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GESCHICHTE
DER
KÖNIGLICH PREUSSISÜHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
zu BERLIN
IM AUFTRAGE DER AKADEMIE BEARBEITET
VON
ADOLF HARNACK
ERSTEHE BAND — ERSTE HÄLFTE
BERLIN 1900
GEDRUCKT IN DER REICHSDRUCKEREI
I
VON DER GRÜNDUNG BIS ZUM TODE
FRIEDRICHS DES (IROSSEN
Inhalt.
Seite
Einleitung: Leibniz und der Gedanke der Akademieen. Die Vorgeschichte
der Brandenburgischen Societät der Wissenschaften (1697—1700) . . 1—69
I. Die Wissenschaft beim Ausgang des 17. Jahrhunderts S. 5 ff. —
2. Leibniz als universaler Denker und Organisator S. gff. — 3. Leikniz
und der Gedanke der Akademieen S. 20 f. — 4. Die Akademieen des 17. Jahr-
hunderts S. 21 ff. — 5. Leibnizcus Societätspläne vor 1697 S. 270". — 6. Die
Kurfürstin Sophie Charlotte; Brandenburg tritt in Leibnizcus Gesichtskreis
S. 34 ff". — 7. Sophie Charlotte und Leibniz. Plan der Erbauung eines Ob-
servatoriums und der Stiftung einer Societät in Berlin S.4off'. — • 8. Weitere
Verhandlungen über diesen Plan nach Danckelmann's Sturz im Jahre 1698
S. 56 ff". — 9. Verwirklichung des Plans in Folge der nothwendigen Kalender-
reform im Winter 1 699/1 700 S. 64ff".
Erstes Buch: Geschichte der Brandenburgischen (Königlich Preussischen)
Societät der Wissenschaften unter Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I.
(1700-1740) 7>-244
Erstes Capitel: Die Gründung der Societät im Jalire 1700 (19. März
bez. II. Juli) 73 — 105
Zweites Capitel: Geschichte der Societät von ihrer Gründung bis
zu ihrer wirklichen Einrichtung im Januar 1711 105 — 175
I. Berlin um das Jahr 1700, die französische Colonie, die Berliner
Gelehrten, die beiden Jablonski. Kirch, Frisch und Andere. Die Gewinnung
der ersten einheimischen und auswärtigen Mitglieder. LEiBNizens Corre-
spondenz S. losff". — 2. Das Jahr 1701, die Königskiönung S. ii8ft'. —
3. Die Jahre 1702 — 1705 S. 131 ff". — 4. Die Jalire 1705 — 1 711; die wirk-
liche Einrichtung der Societät S. 1 4 1 ff".
Drittes Capitel: Geschichte der Societät von ihrer Einrichtung
im Januar 1711 bis zum Tode LEiBNizens (14. November 1716). Der
Anfang der Regierung Friedrich Wilhelm's 1 176 — 215
I. Die Jahre 1711 — 1713, Tod des Königs Friedrich's L S.i76ff. —
2. Die Jahre 1713 — 1716, Friedrich Wilhelm's L Regierungsantritt, Leib-
nizcus letzte Jahre S. 1890".
Viertes Capitel: Fortsetzung: Geschichte der Societät unterFRiED-
rich Wilhelm 1 215 — 241
Einleitung S. 215 ff". — i. Geschichte der Societät von 17 16 bis 1740
S. 2 19 ff". — 2. Die wissenschaftlichen Leistungen der Societät S. 235 ff".
Anhang: Zum Personalstand der Societät (1700 — 1740) 242 — 244
Zweites Buch: Geschichte der Academie Royale des Sciences et Belles-
Lettres Friedrich's des Grossen (1740-1786) 245-492
Erstes Capitel: Die Reorganisation der Societät und ihre Ver-
einigung mit der »Nouvelle Societe Litteraire« (1740 — 1746): Die
Academie Royale des Sciences et Belles-Lettres 247 — 316
I. Erste Maassnahmen Friedrich's zur Reorganisation der Societät
S. 247 if, — 2. Die Societät zur Zeit des ersten schlesischen Krieges
.^rom
VI Inhalt.
Soite
S. 258(r. — 3. Die "Nouvelle Societe Llttcraire- S. 262iT. — 4. Die Ver-
t'iiiiguiig der Ix-ideii Societäteii zu einer neuen Akademie 1743/44; das
neue Statut S. 269 tl'. — 5. Der zweite sciilesische Krieg, Maupkutui.s wird
Präsident, das Statut von 1746 S. 293fl". — 6. Geist und Ziele der Aka-
demie Friedrich's und Maupertuis' S. 304 ff.
Zweites Capitel: Der König und seine Akademie. Die äussere
Geschiclite der Akademie (1746 — 1786) 317 — 394
I. Geschiclite der Akademie unter dem Präsidenten Maupertuis bis
zum Ausbruch des Streites mit König und Voltaire 8.3176". — 2. Der
Streit mit König und Voltaire, Maupertuis' Abreise von Berlin und
Rückkehr 1751— 1754 S.33ifF. — 3. Maupertuis' letzte Jahre, die Akademie
unter Euler's Leitung, der siebenjährige Krieg S. 345 fl". — 4. Die Akademie
unter der directeii Leitung Friedrich's des Grossen, d'Alembert der heim-
liche Präsident 1763 — 1770 S. 354ft'. — 5. Fortsetzung: Die Akademie in
den letzten sechzehn Jahren des grossen Königs; d'Alembert und Condorcet
S. 371 ff.
Drittes Capitel: Die Arbeiten und die wissenschaftliche Bedeu-
tung der Akademie 394 — 465
I.Vorlesungen, Gutachten, die Preisaufgaben S. 394 ff. — 2. Der Geist
und die Leistungen der fridericianischen Akademie (der König, Voltaire,
Maupertuis, Euler, Lagrange, Lambert, Bode, Marggraf, Aciiard,
Lehmann, Gerhard, Gleditsch, Lieberkühn, Fokmey, Sulzer, Merian,
SüssMiLCH U.A.) S. 422 ff. — 3. Die Schrift De la litterature allemande
S. 462 ff.
Viertes Capitel (Anhang): Der Personalstand, die Publicationen,
die äusseren Einrichtungen und der Etat der fridericianischen
Akademie (1746— 1786) 465 — 492
I. Curatoren S. 465 f. — 2. Präsident S. 466. — 3. Directoren S.466 f. —
4. Secretar S. 467. — 5. Oekonomische Commisslon S. 467. — 6a. Ordent-
liclie Mitglieder, nach dem Tage ihrer Aufnahme geordnet S. 467 ff. —
61). Ordentliche Mitglieder, nach dem Todestage geordnet S. 47if —
7. Ehrenmitglieder S. 472f. — 8. Auswärtige Mitglieder S. 473 ff. —
9. Beamte; der Personalstand von 1786 S.479f. — 10. Publicationen der
Akademie S. 481 ff. — 11. Gebäude und Listitute S. 485 ff. — 12. Etat
der Akademie S. 487 ff.
Portraits.
Titelbild zur ersten Hälfte des Bandes: Friedrich I., König von Preussen (nach einem
Kupferstich von Johann Hainzelmann).
JZiXi S. 37: Sophie Charlotte, Königin von Preussen (nach einem Schabkunstblatt von
Peter Schenk).
Zu S. 39: Leieniz (nach einem Schabkunstblatt von J. E. Haid).
JLw S. 247: Friedrich der Grosse (nach einem Kupferstich von Johann Georg "Wille).
Zu S. 257: Maupertuis (nach einem Kupferstich von J. Daulle).
Titelbild zur zweiten Hälfte des Bandes: Wilhelm H., Deutscher Kaiser und König
/^ von Preussen (nach einer Originalaufnahme von J. C. Schaarwächter, Königl.
Hofphotograph in Berlin).
Zu S. 595: Wilhelm von Humboldt (nach einer Lithographie von E. F. Oldermann).
'^ Tax S. 837: Alexander von Humboldt (nach einem Kupferstich von Paul Siegmund
/ Habelmann).
EINLEITUNG.
LEIBNIZ UND DER GEDANKE DER AKADEMIEEN.
DIE VORGESCHICHTE DER BRANDENBURGISCHEN
SOCIET.ET DER AVISSENSCHAFTEN (161)7-1700).
Geschichte der Akademie. I.
J\in II. Juli 1700 stiftete der Kurfürst Friedrich III. von
Brandenburg in Berlin die Societät der Wissenschaften.
Am folgenden Tage ernannte er Leibniz zu ihrem Präsidenten. Sechs
Jahre vorher hatte er die Universität zu Halle begründet, bald dar-
auf das Collegium Medicum in Berlin eröffnet und im Jahre 1696
die Akademie der Künste gestiftet. Diese Schöpfungen bedeuteten
den Anbruch einer neuen Epoche der Wissenschaften und Künste
für Preussen. Der den Glanz liebende, aber auch für das Grosse
empfangliche Monarch, der sich am 18. Januar 170 1 die Königs-
krone auf das Haupt setzte, wollte auch die Musen in seiner Re-
sidenz versammeln und Bildung in seinem Lande verbreiten.
Den aufgeschlossenen Sinn für den Fortschritt des Zeitalters,
für die Pflege der schönen Wissenschaften und für die Toleranz
hatte Friedrich als ein Erbe von seinem Vater, dem grossen Kur-
fürsten, überkommen. Dieser hatte nach den Verwüstungen des
schrecklichen Kriegs die Universitäten Königsberg und Frankfurt
wiederhergestellt und die Hochschule zu Duisburg gestiftet. Darüber
hinaus hatte er — im Jahre 1667 — den grossartigen Plan einer
brandenburgischen Universaluniversität «für die Völker, Wissen-
schaften und Künste« bestätigt und ihn in erhabenen und schwung-
vollen Worten verkündigen lassen. Eine Freistatt der Geister sollte
sie sein, allen verfolgten Gelehrten Europas ein Asyl, allen be-
drückten Confessionen ein Zufluchtsort, den reinen und den ange-
wandten Wissenschaften ein Mittelpunkt werden — ein Band der
Geister und eine Burg der erhabensten Beherrscherin der Welt,
der Weisheit! Sie wird im Genuss ewigen Friedens sein; denn
im Kriege wird sie durch Verträge als unverletzlich geschirmt;
auch unter dem Schalle der Waffen werden die 3Iusen dort nicht
1*
4 Vorgeschichte der Akademie.
schweigen. Jede freie Kunst wird ohne Einschränkung gelehrt;
sie wird sich selbst A-erwalten, nur unter dem Kurfürsten stehen;
alle wissenschaftlichen Hülfsmittel werden ihr gewährt. Das, was
einst die Schüler Plato's geträumt, was die Poeten der Renaissance
im Geiste geschaut hatten — Platonopolis sollte als eine evange-
lisch-protestantische Schöpfung in Brandenburg entstehen!^
Ein Ideal war hier gezeichnet — Benedict Skytte, ein plian-
tasievoUer Schwede, hatte es erdacht — , seine Undurchführbarkeit
musste bald erkannt werden. Streift man ihm aber die bizarre
Hülle ab, so spricht es kühn und zutreffend die Bedingungen aus,
unter denen die Wissenschaft allein zu gedeihen vermag, und ver-
kündet den Segen der Wahrheitserkenntniss , die ihr Gesetz in sich
selber trägt. Es bedeutet etwas in der Geschichte des preussischen
Staats und der Wissenschaft, dass ein Monarch wie der grosse Kur-
fürst sich zu diesen Grundsätzen bekannt hat. Indem er der Wissen-
schaft volle Freiheit, unbedingten Schutz und alle nöthigen Mittel
zugleich zusagte, hat er den unerschütterlichen Glauben an die heil-
same Kraft der Wahrheit ausgesprochen. —
Das Project war in Berlin vergessen, als unter Friedrich IIL
der Plan zur Errichtung einer Brandenburgischen Societät der Wissen-
schaften auftauchte". Aber ein geistiges Band zwischen jener nie
verwirklichten Absicht und der gestifteten Societät besteht doch;
denn aus denselben Bedingungen sind beide geboren. Hier Avie
dort war die Sorge für die geistige und materielle Cultur Preussens
und zugleich das Gefühl der Verpflichtung als Vormacht des Pro-
testantismus maassgebend, und hier wie dort legte der neue Besitz
— die grossmüthig aufgenommene französische Einwanderung —
den Gedanken nahe, diese ausgezeichneten Kräfte auch im Dienste
^ vSiehe die Acten im Geh. Staatsarchiv über diesen Plan (Kleinert, Rectorats-
rede, Berlin 15. Oct. 1885). In dem vom Kurfürsten am 12. April 1667 vollzogenen
und sodann gedruckten Patent ("Fundatio novae üniversitatis Brandenburgicae
gentium, scientiai'um et artium«) heisst es U.A.: »Si (|ui sunt impediti Divinitatis
cultu et usu sacrorum, si qui sunt asjieivae dominationis pertaesi, libertatis amantes,
si qui sunt per ostracismuni patria jiuLsi vel ob aliam (piamcunu[ue modo non in-
honestam causam sedibus extorres . . . sciant sese in hac Universitate reperturos
Parnassum , Maecenatem , scientiarum et artium honorem , conscientiarum et om-
nium rerum decoram libertatem, solamen afllictis, exulantibus refugium et asylum etc.«
^ Siehe Urkundenband Nr. i. Hundei'tundzwanzig Jahi'e später hat Erman in
der öffentlichen Sitzung vom 29. Jajmar 1789 (3Iem. 1788/9 p. 9) eine Abhandlung
gelesen: »Sur l'idee (|u"avait eue le grand Electeur de fondei- une ville savante,
sous le nom d'Universite Brandebourgeoise, de tous les peuples, de toutes les sciences
et de tous les arts.«
Einleitung. 5
der Wissenschaften zum Nutzen des Vaterlandes zu sammeln und
mit den einheimischen Kräften zu verschmelzen.
Aher die neue Form einer «Societät« oder »Akademie« ver-
langt doch noch eine besondere Aufmerksamkeit. Die europäischen
Universitäten sind auf dem Höhepunkte des Mittelalters entstanden,
und ihre Einrichtung, die Lehre in festen Formen zu überliefern,
entspricht der mittelalterlichen Stufe wissenschaftlicher Erkenntniss.
Die Akademieen Europas gehören der Epoche an, die, durch die
Renaissance und die Reformation A^orbereitet, in der Mitte des
I 7. Jahrhunderts beginnt, und ihre Institutionen sind ein Ausdruck
des neuen Geistes, der die Herrschaft im Reiche des Gedankens
und des Lebens gewinnen sollte. Wir suchen die Grundzüge dieses
Geistes, dem die alten Universitäten nicht mehr genügten, zu er-
kennen, bevor wir die Entstehung der Akademieen überhaupt und
der Preussischen Akademie insbesondere beleuchten. Dabei wird
uns sofort die Gestalt Leibnizcus entgegentreten, der der Führer
seines Zeitalters und der Schöpfer der meisten Akademieen des
Continents, aber der wirkliche Stifter, das Haupt und die Seele
unserer Akademie gewesen ist. Friedrich der Grosse hat ihn ihren
»Begründer und Chef« genannt, und Diderot von ihm gerühmt:
»Dieser Mann hat allein Deutschland so viel Ruhm gebracht, wie
Plato, Aristoteles und Archimedes zusammen Griechenland« \
1.
Aus dem Zusammenwirken von drei Elementen ist der ent-
scheidende Umschwung im geistigen und gesellschaftlichen Leben
Europas entstanden, der das 18. Jahrhundert charakterisirt , aber
sich bereits seit der Mitte des 17. deutlich ankündigte. Aus der
Verbindung der Renaissance, der Reformation und der neuen
mathematischen Naturwissenschaft haben sich jene herrlichen
Bildungen entwickelt, welche der Welt ein neues Gepräge geben
sollten.
Das Grundelement hat die Renaissance geliefert. Sie hat
das Auge geöflhet für den Menschen und für die Dinge; sie hat
nach einer auf Anschauung und Speculation sich gründenden Pan-
sophie getrachtet; sie hat Erkennen und geistiges Geniessen als den
wahrhaft würdigen Lihalt des Lebens gelehrt und ihre Jünger mit
^ Mem. de rAend. Royale 1748 }).378. Diderot, (lüivr. T.VIl p. 239 flf.
6 Voruescliiclitc dt'v Aküdcinie.
dem stolzen Bewvisstsein erfüllt, die Herren ihrer selbst und die
Herrscher der Welt zu sein. An die Stelle der »Lehre« setzte sie
die »Forschung«, an die Stelle des Himmels die veredelte Welt-
lichkeit; statt der Unsterblichkeit verhiess sie ewigen Ruhm.
Durch die starken Kräfte einer alten Überlieferung immer wieder
zurückgedrängt, in den confessionellen Kämpfen eines Jahrhunderts
scheinbar geknickt und zertreten, erhob sich der Geist der Renais-
sance nach Ablauf des dreissigj ährigen Krieges mit siegreicher Ge-
walt und bewies sein unverwüstliches Leben. Die »Antike«, kühn
und frei in ein goldenes Zeitalter oder in einen platonischen Staat
der Weisen verwandelt und mit ganz modernen Errungenschaften
bereichert, blieb das Ideal, dem das ausgehende 17. und das
18. Jahrhundert zustrebten, und alle Lebenskunst, die grosse und
die kleine, bewegte sich in ihren Überlieferungen. Wo sie unge-
brochen herrschte, gab es keine Kirchen und Confessionen melir,
auch keine zweite Welt über dieser, sondern nur ein, Himmel und
Erde umspannendes Reich.
Aber sie herrschte nicht ungebrochen. Zwar aus dem Sonder-
gut der alten Kirche ist nichts in die neue Bildung herübergekommen ;
aber von der Reformation ist sie durchgreifend beeintlusst worden.
Dass dem Menschen auf der Erde eine Aufgabe gesetzt ist, dass er
seine Pflicht zu thun hat, dass er eines guten Gewissens bedarf, dass
ein unbestechlicher Richter über ihm waltet, sind Erkenntnisse, in
denen alle die grossen Führer des Zeitalters einig sind. Das Bewusst-
sein, zum gemeinen Nutzen wirken zu müssen und in dem Dienst einer
heiligen Aufgabe zu stehen, vor der jeder Eigenwille und alle Eigen-
lust zurückzutreten hat, zeichnet die Träger des fortschreitenden Ge-
dankens seit der Mitte des i 7. Jahrhunderts aus. Diese Combination
freier Selbstbehauptung und gewissenhaften, thatkräftigen Dienstes
zum gemeinen Nutzen als religiöser Pflicht ist ein Erwerb des Refor-
mationszeitalters; er ist zuerst in den protestantischen Gemeinwesen
verwirklicht worden und von dort aus in die allgemeine Bildung über-
gegangen. Er begrenzte und versittlichte die Cultur der Renaissance
und hielt zugleich den Zusammenhang mit dem Kerne der religiösen
Überlieferungen aufrecht: dieselben Männer, die eine vollkommene
Gleichgiltigkeit gegen die confessioneUen Lehren zeigen , wissen sich
doch aufrichtig als Christen und fühlen sich an Gott gebunden. Die
mittelalterliche Weltanschauimg und das mittelalterliche l^ebenssystem
sanken dahin. Sie waren zidetzt noch durch die Religionskriege
gründlich discreditirt worden. Jenen Lehren, an denen so viel Blut
Einleitung. 7
klebte , die wie Brandfackeln ganze Länder verwüstet hatten , sagte
man innerlich den Gehorsam auf. Aus dieser Art von Religion
schien nur Unheil hervorgehen zu können: sie hatte das irdische
Leben und die irdische Wohlfahrt nahezu aufgelöst. Also muss man
es mit einer neuen, würdigeren Fassung der Religion versuchen.
Fromme und Aufklärer sind darin einig, dass am Gewissen und an
der »Praxis« alles Religiöse zu messen ist. Obgleich diese Über-
zeugung sehr verschiedener Ausbildung fähig war, schlang sie doch
ein Band um alle Bürger des neuen Zeitalters.
Aber noch ein drittes Element bestimmte den Geist dieser Epoche.
Die Renaissance hatte die Natur entdeckt, für zugänglich erklärt und
sie entzückt als ein einheitliches Kunstwerk zu beschauen begonnen.
Eine methodische Naturerkenntniss bahnte sich indess im 1 6. Jahr-
hundert nur langsam an, und gerade die genialsten Naturkundigen
compromittirten oftmals ihre Wissenschaft durch Charlatanerie und
Dunkelwerk oder wurden doch von den allein zünftigen Aristoteli-
kern gemieden. Noch immer zogen sich der nüchterne Verstand
und die Grossmacht der Universitäten von der experimentirenden
Naturwissenschaft zurück und überliessen das Feld trotz der grund-
legenden Entdeckungen, die schon gemacht worden waren, den
Mystikern und Projectenmachern. Noch immer wurde das Weltbild
aus der religiösen Überlieferung und aus logischen Begriffen con-
struirt. Aber im Laufe des 1 7 . Jahrhunderts , von Galilei und
Kepler über Cartesius zu den Engländern, d. h. zu Newton, voll-
zog sich siegreich der bedeutendste Umschwung, der in der Ge-
schichte der Wissenschaft überhaupt je erlebt worden ist. Die
mathematische Naturwissenschaft — eigenthümlich vorbe-
reitet durch die der Einheit zustrebende ästhetische Betrachtung
der Renaissance — und mit ihr die mechanische Weltanschauung
entwickelten sich und w^urden am Ende des Jahrhunderts bereits
auf eine Höhe gehoben, die in gewissem Sinn einem Abschluss
gleichkommt \ Welche Revolution in den Köpfen und Gemüthern
diese an der Peripherie der Renaissance entstandene, aber bald den
Mittelpunkt beherrschende Entwicklung hervorgebracht hat, lässt
^ Man darf hier auch an die Lehre von der Erhaltung der Kraft denken, der
Leibniz (im Jahre 1696) einen richtigeren Ausdruck gegeben hat. die unzutreffende
Auffassung des Cartesius corrigirend (Acta Eruditormn Lips.: »Brevis demonstratio
erroris memorabilis Cartesii«). Auch in Newton's Principien ist diese Lehre so weit
enthalten, als die L^nkenntniss in Bezug auf die Natur der Wärme es zuliess (s.
DU Bois-Reymond, "Leibnizische Gedanken in der neueren Naturwissenschaft", in den
'»Reden« l. S.32ff.. cf. 328 f. und sonst).
8 Vorgeschichte der Akademie.
sich nicht beschreiben: Mathematik wurde ein Evangelium — sie
wurde sogar poetisch verklärt und drang in die höfische Bildung;
adelige Frauen umgaben sich mit Mathematikern wie früher mit
Sängern, und Maupertuis verglich die Thätigkeit des Mathematikers
mit der des Dichters oder Redners'; selbst Friedrich IL verherrlichte
den »Apollon newtonianise"«. Die mathematische Physik wurde das
Centrum, ja der Inbegriif der Wissenschaft. »Was in der Renais-
sance der künstlerische und gelehrte Enthusiasmus der Alterthums-
forschung geleistet hatte, nämlich den positiven Ersatz des Heiligen,
das begannen seit dem Ende des i 7 . Jahrhunderts die beobachtenden
Wissenschaften zu leisten.« Ferner, dass Wissenschaft nicht »Lehre«,
auch nicht »Curiosität«, sondern methodische Forschung sei —
denn die gefundenen Principien eröffneten der Anwendung ein un-
endliches Gebiet — , dass der Verstand, weit entfernt, von der Natur
gelähmt oder verwirrt zu werden, erst durch sie zu einem sicheren
Inhalt und zur Entdeckung immer neuer fruchtbarer Erkenntniss-
methoden komme, diese grundlegenden Einsichten sind damals er-
worben worden. Aber darüber hinaus wirkte die Mathematik, oder
richtiger die Mechanik, so mächtig, dass man in den neu gewonnenen
Naturbegriffen auch die einzigen Mittel zu erkennen glaubte, um das
Geistesleben zu durchschauen und zu erklären. Oder, wo man so
weit nicht vorzuschreiten wagte, da strebte man doch darnach, alle
Lebensverhältnisse in derselben Weise zu begreifen und klar zu
machen , wie es der exacten Philosophie in Bezug auf die Bewegung
der Körper gelungen war. Dass die Steigerung der Erkenntniss den
Hauptinhalt des Lebens bilde und aus ihr das Hochgefühl des Lebens
entspringe, hatte die Renaissance gepredigt. Das hielt man fest;
aber jetzt erst erfuhr man, dass dem menschlichen Geiste Avirklich
eine einheitliche, unerschütterliche und voll befriedigende Erkennt-
niss zugänglich ist, die alles Dunkle aufzuklären versprach. Auf-
klärung — nach den Principien der exacten Philosophie, in denen
sich der Verstand selber erkennt, wurde die Losung und das be-
rauschende Zauberwort des neuen Zeitalters. Hatte man die stumme
Natur zu reden gezwungen und ihr ihr Geheimniss abgetrotzt, so
wird man auch das Geistesleben zu bemeistern vermögen. Hatte
sich der Verstand als das zureichende Mittel offenbart, um die
^ DU Bois-Reymond, Mauperttis (Sitzungsber. 1892, S. 411. 413).
^ Brief an Voltaire vom 5. August 1740 (Q]uvr. T. 22, p. 20). Euler hat (noch
im Jahre 1768) in den »Lettres k une princesse d'Allemagne« die Grundzüge der
neuen Mechanik, Asti'onomie u. s. w. genieinfasslich dargelegt.
Leihxiz als universaler Denkei' und Organisator. 9
Mechanik des Himmels zu erforschen, so wird er auch seinen eigenen
Hervorhringungen gewachsen sein. Niemals ist die Wissenschaft
durch ihre Erfolge zu gründlicher Abkehr von der Vergangenheit,
zu ausschweifenden Hoftnungen für die Zukunft und zu kühner
Politik so berechtigt gewesen wie im Zeitnlter LEiBNizens.
2.
Aber eben darin bestellt Leibniz' (1646 — i 716) Grösse, dass er
nicht einseitig einem jener Elemente, Avelche die Kräfte des Zeit-
alters bildeten, gefolgt ist, sondern dass er sie alle in sich ge-
sammelt und sie in fruchtbare Beziehungen zu einander gesetzt hat.
Die leitenden Ideen der Renaissance imd der exacten Naturphilo-
sophie hat er auf dem Boden der deutsclien protestantischen
Überlieferung mit einander in wahrhaft conservativem und doch
fortschreitendem Geiste verbunden \ alle diese Kräfte in ihrer Breite
entfaltet und durch eine unbegreifliche Virtuosität der Anwendung
seinem Zeitalter bekannt gemacht und eingebürgert. Mag ihn Spinoza
als empfindender, Newton als kritischer und exacter Denker über-
troöen haben" — Niemand hat ihn übertroffen in der Fähigkeit,
alle Kräfte des Zeitalters in sich aufzunehmen, jede einzelne bei ge-
gebener Gelegenheit stets gegenwärtig zu haben, nichts zu berühren,
ohne es weiter zu entwickeln, und jeden Stand in der menschlichen
^ Auch mit der Arbeit und den Slethoden der mittelalterlichen Scholastik war
er vertraut, und wenn manche Schranke seiner wissenschaftlichen Eigenart sich von
hier aus erklärt, so hat er doch auch der energischen Speculation des Thomas nicht
Weniges zu verdanken.
^ Was die Erfindung der Differential- Rechnung anlangt, so hat hereits Euler
(\'orrede zu seinen "Institutiones calculi differentialis") in dem berühmten Streit ge-
recht und klar geurtheilt. Nachdem er zuerst kiu'z ausgeführt, dass schon lange
Zeit vor Newton und Leibniz Spuren dieser Speculation in Anwendung auf Rational-
Functionen vorhanden gewesen seien, fährt er fort: »Dem englischen Erfinder haben
wir unstreitig die Anwendung dieser Verhältnisse auf b-rational- Functionen zu ver-
danken, auf welchen glücklichen Schritt er durch seinen vortrefflichen Lehrsatz von
der allgemeinen Formel aller binomischen Potenzen ist geleitet worden. LsiBNizen
sind wir verbimden, dass er der Rechnungsart, die man vorher nur als
einen besonderen Kunstgriff angesehen, die Gestalt einer Disciplin
gegeben, die Regeln derselben in ein System gebracht und deutlich
a u s e i n a n d e i- g e s e t z t hat. E r 1) a 1 1 n t e de n W e g z u r f e i' n e r e n A u s b i 1 d u n g
dieser Wissenschaft und zeigte die Grundsätze, aus welchen das
aunoch Fehlende herzuleiten sei. Endlich haben Leibniz und die von ihm
aufgemunterten Bernoullis die Grenzen der Differentialrechnung auch bis auf Trans-
scendental- Functionen, welcher Theil vorhin noch unangebauet war, mit vereinigten
Kräften ausgedelmt und auch die Grundsätze der Integralrechnung festgesetzt.«
10 Voi-iicschichte di'v Akademie.
Gesellscliaft zu fördern. Ininittcn der grössteii Umwälzung der Ideen
und Institutionen stellt Leibniz als ein Heros, weil er, wie Aristoteles
und Origenes, die Fähigkeit besessen hat, was die Vergangenheit
WerthvoUes hinterlassen, zu conserviren, die Errungenschaften der
Gegenwart daran anzuknüpfen und diese Errungenschaften nicht nur
selbst mächtig zu steigern, sondern sie auch überall in die Praxis
einzuführen und zu Principien des Lebens zu erheben.
So ist Leibniz wie der klassische Repräsentant so der Führer
seines Zeitalters: die aus der Renaissance, der Reformation und der
exacten Philosophie entstammenden Kräfte sind in ihm unter dem
Zeichen des Fortschritts vereinigt. Der Neugestaltung des Lebens
hat er sie dienstbar gemacht — »So oft ich etwas Neues lerne,
so überlege ich sogleich, ob nicht etwas für das Leben daraus ge-
schöpft werden könne«' — mit dem sichersten Sinn für das Er-
reichbare und mit kluger Schonung des Bestehenden. Zwar wenn
man die ununterbrochen hervorquellende Menge seiner Hoffnungen,
Ideen, I-Cntwiirfe und Projecte überschaut, scheint es fast, als müsse
ihm der Sinn für das Bestehende und Erreichbare abgesprochen
werden, und wirklich bietet er Eigenthümlichkeiten, nach denen
er auf die Linie jener wunderlichen und zweifelhaften Natur})hil()-
soplien gehört, die mit Paracelsus begonnen hat und selbst in einem
CoMENius noch zu erkennen ist. Allein wie schon die Zusammen-
stellung dieser beiden Namen die Reinigung jener productiven geisti-
gen Be^vegung im Laufe ihrer Entwicklung beweist, so wäre es
keine Schande für Leibniz , am Schlüsse derselben zu stehen und
gleichsam das gelungene Experiment der Natur nach vielen unvoU-
kommneren Hervorbringungen dieser Gattung darzustellen". Aber
^ Vergl. auch seine charakteristische Definition ch^s i'ehgiösen Glaubens (Klopp,
(li(> Werke von Leibniz, i. Bd. 1864 S. 112): «Der wahre Glaube und die wahre
llofthung ist nicht nur reden, ja nicht nur denken, sondern practice denken, das
ist thun, als wenn's wahr wäre.«
- Mit bewunderungswürdiger P^insicht und richtigem Scharfblick hat Leibniz,
etwa 24 Jahre alt, über jene wunderlichen Natur])hilosophen , die sich mit »curiosen«
Sachen abgaben, geurtheilt, die in demselben Sinne die Väter der »Akademiker«
sind, wie die Alchemisten die der Ghemiker. In dem "Bedenken von Aufrichtung
einer Academie oder Societät in Teutschland« (Klopp. Die AVerke von Leibniz,
I. Bd. 1864 S. 143) schreibt er: »Die Laboranten, Gharlatans, Marktschreier, Alchy-
misten und andere Ardeliones , A'^aganten und Grillenfänger sind gemeiniglich Leute
von grossem Ingenio, bisweilen auch Experienz, nur dass die disprojjortio ingenii
et iudicii, oder auch bisweilen die Wollust, die sie haben, sich in ihi-en eitelen
Hoffnungen zu unterhalten, sie ruiniret und in Verderben und Verachtung bringet.
Gewisslich. es weiss bisweilen ein solcher Mensch mehr aus der Erfahrung und
Natur gewonnene Realitäten, als mancher in der AVeit hoch angesehener Gelehi'ter,
Leibxiz als iiniv(M'snlci- Denker und Organisator. 11
es ist doch unrichtig, den grossen Gelehrten und Denker jenen
Männern einfach zuzuordnen . denn sein methodisch gewonnenes,
ungeheures Wissen schützte ihn immer sicherer vor jeder Aus-
schweifung ins Leere: seine nie versagende Bereitschaft zu lerncm
und umzulernen befreite ihn von allen Capricen, und sein lebendi-
ger, unverwüstlich heitrer Geist,, der sich durch keine Enttäuschun-
gen niederbeugen Hess, fand stets einen neuen Weg, wenn sich der
zuerst entdeckte als ungangbar erwiesen hatte.
Die Kraft seines Lebens war vor allem sein freudiger Fleiss
und seine rastlose Thätigkeit. Mit Recht hat man ihn ein wahres
Perpetuum mobile in der Wissenschaft genannt und von seinem
viel- und allseitigen Studium , von seiner immensen, überallgegen-
wärtigen, bewunderungswürdigen Polyhistorie gesprochen — »be-
wunderungswürdig nicht sowohl der Grösse ihres Umfangs nach,
als vielmehr ihrer Qualität wegen; denn es war nicht die Viel-
wisserei des todten Gedächtnisskrämers, sondern eine geniale, pro-
ductive Polyhistorie'. Sein Kopf war kein Herbarium; seine Kennt-
nisse waren Gedanken, waren fruchtbare Zeugungsstoffe. Alles in
ihm war Geist und Leben , seine Consumtionskraft Productionskraft.
Er umfasste nicht nur die verschiedensten, ja entgegengesetztesten
Zweige des Wissens, sondern auch die verschiedenen Eigenschaften
der seine aus den Büchern znsaninien gelesene Wissenschaft mit Elocjnenz, Adresse
und anderen politischen Streichen zu scluniicken und zu ^Nlarkt zu bringen weiss,
dahingegen der andere mit seiner Extravaganze sich verhasset oder verachtet machte.
Daran sich aber verständige Regenten in einer wohlbestellten Republique nicht
kehren, sondern sich solcher Menschen brauchen, ihnen gewisse regulirte
Employ und Arbeit geben und dadurch sowohl ihr als ihrer Talente
Verderben verhüten können." In welche gefährliche Nähe er selbst zeitweilig
den pi-ahlerischen Erfindern imd wissenschaftlichen Grossspi-echern gekommen ist,
zeigt am besten der Bi'ief an Herzog Joha^-x Eriedrich von Hannover, den
GuHRAUER, LEiBNrrz"s Deutsche Schriften, i.Bd. 1838 S. 277 ff. abgedruckt hat.
Es hat übrigens sowohl zu Leibxiz' Lebzeiten als nach seinem Tode stets ernsthafte,
aber bornirte und neidische Leute gegeben, die. wie z. B. sein Nachfolger in Han-
nover, ihn als '-Speculanten, Projeetenmacher und Diarlatan voll Prahlerei«, dazu
als Schmeichler der Fürsten lieurtheilt haben.
^ In dieser Polyhistorie hat Leibniz unter seinen Zeitgenossen nur einen
Kivalen gehabt. Pierre Bayle; aber wie verschieden ist die Anwendung, die beide
von ihrem Wissen gemacht haben (ülier die Beziehungen zwischen ihnen s. Vahlex,
Sitzungsberichte 1897, i.Juli). Leibniz hat noch einmal mit Erfolg versucht. Alles
in conservativem Geiste zusammenzudenken und productiv auszugestalten; Bayle
weist überall die Probleme und klaffenden Widersprüche auf, ohne sich zu ent-
scheiden. Dieser unbestechliche INIann j)tlanzte das kritische Streben nach Wahr-
heit in tausend Köpfe. Und wie viel grösser noch ist die Zahl dei' Gemüther. die
er von den verjährten Ansprüchen der Theologie befreit und vom Fanatismus zur
Toleranz Geführt hat!
1 2 Vorgeschichte der Akademie.
und Anlagen, auf denen sie allein sprossen und Früchte tragen«'.
Eine Akademie in sich darstellend, so hatte ihn Friedrich dev Grosse
gefeiert, «vom Himmel mit einer der hcvorrechteten Seelen bedacht,
ja mehr als eine Seele habend«. In der That, er war exacter
und speculativer Philosoph, Theolog, Jurist, Historiker, Politiker,
Sprachforscher, Physiker und in allen Zweigen der Naturbetrachtung
ein sorgsamer Beobachter, dazu Experimentator und Constructeur.
Er selbst hat den Umfang seines Wissens, das durch das treueste
Ged<ächtniss befestigt war", darauf zurückgeführt , dass er, weil Auto-
didakt, niemals Hohles und zu Verlernendes gelernt und dass er
in jeder Wissenschaft stets nach Neuem getrachtet, auch Avenn er
kaum die ersten Schritte in ihr gethan habe. Selbst bei guten
Köpfen pflegt das Ergebniss einer solchen Haltung ein sehr trübes
zu sein; sie löst also das Räthsel nicht, wie hier in einem Men-
schenleben geleistet worden ist, was sonst nur die vereinten An-
strengungen einer ganzen Generation zu erringen vermögen.
Sein freudiger Fleiss und seine rastlose Thcätigkeit, die wunder-
same Vereinigung extensiver Empfänglichkeit und intensiver Frucht-
barkeit, kühnster Conception und nüchternster Ausarbeitung, ent-
sprangen der Positivität seiner universalen Begabung. In ihr lag
die Quelle seiner umfassenden W^irksamkeit. In dieser Richtung ist
keines seiner Worte charakteristischer, als jenes Bekenntniss, das
er gegen Ende seines Lebens (in einem Brief an Remond de Montmaur
vom Jahre 17 14) abgelegt hat: »Ich habe gefunden, dass die meisten
Schulen in einem guten Theil dessen, was sie behaupten, Recht
haben, aber nicht ebenso in dem, was sie verneinen«. Hiermit
sind die öfters wiederholten Worte zu vergleichen, dass auch in
Büchern, »so am wenigsten geistreich sind«, sich immer ein oder
ander guter Gedanke finde ^. Überall stiess sein Auge zuerst auf
das Gute, Probehaltige , Productive und hielt es fest; bei dein Fal-
' Siehe L. Feueruach. Darstelhing, EntwickhiiiL!,- und Ki-itik der LEiüMTz'schen
Pliilosophie, 2. Aussähe 1844 S.12.
^ Sein Secretär Eckhart sclireilit über iini (Lebenslauf des Herrn vox Leirniz.
in jNIurr's Journal z. Kunstgescli. u. Litt. Bd. MI S.r99): »Er las zwar viel und
excerpirte alles, machte auch last über jedes curiose Buch seine Retlexiones auf
kleine Zetteln ; sobald er sie aber geschi-ieben , legte er sie weg und sähe sie nicht
wieder, weil seine ^Memoire unvergleichlich war.«
^ Siehe GuHRAUER, LEinxrrz's Deutsche Schriften, 2. Bd. 1840 S.301. Hier-
her gehört auch der Ausspruch : »Die Waln-heit ist verbreiteter als man glaubt, aber
oft verhüllt: indem man ihre Spuren bemerkbar macht, findet man eine bleibende
Philosophie".
Leibxiz als universaler Denker und Organisator. 13
sehen hielt er sieh nicht auf; es fiel von selber ah\ Diese Fähig-
keit — Goethe hat sie Wahrheitsliebe genannt — ermöglichte es
ihm, einen Reichthum von Gedanken einzusammeln, wie ihn kein
Sterblicher vor ihm besessen hat; sie entwickelte zugleich in ihm
jene Universalität, die ihn überall heimisch machte. Die alte, auf
der kirchlichen Überlieferung beruhende Welt- und Lebensanschauung
hatte stets mit dem »Entweder-Oder« gearbeitet und damit vieles
Herrliche entwerthet; aber auch die neue schickte sich an — in
entgegengesetzter Weise — ein »Entweder-Oder« aufzurichten. Da-
her ist es von höchstem Werthe gewesen, dass in Leibniz die Zeit
einen Führer erhielt, der in der grossen Epoche des Umschwungs
die Selbständigkeit des geistigen Lebens anerkannte, der nicht nur
die einzelnen, sich trennenden Wissenschaften zusammenfasste , son-
dern auch in den Wissenschaften selbst die Spannungen zu besei-
tigen und die Klüfte auszufüllen trachtete. Wie die Natur, seine
Lehrmeisterin, konnte er nichts Leeres dulden, und wie sie suchte
er allem Lebendigen sein Recht auf Existenz und Fortexistenz zu
lassen ; denn in der Fülle des Individuellen schaute er das Universum
an und seine Harmonie. Im ihm lebte der Totalsinn Spinoza's, aber
verbunden mit der Ehrfurcht vor allem Besonderen und Selbstän-
digen und vertieft durch die deutlichste Einsicht, dass die Erkennt-
niss jedes Objects eine besondere Methode verlange".
^ In dieser Fähigkeit des Geistes ist Diderot Leibniz verwandt (»Ich lese
die Menschen«, schreibt er einmal, »wie die Bücher; ich beschwere mein Gedächt-
niss nur mit Dingen, welche gut und nachahnienswerth sind«). Auch in dem freu-
digen Optimismus, der Duldsamkeit, der Güte und der steten Hülfsbereitschaft sind
sie sich ähnlich, so diametral entgegengesetzt ihre Philosophie ist.
- »Ich habe gelernt«, sagt er einmal, »dass man sich in der Mathematik auf
den Scharfsinn, in der Naturwissenschaft auf Experimente, bei den göttlichen und
menschlichen Gesetzen auf Autorität, in der Geschichte aber auf Zeugnisse stützen
muss« (vergl. den Brief an Zacagxi vom 8. Mai 1704 auf der hannov. Bibliothek:
»Ego dudum eflfeci, ut intelligerent nostri, quod olim minus curabatur, historiam
monumentis innixam esse debere«). In der Medicin wollte er von den berühm-
testen Theoretikern nichts wissen, weil man auch hier nur aus Beobachtungen und
Entdeckungen etwas lernen k()nne. Er hielt sie neben der Ethik für die wichtigste,
zugleich aber für die schwierigste Wissenschaft. »Virtus et sanitas — caetera adjici-
entur nobis«, war sein Wahlspruch. Gern vei'glich er die Medicin mit der Kriegs-
wissenschaft, die beide deshalb so schwierig seien, weil sie von so vielen Zufällig-
keiten abhingen. — Die Fähigkeit, jede Disciplin nach ihrer Eigenart zu fassen,
alles Schematisiren zu vermeiden, da es die Eigenthümlichkeit der Objecte verwische,
und die instinctive und geniale Einsicht in Bezug auf das INIaass dessen, was die
Zeit an Neuem zu ertragen vermochte, sind vielleicht die grössten Eigenthümlich-
keiten seiner Begabung gewesen. Obgleich er eine radicale Umwälzung der Welt-
anschauung einleitete, schien er doch ein conservativer Mann zu sein.
14 \'oi'g('.scliiclite der Akademie.
All diesem Punkt lag aher auch eine gewisse Sclnväclie. Die
Kraft der Exclusive hat er nicht gekannt: er hat oft genug zu con-
serviren und zu vermittehi gesucht, wo nichts zu vermittehi war,
und Verhin<Uingslinien gezogen, wo es keine A^erbindung mehr gab\
ÄhnUch verfulir er den Personen gegenüber. Wie er seine Welt-
anschauung in Bezug auf die Dinge nach den besonderen Verhält-
nissen inodificirte , unter denen er sie jedesmal studirte, und den
letzten Schritt zu einer einheitlichen Betrachtung verzögerte, so wur-
den auch die zahlreichen Beziehungen zu Personen seiner Philosophie
verhängnissvoll, und das Beiwerk seines Lebens wurde immer um-
fangreicher. So natürlich war es ihm, sich gleichsam zu verviel-
fältigen , mit Jedem in Verbindung zu treten und sich augenblick-
lich in den Anderen zu versetzen, um ihm zu helfen und die W^ahr-
heit in der ihm nützlichsten Form darzubieten, dass er darüber sich
selbst zersplitterte und die Einheitlichkeit seiner Weltanschauung
lockerte. »Wir haben von Leibniz keine unabhängig'e , beziehungs-
lose , absolute Darstellung seiner Philosophie ; denn er dachte mehr
relativ, als absolut«, sagt Feuerbach mit Recht": aber er geht zu
weit, wenn er hinzufügt, Leibniz habe sich so sehr in das Garn
der Beziehungen zu Menschen verwickelt, dass wir von ihm fast
nur wissen und haben, was und wie er für Andere war und dachte,
nicht w^as und wie er an und für sich selber dachte. Das können
wir wohl ermitteln, nur dass die Aufgabe schwer ist, weil nichts
als Fertiges, Dogmatisches, Absolutes bei ihm vorliegt, sondern seine
Gedankenwelt einem lebendigen Fluss vergleichbar ist, dessen Lauf
von den Schichten bestimmt wird, die er zu durchbrechen hat; weil
er sich in steter Bewegung befindet, wie das Universum, die grosse
und die kleine Welt, in deren Anschauung er lebte. Und w^enii es
^ DU Bois-Reymünd (Reden I S.36) beklagt die widernatiirliche Verbindung
der speculativen Theologie mit der Mathematik (mathematischen Physik) in Leibniz.
Gewiss — er hat diese Verbindung in einer Weise aufrechterhalten, die selbst im
17^ Jahrhundert befremdet. Allein wer kann behaupten, dass Leibniz mehi' und
Grösseres geschaffen haben würde, wenn er sie aufgehoben hätte!' Wieviel wirk-
liche Probleme, die er aufrecht erhielt, wären vorzeitig zerstört worden, wenn er
zu Locke oder Bayle sich bekehrt hätte? Und wie hätte er die Allseitigkeit
seines Geistes bewahren können, wenn ihm nicht alle Probleme der Natiu", des
Geistes und der Geschichte in der Gottesidee Zusammenhang und Einheit besessen
hätten? Die scheinbar kindliche Weise, in der er Gott bald als Mathematiker, bald
als Physiker, bald als Politiker oder als Richter vorstellt, ist doch häufig nwr ein
Ausdruck für das energische Bestreben, complicirte Vorgänge auf die einfachste
und allgemeinste Formel zu bringen.
- A.a.O. S. 16 und vergl. die ti-eflPende Chai'akteristik. die Vahlen gegeben
hat (Sitzungsberichte 1897 S.7oof.).
Leirmz ;i1.s uni\ ('rs;iler Denker und Oi-ii,;uiis;itor. 15
denn wirklich ein Naclitheil ist, dass wir die Gedanken des grossen
Philosophen nur aus Beziehungen kennen lernen und uns, um sie
richtig zu deuten und zu werthen, in sein rastloses Schäften ver-
setzen müssen , so wird dieser Nachtheil reichlich aufgewogen durch
die Einsicht in die innere Bewegung dieses Geistes, der die per-
sonificirte Vernunft selbst zu sein scheint und doch immer frappirt,
ohne je zu blenden, der die nächste Aufgabe stets mit aller Energie
ergreift und doch ausschliesslich in der Sorge für das »allgemeine
AVohl«t lebt. Die wirkliche Schranke seiner Eigenart und darum
auch seiner nationalen und weltgeschichtlichen Bedeutung lag nn
einem andern Punkt: dem Umfang seines Wissens und Könnens
entsprach weder die Tiefe seines Innenlebens noch die Kraft seiner
Empfindung und Aussprache. Alle seine ungeheuren Talente, die
er so virtuos wirksam zu machen verstand , sassen , als Seelenkräfte
betrachtet, ziemlich flach auf, erschienen fast wie etwas Ausserliches
an ihm und entbehrten deshalb der reflexiven Wirkung. Freilich
fiel sein Leben in ein Zeitalter, w^elches von der Fülle neuer ob-
jectiver Erkenntnisse so ergriöen und mit der Wegräumung super-
stitiöser Producte des Innenlebens so beschäftigt war, dass für die
Ausbildung des Personenlebens, seine Einheit, Kraft und Zartheit,
wenig Raum blieb. Rousseau und Herder fehlten noch, und erst
loo Jahre nach Leibniz ist Goethe geboren, in welchem jede Er-
fahrung und Erkenntniss ein Stück Seelenleben geworden ist. Eine
neue Cultur gab es doch erst, seitdem sich die Fähigkeit entwickelt
hatte , die neuen Erkenntnisse als Bildungsmittel für das persönliche
Leben zu verwerthen, und geniale Individualitäten entstehen konn-
ten. Aber keine andere Nation Europas hat um das Jahr i 700 und
wiederum um das Jahr 1800 solche Männer besessen, wie die deutsche
in Leibniz und Goethe. Neben einander dürfen wir sie stellen, ol»-
gleich Leibniz jene Genialität, welche wir heute so nennen, gefehlt
hat — aber wer besass sie vor Rousseau und Herder? wer verstand
die Kunst, das Innere zu bereichern und wiederum aus dem Innern
heraus mit Phantasie zu schafi'en? wer besass die Fähigkeit, frei
schaltende Genialität überhaupt zu verstehen?
An keinem anderen Punkte ofienbart sich die moderne Zeit
in Leibniz so kräftig wie in der Abzweckung aller Thätigkeit auf
das »allgemeine Wohl«. W"o die früheren Generationen vom ».Seelen-
heil« und von der Kirche gesprochen hatten, da tritt nun überall
dieser Begrift* ein. Aber er entbehrt, trotz seiner Diesseitigkeit,
doch nicht der religiösen Färbung. Es ist keineswegs Phrase, wenn
Ib \'oi'i;escliichte der Akndrmic.
Leibniz in .seinen IVüliesten wie in seinen spätesten Kundgel )ung'en
den AVillen und den »Rulini«i Gottes mit dem »allgemeinen Wohl«,
dem «Resten der Mensclilieit« einfach identificirt, vielmehr spricht
sich darin die neue Form der Frömmigkeit aus\ die im Gegensatz
zur correcten Streittheologie in der Beherrschung der Welt und in
der Veredelung und Verbrüderung der Menschheit die gottgesetzte
Aufgabe erkennt. Wer hört nicht den wundersamen Accord der
Renaissance und Reformation heraus, wenn Leibniz bereits in seinem
ersten Project »von Aufrichtung einer Societät in Deutschland«
(1669/70) schreibt: »Die Stiftenden setze ich also beschaffen zu sein,
dass sie, hohen Standes, Vermögens und Ansehens wegen, nichts
bedürfen als gutes Gewissen und. unsterblichen Ruhm bei den
unbetrüglichen Richtern, Gott und der Posterität .... Schliesse
also, dass solche Gesellschaft i. Gewissens, 2. unsterblichen
Ruhms der Stiftenden wegen, und dann 3. um gemeinen Bestens
willen aufzurichten. Wiewohl der gemeine Nutz eines so löblichen
Gott und Menschen angenehmen Werks den Nutzen der Stiftenden
gründet und des guten Gewissens sowohl als unsterblichen Namens
wahre unfehlbare Ursache ist«"". Nicht anders hat er als Greis ge-
dacht: »Le bien public est preferable h tous les autres soins, puisque
^ Diese .Stiimnung wnr schon seit dem Ul)ergang des 16. zum 17. Jnhrlmiidert
bei den hervorragendsten ]Männern verbreitet, aber dnrch die confessionellen Kämpfe
niedergehalten. So schreibt der treffliche Mathias Bernegger (geb. 1582, gest.
1640): "Durch die Betrachtung mid Erlbrsclnuig der Werke Gottes wird der Ruhm
seines göttlichen Namens viel mehr verherrlicht als durch die dornigen imd nich-
tigen Streitfragen, von denen die Katheder der Hochschulen erschallen«. Comenius
lebte in dieser Ubei'zeugung, s. Keller, Comenus und die Akademieen der Natur-
philosophen des 17. Jahrhunderts. Berlin 1895 (Vorträge und Aufsätze aus der
Comenius- Gesellschaft. 3. Jahrg. i. Stück). Freudiger Optimismus und Thatkraft
sind von hier aus erwachsen und haben den augustinischen Pessimisnuis in Bezug
auf das empirische Ich und die Welt abgelöst. So schreibt Leibniz im Jahre 1669/70
(Klopp, a.a.O. Bd. I S. 113): «Die Liebe Gottes, des höchsten Guts, besteht in
der unglaulilichen Freude, so man auch aiijetzo bereits, ohne visione beatifica
schöpfet aus der Betrachtung dessen Schönheit oder Proportion, das ist Infinität
der Allmacht und Allvveisheit«. Aus dieser Stimmung ist die Naturwissenschaft in
Deutschland geboren; s. a.a.O. vS. ii7f. : »Als Philosojjhi verehren Gott diejenigen,
so eine neue Harmonie in der Natur und Kunst entdecken und seine Allmacht und
^Veisheit sichtbarlich zu spüren machen. ... Ich bin der Meinung, dass auch den
grössten ^Moralisten und Politicis, die aber ganz keine Naturalisten (Naturforscher),
sondern der Wunder der Natur weder erfahren sein noch achten, recht ein grosser
Theil der rechten Verwunderung, der wahi-en Erkenntniss und brünstigen Liebe
Gottes und also der Perfection ihrer Seelen abgehe, wo es nicht durch excellente
Wissenschaft und guten Gebrauch ihrer Kunst, die Menschen zu erkennen und zu
regieren, ersetzet wird«.
- Klopp. Die Werke von Leibxiz, i. Bd. 1864 S. iiif.
Leibni/, als universaler Denker und Organisator. 17
c'est dans le fond la cause de Dieu , dont la gioire est interessee
dans le bien des hommes«\ Und an Peter den Grossen sehreibt
er im Januar i 7 i 2 " : » Ob ich nun wohl oft in publiquen Affairen
auch Justizwesen gebraucht worden und bisweilen von grossen Für-
sten darin consultiret werde, so halte ich doch die Künste und
Wissenschaften für höher, weil dadurch die Ehre Gottes und das
Beste des ganzen menschlichen Geschlechts beständig befördert wird.
. . . Denn ich nicht von denen bin, so auf ihr Vaterland oder sonst
auf eine gewisse Nation erpicht sind, sondern ich gehe auf den
Nutzen des ganzen menschlichen Geschlechts; denn ich halte den
Himmel für das Vaterland und alle wohlgesinnten Menschen für
dessen Mitbürger, und ist mir lieber bei den Russen viel Gutes aus-
zurichten, als bei den Deutschen oder anderen Europäern wenig,
wenn ich gleich bei diesen in noch so grosser Ehre, Reich thum
und Ruhe sässe, aber dabei Anderen nicht viel nützen sollte; denn
meine Neigung und Lust geht aufs gemeine Beste«.
Den kräftigen kosmopolitischen Zug in seiner Sorge für das ge-
meine Beste hat Leibniz nie verleugnet; er ist ihm auch nicht eigen-
thümlich, sondern er theilt ihn mit allen seinen hervorragenden
Zeitgenossen. Das universale Institut der Kirche, durch die Re-
formation eingeschränkt, durch die confessionellen Kämpfe zersplittert,
wird durch die neue, auf Wissenschaft gegründete, theistische und
universale Weltanschauung abgelöst. Ihr Interesse umspannt nicht
nur das christliche Europa, sondern die Erde und die Menschheit.
Im Gegensatz zu den kirchlichen Anschauungen, die nur noch als
particulare wirksam waren, hat sie sich entwickelt. Den Ungedanken
einer »nationalen Wissenschaft« hat erst das 19. Jahrhundert her-
vorgebracht.
Aber dort, wo das Nationale hingehört, ist es auch von Leibniz
mit Kraft und Hingebung verkündigt worden. Seinen edlen und
wahrhaft productiven Patriotismus , seine nie rastende Sorge für das
Wohl und die Grösse des ganzen deutschen Vaterlandes, sein mann-
haftes und weises Eintreten für den Protestantismus, die Toleranz"*
^ Brief an den Abbe Bigkox, Frühjahr 1708 (Feder, Connnerc. epist. Leibnit.
1805 p. 277).
^ Siehe Bodemann, Leibniz's Briefwechsel mit dem Herzoge Anton Ulrich
von Braunschweig -Wolfenbüttel (Ztschr. d. histor. Vereins f. Niedersachsen 1888
S. 73-244).
^ Leibniz" Bedeutung für die Wegräumung der Vorurtheile und die Toleranz
hat Niemand lebhafter empfunden als Friedrich der Grosse. In seiner akademischen
Abhandlung »De la superstition et de la religion« (INIem. de TAcad. royale 1748
Geschichte der Akademie. I. 2
18 \'()ru,('sc!ii('lite der Akademie.
und die deutsclie »Li])ertät« in den trübsten Tagen, seine Verdienste
um die deutsche Sprache brauchen heute nicht mehr ans Licht ge-
stellt zu werden'. An dieser Stelle mag es genügen, aus dem Ent-
wurf des Dreissigjährigen vom Jahre 1676 zur Gründung einer deut-
schen Gesellschaft der Wissenschaften die von edlem patriotischen
Stolz und von heisser Sorge für das Vaterland zeugenden Worte
mitzutheilen"":
"Accedit ])atriae ainor, i[uae praestantissimorum ingenioniin et ])tilclien'i-
iiiorum inventonmi lerax. nescio quo tarnen torpore gloriani suain nun satis tuetiir.
dum exteri, nostra novo habitu producentes, nobis ipsis imponiint et iabore alieno
saepe callide fruuntur. Nos vero interea non nisi ipsos [istos;'] citamus laiidamusque.
p. 42511".), die mit den berühmten Worten schliesst: »Le f'aux zele est un tvran
<iui depeuple les provinces. La tolerance est une tendre mere qui les rend lloris-
santes". rühmt er (p.439) Leibniz und Thomasius als die beiden verdientesten Ge-
lehrten Deutschlands: »lIs enseignerent les routes par lesquelles la raison doit se
conduire pour parvenir a la verite. 11s combattirent les prejuges de tonte espece.
ils en appelerent dans tous leiu's ouvrages a Tanalogie et ä l'experience, qui sont
les deux bequill es avec lesquelles nous nous ti-ainons dans la caiTiere du raisonne-
nient". Vergl. hierzu Hist. de mon temps (CEuvr. T. II) p. 38: »11 n'j eut qiie
deiix honunes qui se distinguerent a cause de leur genie. et (lui firent honneiir
ä la nation: Tun. c'est le grand Leibniz, et Tautre. le docte Thomasius. Je ne
fais point inention de WoLFF, qui ruminait le Systeme de Leibniz, et rabächait lou-
guement ce que l'autre avait ecrit avec feu«.
' Diesen Verdiensten thut der Nachweis nicht den geringsten Eintrag, dass
die zuerst von Eckhart nach Leibniz' Tode im Jahre 17 17 veröffentlichten, be-
i'ühinten »UnvoT'greif liehen Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung
der teiitschen Sprache« (s. Gfhrauer. Leibnitz's deutsche Schriften i.Bd. 1838
S. 440 ff. und sonst öfters gedruckt) in allen wesentlichen Punkten auf den hoch-
verdienten Germanisten Schottelius zurückzuführen sind (s. Schmarsow, Jistis
Georgius Schottelius. I: Leibniz und Schottelius. Strassburger Dissert. 1877).
Leibniz hat sie, wie so vieles Andere, sich angeeignet und erst wii'ksam gemacht.
Dass die Deutschen sich später als andere Nationen von dem scholastischen Betrit>b
der Wissenschaften befreit ha]:)en, erklärt Leibniz aus ihrem Festhalten an der
lateinischen Sprache und aus der mangelnden Soi'ge für die eigene herrliche Sprache.
Jene "Unvorgreif liehen Gedanken« sind in der Geschichte der Preussischen Aka-
demie am Ende des 18. Jahrhunderts epochemachend geworden, als sie sich von der
französischen Sprache befreite. Der Gurator und Minister v. Hertzberg griff auf
die Abhandlung von Leibniz zurück in einer akademischen Vorlesung am 26. Januar
1792 und setzte einen eigenen Ausschuss ein, um die Gedanken des Patrioten aus-
zuführen: "Wir dürfen ihm nur pünktlich folgen und die letzte Hand daran legen,
indem wir die Veränderungen hinzufügen , die durch die Fortschritte der Wissen-
schaften und selbst in der deutschen Sprache während dieses langen Zeitraums
von beinahe einem Jahrhundert nothwendig gemacht werden. . . Die Akademie zu
Berlin, die unter ihren Mitgliedern mehrere ansehnliche deutsche Gelehrte zählt, glaubt
sich zur Ausführung dieses grossen Plans berufen«.
^ Klopp, a.a.O. 3. Bd. S.3i2ff. : "Consultatio de naturae cognitione ad
vitae usus promovenda instituendacpie in eam rem Societate Germanica, ([uae scien-
tias artesque inaxime utiles vitae nosti'a lingua desci'ibat jiatriaetjue liouorem vin-
dicet«.
Leibxiz als universaler Denker und ( )rganisator. 19
doniesticae virtutis ignari, et suh nescio ([uibus rhapsodiis saepe praeclara iiostra
cogitata obruentes, quae alii speciosis ratiocinationibus ornata venditare didicerunt.
Addo quod soll onniium Gerniani linguam nostrani neglighnus. cuius tanien in rebus
solidis minimeque chiniaerieis tradendis nüi-abilis efficacia tot experimentis coinpro-
bata est ^ «
Bei seinem grossartigen Wirken für das allgemeine Wohl und
das W^ohl des Vaterlandes sali sich Leibniz, abgesehen von der Mit-
wirkung der Gelehrten , allein auf die Einsicht und das Wohlwollen
der Fürsten angewiesen. Von den Universitäten hat er, kein Zünf-
tiger, nie viel erwartet, und die Völker schienen noch nicht ge-
nügend erzogen. Alles für die Völker, aber alles durch die Fürsten,
das war die vorgezeichnete Linie. Indem Leibniz zeitlebens auf diesem
Wege wandelte, hat er mit allen grossen und mit den meisten kleinen
Fürsten seines Zeitalters anzuknüpfen versucht — häufig mit Glück,
aber auch nicht selten mit herben Enttäuschungen, die ihn indess
niemals niederbeugten. Das sichere Bewusstsein, die Sache Gottes
und der ganzen Menschheit zu vertreten , gab ihm Muth und Aus-
dauer, und mischten sich auch hie und da persönliche Eitelkeit und
eine unberufene und beängstigende Geschäftigkeit ein, so blieben
die grossen Gesichtspunkte doch stets die durchschlagenden, und
in dem Zeitalter der politischen Kabalen hat er sich — häufig in
Staatsaffairen wirksam — niemals zu bedenklichen oder gar niedrigen
Diensten brauchen lassen. Die Sprache, die er den Fürsten gegen-
über führte, ist nicht mehr die unsrige und berührt uns in einigen
Kundgebungen peinlich , aber gemessen an dem höfischen Stile der
Zeit, ist sie freimüthig und selbstbewusst. »Stelle auch zu erwägen«
— schreibt er dem Könige Friedrich L von Preussen im Jahre i 7 1 1
— »ob ich einigen von Ew. Maj. Ministris (in dem, was ich zu
Ew. Maj. Dienst und Glorie gethan) zu weichen Ursach habe, in-
dem dasjenige, was durch meine Direction geschieht, ad gloriam
immortalem vermittelst des incrementi scientiarum gehet, welches
bei der Posterität allezeit j^retios sein wird, wenn alle politische
Interessen dermaleins geändert sein dürften«'. Seine grossen Ziele
hat er, mochte er für Braunschweig, Preussen, Sachsen, Österreich
oder Russland wirken, stets unverrückt vor Augen behalten, und
auch des deutschen Vaterlandes vergass er nicht, wenn er für die
Fremden arbeitete.
^ Zum Letzteren vergl. die identischen Aussagen, die Guhrauer (a.a.O. I
S. 52 ff.) anführt, dass "die deutsche Sj)rache an sich selbst zum Probirsteine der
Gedanken diene".
^ Klopp, a. a.(). Bd. 10 S. 449 f.
9*
20 Vorgescliiclit(' der Akademie.
3.
Unter den Mitteln aber, durch die Leibniz das Wohl des Vater-
landes und das allgemeine Wohl befördern und die Menschheit auf
eine höhere Stufe heben wollte, standen ihm zwei zeitlebens im
Vordergrund: sie ergaben sich aus der Idee, die Weltharraonie zu
befördern und jene Einheit in der menschlichen Gesellschaft zu ver-
wirklichen, die in dem grossen W^eltsystem von Gott selbst bewirkt
ist\ Das Eine war die Reunion der katholischen und evangelischen
Kirche oder — als dieses Ziel in immer weitere Ferne rückte" —
mindestens die Vereinigung der beiden getrennten protestantischen
Confessionen. Für dieses Werk schien ihm eine enge Verbindung
von Hannover und Brandenburg die noth wendige Vorbedingung,
und von hier aus erklären sich seine lebhaften Bestrebungen , in
Berlin festen Fuss zu fassen (seit dem Jahre 1697). Allein in Han-
nover, obgleich der Kurfürst lutherisch und seine Gemahlin, die
freisinnige Tochter des Winterkönigs, reformirt waren, hat man es
mit den Reunionsversuchen nur so lange ernst genommen, als man
besondere Vortheile für die Dynastie von ihnen erhoff'te^. Sobald
die englische Erbschaft in Sicht trat, hörten sie vollends auf. In
Berlin dagegen war man unter Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I.
* Vergl. Fischer, J. L. Frisch"s Briefweclisel mit G.W. Leibxiz (Arcliiv der
'-Brandenburgia« 2. Bd. 1896) S.lVf.
^ Aufgegeben hat Leibniz diesen Plan bekanntlich niemals und ihm grosse
Opfer an Zeit luid Ki-aft gebracht. In den Annalen (vergl. Bodemann, Ztschr.
d. histor. Vereins f. Niedersachsen 1888 S. 86) stehen die zuversichtlichen Worte:
»Ich verzweifle nicht, dass dieses heilsame Ziel einst noch erreicht werden wird.
Denn sollte nicht nach Karl und (Jtto dem Grossen ein dritter grosser Kaiser
aus dem zur Aufklärung der A'ölker berufenen Deutschland erstehen
können, der Rom wieder katholisch und apostolisch mache!' Wenn zwei oder drei
mächtige Könige das Unternehmen desselben unterstützen, so ist, glaube ich, die
Sache geschehen. Verscheucht ist die Finsterniss der Welt durch das Licht der
Wissenschaften und der Geschichte; und wie nothwendig diese Reform sei, wird
von den meisten durch Gelehrsamkeit und Erfahrung hervorragenden Katholiken
selbst mehr verschwiegen als geleugnet. Aber sie wird kommen, gewiss sie wird
kommen die Zeit, wo die segensreiche Wahrheit übei'all sich wii'd äussern dürfen.«
^ Die Kurfürstin Sophie konnte an Leibniz scherzend schreiben, man müsse
in Bezug auf die Reunion auf eine ausserordentliche Offenbarung hoff"en, und »da
das Christenthum in die Welt durch eine Frau gekommen sei, so würde es glor-
reich für sie sein, wenn die LTnion durch sie zu Stande käme". An ihren Bruder,
den pfälzischen Kurfürsten, schrieb sie: »Was mir am meisten bei der Reunion am
Herzen liegt, ist, dass für unsere Kinder gute Vortlieile daraus erwachsen, was
mehr befriedigen wird als alle S])eculationen, die Niemand versteht" (s. Bodemann,
a. a. 0. S.85f.).
Leibx[z und der Gedanke der Akadeniieen. 21
ernstliaft um das grosse Werk bemüht. Aber die Theologen beider
evangelischer Kirchen waren — einzelne hervorragende Männer abge-
rechnet — noch nicht reif dafür, und so musste es aufgegeben werden,
zumal da die Aufklärung bald die Orthodoxie in dieser Angelegenheit
unterstützte. Sie hielt es nicht mehr für nöthig, sich um die »abster-
benden« Gebilde, die Confessionen , überhaupt noch zu kümmern.
Der Plan der Kirchen -Reunionen, so lebhaft und ausdauernd
ihn auch Leibniz betrieben hat, tritt doch zurück hinter dem eigent-
lichen Plane seines Lebens, auf dem Boden der Wissenschaft das
Vaterland und die Völker zu einigen, ja er ist diesem durchaus unter-
geordnet gewesen. Als das wichtigste Mittel aber für die Beförde-
rung des allgemeinen Fortschritts und einer productiven Aufklärung
vermittelst der Wissenschaft erschien ihm die Stiftung von Socie-
täten\ »Der Gedanke der Stiftung von Societäten zu wissenschaft-
lich-praktischen Zwecken in der Gestaltung, wie sie der Seele von
Leibniz vorschwebte, ist nicht nur ein ein- oder mehrmaliger, durch
zufällige Umstände, durch glückliche Gelegenheiten vielleicht her-
vorgelockter, sondern er entspringt unmittelbar aus der sittlichen
und intellectuellen , ja dass ich sage, aus der religiösen Grundan-
schauung von Leibniz"".« Seine ersten Entwürfe zur Errichtung von
Societäten oder vielmehr zur Organisirung der gesammten wissen-
schaftlich-praktischen Arbeit und zur Sammlung aller geistigen
Kräfte im Dienste productiven Schaffens stammen aus dem Jahre
1667, als er einundzwanzig Jahre alt war; seine letzten Bemühun-
gen um die grosse Sache sind vom 28. October 17 16 datirt, sieb-
zehn Tage vor seinem Tode.
4.
Der Gedanke der »Akademieen« oder »Societäten« ist eine Erb-
schaft des auf Plato und seine Schule gerichteten Renaissancezeit-
alters; aber er wurde erst im 17. und anfangenden 18. Jahrhundert
fruchtbar gemacht. Die Neugründung von Universitäten in den pro-
' Mit »Zeitschriften« und »Dictionnaires'» allein, so hoch Leibniz den Jour-
nalismus als neues Mittel des Fortschritts schätzte, gab er sich nicht zufrieden (im
Jalire 1697 ei'schien das berühmte Dictionnaire von Bayle); er wusste, um mit
Goethe zu reden, dass es auch in der Wissenschaft nicht mit dem Wissen allein
gethan ist, dass vielmehr Thaten und Organisationen nöthig sind. Eben deshalb
AvoUte er Akademieen stiften.
^ Klopp, Leibniz" Plan der Gründung einer Societät der Wissenschaften in
Wien (Archiv f. Österreich. Gesch. 40. Bd. 1869 S.160).
22 Vorgescliiclitc der Ak;ulciiiie.
testantisclien Gebieten entsprach den vom scholastischen Betriebe
sich abwendenden Bedürfnissen noch nicht', abgesehen davon, dass
sie nur einigen Ländern zu gute kam. Diese Bedürfnisse gingen
erstHch auf einen festen , freundschaftlichen Zusammenschluss der
CoUegen zu gemeinsamer Arbeit, sodann auf productive Thätigkeit,
sei es auch auf beschränktem Gebiete, im Gegensatz zu der todten
Reproduction der aristotelischen Wissenschaft. Damit war der Unter-
richtszweck, die »Lehre« ausgeschlossen oder doch an die zweite
Stelle gerückt: »Originale Erkenntnisse«, »Beobachten« und »Kön-
nen« sollten im Mittelpunkte stehen, die Liebe zur Natur regieren.
Treten in Italien und Deutschland zunächst die sprachliebenden und
-forschenden Gesellschaften in den Vordergrund, die bei aller Be-
schränktheit doch den Anstoss zur Entwicklung der neueren Litte-
ratur gegeben haben', so fehlen doch auch die ihnen geistig ver-
wandten, in der Regel freilich schnell verkümmernden Unterneh-
mungen^ solcher Naturphilosophen nicht, die mit frischer Erkenntniss
^ Siehe Paulsen, Gesch. d. gelehrten Unterriclits . 2. Autl. i. Bd. 1896 8.209 ff.
^ Die "fruchtbringende Gesellschaft« (der "Pahnenorden") ist 1617 vom Füi'sten
Ludwig von Anhalt -Köthen gegründet worden nach dem Muster der Accademia della
Crusca in Florenz, deren Mitglied der Fürst im Jahre 1600 geworden war. Keller
(CoMENius und die Akademieen 1895), der sehr dankenswerthe Mittheilungen üljer
den Pabnenorden und die anderen Societäten macht, scheint doch ihi'e Bedeutung
zu übertreiben. Nicht erwiesen ist, dass die Förderung der deutschen »Spraclie
für die Eingeweihten nur das Kleid war, das die höchsten und letzten Ziele vor
den Augen gefährlicher Gegner verhüllt habe (S. 15). Richtig ist, dass die in den
verschiede Jien Gesellschaften gepflegten Zweige der Wissenschaft (Naturwissen-
schaft, Mathematik, Erziehungslehre, Volkssprachen) eben die waren , in denen sich
der neue Geist des Zeitalters ausprägte und dass sie mit ihm und deshalb auch mit
den irenischen religiösen Bestrebungen in Fühlung standen. Aber dass ein be-
stimmter religiös -philosophischer Standpunkt von allen vertreten wurde, luid dass
dieser der böhmisch -refoi-matorische gewesen ist, ist zuviel behauptet.
^ Geistig verwandt darf man sie nennen, weil sie in der Abneigung gegen
das Zeitalter der Scholastik, in den irenischen Tendenzen, in dem Streben nach
Geistesfreiheit und in der Richtung auf die Besserimg des Lebens zusammenstehen. —
Die Pflege der Volkssprache und die neue Wissenschaft waren Bundesgenossen und
sind stets zusammengegangen. Freilich dauerte es in Deutschland lange, bis die
Muttersprache in die wissenschaftlichen Untersuchungen eindrang. Schon in) Jahre
1663 constatiren CoNRiNG und Boineburg (s. Guhrauer, a. a. O. I S. 55 f.) zu ihrem
Arger, dass Franzosen, Engländer, Italiener, Sj^anier, Belgier in ilncr Muttersprache
in den Wissenschaften schreiben; von Deutschen ist dabei noch gar nicht die Rede.
In der That wird in jener Zeit in Deutschland kaum erst ein Anfang gemacht. Im
Jahre 1643 wurde in Hamburg die "Gesellschaft der drei Rosen ■■ (»Deutschgesinnte
Genossenschaft", »Die Kunstliebenden ") gegründet, die auch die deutsche Sj^rache
pflegen und »die allei-nützlichsten Bücher in allerhand Wissenschaften und Künsten»
herausgeben wollte (s. Keller, a. a. O. S.28 ff.). Über die im Jahre 1633 zu Strass-
burg gegründete »Aufrichtige Gesellschaft von der Tanne«, den in Nürnberg im
Die Akadeinieen des 17. .L-ilirliuiulerts. . 23
die neue Wissenschaft betreiben wollten und den alten Schulme-
tlioden den Krieg erklärten. So gründete bereits im Jahre 1622
der Lübecker Joachim Jungius (geb. am 22. October 1587) — in
mehr als einer Hinsicht ein Leibniz vor Leibniz' — zu Rostock
eine von der Universität ganz unabhängige gelehrte Gesellschaft,
die societas ereunetica oder zetetica, in deren Programm die Wider-
legung der scholastischen Philosophie (besonders der der Jesuiten),
die Pflege der Mathematik und die Erforschung der Natur als die
Hauptaufgaben bezeichnet wurden. «Der Zweck unseres Vereins
soll einzig der sein: die Wahrheit aus der Vernunft und der Er-
fahrung sowohl zu erforschen als sie, nachdem sie gefunden ist,
zu erweisen oder alle Künste und Wissenschaften , welche sich auf
die Vernunft und die Erfahrung stützen, von der Sophistik zu be-
freien, zu einer demonstrativen Gewissheit zurückzuführen, durch
eine richtige Unterweisung fortzupflanzen, endlich durch glückliche
Erfindungen zu vermehren'".« Vor allem aber ist Amos Comenius
zu nennen als der grosse Führer und Erzieher zu einer Reform der
wissenschaftlichen Methode, zugleich unermüdlich thätig, gleich-
gestimmte Männer zu sammeln und zu vereinigen. Indessen alle diese
privaten » Societäten « , innerhalb deren Valentin Andeeae eine beson-
ders charakteristische Figur ist, haben für die Gründung der grossen
staatlichen gelehrten Körperschaften doch nur indirecte Bedeutung
Jalire 1644 gestifteten » Blumenorden ■< und den »Schwanenürden an der Elbe« (um
1660) vergl. ebenfalls Keller 8.350"., 37 ff., 42 ff.
^ Es wäre eine schöne Aufgabe , die. deutschen Vorläufer von Leikxiz in den
.Jahren 1620 — 1670 zusammenzustellen, und es ist dafür noch wenig geschehen.
- Siehe über den Stifter Hoche in der Allg. Deutschen Biographie, 14. Bd.
S.72iff. . GuHRAUER. J. JuNGius imd sein Zeitalter, 1850. und Keller, a. a. O.
8.570". Die Societät ging bereits im Jahre 1625 in den Schrecken des Krieges
unter. Der Grundsatz von Jungius — Goethe hat den INIann aus der Vergessen-
heit befreit — : »Per inductionem et experimentum omnia» lässt noch nicht er-
kennen, wie umsichtig er als Erkenntnisstheoretiker vei-fahren ist. Seine Über-
zeugung, dass nur ein Zusammenschluss der Gelehrten die ]Macht der scholastischen
Sophistik zu brechen vermöge, spricht er in dem Satze aus (Guhrauer, a. a. 0. 8.9):
»Wie kannst Du es wagen wollen, allein gegen solche Lehrmeinungen zu kämpfen?
Wenn ich hätte allein sein sollen, so hätte ich keine Feder gegen die Schul-
meinungen geführt«. — Auch alchymistische Gesellschaften gab es. Einer solchen ist
der jugendliche Leibniz zu Nürnberg im Jahre 1667 beigetreten (s. Klopp, Die
Wei-ke von Leibniz Bd. I, Einleitung 8. XVI , und Kopp, Gesch. d. Alchymie Bd. I
S. 233) und führte ein Jahr lang das Secretariat in ihr. Das Interesse für chemische
Probleme und die Zurückhaltung gegenüber vorschnellem Absprechen in alchemisti-
schen Dingen hat Leibniz stets ])e\vahrt. obgleich er vom Goldinachen nichts wissen
wollte. Keller, a.a.O. 8. 50 f['.. überschätzt die Bedeutung jener Episode für das
Leben und die Entwicklung Leibnizciis.
24 Vorgeschiclite der Akademie.
gehabt. Die Behauptung eines neueren Forschers': »Es lässt sich
ebensowenig eine Geschichte der Berliner wie der Londoner Aka-
demie schreiben, ohne des wesentlichen Antheils zu gedenken, den
die älteren freien Collegien und Gesellschaften an ihrem Entstehen
gehabt haben«, ist mindestens miss verständlich. Das von Comenius
zu London im Jahre 1641 entworfene Project einer höheren und
einheitlichen Organisation der in vielen Ländern vorhandenen Ge-
sellschaften unter neuem Namen zur Pflege der Pansophie ist nie
verwirklicht worden, und es lässt sich nicht nachweisen, dass es
auf die Stiftung der »Royal Society« (1662) irgend welchen Ein-
fluss ausgeübt hat". Diese hat vielmehr ihre Vorstufe an einer
Gesellschaft von Naturforschern, die seit dem Jahre 1645 oder
schon früher auf Anregung eines in London lebenden Pfälzers,
Theodor Haak, wöchentlich zusammenkamen, sich über den Stand
der Naturwissenschaften unterhielten und von neuen Experimenten
berichteten^. Nach der Restauration hat Karl II. diese Gesellschaft
in eine »königliche« verwandelt, um hervorragende Männer von
der Politik abzuziehen und mit anderen Interessen zu beschäftigen.
Dass die neugestiftete »Royal Society« auch Mitglieder zählte, die
zu Comenius und dessen Bestrebungen in Beziehung standen, hat
für die Zwecke und die Entwicklung dieser Gesellschaft gar keine
Bedeutung gehabt. Dasselbe ist von der Preussischen Societät der
Wissenschaften zu sagen. Zu ihren ersten Mitgliedern gehörten
nicht wenige, die entweder früher Genossen privater Societäten
gewesen waren oder in gewissen Beziehungen zu der von Comenius
erweckten geistigen Bewegung gestanden hatten. Aber das hat
weder für die wirkliche Vorgeschichte noch für die Stiftung der
Königlich Preussischen Societät Bedeutung gehabt. Kaum irgendwo
begegnet in den einschlagenden Acten und Briefen eine Erwähnung
der freien Societäten*, und somit ist es lediglich der in diesen sich
besonders kräftig aussprechende Geist des Zeitalters , an den zu
erinnern ist, wenn Verbindungen zwischen ihnen und den staat-
' Keller, a.a.O. S. 107. s. auch 8.55.
"^ Gegen Keller, a. a. T). 8.7 7 ff.
^ Auf die verschiedenen englischen privaten Gesellschaften (darunter auch
litterarische) vor Stiftung der Royal Society einzugehen, ist hier nicht der Ort;
eine kurze Übersicht über sie und die naturphilosophischen der Italiener bei Bar-
THOLMEss, Hist. philosophique de TAcademie de Prusse T. I 1850 p. XI ff.
* Auch die "Kunstrechnungsliebende Societät« zu Hamburg, gestiftet von
H. Meissner (s. Bodemaxn, Briefwechsel von Leiexiz 1889 S. 178). wird nicht
erwähnt.
Die Akadeuiieeu des 17. ,I;ilirliunderts. 2o
liehen gelehrten Körperschaften, in denen die strenge, methodische
Pflege der Naturwissenschaft von vorn herein Selbstzweck war',
aufgewiesen werden sollen".
Die wirkliche Vorgeschichte der Königlich Preussischen Societät
— abgesehen von den besonderen Anlässen — liegt einerseits in
der vorbildlichen Thatsache, dass bereits in Frankreich und Eng-
land solche staatliche Akademieen bestanden^, andererseits in den
* »EndeaA'Our by solid experiments, eitlier to reforin or iiiiprove PhilüsopliV"
— ist dei' Zweck der englischen Societät, die das Motto erhielt: "Nullius in verbat.
Ks ist der Geist Bacon's, der ihr die Wege wies.
^ Zwei deutsche Gesellschaften verdienen hier noch eine Erwähnung, die
eine, weil sie mit der Erforschung der Natur vorangegangen ist (»Quidquid natui-a
suo in sinu servavit reconditum publico mundi theatro exhiberC") und sich bis heute
erhalten hat — das Kollegium Natiu-ae Curiosorum, später "Academia Leopoldino-
Carolina", »die Naturforschenden Freunde» genannt, gestiftet im Jahre 1652 — ,
die andere, weil der Anlass, der zu ilu-er Begründung geführt hat (sie kam übrigens
über die embryonale Stufe nicht hinaus), die Kalendei'verbesserung, in der Stiftung
der Preussischen Akademie fortwirkte — das von E. Weigel seit etwa 1695 ge-
plante mathematische Collegium artis consultorum (s. über dasselbe unten und
Wilhelm Meyer, Die Handschriften in Göttingen. 1893 S. 161). — Über jene Ge-
sellschaft hat sich Leibniz in seinem «Bedenken von Aufrichtung einer Academie
oder Societät in Teutschland« (Klopp, a. a. 0. I. Bd. S. 141 f.) nicht günstig ausge-
sprochen: "Dieses Institut, ob es gleich an sich selbst gut und nicht zu verachten.
ist doch nicht real genugsam , denn dadurch nur bereits habende Dinge aus andern
Büchern gesammelt, niclit aber neue aus eigener Experienz entdecket worden«.
Zwar räumt er ein, dass im letzten Jahr ein Fortschritt gemacht sei und die Ge-
sellschaft observationes medicas herausgegeben habe. "Es mangelt aber viel dabei
zu einem rechten wohlformirten corpore, davon etwas reales gehoffet werden könnte,
so einen gewissen Fundum, Union. Ruf, Adresse und Anstalt hätte.« Als Leibmz
im Jahre 1676 eine Kaiserlich Deutsche Gesellschaft plante, hat er sich noch an
diese Gesellschaft und die fruchtbringende gewandt und sie zur Mitwirkung auf-
gerufen, später aber nicht mehr. — In einem Aufsatz »sur l'utilite des Academies«
(]Mem. 1788/9 p. 460 ff.) hat Garve die Entstehung der Akademieen mit der Entstehung-
religiöser Gesellschaften , z. B. der bölimischen Brüder, verglichen und demgemäss.
nicht ohne Grund, von einer Zeit der ersten Liebe und von einem allmälilichen Er-
matten des gemeinsamen wissenschaftlichen Eifers gesprochen.
^ In Frankreich ist natürlich von einem Einfluss der reformatorischen "Ge-
sinnungsgemeinschaften« gar nichts zu spüren. Im Jahre 1635 hatte Richelieu die
Academie frauQaise gestiftet (ihre Anfänge führen bis auf das Jahr 1629). Im Jahre
1666 gründete Colbert die Academie des Sciences für Mathematik und Natur-
wissenschaften. Ihn leitete dabei ein praktisches Interesse. Industrie, Handel und
Schifffahrt sollten von der Stiftung Nutzen ziehen und die Einkünfte des Staates
dadurch vermehrt werden. Aber die Pflege der reinen Wissenschaft im Sinne Des-
CARTEs" wurde doch die Hauptsache, ^"orbildlich wurde die Geschäftsführung der
Pariser Akademie durch die ruhmvolle Thätigkeit ihres Secretars Fontexelle
(Secretar seit 1699), der. hundert Jahre alt. im Jahre 1757 stai-b. Der langjährige
Secretar der Berliner Akademie, Formey, beginnt seine Abhandlung über ihn («Sou-
venirs d"un citoyen« 1789 T. II p. 253) mit den Worten: "J"ai toujours ete a son
2b \'(jrgescliiclite der Akademie.
uiicrmüdlicluni Bemühungen LEiBNizens, für Deutschland etwas
Ahnliches in's Lehen zu rufen und eine organische Verhindung
aller europäischen Gelehrten und aller wissenschaftlichen Bestre-
bungen herheizuführen'. Da I^eibxiz nicht nur der geistige Ur-
heber und der erste Präsident der Preussischen Societät der Wissen-
schaften gewesen ist, sondern auch in Dresden", Russland '^ und
Wien^ Akademieen zu stiften unternommen hat, da ferner die Aka-
demieen in München, Göttingen, Turin, Stockholm und Leipzig
theils gleich anfangs, theils später nach dem Muster der Berliner
egard dans les memes dispositions oü Erasine etait ;i Tegard de Socrate lor.s(ju"il
disait: »Sancte Socrates. ora pro nobis».
' Hand in Hand mit den Bestrel)ungen , niclit nur die deutschen Gelehrten
unter einander zu ver])inden, sondern auch die europäischen zu gemeinsamer, plan-
voller Arbeit zu vereinigen, gehen bei Leibmz die immer wiederholten Anstren-
gungen, eine Pasigraphie, d. h. eine nova lingua characteristica, zu erfinden. Nicht
um die Schöpfimg eines Volapüks handelte es sich ihm — der Widersinn dieses
Unternehmens, das, wenn es gelänge, zu einem halben Dutzend Cultui'sprachen
noch eine siebente hinzufügen würde, ging ihm bald auf — , sondern um die l)e-
grenztere und reizvolle Aufgabe, eine in allen Sprachen lesbare Zeichenschrift zu
erfinden nach dem Vorbild der mathematischen Zeichensprache. Dass auch diese
Aufgabe selbst für den scharfsinnigsten Geist unlösbar sei, hat Leibxiz nach unend-
lichen Bemühungen gegen Ende seines Lebens einsehen müssen.
^ Siehe E. Bodemann, LEIB^•Iz" Plan einer Societät der Wissenschaften in
Sachsen (Neues Ai-chiv f. sächs. Gesch. 4. Bd. 1883 S. 177—214). Die Angelegen-
heitspielte 1703— 1705 und war nach vollkommener Vorbereitung der Durchführung
nahe; aber der Krieg dui'chkreuzte sie. Zu einer Akademie der Wissenschaften in
Dresden kam es überhau])t nicht, obgleich Alles fertig war und der Reinschi-ift des
.Stiftungsbriefes nur die königliche Unterschrift fehlte. Erst im Jahre 1846 wuixle
die Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig am 21. .luni. dem Geburts-
tag LEiBNizens, eröffnet.
^ Die Beziehungen von Leibxiz zu Peter dem Grossen und Russland sind
noch nicht erschöpfend dargestellt worden, obgleich ein ziemlich umfangreiches
Actenmaterial theils gedruckt vorliegt, theils leicht zugänglich ist. Das Buch \-on
Posselt, Peter der Grosse und LEiBNrrz (Dorpat 1843), ist nahezu werthlos. Leibxiz
hat die Stiftung einer Akademie der Wissenschaften in Russland angeregt und be-
trieben (vergl. u. a. den Briefwechsel mit Heineccius in der Hannov. Bibliothek:
Plan der Eri-ichtung einei' Societät der Wissenschaften und Missionsanstalt in
INIoskau, und zwar ausgehend von der Berliner Societät, Brief vom 19. Novem-
ber 17 11). Gestiftet wurde sie nach seinem Tode im Jahre 1724 von Peter L,
eingerichtet im folgenden Jahre von Katharina L zu St. Petersburg. Zur Berli-
ner Akademie hat die Petersburger in dem ersten halben Jahrhundert ihres Be-
stehens die lebhaftesten Beziehungen gehabt. Eine heilsame Rivalität bestand, ja
man suchte nicht ohne Erfolg die tüchtigsten Mitglieder der Schwesterakadeinie
zu entfüliren.
* Siehe Klopp, Leibxiz* Plan der Gründung einer Societät der Wissenschaften
in Wien (Archiv f. Österreich. Gesch. 40. Bd. 1869 S. 159!?.). Hiber, Gesch. d.
<-rründung u. d. AVirksamkeit d. K. Akad. d. Wiss. (Wien 1897) S.5 ff".
Leibxiz" Sofietätspläne vor l(ii)7. 27
eingerichtet worden sind\ so ist es der Mühe werth, die Entwick-
lung der Societätspläne , Avie sie Leibniz bis zur Stiftung der Ber-
hner Akademie ausgebildet hat, in Kürze darzustellen. Er ist durch
die Einsicht und Kraft, mit der er den Gedanken streng wissen-
schaftlicher und alle Gebiete der menschlichen Elrkenntniss um-
spannender Akademieen geklärt und durchgesetzt hat, ihr eigent-
licher Patron geworden. Doch nur in Preussen gelang es ihm,
seine Pläne durchzuführen.
Ausgangspunkt des Societätsgedankens ist der Plan des 2 i jäh-
rigen Leibniz gewesen, sich in 3Iainz oder Frankfurt eine selbstän-
dige Stellung zu gründen durch ein kaiserliches Privilegium für eine
halbjährlich nach der Messe erscheinende Zeitschrift. In dieser Zeit-
schrift sollten die neu erschienenen Bücher verzeichnet und das
Wichtige in ihnen herausgehoben w^erden". Bald erweiterte sich
der Plan zu dem anderen, die Direction des gesammten deutschen
Bücherwesens an Kurmainz zu ziehen und es ganz neu zu gestal-
ten. Der hochgesinnte Erzbischof von Mainz , Johann Philipp von
ScHÖNBOKN, berathen von dem Baron von Boineburg, schien ganz der
Mann dazu , der geistige Führer Deutschlands unter den Fürsten zu
werden. Wenn der Kurfürst das Commissariat erlangt habe, solle
er eine «Societas eruditorum Germaniae« gründen und ihr als Di-
rector vorstehen. Aufgabe dieser Societät soll sein:
1. corresponsum eruditorum universalem sustinere,
2. congregare bibliothecam universalem,
3. indices universales fieri curare.
4. nuituas operas iungere societatibus regiis Gallicae et Anglicae et academiis
Itniicis.
5. rem medicam ad j^erfectionem tentare evehere,
6. mathematicis experimentis invigilare,
7. locos communes curare fieri , experimentaijue colligi,
8. inspectionem habere manufacturarum et commercionmi.
Die Gesellschaft wäre schicklich in Frankfurt niederzusetzen, solle
sich nicht in Religionsangelegenheiten mischen und aus einer be-
stimmten Anzahl von hervorragenden Gelehrten bestehen. Ihr Ge-
halt und die Kosten des Unt(M-nehmens sollen aus einer Steuer auf
^ Über den Einlluss der Berliner Akademie, also indirect LEiBNizens, auf
die Neu- bez. Umbildung der italienischen Akademieen s. Denina, «De l'influence
qu'a eue l'Academie de Berlin sur d'autres gi-ands eta1)lissements de la meme nature«
(Mem. 1792/3 p. 562 ff.).
- Siehe Klopp, Die Werke von Lkihxiz i. Bd. S. 7 ff. u. Einl. S. XXII f.
28 Vorgeschichte der Akademie.
Papier Itestrittcn werden, wie eine solche schon in Holland und der
Pfalz eingeführt sei. Hauptaufgabe aber bleibe das Bücherwesen:
»Die Übel im Bücherwesen sind zahlreich und gross und dem Staate
äusserst schädlich. Sie bestehen darin, dass gerade das Beste
nicht gedruckt wird, dagegen vieles Schädliche \ noch mehr Über-
flüssiges und durchweg Planloses«. Daher — um die scribacitas
multorum zu hemmen — müsse die Bestimmung getroffen werden,
dass Niemand ein Buch veröö'entlichen dürfe, in welchem er nicht
anzugeben vermöge, was er bisher Unbekanntes und dem Staate
Nützliches durch sein Werk zu Tage gefördert habe. Dies solle der
Verfasser selbst in der Einleitung zusammenstellen, damit es leicht
excerpirt werden könne".
Der Kaiser gewährte das Privileg für die Zeitschrift »Semestralia«
nicht^, und noch w^eniger hatte der grössere Plan einer »Societas
eruditorum Germaniae« Aussicht auf Erfolg — der Kaiser war dies-
mal der Freisinnigere und meinte, »es lasse sich den ingeniis, be-
vorab den freien Künsten, niclit der Weg versperren, auf welchem
sie ihre Talente zu gemeinem Nutzen zu gebrauchen gedächten«.
Aber Leibniz, weit entfernt, sicli abschrecken zu lassen, steuerte mit
seinen Plänen nun erst recht in ein uferloses Meer. Der »Grundriss
eines Bedenkens von Aufrichtung einer Societät in Teutschland zu
Aufnehmen der Künste und W^issenschaften« , der bald nach dem
Jahre 1669 entworfen sein muss, ist ebenso bemerkenswert]! durch
die Art seiner Begründung, wie durch das Utopische seines Umfangs,
aber auch durch einige geniale und sichere Blicke in die Bedürf-
^ Mei'kwürdig ist, dass Leibniz unter den schädlichen Büchern ausdrücklicii
den berühmten '■Monzambano«, De statu imperii Germanici, nennt, den Pufendorf
unter diesem Pseudonym im Jahre 1667 hatte erscheinen lassen. Der Gegensatz
der beiden Männer wurzelte in ihren gänzlich verschiedenen politisclien Ansichten
(s. Leibniz' Kritik des Monzambano bei Klopp, a. a. O. I S.161 ff.), in Leibniz" Mei-
nung, die Geschichtsschreibung dürfe nicht eine «proditrix rerum, quas aula sileri
maluit" werden (s. den Brief vom 24. October 1709 bei Guhrauer, G.W.Freiherr
VON Leibnitz, 2.Th., Beilage S. 16) und in einem persönlichen Erlebniss (Leibniz
glaubte in einer jirivaten Angelegenheit, in der er sich an Pufendorf gewandt,
von diesem hintergangen worden zu sei, s. Guhrauer, a.a.O. S.i5f.). Die wissen-
schaftliche Bedeutung Pufendorf's als politischen Historikers der Zeitgeschichte ist
Leibniz verschlossen geblieben; er steckte selbst zu tief in der Politik der Höfe
und konnte daher nur als scriptor temporis acti etwas lehren und die historische
Wissenschaft fördei'u.
^ Siehe den vollständigen Abdruck der beiden Entwürfe in dem Urkunden-
band Nr. 2 a und 2 h.
^ Siehe Leibniz" Eingabe an den Kaiser Leopold I. vom 22. Octol)er 1668
(bei Klopp, a.a.O. I. Bd. S. 27ff.) und die zweite \'om 18. November 1669 (a.a.O.
S. Biff.).
Leibniz" Societätspläne vor 1697. 21)
nisse der Gegenwart und Zukunft. Abgeleitet wird die Nothwendig-
keit, eine Societcät zu begründen, aus der gottgesetzten Aufgabe des
Menschengesclileclits, den Schöpfer zu verehren, und zwar erstlich
in Anbetung (»oratores et sacerdotes«)\ zweitens in der Erkenntniss
seiner Werke (»philosophi naturales«), drittens in der Nachahmung
seines Regiments (»morales seu politici«). In der Erfüllung dieser
Aufgabe gelangt die Menschheit zur Glückseligkeit; aber die Men-
schen müssen sich zusammenthun, um sie durchzuführen. »Dazu
wird die Aufrichtung einer wiewohl anfangs kleinen, doch wohl
gegründeten Societät oder Academie eines der leichtesten und im-
portantesten sein. « Und nun folgt eine Schilderung der Obliegen-
heiten einer solchen Societät, die einfach Alles an erspriesslichen
Thätigkeiten in Wissenschaft, Kunst, Handel, Industrie, Polizei,
Medicin, Archiv-, Schul-, Maschinenwesen u. s. w. umfasst, was
nur irgend erdacht Averden kann. Zoologische und botanische Gärten
sind so wenig vergessen wie Arbeits- und Zuchthäuser. Das Ganze
mündet in einen Vorschlag der Religionsvereinigung, die Leibniz
stets für eine noth wendige Voraussetzung alles gemeinschaftlichen
Wirkens gehalten hat". Dieser »Grundriss« scheint für den Kur-
fürsten von Mainz bestimmt gewesen zu sein. Nicht viel später
hat Leibniz ein zweites »Bedenken von x\ufrichtung einer Academie
oder Societät in Teutschland«* ausgearbeitet, welches jenes erste
weit übertrifft. Es enthält zunächst einen geistvollen Überblick über
das, was die Deutschen bisher in den mechanischen Wissenschaften
und Künsten geleistet, und bittre Klagen darüber, wie wenig sie
es verstanden haben , ihre Erfindungen auszunützen. Deutschland
wird als das Land der realen Wissenschaften gefeiert; aber die Aus-
länder bemächtigen sich des unsrigen und wissen es besser in's Licht
zu setzen und zu gebrauchen. Unsere Schulen, Academieen, Edu-
cation, Zünfte, Künste und Wissenschaften sind »verstellet, ver-
decket und verwirret«. »Nunmehr, nachdem das Licht angezündet
und die Künste gemein, auch alle Nationen excitirt worden, sind
wir diejenigen, die da schlafen, oder die letzten, die da aufwachen.«
Er führt nun an, was in England und Frankreich durch Gründung
^ "Dabei mir einfället,« — schreibt Leibniz — »dass bei Aufrichtung der
französischen zu Aufnehmen und Zierde ihrer Sprache vom Cardinal Richelieu ein-
gerichteten Academie oder Societät ein gottseliger Mann unter andern in die Leges
einzurücken begehrt, dass ein jedes Glied etwas jährlich zum Lobe Gottes zu com-
poniren schuldig sein sollte, ist aber, weiss nicht warum, verblieben.«
^ Siehe den vollständigen Abdruck dieses Entwurfs in dem Urkundenband Nr. 3.
30 \'()i-.ü,('scliiclitc' der Akndeiiiic.
königlicher Societiiten zur Erforscliiing der Natur geschehen ist und
in Dänemark, Schweden und Toscana demnächst geschehen wird.
Die deutschen privaten Societäten sind ganz unzureichend. Wir
müssen uns nunmehr die Englische Königliclie Societät zum Muster
nehmen. »Bei dieser Societät tlmt der König, der Herzog von York,
Prinz Robert und viel vornehme Herren das ihrige, nicht dass sie
an deren Leges, an persönliche Comparition und dergleichen one-
rosa und solchen hohen Personen unanständige Dinge sich gebunden,
sondern dass sie Sumptus beitragen, auf ihre Kosten durch ihre
Ministros sowohl Status als Privatos correspondiren lassen, Alles,
was sie neues, rares, importantes erfahren, der Societät communi-
ciren, die Directores der Coloniarum, die Schiffs -Capitains, ver-
ständige Mariniers . . . befehligen und anmahnen, keine Gelegen-
heit zu versäumen, dadurch etwas neues, merkwürdiges untersucht
und in hoc aerarium eruditionis solidae publicum gebracht werden
könnte. Ja sie lassen die Societät Interrogatoria , Instructiones und
Directoria vor Reisende, vor Ministros, vor Bergleute, Medicos,
Hnndwerksleute, Künstler formiren, um dadurch immer tiefer in
diese unerschöpfliche Mine der Natur zu menschlichem Besten zu
kommen.« Was könnte Deutschland leisten I Wieviel Fürsten be-
sitzt es, die sich an die Spitze stellen, wieviel ausserordentliche
Talente , die in einer Societät richtig geleitet werden könnten ! Mit
einer Schilderung, Avie in Deutschland die Talente verkümmern, und
mit einem Ausfall wider die unvernünftigen Mediciner, die von
Naturforschung nichts wissen, bricht das von Leibniz nicht zu Ende
geführte Manuscript ab'.
' Siehe den vollständigen Abdruck dieses Entwurfs in dem Urkundenband
Nr. 4. Merkwürdig ist, dass Leibniz mit einem Blick auf China schliesst: »Wie
närrisch auch und paradox der Chinesen Reglement in re medica scheint, so ist's
doch weit besser als das unsrige«. Seitdem hat Leibniz China nie aus den Augen
verloren. Alles, was er irgend über dies Land hören konnte, sammelte er ein,
setzte sich mit den Jesuiten -Missionaren in dauernde Beziehung, ermunterte zur
Erlernung der chinesischen Sprache, war unablässig bemüht, Expeditionen nach
China anzuregen , und hat, wie sich zeigen wird, die Preussische Akademie mit zu
dem Zweck gestiftet und eine Societät in Moskau angeregt, um China zu er-
schliessen, die Cultur Chinas und Europas auszutauschen und das ungeheure Land
dem Christenthum zuzuführen. — Das abgerissene Blatt am Schluss, welches mit ab-
gedruckt ist. zeigt, dass Leibniz die Errichtung einer Societät auch deshalb
wünsclitc. um ..dem Morden der Ärzte" ein Ende zu machen. Er richtete die
schärfsten Angriffe auf die Heilkunde, ^v•ie sie damals ausgeübt wurde. Zeitlebens
ist er auf die Arzte schlecht zu sprechen gewesen — eine Folge war, dass auch
sie weder ihn noch seine Schöpfung, die Bei-liuer Akademie, liebten. Die Akademie
hat das bald zu fühlen bekommen.
Leibxiz" Societät.s[)l;iiie vor l(ii)7. 31
In die nächsten Jahre fällt der für Leibniz' Entwicklung so
hedeutungsvolle vierjährige Aufenthalt in Paris. Er l)rachte ihn in
Verbindung mit den bedeutendsten Gelehrten , er gab ihm die An-
schauung eines grossen nationalen Staates und einer nützlichen und
hochangesehenen Königlichen Akademie der Wissenschaften\ Aber
um so wärmer schlug sein Herz für sein Vaterland. Noch in Paris,
kurz bevor er sich nach Hannover begab, hat er im Jahre 1676
die »Consultatio de naturae congnitione ad vitae usus promovenda
instituendaque in eam rem Socictate Germanica, quae scientias ar-
tesque maxime utiles vitae nostra lingua describat patriaeque hono-
rem vindicet« und zwei kürzere Entwürfe verfasst. Mit Bewunde-
rung liest man die Consultatio", die LEmxiz anonym erscheinen
lassen wollte, wie so manche seiner politischen Schriften, um den
Anschein der Ruhmsucht oder des Eigennutzes zu vermeiden. Seine
letzten Absichten sind nicht andere geworden: das Höchste hat er
im Auge: eine Sammlung aller Kräfte, um in die Natur einzu-
dringen und alles Entdeckte leicht zugänglich zu machen. Aber
viel lebendiger tritt die Liebe zum deutschen Vaterland hervor, und
zugleich wird ein Modus der Ausführung vorgeschlagen, der die
Möglichkeit der Durchführung näher rückt. Diese »Consultatio«
soll nur als Grundlage für Verhandlungen unter den Berufenen dienen.
Es handelt sich um die Stiftung einer Genossenschaft solcher deutscher
Forscher, »qui relationes operationum naturae non tam ex chartis,
quam ex naturae volumine et mentium thesauro excerpunt«. Bücher
^ In Paris hat Lkibniz die Grundziige der Differentialrechnung erfunden.
Sehr beachtenswerth ist. wie er sich in die Aufgaben der französischen Politik ver-
setzt hat. Theils um die Eroberungspolitik Frankreichs von den deutschen Grenzen
abzuhalten . theils weil er stets die höchsten Ziele eines Staates mit genialem Blick
erkennt, weist er Frankreich auf das östliche Becken des IMittehneers. Es soll
die ganze Nordküste Africas, besonders aber Aegypten erobern, soll diese Länder
der christlichen Cultur wiederbringen . die Schätze Aegyptens heben und den Suez-
canal bauen I Zu diesem Zweck soll es sich mit Österreich verbinden. Avelches die
Türken im Osten zu fassen hat. luiropa wird dann kein Kriegstheater mehr sein,
sondern eine Stätte, auf der die christlichen Nationen in der Pflege der Künste
und Wissenschaften rivalisiren werden. Die beiden grossen Unternehmungen des
19. Jahrhunderts, der Bau des Suezcanals und einer bequemen Strasse nach China
(die sibirische Bahn), sind von Leibniz in ihrer Bedeutung erkannt und in's Auge
gefasst worden. — Mitglied der Pariser Akademie ist Leibxiz zunächst nicht ge-
worden; er musste noch lange warten und hat sich viel Mühe, um einen Sitz zu
erlangen, gegeben. Leider ist der Brief, in welchem er sich um einen solchen
bemüht, der in dem Faseikel -Correspondenz mit Malebranche« in der Bibliothek
zu Hannover aufbewahrt wird, nicht nälier zu datiren; auch ist der Adressat bis-
her nicht sicher ermittelt (s. Bodemann. Briefwechsel von Leibniz S. 164 f.).
^ Siehe den vollständigen Abdruck derselben in dem Urkundenband Nr. 5.
32 Vorgeschichte der Akiuleiiiie.
siiitl stumm: ziitreßeiule Ideen muss mau aus lebendigen Aut(3ren
schöpfen, d. li. aus solchen, die selbst beobachten und experimen-
tiren, einerlei ob sie zünftig sind oder nicht. Ihre Beobachtungen
muss man zusammenstellen, zuvor aber muss ein Nomenciator zur
richtigen, kurzen und geordneten Bezeichnung der Dinge in deut-
scher Sprache aufgestellt werden. Sodann muss eine Übersicht
über die Probleme gegeben werden; eine zweckmässige Anordnung
derselben, die Voranstellung der einfachen und gelösten, die Zu-
ordnung der schwierigeren ungelösten wird bereits ein wunder-
bares Licht verbreiten! Bis in die Details wird mit vollkommenster
Sachkenntniss diese Aufgabe entwickelt luid die mathematische
Methodik den Naturwissenschaften als Muster vorgestellt. Wenn
die deutschen Gelehrten sich dazu entschliessen , dieses Werk in
Angriff zu nehmen, werden sie bald alle anderen Nationen über-
tlügeln. Augenscheinlich hatte Leibniz erkannt, dass die Pariser
Gelehrten ihr Instrument, die Akademie, nicht genügend zu be-
handeln und auszunutzen verstanden. In erhobener Rede und directer
Ansprache wendet er sich an die Deutschen. Und in ihrer Sprache
sollen sie schreiben! Die anderen Nationen haben das Latein ab-
geworfen , und dort haben in Folge dessen Frauen und Jünglinge
Zugang zu allen Künsten und Wissenschaften. Wir aber nöthigen
unsere Jugend zuerst dazu, »die Herculesarbeiten der Bezwingung'
verschiedener Sprachen, diu-ch die oft die Schärfe des Geistes ab-
gestumpft wird, zu leisten, und verurtheilen alle die, die durch
Ungeduld oder Geschick die Kenntniss des Lateinischen entbehren,
zur Unwissenheit«. Nicht zu befürchten ist, dass deshalb die la-
teinische und griechische Litteratur Schaden leiden wird: denn in
Frankreich und England sind die Kenner derselben zahlreich, und
niemals werden die Theologen das Hebräische und Griechische, nie-
mals die Juristen das Lateinische — wohl auch das Griechische — ,
niemals die Mediciner beide Sprachen entbehren können, und die
Historiker werden sich nie den Zugang zu den Quellen versper-
ren lassen. Nun redet er die Mitglieder der deutschen privaten
Societäten, der fruchtbringenden und der naturforschenden Gesell-
schaft an: Verbündet euch mit mir und mit allen, die diesen Plan
billigen, und schafft, dass wir eine Kaiserliche Societät be-
kommen: Protector sei der Kaiser, den sich die naturforschende
Gesellschaft schon erwählt hat; unter den Flügeln des kaiserlichen
Adlers werden auch die Bemühungen um die deutsche Sprache
neue Kraft gewinnen! Bereits führt Leibniz die Namen von 48
Lkihmz" 8ociet;its{)l;ine vor lOüT. 3B
(leutsclien Gelehrten auf, an die zu schreiben sei, um sie für die
Vorbereitiuig des grossen Unternelimens zu gewinnen. Wir finden
unter ihnen E. Weigel, Swammerdamm, Leeweniioeck, Tschirnhaus,
(xERUKE. Eine genaue tabellarische Übersicht über die Aufgaben,
die Methode, die Arbeitstheilung bildet den Beschluss'.
Dieses Geschenk brachte Leibniz den Deutschen aus Paris,
Noch hoffte er auf die Societät als eine allgemeine Reichssache —
eine kaiserliche Akademie sollte sie werden. Aber auf deutschem
Boden Avurde er sofort wieder daran erinnert, dass es ein Deutsch-
land überhaupt nicht gab, während es ein Frankreich gab. Der
Plan fiel dahin. Er selbst begab sich noch in demselben Jahre
(1676) in hannoversche Dienste und kettete sein Leben an diesen
kleinen Staat. Aber die grosse fruchtbare Idee ging nicht unter;
Leibniz musste nur lernen, dass sie zuerst in einem deutschen Einzel-
staate zu verwirklichen sei.
In Hannover hat Leibniz bei den Fürsten, mit Ausnahme des Her-
zogs Johann Friedrich, der seit 1669 mit ihm in Verbindung gestan-
den und ihn in's Land gezogen hatte, aber schon am Ende des Jahres
1679 starb, eine wirkliche Anerkennung niemals gefunden. Aber
sie schätzten die positiven Dienste, die sein Name und seine Arbeits-
kraft den weifischen Interessen leisten konnten, und sie wachten eifer-
süchtig darüber, dass er nicht die Bahnen weifischer Politik verlicss.
Mit nicht unbegründetem Misstrauen begleitete nach dem Tode Ernst
August's, des ersten hannoverschen Kurfürsten (1679 bis 1698, seit
1692 Kurfürst), sein Nachfolger Georg Ludwig (seit 17 14 König
Georg I. von England) die Schritte des »allerorten betriebsamen und
mit der Regierungspolitik nicht immer conformen Gelehrten«. Nie-
mals hat Leibniz das Vertrauen dieses Fürsten besessen, der seinem
geistigen Schaffen theilnahmlos gegenüberstand und ihn nur deshalb
^ Wahrscheinlich in Frankreich ist Leibniz auch die Analogie der Akade-
niieen mit den kirchlichen Orden und die Bedeutung der letzteren für die Wissen-
schaft aufgegangen; aber er erkannte, dass sie in ihrer gegenwärtigen Verfassung
den neuen Aufgaben nicht mehr gewachsen waren; die wahren Gottesfreunde müssen
dort mit den Studien anfangen, wo die Jesuiten aufhören. »Ich liebe die Orden
und wünsche sie erhalten zu sehen. Allein es ist sehr zu besorgen, dass sie dem
Untergang verfallen , wenn sie sich nicht einer nützlichen wissenschaftlichen Thätig-
keit zuwenden.« Er sagt einmal, er würde, wenn er Papst wäre, die wissenschaft-
lichen Untersuchungen, welche zur Verherrlichung Gottes dienen, ebenso unter die
Orden vertheilen, wie die Liebeswerke, welche zu Nutz des Nächsten geschehen;
Benedictiner und Cistercienser sollten Naturwissenschaften treiben, andere Orden
die Sprachforschung, Dominikaner und Jesuiten sollten sich dem Unterrichtswesen
widmen . die Franciskaner der Seelsorge u. s. w.
Geschichte der Akademie. I. 3
34 Vorgeschichte der Akademie.
nicht frei gab, damit er die Annales imperii occidentis Brunsvicenses
vollende. Aber an der Kurfürstinmutter Sophie (geb. 1630, gest.
am 8. Juni 17 14), der Tochter Friedeich's V, von der Pfalz, der
Enkelin Jacob's I. von England, besass Leibniz eine Beschützerin
und vcrständnissvolle Freundin. Solange sie lebte, hatte er an
ihr in Hannover einen Rückhalt; niemals entzog sie ihm ihr Ver-
trauen; niemals hemmte sie seine Schritte, wenn sie auch manche
seiner ausländischen Unternehmungen mit Ironie begleitete. Wohl
aber zoö: sie seine Kräfte in ihre Dienste. Der Gedankenaustausch
mit Leibniz, persönlich und brieflich, war dieser stets regen, auf-
geklärten und skeptischen hohen Frau ein wirkliches Bedürfniss.
Die letzten wissenschaftlichen Probleme berührten sie nicht, denn
sie hielt sie für unlösbar; aber «jede gehaltvolle Anregung nahm
sie mit derselben Schnellkraft in sich auf, mit der sie jeden stören-
den Aftect überwand; es gab kein geistiges Interesse ihres Jahr-
hunderts, das sie nicht in den Kreis ihres Nachdenkens zog, und
stets bewahrte sie sich die unverwüstliche Heiterkeit einer von stol-
zer Geschlossenheit und weltoffener Klugheit im Gleichgewicht ge-
haltenen Seele« \ Leibniz hat sich dem Zauber dieser Fürstin nie
zu entziehen vermocht. Immer war er bereit, ihre Interessen zu
vertreten; mit voller Aufrichtigkeit sprach er sich ihr gegenüber
aus", und den Tod keiner Fürstin und keines Fürsten hat er auf-
richtiger betrauert als den ihrigen , der ihm , neben dem persön-
lichen Verlust, die Stütze seiner öffentlichen Stellung raubte.
Aber so willig sich Leibniz dieser Fürstin zu Diensten stellte
und ihre grossen politischen Pläne förderte, seine eigenen vergass
er darüber nicht, weder dort, wo sie mit den Absichten der auf
die Grösse und den Ruhm ihres Hauses bedachten Kurfürstin con-
vergirten, noch dort, wo sie in eine ganz andere Richtung gingen.
Die merkwürdigste Fügung hat es gewollt, dass eben die weifische
Fürstin das Mittelglied geworden ist, welches Leibniz mit dem
Brandenburgischen Kurhause und dem Preussischen Staate in Ver-
bindung gebracht hat.
6.
Alle Versuche, in den weifischen Landen unter der Führung Han-
novers eine Societät der Wissenschaften zu srründen . schluo-en fehl.
^ Köcher in der Allg. Deutschen Biographie. 34. Bd. S.669.
^ Die Correspondenz LEiBNizens und der Kurfürstin füUt in der Ausgabe von
Klopp drei stai'ke Bände ("Werke von Leibxiz, 7. — 9. Bd.).
Lf:iBNiz' Societäts[)läne vor KiDT. 35
In den ersten Jahren des Aufenthalts in Hannover standen bei Leibniz
noch die naturwissenschaftlichen Interessen im Vordergrund; der
Bergbau im Harz soll gehoben und aus den gewonnenen Mitteln
eine Societät für Deutschland in Hannover begründet werden. Im
Jahre 1681 denkt er an eine magnetiscli- mathematische Societät,
die ein Netz von Beobachtungen über Deutschland ziehen sollte,
um das Geheimniss der Declination der Magnetnadel zu ergründen
und auszunutzen. Aber immer mehr fesselten ihn die historischen
Studien und ihre politische Verwerthung, theils seines Fürstenhauses
wegen, theils um der so gefährdeten Lage Deutschlands zu Hülfe
zu kommen. Die sämmtlichen braunschweigischen Linien hatten
ihn zu ihrem Historiographen ernannt; er unternahm Reisen, um
die Archive zu erforschen. In Frankfurt besprach er mit Hiob Ludolf
den Plan einer kaiserlich -deutschen historischen Societät. Noch will
er den Gedanken nicht aufgeben, dass der Kaiser, dass Österreich
an die vSpitze treten müsse. Die Societät soll durch planvolles Zu-
sammenwirken vieler Gelehrter, von denen sich ein jeder einen be-
stimmten Zeitabschnitt bez. einen Kaiser erwählt, Annalen des deut-
schen Reiches schaffen, wie Baronius Annalen der Kirchengeschichte
geschrieben hat. Wiederum wird der Plan bis in's Genaueste ent-
worfen : ein Oberdirector soll das Ganze leiten ; in jedem deutschen
Kreise soll ein Unterdirector die Geschäfte führen. Alle historischen
Arbeiten sollen der Controle und Leitung der Societät unterstehen.
Die »Monumenta Germaniae« sind hier in Sicht; aber nur Leibniz
selbst hat seinen Beitrag zu ihnen geliefert, und mehr als einen
Beitrag! Seine »Annales« sind ein grundlegendes deutsches Ge-
schichtswerk ^ — der glänzende Ertrag der Arbeit eines Menschen-
lebens würde man sagen, wüsste man nicht, dass sie Leibniz fast
wie ein Parergon neben unzähligen anderen Unternehmungen aus-
gearbeitet hat.
Auch dieser grosse Plan einer historischen deutschen Societät
fiel dahin", und immer sicherer musste sich Leibniz davon über-
zeugen, dass weder in Hannover noch in Wien zur Zeit ein Boden
für seine universalen Bestreitungen vorhanden war. Aber die Sache
selbst gab er nicht auf. So hat er wenige Jahre vor Gründung der
Berliner Akademie an Placcius geschrieben^: »Zu wünschen wäre es,
^ Erst Pertz hat sie in drei starken Bänden (1838 tf.) herausgegeben.
'■* Siehe über ihn und die vorher in Hannover geliegten Pläne Klopp im
Archiv f. Österreich. Gesch. 40. Bd. 1869 8.159 ff".
^ Siehe Guhrauer. G. W. Fi-1i. v. LKir.Nnz, 2.T!i. S.rSi.
36 ^'or,^•(>scllic•llte der Akndemie.
(lass es eine universale Gesellscliaft unter den Gelehrten gcäbe, welche
aber gleichsam in verschiedene Collegien getheilt wäre. Denn der
Zusammenhang der verschiedenen Theile der Gelehrsamkeit ist so
gross, dass sie nicht besser als durch wechselseitige Harmonie und
ein gewisses Einverstcändniss gefördert werden können. Doch da
wir für die Gegenwart ohne höhere Autorität dahin zu gelangen
nicht hofi'en können, so müssen wir uns mit verschiedenen Ge-
sellschaften begnügen, welche zuletzt, vermöge der inneren Be-
schaffenheit der Sache selbst, sich mit einander verknüpft sehen
werden«. Diese Hoffnung — Leibniz hat sie im Jahre 1696 aus-
gesprochen — ist nach 200 Jahren der Erfüllung nahe gekommen.
So langsam und so sicher schreitet die Geschichte vorwärts, und
ein so w^eitschauender und zuverlässiger Prophet war der deutsche
Philosoph !
Am 28. September 1684 wurde die Ehe zwischen der Tochter
der Herzogin (Kurfürstin) Sophie, vSopmE Charlotte (geb. 20. Octo-
ber a. St. 1668), mit dem brandenburgischen Kurprinzen Friedrich
geschlossen. Unter Leibnizchs Augen und gewiss auch unter sei-
nem Einlluss hatte sich die Prinzessin entwickelt, von der Friedrich
der Grosse gesagt hat, sie habe den Geist der Gesellschaft, die wahre
Bildung und die Liebe zu den Künsten und Wissenschaften nach
Preussen gebracht. Hervorragende Eigenschaften, die sie auszeich-
neten, hat sie von der Mutter geerbt, die ihr in der Politik frei-
lich stets überlegen blieb — die Lebendigkeit des Geistes, die rasche
Auffassungskraft, den klugen Sinn, die entzückende Frische der Aus-
sprache, die königliche Haltung, die ein Ausdruck ihres wahrhaft
vornehmen Sinns und ihres geschlossenen Charakters war. Aber
nicht nur durch das, was eine höchst sorgfältige und glückliche
Erziehung ihr dann gegeben — sie beherrschte die modernen Spra-
chen vollkommen und las auch etwas Latein — , übertraf sie die
Mutter, sondern vor allem durcli die ernste , in die Tiefe dringende
Richtung ihres Geistes. Eingeführt in die neuen Probleme der
Wissenschaft, begnügte sie sich nicht damit, sie, wie das am fran-
zösischen Hofe üblich war, als geistreiche Conversationsthemata zu
benutzen, sondern sie erfasste sie mit dem Verstände und mit dem
Herzen und wollte, wie Leibniz bewundernd von ihr gesagt hat,
das »Warum des Warums« ergründen. Das bedeutete um so mehr,
als sie für die ästhetischen Seiten des Lebens, für die feinen, rei-
zenden Formen der Geselligkeit und den leuchtenden Schimmer
Die Kurfürstin Sophie Charlotte. 37
aller Künste, von der Predigtkunst bis zum Kunsthandwerk, den
ausgeprägtesten Sinn besass. Sie liebte das Französische; sie sprach
am liebsten französisch und legte es ihrer Umgebung auf; sie war
davon durchdrungen, dass das vielfach noch 23lumpe und widerlich
rohe Leben an deutschen Fürstenhöfen nur durch die Einbürgerung
französischen Geistes und französischer Sitten verbessert werden könne.
Ihr Aufenthalt in Frankreich hatte sie, die Frühreife, mit unver-
gesslichen Erinnerungen erfüllt — aber hinter dem Witz und Geist
ruhte eine rastlos strebende und alles Bedeutende in sich aufnehmende
Seele, und der heitre Zeitvertreib, die Feste, die ihr Lützenburg
(Charlottenburg) so anziehend machten \ verdrängten nicht das ernste
Streben nach Wahrheit und den innerlichen Antheil an den grossen
Geisteskämpfen des Zeitalters. Confessionell indifferent, religiös fest
im Sinne des aufgeklärten Protestantismus, suchte sie von allen
Parteien zu lernen. Ihren beiden reformirten Seelsorgern, Beausobre
und Jacques Lenfant, vertraute sie in den confessionellen Kämpfen;
denn es gab für sie in der Religion eine Grenze, von der ab sie,
verzichtend , sich auf Autorität verliess ; aber diese Grenze zu finden,
war selbst eine Aufgabe. Überall kannte sie die Probleme, »die
noch nicht gelöst waren«. Sie hörte Leibniz — den Gesprächen
mit ihr verdanken wir die Abfassung der Theodicee"' — ; sie hörte
ToLAND , den verwegenen Aufklärer — wahrhaft enthusiastisch hat
er den Scharfsinn der Fürstin gepriesen — ; sie hörte selbst den
Jesuitenpater Vota — damals suchten die Jesuiten noch die Ver-
T)indung mit dem fortschreitenden Geiste des Zeitalters aufrecht zu
erhalten, freilich zugleich rastlos thätig im Fang fürstlicher Prose-
lyten — und war unermüdlich in Fragen und Einwürfen. Aber
die Geselligkeit und jeder wissenschaftliche Austausch, der selbst
mathematische Probleme nicht vermied , war durch ihre Gegenwart
in das Element der Freiheit und des Maasses erhoben. Ihre zwang-
lose Hoheit scliloss alles Pedantische aus und bändigte alles Ge-
meine. »Die Gelehrten, die sie in ihre Nähe zog, haben der Ver-
bindung von Schönheit und Geist, Adel und Höflichkeit, die in
ihr war, nie vergessen. So erschien sie auch in der Gesellschaft,
die den Hof bildete. Sie kannte ihre Leute durch und durch und
^ "Wie in einem irdischen Paradies« lebt man in Lützenburg, schrieb ihi-e
Mutter, die Kurfürstin Sophie, »sans facjon«. »Die dames und cavaliers spülen
comedi, und die musicanten machen operas; die beste pfarrer von der weldt pre-
digen." "AUhir sauffen und schweren die dames nicht, aber spillen wol a. l'ombr
und verquereu" (citirt nach Kratske, Allg. Deutsche Biographie. 34. I>d. S.680
^ Siehe Guhrauer, G. W. v. Leibnitz, 2.Th. S. 244 ff.
^Sp't
38 Vorgeschichte der Akademie.
schonte ihrer Eigenschaften im vertrauten Gespräche mit nichten
Anmaassung, namentlich ungeschickte, wies sie mit Kälte von sich,
verlegene Bescheidenheit zog sie eher hervor. Sie war stolz und
vollAnmnth\« Wie sie am Hofe und in den höheren Kreisen die
feinere Bildung und den Sinn für Wissenschaft und Kunst einge-
bürgert hat — der Hof theilt seine Zeit zwischen Studien und Er-
götzungen, schreibt Toland — und deshalb der dauernden Ver-
ehrung würdig ist, so verehrt sie vor allem die Preussische Aka-
demie der Wissenschaften als ihre Stifterin und Patronin, ohne die
sie nicht in's Leben getreten wäre".
Diese Fürstin zog im Jahre 1684 in Berlin ein. Die Ehe, von
Friedrich's Seite aus Neigung geschlossen, war doch auch ein Werk
der w^elfischen Politik. Hannover trachtete damals nach dem Kur-
hut und musste das Wohlwollen des mächtigeren Nachbarstaats wün-
schen. Die weifische Politik Brandenburg gegenüber, die nun be-
gann, lenkte auch Leibniz', des Staatsmanns, Aufmerksamkeit auf
dieses Land. Bisher war er nicht nur achtlos, sondern misstrauisch
an Brandenburg mit seinen Plänen vorübergegangen. An den Kaiser,
den Kurfürsten von Mainz, das Haus Hannover hatte er gedacht:
Brandenburg -Preussen schien ihm nur ein halbdeutscher Staat, seine
Politik nicht vertrauenerweckend, der Bildungsstand des Landes ge-
ring. Dieses Urtheil scheint sich in den ersten zehn Jahren nach
der Übersiedelung der Prinzessin nur langsam geändert zu haben.
^ Ranke, Zwölf Bücher Preiissischer Geschichte (Sämmtliche Werke, 26. Bd.
1874 S.459f.).
- Friedrich II. hat in dem ^Memoire über Friedrich I., das er in der Aka-
demie hat vortragen lassen, seine Grossmutter also charakterisirt (Mem. de l'Acad.
1748 S.382): »C"etait une Princesse cVun merite distingue, qui joignait tous les
appas de son sexe aux grsices de Fesprit et aux lumieres de la raison. Elle avait
voyage dans sa jennesse en Italie et en France, soiis la conduite de ses parents. On
la destinait pour le trone de France; Louis XIV fut touche de sabeaute, mais des
raisons de politique firent ecliouer ce mariage. Cette Princesse amena en Prusse
Tesprit de la societe, la vraie politesse, et l'amour des arts et des sciences. Elle
fonda TAcademie Roj^ile. Elle appela Leibnitz et beaucoup d'autres savafits ä sa
cour: sa curiosite voulait saisir les premiers principes des choses. Leibnitz qu'elle
pressait un jorn* sur ce sujet, lui dit: i> Madame, il n"y a pas moyen de vous con-
tenter; vous voulez savoir le jjourquoi du poui-qiioi". Charlottenburg etait le rendez-
vous des gens de goüt; toutes sortes de divertissements et de fetes variees a l'infini
rendaient ce sejour delicieux et cette cour brillante. Sophie Charlotte avait Täine
forte , sa religion etait epuree , son humeur douce , son espi-it orne de la lecture de
tous les bons livres frangais et Italiens. « — Am Ende des 18. Jahrhunderts hat Erman
in der Akademie eine Reihe von Abhandlungen über diese Fürstin gelesen (die erste
am 30. September 1790), die dann (1801) als »]Mem. pour servir ä lliist. de Sophie
Charlotte " erschienen sind.
Leibmz und Brandenlmrii-. 39
Die spärlichen Quellen, die wir in Bezug auf das Verliältniss Leib-
Nizens zu Brandenburg aus den Jahren 1684— 1694 besitzen, ge-
statten leider keinen sicheren Schluss. Sicher aber ist, dass er um das
Jahr 1694 zu einer ganz anderen Einsicht in Bezug auf das Land
gelangt war. Es ist richtig, dass die Kurfürstin Sophie Charlotte
einen Gelehrten wie Leibniz mindestens zeitweilig in ihrer Nähe
haben wollte; es ist ferner gewiss, dass die Kurfürstin - Mutter zur
Verfolgung ihrer Pläne einen klugen und politisch unverdächtigen
Vertrauensmann in Berlin zu sehen wünschte; es ist endlich nicht
zu bezweifeln, dass sowohl die Bewerbung um das Amt eines bran-
denburgischen Historiographen , als auch die Unionspläne und der
Gedanke der Societätsstiftung in Berlin auch im Dienste der weifischen
Politik gestanden haben — allein weder hat es sich, soweit Leibniz
betheiligt war, um Pläne gehandelt, die für Brandenburg verhäng-
nissvoll oder gar verderblich waren, noch ist Leibniz je der diplo-
matische Vertrauensmann des hannoverschen Kurfürsten gewesen,
noch hat er seine grossen LTnternelimungen nur als Mittel zum Zweck
betrachtet. Sie lebten mit selbständiger Kraft in seiner Seele; er
ordnete sie in seinem Geiste allen politischen Affairen über und be-
trieb sie ehrlich und mit Nachdruck. Dazu hatte sich sein Urtheil
über den Beruf Preussens wirklich geändert. Nicht nur hatte das
Lebenswerk des Grossen Kurfürsten, den auch die Herzogin Sophie
«un heros de notre religion« nennt', den tiefsten Eindruck auf ihn
gemacht, sondern er erkannte auch mit steigender Klarheit, dass
nur ein festes Zusammenhalten der protestantischen Fürsten unter
Preussens Führung den in seiner Existenz von Frankreich her be-
drohten Protestantismus und die deutsche Libertät retten könne.
Er sah in Deutschland keinen anderen grösseren Staat, der so Avie
Brandenburg -Preussen auf die Hebung der geistigen und materiellen
Cultur seiner Unterthanen bedacht war und der jene religiöse To-
leranz so zielbewusst übte , die ihm als die Voraussetzung alles Fort-
schritts erschien. Vollends seit dem Übertritt des Kurfürsten von
Sachsen sah er im brandenburgischen Kurfürsten »das Haupt der
Protestanten im Reiche«', Darum hat er Verbindungen mit dem
Lande gesucht^, und die ausgedehnteste Forschung hat bisher nichts
^ Im Briefe LEiBxizens vom 22. ]Mai 1688 (Klopp. Werke von Leibniz.
7. Bd. 8.14).
- Siehe den Brief an Cixeau vom 4. Juli 1697. (Abgedruckt in der -Ber-
linischen Bililiothek« , i. Bd. 1747 S. 133.)
^ Ausserdem war ihm Preussen durch seine guten Beziehungen zu Peter I.
die Pforte für Russland, Russland die Pforte für China.
40 Vorgescliiclite der Akademie.
gefunden, was ihm bei seinem Wirken in und für diesen Staat zur
Unehre gereichte. Aber mehrere Fäden nahm er, wie so häufig,
auch diesmal in die Hand, wissenschaftliche, politische und kirch-
liche, schlang sie in einander und suchte sie zu verspinnen. Das
ist ihm nicht geglückt. Jahre hindurch hielt er sie fest zusammen ;
aber die Interessen der beiden Rivalen, die er zum Heile Deutsch-
lands, des Protestantismus und der Wissenschaft zu verbinden streikte,
gingen zu weit aus einander; schliesslich misstraute man ihm in
Hannover und in Berlin; hier schüttelte man ihn ab, dort schol)
man ihn bei Seite, und sein Leben endete in tiefer Vereinsamung.
7.
Der Briefwechsel mit Sophie Charlotte stellt die ersten Be-
ziehungen von Leibniz zu Berlin dar. Aus der Zeit bis zum 9. Mai
1697 besitzen wir freilich nur zwei Briefe von Leibniz an die Kur-
fürstin und einen der Kurfürstin an ihn\ Wir wissen auch be-
stimmt, dass bis zum Jahre 1692 die Correspondenz nicht lebhafter
war", und wenn wir darauf achten, dass sie überhaupt erst kurz
vor Danckelmanns Sturz w^ieder nachweisbar ist und auch dann zu-
nächst unter Vorsichtsmaassregeln geführt wird (s. unten), so können
wir uns der Annahme kaum verschliessen , dass politische Umstände
einen Briefwechsel bis 1697 unrathsam gemacht haben''.
^ Abgedruckt bei Klopp, 7. Bd. S. 48, S. 165 ff., 10. Bd. S. 6f. Der erste ist
eiu Gratulationsschreiben zur Geburt des Kurprinzen (1688), in dem zweiten
(16. Januar 1692) erinnert sich — nach drei Jahren! — die Kurfürstin noch jener
Wünsclie; in dem dritten (10. Februar 1692) spricht Leibniz mit Freimath und Witz
über die Pietisten, besonders über den Superintendenten Petersen in Lüneburg,
bezeugt aber seinen tiefen Respect vor Spener. Er sprach gewiss der Fürstin aus
der Seele, wenn er schrieb: »11 semble (^ue nous sommes ä present dans un temps
Oll Texterieur de la devotion est ä la mode, et la cour de France, la source des
modes, y donne bon exemple. Car tout s'y mele d'ecrire devotement, jusqu'au
celebre Satirique Boileai-^. Wie sicher musste er des Wohlwollens der jugend-
lichen Fürstin sein, wenn er seinen Bi'ief mit der Wendung schliessen durfte: »Je
crois meine que la solide vertu qui brille dans une grande princesse, environnee
des attraits du monde, vaiit mieux que la vertu farouche et retiree d'une Antoi-
nette de Bourignon, qui en fait des livres, sans peut-etre la pratiquer comme il
faut. 11 est aise de faire la prüde, quand on est sur Tage, et quatre-vingt et dix
ans sont d'un grand secours contre les plaisirs du monde. Je prie Dien de con-
server V. A. E. jusqu'a cet äge qui fait naturelleinent les saintes«. Auch der Brief
vom 9. Mai 1697 ist noch unpolitisch; er handelt von Boetiüs (Klopp, 8. Bd. S.28ff.).
■^ Nur ein Brief von Leibniz ist verloren gegangen, s. den Brief vom 16. Ja-
nuar 1692.
^ Audi Klopp nimmt an (a.a.O. Bd. lo S. XXIll f.), dass zwischen Februar
1692 und Mai 1697 keine Briefe ausgetauscht worden sind. Bratuscheck (Erziehung
Leibxiz' Bezieliungea zur Ivurfiirstin und zu IJcrlin. 41
Allein schon bevor die regelmässige Correspondenz mit der
Kurfürstin ihren Anfang genommen (1697), hat Leibniz mit Berliner
Staatsmännern und Gelehrten Anknüpfung gesucht und gefunden,
nämlich mit Ezechiel von Spanheim, Cuneau\ Is. Beausobre, Chauvin
und Dan. Ludolf von Danckelmann, aber auch dem regierenden Staats-
minister von Danckelmann hat er sich zu nähern gewusst^ In Span-
heim's Hause fanden in dem letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts regel-
mässige wissenschaftliche Zusammenkünfte statt, an denen auch der
Hofprediger Jablonski Theil nahm. Die Annahme wird nicht irrig
sein, dass in ihnen eine Vorstufe der späteren Akademie zu erkennen
ist^. Die Correspondenz mit Spanheim, dem gelehrten und staunens-
Friedrich's des Grossen 1885 S. 3.106) widerspricht ihm unter Berufung auf die
Thatsache, dass Friedrich I. ]>ald nach dem Tode seiner Gemahlin den grössten
Theil ihrer Bi'iefe hahe verbrennen lassen (s. Klopp Bd. 10 S. i5f. ; Leibniz" Brief an
Fabricius in Hamhurg vom Jahre 1707: »Literas reginae Christinae a Golomesio col-
lectas ne(^ue videre ne(iue audire memini. Oportet ab Js. Vossio cum eo communi-
catas fuisse, qui cum regina fuit. Utinam plerasque a regina Borussorum, et ad eam
scriptas non combussissent mah" circumspecti homines! Haberemus cjuae facile opponi
reginae Suecorum possent. Non paucae tamen passiin servatae sunt, et inter eas
nonnullae ad me ipsum mihi superant, unde vim ingenii in principe femina ani-
mumque mire ad doctrinas erectum intelligas«). Allein es müssten sich doch in Leibniz'
Nachlass Briefe aus dieser Zeit, ebenso wie aus der folgenden, gefunden haben, wenn
solche vorhanden gewesen wären. Indirecte Beziehungen hat er gewiss auch damals
mit der Ivurfiirstin gehabt — sie folgen schon aus der Correspondenz der ^Mutter mit
der Tochter — . bei dem Aufenthalt der Kurfürstin in Hannover 1695 hat er ])ersönlich
mit ihr verkehrt, und Bratuscheck hat es auch wahrscheinlich gemacht, dass Sophie
Charlotte's Instruction für die Erziehung Friedrich Wilhelm's vom Jahre 1695
(abgedruckt bei Förster, Friedrich Wilhelm L 1834 i.Bd. 8.77^".) in Zusammen-
hang steht mit den Ideen in Leibniz' Projet de l'education d'un prince (zuei'st
erschienen in Böhjier's Magazin für das Kirchenrecht, die Kirchen- und Gelehrten-
gesch., I.Bd. 1787 S. 177 ff. und zuerst gewürdigt von Guhrauer, G.W.Freiherr
v. Leibnitz, 2.Th. S.205ff. , vergl. dazu den Brief an Cuneau vom 28, August 1696
in der »Berlinischen Bibliothek« 8.8461".); aber mehr lässt sich nicht sagen, vergl.
Koser, Friedrich der Grosse als Kronprinz 18868.222. Entscheidend aber dafür,
dass ein wirklicher brieflicher Verkehr früher nicht stattgefunden hat, sind die Worte
in dem Schreiben vom 29. December 1697 (Klopp, Werke, 10. Bd. 8. 43): »Je suis
demeure dans le silence la pluj^art des autres annees, de peur d"etre importun,
lors(jue je n'avais rien de particulier a dire«.
^ Er schreibt sich sell)er so, aber auch "CouneaU" und "ChunO". Auch die
Form »CunO" findet man.
^ Die Correspondenz mit Phil. ,Iak. 8pener. wie sie in Hannover aufbe-
wahrt wird, hat zwischen 1692 — 1700 eine Lücke: vielleicht ruhte der Briel"-
wechsel in diesen Jahren wirklich. Der Briefwechsel mit Vignoles (Hannov. Bibl.)
gehört nicht direct hierher; er fällt zwar in diese Zeit, aber Vignoles befand sicli
damals nicht in Berlin, sondern in Brandenburg.
■^ An diese Zusammenkünfte in 8panheim*s Hause wird von Leibniz in einem
Briefe an J. Th. Jablonski vom 24. März 1701 (publicirt in den Abhandl. d. Königl.
42 Vorsi-escliiclite der Akademie.
wertli vielseitigen pfölzischen , dann preussisclicn Diplomaten, von
1689 — 97 Curator der französisclien ('olonieen in Brandenburg, Le-
gann, soviel wir feststellen können, im Jahre 1692 und bezog sich
zunächst auf wissenschaftliche und diplomatische Fragen \ Aber in
dem Brief vom 20. Noveml)er 1694 giebt Leibniz den Wunsch zu
erkennen, jiun nach Pufendorf's Tode brandenburgischer Ilistorio-
graph zu werden. Spanheim erwidert (27. November 1694), er habe
Danckelmann günstig für die Sache gestimmt. In seiner Antwort
vom 6. December 1694, die so eingerichtet ist, dass sie Danckel-
mann vorgelegt werden konnte, spricht LEmNiz die Hoffnung aus,
dass er auf hannoverscher Seite keine erheblichen Schwierigkeiten
zu überwinden haben werde; erwünscht, dass offen gehandelt werde,
doch sei die Sache zur Zeit noch sehr zu menagiren. Am 26. De-
cember 1694 bittet er um Nachrichten über den Stand der Ange-
legenheit, da das brandenburgische Fürstenpaar demnächst nach
Hannover kommen werde und er seine Maassregeln darnach ergreifen
müsse. Die Verhandlungen führten aber damals nicht zum Ziele und
wm-den erst anderthalb Jahre nach Danckelmann's Stiu'z wieder auf-
genommen'. Im Zusammenhang mit seinen Bemühungen um die
Stelle eines Historiographen in Berlin entwirft er auch bereits Pläne
zur Einrichtung einer «Societas Electoralis Brandenburgica exemplo
Preuss. Akad. d. Wiss. 1897 "Briefwechsel J.Th. Jabloxski's mit Leirniz" Nr. 10) er-
innert: "M. Ancillon le JiGE sagt mir, dass in den Zusammenkünften bei dem
Herrn von Spanheim man Materien distribuiret und hernach tractiret; dergleichen
etwas könnte auf gewisse Maasse resuscitiret werden«.
^ In der Bibliothek zu Hannover befinden sich 29 Briefe von Spanheiji an
Leibniz und 35 von diesem an jenen aus den Jahren 1692 — 1700 (Bodemann, Brief-
wechsel S. 286 ff.).
^ Die wissenschaftliche Correspondenz mit Spanheim ging auch in den Jahren
nach 1694 weiter. Dass Leibniz stets mit einer gewissen Scheu zu Danckelmann
aufgesehen hat, solange dieser in Preussen am Ruder war, lässt sich nicht ver-
kennen. Andererseits ist es wichtig zu constatiren, dass Danckelmann im Jahre
1694 den ernsten Willen gehabt hat, Leibniz als Historiograph nach Berlin zu
ziehen , und dass die Sache lediglich an der Gehaltsfrage gesclieitert ist. Es geht
das aus einem Schreiben Steinberg's aus Pai'is hervor, das in Spanheim's Namen
im Mai 1699 an Jablonski für Leibniz gerichtet ist. Damals hatte Leibniz den
Plan, Historiograph zu werden, wieder aufgenommen. Steinberc; schreibt (IvAPPens
Sammlung einiger vertrauten Briefe zwischen G. W. von Leibniz, u. s. w. 1745
S. 44): i'Spanhemius tibi salutem dicit plurimam etc. Aperuit mihi vir ill., verum
esse, quod ipsemet ill. domini Leibnitzii apud supremum praesidem de Danckel-
mann habuerit mentionem in locum defuncti domini Puffendorffii substituendi, eundem
quoque huic ])ropositioni manum dedisse, hac una exceptione, quod ill. Leibnitzius
pro praesentis temporis statu non lütra 1600 Imperial, salarii nomine posset frui,
cum Puflfendorffius p. m. habuerit 2000. An vero Serenissimus Elector aliquid hac
de re resciverit, se ignorare«.
Leiuxiz" Beziehungen zu Bei'lin im Jahre 1694. 43
Regiariim Londinensis et Parisiensis « . Nicht weniger als fünf un-
datirte Actenstücke sind vorhanden , die höchst wahrscheinlich dem
Jahre 1694 zuzuweisen und als Vorlagen zu betrachten sind, die
durch Spanheim an Danckeoiann , bez. an den Kurfürsten, gelangen
sollten. Dieser wird als Salomo gefeiert, der den Bau des Hauses
Gottes , den David (= der Grosse Kurfürst) nur entworfen hat, voll-
enden wird. Der furchtbare Krieg, der noch dauere, solle ein An-
sporn für Preussen und Deutschland sein, auf dem Gebiete der
praktischen Künste Kraft zu gewinnen; denn die civilisirteste und
gewerbüeissigste Nation wird zuletzt den Sieg gewinnen. Der Ge-
danke der Societät steht hier ganz unter dem Zweck, das pro-
testantische Deutschland unter der Führung Preussens durch die
joraktischen Wissenschaften, Industrie und Agricultur zu heben, nach
dem Vorbild Hollands. Der Kurfürst von Brandenburg hat den hohen
Beruf dazu: denn er allein hat zur Zeit freie Hand; alle übrigen
Fürsten sind durch Kriege in Anspruch genommen. Und er hat
um so mehr den Beruf dazu, als er den besten Minister erwählt
hat (»qu'il a choisi un Ministre qui a tout ensemble le credit en-
tier, le zele et les lumieres; ce qui ne se voit presque point ail-
leurs aujourdhui«). Aber auch diese Vorlagen LEiBxizens sammt
dem Anerbieten, zur Einrichtung einer Societät »selbst etwas bei-
zutragen«, liess Danckelmann unberücksichtigt \ Die Fürsorge des
^ Die fünf Actenstücke sind im Urkundenband Nr. 6 — 10 abgedruckt (nach
Klopp. Werke 10. Bd. 8.19 ff.), jedoch das erste nicht vollständig. Sie sind nicht
datirt, und Klopp hat sie unmittelbar vor das Jahr 1697 bez. in dieses Jahr ge-
stellt. Eine genaue Prüfung ergiebt aber, dass sie — abgesehen von dem ersten,
das überhaupt niclit näher zu datiren ist und gleichsam eine Einleitung zu den
wieder aufgenommenen Societätsplänen bildet — aus dem Jahre 1694 stammen,
d.h. aus der Zeit, in der Leibniz mit Spaxheim über die Stelle eines branden-
burgischen Historiographen verhandelte. Vom Gesichtspunkte des Historiographen
einerseits und der Hebung der Industrie andererseits ist hier der Societätsplan be-
handelt; von der Kiu'fürstin ist überhaupt noch nicht die Rede, ebensowenig vom
Observatorium. In der Correspondenz aber, die im Herbst 1697 begann und wirk-
licli zum Ziele führte , steht das Observatorium im ^'ordergrund und die Kurfiirstin
ist die Seele des Planes. Somit unterscheidet sich das erste Unternehmen LEiBxizens
in Bezug auf Brandenburg scharf von deni zweiten. Das erste fällt in das Jahr
1694 und endigte resultatlos; denn Daxckelmais'n war nicht zu gewinnen. Fast
drei Jahre vergehen nun, in denen Leibniz nichts unternommen hat; dann wii'd
der in Berlin und von der Kurfürstin selbst gefasste Plan, ein Observatorium zu
gründen . der entscheidende. An ihn hat Leibxiz seine Ideen — luid diesmal mit
Glück — angeknüpft: er hatte inzwischen auch den Berliner Hof scharf beobachtet
und im Jahre 1696 oder 1697 jenes merkwürdige Promemoria abgefasst (»Sur la
COTU' de Berlin .>), dessen Zwecke ziemlich durchsichtig sind (es scheint, es sollte
die brandenburgische Kurfürstin von Hannover aus aufrütteln und zum Eingreifen
44 Vorgescliiclitc der Akiideiiiie.
weifischen Gelehrten für Brandenburg mochte dem vorsichtigen
Staatsmann bedenklich erscheinen. An Beausobre, den Prediger
an der französischen Colonie in Berlin, schrieb Leibniz lobend über
dessen Plan, eine Geschichte der Reformation zu verfassen, und
schickte ihm ein Empfehlungsschreiben an den Herzog von Braun-
schvveig- Wolfenbüttel \ Mit Chauvin, dem Professor der Philosophie
am College frauQais zu Berlin, correspondirte er in den Jahren 1696
und 1697 über dessen Zeitschrift »Nouveau Journal des Savants
dresse ä Berlin« und sandte Beiträge für dasselbe". Mit dem Geh.
Staats- und Kriegsrath Dan. Ludolf von Danckelmann correspondirte
er im Jahre 1693 über Schulbücher^. Aber diese immerhin spär-
lichen Correspondenzen treten zurück gegenüber dem gehaltvollen
und für Leibniz" Pläne sehr wichtigen Briefwechsel, der im Jahre
1695 mit dem Staatssecretär und Hofrath Cuneau begann*. Leibniz
hatte diesen tüchtigen und wohlkundigen Mann im Winter 1694,95
kennen gelernt, als derselbe im Gefolge des brandenburgischen kur-
fürstlichen Paares in Hannover weilte. Gleich nach der Rückkehr
in die Politik auffordern) — obgleich der Adressat zweifelhaft ist — , und in wel-
cliem ein ÜhelwoUen gegen Danckelmaxx deutlich hervortritt (abgedruckt bei Klopp,
Werke, Bd. 10 S.36 ff.). Von der Kurfürstin heisst es: »L'electrice ne se mele
de rien« — das sollte bald anders werden — »et passe sa vie en entendant la nni-
sique. On n'a pas le inoindre egard a ses recomniandations , et il semble menie
qu'on prend le contrepied. Comme eile est honnete et genereuse, eile ne saurait
souffrir cei'tains badinages et puerilites , et ne saurait se contraindre ni deguiser
ses sentimens« (vergl. den Abdruck im Urkundenband Nr. 11).
' Der Brief befindet sich in Hannover, s. Bodemanx, a.a.O. S. ir.
^ Der Briefwechsel befindet sich in der Bibliothek zu Hannover, s. Bode-
MAXN, a. a. ().. vergl. aucli den Brief an Spanheim vom 6. April 1696, und Barthol-
MEss, Hist. philosoph. de l'Acad. de Prusse. i. Bd. 1850 p. 46 ff.
^ Sielie Bouemann, a.a.O. S. 42, 41.
* Ein Theil des Briefwechsels (50 Briefe von Ch.. 14 von L.), der bis zum
Tode CuNEAu's dauerte (1712), liegt in Hannover (s. Bodemaxx. a. a. 0. S. 41).
Dreizehn sehr wichtige Briefe Cuneau's aus den Jahren 1695 — 1697, die sich nur
zum Theil mit den in Hannover befindlichen decken, veröffentlichte Oelrichs in
der »Berlinischen Bibliothek« r. Bd. 1747 nach Mittheilungen der Wittwe Cuneau's.
Zwei von diesen sind, wie Guhrauer, G. W. Freiherr v. LEiBxrrz. 2. Th. Beilage
S.ii mittheilt, jetzt auf der Univ. -Bibliothek zu Breslau. Da die von Oelrichs
abgedruckten Briefe nur bis zum Jahre 1697 (incl.) reichen und auch in der han-
noverschen Sammlung die Correspondenz in den Jahren 1698 — 1701 aufhört, um
dann im Jahre 1702 wieder aufgenommen zu werden, so darf man annehmen, dass
der Briefwechsel in jenen Jahren wirklich ruhte. Das ist auch wohl verständlich:
denn in dem Jahre 1698 liegann der Briefwechsel mit dem Hofprediger Jablonski
und löste, ganz von der Unionsfrage beherrscht, den mit Cuneau ab. In den
Jahren 1702— 1706 gehen beide Con-espondenzen neben einander her. Im Jahre
1706 aber hört der Briefwechsel mit Jablonski auf (denn die Unionsfrage war zu
Boden gefallen), wäln-end die Korrespondenz mit Cuneau weitergeführt wh-d.
Leibxiz* Beziehuntien zu Berlin in den Jahren 1694-1697, 45
CuNEAu's nach Berlin beginnt der Briefwechsel. Cuneau's Stellung
am Archiv bildete die Brücke: denn Leibniz arbeitete am Codex
diplomaticus. Aber die Correspondenz erstreckte sich in den Jahren
1695, 1696 sofort anch auf viele wichtige wissenschaftliche Fragen
und gelehrte Persönlichkeiten \ Die Politik wird indess ganz ver-
mieden, höchstens die Unionsfrage bedeutsam gestreift. Von Leibniz'
Absichten auf Berlin ist zunächst nicht die Rede. Aber seit dem
Juli 1697 ändert sich das Bild. Der Übertritt des Kurfürsten
von Sachsen zum Katholicismus und die freundlichen Beziehungen
Preussens zu dem grossen russischen Herrscher hatten auf Leibniz den
tiefsten Eindruck gemacht; er hofft jetzt, wo der Protestantismus
in Gefahr steht, auch bei Danckelmann mit seinen Unionsplänen
Eindruck zu machen. «Votre Grand Electeur« — schreibt er am
4. Juli 1697 an CuNEAU in einem Briefe, der offenbar vor Danc^kel-
mann's Augen kommen sollte — »est maintenant le chef des Pro-
testants dans TEmpire. Je ne doute point qu'on ne songe serieuse-
ment chez a^ous a tout ce qui Importe ä la conservation des Pro-
testants. II faut travailler entre autres ä dissiper de plus en plus
ce vain fantome de Separation entre les deux partis Protestants^. «
Gleichzeitig feuert er die preussischen Staatsmänner an, die aus-
gezeichneten Beziehungen zu Russland zu benutzen, um durch eine
wissenschaftliche Mission dieses Reich zu erschliessen^. In dem zehn
Seiten langen Schreiben vom 7. October 1697 — in Wahrheit ein
wissenschaftlich -politisches Expose für den Minister — steigern sich
diese Vorschläge ^ Die Mission soll nun auch eine protestantische
sein und zwar nach China gehen. Auf die Union wird gedrungen;
die Gegenbemerkungen Danckelmann's , die Cuneau vermittelt hatte,
werden widerlegt:
»La chose est plus necessaire qua jamais, et peut-etre aussi plus faisable que
Jamals. Mais: est aliquid [sie] prodire tenus, si non datur ultra.» Car cette bonne
intelligence a des degres. Le premier est purement civil et consiste dans un bon
concert et une assistance sincere, et c'est a quoi TagTandissement du parti de Rome
les doit porter de part et d'autre. Apres la breche faite dans la maison de Saxe,
votre puissant maitre est le ])remier des protestants de l'Empire en
conimun sans distinguer les deux partis et par consecjuent directeur
^ In dem Brief vom 23. Februar 1696 steht das ürtheil über Pufendorf: «Si
quelque chose m"a deplu en lui, c'est qu'il prenait lui-meme trop de liberte ä
satiriser contre les autres-. In den Briefen vom Jahre 1695 bildet der Plan einer
wissenschaftlichen Expedition nach Russland und China das Haiiptthema.
- »Berlinische Bibliothek« 1747 S. 133.
^ Über die glänzende Grossgesandtschaft des Czaren in Berlin im Jahre 1697, der
er sich selbst angeschlossen hatte, s. Varnhagex v. Exse. Sophie Charlotte S.72ff.
* A. a. 0. S. 138 ff.
46 Vorgeschichte der Akach'iiiie.
de leiirs affaires. Ce n'est pas le Heu ici de m'etendre sui- cette luatiere. Ce-
pendant nion zele nie fait preiidi'e ce point pour incontestable et pour fondamental
ä l'egard d"iin concert sincere entre les protestants, qui pourrait avoir de si grands
fruits d'aiitant que je ne doute point ipie TAngleterre et L-i lIolLnnde ne soient
pretes li rappuyer.
Leibniz fülirt imii aus, dass die beiden anderen Grade der
Union in der kireliliclien und in der Einheit des Glaubens
bestünden. Danckelmann hatte die MögHchkeit , über die Verschie-
denheiten der Al)endniahls- und Prädestinationslehre hinwegzukom-
men, bestritten. Leibniz antwortet, eine vollkommene Einheit der
Glaubensvorstellungen halte er nicht für nothwendig. »On fait
bien d"obtenir en cela ce qui se peut; mais on ne s'y attachera
pas, puisque ces diversites n'empechent point runion qui siiffit. «
»Maintenant la question est, si Son Excellence desire qu'on aille
jusqii'au second degre, ou si eile veut seulement s'arreter au premier.
Oll les theologiens n'ont rien a faire; il semble que le second serait
bien desirable et rendrait le premier plus ferme. «
Diese treffliche und besonnene Darlegung, die die Aufrichtung
der Union den Theologen möglichst entziehen sollte, weil sie in
erster Linie als eine politische gedacht war, fand nicht die rechte
Würdigung in Preussen. Danckelmann ging sie wahrscheinlich schon
zu weit, wenn er die Sache überhaupt für durchführbar hielt: der
Kurfürst aber, berathen von einigen Theologen, wollte l)ald viel
weiter gehen und versprach sich nur von einer Union, die mit den
Kamen auch die Verschiedenheiten der Reformirten und Lutheraner
aufhöbe, etwas. Doch die Verfolgung dieser Angelegenheit ist von
unserer Aufgabe ausgeschlossen. Aber dieses für Danckelmann be-
stimmte Schreiben vom 7. October 1697 enthält auch die erste An-
deutung des Planes eines Observatoriums in Berlin.
Cuneau hatte Leibniz mitgetheilt, dass die Kurfürstin an die
Errichtung einer Sternwarte in Berlin denket Dieser griff die
^ Li den Brief an die l^randenhurgische Kiirfürstin vom November 1697
(Klopp, Werke Bd. 8 S.47ft".) hat Leibniz die ihm von Cl-xeau gemachte Mittliei-
lung wörtUch eingerückt:
"Son A. E. . jMadame, etant venue ä parier :i im des predicateurs de la cour
au sujet de TAcademie des peintres et sciilpteurs et de ce que cela commengait ä
aller si bien, a ajoute qu'il serait bon qu'on etablit aussi un observatoire comme
il y en a un ä Paris. Sur cela on pense a y travailler, et comme on n"anra (pi'ä
elever un peu un certain pavillon des nouvelles ecuries, et l'accomoder pour les
observations, les Instruments se trouveront, et des observateurs aussi, de sorte qu'on
espere cpie cela reussira."
Hiernach hat man also sofort an den Bau des Observatoriums auf dem neuen
königlichen 3Iarstall i>edacht.
Das 01)servati)i-ium (1(>97). 47
Nachricht begierig auf und führte sie — seine alten Pläne von 1694
hervorholend — weiter^: man müsse sofort auch andere curiöse
Wissenschaften herbeiziehen; er selbst sei bereit, mit seinem Rathe
die Sache zu unterstützen. Seine Worte lauten:
"Je suis encore ravi de ce ([ue vous me dites, Monsieur, des bous desseius
qu'on forme chez vous pour ravanceinent des sciences, et ce que vous me dites de
Toccasion que Mad. l'Electi'ice y a donnee, me fera naitre un sujet propre ä lui
faire ma cour puisque je dois prendre la liberte de lid ecrire un de ces jours ^.
Car eile m'a fait la gräce de me faire envoyer des airs Italiens chantes ä Coppen-
bruck a Tentrevue avec le Czar. C'est pour les envoyer au second Ambassadeur,
qui temoignait alors qu'ils lui plaisaient. Cai- je voudrais avoir par-lä l'occasion de
la faii'e souvenir des reclierches (pie je demande. L'Astronomie contribue a la
gloire des grands Princes. Cela vous pourra engager cependant a aller
plus loin et penser encore ä d'autres sciences curieuses. Taut mieux.
Si je puis contribuer quelque chose en tout cela de uies petits avis, je le ferai de
tout mon coeur. Cai" toutes mes vues ne tendent depuis longtemps qu'au bien
public. Et je me fais tout mon plaisir de ce devoir. La France (entre nous)
a niaintenant des gens pour la plupart assez mediocres dans les scien-
ces. Ainsi si nous pouvons mettre les Allemands entrain ils tiendront
jieut-etre tete en cela a tonte l'Europe.«
Näheres erfahren wir über diesen für die Entstehungsgeschichte
der Preussischen Akademie grundlegenden Vorgang aus dem vom
5. März 1698 geschriebenen Brief des Hofpredigers D. E. Jablonski
an Leibniz^:
» . . . Da im ^•erwicllenen Jahr S. Churf. Durchl. in Preussen abwesend waren,
Ihre Churf. Durclil. Unsere Gnädigste Frau aber sich gefallen Hessen, die angenehme
Frühlingszeit auf einem nahgelegenen Lusthaus beständig zu geniessen, da dann
auch ich Gelegenheit hatte, des Gottesdienstes halber öfters zu sein, und Ihro Churf.
^ Gerade damals betrieb Leibniz neben seinen historischen Studien wieder die
j^hysikalisch- mechanischen sehr lebhaft. Im Jahre 1696 erschien in den Acta Eru-
ditorum seine epochemachende Abhandlung gegen Cartesius: »Brevis demonstratio
erroris memorabilis Cartesii", in der dessen falsche Ansicht von der Erhaltung der
Ivraft widerlegt und die Lehre, soweit es damals möglich war, auf den richtigen
Ausdruck gebracht ist.
- Dieser Brief ist im November wirklich geschrieben und von Klopp (Werke,
Bd. 8 S.47ff.) mitgetheilt worden (s. unten).
^ K. Bibliothek zu Hannover; zum ersten Mal abgedruckt von Kvacsala,
D. E. Jablonsky's Briefwechsel mit Leibxiz nebst anderem Urkundlichen [Acta et
comment. Imp. Univ. Jurievensis 1897]. Icli selbst habe in Hannover den Brief-
wechsel excerpirt. Kvacsala's Publication bildet die Ergänzung — aus dem in
Hannover aufbewahrten Briefwechsel — zu der Ausgabe der Briefe von Leibxiz und
Jablonski, die Kapp (1745) veranstaltet hat. Dieser empfing im Jahre 1733 — also
noch bei Lebzeiten Jablonski's — einen Theil der Briefe von dem Geheimrath Jordax,
dem Freunde Friedrich's des Grossen. Jordan , der auch die Briefe La Croze s
gesammelt hat, hatte sie von Chrlstfried Kirch, dem Astronomen (-[- 1740), erhal-
ten (s. Kapp, Sammlung, Vorrede, Bogen c 2). Die Originale — denn diese selbsr
benutzte Kapp — sind meines Wissens nicht wieder aufgefunden worden: der in
Hannover lie2;ende Theil des Briefwechsels ist mit diesem nicht identisch.
48 Vorgeschichte der Akademie.
Durehl. über Tal el sich Phiisir machten, von allerhand natürlichen Dingen, sondei--
Hch die Ob(>r-Welt hetreffend, Gespräche zu führen, ward einsmals erwähnt, wie
es wohl zu verwundern, dass da diese Residenz -Stadt sonst mit allerhand Künsten
und Wissenschaften reichlich versehen wäre, nur kein Liebhaber der Astronomie,
auch kein Observatorium darin befindlich, dass aucli Berlin nicht einen eigenen
Kalender hätte, sondern mit fremden sich liehelfen müsse. Solches apprehen-
dirten Ihro Churf. Durehl. und sagten, Sie wollten selbst gnädigst
sorgen helfen, dass eine Specula angeleget werde, befahlen auch mir
solches weiter zu erinnern. S. Churf. Durehl. kamen allei-erst im Herbst aus
Preussen allhier an, da inzwischen der Hr. Hofrath Rabener ein wohlgefasstes Pro-
ject verfertiget hatte, wie ein Observatorium mit weniger Mühe und Unkosten zu
stiften und zu erhalten wäre. Solches trug der Herr Oberhof M. Dobrzenski Ihro
Churf. Durehl. unterthänigst vor, erhielt aber die Erklärimg, dass I. Ch. D. zwar
der Sache guten Erfolg wünscheten, bei itziger Zeit aber für Dero hohe Person
gut finden, derselben sich nicht anzimehmen. Drauf machte ich die Sache bei dem
Reichshofrath Hrn. v. Danckelmann als damaligem Directore der neuangelegten Aca-
demie, und durch selbten bei dessen Hrn. Vater, dem Hrn. Oberpräsidenten
anhängig, da selbige guten Ingress funden und vermuthlich zum er-
wünschten Zweck hätte kommen mögen, wenn nicht die unverhoffte
Revolution hiesiges Hofes dazwischen kommen wäre, welche alle
gute Hoffnung des falls völlig niederschlug, in Betrachtung die neuen
Directores der Finanzen fürnehmlich auf die Menage, und wie die churf. Einkünfte
etwa zu vermehren imd zu besparen, schienen bedacht zu sein^. •>
Aus (lieser Erzählung des hervorragend ein der Sache bethei-
ligten Hofpredigers — ist er nicht selbst die ungenannte Persön-
lichkeit, die die Angelegenheit aufgebracht hat? — folgt, dass die
Kurfürstin Sophie Charlotte den Plan, ein Observatorium in Berlin
zu errichten, im Frühjahr 1697 zu dem ihrigen gemacht hat, und
dass sie dadurch die Urheberin der Preussischen Akademie gewor-
den ist. Ihr Vertrauensmann in der Sache war Jabloxski, und er
hat bereits im Sommer 1697 seinen Freund, den vielseitig gebil-
deten Justizrath Rabener, zur Abfassung eines ausführlichen Pro-
jectes vermocht". Bedeutungsvoll ist es auch, dass der umsichtige
und erleuchtete Oberpräsident von Danckelmann von dem Plane
Kenntniss genommen und ihn — wenige Wochen vor seinem Sturz
— noch gebilligt hat. P]ndlich ist darauf hinzuweisen , dass Leibniz'
Mitwirkung ursprünglich nicht in's Auge gefasst war — wenigstens
lässt sich das Gegentheil nicht erweisen — , dass er es aber ge-
wesen, der, sobald er (im October desselben Jahres) Kunde erhalten,
sowohl die Ausdehnung dessell^en auf andere Wissenschaften ange-
^ Die Fortsetzung dieses wichtigen Schreibens s. unten.
