anderen  Monarchen  kritisirt  sehen? 
oder  ist  sie  frivol  geworden  und  spielt  mit  den  Grundsätzen  der 
Moral?  oder  —  wenn  man  den  Ursprung  des  Themas  erfuhr  — 
will  der  König  seine  Akademie  verhöhnen?  Die  Akademie  gerieth 
durch  die  königliche  Ordre  in  die  höchste  Aufregung.  Die  philo- 
sophische Klasse,  unter  Sulzer's  Führung,  verlangte  eine  Plenar- 
sitzung.   Dem  Willen  des  Königs  Avagte  Niemand  zu  widersprechen; 


Die  Preisaufgaben  (Nutz(Mi  der  Täuschung  des  Volkes).  411) 

aber  vielleicht  Hess  sich  durch  eine  Formuliruiig  die  fast  brutal 
klingende  Frage  mildern.  Drei  Fassungen  wurden  vorgeschlagen 
und  dem  Könige  eingereicht;  zugleich  bat  die  Akademie  —  das  war 
kein  ungeschickter  Einfall  —  dem  Thema  die  Worte  vorsetzen  zu 
dürfen:    «auf  Anordnung  des  Königs«. 

Diesem  waren  unterdessen  selbst  gewisse  Bedenken  aufgestiegen. 
Er  Hess  durch  Catt  am  5.  November  1777  antworten^,  die  von  der 
Akademie  aufgestellte  Frage  über  die  primitive  Kraft  solle  bestehen 
bleiben,  aber  auch  bei  dem  von  ihm  vorgeschriebenen  Thema  habe 
es  zu  verbleiben,  nur  sei  es  nicht  für  1779,  sondern  für  das  fol- 
gende Jahr  auszuschreiben:  was  die  Fassung  anlange,  so  billige  er 
die  dritte  Form,  welche  die  Akademie  vorgeschlagen  habe,  allein 
sein  Name  dürfe  nicht  erwähnt  w^erden,  endlich,  Preisschriften, 
in  denen  irgend  eine  Regierung,  sei  es  welche  auch  immer,  atta- 
quirt  werde,   sollten  bei  der  Beurtheilung  unberücksichtigt  bleiben. 

Damit  war  doch  Einiges  erreicht,  freilich  nicht  viel.  Erspart 
war  der  Akademie  die  Demüthigung,  ihr  Thema  zurückziehen  zu 
müssen,  und  die  besonnenste  Fassung  war  gewählt  worden".  Allein 
des  Königs  Name  durfte  nicht  genannt  werden,  und  ausserdem 
legte  die  letzte  Bestimmung  der  Akademie  eine  zwar  nothwendige, 
aber  peinliche  und  verantwortungsvolle   Beschränkung  auf. 

Das  Ausschreiben  machte  das  grösste  Aufsehen.  Dass  der  König 
hinter  der  Aufgabe  stehe ,  musste  man  vermuthen ,  zumal  da  sie  doch 
als  eine  ausserordentliche  erschien,  weil  bald  für  das  Jahr  1780  eine 
zweite  Aufgabe  —  eben  jene,  die  Herder  bearbeitet  hat,  über  den 
Einfluss  der  Regierung  auf  die  Litteratur  —  gestellt  wurde^.  Nicht 
w^eniger  als  42  Bearbeitungen  liefen  ein:  ein  Beweis,  dass  das  Thema 
die  Moralphilosophen  und  Politiker  überall  interessirte.  Keine  einzige 
Schrift  brauchte  ihres  staatsfeindlichen  Inhalts  wegen  zurückgewiesen 


^    Akademisches  Archiv,  a.  a.  O. 

-  Die  endgültige  Formulirung  lautete:  »Est-il  utile  au  peuple  d'etre  trompe, 
snit  qu'on  l'induise  dans  de  nouvelles  erreurs,  ou  (pi'on  i'entretienne  dans  Celles  oii 
il  est:'» 

^  Beachtet  man,  dass  diese  Aufgabe  die  erste  ist,  die  die  Akademie  gestellt 
hat,  nachdem  sie  die  scharfe  Mahnung,  interessante  und  nützliche  Themata  auszu- 
schreiben, vom  Könige  erhalten  hatte,  und  vergleicht  man  die  Aufgabe  mit  jener 
anderen  über  die  Täuschung,  so  kann  man  einen  berechneten  Zusammenhang  hier 
nicht  verkennen.  Auf  die  Absicht,  die  der  König  bei  dem  Täuschungsthema  hatte, 
ist  die  x\kademie  ihrerseits  mit  der  neuen  Preisaufgabe  eingegangen,  aber  so,  dass 
sie  die  wichtige  Vorfrage  stellt,  wie  sich  »Gouvernement"  und  »Lettres«  zu  einander 
verhalten.  Darf  man  nicht  sagen,  dass  die  Akademie  in  feiner  Weise  das  königliche 
Thema  kritisirt  hat  und  doch  dabei  des  Beifalls  des  Königs  sicher  sein  konnte? 

27* 


420  Die  Avissenschai'tliclie  Bedeutung  der  Akademie  Friedrich's  II. 

ZU  werden;  aber  fünf  liefen  zu  spät  ein  und  in  vier  anderen  hatten 
sich  die  Verfasser  genannt.  So  blieben  33  zur  Beurtheilung  übrig. 
In  zwanzig  war  die  gestellte  Frage  verneint,  in  dreizehn  bejaht. 
Von  jenen  wurden  vier,  von  diesen  sieben  als  gut  bezeichnet.  Zwei 
unter  ihnen  wurden  gekrönt,  indem  man  den  Preis  theilte,  nämlich 
die  Abhandlung  Becker's,  Gouverneur  des  Baron  Dachröden  in  Erfurt 
(verneinend),  und  die  des  Prof.  Castillon  jun.  in  Berlin  (bejahend)'. 
Man  verdenkt  es  der  Akademie  bis  auf  den  heutigen  Tag,  dass 
sie  sich  «so  gesinnungslos  aus  der  Affaire  gezogen  hat«*,  um  es 
weder  mit  Friedrich  dem  Könige,  noch  mit  Friedrich  dem  Philo- 
sophen zu  A^erderben.  Allein  dieses  Urtheil  zeigt  wenig  Sachkunde 
imd  ist  höchst  ungerecht.  Der  König  liess  die  Akademie  ganz  frei 
entscheiden  —  schon  d'Alembert's  wegen  — :  von  ihm  war  also 
nichts  zu  befürchten.  Hätte  sie  die  Wissenschaft  um  des  Königs 
willen  beugen  wollen,  so  hätte  sie  lediglich  eine  bejahende  Antwort 
krönen  dürfen.  Aber,  sagt  man,  es  liegt  doch  auf  der  Hand,  dass 
sie  nur  eine  verneinende  auszeichnen  durfte,  wenn  sie  nicht  ihre 
Moral  und  ihr  Ansehen  auf's  Spiel  setzen  wollte?  So  scheint  es, 
aber  man  erwägt  bei  dieser  Behauptung  nicht,  dass  ihr  das  Thema 
aufgedrängt  war,  und  dass  sie  es  eben  durch  die  Art  ihrer  Ent- 
scheidung in  dieser  seiner  spröden  Form  für  unlösbar  erklärt  hat. 
Es  ist  oben  darauf  hingewiesen  worden,  was  der  König  und  mit 
ihm  gewiss  viele  Zeitgenossen  als  «Täuschung«  und  »Täuschungs- 
mittel« betrachteten.  Andere  aber  beurtheilten  diese  angeblichen 
Täuschungen  sehr  anders.  Somit  führte  die  Frage  mit  Nothwendig- 
keit  auf  eine  Untersuchung  des  Begriffs  der  Täuschung  und  der 
Täuschungsmittel  selbst.  In  dem  Momente  aber  war  sie  eigentlich 
schon  zerstört,  bez.  in  eine  ganze  Reihe  von  Einzelfragen  aufgelöst, 
die  entgegengesetzte  Antworten  nöthig  machten:  z.  B.  es  ist  nützlich, 
dem  Volke  Wahrheiten  in  symbolischer  Gestalt  zu  lassen  und  zu 
geben,  aber  es  ist  schädlich,  es  mit  hohlen  oder  unwahren  Sym- 
bolen zu  belügen,  u.  s.  w.  Die  Akademie  that  also  nicht  nur  das 
Klügste,  sondern  auch  das  Würdigste,  was  sie  thun  konnte,  wenn 
sie  die  eingereichten  Abhandlungen  nicht  auf  ihr  Schlussergebniss 
hin  prüfte,  sondern  auf  den  Fleiss,  die  Sachkunde  und  die  Umsicht, 
die  ihre  Verfasser  angewendet  hatten.  Den  billigen  Spott  der  Leicht- 
fertigen, sie  habe  Ja  und  Nein  zugleich  gesagt,  konnte  sie  leichter 
ertragen  als  die  ernste  Vorhaltung  der  Moralisten,   sie  habe  sich  an 

^    Der  akademische  Referent  in  dieser  Sache  ist  Beguelin  gewesen.    Becker 
hat  sich  später  um  die  deutsche  Volkshildung  Verdienste  erworben. 


Die  Preisaufgaben  (Nutzen  der  Täusduuig  des  Volkes).  421 

der  Wahrheit  versündigt.  Allein  mit  gutem  Gewissen  durfte  sie 
auch  diese  Kritik  zurückweisen:  wenn  die  Frage  keine  einfache 
Antwort  zuliess,  wie  konnte  da  die  Antwort  Zeugniss  ablegen  für 
die  souveräne   Geltung  der  Wahrheit  und  der  Wahrhaftigkeit? 

Der  König  selbst  hat  später  von  der  ganzen  Sache  nichts  mehr 
hören  wollen.  Formey  erzählt,  er  habe  sich  bereits  im  Jahre  1780 
unwissend  gestellt,  als  die  Rede  auf  die  peinliche  Preisfrage  ge- 
kommen  sei^      Das  ist  wohl  begreiflich. 

Das  königliche  Monitum  vom  Jahre  1777  hatte  die  Folge,  dass 
die  Akademie  abstract- philosophische  Preisfragen  nicht  mehr  stellte. 
Dem  glücklichen  Thema  von  den  Wechselwirkungen  zwischen  «Gou- 
vernement« und  »Lettres«  folgte  für  das  Jahr  1784  das  nicht  minder 
ausgezeichnete : 

»Qu"est-ce  qui  a  fait  de  la  langue  frangaise  la  langue  universelle  de  l'Europe? 
Par  oü  merite-t-elle   cette    prerogative?     Peut-on   presumer  qu'elle   la  consei'vel'« 

Eindringende  und  aufklärende  Untersuchungen  über  den  Sieges- 
lauf der  französischen  Sprache  Avaren  hier  gefordert;  aber  auch 
universalhistorische,  vergleichende  Erwägungen  über  die  Ursachen, 
durch  welche  einst  das  Griechische  und  Lateinische  zu  Universal- 
sprachen gew^orden  sind,  waren  unvermeidlich.  Der  Preis  wurde 
zwischen  einem  Deutschen,  dem  Professor  Schwab  in  Stuttgart,  und 
einem  Franzosen,   dem   Grafen  Rivarol  in  Paris,   getheilt. 

Für  das  Jahr  1785  stellte  die  Akademie  eine  Aufgabe,  die  noch 
immer  als  eine  Folge  des  Täuschungsthemas  zu  betrachten  ist:  man 
sieht,  wie  die  königliche  Mahnung  gewirkt  hat  und  wie  sich  die 
Akademie  bemühte,  den  Absichten  Friedrich's  zu  folgen,  aber  dabei 
die  Themata  unzweideutig  und  fruchtbar  zu  formuliren.  Die  Auf- 
gabe lautete: 

»Quelle  est  la  meilleure  maniere  de  rappeler  ä  la  raison  les  nations,  tant 
sauvages  que  policees,  qui  sont  livrees  ä  l'erreur  et  aux  superstitions  de  tout  genre?" 

Wir  finden  heute  dieses  volkspädagogische  Thema  zu  allgemein ; 
allein  in  einer  Zeit,  die  unter  dem  Eindruck  der  Schriften  Rousseau's 
stand,  von  den  principiellsten  Fragen  bewegt  war  und  sich  von  der 
mittelalterlichen  Paedagogik  losrang,  gab  es  talentvolle  Köpfe  genug, 
die  diese  Aufgabe  aufklärend  zu  behandeln  vermochten.  Den  Preis 
erhielt  Ancillon,  französischer  Prediger  in  Berlin,  später  Mitglied 
der  Akademie. 

Es  war  zum  letzten  Mal,  dass  die  Akademie  Friedrich's  ihr  Ur- 
theil  über  eine  Frage  aus  dem  Gebiete  der  Philosophie  und  der  Lit- 


^    .Souvenirs  T.  I  p.  r35f. 


422  Die  wissenscliaftliclie  Bedeutuiii>-  der  Akademie  Fkiedrich's  11. 

teratur  abgegeben  hat.  Zwar  hat  sie  noch  zweimal  (für  1787  und 
1788)  solche  Themata  gestellt  —  das  zweite  in  unverkennbarer  Be- 
rücksichtigung einer  Abhandlung  des  Königs ;  aber  als  die  Antworten 
einliefen,  war  es  nicht  mehr  die  alte  Akademie,  die  sie  beurtlieilte\ 
Übersieht  man  die  ganze  Reihe  der  Preisfragen  von  1745  an,  so 
wird  man  behaupten  dürfen,  dass  sich  die  Akademie  niemals  in 
Kleinliches  verloren  hat,  dass  sie  die  ihr  selbst  in  den  Preisaufgaben 
gestellte  grosse  Aufgabe  würdig  gelöst,  die  Zeichen  der  Zeit  ver- 
standen und  sowohl  der  fortschreitenden  Cultur  als  manchen  Einzel- 
Avissenschaften  die  Fackel  vorangetragen  hat.  Missgrifte  haben  nicht 
gefehlt,  und  durch  ihre  Zusammensetzung  waren  ihr  gewisse  Schran- 
ken gezogen;  aber  sie  war  und  blieb  freier,  weitsichtiger  und  sach- 
kundiger als  irgend  eine   andere  Akademie  Europas. 


2. 

Nur  mit  wenigen  Strichen  kann  hier  angedeutet  werden ,  was  ein- 
zelne hervorragende  Akademiker  geleistet  haben,  und  welche  Stellung 
ihnen ,  und  mittelbar  durch  sie  der  Akademie ,  innerhalb  der  Gesammt- 
gescliichte  der  Wissenschaften  zukommt.  Irreführend  wäre  es,  wollte 
man  bei  der  Beantwortung  dieser  Frage  von  den  einzelnen  Wissen- 
schaften ausgehen;  denn  der  Begriff  «Wissenschaft«  war  noch  nicht 
ein  so  loses  Gefüge  von  Disciplinen,  wie  er  es  in  unserem  Jahr- 
hundert geworden  ist,  sondern  er  schwebte  als  ein  Ganzes  vor 
Augen,  und  die  Ausbildung  einer  neuen  Form  wissenschaftlicher 
Überlieferung  und  Mittheilung  im  Gegensatz  zur  scholastischen  be- 
schäftigte die  höher  Strebenden  mindestens  ebenso  sehr  wie  die 
Sache  selbst.  Dieses  Werthlegen  auf  die  Form  entsprang  einem 
sehr  lebhaften  didaktischen  und  moralischen  Bestreben:  man  wollte 
nicht  nur  Wissen  verbreiten,  noch  weniger  todte  Gelehrsamkeit 
pflegen,  sondern  man  wollte  eine  vernünftige  Denkungsart  durch- 
setzen, überall  die  Aufklärung  befördern  und  den  sittlichen  Zustand 
der  Gesellschaft  bessern.      So  stark  drängten  sich  diese  Zwecke  vor, 


^  Das  Thema  für  1787  verlangte  eine  Darstellung  der  elterlichen  Autorität, 
ihrer  Grundlagen  und  ihrer  Grenzen,  nach  dem  Naturrecht,  mit  besonderer  XTnter- 
scheidung  der  Reclite  des  Vaters  und  der  Mutter,  nebst  einer  Untersuchung,  wie 
das  positive  Recht  hier  zu  gestalten  sei.  Das  Thema  für  1788  lautete:  »Conunent 
l'imitation  des  ouvrages  de  litterature  etrangere,  tant  ancienhe  que  moderne,  peut- 
elle  developper  et  perfectionner  le  goüt  national?"  Man  vergleiche  dazu  das  Thema 
für  1784  und  Friedrich"s  Abhandhing  über  die  deutsche  Litteratur.  Den  Preis  erhielt 
1787  ViLLAUME  (das  Accessit  Klein,  bedeutender  Jui-ist,  später  Mitglied  der  Akademie). 


Die  Philosophie  Friedkich's  des  Grossen.  423 

dass  sie  aucli  den  materiellen  Betrieb  der  Wissenschaften  eigen- 
tliümlich  zu  begrenzen  und  zu  beschränken  suchten:  gewiss  —  alles, 
was  der  Verstand  erarbeitet,  die  Vernunft  gebilligt  hat,  soll  gelten; 
aber  wissenswürdig  ist  eigentlich  nur  das,  w^as  den  vernünftig- 
moralischen Menschen  belehrt:  alles  Übrige  ist  im  besten  Fall 
Vorarbeit,  sind  Gerüste,  die  man  wieder  abbricht.  Auch  in  das 
"Wesen  der  Erscheinungen  soll  man  nicht  tiefer  eindringen  wollen, 
als  der  gemeine  Verstand  zu  folgen  vermag,  und  vollends  sind  alle 
paradoxen  Hervorbringungen  einer  productiven  Phantasie  zu  ver- 
bannen. Nur  als  »Esprit«  und  als  Waffe  gegen  den  Aberglauben 
hat  die  Phantasie  des  Genies  Bürgerrecht  in  der  Wissenschaft,  die 
zugleich  Cultur  ist:  sie  soll  ihre  Hervorbringungen  eindrucksvoll 
fassen,  blitzend  beleuchten  und  siegreich  vertheidigen.  Durch  »Rai- 
son« —  klar  und  formvollendet  an  jedem  wissenswürdigen  Object 
entwickelt  —  zur  Moral  und  Toleranz:  das  ist  die  Aufgabe  der 
Wissenschaft.  So  dachte  der  Monarch,  der  die  Akademie  leitete, 
und  in  diesem  Sinne  wollte  er  sie  arbeiten  sehend  Dieses  sein 
Ideal  aber  ist  in  Wahrheit  kein  anderes  als  das  Cicero's,  genauer 
bestimmt  durch  die  grossen  Franzosen  des  Zeitalters  Ludwig's  XIV. 
und  —  durch  Voltaire.  Der  König  ist  bei  der  ersten  der  drei 
Hervorbringungen  der  französischen  Aufklärung  stehen  geblieben ; 
er  ist  weder  mit  La  Mettrie  und  DmEROT  zum  Materialismus,  noch 
mit  Rousseau  zur  Subjectivität  fortgeschritten,  sondern  er  beharrte 
bei  den  älteren  Franzosen  und  bei  Voltaire.  Neben  ihnen  übte 
nur  Bayle  einen   durchschlagenden  Einlluss   auf  ihn   aus. 

Aber  auch  Voltaire's  und  Bayle's  Einüuss  darf  man  nicht 
überschätzen.  Jener  entzückte  ihn  durch  den  Geist,  die  Klarheit 
und  die  siegreiche  Gewalt  der  Rede,  mit  der  er  die  Schlachten  wider 
Aberglauben,  Intoleranz  und  Verfolgungssucht  leitete  und  gewann; 
dieser  imponirte  ihm  durch  die  unerschütterliche  Ruhe,  die  kritische 
Unparteilichkeit  und  die  skeptische  Zurückhaltung.  Aber  assimilirt 
hat  er  sich  beide  doch  nur  so  weit,  als  es  die  antiken  Überliefe- 
rungen, mit  denen  seine  Seele  verschmolzen  war,  zuliessen.  Er 
lernte  von  Voltaire,  dass  Newton  der  grösste  Physiker  sei,  die 
Mechanik  des  Himmels  entdeckt  und  eine  neue  Centralwissensehaft 
geschaffen    habe;    er  liess    sich    von    Maupertuis    die   mechanischen 


^  Bartolmess,  Histoire  philos.  de  l'Acad.  de  Prusse  T.  I  p.  247— 327:  Fre- 
deric II,  Historien  et  Philosophe.  Zeller,  Friedrich  der  Grosse  als  Philosoph,  1886 
(z.  Th.  vorher  erschienen  in  der  Deutschen  Rundschau  Bd.  44  Heft  12:  «Friedrich 
der  Grosse  in  seinem  Verhältniss  zu  der  Philosophie  seiner  Zeit  und  der  Vorzeit«). 


424  Die  wissensclinftliclie  Bedeutung  der  Akademie  Friedkich's  11. 

Probleme  erklären;  er  i)ries  mit  Beiden  Locke  als  den  maassge! »enden 
Philosophen  der  geläuterten  Empirie  und  der  kritischen  Aufklärung; 
er  las  Montesquieu,  der  aus  der  englischen  Geschichte  die  Uni- 
versalgeschichte verstehen  lehrte;  aber  bis  in  den  Mittelpunkt  seines 
geistigen  Wesens  drangen  alle  diese  Erkenntnisse  nicht  vor.  Er 
konnte  unter  Umständen  sie  alle  —  nicht  etwa  nur  die  Geometrie, 
sondern  auch  die  ganze  moderne  Naturphilosophie  —  ironisch  be- 
handeln und  als  Spielereien  der  Gelehrten  abschütteln;  denn  er 
glaul)te  einen  sicheren  Schatz  zu  besitzen,  in  welchem  bereits  alle 
geistigen  Güter  gegeben  seien,  die  Alten.  Er,  der  sie  nur  aus 
Übersetzungen  kannte,  lebte  in  ihnen,  nicht  kraft  gelehrter  Über- 
lieferung und  Auswahl,  sondern  kraft  fortwirkender  Tradition.  Die 
französischen  Klassiker  des  17.  Jahrhunderts,  jene  Popularphilo- 
sophen ,  Poeten ,  Redner  und  Prediger,  in  denen  das  Zeitalter  der 
Renaissance  eine  gallische  Nachblüthe  erlebt  hat,  waren  seine  gei- 
stigen Väter;  sie  haben  ihm  Cicero,  Marc  Aurel,  die  älteren  Stoiker 
und  einige  antike  Historiker  vermittelt  und  in  ihm  die  Denk-  und 
Empfindungs weise,  die  Auffassungen  von  Wissenschaft,  Moral,  Re- 
ligion und  Poesie  geptlanzt,  die  seine  Seele  bestimmten.  Wahr- 
scheinlich hat  es  im  ganzen  18.  Jahrhundert  in  Deutschland  keinen 
Denker  gegeben,  der  so  sehr  und  so  ausschliesslich  mit  Epikur  einer- 
seits, mit  den  antiken  Moralisten  andererseits  empfunden  hat  wie  der 
König.  Alle  ethischen  Probleme  blieben  für  ihn  in  dem  Streit  der 
Stoiker  und  Epikureer  beschlossen;  alle  metaphysisclien  Fragen 
interessirten  ihn  im  Grunde  nur  so  weit,  als  sie  Cicero  interessirt 
hatten.  Über  das  Verhäitniss  von  Theorie  und  Praxis  in  der  Wissen- 
schaft dachte  er  wie  jener;  wirkliches  Griechen thum  lag  ihm  so 
fern  wie  dem  Römer.  Auch  in  der  Poesie  war  ihm  das  Didak- 
tische das  Höchste.  Die  Welt  der  Gefühle  warf  er  in  das  Pathos 
des  Redners  und  in  die  Freundschaft,  aber  verbannte  sie  sonst: 
durch  rein  objective  Darlegungen  und  durch  krystallklare  Formen 
sollen  die  subjectiven  Wirkungen  erzeugt  werden.  Alles  antik 
gedacht  und  empfunden,  freilich  nach  dem  Maassstab  einer  latei- 
nischen Antike  von  charakteristischer  Beschränkung,  aber  nicht 
einer  künstlich  erzeugten.  Sie  war  in  Frankreich  gewachsen,  in 
natürlicher  Abfolge  von  den  Tagen  Abälard's  an  und  weiter  zu- 
rück, bis  sie  sicli  in  dem  Staate  Ludwig's  XIV.  zu  voller  Blüthe  zu 
entfalten  vermochte.  Und  diese  Denkweise  complicirte  sich  bei  dem 
Könige  nicht  etwa  im  Laufe  seines  langen  Lebens,  im  Gegentheil 
—  sie  trat  allmählich  immer  souveräner  hervor,   und   die  modernen 


Die  Philosopliie  P'riedkicii".s  des   Grossen.  425 

Pliilosoplien  traten  als  blosse  «Verbesserer«  zurück.  Mehr  luid 
mehr  warf  er  als  unnützen  Ballast  ab,  was  er  unter  dem  bestim- 
menden Einfluss  von  Freunden  aufgenommen  hatte,  und  stellte  sieh 
nur  fester  und  entschiedener  auf  die  antike  Basis.  In  der  theore- 
tischen Philosophie  blieb  er  Anhänger  Epikur's ;  denn  dieser  ist 
der  Philosoph,  der  allen  theologischen  und  mythologischen  Aber- 
glauben abgeworfen  und  auf  dem  Boden  der  Erfahrung  eine  rein 
natürliche  Welterklärung  zuerst  gezeichnet  hat  —  »die  Philosophie 
verdanken  wir  Epikur;  Gassendi,  Newton  und  Locke  haben  sie  ver- 
bessert; ich  mache  mir  eine  Ehre  daraus,  ihr  Schüler  zu  sein,  aber 
nicht  mehr«,  schrieb  er  im  Jahre  1775  an  Voltaire^  (vergi.  dazu  die 
Äusserung  Friedrich's  oben  S.373).  Die  epikureische  Ethik  jedoch 
genügte  mit  den  Jahren  immer  weniger  seiner  herben  Stimmung  und 
seinem  unbeugsamen  Pflichtgefühl :  hier  war  und  blieb  3Iarc  Aurel 
sein  Ideal,  sein  Tröster,  ja  sein  Heiland,  und  immer  entschiedener 
trat  das  moralisch -paedagogische  Interesse  aus  allen  anderen  hervor 
und  drängte  sie  zurück:  jeder  Schriftsteller,  der  das  Publicum  nicht 
bessern  will,   soll  sich   sagen,   dass   er  umsonst  geschrieben  hat. 

Diese  Enge  des  Standpunkts  des  königlichen  Philosophen  — 
der  Staatsmann  in  ihm  ging  seine  eigenen  Wege  und  folgte  Pufen- 
DORF  und  Thomasius  —  wurde  compensirt  durch  eine  Reihe  prak- 
tischer Überzeugungen,  an  denen  der  König  unverbrüchlich  fest- 
hielt. Erstlich  dass  jeder,  der  gegen  die  Verblendungen  des  Aber- 
glaubens zu  Felde  zieht,  als  ein  Bundesgenosse  zu  begrüssen  sei, 
einerlei  in  welchem  Regimente  er  dient.  Der  Skeptiker,  der  Epi- 
kureer, der  Atheist,  der  Prediger,  Alle  waren  sie  ihm  willkom- 
men, wenn  sie  an  der  grossen  Aufgabe,  die  kirchliche  und  philo- 
sophische Barbarei  zu  bekämpfen ,  mitarbeiten  wollten.  Zweitens, 
jede  Überzeugung,  mit  Gründen  vorgetragen,  vernünftig  entwickelt 
und  klar  und  gefällig  dargestellt,  respectirte  der  König,  ja  er  er- 
kannte in  dem  richtigen  und  eindrucksvollen  Gebrauch  der  Dar- 
stellungsmittel einen  so  hohen  Vorzug,  dass  er  bereit  w^ar,  über 
die  Anstösse  des  Inhalts  hinwegzusehen:  Aufklärung  ist  bereits 
überall  da,  wo  Geist  und  Klarheit,  Zucht  der  Gedanken  und  An- 
muth  herrschen.  In  diesem  Sinne  las  er  die  Predigten  der  grossen 
französischen  Oratoren  mit  Entzücken  und  rechnete  die  Verfasser 
geistvoll  geschriebener  kirchlich -apologetischer  Tractate  ebenso  zu 
seiner  Gemeinde,    wie  DroEROx  und    die  Mitarbeiter   der  Encyklo- 


^    QEuvres  T.  XXIII  p.350  (8.  September  1775). 


420  Die  wissenschaftliche  Bedeutung  der  Akademie  Friedkich's  IL 

pädie.  Endlich  —  und  das  war  eine  schmerzliche  Erkenntniss  — 
der  Staatsmann  lehrte  den  Philosophen ,  dass  das  «Volk«  noch  für 
eine  lange  Zeit,  vielleicht  für  immer,  der  Täuschungen,  d.  h.  der 
positiven  Religionen,  nicht  enthehren  könne.  Von  hier  aus  fiel 
noch  einmal  ein  besonderer  Accent  auf  die  Form:  wenn  es  un- 
möglich ist,  eine  vernünftige  Denkungsart  allgemein  zu  verbreiten, 
wenn  sell)st  Männer  wie  Maupertuis  und  Euler  in  unbegreiflicher 
Verblendung  an  dem  Gedanken  einer  geoffenbarten  Religion  und 
einer  lebendigen  Einwirkung  der  Gottheit  festhalten,  so  soll  wenig- 
stens Alles,  was  vorgetragen  wird,  klar,  in  sich  verständig  und 
anziehend  sein.  Wenn  sich  in  diesem  Medium  der  Theologe,  der 
Historiker  und  der  Naturforscher,  und  wiederum  der  Olfenbarungs- 
gläubige  und  die  Anhänger  aller  Philosophenschulen  zusammen- 
finden, so  ist  zu  hoffen,  dass  wenigstens  die  schlimmsten  Wir- 
kungen der  Superstition,  nämlich  Barbarei,  Zuchtlosigkeit  und  Fana- 
tismus,  schwinden. 

In  diesem  Sinne  wirkte  der  König  in  den  Schriften,  die  er 
als  Akademiker  geschrieben  hat,  imd  hier  liegt  zugleich  die  her- 
vorragendste Bedeutung,  welche  der  Akademie  in  der  Geschichte 
der  W^issenschaft  und  Cultur  des  i8.  Jahrhunderts  zukommt.  Ihre 
grössten  Verdienste  sind  zunächst  nicht  in  der  Förderung  der  Einzel- 
wissenschaften zu  suchen,  so  bedeutend  diese  auch  gewesen  ist  (s. 
unten),  sondern  in  der  allgemeinen,  umbildenden  Einwirkung  auf 
den  Zustand  der  Wissenschaften,  auf  die  Aussprache  ihrer  Lehren 
und  auf  die  geistige  Stimmung  ihrer  Vertreter'.  Vergleicht  man, 
wie  in  Deutschland  vor  1740  und  nach  1780  über  wissenschaftliche 
Dinge  geschrieben  worden  ist  und  welchen  Antheil  dort  und  hier  die 
Nation  an  wissenschaftlichen  und  auf  die  allgemeine  Cultur  bezüg- 
lichen Fragen  genommen  hat,  so  springt  der  ungeheure  Unterschied 
in  die  Augen.  Vorher  schrieb  man ,  um  mit  Mendelssohn  zu  reden, 
in  Deutschland  nur  für  Professoren  und  für  Schulknaben,  und  jede 
wissenschaftliche  Diseiplin  bildete  eine  abgeschlossene  Kaste  von 
Adepten.  Die  grossen  nationalen  und  europäischen  Denker  und  Ge- 
lehrten um  1700,  voran  Leibniz,   hatten  noch  vergebens  diesen  Zu- 


^  Es  ist  jene  Stimmung,  der  der  jugendUche  Göttinger  Student  Johannes 
(von)  Müller  in  einem  Briefe  an  seinen  Vater  (177 1)  einen  so  charakteristischen 
Ausdruck  gegeben  hat:  »Auf  die  Tafel  meiner  Seele  haben  Schlözer,  die  Theo- 
logen in  Berlin,  Rousseau,  Montesquieu,  Mosheim,  Abbt,  Voltaire  erhabene 
Wahrheiten  geschrieben,  die  keine  Zeit,  keine  Gewalt  der  Menschen,  kein  Schicksal 
austilgen  soll«. 


Allgemeine  Bedeutung  der  Akademie.  427 

stand  für  die  mittleren  Schichten  zu  durchbrechen  versucht.  Erst 
allmählich  lernte  man,  wie  in  Frankreich,  für  ein  ideales  Publicum 
zu  schreiben  und  bildete  sich  damit  ein  solches  \  Die  erste  Voraus- 
setzung hierfür  war,  dass  ein  Medium  -wissenschaftlicher  Stimmung- 
erzeugt  wurde,  welches  vermittelnd  und  versöhnend  die  verschie- 
denen Standpunkte  umgab,  dass  feste  und  anerkannte  Formen  wissen- 
schaftlichen Austausches  geschaffen  wurden,  und  dass  man  die  Pro- 
bleme zu  fassen  und  anziehend  über  sie  zu  schreiben  lernte.  In  allen 
diesen  Beziehungen  ist  der  Eintluss  der  Akademie  im  nördlichen 
Deutschland  unermesslich  gross  und  durchschlagend  gewesen.  Man 
mag  jede  einzelne  Abhandlung  eines  Sulzer,  Merian,  Formet  und 
Beguelin  und  wiederum  die  der  französischen  Litteraten  wie  Franche- 

A^LLE,    PeEMONTVAL  ,    ToUSSAINT,    ThIEBAULT  ,    BiTAUBE    U.  S.   W.     UOCll    SO 

gering  taxiren  —  in  ihrer  Gesammtheit  haben  sie  eine  nicht  leicht 
zu  überschätzende  Bedeutung  gehabt.  Die  theologischen  und  philo- 
sophischen Standpunkte  ihrer  Verfasser  sind  ganz  verschieden;  die 
Themata  entstammen  allen  möglichen  Wissenschaften,  der  Metaphysik, 
der  Geschichte,  der  Physik,  der  Aesthetik ,  der  Litteratur  u.  s.  w. ;  die 
Temperamente  der  Autoren  zeigen  die  grössten  Gegensätze  —  aber 
dennoch  sind  sie  von  einem  Geiste  beherrscht  und  dienen  einer 
Aufgabe:  ein  strebsames,  für  die  geistigen  Fragen  aufgeschlossenes 
Publicum  zu  schaffen  und  zu  erziehen,  es  von  allen  Einseitigkeiten 
zu  befreien,  es  an  gesundes  Denken  zu  gew^öhnen,  und  ihm  Geschmack 
und  den  lebendigen  Sinn  für  die  Wissenschaften  zu  geben.  Nirgend- 
wo in  den  A'ierzig  Bänden  akademischer  Abhandlangen  auch  nur  eine 
Zeile  ungehöriger,  geschweige  roher  Polemik,  nirgendwo  pedantische, 
todte  Gelehrsamkeit   oder   abstruse   Behauptungen,    aber   auch    kein 


^  ]\Ian  vergleiche  die  Mahnung  Mendelssohn's  vom  Jahre  1760  (Gesammelte 
Schriften  Bd.  IV.  ^2   S.  59): 

"Mit  dem  guten  Ton  in  den  Schriften  will  es  auf  unsern  hohen  Schulen  noch 
nicht  so  recht  fort.  Man  schreibt  unter  der  Menge,  die  allda  geschrieben  wird,  oft 
sehr  gute  und  zuweilen  vortreffHche  Sachen.  Und  gleichwohl  wette  ich.  dass  ihre 
besten  Schriften  weder  von  Ausländern .  noch  von  der  grossen  Welt  in  Deutschland 
jemals  würden  gelesen  werden.  Desto  schlimmer  für  die  Ausländer,  und  für  die 
deutsche  grosse  Welt!  sagen  Sie  vielleicht,  dass  sie  dieser  schönen  Sachen  entbehren 
müssen!  Schon  recht!  W'enn  aber  ein  Gelehrter  einmal  schreibt,  so  braucht  er  ja 
seine  Absichten  nicht  bloss  auf  seine  Zuhörer  einzuschränken,  und  allenfalls,  wenn 
er  auch  dieses  thun  muss,  so  bilde  er  sich  ein,  es  befinde  sich  ein  Plato,  Aristoteles 
oder  Locke  unter  seinen  Zuhörern,  denen  er  zu  gefallen  liat.  Er  wird  alsdann  Aveniger 
an  die  Univei'sitätsverhältnisse  denken,  weniger  \'on  der  Professorenhöhe  herabreden, 
und  einen  edlen  und  freien  Ton  annehmen,  so  wie  er  den  Wissenschaften  anständig 
ist.«  —  Diese  Mahnung  ist  freilich  auch  heute  noch  nicht  übertlüssig. 