^ Dasselbe findet sich leider in den Acten nicht mehr. Aus dem oljen an-
geführten Schreiben Cuneai's geht hervor, dass der Vorschlag Rabener's darin be-
standen hat, den Bau des Observatoriums mit dem Neubau des IVIarstalls zu ver-
liinden.
Das 01)ser\atoi'ium. Danckelmann's Sturz. 4i)
ratheil als sich selbst zur Mitwirkung angetragen hat. Ein Hoiit-
nungsstern für seine Societätspläne ging auf, und er beschloss, die
gegebene Gelegenheit mit allen Kräften zu benutzen. In dem Schrei-
ben an die branden])urgische Kurfürstin vom November 1697, wel-
clies die regelmässige, bis zum Tode der Fürstin fortgesetzte Cor-
respondenz beginnt, führt er den Gedanken, den er schon Cuneau
gegenüber angedeutet hat, näher aus — in Berlin solle eine kur-
fürstliche Societät gegründet werden, die die Akademieen von Lon-
don und Paris übertreffen müsse; die Kurfürstin solle die Seele
derselben werden: »En effet, j'ai souvent pense que les dames dont
l'esprit est eleve, sont plus propres que les hommes a avancer les
helles connaissances«. Sobald sie auf seine Gedanken eingehen
werde, werde er seine Pläne genauer vortragend
Gleich nach Absendung dieses Briefs trat das Ereigniss ein,
welches für den Staat Preussen so verhängnissvoU war, aber den
kirchenpolitischen und Avissenschaftlichen Plänen von Leibniz freie
Bahn schuf — »die unverhoffte Revolution hiesigen Hofes «("". Ende
November und im December gelang es der Kurfürstin, berathen
von ihrer Mutter, den besten Staatsmann, den Preussen damals
besass, Danckelmann, zu stürzen und in's Gefängniss zu bringend
^ Siehe den Abdruck des wesentlichen Inhalts des Briefs in dem ürkunden-
l)and Nr. 12. Der Brief zei^t übrigens deutlich, dass der Plan der Kurfürstin, ein
Observatorium in Berlin zu bauen, nicht etwa eine mit Leibniz abgekartete Sache
war. ebenso wenig, wie der daran sich schliessende, näher noch nicht skizzirte
Vorschlag von Leibniz. an das Obseivatorium eine Societät anzuschliessen. Ledig-
lich die Freude an der Sache s])richt aus Leibniz' Worten, mit denen er die Ab-
schrift der ihm so kostbaren Nachricht Cuneau's begleitet: »Comme je n'aifectionne
|)resque rien davantage au monde (lue Tavancement de ces sortes de connaissances
et de toutes les autres (jui servent a porter plus loin les perfections et lumieres du
genre huinain, et ä nous donner plus d'entree dans les secrets de la nature ou de
Dien qui en est Tauteur, pour admirer sa grandeur et sa sagesse, je ne saurais
(!xi)rimer k V. A. E. la joie (jue j'ai ressentie de la part qu'Elle y prend. Je
savais (jue Monseigneur TElecteur a mis ordre depuis longtemps . tant ä Berlin
(lu'ailleurs. a des embellissements (pii fönt aller sa Cour du pair avec celle des
plus grands monai^pies. Mais il ne me man(|uait encore que de savoir
(pieV. A. P:. y ])rend un plaisir jjarticulier«. Der letzte Satz benimmt jeden
Verdacht eines diplomatischen Spiels.
- Dass sie ihren Schatten bereits vorausgeworfen hatte, erkennt man, wenn
man den Brief Jablonski's genau best (s. oben). Sophie Charlotte hatte sich im
Herbst von allen Affairen zurückgezogen , um den Hauptschlag vorzubereiten , oder
sie war von Danckelmann zurückgewiesen worden und sammelte sich nun zum
entscheidenden Gegenzug. Eine Mitwirkung von Leibniz bei dem Sturz Danckel-
mann's lässt sich schlechterdings nicht erweisen und ist aucli nicht wahrscheinlich.
3 Siehe Kosek, Sophie Charlotte, die erste preussisclie Königin (Deutsche
Rundschau. 52. Bd. 1887 S.353ff.). Schon Ranke (Werke. 25. und 26.Bd. 1874
S.434ff.) hat die Verhältnisse durchschaut.
Geschichte der Akademie, l. ^
V>0 Voi'geschichte der Akndemie.
Sie war seine furchtbare Gegnerin geworden, weil der Minister, wie
sie der Mutter schreibt, ihr vorgeworfen, dass sie mehr für das
Haus, aus dem sie stammte, eingenommen sei, als für das, dem
sie selbst angehöre. »Ich galt als beeintlusst durch Vorurtheile. «
Die Mutter feierte den Sturz Danckelmann's als einen Triumph der
Frauen: »Gefalle es Gott, dass Alle, welche den Frauen etwas in
den Weg legen, also gestraft werden mögen«.
Während Sophie Charlotte an dem Sturz Danckelmann's ihren
gekränkten Stolz befriedigte , ihre Mutter ausserdem in dem Ereig-
niss einen Sieg der weifischen Politik feierte, begrüsste es auch
Leibniz, aber aus anderen Gründen. Der eben abgeschlossene Friede
von Ryswijk hatte in ihm mit Recht die schwersten Sorgen und
Befürchtungen in Bezug auf die stets wachsende Macht Frankreichs
Deutschland gegenüber und für die Zukunft des deutschen Protestan-
tismus erweckt'. Er sah keine andere Rettung für diesen als in
einem sofort zu schliessenden, engsten Bündnisse zwischen Branden-
burg und Hannover; gemeinsam müssten diese beiden Staaten alle
Kräfte anspannen, um militärisch, wirthschaftlich und intellectuell
dem Katholicismus zu begegnen; Voraussetzung dafür sei die Union
in der Kirchenfrage. Danckelmann, dessen specifisch brandenbur-
gische Politik Leibniz nicht verstand, schien ihm ein Gegner einer
universalen protestantischen Staatskunst; in diesem Sinn erfüllte ihn
sein Sturz mit Genugthuung", und er war bereit, sich der Politik
der Kurfürstinnen im Hinblick auf das hohe Ziel — Schutz des
Protestantismus und Union der Lutheraner und Reformirten — zu
Dienst zu stellen. Sein dritter idealer Zweck, die Aufrichtung einer
* Ausserhalb Deutschlands erlitt der Protestantisuuis auf dem C'ontinent in
dem Menscheualter zwischen 1680 und 17 10 überall die schwersten Einbussen, aber
auch für Deutschland bedeutete dei- Friede von Ryswijk eine Schwächung und
bi-achte einen empfindlichen Verlust (die Pfalz).
"^ Damals, als Leibniz sich zuerst über Danckelmann's Sturz geäussert hat.
war noch nichts anderes erfolgt als eine sehr ehrenvolle Entlassung. Die schmäh-
liche Behandlung, die der Minister wenige Wochen später erfahren hat, hat Leidniz
als ein schweres Unrecht beurtheilt (s. seinen Brief an die Kurfürstin Sophie nach
Fkiedrich Wilhelm 's I. Thronbesteigung bei Klopp, Werke, 9. Bd. S.392). Aber
dieses Urtheil stellte sich nicht sofort ein. Als beim Ausbruch des Krieges der Kur-
fürst sich seines kundigen Staatsmannes beraubt sah und dalier dem im Gefängniss
Schmachtenden aufgab, das schriftlich aufzuzeichnen . was ihm von den Affairen be-
kannt sei, schrieb Leibniz aus Lützenburg (8. August 1700) an die Kurfürstin Sophie
(Klopp, Werke, 8. Bd. S.204): »Je ne crois pas pourtant (pie ce soit pour cela la
marque de quelcpie retour favorable. Cependant cela hü servira d'amusement dans
sa prison, et le fera employer son temps utilement, et lui })eut donner occasion
d'obligei' l'Electeur son maitre et disciple«.
DancivElmaxn's Sturz. Die Kurfürstiiineu und Leibniz (l(Jl)7/8). 51
Societät der Wissenschaften , von ihm selbst stets als Selbstzweck
festgehalten, musste jenen grossen patriotischen, vom Augenblick
gebieterisch geforderten Zielen gegenüber zeitweilig fast auf die Stufe
eines Mittels zum Zweck rücken, aber seine persönlichen Wünsche,
in Brandenburg festen Fuss zu fassen, schienen jetzt eine längst
erhoffte Erfüllung zu finden.
Bedenkliche Verflechtungen und peinliche Verwicklungen ! Ihnen
verdankt die Preussische Akademie ihre Entstehung in einer Zeit,
da der Staat eines zielbewussten Führers entbehrte ! Indessen man
darf die Dinge nicht übertreiben: um staatsgefährliche Umtriebe hat
es sich auch in der Politik , wie die Fürstinnen sie betreiben woll-
ten, nicht gehandelt, sondern um ein enges politisches Einvernehmen
Brandenburgs mit dem Hause, »daraus wir entsprossen«' — ein Ein-
vernehmen, das, soviel wir wissen, niemals von ihnen substanziirt
worden ist — , und Leibniz vollends hat niemals specifisch weifische,
sondern stets universal -protestantische Ziele in Berlin verfolgt, denen
sich die wissenschaftlichen und privaten, wie er glaubte, auf's glück-
lichste anschmiegten.
Beweis dafür ist seine Correspondenz. Bereits am 4. December
1697 schreibt er an Sophie Charlotte jenen Brief, der die Action
eröffnet. Da die Kurfürstin jetzt nach der so erfreulichen Besei-
tigung Danckelmann's mit dem Kurfürsten d'accord sei — der Kur-
fürst »a fait voir ä toute la terre non seulement combien il aime
V. A. E., car cela ne s'ignorait pas, mais aussi avec combien de
confiance il entre dans Ses sentimens et La fait entrer dans les
siens — , so gelte es die Häuser Brandenburg und Braunschweig
auf's engste zu verbinden; keine andere Nöthigung hierfür wird
geltend gemacht als der durch den Ryswijker Frieden bedrohte Pro-
testantismus. Mit Freimuth fährt Leibniz fort — er ist augenschein-
lich von dem politischen Ernst der Fürstin nicht völlig überzeugt:
»La musique, la peinture, les heiles curiosites et inventions de la
nature et de l'art sont capables de charmer un esprit sublime tel
que celui de V. A. E. ..., mais il n'y a point de musique plus
touchante que Tharmonie des peuples satisfaits, ni de tableau plus
beau que le paysage d'un grand etat fleurissant«. Mit der Auf-
forderung in diesem Sinn, im Verein mit dem Gemahl, Vater und
Bruder thätig zu sein, schliesst der merkwürdige Brief, der bei
^ Beide Fiirstinnen hatten zeitweilig freiere Hand; denn in Hannover war
Ernst AcGusr Anfangs des Winters schwer erkrankt und starb am 28. Jaiuiar 1608.
52 \'()i'geschiclite der Akndeinie.
allem Sclimeiclielhafteii im Tone eines beratlienden Nestors geschrie-
ben ist und der Kurfürslin deutlich zu verstehen giebt, dass ihr
der Sturz Danckelmann's ernste politische Verplbclitungen auferlege'.
Leibniz wagte es nicht, den Brief selbständig abzuschicken; er
legte ihn der Kurfürstin Sophie vor, und sie hat ihn abgesandt^
Bestimmte Vorschlüge waren der l)randenburgischen Kurfürstin in
diesem Schreiben noch nicht gemacht, we(U^r in Bezug auf die näcli-
sten Ziele der ihr empfohlenen Politik , noch in Bezug auf das Mittel
zur Durchführung. Solche fehlen auch noch in den beiden folgen-
den Schreiben vom 14. und 29. December 1697 '. In jenem ver-
sichert Leibniz der Kurfürstin, dass aucli Spanheibi, der eben auf seiner
Reise nach Berlin in Hannover eingetroffen sei, die EntSchliessung
des Kurfürsten in Bezug auf Danckelmann »segne«. Hauptzweck
des Briefs aber ist, sich dafür zu bedanken, dass ihn die Kurfürstin
in Berlin empfangen wil^. Damit hat er endUcii erreicht, was er
lange gewünscht: »Je sais que cette capitale est maintenant le siege
des sciences et des beaux arts, et 011 peut dire que Salomoii et hi
Reine de Saba s'y trouvent ä la fois«. Er lenkt dann sofort die
Aufmerksamkeit der Kurfürstin auf Russland und auf die civilisn-
torischen Dienste, die Brandenburg dem russischen Hofe und Staate
zu leisten vermag. »En recompense nous irons a la Chine a tra-
vers de la Tartarie.« Für China bin ich das Auskunftsbureau , fügt
er scherzend hinzu, und wenn die Kurfürstin etwas über Confucius
oder über die alten chinesischen Könige erfahren wolle, die die
ersten Nachkommen Noah's sind, so möge sie sich nur an ihn wen-
den. Man sieht — die Beziehungen zu Berlin reizen ihn der neuen
Bahnen wegen, die sich der Wissenschaft eröffnen. In dem i4Tnqe
^ Siehe den Abdruck des Briefs im Urkiinden1)<and Nr. 13.
^ Siehe den Briet' an die Kurfürstin Sophie, der an demselben Tage ge-
sclu'ieben ist, wie der an Sophie Charlottf: (Klopp, Werke, 8. Bd. 8.46!'.): '.le
ne sais si V. A. E. troiivera ä propos de joindre ä la Sienne la lettre ci-jointe ([ue
j'ai pris la liberte d'ecrire ä Mad. TElectrice de Brandebonrg. J'y ai vouln mar-
quer non seulenient ma joie (über Danckelmann's Entlassung), inais encore les
raisons (|ue nous en devons avoir, et comment il semble que nous devrions ju'o-
fiter d'une si favoral)le conjoncture pour le bien comniun (nur dieses hat Leiümz
im Auge gehabt). Et je crois en effet (jue S. A. E. se lera adorer generalement
et s"assurera de tous les canirs (im protestantischen Deutscliland; Leibniz denkt
nicht an Hannover besonders), si Elle ])i-end cette route (pü est des plus plausibles
et des plus convenables.. .
^ Siehe den vollständigen Alxlruck des (M'sten. den theilweisen des letzteren
in dem l'rkundenl)and Nr. 14 und 15.
■* Die Zusage bez. Einladung erging wohl durch die Mutter: ein Briet" dar-
über fehlt.
Leiismz und die l)eiden Kurfürstinnen (1697 '8). 58
später geschriebenen Briefe spricht er von der grossen Aufgabe, die
der Kurfürst jetzt übernommen habe, der Union der Lutheraner und
Keformirten, und versichert, dass er mit allen Kräften den branden-
burgischen Theologen, die dies Werk betreiben, von Hannover ent-
gegenkommen werde.
In diesem Briefe, der auf's deutlichste zeigt, welche Aufgabe
Leibniz der Verbindung von Braunschweig und Brandenburg vor
Allem stellte, ist auch die schwere Krankheit des Kurfürsten von
Hannover erwähnt. Der Brief vom 2. Februar 1698 ^ ist das Con-
dolenzschreiben an die Kurfürstin beim Tode des Vaters. Es ent-
hält die bedeutsamen Worte in Hinblick auf den Kurfürsten -Nach-
folger, den Bruder Sophie Charlotte's: «L'union qui est entre le
mari et le frere de V. S. E. . nous en est le meilleur garant et le
fondement le plus solide ä mon avis de nos interets. Aussi suis -je
tellement penetre de la necessite qu'il y a de cultiver cette union
pour le bien commun des deux cours, et meme pour celui de l'Em-
pire et surtout de lEglise. que je ne me saurais lasser d'y penser«.
Die sehr freundliche und verheissungsvolle Antwort der Kur-
fürstin vom 19. Februar" veranlasste Leibniz, ein Pro -Memoria aus-
zuarbeiten und. den Kurfürstinnen zu übersenden, welches, seitdem
es an's Licht gezogen ist^. berechtigtes Aufsehen erregt hat. Es ist
das »Memoire pour les deux Electrices de Bronsvic et de Brande-
bourg«. Sein Hauptinhalt ist folgender*:
^ vSielie Klopp, Werke. 10. Bd. 8.45tK
■^ Siehe Klopp, Werke, 10. Bd. 8. 48 f.: »Je ne .saurais vous dire connne je
vous suis obligee, INIonsieur, que vous j^renez la peine a me consoler, et vous assure,
si (|uel(iu*ini y peut i-eussir, personne ne le fera par de meilleures raisons que
vous. Le teinps me les fera ,aoüter toutes entieres et ne me changera pas cepen-
dant i\ votre cgard; car je serai toujours toute affectionnee etc."
^ kleines Wissens zuerst von Feder (Sophie , Cliurfürstin von Hannover
S. 233 ff.), dann von Varxhagen von Ense (Sophie Charlotte 1837 S.94ff.).
* Siehe den vollständigen Abdruck in dem Urkundenband Nr. 16. Klopp hat
im 8. Bande der W^erke von Leibniz S. XIII das Actenstück richtig nach dem
28. Januar 1698 gestellt, weil ganz deutlich der Tod Ernst Aigust's und der Re-
gierungsantritt seines Nachfolgers in ihm vorausgesetzt ist (s. den Schluss des 2. Ab-
satzes). Im 10. Bande aber S. XXVI f. stellt Klopp es bereits zum Brief vom 4. De-
cember 1697 und glaubt, dass es mit diesem übersandt sei, ohne jenes unwider-
legliche Argument überhaupt zu würdigen. Die chronologische Frage ist nicht
gleichgültig; denn das Pro -Memoria erscheint in viel günstigerem Lichte, wenn es
den Briefen nachfolgt, die seit Anfang December 1697 gewechselt worden sind,
ja es wird überhaupt erst dann verständlich. Was Klopp bewögen hat, das Acten-
stück flüher zu setzen, scheint in der Bitte von Leibniz zu liegen, die Kui'fürstin
möge ihm ein Billet zusenden, dass seine Ankunft in Berlin genehm sei, während
sie doch schon im Anfang December 1697 (s. den Brief von Leibniz vom 14. De-
54 V()r,ii(\scliichte dor Ak.-ideiiiie.
Da die brandenburgische Kurfürstin jetzt das ganze Vertrauen
ihres Gemahls besitzt und als gute Tochter mit ihrer Mutter ver-
bunden ist und auf ihre Rathschläge hört, so ist endlich die Ge-
legenheit gegeben, die Fehler zu corrigiren, die früher gemacht
worden sind, und zwar durch eine enge Verbindung beider Häuser.
Doch hat das mit grösster Vorsicht zu geschehen »pour eviter une
trop grande apparence et affectation qui puisse donner ombrage a
l'Electeur, jaloux avec raison de son autorite qu'il a voulu reprendre
en main«. Da Correspondenzen bösen Zufälligkeiten ausgesetzt sind,
wird es sich empfehlen, dass »une personne de confiance et d'in-
telligence« erwählt werde, «qui alt sujet d'aller de temps en temps
d'une cour a l'autre«, um geräuschlos, ohne Verdacht zu erwecken
und umsichtig die nöthigen Informationen zu überbringen. Für
diesen Zweck weiss ich keinen anderen zu nennen als mich selbst.
Ich besitze das Vertrauen der hannoverschen Kurfürstin imd habe
Grund zu hoffen, auch das der brandenburgischen zu erwerben. Ich
rühme mich zwar keiner vollkommenen Kenntniss der schwebenden
politischen Affairen ; doch traut man mir einige Einsicht zu, wie man
mich schon zu wiederholten Malen mit Abfassung von Staatsschriften
betraut hat. Was aber den (für die Aussenwelt geltenden) Zweck
für solche wiederholte Reisen an den Berliner Hof anlangt, so weiss
man, dass ich in den profundesten Wissenschaften eine einzigartige
Stellung einnehme, Mitglied der Königl. Societät in London seit
mehr als 20 Jahren bin, Mitglied der Pariser Akademie sein sollte
und die ausgebreitetste Correspondenz mit europäischen Gelehrten
habe. Wie mir nun die Inspection der Wolfenbüttler Bibliothek
Anlass giebt, von Zeit zu Zeit dorthin zu reisen, »de meme quelque
intendance sur les sciences et les arts, (^u'on veut faire tleurir de
plus en plus a Berlin d'une mnniere fort glorieuse a l'Electeur, me
pourrait fournir une raison encore plus plausible d"aller de tem})s
en temps a Berlin, d'une maniere qui ne serait point inutile" '.
Wohl am einfachsten lässt sich das erreichen, wenn die brand(m-
cember) Lkiüxiz zu einein Besuch nacli Berlin eingeladen hat. Allein ,)<Hzt handelt
es sich lun ein schriftliches Zeugniss. gleichsam um einen Pass, den er, Leibxiz, in
Hannover vorlegen und durch den er die Erlaubniss zur Reise und zu längerem Auf-
enthalt vom hannoverschen Kurfürsten bewirken kann.
' An den Ol^servatoriinns-Plan knüpft hier Leiümz nicht an und ebensowenig
an eine zu gründende .Societät der Wissenschaften ; denn er wollte möglichst um-
gehend nach Berlin konunen, jene Pläne aber waren noch gestaltlos, und der Bau
eines Observatoriums liatte für ihn so lange kein Interesse, als sich nicht weiter-
gehende Unternelimungen daran anschlössen, in denen ei- thätig sein konnte.
Leiümz und die beiden Kurfürstinnen (IfJllTyS). 5i>
biirgisclie Kurfürstin durch ein an ihre Mutter geschicktes Billet
mir bezeugen wollte, dass es ihr genehm ist, dass ich nach Berlin
komme, und wenn sie es dann beim Kurfürsten durchsetzte, dass
man mich mit einer Aufgabe betraute, wie ich sie angedeutet habe.
Ich könnte dann Alles betreiben, was zum Ruhme der Fürsten und
Fürstinnen und zu ihrem gemeinsamen Wohl dient, vor Allem aber
das, w^as den Interessen der Kurfürstin von Braunschweig zuträglich
ist, deren edle und treffliche Absichten mir bekannt sind. Mit den
Worten: »Je parlerai une autre fois du plan des desseins qu'on
pourrait former pour contribuer le plus au bien et a la gloire des
deux maisons dans ces conjonctures, oü le pouvoir de la France et
les succes du parti attache au pape nous menace d'une fächeuse
revolution, si Ton ne s'y oppose avec beaucoup d'adresse et de
vigueur«, schliesst das Actenstück.
Diese Urkunde, an deren Veröffentlichung Leibniz gewiss nicht
gedacht hat, scheint auf den ersten Blick sehr gravirend zu sein,
aber bei näherer Erwägung stellt sie sich in einem günstigem Lichte
dar und gehört jedenfalls zu den harmloseren Schriftstücken in
dieser Zeit der Geheimpolitik und der politischen Kabalen. Man
muss die Briefe hinzunehmen, die vorangegangen sind — die in
ihnen ausgesprochenen Absichten sind unzweideutig und rein — ,
man muss vor Allem den Schlusssatz unsres Actenstücks beachten ;
denn in ihm enthüllt sich die uns bereits bekannte letzte Absicht
LEiBNizens. Eine echt deutsche und grosse protestantische Politik
zu treiben, darin sieht er den Ruhm und die Aufgabe der beiden
Häuser — eine Aufgabe, die sie nach seiner Überzeugung nur ge-
meinsam durchzuführen vermögen. Diesem Ziele sollte die Verbin-
dung gelten , und ihm stellte er sich , Gemeinnützliches und per-
sönlich Erwünschtes verbindend, zur Disposition\ Ihm ordnete er
auch den Plan einer wissenschaftlichen Mission in Berlin unter, der
doch um der Erschliessung Russlands und Chinas willen seine ganze
Seele erfüllte. Die Kurfürstin Sophie verstand die Union freilich
anders — »dass für unsre Kinder gute Vortheile erwachsen«, war
ihr die Hauptsache ■ — , und Leibniz ist von dem Vorwurf nicht frei-
zusprechen, dass er in diesem, übrigens als ein Vorläufer bezeich-
neten Actenstück ihr in Worten allzusehr entgegenkommt und sich
so ausdrückt, wie sie es am liebsten hörte. Die Verantwortung
^ ]Man beachte auch, dass er l)ereits im Anfang December die Aufforderung-
der Kurfürstin . nach Berlin zu kommen . erhalten hatte.
5b ^'()rg■eschichte der Ak.'uleinic.
gegenüber Brandenburg, neben der öffentlichen Diplomatie eine ge-
heime der beiden Fürstinnen einzurichten, hätte nicht er, sondern
<lie brandenburgische Kurfürstin getragen, wenn es zu solcher Ein-
richtung damals wirklich gekommen wäre.
Die Entwicklung der Beziehungen LEiBNizens zu Brandenburg
bietet ein last dramatisches Interesse: ob sie sich finden werden.
Leibniz und Berlin , ob eine Akademie der Wissenschaften in Branden-
burg die Frucht dieser Verbindung sein wird? Das vorstehende Acten-
stück hat den grossen Plan LEiBNizens, der hier nur wie eine Hülfs-
linie erscheint, der Verwirklichung jedenfalls um einen bedeutenden
Schritt näher gebracht.
8.
Die brandenburgische Kurfürstin entschloss sich damals nicht,
auf den von Leibniz vorgelegten gefährlichen Plan einzugehen \ Wohl
wollte sie ihn in Berlin sehen, aber sie erblickte zunächst keine
Möglichkeit, dies zu bewirken, ohne sich in ein bedenkliches po-
litisches Abenteuer zu stürzen. Wie sollte sie den Wunsch des
sanguinischen Gelehrten, Oberstudien -Director in Brandenburg zu
werden, im Handumdrehen erfüllen? Und wie gefährlich war das
Ansinnen, eine Art von Vollmacht für den weifischen Staatsmann aus-
zustellen? Leibniz hatte ihren Einlluss beim Kurfürsten überschätzt
und die Reserve, die sie sich auferlegen musste, verkannt. So be-
gnügte sie sich, die Angelegenheit langsam zu fördern, indem sie
einerseits den Plan des Observatoriums wieder aufnahm, an den
sich, wie Leibniz früher ausgeführt hatte. Weiteres anschliessen
konnte, andererseits ihre Geneigtheit erklärte, mit Leibniz in eine
Geheimcorrespondenz zu treten, aber nicht direct, sondern durch
eine vertraute Mittelsperson, den Hofprediger Jablonski. Merk-
würdig — es war dersellie Mann, der im Auftrage des Kurfürsten
die ebenfalls geheim betriebenen confessionellen Unionsverhandlungen
zwischen Brandenburg und Hannover zu führen hatte, an denen
Leibniz den regsten Antheil nahm. Am 5. März 1698 schnell Ja-
blonski an Leibniz auf Befehl der Kurfürstin jenen ausführlichen
Brief, der die gehaltvolle Correspondenz zwischen beiden Männern
eröffnet". Der Brief beginnt mit den Worten:
^ Später hat sie es getlian. s. die für Leibniz ausgestellte VüUmacht vom
2.December 1701 (Klopp. Werke. 10. Bd. S.gif.).
^ Der Brief befindet sich auf der Bibliothek zu Hannover und ist von Kvac-
SALA (a. a. O. S. 1 1 ff.) abgedruckt. Vollständig mitgetheilt im Urkundenband Nr. 17.
Lkiijni/." IWv.icIiunncii zur Kurrürstin im ,l;ilirt' 1 69S. ;) /
"Der l)esondern Estiiiie. welclie lliro Cliiirl'. Diii'clil.. meine gnädigste Fniii.
fiii- meinen hochgeehrten Herren hal)en, bin ich für die Ehre verhunden, gegen-
wärtige Zeilen an meinen hochgeehrten Herren in schuldigster Eln^erbietigkeit ab-
gehen zu hissen, und l)itt(' mir die I*"i'eiheit aus. die Gelegenheit hiezu etwas weit-
läufig anführen zu düi'fen."
Jablonski erzählt nun sehr ausführlich . wie im vorigen Jalir
der Gedanke, ein Ohservatoriuni zn hauen, hei und von der Kur-
fnrstin ani^-eregt, wie er aher »durch die unverhoffte Revolution hie-
sigen Hofes« zunächst hinfällig geworden sei\ und fährt dann fort:
"Doch wuchs mir hinwiedei- der Muth, da I. Churf. Durchl., als die Eln-e hatte.
Dero das neue .lahr zu wünschen. \'on selbsten nach dem Observatorio fragten und
vermeldeten, mein hochgeehrter Herr habe bereits sein Vei'gnügen über das anzu-
legende Observatorium bezeuget, auch versprochen anliero zu kommen und es in
Augenschein zu nehmen'-, wiewohl Ihi'o Cli. D. darauf geantwortet, es sei damit
noch so weit nicht kommen, mir auch mithin gnädigst befahlen . in besagter .Sorge
fortzufahren. Weil nun der Ober-Rammerherr Freiherr von Kolbe eben zum Pro-
tcctoie der neuen Akademie [der Künste] ernennet worden, trug selbtem die «Sache
vor, überlieferte das ehemahlige Project^ dergleichen auch bei dem neu bei-ufenen
Leib-]Medico Hrn. Albino, als einem besonderen Mathematico, und der oft Gelegen-
heit hat. 8. Chr. D. und des Ober - Kammerherrn Exe. zu sprechen, gethan; es ist
al)er hierauf weiter kein Bescheid erfolget. Weil nun billiges Bedenken tragen
musste, in einer Sache, welclie so gar ausser meiner theologischen Sphäre zu sein
schiene, mich weiter zu meliren. beschloss selbige hinfort gänzlich bei Seite zu legen,
liis neulichst die Ehre hatte. Ihro Clu". D. imtertliänigst aufzuwarten, da selbte wie-
derum auf das Observatorium fielen, dabei mich fragten, ob meinem hochgeehrten
Herrn bekannt sei. und auf Verneinen gnädigst befahlen, mit selbtem in Correspon-
dence mich einzulassen^, Ihro Ch. D. wollten selbst für der Briefe Bestellung Sorge
tragen, nur es müsste in einer Sprache sein, welche selbte nicht hinderte, an diesem
Briefwechsel Theil zu haben. Diesei- gnädigste Befehl und höchstverbindendes An-
erbieten der gütigsten und klügsten Füi'stin unserer Zeit giebt mir gegenwärtige
Kühnheit und w'ird auch, wie ich hoffe, selbige entschuldigen. I"nd weil in der
fianzösisciien Sprache mir nicht genugsam trauen kann, habe die deutsche erwählet,
meinem liochgeehrten Herren zu beliebigem Gefallen anheimstellend, ob — wenn
ich das Glück haben sollte, mit einer gütigen Antwort beehrt zu werden — selbiger
eben derselben oder der französischen, deren I. Chr. D. sicli gemeinsamer zu ge-
Ijrauchen pflegen, sich bedienen wolle. Wann mein hochgeehrter Herr so viel Com-
plaisance gegen Ihro Chr. D. zu bezeugen beliebet, als selbte Hochachtung gegen
meinen hochgeehrten Herren haben, zweifle nicht, selbter werde denen andern wich-
tigen Affairen einige Minuten abbrechen, diese Wissens - gierige Fürstin mit einem
Paar Zeilen zu vergnügen, ^'ielleicht wird noch eben demselben das Publicum die
Vortheile eines Observatorii zu danken haben (denn ein Clericus kann diese Sache
nicht durchtreiben, hohe Politicos aber finde gegenwärtig nicht, die derselben nach-
drücklich favorisireten . wo nicht der Churfürstin Durchl. selbst derselben sich an-
^ Dieses Stück des Briefes ist oben S.47f. bereits mitgetheilt worden.
^ Eine solche directe Zusage von Leibniz an die Kurfürstin fehlt in den uns
erhaltenen Briefen aus dem December 1697; aber sie schliesst sich, wenn sie wirk-
lich erfolgt ist. an den Inhalt jenei- Schreiben trefi'lich an.
'^ Das Project von Rabener. s. oben S.48.
* Die Kurfürstin hatte das Pi'o- Memoria Leibnizchs empfangen, und der hier
gegebene Befehl ist die Frucht desselben.
58 Vorgeschichte der Akruh'inie.
nehmen); ich Jillewege werde glücklich sein, Gelegenheit gewonnen zu haben, meine
schuldigste Observanz gegen meinen hochgeehrten Herrn zu bezeugen und demselben
unwiirdig mich bekannt zu machen, um von denen grossen Talenten, welche Gott
selbtem anvertrauet hat, nnch meiner kleinen Mass auch in etwas zu prolitiren."
Nun kommt Jablonski von sicli aus auf die confessionellen
Unionsverliandlungen zu sprechen. Leibniz zeigte der Kurfürstin
am 24. März 1698 den Empfang dieses Schreibens an': »Ce que
Mr. Jablonski m"a ecrit par son ordre, m'a encore ravi, et j'en
attends de grandes choses sans grand embarras«. hi Wahrheit war
er enttäuscht, dass, statt ihn kommen zu lassen, nur eine Correspon-
denz eintreten solle"'. Dennoch ging er in seinem ersten Briefe an
Jablonski vom 26. März^, der auch für die Kurfürstin bestimmt war.
mit Illifer auf den Bau eines Observatoriums ein:
"Dass die durchlauchtigste Churfürstin , unsere gnädigste Frau, sich dessen
was einsmals von einem Observatorio und Anstalt zu Beförderung gründlicher Wissen-
schaften [Letzteres ist sein Zusatz] vorkonnnen . annoch erinnert, erfreuet mich
sehr, und schöpfe daraus eine grosse Hoffnung zur Erreiclumg solcher Dinge, die
hochnützlich sein und dieser vortrefflichen Füi'stin unsterl)lichen Ruhm vermehren
werden. Denn was dem menschlichen Geschlecht ein neues beständiges Licht bringet
und dessen Macht über die Natur und gleichsam sein Gebiete vermehret, halte ich
höher als Eroberung Land und Leute, dadurch nichts gebessert wird, sondern nur
aus einer Hand in die andere, und zwar nicht ohne Schaden gehet. Und scheinet,
dass denen Damen vom höchsten Stand, deren Geist so wohl als ihr »Stand erhöliet,
diess Lob eigentlich bescheeret und vorbehalten sei, dieweil sie nicht mit dem ge-
meinen Lauf der mühsamen Arbeit beladen, sondern ihr Gemüth anstatt lilosser
menschlicher Zierlichkeiten, die sonst vor ihr Appanage gehalten werden, auf die
Schönheiten Gottes und der Natur zu wenden und daher den Nutzen zu schaffen
Gelegenheit haben, welcher meines Ermessens nächst der wahren Religion der
grösste. Zwar haben hohe Damen sich noch bisher dessen wenig angenommen.
Ich hoffe aber der Churfürstin Durchl. , die nicht nur ihres Geschlechts, sondern
auch der menschlichen Natur Vollkommenheiten in so hohem Grad besitzet, soll
ihrem Geschlecht den Weg zu einem neuen Trium])he (")fl['nen , dass [sie] das unsrige
durch etwas Wichtiges Tuid zugleich Angenehmes übertreffe. Schätze es derowegen
für eine hohe (inade und grosses Glück füi' micii. dass Sie meine wenige Gedanken
dabei zu vernehmen gei'uhen wollen."
Leibniz giebt nun genaue Anweisungen, wie ein Observatorium
zu bauen und einzurichten sei, und dass man dann in Corres])on-
denz mit den Akademikern von Paris und London treten müsse.
L'brigens — »wenn man nur thun wollte, w^as schon gethan, hätte
' Ki.opp. Werke, 10. Bd. S. 49.
- Postscri})t zum ersten Schreiben an Jablonski vom 26. ^lärz 1698 (Ivvac-
SALA , a. a. O. S. 19).
■' K\'A(SALA hat den Brief (S. 14 ff". ) als undatirten gedruckt; al)er das Datum
ergiebt sich aus dem datii'ten Postscript (S. 18), welches — was Kvacsala ent-
gangen ist — zu diesem Briefe gehöi't. Ich habe den Brief im Urkundenband Nr. 18
gegeben. Das Postscript stand auf einem anderen Zettel und war nicht füi- die Kiu--
fürstin bestimmt.
Leiumz" Bezielmngen zur Kurl'üi'stin im .laln-e 1698. 51)
man keinen Ruhm davon«. Hierauf geht er auf das religiöse Frie-
denswerk und auf wissenschafthche , zwischen Newton und ihm
schwebende Fragen ein\ Jenes Werk bildete fortab den Haupt-
gegenstand in dem Briefwechsel mit Jablonski und brachte Leibniz
wiederum mit Spanheim, aber auch mit dem brandenburgischen Minis-
ter von Fuchs in Verbindung. In dem Briefe vom April 1698" suchte
Leibniz die Kurfürstin durch die Mittheilung dessen, was in Frank-
reich für die Wissenschaften und Künste geschehe, aufs Neue an-
zufeuern. »(Es ist) mir gewisslich leid, da andere benachbarte Völker
auch das ihrige thun, dass wir Teutschen allein so sehr zurück
bleiben, da doch gemeiniglich der Grund der schönsten Erfindungen
von uns herrühret. Es fehlet bloss daran, dass man sich der Dinge
an hohen Orten wenig annimmt und weder die Ehre der teutschen
Nation hierin, noch das gemeine Beste und den an dessen Beförde-
rung hangenden unsterblichen Ruhm genugsam zu Herzen ziehet.
Es stehn auch die Sachen in Teutschland leider so verwirret, und
die meisten Herrn finden sich dermassen in Schwierigkeiten ver-
wickelt, dass ich nicht sehe, wer ausser Chur- Brandenburg etwas
ansehnliches dabei thun könne. Nun thun Chr. Durchl. bereits kein
geringes, und blühen alle schöne Wissenschaften und Künste an ihrem
Hof, doch zweifle ich nicht, es werde darin zu dieses grossen Poten-
taten Glorie noch immer weiter gegangen werden.«
Im Sommer 1698 reiste die Kurfürstin nach Hannover und hielt
sich längere Zeit dort auf. Wir wissen, dass ihr Leibniz auf"s Neue
daselbst seinen Plan, ein wissenschaftliches Institut in Berlin zu be-
gründen, vorgetragen hat^; wir wissen aber auch, dass sie, zurückge-
kehrt, Grund hatte, im brieflichen Austausch mit ihm noch vorsichti-
ger zu werden. Sie giebt Jablonski den Befehl, fortab die für Leibniz
bestimmten Briefe nicht melir ihrem Secretär zu übergeben, sondern in
' Die sonst unmotivirte. austulirliclie Beliandlung dieser Fragen erklärt sich
nur aus LEiBNizens Absicht, in der Ivurfiirstin die Sehnsucht nach geistigem Aus-
tausch mit ihm, dem Gelehi-ten. zu verstärken.
^ KvACSALA, a.a.O. 8. 19 ff. Das Sciu'eiben ist undatirt, alier das Datum
ergieht sich aus dem Brief Jabloxski's vom 6. August 1698 (Kvacsala 8. 23 ff.).
^ 8ielie LEiBNizens Brief an die Kurfürstin vom 1 1. August 1698 bei Klopi',
Werke. 10. Bd. S. 50 tf. (»Or comme j'avais encoi-e beaucoup k dire a V. S. E. sur
le personnage ([u'elle ferait admirablement bien de protrectrice des belies sciences,
personnage ([ue peut-etre personne d^ son sexe n"a encore fait, je me flattais qua
j"en trouvei-ais le temps alors.") Die Kurfürstin musste schneller von Hannover
abreisen, als zuerst geplant war: sie sollte nicht, wie Leibniz es gewünscht hatt
bei der Zusammenkunft des Königs Wilhki.^i 111. von England mit dem hannove
sehen Hof in ("eile zuaeaen sein.
C)0 \'(»i-j><'sc-hiclite der Aknclcinie.
ihre oig-eiioii Hjiiide zu legen'. Jablonski musste Leibniz leider aueli
mittlieilen (6. August 1698), dass »die gegenwärtigen Aspecten un-
seres Hofes der projectirten Himmelsbeschauung durchaus nicht favori-
siren, sondern andere Conjunctiones erwartet werden müssen, die einen
henignioreni influxvnn unsern Bemühungen zuwenden mögen«. «wSo
bleibt denmach das Observatorium nebst denen übrigen subtilen philo-
sophischen Materien für jetzo an die Seite gesetzet, bis etwa eine
Gelegenheit sich ereigne, wegen des ersteren etwas fruchtbarliches
auszurichten und mit dem zweiteren unsere gnädigste Churfürstin
zu unterhalten und zu vergnügen"; dahin aucli Communicationen des
Projects, so betreffend die Speculam unterthänigst überreichet wor-
den, verschoben haben will, und bleibet übrig die zweite Haupt-
Materie, das durch desselben gottselige Bemühung glücklich incami-
nirte Negotium Irenicum.«^
Der Kurfürst hatte also das Project des Observatoriums über-
haupt noch nicht zur Kenntniss genommen, und man verzichtete
darauf, zur Zeit die Sache zu betreiben. Damit schien LEiBNizens
Hoffnung, nach Berlin zu kommen, vereitelt zu sein. Auch hatte die
unerwartete Rückkehr der Kurfürstin ihn darun'i gebracht, seine wis-
senschaftlichen Berliner Pläne so zu insinuiren, wie er es gewünscht
hatte ^. Aber der Vielgewandte hatte zwei Eisen im Feuer. Jetzt
eben waren die Verhandlungen über das Negotium Irenicum zwischen
Brandenburg und Hannover, nicht zum mindesten durch seine Be-
mühungen, so weit gediehen, dass er es wagen konnte, dem bran-
denburgischen Staatsminister von Fuchs vorzuschlagen, ihn, Leujniz, zu'
})ersönliche]i Unterredungen nach Berlin kommen zu lassen*. Allein
man hatte Misstrauen gegen ihn und beschloss vielmehr, den Hof-
prediger Jablonski nach Hannover zu senden. Das war ein harter
Schlag für Leibniz. Ende September trat» Jablonski diese Reise an
Sie wurde so geheim gehalten, dass ausser dem Kurfürsten, dem
Hrn. VON Fuchs und dem Grafen Dohna Niemand etwas von ihr er-
fuhrt Jablonski verhandelte in Hannover mit Leibniz, den er zum
^ Siehe den Brief Jablonski's an Leihmz vom 6. August 1698 (Kvacsala,
a. a. ü. S. 23 ff.).
" Jablonski hatte also sehr wohl verstanden, dass nicht er mit Newton,
dem Vacuuni und der Polhöhe unterlialten werden sollte.
^ Siehe den Brief vom 11. August 1698 (Klopp. 10. Bd. S. 50) im Urkunden-
band Nr. 19.
* So meine ich den Schluss des eben erwähnten Briefes verstehen zu müssen.
'" Siehe die Briefe Jablonski's vom 17. .September u. ff. bei Kvacsala. a. a. O.
S. 27 ff.
Leikmz" Bezielmngeii zum Ivurt'iirsten im Jahre 1(198. 61
ersten Male sali, dem Abt Molanus u. A. und kehrte, erfüllt von
Dank gegen Leibniz und voll Hoffnungen, nach Berlin zurück. Er
unterliess nicht, Leibniz' l)esondere Verdienste dem Kurfürsten zu
rühmen, und erreichte es, dass dieser ihn beauftragte, den Gelehrten
seiner Gnade und seines Wohlwollens zu versichern \
Hiermit hatte dieser sehr viel erreicht; denn bisher hatte der
Kurfürst augenscheinlich wenig von ihm wissen wollen. Jetzt aber
trug die von der Wendung unterrichtete Kurfürstin ihrem Gemahl
die Bitte vor, dass sie Leibniz in Berlin empfangen dürfe. Der Kur-
fürst gewährte die Bitte, und die Kurfürstin lud den Gelehrten
durch Jablonski zu sich ein". Endlich schien er sein Ziel erreicht
zu haben'.
Aber eine neue Schwierigkeit erhob sich. Der Kurfürst Georg
Ludwig von Hannover, sein Landesherr, verweigerte ihm die Er-
laubniss zur Reise. Er war misstrauisch, sei es dass er fürchtete,
l^EiBNiz zu verlieren , sei es dass er argwöhnte , dieser werde sich in
Berlin für brandenburgische Literessen gewinnen lassen. Hier ist
bereits das Vorspiel gegeben zu dem tragischen Ausgang der Affaire,
dass Leibniz das Vertrauen in Hannover verlor und in Brandenburg
nicht dauernd gewann. Es blieb ihm nichts übrig, als sich zu
fügen ; er that das in einem freimüthigen Schreiben an den Kur-
' Siehe den Brief Jaklonski's an Leibniz vom 15. October 1698 (Kvacsala
S. 30 ff.): "S. Cliurfr. DurchL befahlen mir. meinen hochgeehrtesten Herrn, wie auch
des Hrn. Abtes Hochw. — dessen sie sicli gar familiär und gnädigst erinnerten —
dero besonderen Gnade bestens zu versichern, und wie dass S. Churf. Durchl. an
demjenigen, so meine hocligeehrteste Herren zum gemeinen Besten der evangelischen
Kirche bishero gethan, ein vollkommentliches Gefallen hätten, auch ihres Ortes
dazu kräftiglich concurriren wollten: es möchten nui' meine hochgeehrteste Herren
in ihrem gottseeligen Eifer fortfahren, und von Sr. Churf. Durchl. sich alles dessen
versichert halten, was in diesem wichtigen Fall von Dero könne erwartet werden.«.
Leibniz" erfreute Antwort darauf vom 20. October 1698 (Kvacsala S. 33). Der Ver-
kehr mit dem brandenburgischen Minister von Fuchs wird nun augenscheinlich ein
vertrauterer, s. JablonskTs Brief vom 5. November 1698 an Leibniz (Kvacsala
S.3SK).
- Siehe das Antwortschreiben Leibnizchs an Jablonski vom 8. Januar 1699
(KAPpens Sammlung einiger vertrauten Briefe zwischen G. W. v. Leibniz u. s. w.
1745 8-32 f.). Schon am 10. December 1698 war Jablonski der Reiseplan bekannt,
s. Kvacsala S.4iff. Am 15. December kann Leibniz schreiben, er hoffe in der
nächsten Woche in Berlin zu sein (Kvacsala S.43ff'.). Der Zweck der Reise solle
geheim bleiben; Vorwand sei, dass er längst gewiinscht liaLe. dem Kurfürsten auf-
zuwarten.
^ Im Postscript zum Brief vom 8. Juni (S.42) schreibt er. er werde na eige-
nen Wagen sofort abreisen und keine Kosten sclieuen. (jbgleicli ilmi nichts ersetzt
Averde.
62 \'()rg(\schiclite der Akademie.
fürsteii' und erklärte, sein Ausbleiben in Berlin mit der schlechten
Jahreszeit entschuldigen zu wollen".
Bis zum Sommer hören wir dann nichts Näheres; gewiss ist
nur, dass der wissenschaftliche Briefwechsel mit der Kurfürstin fort-
gingt. Gewiss ist auch, dass Leibniz — da das religiöse Friedens-
werk momentan stecken zu bleiben drohte und das Observatorium
nicht gebaut wurde — jetzt wieder auf den alten Plan zurückge-
griffen hat, brandenburgischer Historiograph zu werden*, und sich
deshalb auf's Neue an Spanheim wandte und auch Jablonski in's
Vertrauen zog. Dieser schrieb ihm am 3. Juni 1699% Steinbeeg
habe ihm aus Paris in Spanheim's Namen mitgetheilt, dass im Jahre
1694 die Angelegenheit lediglich an der Gehaltsfrage gescheitert sei,
und dass er, Spanheim, vor seiner Abreise nach Paris die Sache dem
Minister von Fuchs an's Herz gelegt habe; er sei aber bereit, an
VON Fuchs zu schreiben, »dignum enim virum incomparabilem arc-
tiore cum aula iiostra coniunctione judicat« ; er, Jablonski, habe
dnnn sofort an Steinberg zurückgeschrieben, dieser möge ein Schrei-
ben an VON Fuchs bei Spanheim erwirken.
Im August 1699 boten die Unionsverhandlungen noch weniger
Aussichten*'. »Wenn keine grosse Apparenz zum Success«, schreil)t
Leibniz an Jablonski am 25. August, »wie denn solcher sich in meinen
Gedanken sehr vermindert, so ist am rathsamsten pro ipso negotio,
man halte anjetzo zurück, bringe nichts in eine vergebene oder doch
^ Abiiedruckt im Urkundenband Nr. 20. Das Sclireiben ist vom 19. Januar 1699
- Der Aberzieht war ihm um so schmerzlicher, als ihm Jablonski (am 3. Januar)
Folgendes geschrieben hatte: »Kann nicht umhin, meinem hochgeehi'testen Herrn
part zu geben von dem sehr vverthen Neujahrspräsent, damit I. Clmrf. Durchl..
unsere gnädigste Frau, da ehegestern die Gnade hatte, selbter das neue Jahr unter-
thänigst zuwiinschen, meine Wenigkeit gnädigst regalirt haben. Sie sagten, sie
erwarteten einen lieben Gast und hätten gut gefunden, selbten bei mir ein-
zulogiren. Ich gebe meinem hochgeehrtesten Herrn zu bedenken, welche grosse
Freude dieser gnädigste Vortrag, welcher mit meinem ehemaligen Wunsch so voll-
kommentlich übereintraf, in mir erwecket. Ich nahm dieses gnädigste Erl)ieten als
eine der grossesten Gnaden, welche Churf. Durchl. mir erz(ngen konnten, mit unter-
thänigstem Dank an, und gleich wie nicht hoffen will, dass mein hochg. Herr das-
jenige Geschenk, so Churf. Durchl. mir zugedacht, mir ungütig vorenthalten werde,
also habe ein geringes Zimmer und Bette bereitet, einen so vornehmen, werthen
und recht erwünschten Gast, wo nicht nach Würden, doch nach Vermögen entre-
teniren« (Kvacsala S.47).
^ Siehe den Brief der Kurfürstin vom 2 2. August 1699 an Lkihxiz (Kloim-,
10. Bd.. S. 54): "je vous dirai que vos lettres sont d'un grand agrement pour moi".
■* Siehe oben S. 42.
^ Siehe Kappcus Sammlung u. s. w. S.43ft".
** Doch wurden sie im Winter 1699/1700 günstiger und dehnten sich viel
weiter aus.
Li:ii!Xiz" Bezieluuigen zur Kurturstin im Jahre 16V)V). GH
missliclie ungewisse Deliberation , und erwarte eine Zeit, da mehr
Eifer. Sonst Avird das jetzige nur alt und verlieret gratiam\« Zwar
erklärte der Minister von Fuchs dem Hofprediger, der Km-fürst wäre
noch »im ersten Eifer«, und er selbst »wolle nichts, so zu Fort-
setzung eines heiligen Werkes gereichen könnte, ermangeln lassen«:
aber er fügte doch hinzu, er habe einige Sorge dabei »und sehe beson-
dere Hinderungen, als die Kaltsinnigkeit, welche zwischen
hiesigem und hannoverischen Hofe schiene sich blicken
zu lassen, den genium des hannoverischen Hofes selbst, und son-
derlich die Härtigkeit des Evangelischen Klerus [der Lutheraner],
welche fast inexpugnable schiene«. In dem Briefe, in welchem
Jablonski dieses an Leibniz berichtet (vom 19. September logg)'-.
kann er aber hinzufügen, dass er durch Steinberg neue Nachrichten
von Spanheim habe; dieser werde an von Fuchs schreiben und zweifle
nicht, dass, wenn nur Leibniz erst die Stelle habe, die Gehalts-
frage sich zur Befriedigung lösen lassen werde. Der Minister sei
Leibniz wohlgesinnt, und sein Ansehen steige täglich , wenn er auch
»in Sachen, die Geld -Unkosten involviren, etwas sonderliches zu
thun bisher nicht im Stande gewesen sei«^.
Aber noch eine andere wichtige Nachricht hatte Jablonski mit-
zutheilen: »Da ich ehegestern das Glück hatte, der Churf. Durchl. in
Dero Andacht zu Lützenburg zu bedienen, sprachen sie bei der Tafel
nach der Gewohnheit von meinem hochgeehrten Herrn gar gnädig
und bezeugten, wie sehr sie gewünscht hätten, selbten einmal hie
zu sehen. Ihro Churf. Durchl. beliebten auch mir die Sorge für das
Observatorium ernstlich anzubefehlen: dabei ich doch bei jetzigen
Conjuncturen wenig zu thun vermag; jedoch hat der Ober-Hofmar-
scliall Dobrzynski versprochen, mit mir zusammen zu spannen«.
Das war eine zwiefache Freudenbotschaft für Leibniz: die Kur-
fürstin denkt noch immer darauf, ihn zu sehen, und nimmt auch
wieder den Plan auf, ein Observatorium zu bauen. »Wenn man auf
ein Observatorium einsmahls mit Ernst bedacht sein sollte, « erwidert
er, freilich etwas zweifelnd, »könnte solche Anstalt gemacht werden,
dass Entdeckungen von Wichtigkeit dadurch geschehen möchten,
zu welchem Ende ein oder anders dienlich fürzuschlagen wäre\«
^ IvAPPens Sammlung 8. 53.
^ Siehe Kappcus Sammhuig S.55ff.
^ Von der Sache ist weiter nicht mehr die Rede. Ob sie nur an dem Geld-
punkt gescheitert ist? Historiograph Avurde ein obscurer Gelehrter.
* A.a.O. S. 67 (Brief vom 19./29. October 1699 an Jablonski).
{)4 N'orgescliiclitc der Akademie.
Unterdessen boten die Unions Verhandlungen wieder neue Aussichten,
und Leitsniz" umsichtige und besonnene Mitwirkung wurde vom Kur-
fürsten und vom Minister von Fuchs anerkannt'. Das Misstrauen
gegen ilm verschwand mehr und melir; mit Jablonski wurde das
Verhältniss immer herzlicher; aber seine persönlichen und wissen-
schaftliclien Hoffnungen in Bezug auf Berlin blieben bei alledem
unerfüllt. Da kam von ganz unerwarteter Seite eine überraschende
Hülfe, und sie führte zum Ziele.
9.
Seit dem Jahre 1694 war der Professor Erhard Weigel in Jena''
unermüdlich thätig, die Abschaffung des julianischen Kalenders und
die Reinigung des Kalenderwesens beim Corpus Evangelicorum in
Regensburg zu bewirken"'. Im Zusammenhang damit plante er ein
Collegium Artis Consultorum im heiligen römischen Reich und legte
diesen seinen Plan auch Leibniz vor. Eine allgemeine Societät der
Wissenschaften in Deutschland gehörte längst auch zu Weigei/s
Wünschen; aber wie sie in dem zersplitterten Reiche verwirklichen?
Jetzt glaubte er ein Mittel gefunden zu halben, zwei grosse Zwecke mit
einem Schlage zu erreichen: einer Reichsanstalt, die aus etwa zwan-
zig Mitgliedern bestehen könne, solle das Kalender werk als Mono-
pol für Deutschland übertragen werden: aus den reichen Einkünften,
die dieses Monopol gewähren würde, solle sich jenes Collegium Artis
Consultorum allmählich zu einer Akademie entwickeln , die ausser
der Astronomie auch die anderen mathematischen Wissenschaften
})tlegen und für die Plebuug der Künste und Handwerke thätig sein
^ Siehe Jablonski"s Brief vom 17. Dec. 1699 (IvAPrens Sammlung S. 94!".)
und das Schreiben der Kui-fürstin Sophie fHARLoriE an Leibniz vom 9. Deceml)er
1699 (Klopp, Werke, 10. Bd. S. 56), dessen Selihiss zeigt, dass die Kiiriurstin die
Hoffnung, ihn in Berlin zu sehen, nicht aufgegeben hat.
" Geb. 1625, seit 1652 Professor in Jena, wo Pitfendorf und Leibniz bei ihm
gehöi't haben, gest. am 31. März 1699; vergl. über ihn E. Spiess, Erhard Weigki-,
1881. und den Art. i. d. AUg. Deutschen Biogr. (41. Bd. S. 465 ff.) von R. Knoit.
Ein geistvoller Mann, in seiner Vielseitigkeit und in dem Gegensatz zum herrschen-
den Schulbetrieb Leibniz verwandt, führte er seine Schüler in die Werke von Car-
TESiT-s , Ilroo (iuorirs und Hobbes ein.
^ Dass diese Pläne mindestens bis in"s Jahr 1694 hinaufreiciKMi , zeigt der
Brief an Leibniz vom 16. April 1694: «7a\ dem vor diesem schon unmassgeblich
vorgeschlagenen Collegio Ai'tis Consultorum liab ich unlängst zu Regensburg einige
gute Vertröstung erhalten, werde es diesen Sommer aber nach ^Möglichkeit weiter
urgiren« (Bibliothek zu Hannover).
Ehrhard Weigel's \'erdienste inii die Begründung der Akademie. 65
werdet Viele Gelehrte waren für diesen Plan gewonnen, aucli die
Höfe wurden bereits angegangen. Sehr merkwürdig ist das Gut-
achten LEiBNizens vom Jahre 1697'". ^^^ Verbesserung des Kalen-
ders will er mit der Aufrichtung der Societät, deren Namen er übri-
gens beanstandet , nicht vermengen ; auch der Societät etwas andere
Aufgaben stecken; vor allem aber erkannte sein politisch geschultes
Auge, dass ein allgemeines Reichs -CoUegium, mit jenem Monopol
ausgestattet, bei der Zersplitterung Deutschlands undurchführbar
sei; denn jeder einzelne Reichsstand hätte ja dann »über Privilegia
Imperatoria nachdrücklich zu halten«, dazu aber waren sie alle viel
zu selbstsüchtig und kurzsichtig. Er schlägt daher — merkwürdig
genug — eine Art wissenschaftlichen Bundesraths für Deutschland
vor; »neben einer gewissen Universal -Anstalt im Reich, einem unter
Kais. Majestät allerhöchsten Direction stehenden Collegio, solle die
Sache zugleich particulariter besorgt werden, also dass Kais. Majestät
in ihren Erblanden, einige der Kur- und Fürstlichen Häuser und
andere mächtige Stände oder auch ganze Kreise, jeder für sich und
dero Lande, bei der Hofstadt oder an einem andern vornehmen Ort
ein solches Collegium aufrichteten«.
Welche Einsicht I Hier war ein durchführbarer Plan geboten!
Diesen Plan hat Leibniz verfolgt. Wenn er zuerst in Berlin, dann
in Dresden und anderswo Societäten aufzurichten versuchte, so lag
stets die Absicht zu Grunde, alle diese Stiftungen allmählich mit
einander und dann auch mit den ausserdeutschen zu verbinden. Von
unten muss man bauen, dann wird man zum Ziele kommen; die
Errichtung eines Collegium universale ist undurchführbar. Die Ge-
schichte hat ihm Recht gegeben I Ein Netz von Societäten entstand
im 18. Jahrhundert auf Grund seiner Bemühungen, und wenn wir
heute sehen , dass die Akademieen Einrichtungen treffen , um in
engste Verbindung mit einander zu treten, so verwirklicht sich die
» Universal - Anstalt « .
Aber Erhard Weigel bleibt der Ruhm, nicht nur Leibniz auf's
Neue angespornt und den Gedanken der Kalenderverbesserung bei
^ Wie weit dieser Plan schon gediehen war. ersieht man aus den acht Brie-
fen von Weigel an den Prof. math. Johakn INIeyer in Regenshurg (der letzte vom
13. !März 1699), die sich in der hannoverschen Bibliothek in dem Fascikel «Leibniz-
Weigel's Briefwechsel« befinden, vergl. auch Wilhelm Meyer, Die Handschriften
in Göttingen (1893) S. 161; in Göttingen befindet sich eine Sammlung von einschla-
genden Abhandlungen und Briefen, von dem oben genannten Johann jMeyer (-j" 17 19)
veranstaltet.
^ Abgedruckt im Urkundenband Nr. 21.
Geschichte der Akademie. I. 5
66 Vorgeschichte der Akademie.
den protestantischen Ständen durchgesetzt \ sondern auch den Plan
des Kalendermonopols aufgebracht zu haben. Ohne diesen genialen
Einfall wäre es in Berlin nie zu einer Societät der Wissenschaften
gekommen, denn es fehlten die Mittel. Die Idee übernahm Leibniz
als Erbschaft von Weigel — denn dieser starb, bevor er die
Früchte seines Wirkens sehen konnte — und hat sie sehr bald
nach der Durchführung in Brandenburg als seinen Einfall bezeich-
net. Aber treue Schüler Weigel's haben nicht vergessen , dass diesem
die Ehre gebührt. »Unseres sei. Herrn Vaters (Weigel) Vorschlag
gemäss dotirt der Kurfürst die Mathesin mit ihrer eigenen Arbeit«,
schreibt Hamberger (am 3. Juni i 700)'. — Am 23. Sept. 1699 erfolgte
das für die Verbesserung der Kalender grundlegende Conclusum
des Corpus Evangelicorum zu Regensburg^. Es schrieb vor, die
dem 18. Februar 1 700 folgenden elf Tage in den Kalendern aus-
zulassen und «den Mathematicis ebenmässig aufzugeben, dass selbige
darauf gedenken sollen, wie künftighin und mit der Zeit der bis-
herige abusus der astrologiae iudiciariae aus denen Kalendern bleiben
könne«. Es schloss mit der Bestimmung, dass in allen evange-
lischen Landen am letzten Sonntag vor dem Advent 1699 die Neu-
ordnung zu publiciren sei.
Dem entsprechend ist in Brandenburg verfahren worden. Am
14. November 1699 erging eine Verfügung an die Consistorien und
an die vier Landes -Universitäten, den Beschluss am letzten Sonn-
tag des Kirchenjahrs zu verlesen.
Aber die Durchführung der Kalenderverbesserung verlangte
umsichtige Männer und einheitliche Arbeit von der Regierung, sollte
nicht Alles im Lande in die grösste Verwirrung gestürzt werden.
Die Einsetzung einer kurfürstlichen Kalender -Commission war noth-
wendig. Sie mit den eben wieder von der Kurfürstin befohlenen
Bemühungen um den Bau eines Observatoriums^ in Verbindung zu
setzen, ergab sich von selbst, und Stahl und Stein kamen zu-
sammen, als Leibniz gegen Ende Februar 1700, mitten aus den
Unionsverhandlungen heraus, an Jablonski schrieb, man solle doch
ein Monopol aus den Kalendern machen und auf ihm das Obser-
^ Es ist also nicht ganz richtig, wenn Idei.er (Chronologie 2. Bd. 1826 S.323)
schreibt, dass die protestantischen Stände, besonders auf LEiBNizens Betrieb und mit
Zuziehung von Weigel, den Beschluss, den neuen Kalender einzuführen, gefasst hätten.
^ Siehe Wilhelm Meyer , a.a.O. Über die Spannung, die zwischen W. und
Leibniz bestanden hatte, s. Guhrauer, G. W. v. L. 2. Thl. S. 211.
" Siehe den Abdruck im Urkundenband Nr. 22.
* Siehe oben S. 63.
Die Kalenderverbesserung führte zur Stiftung der Akademie. G7
vatorium und eine an dasselbe sich anschliessende Societät, die
sich des Kalenders annähme, fundiren^ Der Stein der Weisen,
das Gold, war gefunden! In diesem Schreiben muss Leibniz dem
Freunde auch mitgetheilt haben, dass er bereit sei, eine solche
vSocietät der Wissenschaften in Berlin selbst einzurichten, und dass
seine soeben vollzogene Ernennung zum Mitglied der französischen
Akademie ihn dazu besonders qualificire. Umgehend antwortete
Jablonski, dass er und seine Freunde — Rabener und Cuneau —
sofort zusammengetreten seien, um den alten Plan der Errichtung
eines Observatoriums und, an ihn angeschlossen, die Gründung
einer Societät zu berathen und dem Kurfürsten eine Denkschrift
vorzulegen; als Präsidenten würden sie ihn, Leibniz, vorschlagen".
^ Dieser Brief ist leider nicht mehr vorlianden. aber er folgt aus dem Schreiben
LEiBNizens an Jaulonski vom 12. März 1700 (Kappcus Sammlung 8.1450".). und aus
diesem ergiebt sich auch das Datum. Die Durchführung der Kalenderverbesserung
beschäftigte Leibxiz im Winter 1699 — 1700, s. seinen im Leibniz -Fascikel des
Akademischen Archivs befindlichen Briefwechsel mit dem Abt Schmidt in Helm-
städt vom December bis März. Dieser erwähnt auch den Astronomen Kirch ; Leibniz
klagt über die Unzuverlässigkeit der Rudolfinischen Tafeln und bemerkt, dass das
negotium rei calendariae nicht in solo calculo bestehe (Januar 1700). Auch mit
den grossen Astronomen Reiher, Bianchini und Olaus Römer correspondirte er
und sorgte dafür, dass der hannoversche Hof in Regensburg die richtigen In-
structionen gab.
^ Da leider auch dieser wichtige Brief fehlt, so lässt sich nicht genau be-
stimmen, ob Leibxiz sich selbst geradezu als Präsident vorgesclilagen hat. Wahr-
scheinlich ist, dass er den Vorschlag nahe gelegt hat (seine Worte in dem auf
beide Briefe zurückblickenden Schreiben vom 12. März an Jabloxski lauten: »Höre
auch gern, dass mein Einfall wegen des Kalenders Ingress gefunden und Gelegenheit
gegeben, die ehemaligen Gedanken von einer Churfürstl. Societät, dadurch gründ-
liche Wissenschaften und gemein nützliche Künste zu verbessern , wieder vorzu-
nehmen. Und will ich meines wenigen Ortes gern alles beitragen, werde
auch dabei meiner Gewohnheit nach mehr auf Ehre und Ruhm als meine
Privat-Angelegenheiten sehen, doch ein und anders dabei in Betrach-
tung zu ziehen haben [er meint die Gehaltsfrage und sein Verhältniss zu Han-
nover], welches aber keine Hinderung bringen wird«). Dass bereits in dem
verlorenen Schreiben Jablonski's von der Präsidentschaft die Rede gewesen ist, geht
aus der grossen Denkschrift der Berliner Gelehrten vom Anfang März 1700 (die
bereits auf die Remuneration für Leibniz eingeht) und auch daraus hervor, dass
sich Leibniz nach Empfang der Denkschrift gar nicht wundert, sich als Präsidenten
vorgeschlagen zu finden (s. den Brief vom 26. März an Jablonski, in KAPPens Samm-
lung S. 160). Eine besondere Beachtung verdient noch die Ernennung zum Mitglied
der Pariser Akademie. Obgleich das Diplom erst vom 13, März 1700 datirt, ver-
weisen die Berliner in der oben genannten Denkschrift, die am 19. dem Kurfürsten
übergeben wurde. ])ereits darauf, dass Leibniz Mitglied der Pariser Akademie sei,
und rücken diese seine Stellung in den \'ordergrund. Das lässt sich nur bei der
Annahme erklären, dass Leibniz eine Mittheilung über die Ernennung nach Berlin hat
gelangen lassen, bevor sie vollzogen war. That er das. so muss ihm eben in Hinsicht
68 Voi'gescliiclite der Akademie.
Diese, in Berlin abgefasste Denkschrift wurde am 19. März
I 700 dem Kurfürsten in Oranienburg in doppelter Gestalt — einer
längeren und kürzeren — vorgelegt. Weil die Zeit drängte, konnte
sie Leibniz nicht erst zur Begutachtung übersandt werden. Noch
an demselben Tage befahl der Kurfürst, «eine Academie des Sciences
und ein Observatorium in Berlin zu etabliren « \ Acht Tage vorher
muss er der Kurfürstin zugesagt haben, ein Schreiben an seinen
auf seine Berliner Pläne viel an dieser Ernennung gelegen haben, wie schon Klopp.
Werke, 8. Bd. S. XXI, XXIII f., 109 ff., 132 ff"., to. Bd. S.XXXf., wenn auch mit
einigen Übertreibungen, vermuthet hat (ganz besonders stark spricht für diese
Combination das Schreiben LEiBNizens an den Kurfürsten Georg Ludwig vom
28. März 1700; s. den Urkundenband Nr. 31). Im Sommer 1699 hatte Leibniz
seine Ernennung durch die Kurfürstin Sophie und die Herzogin von Orleans in Paris
energisch betrieben; denn er war gekränkt, dass ihm die Ehre, die man ihm schon
im Jahre 1677 versprochen hatte, noch immer nicht erwiesen war (s. auch den
Brief an Malebranche vom Jahre 1679 bei Bodemann, Bi-iefwechsel S. 165). Das
Diplom selbst s. bei Klopp, Werke. 8. Bd. S. 149 f. Auch das akademische Archiv
besitzt in seinem Fascikel "Ernennungen« eine Abschrift. Sehr unzutreffend be-
merkt Klopp (Werke, 10. Bd. S. XXI) im Zusammenhang eines Rückblicks auf
die Vorgeschichte der Preussischen Societät und ihren Abschluss : «Die beiden Kur-
fürstinnen, Mutter und Tochter, haben das von Leibniz in der Denkschrift (vom
Februar 1698, s. oben S. 53f.) aufgestellte Programm angenommen und handeln in
aller Beziehung demselben entsprechend. Dieses Verhältniss ist entscheidend für
die Stiftung der Societät in Berlin«. Das Gegentheil davon ist richtig (auch Fischer,
Frisch's Briefwechsel mit Leibniz 1896 S.VH, erklärt sich mit Recht gegen Klopp).
Die brandenburgische Kui^fürstin hat jenes Programm weder anfangs noch später
angenommen, sondern abgelehnt nach ihm zu handeln, und die braunschweigische
Kurfürstin ist, abgesehen von ihi-er Verwendung für Leibniz in Paris, an dem Gange
der Dinge überhaupt nicht betlieiligt gewesen. Die Brandenburgische Societät der
Wissenschaften ist nicht aus einem wellischen Complott, um politische Zwecke zu
erreichen, entstanden, sondei'u sie entstand, weil das Kalenderwesen und das Ob-
servatorium sie nahe legten, und weil Leibniz durch die Art, wie er das Unions-
werk betrieb, zeitweilig das Vertrauen des brandenburgischen Kurfürsten und seines
Ministers erworben hatte. Dass das Ergebniss den Wünschen Sophie Charlotte"s
und LEiBNizens Plane, Hannover und Brandenburg enger zu verbinden und selbst
hier festen Fuss zu fassen, entsprach, giebt kein Recht, es als einen Vorwand
für geheime politische Zwecke zu fassen , die sich schlechterdings nicht nachweisen
lassen. Vor allem aber zeigt die Geschichte der Societät unter Leibnizchs Leitung,
dass er nicht im entferntesten daran gedacht hat, sie zu politischen Absichten zu
gebrauchen oder auch nur weifische Gelehrte zu bevorzugen.
^ Die Promptheit, mit der der Kurfürst seine Genehmigung ertheilte. erklärt
sich daraus, dass es höchste Zeit war, die Kalender für 1701 vorzubereiten. Ferner
hatte die Denkschi-ift auf die noch bestehende Möglichkeit hingewiesen , in Regens-
burg werde nach Weigel's Vorschlag eine astronomische Reichsanstalt gegründet
und die Kalendersache den Einzelstaaten entzogen werden. Demgegenüber wollte
der Kurfürst, wie es ihm nahe gelegt war, ein fait accompli im Lande schaffen,
und dies um so mehr, als Sachsen mit einem solchen bereits vorangegangen war
und ein Kalend<Minonopol in sinnen Grenzen geschaffen hatte.
Bescilluss der Stiftung; Leibniz wird nach Berlin berufen. CO
Seil wager, den Kurfürsten von Hannover, zu ricliten und ilm um
Urlaub für Leibniz zu ersuchen \ Damit endigt die Vorgescliielite
der Akademie. Auch jene Denkschrift gehört bereits der Geschichte
selbst an; denn auf ihrer Grundlage hat der Kurfürst die «Societät«
genehmigt.
Die Kurfürstin , die Patronin der Wissenschaften , und Leibniz,
der Unermüdliche, hatten ihr Ziel erreicht: Brandenburg öffnete
seine Pforten, um den europäischen Gelehrten aufzunehmen und
durch ihn der neuen exacten Wissenschaft eine Stätte zu bereiten.
Aber die Denkschrift, die der Kurfürst genehmigte, war von seinen
eigenen Gelehrten in Berlin selbständig entw^orfen und ausgearbeitet
worden. Wohl ruhte sie auf Leibnizcus Ideen, aber diese Ideen
wären nicht verwirklicht worden, hätte nicht die Kurfürstin den
Bau des Observatoriums in's Auge gefasst und festgehalten, und
wären Leibnizciis Freunde in Berlin, allen voran Jablonski, nicht
so einsichtsvoll und eifrig seinen Absichten entgegengekommen. Sie
haben den Kurfürsten, dem Preussen die Stiftung seiner Akademie
verdankt, überzeugt. Das Entscheidende ist die That: darum ver-
ehren wir die Kurfürstin und ihren Gemahl sowie die muthigen
Männer, die sie in Berlin berathen haben, als unsere Stifter.
Es lässt sich nicht nachweisen , dass Friedrich die Akademie
bereits in Hinblick auf die Königskrone gegründet hat; aber dass
er sich schon damals mit hohen Plänen trug, ist bekannt. Gewiss
ist auch (s. unten), dass er aus eigenster Einsicht und EntSchliessung
der Akademie die nationale Aufgabe gestellt hat, und Niemand wird
es für zufällig halten, dass die erste deutsche Akademie der Wissen-
schaften in der nordischen Hauptstadt gegründet worden ist, dass
das preussische Königthum und die preussische Akademie in einem
Jahre geboren sind.
^ So wird der kui'ze. freudige Brief der Kurfürstin an Leibniz vom it. März
(das Jahr muss ergänzt werden) mit Klopp zu deuten sein (Werke, lo. Bd. S. XXIX.
S. 57): »Sitöt que j'ai pu avoir le billet, je vous l'envoie, Monsieur, souhaitant
qu'il vous fasse avancer vite. pour avoir le plaisir de vous dire que je suis tonte
affectionnee ä vous servir. Sophie ".
ERSTES BUCH.
GESCHICHTE DER BRANDENBÜRGISCHEN (K. PREÜSSISCHEN)
SOCIET.ET DER WISSENSCHAFTEN UNTER FRIEDRICH I. UND
FRIEDRICH WILHELM I. (1700-1740).
Erstes Capitel.
Die Gründung der Societät im Jahre 1700.
Selten ist in der Geschichte eine grosse wissenschaftliche Schöp-
fung auf Grund eines so umfassenden und gereiften Plans in das
Leben getreten wie die Preussische Societät der Wissenschaften.
Selten aber auch entsprachen die vorhandenen Bedingungen und die
zunächst gewährten Mittel so wenig der Grösse des Plans. Ihn zu
entwerfen, war eine Kühnheit, ihn anzunehmen, eine grössere. Aber
die Verantwortung, welche der Urheber imd der Stifter auf sich nah-
men, ist von der Zukunft — freilich nicht der nächsten — glänzend
gerechtfertigt worden. Viele Schöpfungen in der Geschichte der
Wissenschaft haben dem Augenblick entsprochen und sind mit ihm
dahingegangen. Diese Schöpfung, die Gegenwart Aveit überragend,
hat ihr unverwüstliches Leben darin bewährt, dass die folgenden
Generationen sie als Gabe und Aufgabe zugleich empfinden mussten.
Sie stärkten sich an ihr, und sie erhielten von ihr den Antrieb,
vorwärts zu streben. So empfinden wir es noch heute. —
Der von Jablonski in zwei Fassungen, einer längeren und kür-
zeren, niedergeschriebene und Namens »einiger getreuer Churfürstl.
Bedienter«*^ dem Monarchen überreichte Plan zeigt, wie sehr sich die
Berliner Freunde mit LEiBNizens Gedanken vertraut gemacht hatten.
Die Grundzüge sind folgende'":
^ In dem Actenstück selbst werden der Rath Albinus, der Hr. Chauvin, der
Dr. jAEGEvvrrz, der Mathematiker Naude, der Oberingenieur Bär. der Hofrath Ra-
BEXER und der Hofrath Cuxeau genannt; Jablonski selbst ist der achte. Diese Ge-
lehrten hat man als die Urheber der Eingabe zu betrachten.
^ Siehe den vollständigen, bisher meines Wissens niemals publicirten Abdruck
im Urkundenband Nr. 23 und 24. Die umfangreichere Fassung trägt die Aufschrift:
"l'nterthänigster Vorschlag wegen Anrichtung eines Observatorii und Academiae
Scientiarum in der Chur-Brandenbui'gischen Residenz," ; die kürzere: «Unterthänig-
ster Vorschlag, welcher Gestalt allhier in Berlin ein Observatorium und Academia
Scientiarum oline Abgang der Churfürstl. Intraden etal)lirt und erhalten werden
könne«.
74 Die (JrüiHlun.ii- der Soeietät im .Inlire !7(l().
Nach dein Cluster von Frankreich, England und China soll ein
Observatorium eingerichtet und dazu eine «Acadeinia vScientiarum in
Physik, Chemie, Astronomie, Geographie, Mechanik, Optik, Algebra,
Geometrie und dergleichen nützlichen Wissenschaften nach und nach
etablirt werden«. Die Zeit ist günstig, weil sich Gelegenheit bietet,
ohne Kosten das Unternehmen in's Werk zu setzen, wenn der Kur-
fürst nur passende Räumlichkeiten gewährt. Für die Statuten können
die der französischen und englischen Akademie zum Vorbild dienen;
als Protector erbittet man sich den Kurfürsten selbst, als Präsos
den Hrn. Geh. Rath Leibniz, «welcher ein Membrum honorarium der
französischen Akademie ist und dessen grosse Erudition in omni
scibili, auch stupenda inventa promotae matheseos nicht weniger
als seine herausgegebene scripta bekannt seind«. Er wird das Amt
von Hannover aus als Ehrenamt führen können, doch wird ihm für
seine Reisen und Anderes eine Entschädigung, »ohne Consequenz
pro successoribus«, zu gewähren sein. Auch die Mitglieder sollen
zunächst keine Besoldung empfangen ausser dem Astronomen —
Hr. Kirch in Guben, der bedeutendste unter den deutschen Astro-
nomen, sei zu gewinnen — und den jüngeren Leuten, die er sich
heranziehen wird. Für Mathematik und Chemie ist der Rath Al-
BiNUs. für Physik Chauvin und Dr. Jaegewitz, für Mathematik Naude
und der Oberingenieur Bär, für beobachtende Astronomie Hofrath
Rabener und Cuneau in's Auge zu fassen. Auch auswärtige Mit-
glieder sind sofort zu erwählen, z.B. von Tschirnhausen in Sachsen,
einige Mathematiker und Mediciner auf kurfürstlichen Universitäten,
der Prof. Sturm in Altdorf (Mathematik), Reiher in Kiel u. s. w.
Für die Correspondenz , die Protokolle und die Administration ist
ein besoldeter Secretär zu ernennen, ein Fiscal muss über die Er-
haltung des Fundus wachen.
Nöthig wären ein Observatorium, ein Versammlungszimmer, ein
Bibliotheks- und Instrumenten -Raum, eine Dienstwohnung für den
Astronomen, sodann Instrumente, Holz und Licht. Das 01)serva-
torium könnte auf dem mittelsten Pavillon des neuen Stalls errichtet
werden; unterhalb desselben sind durch Einschiebung einer Etage
die nöthigen Zimmer zu gewinnen. »Die Instrumente werden sich
schon finden«; einige astronomische sind vorhanden, andere wird
Kirch mitbringen. Einiges kann die kurf. Bibliothek liefern. Was
aber den Fundus anlangt, so wird es zunächst genügen, wenn der
Kurfürst der Soeietät das Kalender- Monopol ertheilt. Dafür wird
der Astronom die Kalenderberechnung leisten. Gute Kalender werden
Jablonski's gTundlegende Eingabe. 75
fortab herausgegeben werden statt der bisherigen Kiderlichen mit
ihrem »abgeschmackten, salbaderischen Judiciren und Prognostici-
ren«. Schwere Gekistrafen, von denen ein Viertel der Akademie
zu gute kommen Avird, sollen auf den Druck anderer Kalender und
die Einführung fremder gelegt werden. Die Einrichtung dieses Ka-
lender-Monopols im Zusammenhang mit einer Societät kundiger Män-
ner wird «ein Mittel sein, die in dem Reichs- Concluso anbefohlene
Correspondenz im Kalenderwerk mit den darin correspondirenden
Mathematicis mit desto besserer Autorität zu führen, und sie wird
verhindern, dass, wenn ein commune collegium in Deutschland zum
Observiren sollte aufgerichtet w^erden, man Sr. Churf, Durchl. Mathe-
maticos und Astronomum observatorem davon nicht ausschliessen
dürfe«; ja, das drohende Reichsmonopol der Kalenderherstellung,
welches wahrscheinlich einigen wenig kundigen Leuten überlassen
werden würde, ist damit unmöglich gemacht. Das Geld, welches
der Kurfürst zum Unterhalt eines Observatorii communis in Deutsch-
land pro rata geben müsste, kann weit besser den eigenen capablen
Leuten gegeben werden, als es für eine ungewisse und leicht hin-
fällige Reichs -Administration zu opfern.
Man hofft, durch die Kalender jährlich eine Summe von 2 50oThlr.
zu gewinnen (von 40000 grossen Kalendern i666-|Thlr., von 40000
kleinen 833+ Thlr, Reingewinn).
Diese Summe wäre also anzuwenden :
1. dem Präses — oline Consequeiiz in futiiro 500 Thlr.
2. dem Astronomen 500
3. dessen Zöglingen 200 »
4. dem Secretär 300 »
5. dem Diener 60 »
6. zu Instrumenten 200 »
7. zu Büchern 200 «
8. auf Experimente 200
9. Drucklohn für Tractate der Akademie . . 100 >>
10. Correspondenz (hierbei wird ausserdem auf
ein kurfürstl. Douceur gerechnet). . . . 100 -
1 1 . Kleinigkeiten 50 "
12. Prämien an Medaillen (bez. anfangs Inspec-
tion des Baus des Observatoriums) . . . 100
Summe 2510 Thlr.
Sollten nun die Kalender mehr abwerfen (auch durch die Straf-
gelder) und der Kurfürst ausserdem geneigt sein, das, was er pro
rata für eine allgemeine Reichsanstalt geben müsste, der Societät
zuzuwenden, »so könnte man künftig dahin bedacht sein, gleich
7() Die tirinuliiiig der Societät im Jahre. 17(»0.
Frankreicli gute observatores et matliematieos in entfernte Lande,
etwa zu Lande durch Moskau und zur See über Batavia nach China
zu senden, wekdie dasell)st zugleich die Ehre Gottes durch Fort-
püanzung des reinen christlichen Glaubens befördern könnten. Zu
welchem Ende diese Leute gute Tlieologi sein und mit eben den sub-
sidiis wie die dort befindlichen Jesuiten vollkommen instruirt und
ausgerüstet sein müssen «\ «Was für eine Glorie würden S. Churf.
Durchl. von einer solchen gottseeligen Entreprise vor der ganzen
evangelischen Welt haben ! «
Endlich werden berühmte Leute als Bibliothekare, Prediger
u. s. w. nach Berlin zu ziehen sein , die daneben als Mitglieder der
Akademie thätig sein können.
Damit Andere nicht zuvorkommen, und damit der Kalender für
1701 hergestellt werden kann, ist eine baldige Resolution i. w€\gen
der Berufung des Hrn. Kirch aus Guben, 2. wegen Publicirung
eines Kalender -Edicts noth wendig.
»Es sind diese Vorschläge so giorieuse vor S. Churf. Durchl.,
so wohl gemeint zu der Ehre Gottes, so nützlich zum Aufnehmen
der Scienzen und daneben wegen des ausgefundenen Fonds zum
Unterhalt so facile, dass man nicht zweifelt, es werde S. Churf.
Durchl. dieselben gnädigst aggreiren und ein oder andern Ministrum
in hohen Gnaden benennen, welchem diese Sache mit mehreren
Umständen vorgestellt und mit selbigem Alles ohne Zeitverlust zur
Perfection gebracht werden könne. «
Dieses Project wurde dem Kurfürsten eingereicht. Der Re-
quetenmeister Moriz von Wedel nahm es nach Oranienburg mit, wo-
hin der Kurfürst plötzlich aufgebrochen war. Bereits am 19. März
konnte er dem Hofprediger schreiben"":
"Sr. Cliurturstl. Durclil. haben gnädigst resolviret, eine Acadeniie des Sciences
und ein Observatorium, wie vorgeschlagen, zu etabliren, welches in Eil liierniit
melde und particularia reservire. bis ich die Ehre habe, meinen hochgeelu'ten Herrn
Hofprediger zu sprechen, der ich bin u. s.w."
Damit war die Akademie vom Kurfürsten nach den
Vorschlägen Jablonski's im Princip genehmigt.
^ Die Art, wie liier der Missionsgedanke im Zusannnenliang mit wissen-
schaftlichen Expeditionen auftritt, macht es gewiss, dass Jablonski lediglich den
Intentionen LEiBNizens folgt.
''■ IvAPPens Sammlung S. 150, s. Urkundenband Nr. 25. Hr. von Wedel war
bereits früher füi- den Plan gewonnen (s. LEiBMzens Brief vom 12. März 1700); er
hat dem Kurfürsten in Oranienburg, »der favorablen solitude«, Vortrag gehalten
und ihn überzeugt.
Der Kiu-iTirst genehmisit am 19. ^März 1700 die Societät. 77
Unmittelbar nachdem Jablonski die Eingabe dem Hrn. von Wedel
übergeben hatte, erhielt er von Leibniz einen eingehenden Brief
(geschrieben am 12. März) über die Societätssache\ Leibniz warnt,
sich auf das Observatorium und auf die proventus calendarios zu
beschränken, »weil solches nicht anständig genug scheint«'. »Ich
hätte gern etwas mit der Zeit, davon ein realer Nutz und nicht
blosse Curiositäten zu erwarten.« Es muss eine vollständige, alle
naturwissenschaftlichen Disciplinen unter dem Gesichtspunkt der
Anwendung umfassende Anstalt werden, einschliesslich der Bo-
tanik und Anatomie, und ausgestattet mit einem Laboratorium.
Kann man auch nicht Alles gleich anfangs erreichen, so muss
doch der Plan sofort umfassend entworfen werden. Andere Geld-
quellen über das Kalender- Monopol hinaus lial)e er im Sinne ^, zu-
nächst sei aber allerdings mit diesem und dem Observatorium anzu-
fangen , weil periculum in mora. Doch müssten . wenn irgend
möglich , sofort ein Director, Secretar, ein Physicus und ein Mathe-
maticus in re architectonica et mechanica probe versatus angestellt
werden.
Im Allgemeinen und in vielen Einzelheiten stimmt Leibnizcus
Skizze mit den eingereichten Vorschlägen Jablonski" s überein. Seine
»Verwegenheit, unerwartet meines hochgeehrten H. Geh. Paths hoch-
weisen Judicio und Erinnerung, ein Project eingereicht zu haben«
konnte der Hofprediger mit dem »periculum in mora« entschuldi-
gen und freudig darauf hinweisen, dass die Vorschläge, die er an-
bei übersende, sich mit Leibnizcus Gedanken deckten^. Nur die Bo-
tanik imd Anatomie hätten sie ausgelassen, »weil allhier seit einiger
Zeit ein CoUegium Medicum etabliret "worden, so zwar noch nichts
j)ublice prästiret, jedoch hat man, um anfänglich Collision zu ver-
meiden, solclie Dinge, darauf sie ein besonders Recht sich zuschrei-
ben möchten , vorbeigehen -wollen. Mit der Zeit ward es sich doch
von Selbsten geben, weil nicht nur die scientiae connexae sein,
sondern auch wir die besten Leute aus solchem Collegio an uns
^ Siehe Urkundenband Nr. 26.
^ Er hatte noch einen anderen Grund; er erwartete nicht, dass man in der
Astronomie so bald etwas Neues entdecken werde, womit man sich neben Paris
und London sehen lassen könnte. »Es sind aber andere Sachen zu thun, dadurch
man versichert, in kurzer Zeit etwas Wichtiges zu leisten« (s. den Brief an Jablonski
vom 26. März 1700).
^ Da er in diesem Zusammenhang Moskau und China erwähnt, so meint er
Avnhl eine Steuer auf milde Stiftungen und Beiträge seitens der Kirche (s. u.).
* Siehe Urkundenband Nr. 27: Brief vom 20, 3Iärz 1700.
78 Die Griindung der Societät im Jahre 1700.
ziehen können'. Ich hofte, es werde memem hochgeehrten Herrn
Geh. Rath niclit zuwider sein, dass wir desselben solcher massen
darinnen gedacht, zum wenigsten hat unsere schuldige Hochach-
tung gegen desselben vornehme und geehrte Person sich nicht an-
ders gewusst auszudrücken«. Auch eine Ahschrift der bedeutungs-
vollen Zeilen Moriz von Wedel's fügt Jablonski seinem Briefe bei.
«Mag dieses kleine Billet mir eben das sein, was dem einen Weg
nach Indien suchenden di Gama dasjenige Vorgebirge war, dem er
den Namen von der guten Hoffnung beigeleget.«
Drei Tage später richtete Jablonski ein zweites Schreiben an
Leibniz". Er hat nun von Wedel selbst gesprochen und nähere
Nachrichten erhalten. Sie waren so erfreulich, wie man es sich
nicht geträumt hätte. Erstlich: der Kurfürst hat das Project in
allen Stücken bestätigt und will die Societät gnädigst fundiren und
protegiren, »nur noch gnädigst hinzufügend, dass man auch
auf die Cultur der teutschen Sprache bei dieser Fundation
gedenken möchte, gleichwie in Frankreich eine eigene
Akademie hiezu gestiftet«, sodann: der Kurfürst befiehlt, den
Astronomen zu berufen, und er genehmigt Leibnizcus Wahl zum
Präsidenten und hat Jablonski den Auftrag gegeben, ihn nach Berlin
zu laden, um an die wirkliche Ausführung des geschehenen Projects
Hand anzulegen.
Die Aufnahme der Pflege der deutschen Sprache in den Kreis
der Aufgaben der zu stiftenden Akademie ist des Kurfürsten
eigenster Gedanke; weder Leibniz noch Jablonski haben ihn ge-
hegt. Sie hatten eine ausschliesslich naturw^issenschaftliche
Akademie geplant. Indem der Kurfürst der Akademie jene Auf-
gabe vorschrieb, die gleichartige andere (deutsche Geschichte, deut-
sches Recht U.S.W.) nothw^endig machte, ist er niclit nur der
Stifter, sondern auch der geistige Urheber der philolo-
gisch-historischen Klasse der Preussischen Akademie ge-
worden. Sophie Charlotte verdankt man das Observatorium, Fried-
rich die Grundlegung der philologisch -historischen Klasse — und
zwar auf dem Boden der deutschen Sprache — , Leibniz die uni-
versalen naturwissenschaftlich -praktischen Tendenzen. So verehrt
die Akademie in dem Fürsten, der Fürstin und dem Gelehrten ihre
^ Damit war der Grund zu einer gefährlichen Rivalität und Eifersucht ge-
legt, die sehr bald Avirksam wurden und unter Friedrich Wilhel3I 1. die Akademie
an den Rand des Untergangs gebracht liabcn.
^ Siehe Urkundenband Nr. 28: Brief vom 23. März 1700.
Der Kurfürst verl;in<>t die Pllege der deutschen Sprache. 79
wirkliolien Urheber. Erst der Kurfürst liat ihr die vaterländische
Aufgabe gestellt und sie damit zugleich auf die Pflege der Geistes-
wissenschaften überhaupt gewiesen'.
Mit hoher Freude begrüsste Jablonski diese Bereicherung des
Planes; »ich bewundere die Generosität Sr. Churf. Durchlaucht, in-
massen einem teutschen Fürsten nichts mehr anstehen will, als der
edlen , aber sehr verwilderten Muttersprache sich anzunehmen , welche
fürstliche Sorge so viel mehr zu preisen ist, je weniger es Fürsten
giebt, die selbige zu Herzen nehmen«. Bis zu seinem Tode hat
FmEDRicH immer wieder die Akademie an diese Aufgabe erinnert.
Aber auch die ihm übertragene Einladung Leibnizcus nach Berlin
gereichte Jablonski zu besonderer Freude. »Ich danke dem barm-
herzigen Gott, dass er mich so unverhofft das Glück erleben lässt,
dass im Namen Sr. Churf. Durchl. meinen hochgeehrten Herrn Geh.
Rath anhero invitiren darf« — mit diesen tief empfundenen Worten
ist LEiBNizens Berufung nach Berlin begrüsst worden. In der That, es
war ein grosses, fortwirkendes Ereigniss in der Geschichte Preussens
und Deutschlands !
Aber noch mehr durfte Jablonski schreiben: »S. Churf. Durchl.
sind in der Sache ganz eifrig und haben dem Herrn von Wedel
Ordre ertheilet, mit dem Baumeister Grünberg wegen Erbauung des
Observatorii und Aptirung des dazu gewidmeten Pavillons u. s. w.
zu sprechen; so auch geschehen. Herr Grünberg forderte zu den
Unkosten 6-700 Thlr., der Herr von Wedel aber verstund sich
zu 1000. Man hat gestern Abend das Gebäud in Augenschein
genommen und genau Alles überleget. Es finden sich auf allen
Seiten Schwierigkeiten, und daher, wenn wir Hoffnung haben kön-
nen, dass mein h. Herr die Ehre dero Anwesenheit ehestens uns
zu gönnen gemeinet, wollten war bis dahin Alles anstehen lassen.
Sonst hat H. Grünberg Ordre , nächste Woche mit dem Bau den
Anfang zu machen«.
Noch vor Empfang dieses Schreibens — gleich nachdem er
den Brief vom 20. März sammt dem Entwurf Jablonski's erhalten
hatte, schickte Leibniz (am 26.) eine sehr ausführliche Antwort an
diesen". Er spricht zunächst seine volle Zustimmung zu dem ein-
gereichten Project aus: dann folgen einzelne Bemerkungen: das Ob-
^ »Es wh'd nur zu denken sein, wie die teutsche Sprachkunst mit den übrigen
Wissenschaften zu verbinden sein wird«, schreibt Leibniz, als er von der neuen
Aufgabe zum ersten [Male hörte.
^ Sielie Urkundenband Nr. 29.
80 Die Gründung der Societät im Jalire 1700.
servatoriiun (l;irf iiiclit die Hauptsache sein — das ist sein ceterum
censeo — , sofort ist auoli auf ein Laboratorium zu denken; ebenso
wenig darf das Kalender -Monopol den einzigen Fundus bilden. Der
Name »Akademie« ist besser in »Societät« zu verändern, da jene
Bezeichnung auch von Universitäten gebraucht wird ' ; Kirch ist ihm
auch von Anderen als guter Calculator und Observator gerühmt
worden ; beim Secretar ist nicht in erster Linie auf Sprachkenntnisse
zu sehen — es genügt, wenn er Französisch und Englisch zu lesen
versteht — , sondern auf tüchtige reale Kenntnisse; es muss ein
junger Mediciner sein, »der dabei in Mathesis, Mechanik und Chemie
Kundschaft liat«. Es folgen noch eine Reihe von Bemerkungen über
Jetons (Medaillen), über den Bau des Observatoriums, über In-
strumente und Bücher, über das geplante Kaien der werk des Corpus
Evangelicum , ferner über Ausdehnung des brandenburgischen Kalen-
der-Monopols d. h. Übertragung einer Büchercensur an die Societät
und Verdoppelung des Fundus aus dieser Einrichtung". Er schlägt
auch vor, dass jeder in's Land kommende Bücherballen mit einer
Steuer belegt werde; er denkt zugleich an eine Papiersteuer. »Es ist
in dieser meist unnützen Waare eine solche luxuria, wie mit andern
Dingen, und sehe ich oft mit Verwunderung, wie die gewinnsüch-
tigen Buchhändler die Bücher vertheuern und doch emptores finden. «
Aber er fürchtet, dass man »das vulgus sive eruditorum sive aliorum
hominum gegen sich sprechen mache«, und räth daher, den Plan
noch zurückzustellen. Auch seine eigene Mitwirkung an der ganzen
Sache soll noch geheim bleiben, »um unterschiedener Ursachen
willen« — er musste zuerst die Erlaubniss seines Landesherrn ein-
holen. Endlich legt er dem Briefe einen ausgearbeiteten Entwurf
bei in zwei Fassungen, die eine (vielleicht beide) für den Kurfürsten
bestimmt. »Ich habe darinnen des Werks künftigen grossen Nutzen,
wenn man es damit recht anlangt, gleichsam in einer Perspectiv
von fern in etwas zeigen wollen. Weil mich bedünket, einem hohen
Potentaten, der etwas Grosses zu Gottes Ehre und der Menschen
^ Für den Namen »Societät« war Leibniz auch deshalb, weil die englische
Gesellschaft so hiess; man folgte seinem Rathe wirklich; »Societas Scientiarum« hat
der Kurfürst seine neue Schöpfung nunmehr genannt. Doch win-de die Bezeichnung
Akademie in den ersten Jahren sogar in officiellen Schreiben ab und zu gebraucht,
s. das Schreiben von Wartenberg's vom 27. November 1701 im Geheimen Staats-
archiv, Fase. »Kalendersachen. >.
^ Die Beschränkung der Bücherproduction durch eine vom Staate eingesetzte
Commission ist ein alter Gedanke Leibnizcus. Hier ist er ganz der Bildungs-
absolutist, dm* sich vor tyi'annischen Maassregeln nicht scheut.
Lkibniz legt den Plan genauer dar. 81
Besten tlmn könnte, sei man einigermassen schuldig solelies anzu-
zeigen, und werden grosse und lierrisclie Gemütlier auch am besten
durch solche Gedanken gerühret, die ihrer Macht und hohen Muth
proportionirt ... Es sind von mir einige Argumenta, so ziemlich
ad hominem scheinen, suppeditirt worden. Es ist aber dies mein
Beifügen vielleicht nicht so bequem, noch zur Zeit von Vielen ge-
sehen zu werden. «
Dieses »Beifügen« existirt noch in zwei Fassungen, deren in-
neres Verhältniss nicht ganz deutlich ist\ In beiden - — und das
giebt ihnen die hohe Bedeutung — will Leibniz nachdrücklich zei-
gen, in welchem Sinne die neue Societät sich mit den Wissen-
schaften zu beschäftigen habe (davon ist im jABLONSKi'schen Project
überhaupt nicht die Rede):
»Solche Churf. Societät müsste nicht auf blosse Curiosität oder
Wissensbegierde und unfruchtbare Experimenta gerichtet sein oder
bei der blossen Erfindung nützlicher Dinge ohne Application und
Anbringung beruhen, wie etwa zu Paris, London und Florenz ge-
schehen, und ist dort dasjenige, so von realen Scienzien zu gemeinem
Nutz zu erwarten , nicht erreichet worden « , sondern man muss gleich
anfangs das Werk sammt der Wissenschaft auf den Nutzen richten.
Sonst wird die Regierung ihre Hand zurückziehen; denn »reale
Ministri werden unnützer Curiositäten bald überdrüssig
und rathen keinem grossen Fürsten viel Staat davon zu
machen«. »Wäre demnach der Z^veck, theoriam cum praxi zu ver-
einigen, und nicht allein die Künste und Wissenschaften, sondern
auch Land und Leute, Feldbau, Manufacturen und Commercien, und
mit einem Wort, die Nahrungsmittel zu verbessern, überdiess
auch solche Entdeckungen zu thun, dadurch die überschwengliche
Ehre Gottes mehr ausgebreitet, und dessen Wunder besser als biss-
her erkannt, mithin die christliche Religion, auch gute Polizei, Ord-
nung und Sitten theils bei heidnischen, theils noch rohen auch
wohl gar barbarischen Völkern gepflanzet oder mehr ausgebreitet
würden.«
Im Folgenden wird der grossartige Gedanke einer evangelischen
Mission, für die sich Wissenschaft und Religion die Hand reichen
^ Siehe Urkundenband Nr. 30 a, h. Beide Fassungen stammen aus den Tagen,
da Leibxiz schon das Project von Jablokski, aber noch nicht dessen Mittheilung
über die kurfürstliche Hinzufügung der deutschen Sprache (als Aufgabe der Societät)
erhalten hatte, d.h. sie sind zwischen dem 24. und 26. März niedergeschrieben. Die
Fassung^ trägt in der That das Datum "25. März 1700«.
Geschichte der Akademie. I. 6
82 Die Gründung der Societät im Jahre 1700.
sollen*, weiter ausgeführt, und aus der geograpliisclien Lage Preussens
und seinen guten Beziehungen zu Russland wird insbesondere der
BeruC jenes Staats zu einer Mission nach China, Indien und Persien
abgeleitet. Mit besonderer Wärme hat Leibniz dies dem Kurfürsten
an's Herz gelegt und hierin einen Hauptzweck der zu begründenden
Societät erkennen wollen^:
»Was Cliurl". Durclil. hierunter fürnehnien würden, das würde, über alles Vor-
erwähnte, noch zu der Ausbreitung der Ehre des grossen Gottes vnid Foi'tpllanzung
des reinen Evangelii gereichen, indem dadurch den Völkern, so noch im Finstern
sitzen, das wahre Licht mit anzuzünden, dieweil die Wissenschaften und der irdische
Himmel bequem liefunden worden, die verirreten Menschen, gleich wie der JStern
die niorgenländischen Weisen, zu dem so recht himmlisch und göttlich zu führen.
Ich linbe mehrmalen auch in öffentlichen Schriften mit Anderen beklagt, dass man
die i'ömischen Missionarios allein die un\ergleichliche Neigung und Wissensbegierde
des chinesischen Monarchen und seiner Unterthanen sich zu Nutz machen lasse.
Davon ich viel besonders mit nachdenklichen Umständen sagen könnte. Es scheinet,
als Gott sich Chui'f. Durchl. zu einem grossen Instrument auch hierin erwählet und
\-orher ausgerüstet habe. Massen ja bei Protestirenden nirgends ein solcher Grund
als zu Berlin zu der chinesischen Literatura et propaganda fide geleget worden^.
Wozu nunmelu' vermittelst sonderbarer Schickung der Providenz das so ungemein
gute persönliche Vernehmen mit dem Czaar in die grosse Tartarei und das herr-
liche China ein weites Thor öffnet. Dadurch ein Commercium nicht nur von Waaren
und Manufacturen. sondern auch von Licht und Weisheit mit dieser gleichsam an-
dern civilisirten Welt und Anti- Europa einen Eingang finden dürfte*.«
^ Siehe oben S. 76 das JABI,o^'SKI'sche Project imd vergl. die gründliche Studie
von Plath, Die Missionsgedanken des Freiherrn von Lkihnm-z. 1869. Die Frage,
ob Leibniz oder Jablonski die Priorität des Missionsgedankens gebührt (s. Kvacsala,
Fünfzig Jahre im preussischen Hofpredigerdienste. D. E. Jarlonsky. Jurjew 1896
S. 21), wdrd so zu entscheiden sein, dass zwar Jabi.onski sein Interesse für die
Mission nicht ei-st von Leibniz erhalten hat, dass aber der Missionsgedanke als ein
Hauptzweck der zu stiftenden Societät und die besondere Beziehung auf China und
den Osten von diesem stammt. Die grösste Bedeutung haben Leibnizcus Missions-
gedanken durch ihren Einfluss auf H. A. Franke erhalten (s. Guhrauer, G. W. Frei-
herr von Leibnitz, 2. Theil Anhang S. 19 f.).
^ In der Art der Begründung hat er freiUch, wie er sel])st Jablonski gegen-
über gestanden hat (s. o. S, 81), ..ad hominem« gesprochen. Ihm selber war un-
zweifelhaft nicht die Christianisii-ung der fernen Länder die Hauptsache, sondern
die Bereicherung des Wissens, die man von dort zuriickbringen würde. Aber er
kannte des Kurfürsten kirchlichen Sinn, und gleichgültig war ihm selbst der Mis-
sionsgedanke keineswegs. Wissenschaft und echte evangelische Religion sah er als
Zwillingsschwestern an, die stets einander dienen müssen: wissenschaftliche Auf-
klärung wird auch die Heiden zur i-einen christlichen Religion führen.
^ Diese Bemerkung bezieht sich darauf, dass die Kurfürstliche Bibliothek
eine Sammlung chinesischer Bücher besass. Schon 1683 waren solche vorhanden
(s. Wii.KEx, Geschichte der Königlichen Bibliothek 1828 S. 29 und 161) und wur-
den l)al(l (Inraiif vermehrt.
* Leiümz macht hier noch folgenden kühnen, auf den Kurfürsten berechneten
Zusatz: ..Wer weiss, ob Gott nicht el)en deswegen die pietistischen, sonst fast ärger-
liche Streitigkeiten unter den Evangelischen zuiielassen . auf dass recht fromme und
Chinesische Mission ein Hauptzweck der Societät. 83
Des Weiteren führt Leibniz aus , wie Befehl zu erlassen sei , dass
alle kurfürstlichen Ingenieurs, Künstler, Residenten, Agenten und
Factoren überall mit der neuen Societät correspondiren und ihr alles
Wichtige zutragen sollen. Würde man erst merken, dass Clmrf. Durchl.
daran ein besonderes Vergnügen haben, so werden auch vornehme und
begüterte Privatpersonen — wie etwa in England und anderswo —
aufgemuntert werden , ihre Lust in Untersuchung der Natur und
Wunder Gottes, auch mathematicis und daher fliessenden schönen
Künsten zu suchen. Ebenso müssen die tauglichsten Gelehrten an
Universitäten und Gymnasien in kurfürstlichen Landen mit der So-
cietät in Verbindung treten; man muss ihnen »die objecta, occa-
siones und allerhand dienliche Nachrichtungen suppeditiren « ; das
würde » von grosser Extension und Wirkung sein , imd doch Churf.
Durchl. nichts als nur die Bezeigung ihres dazu geneigten Willens
kosten«.
Am Schluss des Entwurfs ( i . Fassung) geht Leibniz noch aus-
führlich auf Erweiterung des Fundus ein. Er schlägt vor i. eine
Expeditionssteuer bei allen beneficia pure gratiosa, die der Kurfürst
ertheilt, 2. — nach Errichtung einer guten Anstalt gegen Feuer-
schäden , die mit der Societät zu verbinden sei und zu der ein jeder
Bürger jährlich etwas beizutragen hätte — die Überweisung des
Überschusses an die Kasse der Societät. Ferner soll die Societät
auf Abhülfe gegen die Wasserschäden sinnen und dazu die Geometrie
in rechten Gebrauch setzen. Auch hier wird sich, wenn auch nicht
sofort, ein gewisser Fundus ergeben, wenn einmal die Einrichtung
(Landesnivellement, Austrocknen der Moräste u. s. w.) in Kraft ge-
setzt ist.
Die zweite Fassung des Entwurfs deckt sich zwar zum Theil
mit der ersten , giebt aber ein genaues Schema der realen Wissen-
schaften als Unterlage für die Organisation der Societät. Die realen
Wissenschaften sind Mathematik und Physik. Jene wie diese be-
greift vier Hauptstücke, nämlich I. die Mathematik: i. Geometrie
[Mathesis generalis und Analysis, so den andern allen das Licht an-
zündet], 2. Astronomie [Geographie, Chronologie, Optik (diese nur
zum Theil)], 3. Architektonik [civilis, militaris, nautica; dazu Pic-
wohlgesinnte Geistliche, die unter Churf. Durchl. Schutz gefunden, Dero bei Händen
sein möchten, dieses capitale Werk fidei purioris propagandae besser zu befördei'n
und die Aufnahme des wahren Christenthums bei uns und ausserhalli mit dem
Wachsthum realer Wissenschaften und gemeinen Nutzens als funiculo triplici in-
dissolubili zu vei'knüpfen«.
6*
84 Die Gründung- der Societät im Jahre 1700.
tura und Statuaria], 4. Mechanik [dazu alle Handwerke, so Bewe-
gung erfordern, sammt den Manufacturen] ; IL die Physik: i. Chemie
[ist die rechte physica generalis practica, so allen drei Reichen ge-
mein, dadurch das Innerste der Körper zu erforschen], 2. Regnum
Minerale [Berg- und Hüttenwerke, Salz-, Salpeter- und andere Sie-
dereien, Stein- und Kohlenbrüche, Glasarbeit aller Art, das vor-
treft'liche Regal des Agtsteins, so Churf. Durchl. vor andern Poten-
taten haben], 3. Regnum Vegetabile [Botanik, Agricultur, Gärtnerei,
Forstwesen], 4. Regnum Animale [dessen rechte Erkenntniss von
der Anatomie dargegeben wird, Thierzucht, Waidwerk, die hohe
Scienz der Medicin].
Also müssen Leute für die Societas Scientiarum gewonnen wer-
den, die diese Fächer vertreten können. Ausser den in kurfürst-
lichen Landen befindlichen, aus denen das Collegium der inneren
Membra zu formiren, hat man Associati (theils im Lande, theils
ausserhalb) zu gewinnen. —
Kaum hatte Leibniz dieses Schreiben abgesandt, als er jenen
Brief Jablonski's empfing, der ihm mittheilte, der Kurfürst wünsche
eine Ausdehnung der Aufgabe der Societät auf die Pflege der
deutschen Sprache und lade ihn ein , sich zur Durchführung des
ganzen Unternehmens nach Berlin zu begeben. Umgehend liess er
nun seinem Briefe vom 26. einen zweiten am 28. März folgen und
gab ihm ein Pro Memoria über den kurfürstlichen Plan bei: »die
Zusammenfassung der Teutsch- und Wissenschaftsliebenden Gesell-
schaft ist die vernünftigste und schicklichste Sache von der Welt,
dafern es auf die von mir ausgeführte Weise genommen wird^<.
Drei Tage später schrieb er noch einmal an Jablonski'^, um ihm
zu sagen, dass er zu Ostern in Wolfenbüttel sein Averde. Den
kurfürstlichen Plan will er so gefasst wissen, dass man dadurch
noch mehr kurfürstliche Beamte heranziehe, um sowohl zu gründ-
licheren Nachrichten von den Sachen, als auch zur rechten Be-
nennung derselben im Deutschen zu gelangen. Er hofft auch,
der Kurfürst werde, da er den Umfang der Societätsaufgaben ver-
grössert habe, auch den Fundus vergrössern. Bereits aber be-
schäftigte sich sein rastloser Geist mit dem Plan einer Wieder-
aufnahme des protestantischen kirchenhistorischen Hauptwerks, der
Magdeburger Centurien.
^ Weder dieser Brief noch das beigegebene Pro Memoria sind mehr voi-
banden, folgen aber aus LEiBNizens Schreiben vom 31. März 1700.
^ Siehe Urkundenband Nr. 32.
Des Kurfürsten und Leibnizbus weitere Pläne. 85
Nun galt es, Urlaub vom liannoversclien Kurfürsten zu erhalten.
Das erste Mal hatte dieser die Bitte abschlägig beschieden \ Leibniz
richtete sein Gesuch jetzt so ein, dass es kaum abgeschlagen werden
konnte". Er verweist zuerst darauf, dass die Ehre, die ihm die fran-
zösische Akademie soeben erwiesen habe , ihm eine neue einzubringen
scheine. Der brandenburgische Kurfürst will eine ähnliche Akademie
und ein Observatorium begründen und verlangt meinen Rath, ja
will mir die Direction übertragen, »mais de loin et sans que je m'y
arrete, ce qu"on suppose ne pouvoir pas deplaire k V.A.E., car
il semble qu'une teile demande qui m'est avantageuse, ne des-
honore pas la cour de V. A.E. « Bedeutungsvoll fügt er hinzu,
die Kurfürstin von Brandenburg habe den Grund zu dem Plan des
Observatoriums gelegt, er müsse ihn nun weiterführen, und be-
fürchtend, dass dies Alles noch nicht ausreiche, wendet er die Sache
persönlich: »Ich lebe still für mich und arbeite Tag für Tag im
Dienst Ew. Durchlaucht und für das Ansehen des hannoverschen
Hofes; ich muss von Zeit zu Zeit kleine Reisen machen, die meine
einzige Erholung und Zerstreuung sind; dazu zwingt mich in die-
sem Frühjahr ein Leiden, warme Bäder aufzusuchen — er denkt
an Teplitz. »Mais j'ai mis ordre que tout cela n'empechera guere
les travaux historiques oii il s'agit de ranger les materiaux dejä
prepares, en quoi je me fais assister, et cela continue encore en
mon absence. «
Alle möglichen Motive hat Leibniz hier spielen lassen; der
Kurfürst mochte sich aussuchen, welches ihm vollgültig schien. Er
hat das Gesuch, gewiss um seiner Schwester willen, diesmal ge-
nehmigt.
In den Briefen vom 6. und 21. April ^ billigte Jablonski alle
LEiBNizischen Vorschläge^ und berichtete, dass dem Kurfürsten
' Siehe oben 8.61.
^ Siehe Urkundenband Nr. 31 : Bi-ief vom 28. März 1700, also wohl an dem-
selben Tage geschrieben, an welchem er die Aufforderung des brandenburgischen
Kurfürsten empfing, denn am 26. März hatte er sie noch nicht.
^ Siehe Urkundenband Nr. 33.34.
* Wie gewissenhaft es Leibniz mit seiner Sorge sogar für eine ihm ferner
liegende Sache, den Bau des Observatoriums, genommen hat, zeigen die beiden
bisher ungedruckten Actenstücke Nr. 35 und 36 des Akademischen Archivs. Das
erste enthält eine Anfrage an einen nicht genannten Astronomen wegen Einrichtung
des Observatoriums; das andere ist besonders lehrreich. Auf seiner Durchreise
durch Brandenburg (auf dem Wege nach Berlin) sah Leibniz die auf dem Marien-
berg stehende alte, verlassene hohe Kirche. Sofort steigt ihm der Gedanke auf,
sie zu astronomischen Zwecken zu benutzen; er besichtigt sie und setzt eine Ein-
gabe an den Kurfürsten auf.
86 Die Gründung der Societät im .Inhre 1700.
LEiBNizens beide Entwürfe vom 26. und 28. März von Hrn. von Wedel
vorgelegt worden seien, »welches er mit gutem Effect gethan, so
dass S. Cliurf. Durchlaucht daher höchlich vergnüget worden, auch
Dero gnädigste Ordre, mit Vollstreckung des Entwurfs zu eilen,
erneuert. Die Abrede ist mit dem Baumeister bereits genommen,
und wird nach den B'eiertagen der Anfang gemacht, da zu dem
Observatorium ein eigener Pavillon 4 Stock hoch von Grund aus
soll aufgemauret ' , dabei auch eine gute Anzahl bequemer Zimmer
angeleget werden. S. Churf. Durchl. wollen in hoher Person selbsten
Protector der Academie sein«. Ferner berichtet er, dass die Edicta
die Berufung Kirch's und das Kalenderprivileg betreffend von Cuneau
abgefasst und Hrn. von Wedel übergeben Avorden seien". Dieser
aber hat sie zurückgegeben, damit die lateinischen und französischen
Termini ausgemerzt und »der Stilus gemäss der Teutsch- liebenden
Intention des gnädigsten Fundatoris eingerichtet werde«. So ernst
nahm es der Kurfürst mit seiner Sorge für die deutsche Sprache;
er beschämte seine Gelehrten! Am 19. April wurden die Edicte auf's
Neue vorgelegt.
LEiBNizens Reise verzögerte sich, da der »Fuhrzettel« nicht be-
schafft werden konnte; endlich wurde ihm geschrieben, er möge
die Kosten der Reise auslegen; sie würden ihm zurückerstattet
werden. Etwa um den 8. Mai traf er nach einer Fahrt von mindestens
acht Tagen in Berlin ein^. Am 10. Mai erliess der Kurfürst das
^ Also war der Plan, wie er wirklich ausgeführt worden, schon damals
wesentlich entworfen; vergl. den Fascikel »Baulichkeiten« des Akademischen Archivs
unter dem 6. Mai 1700 und die daselbst aufbewahrten Pläne und Zeichnungen.
^ Mithin vor dem 6. April.
* Das genaue Datum ist nicht zu ermitteln; Klopp's Annahme, er sei am
2 I.Mai eingetroffen, ist sicher falsch. Besässen wir nur den Brief vom 22. Mai, den
ersten, den er von Berlin an die Kurfürstin .Sophie geschrieben (Klopp. Werke, 8. Bd.
S.151 ff.), so müssten wir annehmen, dass er bereits etwa um den 10. Mai angelangt
ist. Er erzählt dort, dass er seine Reise ebenso langsam wie die grossen Herren
ausgeführt und sich in Celle, Braunschweig, Magdeburg und Brandenburg aufge-
halten habe, nicht »pour la commodite et pour la grandeur«, sondern »pour ne
perdre point d'occasion de faire des recherches«. Hierauf habe er in Berlin Woh-
nung gesucht (er fand sie in der Brüderstrasse, s. den iS.Brief des J.Th. Jablonski-
LEiBNiz'schen Briefwechsels), dann sich in Lietzenburg bei der Kurfürstin vorge-
stellt, wohne nun auf ihre Einladung hin daselbst, habe aber bei dem geräusch-
vollen Leben dort vier oder fünf Nächte nicht mehr als vier Stunden geschlafen;
nun habe er eine Audienz beim Kurfürsten gehabt. Er wohnt also in Lietzenburg
bereits geraume Zeit und schreibt der Kurfüi'stin erst so spät, weil seine Audienz
beim Kurfürsten, dem er einen Brief seiner Schwiegermutter übergeben sollte, sich
verzögert hatte. Wird man hiei'nach für den Tag seiner Ankunft in Berlin etwa
auf den 10. Mai geführt, so führt eine andere Urkunde noch weiter hinauf. Die
LKiBNizens Ankunft in Berlin. 87
Kalender -Patent und -Privileg' und am i8. die Bestallungsvirkunde
für den Astronomen Kirch", In dem Kalenderpatent wurde dem
Lande der Entsclduss des Kurfürsten mitgetheilt, ein Observatorium
zu erbauen und eine Societas Scientiarum für die nützlichen (Natur-)
Wissenschaften und Künste einzurichten^.
Zu ungünstiger Zeit traf Leibniz in Berlin ein. Bereits hatten
die Vorbereitungen zur Vermählungsfeier der Tochter des Kurfürsten
aus erster Ehe, Luise Dorothea Sophie, mit dem Erbprinzen von
Hessen-Kassel begonnen, und die Hochzeit selbst wurde durch rau-
schende Feste von Ende Mai bis Mitte Juni gefeiert^. Allein für
die Verzögerung der Societätspläne entschädigte ihn bald reichlich
Denkschrift nämlich, die wir oben beriihrt und im Urkundenband Nr. 36 abgedruckt
haben, trägt in der Überschrift (die aber, wenn sie von LEiBNizens Hand stammt,
jedenfalls nicht gleichzeitig ist) die Aufschrift «April 1700«, doch hat dieselbe Hand
eist »Mai« zu schreiben angefangen und es dann ausgestrichen. Hiernach ist Leib-
niz bereits im April, wenn auch vielleicht am letzten — denn er hat selbst später
augenscheinlich geschwankt, ob es noch April oder schon Mai war — , in Branden-
burg gewesen. Er ist also gleich nach Empfang des JABLON^SKi'schen Briefes (vom
2 I.April) etwa am 25. April von Hannover aufgebrochen. Ein Schreiben Cuneau's
an VON Wedel bestätigt das (s. über dasselbe unten bei den Nachweisungen über
LEiBNizens Gehalt); denn Cuneau sagt, Leibniz sei am 11. August mehr als drei Mo-
nate in Berlin, und sein Gehalt wurde vom i. Mai 1700 an berechnet. Andererseits
zeigt ein Actenstück im Akademischen Archiv, dass er am 6. Mai noch nicht in
Berlin gewesen ist (s. Fase. »Baulichkeiten»); er war also mindestens eine Woche
in Brandenburg und kam gleich nach dem 6. Mai nach Berlin.
^ Siehe Urkundenband Nr. 37.
^ Siehe Urkundenband Nr. 38.
^ Das Kalender-Privileg wurde der Societät in dem Umfange ertheilt, wie
es in dem jABLONSKi'schen ersten Entwurf vorgesehen war. Es galt für alle kur-
fürstlichen Provinzen und Gebiete. Alle Kalender ausser den von der Societät
herauszugebenden werden verboten. Wer mit fremden Kalendern handelt, soll
von jedem fremden Stück ohne Unterschied 100 Thlr. , wenn er aber den fremden
Kalender zu eigenem Gebrauch gekauft hat. 6 Thlr. bezahlen. Die Strafgelder
sollen in fünf Theile getheilt werden, nämlich für den Denuncianten , den Fiscal,
den Richter, die Armen und die Societät, bez. in drei Theile, wenn kein Denun-
ciant noch Richter lietheiligt gewesen ist. Mit Erlaubniss und mit dem Stempel
der Societät dürfen fremde gute Kalender — aber nur für den doppelten Preis —
von Liebhal)ern bezogen werden; a,ber, um Unterschleife zu vermeiden, soll die
Societät privati\e das Verkaufsrecht haben. — Da in dem Kalender -Privileg nur
von den naturwissenschaftlichen Aufgaben der Societät die Rede ist, so wird sie
in einer Eingabe der Regierung in Königsberg vom 29. Juli 1700 »die neu gestiftete
mathematische Societät« genannt (s. den Fascikel »Kalendersache« im Geh. Staats-
archiv).
* Festliche Veranstaltungen dauerten auch dann noch foi't, besonders am Ge-
burtstage des Kurfürsten. Die Kurfürstin Sophie nannte daher Lietzenburg »Lusten-
burg«, und Leibniz datirte einen Brief aus »Lustenburg« (s. die Briefe vom 4. und
10. August 1700 bei Klopp, S.Band, S. 204, und 10. Band, S.337).
88 Die Gründung der Societät im Jahre 1700.
der Vorkehr mit der Kurfürstin Sophie Charlotte; sie hatte ihm
ein Zimmer in ihrem Lustschloss Lietzenburg eingeräumt^ und fand
trotz aller Feste Zeit, gehaltvolle wissenschaftliche Gespräche mit
ihm zu führen, die Leibniz sogar veranlassten, ihr schriftliche Ex-
poses zu übergeben". Ausserdem benutzte er seine freie Zeit zu
einer umfangreichen Correspondenz mit der hannoverschen Kur-
fürstin ^. Alles berichtet er ihr treulich, das Bedeutende und das
Kleinste, vor allem Politisches, dann auch Wissenschaftliches und
Höfisches , und spielt in der Tliat die Rolle eines ausserordentlichen
Agenten der Kurfürstin am brandenburgischen Hofe. Vom Kur-
fürsten ist er entzückt; derselbe habe versprochen, das Observa-
torium oft zu besuchen, wenn es hergestellt sein wird. Ironisch
scherzend bemerkt die Kurfürstin Sophie: »Cela manqua encore ä
la grandeur de Mr. l'Electeur de Brandebourg d'avoir toujours un
astrologue a ses cotes, comme les Rois des Indes«*.
Am 19. Juni hatte Leibniz eine Audienz beim Kurfürsten in
Schönhausen'^ und wurde von ihm mit der Abfassung der Stiftungs-
urkunde betraut und zum Präsidenten der Societät ernannt'^. Aber
^ Er gab es aber im Juni wieder auf und zog nach Berlin, weil ihn die ge-
räuschvollen Feste angriffen und er Brunnen trinken wollte, s. die Briefe an die
Kurfürstin Sophie (Klopp, Werke, S.Band, S. löyf. 181). »J'ai fait ici une vie
que Mad. l'Electrice appelle apres moi ein liederlich Leben.«
^ Siehe Klopp, Werke, 10. Band, S. 62 ff. Es handelte sich um psycholo-
gische Fragen , die durch eine Schrift des Abts Molanus angeregt waren. So werth-
voll und entzückend waren der Kurfürstin diese Gespräche, dass sie nach der Krö-
nung an Leibniz einmal schrieb: »Ne croyez pas que je prefere ces grandeurs et
ces couronnes, dont on fait ici tant de cas, aux charmes des entretiens philoso-
phiques (pie nous a\"ons eus a Charlottenbourg«, So erzählt Friedrich der Grosse in
seiner Abhandlung über Friedrich L (Mem. de l'Acad. Royale des Sciences 1748 p. 378),
und die Wahrheit dieser Erzählung wird dadurch nicht beeinträchtigt, dass dieser
Brief nicht erhalten ist und dass der König den sjiäteren Namen » Charlottenburg"
für »Lietzenburg« eingesetzt hat.
^ Wir besitzen aus den drei Monaten, die sich Leibniz in Berlin aufhielt.
13 zum Theil sehr ausführliche Briefe von ihm an die Kurfürstin Sophie und 14
von ihr an Leibniz, dazu vier Schreiben des Letzteren an den hannoverschen Kur-
fürsten (s. Klopp, Werke, S.Band, S. 151 — 208).
* A.a.O. S. 154. 156.
^ Ein intei'essantes Concept für eine etwas spätere L^nterredung mit dem
Kurfürsten von Leibnizbus Hand findet sich im akademischen Archiv; mitgetheilt
im Urkundenband Nr. 39.
•^ Siehe den Brief an Sophie vom 19. Juni (Klopp, Werke, S.Band, S. 182).
In ilirem Gratulationsschreiben vom 23. Juni (a.a.O. S. 1S4) sjjielt die Kurfürstin
auf die preussische Königskrone an: »On ne craint point les heros de Brandebourg,
d'autant qu'il n"y a point de royaume a concjuerir pour M. l'Electeur de Brande-
bourg de ce cote ici [sie]». Den hannoverschen Kurfürsten bat Leibniz um Bestätigung
Leibxi/, in Berlin. 89
zugleich musste er sich üV)erzeugen , dass der Kurfürst nicht ge-
willt war, baare Mittel für die Societät anzuweisen. Seine Kassen
w\aren erschöpft. Mit schwerer Sorge erfüllte es Lehsniz , die Zu-
kunft der Societät im Unsicheren sehen zu müssen'; denn dass das
Kalender- Monopol niclit ausreiche, darüber hat er sich nie einer
Täuschung hingegeben. Um so energischer strengte er sich an,
neue Monopole für die Societät zu erdenken , die dem Kurfürsten
nichts als »Worte«, d.h. Concessionen, kosten sollten. Augenschein-
lich w\ar er nach Berlin gegangen in der Hoffnung, bei dem liberalen
Monarchen, trotz der Ankündigung, dass es der Societät nichts kosten
solle, eine ausreichende regelmässige Dotation zu erwirken" und selbst
einen befriedigenden Gehalt zu l)ekommen. Er war es gewesen, der
das Unternehmen — welches in Berlin zuerst als ein schlichtes
Observatorium geplant war, umgeben von einer ziemlich nebelhaften
Societät — in eine sofort zu begründende umfassende Akademie
verwandelt hatte. Auf ihm lag jetzt die Verantwortung, die Sache
seiner Wahl am Schluss eines langen Schreibens politischen Inhalts (26. Juni, s. Klopp.
a. a. 0. S. 186 ff.), stellte das Amt wieder so harmlos wie möglich dar, verwies darauf,
welchen Nutzen seine historischen Arbeiten für Braunschweig aus seinem Berliner
Aufenthalt ziehen würden, und schloss mit dem Hinweis auf seine angegriffene
Gesundheit. Wii'klich machte er am 8. Juli 1700 (s. Urkundenband Nr. 40) eine
Eingabe an den Kurffirsten Friedrich, dass ihm die brandenburgischen Archive
geöffnet werden mögen, motivirte sie aber nicht mit einem Hinweis auf weifische,
sondern auf brandenburgische Interessen.
^ Mit runden Worten muss ihm der Kurfürst wiederholt haben.' was er selbst
allzu rasch am Anfang der Verhandlungen zugestanden hatte — dass die Societät
nichts kosten dürfe, und auch davon musste er sich überzeugen, dass er selbst
nichts Erhebliches erhalten werde (über seine persönliche Angelegenheit s. unten).
»Jussus sum diploma fundationis concipere« , schreibt er am 22. Juni 1700 (Klopp,
a.a.O. S. 172) an den Abt Molanus; »si scribere tantuin opus est, omnia in pote-
state habemus" , und an die Kurfürstin Sophie eine Woche später (a. a. 0. S. 190 f.):
"Jusqu'ici ma direction de la Societe des Sciences n'est qu'un honneur; car la
Societe ne doit rien coüter ä l'Electeur. Elle se doit faire son propre fonds , qui
ne consistera qu'en certaines concessions que l'Electeur veut accorder, sans qu'il
lui en coüte que des paroles. et par consequent ces revenus seront un peu casuels.
Pour moi, je serais assez content, si je suis dedommage des frais que je fais
quelquefois pour le bien public et pour Tavancement des sciences. Si c^uelqu'un
nous pouvait fournir quelques propositions utiles , qui ne demanderaient que le
consentement de S. A. E. , sans interesser ses finances, nous le recevrions volontiers«.
Die Kurfürstin Sophie antwortet darauf (3. Juli 1700, a. a. 0. S. 192 f.) ebenso zu-
treffend wie weltkundig: »On dirait que ^'ous allez faire des miracles d'eriger une
academie, que cela ne coüte rien a l'Electeur, quoique dans le siede oü nous
sommes. les choses ne sont point estimees qui sont ;i bon marclie".
^ Nocli in dem oben erwähnten Concept für eine Unterredung mit dem Kur-
fürsten steht als 18. Punkt: "Ob dem Fundo Societatis mit einigen Salariis zu Hülf
zu kommen".
90 Die Gi'ündung der Societät im .Talire 1700.
diu'clizuführen. Konnte man baares Geld und regelmässige Zuschüsse
nicht erhalten, so musste man auf Privilegia und Monopole bedacht
sein, obschon »ces revenus seront un peu casuels« — nicht nur vm-
regelmässig, sondern auch odiös\ Im Laufe der Monate Juni und
.luli hat Leihniz seine Vorschläge — theils schon früher gehegte,
theils neue — zu Papier gebracht und mit dem Requetenmeister
VON Wedel besprochen'. Fünf Privilegien für die Societät hat er er-
dacht, von denen die vier ersten mit den Aufgaben der Societät in
eine sinnvolle Beziehung gebracht sind, i . Die Societät soll eine
teutsch-liebende und -pflegende (Tesellschaft sein, also ist es gestattet,
eine Steuer auf Reisen in"s Ausland zu legen und sie pro re Ger-
manica zu Gunsten der Societät zu verwenden; 2. die Societät soll
die mechanischen Wissenschaften praktisch fruchtbar machen, also
ist es angemessen, dass sie das Feuerlöschwesen, die Beschaö'ung
vorzüglicher Feuerspritzen u. s. w. für das ganze Land besorgt und
pro re mechanica den Überschuss einer obligatorischen Feuerkasse,
die sie leitet, empfangt; 3. die Societät soll Missionen in heidnische
Länder ausrüsten, also ist es billig, dass der Klerus und die milden
Stiftungen pro missionibus et propaganda per scientias fide zu Gunsten
der Societät etwas beitragen; 4. die Societät soll das Bücherwesen
überwachen, daher soll sie pro re literaria sowohl die Censur (auch
an Präventiv -Censur, »soweit es thunlich«, ist gedacht), die sie
^ Bereits das Kalender -Privileg machte sehr viel böses Blut im Lande; waren
docli noch am 27. November 1699 Andere in ihrem Privileg geschützt worden (s. den
Fascikel » Kalendersachen .< im Geh. Staatsarchiv). Nicht nur die nächstbetheiligten
Buchdrucker und Buchführer protestirten , sondern auch der landschaftliche Parti-
cularismus erhob sich. Aus den Provinzen, namentlich aus Preussen, ^Minden. Stendal,
kamen Gegenvorstellungen, die zum Theil von den Provinzialregierungen unterstützt
wurden. Am lebhaftesten war man natürlich in Königsberg; man wollte es nicht
ertragen, aus Berlin den Kalender zu erhalten und den eigenen zu opfern. Der
Prof. math. David Bläsing in Königsberg machte eine Eingabe: ex officio habe er
den Kalender für Preussen herzustellen; im Jahre 1693 sei ihm das vom Kurfürsten
selbst bestätigt woi-den; er lel)e davon neben seinem kna^ipen Gehalt; auch passten
die brandenburgischen Kalender nicht für Preussen; man möge ihn ztim Mitglied
der Societät machen und ihm die Kalender -Abfassung für Preussen wie bisher über-
lassen. Eben der Petitionssturm zeigte, dass der Kalender sowohl als auch die So-
cietät gute Mittel zur Verschmelzung der getrennten Theile der Monarchie dar-
boten, und in diesem Sinne wird sie auch der Kurfürst, dem diese Verschmelzung
am Herzen lag (vergl. seine militärisclien Maassnahmen), liegrüsst haben. Freilich
musste manches Privatinteresse leiden, und mancher Buchdrucker und Buchführer
kam in Noth. Die Regierung suchte durch Übertragung des Kalenderverschleisses
an die Geschädigten die Härten zu mildern.
^ Siehe die Übersicht in dem Schreiben an vox Wedel vom 15. Juni 1700.
Urkundenband Nr. 41 und di(^ ausführlichere Darstellung in dem Entwurf Nr. 42.
LEiBNizens Vorschläge, der Societät Privileu'ien zu ertheilen. 91
ausübt, bezahlt bekommen, als auch von den eingeführten Bücher-
ballen etwas erhalten; ferner soll ihr ein Privilegium generale per-
petuum für die Abfassimg aller Schulbücher und die Oberaufsicht
über die im Lande vorkommenden Auctionen und Lotterien zuerkannt
werden; 5. der Societät soll das Recht einer Lotterie ertheilt werden,
weil »ihr Vorhaben nicht leicht einiger piae causae nachgiebt«.
Diese fünf Privilegien sind von Leibniz in Form kurfürstlicher
Edicte genau ausgearbeitet worden^ und der Kurfürst hat sie auch
genehmigt"', ja das erste und zweite bereits sogar unterzeichnet.
Allein jenes hat der Societät nie einen Pfennig eingebracht und blieb
höchst wahrscheinlich ganz unbeachtet. Die anderen — auch das
zweite"^ — sind niemals wirklich eingeführt worden*, und das war,
wenigstens was das Bücher- Commissariat anlangt, ein Segen; denn
^ Siehe Urkundenband Nr. 43— 47. Umfangreiche Parcallehnanuscripte zu diesen
Stücken befinden sich im Akad. Archiv und in Hannover.
^ Es geht das wenigstens für vier Privilegien aus einem Brief von Rabener
an CuNEAU vom 19. Juni 1700 hervor, der sich im Akademischen Archiv (Fascikel
"Vorschläge zur Vermehrung der Revenuen«) befindet: Leibxiz ist gestern Abends
bei mir gewesen, berichtete mir, dass er mit Hrn. v. Colben (dem damals einfluss-
reichsten Mann am Hof) gespeiset, nachmals mit Sr. Churf. Durchl. in Schönhausen
selbst gesprochen. Der Churfürst hat gewilligt und resolviret: i. dass die Lotterie
solle eingeführt werden (diese Genehmigung hat der Kurfürst aber bald wieder zu-
rückgezogen, wie aus einem lunfangreichen , stark durchcoiTigirten Manusciipt von
Leirniz aus der Zeit um den 15. Juli, das sich im Akad. Ai'chiv [Urkundenband Nr. 52]
befindet, hervorgeht, siehe in demselben den 13. Abschnitt); 2. der Societät solle vor
Verhütung der Feuerschäden ein Accedens verordnet werden; 3. die nach Frank-
reich Reisenden sollten Permission nehmen und pro discretione etwas der Societät
erlegen; 4. der Klerus aber müsste ein donum gratuitum offeriren, welches auch
in fundo separatim vor die emittendos theologiae studiosos müsste conservirt werden.
Das Büchercommissariat scheint nicht berührt oder nur gestreift worden zu sein.
A. a. 0. findet sich in demselben Fascikel von dem Generalsuperintendenten in Pom-
mern auch ein Vorschlag (neben dem Vorschlag des Schulbücher -Vei'lags), dass die
Societät eine privilegirte Nouv eilen -Zeitimg ediren solle. Leibniz hat auch an die
^Einrichtung einer Bank im Zusammenhang mit der Societät gedacht (s. Urkunden-
band Nr. 52).
^ Die Societät hat zwar das Feuerspritzen -Privileg erhalten, aber es wurde
vor wirklicher Einführung durch die Gründung einer Feuerkasse hintallig.
* Der Lotterievorschlag hat im Jahre 1701 zum zweiten INIal Leibniz beschäftigt.
In dem Akademischen Archiv (»Vorschläge zur Vermehrung der Revenuen«) befindet
sich ein ausgeführter Entwurf von seiner Hand: alle Loose sollen gewinnen; 20000
Loose ä 2 Thlr. sollen ausgegeben werden, 17660 Loose sollen je -^ Thlr. gewinnen,
der Hauptgewinn möge auf 1000 Thlr. festgestellt werden; der Profit würde 151 20
Thlr. betragen, bei Ausgabe von 25000 Loosen aber 22670 Thlr.; die Societät und die
Armenkasse sollen ihn unter sich theilen. Nach einem Schriftstück, datirt vom
25. November 1701, haben Graf Dohna, von Ilgen und andere Staatsmänner den
Plan gebilligt. Auch Jablonski beschäftigte sich mit ihm und schlug 25000 Loose
vor mit einem Hauptgewinn von 3000 Thlr.
92 Die Gründung der Societät im Jalu-e 1700.
Leibniz hatte hier seinen alten absolutistischen Vorschlag (s. o. S.27 f.)
mit besonderer Schärfe wiederholt. Auch die Steuer auf Reisen in's
Ausland erscheint bedenklich, wenn man erwägt, wie nützlich es
den Deutschen damals war, sich im Ausland umzusehen.
Die finanziellen Verhältnisse der Societät blieben unsicher, oder
vielmehr, die Societät sah sich lediglich auf das Kalender- Privileg
angewiesen. Wie sie in den Anfangen ihrer Arbeit an die Anfiinge
der Wissenschaft überhaupt erinnert — denn diese hat überall mit
der Beobachtung des Himmels und der Zeitrechnung begonnen — ,
so sollte sie auch, wie einst die wissenschaftlichen Zeichendeuter und
Wahrsager, auf den Ertrag ihrer Kunst angewiesen sein. Branden-
bvu-g-Preussen war an sich reich genug, um einem solchen Unter-
nehmen eine entsprechende Dotation zu gewähren ; aber der Hof ver-
schlang so grosse Summen, dass für die Wissenschaft nichts nach-
blieb, und das Interesse des Kurfürsten für die Wissenschaften ging
nicht tief genug, um ihr ein grösseres Opfer zu bringen \ Erst
nach den schlesischen Kriegen warf das Kalender -Privileg so viel ab,
dass die Akademie sich kräftiger zu entfalten vermochte.
Der Stiftungsbrief, dessen Publication ursprünglich am 26. Juni
erfolgen sollte, verzögerte sich; bereits dachte Leibniz an die Ab-
reise". Da beschloss der Kurfürst, der Societät als Stiftungstag seinen
eigenen Geburtstag zu geben^. Am Sonntag, den 11. Juli 1700, ge-
nehmigte und erliess er den von Leibniz entworfenen Stiftungsbrief*.
^ Das Urtheil Friedrich's des Grossen über das Verhältniss seines Gross-
vaters zur Akademie ist hart und nicht gerecht; aber es enthält die Wahrheit, dass
dieser Fürst mehr auf den Glanz, den die Wissenschaft verbreitet, geachtet hat,
als auf das Licht. Friedrich II. schreibt der Kurfürstin und Leibniz den Ruhm
der Stiftung der Akademie allein zu und fahrt dann fort (Mem. de l'Acad. Royale des
Sciences 1748 p. 378): »On persuada a Frederic I qu'il convenait a sa Royaute(?)
d'entretenir une Academie , comme on fait accroire ä uu nouveau gentilhomme qu'il
est seant d'entretenir une meute de chasse«.
^ Siehe den Brief der Kurfürstin Sophie an ihn vom 6. Juli 1700 (Klopp,
Werke, 8. Bd. S. 194): »Ma fille me mande qu'elle regrettera tot votre depart".
^ Auch das hat Leibniz vorgeschlagen und bewirkt, wie ein Brief von ihm
an Hrn. von Wedel beweist. Leibniz wies auch nach, dass der Geburtstag des
Kurfürsten nach dem neuen Kalender auf den 11. Juli fällt. Darüber existirt noch
ein zweites, ausführliches Schreiben im Akademischen Ai'chiv.
* Die Originalurkunde ist leider aus dem Akademischen Archiv verschwunden
und nirgends zu finden. Im Akademischen Archiv befindet sich ein undatirter Zettel
von LEiBNizens Hand (wohl an von Wedel): »Ich vermuthe, es werde nun an dem
sein, dass das Diploma fundationis, auch die General -Instruction werden ausge-
fertiget werden können. Man ist begriffen, einige Projecta Churf. Verordnungen
und Concessionen wegen Indulgenz der Reisen, wegen der Feuersprützen sammt
Zugehör und wegen der Loterie zu entwerfen«. Im Geheimen Staatsarchiv wird
Die Stit'tungsurkunde der Societät. 93
Er lalltet:
"Wir, Friderich der Dritte, von Gottes gnaden,
3Iarggraft" zu Brandenburg, des Heyl. Rom. Reichs Ertz Cammerer und
Churfiii'st, in Preufsen. zu Magdeburg, Cleve. Jülich, Berge, Stettin,
Pommern , der Cal'suben und Wenden , auch in Schlesien zu Crofsen Her-
tzog, Burggraff zu Nürnberg, Fürst zu Halberstadt, Minden und Camin,
Graft* zu Hohen Zollei-n , der Marck und Ravensberg , Herr zu Ravenstein,
Lauenburg und Bütow, für Uns, Unsere Erben und Nachkommen , Marg-
grafen und Churfürsten zu Brandenburg, Thun kund und geben hiermit
männiglich, denen es zu wifsen nothig, in gnaden zu vernehmen, was
gestalt Wir nach erhaltenem allgemeinen Frieden Unsere soi'gfalt zu be-
forderung der Ehre Gottes, ausbreitimg del'sen vv^ahrheit und cultivirung
allerhand tugenden und dem Gemeinen Wesen nützlichen Übungen eine
sichere Societet derer Scientien fundiret und gestifftet haben. Thun solches
auch fundiren und stiff'ten sothane Societet hiermit und ki'afl't dieses, und
wollen, dals dieselbe sich angelegen seyn lafsen und dahin trachten solle,
dafs vermittels betrachtung der w'ercke und Wunder Gottes in der Natur,
auch anmerckung. Beschreib- und Ausübung derer Erfindungen. Kunst-
wercke, geschaffte und Lehren, nützliche Studia, wifsenschaft'ten und Künste,
auch dienliche Nachrichtungen, wie die nahmen halien können, excoliret,
gebefsert, vollgefafset und recht gebrauchet, und dadurch der Schatz der
bisher vorhandenen aber zerstreuten menschlichen Erkäntnüfsen nicht allein
mehr und mehr in Ordnung und in die enge gebi'acht, sondern auch ge-
mehret und voll angewendet werden möge. Zu welchem ende Wir dann
diese von Uns angerichtete Societet mit tüchtigen Persohnen und behörigem
apparatu, Vorschub und fundo theils bereits würcklich versehen haben,
theils nach und nach ferner zu versehen entschlofsen seynd; I^nd wollen
männiglich in Unseren Landen, sonderlich aber die in Unseren Bedienungen
stehen, auch die sonsten dependentz von Uns haben, zumahlen aber alle,
die denen Studien ergeben, nach jedes gelegenheit der Societet zu Ihrem
gemeinnützigen Zweck die Hand möglichst zu bieten anweisen, auch die-
selbe bereits insgemein hiermit und in krafft dieses darzu nachdrücklich
angewiesen haben.
Ferner erklähren Wir Uns zu dieser Societet Besonderem Protectore,
imd wollen , was an Uns Ihrentwegen , oder in sachen , die sie betreffen.
der eigenhändige LEiBxiz'sche Entwurf aufbewahrt mit der Randbemerkung «Ex-
])ediat, iussu Serenissimi, Colin an der Spree d. 15. Juni 1700«. Allein man fand
dann doch noch nöthig, einige, wenn auch geringfügige Veränderungen zu machen,
und so entstand am 26. Juni das endgültige Concept, welches aber erst am 11. Juli
])ublicirt wurde. Nach ihm ist der Abdruck oben gegeben. In Leibnizcus Entwurf
lautete der Abschnitt über die deutsche Sprache also: »Wir haben auss eigener
Bewegniss in Gnaden guth befunden , dass man bey der Societät unter anderen
guten Studien absonderlich mit besorgen solle, was zu Erhaltung der Teutschen
Sprach in ihrer anständigen Reinigkeit, auch zu Ehr und Zierde Teutscher Nation
gereichet: also dass es eine Teutsch gesinnte Societät der Scienzen seyn, dabey
auch die ganze Teutsche, und auch sonderlich unser Lands, weltliche und Kirchen
Histori nicht verseumet werde«. Bei der Bestimmung, dass auch Nicht- Evangelische
in die Akademie aufgenommen werden können, felilen in LEiBNizens Entwurf die
Worte: »wiewoU jedesmal mit Unserem Vorbewust und gnedigsten Genehmhaltung«;
sie stammen vom Älinister vox Frcns.
94 Die Gründung der Societät im Jahre 1700.
Si^^ebnicht wird, in gnaden anhören und beförderen, Un-e unterthänigste
meinung darüber vernehmen, und was sie angehen kan. lhn(>n zu ihrer
nacliricht zu wifsen fügen.
Solchem nach soll hey dieser Societet unter anderen nützlichen
Studien, was zai ei-haltung der Teütschen Sprache in ihi-er anständigen
reinigkeit. auch zur ehre und zierde der Teütschen Nation gereichet, ab-
sonderlich mit bes«)rget werden, also dafs es eine Teütsch gesinnete So-
cietet der Scientien seyn . dabey auch die gantze Teütsche und sonderlich
Unserer Lande Weltliche- und Kirchen -Historie nicht verabsäumet wer-
den solle.
Und weilen die ^■erschiedene arten der Wilsenschaft'ten dergestalt mit
einander verbunden seynd, dals sie nicht woU gäntzlich getrennet werden
können; So wollen Wir, dafs insgemein was zu diesen und anderen nütz-
lichen Studien oder Löblichen Künsten und Tugend -Übungen, insoweit
sie von denen Studien herlliefsen , und deren Erfindung, ei'lern- und er-
leichterung auch richtiger anweisung darzu, so woll bey der Jugend, als
auch bey anderen Leuten und Liebhabern theils durch Schritften und das
Bücher- Wesen, tlieils auch durcli andere nützliche anstalten dienen mag,
nicht vergefsen, sondern die unterschiedene objecta Doctrinae nach Ihrer
Zusammenhengung zu gewifsen Zeiten und durch bequehme Persohnen
bey Unserer Societet in augenmei'ck genommen werden solle. Nachdem
auch die P^rfaiirung giebet, dafs der rechte glaube, die Christliche Tu-
genden und das wahre Christenthumb so woll in der Christenheit, als bey
entlegenen noch unbekehrten Nationen nechst Gottes Seegen denen ordent-
lichen mittein nach nicht befser, als durch solche Persohnen zu beforderen,
die nebst einem unsträflichen wandel mit verstand und erkäntnüfs aus-
gerüstet seynd; So wollen Wir, dafs Unsere Societet der Wilsenschaft'ten
sich auch die Fortpflanzung des wahren Glaubens und deren Christlichen
Tugenden unter Unserer Protection angelegen seyn lafsen solle. Jedoch
bleibet derselben unbenommen. Leute von anderen Nationen und Religio-
nen, wiewoll jedesmahl mit Unserem vorbewust und gnädigsten genehm-
haltung einzunehmen und zu gebrauchen.
Wir ordnen und wollen auch gnädigst, dafs diese Societet be}^ L^n-
serer alhiesigen Residentz. woselbst Wir auch ehestens ein Observatorium
für sie aufbauen lafsen werden. Ihr haubt - stabiliment haben solle.
Weilen aber zu einem so grofsen Zweck viele Persohnen an meh-
reren ohrten das Ihrige beyzutragen haben , So sollen auch anderswo in
Unseren Landen , auch woll zu Zeiten aufser denenselbigen gelahrte oder
sonsten bequehme und erfahrene Leute, wes Standes sie seyen, in die
Societet auf gewifse mafse aufgenommen werden können.
Schlieslich wollen Wir die Societet mit einer mehrern ausführlichen
General Instruction imd mit gewifsen Satzungen und Reglementen, wie
nicht weniger mit zulänglichen Begnadigungen und Privilegien zu genüg-
samer erreichung und bestreitung ihres ^"orhabens gnädigst versehen, welche
alle eben die Kraft"t und würckung haben sollen , als ob sie in dieses Un-
ser Diploma fundationis von wort zu wort eingerücket worden, wonach
sich also männiglich gehorsambst zu achten.
Uhrkündlich unter Unserer eigenhändigen unterschrift't und vor-
gedrucktem Gnaden Siegel, Gegeben zu Colin an der Spree den 1 1 ten
Juli 1700 '.
So corrigirt; das ursjn-üngliche Datum »26. Juni" ist ausgestrichen.
Die Stiftungsurkunde der Societät. 95
Absichtlich ist dieser Stiftungshrief möglichst allgemein ge-
halten. Nach ihm handelt es sich nicht um eine mathematisch-
physikalische Anstalt mit einem germanistischen Anhang, sondern
um eine umfassende Societät der Wissenschaften. Zum ersten Mal
begegnet hier in einer öffentlichen Urkunde neben der Pflege der
deutschen Sprache auch die Pflege der deutschen Geschichte und
der brandenburgischen politischen- und Kirchengeschichte\ Damit
ist der zweite Keim für die Entstehung der philologisch -historischen
Klasse gesetzt. Die Beschcäftigung mit der Frage der Wiederaufnahme
der Magdeburger Centurien (s. oben S.84) hatte Leibniz die Kirchen-
geschichte noch besonders nahe gelegt. Der christlich- civilisatorische
Zweck, d. h. die Aufgabe fidem per scientias propagandi ist bestimmt
ausgeprägt, aber nicht specialisirt; daneben steht die Zusicherung
jener edlen Toleranz, wie sie der Grosse Kurfürst in Brandenburg
gepflanzt hat: auch Leute von anderen Nationen und Religionen
sollen aufgenommen werden können. Der Stiftungsbrief ist ein
Meisterstück weiser Wissenschafts -Politik: er steckt das Gebiet der
Aufgaben weit und umfassend ab und hütet sich vor zu genauen
Ausführungen, die der zukünftigen Entwicklung hinderlich werden
könnten. Niemals noch sind einer Akademie so hohe Ziele gewiesen
worden, und Leibniz hat Recht, Avenn er sagt, dass die Aufgaben
der Pariser und Londoner Akademie hinter den hier gestellten zu-
rückbleiben'". Zu besonderer Freude wird ihm der Schlussabschnitt
gereicht haben, in welchem der Monarch zusichert, die Societät
»mit zulänglichen Begnadigungen und Privilegien zu genügsamer
Erreichung und Bestreitung ihres Vorhabens gnädigst zu versehen«.
Dass sich der Kurfürst selbst zum Protector der neuen wissenschaft-
lichen Anstalt ernannte, war von hoher Bedeutung.
Die allgemeine und ungewöhnliche Fassung des Stiftungsbriefs
— er stellt der Societät ein dreifaches Ziel: das evangelisch -civili-
satorische, das naturwissenschaftlich-praktische und das deutsch-
nationale — machte es nothwendig, eine ausführliche General-
instruction für die Mitglieder der Societät hinzuzufügen, aufweiche
' Doch siehe schon LEiBxizens Eingabe an den Kurfürsten vom 8. JuH. Ur-
kundenband Nr. 40.
^ Es ist niclit richtig, wenn Friedrich der Grosse (.luli 1737) Voltaire schreibt.
Leibniz habe die Berliner Societät nach dem Modell der Pariser Akademie gegründet;
denn erstlich hat er die I^ondoner Königliche Gesellscliaft niclit weniger berück-
sichtigt, zweitens ist sein Plan durchaus originell gewesen . und das Statut der Bei'-
liner Societät ist den Statuten der älteren Akademieen gegenü])er selbständig (s.
Barthoi.mkss, Hist. philos. de TAcad. de Prusse, i. Bd. p. 32 ff.).
*)() Die Gründung der Societät im .Itdire 1700.
im Stiftungsbrief bereits verwiesen ist. Auch sie ist von Leibniz
entworfen worden im Verein mit Jablonski und den anderen Freun-
den\ Sie wurde mit dem Stiftungsbrief zugleich der Societät über-
geben".
Die sehr ausführliche Instruction ist von der Societät, solange
sie noch kein förmliches, verbrieftes Statut besass, als solches be-
trachtet worden; in Eingaben an den König hat sie sich immer
wieder auf sie berufen. Diejenigen Punivte, die in den bisherigen
Actenstücken noch nicht oder nur tlüchtig festgestellt worden sind,
müssen hier hervorgehoben werden^.
Indem der Kurfürst sich zum Protector ernennt, ordnet er zu-
gleich an, dass die Societät nach dem Beispiel der Königlich Eng-
^ Das folgt aus dem Schreiben an Hrn. von Wedel (Urkundenband Nr. 49).
- Das Original befindet sich in dem Akademischen Archiv, vom Kurfürsten
am II. Juli 1700 untei'zeichnet (s. den Urkundenband Nr. 50). Auf dem Geh. Staats-
archiv ist ein durchcorrigirti^s Concept und eine Reinschrift, unterzeichnet vom Grafen
VON Wartenberg, II. Juli 1700.
^ Wichtig ist, dass die Instruction ausdrücklich der »unter unseren Schutz
genommenen neuen Einwoluier« gedenkt und daran erinnert, dass durch sie »aller-
hand Manufacturen und Nahrungsmittel eingeführet". Die Missionsaufgabe der So-
cietät — die ja an sich die Zeit verräth, in welcher der vom König geschätzte
Pietismus INIission zu treiben begann — - wii'd u. A. auch damit motivirt, dass »den
Evangelischen keine Nachlässigkeit aufgebürdet werden könne«. Sehr ausführlich
wird der wissenschaftlich - religiösen Mission im Osten gedacht. Dicht neben ein-
ander stehen Magnetismus und Christenthum. »Wir wollen bedacht sein, wie
mit dem (uns befreundeten) Czaren bei Gelegenheit Handlung gepflogen und dien-
liche Anstalt gemachet werde, dass von den Grenzen unserei' Lande an bis nach
China nützliche Obsei'vationes astronomicae, geographicae, daneben nationum, lin-
guarum et inorum rerumque artificialium et naturalium nobis incognitarum u. dergl.
gemachet und der Societät zugeschickt werden. Weilen auch in Sonderheit bekannt,
dass die Declination des Magnetens mit den Orten und Zeiten sich ändert, in deren
Erkenntniss aber der Geographie und Schitfahrt ein überaus Grosses gelegen , so
könnte dieser Punkt vom Rhein an bis an die Memel, und so ferner in dem
nordischen und östlichen Theil der Welt, da er bisher ganz oder doch grössesten-
theils unerörtert geblieben, durch eigene Personen mit Vergünstigung oder Vorschub
des Czaren oder auch anderer Potentaten untersuchet werden, bei welchen Gelegen-
heiten zugleich auch dahin zu trachten, wie denen barbarischen Völkern in solchen
Quartieren bis an China, das Licht des Christenthums imd reinen Evangelii anzu-
zünden und in China selbst von der Land- und Nordseiten denen seewärts hinkom-
menden ^Evangelischen hierunter die Hand geboten werden könne. . . . Wir wollen
übrigens auch in obigen und anderen Nachsuchungen der Societät durch Unsere
afrikanische und amerikanische Compagnie an die Hand gehen lassen.« Zu dem
Plane, Missionare nach China und Indien auszusenden, bemerkte die hannoversche
Kurfürstin in ihrer ironischen Weise (26. Juni 1700, Klopp, Werke Bd. 8 S. 189):
»Ce sera une belle eutreprise d'envoyer des missionnaires aux Indes. 11 ine senible
({u'il faudrait premierement faire de bons Chretiens en AUemagne, sans aller si loin
pour en former«.
Die General -Instruction. 97
lisclien »aus einem Consilio und mehreren Mitgliedern« bestehen soll.
»Das Consilium soll sich die Sachen der Societät absonderlich an-
gelegen sein lassen und deren abwarten , auch zum öftern zusammen-
kommen, um von allem dem zu handeln, so auf einige Weise zu
dem Zweck der Societät gereichen kann«. Es soll neue Glieder zur
Aufnahme vorschlagen und die verschiedenen Versammlungen an-
kündigen, in welchen bald von mathematisch -physikalischen Din-
gen, bald von der deutschen Sprache oder von den anderen Studien,
»zumal der Historia Germaniae«, gehandelt werden soll. Diese drei
Abtheilungen der Societät (Res physico-mathematicae, Lingua Ger-
manica, Res litteraria, vornehmlich das Studium historiae Germaniae
sacrae et profanae) werden unterschieden, und damit ist der Grund
zu der Eintheilung in Klassen gelegt.
Dem Präses wird das Recht ertheilt, »die Proposition zu thun
und die Conclusiones zu machen«. In seiner Abwesenheit soll ein
Vicepräses fungiren , » durch welchen und den Secretarium dem Prae-
sidi von den Vorfälligkeiten gewisse Nachricht zu geben und mit
ihm soviel thunlich von den Angelegenheiten der Societät zu com-
municiren sein wird«.
»Ausser dem Consilio Societatis, worein voritzo zumalen die-
jenigen zu nehmen, welche mit deren Fundation bemühet gewesen«
— damit waren Jablonski, Cuneau und Rabener bezeichnet — , sollen
mit der Zeit auch einige Standespersonen und kurfürstliche höhere
Beamte aus allen Zweigen der Regierung, Wissenschaft, Kunst und
des Militärwesens, die fürnehmsten als Honorarii, die anderen als
Mitarbeiter und Correspondenten, aufgenommen werden. Auch Aus-
länder sind »nach Befinden der anständigen Beschaffenheiten und
Umstände herbeizuziehen und zu Mitgliedern aufzunehmen«. Die
Societät soll also i . ordentliche Mitglieder umfassen , die das Consi-
lium bilden, 2. mitarbeitende bez. correspondirende Mitglieder inner-
halb^ und ausserhalb Berlins und des Landes, 3. Ehrenmitglieder.
Angeordnet wird auch, dass neben den secreten Protokollen
und Acta öffentliche, zu allgemeiner Einsicht bestimmte, geführt
werden sollen. Sie sollen die Grundlage für ein zu druckendes »Dia-
rium Eruditorum« werden, in welchem »hauptsächlich dasjenige, so
in den Büchern eigentlich neu und sonderbar, dadurch der Schatz
menschlicher Wissenschaft und Nachrichtungen vermehret wird, an-
gedeutet und auch wohl nach Gelegenheit herausgezogen, mithin
^ Nicht alle in Berlin lebenden [Mitglieder geliörten zum Consilium.
Geschichte der Akademie. I. 7
J)8 Die (li-iuKlung der Societät im .lalire 17i)0.
(las sonst in eine Unendliclikeit gehende Bücherwcsen zu gemeinem
Nutz einigermassen in Grenzen gehalten wünh^«. Hiermit ist die
Herausgabe von Schriften angeordnet. Besonders ausführlich und
nachdrücklich ist die Pflege der deutschen Sprache und Geschichte
— einschliesslich der Kirchengeschichte und der Vertheidigung des
evangelischen Glaubens — in der Generalinstruction vorgeschrieben:
"Damit auch die uralte teutsche Hauptsprache in ihrer natüi'lichen, anständigen
Reinigkeit und Selbststand erhalten werde, und nicht endlich ein ungereimtes Misch-
masch und Undeutlichkeit dai-aus entstehe, so wollen Wii' die vormalige fast in Ali-
gang und Vergess gekommene Vorsorge durch mehrgedachte Unsere Societät und
andei'e dienliclie Anstalten erneuern lassen. Und wie Wir dahin sehen lassen wer-
den, dass in Unsern Kanzleien. Regierungen, Collegien und Gerichten bei den Aus-
fertigungen die fremde unanständige Worte und übel entlehnte Reden, so viel füg-
lich geschehen kann , vermieden , hingegen gute teutsche Redarten erhalten , herfür-
gesuchet und vermehret werden, also wollen Wir auch Verordnung machen, dass
der Societät mit teutschen Benennung- und Beschreibungen derer vorkommenden
Dinge und Wii'kungen von erfahrnen Leuten in allerhand Lebensarten an Hand ge-
gangen, niclit weniger aus denen Archiven und Registratui'en sowohl die alten,
nunmehr abgegangenen, als aus denen Provinzen verschiedene bei dem Landmann
nur etwan noch übliche, sonst aber unbekannte Worte, worin ein Schatz des teut-
schen Alterthums, auch derer Rechte und Gewohnheiten Unserer Vorfahren, theils
zu Erkenntniss der Ursprünge und Historien, theils auch zu Erläuterung heutiger
hohen und anderer Rechte, Gewohn- und Angelegenheiten vei'borgen stecket, an-
gemerket, gesammlet und mitgetheilet werdend
Wir wollen auch, dass die Societät das wichtige Werk der Historien, son-
derlich der teutschen Nation und Kirchen, zumalen in Unsern Landen, sich ange-
legen sein lasse, damit Alles richtig beschrieben, mit gutem Gi'unde und bewälu'ten
Zeugnissen, und zwar soviel möglich aus Diplomatibus, glaubwürdigen Scripturen
und gleichzeitigen Scribenten oder sonst behörigem Beweistlunn dargethan^, das
wahre Alterthum des evangelischen Glaubens sowohl als die Nothwendigkeit und
Beschaffenheit der teutschen evangelischen Reformation und deren Festsetzung gegen
die Missstellung und Verdrehungen der Widersacher behauptet, der teutschen Nation
Ehre gerettet und ans Licht gestellet . . . werden möge. Zu welchem Ende auch
zu Zeiten eine Relation, Berichte, Tentamina und Specimina, bis grössere Werke
ausgearbeitet werden möchten, in teutscher oder lateinischer Sprache herfürtreten und
von wegen der Societät oder mit Dero Gutheissen herausgegeben werden könnten.»
Von den Kalendern heisst es, dass die Societät sich für sie
ein besonderes Zeichen erwählen kann^; ferner soll sie ein Siegel
vorschlagen, welches der Präses bez. der Vicepräses zu führen hat.
^ Dieses Prugranun hat die Akademie 140 .fahre später durch die Gebrüder
Grimm ausgeführt.
^ Diese Aufgabe hat die Akademie im 19. .lahrhundert durch die Betheiligung
an der Herausgabe der Monumenta Germaniae und durch die Acta Borussica zu
erfüllen gestrebt.
* Die Societät wählte sich ein solches. Eine gedruckte Beschreibung desselben
aus etwas späterer Zeit findet sich im Geh. Staatsarchiv (..Kalendersachen"): «Ex-
plication der liieroglyphischen Figuren, so den Kalender der Societät der Wissen-
schaften bezieren, wie selbige sowohl auf S. Königl. 3Iaj. den Stifter dieser Societät
Die General -Instruction. 99
Neben diesen Anordnungen ist die reichste Fülle kurfürstlicher
Gnaden, Zuwendungen, neuer Privilegien, Geschenke, Concessionen,
extraordinärer Suhsidien — neben dem Observatorium ein Labo-
ratorium, Bibliothek, Museum, Raritätenkammer, Theatrum naturae
et artis, die Lieferung rarer Thiere und Gewächse u. s. w. — ver-
heissen. Auch werden Belohnungen und Beförderungen besonders
verdienter Mitglieder, sowie die Austheilung von Medaillen für her-
vorragende Leistungen verheissen. Aber freilich — nichts von dem
allen ist in greifbare Gestalt gebracht. In dieser Hinsicht bleibt
es lediglich bei dem Kalender-Privileg und den daraus zu erwar-
tenden Einkünften. Alles Übrige wurde für eine unbestimmte Zu-
kunft versprochen.
Auf dem Papier waren die Aufgaben der Societät festgestellt \ und
sie selbst formell eingesetzt; nun galt es sie wirklich einzurichten.
Bis dahin sollte auch der öffentliche feierliche Act der Inauguration
verschoben werden. Lediglich eine Medaille mit dem erwählten
Siegel der Societät"' und dem Bildnisse des Kurfürsten wurde zur
deuten, als auch auf dieselben Länder, wo dieser Kalender gebräuchlich. Es er-
scheinet in der Luft das Gestirn , der Adler benaniet , unter welchem die Länder
Preussen und Brandenbui'g gelegen , welche Länder hier durch einen geharnischten
Mann, den Septentrion vorstellend, bemerket sind. Dieses noch deutlicher zu machen,
ist neben ihm ein Adler, das AVappen dieser Länder, als auch sonderlich die beiden
Hauptstädte Königsbei'g und Bei'lin hieljei gebracht. Hierüber befindet sich die
Musa Urania, welcher Verrichtungen sind, den Himmels-Lauf zu betrachten und
die Gedächtnisse der berühmten Leute unter die Gestirne zu verzeichnen, wie sie
hier den Namen S. Königl. 3Lnj. erhebet und solchen mit ihrer Krone von Sternen
bekrönet. LTnter einigen astrologischen Listrumenten, so hiebei liegen, ist auch
sonderlich der hiesige Kalender zu sehen, endlich ist auch das Berlinische Obser-
vatorium, welches von S. Königl. Maj. gestiftet, in der Ferne zu erkennen«.