428  Die  wissciiscliaftliclK-'  Bedeutung  d(!r   Akadeuiie   Fkif.dricii's  II. 

Ausweiclien  gegenüber  den  schwersten  und  einschneidendsten  Pro- 
blemen, keine  feige  Zurückhaltung  der  Kritik,  dagegen  überall  das 
energische  Bestreben,  der  Wahrheit  zu  dienen,  und  die  ernste  Ab- 
sicht, durch  Sorgfalt  im  Ausdruck  luid  durch  Klarheit,  Wärme  und 
Geschlossenheit  der  Darstellung  Beifall  zu  gewinnen.  Auch  lässt  sich 
bei  aller  Verschiedenheit  der  Standpunkte  eine  sachliche  Gemein- 
samkeit nicht  verkennen:  indem  aller  Schulzwang,  der  neue  wie 
der  alte,  vermieden  wird ,  indem  trotz  aller  Spannungen  der  Wolffia- 
ner  sich  aufgeschlossen  zeigt  gegenüber  der  Philosophie  Locke's, 
und  der  Empirist  auch  von  Leibniz  und  W^olff  lernen  will,  indem 
die  uralten  grossen  Probleme  nicht  einer  schnellfertigen  Erfahrung 
geopfert,  aber  auch  nicht  dogmatisch  verfestigt  und  erkenntnisstheo- 
retisch verschoben  werden,  entsteht  wirklich  in  der  Akademie  un- 
absichtlich eine  akademische  Philosophie^  —  sie  ist  eklektisch  und 
bleibt  durchweg  >> vorkantisch « ,  d.  h.  sie  glaubt  zu  wissen,  was  Em- 
pirie und  was  Ratio  ist,  und  verzichtet  auf  allen  bohrenden  Tiefsinn. 
Dafür  aber  spricht  sie  eine  jedem  Gebildeten  verständliche  Sprache 
und  ist  unermüdlich  thätig,  neue  interessante  Probleme  aufzusuchen, 
die  alten  in  neuer  Behandlung  werthvoller  zu  machen,  und  den  Zu- 
sammenhang der  Philosophie  mit  allen  geistigen  Fragen,  mit  der 
Psychologie,  der  Religion,  der  Sprache,  der  Litteratur  und  der  Ge- 
schichte aufrecht  zu  erhalten.  Sie  will  Wissenschaft  treiben,  wie 
Cicero  und  Leibniz  sie  betrieben  haben.  So  arbeitete  die  Akademie, 
und  in  dieser  Thätigkeit,  formgebend,  vermittelnd,  aufklärend  und 
tolerirend,  war  sie  ganz  eigentlich  die  fridericianische  Akademie. 
Die  Eloges  und  die  Abhandlungen,  die  der  König  in  ihren  Sitzungen 
hat  vortragen  lassen ,  bildeten  in  dieser  Richtung  das  leuchtende  Vor- 
bild". Mit  Recht  hat  ihn  Maupertuis  den  besten  Mitarbeiter  der  Klasse 
der  Beiles -Lettres  genannt.    Seine  »Memoires  pour  servir  ä  Thistoire 


^  Vergl.  über  die  Signatur  dieser  Philosophie  bez.  philosoiDhischen  Hahung  die 
Ausführung  von  Merian  in  den  Memoires  1797  p.  94 ff.  Sie  gipfelt  in  den  Worten: 
»Je  demande,  que  serait  devenue  notre  classe  de  philosophie  sous  Wolff  lui-nieme, 
ou  sous  quekpie  coryphee  de  sa  tribu  ou  d'une  tribu  quelconque?  Une  secte,  regen tee 
par  un  chef  de  secte,  tout  ce  qu'il  y  a  de  plus  contraire  ä  une  Academie,  et  d'oü  le 
vrai  esprit  philosophique  et  academique  eüt  ete  totaleinent  exile!«  und:  »J'oserais 
encore  affinner  que  ce  meine  Eclecticisme  qui  a  rempli,  en  quelque  facjon,  Tintervalle 
entre  Wolff  et  Kant,  a  coule  en  grande  partie  de  chez  nous,  ou  du  moins  a  ete 
fortement  encourage  par  nos  philosophes:  il  regnait  dans  leur  classe;  et  c'est  la  seule 
secte  ou  non- secte  qui  doit  respirer  dans  une  Academie«. 

^  Eine  Zusammenstellung  findet  man  im  Urkundenband  Xr.  177,  vergl.  da/.u 
Kleinert"s  Rede  »Beziehungen  Friedrich's  des  Grossen  zur  Stiftung  der  Universität 
Berlhiu    (Abhandl.  u.  \'orträge  1889  S.  151  ff.  158). 


Allgemeine  Bedeutung  der  Akademie  (akademische  Schriften  Friedrich's).    429 

de  In  Maison  de  Brandebourg«  sind  Muster  freimiithiger  und  form- 
vollendeter historiselier  Darstellung \  Seine  Eloges  auf  Jordan,  La 
Mettrie  und  Voltaire  leliren,  wie  der  eigene  Standpunkt  bei  der  Be- 
urtlieilung  bedeutender  Männer  zurückzutreten  hat.  und  wie  man 
überall  den  Geist  und  das  Gute  aufsuchen  soll.  Seine  fünf  Essays 
zur  Culturgeschichte  und  Moral  sind  ebensoviel  Beispiele ,  wie  sich, 
der  Kritiker,  der  Philosoph,  der  Historiker  und  der  Litterat  die  Hand 
reichen  müssen,  um  die  schwersten  Fragen,  welche  die  Geschichte 
der  Menschheit  bietet,  in  das  richtige  Licht  zu  stellen.  Die  Ein- 
heitlichkeit aller  geistigen  Bethätigung  ist  noch  immer  die  Voraus- 
setzung wie  für  die  Haltung  Friedrich's  so  für  die  seiner  Akademie, 
trotz  ihrer  Theilung  in  Klassen.  Noch  bildete  die  Wissenschaft  und 
die  Litteratur  ein  untrennbares  Ganze,  noch  trat  die  Gesammtakade- 
mie  in  wissenschaftlichen  LIauptfragen  —  z.  B.  in  dem  Streit  Leibniz- 
LocKE  —  zusammen  und  überliess  die  Entscheidung  nicht  einer  ein- 
zelnen Klasse;  noch  verlangte  man  von  dem  Pliysiker,  dnss  er  auch 
Philosoph  und  Moralist  sei,  und  umgekehrt;  mindestens  aber  musste 
er  »lettre«  sein  und  das  Vermögen  besitzen,  die  Probleme,  die  ihn 
beschäftigten,  gemeinfasslich  und  anziehend  darzustellen.  Es  ist  die- 
sell)e  Haltung,  die  als  Letzter  in  Deutschland,  aber  zugleich  als  Zer- 
störer, Kant  behauptet  hat.  Doch  schon  in  der  Zeit  von  etwa  1775 
an  war  sie  nur  noch  diesem  erstaunlichen  Geiste  möglich.  Wer  sie 
neben  ihm  noch  festhalten  wollte,  der  verkümmerte  und  hemmte. 
Die  innere  Bewegung,  welche  Rousseau  entfesselt  hat,  zusammen- 
treffend mit  einer  Entwicklung  der  Einzelwissenschaften,  die  volle 
Hingebung  verlangte,  und  mit  einem  neuen  Klassicismus  intensiver 
Art,  dem  Graecismus,  machte  dem  Zeitalter  der  Universalgelehrten 
ein  Ende. 

Doch  kehren  wir  zur  fridericianischen  Akademie  zurück.  Fragt 
man,  wo  die  Wirkungen  sich  besonders  deutlich  zeigen,  die  der 
geschilderten  Art  ihrer  Thätigkeit  entsprechen,  so  dürfen  wir  vor 
allem  auf  die  Berliner  Bewegung,  auf  Lessing,  Mendelssohn,  Nicolai 
und  ihre  Anhänger  und  Jünger  verweisen.  Die  eigenthümliche 
Haltung  dieses  Kreises  —  sachlich  und  formell,  in  der  Art,  die 
Probleme  anzufassen,  in  dein  Raisonnement,  in  der  gefälligen 
Schreibweise,  dem  leichten  Witz,  den  Stilgattungen  u.  s.  w.  — 
ist  durchaus   fridericianisch    und  durch   die  Haltung    der  Akademie 


^  Wie  unermüdlicli  er  an  der  Ausfeilung  gearbeitet  hat,  haben  die  Briefe  an 
Maupertuis  aufs  Neue  gezeigt  (Geh.  Staatsarchiv).  Vorarbeiten  lieferte  ihm  aus 
den  Archiven  u.  A.  Hertzberg. 


4B0  Die  \vis.seiiscli;irilicli<'  Bedeutun!^-  der  Akndciiiie  P"iuedricu"s  IT. 

bestimmt,  die  sie  vorfanden,  und  die  unter  dem  Einfluss  des  Königs, 
Maupertuis'  und  Voltaire"s  ausgebildet  worden  war.  Vielleicht  liat 
Voltaire  selbst  nicht  so  stark  auf  Lessing  eingewirkt,  wie  alle  geisti- 
gen Elemente  zusammen,  die  er  in  Berlin  vorfand  und  die  an  der 
Akademie  ihren  Mittelpunkt  besassen^!  Wie  hätte  sich  ein  Mendels- 
sohn zum  Philosophen  entwickeln  können,  ohne  die  Voraussetzungen, 
die  die  Akademie  in  Berlin  geschaffen  hat,  und  vor  allem,  wie  hätte 
sich  die  ganze  Berliner  Aufklärung  bilden  können ,  ohne  die  Grund- 
lage und  Stütze,  die  sie  an  jener  führenden  Körperschaft  hatte? 
Aber,  wirft  man  ein,  ein  fragwürdiges  Verdienst,  diese  Aufklärung 
hervorgerufen  und  verbreitet  zu  haben  mit  ihrer  oberflächlichen 
Polyhistorie ,  ilirer  seichten  Philosophie  und  ihrem  bornirten  Selbst- 
vertrauen! Das  ist  das  Urtheil  des  19.  Jahrhunderts  über  jene 
Bewegung,  und  es  ist  wohl  verständlich,  aber  es  ist  parteiisch 
und  ungerecht.  Sell:»st  wenn  man  zugesteht,  dass  die  «Aufklärung« 
die  Züge  angenommen  hat,   die  in  jenen  Vorwürfen  enthalten  sind". 


^  Doch  wer  kann  den  Einiluss  übei-scliätzen,  den  Voltaire  aucli  auf  die 
geistige  Bewegung  in  Deutschland  ausgeübt  hat!  Mit  Recht  hat  Carlyle  behauptet, 
wollte  man  ihn  und  seine  Thätigkeit  aus  der  Geschichte  des  18.  Jahrhunderts  hin- 
wegnehmen, so  würde  dies  einen  grösseren  Unterschied  in  der  jetzigen  Lage  der 
Dinge  hervorbringen,  als  von  irgend  einem  anderen  Menschen  der  letzten  Jalir- 
hunderte  gesagt  werden  könnte.  8eine  Bedeutung  liegt  keineswegs  nur  auf  dem 
Gebiete  der  Gedanken-  und  Stil])ildung,  sondern  vor  allem  in  dem  siegreichen 
Kampf  für  Freiheit  und  Menschenwürde  gegenüber  der  Sclaverei  und  Barbarei  des 
»Feudalismus«.  »Er  hat  in  ganz  Europa  einen  Bund  gestiftet,«  sagt  treffend  Con- 
DORCET,  »dessen  Seele  er  war.  Das  Feldgeschrei  dieses  Bundes  lautete:  Vernunft 
und  Toleranz!  Wurde  irgendwo  eine  grosse  Ungerechtigkeit  verübt,  vernahm  man 
von  einer  That  blutiger  Verfolgungssucht,  wurde  die  Menschenwürde  verletzt,  da 
stellte  eine  Schrift  Voltaire's  die  Schuldigen  vor  ganz  Europa  an  den  Pranger.« 
Li  Preussen  aber  sind  vornehmlich  Friedrich  der  Grosse  selbst  lind  die  Akademie 
die  A^ermittler  gewesen,  durch  welche  Voltaire's  Geist,  d.h.  der  Geist  der  Dul- 
dung und  Humanität,  wirksam  geworden  ist,  obgleich  er  keine  Zeile  für  die  Aka- 
demie geschrieben  hat  und  die  Akademiker  ihm  persönlich  fast  sämintlich  abgeneigt 
waren.  Sofern  sie  Calvinisten  und  Deutsche  waren ,  fühlten  sie  ihm  gegenüber  wie 
Goethe,  der  nach  der  Leetüre  der  Denkwürdigkeiten  Voltaire's  an  Frau  von 
Stein  schrieb  (1784):  »Du  wirst  empfinden,  es  ist,  als  wenn  ein  Gott,  etwa  Mo- 
inus,  aber  eine  Canaille  von  einem  Gott,  über  das  Hohe  der  Welt  schriebe«. 

^  Die  Überschätzung  der  »Bonnes  Etudes«  und  » Beiles -Lettres«  ist  kein 
specifischer  Zug  der  deutschen  Aufklärung,  sondei-n  ist  mehr  der  französischen 
zur  Last  zu  legen,  die  freilich  gerade  in  der  preussischen  Akademie  auch  vertreten 
war.  Die  kleine  scharfe  Anzeige  des  TousSAiNT'schen  »Discours  sur  les  fruits  des 
Bonnes  Etudes«,  die  Matthias  Claudius  (Werke  1879  Bd.  1  S.  59)  geschrieben  hat, 
trifft  die  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  kaum:  »Die  Bonnes  Etudes,  ist  der 
ewige  Gesang,  machen  das  Herz  ihrer  Verehrer  als  Philosophen,  Dichter  u.  s.  w. 
gut  und  tugendhaft;  denn  Pythagorns,  Sokrates,  Demokrit.  Homer  u.  s.  w.  waren 
"Ute  und  tuaendliafte  Älänntn-«. 


Allgemeine  Bedeutung  der  Akademie.  4ol 

SO  blei])t  ilir  doch  das  ungeschmälerte  Verdienst,  den  Scholasticis- 
mus.  das  Abstruse  und  das  Gebundene  in  der  Wissenschaft  in  der 
ganzen  Breite  ihrer  Entwickkuig  und  Herrschaft  abgethan ,  das 
deutsche  Bürgerthum  aus  Aberglauben  und  kirchlicher  Bevormun- 
dung herausgeführt  und  auf  eine  freie  Bahn  gestellt  zu  haben.  Man 
vergleiche  nur,  wie  man  auf  Universitäten  und  hohen  Schulen,  auf 
den  Kanzeln  und  Kathedern  noch  um  1690  gesprochen  hat  und 
wie  um  1770!  Um  das  ganze  Verdienst  der  Aufklärung  zu  er- 
messen, muss  man  erwägen,  aus  welchen  Zuständen  sie,  und  nicht 
erst  die  deutschen  Klassiker,  uns  befreit  hat.  In  die  allgemeine 
Weltlitteratur  ist  Deutschland  zuerst  durch  Leibniz,  dann  dauernd 
durch  die  Aufklärung  eingetreten.  Doch ,  wir  haben  hier  weder 
zu  entschuldigen  noch  anzuklagen.  Es  ist  gewiss,  dass  es  seit  den 
Tagen  der  Reformation  keine  Bewegung  gegeben  hat,  die  in  Nord- 
deutschland tiefer  eingegriffen  und  kraftvoller  umgebildet  hat,  als 
die  Aufklärung  des  18.  Jahrhunderts,  und  in  dieser  war  die  fride- 
ricianische  Akademie,  obgleich  sie  ausser  Sulzer  zur  Zeit  Friedrich's 
noch  keinen  einzigen  namhaften  deutschen  Aufklärer  in  ihrer  Mitte 
hattet  ein  wesentliches  Element.  Unverflochten  mit  den  Tages- 
fragen deutschen  Kleiidebens,  freilich  auch  abseits  von  der  aufstre- 
benden deutschen  Litteraturbewegung,  allen  grossen  Problemen  der 
wissenschaftlichen  Entwicklung  folgend ,  jeden  philosophischen  Stand- 
punkt in  ihrer  Mitte  duldend,  aber  alle  an  dieselbe  Regel  wissen- 
schaftlicher Aussprache  bindend,  Jahr  um  Jahr  durch  gehaltvolle 
und  anziehende  Abhandlungen  Muster  ruhiger,  gelehrter  Darstellung 
bietend,  eine  Stätte  der  Vernunft  und  der  Toleranz  —  so  hat  die 
Academie  Royale  des  Sciences  et  Beiles -Lettres  vierzig  Jahre  ge- 
wirkt, Preussen  erziehen  helfen  und  einem  Kant  und  Herder  Hoch- 
achtung und  Dank   abgew^onnen. 

Neben  dieser  allgemeinen  Bedeutung  der  Akademie  kommt  vor 
allem  in  Betracht,  was  sie  für  die  Ausbildung  und  Verbreitung 
der  Lehre  Newton's  und  was  sie  auf  dem  Gebiete  der  mathema- 
tischen Physik  und  der  Mathematik  geleistet  hat.  Man  braucht 
nur  die  vier  Namen  Maupertuis,  Euler,  Lagrange  und  Lambert  zu 
nennen,  um  zu  erkennen,  dass  sie  im  18.  Jahrhundert  die  Führer 
der  fortschreitenden  Wissenschaft  besessen  hat,   und  dass  sich  keine 


^    Die  andern  sind  sämmtlich  erst  unter  Frikdrich  Wilhelji  IL  aufgenommen 
worden. 


432  Die  wissenschaftliche  Bedeutunii'  di-r  Akademie  Friedricii's  IT. 

andere  Akademie  Europas  damals    mit   ihr  messen    konnte  —  mü- 
den  Ruhm  Euler's  muss  sie  mit  der  Petersburger  theilen. 

Es  ist  für  Berlin  von  höchster  Bedeutung  geworden ,  dass  die 
beiden  Franzosen,  die  einen  so  grossen  EinÜuss  in  Preussen  aus- 
üben sollten,  Maupertuis  und  Voltaire,  die  entschiedensten  An- 
hänger Newton's  waren.  Jener  hat  als  erster  in  Frankreich  zwischen 
1728  und  1732  die  entscheidende  Wendung  zu  Gunsten  des  Eng- 
länders herbeigeführt,  und  das  ist  sein  bleibendstes  Verdienst.  Als 
er  mit  Friedrich  in  Beziehung  trat,  war  er  bereits  der  anerkannte, 
siegreiche  Gelehrte  Frankreichs,  der  den  Cartesianismus  überwun- 
den hatte.  Neben  ihm  war  Voltaire  seit  seinem  englischen  Auf- 
enthalt unermüdlich  thätig,  Newton  und  Locke  als  die  Führer  der 
Weltanschauung  in  Europa  zu  preisen  und  einzubürgernd  Sobald 
Maupertuis  das  Präsidentenamt  in  Berlin  üV)ernommen  hatte,  setzte 
er  auf  deutschem  Boden  den  Kampf  für  Newton  fort  und  gewann 
in  Euler  einen  Bundesgenossen,  der  ihn  selbst  weit  überstrahlte. 
So  erhielt  in  der  Akademie  neben  dem  gallo -römischen  Geist,  den 
Friedrich  der  Grosse  nährte ,  die  neue  englische  Wissenschaft  Bürger- 
recht —  die  englische,  nicht  nur  die  Lehre  Newton's;  denn  mit 
dieser  hatten  sich  in  der  wissenschaftlichen  Überlieferung  gewisse 
Hauptgedanken  Locke's  eng  verknüpft. 

Damit  war  aber  ein  Gegensatz  zu  Leibniz  in  die  Akademie  ge- 
tragen, die  ihre  Existenz  auf  den  grossen  deutschen  Philosophen  zu- 
rückführte. In  der  Mechanik  als  strenger  Disciplin  bestand  zwischen 
Newton  und  Leibniz  kein  unüberbrückbarer  Unterschied;  aber  für 
diesen  war  die  Mechanik  nur  ein  grosses  Element  der  Weltanschau- 
ung. Seine  wissenschaftliche  Speculation ,  von  der  Phantasie  be- 
flügelt, war  weiter  vorgedrungen;  aber  während  sie  die  Monaden- 
lehre entwarf  und  die  Theodicee  entwickelte,  hatte  sie  sich  nicht 
die  Zeit  genommen ,  die  Principien  der  Erkenntniss  ausreichend  zu 
prüfen.  .Sein  vSchüler  und  Popularisator  Wolff  befestigte  dann  nach 
dem  Sturz  der  kirchlichen  Weltanschauung  das,  was  übrig  geblieben 
war  und  was  Leibniz  hinzugefügt  hatte,  mit  dogmatistischen  Mitteln. 
So  entwickelte  sich  ein  wirklicher  principieller  Gegensatz  zwischen 
der  LEiBNiz'schen  Philosophie  in  WoLFF'scher  Formgebung  und  der 
auf  Empirie  sich  stützenden  Mechanik ^     Dieser  Gegensatz  aber  war 


^  Auch  Algarotti  kommt  in  Betracht,  der  den  Newtonianismus  populär  zu 
machen  suchte. 

2  Die  Stellung  zu  den  religiösen  Fragen  war  aber  dadurch  nicht  so  bestimmt, 
dass  etwa  alle  Anhänger  der  empirischen  Mechanik  Skeptiker    in  der  Religion  ge- 


Voltaire,  Maupertuis,  Euler.  43 H 

auf  dem  Boden  der  Physik  niclit  aTisziifechten ;  er  führte  auf  das 
Gebiet  der  speculativen  Philosophie  hinüber  und  hat  die  Akademie 
dort  beschäftigt.  Soweit  aber  mit  den  Mittebi  der  reinen  Mathe- 
matik und  der  Mechanik  gekämpft  werden  konnte,  hatte  Euler  die 
Führung.  Maupertuis  selbst,  von  dem  krankhaften  Streben  beseelt, 
den  Deutschen  Leibniz  zu  überstrahlen  und  als  der  Universalgelehrte 
zu  gelten,  warf  sich  immerfort  auf  Probleme,  denen  er  nicht  ge- 
wachsen war,  und  hat  in  Berlin  kein  Werk  von  Dauer  geschaffen, 
so  viele  Anregungen  er  gegeben  hat \  Euler  dagegen,  von  tiefem 
Misstrauen  gegen  die  LuiBNiz'sche  Philosophie  erfüllt,  antipathisch 
von  ihrer  nicht  hinreichend  exacten  Methode  berührt  und  vollends 
WoLFF  als  unbedeutenden  Mathematiker  und  voreingenommenen 
Denker  beurtheilend,  hat  durch  Ausbildung  der  Mechanik  den  über- 
all siegreich  vordringenden  Wolffianismus  einzuschränken  versucht. 
Es  hat  etwas  Tragisches,  dass  Leibniz,  der  als  Präsident  der  Aka- 
demie mit  den  grössten  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  gehabt  hat, 
nun  auch  so  bald  nach  seinem  Tode  als  Philosoph  in  der  Akademie 
bestritten  worden  ist.  Für  seine  Grösse  hatte  man  keine  lebhafte 
Empfindung,   aber  deutlich  sah  man  seine  Schwächen. 

Was  Euler  für  die  Ausbildung  der  Mechanik  gethan  hat,  be- 
zeichnet nur  einen  sehr  kleinen  Theil  der  mathematischen  Riesen- 
arbeit, die  er  geleistet  hat.  Allein  in  den  Memoires  der  Berliner 
Akademie  stehen  121,  zum  Theil  sehr  umfangreiche  Abhandlungen ; 
im  Ganzen  hat  er  mehr  als  700  geschrieben,  daneben  32  Quart- 
bände und  I  3  Octavbände  selbständiger  Werke:  eine  Gesammtausgabe 
aller  seiner  Arbeiten  wird  auf  2000  Druckbogen  veranschlagt.  Dieser 
von  keinem  Mathematiker  erreichten  Productivität  entspricht  auch 
die  Bedeutung;  denn  zwischen  Newton  und  Gauss  stehend,  ist  er 
recht  eigentlich  der  Begründer  und  der  Lehrer  der  modernen  Ma- 
thematik geworden.  Alle  grossen  Mathematiker  der  Folgezeit  haben 
sich  direct  an  ihm  gebildet  und  stehen  auf  seinen  Schultern;    denn 


wesen  wären.  Im  Gegentheil:  nur  die  WoLFF'sche  Philosophie  schrieb  hier  eine 
feste  Haltung  vor,  nämlich  die  des  supranaturalen  oder  des  reinen  Rationalismus. 
Bei  den  Vertretern  des  Newtonianismus  findet  man  dagegen  sehr  verschiedene  reli- 
giöse Standpunkte:  Euler  verstattete  seiner  Wissenschaft  überhaupt  keinen  Einlluss 
auf  die  Religion  und  blieb  streng  offenbarungsgläubig  imd  kirchlich  gesinnt;  !Mau- 
PERTUis  schwankte  zwischen  dem  Oft'enbarungsglauben  und  dem  Rationalismus; 
Voltaire  war  Deist. 

■^  Die  Werke  sind  kurz  beurtheilt  von  du  Bois-Reymond  in  seiner  Rede  auf 
Maupertuis  (Sitzungsberichte  1892  S.  393ff.),  vei'gl.  Bartholmess,  Hist.  philos,  T.  I 
p,  328-360. 

Geschichte  der  Akademie.    I.  28 


434  Die  wissensclinftliche  Be(l(Mitinii>-  der  Akademie  FKiEDiucirs  II. 

erst  er  hat  durchgängig  die  synthetische  Methode  der  Alten ,  die 
seine  Vorgänger  noch  vorzugsweise  benutzt  hatten ,  durch  die  ana- 
lytische der  Rechnung  ersetzt,  und  in  allen  Zweigen  der  reinen 
und  der  angewandten  Mathematik  sei  es  ganz  neue  Wege  gewiesen, 
sei  es  die  überlieferten  Lehren  besser  begründet,  erweitert  und 
exacter  ausgeführt.  Seine  grossen  Lehrbücher  der  Arithmetik,  der 
Analysis,  der  Differentialrechnung,  der  Integralrechnung  und  der 
Algebra  werden  noch  heute,  trotz  des  Fortschrittes  der  Wissen- 
schaften, als  Meisterwerke  studirt,  und  nur  darüber  kann  Streit 
sein,  ob  diese  Gebiete  (unbestimmte  Integrale,  «EuLER'sche  Integrale« , 
»EuLER'sche  Constante«)  oder  die  Variationsrechnung  oder  die  ana- 
lytische Geometrie  oder  die  partiellen  Differentialgleichungen  ihm 
mehr  verdanken ,  und  wie  hoch  die  Erkenntnisse  zu  veranschlagen 
sind,  die  er  in  der  mathematischen  Physik  (Optik,  Bewegung  schwin- 
gender Saiten)   gewonnen  hat/. 

Nach  fünfundzwanzigjähriger  Thätigkeit  musste  der  König  den 
grossen  Mathematiker,  der  während  der  Abwesenheit  Maupertuis' 
und  nach  dessen  Tode  die  Akademie  geleitet  hatte  (s.  oben  S.344  ff*.), 
ziehen  lassen  (1766).  Aber  er  gewann  den  besten  Ersatz,  den  es  in 
Euroj)a  gab  —  Lagrange"".  Lagrange  hat  nach  Form  und  Inhalt  das 
von  Euler  begonnene  Werk ,  die  synthetische  Methode  der  Alten 
durch  die  Rechnung  zu  ersetzen,  vollendet.  Während  aber  Euler 
für  jedes  einzelne  Problem  den  Weg  der  Lösung  sucht,  der  ihm 
für  den  speciellen  Fall  der  angemessenste  scheint,  geht  Lagrange 
mehr  darauf  aus ,  ganze  Gebiete  der  Forschung  von  einem  einzigen 
Grundgedanken  aus  im  Zusammenhang  zu  behandeln.  Seine  wich- 
tigste Entdeckung,  die  er  noch  im  jugendlichen  Alter  machte,  war 
die  Variationsrechnung,  eine  allgemeine  Methode,  die  Aufgaben  über 
Maxima  und  Minima  zu  lösen,  die  man  vor  ihm  als  isoperimetrische 
bezeichnet  hatte.  Sein  bedeutendstes  Werk  ist  die  analytische  Mecha- 
nik, worin  er  alle  Sätze  der  Statik  und  Dynamik  mittelst  derselben 
Methode,   die  er  in  der  Variationsrechnung  benutzt  hatte,  aus  einem 


^  Der  Ver.suclmni>-,  hier  die  Hülfe  eines  Fachmannes  in  Ansprach  zu  nehmen 
und  eine  eingehendere  Würdigung  der  EuLER'schen  Verdienste  einzurücken,  musste 
icli  widerstehen ,  da  eine  solche  nicht  auf  wenigen  Seiten  gegeben  werden  kann. 
Auch  die  praktisclien  Anwendungen  der  Mathematik  und  Mechanik  haben  Eui-er 
interessirt,   und  er  hat  die  Astronomie,  die  Schiffahrtskunde  u.  s.  w.  gefördert. 

^  Das  Folgende  auf  Grund  gütiger  Mittlieilung  des  Herrn  Frobenius.  In  den 
Memoires  hat  Lagrange  (zwischen  1765  und  1803)  63  Abhandlungen  veröffenthcht. 
Seine  gesanuiielten  Werke  gab  Skrret  unter  den  Auspicien  des  französischen  Unter- 
richtsministeriums  in  12   (j)u;u'tbänden   heraus. 


Euler  und  Lagraxge.  435 

einzigen  Grundsatze  herleitete ,  dem  Prineip  der  virtuellen  Geschwin- 
digkeit. Ebenso  hervorragend  sind  seine  Verdienste  um  die  Al- 
gebra und  Arithmetik:  er  prüfte  die  verschiedenen  Methoden,  die 
man  für  die  Auflösung  der  Gleichungen  gefunden  hatte,  führte  sie 
auf  allgemeine  Principien  zurück  und  zeigte,  weshalb  diese  Metho- 
den für  die  Gleichungen  des  dritten  und  vierten  Grades  zum  Ziele 
führen,  für  die  Gleichungen  der  höheren  Grade  aber  im  Stiche 
lassen.  Er  förderte  auch  die  Lehre  A'on  der  numerischen  Auf- 
lösung der  Gleichungen  und  die  Determinantentheorie.  Die  zahl- 
reichen Sätze,  die  Ferjiat  und  Euler  über  unbestimmte  Aufgaben 
zweiten  Grades  gefunden  hatte,  leitete  er  aus  einer  gemeinsamen 
Quelle  her.  Ebenso  versuchte  er,  die  ganze  Theorie  der  analytischen 
Functionen  auf  den  TAVLOR'schen  Satz  als  einziges  Fundament  zu 
gründen.  Doch  haben  diese  Untersuchungen  keinen  nachhaltigen 
Erfolg  gehabt,  wenn  auch  sein  vStandpunkt  in  neuester  Zeit  durch 
Weierstrass  wieder  zu  Ehren  gebracht  ist.  Nur  sein  Satz  über 
die  Umkehrung  der  Reihen  trägt  noch  heute  seinen  Namen.  Unter 
seinen  ausserordentlich  zahlreichen  einzelnen  Untersuchungen  ist  vor 
allem  die  Arbeit  über  die  Libration  des  Mondes,  die  ihn  ganz  jung 
zu  einem  berühmten  Gelehrten  machte,  und  die  über  die  Hydro- 
dynamik, die  er  auf  ein  anderes  System  von  Diiferentialgieichungen 
gründete  als  Euler,   zu  erwähnen. 

Auch  Lagrange  hat  Berlin  später  wieder  verlassen,  aber  erst 
nach  dem  Tode  des  grossen  Königs,  und  so  hat  die  fridericianische 
Akademie  das  Glück  gehabt,  45  Jahre  hindurch  die  beiden  Meister 
der  Mathematik,   erst  Euler.   dann  Lagrange,   zu  besitzend 


^  \"on  Euler,  dem  Philosophen,  handelt  Bartholmess,  a.  a.  0.  T.  II  p.  164!?. 
und  bemerkt:  >>Si  ses  travaux  philo.sophiques  attestent  aussi  une  intelligence  ferme 
et  penetrante,  un  bon  sens  lucide  et  souvent  ingenieux,  une  admirable  nettete  d'ex- 
position  (vergl.  in  dieser  Hinsicht  besonders  seine  »Lettres  k  une  princesse  d'Alle- 
magne<' ,  in  denen  übrigens  auch  der  antiAvolffsche  Standpunkt  hervortritt),  une 
erudition  assez  etendue,  ils  n'annoncent  pas  un  esprit  exempt  de  preventions  et 
inaccessible  ä  d'injustes  accusations  .  .  .  Avec  quel  acharnement  il  poursuivait  les 
disciples  de  Leibniz,  abaissant,  rapetissant  leurs  docti-ines,  et  les  mutilant  meme, 
pour  les  vouer  plus  sürement  au  ridicide!  ....  On  eprouve  un  sentiment  penible, 
en  le  voyant  meler  ä  de  fortes  objections  contre  I'idealisme  tant  de  sarcasmes  amers 
ou  Sans  poi'tee,  tant  d'accusations  aussi  passionnees  que  banales«.  In  der  That  be- 
sorgte Euler  bei  seinen  Angriffen  auf  die  Leibniz -WoLFr'sche  Philosophie  nicht 
selten  die  Geschäfte  eines  Radicalismus,  der  ihm  selbst  sehr  fei'ne  lag.  Sobald  er 
die  JNIathematik  verlässt,  wird  er  zu  einem  etwas  kindliclien  Philosophen,  der  von 
Erkenntnisstheorie  kaum  eine  Ahnung  hat  (s.  seine  »Eellexions  sur  l'espace  et  le 
temps«   in  den  Memoires  1748). 

28* 


436  Die  Avissenschaftliche  Bedeutung  der  Akademie  FriedrichVs  IL 

Endlicli  miiss  hier  Lambert's  gedacht  werden.  Sein  Name  ist 
heute  nicht  so  bekannt,  wie  er  es  verdient';  er  ist  überstrahlt 
worden  von  dem  Kant's.  Aber  Kant  selbst  schrieb  (1770)  an 
Lambert,  er  halte  ihn  für  das  grösste  Genie  Deutschlands  und  für 
den  Mann,  der  am  besten  im  Stande  sei,  die  Philosophie  zu  refor- 
miren;  keine  Zeile  wolle  er  in  seinen  Werken  stehen  lassen,  die 
Lambert  jiiclit  klar  und  deutlich  finde.  Leider  hat  der  früh  voll- 
endete Gelehrte  (gest.  den  25.  September  1777,  kaum  49  Jahre  alt) 
die  »Kritik  der  reinen  Vernunft«  nicht  mehr  erlebt.  Vielleicht  wäre 
das  Werk  etwas  anders  ausgefallen,  wenn  der  wissenschaftliche  Aus- 
tausch zwischen  Kant  und  ihm  fortgedauert  hätte". 

Lambert,  der  Sohn  eines  kleinen  Handwerkers  im  elsässischen 
Mülhausen,  hat  sich  aus  ganz  dürftigen  Verhältnissen  als  Autodi- 
dakt zu  einer  Universalität  wissenschaftlicher  Haltung  emporgear- 
beitet, die  an  Leibniz  erinnert.  Weder  deutsch  noch  französisch 
hat  er  je  correct  zu  schreiben  gelernt  und  die  niedere  Herkunft 
In  seiner  Bedürfnisslosigkeit  und  Rauhheit  nie  verleugnet:  aber 
jeder  Griff  führte  den  genialen  Mann  sofort  zum  Produciren,  und 
überall  drang  er  zum  Kern  der  Probleme  vor,  die  er  in  einer 
so  originellen  (freilich  auch  krausen)  Weise  fasste,  dass  er  ihnen 
stets  Förderung  brachte.  Der  Ausgangspunkt  seiner  Studien  war 
und  blieb  die  Geometrie  und  Astronomie  —  in  die  höhere  Ana- 
lysis  drang  er  nicht  tiefer  ein  — ,  aber  er  wusste  von  jenen 
Disciplinen  aus  die  umfassendsten  Ausblicke  zu  gewinnen  und  mit 
den  geringsten  Mitteln  —  er  war  auch  ein  praktisches  Genie  — 
die  fruchtbarsten  Experimente  anzustellen.  Mit  16  Jahren  versuchte 
er  die  Bahn  des  Kometen  von  1744  zu  berechnen  und  fand  auf 
geometrischem  Wege  das  Theorem,   das  seinen  Namen  trägt,    dass 


^  Doch  s.  die  treffliche  Würdigung  des  grossen  Denkers  bei  Bartholmess  (Hist. 
philos.  de  l'Acad.  T.II  p.  lyiff.)  und  Laas  (Allg.  Deutsche  Biographie  Bd. 17  S.552ff.). 
Dazu  JoH.  Lepsius,  Lambert,  Eine  Darstelhing  seiner  kosmologischen  u.  jihilosophi- 
schen  Leistungen.   1881. 