^ Die Philosophie findet man nicht unter ihnen; die alte aristotelische ge-
hörte den Universitäten, und man wollte sie nicht; eine neue neben Mathematik
und Physik als besonderer Zweig war noch nicht entwickelt oder war doch noch
nicht anerkannt. Erst Leibnizcus Schüler brachten eine neue Philosophie in Gang.
Er selbst, der grosse Metaphysiker, war ein realistischer und praktischer Denker;
er fürchtete mit Recht, dass eine besondere philosophische Klasse sich in unfrucht-
bare Speculationen , wie die früheren Zeiten sie getrieben, verlieren würde. Die
»Philosophie« sollte sich in der Gesammtarbeit der Societät darstellen und aus
ihr hervorgehen. Treffend hat über diesen Piuikt Bartholmess (Hist. philos. de
l'Acad. de Prusse, i.T. p. 29ff.) gehandelt: -Le seul travail philosophique auquel
une academie doive se livrer, si l'on en croit Leibniz , consiste ä montrer, de temps
en temps, l'intime liaison de toutes les branches du savoir humain«.
^ Sie führt dieses .Siegel noch heute, den zu den Sternen auffliegenden
Adler, mit der Umschrift: »Cognata ad sidera tendit«. Das Siegel und ein lateini-
sches Gedicht auf die Medaille stammen von Leibniz, s. Urkundenband Nr. 51. Aus
einem Brief D. E. Jablonski's an Leibniz (Hannov. Bibliothek) vom 17. September
1700 geht hervor, dass das Siegel im September hergestellt sein sollte, aus späte-
100 Die Gründung der Societät im Jahre 1700.
Erinnerung an den 1 1 . Juli einige Monate später geschlagen. Wie
energisch Leibniz in den Monaten Juli und August thätig gewesen
ist, um die Einrichtung der Societät durchzusetzen und die in der
Generalinstruction gewährten allgemeinen Zusicherungen zu verwirk-
lichen und fruchtbar zu machen, zeigen zwei merkwürdige Coneepte
aus dieser Zeit, die im Akademischen Archiv aufbewahrt werdend
Das eine ist zugleich ein Zeugniss der wunderbaren Umsicht, mit der
er nichts ausser Acht liess und selbst das Kleinste im Auge behielt,
aber auch der unvergleichlichen Thatkraft, mit der er eine Fülle
von Angelegenheiten neben einander betrieb. Jenes ist eine Auf-
zeichnung, für Hrn. von Wedel oder den Staatsminister von Fuchs
bestimmt, um die Angelegenheiten der Societät beim Kurfürsten in
der richtigen Weise zum Vortrag zu bringen, dieses ist eine Über-
sicht über 63 Geschäfte, die er im Interesse der Societät bei seinem
sich dem Ende zuneigenden Aufenthalt in Berlin zu erledigen habe".
Die Übersicht zeigt deutlich, dass Leibniz weit davon entfernt war,
die Societät auf das Kalenderwerk — sei es auch nur anfangs —
zu beschränken; vielmehr sah er es als seine Präsidentenpflicht an,
sofort Alles zu thun, was in seinen Kräften stand, um sie auf die
breiteste Grundlage zu stellen und zu einer umfassenden Thätigkeit
zu fähren; als seine Präsidentenpflicht — denn am Tage nach der
Stiftung hatte der Kurfürst das Diplom der Ernennung LEiBNizens
zum brandenburgischen Geh. Justizrath und zum Präses der Societät
ausfertigen lassen^. Die Ernennung legte ihm die Pflicht auf, die
ren Schreiben folgt aber, dass es erst im Februai- 1701 fertig wurde. Das Gedicht
hat Leibniz erst verfertigt, nachdem er vergebens nach einem Dichter Umschau
gehalten, s. den Brief der Kurfürstin Sophie vom 18. August 1700 (Klopp, Werke,
8. Bd. S.2o6f.) und Leibnizciis launigen Brief an den Abt Mauro vom 10. August
1700 (Klopp, Werke, lo.Bd. S.336f.): »La societe des sciences et belles lettres,
que Msgr. l'Electeur de Brand, a fondee, et dont il veut que j'aie quelque soin,
m'olilige de chercher une source ou fontaine d'AUemagne qui puisse tenir Heu
d'Hippocrene, pour servir ä notre poesie. Je vous supplie donc de m'en indiquer
quelqu'une, si vous en avez connaissance. Car vous etes le favori d'ApoUon, et
les Nymphes des bois et des eaux vous honorent et vous caressent partout. Celles
de Lustenbourg, qui sont aussi charmantes et delicates que les gräces meines , quoi-
qu'elles demeurent au inilieu d'un bois, en donnent des marques dans toutes les
occasions«, u. s. w. Das Gedicht enthält eine Anspielung auf die Königskrone.
^ Siehe Urkundenband Nr. 52 und 53.
^ Man ersieht hieraus unter Anderem, dass Leibniz den Mathematiker Naude
als Secretar, den Bibliothekar La Croze als Redacteur des Diarium Eruditorum in's
Auge gefasst hatte (s. Nr. 14 und 15 des Actenstücks Nr. 53). Allein diese Pläne ver-
wirklichten sich nicht (s. unten).
^ Auch "Directeur de la Societe« wird er seitdem nicht selten genannt, so
z. B. ;uif den Adressen der Briefe von Ch. Ancillon.
Leibniz übernimmt die Stelle des Präsidenten. 101
Geschäfte der Societät zu führen, »soweit seiner Herrschaft Zulassung
gehet und mit Vorbehalt der Obliegenheit, womit er derselben ver-
wandt« — er blieb also hannoverscher Unterthan. Er solle 7ai
dem Zweck so oft nach Berlin kommen, als «es seine jetzige Char-
gen und andere Geschäfte leiden mögen«, und «abwesend über die
Objecte und Labores der Societät correspondiren , dass alles Vor-
fallende ordentlich abgehandelt und gründlich untersucht werde«.
Schwierigkeiten hatte die Gehaltsfrage gemacht. Leibniz hatte
ursprünglich looo Thlr. verlangt. Als man Bedenken trug, ihm
diese zuzusichern, wünschte er, dass in dem Diplom überhaupt keine
bestimmte Summe genannt, die genauere Feststellung vielmehr wei-
teren Verhandlungen überlassen würde. Diesem Wunsch wurde nach
längeren zwischen von Wedel, Cuneau und ihm gepflogenen Ver-
handlungen entsprochen und endlich folgender Text für das Diplom
festgestellt: «(Wir haben gnädigst resolvirt), ihm ein anständiges
Tractament zu determiniren, und überdiess, neben Ersetzung der pro
Publico zu Unseren und der Societät Zweck bereits angewendeter
noch anzuwendender Kosten, ihm andere Gnaden und Emolumenta
nach Gelegenheit der von ihm verhoffentlich leistender nützlichen
Dienste wiederfahren zu lassen«. Diese allgemeine Zusage versprach
also sowohl einen festen Gehalt als Kostenentschädigung und be-
sondere Zuwendungen für besondere Leistungen. Da aber Hof und
Regierung sich nicht entschlossen, etwas Sicheres zu bestimmen^
so wurde nach weiteren »mühsamen« Verhandlungen zwischen Leibniz
und dem Consilium Societatis (Jablonski, Cuneau, Rabener) am
1 1 . August festgestellt , dass er als Entschädigung für Correspondenz
und Reisen jährlich 600 Thlr. aus der Societätskasse (gerechnet vom
I.Mai 1700) empfangen solle. Ausdrücklich wurde dabei bemerkt,
dass die Summe »bei genugsam anwachsendem Fundo Societatis nach
Noth dürft erhöht w^erden solle«, und dass durch diese Entschädi-
gungssumme weder der ex fundo der Societät bez. durch kurfürstl.
Bewilligung zu gewährende Gehalt noch die besonderen Zuwendungen
präjudicirt seien. Hierbei hat sich Leibniz nur beruhigt, weil Hr.
VON Wedel ihm folgende Zusicherung machen liess": »Man gehet
an diesem Hofe in dergleichen Dingen stets weiter als man ver-
spricht, und hoffe ich, dass der Hr. Leibniz auch in diesem Stücke
mit uns wird vergnüget sein, sobald nur der Fundus pro Societate
^ Wahrscheinlich dachte man daran, Leibniz ganz nach Berlin zu ziehen uni
dabei die Gehaltsfrage zu regeln.
^ Siehe im Urkundenband Nr. 54.
102 Die Gründung der Societiit im Jahre 1700.
eingerichtet, und ich Gelegenheit finde, vor dieselbe, was ich vor-
habe, auszubitten. Wenn Societas wird etabliret seyn und S. Churf.
Durchl. den Verfolg der gemachten Hoffnung sehen werden, kommet
es derselben auf ein Augmentum von etlichen loo Thlr. nicht an:
cum generosis generöse; überdem hat erwähnter Hr. Geheim Rath
mir zum öftern contestiret, dass er hierbei nichts so sehr envisagire
als bonum publicum ohne alles privat Absehen«.
Einstweilen erhielt Leibniz also nichts Anderes als eine fixirte
Kostenentschädigung; dabei ist es überhaupt geblieben. Dennoch
haben sich sj)äter daran peinliche Erörterungen angeschlossen, die
für Leibniz kränkend waren, und zuletzt hat man die Entschädigung
auf die Hälfte herabgesetzt. Überschlägt man , welche Versprechun-
gen ihm anfangs gemacht worden sind, so kann man es ihm nicht
verübeln, weim er später fest darauf bestand, dass ihm wenigstens
die 600 Thlr. ausbezahlt würden'.
Bis Ende August ist Leibniz noch in Berlin geblieben, stark
beschäftigt durch die hochpolitische Correspondenz mit der Kur-
fürstin Sophie in Bezug auf den nordischen Krieg und durch bran-
denburgische Hofangelegenheiten; galt er doch schon so sehr als
der Vertrauensmann Sophie Charlotte's, dass Hr. von Ilgen durch
ihn das Vertrauen der Kurfürstin zu gewinnen suchte". Aber auch
in directem brandenburgischem Staatsinteresse war er thätig durch
Vorschläge über Verbesserung des Justiz wesens^, durch politische
Vorschläge^ und durch ein Gutachten über die Ebenbürtigkeit der
fürstlich hohenzoUernschen Linie mit den alten fürstlichen Häusern^.
Aber seine Hauptsorge blieb die Societät, Er erreichte wenigstens,
dass- ein grosser, in Rom angefertigter Tubus, der sich in Berlin
befand, der Societät ausgeliefert*^, dass der Kalender für 1701 wirk-
lich in Angriff genommen wurde', und dass man die Societät mit
' Da sich später Vorwürfe gegen Leibniz an diesen Punkt geheftet haben,
umgekehrt aber neuerlich eine liüchst gravirende Anklage gegen Foejiey's Darstellung
des Vorgangs (in seiner Histoire de l'Acad. 1752) erhoben worden ist, ist das Acten-
material im Urkundenband Nr. 54 zusammengestellt und beleuchtet worden.
- Siehe die Briefe bei Klopp, Werke, 10. Bd. S. yoff. 331 ff.
3 A.a.O. S. 333 ff.
* A. a. O. S. 70 ff.
'" Siehe KAPPens Sammlung S. 226 ff. Auch Studien über die Oranische Erb-
schaft begann er damals.
^ Geh. Staatsarchiv, Verfügung vom 25. August 1700.
'' Jn dem Fase. "Wissenschaftl. Verhandlungen 1704— 1734« des Akad. Archivs
findet sich ein Kalender -Druck für 1701 mit der Aufschi-ift: »Hi'sg. unter Appro-
bation der Churf. Brandenb. Soc. d. Wissenschaften ■>.
Lkiüniz verlässt Berlin. 103
der Aiitlage verschonte , Vorlesungen in deutscher Sprache in
Berlin für weitere Kreise einzurichten. Der ehemalige Herborner
Professor Grau hatte einen heachtenswerthen, aber unreifen Vorschlag
in dieser Hinsicht gemacht, und der Kurfürst, der Willens war,
auf ihn einzugehen, hatte Leibniz mit einem Gutachten betraut^
Am meisten lag ihm die Gewinnung ausgezeichneter Mitglieder im
In- und Ausland und die Eiiu'ichtung eines regelmässigen Verkehrs
mit den anderen Akademieen am Herzen; denn er hoffte noch immer,
der Kurfürst werde sich freigebig zeigen, sobald die Societät in Acti-
vität gesetzt und durch glänzende Namen empfohlen sei. Er schrieb
an den Präsidenten der Londoner Königlichen Gesellschaft, Sloane,
zeigte ihm die Stiftung an und bat um Rath". Er gewann wirklich
bei-eits eine Reihe von Mitgliedern'' und wurde durch ein aufmuntern-
des Schreiben Spaniieim's aus Paris (vom 23. August 1700) erfreut^.
Spanheim war begeistert, dass die Stiftung der vSocietät gelungen
und dass Leibniz an ihre Spitze gestellt war: »Schon seit einer
Reihe von Jahren wünsche ich mit Begierde, dass man Sie nach
Berlin ziehe; ich hoffe, dass die Errichtung dieser Akademie Sie
jetzt und in Zukunft an Berlin fesseln wird«.
Am 2 1 . August verabschiedete sich Leibniz l)rief lieh von der
Kurfürstin und bemerkte in dem vertrauensvollen Schreiben frei-
müthig, dass sie ihn zuletzt «zu sehr als Fremden behandelt habe«^
— doch war das nur ein vorübergehender Eindruck. Er begab
sich über Wolfenbüttel nach Braunschweig; bereits am 6. Septem-
ber schrieb ihm der Cabinetssecretär im Auftrage der Kurfürstin,
diese fordere ihn auf, mit ihr und ihrer Mutter in die Bäder nach
Aachen zu gehen ^"'. Dieser Brief erreichte ihn nicht mehr; denn
^ Dergleichen Vorschläge lagen damals wie heute in der Luft (»University
Extension"). LEiBNizens bisher ungedrucktes wohlwollendes, aber vorsichtiges Gut-
achten ist lehrreich; es steht im Urkundenband Nr. 55.
^ Der Brief ist unmittelbar, nachdem Leibniz Berlin verlassen, von Brauii-
schweig aus (3. September 1700) geschrieben. Sloane antwortete am 15. November
U.A.: »I communicated the letter you sent me to the Royal Society and desired
tlieir conunands in answer to it. Tiie}^ could not give any particular directions or
proposals relating to the new established Acadeiny at Berlin but wish it all suc-
cess in whatever they undertake. They are ver)^ well pleased that there shonld
be such coinpanies of men established in several parts of the world. hoping tliat
thereby knovvledge may be increased" ... (llannov. Bibl.).
^ Siehe den Brief an Jabloxski vom 30. August 1700 in IVAPPens Sammlung
S. 204 ff.
* Hannov. Bibl. ^ Klopp, Werke, 10. Band, S. 80.
*" Der Brief steht in Kappcus Sammlung S. 209ff. . wo aber im Text «Sep-
tember« statt »Auü'ust« zu lesen ist.
104 Die Gründung der Societät im Jahre 1700.
am 5. September war er nach Teplitz und von dort Ende Septem-
ber nach Wien gereist, wo er bis Mitte December bUeb und hoch-
politische Verhandlungen mit dem Kaiser über die Union zwischen
Katholiken und Protestanten führte \ In dieser Zeit ruhte seine
Thätigkeit für Brandenburg und Hannover fast ganz und wurde
erst wieder aufgenommen, nachdem er Ende December nach Han-
nover zurückgekehrt war. Aber unmittelbar vor seiner Abreise nach
dem Süden hat er noch einen instructiven Brief an den Hofprediger
Jablonski und ausserdem Briefe an Cuneau und von Wedel ge-
schrieben^. Dazu hat er eine anonyme lateinische Schrift in Form
eines Briefes abgefasst, die im Druck ausgehen und weitere Kreise
auf die neue Stiftung aufmerksam machen sollte. Sie erschien —
die Berliner Freunde mögen mitgewirkt haben — im Jahre 1701
in Berlin wirklich im Druck unter dem Titel »Epistola ad amicum«
und wurde versandt"^.
' Siehe Klopp, Werke, S.Band, S. XXXf.
^ Der an Jablonski ist erhalten und stellt in IvAPPens Sammlung S. 204 ff.,
s. Urkundenhand Nr. 56. In diesem Briefe ist auch von jenem Pro -Memoria die
Rede, das er üher die deutsche Sprache dem Kurfürsten eingereicht hat (wohl die
auf ScHOTTELius" Dai'legungen ruhenden »Vorläufigen Gedanken«, s. oben S. 18).
Er erzählt ferner, dass er Spener's Sohn, den Naturforscher, bewogen habe, mit
der Societät zu correspondiren , und dass er bereits ffinf Mitglieder geworben habe,
nämlich D. Fabricius in Helmstädt — dieser ist der erste gewesen, der der Socie-
tät zum Dank ein Werk gewidmet hat [sein Systema controversiarum] — , den Abt
ScHMiD zu Marienthal, den Propst Müller in Magdeburg, den Prof. von Hard,
Pi'opst zu Marienberg, und den französischen Prediger Vignoles zu Brandenburg; die
Prälaten zu Huysburg und Hameivsleben und der Abt zu Bergen werden wahrschein-
lich auch gewonnen werden. Jablonski antwortete am 17. September (Hannov.
Bibl.): "... werde gleichwohl nicht gar viel, die Societät betreffend, melden, weil
solches Andere vor mir werden gethan und gemeldet haben [so lebhaft war die
Correspondenz !] , dass der Societät Siegel die nächste Woche werde fertig sein,
dass der Secretarius 8 Tage nach Michaelis sich dahier einfinden werde, dass so-
dann unsere Conventus ihren Anfang nehmen werden, dass das erste in denselben
sein werde die Denomination derer membrorum honorariorum ein- und ausheimi-
schen, dass man eine forinulam literarum receptionis alsdann aufsetzen, solche aber
zuvor meinem Herrn gehorsamst communiciren werde (allerinassen ich par avance
umb geneigte Communication eines solchen Diplomatis Societatis Anglicanae et Galli-
canae copialiter dienstlich bitte, damit man daraus einiges Licht und Anleitung nehme);
dieses und dergleichen werden die andern Herrn berichtet haben«.
^ Der Inhalt und Stil beweisen die Mitwirkung, wenn nicht die alleinige
Autorschaft Leibnizcus, vergl. dazu die Beziehungen auf die Schrift, die sich bei
ihm in späteren Kundgebungen finden. Dass er selbst in diesem offenen Brief
(abgedruckt im Urkundenband Ni-. 57) hoch gepriesen wird, spricht nicht dagegen:
zur Noth kann er das selbst geschrieben haben, oder die Berliner Freunde
haben es eingesetzt. Friedrich wird als »Hercules Musageta« gefeiert. In Druck
gegeben wurde die Schi-ift von dem Secretar am 14. Juni 170 1 (s. Diarium Socie-
tatis im Akad. Archiv).
Geschichte der Societät von 1700 — 1711. 105
In Berlin hatte man unterdessen in dem älteren Bruder des Hof-
predigers, Johann Theodor Jablonski (1654— 1731), einen Secretar
für die Societät gefunden, nachdem man die Absicht, den schwer-
hörigen Naude für dies Amt zu wählen, aufgegeben hatte. Johann
Theodor Jablonski war bereits 46 Jahre alt, als er in die Dienste
der Societät trat; er kannte Holland und England, war an Höfen
als Prinzenerzieher thätig gewesen, zuletzt seit 1689 in Barby am
Sachsen -Weissenfels'schen Hofe, und besass umfassende encyklopä-
dische Kenntnisse \ aber ohne wissenschaftliche Selbständigkeit und
ohne irgendwo als Fachmann heimisch zu sein. Anfang October trat
er sein Amt an und stellte sich am i 3 . November Leibniz brieflich vor,
seine »beliebigen Befehle« erwartend"'. In der Bestallungsurkunde "^
wird ihm die Mitgliedschaft im Consilium und ein Gehalt von
400 Thlr. zugesichert. Seine Obliegenheiten waren sehr umfassende :
er war Secretar, Archivar, Cassirer, Schatzmeister und Aufseher über
das Kalenderwesen zugleich ; ihm waren auch die regelmässigen Be-
richte an Leibniz übertragen.
Es war nicht ganz glücklich, dass zwei Brüder an der Spitze
der vSocietät in Berlin standen — bei allen Spannungen und Strei-
tigkeiten im Schoosse der Societät musste das fühlbar werden — ;
aber sie waren beide geschäftskundig und friedfertig.
Zweites Capitel.
Geschichte der Societät von ihrer Gründung bis zu
ihrer wirklichen Einrichtung im Januar 171 1.
1.
Die wirkliche Einrichtung der Societät sollte erfolgen, sobald
das Observatorium erbaut Avar — man hoffte, in wenigen Monaten.
^ Er hat Schulbücher zum Erlernen der französischen Sprache, dazu eine
"Christliche Tugendlehre zum Privatgebrauch einer hohen Standesperson •« und ein
recht unbedeutendes "AUg. Lexikon der Künste und Wissenschaften« (1721) verfasst
— man erkennt daraus, welche Eigenschaften man an dem Secretar der Societät da-
mals suchte und schätzte. Seine -Geschichte der Thorner Unruhen« (1724) wurde
in"s Französische übersetzt.
^ Siehe den in Hannover aufbewahrten Briefwechsel, abgedruckt in den Ab-
handl. d. K. Preuss. Akademie der Wissensch. 1897 (Nr. i). Er ergänzt die Proto-
kolle der Societät. die noch vorhanden sind; aber er gellt nii-gendwo auf wissen-
schaftliche Fragen ein. Einige Briefe, die in Hannover fehlen, sind in der Sanun-
lung von Kapp abgedruckt.
^ Im Urkundenband Xr. 58 sind die wichtigsten Bestinnnungen derselben ab-
gedruckt.
10() Geschichte der Socictät von 1700-1711.
In Walirlieit dauerte es ül)er lo Jahre bis zur feierlichen Eröffnung.
In diesen Jahren l)estand sie und bestand nicht', eine schwere Warte-
zeit für alle Mitglieder, besonders aber für Leibniz. Unermüdlich,
wahrhaft erfinderisch hat er gearbeitet; aber als er endlich durch Aus-
dauer und Z<ähigkeit das Ziel erreicht hatte und die Societät ein-
gerichtet sah, wurde er bei Seite geschoben.
Was fehlte, war Geld und wiederum Geld; die Societät musste
selbst durch ihre Arbeit verdienen, was sie brauchte. Der Hof ver-
schlang Alles. Ein kostspieliges Fest weniger, und der Societät
wäre geholfen gewesen. Aber die Dinge bewegten sich in einem
traurigen Zirkel: der Monarch wartete darauf, dass die Societät An-
sehen und Glanz entfjilte — dann wäre er bereit gewesen, die Wissen-
schaft zu unterstützen — ; wie aber sollte sie zu Ansehen kommen
ohne Mittel? Das, was das Kalenderwerk ahwarf, reichte gerade
aus, um ihr nothdürftig das Lehen in kümmerlichen Formen zu
fristen. Wie sollte sie wissenschaftliche Unternehmungen ausführen?
Die verheissenen Monopole wurden niclit eingeführt oder erwiesen
sich als unergiebig. Dazu kam der grosse nordische Krieg und der
spanische Erb folgekrieg , die die Arbeit des Friedens hemmten. Der
letzte Grund des Stillstandes lag noch tiefer. «Noch fehlte es an
den vornehmsten Grundlagen der Macht und des Gedeihens; man
hatte noch kein befestigtes politisches Dasein^.«
Mit Leibniz, dem W^elfen, wirkten die Jablonski's, die Slaven,
und CuNEAU, der Franzose, muthig und unverdrossen zusammen. Diese
»Ausländer«, und nur sie, haben die wirkliche Einrichtung der So-
cietät durchgesetzt; denn der alte Rabener, der einzige Branden-
burger unter den Stiftern, starb schon am 29. Januar 1701. Aber
die drei Fremden arbeiteten mit ganzer Seele für die branden-
burgische Societät. Nur epochemachende Entdeckungen oder ge-
haltvolle Untersuchungen vermochten sie nicht vorzulegen, haben
sie aber auch niemals verheissen. Der einzige Gelehrte von hohem
Ansehen , der von Anfang an ausschliesslich für die Societät tliätig
war und ihr das Brot verdiente, war der Astronom und Kalender-
macher Gottfried Kirch. Neben ihm mühte sich der wackere
Frisch ohne Erfolg mit dem Seidenbau im Interesse der Societät
ab. Die anderen Berliner, die in den ersten zehn Jahren aufge-
^ Die erste Sitzuni;; wurde am 6. December 1700 gehalten. Bis zum Ende
des Jahres 17 10 haben im Ganzen nicht mehi- als etwa =^5 Sitzungen stattgefunden
(s. die Protokolle).
^ Ranke, Werke, 25. und 26. Bd. S. 470.
Die Berlin ei' Gelelirten um 1700. 107
nominell wurden und die Aufnahme als hohe Ehre betrachteten und
begehrten, hielten sich zurück — obgleich treffliche Gelehrte unter
ihnen waren — ■, da die Societät nichts unternehmen und bezahlen
konnte.
Wir versuchen , das gelehrte Berlin jener Tage — dass es ein
solches gab, verdankt Brandenburg dem Grossen Kurfürsten — und
die Personen kurz zu charakterisiren ,• die im ersten Jahrzehnt des
1 8. Jahrhunderts der Societät angehört haben.
Um das Jahr i 700 mochte Berlin etwa 30000 Einwohner zählen
und war bereits als eine Stadt des Gewerbfleisses, des Wohlstandes
und der Bildung berühmt. Durch die Religionspolitik des Grossen
Kurfürsten, die sein Sohn fortsetzte, war es die Hauptstadt des Pro-
testantismus und der religiösen Freiheit im Norden Deutschlands ge-
worden. Die eingewanderte französische Bevölkerung, etwa ein
Sechstel der Einwohnerschaft umfassend, bildete das fortschreitende
und anregende Element \ In ihrer Mitte standen die Gelehrten,
die aus Frankreich und Holland das wissenschaftliclie Rüstzeug her-
übergebracht hatten, um den Protestantismus aus der Bibel und
der Geschichte gegen den Katholicismus zu vertheidigen. Berlin
Avurde durch sie ein Hauptquartier der historisch -apologetischen
protestantischen Wissenschaft, die aus den Q\iellen arbeitete, den
Benedictinern ihr Monopol auf das kirchengeschichtliche Studium
entriss und die Jesuiten mit den Waffen der Gelehrsamkeit be-
kämpfte. Zwar Jacques Abbadie, dessen berühmtes Werk «LaVerite
de la religion chretienne« im Jahre 1684 zu Berlin vollendet wor-
den ist, hatte die Stadt nach dem Tode des Grossen Kurfürsten
verlassen; aber Isaac Beausobre {1659— 1738), Jacques Lenfant
(i 661 — 1728), Alphonse des Vignoles (1649 — 1744) und Maturin
Veyssiere La Croze (i 661 — 1739) führten die Kämpfe fort und
zeigten in ihnen eine auch von den Gegnern anerkannte und ge-
fürchtete gelehrte Sachkunde. In die neu gegründete Societät sind
al)er nur die beiden letztgenannten aufgenommen worden. Warum
die berühmten Prediger und Übersetzer der Bibel in's Französi-
sche — Lenfant ausserdem ausgezeichnet durch seine quellen-
mässige Darstellung des Kostnitzer Concils, Beausobre durch sein
noch jetzt geschätztes Werk über den Manichäismus — ihr fern
^ Siehe ]\Iuret, Geschichte der französischen Kolonie in Brandenburg-Preussen,
unter besonderer Berücksichtigung der BerHner Gemeinde. Bei-hn 1885. du Bois-
Reyjiond . Die Berliner französische Kolonie in der Akademie d. Wissensch. (Rede,
gehalten am 25. ^lärz 1886, s. dessen »Reden«, 2. Bd. 8.5030'.).
108 Geschichte der Societät von 1700-1711.
geblieben sind, lässt sich nicht ermittehi'. An Gunst und Ansehen
fehlte es ihnen nicht. Über Beausobre, dessen unbedeutende Söhne
nachmals in die Akademie aufgenommen wurden, schrieb Friedrich
der Grosse an Voltaire: «Er war ein redlicher Mann und ein Ehren-
mnnn, ein echtes Genie, ein scharfer und zarter Geist, grosser Red-
ner, in der Litteratur ebenso bewandert wie in der Kirchengescliichte,
die beste Feder in Berlin; achtzig Jahre haben sein feuriges und
lel)haftes Gemüth nicht zu erstarren vermocht«.
Vignoles und La Croze (LEiBNizens und Friedrich's des Grossen
Urtheile über ihn s. im Urkundenband Nr. 59) waren die bedeu-
tendsten französischen Gelehrten, die die Societät am Anfang be-
sessen hat. Jener", Theologe und Mathematiker zugleich und seit
1727 Director der mathematischen Klasse , suchte in seinen Studien
die Bibel gegen die Angriffe Richard Simon's zu vertheidigen. Nach
jahrzehntelanger Arbeit Hess er sein umfassendes Werk »Chrono-
logie« in zwei Quartbänden erscheinen, um eine Aufgabe zu lösen,
die Simon für unlösbar erklärt hatte. Dieses von Gelehrsamkeit
und guter Kritik zeugende Werk beweist die neue Kunst »de verifier
les dates« und wird noch heute citirt. Mit Leibniz correspondirte
Vignoles u. A. über die Chronik des Martinus Polonus, und eine
Zeit lang hatten sie die Absicht, sie gemeinsam herauszugeben^.
An Umfang des Wissens wird er aber übertroffen von La Croze.
Dieser, ursprünglich Katholik und Mönch im Benedictinerkloster
St.- Germain des pres zu Paris, Mitarbeiter an der grossen Kirchen-
väterausgabe, enttloh im Jahre 1696, trat in Basel aus Überzeugung
zur reformirten Kirche über und wurde 1697 Bibliothekar zu Berlin.
Als Sprachgenie und Polyhistor hatte er seines Gleichen nicht unter
den Zeitgenossen. Nicht nur die Cultursprachen beherrschte er
sämmtlich, sondern er drang auch, obgleich überall Autodidakt,
in die slavischen Sprachen, die baskische, die armenische, die se-
mitischen, die chinesische, vor allem aber in die koptische ein.
Handschriftlich hat er viele Lexika hinterlassen, aber nur das kop-
tische ist gedruckt worden. Die Anregungen, die hier von ihm
ausgegangen sind, lassen sich während eines ganzen Jahrhunderts
nachweisen. Sein Wissensdurst war unersättlich, und gerade das
^ Lenfant ist erst im Jahre 1724 aufgenommen worden, vier Jahre vor sei-
nem Tode. Auch Jaquelot, der bedeutende Gegner Bayle's und Spinoza's, ist
niemals Mitglied gewesen.
^ Siehe sein Eloge in den Mem. der Akademie 1745 S.iiift'.
^ Die Briefe befinden sich in Hannover.
ViGNOLEs und La Croze. 109
Entlegenste fesselte ilm, das alte Cliristentlium in Ostindien, apo-
kryphe heilige Schriften bei den Armeniern und die krausen Anti-
quitäten aller Völker. Seine Lebhaftigkeit und sein nie versagen-
des Gedächtniss machten ihn zum Ijerühmtesten Anekdotenerzähler
unter den Freunden und bei Hofe; aber man wusste ihn hier auch
als Lehrer in Geschichte und Geographie zu schätzen. Man lachte
herzlich, wenn der wohlbeleibte ehemalige Mönch ^ in weinerlichem
Tone die spasshaftesten Geschichten erzählte ; aber man verlachte
ihn nicht, denn seine Rechtschaffenheit und sein religiöser und
wissenschaftlicher Ernst waren überall anerkannt. Mit den Je-
suiten lag er in steter Fehde; er hasste sie und traute ihnen alles
Schlimme zu, selbst ein Complot zur Vernichtung des Ansehens der
Heiligen Schrift. Im Jahre 1725 erhielt er Chauvin's Stelle als
Professor der Philosophie am französischen Collegium. Als Historiker
der Philosophie war er der Aufgabe wie Wenige gewachsen, aber
sein Scholasticismus war veraltet, und der Entwicklung der Dinge
nach Cartesius, dessen Philosophie er vertheidigte , war er nicht
mehr gefolgt. Innerhalb der Societät hat er leider nicht viel be-
deutet, weil er sich in die Jablonski's nicht zu schicken verstand,
seine Empfindlichkeit ihn zu heftigen Äusserungen und unaufhör-
lichen Klagen fortriss und er bald nur die nothwendigsten Be-
ziehungen zur Societät aufrecht erhielt. Um so eifriger correspon-
dirte er, der unermüdliche gelehrte Briefschreiber, mit Leibniz über die
verschiedensten wissenschaftlichen Fragen. »Der berühmte La Croze
ist begraben«, meldet Friedrich der Grosse an Voltaire (Mai 1739;
ffiuv.XXI p. 292), »und mit ihm seine Kenntniss von zwanzig Sprachen,
die Quintessenz der W^eltgeschichte und eine Menge Geschichtchen.
Fallait-il tant etudier pour mourir au bout de quatre-vingts ans?«
Aber er hat ihn auch als »den gelehrtesten Mann Berlins, als das
Repertorium des gesammten gelehrten Deutschlands, als ein wahres
Magazin der Wissenschaften« bezeichnet^.
' »II avouera, voyant cette figure immense,
Que la matiere pense«,
liat Friedrich der Grosse auf ihn gedichtet (Qiluvres XXI p.42).
^ Um das Andenken La Croze's hat sich C. St. Jordan , sein Schüler, be-
sonders verdient gemacht, s. seine Hist. de la vie et des ouvrages de M. La Croze,
Amsterd. 1741, und den aus seiner BibUothek von Uhlius edirten Thesaurus epistol.
Lacrozianus. 3 Bde. , Leipzig 1742 ö". Formey hat ihm ein Eloge geschrieben (in
der zu Lyon von ihm erschienenen Elogen -Sammlung) und in den »Souvenirs d'un
citoyen" (i.T. 1789 p.57 if.) ihm einen Nachruf in seiner anmaassenden und in-
ferioren Weise gewidmet. Der reichhaltige Briefwechsel zwischen La Croze und
110 Gescliichte der Socictät von 1 700 — 1711.
Neben diesen bedeutenden Männern standen in der Colonie
Charles Ancillon, Naude, Chauvin, d'Angicour u. A. Sie waren in
verscliiedenen Ämtern tliätig' und — mit Ausnahme des tüchtigen
Cartesianers Chauvin und des gesehätzten Mathematikers Naude —
wissenschaftlich nicljt eben liervorragend; aber man liatte sie in
die Societät aufgenonmien , weil sie Vertreter der höheren und all-
gemeineren Bildung waren, die aus Frankreich herübergekommen
war. In der Wirksamkeit für die Akademie wurden sie Alle von
ihrem Landsmann Cuneau, dem Archivrath und Diplomaten, über-
troffen. Obgleich er für die Societät nur eine einzige mathematische
Abhandlung geschrieben hat, so bezeugt ihm docli der Hofprediger
Jablonski"': »Dieser ist fast die Seele und Bewegung nicht nur seiner
Classis, sondern auch der ganzen Societät gewesen, welcher in allen
wichtigen Dingen auch die Societät bei Hofe zu vertreten den meisten
Nachdruck zu geben gewusst^«. Die französische Litteratur, »welche
die allgemeine europäische war«, hatte in Berlin einen fruchtbaren
Boden gefunden, auf dem sie durch Verschmelzung mit dem pro-
testantischen Princip und den Anforderungen eines kräftigen pro-
testantischen Gemeinwesens eine eigenthümliche Bedeutung gewann \
Aber in die inneren Fragen, die den deutschen Geist damals
beschäftigten, drangen jene Franzosen nicht ein; die »europäische«
Litteratur nahm an ihnen keinen Antheil, und auch Leibniz erkannte
ihre Tiefe nicht. Was man mit dem abschätzigen Namen »Pietistische
Bewegung« bezeichnete, barg, trotz seiner kümmerlichen Aussenseite,
Leibniz wird in der K. Bibliothek zu Hannover aufbewahrt. Der bedeutendste Schüler
von La Croze war Paul Ernst Jablonski (71757), der Sohn des Hofpredigers.
Seine ägyptisch -bibUschen Studien, seine LTntersuchung de lingua Lycaonica, seine
Vertheidigung des Nestorianismus waren Ai'beiten von hervorragender Bedeutung.
' Ancillon, ein eintlussreicher, al)er unbedeutender Staatsmann und massiger
politischer und historischer Schriftsteller, war Legationsrath und Juge Superieur in
der Kolonie; er gehörte zu den regelmässigen Correspondenten von Leibniz in
Sachen der Societät. Naude war Professor der IVIathematik (er hat der Societät
zwei Al)liandlungen geliefert und mit Leibniz wissenschaftlich cori-espondirt), Chau-
vin Professor der Philosophie am französischen Collegium (er gehörte, wie Naude,
zu jenen Theologen des Zeitalters, die mit dem Interesse für die Philosophie eine
starke Neigung zur Physik oder Mathematik verbanden, und ist Verfasser eines
bedeutenden philosophischen Wörterbuchs). Angicour war Secretär des Königs.
^ Brief an Leibniz vom 1 1. Januar 17 16 nach dem Tode Cuneau's (Hannov.
Bibliothek).
^ Leibniz hat mit ihm auch über wissenschaftliche Fragen correspondii't,
s. den Briefwechsel in Hannover.
* Von einer Bevorzugung der Franzosen in der Societät in den ei-sten De-
cennien kann keine Rede sein; es wurden weit mehr unbedeutende Deutsche aufge-
nommen.
CuNEAu. Die pietistische Bewegung. 111
in Wahrlieit das wiclitigste Element des geistigen Fortscliritts in sich
und hatte eine ungleich höhere Bedeutung als die fruchtlosen Ver-
suche protestantisch-katholischer Unionen. »Aus der Tiefe der luthe-
rischen Theologie und der damit zusammenhängenden Weltansicht
erhoben sich neue Tendenzen, zwar im Widerspruch mit den gerade
vorwaltenden Systemen, aber auf ihrem Grunde beruhend \« Wie
sie einerseits die Kirchen der Reformation zu reformiren begannen
und sich mit den neuen Theorieen verschmolzen, die über Staat und
Gesellscliaft im Gegensatz zur mittelalterlichen Ordnung der Dinge
aufgestellt und durchgeführt wurden, so waren sie andererseits die
Vorbedingung für die Entwicklung jener geistigen Freiheit und jenes
inneren Reich thums, wie sie in der klassischen Zeit des deutschen
Geistes errungen worden sind. Der brandenburgische Staat war in
der Stiftung der Universität Halle auf sie eingegangen, ja hatte sie
in seine Fundamente aufgenommen, luid Berlin besass den Mann, der
sie erweckt hatte und in den ►Schranken einer fruchtbaren Entwick-
lung hielt. Al)er vergebens sucht man den Namen Philipp Spener's
in dem Album der Societät, der in ihren Acten einige Male mit
Hochschätzung genannt wird. Warum er fehlt, bleibt ebenso räthsel-
haft wie das Fehlen Lenfant's und Beausobre's. Sein Schüler und
Freund, August Hermann Francke, wurde bald nach der Stiftung
zum auswärtigen Mitglied erwählt, und nicht der Geist der Ortho-
doxie, sondern ein milder Geist lebte in der Societät, sofern sie
sich christlich- civilisatorische Aufgaben stellte und soweit sie theo-
logische Fragen streifte. Aber Spener galt vielleicht der Societät als
ein zu enger Deutscher — denn als I^utheraner gehörte er nicht zu
einer »europäischen« Kirche — , und umgekehrt mag ihm die So-
cietät als eine seiner Eigenart fremde Einrichtung erschienen sein"'.
^ Ranke, a. a. O. S.453.
^ Im Stiftungsjahr der Societät erschien das bahnbrechende historische Werk
des deutschen Pietismus, die unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie Gottfried ,
Arnold's, welche Thomasius in Halle -nach der H.Schrift für das beste und nütz-
lichste Buch in hoc scribendi genere« erklärte, während die Orthodoxen es als das
schädlicliste Buch seit Christi Geburt bezeiclmeten. (Eine Anzeige von Leibniz stellt
in dem »Monatlichen Auszug aus allerhand neu herausgegebenen Büchern".) Arnold
ist nie Mitglied der Societät geworden , wohl aber wurde er als Prediger in Allstedt
Königlich Preussischer Historiograph (27. Januar 1702); s. Dibelius, G.Arnold
(1873) S. iigf. i29f. 161 f. 229ff. 241 ff. Es war eine eigenthümliche Fügung, dass
Arnold das Amt erhielt, das einst Pufendorf bekleidet hatte; denn dieser ist der
erste gewesen, der auf eine unparteiische Kirchengeschichtsschreibung gedrungen
hat (vergl. den von E. Gigas herausgegebenen Briefwechsel zwischen Pufendorf
und Thomasius. Historische Bibliothek, 2. Bd. 1897).
112 Geschichte der Societät von 1700-1711.
Das berlinische Hauj)t der Societät dagegen, der Hofprediger
D. E. Jablonski (1660-1741), war durch Gehurt, Schicksal und Nei-
gung ein »europäischer« Theologe und als solcher wohl berufen, in
LEiBNizens Abwesenheit die Societät zu leiten. Sein ökumenischer
Protestantismus, dem alle nationalen Ecken und Kanten fehlten, war
ein Erbtheil seines Heimathlandes und seines Grossvaters. Jablonski
stammte aus der Unität der böhmischen Brüder und war ein Enkel
des Amos Comenius. Die religiöse Toleranz bei allem Ernst in der
Vertheidigung des eigenen Glaubens, die Richtung auf das, was
allen Protestanten gemeinsam ist, das unermüdliche Streben, sie zu
einigen und die Bedrängten zu schützen, die praktische Haltung in
der Religion — alles hleale, die den quietistischen und auf sich
beschränkten Lutheranern damals erst langsam aufgingen — waren
dem Enkel des Comenius von frühester Jugend an gleichsam etwas
Selbstverständliches. In die pietistischen Streitigkeiten mischte er sich
nicht — ihm waren sie längst entschieden. Dass hier im deutschen
Geiste etwas Verborgenes nach Freiheit rang, was auch die Reformirten
noch nicht besassen, ahnte er als Slave nicht. Mit der gründlichsten
Kenntniss der reformirten Kirchen anderer Länder und der englischen
Staatskirche, die er besonders schätzte, und mit einer treff"liclien theo-
logischen Ausbildung verband er die sicherste Einsicht, dass alles
Denken und Reden auch in der Kirche unfruchtbar bleibt, wenn es
nicht zur That treibt. Nach kurzem Wirken in Magdeburg, Lissa und
Königsberg wurde er im Jahre 1693 nach Berlin als Hofprediger
berufen. In diesem Amt hat er 48 Jahre unter drei preussischen
Königen gestanden und 41 Jahre der Societät angehört, deren Mit-
stifter er, Pläne seines Grossvaters verwirklichend, gewesen ist. Wie
er in dieser Zeit den hervorragendsten Antheil an der preussischen
Kirchenpolitik geliabt hat, die so eng mit der Politik des Staates
verbunden war, so war er auch neben Leibniz, dem Haupte, und
CuNEAU, dem kundigen Geschäftsführer, der Leiter der Societät, zu-
letzt auch ihr wirklicher Präsident (seit 1733). Weder durch glän-
zende Gaben noch durch bahnbrechende Leistungen ausgezeichnet \
war er den Franzosen durch die Weite und Umsicht seines Blickes
und seine reichen encyklopädischen Kenntnisse ebenbürtig und über-
^ Doch gilt seine Ausgabe des Alten Testaments als eine tüchtige Leistung,
die auf selbständigen textkritischen Studien beruht. Aus einer von ihm gegebenen
Anregung stammt die Berliner Ausgabe des babylonischen Talnuids. Seine Briefe
zeigen, dass er der Entwicklung der klassischen Philologie in England folgte und
für geschichtliche, geographische und auch jru'istische Fragen sich intei'essirte.
D. E. Jablonski. 113
traf sie dvircli sein ungewöhnliches praktisches Geschick und durch
die Ausdauer, mit der er einmal gefasste Pläne verfolgte. Ein recht-
schaffener Mann, war er nicht fremd in der Welt der Politik, viel-
mehr ein kluger und in der Regel gewandter Geschäftsträger, hie
inid da auch geneigt, verborgene Wege zu gehend und nicht immer
so freimüthig und zuverlässig, wie es dem Deutschen geziemt. Ob-
gleich nicht herrschsüchtig, machte es der stille, aber überall thätige
31ann kräftigen Talenten in der Societät doch schwer, neben ihm
aufzukommen, und besass weder Neigung noch Geschick, wissen-
schaftliche Arbeiten anzuregen, die Jüngeren zu ermuntern, den
Alteren freie Bahn zu machen und die Gelehrtenrepublik wirklich
als Republik zu leiten. Verdiente Mitglieder der Societät haben sein
Wirken nicht selten als Druck und Bevormundung empfunden. Seine
letzten Ziele waren überall nicht wissenschaftliche im strengen Sinne
des Wortes, sondern, neben der nie rastenden Sorge für den Pro-
testantismus im slavischen und ungarischen Gebiete, allgemein pro-
testantische und civilisatorisch- pädagogische. Ihnen sollte auch die
Societät dienen , die er durch die schwersten Tage — unter Friedrich
Wilhelm I. — hindurch gerettet hat, der er aber höheres Leihen ein-
zuhauchen nicht lahig war. In der That — ihm, neben Leibniz,
verdankt die Societät ihre Stiftung und ihm, nach LEiBNizens Tode,
ihre Erhaltung. Sie wäre untergegangen, wenn sie nicht diesen
auch l)ei Friedrich W^ilhelm hochangesehenen, ausdauernden und —
wenn es sein musste — gefügigen und schmiegsamen Mann besessen
hätte".
Neben ihm und ihm unbedingt ergeben, stand sein Bruder
Johann Theodor als Secretar der Societät. Er ist bereits oben cha-
rakterisirt worden. Er war im Stande, der Wissenschaft gleichsam
als Buchhalter zu folgen, ohne je ein tiefer gehendes Interesse für
sie zu verrathen. Der Societät hat er durch seine Gewissenhaftigkeit
^ Aus dei' CLEMENx'schen Aft'aire ist er nicht tadellos hei'vorgegangen ; sie
hat ihm zeitweilige Suspension und ein halbes Jahr Untersuchungshaft eingetragen,
auch musste er sich zu einer sehi- demüthigenden Abbitte bequemen. Docli erlangte
er bald das Vertrauen seines Königs wieder.
^ Einen Theil des Briefwechsels zwischen Jablonski und Leibniz hat Kapp
im Jahre 1745 (KAPPens Sammlung u. s. w., Leipzig) auf Grund der Originalien
herausgegeben, die ihm Jordan übermittelte, der sie von dem jüngeren Kirch, dem
Astronomen, erhalten hatte. Die anderen in Hannover liegenden Briefe hat Kvac-
SALA in den Acta et Comment. Imp. Univ. Jurievensis veröfTentlicht (1897, s. eben-
dort 1896 Nr. I einen Vortrag Kvacsala's über Jablonski). Vergl. die Artikel ül)er
Jablonski von Kleinert in Herzog's Theol. Real-Encyklop. Bd. 6^ S. 428 ff. und
von R. Schwarze in der Allgemeinen Deutschen Biograjjhie Bd. 13 S.523ft".
Geschichte der Akademie. I. 8
114 Geschichte der Societät von 1700-1711.
und Ordnungsliebe unschätzbare Dienste geleistet; aber ein bedeu-
tenderer Mann, vor allem ein wirklicher Gelehrter, wäre an dieser
Stelle sehr nöthig gewesen, und seine trockene, gescliäftsmässige
Art, sowie sein bureaukratisches Regime veranlassten manches treff-
liche Mitglied der Societät, sich von der gemeinsamen Arbeit mög-
lichst zurückzuzieh en ^
Gottfried Kirch und Johann Leoniiard Frisch leisteten die
Arbeit. Kirch, der 6i Jahre alt aus Guben an die Societät berufen
wurde, ein Schüler Erhard Weigel's, war der hervorragendste
Astronom, den Deutschland damals besass. Er musste in der ersten
Zeit seines Berliner Aufenthalts seine Beobachtungen auf einer Pri-
vat-Sternwarte machen; nur wenige Jahre war es ihm vergönnt,
das Observatorium der Societät zu benutzen ; denn er starb — durch
Kränklichkeit oft am Arbeiten gehindert — bereits am 25. Juli
17 10. Seine Kalender waren der Zuverlässigkeit ihrer astronomi-
schen Angaben wegen geschätzt; ihm verdankt es die Societät, dass
sie ihr Monopol wirklich ausnützen konnte. Die grosse Sammlung
von Beobachtungen aber, die er in mehreren Quartanten veröffent-
lichen wollte, fand auch nach seinem Tode keinen Verleger; so ist
nur Einzelnes von ihm verstreut gedruckt worden. Mit der Beob-
achtung der Kometen wird sein Name dauernd verbunden bleiben,
und auch den Sonnenflecken und den veränderlichen Sternen wandte
er ein besonderes Interesse zu. Unterstützt wurde er dabei von
seiner Frau Maria Margareta und von einem jüngeren Astronomen
Johann Heinrich Hoffmann (f I 718), den die Societät ihm beigab".
' Als Johann Theodor Jablonski am 28. April 1731 starb, dichtete Noltenius
auf ihn folgende Grabschrift:
"Gottesfurcht, ohn Heuchelei,
Wissenschaft, ohn Prahlerei,
Liebes Werke, im Verborgen,
Klugheit, ohne eitle Sorgen,
Redlichkeit, die Probe hält,
Ernst, der nicht beschwerlich fällt.
Manches Leid, doch ohne Klagen,
Grossnnith, die nicht kann verzagen,
Und was sonst die Welt nicht kannt'.
Lieget hier verscharrt im Sand.«
2 Auch dieser observirte — seit 1705 — , bis das Societätsgebäude fertig war,
auf einer Privat -Sternwarte, der des Barons von Kroseck (Krosick), s. seinen Brief
an Leibniz vom 3. August 1705 (Hannov. Bibl.) und den Brief des Secretars an
Leibniz vom 25. August 1705 (a.a.O.). Er klagt übrigens: »Wann mich die Societät
nur etwas besser wegen meinen Salarii bedenken wollte». Er musste Nebenbe-
schäftigungen suchen und konnte daher nicht soviel wie nöthig zum Besten der
Societät observiren.
J. Th. Jabloxski, Kirch und seine Familie, Frisch. llo
Maria Margaret a Kirch (i 670-1 720) entdeckte den Kometen von
1702, besorgte einen grossen Theil des Kalenderwerks, correspon-
dirte mit Leibniz, dem sie ihre Beobachtungen schickte, und ist
sogar mehrmals als astronomische Schriftstellerin (Über die bevor-
stehende Conjunction von Jupiter und Saturn 1712) aufgetreten \
Der rüstigste und fruchtbarste Arbeiter, den die Societät seit
1 706 besass , war der aus Sulzbach stammende Johann Leonhard
Frisch {1666 — 1743; Lehrer am grauen Kloster; 1708 Conrector,
1727 Rector; 1731 Director der Classis hist.- Germanica der Socie-
tät). LEiBNizens Vertrauen geniessend, nahm er sich ihn voll Ver-
ehrung zum Vorbild, arbeitete zum Theil nach seinen Rathschlägen
und erwarb sich in unermüdlichem Streben eine ähnliche Vielseitig-
keit und praktische Tüchtigkeit. Der vielbeschäftigte Pädagog und
geschätzte Schulschriftsteller fand zu Allem Zeit, was ihn inter-
essirte, widmete einen grossen Theil seiner Kraft der Societät und
griff nichts an, ohne es zu fördern. Er hat das Seidenwerk mit
höchstem Fleiss eingerichtet und geleitet und blieb ihm treu, auch als
ihn die Societät — die Jablonski's wollten ihm nicht wohl — ziem-
lich schnöde behandelte (s. u.). Aus dieser Arbeit ging eine Schrift
über den Seidenbau (17 13) hervor, der umfassende, auf scharfen
Beobachtungen ruhende Studien über die Insecten und Parasiten
folgten. Neben dem grossen Werk über »allerlei Insecten«, zu dem
er selbst die Abbildungen zeichnete, hat er eine noch umfang-
reichere Publication über die deutschen Vögel begonnen; die Zu-
verlässigkeit der nur etwas steifen Zeichnungen hat Cuvier gerühmt
(tres-exactes, sans etre elegantes). Daneben trieb er gründliche
slavische Studien: seine grösste Bedeutung liegt aber auf dem
Gebiete der deutschen Lexikographie und Dialektforschung. Hier
folgte er den von Schottel und Leibniz gegebenen bahnbrechenden
Winken und gab nach mehr als dreissigjährigen Vorstudien — auch
^ Auch die Kindei' von Kirch widmeten sich der Astronomie. Der Sohn
Christfried (1694 — 1740) erhielt im Jahre 17 17 die Stelle seines Vaters an der
Societät und hat seine zahlreichen Beobachtungen in den Abhandlungen der Akademie
niedergelegt. Die Tochter Christine (1696 — 1782) wirkte zuerst mit ihrem Bruder zu-
sammen und hat später bis zum höchsten Alter im Dienst und Auftrage der Societät
die Kalender für Schlesien hergestellt (über ihre besonders ehrenvolle Verabschie-
dung s. das nächste Buch). — Ein Theil des Briefwechsels von Leibniz mit dem
Ehepaare Kirch befindet sich in Hannover, s. Bodemann, Briefwechsel S. 113. 102
(daselbst auch vier Briefe von J. H. Hoffmann an Leibniz, s. Bodemann S. 93), ein
anderer auf der Bibliothek des Joachimsthalschen Gymnasiums zu Berlin. Beide
habe ich eingesehen. LEiBNizens Urtheil über die Frau Kirch s. im Urkundenband
Nr, 60.
116 Geschichte der Societät von 1700 — 1711.
über die Vocabula Marcliica — ein deutsch -lateinisches Wörterbuch
{1741) heraus, dessen Stärke in dem deutschen Theil liegt vmd das in
der Geschichte der deutschen Lexikographie eine der vornehmsten
Stellen behauptet — Grimm hat es das erste gelehrte deutsche Wörter-
buch genannt und es als nicht veraltet bezeichnet. Er allein erfüllte
die Aufgabe der »teutsch- gesinnten Societät«, die der Kurfürst ge-
stellt hatte ; denn die beiden Jablonski's , die sich auch an der deut-
schen Sprache versucht haben, vermochten als Ausländer nicht, in
sie einzudringen, und gaben Proben ihrer Studien , die besser unter-
blieben wären. Endlich — auch im Chemisch -Technischen ver-
suchte sich Frisch, und es gelang ihm, die Fabrication des eben
von DipPEL entdeckten Berliner Blaus so erheblich zu verbessern,
dass er bedeutenden Nutzen aus dieser Erfindung ziehen konnte'.
Neben Frisch sind unter den Deutschen noch der gelehrte Anti-
quar und Bibliothekar an der SpANHEiM\schen Bibliothek J. C. Schott
(f 17 18), der sich namentlich mit Münzkunde beschäftigte, und der
junge Spener (der Sohn Philipp's), der als Zoologe geschätzt war
und eine bedeutende Sammlung besass (er starb schon 1 7 1 4) , zu
nennen. Eine gewisse Rolle muss auch am Anfang der Ober -In-
genieur Beer und der erste Leibarzt des Königs, Krug von Nidda,
gespielt haben; doch ist Näheres nicht bekannt^. Die übrigen
Mitglieder — Hofprediger, Leibärzte, Architekten — dürfen über-
gangen werden, nach Leibnizchs Regel, man solle Mitglieder, die
nichts für die Societät thun, unbeachtet lassen. Indessen sei an-
gemerkt, dass unter den Mitgliedern auch der Ober-Schloss-Bau-
^ Den Briefwechsel von Leibniz und Frisch (Hannov. Bibl.) hat L. H. Fischer
(1896) in der »Brandenburgia« herausgegehen (2. Band) und ein anziehendes Lebens-
bild von Frisch dabei entworfen, s. auch Eckstein in der Allg. Deutschen Biographie
8. Bands. 93 ff. und Geiger, Berlin 1688— 1840 i. Band 1892 S. 140 ff. Über das
»Berliner Blau- s. Fischer, a.a.O. S. 54f. Frisch kam darum ein, seine Farbe
mit Approbation der Societät der Wissenschaften und der Akademie der Künste ver-
kaufen lassen zu dürfen, um sie gegen werthlose Nachahmungen zu schützen, s.
seine Briefe an Leibniz vom 25. August (Fischer. S. 20) und vom 28. September
1709 (S. 21 f.) u. ff.
^ Der in dem ersten Entwurf der Berliner an den Kurfürsten (s. oben S. 73)
und in dem Vorschlag an Leibniz vom 15. März 1701 als Mitglied in"s Auge gefasste
Leibarzt Bernhard Albinos findet sich im Album der Societät nicht; denn, wie
der Hofj^rediger am 18. Juni 1701 an Leibniz schreibt (Hannov. Biljl.): »Herr Albinus
hat wenige Neigung zur Societät verspüren lassen. ]\Lan wird ihm kein Dipluma
zuschicken, bis zuerst mit ihm geredet worden, und man versichert sei, dass er's
annehmen wolle-. Dieser namhafte Anatom folgte schon 1702 einem Rufe nach
Leiden und wurde der Staminvatei' eines berühmten Anatomengeschlechts an den
niederländisclien Universitäten.
Frisch, Schott, Speker jun., Schlüter u. A. 11 i
directoi' Schlüter aufgeführt wird^ Ein Missgriff war es, dass
der Rittmeister C. H. Oelven aufgenommen wurde. Er sollte der
Societät schwere Tage bereiten".
Zusammengehalten wurde die Societät, deren Mitglieder sich
im socialen Leben zum Theil sehr fern standen, durch Leibniz. Die
Ptlicht, die er in seiner Bestallung übernommen hatte, mit der So-
^ In den Acten der Societät kommt Schlüter meiner Erinnerung nach nur
einmal vor, nämlich in einem Brief des Secretars an Leibniz vom 26. September
1705: «Wegen des Eck -Pavillons ist noch nichts geschehen, weil ... der Herr vox
Schlüter die meiste Zeit abwesend gewesen, weiss man also nichj, wie man da-
mit noch auskommen werde«. Schlüter ist übrigens nur kurze Zeit Mitglied der
Societät gewesen; denn die Münzthurm- Katastrophe, in deren Folge er Berlin
verlassen hat, trat bereits im Jahre 1706 ein, s. Adler, Aus Andreas Schlüter's
Leben, in der Ztschr. f. Bauwesen (1863) S. 13 ft". S. 383 ff. Wie gross der Antheil ge-
wesen ist, den Schlüter an dem Bau des Observatorium - Thurms gehabt hat, ist
leider aus den Societätsacten nicht zu ersehen. Der Entwurf, nach welchem ge-
baut worden ist, ist vom Hofbaumeister Grünberg, dem auch die Ausführung über-
tragen war.
^ Nach dem Fase. "Ernennungen« im Akademischen Archiv (s. auch die von
der Societät herausgegebenen Adress - Kalender ; auf dem Geh. Staatsarchiv befinden
sich die von 1704 und 1706 ff.) sind zu den sechs Mitgliedern , die den Grundstock
bildeten (die Jablonski"s, Rabener, Cuxeau und Kirch), im Jahre 1701 41 Mit-
glieder (einheimische und auswärtige), im Jahre 1702. 1703, 1709 und 1710 je 4,
im Jahre 1704 und 1708 je 3, im Jahre 1706 6 und im Jahre 1707 8 Mitglieder
aufgenommen worden (im Jahre 1705 fand keine Aufnahme statt). Nach dem Kalen-
der für 1704 waren es im Jahre 1703 ausser Leibniz 22 Berliner Mitglieder, im Jahre
1705 nur 19. Im Jahre 1707 waren es 20 einheimische und 32 auswärtige; im Jahre
171 1 betrug die Zahl der Einheimischen und Auswärtigen zusammen 80. Factor und
Buchhändler der Societät war Papen. — LTnter den auswärtigen Mitgliedern der Socie-
tät aus ihrem ersten Jahrzehnt seien genannt: der bedeutende Orientalist Acoluthus
in Breslau (er sollte nach Berlin gezogen werden, aber die Societät weigerte sich,
zu seinem Gehalt etwas beizutragen, um kein Präjudiz zu schaffen, s. die Briefe
D. E. Jablonski's an Leibniz vom 19. Februar und 5. März 1701 [in KAPPens Samm-
lung] und vom 23. August 1701 [Hanno v. Bibl.] — Acoluthus' Hypothese, das Ägyp-
tische und Armenische seien verwandte Sprachen, hielt Leibniz für unwahrschein-
lich — ), Basnage im Haag, die beiden Bernoulli in Basel und Groningen, Chamber-
laine in London, H. A. Francke in Halle, Gothofredus in Leipzig, Hartsoeker in
Düsseldorf, Heineccius in Halle, der berühmte Ai'zt Friedrich Hoffmann in Halle
(kurze Zeit einlieimisches Mitglied in Berlin), Caspar Neumann in Breslau — der
Lehrer und väterliche Freund Chr.Wolff's, ein sehr vielseitiger, gründlicher Ge-
lehrter, einer der ersten , der bevölkerungsstatistische Untersuchungen unternommen
und angeregt hat, s. LEiBNizens Brief an den Secretär Jablonski Nr. 10 in den Abh.
d. K. Preuss. Akad. d. Wiss. 1897 und Kappcus Sammlung S. 2 f. — , der Astronom
Reiher in Kiel, der Abt J. A. Schmid in Marienthal, Varignon in Paris und Ch.Wolff
in Halle. Mit allen diesen Gelehrten hat Leibniz correspondirt.
Der erste formelle Vorschlag, den die Berliner Freunde, welche den Grund-
stock der Societät bildeten, am 15. März 1701 Leibniz unterbreiteten, umfasste 18 Ein-
heimische und 12 Auswärtige (s. den Brief des Secretars an Leibniz von diesem
Datum in dem Briefwechsel, Abh. d. K. Preuss. Akad. d. Wiss. 1897 Nr. 7).
118 Geschichte der Societät von 1 700 - 1 7 1 1 .
cietät ZU eorrespondiren , hat er in den Jahren 1 700-1 710 in ge-
wissenliaftester Weise erfüllt und ist ausserdem, so oft er konnte,
auf Monate nach Berlin gekommen. Da Leibniz die Briefe, die er
erhielt, sorgsam aufbewahrte, und ein grosser Theil derselben noch
jetzt auf der Königlichen Bibliothek zu Hannover erhalten ist, so
sind wir in den Stand gesetzt, seine Correspondenz mit Berlin ziem-
lich vollständig zu überschauend Er correspondirte mit der Königin
Sophie Charlotte, später auch mit Sophie Dorothea, ferner regel-
mässig mit dem Secretar J. Th. Jablonski", mit dem Hofprediger
Jablonski, mit Cuneau, Ancillon, La Croze und Frisch ; dazu kommen
mehrere Briefe an die Hof- und Staatsmänner von Wedel, von Fuchs,
Graf VON Wartenberg, von Ilgen, von Spanheim, von Tettau, von Ham-
rath und VON Printzen u. A. Endlich hat er auch zahlreiche Briefe
mit der vertrauten Freundin der Königin, der Hofdame von Pöllnitz,
mit Kirch, dessen Gattin, dem Astronomen Hoffmann, dem Seiden-
bauer Otto und dem Buchhändler Papen gewechselt. Man kann die
Anzahl der Briefe , die von Berlin aus an Leibniz bis i 7 1 6 gerichtet
worden sind — in den letzten Jahren wurde die Correspondenz
schwächer — auf mindestens 5 — 600 berechnen, und nicht viel ge-
ringer kann die Summe der Antwortschreiben gewesen sein. Die
meisten dieser Briefe handeln von der Societät oder gehen auf wissen-
schaftliche Fragen ein, die für die Societät bez. für die einzelnen
Gelehrten in ihr von Wichtigkeit waren. So ist Leibniz, wenigstens
bis zum Ende des Jahres 17 10, nicht nur nominell, sondern wirklich
der das Äussere und Innere leitende Präsident der Societät gewesen.
2.
Am 18. Januar 1701 setzte sich Friedrich in Königsberg die
Königskrone auf's Haupt. Leibniz begrüsste dieses Ereigniss mit
hoher Freude. Li Briefen an den Grafen von Wartenberg und Span-
heim sprach er sie aus und schlug jenem eine neue Devise für das
^ Seine eigenen Briefe sind leider nur zum kleinsten Theil erhalten, da er
nur für wichtige Schreiben ein Concejit zu machen pllegte.
^ In der Zeit vom November 1700 bis Ende 17 10 hat Jahlonski 125 Berichte
an Leibniz gesandt. Davon sind 120 in dem Diarium verzeichnet, welches Jablonski
führte und welches sich noch in dem Akad. Archiv befindet. Erhalten sind uns in
dieser Briefe (der grösste Theil in Hannover, einige dort sich nicht findende in
IvAPPens Sammlung). Vergl. den Alpdruck in den Abh. d. K. Preuss. Akad. d. Wiss.
1897.
Das Jalir 1701. Die Königskrone. 119
Hans HolienzoUern vor'. Auch in der Puhlicistik war er thätig,
die Bedeutung der neuen Krone an's Lieht zu stellen und auf Bücher
luid Schriften, die im preussischen Interesse erschienen, aufmerksam
zu machen. Sein »Auszug verschiedener, die neue preussische Krone
angehender Schriften« (Juli und August 1701) beginnt mit einer
Vorrede, in der er Folgendes schreibt'^: »Die Aufrichtung des neuen
preussischen Königreichs ist eine der grössten Begebenheiten dieser
Zeit, so nicht, wie andere, auf wenige Jahre ihre Wirkung erstrecket,
sondern etwas nicht weniger Beständiges als Vortreffliches herfür-
gebracht. Sie ist eine Zierde des neuen Säculi, so sich mit dieser
Erhöhung des Hauses Brandenburg angefangen und ihm mit einem
so herrlichen Eingange sich gleichsam zu dauerhaftem Glück — Gott
gebe beständigst — verbindet«. Die lateinische Gratulationsepistel
der Societät an den König hat er abgefasst^; er sah voraus, dass
die Königskrone dem Protestantismus, dem Deutschen Reich und
der Akademie^ zu Gute kommen werde.
Mit grossen Hoffnungen freilich hatte Leibniz Berlin nicht ver-
lassen. »Man wird vielleicht verspüret haben, dass nach meiner
Abwesenheit auch mich betreffend eine Kaltsinnigkeit sich erzeiget«,
schrieb er am 3i.December 1700 an den Hofprediger (Hannov.
Bibl.) ■ — ; »bitte dero wiegen umb sincere Nachricht«; »aber«, fügt
er muthig hinzu, »ich achte es deswegen nicht, weil wir solche
Sachen haben, dass wdr die Leute zu Estime zwingen können«. Die
»Büchertaxe«, als Privileg der Societät, betrieb er eifrig, aber um-
sonst. »Bitte also ohne Bedenken, die Expedition möglichst zu be-
fördern, damit der Eft'ect schon vor Ostern da sei. Die Societät
hat es wohl von Nöthen; es war bei meiner Anwesenheit eine aus-
gemachte Sach und wäre erfolgt, wenn ich etwa 14 Tage dagewesen.
Man lasse sich durch Besorgnisse und einige böse Dispositiones bei
Hof nicht schrecken ; qui se fait brebis , le loup le mange. «
In den ersten sechs Monaten des neuen Jahres betrieb die So-
cietät vor allem die Aufnahme der einheimischen und auswärtigen
Mitglieder, die Vorbereitungen zur Eröffnung, den Bau des Obser-
vatoriums und die Kalendersache. Immer hoffte man noch, am
' Siehe die Bi'iet'e vom 11. Januar und 20. Februar 1701. auch den undatirten
an Spanheim vom Jahre 1703 (Hannov. Bibliothek). Als Devise schlägt er vor: ^'Vn
canon d'artillerie et en eloignement les machines dont les anciens se servaient pour
rompre les murailles, avec ce mot: »Ultra majores«.
^ Siehe Guhrauer, LEisNrrz's Deutsche Schriften, 2.Bd. S. 30of.
^ Siehe den ürkundenband Nr. 61.
* In dem Brief an von Wartenberg vom 11. Januar gedenkt er ihrer.
120 Geschichte der Societät von 1700-1711.
Geburtstage des Königs die Societät wirklich einricliten zu können,
«damit sie an dem Tage, an welchem sie vorigen Jahres empfangen
worden, nun auch geboren würdet'. Allein man hoffte vergeblich.
So musste man sich damit begnügen, wenigstens die Diplome für
alle Mitglieder auf einen Tag, eben den Geburtstag des Königs,
auszufertigen. Diese selbst wurden nach einem von Leibniz corri-
girten Concepte der Societät (als Vorbild diente das Pariser Diplom)
hergestellt". Ohne sein Vorwissen ist am Anfang kein Mitglied auf-
genommen worden; eifrig correspondirte man über sie, und nicht
alle Vorschläge des Präsidenten wurden acceptirt. Von einer Be-
vorzugung weifischer oder französischer Gelehrten durch diesen kann
keine Rede sein, ja man wundert sich, wie spärlich ihre Anzahl
gewesen ist^.
^ Der Hofprediger an Leibniz, i8. Juni 1701 (Hannov. Bibl.).
^ Siehe Urkundenband Nr. 62. Man entschied sich zunächst für die deutsche
Sprache, s. des Seci-etars Brief an Leibniz vom 15. Februar (Abh. d. Preuss. Akad. d.
Wiss. 1897 Nr. 5).
^ Die Verhandlungen über die Aufnahme von Mitgliedern finden sich in der
Correspondenz mit dem Hofprediger vom 31. December 1700 (Hannov. Bibl.), 13. Ja-
nuar, 19. Februar, 5. März und 16. Ajjril 1701 (KAprens Sammlung) und in der
Correspondenz mit dem Secretar, die in den Abli. d. Preuss. Akad. d. Wiss. T897 al>
gedruckt ist (s. Nr. 4— 17); ich citire diese Correspondenz im Folgenden nach den
Nummern unter Secr.-LEiBN. An Leibniz pflegten die Gewählten ihre Dankesbriefe
zu richten, s. z. B. den Brief vom Mediciner F. Hoffmann in Halle vom 8. No-
vember 1701 (Hannov. Bibl.) oder den von Naude vom 18. April 1701. (Der in
Hannover liefindliche Briefwechsel mit ihm enthält manche mathematisch wichtige
Partieen ; auch bittet Naude Leibniz, seine treftliche Prüfung des LocKE'schen Werkes
"Lipon human understanding" herauszugeben [6. October 1706]; in dem Dankschreil)en
für die Annahme sagt Naude, um seiner Harthörigkeit willen könne er eigentlich
die Ehre nicht annehmen; »cependant je regois ä grand honneur cette proposition".)
Als der jüngere Naude aufgenommen wurde, dankte er in einem ebenso entzückten
wie demüthigen Schreiben Leibniz (Brief vom 30. November 171 1; Hannov. Bibl.).
Der treffliche Theologe und Statistiker Caspar Neumann in Breslau schreibt (23. Fe-
bruar 1707, Hannov. Bibl.): »Nehme mir aber dabei Erlaubniss zu sagen, es sei die
Ehre, so die hochlöbliche K. Societät meiner Wenigkeit hat zudenken wollen,
beides zu gross und aucli zu spät; denn in meinen Jahren will es schon Abend
werden und der Tag hat sich geneiget. Ln Übrigen occupirt mich mein Amt der-
maassen. dass ich Curiosa und Nova, wie sie eine solche Societät wird verlangen,
nur als ein klein Neben -Werk gar selten fürzunehmen vermag. Zudem ich weiss
noch nicht, was eigentlich die Leges dieser vornehmen Societät sein werden. Ich
kenne auch zur Zeit keinen einzigen von den Herrn Collegen». Er erklärt weiter,
er könne nicht nach Berlin kommen; denn er könne sich von seiner Kirche nicht
entfernen; dagegen sei er bereit, etwas von seinen statistischen Arbeiten in den So-
cietäts -Werken zu ediren, wenn solche erscheinen werden. In dem Briefe vom
13. Juli 1707 kommt er noch einmal auf seine Aufnahme und sieht sie als ein hohes
Glück an, das er einzig Leibniz verdanke. LTnter LEiBNizens Papieren fand sich
(IvAPpens Sammlung S. 2 f.) ein Brief von Neumann, den man zu den grundlegenden
Erste Organisation. 121
Für die Convente suchte man im Februar ein Gemacli im Ratli-
haus zu bekommen, erhielt es aber nicht; so kam man zwanglos
— wöchentliche Sitzungen wurden beschlossen, scheinen aber nicht
streng eingehalten worden zu sein — in den Wohnungen der lei-
tenden Mitglieder zusammen, bis am 7. December 1701 durch könig-
liche Anordnung der Societät die Marine - Commissionsstube im Col-
legien-Haus in der Brüderstrasse eingeräumt wurde. In dieses Haus
sollte auch die grosse SpANHEiM'sche Bibliothek, die der König an-
gekauft hatte, gebracht werdend Das Wichtigste war nach Aufnahme
zahlreicher Mitglieder in Berlin, die Societät zu formiren und die
Ptlichten und Rechte der Mitglieder festzusetzen. Hier traf man leider
Bestimmungen, die die Wirksamkeit der Societät lähmen und den
Keim zu Unzufriedenheit und Eifersucht legen mussten. Man konnte
sich nicht entschliessen, alle Einheimischen als vollberechtigte Mit-
glieder aufzunehmen, schuf vielmehr solche erster und zweiter Klasse.
Nur das Concilium (auch Consilium genannt) sollte die inneren und
äusseren Angelegenheiten der Societät leiten; die übrigen, d. h. die
grosse Mehrzahl, sollten lediglich wissenschaftliche Mitarbeiter sein,
ohne Eintluss auf den Gang der Geschäfte. Nicht einmal die Ge-
neral-Instruction bekamen sie zu Gesicht; es sollte vielmehr nur
ein kurzer Auszug für sie ausgearbeitet werden. Bei den »ausser-
ordentlichen« Sitzungen sollten sie nicht zugegen sein, sondern nur
zu den ordentlichen wissenschaftlichen hinzugezogen werden. Die
ganze ökonomische Lage der Societät blieb ihnen verborgen, und
die Anregung zu Unternehmungen konnte niemals von ihnen aus-
gehen. Diese Organisation ist in den Briefen zwischen Leibniz und
den Jablonski's festgestellt worden""; sie ist vielleicht eine Noth-
wendigkeit gewesen: man durfte der grossen Menge von Mitgliedern
nicht sofort die Geschäfte einer noch werdenden Anstalt ausliefern;
aber sie schuf in Wahrheit eine unbeschränkte Oligarchie der Concils-
Urkunden der Entstehungsgeschichte der Bevölkerungsstatistik rechnen darf (s. Ur-
kundenband Nr. 63).
^ Siehe J. Th. Jablonski's Diarium und Secr.-LEiBN. Nr. 2 ; die Königliche
Ordre im Geh. Staatsarchiv, das Gesuch der Societät im Akad. Archiv ("Baulich-
keiten"), Beschluss der wöchentlichen Sitzungen Secr.-LEiBN. Nr. 5. Instruction für
den Pedell am i2.0ctoher 1701 vom Concil nach dem Entwurf D. E. Jablonski's
(Akad. Archiv), s. Secr.-LsiBN. Nr. 18.
^ Vergl. besonders die Briefe in Secr.-LEisN. Nr. 7 ff., namentlich den Brief
LEiBNi/.ens vom 24. März (Nr. 10). Die Zahl der Concilsmitglieder ist meines Wissens
nie fixirt worden, war aber bis 17 11 sehr gering. Nach einem Briefe des Hof-
predigers an Leibniz (16. April i 701) wurde gleich anfangs Dr. Jägwitz in das
Concil aufgenommen (IvAPPens Sammlung S. 262).
122 Geschirhte der Sodetät von 1700 — 171].
mitgiieder, rief in steigendem Maasse den Unwillen gegen diese »Ar-
canisten« hervor und nahm den Rechtlosen die Freudigkeit zvu*
Mitarbeit.
In den ordentlichen Sitzungen sollten nach LEiBNizens Vorschlag
sowohl eigene Untersuchungen und Experimente vorgetragen als plan-
mässige Referate über neue wichtige Erscheinungen erstattet werden.
Zu dem Zwecke sollte man alle wissenschaftlichen Zeitschriften an-
schaffen und die Berichte über ihren werthvollen Inhalt unter die
Mitglieder vertheilen\ Der Plan, über jedes der drei Hauptdeparte-
ments der Societät einen Decan zu stellen und einen Vicepräsidenten
zu ernennen, wird vom Hofprediger in einem Schreiben an Leibniz
vom 1 8. Juni vorgetragen". Wichtig ist es endlich zu bemerken,
dass Leibniz es gewesen ist, der in einem Brief an vonWedel^ ver-
langt hat, dass die grosse wissenschaftliche Unternehmung magne-
tischer Beobachtungen in Russland unter die Direction des ersten
Ministers gestellt werde. Er hat damit selbst die Oberleitung der
Societät durch den Minister angeregt — eine Sache, die ihm, als
sie durchgeführt wurde, doch unerwartet kam und ihm eine schwere
Kränkung bereitete. —
Am 15. Januar 1701 schrieb der Hofprediger an Leibniz*: «Der
Hauptpavillon des Observatorii ist ein Stock über die Erde herauf-
bracht, zu dem Eck -Pavillon des Observatorii ist der Grund durch
Einrammung der nöthigen Pfähle geleget, so dass beide nächsten
Sommer werden fertig sein können«. Gemeint ist der westliche
Eck-Pavillon: der östliche, der Ende des Jahres 1700 fertig gestellt
und ursprünglich der Societät als Wohnung des Astronomen Kirch
(ausser dem Mittel -Pavillon) versprochen w^ar, wurde ihr nicht über-
geben. Dagegen sicherte ihr eine königliche Ordre vom 7. Februar i 701
den Mittel -Pavillon und den zu erbauenden westlichen Pavillon (als
Wohnung des Astronomen) zu und befahl die Ausführung des letz-
teren ^ Am I I . Juli wurde durch ein Rescript die Fertigstellung
beider Gebäude bis zum Winter eingeschärft*'. Die Arbeit blieb aber
bald liegen.
^ Secr.-LEiBN. Nr. 10.
^ Hannov. Bibliothek.
^ Vom 12. November 1701. Kxeerjit bei Bode.iiaxx, Bi-iet'wechsel 8.382!'.
* IvAPpens Sainiiiluny S.236. verjil. .Secr.-Li:ii!.N. Nr. 2.
^ Siehe Urkundenbiiiid Nr. 64.
" Secr.-LEiBN. Ni'. 14 und die Oi-di-e an den Amtsrath von Port/, im Geheimen
Staatsai'chiv. Die Pläne beiluden sieh im Akademischen Archiv »Batdichkeiten«.
Auch Leirniz h.'it an ihnen üeai'beitet. Der Mittel -Pavillon (( )rdre an die Amts-
Sitzungen. Observatorium. Kalender (1701). 123
Die Sorge für die Kalender musste die wichtigste Aufgabe sein;
denn auf ihnen beruhte die Existenz und die Zukunft der Societät.
Der Kalender für 1701 wurde in den Provinzen keineswegs freudig
begrüsst, und die Provinzialregierungen unterstützten häufig den
Widerwillen der Leute. Die Anlage sei anders als es die Bürger
und Bauern gewohnt seien ; die Mondveränderungen müssten mit aus-
geschriebenen Buchstaben stehen; es müsste gesagt sein, »was in je-
dem Viertel vor Witterung zu vermuthen sei, item was sonsten einem
Hausmann nützlich zu observiren«; die Sonn- und Feiertage müss-
ten mit rotlien Buchstaben abgesetzt werden u.s.w.^ Das Ansinnen,
im Voraus anzugeben, wie viel Kalender ungefähr in ihrem Bereiche
nöthig seien, hatten die Pro vinzial- Regierungen schon früher zurück-
gewiesen; auf diese Frage Antwort zu geben, sei unmöglich"'. Das
3Iinisterium erklärte am 6. November i 701^, die Societäts- Kalender
kanimer des Baus wegen im Geheimen Staatsarchiv vom 26. August 1701) umfasst
mit dem Erdgeschoss vier Stockwerke (Observatorium , Versammhnigszinuner. Biljlio-
thek). Dieser Plan ist wirklich ausgeführt worden.
^ Siehe z.B. die Vorstellung der halberstädtischen Regiei'ung vom 12. April 1701
im Geheimen Staatsarchiv.
'^ Siehe die Antwort der kurmärkischen Regierung vom 26. August 1700 im
Geh. Staatsarchiv. — Aus dem Fascikel >> Kalendersachen « des Geh. Staatsarchivs
geht hervor, dass die Societät Bevollmächtigte in die einzelnen K. Provinzen gesandt
hat. um fremden Kalendern nachzuspüren und Verkäufer und Käufer zur Anzeige
zu bringen. Von den Provinzialregierungen wurden diese Denuncianten natürlich
nicht gern gesehen; im Geheimen waren sie alle gegen das Privileg und machten
sich die Klagen der Bevölkerung zu eigen — die Kalender seien zu theuer; sie unter-
richteten nicht genügend über die Witterung, dass man sich mit der Feldarbeit ein-
richten könne; die sächsischen Kalender seien besser u. s, w. Kamen die Societäts-
BevoUmächtigten auf die Güter der adeligen Herren, so wurden sie mit Schmäh-
nnd Drohworten tractirt, ja sogar, »wie verlauten will«, ist ilmen mit Arrest be-
gegnet und ihnen die Vollmacht der Societät weggenommen worden, »nicht ohne
strafbare Verachtung des K. Edicts«. »Es zeigt sich gegen das Edict und seine
Ausführung eine vorsätzliche Widerspenstigkeit der Unterthanen sowohl als theils
der Unterobrigkeiten seilest. « Unter den Klagen und Eingaben der Societät ist das
grosse Pro Memoria von 1705 die wichtigste (Geh. Staatsarchiv). Eine gründliche
Vertheidigung der Societäts -Kalender wird hier gegeben und namentlich gezeigt,
dass sie in Astronomicis wirklich zuverlässig sind, während die anderen oft von
unwissenden Leuten verfasst werden, bez. von jungen Autoribus, "denen es an ge-
nügsamem Fleiss, Behutsandveit und Exercitio fehlet". ]Mit Stolz weist die Societät
dem Könige nach, was für einen Gelehrten sie an ihrem Kirch besitzt. Dieser
giebt in einer ^Beilage zum Pro Memoria eine Tabelle der groben astronomischen
Fehler des Leipziger Kalenders in den Jahren 1702 — 1704. und im Jahre 1706 wies
der andere Astronom. Hoffmanx, nach, dass der sächsische Astronom Juxn:s die
bevorstehende grosse Sonnenfinsterniss ganz verkehrt in seinem Kalender dargestellt
halje (Secr. - Leirx. Nr. 5 I vom 9. März 1706).
3 A.a.O.
124 Geschichte der Societät von 1700-1711.
Avürden in Zukunft so gut eingerichtet werden , dass sie anderen
Kalendern in nichts nachstehen werden; deshall) müsse man das
Privik^gium der Societät streng einhalten. Wirklich that diese
ihr Möglichstes, etwas Gutes zu liefern. Wieder war es Leibniz,
der auch hier eingrift* und sich nicht für zu vornehm hielt, dieses
Werk zu betreiben. Er bezeichnete die Kalender als »die Bildio-
thek des gemeinen Mannes« und erkannte, dass man zweckmässige
Varietäten bieten müsse , um sie einzubürgern :
"Die Kalender haben Ireilich mehr Varietät nötliig, imd muss man suchen,
sie auf allerhand Weise angenehm 7AI machen und zu consideriren als die Biblio-
thek des gemeinen Mannes. Es wäre /.u dem Ende gut, dass man eine gute Quan-
tität alter Kalender ansehe und consultire. Item Simplicissimi [sie dicti] ewigen
Kalender.
Es wäre auch gut, weil die Veränderung die Feste verrücket, dass man
denen Bauern zum Besten anzeige und specificire, wo nun die ihnen bekannten
Tage hingefallen. Ich schicke hier einen Hof- Kalender von Wien. In den unsrigen
könnte man die Krönungs- Acta bringen.
Es könnte auch ein Kalender gemacht werden, darin alle K. vornehmste
Bedienten nach den Collegiis und allerhand Landsachen, so den Unterthanen zu
wissen dienlich ^ Item ein allgemeiner Post-Kalender" vor die Reisenden in
allen K.Landen, so mit einer Geographischen Karte, so die Post- Routen andeutete,
und dai-aus zu ei'sehen, welche Zeit die Post an den fürnehmsten Orten durch
passire.
Also ein Gerichts-Kalender, darin die Termini und andere dienliche Nach-
richtungen die Tribunalia betreffende.
^ Einen solchen gab die Societät wirklich — zum ersten Mal für das Jahr
1704 (s. das Actenstück vom 2. Mai 1704 im Geh. Staatsarchiv und Secr.-LEiüN. Nr. 28
vom 6. November 1703; Nr. 29 vom r. März 1704) — -regelmässig heraus (Exemplai-e
im Geh. Staatsarchiv). Die Anlage solcher Hof- und Staatskalender hat Leibniz
mit CuNEAU und dem Secretar genau erörtert, s. den Brief vom 12. August 1701
(Secr.-LEiBN. Nr. 16). Hier handelt er von der Stelle, die man der Societät in dem
Hofkalender geben soll. Der Secretar will sie mit der Akademie der Künste beim
Hofstaat nächst der Bibliothek und Kunstkammer stellen. Cuneau will einen
eigenen Titel nach dem Kirchenwesen machen. Leibniz neigt sich zur Ansicht des
Secretars und giebt Anordnungen über die Disposition des Kalenders übei'haupt.
Der erste Kalender dieser Art fand schlechten Absatz (s. Secr.-LEiBN. Nr. 30 vom
15. April 1704 und Nr. 31 vom 10. Mai 1704) «wegen vieler Fehler, so ziemlich ein-
geschlichen, und desfalls von den Interessenten täglich mehr Erinnerungen geschehen«,
und wurde ausserdem »boshaft" bei Renger in Flalle nachgedruckt vom Bei'liner
Buchführer Rüdiger (s. auch Nr. 32). Derselbe wurde aber trotz eines Briefs von
Leibniz an Wartenberg vom 3. Mai 1704 [nicht 9. Mai. wie Klopp druckt, 10. Bd.
S.387f.] und trotz Vorstellungen der Societät zunächst nicht zur Rechenschaft ge-
zogen, denn »er hat gewisse Patronos am Hofe, die ihn gegen allen Anlauf ver-
treten« (s. Nr. 33 vom 2. August 1704); erst am 6. September erfolgte ein K. Befehl
zur Bestrafung (s. die Eingabe der Societät an den König vom 27. August und die
K. Ordre im Geh. Staatsarchiv »Kalendersachen«).
^ Gedruckte Blätter, die Abfahrten und Ankünfte der Posten enthaltend, lin-
den sich im Akad. Archiv.
Die Kalender. 125
So könnte auch wohl ein Polizei-Kalender gemacht werden, darin aller-
hand Verordnung zu Nachricht vor manniglich angedeutet. Also Münz- und Wechsel-
Rechnungen, Reductio nach dem Leipzigischen Fuss, Zins -Rechnungen. Es könnte
auch ein Andachts-Kalender sein, darin alle Wochen und bei den sonderbaren
Tagen kurze doch nachdenkliche Andachten an Hand gegeben.
Andere ^lathematische , Physicahsche . Oeconomische und histoi-ische Sachen,
Veränderungen durch Geburt. Absterben, Verheirathung grosser Herrn, Wappen
und deigl. zu geschweigen. Ich habe einsmals zu Berlin erinnert, dass man von
Regensburg aus, auch aus den Mercuriis und Relationibus leicht die Veränderungen
haben und zu Ende des Jahres in einem Reichs -Kalender aller Fürstl. und im
Reich Stimme habender Familien, Gräll. Personen und Residentzen oder doch we-
nigstens die \'eränderungen anführen könnte.
Allein zu diesen Dingen werden mehr Personen und andere Anstalt erfoi'dei't,
als wir jetzo haben. Doch kann man ein und anders bereits vornehmen, viel auch
aus alten Kalendern brauchen. Theil-Appendices können a part verkauft werden,
und gehen sie nicht alle ab. dienen sie künftiges Jahr Aviederum. Innige Sachen,
so beständig bleiben, kann man in Kupfer stechen, die Ephemerides figuratae wären
nicht zu vergessen. Ich habe unterschiedene Vorschläge gelassen, so Herr Hofr.
CuNO communiciren wird. Bitte daraus dienliche Agenda pro Memoria zu ziehen.
Ich habe im Vorigen geschrieben wegen der Spi-itzen zu Duisburg, bitte, dass man
sich deshalben wegen der Societät erkimdige '.«
Schon am 31. Januar 1701 erkundigte sieh Leibniz, oh das Ka-
lenderwerk »proportionirhche Hofihung eines guten Ertrags gehe«.
Der Secretar antwortete, der Ahgang sei so gross nicht gewesen,
als vermuthet worden; »es werden derselhen viel tausend liegen
l)leihen«. Bald darauf schreibt er, der vierte Theil werde liegen
hleihen ; man dürfe aber für das nächste Jahr auf besseren Vertrieb
hoffen, da der Kalender rechtzeitig erscheinen und man auch eine
Varietät beobachten werde". Leider wurde das Erscheinen doch
durch Kirch's Unpässlichkeit aufgehalten ; erst um Michaelis wurde
er ausgegeT)en. Der projectirte Hof- und Staatskalender war in
Arbeit^ —
Schon lange hatte die Königin gewünscht, Leibniz wieder bei
sich in Berlin zu sehen. Der Hofprediger hatte ihm dies in ihrem
Auftrag auf's Neue im April geschrieben^, aber seine Reise ver-
^ Siehe Secr.-LEiuN. Nr. 8. 11. 17 und den Brief des Hofpredigers an Leibxiz
vom 16. April 1701 in Kappcus Sammlung S. 26if. Dem Feuerspritzen -Privileg
stellten sich Schwierigkeiten in den Weg, s. a. a. 0. Nr. 5. Auf einem LEisNiz'schen
Zettel (IvAPPens Sammlung S.442) findet sich die Bemerkvmg: »Kalender mehr zu
variiren. nicht zu »sec.« Feuerspritzen beim Commissariat pi'o mechanicis. ßücher-
zoU bei Hrn. v. Ilgen pro diario eruditoi'um et literis humanioi-ibus. Heri'u Neu-
kirch's Vorschläge pro rebus Germanicis mit Hi'U. Grauen's Gedanken".
- A. a. O. Nr. 4. 5. 6.
3 A. a. O. Nr. 17.
^ Kappcus Sammlung S. 260, 262 f. (Brief vom 16. April und den vorher-
gehenden undatirten).
126 Geschichte der Societät von 1700 — 1711.
zögerte sich aus Gründen, die wir nicht kennen. Seit dem Herbst
waren es aber nicht mehr Angelegenheiten der Wissenschaft oder
der Societät, die Sophie Charlotte LEiBNizens Gegenwart wünschens-
w^erth erscheinen Hessen', sondern hochpolitische Affairen. Die eng-
lische Successionsacte, die am 7. September im Haag geschlossene
grosse Allianz gegen Ludwig XIV. und die hannover - wolfenbüt-
telsche Verwicklung erregten die Königin und brachten sie zu dem
Entschluss, einzugreifen und die preussische Politik zu leiten. Als
Leibniz am 7,0. September in Berlin eintraf', war seine Sorge für
die Societät nur der Vorwand; in Wahrheit kam er als ausseror-
dentlicher geheimer Geschäftsträger der Königin. Die Kurfürstin-
Mutter in Hannover, der Kurfürst und der hannoversche Geheime
Rath waren im Einverständniss, der letztere beargwöhnte dennoch
den unzünftigen Diplomaten. Auf die Sache selbst ist hier nicht
einzugehen. Leibniz hat vielleicht niemals eine so actuelle Rolle
als Politiker gespielt wie in diesem Winter, in welchem er, zwischen
Berlin und Hannover hin und her reisend und jene förmliche Voll-
macht der Königin in der Tasche, die er vor ein paar Jahren
umsonst begehrt hatte ^, die Absichten der beiden Fürstinnen zu
verwirklichen strebte. Diese gingen auf die engste Verbindung
und die gemeinsame Politik der beiden Höfe. Dem hinter dem
hohlen Staatsmann Grafen von Wartenberg klug zurücktretenden,
umsichtigen Minister von Ilgen war LEiBNizens Mission nicht unbe-
kannt, aber ob er ganz in die umfassende Correspondenz eingeweiht
war, die dieser damals von Berlin aus mit der Kurfürstin Sophie
führte, darf man wohl fragen*. Erst nach vier Monaten kehrte
Leibniz definitiv nach Hannover zurück.
^ Sie interessii-te sich übrigens auch weiter für die Societät. s. Secr.-LEiBN. Nr. 9.
^ Das Datum nach Jablonski's Diarium. Drei Wohnungen waren ihm zur
Auswahl gestellt: in der Brüderstrasse, wo er das erste Mal einige Tage gewohnt
hatte, an der Langen Brücke und in der Heiligen Geiststrasse, s. Secr.-LEiBN.
Nr. 18. Eine politische Correspondenz mit der Königin war vorhergegangen, s. Klopp,
Werke, 10. Bd., S. XXXII ff. und 81 ff.
^ Siehe oben S.56. Die Vollmacht ist vom 2. December 1701, abgedruckt bei
Klopp, a.a.O. S.pif.
* Siehe Klopp, a.a.O. 8. Bd. S. 288 ff. Siehe dort und auch 10. Bd. S. 86 ff.,
112 ff. über Ilgen's Mitwirkung. In jenen Monaten hat Sophie Charlotte den
stärksten Kinthiss auf die preussische Politik und auf ihren Gatten ausgeübt. Dass
Leibxiz auch diesmal einen höhei-en Zweck im Auge hatte, zeigt u. A. sein Brief
an die Kurfürstin Sophie vom 19. November 1701 (Klopp, Werke, 8. Bd., S.3iof.):
»Le ministere täche de plaire a la reine, et il a raison, et la reine aussi de son
cöte en use le mieux du monde. p]t comme Ton sait que rien ne saurait faire plus
de plaisir a la reine c|ue la bonne inteUigence des deux cours, on est fort dispose
LEiBxizeiis zweitei" Aufenthalt in Berlin (1701 '"2). i'2 i
Aber obgleich er damals ganz durch die Politik in Anspruch
genommen schien, vergass er doch weder die «Irenica«, die aller-
dings mit den politischen Fragen in Zusammenhang standen, noch die
Societät. Am 4. October, 7. November und 30. December präsidirte
er den Sitzungen'. Um ihr ein gemeinnützliches Wirken zu sichern,
arbeitete er wiederum Denkschriften an den König aus — über
medicinische und meteorologische Observationen , die allgemein im
Lande anzustellen seien, aus denen die Societät »Annales physici«
auf Grund halbjährlicher Berichte zu entwerfen habe, ferner über
die civilisatorisch- evangelische Mission der Societät in die östlichen
Länder. Dabei plante er, ein Privilegium auf den Druck slavischer
Erbauungsbücher beim Czaren für die »Societät zu erbitten , von dem
er sich für die Mission und für den Fundus der Gesellschaft viel ver-
sprach. A^erhandlungen mit einem Drucker Avurden bald begonnen".
In dieser Denkschrift erinnert er auch an die magnetischen Beob-
achtungen, deren Bedeutung für die Schiffahrt dem Czaren ein-
leuchten werde; der nach Russland gehende preussische Gesandte
a la cultiver. üutre que c'est le grand et veritable interet des uns et des autres.
et qu'on reconnait ((ue c'est Tunique nioyen de nous sauver tous e.t la
liberte publique. Ce qui est aussi le texte ordinaire de mes sermonS".
Über den zu blinden geborenen Minister vonIlgex. dem die Societät Vieles ver-
dankt, s. den Artikel von Isaacsohn in der Allg. Deutschen Biogr. 14. Bd. S. 16 ff.
Leibniz soll ihn schon im Jahre 1678 in Minden kennen gelernt und nach Berlin
gewiesen haben. Bereits unter dem Grossen Kurfürsten war er als geheimer Kammer-
secretär ein einllussreicher Beamter in der inneren Verwaltung. Unter Kolbe vox
Warten BERG war er. der auch in der äusseren Politik geschidt war. der verstän-
digste und thätigste. aber nach aussen wenig hervortretende Staatsmann. Dass die
Dinge in diesen Jahren nicht noch trostloser wurden, verdankt man ihm. Seit der
Königsberger Krönung, die er vorbereitet hatte, war er wirklicher geheimer Rath
und Mitglied des Staatsraths; auf seinen Schultern lag die ganze Arbeit; er leitete
die politische Correspondenz , stand an der Spitze der Justizreform und suchte die
Domänenverwaltung zu verbessern. Im nordischen Krieg stand er wesentlich auf
Schwedens Seite, suchte — darin mit Leibniz zusammenwirkend — eine Ver-
einigung mit den mächtigsten norddeutschen Fürsten herbeizuführen und hatte die
Erwerbung jenes Theils von Polen, der Preussen von Brandenbvu'g und Pommern
trennte, stets im Auge. Nach von Wartenberg's Sturz im Sommer 17 11 wurde er der
leitende Kabinetsminister. Als ein durch und durch zuverlässiger Charakter be-
wahrte er sich auch das Vertrauen Friedrich Wilhelm's I. (7 6. December 1728).
^ Siehe Jablonski's Diarium.
^ In dem Akademischen Archiv (Fase. »Revenuen«) sind Acten über Ver-
handlungen vorhanden, die mit einem gewissen Kopijewitz geführt wurden, der
den Druck polnischer und russischer Bücher übernehmen sollte (Verhandlungen mit
iluu im Plenum am 18. und 24. August 1702 nach dem Diarium). Auch wurden
Pläne gemacht, selbst eine Druckerei und Buchhandlung einzurichten, aber sie
kamen nicht über das ^'orstadium heraus.
128 Geschichte der Societät von 1700—1711.
solle angewiesen werden, in diesem Sinn thätig zu sein. Endlieli
verknüpft er das Missionswerk mit den Unionsbestrebungen: der
Mission würde es höchst schädlich sein, wenn Lutheraner und Re-
formirtc getrennt wirkten ; das müsste man auch in Sachsen ein-
sehen; so w^äre »mit Saxonicis zu überlegen, wie die Sacli zu fassen,
damit iu den entfernten Landen beiderseits Protestirende de iisdem
sacris participiren könnten«; damit wäre aber das negotium paci-
ficum sehr gefördert. Das Geld, das man nöthig habe, könne aus
einer Erbschaftssteuer gewonnen werden, auch könne »lege publica
eingeführt werden, dass bei jedem Vermächtniss ein legatum ad
pias causas sub certo modo et sub certa poena nicht vergessen
werden dürfte«'.
In einem am Ende seines Berliner Aufenthalts für den König-
aufgesetzten Pro Memoria'" hat Leibniz zusammengefasst, was die
Societät bisher geleistet und wodurch sie gehindert worden, und
auf's Dringendste gebeten, ihren Fundus zu vermehren, da sie sonst
der ihr gesetzten Aufgabe nicht zu entsprechen vermöge.
»Man liat astronomisclie Observationes angestellet, so viel vor Ausbaiiung des
Observatorii füglich geschehen können, man hat neue Rechnungs- und Messkünste
angewiesen, dadni-ch schwere und nützliclie Aufgaben aufzulösen, lils ist ein neuer
Phosphorus von einem Gliedmaass der Societät erfunden worden, so in einem ver-
schlossenen Glas durcli blosse Bewegung allezeit leuchtet und die vermeinten lu-
cernas immortales der Alten dargeben kann ^, auch sind andere schöne Experimenta
gepriesen worden. Man hat auch besondere machinas ausgedacht, dadurch Dinge
von Nuzen und Wichtisikeit auszurichten. Man liat einioe uralte Zeichen der Clii-
^ Siehe Urkundenband Nr. 65, 66. Die Vorschläge medicinisch- meteoro-
logische Beobachtungen betreffend, die im ganzen Lande anzustellen sind (Nr. 65),
stammen indirect von dem berühmten Professor der Medicin, Friedrich Hoffmann
in Halle, mit dem Leibniz seit 1699 im Briefwechsel stand; vergl. die Regesten bei
BoDEMANN, Briefwechsel S.93; die dort verzeichneten geschriebenen Abhandlungen
stammen, obgleich sie nicht von seiner Hand geschrieben sind, von Hoffmann:
I. Anzeige des vortrefflichen Nutzens derer Observationum aus dem Gewitter und
Krankheiten, und auf wes Art dieselben an unterschiedenen Orten füglich anzu-
stellen. 2. Vorschlag wie in S. K. M. Landen die höchst nützliche Observationes
meteorologicae anzustellen sein, nebst: Wahrnehnumg der Gewitterung nach den
Baro- und Thermometris vom Monat Jänner des 1700. Jahres, und Beschaffenheit
der gemeinen Krankheiten im Jänner-Monat. Li dem Convolut befinden sich aucli
zwei Briefe von Leibniz an den Minister von Fuchs. Li dem Brief vom 17. A])ril 1701
empfiehlt er den Plan \-on Wetterbeobachtungen, um den Einfluss des Wetters auf
Menschen, Thiere und Plhuizen besser festzustellen, zunächst für den preussischen
Staat; in dem Brief vom 9. November 1701 liittet er. dass Hoffmanx Gelder für
seine Expeiimente bewilligt werden möchten.
^ Siehe Urkundenband Nr. 67.
^ Hierzu s. den Briefwechsel zwischen dem Hofprediger und Leibniz in
IvAPrens Sammlung S. 257 ff. vom 5. iNIärz und 16. April 1701. Der Entdecker ist
Dl'. Jägwitz. Docli scheint die Sache nicht bedeutend gewesen zu sein.
LEinxizens Bericht an den König ül)er die Soeietät (1702 AnfVmg). 129
nesei' erläutert, so sie nun von 2000 Jahren lier selbst nicht mehr verstehen, und
die doch einen neuen mathematischen Schlüssel in sich halten. Man hat in dem
Alterthum der teutschen Sprache nicht wenig entdecket, das Celtische mit dem
Teutschen zusammen gehalten, alte teutsche Manuscripta nützlich angewendet, auch
3Ionumenta der teutschen Historia ans Licht bracht und hoö'et, dermaleins zu einem
rechtschaifenen teutschen Wörter- Schatz gelangen zu können, sonderlich da durch
liohe Hülfe die Kunst- und andere besondere Wörter, so bei verschiedenen Sorten
der Menschen in Gebrauch, zusammen zu bringen sein möchten, so den Sprachen
und Künsten zugleich zur Beförderung gereichen würde. Es würde auch verhof-
fentlich K. Maj. bereits einen oder mehr Observatores durch Moscau in die grosse
Tartai'ei und bis nach China haben gehen lassen, in den fast noch imberührten
Ländern ganz neue Dinge zu entdecken und zugleich Missiones evangeUcas zu veran-
lassen, wenn nicht der nordische Krieg dazwischen kommen. Und jezo ist man
begriffen die Sache also zu fassen, dass jährlich einige Miscellanea
durch Veranlassung der Soeietät herfür kommen mögen.«
Aber die Durchführung aller dieser Unternehmungen und der
Druck der KiRcn'schen Ohservationen erfordere Geld. Wieder wer-
den die alten Vorschläge nutzreicher Privilegien gemacht, besonders
das Büchercommissariat, und neue hinzugefügt. Unter diesen ist
der Vorschlag einheitlicher Regelung der Maasse und Gewichte durch
die Soeietät (nach dem Decimalsystem zur Vermeidung der Brüche)
der werthvollste.
Aber auch in seiner politischen Correspondenz mit der Kur-
fürstin-Mutter zeigt Leibniz, dass er die Soeietät nicht vergessen
hat. Am 2i.October 1701 schreibt er ihr^:
"Je suis maintenant ä Oranienbourg pour quelques jours, pour travailler aux
interets de la nouvelle Societe Royale des Sciences. Le roi me temoigne de la vouloir
favoriser. Et comme on depeche au resident en Moscou, il sera charge encore
de quelques ordres cpü regardent nos missions dans ce pays-lä et vers la Chine-.
(Jn traite aussi avec les Anglais et Hollandais, touchant le passage dans la Medi-
terranee et les Etats du grand seigneur par ceux de Brandebourg et de Femperevu-.
Car on peut aller par eau de Hambourg a Breslau, et apres quelque trajet de teri-e
jusqu'a Vienne, on va par le Danube jusque dans la mer noire. On attend aussi
des Armeniens pour le negoce de Koenigsberg, juscju"en Perse.
iNIons. le grand chambellan m'a temoigne, combien le roi est resolu de faire
ce qui depend de lui pour la cause commune, et le comte de Wartenbourg [sie]
^ Siehe Klopp, 8. Bd. S.agif.
- Der Gesandte Lubitsuezki erhielt im Januar wirklich solche Aufträge, s. die
Schreiben von Leibxiz an den Hofprediger vom 26. Januar 1702 (KAPpens Samm-
lung S.318) und an die Königin vom 15. Januar (Klopp, 10. Bd. S. 132). Li letzterem
spricht Leibniz sogar von "Al.Lubiniezki envoye de la societe vers leTzar". übrigens
war er am 13. Mai noch nicht al)gereist. »Er hat sich in der Astronomie, soviel
ihm zu seinem Zweck nöthig, genugsam perfectioniret und wartet nur noch einiger
Instrumente, nacli deren Erhaltung er fertig sein wird, seine Reise anzutreten. Die
Cliartam magneticam, im Fall er es vergessen sollte, abzufordern wird man schon
eingedenk sein« (Secr. -Leibn. Xr. 24). Auch am 2 7.1\rai "übte er sich noch in der
Astronomie" (a. a. O. Xr. 25).
Geschichte der Akademie. I. 9
130 Geschichte der Societiil von 1700 — 1711.
Iiii - iiieiiK; considerc coinme an i^raiid honlKMir la })rc'.sentc imion des inaisoiis de
Brandebourg et de Brunsvic, qu'U travaillera toujours d'entretenir^"
»Par la vötre« — erwidert die Kurfürstin am 29. Oetober" —
i>d'Oranienbourg je vois qiie vous avez le plaisir de voir executer
vos belles idees. J'espere que nous verrons bientöt un livre des
missions qiii se doivent faire, et que j'aurai au moins le plaisir
de le lire.«
In den Briefen, die er in diesen Monaten — sobald er vorüber-
gehend wieder in Hannover war — der Königin geschrieben, findet
er Zeit, sich witzig mit einem Goldmacher zu beschäftigen, der da-
mals Berlin unsicher machte, und zugleich der Societät zu gedenken.
»Bei mir vermehrt sich nicht das Gold, sondern die Jahre«:
"pour V. M. c'est une autre affaire. Son age et sa bourse lui doiiaent le
moyen d'attendre et de parvenir. Amsi je lui conseille tres humblement de prac-
tiqiier quelque laboratoire dans son batiment de Luzenbourg, et d'y loger quelqne
hal)ile chimiste ä qui j'irai souvent rendre visite au soi-tir de la Bibliotheque que
V. M. y va dresser, passant par le cabinet des raretes naturelles, qui sera entre
deux .... 11 est vi*ai que l'or nous fournirait bien d'autres choses. Mais V. JNI.
n"en a-t-elle pas plus que tous les chimistes ne nous feront? Ainsi Luzenbourg
peut devenir Heliosophopolis sans la pierre«^.
Seine Abreise aus Berlin verzögerte sich einer Unpässlichkeit
wegen. Als er es endlich verliess, hatte er nichts fiir die Societät
erreicht, kaum Versprechungen*. Schmerzlich war es ihm auch,
dass seine in den Denkschriften niedergelegte ausserordentliche Arbeit
für die Societät und seine Bemühung in Irenicis, die ihm manche
Kosten verursachte , vom Könige nicht belohnt wurde. Auf seine Be-
^ Dieser Brief war zur rechten Zeit geschrieben ; denn er kreuzte sich mit
einem Schreiben der Kurfürstin Sophie vom 22. Oetober (a.a.O. S. 293), in wel-
chem diese mit der Vielgeschäftigkeit ihrer Tochter imd Leibnizcus nicht zufrieden
ist, weil ihr misstrauischer Sohn, der Kurfürst, unwillig geworden. «Vous avez
trop vastes entreprises pour que l'Electeur puisse etre mal satisfait de votre voyage.
Nous en avons. fait un discours de table ... La reine fait bien mieux de parier
de son batiment que des intrigues de la cour. Je vois par la lettre du comte ch^
Wartenberg qu'il croit avoir des ennemis qui ont en dessein de lui faire un
mechant ragoüt etc.« Diese Verstimmung oder richtiger Sorge hielt aber nicht an.
Bereits am 21. Nov. 1701 schreibt sie an Leibniz (a.a.O. S.313): »Mon fils l'Electeui'
a lu avec plaisir ce que vous me mandez de la bonne dis})()sition de la cour de
Brandebourg, et, je crois. souhaite d'en voir les effets«.
2 A.a.O. S.249f.
^ Klopp, 10. Bd. S.iii. Brief vom i4.Dec. 1701.
* \'ün Interesse ist das Unternehmen der in Königsberg wohnenden auswär-
tigen Mitglieder der Societät, in ihrer Stadt eine Art Filiale zu gründen, regel-
mässig wöchentliche Versammlungen zu halten, eine Druckerei einzurichten und
so die Wirksamkeit der Societät zu erhöhen (sie wollten auch — ohne dem Privileg
der Societät zu nahe zu treten — besondere Kalender für Preussen drucken). Das
Berliner Concilium nahm diese Absichten freundlich auf und befürwortete auch eine
LEiBNizens Kückkelir von Berlin (Februar 17n2). 1dl
merkung an den vertrauten Hofprediger antwortete dieser^: «Es ge-
scliieht wohl, dass ein grosser Herr eine Zeit lang etwas schuldig
bleibt; zu seiner Zeit aber erfolgt Capital und Zinsen mit einander«.
An Burnet de Kemney schrieb Leibniz gleich nach seiner Rückkehr
aus Berlin etwas resignirt", die Societät, die der König eingerichtet
und mit deren Sorge er ihn betraut habe, könne »mit der Zeit«
etwas nützlicher werden; »mais on ne peut avancer que lentement
en ces matieres dans les conjonctures presentes, ou les princes sont
obliges de tourner leurs princi2:)aux soins du cote de la guerre«.
3.
Der Astronom der Societät entdeckte im Frühjahr 1702 einen
neuen Kometen — der gelehrten Welt wurde das freudig mitge-
theilt^ — , aber der Ausbau des Observatoriums kam nicht zu Stande.
Wiederholt schrieb man LEmxiz , es werde in einigen Monaten be-
ziehbar sein, bereits Averde das Innere in Angriif genommen; man
verschob die »Einrichtung« der Societät bis zur Einweihung des
Gebäudes; noch am 15. April 1704 berichtete der Secretar, »der
Bau gehe immer fort« ; aber er blieb bei allem Fortschritt so un-
fertig wie die Societät selbst, und sein Zustand lähmte diese so
sehr, dass die regelmässigen Sitzungen aufhörten — man nahm sich
vor, sie wieder einzurichten, wenn man das eigene Haus bezogen
habe. Plötzlich kam die niederschlagende Kunde von einer grossen
Veränderung im Kammerwesen, durch die alle königlichen Bauten
Eingabe der Königsberger beim König, in der sie ein Gemach im Schloss für ihre
Zusammenkünfte wünschten; »zur Zeit, wenn der Hof anwesend, wiirden sie das
Gemach jedesmal räumen« (15. Februar 1702). Die Bitte wurde nicht bewilligt
(s. Briefe vom 21. April und 5. August 1702), und der Plan scheint dann überhaupt
nicht durchgeführt worden zu sein (Acten im Geheimen Staats- und im Akademisclien
Archiv » Fundation"). Doch kamen die Königsberger im October 1703 noch einmal
auf ihn zurück; sie wollten nun in der Bibliothek zusammenkommen (Akademisches
Archiv).
^ Brief A'om 25. Januar 1702 (Hannoversche Bibliothek). LEiDxizens Brief
vom 26. Januar, in welchem er augenscheinlich zum zweiten Mal auf die Sache
kommt, steht in KAPPens Sammlung S.319, Hier will er speciell für die Irenica
honorirt sein. Dazu ist das undatirte Schreiben in Kappcus Sammhmg S.327 zu
vergleichen: «Weil die Sache, soviel mich betrifft, nicht ohne allerhand Bedenklich-
keit, so würde nöthig sein, micli durch ein zulängliches Fixum (ausser der Cassa
Societatis) in solchen Stand zu setzen, dass ich der Sache mit völligem Nachdruck
insistiren und besser abwarten könne«.
^ Klopp, 8. Bd. S.340 (vom 27. Februar 1702).
^ Secr.-LEinx. Nr. 22.23 ^'om 25. und 29. April 1702.
9*
132 Geschichte der Societät von 1 700-1 TH.
sistirt wiirdon (Mai I704)\ Die finanzielle Lage war in der Tliat
(lureli den Aufwand des Hofes und die schlechte Verwaltung so be-
denklich geworden, dass die neue Amtskammer nur noch das Noth-
wendigste weiterführte und die Gebäude halb fertig stehen Hess,
Zwar machte die Societät sofort eine Eingabe beim Oberkammer-
lierrn (Juni 1704); aber trotz einer königlichen Anweisung an die
Kammer geschah nichts". Diese verweigerte den Bau «unter aller-
hand nichtigen Vorwänden«, So blieb nur die Hoffnung, dass Leib-
Nizens Autorität, persönlich geltend gemacht. Hülfe bringen" oder
dass der Gönner der Societät, Hr. von Tettau, sein Versprechen
halten und eine neue königliche Ordre bewirken werde ^. Man l)e-
fand sich also nach Verlauf von vier Jahren auf dem alten Fleck:
wohl ragte das stattliche Thurmgebäude in die Lüfte, aber kaum
im Rohbau war es fertig. —
Im Februar 1702 war Leibniz nach Hannover zurückgekehrt;
bereits im März wollte ihn die Königin, die ihn als ihren Beamten
betrachtete, wieder in Berlin sehen •\ Im Mai ging er dorthin, der
wissenschaftliche Austausch mit der Königin, an dem auch Toland
Theil nahm"^ und der die höchsten Fragen umfasste, überragte jetzt
den politischen^. Nach zwei Monaten verliess er Berlin, kehrte aV)er
^ Berichte über den guten Fortgang des Baues a. a. O. Nr. 24 (13. Mai 1702),
Nr. 26 (4. August 1703), Nr. 29 (i.März 1704), Nr. 30 (15. April 1704), s. auch des
Hofpredigers Brief an Leibniz vom i. Dec einher 1703 (IvAPpens Sammkmg S.334).
Einschlafen der Zusammenkünfte und Verschiebung der Einrichtung regelmässiger
Conventebis zur Fertigstellung des Baues Nr. 24 (vei'gl. Nr. 32 vom 17. Juni 1704: «Vier
Wochen lang ist keine Zusammenkunft gewesen"). »Grosse im Kammerwesen vor-
gegangene Veränderung" in Nr. 31 vom 10. ]Mai 1704.
^ Secr.-LEiBN. Nr. 32.
^ A.a.O. Nr. 33 vom 2. August 1704.
* A. a. 0. Nr. 34 vom 4. April 1705.
" Siehe Klopp, Werke, 10. Bd. 8. 136 ff.
^ Die Auseinandersetzung mit ihm erfüllte die Gedanken LEiBNizens und der
Königin bis zum Ende des Jahres; auch die Kurfürstin -JMutter nahm an dieser
geistigen Bewegung Theil. Näheres bei Guhrauer, G. W. Frhr. von Leibnitz 2. Bd.
S. 224 ff.
' A. a. O. S. 145 — 194 und 8. Bd. 8.352ff., 363ff. Auch glänzende Feste fehlten
niclit; s. 10. Bd. S. 188 ff. und LEiBNizens Brief an Krebs vom 6. Juni (Bodemann,
Briefwechsel S. 122): »Ich befinde mich anjezo allliier mit der Churfürstin Durch-
laucht in der Königin von Preussen Lusthaus. Da passiret man die Zeit nur all-
zuwohl; denn sie fleugt gar sclinell dahin, also dass es scheinet, die allzu grosse
Becpiemlichkeit sei nicht gut, indem sie mnchet. dass die Menschen ihr Leben mit
ihrer Zeit gleichsam ohnvermerkt verlieren und es nicht genugsam brauchen noch
empfinden". Vergl. auch den schalkhaften Einladungsbrief, den Frl. von Pöllnitz
am 8. April im Auftrag der Königin an Leibniz gerichtet hatte: ». . . S. M. la reine
vous invite de venir ä Luzembourg et vous ea fait instamment prier, vous ne jiourriez
Die Societät in den Jahren 1702—1704. Das ^Monopol auf Seide. 13^)
im September abermals dorthin zurück und blieb nun mindestens
bis zum 8. Mai I703\ Da er sich überzeugt hatte, dass die bisher
von ilim für die Societät vorgeschlagenen Privilegien keine Hoffnung
gewährten"', so fasste er nun einen neuen Plan , den er sofort mit
allem Nachdruck betrieb. Er hatte sich schon seit lo Jahren für
den Seidenbau interessirt^; nun wollte er ihn in Preussen ein-
führen und der Societät das Monopol erwirken. Keine andere An-
gelegenheit der Societät hat er in den folgenden Jahren mit solchem
Eifer und solcher Zähigkeit betrieben wie diese. Er klammerte sich
an sie, weil er in ihr die letzte Hoffnung sah, der Societät eine
breitere Grundlage zu geben und sie für grössere Unternehmungen aus-
zustatten. Die Zahl der Entwürfe für das Seidenwerk von seiner Hand
(in der Bil)liothek zu Hannover, in den Societätsacten fol. 149 — 179.
112 — 125 und sonst) ist ausserordentlich gross und ebenso die Zahl
der Briefe, die er in dieser Sache geschrieben hat. Da er bei sei-
nen früheren Vorschlägen nicht die nöthige Unterstützung gefunden
hatte, so beschloss er diesmal, die Autorität der Königin anzurufen:
sie sollte die Protection des Seidenbaus übernehmen und den König
bestimmen, seine Gunst diesem Werk zuzuwenden.
Die erste Nachricht besitzen wir in einem undatirten, aber spä-
testens dem December 1702 angehörenden Briefe von Leibniz an die
Königin*:
"Conformement aux ordres de V. M., j'ai parle hier ä ]M. le grand chambellan.
touchant la concession de la culture de la soie. II m'a demande un papier pour
sc mieux souvenir des circonstances, et je lui ai donne celui-lä meine que j'ai lu
ä V. INI., oü la chose etait expliquee en peii de mots. Je laisse juger, si V. 31.
voudra faire appeler Elle-meme M. le grand chambellan chez Elle expres, pour
lui en parier; mais surtout il sera bon qu'ElIe parle au plus tot a M. le grand veneuj-.
ä la verite mieux faire (jue de venir presentement. C'ar nous sommes conune le
j^roverbe allemand dit: Wenn die Katze niclit zu Haus ist, danzen die Meuse auf
den Bänken«, u. s. w.
^ Siehe Klopp, 10. Bd. 8.3840'. Nach dem Diarium Jablonski's präsidirte er
den Sitzungen der Societät am 16. Juni und 24. November 1702. Die Abreise hat
sicli zuletzt durch eine Krankheit verzögert.
^ Nur das Kalenderprivileg war, um den fortgesetzten Nachdrucken zu be-
gegnen, am 24. August 1702 vom Könige wiederholt und eingeschärft worden. Aber
die Nachdrucke nahmen nicht ab, s. die Eingabe der Societät an den König vom
2. Mai 1704 (Geh. Staatsarchiv). Das Lotterie- Project wurde im Mai 1702 noch
einmal in Berlin berathen (s. Secr.-LEiBN. 25), Hess sich aber nicht durchsetzen.
^ Siehe Klopp, Werke, 6. Bd. S. 227ff. : -Bedenken über Seidenziehung« (1692).
* Siehe Klopp, Werke, 10. Bd. S. 194. Aber wahrscheinlich hat Leibniz schon
im September den Plan aus Hannover mitgebracht, s. seine Versicherung an Cu-
NEAu (Brief vom 19. September 1702; Hannoversche Bibliothek), er habe den höch-
sten Eifer .[lour tout ce <[ui regarde la gloire de S. 31.«
134 Gescliichte der Societät von 1700-1711.
afin qii'il favorise Faffaire. JMais il sera bon surtout que V. M. continue d'en parier
au roi. L'affaire est plus importante qu'elle ne semble. Je rends compte de Taffaire
par ee billet, n'etant pas en etat de le faire aujourd'hui de vive voix'.«
Die Königin übernahm die Protection und stellte am 8. Ja-
nuar 1703 Leibniz eine förmliche Vollmacht aus, »von Unseretwegen
und zum Besten der Societät, die Einführung der Seidenziehung in
diesen Landen gehörigen Orts zu suchen und, so viel an ihm, zu
Richtigkeit zu bringen""«. Der König zeigte sich in einer Leibniz
gewährten Audienz der Sache günstig, und dieser stellte nun auf
Grund eines ausführlichen Pro Memoria's den Antrag, dass mit der
Vorberathung die beiden Minister von Fuchs und von Ilgen betraut
würden^. In mehreren »Schreiben* suchte er selbst die Minister und
höheren Beamten für die Sache zu interessiren. Nach seinem Vor-
schlag sollte der König neun Punkte gewähren:
1. Ein Privilegium perpetuuni an die Societät, dass sie allein in dem ganzen
Königreiche Rohseide herstellen dürfe.
2. Die Überweisung der Königlichen Maulbeei'gärten zu Cöpenick, Potsdam,
Glinike, Bornim u. s. w. an die Societät (gegen einen Grundzins).
3. Die Anweisung geeigneter Plätze in allen Provinzen zur Anlage von IMaul-
beer- Baumschulen und die Unterstützung der Einrichtung durch Frohn-
dienste und Zaunholz -Lieferung.
4. Die Anlage von jNIaulbeer- Alleen zur Nutzung der Societät.
5. Das Vei'bot. dass irgend Jemand INIaulbeerbäume ohne Bewilligung der
Societät pflanze.
6. Die Einräumung von Gebäuden zur Zucht der Seidenraupen.
7. Das Recht zur Verarbeitung der Seide (dabei soll sich die Societät der
Leute bedienen, welche bereits mit dergleichen in des Königs Landen ihre
Nahrung treiben, wenn sie sicli billig und bequem erzeigen).
8. Die Bestimmimg, dass Jeder, der der Societät Verbesserungen für den
Seidenbau vorschlägt, für sich und seine Erben den 10. Theil des Über-
schusses geniessen solle.
9. Einen Vorschuss zur Eini-ichtung des Werks.
Alles schien im besten Gang zu sein, als plötzlich der Rath
Hamrath (5. Februar 1703) Leibniz im Auftrag des Königs mittheilte,
die Jahreszeit sei bereits zu weit vorgeschritten , um für diesen
^ Vergl. den Brief an die Königin vom 30. December 1702 (Klopp. 10. Bd.
vS. 196): "Mais si je Tose dire, V.M. me rejouira infiniment davantage, si Elle me
fait apjn-endre le progres qu'Elle aura fait ou fera en matiere de la culture de la
soie. Cela est si beau et si important, et V.M. en tirera tant de satisfaction , si
I^lle veut bien y donner un peu d'application presentement, qu"en qualite de ser-
viteur zele je dois Ten su])plier. Et tout ce ([ue V. ]M. pourra faire poiu- en tirer
au plus tot la parole du roi en gencral . au moiiis (|u"il en donne la concession a
V. M., sera le mieux du niondc".
^ Siehe L'^rkundenband Nr. 68, A und B.
^ Siehe LTrkundenl)and Nr. 69 und 70.
* Klopp. AVei'ke. 10. Bd. S. 379 ff.
Das Monopol auf Seide. ]\Iissgunst gegen Leibxiz (Frühjahr 170;|). 135
Sommer das Werk einzurichten ; es sei auf das nächste Jahr zu ver-
schieben; wenn die Betreibung der Seidensache der einzige Grund
seines Aufenthalts in Berlin sei, so stünde seiner Abreise nichts im
Wege\
Man war am Hofe augenscheinlich misstrauisch gegen ihn ge-
worden und suchte ihn zu entfernen". Bereits trat das ein, was
zu befürchten war und was Leibniz selbst in einem Brief an die
Königin vom S.Mai 1703 aussprach — er gerieth zwischen zwei
Stühle :
"Je n'espere pas que le roi sera prevenu contre moi, parce que je suis
d "Ha no vre, et que la societe royale en souffrira. En ce cas je serais doublement mal-
heureux, ayant ete soupc^onne a Hanovre d"un trop grand attachement
pour Berlin. iNIais je vais au bien general qui est le vrai interet des deux cours.
y. 31. nie peut rendre bon temoignage de Fun et de l'autre cote.«
Diesen Brief schrieb er von Berlin aus an die in Hannover
weilende Königin; er hatte sie nicht dorthin begleiten können, ob-
gleich man ihm den Wink gegeben hatte; denn er war leidend, und
er wollte das Schlachtfeld nicht verlassen, ohne das Seidenprivileg
erobert zu haben. An diesem lag ihm jetzt Alles; denn er sah
die Societät und mit ihm das Ansehen des Königs, der sie gestiftet,
dahin fallen, wenn es nicht bewilligt wurde. »So legte er jenem
Brief ein ostensibles, für den König bestimmtes Schreiben bei, in
dem er noch einmal die kritische Lage der Societät auseinander-
setzte und in den dringendsten Worten die Einführung des Privi-
legs, das ja so gut wie nichts koste, erbat^. Mit Recht durfte er
sagen, dass ihn die reinsten Absichten beseelen und dass er nur
die Wissenschaft und den Ruhm des Königs im Auge habe^. Allein
dass er nebenher auch politische Geschäfte geführt hatte, war un-
leugbar, und dass man sie in Berlin unter einem anderen Gesichts-
punkt betrachtete als unter dem »des Wirkens für das allgemeine
Wohl«, ist nicht verwunderlich.
' Siehe den Brief bei Klopp, 10. Bd. S.383f.
- Hr. VON Ilgen kann nicht zu seinen Gegnern gehört haben; er hat ihn noch
kurz vorher zu einem Gutachten in der Neufchäteler Sache aufgefordert (ein un-
datirter Brief Ilgen's und die Antwort LEiuNizens vom 20. Januar 1703 in der
Hannoverschen Bibliothek; über Leibnizcus Gutachten s. GuHRArER, G. W. Frhr.
VON LEiBNrrz, 2. Bd. vS. 2 2of., s. u. Anhang S. 2if.).
^ Beide, von demselben Tage stammenden Briefe im Urkundenband Nr. 71. 72.
* Kurz vorher hatte er an Wartenberg geschrieben (Klopp, 10. Bd. S.379 f.):
A\ E., qui ne peut manquer de connaitre la sincerite de mes intentions, n'ignore
pas que je ne me sacrifie que trop j^our le bien public, et surtout pour l'avance-
nient des sciences, dont, excepte quelcpie reputation et applaudissement des plus
1H6 Geschichte der Societät von 1701»— 1711.
Von Hannover aus liat Leibniz die Erlangung des Privilegs
w(nter betrieben und sich keineswegs durch den ersten Misserfolg
abschrecken lassen — Cuneau übernahm es, in Berlin für dasselbe
thätig zu sein' — ; allein seine Freudigkeit zur Sache hatte doch
einen gewaltigen Stoss erlitten. Die neue Spannung, die zwischen
Hannover und Preussen eintrat, stimmte ihn traurig und unmuthig";
gi-ands hommes de l'Eui-ope, je n'ai retire que du dt'sa\aiitage dans ines affaires
])articulieres; neanaioins je ne m"en repens point, et je m'arrete encore ici. avec
inou incommodite, pour cette seule raison de venir a tiuelque reglement necessaire
et preliminaire«. AhnHch in dem Brief S. 381 ff. und in dem Schreiben an Ilc4en
(Hannoversche Bibliothek) vom 3. Januar 1703: »Si je suis reserve dans mes
propres interets, je ne le suis point de meme dans ceux de la Societe Roj^ale
des Sciences«; denn hier handelt es sich um den Ruhm des Königs und das all-
gemeine Wohl.
' Siehe Secr. -Leibniz Nr. 27 und 28 (i i. September und 6.Novenil)ei' 1703).
Auch der Hof23rediger zeigte anfangs Interesse für die Sache, .s. seinen Brief vom
i.December 1703 (KAPpens Sammlung S.334), in welchem er auf die vertriebenen
Oranger als auf Leute verweist, die mit dem Seidenbau mnzugehen wüssten, und
dazu den Brief LEiBKizens an ihn vom Januar 1704 (a. a. 0. S.404 f.). — Ein ge-
wisser Anfang wurde zur Probe schon im Jahre 1703 gemacht, s. Urkundenba iid
Nr. 76 Punkt 5. Leibniz Hess sich für Sachsen ein Privilegium geben und fing sell)st
in Hannover an. Seide zu bauen (in der Hannov. Bibliothek Fase. »Societät" ist
eine Quittung von ilmi iiber den Empfang von zehn Pfund Maulbeerbaum -Samen
vom 14. Januar 1703, s. dazu ebendort die Briefe vom 14. Januar und 23. März 1703:
Anstellung des Meisters Otto in Berlin für die Seidensache), aber er hatte mehr
Schaden als Nutzen davon, da er nicht Zeit gewann, selbst für die Sache genügend
zu sorgen. Er liess sie aber nicht liegen, sondern betrieb sie bis an's Ende. »Wie
denn dies sein Naturell war, in schweren Sachen niemals nachzulassen, sondern
alles aufs äusserste zu treiben« (Bericht von Eckhardt).
^ Sehr charakteristisch und lehrreich sind die Worte, die er am 7. December
1703 (BoDEMANN , Briefwechsel S.380) an Wassenaer über den Berliner Hof imd
sein Verhältniss zu dem von Hannover geschrieben hat; sie zeigen zugleich die
Reinheit seiner Absichten: ... Je vois que presque par tout l'Einpire ceux, (|ui
ont le meme but, ne s'entendent gueres et par consequent ne s'entr'aident point
coinine ils pourraient, s'il y avait de la cordialite et si on ne melait pas de petits
interets particuliers qui s'opposent au grand interet commun. Je vois meine que
bien souvent ce n'est pas meme Tinteret qui brouille les gens et que c'est plutut
quelque piquanterie 011 passion: telles me paraissent les differences entre la cour de
Brandebourg et la maison de Luneboui-g. J'ai oui dire iin jour au feu Electeur
(jue. lors(|ue son aine Christian Louis vivait encore. ils avaient 20 controverses
pour le moins avec Hesse- Cassel au sujet des limites et autres affaires qu'il y a
souvent entre voisins, et cependant les princes etaient bons amis. II laut faire
terminer ces sortes d"affaires par des voies amiables ou de la justice et surtout
s'abstenir des voies de fait, et ne point faire entrer ces controverses en ligne de
compte, quand il s'agit des affaires importantes et generales qui regardent la patrie.
Je Tai assez preche ä Berlin, »sed non omnes capiunt verbum hoc«. La cour de
Berlin jjrend feu sur la moindre chose, qui merite h peine qu'on en prenne con-
naissance ....
LEiBxizens Versuche, in Dresden eine Akademie zu begründen. 18/
er sah sich in Berlin beargwöhnt, und das konnte auch nicht oline
Folgen für sein Verhältniss zur Societät bleibend
Unter solchen Umständen wandte sich der unermüdliche Mann,
ohne seine Beziehungen zu Berlin aufzugeben, Dresden zu und
suchte dort eine Societät der Wissenschaften zu begründen, die mit
der Berliner correspondiren sollte. Von Anfang an war ja sein
Absehen nicht auf eine Avissenscliaftliche Anstalt gerichtet, son-
dern auf die Schöpfung eines ganzen Systems von Akademieen.
Mit dem sächsischen General Grafen von Flemming und dem Pater
Vota betrieb er den Plan, dessen er zuerst in einem Briefe an den
letzteren vom 3. September 1703 Erwähnung thut. Im Januar 1704
war er persönlich in Dresden, wusste auch Patkul zu interessiren
und setzte sich mit dem berühmten Leipziger Gelehrten von Tsciiirn-
HAUSEN, der bereits eine mathematisch -physikalische Akademie in
Leipzig plante, in Verbindung. Die Erfahrungen, die er in Berlin
gemacht hatte, sollten dem Dresdener Unternehmen zu Gute kommen.
Diesmal dachte er an eine Tabaksteuer zu Gunsten der Societät.
Die praktisch -realistische Tendenz tritt in dem Dresdener Plan noch
stärker hervor als in dem Berliner; auch sollte ein statistisches
Bureau mit der Anstalt verbunden sein, ein »Intelligenzamt«; auf
die Leitung des Jugendunterrichts war ein besonderes Gewicht ge-
legt; alle neuen Erfindungen sollte die Societät zu prüfen haben
u. s. w. Während des Jahres 1 704 hat Leibniz dies Unternehmen
betrieben , das als ein allgemein sächsisches — auch für die herzog-
lichen Linien — gedacht w^ar. Finde i 704 war er zum zweiten Mal
in Dresden, und im W^inter 1 704/5 hatten Tsciurnhausen und er
die Sache so weit gefördert, dass Alles fertig, ja mundirt w^ar,
und nur die Unterschrift des Königs fehlte. Der verhängnissvolle
Krieg durchkreuzte den Plan, und er wurde nicht wieder aufge-
nommen".
^ Ob die Thatsache, dass man seit dem Herbst 1703 begann, Auswärtige in
die Societät aufzunehmen und Leibxiz nicht vorher davon in Kenntniss zu setzen
(s. Secr.- Leibniz Nr. 27.28), aus einer beginnenden "Kaltsinnigkeit» zu erklären
ist, steht dahin. — Der wissenschaftliche Briefwechsel mit La Croze begann im
Frühjahr 1704; Leibniz hat ihn angefangen. Mit dem Astronomen Kirch war Leib-
niz in Berlin in engen wissenschaftlichen Verkehr getreten und hatte ihn mit be-
sonderen astronomischen Aufgaben betraut. Ein reger Briefwechsel entwickelte sich,
s. die Briefe vom 5. und 13. August, 20, October, 27. November und 4. December
1703 (im Joachimsthalschen Gymnasium) und vom 24. Juni und 13. August 1704 in
Hannover, u. s. w.
^ Vergl. die erschöpfende Darstellung von Bodemann im Neuen Archiv für
Sachs. Gesch. 4. Bd. 1883 S. 177 — 214: Leibniz" Plan einer Societät der Wissen-
138 Geschichte der Societät von 1700-1711.
In dieser Zeit der Spannung zwischen Leibniz und dem Ber-
liner Hofe war die Societät thatenlos. Von der Anstellung des
berühmten Gundelsheim(er), der mit Tournefort eine Reise in den
Orient gemacht hatte, als Leibarzt des Königs erwartete sie, «es
werde durch dessen Reception der Societät ein sonderbarer Nutz
und Ansehen zuwachsen'«. Sie tävischte sich grausam; Gundels-
UEIM wollte nicht aufgenommen sein, verachtete die Societät und
wurde ihr schlimmster Feind. Kurz bevor die Arbeiten am Ob-
servatorium eingestellt wurden, hatte die Societät endlich das Con-
cej^t eines ausführlichen Statuts zu Stande gebracht. Sie legte es
Leibniz zur Begutachtung vor". Diese Angelegenheit sollte sechs
Jahre später verhängnissvoll werden. Der Plan, Acta eruditorum
Schäften in Sachsen. Das Actenstück, welches Formey (Hist. de I'Acad. Royale
S.2iff.) als LEiBNizens Vorschlag für die Errichtung einer Societät in Berlin ab-
gedruckt hat, ist vielmehr sein Vorschlag für Dresden. Es ist identisch mit dem
Stück, welches BooEaiANN (die LEUtNiz- Handschriften der K. öffentl. Bibliothek zu
Hannover 1895 S.220 Bl. 75 — 78) beschrieben und iirthümlich ebenfalls zu "Berlin«
und nicht zu »Dresden" gestellt hat. Das Richtige schon bei Guhrauer, G. W.v. L.
2. Bd. S. 203 f. — hn Anfang des Jahres 1704 hat Leibniz auch das berühmte po-
litische Manifest ausgearbeitet zu Gunsten Carl's Hl. von Spanien, Avelches, wie so
viele seiner politischen Ai'beiten, anonym erschien, aber in unserem Jahrhundert als
sein Eigenthum erkannt worden ist: »Manifeste contenant les droits de Charles HL,
roi d"Espagne, et les justes motifs de son expedition, public en Portugal le 9 Mars
1704". Die Schilderung und Kritik der Zustände in Fi^ankreicli und des Verfalls
des religiösen und sittlichen Geistes , sowie die einschneidende Beurtheilung der
Politik Ludwig"s XIV. sind sehr lehrreich. Auch an eine in Wien zu gründende
Akademie hat er damals gedacht und den Schwager des Kaisers, den Kurfürsten
von der Pfalz, dafür zu interessiren gesucht; s. Huber , Gesch. d. Kais. Akademie
d. Wissensch. S. 5 f.
'■ Siehe Secr. -Leibn. Nr. 28 vom 6. November 1703.
^ Siehe Secr. -Leibn. Nr. 29 (i. März 1704) und den Brief des Hofpredigers
an Leibniz vom 5. Alärz 1704 (Kaitcus Sammlung S. 416). Das Schreiben des Secre-
tars lautet: »Demnach das vor die Societät gewidmete (Observatorium nach und nach
zu brauchbarem Stand gelanget, also dass in Kurtzem die gehörige Versammlungen
darin angetreten und fortgesetzt werden können, so hat man nötig gefunden, das
ehemals punktweise entworfene Project eines Regleinents nach denen darüber ge-
haltenen Deliberationen in eine Form zu bringen und zu der K. Bestätigung zu
befördern, hiemit auch um so weniger säumen, als von einer baldigen Reise S.K.M.
bei Hofe stark gesprochen zu w^erden beginnet. Und wenn liiemit allein auf Ew.
Ex. Wiederanherokunft, zu av elcher, dass sie mit dem Gefolg L M. unserer Königin
geschehen werde, uns die Hoffnung gemachet worden, zugewartet wurde, solche
aber unvermuthet weiter hinaus verschoben worden, so habe den abgefassten Ent-
wurf sotanen Reglements anbefohlener ]NLTssen hiemit übersenden sollen, zugleich
im Namen derer meml)roriiiii. so dazu concurrirt, dienstlich bittend, denselben
hoch geneigt zu durchsehen und nebst denen etwa beyfallenden ]Monitis mit näch-
stem zuriickgehen zu lassen, damit die Sache zum Bestand zu bringen die bequeme
Zeit nicht entgehen mÖ2;e".
Leibniz aufs Neue in Berlin (1704. 170.")). 139
herauszugeben, ruhte auch. Die Auswärtigen erkundigten sich be-
reits , wann sie erscheinen würden , ob man Beiträge liefern dürfe
— denn, wie der Breslauer Neu3iann schrieb — »Es ist noch immer
viel übrig zu sagen, was nicht gesagt ist worden« — , aber es
geschah nichts; man konnte sie nur vertröstend
Allmählich überwand der König durch Vermittlung der Kö-
nigin das Misstrauen — ihre Correspondenz mit Leibniz war unter-
dess nicht unterbrochen worden" — , und nach einem Jahre etwa
konnte Leibniz wieder versuchen, direct in Berlin zu arbeiten und
das Seidenprivileg zu erlangen. In einem vertraulichen und an-
muthigen Schreiben an die Königin bittet er sie, sich auf's Neue
der Sache anzunehmen und sie beim Könige durchzusetzen. »V.M.
sait que je pretends que le ver a soie est Fanimal de la terre le
plus fait pour les philosophes apres Thomme, avec Tarbre dont
il est la chenille, c'est-a-dire avec le inürier. « Er hofft auch,
die Königin werde Theile ihrer Gärten für das Werk bestimmen.
In dem Antwortschreiben erwidert diese, dass der König jetzt der
Unternehmung sehr günstig gestimmt sei^. Ende August* traf Leibniz
auf drei Monate wieder in Berlin ein. Sofort fasste er alle seine
früheren Vorschläge wegen Privilegien in einer Eingabe zusammen
und fügte ihnen die erneute Bitte um das Seidenprivileg bei. Da
er sich aber nicht verhehlen konnte, dass im günstigsten Fall alle
diese Monopole erst nach Jahren gewinnbringend sein würden,
schliesst er mit der Bitte, der Societät daneben »eine gewisse Ein-
nahme« zu geben "".
Im Januar i 705 begab sich Leibniz bereits wieder nach Berlin.
Die Königin hatte ihren Gemahl endlich bestimmt, sich ihm dank-
bar zu erweisen und ihm die grossen Unkosten , die er gehabt,
' Siehe die Briefe von Neumann, dem Professor StuRM in Frankfurt, dem
Hofprediger und von Leibniz an Neumann in IvAPPens Sammlung S.323. 328. 420.
- Am II. Juli 1703 schrieb sie ihm (Klopp, 10. Bd. S. 21 i f.): -Voici un long
griffonnage. monsieur, mais c'est que je me delasse en vous parlant des fatigues
Sans plaisir (|ue j'ai essuyees a Berlin, oü je voudrais etre toujoui's paralytique
comme le Feldmarechal Fleming, quand j'y suis au depens d'avoir sa patience et
sa raison. Ne montrez pas ma lettre, je vous prie, car je vous ecris comme a un
ami sans reserve«. Schon im September 1703 wünschte sie ihn wieder in Berlin
zu sehen und Hess ihm einen Fuhrzettel zugehen (a. a. 0. S. 218); im April 1704
hoffte sie ihn in wenigen Tagen begrüssen zu können (a. a. O. S. 226).
^ Briefe vom 18. Mai und 7. Juni 1704; s. Urkundenband Nr. 73 — 75. Das
Stück 74 enthält eine «Instruction pour la graine des müriers blancs".
* Siehe Secr. -Leibn. Nr. S3 (2. August 1704) und Klopp, Werke, 9. Bd. S. 92 f.
^ Siehe Urkundenband Nr. 76.
140 Geschichte der Societät von 1700 -1711.
einigermaasseii zu ersetzen. Der König Hess ihn auffordern, eine Über-
sicht über seine Leistungen und seine Ausgaben im Dienste Preussens
einzureiclien. Leibniz entsprach der Aufforderung und übergab eine
Darh'gung, in der er nachwies, dass er mindestens 2000 Thlr. zu-
gesetzt habe \ Daraufhin wurden ihm 1000 Tldr. ausgezahlt. Dank-
bar meldete er das der Königin"'. Zugleich sann sein erfinderischer
Geist auf neue Privilegien, da das Seidenmonopol noch immer nicht
bewilligt wurde. Er arbeitete den umfangreichen Entwurf eines
Privilegs in Betreff des Unterrichtswesens für die Societät aus und,
als einen besonderen Theil, ein Privileg der Ephoria generalis der
Societät über die Stipendien, dazu einen Plan, wie junge reisende
Gelehrte in den grösseren Städten ebenso passende Arbeit und damit
Unterhalt finden könnten, wie die reisenden Handwerksburschen ^
Jenen Brief, den Leibniz am 31. Januar 1705 an die Königin
gerichtet hatte, hat sie nicht empfangen. Sie war im Januar, wie
gewöhnlich, zum Carneval nach Hannover gereist und hatte ge-
wünscht, Leibniz solle sie begleiten. Aber die Sorge für die So-
cietät hielt ihn in Berlin zurück (er blieb daselbst bis Anfang März).
Wenige Tage nach der Ankunft in der alten Heimath erkrankte die
Königin plötzlich und starb schon am i. Februar 1705 in Herren-
hausen. Gefasst und muthig sah sie dem Tode entgegen; er hatte
für sie keine Schrecken. Unvergesslich blieb Allen, die an ihrem
Sterbelager stehen durften , der Eindruck , dass diese Fürstin , die
den ganzen Reichthum des Lebens in sich aufgenommen hatte, nicht
nur zu leben, sondern auch zu sterben verstand^. Die Societät,
^ Siehe das interessante Actenstück im Urkundenhand Nr. 77.
^ Siehe Urkundenband Nr. 78 (31. Januar 1705).
^ Siehe Urkundenband Nr. 79, 80.
* Siehe LEiBNizens Brief an die Pi'inzessin Caroline von Ansbach vom
18. März 1705 (Klopp, 9. Bd. S. 116 ff.): »Mgr. l'Electeur [der Bruder der Königin]
m'a raconte qu'elle kii a dit eile meme: »Ich sterbe eines gemächlichen Todes«;
eile est morte avec un merveilleux serein d'esprit et avec de grands sentiments
d'une tranquillite d'ame resignee aux ordres de la supreme jirovidence«. Friedrich
der Grosse hat sich bei der Schilderung des Todes seiner Grossmutter (Mem. de
l'Acad. Royale 1748 p. 382) die Freiheiten eines antiken Schriftstellers genommen:
»On voulut introduire un ministre reforme dans son appartement : »Laissez-moi
mourir, lui dit -eile, sans disputer«. Une dame d'honneur qu'elle aimait beaucoup,
se fondait eu larmes. «Ne me plaignez pas«, reprit eile, »car je vais a present
satisfaire ma curiosite sur les principes des choses, que Leibniz n"a jamais jju m'ex-
pliquer, sur Tespace, sur l'infini, sur l'etre, et sur le neant, et je prepare au roi
moii epoux le spectacle de mon enterrement, oü il aura une nouvelle occasion de
deployer sa inagnificence«. Elle recommanda en inourant les savants qu'elle avait
proteges, et les arts (ju'elle avait cultivcs, a l'Electeur son frere. Frederic I. se
Der Tod der Königin Sophie Charlotte (1. Februar 1705). 141
unentwickelt und pflegebedürftig, verlor in ihr nicht nur die Be-
schützerin, sondern die Mutter. LEiBNizens tiefer Kummer spricht
sich nicht immer in Worten aus, die uns überzeugen. Aber es
war Wahrheit, wenn er in einem seiner Trostschreiben versicherte:
»La lettre est pkis philosophe que mon coeur'«. Seine Freund-
schaft mit der Königin war so bekannt, dass er förmliche Beileids-
besuche und Condolenzschreiben empfing.
4.
Nicht nur die Pflege guter Beziehungen zwischen Hannover
und Berlin"", sondern auch die Einrichtung der Societcät sah Leibniz
als ein Vermächtniss der entschlafenen Königin an. In diesem Sinn
legte er in einem Briefe vom 17. Juni ihrer vertrauten Freundin,
der Staatsdame Frl. von Pöllnitz, die Sorge für das SeidenAverk
an's Herz und hofl'te auf den Kronprinzen, dem es Freude machen
werde, die Absichten seiner Mutter auszuführend Auf den König
hoffte er zur Zeit nicht; denn der Graf von Wartenbeeg hatte ihm
geschrieben, Majestät werde sich wahrscheinlich von der Sache zu-
rückziehen^.
consola, par la ceremonie de cette pompe funebre. de la perte d'une epouse qu"il
n'aurait Jamals assez pu regretter". — Vier Tage nach dem Tode der Königin starb
in Bei'lin der Propst Spener. Der Hof und die Societät haben von seinem Tode
keine Notiz genommen, auch Leibniz nicht, und doch hatte dieser fromme und
schhchte Mann die Entwickhing des religiösen und geistigen Lebens in Deutscliland
stärker beeinthisst als die meisten der gefeierten Gelehrten.
^ An Frl. VON Pöllnitz (Klopp, Werke, 10. Bd. S. 264). Anweisungen die
Briefe der Königin betreffend, die die Kurfürstin Sophie in LEiBNizens Händen ver-
muthete, a. a. 0. S. 265 ff"., 271.
^ Siehe die beiden l)edeutenden Briefe von Leibniz an den Kurfürsten Georg
Ludwig vom Sommer 1705 (Klopp, Werke, 9. Bd. S. 126 — 142), in denen er ein
Expose giebt über die Stellung Hannovers in Norddeutschland und sein Verhältniss
zu Preussen. Wer noch zweifelt, dass Leibniz eben so sehr das Wohl Preussen s
als Hannovers im Auge hatte — weil er wirklich auf das Ganze sah — , der muss
dies Pro Memoria lesen. Die Aussöhnung gelang im Jahre 1706 wirklich (Verlobung
des Kronprinzen Friedrich Wilhelm mit der Tochter des Kurfürsten. Sophie Do-
rothea, am 18. Juni, Heirath am 14. November 1706).
^ Klopp, Werke, 10. Bd. S. 286. Schon am 28. ]März 1705 hatte er ihr ge-
schrieben (Klopp, 10. Bd. S. 271): »Vous aurez eu deja occasion de faire rendre
la lettre que j'ai pris la liberte de vous donner, et aussi de rendre temoignage au
besoin des intentions rjue notre grande reine avait de favoriser la societe des
Sciences dans la plantation des müriers. Elle voulait en faire un essai dans son
jardin, et puis y einployer plus de terrain, de teile sorte que l'utilite qu'on en
attendait avec le temps, devait etre employee pour les recherches de la societe«.
* Leibniz hatte ihm bereits im März 1705 geschrieben (Hann. Bibl.): »Je me
souviens d'une des intentions de feu la Majeste, que le roi peut-etre voudra faire
142 Geschichte der Societät von 1700-1711.
In Berlin dachte man jetzt an nichts Anderes als an die Vor-
bereitungen zu dem prächtigen Leichenbegängniss, mit welchem der
König seine Gemahlin ehren wollte. Leibniz und die Societät wurden
aufgefordert, Inschriften und Sinnbilder zur Auszierung des Trauer-
tempels, Gedichte, Ehrengedächtnisse u. s. w. zu verfassend Alle
verfügbaren Arbeiter wurden zum Bau des Mausoleums gebraucht;
im Juni fand die Feier statt.
Erst im Juli konnte die Societät wieder daran denken, den
Bau des Observatoriums zu betreiben". »Schläfrig« wurden die Ar-
beiten im August aufgenommen^; endlich kam man im Mai 1706
so weit, dass sieben Fenster eingesetzt und ein Gemach noth dürftig
mit Brettern belegt wurde, um dort Observationen anzustellen. Auch
zeigte sich einige Aussicht, die längst versprochene Wohnung für
den Astronomen im fertigen östlichen Eck -Pavillon — der Bau des
anderen lag noch immer darnieder — zu erhalten*; aber Kirch selbst
verzögerte durch Ungeschicklichkeit diese Sache, und so wurde sie
bis Ostern 1707 verschoben^. Der zweite Astronom, Hoffmann, wollte
Berlin verlassen. Für einen lächerlich geringen Gehalt musste er
häufig auch des kränklichen Kirch's Arbeiten übernehmen: nur mit
Mühe vermochte man ihn zu halten''. Die Versammlungen hörten
fast ganz auf; der Secretar spricht in seinen Briefen an Leibniz »von
den Avenigen noch zur Zeit privatim zusammenkommenden Mit-
gliedern«^, Als ein interessanter Brief eines gewissen Brochhausen
aus Moskau einlief, der Russland bis nach China durchreist hatte und
gewichtige Fingerzeige gab, wie man Beziehungen anknüpfen könne,
musste man sich damit begnügen, Leibniz über ihn Bericht zu er-
executer comme beaucoup d'autres, c'est qu'elle voulait faire planter des müriers
blancs en bonne quantite ä Luzembourg et soulager en cela les commencements de
la societe royale des scienceS".
^ Siehe Ilgen an Leibniz vom 25. April 1705 (Hannov. Bibl.); auch Klopp,
10. Bd. S. 273 ff., 284 ff. Die Societät meinte, dergleichen käme ihr nicht zu, ent-
sprach dem Wunsche aber doch (Secr.-LEiBN.Nr.35 vom 2i.Apinl 1705).
'^ Siehe Secr.-LEiBN. Nr. 38. 39 vom 30. Juni und 4. Juli.
^ A. a. 0. Nr.40 und den Brief des Hofpredigers an Leibniz vom 25, Sep-
tember 1705 (Hannov. Bibl.); doch zeigte sich die Kammer etwas williger, s. Nr. 43
vom 26. September 1705.
* Siehe Secr.-LsiBN. Nr. 53 vom 15. Mai 1706 imd den Brief des Hofpredigers
von demselben Datum (Hannov. Bibl.).
" Nr. 55 vom 16. October 1706. Wirklich brauchbare Instrumente fehlten
noch inuner, s. den Brief von Hoffmann an Leibniz von demselben Datum (Han-
nov. Bibl.).
" Siehe Nr. 36 vom 19. Mai und Nr. 45 vom 6. October 1705.
' Nr. 45.
llnthätigkeit der Societät in den Jahren 1705 und 1705. 148
statten \ Das Einzige, was die Societät that, war, eine Sammlung
von Beobachtungen über die letzte Sonnenfinsterniss zu veranstalten
und mit ihren eigenen Observationen zusammen herauszugeben".
Ausserdem entschloss sie sich, Schütze's (in Belgrad) meteorologische
Jahresbeobachtungen drucken zu lassen^. Schon aber zeigte sich
eine böse Folge ihrer oligarchischen Verfassung und ihrer Gelieim-
nissthuerei in finanziellen Dingen. Das Mitglied der Societät Prof.
L. Chr. Sturm in Frankfurt a.O., der für wissenschaftliche Beob-
achtungen jährlich 50 Thlr. von der Societät erhielt und ihr grollte,
weil sie die Absicht hatte, dieses Honorar zurückzuziehen, wandte
sich mit einer Beschwerde an Leibniz und sprengte zugleich aus,
die Mitglieder des Conciliums bezögen jährlich je 100 Thlr. Man
liess ihm seinen Gehalt, nachdem man festgestellt hatte, dass er
wirklichen Anspruch besass^: aber man ertheilte ihm brieflich eine
Rüge und forderte ihn zur «Klugheit« auf. Leibniz schlug vor,
ihm, der ein wenig brauchbarer Astronom gewesen zu sein scheint',
die Aufgabe zu übertragen, die artes mechanicas, namentlich die
Webereien , wissenschaftlich zu beschreiben , da es solche Bücher
noch nicht gebe''. Zu einem geharnischten Protest raffte sich die
^ Siehe Nr. 42 nebst Beilage, da/u den Fase. "Wissensch. Verhandlungen.'
von 1704— 1734 im Akademischen Archiv, aus dem hervorgeht, dass Vorbereitungen
für eine Expedition seitens der Societät getroffen wurden. Jablonski wollte vor
allem über die Juden in China etwas erfahren, und die Societät setzte 100 Thlr.
aus für eine hebräische Bibel aus China. Auch Proben sibirischer Ei-ze liatte Broch-
HAUSEN übersandt; s. Nr. 49 vom 12. Januar 1706.
- Siehe Secr.-LEiBN. Nr. 54 vom 31. Juli 1706. Der Verkehr LEiBNizens mit
Kirch dauerte im Jahre 1705 fort. Am 16. October 1705 schrieb dieser (Coneept
im Joachimsthalschen Gjannasium, Reinschrift in Hannover): «Was meine Obser-
vationes anlangt, dieselbe alle zum Drucke zu befördern, wäre es mir wohl sehr
lieb, dass es geschähe, weil ich noch lebe. Es wird aber ein grosser Verlag darzu
erfordert werden, weil ihrer sehr viel sein, indem ich schon von 42 Jahren her
Observationes habe, die geschrieben in acht feinen Quartbänden bestehen, worzu viel
Kupfer gehören. Lässt mich Gott noch eine Zeit leben, und das Observatorium zu
Stande kommen, so hoffe ich einen neuen Catalogum stellarum fixarum in zodiaco,
v.'o die Planeten laufen, zu verfertigen«. Über die Publication jener Observationen
sind mehrere Briefe zwischen beiden Gelehrten gewechselt Avorden.
^ Siehe Nr. 42 vom i. September 1705. Dazu Nr. 58 vom 2. Juli und Nr. 63
vom 26. November 1707. Aus letzterem Brief geht hervor, dass diese Publication
schlechten Absatz fand, und die Societät daher Bedenken trug, sie fortzusetzen.
'^ Abschrift der Verschreibung von 50 Thlr. (21. Juli 1702) von des Hofpre-
digers Hand im Akademischen Archi\-.
^ A. a. O. Nr. 54.
^ Siehe über diesen Handel Nr. 43. 44 (Brief von Leibxiz). 46.49 und den
Brief von Sturji an Leibxiz vom 31. October 1705, sowie das Schreiben des Hof-
predigers an SxuRai (beide in der Hannov. BibL). Beachtenswerth ist. dass Sturji
144 Geschichte der Societät von 1700-1711.
Societät auf, als sich der Buchdrucker Luppius in Cliarlottenburg an
den König mit der Eingabe wandte, in dem Observatorium eine
Wolinung bezielien, dort eine Druckerei einrichten und die Societäts-
kalender herstellen zu dürfen. Sie erklärte, sie habe selbst ein Euch-
druckerprivileg, das sie seiner Zeit ausbeuten werde, wozu schon
Anstalten getroffen seien; Luppius habe hinterlistig beim König um
die Erlaubniss nachgesucht^
Das ist Alles, was sich über die Societcät aus den Jahren 1705
und 1706 berichten lässt; sie war dem Untergang nahe. Da ent-
schloss sich Leibniz, der 19 Monate Berlin gemieden hatte, weil er
auf geneigtes Gehör nicht rechnen durfte, im Anfang November 1706
dorthin zu gehen. Durch die Eheschliessung des Kronprinzen mit
der Tochter des Kurfürsten waren sich Preussen und Hannover
wieder näher gerückt; er erwartete mit Recht, dass dieser Bund
auch seiner Stellung in Berlin und der Societät zu Gute kommen
werde". Seine Beziehungen zu Preussen waren in der Zwischenzeit
doch nicht völlig abgerissen; der Minister von Ilgen hielt sie aufrecht.
Auf sein Ersuchen hatte er im Januar 1706 ein Pro Memoria über
die Sammlung von Actenstücken zur brandenburgischen und preussi-
schen Geschichte eingereiclit^. Nun versuchte er es auf's Neue, per-
sönlich für die Societät einzutreten — inid nicht ohne Erfolg*.
in seinem Brief an Leibniz den Hofprediger Jaüloxski als »Prneses noster vicariuS"
bezeichnet. Er fungirte als solcher ohne formelle Bestallung.
^ Acten im Geh. Staatsarchiv; Eingabe der Societät vom 15. November 1706.
- Sehr charakteristisch für das Doppelverhältniss, in welchem Leibniz stand,
ist das misstrauische Schreiben, das der Km-fürst am 15. November des Religions-
standes seiner Tochter wegen an ihn gerichtet hat. Ausseixlem verbietet er ihm
förmlich die Fortsetzung der Unionsversuche (s. Urkundenband Nr. 81). Diese zogen
sich zwar noch etwas über ein Jalir hin, aber Leibniz wusste bereits, dass man sie
in Hannover nicht mehr wolle. Im Januar 1708 schrieb er an Fabricius nach
Helmstädt: »Wie jetzt der Stand der Dinge ist, erwarte icli nichts mehr von dem
Vereinigungsgeschäfte; ipsa res se ali(iuando conficiet!«
^ Siehe Urkundenband Nr. 82.
* Dem Hinweise seiner alten Freundin, der Kurfürstin Sophie, er werde
wenig Dank ernten, begegnete er mit den schönen Worten (Brief aus Bei-lin vom
4. Januar 1707, Klopp, Werke, 9. Bd. S. 265): »Mon principe est de travailler pour
le bien public, sans me mettre en peine si quelqu'vin m"en sait gre. Je crois (jue
c'est imiter la divinite (pii a soin du bien de Tunivers, soit que les hommes le re-
connaissent ou non. II m'est arrive bien des fois que des particuliers que j'avais
obliges, ont manque de reconnaissance, et cela ne m"a point rebute. Bien moins
serai-je rebute, si le public (|ui manque d"information , ne nous tient j^oint de
compte de nos soins«. Dem in Berlin hoch angesehenen Lord Rabv schrieb er
(18. ]\Iai 1707, Klopp, Bd. 10 S.412): »]Mad. l'Eleetrice se moque de moi, que je
travaille pour autrui, mais h^ bien public, et surtout par rapport aiix sciences, est
ma marotte".
Das Seidenl)nu- Privileg der Socit'tät. 145
Gleich nach seiner Ankunft in Berlin setzte er sich mit deni
tliätigsten Mitglied der Societät, mit dem eben aufgenommenen Frisch,
in Beziehung^; dann versammelte er am 27. Decemher die »Asso-
ciati, welche sich der rei mathematicae annehmen«, in der Conferenz-
stube, um speciell mit ihnen über folgende vier Punkte zu ver-
handeln: I. Beförderung der astronomischen Observationen, 2. Ma-
thematische und mechanische »Decouverten«, 3. Auffindung von
Mitteln , um aus der mathematischen und mechanischen Arbeit den
Fundus der Societät zu erhöhen, 4. Publication — mindestens jähr-
lich einmal — »gewisser Miscellanea, darin sowohl Communicationes
curiosae von denen Membris und Andern als einige Recensiones und
Excerpta neuer Bücher enthalten sein möchten""«. Vor allem aber
kam es darauf an, beim Könige nun das Maulbeerprivileg und die
endliche Fertigstellung des Observatoriums sammt der Wohnung für
den Astronomen und Räume für ein Laboratorium zu bewirken. In
einer Audienz, die Leibniz beim Könige hatte, versicherte ihm dieser,
das Privileg ertheilen zu wollen. Leibniz setzte demgemäss ein Pro
Memoria über Einrichtung eines solchen auf (10. Januar 1707)^ und
bereits am 25. Januar übersandte der König dieses Actenstück an
die Lelinskanzlei mit dem Befehl, ein conformes Privilegium aus-
zufertigen und der Societät der Wissenschaften zu ertheilen^.
Am 28. März erschien das Königliche Maulbeer- und Seidenbau-
privileg für die Societät'; wie ein Concept im Akademischen Archiv
zeigt, hat Leibniz es entworfen. Es war so umfassend, wie man
nur wünschen konnte — ein Privilegium privativum generale per-
petuum — , legte das ganze Werk in die Hände der Societät, von
(.ler Anpflanzung der Bäume an bis zur Bearbeitung und zum Ver-
triebe der einheimischen Seide , überwies ihr alle Maulbeerpflanzungen
in den königlichen Gärten, auch, soweit es thunlich, Räume in
öffentlichen Gebäuden unentgeltlich, gestattete ihr die Anpflanzung
im weitesten Umfang (an Wällen und Werken, an Strassen und
^ Siehe den Briefwechsel mit ihm Nr. i; ich bezeichne an einigen Stellen
diesen Briefwechsel mit -• Frisch -Leibn.«.
^ Das von Leibniz niedergeschriebene Concept zu dieser Verhandlung ist zu-
erst von Kapp (S. 460 ff., s. Urkundenband Nr. 83) gedruckt worden. Merkwürdig
ist, dass Leibniz hier die drei Klassen der Societät als ]NLathematische, Physische,
Litterarische unterscheidet. Nach der General - Listruction war die Societät in die
Physico- Mathematische, die Deutsche und die Litterarische Klasse eingetheilt. Die-
ses Schwanken zeigt, wie unfertig noch Alles war.
^ Siehe Urkundenband Nr. 84.
'^ Concept im Gehehnen Staatsarchiv.
° Siehe Urkundenband Nr. 85.
Geschichte der Akademie. I. 10
146 Geschichte der Societät von 1700—1711.
Dämmen) und Avies die königlichen Gärtner an, die Societät ge-
währen zu lassen und ihr mit dem zu Hülfe zu kommen, »was sonst
nicht besser gebraucht wird und so viel sonst ohne Unser und ander
Nachtheil und Abgang geschehen kann« u. s. w. Allein die Haupt-
sachen fehlten — es wurde der Societät kein Pfennig Betriebscapital
und kein einziger königlicher Arbeiter gewährt, und die ausländische
Seide nicht zu ihren Gunsten besteuert. Unter solchen Umständen
das Privilegium auszubeuten, war eine Kühnheit. Dennoch griff es
Leibniz muthig auf und gewann in Frisch, der vom Meister Otto
unterstützt wurde, einen unermüdlichen Arbeiter. Aber die Socie-
tät — mit Ausnahme Cuneau's — hielt von der Sache nichts (be-
sonders der Secretar war ihr ungünstig) ; sie bewilligte ihrerseits
auch kein Geld oder nur die bescheidensten Summen; so konnte
das Werk nicht gedeihen \ Dazu kam, dass alle königlichen Gärtner
und Beamten widerwillig waren und der neuen Arbeit Steine in
den Weg legten. Es war ja lediglich auf ihren guten W^illen ge-
rechnet, ohne Verpflichtung und ohne Entgelt; wie weit konnte man
dabei kommen? Die «gräce d'une assistance efficace«, die Leibniz
wiederholt vom Grafen von Wartenberg erbat", konnte schlechter-
dings nichts fruchten, solange man nicht königliche Gärtner förm-
lich für das Werk in Pflicht nahm und bezahlte; das geschah aber
nicht ^.