^  Dass  Lambert  nicht  ein  "Vorläufer«  Kant's  ist,  sondern  stets  fest  auf  dem 
Boden  der  Newton -LocKE'schen  Voraussetzung  einer  an  sich  realen,  materiellen 
Raum -Zeit -Welt  gestanden  hat,  betont  Laas.  »Beständiger  Schein  ist  fiir  uns 
Wahrheit«.  Die  Abhandlung  »De  mundi  sensibilis  et  intelligibilis  forma«  hat  Kant 
an  Lambert  zur  Prüfung  gesandt,  und  dieser  hat  gegen  die  Annahme  der  Idealität 
von  Raum  imd  Zeit  Einwendungen  erhoben.  Bartholmess  (II  p.  179)  behauptet, 
dass  die  philosophische  Sprache  Kant's  »prescjue  tout  entier«  das  Werk  Lambert's 
ist.  »Si  Ton  avait  mieux  connu  les  ecrits  de  Lambert,  on  n'aurait  ni  tant  loue, 
ni  si  fort  bläme  dans  Kant  ce  qui  appartenait  ä  son  devancier  et  ä  Tun  de  ses 
maitres.« 


Lambert.  437 

in  einer  parabolischen  Bahn  die  Zeit,  in  der  ein  Bogen  durchlaufen 
wird ,  allein  von  der  Sehne  desselben  und  von  der  Summe  der 
radii  vectores  nach  ihren  Endpunkten  abhängig  ist.  Wie  Jacob 
Böhme  durch  die  geringfügigsten  äusseren  Eindrücke  zu  tiefsinnigen 
Meditationen  angeregt  wurde,  so  wurden  unbedeutende  Beobach- 
tungen auch  für  Lambert  die  Ausgangspunkte  überraschender  und 
treffender  Reflexionen  und  Erfindungen.  Im  Jahre  1761  erschien 
seine  Photometrie,  das  Werk,  mit  dem  er  diese  Methode  überhaupt 
erst  l)egründet  hat;  liier  Avird  sein  Name  unvergessen  bleiben.  Noch 
in  demscll)en  Jahr  gab  er  die  grosse  Arbeit  «Insigniores  orbitae 
cometarum  proprietates«  und  ausserdem  die  kosmologischen  Briefe 
heraus,  die  ein  philosophisches  Gemälde  des  Universums  enthalten. 
»Das  Apergu,  dass  das  Fixsterngebäude  nicht  sphärisch,  sondern 
flach  und  sehr  stark  abgeplattet  sei  und  dass  die  Milchstrasse  aus 
Fixsternsystemen  bestehe,  kam  ihm  bei  einem  Blick  durch  das 
Fenster  auf  den  Himmel.  Eine  algebraische  Aufgabe ,  in  der  einer 
seiner  Schüler  einen  nicht  sofort  durchsichtigen  Fehler  gemacht  hatte, 
ward  ihm  Veranlassung,  eine  Maschine  zur  Erleichterung  der  per- 
spectivischen  Zeichnung  zu  erfinden  \«  Nur  wenige  Jahre  hatte  er  der 
Münchener  Akademie  angehört;  dann  zogen  ihn  Sülzer  und  Euler, 
die  neidlos  sein  ungeheures  Talent  bewunderten,  nach  Berlin,  w^äh- 
rend  er  sich  eben  rüstete,  in  Petersburg  eine  Stelle  zu  suchen,  die 
ihm  Müsse  gewährte.  Vorher  hatte  er  in  Leipzig  sein  »Neues 
Organon«  (1764)  erscheinen  lassen".  Mit  diesem  war  er  auf  das 
Gebiet  der  Philosophie  übergetreten,  für  die  er  seine  naturwissen- 
schaftlichen Erkenntnisse  fruchtbar  machen  wollte.  Der  Wurf  war 
zu  kühn,  um  in  dieser  Gestalt  zu  gelingen:  die  formale  Logik,  die 
Metaphysik ,  die  wissenschaftliche  Methodenlehre  und  Zeichensprache 
sollten  zugleich  reformirt  werden :  aber  überall  schimmert  schon 
die  Aufgabe   der  Erkenntnisstheorie  durch.      Lambert  hatte  Newton 


^  Ein  Fi-eund  und  Landsmann  Lambert's,  Christoph  Heinrich  Myller,  hat 
von  ilim  gesagt:  »II  etait  ne  logicien  ä  tel  point  qu'il  examinait  le  moindre  evene- 
ment  de  la  vie  domestique  d'apres  les  menies  regies  que  las  questions  et  les  demon- 
strations  de  la  science.  A  propos  d'un  trou  a  ses  bas ,  il  lui  echappait  une  figure 
en  »Barbara";  ä  propos  du  pied  d'une  chaise,  on  le  voyait  construire  nne  »hypo- 
these«  .  .  .  Toutes  choses  s'offraient  a  son  esprit  aA'ec  l'appareil  de  la  logique: 
comme  sujet,  coinme  attribut,  comme  proposition  directe,  comme  proposition  reii- 
versee,  comme  raisonnement ,  comme  syllogisme  etc.". 

^  Vergl.  dazu  die  eingehende  Recension  von  M.  Mendelssohn  in  der  AUg. 
Deutschen  Bibliothek  1766  Bd.3  St.  i  S.  itf.,  Ges.  Schriften  Bd.4,  2  S.486-520: 
"Herr  Lambert,  der  sich  in  anderen  Werken  der  "Welt  schon  als  Erfinder  gezeigt, 
lässt  in  diesem  Werke  alle  seine  Vorgänger,  Locke,  Wolff,  Malebranche,  hinter  sich«. 


438  Die  wissenschaftlielie  Bedeutung  der  Akademie  Fkikdrich's  II. 

und  Locke  einerseits,  Wolff  andererseits  gelesen;  »er  war  über- 
zeiig't,  dass  die  Vervollkommnung  der  Metaphysik  von  der  Logik 
abhänge,  inid  suchte  den  Weg  zu  einer  Locke's  und  Eukijd's  Metho- 
den verbindenden ,  Wolff  überholenden  Ontologie  zu  ebnen«.  Die 
Kritik  an  der  WoLFF'schen  Philosophie  und  das  Hinausstreben  über 
sie  (»Was  im  eigentlichsten  Verstände  a  priori  sein  soll,  kann  nur 
Möglichkeiten  enthalten«)  bezeichnen  die  Bedeutung  des  Werks,  das 
trotz  seiner  ausbrüchigen  Formalistik  - —  Lambert  war  ein  Phantast 
der  Logik  und  ein  Enthusiast  des  Maasses  und  der  symmetrischen 
Ordnungen  —  als  ein  Vorläufer  der  »Kritik  der  reinen  Vernunft« 
zu  gelten  hat,  aber  nicht  die  Richtung  auf  die  Zweitheilung  der 
Vernunft  einschlägt,   in  die  Kant  sich  gerettet  hat\ 

Am  24.  Januar  1765  hielt  dieser  »Geometer  der  Logik«  seine 
Eintrittsrede  in  der  Akademie  »Sur  la  liaison  des  connaissances  qui 
sont  l'objet  de  chacune  des  quatres  classes  de  l'Academie«.  Seit 
Leibniz  und  Maupertuis  war  in  ihrer  Mitte  so  nicht  mehr  gesprochen 
worden.  In  den  knapp  i  3  Jahren ,  die  er  der  Akademie  angehörte, 
hat  er  für  drei  Klassen  geschrieben  und  52  Abhandlungen  in  den 
Memoires  veröffentlicht.  Allein  daneben  hat  er  noch  etwa  100 
Arbeiten  in  anderen  Zeitschriften  und  zehn  grosse  Werke,  unter 
Ihnen  die  »Architektonik «'■,  erscheinen  lassen:  Physik,  Farbenlehre, 
Philosophie  der  Mathematik,  Astronomie,  physikalisch- technische 
Probleme  beschäftigten  ihn  in  gleicher  Weise.  Zuletzt  kehrte  er  zur 
Pyrometrie  zurück  und  führte  die  neue  Bearbeitung  (die  erste  war 
1755  erschienen)  in  zehn  Wochen  durch.  Wenige  Monate  darauf 
starb  er,  weil  er  seinem  dvu-ch  Überarbeitung  zerrütteten  Körper  bis 
zuletzt  keine  Erholung  gegönnt  hatte.  »Lambert«,  schreibt  Laas  in 
seiner  schönen  Charakteristik,  »war  gieichgiltig  gegen  Alles,  was 
das  Leben  sinnlich  schön,  reizend  und  behaglich  macht.  Sein  Kopf 
arbeitete  unbehelligt  durch  feinere  Culturbedürfnisse  oder  gar  Leiden- 

^  Kant  hat  spätei-  das  Novum  Organon  nicht  günstig  beurtheilt,  was  wohl 
verständlich  ist. 

^  Das  Novum  Organon  und  die  Architektonik  sind  Seitenstücke  zu  den  kos- 
mologischen  Briefen.  Beschreiben  diese  das  Universum,  so  sollen  in  jenen  gleich- 
sam alle  Provinzen  des  menschlichen  Geistes  dargestellt  werden,  aber  nicht  in 
descriptiver  Schilderung,  sondern  in  der  Richtung  auf  die  Principien  und  Gesetze, 
die  ihn  durchwalten,  und  auf  die  Mittel,  durch  welche  der  Geist  seinen  Inhalt 
gewinnt,  sicherstellt  und  zu  erkennen  giebt.  So  zerfällt  das  Novum  Organon  in 
die  «Dianoiologie,  Alethiologie,  Semiotik  imd  Phaenomenologie«.  Bemerkenswerth 
ist,  dass  noch  Lambert,  wie  Lkibniz,  sich  um  eine  präcise,  universale  Sprache, 
um  ein  neues,  einfaches,  charakteristisches  System  wissenschaftlichen  Gedankenaus- 
drucks bemüht  hat. 


Lambert,  Johann  Bernoulli,  Bode.  431) 

Schäften  wie  eine  schwer  zum  Stehen  zu  bringende  Maschine.  Das 
romantische  Schwärmen  für  das  unbewusste  Weben  des  Geistes  lag 
weit  von  ihm  entfernt.  Seine  Gefühlsweise  war  dabei  kindlich, 
harmlos  und  naturwüchsig.  ...  Er  stand  in  der  Mathematik,  wie  er 
selbst  einräumte  ^  nicht  auf  der  Höhe  von  Euler  und  Lac4range; 
in  der  Astronomie  war  er  kein  Herschel,  in  der  Physik  kein 
Newton;  in  der  Philosophie  gebrach  es  ihm  an  Leibnizcus  Fülle 
und  Beweglichkeit  und  an  Kant's  bohrendem  Tiefsinn.  Aber  dass 
er  alle  Aier  Disciplinen  mit  grundlegenden  und  fortbildungsfähigen 
Arbeiten  befruchtete,  macht  ihn  doch  den  Grössten  ähnlich.  Er 
hat  vor  Kant  und  Leibniz  sogar  den  Vorzug,  dass  man  weniger 
als  bei  diesen  nöthig  hat,  Gewebe  wieder  aufzutrennen.  Er  hatte 
wissenschaftlich erseits  vielleicht  nur  den  einen  Fehler,  die  Grenze 
nicht  immer  zu  merken,  wo  das  Bedeutende  vmd  Fruchtbare  in 
das  Unbedeutende,   wohl  gar  F utile  überging.« 

Lambert  hat  auch  als  Astronom  der  Akademie  grosse  Dienste 
geleistet.  Seit  1772  gab  er  statt  der  bis  dahin  erschienenen  acht 
astronomischen  Kalender  genaue  Ephemeriden  heraus".  Seit  1767 
war  der  22jährige  Johann  Bernoulli  Director  der  Sternwarte.  Aber 
nicht  von  ihm  in  erster  Linie  wurde  die  Astronomie  gepflegt  —  nur 
in  der  rechnenden  hat  er  gearbeitet;  sonst  hatte  er  eine  besondere 
Vorliebe  für  die  Geographie  und  für  zahlentheoretische  Probleme  — , 
sondern  von  Bode,  der,  zuerst  rechnender  Hülfsarbeiter,  dann  ordent- 
licher Akademiker,  zuletzt  Director  der  Sternwarte  (gest.  23.  No- 
vember 1826),  nicht  nur  die  LAMBERT'schen  Ephemeriden  fortgesetzt, 
sondern  überhaupt  unter  den  astronomischen  Autoren  den  ersten 
Rang    eingenommen    hat.      »Durch    sein    astronomisches    Jahrbuch, 


^  »Ich  bin  dei"  dritte  Geometer  in  meinem  Zeitalter,"  sagte  er  selbst  einmal 
mit  derselben  wirklichen /Naivetät,  mit  der  er  sich  einen  grossen  Mann  nennen 
konnte,  « Euler  und  d'Alembert  bilden  zusammen  den  ersten,  Lagrange  ist  der 
zweite.« 

-  Mit  ihren  beobachtenden  Astronomen  hatte  die  Akademie  nach  des  ältei'en 
Grischow's  Tode  zunächst  (1749)  wenig  Glück.  Der  jüngere  Grischow  ging  1750 
nach  Petersburg.  Ebendorthin  ging  Aepinus,  der  von  1755  —  57  Professor  der  Astro- 
nomie war.  Der  Verlust  dieses  Mannes,  der  sich  als  Elektriker  einen  bedeutenden 
Namen  gemacht  hat,  war  sehr  empfindlich.  Im  Jahre  1759  gab  er  sein  »Tentamen 
theoriae  electricitatis  et  magnetismi«  heraus,  in  welchem  er  zuerst  die  rechnende 
Methode  auf  die  Elektricität  angewandt  hat.  Auch  hat  er  zuerst  die  Theorie  des 
elektrischen  Condensators  und  des  Elektrophors  gegeben.  Der  Astronom  Kies,  der 
die  Erwartimgen  nicht  erfüllt  hatte,  die  man  auf  ihn  gesetzt,  ging  nach  längerer 
Wirksamkeit  in  Berlin  nach  Tübingen.  Euler,  der  Sohn  (gest.  1800).  verliess  zu- 
sammen mit  seinem  Vater  (1766)  die  Akademie. 


440  Die  wisscMisclinftliclic  Bcdrutiing'  der  Akadeniie  Friedrich's  II. 

welclics  für  die  anderen  Epliemeriden  /um  Muster  diente  und  das 
er  in  54  Bänden  fortsetzte,  liat  er  Epoehemaeliendes  geleistet.  Eine 
Zeit  hindurch  waren  in  diesen  Jahrbüchern  die  einzigen  Nachrichten 
über  astronomische  Beobachtungen  und  Entdeckungen  enthalten. 
Seine  Sternkarten,  die  Darstellung  der  Sterne  in  34  Blättern  nebst 
Einleitung  und  Katalog,  1782  herausgegeben,  sowie  sein  grosser 
Himmelsatlas  in  20  Blättern  nebst  der  allgemeinen  Beschreibung  und 
einem  Nachweis  der  Gestirne  und  einem  Katalog  von  17240  Sternen 
(i  797-1 801),  gehörten  zu  den  besten  Sternkarten,  welche  man 
hatte'.« 

»Unsere  Chemiker  stechen  alle  Chemiker  Europas  aus«,  hatte 
Maupertuis  1748  an  den  König  berichtet",  und  in  der  That,  so- 
lange Pott  rüstig  arbeitete^  und,  vor  allem,  solange  Marggraf 
auf  der  Höhe  des  Schaffens  stand,  behauptete  Berlin  diesen  Ruhm. 
Erst  in  den  letzten  Jahren  Friedrich's  fingen  die  schwedischen  und 
französischen  Chemiker  an,  die  deutschen  zu  überflügeln,  und  Achard, 
obwohl  kein  untüchtiger  Nachfolger  Marggraf's,  vermochte  nicht 
mehr  mit  Gelehrten   wie  vScheele   und  Lavoisier  zu  rivalisiren. 

Marggraf  ist  der  letzte  l)edeutende  Schüler  Stahl's  und  Caspar 
Neumann's  und  der  letzte  grosse  Vertreter  der  phlogistischen  Theorie 
gewesen^  Seine  Verdienste  um  die  Chemie  sind  höchst  bedeutend 
und  mannigfaltig  —  das  bekannteste  ist  seine  Entdeckung  des  Zuckers 
in  der  Runkelrübe,  die,  wenn  auch  erst  lange  nach  seinem  Tode, 
die  ganze  Landwirthschaft  in  Norddeutschland  umwälzen  sollte'.     In 


^  Sielie  Encke's  Rede  auf  Bode  in  den  Abb.  d.  K.  Preuss.  Akad.  d.  Wiss.  1827 
und  Bruhns  in  dei-  AUg.  Deutseben  Biograpbie  Bd.  3  S.  i  f. 

^    Siebe  oben  S.  325. 

^  Siebe  über  ibn  oben  S.  237.  Seine  Hauptwirksamkeit  fällt  in  die  erste 
Hälfte  des  18.  JaJu-bunderts.  Mit  Marggraf  verfeindet,  zog  er  sich  seit  den  fünf- 
ziger Jahren  von  der  Akademie  zurück. 

*  So  glaubte  er  auch  noch  zeitlebens,  dass  alles  Wasser,  auch  das  reinste, 
sieb  beim  Erhitzen  in  Erde  verwandle. 

°  Die  Entdeckung  wurde  der  Akademie  im  Jahre  1747  vorgeti-agen.  Sie  steht 
in  den  Memoires  1747  p.  79  — 90  unter  dem  Titel:  »Experiences  Cbymiques  faites 
dans  le  dessein  de  tirei'  lui  veiitable  sucre  de  diverses  plantes  qui  croissent  dans 
nos  contrees  [traduit  du  Latin]«.  Marggraf  theilt  hier  mit,  dass  mehrei-e  einhei- 
mische Pflanzen  nicht  nur  einen  dem  Zucker  ähnlichen  Stoff  enthalten,  sondern  eben 
den  Zucker  des  Zuckeri-ohrs.  Er  nennt  drei,  aus  deren  Wurzeln  er  reinen  Zucker 
dargestellt  liabe,  unter  ihnen  die  Runkelrübe  oder  den  rothen  Mangold.  P.  88 
schreibt  er:  »C'e  qui  a  ete  rapporte  jusqu'ä  present  fait  voir  en  general,  quels  usages 
economiques  on  pourrait  tirer  de  ces  experiences;  il  me  suffira  d'en  indiquer  an 
seul,  qui  est  ineme  lemoindre:  Le  pauvre  paysan,  au  lieu  d'un  sucre  eher 
ou   d'un  mauvais    syrop,    pourrait   se    servir   de  notre   sucre  des  plan- 


MAR(iGRAF.      AcHARD.  441 

virtuoser  Weise  wusste  er  die  analytische  Methode  auf  nassem  Wege 
anzuwenden ;  aucli  ist  er  vielleicht  der  erste  Chemiker  gewesen ,  der 
sich  des  Mikroskops  bedient  hat;  endlich  besass  er  eine  gründliche 
berg-  und  hüttenmännische  Bildung,  die  ihn  zu  tüchtigen  chemisch- 
geologischen Untersuchungen  l^efähigte.  So  ist  es  ihm,  unterstützt 
von  einem  Itewunderungswürdigen  Fleisse,  gelungen,  eine  grosse 
Reihe  bleibender  Arbeiten  auszuführen  und  die  Chemie  mit  neuen 
Entdeckungen  zu  bereichern.  Unter  den  Ergebnissen  seiner  analy- 
tischen Forschungen  werden  besonders  genannt:  die  Verschieden- 
heit der  Thonerde  und  der  Magnesia  von  der  Kalkerde,  die  Be- 
stimmung der  Natur  des  Thons,  des  Alauns  und  des  Gypses,  der 
Nachweis  der  Präexistenz  der  Alkalien  in  den  Ptlanzensäften,  die 
Ausführungen  über  die  Natur  des  Salpeters  und  der  Salpetersäure, 
die  Reaction  auf  Eisen  mittelst  Blutlaugensalzes,  genauere  Angaben 
über  Natron  und  Kali  u.  s.  w.  Er  hat  zuerst  eine  eingehende  Unter- 
suclumg  über  das  Platin  veröffentlicht  (1752)  und  —  freilich  un- 
bewusst  —  die  Platindoppelsalze  entdeckt.  Von  ganz  besonderer 
Bedeutung  aber  wurden  seine  und  seiner  Schüler  zahlreiche  Unter- 
suchungen über  den  Phosphor,  die  Darstellung  desselben  aus  dem 
Plarn,  seine  Constatirung  in  den  Pflanzen ,  die  Bestimmung  der  Eigen- 
schaften der  Phosphorsäure,  wobei  er  schon  feststellte,  dass  die  bei 
Verbrennung  des  Phosphors  sich  bildende  Säure  mehr  wiege  als 
der  dazu  verwandte  Phosphor;  aber  er  vermochte  dies  Problem  nicht 
zu  deuten  —  für  die  phlogistische  Theorie  war  es  unlösbar.  Auch 
ül)er  Hornsilber  und  Flussspath,  über  das  Vorkommen  der  Magnesia 
und  wiederum  über  Ameisensäure  in  ihrem  Unterschied  von  Essig- 
säure hat  er  wichtige  Nachweise  geliefert \ 

Marggraf's  Schüler  Achard  besass  als  Theoretiker  nicht  die  Be- 
deutung seines  Lehrers;  aber  er  hat  im  Chemisch -Technischen  Vieles 
gefördert.  Ihm  verdankt  man  die  fabrikmässige  Ausnutzung  der 
Entdeckung  des  Zuckers  in  der  Runkelrübe,  die  in  der  Zeit  der 
Continentalsperre  so  wichtig  wurde,  aber  auch  nach  ihrer  Auf- 
hebung an  Bedeutung  nicht  verlor.  Er  war  ferner  einer  der  Ersten, 
der  Galvani's  Versuche  wiederholt  hat  —  ein  anderer  Akademiker, 
SuLZER,   hat  in  Form  eines  Geschmacks  Versuchs  die  erste  galvanische 


tes«.  Er  ist  sich  also  der  Tragweite  seiner  Entdeckung  bewusst  gewesen;  aher  er 
hat  die  technische  Ausbeutung  x\nderen,  vor  allem  seinem  Schüler  Achard,  überlassen. 
^  Vergl.  über  ihn  Kopp  ,  Geschichte  der  C  hemie ,  Ladenbürg  in  der  Allg. 
Deutschen  Biographie  Bd.  20  S.  3840*.  A.W.  Hofjiann,  Ein  Jahrhundert  chemischer 
Forschung  unter  dem  Schii'me  der  HohenzoUern.     Berliner  Rectoratsrede  1881. 


442  Die  wissensclinftliclie  Bedeutung  dev  Akademie  P'iuedrich's  II. 

Erscheinung  beobachtet^  — ,  und  wahrscheinlich  hat  Niemand  vor 
ihm  einen  Platintiegel  hergestellt".  Auch  in  der  Färbungschemie 
war  er  auf  Verbesserung  der  Methoden  und  ihre  praktische  Durch- 
führung bedacht.  Wissenschaftlich  hervorragender  als  er  Avaren  die 
beiden  Geognosten  und  chemischen  Mineralogen ,  die  die  fridericia- 
nische  Akademie  besessen  hat,  J.  G.  Lehmann  und  Geriiaed.  Jener  — 
seine  Aufnahme  verfeindete  Pott  vollends  mit  Marggraf  —  hat 
durch  seine  geognostischen  und  erdgeschichtlichen  Arbeiten  einem 
Werner  den  Weg  gebahnt,  die  chemische  Untersuchung  der  Mine- 
ralien mitbegründet  und  ihre  Eintheilung  gefördert"*.  Dieser,  ur- 
sprünglich Mediciner,  wandte  sich  später  ganz  dem  Bergwerkswesen 
zu,  aber  in  wissenschaftlichem  Geiste.  Auch  er  förderte  die  Lehre 
von  der  Gruppirung  der  Metalle  und  gal)  nach  l)ergtechnischen 
Arbeiten,  z.  B.  über  den  Steinkohlenbau,  im  Jahre  1781  ein  Werk 
heraus  unter  dem  Titel:  »Versuch  einer  Geschichte  des  Mineral- 
reichs«, w^elches  sowohl  über  die  Natur  und  Entstehung  der  Metalle 
als  der  Gebirge  werthvolle  Beobachtungen  und  Muthmaassungen  ent- 
hält, die  zum  Theil  freilich  noch  von  den  ganz  unhaltbaren  Hypo- 
thesen der  älteren  Zeit  durchzogen   sind'\ 

In  der  Zoologie  hat  die  Akademie  zur  Zeit  Friedrich's  (nach 
FRisrnens  Tode)  nichts  geleistet,  wohl  aber  in  der  Botanik  und  in 
der  Anatomie.  Dort  war  es  Gleditsch,  der  in  langer,  unermüdlicher 
Arbeit  (i  744-1 786,  geb.  17 14)  nicht  nur  den  grossen  botanischen 
Garten  der  Akademie  eigentlich  erst  geschaffen ,  mit  den  botanischen 
Gärten  anderer  Länder  in  Beziehung  gesetzt  und  zu  einer  Muster- 
anstalt gemacht  hat^,  sondern  auch  durch  zahlreiche  Versuche  und 
Abhandlungen  die  Pllanzenkunde  gefördert  hat.     Er  hat  u.  A.  den  Ex- 


^  Siehe  du  Bois-Reymond.  Untersuchungen  über  thierische  Elektricität  Bd.  I 
(Berhn  1848)  S.  54  Anmei-kung.  Sülzer,  der  sich  als  praktischer  Phj'siker  auch 
sonst  Verdienste  erworben  hat,  ist  der  Erste  in  Berhn  gewesen,  der,  zusammen 
mit  Gerhard,  einen  Bhtzableiter  hat  errichten  Lassen  (1777,  an  der  Könighchen 
Montirungskamnier  und  der  Kaserne  des  von  PpuEL'schen  Regiments  am  Köjinicker 
Thor),    s.  Bruhns,  Alexander  von  Humboldt,  Bd.  I  S.  47. 

-  Über  Achard  s. Hofmann,  a.a.O.;  derselbe,  Berliner  Alchemisten  und  Che- 
miker U.S.W.,  Berlin  1882.  du  Bois-Reyjiond,  Reden  Bd.  2  (1887)  S.  516,  Oppen- 
heim in  der  Allg.  Deutschen  Biographie  Bd.  i  S.2  7f.  In  Bezug  auf  die  Herstellung 
beweglicher  optischer  Telegraphen  gebührt  nicht  ihm,  sondern  Chappe  die  Priorität. 

^  Er  gehörte  der  Akademie  nur  7  Jahre  an;  1761  berief  ihn  Katharina 
nach  Russland.  Er  starb  aber  schon  1767  im  Laboratorium  in  Folge  des  Zer- 
springens  einer  mit  Arsenik  gefüllten  Retorte. 

*  Siehe  über  beide  die  Artikel  von  Guembel  in  der  Allg.  Deutschen  Bio- 
graphie Bd.  18  S.  i4of.  und  Bd.  8  S.772f. 

^    Vergl.  Nicolai,  Beschreibung  von  Berlin  ^  (1786)  S.  1035 ff.  S.  1040 f. 


Lehmann.     Gerhard.     Gleditsch.    Lieberkühx  und  andere  Mediciner.     443 

perimentalbeweis  für  die  Geschlechtlichkeit  der  Phanerogameii  durch 
Befruchtung  der  Palme  des  botanischen  Gartens  mit  dem  Blüthenstaub 
einer  Leipziger  Palme  geführt \  Ausser  seiner  streng  botanischen  Thä- 
tigkeit  war  er  auch  Lehrer  der  Forstwissenschaft  (s.  o.  S.  395),  und 
Hess  bezeugt  ihm,  dass  er  mit  zu  den  Ersten  gehöre,  welche  dem 
Forstwesen  eine  naturAvissenschaftliche  Grundlage  gegeben  haben. 
«Manche  erklären  seine  »Forstwissenschaft«  geradezu  als  das  erste 
wissenschaftliche  Werk  über  diese  Disciplin'«.  Die  Forstwissenschaft 
bildete  ihm  die  Brücke  zur  landwirthschaftlichen  Botanik.  Auch 
auf  diesem  Gebiete  ist  er  thätig  gewesen  und  hat  sich  um  den  An- 
bau und  die  Cultur  nützlicher  Ptlanzen  grosse  Verdienste  erworben. 
Durch  N.  LiEBEKKÜiiN  wurde  die  anatomische  Kunst  und  Wissen- 
schaft aus  Holland  nach  Berlin  verpflanzt.  Als  er  sich  im  Jahre  1740 
in  seiner  Vaterstadt  Berlhi  als  praktischer  Arzt  niederliess,  hatte  er 
in  Leyden  die  strenge  Schule  Boerhaave's,  Albinus'  und  Gaub's 
durchgemacht  und  war  in  London  auf  Grund  seiner  ausgezeichneten 
anatomischen  Präparate  Mitglied  der  Königlichen  Gesellschaft  ge- 
worden. Eben  als  Präparator,  in  virtuoser  Ausbildung  der  mikro- 
skopisch-histologischen  Technik  und  Methode,  ist  er  in  seiner  Zeit 
und  noch  auf  lange  unübertroöen  gewesen.  Verewigt  hat  ihn  in 
der  Wissenschaft  die  Abhandlung  über  die  Darmzotten  (»De  fabrica 
et  actione  villorum  intestinorum  tenuium«  1745);  die  hiervon  ihm 
zuerst  beschriebenen  drüsigen  Organe  tragen  noch  heute  seinen 
Namen^.  Seine  Gefässinjectionspräparate,  für  deren  Studium  er 
zugleich  besondere  Mikroskope  construirte,  waren  in  der  ganzen 
anatomischen  W^elt  berühmt.  Hätte  er  LI  aller  in  Berlin  zum 
Collegen  erhalten,  so  hätte  sich  keine  andere  medicinische  Anstalt 
mit  der  Berliner  Akademie  messen  können;  allein  der  grosse  Göttinger 
Physiolog  Hess  sich  nicht  bestimmen,  dem  Rufe  zu  folgen  (s.  oben 
S.  324).  Statt  seiner  kam  sein  tüchtiger  Schüler  J.  F.  Meckel,  der, 
zwar  dem  Meister  an  Bedeutung  nicht  gleich,  doch  die  anatomische 
Wissenschaft  durch  schöne  Entdeckungen  auf  dem  Gebiete  des  peri- 
pheren Nervensystems  bereichert  hat  (Ganglion  [spheno  palatinum] 
Meckelii;  Ganglion  submaxillare :  »Nova  experimenta  de  finibus  ve- 
narum  et  vasorum  lymphat. «).    Ihm  folgte  an  der  Akademie  Walter, 


^    Siehe  Memoires  1767  p.  3ff. 

^    Hess  in  der  AUg.  Deutschen  Biographie  Bd.  9  S.  2 24 f. 

^  Wie  zahh'eich  sind  überhaupt  die  Entdeckungen  oder  Theoreme,  die  bis 
heute  mit  dem  Namen  von  fridericianischen  Akademikern  (Lieberkün,  ]Meckel,  Pott, 
Euler,  Lagrange,  Lajibert  u.  s.  w.)  benannt  werden! 


444  Die  wissenscliaftliclie  Bedeutung  der  Akademie   Friedrich's  II. 

Lieberkühn's  und  Meckel's  Schüler,  der  eine  anatomische  Sammlung 
im  grössten  Stil  anlegte  und  sich  so  um  den  anatomischen  Unter- 
richt hoch  verdient  gemacht  hat.  Johannes  Müller  rühmt  von  ihm': 
«Walter  war  als  praktischer  Anatom  unübertrefflich  gewesen,  und 
auch  durch  seine  Schriften  nimmt  (^r  den  Rang  unter  den  ersten 
Anatomen  ein;  aber  die  mikroskopische  Anatomie  war  ihm  fremd 
geblieben;  er  hatte  so  viel  mit  blossen  Augen  geleistet,  dass  er 
die  Anatomie  beinahe  für   vollendet  hielt«. 

Überblickt  man  alle  diese  Entdeckungen  und  Arbeiten  der  Ma- 
thematiker, Physiker,  Chemiker,  Astronomen ,  Botaniker  und  Ana- 
tomen der  Akademie,  die  in  der  kurzen  Spanne  von  vier  Jahrzehnten 
hervorgetreten  sind,  so  wird  man  sagen  dürfen,  dass  die  Königlich 
Preussische  Akademie  in  Hinsicht  auf  die  Naturwissenschaften  an 
der  Spitze  der  wissenschaftlichen  Bewegung  gestanden  hat  und 
von   keiner  anderen  Akademie   übertroffen   worden  ist. 

Nicht  das  Gleiche  gilt  von  den  speculativ-philosophischen,  den 
philologischen  und  den  historischen  Fachwissenschaften".    Die  hohe 


^  Gedenkrede  auf  Rudolphi  (Abb.  d.  K.  Preuss.  Akad.  d.Wiss.  1835  p.  XXI). 
RuDüLPiu  selbst  hat  die  WALTEn'sche  anatomische  Sammhing  tilso  gepriesen  (Abb. 
d.  K.  Preuss.  Akad.  d.Wiss.  1820/21  p.  Xlf.):  »In  Deutschland  ist  kein  Cabinet,  das 
mit  ihr  vergbchen  werden  könnte,  in  Holland  eben  so  wenig.  Peter  Camper's 
und  Beugman's  Sammlungen  dürfen  nämlich  nicht  genannt  werden,  da  ich  nur  von 
menschlicher  Anatomie  rede.  In  Frankreich,  in  Italien  ist  kein  Cabinet  von  dem 
Umfang.  In  England  bin  ich  nicht  gewesen,  allein  Alles,  was  uns  von  sehr  glaub- 
würdigen Mäiuiei-n  iiber  das  HuNiER'sche  Museum  gesagt  ist,  spricht  dafür,  dass 
diese  sehr  geistreich  angelegte  Sammlung  für  menschliche  Anatomie  bei  Weitem  das 
nicht  enthält". 

-  Das  hat  schon  Garve  in  seiner  schönen  Abhandlung:  »Sur  Tutilite  des 
Academies«  bemei'kt  und  mit  Freimuth  in  den  IMemoires  geäussei"t  (1788/89  ]).466): 
»Les  Academies  ou  les  societes  litteraires  n'ont  produit  des  ouvi*ages  superieiu's  a 
ceux  des  auteurs  vivants  isoles  que  dans  les  mathematiques  et  la  philosophie  natu- 
relle. Les  transactions  de  la  Societe  Roj'ale  de  Londres,  les  Memoires  de  l'Acade- 
mie  des  Sciences  de  Paris  n'ont  jamais  ete.  meme  dans  leur  epoque  la  jjlus  bril- 
lante, (jue  des  depots  ju'ecieux  povu'  les  mathematiciens  et  les  physiciens.  Le  calcul 
et  l'histoire  naturelle  ont  le  plus  gagne  aux  travaux  reunis  de  ces  societes.  Les 
grands  oiivrages  philosophiques  ne  sont  pas  sortis  de  leur  sein.  On  recourt  rare- 
ment  a  ces  recueils  pour  la  Solution  des  problemes  que  presentent  la  morale  et  la 
nature  de  l'homme.  Des  hommes  de  genie  ont  siege  dans  l'Academie  frangaise, 
et  avant  d'y  etre  admis  ils  avaient  public  des  ouvrages  de  goüt  dont  le  merite  est 
generalement  reconnu.  mais  l'Academie  en  corps  n'a  jamais  donne  naissance  ä  un 
ouvrage  de  ce  gem-e  .  .  .  Le  genie  ne  se  communique  par  aucune  espece  d'associa- 
tion«.  Dieselbe  Betrachtung,  nur  pointirter  und  bilderreicher  ausgedrückt,  stellt 
auch  Schleiermacher  an  in  der  Einleitung  zu  der  ersten  Abhandlung,  die  er  in  der 
Akademie  gelesen  hat  (Abhandlungen  1804/11,  Philosophische  Klasse  S.79f.). 


Die  Pliilosoplien  der  Akadeniie  (der  Eklekticismus).  445 

Bedeutung,  welche  die  Akadeniie  auch  hier  geliaLt  hat,  liegt  ganz 
wesentlich  in  jenen  Wirkungen,  die  oben  S.  4260*.  beschrieben 
worden  sind.  Eine  geistesmächtige  Schrift,  eine  epochemachende 
Al)handlung,  deren  Gedächtniss  bis  heute  fortwirkt,  ist  in  den  ge- 
nannten Wissenschaften  von  keinem  Akademiker,  weder  von  einem 
deutschen,  noch  von  einem  schweizerischen,  noch  von  einem  fran- 
zösischen geschrieben  worden  —  mit  Ausnahme  der  bereits  be- 
sprochenen Arbeiten  von  Lambert.  Weder  Kant  noch  Herder, 
weder  Winckelmann  noch  Lessing,  auch  nicht  Montesquieu  oder 
Voltaire  haben  Beiträge  für  die  Memoires  der  Akademie  geliefert. 
Blicken ,  wir  zunächst  auf  die  speculative  Philosophie.  In  fast 
zahllosen  Abhandlungen  und  Schriften  haben  Heinius\  Formey,  Be- 
guelin"'.  Sülzer,  Merian,  Pernety,  Premontval ,  Castillon,  Cochius, 
Beausobre,  Moulines,  Prevost  und  Andere  philosophische  Einzelfra- 
gen aus  den  verschiedenen  Disciplinen  erörtert.  Vor  allem  war  es  der 
Gegensatz  der  Leibnizianer  (Wolffianer)  und  der  Anhänger  Newton's 
und  Locke's,  der  neben  Vermittelungsversuchen  in  den  Arbeiten  zum 
Ausdruck  kommt ^.  Zuerst,  solange  Maupertuis  regierte,  hatten  die 
Newtonianer  die  Oberhand;  aber  sie  waren  bereits  Eklektiker.  Dann 
drängte  sich  unter  Sulzer's  Einlluss  der  Wolffianismus  wieder  vor, 
aber  auch  nicht  der  strenge  Wolffianismus,  sondern  in  eklektischer 
Haltung.  Endlich  machte  man  aus  der  Noth  eine 'Tugend  und  erklärte 
mit  Merian,  der  von  Maupertuis  und  den  Engländern  ausgegangen 
war:  » L'Eclecticisme  est  la  seule  secte  ou  non-secte,  qui  doive  res- 
pirer  dans  une  academie«,  oder  man  pries  sich  selbst  mit  F.  An- 
cillon:  "Cette  Academie  s"est  toujours  preservee  de  la  contagion  des 
systemes,  par  l'esprit  d'independance  et  d'examen,  par  cet  esjDrit 
philosophitiue  qui  est  plus  precieux  que  la  philosophie  eile -meine«. 
Diese  eklektische  Haltung  in  der  Philosophie,  mit  scharfer  Abweisung 
der  materialistischen,  mit  principieller  Zustimmung  zur  empirischen 
Methode,  aber  mit  dogmatischen  Vorbehalten,  charakterisirt  die 
letzten  zehn  Jahre  der  fridericianischen  Akademie,  und  wir  werden 
sie  auch  in  der  Folgezeit  fortwirken  sehen.  Gewiss  ist  etwas  Wahres 
an  dem  Satze,   dass  eine  Akademie  sich  mit  keinem  philosophischen 


^  Er  hat  ausschliesslich  Probleme  aus  der  Gescldchte  der  griechischen  Philo- 
sophie behandelt. 

-  Er  hat  ausserdem  eine  grosse  Anzahl  meteorologischer  Beol)achtungen  ver- 
öffentlicht. 

^  Eine  Kritik  des  S])inozismus  vei'öffentlichte  de  Jariges  (Meni.  1745  p.  121  ff. 
1746  p.  295  ff.). 


446  Die  wisseiiscliaftliclie  Bcdciilunq,-  der  Ak;ulriui(;  FRiicDRrcn's  II. 

System  idcntificiron  soll;  allein  weder  darf  diese  Regel  unter  allen 
Umständen  gelten,  nocdi  ist  sie  ohne  bedenkliche  Folgen.  Wo  der 
Eklekticismus  zum  Princip  erlioben  wird,  da  geräth  die  Philosophie 
in  Gefahr,  ihren  wissenschaftlichen .  Charakter  zu  verlieren  und  in 
die  » Beiles -Lettres«  überzugehen  wie  bei  Cicero,  und  die  eklekti- 
schen Philosophen  werden  von  den  Wogen  der  wirklichen  und 
ernsthaften  ])hilosophischen  Bewegung  an  den  Strand  geworfen.  In 
der  That,  etwas  Ahnliches  ereignete  sich  mit  den  Philosophen 
der  Berliner  Akademie ,  wenn  die  Folgen  auch  erst  an  der  Wende 
des  Jahrhunderts  offen  zu  Tage  traten.  Sie  schrieben  ihre  umsich- 
tigen ,  klaren ,  vorsichtig  abwägenden  und  räsonnablen  Abhandlungen 
in  französischer  Sprache  weiter  fort^  und  sahen  sich  auf  einmal 
durch  Kant  und  seine  Schüler  auf's  Trockene  gesetzt.  Nachdem 
ihre  Bemühungen,  die  wir  oben  als  epochemachend  bezeichnet 
haben,  ihr  Ziel  wesentlich  erreicht  hatten,  die  Erziehung  eines 
vorurtheilslosen ,  für  geistige  Fragen  aufgeschlossenen  Publicums, 
nachdem  mit  durch  ihr  Verdienst  Superstition  und  Pedanterie  zu- 
rückgedrängt waren,  wurden  sie  selbst  überflüssig.  Die  Art  Philo- 
sophie, welche  sie  gepflegt  hatten,  wurde  von  einer  höher  ge- 
stimmten und  tiefer  forschenden  Wissenschaft  abgelöst.  Mochte  auch 
der  Eklekticismus  ihr  gegenüber  in  wichtigen  Hauptpunkten  im  Rechte 
sein  —  er  bohrte  nicht  tief  genug  und  wandte  sich  nicht,  wie  die 
neue  Philosophie,   an   den   ganzen  Menschen". 


^  In  der  Geschichte  der  französischen  Philosophie  und  Litteratur  haben  sie 
eine  Stelle  behalten  (s.  die  Werke  von  Villewain  und  Cousin),  aber  in  den  deut- 
sclien  Darstellungen  der  Geschichte  der  Philosophie  werden  sie  kaum  genannt. 

^  Das  Vorurtheil  aber  ist  aufzugeben,  als  hätte  der  französische  Geist  in  den 
philosophischen  Bemühungen  der  Akademie  geherrscht.  Nur  die  SjDrache  war  fran- 
zösisch; in  der  Sache  regierte  die  deutsche  Philosophie,  die  mit  aufgeschlossenem 
Sinn  der  schottischen,  englischen  und  französischen  Bewegung  folgte.  »Vielleicht 
war  es  das  Charaktei'istische" ,  sagt  Trendelenburg  (Monatsberichte  i.  Juli  1852) 
mit  Recht,  »dass  sich  in  der  Berliner  Akademie  die  Philosophieen  der  fremden  Nationen 
begegneten,  die  Philosophie  Neavton's  undLEiBNizens,  Christian  Wolff's  undLocKE's, 
Gedanken  des  Helvetius  und  Adam  Sbiith.  Wenn  in  ihrer  Mitte  diese  entgegen- 
gesetzten Auffassungen  zum  Austrag  gebracht  wurden,  so  erfüllte  darin  die  Akademie 
den  Beruf  einer  universellen  Wirksamkeit,  den  Beruf  einer  über  die  Grenzen  des 
Nationalen  hinausgehenden  Verständigimg.  Man  sieht  dies  am  deutlichsten,  wenn 
man  die  Männer,  welche  an  den  ^philosophischen  x\rbeiten  der  Akademie  Theil  hatten, 
nach  ihren  Richtungen  gru])pirt.  Die  Vertreter  der  eigentlich  französischen  Philo- 
sopliie  sind  nur  ein  kleiner  Bruchtheil  des  Ganzen.  Die  Arbeiten  der  Akademie 
standen  nicht  selten  in  einem  geraden  Gegensatz  gegen  die  von  Frankreich  kom- 
menden iMeinungeii".  »Fi'anzösische«  PhilosojDhen  waren  La  Mettrie,  d'Argens  — ■ 
ül)er  den  ^''oLTAIRE  spottete,    er   nehme   bisweilen    schon   seine   fünf  Sinne  für  den 


FORMEY,    SuLZER    UIkI    ^MeRIAX.  44/ 

Unter  solchen  Umständen  ist  es  eine  Menig  lohnende  Aufgabe, 
dem  Einzelnen  hier  nachzugehen.  Was  sich  selbst  in  seinen  Wir- 
kungen erschöpft,  was  nur  als  Gesammterscheinung  eine  Bedeutung 
besessen  hat  —  soll  man  es  in  seine  Bestandtheile  zerlegen?  Dazu, 
Avas  sich  hier  leisten  lässt,  ist  bereits  in  der  »Histoire  philosophique 
de  l'Academie  de  Prusse  depuis  Leibniz  jusqu'ä  Schelling,  particu- 
lierement  sous  Frederic -le- Grand«  von  Bartholmess  mit  so  viel  Hin- 
gebung und  Fleiss  und  mit  so  viel  Wohlwollen  und  Liebe  geleistet 
worden,  dass  es  völlig  überflüssig  wäre,  hier  noch  ein  Wort  hinzu- 
zufügen. Bartholmess  als  Deutsch-Franzose  der  Akademie  Friedrich's 
verwandt,  als  eklektischer  Philosoph  mit  den  Philosophen  der  Aka- 
demie empfindend,  ausgezeichnet  unterrichtet  in  der  Geschichte  der 
geistigen  Bewegungen  des  i8.  Jahrhunderts,  hat  in  seiner  »Histoire« 
den  Weltweisen  Friedrich's  ein  Denkmal  voll  Anerkennung  und  Pietät 
gesetzt.  Jedem  Einzelnen  ist  er  nachgegangen,  selbst  den  Philo- 
sophen und  philosophischen  Belletristen  zweiten  und  dritten  Ranges, 
und  hat  sich  bemüht,  die  Gedanken  und  die  Eigenthümlichkeiten  jener 
Eklektiker  darzulegen.  Man  möchte  fast  sagen,  die  Bedeutung  der 
Sache  selbst  entspreche  nicht  ganz  der  Grösse  und  feinen  Ausführung 
des  Monuments,  das  er  aufgerichtet  hat.  Jedenfalls  ist  ein  zweites 
Denkmal  für  immer  überflüssig. 

Doch  aus  der  grossen  Anzahl  der  Philosophen  und  Belletristen 
mögen  wenigstens  drei,  die  in  der  Geschichte  der  Akademie  eine 
hervorragende  Rolle  gespielt  haben,  mit  einigen  Strichen  charak- 
terisirt  werden,   Forme y,    Sulzer  und  Merian'. 

Von  FoRMEY  (geb.  zu  Berlin  den  31.  Mai  171 1,  gest.  den  S.März 
1797)  ist  schon  wiederholt  die  Rede  gewesen,  und  was  über  ihn 
gesagt  wurde,  konnte  nicht  günstig  lauten.  Fast  von  der  Reor- 
ganisation der  Akademie  an  ist  er  ihr  ständiger  Secretar  gewesen, 


Menschenverstand — ■  und,  wenigstens  nach  einer  Seite,  der  König.  Aber  Fried- 
rich's specielle  Philosophie  hat  auf  die  Akademie  einen  geringen  EinÜuss  ausgeübt. 
^  Über  Formet  vergl.  Bartholjiess  T.  I  p.  361  ff.  und  AUg.  Deutsche  Biograpliie 
Bd.  7  S.  i56f. ;  über  Sulzer  Bartholmess  II  p.  yyff.  und  Allg.  Deutsche  Biographie 
Bd.  37  S.  i44ff. ,  dazu  seine  Lebensbeschreibung  von  ihm  selbst  aufgesetzt,  herausge- 
geben von  Merian  und  Nicolai,  Berlin  1809,  und  das  Werk  «Hirzel  an  Gleim  über 
Sulzer  den  Weltweisen«.  2  Bde.  1779;  über  Meriax  Bartholmess  II  p.  32ff.  und 
Allg.  Deutsche  Biographie  Bd.  2 1  S. 428  ff.  Bartholbiess  handelt  ausserdem  im  2.  Band 
von  Beguelin,  A.  Achard,  de  Jariges,  Heinius,  L.  de  Beausobre,  d'Anieres,  d'Ar- 
gexs,  Francheville,  Moulines,  Bitaube,  Borrelly,  Dexixa,  Thiebault,  Toussaint, 
de  Catt,  Pernety,  Weguelin,  Castillon  und  Premoxtval.  Über  alle  diese  Ge- 
lehrten und  Litteraten  findet  man  auch  kurze  Nachrichten  bei  Dexixa.  La  Prusse 
litteraire  sous  Frederic  IL,   3  Bände,  Berlin  1790 f. 


448  Die  wissenschaftliche  Bedeutung  der  Akademie  Friedru'ii"s  IL 

bliel)  es  über  den  Tod  Friedrich's  hinaus  und  wurde  sogar  nocli  im 
Jahre  1788  Director  der  philosophischen  Klasse.  Als  Seeretar  hat 
er  etwa  vierzig  Eloges  verstorbener  Akademiker  gehalten  und  in  die 
Abhandlungen  der  Akademie  eingerückt;  ausserdem  aber  noch  zahl- 
reiche andere  verfasst,  die  ausserhalb  der  Mcmoires  erschienen  sind\ 
Dazu  hat  er  die  officiellen  Reden  an  den  Festtagen  der  Akademie 
gehalten  und  etwa  dreissig  Abhandlungen  für  die  Memoires  geschrie- 
ben. Allein  diese  Arbeiten  verschwinden  hinter  einer  Fülle  von 
selbständig  erschienenen  Werken,  xArtikeln,  Aufsätzen  u.  s.  w.,  die 
er  in  die  Welt  gesetzt  hat.  Er  rivalisirte  nicht  nur  mit  Euler  und 
Lambert  an  litterarischer  Fruchtbarkeit,  er  übertraf  sie  noch  weit". 
Aber  leider  entsprach,  im  Gegensatz  zu  Euler,  der  Inhalt  nicht  der 
überwältigenden  und  anspruchsvollen  Production.  Schon  die  Zeit- 
genossen wussten,  dass  er  um  des  Geldes  willen  schrieb,  Jahre  hin- 
durch täglich  einen  Bogen,  und  dafür  seinen  Ducaten  einstrich^.  Von 
Haus  aus  orthodoxer  reformirter  Theologe ,  schloss  er  sich  schon 
frühe  der  WoLFF'schen  Philosophie  an,  und  nachdem  er  seine  »Belle 
Wolffienne«  in  6  Bänden  1741  —  53  geschrieben  hatte,  glaubte  er 
in  den  Stand  gesetzt  zu  sein,  sich  spielend  über  alle  möglichen 
Fragen  zu  verbreiten  und  als  vernünftiger  Supranatm-alist ,  der  ver- 
ächtlich auf  die  scholastische  Orthodoxie ,  aber  auch  auf  die  Em- 
piriker, herabsah,  alle  abweichenden  geistigen  Erscheiimngen  seines 
Zeitalters  zu  kritisiren  und  mit  breiten  Bettelsuppen  das  Publikum 
zu  speisen^.  So  hat  er  gegen  DmEROx  sein  System  du  vrai  bon- 
heur  (1750  f.)  und  gegen  Rousseau  den  kläglichen  Anti- Emile  (1763) 
geschrieben.  Ein  unbedeutender  Philosoph,  ein  recht  mangelhafter 
Stilist,  konnte  er  immerhin  Leichtigkeit  und  Flüssigkeit  in  der 
Stoffbehandlung  lehren  —  in  dieser  Richtung  soll  sein  Einfluss 
nicht  unterschätzt  werden  —  und  sein  grosses  Vorbild  Fontenelle 
immer  auf's  Neue  re^^roduciren.    Maupertuls  mochte  ihn  im  Grunde 


^  Diese  Eloges,  die  alle  nach  einem  Stile  gearbeitet  sind,  bieten  keine  an- 
ziehende Leetüre;  immerhin  aber  bleibt  es  ein  gewisses  Vei-dienst  Formey's,  in  seinen 
Lobreden  das  Andenken  an  verdiente  Männer  erhalten  zu  liaben. 

^    Bartholmess  veranschlagt  die   »Werken   Formey's   auf  etwa  600  Bände. 

^  "Travailler  uniquement  pour  l'honneur«,  sagt  selbst  der  milde  Bartholmess 
I  p.  365  von  ihm,   »ce  lui  semblait  sacrifier  ä  une  gloriole  risible«. 

*  Bartholmess  (a.  a.  0.)  sagt:  «Tous  ses  ecrits,  ceux  meme  011  la  legerete 
etait  convenable,  se  sentent  de  la  meme  precipitation.  A  ce  defaut  si  sensible 
tenaient  d'autres  travers,  tels  qu'un  assez  mauvais  ton,  une  certaine  absence  de 
taet  et  de  delicatesse,  une  sorte  de  petulance  parfois  etourdissante»,  und  er  spricht 
von  Formey's  «manie  de  la  polygraphie,  qu'il  attaquait  chez  tout  le  monde ,  excepte 
chez  lui -meme". 


FORMEY.  449 

nic'lit  und  der  König  nocli  weniger;  aber  man  liatte  ihn  nun  einmal 
und  Hess  ihn  walten.  Dadurch  aber  erhielt  er,  namentlicli  im  Ausland, 
ein  Ansehen,  zu  dem  seine  wirkliche  Bedeutung  in  keinem  A^erhält- 
niss  stand.  Das  steigerte  sein  Selbstbewusstsein  ganz  ungemessen 
und  befestigte  in  ilmi  mehr  und  mehr  die  Überzeugung,  die  durch 
wohlfeile  Schmeicheleien  seiner  Correspondenten  genährt  -wurde, 
dass  er  recht  eigentlich  die  Säule  der  Akademie  sei.  Solche  nicht 
seltene  Einl)ildung  subalterner  Naturen  in  büreaukratisch  wichtigen 
Stellungen  wäre  noch"  erträglich  gewesen,  Avenn  der  Mann  ehrlich 
und  zuverlässig  gewesen  wäre.  Allein,  obgleich  er  sich  auf  sein 
Christenthum  viel  zu  gut  that  und  sich  berufen  glaubte,  gegenüber 
den  Einllüssen  des  Königs  und  seines  Kreises  die  Rolle  des  Apo- 
logeten zu  spielen,  Hess  er  es  an  Charakterfestigkeit  und  edlem 
Sinn  nur  zu  sehr  fehlen.  Bei  Abstimmungen  war  er  unberechenbar 
(s.  oben  sein  Verhalten  bei  der  Abstimmung  über  die  Preisaufgabe 
Pope-Leibniz),  und  alle  kleinlichen  und  abstossenden  Züge  seines 
Wesens  zusammen  mit  einer  lächerlichen  Eitelkeit  hat  er  dem  Publi- 
cum selbst  zur  Schau  gestellt  in  seinen  zwei  Bänden  »vSouvenirs  d"un 
citoyen«,  die  er  drei  Jahre  nach  dem  Tode  des  grossen  Königs  ver- 
öffentlicht hat.  In  diesen  »Erinnerungen«  schreibt  er  wie  ein  Kammer- 
diener, der  mit  zahlreichen  vornehmen  Personen  Verbindungen  ge- 
habt hat,  bald  schlecht  behandelt,  bald  gut  belohnt  Avorden  ist,  und 
der  nun  nach  dem  Tode  seines  Brotherrn  mit  seinen  Verbindungen 
prahlt  und  sich  zugleich  durcli  Ausplaudern  zahlreicher  Geschicht- 
chen und  durch  boshafte  Mittheilungen  rächt.  Auch  nicht  eine  Zeile  auf 
diesen  7—800  Seiten,  die  beweist,  dass  ihr  Verfasser  wirkliche  Grösse, 
auf  welchem  GeT)iet  nur  immer,  zu  empfinden  vermocht  hat.  Fünf 
Dutzend  Eloges  hat  dieser  Schriftsteller  verfasst,  darunter  solche  auf 
die  würdigsten  und  grössten  Männer  des  Zeitalters ,  und  ist  doch 
ganz  ohne  Gefühl  für  das  Ausgezeichnete  geblieben,  ein  Hand- 
werker, der  Lol)reden  verfasst  hat,  weil  es  einmal  sein  Metier 
war!  Schlimm  spielte  er  auch  Friedrich  IL  mit\  versteckte  aber 
sein  übelwollen  hinter  allerlei  Malicen  und  Zweideutigkeiten.  Dass  er 
sich  in  seinem  langen  Leben  und  durch  fortgesetzte  litterarische 
Beschäftigung  ein  umfangreiches  encyklopädisches  Wissen  erworben 


^  Gegen  die  Behandlung  des  grossen  Königs  in  diesen  »Souvenirs«  erschien 
sehr  bald  eine  anonyme  (J.  Ch.  Laveaux)  Gegenschrift,  französisch  und  deutsch: 
»Vertheidigung  Friedrich's  IL.  Voltaire's,  Rousseau's,  d'Alejibert's  und  der  Aka- 
demie zu  Berlin  gegen  die  Beschuldigungen  des  beständigen  Secretars  derselben 
oder  Herr  Formey  din-ch  sich  selbst  geschildert«  (die  deutsche  Ausgabe  Leipzig  1790). 
Gescliichte  der  Akademie.    L  29 


450  Die  wissenscliartliclie  Bedeutung  der  Akademie  Fiuedhicii's  II. 

hat,  oder  vielmehr,  dass  er  von  Allem  wusste,  ist  wohl  verständ- 
lich und  kann  ihm  nicht  als  Verdienst  angerechnet  werden.  Führte 
er  doch  die  akademische  Correspondenz  und  stand  in  so  zahlreichen 
litterarischen  Beziehungen ,  wie  sie  vor  ihm  nur  Leibniz  besessen 
hat\  Aber  wenn  Büsching  behauptet:  »Formey  übertraf  alle  an  Ge- 
lehrsamkeit'«, so  fragt  es  sich,  w^as  man  unter  »Gelehrsamkeit« 
verstellt.  Wie  mangelhaft,  oberflächlich  und  parteiisch  er  gearbeitet 
hat,  zeigt  seine  zum  fünfzigjährigen  Jubiläum  der  Akademie  heraus- 
gegebene »Histoire«  jedem  Kundigen.  Die  Wünsche  eines  eben 
zum  Denken  reifenden  grossen  Publicums  hat  er  wohl  zu  be- 
rechnen verstanden,  und  so  sind  einige  seiner  Werke  wiederholt 
aufgelegt  und  als  Werke  des  Secretars  der  Preussischen  Akademie 
auch  in  fremde  Sprachen  übersetzt  worden.  Wenn  ihm  aber  Bar- 
THOLMESS  in  seinen  Schriften  «un  sens  droit  et  ferme,  un  esprit 
naturellement  libre  et  gai,  mais  surtout  un  caractere  sincere  et 
franc,  toujours  aimable  et  doux,  et  aussi  modere  qu'obligeant« 
nachrühmt,  so  vergisst  er,  was  er  einige  Seiten  vorher  selbst  ge- 
schrieben, und  vergisst  ausserdem,  dass  Formey  sich  einer  Sprache 
bediente,  die  für  ihn  dachte  und  seinen  Productionen  Eigenschaften 
verlieh ,  die  der  Autor  nicht  besass.  Er  hat  sich  sehr  frühe  schon, 
als  es  andern  noch  scliwer  fiel,  mit  einigem  Geschick  —  frei- 
lich nicht  selten  fällt  ihm  die  Maske  ab,  und  der  Gascogner  er- 
scheint —  an  den  Ton  der  vornehmen  französischen  Schriftsteller 
und  Gelehrten  anempfunden  und  täuschte  damit  über  sein  eigenes 
Können,  wie  er  durch  seine  Vielwisserei  und  seine  Correspondenz 
über  sein  Wissen  täuschte.  Dass  die  Akademie  durch  diesen  ihren 
Secretar  in  ihrem  Zustande  und  in  ihrem  Ansehen  nicht  empfind- 
licher geschädigt  worden  ist,  verdankt  sie  ihrer  Verfassung  und 
dem  Umstände,   dass  sie   wirkliche  Grössen  besass^. 


'  Sein  Nachlass  unifasste  mehr  als  20000  nn  ihn  gerichtete  Briefe  (Merian 
fügte  hinzu,  im  Ganzen  dürfe  man  mindestens  40000  annehmen)  und  zeigte,  dass 
er  mit  mehr  als  fünfzig  Buchhändlern  in  Verbindimg  gestanden   hat. 

^    Büsching,  Charakter  Friedrich's  IL  (Halle  1788)  S.  74. 

^  Das  Eloge  Merian's  auf  Formey  (Mem.  1788/89  p.49  — 82),  —  die  Akademie- 
Schriften  enthalten  nur  wenige,  die  so  umfangreich  sind  —  verhehlt  dem  Kundigen 
nicht ,  dass  der  berühmte  Mann  vor  allem  als  virtuoser  Journalist  zu  beurtheilen  ist. 
Als  ein  Hauptverdienst  wird  sodann  hervorgehoben,  dass  er  der  Erste  gewesen, 
welcher  die  WoLFF'sche  Philosophie  in  französischer  Sprache  behandelt  und  da- 
durch in  die  grosse  Welt  eingeführt  hat.  Mit  feiner  Ironie  spricht  Merian  über 
das  sechsbändige  Werk  »La  Belle  Wolffienne«.  Um  Kant,  erfahren  wir  beiläufig, 
hat  sich  Formey  nie  gekümmert;  wie  so  viele  aus  der  »Confrerie  Wolffienne« 
ignorirte  er  ihn  einfach.     Von  seinen   selbständigen   philosophischen  x\bhandlu7igen 


Sulzer.  451 

Von  ganz  anderem  Schlage  als  Fokmey  waren  Sulzer  und  Merian, 
obgleich  auch  sie  heute  zu  den  fast  Vergessenen  gehören.  Sulzer  (geb. 
den  lö.October  1720,  gest.  den  27.  Februar  1779),  das  fünf'undzwan- 
zigste  Kind  eines  AVinterthurer  Rathsherrn,  hatte  in  demBoDMER-ßREi- 
TiNGER'schen  Kreise  in  Zürich  die  Grundlagen  seiner  Bildung  empfan- 
gen, sich  als  junger  Prediger  mit  der  WoLFp'schen  Physikotheologie 
vertraut  gemacht  und  ist  niemals  über  die  hier  empfangenen  An- 
regungen wirklich  hinausgewachsen.  Durch  Beziehungen,  die  er  in 
Magdeburg,  wo  er  als  Hofmeister  weilte,  zu  dem  Hofprediger  Sack 
gcAvonnen  hatte,  kam  er  als  Lehrer  an  das  Joachimsthalsche  Gym- 
nasium, und  zwar  als  Mathematiker  (1747).  Von  Maupertuls  und 
Euler  war  ihm  die  Aufnahme  in  die  Akademie  versprochen  wor- 
den, aber  sie  verzögerte  sich;  denn  Sulzer  machte  aus  seinem 
Wolffianismus  kein  Hehl  und  verscherzte  dadurch  das  Wohlwollen 
Maupertuls"  wieder.  Allein  im  Jahre  1750  wurde  seine  Aufnahme 
durchgesetzt,  und  bald  war  er  neben  Heinius  der  Führer  der 
Wolffianer  in  der  Akademie.  Er  setzte  die  Beziehungen  zu  seinen 
Schweizer  Landsleuten  rege  fort,  und  sein  Bestreben,  die  Besten 
unter  ihnen  nach  Berlin  zu  ziehen ,  traf  mit  der  Vorliebe  Maupertuis' 
für  sie  zusammen.  Seine  Bedeutung  für  Preussen  und  die  Akademie 
ist  in  einer  doppelten  Richtung  zu  suchen:  in  beiden  bewährte  er 
sich  als  ein  energischer  und  zäher  Mann,  der  das  auch  durchsetzen 
wollte,  was  ihm  recht  und  heilsam  schien.  Erstlich  war  er  ein  hervor- 
ragender Paedagog ,  der  der  herrschenden  Schulweisheit  und  der  pae- 
dagogischen  Hülflosigkeit  gegenüber  gesundere  Grundsätze  als  Orga- 
nisator und  Lehrer  vertrat  \  Sodann  war  er  der  überzeugteste  und 
thätigste  Anhänger  der  litterarischen  und  philosophischen  Aufklärung 
in  der  Combination  Breitinger-Wolff  und  verstand  es,  diesen  Stand- 


sagt Merian,  dass  Klarheit,  Pi'äcision  und  ein  coulanter  Stil  ihr  Hauptverdienst 
gewesen  seien.  Dass  Formey  eine  Reihe  trefflicher  Eigenschaften  für  das  Amt 
eines  Secretars  besessen  habe,  wird  anerkannt;  aber  es  sind  nicht  die  höchsten 
Eigenschaften,  die  Meriax  (p.  72)  nennt.  Seine  i> immense«  Correspondenz,  fährt 
er  fort,  benutzte  Forjiey,  um  die  Journale,  die  er  herausgab,  zu  speisen,  und  er 
scheut  sich  nicht,  Algarotii's  witzige  Bemerkung  wiederzugeben,  Formey  sei  ein 
überall  accreditirter  Banquier,  «qui  influe  partout  sur  la  hausse  et  la  baisse  des 
papiers  de  change  et  des  actions,  et  sur  tout  ce  qui  se  transige  dans  le  monde 
commergant".  Unbedingt  lobt  Merian  nur  die  Eloges  Formey's  —  das  ist  wohl 
verständlich;  denn  er  selbst  war  sein  Nachfolger  und  sollte  es  besser  machen.  Am 
Schlüsse  preist  er  ihn  als  einen  der  glücklichsten  Menschen ,  dem  auch  ein  sanfter 
Tod  beschieden  gewesen  sei. 

'    Dem    verantwortungsvollen    Amte    eines    Visitators    des    Joachimsthalschen 
Gymnasiums  hat  er  sich  allerdings  nicht  gewachsen  gezeigt. 

29* 


452  nie  wissenscliaftliche  Bedeutung  der  Akademie  Friedrich's  II. 

puiikt  in  gut  geschriebenen  und  viel  gelesenen  Schriften  zu  vertreten. 
Dadurch  gab  er  den  Berlinern  Ramler,  Mendelssohn,  Lessing  und 
Nicolai  zunächst  einen  Rückhalt,  der  noch  fortwirkte,  als  sie  über 
den  didaktischen  Schweizer  Aufklärer  —  und  zwar  bald  —  hinaus- 
wuchsen: Mendelssohn  hat  ihn  stets  mit  hohem  Respect  behandelt, 
und  in  dem  Streite  über  Leibniz -Pope  waren  sie  seine  Bundesgenossen. 
»Sulzer  hat  die  Verdienste  des  unsterblichen  Mannes,  Wolff's,  in  we- 
nigen Blättern  ganz  anders  anzuzeigen  gewusst,  als  der  vielschrei- 
bende Gottsched  in  seinen  Quartanten«,  rühmt  Mendelssohn  von  ihm\ 
In  der  That  hatte  Sulzer  in  den  15  Jahren  zwischen  1750  und  1765 
dem  norddeutschen  und  besonders  dem  Berliner  Publicum  Vieles  zu 
sagen  und  verstand  es  wirklich  zu  belehren.  Sein  einmal  gewonnenes 
Ansehen  blieb  ihm  erhalten,  ja  verstärkte  sich  noch  in  der  Folgezeit 
für  weitere  Kreise;  aber  er  selbst  schritt  nicht  fort.  Zwar  bewährte 
er  sich  stets  als  ein  für  die  verschiedensten  Gebiete  der  Erkenntniss 
aufgeschlossener  Kopf,  aber  als  ein  enger  Kopf,  und  als  in  den 
Jahren  i  771  —  1774  sein  Hauptwerk  »Allgemeine  Theorie  der  schönen 
Künste«  erschien  —  in  alphabetischer  Anordnung!  — ,  enttäuschte 
dieser  Nachzügler  strict  BoDMER'scher  Observanz  zwar  noch  niclit 
das  grosse  Publicum,  wohl  aber  alle  höher  vStrebenden.  Dass  die 
Hauptabsicht  der  schönen  Künste  auf  die  Erweckung  eines  lebhaften 
Gefühls  des  Wahren  und  Guten  gehe,  dass  der  letzte  Zweck  überall 
die  moralische  Verbesserung  sei,  dass  auch  die  Poesie  um  so  höher 
stehe,  je  didaktischer  sie  ist,  waren  Behauptungen,  die  bereits  über- 
wunden waren.  Lessing's  Ausführungen  existirten  für  Sulzer  nicht, 
und  den  Geist  eines  Herder  ahnte  er  noch  weniger.  »Nachdem  sich 
die  Wasser  der  epischen  Sündfluth  in  Deutschland  verlaufen,  so 
hätte  man  die  Trümmer  der  BoDMER'schen  Arche  auf  dem  Gebirge 
der  Andacht  weniger  Pilgrime  überlassen  können«,  spottete  der  junge 
Goethe.  Bereits  im  Jahrgang  1757  der  Memoires  hat  Sulzer  eine 
Analyse  des  »Genies«  veröffentlicht'^.  Er  definirt  es  als  das  Vermö- 
gen, sich  aller  erkennenden  Seelenkräfte  mit  Leichtigkeit  und  Ge- 
schicklichkeit bedienen  zu  können,  und  findet  dann ,  dass  zum  Genie 
erstlich  die  vivida  vis  animi,  die  Lust  zu  einer  Sache  gehöre,  so- 
dann drei  Stücke,  nämlich  Witz  und  Scharfsinnigkeit,  Beurtheilungs- 
kraft  und  —  Besonnenheit.  Kann  man  blinder  über  dieses  Thema 
reden  ?  Und  doch  hat  die  Abhandlung  einen  niclit  geringen  Eindruck 
gemacht   und    einen   Anstoss    gegeben,    der   sich    in    verschiedenen 

^    Gesammelte  Sclu-iften,  Bd.  4,   i   S.  572. 
2    P.  392 ff. 


SCLZER.  45  B 

Riclitungen  verfolgen  lässt.  In  den  Fragestellungen  und  in  der  räson- 
nal)len  und  anziehenden  Behandlung  der  höheren  psychologischen 
Probleme  liegt  das  eigentliche  A'erdienst  solcher  Philosophen  wie 
Sulzer.  Sie  haben  damit  das  Interesse  erweckt  und  weite  Kreise  aus 
dumpfer  Gedankenlosigkeit,  aus  Trägheit  und  Aberglauben  herausge- 
führt. Niemand  war  dazu  geeigneter  als  der  Schw^eizer  Philosoph  mit 
der  umfassenden  Bildung,  der  Zuverlässigkeit  des  Charakters,  der 
Liebenswürdigkeit  und  der  festen  Zuversicht,  dass  es  gelingen  müsse, 
die  Menschen  zu  bessern  und  zu  bekehren.  »Sulzer  den  Welt- 
weisen«, nannte  man  ihn  feierlich  nach  seinem  Tode,  ja,  verehrte 
ihn  in  manchen  Kreisen  fast  wie  einen  Heiligen.  »Ce  sage  si  ai- 
mable«  —  rief  Johannes  von  Müller  aus  — ,  »si  universel,  si  ver- 
tueux,  l'ornement  de  notre  nation,  n'est  plus!  ...  Sa  mort  de^'Tait 
instruire  les  materialistes.  Quoi!  Dien  eteindrait  a  jamais  un  genie 
qui  s'est  eleve  ä  un  tel  degre  de  perfection!  Quand  je  pense  k 
I'esprit  de  Sulzer,  ä  sa  figure,  ä  sa  serenite,  ä  son  coeur,  a  son 
amabilite,  oh,  combien  alors  j'aime  davantage  les  sciences  et  la 
vertu\«  »Seine  Yertheidigung  »Gottes,  der  Freiheit  und  der  Unsterb- 
lichkeit« in  einer  dem  grossen  Publicum  verständlichen,  warmen  und 
eindrucksvollen  Sprache  hat  ihm  die  Gemüther  gewonnen"".  Übrigens 
war  er  doch  vom  Geist  des  Zeitalters  zu  stark  afficirt,  um  Wolff's 
Methode  einfach  zu  reproduciren ;  aber  sie  blieb  die  Grundlage  aller 
seiner  Bemühungen,  und  in  scharfer  Abweisung  französischer  Schön- 
redner erklärte  er  ffir  die  Landplage  der  Philosophie  jene  Philo- 
sophen, »qui.  plus  accoutumes  aux  saillies  d'esprit  qu'ä  des  raisonne- 
ments  approfondis,  pretendent  ren verser  par  un  bon  mot  des  verites 
qu'il  n'est  possible  de  connaitre  qu'en  combinant  une  multitude 
d'observations  assez  difficiles   et  assez    delicates    pour  n'etre   saisies 

^  Citirt  nach  Bartholmess,  T.  II  p.  8i.  Als  der  Genfer  Tremblev  am  2.  Oc- 
tober  1794  seine  Receptionsrede  als  ordentliches  Mitglied  in  der  Akademie  hielt, 
bezeichnete  er  Sulzer,  Merian  imd  Lagrange  als  die  drei  grossen  akademischen 
Lehrer  (Memoires  1794/95  p.  43).  Dass  Friedrich  der  Gi^osse  den  Plan,  Leibniz, 
Lambert  und  Sulzer  ein  gemeinsames  Denkmal  in  Berlin  zu  errichten,  mit  Sym- 
pathie genehmigt  hat.  ist  oben  S.  393  erzählt  worden.  Herder  hat  Sulzer  im 
"Teutschen  Merkur«  (1781)  neben  Wixckelmann  und  Lessing  ein  litterarisches 
Denkmal  errichtet. 

^  Bartholmess  (T.  II  p.  107)  bemüht  sich  zu  zeigen,  dass  Sulzer  durch  sein 
ästhetisches  Hauptwerk  einen  Einiluss  auf  Kant's  Kritik  der  Urtheilskraft  ausgeübt 
habe,  »par  ce  qu'il  le  portait  a  rejeter.  autant  que  pur  ce  qu'il  lui  donnait.«  Das 
Letztere  ist  wenig  wahrscheinlich.  —  In  den  »Xenieu"  wird  Sulzer  als  moralisirender 
Ästhetiker  verspottet,  als  Mensch  anerkannt  (Nr.  352,  vei"gl.  Nr.  88) :  »Hüben  über 
den  Urnen !  Wie  anders  ist's  als  wir  dachten  I  ^lein  aufrichtiges  Herz  hat  mir 
Vero'ebuns:  erlanjit ■< . 


454  Die  Avissenschaftliche  Bedeutung  der  Akademie  Friedrich's  IL 

qu'n  Taide  d'une  attention  tres  forte^<.  Wenn  man  sich  die  Be- 
deutung der  heute  vergessenen  deutschen  Philosophen  der  Berliner 
Akademie  klar  machen  will,  darf  man  das  hohe  Verdienst  nicht 
gering  schätzen,  dass  sie  sich  der  Herrschaft  des  «hon  mot«,  welche 
von  Frankreich  her  drohte,   entgegengestemmt  hahen"'. 