^ Fischer hat in seiner Monogra])hie über Frisch -Leibniz diese Angelegen-
heit erschöpfend behandelt. Über das Übelwollen des vSecretars s. die Briefe von
Frisch vom August 1707, 21. Februar 1708 (Fischer S.3. 6). Man spottete über
Frisch, vi^as er mit Würmern zu thun hätte; «welche Mocpierie auch Einigen von
denen Membris Societatis gemein, die doch das Wei'k am meisten beföi'dern sollten«
(31. März 1708, S.9).
■-^ Brief vom 24. April 1708, Fischer S. 10.
^ Dass das Werk hätte gedeihen können, wenn sich die Societät entschlossen
hätte, etwas mehr dafür zu thun — einen Planteur besoldete sie, aber das war
viel zu wenig; Frisch musste Manches aus seiner Tasche bezahlen — , geht aus dem
Briefwechsel des rüstigen Frisch (der übrigens auch werthvolle Untersuchungen
und Experimente an den Seidenraupen machte, s. seinen Brief Nr. 22 vom 20. No-
vember 17 10) deutlich hervor. Aber auch Cuneau wurde gleichgültig, und nach dem
ersten Schlaglluss, den er im November 1709 erlitten, war er überhaupt nur noch
eine halbe Kraft. Friedrich Hoffmann, der Arzt (im Jahre 1709 aus Halle als
Leibarzt berufen), auf dessen Unterstützung Frisch rechnete (s. Briefwechsel mit
Leibniz Nr. 12 vom 20. April 1709, Fischer S. 17). kehrte schon 17 12 nach Halle
zurück. »Ew. Excellenz ", schreibt Frisch an Leibniz am 31. Juli 1709, »seien so
gütig und muntern mich durch dergleichen Assistenz ferner auf, sonst muss ich
mit Spott davon ablassen, da ich mich am Hof und in der Stadt, ja im ganzen
Land desswegen schon so weit eingelassen , dass ich weiss nicht was für Beinamen
davon bekommen." Am 28. September 1709 schreibt er an Leibniz: »Ich bin nun
Das Seidenbau -Privileg der Societät. Das Laboratorium. 147
Da Leibniz einsah, dass auch unter den günstigsten Bedin-
gungen das neue Privileg erst nach Jahren etwas abwerfen, bis
dahin aber nur Kosten verursachen werde, so griff er zu seinen frühe-
ren Vorschlägen zurück. Aus den ersten Monaten des Jahres 1707
stammt eine ganze Reihe dringlicher Entwürfe von Eingaben an
den König von seiner Hand, die sich im Akademischen Archiv be-
finden. Eine grössere Feuersbrunst bestimmte ihn, das Feuerspritzen-
monopol wieder hervorzuholen^: er sann über ein Unternehmen nach,
das Land einzudeichen, die Flüsse zu reguliren und so Acker- und
Wiesenland zu gewinnen"; aber diese Entwürfe und andere sind,
mit Ausnahme eines über die Wasserschäden , wahrscheinlich gar
nicht eingereicht worden.
Dagegen gelang es ihm, beim Könige nicht nur den Befehl
zur Beschleunigung des Baues des Observatoriums, sondern auch
eine Ordre zu erwirken, nach welcher die Amtskammer der So-
cietät 2100 Thlr. auszahlen solle zur Erwerbung eines Grundstücks.
Da der König eine Wohnung für den Astronomen und Räume für
ein Laboratorium förmlich zugesichert hatte, der Eck -Pavillon sich
aber als ungeeignet erwies und auch von der Marstallverwaltung ge-
braucht wurde, so befahl der König auf Vorschlag der Societät, dass
jenes Grundstück — heute Dorotheenstrasse 10 und noch gegenwärtig
im Besitz der Akademie — angekauft werde. Es war 70 Fuss lang
und 200 Fuss tief; ein kleines Haus stand im Hintergrunde, w^elches
sofort bezogen werden konnte, und es liess Raum, ein grösseres
Gebäude vorn zu errichten für eine Druckerei, Laboratorium und
Repräsentationszimmer. Am 28. April 1707 erschien die königliche
auch hinter den Vortheil gekommen, die Seide weiss zu machen, und zwar so,
dass, wo mir die Franzosen acht Loth Abgang rechnen, ich nur fünfe habe, welches
dereinsten im Grossen viel austragen wii'd. Es hat unsere Seide, wenn sie vom
Gummi befreit, ein solch Lustre, dass ich keinen Unterschied unter der besten
Seide sehe, die man hier zu Kauf hat«. Im November 17 10 konnte ein span-
dauischer Weber »sieben Stück Atlass von allerley Färb« an den Hof bringen mit
einem Attest von Frisch, dass es Societätsseide sei (s. den Brief Nr. 21 vom 7. No-
vember 17 10, vergl. auch den folgenden Brief). In Hannover wird unter den Leibxiz-
Papieren auch eine Probe der von der Societät (von Frisch) hergestellten Seide
aufbewahrt. Das vom Secretar geführte, im Akademischen Archiv aufbewahrte
Diarium über die Seidensache bietet wenig Bemerkenswerthes.
^ Neue Fassung in einem zu Hannover befindlichen Concept, zweimal von
Leibkiz selbst geschrieben, und einer Reinschrift (ebendort) vom 26. März 1707. Es
beginnt: »Weilen vermuthlich die neuliche Feuersbrunst eine gute Verordnung be-
fördern möchte«. Übrigens war im October 1705 in Preussen ein obligatorisches
General -Feuerkassen -Reglement erlassen ohne Mitwirkung der Societät.
'^ Siehe Urkundenband Nr. 86.
10*
148 Geschichte der Societät von 1700—1711,
Ordre; aber nun entwickelte sich eine Tragikomödie, die ein trübes
Licht auf die damaligen finanziellen Zustände in Preussen wirft.
Ein volles Jahr dauerte es, bis der Kauf abgeschlossen wurde und
Kirch einziehen konnte — so lange hatte sich die Finanzkammer
gesträubt, theils weil sie kein Geld geben wollte, theils weil sie
keins hatte. Und der Kauf kam erst wirklich zu Stande, nachdem
Leibniz brieflich noch einmal energische Vorstellungen beim Könige
selbst gemacht und sich die Hofpredigerwittwe Sturm entschlossen
hatte, der Societät, d.h. dem Staate, 2100 Thlr. vorzustrecken, die
die Societät zu A^erzinsen hatte und die die Finanzkammer in drei
Jahren (zu 700 Thlr.) zurückerstatten sollte! Aber auch jetzt noch
erklärte die Kammer, nicht zahlen zu können, und es dauerte
noch mehrere Jahre, bis sie die ersten 700 Thlr. aufzutreiben ver-
mochte ^ !
Immerhin war durch Leibnizcus Eintreten etwas erreicht — eine
feste Zusicherung wegen eines Grundstücks und eines Hauses nahe
beim Observatorium war gegeben , und dieses selbst ging seiner Voll-
endung entgegen"'. Aber noch mehr, durch energische Mahnungen
hatte Leibniz es durchgesetzt, dass die Mitglieder seit dem Früli-
jahr 1707 ernsthaft an die Herausgabe eines ersten Bandes «Mis-
cellanea Berolinensia« dachten — die deutsche Sprache für sie zu
wählen, glaubte man noch nicht wagen zu dürfen — und Abhand-
lungen einreichten; die Redaction des Ganzen hatten Cuneau und
Leibniz selbst übernommen. Die Früchte seiner Thätigkeit stellte
er Ende April, kurz bevor er nach Hannover zurückkehren musste,
in einem Schreiben an den König übersichtlich zusammen^ und
fertigte auch einige Schreiben an den Rath von Berlin und die Amt-
männer in Cöpenick und Potsdam zur Unterstützung des Seidenbaus
im Namen der Societät aus^. Aber obgleich ihm der König bei der
Abschiedsaudienz huldvoll versichert hatte, er werde ihm seine
^ Die Verliandhingen sind im Urlcundenband Nr. 87 ausführlich dargestellt.
^ Siehe den Brief der Frau Kirch im Urkundenband Nr. 87. Am Hof zeigte
sich einiges Interesse für Astronomie. Die Frau Kirch fragt in einem Billet bei
Leibniz an (Hannov. Bibl.), ob sie selbst auf dem Schlosse den von ihr entdeckten
Sonnentlecken anzeigen solle oder ob er es thun wolle. -Werde nach Ew. Exe.
Befehl und Anordnung allezeit der Gnade gewärtig leben, vor K. Maj. zu erschei-
nen« (sie hatte eine astronomische Schrift verfasst, die sie überreichen wollte).
Lii April 1708 erzählt Kirch Leibniz, dass der Kronprinz das neue ausgebaute Ob-
servatoi'ium zu besehen gewürdigt habe (Brief vom 29. April 1708; Hannov. Bibl.).
^ Siehe Urkundenband Nr. 88.
* Siehe Ui'kundenband Nr. 89 vom 10. Mai 1707.
Die "Miscellanea«. Leibxiz verlässt Berlin im Mai 1707. 149
Gnade bewahren und alle Anordnungen durchsetzen \ so war er.
als er in der zweiten Hälfte Mai Berlin verliess"^, weder des einen
noch des andern sicher. Der Frau Kirch sagte er bei seinem Scheiden,
es werde wohl Alles liegen bleiben, wenn er abgereist sei^, und
die Art, wie er sich an den bei Hof einflussreichen Lord Raby
wandte, damit er sein Fürsprecher sei, zeigt deutlich seine Un-
sicherheit in Bezug auf die Gnade des Königs*. Um diese sich zu
erhalten, schrieb er auch an die Kvu-fürstin, die damals mit ihrem
königlichen Schwiegersohn freundlicher verkehrte^, einen für den
König bestimmten Brief", der mit ärztlichen Rathschlägen beginnt,
dem Monarchen und dem Zustande seiner Staaten und seines Hofes
sehr viel Lob spendet — auch viel ungerechtfertigtes — , dann wie-
derum auf den Gesundheitszustand des Königs eingeht und mit einem
kühnen Übergang persönlich wird:
"... Et c'est le moyen de contribuer ä la conservation de sa vie. Personne
ne le pourra faire avec plus d'efficace qiie V. A. E. Si j'en disais autant, cela ne
servirait guere quand j'avais [sie] meme plus d'aeces aupres de lui et plus de credit
que je n'en ai. 11 est vrai que Sa M*« m'ecoute toujours favorablement, mais il ne
parait pas qu'il cherche trop ä m'ecouter, et je ne suis pas d'humeur ä in'ingerer.
Je ne sais si quelqu"un ni"a rendu autrefois mauvais offices, par je ne sais quelle
'■ Siehe den Brief an Wartenberg bei Klopp, io. Bd. S. 414, LEiBNizens
Schreiben an den König im Urkundenband Nr. 87, LEiBNizens Schreiben an Kirch
vom 23. Juni 1707: »K. Maj. haben mir bei dem Abschied nachdrücklich versprochen,
über Dero gnädigsten Concessionibus nachdrücklich zu halten « (Joachimsth. Gym-
nasium) und das undatirte Schreiben an Lord Raby im Urkundenband Nr. 91.
^ Noch am 18. Mai 1707 war er daselbst, s. den Bi-ief an Lord Raby von
diesem Datum bei Klopp, a. a. 0. S.412: «Je devais etre parti, mais les interets
de la societe m'ont arrete encore quelques jours«. Damals ist er in Berlin zum ersten
Mal mit Ch. Wolff zusammengetroffen, s. Guhrauer, G. W. v. L., 2. Bd. S. 262 f.
^ Siehe den Brief der Kirch im Urkundenband Nr. 87.
* Leibniz an Lord Raby, a.a.O.: >'J'ai employe une bonne partie de mon
temps a cela depuis sept ans sans en avoir tire le moindre fruit pour moi; car je ne
compte pas ce qui ne suffit pas meine k me dedommager, outre (jue je puis dire
que cela m'a cause bien de la perte ailleurs, mais je ne m"en repens pas, pourvu
qu'enfin il en provienne quelque chose de bon. C'est ce que je me promets, si
les ordres du roi sont executes. Mais je ne sais comment je m'emancipe d'importuner
V. E. de ces choses: je n'aurais point ose le faire, si je ne savais, Mylord, que
vous entrez dans les belles connaissances et les favorisez. Mit Recht vermuthet
Klopp, der Brief sei ein ostensibler und für den König mitgeschrieben.
° Der König hatte ihr auch von Leibxiz geschrieben und von seinen Geld-
forderungen für die Societät, die die Kurfürstin augenscheinlich befürwortet hatte;
s. ihren Brief an Leibniz vom 23. April 1707 (Klopp, 9. Bd. S. 279): »Le roi me
mande que vous avez fait voir une eclipse a la lune. II ine reproche que je crois
qu'il est Croesus, et ([u'il peut donner tant de pennins. J"ai repondu que cela ne
serait pas etrange apres toutes les magnificences et liberalites qu'il fait-.
•^ Berlin, den 12. Mai 1707, Klopp, 9. Bd. S. 280 ff.
15Ö Geschichte dei- Societät von 1700-1711.
vue: mais je vais toujours mon train, et sans faire la moindre chose pour moi.
Je travaille pour un etablissement raisonnable de la societe des sciences. Cependant
j'y ai trouve presque aiitant de difficulte c|ue si je negociais pour le
pa])e. Et meine dans les choses resolues, il y a eu des longueurs qui auraient
rebute tout autre que moi, et qui m'ont fait perdre plus de deux mois. On nie
fait esjierer une heureuse issue, et a]Dres six ou sept ans on a ordonne enfin d'une
maniere expressive que l'observatoire soit acheve, et le roi emploiera quelques mille
ecus pour un autre batiment necessaire a la societe. Si les autres messieurs se
tiennent aux luesures que j'ai prises avec eux, on publiera quelque chose tous les
ans, qui ne sei'a peut-etre pas indigne de paraitre, et dorenavant les choses iront
mieux leur train, sans que j'aie jdIus besoin de me tant remuer. Aussi ne sais-je
pas si je serais longtemps en etat de le faire, car des fluxions froides excitees par
la mauvaise saison &c. "
Im Postscript bemerkt Leibniz ausdrücklich, beim Durchlesen
finde er, dass der Brief geeignet sei, dem Könige zugestellt zu
werden \
Mit Recht durfte Leibniz sagen, er habe in seiner Arbeit für
Preussen so viele Schwierigkeiten gefunden, als arbeite er für den
Papst. Sieben Jahre waren seit der Stiftung der Societät bereits
verflossen, und noch war sie kaum vom Fleck gekommen.
In den folgenden 1 1 Monaten bis zum April 1 708 hat er von
Hannover aus die drei Angelegenheiten unablässig gefördert, den
Seidenbau, den Hauskauf und die Miscellaiiea. Der letzteren wegen
hat er mit dem Secretar, Cuneau und dem Hofprediger"" sehr ein-
gehend correspondirt. Im Octoberiyoy wurden die eingelaufenen
Manuscripte ihm zugeschickt; im März 1708 sandte er sie zurück^.
Eine Abhandlung A^on Chauvin wurde abgelehnt, dann aber doch
unter der Bedingung, dass er sie verbessere, angenommen*. Eine
Arbeit von Starke konnte man nicht aufnehmen, da man nicht
arabisch drucken wollte''. Der Verleger, den man zuerst gewonnen,
trat zurück; nach langen Verhandlungen wurde die Ausführung dem
Buchhändler Papen übertragen, der seinen Verlag durch wissen-
^ Ein zweites, undatirtes Schi-eiben dieser Art an die Kurfürstin ist im Ur-
kundenband Nr. 90 grösstentheils abgedruckt. Es ist auch deshalb interessant, weil
er hier auf das jNIisstrauen eingeht, das man ihm schon zur Zeit, da die Königin
Sophie Charlotte noch lebte, in Berlin erzeigt hat. Er sagt direct, dass man ihn
beim König angeschwärzt habe.
'^ Siehe Secr. -Leibn. Nr. 58 (2. Juli 1707) ff. Auch mit Kirch hat er über
Beiträge verhandelt, s. die Briefe vom 15. October und 5. November 1707 (Joachimsth.
G^^un.; Hannover). Sehr zahlreich und auf das Kleinste eingehend sind die Briefe
an Cuneau.
^ Secr. -Leibn. Nr. 61 und 70.
* A. a. 0. Nr. 61, 71 (7. April 1708) und 73 (5. Mai 1708).
5 A.a.O. Nr. 61.
Vorbereitung der »i\Iiscellanea'>. 151
scliaftliche Werke zu bereichern wünschtet Dem gelehrten Publi-
cum endlich etwas von den Arbeiten der Societät vorzulegen und
dem König etwas Redeutendes zu zeigen, war LEiBNizens Haupt-
sorge; denn er hatte sich ihm gegenüber geradezu verpflichtet, dass
die Societät einen Band wissenschaftlicher Abhandlungen heraus-
geben werde. Sein Wort und seine Ehre standen auf dem Spiel,
Um den König sich geneigt zu erhalten und den immer noch schwe-
benden Hauskauf durchzusetzen, sicherte er sich das Vertrauen der
Kronprinzessin — »je vous connais de mes amis«, schrieb sie
ihm"" — und trat mit Madame de Gacetot, der Oberhofmeisterin,
in Verbindung^. Dem Lord Raby schrieb er noch einmal einen für
den König bestimmten Briefe Mit Recht konnte er hier darauf
hinweisen, dass der König die besten Intentionen in Bezug auf die
^ Er stand schon zur Societät in Beziehung. In einem Brief an Leibniz vom
26. Mai 1708 (Hannov. BibL) schreibt er: »Ich vernehme auch, dass S. K. M. in
Preussen nun mehro eine Commission zu Errichtung der universalen Schulbücher
angeordnet und dass mit der Grammatica der Anfang gemacht werden solle; weilen
ich nun nicht weiss , ob den Verlag dieser Grammatica die Societät über sich nehmen
wird. U.S.W.« Er möchte diesen Verlag Namens der Societät erhalten. Siehe dazu
seinen Brief an Leibxiz in Secr. -Leibn. Nr. 77 vom 3. Juli 1708. Die Grammatiken
und Schriftsteller- Ausgaben für die Gymnasien der Mark wurden wirklich von einigen
Directoren und Conrectoren der Gymnasien auf Befehl Friedrich's I. bearbeitet und
erschienen in der Officin von Papen, s. darüber Fischer, Frisch -Leibniz S. 23.
29. 59 f. Die Obei'leitung hatte eine Commission. Der Secretar Jabloxski schreibt
am 2i.Juhi7o8 an Leibkiz (Nr. 78): Ȁlit der neuen Anstalt bei dem Schulwesen
ist der Anfang zwar gemacht und ein Versuch gethan worden, zu einer Conformitat
mit der lateinischen Grammatik zu gelangen. Allein weil die Directores solcher
Sache mit mehr andern Geschäften beladen, können sie dieses nicht mit genüg-
samen Fleiss warten. Hr. Chuno und mein Bruder sind zwar auch zu denen dies-
falls angestellten Berathschlagungen gezogen worden, jener vigore commissionis
regiae, dieser bloss jjro consilio, der Societät in corpore aber ist noch nichts zu-
gemuthet worden; ich glaube auch nicht, dass, wenn sie dai-an Theil nehmen wollte,
man sie gerne zulassen würde, nachdem gewöhnlicher Maassen ein Jeder hie über
seinem Ansehn eifert und nicht gerne etwas davon vergiebet". Augenscheinlich
hatte Leibniz gewünscht, dass die Societät hinzugezogen werde; hatte er doch
durch seine Vorschläge über das Bücher -Commissariat einen Anstoss zu der Saclie
gegeben. Er hoffte gewiss auch , dass der Societät Einnahmen daraus erwachsen
würden. Aus dem Brief Papen's (vom 3. Juli 1708) geht hervor, dass Director der
Universal -Eini'ichtung des Schulwesens der General -Commissarius von Danckel-
MANN war; Commissarii waren Professor Bekmann in Frankfurt, der Hofpi-ediger
und Cuneaü. Der Societät vertraute man die Sache nicht an. Frisch wünschte,
dass sie die Logik herausgäbe (Briefe Nr. 21 und 22 vom 7. und 20. November 17 10):
»die Societät muss hier das Werk wegen Scientien angreifen und nebst der Ehre
auch den Profit ziehen«. Zu vergleichen ist noch Nr. 105 des Urkundenbandes.
^ Siehe ihren Brief vom 29. October 1707 (Klopp. 10. Bd. S. 415 f.).
3 A.a.O. S. 4i6f.
* Siehe Urkundenband Nr. 91.
152 Geschichte der Societät von 1700 — 1711.
Societät habe, aber seine Beamten sie nicht ausführen. »Les bonnes
intentions du roi ont souvent le malheur d'etre mal executees.«
. . , »Cela rendra meme la societe meprisable, car eile a des membres
dans les pays etrangers, qui ne peuvent pas manquer d'apprendre
ces contretemps. «
Das Haus wurde gekauft — voll Freude zog die Familie Kirch
ein^ — , und das Observatorium war im September 1 708 so weit
fertig, dass die Kammer es der Societät übergeben wollte. Allein
diese fand noch Manches nicht nach Wunsch und wies die tJl)er-
gabe noch zurück. Ihre finanziellen Verhältnisse hatten sich lang-
sam, aber sicher gebessert", weil der Kalenderverkauf in den letzten
Jahren sehr gestiegen war^. Da trat ein Handel ein, der der Socie-
tät, die ohnehin noch nicht viel Ansehen genoss, in der öffentlichen
Meinung höchst schädlich sein musste.
Die Societät hatte in den letzten Jahren drei Mitglieder auf-
genommen, die zwar rühriger waren als die meisten anderen, aber
durch Leichtfertigkeit und andauernde Geldnoth sich dem Industrie-
ritterthum in bedenklicher Weise näherten. Der eine von ihnen,
Cn. H. Oelven, ein Krankheits halber verabschiedeter preussischer
Eittmeister, gab seit 1708 die erste Berliner populäre Zeitschrift
in deutscher Sprache heraus: »Monatliche curieuse Natur-, Kunst-,
Staats- und Sitten -Präsenten, zum Nutzen und Ergötzen«. Er war
ein nicht unbegabter Mann von mancherlei guten Ideen, aber ein
zucht- und kritikloser Geist, mit allerlei Ijuntem Wissen, überall
unzuverlässig, unsolid und marktschreierisch, entschlossen auf jede
Weise Geld zu verdienen, sei es auch durch wüstes Sykophanten-
thum*. Auf seinen Vorschlag war im Frühjahr 1708 Marperger
' »Kirch wohnet in dem neuen Societätshause ganz vergnügt" . schreibt der
Buchhändler Papen an Leibniz (26. IMai 1708). Auch Leibniz sollte dort ein Zimmer
als Absteigequartier erhalten; s. Secr. -Leibn. Nr. 77 vom 3. Juli und Nr. 78 vom
2 I.Juli 1708. Der Buchhändler Papen wohnte ebendort; auf dem Grundstück be-
fand sich auch ein Stall und ein Schuppen.
- Besondere Atisgaben hatte die Societät damals nicht; wir liören nur, dass
Scheuchzer's Iter Alpinum mit ihrer Unterstützung gedruckt worden ist (Secr.-
Leibk. Nr. 57 vom 18. Juni und Nr. 61 vom 8. October 1707).
^ Siehe die Briefe Papen's an Leibniz vom 21. Febr. 1708 und 17. Juni 1709.
* Über Oelven und seine Zeitschrift s. Geiger, Berlin 1688 — 1840 i.Bd. S. 141 ff.
Erschienen sind nicht volle zwei Jahrgänge, vergl. auch Fischer, Frisch S. 55f.,
der die bishei'ige Litteratur über Oelven verzeichnet und neue ]Mittheilungen über
ihn verspricht. La Croze luid Frisch stimmen im abschätzigen Urtheil über den
Mann überein (Briefwechsel mit Leibniz in Hannover). Man kann es ihm zu Lobe
sagen , dass er deutsch gesinnt war, die Resultate der Wissenschaft in's praktische
Leben einführen wolUe und die unfruchtliare Zettelüelehrsamkeit der Stuben- und
Die OELVEN'scheu Händel. 153
aufgenommen worden \ Als Gelehrter war er von ganz anderem
Schlag als Oelven. Sein Name hat in der Geschichte der Handels-
wissenschaft, der politischen Geographie und Statistik einen sehr
guten Klang: er hat diese Disciplinen in Deutschland mitbegründet;
allein auch er war durch bittere Noth ein mercennarius geworden,
dichtete und schrieb um Geld, was man ihm auftrug, auch bittere
Angriffe"'. Der Dritte war ein Herr von Meisebuch (Meisebug), von
dem nur bekannt ist, dass er mit jenen zusammenhielt. Wahr-
scheinlich ist er identisch mit dem Dichter des Festliedes auf die
Taufe der Prinzessin Friederike Sophie Wilhelmine. Da drei Könige
persönlich bei ihr Gevatter standen (Juli 1709: die Könige A^on
Preussen, Sachsen und Dänemark), so verglich er sie mit den hei-
ligen drei Königen, die Prinzessin mit dem Jesuskind, und erhielt
dafür ein ansehnliches Geschenk^. Dass diese Collegen ernsten
Bibliothek -Gelehrten verspottete; aber er besass weder das Wissen noch den Cha-
rakter, um als Reformer auftreten zu dürfen.
^ Siehe Secr.-LEiBx. Nr. 66 vom 4. Februar, Nr. 69 und 70 vom 10. und
17. jNIärz 1708. Der Secretar, der den Vorschlag Leibniz unterbreitet, ist Marperger
als Gelehrten günstig gesinnt, "wenn nicht seiner Person wegen einiges Bedenken
wäre«. Doch heisst es dann: »hat keinen anderen Vorwurf als rem angustam domi".
^ Frisch schreibt über ihn (Fischer Nr. 10 vom 18. Juni 1708 8.14): "Herr
Marperger ist mein Landsmann und mir also von langer Zeit her bekannt; ich
halte ilm, wenn ich unparteiisch und nach meinem Begriff urtheilen soll, fiir des
Hrn. Oelvex guten Freund, der da fähig ist, noch wohl mehr als jener zu thun,
sonderlich in dergleichen Monath-praesenten. Sein Calamus ist bissher mercenarius
gewesen. In den Commercien -Wesen ist er ein guter Theoreticus. Zu Lübeck hat
ihn die Armuth viel gelehret. Er war der ganzen Statt Verssmacher und hat, da
er hier nichts damit erstümpern können, ein und andere bittere Zeilen in faveur
des H[errn] Oelven gemacht. Ich kan leicht errathen, wer ihn recommendirt; aber
dergleichen Leuthe sind ulcera und keine Zierden einer Societät. Herr Stark wird
bezeugen können, dass er sich zu üblen Streichen gegen ihm von denen Bucli-
führern gebrauchen lassen. Ew. Exc[ellenz] verzeihen mir mein allzu freyes Urtheil,
das ich hier beygefügt, und seyen versichert, dass ich viel Zeugen darinnen be-
kommen kan. Die Begierde, die Societät in Renommee zu sehen, ist bey mir
grösser, als alle Landsmannschafft, und weiss ich gewiss, dass, wann dergleichen
INIembra sollten anwachsen, wie Herr Oelven ist, einige andere, die
lobwürdigere Absichten bissher gehabt, wünschen werden, dass sie
nicht möchten in solcher Zahl seyn, oder wohl gar mit Zurück-
schickung des diplomatis sich vor solche Ehre bedancken... Fischer
sagt (S.56): »Frisch's Urtheil wird von der Geschichte nicht bestätigt«; allein die
Geschichte erzählt nur von der wissenschaftlichen Bedeutung Marperger"s, die
Frisch nicht ausschhesst. Siehe über Marperger auch Geiger, a.a.O. I S. 131 ff.,
und J. Franck in d. Allg. Deutsch. Biographie, 20. Bd. S.405 ff., der die Schranken
der Bedeutung Marperger's wohl kennt und ausserdem seine sehr uncultivirte
Sprache rügt.
^ Siehe über ihn La Croze's Briefe an Leibxiz und Fischer, a. a. 0. S.66.
Geiger, a. a. 0. S.4. Dass August der Starke von einem :\ritulied der Preussischen
154 Geschichte der Societät von 1700-1711.
wissenschaftlichen Arbeitern, wie La Croze und Frisch, äusserst
missfielen, ist wohl verständlich.
Bereits im September i 709 hat Meisebug Berlin schimpflich ver-
lassen müssen \ und einige Monate später wurde Oelven von seinen
Verwandten , die den geistig und körperlich völlig gebrochenen Mann
endlich bei sich aufnahmen, nach Neu-Ruppin gebracht", während
Marperger sich künniierlich durchschlug'. Aber im Jahre 1708
waren sie durch Oelven's Zeitschrift eine Macht und schienen ent-
schlossen zu sein, die schlafende Societät aufzuwecken und ihr eine
neue Eichtung — die nationale und politisch -ökonomische — zu
geben. Sie kamen regelmässig Mittwochs zusammen, und auch der
Secretar und Ancillon haben anfangs an den Besprechungen Theil
genommen.
Streitigkeiten zwischen den Gelehrten Berlins rissen nicht ab —
so beklagte sich, ebenfalls im Jahre 1708, Naude bitter bei Leibniz*
über einen schmachvollen und lügenhaften anonymen Angriff und
hielt den Berliner Jaqüelot für den Verfesser^ — ; aber eine so pöbel-
hafte Invective, wie sie Oelven im Märzheft 1708 gegen La Croze
richtete, war doch unerhört*'. Der Anlass war ganz nichtig. Oelven
fühlte sich als Geschäftsdichter durch ein abschätziges Urtheil über
ein für den Hof bestimmtes , schmeichlerisches, prophetisches Ana-
gramm, das La Croze gefällt haben sollte, beeinträchtigt und über-
schüttete den Societätscollegen nun mit den gröbsten Schimpfreden.
Societät der Wissenschaften mit einem der drei heiligen Könige verglichen worden
ist, charakterisirt das Zeitalter in seinem Verhältniss zu den Fürsten.
^ Siehe Secr.-LEiBN. Nr. 94 vom 28. September 1709: »Der Hr. von Meisen-
bug hat einen garstigen Handel gehabt, aus welchem er doch durch Hiilfe seiner
Freunde sich so weit herausgewickelt, dass er mit einer Ehi-enerklärung davon
kommen und des Arrests erlassen worden. Bald darauf verlautete, dass er die
Römische Religion angenonunen und als Resident am Kaiserlichen Hofe in Chur-
pfalzische Dienste trete. Nachdem habe weiter nichts von ihm gehöret, will aber
mich diessfalls näher ei'kimdigen«.
^ A. a. 0. Nr. 107 vom 17. Mai 1710: »Mit dem Herrn Oe[l]ven ist es so weit
gekommen, dass er von seinem Schwager nach Ruppin abgeführet worden, weil
er sich ganz contraet nicht nur am Leib, sondern aucli am Gemüth befunden und
so wenig seine Gliedmassen als den Verstand mehr brauchen können».
^ Frisch an Leihniz vom 12. Januar 1712 (Fischer Nr. 23 S.33): »Zwei von
denen ehmalen eingenommenen drei Membris haben wenig Reputation hier behalten,
nämlich Hr. Oelven und Hr. von Meisebug, der dritte manutenirt sich kümmerlich,
nämlich Hr. Marperger«.
■* La Croze an Leibxiz, 15. Mai 1708 (Hannov. Bibl.).
^ Naude an Leibniz, 5. INIai 1708 (Hannov. Bibl.).
•^ Siehe einen Auszug aus ihr in Secr.-LEiBN. Nr.74 vom 19. 3Iai 1708
(vergl. Nr. 72 vom 28. April) und Frisch vom 28. April 1708.
Die OELVEN'schen Händel. 15d
Dahinter lag die Abneigung gegen den Franzosen und die Verachtung
seiner dem deutschen Rittmeister antipathischen kosmopolitischen
und antiquarischen Gelehrsamkeit \ Sollte dieser maasslose Angriff
den Feldzug gegen die Buchwissenschaft eröffnen und dem Betriehe
einer neuen nationalen und ökonomischen Wissenschaft die Bahn
frei machen — Oelven behauptete, dass er allein die Reputation
der Societät aufrecht erhalte!" — , so konnte er nicht ungeschickter
gewählt sein.
La Croze benahm sich in der Öffentlichkeit den Beleidigungen
gegenüber würdig; als sie sich wiederholten, verklagte er Oelven;
aber in Briefen an Leibniz schüttete er seine ganze Empörung aus
und übertrieb die Sache in maassloser Weise: er sprach von einem
Complot, das gegen ihn bei der Societät bestände, erging sich in
bitteren Anklagen gegen »die polnischen Brüder« — die beiden
Jablonski — , besonders gegen den Secretar, behauptete, sie steckten
hinter der Sache und seien verkappte Socinianer, die ihm seiner
Orthodoxie wegen feindlich seien, schmähte auch Ancillon, der ihn
ebenfalls angegriffen habe — »ein Mensch, der nicht im Stande ist
vier vernünftige Worte auf das Papier zu bringen« — luid erklärte,
er »wolle dem Gebell der Cyniker der Societät nicht länger aus-
gesetzt sein, und er trete aus einer Gesellschaft aus, von der ihm
neulich ein hochangesehener Mann gesagt habe: 'Leute, die man
anderswo in's Narrenhaus steckt, nimmt man hier in die Societät
auf«. Ja, er schrieb zuletzt rund, der ganze Angriff gehe von
dem leitenden Directorium der Societät aus und er, Leibniz, solle
sich nur in Acht nehmen: »Wenn die LIerrn ihren Faden gegen.
mich fertig gesponnen haben, w^erden sie sich gegen einen Anderen
wenden; sie w^erden viel weiter gehen als man denkt. Herr Schott
wird Ihnen dies Räthselwort erklären^«.
^ Dass beide sich schon früher feind waren , ersieht man aus dem Briefe von
Leient/. au La Croze vom 19. Mai 1708; Ancillon hatte zu vermittehi gesucht.
(Hannov. BibL, dort auch die anderen Briefe beider Männer, die im Folgenden ci-
tirt sind.)
^ Siehe Secr.-LEiBN. Nr. 91.
^ Siehe La Croze's Briefe an Leibniz vom 25. April bis September 1708. In
dem Schreiben La Croze's vom 15. Mai 1708 heisst es auch: »11 y a des gens ä
Berlin a qui on entend dire a tout moment 'Unsere Societät'; ces gens-lä s'en
donneraient tout l'honneur et voudraient peut-etre y entrer pour leur quote
part. Cela empechera assurement que la chose ne puisse reussir«. Zu dem
ganzen Streit sind auch Ancillon's Briefe an Leibniz vom Jahre 1708 zu ver-
gleichen; man erkennt aus ihnen, dass er La Croze nicht eben freundlich gesinnt
gewesen ist.
156 Geschichte der Societät von 1700-1711.
Ob ein Körnclien Wahrheit diesen Verdächtigungen zu Grunde
lag, Lässt sich nielit mehr entscheiden. LEiBNizens Antwortschreiben
an La Ceoze sind wahre Muster von Feinheit, Mässigung und Freun-
destreue. Es gelang ihm erst nacli mehreren Briefen und nach
ernsten, aber liebenswürdigen Vorhaltungen, La Croze den Kopf zu-
rechtzusetzen und ihn zu beruhigen \ Für die Societät hatte die
Sache die unangenehme Folge, dass der König sie als Censurbehörde
für alle im Inland erscheinenden und vom Ausland eingeführten
politischen und gelehrten Schriften einsetzte und speciell befahl, die
«Monatlichen Präsente« ihres Collegen vor dem Druck durchzusehen".
Letzteres brachte sie in unaufhörlichen Streit mit Oelven — dessen
Unverschämtheiten nicht aufhörten und der noch ein ganzes Jahr
sich einen gewissen Eintluss zu bewahren verstand^ — , und der
ganze Handel zog ihr den Spott der Leute zu, die Akademie sei
eine »societas obscurorum virorum^«. La Croze war nicht der
Einzige, der mit seinem Austritt drohte", und Cuneau meinte
mit Recht, die Societät habe noch nichts geleistet, um die Auf-
merksamkeit der Gelehrten auf sich zu ziehen, und dürfe sich um so
weniger »durch nicht recht würdige Dinge der Welt in die Augen
stellen « .
Hatte das Directorium wirklich anfangs Oelven und seinem An-
hang zu viel nachgegeben und La Ckoze nicht energisch genug gegen
ihn vertheidigt, so sollte es im folgenden Jahr bitter bestraft wer-
den. Im Beginn des Jahres 1709 war Leibniz auf der Rückreise
von Wien nach Hannover einige Wochen in Berlin anwesend ge-
' Siehe LEiBNizens Briefe vom 19. Mai u. ff.
^ Die Zeitschrift Oelven's ist wirklich von da ab stets von der Societät durch-
gesehen worden: ob aber sonst das Edict eingehalten worden (s. den Abdruck im
Urkundenband Nr. 92), vermag ich nicht festzustellen.
^ Er schlug viele neue Mitglieder vor, und die Societät war ihm gegenüber
niclit energisch genug, s. Secr.-LEiuK. Nr. 86 und 88 vom 6. Juli und 3. August 1709:
»Hr. Oelven, welcher vor andern mit solchen Recommandationen sich gern beladet,
hat noch zween andere vorgeschlagen, nemlich einen Prediger zu Brandenburg, so
mit einem neuen systemate philosophiae ad veritatem s. scripturae exactae schwanger
gehet«. ■ — Oelven spielte sich auch als \^ertheidiger der Kirchenlehre gegenülier dem
Rationalismus auf. «Der Herr Oelven hat ohne Zweifel seine eigenen Absichten
bei allen denen, welche er der Societät präconisiret, womit er doch meistentheils
eben wie mit seinen übrigen Dingen nur Verdruss und Beschwerlichkeit erwecket,
dergleichen eine nicht der geringsten ist die Censur seiner Älonatlichen Präsenten«
u. s. w.
* Cuneau an Leibniz vom 30. April 1709. Da er den Spott italienisch und
lateinisch anführt, stammt er vielleicht von La Croze.
^ Siehe Friscils Mittheilung S. 153.
Leibniz in Berlin (1709). 157
wesen, um den Druck der Miscellanea — er begann im Mai 1709
wirklich^ — einzuleiten und nach dem Seidenwerke zu sehen". Seine
Aufnahme war eine kühle gewesen; aber er durfte nicht bleiben,
denn in Hannover war man über ihn erbittert. Er war ohne Wissen
seines Landesherrn unter falschem Namen mehrere Monate in Wien
gewesen und musste nun zurückeilen, um sich zu entschuldigen. Die
Verhältnisse der Societät fand er fortschreitend, LaCroze beruhigt^;
einige Monate später erhielt die Societät in dem berühmten Arzt
Hoffmann aus Halle einen sehr willkommenen Zuwachs und wurde
das Observatorium Avirklich übergeben (August 1 709^); aber die
feierliche Einrichtung der Gesellschaft, die für den 11. Juli 1709
^ Siehe Papen an Leibniz vom 17. Juni 1709, Secr. -Leibn. Nr. 86 vom Juli
1709, dazu Nr. 88. 94. 95. 104—108, fei-ner Cuneau's 12 Briefe aus dem Jahre 1709.
Aus diesen Schreiben geht hervor — was übrigens an sich klar ist — , dass Leib-
niz Zueignung und Vorrede verfasst hat. Auch auf die beizugebenden Tafeln (es
ergab sicli die stattliche Zahl von 31) erstreckte er seine Sorge — von ihm stammt
die Anordnung, sie so einzuheften, dass man sie und das Buch zugleich aufschlagen
könne — , und dem schönen Titelkupfer wandte er seine besondere Aufmerksam-
keit zu, s. Nr. 81. 93. 99. 106. Der Meister Werner, der das Bild erfunden und
zu stechen begonnen, wurde durch schwere Krankheit an der Ausfiilu-ung gehindert.
Eine Verzögerung des Drucks trat auch dadurch ein, dass Cuneau — durch neue
ÜELVEN'sche Händel schwer gekränkt, s. u. — im November 1709 einen Schlaganfall
erlitt; zwar fing er schon Ende Januar wieder für die Societät zu arbeiten an, war
aber seitdem viel von Schmerzen geplagt imd nur noch wenig brauchbar, s. Secr.-
Leibn. Nr. 97— 100 (i. Februar 1710).
- Siehe seinen Brief an die Kurfürstin Sophie aus Berlin vom Januar 1709
(Klopp, 9. Bd. S. 294 ff.) — es ist derselbe Brief, in welchem er der Frau Kirch
mit hohem Lobe gedenkt: «Je ne jDense presque ici qu'a ce qui sert ä l'accrois-
sement des sciences (folgt ein kurzer Bericht über das Seidenwerk). C'est une
aflfaire que la feue reine favorisait fort, et maintenant le prince royal la protege
dans les occasions (das sollte sein Verweilen in Berlin beim hannoverschen Kur-
fürsten entschuldigen). Je suis apres ä parcourir quelques memoires servant aux
sciences, qu'on a presentes ä la societe, et dont eile publiera des echantillons.
Mais cela ne m'arretera que peu de jours, et je me depecherai pour me trou-
ver promptement a Hanovre, conformement aux ordres et aux intentions de Mon-
seigneur l'Electeur, ayant plus d'envie que qui que ce soit de voir mon ouvrage
achevc".
^ Siehe seine Bemerkung unter La Croze's Brief Nr. 21 der Hannov. Samm-
lung; aber im Jahre 1709 hatte La Croze noch einmal Grund zu bitteren Klagen,
liess sich aber diesmal schneller beruhigen und räumte ein, dass er plus d'une fois avec
trop de rivalite geschrieben habe (s. seine Briefe vom 23. September und 30. Oc-
tobcr 1709). Von da ab wird der Briefwechsel wieder ein rein wissenschaftlicher
und bezog sich vornehmlich auf Linguistik. Im Brief vom 16. December 1709 theilt
La Croze folgende wichtige Entdeckung mit: »Je vous assure que j'ai reconnu,
qu'on peut retablir en plusieurs endroits la veritable leqon des LXX par le moyen
de rArmenien".
* Siehe Secr. -Leibn. Nr. 90 vom 24. August 1709.
158 Geschichte der Societät von ITOO-lTll.
festgesetzt war, musste wiederum unterbleiben, da die Anwesenheit
der Könige von Dänemark und Sachsen in Berlin den Hof beschäf-
tigte \ Da. bracli Oelven von Neuem los. In einer Eingabe an den
König erklärte er, einen Mann zu kennen, der ein Geheimniss wisse,
die Einkünfte der Societät ausserordentlich zu vermehren ; er be-
hauptete zugleich, die Kalender hätten, richtig betrieben, bis zum
Jahre 1 708 69840 Thlr. einbringen müssen und die bisherige Ver-
waltung sei ganz unfähig.
Der Mann war er wahrscheinlich selbst, die aufgestellte Rech-
nung war ein heller Unsinn , das Ganze ein letztes Mittel , Geld zu
erhalten; denn er und seine Familie waren dem Verhungern nahe.
Aber dass Oelven den Minister mit Eingaben in dieser Sache über-
schütten durfte , dass das Concilium zur Verantwortung gezogen und
dass zwei Commissionen zur Revision der finanziellen Lage der So-
cietät eingesetzt wurden , daran war das Concilium doch nicht ganz
unschuldig. Es hatte bisher Niemandem Einsicht in seine Rech-
nungen verstattet, und selbst die einheimischen Mitglieder wurden
über sie in vollkommener Unwissenheit gelassen. So konnten sich
die abenteuerlichsten Gerüchte über die Einkünfte aus den Kalen-
dern bilden ; die rechtlosen und unbesoldeten Mitglieder — vor
allem Oelven und Marperger — schauten begierig nach Pensionen
aus, und schliesslich schöpfte die Regierung selbst Verdacht und
verlangte Rechenschaft.
Das Concilium gab diese sofort. Aber die Regierung blieb miss-
trauisch und verlangte mehr. In sehr würdiger Weise verwahrte
sich Namens des Conciliums Cuneau nun dagegen , dass die Regierung
die Charlatanerieen und Frechheiten «eines malitiösen und gemein-
gefährlichen Narren« ernsthaft nehme und die Societät auf solche
Anklagen hin zum zweiten Mal belange; auch der Secretar war jetzt
Feuer und Flamme gegen Oelven"; aber schliesslich blieb nichts übrig:
die Societät musste sich eine commissarische Untersuchung gefallen
lassen. Das Concilium konnte sich glänzend rechtfertigen. Die Ein-
nahmen waren zwar (von 1701 bis 1708) allmählich von 6500 auf
8560 Thlr. (incl. aller Jahresüberschüsse) gestiegen^ und die Aus-
gaben waren etwas gefallen; aber in dem Überschuss, der für das
^ Siehe Frisch's Brief Nr. 13 vom 31. Juli 1709, Fischer S. 18, und den Brief
der Frau Kirch vom 17. Juli 1709 (Secr. -Leibn. Nr. 87).
^ Siehe Secr. -Leibn. Nr. 90 — 107.
^ Die Zahl der verkauften grossen und kleinen Kalender war von 70648 im
Jahre 1701 auf 99132 im Jahre 1708 gestiegen.
Die Finanzvenvaltung der Societät wird beargvvölmt und controlirt. 159
Jahr 1708 zu erAvarten war, von etwa 4600 Thlr. (alle Jaliresüber-
schüsse zusammen), steckten 2200 Thlr. aufg-enommene Capitalien.
Es war also ein wirklicher Uberschuss nur von etwa 2400 Thlr.
vorhanden, der zum Theil für die Herstellung des i. Bandes der
Miscellanea verwendet werden musste. Das Besoldungsconto , in wel-
chem 600 Thlr. für Leibniz, 500 für den Astronomen, 300 für den
Secretar, 200 für den jüngeren Astronomen zu verrechnen waren,
betrug in den acht Jahren 1385, 1455, 1395, 1400, 1800, 1700,
1700, 1405 Thlr., d. h. die Kasse, die nicht in jedem Jahr pünkt-
lich zu zahlen vermochte, war noch mit 560 Thlr. im Rückstand^;
von unbefugten Zuwendungen an die Mitglieder des Conciliums
konnte also keine Rede sein. Das ßücherconto schwankte zwischen
27 und 98 Thlr., also auch hier nur der bescheidenste Aufwand.
Oelven wurde abgewiesen; er legte sich dann auf's Jammern
und bat um Almosen; er hatte ausgespielt.
Obgleich die Societät bei diesem ganzen Handel, der l)is in
den December 1709 dauerte", wiederholt gebeten hatte, den Präsi-
denten Leibniz zu unterrichten und sein Urtheil einzuholen , wurde
dieses Ersuchen vom Minister und bei Hofe doch überhört. Es war
der deutlichste Beweis, dass man ihm misstraute und ihn mög-
lichst entfernt halten wollte. Dass er zu den zwei Fäden, die er in
der Hand hielt, noch einen dritten in Wien anzuspinnen begon-
nen hatte, verübelte man ihm: der Mann war undurchsichtig, sein
rastloses Streben, alle grösseren Höfe Deutschlands für die Wissen-
schaft zu interessiren und Deutschland geistig zu einigen, völlig un-
verständlich. Er achtete des Misstrauens nicht, sondern fuhr fort,
das Hauptwerk zu l)etreiben, welches die Societät aufweisen musste,
wenn sie ihrer Aufgabe entsprechen und Ansehen erlangen sollte —
die Herstellung eines Bandes gediegener wissenschaftlicher Abhand-
lungen. Endlich war der Druck beendigt. Im Mai 17 10 wurde
das W^erk in Leipzig ausgegeben^. Es trug den von Leibniz ent-
worfenen Titel:
' Audi Leibniz hat in den ersten Jahren seinen Gehalt nicht voll ausbezahlt
erhalten, wie die Acten im Akademischen Archiv und in Hannover ausweisen. Ln
Jahre 1706 fehlten noch 1200 Thaler, die aber allmählich nachgezahlt wurden. Auf
einem Zettel (Hannover) findet sich die Notiz von Leibniz, er habe 1500 Thlr. zu
wenig bekommen und man entschuldige sich damit, dass sonst die übrigen un-
entbehrlichen Personen nicht hätten bezahlt werden können.
" Siehe Secr. -Leibn. Nr. 90 ff. und den Urkundenband Ni'. 93.
^ Siehe Secr. -Leibn. Nr.107 vom ly.lMaiijio.
160 Geschichte der Societiit von 1700-1711.
Miscellanea
Berolinensia
ad
incrementum scientia-
rum
ex scriptis
Societatis Regiae
Scientiarum
exhibitis
edita,
cum figuris aeneis et indice
materiarum.
Berolini,
Sumptibus
Johann. Christ. Papenii,
Bibliopolae Regii et Societatis Privilegia.ti.
A. MDCCX.
Im Juni^ überreichte die Societät mit einem Briefe von Leibniz
ein Exemplar dem Könige'. Der stattliche Quartband ist als Leib-
Nizens Werk zu betrachten ; er wurde von der gelehrten Welt sehr
günstig aufgenommen^, obgleich der Autor nicht ganz mit ihm zu-
frieden war*. Unter den 60 Abhandlungen, die er enthält, sind
nicht weniger als 1 2 von Leibniz selbst (dazu die Zueignung und
die Vorrede) , und zwar in allen drei Abtheilungen (Litteraria, Physica
et Medica, Mathematica et Mechanica)^. Mit Recht äusserte sich der
^ A.a.O. Nr. 108 vom 14. Juni 1710.
^ Der Brief an den König in Secr. -Leibn. Nr. 109, s. Urkundenband Nr. 94,
an den Oberkammerlierrn Nr. iio.
^ Darüber sind in LEiBNizens Briefwechsel zalilreiche Zeugnisse vorhanden.
* Siehe seinen Brief an den Abbe Bignon in Paris vom 30. Oetober 17 10
(Feder, Commerc. p. 2530".): >>Vous avez eu la bonte, monsieur, de me commu-
niquer quelquefois des nouvelles litteraires, j"ai peiu- que mon peu de reciproque
vous en aura degoüte. Car je ne suis guere en etat de vous rendre la pareille.
La societe des sciences de Berlin a public quelques «Miscellanea«, et j'espere c|u"on
vous les envoie, comme je Tai suggere. Cet essai ne me contente pas en-
tierement. II faut esperer qu'on fera mieux avec le temps, et qu'apres tant
d"annees de desordre et de malheur le genre luunain pourra jouir quelque temps
d'une tranquillite oü les sciences avanceront mieux«.
'" Leibniz hat in dem Bande folgende Abhandlungen verfasst:
1. Brevis designatio meditationum de originibus Gentium, ductis potissimum
ex indicio linguarum.
2. Oedipus C'hymicus aenigmatis Graeci et Germanici.
Der erste Band der -INIiscellanea». Leibnizchs Vorrede. 161
Secretar der Pariser Akademie, Fontenelle^ Leibniz erscheine hier
unter beinahe allen seinen verschiedenen Gestalten, als Historiker, Anti-
(|uar, Etymolog, Physiker und Mathematiker, und mit nicht geringerem
Recht fügte er hinzu, dass auch der Redner Leibniz in der Zuschrift
an den König sich zeige. Diese Zueignung ist sachlich und stilistisch
meisterhaft, Sie bezeichnet in festen Zügen das , was in der Wissen-
schaft seit dem grossen Wandel der Dinge bereits erreicht war, und
sagt der angestrengten Fortarbeit eine glänzende Zukunft voraus"":
Rex Auguste.
Gratulatur sibi Societas, quam scientiis promovendis fundasti,
eo tempore curam eins a Te susceptam, quo Regni novi fundamenta
3. Annotatio de quibusdam ludis, imprimis de liido quodam Sinico, diffe-
rentiaque Scachici et Latrunc'ulorum , et novo genere Ludi Navalis
[diese Abhandlung beginnt mit den hübschen Worten : »Saepe notavimus,
nnsquam homines cjuani in kidici'is ingeniöseres esse, atque ideo kidos
INIathematicorum curani niereri, non per se, sed artis inveniendi causa.
Ludi eventus fortuiti inter aha prosunt ad aestiinandas probabihtates,
habemuscpie ingeniosissimas de alea ratiocinationes«].
4. Historia inventionis Phosphori.
5. Epistola de figuris animahum, quae in lapidibus observantur etc.
6. De elevatione vaporum et de corporibus , quae ob cavitatem inchisam
in aijua natare possunt.
7. Annotatio de hice, quam (piidani Auroram boi'ealem vocant.
8. Zui' Differentiah'echnung.
9. Consti'uctio problematis ducendi rectas , quae tangunt hneas centrorum
gravitatis.
10. Annotatio de arte Noribergensi specula vitrea conficiendi sine fohis.
11. Zu einem mechanischen Problem.
12. Brevis descriptio Machinae Arithmeticae cum figura.
^ Eloge de 31. Leibniz p. 325 (Hist. du Renouvellement de l'Acad. T. IL
Amsterdam 1720).
- Auch die \'orrede ist von Wichtigkeit (s. Ui'kundenband Nr. 95). Ein Mit-
gliederverzeichniss dem Bande beizugeben, lehnte er auf's Entschiedenste ab. Die
]Motivirung findet sich in dem Brief an Ch. Ancillon vom 6. September 1709 (Feder,
Commerc. p. 3 f.), der auch sonst interessant ist (vergl. auch Secr.-LEiBN. Nr. 107
vom i7.]Mai 17 10):
'■Une liste des membres de la Societe ne servirait de rien. II y en a que
je ne connais pas, et qui ont ete rcQus sans que j'en aie pu juger. 11
suffit de marquer dans nos »Miscellanea« ceux qui contribueront ä son but. Et vous
pourrez, IVIonsieur, y renvoyer les curieux.«
"II me parait peu convenable que les savants soient ä la discretion des li-
braires. II y aurait remede a cela, si les jjremiers formaient entre eux une maniere
de correspondance ou d'intelligence sur le debit des livres. Si j'etais plus jeune,
je serais capable de pousser un tel projet; mais il n"en faut rien dire.«
»Ce mot: Le roi ne vous j^aye point pour faire des livres, ne me
surprend point. II convient assez au caractere du temps. Ordinaireinent on ne
considere Tetude (jue comme une chose mercenaire, et comme une echelle, (pToa
Ute ou neglige, cpiand on n"a plus besoin de monter.«
Geschichte der Akademie. I. 11
162 Geschichte der Societät von 1700 — 1711.
moliebare: cuius inaugurationem Diploma nostrmn nondiiin diinidio
anno antevertit. Credo ut intelligeret orbis, Rege dignum esse, uon
minus amplificare opes humani generis. quam ornare ditiones suas.
Est enim communis liominum thesaurus situs in magnis Veritatil)us,
quibus tamquam magicis carminibus Natura paret. Omnia elementa
liodie humanis iussibus serviunt: Aqua Terraque content! erant ve-
teres, et ne bis quidem satis imperabant; nunc Ignis per Cbemiam,
Aer per Pneumaticen regitur; Coeloque ipso utimur velut duce, ut
a,nimo spatiemur per tempora, corpore per loca. Hinc et iuvatur
navigandi ars, quae partes nostri orbis inter se connectit, cuius
perfectionem nobis paene spondet Astronomia, quae ipsa nos miris
machinis in remotissimum sublime attollit, et elegantissimam Mundi
faciem aperit: quam si novisset Alpbonsus Castellae Rex, magis
meritis in scientias, quam gestis etsi insignibus immortalis, nihil
in structura eius reprehendisset. lamque in ipsa Divinae Sapientiae
arcana admittimtur naturae sacerdotes, noruntque et amant pulcliri-
tudinem, quam vulgus tantum veneratur: ita quod aliis admirationi
solummodo, bis etiam voluptati est. Nee unum inter Reges Alpbon-
sum laudat
^^Regoles nnimos dignata moüere<^ Uranie.
Nam ut Atlanten! Libycum aut Zoroastrem Bactrianum prae-
teream, magis fabulis quam historiis notos: ut principes multos
sileam magis amore gloriae, quam affectu intelligentiaque bene me-
ritos: certe Ulug ex Tamerlanis posteris apud Indos, Rudolphus II.
Imp. apud Germanos, »Tabulas Astronomicas« Alphonsi exemplo non
minus cura quam nomine nobilitarunt. Quantum Plantarum notitia,
quantum Animalium Regibus debeat, alii dixere. Vicissim per Mi-
neralium Metallorumque Scientiam interdum Reges aut Respublicae
ad summas opes pervenere. Alexander et Annibal magni fuere, quod
Philippus illius pater in Macedonia, Cartbaginienses in Hispania lia-
buissent [sie] quae nunc in America miramur. De Regibus scientiarum
studiosis dudum a viris doctis actum est. Ptolemaeus rex quaesisse
ex Euclide dicitur, esse.tne aliqua Regia ad Matbesin via, id est
plana facilisque: negavit Euclides. sed eam liodie novis detectis
Methodis aperuimus. Equidem ita sentiunt intelligentes: post in-
ventam typographiam, qua notitiae semel obtentae perpetuantur, post
reperta Organa , quibus visus potentia in immensum extenditur, post
detecta sj^stemata Macrocosmi in Astronomia, post promotam ipsam
Inveniendi artem, magnos admodum sperandos progressus, si sie per-
gitur. Hactenus enim in infantia fuere scientiae, et vix ab uno alterove
I)ei' erste Band der "Miscellanea«. Lei uxizens Vorrede. 163
saeculo crepundia et nuces rcliquere. Et cum nihil post virtutem sit
bona valetiidine pretiosiiis in terris, etiam de magnis Medicinae incre-
men tis desperandum non est, malis tollendis, minuendis, difterendis.
Certe si singulis annorum centenariis, quantum novissimo, prae-
stabitur, quam longe iturum sit humanum genus, quivis videt. Et
quod tamdiu tardatum est, magis imperfectis institutis publicis quam
artificibus imputari potest: hos enim suae suorumque sustentationi
dare operam necesse fuit: at nunc nova luce exorta curatores rei-
publicae a Deo Principibusque datos pro omnibus vigilare par erit,
ut collectis ordinatisque observationibus, quibus fidi possit, quaesi-
tisque studiose experimentis apparatus Artium locupletetur. Et
credibile est, si inde a quadraginta et quod excurrit annis, aut ex
quo scientiarum causa in Societates coitur, eo ardore perrectum
fuisset quo coeptum est, jam tum magnos inde fructus percepturos
fuisse homines, et qui nihil humani alienum a se esse sentiunt,
Principes, etiam ad valetudinem suam suorumque tuendam. Sed
in bella versae sunt curae gentium, ut se mutuo infelices facerent:
dum nos tarnen, Rex Optime, Tua potissimum cura, alta pace frui-
mur, in qua inter ceteras populorum felicitates etiam scientiae florere
solent. Itaque nunc qualescunque hae primitiAe ex schedis ad So-
cietatem missis decerptae Tuae Majestati offeruntur, ut intelligas,
sperari aliquos fructus posse ex fundo non sterili, si ex praescripto
mandati Regii porro irrige tur, animadvertantque illi qui colere de-
bent Scientias eamque in rem a publico akmtur, ut in ceteris vitae
officiis, (piorum es exactor iustissimus, ita hie quoque nemini per
te negligenti esse licere. Nee dubitandam est, posse Te efficere
pro magnitudine Tua , ut inter unum alterumve kistrum plus ad-
jiciatur notitiis utilibus, quam saeculo integro per lenta — ut hac-
tenus — studia possit, modo Tibi a necessariis iisque gravissimis
occupationibus huc animum aliquando solutiorem vertere vacet.
Quod equidem sperare fas est, nam, ut auguramur, in meliora
quietioraque tempora Te, Domine, reservavit Omnipotens, et si
Vota publica audiuntur, frueris ipse diu bonis, quae mortalibus dare
parns. LI precantur quicunque sapientiam tuam l)enefaciendique
animum norunt, quibus Regum virtutibus vix aliquid salutarius terris
dare eoelum potest. Vale et fovere perge
Rex Auguste
Majestati Tuae
subjectissimam et devinctissimam
Societatem Regiam Berolinensem
ir
164 (ieschichte der Societät von 1700-1711.
Die grosse Melirzalil der Abhandlungen (37) gehört der mathe-
matisch-mechanischen Klasse an; hier haben von Einheimischen,
ausser Leibniz (5), Kirch (8), J. H. Hoffmann (3), d'Angicour, Cu-
NEAU, ViGNOLES uud Naude jun. mitgearbeitet. Zwölf Abhandhingen
sind von auswärtigen Mitgliedern eingescliickt worden, nämlich von
Bernoulli in Groningen (i), Guilielmini (i) und Ja('. Hermann in Pa-
dua(i), Hartsöcker in Düsseldorf (3), Henfling in Ansbach (i), Rehier
in Kiel (i), Sturbi in Frankfurt a. 0. (i) und Wurtzelbau in Nürn-
berg (3); drei Arbeiten von Nicht -Mitgliedern wurden auch aufge-
nommen (Teuber, Hecker in Gent; Flamsted); zwei Arbeiten sind
anonym \ Zu den physikalisch -medicinischen Abhandlungen haben
die Einheimischen 9 Abhandlungen beigesteuert, nämlich Leibniz (4),
Spener (2), Frisch, Chauvin und Kirch (je i). Ferner haben sich
sechs auswärtige Mitglieder betheiligt, Behrens in Hildesheim,
Scheuchzer in Zürich, Seidel in Frankfurt, J. A. Schbiid in Maricn-
tlial, 0. Römer in Kopenhagen und Valentini in Giessen, dazu ein
Anonymus. Für die litterarische Klasse , die am schwächsten reprä-
sentirt ist, haben nur Einheimische gearbeitet, nämlich Leibniz (3),
La Croze (2)"", Schott (i) und Frisch (i). Die Mitarbeiter geben
sowohl durch ihre Zahl als durch ihre Arbeit ein Bild von der Zu-
sammensetzung und den Interessen der Societät. Dass das mathe-
matisch-physikalische Element in dem Bande überwiegt, entspricht
dem wirklichen Zustandet Die Sorge für die deutsche Sprache ist
wenigstens durch eine Abhandlung von Frisch (»Origo ([uorundam
vocabuloruni Germanicorum et cum aliis Unguis affinitas«), in der
freilich viel Verkehrtes steht, vertreten. Unerfüllt ist die christ-
lich-civilisatorische Aufgabe der Societät, man müsste denn die Ab-
handlung von La Croze, De libris »Sinensibus Bibl. Reg. Beroliiieiisis,
^ Zu den Maschinen, die besclirie])en werden, vergl. Secr. -Leihn. Nr. 98 vom
2i.December 1709, Nr.99 vom 11. Juni 1710, Nr. loi vom i.März 1710. Nr. 100 vom
I.Februar 17 10, Nr. loi vom i.März 1710 (dazu den Briefwechsel von Frisch aus
dieser Zeit, besonders Nr. 19 vom 3. Mai 17 10, Fischer S. 27: «Hr. Günther ist
endlich überzeugt, dass das perpetuum mobile nicht angehe, aber er will ein facil-
lime mobile machen, wozu noch mehr Apparenz ist, als zu jenem«). Die Societät
wurde bereits häufig aufgefordert, über technische Erfindungen Gutachten abzu-
geben; auch ein Verfahren, die Schiffe gegen den Wurmfrass zu schützen, wurde
ihr vorgelegt (s. Secr. -Leibn. Nr. 100 vom i.P'ebruar 17 10).
^ La Croze handelt in einer Abhandlung vom Regenwunder des Marcus unter
Herbeiziehung einer »Stelle Lucian's. Auch die zugehörige Darstellung auf der Marcus-
Säule ist auf einer Tafel beigegeben.
^ Dass medicinische Abhandlungen fehlen, lag an dem Übelwollen und der
Eifersucht, die die Mediciner gegen die Societät hegten.
Der erste Band der »^Miscellanea«. Das Statut (1710). 165
daliin recliiien. Die neue Differential -Rechnung ist sclion angewen-
det, und überall legt der Band von bereits gewonnenen Fortschritten
Zeugniss ab. Abhandlungen, wie sie an den Universitäten üblich
waren, über philosophisch-theologische Streitfragen und philologische
Quisquilien, fehlen ganz. Geniale Gedanken und epochemachende Ent-
deckungen sind freilich auch nicht zu finden: aber solche zu com-
mandiren vermochte selbst ein Leibniz nicht. Der Band ist ein Be-
Aveis dafür, dass die neue Wissenschaft der 2. Hälfte des 17. Jahr-
hunderts in Berlin eine Stätte gefunden hatte. Der besondere Geist
des 1 8. Jahrhunderts kündigt sich in ihm noch nicht an. Aber die
jüngste Vergangenheit stellte noch Aufgaben genügt
Die Societät hatte sich endlich würdig in die wissenschaftliche
Welt eingeführt; aber Leibniz selbst sollte keinen Dank ernten. Wir
kommen zu dem verhängnissvollsten Moment in der ältesten Ge-
schichte der Societät. Die Sache ist öfters, zuletzt von Klopp, so
dargestellt worden, dass auf die Mitglieder der Societät bez. des
Conciliums ein dunkler Schatten fällt. Ganz zu entschuldigen sind
sie nicht, aber längst nicht so schuldig, wie man bei ungenügen-
der Kenntniss der Vorgänge gemeint hat. Miss Verständnisse und
Zufälligkeiten haben eine bedeutende Rolle gespielt und die uner-
freuliche Sache noch schlimmer erscheinen lassen als sie war.
Bereits im Jahre 1704 (März), als man glaubte, das Observa-
torium werde demnächst fertig gebaut sein und die regelmässigen
Sitzungen könnten beginnen, hatte man in Berlin ein ausführliches
Statut für die vSocietät ausgearbeitet und es Leibniz überschickt, der
es gebilligt hat (s. oben S. 138). Dieser Statutenentwurf von 1704
ist so gut wie identisch mit dem Statut, das im Jahre 17 10 (3. Juni)
von dem Könige genehmigt worden ist. Diese Thatsache war bis-
her unbekannt; aber im Akademischen Archiv befindet sich noch
der Entwurf von 1704 mit der Bemerkung, dass er Leibnizcii com-
municirt worden sei. In diesem Entwurf heisst es i.:
»Wii- wollen aber von nun an und jeder Zeit Unser Societät aus dem
Mittel Unser Wirklichen Geheimen Rähte einen Praesidem honorarium be-
nennen, der in Unserem Nahmen derselben vorstehen, ihr Bestes beobachten, über
denen von Uns bestellten Gesetzen und Ordnunuen halten und die Ansieleüenheiten
^ Bemerkenswerth ist es, dass in dem Bande von den grossen unlösbaren
Problemen des Zeitalters (Perpetuum mobile, Quadratur des Zirkels, Goldmachen
u. s. Av.) nirgendwo die Rede ist, ebenso wenig von den analogen Projecten, eine
Universalsprache oder wenigstens eine Universalschrift zu erfinden. Letzteres ist
mn so auffallender, als sich die Societät 1708 — 171 1 sehr eingehend mit der Erfin-
dung einer Universalschrift beschäftigt hat, die Caspar Rödeckex (Rödickex) vor-
gelegt hatte (s. darüber den Urkundenband Nr. 96).
166 Geschichte der Societät von 17(M»-171].
der Societät. wenn solche an Uns gelangen zu lassen die Notlnvendigkeit erfordert,
vortragen, wie nicht weniger, wenn es ihm beliebt, deren Versanniilungen beiwohnen
und von dem. so darin vorgehet, Bericht einnehmen solle und möge. Damit al)er
hierdurch sowohl er an seinen anderweit obliegenden Verrichtungen nicht gehindert.
noch um dieser willen die Geschäfte der Societät hindangesetzt werden dürfen, soll
er dvu-ch einen Vice-Praesidem aus den Gliedern der Societät beständig vertreten
werden.«
Ferner lieisst es 2.:
»Und damit dieselben (die zu erw^ählenden 4 Directoren) bei solch ihrer Be-
mühung einiger lilrgetzlichkeit hiernächst sich zu erfreuen haben, soll auf begeben-
den Abgang des jetzigen Praesidis dasjenige, so demselben wegen seiner Abwesenheit
zu Erstattung derer von Zeit zu Zeit auf die jedesmalige Hin- und Wiederreisen
zu wendenden Kosten, überhaubt als ein gewisser Gehalt, verordnet worden, kraft
dieses ihnen sämmtlich und die nebst ihnen das Concilium constituiren zugeeignet
sein und unter sie gleich verteilet werden."
Diese beiden Bestimmungen hatte Leibniz einst ge-
nehmigt. Hatte er doch selbst gewünscht und wünschen müssen,
dass einer der Minister sich ex professo der Societät annehme, und
die Bestimmung, dass einst sein Gehalt unter die Mitglieder des
Conciliums vertheilt werden solle, konnte ihm gleichgültig sein. Ganz
gleichgültig war sie freilich doch niclit; denn die bisher unbesolde-
ten Mitglieder des Concils schauten nun nach den 600 Thlrn. aus.
Dazu kam, dass eine gewisse Unklarheit darüber bestand (s, oben),
ob sie Leibniz als festen Gehalt oder lediglich als Entsclicädigung für
Reisekosten oder für Reise- und Correspondenz- Kosten bezog. Wie
nun, wenn er nicht mehr nach Berlin kam?
Als das Observatorium im August i 709 übergeben wurde, reichte
das Concilium den Statutenentwurf auf's Neue ein. Der Minister liess
ihn einige Monate liegen, da die Inauguration sich verzögerte, gab
ihn der Societät zurück, um einige Correcturen vorzunehmen , und
erkundigte sich dabei — augenscheinlich erstaunt — , auf welchen
Rechtstitel hin Leibniz 600 Thlr. bezöge. Cuneau antwortete darauf
am 10. April 17 10 in einer sacligemässen, wenn auch Leibniz nicht
eben sehr freundlichen Weise und überzeugte den Minister, dass
man Leibniz die 600 Tlilr. lassen müsse; zwar seien sie bisher vom
Könige nicht bewilligt worden, aber die Bewilligung sei doch seiner
Zeit mit Vorwissen der Regierung geschehen \ Hierauf bestätigte der
König am 3. Juni 17 10 das Statut und ernannte zugleich — im Sta-
tut das bereits ankündigend — den Minister von Printzen zum Prae-
ses honorarius, mit der Bestimmung, dass er zur Zeit neben Leibniz,
der wirklicher Präses blieb, fungiren, nach dessen Abgang aber
^ Siehe den Abdi-uck im Urkundenband Nr. 54.
Das neue Statut uutl der neue Präses vox Printzen (1710). 16/
allein der Societät vorstehen solle. In einer besonderen Ordre vom-
27. Juni wurden Leibniz die 600 Thlr. jetzt durch den König zuge-
sichert — aber sie wurden ausdrückhch und gegen den Anspruch,
den Leibniz nach den Verhandlungen von 1700 hatte, lediglich als
Reisekosten -Entschädigung bezeichnet^ — ; ferner wurde die Bestim-
mung über die spätere Vertheilung der 600 Thlr. aus dem Statut"
entfernt, aber in diese Ordre aufgenommen (je 100 Thlr. die 4 Direc-
toreii, 100 der Fiscal der Societät, 100 sollten an die Kasse zurück-
fallen) ; endlich wurde in einer für Leibniz kränkenden Weise in der
Ordre bemerkt, dass diese Vertheilung einzutreten habe, wenn er
»durch den Tod oder auf andere Weise vom Amt abkommen
sollte'«. Am 7. August 17 10 erfolgte dann von Printzen's förmliche
Bestallung^.
Kein Zweifel — der Hof war Leibniz ungünstig gesinnt und
wünschte, möglichst bald nichts mehr mit ihm zu thun zu haben,
und das Concilium w^ar auch nicht davon erbaut, dass seine Reisen
nach Berlin immer seltener wurden : aber es hat doch Leibniz aller
Wahrscheinlichkeit nach in seiner Stellung als Präses dem Hofe
gegenüber geschützt. Allein der schwere Vorwurf ist ihm nicht zu
ersparen, dass es diese Verhandlungen geführt hat, ohne ein Wort
darüber an Leibniz gelangen zu lassen. In der Stille wurden die
Statuten vom Könige bestätigt, in der Stille LEiBNizens Gehalt als
Reisekosten -Entschädigung vom König confirmirt — in der Ab-
machung vom Jahre 1700 liiess es doch ganz deutlich: Reise- und
Correspondenz-Entschädigung — ; in der Stille w^urde von Printzen
zum Praeses honorarius ernannt. Weder Cuneau noch die beiden
Jablonski's haben ein Wort darüber an Leibniz geschrieben. Sie
müssen sich gefürchtet haben; aber verborgen konnte die Sache
^ Das Concilium hat übrigens auch in der Folgezeit daran festgehalten, dass
Leibniz die 600 Thlr. nicht nur als Reise-, sondern auch als Correspondenz-Kosten-
Entschädigiuig erhalte.
'^ Die übrigen Unterschiede des Statuts in der Recension vom Jahre 1704 und
17 10 sind unbedeutend. Der Advocatus Fisci ist nicht von der Societät zu erwäh-
len, sondern wird auf ihren Vorschlag ernannt; die Klassen - Directoren bedürfen
keiner königlichen Bestätigung.
^ Siehe Urkundenband Nr. 97. Das Concept ist vom Secretar geschiüeben, von
VON Ilgex corrigirt. Kränkend für Leibniz ist auch das Rubrum des Actenstücks:
»Verordnung, dass künftig bei der Societät der Wissenschaften des Praesidis hono-
rarii Besoldung demselben nicht mehr zu reichen, sondern zum Besten der Societät
anders anzuwenden « .
* Siehe Urkundenband Nr. 98. Der Ehrenpräsident soll sein Amt unentgelt-
lich führen.
168 Geschichte der Societät von 1700-1711.
iiiclit Mciben; die Publicirung musste erfolgen, sobald die feierliehe
Inauguration vor sich ging.
Das Statut^ stellt folgende Grundzüge fest: es setzt vier Klassen
ein (i. Physica incl. Medicin, Chemie u. s.w., 2. Mathematica incl.
Astronomie und Mechanik, 3. Ausarbeitung der deutschen Sprache
sammt der deutschen Kirchen- und politischen Geschichte, 4. Litte-
ratur, »insonderheit orientalis, und wie solche zur Fortpflantzung des
Evangelii unter den Ungläubigen nützlich anzuwenden sein möchte« ) ;
jedes Mitglied muss mindestens zu einer Klasse gehören; jede Klasse
wählt durch Stimmenmehrheit einen Director; die vier Directoren
und der vom Concilium vorzuschlagende, vom König zu ernennende
Advocatus Fisci"' bilden (mit dem Secretar) das Concilium; die Direc-
toren, deren Amt lebenslänglich ist, wechseln jährlich (am 11. Juli)
in dem Vice -Präsidium ab; der Vice -Präsident leitet die ganze So-
cietät; das Concilium hat alle Intima Societatis (dazu gehört die ge-
sammte Finanzverwaltung) zu besorgen ; vorzügliche Mitglieder, be-
sonders in Mathesi und Physica, sollen besoldet werden, sobald der
Fundus der Societät das gestattet; die Aufnahme neuer Mitglieder
soll durch das Concilium geschehen, nachdem es darüber mit der
betreffenden Klasse sich in"s Einvernehmen gesetzt hat; auch die
Herausgabe der wissenschaftlichen Acta Societatis ist Sache des Con-
cils, ebenso die Anschaffungen (Modelle, Instrumente, Naturalien,
Bücher), aber die Klasse soll zuvor gehört werden. Jede Klasse
soll alle vier Wochen zusammenkommen, so dass wöchentlich eine
Sitzung gehalten wird, doch werden auch Generalversammlungen
in's Auge gefasst (ihre Competenz wird nicht angegeben); in jeder
Sitzung soll mindestens ein Vortrag gehalten werden; der Secretar
ist verpflichtet, allen Sitzungen beizuwohnen; den Klassen -Mitglie-
dern wird fleissiger Besuch eingeschärft; jedes Mitglied ist berechtigt,
in jede Klassensitzung zu konmien, auch wenn es der betreffenden
Klasse nicht angehört; Fremde kann der Director einführen. — Das
Statut enthielt viel Gutes, aber es bestätigte die bestehende Oli-
garchie des Conciliums; alle übrigen Akademiker sind rechtlos, d.h.
sie haben nur in wissenschaftlichen Fragen mitzusprechen.
' Siehe Urkundenlmnd Nr. 99.
^ Als erster Fiscal wurde der Hof- und Kanunergerichtsrath V. Duhram er-
nannt am 21. December 1710 (Geh. Staatsarchiv; Entwurf im Akademischen Archiv;
s. Urkundenband Nr. 99, Anhang). Die Societät hatte ilni am 16. December vorgeschla-
gen; die Eingabe ist unterzeichnet: »Präses, Vicepräses und ConciHum«, obgleich
Leihniz gar nicht betragt worden ist (Akademisches Archiv, Fase. "Ernennungen").
LKiBMzens Zurückset/Aiiig (1710/11). 1()9
Im Deceinber Hess sicli die Sache nicht länger Leibniz ver-
bergen'. Man hatte inzwischen über sehr Verschiedenes mit ihm
correspondirt . über den TodKiRcu's, der am 25. Juli 17 10 gestorben
war', und über die drohende Besteuerung der besoldeten Beamten,
die keine Kopfsteuer zahlen — hier wünschte man seine Intervention^.
Der Brief des Secretars, durch den Leibniz von der Sache officiell
in Kenntniss gesetzt wurde, zeigt kein böses Gewissen*. Ebenso
wenig der nächste % in welchem ihm mitgetheilt wird, dass der
König die feierliche Eröffnung der Societät zum 19. Januar —
einen Tag nach dem Krönungstag — befohlen habe, und der ihn zu
dieser Feier einladet. Indess ist das blosse Schweigen hinreichend,
um ihr Verfahren einer an Unredlichkeit angrenzenden Schwäche
zu zeihen. Leibniz, der kurz vor jenem ersten Brief auch von an-
derer Seite über Printzen's Einsetzung gehört hatte, war tief ge-
kränkt und bestürzt. Des Statutenentwurfs von 1 704 erinnerte er
sich nicht mehr, und wenn auch — die Heimlichkeit, mit der die
Sache betrieben worden war, hätte ihn empören müssen. Gegen
die Wahl eines Praesidii honorarii an sich und besonders gegen die
Ernennung von Printzen's hatte er nichts einzuwenden, sondern
hielt sie für vortlieilhaft; er hatte bei seinem letzten Aufenthalt
in Berlin Hrn. von Printzen die Societät persönlich an's Herz ge-
legt. Er wandte sich mit einer Klage an die ihm wohlgesinnte
Kronprinzessin, irrthümlich glaubend — auf Grund einer falschen
Nachricht — , dass die Mitglieder der Societät in einer General-
versammlung von Printzen gewählt und ihn damit abgewählt, ferner
dass sie ganz neue Statuten aufgestellt hätten. Auch über den
Fortbezug des Gehalts war er unsicher. Man kann nicht leicht
etwas Würdigeres und Besonneneres, in so peinlicher Situation
geschrieben, lesen, als diesen Brief". An demselben Tage schrieb
^ Siehe Secr. -Leibn. Nr. 119 vom 9. Deceinber 17 10.
^ Siehe Secr.-LEiBx. Nr. 112 vom 26. Juli 1710. Im Akademischen Archi\' (111, i)
findet sich ein Brief" dei* Frau Kirch an Leibniz mit der Bitte, sie im Hause zu lassen
und, wenn man ihr nicht förmlich das Kalenderwesen überti'agen könne, ihr eine
Nebenstelle bei demselben zu geben (s.auch ihren Brief an die Societät im Akademischen
Archiv vom 2. August 17 10); dazu ein ähnlicher zweiter Brief vom 3. März 17 11 und
eine Eingabe an den König vom 25. November 171 1 um die Stelle eines Astrononius
adiunetus. Im Januar 1718 wiu-de ihr Sohn Christfried Astronom der Societät.
^ Siehe Secr.-LEiBN. Nr. 118 — 120 vom 29. Nov. und 9. und 27.Dec.1710.
"* Kurz vorher hatte Ancillon iiim geschrieben und die Neuordnung erwähnt.
Die Art, wie er es gethan, schliesst die Annahme aus, dass er sich schuldig fühlte.
■' Siehe a.a.O. Nr. 120 vom 27. December 1710.
■^ Siehe Urkundenband Nr. 100 (10. December 17 10). Dass seine lange Ab-
wesenheit von Berlin einer gewissen Entschuldigung bedüi'fe, empfindet er selbst;
170 (Tpsclik'hte der .Societät von 17(1(1-1711.
er an von Printzen. gratulirte iliiii luul iasste seinen Brief so. dass
der Minister ihm Anfklärung geben konntet Auch hier setzt er vor-
aus , dass dieser einfach an seine Stelle getreten sei. Printzen ant-
wortete in einem kurzen , aber sehr freundlichen Schreiben , das
Leibniz etwas beruhigte": »Faites-moi seulement la grace,. Monsieur,
de me donner de tenips en temps part de vos sages avis, comment et
par ou vous croyez que cette Societe se puisse rendre plus tlorissante
et acquerir plus de renommee dans le monde .... Le roi ne se
souvient ni ne parle jamais de votre personne qu'avec cette conside-
ration et distinction gracieuse qm est due a vos merites infinis, que
je revere aussi«. In dem zweiten Brief an die Kronprinzessin schreibt
Leibniz bereits gefasster^; er hat jetzt den wirklichen Thatbestand
zum Theil erfahren und weiss, dass er Präsident geblieben ist, aber
«man hat mir Unrecht gethan, en me cachant ce que je devais
savoir. Oii m'a envoye depuis un reglement oü le roi me conserve
mes droits, mais, coinme il serait peu honoraljle a moi, et peut-etre
peu avantageux a la Societe Royale des Sciences, si Ton faisait les
choses Sans en communiquer assez avec moi, il est juste qu"on
remedie a ce desordre«. Er bittet die Kronprinzessin, von Printzen
ein Wort zu sagen, »afin qu'on m'ecrive regulierement et qu'on
n'expedie point les choses qui souftrent delai, sans m'en faire part«.
Noch immer scheint er sich nicht zu erinnern, dass er den Ent-
wurf von 1 704 selbst gebilligt hat. Dann legte er in einer aus-
führlichen Auseinandersetzung an von Printzen"^ die Bedürfnisse der
Societät dar, unverdrossen selbst wieder die Arbeit aufnehmend,
aber auf's Bestimmteste verlangend, dass ihm über alle Vorkommnisse
vom Concilium rechtzeitig Mittheilung gemacht werde. Waren doch
auch, wie er rügend bemerkt, die Directoren der Klassen gewählt
worden, ohne dass er benachrichtigt worden war'\ Auf den Se-
aber mit Recht durfte er sagen: "()n ne m'a Jamais oblige a une presence precise,
et mon absence n"a point ete iniitile. J'ai travaille l'annee passee aussi bien (jue
Celle -ci k faire paraitre un ouvrage considerable de la part de la Societe".
^ Siehe Urkundenband Nr. loi.
'^ Siehe llrkundenband Nr. 102.
^ Siehe Urkundenband Nr. T03.
* Siehe Urkundenband Nr. 104.
■'' Bereits am 4.Deceniber 1710 waren sie gewählt worden (Krug von Nidda,
der llofprediger Jahlonski, Cuneau und Schott). In der Sitzung am 15. Deceni-
bei" wurde von den vier neuei'wählten Directoren beschlossen . dass die Zusammen-
künfte der Klassen des Donnerstags Nachmittags um 3 Uhr gehalten werden
sollten (diese Ordnung besteht noch heute; nur ist jetzt 4 Uhr die angesetzte Stunde).
In der Sitzung am S.Juni 1711 wurde dann bestimmt, am Donnerstag festzuhalten und
Leibmz gielit dein ^Minister Rjulischläiie für die Leitunü,- der Societät. 1 / 1
ci'Ptnr und auf Frisch — «c'est un homme actif, d'esprit et de sa-
voir, et qui a envie de bien faire« — macht er den Minister l)e-
sonders aufmerksam, beklagt sich aber über die Mediciner:
"11 faut que J'ajoute eiicore ijue INIss. les Medecins nous ont tait banqueroute,
lors(|u"il s'agissait de fournir (juelque chose a nos Miscellanea. J'avais fort
coinpte sur ]M. Hof3ian, et lürs([u'il fut ä Hall, il parut zele. inais depuis qii"il
est ;i la Cour, il nous a oiiblie.«
Beigelegt ist ein in deutscher Sprache verfasstes Pro Memoria,
das der Minister wohl dem Könige vorlegen sollte \ Es enthält die
Directiven für die Arbeit der nun in Activität gesetzten Societät;
Leibniz wollte augenscheinlich zeigen, dass er die Zügel in der Hand
halte, bereit sei, weiter für die Societät zu arbeiten und den neu er-
nannten Ehrenpräsidenten zu instruiren habe. Er beklagt sich über
die Lauheit der meisten Mitglieder, die ihrer Pflichten nicht ein-
gedenk seien. Wenn es damit nicht besser und die Societät nicht
reichlicher ausgestattet werde, so werde sie keinen wissenschaftlichen
Credit geniessen.
"Der Urspriuii;- der bi.slierigen Kaltsinnigkeit« — fährt er fort — "Scheinet
grossentlieils daiier kommen zu sein, dass man sich, obschohn ohne Grund, einge-
bildet, I. 31. nehmen sich der Societät wenig an und achteten nicht, ob solche etwas
rechtschaffenes zu Wege bringe oder nicht.»
Der Minister müsse auf strenge Einhaltung der Statuten und
auf Erhöhung der Einnahmen der Societät bedacht sein ; ausserdem
seien verdiente Mitglieder durch Prämien aufzumuntern und auch
an Rangerhöhung sei zu denken; die einst vorgeschlagenen Ent-
würfe zu Privilegien seien auf's Neue zu erwägen und in Vorschlag
zu l)ringen. »Es wäre aber auch vielleicht Verordnung zu machen,
dass die Glieder, welche innerhalb drei Jahren nichts zu dem Scopo
dienliches beitragen, nach Gutbefinden aus dem Catalogo membro-
rum gelassen werden könnten.« Am meisten liegt ihm an den von
der Societät einzuleitenden und zu überwachenden medicinisch- sta-
tistischen Beobachtungen der vom Staat bezahlten Ärzte. Es war
der Punkt, wegen dessen die Mediciner der Societät grollten; denn
sie betrachteten das als eine unbefugte Einmischung.
So hat Leibniz kurz vor der feierlichen Eröffnung der Societät
seine volle Präsidentenpflicht wahrgenommen.
Am 30. December entschloss sich endlich der Hofprediger, ihm
zu schreiben und das Vorgefallene zu erklären"":
die Sitzungen um 5 Uhr zu schliessen. Vom 29. Januar an sollten die regelmässigen
Klassensitzungen beginnen ; s. Secr.-LEiBX. Nr. 122 vom 10. Juni 1 7 1 1 und die Protokolle.
^ Siehe Urkundenband Nr. 105.
- Hannov. Bibl.. Kvacsala S. I2^f.
172 Gescliiclite der Societät von 170U — 1711.
.... der ("i'oii-Priiit/.cssin Königl. Hoheit lint mir vorgestern zu ver-
stehen gegehen, dass Mein HocIigeEhrter Herr üeheimter Raht an Selbte
einiges Misvergnügen über dem so zeither bey der Societät der Wissen-
sehalTtcn vorgangen bezeuget hätte, auch l)egeliret dass icli hiei'über an
Eure Wolügel). einige Erklärung thun möchte; absonderlich, da Selbter
empfindlich falle, dass der Herr Geheimte Estats-Raht von Printzen zum
Praeside Honorario, ohne Dero Vorwissen und Participation erwehlet
worden. Da aber Ew Wohlgeborn erinnerlich sein wii'd, dass das Pro-
ject der Königl Verordnung, welche der Societät zu einem beständigen
• Reglement dienen soll, und darinn wegen Bestellung eines solchen Prae-
sidis (oder vielmehr Protectoris, nur dass diesen titul, Se Königl. Majt
sich Selbsten in der Eundation vorbehalten) veivsehung geschehen, Dero
bereits vor etwa 7 Jahren zur censur communiciret. inzwischen aber von
Dero hinwieder nichts moniret woi'den , so dienet nun zur gehorsamsten
Nachricht, was die Person vor-wolgedachten IVIinistri betrift't, dass nicht
die Societät, sondern Seine Königl. Majt Selbsten aus eigener Bewegung
denselben gewehlet, da das Reglement, durch den Hm Geheimten Raht
VON Ii.GEN, mit einer Lücken, davor des Pi-aesidis Honorarii Namen
stehen sollte, allei'untgst vorgetragen worden. Dass aber nach einem zehn-
jährigen Languore man endlich zur Sache thun, und damit durchdringen
müssen, hat ausser tausenderley Unlust und Spott, welchen die Societät
wegen ilu-er Inaction erdulden müssen, sonderlich des Hren Hoft'Raht
Ghuno jüngstere höchstgefährliche Krankheit verursachet, als dessen Leben
eine geraume Zeit nur an einem seidenen Faden gehangen. Wann nun,
da ohn dem die meisten die von anfang bey der Societät gewesen, dar-
über verstorben, auch dieser Fall noch sich zugetragen hätte, würde dieses
löbliche, aber noch unvollkommene Etablissement gefahr gelauffen hal)en,
zu trümmern zu gehen; zu aller die darinn band gehabt Beschimpfung,
und zu EwWohlgeb. eigenem Schaden.
Dass aber alles so hierunter vorgangen, gar niclit gemeinet gewesen,
EwWohlgeb. auch mu- im allergeringsten zu nahe zu treten, erhellet auch
schon aus dem g(>drukten Reglement; deme hiebey füge Copiam der Special-
Verordnung an des Hm v. Printzen Excel., aus welchen beiden stücken
Eure Wohlgeb. deutlich ei'sehen werden, dass vor .Selbte, so wohl die ge-
bührende Ehre, als das wenige Utile, sorgfältig salviret worden. EWohlgeb.
glauben dass gleich wie niemand unter Uns ist, der Deroselben Merita ^\ie
sonst um die Gelehrte Welt, also in specie um unsere Societät, nicht er-
kennen sollte; allso auch wir alle, und ich insbesondere begierigst bey-
tragen werden, was zu Dero Vergnügen gereichen mag.
Ob (lieser Brief ausreicht, darf man wohl fragen. Wie hoch-
gesinnt und grossmütliig Leibniz war, zeigt seine Antwort vom 9. Ja-
nuar 171 i'. Offen heklagt er sich, aber in der würdigsten, ja
freundlichsten Weise , ohne Bitterkeit und ohne Groll. Er sammelte
wirklich feurige Kohlen auf das Haupt der in ihrer W^eise recht-
schaffenen, aber kleinUclien und furchtsamen Leute, die sicli an der
Grösse versündigt hatten, weil sie sie nicht liel)ten. Er erinnert
sich — aber nur ganz dunkel und unsicher — vor 7 Jahren den
^ Siehe LTrkundenband Nr. 106.
Leibniz und der liofprediuei- .Iablonski (1711). 178
Statutenentwui'f gesehen zu haben; aber »wenigstens hätte einige
Nacliricht von der Reassumtion nicht schaden, und icli vielleicht
ein und anders Dienliches erinnern können«. Er schärft ein, dass
es nun vor allem darauf ankomme, jährlich einen Band Miscellanea
zu veröffentlichen, ^)die zum wenigsten nicht schlechter seien, als
die ich endlich mit vieler Mühe und Arbeit extorquiret«.
»Wenn Hr. HofR. Hofjiann als Leilj-INIedicus deniialeins der Sach in seiner
Sphaere favorabel sein und nebenst beitragen, des Seinigen auch andere INledicos
dazu aniniiren wollte, würde auch dai-in was Gutes zu erwarten sein. Anfangs hat
er grosse Hoffnungen gemacht. Er hat aber bislier sich wenig an uns gekehret;
wird er künftig der Sach sich mehr annehmen, dürfte es kein geringes sein.«
Endlich beklagt er sich, dass er zu wenig erfahre; er sei zu
hingebender Mitarl)eit bereit, wenn man ihn nur in allen Stücken
auf dem Laufenden erhalte. »Im übrigen versichre m. H. Hofpre-
diger, dass der Modus, so gebraucht worden und dessen Ursache
ich nicht genugsam begreife, mich nicht verhindern wird, sowohl
bei meinem Eifer zur Aufnahme der Societät zu verharren, als auch
denen H. Sociis, die sich der Sache angenommen, meine beständige
Ergebenheit zu bezeigen, wenn mir künftig mit mehr Öffnung und
nach Fug und Billigkeit begegnet wird. Es ist sonst meine Schuld
nicht, dass allerhand Gutes in Brunnen gefallen, w^ofür mir nichts
als die Arbeit und Erinnerung übrig blieben, und stelle dahin, was
die Nachwelt davon urtheilen und erfahren dürfte.«
Dieser Brief kreuzte sich mit einem gewiss mit dem Bruder ver-
abredeten Schreiben des Secretars vom lo. Januar 171 1\ in welchem
dieser endlich sein Schweigen 1 )rach : das Statut sei seit 7 Jahren eine
beschlossene Sache gewesen, daher habe er es nicht mehr besonders
erwähnt: ihm werde »hierunter einiger üntleiss und Nachlässigkeit
hoff*entlicli nicht l)eigelegt werden, wie denn hierum gehorsamst bitte«;
die ganze Sache sei so allmählich gekommen, »dass man wenig Anlass
gehabt, derselben oft zu erwähnen«. Das war nicht überzeugend.
Am 19. Januar (am Tage nach dem Krönungstage) fand die
feierliche Eröfi^nung der Societät statt in dem Sitzungszimmer des
Observatoriums'-. Leibniz, der eingeladen war^ hatte sein Aus-
bleiben durch eine Unpässlichkeit entschuldigt \ Hr. von Printzen
^ Secr.-LEiBN. Nr. 122.
- Der später umgebaute Raum dient jetzt als ]Magazin der Societät. Die Fest-
stellung des Ceremoniells ist vom Secretar aufgezeichnet (Akad. Archiv, Fase. »Fun-
dation.., s. Urkundenband Nr. 107), vergl. Formet, Histoire p.3ift'.
^ Siehe Secr.-LEiBN. Nr. 120 vom 27. December 1710.
* Siehe den Brief von Printzen's an Leibniz vom 27. Januar 171 1 (in Hanno-
ver). Als Leibniz am 26. 3Iärzi7ii das Plenum der Societät um sich versammelte,
174 Gescliichte der Societät von 17U(t-1711.
hielt eine ziemlich lange, aber schwülstige und nichtssagende la-
teinische Rede, die den Verständigen LEiBNizens Abwesenheit doppelt
fühlbar machen musste^ Der Hofprediger Jablonski beantwortete
sie mit einer noch längeren, al)er nicht unbedeutenden Ansprache,
die den Redner als aufmerksamen Schüler LEiBNizens charakterisirt",
aber — in beiden Reden wird dieser mit keinem Wort genannt,
ein Beweis, dass der König nichts von ihm wissen wollte und dass
man nach des Königs Willen that. Benjamin Neukirch hatte ein
deutsches Gedicht zur Einweihung verfasst, welches dem Monarchen
so gefiel, dass er ihn in die Societät aufzunehmen befahl^. Einen
Bericht über die Feier besitzen wir in einer kleinen Druckschrift, die
die Societät im Herl)st i 7 i i erscheinen Hess und die zugleich einen
kurzen Aliriss ihrer l)isherigen Geschichte enthält^.
So war denn die Societät fast i i Jahre nach ihrer Gründung —
tantae inolis erat! — feierlich eröffnet worden. Sie war im Besitz
entsciuildigte er sein Fernl)leiben von der Inauguration ausdrücklicli dui'cli seine
Geschäfte, das schlechte Wetter und seinen GesundheitszAistand.
' FoRMEY hat die Rede lateinisch und französisch abgedruckt (p. 257 fll"., 31 ff.).
Der Redner betonte besonders die christlich -civilisatorische ^Nlissionsaufgabe der
Societät. feierte den König als den Protector und Avies darauf hin. dass sich
durch den Krieg die Eröffnung der Societät verzögert habe.
^ FoRMEY p.36ff. (franz.), p. 262 ff", (lat.). Der Redner versucht es. einen
Überblick über die Gescliichte der Civilisation von den ältesten Zeiten an (Biblische
Ur-geschichte) bis zu den wissenscliaftlichen und technischen Erfindungen des 17. Jahr-
hunderts und der Gründung dei' Akademieen 7,u geben. Besonders bemerkenswerth
ist die \'erachtung der Scholastik; nach dieser Rede scheint es. als habe sie die
Entwicklung der karolingischen Renaissance gehemmt! »Eruditio cui isthoc getuis
se dederat, areanarum telae erat persiniilis, subtilis quidem, sed nullius vel virtutis
vel usus .... Pro lunone nubes et rerum loco verba orbi obtrudebantur." Als An-
bruch einer neuen Zeit gilt die Renaissance einerseits, das Auftreten Baco's anderer-
seits; bald darauf habe das Zeitalter der Societäten l^egonnen; »eorum enini cjuae
ad naturani recte indagandam pertinent, nonnuUa jjossidere datuni est oninibus,
onuiibus gaudere nemini. Alius ingenio et speculationis acumine poUet, iudicii nia-
turitate alius, alium multijuga lectio, alium frequens litterarum commercium, alios
alia commendant. Istis in Societatem coalescentibus alter alterius defectum supplet . . .
Inuno vero optanduni foret, non personas solum, sed ipsas nationes in Societatem
coire, ut (si quidem id fieri possit) in unum iungantur Gallorum vivacitas in quae-
rendo , subtilitas Anglorum in perscrutando , Ilispanorum Ita,lorum(jue contentio in
progrediendo , Germanorum Studium et sedulitas in perficiendo.«
^ Das Gedicht im Urkundenband Nr. 108. Die Aufnahme nach Secr.-LEiBX.
ISi". 124 vom 7. Februar 171 1. Fokmey (p.47) lässt Neukirch jenes lateinische Ge-
dicht verfasst haben, welches (Urkundenl)and Nr. 51) von Leibniz stammt und in's
Jahr 1700 gehört. Es ist das eine der vielen Flüchtigkeiten dieses Historikei's der
Akademie.
* Siehe den Abdruck im Urkundenband Nr. 109. Hier sind Leibnizcus Ver-
lienste 2;ebührend hervorgehoben.
Die feierliche Einriclituiii;- der Societät ;iiii 1 It. .hiniinr \i\\. 1/5
eines g-eräumigen Observatoriums mit einem Versammlungszimmer
und kleineren Räumen, hesass dem Observatorium gegenüber ein
ziemlich grosses Grundstück mit einem Hause für den Astronomen
und hatte sich durch den ersten Band ihrer Miscellanea in die ge-
lehrte Welt eingeführt. Zwei Privilegien waren ihr gewährt, das
der Kalender und das des Seidenbaus, aber nur das erste brachte
zur Zeit etwas ein. In dem Adresskalender für 17 12 (171 i verfasst)
ist der Bestand der Societät also verzeichnet (anwesende Mitglieder):
Societät der Wissenschaften
ist auf dem Observatorio am neuen Marstall
auf der Dorotheenstadt.
Pi'aesident mid Director': 8. Exe. der wirkHch geheime Estats-]Minister Hi'. vox
Prixtzex.
Praeses Ordinarius: Hr. Gottfr. Wilh. vox LrciHXiz. Iv. Preiiss. wie auch Churf.
Braunsch.-Lüneb. geheimer Rath , abwesend.
Vice-Praeses p. t. : Hr. D. E. Jabloxski.
Anwesende Mitglieder :
In classe INIedico-Phvsica: Krug vox Nidda . Director: Chauvix. Gohl. HofRath
HoFFMAXX, jAGwrrz. Raue, Spexer, StERCIvY.
In classe Mathematica etc.: Chuxo. Director; Axgicour. Behr. .1. H. Hoffmaxx.
jAGwrrz. Naude (Vater u. Sohn), vox Stapff, Vigxoles.
In classe Hist. -Philol. Germanica: Schott, Director: Ancillox. Vigxoles. Frisch.
J. Th. Jabloxski, Marperger, Neukirch. Schlüter (Syndicus. nicht der
Baumeister), Spexer, von Stapff, Volckmaxn.
In classe Hist. -Philol. Ecclesiast. et Orient.: D. E. Jabloxski, Director; Achexbach,
AxciLLOx', Frisch. Raue. Schott. Stercky. LaCroze. Volckmaxx. —
Dazu: Papen, Factor.
Durch Frisch's Brief an Leibniz vom i 2. Januar i 7 1 1" ist uns
die Sitzung vom 4. December 1 7 10, in der die Directoren erwählt
worden waren, näher bekannt. Ein Gegensatz zwischen Deutschen
und Franzosen zeigte sich bereits. »Die Franzosen fielen im dritten
Departement, nämlich in der Cultur der teutschen Sprach und teut-
schen Historie, auf den G. Rath Schott und ül)erstimmten die an-
dern mit ihren Votis, weil er ihnen wegen der französischen Sprach
besser an die Hand gehen könne. In summa: weil die Societät noch
in infantia ist oder dieselbe kaum verlassen, so passirten auch bei
einigen Umständen solche Dinge, die dieses Alter zu haben pflegt"^.«
' So heisst er hier; von 1713 an heisst er in den Kalendern: »Protector«,
weil Friedrich Wilhelm I. das Protectorat nicht übernahm.
"^ Siehe Fischer S.32f., theilweise gedruckt im Urkundenband Nr. iio. Dass
der erste Vicepräsident, D. E. Jabloxski, von den Directoren allein gewählt worden
ist, erfährt man hier. Sehr interessant ist die Bemerkung über den Kronprinzen.
Er will der Societät gern etwas zuwenden, -wenn er würde sehen, dass etwas
darinnen gethan würde".
^ DU Bois-Revmoxd (Reden H S. 507 f.) berichtet, die Societät sei nach 17 10
durch ein Coinitc oruanisirt worden, welches aus dem Hofprediger und aus zwei
176 Gcscliiclite der Societät xon 1711 — 1716.
Drittes Capitel.
Gescliiclite der Societät von ihrer Einrichtung im Januar
1711 bis zum Tode Leibnizcus (i 4. November i 7 16). Der
Anfang der Regierung Friedrich Wiliielm's I.
1.
Die Societät war endlich eingerichtet. Leibniz beschloss, das
jüngst Geschehene zu vergessen und mit dem Minister von Printzen
zusammenzuwirken. In diesem, der ihm persönlich freundlich ge-
sinnt war\ hatte die Societät den l)esten Ehrenpräsidenten erhalten,
den sie sich unter den damaligen Verhältnissen wünschen konnte".
Hr. VON Printzen gehörte mit von Ilgen und Kameke zu den Gegnern
des Grafen von Wartenberg, dessen Sturz (Ende i 7 10) mit der defini-
tiven Einrichtung der Societät zusammenfällt. Die unheilvolle Wirth-
schaft dieses Günstlings hatte ihr Ende erreicht. Man durfte hoffen,
dass das zerrüttete Staatswesen allmählich wieder in Ordnung ge-
bracht werden würde. Leider gab es nur sehr viel Wichtigeres zu
thun , als eine Akademie auszustatten und zu leiten.
Diese schien sich einen Moment aufzurafl'en. Seit dem 29. Januar
begannen die regelmässigen Klassensitzungen. Die physikalisch -me-
dicinische Section machte den Anfang. »Seit der Neuordnung be-
zeugen die Mitglieder viel mehr Eifer.« schreibt der Hofprediger an
Leibniz^, »besonders der Hofrath Hoffmann; er sagt, die Societät
sei nicht zum Bücherschreiben da, sondern zum Untersuchen , und er
hat in dem ersten Convent proponirt, dass in dem Observatorium
ein Theatrum anatomicum möchte aptirt werden und die nöthigen
Mitgliedern der französischen Colonie, deren Ober- Richtern Ch. Ancillon und La
Croze, bestanden hätte. Das ist ein Irrthuni. La Croze hat niemals zu einem
leitenden Coinite gehurt, hat überhaupt niemals die Societät dii-igirt, und An-
ciLLox hatte lediglich durch seine Stellung als Legationsrath und als Correspon-
dent LEiBNizens Eintluss. Die Leitung lag in den Händen des Präsidenten, der
Directoren und des Secretars.
' .Siehe den Brief vom 27. Januar 17 1 1, in welchem es von Printzen leb-
haft bedauert, dass Leibniz bei der Eröft'nungsfeier nicht zugegen gewesen war
(Hannov. BibL).
^ Siehe über ihn Naudk in der AUg. Deutsclien Biograpliie Bd. 26 S. 596 ff.
Die Grabschrift (gest. 8. November 1725, geb. 1675): «religionis stator, pietatis exeiii-
plar, bonarum litterarum et solidae eruditionis non patronus magis (juam ipse cul-
tor« — charakterisirt den ]Mann wirklich.
^ Am 5. Februar 1711 (Hannov. BibL).
Die ersten Arbeiten der Societät. 1/7
Instrumente angeschafft; er wolle mit Hülfe einiger Cadaver dann
Anatomie vortragen\« Auch an ein chemisches Laboratorium wurde
gedacht.
Die mathematische Klasse beschloss ebenfalls, einige Instru-
mente, vor allem eine Luftpumpe, zu erwerben" und die magneti-
schen Beobachtungen vorzubereiten. Die Hauptaufgabe aber fiel der
deutschen Klasse zu: denn der König hatte bei der Einweihung aus-
drücklich befohlen, die Societät solle ein vollständiges deutsches
Wörterbuch herausgeben und sofort in die Arbeit eintreten. Man
nahm sie in der ersten Sitzung auf: aber die Befürchtinig, die der
Secretar äusserte, dass wenige Glieder vorhanden, die etwas bei-
tragen können, war leider gerechtfertigt^.
^ Vergl. Secr.-LEiBN. Xr. 123 vom 3i.,Tanuar: "Vorgestern ist die erste Zu-
sannnenkunft des medicinischen Abteils gehalten und dabei sonderlich angetragen
worden, dass man auf benötigte Werkzeuge, die erforderte Experimenta vorzu-
nehmen, und deren Anschaffung, ingleichen die auswärtigen, sonderlich in den
K.Landen lebende ]Medicos einige Observationes anzustellen, zu ernuuitern bedacht
sein möge. Dieser des Hrn. Rath Hoffmann's Vortrag ist durchgehends beifällig
aufgenommen und zu fernerer Fortsetzung desselben ein und andere Anstalten be-
liebet, daneben auch erinnert worden, ob nicht die INIitglieder unter sich die ver-
schiedene Objecta dieser Classis theilen und ein Jeder in seiner Ordnung bei denen
kiinftigen Zusammenkünften etwas in Bereitschaft mitbringen wolle, davon alsdann
gehandelt werden möge, worüber man sich hiernächst zu vergleichen beschlossen«.
Nach einem Protokoll -Auszug ist es Krug von Nidda gewesen, der den Vorschlag,
ein theatrum anatomicum einzurichten, gemacht hat.
- Siehe a.a.O. Nr. 124 vom 7. Februar.
^ A. a. 0. (und in dem verlorenen Brief vom 14. Februar): »Künftigen Donners-
tag wird die teutsche Zunft zusammenkonnnen, und da insonderheit auf K. Befehl
über die Verfertigung eines "vollständigen«, wie der König sich ausgedriicket,
W()rterbuchs zu rathschlagen sein, wozu aber hie gar wenige Glieder, die etwas
l)eitragen könnten, vorhanden, und auch auswärtig, wie Herr Neukirch davoi' iiält,
nicht viele dürften gefunden werden«. Das ausführliche Protokoll der ersten Sitzung
der deutschen Klasse wii-d auf dem Akademischen Archiv (" Wissensch. Verhandl.
u. Aufsätze 1699 — 1737«) aufbewahrt, geschrieben vom Hofprediger. INIan beschloss
(um dem König doch bald etwas vorlegen zu können), nel)en der Voi-bereitung des
Wörterbuchs ■ — es sollte ein kritisches Werk werden in Bezug auf Rechtschreibung
und Fremdwörter — Übersetzungen von Klassikern zu liefern. Vorgeschlagen wurde
Tacitus* Germania, Frontinus' Strategemata. Valerius Maximus u. s.w. An den Rand
des Protokolls hat vox Prixtzkn die Worte gesetzt: "S. K. M. haben allergnädigst
resolviret, dass von denen vorgeschlagenen Autoribus der Tacitus de moribus Ger-
manorum in's Deutsche übersetzt werden solle. 20. Febr. 17 1 1 «. So nahm man
diese Arbeit auf. Die Protokolle lehren, dass man sich mit ihr bis 1721 hinge-
schleppt hat; aber es wurde nichts. Zuerst überzeugte man sich von der Unzuläng-
lichkeit der Übersetzung, wie sie der Secretar als Vorlage ausgearbeitet; dann fehlte
es an den nöthigen Anmei-kiingen u. s.w\ Frisch, der Unermüdliche, rettete zuletzt
die Klasse durch sein Wörterbuch (s. oben). — Fast noch »schläfriger« war die
orientalisch - theologische Klasse. Sie beschloss am i2.]Mai 171 2, eine neue Über-
"Gescliichte der Akademie. I. 12
1/8 Gfscliichte der SocietUt von 1711 — ITHi.
Leibniz wurde über diese Unternehmungen und die Berath-
schlagungen über Verstärkung des Fundus Bericht abgestattet, und
er entschloss sich . weil die Societcät seine Gegenwart für nötliig
hielt, Ende Februar selbst nach Berlin zu reisen — er befand sich
eben in Braunschweig — und die Societät in ihrem Eifer zu be-
stärken. Dieser rasch gefasste Entschluss, dessen Genehmigung an
höchster Stelle er nicht abwartete, war eine verhängnissvolle Über-
eilung. Preussen und Hannover waren eben wieder in Spannung
(Hildesheimer Angelegenheit). Als er in Berlin eintraf, wurde er
nicht nur kühl empfangen, sondern sogar unzweideutig als Spion
bezeichnet und ihm bedeutet, er möge sofort nach Hause zurück-
kehren. Gleichzeitig empfing er aus Hannover die Nachricht, dass
der Kurfürst über ilm ungehalten sei. weil er sich ohne Urlaub
entfernt habe, seine Pflichten als braunschweigischer Geschichts-
schreiber vernachlässige und augenscheinlich lieber in Berlin weile
als in Hannover. Selbst seine Gönnerin, die Kurfürstin .Sophie,
antwortete ihm ironisch, als er sich entschuldigte, er könne nicht
sofort nach Hannover zurückkehren , weil er auf der Reise bei einem
unglücklichen Fall sich das Bein verletzt habe, und der preussische
König schickte ihm sogar seinen Leil^arzt in's Haus mit dem Auf-
trage, sich davon zu überzeugen, ol> das Leiden nicht nur ein
Vorwand sei. Man glaubte also nicht einmal seinem Worte — er
war in der peinlichsten Lage\
Allein es gelang ihm doch wieder, das Vertrauen des Königs
einigermaassen , freilich nur momentan, herzustellen"'. Nachdem ihm
dieser eine Audienz bewilligt hatte, unterbreitete ihm Leibniz zur
Setzung der Bibel, bez. eine gründliche Revision der LuxHER'schen ÜV)ersptzung. zu
veranstalten und mit dem Neuen Testament zu beginnen. In ihren monatlichen
Klassensitzungen hat sie sich, wie die Protokolle ausweisen, bis 1743 fast aus-
schliesslich mit dieser Aufgabe beschäftigt. Aber ti'otz des Antheils, den der König
an der Sache nahm, und seiner Mahnung, sie zu beschleunigen, war erst 17 19 die
Revision des Matthäus, 1723 die des Marcus. 1728 die des Lucas, 1736 die des
Johannes vollendet, und am 12. Septenibei' 1743 war man glücklich bis Apostel-
gesch. 26, 17 gekommen I Die Akademie Friedrich's des Grossen Hess die Aufgabe,
für die wiederum Frisch das Meiste gethan hatte, fallen. Vergeblich habe ich mich
bemüht, die Ausarbeitiuigen der Klasse aufzufinden.
^ Siehe Urkundenband Nr. 113. Die Kurfürstin schreibt: "11 semble ejue
S. M. est mal satisfaite et croit ä ce qu'on dit que vous etes ;i Berlin pour espion-
ner«. Leibniz erwidei't: »11 est vi-ai qu'il y a eu des gens qui ont insiiiue au roi
que je venais ici pour les affaires courantes".
^ Siehe den Brief der Kurfürstin Sophie vom 4. April 17 11 (Klopp, 9. Bd.
S.332): "Comme je prends un interet fort sincere en tout ce qui vous regarde,
je suis ravie que vous soyez content de votre vovagc".
LEiBNizens letzter Aiifeiitiialt in Berlin. 179
Vorbereitung derselben ein Schriftstück, welches alle die studiren
sollten, die den grossen Mann noch immer beargwöhnen'. Mit
edlem Freimuth und in Worten, die den Stempel der Wahrheit
tragen, legt er dem Könige den Ungrund aller Verdächtigungen dar
und zeigt, dass seine Reise in Folge eines plötzlichen Entschlusses
von ihm unternommen worden sei, von dem er Niemanden — auch
die Kurfürstin nicht — in Hannover in Kenntniss gesetzt habe'. Den
Vorwurf, Spionage zu treiben, weiss er sich nur daraus zu erklären,
dass er stets das höchste Gewicht auf das Einvernehmen der Häuser
Brandenburg und Braunschweig in Sachen des Protestantismus und
der Religionseinigung gelegt und in dieser Angelegenheit mit Eifer
sich bemüht habe. Er verweist dann auf seine Arbeiten für Preussen
— er gelte in Hannover für »allzu Berlinisch« — und vor allem auf
sein Werk, die Societät; w^as in ihr geschehen sei, sei durch ihn zu
Stande gebracht worden, zuletzt noch der i.Band der Miscellanea.
"Hieravis ersehen UM., ob ich in der Societät Sachen massig gangen, und
ob man nicht gestehen muss, dass ausser der obsem'ationum Astronomicarum fast
Alles durch mich geschehen müssen. Nun lasse E. M. ich allergnädigst erwägen,
ob bei meinem Alter, da die wenige Zeit, so ich noch zu leben habe, mir pretieux,
ich nicht viel zu E. 31. Dienst und Glorie gethan, und ob ichs nicht fast gratis
thue, da ja 600 Thlr. zu meinem jährlichen Dedommagement in keine Consideration
gegen meine Zeit kommen kann; stelle auch zu erwägen, ob ich einigen
von E. 31. ]Ministris darin zu weichen Ursach habe, indem dasjenige,
was durch meine Direction geschieht, ad gloriam immortalem ver-
mittelst des incrementi scientiarum gehet, welches bei der Poste-
rität allezeit pretios seyn wird, Avenn alle politischen Interessen
dermahleins geändert sein dürften, und wird michs umb so mehr
schmerzen, wenn meine treue Devotion und wahrer Eifer üliel auf-
genommen werden sollte.«
Mit diesen denkwürdigen Worten schliesst er seine persönliche
Rechtfertigung. Dann wendet er sich zu den Angelegenheiten der
Societät^ — es ist das letzte Mal, dass er über sie zum Könige
gesprochen und sie ihm an das Herz gelegt hat. Er verweist auf
die umfassenden Aufgaben, die der König selbst der Societät gestellt
habe ; er führt dann aus — wie oft hatte er es schon gethan I — ,
^ Siehe Urkundenband Xr. 114.
^ Dem 3Iinister vox Bernstorff hatte er aber doch Anzeige gemacht.
^ Die Protokolle zeigen, dass er am 18. und 26. März und am 4. Mai 1711
die Sitzungen der Societät geleitet hat. In der ersten Sitzung hat er (neben Ande-
ren) GiNDLiNG zum Mitglied vorgeschlagen; allein das Conciliiun wollte damals auf
diesen Vorschlag nicht eingehen. Leibniz selbst ist es also gewesen, der sich zu-
erst fiir GuNDEixG erwärmt hat! In der letzten Sitzung erregte sein Vorschlag,
dem mit Geschäften überlasteten Krug vox Nidda als Mitdirector der physikalischen
Klasse den Mediciner Hoffmanx beizugeben, j^einliche Discussionen.
12*
180 Geschichte der Societät von 1711— 171 (>.
dass diese Aufgaben nur erfüllt werden können , wenn der Fundus
der Societät durch strenge Beobachtung der ertheilten Concessionen
und durch Gewährung neuer ausreichend wird. Er zeigt, wie das
Seidenprivileg durch bessere Anordnungen nutzbarer gemacht wer-
den könne und wie das Feuerspritzen -Privileg noch immer auf seine
Durchführung harre. Endlich schlägt er als ein neues Privileg vor,
der Societät das Curatorium über alle Stipendien zu ertheilen und
diese für die wissenschaftlichen Arbeiten durch Gewinnung wackerer
junger Leute nutzbar zu machen. »Inzwischen lasse ich mir son-
derlich die Continuation der Miscellaneorum Berolinensium angelegen
sein« — er kündigt übrigens bereits an, dass sie nicht jährlich,
wie der ursprüngliche Plan war, sondern alle zwei Jahre erscheinen
sollen — »und verlange, dass in die nächste unter andern die
Beschreibung einer Sach, die E. M. Hause glorios, gebracht werde,
nehmlich des Canals, so die Spree mit der Oder und folglich mare
Balticum Oceano conjungiret, so der hochsel. Churfürst ausgeführet,
E. M. aber verbessert. «
Gleichzeitig wandte er sich an von Pkintzen mit einem kürze-
ren Pro Memoria \ Er trägt ihm in Bezug auf die Societät das-
selbe vor wie dem Könige, fügt aber noch Vorschläge wegen der
Societäts-Convente und wegen Prämiirung ausgezeichneter Mitglieder
hinzu und empfiehlt als besonders gelehrten Mann den Hrn. La
Croze". Endlich verfasste er auf Ilgen's Begehren eine ausführliche
Denkschrift »vom Abgang der Studien und wie denenselben zu
helfen^«. Er zeigt in ihr für jede einzelne Facultät, welche Vor-
bildung und welches Wissen ein jeder höher strebende Candidat
besitzen müsse, und schlägt zur Hebung der Studien der Regierung
das höchst einfache, aber leider nie wirklich durchgeführte Mittel
vor, bei Besetzung aller Beamtenstellen ceteris paribus stets dem
wirklich wissenschaftlich geschulten Bewerber den Vorzug zu geben.
Diese Vorschläge Hess man ihn machen; aber über ihre Annahme
und über den Erfolg der Audienz beim König ist nichts bekannt;
die Hoffnung, dieser werde ihm nun dauernd günstig gesinnt blei-
^ Siehe Urkundenhand Nr. 115.
^ Über die VerplHchtung der Societätsniitglieder, die aus folgendem Ersuchen
hervorgeht, ist Näheres nicht bekannt: »Unter andern, ob nicht die membra socie-
tatis von dem Gebote. Bücher zu corrigiren aus Königl. Bibliothek, zu eximii-en«.
Eine Bibliothek -Benutzungs- Ordnung erschien am 5. Mai 17 11 (König!. Ordre im
Geh. Staatsarchiv).
^ Siehe Urkundenband Nr. 116.
LEiBXizens letzter Aulentlialt in Berlin. Er wendet sich nach Wien. 181
1)011, hetrog ihn. Plötzlich reiste er ab — im Mai 1711^ — und
ist nie wieder nach Berlin zurückgekehrt. Seine Gegner am Hofe
müssen die Oberhand behalten haben. Noch im April hatte er, in
der letzten Verzweiflung, weil nichts vorwärts ging, ein neues Pri-
vileg (Besteuerung des Branntwein -Brennens zu Gunsten der Socie-
tät) vorgeschlagen und die Societät veranlasst, in einem förmlichen
Antrage den König zu bitten, dass Preise für deutsch -sprachliche
Forschungen und naturwissenschaftliche Untersuchungen ausgesetzt
würden — »was bisher noch nirgends geschehen« — , und dass eine
Commission , bestehend aus einigen Mitgliedern der Societät und des
General- Kriegs -Commissariats, niedergesetzt werde, um die Fassung
jener und anderer Concessionen zu berathen". Es war umsonst.
Seit diesen letzten Erfahrungen in Berlin, die dadurch noch
trül)er wurden , dass die Societät selbst keinen wirklichen Eifer zeigte,
hat Leibniz die Freudigkeit und den Muth, die ihn bisher trotz
aller Widrigkeiten beseelt hatten, verloren. Man darf annehmen,
dass er es fortan für unmöglich gehalten hat, die Societät in Flor
zu bringen. Eine Initiative hat er nicht mehr ergrifien, da er ein-
gesehen hatte, dass sie am Hofe nicht gewünscht wurde: aber die
Geschäfte der Societät hat er, soweit man ihn benachrichtigte,
fortgeführt.
In Hannover von den politischen Geschäften ausgeschlossen
— denn eifersüchtig wachte das Ministerium darüber, dass er sich
in die Frage der englischen Succession nicht mehr einmische — ,
in Preussen beargw^öhnt, wandte er seine Blicke nach Osterreich
und Russland. Die Vermählungen der beiden Enkelinnen seines alten
Gönners, des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig -Wolfenbüttel,
mit dem Kaiser Karl VI. und dem Sohne Peter's des Grossen schienen
seinen Plänen eine glänzende Zukunft zu sichern. Im October i 7 1 1
kam er mit dem Czaren in Torgau zusammen , den er bisher nur
tlüchtig gesehen hatte. Er trug ihm seine Ideen vor, die wissen-
schaftlichen Reisen nach Sibirien und China, die Veranstaltung von
magnetischen Beobachtungen, die Civilisirung des russischen Reiches
durch Bildungsanstalten für die höheren Klassen und durch eine
verbesserte Verwaltung; im Mittelpunkte sollte eine Hauptanstalt
stehen zur Beförderung der Studien, Künste und Wissenschaften.
Dem grossen Monarchen imponirte der grosse Gelehrte, dessen Ge-
^ Siehe Secr.-LEiuN. Nr. 127 vom 23. Mai 1711.
^ Siehe Urkundenband Nr. 117 und 118.
182 Geschichte der Societät 171 1-1 71 tj.
sichtskreis die Erde umspannte; eine lebhafte Correspondenz begann,
auch mit russischen Staatsmännern, und wie zwölf Jahre früher nach
Brandenburg, so sandte Leibniz jetzt nach Russland Pläne, Projecte
und Denkschriften'. Scherzend durfte er sagen, er habe Aussicht,
der Solon Russlands zu werden, »obgleich aus grosser Entfernung«.
Im Sommer 1 7 1 2 kam er in Karlsbad und Dresden wiederum mit
dem Czaren zusammen, diesmal als Bevollmächtigter Anton Ulrkii's
mit Aufträgen, zwischen dem russischen und dem österreichischen
Kaiser zu vermitteln. Peter schenkte ihm sein volles Vertrauen, gab
ihm seinerseits diplomatische Aufträge nach Wien und ernannte ihn
am I . November i 7 i 2 zum russischen Geh. Justizrath mit 1 000 Thlr.
Gehalt. Seit dem December 17 12 ist Leibniz in Wien und bleibt
daselbst bis zum August 17 14, also fast zwei Jahre, hochangesehen,
im Verkehr mit allen hervorragenden Männern Österreichs, beson-
ders auch das Vertrauen des Prinzen Eugen geniessend und an der
Kaiserin die kräftigste Stütze besitzend. Schon seit dem Frühjahr
1712 war ihm die Würde eines Reichshofraths zugesichert": diese
hohe Stellung, selbst als wirklicher Reichshofrath , genügte ihm aber
nicht. Der längst gehegte Plan , eine Akademie der Wissenschaften
in Wien zu gründen und als Director an der Spitze einer gross ge-
dachten, das ganze Reich bestimmenden Anstalt zu stehen, ist auch
hier die Seele aller seiner Bestrebungen gewesen^. Nicht ohne phan-
tastischen Schimmer und politische Naivetät war die letzte Idee sei-
nes Lebens, Osterreich und Russland wo möglich zugleich wissen-
schaftlich zu regieren* und sich dabei auf die braunschweigischen
Prinzessinnen zu stützen. Aber das, was er sachlich gewollt hat,
^ Siehe Posselt, a.a.O., bes. die Actenstücke Nr. 2 — 4, S. 2i4ff.. und Nr. 6,
S. 2 26 ff., dazu den Brief an den Abt Fabricius vom 8. Deceml)er 1711 und den an
La Croze vom 14. December 171 1. Wie tief er sich in die Frage nach der Civili-
sirung Russlands vei-senkt liat, zeigen die Actenstücke S. 232 ff. bei Posseli-. Minder
erfreulich ist der Brief an den russischen Vice - Kanzler Schafirow (Sommer 17 16),
s. a. a. 0. S. 271 ff. Vergl. auch die Publication an der Petersbui-ger Akademie »Briefe
von Christian WoLFF« (1860) S. IX ff.
^ Doch erst im Laufe des Jahres 17 13 wurde die Sache perfect. s. Secr.-
Leibx. Nr. 154 vom 6. December 1713.
^ Siehe Klopp im Archiv f. Österreich. Gesch., 40. Bd. (1869). S. 159 ff.. 176 ff.
Bergmaxx in den Wiener Sitzungsber. XIII S.4off.
* Bedenkt man, dass er dabei den Zusammenhang mit Berlin nicht aufgab,
ferner fortfuhr, als Geschichtsschreiber für seinen hannoverschen Landesherrn zu
arbeiten, weiter sehnlichst wünschte, englischer Historiograph zu werden, um in
London leben zu können, und sich endlich eine Thür offen hielt, um sich eventuell
in Paris bei der Akademie niederzulassen, so kann man sich allerdings nicht wiuidern,
dass keines der zahlreichen Eisen, die er im Feuer hatte, wirklich alühend wurde.
Leibmz in Wien. Beziehungen zu Peit.r dem Grossen. 18^
ist doch schliesslich in Wien und Petersburg verwirklicht worden,
freilich erst lange nach seinem Tode, aber nun in einem Umfange
und mit einem Erfolge, den er sich nicht hatte träumen lassen.
Nachdem Leibniz Berlin verlassen hatte , ging es mit der So-
cietät abwärts. Die Überlieferung, dass sie erst unter dem Druck
Friedrich Wilhelm's I. verkümmert sei, ist falsch. Sie war nie-
mals lebendig gewesen — nur ihre Seele, Leibniz, war lebendig.
Als er gezwungen wurde, sich zurückzuziehen und seine Thätigkeit
auf das Nothwendigste zu beschränken', zeigte es sich, noch zur
Zeit Friedrich's I. , dass sie kaum lebensfähig wnr. Die Schuld
lag theils an dem mangelnden wissenschaftlichen Vermögen der
Mehrzahl der Mitglieder, theils an dem sehr geringen Interesse der-
jenigen Akademiker, die von der Direction ausgeschlossen waren"^,
theils an den fehlenden Mitteln^. Dazu kam, dass der sehr ein-
tlussreiche Leibarzt Dr. Gundelsheim , der die Aufnahme in die So-
cietät abgelehnt hatte, sie als ein völlig unnützes Institut bekämpfte
und es erreichte, dass sein ausgezeichneter Rivale, Dr. Hoffmann,
auf den die Societät mit Recht die grössten Hoffnungen gesetzt
hatte, Berlin in Ungnade verlassen musste, Gundelsheim war ein
beliel)ter Arzt und ein emsiger Sammler von Naturalien — von ihm
war der Vorschlag ausgegangen, den vor dem Potsdamer Thor ge-
legenen Königlichen Hopfen- und Küchengarten in einen botani-
schen Garten umzuwandeln — . aber er gehörte der alten Schule
an und wird als ein ränkevoller und auf seine Stellung eifersüch-
tiger Mann geschildert, der vor allem seinen Collegen Hoffmann
^ Auch in Bezug auf die Aufnahme neuer Mitglieder, die ihm übrigens nicht
mehr regehnässig vorher angezeigt wurde, hielt er sich jetzt sehr zurück. So
schrieb er an Vogther, der ihn um Aufnahme ersucht hatte: "Berolinensi suae
Societati me praefecit potentissimus rex Borussorum. sed plerumque absum illinc,
et sententiae caetert)rum exquirendae sunt, (piibus Berolini est cura rerum societatis«
(im Jahre 1712; Hannov. Bibl.).
^ La Croze erwähnt in seinem umfangreichen wissenschaftlichen Briefwechsel
mit Leibmz die Societät höchst selten.
^ Im Auslande freilich, wo man die Verhältnisse nicht genau kannte und
nur wusste. dass Leibxiz der Präsident sei. hatte die Societät noch hohen Credit,
vergl. z. B. den Briefwechsel von Jo. Christoph Wolf in Hamburg mit La Croze
(Thesaurus epist. Laci'oziani T. II S.3if.). Jener schreibt am 30. Januar 1712:
»Quod de societate regia, cuius ipse singulare ornamentum es, scribis, nihil mihi,
fateor. magis honorificum futurum erat, quam si nobilisshnae principum nostra
aetate virorum coronae adjungerer.« Als er aufgenommen ist, zeigt sein Brief vom
17. April 17 12 (a. a. O. S. 35 f.), dass sich dadurch seine ganze Stellung in Hamburg
niit einem Schlage gebessert hat; denn sein Name steht nun neben dem LEiBMzens.
184 Gescliiclite der Societät von 1711— 17K).
ZU beseitigen und die Societät zu vernichten strebte. In den Briefen
des Secretars an Leibniz vom Aug-ust i 7 i i bis Juli i 7 i 2 (Nr. i 28-1 4 1 )
entwickelt sich die Katastrophe Hoffmann's vor unseren Augen, und
selbst ein Schreiben Leibnizcus an von Printzen, welches w^arm für
den vorzüglichen Mann eintrat \ fruchtete nichts.
Die Herausgabe des 2. Bandes der Miscellanea hätte die Haupt-
sorge der Akademiker sein müssen. Leibniz war bereits wieder auf
dem Plane; acht Beiträge aus seiner Feder befanden sich schon im
September 1 7 1 1 in den Händen des Secretars '" : allein die übrigen
Mitglieder «gaben immer neue Vertröstungen '^s und Cuneau, dem
die Redaction der Abhandlungen ol)lag, w'ar ein gebrochener Mann.
Ein Königsberger, de Colas, sandte zwar Aufsätze ül)er Aufsätze
ein , aber neben wenigen brauchbaren Gedanken fand sich viel Spreu
darin. Der prahlerische Mann versuchte den Leibniz zu spielen und
in allen Gebieten , sowohl den abstract philosophischen als den tech-
nischen, zu excelliren*.
' Der Bi-ief findet sich in der Hannov. Bibliothek, s. auch das Schreiben
von Frisch Nr. 24 vom i. März 17 12 (Fischer S.33f.) und das Schreiben von Ax-
ciLLON an Leibniz vom 28. November 17 13 bei Feder. Commerc. epist. p. 6. Hirsch
in seinem Artikel »Friedrich Hoffjiaxx" in der Allg. Deutschen Biographie Bd. 12
S. 584 ff. bezeichnet Gundelsheim als »unwissenden Schleiclier«. Dagegen rechnet
er Fr. Hoffmann (s. auch Schrader, Gesch. der Friedrichs -Universität zu Halle
i.Bd S.56ff.) mit Boerhave und Stahl zu der Trias der grossen Arzte, welche,
im Anfang des 18. Jahrhunderts fast gleichzeitig auftretend, in ihren Bestrebungen,
eine Reform der praktischen Heilkunde herbeizufiihren , das Zeitalter der Aufklärung
in dieser Wissenschaft angebahnt haben. Boerhave war der kritische Empirist
unter ihnen, Fr. Hoffmann — in den »Hoffmannstropfen« lebt sein Andenken noch
heute fort — suchte ein mechanisch -dogmatisches vSystem über den menschliclien
Körper zu begründen und die Gesetze, nach denen diese »Maschine« sich bewegt,
vom mathematisch - phj-sikalischen Standi^unkte aus zu erforschen und zu begreifen
(über Stahl s. u.). Nach Berlin ging Hoffmann »bene intelligens, quam sit lubrica
aulicorum virorum fortuna atcjue vita, oinnis libertatis et quietis i-atione aniini et
corporis expers«. Sein Urtlieil bestätigte sich ihm: »in aulis est splendida miseria.
imo oinnis aularum i-atio libei'alibus ingeniis est inimicissima". Seine litterarische
Thätigkeit war eine »immense«. »Dennoch«, bemerkt der berühmte Blumenbach.
und Hirsch bestätigt es, »dürfte man in seinen Schriften schwerlich eine Seite finden,
die nicht ihren grossen bleibenden Werth hätte.« Die Societät darf stolz auf diesen
Mann sein, den sie freilich nur kurze Zeit besessen hat.
^ Siehe Secr. -Leibx. Nr. 130 vom 19. September. Sie sind in den Acta eru-
ditiorum erschienen , weil zu Leibnizcus Lebzeiten überhaupt kein Band mehr fertig
geworden ist.
^ A. a. O. Nr. 141 vom 16. Juli 1712, und sonst.
* Siehe a. a. O. Nr. 130, Nr. 136 vom 5. März, Nr.141 vom 16. Juli. Nr. 143
vom 29. October 1712. In Hannover werden 3 Briefe von Colas an Leibniz und
2 von diesem an jenen (vom Jahre 17 12) aufbewahrt. Neben Abhandlungen über
architektonische Probleme, die er eingesandt, verspricht der INIann Berichte über
Arbeiten der Societät. 185
Wenigstens die astronomischen Beobachtungen und das Seiden-
werk liätte die Societät energisch l)etreiT)en sollen, denn auf ihnen
l)oruhte ihre Existenz. Allein der neue Astronom, der im Mai 171 i
auf Vorschlag der Societät an Kirch's Stelle angestellt worden war,
J. Gr. HoFFMANx\ War lässig, so dass er sich schliesslich eine förm-
liche Rüge der Societät zuzog. »Der Frau Kirch Hülfe hat er sich,
wie sie sagt, zwar heimlich liedienet, öffentlich aber allezeit da-
wider gesprochen, sie auch niemals auf das Observatorium lassen
wollen'".« Astronomische und mathematische Instrumente wurden
allmählich angeschafft; auch die aus Holland Acrschriebene Luft-
pumpe traf ein: aber «ausser Hrn. Chauvin weiss Niemand mit ihr
recht umzugehen und dieser beginnt ziemlich schwach zu werden''«.
Das anatomische Theater konnte man nicht einrichten, da der
Dr. Hoffmann nach Halle zurückkehren inusste und ausserdem der
Hof den für die Anatomie bestimmten Raum auf dem Observatorium
zeitweilig mit Beschlag belegte^. Auf FRisciiens Betreiben wurden
chemische Utensilien angeschafft, aber »weiter kommt es nicht''«.
»p]s ist ein Vorschlag auf der Bahn, wie die Societät zu dem Anfang
eines Laboratorii gelangen kann durch Verleihung eines Privilegs
auf Bereitung von Scheidewasser«, schreibt der Secretar am 31. De-
cember 1712 an Leibniz*^; aber es blieb bei dem Vorschlag. Man
seine physikalischen und anatomischen Beobachtungen. »Je donnerai aiissi un nouveau
Systeme qui prouve que Dieu ne s'est servi dans la creation que d'un simple et
uni(|ue mecanismc", u. s. \v. Es ist vielleicht nicht ohne feinen .Spott, wenn Leibniz
dem Königsberger antwortet: »Je suis Ijien fache de n'avoir point su plus tot que
notre Societe avait a Koenigsberg un membre si curieux et meme si profond dans
les recherches ■< ; er hofft, dass Colas mehr als gewöhnliche Beiträge zu dem Fort-
schritt und den Absichten der Societät bringen werde.
^ Antrag der Societät und Decret im Geh. Staatsarchiv.
- Siehe Secr.-LEiBN. Nr. 144 vom 20. December 1712. Er scheint allerdings
überlastet gewesen zu sein , da er auch die magnetischen Beobachtungen für Russ-
land vorbereiten sollte (s. a.a.O. Nr. 133 vom 27. December 17 11 bis Nr. 143 vom
29. October 17 12); durch die neuen Beziehungen LEiBxizens zu Russland war die Aus-
sicht auf russische Expeditionen wieder gestiegen (s. seinen Brief an von Prixtzen
vom 14. December 17 11 auf der Hannov. Bibl.). Der Secretar selbst räumt ein,
dass HoFFMAXx einen Adjunct brauche. Die Frau Kirch bot sich wiederholt an,
aber die Societät war bedenklich, sie förmlich anzustellen (Nr. 133. 135). Im Oc-
tober 17 12 bezog sie das KROsiGK'sche Observatorium (Nr. 143) und setzte ihre
Beobachtungen fort. Mit vox Krosigk stand Leibniz auch im Briefwechsel (s. Hannov.
Bibl.). über Frau Kirch s. des Vignoles, Eloge de Mad. Kirch et de quelques autres
Dames Astronomes in der Biblioth. Genn. III (1722) p. 155 ff.
^ Siehe Secr.-LEiBx. Nr. 132 vom 5. December 1711.
* A. a. 0. Nr. 130 vom 19. September 17 11.
'" Frisch Nr.24 vom i.INIärz 1712.
•^ Nr. 145. s. auch 147.
186 Cicsfliiclite der Sm-ietiit von 1711 — ITltl.
tröstete sich unterdessen damit, dass doch sclion viele Instrumente
da seien, »so dass man mit der Zeit etwas lial)en wird, die Cu-
riosität der Liel)hal)er zu vergnügen«. Aneli hraclite Spener sein
naturhistorisclies Cabinet auf das Observatorium, »hielt es aber
unter seinem Schlüssel«. Man begreift es, dass unter solchen Um-
ständen Hr. VON Staff (Stapf), Mitglied der Societät, an Leibniz
schrieb (24. August 171 i): »Je vous ai une Obligation tres parfaite
de vos bons soins de notre Academie, qui en a besoin"'«. Das
Einzige, was man wirklich erreichte, Avar eine neue Einschärfung
des Kalenderprivilegs durch eine Königliche Ordre ■^. Ausserdem
benutzte man die Gelegenheit der Hochzeit des Czarewitsch mit der
braunschweigischen Prinzessin, um an ihren Vater, den Herzog
Ludwict Rudolf, und an I.eibniz der christlich -civilisatorischen Pläne
wegen zu schreiben. Heineccius übergab jenen Brief persönlich,
ohne Leibniz vorher in Kenntniss zu setzen — was dieser ihm und
der Societät übel nahm — , beschrieb in einem ausführlichen Bericht
seine Aufnahme und konnte die besten Absichten des Herzogs ver-
melden. Dieser selbst beglückte die Societät mit einem Schreiben,
in welchem er von Braunschweig aus versicherte, dass jetzt »die
w^ahren Künste und nützlichen Wissenschaften in Russland verbreitet
werden sollen^«. Bekanntlich w^artete der Prinzessin in Russland
ein schreckliches Schicksal.
Das Seidenwerk wurde von Frisch mit unverdrossenem Eifer
betrieben, und im Frühjahr und Sommer 171 2 schien ihm auch die
Societät ein wärmeres Interesse zu widmen. Man war entschlossen,
einen grossen Platz für eine Baumschule zu kaufen, ein Haus zu
bauen und »viel andere vorher nie angehörte Dinge zu thun^<. Im
Juli konnte der Secretar an Leibniz berichten, dass »das Seidenwerk
^ Siehe Secr.-LEinN. >sr. 141 und 143 (i6..1iili und 29. ( )ctol)er 1712).
- Hannov. Bibl.
^ Vom 12. April 17 12 (Geh. JStaatsarcliiv); die Societät liatte wieder gegen die
Provinziah'egierungen Klage füln-en müssen, die ganz lässig seien und die faulen
Ausreden der »Verbrecher« als gültig liinnehmen.
* Die Briefe in der Bibliothek zu Hannover (19. November. 10. und 22. De-
cember 17 11). LEiBxizens IMisstranen in Bezug auf Heineccius in dem gleichzeitigen
Briefwechsel mit dem Secretar. s. seinen Brief Nr. 134: »der Präses der Societät
hat bereits zu Torgau das Verlangte bei des Czars IMajestät besorgt'. Bedeutendes
Schreiben von Heineccits an Leibniz vom 19. November 171 1: Plan der Eirichtung
einer Societät der Wissenschaften und einer INIissionsanstalt in ^Moskau, ausgehend
von der Berliner Societät (Bodemann S.83).
'" Frisch Nr. 24 vom i.^NIärz. Secr.-LEiiix. Nr. 138. 141. 142 vi^m 28. Mai. 16.
•lull und 20. August 1712.
Beziehungen zu Russland. Fkisph und das Seidenwerk. IS/
am Hofe wieder in Bewegung sei«. Einige Kammerräthe hatten
sicli günstig geäussert. »Der Kronprinz hat nun auch bessere (be-
danken von der Sache hekommen und wird uns nicht mehr zu
hindern hegehren^*. »Der Hr. von Printzen ist dem Werk sehr
geneigt: wie der Hr. von Kameke dagegen gesinnet, weiss man noch
niclit . . . auf ihn dürfte der Ausspruch ankommen'"«. Allein bereits
im September muss Frisch an Leibniz schreiben^: »Wegen unseres
Seidenwerks steht es noch in den alten schläfrigen Anstalten. . . .
Es ist eine K. Commission gehalten w^orden. Ich werde in keinem
Stück mehr, wie ich es um die Societät vermeine verdient zu haben,
in fünf und mehr Jahren, da ich dieses Werk zu treiben gesucht,
eonsiderirt. und unterlasse doch nicht, so viel dabei zu thun als
ich kann. Man lieisst uns bei Hof des grands faiseurs de
rien. Ich habe von der Commission nicht das geringste gewusst
oder erfahren, da ich doch denen Hrn. Commissariis hätte die beste
Nachricht geben können. Meine Administration hat der Societät
nichts gekostet, und wünsche, dass die neue nicht mehr kosten
möge « .
Augenscheinlich schob man den tüchtigen Mann bei Seite, weil
er nicht zum Directorium gehörte, vielleicht auch aus der instincti-
ven Feindseligkeit heraus, mit der die Masse der nichts Leistenden
den Arbeitenden stets verfolgt. Frisch verlor den Muth zur Sache
nicht: er empfand sich in dieser Lage als einen Leidensgenossen von
Leibniz und stärkte sich an seinem Vorbilde. Die beiden Männer
verstanden sich.
"Ich habe v(jn Ew. Ex. nicht wenig Grossnmth gelernet, wie man durch
die Hinderung des eigenen Corporis Societatis müsse suchen durch-
zudringen, nachdem ich durch die Raillerien des Hofs und der Bedienten des-
selben an vielerlei Orten durchgedrungen. Gott erhalte Ew. Ex. noch lange Jahre,
denn wann noch etwas geschieht, so thut man es aus gebührender
Reflexion auf Sie, sonst wäre unser AVerk ein Gespenst und Schat-
ten, über den man sich ungemein mo([uiren würde.«
Dieses Zeugniss über Leibniz , der, oV)gleich ein Verbannter, die
Societät noch immer trug und ausdauernd und grossmüthig gewesen
ist, schlägt viele falsche Behauptungen und unrichtige Vermuthun-
gen nieder.
Die Societät. d. h. das Directorium, nahm also das Werk selbst
in die Hand. Das alte Übelwollen gegen Frisch spricht sich in
^ Secr.-LKiBN. Nr. 140 vom 2. Juli.
2 A.a.O. Xr.142.
"* Frisch Xr. 25 vom 2. Sejjtember.
188 Geschichte der Societät von 1711 — 1716.
den Briefen des Sccretars deutlich aus. Als die Sache nun natür-
lich viel schlechter ging, klagte er «über Hinderungen und Schwierig-
keiten , die von denen kommen , so das Beste der Societät fördern
sollten und sich dessen angemasset^i . Und als gar Frisch, der
jetzt auf eigene Rechnung weiter arbeitete, schöne Erfolge erzielte,
da schrieb der Secretar in seinem Unmuthe: »Weil er die Kunden
an sich gezogen , können wir an keinem Ort fortkommen « . stellte
es so dar, als hätte Frisch der Societät gekündigt und scheute sich
sogar nicht, ihm zwischen den Zeilen einen bösen Vorwurf zu
machen". Als endlich das Directorium die Sache gründlich ver-
fahren und sich in Unkosten gestürzt hatte, wandte es sich noth-
gedrungen wieder an den thätigen und kenntnissreichen Mann, der
denn auch edelmüthig half. »Wir hoffen (mit FRiscnens Hülfe) einen
Schritt weiter vorwärts zu thun. Vom Hofe hal)en wir nichts zu
gewarten , weil der Hr. von Kamekk gar keine Lust zu der Sache
bezeuget, also müssen wir sehen, wie wir uns selbst forthelfen^.«
»Vom Hofe haben wir nichts zu gewarten« — dies Wort sollte
sich in einer ungeahnten W'eise erfüllen. Am 25. Februar 1 7 1 3
starb Friedrich I. nach kurzer Krankheit. Die Societät fand bald
Grund, ihn aufrichtig zu betrauern. Die Mehrzahl der ursprüng-
lichen Mitglieder lebte noch, als der neue Herr den Thron bestieg:
aber sie besassen kein Ansehen bei Hofe ; man darf auch fragen,
ob sie es verdienten. Leibniz befand sich in Wien. Der Tod des
Monarchen erweckte in ihm keine weichen Stimmungen. Als die
Kurfürstin Sophie in einem Briefe von ihrem entschlafenen Schwie-
gersohn als dem »sehr christlichen« Könige sprach, entgegnete er,
dieser Titel sei zutreffend, wenn man auf die Erfüllung der äusse-
ren kirchlichen Ptlichten sehe: »il n'y a que Dieu qui connaisse
l'interieur: cependant Taction du jeuiie roi de retablir M. de Dan-
kelman — dachte er vielleicht auch unwillkürlich an sich selbst? —
est plus chretienne que celle du pere non seulement de le chasser
de la Cour, mais meme de lui confisquer son bien«. »Vous jugez
tres-bien ä l'egard de Danquelman,« erwiderte in ihrer kaustischen
Weise die greise Fürstin, »mais votre observatoire ne sera
' Secr.-LEiBN. Nr. 143 vom 29. Oetober 1712.
^ A. a. O. Nr. 144 vom 20. December 17 12. Der ^'orwurf auf früheren Eigen-
nutz ist versteckt und ist durcli Jablonskts folgenden Brief und Frischcus Schreiben
vom 29. Oetober 17 12 (Nr. 26) hinreichend widerlegt (»Man coinmunicirt mir fast gar
nichts mehr und will mit Gewalt mit Schaden klug und mi'ide werden»).
^ A. a. (). Nr. 145 vom 31. December 1712.
Der Tod des Königs Friedrich's I. Der neue Kcniiü;. 181)
pas aussi l)ien observe que v^otre impöt siir les alma-
iiacs ... Le roi [Friedrich Wilhelm I.) se piqiie de faire justice
ä tovit le monde et ä empecher le superflii a ses servi-
teurs'.« Sie kannte ihren Enkel.
2.
Den Zustand der Societät in den l)eiden ersten Jahren der
Regierung Friedrich Wilhelms I. kennen wir fast lediglich aus
den Briefen des Secretars, einem Schreiben von Leibniz an diesen
und den Klagen La Croze's"'. Aber jene Briefe charakterisiren die
Lage so vortrefflich, dass sie einen Abdruck an dieser Stelle ver-
dienen. Schon als Kronprinz hatte Friedrich Wilhelm I. die Socie-
tät verachtet, weil sie zu wenig leistete und weil er alle Gelehr-
samkeit, die nicht praktisch nutzbar war, ebenso verabscheute wie
das Latein, die Philosophie und die Elegantien. An das Kalender-
privileg scheute er sich die Hand zu legen und wollte auch die
Stiftung seines Vaters nicht einfach aufheben ; aber wo es irgend
möglich war, da sollte auch die Societät zum allgemeinen Sparsam-
keitssystem ihren Beitrag liefern, und sie sollte nur ein Recht auf
Existenz haben, wenn sie thätig war, d. h. das militärische Medi-
cinalwesen beförderte und im Technischen etwas leistete. Fast zwei
Jahre wartete der König ruhig ab ; er übernahm wieder die Würde
eines Protectors der Societät^, noch bestätigte er ihre Privilegien,
noch entzog er ihr die Mittel und Rechte. Nur für die Räume im
Observatorium verlangte er eine Miethe, d. h. er befahl gleich nach
^ LEiBxizens Brief ist nicht datirt, die Antwort der Kurfürstin vom 27. April
1713 (Ki-opp, Werke, 9. Bd. S.392. 394f.).
^ Er richtete am 28. Juni 17 13 einen kummervollen Brief an Leibniz. Sein
Gelialt war ihm gesperrt worden, und er kam dadurch in die höchste Noth; er
wollte nach Iilngland gehen, blieh dann al)er doch in Berlin, da er eine Stelle als
Prinzenerzieher erhielt und bald darauf in der Lotterie eine ansehnliche Summe
gewann. »Vous etes heureux, ]Monsieur, de n'etre point temoin des gemissements
et des larmes qui se repandent en ce pays-ci, oü 11 y a bien des gens encore plus
mal traitt-s que moi. Te tenet aula nitens, nos lacrymosa dies.« J. G. Eccard, der
La Croze nach Helmstädt ziehen wollte, schrieb ihm (Thesaur. epist. Lacroz. T. 111
p. 286): »alto in otio vivimus et tempestates non timemus, quas Berolini sustinuistis.
Bone deus I quantum inutata est sedes lila elegantiarum ex: illo teinj)ore, quo ibi
cum amicis Musis suavissime vixi«. Der wissenschaftliche Briefwechsel zwischen La
Croze und Leibniz, in welchem jener der Gebende war, ging ungestöi't weiter; der
letzte Brief ist vom 19. October 17 16.
^ Hr. VON Printzen heisst fortab — auch in den Kalendern — »Protector
der Societät«.
11)0 (Jcschiclite der .Societät von 1711 — ITHJ.
soinem Regierungsantritt, sie meistl)ietend zu verniietlien. Da sieh
aber kein Liebhaber fand, behielt die Societät ihre Räume zunächst
ohne eine Abgabe; später zahlte sie 50 Thlr. Das Ausschreiben
der Anitskammer' ist charakteristisch als ein besonders leuchtendes
Beispiel bureaukratischer Unbefangenheit.
Xaclidein S. K. M. in Preussen u. s.w. Unser allergnädigster Herr in
Gnaden resolviret. dass nicht allein die Stuben und Cammern auf dein
K. Marstall, sonder-n auch die Logementer auf dem daselbst befindlichen
Observatorio auf der Dorotheenstadt. ingleichen der Ochsen- tnid Hannnel-
Stall vor dem Leipziger -Thor ä 500 Haupt -Schaaf-\'ielie nebst der Hutung
und Trifft, sainmbt einer Sttiben und Canuner vermiethet und dem Meist-
biethenden gegen Stellung zidänglicher Caution zugeschlagen werden sollen,
zu welchem Ende der 21. Aprilis pi-o Termino Licitationis anberahmet
worden, als wird solches männiglich hierdurch kundt gemachet, und haben
sich diejenige, so etwa zu solclien Logementern auf dem Iv. ^Marstall oder zum
Hammel-Stall Belieben tragen, sich in Ijemeltem Termino zu gestehen u.s.w.
Colin an der Spree, den 29. Martii 1713.
K. Preuss. Am])ts-Cannner'^.
Der Eindruck der ersten Maassnahmen des Königs spiegelt sich
— nicht zum Nachtheil des Monarchen — in den Briefen Nr. 147
bis 149 des Secretars an Leibniz vom i.und 22. April und 15. Mai
1713. Der erste lautet:
"Der hohe Todesfall hat mehr Veränderungen nach sich gezogen, als man je
vermuthet. Sie betreffen aber meist die üeconomica. und haben S.Iv. INI. sich so weit
herausgelassen, dass Sie erst einen beständigen Grund guter Haushaltung legen
müssen, damit Sie zuvorderst eine ansehnliche Kriegsmacht wohl unterhalten und
nachgehends ihren Unterthanen einige Erleichterung schaffen können. Hernach
werden Sie schon JMittel finden, auch ihre treue Diener zu belohnen, vor den Anfang
aber müssen sie sich mit ihm in die Zeit schicken und nach seinem Exempel richtiger
haushalten lernen. Die unmässige Besoldungen einiger Hof- und Staatsbedienten
sind merklich eingezogen und aller Uberfluss bei Hofe gemässiget Avorden. so dass
man sagt, es werde an Küche. Keller und Silberkammer allein bis 400000 Tld.
jährlich ersparet werden.
Die Malerakademie ist aufgehoben , wenigstens weil ihnen die Besoldungen
genommen, wird sie von selbst zergehen, und man weiss noch nicht, ob sie die
Gemächer auf dem Stall behalten werden. Von dem Observatorio sind auch
gefährliche Gerüchte gegangen und weiss man nocli nicht recht, woran man ist,
wie denn nach der Leichenbegängniss erst Alles in rechten Stand soll gebracht
werden. Sonst hat der König von der gehaljten Abneigung von der Feder viel
nachgelassen und selbst gestanden, wie er nun wohl sehe, dass mit dem Degen
allein sich nicht Alles ausrichten lasse. Er hat selbst Hand angelegt und alle Rech-
nungen , Aufsätze vuid was ihm nöthig gewesen mit eigener Hand hinzugesetzet.
Er decretirt auf gleiche Weise mit eigener Hand theils publicjue Sachen, die ihm
' Druckexemplar im Akademischen Archiv (»Baulichkeiten").
^ Die Societät machte eine Eingabe dagegen bei der Amtskannner (20. April);
aber der Präsident erklärte dem Hofprediger, er habe viei-mal wegen solcher Yei-
miethung vom Könige Befehl bekommen und könne daher nichts in der Sache
thun, wenn nicht Gegenbefehl gebracht wird.
Friedrich Wii.helm's I. Stelliini; zur Societät in den beiden ei-sten Jahren. 1 1)1
auf einen lialljgeljrochenen Denkzettel ii'egeVjen werden müssen, tlieils Privatinenio-
rialien. die er willig anninnnt und mit Fleiss durchlieset. Kr will ei-nstlieh der
Jnstiz aulgeholfen und die Processe verkürzt wissen, wozu auch schon eine ("om-
inission niedergesetzt ist. mit der es aber nicht recht fort will. Der Graf von Dohxa
ist bei dem König wohl angesehen und der Erste unter den \'ieren. so den neu-
errichteten C'abinet recht ausmachen, die andern sind die Hrn. v. Ilgen. v. Printzex
und Grumkow. . . . Der Hr. Oberpräsident von Dankelmann ist auf K. Hefehl
licrgekoimnen und wii-d sehr wohl angesehen. Worauf es aber gemeint, ist noch
unbekannt."
In dem zweiten Schreiben lieisst es:
"Ich hal)e gehorsamst melden sollen, dass es mit der Societät nahe an dem ge-
wesen und vielleicht noch ist, dass sie das Gliick meiir anderer Collegien haben
dürfte [d. h. aufgehoben zu werden]. Allzeit das Observatorium ist auf K. Befehl von
der Amtskanimer zur Miethe öffentlich angeschlagen worden, und als man sich dagegen
gemeldet, hat man kaum erhalten, dass das ^Memorial nur ad acta genommen woi'den.
In termino hat sich zwar Niemand gefunden, der das 01)servatorium zu miethen
vei-langet. also hat man sich von Seiten der Societät auf die gethane Vorstellung
bezogen und zur Antwort erhalten, es solle derselben in dem Bericht gedacht werden.
Wie es nun ferner laufen werde, lehret die Zeit. Die jNIalerakademie hat ihre
Zimmer um 60 Thlr. in 3Iiethe genonnnen, nach deren Exempel es mit dem Ob-
servatorio avoIü auch wird geschehen müssen. Ol) es aber dabei aufhören werde
stehet dahin'. Es äussern sich täglich neue iNIachinationes zum Nachtheil der Socie-
tät, dagegen man zwar alles Mögliche vorkehret, allein weil directe nichts auszu-
richten, muss man es dabei bewenden lassen, dass man indirecte wehret soviel man
kann. Der Hof hat sich sehr verändert, und hat der ganze Zustand eine andere
Gestalt gewonnen, so dass man sich kaum mehr darein finden kann.«
In dem dritten Briefe schreibt der Secretar:
"]\Iit der Societät ist es also geblieben, ausser dass der Ruf von Einziehung
des Kalenderverlags sich wieder verloren. Unterdessen ist man doch nicht sicher
und hat denmach beschlossen, sobald der Hr. von Printzen . . . wieder hier sein
wird, mit demselben in Rath zu stellen, ob man nicht die Bestätigung der vorigen
Verschreibungen bei itzt regierender K. Maj. suchen soUe^.
Sonst haben die Veränderungen gar weit um sich gegrifl'en. und ist Niemand
damit verschonet worden weder von Civil- noch Militärstand. Unter andern hat es
auch die Bibliothek gar hart betroften und der Hr. Schott nicht mehr denn 200 Thlr.
behalten, der Hr. La Croze aber Alles verloren.
Sonst sind S. K. Maj. bei Dero Regierung sehr lleissig und dictiien unzählbare
Supplicata mit eigenei- Hand. Sie eifern absonderlich über schleunige und richtige
Verwaltung der Gerechtigkeit und haben schon einen Anfang gemacht, die Process-
ordnung am Kammergericht zu reformiren. wodurch die Rechtssachen merklich ver-
kürzt werden sollen.
Einen wirklichen INIaitre des requetes haben Sie nicht bestellet; es ist aber
einer Namens Koppen, ein Generaladjutant, so stets um Dieselben sein muss und
^ Hierzu hat Leibniz eigenhändig die Worte geschrieben:
»Am Saal des Parlements, so England kann geliieten.
Schrieb Cromwel endtlich an: Der Ort ist zu vermiethen.
Dem Kunstwei'ck zu Berlin geschieht noch grössre Ehr.
Ein König schreibt ans Hauss: Weicht oder Thaler hehr."
^ In margine bemei'kt Leibniz sehr treffend: "Man mache zugleich einen neuen
tonuun Miscellaneorum präsentiren und alleiliand manifeste utilia hineinbringen".
192 Gpscliiclite der Societät von 1711 — ITltl.
alle Suppliqueii niuiiinint. Der llr. v. Kreuz ist wirklicher Staatsniinistei- und Di-
recteur general des iinances geworden.
Die Gelehrten möchten sich wohl wenig zu erfreuen liaben. Von denen Con-
dolenz- und Gratulations-Complimenten, so ein und andere dem König überreichen
wollen, hat er keine angenommen. Es haben auch keine in der Schlossdruckerei
angenommen werden dürfen ... So ist mir auch gesaget worden , der König hal)e
dem Pagenhofmeister ausdrücklieh verlioten. die Pagen im Latein unterweisen zu
lassen.«
Jetzt wäre es an der Zeit gewesen , dass sich die Societät zu-
sammenraffte und dem Könige zeigte, dass sie etwas Nützliclies zu
leisten im Stande sei — er Hess sie ja zunächst ruhig gewähren'.
Leibniz trieh auch unablässig dazu. »Miscellanea esse edenda«, war
sein Ceterum censeo. Er schlug vor, sich in die Zeitverhältnisse zu
schicken und kriegswissenschaftliclie und technische Abhandhmgen
aufzunehmen ; er zeigte in einem Schreiben an den Secretar, dass
er den König zu würdigen verstand, und war bereit, auf seine Lieb-
liabereien einzugelien und selbst ein Problema tacticum zu inseriren,
sowie eine ballistische Abhandlung". Aber die Societät blieb völlig
thatenlos. Sie hatte bisher überhaupt noch nicht gelernt, auf eige-
nen Füssen zu stehen ; sie liess Leibniz arbeiten und hoffte , statt
' Siehe Secr.-LKii3x. Nr. 152 vom 12. August 1713: »Der Zustand der Societät
bleibt bei dem Vorigen, und weil der König fast aller Alfairen, ausser die das
Soldatenwesen betreffen, sich entschlägt, so wird zwar eine der Societät nachtheilige
Veränderung nicht leicht zu besoi'gen, hingegen auch vor dieselbe wenig Vortheile
und AVohlthaten zu hoffen sein».
" Sein Brief Nr. 154 vom 6. December 17 13 an den Secretar ist für seinen
fi'ischen Blick und für die Elasticität, mit dei' er sich in neue ^'erhältnisse immer
wieder zu schicken wiisste. charaktei'istisch. «Es hat des neuen Königs M;ij. der
Welt gezeiget, dass Sie nicht nur vor die Waffen sorgen, sondern auch guten Rnth
zu ergreifen wissen. Sie haben dvu'ch Erlangung des Besitzes von Stettin erhalten,
wornach ihr Hr. Vater glorwürdigsten Andenkens (des Hrn. Grossvaters zu ge-
schweigen) vergebens getrachtet. S. ^laj. haben noch dazu Tonningen erhalten und
den Grund zu der nordischen Iluhe wenigstens in den Reichslanden geleget, und
da anderswo nur zugesehen woi-den. die Hand an das Werk mit Nachdi-uck ge-
leget. Ist also auch billig, dass Sie dessen geniessen. Es heisset »jura vigilantibus
scripta sunt". Ich schliesse aus diesem allem, dass S. ]Maj. den Studien nicht abge-
neigt sein, sondern wohl wissen werden, was im Regimente daran gelegen. Daher
ich auch der Hoffnung lebe, Sie werden die von ilu'em Hrn. Vater fundirte Societät
der Wissenschaften allergnädigst protegiren. Es ist nöthig, dass man dahin bedacht
sei, wie künftiges Jahr ein neties Volumen Miscell. Berolinensium zu Stande komme,
darin nicht nur speculativa et curiosa, sondern auch practica et utilia zu bringen,
wie man zwar auch beim ersten Volumine darauf gesehen. Ich will unter andern
ein Problema tacticum inseriren: wie aus einer gegebenen Zahl ein Bataillon carre
vide also zu formiren. dass am wenigsten Personen übrig bleiben, item etwas
ad rem ballisticam. Und weil der König auch die Manufacturen gern befördert, so
stelle dahin, ob einige merkwürdige Vortheile oder Observationen u.dergl. zu haben
und beizufügen. Ich sollte vermeinen, in Berlin würde sich dazu Gelegenheit finden.«
Das TlieJiti'uni anatoniicum. 11).)
sicli anzustrengen, auf « Vortheile und Wohltliaten vom Hof « . Der
neue Band der Miscellanea rückte nicht von der Stelle, obgleich am
Ende des Jahres 1 7 1 3 angeblich die meisten Mitglieder etwas bei-
gesteuert hatten'. Es sollten noch 10 Jahre dahin gehen, bis er
erschien! Das Seidenwerk, dem der König nicht ungünstig gesinnt
war", wurde ohne FRisciiens Hülfe lässig und ungeschickt betrieben.
Der Secretar weiss Leibniz in der Regel nur zu berichten, dass mit
der Societät Alles beim Vorigen stünde^. Man scheint auf einen
deus ex machina gewartet zu haben.
Nur an einem Punkt war man etwas rühriger*; hier aber stiess
die Societät auf den feindseligen Medicus Gundelsheim:
Das Theatruni anatomicum näherte sich der Vollendung, und
der rüstige Spener, einer der wenigen Akademiker, die etwas thaten,
war eifrig darauf bedacht, mit den Sectionen zu beginnend Man
durfte hoffen , damit den Beifall und die Gunst des Königs zu ge-
winnen, der der Anatomie (auch der Botanik, um des Arzneiwesens
willen) ein besonderes Interesse bezeigte. Aber hier drängte sich
Gundelsheim ein und belegte Anatomie und Botanik für sich mit
Beschlag. Das anatomische Theater war mit der Societät nicht ver-
bunden, sondern stand unabhängig von ilir^\ Gundelsheim gestattete
^ Siehe Secr.-LEiBN. Xr. 155 vom 16. December 1713.
^ A.a.O. Nr. 151 vom i.Juli 17 13. Eine kleine Schrift ül)er den Seidenbau
wurde vorbereitet.
^ Einigermaassen zur P^ntschuldigung diente, dass zwei Klassendirectoren, C'u-
NKAt; und Schott, sehr leidend waren, ferner dass man auch beim besten Willen
in Berlin keine hervorragenden Gelehrten finden konnte, die der Societät Ansehen
verliehen hätten. Unter den auswärtigen, die neu hinzutraten, waren einige glänzende
Namen, aber sie dienten doch nur zum Schmuck; unter den einheimischen wai-en
die ursprünglichen Mitglieder noch immer die bedeutenderen (Einheimische und Aus-
wärtige zusammengerechnet, wurden 171 1— 17 16 14 + 9+11-1-13 + 9 + 0 neue
Mitglieder aufgenommen).
* Ausserdem beschäftigte man sich unter des Hofpredigers Leitung mit der
deutschen Orthographie. Hess trotz LEiBNizens bestimmter Warnung etwas darüber
als Manuscript drucken und schickte es an Gelehrte (Nr. 156. 157. 159). Leibniz
wusste sehr wohl, dass die beiden Slaven Jabloxski nicht fähig waren, in deutscher
Sprachlehre etwas zu leisten. Im Akademischen Archiv (Wissensch. ^^erha^dl. u. Auf-
sätze 1699— 1737) liegen verschiedene Aufsätze über die Einrichtung eines deutschen
Wörterbuchs, grösstentheils von des Hofpredigers Hand: einer derselben ist im Ur-
kundenband Nr. 1 19 abgedi'uckt. Wertlivoller mögen die übrigens nicht zahlreichen
Stücke zu einer neuen Ausgabe des hebräischen Alten Testaments cum variis lectionibus
sein. Vorarbeiten, die ja wirklich zum Ziele geführt haben.
^ Siehe Secr.-LEiBx. Nr. 153 vom 9, September 1713.
^ Der Plan, ein Theatrum anatomicum zu bauen, war proprio motu schon
171 1 von der Societät gefasst worden (hierauf bezieht sich die Societät in einer
Eingabe an den König vom 15. December 17 14, s. unten). Sie war also voran-
Gescliichte der Akademie. I. \o
li)4 Geschichte der .Societät von ITll-lTHi.
wohl, dass Spener dort seine Sectionen vornaliiii — denn er selbst
war unfähig dazu — , aber er wachte eifersüchtig darüber, dass die
Societät aus dem Spiel blieb, damit sie nichts von dem Ansehen
und der Gunst der Sache genösse. Dennoch kam ihr die Arbeit
Spener's beim König zu Gute, und als diesem noch ein anderes
Mitglied der Societät, Colas, als Wasserbau -Verständiger imponirte
und dann ein gutes Wort für die Akademie einlegte \ da schien er
günstiger gegen sie gestimmt. Er ernannte im April 1 7 1 4 Spener
zum Professor, äusserte sich Colas gegenüber freundlicher über die
Societät, schenkte ihr mehrere grössere und seltenere Thiere für die
Sectionen, dachte daran, ihr die Anatomie dauernd einzuverleiben,
und beschloss, ihre Privilegien zu bestätigen. Allein bereits im
Mai desselben Jahres starb der treft'liche Spener, 36 Jahre alt, ganz
plötzlich, und sofort erlangte wieder Gundelsheim, der Colas und
Spener bereits mit seinem Neid beehrt hatte, den entscheidenden
Kiintluss in wissenschaftlichen Dingen beim König. Schon im Juli
musste der Secretar an Leibniz von den »mancherlei Bedrückungen
der Societät, darunter sie sich schmiegen und biegen muss'"«,
schreil)en , und im November i 7 1 4 erging vom Könige die verhäng-
nissvolle Aufforderung an sie, Rechenschaft von ihrem Etat abzu-
gegangen; aber sie hatte keinen Raum und keine Mittel. Gundelshkim war es
dann gehuigen, Beides, unabhängig von der Societät, vom König zu erhalten und
die Anatomie zu bauen. Diese Situation war an sich eine Kränkung für die Akademie.
Kurz vor seinem Tode hat Gundelsheim allerdings der Societät den Vorschlag ge-
macht, sich den botanischen Garten und das anatomische Theater einzuverleiben,
aber unter welchen Umständen, wissen wir nicht. Übrigens ist auch nach der Ein-
verleibung (s. unten) das Vei-hältniss der Societät zu dem anatomischen Theater und
zur medico- chirurgischen Akademie ein sehr unklares geblieben. Schon um das
Jahr 1780 hat man sich den Kojjf zerbrochen, wie es eigentlich gestaltet war. Das
beweist eine Zusammenstellung der wichtigsten Daten aus den Protokollen, die um
1780 gemacht worden ist (aufbewahrt im Fase. »Acta, die Organisation und Ver-
waltung der K, Akad, betreff*, 1773 — 1789 ■ des Akademischen Archivs), Da die Acten,
aus denen diese Auszüge hei'gestellt sind, jetzt grosstentheils fehlen (so die Acten
der Sitzungen des Directoriums der .Societät) , so ist jene Zusammenstellung im Ur-
kundenband Nr, 120 abgedruckt worden.
' Auch der Hofpredigei- hatte einmal Gelegenheit gehabt, beim König für
die Societät zu sprechen, s. Secr.-LEiBx. Nr. 157 vom 17. Februar 17 14; die Königin
hat er mehi-mals gesprochen.
- Die Belege siehe in den Briefen des Secretars Nr, 156 — 162 (Januar l)is Juli
17 14). Über Colas drückt sich dieser jetzt dankbar und sehr anerkennend aus,
nicht minder rühmlich spricht er von Spener. Gundelsheim ist höchst wahrschein-
lich gemeint, wenn der Secretar Nr, 160 schreibt: »Colas ist sehr vergnügt über
die Gnade des Königs, aber um so viel mehr mit neidischen Augen angesehen von
Anderen, die sich eines Monopolü der K, Gnade anmassen«.
LEiBNizens \'erliältiiis.s zur Sdcietät im .lahre 1714. 19»)
legen. Da Leibniz in diese Sache verwickelt worden ist, so bedarf
es einer kurzen Bemerkung über sein Verhalten zur Societät in dem
letzten Jahre.
Bis zum April i 7 1 4 dauerte der regelmässige Verkehr mit dem
Secretar von LEiBNizens Seite ganz so wie früher. Wir können
aus den Briefen Jablonski's feststellen, dass er vom März 17 13
bis April 1 7 1 4 mindestens zwölf Schreiben als Präsident der So-
cietät an Jenen gerichtet hat, und aus den Antworten lässt sich
erkennen, dass sich Leibniz nicht nur um das Kleinste bekümmert',
sondern sich auch beklagt hat, dass man ihn nicht genügend orien-
tire"' ; man theilte ihm nicht einmal die Namen der neu aufgenom-
menen Mitglieder mit und Hess (s. oben) ein Manuscript im Namen
der Societät drucken, das er vorher nicht gesehen hatte. Was end-
lich sein Gehalt betrifft, so war die Societät bis zum Frühjahr 17 13
mit 900 Thlr. im Rückstand; in dem folgenden Jahr aber war nichts
mehr bezahlt worden, so dass sie ihm im Frühjahr 17 14 1500 Thlr.
schuldete^.
Diese Umstände, noch mehr aber vielleicht die beiden Todes-
fälle, die tief in sein Leben eingriffen (der Herzog Anton Ulrich
starb im März, die Kurfürstin SopmE am S.Juni 17 14; er verlor
in ihnen seine eintlussreichsten Gönner in Hannover), sodann die
Aussicht, in Wien wirklich seine Pläne durchzusetzen, endlich der
Tod der Königin Anna am i 2. August i 7 14 und die Succession seines
Landesherrn als König von England — alles dies wirkte zusammen,
um ihn ein halbes Jahr völlig von Berlin und der Societät abzu-
ziehen. Er liess ein paar Briefe unbeantwortet und berührte auch
Berlin bei seiner Rückehr von Wien nach Hannover nicht; die Um-
wälzung im Kurstaate stand jetzt selbstverständlich für ihn im Vor-
dergrund. W^as hätte er auch in Berlin thun sollen? Rathschläge
^ Dass trotzdem die Correspondenz nicht mannigfaltiger gewesen ist, lag an
dem .schläfrigen Zustand« der Societät; eine Initiative aber konnte Leibniz nicht
ergreifen, nicht nur, weil er weit entfernt war, sondern auch weil er wusste, dass
man sie nicht wünschte.
2 Das ist noch in einem Briefe vom Februar 17 14 geschehen. Der Brief
Nr. 157 des Secretars vom 17. Februar ist ein förmliches Entschuldigungsschreiben.
"Die meisten bei der Societät vorfallenden Sachen sind so bewandt, dass sie keinen
langen Verzug leiden , sondern bald abgethan werden wollen, worunter mehrentheils
auch die Receptiones membrorum Societatis, dieweil sie bei gewissen Occasionen
sollicitirt werden, da man mit der Ausfertigung kaum fertig werden kann. Sonst
würde nicht ei-mangeln, von allem zeitigen Voi-ti-ag zu thun.«
^ Diese Berechnung stammt von der Societät selbst (s. unten), nicht etwa
von Leibniz.
13*
196 Geschichte der Societät von 1711 — 1 Tili.
geben, die man nicht hören wollte und nicht befolgen konnte? Seine
einzige Gönnerin war die Königin Sophie Dorothea, auch eine braun-
schweigische Prinzessin; er hatte sich ihr einige Monate nach der
Tlironbesteigung ihres Gatten brieflich genähert und dabei der So-
cietät im Allgemeinen gedacht^; er hatte sich ihr zehn Monate später,
gleich nach dem Tode ihrer Grossmutter, der Kurfürstin Sophie,
noch einmal in Erinnerung gebracht, ohne Umschweife nun ihre
Protection erbittend und ziemlich deutlich um Verinittelung einer
Einladung nach Berlin ersuchend"^; allein man lud ihn nicht ein,
und er nahm dalier an, dass man ihn nicht sehen wolle. So reiste
er nach Hannover, ohne Berlin zu berühren.
Dass er nach fünfzehnjähriger ununterbrochener Arbeit für die
Societät einmal ein halbes Jahr pausirte — zumal da so gut wie
nichts zu thun war — , war keine schwere Unterlassung, und dass
er mehr als drei Jahre nicht nach Berlin gekommen war, war nur
zum kleinsten Theil seine Schuld, wenn man ihm hier überhaupt
irgend w^elche Schuld beilegen darf.
Das, was sich nun ereignete, wäre somit die schnödeste Un-
dankbarkeit seitens der Societät gewesen, hätte sich nicht in Berlin,
wie anderswo, das Gerücht verbreitet gehabt, Leibniz sei definitiv in
die Dienste des Kaisers getreten, bekleide als Reichshofrath eine hoch
besoldete Stelle und habe Wien nur verlassen, um seine Verhältnisse
in Hannover zu ordnen und abzubrechen. Dieser irrige Glaube —
denn in Wien war noch Alles unfertig — entschuldigt das Directo-
rium der Societät wenigstens etwas ^.
Als VON Printzen im Auftrag des Königs dem Directorium auf-
gegeben hatte, über den Stand der Societätskasse zu berichten, ent-
schloss sich dieses zu einer jämmerlichen Eingabe an den König^.
' Siehe das .Schreiben vom 30. September 1 7 1 3 bei Ki.otp, Werke. 10. Bd. S. 453 f.
- Siehe das Schreiben vom 8. Juli 17 14 bei Ki.opp, a. a. O. S.454 1". Beide
Briete sind so gefasst, dass sie dem Könige vorgelegt werden konnten.
^ Bereits im Protokoll der Sitzung vom 9. August 17 13 heisst es: »Hi-. Hof-
prediger Jabi.onski trägt vor, weil verschiedene Gerüchte von dem Zustand des
Hrn. V. Leujniz zu Wien herumgehen und der Societät daran gelegen, dass sie
davon gründliche Nachricht halie. ob nicht durch eine dritte Hand sich desfalls zu
ei'kundigen, und zuverlässige Nachricht einzuziehen, damit man auch hier sich dar-
nach zu richten wisse«. Das wird beschlossen und der Hofprediger beauftragt,
solche Erkundigungen vorsichtig einzuziehen.
■* Vom 21. November 17 14, s. Urkunden band Nr. 121. Aus den Protokollen
geht liervor. dass dei- Plan schon seit dem Prühjahr 17 14 vo]-l)ereitet war. In der
Sitztuig vom 2. Mai 17 14 hat der Hofprediger den Vorschlag gemacht. "Hrn. v. Leibniz
zu verstehen zu geben, weil er nicht mehr in dem Stande, seiner Kapitulation
\\)rsclilag der Societät. Li:iiiMzen.s RtMiiuiiei'ation einziizielien (Nov. 1714). 107
Es ])erichtete, der Secretar habe aus den Acten ermittelt, dem Prji-
sidenten von Leibniz sei vom König seiner Zeit kein G-ehalt zugebilligt
worden . sondern nur eine jälirliclie Reisekosten- und Correspondenz-
Entschädigung von 600 Thlr. ; demgemäss habe er bisher im Ganzen
6900 Thlr. empfangen, 1800 Thlr. seien noch rückständig; auf die
Anfrage des Secretars , ob er Leibniz diese Summe schicken solle,
habe das Directorium sich schlüssig gemacht — »ob zwar gedachtem
VON Leibniz hiervon noch nichts eröffnet, noch er darüber vernom-
men worden«, — ihm diese Summe zu sperren, da er seit dem
Frühjahr 171 1 nicht mehr in Berlin gewesen sei (»er hat sich auch
vorhin nicht alle Jahre ordentlich eingefunden«), seitdem April 17 14
auch die Correspondenz unterlassen habe, augenscheinlich also selbst
annehme, dass »die cura Societatis bei dem zu Wien dem Vernehmen
nach erhaltenen neuen Engagement nicht mehr convenable oder com-
patible sei«. Das Directorium verband mit diesem Antrag den an-
deren, fortab das Gehalt des Hrn. von Leibniz unter sich vertheilen
zu dürfen, da es ja nach der königlichen Verordnung vom Jahre i 7 10
den Directoren und dem Fiscal zufallen solle, wenn Leibniz seine
Stelle verlöre. »AVir haT)en nun 14 Jahre die Besorgung des Status
und Aufnehmens der Societät ohne den geringsten Genuss einiger
Ergetzlichkeit treulich verwaltet. « Was aber die i 800 Thlr. anlangt
(das Gehalt der letzten 3 Jahre, welches Leibniz nicht ausgezahlt
war), so stellen sie den Antrag, dafür das Naturaliencabinet des
verstorbenen Spener anzukaufen.
Man traut seinen Augen nicht, wenn man dies liest. Sind das
die Berliner Freunde, die beiden Jablonski und Cuneau? Nicht nur
förmlich absetzen wollte man Leibniz ■ — denn darauf läuft es doch
liinaus — , ohne ihn auch nur vorher zu hören, sondern mit rück-
wirkender Kraft absetzen! Man wagt dem Könige vorzuschlagen,
Leibniz mitzuth eilen , dass er bereits seit 3 Jahren seine Rechte ver-
loren habe! Dagegen billigt man sich selbst für treue Dienste die
Thaler zu und tauscht für einen Leibniz ein Naturaliencabinet ein!
Es ist das dunkelste Blatt der Geschichte der Societät; aber
es aufzuschlagen, war leider eine Nothwendigkeit; denn der erste
officielle Geschichtsschreiber der Akademie, Formey, der Leibniz über-
haupt feindselig gesinnt war, hat in seiner Histoire de l'Academie
Genüge zu thun. dass er sich auch bescheiden werde, des daraus gehabten Enio-
hnnenti zu entratheu". Die l'brigen stimmten zu, der Secretar in einer besonders
anstössigen Weise.
198 Geschiclite der Societät von 1711 — 1716.
die Sache nicht nur verschleiert, sondern auch deutlich genug den
Präsidenten als den schuldigen Theil bezeichnet'.
Acht Tage später reichte das Directorium eine Übersicht über
die Einnahmen und Ausgaben ein". Nach ihr hat der Überschuss
in den drei Jahren 17 10 — 17 12 zusammen nicht mehr als 640 Thlr.
betragen. Einer jährlichen Einnahme von durchschnittlich 5980 Thlr.
aus den Kalendern und Stempeln — der Seidenbau hat stets mehr
gekostet als eingebracht — steht eine durchschnittliche Ausgabe
von 3050 Thlr. für den Kalender -Druck u. s. w. und von 1550 Thlr.
für die Besoldungen (600 Präsident, 500 Astronom, 400 Secretar,
50 die Pedelle) gegenüber, wozu auf Königlichen Befehl noch 50 Thlr.
für den Anatomiediener kommen. Es bleiben also 1330 Thlr. »wo-
von die zufällige und unständige Ausgaben vor Bücher, Instru-
mente , Hausrath , Bau und Besserung an den Gebäuden und andere
Extraordinaria bestritten werden, welche nach dem es die Gelegen-
heit erfordert bald mehr, bald weniger betragen. Was zur Fort-
setzung des Seidenwerks noch nöthig ist, so lange dassell)e sich
nicht selbst unterhalten kann, muss auch hievon genommen wer-
den«. Unter diese Eingabe hat der König noch an demselben Tage
eigenhändig folgende Verfügung gesetzt:
Leibnitz soll hinführo 300 Thlr. haben, der Secretarius 200 Thh-. hint'ühro,
zur extraordienair 830 Tlilr. zum Bau und Matenia instrumenta und der geleichem:
würden über diesen Ettat 1000 Thlr. Diese 1000 sollen dem Gundelsheum (|uarta-
liter mit 250 Thlr. gezahlet werden voi- meine angei'ichtete Sossissiaetaet die der [sie]
Viell nützl: ist als diese narren Possen, meine Sossiaetet ist Vor der Veldt und
]Menschenbeste die andehre nichts als der Dollen menschen Ihre curieusitet Dieses ist
mein Wille sondern Remonstracion und soll der Ober Marechall ausfertiechen lassend
den 29.Noven Fr Wilhelm
'''"•■'^'^" 1714.
' P. 58: "M. DE Leibnitz n'entrait plus pour rien dans les affaires de la Societe
depuis longtemps. C'omme il paraissait l'aA'oir entierement j^erdue de vue, on ne lui
pava pas pendant les dernieres annees sa pension de president, quoiqu'il fit queUjues
demarches pour cet effet". P. 15: »Nous avons deja insinue que Mr. de Leibmtz
avait eu im grand degre de sagacite pour pousser sa fortune. et realiser les idees
avantageuses que presque tous les princes de son temps con(;;urent de lui. et dcmt
ils s'empresserent presipie a l'envi de lui donner des marcpies. Comme apres tout
06 n'est lä point un defaut, ä moins qu"on n'outre Tavidite des honnem-s et des
richesses, je ne fais pas difficulte de convenir (pie Mr. de Leibnitz tachait de ne
i'ien faire, autant cju'il le pouvait, a pure perte«.
- Das von dem Secretar geschriebene Schriftstück befindet sich im Geheimen
Staatsarchiv.
^ Die Ausfertigung (Akademisches Ai-chiv; Abschrift in Hannover) entliält
natürlicli die kräftige Begründung nicht, sondern nur das Thatsächliche (s. Ur-
kundenband Nr. 122); aber es wird in ihr bemerkt, «dass die Societät ihre Gelder
zu allerliand und z. Tli. unnötliigen Dingen verwende'«.
Der König entzieht der Societät 1000 Thlr. 199
War der König entschlossen, mit looo Thlr. jährlich die So-
cietätskasse zu Gunsten seiner medicinisch- chirurgischen »Societät«
zu belasten, so konnte er die Sache niclit besser machen. Das Ge-
lialt des Astronomen, des noth wendigsten Arbeiters der Societät,
liess er unverkürzt bestehen. Das Präsidenten- und Secretars-Ge-
lialt wurden auf die Hälfte herabgesetzt, und weitere 500 Thlr. sollten
den Betriebsgeldern der Societät entnommen werden. Ihr Ansinnen,
das Gehalt von Leibniz ganz zu streichen, würdigte er nicht eines
Wortes'. Es w^ar eine heilsame Strafe für den Secretar, dass auch sein
Gehalt um die Hälfte gekürzt wurde. Leibniz blieb in Amt und Wür-
den; er musste nur, wie andere Staatsl)eamte auch, den Finanzen
des Staats ein Opfer bringen. Wie der König aber über die So-
cietät dachte, das bedarf keines Commentars. Er hatte sich Gun-
delsheim's Urtheil angeeignet, oder vielmehr — sein eigenes Urtheil,
das in den letzten zwei Jahren durch keine wirklichen Leistungen
der Societät als ungerecht erwiesen war, traf im Negativen mit der
Feindschaft des «unwissenden Schleichers« zusammen. Dieser zog die
1000 Thlr. für das medicinische Collegium ein.
Die erste Gegenvorstellung, welche die Societät am 7. Decem-
ber 17 14 durch den Hofprediger aufsetzen liess, ist nicht abgesandt
worden; erst die zweite (15. December), übrigens nicht wesentlich
verschiedene, wurde eingereicht". Die Societät kann zuvörderst
ihre Wehmuth nicht bergen, »indem wir vernehmen, wie Ew. K.
Maj. in den Gedanken stehen, als ob die der Societät gewidmete
Gelder zum Theil zu unnöthigen Dingen verwendet werden«. »Sollte
aber der Seidenbau damit gemeint sein, so ist es an dem, dass
die Societät wohl gewünschet hat, damit verschonet zu bleiben^'.«
Der verstorbene König habe ihn ihr auferlegt. Sehr bald sind
die Herren wieder bei LEiBNizens Gehalt, und sie bemühen sich
noch einmal, ihm die 600 Thlr. zu entreissen*, verwenden sich aber
lebhaft dafür, dass der Secretar sein volles Gehalt behalte. Aus
' Da er über die Frage der Nachzahlung der 1800 Thh-. schweigt, so darf
man vielleicht annehmen, dass er sie mit der Societät negativ beantwortete; jeden-
falls hat Leibniz das Geld nicht erhalten.
- Beide befinden sich im Akademischen Archiv, eine Mittheilung aus der
ersten im Urkundenband Nr. 123.
^ Hier erkennt man deutlich, woran es lag, dass das AVerk nicht fortschritt.
■* Zu des Directors Schott Ehre sei es gesagt, dass er zu dem (in dem
ersten Entwurf) über Leibniz Bemerkten hinzugesetzt hat, dass ihm das »nicht
allerdings" gefalle. Einen besonders peinlichen Eindruck macht die Wendung in dem
Schriftstück, nach welcher die Directoren w^enigstens um die Vertheilung der 300 Thlr.
bitten, wenn der König Leibniz die anderen 300 Thlr. doch lassen wolle.
200 Geschichte der Societät von 1711—171»).
der zweiten, eingereicliteii Eingabe erfährt man, dass bei Begrün-
dung des KalenderwerkvS einige Mitglieder ihren eigenen Credit ein-
gesetzt hatten. Auch wird gesagt, die Societät sei schon proprio
motu vor drei Jahren mit der Aufrichtung des theatri anatomici
umgegangen, aber sie habe den nöthigen Raum nicht gehabt; auch
Anderes habe sie projectirt, aber überall habe es an Geld gefehlt;
nun würden ihr noch looo Thlr. genommen. Der Abschnitt über
Lkibniz lautet in der wirklich eingereichten Eingabe fast genau so
wie im ersten Entwurf. Seine Wiener Anstellung dient als Begrün-
dung. »So ist man auf den Gedanken gerathen, ob nicht diese
obligatio ex causa (die ihm versprochenen 600 Thlr.) cessante causa
erloschen und der Fall sich ereignet, aufweichen S. K. Maj. höchst-
seligen Andenkens von solchem Gehalt in Faveur der Directoren
der Societät u. s.w. « Kein Zweifel — der König wollte Leibniz
300 Thlr. und damit die Präsidentenwürde lassen, die Directoren
wollten ihm das Geld nehmen, unbekümmert, was dann aus seiner
Präsidentschaft würde, vielleicht in dem guten Glauben, er wolle
selber nicht mehr Präsident sein\ Al)er warum schrieben sie ihm
nicht und fragten ihn nicht?
Von der Veränderung mussten sie ihn nun in Kenntniss setzen:
aber sie thaten es in einer ganz ungehörigen Weise. Da sie noch
immer hofften, der Monarch werde ihnen das ganze Gehalt von
Leibniz überlassen, so schrieben sie diesem durch den Secretar", der
König habe befohlen, 1000 Thlr. aus den Mitteln der Societät jähr-
lich »zu einem anderweiten Vorwand zu zahlen, ausser dem aber
andere Zahlungen zu thun verboten« (der König hatte vielmehr
befohlen, Leibniz quartaliter 75 Thlr. auszuzahlen!). »Deine zufolge
werden Ew. Exe. mich hochgeneigt entschuldigt halten, wenn mit
der verlangten Geldsumme diesesmal nicht andienen kann.«
^ Dazu koimiit noch ein Anderes, was sie. wie die confessioneilen \'erh;ih-
nisse damals lagen, einigermaassen entschuldigt: sie glaubten dem Gerücht, Lkibxiz
sei in AVien zum Katholicismus übergetreten. Wir erfahren das aus einem Briet'
von Frisch an Leibniz, der ein Jahr später geschrieben ist (vom 28. December 1715
Nr. 33 8.41!". bei Fischer): »Als I{]w. Exe. zu Wien war, wui'de hier, auch von
denen, die ich für so alber nie angesehen, geglaubt, Sie hätten die Religion changirt
[vergl. dazu Kirchner, Leibniz' Stellung zur katholischen Kirche, 1874]; ja ich bin
von einem vertrauten. Freund versichert worden, dass man die Präsidenten -Besoldung
schon eingetheilt unter die Directores und wer etwa bei dem sog. Concilio zugegen,
wie viel jeder bei diesem Fall davon bekommen soll, welches ich für die grösste
Bassesse in der Welt hielte, so von denen, so den Namen von Gelehrten haben
wollen, kann begangen werden».
^ Nr.163 vom 18. December 17 14.
Leibmz begnügt sich mit der Hälfte seines Gehalts. 20]
AVas Leibniz auf diesen Brief geantwortet, wissen wir leider
nicht; sein Brief an die Königin Sophie Dorothea vom 30. Deceni-
her kreuzte sicli mit jenem. Er beklagt sich in ihm über die
Mattigkeit der Soeietät und darüber, dass er zu wenig befragt
werde und Vieles hinter seinem Rücken geschieht; dennoch bittet
er, dass der König sich der Soeietät annehmen möge\ Die Königin
antwortete sehr freundlich (»Vous pouvez etre assure que je vous
en suis tout-a-fait obligee, et que je me ferai un plaisir de vous
marquer mon estime«), aber in Bezug auf die Soeietät ausweichend:
»Pour ce qui regarde l'academie des sciences, j'aurais de la peine
a vous pouvoir parier hi-dessus. Je crois que Mr. Jablonski s'en
acquitterait mieux que moi, ä (|ui j'ai dit vos raisons, et qui vous
manderait les siennes"'«.
Erst am 6. April 17 15 bequemte sich der Secretar dazu^, Leib-
niz einen vollständigen Bericht nebst der Königlichen Ordre vom
29. November 17 14 zu übersenden, so dass er nun erfuhr, dass ihm
doch die Hälfte seines Gehalts geblieben sei^. Er beruhigte sich
grossmüthig dabei; denn was der Secretar in demselben Brief über
die Lage der Soeietät und kurz vorher der Hofprediger ihm erzählt
hatte'', war so traurig, dass Leibniz die Schwierigkeiten nicht ver-
mehren wollte.
"Es ist zu beklagen," — schreibt der Hofprediger — »dass einige Genüither
die eingebildete grosse Revenuen der Soeietät der Wissenschaften mit neidischen
Augen schon längstens angesehen und sich bemühet halben dem damals noch künf-
tigen Regenten die Soeietät selbst als ein unnützes, übeleingerichtetes und nur zum
Eigennutz abzielendes Werk vorzustellen"." . . . (Dennoch war es nahe daran, dass der
König die Soeietät confirmirte), »da vermochten widrige Machinationes so viel, dass die
Confirmation zurückgeleget worden und Alles in voriger üngewissheit verblieben-. . . .
"Hiezu kam, dass die vornehmste membra concilii theils durch Kummer theils Krank-
heit des Leibes gehindei't worden, es sei in den Wissenschaften selbst oder auch
vor die Soeietät, zu deren Aufrechterhaltung etwas Nachdrückliches zu prästiren.
Meinestheils habe ich in diesem letztern getlian, was ich gekonnt, und ist mir nun
' Siehe Urkundenband Nr. 124.
^ Siehe den Brief vom 26. Januar 1715 (Klopp. Werke, 10. Bd. S.457).
^ Secr.-LEiBN. Nr. 164.
* Dass das Concilium den Antrag gestellt hatte, ihm das Gehalt ganz zu
entziehen, verschwieg der Secretar. Leirniz musste nach diesem Brief annehmen,
dass ihm der König proprio motu die 300 Thlr. entzogen habe und die Soeietät
ganz unschuldig sei.
'" Schreiben vom 30. März 17 15 (Hannov. Bibl.); der Hofprediger knüpfte jetzt
wieder mit Leibniz an, da die Soeietät durch Gündelsheim ihi'em Untergang nahe
gebracht war und da sie sich davon überzeugt hatte, dass Leibniz weder nach
Wien übersiedelte noch katholisch geworden war.
" Aber hatte das Concilium dieses Urtheil durch seine ominöse Eingabe vom
21. X()veml)er 1714 nicht bekräftigt''
202 Geschichte ilei' Societät von 1711 — 171H.
fast leid, dass ich so viel, ohne Frucht, gethaii. Icli habe oft den Vorsat/
gehabt, mich gänzlich aus der Sach herauszuziehen, musste jedoch aber
auch bedacht sein, dass, da ein Inconveniens zu vermeiden vermeinete, in ein an-
deres ebenso schweres verfallen möchte. Und dieses ist kürzlich unser jetziger
languissanter Zustand, dem tlott, welchem unsere redliciie und desinteressirte In-
tention bei Anlegung dieses AVerks am besten bekannt ist. nach seinem gnädigen
Wohlgefallen abhelfen kaim.»
Ähnlich schrieb der Secretar:
"Die Zeit her war die Sache der Societät in einer steten Bewegung, da man
inuner gearbeitet, die Bi'üche derselben auf einige Weise zu stopfen und sie vor
dem gänzlichen Einsturz zu bewahren. . . . Die Hrn. Chuno und Schott sind auch,
und der letzte von langer Zeit, unpässlich. dass sie den Versammlungen nicht bei-
wohnen können, wodurcli denn die Societät in einen languorem verfällt, daraus sie
sich mit Mühe wird helfen könnend«
Die beiden folgenden Briefe des Secretars vom 20. April und
18. Mai 17 15' bestehen fast nur aus immer neuen Klagen:
«Bei dem damaligen Langeiir der Societät ist der Seidenbau das einige, wo-
durch man gehoffet, den Vorwurf abzuvv^enden , dass bei der Societät nichts gethan
werde; aber was dieses Werk immer wieder hindert, ist kaum mit der Einbildung
zu fassen. . . . Das Unglück der .Societät ist, dass diejenigen, so derselben Ehr und
Aufnahme suchen, nicht so mächtig sind, als die ihr zu schaden trachten, daher
alle gute Inten tiones voi- dieselbe stecken bleiben, insonderheit zu dieser Zeit, da
sie in languore und fast in agone liegt, nicht nur niorali, sondern auch physico,
indem diejenigen, so bisher am meisten gethan und zu tluui Lust gehabt, durch
Krankheit und andere Zufälle in ihrer Activität gehindert worden, daher auch die
Zusammenkünfte des Concilii nicht ordentlich gehalten werden.«
Auf LEiBNizens A^orhaltung, dass man von Anfang an die Sache
nicht mit gehörigem Eifer betrieben habe, erwidert der Secretar
offenherzig: »Was ist solches gross zu bewundern von Leuten, die
von ihrem Fleiss und Arbeit nichts zu gewarten hatten ; wenn man
hinzusetzt die lange Zeit, da die Societät als noch nicht formirt in
der Inaction bleiben müssen, und die kurze Zeit, da sie durch die
eingefallene Veränderung in ihrer kaum erlangten Activität wieder
gestöret und fast gar daraus gesetzet worden , so kann ein Mehre-
' Er erzählt noch einen l)esonders em])örenden Vorgang: ». . . Hiebei ist das
widerige Verhängiiiss der Societät nicht stehen blieben, sondern, nachdem man re-
solviren müssen, weil anders das IMaulbeerlaub zu Potstamm nicht zu nuzen ge-
wesen, ein eigen Haus mit nicht geringen Kosten anzurichten, mit einem feinen
Saal und ordentlichen Rüstungen in demselben zu Erziehung der Seidenwürmer,
denselben auch vor 18 Thli-. und mit einer jährlichen Erhöhung vermietet, so
haben die grossen Gi-enadiere, so daselbst eintjuartirt sind, sich den Ort so wohl
gefallen lassen, dass unter Vorwand Königl. Ordre, die aber nicht vorgezeiget wor-
den, sie die Thür erbrochen, die Rüstungen ab und zum Fenster hinausgeworfen
und den Saal eingenommen. Zum Unglück ist. da dieses vorgehet, der Hr. Pro-
tector nicht zugegen, sondern abwesend in seinen eigenen Angelegenheiten, so dass
man sich ohne Raht und Hülfe befindet".
^ Secr.-LEiiiN. Nr. 167. 168.
Der Societät droht die innere Auflösuni;- (1715 ] (5). 208
res, als was sie geleistet, ihr kaum abgefordert werden, man wolle
denn von einem kaum geborenen Kinde die Thaten eines gesetzten
Mannes fordern « .
In demselben Schreiben (Nr. 167) berichtet der Secretar, Colas
sei beim Könige in Ungnade gefallen — seine Grosssprechereien
wurden durchschaut — , und das habe der Societät auf's Neue ge-
schadet; »Herr Hoffmann, der Astronom, hat die Gabe nicht, opera
supererogatoria zu thun«; »Herr Spener ist uns ein unersetzlicher
Verlust«; »Herr La Croze hat sich von Anfang der Societät ge-
äussert und ist gar selten in denen Versammlungen erschienen«.
Noch immer müsse man auf den Seidenbau hoft'en, für den sich
Hr. VON Grumkau interessirt. »Nur ist auch hiebei das Unglück,
dass dem König, welcher noch als Kronprinz der Sache überaus
zugethan gewesen , dieselbe in odium Societatis dermassen verleidet
worden, dass er sie nur en ridicule handelt.« Die Vorbereitung
des 2. Bandes der Miscellanea stocke, weil die beiden Directoren,
denen die Arbeit obliegt, durch schwere Krankheit arbeitsunfähig
seien. »Dem Könige ist zwar mit gelehrten Sachen nichts gedienet;
denn er fraget nicht, was die Societät denke oder erfinde, sondern
nur was sie thue; vor der Welt aber sich in Reputation zu erhal-
ten, würde freilich nötliig sein, mit etw^as Neues aufzutreten.« »Hr.
Frisch, dessen ich eher gedenken sollen,« — endlich geschieht dem
wackeren Mann Gerechtigkeit — »ist ohne Widerrede der activeste,
aber unter so viel Objecte zerstreuet, dass man oft kaum weiss,
wo man ihn suchen soll.«
Schliesslich kündigt der Secretar in diesem Briefe an, dass er,
der schon seit einiger Zeit Erzieher eines Königlichen Prinzen (Sohn
des Markgrafen Philipp Wilhelm) sei , mit diesem auf Reisen gehen
werde und dazu einen längeren Urlaub erbeten habe. Sein Gehalt
war ja auf die Hälfte herabgesetzt. Der Urlaub wurde ihm be-
willigt (zunächst, wie es scheint, auf zwei Jahre), und in seinem
letzten Schreiben an Leibniz (i 5. Juni i 7 15) verweist er diesen in
Bezug auf die Societätsgeschäfte an den Vicepräsidenten , den Hof-
prediger.
Spener gestorben, Cuneau seit langer Zeit hinfällig (er verschied
am 30. December i 7 15), Schott arbeitsunfähig, Hoffmann, der Astro-
nom, lässig, La Croze ohne wirkliches Interesse für die Sache, der
Secretar auf Reisen — nur der verzagte Hofprediger und der rüstige
Frisch blielien übrig! Sie allein bildeten die Societät — aber Frisch
gehörte nicht zum Concilium I Wohl verlor sie im Juni i 7 i 5 ihren
204 Geschiclite dei- Societät von 1711— ITKi.
schlimmsten Feind, den Leilmiedicus Gundelsheim , durch den Tod',
ahcr dns Urtheil des Königs änderte sich niclit mehr, und die Societät
war in ihrem gegenwärtigen Zustande auch nicht fähig, es zu ändern.
Mit Frisch begann nun Leibniz wieder, seit der Secretar d("n
Schauplatz verlassen liatte, einen regen Briefwechsel. Seine Schrei-
ben und La Croze's gelehrte Briefe erfreuten ihn in seinem letzten
Lebensjahre. Nicht weniger als 14 Briefe von Frisch an ihn aus
der Zeit vom 26. Juli 17 15 bis 19. September 17 16 (zwei Monate vor
LEiBNizens Tode) sind uns erhalten. Sie stechen durch ihre Frische
und iliren Muth erfreulich von den geschäftsmässigen und matten
Briefen des Secretars ab. Über Alles erstattete Frisch Bericht, was
mit der Societät in Zusammenhang stand"'. Daneben schrieb auch
' In Jordan's Vie de Mr. La Croze (1741) T. II 8.310 findet sich ein bissiges
Epigramm auf den Tod Gundelsheim's, welches La Croze aufgezeichnet, aber schwei'-
lich selbst verfasst hat:
"Hier liegt ein Aretin
Und Aeskulapius,
Ein gottlos Lästermaul
Und grosser Medicus,
Der seines gleichen nicht
In beiden hat gefunden.
Der Kranken Engel und
Ein Teufel der Gesunden.»
Dass der Nachfolger Gu>'I)elsheiji's, Stahl, der Societät auch nicht günstig
gesinnt war — liatte er doch dem Obermarschall vorgerechnet, sie müsse mindestens
jährlich 12000 Thlr. Einkonunen haben — bei'ichtet der Hofprediger an Leibniz
am 3. September 1715.
"^ Hauptsächlich beschäftigten ihn noch immer der Seidenbau — man hatte
ihn wieder herangezogen — , sodann die L^ntersuchungen über die Entwicklungs-
geschichte der Insecten sowie deutsche und slavische Studien. Dem verstorbenen
Gundelsheim bezeugt er (Nr. 27 vom 26. Juli 1715), dass derselbe für den botani-
schen Garten aus eigenen Mitteln viel gethan (er hatte ihn auf eigene Kosten, aber
mit den Regalien übeiniommen, s. Nicolai. Berlins Bd. III S. 1038). »Bei der So-
cietät wird es fast täglich schläfriger in allen Departementen; ich behalte indessen
bei aller Schläfrigkeit der Andern eine ungemeine Lust, sonderlich in physicis etwas
zu thun.« In demselben Brief berichtet er von dem Antrag eines nicht zum Con-
ciliuin gehörigen Mitglieds (Achenbach), dass sämmtliche Mitglieder öfter als
jährlich nur einmal, mindestens vierteljähi"lich, zusammenkommen sollten und man
sich über die Bedürfnisse der Societät gemeinsam berathe, »dass es nicht alles auf
die wenigen Directores in concilio ankäme, man auch sich unter einander besser
kennen lernte". Dieser voitreffliche Vorschlag fand allgemeinen Beifall; aber das
Concilium gab ihm keine Folge, llhw bedenkliche Geschichte erzählt er im Brief
vom 30. August 17 15: "Bei der letzten Sonnenfinsterniss war auf dem Königl. Obser-
vatorio eine grosse Frequenz von allerlei feinen Leuten. Einer von den Fremden
fragte ein Membrum der Societät, ob nicht die Societät anfinge, eine Fabel zu
werden, wenn man nicht besser continuirte. Da zeigte ihm dieser das Observa-
torium und sagte: "Tantum nobis profuit haec fabula"." Über die Arbeiten der
Der Societät di-oht die innere Aiifliisung-. 205
der Hofprediger häufiger und suclite das gute Verhältniss mit Leibniz
wiederherzustellen.
Allein während er das that, spielte sich noch ein letzter Act
der Verhandlungen über Leibnizcus Gehalt und über seine ganze
Arbeit für die Societät ab, der dem Hofprediger nicht zur Ehre
gereicht und den wir lieber verschweigen würden. Am 3. Septem-
ber i 7 i 5 theilte er Leibniz mit\ dass ihm bis auf Weiteres sein
ganzes Gehalt entzogen sei — die Königliche Verfügung darüber
ist nicht aufzufinden, auch ist nicht bekannt, was den Monarchen
zu diesem Befehle bewogen hat: der Hofprediger setzte hinzu, das
Concilium habe dagegen nichts thun können, bitte aber um Geduld,
bis 3Iajestät vom Feldzug zurückgekehrt sei.
Die Reduction seines Gehaltes hatte sich Leibniz ruhig gefallen
lassen , aber die Einziehung wollte er nicht stillschweigend hinneh-
men. Kt richtete an den Protector von Printzen am i5.0ctober
17 15 ein Schreiben, dessen Concept sich erhalten hat".
Mon absence ne m'avait pt)int empeche d'avoir soin de la Societe
des Sciences de Berlin, et malgre tous les empechements j'avais pris des
mesures pour faire paraitre un nouveau tonie des Miscellanea Berolinensia,
les habiles gens dans les pays etrangers qui ont goüte le premier. le solli-
citant, et y voulant meine fournir (juelqiies materiaux, ayant bien voulu
etre de la Societe. C'etait, ce nie senible, assez bien soutenir la reputation
d"un etablissement royal. Et j'attiübuais aux embarras suscites a la Societe
par iin homme envieux et inedisant de son naturel [Gundelsheim]. (|ui
avait roreille du roi, le delai de mon payement, esperant qu'apres la
beiden Jablonski zur deutschen Sprache (Übersetzung des Germania des Tacitus
durch J.Th. Jablonski) und Orthographie, die zum Theil im Druck ausgegangen waren
und durch ihre Mangelhaftigkeit die Akademie blossstellten («es moquiren sich
viel darüber imd sagen, man spüre den Pollacken gleich im ersten Periodo"),
spricht er sich rückhaltlos aus, und Leibniz (Nr. 32, undatirt, Fischer S.41)
stimmt ihm bei. Von der Übersetzung des Tacitus schreibt Frisch (Nr. ^;^ vom
28. December 1715): "Ich hab sie mir abschreiben lassen und finde so grosse
Felller wider den Genium unserer und der lateinischen Sprache darinnen, dass es
eine Schande wäre, wenn sie unter der Societät Namen publicirt würde". »Drei
Departements liegen völlig darnieder-, schreibt er in demselben Brief (das Cuneau's,
Schott's und 1vrug"s von Nidda , -der selten kommt, oder wenn er kommt,
Niemand von den membris antrifft«), »das vierte — es ist das orientalisch - christ-
liche — wird dem Hrn. Directori desselben zu Gefallen noch gestützet, wird aber
nieinal darinnen etwas ausgebrütet werden, denn es sind lauter Dinge, die sich
in infinitum trainiren werden. Die Diplomata sind jetzund so wohlfeil, dass
man nur recommendiren darf, ohne weitere Untersuchung, und dürfte wohl die
Genever Reise (er meint die Reise des Secretars) eine grosse Zahl der ^Mitglieder
bringen.'
^ Der Brief wird in Hannover aufbewahrt, wie auch alle folgenden des Hof-
predigers.
- Klopp, Werke 10. Bd. S.458f.
206 Geschichte der Societät von 1711— ITKl.
mort de ce personnage tont irait iiiieux. Mais j'ai appris enfin depiiis peii
par M. Jablonski, le predicateur du i'oi, que c'est par un ordre de Sa
M*^ (ju'oii a sursis ce payement. Je ne saurais Tattribuer qu'a de fausses
inij)res.sions donnees par quehjues personnes du caractere de celle dont je
viens d(; jjarler, aux(pielles devrait, ce nie semble, prevaloir ropiniou pu-
bHijue. Peut-etre n'est-elle pas assez connue de Sa M*^; niais j"espere
que V. P^. me rendra justice et fera le.ver ces obstacles, (jui ne servent
(ju'ä decourager les bien -intentionnes, et poui-raient donner quelque atteinte
a la gloire d'un etablissement royal menie aupres des gens qui ne con-
naissent pas assez la generosite de Sa M'"^. Si j'avais ete, ou etais un
peu mieux seconde, je ne doute point (pie le i'oi ne put avoir le plaisir
de voir cet etablissement aussi utile au pays (pi'il a ete applaudi ailleurs.
Comnie je puis m'attribuer d'avoir porte le feu roi ;i cette fondation , par
la Suggestion d'un moyen propre ä jeter les fondenients de sa subsistence.
je in"interesse a la voir llorissante, et j'avais espere qu'on m'en aurait
(juelque Obligation.
Les luinieres de V. E. nie dispensent de dire davantage, et sa honte
ine fait prendre la liberte de mettre mes interets h'i-dessus entre ses inains.
Et je suis entierement, etc.
Leibniz glaubte, dass der König auf Einflüsterungen von Gundels-
HEiM ihm das Gehalt genommen habe und die Societät unbetheiligt
sei. Aber von Printzen wollte seinen König nicht biosssteilen. Er
hielt es jetzt für seine Pflicht, Leibniz davon in Kenntniss zu setzen,
dass das Directorium selbst hinter der Sache stehe bez. gestanden
habe. Wie muss es Leibniz überrascht und gekränkt haben, als er
zur Antwort auf seine Beschwerde folgenden Brief von von Printzen
(5. November 1715) empfing^:
Mr. Aussitot que j'ai rcQU l'honneur de votre lettre tres cliere du
15 du mois passe il y a a peu pres huit jours, je n'ai pas manque de
la communi(juer aux chefs de la Societe des sciences, pour savoir d'eux
le fondement des plaintes que vous y faites sur ce que Ton a siste le paye-
ment de vos appointements. Sur quoi les chefs de la Societe m'ont delivre
le papier ci -Joint, par lequel ils pi-etendent (jue les 600 ecus qui vous y sont
promis , n'avaient ete stipules que pour les frais de voyages et corres-
pondances dont vous vous etiez charge pour le bien de la Societe, et
comme ils pretendent que, pendant le cours de trois ou quatre ans, vous
n'aviez pas ecrit aucune lettre a la dite Societe ou pour elle^ ni fait aucun
voyage, ils croient etre d'autant moins autorises de vous pouvoir con-
tinuer ce payement, a moins d'un ordre expres d»i roi, puisque Sa Majeste,
par la nouvelle disposition (pi'EUe a trouve bon de faire des revenus de
la dite Societe, leur avait lie tellement les mains, qu'ils ne pouvaient pas
faire de pareils payements, qui ne fussent autorises du roi meme, et la
ou il leur semblait cpie vous avez abandonne tous les soins de la Societe.
\'oilä leurs raisons que j'ai cru vous devoir communiquer fi-anchement
telles qu'ils me les out alleguees, et dans lescjuelles je trouve le principal
point (jue ces appointements n'ont point ete fixes par aucun rescrit ni
Klopp, Werke 10. Bd. S. 459 f.
Das war eine flagrante Unwahrheit.
Das ganze Gehalt LiciBNizens wird gesperrt. 20 i
du roi defunt, ni du roi present. J'attends donc ce (jue vous aurez äy
i;e[)ondre, et soit (pie vous trouviez l)on d'envoyer pour cela urie i-etjucte
au roi, ou que vous voiiliez d"une autre maniere me faire savoir vos
intentions et sentiments, je ne inanquerai pas d'en faire un exact rapport
au roi, et je in'eniploierai toujours avec autant de ])Iaisir (jue de zele.
quand il s"agit de vous itiarquer avec (juelle passiou sincere et parfaite je
suis et serai toujours, etc.
Die Antwort, die Leibniz auf dieses Schreiben von Printzen
ga1), der ihm das Intriguenspiel des Conciliums enthüllte, ist die
letzte officielle Schrift, die er in Sachen der Societ<ät verfasst
hat. Sie macht dem misshandelten Präsidenten in jeder Hinsicht
Ehre und muss hier vollständig zum Ahdruck kommen':
IMonsieur. Je suis bien oblige a V. E. de ce qu'Elle ni'a bien voulu
desabuser. J'avais cru que Tiuterruption entiere de mon payement venait
des ordres du roi, et je vois par Thonneur de sa lettre, qu'elle vient
d'ailleurs. M. le secretaire Jablonski in'avait ecrit, un peu avant son de-
part, que, depuis une certaine disposition sur les revenus de la Societe,
Sa M*^*^ trouvait bon que nies 600 ecus fussent reduits ä 300. Quelque
temps apres, son fi-ei-e M. Jablonski, predicateur du roi, m'apprit, que mon
payement etait suspendu. Je joins ici les extraits de leui's lettres. Main-
tenant il se decouvre que cela vient en bonne partie de quelques membres
de la Societe. Mais la raison (ju"ils en alleguent dans la lettre de V. VI.,
est un fait dont je ne conviens point. 11s disent qu'en trois ou cjuatre
ans je n'ai ecrit aucune lettre ä la Societe, ni pour eile, ni fait aucun
voyage. Je puis refuter l'omission de la correspondance par les lettres
de M. le secretaire et de plusieurs savants hommes, dont j'ai voulu tirer
et tire des materiaux pour la continuation de nos Miscellanea. Mais il
pourrait sem])ler (ju'on a voulu prouver Tomission ([u"on m'imjiute parce
(ßie, depuis (juelcpies annees, M. le secretaire de la Societe ne m'a donne
aucune ou tres peu d'information de ce (jui s'y passait, quoique je l'eusse
demandee, et ä peine ai-je pu avoir quehpie reponse imparfaite a foi-ce
dinterroger. On a pris plusieurs nouveaux membres non seulement sans
me consulter, niais meme sans me Tapprendre. On a fait imprimer et
distribuer des pieces de la part de la Societe sans me les avoir commu-
niquees, comme touchant les listes des membres, sur l'histoire et Finstitution
de la vSociete, et sur l'orthographe allemande, et cette derniere piece n"est
pas encore venue juscju'ä moi. Quand ces imprimes tombaient enfin entre
mes mains, j'en remanjuais et redressais cjuelquefois les fautes, mais trop
tard. Dans les listes des membres on mettait quelquefois des gens pour
morts qui se portaient bien , et cpii s'en plaignaient ä moi. On a meme
cesse de me communiquer les observations et les almanachs astronomiques
et d'autres dont la reputation etait etablie depuis annees. Et M. Hofman,
observateur de la Societe, ne m'a point ecrit, quoique je Ten eusse prie,
au Heu que M. Kirch, dont la reputation etait etablie depuis tant d'annees,
me rendait compte de ses observations. J'avais encourage M. Frisch ä
pousser notre privilege de la culture de la soie, et cela allait d'un assez bon
^ Nach dem Original, datirt auf den 19. November 17 15, im Geheimen Staats-
archiv, nach dem etwas anders lautenden Concept in Hannover hat Klopp, Werke
10. Bd. S. 460 ff., gedruckt; eine Abschrift findet sich auch im Akademischen Archiv.
208 (Jcsc'liiclite der Societiit von 1711-171C>.
train; mais oii liii t'ii nta le soiii contre innii a\is. et on ivciila au licu
(ravancer.
Je ii'ai pas lai.ssr dt> faire inon devoir iiial,u,i-e ee eonipoi'tement ä
nion egard. Et sans j)arler de ])eaucoup d'autres de nies correspondances
conibnnes au bot de la Societe, M. l'Abbe VAKUiNox. membre celebre de
TAcademie Royale des sciences de Paris, siir la vue de nos Miscellanea,
ine tenioigna son desir d'etre de notre Societe; il fut re(;ii, et depiiis il
n\'a envoye une belle piece de niatheniatique, ([ue j"ai transmise avec ines
additions. M. personne ^ et d'autres personnes celebres ont aussi envoye
des pieces considerables [)ar nion entreniise, et ils ont tenioigne d'en vouloir
envoyer d'autres, poui'vu (ju'on se mette en devoir de continuer nos Mis-
cellanea. C'est ce (jue j'ai toujours presse, et j'ai prie ]\I. le Secretaire
de mettre enseinble toutes les pieces choisies (|u"on croyait pouvoir servir
j)our un nouvean Tome, et de m'en envoyer le Recueil pour le revoir
comme il serait sans doute necessaire; et je me preparais k y mettre aussi
plus d'une piece de mon clief. mais on n"en a i-ien fait. Et cette inaction
(qu'on ne doit jjas imputer a moi) a fait baisser la reputation de la Societe.
Partant de Berlin la derniere fois je pris des mesures pour avoir
bientot un nouveau Voltnne des Miscellanea. .T'engageai certaines per-
sonnes ä, certains travaux; je priai le jeune M. Naudk de donner une
description de la belle invention du metier des bas a soie; et j'ai appris
(ju'il Ta donnc. Je ])riai INI. n'ÄNGicorRT de faire des experiences sur
les Couleurs, pai-ce (ju'il avait commence d"y faire attention, et (ju'il a du
genie pour mediter. Je demandai aussi tpi'on fit observer avec soin en
plusieurs lieux la \'ariation de TAimant, chose tres importante pour la
geographie et pour la navigation. Je ne sais ce (iu'(m a fait. Mais je
crois que ce qu'il y a de bon et de consequence dans les recueils de la
Societe est du en bonne partie ä nies soins, aussi bien (jue sa fondation
ineme. Je presse (pi'on agisse, je m'offre de contribuer (quelcpie precieux
([ue mon temps me soit ;i mon äge), on le neglige, et on m'impute ces
inactions. Une partie des membres qu'on prend ne servent qu'a gi-ossir la
liste, et a rebuter ceux qui meritent d'etre distingues, de sorte qu"il faudrait
faire a mon avis un nouveau reglement en vertu duquel on rayerait ceux
qui pendant le cours de trois [ans]" n'envoyeraient [sie] rien de convenable.
Quant a ma presence^, eile n'est point absolument necessaire, pourvu
(ju'on veuille se servir de mes conseils, sans quoi aussi eile serait inutile.
Cependant j'avais dessein de passer ä Berlin a mon retour de Vienne;
mais le grand changement de notre Cour m'obligea de häter mon voyage
pour y etre au plus tot. Des occupations pressantes, jointes ä quelque indis-
position, ne m'ont point permis de venir cette annee; mais mon dessein
etait de venir celle (pii vient. et j'avais souhaite ([u'on jii'eparät aupara-
vant le nouveau Recueil pour l'ajuster ä mon arrivee, mais k present je
ne sais (|ue dire.
Pour ce qui est de mon payement, je ne demanderai point Timpos-
sible; je ne veux pas aussi intenter un Proces a ces messieurs-la aupres
du roi: il me semble que de telles ])oursuites ne soient guere bien a un
^ Wie das Concept zeigt, ist das eine Verschreibung; es muss «Bernoulli«
heissen.
- Ist nach dem Conce})t einzuschalten.
^ So im Concejit; in der Reinschrift heisst es irrtliümlich »mon absence«.
Angriffe der Societät aul' Leibxiz. Seine Vertheidignng. 209
honnne de ma sorte; mais je remets le tout aux sentiments de V. E. doiit
je connais les principes genereux et les linnieres dignes de son poste. ne
doutant point qu'Elle ne soit poi'tee ä nie rendre justice aupres du roi.
Apres avoir pris les inforinations necessaires, Elle jugera ce qui est faisable
et raisonnable ä mon egard. Elle jugera aussi ce qu'il faudra faire pour
retablir la reputation chancelante de la Societe, et s'il faut ecouter nies
avis la-dessus. Et je suis entierenient, Monsieur, de V. E. . etc.
Dieser Brief, dessen Tragik jeder Leser empfinden, dessen vor-
nehmen Geist und Ruhe er bewundern wird, traf in Berlin am
30. Novemher ein. Noch an demselben Tage forderte von Printzen
das Concilium zum Bericht auf. Der Hofprediger erstattete ihn im
Namen desselben am ii.December\
Des Herrn Ober Marschallen Hol'freiherrl. Excellenz stattet die So-
cietät der Wissenschaften vor die gnädige Conununication des hiebei ge-
horsamst zurückkommenden Schreibens von dem Hrn. v. Leibnitz, unter-
thänigen Dank ab.
Dasselbe bestehet aus vielerlei Artikeln und Puncten, bei deren jedem
Verschiedenes zu erinnern wäre, wenn solches nicht zu weitläufig u. Sr.
Exe. zu vei'driesslich fallen müsste.
Das Hauptwerk kommet darauf an , dass die Correspondenz mit dem
Hrn. V. Leibnitz unterbrochen worden, und dass ]Miscellaneorum Tonius H.
so lange nachgeblieben.
Beides ist wahr, man kann aber kühnlich sagen, beides vornehmlich
durch des Hrn. v. Leibnitz eigene Schuld, als welcher nicht allein selbst
seit Niedersetzung der Societät nur ein einziges Mal (und in den letzten
fünfthalb Jahren gar nicht) in Berlin gewesen, sondern auch die Correspon-
denz so lau geführet, dass zu der Zeit, da er die Wienerische Reise gethan,
er an die zwei Jahre nicht anbei' geschrieben^, auch vorher bisweilen in
etlichen Monaten oder einem hallten Jahre nicht, da es sich wohl zuge-
tragen, dass man in Hannover selbst von ihm nicht gewusst, wo er sich
etwa verborgen, seinen iSIeditationibus nachzuhangen, er auch gleichsam
nur dann geschrieben, wenn er Geld verlanget^.
Nun ist bekannt, dass die Societät sonderlich in den letzten Jahren
mancherlei Travei^sen gehabt, aucli die activesten jMitglieder allhier theils
gestorben , theils lange krank gewesen , unter welchen letzteren der Hr. Rath
Chuno sich befindet, welcher die Besorgung der Miscellaneorum über sich
genommen , auch alles , was dazu etwa gesammlet worden , noch itzo wirk-
lich in seiner Verwahrung hat. Je schläfriger es nun erwähnter L'rsachen
halber bei der Societät zuging, je mehr würde es dem Hrn. v. Leibnitz
angestanden haben, durch seine Anwesenheit dieselbe aufzumuntern, ihr
zu assistiren und das Werk mit Ernst und Nachdruck zu secundiren.
Die Particularität in des Herrn v. Leibnitz Schreiben, welche son-
derlich in die Au2;en fällt, betreffend den Abt de Varignon, zu berühren.
'^ Concept im Akademischen Archiv, Original im Geheimen Staatsarchiv.
^ Das ist eine grosse Übertreibung; zur Entschuldigung der Societät lässt
sich nur sagen, dass der Secretar damals auf Reisen war und die anderen Herren
sich der Briefe von Leibniz nicht erinnert haben mögen.
^ Diesen letzten unwahren Satz hat Krug von Nidda dem Concept des Hof-
predigers hinzugefügt, und er ist aufgenommen worden.
Geschichte der Akademie. I. 14
210 GesL'hiclite der Societät von 1711 — ITKi.
so ist der Ileri- Chixo neulich befi'aget worden, wie es darum stehe,
und hat derselbe vermeldet, dass der Ilei-r w Leibxhz ihm etwas von
desselben Arbeit zwar zugeschicket. a))er mit Ordre, in die Leipziger
Acta Eruditorum es einbringen zu lassen, welches er aucli sagte gethan
zu haben.
Wann nun der Hr. v. LinBNrrz die Angelegenheiten der Societät im
Ernst wölke zu Hertzen nehmen, so könnten die bei dem Hrn. Chuno vor-
handene, zu den Miscellaneis dienenden Stücke demselben währender seiner
Krankheit abgenommen werden, einige andere Stücke, welche der Herr
v. Leibniiz bei sich haben wird, könnt er hiernächst mitherbringen und
bei seiner Anwesenheit könnte dieser Tomus 11. in Ordnung gebracht und
zum Druck übergeben werden. Auf solche Weise würde man des Hrn.
VON Leibxitz Affection zu der Societät und seinen Eifer, derselben Incre-
mentum zu bef()rdern, erkennen, und wann er mit solcher vSorgfalt und
Besuchung dieses Orts jährlich continuirete, würde ihm die jährliche Er-
kenntlichkeit zu solcher Reise gemäss S. K. Maj. allergnädigsten Verord-
nung keineswegs geweigert werden.
Dör Punct wegen Reception einiger Membrorum in die Societät ist
zwar wichtig, aber hier allzu weitläufig. So lang der Hr. \-. LEiBNrrz diesen
Ort besudlet und ordentliche Correspondenz mit selbtem gehalten, ist kein
einziges Mitglied ohne seine Approbation erwählet worden. Nachgehends
hat es bei so langer Abwesenheit und unterbrochener Correspondenz un-
möglich so sein können. Wir getrauen uns aber die geschehenen Wahlen
gar wohl zu rechtfertigen. Und haben nur noch neulich zween berühmte
IVIänner in Italien, nämlich Illustris Marchio Johannes Polens, Philos.
Prof. ord. Patavinus, und Dn. Petrus Ant. Micheeotti , Phil, et Med. Dr.,
C'ollegii apud Venetos medici Assessor ord. et Practicus ibidem celeberr.,
reci})iret zu werden verlanget. Weil aber die Diplomata noch nicht aus-
gefertiget, und Hr. v. Leibnitz in der Nähe, wird man an denselben dieser-
halb vorher schreiben.
Nomine Societatis ist ausser dem Tomo I. Miscell. nichts herausge-
kommen. Doch sind ein paar Tractätchen, privato nomine, von einem
Mitglied der K. Societät der Wissenschaften ans Licht gegeben worden,
und zwar mit Vorbewusst und Consens der Glieder des Departements,
dahin sie gehöret.
Uljrigens wird die Societät in dieser so wohl als allen anderen Sachen
lediglich von Sr. hochfreiheri'l. Excellenz gnädigem Befehl und erleuchtetem
Gutachten dependiren, welchem sie sich mit schuldigstem Respect gehor-
samst unterwirft.
In ccmcilio Societatis,
d. 1 1. Dec. 1715.
Um dieses Schreiben eini^-ermaassen zu entschuldigen, muss man
sich erinnern, dass Leibniz elf Jahre in allen Dingen die Initiative
ergriffen, nun aber fast fünf Jahre sich zwar theilnehmend, aber ganz
passiv verhalten hatte und auch in der letzten Zeit, obgleich er in Han-
nover weilte und die Societät mit dem Tode rang, nicht nach Berlin
gekommen war. Auch dann freilich noch erscheint die Eingabe,
die nicht einmal überall das Thatscächliche respectirt, als grober
Undank. Leibniz hat sie nie zu Gesicht bekommen, und wie von
LEiBXizens letzte Bemühungen für die Societät. 211
Printzen sie beantwortet hat, wissen Avir nicht \ Merkwürdig aber
ist, dass der Hofprediger, bald nachdem er sie abgesandt, wieder
in den regsten Verkelir mit Leibniz, nicht nur in Sachen der So-
cietät, sondern auch in der Unionsfrage, die mit dem Willen des
Königs wieder aufgenommen wurde, getreten ist. In den zahlreichen
Briefen des Hofpredigers vom Jahre i 7 i6, die nalie bis an den Todes-
tag von Leibniz reichen, tritt das alte Vertrauen und die Ehrfurcht
vor dem grossen Mann wieder hervor. Alles wird ihm vorgetragen,
und man darf vielleicht annehmen, dass der Hofprediger sich jener
Schriftstücke geschämt hat, die leider aus den Acten der Societät
nicht zu tilgen sind.
Was er Leibniz im Jahre 1716 von der Societät zu berichten
hatte, lautete freilich traurig. Es begann jene Zeit, die La Croze
seinem Freunde Fabricius in Hamburg also beschrieben hat": »Hie
omnia frigent, ipsaeque litterae non negliguntur modo, verum ut
7r€pi\frt]iuaTa militum et aulicorum omni ludibrio traduntur«.
Es machte grosse Schwierigkeit, einen Director für die mathe-
matische Klasse an Cuneau's Stelle zu finden. «Sie besteht aus zwei
Deutschen, Jägwitz und Behr [Beer], die aber Beide seit dem Tode
Friedrich's I. (also seit 3 Jahren!) nicht mehr in die Sitzungen gekom-
men sind", und vier Franzosen (des Vignoles , d'Angicour und Naude,
Vater und Sohn). Man hätte gern evitiret, einen Franzosen zum
Director zu haben, weil man im Concilio, auch w^ohl sonst, mit
der Sprache nicht so wohl fort kann.« Aber Jägwitz, an den zu
denken sei, müsse, seitdem er seine Pension verloren, de pane lu-
crando arbeiten und sei ausserdem in der höheren Mathematik nicht
bewandert. Man habe nun die Wahl aufgeschoben und bitte Leib-
niz um seine Antwort auf folgende Fragen:
i) was Ew. Wohlgeboren generaliter vermeinen liei jetzigem Zustand der So-
cietät zuträglich zu sein,
2) wie in specie die Classis mathematica zu besorgen, imd wie des Herrn
Chuno Verlust uteunque zu ersetzen sei,
3) die ersten 18 Stücke für den 2. Band der Miscellanea sind abhanden ge-
kommen, ob sie sich vielleicht bei Leibniz befinden,
4) über die Aufnahme einiger Gelehrten, die sich gemeldet haben und den
Beifall der Societät besitzen, »ob Ew. Wohlgeboren gleichfalls solches gut
heissen, allermassen wir nie Sinnes gewesen, ohne Ew. "Wohlgeb. Vor-
' INIan kann allerdings schliessen, dass er das Concilium angewiesen hat.
mit Leibniz fortan lleissig zu correspondiren.
^ Thesaur. epistol. T. III p. 122 vom 4. September 17 16.
^ Frisch sagt von Jägwitz, er sei nicht gekommen, »weil icli die Ehre habe
ein meinbrum zu sein« (Nr.35 vom 1 1. Februar 17 16, Fischer S.43).
14*
212 Geschichte der Societät von 1711 — 1716.
wissen, wann Sie nur in der Nähe und ahzureichen sind, etwas Wichtiges
vorzunehmen",
5) ob Ew. Wohlgeh. uns nicht Hoffnung machen wollen, nächsten Sommer, wills
Gott, einmal näher zu kommen und die languirende Societät durch Dero
Anwesenheit hoffentlich zu erquicken und sie zu stärken. Wie bekannt,
mein Bruder ist auch entfernt, und wir beide nur noch allein übrig von
denen, die zur Errichtung der Societät den ersten Stein geleget. Es sollte
mir leid thun, wenn ich dieselbe überleben sollte, absonderlich nachdem
derjenige, der ihr am meisten nach dem Leben gestanden [GuNDKLSHEm],
vom Tode bereits dahingerissen worden ^
Als der Astronom Hoffmann einige Monate später starb, wandte
sich der Hofprediger wieder an Leibniz: er nannte ihm den jüngeren
Kirch oder Wagner als Assistenten des Astronomen, diesen selbst
aber — er müsse eine Kraft ersten Ranges sein — solle Leibniz
vorschlagen". In einem etwas späteren Brief kommt Jablonski auf
die ominöse Gehaltsfrage ^. Das Schreiben ist etwas zuversichtlicher;
er erwartet, dass die Societät »ihren Credit beim König allmählich
recuperiren«, und versichert, dass er Leibnizcus Interesse wahrnehmen
werde, nur müsse er noch Geduld haben. Bald darauf kann er in
zwei Briefen die Hoffnung aussprechen, dass der König die Ana-
tomie der Societät einverleiben werde ^. In den letzten Briefen vom
October kündigt er seine Ankunft in Wolfenbüttel und Hannover
an (in der Unionsfrage, deren Behandlung in jenen Monaten Leibniz
und Jablonski fast ausschliesslich beschäftigte); er werde persönlich
über die Lage der Societät Vortrag halten. Dazu sollte es nicht mehr
kommen. Am 1 4, November i 7 1 6 starb Leibniz nach kurzer Krankheit.
^ Brief vom ir. Juni 17 16. Jägwitz wurde wirklich Director.
^ Brief vom 11. April 17 16.
3 7. Juli 17 16,
* Briefe vom 8. August und 26, September 17 16. In dem ersten (Kvacsala
S.149) heisst es: »Wir avanciren in dem Vorschlag, die Anatomie der Societät zu
incorporiren , und ist der jetzige Prof, Anatom. D, Henrici, eine Creatur des Hrn.
GuNDEi.sHEiM, selbst der Meinung, welcher ein Diploma als Socius dankbarlich an-
genommen und von der Sache mit mir weitläuftig gesprochen hat. Der König be-
soldet diesen Professorem doch aparte, und den Aufwärter bey der Anatomie hat
Hr, GuNDELSHEiM uus olme dem aufgebürdet. Also wüi-den wir nicht viel mehr Un-
kosten bey der Anatomie tragen dürfen, hingegen uns dadurch bey Hofe fest
setzen«. In dem anderen schreibt Jablonski (a. a. O. S. 153): »Von der Anatomie
dürfte ehistes ein mehres zu schreiben sein; denn ich sehe, dass die Sache bey
Hofe in Bewegung gerathen; ich weiss aber nicht, wie favorabel vor die Societät
der Ausschlag sein möchte. Eine kurze Zeit wird es uns geben". Leibniz billigte
die Aufnahme der Anatomie; er schrieb am i.. September (a,a, 0,8.151 f.): »Die Incor-
])orirung der Anatomie bej^ der Societät ist allerdings nöthig. Es sollten billig junge
riiirui'gi, so etwa im Felde zu gebrauchen, gebührend darin instruirt werden,
und könnte etwas aus der Krieges - Cassa wie anderswo brauchlich dazu kounnen,
und also dasjenige, so man der Societät abgezogen, derselben wieder gegeben werden«.
LEiKxizens Tod. 21 O
Keiner seiner letzten grossen Pläne hatte sich verwirklicht —
der eine war dem anderen hinderlich geworden\ Was er gebaut
hatte, schien zusammenzubrechen; in tiefer Vereinsamung ist er
gestorben , vom hannoverschen Hofe vernachlässigt"'. Aber was er
im Reiche des Gedankens geschaffen hat, ist unvergänglich ge-
blieben, und darüber hinaus — fast alle seine grossen Projecte
sind doch im Laufe der Zeiten allmählich verwirklicht worden. Er
hat nicht nur Saaten in die Zukunft gestreut, sondern er hat auch
der wissenschaftlichen Arbeit der Zukunft die Form gegeben und ihr
das Haus gebaut. Seine verfrühte Schöpfung, die Berliner Societät,
die erste Gesammtakademie Europas, schien dem Untergange nahe,
als er starb; aber er hat niemals daran gedacht, ihr die Auflösung
anzurathen : er hoffte, in der Gewissheit, die richtige Form ge-
schaffen zu haben, auf bessere Zeiten und tüchtigere Männer.
Niemand hat ihm in Berlin eine Gedächtnissrede gehalten^;
auch in London schwieg man — in dem Streit mit Newton stand
die Royal Society parteiisch auf Seiten ihres einheimischen Mitgliedes
gegen ihr vornehmstes auswärtiges. Nur die Pariser Akademie
ehrte am i 3 . November i 7 i 7 den grossen Todten durch die würdigste
Lobrede. Fontenelle hat sie gehalten^.
^ Klopp, Werke. 1 1. Bd. S. XXXVII sucht zu zeigen, dass Leibniz wenige
Tage nach seinem Tode wirkhch zwischen der Stelhing eines Historiographen in
London und einem hervorragenden Amt am Hofe Cari/s VI. in Wien zu wählen
gehabt hätte, dass man dagegen in Berlin die Undankbarkeit gegen ihn bis ziu' mo-
ralischen Misshandlung getrieben habe. Sicher war keine jener beiden Aussichten, und
in Hannover war man Leibxiz nicht dankbarer als in Berlin; man hat ihn dort noch
viel schlinmier behandelt. Das hat Doebner ("LEiBxizens Bi'iefwechsel mit dem Minister
VON Bernstorff« 1882) gezeigt. An seinem Leichenbegängniss nahm Niemand Theil.
- Nach dem Tode der Kurfürstin Sophie traten die Herzogin von Orleans,
Elisabeth Charlotte, und die Prinzessin von Wales, Caroline, gleichsam in die
Correspondenz ein (s. Bodemann i. d. Ztschr. d. bist. Vereins f. Niedersachsen 1884
S. 1 — 66 und Klopp, Werke, 11. Bd. 1884); denn mit geistvollen Prinzessinnen Aus-
tausch zu ptlegen, war Leibxiz ein Bedürfniss. Unter den männlichen Gliedern des
Hauses Hannover stand er Niemandem nahe. Seine Erholung suclite er, der Un-
verheirathete, in Kinderfesten, die er gerne gab. Auch hier tritt die Heiterkeit
seines Gemüths hervor, das Freude stiften wollte.
^ Erst im Jahre 1785 trugen Müchler und M. Mendelssohn dem Könige
den Plan vor, Leibniz (zusammen mit Sulzer und Lajibert) eine Denksäule mit
Medaillons zu errichten. Der König billigte den Plan am 24. April (s. Q^Iuvr.T. 27 3,
S. 237) und bestimmte den ü])ernplatz für die Aufstellung; allein unbekannte Um-
stände verhinderten die Ausführung.
* Siehe Hist. du Renouvellement de l'Acad. Royale des sciences etc. T. H
(Amsterdam 1720) p. 274 — 333. P. 275 liest man die berühmte Charakteristik: »L'ne
lecture universelle et tres assidue , jointe a un grand genie naturel, le fit devenir
tout ce qu'il avait lu ; pareil en quelque sorte aux anciens qui avaient Tadresse
214 Geschichte der Societät von 1711 — 1 Tili.
Leibniz ist der Begründer des modernen Geistes in unserem
Vaterland. »Mit ihm wächst der deutsehe Geist in das europäische
Culturleben hinein, mit ihm ringt sich der deutsche Protestantismus
aus seiner theologischen Incrustation los; könnte er heute auf die
Erde zurückkehren, er würde sich in kürzester Frist orientiren' «.
Das Erbe, das uns Goethe hinterlassen hat, ist der Nation noch
immer als Aufgabe gestellt; was Leibniz gewollt und erarbeitet
hat, ist in reicher Entfaltung in die deutsche Cultur und Wissen-
schaft übergegangen. Bis zur Entdeckung des Gesetzes von der
Erhaltung der Kraft hat er den Gang der mechanischen Wissenschaft,
bis zu den Monumenta Germaniae und bis zur Überwindung der
rationalistischen Geschichtsbetrachtung hat er die Entwicklung der
historischen vorausgesehen. Die Veränderungen der Karte Europas,
die nationale Wiedergeburt Deutschlands auf dem Boden des Pro-
testantismus und die Bedeutung Russlands, ja der Küsten des Stillen
Oceans, ahnte sein vorauseilender Geist ebenso wie die Umwälzungen,
welche die Technik hervorbringen werde. Das Innenleben hat er
wenig bereichert; denn überall streifte sein realistischer Sinn die sub-
jectiven Formen der Erfahrungen und die feineren Empfindungs-
momente ab ; aber das Wirkliche als Individuelles und als Wirkendes
hat er in einem Umfange geschaut und gedeutet, w^ie nie Jemand zu-
vor, ohne doch dem Materialismus zu verfallen. Er hat vielmehr
nach Luther und Melanchthon die zweite Stufe des deutschen Idea-
lismus aufgerichtet, und seine freudige und ehrfürchtige Betrachtung
der Natur und der Geschichte als eines Kosmos wirkender Ge-
danken lebt in der deutschen Wissenschaft fort. Die Aufklärung des
i8. Jahrhunderts kann sich auf ihn als auf einen ihrer Väter be-
rufen; aber auch die führenden Geister des 19. sind ilim verpflichtet.
Und doch — sein tragisches Geschick ist kein ganz unverdientes
gewesen. Er kannte eigentlich nur Dinge und Ziffern; sein Idea-
lismus hatte etwas Frostiges. Darum fehlte ihm auch die Macht
der Sprache und, wie ein grosser Historiker richtig beobachtet
hat, die Macht über die Menschen. Als Persönlichkeit hat er
Niemanden gefesselt, geschweige Liebe und Hingebung erweckt.
War doch der persönliche Eindruck so gering, dass selbst ganz
de nienei" jus(iu'ä huit chevaux atteles de front, il mena de front toutes les sciences.
Ainsi nous soniines obliges de le partager ici, et pour pai-ler philosophiiinenient,
de le decomposer. De plusieurs Hercules TAntiquite n'en a fait (in"nn, et du seul
M. LEiBNrrz nous ferons ])lusieurs savants«.
^ Julian Schmidt, Gesch. der Deutschen Litt. i. Bd. (1886) S.66.
Friedrich WiLHFXM I. und die Wissenschaft. 215
untergeordnete Geister es sieh herausnahmen, über ihn hinwegzu-
schreiten und ihn zu beleidigen. Er war kein Baum, gepflanzt an
den Wasserbachen, der Schatten spendet, an dessen Fusse Blumen
>)lühen und in dessen Zweigen die Vögel des Himmels wohnen.
Wohl gab er mit vollen Händen überreichlich, aber jene hohe
Kraft fehlte ihm , die den Menschen zum Menschen zwingt und
ihn im Innern bildet. Doch was ihm fehlte, hat nur den Gang
seines eigenen Lebens tragisch l)estimmt; was er besass, hat den
ganzen Zustand der Nation und ihr Leben bereichert und gehoben.
Viertes Capitel.
Fortsetzung: Geschichte der Societät der Wissenschaften
unter Friedrich Wilhelji L
Die weitere Geschichte der Societät unter der Regierung Fried-
RiiH Wilhelm's L seit Leibnizchs Tode (von 1717— 1740) ist einförmig
verlaufen. Das Urtheil über die Bedeutung des Monarchen in mili-
tärischer, politischer und Staats -ökonomischer Hinsicht ist durch die
neuere Forschung sichergestellt: deutlich hat man erkannt, dass
der Staat Friedrich's des Grossen auf den Grundlagen ruhte, die
der Vater geschaffen^ und dass dieser »das grosse Staatsproblem
gelöst hat, ein faules Volk arbeitsam, ein üppiges Volk sparsam,
einen verschuldeten Staat reich zu machen«. Allein das Verhältniss
des Königs zur W^issenschaft ist nicht so einfach zu fassen, wie die-
jenigen glauben, die sich lediglich nach den — sei es auch ver-
bürgten — Anekdoten richten, die von ihm erzählt werden.
Der König achtete die Wissenschaft, sofern sie nützte, und die
Gelehrten, welche wirklich arbeiteten und greifbare Früchte ihres
Fleisses aufweisen konnten. Er entzog den wissenschaftlichen In-
stituten seinen Schutz und seine Fürsorge nicht, aber er beurtheilte
fast den ganzen gegenwärtigen Betrieb der W^issenschaften an den
Universitäten und hohen Schulen als leeren Formelkram, als ein
ödes, eitles und gespreiztes Wortgepränge, das nicht mehr werth
sei als das prunkende Hofceremoniell ; er sah in den Zunftge-
lehrten mit ihrem Latein, ihren Bloskeln, ihrer steifen Schulweis-
heit nur alte, unnütze Ceremonienmeister der Wissenschaft, die nichts
^ Niemand hat das sicherer erkannt als Friedrich der Grosse selbst: »S'il
est vrai de dire qu'on doit l'ombre du chene qui nous couvre, ä la vertu du
gland qui l'a produit, toute la terre conviendra (ju'on trouve dans la vie laborieuse
de ce prince et dans les niesures (ju'il prit avec sagesse, les principes de la pros-
perite dont la maison royale a joui apres sa mort« (Qiluvr. I, 175).
216 Geschieh te der Societät von 1717— 174U.
wirklich förderten. Den ganzen Apparat umzugestalten oder gar
einfach aufzuheben, dazu konnte er sich aber doch nicht ent-
schliessen ; er mochte bei seiner grossen Gewissenhaftigkeit empfin-
den, dass ihm das letzte Wort in diesen Dingen zu sprechen nicht
zustehe, da seine eigene Bildung lückenhaft war. So ergrift" er den
Ausweg, die hohen Schulen bestehen und die Wissenschaften, wie
sie waren, gewähren zu lassen, aber alles das, was ihm an der
Gelehrsamkeit und den Gelehrten antipathisch und verächtlich war,
in der schonungslosesten Weise lächerlich zu machen und in den
Staub zu ziehen — war es ein Mittel, sie zu zwingen, ihre Lebens-
fähigkeit zu erweisen? Mit Peitschen und Fusstritten — nicht nur
mit moralischen — misshandelte er die unwürdigen Diener der
W^issenschaft, und auch die würdigen erfuhren manche herbe De-
müthigung. Aber wie er selbst zeitlebens darauf bedacht war, sich
zu unterrichten und keine Stunde müssig sein wollte, so darf man
ihm auch eine unmittelbare Empfindung für productive Wissenschaft,
für wirkliche geistige Arbeit und für die Charakterbildung, die aus
ihr entspringt, nicht absprechen, Dass ihm jene selten begegnete,
und dass er sie nicht immer sicher herausfand, war nicht seine
Schuld; denn hervorragende und uneigennützige Gelehrte waren
spärlich, und der Betrieb der Geisteswissenschaften steckte überall
in anspruchsvollen und staubigen Formen. Die groben und l)arbari-
sclien Spässe übrigens, die er sich einzelnen Vertretern der »Wissen-
schaft« gegenüber gestattete, waren nicht immer ein Zeichen seiner
Verachtung. Dieser Monarch mit dem strengsten Pflichtgefühl luid
einem zarten Gewissen hatte nur an ungeschlachter Komik Gefallen
und brauchte sie zu seiner Erheiterung. Niemals aber hat er, so-
viel wir wissen, seine groben Spässe mit den Lehrern der Medicin
und Chemie gemacht; denn er respectirte ihre Wissenschaft — nicht
allein deshalb, weil sie der Armee nützlich war — und suchte sie
mit allen Mitteln, ohne zu knausern, zu unterstützen. Hier hat sich
der geniale Blick des Königs el)enso glänzend bewährt, wie auf
anderen Gebieten. Chemie und Medicin waren damals wirklich die
einzigen Disciplinen, in denen Berlin etwas Hervorragendes leistete,
und die durch glänzende Vertreter repräsentirt waren — Stahl,
Neumann, Pott. Diese Disciplinen auf jede Weise zu fördern und
auch die Societät für sie in Contribution zu setzen, war sein stetes
Anliegen. In ihnen sah er mit Recht allein den Fortschritt des
Zeitalters ausgeprägt; um ihretwillen liess er die Societät bestehen;
denn — etwa von Frisch und dem litterarisch wenig productiven,
Der König und die Societät. 21 /
auch nicht kritisch scharfen La Croze abgesehen — g^ah es denn in
BerHn oder in Preussen in dem Menschenalter zwischen 1710 und
1740 hervorragende Philologen, Historiker, Rechtsgelehrte oder
Theologen? Hat der König nicht Recht daran gethan, wenn er die
Wissenschaften, w^elche wirklich fortschritten, ermunterte, die anderen
durch Demüthigungen hei Seite schob, aber gewähren liess? und —
nicht nur Ärzte wie Gündelsheim, sondern auch solche wie Stahl
urtheilten über die Humanisten genau so abfällig wie der König,
Auch die Societät der Wissenschaften liess der König gewähren,
nachdem er sich nach längerer Wartezeit überzeugt hatte, dass sie
in seinem Sinne nichts zu leisten vermochtet Eine gelehrte Societät,
die ausser der Herausgabe des Kalenders" nichts oder doch nur
weniges that, schien ihm die unnützeste Einrichtung von der Welt
zu sein. Er weigerte sich mehrere Jahre, ihre Rechte zu bestäti-
gen; er beargwöhnte ihre Einnahmen und Ausgaben; er griff in
ihren Etat ein und zwang sie, Beiträge zur Unterhaltung der me-
dicinisch- chirurgischen Akademie zu leisten; er verhöhnte sie, in-
dem er ihr unwürdige Präsidenten gab und ihr schliesslich aufer-
legte, die königlichen Hofnarren zu bezahlen, aber er hob sie nicht
auf; er schärfte vielmehr ihren Mitgliedern die Pflicht, mindestens
jährlich eine wissenschaftliche Arbeit zu leisten, streng ein^ und
' Nicht einmal die Frage, warum der ('hampagner moussire. die der König
an die Societät gerichtet haben soll, konnte sie beantworten. Die Legende berichtet,
die Akademiker hätten sich allem zuvor für die Untersuchung 60 Flaschen erbeten,
der König aber erwidert, er wolle sie lieber selbst trinken und zeitleljens über
die Ursache des Moussirens unwissend bleiben. Anders erzählt Bielfeld (Lettres
famil. et autr. IL Bd. 1763 p. 134) die Geschichte: der König habe die Societät
gefragt, warum zwei mit Champagner gefüllte Gläser beim Anstossen nicht so gut
klingen wie dieselben Gläser, wenn sie mit Wein gefüllt sind. »Les Academiciens
firent repondre que, n"etant pas k meme de boire du vin de Champagne, ils igno-
raient cet effet. Le roi leur en envoya une douzaine de bouteilles, pour les con-
vaincre de la verite du phenomene. Ils burent le vin et n'eclaircirent rien.«
^ Ganz einfach war die Kalenderberechnung nicht. So erhob sich im Jahre
1722 ein Streit zwischen den Astronomen über den Tag des Osterfestes für das
Jahr 1724. Von Berlin aus wurde an den Gesandten in Regensburg, vox Metter-
NicH, geschrieben, um ein einheitliches Vorgehen bez. die Beseitigung der Differenz
zu bewirken. In seinem Antwortschreiben (14. Sej^tember 1722) theilt INIetterxich
übrigens einen Extract aus einem Bericht vom 12./22. Januar 1700 über einen
Beschluss des Corpus Evang. mit. Da heisst es am Schluss: «Von einem CoUegio
Mathematico, welches im Reich an einem gewissen Ort aufzurichten und denen die
Duction des Kalenderwesens zu übergeben, wiu-de zwar damahlen etwas disciu'irt;
man findet aber hiebey soviel Bedenken, dass hierauf so bald kein Conto zu machen
sein wird" (Geheimes Staatsarchiv).
^ Jenes Schreiben des Königs an den Kriegsrath vox Happe (Archiv f. Gesch.
d. deutschen Buchhandels 1888 S.359) darf man nicht generalisiren (»Ich habe aus
218 Gescliichte der Societät von 1717— 174<i.
war ihr aueli zeitweilig freundlicher gesinnt, wenn er eine Spur
nützlicher Thätigkeit in ihrer Mitte zu bemerken glaubte.
Bei den eigenthümlichen Vorstellungen, die Friedrich Wilhklm I.
von den Geisteswissenschaften hatte, wäre es wohl auch der glän-
zendsten wissenschaftlichen Körperschaft nicht gelungen, seine volle
Gunst zu erwerben ; aber dass der König überhaupt keinen Respeet
vor der Societät gewann und nur einige ihrer Mitglieder persönlich
hochachtete, war doch auch ihre eigene Schuld. Nach Leibnizcus
Tode wurde ihr Zustand wo möglich »noch schläfriger«^, und die 5
ziemlich dünnen Bände Miscellanea, die sie in den Jahren 17 13 bis
I 740 hat erscheinen lassen — die einzigen Zeugnisse ihres Lebens — ,
sind ihr vom Könige gleichsam abgepresst worden. Ohne diesen
Druck hätte sie vielleicht gar nichts geleistet als Kalender. Von
einem bedeutenden Einfluss der Societät in Berlin , gesclnveige im
Königreich oder gar in Deutschland, kann in allen diesen Jahren
keine Rede sein.
Unter solchen Umständen lässt sich keine »Geschichte« schrei-
ben; denn es w^uchs nichts und wurde nichts. Es muss genügen,
in knappen Zügen die äusseren Veränderungen anzugeben, welche
die Societät von Leibnizchs Tode bis zum Regierungsantritt Fried-
rich's des Grossen erlebt hat, und die wissenschaftlichen Publi-
cationen kurz zu charakterisiren , in denen das Gedächtniss an ihre
Existenz in jenen Jahrzehnten bescheiden fortlebt".
euern Schreiben ersehen, dass ihr abermals Willens seid, einige Bücher drucken
zu lassen. Ich will solches durchaus nicht liaben. Werdet ihr es euch dennoch
unterstehen, will ich euch aufhängen und eure Schriften durch den Büttel ver-
bi'ennen lassen"). Der König wollte nicht, dass seine Kriegsräthe Bücher schrieben.
^ Der Hamburger J. Ch. Wolf, auswärtiges Mitglied der Societät, schrieb
(8. November 1722) an La Croze (Thes. epist. Lacroziani) T. II p.183): »Quid quaeso
de scientia academiarum [sie] regia agitur apud vos? de ea nihil fere inaudivi longo
tempore . . . Ego (juidem eam intercidisse quasi opinatus fortasse id non egi . quod
praestare debueram?" Seit 12 Jahren hatte die Societät nichts erscheinen lassen.
Fünfzehn Jahre später (1737) schreibt der Kronprinz Friedruh in einem seiner
vertrauten Briefe an Voltaire (Qiluvr. T. 21 p. 76): »Nos universites et notre Aca-
demie des sciences se trouvent dans un triste etat; il parait ([ue les Muses veulent
deserter ces climatS".
- Aus frischer Erinnerung schi'ieb Formey in seiner Hist. de TAcademie p.56f.
Folgendes (wobei man sich erinnern muss, dass Formey selbst für die exacten
Wissenschaften weder Sinn noch Yerständniss besass): »Personne n'ignore (pie le
regne du roi ne fut point favorable aux sciences. Ce monanjue. occupe de vues
toutes differentes, et unicjuement attentif k regier ses finances, et ä fomner des
troupes noinbreuses et bien disciplinees, crut que tout ce (ju'on appela savoir et
etude, n'etait que speculations creuses, et temps perdu pour le bien public. Se
livrant donc ä ce prejuge, aucpiel apres tout bien des savents donnent lieu par la
Die Protectoren der Societät: vox Printzen, von Creutz, vox ^'IERECK. 210
1.
Bis zu seinem Tode am S.November 1725 führte der treffliche
3Iinister von Printzen das Protectorat der Societät \ Nachfolger
wurde der Minister von Creutz (am 2 i . November bez. 24. Novem-
ber, 6. December 1725). Wie sein Vorgänger, war er zugleich Chef
des medicinischen Collegs. Jenem kam er weder an Talenten noch
an Adel der Gesinnung gleich, und die Societät bewahrt in ihren
Acten ein beredtes Schweigen über ihn ; aber man braucht nicht
Alles zu glauben , was die Markgräfin von Bayreuth und von Pöll-
NiTz in ihren Memoiren von ihm erzählen. Ihm folgte nach seinem
Tode (i3.B'ebruar 1733) am 20. (bez. 28.) April 1733 der Minister
VON Viereck. In seiner Bestallung als Protector lieisst es ausdrück-
lich: »Ihr habt auch als Protector der Societät Euch von allem so
bei derselben vorgehet, fleissigen Rapport thun zu lassen, auch zu
urgiren, dass von den Membris der Societät wenigstens alle Jahre
ein Specimen dem Publico bekannt gemachet und in den Druck her-
ausgegeben werde "' « .
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger besass von Viereck ein wirk-
liches Interesse für die Wissenschaft und ein warmes Herz für die
Societät. Ihm verdankte sie es, dass den unwürdigen Zuständen
in ihrer Präsidentschaft ein Ende gemacht wurde (s. unten). Die So-
cietät hat diesen Dienst dadurch anerkannt, dass sie den 4. Band
ihrer «Miscellanea« (1734) ihm gewidmet hat ^: »Domino ac Maece-
sterilite des recherches aux(iuelles ils se consacrent, il ne jeta pas d'abord des
regards fort favorables sur un corps aiissi etranger a ses desseins (pie Tetait la
Societe; et peu s'en fallut (iu"il ne la supprimät entierement. II courut pendant
assez longtemjxs des hriiits (jiii annongaient cette catastrophe ; et les assemblees de
la Societe dans les(|uelles on deliberait sur ces bruits, etaient fort embairassees a
jireiidre quel(|ue parti (pii püt leur ouvrir un acces au trone«.
^ In der Societät hielt ihm Gundling die laudatio funebris, gedruckt in dem
Eln-engedächtnissband auf Prixtzex in der Königlichen Bibliothek.
^ In Bezug auf sein Amt als Ober-Director des medicinischen Collegs heisst
es in derselben Urkunde: "Im übrigen ist auch unser allergnädigster Wille und
Befehl, dass wann ein Patient einen 3Iedicum angenonnnen, dabei aber auch zu einem
andern JNIedico oder Chirurgico ein Vertrauen haben möchte, der erste bei Verlust
der Practique, allenfalls noch härteren Strafe, den Patienten desshalb nicht verlassen,
sondern beide Medici zusammen zu dessen Retablissement allen Fleiss anwenden
sollen.' (Akademisches Archiv und Geheimes Staatsarchiv). Dieselbe Bestimmung
findet sich schon in der Bestallung von CREUxzens. — Das Concept der Rede, mit
welcher von Viereck das Protectorat der Societät übernommen hat (5. Juni 1733),
wii'd im Akademischen Archiv (»Fundation«) aufbewahrt (vergl. 3Iem. 1760 p. 475).
^ Der 2. Band (1723) ist von Printzex gewidmet. In dem Eloge auf von
ViKRECK, das FoRMEV am 15. Januar 1759 gelesen hat (]Mem. 1760 p. 472 ff.), heisst es:
220 üescliichte der Societät von 1717—1740.
nati l)Oiievolentissiino.« In der Zusclirift T)ekennt sie, dass sie «amis-
sione eorimi qui summam reipublicae nostrae literariae tenuerunt«
— sie denkt wohl an Leibniz und von Printzen — »in eam per-
turbationem« gerathen sei »quae navigantibus obtingere solet, quum
fato periit moderator«, nun aber habe sie durch von Viereck ihre
alte Kraft und ihren vormaligen Glanz (!) wieder erlangt; denn er
stehe inmitten »dieses für die Wissenschaften so frostigen Jahrhun-
derts« als ein Patron und Freund der Musen.
Der Protector hatte die Wahlen zu bestätigen und war die
entscheidende Instanz in allen wichtigen Fragen, denn der König
wollte mit ihnen nichts zu thun haben. Nur für die Finanzver-
waltung der Societät interessirte er sich.
Der Präsidentenstuhl der Societät blieb nach Leibnizcus Tode
i6 Monate unbesetzt. Dann (5. März 17 18) ernannte der König den
Ober-Ceremonienmeister und Geheimen Rath Jacob Paul Gundling
(1673 geb., 1724 in den Freiherrnstand erhoben) zum Präsidenten.
Dass er die Societät durch diese Ernennung verhöhnen wollte, ist un-
richtig. Zur Verhöhnung wurde die — freilich von vorn herein trau-
rige — Wahl erst durch das schimpfliche Betragen Gundling's selbst.
Der Sohn eines Nürnberger Predigers, hatte er als Student mit Aus-
zeichnung seine Studien vollendet, hatte dann als Reisebegleiter eines
jungen Edelmanns das geistige Leben Deutschlands an seinen Haupt-
stätten kennen gelernt und war endlich von dem Geheimen Staatsrath
VON Danckelmann im Januar i 705 als Professor des bürgerlichen Rechts,
der Geschichte und Litteratur an der kurz vorher gestifteten Ritter-
Akademie in Berlin und als Historicus am Oberheroldsamt angestellt
worden. Acht Jahre hat er auf's Fleissigste gearbeitet und, unterstützt
durch ein vorzügliches Gedächtniss, sich sehr umfassende Kenntnisse
in Geschichte, Geographie und den verwandten Disciplinen erworben.
Friedrich Wilhelm I. hob das Heroldsamt und die Ritter -Akademie
»Pour sentii' tout le prix de la conduite du Protecteur de la Societe, il taiidi'ait
se rappeler ce qu'etait alors la Societe, combien de contre-temps eile avait eprouve,
et combien eile en avait encore naturellement a craindre. Je ne leverais pas im
bout du voile qui cache, et qui doit cacher, ces temps nubileux. si je pouvais m'en
dispenser sans ingratitude pour la memoire de celui dont je fais l'Eloge, et dont
l'Eloge interesse surtout l'Academie par cet endroit. M. de Viereck fut le Pro-
tecteur, mais Protecteur effectif de la Societe dans toute la force du terme; il fut
le sage jjilote d"une nacelle battue des tlots, il la preserva du naufrage, et la con-
duisit jusqu'au port assure de ce renouvellement qui l'a mis pour jamais ä Tabri
des ecueils et des tempetes. 11 agit en veritable pere de cette Societe , en ami gene-
reux et alfectionne de tous ceux qui la composaient".
Der Präsident Gundling. 221
auf, und Gundling war brotlos. Dieses Erlebniss war das Verhängniss
des schwachen und charakterlosen Mannes. Er verfiel dem Wirthshaus
und unterhielt und belustigte die Stammgäste durch Anekdoten und
politisch -geschichtliche Erzählungen, die er mit grotesken Witzen
verbrämte. Durch dieses Talent wurde er in der Stadt bekannt, und
noch im Jahre i 7 i 3 ernannte ihn der König zu seinem Zeitungsrefe-
renten und Hofrath. Die Stellung war eine ganz bedeutende, und
wenigstens das lässt sich zu Gundling's Lobe sagen, dass er sie nicht
zum Schaden Anderer — obgleich er zeitweilig wirklich einfluss-
reich war — missbraucht, vielmehr sich bestrebt hat, einiges Nütz-
liche und Gute zu stiften. Er wurde dem Könige bald unentbehr-
lich ^ aber nicht nur als ein Mann von ausgebreiteten Kenntnissen
und einem zutreffenden Urtheil in politisch -ökonomischen Fragen,
sondern leider auch als Zielscheibe der rohesten Spässe im Tabaks-
collegium; denn, dem Weine nicht widerstehend und systematisch
zum Trinken gezwungen , verlor er bald allen Halt und liess sich
die Rolle des lustigen Raths und gelehrten Hofnarren , den man
anhörte und prügelte, gefallen. Doch hatte er nach drei Jahren
noch so viel Kraft, sich der entsetzlichen Lage, in die er gerathen
WRv, durch die Flucht zu entziehen. Als er dann zurückgebracht
worden war, wurde seine Stellung zeitweilig eine erträglichere. In
den Jahren 171 7 — 1 719 benahm er sich etwas würdiger, und der
König, obgleich er ihn stets als gelehrten Narren behandelte, zeigte
doch mehr Respect. Er verhöhnte ihn freilich einerseits, indem
er ihm eine Reihe hochtönender Hofämter -Titel verlieh, oder viel-
mehr, er verhöhnte damit das Hofceremoniell : aber andererseits war
es kein Scherz, wenn er ihm Sitz und Stimme in verschiedenen
Landescollegien gab, das Seidenwesen ihm unterstellte"' und ihn
auch zum Präsidenten der Societät ernannte. Der König gab wirk-
lich etwas auf sein Urtheil und glaubte in ihm den rechten Mann
zur Leitung solcher Wissenszweige gefunden zu haben , deren Ver-
treter ihm nur durch Polyhistorie und durch die Fähigkeit, witzig
zu unterhalten und spielend zu belehren, erträglich erschienen.
^ Treffend, spricht Bartholmess (Hist. I p.90) von den »etranges relations entre
deiix esprits baroques, egalement niais diversement bizarres«.
^ Die Cabinetsordre vom 19. Februar 1718 abgedi-uckt })ei Förster, Friedrich
Wilhelm 1. i. Bd. 1834 8.260!". Die S. 261 abgedruckte Königliche Erbverschrei-
bung an Gvxdling ist bereits scherzhaft zu verstehen. Gundling machte übi-igens
wirklich jNIiene, sich des Seidenbaues anzunehmen, s. seinen Brief vom 10. März
1718 an Lt;DE\vifi im Geheimen Staatsarchiv.
222 Geschichte der Societät von 1717—1740.
Allein vom Jahre 17 19 ab' sank Gundling wieder immer tiefer und
wurde dementsprechend, obgleich nun Freiherr und Kammerherr,
immer roher behandelt. Dennoch fand er bei allen Ausschweifungen
und Erniedrigungen Zeit, in den letzten 15 Jahren seines Lebens
eine stattliche Anzahl (fast zwei Dutzend) historische und statistisch-
geographische Arbeiten zu verfassen" und einen Codex diplomaticus
Brandenburgicus aus mehreren Tausenden von Urkunden anzulegen.
Jene geschichtlichen Werke sind nicht unbedeutend; sie grün-
den sich auf archivalischen Studien. »Gundling ist einer der ersten,
die nach dem Vorgang des grossen Samuel Pufendorf die Bedeutung
der Urkunde als Grundlage der Geschichtschreibung voll würdig-
ten^«, und auch seine geographisch-statistischen Zusammenstellungen
gehören zu den ersten in ihrer Art. Wäre er nicht ein moralischer
Schwächling gewesen und ein Lump geworden, seine Kenntnisse
und sein gesundes Urtheil^ hätten ihn zu der Stellung als Präsident
der Societät wohl befähigt.
Dreizehn Jahre lang hat dieser Mann als LEiBNizens Nachfolger
an der Spitze der Societät gestanden; je tiefer er sank, desto tiefer
sank auch das Ansehen der Societät bei Hofe. Einige Anläufe hat
er genommen , ihre Rechte beim König zu schützen und wissenschaft-
' Dass er bis daliin keineswegs nur komische Figur gewesen ist, zeigt
seine Verheirathung im Jahre 17 18 mit der Tochter des Legationsratlis de Larrey,
eines hervorragenden Gelehrten in BerUn und späteren preussischen Gesandten in
London.
^ Siehe die Titel bei Förster, a. a. 0. S. 255f.
^ IsAACSOHN in der Allgemeinen Deutschen Biographie 10. Bd. S. 128.
* Auch über Friedrich den Grossen hat er richtig geurtheilt, als dieser noch
ein Knabe von 13 Jahren war. In einem Brief Gundling's an den Secretar Ja-
BLONSKi vom 28. November 1725 (Akademisches Archiv; vergi. auch das Sitzungs-
Protokoll vom 27. Juli 1725) findet sich das Postscript: »Des Kron-Prinzen K. Hoheit
hat das Microscopium höchst vergnügt und wird ein Maecenas sein«. Der Kron-
prinz Friedrich erwähnt Gundling in der Gorrespondenz mit seinem Vater einmal
(Qiuvres . T. 27, 3 p. 7f. vom 12. Juli 1721): »Ich habe Gundling bei mir zum
Essen gehabt, welcher mir Alles erzählet und sehr lustig gewesen". Dass Gund-
ling — die Societät kaufte nach seinem Tode einen Theil seines gelehrten Nach-
lasses an — sich um die geographisch-topographisch-historischen Wissenschaften wirk-
liche \'erdienste erworben hat, erkennt auch Bartholmess an (a. a. O.). Mit Recht
fährt er fort: »il donna l'exemple de l'ardeur et de l'habilete, etonnant ses confreres
plus d'une fois par des prodiges de memoire, par des eclairs de sagacite et de
penetration, et leur faisant alors oublier la mortification de l'avoir pour chef".
Ausführlich handelt über Gundling Geiger in seinem Werk »Berlin« 1688— 1840
Bd.i S. 2 26 ff.
' Die Bestallungsurkunde vom 5. März s. im Urkundenband Nr. 131; sie ist
nicht scherzhaft gemeint, übrigens der Bestallungsurkunde für Leibniz nachgebildet.
Die Präsidenten Gcndling und P'assmanx. 228
liehe Arbeiten anzuregen ', aber wirklicli gescbaften oder auch nur
gefördert bat er nicbts.
Nach seinem Tode (ii. April 1731) — er wurde auf Befehl
des Königs in einem Fass beerdigt, das mit den schimpflichsten
Versen beschrieben war"' — sollte es nicht besser, sondern noch
schlimmer werden. Der andere Historicus und Spassmacher des
Königs, D, Fassmann, der ganz verächtliche, wissenschaftlich völlig
unbedeutende Rivale Gundling's — sie hatten die unwürdigsten Kämpfe
und Balgereien mit der Feder und der Faust zur Belustigung des
Tabakscollegium aufgeführt — , schrieb seinem Herrn, er verzichte
auf das Präsidentenamt der Societät, bäte sich aber die 200 Thlr.
aus, die Gundling bezogen^, und wünsche daher Mitglied der So-
cietät zu werden^. Es wurde ihm l)ewilligt und er ausserdem, trotz
seiner Ablehnung, am 25. April 1731 vom Könige zum Präsidenten
ernannt". Allein schon nach wenigen Wochen fiel er in Ungnade
und verliess bald darauf ohne Erlaubniss Berlin*^; der König ver-
bot der Societät (i. Juni), ihm das Gehalt auszuzahlen, bestimmte
zuerst, dass es dem Hofrath Dkost angewiesen werden solle (16. Au-
gust), nahm am 27. September diese Ordre wieder zurück — es solle
dem Rentmeister Albrecht gezahlt werden — und erliess dann am
18. October 1731 folgende Verfügung':
S. K. ]Maj. in Preussen, Unser allergnädigster Herr befehlen der Societät
der Wissenschaften hiermit in Gnaden, diejenigen fünfzig Thh\ so unterm 27. vSept.
an den Renthmeister Albrecht von Trinitatis a. c. an quartaliter zu bezahlen geordnet
worden, sub Titulo Vor die sämtliche Kö nigl. Narren zur Rechnungs Ausgabe
bringen zu lassen.
Signatum Berlin den 18. Oct. 1731.
Auf S. K. Maj. allergnädigsten Special Befehl
M. V. Viereck v. Kebahx.
Mit dieser entsetzlichen Verhöhnung der Societät — der Rech-
nungsposten bestand unter diesem Titel bis zur Regierung Friedricii's
^ So entwickelte er in einem Schreiben an von Creutz den Plan, die Mit-
glieder der Societät sollten mit ihm eine umfassende «Geographie« herausgeben,
indem sie die einzelnen Länder unter sich vertheilen (i i. Mai 1727). Es wurde
natürlich nichts daraus.
^ Sielie Fürster, a. a. O. S. 276.
^ Obgleich die Präsidentenstelle ebenso wie die des Protectors imbesoldet sein
sollte, so hatte Gundling doch bald 200 Thlr. als Gehalt empfangen.
* Förster, a. a. O. S.284.
^ Anzeige der Ernennung im Akademischen Archiv.
^ Er Hess im Jahre 1737 anonym ein umfangreiches Buch drucken: »Leben
und Thaten . . . Friederici "Wilhelmi".
' Dieses und die Belege für die folgenden königlichen Bestimmungen im AkaÄ^
demischen Archiv bez. im Geheimen Staatsarchiv.
SiftVÄ»
224 Geschichte der Societät von 1717—1740.
des Grossen (s. unten) — begnügte sich der König noch nicht, sondern
er befahl am 1 9. Januar 1732, dass sein Spassmacher, Graben zum Stein,
ein entsprungener Mönch und ehemaliger Feldprediger (aus Tirol), der
die Stelle eines Vorlesers und höheren Lakaien heim König bekleidete,
ein unwissender, scurriler Mensch, der weder Gundling's Kenntnisse
noch seinen Geist besass — «das anstössige Haupt der Societät«
nennt ihn von Viereck in seinem ersten Bericlit an Friedrich II. — ,
die Stelle eines Vicepräsidenten der Societät erhalten sollet und
dass ihm »ein recht ansehnliches Patent ausgefertigt werde, w^orinnen
dieses Mannes sonderbare Wissenschaften und Meriten in antiqui-
tatibus, re nummeraria, der Geister- und Präadamitenlehre, in phy-
sicis, botanicis gerühmt werde""«.
Wie er es befohlen hatte, so geschah es. DerProtector vonCreutz
machte nicht einmal Gegenvorstellungen; die Societät erklärte (16. Fe-
bruar 1732) durch den Hofprediger Jablonski, dass sie gehorsam
Alles nach Wunsch thun und den Graben zum Stein — er hat nie
in Berlin, sondern stets in Potsdam gewohnt und war bisher natür-
lich nicht einmal Mitglied der Societät gewesen — introduciren werde.
Die grotesk -komische Bestallung für ihn ist als Probestück der könig-
lichen Witze öfters gedruckt worden. Wer der Verfasser ist. weiss
man nicht; aber die »Ideen« sind gewiss vom Könige angegeben^.
Als Scherz im Tabakscollegium ist das Schriftstück lustig und harm-
los, aber dass aus dem Scherz Ernst gemacht und die Societät ge-
zwungen wurde, einen solchen Menschen als ihren wirklichen Vice-
präsidenten zu introduciren, das ist in der Geschichte der Wissen-
schaften aller Zeiten ein Unicum*. Soll man sagen, die Societät
' Ihn zum fönnlichen Präsidenten zu ernennen, das wollte der König der
Societät doch nicht bieten. Dieses Amt war vom i.Juni 1731 his 14. Juli 1733
unbesetzt (s. unten).
- So schreibt der Cabinetssecretär Schujiacher im Auftrag des Königs an
den Wirklichen Geheimen Etats- und Kriegs -Minister von Thulemeyer, und noch
an demselben Tage wurde das Patent ausgefertigt. Der Graf Manteuffel nennt ihn
in einem Bi'ief an den Kronprinzen Friedrich (24. August 1736; CEuvres T. 25 p.481)
»rincomparable AstralicuS"; Graben von Stein hatte nämlich die Theorie aufge-
stellt (in seinem Buche »Unterredungen von dem Reiche der Geister« 1730), dass
der Mensch aus Seele, Leib und einem » Astralgeist" bestehe.
^ Siehe den Abdruck der Bestallung im Urkundenband Nr. 132.
^ Die Ernennung Graben's vo3i Stein zum Vicepräsidenten war nicht etwa
nur eine nominelle. Das Akademische Archiv bewahrt eine Verfügung der Minister
an »den Grafen von Stein« vom 20. August 1732, das Inventar der Societät auf-
nehmen zu lassen. Die Protokolle zeigen, dass er auch in die Sitzungen gekommen
ist. und am 12. Juni 1732 hat er seine Bestallung, jenes Nan-enpatent, in einer be-
glaubigten Copie zu den Acten gegeben!
Der Hofprediger Jablonski wii-d Präsident (1783). 22 0
verdiente eine solche Behandlung, weil sie sie duldete? Aher hätte
es irgend etwas geholfen, wenn sie sich gewehrt hätte?
Zum Glück für die Societät wurde von Viereck im folgenden
JaluT — wider seinen Willen — Protector, und seine erste Amts-
handlung (iS.Mai 1733) bestand darin, dass er die Ernennung des
Hofpredigers Jablonski zum Präsidenten beim Könige durchsetztet
Am 14. Juli 1733 trat der greise Mitstifter der Akademie das Amt
als Präsident an mit einer Zulage von 100 Thlr. zu seinem ebenso
grossen Directorialgehalt. Ausdrücklich aber bemerkte der König, dass
Graben von Stein als Vicepräsident die unter dem Titel »Vor die
sämmtlichen Königl. Narren« stehenden 200 Thlr. fortbeziehen solle.
Unter von Viereck's und Jablonski's Leitung kam ein etwas
frischerer Zug in die Societät. Sie veröffentlichte nun doch wenig-
stens alle drei Jahre einen Band Miscellanea (1734. I737- 1740.
1743). Mit dem letzten gelehrten Narren des Königs, Morgenstern,
wurde die Societät nicht mehr behelligt. Er wurde durch ein Patent
vom I . September 1737 zum » Vicekanzler derer sämmtlichen Espa-
ces imaginaires« ernannt.
Der Secretar J. Th. Jablonski starb am 28. April 1731 im 7 7. Le-
bensjahr. Nachdem er mehrere Jahre als Reisebegleiter eines Prinzen
von Berlin entfernt gewesen , hatte er gegen Ende des Jahres i 7 i 7
sein Amt bei der Societät wieder aufgenommen, und der König
bewilligte ihm auf seine Eingabe die einst entzogene Hälfte seines
Gehalts wieder''. Seine Stelle blieb nach seinem Tode zwei Jahre
unbesetzt: dann erhielt sie auf Antrag der Societät (11. März 1733)
der Hofrath von Jariges (geb. am 13, November 1706 zu Berlin,
gest. am 9. November 1770), der spätere Präsident des Kammer-
gerichts und Grosskanzler der Justiz unter Friedrich IL^. Kurz vor-
her war das Amt eines Rendanten von dem des Secretars getrennt
und vom Könige dem Professor und Hofapotheker Neumann ver-
^ Der geistliche Stand Jablonski's diente ihm bei der Gemüthsverfassung,
in der sich der König damals befand, zur Empfehlung. Barxholmess (I p. 120)
A'ermuthet, dass der König auch Gewissensbisse gehabt habe des burlesken Leichen-
begängnisses wegen, das er für Gundling veranstaltet hatte.
^ Oixlre vom 28. März 1720. Im December 1725 wurde ihm, weil er alterte,
ein Secretarius adiunctus in der Person des Hofraths Coeper beigege])en , s. Urkun-
denband Nr. 138 und Akademisclie Pi'otokolle vom 29. December 1725.
^ Er war auch Mitarbeiter Cocceji's an der Justizreform und seit 1755 dessen
Nachfolger im Amt. (Eloge von Formey in den Mem. 1771 p.41— 45). Friedrich's IL
günstiges Urtheil über ihn siehe in den Oeuvres T. 20 p. 195 vom Jahre 1776.
Geschichte der Akademie. I. lö
226 Geschiclite der Socit-tät von 1717—1740.
liehen worden (ii.Mai 1731). Hier Latte der König souverän einge-
grifien und Neumann eingesetzt, während die Societät den bisherigen
Secretarius adjunctus Coeper wünschte \ Neben dem Societäts -Factor
(Buchdrucker) erscheint zum ersten Mal im Adresskalender für i 738
als Societäts -Kassirer David Köhler. Im Jahre i 735 (Q.Mai) war auch
ein l)esonderer Societäts -Bibliothekar ernannt worden (der erste war
J. W. Wagner)'. Die Veranlassung dazu wird später mitgetheilt werden.
In dem Concilium kamen folgende Veränderungen vor: an Stelle
des recht unfähigen Jägwitz (17 16-1728) trat der tüchtigere, aber
schon hochbejahrte des Vignoles als Director der mathematischen
Klasse (seines Alters wegen bekam er d'Angicour als Adjunct). In
der deutschen Klasse folgte auf Schott im Jahre i 7 i 8 der Kammer-
gerich tsrath Schlüter, dann seit 1732 der tretf liehe Frlsch; in der
physikalisch-medicinischen Klasse, in der die Ärzte dominirten, folgte
Henrici 1719^ dem Krug von NmDA und wurde 1725 durch Buddeus
abgelöst; neben ihm petzte der König am 20. September 1735 den
Hofrath Eller, ersten Leibmedicus und Director des Königlich me-
dicinisch- chirurgischen Collegs, als ausserordentlichen wirklichen
Director auch in der Societät ein; er hatte also Sitz und Stimme im
Concilium. In der orientalischen Abtheilung blieb der Hofprediger
bis zum Anfang der Regierung Friedrich's IL an der Spitze. Im
^ Für Netjma>'n war die Stelle lediglich aus dem Grunde gescliafl'en worden,
um ihm zu seinem spärlichen Gehalt von 20oThlr. (als Hofapotheker) weitere 2ooTlilr.
aus der Societätskasse zuzuwenden. Als Neumann nun nach einigen Jahren stai'b
(20. October 1737) luid damals gerade die Societät wieder einmal vom Könige
angewiesen wurde, 200 Thlr. jährlich an zwei Arzte zu bezahlen, stellte von Ja-
RiGEs den Antrag, die Rendantenstelle wieder mit der seinigen (der des Secretars)
zu ^'ereinigen und ihm den Aufwärter der Societät, Köhler, dem bereits der Debit
verschiedener Kalender von der Societät übertragen war, zu Dienstleistungen mit
50 Thlr. Remuneration beizugeben. Dann könnten die 150 Thlr. gespart und jenen
beiden Ärzten ausgezahlt werden; die Societät hätte nur 50 Thlr. aufzubringen.
Der König entschied wesentlich in diesem Sinn (18. November 1737).
^ vSeine Ernennung liatte noch ein Vorspiel. Als es beschlossen war, dass
die Societät einen Bibliothekar erwählen nn"\sse, wandte sich der Geheime Rath
und Leibmedicus Horch, Mitglied der Societät, an den König und erwirkte einen
königlichen Befehl , seinen Sohn mit 200 Tlilr. Besoldung als Bibliothekar anzu-
stellen (6. März 1735). Die Societät machte eine Gegenvorstellung (2. April 1735);
sie erklärte, Wagner gebühre die Stelle, der seit 20 Jahren für die Societät arbeite;
auch thue es Wagner für 100 Thlr. Der König schrieb an den Rand der Eingabe:
"habe es. FW« — wurden doch 100 Thlr. gespart.
^ Henrici hatte sich direct l)eini Könige um die Stelle beworben; dieser
setzte ihn ohne AVeiteres ein und liess das fait accompli der Societät mittheilen
(3. Juni 1719), ohne ihr Vorschlagsrecht zu respectiren. Sie erfuhr die Ernennung
officiell erst nach mehreren Wochen.
Veränderungen im Personalstand der Akademie. 11 i
Vicepräsidium wechselten die vier Directoren jährlich ab und be-
hielten diese Ordnung auch bei, nachdem Graben von Stein zum Vice-
Praeses perpetuus ernannt worden war. Als Advocatus fisci mit
loo Thlrn.^ wurde am 7. April i 740 der Generalfiscal Uhden auf Vor-
schlag der Societät ernannt. Der Astronom der Societät, der jüngere
Kirch, starb im Jahre 1740, nachdem er wiederholte Berufungen
nach Petersburg, wo eine Akademie der Wissenschaften nach Leib-
Nizens Ideen vuid dem Muster der Berlinischen eingerichtet war, aus-
geschlagen hatte. An seine Stelle trat (i6.Aprili740) J.W.Wagner-.
Auf einem Blatte hat der Secretar Jablonski im Jahre 1730 ver-
zeichnet, wie viele Mitglieder in den Jahren 1716 — 1729 (einheimische
und auswärtige zusammen) aufgenommen Avorden sind. Ihre Zahl be-
trug 92^. Im Adresskalender für 1739 erscheint folgender Bestand
der Societät:
Protector: v. Viereck,
Präses: der Hofprediger Jabloxski.
Vice -Präses: Graben v. Steix.
Secretar: v. Jariges.
Medico -Phj'sik. Klasse: Buddeus, Director; Barfekxecht. Carita. Frisch,
Grischau, Holtzendorff, Horch, Kirsxetter. Isl. M. Ludolff,
G. Fr. Ludolff, Marggraf, Pott, Schaarschmidt, Sprögel*.
Matliem. Klasse: Des Vigxoles, Director; Frisch, Grischau, Kirch, Naude,
J. W. Wagner (zugleich Bibliothekar).
Historisch -philol.- deutsche Klasse: Frisch, Director; Hering, v. Jariges
(zugleich Secretar), Küster, v. Scharden, Des Vignoles.
Historisch -philol. kirchl.- Orient. Klasse: Jablonski, Director; Elsner,
Frisch^, Heinius, Küster, Noltenius, Reinbeck, Stubenrauch,
La Croze.
Abwesende Mitglieder werden 116 aufgeführt, unter ihnen Bar-
BEYRAC, Bentley, Joh. Bernoulli, Celsius, Gerike (Helmstädt), Gott-
sched, Maupertuis, Sloane, Chr. Wolff (Marburg).
Die directe und indirecte Correspondenz der Societät mit dem
Könige ist unter Friedrich Wilhelm L grösstentheils durch finanzielle
Zumuthungen veranlasst worden. Der Monarch, der es überhaupt unnütz
^ DuHRAH verlor 1731 sein Amt. s. Fassmann, Leben und Thaten Friedrich
Wilhelm's (1735) S. 1038.
^ Über Kirch's verzögerte Bestattung s. Friedrich's des Grossen CEuvr.
T.21 p.373.
^ In den Jahren 17 16 und 17 17 wurden keine Mitglieder aufgenommen; im
Jahre 1729 2; in den Jahren 1718, 1719 luid 1727 je 4; 1720 5; 1722 7; 1721,
1724, 1728 je 8; 1725 9; 1723 13; 1726 20 Mitglieder.
* Sieben von diesen 14 iMitgliedern gehören auch dem Collegium medico-
chirurgicum an; der berühmte Marggraf erscheint hier zum ersten Mal.
'" Frisch ist in allen vier Klassen und hat thatsächlich für alle vier gearbeitet.
15*
228 Gescliichte der Societät von 1717—1740.
fand, class ein so werthloses Institut wie die Societät das bedeutende
Kalenderj)rivileg besass, und der ausserdem argwöhnte, die Akademie
sei reicher, als sie glauben machen wolle, dictirte ihr immer wieder
neue Auflagen, grösstentheils zu Gunsten seines medicinisch- chirur-
gischen Collegiums und der Militärärzte. Dieses CoUegium rückte
er dadurch und durch andere Bestimmungen immer näher an die
Societät heran, augenscheinlich in der Absicht, den Etat desselben
zu verbessern. Die hervorragenden Mediciner wurden regelmässig
auch Mitglieder der Societät, und die medicinisch-physikalische Klasse
verschmolz nahezu mit dem medicinischen CoUegium^ Dass bei dem
damaligen Stande der Wissenschaften, zumal in Berlin, diese Politik
des Königs wohl berechtigt war, wurde bereits oben (S. 216) gezeigt.
Nach dem Tode Gundelsheiji's und LEiBxizens willigte der König*
ein, dass statt der 1000 Thlr., die die Societät bisher für das medi-
cinisch-physikalische CoUeg hatte zahlen müssen (sie besoldete den
Professor der Anatomie, zwei Anatomie -Diener und gab einen Bei-
trag für die anatomischen und chirurgischen Instrumente), fortab
nur 800 Thlr. erlegt würden. Dadurch wurden (mit den 30oThlrn.,
die Leibniz gehabt hatte) 500 Thlr. frei, welche die vier Directoren
mid der Fiscal erhielten. Am 15. Mai 171 7 übergab der König das
anatomische Theater ganz der Societät, »es in einen guten und nütz-
lichen Stand zu setzen und dahin zu sehen, dass solche anatomische
Übungen zu bequemer Zeit und gewissen Stunden das Jahr durch
beständig fortgesetzet werden, wovon sie dann von Zeit zu Zeiten
allerunterthänigsten Bericht al)statten soll«. Dafür bestätige der
König hiermit die Fundation der Societät und versichere ihr bei
seinem königlichen Wort, dass derselben keine weiteren Aus-
gaben, unter welcherlei Namen, Prätext oder Schein es
immer sein möge, zugemuthet werden sollen". Die Societät
beeilte sich (2 9. Mai i 7 i 7) in einem Schreiben an von Printzen, diesen
ihren Protector zu bitten, »die fast von ihrer Einrichtung an sehr
gedrückte Societät bei der K. Gnade , deren sie diesesmal eine eclatante
Probe geniesset, beständig zu erhalten«. Am 14. August i 7 i 7 Hess
der König die vSocietät seiner Huld und Gnade versichern, weil sie
seinem Befehl das Theatrum Anatomicum betreffend nachgekommen
^ Mehrere königliche Ordres sind an die Societät der Wissenschaften und das
CoUegium medico-chii-urgicum gemeinsam gerichtet.
- Siehe Urlamdenband Nr. 133. Am 5. März 17 19 erfolgte dann eine könig-
liche Ordre: "Wie es bei dem Etal)lissement dei- Anatomischen Wissenschaften soll
üehalten werden«.
Vei'hältniss zum Collegium medicuin. Der Etat der Societät. 229
sei, und als ihr auf Betreiben Stahl's am 28. September weitere
Ausgaben für medicinische Zwecke zugemutliet wurden und sie Ge-
genvorstellungen machte, unter Hinweis auf die grossen Kosten, die
ihr die Anatomie verursache, und auf die Ordre vom 15. Mai, da
zog der König die neuen Forderungen diesmal noch zurück'.
Im Frühling des nächsten Jahres befahl er ihr, sämmtliche
medicinische Werke des Joh. Doläus in's Deutsche zu übersetzen,
und zwar binnen Jahresfrist, »worauf wir sodann des Drucks halber
Verfügung thun werden""«. Am 2. April desselben Jahres ordnete
er an, dass die Societät die Pflege und Vermehrung aller Gewächse
in dem (von Gundelsiieim) zu einem Apothekergarten umgewandelten
Hopfengarten übernehmen solle, dass aber der Garten selbst bei der
Hofapotheke verbleibe^.
Der Societät waren damit neue Ausgaben anbefohlen; aber man
kann nicht sagen, dass sie ausserhalb ihres Kreises lagen. Sie re-
monstrirte daher auch nicht; als ihr aber einige Monate später
auferlegt wurde, dem vom König zum Commerzienrath ernannten
Leipziger Mechaniker Leopold (Leupold) jährlich 100 Thlr. zu zahlen,
«wegen des Schönebeekischen Salzwesens«, erklärte sie zwar in
einer umfangreichen Eingabe, sich zu fügen, bat aber, sie mit wei-
teren Auflagen zu verschonen, sie könne sonst das grosse Werk,
welches sie vorhabe, nämlich eben jenes Leopold's Theatrum Machi-
narum Universitatis , eine genaue Beschreibung aller Maschinen
der Welt mit Abbildungen, nicht publiciren'*; auch sei der König
^ Siehe Urkundenband Nr. 134 und 135.
- Ordre vom 15. März 17 18. Motive: der König selbst werde die Übersetzung-
gern sehen und dem Publico sei sie höchst zuträglich. Es ist mir nicht bekannt,
dass die Societät den Auftrag ausgeführt hat. Doläus (1651 — 1707) war ein gelehrter,
aber in der mystischen Medicin Paracelsisch-Helmontischer Eichtung befangener Arzt.
^ Siehe Urkundenband Nr. 136.
* Diese Aufgabe hat die Societät lange Zeit beschäftigt (1718—20), s. den
Fase. "Revenuen« im Akademischen Archiv. Der König war dem Unternehmen
sehr geneigt. Es sollten 1800 Blätter in 6 Jahren mit Beschreibungen erscheinen.
Die Societät sollte die Kosten aufbringen; aber Leupold (der Mechaniker) meinte,
das Werk werde sich glänzend bezahlt maclien und den Fundus der Societät ver-
bessern. jMit geheinmissvoUen Vorschlägen zur Erhöhung desselben drängten sich nicht
Wenige an die Societät heran. Einer will bereits während der \"erhandlungen ü])er
sein Geheimniss wöchentlich einen Ducaten; ein Anderer weiss ein Mittel (10. Juli
1720), wodurch die Societät das erste Jahr wenigstens eine Tonne Goldes , hernach
aber jährlich und perpetuirlich den 3. Theil davon ziehen und einnehmen kann.
Natürlicli bedingt er sich seinen Antheil aus. Ein Dritter schlägt die Gründung
einer Zeitung vor: «Da die Societät insbesondere die Ausübung und Reinigkeit der
teutschen Sprache beobachten und in Stand zu bringen auf sich hat, es aber dieser
K.Residenz zu nicht geringem Ubelstand gereichet, dass die gedruckten Zeitungen
230 Geschichte der Societät von 1717—1740.
von böswilligen Leuten über die Societätskasse falsch berichtet;
jene sprengten aus, es müsste in ihr viel Geld sein, wenn es nicht
wider die Bestimmung anderweitig verausgabt wäre (28. September
1718).
Allein als Antwort kamen neue Auflagen; der König schenkte
den »böswilligen Leuten« (gemeint ist wohl vor allem Stahl) Glauben,
Unter dem 27. Mai 17 19 befahl er, dass die Societät den Gärtner des
Hofapotheken-Gartens, Michelmann, jährlich mit 2 86Thlr. 1 8 Groschen
besolde, und am 24. und 2 8.0ctober erhielt die Societät zwei Schreiben
der Amtskammer, nach denen der König verfügt hatte, sie solle die
ausländischen Pflanzen in den Gewächshäusern zu Oranienburg und
Alt - Landsberg abholen lassen und in Zukunft für sie Sorge tragen,
die dortigen Gärtner würden kein Holz mehr zur Heizung der
Orangerien erhalten.
Die Societät reichte diesen Zumuthungen gegenüber dem Minister
eine ausführliche Eingabe ein (23. December 1 7 19), wies auf ihre
zahlreichen Aufgaben , die alle kümmerlich vorbereitet seien , und
auf die königlichen Zusicherungen vom 15. Mai, 14. August und
20. November 17 17 hin und erklärte, dass die Gerüchte über ihren
Reichthum aus «übelgesinnten und heimtückischen Absichten« ent-
sprungen seien. Um ihnen zu begegnen, legt sie ihrem Schreiben
eine Übersicht über Einnahme und Ausgabe für die Jahre i 7 i 7 und
1718 bei\ Diese ergiebt, dass sie bei einem jährlichen Etat von
etwa öiooTlilrn. im Jahre 17 17 ein Minus von 83 Thlrn., im Jahre
1 7 1 8 ein Plus von 666 Thlrn. gehabt hat. Nicht näher speciali-
sirt ist der Posten »Besoldungen«, der im Jahre 17 17 2000, im
Jahre 17 18 1548/rhlr. betragen hat. Doch wird ausdrücklich be-
merkt, dass für 17 18 noch 2 5oThlr. Besoldungen rückständig seien,
und 16 — i70oThlr. fixirte Besoldungen kann man nach den Acten
sicher ausrechnen.
Die Eingabe fruchtete nichts. Als die Societät zwei Jahre
sj^äter (2 I. October I 72 i) um Wiederholung des Kalenderprivilegs
bat, rechnete sie dem Könio'e vor, dass sie an ordentlichen Auf-
sowohl was die Sprache als auch was die übrigen Umstände belanget, sehr schleclit
beschaffen sind, u. s. w.". — Ausserdem wurden der Societät damals und später
die verschiedensten Erfindungen und technische sowie medicinische Verbesserun-
gen zur Begutachtung vorgelegt, z.B. neue Stubenöfen, Verfertigung von Hemden
ohne Naht. Verbesserung von Kalk und Mörtel, Verhinderung von Viehseuclien,
Mittel gegen Weinverfälsclumg u. s. w. Nur in einigen Fällen scheint sie geantwortet
zu haben, nämlich wenn der König es verlangte.
^ Das Actenstück ist grösstentheils im Urkundenband Nr. 137 abgedruckt.
Der Etat der Societät. Neue Auflagen. 231
lagen 1036 Thlr. zu zahlen liabe^ und ihr ausserdem die Unter-
haltung der Gewächse im Apothekergarten und andere extraordinäre
Lasten oblägen.
Durch Nachdrucke und durch die Einschleppung fremder Ka-
lender, ferner durch säumige Buchhändler, die die von ihnen ver-
triebenen Kalender nicht bezahlten, erlitt die Societät empfindliche
Verluste. Sie trug deshalb wiederholt auf Einschärfung ihres Privi-
legs an. Endlich im December 1723 theilte ihr Gundling im
Auftrag des Königs mit, das Privileg w^erde erneuert werden.
Wirklich erschien das königliche Ausschreiben am 14. December
1723". Jener Brief Gundling's an den Vicepräsidenten ist auch
sonst von Wichtigkeit. Er zeigt, dass der König — durch den
Chirurgen Holzendoeff bestimmt — zeitweilig ein freundlicheres
Urtheil über die Societät gewonnen hatte, und dass man allen
Ernstes damit umging, ein chemisches LaT)oratorium nebst Audito-
rium zu bauen. Der König, heisst es, habe beschlossen, das medi-
cinische und physikalische Departement zu erweitern. .
»dieweilen auch ein Laboratorium soll gebauet werden und das Haus des
Hrn. ScHÜzENS dazu soll genommen werden, so wäre das Laboratorium loco con-
gruo zu bauen, das Haus aber zum Auditorio zu aptiren, wobei in Acht zu nehmen,
dass solches mit den mindesten Kosten geschehe, von dem Hausbau aber ist gänz-
lich zu abstrahiren. Die Operationes Chymicae werden zwar Impensas machen,
jedoch aber dürfen wir dafür Douceurs zu gewarten haben, wann ^vir die Prae-
paration und den Debit des Siegel -Lacks unice werden erhalten. . ..i
»Die Conchylia, so Hr. v. Gundelsheim nachgelassen, wird unsere Natura-
lien-Kammer erhalten; wir wei'den aber 200 Thlr., so ehemalen der Factor gehabt,
der C'hvmie widmen müssen. Ich suche Alles zu menagiren . . . Den grössern Riss
vom Hause bitte zurückzuhalten. Im sondern es ist genug, wann das Laboratorium
und Auditorium malus et minus wol angeleget wird. S. K. Maj. haben durch Hrn.
Chirurgum Holzendorff ein gnädiges Concept von dem Fleiss und Treu der Socie-
tät erhalten; redeant in aurum secula prisca! Die CoUection der Miscellanea bitte
gehorsamst zu urgiren; denn dieses wird hier pressiret. «
GüNDLiNG berichtet weiter, der König werde demnächst kom-
men und alle Räume , Naturalien und optische Instrumente der Socie-
tät besichtigen; Alles soll daher in guten, reinlichen Stand gesetzt
werden. Man soll Alles thun, »so das Anschauen Potentissimi
Regis vergnügen kann. Ich verspreche fest der Societät etwas Gutes,
^ 500 Thlr. dem Professor der Anatomie, Hekrici, 200 für die anatomischen
Bedürfnisse. 50 für den Anatomie -Diener, 100 für Leupold zu Leipzig, 186 fin-
den Gärtner Michelmann.
- Geichzeitig wurde erst jetzt die Fundation der Societät durch eine Ur-
kunde bestätigt (doch s. schon zum Jahre 17 17). — Der Kalenderpi-eis ist im Jahre
1724 etwas erhöht worden (s. den Bericht des Secretars von Jariges an von Viereck
vom 8. Juni 1740).
2H2 Gcschiclite der Societät von 1717—1740.
wann der Fundus couscrviret und erweitert wird, denn ich schätze,
dass 400 Thh*. erfordert werden, wobei Dero Herr Bruder sein
augmentum debitum salarii mandato Regis erhalten wird. Der Maul-
beer-Garten im Societäts-Hof wird ein hortus botanicus werden,
dannen hero auf künftigen Frühling locum commodum wir erhalten
werden. Der liebste Gott gebe zu Allem sein Gedeihen«.
Geld gab der König nicht, im Gegentheil — an demselben
Tage, an dem er das Kalenderprivileg erneuert hatte, verfügte er,
die Societät solle dem Prof. Buddeus, Pott und dem Hofapotheker
Neumann, jährlich je 100 Thlr. bezahlen und »der aus Frankreich
gekommenen Waisenmutter Motet« 50 Thlr.; der Secretar erhielt
eine Zulage von ebenfalls 50 Thlrn. Als PIenrici als adjungirter
Garnisonsmedicus nach Magdel)urg versetzt wurde, bestimmte der
König, er solle dort das Societätsgehalt von 300 Thlr. bis zum
Absterben des alten Medicus weiter beziehen \
In finanziellen Dingen erreichte Gundling also nichts für die So-
cietät"; dagegen hat er seinen an sich schon so trübseligen Namen in
tiefen Schatten versenkt durch den Antheil, den er — die Sache ist
nicht ganz sicher — an Chr. Wolff's Vertreibung aus Halle genom-
men haben soll. Zu den Gegnern Wolff's , nicht aus Princip, sondern
aus Brodneid, gehörte sein College, der Jurist H. Gundling in Halle.
Er soll nun seinen Bruder, den Präsidenten der Societät, veranlasst
haben, dem Könige die praktischen Gefahren des WoLFr'schen Deter-
minismus durch zwei befreundete Generäle im Tabakscollegium dra-
stisch vorzuführen — dass fahnentlüchtige Grenadiere nach Wolff nicht
zur Verantwortung gezogen werden können, da alles prästabilirt sei — ,
und soll im Bunde mit den pietistischen Theologen jene berüchtigte
^ Im Mai 1727 legte der König der Societät eine weitere Auflage auf: die
100 Tlilr., die bisher der Director adjunctus der mathematischen Klasse, d'Angi-
couR, der gestorben war, bezogen, sollte der Regimentsfeldscheer Senf erhalten.
Ganz witzig schreibt Gundling über diese Zumuthung an den Protector von Creutz
(11. Mai), indem er ihm den Thatbestand darlegt und ausführt, dass die 100 Thlr.
dem Winden Dr. JÄGwnz gebühren: »Es ist zu beklagen, dass auch Herr Stall-
meister Beer sich gemeldet (seil, für die 100 Thlr.) und vermeinet, dass weilen
das Observatorium auf dem Stall stände, die Pferde gleichfalls davon was haben
müssten«. Die Societät machte auch ihrerseits eine Gegenvorstellung (4. Juni), in
der sie darauf hinwies, dass der König selbst den Directoribus adjunctis 100 Thlr.
ausgesetzt habe; aber dieser Einwand hat schwerlich etwas genützt.
^ Da er für seine liistorischen Arbeiten Medaillen und Münzen brauchte , so
erwirkte er einen königlichen Befehl, die Münzsammlung Raue's (eines Mitglieds
der vSocietät) anzukaufen; aber die Societät musste sie bezahlen. Immeiliin fand
sich noch Geld zu solchen ErAverbungen.
Friedrich "WiLHELJi I. und Wolff. 2oH
Calünetsordre vom 8. Noveml)er 1723 bewirkt haben , nach welcher
Wolff binnen zweimal 24 Stunden bei Strafe des Strangs Halle ver-
lassen musste. Während die WoLFF'sche Philosophie in den Kreisen
der Societät viele Anhänger zählte, veranlasste ihr Präsident, dass der
Philosoph wie ein gemeiner Verbrecher ])ehandelt wurde I Die Freude
aber erlebte die Societät nach zehn Jahren, dass ihr neuer Präsident,
der Hofprediger Jablonski, einen sehr wesentlichen Antheil an der
Rehabilitirung Wolff's in Preussen nehmen durfte'.
Das wenigstens erwirkte Guxdling noch für die Societät, l)evor
er völlig A'ersank, dass ihre Bibliothek von allen in Preussen er-
scheinenden Büchern ein Pflichtexemplar erhielt" und dass ihr das
Recht der Publication der Gesetzessammlung und geographischer
Karten als Monopol übertragen wurde.
In der für die Societät dunkelsten Zeit von 1 727-1 733, unter
der Leitung von von Creutz und Graben von Stein, kam es so weit,
dass die Akademie ein ausführliches Gutachten abgeben musste über
^ Der Hergang ist in neuerer Zeit öfters erzählt worden, s. Erdmaxn, Die
Aufklärung des 18. und 19. Jahrhunderts 1849 S.333, Zeller i. d. Preuss. Jahi'l).
1862 S.47, ScHRADER. Gesch. d. Univ. Halle i. Bd. S. 168 ff., 211 ff., Hettner's Litt.-
Gesch. u. s. w. Nach zehn Jahren schlug das Urtheil des Königs vollständig um.
Eine Cominission von Theologen, unter denen sich Jablonski und Reixbeck (unter
CoccEji's Vorsitz) befanden, sprach sich in jeder Hinsicht günstig über die WoLFF'sche
Philoso})hie aus, so dass ihn der König wiederholt nach Halle zurückzuführen ver-
suchte und kurz vor seinem Tode sogar die WoLFp'sche Philosophie an den preussi-
schen Universitäten für obligatorisch erklärte. Erst Friedrich dein Grossen gelang
es im ersten Jahr seiner Regiei-ung, den Philosophen zur Rückkehr nach Halle zu
bewegen. Förster in seinem Leben Friedrich Wilhelm's I. 1835, 2. Bd. 8.352!'.
berichtet nichts über den Antheil Paul Guxdlixg's an Wolff's Vertreibung, sondern
nennt nur die Namen der Generale a'ox Natzmer und vox Löbex, die Wolff feindlich
gesinnt wai'en und mit den Theologen in Halle in Verbindung standen. Aber die
boshafte Nutzanwendung der WoLFF*schen Philosophie auf desertirende Soldaten ist
doch wohl ein Gi'XDLixo'scher Witz, der den Generalen suppeditirt worden ist. So
stellt die Sache auch Dexixa dar (La Prusse litter. 1791 HL Bd. S.495). Das Aka-
demische Archiv enthält natürlich über die Katastrophe nichts. Schrauer (Gesch.
d. Univ. Halle, i.Bd. S. 231) hält die Betheiligung P. Gixdlixg's an ihr für nicht
erwiesen, die Aufstachelung durch den Bruder für hiichst unAvahrscheinlich. —
Jabloxski und Reixbeck hatten schon kurz vor der Katastrophe des Jahres 1723
(am 29. October) ein für Wolff günstiges Votum abgegeben, aber der König hatte
es damals nicht beachtet. Über Reinbeck's Verhältniss zu AVolff s. Büschixc;, Bei-
träge I.Bd. 1783 S.3ff., der übrigens GuxDLixci's Betheiligung an der Vertreibung
Wolff's auch nicht erwälmt.
^ Am 30. October 1724 regte Guxdlixg dies beim Protector vox Prixtzex an.
und bereits am 31. October erschien die königliche Ordre (erneuert am 19. März 1746).
Man liatte dem Könige gegenüber die ]Motivirung gebraucht: "damit die jungen Feld-
scheerer mit nöthigen Büchern versehen und bei der Societät medicinische. chirur-
gische und andere dienliche Bücher angeschaffet wei'den können" (Geh. Staatsarchiv).
234 Geschichte der Societät von 1717—1740.
den Bericht eines Feldscheers in Serbien, dass sich dort mehrere
Personen in Vampyre verwandelt und Anderen das Bhit ausgesaugt
hätten, »solche seien auch zu Vampyren geworden«. Jede Klasse
musste über diesen Bericht für sich votiren: diese Gutachten fielen
übrigens so verständig aus, als es die auch in jenem Zeitalter bereits
absurde Frage zuliess\
Etwas bessere Zeiten kamen seit 1733. Zwar steigerten sich
die finanziellen Zumvithungen des Königs unaufhörlich, so dass beim
Regierungsantritt Friedkich's des Grossen die Leistungen der Societät
für fremde Zwecke gegen 2400 Thlr. betrugen""; aber durch eine
bedeutende Schenkung vergrösserte der König doch auch das wissen-
schaftliche Inventar der Societät in sehr willkommener Weise. Er
überwies ihr im Januar 1735 aus der Königlichen Bibliothek gegen
3000 mathematische und medicinische Bücher, dazu 300 Stück seltene
Naturalien u. A. Den Directoren, die sich für die reiche Gabe be-
dankten, schärfte der König ein, tleissiger als bisher zu arbeiten,
damit der Zweck erreicht werde, zu dem sie eigentlich gestiftet
worden war. Die Societät solle sich auf solche Erfindungen legen,
welche capable wären, die Künste und Wissenschaften immer höher
empor zu bringen, und zwar solche, die der Welt zum wahren
Nutzen gereichen, keineswegs aber in blosser Windmacherei und in
falschen Träumereien beständen, womit sich viele Gelehrte aufzu-
halten pflegten^. Im Mai desselben Jahres wurde die erste Instruction
für den Societäts- Bibliothekar (Wagner) entworfen. Man erfährt aus
ihr, dass der König in Bezug auf die geschenkten Bücher bestimmt
hatte (Ordres vom 22. und 26. Januar), «dass Jedermann jung oder
alt die Freiheit haben solle, vorerwähnte Bücher in der Societäts-
Bibliothek zu gebrauchen, den Königl. Bedienten aber solche auf
^ Im Akademischen Archiv wird das seUsame Actenstück aufbewahrt.
^ Siehe den Bericht vox Viereck"s an den König vuni 9. Juni 1740. Im
Jahre 1737 (4. Juli) vei'fügte der König, dass die Societät den medicinischen Pro-
fessoren Sprögel und Schaarschmidt je 100 Thh-. jährlicli auszahlen solle. Auf den
Rand der Gegenvorstellung der Societät bemerkte er lakonisch: -Sossietet soll mit
der Ch[arite] zahlen. F. W.«. Am 19. Juni 1739 wurde durch königliche Ordre der
Leichen - Kanon von 400 auf 500 Thlr. erliöht; die Summe floss in die Kasse der
Societät; allein sie hatte keinen A'ortheil davon; denn 400 Thlr. sollten, wie bisher,
die Pensionair -Feldscheers erhalten und 100 Thlr. sollte der Prof. Sprögel haben.
^ Siehe Förster, Friedrich WilheljiL, 1835 2. Bd. S.35if. nach Fassjiann,
Friedrich Wilhelm 1735 S. 543. Da der betreuende Abschnitt Fassmann's augen-
scheinlich nach Eingaben der Societät und königlichen Kundgebungen gearbeitet
ist. die wir jetzt nicht mehr besitzen, so ist er im Urkundenband Nr. 139 abge-
druckt.
Bücherschenknng. Die Publicationen der Societät. 235
ihren Zettel nach Hause gelehnet, desgleichen gegen Ausstellung eines
sicheren Scheins an Leute sowohl in als ausserhalb der Stadt bis
auf 20 Meilen umher zum Lesen ausgeliehen werden dürfen, ausser-
halb Landes aber niemals«. Auf vier Wochen können die Bücher
verliehen werden. Die Instruction bestimmt aber, dass diese libe-
ralen Bestimmungen nur für die geschenkten Bücher gelten ; die früher
von der Societät selbst angeschafften Werke sollen in einem beson-
deren Räume stehen und zum ausschliesslichen Gebrauch der Mit-
glieder bleiben, die sie auf vier Wochen entleihen können \
Im Jahre 1738 wurde, zunächst für die elf jährlichen Sitzungen
der medicinisch- physikalischen Klasse", eine feste, am Anfang jeden
Jahres zu veröffentlichende Leseordnung auf Vorschlag des Hofraths
BuDDEUS eingerichtet. Die zehn Mitglieder der Klasse verpllichteten
sich, in jedem Jahr je einen selbständigen Vortrag und ein Referat
über eine wichtige litterarische Erscheinung in ihrem Fache zu halten^.
2.
Während der Regierungszeit Friedrich Wilhelm's I. hat die So-
cietät nur 5 Bände Miscellanea herausgegeben; zwei von ihnen fallen
in die Zeit von Guxdling's, drei in die von Jabloxski's Präsidium.
Da die Philosophie ganz ausgeschlossen war und Themata von princi-
pieller Bedeutung nicht behandelt w^urden, so ist der neue Geist
der Wissenschaft nicht kräftig in diesen Bänden ausgeprägt, ver-
leugnet sich aber doch in vielen Abhandlungen nicht*. Akademisclie
^ Akademisches Archiv, vergi. auch Wilken, Geschichte der Königlichen
Bibliothek 7.11 Berlin 1828 S. 81. Am 3. Februar 1735 wurden die Bücher der 80-
cietät übergeben.
^ Jede Klasse hielt monatlich am Donnerstag je eine Sitzung; im August
waren Ferien.
^ Siehe den \'oi'schlag im Urkundenband Nr. 140. Er ist die Grundlage der
noch gegenwärtig geltenden Ordnung.
* Das Urtheil Geiger's (Berlin 1688— 1840 Bd. i S. 240): »(In der Zeit Fried-
rich Wilhelm's I.) waren statt Männer der Wissenschaft unwissenschaftliche Thoren
Hauptmitgiieder der Societät«, ist nicht nur übertrieben, sondern einfach falsch.
Die Hauptmitglieder waren stets respectable Gelehrte; .IMissgriffe bei Aufnahme neuer
jMitglieder waren allerdings nicht selten, aber diese Dunkelmänner haben niemals
der Societät das Gepi-äge gegeben. Noch unrichtiger aber ist es , wenn Geiger
weiter bemerkt: »Es erschien geradezu als das Streben der gelehi-ten Gesellschaften,
die Wissenschaft ins Burleske zu verkehren« , und dann allen Ernstes die Societät
für das ridicule Patent Graben's von Stein verantwortlich macht. Sie hat stets
ihre Behandlung seitens des Königs als schwere Kränkung empfunden und ist weit
davon entfernt gewesen, die Wissenschaft in"s Scherzhafte zu ziehen (Bielfeld, Lettres
23() Gescliichte der Societät von 1717— 174().
Schönrednerei, wie sie Montesquieu in den Lettres Persanes (172 i)
verspottet und wie sie sicli später in den Abhandlungen so breit
gemacht hat, vermisst man mit Genugthuung, freiUch — man ver-
misst auch noch jene treffliche formale Schulung des Geistes, durch
die Frankreich die Völker Westeuropas im Zeitalter Ludwig's XIV.
und des Regenten erzogen hat'. Der 2. Band (1723), zu welchem
die Mediciner und Chemiker noch nichts beigesteuert haben, ent-
hält vornehmlich mathematische und astronomische Abhandlungen,
ausserdem nur sechs litterarische, unter denen der Vorschlag einer
Universalschrift von D, Solbrig" und eine Untersuchung von Wächter
über die Sprache des Codex Argenteus hervorzuheben sind^.
Endlich entschlossen sich die Mediciner und Chemiker, nach-
dem das Collegium Medicum enge mit der Societät verbunden worden
war, zur Mitarbeit. In dem 3. Band (1727) nehmen ihre Abhandlungen
einen stattlichen Raum ein , und nicht minder in den folgenden
Theilen. Es ist die Schule Georg Ernst Stahl's (i 660-1 734; Pro-
fessor in Halle seit 1693, Leibarzt des Königs in Berlin seit 17 16),
des grössten Chemikers seiner Zeit, des Vaters der Phlogiston -Theorie,
die nun zu Worte kam. Jene Theorie, von Lavoisier widerlegt,
hat doch fast ein Jahrhundert lang geherrscht und sich fähig er-
wiesen , die bisher zerstreuten und unzusammenhängenden empiri-
schen Beobachtungen in eine Einheit zu fissen und neue, fruchtbare
Untersuchungen anzuregen. Durch sie ist die Chemie erst zu einer
T. II 11.134 .schi'eibt allei'dings: »Le roi ne faisait proposer de tenips ä autre que
des plaisanteries a. laSociete, et celle-ci n'y repondait guere siir un meilleur ton« ;
aber als Beweis wird lediglich die zweifelhafte Champagner- Geschichte mitgetheilt).
Auch die Behauptung: »Statt wissenschaftlicher \'orträge leistete man sicli eine Pro-
duction Schönemanns«, der bei seiner Introduction 200 Verse angeblich aus dem
Stegreife recitirte über das Tliema »Gott ist das Licht« , ist aus der Luft gegriffen.
Solche poetische Leistungen waren auch in der französischen Akademie üblich, sind
aber niemals an die Stelle wissenschaftlicher Voi'träge getreten.
'■ Der Kronprinz Friedrich schreibt in einem Brief an Voltaire (17. Juni 1738,
(Euvres T. 21 p. 210): »Les Memoires de l'Acadeinie, que je fais venir, seront ina
täche pour cet ete et pour rautomne« , aber er meint die der französischen Akade-
mie; die der Berliner hat er als Kronprinz niemals erwähnt.
^ Er will die Begriffe durch Zahlen ausdrücken und hat mit Beihülfe der
Societät darüber ein grosses Werk nebst einem Lexikon im Jahre 1726 in Salzwedel
erscheinen lassen.
^ Wächter hat der Akademie nur zwei Jahre (1720— 1722) angehört; dann
siedelte er nach Dresden, bald darauf nach Leipzig über. Hier hat er seine beiden
deutschen Lexika herausgegeben, durch die er sicli um die deutsche Sprache verdient
gemacht hat. Das Bestreben, bei Worterklärungen auf die älteste Gestalt der Sprache
zurückzugehen , ist beinerkenswerth.
Die PuLIicationeii der .Socielät. Die Naturforscher. 28/
Wissenschaft geworden, während sie bis dahin die dienende Magd
der Medicin und der Goldmacherkunst gewesen war. Aber Stahl
war nicht nur experimentirender Chemiker, sondern auch Arzt, und
seine Eigenart bestand darin, diese beiden Aufgaben nicht vorschnell
zu vermischen. Der Empirie hat er auch auf dem Gebiete der Heil-
kunde gehuldigt, aber eben deshalb lehnte er die mechanisch -mathe-
matischen Theorien seines Rivalen Hoff3iann, die ihm in fremdes
Gebiet zu führen schienen, ab und suchte auf ein scheinbar näher
liegendes Element, das Princip des Animismus, die Vorgänge im
gesunden imd kranken Körper zurückzuführen. Unter den Berliner
Naturforschern und Ärzten, die zugleich Mitglieder der Societät waren,
ragen besonders der viel gereiste und mit den Gelehrten des Aus-
landes in Verbindung stehende Caspar Neumann, der Hofax^otheker
(1683 -1737), Eller, der Leibarzt (1689 — 1760), vor allem aber
Pott, der bedeutende Chemiker, der Erforscher der Natur des Porzel-
lans und Begründer der keramischen Pyrochemie (1692 — 1777), her-
vor. Pott hat auch zuerst die Katur der Bernsteinsäure als eine
Pflanzensäure erkannt und andere wichtige chemische Entdeckungen
vorbereitet\ Neben diesen Männern standen die trefflichen Ana-
tomen BuDDEUs, ein Schüler Boerhave's, und Holtzendorff , der Re-
formator des preussischen Militärlazarethwesens und Begründer des
Theatrum Anatomicum, denen sich bald der genaue Beol)achter J. Na-
THANAEL LiEBERKÜHN (1711-1756) zugcselleu solltc. Alle dicse Ge-
lehrten befanden sich in scharfem Gegensatz zu den »Literaten« und
den Franzosen" der Societät, deren Arbeiten sie als unnütz und un-
solide bespöttelten. Li dieser Haltung wurden sie durch den König
selbst bestärkt^. Nur der Akademiker Frisch, dessen zoologische
Untersuchungen anerkannt waren, der aber zugleich als Sprach-
forscher und Historiker Bedeutendes leistete, bildete ein Mittelglied
zwischen den beiden Gruppen der Societät, der medicinisch-chemi-
' Sein Name lebt, allen bekannt, in der «Pott- Asche« fort.
- Es gab allerdings aucli einen Arzt nnter den Mitgliedern der Societät, der
Franzose war, Carita; aber von ihm sagte La Croze : -Voiis savez le nom de toutes
les maladies en grec; vous n"en savez pas guerir nne en franc^ais. Votre art est
doublement muet« (Bartholmess, Histoire I p. 86).
^ Umgekehrt waren die »Literaten« am Hofe der Königin gern gesehen nnd
waren znm Theil die Erzieher der königlichen Kinder. Hier traf man die Pastoren
Beausobre und Lenfant, Jablonski und Reinbeck und die Franzosen du Han,
La Croze, Chauvin, Naude, Pelloutier u. s. w. Für die Zurücksetzung am Hofe
des Königs entschädigte sie einigermaassen die Gunst der Königin, und den Kron-
prinzen gewannen sie für ihre Sache.
2B8 Gescliiclite der Societät von 1717—1740.
scheu und der litterarisclien'. Die uiatliematiscli-astronomischen Publi-
cationeu standen nicht mehr auf der Höhe, namentlich seit des jün-
geren Kirch's Tode"^
In dem 3. Bande (1727) haben Buddeus, Frisch, Neumann, Holtzen-
DORFF und Pott eine Reihe von Abhandlungen geliefert^ ; der fleissige
Kirch jun. hat nicht weniger als 1 2 astronomische Aufsätze beige-
steuert. In der litterarischen Abtheilung ist besonders die Münz-
kunde gepflegt.
In dem 4. Bande (i 734) sind Frisch und Wagner in der mathe-
matischen Abtheilung die fleissigsten , in der litterarischen ebenfalls
Frisch, in der medicinisch- naturwissenschaftlichen Caspar Neumann
und wiederum Frisch.
Der 5. und 6. Band (1737. 1740) haben ihre Bedeutung fast
ausschliesslich in den naturwissenschaftlich -medicinischen Arbeiten^.
Der unermüdliche Frisch veröffentlichte seine zuverlässigen Beob-
achtungen weiter; aber neben ihm, Pott und Neumann erscheint im
Jahre 1740 bereits der junge A. S. Marggraf mit einer Abhand-
lung über den Phosphor (»Relationes Phosphori solidi versus me-
talla et semimetalla«). Unter den litterarisclien Abhandlungen ragt
die von Brucker »De vestigiis philosophiae Alexandrinae in libro
Sapientiae« vor allen hervor; sie behandelt ein Thema, welches,
weiter gefasst, in der Folgezeit eines der fruchtbarsten auf dem Ge-
biete der alten Kirchengeschichte werden sollte.
Was die Geisteswissenschaften noch nicht zu einem frischen
Leihen gelangen Hess, das war der Mangel einer die Erkenntniss
beherrschenden und die Einzeluntersuchungen bestimmenden Welt-
anschauung und damit der Mangel an Problemen. Der alte melan-
chthonische Betrieb der Wissenschaften war aufgelöst; ihre Emanci-
pation von der Kirche und der Theologie war im Princip vollzogen;
aber die Elemente für einen neuen Bau waren noch zerstreut und
besassen noch nicht die Kraft durchschlagender productiver und kriti-
^ Bemerkenswei'th ist, dass Frisch (in der Sitzung vom 10. Februar 1734)
den Antrag gestellt hat, einen Theil der akademischen Arbeiten in den Miscellanea
in deutscher Sprache zu veröffentlichen. Der Antrag ist einstimmig angenommen,
aber nicht ausgeführt worden (Akademisches Protokoll).
^ Siehe den Brief Euler's an vox Jariges (7. September 1742, Akademisches
Archiv), in welchem er schreibt, die Astronomie sei bei der Societät sehr in Ver-
fall gekommen.
^ Frisch besonders zur Insecten- und Parasitenkunde (10 Abhandlungen).
* Auch schon der Zahl nacli; es sind 40 Abhandlungen, während die litte-
rai'ische Klasse nur 19, die mathematische nur 14 geliefert hat.
Die Piil)Iicationen und die wissenschaftliche SteUung der Societät. 239
scher Principien\ Wohl waren sie längst Besitz einzelner hervor-
ragender Geister, aber in der ganzen Breite der wissenschaftlichen
Arl)eit wirkten sie noch nicht mit souveräner Kraft. Weder die
Philosophie des Cartesius, noch die LriBNizens oder Spinoza"s be-
stimmte den Betriel) der Wissenschaft überhaupt; die Antithesen
Bayle's erschütterten die Berliner Akademiker noch nicht; noch weni-
ger waren die Feinheit und der strenge Stil in der Ausbildung litte-
rariselier Formen, wie sie Frankreich lehrte, in den allgemeinen
Besitz übergegangen. Auch das, was die Engländer an Sicherheit
und Schärfe der Beobachtung und an praktischer Regelung des Lebens
darboten, war erst von Wenigen in Deutschland aufgenommen. Hieran
lag es, dass die wissenschaftlichen Arbeiten der Gelehrten zweiten
Ranges, wie sie die Societät besass, in dem ersten Drittel des 1 8. Jahr-
hunderts nicht den Eindruck einer neuen Epoche der Cultur her-
vorrufen".
Aber eben in dem Jahrzehnt , welches dem Tode Friedrich Wil-
helm's I. vorangeht, vollzog sich der grosse Umschwung, der bisher
auf den Höhen des geistigen und wissenschaftlichen Lebens statt-
gefunden hatte , auch in den Niederungen und riss Alles mit sich
fort. Das System Chr. W^olff's ist es gewesen, in welchem die Auf-
klärung ihre erste universale Ausgestaltung in Deutschland empfing
und den Sieg auf dem ganzen »Seh lach tfelde erstritt. Scheinbar
conservativ, war es doch, gemessen an den alten Überlieferungen,
durch und durch radical und aggressiv, da es die Autorität in jeder
Form negirte, an ihre Stelle die Vernunft setzte und die Geschichte
nicht nöthiff zu haben erlaubte^. Mit ilim wirkte der von Ensiands
^ Man kann das an der Haltung so bedeutender Prediger wie Jablonski und
Reinbeck studiren. Sehr bezeichnend ist es auch, dass noch am 12. October 1740
— also bereits unter der Regierung Friedrich's des Grossen — die Akademie dem
Verfasser eines philosophischen Werks , der ein Urtheil iiber sein Buch wünschte,
die Antwort gegeben hat. »die in dem Essai philosophique enthaltenen Lehren seien
sowohl den protestantischen als katholischen Gottesgelehrten höchst anstössig, und
die Societät könne sich daher dieser und anderer Ursachen wegen hierüber mit ihm
gar nicht einlassen« (Sitzungs- Protokoll).
- Angesehen blieb die Akademie durch ihre Miscellanea bei den auswärtigen
Gelehrten. Im Jahre 1735 bewarb sich ^Maupertuis um die Aufnahme ; Wolff schrieb
ihr 1738, er habe die Absicht, "Seine lateinische Philosophie der Societät zu über-
machen«; in demsellien Jahre fragte Gottsched an, ob er seinen kritischen Bei-
trägen, deren 5. Theil der Societät gewidmet war, den Titel geben dürfe: »Von
einigen Mitgliedern der K. Preuss. Societät der "Wissenschaften in Berlin«.
•"' "Alle moralischen Wahrheiten liegen in der Vernunft; wir brauchen dazu
so wenig eine Offenbarung, als zu dem Satz: 2 X 2 = 4" — so sprach man in Tho-
MAsius' und Wolff's Schule.
24(.) Geschichte der Societät von 1717—174".
Aufklärung illumiiiirtc und sie umformende französische Geist in
eigenthümlicher Verbindung zusammen, um jene Culturstufe lierauf-
zufüliren, in der das Mittelalter in unserem Vaterlande erst wirklieli
beseitigt worden ist^
Die Societät, so wie sie eingerichtet war und sich bis zum Jahre
1740 entwickelt hatte, war trotz der hohen Absichten ihres Stifters
Leiijniz nicht das zweckmässige Organon zur Durchführung des Um-
schwungs geworden". Beweis dafür, wenn ein solcher noch nöthig
ist, ist die Thatsache, dass mit ihr concurrirende wissenschaftliche
Gesellschaften und Unternehmungen in Berlin emporwuchsen, Sie
zeigten, dass die Societät den Bedürfnissen nicht entsprach. Franzö-
sische Mitglieder der Societät versammelten sich seit 1720 regelmässig
im Hause Lenfant's und gaben als «Societe anonyme« eine »Biblio-
theque Germanique« heraus, die später als »Nouvelle Bibliotheque
Germanique« erschien und es bis auf 25 Bände gebracht hat. Hier
schuf sich das französische Element auf deutschem Boden ein Organ ^.
Die Mediciner und Chemiker gaben seit 17 17 bis 1732 '>x\cta Medi-
corum Berolinensium in incrementum artis et scientiarum collecta et
digesta« heraus; eben deshalb entschlossen sie sich so schwer, für die
Miscellanea der Societät Beiträge zu liefern. Im Jahre 1736 stifteten
die Anhänger der WoLFF'schen Philosophie in Berlin, unter des Grafen
VON Manteuffel und des Propstes Reinbeck Führung, eine Gesellschaft
der Alethophilen zur Verbreitung dieser Philosophie und des «be-
gründeten Denkens«*. Sie l)edeutete an sich wenig — ursprünglich
war sie gegründet »par badinerie plutot que dans une Intention se-
rieuse« — , aber sie war doch ehi beachtenswerthes Zeichen der Zeit;
denn sie wies auf den Mangel hin, der der Societät der Wissen-
schaften anhaftete: diese Akademie war noch immer ganz unphilo-
sophisch. Endlich, wenige Jahre später, bildete sich in den vor-
nehmsten Kreisen Berlins eine französisch -litterarische Gesellschaft,
^ Auch der Höhepunkt der Wirksamkeit Gottsched"s, in der sicli eine Com-
hination des Woi.FF"schen Geistes mit französischem Formensinn darstellt, fällt in
die Zeit 1730-1735.
- Siehe Friedrich's. des Kronprinzen, Schilderung der Entstehung und Ge-
schichte der Societät in dem vertraulichen Briefe an Voltaire vom 6. Juli 1737, theil-
weise abgedruckt im Urknndenhand Nr. 141. Ebendort (Nr. 142) ist seine spätere
Skizze der Geschichte der Societät in einer akademischen Abhandlung vom Jahre 1748
mitgetheilt.
^ Siehe Formet, Souvenirs I.Bd. p.37; Büsching. Beiträge, I.Bd. S.iöff'. 124!'.
* Die Gesellschaft hatte sich den Spruch der Aufklärung »Sapere aude« zum
^Nlotto erwählt und führte auf ihren Diplomen die Namen von Leibniz und Woi.ff.
Die wissenschaftliche Stelhmg der Societät. 241
die die Existenz der Societät der Wissenschaften geradezu bedrohte.
Wir werden sie im nächsten Buch kennen lernen.
Kein Zweifel — die Societät in ihrem »schläfrigen« Zustande'
war von dem Gang der Entwickelung überholt". Ihre Lebensfähig-
keit hing davon ab, dass sie eines der grossen Elemente, in denen
der Fortschritt des Zeitalters gegeben war, energisch aufgriff und
die Protection desselben übernahm, sei es nun die Wolff'scIic Philo-
sophie oder die Newton'scIic Mechanik oder die französische litte-
rarische Cultur oder eine eigenthümliche Verbindung aller dieser
Elemente. Ein Reformator war nöthig, und er kam wirklich.
Am 31. Mai 1740 schloss Friedrich Wilhelm I. die Augen:
der einzige preussische König, der nicht Protector der Societät ge-
wesen ist. Sein gerader Sinn hatte es verschmäht, das zu scheinen,
was er nicht sein wollte. Bereits die ersten Erlasse des neuen
Herrschers aber zeigten , dass die Zeit der Noth und des Drucks
für die Akademie nun vorbei w^ar. Die Nacht war vergangen —
nicht mehr sollte die Societät im Schatten des Theatrum anatomi-
cum ein kümmerliches Dasein fristen^ — , und strahlend kam der
neue Tag herauf.
^ Viele Mitglieder kamen fast nie in die Sitzungen. Als im Jahre 1727 die
Exemplare des neuen Bandes der Miscellanea vertheilt werden sollten, schlug der
Secretar vor, neun Mitglieder — unter ihnen La Croze — von der Vertheilung
auszuschliessen, da sie nie in den Sitzungen zu sehen seien (Sitzungs- Protokoll).