Ohgleich  von  anderen  Voraussetzungen  ausgehend  als  Sulzer  und 
als  kritischer  Denker  ihm  bedeutend  überlegen ,  bewegte  sich  Merian 
(geb.  den  28.  September  i  723  in  Liestall,  gest.  den  i  2. Februar  1807) 
in  seiner  Wirksamkeit  doch  zu  denselben  Zielen.  Der  junge  Schweizer 
gewann  in  Amsterdam,  wohin  er  sich  begeben,  Bernoulli's Vertrauen, 
der  ihn  Maupertuis  empfahl,  und  bereits  im  Jahre  1750  nahm  ihn 
dieser  in  die  Akademie  auf^.  An  ihn  und  Euler  schloss  sich  Merian 
eng  an  und  nahm  in  allen  Streitigkeiten  gegen  Wolff  und  für  die 
Engländer  Partei ,  ja  er  arbeitete  sich  auch  in  Hume's  Philosophie  ein 
und  übersetzte  dessen  philosophische  Schriften  für  Maupertuis  in"s 
Französische.  Allein  zu  einer  geschlossenen  philosophischen  Weltan- 
schauung brachte  er  es  nicht.  Zwar  setzte  er  in  mehreren  Abhand- 
lungen die  Polemik  gegen  Leibniz -Wolff  fort  und  zeigte  sich  dabei 
von  der  schottischen  Philosophie  beeinflusst;  aber  er  suchte  dann 
wieder  die  verschiedenen  Standpunkte,  den  kritischen  und  den  Leib- 
Nizischen,  zu  vermitteln  und  strebte  nach  einer  empirisch -psycholo- 
gischen Betrachtung  der  Probleme,  ohne  über  einen  mannigfach  be- 
stimmten Eklekticismus  hinauszukommen.  Es  fehlte  ihm  der  bohrende 
Scharfsinn  und  die  Energie,  ein  Problem  vollständig  durchzudenken: 


^    Memoires  1775  p.  361  f. 

-  Anerkennend  liat  Justi  (Winckelmaxn  Bd.  IL  2  1872  S.  302  ff.)  über  Sul/.er 
geurtheilt.  »Es  lag  in  ihm  der  Trieb,  alles  Strebende  zu  fördern,  alles  Deplacirte 
an  seinen  Posten  zu  bringen.  Ein  ganz  encyklopädisch  und  teleologisch  angelegter 
Kopf  von  akademisch -administrativer  Richtmig.  vermochte  er  auch  der  Dichtung 
und  Kunst,  wie  bisher  seiner  Naturwissenschaft ,  nur  durch  moralische  und  gemein- 
nützige Gesichtspunkte  Werth  abzugewinnen.  Er  studirte  niclit  nur  in  Bibliotheken 
und  im  Buch  der  Natur,  er  fand  Lehrstühle  der  Philosophie  auch  in  den  "Werk- 
stätten und  Ateliers,  in  den  Comptoirs  und  Regierungscollegien.  bei  Gärtnern  und 
Bauern.  ...  Er  hatte  ein  klares  Bewusstsein  von  der  Würde  der  Kunst  und  von 
ihrer  Bestimmung,  ein  Theil  des  Nationallebens,  ein  Element  der  öffentlichen  Ev- 
ziehung  zu  sein.«  Aber  auch  Justi  bestätigt  Goethe's  Urtheil  über  Sulzer:  .Iu- 
ist  in's  Land  der  Kunst  nur  gereist,  nicht  aber  darin  geboren  und  erzogen:  er  hat 
nie  darin  gelebt,  gelitten  und  genossen». 

^  Merian  hat  ihr  also  57  Jahre  angehört.  Die  Akademie  hat  das  Glück 
gehabt,  dass  eine  gr-össere  Anzahl  von  ^Mitgliedern  ihr  ül)er  50  Jahre  erhalten 
geblieben  sind,  nämlich  ausser  Merian  auch  Pott,  Formey,  der  Geolog  Gerhard. 
A.  VON  Humboldt,  Grüson.  Savigny,  Böckh,  Bekker  und  Ranke.  Über  40  Jalire 
Inno-  haben  ihr  mehr  als  vierzig  Mitglieder  angehört. 


Merian.  455 

darum  griff  er  nach  allen  zugleich.  Er  wollte  noch  immer,  wie 
Leibniz  micl  Maupertuis,  der  Universalgelehrte  sein,  der  Erkennt- 
nisslehre, Metaphysik,  Physik,  Psychologie,  Moral  und  litteratur- 
geschichtliche  Fragen  neben  einander  betrieb  und  sie  in  allgemein 
fasslicher  Darstellung  bearbeitete.  Er  hat  Untersuchungen  über  die 
schwierigsten  philosophischen  und  psychologischen  Prol)leme  ange- 
stellt (»L'appercejition  de  sa  propre  existence«,  «L'existence  des 
idees  dans  l'äme«,  »L'action,  la  puissance  et  la  liberte«,  »Reflexions 
philosophiques  sur  la  ressemblance « ,  «Le  principe  des  indiscer- 
nables«,  »Sur  l'identite  numerique«,  »Parallele  de  deux  principes  de 
Psychologie«,  »Le  sens  moral«,  »La  crainte  de  la  mort,  le  mepris 
de  la  mort,  le  suicide«,  »La  duree  et  l'intensite  du  plaisir  et  de  la 
peine«,  »Le  probleme  de  Molyneux«  [sieben  Aufsätze]),  und  anderer- 
seits zahlreiche  Abhandlungen  über  den  Einfluss  der  Wissenschaften 
auf  die  Poesie  verfasst  —  er  spricht  sich  gegen  die  didaktisch- 
wissenschaftliche Dichtung  aus  — ,  Claudian's  Raptus  Proserpinae  in 
französische  Prosa  übersetzt  und  die  Frage,  ob  Homer  der  Dichter 
der  Ilias  und  Odyssee  sei  (1785),  geprüft  und  verneint \  In  den  nach 
dem  Tode  Friedeich's  erschienenen  Abhandlungen  hat  er  Hujie's 
Skepticismus  als  zu  weit  gehend  abgelehnt,  aber  auch  von  Kant's 
Philosophie  vermuthet  (»Parallele  historique  de  nos  deux  philoso- 
phies  nationales«  1797),  sie  werde  in  einiger  Zeit  wahrscheinlich 
ebenso  vergessen  sein,  »wie  jetzt  die  WoLFF'sche«.  An  diesem  Aus- 
spruch erkennt  man  am  besten,  dass  die  fortschreitende  philoso- 
phische Bewegung  über  den  Secretar  der  Berliner  Akademie  —  das 
war  er  1797  nach  Formey's  Tode  geworden  —  hinweggeschritten 
war".     Sein  Einlluss  auf  die  Akademie   war  seit  Euler's  Weggang 


^  Die  Abhandlung,  die  ihm  das  Lob  F.  A.  Wolf's  eingetragen  hat,  stellt  in 
den  Memoires  1788/89  p.  513  —  44  («Examen  de  la  question,  si  Homere  a  ecrit  ses 
poemeS").  Merian  hatte  bereits  in  einer  Abhandlung  vom  Jahre  1774  (^Memoires 
p.  485  note  4) ,  überzeugt  durch  die  Darlegungen  Wood 's ,  die  Frage  verneint.  Jetzt 
prüfte  er  sie  genauer  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Inschriften  und  der 
Hypothesen  über  den  Ursprung  der  Schrift  und  Schreibekunst  bei  den  Griechen.  — 
Über  Kakt  luid  den  «Äther  der  transcendenten  Ideen«  finden  sich  hin  und  her  bei 
Merian  spitze  Bemerkungen. 

-  Aber  obgleich  Merian  die  KANr'sche  Philosophie  verwarf,  hatte  er  vor  dem 
philosophischen  Genie  Kant's  den  höchsten  Respect.  Da^  beweist  schon  der  Titel 
vind  das  ganze  Unternehmen  seiner  Abhandlung:  »Parallele  historique  de  nos  deux 
Philosophies  nationales«  (Memoires  1797  p.  53 ff.);  denn  Leibniz  und  Kant  sind 
ihm  die  beiden  grössten  deutschen  Philosophen,  und  ausdrücklich  bemerkt  er  (p.  56): 
«En  comparant  Kant  avec  Leibniz  et  Wolff.  je  serais  tente  de  le  placer  sur  la 
meine  ligne  philosophique  avec  le  pr emier,  et  plus  haut  que  le  second«.  Halb 
wehmüthig,  halb  ironisch  beginnt  er,  indem  er  von    der  LEiBNizischen  Metaphysik 


45G  Die  wissenschaftliche  Bedeutung  dci-  Akademie  Friedrich's  II. 

sehr  l)edeutend,  ja  er  ist  in  der  Zeit  von  1770-86  und  dann  noch 
weitere  zwanzig  Jalire  unstreitig  der  wirksamste  Akademiker  inner- 
halb der  Körperschaft  selbst  gewesen.  Das  Vertrauen  des  alternden 
Königs  besass  er  wie  kein  Anderer \  wurde  häufig,  zumal  nach  dem 
Tode  d'Argens',  dessen  Stelle  als  Director  der  Klasse  der  Belles- 
Lettres  er  1771  erhielt,  zu  ihm  berufen  und  vermittelte  es,  dass  der 
Monarch  in  persönliche  Beziehungen  zu  einzelnen  Akademikern  trat. 
Bei  solchen  Audienzen  ist  er  stets  zugegen  gewesen.  Es  war  ein 
Vortheil,  dass  sich  der  König  an  Stelle  d'Argens"  nun  mit  Meeian 
über  litterarische  und  philosophische  Fragen  unterhielt ;  denn  der 
Schweizer  Avar  an  Kenntnissen  und  Ernst  dem  witzigen  Südfranzosen 
weit  überlegen.  Die  Akademie  aber  konnte  sich  keinen  besseren 
Fürsprecher  beim  Könige  wünschen  als.  diesen  unparteiischen  und 
liebenswürdigen  Mann,  der  mit  ganzer  Seele  in  der  Akademie  lebte 
und  nur  für  sie  arbeitete  und  schrieb.  Jeder  Verein  braucht  min- 
destens ein  Mitglied,  in  welchem  sich  der  Vereinsgedanke  gleichsam 
verkörpert  und  dessen  ganzes  Interesse  in  der  Sorge  für  den  ge- 
meinsamen Zweck  aufgeht  —  dieser  Mann  ist  für  die  preussische 
Akademie  vom  Jahre  1770  bis  zum  Anfang  des  19.  Jahrhunderts 
Merian  gewesen.  Er  hat  bereits  vor  1750  und  noch  nach  1800 
für  die  Akademie  geschrieben"'  und  die  Traditionen  Maupertuis'  bis 
an  die  Schwelle  der  Akademie  Humboldt"s  geleitet.  Er  ist  es  auch 
gewesen ,  der  in  der  Regel  die  Beurtheilungen  der  philosophischen 
und  litterarischen  Preisarbeiten  verfasst  und  in  den  Memoires  ver- 
öffentlicht hat.  Von  ihm  stammen  die  Gutachten  über  Mendelssohn 
und  Kant,  über  Herder,  Garve,  Michaelis,  Meiners  und  Schwab. 
Er  hat  Lambert's  schwerfällig  geschriebenen  kosmologischen  Briefen 
durch   seine  französische   Übersetzung  ein  Weltpublicum  gewonnen, 

zu  Kant  übergeht,  mit  den  Woi'ten :  «J'y  cherche  en  vain  notre  chere  Metaphysique ; 
eile  a  disparu  comme  un  songe:  la  science  reine  est  descendue  de  son  trone,  et 
ce  trone  est  renversc".  Er  geht  aber  nicht  auf  die  sachliche  Kritik  ein,  sondern 
verfolgt  die  Erscheinungsform,  die  Geschichte  und  die  Wirkung  beider  Philo- 
sophien. Er  streift  die  übertriebenen  Lobeserhebungen,  die  sich  bis  zu  der  Höhe 
gesteigert  haben,  Kant  habe  das  Werk  Jesu  Christi  vollendet!  »En  verite  Ton 
m'excusera;  mais  le  jugement  le  plus  charitable  que  Ton  puisse  porter  de  tels  pane- 
gyi'istes,  ne  serait-ce  pas  de  les  croire  echappes  je  ne  sais  d'oü?"  Aber  von  Kant 
selbst  sagt  er:  »Le  dessein  louable  du  philosophe  critique,  c'est  d'epurer  nos  fa- 
cultes  de  tout  alliage  heterogene,  d'assigner  au  juste  leur  portee,  de  decouvrir  jus- 
qu'oü  elles  vont,  ce  qu'elles  donnent  et  ce  qu'elles  refusent". 

^  Schon  als  den  Schwiegersohn  seines  verewigten  Freundes  Jordan  bevorzugte 
ihn  der  König. 

-  Die  erste  Abhandlung  ]Merian's  steht  in  den  Memoires  von  1749.  die  letzte 
(ein  Eloge)  in  den  Memoires  von  1804. 


Meriax.     T)ie  Historiker  der  Akademie.  45  / 

wie  er  die  schottische  Philosophie  auf  dem  Continent  bekannt  ge- 
macht hat.  Der  grossen  Conception,  die  ganze  Philoso])hie  in  eine 
»Naturgeschichte  der  Seele«,  eine  »Geschichte  des  innern  Menschen« 
zu  verwandeln  —  er  hat  sogar  schon  von  einer  Psychometrie  ge- 
sprochen — •  war  er  nicht  gewachsen;  aber  er  hat  doch  Momente 
der  älteren  vorkantischen  (englisch -schottischen)  Philosopliie  fest- 
gehalten, die  einige  Jahrzehnte  nacli  Kant  wieder  siegreich  hervor- 
gebrochen sind.  So  mögen  hier  zum  Schluss  die  Worte  stehen ,  die 
er  in  der  Abhandlung:  »Parallele  historique  de  nos  deux  Philo- 
sophies  nationales ^<    niedergeschrieben  hat: 

'■L'oljservatioii  et  Texperience  demeureront  tonjours  les  sources  vraies 
et  primitives  de  tout  ce  que  nous  apprenons,  de  tout  ce  que  nous  savons. 
Et,  ä  proprement  parier,  ce  qui  preexiste  ou  existe  en  nous  a  priori, 
nous  ne  le  decouvi'ons  qu'a  posteriori.  L'on  a  beau  vouloir  decrier  ce 
que  l'on  nomme  TEmpiiisme:  il  maintiendra  ses  droits  imprescriptibles  .  .  . 
Le  philosophe  qui  observe  et  experimente,  peut  sans  crainte  joroposer  le 
resultat  de  ses  experiences  et  de  ses  observations :  il  peut  y  revenir,  les 
refaire,  les  changer,  les  varier  ä  son  gre:  au  lieu  que  les  fauteurs  de 
systemes  excluent  cette  flexibilite.  leur  roideur  y  resiste:  tout  ou  rien, 
durer  ou  rompre,  voilä  leur  devise^.« 

Historische  Abhandlungen  haben  in  der  fridericianischen  Aka- 
demie der  König  selbst  und  Pelloutier,  Becmann,  Küster,  Hertz- 
berg, Raynal,  Heinius  und  Weguelin  geschrieben.  Der  eigentliche  Hi- 
storiker war  Hertzberg,  der  nicht  nur  die  alte  und  neuere  preussi- 
sche  Geschichte  in  nationalem  Geiste  beliandelte,  sondern  auch, 
von  Montesquieu  beeinilusst,  Fragen  wie  die  bearbeitet  hat:  »Sur 
les   revolutions   des  Etats    et   particulierement   sur  Celles    de   l'AUe- 


^    Memoii'es  1797  p.53lf. 

^  Gegen  den  "Phänomenisnius«  Hume's,  «der  Alles  in  Ruinen  stiirzt".  macht 
Merian  (Memoires  1792/93  p.  417  ff.),  auf  dem  Boden  Locke's  verharrend,  einige  sehr 
erhebliche  Einwendungen  und  weist  schliesslich  darauf  hin,  dass  es  keine  mensch- 
liche Sprache  giebt,  in  der  sich  Hume's  Skepticismus  ausdrücken  und  festhalten 
lässt:  die  Sprache  selbst  verbietet  den  Phänomenisnuis.  » Enfin,  voici  le  probleme 
que  je  vous  donne  a  resoudre.  Vous  voulez  une  langue  philosophique.  Eh  bienl 
faites-vous-en  une;  ou  purifiez  inie  de  nos  langues  deja  existantes  de  cette  lie 
d'Ego'ite,  de  Subjectivite,  de  Substantialite  dont  elles  sont  toutes  infectees  et  ternies. 
Forgez-en  une,  vous  dis-je,  exempte  de  tout  pronom  personnel,  de  toute  intlexion 
pronominale,  de  tout  ce  qui  en  porte  le  moindre  vestige,  et  dans  laquelle  nos 
phenomenes  puissent  correspondre  ensemble  sans  aucun  alliage  etranger.  Je  serai 
le  premier  ä  applaudir  ä  ce  rare  chef-  d'oeuvre ,  et  ä  l'admirer  comme  le  plus  curieux 
de  tous  les  jjhenomenes.«  Über  Meriax's  ausgezeichneten  Schiller  und  Rivalen 
P.  Prevost,  der  nur  viei-  Jahre  der  Berliner  Akademie  angehört  hat ,  und  über  seine 
Genfer  Schule  s.  Bartholmess,  a.  a.  0.  II  p.2  25ft'.  Prevost  stai-b  erst  am  S.April 
1839;  für  die  Memoires  hat  er  treffliche  Beiträge  geliefert. 


458  Die  wissenscli;il'tliflie  Bedeutung  der  Akademie  Friedkkii's  IL 

magne«  (1781),  »Sur  la  population  des  Etats  en  general,  et  sur 
Celles  des  Etats  prussiens  en  particulier«  (1783),  »Sur  la  veritable 
rieliesse  des  Etats,  la  balance  du  commerce  et  celle  du  pouvoir« 
(1784).  Neben  Hertzberg  ist  Weguelin  zu  nennen,  der  über  Tacitus, 
Plutarch,  Atlianasius  und  Pliotius  nicht  olme  Verständniss  und  Geist 
schrieb,  auch  fünf  Abhandlungen  zur  Pliilosophie  der  Geschichte 
(i  770-1 776)  verfasste,  Probleme  behandelte,  wie  »die  historische 
Wahrscheinlichkeit«  (1786),  »der  periodische  Lauf  der  Begeben- 
heiten« (1785),  »die  politische  Nomenclatur«  (1785)  und  u.  a.  auch 
das  paradoxe  Thema  erörterte:  »Sur  l'histoire  consideree  comme  la 
Satire  des  travers  du  genre  humain«  (1782)^  Indessen  in  den  his- 
torischen und  philosophisch-politischen  Abhandlungen  lag  doch  niclit 
die  Stcärke  der  Akademie.  Wir  dürfen  uns  damit  begnügen,  sie  im 
Vorübergehen  gestreift  zu  haben".  Aber  eines  Akademikers  müssen 
wir  am  »Schluss  unserer  ITbersicht  gedenken,  der  seines  streng  ortho- 
doxen Standpunkts  und  seiner  rein  deutschen  Haltung,  vielleicht  auch 
seiner  zum  Theil  seltsamen  sprach  geschichtlichen  Hypothesen  wegen 
bei  Lebzeiten  nicht  gebührend  geschätzt,  vom  Könige  zurückgesetzt 
und  nie  mit  einer  Pension  bedacht  worden  ist^,  der  aber  heute  als 
Begründer  einer  ganzen  wissenschaftlichen  Discij)lin  gefeiert  wird 
—  des  Oberconsistorialrathes  und  Propstes  J.  P.  Süssmilch*. 

^  Auch  "Weguelin  (Wegelix)  war  urs2:)rünglich  Theologe.  Durch  Sulzer  nach 
Berlin  an  dieRitteralcademie  berufen,  sammelte  er  Materialien  zu  einer  grossen  »Histoire 
universelle  et  diplomatique  de  l'Europe  depuis  Charlemagne  jusqu'ä  l'an  1740«.  Drei 
Bände  erschienen,  aber  das  vuiifangreiche  Werk  —  es  reichte  im  3.  Bande  erst  bis 
zum  Antritt  der  Capetinger  — .  Avelches  mit  politisch -moralischem  Räsonnement 
überladen  war.  dagegen  die  (Quellen  nicht  nannte,  fand  den  erwarteten  Beifall  nicht 
und  musste  abgebrochen  werden.  Es  ist  vergessen:  aber  als  Geschichtsphilosoph 
geniesst  Weguelin  noch  immer  Anerkennung.  Er  wies  darauf  hin,  »dass  das 
Wesentliche  und  Bleibende  in  der  Geschichte  durch  die  Natur  und  Entwicklung 
der  Ideen  bedingt  ist.  Immer  betrachtete  er  die  Erscheinungen  von  hohem,  univer- 
salhistorischem Standpunkt".     (Allg.  Deutsche  Biographie  Bd. 41   S.423f.) 

-.  Genannt  sei  auch  der  verdiente  brandenburgische  Historiker  Kiister  .  der 
von  1728— 1776  Mitglied  der  Akademie  gewesen  ist.  Seine  grossen  Arbeiten  ge- 
hören ausschliesslich  der  brandenburgischen  Geschichte  an  und  sind  als  stoffreiche 
Sammlungen  geschätzt.  In  seinem  monumentalen  Werke  «Altes  und  neues  Berlin« 
(4  Foliobände  1737.  1752.  1756.  1769)  hat  er  den  Grund  zur  Stadt-  und  Baugeschichte 
Berlins  gelegt.  Der  letzte  Band  ist  leider  nie  gedruckt  worden:  denn  Nicolais 
bequemes  und  anziehend  geschriebenes  Buch  verdrängte  das  ältere  und  viel  gelehr- 
tere, aber  schwerfällige  Werk.  Siehe  über  Küster  (seit  1732  Rector  des  Friedrich- 
Werder'schen  Gymnasiums)  Allg.  Deutsche  Biographie  Bd.  17  S.435f.  ^"'"'^i  Geiger, 
Berlin  Bd.  I  S.542f. 

^    Siehe  oben  S.357. 

*  "\'ergl.  über  ihn  die  modernen  Handbücher  der  Statistik,  der  Bevölkerungs- 
statistik, der  INIoralstatistik  (von  Oettingen)   und  der  National -Oekonomie.    sowie 


SÜSS.MIIXH.  459 

SüssMiLCH  (geb.  den  3.  September  1707  in  Zelilendorf  bei  Berlin, 
gest.  den  22.  März  ijOj),  1742  als  Consistorialratli  von  einem  Land- 
pfarramt ^  nach  Berlin  berufen,  wurde  im  Jahre  1745  in  die  Akademie 
aufgenommen  auf  Grund  seines  Werkes  »Die  göttliche  Ordnung  in  den 
Veränderungen  des  menschlichen  Geschlechts«  (i  741  ff.,  bis  1775  vier 
Auflagen)"".  Die  Akademie,  die  sich  schon  früher,  Anregvmgen  von 
Neumann  und  Leibniz  folgend,  für  social -biologische  Fragen  interessirt 
hatte  (s.  oben  S.  i2of.),  bewies  durch  seine  Aufnahme ,  dass  sie  für  die 
Wichtigkeit  dieser  Probleme  noch  immer  ein  offenes  Auge  besass. 
Die  Bedeutung  jenes  Werkes  an's  Licht  zu  stellen,  ist  heute  nicht 
mehr  nöthig,  nachdem  die  ersten  Nationalökonomen  und  Bevölke- 
rungsstatistiker, DiETERICI,  VON  RÜMELIN,  KnAPP,  VON  OeTTINGEN  U.  A., 

es  einstimmig  als  das  grundlegende  und  durch  seine  realistische 
Behandlung  der  socialwissenschaftlichen  Fragen  bedeutendste  Spe- 
cialwerk seiner  Zeit  bezeichnet  haben.  Mit  allen  Empfindungen 
eines  Deutschen  stand  Süssmilch  in  der  halbfranzösischen  Akademie, 
antipathiscli  berührt  von  der  Schönrednerei,  dem  Witz  und  der  »mo- 
dernen« Haltung  der  Franzosen,  Aber  der  als  unmodern  geltende 
Theologe  begründete  in  Wahrheit  die  modernste  Wissenschaft  und 
baute  sie  aus,  in  streng  methodischer,  empirischer  Auffindung  und 
Bearbeitung  der  Bevölkerungsprobleme  einem  Montesquieu  überlegen. 
Li  die  Memoires  der  Akademie  hat  er  nur  wenige  Aljhandlungen 
eingerückt^  —  augenscheinlich  war  ihm  der  Zwang  zuwider,  seine 
Arbeiten  französisch  drucken  lassen  zu  müssen,  auch  hielt  er  be- 
scheiden mit  seinen  Ergebnissen  zurück  — ,  aber  regelmässig  hat 
er  (in  deutscher  Sprache)  in  den  Sitzungen  Vorträge  gehalten.  Den 
Protokollen  ist  folgende  Liste  zu  entnehmen:  Ȇber  die  Zunahme  der 
Heirathen  und  Geburten  in  den  preussischen  Staaten«  (1746),  »Be- 
obachtungen, in  der  Altmark  gemacht«  (1747),  »Über  die  Stadt 
Berlin,  die  Zahl  ihrer  Einwohner  und  Häuser,  die  Proportionen  zu 
den  verschiedenen  Zeiten«  (1749),    »Über  das  Alter  der  Städte  Cöln 

den  Artikel  in  der  Allg.  Deutschen  Biographie  von  John  (Bd.  37  S.  i88fF.),  und 
HoFFMAXX.  Abhandlungen  der  Akademie  1836  S.  197  ff". 

^  Kurz  vorher  war  er  Feldprediger  gewesen;  die  Vorrede  seiner  "Göttlichen 
Ordnung«   ist  unterschrieben   »Auf  dem  Marsch  zu  Schweidnitz«. 

^  In  dem  Eloge  auf  Süssjiilch  (Memoires  1767  p.  496 ff.)  schreibt  Forjiey 
p.  502:  «Connu  donc  avantageusement  par  la  i«  edition  de  son  livre,  les  portes  de 
TAcademie  lui  furent  ouvertes  peu  apres  son  renouvellement,  dans  le  cours  de 
l'anjiee  i745". 

^  Eine  sprachwissenschaftliche  im  Jahrgang  1745  p.  188 ff.  und  den  »Essai 
dans  lequel  on  se  propose  de  determiner  le  nombre  des  habitants  de  Londres  et  de 
Paris«   im  Jal)rgang  1759  p.  453 ff. 


460  Die  wissensoliaftliclie  Bedeutung  der  Akademie  Frif.dricii"s  II. 

und  Berlin«  (1750),  »Über  die  Zahl  der  Sterbefälle  in  Berlin  im 
Jahre  1750  und  Erörterung  der  Frage,  wieviel  Personen  über  80  Jahre 
Berlin  haben  dürfte«  (1751),  «Über  die  Proportionen  in  den  mensch- 
lichen Lebensaltern«  (1751),  «Gegen  Montesquieu,  dass  das  Christen- 
thum  keineswegs  der  Vermehrung  des  menschlichen  Geschlechts  ent- 
gegen ist«  (1753),  »Über  die  Proportionen  zwischen  den  Geburten, 
Heirathen  und  Todesfällen«  (1753),  «Über  die  Einwohnerlisten  von 
London  und  Bristol«  (1754),  «Über  den  Ursprung  der  Sprache« 
(1756,  zwei  A'^orträge),  «Über  die  Ähnlichkeit  zwischen  den  arith- 
metischen Figiu'en  und  mehreren  Worten  der  Sprachen  von  Llin- 
dostan  mit  den  deutschen  Chiflfern  und  Worten«  (1757),  «Gedanken 
über  die  besten  Mittel,  um  die  Einwohner  in  einem  Staat  zu  ver- 
mehren« (1757),  «Nachweis,  dass  die  Heruler  weder  in  der  Mark 
Brandenburg  noch  in  Mecklenburg  und  den  l)enachbarten  Gegenden 
je  gesessen  haben«  (1757),  »Über  die  Zahl  der  Einwohner  von 
London«  (1759),  «Über  Montesquieu's  Behauptung,  betreffs  der  Popu- 
lation Deutschlands  zur  Zeit  Julius  Cäsar's«  (1759),  «Über  die  Pro- 
pagation  der  Bevölkerung«  (1760),  »Ist  es  möglich,  dass  ein 
Staat,  der  so  blühend  wie  Frankreich  erscheint,  sich  ent- 
völkern kann  durch  innere  Ursachen  ohne  Krieg  und 
Seuchen?«  (1761),  » Vertheidigung  der  deutschen  Gelehrten  gegen 
das  Urtheil,  das  die  englischen  Schriftsteller  der  Universal-Geschichte 
gefällt  haben«  (1761),  »Über  etymologische  Fragen«  (1762),  «Ein 
Specimen  eines  Idioticons  Prussicmn-Marchicum«  (1763)^  «Über  die 
Zahl  der  Einwohner  der  verschiedenen  Staaten  des  Königs  von 
Preussen  und  über  die  Ursachen  der  Verschiedenheit  dieser  Zahl« 
(1764),  » Vergleich ung  der  Kegeln  der  Ordnung  der  Providenz  in 
den  Geburten  und  Todesfällen  in  Frankreich  mit  denen  anderer 
Länder«    (1767). 

Wohl    verfolgte    Süssmilch   mit    seinen    Arbeiten    apologetische 
Zwecke",    aber    er   l^lieb    dabei    der   exacte  Forscher.      Über    die  im 


^  Diese  Aufgabe  hatte  seiner  Zeit  auch  der  Akademiker  Frisch  zu  bearbeiten 
unternommen.  Dieser  ausgezeichnete  Forscher  hat  überhaupt  bedeutend  auf  Süssmilch 
eingewirkt,  s,  Formey,  Memoires  1767  p.  498.  Schon  die  alte  Societas  Regia  hatte 
sich  —  gewiss  auf  FRiscnens  Betreiben  —  aus  den  verschiedenen  Provinzen  durch 
die  Regierungen  regehnässig  bevölkerungsstatistische  Nachrichten  schicken  lassen, 
besonders  über  alle  Fälle  von  besonders  hohem  Lebensalter  (s.  Akademisches  Archiv). 

^  WoLFF  hat  die  erste  Auflage  mit  einem  empfehlenden  Vorwort  eingeleitet 
und  das  Werk  als  eine  Probe  bezeichnet.  wi(^  die  Wahrscheinlichkeitstheorien  zum 
Gebrauch  im  menschlichen  Leben  verwendet  werden  können.  Auch  die  teleolo- 
gische Haltung  war  in  Wolff's  Sinn.  Angeregt  worden  ist  Süssmilch,  wie  er 
selbst  bekennt,  durch  Derham"s  Phvsico - Theology. 


SÜSSMILCH.  461 

Jahre  1761  erschienene,  gänzlich  neugearbeitete  zweite  Auflage  der 
«Göttlichen  Ordnung«^  sagt  Knapp:  »Von  einer  nüchternen  Theodicee 
erhebt  sie  sich  zu  einem  nationalökonomischen  und  politischen  Werk, 
dessen  für  jene  Zeit  allumfassende  und  erschöpfende  Vollständigkeit 
später  nicht  wieder  erreicht  worden  ist«.  Da  Süssmilch  auch  die 
Todesfälle  und  ihre  Ursachen  statistisch  beleuchtet,  ferner  die  Crimi- 
nalität  und  die  mit  ihr  zusammenhängenden  Erscheinungen  beachtet 
hat,  so  hat  er  die  medicinische  und  die  Moral-Statistik  mit  begründen 
helfen.  Die  »politische  Arithmetik«,  wie  sie  ihm  vorschwebte,  um- 
fasste  eben  bereits  alle  menschlichen  Massenerscheinungen.  Im  Jahre 
1752  liess  er  zwei  Abhandlungen  drucken  über  das  schnelle  Wachs- 
thum  der  Stadt  Berlin  und  veröffentlichte  kurz  vor  seinem  Tode 
die  umgearbeitete  Akademieschrift  von  1756:  »Versuch  eines  Be- 
weises, dass  die  erste  Sprache  ihren  Ursprung  nicht  von  Menschen, 
sondern  vom  Schöpfer  erhalten  hat«  — •  jene  Untersuchung,  die 
Herder  erst  zum  Widerspruch  gereizt,  deren  Gedanken  er  sich 
aber  später  genähert  hat.  Obgleich  Süssmilch's  Hauptwerk  nach 
seinem  Tode  noch  einmal  herausgegeben  worden  ist,  gerieth  es 
doch  bald  in  Vergessenheit.  Soweit  in  den  folgenden  Jahrzehnten 
überhaupt  Interesse  für  bevölkerungsstatistische  Fragen  vorhanden 
war,  wurde  es  von  Malthus'  Arbeiten  in  Anspruch  genommen.  Erst 
seit  der  Mitte  unseres  Jahrhunderts  hat  der  grosse  Vorgänger  des. 
Engländers  den  verdienten  Ehrenplatz  in  der  Wissenschaft  erhalten. 

Süssmilch  musste  es  erfahren,  dass  es  fast  ein  Unglück  war,  an 
der  Berliner  Akademie  nichts  als  ein  deutscher  Fachgelehrter  zu 
sein:  sein  Hauptwerk  drang  nicht  in  die  Kreise  der  europäischen 
wissenschaftlichen  Bewegung,  und  er  selbst  galt  nicht  als  »lettre«, 
denn  er  schrieb  nur  über  Dinge ,  die  er  gründlich  verstand.  Der 
König  hat  ihn  schwerlich  anders  beurtheilt  als  den  ganz  unbedeu- 
tenden Hofprediger  Sack.  —  Hier  bedarf  es  zum  Schluss  noch  einiger 


^  Wie  sie  entstanden,  erzählt  Formey,  a.  a.  0.  p.501:  ^'L'Ordre  de  la  Pro- 
vidence  dans  les  revolutions  aiixquelles  le  genre  humain  est  assujetti«  —  c"est  lä 
proprement  l'occupation  de  toute  sa  vie,  le  bat  de  toutes  ses  recherches,  le  centre 
de  toutes  ses  reflexions;  depuis  qu'il  eut  fox'ine  ce  dessein,  il  ne  le  perdit  pas  an 
instant  de  vue,  il  rassembla  de  tous  cotes  les  secours  qui  pouvaient  le  mettre  en 
etat  de  le  perfectionner,  il  consulta  les  savants  dont  les  lumieres  pouvaient  etendre 
les  siennes,  surtout  notre  celebre  M.  Evler;  en  un  mot,  jainais  on  n"a  vu  un  auteur 
plus  rempli  de  son  sujet,  plus  livre  ä  cette  espece  d'enthousiasme  qui  persuade 
qu'il  n'y  a  rien  de  niieux  que  ce  qu'on  fait,  et  qu"on  le  fait  le  niieux  qu'il  est 
possible  de  le  faire«. 


4fi2  Die  wissenscliaftliclie  Bedeutung  der  Akademie  Friedrich's  II. 

Andeutungen,  die  sicli  auf  das  Verliältniss  Frikdrich's  zum  deutschen 
Geist  beziehen   und  indirect  auch    die   Akademie  betreffen. 

Obgleich  der  König  nacli  wie  vor  die  in  deutscher  Sprache 
geschriebenen  Bücher  ignorirte,  oder  sie  nur  eines  llüchtigen  Bücks 
würdigte,  beschäftigte  ihn  in  den  letzten  zehn  Jahren  immer  leb- 
hafter das  Problem ,  wie  sich  die  deutsche  Sprache  und  der  deutsche 
Geist  in  Zukunft  entwickeln  werde.  Unverständlich  ist  das  wahr- 
lich nicht!  Er,  «die  gekrönte  Eealität«,  er,  der  nach  dem  schönen 
Worte  Goethe's  durch  seine  Thaten  den  wahren  und  höheren, 
eigentlichen  Lebensgehalt  der  deutschen  Poesie  gegeben,  der  ihr 
eine  Epopöe  geschaffen  hatte,  wenn  auch  nicht  in  der  Form  eines 
epischen  Gedichts  —  er  musste  doch  auf  Wirkungen  seiner  Schöpfung 
hoffen  und  sie  suchen.  Je  mehr  er  den  französischen  Geist  sinken 
sah,  desto  natürlicher  war  es,  dass  sich  seine  Hoffnungen  für  die 
Zukunft  auf  den  deutschen  richteten.  Er  hoff'te  wirklich,  aber  ohne 
zu  wissen,  wie  Hülfe  kommen  könne;  denn  noch  im  Jahre  1775, 
in  dem  berühmten  Brief  vom  24.  Juli  an  Voltaire  \  beurtheilte  er  die 
deutsche  Sprache  als  ein  unvollkommenes  und  unverbesserliches  In- 
strument des  Geistes  und  den  deutschen  Geschmack  als  barbarisch. 
Aber  dann,  nachdem  er  die  staatswissenschaftlichen  Schriften  der 
Deutschen  und  ihren  Leibniz  gerühmt,  fährt  er  fort: 
*  «L'Allemagne   est  actuellement   comme  etait  la  France  du  temps   de 

pRANgois  I.  Le  goüt  des  lettres  conimence  a  se  repandre;  11  taut  attendre  que 
la  nation  fasse  naitre  de  vrais  genies,  conune  sous  les  ministeres  des 
Richelieu  et  Mazarin.  Le  sol  qui  produit  un  Leibniz  en  peut  jiroduire 
d'autres.  Je  ne  verrai  pas  ces  heaux  jours  de  ma  patrie,  mais  j'en  prevois 
la  possibilite.« 

Dieser  Ausblick  der  Hoffnung  ging  ihm  nicht  mehr  verloren.  Es 
stand  ihm  fest  —  die  deutschen  Genies  werden  kommen,  und,  wenn 
sie  kommen,  werden  sie  sich  ihrer  ungefügen  Sprache  bedienen  und 
deutsch  schreiben!  Sie  werden  diese  Sprache  verbessern;  zu  wün- 
schen ist,  dass  sie  sie  schon  als  verbesserte  finden.  Gesichtspunkte 
anzugeben,  wie  das  geschehen  könne,  ist  die  Aufgabe  der  Abhand- 
lung, mit  der  der  König  die  Nation  und  das  Ausland  überraschte: 
»De  la  litterature  allemande,  des  defauts  qu'on  peut  lui  reprocher, 
quelles  en  sont  les  causes,  et  par  quels  moyens  on  peut  les  corriger^«. 