- Nur Eines blühte einigermaassen — das waren die Finanzen der Societät.
Seit VON Jariges im Jahre 1733 das Secretariat übernommen hatte, hatten sich die
Einnahmen aus den Kalendern, Dank seiner Umsicht (s. das Eloge auf ihn von
FoRMEY in den Mem. 1771 p. 44 f.), sehr vermehrt. Der Rendant Koehler , obschon
er auch in seine eigene Tasche arbeitete, war ein sehr geschickter Subalternbeamter,
der unter von Jariges' Oberaufsicht den Vertrieb der Kalender ausserordentlich zu
steigern verstand. Als es sich im Winter 1743/44 i^^i^ ^ie Schliessung der alten
Societät und die Eröffnung einer ganz neuen handelte, ist sie durch ihre gute finan-
cielle Lage vor dem Untergang bewahrt geblieben. Hätte sie nichts besessen, so
hätte man sie schwerlich respectirt.
^ Bielfeld, Lettres famil. et autres T. II 1763 p. 131. Maupertuis, Brief
an Friedrich den Grossen (Le Sueur, Maupertuis p. 87) vom Herbst 1748: »Sous le
regne du feu roi la Societe des sciences n'a ete proprement qu'une societe de Chi-
rurgie (das ist eine Übertreibung) et meme n'a jamais fait faire aucun progres ä
cet art".
Geschiclite der Akademie. I. 16
242 Geschichte der Societät von 1700-1740.
ANHANG.
.- Zum Personalstand der Societät (1700-1740).
1. Protector:
S. Maj. der König Friedrich I. (f 25. Februar 17 13).
Der Staatsminister von Printzen (f S.November 1725).
Der Staatsminister von Creutz (21. November 1725 bis 13. Februar
1733)-
Der Staatsminister von Viereck (seit dem 20. April 1733).
2 . Präsident:
VON Leibniz (f 14. November 17 16); seit dem 7. August 17 10 stand
der Staatsminister von Printzen als Praeses honor. neben bez.
über ihm ; von Printzen war also von i 7 1 3 bis i 7 1 8 Protector
und Präsident (honor.) zugleich.
V. Gundling (5 . März i 7 i 8 bis 1 1 . April i 7 3 i ).
[Fassmann (25. April 1731, musste schon im Mai resigniren)].
D. E. Jablonski (seit dem 14. Juli 1733).
3. Vice Präsident (neben den jährlich im Vicepräsidium wechselnden
Directoren) :
Graben zum Stein (seit dem 19. Januar 1732).
4. Directoren:
Der physik. Klasse: Krug von Nidda (f 17 19), Henrici (3. Juni 17 19
bis 1725), BuDDEUS (seit 1725); seit dem 20. September 1735
ist Eller überzähliger Director (vom König eingesetzt).
Der mathem. Klasse : Cuneau (f 30. December i 7 1 5), Jägwitz ( i 7 i 6 bis
1728), DES ViGNOLES (scit l 7 2 8).
Der deutschen Klasse: Schott (f i 7 i8), Kammergerichtsrath Schlüter
(1718 bis 1732), Frisch (seit 1732).
Der kirchlich -orientalischen Klasse: D. E. Jablonski.
Der Personalstaiid der Societät. 243
5. Secretar:
J. Th. Jablonski (f 28. April i 73 i : sein Adjunct in den letzten Jahren:
Cöper): von Jariges (seit dem 11. März 1733).
6a. Vollständige Liste der einheimischen ordentlichen Mit-
glieder bis zur Mitte des Jahres 1713.
Leibniz (f 1 4. November i 7 1 6) , D.E. Jablonski , Hofprediger (f
25. Mai 1741), CuNEAU, Archivrath (f 30. December 17 15), Rabener,
Hofrath (f 29. Januar 1701), Ancillon, Legationsrath (f 5. Juli 17 15),
Beer [Behr], Oberingenieur (-j- nach i 7 i 5). — Achenbach, Kirchenrath
und Hofprediger (f 1720), d'Angicour[t], Königl. Secretar und Mathe-
matiker, Beyer, Königl. Bibliothekar {\ vor dem i i.Juli 1705), Chau-
VAIN, Professor (7 6. September 1725), La Croze, Bibliothekar (f 2 i . Mai
1739), Frisch, Conrector (f 2 1 . März 1 743), Gohlius, Mediciner (-{-1731),
Grünberg, Architekt, Henrich, Hofprediger, F. Hoffmann, Mediciner
(f 12. November 1742), J. H. Hoffmann, Astronom (f 6. April 17 16),
J. Th. Jablonski, Secretar der Societät (f 28. April 1731), Jägwitz,
Hofarzt (f 1727), Kirch, Astronom (f 25. Juli i 709), Krug von Nidda,
erster Leibarzt (7 i 7 19), Liciitscheid, Kirchenrath, Marperger (7 i 730),
VON Meisenburg, Naude sen., Professor der Mathematik (f 7. März
1729), Naude jun., Professor (f 17. Januar 1745), Neukirch, Professor
der schönen Wissenschaften (f 1729), Oelven, Rittmeister, Raue,
Pastor, Schlüter, Oberbaudirector (begab sich 17 13 nach Petersburg),
Schott, Rath und Bibliothekar (f 12. December 17 18), Spener, Medi-
ciner (7 I 7 14), Stapf, Oberst, Stercky [Sterke] , Professor und Pastor,
Sturm, Hofprediger, Thormann [Thermann], des Vignoles, Pastor
(7 24. Juli 1744), Volkmann, Gj^mnasialdirector [\ 1722), Wagner,
Astronom (7 16. September i 745), Werner, Director der Akademie der
Künste (7 21. September i 7 10).
61). Liste der zwischen 17 13 und 1740 aufgenommenen
oi'dentlichen einheimischen Mitglieder, die wirklich für
die Akademie gearbeitet haben.
Christfried Kirch (1717 bis 1740), Gundling (5. März 17 18 bis
1 1 . April I 7 3 I ), Wächter (24. Juni i 720, siedelte 1722 nach Dresden
über), Seidel (3. Juli 1720 bis 8. Juni 1723), Neumann (1721 bis 20. Oc-
tober 1737), Pott (30. März 1722 bis 29. März 1777), Elsner (5. No-
vember 1722 bis 8.0ctober 1750), Buddeus ( i 3 . September 1723 bis
25. December 1753), Holtzendorff (16. November 1724, -1-1751),
Grischow [Grischau] (12. Juli 1725 bis 10. November 1749), Eller
16*
244 Geschiclite der Societät von 1700-1740.
(27. Juli 1725 bis 1 3 . September 1760), Henning (17. Juli 1726),
Küster (21. Juli 1728 bis 28. März 1776), de Jariges (3i.October
1731 bis 9. November 1770), Heinius (19. April 1732 bis 8. August
1775), Sprögel (i 7. October I 735 bis 18. Mai 1760), Schaarschmidt
(i7.0ctober 1735 bis 17. Juni 1747), Horch (i 5. Januar i 738), Marg-
graf (19. Februar 1738 bis 7. August 1782), Ludolff sen. (4. December
1738 bis 2 2 , October 1763).
Die Gesammtzalil der Mitglieder zwischen 1700 und 1740 be-
trug etwa 70.
7. Die bedeutendsten auswärtigen Mitglieder der Akademie
(i 700-1 740)\
a. bis Mitte i 7 1 3 : Barbeyrac, Basnage, Bentley, Jakob Bernoulli,
Johann Bernoulli, Heinrich Bernoulli, Chamberlaine, Fabricius, H. A.
Francke, Gothofredus, Gottsched, Hartsoeker, Heineccius, F. Hoff-
mann (Halle), Römer, Sloane, Turretin, Wolff (Halle).
h. bis 1740: Celsius, Clairaut, Gerike, Gesner, P. E. Jablonski,
JussiEU, Maupertuis, Reaumur, Schöttgen.
' Die Zahl der auswärtigen Mitglieder war gross und betrug z. B. im Jahre
1 739 einhundertsechzehn.
ZWEITES BUCH.
GESCHICHTE DER ACADEMIE ROYALE DES SCIENCES
ET BELLES LETTRES FRIEDRICH'S DES GROSSEN
(1740-1786).
Erstes Capitel.
Die Reorganisation der Societät und ihre Vereinigung
mit der »Nouvelle Societe Litteraire« (i 740-1 746): Die
Academie Royale des Sciences et Beiles Lettres.
1.
»Die Wissenschaften und Künste sind auf den Thron gestie-
gen« — das war der Jubelruf, mit dem die um Voltaire geschaarte
Gemeinde der europäischen Philosophen , welche die Welt regieren
und reformiren wollten, den jungen König begrüsste. Sie zählten
ihn zu den ihrigen. Seit vier Jahren stand er in lebhafter Cor-
respondenz mit ihnen, und wie einst in den Tagen des Konstantins
die neuplatonischen Philosophen auf Julian blickten, der der Bar-
barei der Kirche ein Ende machen und das goldene Zeitalter herauf-
führen werde, so schauten jene Männer auf Friedrich und sein Rheins-
berg: »Ex Oriente lux!« »Votre Majeste ou Votre Humanite«, so
redete Voltaire den Monarchen an in dem ersten Brief, den er nach
der Thronbesteigung an ihn gerichtet hat\
Friedrich kannte die Hoffnungen, die auf ihn gesetzt waren,
und wollte die Philosophen und die Dichter nicht enttäuschen; hatte
er doch noch dreizehn Tage vor seinem Regierungsantritt im An-
gesicht des Thrones an Voltaire geschrieben: «Je vous assure que
la Philosophie me parait plus charmante et plus attrayante que le
trone; eile a Tavantage d*un plaisir solide; eile Temporte sur les
illusions et les erreurs des hommes""«. In der That — der Freund-
schaftsbund mit den gleichgestimmten Geistern, der Austausch mit
^ CEuvres T. 22 p.6 vom 18. Juni 1740. Derselbe Ausdruck findet sich auch
noch in einem der letzten Briefe (6. Januar 1778 T. 23 p. 419).
^ (Euvres T. 21 p. 378 vom 18. Mai 1740. Die Worte erinnern an ähnlich lau-
tende seiner Grossmutter Sophie Charlotte.
248 üeschiclite dei* Akadeinie unter Friedrich dem Grossen (1740—1746).
ihnen, ihr Beifall und Lob, aber auch die tiefen Probleme der Lebens-
philosophie und wiederum die Genüsse jener feinen Cultur, die man
damals auch «Philosophie« nannte, entzückten seine Seele. Aber
sobald er den Thron bestiegen hatte , nahm er alle Pflichten des
Herrschers gleichzeitig auf, sich von jeder Einseitigkeit und jeder
Abhängigkeit befreiend.
>>Non. ce n'est plus du mont Remus.
Douce et studieuse retraite,
D'oü nies vers vous sont parvenus.
Que je date ces vers confus«,
schreibt er am 12. Juni von Charlottenburg aus an Voltaire \
"Car, dans ce moment, le poete
Et le prince sont confondus.
Desormais mon peuple que j'aiine
Est l'unique dieu que je sers.
Adieu les vers et les concerts
Tous les plaisirs, Voltaire meme;
Mon devoir est mon dieu supreme,
Qu'il [qui m'] entraine de soins divers.«
«Ich bewege mich zwischen zwanzig Beschäftigungen und be-
klage nur die Kürze des Tages, der vierundzwanzig Stunden mehr
haben müsste. Ich versichere Euch, dass mir das Leben Eines, der
nur für die Erkenntniss und für sich selber lebt, unendlich viel
begehrenswerther erscheint als das Leben des Mannes, dessen ein-
zige Beschäftigung sein darf, für das Glück der Anderen zu sorgen.
Ich arbeite mit beiden Händen, mit der einen für die Armee, mit
der andern für das Volk und die schönen Künste.«
Für die schönen Künste — zu ihnen rechnete Friedrich auch
die Wissenschaften in freier, vornehmer Darstellung, und dass ihr
wirksamer Betrieb nur auf Akademieen gedeihen könne, Avar ihm
nicht zweifelhaft. So hatte er bereits als Kronprinz einen Plan ent-
worfen, in Berlin eine neue Akademie der Wissenschaften und
Künste zu gründen, und hatte schon Umschau in Europa gehalten,
um die Gelehrten zu finden und zu sammeln , deren er bedurfte".
^ Oeuvres T. 22 p. 4 f.
^ Es ist bekannt, dass Friedrich auch sonst mit ganz bestimmten und wolil
durchdachten Plänen den Thron bestiegen hat. Was die neue Akademie der Wissen-
schaften betrifft, so kommt vor allem der Brief an Voltaire vom 3. Mai 1740 — also
vier Wochen vor der Thronbesteigung — in Betracht ((Euvres T. 21 p. 369 ff.). Je
deutUcher es wurde, dass das Leben Friedrich Wilhelm's I. zu Ende ging, desto
zudringlichere Briefe schrieb Voltaire. Einen besonders schmeichelhaften vom
April 1740 (p. 366 ff.), in welchem er einen Traum erzählt, beantwortete der König
ebenfalls mit der Erzählung eines Traiunes:
Der König forciert einen Bericht über die Societät (6. Jnni 1740). 249
Ol) und in welcher Weise die neue Akademie an die alte Societät
anzuknüpfen sei, das war eine zweite Frage. Zunächst kam es darauf
an , die rechten Männer zu gewinnen und die alte Societät von dem
Druck, der auf ihr lastete, zu befreien.
Bereits am 6. Juni verlangte der König einen genauen Bericht
von der Beschaffenheit des Fonds und der Einrichtung der Societät,
da er gründlich orientirt sein wolle \ Am S.Juni lieferte der Secre-
tar der Societät , von Jariges , dem Minister von Viereck das Material
für einen solchen". Schon am nächsten Tage reichte der Minister
auf Grund dieser Vorlage dem Könige den ausführlichen Bericht
nehst einer Übersicht über den Etat ein , nicht nur die Einrichtung
der Societät kurz und doch ausreichend schildernd, sondern auch
eine Skizze ihrer Geschichte hinzufügend^. W^eit entfernt, den
kümmerlichen Zustand der Societät zu verschleiern, weist der Mi-
nister vielmehr deutlich darauf hin , dass sie in ihrer gegenwärtigen
Gestalt nicht lebensfähig sei und dass er bisher nicht mehr habe
thun können, als das Schlimmste abzuwehren. Er weiss aber auch,
dass der König nicht nur gefragt hat, um orientirt zu sein, son-
dern um zu helfen. »Übrigens ist Ew. K. M. höchst berühmte,
»L'ange protecteur de Berlin,
Voulant y porter la science.
Chercha, parini le genre humain,
Un sage en qui sa confiance
Des beaux-arts reniit le destin« , etc.
Er findet natürlich Voi/rAiRE; dann fäiirt Friedrich in Prosa fort: »Cet ange. ou
ce genie de la Prusse. n"en resta pas la; il voulait, ä quelque prix qua ce fiit,
vous engager ä vous mettre ä la tete de cette nouvelle Academie dont
le reve fait mention. Je lui dis que nous n'en etions pas encore oü nous en
croyons etre;
"Car que peut iine academie
Contre l'appät de la beaute.^
Le poids seul que donne Emilie
Entraine tout de son cote.«
Hiernach ist es nicht zweifelhaft, dass Friedrich schon vor seiner Thronbesteigung
den Plan einer neuen Akademie gefasst hat. Den Gedanken, Voltaire an ihre
Spitze zu setzen, darf man nicht allzu ernsthaft nehmen; denn Friedrich wusste, dass
Voltaire sich damals nicht von seiner Freundin, der Marquise, trennen, und diese
nicht nach Berlin kommen würde.
Immerhin aber hat Friedrich in diesem Brief Voltaire Aussicht auf die Präsi-
dentenwürde in der neuen Akademie gemacht. Voltaire hat das gewiss niemals
vergessen (vergi. seinen Brief vom i8. Juni 1740, s. unten), und das erklärt sein
späteres Verhalten zu Maupertuis.
^ Siehe Urkundenband Nr. 143.
^ Siehe Urkundenband Nr. 144.
^ Siehe Urkundenband Nr. 145.
250 Gesoliiclite der Akademie unter Friedkuu dem Grossen (1740—1746).
gnädige Intention vor die Aufnahme der Wissenschaften so bekannt
und weltkundig, dass derselben das Wort zu reden oder einige
unmassgebliche allerunterthänigste Vorschläge zu thun, eine Ver-
wegenheit sein würde.« Er sollte sich nicht täuschen. Bereits am
I I.Juni beantwortete der König den Bericht^:
"Ich habe resolviret, dass in dem Etat von nun an die odiöse Ausgabe »Vor
die sännntUchen Königliclien Narren" cessiren soll . . . Ich werde auch noch ferner
vor obgedachte Societät alle Vorsorge tragen und derselben von Meine Hulde und
Protection reelle mai-que zu geben nicht ermangeln.«
Damit war der Bann, der auf der Societät 27 Jahre gelastet
hatte, gebrochen. Der König kündigte ihr ein neues Zeitalter an!
Welche Em2)findungen mag diese Botschaft in dem greisen Präsi-
denten der Societät, dem Hofprediger Jablonski, erweckt hal)en,
der sie vor 40 Jahren mitgestiftet und die bösen Tage vom An-
fang bis zum Ende durchlebt hatte! Seine Antwort (vom 17. Juni)
an den Minister, der ihm das Königliche Schreiben mitgetheilt, ist
voll Dankes, aber verhehlt nicht, dass sich die Societät nun auch
ihrerseits aufraffen müsse'.
Allein mit dem Aufraffen , auch wenn sie es noch vermocht
hätte , war es nicht gethan ! Nicht nur waren ihre besten Mitglieder,
wie Frisch und des Vignoles , alt geworden und jüngere treffliche
Kräfte spärlich^, sondern auch ihre Verfassung und ihre Einrichtung
entsprachen der Aufgabe der Gegenwart nicht. Sie bildete keine
Gelehrtenrepublik, sondern wurde von den Directoren bevormundet;
weder die Wolff'scIic noch die französisch -englische Philosophie —
die beiden Grossmächte des Zeitalters — regierten in ihr; das Vor-
herrschen der medicinischen Abtheilung liess sie untergeordnet er-
scheinen, und die theologisch -kirchlichen Aufgaben, die ihr von
ihrem Ursprung her gestellt waren , galten als veraltet. Aber über das
alles — sie entbehrte des Zusammenhangs mit der vornehmen höfi-
schen Welt, die die höhere Cultur damals beherrschte. Es fehlten ihr
Esprit, Geschmack und Grazie. In schwerfälligem Latein schritt sie
daher, »pedantisch«, während sich bereits der Bund der englischen
exacten Philosophie mit dem elastischen und schlagfertigen Geiste der
' Siehe Urkundenband Nr. 146.
^ Siehe Ui'kundenband Nr. 147.
^ Lieberkühn, der Mikroskopiker und Anatom, dessen Bedeutung dem schar-
fen Auge des Kronprinzen nicht entgangen war (s. den Brief an Voltaire vom
4. Deceinber 1739, CEuvres T. 21 p.337, und das Schreiben an Algarotti von dem-
selben Datum, Oeuvres T. 18 p. 7 vergl. p.6o und T.13 p.6o, T. 2 p.35). war noch
nicht Mitglied der Societät: er wurde es aber bald dfirauf. Formey in seinem
Eloge auf ihn (Mem.1756 p-5i9 — 532) nennt ihn mit Recht «Philosophe- Artiste«.
Der König ruft die Koryphäen der Wissenschaft nach Berlin (1740). 251
Franzosen und ihrer durchsichtigen Sprache vollzogen hatte und
in den höheren Kreisen keine Erkenntniss Aufnahme fand, die nicht
in Anmuth, Witz oder Ironie getaucht und von gefälligen Formen
umflossen war.
Deshalb Hess der König in denselben Tagen, da er die alte
Societät vom Druck befreite, seine Einladungen ergehen an die Kory-
phcäen der Wissenschaft und der schönen Litteratur, sich nach Berlin
zu begeben und eine glänzende Gelehrtenrepublik zu begründen.
Der Rheinsberger Freundeskreis Friedrich's reichte dafür nicht aus.
Zwar Jordan, der frühere reformirte Prediger, der Vielgereiste,
Weltkundige, war ein wirklicher Gelehrter und ein vortrefflicher
Cabinetssecretär für die litterarischen Absichten des Königs'. Wie
er ihn in Bezug auf die französische Litteratur auf dem Laufenden
hielt, so bemühte sich von Stille, dem Monarchen Literesse für die
modernen Erscheinungen der allerdings noch unsäglich dürftigen
deutschen Litteratur einzutlössen und sein Pflichtgefühl auf dieses
^ Über Charles Etienne Jordan (geb. zu Berlin am 27. August 1700, gest. am
23. Mai 1745) s. die Allg. Deutsche Biogi'aphie. 14. Bd. 8.5040'., Koser. Friedrich der
Grosse als Kronprinz S.i28f. 252. Nach dem Tode seiner Frau gab er seine Prediger-
stelle auf, machte grosse Reisen und trat zu bedeutenden Gelehrten in Frankreich,
Holland und England in persönliche Beziehungen, s. seine Histoire d'un voyage litte-
]-aire, fait en 1733 (ä la Haye, 1735). Der Wolffianer und frühere sächsische Minister
VON Makteuffel empfahl ihn dem Kronprinzen, der ihn nach Rheinsberg zog und
bald zu seinem Vertrauten machte. Jordan übersetzte Wolff's iMoral für den Kron-
prinzen in"s Französische und corrigirte die französischen Arbeiten seines Gebie-
ters ("Jordan, mon critique et copiste«). Daneben aber arbeitete er selbst weiter
und suchte namentlich das Andenken La Croze"s durch eine umfangreiche Mono-
graphie über ihn (Amsterdam, 1741) lebendig zu erhalten. Nach der Thronbesteigung
betraute Friedrich den Freund mit Aufgaben , in denen Jordan sein Wissen und
seine praktisch- organisatorischen Talente zugleich verwerthen konnte, fand aber
doch nicht die rechte Stellung für den trefflichen INIann. Erst sechzehn Monate vor
seinem Tode wurde er zum \'icepräsidenten der neuen Akademie ernannt; er hat
ihr leider keine Dienste mehr leisten können. Der frühzeitige Tod Jordan's war
für den König ein schwerer Schlag, nicht nur. weil sein Herz an dem Freunde
hing, sondern vor allem, weil Jordax durch seinen religiösen Sinn und seine ernste
Wissenschaftlichkeit ein schätzenswerthes Gegengewicht bildete gegenüber den Ein-
llüssen Voltaire's. Die liebenswürdige und feste Weise, in der Jordan seinen
Standpunkt zu vertreten wusste, erfüllte Friedrich mit Respect. Er hat ihm selbst
das ..Eloge« gehalten (INIem. 1746 p. 457— 464, doch vergl. dazu Formey, Souv. I
p.45ff.). Jordan's Verhältniss zur Religion und zur Aufklärung geht am deutlich-
sten aus dem letzten Brief hervor, den er an den König gerichtet hat (Oeuvres T. 17
p. 264 vom 24. April 1745): »Je sens bien, dans la Situation oü je me trouve, la
necessite d'une religion eclairee et retlechie. Sans eile, nous sommes les etres de
Tunivers les plus a plaindre. V.M. voudra bien. apres ma mort, me rendre la
justice que, si j"ai combattu la superstition avec acharnement, j'ai toujours soutenu
les interets de la religion chretienne. quoiipie fort eloigne des idees des theologiens".
252 Geschichte der Akademie unter Frikdiuch dem Grossen (1740—174*)).
Gebiet zu lenken'. Aber beide waren nicht productiv, besassen
auch keinen Namen in der Wissenschaft. Die übrigen Freunde aber,
der gehebte Keyserlingk"', Fouque und die Anderen, konnten in
^ Über Chri.stoi'h Ludwig von Stille (gel), zu Berlin am ij.iSepteniber 1696.
gest. am i9.0ctoberi752) s. die Allg. Deutsche Biographie 36.Bd.S. 24oflf., Koser, a.a.O.
S.130, Derselbe, König Friedrich der Grosse i. Bd. S. 168. 259. 264. 273. 285.
486.633. Stille, »gleich geschaffen für die Wissenschaften wie für den Krieg,
fiir den Hof wie für die gelehi-te Zurückgezogenheit", genoss bei Friedrich alle
Vortheile des hochgebildeten Officiers. Bereits im Juni 1740 wurde er General-
adjutant und Oberst und einige Jahre vor seinem Tode Curator der Akademie. Ein
ausgezeichneter Militär und bis zu seinem Tode mit einem Werk über die Caval-
lerie beschäftigt, fühlte er sich doch vor allem zu den schönen Wissenschaften im
Sinne der Alten gezogen und hielt es für seine heilige Pflicht, dem Könige Interesse
lind Fürsorge für die deutsche Litteratur der Gegenwart einzullössen , im Gegen-
satz zur modernen französischen Litteratur, die er um ihrer Leichtfertigkeit willen
verachtete. Aber jene war noch zu unbedeutend und Stille's eigene Versuche
Avaren zu schwach, als dass er etwas Nennenswerthes zu erreichen vermochte. Da-
zu kam, dass sein streng lutherischer Standpunkt, dem er unvei'hohlen Aus-
druck gab, dem Könige ganz fern lag. Auch in der Akademie hat Stille für die
Pflege der deutschen .Sprache und Litteratur nichts zu thun vermocht, nachdem
Maupertuis Präsident geworden war, der kein Deutsch verstand. Immerhin aber
gebührt ilim das Verdienst, nach Kräften sich bemüht zu haben, Friedrich's Ent-
fremdung von der Muttersprache zu besiegen und Voltaire's Einfluss zu beschrän-
ken. Der König, der wenige Monate vor Stille's Tode ihn durch eine bittere
Äusserung tief verwundet hatte, hat in seinem glänzenden »Eloge« auf den Freund
(Mem. 1751 p. I52ff.) die Kränkung gut zu machen versucht: »II est honteux de
le dire, mais il n'en est pas moins vrai, qu'on trouve rarement parmi les personnes
de naissance des esprits aussi eclaires que le sien, et un merite aussi digne de
l'Acadeinie, . . . il etait de ce petit nombre de gens qui ne devraient jamais mourir«.
Aber über Stille's patriotische Bemühungen um die deutsche Litteratur schw'eigt
das Eloge; nur sein ernstes Interesse für die alten Klassiker im Gegensatz zu den
Modernen wird erwähnt.
^ Dietrich von Keyserlingk, der dem Könige »Alles war« (s.die Allg. Deutsche
Biographie 15. Bd. S.7oif., Koser, Friedrich der Grosse als Kronprinz S. i29f.), der
lebhafte und bezaubernde Kurländer (geb. am 5. Juli 1698, gest. am 15. August 1745)
verdient hier eine Erwähnung , weil auch er Mitglied der neuen Akademie wurde —
nicht um wissenschaftlicher Verdienste willen, sondern als Freund des Königs, und
weil er wie kein anderer durcli die Feinheit seiner Bildung und seiner Formen
geeignet war, den ungezwungenen und vornehmen Ton in die Akademie zu tragen
und sie vor kleinlichem Sinn zu be\\ahren. Ursprünglich wollte ihm der König
selbst das Eloge verfassen; allein es kam nicht dazu; Maupertuis hat es entworfen
und gehalten (INIem. 1746 p. 469 — 472). Über Bielfeld s. unten. Seinen verehrten
alten Lehrer Duhan de Jandun liess der König aus Blankenburg zu sich nach Berlin
kommen und gab ihm eine sorgenfreie Stellung. Er wurde nacli der Errich-
tung der neuen Akademie Ehrenmitglied derselben; aber er konnte ihr nichts mehr
leisten. Auch dem Könige ist der alte Hugenotte nicht mehr näher getreten. Siehe
sein Eloge in den Mcm. 1746 p. 475 — 478. Hier heisst es, er habe »Extraits pour
servir a l'Histoire de Prusse et de Brandebourg" gemacht. Hiernach darf man an-
nehmen, dass er dem Könige Materialien für seine historischen Aufsätze geliefert hat.
i
Der Freundeskreis des Köniüs und die Societät. 253
keinem Sinne den Gelehrten zugerechnet werden, wenn sie auch
geistreich und beweghch genug waren, um an jenen Unterhaltungen
Theil zu nehmen, in denen wissenschaftliche Fragen leicht und
gefallig besprochen wurden. Der König wusste ganz genau, wie
weit das Können eines Jeden reichte und wies ihnen darnach —
nicht selten zur schmerzlichen Enttäuschung der Betheiligten —
ihre PLätze im öffentlichen Leben an.
Nicht ebenso siclier war sein Urtheil in Bezug auf die Aus-
länder. Der erste, an den schon am 4. Juni der Ruf erging, war
der Italiener FRANgois Algarotti\ der im Herbst 1739 in Rheinsberg
gewesen war. Als Verfasser eines Fontenelle gewidmeten Werks
»Newtonianisme pour les dames« (1736) und als Eleve Voltaire's
wurde er von Friedrich ausserordentlich überschätzt"; später hat
er den «unbeständigen Schmetterling« richtiger zu würdigen gelernt.
Aber so lange und so oft er den persönlichen Umgang mit Vol-
taire entbehren musste, schien ihm Algarotti der beste Ersatz zu sein,
und wirklich zeichnete sich der Italiener, der sein Wissen stets in
kursfähiger Münze bei sich trug, durch eine ungewöhnliche Klarheit
und Schlagfertigkeit des Geistes aus und war durch seine mannig-
faltigen Kenntnisse zum Gesellschafter des Königs wie geschaffen.
Doch Hess er sich, weil der König seine ehrgeizigen Hoffnungen
auf eine glänzende Diplomatenlaufbahn nicht erfüllte, nicht dauernd
an Berlin fesseln ; die Akademie hat ihm wenig zu verdanken.
Voltaire war zunächst unerreichbar; aber er suchte im Voraus
Beschlag auf die neue Schöpfung, die Akademie, zu legen; hatte
ihm doch Friedrich in seinem Traume ein glänzendes und schmeichel-
liaftes Bild seiner Zukunft gezeigt: Voltaire, eine Gelehrtenrepublik
regierend! Am 18. Juni 1740 schrieb er dem König ^:
"Je demanderai encore une autre gräce a V. M. ; c'est. quand eile aura fait
quelque nouvel etablissement, qu'elle fait tleurir (^uelqu'un des beaux-arts, de daigner
ni'en instruire, car ce sera m'apprendre les nouvelles obligations que je lui aurai.
11 y a un niot, dans la lettre de V.M., qui m'a transporte; eile me fait espei-er
une Vision beatifique cette annee. Je ne suis pas le seul qui soupire apres ce bon-
lieur. La reine de Saba voudrait prendre des mesures pour voir Salomon dans sa
gloire. J'ai fait part ä 31. de Keyserlingk d"un petit projet sur cela; mais j'ai bien
peur qu"il n'echoue.«
' QSuvres T. 18 p. 15. Der ganze Brief lautet: »Mon eher Algarotti, mon sort
a change. Je vous attends avec impatience; ne me faites point languir. Federic.«
^ QEuvres T. 17 p.67 vom 2. September 1740 schreibt Friedrich an Jordan
aus "Wesel: »Maupertuis est arrive, joli gargon, aimable en compagnie, cependant
de Cent piques inferieur a Algarotti ".
^ ffiuvres T. 22 p. 7.
254 Geschichte der Akndemie unter Frikdrich dem Grossen (1740 — 174(5).
Bereits am 27. Juni erwiderte der König ^
",rai d'abord conimence par augmenter les forces de I'Etat de seize bataillons,
de cinq escadrons de hussards, et d'un escadron de gardes du corps. J'ai pose
les fondements de notre nouvelle Aeademie. J'ai fait acquisition de Wolff, de
Mauperttis, d'ÄLGAROTTi. J'attends la i-eponse de s'Gravesande , de Vaucanson
et d'EuLKR. .l'ai etahli un nouveau coUege pour le commerce et les manufactures;
j'engage des peintres et des scvdpteurs; et je pars pour la Prusse, pour y recevoir
l'hommage , etc., sans la sainte ampoule , et sans les ceremonies inutiles et frivoles
(pie Tignorance et la superstition ont etablies, et que la coutume favorise."
Maupertuis und Wolff — das waren die beiden Fürsten der
Wissenschaft, deren Gegenwart Friedrich am heissesten ersehnte"'.
Sie sollten ihm die neue Akademie bauen helfen und sie leiten.
Noch hing der junge Monarch mit hoher Verehrung an Wolff, dessen
Philosophie ihm nach dem Zusammenbruch des confessionell refor-
mirten Glaubens einen Halt gewährte^. Aber bereits fascinirte ihn
die moderne englisch -französische W^issenschaft, deren vornehmster
Repräsentant Maupertuis war — der Mann, dessen Ruhm durch
seine Reise an den »Pol«, d. h. nach Lappland, und durch den Beweis
der Abplattung des Erdballs , den er geführt hatte , auf aller Lippen
war. Friedlich sollten in der neuen Akademie Wolff und Newton
— dieser repräsentirt durch Maupertuis — neben einander herrschen ;
aber nicht nur »zur Parade« sollte sie dienen, sondern »zur Instruction«.
Vorlesungen sollten von allen Mitgliedern gehalten werden; schon
^ Qiiuvres T. 22 p. 12!'.
^ Sie waren übrigens beide bereits auswärtige INIitglieder der Societät — Mau-
pertuis seit dem Jahre 1735. Er hatte durch einen Freund auf seine Aufnahme
angeti'agen (Akademisches Protokoll vom 23. Juni 1735). Die Schrift, in der er die
Ergebnisse seiner lappländischen Reise niedergelegt, hatte er dann in mehreren Exem-
plai'en der Societät übersandt und von ihr ein schmeichelhaftes Schreiben ziu'ück-
erhalten , in welchem sie einen Theil der Ehre auch für sich in Ajispruch nahm,
da Maupertuis ihr Mitglied sei (Akademisches Protokoll vom 4. December 1738).
Vergl. über ilin die beiden Festreden von du Bois-Reymond und Diels (Sitzungs-
berichte 1892 S. 393ff. , 1898 S.5iff.).
^ SuHM ist es gewesen, der den Kronprinzen zuerst auf die WoLFF'sche Philo-
sophie aufmerksam gemacht hat. In dem Brief an den Grafen von Manteuffel
vom 19. August 1736 (Qiuvres T. 25 p. 473f.) zählt Friedrich seine Sterne noch in
folgender Rangordnung auf: »Les etudes se succederont ici les unes aux autres.
Premierement Wolff, ce prince des philosophes, aura la preference; ensuite Rollin,
cet auteur sage, qui, avec tant de labeur, nous transmet les evenements remar-
quables de rantiquite, et dont le judicieux pinceau ne sait flatter ni amoindrir les
caracteres de ses heros. L'aimable, relegant, le spirituel Voltaire [die Correspon-
denz mit ihm hatte Friedrich am 8. August 1736 begonnen] vient ensuite sur leurs
traces regayer de ses ileurs , fleurs que les Amours et les Gräces cueillent elles-
memes, le serieux et la gravite que les deux auteurs j^recedents inspirent«. Auch
mit FoNTENELLE. dem greisen Secretar der Pariser Akademie, correspondirte Fried-
rich vor seiner Thronbesteigung und hielt ihn sehr hoch (s. Oeuvres T. 16).
Versuche des Künigs eine neue Akademie zu gründen. 255
dachte der König an ein Palais, das er der Akademie bauen wollte
zusammen mit einem neuen Observatorium. Einen Platz hatte er
bereits in's Auge gefasst und die ersten Verfügungen an die Finanz-
kammer ergehen lassen'. Die Zukunft Preussens, die adelige Jugend,
sollte hier die Wissenschaft von den grössten Meistern lernen. In
diesem Sinne hat er Maupertuis und Wolff gleichzeitig eingeladen.
An Jenen schrieb er"':
"Mon coeur et mon inelination exciterent en moi. des le nionient que je nion-
tai sur le trone, le desir de vous avoir ici, pour (jue vous donnassiez ä rAcadeniie
de Berlin la forme que .vous seul pouvez lui donner. Venez done, venez enter
sur ce sauvageon la greffe des sciences, afin qu'il Üeurisse. \'ous avez montre la
figure de la terre au monde; montrez aussi a un roi comhien il est doux de pos-
seder un homme tel que vous.«
Maupertuis, der in Frankreich keine Stellung fand, die seinem
Ehrgeiz entsprach, war von Anfang an entschlossen, dem wieder-
holten Ruf des Königs zu folgend
An Wolff nach Marburg musste der Propst Reinbeck schreiben.
In dem Brief, in welchem der König Reinbeck den Auftrag ertheilte
(6. Juni 1740), stehen die berühmten, eigenhändig von Friedrich
geschriebenen Worte :
"Ich hitte Ihn. sich um des WoLFFen Mühe zu geben. Ein Mensch, der die
Wahrheit sucht imd sie liebet, muss unter aller menschlichen Gesellschaft werth
gehalten werden; und glaube Ich, dass er eine Conquete im Lande der Wahrheit
gemacht hat. wo Er den Wolff hierher persuadiret.«
Aber Wolff war ein A^orsichtiger Mann. Der Plan einer neuen
Akademie erschien ihm nebelhaft. Die Aussicht, die ihm anfangs
gemacht wurde, sie mit zu leiten, lockte ihn nicht, da er bald hören
^ Siehe darüljer den Urkundenband Nr. 148.
^ QEuvres T. 17 p. 335f. Wahrscheinlich durch Voltaire ist Friedrich als
Kronprinz auf Maupertuis aufmerksam geworden, s. Voltaire's Briefe vom 6. August
1738 (T. 21 23. 223 f.) und vom November 1738 (p. 244): »M. de Maupertuis, homme
qui ose aimer et dire la verite, quoique persecutee«. Dass Maupertuis sein berühmtes
Werk über die Gestalt der Erde Friedrich übersandte (ffiuvres T. 17 p. 335). ist
vielleicht auch auf Voltaire's Veranlassung geschehen. Ja es scheint, dass Voltaire
INIaupertuis auch deshalb in den Gesichtskreis des Prinzen gebracht hat, um diesen
dem Einlluss Wolff's zu entziehen. Nicht ganz ohne Spott spi'icht Voltaire schon
in einem Brief vom Juni 1738 (T. 21 p. 205) vom »sapientissimus WolffiuS" und
möchte sein Urtheil erfahren, «wenn er nur französische Verse lesen könnte".
Fast sich entschuldigend schreibt Friedrich (6. August 1738. T. 21 p. 223: -Quant
ä sapientissimus Wolffius, je ne le connais en aucune maniere. ni lui ayant jamais
parle ni ecrit; et je crois. comme vous. (pie la langue fran^aise n'est pas son fort".
Al)er Voltaire's Eifersucht auf IMaupertuis begann von dem Moment an, wo der
König sich wirklich um ihn bemfilite.
^ In einem zweiten Brief des Königs an ilm vom 14. Juli 1740 (Geheimes
Staatsarchiv) heisst es: «Je me Hatte que la professiou d'apötre de la verite ne vous
sera pas desagreable . et tpie Vous vous deciderez en faveur de Berlin«.
256 Gescliiclite der Akadcinic iiiiter Frieurich dem Grossen (1740 — 1746).
musste, dass der eigentliche Leiter Maupertuis sein werde. Ein
fruchtbares Zusammenwirken mit den ausländischen Gelehrten schien
ihm unmöglich; denn nur seine eigene Philosophie Hess er gelten;
Newton und die Newtonianer betrachtete er nicht als Philosophen,
sondern nur als Mathematiker; die englisch -französische Aufklärung
war ihm ein Greuel. Dazu — er war mit ganzer Seele Universitäts-
professor und wollte als »Professor generis humani« auf Hochschulen
dociren. Als Akademiker »Kadeten zu informiren«, denn darauf
werde es hinauslaufen, schien ihm eine Degradation. So bat er
den König, ihn nach Halle als Professor und Vice -Kanzler zu ver-
setzen. Nur ungern willigte Friedrich ein, sich vorbehaltend, ihn
nach Berlin an die Akademie zu berufen, sobald diese eingerichtet
und ein würdiger Wirkungskreis für den Philosoj)hen bereitet sein
werde \
WoLFF kam nicht; auf Voltaire war höchstens für die Zukunft zu
rechnen : der berühmte Leydener Mathematiker und Philosoph s'Grave-
SANDE und der Pariser Mechaniker Vaücanson lehnten ab. Vergebens
bemühte sich der König auch , den liebenswürdigen Dichter Gresset
für seinen akademischen Kreis zu gewinnen". Friedrich schwebte
noch das antike Ideal des königlichen Genies vor Augen , das in sich
und um sich Wissenschaft und Poesie, Gehalt und glänzende Form
^ Die interessanten Verhandlungen mit Wolff sind in dem Urkundenband
Nr. 148 zusammengestellt. Wolff ist bekanntlich in Halle geblieben. — Aus einem
Brief Samuel König's an Maupertuis vom Herbst 1740 (Le Sueur, Maupertuis
p. III ff".) ersieht man, welchen Eindruck es auf die gelehrte Welt Europas machte,
als sich durch die Zeitungen die Nachricht verbreitete, der König habe Mauper'j-uis
imd Wolff in sein Land berufen: »Si j'avais jamais eu le bonheur de vous faire
connaitre mes sentiments, vous pourriez sentir, ce que je ne puis exprimer, combien
je dois avoir triomphe. lorsque j'ai lu dans la gazette. que S. Maj. Prussienne avait
reconnu vos merites et qu'elle l'avait temoigne publiquement d'une faQon qui fait
egalement honneur a ce digne roi et ä vous, Monsieur .... Le monde est bien
surpris de voir reparaitre un philosophe couronne, mais la haute opinion qu'on se
forme de lui vient en bonne partie de ce qu'on sait qu"il vous a aupres de sa per-
sonne. Je souhaite .... que la philosophie, le plus bei ornement de l'humanite
et la seule source d'une gloire solide et durable, reprenne son ancienne place au-
pres des trones et des rois. Je vois aussi avec admiration combien le monde est
touche des efforts d'un prince qui aime et qui veut instruire ses peuples. II faut
que la veritable gloire s'insinue bien puissamment dans le coeur de l'homine, puisque
ce prince, qui ne fait que de commencer son regne, jouit dejä d'une plus belle
rcj)utation que s'il eüt gagne des batailles .... 11 me vient dans ce moment une
autre bonne nouvelle. J'apprends (jue M. Wolff est enfin determine de suivre la
^■()cation de S. Maj. a Halle. Je Tavais fort exhorte de ne point se refuser aux in-
tcrets des sciences dans cette occasion, mais je vois que toutes les representations
auraient ete sans effet sans la bonte que Sa Maj. a eiie de lui procurer sa demission".
- (T^uvres T. 20 j). 3.
Et'ler komuit nach Berlin. Erste Begegnung des Königs mit ^Iat'pertuis. 25 /
vereinigt. So hlieheii nur Maupertuis und der Schweizer Euler.
Diesen, der als Petersburger Akademiker, ^t^ Jahre alt (geb. den
15. April 1707 zu Basel), bereits den Ruf des ausgezeichnetsten Mathe-
matikers genoss , hatte der König durch Suhm einladen lassen , nach
Berlin überzusiedeln, und im .Sommer 1741 kam Euler wirklich \
An die Einrielitung der neuen Akademie konnte erst gedaclit
werden, wenn Maupertuis in Berlin sein würde. Im September lud
ihn der König nach Schloss Moyland bei Kleve ein. Es war jene
berühmte Zusammenkunft, in der Friedrich auch Voltaire zum ersten
Male sah". Dieser war von der Anwesenheit Maupertuis' wenig er-
baut und tliat Alles , um ihn zu bewegen , den Ruf des Königs aus-
zuschlagen. Aber Maupertuis folgte dem Monarchen nach Berlin,
während Voltaire zu seiner Marquise zurückkehrte. Er hat schon
damals ein doppeltes Spiel gespielt; er speculirte gleichzeitig auf den
Präsidentenstuhl der neuen Berliner Akademie und auf den Posten
eines französischen Gesandten an dem Preussischen Hofe. Nie hat
er es Maupertuis verziehen , dass er wider seinen Ratli und Willen
nach Berlin gegangen ist; aber zunächst verbarg er seine Stimmung
oder gab ihr nur in beissenden Bemerkungen Ausdruck. »Es giebt
auch andere Talente in der Welt, als das, Curven zu messen.«
An Maupertuis schrieb er: »Als wir beide von Kleve abreisten, Sie
rechts und icli links , glaubte ich beim letzten Gericht zu sein , avo
Gott die Auserwählten von den Verdammten sondert. Der göttliche
Friedrich sagte Ihnen: 'Setze Dich zu meiner Rechten in"s Para-
dies von Berlin', und mir : Geh , Verdammter, nach Holland' « .
Mit Maupertuis hat Friedrich die Grundlagen der neuen Aka-
demie besprochen, und schon wurde es allgemein bekannt, dass
er ihr Präsident werden sollte^. Dem König hatte der vielseitige
^ Siehe die Briefe an Suhm (den sächsischen Gesandten in Petersburg) vom
14. Jmii und 15. Juli 1740 (CEuvres T. 16 p. 391. 394): »Faites ce que vous
pourrez pour engager M. Euler, gi-and algebriste, et, si vous pouvez, amenez-le
avec vous. Je lui donnerai mille ou douze cents ecus de gages«. Am 25. Juli 1741
siedelte Euler nach Berlin über. Die Königin - INIutter, die gern Gelehrte um sich
sah und auch Euler empfangen hatte, stellte ihn bald seiner Einsilbigkeit wegen
zur Rede; er antwortete: «Majestät, ich komme aus einem Lande, wo man gehängt
wird, wenn man spricht«. Dennoch hatte er dieses Land, in welchem er dreizehn
Jahre zugebracht hatte, vor allem aber die Petersburger Akademie, lieb gewonnen.
^ In Bezug auf Maupertuis schrieb er kurz vorher dem Könige (22. August,
CEuvres T. 22 p. 23): ^>M. de Maupertuis est ä Wesel pour vous observer et vous
mesurer. 11 n"a vu ni ne verra jamais d"etoile d'une si heureuse inlluence«.
^ Weidler, Professor der Astronomie in Wittenberg, gratulirte am 15. Octo-
ber !\L\upertuis (s. Le Sueur, Maupertuis et ses correspondants 1897 p.405). Am
Geschichte der Akademie. I. 17
"258 Geschichte der Akadeinic unter Friedrich dem Grossen (1740—1746).
Gelehrte trotz seiner lioclifalirend- brüsken Art bei der Zusammen-
kinift imponirt, und er war entschlossen, ihn niemals wieder ziehen
zu lassen. Wie er ihn allezeit geschützt, mit welcher Grossmuth
Tuid königlichen Treue er den unbequemen Mann in allen Fährlich-
keiten verth eidigt und aufrecht erhalten hat, das ist ein leuchten-
des Blatt in Friedrich's Geschichte. Zunächst Hess er ihn nicht
Ton seiner Seite, und als er zeitweilig von ihm getrennt war —
Maupertuis war in Berlin, der König in Rheinsberg — , da schrieb
er an Algarotti^: »Faites mes compliments k Maupertuis, et dites-
lui que j"avais arrange dans ma tete de quoi lui donner de loccu-
pation süffisante«. Dann rief er ihn nach Rheinsberg zu jenen
heiteren Festen, in denen zum letzten Mal — bereits rüstete der
König zum Schlesischen Krieg — der Remusberg strahlen sollte.
Auch Voltaire war erschienen, «der verkappte Aushorcher«, Alles
l)erückend durch die zauberische Gewalt seines glänzenden Geistes,
Maupertuis, obgleich lebhaft und schlagfertig, wusste sich doch
nicht in diesen Zirkeln der Jugend und Anmuth zurechtzufinden.
»Maupertuis est si amoureux des nombres et des chiffres, qu'il
prefere o plus b minus x a toute la societe d"ici. Je ne sais si
c'est qu'il aime tant Talgebre, ou si notre monde Tennuie". «
2.
In den ersten Tagen des December zog der König in\s Feld ;
an die Einrichtung der Akademie war jetzt nicht zu denken^. Aber
23. ]Mai 1741 schriel) er ihm (p.408): »On attend partout a\'ec impatience la nou-
velle de Petahlissement du nouvel observatoire ä BerUn etc.".
^ duvres T. 18 ]). 16, vom ii.October 1740.
^ Quivres T. 18 2^.26, Brief an Algarotti vom 2i.Novemljer 1740.
^ Die einzige Neuerung im litterai'ischen Lehen, die getroffen worden war,
war das »Journal de Berlin«, zu dessen Gründung Friedrich am 2. Tage nach seiner
Thi'onhesteigung durch Jordan den jugendlichen Professor am französischen Colleg
FoRMEY (geb. am 31. Mai 17 11) hatte auffordei-n lassen. Es sollte eine litterarisch-
politische Zeitung sein, und der König selbst wollte die Materialien liefern. Die
Zeitung erschien zuerst am Q.Juli 1740 (s. Formey, Souv, I p. 107 ff.), und wirklich
lieferte der König anfangs regelmässig Beiträge. So kam Formet früh zu Ansehen.
Bei der Neugründung der Akademie im Jahre 1744 wurde er ]\Iitglied und nicht
lange darnach Secretarius perpetuus (die Redaction der Zeitung hatte er schon im
Januar 1741 niedergelegt). Die Akademie ist diesen unsäglich eiteln und, wie seine
»Souvenirs« bewiesen haben, kleinlichen und boshaften Mann nie wieder losgeworden.
Er behauptete den eintlussreichen Posten und wurde fast 86 Jahre alt. Friedrich
liat ihn bald durchschaut, aber war zu grossmüthig, um ihn zu entfernen. Dafür
hat ihn Formev mit giftigem Undank in seinen »Souvenirs« belohnt.
Der erste schlesisclie Krieg. Friedrich und Maupertuis. 2.)9
auch im Lager vergass Friedrich Maupertuis und die Wissenschaft
nicht. »Dis a Maupertuis«, schreibt er an Jordan von Herrendorf
am 27. December\ >>que j'accorde les pensions de ses academi-
ciens, et que j'espere trouver de hons sujets pour des eleves dans
le pays 011 je suis'«, und am 3. März 1741 an denselben aus einem
Dorfe «doiit j'ignore la figure et le nom« : »Mes compliments a
Maupertuis; dis-lui qu'il ne depend que de lui d'opter entre l'Is-
lande^ et la Silesie, et que, de quelque cöte qu'il se tourne, inon
amitie et mon estime l'accompagneront toujours*«. An Maupertuis
selbst richtete er aus Breslau (3. Januar 1 741) die liebenswürdigen
Zeilen: >>J"ai ici une autre espece d'algebre a calculer et souvent
des tluxions qui me donnent bien du fil a retordre: notre geome-
trie va grace a vos bonnes inlluences parfaitement bien; des que
j'aurai acheve de regier la ügure de la Silesie "", je reviendrai ä
Berlin et nous songerons a Tacademie. Adieu, eher Maupertuis, un peu
de patience et Vous serez contente sur tout ce que vous souhaitez''«.
Aber der König fürchtete nicht ohne Grund, Maupertuis, der
noch immer ohne Beschäftigung in Berlin weilte, werde ihn doch wie-
der verlassen. Er rief ihn deshalb zu sich in's Lager', und Mau-
pertuis, der seine Laufl)ahn als Soldat begonnen hatte, folgte dem
^ Qiluvres T. 17 p.79.
^ Ln zweiten .Sclilesischen Krieg, als der König in Sachsen war. liat ihn
Maupertuis an diese Zusage erinnei't in einem Briefe vom 20. Deceinber 1745 (Geh.
»Staatsarchiv).
^ Das bezieilt sich auf einen Brief, den Maupertuis am 13. Januar 1741 aus
Berlin an den König gerichtet hatte (Geh. Staatsarchiv), in welchem er ihn um Ur-
laub gebeten, sei es nach Frankreich, wenn seine Gegenwart dort nöthig, sei es
zu einer wissenschaftlichen Reise nach Island. Aus dem Eingang des Briefs geht
hei'vor, dass Maupertuis bereits einen fertigen Plan zur Einrichtung der Akademie
(nebst Personen-Bezeichnung) dem Könige vorgelegt hatte.
* A. a. 0. p.90.
^ Ahnlich schreibt die Markgrätin von Bayreuth an den König (17, Februar
1741, Qiuvres T. 27, i S.99): "II faut avouer que vous avez merveilleusement bien
profite des legons de Maupertuis. felui-ci a arrondi la terre, et vous avez arrondi
votre pays".
"" Geh. Staatsarchiv, Briefe an Maupertuis. — Auch Euler wurde im Felde
nicht vergessen. Nachdem er in Berlin eingeti-ofien war und sich brieflich beim
König gemeldet hatte, schrieb dieser (Camp de Reichenbach, 4. September 174 1,
Qiluvres T. 20 p. 199): »J'ai ete bien aise d'apprendre que vous etes content de voti'e
sort et etablissement present. J'ai donne les ordres necessaires au grand directoh-e
pour la pension de seize cents ecus que je vous ai accordee. S'il y a encore (juel-
(jue chose dont vous aurez besoin, vous n'avez qu'a attendre mon retour k Berlin«.
In einem Briefe, geschrieben in Znaym (i.März 1742, a.a.O.), gestattet der König,
dass Euler dem Prinzen von Württemberg Lectionen in der jNIathematik ertheile.
"^ Im März 1741 (Geh. Staatsarchiv, Briefwechsel).
17*
2f)0 Gescliiclito der Akademie unter Frikdrich dem Grossen (1740 — 174G).
Rufe gern. Bereits in der Schlacht bei Mollwitz aber, am lo. April,
Avurde der Gelehrte von den Österreichern gefangen und ausgeplün-
dert, dann aber, als man erfuhr, wen man vor sich hatte, mit
Zuvorkommenheit behandelt, nach Wien geschickt, der Kaiserin
vorgestellt und ehrenvoll entlassen. Maupertuis kehrte zwar nach
Berlin zurück, aber nur auf kurze Zeit. Da er nichts zu thun fand,
so begab er sich wieder nach Paris, ohne Friedrich die Hoffnung,
in seine Dienste zu treten, ganz zu rauben. AT)er zunächst arbei-
tete er in Paris für sein Vaterland, stellte wissenschaftliche Unter-
suchungen an, die sich auch für das praktische Seewesen als förder-
lich erwiesen, und fuhr fort, der vornehmen Welt die Ergel)nisse
der astronomiscli- geographischen Wissenschaft in fasslicher Darstel-
lung zugänglich zu machen. Er wurde im Jalire 1742 Director der
Academie des Sciences, im Jahre 1743 auf Montesquieu's Vorschlag
unter die vierzig Unsterblichen aufgenommen und hielt am 2 7. Juni
1743 seine Antrittsrede, in der er die Thätigkeit des Mathematikers
mit der des Dichters und Redners verglich \ Sein Ruhm strahlte
wie vierzig Jahre früher der LEiBNizens!
Die alte Societät führte unterdess ihr stilles Dasein unverändert
fort; nur die Alten starben aus. Jablonski verschied am 25. Mai i 741,
Frisch am 21. März 1743. Aber man wollte dem Könige doch zeigen,
dass nicht alle Lebenskraft erloschen sei. Als Friedrich siegreich
aus dem ersten Schlesischen Krieg zurückkehrte, konnte ihm die
Societät einen neuen Band ihrer «Miscellanea« widmen und über-
reichen. Es ist der letzte, den die alte Societät hat erscheinen lassen,
der letzte, der in lateinischer Sprache verfasst ist; die Geschichte
der Societas Brandenburgica beschliesst er nicht unwürdig. Er ent-
hält fünf Abhandlungen von Euler und ebenso viele von dem Chemi-
ker Pott. Durch die schlesischen Eroberungen Friedrich's wuchsen
auch die Einnahmen der Societät; denn die reiche Provinz bot ein
grosses Absatzgebiet für die Kalender, auf deren Verkauf noch immer
der ganze Etat der Societät l)eruhte. Trotz der nie aufhörenden
Klagen über die Einschleppung fremder Kalender und den Kalender-
Nachdruck — Friedrich hat bereits im Jahre 1741 die Societät in
ihren Rechten auf's Neue schützen müssen" — hoben sich ihre Ein-
künfte beständig^. Ein neuer Astronom wurde am 2 2. November i 742
^ Vergi. dttBois-Reymond, INIaupertuis, in den Sitzungsber. 1892 8.393!!'. 412 t'.
■■^ Siehe Geh. Staatsarchiv. Kalendersachen vom Jahre 1741.
^ Wie gross die Zahl der vertriebenen Kalender war, kann man aus einer
Rechnung ei'sehen, die im Geheimen Staatsarchiv (Kalendersaclien) erhalten ist.
Euler betreibt die Enichtiuig einer neuen Akademie (1743). 2('>1
in der Person von Johann Kies angestellt; Euler hatte ihn empfohlen'.
Dagegen wurde die durch Jablonski's Tod erledigte Director-Stellung
in der Klasse der deutschen Sprache zunächst nicht wieder besetzt.
Der König befahl vielmehr am 4. Juli 1741, dass für das frei ge-
wordene Gehalt, das um 100 Thlr. zu vermehren sei, ein recht guter
luid geschickter Mechanicus angenommen werde"'. Aber anderer-
seits hörten die verhassten Auflagen zu Gunsten der Militärärzte
nicht auf — der Krieg Hess an keine Abhülfe denken. Noch am
7. April 1743 verordnete Friedrich, dass einem General -Chirurg
»aus den Kalender -Revenuen« ein Gehalt von 300 Thlr. ausgezahlt
werde".
Ohne Maupertuis wollte der König, der übrigens im Jahre 1743
an Wichtigeres zu denken hatte als an eine Akademie*, die Reor-
ganisation der Societät nicht unternehmen, und der Ersehnte war
in Paris. Aber Einen gab es, der ungeduldig an die Errichtung
einer neuen Akademie erinnerte, das war Euler. Die Reorganisa-
tion war ihm bei seiner Berufung aus Petersburg versprochen, ja
er war eigentlich gar nicht an die alte Societät berufen worden,
sondern an die zu gründende neue. So schrieb er denn, nachdem
ein halbes Jahr seit dem Frieden von Breslau verstrichen war und
der König keine Ordre erliess, am 19. Januar i 743 einen freimüthigen
Brief an diesen"". Durch die Eroberung von Schlesien seien die
Revenuen der alten Societät so gestiegen, dass sich jetzt, fast ohne
Zuschüsse, eine Akademie der Wissenschaften auf dem Fusse der
Peters1)urger oder Pariser einrichten lasse; die Petersburger koste
nicht mehr als etwa 12000 Thlr., und, wenn auch die Einnahmen
der Societät nicht öffentlich bekannt seien, so werde doch glaubhaft
p]in Buchdrucker, Hübner in Frankfurt a/0. empfing im December 1741 3500 Duo-
dez-Kalender, 900 in Sedez, 1300 Haushaltungskalender in Quart, 700 historische
Kalender, 70 combinirte. 36 Schreib-, 40 Tafel-. 12 Blatt -Kalender, dann noch
am 5. Januar 1742 144 Duodez-, 12 astronomische, 48 Sedez-Kalender. INIan sieht
auch, wie mannigfaltig die gedruckten Kalender waren.
^ Siehe seinen Brief an von Jariges vom 7. September 1742 im Akademischen
Archiv. Euler beklagt hier den tiefen Verfall der Astronomie bei der Societät und
macht auf Kies aufmerksam, den man für wenig Geld gewinnen könne (Kies' Be-
stallungs- Ordre ebenfalls im Akademischen Archiv).
- Ordre im Akademischen Archiv.
^ Noch im Jahre 1748/49 zahlte die Akademie den Medicinern 1950 Thlr. Ge-
halt, und die Anatomie kostete ihr ausserdem 450 Thlr. (Bericht von Maupertuis
an den König bei Le Sueur. Maupertuis p. 87).
'^ Siehe den Brief an d'Argens vom 18. Juni 1743 (CEuvres T. 19 ]). 10).
° Ü']uvres T. 20 p. i99f.
262 llesclüolitc der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1740—1746).
versichert, dass sie schwerlich weniger als 20000 Thlr. betrügen'.
Mit dieser Summe könne man treffliche Gelehrte in ausreichender
Zahl gewinnen und so eine Akademie schaffen, die mit jeder an-
deren wetteifern werde.
Euler hatte den Etat der Societät stark üherschcätzt, und seine
Mahnung, die neue Akademie einzurichten, war dem König zur Zeit
unbequem. »Ich glaube,« schrieb er ihm mit Spott zurück", »Ihr
seid so sehr an die abstracten grossen Zahlen der Algebra gewöhnt,
dass Ihr Euch an den elementaren Regeln des Calculs versündiget.
Sonst könntet Ihr Euch nicht einbilden, dass der Kalendervertrieb in
Schlesien einen so grossen Gewinn abwerfe. « Von der Einrichtung
der Akademie schwieg der König. Aber Euler Hess sich nicht ab-
weisen. Umgehend erwiderte er dem Monarchen^, seine Vorstellung
sei dem lebhaften Wunsche entsprungen , endlich in eine Lage ver-
setzt zu werden, die ihm ermögliche, die Dienste zu leisten, um
deren willen ihn der König berufen habe. »Ich wollte nur beweisen,
dass die Einnahmen der Societät beinahe ausreichen , um eine Akade-
mie der Wissenschaften einzurichten, und Dr. Lieberkühn wird besser
als ich die Solidität meines Projects erweisen können.«
Der König erwiderte auf diese Zeilen nichts mehr, oder viel-
mehr er schrieb wohl an Euler^ — es waren in dem Briefwechsel
auch andere Fragen berührt worden — , aber die Errichtung der
Akademie liess er einfach bei Seite. Die Männer, die eine solche
in's Leben rufen konnten , schienen ihm zu fehlen , und er vermochte
sie im Moment nicht herbeizurufen.
Allein der Gedanke einer neuen Akademie, seit drei Jahren
lebendig, liess sich nun nicht mehr zurückhalten, und als der König
zögerte, verwirklichte man ihn vorläufig ohne ihn. Verschiedene
Umstände wirkten dabei zusammen.
3.
Erstlich waren ohne Aufforderung des Königs, aber gelockt durch
den Glanz seines Namens und seiner Regierung, Männer »von Welt«
^ Die Ausdrucksweise Euler's zeigt, dass die alte Geheimnisskrämerei der
Directoren der Societät in Bezug auf die Finanzen, die ihr schon öfters geschadet
hatte, noch fortdauerte. Euler, obgleich JMitglied, ist ohne jede zuverlässige Kunde
üher die Einnahmen der Societät!
- ffiuvres T. 20 p. 2oof. vom 21. Januar 1743 (Chai-lottenburg).
•^ CEuvres T. 20 p. 201 vom 24. Januar 1743.
'' (Euvres T. 20 p. 202 vom 29. Januai' 1743.
Die »Noiivelle Societe Litteraire«. 2()0
aus dem Ausland nach Berlin gekommen, die sich in ihrer Heimath
miterdrückt sahen oder eine bessere Carriere wünschten. Der gütige
Jordan war liier häufig der Vermittler. Auch Talente zweiten und
dritten Ranges, wenn sie nur die neue französische Bildung besassen,
waren ihm willkommen, um auf dem rauhen Felde der Berliner
Gesellschaft, wie es Friedrich Wilhelbi I. hinterlassen, einen blü-
henden Garten hervorzuzaubern. Der vielgereiste, bewegliche Kauf-
mannssohn BiELFELD, der französisch parlirte wie ein Franzose, war
schon seit 1739 als Jordan's Freund in Friedrich's Umgebung'. Im
Winter i 741/42 kam der Provencale Marquis d'Argens" zusammen mit
seiner Protectrice und Freundin, der wnmderlichen Herzogin von Würt-
temberg, nach Berlin und blieb daselbst mit dem Titel eines könig-
lichen Kammerherrn. Er hatte sich bereits durch seine »Jüdischen
Briefe« in der litterarischen Welt als witziger Gegner der Kirche
und des Christenthums einen Namen gemacht und wurde nach dem
zweiten Schlesischen Krieg dem Könige unentbehrlich, der ihn auch
mit allerlei litterarischen Aufträgen im Interesse der Akademie be-
traute. Bereits im Sommer 1743 trachtete d'Argens darnach, an
Maupertuis' Stelle eine Akademie einzurichten, und schrieb dem
Könige in diesem Sinn. Sein Brief ist leider nicht mehr erhalten,
wohl aber die Antwort des Königs, die nicht so abweisend ist, wie
die Euler gegebene, aber zur Geduld ermahnt^. Bald sollte der
Marquis Director in der neuen Akademie werden. Im October 1742
trat Joseph du Fresne de Francheville^ durch Jordan's Vermittelung
in den preussischen Staatsdienst, nachdem er sich in Frankreich als
national -ökonomischer Schriftsteller und Litterat unmöglich gemacht
' Geb. zu Hamburg am 3i.]März 1717, gest. in Altenburg am 5. April 1770.
Eloge von Formey in den Mem. 1770 p. 68 — 74. Seine »Lettres familieres et
autres« (2 Bände 1763 Haag) enthalten viele zeitgeschichtlich interessante Notizen.
^ Geb. im Jahre 1704, gest. am 12. (13.) Januar 1771. Eloge von Formey
in den Mem. 1771 23.46—52.
^ Qiluvres T. 19 p. 10 vom 18. Juni 1743 (iMagdeburg) : »Je viens de recevoir
votre lettre au sujet de l'Academie des savants que vous pensez etablir a
Berlin, sur laquelle je vous dirai que, etant actuellement occupe a des affaires
serieuses qui demandent toute mon attention, je serais bien aise si a'ous vouliez
prendre patience sur la susdite jus(iu*a ce cpie je serai de retour ä Berlin, et que
j'aurni assez de loisir pour y penser«. Der König wollte sich die Aufgalie, selbst
die Akademie zu begründen, nicht nehmen lassen.
* Geb. am 18. September 1704, gest. zu Berlin am 9. ]Mai 1781. Eloge von
seinem Sohne in den Mem. 1782 p. 70 — 77. Nach Denina, La Prusse litt. H p. 57,
war Francheville dem Weingenuss ergeben. Die Akademie hat er als Dichter diu-ch
widerliclie Schmeicheleien, die er dem Könige widmete, und als Historiker durcli
lächerlieh unkritische Abliandlun"en blaniirt.
264 Geschichte dei- Akademie unter Fiuedrich dem CJrossen (1740 — 1746).
Latte — als Historiker, Philosoph, dilettireiider Naturforscher und
Dichter gleich unbedeutend, aber fähig, sich ül)er alle Fragen in
Prosa oder Poesie zu äussern und bei Festen französische Oden vor-
zutragen. Diese Männer und andere, ihnen ähnliche, dazu einige
Gelehrte der Berliner französischen Colonie, die nicht in die alte
Societät aufgenommen waren, suchten nach einem Zusammenschluss,
der ihnen zugleich ein Ansehen verschaffen sollte.
Zweitens hatte Friedrich's Vorbild und Beispiel die Folge gehabt,
dass auch in den hohen diplomatischen und militärischen Kreisen
Preussens solche Männer in den Vordergrund traten, welche Bildung
besassen und litterarischen Interessen huldigten. Sie verachteten die
Haudegen Friedrich Wilhelm's I. mit ihren rohen und plumpen Spässen.
Julius Caesar, der Feldherr, Staatsmann und Schriftsteller, wurde ihr
Ideal, das sie in dem jungen Könige auf's Neue verwirklicht sahen.
Ihm und den grossen französischen Aristokraten wollten sie es nach-
thun, die auch den Degen und die Feder zu verbinden verstanden, die
die Truppen in die Schlacht führten , aber sich im Frieden mit der ho-
hen europäischen Politik beschäftigten, die geistige Entwickelung aller
Länder verfolgten, sich über die neuen Errungenschaften der Wissen-
schaft unterrichteten und an der schönen Litteratur lebendigen
Antheil nahmen. Schon während des ersten Schlesischen Krieges
hatten diese Militärs zusammen mit den Litteraten , die Friedrich
in's Feld gefolgt waren, hin und her zwanglose Versammlungen
gehalten. Nun im Frieden erwachte das Bedürfniss mit doppelter
Stärke, etwa nach dem Muster des Pariser »Club de l'P^ntresor«
in Berlin eine wissenschaftlich -litterarische Gesellschaft zu begrün-
den. An der Spitze dieser Aristokraten standen der Staatsminister
Kaspar Wilhelm von Borcke", einer der ersten Übersetzer Shake-
speare's, und der Generalfeldmarschall Samuel Graf von Schmettau^.
Dieser darf zu den merkwürdigsten Männern in der ersten Hälfte
des 1 8. Jahrhunderts gezählt werden. Als Preusse geboren, stand
er, wie ein alter Landsknecht, bis zum Jahre 1741 erst in däni-
schen, dann in niederländischen, ansbachischen, hessischen, kur-
sächsischen und kaiserlichen Diensten und brachte es, durch siegreiche
Schlachten berühmt, ausgezeichnet im Festungskrieg und als Karto-
^ Siehe Hettner, Französ. Litt, im 18. Jahrhunderts 8.83!'.
^ Er starb schon im März 1747 als Curator der Akademie. Eloge von Mau-
pERTiTis in den Mem. 1747 p. 18 — 21. Allg. Deutsche Biographie Bd. 31 S. 644 ff.
^ Geb. am 26. März 1684, gest. zu Berlin am 18. August 1751. Eloge von
jNIaupertuis in den INIem. 1750 p. 31— 44.
Die Xouvelle yociete Littei'aire (von Schmettau). 2b 5
grapli, zum österreichischen Feld marsch all. In Oesterreich beneidet
mid angefeindet, trat er am 12. Juni 1741 in preussische Dienste als
Generalfeldzeugmeister inid Grand-Maitre d 'Artillerie und genoss in
der ersten Zeit als Militär und als »homme d'esprit« des Königs
Vertrauen im höchsten Maasse. Im Jahre 1743/44 war sein Ansehen
beim Könige besonders gross. Der Monarch glaubte in dem öster-
reichischen Renegaten einen Mann gefunden zu haben, der im Krieg
wie im Frieden, auf dem Schlachtfeld, in der Politik, der Wissen-
schaft und der höheren Conversation gleich brauchbar und zum
Organisator geboren sei. Aber die Zuverlässigkeit (auch die Un-
eigennützigkeit?) Schmettau's war nicht über jeden Zweifel er-
haben, und im November 1744 erfolgte sein Stürzt Doch das
liegt bereits hinter dem Zeitabschnitt, der uns hier beschäftigt. Im
Jahre 1743 war Schmettau das anerkannte Haupt der »Societe de
Berlin«, und er war entschlossen, diese »Societe« in eine littera-
rische Gesellschaft, in eine Akademie, zu verwandeln. Ihm ver-
dankt es die Akademie, dass die Frage ihrer Reorganisation wirk-
lich in Fluss kam.
Drittens, in der Societät selbst war nicht nur Euler mit den
veralteten Zuständen unzufrieden, auch einige andere Mitglieder er-
warteten sehnlichst eine Änderung, vor allem, um die lästige Be-
vormundung durch die Directoren los zu werden; denn noch immer
waren die Mitglieder ohne Charge von der Einsicht in die Finanz-
verwaltung ausgeschlossen. Die »Arcanisten«, d. h. die Directoren
mit dem vSecretar und dem Protector, dem Minister von Viereck,
besorgten Alles allein. Der eigentlich Eingeweihte war aber, wie
es zu geschehen pllegt, der Subalternbeamte Köhler, der den Ka-
lendervertrieb l)esorgte. Nicht mit Unrecht nahm man an, dass
er dabei ebenso viel für sich gewann wie für die Societät. Zwi-
schen den Klassen war aller Zusammenhang geschwunden; eine jede
tagte für sich; nur einmal im Jahr wurde eine Gesammtsitzung ge-
halten. Aber auch die Klassensitzungen wurden schlecht besucht;
eine anregende Discussion fand überhauj^t nicht statt. Kein Wunder,
dass die jüngeren Mitglieder sich nach einer Reorganisation oder
nach einer neuen, gehaltvolleren Verbindung sehnten.
Da traten von Borcke und von Schmettau im Juli 1743 zusam-
men, um eine »Societe Litteraire« als dauernde Fortsetzung der
zwanglosen A^ereinigungen zu gründen , deren man sich während
^ Koser, König Friedrich der Grosse S.240.
206 Geschichte der Akndemie unter Friedrich dem Grossen (1740—1746).
des Schlesischen Feldzugs in Breslau erfreut hatte \ Die Gesell-
schaft sollte abwechselnd in ihren Hotels tagen. Sie beauftragten
Jordan und Bielfeld , Mitglieder zu werben , d'Argens interessirte
sich lebhaft für die Gründung, und überraschend schnell konnte
die neue Gesellschaft etablirt werden — ein Beweis, welches An-
sehen SciiiMETTAU genoss. Sechzehn Membres honoraires wurden
in wenigen Wochen aufgenommen' und zwanzig ordentliche Mit-
glieder, von denen nicht weniger als zehn der alten Societät an-
gehörten^. Mit einem Schlage war erreicht, was damals die Vor-
aussetzung für die Autorität, den Glanz und das Gedeihen einer
Akademie schien, die Mischung aller Elemente, die, sei es durch
Stand und Erziehung, sei es durch Wissenschaft und Gelehrsamkeit,
oder durch feine litterarische Bildung, etwas zur gegenseitigen Be-
lehrung und Unterhaltung beizutragen vermochten. Diplomaten,
Generale, Historiker, Naturforscher, Mathematiker, Journalisten und
Litteraten reichten sich die Hand, und da vertraute Freunde des
Königs Mitglieder geworden waren, so durfte man der Huld und
Gnade des Monarchen sicher sein. Neben Schmettau w^aren es vor
allem die Franzosen bez. Hugenotten d'Argens, Francheville, For-
met, Jordan und Pelloutier, die sich der neuen Akademie freuten
und den französischen Geist auf sie übertrugen. Sich des Deutschen
und der deutschen Bildung zu erinnern, kam Niemandem in den
Sinn , auch nicht dem kosmopolitischen Schweizer Euler.
Am I.August 1743 wurde die erste Sitzung gehalten und der
Vorstand gewählt. d'Argens, Sack und von Jariges wurden beauf-
tragt, die Statuten zu entwerfen. Der Letztere — er war zugleich
secretarius perpetuus der alten Societät — hat sie abgefasst. Sie
wurden in der zweiten Sitzung am S.August geprüft und angenom-
men \ d'Argens hielt eine Rede über »den Nutzen der litterarischen
^ Siehe Bielfeld, Lettres familieres et autres T.II p. 136 ff. und die Briefe,
die voi'hergehen.
^ Ausser von Schmettau und von Borcke der Grossmarscliall Graf von Got-
ter, die drei Minister von Viereck, Graf von Podewils und Graf von Mi'nchow,
der Generalmajor von Goltz, von Pölnitz, von Keyserlingk , von Swerts (er leitete
die Schauspiele), Vockerodt, von Knobelsdorff, Graf von Finckenstein, der Ge-
neral-Adjutant VON Borcke, der Oberst Stille und Duhan de Jaudun.
^ Euler, Pott, Lieberkühn, Marggraf, Ludolff, Naude, Kies, Eller,
VON Jariges, Gleditsch • (diese gehörten auch der alten Societät an), d'Argens,
Achaed sen. et jun.. Formet, Pelloutier, Humbert, Jordan, Bielfeld, Franche-
ville, Sack.
■* Bielfeld a. a. O. erzälilt, dass er sie dann redigii't liabe und zum Protokoll-
führer und Secretar gewälilt worden sei.
Die Nouvelle Societe Litteraire. 26 <
Gesellscliaften«, und Francheville recitirte eine schwülstige Ode auf
»die Errichtung der Berliner Societät^^.
Die Statuten", die denen der Pariser Akademie, zum Theil auch
denen der alten Societät, nachgebildet sind, legen auf die freie, demo-
kratischeVerfassung der Societät grosses Gewicht, schliessen alles bloss
Unterhaltende aus dem Kreise der Aufgaben aus, ziehen aber Philo-
sophie — sie steht voran — , Mathematik, Naturgeschichte, Ge-
schichte, Litteratur und Kritik hinein. Der Director (aus der Zahl
der Ehrenmitglieder) und der A^ice- Director (aus der Zahl der ordent-
lichen Mitglieder) sollen jedes halbe Jahr neu gewählt werden: der
erste Director war von Schmettau. Sitzungen sollen jeden Donnerstag
— an diesem Tage waren auch die Sitzungen der alten Societät, die
man auf diese Weise umzubringen gedachte — von 4 bis 6 Uhr
gehalten werden; die ordentlichen Mitglieder waren zum regelmässi-
gen Erscheinen und zu jährlichen Vorträgen verptlichtet. Die So-
cietät sollte Sitzungsberichte herausgeben; aber nur solche Abhand-
lungen, die von der Mehrzahl genehmigt waren, durften dem Druck
übergeben werden. Als Sprache war das Französische in's Auge
gefasst; auch die Statuten waren französisch redigirt. Doch war
das Deutsche nicht ausgeschlossen.
Kein Zweifel, dass man mit Ernst an das neue Unternehmen
gegangen ist. Wir besitzen einen Auszug aus den Protokollen der
21 Sitzungen, welche die junge Akademie vom i, August 1743 bis
zum 16. Januar 1744 — also ziemlich regelmässig — gehalten hat^,
und erkennen aus ihnen , dass man nicht Allotria trieb. Euler hat
über mechanische Probleme gesprochen und astronomische Mitthei-
lungen gemacht; Lieberkühn trug seine Entdeckungen über die »par-
ties plus subtiles dans les intestins« am 14. November vor; Pott
sprach über »die chemische Untersuchung der gemeinen Steine und
Erden«; Francheville kündigte eine Geschichte der Künste an; der
schnellfertige Formey entwarf einen Plan für ein philosophisches
Wörterbuch; Marggraf trug über Metall -Lösungen vor; d'Argens
sprach über den Pyrrhonismus in der Behandlung der Geschichte
bei dem Jesuiten Hardouin; Jordan las eine Abhandlung über das
Leben Herodot's. Das Protokoll bemerkt, dass in der Sitzung vom
^ Rede und Ode sind abgedruckt in Formey's Hist. de TAcad. Royale (1752)
p. 73ft". 78 ff. Bartholmess in seiner Geschichte der Akademie (Ip. i54f.) hat sie
irrtliünilich auf die Eröffnungsfeier der neuen Akademie im Jahre 1744 verh'gt.
- Siehe Urkundenband Nr. 149.
^ Abgedruckt im Urkundenband Nr. 150.
2()8 Ge.scliiclite der Akademie unter Fi{ii:uKirii dein Grossen (1740— 174()).
S.October, als Eller physikalische Experimente zeigte, Mr. Voltaire
anwesend gewesen sei. Auf Einladung Friedrich's war er im Herbst
1743 zum zweiten Mal auf einige Wochen nach Berlin gekommen^;
aber er konnte nicht l)leiben und das Scepter der Akademie in die
Hand nehmen, denn offenkundig war er damals als französischer
Geschäftsträger in Berlin. Immerhin erhielt die Societät durch seine
Gegenwart in den Augen der »Welt« die Weihe, und der König,
der in jenen Monaten keine Zeit hatte, eine Akademie zu gründen,
liess sich die neue Schöpfung Schmettau's, Jordan's und d'Argens',
die ohne sein Zuthun, aber nicht wider seinen Willen, entstanden
war, gefallen, räumte ihr ein Appartement im Schloss ein und er-
klärte, wenn wir Bielfeld Glauben schenken dürfen", das Protec-
torat der neuen Gesellschaft übernehmen zu wollen.
Die Betheiligten sahen in der «Nouvelle Societe litteraire« die
neue Akademie, die Friedrich verheissen hatte. Demgemäss schrieb
Euler an den König und bat ihn, jetzt sein Versprechen zu er-
füllen und ihm die Übersiedelungskosten (von Petersburg) zu er-
statten. Bisher habe er an das Versprechen nicht erinnert, weil
er dem Könige noch keine Dienste habe leisten können, nun aber
sei die Societe litteraire eingerichtet, und er werde alle seine Kräfte
für sie einsetzen. »Cette Societe se trouve, a mon avis , dejä sur
un si bon pied, qu'il ne manque plus qu'un bon mathematicien
avec un habile astronome pour la rendre aussi et peut-etre plus
parfaite que celle de Paris. « Er empfiehlt D. Bernoulli in Basel
und Heinsius in Petersburg".
Man sieht, an die alte Societät wurde überhaupt nicht mehr
gedacht. Schmettau Lind Euler wünschten augenscheinlich, sie
sollte still verlöschen. Allein hatte sie nicht noch in eben diesem
Jahre einen Band Miscellanea herausgegeben? Stand nicht ein Staats-
minister als Protector an ihrer Spitze? Bewahrte sie nicht eine
glänzende Erinnerung an ihren ersten Chef, an Leibniz? Und —
das war nicht das Geringste — besass sie nicht aus dem Kalender-
privileg reiche Einkünfte, während die »Nouvelle Societe Litteraire
de Berlin« über keinen Groschen verfügte? So einfach war es doch
nicht, die Schöpfung Friedrich"s I. und Leibnizcus zu beseitigen!
^ Koser, a.a.O. 8.218.
^ Die Acten enthalten nichts davon.
^ CEuvres T. 20 p. 202 f. vom 19. Octoher 1743.
Vereinigung der alten Societät mit der Societe Litteraire (1743/44). 2G9
Am 2. November 1 743 unterbreitete der Minister von Viereck
dem Könige, der bereits unter dem 2 9.0ctober eine Untersuchung
der Fonds und der ganzen Verwaltung der alten Societät verlangt
hatte, einen Bericht. Er erinnert in demselben zuerst an seine
frühere Eingabe vom 9. Juni 1740 (s. oben S. 249 und Urk. Nr. 145).
Sodann bemerkt er, dass Frisch, der Director der historisch -philo-
logischen Klasse, gestorben und einstimmig der Director des Joachims-
thalschen Gymnasiums Heinius zu seinem Nachfolger gewählt worden
sei. In der mathematischen Klasse stehe es so, dass der nun 95 Jahre
alte , treffliche Director des Vignoles gebeten habe , ihm einen Director
zu adjungiren ; Euler sei von der mathematischen Klasse in Vorschlag
gebracht; der Minister bittet, der König möge diese Wahlen bestätigen.
Der König legte diesen Brief Scidiettau vor. Dieser äusserte
sich in einem Bericht an den König vom 9. November. Es geht
aus ihm hervor, dass der Feldmarschall schon früher dem Mon-
archen vorgestellt hatte, es müsse durch zweckmässige Verbindung
der alten Societät mit der litterarischen eine ganz neue Societät,
(1. h. eine würdige Akademie, geschaffen werden. Der König hatte
geantwortet, dass er glücklich sei, Schmettau an der Spitze der
neuen Akademie zu sehen, und sich freue, dass er bereits an die
Befestigung derselben durch Vereinigung mit der alten Societät
denke. Jetzt, schreibt Schmettau, sei der Moment gekommen:
denn Euler habe erklärt, er werde die Direction der ma-
thematischen Klasse nicht übernehmen, w^enn nicht beide
Societäten mit einander vereinigt würden. Demgemäss unter-
breitet VON ScHJiETTAu — gcwiss im Einvernehmen mit Euler (wahr-
scheinlich auch mit Jordan und d'Argens) — dem Könige folgende
Vorschläge:
i) De nommer une coinmission, composee de deux ministres
parmi lesquels M. de Viereck [der Protector der alten Societät] de-
vait necessairement etre, de trois des premiers honoraires de la
nouvelle Societe, comme aussi de deux membres de l'Academie
ancienne et de deux de la nouvelle, et de donner les ordres, que
2) Cette commission examine exactement tous les revenus de
l'iVcademie, leurs emoluments, privileges et pensions accordees,
^ Die folgende Darstellung fusst fast ausscliliesslicli auf dem innfangreichen
Actenfascikel des Akademischen Archivs, betreffend die Neugründung der Akademie
in den Jaln-en 1743 — 1746.
2/0 (i(\sclii('litc der Ak;ulciiiic unter Frikürich dein (irossen (1740 — 174()).
3) La irieme coinmission formerait im nouveau plan dAcado-
iiiie, siir (juel pied les deux Academies pourraient etre reunies. Ce
plan devrait etre presente a Votre Majeste ponr (pi'Ellle decide du
tout, mais le plus sur moyen ä faire reussir la nouvelle Acadeniie
serait,
4) Si Votre Majeste voudrait Tlionorer de ses gräces particu-
lieres, en Se nommant Son Chef, parce que ce serait le moyen de
donner a TAcademie un lustre infini, et aux membres qui la com-
poseront une emulation, au lieu que ci-devant, lorsqu'on y a mis
des gens ridicules, cela a discredite chez les Etrangers l'Academie et
Inen loin d'encourager les membres savants les a entierement al)attus.
Der König handelte nach dieser Eingabe. Am 13. November
theilte er Schmettau mit, dass er in die Verbindung der alten und
der neuen Societät willige und nach Schmettau's Vorschlag eine
Ordre an die Minister von Viereck, von Marschall und von Arnim
gerichtet habe, welche die Untersuchung der ganzen Verwaltung
der alten Societät und die Einsetzung einer Commission zur Begrün-
dung einer neuen Akademie aus den beiden Gesellschaften anbe-
fehle. Diese Ordre erging ebenfalls am 13. November. Statt zweier
Minister, wie Schmettau vorgeschlagen, ernannte der König drei
in die Commission , so dass sie aus i o Mitgliedern bestand ; dass
er selbst das Protectorat der neuen Schöpfung übernehmen wolle,
stellt er bereits in Aussicht. An demselben Tage endlich schrieb
der König an von Viereck, seine Eingabe vom 2. November sei wohl-
T)egründet, sie solle aber zusammen mit der Neuordnung der Ver-
hältnisse in der niedergesetzten Commission ihre Erledigung findend
Damit war die Vereinigung der beiden Societäten be-
schlossen, aber über den Modus war nichts angegeben. Hier
inussten Kämpfe entstehen. Die Minister, vor allem von Viereck,
und der Secretar von Jariges waren für möglichste Schonung der
alten Societät und wünschten deshalb eine einfache, glatte Combi-
nation der l)eiden Societäten bez. die Aufnahme sämmtlicher Mit-
glieder der neuen litterarischen Societät in die alte; einige Reformen
sollten dann folgen. Dagegen verlangten von Schmettau, Euler
und ihre Freunde die Aufhebung der alten Societät und eine ganz
neue Akademie, die durch Auswahl aus der Zahl der bisherigen
Mitglieder beider Societäten geschaffen werden solle (in Wahrheit
hätte die »Auswahl« nur die Mitglieder der alten Societät betroffen),
^ Siehe die drei Actenstücke im Urkundenband Nr. 151— 153.
Vereinigung- der alten Societät mit der .Societe Litteraire (1743/44). '2 i 1
dazu neue Statuten. Wie liocli Schmettau damals beim Könige an-
gesehen war, gellt daraus hervor, dass er sich bereits am i2.No-
veml)er — also noch bevor die Königliche Ordre zur Vereinigung
der Societäten erschienen war — vom Minister von Viereck die Ur-
kunde über die Fundation der alten Societät erbat; er war also schon
im Voraus seiner Sache sicher. Der Minister übersandte ihm das
einzige Exemplar, d. h. das Original. Es wird heute im Akademi-
schen Archiv vermisst; hat es Schmettau nicht zurückgeschickt?
Die Minister betrauten den Geheimrath Durham und den Kriegs-
rath Bastinelles (Bastinet) mit der Untersuchung der Finanzen der
alten Societät und forderten am 17. November beide Societäten auf,
die Commissionsmitglieder — am 22. November sollte die erste
Sitzung stattfinden — zu erwählen. Um aber die Entwicklung
der Angelegenheit möglichst in ihrer Hand zu behalten, schlugen
sie den beiden Societäten zugleich die Männer vor, die sie gewählt
zu sehen wünschten, der neuen Societät den General -Major von der
Goltz, den Geheimen Rath Vockerodt und den Grafen von Fincken-
stein (aus der Zahl der Membres honoraires) und Jordan und Biel-
feld (aus der Zahl der ordentlichen Mitglieder der litterarischen So-
cietät), der alten den Hofrath Eller und den Secretar von Jariges.
Sie suchten also im Voraus von Schmettau aus der Commission aus-
zuschliessen. Allein die neue Societät Hess sich nichts vorschreil)en.
Zwar Jordan und Bielfeld wählte sie, aber aus der Zahl der Membres
honoraires ernannte sie von Podewils', K.W. von Borcke und von
Schmettau.
Die Minister, mit diesen Wahlen unzufrieden, thaten nun einen
Schritt, der Schjiettau mit Recht erzürnen musste. Um den König
für ihre conservativen Absichten in Bezug auf den Modus der A"er-
einigung der 1 )eiden Societäten zu gewinnen , übergaben sie am 2 i . No-
vember, d. h. am Tage vor der ersten Sitzung der Commission, dem
Könige ein Pro Memoria, welches sie allerdings als ein vorläufiges
bezeichneten. Auf's Wärmste traten sie für die alte Societät ein ;
sie riethen davon ab, sie aufzuheben; man solle sie vielmehr ver-
bessern, vermehren und ihren Glanz erhöhen; ihre Statuten und
Ordnungen seien beizubehalten; denn sie seien nach dem Muster
der anderen Akademieen gearbeitet und gut, auch gehörten viele
auswärtige berühmte Männer zu ihr. Sie erklären , dass auch die
^ Vergl. über ilni den Artikel von Koser in der AUg. Deutschen Biographie
Bd. 26 S. 344 ff.
272 (icsclüclite der AkfulcMnic unter Friedrich dem Grossen (1740—1746).
neue litterarische Societät ihre Statuten nach denen der alten ent-
worfen liabe; diese sei nur «zeither nicht mit der Gegenwart so vieler
vornehmer Männer beehrt worden«. Sie schlagen demgemäss vor,
(i) sämmtliche Membra honoraria der neuen litterarischen So-
cietät in die alte als Ehrenmitglieder aufzunehmen,
(2) da A^on den ordentlichen Mitgliedern der neuen Societät nur
etwa acht nicht in der alten seien, so wären diese in die
alte aufzunehmen und in die Klassen zu vertheilen,
(3) die so vermehrte Societät könne dann über die nöthigen Ver-
besserungen im Einzelnen l)erathen,
(4) die Versammlungen sollen zur A'ermehrung des Lustre in
einem Zimmer des Schlosses in Gegenwart der Ehreimiit-
glieder gehalten werden,
(5) wenn der König diese Grundsätze billige, würden sie sie als
Eichtsclmur der Commission mittheilen.
Weiter bemerken sie, dass die Societät seit Jablonski\s Tod
keinen Präsidenten mehr besitze; bei Aufstellung des Etats sei da-
her des Königs allerhöchste Intention zu wissen nöthig, »ob ein
berühmter Mann aus fremden Landen dazu vorgeschlagen und berufen
werden solle, welchenfalls man wohl auf eine zulängliche Besoldung
den Vorschlag wird machen müssen«. .Schliesslich zeigen sie dem
Könige die Namen der gewählten Commission smitglieder an und er-
bitten sich das Recht, von sich aus noch den einen oder anderen
hinzuziehen zu dürfen.
Die Vorschläge der Minister waren wohlerwogen und unter den
gegebenen Verhältnissen die besten — warum sollte man die alte
Societät aufheben, auch wenn sie einige wenig taugliche Mitglieder
besass? Allein die Art, wie die Königlichen Räthe vorgingen, war
nicht richtig und entsprach auch nicht der Willensmeinung ihres
Herrn. Er hatte befohlen, dass die Commission den Modus der Ver-
einigung der beiden Societäten ausfindig machen sollte ; die Minister
griffen vor. Stimmte der König ihnen bei, so war die Commission
überflüssig; denn alle Directiven für den Modus der Verbindung
waren bereits gegeben. Auch die Bitte, die Commission von sich aus
durch Hinzuziehung neuer Mitglieder verstärken zu dürfen , kam einem
Gewaltstreich gleich. Die Minister fürchteten, dass nach dem Ausfall
der Wahlen in der Commission Fünf gegen Fünf stehen würden , und
w^ollten sich daher im Voraus die Majorität sichern. Bereits wurde
von den Mitgliedern beider Societäten die Frage der Vereinigung und
die Aufstellung eines neuen Statuts auf's Lebhafteste verhandelt.
Vereinigung der alten Societät mit der Societe Litteraire (1743/44). 2/3
So sclirieb BiELFELD am 2 1 . November, sich beklagend, dass Elsner
alle pliilosopliisclien Untersucliungen aus dem Kreise der Aufgaben
der neuen Akademie auszusch Hessen anratlie\ »Si au contraire mon
avis peut etre de quelque consideration, j'en proscrirai une infinite
de pedanteries philologiques , par lesquelles on a täclie de briller
dans l'ancienne Societe [das geht direct gegen Elsner]. L'erudition
grammairienne serait a mes yeux fort peu de chose en comparaison
d'une bonne et solide logique.« Es war der Gegensatz der alten und
der neuen Zeit.
Am 22. November hielt die Commission ihre erste Sitzung ab.
Da die Minister vom Könige noch keinen Bescheid auf ihre Eingabe
erhalten hatten, so Hessen sie es zu sachlichen Verhandlungen nicht
kommen. Was aber that der König? Er sandte den Bericht der
Minister an von Schmettau und forderte ihn zur Äusserung auf".
So war in loyalster Weise die Freiheit der Commissionsberathung
wiederhergestellt.
Schmettau war verletzt, weil die Minister den Versuch gemacht
hatten , vorzugreifen ; er war ausserdem mit den von ihnen gemachten
Vorschlägen höchst unzufrieden. In zwei Eingaben vom 26. November
(einer französischen und einer deutschen, die letztere war wohl für
die Commission bestimmt) kritisirte er sie scharf. Es sei unmöglich,
wie die Minister wollen , die alte Societät einfach zu conserviren ;
denn in ihr befinde sich eine »grande quantite de gens qui n'ont
ni litterature ni merite distingue, pour etre admis dans une Societe
dont V.M. meme veut bien prendre le titre de Chef« ; dieser Meinung
sei die ganze neue Societät^. Namens eben dieser Societät legt er
einen Plan bei über die Gestaltung der zu gründenden Akademie (auch
die Mitglieder werden bereits von ihm aufgeführt). Die alte Societät,
führt er aus, stand unter ganz anderen Anspielen : sie war fast ein
CoUegium de propaganda fide [das ist eine sehr starke Übertreibung
^ Akademisches Archiv; Adressat nicht sicher zu ermitteln, wahrscheinlich
VOX SCH3IETTAU.
^ Siehe Urkundenband Nr. 154.
^ Hiernach lässt sich leicht feststellen, welche ^Mitglieder der alten Societät
auf der Proscriptionsliste standen. Nicht zur neuen Societät gehörten unter den
]Mitgliedern der alten die Mediciner Buddeus, CARrrA. Gkiscuau. Horch, Kirstetiek,
LuDOLFFsen., Schaarschmidt, Sprögel, ferner Wac^xer, Herixg, Küster, Elsner,
Heinius, Stubenrauch, dazu der emeritirte des Vignoles, der nicht mehr in Be-
tracht kam (er starb als der Nestor der europäischen Gelehrten am 24. Juli 1744;
sein Eloge imd ein Katalog seiner sämmtlichen Publicationen in den ]Mem. 1745
p. III ff.).
Geschichte der Akademie. I. 18
"274 (icscliiclite der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1740— 174G).
oder vielinelir eine Unwahrheit], »worunter eine theologische Prä-
potentz mag verborgen gelegen haben«. Sie hat so »algecta membra«
besessen wie den Astralicus Gundling [nicht Gundling war «astra-
licus«, sondern Graben von Stein], und in Folge dessen wollen Aus-
länder wie Barbeyrac ihre Mitgliedschaft nicht mehr auf ihre Bücher-
titel schreiben. Auch ist es des Königs Wille, nicht die neue Societät
der alten einzuverleiben, sondern durch Auswahl etwas Neues zu
schaffen.
Am 29. Noveml^er trat die Commission zum zweiten Male zu-
sammen. Sofort drehte sich der Streit um die Frage, was die In-
tention des Königs sei, ob er die alte Societät restauriren oder mit
Aufhebung derselben etwas Neues stiften wolle. Beide Eingaben, die
der Minister und Schbiettau's, lagen noch unbeantwortet in seinem
Cabinet. Man beschloss, den König direct zu befragen; unterdess
sollten die Vertrauensmänner beider Parteien , Bielfeld und von Ja-
RiGES, den Versuch machen, einen Plan »conjunctim zu concertiren«.
Bereits am nächsten Tage traf die Antwort des Königs in Form
einer Ordre an die Minister eui\ Sie erklärte »die Retlexiones des
Grafen von Schmettau für nicht ungegründet«.
Der König trat also auf die Seite von Schmettaü's und befahl
den Ministern , sich auf der Basis der Vorschläge des Feldmarschalls
mit diesem zu verständigen , mit ihm einen Plan auszuarbeiten und
ihn der Commission vorzulegen.
Schmettau hatte gesiegt; aber er sollte sich seines Sieges nicht
vollkommen freuen. Die Minister hielten zäh an ihrer Ansicht fest,
und da man es dabei beliess, dass Bielfeld und von Jariges den
Plan im Detail ausarbeiteten, so hatten sie einen grossen Vortheil;
denn Bielfeld war nicht sachkundig, dazu leichtfertig, von Jariges
aber, der auf Seite der Minister stand, w^ar als Secretar der alten
Societät in alle Verhältnisse eingeweiht und ein kluger Mann, Er
hat denn auch, wie die Acten ergeben, den Plan der »Verbindung«
fast allein liearbeitet, freilieh auch von dem Misstrauen der littera-
rischen Societät, der er doch selbst angehörte, zu leiden gehabt.
Zu statten kam es ihm, dass das Gutachten, welches Durham und
Bastinelles (s. oben) am 30. November über das Kalenderwesen
und den Fonds der »Societät abgaben, im Wesentlichen günstig
für die alte Societät war, wenn sie auch nicht verhehlen konnten,
dass Köhler, der Rendant, auch in seine eigene Tasche gearbeitet
' Siehe Urkundenbnnd Nr. 155.
Vereinigung der alten Societät mit der Societe Litteraire (1743/44). 2V5
habe : in den Rechnungen herrsche eine schöne Ordnung und Richtig-
keit; auch hahe der Kassirer Köhler verschiedene gute Vorschläge
nacJi den Actis gethan, «wek-he aber doch grösstentheils seinen
Eigennutz zum Grunde gehabt haben , den er so weit extendiret , dass
die Societät und das Pubhcum dabei gehtten«. Die Revisoren hatten
das bisherige Kalenderwesen der Societät sehr eingehend kritisirt
und machten viele neue Vorschläge. Man erfahrt, dass neun ver-
schiedene Kalender unter eigener Administration der Societät standen
und dass vier an Köhler für 1676 Thlr. verpachtet waren. Ausser-
dem zahlten die Juden für iliren Kalender eine Pauschalsumme von
400 Thlrn. an die Societät. Die Revisoren schlugen vor, dass künftig
alle Kalender von der Societät selbst administrirt und den Steuer-
räthen zum Debit durch die Accisekasse zugesandt werden sollen.
Sie glaubten, »dass die Steuer- und Accisebedienten solches gegen
5 Procent gern übernehmen werden« ; auch werde so die Einfuhr
fremder Kalender desto eher verhindert. P]ndlich bemerken sie,
Köhler solle nicht weiter betheiligt bleiben.
Die Minister hatten sich pro forma mit Schmettau nach Befehl
des Königs verständigt. In der Sitzung der Commission vom 6.De-
cember wurde bereits der Entwurf von Jariges' und Bielfeld's vor-
gelesen und im Einzelnen durchgegangen. Es war dabei noch Ver-
schiedenes zu erinnern. Man beschloss, den modificirten Plan ab-
schreiben und bei den Commissions- Mitgliedern circuliren zu lassen;
die dann sich ergebenden Monita sollten in der nächsten Sitzung
überlegt werden.
Dieser erste, in Wahrheit von Jariges allein ausgearbeitete Ent-
wurf kam Schmettau doch ziemlich weit entgegen. Die Hauptvor-
schläge waren folgende:
Die beiden philologischen Klassen der alten Societät sollen in
eine zusammengezogen imd neben ihr eine neue philosophische Klasse
gegründet werden, in die die »Physik« aufzunehmen sei; diese soll
also von der Medicin getrennt werden, welche eine besondere Klasse
zu bilden habe. Die vier Klassen wären also: Mathematik, Medicin,
Philosophie (incl. Physik), Philologie (incl. Belles-Lettres ; ausserdem
war die deutsche Sprache und Geschichte noch immer als Gegen-
stand der besonderen Pflege der Akademie genannt). Jede Klasse
solle eine feste Anzahl von Stellen besitzen, die nicht überscliritten
werden dürfe , entweder fünf oder sechs. Die Klassensitzungen fallen
fort, es sollen sich vielmehr jeden Donnerstag alle Mitglieder (auf dem
Schloss) versammeln. Abwechselnd nach den Klassen soll eine Ab-
18*
276 Geschichte der Akndcinip luitor Friedrich dem Grossen (1740—1746).
liandlimg verlesen werden ; das Erscheinen ist für diejenigen Akade-
miker, zu deren Klasse der Vortragende gehört, obligatorisch. Die
Vortragenden sollen schon einige Wochen vorher bestimmt werden
und ver2:)flichtet sein, vor dem Vortrage ihre Abhandlung der Klasse
zu communiciren , damit diese Zeit habe, die Materie zu untersuchen.
Briefe der neuen Societät sollen portofrei sein, auch an sie adressirte
Schreiben, "da die Kais. Akademie in Petersburg solche Freiheit
geniesset«. Grosse Herren sollen sich gefallen lassen, der Societät
als membra honoraria beizutreten'; einige von ihnen sollen als
Curatores die Einnahmen und Ausgaben überwachen, weil so alle
Hindernisse aus dem Weg geräumt würden. Diese »grossen Herrn«
könnten sich auch bei der Administration in die Klassen theilen
und in dem Präsidium abwechseln. Ausserdem sollen bei jeder
Klasse Directores ordinarii eingesetzt werden für die laufenden An-
gelegenheiten; sie könnten zugleich mit den Herrn Curatoribus die
Administration der Oekonomie führen. Auch wird für jede Klasse
ein besonderer Secretar in Aussicht genommen. Monatlich sollen
die Curatoren, Directoren und Secretare Sitzungen halten und wich-
tigere Sachen alsdann der grossen Versammlung vortragen. »Diese
monatliche Versammlung würde also mit dem Concilio der alten
Societät übereinkommen.« Auch die Zahl der auswärtigen Mit-
glieder soll fest bestimmt werden, damit nicht Wahlen geschehen,
die nicht zur Ehre gereichen: nur 24 Auswärtige, sechs für jede
Klasse, von den berühmtesten Leuten werden in Aussicht genommen.
Bei Vacanzen soll jede Klasse dem Concilio zwei bis drei Personen
vorschlagen; dieses stellt den Erwählten immediate dem Könige
zur Bestätigung vor, »wie in Paris zu geschehen pflegt«. Jährlich
soll ein Volumen aus den besten vorgetragenen Stücken gebildet
und publicirt werden — in welcher Sprache, das lässt der Entwurf
noch offen.
Aber nun der difficilste Punkt: wie soll es mit den bisherigen
Mitgliedern der beiden Societäten gehalten werden? Die beiden
Societäten zählten zusammen 34 Mitglieder, aber nur 24 Stellen
waren für die neue Akademie in's Auge gefasst! Hier macht der
^ Auch Leibniz hat seiner Zeit darauf hohes Gewicht gelegt (s. seinen Brief-
wechsel mit J. Th. Jablonski i. d. Abh. d. K. Preuss. Akad. d. Wiss. 1897, Nr. 10
V. 24. März 1701), aber das Gewünschte nicht erreicht, weil der König Friedrich I.
ihn in dieser Hinsicht nicht unterstützte. Unter den damaligen socialen ^^erhältnissen
war eine Akademie, mochte sie auch die berühmtesten Gelehrten umfassen, ohne
Eintliiss und Ansehen, wenn die Hofgesellschaft ihr fern blieb.
Vereinigung der alten Societät mit der Societe Litteraire (1743/44). 2/V
Entwurf Scidiettau die grosse Concessioii, niclit sämmtliche Mit-
glieder der alten Societät in die neue Akademie überzuführen,
aber er hält sich doch vorsichtig \ «Die habilsten Mitglieder aus
l)eiden Societäten sind für die neue Akademie auszuwählen; solches
kann aber nur der König selbst thun auf Vorschlag der
Curatores. « In der Folgezeit soll sich jede Klasse bei Vacanzen
nach tüchtigen Leuten umsehen und solche den Curatoren vor-
stellen ; diese sollen dann unter der Autorität des Königs die Wahl
vollziehen.
Dieser Entwurf circulirte bei den Mitgliedern der Commission.
Das akademische Archiv enthält mehrere, leider nicht unterzeichnete
Gutachten (nicht nur von den Mitgliedern der Commission); sie
gehen sämmtlich weiter als der Entwurf, erklären ihn für zu con-
servativ und fordern Aufhebung der alten Societät.
In dem einen Gutachten lieisst es: »Die hiesige Societät der
^A'issenschaften ist seit ihrer Einrichtung nicht nur nicht weiter
in die Höhe gekommen, sondern hat noch dazu abgenommen. Die
Ursachen davon sind: i. die Geringhaltung der Societät bei der
vorigen Regierung, 2. die wenigen Revenuen, 3. die üble Admini-
stration der Revenuen, indem man theils nicht gesucht hat, die
Fonds zu vermehren, theils das wirklich Eingekommene nicht wohl
ausgetheilet hat, 4. die wenige Capacität der jetzigen Membrorum,
welches des Herrn von Viekeck Exc. in einem Schreiben an den
König vom Jahre 1740 selbst anführen, 5. die Arcanisten, da ge-
wisse Membra der Societät dominirten und durch das harte Tracta-
ment die übrigen Membra leidig machten. Seitdem des jetzigen
Königs Maj. die Regierung angetreten haben, ist nicht mehr als
das erste Hinderniss abgegangen ; nun solle auch den übrigen ge-
holfen werden. Ad 2., es scheint, dass die Revenuen nur aus dem
Kalenderwesen, welche bis dato auf lOOOoThlr. höchstens gekom-
men , sehr leicht auf 1 3 bis 1 4000 Thlr. gebracht werden und mit-
hin eine Summe von 15000 Thlr. ungefähr erzielet werden könne.
Ad 3., die Fonds können vermehrt werden, i. durch eine Instru-
menten-Manufactur, 2. w^enn die Societät die Intelligenz -Blätter
' Aussei'dem hatte Jariges durch Beibehaltung sämmtlicher Klassen der alten
vSocietät (auch der medicinischen und der deutschen, die in der philologischen
untergebracht ist) dafür gesorgt, dass man nicht leicht Mitglieder ausweisen konnte.
Er rechnete wohl darauf, dass der König unter solchen Umständen doch nlle INIit-
glieder in die neue Akademie überführen, imd dass die Herabsetzung der Zahl
der jMitgiieder auf 24 erst allmählich eintreten werde.
278 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1740— 174()).
wieder bekommt \ 3. wenn ihr das Collegium med. - cliiriirgiciim ab-
genommen wird. Die Revenuen können wohl ausgetheilet werden,
wenn Niemand als wirklich in nützlichen Dingen arbeitende Per-
sonen besoldet werden. Ad. 4. Da des Königs Maj. selbst Chef
der künftigen neuen Akademie sein wollen, so können nur capable
Leute darin aufgenommen werden, und wenn man die Sache recht
besiehet, so dürften die zwei Departements vor der Mathematik
und der Physik vor das erste die zwei einzige sein, deren die beste
Membra gute Besoldung nöthig haben. Die Classis medica, soweit
sie nicht unter die Physica mitbegriffen, gehört nicht in die Aka-
demie; dass sie aber in den Plan von Jaeiges gesetzt worden, ist
XJrsach, weil man immer die Akademie mit einem ganzen Haufen
von Medicis chargiren will. Aus der alten Societät sind die zwei
einzige Membra Wagner und Grischau, welche man in Ansehung
ihres Alters bei der neuen Einrichtung zu bedenken hätte, ausser
dem, dass sie sonst keine Besoldung haben. Die übrigen, als Bud-
DEus, Elsner, Heinius, Sprögel, ScHAARScimmT etc. sind Leute, die
ihre Besoldung anderswoher haben und der Societät wenig Ehre
machen können. Wenn nun viele unnöthige Personen von der neuen
Societät und Partieipirung der Besoldung ausgeschlossen werden,
so wird sich zeigen, dass vor die übrigen geschickte Leute con-
venable Gages können bestimmt werden. Ad 5., dem Arcanisten-
Wesen kann gesteuert werden, i. Avenn das Directorium jedes De-
partements alle halbe Jahr sich ändert, 2. wenn die Verwaltung
der Oeconomie jemand anders als Jariges — er also galt als der
»Hauptarcanist« — gegeben wird«. »Dass Köhler ein unnützes
Membrum sei, ist ohne diess klar.«
Wie kräftig, aber auch wie pietätslos wird hier der neue Be-
griff der reinen Wissenschaft geltend gemacht. Leibniz war noch
für den überkommenen Complex der Wissenschaften eingetreten,
obgleich schon er der Mathematik und Mechanik die Führung zu-
wies; aber ein radicaler Schnitt war nöthig, sollte das Neue sich
wirklich kräftig entfalten : wenigstens in der Akademie mussten die
reinen Wissenschaften von den angewandten scharf geschieden wer-
den; nur jene gehören in ihren Bereich. Derselbe Geist spricht
sich auch in anderen Gutachten aus.
In einem zweiten heisst es schonungs-, aber nicht grundlos, in
dem Entwürfe stände , der König wolle die deutsche Sprache und die
^ Dass sie sie früher besassen. darüber ist aus den Acten nichts bekannt;
es nuiss sich um eine Concession handehi, die nie ausgeführt worden ist (s. unten).
Vereinigung der alten Societät mit der Societe Litteraire (1743/44). 2/9
Keiclis- und Brandenburgisclie Historie besonders excoliret wissen;
«wie weit aber Sr. Maj. Gedanken hiervon entfernt sein , kann We-
nigen unbekannt bleiben«. In Bezug auf den Vorschlag, alle Mit-
glieder der alten Societät in die neue Akademie aufzunehmen, wird
rund gesagt, »dann würde die Akademie in eben die Verachtung
fallen, worinnen eine gewisse Societät sich befindet«. Dieses Gut-
achten möchte gar nur zwei Klassen errichtet sehen, die der Phy-
sik und Mathematik; wolle es S. Maj., so können » Beiles -Lettres«
hinzugethan werden: aber »Medicin und Teutsche Sprache sind ganz
besondere Dinge«. Weiter: die Stelle eines Vice -Präsidenten solle
man aufgeben, »welche Stelle wegen des Graben von Stein nicht
in dem besten Andenken ist«.
Ein drittes Gutachten bezeichnet den Entwurf von Jariges als
schlechterdings verwerflich und verlangt den Bruch mit der alten
Societät. Jariges, heisst es, sei in allem verdächtig in Ansehung
der alten Societät, er wolle die neue Akademie auf den Fuss der
alten bringen, »damit ratione der Mitglieder ordentliche subalterne
alle Zeit existiren und Arcanisten in Ansehung der Ausgabe und
Einnahme der Akademie beibehalten werden mögen«. Die deutsche
Sprache gehöre überhaupt nicht in die Akademie; zu Gefallen von
zwei Mitgliedern sei ihre Vertretung beibehalten; wünsche man sie
aufzunehmen, so sei ein Stuhl dafür genug, rathsam aber sei es
nicht; »denn bald würden sich die lateinische, griechische, italieni-
sche u. s. w. Sprache melden. Da es aber hier Grundwahrheiten
und reale nützliche Experimente zu des Königs Ehre und gemeinem
Besten betrifft, nicht aber schöne Worte und Redensarten, so kann
dieses gar nicht einmal stattfinden«. Directores perpetui sollen nicht
regieren; denn sonst entstehen die Arcanisten wieder; die Leitung
solle wechseln wie auf den Universitäten.
Ein viertes Gutachten stimmt der gänzlichen Ausschliessung
der Theologia revelata sowie der Rechtsgelehrsamkeit zu, wünscht
aber fünf Klassen (Physik, Mathematik, Medicin, Litteratur und
Beiles -Lettres, Deutsche Sprache). Ein fünftes Gutachten endlieh
in französischer Sprache ist ebenso radical wie das dritte. Von
den vierzehn Mitgliedern der alten Societät, die nicht zugleich 3Iit-
glieder der neuen sind, sollen nur fünf in die zu begründende
Akademie aufgenommen werden; die anderen sollen, so lange sie
leben, den Titel »Associe de la vieille Societe« führen. Eine unbe-
schränkte, aber kleine Zahl von »Associes« neben den ordentlichen
Mitgliedern soll auch bei der neuen Akademie zugelassen werden.
280 Ciescliiclite der Akailcinie unter Friedrich dem Grossen {1740—1741)). -
Die Frage nach dem periodisclieii Wechsel in der Leitung
wurde auch in l)esonderen Gutachten erörtert, ebenso die Besoldungs-
frage. Einer bemerkt, dass der Akademie die besten Kräfte ent-
führt werden würden — z. B, nach Göttingen, »wo ein Professor
600 Thlr. erhält« — , wenn man nicht für ausreichende Besoldungen
sorge; aber diese seien auch zu beschaffen: nach dem Etat von
1740 seien 10063 Thlr. eingenommen worden; Köhler hat 152 i Thlr.
für sich erarbeitet; wenn ihm das in der Folgezeit entzogen wird,
verfüge man über ii584Thlr. , mit Schlesien aber dürfe man auf
13000 Thlr. rechnen: die 2400 Thlr. für die Mediciner müssten
fortfallen; dann habe man für die wirkliche Wissenschaft eine statt-
liche Summe.
Nach Kenntnissnahme dieser Gutachten^ bearbeiteten Bielfeld
und VON Jariges (oder vielmehr der letztere) den Entwurf zum zwei-
ten Mal. In der Frage der Constitution der neuen Akademie änderten
sie wenig (sie strichen die Medicin und setzten dafür Physik); da-
gegen ging VON Jariges — es war eine kluge Digression — jetzt
ausführlicher auf die Absicliten ein, die Einnahmen der alten Societät
zu steigern mid in Zukunft allen Mitgliedern einen Einblick in die
Finanzverwaltung und eine gewisse Theilnahme an derselben zu ge-
statten. Alle sechs Wochen solle eine allgemeine Versammlung für
die allgemeinen und ökonomischen Angelegenheiten abgehalten wer-
den. Das Knienderwesen solle gründlich beaufsichtigt werden. «Die
Intelligenzblätter waren vor diesem zu dem Einkommen der Socie-
tät bestimmt, seit einiger Zeit aber dem Potsdamischen Waisen-
haus gegeben; dieses habe fundos genug; K. Maj. ist zu bitten,
solches Recht der Societät wiederzugeben.« »Sollte dies nicht
thunlich sein , so wäre zu bitten , dass doch in anderen grossen
Städten als Breslau, Königsberg, Magdeburg der Societät die In-
telligenzblätter zugestanden würden. Bücher und Zeitungen, son-
derlich eine gelehrte französische Zeitung, könnten durch die Societät
l)esorget und vmter ihrer Approbation und ihrem Stempel publicirt
werden. Eine wöchentliche Publication der meteorologischen Ob-
servatorien dürfte ebenfalls guten Abgang finden. Wann unter der
Societät Aufsicht allerlei Instrumenta mathematica und physica, als
tul)i astronomici , Perspective , Globi , Landkarten , Microscopia , Ther-
mometra, Barometra, Quadranten, Brennspiegel u. s. w. verfertiget,
^ In einein findet sieh auch die Bemerkung: .-Leibniz hat zu einer Zeit ge-
arbeitet, da der gusto der Gelelirsamkeit änderst war, als heute zu Tage, da man
grainmaticalische Sachen nicht mehr so sehr achtet".
Vereinigung der alten Societät mit der Societe Littei'aire (1743/44). 281
examinirt und also approbirt und eing-ravirt und durch Beidruckung
des Stempels verkauft würden \ so dürfte solches mit der Zeit eine
gute Revenue werden. Endlich — wenn die Societät das Privile-
giimi bekäme, protestantische Religionsbücher drucken zu lassen
und solche in die angrenzenden Lande als Polen und Ungarn zu
debitiren, so ist el)enfalls ein Zuwachs der Revenuen zu hoffen«"".
Auch über diesen verbesserten und vermehrten Entwairf von
Jariges ist ein Gutachten von Schmettau's erhalten. Er ist noch
keineswegs zufrieden. »Sr. Maj. Willensmeinung ist, eine ganz neue
Academie des Sciences zu errichten, welche in der Welt brilliren
soll« - — das ist sein ceterum censeo. Also dürfen nur solche auf-
genommen werden, welche in suo genere excellent sind. »Bei der
Akademie sind nur solche Sachen abzuhandeln, welche ganz be-
sondere Untersuchungen nöthig haben, dem Publico nützlich sind
und auf Schulen und Universitäten nicht tractirt werden können.
Nur soviele Mitglieder sind aufzunehmen, als aus den Fonds recht-
schaffen besoldet w^ erden können, damit sie mit Lust arbeiten«;
»nicht Crethi und Plethi sind aufzunehmen, damit die Akademie
nicht in Verachtung gerathe«. Für den Wechsel in den Directorial-
stellen tritt er auf"s Lebhafteste ein; denn alle Mitglieder müssten
dazu geschickt sein. Bevor die Curatoren und Directoren erwählt
würden, müssten Sr. Maj. die Listen der ordentlichen Mitglieder
beider Societäten vorgelegt werden , damit Er auswähle.
Die beiden Auffassungen, die sich gegenüber standen, waren
jede in ihrer Weise berechtigt; aber es war bei gutem Willen nicht
unmöglich , einen Ausgleich zu finden , der das Beste auf l)eiden
Seiten bewahrte. Dort stand die ehrwürdige Schöpfung von Leibniz,
ein umfassender, aber nicht geklärter Begriff von Wissenschaft , die
Aufgabe, die deutsche Sprache und die vaterländische Geschichte
zu pflegen, dazu die Verpflichtung, die Wissenschaft in Fühlung
zu erhalten mit dem Protestantismus und seinen Interessen. Hier
begehrte die moderne, auf Mechanik und rationaler philosophischer
Speculation ruhende, reine Wissenschaft freie Bahn und souveräne
Geltung; sie duldete nichts Halbes und wollte kein altes Kleid tragen
^ Jariges wollte also der neuen Akademie die Aufgaben zuweisen, die heute
der pliysikaliscli -technischen Reichsanstalt obliegen.
- Wollte Jariges auf diese Weise die der alten Societät gestellte Aufgabe
de Propaganda fide festhalten? Blan wird das annehmen dürfen; denn man %^ ersteht
sonst nicht, wie er mit diesem Vorschlag kommen konnte in einem 3Ioment, wo
der kirchlich -tlieologische Zweck der Societät auf's Ausserste gefährdet war. Er
suchte ihn durch den Hinweis auf die finanziellen Vortheile festzuhalten.
282 Geschichte der Ak.-idcinie unter Friedrich dem Grossen (1740—1746).
und sich endlicli aus den Fesseln der Vergangenheit befreien. Aher
daneben waltete auch der Gegensatz des bescheidenen, kleinbürger-
lichen Betriebs der Wissenschaft — der mit geringen Erfolgen und
geringem Lohne zufrieden war — und ihrer Ausbildung in freien,
vornehmen Formen , in der Sphäre der europ.äischen Gesellschaft
und getragen von dem Beifall der aristokratischen Kreise. Kein
Zweifel — wenn Leibniz wieder erstanden wäre, er hätte sich auf
VON ScHMETTAu's Seite gestellt, aber er hätte ihm auch klar gemacht,
dass die Wissenschaft nicht erst von gestern ist, dass Philologie
und Geschichte auch Wissenschaften sind, dass man Kosmopolit
und Patriot zugleich sein kann, und dass aller Radicalismus sich
durch Rückschläge rächt.
Ein Compromiss wurde wirklich geschlossen. Das endgültige
Statutenproject, wie es die zehn Commissionsmitgiieder am 20. De-
cember 1743 unterzeichnet haben, ruht ganz auf dem Entwurf
von Jariges. Es bezeichnet die zu begründende Königliche Akademie
der Wissenschaften als die «vereinigten Societäten« und umgeht
damit die Frage nach der Aufhebung der alten Societät. Die Vor-
schläge, nur zwei Klassen (Mathematik und Physik) beizubehalten,
sind zurückgewiesen und der Akademie so die umfassenden Auf-
gaben gelassen, die ihr Leibniz gestellt hat. Ausdrücklich heisst
es, dass die neue Gesellschaft »alle die Vorwürfe zusammenfassen
soll, womit die zu London inid Paris aufgerichteten Societäten
und Academie's des sciences, des inscriptions et des belles lettres
beschäftigt sind« ; aber ausgeschlossen werden die geoftenbarte
Theologie, die bürgerliche Rechtsgelehrsamkeit, die blosse Poesie
und Beredsamkeit. Was die Mitglieder der neuen Akademie be-
trifft, so schwieg man über die feste Zahl von 24 Ordinarien; man
reichte vielmehr dem Könige eine Liste ein, auf der man kurz
die einzelnen Mitglieder beider Societäten charakterisirte , ihm die
Auswahl überlassend. In Wahrheit aber machte man doch einen
Vorschlag; man hatte sich nämlich zu folgendem Compromiss ver-
einigt. Von den 14 Mitgliedern der alten Societät, die nicht zu-
gleich Mitglieder der neuen litterarischen waren \ stellte man sechs
in die Hauptliste ein, nämlich Grischau, Wagner, Hering, Küster,
Heinius und Stubenraucii , und erklärte sie damit als der Aufnahme
würdig; die fünf Mediciner Buddeus, Ludolff sen., Sproegel,
ScHAARSCHMiDT uud Pallas bezeichnete man als solche, die lediglich
^ Vierzehn ohne des Vignoles.
Vereinigung der alten Sücietät mit der Societe Litteraire (1743/44). 288
als Professoren am anatomisch- chirurgischen Colleg auch MitgUeder
der alten Societät gewesen seien; man müsse es dem Könige über-
lassen, ob er sie zu der neuen Akademie zulassen wolle (d. h. man
wünschte die Mediciner überhaupt zu entfernen); über die drei
Mediciner Carita, Horch und Kirstetter aber ging man einfach
schweigend hinweg\ Die i6 Ehrenmitglieder der litterarischen
Gesellschaft (s. oben) sollten in derselben Eigenschaft in die neue
Akademie übergehen"; aber auch die 84 auswärtigen Mitglieder
der alten Societät sollen von ihr übernommen werden — damit
w^ar auf's Deutlichste ausgesprochen, dass die neue Schöpfung
keine Neuschöpfung, sondern die Fortsetzung der alten
Societät sei. Sobald der König, dem man den Statuten -Entwurf
einreichte, ihn genehmigt und die Mitglieder der neuen Akademie
bestätigt haben würde ^, sollte die Wahl der vier Curatoren, der
^ Von Horch und Kirstetter ist auch weiter nicht mehr die Rede; sie
waren also das Opfer der Neugründung, während der König die anderen Mediciner
[ausser Pallas?] für die neue Akademie bestätigte. Die Akademie konnte jene beiden
gewiss missen; denn für die Miscellanea hatte nur Horch geschrieben, und auch
dieser nur eine einzige Abhandlung »Ueber die Milbe des Kanarienvogels« (INIiscell.
Berol. T. VI.). CARrrA war ein Mediciner der alten Schide, der allen Fortschritten
zum Trotz an der medicinischen Wissenschaft der Römer festhielt. Uebi-igens
taucht er nach 1744 doch wieder in den Listen der ordentlichen Mitglieder auf,
und FoRjiEY hat ihm ein Eloge gehalten, als er Sojährig im Jahre 1756 gestoi'ben
war (Mem. 1756 p. 515-518).
^ Dazu standen noch zwei weitere in Aussicht, nämlich der Graf vox Dohxa
und der Lieutenant Colonel von Ketth.
^ Die Personalvorschläge lauteten:
L Departement de Physique: Eller, on le propose pour Direc-
teur a cette Classe, parce que sa capacite est connue; Lieberkuehn, cVun savoir
notoire; Ludolff jun., bon physicien; Marggraf, bon physicien et grand chimiste,
NB ce n'est j)as l'apoticaire; Pott, bon physicien et tres fort dans la chimie;
Gleditsch, tres bon botaniste et pour l'histoire naturelle; Francheville, pour la
physique et l'histoire naturelle; Buddeus, Ludolff sen., Sproegel, Schaar-
scHMiDT, Pallas, ces cinq membres sont dans Tancienne Societe membres du College
d"Anatomie et de Chirurgie. Ou suppose que quoique ce College doive continuer
a recevoir des fonds des Almanacs 2400 ecus jusqu'ä temps c|u'on puisse proposer
ä S. Maj. un autre fonds qui ne soit pas ä charge au paj^s; on ne sait pourtant
pas, si S. Maj. voudra les admettre ä la Nouvelle Academie.
H. Departement des Mathematiques: des Vignoles, emeritus, c'est
pourquui on propose de hü laisser le titre et les 100 ecus de gages, qu'il a eus du
fonds de l'Academie; Euler, propose pour Directeur de cette Classe; Grischau,
pour la meteorologie, NB il a 400 ecus de pension du fonds; Humbert, pour
l'architecture civile et militaire, et en general pom- la pratique des mathematiques;
Kies, poiu- Tastronomie, on propose, qu'outre les 200 ecus de gages qu'il a et
avec lesquels il ne peut pas subsister, on lui ajoute 200 autres; Naude, pour les
mathematiques et l'algebre; Wagner, observateur et bibliothecaire. fort vieiix,
il a 400 ecus de pension du fonds de TAcademie.
284 Geschiclite der Akademie iinter Friedrich dem Grossen (1740—1746).
Directorcii — diese Latte man zum Theil dem Könige schon vor-
geschlagen — und der Secretare erfolgen. Die Sprachenfrage liess
man noch immer offen, proponirte aber, in der philologischen
Klasse zwei Directoren zu ernennen, einen für die deutsche Sprache
und die orientalischen, und einen für die » Beiles -Lettres « , den
Marquis d ' Akgens.
Am 27. December wurden diese Vorschläge dem Könige unter-
breitet. Bereits nach drei Tagen genehmigte er in einer Ordre an
den Grafen von Schmettau und die fünf Staatsminister den gesammten
Entwurf (incl. der Personalvorschläge; Buddeus, Ludolff sen.,
vSproegel und Schaarschmidt wurden Mitglieder, Pallas nicht),
befahl ihn auszuführen und die vier Curatoren auszuwählen, »que
vous jugez necessaires«. »Si cette nouvelle Academie«, fügte er
hinzu, »s'efforce de repondre dignement ä mon attente et au
louable but de son Institution, eile peut toujours compter sur ma
protection Royale « \
Schmettau war doch keineswegs durch diesen Gang der Dinge
zufriedengestellt, vor allem waren auch die finanziellen Fragen
noch nicht gelöst. Er wollte den Einfluss von Jariges auf sie
brechen und den eigennützigen Rendanten Köhler entfernen. Daher
fanden noch Berathungen zwischen den Ministern und ihm selbst,
dem Vertrauensmann des Königs, statt"'.
Die Ober- Rechnungskammer wurde vom Könige aufgefordert,
dem Köhler die Rechnung über den Kalender- Debit mit aller
Accuratesse abzunehmen und eine genaue Uebersicht über die
gesammten Einnahmen aus den Kalendern nach einem sechs-
III. Departement de Philosophie: Heinius, ponr l'histoire, les langnes
orientales et la critique, Jariges, pour l'histoire et philosophie, il est propose pour
Secretah'e perpetuel; Formey, prof. de Philosophie, sans gages aupres du Ibnds
de l'Academie; Sack, ])oar Thistoire, la philosophie et la critique; les deuK
Achard.
R'. Departement de Philologie: Jordan, sa capacite est connue;
Elsner, pour les langues orientales, antiquites et inscriptions et pour l'histoire et
la langue du pays [das behielt man also bei], on le propose pour Directeur des
langues allemande et orientales; il a 500 ecus de l'Academie; Marquis d'Argens,
pour les belles lettres, on le propose pour Directeur des dites belles lettres;
BiELFELD, pour Ics bcllcs lettres; Hering, pour l'histoire et geographie; Lamprecht,
])our riiistoire; Pelloutier, Küster, pour l'histoire de Brandebourg; Stubenrauch.
' Siehe Urkundenband Nr. 156.
^ In einer SitzAing vom 10. Januar 1744 ist auch vom •■Hopfengarten« die
Rede. Der König soll gebeten werden, ihn zu verkaufen und einen anderen in
oder neben dei- Stadt zu kaufen. Der Garten lac; also zu weit entfernt!
Vereinigtmg der alten Societät mit der Societe Litteraire (1743/44). 28 0
jährigen Durchschnitt zu geben'. Noch am 15. Januar richtete
VON ScHMETTAU eiuc Eingabe an den König in Bezug auf die
Finanzverhältnisse, die sich sehr scharf gegen die alte Societät
richtete, Jariges als Protector Köhler's bezeichnete und anrieth,
den vSecretar ganz von der Administration des Oekonomischen aus-
zuschliessen; auch der Minister von Viereck sei zu beschäftigt, um
sich gründlich um die Fonds zu kümmern. Weiter hielt sich
Schmettau darüber auf, dass in der philologischen Klasse zAvei
Directoren eingesetzt werden sollten ; Elsner solle wieder gewöhn-
liches Mitglied werden; so könne man die 100 Thlr. sparen.
Unterdessen rückte der Geburtstag des Königs, der 24. Januar,
heran. Am Vortage, einem Donnerstag, sollte die feierliche Er-
öffnungssitzung der neuen Akademie gehalten werden ; ihre Statuten
wollte der König an seinem Festtage bestätigen und ausgehen
lassen. Mit der peinlichsten Sorgfalt wurde Alles für die Sitzung
vorbereitet; sie fand im Schloss statt. Die Königlichen Prinzen,
die Ehrenmitglieder und andere Standespersonen waren anwesend;
al)er der König selbst erschien nicht. Die Akademie war doch
nicht so geworden, wie er es gewünscht hatte — Maupertuis
fehlte, und manches Compromiss war geschlossen, das er nicht
missbilligen, dessen er sich aber auch nicht freuen konnte".
In der Sitzung sprach zuerst von Schmettau und setzte die Al)-
sichten des Königs bei der C4ründung dieser neuen Akademie aus-
einander. Dann las von Jariges die Statuten vor; zum Schluss
wurden elektrische Experimente gezeigt. Zu Curatoren wurden
durch die Commission, der der König die Wahl überlassen hatte,
die HH, Grafen von Schmettau, von Götter^, von Viereck und
VON BoRCKE ernannt*.
^ S. Urkundenband Nr. 157.
^ Die Kritik, die Maupertuis in dem Eloge auf von Schmettau an den
Statuten von 1744 übt, ist im Sinne des Königs.
^ VON Gotter (-[- 28. Mai 1762) war in der Hofgesellschaft der liebens-
würdigste und frivolste unter den Deutschen, »Juppiter tonans und der Fürst der
Epikureer«, ein kluger, beweglicher Thüringer, der ganz in das französische Wesen
eingetaucht war und sich dabei August den Starken zum Muster genommen hatte,
ihn aber an Geist und Witz übertraf. Seine litterarischen Kenntnisse waren
nicht gering; als Gesellschafter hatte er nicht seines Gleichen; s. Allg. Deutsche Bio-
graphie Bd. 9, S. 451 ff. KosER, a. a. O. I S. 490.
* Gotter erbat schon im Sommer 1744 seinen Abschied und zog sich
nach einem Jahr aus Gesundheitsrücksichten auf sein Gut in Thüringen zurück.
"Ich beklage einen liebenswürdigen Mann«, schrieb Friedrich am 16. Februar 1745
mit eigener Hand, »dessen Verlust ein Bankerott für Berlin ist.« (Qiluvres T. 17
28G Cicscliiclite der Akademie unter Friedricii dem Grossen (1740—174(5).
Die neuen Statuten sind noch deutsch abgefasst^ Die «ver-
einigten Societäten« sollen den Namen einer «Königlichen Akademie
der Wissenschaften« führen. Sind auch, Avie wir schon erfahren
haben, die geoffenbarte Theologie, die bürgerliche Rechtsgelehrsam-
keit, die blosse Poesie und Beredsamkeit gänzlich ausgeschlossen,
so soll doch «das übrige ganze Wissenschafts- und Kunstwesen«
eingeschlossen sein, «in gleichen die alte und neue Historie,
sonderlich von Unsern Landen und dem teutschen Reiche, nicht
weniger die Erhaltung der teutschen Sprache in ihrer anständigen
Reinigkeit«. Unter den Aufgaben der physikalischen Klasse ist
die Medicin überhaupt nicht genannt, die zur Zeit der Akademie
angehörenden Mediciner sind also auf den Aussterbe - Etat gesetzt.
Die neue philosophische Klasse soll alle Theile der Philosophie,
die Physik ausgenommen, umfassen, nämlich Metaphysik, Moral,
lus Naturae und die Historia und Kritik der Philosophie. Der
Vorstand besteht aus den vier Curatoren und den vier Directoren,
die, wenn es nothwendig, den General -Fiscal hinzuziehen; dieser
Körperschaft liegt die Verwaltung des Fundus und der ökonomischen
Angelegenheiten ob, sowie die Publicationen der Akademie; sie
können in lateinischer, deutscher und französischer Sprache er-
scheinen. Alle drei Monate sollen die Curatoren im Präsidium ab-
wechseln und mindestens alle sechs Wochen eine Directorialsitzung
l)erufen. Die Directoren sollen auf Lebenszeit von den Klassen
unter dem Vorsitz der Curatoren gewählt werden; ausserdem soll
aus der Zahl der ordentlichen Mitglieder ein Vice -Präses erwählt
werden auf Lebenszeit, der zu allen Sitzungen Zutritt und auch
im Directorium Stimme hat (Jordan wurde vom Könige zum Vice-
Präsidenten ernannt). Ein Secretarius perpetuus für die ganze
Akademie soll die Geschäfte führen, ausserdem wird aber eine
jede Klasse ihren besonderen Secretar haben; daneben soll noch
p. 325. Später kelirte Gotter wieder nach Berlin zurück und bekleidete
wiederum das Curatorenamt). An seine Stelle als Curator dei- Akademie trat
der Minister G. D. von Arnim (geb. 1679, -f 1753). Er hatte unter Friedrich
Wilhel:m I. , so weit es möglich war, die Gelehrten und Künstlei* geschützt
und ihnen sein Haus geöffnet. Es war daher eine sehr glückliche Wahl.
Worauf jedoch Bartholmess in seiner Geschichte der Akademie das Urtheil stützt
(1 p. 153), Arnim sei der eifrigste Curator gewesen, den die Akademie je besessen
habe, ist mir unbekannt geblieben. Die Curatoren waren sämmtlich lleissig im
Interesse der Akademie und kümmerten sich, wie die Acten ausweisen, auch um
die kleinsten Dinge. Aber bereits im Jahre 1746 wurde ihr Amt ein blosser Titel,
da Maupertuis alles allein besorgte.
^ Abgedruckt im ürkundenband Nr. 158.
Vereinigung der alten Societät mit der Societe Litteraire (1743/44). 28/
ein Tresorier auf Lebenszeit stellen. Ausser den wöchentlichen
Sitzungen sind zwei öffentliche im Jahr zu halten (die Königstage,
der 24. Januar und 31. Mai, wurden dazu bestimmt). Neue Mit-
glieder sollen erst durch die Klasse, dann durch das Directorium,
endlich durch die General -Versammlung gewählt werdend Von
Wichtigkeit wurde die Bestimmung, dass jährlich Preisaufgaben zu
stellen seien: »Das Directorium hat jährlich ein Praemium von
etwa 50 Ducaten zur Ausarbeitung einer wichtigen und dem Lande
nützlichen Materie aus den Wissenschaften oder Litteratur aus-
zusetzen und das Problema durch die Zeitungen bekannt zu machen.
Es werden zu dieser Ausarbeitung zw^ar sonderlich auswärtige Ge-
lehrte eingeladen , jedoch aber sollen auch die Abhandlungen ein-
heimischer Gelehrten, nicht weniger Mitglieder der Akademie, an-
genommen werden. Die zur Erhaltung dieses Praemii eingekommene
Stücke sollen in der jährlich zu haltenden Versammlung aller
Glieder verlesen, wem der Preis zuerkannt worden, öffentlich an-
gezeigt, und dabei diese Regel beobachtet werden, dass wenn die
Abhandlungen eines ausländischen und hiesigen Gelehrten in gleichem
Grade der Gründlichkeit und Schönheit stehen, in solchem Falle
dem Fremden allemal der Vorzug zu geben sei.« Im letzten Ab-
schnitt heisst es: »Ob gleich im Articulo XIL der ordentliche Ver-
sammlungs - Platz auf dem hiesigen K. Schlosse bestimmt ist, so
bleibet jedoch dem Directorio frei gestellet, wenn es für rathsam
erachtet, diese Zusammenkünfte in dem Observatorio auf dem
K. Marstall halten zu lassen«. Soviel bekannt, ist das nicht mehr
geschehen; die Räume, in denen die LEiBNiz'sche Societät getagt
hatte, w^urden für die Versammlungen nicht mehr benutzt. Man
konnte die »grossen Herrn« nicht gut in diese hochgelegenen und
kleinen Räume einladen.
Die Verfassung der neuen Akademie, wäe diese Statuten sie vor-
zeichnen, war von grosser Schwerfälligkeit: vier Curatoren , ein Vice-
Präsident, vier Directoren, fünf Secretare, ein Tresorier — und
doch kein Präsident; denn der König konnte den Mann noch nicht
wieder erreichen, den er allein der Präsidentschaft für wiirdig
hielt. Auch von Schmettau hat er nicht zum Präsidenten ernannt,
sondern Hess sich in der Zwischenzeit das complicirte Verwaltungs-
system gefallen, das der Graf erdacht hatte, um die Akademie
nicht wieder unter die Bürs:erlichen fallen zu lassen, und um einer
^ Diese tritt nur hier und in den beiden üffentliclien Sitzungen liervor; sonst
sind nur Klassensitzunoen vorgesehen.
288 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1740— 174()).
ökonomisclien Geheim -A'^erwaltuiig vorzubeugen. Aiicli zum Pro-
tector ernannte sich der König noch nicht — (h^r deutlichste
Beweis, dass er den neuen Zustand nicht als einen detinitiven
ansah. Dass es noch nicht »Seine« Akademie war, ergiebt sich
auch daraus, dass er sich die drei Sprachen gefallen liess. Da
er deutsch nicht lesen wollte und lateinisch nicht lesen konnte,
so bedeutete das Zugeständniss dieser Sprachen, dass er von den
Publicationen der Akademie keine Notiz nehmen werde. Aber er
schaute nach einer Akademie aus, deren Schriften ihn belehren
und erfreuen sollten, und er wusste, dass er sie noch schaffen
werde. Dieses aus zwei Societäten — die eine gab den Glanz und
das Ansehen, die andere die finanziellen Mittel — entstandene
zwei- und dreisprachige Gebilde ohne strengen, einheitlichen Stil
war nicht im Sinne Friedrichs.
War der König mit dem Erreichten nicht zufrieden, so hatte auch
ScHMETTAU kcincswegs durchgesetzt, was er wollte. Noch kurz vor
der Bestätigung der vStatuten hat er eine Eingabe an den König ge-
richtet, in der er Jariges, dem die Akademie die Erhaltung
ihrer philologischen Klasse verdankt, in böser Weise denun-
cirte und sich über die Annahme seines Entwurfs in der Commission
also äusserte: »Cependant la ruse de Jariges a reussi, dont le nouveau
plan dernierement presente ä V. M. est une preuve convaincante. On
y voit les memes Directeurs perpetuels qui l'etaient auparavant,
excepte le seul Euler; il y a le meme Secretaire Jariges, qui veut
encore etre tresorier, et on est resolu d'employer de nouveau le
rendant Koehler. Mes instances opposees n'ont pas pu prevaloir,
et il n'y a plus autre remede a y porter, qui [que que?] V.M.
ordonne, i. Que le Directoire change tous les ans; car c'est le moyen
d'empecher les arcanistes, 2. Que Jariges soit tout-a-fait exclu du
maniement des affaires de l'economie, en cas que V.M. trouve pourtant
ä propos de le laisser comme Secretaire. «
Auch nach der Neugründung war Schmettau noch unermüdlich
thätig, seine neuen Gedanken durchzusetzen, und bestürmte den König
mit Eingaben und Projecten. Er mochte noch immer hoffen, zum
Präsidenten ernannt zu werden, um so mehr, als der König in den
ersten Monaten des Jahres 1744 in der Regel durch ihn mit der Aka-
demie verhandelte.
Die Frage der Gehälter war durch die neuen Ordnungen noch
nicht völlig geklärt. Man musste sie jetzt behandeln, und dabei
musste die ganze finanzielle Lage der Akademie auf's Neue erwogen
Die neue Akademie vor ]Maupertuis' Eintritt (1744/46). 289
und festgestellt werden \ Am 27. Januar erklärten die Minister dem
Könige, auf dem von Duriiam und Bastinelles erstatteten Gutachten
(s. oben) fussend, dass die finanzielle Verwaltung der Societat in guter
Ordnung, dass aber die Verpachtung ungünstig sei; Köhler habe
zwar bereits für das Jahr 1744 tausend Thaler mehr zahlen müssen,
aber für i 745 werde man noch andere Einrichtungen zu treffen haben,
da allein aus Schlesien 3200 Thlr. zu erwarten seien. Die Minister
brachten w^eiter bereits Gratificationen und Pensionen für die Mit-
glieder der neuen Akademie aus den Überschüssen in Vorschlag,
fügten aber hinzu, es sei das alles jetzt der Akademie selbst zu über-
lassen, da sie in Activität gesetzt sei.
Drei Tage später legte Schmettau dem Könige eine Reihe von
Beschlüssen des Directoriums vor: Köhler habe man bei den Ka-
lendern gelassen, »a cause de sa capacite et experience«, aber man
habe ihm eine viel genauere Instruction gegeben, die es unmöglich
mache, dass er seinem eigenen Vortheil nachgeht. Man habe be-
schlossen, i.dass nicht die vier Directoren, sondern vier eigens dazu
(und nur auf ein Jahr) gewählte Klassen -Deputirte zusammen mit den
Curatoren das Ökonomische besorgen sollen", 2. dass keine Klasse
mehr als einen Director habe^, 3. dass das Amt des Secretarius per-
petuus und des Tresorier getrennt sein solle ^, 4. dass Buddeus, da er
nicht mehr Director, auch die 100 Thlr. nicht mehr beziehen soll,
die er bisher gehabt% 5. dass die Mitglieder der philosophischen und
philologischen Klasse erst dann Gehälter beziehen sollen , wenn sich
die Revenuen vermehrt haben würden*'.
^ Der Etat, der dem Könige zusammen mit dem Statuten - Ent\vurf vorgelegt
und von ilnn bestätigt worden ist, existirt meines Wissens leider nicht mehr. So-
viel ist gewiss, dass in ihm für die Directoren je 100 Thlr. und für je vier
arbeitende Mitglieder der Ader Klassen 1600 Thlr. (400 Thlr. für jeden) ausgeworfen
waren. Dazu kamen die Gehälter für den Astronomen , den Secretarius perpetuus,
den Fiscal, die Diener, vmd die besonderen Gehälter, wie sie einzelne Mitglieder der
alten Societat besassen, vmd wie sie z.B. Euler zugesichert waren.
- Damit war ein Hauptwunsch Schmettau's in Bezug auf die P'inanzver-
waltung erfüllt.
^ Damit war Elsner abgesetzt und d'Argexs einziger Director in der philo-
logischen Klasse.
* Das war gegen a'on Jariges gemünzt.
^ Das war eine Kränkung für den verdienten ^Nlann; aber Schmettat ver-
achtete die ]Mediciner.
•^ Damit waren die [Mitglieder dieser Klassen zu Akademikern zweiten Grades
herabgesetzt; Schjiettau wollte diese Klassen ursprünglich überhaupt nicht in der
x\kademie. Für je vier «arbeitende [Mitglieder" der vier Klassen waren im Etat
1600 Thlr. ausgesetzt, und der König hatte das bestätigt.
Geschichte der Akademie. I. 19
21)0 Gescliiolitf! der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1740— 174(j).
ScHMETTAU hatte, wie offenbar, in der letzten Woclie wieder
das Heft in die Hände bekommen — wie, weiss man nichts Der
König billigte in Ordres an ihn und an die Commission vom 2. Fe-
bruar alle diese Vorschläge bis auf den Buddeus betreffenden. Sein
Gerechtigkeitsgefühl gestattete es ihm nicht, dem Gelehrten die
100 Thlr. zu entziehen; er beliielt auch den Charakter als Director
bei. Mit Zuversicht blickte Friedrich nicht auf die neue Schöpfung;
das zeigen auf's Neue die Schlussworte der Ordre an Schmettau"^:
»ainsi voyant cette affaire de l'union des deux societes terminee, il ne me reste
que d'en attendre des fruits, tels que Vous et les autres membres en esperent.«
Am 13. Februar wählte man die vier ökonomischen Deputirten
auf ein Jahr (Eller, Humbert, Formey und Pelloutier) und die
vier Klassen -Secretare (Lieberkühn, den neu aufgenommenen Faber,
Formey und Lamprecht); weder diese noch jene haben wirkliche Be-
deutung zu erlangen vermocht; die ganze Einrichtung kam bald wieder
in Wegfall. In der Sitzung der Curatoren und Deputirten am näch-
sten Tage wurde beschlossen, ein neues Diplom »nach dem Muster
des Petersburger« anfertigen zu lassen, aber das Siegel der alten
Soeietät und ihr Motto beizubehalten; nur die Umschrift soll jetzt
«Academia Regia Scientiarum Berolinensis 1744« lauten. Faber,
der Secretar der mathematischen Klasse, wurde zum Tresorier er-
wählt, sollte aber eine Caution von 3000 Thlrn. stellen. Eller zeigte,
wie man von der Summe, die dem chirurgischen Collegium zu
zahlen sei, 100 Thlr. abstreichen könne; sie wurden Pelloutier
als Gehalt zugebilligt. Der neue Entwurf Durham's , XJhden's und
Bastinelles' zur Administration des Kalenderwesens wurde geprüft^.
In der Sitzung vom lö.Feljruar wurde der Diplom-Entwurf, wie ihn
^ ScHMETTAu's Einfluss ist es wohl auch zuzuschreiben , dass die Leseordnung
für das Jahr 1744 so festgestellt wurde, dass die philosophische und philologische
Klasse nur halb so oft an die Reihe kamen wie die beiden anderen. Das im
Archiv der Akademie aufbewahrte Schema für 1744 lautet: Phys., Math., Phys.,
Math.. Philos., Philol. Viele Jahre lang blieb es bei dieser Ordnung.
^ Die Ordre an ihn ist abgedruckt im Urkundenband Nr. 159. In Nr. 160
(vom 7. Februar) theilen von Schmettau und die Minister der Akademie die vom
Könige genehmigten Bestimmungen mit. Aus dem Actenstück Nr. 161 vom S.Fe-
bruar ei-giebt sich, dass der kecke Vorschlag der Suspension der 2 x 400 Thh-. für
die arbeitenden Mitgheder der philosophischen und philologischen Klass.e , der allzu
schnell vom Könige genehmigt worden war — wahrscheinlich war dieser Punkt
im Cabinet übersehen worden — , sich doch nicht so glatt durchzusetzen vermochte.
^ Nebenbei erfährt man, dass die Ober- Rechnungskammer bisher mit der
Finanzverwaltiuig der Soeietät nichts zu thun gehabt hat. Die Akademie wünschte
beiircnf lieber Weise, dass es auch ferner so bleibe.
Die neue Akademie vor Maupertuis' Eintritt (1744/46). 291
VON Jariges und Formey vorgelegt hatten, angenommen und weiter
über die Kalendersaclie verhandelt \
ScHMETTAU, der in den ersten drei Monaten das Präsidium ver-
waltete, nahm es mit seinen Obliegenheiten sehr ernst (während
Jordan, der Vice-Präsident, sich in dieser ganzen Zeit im Hinter-
grunde gehalten hat, ja wahrscheinlich in den Sitzungen gar nicht
erschienen ist). So theilte er mit, dass er jüngst auf dem Obser-
vatorium gewesen, den Vorrath von Instrumenten, Naturalien, Mo-
dellen, sowie die Bibliothek in Augenschein genommen «und manche
UnVollständigkeit gefunden habe« ; auf seinen Vorschlag werden
LiEBERKÜHN uud der Secretar der mathematischen Klasse mit der
Aufsicht über den Apparat betraut. Schmettau berichtete ferner,
dass Reparaturen an dem Observatorium selbst nöthig seien, und
^ Was für Fragen sonst noch verhandelt werden mussten, mag das Protokoll
einer Sitzung lehren:
»Ob in den Kalendern nicht eine Colonne, den katholischen Kalender ent-
haltend, beigegeben werden solle.
Ob nicht in den Kalendern gemeinnützige Anweisungen über Feuerung,
Brunnen, Baumpllanzungen, Culturen aufzunehmen seien.
Ob nicht die Pacht des Juden -Kalenders zu erhöhen sei.
Ob nicht ein holländischer Kalender (wegen Wesel und Westfalen) zu
drucken sei.
Über Buchdruckerei und Anfertigung von Instrumenten.
Ob nicht die Intelligenzblätter in grösseren Städten der Akademie zu über-
tragen seien.
Ob nicht jeder Pfarrer seine Gemeindemitglieder fragen solle, wie viele und
was für Kalender sie brauchen, damit die Quantität richtig bemessen werden könnte.
Ob nicht die x\kademie die Censur für alle hebräisch gedruckten Büclier
haben soll und ohne ihre Approbation nichts zu drucken sei; ob es nicht mit
allen Büchern in fremden Sprachen so zu halten sei.
Ob nicht die Einnahmen von den Maulbeerblättern, Pacht vom Leichenwesen
luid das Einkommen von dem Garten zu erhöhen?
Ob nicht wöchentlich eine gelehrte Zeitung edirt werden soll und meteoro-
logische Observationen ?
Protestantische Religionsbücher, so nach Polen, Hungarn zu debitiren, könn-
ten auch gedruckt werden, wie das bisher schon Köhler mit Vortheil gethan.«
Man sieht, Schmettau hat bald Wasser in seinen Wein der reinen Wissen-
schaft schütten müssen. — Die von der Akademie herausgegebenen Staatskalender,
welche, wie heute der Gothaische, die Genealogieen dei' europäischen Fürstenfamilien
enthielten, waren übrigens auch im Ausland hochgeschätzt. So schrieb ein Lon-
doner Buchhändler im Jahre 1744, indem er sieben Exemplare für das englische
Ministerium bestellte, der Minister habe erklärt, dass unter allen Almanachen die
der Preussischen Akademie die besten seien (Geh. Staatsarchiv). Gegen das Un-
wesen des Nachdrucks (der Kalender imd der Memoires) hatte sich deshalb die
Akademie auch stets zu wehren. So erging am 2. October 1745 an alle einzelnen
Staaten der Eidgenossenschaft das Ersuchen, den Nachdruck der Memoires zu
verbieten. ^
19*
292 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1740—1746).
auf seinen Antrag wurde Humbert beauftragt, mit Bauverständigen
einen Kostenanschlag zu machen.
Weiter setzte er als Präsident das Directorium davon in Kennt-
niss, »dass die Söhne von Naude und Grischau Lust zur Astronomie
bezeigen und schon manches auf dem Observatorium gethan hätten.
Da man zu Paris und Petersburg alumnos zuziehet, so solle man auch
dergleichen einführen und der mathematischen Klasse mittheilen, man
würde von Zeit zu Zeit jenen ein Gratial zufliessen lassen« . Auch einen
Vorschlag Euler's befürwortete der Präsident, einen gewissen Schu-
macher als Calculator zur Fortsetzung der MANFREnischen Ephemeriden
für loo Thlr. zu gewinnen ^
Zunächst — nach dem ersten Anheizen — schien die schwer-
fällige Maschine mit ihren vier Kammern^ ganz gut zu functioniren ;
aber bald zeigte es sich, wie unzweckmässig es Avar, das wissen-
schaftliche und das ökonomische Directorium von einander zu trennen
und die ökonomischen Deputirten jährlich wechseln zu lassen. Schon
schlug man vor, das Verbot, sie wieder zu wählen, aufzuheben.
In den wenigen Monaten bis zum Ausbruch des zweiten schle-
sischen Krieges hat Schmettau noch allerlei finanzielle Pläne — da-
rin Leibniz ähnlich — gehegt und durchzusetzen versucht. Vom
7. März stammt das Project, durch Errichtung einer Druckerei dem
Fundus aufzuhelfen und , damit sie beschäftigt sei , ihr ausser den Ka-
lendern und Opera der Akademie den Druck der Medicinal-Ordnung,
des Dispensatorium Brandenburgii und der kleinen protestantischen
Religionsbücher zu übertragen. »Übrigens hat sich der König selbst
dahin geäussert, wie Sie wünschten, dass eine solche Druckerei er-
richtet werden möchte, welche an Schönheit und Feine sowohl des
Papiers als der Buchstaben und Drucks dem Holländischen und Fran-
zösischen gleich käme.« Auch unterbreitete Schmettau dem Könige
eine Eingabe, der Akademie den Debit der protestantischen Religions-
bücher für Polen und Ungarn, sowie aller hebräischen Bücher zu
^ Alle Gesuche um Gehaltsei'höhung u.s. w. gingen in den Jahren 1744 und 1745
an die Curatoren. In den Acten des Akademischen Ai'chivs findet sich ein solches
von Lieberkühn (vom 13. Februar 1744), in welchem er seinen Lel)enslauf, seine
Studien in Holland unter Boerhaave u. s. w. einzahlt. — Laut Cabinetsordre vom
6. April 1744 v^rurde Schaarschmidt wegen Nachlässigkeit als JMedicus in der Chi-
rurgie die Stelle genommen und ihm ausserdem von seinem akademischen Gehalt
(150 Thlr.) zwei Drittel gestrichen.
^ Das Plenum, das Präsidium der vier Curatoren, das wissenschaftliche
Dii-ectorium (bestehend aus den vier Curatoren und den Directoren), das ökonomische
Curatorium (bestehend aus den vier Curatoren und den vier Deputirten).
Der zweite schlesische Krieg. Maupertuis kehrt nach Berlin zurück. 293
übertragen und ihr das allgemeine Censiirrecht zu ertheilen »in Bezug
auf alle Bücher und andere Stücke (ausgeschlossen die Affaires d'etat),
die in Berlin und in den anderen Städten , wo es keine Universitäten
giebt, gedruckt werden«.
5.
Aber der König konnte seit dem Frühjahr 1744 seine Sorge
der Akademie nicht widmen ; es galt, die im ersten Krieg gewonnene
Grossmachtstellung Preussens zu behaupten. Der zweite schlesische
Krieg brach aus, und bis zur Schlacht von Hohenfriedberg am 4. Juni
1745 hören wir nichts von Beziehungen des Königs zur Akademie,
ausser einer eigenhändigen Bemerkung, die er an den Rand einer
Eingabe derselben geschrieben hat\ Sie hatte vorgeschlagen, die
durch den Tod des Astronomen Naude erledigten 200 Thlr. Lieber-
kühn zu geben , und glaubte damit die Meinung des Königs zu treffen ;
er aber erwiderte (30. Januar 1745):
"Nein der Eilers [lies Ecler] wirdt einen aus Russlandt verschreiben der
Habil ist und Profeser in Node Seiner Stelle werden kan.«
Man sieht, der König hat die Akademie nicht ganz vergessen
und nicht darauf verzichtet, ihr Directive zu geben.
Kurz nach der Schlacht von Hohenfriedberg aber empfing er
eine Nachricht, die sein volles Interesse an der gelehrten Gesell-
schaft wieder wachrief, Maupertuis schrieb ihm, dass er die Er-
laubniss erhalten habe, Frankreich zu verlassen, und dass er nun
nach Berlin kommen werde. Mit beiden Händen griff der König
zu. Nicht weniger als sechzehn Briefe hat er in dem halben Jahr
bis zum Frieden von Dresden aus dem Felde an den Gelehrten
gerichtet, um ihn festzuhalten^. »Das Opfer, das Ihr mir bringt,
ist gross; was kann ich thun. Euch Euer Vaterland, Eure Freunde
und Eure Eltern zu ersetzen ! « Dann , mit freudigem Ausblick,
dass die Zeit kommen wird, wo diese Kriege aufhören: »alors,
mon eher Maupertuis , alors nous pourrions philosopher ä notre aise « ^.
Wie zu einem vertrauten Freunde redet er zu dem Gelehrten, und
darum spricht er ihm gegenüber auch seinen Schmerz über den
^ Akademisches Archiv.
^ Diese Briefe und die im Folgenden citirten befinden sich fast sämmtlich im
Geh. Staatsarchiv; in den (Euvres sind nur fünf Briefe des Königs an Maupertuis
und zwei von diesem gedruckt.
^ Camp de Rusec v. 10. Juli 1745.
294 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1740—1746).
Verlust Jordan's und Keyserlingk's in diesen Briefen aus — »ich.
suche vergebens in meiner Pliilosophie und in Cickro's Tusculanen
Trost und besitze nicht die Fähigkeit des Stoikers, der sagen
konnte: Ich wusste wohl, dass er nicht unsterblich war; Keyser-
LiNGK und ich waren wie eine Seele«. Voll Freude aber empfing
er die Nachricht, dass sich Maupertuis bald nach seiner Ankunft
in Berlin mit einem Fräulein von Borck verlobt habe und die Hoch-
zeit bevorstehe. Diese Verbindung des Gelehrten mit einer der
vornehmsten Familien des Landes schien ihm Gewähr dafür zu sein,
dass er ihn nicht wieder verlieren werde. »Ich wünsche, dass Ihr
ebenso glücklich seid, das was Ihr sucht in Eurer Liebe in Berlin zu
finden, wie Ihr glücklich gewesen seid in Euren physikalischen
Entdeckungen in Lappland.« Die wiederholten Klagen über den
Tod der Freunde unterbricht er durch den Ausruf: »Lassen wir
das Klagen und sprechen wir von den Hymnen, die Urania und
Newton zu Eurer Hochzeit anstimmen« \
Es war selbstverständlich, dass der König sofort den früheren Plan
wieder aufnahm, Maupertuis an die Spitze der Akademie zu stellen"'.
Er gab Ordre, ihm ein Gehalt von 3000 Thlrn. auszuzahlen; zu-
gleich Hess er schon Mitte Juli an die Akademie — sie war eben mit
Igen beschäftigl
der Herausgabe des ersten Bandes ihrer Abhandlungen beschäftigt^ —
^ Brief v. 6. October aus Soor.
^ Ihr Pei'sonalstand war im Jahre 1744 folgender: Vice-Pi-äsident Jordan. Phy-
sikalische Klasse 11 Mitglieder (Eller, Buddeus, Francheville, GLEorrscH, Lieber-
kühn, LuDOLFF sen. et jun., Marggraf, Pott, Schaarschmidt, Sproegel);' Mathe-
matische Klasse 7 Mitglieder ausser dem Veteran des Vignoles, der am 24. Juli
1744 starb (Euler, Faber [Januar 1744 aufgenommen und bald darauf gestorben],
Grischau, Humbert, Kies, Naude, Wagner); Philosophische Klasse 7 Mitglieder
(Heinius, Achard sen. et jun., Formey, Jariges, Sack, Stubenrauch [dieser ist
aus der philologischen in diese Klasse übergegangen]); Philologische Klasse 6 Mit-
glieder (d'Argens, Elsner, Hering, Küster, Lamprecht, Pelloutier [Bielfeld
wurde Ehrenmitglied]). In der Zeit bis zu Maupertuis" Antritt ist nur Süssmilch
(29. Januar 1745) hinzugekommen und Carita wui'de wieder in den Listen geführt
(s. oben). Uhden, der General -Fiscal, ist bei der philosophischen Klasse erwähnt,
und Sack ist in die physikalische übei'gegangen. Lamprecht, Redactear der
SpENER'schen Zeitung und Herausgeber einer moralischen Wochenschrift "Der Welt-
bürger« (Geiger, Berlin, I S. 4i3f.). stai'b im December 1744, Naude starl) am
17. Januar 1745.
^ Der Contract wurde am 16. vSeptember mit dem Buchhändler A. Haude in
Bei'lin abgeschlossen (Geh. Staatsarchiv). Kurz vorher war in Bezug auf die Kalen-
der ein merkwürdiges Ansinnen an die Akademie gestellt worden. Die Busstage
lagen in den verschiedenen Landestheilen des Königreichs verschieden, und in den
Kalendern der Akademie wurden diese Verschiedenheiten nicht immer hinreichend
beriicksiclitigt, woraus sich Unzuträglichkeiten ergaben. Daher schrieb die Preussische
^lArPERTuis tritt an die Spitze. Die Akademie wird französiscli. 295
die Verfügung ergehen ^ , dass diese Publicationen sämmtlicli in
französischer Sprache zu erscheinen haben (wünsche es der Autor,
so könne das Original in einer fremden Sprache mitgedruckt wer-
den)"". Das war bereits die Vorbereitung auf Maupertuis' Präsident-
sc] laft. Ferner bestimmte er, gewiss im Hinblick auf den Tod
Jorüan's, dass jährlich eine Lebensgeschichte der verstorbenen Mit-
glieder, wie in Paris, in den Memoires gegeben werde. Endlich
theilte er mit, er habe Fokmey mit 200 Thlrn. zum Historiographen
ernannt.
Aus der Bestallung Forjiey's^ ersieht man, dass in allen Stücken
die Publicationen der Pariser Akademie der Berliner zum Muster
dienen sollten. Wie in diesen sollten künftig neben den Abhand-
lungen die »Lebensgeschichten« stehen; Alles aber sollte »in der
ül)erall beliebten Sprache«, dem Französischen, gedruckt werden,
»damit die ganzen Memoires auf eine dem Gelehrten sowohl als
dem Publico angenehme und nützliche Art an's Licht treten mögen«.
Formet übernahm ausserdem die schwierigen Verpflichtungen, alle
deutsch oder lateinisch eingereichten Stücke in's Französische zu
übersetzen, die iLebensgeschichten der Verstorbenen jährlich zu A'er-
fassen und endlich für den ersten Jahrgang der Memoires eine Ge-
schichte der Akademie von ihren Anfängen (d. h. vom Jahre i 700)
an zu schreiben. Er hat die drei Aufgaben mit der ihm eigenen
Leichtfertigkeit zu lösen verstanden.
Bereits im October 1745 wollte Maupertuis mit dem Könige
über Details der Einrichtung der Akademie verhandeln. Aber noch
winkte der Monarch ab,
«Si le reglement de l'academie etait Taftaire la plus difficile ä regier, je vous
reponds, mon eher Maupertuis, qu"ä moins de huit jours tont serait reforme, mais
j'ai tant d'embarras, et des clioses si difficiles ä manier, que je n'ai pas peiise
Provinzialregierung am 29. Mai 1745 "nomine des Departements der christlichen
Sachen« an die Akademie: »Wir stellen der hochlöblichen Societät der Wissen-*
Schäften [sie] anheim, ob es nicht dahin zu richten, dass künftig die Busstage in
Preussen und in denen übrigen Königl. Landen an einem und demselben Tage
gefeiert Averden«. Dass die Akademie allgemeine Busstage für das Königreich ein-
richten helfen solle, ist wohl die auffallendste Anforderung, die je an sie gestellt
worden ist.
^ Die Verfügung selbst ist nicht erhalten, wohl al)er das auf ihr hissende
Schreiben der Curatoren vom 19. Juli (Akademisches Archiv).
'^ Von dieser Erlaubniss ist nie Gebrauch gemacht worden.
^ Siehe Urkundenband Xr. 162. Jariges, mit Geschäften überhäuft, war factisch
schon im Jahre 1745/46 von dem Secretariat zurückgetreten; im April 1748 legte
er es <\uch formell nieder. Die Stelle erhielt ebenfalls For3iey. Das Amt eines
Bibliothekars erhielt am 7. November 1745 Pelloutier.
296 Gcscliiclitc der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1740— 174()).
a racadeinie, ce soia sera Touvrage de inon loisir. Vous en etes le direoteur et
du moment de mon retour ä Berlin (qui sera dans 12 jours) vous voudrez l)ien
vous en charger ^ "
Es dauerte doch noch mehr als zwei Monate, bis der König
nach Abschluss des Dresdener Friedens nach Hause zurückkehren
konnte. Noch mancher Brief wurde mit Maupertuis gewechselt.
Die Schreiben des Königs drücken immer wieder die Freude aus,
die er an der Correspondenz empfindet; sie sind zugleich ergreifende
Zeugnisse von den schrecklichen Eindrücken des Kriegs auf die
Seele des Königs und von seiner heissen Liebe zu seinem Volke.
Endlich konnte Friedrich Maupertuis von Potsdam aus begrüssen
{3. Januar 1746) und ihm die tröstlichen Worte schreiben: »je
fais un grand etat sur les ressources de Votre Societe«. Am 15. Ja-
nuar richtete Maupertuis an den König jene Vorstellung, die für die
weitere Geschichte der Akademie entscheidend geworden ist. Mit
scharfem Blick erkannte er, dass die Wissenschaften in Preussen
so lange nicht in der ihnen gebührenden Achtung standen,
als nicht ein Mann der Wissenschaft mit der vollen Gewalt
eines Präsidenten die Akademie regiere, anders ausgedrückt: er
weigerte sich Präsident zu Averden, wenn er nicht auch den vier
Curatoren in der Akademie übergeordnet würde (ausserdem lehnte
er es ab, sich an der Finanzverwaltung der gelehrten Gesellschaft
irgendwie zu betheiligen). Der Brief, der einen vollen Einblick in
die Schwierigkeit der Lage zeigt, lautet:""
Votre Majeste pourrait croire que j'ai perdu de vue Tchjet pour
lequel eile m'a pris k son service, si je ne lui parlais de son academie.
J'aurais honte de mon loisir et des bienfaits memes dont V. M. m'honore,
si je ne pouvais les meriter. Je vols beaucoup de contradiction et de
mecontentement dans la maniere dont cette compagnie est administree,
fort peu d'esperance pour le succes de ses ouvrages. Je ne puis cepen-
dant remedier a rien, pas meine assister a ses assemblees, jusqu'a ce que
V. M. m'ait fait expedier la patente pour la place de president, i(ue je
n'ai encore que par les appointements et jiar le billet de V. M., dont je
n'oserais pas me servir sans son ordre.
Cette place, rendue d'abord honorable parLsiBNiz, ridicule ensuite
par GuNDLiNG, et enfin mediocre par Jablonski, sei-a pour moi, Sire, ce
que vous voudrez cprelle soit. Je sens la difficulte de la bien i-emplir et
d'exciter l'emulation parmi des gens de lettres gouvernes par des ministres
d'Etat et des generaux d'armee, que leurs seuls titres rendent superieurs
k tout le reste. J'ai cependant souvent preside, dans l'Academie des
Sciences, des ducs et des ministres; mais en France, le goüt de la nation
pour les sciences, et peut-etre une espece de fortune, m'avaient donne
^ RoHNSTocK, den 22. October 1745.
^ CEuvrcs. T. 17 p. 336 f. (Original im Geh. Staatsarchiv.)
Maupertuis" Brief an Friedrich II. (lö. Januar 174G). 2.)l
une certaine consideration (|u'il est impossüjle que je troiive ici, si voiis
ne me la donnez. Les sciences y sont dans un aiTaissement et un etat
d'humilite marques par le reglement meme de l'Academie; on peut y dire
jusqu"ici ce que Fontenelle a dit des temps gothiques de la France,
oü il n'etait pas encore decide si les sciences ne derogeaient point. Je
sens, Sire, que, tandis que je vous parle pour les sciences, il seinble (]ue
je parle aussi pour inoi; je ne vous cacherai pas meine le degre d'ambi-
tion que je joins au bien de votre Service. Je vous demanderai tout ce
qui 2^ourra me donner la consideration et le credit necessaires pour le
bien de l'Academie et pour remplir avec honneur une place qui doit etre
honorable sous le regne d'AuGusTE.
jNIais, s'il est permis de mettre des restrictions ä vos gräces et des
limites aux fonctions qui regardent votre service, j'oserai prier V. M. de
me dispenser d'une partie d'administration dont, etant etranger ici, je
craindrais de ne pouvoir pas bien m'acquitter: c'est celle des deniers de
l'Academie, ä laquelle je voudrais bien n'avoir aucune part. Je suis, etc.
Friedrich war entschlossen, alle Wünsche Maupertuis' zu er-
füllen. Bereits am i. Februar Hess er ihm die Bestallung als be-
ständigem Präsidenten zugehen^; aber noch blieb das Verhältniss
des Präsidenten zu den Curatoren unklar. Das Directorium der
Akademie hatte schon vor der förmlichen Bestallung Maupertuis'
am 6. December 1745 verhandelt, wie man den künftigen Präsi-
denten aufzunehmen habe, Dass auch für die Discussion in den
Sitzungen nunmehr nur das Französische, höchstens noch das La-
teinische, zulässig sei, da der Präsident kein Deutsch verstand,
war klar. Als nun seine Ernennung eintraf, als man merkte, dass
der König Alles durch ihn bei der Akademie zu betreiben ent-
^ Abgedruckt im Urkundenband Nr. 163. Unmittelbar vor der Einsetzung
Maupertuis' zum Präsidenten muss der erste Jahrgang der Hist. und Mem. der
Akademie für das Jahr 1745 erschienen sein. Er trägt bereits die Jahreszahl 1746,
aber in dem kurzen Abriss der Geschichte der Akademie, die Formet verfasst hat,
ist Maupertuis noch nicht erwähnt. Der übrigens noch ziemlich dünne Band ist
dem Könige gewidmet und luiterscheidet sich dadurch von den folgenden, dass
den Memoires ausführliche, besonders paginirte Sitzungsberichte vorangehen. INIau-
pertuis hat das wieder abgeschafft. Abhandlungen enthält der Band nur zwölf
(drei für jede Klasse), aber von gediegenem Inhalte. Ludolff hat über »Electricite
des Barometres« geschrieben, Marggraf über Metalllösungen, Lieberkühn über
ein anatomisches IMikroskop. welches es gestattet, lebende Thiere zu beobachten.
Zwei mathematische Abhandlungen haben Euler zum Verfasser, eine dritte ist
von D. Bernoulli geschrieben. Die neue philosophische Klasse führt sich würdig
ein durch eine kritische Abhandlung von Jariges über den Spinozismus und die
P^^inwürfe Bayle's gegen dies System. Elsner schreibt über »l'Excellence de la
Palestine« , d. h. über die besonderen klimatischen u. s. w. Vorzüge des Landes im
Alterthum. Süssmilch versucht den Beweis der Abhängigkeit des Keltischen und
Deutsclien von den orientalischen Sprachen. Die Vorrede ist deshalb bemerkens-
werth, weil sie das hohe Selbstbewusstsein des 18. Jahrhunderts in ausgeprägter
Form zeigt.
298 lieschiclitc flcr Al^ndeniic iintei' Friedrich dem Grossen (1740 — 1746).
schlössen war\ als man den Enthusiasmus fühlte, mit dem Friedrich
dem grossen Gelehrten anhing", da erklärten die Curatoren von Arniji,
VON Viereck und Bokcke ihr Amt niederlegen zu wollen (19. März).
SciiMETTAu, der in diesen Monaten wieder die Geschäfte führte,
wandte ein, er könne nicht allein diesem Werke vorstehen; auch
genüge es nicht, den Rücktritt im Protokoll zu verzeichnen; sie
müssten ihren Abschied beim Könige einreichen. Allein Arnim er-
widerte, er habe das Amt nur auf Probe übernommen; Viereck
erklärte, nicht der König, sondern die Commission habe sie zu
Curatoren ernannt, und Borcke antwortete, er wolle seine drei
Monate noch abdienen, damit es nicht an einem Curator fehle, aber
auf längere Zeit engagire er sich nicht^. Man kann es den hohen
Herren nicht verdenken , dass sie ihre Mitwirkung versagten —
es war etwas Unerhörtes, dass ein Gelehrter, und dazu ein Aus-
länder, über den höchsten Staatsbeamten stehen sollte; ihnen war
das Präsidium anvertraut worden, und sie sollten es plötzlich ver-
lieren! Aber der König liess sich nicht beirren. P]r verlangte,
dass die Curatoren blieben^ — nur von Viereck, der frühere Protector
der Societät, schied aus — , und er war zugleich entschlossen, die
Gewalt, die er Maupertuis übertragen hatte, in den Statuten zum
Ausdruck zu bringen und ihm auch (obgleich er sich anfangs ge-
weigert hatte, sich mit den finanziellen Fragen zu befassen) das
ausschliessliche Recht, Pensionen zu verleihen, zu übertragen. Zu
diesem letzten Schritt veranlassten ihn vor allem ärgerliche Ver-
handlungen, die noch immer über Naude's erledigtes Gehalt ge-
führt wurden, ob es Gleditscii oder Marggraf beziehen solle^.
Dass die vor zwei Jahren gegebenen Statuten weitschweifig,
schwerfällig und unvollkommen seien, hatte Maupertuis dem Könige
^ Dei' erste, den Maitertuis empfohlen und Friedrich als Professor dei'
Mathematik angestellt hat, war Beguelin (s. den I>i-ief vom 22. März 1746).
^ Siehe den Brief vom 5. März 1745, in welchem sich der König mit Mau-
pertuis über die zu schlagenden Medaillen heräth und schreibt: »Es ist Eure und
Eurer Genossen Aufgabe, die Ihr als Devise die Unsterblichkeit habt, sie in Bruch-
stücken denen auszutheilen, die kein anderes Verdienst haben als das der physischen
Kraft imd des Muthes".
^ Die Erklärungen befinden sich im Akademischen Archiv.
* Ihre letzte selbständige That war die Einschärfung des Gebotes (vom
31. October 1724), dass die Verleger ein Exemplar der von ihnen gedruckten
Bücher an die Bibliothek der Akademie abzuliefern haben. Der König erliess eine
entsprechende Verfügung (19. INIärz 1746). Vei'anlasst war die Sache durch eine
Eingabe des Fiscals der Akademie Uhden an Schmettau (Geh. Staatsarchiv).
^ Akademisches Archiv.
Das Statut der Akademie vom 10. ]Mai 174f). 299
wiederholt vorgestellt. Jetzt beauftragte Friedrich den Präsidenten,
neue Statuten zu entwerfen. Dieser unterzog sich der Aufgabe,
nahm sich die einfachen und straffen Reglements der Pariser Aka-
demie überall dort zum Muster, wo nicht Besonderheiten der Ber-
liner Akademie eine Abweichung erforderten, und legte dann seine
kurz und präcis gefassten Bestimmungen dem Könige vor. Der
Monarch billigte am i O.Mai die Vorlage, fügte aber eigenhändig
zum 8. und 1 3. Paragraphen zwei Sätze hinzu, die des Präsidenten
Stellung betrafen. In dem ersten verfügte er, dass der Präsident
über alle Mitglieder, also auch die Ehrenmitglieder, gesetzt sei, wie
ja auch ein General Herzöge und Prinzen commandire; in dem zwei-
ten bestimmte er, dass der Präsident die Pensionen allein zu ver-
geben habe. In dieser Gestalt erschienen die Statuten am 10. Mai
1746 und wurden in der Sitzung vom 2. Juni verlesen; sie unter-
Marfen die Akademie der fast autokratischen Gewalt des neuen
Präsidenten. Borcke, der bisher präsidirender Curator gewesen,
legte sein Amt in die Hände Maupertuis'.
Diese Statuten sind viele Jahrzehnte hindurch gültig geblieben
— deshalb mögen sie hier in extenso folgen \ Freilich verloren
sie dadurch einen Theil ihrer Bedeutung, dass nach Maupertuis'
Abgang kein Präsident mehr ernannt worden ist; aber an seine
Stelle trat der König selbst; die streng monarchische Ver-
fassung der Akademie blieb also unverändert. So lange aber Mau-
pertuis regierte, fühlte sich der König entlastet; er sah sich als
Protector an", der die Macht hat, das auszuführen, was der Prä-
sident vorschlägt, und — als wirkliches, mitarbeitendes Mit-
glied der Akademie.
Reglement de rAcademie:
Le roi s"etant fait representer les differens reglements de l'Academie Royale
des Sciences et Beiles - Lettres , et voulant donner a cette compagnie, une derniere
forme, plus j^ropre ä augmenter son lustre et ses progres: Sa ]Majeste a ordonne
qu'elle observe desormais le regiement suivant.
^ Nach der Coj)ie, die sich im Akademischen Archiv befindet; gedruckt sind
sie in den ]Mem. 1746 p.3ff. vind in Fgrmey's Hist. de TAcad. p.gSff.
^ Jetzt erst löste der König sein Versprechen ein und nannte sich «Protec-
tor« der »Academie des sciences et belles -lettres« (verkündigt von IMaupertuis in
der Sitzung vom 23. [nicht 28., wie Forjiey druckt] Juni 1746). Der Zusatz »belles-
lettres« steht noch nicht im Statut von 1744. aber der Sache nach ist er in ihm
enthalten, wurde schon in den Jahren 1744 und 1745 officiell gebraucht und findet
sich auch auf dem Titel des i. Bandes der ^Nlemoires der Akademie von 1745.
300 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1740 — 1746).
I.
L'Academie demeurera coinme eile est, divisee en qiiatre classes.
1. La classe de philosophie experimentale coinprendra la chiniie,
ranatoinie. la botanique, et toutes les sciences qui sont fondees sur l'experience.
2. La classe de mathematiques comprendra la geometrie, Talgebre,
la mechanic^ue, l'astronomie, et toutes les sciences qui ont pour objet l'etendue
abstraite, ou les nombres.
3. La classe de philosophie speculative s"appli(juera ä la logique,
a la inetaphysique et ;i la morale.
4. La classe de belles-lettres comprendra les antiquites, Fhistoire et
les langues.
2.
L'Academie sera composee de trois sortes d'academiciens , d'honoraires , d'or-
dinaires et d'etrangers.
3.
Les academiciens honoraires ne seront attaches ä aucune classe, ni obliges
ä aucun travail. Lorsque leurs places viendront ä vaquer, elles ne seront point
remplies au-dessus du nombre de seize.
4-
Les academiciens ordinaires formeront les quatre classes; sans que cependant
chacun soit tellement confine dans jla sienne, qu'il ne puisse traiter les matieres
des autres, lorsqu'il aura quelque decouverte, ou quelque vue a proposer.
Chaque classe sera composee de veterans, de pensionnaires et d'associes.
Les veterans seront ceux (jui. apres de longs Services, auront merite d'etre
dispenses des fonctions academiques, et de conserver leurs pensions et toutes
leurs prerogatives.
Les pensionnaires seront au nombre de douze , egalement repandus dans chaque
classe. Et comme dans quelques - unes il s'en trouve actuellement plus de trois,
l'intention de Sa Majeste est que chacun continue de jouir de tous les avantages
dont il jouit; mais qu'on observe ä l'avenir de ne point reinjilir les places au-
dessus de ce nombre.
Les associes seront pareillement an nombre de douze, repandus egalement
dans chaque classe: ou reduits ä ce nombre, lorsque les places viendront ä vaquer.
5-
Les academiciens etrangers seront pris indistinctement dans toutes les nations,
pourvu (ju'ils soient d'un merite connu.
6.
Tous les academiciens, tant honoraires qu'ordinaires et etrangers, seront
eins ä la plui'alite des voix de tous les academiciens presents, avec cette seule
difterence que pour chaque place de pensionnaire on elira trois sujets, dont deux
soient de l'Academie et le troisieme n'en soit pas, qui sei^ont presentes au roi,
afin qu'il plaise ä Sa Majeste de choisir celui qui remplira la place.
7-
Aucune election ne se fera qu'elle n'ait ete indiquee huit jours auparavant.
Das Statut dei' Akademie vom 10. Mai 1746.
BOl
Le President perpetuel nomme par
le roi aura soin de faire observer le
reülement, d'indiquer les elections, de
presenter au roi les sujets elus pour
les places de pensionnaire , de faire de-
liberer sur les matieres qiii sont du ressort
de l'Academie, de recueillir les voix, de
prononcer les resolutions et de nommer
les commissaires pour l'examen des de-
couvertes , ou des ouvrages qui seront
presentes k l'Academie.
Dazu bemerkt der König:
"11 aura la ])residence, independam-
ment des rangs, sur tous les academi-
ciens honoraires et actuels, et rien ne
se fera que par lui; ainsi qu'un general
gentilhomme commande des ducs et des
jjrinces dans une armee, sans que per-
sonne s'en oflense.«
Le secretaire perpetuel tiendra les registres de l'Academie, entretiendra ses
correspondances et assistera a toutes les assemblees, tant generales que particulieres.
Chaque classe aura. son directeur perpetuel , elu entre les pensionnaires , a
la pluralite des voix de tous les academiciens presents.
Les assemblees de TAcademie se tiendront tous les jeudis et seront com-
posees des membres de toutes les classes. Ceux qui ne seront pas du corps n'y
pourront assister, a inoins qu'ils ne soient introduits par le president ou par
racademicien qui preside a sa place.
Chaque academicien pensionnaire lira dans Tannee deux memoires; chaque
associe en lira un, ä tour de röle. Ces memoires seront annonces quinze jours
auparavant au president et remis immediatement apres la lecture au secretaire,
pour etre transcrits sur le registre.
13-
Comme les affaires economiques
seraient difficilement traitees dans les
assemblees generales , l'Academie , ä la
pluralite des voix de tous les academi-
ciens presents , elira quatre curateurs , qui
avec le president, les directeui-s et le
secretaire, formeront un directoire pour
veiller aux interets de l'Academie et de-
cider ä la i^luralite des voix de tout ce
qui les concerne.
Dazu bemerkt der König:
»Le president Maupertuis aura l'au-
torite de dispenser les pensions vacantes
aux Sujets qu'il jugera en meriter, d"a-
bolir les petites pensions, et d'en grossir
Celles qui sont trop minces, selon qu'il
le jugera convenable; de plus il presidera
dessus les ciu-ateurs dans les affaires
economiques.«
14.
Le directoire s'assemblera a la fin de chacpie trimestre. 11 reglera l'etat et
reinploi des fonds de l'Academie et expediera pour cela les ordres au commissaire
qui en a la regie, sans que ces ordres regardent le payement des pensions une fois
reglees. Et lorsqu'entre deux assemblees du directoire il se presentera quelque
depense qui ne poiu^ra j^as etre differee, le commissaire payera sur Tordre par ecrit
du secretaire, qui en rendra compte a la premiere asseiublee du directoire.
302 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1740—174(5).
15-
Le President, les cjuatre directeurs , le secretaire, l'historiographe et le biblio-
thecaire de rAcademie formej-ont un comite qui s'assemblera ä la fin de chaque
mois. On y fera le choix des pieces qui seront aclmises dans le recueil qu'on
donnera au public, et, l'on y reglera tout ce qui concerne la librairie de l'Academie.
i6.
L'absence d'aucun de ceux cpü formeront le directoire, ou le comite, n'em-
pechera ni n'invalidera les deliberations.
17-
Aucun academicien ne pourra k la tete des ouvrages cpi'il fera inqjrimer,
2)i'endre le titre d'academicien, si ces ouvrages n'ont ete approuves par rAcademie.
i8.
Les vacances de TAcademie seront de quatre semaines pendant la moisson
et de deux semaines ä chaque fete de Päques, de Pentecote et de Noel.
19.
L'Academie ayant destine tous les ans un prix pour celui qui aura le mieux
traite le sujet qu'elle propose, ses membres ne pourront concourir. Le menie
jour au(|uel le prix sei'a decerne on indiquera le sujet pour l'annee suivante.
20.
Sa Majeste veiit que le present reglement soit In dans la prochaine assemblee
de l'Academie et insere dans le regitre jiour etre exactement obsei've.
Fait ä Potzdam, le 10. mai 1746.
Federic.
Am 1 1 . Mai Hess der König an von Viereck folgende Ordre
ergehen^:
»Mein lieber Geheimder Etats -Ministre von Viereck! Nachdem Ich aus eigner
Bewegung resolvirt habe, dass wenn forthin bey der Academie der Wissenschaften
zn Berlin Pensiones erlediget und vacant werden, alsdann der Präsident von Mau-
PERTuis lediglich und allein die Wiedervei'gebung sothaner Pensionen Mir vor-
schlaget, auch mir deshalb seinen Bericht erstatten soll, So befehle ich hierdurch,
dass Ihr gedachter Academie solches zur Nachricht und Achtung bekannt machen,
auch das deshalb erforderliche aus s fertigen lassen, imd zu Meiner Unter-
schrift einsenden sollt. Icli bin Euer
Wohlaffectionirter König. <■
Demgemäss ergingen Ordres an die Akademie und an Maupertuis".
Die vom Könige gegebenen Statuten brachten , auch abgesehen
von der Stellung, die sie dem Präsidenten einräumten, einschneidende
Neuerungen. Zwar die vier Klassen, Avie sie durch die Ordnung vom
^ Gelieimes Staatsarchiv.
^ Abgedruckt im Urkundenband Nr. 165. 166.
Das vStatut der Akademie vom 10. Mai 1746.
303
Jahre 1744 festgestellt waren, blieben bestehen^; aber die Klassen-
sitzungen wurden sämmtlicli in Plenarsitzungen verwandelt, und in
jeder Klasse sollten Veteranen, Pensionäre und Associes unterschieden
werden. Nur drei Pensionäre sollten in Zukunft in jeder Klasse sein
und ebensoviele Associes. Die Zahl der Ehrenmitglieder ist auf 16 be-
schränkt, die der auswärtigen ist imbeschränkt"". Alle Wahlen, auch
die der vier Directoren, sind einfach in der Generalversammlung zu
dass bei
vollziehen, mit der Beschränkung
Erledigung der Stelle
eines Pensionärs dem Könige drei Candidaten vorzuschlagen sind,
unter denen immer zwei Associes und ein fremder sich befinden
sollen. Jeder Pensionär soll im Jahr zwei Abhandlungen lesen,
jeder Associe eine. Diese Abhandlungen müssen 14 Tage, bevor sie
gelesen werden, dem Präsidenten angezeigt werden. Am Ende jedes
Trimesters hat das Directorium, welches den Etat und die Fonds der
Akademie zu verwalten hat, eine Sitzung zu halten. Schmettau's
vier Klassen -Deputirte für die ökonomischen Angelegenheiten sind
wieder weggefallen. Für die Publikationen der Abhandlungen ist
ein besonderes Comite eingesetzt, das aus dem Präsidenten, den vier
Directoren, dem Secretar, dem Historiographen [die beiden Aemter
fielen aber factisch und bald auch ordnungsmässig zusammen] und
dem Bibliothekar besteht. Nicht unwesentlich ist die Bestimmung,
dass der Titel » Academicien« nur auf die Titel solcher Werke ge-
setzt werden darf, welche die Akademie gebilligt hat. Die jährlichen
Preisaufgaben wurden beibehalten — schon wurde zum zweiten Mal
der Preis ertheilt: (am 3 i . Mai i 745 an Waitz »sur TElectricite«) näm-
lich 1746 an d'Alembert »sur la cause des Vents« ; durch letztere Preis-
ertheilung markirte die Akademie ihren Platz unter den europäischen
Akademieen — , aber es wurde im Gegensatz zu der früheren An-
ordnungbestimmt, dass Berliner Akademiker nicht concurriren dürfen.
Die Akademie war eingerichtet. Ein anerkannter Fürst der
Wissenschaft, zugleich ein energischer Mann, stand an ihrer Spitze.
A^on allen Seiten kamen die Gratulationen^, Friedrich aber rief aus:
^ Auch die Curatoren wurden beibehalten, um den Zusammenhang der Aka-
demie mit der Aristokratie und dem höheren Beamtenthum zu bewahren.
- Die ersten von der neuen Akademie (einstimmig) gewählten auswärtigen
^Mitglieder waren d'Alejibert (2. Juni 1746 — in der ersten Sitzung, der Maupertuis
präsidirte, und auf seinen Vorschlag), Voltaire und Coxdamine (9. Juni 1746).
In der Sitzung vom 30. Juni wurden nicht weniger als 18 gewählt, unter ihnen Lixx
luid Montesquieu.
^ Auch WoLFF aus Halle gratulirte (s. le Sueur, Maupertuis u. s. w. p. 426
Brief vom 15. November 1746).
iövoe/.
804 Geschichte, der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1740— 174(!).
»MAurERTUis ist unser Palladium und die schönste Eroberung, die
ich in meinem Lehen gemacht habe«. Er wusste jetzt, dass er
ihn behalten würde, auch wenn er ihn auf Reisen schickte, auch
als er ihm schon im Juni 1746 Urlaub nach Frankreich ertheilen
musste, damit er seinen todtkranken Vater noch sähe': in der Ferne
wird er für die Akademie sorgen und das Feuer des Prometheus
nach Berlin zTirückbringen, Nur das körperliche Befinden des Prä-
sidenten verursachte ihm Kummer; Maupertuis litt an einem Lungen-
übel, das ihn hypochondrisch machte. Mit wirklich väterlicher Sorge
Avachte der König über dem leidenden Gelehrten, hörte seine ein-
förmigen Klagen geduldig an, empfahl ihm Ärzte, schrieb ihm eine
Diät vor und vergass über den Schmerzen des Freundes seine eigene
Krankheit. Er sah die Akademie unter Maupertuis' Scepter schnell
zur Blüthe kommen, und das entzückte ihn. Mit Freude betheiligte
er sich jetzt selbst an ihren Arbeiten. Schon am 10. April 1746
schickte er Maupertuis eine Abhandlung, sie mit einigen scherzenden
und ironischen Worten begleitend". Wie stolz der König auf seine
Akademie war, was er von ihr erwartete und wie sehr ihn ihre erste
Thätigkeit befriedigte , das zeigt die Ode , die er auf ihre Neugrün-
dunü- sredichtet hat^. Nicht nur die genauen Kenner des Französi-
sehen finden an dem Gedicht allerlei auszusetzen; aber mit Recht
ist gesagt worden , dass es als ein besonders charakteristisches Denk-
mal des Geistes der Epoche und als ein lehrreiches Blatt in der
Geschichte Friedrich 's zu betrachten sei.
6.*
«Un prince cheri des Muses, comme des destinees, devait monter
sur le tröne: celui qui, s'il füt ne dans une autre condition, eüt
ete Tornement de TAcademie , devait devenir le maitre de TEtat . . .
La guerre a assez rendu les Prussiens formidables: c'est a la justice
a les rendre heureux . . . Frederic rappelle les Muses : cette com-
^ Brief vorn 4. Juni 1746 nus Pyrmont.
- Briefe an Maupertuis im Geh. Staatsarchiv. Welche Abhandlung gemeint ist,
wissen wir nicht sicher, vielleicht das Eloge auf Jordan, das gedruckt werden sollte.
^ Abgedruckt im Urkundenband Nr. 167; gelesen wurde sie in der Aka-
demie von Darget am 25. Januar 1748.
* Für den folgenden Abschnitt habe ich dankbar die Hist. philosopliique de
l'Acad. de Prusse von Bartholmess T. I p. 162 ff. benutzt. Die doi't gegebene
Darstellung ist so zutreffend und fein empfunden, dass es Pflicht ist, sich an sie
anzuschliessen. Die Übertreibungen habe ich unterdrückt.
Geist und Ziele der Akademie nach Friedrich und Maupertuis. B05
pagnie reprend sa premiere vigiieur. II lui donne de nouveaux titres,
de nouveaux regiements , une nouvelle vie: il la rassemble dans son
palais et se declare son protecteur. Physicien , Geometre . Pliilosophe,
Orateur, eultivez vos talents sous les yeux d'un tel maitrel Vous
n"aurez que son loisir, et ce loisir n'est que quelques instants: mais
les instants de Frederic valent des annees.«
Mit diesen Worten seliliesst Maupertuis" Festrede am Geburtstag
des Königs i 746 \ Der letzte Satz frappirte die Akademie und Europa,
aber die folgenden 17 Jahre haben ihn wahr gemacht, und die Welt
stimmte dem Urtheile bei, das Condamine im Jahre 1759 gefällt hat:
»Friedrich findet Zeit zu Allem, und man kann von diesem Monarchen
sagen: Pluribus intentus superest ad singula sensus'«^.
Die Reden , die Maupertuis in den Festsitzungen gehalten hat,
zeigen am besten, in welchem Geiste die neue Akademie nach den Ab-
sichten Friedrich's wirken sollte ; denn zwischen dem Könige und sei-
nem Präsidenten herrschte volles Einvernehmen hierüber. Die Pflichten
des Akademikers^, die Stellung des Protectors, der erhabene Zweck und
der nützliche Einfluss einer zugleich litterarischen und wissenschaftli-
chen Gesellschaft — über all diese Themata verbreitete sich Maupertuis
wiederholt in beredten Reflexionen und Anweisungen. Immer wieder
setzte er auseinander, dass der König die Societät der Wissenschaften
erneuert habe , um eine ganze Reihe gleich wichtiger Aufgaben durch
sie erfüllt zu sehen : Die Universitäten sollten durch ihre Einwirkung
von der »Pedanterie« geheilt werden , von dem gelehrten W^örterkram
und den steifen Formen: Unterweisungen sollten gegeben werden,
nicht schwerfällige und langweilige, sondern geschmackvolle und
anziehende. »Gedankenfreiheit« soll über ihrem Hause stehen: die
Barbarei der gothischen Zeiten und der Aberglaube in allen Formen
soll vernichtet werden; Kritik und Phantasie, nicht nur das Ge-
dächtniss, soll sie wecken und üben, und in das öö'entliche Leben
soll sie Feinheit und Eleganz, Vernunft und Gerechtigkeit tragen.
In diesem Institut begann man allgemein das zweckmässige Mittel
zu sehen, um dem Talent das Studium der Natur und die Aus-
bildung zur Humanität zu ermöglichen und um in Preussens Haupt-
stadt eine Elite von hohen Geistern zu sammeln, deren Licht die
^ Abgedruckt in den Mem. 1746 p. loff.
^ Brief an Formet vom 28. September 1759.
^ IMaupertuis hat über dieses Thema eine Averthvolle Rede gehahen (am
18. Juni 1750. abgedruckt in den INIem. 1753 p. 511— 521 und bei Formey. Hist.
p. 137 ff.).
Geschichte der Akademie. I. 20
H()() (iescliiclite der Akndciiiic unter Friedrich dem Grossen (1740 — 1746).
Welt erleuchten und entzücken sollte. Alle sahen in dieser Aka-
demie eine ehrenvolle Bühne für das verkannte Verdienst, ein sicheres
Asyl für den unterdrfickten Freimuth und die verfolgte Wahrheit;
hier linkten Aufmunterung und Belohnung; sie sollte der Mittelpunkt
eines fruchtbaren Wetteifers für ganz Deutschland werden.
Um diese Zwecke zu erreichen, hat Friedrich die Statuten der
alten LEiBNiz"schen Societät umarbeiten lassen. Im Grunde kommt
hier nur zum vollen Durch bruch, was auch Leibniz gewollt hatte;
denn die Gedanken der Aufklärung, die den König beseelten, waren
auch bei Leibniz die übergeordneten. Sie w^aren bei ihm nur nieder-
gehalten durch die Rücksichten, die er nehmen musste in einem
Zeitalter, das noch stärker an der Überlieferung hing, und sie
waren begrenzt, weil Leibniz mit Recht noch sehr Vieles für l)e-
achtenswerth und werthvoll hielt, was für Friedrich und sein Zeit-
alter allen W^erth verloren hatte. Kein Zweifel, Leibniz war un-
gleich universaler als das Geschlecht, das ihm folgte; aber dafür
ist er auch nicht im Stande gewesen, so zu wirken, wie es nur
der Einseitige vermag. Jene »philosophische Kirche«, deren Führer
in Deutschland der König, deren europäisches Haupt Voltaire war,
war eine streitende und erobernde Kirche wie die alte.
Es war, wie man mit Recht gesagt hat, auf einen Vernich-
tungskampf abgesehen. Die Aufklärungsphilosophie strebte, wie
einst der Neuplatonismus im 3. und 4. Jahrhundert, mit allen Kräften
darnach, die Kirche zu verdrängen und selbst allgemeine Welt-
religion zu werden. W^ie man über diese Unternehmungen auch
vu'theilen mag, was von ihnen geblieben ist, ist uns zum Segen
geworden.
Den Zweck, deutsche Sprache und deutsche Geschichte zu
pflegen, Hess der König zwar nicht ganz fallen — ein Akademiker
wurde mit dieser Aufgabe betraut — , aber als genereller Zweck,
wie ihn sein Grossvater und Leibniz gedacht hatten, musste er ver-
schwinden. Es ist sehr w^ohlfeil, heute dem Könige deshalb Vorwürfe
vom patriotischen Standpunkte aus zu machen ; aber die Frage darf
wohl aufgeworfen werden, ob die Universalgeschichte ihm nicht
doch Recht giebt. Dass Deutschland zwei Menschenalter hindurch
eine streng kosmopolitische Epoche erlebt hat, dass der deutsche
Geist in die Schule Fluropas gegangen ist, ist von unendlichem
Segen gewesen. Und, darüber hinaus, wir haben heute mehr
denn je Grund, daran zu erinnern, dass die Wissenschaft ihrer
Natur nach kosmopolitisch ist, und dass auch die Bildung ver-
Geist und Ziele der Akademie nach Friedrich und Maupertuks. ö07
kümmert, wenn sie exclusiv als nationale gepflegt Avird. Erinnert
man sieh aber, dass es um 1746 kein Deutschland, weder ein
politisches noch ein geistiges, gegeben hat, sondern nur grössere
und kleinere Einzelstaaten mit kümmerlichen Bildungscentren, so
muss man es verstehen, dass Friedrich die Ideale des Weltbürger-
thums seinem Lande zuführen wollte, um es aus der Dumpfheit
und der Beschränktheit des Kleinbürgerthums herauszuführen. Dass
die Preussen nicht vergassen, dass sie Preussen sind, dafür sorgte
des Königs Schwert und sein Lorbeer.
Auch der praktische Zweck, den Leibniz so enge mit dem
theoretischen verbunden hatte, trat in der neuen Schöpfung zu-
rück — nicht mehr sollte die Akademie zugleich eine Hochschule
der Technik sein. Aber dafür trat die andere Vorstellung kräftig
hervor, dass die reine Wissenschaft selbst und jene neue Kunst,
Alles vorurtheilslos und nach den Principien einer gesunden Auf-
klärung zu beurtheilen, die Staatsbürger am besten auszubilden ver-
möge und zum Wohl des Gemeinwesens das Meiste beitrage. «Le
bien public« ist am besten gesichert, wenn das vernünftige Denken
regiert und die reine W^issenschaft fortschreitet — in diesem Sinne
ist die Arbeit der Akademie » praktisch « , ja die beste Praxis. Bereits
in der Vorrede zum ersten Bande der Memoires (1745) hat Formet,
zum Theil in Worten, die der König oft gebrauchte, diesem Gedanken
Ausdruck gegeben. Früher, so schreibt er — und erst seit kurzem
ist diese Zeit vergangen — , musste man den Nutzen rein theoretischer
wissenschaftlicher Arbeiten immer erst nachweisen , wenn man sich
mit einem solchen Werke hervorwagte, aber
"les choses ont bien change. L'enipire des prejuges , qui avait dejä regu
de foi-tes atteintes dans cette partie de sa doniination qui concerne rutilite des con-
naissances speculatives , est entiereinent detruit ä cet egard. On regarde aujourd'hui
un grand niathematicien , un habile physicien, un lioninie de lettres qui excelle
dans quelque genre que ce soit, on les regarde, dis-je, comme ils nieritent de
l'etre, c'est-a-dire, non-seulement comnie des gens qui fönt honneur k leur j^atrie
par la sublimite de leurs connaissances, mais comnie des citoyens utiles, sous le
2:)as descjuels naissent, ou du moins peuvent naitre les decouvertes les plus in-
teressantes pour le bien public. Je suppose donc couune une chose avouee, que
l'etablissement d"une Academie, son maintien, son accroissement, sont des objets
dignes de l'attention des souverains, et que la publication de ces savantes archives
oü les academiciens deposent et consignent h la posterite le fruit de leui's travaux,
est un des presents les plus considerables qui puissent etre faits au public."
Immer wieder machte der König selbst darauf aufmerksam,
dass die Aufgaben der Akademie und der Staatsverwaltung streng
getrennt gehalten werden müssten, und wachte eifrig darüber, dass
sie nicht vermischt wurden. Seine Akademiker sollten sich um
20*
308 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1740 — 1746).
die Wissenschaft, nicht um den Staat kümmern. Sie haben die
reine Wahrheit zu erforschen und auf allen Linien die Ideale vor-
zuzeiclmen. Sache der Staatsmänner ist es, diese Wahrheiten nach
und nach in das öffentliche Leben einzuführen und zu verwirk-
lichen. Niemals sind bei einem Könige die Männer der Wissen-
schaft so angesehen und zugleich so einflusslos auf die Leitung der
öffentlichen Angelegenheiten gewesen wie unter Friedrich.
Dass der evangelische Charakter der Societät sowie die Auf-
gabe, dem Protestantismus zu dienen und sich an der Mission zu
betheiligen, wegfielen, war in dem neuen Zeitalter selbstverständlich.
Forme Y, obgleich ein orthodoxer Theologe, spricht in seiner Ge-
schichte der Akademie nur mit A'erwunderung und einem Lächeln
von jener Bestimmung der alten Statuten. Allein wie Friedrich
selbst sich höchstens zeitweilig in seinem Gottesglauben erschüttert
fühlte , so sollte auch die Akademie keine Stätte des Atheismus
werden. Zwar durfte der Philosoph jeden Gedanken vortragen,
wenn er ihn philosophisch begründete; Niemand wurde nach seinem
Glaubensbekenntniss gefragt, und Niemand brauchte seinen Glauben
oder Unglaul)en zu verbergen — aber in Wirklichkeit hat in der
Akademie Friedrich^s zu allen Zeiten eine viel conservativere Haltung
der Religion gegenüber geherrscht, als der König selbst sie ein-
nahm. La Mettrie und d'Argens haben ihre Lehren nicht in der
Akademie vorgetragen, und der Spott Voltaire's und Friedrich's
über die positive Religion ist nicht über ihre Schwelle gedrungen,
obgleich die grosse Mehrzahl der Akademiker mit dem Könige
der Meinung war, dass die philosophische Religion, der Deismus,
die wahre und einzige sei. Sehr charakteristisch , aber mit einer
der positiven Religion freundlichen Wendung, hat Maupertuis dieser
Überzeugung in einer Rede Ausdruck gegeben.
»Le premier reglement de la societe royale portait qu'une de ses
classes devait s'appliquer ä l'etude de la religion et a. la conversion des
infideles: article plus singulier par la maniere dont il etait presente, (ju"il
ne Test peut-etre en effet. Notre reglement moderne ne charge aucune
classe en particulier de cette occupation; mais ne peut-on pas dii-e que
toutes y concourent? Ne trouve-t-on pas dans l'etude des merveilles de
la nature des preuves de l'existenee d'vin Etre supreme? Quoi de plus
capable de nous faire connaitre sa sagesse, que les verites geoinetriques ;
que ces lois eternelles par lescpielles il regit l'univers? La philosophie
speculative ne nous fait-elle pas voir la necessite de son existence? Enfin
l'etude des faits nous apprend qu'il s'est manifeste aux hommes d'une maniere
encore phis sensible; (ju'il a exige d'eux un culte et le leur a prescrit.«^
^ »Des devoirs de rAcademicien« (Formey, Hist. de l'Acad. j). 146 f.).
Geist und Ziele der Akademie nach Friedrich und Maipertuis. 309
Nicht als kirchliche Theologen sollen die Akademiker die reli-
giösen Fragen behandeln; aber sie sollen sie doch nicht ausschliessen,
ja Maupertuis scheint, wie Wolff, anzvniehmen , dass der Idealismus
und das «natürliche« System der Religion Iseweisbar seien und mit
dem christlichen Theismus der Evangelien zusammenstimmen. Ein
grosser Theil der Akademiker Feiedrich's hat sich mit religions-
philosophischen Fragen fort und fort beschäftigt. Wir sind, sagten
sie, weder abergläubisch noch ungläubig; wir leben auf einem
Boden, wo man die Grenzen der Vernunft und des Glaubens in
gerechter Weise gezogen hat, wo man jene ausbildet und diesen
respectirt. »Die Religionsphilosophie verbannen, das bedeutet, sich
auf eine Akademie der Sonnette und Madrigale zurückziehen « \
Die wichtigste Neuerung in den Statuten von 1744 und 1746
war die Errichtung einer besonderen Klasse für die speculative
Philosophie. Wie die Berliner Akademie die erste gewesen ist,
welche alle Disciplinen der W^issenschaft in sich vereinigt hat
— weil Leibniz mit scharfem Blick erkannt hatte, dass das Princip
der kritischen Forschung nicht nur auf naturwissenschaftlichem
Gebiete, sondern in allen Wissenschaften anzuwenden sei" — , so
ist sie auch die erste gewesen, welche die Pflege der speculativen
Philosophie unter ihre Aufgaben aufgenommen hat. Maupertuis
und Formet haben noch das Bedürfniss gefühlt, diese Neuerung
zu rechtfertigen. Beide fassen die Metaphysik als die Mutter und
Königin der Wissenschaften, als die Wissenschaft der Wissen-
schaften, als die Theorie, welche die allgemeinen Principien, die
nothwendigen und universalen Ideen liefert, und welche die Quelle
der Evidenz und die Grundlage der Gewissheit bildet. Beide zeigen,
dass dieses hohe Studium, von den grossen Denkern der neuen
Zeit so glücklich weitergeführt und gereinigt von dem scholastischen
Roste, aufgehört hat ein »Wörterbuch barbarischer Terminologieen«
zu sein und die grundlegende W^issenschaft geworden ist, die jeder
Disciplin die massgebenden Grundbegriffe giebt. Sie schliessen
daraus, dass eine Akademie der Wissenschaften eine besondere
Klasse für die Metaphysik einrichten und eine eigene Abtheilung
^ PRibiONTVAL in den Mein. 1761 p. 4161". Ausdrücklich verweist er dabei
auf LEiBNizens Theodicee.
^ Dazu kam, dass er letztlich von der Akademie (bez. von dem Netz von
x\kademieen, das er gründen wollte) die Herstellung einer grossen Encyklopädie
alles Wissenswürdigen oder — wie er sich auszudrücken liebte — Logarithmen-
tafeln für alle Wissenschaften erwartete.
BIO Ciescliiclitc der Akademie imter Friedrich dem Grossen (1740 — 174H).
schaffen müssf; zur Ausbildung der »rationalen« Philosophie »au
progrcs de l'esprit universel«\
"La metaphysi([ue est sans coiiti'edit la mere des autres sciences, la theorie
(lui fournit les prineipes les plus generaux, la source de l'evidence et le fondement
de la certitiide de nos connaissances. Ces Ijeaux caracteres ne convenaient ])as, a la
verite, ä la metaphysique des scolastiques, terre ingrate qui ne prodnisait gueres
cpie des i'onces et des epines. Et comme on n"en eonnaissait point d'autre, lors-
que les principales Academies ont ete fondees, on Ta laissee a l'ecart avec une
espece de dedain. et on l'a regardee comme im obstacle plutot que connne une
aide a Tetendue de nos connaissances. De grands genies, en donnant une nouvelle
culture ä cette portion de l'empire des sciences, lui ont fait revetir une tout autre
face. Au lieu d'un dictionnaire de ternies harbares , nous coinmentjoiis ä avoir une
pepiniere, oh chaque science trouve, pour ainsi dire, sa semence, et d"oü naissent
tous les prineipes, toutes les notions directrices qui nous gaident, de cpielque cote
que nous tournions nos jJas- Ajoutons que l'examen de ces matieres demande des
esprits debarrasses des entra\'es d'un certain respect sujierstitieux, qui regne dans
bien des conti-ees. ou Ton n"a pas fixe d'une maniere assez juste les limites de la
raison et de la toi . et (|ue nous nous trouvons a cet egard dans la Situation la plus
fa\'oral)le que Ton puisse souhaiter.«
So schrieb Formey in der Vorrede der Memoires von 1745. Es
war der Sieg Wolff's über die Scholastik, aber auch über Locke und
Bayle, den Formey, der Verfasser der »Belle Wolffienne« , hier ver-
kündete, und er wurde mit derselben Zuversicht und Sicherheit pro-
clamirt, die dem Halleschen Philosophen eigenthümlich war. Noch
hatte Kant nicht gesprochen!
Aber auch Maupertuis , der Schüler Newton's , scheint von der
speculativen Philosophie in mancher Hinsicht ähnlich wie ein
Wolffianer zu sprechen; doch weil er die Methoden der empiri-
schen Forschung und den Begriff der mathematischen Gewissheit
kannte, redete er viel vorsichtiger. Er rechtfertigte die Existenz
einer besonderen Klasse für speculative Philosophie in der Akademie
in folgender wohl abgewogenen Weise":
»La classe de philosophie speculative est la troisieme. La philosoj^liie experi-
mentale avait examine les corps tels qu'ils sont: revetus de toutes leurs proprietes
sensibles. La mathematique les avait depouilles de la plus grande partie de ces
proprietes. La philosophie speculative considere des objets cpii n'ont plus aucune
propriete des corps. L"Etre supreme, l'esprit humain, et tout ce qui appartient
a l'esprit est l'objet de cette science. La nature des corps memes, en taut que
rejjresentes par nos perceptions , si encore ils sont autre chose que ces perceptions,
est de son ressort.
Mais c"est une remarque fatale, et que nous ne saurions nous empeclier de
faire: Que, plus les ohjets sont interessants pour nous, plus sont difficiles et incer-
taines les connaissances que nous ^^ouvons en acquerir! Nous serons exjjoses ä
bien des erreurs, et a des erreurs bien dangereuses, si nous n'usons de la plus
^ Der Ausdruck ist von Fontenelle geprägt.
■^ »Des devoirs de racademicieu", bei Formey, llist. 11.142 f.
Geist und Ziele der Akademie nach Frieurich und IMaupertuis. ö 1 1
<>rande eirconspection dans cette science qui considere les esprits. Gardons-nous
de ci'oire qu'en v eniployant la nieme methode ou les memes mnts (ju'aux sciences
mathematiques, on y ])ai'vienne a la meme certitudc \ Cette certitiidc n'est attachee
(ju'ä la simplicite des objets que le geometre considere, qu";i des ()])jets dans les-
quels il n'entre que ce qu'il a voulu y supjioser.
Si je vous expose ici toute la grandeur du peril des speculations qui concer-
nent l'Etre supreme, les premieres causes et la nature des esprits, ce n"est pas,
MINI., que je veuille vous detourner de ces recherches. Tout est permis au philo-
sophe. pourvu qu'il traite tout avec l'esprit philosophi(|ue. c*est-ä-dire , avec cet
es]jrit (jui niesure les differents degres d'assentiment: (|ui distingue revidence. la
prcjbabilite , le doute: et qui ne donne ses speculations que sous celui de ces
differents asjiects qui leur appartient.
Si la plupart des objets (pie la j^hilosophie speeulative considere, pai'aissent
trop au-dessus des forces de notre esprit, certaines parties de cette science sont
plus a notre portee. Je parle de ces devoirs qui nous lient a TEtre su]:»renie , aux
autres lioinnies et ä nous-niemes: de ces lois auxquelles doivent etre soumises
toutes les intelligences; vaste chanip, et le plus utile de tous a cultiver! A])pliquez-y
vos soins et vos veilles: inais n'oubliez jainais, lorsque l'evidence vous niancpiei-a
qu'une aiitre luniiere aussi siu-e encore doit vous conduire^. "
Das waren die Gedanken, auf Grund deren das Departement
der speculativen Philosophie an der Berhner Akademie eingerichtet
worden ist. Fast fünfzig Jahre hindurch besass nur sie eine solche
Klasse. Vier Sitze w^aren in ihr errichtet: für Metaphysik (einschliess-
lich Kosmologie, natürliche Theologie, Psychologie und Logik),
für Naturrecht (im Unterschied vom bürgerlichen, das eben so
ausgeschlossen sein sollte Avie die positive Religion), für Moral
(Social- und Individual-Ethik) und für Geschichte und Kritik der
Philosophie. Mit Stolz blickten die Berliner Akademiker während
eines Menschenalters auf diese ihre Klasse. Wenn sie zugestehen
mussten, dass ihr physikalisches und philologisches Departement
von den Pariser Akademieen des Sciences luid des Inscriptions über-
troffen wurde, so behaupteten sie, dass ihre philosophische Klasse
eine Macht repräsentire , der nichts in Paris entspräche. »Digne
fille du grand Leibniz«, riefen sie aus, »notre Academie seule se
devoue a la science des sciences, a la recherche des principes dont
tout devrait emaner, auxquels tout va aboutir, et que Thomme est
peut-etre condamne a ignorer et cependant a chercher toujours I «
Und dem Könige sprachen sie immer wieder öffentlich den wärmsten
Dank dafür aus, dass er dem freien Gedanken und dem freien
Wort nicht nur Schutz gewähre, sondern beide liebe und fördere.
In der That, es gab in ganz Europa keine Akademie, deren Mit-
^ Die Polemik gegen Cartesius und Spinoza ist offenl)ar.
" Hier am Schluss scheint INlArPERri'is auf die positive Religion, hr.z.. auf
die christliche, zu deuten.
H12 Cieseliiclite der Ak.-ulemie unter Friedrich dein Grossen (1740— 1740).
glieder über Gott und die Welt so freimütliig reden durften, wie
die Berliner, und eben die Einrichtung einer besonderen Klasse
der Philosophie bezeugt es, dass der König, der selbst die Luft
der Freiheit athmete, nur freie Denker gelten Hess und nur solche
wollte.
"Les devoirs meme qua TAeademie vous iuipose sont-ils autre chose (|ue ce
que Taniour seul des sciences vous ferait faire? Ti'ouveriez-vous trop de contrainte
dans ]"Academie de TEurope la plus librei' Tons les phenomenes de la natiire,
toutes les sciences niatheniatiques , tous les genrcs de litterature sont soumis a vos
recherches: et des-la cette compagnie enibrasse un champ plus vaste que la plupart
des autres academies: niais il est certains sanctuaires dans lesquels 11 n'est pennis
a aucune de penetrer: votre fondateur meine, tout sublime et tout profond qu'il
etait, tout exerce qu'il etait dans ces routes [Leibniz], n'osa y conduire ses premiers
disciples ^ Les legislateurs de toutes les academies , en leur livrant la nature entiere
des Corps , leur ont interdit celle des esprits et la speculation des premieres causes :
un monarque qui a daigne dicter nos lois, un esprit plus vaste, plus sur peut-
etre aussi de votre prudence, n'a rien voulu vous interdire^. «
Auf die Forschungen der Akademie Avollte Friedrich keinen
Eintluss ausüben, aber die Sprache hat er ihr vorgeschrieben.
Zwar in den Sitzungen konnten die Abhandlungen lateinisch oder
deutsch vorgelesen werden^; aber die Sprache der gedruckten Abhand-
lungen sollte die französische sein. Maupertuis und Formey haben
sich verptlichtet gefühlt, auch diese Neuerung zu erklären und zu
vertheidigen — war doch selbst die Pariser Akademie des Sciences
erst im Jahre 1699 vom Lateinischen zum Französischen über-
gegangen. Die Weise, in der sie es gethan haben, wirft wiederum
ein helles Licht auf den Geist der Zeit:
>>0n a substitue le frangais au latin pour rendre l'usage de ces Memoires
plus etendu; car les limites du Pays latin se reserrent a vue d'oeil, au Heu que la
^ Maupertuis, obgleich eifersüchtig aul' LEiBNizens Ruhm, hat doch sein An-
denken wach ei'halten und das Genie des grossen Mannes gefeiert. Dagegen hat
der Secretar der Akademie und Schüler Wolff's, Formey. ihn todtzuschweigen
versucht und in seiner Hist. de l'Acad. theils nur das Nothdürftigste über ihn liemerkt,
theils Unrichtiges berichtet. Li seiner Rede »Des devoirs de l'academicien" bei
Formey, Hist. p. 105, sagt Maupertuis: »C'est un avantage qu'a cette com])agnie
sur toutes les autres academies de l'Europe, qu"elle a paru d'abord avec tout l'eclat
auqiiel les autres ne sont parvenues que par degres. Toutes ont eu des commence-
ments obscurs: elles se sont formees peu ä peu, etant formes leurs grands hommes:
un grand homme forma la notre. et eile fut celebre des sa naissance».
■^ "Des devoirs de racademicieu" , bei Formet, Hist. p. 139.
^ Formet 8ouv. 1 ]). 165: «Le roi n'a jainais exige que les academiciens
lussent leurs memoires en fran^ais. II est de notoriete qu'ils ont lu en allemand
ou en latin, lorsqu'ils l'ont voulu. II etait d'ailleurs naturel, tant que M. de
Maupertuis a ete president, et a paru aux assemblees de l'academie. que ceux
qui savaient un peu de fi-angais ecrivissent et lussent dans cette Langue: ce qui a
produit quelquefois des lectures tres singulieres par le baragouin des lecteurs«.
Geist und Ziele der Akademie nach Friedrich und ^Iaupertcis. olH
langue IranQaise est ä peu pres aujourd'hui dans le cas oii etait la langue grecijue
du teinps de Ciceron, on l'apprend pai-tout, on recherche avec empressement les
livres ecrits en fran^ais , on traduit en cette langue tous les bons ouvrages c^ue
rAlleniagne , on l'Angleterre produisent ; il semble en un mot qu'elle soit la seule
(jui donne aux clioses cette nettete et ce tour (pxi captivent l'attention et qui
tlattent le goiit\«
Maupertuis"' begründet zuerst aus der Natur der Akademieen,
dass sie sich einer Weltsprache bedienen müssen. Nur das La-
teinische oder das Französische könne in Frage kommen: aher
jenes sei eine todte Sprache; man könne sich hier nur der Phrasen
der alten Schriftsteller bedienen, «et des qu'on s'en ecarte, on
forme un Jargon heterogene dont l'ignorance seule empeche de
sentir le ridicule«. Das Französische dagegen ist heute in Wahr-
heit mehr die Sprache von ganz Europa als die der Franzosen.
Aber es giebt noch andere Gründe, diese Sprache zu bevorzugen:
"Ce sont la perfection de la langue meme, l'abondance que nos progres dans
tuus les arts et dans toutes les sciences y ont introduite, la facilite avec laquelle
on peut s"y exprimer avec justesse sui' toutes sortes de suJets, le nombre inoni-
brable d'excellents livres ecrits dans cette langue.«
Aber Maupertuis musste bereits einen Einwurf hören. Man
ist erstaunt, ihm schon vor der Mitte des i8. Jahrhunderts zu
begegnen :
Si l'on peut faire un reproche a notre langue, c'est celui qu'on fit ä la langue
des Romains, lorsqu"apres avoir atteint sa plus grande perfection, eile vint a perdre
sa noble simplicite pour cette subtilite vaine qu'on appelle si impi-oprement »bei
esprit". Certaines gens ne sauraient encoi^e pardonner a un auteur frauQais, d'avoir
refuse le »bei esprit« aux AUemands. S'ils savaient mieux ce qu'on entend d'ordi-
naire par »bei esprit«, ils verraient qu'ils ont peu lieu de se plaindre. Ce n'est
le plus souvent que l'art de donner ä une pensee commune un tour sententieux:
c'est, dit un des plus grands hommes de TAngleterre, >d'art de faire paraitre les
clioses plus ingenieuses qu'elles ne sont« [Baco].
Quelques auteurs allemands se sont venges en refusant aux FrauQais l'erudition
et la profondeur; la vengeance aurait ete plus juste, si, nous abandonnant le »bei
esprit« , ils s'etaient contentes de dire que nous en faisons trop de cas. 3Iais si
ces auteurs entendent par Terudition qu'ils refusent aux Frangais un fatras de cita-
tions latines, grecques et hebrafques, un style diffus et embarrasse, on leur saura
gre du reproche, et l'on s'applaudira du defaut.
Cette nettete et cette precision qui caracterisent les auteurs frauQais , depend
Sans doute autant du genie de la langue, que la langue a dependu elle-meme du
tour d'esjjrit de ceux qui l'ont parlee les premiers et qui en ont pose les regles.
Mais ce sont ces avantages qui la rendent si universelle, qui fönt qu'un monarque
dont le goüt est le suffrage le plus decisif la parle et l'ecrit avec tant d'elegance,
et veut qu'elle soit la langue de son Academie.
' FoRMEV i. d. Vorrede zu den Mem. 1745. Die Ausführung giebt Gedanken
des Königs selbst wieder, s. Koser. König Friedrich der Grosse I S. 5i2f.
"^ »Des devoirs de l'acad.« p. 144 f.
314 Cieschiclitc dei- Akademie unter Frikdrich dem Grossen (1740—174(5).
Das letzte Argument ist allerdings entsclieitlend. Der König
verlangte es, weil er die Abhandlungen seiner Akademie lesen
wollte und weil er wünschte oder voraussetzte, dass die deut-
schen Gelehrten sich doch bald dem Französischen als der Ge-
lehrtensprache anbequemen müssten^ Wäre die Frage, ob die la-
teinische oder eine lebende Sprache, erst 30 Jahre später brennend
geworden, so wäre vielleicht sclion damals das Deutsche gewählt
worden; aber um das Jahr 1746 und unter der Herrschaft eines
französischen Präsidenten musste das Französische den Sieg gewinnen.
Es ist nicht leicht, die Nachtheile und die Vortheile abzuwägen,
welche die Akademie von dieser Wahl gehabt hat. Durch die
französische Sprache trat sie in bequemeren Austausch mit den
Akademieen Europa"s und wurde namentlich in Paris beachtet und
hochgeschätzt. Den Eintluss auf die mittlere Bildung des eigenen
Landes gewann sie doch; denn theils verstand man, vor allem
in Berlin, der Stadt der Hugenotten", französisch, theils schrieben
diejenigen Akademiker, welche jenen Eintluss besassen, ihre Bücher
und populäreren Schriften in deutscher Sprache. Gewiss ist aber
■ — wir werden das in einem späteren Capitel zeigen — , dass die
wissenschaftlichen Arbeiten der Akademie von wirklicher Bedeutung
grösstentheils deutsch oder lateinisch gelesen und erst nachträg-
lich in's Französische übersetzt worden sind. Nicht die Franzosen,
sehr wenige Ausnahmen, wie Maupertüis, abgerechnet, sind die
wahren Männer der Wissenschaft in der Akademie gewesen , sondern
die Deutschen und Schweizer. Aber die Franzosen glänzten, gaben
der gelehrten Körperschaft das Lustre, und in dem französischen
Gewand schienen alle Arbeiten Hervorbringungen des französischen
^ Siehe seinen Brief an Voltaire vom Juli 1737 im Urkundenband Nr. 141.
Der König wünschte auch deshalb die allgemeine Verbreitung des Französischen,
weil er glaubte, man werde um so mehr Zeit für die Sachen haben, wenn man
sich nicht nüt Erlernung mehrerer Sprachen plagen müsse.
^ Keine deutsche Akademie ausser der Berliner hat das Französische als
Sprache angenommen: in München schrieb man deutsch und in Göttingen lateinisch;
al)er die Publicationen dieser gelehrten Gesellschaften fanden desshalb auch eine
viel geringere Verbreitung als die der Berliner. Wenn man hier das Französische
annahm, so geschah es auch deshalb, weil in der preussischen Hauptstadt ein so
hervorragender Theil der eingewanderten Bevölkerung sich seiner JMuttersprache,
des Fi'anzösischen, noch inuner bediente. Freilich — das Französische verwilderte
auch in dei- Fremde. Schon im Jahre 1761 Hess der Akademiker Prejiontval
seine satirische Abhandlung erscheinen: «Preservatif contre la corruption de la
langue fran(;;aise en Allemagnc"; sie wurde von den deutsch -patriotischen Schiift-
stellern mit Schadenfreude ü'elesen.
Geist und Ziele der Akademie nacli Friedrich und iMAUPERiris. H 1 5
Geistes zu sein. Erst die Nachwelt hat Jedem das Seine gegeben
und das Bleibende und das Vergängliche geschieden ; da ist von
den Werken der Franzosen und von den Arbeiten der philosophi-
schen Klasse nur Weniges übrig geblieben. Indessen — sie haben
Frucht geschaÖt. für ihre Zeit, und das ist auch etwas. Sie haben
nicht nur die Form und den Geschmack der Deutschen bilden
helfen, sondern auch ihren Geist geklärt und sie von manchem
Aberglauben befreit. In der Geschichte der Wissenschaft und der
Aufklärung giebt es Erkenntnisse und Kräfte, die in ihrem Zeit-
alter wie ein Evangelium gewirkt haben , aber schon in der folgen-
den Epoche wieder beseitigt werden mussten, weil sie nun hemmten
und störten.
Friedrich erwartete mit Antheil und Eifer, dass seine Akademie
blühe und Früchte trage. Alle guten Geister wünschte er ihr und
Hess einem Jeden in der Wissenschaft freien Spielraum; aber mit
der Spende irdischer Güter war er sparsam. Er meinte, der Ge-
lehrte müsse nicht nur die Freiheit und die Wahrheit, sondern
auch die Armuth lieben \ Die Fabel von dem Pferde, das foul
wurde, als man es reichlich nährte, schwebte ihm stets vor. Die
schlechten Besoldungen hemmten die Arbeit, und manche Bitterkeiten
in den Kreisen der Akademiker hat die Sparsamkeit des Königs
erzeugt; mussten doch nicht wenige unter ihnen täglich den harten
Kampf mit der Notli bestehen; andere verliessen die Akademie und
Berlin ! Aber über alle diese Stimmungen siegte in den Herzen der
Meisten das erhebende Gefühl, einem Könige zu dienen, der Freiheit
gewährte. Wie hatten doch ein Richelieu und Ludwig XIV. sogar die
vierzig Unsterblichen eingeschränkt! Wie mussten sie als Höflinge und
Sclaven nach dem Willen des Mächtigen denken und dichten, reden
und schreiben! Die Berliner Akademiker wiederholten dem gegen-
über mit Stolz, dass sie weder vom Hof noch von der Sorbonne,
weder von Sans-Souci noch von einem Consistorium abhängig seien,
dass sie für ihre Memoires nicht die Approbation von zwei Doctoren
der Theologie nöthig hätten , dass sie ihre Sitzungen nicht mit
einem Stossgebet an Jesus Christus zu schliessen brauchten oder
mit einem Gebet für den König, wie das in der französischen Aka-
^ An DE Catt schrieb der König 1764 (CEuvres T. 24 p. 19): »Les gens de
lettres deviennent, a la honte du siecle, aussi avides d'interet que les financiers.
Ce ToussAixT n'a rien ä Bruxelles, et refuse 500 ecus, qu'on lui offre avec une
place ä l'Academie. Ce siecle philosophique est tres-peu philosophe«.
Hl 6 Geschichte der Akademie unter Frikdrkii dem Grossen (1740— 174()).
demie gcsclichen musste. Sie beglückwünschten sicli, dass sie in
dem vollem Besitze jenes republicanisehen Geistes waren, dessen
Erhaltung Fontenelle für seine tlieure Akademie so heiss begehrte.
Ganz frei stand ihnen die Wahl der Themata, und sie durften
über sie reden, wie sie wollten; nur im Sinne der Wissenschaft
sollten sie sprechen, »avec cette espece de sentiment du vrai qui
le fait decouvrir partout oii il est, et empeche de le chercher oii
il n'est pas«.
Fontenelle gratulirte im Jahre 1750 der Akademie, weil sie
allein vor allen anderen Akademieen einen grossen König zum Vater
habe, «und einen so zärtlichen Vater«. Der Zusatz ist wenig
passend; zärtlich ist Friedrich niemals gewesen; er blieb der König,
arbeitete für seine Akademie inid schützte sie, wenn sie Schutz
bedurfte \ Und auch jener Freiheit, die ein Maupertuis so hoch
pries, waren doch sehr bestimmte Schranken gezogen. Nicht die
Freiheit des selbständigen Mannes in einem freien Gemeinwesen
galt, sondern der Denker hatte das Recht, frei zu philosophiren
in einem absoluten Staat, dessen Herrscher ein aufgeklärter Pliilo-
sopli war. Lessing's vernichtende Charakteristik der »Berlinischen
Freiheit« — »Sagen Sie mir von Ihrer Berlinischen Freiheit zu
denken und zu schreiben ja nichts; sie reducirt sich einzig und
allein auf die Freiheit, gegen die Religion soviele Sottisen zu Markte
zu bringen, als man will. Lassen Sie es aber doch einmal Einen
versuchen , ül)er andere Dinge frei zu schreiben ; lassen Sie es ihn
versuchen, dem vornehmen Hofpöbel die Wahrheit zu sagen; lassen
Sie einen in Berlin auftreten, der für die Rechte der Unterthanen,
der gegen Aussaugung und Despotismus seine Stimme erheben wollte,
und Sie werden bald die Erfahrung haben, welches Land bis auf
den heutigen Tag das sclavischste von Europa ist« — diese Charak-
teristik ist stark übertrieben, aber doch nicht falsch. Die Luft der
Freiheit wehte in Preussen noch nicht. Die Freiheit aber, welche der
Akademie gewährt war, konnte jene nicht ersetzen; ja selbst die
Wissenschaft musste allmählich verkümmern ; denn erst in der poli-
tischen und socialen Freiheit ist die intellectuelle wirklich gewährleistet.
^ Vor allem in dem Handel zwischen Maupertuis und Voltaire; aber wie
wahrhaft königlich ist er für sie auch in dem Brief an Gresset gegenüber dem
Director der französischen Akademie eingetreten (28. Dec. 1748, QEuvres T. 20 p. 6)!
Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1746—1786). ol /
Zweites Capitel.
Der König und seine Akademie. Die äussere Geschichte
der Akademie 1746-1786.
1.
In einem Actenstück des Akademischen Archivs, das hald nach
dem Tode Friedrich's des Grossen entstanden ist, heisst es: »Es
sind während des Präsidii des Hrn. von Maupertuis wenig oder gar
keine Papiere gesammlet und aufbehalten, mithin sind die Acten
von diesem Zeitraum äusserst mangelhaft ^(. Maupertuis hielt dem
Könige in der Regel mündlichen Vortrag und ordnete dann in den
Sitzungen das Notlüge an. Unsere Kenntniss der Verwaltung der
Akademie unter diesem Präsidenten müssen wir daher grösstentheils
aus seinem Briefwechsel mit dem Könige und mit zahlreichen andern
Gelehrten schöpfen".
So nahe hat Friedrich der Grosse der Akademie später nicht
mehr gestanden wie in den Jahren 1746-53. In dieser Zeit be-
trachtete er sich selbst als »Academicien« , nannte sich auch so,
sprach in den Briefen an Maupertuis von »unserer« Akademie^ und
war der lleissigste und beste Arbeiter in der Klasse des Belles-
Lettres. Aber man würde sich ein sehr falsches Bild machen, wenn
man sich den König vorstellte umgeben von seinen Akademikern
und im persönlichen Austausch mit ihnen. Er ist niemals in
eine Sitzung gekommen, weder in eine öffentliche noch in eine
^ Hinzu kommt noch — und dadurch ist das Archiv auch für die Zeit vor
und nach INIaupertuis nicht ganz vollständig — , dass die napoleonischen Franzosen
Stücke aus ihm verschleppt oder vernichtet haben. In der Einleitung zu den Aka-
demischen Abhandhingen 1804/11 heisst es: «Wenn hie und da der Vollständigkeit
dieses Berichts und seiner Belege etwas abgeht, so ist es Folge der VerStreuung
und theilweisen Vernichtung des akademischen Archivs durch den zweimaligen ge-
waltsamen Einbruch, der während der feindlichen Besetzung der Hauptstadt geschah«.
^ Der Briefwechsel zwischen dem König und Maupertuis findet sich im Geh.
Staatsarchiv (in den QEuvres sind nur ein paar Briefe abgedruckt); den Briefwechsel mit
einigen Gelehrten hat Le Sueur (»Maupertuis et ses Correspondants.« Paris 1897) —
leider sehr fehlerhaft — herausgegeben. Unter diesen Briefen befinden sich einige
von Maupertuis an den König mit den Antworten des Königs, die im Staatsarchiv
felilen. Sie sind im Urkundenband Nr. 169 abgedruckt. Grobe Fehler sind still-
schweigend corrigirt.
^ Doch nennt er sie fast noch häufiger »Euere« Akademie, um ^Maupertuis
zu bezeugen, dass er volle Gewalt in der Akademie habe.
H18 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (174G— 1786).
geschlossene', sondern er liat seine Abhandlungen und Eloges von
Anderen vorlesen lassen. Auch empfing er die grosse Mehrzahl der
Akademiker nicht bei sich. Fokmey z. B., der beständige Secretar,
hat die erste Audienz im 39. Regierungsjahr Fkiedrich's gehabt und
hat ihn dabei zum ersten Male gesprochen "■. Erst in den letzten
Jahren, etwa seit 1779, hat der Monarch, nachdem er das Interesse
an der Musik verloren hatte, diesen oder jenen Akademiker zu sich
befohlen^. Der Kreis, der in Potsdam seine Umgebung bildete,
und der Berliner Kreis der Akademiker waren getrennt*. Dort ver-
kehrten einzelne bevorzugte Generale und Minister, ferner die beiden
Schotten Keith, weiter Chazot, Rothenburg, Algarotti, Fouque,
PöLLNiTZ, Darget, d'Argens, Maupertüis, LA Mettrie uud zeitweilig
Voltaire. Die Beziehungen der Person des Monarchen zur Akademie
hielt erst Maupertüis, dann d'Argens aufrecht; aber der letztere ist,
obgleich er Director der Klasse des Beiles -Lettres war, höchst selten
in die Sitzungen gekommen^; die übrigen Tischgenossen Friedrich's
kamen nie oder nur in die Festversammlungen. In den letzten
achtzehn Jahren fehlte jedes persönliche Mittelglied zwischen dem
Monarchen und der Akademie. Der König liess ihr durch de Catt
und Andere seine Verfügungen zukommen ; nur Merian sprach er
öfters, ohne ihn jedoch zum Vertrauten zu machen.
Maupertüis besass die Gunst und das Vertrauen des Königs*'
in unbeschränktem Maasse — »Vous etes le pape de notre Aca-
demie« — und hat dasselbe nie getäuscht. »Das griesgrämigste
Gesicht, welches ich in meinem Leben gesehen habe": dabei aber
^ Aber er hielt darauf, dass die k()nigiichen Prinzen die öffentlichen Sit/Aingeii
besuchten, sah es auch gerne, wenn fürstliche Personen und auswärtige Diplomaten
und Celebritäten seine Akademie ehrten, em])fahl ilmen den Besuch und wies die
Akademiker an, sie feierlich zu empfangen.
^ Allerdings hatte der König von Formky eine sehr geringe Meinung; aber
auch liessere Gelehrte haben den König nie oder nur ganz selten gesprochen.
^ Siehe Denina, La Prusse litt. II p. 53.
* Nur von jenem, nicht von diesem gilt die Schilderung Voltaire's: »Jamais
on ne parla en aucun lieu du monde avec tant de liberte de toutes les suj^erstitions
des hommes, et jamais elles ne furent traitees avec plus de plaisanterie et de mejji'is!
Dieu etait respecte, mais tous ceux qui avaient trompe les hommes en son nom
n'etaient pas epargnes".
•* Das zeigen die Sitzungs- Protokolle.
^ Als ein unbekannter Feind. Maupertüis' in eine Kölner Zeitung die Nach-
richt einrückte, der Präsident sei in Ungnade gefallen und müsse die preussischen
Staaten verlassen, interessirte sich der König für eine energische Berichtigung , die
auch ei-schien (Juni 1749, Geh. Staatsarchiv).
" INIaupertüis war Choleriker und Pessimist. Seinen oft wiederholten Satz,
dass "la somme des maux surpasse celle des biens« hat sich Friedrich später an-
Die persünlicheu Beziehungen des Königs zu Mat-peritis und der Akademie. 319
ein ehrlicher Kerl, brutal ehrlich. Nachgehen wollte er nie. Von
Voltaire's Liebenswürdigkeit eine Million Meilen entfernt. Aber
was das Herz anlangt, so ist der Lappländer Maupertuis ein Jahr-
hundert von dem Affen Voltaire entfernt «^ Der Grundzug der
Ehrlichkeit neben der Fähigkeit, durch schlagfertige Antworten die
Conversation zu beleben , musste freilich für Vieles entschädigen,
wodurch der grosse Gelehrte sonst lästig fiel. Wie Alexander von
Humboldt jede Gesellschaft mit seiner amerikanischen Reise unter-
hielt, als wäre er eben erst von dort zurückgekehrt, so kam Mau-
pertuis zeitlebens »vom Pol« zurück, und das Selbstgefühl, »der
Erde ihre Gestalt gegeben zu haben« , sprach er in einer so drasti-
schen Weise aus, »als habe er die Pole selbst abgeplattet«. Jeden,
der seine wissenschaftliche Majestät antastete, betrachtete er als
abscheulichen Feind — in seinem maasslosen Ehrgeiz der echte Epi-
gone der Renaissance, der nur in einer Wolke von Ruhm zu leben
vermochte"', dabei schrullenhaft und sich in Excentricitäten gefallend.
Er kleidete sich seltsam, verblüffte durch Paradoxieen und über-
spannte Einfalle und sorgte auch dafür, dass von seinem häuslichen
Thun und Treiben — er hatte allerlei Thiere um sich , um stets
der »Naturforscher« zu sein — gesprochen wurde. Aber über alles
das sah Friedrich hinweg; er besass den ersten Gelehrten Europa's,
er schätzte das Gespräch mit ihm als gehaltvollste Erholung^, und
geeignet (s. die Briefe an d'Argens vom i. und 27, März 1759, Qi^uvres T. 19 p.5. 61,
xuid sonst).
^ Gespräche Friedrich's des Grossen mit H. de Catt (deutsche Ausgabe)
Leipzig 1885, S. 30 Nr. 9.
^ Chr. Wulff, der ebenso selbstbewusst wie jMaupertuis war imd im Grunde
diesen geringschätzte — obgleich er ihm versicherte, seine Liebe sei ihm theurer als
Gold und Silber — , hatte es bald heraus, wie man an ihn zu schreiben habe. In
einem Brief vom 18. Juli 1747 (Le Sueur p, 433) giebt er nicht undeutlich zu
verstehen, dass er mit Maupertuis ein Compagniegeschäft des Ruhms auf Gegen-
seitigkeit begründen wolle: »Gi^atias tibi maximas habeo, vir summe, quod famae
meae studere velis . nee permittere ut quicquam publicetur quod eamdem laedere
possit". Es handelte sich um die Kritik LEiBNizens und seiner Philosophie (die
Monadenlehre) , namentlich um Euler's ablehnende Haltung zu ihr. Über diesen hatte
der Philosoph am i. Juli 1747 an Maupertuis einen bösen Brief geschrieben (p.429),
in dem er sich sogar zu Verleumdungen der Gegner der JMonadenlehre fortreissen
liess: "Quis famae suae adeo negligens est, ut eam alii committere velit, aut aequo
animo ferre potest ut sibi praeferatur homo ad cavillanduin et conducendum [?] con-
ductus, cuius pennam venalem fecit paupertas». • — -Wie man an Maupertuis schrieb,
zeigt auch der Brief des Herzogs Karl von Braunschweig an ihn (vom 13. März
1752, Geh. Staatsarchiv): »Un savant qui instruit Tünivers apres l'avoir mesure«.
^ Selbst der Conversation mit Voltaire zog er es auf die Dauer vor, s. den
Brief an die jNLarkgräfin von Bayreuth (2. Februar 1751, (Euvres T. 27, i p. 200 f.):
820 (icsc'hichtc (lo)' Akademie unter Friedrich dem (irossen {174H— ITSH).
er kannte ihm g-egenüber keine andere Verpflichtung, als ihn sich
um jeden Preis zu erhalten'.
In den ersten Jahren hat Maupertuis Alles gethan , um die
Akademie zu heben. Zunächst nahm er in der Zeit bis 1751 nicht
weniger als 80 Auswärtige als Mitglieder auf, d. h. er versammelte
wirklich die grössten Gelehrten Europas um sie. An die Deutschen
dachte er dabei kaum ; aber es fanden sich auch in Deutschland
nur wenige , die sich mit den Pariser und Londoner Gelehrten als
Schriftsteller messen konnten. Die Aufnahme wurde als die höchste
Ehre geschätzt; denn Friedkich's Name war aiif Aller Lippen, und
die Berliner Akademie war seine Akademie. DmEnoT, der seit
1751 mit d'Alembert die Encyklopädie herausgab, der vielseitig
gebildete und liebenswürdige Freigeist, setzte zu seinem Namen
lediglich die Worte: »de TAcademie Royale des Sciences et des Belles-
Lettres de Prusse«. Andere schrieben, Leibniz würde sich trösten
über den zeitweiligen Verfall seiner Akademie, wenn er jetzt Zeuge
ihres rapiden Aufschwungs wäre"^. Vor allem strahlte die Schöpfung
Friedrich's, weil die aus anderen Ländern von dem Absolutismus
oder Fanatismus vertriebenen Gelehrten hier Schutz fanden. Die
Akademie galt besonders als Freistätte und als Burg gegenüber der
Litoleranz der Kirchen — sie war wie Potsdam »le tripot d"ex-
communies« — , und Männer wie d'Argens sorgten dafür, dass dieser
Ruhm sich verbreitete, mehr als der gelehrten Gesellschaft lieb war.
Nach dem Erscheinen der ersten beiden Bände der Encyklopädie
dachte d'Alembert daran, das Werk in Berlin erscheinen zulassen,
um sich vor unliebsamen Folgen in seiner Heimath zu schützen.
»A In longue, j'aime mieux vivre avec Maupertuis qu"avec Voltaire. Son caractere
est sür, et il a jjlus le ton de la conversation que le poete, qui, si vovis y avez
bien pris garde, dogmatise toujours".
^ Und — gesund zu ei'halten. Die Stellen in den Briefen des Königs, die
von dem Befinden Maupertuis' handeln, würden zusammen gedruckt mehr als einen
Bogen füllen. Unter anderem hat er ihm wiederholt gegen sein Magenübel den
Gebrauch von Ammenmilch angerathen. In Ernst und Scherz spricht er die Sorge
für seinen »Newton« aus. Einmal schickte er ihm Verse und beschloss sie mit dem
Ausmif: »Icli bin hoch erfreut, zu wissen, dass es Euch besser geht; ich fürchte
nur, dass ihr ein Recidiv bekommen werdet, wenn Ihr meine Verse lest« (Decein-
ber 1746). oder; »Ich werde mich mit der Akademie überwerfen, wenn sie Euch
krank macht« (13. Februar 1747).
^ In dem oben citirten Brief des Herzogs von Bi'aunschweig. — Friedrich
war übrigens mit dieser grossen Anzahl auswärtiger Mitglieder nicht ganz einver-
standen; »ich will lieber an ihrer Stelle ein paar gute einheimische Mitglieder
haben« (Brief an 3Iaupertuis vom 4. März 1747).
Aiitnalinie auswärtiger Mitglieder. o2l
Die Aufnahme berühmter Männer, wenn sie in Berlin anwesend
waren , geschah nach dem Muster der Pariser Akademie unter be-
sonderen Feierlichkeiten, Der Erste, den man so begrüsste, war
der Marquis de Paulmy d'Argenson, der auf einer Reise im Winter
1747 nach Berlin kam. Er hielt in der Sitzung am 2. Februar eine
steife Rede «Sur la necessite d'admettre des etrangers dans les Societes
litteraires « , die Maupertuis in schmeichelhaftester Weise beant-
wortete. Die zweite ööentliche Reception fand am 18. Juni 1750
statt. Es waren von Marschall und der junge französische Verse-
schmied d'Arnaud, die »aufgehende Sonne«, der Rivale Voltaire"s,
die eingeführt wurden und sprachen. Beide feierten den König.
Bald darauf hielt der Spanier de lasTorres seine Dankrede (i . October)
und suchte seine erstaunten Hörer zu belehren, dass die Philosophie,
die Jurisprudenz , die Geschichte und die schönen Wissenschaften
nicht nur im letzten Jahrhundert in seinem Vaterland in Flor gestan-
den hätten, sondern noch immer blühten. In Gegenwart Maüpertuls",
Eulers und dArgens', vielleicht auch vor den Ohren La Mettries
wurden die jesuitischen Scholastiker gefeiert, freilich mit einer
brillanten Restriction, die doch Jedem gestattete, über sie zu denken
wie er wollte. »Vous y trouverez une metaphysique subtile, oii
Tesprit prend un essor qui devient ä la verite souvent un vol
dicare, mais qui ne laisse pas cependant de montrer une grande
force de genie, dans ceux meme dont les chutes sont celebres.
Si nos Molinas, si nos Suarez et tant d'autres genies profonds que
l'Espagne a nourris, n"ont pas trouve la verite, c'est plutot pour
avoir ete au delä, que pour etre demeures en arriere\« Immerhin
ist diese Rede ein Beweis, dass die Akademie in schrankenloser
Universalität allen anderen überlegen war: in ihrer Mitte steht ein
La Mettrie als College neben Süssmilch, dem streng orthodoxen evan-
gelischen Geistlichen, und vor ihnen rühmt ein Spanier die wissen-
schaftliche Grösse seines Vaterlandes und der spanischen Jesuiten!
Aber nicht nur durch Universalität und Freisinn zeichnete sich
die Akademie Friedrich's vor allen aus: von den ernsteren Ge-
lehrten wurde auch anerkannt, dass sie nicht, wie die Mehrzahl
der modernen Akademieen, so sehr von der »fureur du bei esprit«
ergrifien sei, dass sie nur schöne Phrasen drechsle. Hier wurde
' Diese Reden sind in den Memoires und in Formey's Hist. de l'Acad. p. 119 fr.
gedruckt. Von Argenson sagt Friedrich (Brief an Maupertuis vom 13. Februar
1747), er habe »infiniment plus d'esprit que de figure et de connaissances que
d"annees".
Geschichte der Akademie. I. 21
322 Cicscliiclitc der Akiideinie unter Friedrich dem Grossen (1746 — 17S6).
wirklich gearbeitet, und darum galt das Diplom der Berliner Aka-
demie als die beste Empfehlung zur Aufnahme in andere Akademieen \
Maupertüis nahm die auswärtigen Gelehrten nicht deshalb auf,
um mit ihnen Staat zu machen, sondern er wünschte ihre Mitarbeit"^.
Zwar gelang es ihm nicht, Wolff"s Feder für die Memoires zu
gewinnen — der Hallesche Philosoph schrieb nur dicke Bücher und
stellte sich über jede wissenschaftliche Gesellschaft — , aber er
brachte doch eine stattliche Zahl von auswärtigen Gelehrten zu-
sammen, welche den ordentlichen Mitgliedern halfen, den Abhand-
lungen der Akademie Gehalt und Glanz zu geben. Niemals wieder
im 1 8. Jahrhundert haben so viele Ausländer in den Memoires ge-
schrieben wie in dem Decennium von 1746— 1755. Gleich der
Jahrgang 1746 brachte Beiträge von d'Alembert, d'Argenson, Con-
DAMiNE, Lerch (meteorologischc Beobachtungen aus Astrachan) und
Krafft; d'Alembert blieb den Memoires treu und liess fort und
fort mathematische Abhandlungen in ihnen erscheinen. Ausser
diesen Gelehrten schrieben Daniel Bernoulli, de Lalande, Cassini,
Raynal, Sam. König u. A. Auch «vornehme Herren« lieferten Beiträge.
Graf H. C. Keyserlingk veröffentlichte 1748 »Recherches sur Tabro-
gation du droit d'elire un roi des Romains, faussement imputee
^ Besonders lehrreich ist liier der Brief de Tressan's an Maupertüis aus dem
Jahre 1754 oder 1755 (Le Sueur, p. 345 f.): »Je suis au milieu de la societe de Nancy
comme ('assandre au milieu des Troyens. Je crie en vain pour exciter a quelque
travail utile, la fureur du bei esprit les a gagnes: ils sont occupes uniquement
a tourner des phrases, et si je ne m'etais oppose a l'impression d'un recueil pret
a paraitre, on eüt fait voyager en Europe un voluine plein de discours supportables
a peine dans mie classe de rhetorique: rien d'interessant pour les sciences de fait;
eniin je vois avec douleur que cette societe aura bien de la peine ä sortii- de son
bei'ceau et c'est un enfant piaillard que je suis bien ennuye de bercei-. Je ne suis
pas etonne que les societes etrangeres croient Sa Majeste prussienne infaillible et
son President de l'academie de Berlin. L'honneur (pie j'ai regu en etant admis
dans cette celebre compagnie. est le seul titre que je me reconnaisse pour etre
elu pai- Celle d'Edimbourg«. Auch Haller spricht in einem Brief an Maupertüis
(12. October 1749, Le Sueur p. 182 f.) von der »Academie celebre, dont les occupations
sont plus relevees et moins penibles que Celles d'une universite«, und Kaestner
(18. März 1750, Le Sueur ]). 278) nennt die Berliner Akademie »la plus illustre dans
la republique des lettres". Vergl. auch Denina, Essai sur la vie et le regne de
Frederxc IL (1788) p. 242.
- Auch auf methodisches Zusammenarbeiten mit der Pariser Akademie ist
Maupertüis bedacht gewesen; namentlich interessirte er sich dafür, dass sich er-
gänzende, gleichzeitige astronomische Untersuchungen an verschiedenen Punkten der
Erde angestellt würden. »11 avait dresse pour cet effet le projet d'un voyage en
Ii'lande« , schreibt Formey in dem Eloge auf ihn, Mein. 1759 p. 487, »et ce fut lui qui
proposa a l'academie des sciences de Paris, d'envoyer M. de Lalande a Berlin, oü il
vint en eftet, et fit a notre obsei'vatoire les observations correspondantes acelles du Cap«.
Die o^leinoires" der Akademie. 323
a Tempereur Henri VI.«, der junge E. F. von Hertzberg, der 40 Jahre
später Curator der Akademie werden sollte, schrieb über die alten
Wappen der Markgrafen von Brandenburg (1752), und der damalige
Curator Graf Redern publicirte seine »Considerations sur le globe«.
Waren bereits die «Miscellanea« der alten Societät in der wissen-
schaftlichen Welt stets, geschätzt gewesen, so wuchs der Ruhm der
»Memoires« weit über sie hinaus, zumal da man in jenen ersten
zehn Jahren fast in jedem Bande eine Abhandlung oder ein Eloge
von Friedrich selbst erhielt. Auf den Schreibtischen der Gelehrten
und auf den zierlichen Tischen der Prinzessinnen und der Damen
von Welt lagen die Quartbände der Akademie ; ungeduldig wurde
das Erscheinen des neuen Jahrgangs erwartet. War ihr Franzö-
sisch auch nicht untadelig — es wurde darüber manche spöttische
und nicht ungerechtfertigte Bemerkung gemacht^ — , so war es doch
^ Maüpertuis musste bald einsehen, dass nicht wenige Abhandlungen durch
die Übersetzung in's Französische verloren — abgesehen davon, dass einige stümper-
haft und falsch übersetzt wurden. Er fragte deshalb bei dem König an (22. Juli
1748, ffiuvres T. 17 p. 337f.), ob nicht die chemischen Abhandlungen lateinisch er-
scheinen dürften, da die Chemie in dieser Sprache eine feste, in Deutschland ge-
läufige und unmissverständliche Terminologie besitze, und da die Übersetzer die
termini technici nicht kennten. Er lässt dabei einfliessen, dass auch andere Abhand-
hmgen einen Theil ihi'es Werthes an dem schönen lateinischen Stil besässen. und
dass ihre Verfasser sie in dieser Sprache gedruckt sehen möchten. Er meint, man
könne ja daneben ein französisches Resume geben, und könne es mit deutsch ge-
schriebenen Abhandlungen ebenso halten. Man sieht, Maüpertuis ist durch harte
Thatsachen von der Alleinherrschaft des Französischen zurückgekommen. Aber der
König muss das Gesuch abschlägig beschieden haben; denn in den Memoires er-
scheint auch in der Folgezeit ausschliesslich die französische Sprache. — Einen
heftigen Angriff gegen die Akademie und gegen Maüpertuis richtete Gottsched in
seinem Journal, weil die Akademie zur fi-anzösischen Sprache übergegangen sei und
in der Philosophie Sätze zulasse, die von den seinigen abwichen. Maüpertuis' Ex-
pedition an den Pol nannte er dabei »une de ces bagatelles dont la vanite francjaise
tirait gloire pour avoir decouvert une chose que Newton et Huygens avaient sue
longtemps auparavant«. Li liebenswürdiger Weise suchte ihn als »laudator temjDoris
acti« Kaestner bei Maüpertuis zu entschuldigen in einem Briefe von 15. April 1750
bei Le Si'eur p. 281. — Zu Klopstock's und Lessing's Urtheilen über Friedrich's
Bevorzugung des Französischen s. Koser, a. a. O. S. 513. In den Acten der Akademie
überwiegt das Deutsche übrigens noch bis etwa 1768; die volle Herrschaft des Französi-
schen gilt erst für die Jahre 1768 — 1790. Doch brach in den letzten Jahren Friedrich's
und unter Friedrich Wilhelm IL das deutsche Selbstgefühl durch. Damals riclitete
BüscHiNG (Charakter Friedrich's IL 1788 S. 74. 78) seinen scharfen und ungerechten
Angriff gegen den längst verstorbenen Maüpertuis: «jMaupertuis war ein seichter und
eben deswegen ein hochmüthiger Gelehrter . . . der König hat sich gleich in der
Wahl des ersten Präsidenten geirrt; denn Maüpertuis war nicht der Mann, der
die Akademie gut einrichten, verständig regieren und zu einem gegründeten und
vorzüglichen Ansehen erheben konnte. Sie ward gleich im Zuschnitt verdorben
und wurde zu Deutschlands Scliimpf und zu der preussischen Länder Schaden eine
21*
824 Geschichte der Akiuleiiiie unter Friedhich dem Grossen (1740—1786).
Französisch'! Männer von wissenschaftlichem Ansehen als ordent-
liche Mitglieder nach Berlin zu ziehen, war ferner eine Hauptsorge
Maupertuis". Der König liess ihm freie Hand, aber an den noch
knapi)en Mitteln der Akademie scheiterte manche Berufung. Friedrich
gewährte zwar ein paar Mal einige hundert Thaler aus seiner Privat-
chatulle, aber er erklärte seinem Präsidenten, die Sorge für die In-
validen und für die Colonisation in den Provinzen müsse vorgehen'.
Vergebens bemühte sich Maupertuis, den grossen Physiologen und
Dichter A. von Haller aus Göttingeii für Berlin zu gewinnen^. Ebenso-
wenig gelang es, Kaestner zu überreden, Leipzig mit Berlin zu A^er-
tauschen*. Aber der tüchtige Anatom Meckel, der Schüler Haller"s,
französische Akademie, bei welcher französische und italienische Gelehrte einen be-
trächtlichen, deutsche Gelehrte a,ber entweder einen geringen oder wohl gar keinen
Geldwerth hatten, und der Titel »Academicien.' an und für sich selbst gab weder
in der sogenannten grossen, noch in der gelehrten Welt einen Rang". [Letzteres
mag zu Büsching's Zeit der Fall gewesen sein, zu Maupertuis' Zeit war es anders,
s.oben]. Büsching erscheint als ein incompetenter Beurtheiler; denn er sagt (a. a. 0.),
FoRMEY ha.be Alle an Gelehrsamkeit übertroffen und bis an seinen Tod des Königs
Gunst genossen.
' Siehe das Schreiben des Herzogs von Orleans an Maupertuis vom 5. Sep-
temljer 1749 (Geh. Staatsarchiv).
- Siehe den Brief vom Januar 1747 im Geh. Staatsarchiv, und die Briefe im
Urkundenband Nr. 169, i und 2: »Le roi est j^auvre«, schreibt er am 5. Juli 1747,
"comme un rat d'eglise; il etablit grand nombre de colonies de paysans; lorsque
Celles -ki sont poui'vues, on pensera aux astronomes«.
^ P"ür Haller's Berufung interessirte sich der König selbst auf's Lebhafteste,
s. Urkundenband Nr. 169. 2. 4 und Le Sueur p. 180 ff. ; sie spielte im Herbst und
Winter 1749/50. Ob IVIaupertuis Haller's Übersiedelung mit rückhaltslosem Eifer
betrieben, ob er nicht in ihm einen gefährlichen Rivalen gesehen hat, darf man
fragen. Ganz präcise Bedingungen sind Haller nicht vorgelegt worden. Dieser
stellte freilich hohe Anforderungen; u. A. wollte er Curator sämmtlicher Universitäten
werden und ein bedeutendes Gehalt beziehen. Doch im Grunde strebte er in die
Schweiz zurückzukehren. Die Correspondenz bricht ab und wird dann wieder, am
10. November 1751. von Haller aufgenommen, der sich in würdigster Weise bei dem
Präsidenten über La JMettrie beschwert. Dieser hatte in einer Lügenbroschüre
einen Bubenstreich gegen den grossen Gelehrten verübt, der ihn für immer unter
anständigen Leuten hätte unmöglich machen müssen, wäre er nicht bereits am
11. November gestorben. Maupertuis* Antwort an Haller (Le Sueur p. 440 ff.)
ist niclit befriedigend. Er sucht das empörende Gebahren seines Landsmanns —
auch La Mettrie stammte aus St. Malo — durch den Hinweis auf dessen Haltlosig-
keit und Gutmüthigkeit abzuschwächen.
* Auch Kaestner war wie Haller ein hervorragender Gelehrter (JNIathe-
matiker) und ein Dichter. Es ist charakteristisch, dass Friedrich und Maupertuis
nach solchen wissenschaftlichen Männern in Deutschland Umschau hielten, die »zu
den beiden Reichen gehörten , dem der schönen Künste und dem der Wissen-
schaften" (Friedrich an Maupertuis 16. August 1747). Man erwartete von ihnen
Wissen, Esprit und eine gefällige Formgebung. Maupertuis hätte Kaestner gerne
aus Leij)zig nach Berlin gezogen (1750, an Passavant's Stelle); aber die Berufung
Berufungen. Hervorragende Mitglieder der Akademie. 62')
kam ; durch Lieberkühn und ihn war die anatomische Disciphn nun
glänzend vertreten. Die älteren Mediciner, die Maupertuis sammt ihrer
Kunst gering schätzte, wurden mit dem Abschied bedroht, wenn sie
nicht mindestens alle zwei Jahre eine Abhandlung läsen. Eine könig-
liche Ordre vom 26. August 1749 verfügte dann generell, dass jeder
Akademiker, der nicht seine jährliche Abhandlung liefere, in den
Stand der »Veteranen« übergehen und seine Pension verlieren solle \
»Unsere Chemiker stechen alle Chemiker Europas aus"'; unsere
Mathematiker können es mit den Mathematikern aller anderen Aka-
demieen aufnehmen^; unsere Astronomie, ausgestattet mit guten
Instrumenten, fängt an sich zu entwickeln*; aber unsere beiden
scheiterte an dem geringen Gehalt und an dem Wunsche Kaestner's, in seinem Ver-
wandtenkreise zu bleiben (Le Sueur p. 272!!'. 2841?.).
^ Maupertuis hatte sich darüber beklagt, dass die älteren Mediciner keine
Abhandlungen läsen und auch nur selten in den Sitzungen erschienen. Darauf
schrieb der König zurück (Winter 1748/49, Le Sueur p. 86, Urkundenband
Nr. 169. 2): »II faut faire une loi par laquelle un academicien qui dans deux
ans n'aura pas lu de memoire, n'etant point empeche du tra.vail par la maladie,
sera raye«. Aber bereits am 26. August 1749 (s. Akad. Protokolle) erschien folgende
Cabinets- Ordre, in welcher nicht mehr von zwei, sondern nur von einem Jahr
die Rede ist: »Le roi etant informe du peu d'exactitude que quelques academiciens
apportent a remplir leur devoir, m'a ordonne de faire savoir k Tacademie, qu'il
avait decide irrevocablement que tous ceux de ce corps, tant pensionnaires
qu'associes ordinaires, qui passeront un an sans y produire aucun memoire, seront
ranges dans l'ordre des veterans , et que leiirs pensions, s'ils en ont. seront sup-
pi-imees et rentreront dans les fonds de TAcademie, afin que S. Maj. en dispose en
faveur de ceux qui par leurs travaux meriteront des encouragements et desrecompenses.
Maupertuis."
^ Zu ihnen (Pott, Marggraf) kam im Jahre 1754 der ausgezeichnete Che-
miker und Geologe Lehmann.
^ Mit Vorschlägen, die Zahl der Mathematiker imd Geometer zu vermehren,
musste Maupertuis zurückhaltend sein ; denn es war bekannt, dass der König kein
Freund der Mathematik war und gerne auf die Mathematiker stichelte — er hatte
sie, wenn sie sonst nichts trieben als Mathematik, in Verdacht, etwas verdreht zu
sein; doch zählte er einen Euler zu den wenigen grossen Männern des Zeitalters
(Brief an Maupertuis vom 3. Juli 1756). Von Maupertuis behauptete er, er habe
ein unersättliches Verlangen nach neuen Curven. »Ihr Mathematiker erhebt euch
gleich Adlern in die Wolken , aber auch die am Boden kriechenden Thiere haben
Verdienste, freilich der Geometrie gegenüber nur untergeordnete." Als er einmal
gefallen war, schrieb er an Maupertuis: »Das kommt davon, dass man kein Geo-
meter ist. Wenn ich den Schwerpunkt beobachtet hätte« u. s. w. Auch von der
Metaphysik hielt der König immer weniger, und deshalb entfernte er sich immer
mehr von Wolff. An Voltaire schrieb er schon am 13. Februar 1749 (CEuvres T. 22
p. 181): »La metaphysique est un ballon entle de vent (so hatte sie Voltaire be-
zeichnet) .... Je me persuade que la nature ne nous a point faits pour deviner
ses secrets, mais pour cooperer au plan (ju'elle s'est propose d'executer".
* »Va faire des progres ou plutot va naitre« — es wurde freilich nicht so,
wie Maupertuis es wünschte. Der alte Grischow starb am 10. November 1749,
B26 Geschichte der Akademie unt«>r Friedrich dem Grossen (1746—1786).
Klassen der speculativen Philosophie und der Beiles -Lettres leiden
an äusserster Schwäche und wären vielleicht ohne die so kräftige
und mächtige Hülfe, die Ew. Majestät selbst ihnen gewährt haben,
bereits an Entkräftung gestorben« — so schrieb Maupertuis im
Winter 1748/49 an den König\ Grade auf diese beiden Klassen
hatte man die kühnsten Hoffnungen gesetzt, aber sie verwirklichten
sich nicht. Dass Formey's Arbeiten inhaltlich ungenügend waren,
sah man bald ein" — erst nach und nach gewöhnte sich die Aka-
demie an seine gespreizten und leeren Worte, und nachdem er durch
seine Stellung ein berühmter Mann geworden war, kritisirte man
ihn nicht mehr^ — ; Francheville konnte über seine Unbedeutendheit
nur Wenige täuschen; d'Argens schrieb nicht für die Akademie,
und was er sonst schrieb, war mehr keck als lehrreich; die gehalt-
vollen Abhandlungen einiger deutscher Gelehrter aber, wie Süss-
milch's, wurden nicht genügend geschätzt und waren in ihrem
schlechten Französisch keine anziehende Leetüre.
und sein Sohn, der unmittelbar vorher, 23 Jahre alt, ordentliches Mitglied geworden
war und auf dessen Fähigkeiten als Astronom jMaupertuis viele Hoffnungen setzte,
verliess sclion nach einem Jahre Berlin und ging an die Petersburger Akademie über.
Der König war erzürnt, hi seinem Namen theilte Maupertuis dem Secretar Fol-
gendes mit (Akademisches Protokoll): -Le Seign. Grischow, ayant furtivement con-
tracte un engagement avec l'Academie de Russie et Sa Maj. lui ayant non-seulement
accorde la joermission de le remplir, mais encore ordonne de sortir au plus tot de
Berlin , vous en ferez part a l'Academie et le declarerez dechu du titre d'academicien «
(30. November 1750). A'on dem andern Astronomen , Kies, hielt Maupertuis wenig
(s. Urkundenband Nr. 169,3). Auch er verliess später Bei-Un, ebenso der dritte
Astronom, Aepinus, der 1755 Akademiker W'urde, aber bereits 1757 Grischow nach
Petersburg folgte.
1 Siehe Urkundenband Nr. 169, 2. Schon im Jahre 1747 (4. März) hatte der
König in einem Brief an ^Maupertuis die Klasse der Beiles -Lettres, "ä la(inelle
mon genie peut le mieux atteindre", für die am meisten vernachlässigte erklärt.
2 Die Akademie weigerte sicli sogar im Jahre 1754, Formey's Eloges auf
VON Arnim und von Münchow drucken zu lassen. Das Icam zu den Ohren des
Königs. Wie er über den beständigen Secretar urtheilte, geht aus dem Brief an
Algarotti (9. Februar 1754, OEuvres T. 18 p.93f.) hervor: «Formey a lu a l'Academie
les eloges de MM. d'Arnim et de Münchow, et l'Academie s'est opposee a leur
Impression. J'ai ete curieux de les lire. Jainais il n'y a eu bavardage plus inepte
et plus plat. Formey a voulu avoir de l'esprit; il a fait assaut contre la nature,
et certainement cela n'a pas toui'ne a son avantage«. Vergl. den Brief an Maupertuis,
der damals in Frankreich war, vom 12. März 1754: »Votre secretaire fait des eloges
si pitoyables, il a la sottise encore plus pitoyable de les faire imjirimer, de sorte
que je crains j)our la reputation de notre Acadeinie. Vous voyez que je n'ai pas
eu tord [tort] de dire que vous la vouliez [sie] tont seul«.
^ Man schmeichelte ihm sogar von vielen Seiten, in Berlin und im Ausland, weil
er einllussreich war oder man ihn dafür hielt. Selbst Montesquieu hat ihm starke
Schmeicheleien gesagt. Formey hat alle diese Blumen in seinen »Souvenirs« gesammelt.
Die Schweizer in der Akademie. 327
Maupertuis suchte auch hier nach neuen Kräften , und Bernoulli
empfahl ihm den jungen Merian sehr warm. Er wurde wirklich
berufen (Q.April 1750). Was er in den 57 Jahren, in denen er
an der Akademie wirkte, geleistet hat, wird in einem anderen Zu-
sammenhang darzulegen sein,
Maupertuis hatte eine Vorliebe für die ScliAveizer. Zwei Jahre
vor Merian hatte er Passavant berufen, und bereits im Jahre 1747
war Sulzer durch seinen Einfluss Lehrer am Joachimsthalschen Gym-
nasium geworden \ Die Akademie hat Jahrzehnte erlebt, in denen
ihr die Schweizer das Grepräge gegeben haben" — in höherem Masse
als die Franzosen — , denn auch nach Maupertuis' Tode dauerte
die Vorliebe für sie beim Könige fort. Sie \var nicht unbegründet,
und die persönlichen Beziehungen , in die der König zu Merian trat,
bestärkten sie. Das kleine, ruhmvolle Land erzeugte mehr Männer
der Wissenschaft, als es brauchen konnte. Der Exodus der schwei-
zerischen Gelehrten ist im 17. und i 8. Jahrhundert eine ebenso cha-
rakteristische Erscheinung wie das Reislaufen der Landsknechte.
In München, in Berlin, in Holland, in London, Paris und Petersburg
— überall traf man schweizerische Professoren'. Ihre Eigenart
^ Von Sulzer ist zuerst in einem Brief des Königs an Maupertuis vom
16. August 1747 die Rede; man ersieht hier, dass dieser auf ihn aufmerksam gemacht
hat. Der König bezweifelt, ob Sulzer sich entschliessen wird, »seine algebraischen
Gleichungen in Berlin zu etabliren«. Doch noch in demselben Jahr kam ei- an das
Joachimsthalsche Gjannasium; auch Euler hatte ihn empfohlen. Es war ihm die
Aufnahme in die Akademie versprochen worden. Allein bald wandten sich Maupertuis
und Euler von ihm ab, weil er Wolffianer und Anhänger der Monadenlehre war,
und es bedurfte des Einflusses des Leibarztes Eller, um seine Aufnahme zu be-
wirken (1750). In dem König -MAUPERTUis'schen Streit verdarb es Sulzer vollends
mit diesem, so dass er, so lange Maupertuis Präsident war, keine Pension erhielt
(Sulzer, Lebensbeschreibung, von ihm selbst aufgesetzt, herausgegeben von Merian
und Nicolai. Berlin 1809).
^ Beguelin, Bernoulli, de Catt, Euler, Labibert, Merian, Passavant,
Sulzer, Weguelin waren Schweizer; auch Castillon, obgleich Italiener von Geburt,
darf man als halben Schweizer zählen.
^ Nach einer Statistik Condolle's (Hist. des Sciences et des Savants depuis
deux siecles. 1873 p. 186) stellte von etwa 1750 bis etwa 1850 die Schweiz das i-elativ
grösste Contingent zu den auswärtigen und correspondirenden INIitgliedern der Berliner,
Pariser und Londoner Akademieen. Zwischen den Franzosen und den Schweizern
in der Akademie muss nicht selten ein Gegensatz bestanden haben; besonders Formet
Jiasste die Schweizer und hat in seinen Souvenirs I p. 153 f., als kaum Einer sich
mehr vertheidigen konnte, empörende Anklagen auf Spiondienste , die sie dem Könige
geleistet hätten, wider sie ausgesprochen. Ausserdem zeigen die bösen Worte:
»Ces academiciens suisses — (|ui ont eu diverses destinees pi'opres a les avilir«,
welches Gift der alte Secretar bis zum Jahre 1789 in sich gegen sie aufgespeichert
hat. Über die Bevorzugung der Schweizer vergl. Denina, Essai sur la vie et le
328 Gescbiclite der Akndeiuie unter Friedrich dem Grossen (174(5— 1786).
schmiegte sicli dem Geist des 1 8 . Jahrhunderts besonders an: alle
waren sie kosmopolitisch gesinnt, alle zweisprachig; sie brachten
aus Zürich und Basel eine tüchtige Bildung mit und die Traditionen
des fleissigen und bücherschreibenden Gelehrten. Dazu zeichnete
sie eine leichte, populäre Formgebung aus. Speciell aber für die
deutsche Litteratur war Zürich durch Bodmer und Breitinger ein
Mittelpunkt geworden und hatte Leipzig besiegt. Wie hätte ein König,
der eine französische Akademie in und für Preussen aufrichtete, an
den Schweizern vorübergehen können , und wie begreiflich ist es,
dass Maupertuis nach ihnen Umschau hielt!
In Passavant hatte er sich freilich getäuscht. Die kleine tragi-
komische Episode ist erst jüngst bekannt geworden\ Im April 1750
schrieb Maupertuis dem Könige einen höchst erregten Brief, Herr
Passavant aus Basel habe in den zwei Jahren, seitdem er Mitglied der
Akademie sei, die stärksten Proben der Sorglosigkeit und Faulheit
gegeben, nun aber habe er gar eine Hauslehrerstelle bei Mad. von
FuLMAiER angenommen: »Comme cette place non-seulement le met
encore plus hors d'etat de travailler poiir l'Academie, mais degrade
et avilit Tacademicien, je crois qu'il conviendrait d'en faire un exemple
et de priver de sa pension le Sieur Passavant; j'attends l'ordre de
Votre Majeste sur cela«.
Passavant mag ganz untauglich gewesen sein, aber der Zorn
Maupertuis' entsprang seiner Eitelkeit: mit einem Hauslehrer wollte
er nicht zusammensitzen. Der König verstand ihn vollkommen; er
Hess ihn gewähren und opferte ihm den armen Passavant, aber in
folgenden ironischen Worten:
"Cela depend du bon j)laisir et des lumieres superieures de Isl. le President.
Quant ä moi son fidele academicien, je l'assure que je n'ai Jamals oui nominer mon
confrere Passavant et que dans mon petit particulier je suis ti-es-humilie de Taffront
qu'il a fait a votre Academie. Pour ne point meriter pareil traitement de votre
part, je vous promets de ti'availler pour votre seance du mois de mal et de ne
Jamals me faire precepteur de cjuelque jeune hoinme que ce puisse etre.
Frederic.«
Maupertuis verstand in seinem blinden Eifer diese Zurecht-
weisung nicht, sondern schrieb umgehend an die Akademie, der
König erkläre Passavant's Stelle für vacant, da er ein Amt ül)er-
nommen habe, das mit der Stellung eines Akademikers unverträglich
regne de Frederic II (1788) p. 239. Als 1752 eine Stelle für deutsche Beredtsainkeit
und Poesie am Joaclnmstlialschen Gj'innasium begründet wei'den sollte, schien es
SfLZER selbstverständhch , dass ein Schweizer berufen werde (s. L. Hirzel. Wieland
und KÜNZLi, 1891 S. 53).
^ Siehe Urkundenband Nr. 169. 6. 7.
Passavaxt. La Mettrie. H21)
sei. Passavant erhob keine Einwendung, wolil aber Mad. von Ful-
MAiER, hinter die er sich gesteckt haben mag. Sie wandte sich mit der
Bitte an die Akademie, dass Passavant in ihrem Hause unterricliten
und doch seinen akademischen Gehalt fortbeziehen dürfe. In lieUer
Entrüstung brachte Maupertuis dieses Ansinnen der Dame vor (h'n
König. »Wollten wir solche Dinge billigen, dann würde erstens
jedes neue Mitglied sofort eine Erzieherstelle nebenher übernehmen,
\md wir könnten zweitens nicht mehr erwarten, dass angesehene
Männer auf den Titel eines Akademikers stolz wären, wenn wir in
unsrer Mitte Domestiken hätten.«
Diesmal gab der König dem Präsidenten eine kürzere Zurecht-
weisung: «Que fait ä vous et a moi Madame de Fulmaier?« Da-
mit endete diese Correspondenz ; aber bei Passavant's Ausschliessung
blieb es.
Nicht nur mit Passavant und Grischow jun., sondern auch
mit Becmann und Battier — jener arbeitete wenig mit, dieser trat
bald zu den Herrnhutern über und verliess die Akademie — hatte
Maupertuis kein Glück : d'Arnaud kam als wirkliches Mitglied nicht
in Betracht: so blieben unter den neugewählten (bis 1751) neben
Meckel nur die drei Schweizer Beguelin, Merian und Sulzer, von
denen sich etwas erwarten Hess. La Mettrie, der auf Befehl des
Königs am 4. Juli 1748 aufgenommen worden war, schrieb nichts für
die Akademie, und diese hätte sich auch für seine Mitarbeit bedankt.
Sie war entrüstet über diese Aufnahme, zu der Maupertuis der
Lokalpatriotismus \ den König das unbedingte Eintreten für alle
verfolgten »Philosophen« verleitet hatte. Drei Jahre hat dieser
gescheite, aber völlig haltlose Mann, der den Materialismus nur
compromittirte , als geistreicher Causeur — von seiner Philosophie
wollte der König selbst nichts wissen — in Potsdam als Vorleser
Friedrich's zugebracht. »II etait gai, bon diable, bon medecin, et
tres-mauvais auteur; mais, en ne lisant pas ses livres, il y avait
moyen d'en etre tres- content"'.«
^ Unter den auswärtigen Mitgliedei-n der- Akademie findet man auch einen
Herrn Trublet, Canonicus zu St. Malo (8. Mai 1749), der seine Aufnahme wohl
auch nur dem glückUchen Umstände verdankt, dass er, wie Maupertuis, Bürger
von St. ^lalo war.
^ QiuvresT.27, I p. 203(21. November 1751). Büschixg, Charakter Friedrich]!.
2.Ausg. S. 74, nennt ihn einen schlechten Arzt, aber einen guten IVinker, einen
Erzspötter der Religion und einen Nai-ren. Dass der König La Mettrie nur an-
fangs um sich gehabt und später gar nicht mehr gesehen habe, behauptet Krause
in einem Brief an Gleim etwa 1750 (bei Geiger, Berlin I vS.484).
330 Cicsoliiclite (lei- Akademie unter Friedrich dem Grossen (174t!— 1786).
FoRMEY griff im Interesse der Akademie in Zeitscliriften die
Lehre La Mettrie's an und behauptet, dieser habe ihm das übel
genommen und ihn beim Könige als intoleranten Theologen und
verunglückten Philosophen angeschwärzt. Ob dem so ist, weiss
man nicht; aber es ist höchst wahrscheinlich, dass der König mit
der Haltung Formey's nicht zufrieden war. Nach dem plötzlichen
Tode La Mettrie's beschloss er, die Theologen Europas durch ein
Eloge auf den Mann in Schrecken zu setzen. Das Eloge wurde
wirklich in der öffentlichen Sitzung vom Januar 1752 verlesen, aber,
wie FoRMEY behaiq^tet, mit tödtlichem Schweigen aufgenommen \
In der That fühlte sicli die Akademie, die diesen Collegen hatte
dulden müssen, durch die Lobrede noch mehr gekränkt; aber auch
Friedrich gereicht dieser Act der Pietät gegen den zuchtlosen Lit-
teraten nicht zum Ruhme und trübte eine Zeit lang das Urtheil
über seine eigene Weltanschauung^.
Wir besitzen für das Jahr 1749 eine Schilderung einiger nam-
hafter Akademiker aus der Feder Büsching's'', der damals einen
Besuch in Berlin gemacht hat. Da der Bericht manche charakte-
ristische Züge enthält, so mag er hier eine Stelle finden:
Von den damaligen hiesigen Gelehrten besuchte ich folgende, die ich in
alphabetischer Ordnung nenne: der Kirchenrath D. Jacob Elsner schien von der
Vortrefflichkeit seiner eigenen gelehrten Ai-beiten sehr überzeuget zu sein, aber
anderer Gelehrten Arbeiten nicht unparteiisch zu beurtheilen. Mir machte er das
Compliment, dass meine Einleitung in Paulus' Brief an die Philipper nicht viel Neues
enthalte. Ich gab dieses zu, sagte aber, er werde doch gestehen, dass mehr Neues
in derselben sei, als in seiner Einleitung in diesen Brief, die er seiner Erklärung
desselben vorgesetzet habe. Von dem Augenblick an war er sehr höflicli gegen
mich. . . . Leonhard I{]uler ist nicht, wie die grossen Algebraisten zu sein pflegen,
ein finsterer Kopf und im Umgang beschwerlicher Mann , sondern munter und leb-
haft (insonderheit vmter Bekannten), und obgleich sein verlorenes rechtes Auge
etwas ekelhaft aussiebet, so gewöhnet man sich doch bald daran und findet sein
Gesicht angenehm. Die Akademiker Augustin Nath. Grischow (der ein paar Jahre
^ Souvenirs I p. iiöft".
- Er hat später La Mettrie völlig preisgegeben, als die Materialisten nicht
mehr die Verfolgten waren, sondern eine gefährliche Macht bedeuteten, der er zu
begegnen für noth^vendig hielt. Abei' aucli dann fühlt man noch , dass es ihm schwer
fiel, den Mann zu opfern, den er einst aus den Händen der Priester gerissen hatte.
»J'ai ete oblige«, schreibt er an d'Argens (12. November 1761, Qiluvres T. 19 p. 264),
»d'a-bandonner La Mettrie; c'est un enfant perdu, qu'il m'a fallu sacrifier dans le
combat; niais , s'il est devenu vme victime necessaire, j'ai bien arrose son tombeau
du sang des theologiens, et j'espere qu'a favenir on ne dira plus qu'on peut juger
de la fagon de penser du Philosophe de Sans-Souci et des gens de lettres qui l'ap-
prochent par les ouvrages du medecin La Mettrie •<. Über das Aufsehen , welches
Friedrich's dem Schriftsteller huldigendes Eloge gemacht hat, s. Denina, Essai p.98.
^ Beiträge z. d. Lebensgesch. denkwürdiger Personen ö.Theil (1789) S. i38f[".
Büsciiixg's Schilderung einiger Akademiker (1749). 331
liernacli an die Akademie zu St. Petersburg berufen \vui"de) und Jon. Kiess zeigten
mir die Sternwarte mit ihren "Werkzeugen , deren genaue Richtigkeit sie rühmten,
und unter denen auch der parisische Quadrant war, den der Präsident vox Mau-
PERTUis in Lappland gebraucht hatte. Der Anblick der Stadt vom Altan dieses
Gebäudes ist ungemein angenehm. In der Bibliothek der Akademie , die eben offen
stand, traf ich ausser dem Bibliothekar Wagner den französischen Prediger Pelloutier
an. Die Bibliothek war nicht gross, aber schön, und enthielt die besten und meisten
mathematischen und physikalischen Bücher, auch die Scriptores medii aevi und,
wie man sagt, alle periodische litterarische Schriften vollständig. [Folgen Be-
merkungen über den Prediger J. J. Hecker, die drei Rectoren J. Phil. Heixius,
G. Fried. Küster und Joh. Jag. Wipfel und über den Inspector Ulr. Chr. Köpfen;
von Heinius heisst es: »er hat in der gründlichen Gelehrsamkeit den Vorzug vor
den beiden anderen Rectoren«]. Der berühmte Dr. Nath. Lieberkühn hat ein vor-
treffliches Cabinet von anatomischen Präparaten, die er selbst mit unbeschreiblicher
INIühe imd Geduld verfertiget hat. Er zeigte ein Stück von einem Darm , mit
welchem er es dreihundert mal versuchet hat, ehe es ihm gelingen wollen, und
jeder Versuch hat ihm einen Gulden gekostet. Der Herzog von Braunschweig hat
ihm das ganze Cabinet für das Carolinum abkaufen. Lieberkühn al)er 20000 Thlr.
dafür haben wollen , die der Herzog daran zu wenden sich nicht entschliessen
können. Es sind Stücke darin, die sich den blossen Augen kaum, und als kleine
graue Klümpchen, zeigen; wenn man sie aber durch ein Vergrösserungsglas be-
trachtet, so erblicket man nicht niu- unzählige Adern, sondern es sind auch die
\'enae und Arteriae durch verschiedene Farben des eingespritzten Wachses kennt-
lich gemacht worden. Die mathematischen und physikalischen Erklärungen, die
er von einzelnen Dingen machte, waren sehr gründlich und einleuchtend. Sein
Microscopium solare ist eine bewunderungswürdige Erfindung. Er leistet viel in
den mechanischen und optischen Wissenschaften , wie seine erfundene Werkzeuge
beweisen. [Folgen Bemerkungen über den Prediger Joh. Ernst Müller, den Hof-
pi'ediger A, F. W. Sack — er wird sehr gerühmt; »von ihm habe ich erfahren,
dass die Verfasser der Berlinischen Bibliothek lauter geschickte Candidaten sind,
einen jNIitarbeiter ausgenommen, der ein Prediger ist« — , J. J. Spalding: Von
dem Dr. de la Mettrie, Verfasser der Schrift »L'homme machine«, sagte er, »der
Verstand desselben sei beständig am hitzigen Fieber krank«, und Joh. Georg Sucro].
Es scheinet, dass Jon. Georg Sulzer, Prof. beim joachimsthalschen Gymnasium, die
Theologie fast ganz bei Seite setzet und seinen Kopf und Fleiss ganz der Philosophie
und Mathematik widmet. Als ich zu ihm kam , unterhielt er sich mit einem rei-
senden Schweizer fast zu lustig, welches dem Begriffe nicht gemäss war, den ich
mir aus seinen Unterredungen von den Schönheiten der Natur von ihm gemacht
hatte; ich sähe aber wohl, dass sein Landsmann dazu veranlassete. Der Consist.-
Rath und Probst bei der Peterskirche, Jon. Peter Süssmilch, ist ein Mann von
vielen Kenntnissen und gastfrei; man erzählet aber in Gesellschaften viel von seinen
Anmaassungen in Consistorialsachen , dessen Wahrheit ich nicht untersuchen kann.
[f\)lgt eine Bemerkung über den gelehrten und klugen, aber als Skeptiker höchst
gefährlichen Geh. Rath Joh. Gotthilf Vockerodt]. Süssmilch sammlete eine be-
trächtliche Bibliothek.
2.
Während das Eloge auf La Mettkie die Akademie zwar peinlich
horührte, aber ihren Frieden nicht störte, war bereits eine andere
Action im Gange, die sie auf's Tiefste erregte — der grosse Streit
BH2 (icscliirlite der Akademie unter Fkiedrich dem Grossen (174()— 178(5).
ZAviscIlcn S. König und Maupertuis, in welchen erst sie selbst, dann
Voltaire, dann der Monarch ^ eingriffen, und der mit einer Niederlage
aller Acteure endigte. Aber Friedrich's Gerechtigkeit und Edelsinn
triuniphirte, und ein Gewinn Avar es, dass er den Mann los wurde,
dessen Gegenwart er nur zu lange geduldet hatte:
Nur Kleinheit sollte hier sich ängstlich fühlen,
Der Neid, der sich zu seiner Schande zeigt;
Wie keiner Spinne schmutziges Gewebe
An diesen Marmorwänden haften soll.
Die Geschichte aufs Neue zu erzählen, ist unerfreulich; aber sie darf
hier nicht übergangen werden'.
Samuel König (geb. i 7 i 2 in Büdingen) , ein hervorragender Ma-
thematiker, stand vom Haag aus, wo er als Professor lebte, in litte-
rarischen Beziehungen zu den besten Gelehrten seines Fachs. Bereits
im Jahre 1740 war er Correspondent der Pariser und 1749 aus-
wärtiges Mitglied der Berliner Akademie geworden. Er verdankte
diese Auszeichmmgen seinen trefflichen Untersuchungen zur mecha-
nischen Principienlehre und der Werthschätzung Maupertuis'. Die
Briefe König's an ihn, die jüngst veröffentlicht worden sind, zeigen
bis zum Ende des Jahres 1750 das beste Einvernehmen und resj^ect-
voll bewundernde Freundschaft von Seiten König's; sie erweisen bis
zum letzten Blatt seine ehrenhafte Gesinnung. Noch im November
1750 schickte er eine Abhandlung für die Berliner Memoires ein,
die Maupertuis drucken liess"\ In den Schreiben, die sie begleiteten,
durfte er es wagen, dem Präsidenten den Franzosen de Premontval,
der mittellos umherirrte, zur Aufnahme in die Akademie dringend
zu empfehlen*. Nichts deutet daraufhin, dass ein Zwist zwischen
' Er hat es später bereut, sich in diese litterarischen Kämpfe und in den
Streit Maupkrtuis" mit Voltaire eingemischt zu haben.
^ Zuletzt haben du Bois-Reymond und Diei.s ihren Verlauf ausführlich dar-
gelegt (Sitzungsberichte, 2. Mai 1892 und 27. Januar 1898. Der Verdacht, den Jener
gegen König S.420 erhebt, ist meines Erachtens durch nichts gerechtfertigt). Eine
kürzere Darstellung giebt Koser, a. a. O. S. 514 ff. Zu dem bisher bekannten Materiale
— s. v(jr allem Mein. 1750 (hrsg. 1752) ]).52 ff. — sind die Briefe von König an Mau-
PERTHis und Formf':y hinzugekommen, die Le Sueur p. 106 ff. veröffentlicht hat (die
Briefe Nr. 11 und 12 sind vom Jahre 1752 und nicht, wie Le Sueur gedruckt hat, vom
Jahre 1751). Ausserdem sind in den Akademischen Protokollen einige einschlagende
Briefe in Abschrift mitgetheilt, unter ihnen auch der von Le Sueur p. 134 ff. ge-
druckte wichtige Brief König's Nr. 14 vom 10. December und die dort fehlende Ant-
wort Maupertuis' vom 23. December 1751 (abgedruckt im Urkundenband Nr. 1700).
^ Sie erschien im Jahrgang 1749, der 1 751 ausgegeben worden ist.
* Premon-j'val siedelte nach Berlin über und wurde im Sommer 1752 wirklicli
in die Akademie aufgenommen.
Der Streit ]\Iai"pertuis' und Kömg's ( IT.jl/ö'J). oHH
ihnen ausbrechen sollte'. König war ein Bewunderer LEiBxizens
und als Philosoph ein Schüler und Verehrer Wolff's. Gerade da-
mals wurde der Streit über die Monadenlehre auf's Heftigste geführt.
Auch die Akademie war in dieser Frage in zwei feindliche Heer-
lager gespalten. Auf Wolff's Seite standen Heinius, Formey, zu denen
Itald Sulzer trat; aber die Gegner Euler, Maupertuis und Merian
waren ihnen überlegen"'. König's Eintreten für Leibniz und Wolff
musste bereits eine latente Spannung zwischen ihm und Maupertuis
erzeugen^.
Völlig arglos kam König im Winter 1750 51 nach Berlin. Er
brachte ein Manuscript mit, welches er unbefangen und »mit hel-
vetischem Freimuth^« Maupertuis vorlegte — ohne Zweifel, um es in
den Memoires abdrucken zu lassen. Es enthielt eine scharfe, aber,
wie die Kenner behaupten , wesentlich richtige Kritik eines grossen
Principes, das Maupertuis entdeckt zu haben glaubte, des »Principe
de la moindre action«, d. h., »dass die zu den in der Natur geschehen-
den Veränderungen verwendete Menge von Action stets ein Mini-
mum sei, so dass man aus der Bedingung für das Minimum Bahn
und Geschwindigkeit der bewegten Masse eindeutig erhalte«.
Es ist ein Beweis für die richtigen Spuren, auf denen sich
Maupertuis in der Physik bewegte, dass er nach einem Gesetze
suchte, in welchem die Newton'scIic Theorie ihre Krönung durch
Erweiterung empfangen sollte; aber nicht nur war er zu oberfläch-
lich und voreingenommen bei seinen Beobachtungen und zu hastig
in seinen Beweisen, sondern auch hier spielten ihm sein Ehrgeiz
und seine Ruhmsucht die schlimmsten Streiche. Er wollte etwas
entdeckt haben, was allen Wissenschaften zugleich zu Gute komme,
ja sie neu begründe. Darum zog er ausschweifende Consequenzen
und verkündigte dazu, in seinem »Princip« den einzigen haltbaren
^ Dass auch ^Maupertuis noch im Spätherbst 1750 König freundlich gesinnt
war, geht daraus hervor, dass er durch ihn seine Werke dein Prinzen von Oranien
hat überreichen lassen (Brief des Prinzen an Maupertuis im Geh. Staatsarchiv vom
30. October 1750).
'^ Bis zum Könige drang der Streit, s. den Brief an Voltaire vom Jahre 1752
(CEuvres T. 22 p. 298).
^ König war einige Jahre früher auch in Cirey bei der Marquise vox Chatelet
und Voltaire gewesen und hatte die hervorragende Frau in der WoLrr'schen Philo-
sophie und in der Mathematik unterrichtet. Fortdauernde Beziehungen zu Voltaire
hatten sich daraus aber nicht entwickelt, im Gegentheil — König nimmt, wie ein
Brief von ihm erweist (Le Sueur p. 142), an, dass Voltaire ihm ungünstig ge-
sinnt sei.
* Siehe P'ormey im Eloge auf jNIaupertuis, Mein. 1759 (hrsg. 1766) p. 498.
H34 Geschichte der Ak;i(h'niie unter Fhikdricii dem Grossen (174() — 178t)).
Beweis für das Dnsein Gottes gefunden zu haben; denn es olfen-
bnre die Weisheit und Alhnacht eines Schöpfers.
Das Princip, wie Maupertuis es fasste, war falsch, die ge-
wählten Beispiele unpassend, und die Beweise, die er nur so hin-
geworfen hatte, misslungen. Eben das deutete König in seiner
Abhandlung an^; aber er zeigte noch mehr: er wies nach, dass,
soweit das Princip richtig sei, es Leibniz schon im Zusammenhang
seiner Untersuchungen über die lebendige Kraft und ihre Erhaltung
entdeckt und in einem Briefe an Jacob Hermann im Jahre 1707
ausgesprochen liabe^. Das betreffende Bruchstück dieses Briefes
legte er seiner Abhandlung bei. Natürlich war er weit davon ent-
fernt, Maupertuis des Plagiats zu beschuldigen; er hoffte sogar,
diesen sich auf's Neue zu verbinden, indem er auf seine Ideen
einging, sie freilich auch kritisirte, aber damit die Discussion in
Fluss brachte. Was das Zusammentreffen Maupertuis' mit Leibniz
betriff't, so meinte er, »que cette rencontre avec un tres grand homme
ne peut etre que fort honorable«. Um aber alle Rücksicht zu
nehmen, überliess er es Maupertuis, indem er ihn das Manuscript
zu lesen bat, darüber zu entscheiden, ob es gedruckt werden solle.
Dieser, bereits durch den Gedanken eines Widerspruchs beleidigt,
gab König die Abhandlung ungelesen zurück mit der Bemerkung,
er solle sie nur drucken lassen. So geschah es; sie erschien im
Märzheft 1751 der Leipziger Nova Acta Eruditorum.
Maupertuis war ausser sich, als er sie gelesen hatte. Sein
ganzer Stolz bäumte sich auf In krankhafter Verblendung sah er
vor allem darin das grösste Attentat auf seine wissenschaftliche
Majestät, dass sein « Princip« bereits von Leibniz ausgesprochen sein
sollte. Er richtete an König ein Schreiben, in welchem er erklärte,
in den gedruckten Leibniz -Briefen nichts von seinem Principe linden
^ Sehr bald nach König hat der Graf d'Arcy die Unhaltbarkeit des Mau-
i'ERTuis"schen Princips nachgewiesen, welches erst in Eüler's Behandlung discutabel
wurde. Aber einen allgemeinen Beweis hat auch er nicht zu geben vermocht.
- Über das Princip vergl. Adolf Mayer, Geschichte des Princips der kleinsten
Action. Akademisclie Antrittsvorlesung 1877; von Helmholtz, Zur Geschichte des
Princips dei" kleinsten Action (Sitzungsberichte 10. März 1887, S. 225f., 10. ]März
1892 S. 459 ff., vergl. dazu die im Urkundenband Nr. 170 /v zum ersten Male publi-
cirte akademische Rede von Helmholtz "Über die Entdeckungsgeschichte des Prin-
cips der kleinsten Action«); du Bois-Reymond, a.a.O. S. 418 ff. Lagrange hat
bereits im Jahre 1760 das Pi'incip so gestaltet, dass es nach Jacobi's Ausspruch in
seinen Händen die Mutter der heutigen analytischen Mechanik geworden ist. Nach
ihm haben Hamilton. Jacobi, Nel'jiann und von Helmholtz es ausgedehnt, und
namentlich der Letztere hat es auf neue Gebiete von Erscheinungen angewendet.
Der Streit JMaupertuis' und Köxiü"s {17ö\/')'2}. oöD
ZU können, König solle daher das Original jenes angeblichen Schrei-
hens an Hermann vorlegen ; er drohte zugleich mit einer öffentlichen
Antwort. König schrieb zurück, dass er einer weiteren Discussion
mit Freuden entgegensehe, dass er aber das Original jenes Briefes
in seiner Sammlung von Leil)niziana nicht besitze, sondern nur
eine Copie; seine Abschriften von LEiBNiz-Briefen seien aus der Samm-
lung des Schweizer Capitäns Samuel Henzi^; er sei übrigens gern
bereit, selbst Nachforschungen in der Schweiz über den Verbleib
der Originale anzustellen (Juni und Juli 1751).
Mehr konnte er nicht thun ; aber Maüpertuis genügte das nicht.
Er veranlasste vielmehr die Akademie, die Sache ihres Präsidenten
zu ihrer eigenen zu machen und durch ein officielles Schreiben an
König die Forderung zu stellen , binnen vier Wochen den fraglichen
LEiBNiz-Brief vorzulegen (y.October). Ein unerhörtes Ansinnen, wel-
ches indirect die schwerste Beleidigung für König enthielt! Zugleich
richtete man Briefe nach Bern und bat Nachforschungen zu halten,
ja Friedrich selbst liess Schreiben an die Berner Regierung ergehen.
Als König nach acht Wochen noch nicht geantwortet hatte — weil
er sich bemühte, das Original ausfindig zu machen ■ — , wiederholte
die Akademie ihre Aufforderung an ihn noch dringlicher.
Das gesuchte Schreiben wurde nicht gefunden ; Maüpertuis
theilte in der Sitzung vom 23. December 1751 der Akademie sehr
befriedigt mit, dass auch die vom Monarchen veranlassten Nach-
forschungen vergeblich gewesen seien. Kurz vorher aber hatte
König sowohl Maüpertuis (10. December) als der Akademie (18. De-
cember) geantwortet. Man kann nichts Ruhigeres und Würdigeres
lesen als diese Briefe. Sie mussten auch in den Gegnern die sichere
Überzeugung erwecken, dass König in reinster Absicht und mit
gutem Gewissen gehandelt hatte. Der Brief an Maüpertuis w^ar
ausserdem in W^orten einer ungeheuchelten Verehrung abgefasst,
erklärte, was zu erklären war, bedauerte herzlich die Missverständ-
nisse und autorisirte den Präsidenten überdiess, öffentlichen Gebrauch
von diesen Zeilen zu machen.
Maüpertuis war nicht im Stande, für seine Person nach diesem
Briefe den Streit fortzusetzen; aber, unversöhnlich wie er war, ver-
anlasste er zum zweiten Mal die Akademie, eine unwürdige Rolle
^ Dieser war ain 16. Juli 1749 in Bern als Staatsverbrecher enthauptet worden.
Nach KÜNZLi's INIuthmaassung (L. Hirzel. Wieland und Künzli S.59) vom Jahre
1754 wären die von Hexzi gesammelten Briefe an einen holländischen Kaufmarni
gekonunen.
38() Gcscliiclite der Akademie unter Frikdkich dein Grossen (1746—1786).
ZU spielen. Sie inusste an König schreiben, der Präsident sei zwar
durch die Erklärungen vom lo. December befriedigt, nicht aber die
Akademie; denn die Hauptsache sei unerledigt geblieben, der
LEiBNiz-Brief; sie habe allen Grund zu der Annahme, dass der Brief
gefälscht sei\ Auch jetzt noch blieb König ruhig; er erklärte mit
Recht in zwei Briefen vom 15. Februar 1752 (an Maupertuis und
die Akademie), dass die Haltung der Akademie der Sachlage nicht
entspreche; er setzte noch einmal eingehend seine reinen Absichten
bei Veröffentlichung jener Abhandlung auseinander — »mon Intention
ayant simplement ete de remarquer en passant que M. de Leibniz
avait eu des idees fort etendues sur la dynamique dont nous nous
trouvions prives par Fentetement des premiers adversaires des forces
vives« — , und er wies die Gründe nach, weshalb er an der Echt-
heit des Briefs nicht zweifle. »Je Tai donne comme je l'ai trouve:
je crois que la lettre est de M. de Leibniz, quelqu'un veut-il
etre d"un autre sentiment, cela ne doit point me faire de la peine.«
Friedfertiger konnte er sich nicht ausdrücken. Aber das Un-
glaubliche geschah. Maupertuis stellte am 13. Aj^ril in der Akademie
den förmlichen Antrag", sie solle in ihrer Gesainmtheit ein Urtheil
abgeben über die Echtheit des Briefs (über die Thatfrage, sagte
Maupertuis ausdrücklich, nicht über König's Moral: ein solcher Zusatz
fehlte nur noch!). Die Akademie gehorchte wiederum und erklärte
feierlich und einstimmig — doch war nur die Hälfte der Mitglieder
in der Sitzung erschienen — , der von König mitgetheilte Brief
LEiBNizens an Hermann sei eine Fälschung, zu dem Zweck gemacht,
LEiBNizens Ruhm zu erhöhen oder Maupertuis zu schaden'^!
^ "Die Argumente der Soc. Reg. Berol. sind dumm, zum Exempel, dass
Leibniz an Hermann nur lateinisch geschrieben, und der sei französisch; dass Leibniz
an Hermann nur alle halbe Jahre geschrieben imd der sei mitten inne« (Künzli,
Äussei'ung an Ring bei L. Hirzel S. 59).
^ Kurz vorher hatte König noch einmal an Maupertuis geschrieben und mit
wirklicher Langmuth versucht, ihm die Zweifel an der Unechtheit des Briefs zu
nehmen. Nocli immer hoffte er, aus der Schweiz das Original zu erhalten. Dass
er Haller Mittheilung von seiner Correspondenz mit Maupertuis gemacht hatte
— dieser hatte auch das übel genommen — , erklärt er in befriedigender Weise.
Ül)erhaupt ist König in allen seinen Briefen an Maupertuis in liebenswürdigem
Entgegenkommen l)is an die Gi'enze des Erlaubten gegangen.
^ Im akademischen Protokoll ist der Brief Maupertuis' an die Akademie und
der ominöse Beschluss der Akademie in extenso mitgetheilt. Es wird hier behauptet,
dem von König citirten Brief LEiBNizens komme nicht einmal ein Schatten von Auto-
rität zu. Ein officieller Bericht über das Material, welches dem Beschluss der
Akademie zur Unterlage gedient hat (ausgearbeitet von Euler), und über ihren Be-
schluss findet sich auch in den jNIemoires 1750 [erschienen 1752] p. 52 — 64. In
Der Streit Matpertuis' und Köxio's (1751/52). 337
Die einzige Entscliuldigung , die die Akademie für diese er-
staunliche Erklärimg hatte, war die Autorität Euler's. Dieser grosse
Mathematiker hatte nicht nur in einem Memoire, das nicht zu
seinen bedeutendsten Leistungen gerechnet wird, Maupertuis' Princip,
allerdings in wesentlicher Umformung, zu vertheidigen gesucht
(Dissertatio de principio minimae actionis una cum examine objectio-
num Koenigii), sondern er war auch von der Unechtheit des Leibniz-
briefs überzeugt und glaubte Beweise dafür zu besitzen \ Ohne Ver-
ständniss für LEiBNizens Universalität, von seiner Weise zu arbeiten
antipathisch berührt, traute er ihm in der Mechanik nichts Gutes
zu und war überall bereit, gegen ihn Partei zu nehmen. Sein
Memoire wurde der Erklärung vom 13. April zu Grunde gelegt,
und die schwachen Argumente für die Unechtheit des Briefs" - — als
ob das Fehlen des Originals ernsthaft in Betracht käme — für zu-
reichend erachtet.
Jetzt riss auch König die Geduld; er schickte der Akademie
sein Diplom zurück^ und legte in einem »Appell gin das Publicum«
diesem den ganzen Handel vor — »ein bei aller Lebhaftigkeit doch
nicht maassloses, sondern nach Inhalt und Form lobenswertlies Acten-
stück^«, dem der angeblich gefälschte Brief von Leibniz nunmehr
beilag, zwar nicht urschriftlich, doch mit allen inneren Merkmalen
der Echtheit. Ein Sturm der Entrüstung erhob sich. Waren auch
der Sitzung vom 13. April 1752 waren anwesend die beiden Curatoren von IvErrn
imd VON Redern, die Ehrenmitglieder von Marschall und von Cagnony, die Di-
rectoren Eller, Heinius und Euler, ferner Forjiey, Pelloutier, Sproegel, die
beiden Ludolff, GLEDrrscH, Beausobre, Meckel, Sclzer, Pott, Küster, Becmann,
Kies und Merian, ausserdem das auswärtige INIitglied Lalande, dazu die Gäste
Hesse imd Hirzel. Nicht anwesend waren Maupertuis, d'Argens, Beguelin,
[BuDDEUs], [Carita], Francheville, Lieberkühn, Marggraf, Hujibert, die beiden
Achard, von Jariges, Sack und Süssmilch. Auf Euler's Autorität hin erklärte
man (p. 62), dass das von König verwerthete Bi-ieffragment eine Fälschung sei,
«ou pour faire tort ä M. de Maupertuis, ou pour exagerer, comme par une
fraude pieuse, les louanges du grand Leibniz, qui sans contredit n'ont pas besoin
de ce secours«. Jenes officielle Actenstück, in welchem der motivirte Beschluss
der Akademie publicirt worden ist (Expose concernant Texamen de la lettre de
Leibniz u. s.w., Memoires 1 7 50 p. 5 2 ff.), ist in dem Urkundenband Nr. 171 abgedruckt.
^ Siehe seinen Brief an Maupertuis vom 31. März 1752 bei Le Sueur p. i44f.
^ Dass der Brief echt ist, ist heute wohl anerkannt (s. du Bois-Reymond
S. 423f.); nur das ist fraglich, ob Hermann der Adressat gewesen ist und nicht
vielmehr Varignon; Letzteres hat Gerhardt (Sitzungsberichte 1898, 23. Juni) sehr
wahrscheinlich gemacht.
^ Am 6. Juli theilte das der Secretar der Akademie mit; sie beschloss, still-
schweigend davon Kenntniss zu nehmen.
* du Bois-Rey3iond S. 425,
Geschichte der Akademie. 1. 22
338 Gescliiclitc der Ak;id(Mni<*. unter Fkikdrich dem Grossen ( 174(5 — ITlStj).
die Wenigsten in der Streitfrage selbst sachkundig — um einzu-
sehen, dass der Präsident seine Macht missbraucht und die Akademie
sich unwürdig gegen König benommen hatte , dazu bedurfte man
der Kenntniss des »Princips« nicht. Maupertuis' Sieg war in Wahr-
heit eine Niederlage^; sein Process war vor der Akademie ge-
wonnen, aber vor dem Forum Europas verloren, und schon nach
wenigen Monaten erhielt der Streit ein Nachspiel, in welchem ein
unbarmherziges Gericht über den Präsidenten erging".
^ Der sachliche Streit dauerte noch bis zum Tode Maupertuis' fort; denn
dieser hatte jetzt für nichts mehr in der Welt Sinn als für das neue Princip, an
welches er seinen ganzen Ruhm geknüpft sah. In der Sitzung vom 15. November 1753
las Euler ein Memoire Maupertuis' gegen d'Arcy vor und am 7. Mai 1756 einen Brief
und ein Memoire von Lagrange über das Princip. Auf Grund dieser Arbeit wurde
Lagrange wenige Monate später zum auswärtigen Mitgliede ernannt. So verdankt
die Akademie dem unglücklichen Princip doch den Gewinn eines grossen Matiie-
matikers. — Schon im März 1753 hatte König wieder ein versöhnliches Schreiben
an Maupertuis gerichtet, voll Anerkennung und Werthschätzung, und ihm in dem-
selben versichert, dass er an den weiteren Angriffen auf ihn völlig unschuldig sei
(s. Le Sueur j). 141 ff.). Auf die Seite des Präsidenten trat auch Kaestner in Leipzig,
imd jener bemühte sich, durch ihn die Abhandlung Euler's in die Leijiziger Acta
Eruditorum zu bringen.
^ Dass eine Minorität in der Akademie mit der Art, wie der Streit officiell ge-
führt worden war (und besonders mit Maupertuis) , höchst unzufrieden gewesen ist,
lehrt der spärliche Besuch der entscheidenden Sitzung vom 13. April 1752 (s. oben).
Es wird aber auch aus einem Brief Sulzer's an Künzli vom Martinstag 1752 deutlich
(L. Hirzel, Wieland und Künzli S. 5 5 f.): "Ich habe keinen Antheil an dein Streit,
obgleich mein Name in der Liste der Richter steht; denn ich habe zu dem harten
Verla lu'en gegen Herrn König meine Einwilligung nicht gegeben [aber aus dem
Sitzungsprotokoll vom 13. Ajjril 1752 ergiebt sich, dass er in der ominösen Sitzung-
anwesend war, und es heisst dort ausdrücklich, dass ein einstimmiger Beschluss
erfolgt sei]. . . . Überhaupt ist die ganze Sache ein Streit de lana caprina, und
Maupertuis glaubt nur desswegen etwas erfunden zu haben, weil er sich niemalen
die Mühe gegeben hat LEisNizens Sachen zu lesen; denn das, was er minimum actionis
nennt, ist offenbar das, was Leibniz minimam vim vivam nennt. Ich glaube zwar
wohl, dass Maupertuis sich für den Erfinder der Sache hält, aber dass Euler die
Sachen so embrouillirt und die vollkommene Identität der beiden Sachen nicht ein-
sehen will, wundert inicli. Denn er giebt sich alle Mühe von der Welt, eben das,
was Leibniz entdeckt hat, unter andern Begriffen als neu vorzutragen. Überhaupt
so gross er in der Mathesi ist, so ein schlechter Philosoph ist er. Indessen hat
diese hässliche affaire hier viel Händel gemacht. Weil Maupertuis alle Gewalt in
Händen hat, und man nicht sehr laut gegen ihn reden darf, so ist die Verbitte-
rung im Geheim desto stärker, und dieses thut der Academie grossen Schaden. Man
siehet die Parteilichkeit überall. Maupertuis ist seit bald einem Jahr stark an der
Lunge krank. Er wird kaum davon kommen. Man kann schwerlich sagen, ob sein
Tod für die Akademie gut oder schlimm sein wird. Er hat als Präsident seine
guten und schlimmen Seiten. Es ist hier ein Brief unter der Presse, den man aus
Potsdam zu sein glaubet und sogar dem König zuschreibt, in welchem den Ge-
lehrten ihre Eifersucht und ihre Zänkereien scharf verwiesen werden«. Ein lehr-
reicher Stimmunosbericht I
Der Streit Maupertuis' und Voltaire's (1752/53). 339
Seit dem Juli i 750 weilte Voltaire als Gast des Königs in Sans-
souci. Es fehlte ihm nichts zu einem amüsanten Leben; er konnte
sich ergehen, wie er wollte, und täglich das Glück gemessen, sich
an der Tafel des grossen Königs bewundern zu lassen. Und doch
nagte an seiner Seele ein Wurm: er war nur Gast, zwar mit dem
Kammerherrnschlüssel und dem Verdienstorden geschmückt, aber
nicht aufgenommen in den Kreis der hohen Staatsdiener. Wie lange
wird der Monarch ihn bei sich dulden? Durch einen schmutzigen
Process hatte sich der Dichter bereits verächtlich gemacht; dazu hatte
La Mettrie ihm in's Ohr geflüstert, der König habe über ihn ge-
äussert: »Ich werde ihn höchstens noch ein Jahr brauchen; man presst
die Orange aus und wirft die Schale weg«. Dieses Wort liess ihn
nicht mehr los: ob es der König wirklich gesagt oder nicht, darüber
grü])elte er unablässig; La Mettrie war leider nicht mehr zu einem
Bekenntniss zu bringen, denn er starb ein paar Monate nach der
Enthüllung.
Wenn Voltaire bei sich überdachte, welche Stellung im Dienste
des Königs für ihn erstrebenswert!! sei, so haftete sein Auge am
Präsidentenstuhl der Akademie. Er war ihm vor zwölf Jahren in
Aussicht gestellt worden; aber jetzt fand er ihn breit besetzt von
jenem Maupertuis, auf den er selbst den König einst aufmerksam
gemacht hatte. Er sah den rücksichtslosen und hochfahrenden Mann,
der auch sein Präsident war\ im Besitze der Macht und in Ehren;
aber noch deutlicher sah er die Schwächen des phantastischen
Naturforschers. Er beschloss sie zu benutzen und ihn zu ver-
nichten". Der Streit mit König kam ihm wie gerufen.
^ Voltaire war Academicien , aber es lässt sich nachweisen, dass er die
Sitzungen nur sehi- selten besucht hat; doch knüpfte er mit einigen Akademikern,
namentlich mit Francheville, Beziehungen an.
^ Dass es Voltaire auf den Präsidentenstuhl abgesehen hatte, sagt Friedrich
mit dürren Worten in dem Brief an die Markgräfin von Bayreuth vom 12. April 1753
(OEuvres T. 27, i p. 226). Dass man schon im November 1750 — also vier Monate
nach Voltaire's Ankunft in Berlin — von Zerwürfnissen zwischen Voltaire und
Maupertuis sprach, wissen wir jetzt aus dem Brief des Prinzen Wilhelm an diesen
(Geh. Staatsarchiv); aber erst zwei Jahre später schritt Voltaire zum Angriff. Ein
besonderer Anlass für den Ausbruch der tödtlichen Feindschaft findet sich mehrfach
erzählt; der Bericht geht auf den König selbst zurück. »Der Streit begann an der
Tafel des Königs. Voltaire war sehr unterhaltend; alle waren darüber einer INIeinung,
Maupertuis allein schwieg. Nach der Ursache gefragt, sagte er, er habe sich dabei
tödtlich gelangweilt« (Lucchesini z. 7. October und 4. December 1780 bei Bischoff,
Gespräche Friedrich's des Grossen mit H. de Catt u. s.w. 1885 S. 167. 187); aus-
führlicher DE Catt, a.a.O. S. 11, der den König erzählen lässt, Voltaire habe
versetzt: »Das überrascht mich nicht; Sie sind auch ein ^lensch zum Langweilen»
■22*
340 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1746—1786).
Im Herbst 1752 erschien ein angeblich am 18. September von
einem Berliner Akademiker als Antwort auf die Anfrage eines Pariser
Collegen geschriebener Brief, in welchem die Streitfrage ganz im
Sinne König's besprochen, Maupertuis aber ausserdem — daran war
König unschuldig — des Plagiats beschuldigt wurde. Das Schreiben
schloss mit der Bemerkung, mehrere Akademiker wären entschlossen,
eine Akademie zu verlassen, die Maupertuis vergewaltige, wenn sie
nicht die Ungnade des Königs fürchteten. Der Brief, der sonst sach-
lich gehalten war, so dass man den Verfasser nicht sofort errathen
konnte, war von Voltaire. Der König war über dieses Pamphlet und
andere Angriffe auf Maupertuis auf's Höchste entrüstet. In mehreren
Briefen tröstete er seinen Präsidenten und goss die Schale seines
Zorns über die Leute aus, die den anspruchsvollen Namen Philosoph
tragen wollen , aber alle Leidenschaften in ihrer Seele regieren lassen :
»Komödianten, auf der Bühne stellen sie erhabene Gefühle dar, und
im Foyer stiften sie Händel an und beschimpfen sich«. Der König
muthmaasste richtig, dass Voltaire der Verfasser sei; aber in der
Absicht, den hässlichen Streit womöglich noch auszulöschen, respec-
tirte er die Anonymität. Eine scharfe Antwort sollte der »Philosoph«
jedoch erhalten, und da die Akademie unbegreiflicherweise schwieg,
so beschloss der König sie selbst zu geben; denn »man soll nicht
sagen, dass ein Mann von Verdienst ungestraft beschimpft worden
ist^«. Bereits am 1 1. November war Friedrich's Gegenschrift, eben-
falls anonym und als Brief eines Berliner Akademikers an einen
Pariser, in Maupertuis' Händen, und der König versicherte ihm zu-
gleich, dass er ihre weiteste Verbreitung angeordnet habe.
Die Sorge für Maupertuis — er schrieb ihm damals zweimal
wöchentlich, und wie zartfühlend hat er ihm Trost und Muth zu-
(vergl. Urkundenband 172). Die letzten Gründe des Streits lagen tiefer. Es war
der Kampf um den König. Voltaire wollte absichtlich eine Katastrophe herbei-
führen, weil er hoffte, Sieger zu bleiben und den König allein und dauernd an sich
zu fesseln. Wie er über den Monarchen dachte, zeigen die berühmten Verse, die
er sogar nach Bayreuth an die Markgräfin zu schicken sich erdreistet hat:
»Assemblage eclatant de qualites contraires,
Ecrasant les mortels et les nommant ses freres,
Misanthrope et farouche avec un air humain,
Souvent impetueux et quelquefois trop fin,
jNIodeste avec orgueil, colere avec faiblesse,
Petri de passions et cherchant la sagesse,
Dangereux politique et dangereux auteur,
Mon patron, mon disciple, et mon persecuteur. «
^ Brief an Maupertuis vom 7. November 1752 (Geh. Staatsarchiv).
Der Streit Maupertuis' und Voltaire's (1752/53). 341
gesprochen ' I — dazu die Entrüstung über einen schlimmen Streich
haben den König zu dem ungewöhnlichen Schritt veranlasst, selbst
Partei zu ergreifen und sicli in den bösen Handel zu mischen. Auch
wenn die Sache der Akademie und ihres Präsidenten ganz rein ge-
wesen wäre, war Friedrich's Eingreifen ein Wagniss; nun aber hatten
sie einen tüchtigen Gelehrten misshandelt — diese Thatsache war nicht
aus der Welt zu schaffen! Doch Friedrich dachte nur an seinen be-
leidigten Präsidenten und an den giftigen Stich des «litterarischen
Insects«. Die zweite Ausgabe der Broschüre erschien mit einer
Vignette, die über den königlichen Autor keinen Zweifel Hess. Die
Ausführungen schössen über das Ziel hinaus und mussten den Gegen-
sinn hervorrufen, Maupertuis wurde in ihnen als der unvergleichlich
grosse Mann gefeiert und mit Ruhm überschüttet. Eine scharfe Ant-
wort — man weiss nicht von wem — unter der Maske eines Pariser
Akademikers folgte dem Panegyricus auf dem Fusse.
Aber sie genügte Voltaire nicht; er nahm all seinen Witz, die
furchtbare Fähigkeit, die er besass, Menschen lächerlich zu machen
und durch Spott zu zermalmen, zusammen, um den Präsidenten zu
vernichten und dem Könige zu zeigen, welch einen Phantasten und
Charlatan er für «den Herrscher zweier Reiclie« halte. Der Streit mit
König bot ihm für dieses Unternehmen so gut wie keinen Stoff
mehr, aber unglücklicherweise hatte Maupertuis im Herbst 1752 eine
Sammlung von Abhandlungen in Briefform veröffentlicht , die das Ge-
suchte in überreichem Maasse enthielt. Sie sind in der That zum
Theil höchst sonderbar, diese Briefe ! Maupertuis' ungemessener Ehr-
geiz, als der Universalgelehrte zu gelten, sein Bestreben, durch
Bizarrerien den Eindruck des tiefsinnigen Forschers zu erwecken, der
Probleme aufwirft, an die Niemand gedacht, und Unternehmungen
vorschlägt, die in Erstaunen versetzen, sein hastiges Übergreifen auf
Gebiete, die ihm fremd waren, endlich Nachklänge von Paracelsus
und den Alchemisten her, die immer noch fortwirkten, wo die Stim-
mung der Renaissance herrschte — das Alles trieb zusammen in diesen
Briefen die wunderlichsten Blüthen hervor. Auch wenn man er-
kennt, dass Maupertuis hier nicht Lehren vorgetragen hat, sondern
nur anregen und zum Nachdenken reizen wollte, auch wenn Vieles
in dem Sinne gesagt ist, in welchem in unseren Tagen Jules Verne
^ Als Maupertuis trotz der königlichen Broschüre doch noch selbst antworten
wollte, hat ihm der König das auf's Dringendste widerrathen und schliesslich aus-
geredet; »j'ai ete Torgane du public; ce que j'ai ecrit sur votre sujet, tout le monde
le pensait».
342 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1746—1786).
seine naturwissenschaftlichen Plaudereien vorgetragen hat, auch wenn
man anerkennt, dass Manches, was auf den ersten Blick befremdet,
doch einen guten Sinn hat — der Eindruck lässt sich doch nicht ver-
wischen, dass der Angriff auf sein Princip der kleinsten Action und
auf seine wissenschaftliche Unfehlbarkeit den auch körperlich schwer
leidenden Maupertuis aus seiner Bahn geworfen hat.
Vom Stein der Weisen reden die Briefe und von anderen
alchemistischen Dingen, von der Fähigkeit der Seele, in die Zukunft
zu schauen, von wunderlichen Kuren, die man versuchen solle, von
gewagten Vivisectionen , von den zwölf Fuss hohen Patagoniern,
deren Gehirn man untersuchen müsse, und von geschwänzten Menschen
in der Südsee; sie schlagen vor, ein Loch bis an den Mittelpunkt
der Erde zu graben, eine lateinische Stadt zu gründen u. s. w. Da-
zwischen finden sich allerdings Vorschläge, in denen Maupertuis der
Zeit vorausgeeilt ist, und auch in dem Angeführten steckt mancher
gute Gedanke, auf den nur ein sinnender Naturforscher verfallen
konnte; aber Alles ist so rasch hingeworfen und so stark vermischt
mit Absurdem, dass der Eindruck des Ganzen ein peinlicher bleibt,
ja an"s Lächerliche streift.
Diese Briefe erwählte sich Voltaire, der übrigens von den
Naturwissenschaften nichts verstand und der incompetenteste Richter
war, und schrieb seine Spottschrift nieder: »Diatribe du Docteur
Akakia, Medecin du Pape«. «Jede Ungereimtheit, die dem armen
Maupertuis in dem Ringen nach Erhabenheit, das ihm oft beinahe,
aber niemals ganz gelang, zufallig entfallen ist, hebt Voltaire auf,
manipulirt sie, setzt sie in das Erhaben -Lächerliche und schleudert
sie in der Gestalt von brennendem Staub an das Haupt von mon
President ^<. Voltaire hatte die Kühnheit, dem Könige die Schrift im
Manuscript vorzulesen, und wie sollte dieser nicht einen Moment ge-
lacht haben? aber er verbot Voltaire auf's Strengste, sie zu veröffent-
lichen und liess ihn vor seinen Augen das Manuscript verbrennen.
Doch für die Publicität hatte dieser bereits gesorgt: er hatte auf
Grund einer Druckerlaubniss, die er für eine andere Schrift erlangt und
betrügerisch producirt hatte, das Libell bereits in Potsdam drucken
lassen. Als das Friedrich erfuhr, zwang er Voltaire, der zuerst
Alles ableugnete, zur Abbitte und zu demüthigenden Erklärungen"';
^ Carlyle.
- An Maupertuis schrieb er (lo. December 1752): «Ich habe ihm den Kopf
gewaschen und gesagt, dass mein Hans ein Heiligthum sein muss und nicht eine
Zuthichtsstätte für Briganten und Giftmischer". An Darget (9. April 1753, (Euvres
Der Streit Maipertuis' und Voltaire's (1752/53). 34B
die ganze Auflage Hess er vernichten. Allein Voltaire betrog den
König zum zweiten Mal. Er schickte ein Exemplar in's Ausland, und
bald erschien der »Akakia« auf's Neue, jetzt in Tausenden von Exem-
plaren, und wurde mit Schadenfreude vom Publicum gelesen \
In hellem Zorn flammte Feiedeich auf; er schrieb Voltaire:
»Wenn Eure Werke Statuen verdienen, so verdient Eure Aufführung
die Galeere«, und er liess am Weihnachtsabend 1752 das Libell von
Henkershand auf dem Gensdarmen -Markt zu Berlin verbrennen —
die Freiheit der Wissenschaft stand hier nicht zur Frage". Damit
war Voltaire's Rolle in Berlin ausgespielt. Zwar suchte der König,
nachdem er den Mann »von infamstem Charakter« so hart bestraft
hatte, doch noch einen Ausgleich herbeizuführen; allein Voltaire
wollte nicht mehr bleiben. Nachdem er noch einmal vor Friedeich
Komödie gespielt, d. h. den Verdienstorden wieder angelegt, öffent-
lich das gegen Maupeetuis geschleuderte Pasquill verleugnet und auch
gelobt hatte, nicht mehr gegen ihn zu schreiben, verliess er im März
Potsdam und die preussischen Staaten, um sofort von Leipzig giftige
Schmähbriefe gegen Maupeetuis, die Akademie, der er die Mitglied-
schaft kündigte, und den König — der »Salomo des Nordens« war
nun zum »Dionysius von Syrakus« geworden — ausgehen zu lassen.
Das drakonische Nachspiel in Frankfurt, das dieser Wortbruch zur
Folge hatte, gehört nicht mehr hierher^.
Der furchtbare Angriff auf Maupeetuis — vergebens hatte er
an VoLTAiEE eine Herausforderung geschickt — liess sich durch
T. 20 p. 39): »Voltaire est le plus mechant fou que j'ai connu de ma vie; il n'est
bon qu"ä lire. Vous ne sauriez imaginer toutes les duplicites , les fourberies et les
infämies qu'il a faites ici; je suis indigne que tant d'esprit et tant de connaissances
ne rendent pas les hommes meilleurs. J'ai pris le parti de Maupertuis , parce que
c'est un fort honnete homme, et que Tautre avait pi'is ä täche de le perdre«.
^ Dies in Kürze der Vei-lauf der Sache; die Darstellungen bei Thiebaut
(Souvenirs T. V p. 261 ff.) und Formet (Souvenirs T. Ip. 270) lassen sich vereinigen;
der Bericht des Ersteren hat an dem Brief Friedrich"s an ^Maupertuis vom 29. No-
vember wenigstens theilweise eine Stütze erhalten.
^ Voltaire fasste es freilich so auf (s. Lucchesixi zum 4. December 1780 bei
Bischöfe S. 187).
^ Dass Voltaire bereits nach einem Jaln-e trotz der gemeinsten Verleumdun-
gen, die er über den König ausgesprengt hatte, doch wieder mit ihm anzuknüpfen
suchte und dass dieser nach einigem Zögern (Qiluvres T. 20 p.45 vom i. April 1754)
darauf einging, wäre ein Räthsel, hätte uns Moliere nicht im Misanthrope gezeigt,
dass solche Fälle häufiger sind. Aber auch damals vergass Friedrich nicht, dass
Voltaire etwas an der Akademie und ihrem Präsidenten gut zu machen hatte und
dass die Einstellung aller Feindseligkeiten gegen sie die erste Bedingung des Frie-
dens sein müsse: s. den Brief vom 16. März 1754 ((Euvres T. 23 p.3f.).
344 Geschichte der Akadeiiiie unter Fkikdrich dem Grossen (174(3— 178(i).
keine königliche Huld ungeschehen nlachen, und der Gegner sorgte
im Auslande dafür, dass der Skandal nicht vergessen wurde. Mit
unerbittlichem Hass verfolgte er den Präsidenten immer auf's Neue;
dieser aber war körperlich und gemüthlich gebrochen. Seit einem
Jahre bereits hatte er Urlaub nehmen und in einem wärmeren Klima
Heilung suchen wollen ; er besass seit Monaten die Genehmigung des
Königs zur Reise; aber die Kämpfe hinderten ihn an der Ausfüh-
rung. Im Frühjahr 1753 endlich, fast gleichzeitig mit Voltaire,
verliess er Berlin und begab sich nach Frankreich. Schon früher
hatte er dem Könige Euler als den Mann bezeichnet, der am ge-
eignetsten sei , an seiner Stelle die Geschäfte der Akademie zu
führen »par sa probite, par ses lumieres et par son zele pour TAca-
demie«; jetzt wurde Euler förmlich mit ihnen betraut \ Der König
liess Maupertuis nur ziehen, weil er sein Brustleiden für tödtlich
hielt"' und nichts verabsäumen wollte. Unter der Hand aber musste
bereits im Jahre 1752 Darget in Paris sondiren, ob d'Alembert
sich nicht entschliessen könne, nach Berlin zu kommen und im
Falle einer Katastrophe Maupertuis' Nachfolger zu werden^. Doch
seine liebevolle Sorge für diesen hörte deshalb nicht auf. Er stattete
den Präsidenten mit einem förmlichen Achtungs- und Ehrendiplom
aus, das er Jedem vorlegen sollte, der seine Verdienste antasten
würde*; er schrieb ihm die herzlichsten Briefe, tröstete ihn über
die fortgesetzten Angrifie Voltaire's — «wir sind Collegen in dieser
Affaire« — , beruhigte ihn über das Befinden seiner Frau, die in
Berlin zurückgeblieben war, und gab ihm Nachrichten über die Zu-
stände in «seiner« Akademie, die freilich nicht immer erbaulich
Avaren^. «0, Avenn doch Einer von Euren Medicinern die Kunst,
delabrirte Lungen zu flicken , erfände I « ruft er Maupertuis zu.
^ In emem Brief von Maupertuis an Köhler vom 24. x\pril 1753 (Akademi-
sches Arcliiv) liest man: «S. Maj. ayant approuve que je remisse le detail de Tad-
ministration de l'Academie pendant mon absence entre les mains de M. le Prof. Euler«.
^ Er versicherte Maupertuis, er werde für seine Frau sorgen (Frühjahr 1753).
^ Siehe den Briefwechsel mit Darget vom 31. Juli, vom August und 18. Sep-
tember 1752 (Qiuvres T. 20 j)-34ff-)- d'Alembert lehnte schon damals ab mit Grün-
den, die in Friedrich nur den Wunsch verstärkten, ihn zu besitzen.
* Sielie Urkundenband Nr. 173 (vom 19. April 1753). Wie gespannt man auch
in Frankreich den ganzen Handel mit dem König und Voltaire verfolgt liatte,
zeigt der Brief Tressan's an jNIaupertuis vom 24. Januar 1754 (Le Sueur p.324ff".,
vergl. S.344).
^ Siehe z.B. den Brief vom 12. März 1754: es handelte sich um Zänkereien
zwischen den Chemikern. Aufnahmen in die Akademie fanden während Maupertuis'
Abwesenheit nicht statt.