Dass  dieser  Tractat  auf  Grund  einer  ganz  ungenügenden  Kennt- 
niss  des  Zustandes  der  deutschen  Litteratur  geschrieben  ist,  dass  der 


'    Oeuvres  T.  23  p.  335ft'. 

^    ffiuvres  T.7  p.  91  ff.  (vom  Jahre  1780);  vergl.SuPHAN,  Friedrich's  des  Grossen 
Schrift  über  die  deutsche  Litteratur.    1888. 


Dei'  König  und  die  deutsche  Litteratur.  46 B 

König"  noch  immer  Poesie  nur  in  den  Formen  der  lateinischen  und 
französischen  Kunsti:)oesie  anzuerkennen  vermag,  dass  ihm  alles  Natur- 
%vüchsige,  Volksthümliche ,  wahrhaft  Geniale  als  ungebändigte  Zucht- 
losigkeit  erscheint S  ist  nur  zu  deutlich.  Deutlich  ist  auch,  dass  sich 
seine  Rath schlage  und  Correcturen  grösstentheils  auf  einen  Zustand 
der  deutschen  Litteratur  beziehen,  wie  er  fünfzig  Jahre  früher  be- 
standen hat.  Was  der  Abhandlung  ihren  Werth  verleiht,  ist  ein 
Doppeltes,  erstlich  ihr  Schluss,  die  herrliche,  Avahrhaft  proplie- 
tische  Zuversicht  zur  deutschen  Sprache  und  zum  deutschen  Geiste, 
die  der  König  ausspricht",  sodann  die  Gegenwirkung,  welche  die 
Kritik  Friedrich's  entfesselt  hat.  Eben  weil  der  König  ein  ganz 
kümmerliches  Bild  gezeichnet  und  dazu  überlebten  Anschauungen  das 
Wort  geredet  hatte,  trat  diesem  Tractat  gegenüber  plötzlich  der  Welt 
vor  Augen,  was  der  deutsche  Geist  in  dem  letzten  Menschenalter 
bereits  geleistet  hatte,  und  was  die  deutsche  Sprache  vermochte. 
Die  schärfste  Beurtheilung  kam  aus  Frankreich.  Der  Deutsch- 
franzose, Baron  von  Grimm,  erklärte,  der  König  habe  vom  Deutschen 


^  Man  weiss,  wie  er  das  Nibelungenlied  verurtheilt  (duvres  T.  27,  3  p.  233) 
und  wie  er  Shakespeare  verworfen,  bez.  wohlwollend  entscluildigt  hat.  In  der 
Abhandlung  über  die  deutsche  Litteratur  nennt  er  Goethe's  »Goetz«  eine  »imitation 
detestable  de  ces  mauvaises  pieces  anglaises«.  Das  erste  anerkennende  Woi-t  über 
Shakespeare  in  der  Akademie  ist  übrigens  meines  Wissens  von  Forsiey  in  der 
öffentlichen  Sitzung  am  23.  August  1787  (Memoires  1786/87  j).  24)  gesprochen  worden, 
freilich  ist  es  noch  sehr  bedingt:  »Le  goüt  national«,  sagt  er,  »peut  rendre  certaines 
preventions  immuables  et  indestructibles.  C'est,  si  je  ne  me  trompe,  le  cas  de 
Shakespeare;  mais ,  jjour  etre  equitable,  il  faut  convenir  que  ce  poete  dramatique 
rachete  des  defauts  revoltants,  de  vrais  delires,  par  des  beautes  superieures ,  par 
des  traits  sublimes,  qu'on  peut  comparer  :i  des  eclairs  qui  sortent  du  sein  d'une 
nuee  obscure«. 

^  Die  Worte  lauten:  "...  Toutefois  ceux  qui  viennent  les  derniers,  surpassent 
quelquefois  leurs  predecesseurs;  cela  pourra  nous  arriver  plus  promptement  qu'on 
ne  le  croit.  .  .  .  Nous  aurons  nos  auteurs  classiques;  chacun,  pour  en  profiter,  voudra 
les  lire;  nos  voisins  apprendront  l'allemand;  les  cours  le  parlei'ont  avec  delice;  et 
il  pourra  arriver  que  notre  langue  polie  et  perfectionnee  s'etende,  en  faveur  de 
nos  bons  ecrivains,  d'un  bout  de  l'Europe  a  l'autre.  Ces  beaux  jours  de  notre 
litterature  ne  sont  pas  encore  venus;  mais  ils  s'approchent.  Je  vous 
les  anno  nee,  ils  vont  paraitre;  je  ne  les  verrai  pas,  mon  äge  m'en  interdit  l'espe- 
rance.  Je  suis  comme  ]Moise:  je  vois  de  loin  la  terre  promise,  mais  je  n'y  entrerai 
pas«  (vergi.  dazu  den  Brief  an  d'Alembert  vom  6.  Januar  1781,  Oeuvres  T.  25  p.  171). 
Angesichts  dieser  Worte  begreift  man  den  Ausruf  Denina's  (Essai  p.  404^):  »Que 
n'aurait-il  pas  fait,  cet  heureux  genie,  s'il  se  füt  mis  ä  parier  et  ä  ecrire  dans  cette 
langue  I  On  le  citerait  pour  longtemps  comme  le  premier  auteur  classique«.  Un- 
mittelbar vorher  berichtet  er,  der  Abt  Jerusalem  habe  bezeugt,  dass  sich  der  König- 
in der  deutschen  Unterredung  mit  hoher  Eigenthümlichkeit  und  Kraft  auszudrücken 
vermocht  habe. 


4b4  Die  wisseiischaftliclu'  Bede,utung  der  xVkadeinic  FRiEDRicir.s  IL 

Avie  der  Blinde  von  den  Farben  gesprochen,  setze  Zustände  in 
Deutschland  voraus,  wie  sie  vor  60-80  Jahren  geherrscht  hätten, 
und  verkenne  völlig,  dass  »la  pluj)art  des  ecrits  de  sa  patrie  valent 
mieux  que  toutes  ces  brochures  insipides  qu'on  voit  paraitre  a  Paris, 
et  Oll  les  idees  de  quelques  grandes  tetes  sont  repetees  en  mille 
manieres  diverses«.  Aber  auch  ein  Akademiker,  Hertzberg,  hat 
einen  freimüthigen  Protest  erhoben.  Er  wiegt  um  so  schwerer, 
als  ihn  Hertzberg  direct  an  den  König  gerichtet  hat'.  Bereits 
kurz  vor  dem  Erscheinen  des  Tractats  hatte  es  der  König  ihm 
gegenüber  bezweifelt,  dass  sich  Tacitus  so  genau  und  treffend  in's 
Deutsche  übersetzen  lasse,  wie  in  das  Französische.  PIertzberg 
hatte  ihm  darauf  die  Übersetzung  eines  Capitels  übersandt,  gegen 
die  der  König  nichts  einzuwenden  vermochte;  er  bezweifelte  aber, 
dass  sich  andere  Capitel  ebenso  gut  übersetzen  liessen.  Bald 
darauf  theilte  ihm  Friedrich  den  Tractat  »De  la  litterature  alle- 
mande«  mit  und  wünschte,  dass  Hertzberg  ihn  zum  Drucke  beför- 
dere. Dieser,  der  die  Kritik  des  Königs  an  der  deutschen  Sprache 
ungerecht  fand,  übersandte  zunächst  die  deutsche  Übersetzung  eines 
sehr  schwierigen  Abschnitts  bei  Tacitus.  räumte  ein,  dass  die 
deutsche  Sprache  einer  Reinigung  bedürfe ,  beharrte  aber  dabei, 
dass  sie  jeden  Gedanken  treffend  wiederzugeben  vermöge.  Friedrich 
war  von  der  Übersetzung  in  hohem  Maasse  befriedigt  und  erklärte, 
seine  Beurtheilung  der  deutschen  Sprache  sei  vielleicht  zu  hart. 
Allein  er  übergab  dann  doch  den  wesentlich  unveränderten  Tractat 
Hertzberg  zur  Drucklegung  und  Übersetzung  in's  Deutsche.  Die- 
ser machte  im  Interesse  der  deutschen  Nation  einige  thatsächliche 
Ausstellungen,  die  dem  Könige  nicht  angenehm  waren  —  er  ge- 
nehmigte sie  nicht.  Als  Hertzberg  sie  wiederholte,  verbat  er  sie 
sich  in  ärgerlichen  Worten.  Wenige  Wochen  später  sandte  er  die 
vorsichtige  Apologie  der  deutschen  Litteratur,  die  der  Abt  Jerusalem 
gegen  den  Tractat  verfasst  hatte,  an  Hertzberg,  damit  er  ihm  be- 
richte. Dieser  schrieb  dem  Könige  zurück  (3.  Januar  1781):  »Le 
Memoire  de  l'Abbe  Jerusalem  a  son  merite,  et  me  parait  ecrit  avec 
verite,  modestie  et  purete  ...  II  convient  que  la  langue  allemande 
cede  ä  la  langue  frangaise  en  harmonie;  mais  il  soutient  qu'elle  la 
surpasse  en  force,  et  qu'elle  est  tont  aussi  harmonieuse  que 
la  langue  grecque  ...  II  soutient  enfin  que,  depiuis  le  regne  de 
V.  M.  et  depuis  le  grand  exemple  qu'elle  a  donne  ä  toute  l'Europe 


^    Siehe  die  Correspondenz  im   24.  T.  der  GEuvres  p.  341  ff. 


Hertzberg's  Beniüliungen  um  die  deutsche  Sprache  und  Litteratur.       465 

de  la  culture  de  toutes  les  sciences ,  la  litterature  et  la  langue 
allemande  avait  pris  un  essor  qui  liii  promettait  en  peii 
la  preferenee  sur  Celles  des   autres  nations.« 

In  diesen  Worten  hat  Hertzberg  in  würdigster  Weise  auch 
seine  eigene  Meinung  ausgesprochen,  und  der  König  verübelte  ihm 
seinen  Freimuth  nicht \  Kein  Zweifel,  der  deutsche  Geist  regte 
sich  und  trat,  wenn  auch  nicht  aus  der  Mitte  der  Akademie  her- 
aus, so  doch  in  einem  Ehrenmitglied,  dem  Könige  bescheiden  aber 
fest  entgegen,  jenem  Könige,  der,  an  die  gallisch -lateinische  Bil- 
dungsform gekettet,  doch  die  Fundamente  eines  wirklichen  Deutsch- 
lands gelegt  und  seine  Nation  geliebt  hat.  Nicht  für  immer  soll 
sie  in  die  französische  Schule  gehen,  auch  nicht  für  immer  soll 
ihre  Akademie  französisch  bleiben  —  Friedrich  sah  als  Prophet  die 
Zeit  voraus,  da  sie  deutsch  werden  würde;  dass  diese  Zeit  bereits 
gekommen  sei,  davon  liess  er  sich  nicht  überzeugen.  Die  Erfah- 
rungen der  nächsten  Folgezeit  haben  ihm  Recht  gegeben:  in  Berlin 
waren  zunächst  die  Bedingungen  für  eine  führende,  rein  deut- 
sche Akademie  noch  nicht  vorhanden.  Man  versuchte,  sie  zu 
schaifen:  aber  es  dauerte  noch  fünfundzwanzig  Jahre,  bis  man  sie 
heraufzuführen  vermochte. 


Viertes  Capitel  (Anhang). 

Der  Personalstand,    die    Publicationen,    die    äusseren  Ein- 
richtungen und  der  Etat  der   fridericianischen  Akademie 

(1746-1786). 

1.  Curatoren. 

[Seit  dem  Jahre  1743/44  von  Schmettau,  von  GorTER,  von  Viereck  ,  von  Borcke, 

dann  an  Gotter's  Stelle  von  Arnim.] 

13.  April  1747.  Maupertuis  zeigt  an,  dass  der  König  an  Stelle 
VON  Viereck's  ,  der  resignirt  hatte ,  und  von  Borcke's  (-|-)  den 
General  von  Stille  und  den  Oberstlieutenant  von  Keith  zu 
Curatoren   ernannt  habe. 

7.  October  1751.  An  Stelle  von  Schmettau's  (f)  wird  der  Hofmar- 
schall VON  Redern  ernannt. 


'    Es  ist   meines  Erachtens   unstatthaft,   in    der  Antwort   vom  4.  Januar  1781 
auch  nur  eine  Spur  von  Ironie  sehen  zu  wollen. 

Geschichte  der  Akademie.    I.  30 


4()6  Dei-  Pc^rsonalstand  der  AkndciuH'   unter  Fkiedrhji  II. 

23.  November  1752.  von  Cagnoni  tritt  mii  die  Stelle  von  Stille's  (f); 
VON  Gotter  kehrt  1749  (1750)  nach  Berlin  zurück  und  ninnnt 
seine  frühere  Stellung  wieder  ein;  von  Arnim  f  1753.  Seit- 
dem sind  die  vacanten  Curatoren- Stellen  nicht  wieder  be- 
setzt worden  (1757  sind  es  nur  noch  drei  Curatoren  [Keitii 
fehlt],  1762  nur  noch  zwei:  von  Redern  und  von  Cagnoni), 
so  dass  von  1764/65  an  Redern  (f  i.  Juli  1789)  der  ein- 
zige Curator  der  Akademie  bis  zu  Friedrich' s  Tode  gewesen 
ist.  Übrigens  bedeutete  der  Posten  bereits  seit  1747  wenig, 
seit  1753    gar  nichts  melir. 

2.  Präsident. 

[Maupertuis,  seit  dem  i.  Februar  1746.] 

27.  Juli  1759.  Maupertuis  f  (geb.  28.  September  1698).  Nach  seinem 
Tode  hat  der  König  keinen  Präsidenten  ernannt.  In  den 
letzten  Jahren  Maupertuis'  und  bis  gegen  1765  hat  Euler 
den  grössten  Theil  der  Präsidialgeschäfte  geführt.  Heim- 
licher Präsident  war  vom  Herbst  1763  bis  October  1783 
d'Alembert  in  Paris.  Nach  ilim  hat  Condorcet  kurze  Zeit 
den  König  berathen.  Ein  Theil  der  Präsidialcompetenzen 
ging  seit  1765  auf  die  Directoren  und  die  »Oekonomische 
Commission«    über   (s.  unten   sub  Nr.  5). 

3.  Directoren  l 

[Seit  1743/44  Eller,  Euler,  Heinus,  d'Argens,  Elsxer-.1 

8.  October  1750.     Nach  Elsner's  Tode  ist  d'Argens  allein  Director 

der  Klasse  der  Beiles -Lettres. 
18.  September  1760.   Marggraf  wird  zum  Director  der  physikalischen 

Klasse  gewählt  an  Eller's  Stelle^  (f  den  13.  September  1760). 

1  Die  Curatoren  und  die  vier  Dii'ectoren  unter  Leitung  des  Präsidenten  bil- 
deten zusammen  das  ..Directorium.<  —  so  zur  Zeit  Maupertuis'.  Dann  schrumpfte 
es,  als  die  Curatoren  bis  auf  einen  ausgestorben  waren  (der  sein  Amt  als  ein 
nominelles  betrachtete),  zu  einem  Collegium  der  vier  Klassen -Directoren  zusammen. 
Da  ein  Präsident  fehlte,  so  steigerte  sich  die  Competenz  dieses  Collegiums,  aber 
andererseits  verlor  es  an  Bedeutung,  da  der  König  in  wissenschaftlichen  und  Per- 
sonal-Fragen selbst  die  Leitung  in  der  Hand  behielt,  und  da  die  ökonomischen 
Angelegenheiten   einer  besonderen  Commission  zugetheilt  wurden. 

2  Die  Klasse  der  Beiles -Lettres  hatte  ursjn-ünglich  zwei  Directoren,  einen 
deutschen  xmd  einen  französischen. 

^  Gegen  die  Wahl  Marggraf's  reichte  Pott  am  16.  October  1760  einen  schrift- 
lichen Protest  ein.  den  Euler  verlas.  Am  30.  October  wurde  er  (zusammen  mit 
Francheville  und  Sack)  (juiescii't.  d.  h.  zum    "Veteran«    erklärt. 


Der  Personalstand  der  Akademie  unter  Friedrich  II.  46/ 

2.  October  (6.  November)  1766.  Lagrange  wird  Director  der  mathe- 
matischen Klasse,  an  Stelle  Euler's,  der  nach  Petersburg 
zurückgekehrt  war. 

7.  (8.)  Februar  ijji-  Mekian  (er  hatte  bisher  der  philosophischen 
Klasse  angehört)  wird  Director  der  Klasse  der  Beiles -Lettres, 
d'Argens  folgend,   der  am  13.  Januar  1771  gestorben   war. 

1776.  Sulzer  wird  Director  der  philosophischen  Klasse  an  Heinius' 
Stelle  (f  8.  August  1775).  Nach  Sulzer's  Tode  (25.  Fe- 
bruar 1779)  lässt  Friedrich  die  Stelle  unbesetzt  (das  Nähere 
s.  oben  S.  383). 

1782.  F.  Ch.  Achard  wird  Director  der  physikalischen  Klasse  (Marg- 
graf war  am  7.  August  1782   gestorben). 

4.  Secretar. 
{Seit  dem  11.  März  1733  von  Jariges.] 

Anfang  1748.  Formey  (Historiograph  seit  Juni  1745)  wird  Secretar 
an  VON  Jariges'  Stelle,  der  das  Amt  niedergelegt  hatte  und 
am  27.  November  1755  Ehrenmitglied  wurde.  Formey  über- 
lebte als  Secretar  den  König. 

5.  Oekonomische  Commission  \ 

21.  Februar  1765.  Der  König  ordnete  eine  «Oekonomische  Commis- 
sion«  an  zur  Reform  der  Administration  der  Akademie; 
Euler,  Merian,  Sulzer,  de  Beausobre,  de  Castillon  und 
Lambert  wurden  gewählt.  Die  Stellen  von  Euler  (1766), 
Sulzer  (i  779),  de  Beausobre  (i  783)  wurden  in  der  Commis- 
sion  nicht  wieder  besetzt,  wohl  aber  die  Lambert's  (i  777) 
durch  Lagrange. 

6a.  Ordentliche  Mitglieder. 
[Nach  dem  Tage  ihrer  Aufnahme  geordnet.] 

[Im  Februar  1746  bildeten  die  Akademie:  Eller  (geb.  29.  No- 
vember 1689),  Buddeus  (geb.  7.  August  1695),  Carita  (geb.  13.  Oc- 
tober 1676),  Francheville  (geb.  18.  September  i  704),  Gleditsch  (geb. 
5.  Februar  17  14),  Lieberkühn  (geb.  5.  September  171 1),  Ludolff  sen., 
Ludolff  jun.  (geb.  5.  März  1707),  Marggraf  (geb.  3.  März  1709),  Pott 
(geb.  1692),    Schaarschmidt,    Sprögel    (geb.    24.  April  1699),    Euler 


^    Über   die    Umstände,    die    zur   Niedersetzung    dieser   Commission    geführt 
haben,  s.  oben  S.  363. 

30* 


468  Der  Personalstand  der  Akademie  unter  Friedrich  II. 

(geb.  15.  April  njoj),  Grischow  seil.  (geb.  i3.December  1683),  Hum- 
bert (geb.  April  1689),  Kies  (geb.  1 4.  September  17  13),  Heinius  (geb. 
6.  Januar  1688),  A.  Aciiard  ,  der  Hofprediger  (geb.  2  i .  December  1 696), 
F.  Achard  jun.  (geb.  23.  Juli  1699),  Formey  (geb.  31.  Mai  171 1),  von 
Jariges  (geb.  13.  November  1706),  Sack  (geb.  4.  Februar  1703),  Stu- 
benrauch, d'Argens  (geb.  1704),  Elsner  (geb.  März  1692),  Hering, 
Küster  (geb.  Jamiar  1695),  Pelloutier  (geb.  2  7.0ctober  1694),  Süss- 
MiLCH  (geb.  3.  September  1707). 
2.  November  1747.   Beguelin  (geb.  25.  Juni  1714,  f  3.  Februar  1789). 

4.  Juli  1748.    La  Mettrie  (geb.  1709,   f  11.  November  1751);   Bec- 

MANN  (geb.  18.  Januar  1694,  f  3.  December  1760);  Battier  (er 
verliess  die  Akademie  nach  kurzer  Zeit  und  ging  zu  den  Herrn- 
liutern);  Passavant  (er  verlor  seine  Stelle  am  26.  April  1750). 

S.Mai  1749  bez.  Frühjahr  1750.  Meckel  (geb.  31.  Juli  1724,  resi- 
gnirte  im  Herbst  1773,  t  18.  September  1774). 

23.  October  1749.  Grischow  jun.  (geb.  29.  September  1726,  ging 
1750  ohne  Erlaubniss  nach  Petersburg  und  wurde  auf  Be- 
fehl des  Königs  aus  den  Listen  gestrichen,   f  4.  Juni  1760). 

9.  April  I  750.  Merian  (geb.  28.  September  i  723  ,  f  i  2.  Februar  i  807). 

II.  Juni  1750.  d'Arnaud  (er  wurde  auf  Voltaire's  Betreiben  vom 
König  nach  kurzer  Zeit  entlassen  und  kehrte  nach  Paris 
zurück). 

29.  October  1750.  Sulzer  (geb.  16.  October  i  720,  f  25.  Februar  i  779). 

17.  Juni  1751.   Le  Fevre,  Ingenieur- Oberstlieutenant  (wird  1752  bei 

den  Ehrenmitgliedern  geführt,   f  vor  1770);   Gh.  L.  de  Beau- 
soBRE  (geb.  24.  März  1690,  -f  10.  März  1753). 
29.  Juni  1752.  DE  Premontval  (geb.  16.  Februar  17  16,  f  2.  Septem- 
ber 1764). 

5.  October  1752.    Jacobi  (geb.  8.  Mai   1724,  7  im  Felde  bei  Olmütz 

1762). 

18.  September   1754.     Lehmann    (er  ging   1761    nach  Petersburg,    f 

22.  Januar  1767);  Kies,  vorher  Associe  (geb.  14.  September 
17  13,  ging  im  Jahre  1754  nach  Tübingen,   f  29.  Juli  1781). 

6.  December  1754.   Euler  jun.  (geb.  27.  November  1734;  er  ging  im 

Mai  1766  mit  seinem  Vater  nach  Petersburg,  f  6.  Septem- 
ber 1800). 

27.  Februar  1755.  L.  de  Beausobre  (geb.  22.  August  1730,  f  3.  De- 
cember I  783). 

17.  April  1755.  Aepinus  (geb.  13.  December  1724,  er  ging  1757  nach 
Petersburg,   f  10.  August  1802). 


Der  Persona Istaiid  der  Akademie  unter  Friedrich  II.  469 

15.  Jainiar  1756.  Huber  (geb.  27.  August  1733,  er  kehrte  nacli  we- 
nigen Monaten  in  seine  Vaterstadt  Basel  zurück ,  f  2  i .  August 
i798)\ 

7.  Februar  1760.    de  Catt  (geb.  14,  Juni  1725,  j  27.  November  1795). 
30.  Oetober  1760.    Brandes,   vorher  Associe   [j  19.  Mai  1776).    Ro- 

LOFF,  vorher  Associe  (f  26.  December  1800)"". 
Am  6.  Januar  1764  wurde  der  Akademie  eröffnet,  »que  l'in- 
tention  de  S.  Maj.  etait  qu"on  ne  recüt  a  FAcademie  aucun  membre 
jusqu'ä  ce  qu'Elle  eüt  nomme  un  President,  et  qu'EUe  se  reser- 
vait  pour  le  present  le  droit  de  nommer  Elle  seule  jusqu'ä  ce  temps 
les  membres  que  l'Academie  recevrait«.  Der  König  aber  ernannte 
keinen  Präsidenten,  und  somit  sind  die  folgenden  21  Mitglieder 
sämmtlich   von  ihm   selbst  erwählt  worden. 

5.  Januar  1764.  Quintus  Icilius  d.h.  Guischard  (geb.  24.  September 
1724,  f  13.  Mai  1775);  J.  Bernoulli  (geb.  4.  November  1744, 
f  13.  Juli  1807);  DE  Castillon  sen.  (geb.  15.  Januar  1708,  seit 
4.  September  1755  auswärtiges  Mitglied,  f  11.  Oetober  1791). 

8.  November  1764.    Toussaint  (geb.  21.  December  17  15,   seit  4.  März 

I  7  5  I  auswärtiges  Mitglied  ,722.  Juni  1772). 
10.  Januar  1765.     Lambert  (geb.  26.  August  1728,  j  25.  September 

1777)- 
18.  April  1765.   Thiebault  (er  ging  1785  nach  Frankreich,   f  5.  De- 
cember 1807). 
29.  Mai  1766.     Bitaube    (geb.  um    1730;    er  ging  nach  Frankreich, 

-|-   22.  November  1808). 
2.  Oetober  I  766.    Lagrange  (geb.  25.  Januar  i  736,   seit  2.  September 

1756    auswärtiges    Mitglied,    er    ging    1787    nach    Paris,    f 

10.  April  18 13). 
13.  November  1766.   Weguelin  (geb.  19.  Juni  1721,   f  7.  September 

1791). 
23.  September  1768.     Pernety   (geb.  um   1720,   er  ging   1783   nach 

Frankreich  zurück,  7  1801):   C.  A.  Gerhard  (geb.  26.  Februar 

1738,  f  9.  März  182  i). 


^  Diese  20  Mitglieder  sind  von  Maupertuis  aufgenommen  worden;  von  ihnen 
haben  nicht  weniger  als  neun  die  Akademie  wieder  verlassen  (die  meisten  nach 
kurzer  Zugehörigkeit);  ferner  haben  sechs  (La  Mettrie,  Becmann,  Jacobi,  Le  Fevre 
und  die  beiden  Beausobre)  ihr  nur  geringe  oder  keine  Dienste  geleistet.  Nur  Beguelin, 
Meckel,  Merian,  Premontval  und  Sulzer  sind  ihr  treu  geblieben  und  haben 
geai'beitet. 

-    Diese   drei  Mitglieder   sind   unter  Euler's   Leitung   aufgenommen   woj-den. 


470  T>or  Persoii;i]st;ui(l  dvy  Akademie  unter  Friedrich  II. 

26.  April  1770.    CocHius   (geb.  28.  Januar  17  18,   f  28.  April  1779)'. 
15.  October  1772.    Borrelly   (geb.  1738.   f  1792)- 
2.  December  1773.   Walter  sen.  (geb.  i.  Juli  1734,  f  4- J''^"uar  1818). 
21.  Juli  1775.    Moulines   (geb.  30.  April  1728,   f  14.  März  1802). 

15.  Juni  1776.   F.  Ch.  Achard  (geb.  28.  April  1753,  f  20.  April  1821). 
4.  Juli  1776.    Henkel   (geb.  4.  März  171  2,   f    2  i .  Juli  1779). 

16.  October  1777.   Jon.  Carl  Schulze   (geb.   1749,   f  9.  Juni  1790). 
7.  Sei^tember  1780.   Prevost   (geb.  3.  März  1751,   kehrte  1784   nach 

Genf  zurück,  f  8.  April  1839). 
7.  November  1782.  Denina  (geb.  1731,  f  5- December  18 13). 
23.  Februar  1783.  d'Anieres  (geb.  9.  December  i  736,  f  6.  April  1803). 
Die  Zahl  der  ordentlichen  Mitglieder  betrug  nach  dem  Kniender 
für  das  Jahr  1737  zweiunddreissig,  für  1750  fünfunddreissig, 
für  1756  dreiunddreissig;  sie  sank  dann  während  des  Sieben- 
jährigen Krieges  bis  auf  einundzwanzig,  stieg  wieder  zwischen 
1763  und  1775  bis  auf  siebenundzwanzig  und  fiel  bis  1786  auf 
achtzehn.  Die  physikalische  und  die  philologische  Klasse  waren 
stets  die  stärkeren;  die  mathematische  und  die  philosophische  sanken 


^  In  dem  Sitzungsprotokoll  vom  7.  Februar  177 1  heisst  es:  »On  proposera 
au  roi  le  juif  Mosks  [Mendelssohn]  pour  la  place  de  membre  ordinaire  de  la  classe 
de  Philosophie  speculative  vacantC";  ferner  in  dem  Protokoll  vom  14.  Februar  1771 : 
der  Secretar  zeigt  an,  dass  S.  Maj.  auf  das  letzte  Schreiben  der  Akademie  nicht 
geantwortet  habe.  In  der  Sitzung  vom  26.  September  177 1  kam  man  wieder  auf 
die  Frage  der  Besetzung  der  philosophischen  Stelle  zurück:  i'Peut-on  faire  mention 
de  Moses  Mendelssohn?«  Die  Majorität  entschied  sich  dafür,  ihn  noch  einmal  zu 
nennen.  Allein  man  fand  doch  nicht  den  Muth,  den  Beschluss  auszuführen,  son- 
dern schlug  dem  Könige  Garve,  Spalding  und  Gualtieri  (Geheimrath  bei  der  in 
Köpenick  residirenden  verwittweten  Prinzessin  von  Württemberg)  zur  Auswahl  vor. 
Weiteres  enthalten  die  Protokolle  nicht.  Der  König  liess  die  Stelle  bis  1783  un- 
besetzt; dann  erhielt  sie  d'Anieres.  TIiiebault  erzählt,  Friedrich  habe  Mendels- 
sohn nicht  aufnehmen  wollen,  um  die  Kaiserin  Katharina  nicht  zu  beleidigen, 
"hinter  die  Mendelssohn  [in  den  Listen]  sofort  gekommen  wäre«.  Letzteres  ist 
nur  richtig,  wenn  man  die  Kaiserin  in  die  Reihe  der  ordentlichen  einheimischen 
Mitglieder  einrechnet.  Bartholmess  (I  p.  226)  erzählt,  ohne  seine  Quelle  anzugeben, 
auf  der  ersten  Vorschlagsliste  habe  Mendelssohn's  Name  an  erster  Stelle  gestanden; 
»en  la  recevant,  le  roi  se  fache,  repond  brusquement  par  une  lettre  dure,  recom- 
mande  de  mettre  plus  de  soin  aux  listes  qu'on  lui  adresse,  et  ordonne  d"en  former 
une  nouvelle.  Sur  la  seconde  il  n'y  eut  qu'un  nom  de  change:  Mendelssohn  y 
fut  maintenu  par  l'Academie,  mais  il  fut  repousse  par  Frederic.  »J'en  serais  fache «, 
dit  l'auteur  des  Matinees,  «si  c'etait  TAcademie  tpii  n'eüt  pas  voulu  me  recevoir.« 
Die  Ablehnung  des  Königs  erklärt  sich  lediglich  aus  Mendelssohn's  Judenthum: 
man  hat  daher  nicht  nöthig,  darauf  zu  verweisen,  dass  der  Philosoph  ein  Verth ei- 
diger LEiBNizens  und  Wolff's  gewesen  ist  und  von  Voltaire  wenig  wissen  wollte. 
Übrigens  schätzte  I'riedrich  den  Philosophen  persönlich  hoch  und  hat  sich  auch 
mehrmals  mit  ihm  freundlich  unterhalten. 


Der  Personalstantl  der  Akademie  unter  Friedrich  IL  471 

bis  auf  je  vier  und  drei,  ja  bis  auf  zwei  Mitglieder  herab.  Die 
Zahl  der  geborenen  Franzosen  war  in  der  Akademie  nie  sehr  be- 
deutend; aber  sie  und  die  Franzosen  der  Berliner  Colonie  zusammen 
bildeten  doch  ein  gutes  Drittel.  Unter  den  Akademikern,  die  seit 
1747  aufgenommen  worden  sind,  ist  ausserdem  ein  Fünftel  Schweizer 
gewesen.  Im  Todesjahr  Friedrich's  waren  unter  den  1 8  Mitgliedern 
fünf  Deutsche  (Gerhard,  Gleditsch,  Roloff,  Walter,  Schulze),  fünf 
Schw^eizer  (Bernoulli,  Gatt,  Merian,  Weguelin,  auch  Castillon  ist 
hierher  zu  rechnen),  vier  preussische  Hugenotten  (Achard,  d'Anieres, 
For3iey,  Moulines),  drei  Franzosen  (Lac4range,  Beguelin,  Borrelly) 
und   ein  Italiener  (Denina). 

6b.    Ordentliche  Mitglieder. 

[Nach  dem  Todestage  geordnet  ^] 

I.    Vor  Maupertuis'   Präsidentschaft. 

24.  Juli  1744.     DES  ViGNOLEs,   Elogc  1745,   vou  FoRMEY  vcrfasst"'. 
December  1744.     Lamprecht,   Eloge  1745. 

17.  Januar  1745.    Naude,   Eloge  1746. 

23.  Mai  1745.    Jordan,   Eloge  1746,   vom   Könige   verfasst. 

16.  September  1745.     Wagner,   Eloge  1746. 

2.    Unter  Maupertuis"   Präsidentschaft. 

17.  Juni    1747.     Schaarschmidt. 

10.  November  1 749.  Grischow  sen.,  Eloge  in  Formey's  Hist.  de  l'Acad. 

p.  222 ff. 
8.  October  1750.     Elsner,   Eloge  1750. 

1 1.  November  1751.  La  Mettrie,  Eloge  1750,  vom  Könige  verfasst. 
10.  März  1753.     Gh.  L.  DE  Beausobre,   Eloge  1753. 

25.  December  1753.     Buddeus,   Eloge  1753. 
30.  Juli  1756.     LuDOLFF  jun. 

7.  December  1756.     Lieberkühn.   Eloge  1756. 
1 6 .  August  1756.     Garita  ,   Eloge  1756. 
2.  October  1757.     Pelloutier,   Eloge  1757. 

3.    Nach  Maupertuis"   Tode. 
2  7 .  Juli  1759.     Maupertuis  ,   Eloge  1759. 

18.  Mai  1760.     Sprögel,   Eloge  1760. 

13.  September  1760.     Eller,   Eloge  1761. 

^    Die  Todestage  der  ausgeschiedenen  Mitglieder  sind  hier  nicht  verzeichnet. 

^  Die  Eloges,  bei  denen  kein  Verfasser  angeführt  ist,  sind  sämmtUcli  von 
FoRMEY.  Die  Jahreszahl  giebt  den  Band  der  Memoires  an,  in  denen  das  Eloge  ab- 
gedruckt ist. 


472  Der  Pers()ii;ilst;iii(l  der  Akademie  unter  Frieduicu   11. 

3.  Dcceml)er  1760.    Becmann,  Eloge  1761. 

12.  Januar  1761.     Humbkrt,   Eloge  1762. 
1762.    Jacobi,   Eloge    1762. 

22.  October  1763.     Christian  Friedrich  Ludolff  sen.,   Eloge  1764. 

2.  September  1764.     Premontval,   Eloge  1765. 

2  2 .  März  1766.     SussBiiLCH ,   Eloge  1767. 

9.  November  1770.    de  Jariges,   Eloge  1771. 

1  2.  (13.)  Januar  1771.     d'Argens,   Eloge  1771. 

2.  Mai  1772.    A.   Ach  ARD,   Eloge  1772. 

2  2 .  Juni  1772,     ToussAiNT ,   Eloge  1773. 

18.  September  1774.     Meckel,   Eloge  1775. 

13.  Mai  1775.     QuiNTüs  IciLius   (Guischard),   Eloge  1776. 
S.August  1775.     Heinius,   Eloge  1776. 

28.  März  1776.     Küster,   Eloge  1776. 

19.  Mai  1776.     Brandes. 

29.  März  1777.     Pott  ,   Eloge  1777. 

25.  September  1777.     Lambert,   Eloge  1778. 

25.  Februar  1779.     Sulzer,   Eloge  1779. 

28.  April  1779.     Cochius,   Eloge  1780. 

21.  Juli  1779.    Henkel,   Eloge  1780. 

9,  Mai  1781.  Francheville,  Eloge  1782,  von  seinem  Solme,  Canonicus 

in  Glogau. 
28.  April  1782.    Fr.  Achard,   Eloge  1782. 
7.  August  1782.     Marggraf,   Eloge  1783. 

6.  Januar  1783.     Uhden,   Fiscal,   Eloge  1783. 

3.  December  1783.    L.  de  Beausobre,   Eloge  1784. 
April  1786.     Sack,   Eloge  1786. 

7.  Ehrenmitglieder  ^ 

Im  Jahre  1746  ausser  den  vier  (Vuratoren  (von  Schmetpau  [1750],  von  Arnim 
[1754],  von  Viereck  I1760]  und  von  Borcke  [1747])  Graf  von  Gotter  [1763], 
Graf  von  Podewils  [1761],    Graf  von  Münchow  [1754],    Generalmajor  von  Goliz 

[1747I,    VON    PÖLI.NIIZ,    von    KeVSERLINGK    [1746],    VON    SwEER  IS    ll757l,    VOCKERODI- 

[1755],  VON  IvNor.ELSDORFF  [1752],   Graf  VON  FiNCKENsiEiN  [1801],  Gcueraladjutant 

VON  BoRCKE,  VON  Kehh  [1756],  General  von  Stim.e  I1751],  Duhan  de  Jandun  [1746], 

VON  Bredow  [1758],   Gi'af  von  Dohna   [1752],    Darget,    Bielfeld  [1770]. 

30.  Mai  1747.     Graf  Algarotti. 

7.  September  1747.     von  Redern. 


^  Die  in  eckigen  Klammern  beigesetzte  Zahl  bezeichnet  den  Jahrgang  der 
Memoires,  in  welchem  das  Eloge  steht.  Von  den  24  Eloges  sind  14  von  Forme v, 
vier    vom    Könige    ((roi/rz.    Dihan,   Spille .    Knobelsdorff),   drei  von  Maupertuis 


Der  Personalstaiid  der  Akadoinie  unter  Fuikdrich   II.  47o 

11.  Juni  1750.     VON  Marschall. 

4.  September  1750.     Marschall   von   Keith   [1760]. 

7.  October  1751.     de   Cagnonl 

8.  Juni  1752.     Graf  von  Borcke. 

7.  September  1752.   von  Hertzberg. 

6.  December  1754.  von  Borcke;  von  Danckelmann  [1765];  von  Mas- 
sow, 

I.  April  1756.  Abbe  de  Prades  (seit  dem  10.  Mai  1753  ^^'^^'  ^^'  ^^^' 
wärtiges  Mitglied);  der  Fürstbischof  von  Breslau,  Graf 
von  Schaffgotsch. 

18.  September  1760.  Cothenius  (seit  9.  April  1750  auswärtiges  Mit- 
glied)  [1788/89]. 

20.  December  1764.  Prinz  Friedrich  August  von  Braunschweig; 
Prinz  WiLHELBi  Adolf  von  Braunschweig  [1771]. 

10.  September  1767,  Die  Kaiserin  Katharina  II.  von  Russ- 
land \ 

23.  Juni  1775.     Der  Minister  Waitz  von  Eschen   [1777]. 

12.  September  1776.     Der  Minister  von  Zedlitz. 

Die  Zahl  der  Ehrenmitglieder  sank  während  der  Regierung 
Friedrich's   II.   von   1 7    allmählich   auf  6   herab. 

8.    Auswärtige  Mitglieder-. 

Die  neue  Akademie  übernahm  bei  ihrer  Gründung  am  24.  Januar 
1744  von  der  alten  Societät  84  auswärtige  Mitglieder;  es  befan- 
den  sich  unter  ihnen   Barbeyrac,   Celsius,   Gottsched,   Maupertuis, 


(IVEYSERLINGK,      SCHMET  TAU  ,      BoRCKe),      silieS      VOM       ReDERN      (BrEDOW),      cilieS      VOIl 

MÖHSEN  (Cothenius)  und  eines  von  Merian  (Finckenstein). 

^  Ob  der  10.  September  der  Tag  ist,  an  welchem  die  Kaiserin  die  Annahme 
der  Wahl  ausgesprochen  hat  oder  an  welchem  ihr  Antwortschreiben  bei  der  Aka- 
demie eingegangen  ist.  lässt  sich  nicht  entscheiden  (s.  Memoires  1770  p.  19).  Am 
3.  December  1767  empfing  die  Akademie  die  von  der  Kaiserin  verfasste  »Instruction 
pour  la  reformation  des  lois  de  la  Russic",  welche  die  Kaiserin  in  deutscher  Über- 
setzimg  dem  Könige  ühersandt  hatte.  Der  Secretar  legte  zugleich  den  Entwurf  eines 
Dankschreibens  vor.  Am  21.  Januar  1768  theilte  derselbe  mit,  der  König  habe  an- 
geordnet, die  Akademie  solle  der  Kaisex'in  die  Qualität  eines  (wirklichen)  Mitgliedes 
ofteriren  (Sitzungs -Protokolle).  Weiteres  über  den  Verlauf  der  Sache  ist  aus  den 
mir  bekannten  Acten  nicht  zu  ersehen.  In  der  That  aber  wurde  die  Kaiserin  in 
den  Listen  der  Akademie  nun  nicht  unter  den  Ehrenmitgliedern,  sondern  an  der 
S})itze  der  auswärtigen  wirklichen  Mitglieder  geführt. 

^  Vergl.  besonders  den  Jahrgang  1770  der  Memoires.  Nur  di-ei  auswärtige 
Mitglieder  haben  ein  Eloge  in  der  Akademie  erhalten,  nämlich  Jean  Bernoulli 
[1747],  Montesquieu  [1754]  und  X'oltaire  [1778].  jene  beiden  von  Maupertuis, 
dieser  vom  Könige. 


474  Dri-  Pcrsouiilstniid  der  AkadciiiiL'  unter  Friedrich  II. 

Michaelis,    Reaumur,    Sloane,    Chr.  Wolfe.       Die    Zahl    der    iiiclit- 

(leutscheii  Mitglieder  war  gering,   die  der  berühmten  Gelehrten  nicht 

gross. 

1744  — 1746  (d.h.  bis  zu  Maupertuis'  Antritt  als  Präsident)  wurden 
von  der  neuen  Akademie  aufgenommen:  der  Marquis  d'Ar- 
GENSON  in  Paris;  d'Arnaud  in  Dresden;  Nie.  Bernoulli  in 
Basel:  Buefon  in  Paris;  Clairault  in  Paris;  Le  Fevre  in 
Berlin ;  Iken  in  Bremen :  Krafft,  von  der  Petersburger  Aka- 
demie; DE  Lalande  in  Paris:  Le  Monnier  in  Paris;  Waitz 
in   Cassel:   Walmesley  in   Paris:   Wernsdorff  in   Danzig\ 

2.  Juni  1746.    d'Alembert  in  Paris. 

Q.Juni  1746.  Voltaire  [Eloge  vom  Könige  1778]  und  Condamine 
in   Paris. 

30.  Juni  1746.  FoLKES,  Präsident  der  Königliehen  Gesellschaft  in 
London;  Graf  Carati,  Prälat  des  Grossherzoglichen  Ordens 
in  Florenz  und  Curator  der  Akademie  von  Pisa;  Bradley, 
Astronom  des  englischen  Königs;  Cassini  sen.,  von  der 
Academie  des  Sciences  zu  Paris;  Cassini  jun.,  von  der  Aca- 
demie  des  Sciences  zu  Paris;  Nicole,  von  der  Academie 
des  Sciences  zu  Paris;  Marinoni,  Kaiserlicher  Astronom  in 
Wien;  Deparcieux,  von  der  Academie  des  Sciences  zu 
Paris;  J.  Bernoulli  zu  Basel  [Eloge  von  Maupertuis  1747]; 
D.  Bernoulli  zu  Basel;  Abbe  Sallier,  von  der  Academie 
Francaise  und  der  Academie  des  Beiles -Lettres  zu  Paris; 
Montesquieu,  von  der  Academie  Frangalse  zu  Paris  [Eloge 
A^on  Maupertuis  1754];  Horrebow,  Astronom  des  Königs 
von  Dänemark;  Musschembroek ,  Professor  der  Mathematik 
zu  Utrecht;  Bourdelin,  von  der  Academie  des  Sciences  zu 
Paris;  Le  Monnier,  von  der  Academie  des  Sciences  zu 
Paris;  Gesner,  Leibarzt  des  Herzogs  von  W^ürttemberg;  Pem- 
BERTON,  von  der  Königlichen  Gesellschaft  zu  London;  Linne, 
Professor  zu  Upsala;  Stirling,  von  der  Königlichen  Gesell- 
schaft zu  London. 

8.  December  1746.  du  Perron  de  Castera,  französischer  Gesandter 
in  Warschau;  von  Kleist,  Decan  des  Capitels  zu  Camin; 
Zimmermann,  Professor  der  Theologie  in  Zürich;  Cramer, 
Professor  der  Mathematik  in  Genf;  Segner,  Professor  der 
Mathematik  in  Göttingen ;   Schütze  ,   Pastor  zu  Altona. 

^    Maupertuis  hat  später  einigen  von  ihnen  auf  s Neue  Diplome  zugehen  lassen: 
denn  er  kümmerte  sich  weni»;  um  das,  was  früher  in  der  Akademie  "-eschehen  war. 


Der  Personalstand  der  Akademie  unter  Friedrich  II.  4/5 

2.  Februar  1747.     Marquis  de  Paulmy  d'Argenson  in  Paris. 

16.  Februar  1747.  Graf  von  Keyserlingk,  russischer  Gesandter  in 
Dresden. 

23.  März  1747.     Abbe  Outhier. 

4.  Mai  1747.    DE  MoNCRiF,  von  der  Academie  Frangaise  zu  Paris. 

2.  November  1747.  Fontaine,  von  der  Academie  des  Sciences  zu 
Paris;   Gresset,   von   der  Academie  Frangaise  zu  Paris. 

2i.December  1747.    Perard,   Hofprediger  zu  Stettin. 

27.  Juni  1748.  Cardinal  Quirini,  Bischof  von  Brescia,  Bibliothekar 
am   Vatican ;   Marquis  SciPio  Maffei  zu  Verona. 

4.  Juli  1748.  Baumgarten  in  Halle;  Hedelinger,  schwedischer  Hof- 
intendant. 

12.  September  1748.  Graf  Zaluski,  Grand -Referendaire  des  pol- 
nischen Hofs;  Mortimer,  Secretar  der  Königlichen  Gesellschaft 
in  London. 

19.  September  1748.  Graf  Rasumowsky,  Präsident  der  Kaiserlichen 
Akademie  zu  Petersburg. 

8.  Mai  1749.    Henault,  von  der  Academie  Fran^aise  zu  Paris;  Tru- 

BLET.   Canonicus  zu  St.  Malo. 

2  8 .  August  I  7  49.  Fürst  Lobkowitz  zu  Prag ;  Graf  von  Lippe-Schaumburg. 

4.  September  1749.  von  Bilfinger  in  Stuttart;  von  Haller,  Professor 
in  Göttingen;  König,  Professor  im  Haag  [er  hat  im  Juli  1752 
sein  Diplom  der  Akademie  zurückgeschickt] ;  Jacquier,  Francis- 
caner,  Professor  der  Mathematik  in  Rom;  Le  Seur,  Francis- 
caner,  Professor  der  Mathematik  in  Rom;  Bianconi,  Leibarzt 
des  Bischofs  von  Augsburg;  Ploucket,  Professor  der  Philo- 
logie in  Tübingen. 

23.  October  1749.     Abbe  Terrasson. 

4.  December   1749.      Lord   Macclesfield  ;    de   Fontenelle  ,    von    der 

Academie  Francaise  und  der  Academie   des  Sciences;    Abbe 
Condillac, 
1 1.  December  1749.     Abbe  de  Guasco,  von  der  Academie  des  Belles- 
Lettres  zu  Paris;   Abbe  de  l'Ecluse  des-Loges. 

5.  Februar  i  750.    Marquis  de  Tressan,  von  der  Academie  des  Sciences 

zu  Paris;   Kästner,   Professor  der  Mathematik  zu   Leipzig. 

9.  April  1750.     Cothenius,   Leibarzt  des  Königs  zu  Potsdam. 

16.  April  1750.     Don   George  Juan  d'Aliaga;    Don  Antonio  d'Ulloa. 
II.  Juni  1750.     Beris,   Astronom  zu  London. 

26.  September  1750.  de  Torres-Castellanos,  von  der  Akademie  zu 
Madrid. 


47C)  Der  Personalstand  der  Akademie  unter  Friedrich  II. 

29.  October  1750.     Abbe  Raynal. 

14.  Januar  1751.    Mayer,  Professor  der  Philosophie  zu  Halle ;.  Lange, 

Pastor  zu  Laubliugeii ;  Gros  de  Boze,  von  der  Academie  Fran- 
chise zu  Paris. 

4.  März  1751.  Dn)ER0T  zu  Paris;  Tronchin,  Arzt  zu  Amsterdam; 
ToussAiNT,  Advocat  am  Parlament  von  Paris. 

17.  Juni  1751.     Gesner,   Pfarrer  zu   Zürich, 

4.  November  1751.   Unger,  Bürgermeister  zu  Eimbeck ;  Altmann,  Pro- 

fessor zu  Bern. 
23.  December  1751.     de  Lalande,    Astronom  zu  Paris ^;    Baron  von 

Creutz;    Springfeld,   Arzt  in  Weissenfeis. 
16,  Mcärz  1752.     GoDiN,    von   der  Academie   des    Sciences  zu    Paris; 

Jallobert,   Professor  der  Physik  zu  Genf;  Wetstein,  Caplan 

des  Prinzen  von  Wales. 

15.  Juni  1752.    ToscHi  DE  Fagnano,  Marquis  de  S.  Onorio;  Duclos, 

von  der  Academie  Francaise  zu  Paris;  d'Aubenton,  von  der 
Academie  des  Sciences  zu  Paris;  de  Montigny,  von  der  Aca- 
demie des  Sciences  zu  Paris;  Wetstein,  Professor  der  Ge- 
schichte in  Amsterdam. 

29,  Juni  1752.    Bertrand,   Pastor  zu  Bern. 

5.  October  1752.    des  Landes,   Veteran   der  Academie   des  Sciences 

zu  Paris;  Venturini,  Leibarzt  der  verw.  Königin  von  Spanien; 
Zinn,   Professor  der  Botanik  in   Göttingen. 
19.  October  1752.    Boehmer,   Professor  der  Medicin   in  Halle;   Hee, 
Professor  am  Marine -Colleg  in  Kopenhagen. 

30.  November  1752.     von  Bredow,   Generallieutenant. 

10.  Mai  1753.  Abbe  de  Prades;  von  Dreyhaupt,  Geheimer  Rath; 
Ludwig,  Professor  in  Leipzig;  Tafinger,  Doctor  (in  Württem- 
berg). 

28.  Juni  1753.  VON  Kurdwanowski,  Kammerherr  des  Königs  von 
Polen ;  de  Chabert  ,  französischer  Flottenofficier ;  de  Cahusac 
zu  Paris. 

18.  Juli  1754.  Baron  Holbach  zu  Paris;  d'Aine,  Königlicher  Procu- 
reur  zu  Paris;  Morgagni,  Professor  der  Anatomie  zu  Padua; 
Collinson,    von  der  Königlichen  Gesellschaft  zu  London. 

28.  August  1754.     Graf  TuRPiN,  französischer  General;    de  Solignac, 


1  Er  war.  neunzehn  Jahre  alt,  von  der  Pariser  Akademie  zur  Bestimmung  der 
Parallaxe  des  Mondes  nach  Berlin  gesandt  worden  und  hielt  sieh  bis  zum  Jahre 
1752  dort  auf. 


Der  Personalstand  der  Akadeinie  unter  Friedrich  II.  4  M 

Geheimer  Secretär  des  polnischen  Königs;   Helvetius,  Leib- 
arzt   der   Königin    von    Frankreich;    le    Cat,    Professor   der 
Anatomie   zu  Rouen. 
1 8.  September  1754.    de  Cogollin;   L.  Bertrand   in   Genf. 

15.  Januar  1755.     A.  Mayer,    Professor    der  Mathematik    zu  Greifs- 

wald; Soares  de  Barros,  Astronom  zu  Lis.sabon;  Maty, 
Arzt  in  London ;  Sauvages  ,  Professor  der  Medicin  in  Mont- 
pellier. 

20.  Februar  1755.  de  Robieü,  Präsident  des  Parlaments  der  Bre- 
tagne. 

27.  Februar  1755.    Abbe   de  la   Caille. 

17.  April  1755.  DE  Secondat,  Präsident  des  Parlaments  der  Gu- 
yenne. 

3.  Juli  1755.    DE  Montucla;   Graf  Roncalli,   Präsident  des  medicini- 

schen  Collegs  zu  Brescia. 

4.  September  1755.     de  Castillon,   Professor  zu  Utrecht  (er  wurde 

am   5.  Januar  1764  ordentliches  Mitglied);  de  St.  Albine. 

16.  October  1755.     Der  Cardinal  Passionei. 

23.  October  1755.  Brandes,  Medieiner  und  Chemiker  (er  wurde  am 
30.  October  1760  ordentliches  Mitglied);  Roloff,  Mediciner 
mit  Chemiker  (er  wurde  am  30.  October  1760  ordentliches 
Mitglied). 

20.  November  1755.     Machnitzky,   Kriegsrath  in  Glogau. 

S.April  1756.     Der  Herzog  von  Nivernais. 

2.  September  1756.  Salle,  Advocat  am  Parlament  von  Paris;  de  la 
Grange,  Professor  an  der  Artillerieschule  zu  Turin  (er  wurde 
am  2.  October  1766  Euler's  Nachfolger  als  Director  der 
mathematischen  Klasse). 

7.  September  1758.  BL\Ncni,  Arzt  in  Rimini;  Schäfer,  Pastor  in 
Regensburg. 

Q.November  1758.    Hanselmann,   Archivar  des  Fürsten  von  Hohen- 

LOHE. 

16.  November  1758.  Cartheuser,  Professor  der  Anatomie  und  Bo- 
tanik zu  Frankfurt  a.  0. :  Frisi,  Professor  zu  Pisa;  LEmEN- 
FROST,  Professor  der  Medicin  zu  Duisburg;  Spielmann,  Pro- 
fessor der  Medicin  zu  Strassburg. 

5.  April  1759.    DE  Bayard,   Prälat  zu  Rom. 

13.  März  1760.    J.  E.  Silberschlag,   Pastor  zu  Magdeburg. 

16.  October  i  760.   Huber,  Leibarzt  des  Landgrafen  von  Hessen-Cassel. 

23.  October  1760.    Franz  Zanotti  vom  Institut  zu  Bologna;   Eusta- 


478  Der  Personnlstaiid  der  Akad(;iiiie  unter  Friedrich  IL 

cHius   Zanotti  vom  Institut  zu  Bologna;   Caldani,   Professor 
der  Anatomie    zu  Bologna;    de  Machy,    Chemiker   zu   Paris; 
Lyonet,   von    der   Königlichen    Gesellschaft   zu   London,    im 
Haag;    Lessing    in    Berlin;    Zimmermann,    Mediciner    in    der 
Schweiz. 
Am    2.  April  1761   nahm  man  einige  Wahlen  vor  und  ersuchte 
den  König  um  Bestätigung;  aber  man  erhielt  bis  zur  Beendigung  des 
Krieges  keine  Antwort;   dann  antwortete  der  König  am  12.  Januar 
1764,   dass   er  sich   die  Auswahl  der  Mitglieder    selbst  vorbehalte. 
Die  Vorgeschlagenen  waren  Geleert  und  Lambert   (s.  das  Sitzungs- 
Protokoll  und  oben  S.  351);  Ersterer  ist  nie  aufgenommen  worden. 
Letzterer  wurde    1765   ordentliches  Mitglied. 
5.  Januar  1764.    de  Jaucourt,  Mitredacteur  der  Encyklopädie;  Hel- 

VETIUS. 

28.  Juni  1764.    Watelet;  Bourgelat;  Abbe  d'Expilly. 

10.  September  1767.     Davila. 

Januar/Februar  1768.   Die  Kaiserin  Katharina  von  Russland  (s.  oben 

S.473)- 
14.  April  1768.    de  Sozzi,  Advocat  am   Parlament  von  Paris. 

28.  April  1768.    DE  Beaumont,   Advocat  am  Parlament  von  Paris. 
14.  September  1769.    Messier,   Astronom  zu  Paris. 

2.  Juli  1772.    Marquis  Toschi-Fagnano,  Archidiaconus  in  Sinigaglia. 
26.  August  1773.    Graf  de  la  Tour -Rezzonico,   Secretar  der  König- 
lichen Academie  des  Beaux-Arts  in  Parma. 

31.  December  1773.   Melander,  Professor  der  Astronomie  in  Upsala. 

22.  Juli  1774.    deVilloison,    von  der  Academie    des  Beiles -Lettres 

zu  Paris. 
18.  Januar  1776.     Abbe   Spallanzani  zu  Pavia. 

11.  Juli  1776.    Abbe  Toaldo,   Professor  der  Astronomie  zu  Padua. 

13.  Februar  1777.     Domaschnew,   Director  der  Kaiserlich  Russischen 

Akademie  zu  Petersburg. 
20.  Februar  1777.     Lorgna  ,   Ingenieur -Oberst  in  Venedig. 
10.  April  1777.    Raulin,   Königlicher  Leibarzt  in  Paris. 

23.  September  1779.    Casati  d'Acri,  in  Mailand. 

22.  Juni  1780.    Marquis  de  St.  Aubain  in  Paris:   Barthez  in  Mont- 
pellier;  ScARPA  in  Modena. 

29.  November  1781.     Selis,   Professor  de  Beiles -Lettres  in  Paris. 
?  ?    1783.     Chevalier  Landriani. 

3.  Januar  1784.     von  Crell  in  Helmstädt. 

14.  Juli  1785.     Graf  Rivarol   in   Paris. 


Der  Personalstand   der  Akademie   unter  Friedrich  IL  4/9 

Die  Zahl  der  auswärtigen  Mitglieder  betrug  hei  der  Neugrün- 
dung der  Akademie  84,  stieg  sclmell,  so  dass  sie  am  Anfang  der 
fünfziger  Jahre  140  hetrug,  und  hielt  sich  bis  1764  auf  dieser  Höhe. 
Dnnn  sank  sie  stetig.  Im  Jahre  1786  waren  es  nur  64.  Die  Aus- 
länder übertrafen  an  Zahl  die  Deutschen  immer  mehr,  so  dass  diese 
zuletzt  kaum  den  5.  Theil  der  Auswärtigen  bildeten.  Unter  den 
65  Mitgliedern,  die  Maupeetuis  von  1746  — 1750  aufgenommen  hat, 
befindet  sich  nur  ein  Dutzend  Deutscher.  Unter  den  79,  die  von 
I  751  —  1760  Mitglieder  wurden,  sind  es  23  (darunter  Lessing);  unter 
den  27,  die  von  1764  — 1786  aufgenommen  worden  sind,  ist  ein 
einziger  Deutscher. 

9.  Beamte  der  Akademie;  der  Personalstand  von  1786. 

Das  Kalenderwesen  leitete  als  Rendant  beim  Regierungsantritt 
Friedrich's  der  (Jber-Commissarius  David  Köhler;  es  wurde  ihm 
auch  von  der  neuen  Akademie  übertragen.  Der  Berliner  Factor 
der  Akademie  war  1744  Pesenecker,  Aufwärter  der  Hof-Polirer 
Ende.  Bibliothekar  war  seit  dem  7.  November  1745  Pelloutier. 
Als  Copist  —  später  als  Secretarius,  Registrator  und  Kanzlist  be- 
zeichnet —  erscheint  im  Kalender  seit  1747  Blume,  seit  1749  neben 
ihm  Jouffroy  (für  das  Französische);  statt  seiner  1755  Castagne. 
Im  Jahrgang  1752  ist  zum  ersten  Mal  im  Personalstande  und  unter 
den  Einrichtungen  der  Akademie  die  Direction  des  Botanischen 
Gartens  aufgenommen;  Director  ist  Gleditsch,  Gärtner  J.  J.  Müller. 
Im  Jahrgang  1753  wird  zum  ersten  Mal  ein  »Geographus«  der  König- 
lichen Akademie  aufgeführt,  Rhode;  im  Jahrgang  1760  erscheint  ein 
Akademie-Mechanicus,  Ring.  Als  Justitiar  der  Akademie  wird  im 
Jahrgang  1765  d'Anieres  genannt.  Im  Jahrgang  1766  werden  fol- 
gende Beamten  aufgeführt: 

1 .  der  Justitiar ; 

2.  der  Gärtner  (ausser  dem  Director  des   Gartens); 

3.  der  Archivar  — -  Instruction  für  ihn  von  1766^;  der  erste 
war  der  Akademiker  Weguelin;  die  Stelle  wurde  neben  der 
des  Bibliothekars  geschaffen,  die  nach  Pelloutier's  Tode  der 
Akademiker  Merian  verwaltete  und  auch  beibehielt,  nach- 
dem er  Director  geworden   war"; 


^    Im  Akademischen  Archiv,   Fase:    "Pedelle,  Anschaffung  von  Papier,  Holz, 
Licht,  auch  Besorgung  der  Opern -Loge". 

-    Ein  Vorschlag  von  ihm  zur  Verwaltung  der  Bibliothek  vom  2,  Februar  1769. 


480  Der  Personalstand  der  Akademie  unter  Friedrich  IL 


4.  der  Ober-Commissarius   und  Tresorier  ; 

5.  der  Geograph; 

6.  der  Mechaiiicus; 

7.  der  Kanzlist; 

8.  der  Aufwärter; 

9.  erscheint  hier  zum  ersten  Mal  «Hr.  J.  G.  Gravius,  Hofrath  und 
Pächter  des  Kalender- Wesens  und  der  Landkarten,  und  Hr. 
MiTZLAFF,  Ober-Commissarius  und  Pächter  der  Edicte«  (s.  unten). 

Im  Jahrgang  1768  erscheint  ein  »Naturalien -Maler«  der  König- 
lichen Akademie,  Happe;  im  Jahrgang  1769  ein  »Dessinateur«  der 
Königlichen  Akademie,  Hopfer;  im  Jahrgang  1773  unter  den  Be- 
amten zwei  Astronomen -Gehülfen  DAvm  Naude  und  E.  Bode. 

Im  Jahre  1783  wird  Blume's  Nachfolger  als  (Unter-)  Secretar 
und  Registrator  J.  H.  G.  Schröder.   — 

Im  Jahre  1786  war  der  (sehr  reducirte)  Personalstand  der  Aka- 
demie folgender: 

Protector:   der  König. 

Curator:   von  Redern   [»drei  Stellen   vacant«]. 
Ehrenmitglieder:     der   Prinz   Friedrich    August    von    Braun- 
schweig,  die  drei  Staatsminister  Graf  von  Finckenstein, 

VON  Hertzberg,  von  Zedlitz,  der  Leibarzt  Cothenius  und 

der  General-Major  Graf  von   Borcke. 
Veteranen:    Beguelin    und   der   Ober-Consistorial-Rath    Sack 

(t  1786). 
Physikalische  Klasse:    Director  Achard,   Geheimer  Bergrath 

Gerhard,   Botaniker  Gleditsch   (f  1786),   die  Mediciner 

RoLOFF  und  Walter. 
Mathematische  Klasse:  Director  Lagrange  (verlässtBerlin  1787), 

Bernoulli,   von  Castillon,   J.  C.  Schulze. 
Philosophische  Klasse:   Director  vacat,  d'Anieres  und  Formet, 

Secret.  perpet. 
Philologische  Klasse:    Director  Merian,    Bitaube,    Borrelly, 

DE   Gatt,   Denina,   Moulines,   W^eguelin. 
Bibliothekar:  Merian  ;  Justitiar : d'Anieres ;  Archivax:  W^eguelin  ; 

Astronom:  D.  Naude  und  E.  Bode;  Tresorier:  Lieutenant 


^  Im  Jahrgang  1773  heisst  er:  » General -Inspector  über  sämmtliche  Adrefs- 
Comtoirs,  Obercommissarius  und  Tresorier  der  K.  Akademie«.  Die  Stelle  bekleidete 
noch  immer  David  Köhler;  er  war  auch  Kriegsrath  geworden.  Im  Jahre  1757 
folgte  ihm  W.Jordan,  dann    1783   von  Bailliodz. 


Die  Pablicationen  der  Akademie.  4(S1 

VON    Windheim:     Secretär,     Registrator     und    Kanzlist: 
Schröder;      Gärtner:     Müller;      Dessinateur:     Hopfer; 
Mechanieiis :    Ring;   Aufwärter:   Eichholtz\ 
Auswärtige  Mitglieder  werden  64  aufgeführt,   an  ihrer  Spitze 
die   Kaiserin  Katharina. 

10.  Publicationen  der  Akademie, 

I.  Von  I  746-1  771  für  die  Jahre  1745  — 1769  erschienen  unter 
Leitung  Formey's  25  Bände  unter  dem  Titel:  Histoire  de  l'Aca- 
demie  Royale  des  Sciences  et  des  Belles-Lettres.  Annee  . . . ., 
ä  Berlin  cliez  Haude  et  Spener  I.ibraires  de  la  Cour  et  de 
l'Academie  Royale.  Der  Jahrgang  1745  hat  den  Zusatz:  »de 
Berlin.  Avec  les  Memoires  pour  la  meme  Annee,  tirez  des  Regis- 
tres  de   cette  Academie«. 

Die  Einrichtung  ist  nicht  gleichmässig.  Der  Jahrgang  1745 
enthält  nach  einer  Widmimg  an  den  König  und  einer  Vorrede  eine 
kurze  Geschichte  der  Akademie  und  den  Bericht  über  ihre  Erneue- 
rung, sodann  ausführliche  Sitzungsberichte  und  die  Eloges.  Daran 
reihen  sich,  besonders  paginirt,  die  Memoires.  Der  Jahrgang  1746 
bringt  zuerst  eine  Geschichte  der  Akademie  für  1745/46  und.  dann, 
besonders  paginirt,  die  Memoires,  an  deren  Schluss  (Classe  de  Belles- 
Lettres)  die  Eloges  stehen.  Der  Jahrgang  1747  beginnt  mit  einer 
ganz  kurzen  »Geschichte«,  der  Ode  des  Königs  und  den  Eloges, 
dann  folgen,  besonders  paginirt,  die  Memoires.  Im  Jahrgang  1748 
und  1749   fehlt  die    »Histoire«,    obgleich  die  ganze  Publication   als 


^  Es  ist  für  die  Stadtgeschiclite  nicht  ohne  Interesse,  die  Wohnungen  der  Aka- 
demiker zu  wissen.  Hier  ein  Verzeichniss  für  das  Jahr  1786  (nach  dem  dritten 
Anhang  S.  iff.  zu  Nicolai's  Besclu'eibung  der  Könighchen  Residenzstädte  Berhn 
und  Potsdam  ^  Bd.  3): 

AcHARD  (im  Akademiehause,  der  Sternwarte  gegenüber),  d'Anieres  (Unter  den 
Linden .  in  seinem  Hause),  Beguelin  (Hinter  der  Sternwarte,  Stallgassenecke),  Ber- 
NOULLi  (im  Akademiehause,  der  Sternwarte  gegenüber),  Bitaube  (Französische 
Strasse,  Simon'sches  Haus),  Bode  (Unter  den  Linden,  Tempelhof "sches  Haus), 
Borrelly  (Heiligengeiststrasse,  Ritterakademie),  Castillion  sen.  et  jun.  (Ecke  der 
Markgrafen-  und  Französischen  Strasse,  AcHARo'sches  Haus),  de  Catt  (Potsdam), 
CoTHEMius  (Mühlendamm,  Ephraim'sches  Haus),  Denina  (in  Begüelin's  Haus, 
s.  oben),  Formey  (Behrenstrasse,  im  eigenen  Haus),  Gerhard  (Unter  den  Linden, 
in  des  Sattler  Lilien  Haus),  Gi-EDrrscH  (Unter  den  Linden,  in  des  Bäcker  Geoi-ge 
Haus),  DE  LA  Grange  (Unter  den  Linden,  im  Hause  der  Präsidentin  Görne),  ^Iekiax 
(Jägerstrasse,  Pennavier'sches  Haus),  Moulines  (Unter  den  Linden,  in  des  D.  Richter 
Hause),  Roloff  (bei  der  Garnisonkirche,  in  seinem  Hause),  Sack  (Dorotheen- 
stadt,  letzte  Strasse,  im  eigenen  Hause),  J.C.Schulze  (Neustadt,  letzte  Strasse), 
Walter  (LTnter  den  Linden,  im  Hessischen  Hause),  Wegüelin  (Ritterakademie). 
Geschichte  der  Akademie.    I.  31 


482  Die  Publicationen  dei-  Akademie. 

»Histoire  de  FAcadcmie«  u.  s.w.  bezeichnet  ist;  die  Bände  enthalten 
also  nur  Memoires.  Der  Jahrgang  1750  bringt  wieder  eine  Histoire 
und  die  Eloges  am  Anfang,  sodann  die  Memoires,  die  aber  nicht 
besonders  paginirt  sind.  Der  Jahrgang  1751  enthält  keine  »Ge- 
schichte« und  das  Eloge  unter  den  Memoires  am  Schluss.  Der  Jahr- 
gang 1752  stellt  die  Eloges  voran,  paginirt  fort  und  enthält  keine 
»Geschichte«.  Diese  fehlt  nun  überhaupt,  während  die  Eloges  seit 
1753  immer  am  Schluss  stehen.  Von  den  Antrittsreden  der  neu 
aufgenommenen  Mitglieder  ist  kaum   eine   gedruckt. 

Erschienen  ist  der  Band  für  1745  im  Jahre  1746,  die  Bände 
1746  — 1757  und  1764  — 1769  immer  je  zwei  Jahre  später.  Dagegen 
hat  der  Siebenjährige  Krieg  das  Erscheinen  der  Jahrgänge  1758  bis 
1763  so  verzögert,  dass  sie  erst  1 765-1 770  erschienen  sind;  in 
den  Jahren  1 766-1 770  sind  also  je  zwei  Bände  gedruckt  worden, 
während  von  1760— 1764   nichts  publicirt   worden   ist. 

2.  In  grösserem  Format,  besserer  Ausstattung  und  besserem 
Druck  erschienen  von  1772-1788  für  die  Jahre  1770-1786  eben- 
falls unter  Forbiey's  Leitung  17  Bände  unter  dem  Titel:  Nouveaux 
Memoires  de  l'Academie  Royale  des  Sciences  et  Belles- 
Lettres.  Annee  .  .  .  Avec  l'histoire  pour  la  meme  annee^ 
Hier  steht  regelmässig  und  besonders  paginirt  die  Geschichte  der 
Akademie  in  dem  betreffenden  Jahre  voran  nebst  den  Veränderun- 
gen im  Personalstatus,  Preisvertheilungen ,  Berichten  über  feierliche 
Sitzungen,  Königlichen  Ordres,  Receptions- Reden,  Auszügen  aus 
den  Sitzungsberichten  (auch  wissenschaftlichen  Bemerkungen) ,  An- 
gaben über  eingelaufene  Bücher,  den  Antrittsreden  und  den  Eloges, 
dann  folgen  die  Memoires.  Im  Jahrgang  1770  findet  sich  eine  Über- 
sicht über  die  Geschichte  der  Akademie  von  1 746-1 769  als  Fort- 
setzung der  Geschichte  der  Akademie  von  Formey,  die  bis  1750 
reicht". 


^  Diese  «Nouveaux  Memoires«  werden  mit  der  kurzen  Bemerkung  einge- 
leitet, man  folge  dem  Beispiel  anderer  Akademieen,  indem  man  eine  neue  Reihe 
begründe,  »j)our  rendre  Tacquisition  de  ces  ouvrages  plus  facilc".  Ausserdem 
werde  man  von  nun  an  jährlich  einen  historischen  Theil  geben  und  für  besseren 
Druck  sorgen. 

^  Eine  eigene  Druckerei  besass  die  Akademie  zur  Zeit  Friedrich"s  nicht. 
Als  das  Grand  Directoire  des  Kriegs  und  der  Finanzen  die  Akademie  nötliigen 
AvoUte,  eine  Schi-iftgiesserei  einzurichten  und  ihr  dazu  eine  Summe  von  397  Thlr. 
überwies,  wehrte  sich  Maupertuis  heftig,  bestimmte  die  Akademie,  die  Zumuthung 
abzulehnen,  und  schrie!)  in  diesem  Sinne  an  den  König.  Ihm  schien  es  unwürdig, 
dass  eine  gelehrte  Körperschaft  sich  mit  dieser  Bürde  belaste  (Le  Steur,  Mau- 
pertuis p.  9of.,  abgedruckt  im  Urkundenband  Nr.  169,  8). 


Die  Publicationen  der  Akademie.  48 B 

3.  Im  Jahre  1752  erschien  zur  Feier  des  fünfzigjährigen  Be- 
stehens der  Akademie  die  »Histoire  de  l'Academie  Royale  des  Sciences 
et  Belles-Lettres ,  depuis  son  origine  jusqu'a  present.  Avec  les  pieces 
originales,  Berlin«,  Ein  Autor  ist  nicht  genannt,  und  so  erscheint 
sie  als  officieller  Bericht  der  Akademie.  Ihr  Verfasser  ist  der  Historio- 
graph  der  Akademie  Formet,   wie   oben   Iiemerkt  worden  ist. 

4.  Die  Kalender:  mit  ihrer  Herstellung  waren  nach  wie  vor 
die  Astronomen  der  Akademie  bez.  ihre  Gehülfen,  wie  D.  Naude, 
und  Subalternbeamte  l)eschäftigt;  speciell  für  Schlesien  arbeitete 
Frl.  Kirch  (über  die  Einnahmen  s.  unten).  Der  Staats-  und  Adress- 
•Kalender  machte  besonders  viel  zu  schaffen  ^ ,  denn  die  richtige  Dar- 
stellung der  auswärtigen  Staatsverhältnisse,  besonders  auch  der 
Genealogieen,  wurde  immer  scliAvieriger,  z.  B.  im  Jahre  1778  die  von 
Kurpfalz  und  Kurbayern  (s.  Geh.  Staatsarchiv).  Im  Herbst  1765 
(Geh.  Staatsarchiv,  8.  October  1765)  pachtete  der  Hofrath  Gravius 
das  von  der  Akademie  bisher  administrirte  Kalenderwesen  zum  Ver- 
trieb und  zahlte  sehr  viel  mehr  dafür,  als  die  Akademie  bisher  ein- 
genommen hatte.  Er  trat  in  Bezug  auf  die  Kalender,  deren  Her- 
stellung sie  selbst  weiter  besorgte,  in  alle  Rechte  der  Akademie  (vor 
allem  die  Stempelfreiheit).  Die  Provinzial- Regierungen  wollten  das 
zuerst    nicht    anerkennen,   wurden    aber  in    diesem  Sinne    bedeutet. 

5.  Besondere  astronomische  Publicationen:  am  30.  November 
1773  l^gte  die  Akademie  dem  Könige  den  ersten  Band  selbständig 
gearbeiteter  »Astronomischer  Ephemeriden«  vor.  Bisher  hatte  man 
auswärtige  Berechnungen  übernommen;  die  Akademie  entschuldigte 
sich  bei  der  Überreichung,  dass  das  Buch  in  deutscher  Sprache  ver- 
fasst  sei  (Geh.  Staatsarchiv). 

6.  Am  18.  November  1747  und  7.  April  1748  erhielt  die  Akade- 
mie das  Privileg,  dass  die  zum  Gebrauch  des  Publicums  bestimmten 
Landkarten  nur  unter  ihrer  Aufsicht  hergestellt  werden  dürften ,  bez. 
von  ihr  zu  stempeln  seien.  Das  Privilegium  lautete:  ȟber  den 
privativen  Verlag  und  Stempelung  tüchtiger  Landkarten,  und  dass 
alle  in  Gebrauch  kommenden  Karten  mit  dem  Stempel  der  Akade- 
mie zu  versehen  seien«.  Graf  von  Schmettau  leitete  zuerst  das 
Unternehmen.  Der  grosse  Plan  von  Berlin  in  vier  Blättern  (1748) 
erschien  als  akademische  Unternehmung  unter  seiner  Direction.   Doch 


^  In  einem  Brief  Maupertuis'  an  den  König  (October  1755,  Geh.  Staats- 
arcliiv)  wird  darum  ersucht,  in  den  Kalender  auch  eine  genaue  Übersicht  über  den 
Hof  und  seine  Ämter  einrücken  zu  dürfen;  bisher  seien  die  Angaben  lückenhaft 
oder  fehlten  ganz,  und  so  gerathe  der  Ahnanach  mehr  und   mehr  in  Verfall. 

31* 


484  Die  Publicationen  der  Akademie. 

liat  die  Akademie  das  Privilegium  anfangs  nicht  energisch  ausge- 
beutet, ja  es  fast  ganz  fallen  lassen.  Auf  eine  Anfrage  der  Ost- 
friesischen Regierung  vom  lO.  Januar  1753  lässt  der  König  er- 
widern, die  Akademie  habe  Folgendes  erklärt:  »dass,  um  dem  Pu- 
blico  nicht  beschwerlich  zu  fallen,  sie  sich  bereits  in  anno  1748 
der  Stempelung  der  Landkarten  vor  der  Hand  begeben,  und,  Aveil 
noch  kein  genügsamer  Vorrath  von  Landkarten  fertig  ist,  auch  noch 
anietzo  nicht  auf  gedachte  Stempelung  dringe«  (Geh.  Staatsarchiv). 
Später  hat  die  Akademie  einen  geringen  Nutzen  aus  dem  Privileg- 
gezogen,  in  manchen  Jahren  aber  auch  bedeutend  zugesetzt.  Ein 
Schulatlas  von  44  Karten  und  eine  Sammlung  von  Seekarten  ver- 
schiedener Länder  ist  von  ihr  (ausser  dem  Plan  von  Berlin  und  vom 
Thiergarten)  herausgegeben  worden;  s.  Nicolai,  Beschreibung  der 
Residenzstädte  Berlin  und  Potsdam  ^,  Bd.  2  S.  708.  Ein  Brief  Mau- 
PERTUis'  an  den  König  ist  noch  erhalten  (vom  i.October  1755, 
Geh.  Staatsarchiv),  welcher  die  Zusendung  einer  Karte  begleitet, 
die,  so  heisst  es,  in  den  von  der  Akademie  herausgegebenen  Atlas 
aufgenommen  werden  soll.  Sie  stellte  die  vier  grossen  Untern e]i- 
mungen  dar,  die  zum  Zweck  der  Ermittelung  der  Gestalt  der  Erde 
in  Frankreich,  Peru,  Lappland  und  am  Kap  der  guten  Hoffnung 
ausgeführt  worden  waren.  —  Das  Landkartenprivileg  von  1748 
ist  im  Urkundeiil)and  Nr.  168   abgedruckt. 

7.  Die  Akademie  hat  den  Verlag  der  Continuationen  der  Constitu- 
tiones  Marchicae  (Mylius)  vom  Könige  übertragen  erhalten^;  seitdem 
gab  sie  jährlich  die  Sammlung  der  Landesgesetze  heraus  und  edirte 
ausserdem  ein  Repertorium  dazu  (i  751  ff.),  dessen  Anschaffung  allen 
Regierungen,  Richtern,  Advocaten  und  Verwaltungsbeamten  einge- 
schärft wurde  (am  4.  September  i  752  fragte  das  Directorium  der  Aka- 
demie beim  Könige  an,  ol)  nicht  der  General-Fiscal  auch  Censor  dieser 
Edition  sein  müsse;  in  den  Jahren  1772-74  führte  sie  eine  Klage 
wiegen  Nachdrucks  gegen  den  Königsberger  Buchhändler  Kanter). 
Dennoch  musste  sich  der  Factor  der  Akademie  immer  wieder  über  zu 
geringen  Absatz  beklagen.    Daher  erfolgten  wiederholte  Edicte  an  die 


1  Im  Jahre  1747;  aLer  da  Mylius  ältere  Rechte  besass,  so  einigte  sich  die  Aka- 
demie mit  ihm  daliin,  dass  sie  erst  vom  Jahre  1751  an  das  Privileg  ausnutzen  wolle. 
Im  8it/.ungsprotükoll  der  Akademie  (22.  April  1751)  heisst  es:  »Dans  un  Directoire 
tenu  apres  TAssemhlee  il  a  ete  resolu  de  proceder  a  la  publication  des  Edits ,  dont 
M.  Mylius  a  donne  le  recueil  jusqu'en  1750".  —  Über  den  Codex  Fridericianus 
Marchicus  vei-gl.  Stölzel,  Brandenbm-g-Prenssens  Rechtsverwaltung  und  Rechtsver- 
iassung,  2  Bde.  1888,  und  J.  Chr.  Schwartz.  Vierhundert  Jahre  deutscher  Civilprocess- 
Gesetzgebung  (1898)  S. 479 ff.,  dort  auch  über  den  Antheil  des  Akademikers  Jariges. 


Ge1);iude  und  Institute  der  Akademie.  485 

Regierungen.  Das  vom  2 8. Februar  i  761  lautet:  »Unsere  Akademie  der 
Wissenschaften  hat  den  Druck  des  obgedachten  Anhangs  veranstaltet, 
und  es  ist  solcher  nebst  den  Continuationibus  Constitutionum  vom 
Jahre  1 751  —  1759  hei  allen  Factoren  derselben  zu  bekommen.  Wir 
communiciren  euch  hiebei  ein  Exemplar  davon  mit  dem  gnädigsten 
Befehl,  euch  in  vorkommenden  Fällen  nach  den  darin  angeführten 
Verordnungen  zu  achten,  auch  des  Endes  die  4.  Continuation  des 
Corp.  Myliani  de  anno  1 748- 1 750,  welche  in  der  hiesigen  Buch- 
handhnig  des  Hallischen  Waisenhauses  zu  bekommen,  und  die  fort- 
gesetzten Sammlungen  Unserer  Akademie,  woferne  solches  nachUnsern 
Rescriptis  vom  3.  und  8.  April  1755  noch  nicht  geschehen,  euch 
fordersamst  anzuschaffen,  und  die  unter  euch  stehenden  Magistrate, 
Untergerichte,  Gerichts -Obrigkeiten  und  Beamten  sowohl  dazu  als 
zur  Beobachtung  der  im  Anhange  angefügten  Verordnungen  anzu- 
weisen«   (Geh.  Staatsarchiv)  \ 

11.    Gebäude  und  Institute  der  Akademie. 

Bis   zum  Januar    1744  tagte  die   alte  Societät  auf  dem  Obser- 
vatorium  an   der  Dorotheenstrasse;  hier  stand  auch  ihre  Bibliothek 


^  Die  Büchercensur,  welche  der  Akademie  oblag,  inachte  ihr  Verdruss,  und 
sie  suchte  diese  Last  abzuschütteln,  obgleich  sie  ihr  als  Privileg  und  als  Einnahme- 
quelle vom  Könige  (18.  November  1747)  übertragen  war.  In  dem  Privileg  hiess 
es,  dass  um  der  eingerissenen  Missbräuche  willen  in  Berlin  und  im  ganzen  Lande 
kein  Buch,  Hochzeits-,  Trauer-  oder  andere  Gedichte,  Leichenpredigt  und  sonst  der- 
gleichen Sachen  gedruckt  werden  sollen,  bevor  solche  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften überschickt  und  von  ihr  approbirt  worden,  und  zwar  seien  für  jeden  Druck- 
bogen eines  Buchs  zwei  gute  Groschen  und  für  jedes  Gelegenheitsgedicht  und  jede 
Leichenpredigt  sechs  gute  Groschen  an  die  akademische  Kasse  zu  bezahlen.  Diese 
Verordnung  muss  aber  schlecht  befolgt  worden  sein,  und  auch  das  allgemeine 
Censuredict  vom  11.  Mai  1749  ist  sehr  nachlässig  ausgeführt  worden.  Im  Protokoll 
der  Sitzung  vom  7.  December  1758  heisst  es:  «Le  rescript  du  Directoire,  qui  de- 
mande  ä  TAcademie,  qu'elle  indique  un  censeiir  ä  la  place  de  feu  M.  Pelloutier, 
ayant  ete  lü,  il  a  ete  resolu  de  repondre,  que  TAcademie  n'ayant  point  ete  con- 
sultee,  lorsque  M.  Pelloutier  fut  nomme,  et  le  projet  qu'elle  avait  forme  elle-meme 
pour  la  censure  des  livres  n'ayant  point  ete  goute,  eile  demandait  a  etre  dechargee 
de  cette  nonünation,  d'autant  plus  que  parnii  tous  les  membres  presens  dans  cette 
assemblee  il  ne  s'en  trouvait  aucun  qui  put  se  charger  de  cette  fonction«  (vergl. 
den  Brief  Euler's  an  Maupertuis  vom  16.  December  1758  bei  Le  Sueur  y>.  165  f.).  — 
Auch  mit  einigen  in  Berlin  erscheinenden  populär -wissenschaftlichen  Zeitungen 
stand  die  Akademie  in  Verbindung;  ein  paar  Mal  nahm  sie  auch  einen  Anlauf, 
selbst  eine  Zeitung  herauszugeben;  allein  es  blieb  bei  den  Versuchen.  Als  sie  im 
Jahre  1772  dem  Könige  den  ersten  Theil  eines  Journal  litteraire  einreichte  und  «zu 
ihrem  Encouragement«  seine  A])probation  für  die  Zeitschrift  zu  erhalten  wünschte, 
liess  ihr  der  König  den  niedeivschlagenden  Bescheid  ertheilen:  »Die  retlexiones  sind 
sehr  ordinär  und  der  Stil  nicht  der  beste «   (Geh.  Staatsarchiv). 


48()  Gebäude  und  Jnstitute  der  Akademie. 

und  ihr  Naturaliencabinet :  die  Anatomie  befand  sich  in  einem  Eck- 
pavillon des  Gebäudes ,  und  in  dem  Hause  dem  Observatorium  gegen- 
über wohnte   der  Astronom. 

Der  «neuen  litterarischen  Gesellschaft«  Schmettau's  (1743)  hatte 
der  König  einen  Saal  im  Schlosse  für  ihre  Sitzungen  eingeräumt, 
und  dieser  Saal  blieb  das  Sitzungszimmer  der  neuen  Akademie 
bis  zum  Mai  1752.  So  ehrenvoll  es  für  sie  war,  im  königlichen 
Schlosse  zu  tagen,  so  unbequem  war  es  doch,  weil  ihre  Samm- 
lungen weit  davon  entfernt  lagen;  denn  diese  blieben  im  Obser- 
vatorium. 

Am  21.  August  1742  waren  die  Ställe  (zwischen  den  Linden 
und  der  Dorotheenstrasse)  abgebrannt.  Der  König  liess  nach  dem 
zweiten  Schlesischen  Krieg  an  ihrer  Stelle  an  der  Front  der  Linden 
ein  neues  stattliches  Gebäude  aufführen  und  bestimmte  den  westlichen 
Flügel  für  die  Akademie.  Der  östliche  sollte,  so  behauptet  wenigstens 
Formey\  ursprünglich  dem  beständigen  Secretar  eingeräumt  Averden, 
aber  aus  Furcht  vor  Feuersgefahr  sei  das  unterblieben;  dennoch  seien 
nicht  lange  darnach  die  Räume  an  einen  Cafetier  vermiethet  worden. 

Die  der  Akademie  überwiesenen  Gemächer  waren  geräumig 
und  wurden  vom  Könige  gut  ausgestattet.  «Outre  la  belle  archi- 
tecture  de  l'edifice  qui  contient  ces  appartements ,  le  roi  les  a  fait 
decorer  et  meubler  magnifiquement,  en  sorte  que  l'on  peut  les 
regarder  comme  une  des  plus  brillantes  demeures  que  les  sciences 
aient  jamais  eues"".« 

Am  I.  Juni  1752  konnte  die  Akademie  einziehen  —  es  sind  die- 
selben Räume ,  die  sie  heute  noch  besitzt  und  in  denen  sie  sich  ver- 
sammelt. Forme Y  hielt  die  Einweihungsrede^.  Die  ehrwürdigen 
Räume  in  dem  Observatorium  verödeten  nun  allmählich*;  aber  die 
Akademie  konnte  sich  jetzt  ausdehnen,  und  die  Lage  ihres  neuen 
Hauses  war  unvergleichlich^. 


^    Souvenirs  I  p.  182  f. 

"    I'oRMEY  in  den  Memoires    1752   p.4. 

3    A.  a.  0. 

*  Doch  tagte  in  ihnen  bis  zum  Tode  Friedrich's  des  Grossen  regehnässig 
Donnerstags  von  11  — i  Uhr  die  ökonomische  Commission  der  Akademie.  Das 
Archiv  befand  sich  aucli  daselbst.  Ebenso  blieben  die  Sternwarte  und  das  Na- 
turaliencabinet dort  (s.  Nicolai,  Berlin  ^  Bd.  2  S.  919  ff.). 

'"  Die  Bibliothek  wui'de  auch  in  das  neue  Gebäude  übergeführt  und  zwar 
in  die  Räume,  in  denen  sie  jetzt  noch  stellt.  Ihre  Einkünfte  waren  seit  1766  ver- 
grössert.  Sie  bestand  aus  zwei  Abtheilungen,  nämlich  (i)  aus  der  Schenkung  Fried- 
rich Wilhei.m's  L,  s.  oben  S.  234,  (2)  aus  der  allmählich  vergrösserten  Sammlung 
dei-  alten   Societät;  s.  Nicolai,   Berlin   3  ßd.  2   8.768!'. 


Der  Etat  der  Akademie.  487 

Gleichzeitig  aber  wurde  auch  auf  dem  Platz  hinter  dem  Ob- 
servatorium, Avo  bisher  nur  der  Astronom  gewohnt  hatte,  ein 
Laboratorium  für  den  Chemiker  und  eine  bescheidene  Wohnung- 
gebaut  \  Im  Jahre  1753  konnte  Marggraf  sie  und  das  »neue 
Laboratorium«  in  Besitz  nehmen.  Nach  dem  Siebenjährigen  Krieg 
in  den  Jahren  1764  und  1765  wurde  es  ganz  umgebaut  und  er- 
-\veitert  (s.  unten).  Ausser  dem  Astronomen  und  dem  Chemiker  hat 
zeitweilig  noch  ein  dritter  Akademiker,  Bernoulli,  gleichzeitig  dort 
gewohnt.  Der  Umbau  kostete  der  Akademie  sehr  viel  Geld.  Der 
Baumeister  Oberbaudirector  Boumann  hatte  einen  Anschlag  von 
7732  Thlr.  gemacht;  in  Wahrheit  aber  hatte  er  12954  Thlr.  "^'^'i'" 
baut.  Die  Akademie  beklagte  sich  über  ihn  und  behauptete ,  er 
habe  dazu  noch  schlecht  gebaut  und  auch  die  sehr  kostspieligen 
Reparaturen  des  Observatoriums  liederlich  ausführen  lassen  (Geheimes 
Staatsarchiv).  —  Der  botanische  Garten  wurde  1751  auf's  Beste 
eingerichtet.  Nach  dem  Siebenjährigen  Krieg  Hess  die  Akademie 
dort  Wirthschaftsgebäude  und  ein  Treibhaus  erbauen  sowie  die 
grosse  Mauer  aufführen  (der  alte  Zaun  war  von  den  Kroaten  im 
Jahre  1760  niedergerissen  worden).  Auch  hier  beschwerte  sie  sich 
bitter  über  Boumann,   der  theuer  und   schlecht   gearbeitet  habe. 

12.  Etat  der  Akademie. 

Die  Einnahmen  der  alten  Societät  hatten  im  Jahre  1 7 1 8  ins- 
gesammt  kaum  6000  Thlr.  betragen.  Beim  Regierungsantritt  Fried- 
rich's  IL  waren  sie  auf  9  —  10000  Thlr.  gestiegen.  Nach  der  Erwer- 
bung Schlesiens  und  dem  Siebenjährigen  Krieg  (1765)  betrugen  die 
Einnahmen  aus  den  Kalendern  —  sie  kommen  fast  allein  in  Betracht"'  — 
etwa  1 3000  Thlr.  und  stiegen  nach  Einsetzung  der  ökonomischen 
Commission^  bei  der  Verpachtung  an  Gravius  (1765/66)  sofort  auf 
16000  Thlr.    Im  Jahre  1778  betrugen  sie  bereits  23000  Thlr.* 

Der  König  wachte  über  den  Einnahmen  und  Ausgaben  ebenso 
streng  wie  sein  Vater,   war  mehr  als  sparsam .   und  gab  nur  einigen 


^  Auf  Maupertuis"  Vorschlag,  s.  die  Briefe  desselben  an  den  König  im  Ge- 
heimen Staatsarchiv  Bd.  I  Nr.  54. 

^  Der  Seidenbau  in  Köpenick  ging  zwar  noch  immer  fort,  brachte  aber  so 
gut  wie  nichts  ein,  s.  den  Brief  Maupertuis'  an  den  König  bei  Le  Sueur,  INIau- 
PERTUis  p.  91   und  die  Eingabe  der  Akademie  vom   24.  Juni  1773  (Geh.  Staatsarchiv). 

^  Die  ökonomische  Commission  ist  vom  Könige  niedergesetzt  worden,  weil 
er  mit  der  Verwaltung  der  Akademie  während  des  Siebenjährigen  Kriegs  wenig  zu- 
frieden war.    Näheres  s.  oben  S.  363. 

*    Im  Jahre  1800  betrug  die  Pacht  30400  Thlr. 


488  r^pi"  Etat  dei'  Akncleniic 

grossen  Gelehrten  auskömmliche  Gehälter,  allen  übrigen  aber  höchst 
spärliche  oder  gar  keine.  Seit  MAurERTUis'  Tode^  bez.  seit  Euler's 
Abgang  bestimmte  er  alle  Pensionen  allein.  Auch  die  1765  nieder- 
gesetzte ökonomische  Commission  konnte  nichts  ohne  seine  Zustim- 
mung beschliessen ,  ja  kaum  etwas  vorschlagen. 

Während  des  »Siebenjährigen  Kriegs  waren  mehrere  Pensionen 
durch  den  Tod  der  Inhaber  erledigt  und  auf  Befehl  des  Königs  capi- 
talisirt  worden.  Da  ferner  die  Memoires  4  Jahre  lang  nicht  erschie- 
nen und  die  Zuschüsse  zu  den  wissenschaftlichen  Instituten  eingestellt 
waren,  hatte  man  viel  Geld  erübrigt.  Am  2  2.December  1763  machten 
die  Directoren  eine  Eingabe,  dass  1900  Thlr.  Pensionen  Verstorbener 
vacant  seien,  und  dass  folgende  Akademiker  überhaupt  kein  Gehalt 
bezögen:  Meckel,  Roloff,  Eüler  jun.,  Bernoulli,  Beguelin,  Premont- 
VAL,  Sulzer,  Süssmilch,  Beausobre,  de  Catt.  Sie  berichten  ausserdem, 
dass  die  Akademie  während  des  grossen  Kriegs  2  5  000  Thlr.  (!)  erspart 
habe  (vergl.  die  Briefe  Euler's  an  Maupertuis  vom  16.  September  und 
16.  December  1758  vmd  vom  30.  Januar  1759  bei  Le  Sueur):  «par  la 
vacance  des  pensions  et  par  les  soins  des  directeurs  qui  ont  cesse  de 
payer  les  appoitments  des  Academiciens  en  vieux  argent«  —  während 
alle  zugesetzt  hatten,  war  die  Akademie  reich  geworden,  aber  nicht 
die  Akademiker.  Eigenhändig  bemerkte  der  König  dazu"': 
»400  ecus  a  Eller  [lies  Euler]  fils, 

400  au  jeune  Bernoulli, 

200  a  Mekel, 

200  a  Sultzer. 

Total    I  200  ecus. 

Frederic.  « 

Also  die  übrigen  sechs  erhielten  nichts!  Ausserdem  befahl  der 
König ,  dass  1 5  000  Thlr.  zu  einer  Mauer  um  den  Botanischen  Garten 
—  sie  ist  also  aus  ersparten  akademischen  Gehältern  erbaut  —  und 
einem  neuen  Wohnhaus  für  den  Chymicum  und  Astronomum  ver- 
wendet (s.  oben),  die  übrigen  10 000  Thlr.  aber  angelegt  werden 
sollten. 

Am  23.  Mai  1776  reichte  die  ökonomische  Commission  dem 
Könige  den  Etat  ein  und  machte  darauf  aufmerksam,  dass  sie  in 
ihrer   zwölfjährigen  Thätigkeit  die  Revenuen   um   etwa   9000  Thlr. 

^  Mit  dem  »Grand  DirectoirC",  d.  h.  dem  Finanzministerium  ist  Maupertuis 
ein  paar  Mal  in  Conflict  gekommen,  (s.  Urkundenband  Nr.  169,  8.  9),  doch  waren 
die  Streitigkeiten  nicht  von  Bedeutung. 

^    Akademisches  Archiv. 


Der  Etat  der  Akademie.  489 

jährlich  gesteigert  und  ein  Capital  von  5200  Thlr.  erspart  hahe 
(welclies  angelegt  Avorden  sei) .  obgleich  sie  auf  Befehl  des  Königs  für 
Gebäude  mehr  als  26000  Thlr.  verbraucht  habe.  Der  Illtat  schliesst 
mit  einem  Übersclmss  von  2556  Thlr.,  und  die  Commission  bittet, 
dass  der  König  ihr  selbst  —  d.  h.  den  6  Mitgliedern  der  Commission^ — 
diesen  Überschuss   bewilligen  möge"'. 

Etat. 
Recette. 

Interets  de  15000   anciens   capitaux 575  Thlr. 

Interets  de  5200  capitaux  epargnes  par  la  commission  260  » 

Ferme  des  almanacs 20800  » 

»        des   edits 650  » 

'>        des  anciennes   collections   des  edits    500  » 

Loyer  d'un   magazin 5  » 

Redevances  du  Commissaire   des  enterrements 500  ^^ 

Plantage  de  Coepnic 35  » 

College   de  Medecine   de   Silesie 250  » 

Cartes  geographiques 200  « 

Jardin  botanique 80"  » 


23855  Thlr. 
D  e  p  e  n  s  e  s. 

Pensions    15565  Thlr. 

Jetons^    1000     » 


16565  Thlr, 


^  Sulzer  war  von  Berlin  abwesend  und  hat  die  Eingabe  nicht  niitnnterzeichnet; 
sie  stammt  von  Merian,  Beausobre,  Lambert,  Castillon. 

"  Das  Schi-eiben  und  der  Etat  im  Geh.  Staatsarchiv,  sowie  im  Akademischen 
Arcliiv. 

*  Von  den   drei  letzten  Posten  heisst  es ,  sie  schwankten  sehr. 

*  Die  Jetons  haben  sich  eingeschlichen;  die  für  sie  ausgeworfene  Summe  von 
1000  Thlr.  ist  erst  nachträglich  vom  Könige  bewilligt  worden  (die  Bewilligung  fehlt 
nicht,  wie  Herizberg  behauptet  hat).  Erst  aus  den  Verhandlungen  über  sie  aus 
der  Zeit  Friedrich  Wilhelm's  II.  erfährt  man,  wie  es  sich  mit  ihrem  Ursprung  ver- 
hält (Akademisches  Archiv).  Maupertuis  hatte  den  Plan  gefasst,  Jetons  nach  dem 
Vorbild  der  Pariser  Akademie  einzuführen,  und  auch  in  der  Münze  ein  Exemplar 
(Werth  I  Thlr.)  schlagen  lassen;  aber  er  kam  nicht  dazu,  die  Einrichtung  wirklich 
zu  treffen.  Während  des  Siebenjährigen  Krieges  fragte  die  INIünzverwaltung  einmal 
an,  was  mit  dem  Stempel  zu  geschehen  habe.  Da  wurde  auf  Sulzer's  Vorschlag- 
beschlossen  —  man  hatte  in  Folge  der  Erledigung  mehrerer  Pensionen  Geld  genug  — , 
jetzt  die  Einführung  zu  bewirken  und  1000  Thlr.  jährlich  dafür  zu  bestimmen. 
So  geschah  es.  In  der  Sitzung  vom  8.  Januar  1761  wurden  die  Jetons  zum 
ersten  Mal  vertheilt.    Der  König  wurde  zunächst  nicht  befragt;  aber  als  ihm  d"Ar- 


490  Der  Etat  der  Akademie. 

[Übertrag.  .  .  .  16565  Thlr.] 

Prix 200  » 

Anatomie 334  » 

Chymie 250  » 

Jardin   botanique 600  » 

Bibliotheque 200  » 

01)servatoire 800  » 

Experiences   et  instruments 800  » 

Correspondance 150  « 

Entretien  des  bätiments 300  » 

Cartes  geographiques 500  « 

Memoires  de  rAcadeniie^ 200  » 

Extraordinaire 400  » 

2  I  299  Thlr." 

Bei  den  Pensionen  ist  nur  folgende  Specifieation  mitgetlieilt: 
Physikalische  Klasse  3550  Thlr.,  mathematische  2500,  philosophische 
1800,  philologische  4400  Thlr.,  dazu  Gehälter  ausser  den  Klassen 
3315  Thlr.     Summa :    15565  Thlr. 

Der  König  Hess  /Auiächst  (24.  Mai)  antworten,  sie  sollten  war- 
ten, bis  er  von  seinen  Reisen  zurückgekehrt  sei.  Dann  liess  er 
am  20.  Juni  sagen,  er  wünsche  statt  dieses  General- Etats  einen 
Special -Etat,  besonders  ratione  der  Ausgaben,  woraus  deutlich  er- 
sehen w^erden  könne,  wohin  und  wofür  solche  eigentlich  geschehen, 
und  wer  Alles  und  wie  viel  ein  Jeder  an  Tractament  und  Pension 
aus   der  Akademie -Kasse  bekomme. 


GENS  erzählte,  die  Berliner  hätten  die  Jetons  eingeführt,  während  die  Pariser  Aka- 
demieen  sie  aus  SpaT'samkeitsgründen  in  den  Kriegszeiten  eben  jetzt  hätten  auf- 
geben miissen,  soll  ihm  das  \"ergnügen  gemacht  haben.  In  einem  Briefe  d'Akgens', 
der  in  der  Sitzung  vom  6.  Januar  1763  verlesen  wurde,  empfing  die  Akademie  die 
Mittheilung,  dass  der  König  die  Einrichtung  billige.  Die  Jetons  erhielten  ursprüng- 
lich Alle,  die  in  einer  Sitzung  anwesend  waren  (auch  Externe  und  Gäste),  bald 
aber  nur  die  ordentlichen  Mitglieder,  die  auf  diese  Weise  sich  ein  nicht  ganz  ge- 
ringes »Douceur"  zubilligten.  Bis  1765  stehen  die  Jetons  in  den  Reclmmigen  unter 
"Prämien  und  Verehrung«;  seit  1766  wurde  eine  besondere  Reclmimg  über  sie 
geführt,  hn  Januar  1779  wurde  beschlossen,  dass  Niemand  sie  erhalten  solle, 
der  vor  Schluss  die  Sitzung  verlässt  (s.  Protokolle).  Hertzberg  war  ein  Gegner 
der  Jetons  und  hat  dem  Könige  Friedrich  Wilhelm  II.  den  Vorschlag  unter- 
breitet,  sie  abzuschaffen. 

^    Die  Memoires  deckten  also  beinahe  die  Kosten. 

^  Im  Jahre  vorher  (Etat  1775  eingereicht  am  20.  Juli,  Akademisches  Archiv) 
betrugen  die  Gesainmteinnahmen  22476  Tlilr.  (davon  aus  den  Kalendern  19200), 
die  Gesamintausga,beo   20999  Thh'.,  der  Uberschuss  also   1477  Thlr. 


Der  Etat  der  Akademie.  491 

Bereits  am  22.  Juni  überreichte  die  Commission  folgenden  spe- 
cialisirten  Etat: 

«Note   des  depenses  annuelles  de  l'Academie   ordonnees 

par  S.  M.« 

P  e  n  s  i  o  II  s  : 
]Marggraf  comine  Chymiste  700,  comme  Directeur  20oThlr.,  Franche- 

VILLE    150,    GlEDITSCH    65O .    PoTT     55O,    LaMBERT   7OO,  WaLTER   200. 

DE  Lagrange  1700  [1500  et  200  comme  Directeur],  Bernoulli  600, 
DE  Castillon  200,   Sulzer  900    [700  et    200   comme  Directeur],    Cochius 


00.    FoRjiEY  600. 


]Meriax  900  [600  et  200  comme  Directeur  et  100  comme  Bil^liothe- 
caire],  Beausobre  500.  de  Catt  400,  Bhaübe  500,  TniEBAULr  200, 
BoRRELLY  400.  ^Moulines  500.     Summa:    10850  Thlr. 

Gerhard   en  qualite  de  Conseiller  aux  min  es  400. 

Pernetti  en  qualite  de  Bibliothecaire  de  la  Bibliotheque  Royale  1000. 
Summa:   12250  Thlr. 

H  o r s  de  C 1  a s s e s  : 
CorHENius  200.  Fiscal  general  comme  Justitiaire  de  l'Academie  100, 
Jordan  comme  Tresorier  300,  Demoiselle  Kirch  pour  les  almanacs  de 
Silesie  400.  Naude  pour  les  autres  almanacs  excepte  ceux  de  la  West- 
preusse  350,  Bode  pour  les  ephemerides  et  adjoint  pour  les  almanacs  400, 
Blume ,  Secretaire  allemand  200,  Koch,  Mecanicien  200,  Hopfer,  Dessina- 
teur  200.  PiTTELco.  Calculateur  et  Reviseur  des  comptes  30,  Eichholz 
Bedeau  75,  Archiviste  250,  Directeur  de  rimprimerie  100,  Garde  des  cartes 
geographiques  50.  Bedeau  de  TAnatomie  50,  Vetter,  Concierge  de  l'Ana- 
tomie   110.     Smiima  3315  Thlr. 

Der  König  verfügte  am  23.  Juni  1776,  dass  der  Uberschuss  von 
2556  Thlr.  nicht  unter  die  Mitglieder  der  ökonomischen  Commission 
zu  vertheilen  sei,  sondern  dass  der  Professor  l:)ei  der  Ritterakademie 
Weguelin  400  Thlr.  Besoldung  erhalten  solle,  Castillon  und  Merian 
je  200  Thlr.,  Lambert  400  (Sulzer  und  Beausobre  erhielten  nichts). 
Die  übrig  bleibenden  1356  Thlr.  sollen  zu  Büchern,  Instrumenten 
u.  s.  w.  verwendet  werden,   »aber  mit  aller  Menage  und  Oekonomie«. 

Nach  dem  dem  Könige  am  19.  April  1782  eingereichten  Etat 
betrugen  die  Einnahmen  bereits  26359  Thlr.  (aus  den  Kalendern 
23600  Thlr.),  die  Ausgaben  nur  21924  Thlr.,  so  dass  ein  Uber- 
schuss von  4435  Thlr.  verblieb,  obgleich  der  botanische  Garten 
jetzt  795  Thlr.  kostete.  Die  Memoires  verlangten  500  Thlr.  Zu- 
schuss  (dagegen  steht  allerdings  eine  Einnahme  aus  dem  Verkauf 
der  Memoires  von   305  Thlr.). 

Streng  band  sich  Friedrich  IL  so  wenig  wie  sein  Vater  an 
die  Regel,  die  Einnahmen  der  Akademie  nur  ihr  selbst  zu  Gute 
kommen  zu  lassen.     Zwar  die  Zuschüsse  für  das  medicinisch-chirur- 


492  Der  Etat  der  Akademie. 

gische  Collegium  hörten  allmählich  auf^;  aber  dafür  musste  die 
Akademie  die  vom  Könige  1765  gestiftete  Ritterakademie  mit  unter- 
halten ,  d.  h.  der  König  berief  Lehrer,  die  ihm  geeignet  schienen, 
an  diese  Schule,  ernannte  sie  gleichzeitig  zu  Akademikern  und  liess 
sie  aus  der  Kasse  der  Akademie  besolden.  Doch  darf  man  nicht 
vergessen,  dass  Friedrich  schon  als  Kronprinz  eine  Akademie  in's 
Auge  gefasst  hatte,  die  nicht  «zur  Parade«  da  sein,  sondern  auch 
der  Instruction  dienen  sollte  (s.  oben  S.  254).  Diesen  Plan  suchte 
er  jetzt  durch  Verbindung  der  Ritterakademie  mit  der  Akademie 
der  Wissenschaften  auszuführen.  So  erfüllte  sich  die  Befürclituno: 
des  weitblickenden  Philosophen  Wolff,  die  Akademiker  Avürden 
genöthigt  sein,  «Kadetten  zu  informiren«  (s.  oben  S.256).  Auch 
sein  Vorleser  Pernety,  der  zum  Bibliothekar  der  Königlichen  Biblio- 
thek ernannt  wurde,  wurde  Mitglied  der  Akademie,  und  es  mussten 
ihm  als  solchem  1 000  Thlr,  jährlich  gezahlt  werden.  Die  Überschüsse 
der  jährlichen  Einnahmen  wurden  auch  nicht  immer  im  Interesse  der 
Akademie  verwendet.  So  erging  am  2.  October  1776  eine  Königliche 
Ordre  (Geh.  Staatsarchiv):  »Dass  die  nach  dem  hiebei  erfolgenden 
Anschlag  erforderlichen  Kosten  wegen  Reparatur  der  Maler-  und 
Bildhauer- Akademie -Appartements  von  DeroAcademie  der  Wissensch. 
aus  denen  besage  Ordre  vom  23.  Juni  zu  vorfallenden  extraord.  Aus- 
gaben noch  übrig  gebliebenen  Geldern  bezahlet  werden  sollen«. 


^  Aus  einer  Eingabe  der  Akademie  an  den  König-  vom  14.  Juni  1776  ersieht 
man,  dass  die  Professuren  am  medicinischen  Collegium  und  die  akademischen  Stel- 
len nicht  mit  einander  verbunden  sind  (Geh.  Staatsarchiv).