Maupertuis verlässt Berlin auf ein Jahr. Seine Rückkehr (1754). d45
Im Juli 1754 kehrte der Präsident nach Berlin zurück; sein
Gesundheitszustand hatte sich wider Erwarten doch gebessert \ Aber
er war nur noch eine halbe Kraft. Seine Gegenwart konnte kein
neues Leben in die Gesellschaft des Königs bringen, der einsam ge-
worden war. »Notre societe s'en est allee au diable: le fou [Voltaire]
est en Suisse , Fltalien [Algarotti] a fait un trou ä la lune , Maupertuis
est sur le grabat, et d'Argens s'est blesse le petit doigt, ce qui
lui fait porter le bras en echarpe, comme s'il avait ete blesse ä
Philippsbourg d'un coup de canon. C'est la plus grande nouvelle
de Potsdam; ne m'en demandez pas davantage. Je vis avec mes
livres, je converse avec les gens du siecle d' Auguste, et bientöt je
ne connaitrai pas plus les gens de ce siecle -ci que defunt Jordan
ne connaissait les rues de Berlin'.« In der That — den oberfläch-
lichen, frivolen und pedantischen, immer witzelnden Directeur des
Beiles -Lettres d'Argens allein zum Gesellschafter, das war eine trau-
rige Gesellschaft! In Friedrich zuckte es manchmal, ihn zu be-
handeln, wie sein Vater Gundling behandelt hatte. Überhaupt —
es erinnert doch Manches in den Zuständen und in der Art, wie der
König untergeordnete litterarische Acteure verhöhnt hat, an die Tage
seines Vaters, der Streit zwischen Voltaire und Maupertuis an die
Balgerei zwischen Fassbiann und Gundling, aber aus dem Märkischen
in 's Französische übersetzt und auf die europäische Bühne gestellt.
3.
Zwei Jahre brachte Maupertuis wieder in Berlin zu. Die Ver-
theidigung seines »Princips« und die Verstärkung der Akademie
beschäftigten ihn^. Er nahm sechs neue ordentliche Mitglieder auf,
darunter zur Freude des Vaters den jungen Euler. Aber die ge-
wonnenen tüchtigen Gelehrten blieben bis auf L. deBeausobre sämint-
lich der Akademie nicht treu^. Unter den fünf Ehrenmitgliedern, die
^ Das Erste, was er that, als er die Geschäfte der Akademie wieder über-
nahm, war, zu veranlassen, dass die Hospitäler bei Übersendungen von Leichen an
die Anatomie womöglich eine psychologische Anamnese der Verstorbenen aufsetzten.
Der König verfügte in diesem Sinne (Friedrich an Maupertuis 8. Juli 1754).
^ Schreiben an Darget vom 25. Februar 1754 (CEuvres T. 20 p.43).
^ Ausserdem hat er damals seinen »Schwanengesang" in der Akademie ge-
halten, das schöne Pflöge auf Montesquieu (Mem. 1754 p. 445 ff.). INIoxtesquieu
war bei den Berliner Akademikern besonders verehrt.
* Auch 26 auswärtige Mitglieder nahm Maupertuis in diesen zwei Jahren
auf, unter ihnen den Baron Holbach und den Herzog von Nivernais (S.April 1756).
A'on ihm. der im Januar 1756 als französischer Unterhändler nach Berlin gekommen
346 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1746—1786).
hinzutraten, maclite dem Könige die Wahl des Fürstbischofs von Bres-
lau, des lockeren und witzigen Grafen von Schaffgotsch , besonderes
Vergnügen, »Er kann in der Eigenschaft eines Schülers des Petronius
bei uns eintreten'.« Gleichzeitig mit ihm wurde der Abbe de Prades
zum Ehrenmitglied gewählt, wieder ein Freigeist, der sich aus
Frankreich hatte flüchten müssen. Auf d'Alembert's Empfehlung
hatte ihn Friedrich zu seinem Vorleser gemacht. Beide Männer
sind s]3äter beim Könige in Ungnade gefallen". Der Vorschlag, den
Prinzen Radziwill aufzunehmen , stiess bei Friedrich auf Schwierig-
keiten. »Ihr könnt es mit Eurer Akademie machen, wie Ihr wollt,
mein lieber Maupertuis, aber das weiss ich, w^enn ich eine hätte,
sollte mir kein Fürst und kein Mönch ^ hineinkommen. Wir Fürsten
sind In der Regel sehr oberflächliche Geschöpfe , die den Vereinen,
in die wir eintreten , nur die lange Litanei unserer Titel bringen
und sonst nichts; aber der jiolnische Prinz, der sich Euch j^räsen-
tirt, übertrifft unsere Gattung noch durch ein Stück Narrheit, das
ihm eigenthümlich ist. Damit ist nicht gesagt, dass ich mich
und meine Mitbrüder ausnehme, aber seine Narrheit überragt doch
die unsere. Man muss bei der Wahl auswärtiger Mitglieder die
strengste Kritik üben, sonst wird die Ehre, nicht zur Akademie
zu gehören, grösser sein als die Ehre der Mitgliedschaft. Eine
Körperschaft, die Maupertuis, d'Alembert und Montesquieu zu ihren
Mitgliedern zählt, darf keine Radzi will's und Ansaldi's aufnehmen*.«
Als Maupertuis bei seinem Vorschlag beharrte, gab der König
scheinbar nach''. »Da die gemeinen Vorurtheile in Bezug auf Rang
und Geburt Eindruck auf Euren philosophischen Kopf gemacht
haben, so bin ich bereit zu unterschreiben. Nehmt also Euren
Prinzen, aber — um der Ehre Eurer Akademie willen — lasst
doch noch vorher eine Berechnung anstellen über die Zahl der
war. sagte Friedrich, er sei mehr werth als zwanzig sarmatische Prinzen »oder
als dreissig" (Briefe an Maupertuis vom S.April imd 3. Juli 1756).
^ Siehe den eben citirten Brief vom 3. Juli.
^ Euler schrieb über sie am 24. December 1757 (Le Sueur p. 1491!:'.) an
Maupertuis: "On nous a conseille d'omettre son nom [den des Abbe de Pradcs]
dans la liste des Academiciens cpie nous allons publier; peut-etre meme serons-nous
obliges d"omettre aussi l'eveque«. Es geschah jedoch nicht. An de Prades" Stelle
trat als Secretaire des commandements und Vorleser beim Könige der Schweizer
DE Catt, den Friedrich zufällig auf einer Reise als Gouverneur eines jungen Hol-
länders kennen gelernt hatte.
^ Maupertuis wollte auch einen Dominicaner, Axsaldi. aufnehmen.
* Brief vom 12. März 1756.
'" Brief vom 20. März 1756.
Maupertuis" letzte Jahre in Berlin (1754/56); sein Tod (1759). 347
Narren in der Londoner und Pariser Akademie, ob sie grösser ist
als in der Eurigen , weiter, ob es sich etwa darum handelt, die
ungerade Zahl derselben gerade zu machen. Nehmt Euren Prinzen!
nur hütet Euch, mir nicht seine polnische Übersetzung des Milton
zu schicken,- die er Euch anzubieten nicht ermangeln wird. Ich
sehe, dass die Welt in allen Ländern dieselbe ist, und dass die
Narren sich überall eindrängen: sie dienen als Schönheitspflaster
für solche, welche nicht ganz ebenso närrisch sind wie sie. Bei der
Königin von Polen erinnere ich mich eine Negerin gesehen zu haben,
ein africanisches Monstrum, und ich kann nicht leugnen, an ihrer
Seite nahm sich die Königin weniger abschreckend aus. Euer Prinz
wird Euren Herrn Grischow und Sack^ und noch vielen anderen,
die ich nur aus der Entfernung gesehen habe, denselben Dienst
leisten....« Maupertuis verzichtete jetzt auf die Aufnahme des
Prinzen,
Am 7. Juni 1756 verliess der Präsident, dessen Gesundheits-
zustand sich wieder verschhmmert hatte, Berlin abermals, diesmal
für immer. Gleich darauf brach der Siebenjährige Krieg aus, der
Maupertuis , dessen Herz zwischen Preussen und Frankreich getheilt
war, besonders hart traf". Aber er blieb dem Könige treu^. Als
sein Urlaub ablief, wollte er nach Berlin zur See über Hamburg zu-
rückkehren, fand aber die Häfen gesperrt. Er plante nun, von Bor-
deaux aus die Seereise zu machen, aber Friedrich rieth dem kranken
Manne nach Italien zu gehen und verlängerte ihm den Urlaub. Zur
italienischen Reise kam es nicht. Maupertuis, immer noch hoffend,
in sein Amt zurückkehren zu können, begab sich über Neufchätel
nach Basel zu seinem Freunde Jon. Bernoulli. Dort ist er am
27. Juli 1759 gestorben^. Der König hatte ihn auch im Kriege nicht
^ Der Hofprediger; einen Grischow gab es damals nicht in der Akademie;
denn der ältere war seit mehr als sechs Jahren todt, und der jüngere fast ebenso
lange schon in Petersburg.
^ In seinen Briefen aus Fi^ankreich hat Maupertuis daher immer wieder dem
Könige vorgestellt, er solle Friedensfürst Averden und Pacificator Europas (s. die
Briefe im Geh. Staatsarchiv vom 6. October 1756, 27. Deceinber 1757, 12. Septem-
ber i758)_._
^ Über einen Versuch, der von Paris aus gemacht wurde, Maupertuis zurück-
zuholen, s. den Brief Maupertuis' an den König vom 18. INIai 1756 (Geh. Staats-
archiv).
* »Zwischen zwei Kapuzinern«, sagte Voltaire höhnisch, und Formet wieder-
holte das Wort (Souv.I p, 216); aber Voltaire hat in seinem Hass noch mehr gesagt: »II
est mort pour avoir voulu noyer ses chagrins dans de l'eau-de-vie«. — Die interessante
Thatsache, dass Wieland sich bemüht hat, Maupertuis' Stelle in der Akademie,
348 (.ieschichte der Akademie unter Friicdricii dem Grossen (1746—1786).
vergessen. Aus Struppen, aus Dresden, aus dem Feldlager von Prag
hat er ilim geschrieben. »Ihr seid vielleicht der einzige Franzose
in Frankreich, der an mich denkt \«
In den letzten Monaten vor Ausbruch des Krieges war Friedrich
anscheinend in resignirter Stimmung. »Unser Zeitalter ghänzt nicht
durch grosse Männer, die es besitzt, sondern durch das grosse Erd-
beben; es ist steril"'.« Als ihn Maupertuis ersuchte, wieder etwas
für die Memoires zu schreiben, erwiderte er: »Ich bin nichts als
ein trister Politiker; ich könnte nur ein Memoire schreiben über
die besten Mittel, ein ruinirtes Königreich wieder herzustellen;
aber man würde sich darüber moquiren und sagen: er hindert das
seinige so zu sein, wie es ihm genügen sollte. Bis zur öffentlichen
Sitzung sind nur noch drei Tage ; ich erwarte daher Eure Ordres
für das nächste Jahr oder wann es Euch beliebt^«. Das nächste
Jahr, ja schon die nächsten Monate sollten andere Aufgaben bringen!
Aber während sich bereits die Wolken zusammenzogen, am 3. Juli
1756, sprach er Maupertuis gegenüber noch die Absicht aus, den
Wunsch des Fürstbischofs von Breslau zu erfüllen und ihm die Rede
für den Eintritt in die Akademie auszuarbeiten: »Ich werde das
Vergnügen haben , ihn sagen zu lassen , was ich über Euch denke,
und werde die Rede auf die Siege bringen, welche die Fortschritte
des menschlichen Geistes über den Glauben gewinnen. Ich bin zwar
für meine Person nicht allzu überzeugt davon, aber es ist gut, der-
gleichen zu sagen; denn es giebt so dumme Priester« u. s. w. Zu
wenn auch nicht die des Pi'äsidenten , zu erhalten, ist durcli L. Hirzel (Wieland und
KÜNZLi, S. I39f.) bekannt geworden. Wieland wandte sich an Bodmer und Künzli,
damit diese Sulzer für den Plan gewönnen. Er schrieb an Bodmer (6. September
1759): "Man könnte das 'Gedicht von der Natur der Dinge' und 'Cyrus' so viel
gelten machen, dass die Herrn Academiciens mich dieser Ehre wohl so würdig
finden könnten, als Herrn Berteand [Elie Bertrand in Bern, aufgenommen 29. Juni
1752]. Formey kann viel thun. Aber ich möchte mich von hier aus nicht briguiren,
sonst wäre die Sache vielleicht auch noch durch Hrn. Bertrand zu machen. Ich
will aber unendlich Mal lieber Ihnen und Hrn. Künzli und Hrn. Sulzer dafür ver-
bunden sein, als Jemand anderem«. Wieland's Ambition ist sehr auffallend; denn
er hatte die Akademie wenige Jahre vorher bitter verhöhnt. Er wurde übrigens
nicht aufgenommen; erst im Jahre 1786 (nach Friedrich des Grossen Tode) ist er
auswärtiges Mitglied geworden. — Maupertuis' Eloge hat Formey gehalten (Mem.
1759 [1766] p. 464 ff.) und ihm darin alle Ehre angethan. Dass Voltaire die Unter-
drückung der Rede durchzusetzen versucht hat, erfährt man aus einem Brief
Tressan's an Formey (Souv. I jj. 204). In der KöNio'schen Angelegenheit erkennt
Formey an, dass Maupertuis und die Akademie Fehler begangen haben.
^ Briefe vom 19. October 1756 und vom 18. Januar und 19. Mai 1757.
^ Brief vom 3. Juli 1756.
^ Brief vom 21. Januar 1756.
Der Siebenjährige Krieg und die Akademie (unter Euler's Leitung). ö-tl)
dem Ulanenstreifzug in das feindliche Gebiet der Kirche im Bunde
mit dem verweltlichten Bischof kam es nicht mehr ; bereits im August
rückte Friedrich in Sachsen ein.
Während des furchtbaren Krieges, in welchem der Feind bis
in die Hauptstadt vordrang, stockten die Arbeiten der Akademie nicht
sofort, aber sie wurden doch sehr gehemmt und hörten zuletzt fast
ganz auf\ Einige Akademiker verliessen Berlin; sie folgten Berufungen
nach Petersburg an die dortige Akademie, die damals der Berliner
die gefährlichste Concurrenz machte. Es lassen sich w^ährend des
Krieges zwei Perioden unterscheiden. In der ersten von 1756-59
gingen die Geschäfte im Ganzen ruhig fort; Euler, der sie leitete",
correspondirte regelmässig mit Maupertuis , und das Erscheinen der
Memoires wurde nicht unterbrochen. Aber nach Maupertuis' Tode,
als Euler factisch Präsident geworden war — den Titel erhielt er
nicht — , stellte man unter dem Druck, der auf Allem lag, die
Herausgabe der Memoires ein (von 1760-64 ist nichts erschienen),
und auch die Sitzungen wurden nicht mehr ganz regelmässig ge-
halten »a cause des circonstances publiques^«. Ordentliche Mitglieder
und Ehrenmitglieder sind bis 1759 (während Maupertuis' Abwesen-
heit bis zu seinem Tode) überhaupt nicht mehr gewählt worden;
dann (1760) ernannte man de Gatt und die Mediciner Brandes und
EoLOFF, die schon seit fünf Jahren Associes waren, zu ordent-
lichen Mitgliedern^. Als man aber den König ersuchte, Marggraf's
^ Über die Stimmung der Akademie während des Krieges belehren vor allem
die von Forjiey in den öffentlichen Sitzungen gehaltenen Reden (s. Mem. 1757
p. 448 ff., 1758 p. 471 ff. und 1761 p. 4960".), soweit solche Reden es vermögen,
vergl. Bartholmess (Hist. Philos. de l'Acad. I p. 196 ff.), der die Haltung der
Akademie , die schöne Verbindung von Patriotismus und kosmopolitischer Philosophie,
von Freimuth und von Verehrung für den König bewundert. Er glaubt auch an-
nehmen zu dürfen, dass Lessing im Jahre 1760 um seiner patriotisch-preussischen Hal-
tung willen von der Akademie zum Mitglied ernannt worden sei, und rechnet es ihr
hoch an, dass sie zuerst dem «preussischen Grenadier«, Gleim, den Ehrennamen
"der preussische Tyrtäus« gegeben hat.
^ Im Jahre 1755 war ihm die Ehre zu Theil geworden , unter ganz besonders
riihmlichen Umständen auswärtiges Mitglied der Pariser Akademie zu werden; er
hatte aber auch siebenmal den Preis dieser Akademie gewonnen.
^ Dagegen hatte noch im September 1758 Euler an Maupertuis geschrieben:
"Alles ist bei uns ruhig in der Akademie. Wir versammeln uns regelmässig und
leben zusammen in bester Harmonie«. Nur Pott störte durch Zänkereien.
* Die Wahl des Leibarztes Cothenius, im September 1760, zum Ehren-
mitglied war eine blosse Form; als auswärtiges Mitglied gehörte er der Akademie
schon seit 10 Jahren an. — In den drei Jahren bis zu Maupertuis' Tode sind zehn
auswärtige Mitglieder gewählt worden, aber mit seiner Zustimmung (s. die Briefe
Euler's an ihn vom 16. September und 4. November 1758), wenn auch nicht sämmtlich
350 (lescliiclite der Akademie unter FRiEnRirii dem Grossen (1 746 — 178»)).
Walil zum Director zu bestätigen und die Verleihung einiger er-
ledigten Pensionen zu genehmigen \ vollzog der Monarch zwar die
Ernennung Marggraf's unter Anerkennung seiner grossen Verdienste,
genehmigte aber die Pensionen -Verleihung nicht, sondern liess der
Akademie durch d'Akgens mittheilen'", alle erledigten Gehälter seien
bis zur Beendigung des Krieges zu thesauriren^ und jede Neuerung
habe zu unterbleiben; sobald der Friede geschlossen, werde erder
Akademie eine ganz besondere Sorge zuwenden, die eingeschlichenen
Missbräuche abstellen und ihr neue Kraft, zur Befriedigung aller
Mitglieder, einflössen *. Er spricht ferner sein Befremden aus, dass
die Drucklegung der Memoires Schwierigkeiten finde, und ermahnt
zur tleissigen Arbeit, Ȋ donner par la diversite des ouvrages et des ma-
tieres une nouvelle vie ä ces Memoires, que quelques-unes des classes
paraissent avoir trop negliges, quoique ce ne soit pas la faute des
Academiciens qui composent ces classes , mais celle de quelques abus,
que le Roi se propose de reformer ä la paix«. Die Mahnung fruchtete
nichts; die Memoires erschienen zunächst überhaupt nicht mehr.
Unmittelbar bevor diese Ordre an die Akademie erging, hatte
sie neun auswärtige Mitglieder aufgenommen (13. März, 16. und
23. October 1760), und der König hatte diese Wahlen bestätigt,
wahrscheinlich ohne nähere Prüfung. Diese Neun sind mithin die
einzigen Mitglieder, die nicht mehr unter Maupertuis' Präsident-
schaft und noch nicht durch Initiativentschliessung des Königs
(s. unten) aufgenommen worden sind. Sie verdanken ihre Re-
ception also lediglich der freien Wahl der Akademie unter Euler's
Leitung. Unter ihnen befanden sich drei Deutsche: Silberschlag in
Magdeburg (später ordentliches Mitglied der Akademie), der Arzt
mehr auf seine Veranlassung. Unter ihnen befand sich Lagrange. Die Hälfte
waren Deutsche.
^ SüssMiLCH , Meckel Und Euler jun. sollten Pensionen erhalten (s. Akademische
Protokolle, 25. September 1760).
^ Leipzig, den 25. December 1760 (Akademisches Archiv).
^ Dies geschah; der König genehmigte die Anlage der Capitalien (Mittheilung
durch d'Argens an die Akademie, Akademische Protokolle, 6. Januar 1763). An-
fangs hatten die Einkünfte der Akademie schwer unter dem Krieg zu leiden (s.
Euler's Briefe an Maupertuis); aber theils stellte sich der Kalendervertrieb doch
wieder her, theils verringerten sich die Ausgaben dui-ch erledigte Pensionen und
durch Einstellung der Zuschüsse zu den wissenschaftlichen bistituten. Schon am
16. September 1758 schrieb Euler an Maupertuis, dass er noch etwa 6000 Thlr. habe
auf Zinsen legen können (vergl. die Briefe vom 16. December 1758 und 30. Januari759).
* Friedrich suchte nach einem neuen Präsidenten — oder vielmehr, er dachte
an d'Alembert; bis dahin sollte nichts geschehen.
Lessing's Aufnahme (1760). Der König entzieht d. Akad. d.AVahh-echt (17<>4). o51
Huber in Cassel und — Lessing. Wer ihn vorgeschlagen hat (Sulzer?),
ist aus den Acten nicht zu ersehen. Von 1748 — 55 hatte er sich
mit Unterbrechungen in Berlin aufgehalten , war bekanntlich auch
zu Voltaire in nahe Beziehungen getreten und von seinem Geist und
Stil stark beeintlusst worden. Dann aber hatte er, i 758 60 wiederum
in Berlin, anonym, jedoch den Freunden bekannt, mit der Geissei
in der Hand den Tempel der deutschen Litteratur zu reinigen be-
gonnen. Die Aufnahme w^ar eine würdige Belohnung im rechten
Moment — endlich einmal eine Wahl, bei der die Akademie sich
ihrer Aufgabe, die deutsche Litteratur zu x^Hegen, erinnert hati
Aber der König missbilligte die Entschliessung. Wir wissen be-
stimmt, dass er mit den Receptionen, die seit Maupertuis' Tode
vollzogen w^orden waren , unzufrieden gewesen ist. Da sich diese
Unzufriedenheit schwerlich auf die sechs gew^ählten Ausländer (in
Paris, Bologna, der Schweiz und im Haag) bezogen hat, so kann
sie nur durch Silberschlag's , Hubers oder Lessing's Wahl veranlasst
worden sein. Von diesen dreien kannte er die beiden ersten kaum,
von Lessing aber wusste er genug; Voltaire hatte ihn früher bei
ihm verleumdet. Die Folge war, dass der König die nächsten Vor-
schläge, die die Akademie am 2. April 1761 zur Bestätigung vor-
legte — es handelte sich wieder um zwei hervorragende Deutsche,
Gellert und Lambert — , zunächst überhaupt nicht beantwortete,
dann aber nach drei Jahren (am 6. Januar 1764, s. Akademisches
Protokoll und Memoires 1770 p. 7 f.) durch d'Argens der Akademie
erklärte, S. Maj. halte es zur Zeit nicht für opportun, die gemachten
Personalvorschläge zu bestätigen, und Sie befehlen, »qu'on ne reQÜt
ä l'Academie aucun membre jusqu'ä ce qu'Elle eüt nomme un Pre-
sident, et qu'Elle se reservait pour le present le droit de nommer
Elle seule jusqu'ä ce temps les membres que l'Academie recevrait«.
Dabei blieb es. Der König hat in den folgenden 22 Jahren bis zu
seinem Tode die Wahlen als sein Reservatrecht behandelt und der
Akademie durch diese Ordre das Vorschlagsrecht ganz (so hat es
F0R31EY, Souv. I p. 163 f. aufgefasst) oder doch nahezu genommen. Es
ist wahrscheinlich, dass die missliebige Wahl Lessing's diesen Ent-
schluss mitverursacht hat. Der erste richtige und muthige Schritt
hat der Akademie die Ungnade des Königs zugezogen!
Über Euler's Geschäftsführung (bis i 759)sindwirdurch seine Briefe
an Maupertuis einigermaassen unterrichtet \ Er war gewissenhaft und
^ Le Sueur p. 146 — 179.
B52 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1746—1786).
sparsam, aber kaum weniger heftig und eigensinnig als der alte
Präsident, zwar gerecht, aber nicht ohne Vorurtheile. Auf sein
Betreiben wies die Akademie eine Abhandlung d'Alembert's — wenn
auch in schmeichelhaften Worten — zurück, weil sie eine Polemik
gegen ihn enthielt\ Dagegen wurde der jugendliche Merian von ihm
sehr bevorzugt^. Maupertuis, Euler und er bildeten ein Triumvirat, das
es sich zur Aufgabe gesetzt hatte, die angeblich übertriebene Hoch-
schätzung LEiBNizens auf das rechte Maass zurückzuführen und den
Einfluss seiner Philosophie zu brechen. Eine Sammlung von Leibniz-
Briefen, beleuchtet durch ein ausführliches Vorwort von Merian,
sollte in den Memoires erscheinen^. Maupertuis hatte auch eine
deutsche Übersetzung der Briefe gewünscht, aber Merian fand, als
er sie unternahm , zu grosse Schwierigkeiten ; denn , wie Euler sagte,
«die Anhänger Leibnizchs sind sehr scrupulös in Bezug auf gewisse
Ausdrücke, und es ist fast unmöglich, sie zu befriedigen«. Neben
Euler war Eller, der Leibarzt, das einflussreichste Mitglied der Aka-
demie zur Zeit des grossen Krieges*. Formet stand noch zurück; über
eine seiner Reden bemerkt Euler, dass sie , soweit er urtheilen könne,
gelungen war^. Es geschieht das in Anlass der Schilderung der öffent-
lichen Sitzung zur Feier des Geburtstages des Königs im Jahre 1759;
sie sei gut verlaufen, auch gut besucht gewesen, obgleich kein könig-
licher Prinz das Fest verherrlicht habe*'. Nach diesem Schreiben sind
nur noch drei Briefe an Maupertuis erhalten, der letzte vom 9. Juni 1759.
I]uLER hat dem Präsidenten treulich über alle Vorgänge Bericht
erstattet. Es war wenig zu erzählen ; aber nach Maupertuis' Tode
wurde es noch stiller. Die Acten der Akademie versagen für die
Jahre 1760-63 so gut wie ganz^. Aber auch Friedrich konnte in
^ Akademische Protokolle, 17. Februar 1757. d'Alembert suchte ohne Erfolg
mit Euler in der Mathematik zu rivalisiren, s. Euler"s Brief an jMaupertuis vom
3. September 1757, vergl. Formey 11 p. 239.
^ Auch d'Argens lobte ihn vor dem Könige: »intime ami de feu ^Matpertuis
et homme sage et de beaucoup de merite« (Qiluvres T. 19 p. 195 vom 25. Septem-
ber 1760).
^ Siehe Euler"s Briefe an Maupertuis vom 14. October, 25. November und
16. December 1758.
* Aus einem Legat Eller"s wurde im Jalire 1769 ein Pi*eis (physikalisches
Thema) gebildet, der alle vier Jahre zur Vertheilung kommen sollte (s. ]\Ieni. 1770
p. 29f.).
° Augenscheinlich war das in Euler's Sinn eine Ausnahme; er liielt wenig
von Formey, und dieser hasste ihn.
^ Brief vom 30. Januar 1759.
' An alte traurige Zeiten wurde die Akademie erinnert, als sie im März 1760
in kläglichen Worten um eine UnterstützunQ- angelleht wurde. Die Bittstellerin war
Die Akademie während des Siebenjährigen Krieges. ö5ö
dem grossen Kriege nicht für die Akademie sorgend Er las Vieles,
aber er schickte ihr nichts ein. Seinen Abriss der Kirchengeschichte,
eine Frucht der Leetüre von Fleury's Werk, unter der schlechten
Beratlmng des frivolen Hoftheologen d'Argens entstanden, liess der
König nicht 'in den Memoires drucken". Auch was er sonst pro-
ducirte und zu Papier brachte, theilte er der Akademie nicht mit;
denn sie galt ihm gleichsam für suspendirt, solange er ihr keinen
Präsidenten schaffen konnte. Einen gewissen Zusammenhang hielt
d"Arc4ens aufrecht; aber geschäftliche Mittheilungen waren nur spär-
lich zu machen^. Dafür plauderte der witzige Marquis von diesem
und jenem und erzählte akademische Klatschgeschichten , unter An-
derem, dass der Botaniker Gleditsch steif und fest behaupte, den
verstorbenen Präsidenten Maupertuis im Saale der Akademie neben
der grossen Uhr gesehen zu haben; fast eine Viertelstunde habe
die Wittwe des ehemahgen \'icepräsidenten Graben von Steix (Akademisches Archiv
<> Gratificationen « ).
^ Nur Maupertuis' Andenken in Ehren zu halten, vergass er nicht, zumal
da Voltaire noch immer nicht Ruhe gab; s. den Brief an diesen vom 3. April 1760
mit den ernsten Versen (CEuvres T. 23 p. 73):
Laissez en paix la froide cendre
Et les mänes de Maupertuis;
La Verite va le defendre,
Elle s'arme dejä pour lui.
Son äme etait noble et fidele;
Qu'elle vous serve de modele.
^Maupertuis sut vous pardonner
Ce noir ecrit, ce vil libelle
Que votre fureur ci'iminelle
Prit soin chez moi de griffonner.
Aber noch im Jahre 1769 musste er an d'Ale>ibert schreiben: »Voltaire
^vird mir nie vergeben, dass ich ein Freund Maupertuis' gewesen bin; das ist in
seinen Augen ein unverzeihliches Verbrechen« (Qi^uvres T. 24 p.457 vom 2. Juli 1769),
und an Voltaire am 27. Januar 1775 (QEuvres T. 23 p.307): »Maupertuis, que
vous hai'ssez encore. avait de bonnes qualites: son äme etait honnete; il avait des
talents et de belles connaissances. II etait brusque, j'en conviens; et c'est ce qui
vous a brouilles ensemble . . . Enfin il est bien temps d'oublier les fautes quand
ceux qui les ont commises n'existent plus«,
- Die Vergleichung dieses in Form eines »Avant- propos« gegebenen Abrisses
mit GiBBOx"s berühmtem Werk hätten die Schmeichler Friedrich's besser unterlassen.
Aber interessant ist der kleine Aufsatz, weil sich das 18. Jahrhundert nirgendwo
schärfer über die Geschichte der Kirche ausgesprochen hat.
^ Am wichtigsten ist noch der Bericht d'Argens' in dem Brief vom 25. Sep-
tember 1760 (Qiiuvres T. 19 23-i94)- Er zeigt dem Könige an, dass nach Eller's
Tode die Akademie statutengemäss zur Neuwahl eines Directors geschritten sei und
Marggraf gew'ählt habe (s. oben), »sans contredit le plus habile chimiste de l'Eu
rope , grand physicien , et que les Academies de Pai-is et de Londres consulten
comme un oracle«. , /
Geschichte der Akademie. I. 23
rl^^'^
354 Geschiclite der Akademie unter F'kiedrich dem Grossen (174:tj— 178()).
die Erscheinung gedauert, und ganz Berlin spreche davon. Den König
amüsirte und ärgerte die Geschiclite zugleich , und er benutzte sie
zu einer »Ode«, die für die Akademie nicht schmeichelhaft war':
Quoi ! mai-quis, toujours des prodiges.
Des prophetes et des prestiges,
Tout au beau milieu de Bei'lin!
II faut que votre Academie.
Par vetuste, sur son declin,
Radote ou soit en lethargie;
Et Maupertuis, le trepasse.
Qu'a Bäle on avait enfonce,
Reclus dans une triste biere,
Dans un recoin de eimetiere.
Reparait aux yeux eperdus
De nos badauds d'esprit perclus I
"\^oilä la honte de notre äge,
Voila le coup qui nous presage
Qu'enfin l'erreur, par son poison,
Trioniphera de la raison.
Im Winter 1760/61 war der König in Leipzig und liess sich
die beiden Koryphäen der Stadt, Gottsched und Gellert, vorstellen.
Jener, der grosse Duns, der sich längst überlebt hatte, stiess ihn
ab durch die Anmaassung und Eitelkeit, die er im Gespräch zur
Schau trug. Dagegen gewann er Respect vor Gellert. Dennoch
hat er den Vorschlag der Akademie, der bald darauf erfolgte, ihn
zum Mitgliede zu machen , niemals bestätigt (s. oben). Deutsche
Litteraten sollten ausgeschlossen bleiben; der eine, der zwei Monate
vorher durchgeschlüpft war, Lessing, war schon zu viel. Auch
eines französischen Schriftstellers, des grössten Genies, das Frank-
reich besass, hat Friedrich damals gedacht — Rousseau's". Aber
der Mann w^ar ihm unverständlich und antipathisch. Ihn nach
Berlin zu ziehen, konnte dem Freunde Voltaire's nie in den Sinn
kommen, wenn er auch dem Verfolgten ein Asyl gewährte,
4.
Endlich wurde der Friede geschlossen. Die Akademie hatte
während des Krieges 25000 Thlr. »erspart«, aber ihr Personal-
bestand war reducirt^ — auf Vorschläge hatte der König seit dem
^ d'Argens" Brief (4. Februar 1760) und die Antwort des Königs aus Freiberg
(7. Februar) in den (Euvres T. 19 p. 123 ff.
■■^ Der berühmte Brief an den Marschall IvErrn über ihn ist vom i. Septem-
ber 1762 (CEuvres T. 20 p. 288f.), s. die Dankesbriefe Rousseau's a. a. 0. p. 299 ff.
^ Nicht nur durch den Tod; mehrere Mitglieder hatten die Akademie ver-
lassen (s. das 4. Capitel).
Versuche Friedrich's. d'Alejibert für die Akademie zu gewinnen. öOO
Jahre 1761 überhaupt nicht mehr geantwortet (s. ol^en) — , ihre
Arbeiten stockten, und nicht wenige Mitglieder waren verbittert,
weil sie noch immer kein Gehalt bezogen. Friedrich dachte sofort
an die Erneuerung der Akademie. Erneuerung — das bedeutete
nach seiner Auffassung der Dinge einen neuen Präsidenten; denn
der Präsident war ihm die Akademie. Euler, der fast zehn Jahre
die Geschäfte geführt hatte, genügte ihm nicht. Einzig d'Alembert
hielt er für würdig, LsiBNizens und Maupertuis' Nachfolger zu werden.
Dass Euler als Mathematiker viel bedeutender als der Pariser Ge-
lehrte war, wusste Friedrich nicht, und wenn er es gewusst hätte,
so hätte es ihn nicht anders gestimmt: d'Alembert war Philosoph,
Kritiker, Redacteur der Encyklopädie, Franzose!
Schon im Jahre 1752 hatte er ihn nach Berlin ziehen und
statt des todtkranken Maupertuis zum Präsidenten ernennen wollen.
Nicht nur Darget hatte sicli im Auftrag des Königs um ihn be-
mühen müssen (s. oben S. 344), sondern auch d'Argens. Zwölf-
tausend Franken , freie Wohnung im Potsdamer Schloss , freien Tisch
am Hofe und das volle Verfügungsrecht über die akademischen
Gehälter hatte er ihm in Aussicht gestellt. Allein d'Alembert, ob-
gleich er nur 1700 Franken Rente bezog, hatte abgelehnt. Er
wollte seine Unabhängigkeit und Zurückgezogenheit bewahren; er
verwies auf die schlimmen Kämpfe, in die Maupertuis verwickelt
worden sei, weiter auf seine gemeinsame Arbeit mit Diderot, ferner
auf das ihm unzuträgliche Klima von Potsdam , endlich — auf
Maupertuis, der sein Freund sei und ja noch lebe. d'Argens musste
in seiner Antwort diese Bedenken zu zerstreuen suchen: werde
Maupertuis wider Erwarten gesund aus Frankreich zurückkehren,
so bliebe ihm doch die sichere Anwartschaft auf den Präsidenten-
stuhl und ausserdem alle die günstigen Bedingungen , die der König
ihm habe anbieten lassen. Allein d'Alembert verharrte bei seiner Ab-
lehnung — weder seine körperlichen noch seine geistigen und seeli-
schen Kräfte seien der Stelle gewachsen. Auch als ihn Maupertuis
selbst im folgenden Jahre persönlich aufsuchte und des Königs
Bitten unterstützte, blieb er fest\ Den letzten Grund durfte er
nicht deutlich aussprechen: »es ist besser, einen König zum Freunde
als zum Herrn zu haben«. In dieser Stimmung bestärkte ihn nament-
lich Voltaire fort und fort: war ihm selbst der Präsidentensitz
^ Siehe den Briefwechsel zwischen d'Argens und d'Alesibert in den ffiuvi'es
T. 25 p. 2581^'. und Maupertuis' Brief an den Abbe de Prades vom 25. Mai 1753
a. a. O. p. 270.
23*
356 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (174Ü— 1786).
entgangen, so sollte ihn auch kein anderer erhalten. In ül)ertrie-
bener Weise schilderte er dem Freunde die Gefahren , die den Philo-
sophen am Hofe Fkiedrich's drohen — als wären sie alle so intrigant
wie er oder so hochfahrend und unvorsichtig wie Maupertuis.
Da der König d'Alembert zur Übersiedelung nicht zu bewegen
vermocht und auch die Aussichten auf einen Besuch des Gelehrten
in Berlin sich zunächst zerschlagen hatten , so hatte er ihm schon im
Jahre 1754 eine Pension von 1200 Franken ausgesetzt; denn, wie er
an den Marschall Keith schrieb, »d'Alembert ne jouit pas d'avantages
de la fortune proportionnes ä ses talents et ä son caractere«^ Eine
Empfehlung brauchte d'Alembert schon damals nur auszusprechen
— wieder handelte es sich um einen Verfolgten, Toussaint" — ,
und der König versprach seine Protection. Dann kam der grosse
Krieg. Die Correspondenz riss nicht ganz ab; denn Friedrich hatte
den Plan, d'Alembert an die Spitze der Akademie zu stellen, keines-
wegs aufgegeben. Unmittelbar nach dem Friedensschluss lud er ihn
zu einer Zusammenkunft ein und schrieb ihm am 14. April 1763^:
Nos campagnes sont finies. Je suis sensible a la part que vous y prenez.
... Je vais donc vivre tranquillement avec les Muses, et occupe a reparer les mal-
heurs de la guerre, dont j'ai toujoui's gemi. Je compte faire en juin ou juillet
un jjetit voyage dans le pays de Cleves. Si vous voulez a^ous y rendre, je vous
ferai marquer le temps precis de mon depart, et je vous ramenerai en toute sürete
a Potsdam.
Friedrich hofi'te, durch persönliche Vorstellungen das zu er-
reichen, was die Briefe nicht vermocht hatten. Im Kreise der
Akademie wurde die Absicht des Königs bekannt und mit wenig
Freude aufgenommen'*. Wie musste es Euler empfinden, wenn
ihm der Mann vorgesetzt wurde, dem er als Mathematiker unstreitig
überlegen war und der in den Beziehungen zu ihm nicht immer
^ Brief vom Mai 1754 (Qiiuvres T. 20 p. 257).
^ Das französische Parlament hatte sein Buch «Les Mceurs« verbrennen lassen,
s. d'Argens' Brief vom 20. November 1753 (OEuvres T. 25 p. 266f)
^ ffiuvres T. 24 p.378.
* An Diderot als Präsidenten der Akademie ist nie ernsthaft gedacht worden,
obgleich Voltaire ihn — den Goethe den "Deutschesten unter den Franzosen« ge-
nannt, LessinCt als den besten französischen Kritiker gerühmt hat — empfohlen hatte.
Dagegen scheint de Jaucourt, der Mitarbeiter d'Alembert's an der «Encyklopädie",
ernsthaft in Frage gekommen zu sein ; die Akademie selbst — so behauptet wenigstens
Bartholmess (I p. 2 2oflF.) — hat ihn als Calvinisten, freisinnigen Mann und Polyhistor
gewünscht. Allein sein Artikel «Prusse«^ hatte den König beleidigt, auch soll
d'Argens, der noch immer auf die Präsidentenwürde hoft'te, gegen ihn gearbeitet
haben. Vor allem aber — der König wollte auf dem Präsidentenstuhl der Aka-
demie nur einen Gelehrten und Schriftsteller ersten Ranges sehen, und das war
Jaucourt nicht.
Versuche Friedrich's. d'Alembert für die Akademie zu gewinnen. o5<
die Probität bekundet hatte, die ihn sonst auszeichnete M Wie bitter
niusste es der Mehrzahl der Akademiker sein, wenn ihnen jetzt
wieder — nach einem siegreichen Krieg über die Franzosen —
ein Franzose als Präsident gegeben wurde! Welche Gefühle mussten
in ihnen aufsteigen, wenn hier 12000 Franken ausgeworfen wurden,
während sie nach jahrelanger Arbeit vergeblich um 200 Thlr.
l)aten! Ganz verzweifelt schrieb der alte, hochverdiente Süssmilch
in einer Eingabe an das Curatorium, in der er unter Beilegung eines
gelehrten Werkes wieder einmal um die ihm vorenthaltene Pension
nachsuchte (am 5. Mai i 763)"':
Ich bin muthlos und zweifle an einem erwünschten Erfolg, theils weil mein
Buch deutsch geschrieben, theils weil die Akademie der neuen
Schöpfung des d'Alembert soll unterworfen werden, woraus doch
nichts als Tort für die Deutschen zu erwarten. Der Untergang der Aka-
demie erfolgt alsdann gewiss, weil die wenigen Franzosen es nicht aus-
machen werden, unter denen ohnedem kein einziger wahrer Gelehrter
zu finden. Also hat auch anjetzt die Akademie ihre Stunde der Vorsehung.
Süssmilch hatte Recht: d'Argens, Beguelin, Francheville, Pre-
MONTVAL, Achard sen., Formey, Beausobre jun., de Catt bedeuteten
als Gelehrte nichts — das waren die Franzosen und die französi-
schen Schweizer. Euler, Vater und Sohn, Pott, Marggraf, Gle-
DiTSCH, Merl\n, Sulzer und Süssmilch leisteten die wissenschaftliche
Arbeit, und galten in ihren Fächern als die vorzüglichsten Gelehrten,
ja als die ersten Autoritäten Europas — das waren die Deutschen.
Aber der König, so hoch er einen Euler und Marggraf schätzte,
urtheilte in der Gesammtauffassung nach einem anderen Maassstab,
und die Wünsche der Majorität der Akademiker drangen nicht bis
zu ihm^.
^ d'Alembert's Haltung gegenüber Euler ist der schwache Punkt in seinem
sonst untadeligen Charakter als Gelehrter. Er suchte Euler hie und da zu verklei-
nern und zu zeigen, dass er selbst bereits die Entdeckungen gemacht habe, die Euler
vortrug (vergl. Deni?; a, La Prusse litt. 11 p. 38). Andererseits aber hat er ihn doch
auch hoch gerühmt (s. die Briefe an Friedrich vom 7. Februar 1764, Oeuvres T. 27, 3
p.304f., vom I. März 1765, a. a. O. T. 24 p. 394 und vom 29. März 1766, a. a. O.
T.27, 3 p.3I2f).
^ Geh. »Staatsarchiv. Noch am 22. September 1765 hat Süssmilch die Bitte
wiederholt (Akademisches Archiv) und darauf hingewiesen , dass er nun 20 Jahre
umsonst für die Akademie gearbeitet habe; aber er erhielt nichts; denn Friedrich
schätzte ihn nicht. Im "März 1766 ist er gestorben.
^ Bald darauf ist auch die letzte Hoffnung, Winckelmann zu gewinnen, durch
den König zerstört worden. Dass der Gedanke an Berlin dreimal in Winckelmanx's
römisches Leben eingegriffen hat, hat Justi (Winckelmann Bd. H 2, 1872 S.301 ff.)
nachgewiesen. Im Jahre 1761 zeigte sich eine entfei^nte Möglichkeit beim Ankauf
des SxoscH'schen Museums. Im Jahre 1763 suchte ihn Sulzer zu gewinnen; aber
858 Geschiclitc der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1746—1786).
Wirklich brachte er d'Alembert von Wesel, wo er mit ihm
zusammengetroffen Avar, nach Berlin und genoss zwei Monate den
Umgang mit dem verehrten Mann', aber zum Bleiben und zur Über-
nahme der Präsidentenstelle konnte er ihn nicht bewegen. Mit
Schmerzen Hess er ihn im August 1763 wieder ziehen: endlich
hatte er einen Freund gefunden, der Maupertuis ersetzte, ja der
ihn, wie er sicher empfand, übertraf, und diesen Mann konnte er
nicht halten! Doch für die Nachwelt ist es der höchste Gewinn ge-
wesen, dass d'Alembert nach Paris zurückkehrte; denn der Brief-
w^echsel, der nun begann und fast ununterbrochen bis zum Tode
des Gelehrten fortdauerte, ist in der gesammten litterarischen Corre-
spondenz Friedrich's weitaus der gehaltvollste und lehrreichste. Hier
gab sich der König völlig ungezwungen und frei; hier kommen alle
WiNCKELMANN warcn die in Berlin dominirenden Franzosen fatal sowie die mathe-
matische Richtung der Akademie. Wenn sich Sulzer's Vorschlag A'erwirkliche . so
»müsse die erste Sache in Berlin sein, den Marquis d'Argens ■ — er hatte einen
'Wisch' über die Malerschulen geschrieben — für einen unwissenden Esel auf's
höflichste zu erklären ; solche Leute sind ein Schandfleck aller gelehrten Gesell-
schaften«. Aber doch hörte man bereits im Herbst 1763 in Berlin, Winckelmann
werde kommen, und im Jahre 1765 hatten es die Freunde so weit gebracht, dass
ein förmlicher Antrag an ihn. Bibliothekar des Königs zu werden, durch Nicolai
erging. Diesmal willigte Winckelmann mit befi'eindlichem Enthusiasmus ein und er-
fuhr eine peinliche Zurückweisung durch den König, der ihn so wenig kannte,
dass er ihn rnit einem verrückt gewordenen Auditeur und ^'agabunden verwechselte.
Er stiess sich an den 2000 Thalern, die Winckelmann, irre geführt durch Nicolai's
unldares Schreiben, gefordert hatte. "Für einen Deutschen sind 1000 Thaler ge-
nug.« Winckelmann war tief vei'letzt. »Der König weiss nicht, dass man einem
Menschen, welcher Rom gegen Berlin verlässt, und sich nicht anzutragen nöthig
hat, wenigstens soviel geben müsse, als Jemand, welcher von Petersburg gerufen
wird. . . Ich verlasse nicht das Eismeer, wie Euler, oder die Froschpfütze von
Holland, wie Catt, sondern den schönsten Ort der Welt. . . Doch sollte er wissen,
dass ich mehr als ein Algebraist Nutzen schaffen kann, und dass die Erfahrung nur
von zehn Jahren in Rom weit kostbarer sei als ebensoviele Jahre Ausi-echnung von
Verhältnissen von parabolischen Linien, die man zu Tobolsk so gut als in Smyrna
machen kann. . . Ich kann mit eben so viel Recht sagen, was ein Castrat in einem
ähnlichen Fall in Berlin sagte: Ebbene! faccia cantare il suo generale.« — Für
Winckelmann selbst war es ein Glück, dass er nicht nach Berlin gekommen ist.
Nicht vierzehn Tage hätte er es als Privatbibliothekar des Königs ausgehalten.
Dafür kam Pernety, aber der falsche; der König hatte eigentlich seinen Bruder,
der über Physionomik geschrieben hatte, gemeint. Das Archiv der Akademie ent-
hält über Winckelmann nichts.
^ Siehe den Brief an die Herzogin von Sachsen -Gotha vom 22. Juli 1763
(OEuvres T. 18 p. 227). — In der Akademie ist d'Alembert einmal gewesen (14. Juli;
Ei'LER las in seiner Gegenwart eine Abhandlung) und auf's Ehrenvollste aufgenom-
men worden. Er besichtigte auch das Observatorium. Seine Persönlichkeit hat
überall den besten Eindruck gemacht — endlich ein Franzose, der ein wirklicher
Gelehrter war vmd mit bescheidener Würde auftrat I
Versuche Friedrich"s. d'Alembert liu" die Akademie zu gewinnen. «löü
seine wirklichen Interessen nach ihrem Maasse und ihrer Stärke znm
Ausdruck; hier sucht er nicht Voltaire an Esprit, d'Argens an Ge-
wandtheit zu übertreffen, sondern es spricht sein eigenes Talent
und sein eigener Genius. In d'Alembert fand er einen Partner, der
ihm gewachsen war. Stahl und Stein Hessen hier nicht Funken
des Witzes sprühen , sondern Geistesblitze. Aber auch sie sind nicht
das Charakteristische. Der Briefwechsel war dem alternden Könige
ein wärmendes Feuer. Zu ihm muss man greifen, um den sich gegen
seine Umgebung abschliessenden, einsamen Mann theilnehmend und
lebendig zu finden \
Und die Akademie ? — sie erhielt d'Alembert nicht zum öffent-
lichen Präsidenten, wohl aber zum heimlichen. Am 6. Januar
1764 erliess der König jene Ordre, die bereits oben mitgetheilt wor-
den ist, dass er die Personalvorschläge, die die Akademie vor drei
Jahren gemacht habe, zur Zeit nicht genehmige, ferner, dass die
Akademie kein Mitglied erwählen solle, bis er einen Präsidenten er-
nannt habe, und dass er sich selbst bis dahin das Recht reservire,
allein diejenigen zu bezeichnen, die die Akademie als Mitglieder
aufzunehmen habe". Wie ernst das gemeint war, hatte er bereits
sechs Tage vorher durch die That gezeigt, indem er der Akademie
einfach befohlen hatte, Qüintus Icilius, Bernoulli und Castillon als
ordentliche Mitglieder zu begrüssen^.
^ Am Anfang gab es kleine Plänkeleien zwischen dem königlichen Poeten
und dem Geometer (s. Friedrich"s » Reflexions sur les Reflexions des Geometres
sur la Poesie«, CEuvres T.IX p. öiff., dazu d'Alembert 's Antwoi't vom 27. Mai
1762), aber sie waren schon vergessen, als der König in ein näheres Verhältniss
zu dem Philosophen trat. Die Abneigung Friedrich's gegen die »Geometrie« hat
auch d'Alembert nicht überwinden können; aber die bitteren Witze über die Mathe-
matik sind in der Correspondenz spärlich. — Ein eingeschränktes Lob d'Alembert's
in den Gesprächen Friedrich's giebt Lucchesini wieder (Bischöfe, Gespräche Fried-
rich's des Grossen mit de Catt u. s. w. 1885, S. 244).
^ Er traute der Akademie nicht die nöthige Kritik bei den Wahlen zu, und
er war, wie wir wissen, mit den letzten Ernennungen (Lessing) unzufrieden. Ausser-
dem hatte ihm d'Alembert gesagt, dass die Qualität der auswärtigen Mitglieder zu
wünschen übrig lasse und dass ihrer zu viele seien. Was wir in seinem Briefe
vom 3. Juli 1767 (CEuvres T. 24 p. 423 f.) lesen — dass die Liste der Auswärtigen
»bien grand dans un sens, mais assez court dans un autre« sei — , Avird er wohl
schon früher geäussert haben.
^ Siehe die Akademischen Protokolle. Quintus Icilius (Guischard), geb. 1724,
gest. 1775, war erst Theologe gewesen , hatte dann diese Laufbahn aufgegeben und
sich durch das Werk »Memoires militaires sur les Grecs et les Romains« dem Könige
bekannt gemacht, der ihn 1757 zu sich berief. Er blieb auch nach dem Kriege in
seiner Umgebung und setzte seine Studien über die Kriegsgeschichte fort. Johaxn
Bernoulli (geb. 1744, gest. 1807) entstammte der berühmten Basler Gelehrtenfamilie;
360 Geschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1746—1786).
Durch die Ordre vom 6. Januar hat sich der König
selbst zum stellvertretenden Präsidenten erklärt (solange
d'Alembert die Übernahme des Präsidiums verweigern würde'), und
er ist es bis zu seinem Tode geblieben. Er hat alle die Rechte
direct an sich genommen und wirklich ausgeübt, die er einst
Maupertuis übertragen hatte. Fortab ernannte er die Mitglieder, die
ordentlichen und die auswärtigen, und nur selten und unter be-
sonderen Umständen durfte die Akademie es wagen, einen Vorschlag
zu machen. Von 1 764-1 786 hat sie der König regiert und Aka-
demiker berufen, wie er Minister berief. Wie eingehend er sich bis
zu seinem Tode auch um das Einzelne bekümmert hat, werden die
folgenden Blätter lehren"! Im Auslande wusste man es bald, dass
jetzt Alles in den Händen des Königs selbst lag, und demgemäss
erhielten die Diplome der Akademie einen höheren Werth, ihr Ur-
theil ein grösseres Ansehen^.
Aber der wirkliche Präsident war d'Alembert. Kaum eine
einzige Ernennung hat der König vollzogen, ohne seinen Rath ein-
zuholen, und er betrachtete diesen Rath fast immer als entscheidend.
Aber auch von sich aus hat d'Alembert Vorschläge gemacht*. Noch
ein frühreifer Knabe, der die Versprechungen nicht ganz gehalten hat, die er er-
weckte, und die ihm schon mit 19 Jahren den Ruf nach Berhn verschafften. Ur-
sprünghch Astronom (seit 1767 Director der Sternwarte) und Algebraiker, ging er
mehr und mehr zur Geographie über. Castillon (geb. 1709, gest. 1 791), Mathematiker
und Philosoph, hatte bereits in der Schweiz litterarische Beziehungen zu Euler
gehabt. Er wurde Professor in Utrecht; Friedrich zog ihn nach Berlin als Lehrer
an die Artillerieschule; dann wurde er in die Akademie aufgenommen auf Grund
seiner Übersetzung und seines Commentars zu Newton's allgemeiner Arithmetik.
^ Der König hat die Hoffnung darauf nie aufgegeljen. Gleich nach d'Alembert's
Abreise schrieb er ihm am 15. oder 16. August 1763 (CEuvres T. 24 p. 381): »Je
conservai la place de president de l'Academie qui ne peut etre remplie que par vous.
Un certain pressentiment m'avertit que cela arrivera, mais qu'il faut attendre jusqu'a
ce que son heure soit venue». Vergl. den Brief vom 19. Juli 1765 (ffiuvres T. 27. 3
p.308).
^ in dem Akademischen Archiv sind die Ordres des Königs sammt den Couverts
aufbewahrt. Diese tragen in der Regel die Aufschrift : » ä mon Academie des Sciences « .
^ Siehe Formey, Souvenirs T. I p. 163 ff. (»Le Roi a ete reellement le curateur
aussi bien que le protecteur«); Denina, Essai p. 242.
* Allein in den sechziger Jahren hat d'Alembert Castillon, Toussaint,
Thiebailt, Lacjrange und Perxety mit Erfolg als ordentliche ^Mitglieder vorge-
schlagen (vielleicht auch Bitaube) und Castillon, Bernoulli, Beguelin, Lambert,
Lagrange zu Pensionen bez. zur Erhöhung ihres Gehalts empfohlen. Auch neu-
ernannte auswärtige Mitglieder bedankten sich durch ihn beim Könige, s. den Brief
vom 7. Februar 1764, (Euvres T. 27. 3 p. 304!*. (d'Alembert hatte seinen Collegen
an der »Encyklopädie« , Jaucourt, aufnehmen lassen). Wie sehr er sich als latenter
Präsident der Akademie fühlte, geht am deutlichsten aus den Briefen vom 26. Mai und
d'Alembert. der heimliche Präsident der Akademie. 361
häufiger freilich wandten sich die Mitglieder der Akademie an ihn
und suchten ihn für ihre Wünsche zu erwärmen. Es war ein ganz
geregelter, aber heimlicher Geschäftsgang. Die Akademiker richteten
ihre Gesuche an de Catt, den königlichen vSecretär, der seihst Mitglied
der Akademie war, und er schrieb confidentiell an d'Ale3ibert. Dieser
machte die Vorschläge zu seinen eigenen und trug sie in dieser Form
dem Könige vor\ Auch Euler scheute sich nicht, im Interesse seines
Sohnes d'Alembert's Vermittelung direct anzurufen"', und man muss
anerkennen, dass der Pariser Gelehrte hier wie sonst mit unbe-
stechlicher Uneigennützigkeit, mit viel Wohlwollen und mit gutem
Tact seines schwierigen Amtes gewaltet hat. Allerdings nimmt es
sich sonderbar aus, wenn er, scheinbar proprio motu, von Paris aus
dem Könige den Potsdamer Hofprediger Cochius zum ordentlichen Mit-
giiede vorschlägt unter Berufung auf ein gutes Buch , das er von ihm
gelesen habe^. Aber andererseits ist es d'Alembert gewesen, der
dem Monarchen Lagrange als Nachfolger Euler's empfohlen und
seine Berufung durchgesetzt hat. Auf keine andere Erwerbung ist
er, mit Recht, so stolz gewiesen. Durch den ganzen Briefwechsel
mit dem Könige zieht sich der immer wiederholte Ausdruck der
Freude, dass er ihm den grossen Mathematiker hat zuführen können^.
I I.Juli 1766 (QEuvres T. 24 p. 404f. 408 f.) hervor — aus der Art, wie er hier über
die Aufgaben spricht, mit denen die beiden Castillon's, Vater und Sohn, zu be-
trauen seien, und aus den Worten, in denen er beantragt, Lagrange solle über Paris
nach Berlin reisen: «Je pourrais le mettre au fait de plusieurs choses concernant
l'Academie, dont il est bon qu'il soit instruit pour pouvoir etre plus utile dans la
place qu'il va occuper, et qu'il remplira certainement avec succes«. Auch auf die
Verbesserung der Einrichtungen des Observatoriums ist er bedacht, unterbricht sich
aber dann selbst und schreibt: »mais je m'aperQois, Sire, peut-etre un peu tard,
que je fais ici ou parais faire le role de jiresident de l'Academie, qui n'en
saurait avoir de plus digne et de plus eclaire que son protecteur meme, et qui n'a
besoin, pour obtenir ce qui est juste, que de le proposer ä ce grand roi«. In der
That erreichte d'Alembert diesmal nicht ganz die Ausführung seiner Vorschläge, was
ihm empfindlich war (s. 29. Januar 1768, Oeuvres T. 24 p. 43if.): die astronomische
Hauptstelle erhielt nicht Castillon, sondern Bernoulli.
' Vergl. den gesammten Briefwechsel mit d'Alejibert, dazu Dexina, La Prusse
litt. I p.327.
^ Siehe d'Alembert an den König, CEuvres T. 27, 3 p. 304 f. vom 7. Februar 1764.
^ Brief vom 16. October 1769, CEuvres T. 24 p. 462!'.
* Die Correspondenz über Lagrange beginnt mit dem Brief vom 29. 3Iärz
1766 (ffiuvres T. 27. 3 p. 3i2f.); die sich anschliessenden Briefe stehen im 24. Bd.
p. 403ff. Der König bedankt sich im Brief vom 26. Juli 1766 (Qiluvres T. 24 p. 407),
dass er für einen einäugigen Geometer einen mit zwei Augen eingetauscht habe.
Auch der Wunsch Lagrange's, sofort Director der mathematischen Klasse zu werden,
ist durch d'Alembert an den König gekommen (12. September 1766, CEuvres T. 24
p. 409).
362 Gescliiclitc der Akndeinie unter Fkikdrich dem Grossen (1746— ITSti).
Friedrich und i/Alembert waren beide der Meinung, dass die
grossen Talente — in Frankreich wie überall — immer seltner wür-
den', und dass man eine Akademie lieber spärlich als mit wenig taug-
lichen Gelehrten besetzen solle"". In Folge dessen hat Friedrich in
der zweiten Hälfte seiner Regierung, d. h. in 22 Jahren, nur 18
ordentliche Mitglieder und i 7 auswärtige ernannt. Es war ein Ver-
hängniss für die Akademie, dass weder der König noch der grosse
französische Gelehrte den Fortschritten der deutschen Wissenschaft
(mit Ausnahme der Mathematik) und Litteratur folgten, ja sie nicht
einmal beachteten^. Sie haben in einer Zeit, in der der deutsche Geist
mächtig emporstrebte, eben in jenen 22 Jahren, nicht einen einzigen
Deutschen zum auswärtigen Mitglied ernannt und nur fünf Special-
gelehrte zu ordentlichen. Weder die Begründer und Mitarbeiter der
»Allgemeinen Deutschen Bibliothek«, noch die Männer der neu herauf-
steigenden Zeit, wie Winckelmann und Herder, obgleich der letztere
mehrmals den akademischen Preis gewonnen hatte, wurden der Auf-
nahme für würdig erachtet! Jetzt erst wurde die Isolirung der Akade-
mie in der eigenen Heimath wirklich vollständig. Auch ihre Geschäfts-
sprache wurde französisch, sie selbst eine Societät französischer Litte-
raten, in dereinige deutsche und schweizer Specialgelehrten arbeiteten,
geleitet von dem preussischen Könige, der völlig befriedigt w^ar, wenn
ihm der grosse Pariser Geometre-litterateur das Zeugniss ausstellte,
dass seine Akademie in gutem Zustande sei*. Und doch - — auch
Friedrich, der Akademiker, hat einen Geisteskampf gekämpft, den
er mit Anspannung aller Kräfte für sein Land und sein Volk
^ Qiuvres T. 24 p. 461!'. vom 14. September 1769 schreibt Friedrich: »Les
hommes a talents en tout genre se fönt rares ; on a bien de la peine a trouver des
hommes superiem-s«, vergl. den Brief an Voltaire vom 3. November 1766 (Oeuvres
T. 23 p. 113): «Je ne suis pas le seul qui remarque que le genie et les talents sont
plus rares en France et en Europe dans notre siecle cpx'ä la fin du siecle j^recedent«.
'■^ d'Alembert am 3. Juli 1767, OEuvres T. 24 p. 423^
^ Doch erlaubt sich d'Alembert, mit der dreisten Sicherheit der Unkenntniss
zu schreiben (7. August 1769, Qiuvres T. 24 p. 460): »Heureusement, Sire, voti'e
Academie des Sciences ne ressemble pas au reste de la nation^. Dieser Franzose
ist sonst ein ernster und gerechter Mann gewesen , aber bei Beurtheilung deutscher
Zustände dispensirte er sich von aller Kenntniss und Gewissenhaftigkeit.
* Als d'Alembert die Memoires der Akademie als excellent bezeichnet hatte
— »sie erweisen, dass diese gelehrte Gesellschaft eine der bestzusammengesetzten
in Europa ist« (a.a.O.) — , schrieb Friedrich (14. September 1769, OEuvres T.24 p.46if):
»Je suis bien aise que vous soyez content des Memoires de notre Academie«, und
zwei Monate später (p.464): -Pour notre Academie, sans etre brillante, eile va
doucement son chemin. L'approbation que vous donnez k quelques -uns de ses
membres me les rend encore plus precieux".
Reiielung- der Finanzen der Akademie (1763 — 65). 368
führte: es sollte aus Siiperstition und sittlicher Unfreiheit zur Ver-
nunft und zu edlen Formen emporstreben. Aber bei allem Scharf-
blick fehlte ihm die Einsicht, dass sich kein Volk willkürlich modeln
lässt, und dass man volksthümliche Kräfte benutzen muss, wenn
man es fördern will. Dazu: das Bildungsideal, das ihm vorschwebte,
Avar abstract und höfisch zugleich ; es bot Formen statt Kräfte.
Noch im Winter 1763/64 schritt der König zur Neuordnung der
Finanzen der Akademie. Trotz der grossen Summen, die während
des Krieges erspart worden waren, war er mit der Verwaltung wenig
zufrieden: die Kalender hätten mehr einbringen müssen; Euler sei
von dem Ober-Commissar — es war noch immer Köhler — zu
abhängig, der ungebührlich viel in seine eigene Tasche lliessen lasse.
Das behaupteten auch Andere ; aber Euler hielt Köhler für unentbehr-
lich und traute ihm, wie ihm einst von Jariges getraut hatte; doch
wurde das Kalenderwesen nun schärfer controlirt\ Ein Theil der
ersparten Gelder (s. oben S. 354) wurde auf königlichen Befehl zu
einem grossen Umbau des chemischen Laboratoriums und der mit
ihm verbundenen Wohnungen, zur Einfriedigung des botanischen
Gartens und zur Reparatur aller Gebäude der Akademie verwendet.
Die Klagen über die Verwaltung hörten aber nicht auf, und die
Kalender wurden nach Inhalt und Ausstattung schlechter. Dennoch
scheute Euler vor einer Neuordnung zurück, und eine förmliche
Klage Sulzer's bei der Akademie blieb ohne Erfolg; denn die Aka-
demiker fürchteten Euler. Einige sagten wohl mit Beguelin, er werde
Berlin verlassen, wenn man ihm Ungelegenheiten mache, und
dieser Verlust würde grösser als alle Vortheile einer besseren Einrich-
tung sein. Jetzt steckte sich Sulzer hinter de Catt, und der König
erliess eine Ordre, in welcher er eine Commission niedersetzte zur
Reform der Administration der Akademie (2 i. Februar 1765)". Ob-
gleich Euler selbst (neben Merian, Sulzer, Beausobre, Castillon
und Lambert) in die Commission gewählt wurde, empfand er diese
Maassnahme doch als ein Misstrauensvotum und als eine persönliche
Kränkung; bisher »hatte er alles allein regiert, und er wollte auch
nichts Nachtheiliges gegen Köhler geschehen lassen«. Übrigens
hatte er wirklich Feinde in der Akademie, vor allem Formet, aber
auch Sulzer und Lambert scheinen ihm nicht günstig gesinnt ge-
wesen zu sein.
^ Schon damals hat Euler daran gedacht, Berlin den Rücken zu kehren und
wieder nach Petersburg zu gehen (s. seinen Brief an Goldbach vom i. October 1763)-
- Siehe Akademisches Archiv und Sulzer, Lehensbeschreibung S.43tT.
364 Geschichte der Akademie unter P'rikdrich dem Grossen (1746—1786).
Die Commis.sioii konnte sich über die an den König zu rich-
tenden Vorschläge nicht einigen und sandte daher drei verschiedene
ein. Sulzer und Beausobre riethen, das Kalenderwesen zu ver-
pachten: Lambert wollte, die Commission solle es in die Hand
nehmen — man hehauptete, er wünsche es seihst zu verwalten — ;
Euler schlug vor, es Köhler unter neuen Bedingungen zu lassen.
Ohne Wissen der Commission , um sich den Sieg zu sichern , schrieb
er an den König; aber dieser Schritt hatte den entgegengesetzten
Erfolg: der König entschied sich für die Verpachtung, bevor ihm
noch die Vorschläge eingereicht waren, und richtete an Euler ein
scharfes Schreiben^: »ich verstehe zwar keine Curven zu berechnen,
aber das weiss ich, dass 16000 Thlr. mehr sind als 13000«. Die
Commission war entrüstet, als sie von dem Briefwechsel Euler's
mit dem König erfuhr, und nöthigte ihn, das wenig schmeichelhafte
königliche Schreiben in der Sitzung zu verlesen. Dennoch war er so
unvorsichtig, sich noch einmal direct an den Monarchen zu wenden,
was ihm nur «eine sehr ernsthafte Antwort eintrug, die er Niemandem
gezeigt hat«, «In dergleichen Fällen verrechnete sich unser grosser
Geometer erstaunlich«, sagte sein Freund Merl\n. Schärfer drückte
sich Sulzer aus: «Es ist ganz unglaublich, von was für kindischen
Besorgnissen — er- glaubte , bei einer Neuordnung würde sein Gehalt
nicht mehr regelmässig aus])ezalilt werden — und Vorurtheilen dieser
in seinem Fach so grosse Mann eingenommen war«. Der peinliche
Vorgang reifte in Euler den Entschluss, Berlin zu verlassen und
nach Petersburg zurückzukehren. Dass er d'Alembert nachgesetzt
worden war und nun auch in seinem Wirken für die Akademie durch
eine Commission beschränkt werden sollte, war ihm zuviel. Wer
wird diesen Entschluss dem Manne verargen, der fast zehn Jahre
der Leiter der Akademie gewesen war und jetzt seine Herrschaft
mit kleineren Geistern theilen sollte"? Erst auf das dritte Abschieds-
gesuch antwortete der König, und zwar mit der freundlichen Auf-
^ Am 16. Juni 1765 (Oiuvres T. 20 p. 208 f).
^ Etwas dunkel schreibt Formey (Souv. I p. 159), der Rücktritt Eüler's >>ne
vient d'aucun nieprls pour I'Academie. II l'aimait et aurait volontiei's fini ses jours
dans une capitale oü il jouissait de tous les agrements possibles. Je pourrais ra-
conter au long et fort exactement tout ce qui occasionna son mecontentement et sa
retraite. Mais je ne ci'ois pas que c'en soit encore le temps». Vermuthen darf
man, dass Lambert's Art Euler unsympathisch war. und dass dieser sich nicht
freundlich zu ihm gestellt hat. Auch ist es wahrscheinlich, dass er an der im Jabre 1765
vom Könige gegründeten Ritterakademie unterrichten sollte, und dass ihm diese Aus-
sicht nicht verlockend war.
EcLER verlässt die Akademie (1766). 3b5
forderung, Euler möge seine Eingabe zurückziehen und nicht wieder
auf die Sache zu sprechen kommend Allein er war entschlossen,
Berlin zu verlassen, und zwar mit seinem Sohne, dem Akademiker.
Am 2 . Mai ertheilte ihm Friedrich in kurzen Worten und ohne Dank
den Abschied «pour aller en Russie«, und in der Sitzung am 29. Mai
war Euler zum letzten Mal in der Akademie, die ihm ihr Bedauern
über sein Scheiden aussprach". Fünfundzwanzig Jahre hatte er ihr
angehört und ihren Ruhm erhöht^. Der König war betrübt und
gekränkt; wieder sah er einen Akademiker, und einen so hervor-
ragenden, nach Petersburg ziehen^. Auch d'Alembert bestärkte
ihn in der schmerzlichen Überzeugung, dass er diesen Verlust nicht
hoch genug schätzen könne. Erst nach zehn Jahren hören wir von
einer Correspondenz des Königs mit Euler, der unterdess völlig er-
blindet war, aber fortfuhr, die Welt durch mathematische Arbeiten
ersten Ranges in Erstaunen zu setzen. In zwei Briefen dankt ihm
Friedrich für seine Vorschläge über eine zweckmässige Calculation der
Wittwenkasse , in einem dritten für seine Wahl zum Ehrenmitglied
der Petersburger Akademie^. Der Friede war nun wieder hergestellt^.
^ Brief vom 17. März 1766 (Qiluvres T. 20 p.210): »Je veux bien vous dire par
la presente que vous me ferez plaisir de vous desister de cette demande et de ne
plus m"ecrire sur ce sujet".
- Akademische Pi'otokoUe.
^ Auch sonst hatte er sich im Staate nützlich gemacht. Er hat öfters Gut-
achten abgegeben über die Besetzung von Universitätsprofessuren und über grosse
Unternehmungen , so über Finanzfragen , zu deren Lösung es der INIathematik be-
durfte (Lotterien, Pensionskassen u. s. w.), und über technische Pläne (Oder-
Havel -Kanal, Wasserwerke zu Sanssouci, Ausbeutung von Salzbergwerken u. s. w.).
LuccHESiNi berichtet (7. Juli 1783), der König habe in einem Gespräch gesagt,
Euler habe zwei h'rthümer begangen , erstlich , dass er Berlin für eine Stadt hielt,
in der sich etwas machen Hesse, zweitens, dass er die Arbeiten für den Kanal zur
Herstellung der Wasserkünste im Garten von Sanssouci schlecht leitete.
* Es will dagegen wenig besagen, was Lucchesini (19. Juni 1782) von dem
Verhältniss des Königs zu Euler erzählt hat (Bischoff, Gespräche Friedrich's des
Grossen mit H. de Catt u. s. w. 1885 S. 23of.).
" Vergl. den Brief an Domaschnew, den Director der Petersburger Akademie,
vom 17. November 1776 (CEuvres T. 20 p. 191).
^ Bi'iefe vom 16. April und ii.October 1776 und i. Februar 1777 (CEuvres T. 20
p. 2ioff.). — Bei der Übersiedelung Euler's nach Petersburg waren, so hörte der
König, seine Papiere untergegangen. Friedrich meldete das d'Alembert nicht
ohne Schadenfreude, an der aber seine Abneigung gegen die Mathematik den meisten
Antheil hat (26. Juli 1766, Qj^uvres T. 24 p. 407): »M. Euler qui aiine a la folie
la grande et la petite Ourse, s'est approche du nord pour les observer plus ä son
aise. Un vaisseau qui portait ses xz et son kk a fait naufrage; tout a ete perdu,
et c'est dommage, parce qu'il y aurait eu de quoi remplir six volumes in-folio de
memoires chiffres d'un bout äl'autre, et l'Europe sera vraisemblableinent privee de
Tagreable amusement que cette lecture lui aurait donne«.
366 Geschiclite der Akademie untei- Friedrich dem Grossen (174(3 —178()).
Die Akademie hatte Euler verloren; aber noch in demselben
Jahre trat J. Louis de Lagrange für ihn ein, und das Jahr vorher
war J. Heinrich Lambert gewonnen worden. In jenem, der aus Turin
knm. erhielt Euler den würdigsten Nachfolger, der sich damals in
Europa finden liess, und dieser^ war neben Kant, mit dem er zu-
sammen genannt werden darf", der letzte universale Mathematiker
und Philosoph des i8. Jahrhunderts, in Vielem an Leibniz erinnernd,
ein genialer Autodidakt von Kenntnissen, Tiefsinn und einem uner-
müdlichen Schaffenstrieb '^, dazu ein Naturbursche und in dieser Hin-
sicht der Gegensatz zu Leibniz. Seine erste Begegnung mit dem
König war sonderbar genug gewesen. Die Berliner Akademiker
hatten es durchgesetzt, dass der König den Gelehrten — er war
Münchener Akademiker — nach Berlin kommen liess, um ihn sich
anzusehen. Die Audienz enttäuschte den Monarchen bitter; Lambert
soll sich »wie ein Bär« benommen und den König zugleich durch
hochfahrende Antworten abgestossen haben. Auf die Frage, welche
Wissenschaften er vorzüglich verstehe, antwortete er «alle«, und auf
die weitere Frage, wie er alles dieses Wissen erlangt habe, »gleich
dem berühmten Pascal durch mich selbst«. Der König entliess ihn
ungnädig — was Lambert aber gar nicht merkte — und weigerte
sich, ihn in die Akademie aufzunehmen. Erst nach einem halben
Jahr, als der russische Gesandte den bereits berühmten Mann für
Petersburg gewinnen wollte, gab er ihm die vStelle und 500 Thlr. Ge-
halt. So erzählt Sulzer*, und ein Brief des Königs an d'Alembert
bekräftigt diesen Bericht''. Aber bald lernte der König den grossen
^ Geb. am 26. August 1728 zu Mühlhausen imElsass, gest. am 25. Septem-
ber 1777. Lagrange ist am 25. Januar 1736 geboren, am 10. April 1813 gestorben.
^ Siehe den Briefwechsel zwisclien beiden Männern in Kant's Wei'ken (heraus-
gegeben von Hartenstein), Bd. VllI, 2 S. 649fr. Sie haben geplant, sich zu ge-
meinsamen Arbeiten zusammen zu thun. s. Lambert's Brief vom December 1770.
^ Wie Leibniz interessirte er sich auch für alle Fortschritte der Technik und
suchte die mechanischen Wissenschaften für die Praxis nutzbar zu machen. Über
i> Tinte und Papier» liat er seine Beobachtungen niedergeschrieben (Memoires 1770
p. 58 ft'.) und über einen zweckmässigen Krankenstuhl ein Gutachten abgegeben
(Akad. Protokolle, 3. März 1774).
* Lebensbeschreibung S. 38 f.
^ Friedrich an d'Alembert (Qiiuvres T. 24 p. 39if.): »On m"a, pour ainsi
dire, presque force de jjrendre la plus maussade creature qui soit dans l'univers
pour la mettre dans notre Academie. II se nomine Lambert, et quoique je puisse
attester qu'il n"a pas le sens commun, on pretend que c'est un des plus grands
geometres de l'Europe. Mais comme cet homme ignore les langues des mortels, et
qu'il ne parle qu'equations et algebre, je ne me projiDse pas de sitot d'avoir l'honneur
de nrentretenir avec lui. En revanche. je suis tres content de M. Toussaint. dont
Lagrange, Lajibert, Toussaixt und Thikbaili. o\) i
Pliilosophen und Mathematiker schätzen und erhöhte sein Gehalt
auf 1 1 oo Thlr.
Ungetrübte Freude hatte der König neben Castillon an Toussaixt
und Thiebault; jener wurde 1764, dieser 1765 in die Akademie
aufgenommen. Toussaint, der freisinnige Verfasser des Buchs über
«die Sitten«, war zugleich an der Ritterakademie angestellt. Diese
neue Schöpfung (1765) suchte Friedrich in enge Verbindung mit
der Akademie zu bringen und wählte nicht selten die Akademiker
im Interesse dieser Schule aus. Er glaubte davon einen doppelten
Vortheil zu haben; denn erstlich trug die Akademie so einen Theil
der Kosten jener Anstalt, zweitens mussten einige ihrer Mitglieder
nun dociren. Toussaint hat in Berlin kein grösseres Werk mehr
geschrieben; aber er war, wie Denina sagt\ der einzige von Friedrich
bezahlte Franzose, der es sich angelegen sein Hess, seine Landsleute
mit deutschen Schriftstellern bekannt zu machen. So übernahm er
auch die Übersetzung von Winckelmann's Geschichte der Kunst
— Winckelmann selbst hatte das gewünscht — , aber er führte sie
nicht zu Ende. Eine ähnliclie Doppelstellung wie er hatte Thiebault,
der an der Ritterakademie französische Grammatik lehrte""; aber
ausserdem trat er dem Könige selbst persönlich nahe, corrigirte
sein Französisch und hat auch Aufsätze Friedrich's in der Akademie
j"ai fait l'acquisition. Sa science est plus humaine que celle de l'autre. Toussaixt
est un habitant d'Athenes, et Lambert un Cara'ibe, ou qiielque savivage des cotes
de la Cafrei-ie. Cependant, jusqu'ä M. Euler, toute l'Aeademie est a genoux
devant lui, et cet animal tout crotte du bourbier de la plus crasse pedanterie re<^oit
ces hommages comme Caligula recueillait ceux du peuple romain , chez le(iuel il
voulait passer pour dieu. Je vous prie que ces petites aneedotes de notre Aca-
demie ne sortent pas de vos niains. II n"est pas de meine de ce corps. qui en
peut imposer de loin, si on l'examine en detail« u. s. w. Hierauf antwortete
d'Alembert (i.März 1765, OEuvres T. 24 ]i. 394), er kenne Lambert nur aus einem
guten Buche , das er geschineben ; liege Euler vor ihm auf den Knieen , so sei das
thöricht. denn Euler sei viel bedeutender; übrigens gebe es in der Wissenschaft
wie im Himmel mehr als einen ehrenvollen Platz, und Lambert sei sehr würdig,
einen derselben zu besetzen. Man versichert mich auch, dass er mehrere treffliche
Werke verfasst hat. »Je le trouverais encore assez bien jDartage, quand il serait a
M. Euler (pour parier mathematiquement) en meme proportion que des Cartes et
Newton sont a Bayle, suivant V.M., ou que Bayle est a des Cartes et Newton,
Selon an geometre de votre connaissance.«
^ La Prusse litt. T. Hl p. 407.
- An d'Alembert, der ihn empfohlen, schrieb Friedrich (October 1764, Quivres
T. 24 p. 387): "Vous me ferez beaucoup de plaisir de m'envoyer le jiretre, Par
respect pour l'Etre supreme, on ne le chargera pas trop ici du soin de faire un
Dieu; on ne lui demandera que de bien connaitre la grammaire. en le dispensant
de TEvanuile«.
368 Gescliichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1746—1786).
gelesen. Ein dritter Lehrer an der Schule, der Schweizer Weguelin,
der sich durch seine Übersetzungen aus dem Französischen bekannt
gemacht hatte und historische Studien trieb, ursprünglich auch ein
Geistlicher, wurde 1766 aufgenommen. Zwei Jahre später führte der
König den Benedictiner Pernety, den er zu seinem Bibliothekar ge-
macht hatte, der Akademie zu. Es wird behauptet, er sei in Folge
einer Verwechselung nach Berlin gekommen (s. oben S, 358); der
König habe den Verfasser des Buches »sur les physionomies« ge-
winnen wollen, den gleichnamigen Verwandten Pernety's\ Die Aka-
demie musste den bescheidenen, aber unbedeutenden Mann auf-
nehmen, um der Cabinetskasse die 1000 Thlr. zu ersparen, die dem
Abbe ausgesetzt waren. Noch vor dem Tode Friedeich' s nahm er
übrigens seinen Abschied (i 783) und ging nach Valence. Es ist merk-
würdig, wie viele schiffbrüchige Priester und Theologen der König
zu sich gezogen hat; nur solche waren ihm willkommen". Solange
sie auf ihrem Schiff aushielten, verachtete er sie; aber sie theilten
diese Verachtung mit den zünftigen Medicinern. »Pour moi«, schrieb
Friedrich an Voltaire^, »detrompe des longtemps des charlataneries
qui seduisent les hommes, je ränge le theologien, l'astrologue,
l'adepte et le medecin dans la meme categorie«. Auch Bitaube,
der Hugenott aus Königsberg, der in demselben Jahre wie Lagrange
und Weguelin aufgenommen wurde, war ursprünglich Geistlicher.
Er wandte sich aber bald der schönen Litteratur zu, beschäftigte
sich mit Rousseau, lieferte eine geschätzte französische Übersetzung
des Homer und verfasste selbst heroische Gedichte, Diese Thätig-
keit empfahl ihn dem Könige, und er verlieh ihm einen Sitz in
der Akademie; der Markgraf von Ansbach machte ihn ausserdem
zu seinem Residenten in Berlin. In der Mitte der achtziger Jahre
begab er sich nach Paris, ohne seine akademische Stellung aufgeben
zu müssen — der Markgraf hatte ihm das ausgewirkt — , und wurde
dort in die Revolution verwickelt.
Alle diese Männer bedeuteten für die Wissenschaft im Grunde
wenig*. Dagegen ist der einzige Deutsche, der gleichzeitig mit ihnen
^ Siehe Denina, La Prusse litteraire T. III p. 151, Forjiey, Souv. I p. 155.
- Nie oder ganz ausnahmsweise erinnerten sich diese Männer ihrer früheren
theologischen Studien. Weguelin hat in den Mem. 1782 p. 5170". eine Studie über
Athanasius veröfientlicht; sie ist unbedeutend, aber anerkennender, als es damals
einem Kirchenvater gegenüber üblich war.
^ OEuvres T. 23 p. 91 vom i. Januar 1765,
* Die Grenzen des französischen Geistes kannte übrigens Friedrich sehr wolil.
Sclion 1760 liat er nn Voltaire gesclirieben (OEuvres T. 23 p. 83 vom 12. Mai):
3Io.sES ]Mendi:lssuiix vom Könige abgelehnt. Die Kaiserin Katharina. o69
aufgenommen wurde' (1768), Carl Abrahaji Gerhard (geb. 26. Fe-
))ruar 1738), einer der hervorragendsten Mineralogen und Geologen
seiner Zeit gewesen, wenn er auch durch seine Lehre von der »Ver-
wandlung und dem Übergang einer Stein- und Erdart in die andere«
seinem Ruf geschadet hat. Von diesem stillen Gelehrten wurde
aber in dem Kreise der französischen Litteraten wenig Aufhebens
gemacht. Die Akademie besass andere Sterne, vor allem, seit dem
Herbst 1767 — die Kaiserin Katharina.
Es ist ein Beweis, wie hoch Friedrich seine Akademie schätzte,
dass er ihr die Kaiserin zugeführt hat. Zunächst wurde sie ge-
beten, die Ehrenmitgiiedschaft anzunehmen (September i 767); dann,
nachdem sie dem Könige die von ihr verfasste »Instruction pour
la reformation des lois de la Russie« übersandt hatte", wurde ihr
auf Befehl des Königs die wirkliche Mitgliedschaft angeboten (Ja-
nuar Februar 176S), und sie nahm sie an. Seitdem prangte sie in
den Kalendern d(n- Akademie an der Spitze der auswärtigen Mitgliedei-.
Der König und die Akademiker waren stolz auf diese Collegin^ —
'•La France a p'.i pioduire des des Cartes, des INIalebranche, niais ni des Leibxiz,
ni des Locke, ni des Newton. En revanche, pour le goüt, vons surpassez toutes
Ips autres nations, et je me rangerai sons vos etendards quant ä ce qui regarde la
finesse du discernement et le clioix judicieux et scrupideux des veritables beautes
de Celles qui n'ent ont que l'apparence. C'est une grande avance pour les I)elles-
lettres. mais ce n"est pas tout".
'■ Der um die »Allgemeine Deutsche Bibliothek- sich sanunelnde Kreis, zu
dem auch Sulzer gehörte, versuchte es seit der ^Nlitte der sechziger Jahre, ]Moses
^Mendelssohn der Akademie zuzuführen (er hatte im .Juni 1763 den akademischen
Preis fiir eine Abhandlung erhalten), allein es gelang uiclit. Über die im Jahre 177 1
wiederholten Versuche — in der Akademie selbst hatte Mendelssohn die Majorität
erlangt — imd ihre Zurückweisung durch den König s. unten Cap. 4. — Aus einem
Brief d'Alembert's an den König vom 15. December 1775 (CEuvres T. 25 p. ^i^,)
geht liervor, dass d'Alejibert (bei seinem Aufenthalt in Berlin) dem Könige Johann
David ^Michaelis in Göttingen als Akademiker empfohlen hat; aber Michaelis lehnte
den Ruf ab. ]Man wundert sich, dass d'Alembert die Aufmerksamkeit des Königs
auf einen deutschen Gelehrten gelenkt hat; aber das Räthsel löst sich. jMichaelis hatte
im Jahre 1759 den akademischen Preis gewonnen mit einer Abhandlung, die im Jalire
1760 auch tranzösisch erschienen war unter dem Titel: »De rinlluence des opinions
sur le langage et du langage sur les opinions«. Diese Übersetzung hatte d'Alejibert
gelesen. Im Jahre 1775 hat der Pariser Gelehrte die Berufung noch einmal in Vor-
schlag gebracht, als er hörte, ^Michaelis sei nun geneigter zu kommen. Es wurde
aber nichts aus der Sache.
^ Siehe die Correspondenz in den CEuvres T. 18 p. 259!'., 260 ff. vom 17. Oc-
tober und 26. November 1767. Dort auch die ÜMotivirung, weshalb die Kaiserin ihren
Aufsatz dem Könige handschriftlich und deutsch gesandt hat.
^ Der König stellte die nordische Seiniramis mit Lykurg und Solon zusam-
men; sie selbst hatte bescheiden in ihrem Schreiben erklärt, das meiste in ihrer
"Instruction" verdanke sie ]\Iontes(^uiei; und Beccaria.
Geschichte der Akademie. I. 24
B70 (tpscliiclitn der Akademie nntei' Fiuedrich dem Grossen ( 174<) — 1786).
die einzige, welche sie geliabt haben; denn die beiden Damen Kirch,
Mutter und Tochter, hatten zwar redlich für die Akademie ge-
arbeitet, waren aT)er nie Mitglieder geworden \ und die schöngeistige
und gelehrte Gräfin Skorzewska durfte zwar ihre Abhandlung »Con-
siderations sur l'origine des Polonais« in der Akademie vorlesen
lassen — sie selbst war dabei zugegen (26. Januar 1769) — , aber
ein Sitz wurde ilir nicht eingeräumt"'.
Die öffentlichen Sitzungen w^aren noch immer Veranstaltungen,
an denen die ganze Hofgesellschaft Antheil nahm. Für berühmte
Gäste Hess der König ausserordentliche Sitzungen aT)halten. Viel
besprochen wurde besonders die Sitzung, in der Achmed -Effendi
empfangen wurde (3 i. December i 763). Die Akademie musste ihm
allerlei Experimente vorführen, die den Türken in Erstaunen luid
Schrecken setzten^. Friedrich selbst hat seltener als früher Al)hand-
lungen in der Akademie lesen lassen, in den sechziger Jahren, so-
viel l)ekannt, nur das Eloge auf den Prinzen Heinrich (30. Decem-
ber 1767)*. Merkwürdig, je skeptischer der König in Bezug auf
die theoretischen Wissenschaften wurde, je mehr in ihm Bayle über
alle philosophischen Systeme siegte , um so bestimmter wandte er
sein ganzes Interesse der praktischen Moral zu und den Mitteln, sie
^ Über Frau Kirch, die ^Mutter, s. oben S. ii4f. Die Tochter. Frl. Chiustixk
Kirch, hat erst mit dem Bruder, dann nach dessen Tode allein an den Kalendern,
und zwar an denen für Schlesien, gearbeitet, für ein so geiünges Gehalt, dass sie
immer wieder um Gratificationen nachsuchen musste, die sie in der Höhe \on 20
und 30 Thlrn. erhielt. Ihre Pünktlichkeit in den Berechnungen A\ar anerkannt.
Bis zu ihrem 77. Jahre hat die alte Dame die Kalender besorgt. Am 3. August 1772
wurde ihr mitgetheilt. dass ihr die Akademie unter Belassimg des vollen Gehalts
ihren Neffen Bode — ■ er zeichnete sich später als trefflicher Astronom ans —
beigegeben habe; sie brauclie fortan nur so viel zu arbeiten, als sie wolle, und
solle BoDK anleiten. «Wir können übrigens nicht umhin,« schreiben die Di-
rectoren, »der Mademoiselle Kirch darüber Glück zu wiuischen, dass diese Sache
denjenigen glücklichen Ausgang genommen, den wir uns in Betrachtung der von
den beiden Hrn. KiRcnen und besonders auch von der Mademoiselle Kirch uns seit
hundert Jahren geleisteten guten Dienste vorsetzen mussten« (Akademisches Archiv).
" Siehe Qiluvres T. 20 p. XI. p. i7ff.
^ In der Sitzung vom 26. April 1771 war der König von Schweden zugegen
und besichtigte auch das Naturaliencabinet. «Es Avurde ihm ein Wurm gezeigt,
der lebend aus dem Augapfel eines tartarischen Pferdes genommen war.« Noch
immer sollten die Naturforscher «Curiositäten« sehen lassen. Am 24. Juli 1776
wurde auf Befehl des Königs eine ausserordentliche Sitzung gehalten, um einen
russischen Grossfüi'sten zu empfangen.
^ Vergl. den Brief an d'Alembert vom 7. Januar 1768 und dessen Antwort
vom 29. Januar (OEuvres T. 24 p. 429 ff.). Dieses Eloge ist nicht in den Meinoires
erscliienen (s. QSuvres T. VII p. X, p. 37ff.).
Dit:" letzten sechzehn Jahre Friedrich's. ö / 1
in einem Vollve zu pflegend »Alle die modernen naturwissenscliaft-
lichen Bemühungen in Bezug auf Elektricität, Gravitation und Cliemie
haben die Mensehen nicht gebessert und ihren moralischen Zustand
nicht geändert; sie sind also ein Luxus""; die Naturforscher selbst
werden ja durch ihre Wissenschaft nicht vorzüglichere Menschen!
Was Avollen also alle jene Entdeckungen der Modernen für die Ge-
sellschaft bedeuten, Avenn die Philosophie das Capitel der Moral und
der Sitten vernachlässigt, auf welches die Alten ihre ganze Kraft
verwendet haben.« Diese Gedanken trug er d'Alembert vor; er habe
sie lange im Herzen gehegt und schütte sie jetzt vor dem grössten
Philosophen der modernen Zeit aus. ■ d'Alembert trat in seiner be-
sonnenen und bestimmten Weise für die theoretischen Wissenschaften
ein, schloss aber seine Ausführungen mit den Worten: »Je conviens
cependant avec V. M. que la morale est encore plus interessante,
et qu"elle merite surtout Tetude des philosophes; le malheur est
<|u"on Ta partout melee avec la religion, et que cet alliage lui a fait
beaucoup de tort^'«. Das war das »ceterum censeo« des linken Flügels
der Aufklärung, den d'Alembert commandirte. Der König war nicht
ganz seiner Meinung.
5.
Die letzten sechzehn Jahre der Regierung Friedrich's des
Grossen sind für die Akademie still verlaufen. Nachdem sie die
Bände Memoires, die sie zur Zeit des grossen Krieges ungedruckt
gelassen, nachgeholt hatte (von 1766 — 1770 erschienen je zwei
Bände, s. oben S. 349), begann sie eine neue Serie derselben in
grösserem Format und besserer Ausstattung, jedesmal eingeleitet
durch einen geschichtlichen Bericht. Allein die wirkliche Geschichte
der Akademie findet man nicht in diesen Einleitungen. Sie steht,
in den Hauptzügen, bis zu d'Alembert's Tode (29. October 1783)
^ Schon seit der «histruction pour la clirection de l'Academie des Nobles a
Berlhi" (1765, Oeuvres T. IX p. yyff.) rückten die paedagogischen Fragen für den
König in den Vordergrund. Den schönen Ausspruch: »Es ist ganz sicher der
weiseste Entschluss, den man fassen kann, der, ein rechtschaffener Mensch zu sein»,
hat er schon im Jahre 1760 gethan (s. Bischoff, Gespräche Friedrich's des Grossen
mit DE Catt U.S.W. 1885. S. 105).
^ Aber soweit die naturwissenschaftlichen Entdeckungen und Arbeiten prak-
tischen Erfolg versprachen, hat sich der König stets für sie interessirt. So wies
er (24. Mai 1767) aus den Mitteln der Akademie 200 Thlr. für Gleditsch an zu
Versuchen mit »inländischer Barnnwolle".
^ Briefe vom 7. und 29. Januar 1768 (a.a.O.).
24*
372 Geschichte der Akademie unter P^riedkich dein Grossen (174tJ — 1786).
in dem Briefwechsel verzeichnet, den der köni^^liche Proteetor der
Akademie mit ihrem heimlichen Präsidenten fast ununterhrochen
geführt hat.
Zunächst setzte sich in der Correspondenz mit d'Alembert das
moralisch-paedagogische Haiiptthema fort: denn erst seit den sieb-
ziger Jahren wurde der König zum vollkommenen Moralisten im
Sinne der antiken Moralphilosophen des 2. Jahrhunderts und Hess
alle anderen Interessen, selbst die belletristischen und musikalischen,
hinter die paedagogischen zurücktreten. Die negative und die posi-
tive Seite des Problems: wie wird der schädliche Aberglaube über-
wunden und wie werden Raison und Tugenden gepflanzt? inter-
essirten ihn in gleicher Weise. Während aber d'Alembert, ebenso
radical wie streng wahrhaftig, die Ausrottung aller Superstitionen em-
pfahl in der sicheren "Überzeugung, dass die Wahrheit den Menschen
stets und unter allen Umständen nützlich sei, controlirte in Friedrich
der Staatsmann den Philosophen und rieth zu behutsamen Maass-
nahmen. Schon im Jahre 1769 hatte d*Ale3ibert dem Könige ge-
schrieben^: »La question: s'il se peut fnire que le peuple se passe de
fables dans un Systeme religieux, meriterait bien d'etre proposee par
une Academie teile que la vötre. Je pense, pour moi, qu'il taut tou-
jours enseigner la verite aux hommes, et quil n"y a Jamals davantage
reel a les tromper. L' Academie de Berlin, en proposant cette question
230ur le sujet du prix de metaphysique , se ferait, je crois, beaucoup
d'honneur et se distinguerait des autres compagnies litteraires,
qui n'ont encore que trop de prejuges«. Damals wagte der König
noch nicht, diese Frage als Preisaufgabe zu stellen"; aber sie Hess
ihn nicht mehr los, und schliesslich, im Jahre 1778, entschied
er sich zu dem Schritt, der so viel Staub aufgewirbelt und die Aka-
demie in eine peinliche Lage versetzt hat (s. unten). Einstweilen l)e-
gnügte er sich damit, das höhere Unterrichtswesen zu heben , und
auch dabei sollte ihm die Akademie behülflich sein, nicht nur durch
gute Übersetzungen antiker Schriften , auf die er das grösste Gewicht
^ CEuvres T. 24 p. 467 vom 18. December 1769.
^ Er selbst entscheidet sich in seiner Antwort (8. Januar 1770 21.4691!'.) dat'iir,
dass der Irrthuai leider nothwendig sei, und oifenbart dabei dieselbe A'orliebe für
die Chinesen wie Leibniz; sie hätten von allen Völkern am wenigsten Aberglauben:
»unter 10 ^Millionen IVIenschen giebt es so wenige erleuchtete Geister, dass nichts
übrig bleibt, als die Dinge zu lassen, wie sie sind; wer sie verbessern will, läuft
grosse Gefahr«. Er schliesst mit Fontenelle's öfters von ihm citirtem Ausspruch:
"Wenn icli die Hand \oll Wahrheiten hätte, ■wüixle ich sie nicht öffnen, um sie dem
Publicum mitzutheilen, weil es sich der ]Mühe nicht lohnen würde«.
INrornlisch -])aedni>,oi;isclie Tendenzen Frieprich's. o/O
legte \ sondern auch durcli Gutacliten über Studienordnungen. Bereits
im Jahre 1769 legte der Obercurator der Universitäten von Fürst
der Akademie die methodologische Anweisung zum Studium vor,
welche die Hallesche philosophische Facultät hatte ausgehen lassen".
Es erschienen dann 1770 solche Anweisungen gedruckt für alle Facul-
täten (Frankfurt a.O.). Auf eine A'orstellung von Fürst"s (1770) hat
der König randschriftlich befohlen": »Die Professores müssen in
der Medicin besonders bei des Boerhavens Methode bleiben, in der
Astronomie Newton, in der Metaphysik Locke, in den historischen
Kenntschaften der Methode des Thomasius folgen«. Am 5. Sep-
tember 1779 erfolgte dann der berühmte Erlass an den Etats-Minister
vonZedlitz* über das Schulwesen, der das Lateinische und Griechische
streng festgehalten wissen will, eine wirkliche Einführung in den
Geist der alten Schriftsteller fordert (in die «Sachen«, nicht nur in
die Worte) und zugleich ein tüchtiges Studium der Logik nach
Quintilian und Wolfe verlangt. In Zedlitz hatte Friedrich einen
Minister gefunden, der der herrschenden paedagogischen Tradition
entgegentrat und den Grund zu einem freieren und gediegenen Schul-
wesen in Preussen legte. Die Akademie nahm ihn im September 1776
als Ehrenmitglied auf, und er begrüsste sie in einer sehr aus-
führlichen Antrittsrede, in der er sein paedagogisches Programm im
Rahmen der Frage nach dem Verhältniss von Kosmopolitismus und
Patriotismus geistreich entwickelt hat''.
Der König selbst hat noch zweimal in der Akademie das Wort
ergriffen und Abhandlungen über Themata vortragen lassen, die ihm
besonders am Herzen lagen. Li der Sitzung vom 11. Januar 1770
las Thiebault in seinem Auftrag das Memoire »Sur le veritable ressort
des actions humaines, considere comme le principe de la vertu«.
^ Auch der Berlinische Hugenotte und Geistliche, den der Grosskanzler
vox Jariges protegirt hatte und der einst zu Voltaire in Beziehungen getreten
wai-, MouLI^'ES (geh. 1730, gest. 14. März 1802), wurde seiner Übersetzungen wegen
(Aniniianus INIarcellinus. später die Scriptores Hist. August, und Cassius Dio) auf
Befelil des Königs am 21. Juli 1775 in die Akademie aufgenommen. Er galt als einer
der besten französischen Stilisten in Berlin und hat in dieser Eigenschaft dem Könige
und dem Hofe Dienste geleistet.
- Akademisches Archiv.
^ Siehe Büsching, Charakter Friedrich's H. (1788) S. 36.
* (Euvres T. 27. 3 p. 253^".
^ Die Akademie liatte diesmal selbst die Initiative ergriffen (Geh. Staatsarchiv,
6. September 1776).
•^ Memoires 1776 p. 2ott". Über von Zedlitz" Bedeutung vergl.RETHWiscH, Der
Staatsminister Frhr. von Zedlitz und Preussens höheres Schulwesen. 2. Aull. 1886.
H74 (ieschichte der Akademie unter Friedrich dem Grossen (1746—1786).
Es erschien in den Publicationen der Akademie unter dem Titel:
»Essai sur l'amour- propre, considere comme principe de la Vertuet.
Im Jahre 1772 Hess er in der öffentlichen Sitzung vom 27. Januar
— sie war besonders glanzvoll durch die Anwesenheit seiner
Schwester, der Königin von Schweden , und von neun Prinzen und
Prinzessinnen — seinen kritischen Essay lesen «Discours de l'utilite
des sciences et des arts dans un etat«, der sich gegen Rousseau
richtet"'.
So w^enig der König von diesem Enthusiasten wissen wollte, so
stimmte er doch in der Anerkennung des Daseins Gottes mit ihm über-
ein und beurtheilte in steigendem Maasse die Angriffe der modernsten
französischen Schule auf den Gottesglauben als verfehlt und ge-
fährlich. Einst hatte er die Atheisten geschützt, als sie in Frank-
reich verfolgt waren, ja hatte sich selbst die leichtfertigen Sätze
La Mettrie's gefallen lassen; jetzt, als der Atheismus in Paris hof-
fähig geworden war — in einer Zeit, in der Holbach Hume auf
die Bemerkung, er habe noch nie einen Atheisten gesehen, spottend
^ Im Jahrgang 1763, der aber erst 1770 ausgegeben worden ist (p. 341 ff".). Vergl.
dazu den launigen Brief an d'Alebibert vom 4. Januar 1770 (Q^^uvres T. 24 p. 468 f.),
in welchem Friedrich wiederum energisch für die Beschäftigung mit der ]\IoraI ein-
tritt: "de bonnes moeurs valent mieux pour la societe que tous les calculs de
Newton«. d'Alembert stimmte dem Könige in seiner Schätzung der Selbstliebe
bei. s. die folgenden Briefe p. 472f. 474 f.; vergl. auch den Brief des Königs an
Voltaire vom 4. Januar 1770 (CEuvres T. 23 p. 147). Voltaire's Dank für die
Zusendung der Rede ist sehr witzig (p. 148 f.): der Philosoph von Ferney schreibt
unter der Adresse des königlichen Copisten Villaume — dieser war früher auch
sein Copist gewesen — in Wahrheit an den König selbst:
»On dit cpi'il y a dans votre pays un genie qui apparait les jeudis
ä Berlin, et cpie, des qu'il est entre dans une certaine salle, on entend
une Symphonie excellente, dont il a compose les plus beaux airs. Le reste
de la semaine, il se retire dans un cliäteau bäti par un necromant; de lä
il envoie des influences sur la terre. Je crois l'avoir aperQU, il y a vingt
ans; il me semble qu'il avait des alles, car il passait en un clin d'oeil d'un
empire ä un autre. Je crois meme qu'il me fit tomber par terre d'un coup
d'aile. Si vous le voyez ou sur un laurier, on sur des roses, car c'est lä
iju'il habite, mettez-moi ä ses pieds, suppose qu'il en ait, car il ne doit
pas etre fait comme les hommes. Dites-lui que je ne suis pas rancunier
avec les genies. Assurez-le que mon plus grand regret, ä ma mort, sera
de n'avoir pas vecu ä l'ombre de ses alles, et que j'ose chei-ir son uni-
versalite avec l'admiration la plus respectueuse«.
- INIemoires 1772 (erschienen 1774) p. pff. Vergl. dazu Voltaire's Dank-
schreiben auf die Zusendung (24. März 1772 Oeuvres T. 23 p. 213). Er sagt darin,
wenn auch alle vier Akademiker, Formey, Premontval [aber er war schon seit mehr
als sieben Jahren todt!], Toussaint und Merian erklären würden, sie hätten es
geschrieben, so würde ich antworten: »Ich glaube das nicht; ich finde auf jeder
Seite die Hand eines grösseren Meisters — voilä comme Trajan aurait ecrit!«
Abhandlungen Friedrich's; seine Stellung zum Atheismus. 375
erwidern konnte, er sässe in diesem xVngenblick mit sieLzelm
Atheisten zu Tiscli — , jetzt hielt es der König für nöthig, dieser
Riclitung entgegenzutreten ^ Auch die Akademie, die niemals von
der neuen Schule etwas hatte wissen wollen, betlieiligte sich dabei,
aber auf eine Weise, die keine Nachahmung verdient. Ihr Mitglied
DE Castillon veröflentlichte ein Bucli unter dem Titel: »Observations
sur le livre intitule: Systeme de la Nature«. Vorgedruckt steht dem
Werk folgende Approbation der Akademie:
Mss. les Academiciens nommes pour examiner les «Observations sur le Livre
intitule: Systeme de la Nature«, que M. le Professeur de Castillon fait actuelle-
ment imprimer. ont fait rapport d'une voix unaniine. qu'ils l'avaient trouve tres
digne d'etre rendu jjublic, et tres propre ä detruire les sophismes de ce dangereux
ouvrage. En foi de quoi j'ai delivre le present certificat en pleine Academie.
ä Berlin, le i8 Avril 1771.
Formet. Secretaire perpetuel.
In den Memoires der Akademie (1771 p. I5f.) ist dieses selt-
same Certificat abgedruckt, und Forme y hat es mit einer längeren
ungesalzenen Ausführung begleitet, in der er das Buch cliarakterisirt
und dabei seinen Abscheu vor den «Absurditäten« des Atheismus zum
Ausdruck bringt. Ob das Alles auf Befehl des Königs geschehen ist,
lässt sich nicht mehr ermitteln; aber es ist unwahrscheinlich, dass
die Akademie diesen auffallenden Schritt gethan hat, ohne sich der
Einwilligung des Königs versichert zu haben, d'Alebibert, der selbst
der »absurden« Schule angehörte, schwieg kluger Weise zu dem
peinlichen Verfahren, das ihm höchst anstössig sein musste.
Aber w^enn der König und seine Akademie für den Gottesglauben
eintraten, so waren sie keineswegs der Meinung, das alte System
der kirchlichen Theologie müsse geschützt werden, im Gegentheil
— je sicherer sie sich in ihrem Deismus fühlten, um so energischer
erklärten sie jenem System den Krieg". Besonders charakteristisch
dafür ist die Unterredung, die Sülzer ein Jahr vor seinem Tode
^ Elr sah, dass die Freigeister fanatisch wurden, und das erregte seinen Abscheu.
Auf sie beziehen sich die Worte: «Je suis persuade qu'un philosophe fanatique est
le plus grand des monstres jiossibles, et en meme temps Tanimal le plus inconsequent
que la terra alt produit« (an d'Alembbrt T. 24 p. 352 vom 13. März, 177 i).
^ In der bewundernden Charakterschilderung, die Friedrich von Jesus CJn-istus
entworfen hat (an d'Alembert, 18. October 1770, QEuvres T. 24 p. 503^".), erscheint
er als sanfter Essener, purer Deist und stoischer Philosoph. »Wenn ich seine Religion
verth eidige, vertheidige ich die aller Philosophen, und ich gebe Ihnen alle Dogmen
])reis, die nicht von ihm sind.« Über Formey, der freilich kein gediegener Ver-
treter der kirchlichen Gläubigkeit war, und über seinen plumpen apologetischen Trac-
tat »Confession d'un incredule« spottete Friedrich in Versen, die er d'Alemrert
schickte, s. den Brief vom 27. April 1773, Oiuvres T. 24 p. 597, dazu T. 13 p. 97 ff.
376 <Jescliiclite der Akiulcinie unter Füikdkuh dein Grossen (174*)— 17S()).
mit dem MoiinrcLeii geliaht (3 1. DecomLor 1777) und selbst aul-
gezeiclinet hat'. Der König, der sonst nur mit Merian, »notre l)on
Suisse«, persönlich verkehrte, wollte diesmal — es handelte sich
um die Berufung J. C. Schulzk's, gegen die der Minister von Heynitz
den König im Interesse eines anderen Candidaten ungünstig gestimmt
hatte — auch den angesehenen Director der philosophischen Klasse
selbst anhören.
•■Naclilier spi-nch der König vieles über das epikureische System dei- Pliilo-
sopbie. dem er niclit abgeneigt scliien. Er kam darauf auf die heutigen Philosoplien
in Frankreich, von denen er, luigeachtet seiner Verbindung mit d'Alembert, keine
grosse Vorstellung zu haben schien. Er sagte unter Anderem , dass diese Leute die
Menschen i-efcu'miren wollten, die sie doch gewiss nicht kennten, dass sie von dem
kleinen, sein- eingeschränkten Zii-kel ilu-er Bekaini tschaft auf die Menschen über-
haupt Schlüsse machen, die notlnvendig sehr einseitig sein müssten u. s. w. Dann
kam die Unterredung auf die Religion. Als S. M. unter anderem sagten, dass man
in dem Unsinn soweit gegangen, einen Gott anzunehmen, der einen zweiten ge-
mnclit hat, und diese zwei dann einen dritten u. s. w., nahm ich mir die Freiheit
zu sagen, dass gegenwärtig die vornehmsten Theologen, besonders einige der an-
gesehensten Geistlichen in Berlin, dergleichen abgeschmacktes Zeug niclit melir vor-
bringen, dass überhaupt die christliche Lehre, sowie sie jetzt von den im grössten
Rufe stehenden Predigern in Berlin vorgetragen wei'de, eine ganz andere Gestalt
hal)e. als sie zu den Zeiten, da S. M. in der Religion unteri'ichtet worden, ge-
habt U.S.W. LTnter anderem sagte ich auch, dass der Propst Spalding ein eigenes,
mit grossem Beifall aufgenommenes Werk geschi'ieben habe, worin er den Geist-
lichen die stolze Vorstelhmg, dass sie unmittelbar einen göttlichen Beruf als Priester
Gottes hätten, zu benehmen suche und ilmen vorstelle, dass ihr Beruf als bloss
politisch betrachtet, dem zu Folge sie das Volk über alle Pflichten unterricliten
und zur Befolgung derselben ermahnen sollten, edel genug sei u. s. av. Worauf der
König sagte: 'Cela est tres-bien, et je suis le premier a respecter cela'^'. S. M.
setzten hinzu, die Einbildung der Geistlichen von einem unmittelbaren göttlichen
Beruf sei ebenso ungereimt, als das Vorgeben, womit man den Souverainen schnu'i-
chelte, dass sie das Ebenbild Gottes auf P^rden seien. Er fügte wörtlich hinzu:
Si je reussirais a rendre tous mes sujets parfaitement heureux, je n'aurais opere
que sui- une tres-petite partie de ce globe, lequel n'est qu'une partie infiniment
petite de TUnivers. Connnent oserais-je me comparer a. cet Etre <|ui gouverne et
tient en ordi'e cet immense Univers ?■<
Voltaire's Geist spricht aus diesen Worten des Königs, und
in der That — Friedrich ist dem Einsiedler von Ferney treu geblie-
T)en , obgleich er sich mit viel grösserem Ernst als jener den morali-
schen Problemen zuwandte. Die Correspondenz mit ihm war wieder
lebhaft im Gange. Niemals hat der König Voltaire's Geist und
Feder höher gerühmt als in dem Briefe an d'Alembert aus dieser
'■ Sulzer, Lebensbeschreibung, S. 6ilf. Es ist das einzige Gespi-äch , das er
mit dem Könige geführt hat.
2 Vergl. den Schulerlass des Königs (QEuvres T. 27. 3 p. 256^): »Darum
müssen die Schulmeister sich Mühe geben, dass die Leute Attachement zui' Religion
behalten, und sie so weit bringen, dass sie nicht stehlen und nicht morden«.
Voltaihe's Biiste. FRiEDiunfs Eloge niif Voltaire. 6 i i
Zeit'. Sofort war er bereit, für eine Büste, die dem Dichter in Paris
gestiftet Averden sollte, jede beliebige Summe zu zeichnen, und
schickte dann 200 Louisd'or. Als Voltaire am 30. Juni 1778 ge-
storben war, verfasste er das glänzende Eloge auf ihn und liess es
in der Sitzung vom 26. November verlesen — es ist die letzte
Arbeit des Königs für die Akademie gewesen"'. Die Ehre war um
so grösser, als seit dem Eloge Maupertuis' auf Montesquieu keine
Lobrede auf ein auswärtiges Mitglied gehalten worden \var. Die
Akademie kann nach Allem, was zwischen Voltaire und ihr vorge-
fallen war, und nach den Gesinnungen, die sie gegen ihn hegte,
nur mit sehr gemischten Gefühlen die hochgestimmte Rede auf den
einstigen Rivalen Maupertuis' angehört haben^. Aber der König hatte
alle Ränke und Gemeinheiten des Dichters vergessen. In ihm lebte
nur noch das Gedächtniss an. den unvergleichlichen Schriftsteller und
den Fürsten der Aufklärung. Im Jahre 1781 schenkte er der Aka-
demie eine vorzügliche Büste Voltaire's und befahl, sie in ihren
Räumen aufzustellen^; sie hat noch heute ihren Platz daselbst. »Nous
sommes ages tous les deux«*, schrieb er an d'Ale3ibert, »contentons-
nous d'avoir vu la gloire d"un siecle C|ui honore l'esprit humain'«.
^ 28. Juli 1770 (Qiluvre.s T. 24 p. 49if.).
- Mem. 1778 p. 5 — 23. Brief an d'Alembert vom Deceml)er 177S ((Eiivres
T. 25 p. 119). In dem »Eloge" berührt der König wolil den Streit Voltaire's und
Maupertuis", aber er thut es nicht nur in schonendster Weise — »ces deux sa-
vants qui etaient faits pour s'aimer et non pour se liair" — , sondern ei" verschleiert
auch die wahren Gründe der Trennung Voltaire's von Berlin so sehr, dass der
Leser glauben niuss, der Siebenjährige Krieg habe den Dichter aus der preussischen
Hauptstadt vertrieben I Seinen Akademikern stellte er Voltaire als einen zweiten
Leibxiz vor Augen, indem er verkündigte, dass «M. de Voltaire valait seul tonte
une academie, et qu'il etait du petit nombre des philosophes qui pouvaient dire:
Omnia mecum portO".
^ Von den Mitgliedern, die den »Akakia" erlebt hatten, lebten noch neun,
nämlich Francheville, Gleditsch, Marggraf, AcHARDJun., Forjiey, Sack, Begue-
LiN, ~Merian und Sulzer.
* Siehe Memoires zum 8. Februar 1781. Aus dem Brief d'Alembert's vom
2. Juli 1779 (CE'i^'i'P'' T. 25 p. 126) ergiebt sich, dass er die Anregung zur Auf-
stellung der Büste in der Akademie gegeben hat; s. auch die Briefe vom 19. Sep-
tember 1779. 15. September, 2. October und 3. November 1780 (p. 128. 162. 163. 165).
Von der Aufstellung eines Kenotaphions in der Berliner katholischen Kirche, wie
d'Alemrert auch gewünscht hatte, sah der König ab, «II vaut mieux placer son
buste dans l'Academie. oü il n'y a i'ien ä ecraser, et oü le souvenir d'iin grand
komme qui joignait tant de talents ä tant de genie peut servir d'encouragement
aux gens de lettres et les animer a meriter de la posterite de pareils suffrages.«
^ Aber wie gering erscheint dem Kiuiige die Frucht dieses Jahrhunderts,
wenn er (Januar 1780. ÜEuvres T. 25 ]>. 138) d'Alembert gesteht: »En naissant,
j'ai trouve le monde esclave de la superstition, en mourant. je le laisserai de memc".
3/8 Geschichte der Akademie unter Fuiedkk ii dem Grossen (1746—1786).
d'Alembert, der im Jahre 1772 Secretär der Academie frangaise
Avurde, setzte seine Fürsorge für einzelne Mitglieder der Berliner Aka-
demie ungesehwäclit fort: er bedankt sieh, dass Cochius aufgenommen
worden sei und eine Pension erhalten hal)e ; er bittet für Beguelin
um eine Remuneration \ Dieser war sein besonderer Schützling, und
er kommt in den Briefen immer wieder aui* ihn zu reden. Besonders
in der Anweisung zur Herstellung dioptrischer Gläser soll er Aus-
gezeichnetes geleistet haben — »ich kann das beurtheilen, denn ich
habe mich auch damit befasst, bin a])er nicht so weit gekommen
wie er«, schreibt d'Alembert. «Ich will glauben, dass die Berech-
nung der Gläser bewunderungswürdig ist, « antwortete der König
mit trockenem Humor, »aber Thatsache ist, dass ich sie gebraucht
und nichts gesehen habe"'«. Er schätzte Beguelin nicht so hoch wie
sein Freund und hat ihn zuletzt (1784) sogar fallen lassen. Auch für
Lagrange , der 1772 zum vierten oder fünften Mal den Pariser akade-
mischen Preis erhalten hatte, verwandte d'Alembert sich immer noch,
um ihm weitere Remunerationen zu erwirken, ebenso für Bitaube ^,
Als ToussAiNT gestorben war, bat der König d'Alembert, für einen Er-
satz zu sorgen: er selbst dachte an den Übersetzer des Virgil, Delille,
denn er wünschte einen guten Rhetoriker. d'Alembert schickte Bor-
relly. einen Landsmann d'Argens'. Vor allem sollte er an der Ritter-
Akademie unterrichten. Mit Sulzer kam er bald in einen wissen-
schaftlich-paedagogischen Streit'. Der König stellte die Schützlinge
seines Freundes ohne Weiteres an, einmal mit den schmeichelhaften
Worten: »Ich werde ihn so wenig refüsiren, wie Karl XII. einen Offi-
cier, den der grosse Conde empfohlen, zurückgewiesen hätte^«.
Aber auch bei der Besetzung der Directorstellen in der Akademie
nahm d'Alembert das Wort. Noch bevor Marggraf gestorben war,
schrieb er auf die Kunde hin, dass der greise Gelehrte einen Nach-
folger brauche, an den König und erklärte sich bereit, für einen
^ CEuvres T. 24 p. 498 vom 12. Autiust 1770.
- OEuvres T. 24 p. 523 flf. vom 3. und 29. Januar 1771.
^ CEuvres T. 24 }). 564!?., 613 vom 16. Mai 1772 und 10. December 1773.
^ Siehe die Briefe vom 30. Juni, 22. August. 17. September und 6. October
1772. CEuvres T. 24 p. 569 ff. Die Akademie, für die sich der König im Brief vom
17. September so besorgt zeigt, ist die Ritter- Akademie. — Der König hatte in Paris
stets Jemanden , der für ihn arbeitete, Auszüge aus der französischen Tageslitteratur
machte u. s. w. Auch hier hat d'Alembert bei der Auswahl der Personen mitge-
wirkt (s. den Brief vom 9. October, CEuvres T. 24 p. 582 f.). ebenso auch bei Wahlen
auswäi'tiger Mitglieder, s. 25. April 1774 p. 622: Villoison"s, des ausgezeichneten
Herausgebers der Ilias.
^ 15. Mai 1774. CEuvres T. 24 p. 625^
d'Ai.ejibert's Sorge für die Akndcmie (1770—1783). 379
solchen zu sorgen \ Zugleich fügt er hinzu, er schlage als Ersatz
für den verstorbenen Heinius"' Beguelin zum Director der philoso-
phischen Klasse vor. In einem zweiten Briefe nannte er ihn noch
einmal, empfahl als Chemiker Scheele in Stockholm und theilte
ausserdem dem Könige mit, dass jetzt Aussicht zu sein scheine,
J. D Michaelis (s. oben) für Berlin zu gewinnen. Der König ant-
wortete — absichtlich oder w^ar es ein Irrthum? — so, als ob
dAlembert Weguelin vorgeschlagen hätte und erklärte, er sei ein-
verstanden: in Bezug auf Marggraf aber schrieb er: «il vit encore,
et je ne crois pas qu"il ait envie d'aller sitot travailler au laboratoire
de Tautre monde«. d'Alembert nahm Weguelin für Beguelin und
fuhr in der Empfehlung seines Schützlings fort. Friedrich substituirte
zum zweiten Mal Weguelin für Beguelin und schrieb: «Pourvotre M.
Weguelin, dont je connais le merite, je ne negligerai pas, en temps
et lieu, d'avoir egard k votre recommandation ; il serait peut-etre
Uli Montesquieu, si son style repondait ä la force de ses pensees«.
Erst nach einigen W^ochen löste sich das Missverständniss^, wenn es
ein solches war: übrigens erhielt weder Begllelin noch Weguelin die
Directorstelle, sondern Sulzer. Gleich darauf wurde ein gefälschter
Brief Friedrich's an d'Alembert colportirt, in dem die Worte stan-
den: »Mon Academie est trop bete pour vous fournir quelque cliose
d'interessant«. d'Alembert machte den König auf die Fälschung auf-
merksam, aber dieser verzichtete darauf, den Verfasser polizeilich
ermitteln zu lassen; »je n'aime point a me venger, et ce n'est pas
cette Sorte d'athletes qu'il me convient de combattre. Je lis les
ReÜexions de l'empereur Marc -Antonin, qui m"enseigne que je suis
dans le monde pour pardonner ä ceux qui m'offensent, et non pas
pour user du pouvoir de les accabler^«.
Der briefliche Verkehr des Monarchen mit seiner Akademie war
in diesen Jahren ziemlich lebhaft. Der König sorgte nicht nur für
die Besetzung vacanter Stellen % sondern auch Bücher, technische Er-
^ 3. October 1775, Oeuvres T. 25 p. 29.
- Er starb, fast 88 Jahr alt. am 8. August 1775. Seit der Errichtung einer
besonderen Klasse der Philosophie war er ihr Director gewesen.
^ Briefe vom i5.December 1775 bis 26. April 1776, T. 25 p. 32— 43.
* 26. Ajjril und 16. ]Mai 1776. p. 41 und 44. Gehört der Brief vielleicht
schon zu den Fälschungen Baumelle's? Es finden sich in ihm die Worte: »J'ai vu
bien des choses; j'ai vecu assez pour voir des soldats du pape porter mon uniforme,
les Jesuites me choisir pour leur general, et Voltaire ecrii-e comme une vieille femme«.
^ Im Urkundenbande Nr. 174 ist ein Beispieleines akademischen Anstellungs-
decrets mitgetheilt. — Auch auf die Sul)altern1)eamten hatte der König ein scharfes
380 Gescliic-Iitc der Akiidcinic iiiilci- Friediiicii dem Grossen (174()— 17S<)).
findungeii, Anerbieten aller Art, welche häufig direct an ihn gingen,
schickte er der Akademie zum Bericht und beantwortete ihre Gut-
achten nicht selten sel1)st in der bekannten knappen Weise. Einige
Beis|)iele mögen das illustriren' :
Auf Büchersendungen erfolgte geAvöhnlich ein freundlicher Dank,
al)er es findet sich auch die Anweisung an den Cabinetssecretär,
«dem N. N. soll so ein Compliment zur Antwort gemacht Merden,
welches nicht viel bedeutet«' (Q.September 1776). Doch auch ein-
gehender wird der Bescheid:
>'I1 est tres- l)ien", lieisst es in einem Sclu'eiben an die Akademie
vom i.,Iuni 1777, "»]ue vous ayez suivi jNIes urdres en laisnnt exnminer
l'ouvi'age du Pi'of. Meyer, (lui, selon le rapport de ceux qui etaient cliariies
de cet exanien, ne contient lirn (jui piiisse etre envisage comme neuf. mais
renferme cependantdes observations utiles, et qui prouvent avantageusement
en faveur de rap})lication de l'auteur. 11 n'y a donc rien d'exti-aurdinaire,
et il Me parait qu"il n'est jias necessaire (^ue vous le receviez })our le
present membre de TAcademie«.
Es boten sich dem Könige Gelehrte zur Aufnahme in die Aka-
demie selbst an. In solchen Fällen hat er auf die Akademie ver-
wiesen, bei der man sich melden müsse, obgleich er ihr doch das
Vorschlagsrecht entzogen hatte.
"Sa ölajeste ne veut cependant pas«, liess er einem mittheilen, -dui dissimuler,
que Son Academie des Sciences se choisit elle-meme ses membres, et tpie, pour
etre Academicien, il faut se conciliei' ses suffrages et se faire connaitre immediate-
ment ;> eile par ses ou\rageS'< (13. Septemlier 1780)-.
Lebhaft interessirte den König das Problem, aus Sand Steine
zu machen, nachdem Jemand behauptet hatte, er sei hinter das
Geheimniss gekommen. Marggraf, Borrelly und Gerhard haben
darüber Gutachten einreichen müssen (1776), und bis 1780 beschäf-
tigte die Akademie diese Frage. In Bezug auf Borrelly's gelehrte
Auseinandersetzungen erklärte der König, an der genauen Beschrei-
bung der Sache, die man ihm geschickt, läge ihm nichts; »damit
Auge. So hatte zwar die Wahl des Copisten vSchröder seinen Beifall; aber er for-
derte die Akademie doch auf. stets zuerst nach alten invaliden Unterofficieren auszu-
schauen (1780 Akademisches Archiv). Der Tresorier der Akademie. Jordax. liittet
am 17. ]NTai 1776 um den Titel »Ivriegsrath«. Ihm Avird geantwortet: ^vS. K. M.
lassen dem Tresorier Jordan auf dessen Vorstellung A'om 17. dieses hierdurch be-
kannt machen, dass, da die Akademie mit dem Kriege nichts zu thun hat. dabei
auch keine Ki'iegsräthe nöthig sind, und würden diese daselbst schlecht placirt
sein. Es findet desshalben das Gesuch des Jordan's um den Iviüegsraths-Charakter
keine statt, wohl aber kann er Friedens-Rath werden; das schickt sich eher für ihn».
^ Sie sind theils dem Geh. Staats-, theils dem Akademischen Archiv ent-
nommen.
^ Vergl. dagegen, was Formet berichtet, Souv. 1 ]>. i64f.
Besetzung der cliemisclien Faclistelle (1776 77). 881
müsst ihr micli nicht chargiren, denn darin kann ich mich keines-
wegs mehren, sondern das müsset ihr mit den Chemisten der Aka-
demie zu BerHn abmachen«; er wünsche nur zu wissen, ol) das Ge-
lieimniss »allhier gemacht werden könne«; über das Ergebniss ihrer
Experimente sollten sie ihm mit Ja oder Nein berichten. Als sie
ihm ein anderes Mal (1776) mit Untersuchungen über Indigo kamen,
schrieb er: »dass Ich es gerne sehe, wenn ihr mich mit solchen
Sachen, wie die sind, zufrieden lasset; denn Ich habe mehr Sachen
zu thun«. Die Prüfung einer neuen Maschine war der Akademie an-
befohlen (1773). Die Directoren baten den König in einer Eingabe,
den Erfinder zu veranlassen, sie ihnen zu schicken. Am Rande des
Actenstücks liest man die Bemerkung: »Sie können drum schreiben,
Bagatelle«. Die Sammlung von Tabatieren, die der König besass, wurde
l)ereichert durch eine solche von besonderer Composition, die ihm
Marggraf überreichte (i 774). »Elle m"a reussi«, schrieb dieser, »apres
boaucoup d'experiences d'une maniere singuliere: j"ai conserve la
transparence avec la durete, presque semblable ä celle des pierres fines. «
Der grosse Chemiker wurde alt, und d'Alembert war recht be-
richtet, als er dem Könige schrieb, es werde daran gedacht, ihn
zu ersetzen. Die Akademie schlug im Januar 1776 vor, den jungen
F. Charles Achard (geb. 1752) — er ist der dritte dieses Namens, den
die Akademie besessen hat, jener namhafte Chemiker, der Marggraf's
Entdeckung des Rübenzuckers technisch nutzbar gemacht hat —
als Collaborator seinem Lehrer beizugeben ; zugleich bewarb sich
Achard beim Könige selbst um die Stelle. Er erhielt sie auch und
wurde im Juni desselben Jahres ordentliches Mitglied, aber zunäclist
ohne Gehalt \ Als dann im März 1777 Pott gestorben war, machte
' Bald darauf ersuchte Achard den König um einen Heirathsconsens mit der
sonderljaren Bemerkung, seine eigene Familie sei mit seiner Wahl nicht einverstanden.
Der König antwortete (21. September 1776): »dass er wegen seiner Verheirathung es
halten soll, wie er will, und nicht nöthig hat, bei S. K. M. darüber anzufragen,
indem S. M. das gar nichts angeht«. Nach einigen Jahren rief Achard noch einmal
den König an, aber diesmal für die Scheidung seiner Ehe; Aviederum erklärte
.dieser, er mische sich nicht ein (QiuvresT. 25 p. 302). — Wie Marggraf , so legte
auch Achard dem 3Ionarchen Proben seiner chemischen Experimente vor und
empfing aufmunternde Anerkennungsschreiben, s. OEuvi'es T. 25 p. 30if. Li einem
(30. Juni 1782) heisst es: »Je suis tres-satisfait du resultat de vos experiences sur
les eifets de Telectricite sur les facultes intellectuelles (vergl.]Mem. 1781 p.9 — 19) . . . .,
mais elles ne me fönt pas encore presumer que les commotions electriques soient
capables de guerir egalement les fous. Je veux que souvent le siege de hi folie
soit dans le derangement du Systeme nerveux, et que la force electrique puisse y
retablir l'ordre; mais reste k savoir et ä constater par des experiences reiterees si
ce succes est permanent etc.". Darunter eigenhändig die Worte: »Si voiis pouvez
382 Geschichte der Akndcinie unter Friedrich dem Grossen (1746— 17S<)).
die Akademie auf's Neue eine Eingabe, in der sie den Zustand der
cliemiselien Fächer darlegte und warm dafür eintrat, dass einer der
jüngeren Chemiker, Gerhard oder Achaed (bez. beide), eine akade-
mische Pension erhalte (i. April 1777). Sie hatte aber bereits gehört,
dass der König einen Ausländer zu berufen wünsche, und erklärte für
diesen Fall, sich die grösste Mühe um einen solchen geben zu wollen;
allein ein Mann ersten Rang-^es sei für 200 Thlr. nicht zu bekommen
(so viel betrug das erledigte Gehalt Pott's) und der Stand der Kasse
erlaid^e keine grössere Ausgabe (?). Umgehend schrieb der König
zurück: »Da mir bekannt, dass in Stockholm ein sehr habiler Mann
ist, der von der Chymie eine grosse Kenntniss besitzet, sollt ihr also
zusehen, den zu bekommen; ihr müsst ihm nur Offerten machen,
und euch Mühe um ihn geben; er wird es schon annehmen«. Wirk-
lich schlug die Akademie jetzt drei Schweden vor (Bergemann,
Engström, Scheele); Verhandlungen gingen hin und her; der König
interessirte sich auf 's Lebhafteste für die Berufung; allein keiner der
drei Gelehrten nahm an. Ob die Akademie, die Achard das Gehalt
zuwenden wollte, die Angelegenheit absichtlich hat scheitern lassen,
ist nicht mehr zu ermitteln; der König nahm das an und theilte
ihr unvermuthet mit, dass er Ferber in Mitau — der Minister
A''ON Heynitz hatte ihn empfohlen — berufen habe; er solle die
1 600 Thlr. Marggraf's als Gehalt beziehen , die auch dem Schweden
Bergemann angeboten worden seien. Die Akademie antwortete (i i .No-
vember 1777), Marggraf sei nicht gestorben, sondern arbeite noch
immer mit Eifer, auch habe er nie 1 600 Thlr. bezogen , sondern Alles
in Allem 900 Thlr. ; dem Schweden seien niemals 1 600 Thlr. ange-
boten worden; endlich, Ferber's Gehalt in Mitau sei nicht so hoch,
dass man ihm eine so grosse Summe geben müsse. In zwei weiteren
Eingaben empfahl sie Achard noch einmal dringend und erklärte
ausserdem , sie habe bereits drei Chemiker (Marggraf, Gerhard,
Achard); viel nöthiger sei ihr ein Astronom; sie habe einen solchen
in J. C. Schulze gefunden, den Lagrange auf's Beste empfehle. Der
König liess sich Schulze widerwillig gefallen \ entschied aber, dass
ausser ihm auch Ferber (als Chemiker) zu berufen sei; das nöthige Geld
parvenir ])ar l'electricite a donner de Tesprit aux imbecilles, vous valez phis que
votre poids d'or, car vous ne pesez pas autant que le Grand Mogol".
^ Ordre vom 5. OctoLer 1777: »Si les talents et la capacite du Sr. Schulize
i'epondent eifectivement au temoignage avantageux que vous venez de ]M"en rendre,
vous pouvez le fixer parmi vous eii hii confiant la classe de inatheinatique , Cju'avait
ci-devant le Sr. Lambert. Au reste, J'ai de la pehie a croh'e cpi'il soit aussi ha])ile
que son predecesseur».
Die Directorstelle der pliilosopliisclicn Klasse. 080
werde sich schon finden, wenn nicht, so sei es den Ü])erschüsseii
der Akademie zu entnelimen (7. December 1777). Allein Fekber kam
damals doch nicht; der berühmte Mineraloge ist erst nach Friedrich' s
Tode der Akademie zugeführt worden. Aciiard erhielt keinen Rivalen
und rückte nach 3Iarggraf's Tode (S.August 1782) in die Haupt-
stelle und in das Directorat der physikalischen Klasse ein.
Auch Meckel's Gesundheit war so erschüttert (er starb am
18. September 1774), dass er im October 1773 seine Stelle nieder-
legte. Die Akademie empfahl erst den Anatomen Lobstein in Strass-
burg, von dem uns Goethe erzählt hat, dann Neubauer in Jena:
aber auf königlichen Befehl wurde (2. December 1773) Walter, der
Schüler Meckel's, ernannt'. Hoch geschätzt in seinem Fache, hat
er den Grund gelegt zu der grossen anatomischen Sammlung, welche
die Berliner Universität besitzt.
Am nöthigsten hatte die philosophische Klasse eine Auffrischung,
war doch ihr Director, der hochbetagte Rector des Joachimsthal-
schen Gymnasiums Heinius, seit dem Jahre 1766 in keine Sitzung
mehr gekommen, und sie selbst war auf drei Mitglieder zusammen-
geschmolzen. Aber der König, an dem Zustand der Philosophie in
Frankreich und in Deutschland verzweifelnd — an Kant dachte er
nicht ! — , suchte einen Philosophen nach seinem Herzen , ohne ihn
zu finden. Am 25. Februar 1779 starb Sülzer, der nach Heinius'
Tode nur drei Jahre das Directorat bekleidet hatte. Der König hatte
ihn nur bestätigt, weil er keinen Würdigeren finden konnte. Nach
Heinius" Tode hatte sich sowohl Beguelin (s. oben) als Formet um die
Stelle beworben"', der letztere unter Berufung auf seine Anciennetät.
Allein der König hatte beide abschlägig beschieden und die Akademie
angewiesen, »einen anderen Menschen, der die Direction zu führen
vollkommen geschickt ist, auszumitteln « (8. September i 775). Ein
solcher hatte sich jedoch nicht gefunden, und so war nach einigen
Monaten Sulzer eingesetzt worden. Nun war auch er gestorben,
und wiederum stand die Akademie vor der Frage der Besetzung.
Die laufenden Geschäfte führte einstweilen de Beausobre (er wird
auch einmal Director genannt, ist es aber nie wirklich gewesen);
er erkrankte bald schwer (gest. 3. December 1783), so dass an
seine Wahl nicht zu denken war. Der König befahl, nach einem
^ Geb. am i.Jiili 1734. gest. am 3. .Januar 1818. Ein zweiter ^lediciner, der
im Juli 1776 in die Akademie aufgenommen wurde, Hexckel, starb schon nach
drei Jahren.
^ Die Akademie selbst hatte BeCtUelin vorgeschlagen.
384 Gescliiclito der Ak;uli'ini(' unter Fkikdricii dein Grossen (174(j— 17S(j).
Ausländer zu suchen , aber die Akademie reichte ihm trotzdem ein-
fnch die Liste der Mitg'lieder der philosophischen Klasse zur Aus-
wahl ein (d. li. nur zwei konnten in Betracht kommen), an ihrer
Spitze den ältesten, d. h. Formey. »II etait assurement naturcl«,
schreibt FoRMKY selbst in seinen anonym erschienenen »Souvenirs'«,
»d"en clioisir un, et surtout celui que son savoir distingue, encore
plus que la juste reconnalssance du nouveau monarque, a pourvu
de ce poste, demeure vacant jusqu'alors.« Man wird sich wundern
zu hören, dass der hier so wohlwollend charakterisirte Akademiker
Niemand anders ist als For3iey selbst! In der That hat ihn Fried-
rich Wilhelm IL zum Director der philosophischen Klasse ernannt,
Friedrich der Grosse aber schätzte die Talente des beständiuen
Secretars geringer ein. Er schrieb der Akademie am S.Juli 17 So
zurück':
'■ToLit ce (jue vous nie dites par votre rapport d"liier ne saurait nie faire
chan^er de sentinient. 11 faut poiir directeur de la classe de la philosophie un
philosophe dans tonte retendue du tenrie, sans <pioi ce serait mettre un arclütecte
ä la tete de la Chirurgie. Ainsi je me refere ä in es ordres ulterieurs.«
Nun musste man sich doch entschliessen, einen Ausländer zu er-
mitteln. Prevost aus Genf wurde berufen; man konnte ihn aber nicht
sofort zum Director machen. Als er 1784 Berlin bereits wieder ver-
liess, suchte man nach einem Ersatz. Formey erzählt, ein Stuttgarter
Gelehrter (Schwab, er erhielt 1784 den akademischen Preis) sei in's
Auge gefasst, aber von seinem Monarchen nach längeren Verhand-
lungen zur Ablehnung bestimmt worden. Bis in"s Frühjahr 1782 hatte
sich die Furage nach der Besetzung des Directorialpostens neben jenen
Bemühungen hingezogen ; dann — die Angelegenheit lässt sich aus den
Acten nicht völlig in"s Klare bringen — inuss die Ernennung Formey's
zum Director erschlichen , aber gleich darauf vom Könige rückgängig
geinaclit worden sein^. Im akademischen Protokoll ist zum 25. April
1 I, 161 f.
- Formey selbst theilt a. a. O. diesen Briet" mit, so sicher war er seiner Re-
putation bei seinen Lesern !
^ Nach dem Akademischen Actenfascikel III, 13 (Gehaltsbewinigungen) scheint
die Sache so verlaufen 7ai sein, dass Meriax, der Freund Formey's, eine könig-
liche Ordre in Bezug auf Gehaltserhöhungen veranlasst hat, in welcher Formey
als Director der philosophischen Klasse bezeichnet war. Der König hat das nicht
bemerkt und die Ordre unterschrieben. Sie wui'de nun als königliche Ernennung
ausgegeben und der Akademie Mittheilung gemacht (den Dankesbrief, den Formey
dem Könige geschrieben, hat dieser augenscheinlich nicht gelesen). Der Akademie aber
genügte diese eigenthümliche Ernennung nicht; sie fragte an und erhielt nun die
Antwort, die S. 385 Z. 5 mitgetheilt ist. Forjiey, tief gekränkt, hat den Ver-
lauf der Sache zu den Acten iie"eben und mit den Worten beschlossen: »Nolite
Die Dircctorstelle Jcr philosophischen Klasse. 385
1782 vermerkt: «Merian a annonce la nomination de M. Forme y a
la place de Directeur de la Classe de Philosophie«. Aber als wenige
Tage sj)äter die ökonomische Commission der Akademie beim Könige
anfragte, ob Formet das Directorialgehalt von 200 Thlr. beziehen
solle, schrieb Friedrich eigenhändig zurück: »Jamals pretre ne sera
philosophe et jamais philosophe ne peut etre pretre«. Formet selbst
hat in seinen Souvenirs nichts von einer Ernennung erzählt, im
Gegentheil gesagt (s. oben), dass er die ihm zukommende Anerken-
nung erst von Friedrich's Nachfolger erhalten habe. Auch die akade-
mischen Kalender bezeichnen in dieser Zeit den Platz des Directors
der philosophischen Klasse stets als vacant, und dem entsprechend ist
sogar unter Friedrich Wilhelm II. bezweifelt worden, ob sein Vor-
gänger jemals eine Ordre mit der Bezeichnung Formey's als »Director«
ausgestellt hat\
Der König hatte sich ül)rigens in diesen Jahren an den unver-
meidlichen Secretar gewöhnt, behandelte ihn freundlich und erhöhte
sogar seine Pension : nur zum Director der philosophischen Klasse
hielt er ihn für ungeeignet. Seit dem letzten Feldzug im Jahre 1779
liess er in den Spätnachmittagstunden Akademiker zu sich kommen,
um sich mit ihnen zu unterhalten und sich zu zerstreuen. Früher
hatte er das niemals gethan. So ist auch Formey, der den König bis-
her nie gesprochen hatte, in den letzten sieben Jahren ein paar Mal
befohlen worden und hat nicht unterlassen, von diesen Audienzen
— Merian führte regelmässig die Collegen ein — in seinen »Sou-
confidere principibus" ; allein man kann nicht verkennen, dass es der König ge-
wesen ist, der sich über ein illoyales Verfahren zu beklagen hatte. — For:\iev's
Mittheilung, dass an Stelle Prevost's (im Jahre 1785) Schwab aus Stuttgart berufen
werden sollte, lässt sich aus den akademischen Acten bestätigen. Der König gab
den Befehl, mit ihm zu verhandeln. Ein halbes Jahr schrieb man hin und her;
schliesslich zerschlug sich die Sache. Eine Zeit lang schien es auch, als werde
Prevost wieder nach Berlin zurückkehren — der König wünschte es lebhaft (s. die
Ordre vom i. October 1785) — , aber es gelang nicht, diesen tüchtigen Gelehrten
wiederzugewinnen. Die Stellung als Lehrer an der Ritterakademie, die der König
nicht von dem Sitz in der Akademie trennen wollte, schreckte ihn ab. Man sieht
hier deutlich, wie verhängnissvoll für die Akademie die Personalunion beider An-
stalten war. Man hat sich dann noch (1785/86) für den erledigten Stuhl der Phi-
losophie um den Schweizer Valtravers und irni L'Evesqme — Merian empfahl
jenen, Condorcet diesen • — bemüht. Der König lehnte den bereits mehr als
sechzig jährigen Valtravers mit der eigenhändigen Bemerkung in der Ordre ab:
"Er Avird hierher kommen, imi sich bei uns begraben zu lassen«. Über L'Evesque
s. unten.
^ Bis zum Tode Friedrich's blieb die Dircctorstelle unbesetzt; doch trat in
die fast ausgestorbene Klasse am 23. Februar 1783 d'Anieres ein, vermochte ihr
al)er nicht viel zu bieten.
Geschiclite der Akademie. I. 25
386 Geschiolite der Akndemie unter Friedrich dem Grossen (174()— 17Sß).
venirs« aiisfülirlich und selbstgefällig zu erzählen^; ausdrücklich be-
merkt er dabei, nienials habe der König durch Spott verletzt, immer
sei er lebhaft gewesen und habe durch Geist und Vielseitigkeit der
Interessen die Hörer entzückt". Anziehender noch als Formey's
Berichte ist die Schilderung seiner Unterredungen mit Akademikern,
die der König selbst in einem Brief an d'Alembert gegeben hat'.
Depuis mon retour a Berlin, j'ai voulu decrasser mon esprit de la
rouille de la campagne par un vernis academique. Je ine suis entretenn
avec M. Formey. Nous avons savainment et profondement discute, ä
ma grande edification, les matieres les plus graves, dont notre secrctaire
perpetuel a voulu me convaincre. Un autre jour Fhomerique Bitauke
m'a fort assure que l'auteur de Tlliade et de l'Odyssee etait le seul
poete qu'eüt produit ce long enchainement de siecles. Puis je me suis
corrobore par les sages reflexions politiqnes et philosophiques de jNI.
Weguelin; et comme les soins de la terre m'avaient fait pour un temps
oublier le ciel, M. Bernoulli a bien voulu me communiquer l'itineraire
des astres; il m'a appris qu'on soupc^onnait la cour de Venus d'etre plus
nombreuse qu'on ne Tavait cru, et qu'on avait des indices d'un de ses
satellites. ]Moi qui vais un peu vite en besogne, j'ai d'abord baptise ce
satellite, que j'ai nomme Cupidon. Je me suis recommande aux bonnes
gräces de cette divinite, du nouveau satellite et des trois Graces. M.
Bernoulli pretend, par le moyen de ce satellite (qui est apparemment
un espion), savoir au juste la masse et la taille de la deesse de Cythere,
comme s'il l'avait mesuree avec sa ceinture; je Tai fort prie d'en garder le
secret, pour ne point decrediter les chefs - d'oeuvre des Phidias et des Praxi-
tele qui ont sculpte cette deesse si superieurement. Depuis, j'ai vu M.
Lagrange, qui a bien voulu temperer la sublimite de son langage en
raison inverse des can-es de mon ignorance; il m'a conduit d'abstraction en
abstraction dans un labyrinthe d'obscurites, oü mon pauvre esprit se serait
perdu, si notre bon Suisse M. Merian ne m'avait retire des sublimes
regions infinitesimales pour me reinettre sur ce giobe abject et bi'ut oü
je vegete. Enfin, M. Achard m'a appris ce que c'est que l'air fixe, et il
m'a fait convenir sans peine que la matiere a une infinite de proprietes
qui ont echappe jusqu'ici a notre connaissance, et que ce ne sera qu'en
suivant Bacon, a force de faire des experiences, que nous poui-rons, avec
le temps, etendre de quelques degres la sphere etroite de nos connaissances.
Malheureusement les preiniers principes des choses demeureront a jamais
hors de la portee de notre faible penetration. Tel est en abrege le petit
cours academique que j'ai fait durant ma maladie. Cela ne valait pas la
joeine de le communiquer au sublime Anaxagoras (= d'Alemberi); nun
sans doute; si j'avais vu quelques cliose de plus interessant k lui apprendre.
je l'aurais fait**.
^ I, p. 122 ff.
^ Formey erzählt u. A. von einer Audienz, bei welcher der König in mehr
als halbstündiger, zusammenhängender Rede den Kaiser Tiberius vertheidigt habe
(1, p. 126).
^ Januar 1780, Q^ivres T. 25 p. 139.
* Einen ähnlichen, aber kürzeren Bericht hat Friedrich am 13. (23.) Januar
1782 (QCuvres T. 25 p. 212) noch einmal an d'Alembert gesandt: »J'ai vu la plu-
Friedrich's Unterhaltungen mit der Akademie. dö<
Diese Unterlialtungen, die der König, wie man sieht, nicht
überschätzte, hatten begonnen, nachdem die Akademie durch den
Befehl, als Preisaufgabe das Thema zu stellen: «S'il est permis de
tromper le peuple«, in di(^ grösste Verlegenheit versetzt worden
war {1777/78). In dem nächsten Capitel wird näher von dieser Auf-
gabe die Rede sein müssen. Der König, weit entfernt sich einen
frivolen Scherz zu erlauben, nahm die Frage sehr ernst. Seit 1769
hatte er sich mit ihr auf d'Alembert's Anregung beschäftigt (s. oben).
Jetzt, nachdem dieser (22. September 1777) förmlich den Antrag ge-
stellt hatte, der König möge das Thema als Preisaufgabe der Aka-
demie vorschreiben, entschloss er sich dazu, weil es ihn tief be-
wegte, dass der Antragsteller in dieser wichtigen Frage anderen
Sinnes war als er. Der Areopag der europäischen Philosophen sollte
angerufen werden und die Akademie dann entscheiden. Aber der
König bedachte nicht, wie ungeeignet die Frage war, vor einer
königlichen Akademie verhandelt zu werden.
Der briefliche Verkehr mit d'Alembert erhielt noch im Novem-
ber desselben Jahres einen starken Stoss durch eine Indiscretion
von d'Alembert's Seite. Ein halbes Jahr dauerte die Unterbrechung;
dann, nach dem Tode Voltaire's, wandte sich der König dem alten
Freunde wieder zu, und bald war das frühere Verhältniss wieder-
hergestellt. Aber von der Akademie ist in dem Briefwechsel nicht
mehr viel die Rede — nicht, weil d'Alembert's Verhältniss zu ihr
ein anderes gew^orden wäre, sondern weil der König an den Dingen
w^enig mehr rührte und alle Veränderungen auf das geringste Maass
beschränktet Im September 1780 war der Genfer Prevost Mitglied
geworden (s. oben), wahrscheinlich auch nicht ohne d'Alembert's
Rath ; wenigstens rühmte dieser später Prevost's Euripides- Über-
setzung dem Könige"'. Im Jahre 1781 empfahl er ihm den Schweizer
Johannes von Müller, der sich damals in Berlin aufhielt und sich
part de nos academieiens. On m"a parle, les uns d"une nouvelle planete, les autres
d'une nouvelle comete; j'attends qu'ils decident de son sort, pour Thonorer en con-
sequence. Pour M. de Lagrange, il calcvTle, calcule, calcule des courbes taut
que vous en voudrez; M. Formey fait des panegyriques , Achard de Fair dephlo-
gistique, Wegüelix etudie comment on aurait pu terminer plus vite la guerre de
trente ans, et mois. je ne fais rien. sinon des voeux pour votre conservation . des
maledictions contre la nephretique, et des souhaits pour le retal)lissement de la paix
en Europe«.
^ Ulier d'Alejibert's Antwort auf die Zusendung der Schrift des Königs
über die deutsche Litteratur s. das folgende Capitel.
^ 16. Februar und 28. April 1783. CEuvres T. 25 p. 250. 253.
25*
388 Geschichte clor Akademie unter Friedrich dem Grossen (1746-1786).
jedeiifolls an ihn um rürsj)raclie gewandt liatte, nennt ihn aher
»Mayer«. «On nie mande«, schreibt er, »qu'il y a actuellement a
Berlin un jeune savant, nomme M. Mayer, qui vient de publier en
allemand iine excellente »Histoire de la Suisse«; que cette histoire
a ete traduite en frangais; qu'elle est pleine de philosophie et de
verites courageuses ; que l'auteur est en etat d"ecrire en frangais;
qu"il desirerait se fixer dans les Etats de V. M., et que l'Academie
ferait en lui une excellente acquisition , si V. M. jugeait ä propos
de Ty attacher, en le fixant d'abord par une modique pension de
400 ecus, dont il se contenterait jusqu'a ce qu'il eüt merite par
son travail d'obtenir une plus forte recompense«\ Der König er-
widerte": «Ce M. Mayer a ete ici. Je vous confesse que je Tai
trouve minutieux; il a fait des recherches sur les Cimbres et sur
les Teutons. dont je ne lui tiens aucun compte; il a encore ecrit
une analyse de l'histoire universelle dans laquelle il a studieusenient
repete ce qu'on a ecrit et dit mieux que lui . . . Nos Allemands
ont le mal qu'on appelle logon diarrhoea«. Müller erhielt damals
keine akademische Stellung^'. Grosse Mühe gab sich d'Alembert,
einen gewissen Dubois, der über die Geschichte der polnischen
Litteratur geschrieben und bereits Abhandlungen in die Memoires
eingerückt hatte, an Francheville's und Beguelin's vStelle in die
Akademie zu bringen^; aber auch dazu kam es nicht. Der König
war doch zurückhaltender geworden gegenüber Empfehlungen auch
^ 9. Februar 1781 T. 25 p.174.
- 24. Februar 1781 p. 176.
^ Schon iin Jahre 1773 hätte er, 22 Jahre alt, Director des Joachimsthalschen
Gymnasiums werden können. Sein Landsmann Merian hatte ihn dem Minister
VON Zedlitz für diese Stelle empfohlen, und dieser hat den Ruf an ihn ergehen
lassen. Allein Müller schlug ihn aus — er wollte nicht Schulmann, sondern Staats-
mann werden • — , bewarb sich aber, die Vermittelung de Catt's anrufend, vun eine
Anstellung im preussischen Staatsdienst. Doch dieser Plan verwirklichte sich da-
mals nicht. Erst nachdem er die »Schweizei'geschichtc" (erste Bearbeitung 1780)
und die «Essais historiques« — beide sind auf Friedrich den Grossen berechnet
— verötf entlicht hatte, begab er sich nach Bei-lin, erreichte aber seine Absichten
bei dem Könige nicht trotz d'Alembert's Vermittelung. Nach kurzem Aufenthalt
verliess er die Stadt. Erst 23 Jahre sjoäter sollte er als gefeierter Historiker und
Staatsmann dort eine eintlussreiche Stellung erhalten.
* 10. September 1781 p. 200 ff. Als Bibliothekar hatte er ihm einige Jahre
früher Delisle, «einen der Märtp'er der Philosophie«, empfohlen. Seit 1774 wurde
an dem neuen Bibliotheksgebäude gebaut. Im Jahre 1780 war es vollendet. «J'ai
fait construire ä Berlin une bibliothecpie publique. Les oeuvres de Voltaire etaient
trop maussadement logees aupai^avant« (an Voltaire, 9. November 1777 T. 23 p.412).
Zu Friedrich's Zeiten wurde die Königliche Bibliothek noch niclit in ein näheres
A'^erhältniss zur Akademie gebracht.
d'Ale3ibert".s letzte Beiiiühuiigen um die Akademie. 381)
von i)"Alembert"s Seite: nicht alle Empfohlenen hatten auf die Dauer
den Erwartungen entsprochen. Er schreibt^:
"Vous ne devez pas vous etoniier de ce que j'aurais voulu parier ä ce M. Dubois
avant de Tengager. 'S'ous ne saiiriez croire quelles caravanes arrivent ici d'insectes
litteraires. dont k joeine on peut se debarrasser, d'autant plus que c'est en Pologne
oii cette vermine pullule; et le sejour que le sieur Dubois a fait dans ce royauine
(oü ne vont guere des gens de merite) faisait naitre des prejuges defavorables , qu'il
ne pouvait detruire qu'en prouvant le contraire par son merite.«
Dagegen ist der König seinem alten Grundsatz treu geblieben,
Verfolgte aufzunehmen und zu ehren. Am 30. October 1782 theilt
er dem Freunde mit, dass er den Professor und Abbe Denina aus
Turin nach Berlin ziehen werde, weil er dort einiger «phrases rai-
sonnables et modestes« wegen schwere Angriffe erleide. «II vient
pour dire tout haut en Allemagne ce qu'il pensait tout bas en Italie". «
Denina kam wirklich (7. November 1782); die Akademie hat in ihm
einen recht unbedeutenden Vielschreiber erhalten.
In demselben Jahr hielt sich noch ein anderer Verfolgter von
grösserem, aber wenig begründetem Ruf in Berlin auf. Es war der
Abbe Raynal, der sich durch historische Arbeiten bekannt gemacht
hatte, schon seit 1750 auswärtiges Mitglied der Akademie war^,
Frankreich seines Werkes »Histoire philosophique du commerce des
Europeens dans les Indes« wegen hatte verlassen müssen und es
nun nach längerem Aufenthalt in England in Berlin versuchte. An-
geblich war er gekommen, um Studien über die Aufhebung des
Edicts von Nantes zu machen. Man behauptete aber, dass er
Präsident der Akademie w^erden wollte. Allein er erreichte beim
Könige seine Wünsche nicht: »alterte« auch die Akademie nach
einem Ausspruch Friedkich"s, so konnte ihr doch nicht durch die
Einsetzung eines Präsidenten geholfen werden, der selbst bereits
siebzig Jahre alt war. Im Mai 1783 verliess Raynal Berlin wieder.
Durch einen Preis von 1400 Franken für eine Abhandlung: «Sur
la maniere d'ecrire riiistoire« suchte er sein Andenken zu erhalten.
Der Preis wurde nicht ertheilt, und die Summe dem Abbe wieder
zugestellt''.
^ 13. (23.) Januar 17S2 p.2iif.
- Qiuvres T. 25 p. 242.
^ Er ist eines der nicht eben zahlreichen auswärtigen INIitglieder, das einen
Beitrag für die Memoires geliefert hat. Im Jahrgang 1751 steht seine Abhandlung
über die Erhebung Karl's V. auf den Kaiserthron.
* Siehe Dexina, Essai p. 367, La Prusse litt. T. III p. 197 if. Der sonst so wohl-
wollende Bartholmess (I p. 224) bezeichnet den Exjesuitea Raynal als »sophiste cor-
i'ompu. rheteur ambitieux, compilateur sans utilite comme sans probite«. Friedrich
390 Uescliiclite der Akademie unter Friedrich dem Grossen (174(5 — 1786).
Am 29. October 1783 starb dAlembert. Sein Tod beraubte den
König fast des letzten nahen Freundes^; aber er dachte bei dem Ver-
luste auch an seine Akademie. »Trois grands geometres se sont
suivis en peu de temps, Bernoulli, Euler et d'Alembert, et l'Aca-
demie royale de Berlin a fait une triple perte"".« Einen Pariser Rath-
geber für die Besetzungen meinte der König nicht entbehren zu
können — an einen Deutschen dachte er nicht — , und so wandte er
sich jetzt an Condorcet, den beständigen Secretär der Academie des
Sciences, den Freund und Biographen Voltaire's, mit der Bitte,
d'Alembert's Functionen zu übernehmen^: Condorcet ist wie d'Alem-
BERT «heimlicher Präsident« der Akademie, freilich nur 16 Monate,
gewesen. Am 6. April 1785 schrieb ihm der König*:
»Autrefois M. d'Alembert m'a fait le plaisir de me procurer quelques bons
Sujets pour l'Academie des Sciences; il vient de m"en manquer deux, et vous me
rendriez un veritable service, si vous pouviez m'en procurer. L'un, c'est Thiebault,
([ui etait grammairien et puriste. Je crois que Fabbe Beauzee serait le plus capable
de le remplacer, s"il voulait accepter la place... L'autre qui nous a (piittes, c'est
M. Prevost, qui avait le departement de la philosophie et des belies - lettres. Per-
sonne n'est plus capable que vous de trouver des sujets dignes de les remplacer."
Condorcet empfahl als Grammatiker Dupuis, Professor an der
Pariser Universität'. Eine lebhafte Correspondenz mit dem Könige
ensj)ann sich, in welcher dieser u. A. dem Mar(|uis versicherte, seine
Eloges seien vorzüglicher als die d'Alembert's. Im December 1785
ersuchte ihn Friedrich, ihm L'Evesque, den Condorcet als Philo-
sophen empfohlen hatte, auch wirklich zu besorgen, »dont mon
Academie a si grand besoin*^«. Condorcet antwortete, dass L'Evesque
die Stelle annehme; er sei in der exacten Philosophie ein Schüler
hat ihn in früheren Jahren geschätzt, aber dann bald die Declamationen des INlannes
richtiger gewürdigt. Als in dem von einigen Akademikern geleiteten »Journal litteraire
de Bei'liu" eine Anzeige des RAVNAL'sclien Hauptwerkes erscliienen war, schrieb er in
scliarfen Worten der Akademie, sie solle mehr Sorgfalt auf die Zeitimg verwenden
und zusehen, dass seine Akademie sich nicht durch das Blatt compromittire.
^ Am nächsten stand ihm in dieser Zeit Lücchesini , und wahrscheinlich hätte
dieser den Pi-äsidentensitz erhalten, wenn er ihn gewünscht hätte. Einen nachweis-
baren Einiluss auf die Akademie hat er nicht ausgeübt, wenn er auch vom Könige,
ähnlich wie früher d"Argens, als ÜNIittelsperson benutzt wurde.
^ Schreiben an von Grimm vom 31. October 1783, OEuvres T. 25 p. 348.
^ Condorcet, den Voltaire einen »Vulkan, bedeckt mit vSchnee« genannt hat,
hatte im Jahre 1778 den Berliner akademischen Preis erhalten für eine Untersuchung
über die Kometen. Auswärtiges 3Iitglied wurde er erst nacli dem Tode Friedrich's
(21. November 1786), jedoch aus politischen Gründen am 25. Januar 1793 wieder
gestriclien. Er endete durch Selbstmord am 8. April 1794.
* CEuvres T. 25 p. 371.
s 2. :\Iai 1785 p. 373f-
'' 12. December 1785 p. 381.
CoNDORCET. Die Akademie altert mit dem Könige (1785/86). 3i)l
Locke's, in der Moralphilosophie ein Schüler der Alten — das war
ein wenig nach dem Munde geredet. L'Evesque sollte Ende April,
Dupuis im Herbst 1786 nach Berlin kommen^; allein sie sind schliess-
lich doch nicht Mitglieder der Akademie geworden"'.
Mit ihrem grossen Könige alterte auch die Akademie. Die
erledigten Stellen wurden nur zum Theil wieder besetzt. Die Zahl
der ordentlichen Mitglieder betrug nur noch 18. Zwar die physi-
kalische und die mathematische Klasse behaupteten ihr Ansehen und
waren gut und ausreichend besetzt; aber die philosophische, einst
der Stolz der Akademie, war seit Sulzer's Tode nur ein Schatten
und starb aus - — ■ der alte Formey und d'Anieres waren die ein-
zigen Mitglieder — und die philologische Klasse war, von Merian
abgesehen, nichts anderes als das Lehrercollegium der Ritterakademie.
Diese Schule war unter Friedrich II. der Akademie so verhängniss-
voll geworden, wie das Collegium medico-chirurgicum unter seinem
Vater. Die beiden litterarischen Klassen bedeuteten so gut wie
nichts, nichts in der deutschen Litteratur und Wissenschaft, die
an ihnen weder An theil genommen noch erhalten hat, und wenig
in der französischen , denn ihre besten Kräfte waren geschickte
Übersetzer. Es gab an der ganzen Akademie nur einen Mann,
der zwar in den Memoires französisch schreiben musste, aber deutsch
empfand. Er gehörte zu keiner Klasse, sondern war Ehrenmitglied;
aber er arbeitete für die deutsche Litteratur und Geschichte: dieser
Mann war Hertzberg. Was er für deutsches Wesen schon unter
Friedrich's Regierung gethan, wird im nächsten Capitel, was er für
die Umbildung der Akademie geleistet hat, im folgenden Buch zur
Darstellung kommen.
Dreiundzwanzig Jahre hindurch {1763 — 1786) sass der wirk-
liche Präsident der Akademie in Paris, erst d'Alembeet, dann Con-
dorcet; die Secretare der französischen Akademie leiteten zugleich
die preussische! W^er etwas erreichen oder durchsetzen wollte,
wandte sich über Paris an den König! Auch Leibniz hat sechs-
zehn Jahre lang von Hannover aus die Berliner Societät geleitet;
aber er war ein Deutscher, und Hannover war nicht Paris! Diese
Fremdherrschaft im eigenen Lande hat der König geschaffen und
ertragen, der im Felde die Franzosen besiegt hat und der die
französische Litteratur als sinkend beurtheilte. Während sich der
^ Briefe vom Januar und 26. März 1786 p. 382!'.
" L'EvEStjCE wurde Professor an der Ritterakademie.
392 Geschichte der Akademie unter Friedrich dein Grossen (1746— 178()).
deutsche Geist um 1786 bereits mächtig entwickelt hatte und Un-
sterbliches schuf, sassen in der Akademie Friedrich's nur fünf
Deutsche: Gleditsch, Geehard, Roloff, Walter und Schulze, fünf
Naturforscher; sie repräsentirten die deutsche Wissenschaft und
Litteratur! Alle übrigen waren Ausländer: Schweizer, Hugenotten,
Franzosen, Italiener. Dieser Zustand war unhaltbar; er wurde jetzt
endlich in Berlin, in Preussen, in ganz Deutschland als eine Schmach
empfunden inid mit Groll und Bitterkeit beurtheilt.
Die Abhandlungen der Akademie blieben geschätzt, und wenn
sie weniger Aufsehen machten als früher, so mag Denina's ürtheil
zutreffen: »La maturite des productions les rendait moins piquantes«.
Die Akademie frappirte nicht mehr wie in den Tagen Maupertuis"
und brüskirte nicht wie einst, als La Mettrie, d"Aegens und andere
Freigeister unter ihren Mitgliedern aufgeführt wurden und Un-
kundige sie für eine Hochburg des Antichristenthums halten mussten.
Die schiffln-üchigen Theologen der letzten Stürme, die sich in den
Hafen der Akademie gerettet hatten, kämpften nicht gegen Christen-
tlium und Kirche, mochten sie auch einst so schlimme Bücher ge-
schrieben haben wie Toussaint.
Zwischen den verschiedenen Klassen der Akademie hat zu
allen Zeiten ein inniger Zusammenhang bestanden: den natur-
wissenschaftlichen Abtheilungen fehlte nichts, und doch litten sie
mit unter dem Niedergang der anderen. Der «schläfrige Zustand«
steckte auch sie an; es herrschte kein freudiges Leben und Streben
mehr in den Räumen der Akademie. Beweis dafür ist, dass sich
bereits im Jahre 1773 eine »Privatgesellschaft der naturforschenden
Freunde« neben der Akademie gebildet hatte (bestätigt im October
1773), ^i^^<^ ^^^^ ^ii^ hervorragender Akademiker, der Botaniker
Gleditsch, zu ihren Stiftern gehörte'. Man erinnert sich hier der
Bildung neuer Gesellschaften in den letzten Jahren Friedrich Wil-
helm's L und vor der Neugründung der Akademie im Jahre 1743'.
^ Geh. Staatsarchiv; im October 1777 erhielt sie das Recht, ein Siegel (aber
ohne Adler) zu führen. Bestätigt als «Naturforschende Gesellschaft-' wurde sie im
Februar 1790. Auch Achard und Bode waren Mitglieder. Die Gesellschaft kam
Dienstags bei einem Mitgliede zusammen und gab auch Schriften heraus — bis
1786 zehn Bände — , besass ein Naturaliencabinet und eine Bibliothek, s. Nicolai,
Beschreibung der Könighchen Residenzstädte Berlin und Potsdam ^ Bd. 2 S. 72 2f.
^ Im Jahre 1783 hatte sich auch eine freie philosoj)hische Gesellschaft ge-
bildet, die sich alle vierzehn Tage versammelte und sich erst 1798 auflöste. Ihr ge-
hörten alle bekannten Berliner Aufklärungsphilosophen an. Mexdelssohn, Nicolai,
Teller, Engel, Spalding, Biester u. A.
Tod des Königs (17. August 1786). 393
Am 17. August 1786 starb der grosse König. Mit seinem Tode
schliesst aucli die Geschichte seiner Akademie. Das Jahr vorher
hatte er noch einen bedeutsamen Act der Pietät vollzogen. J. G. Müch-
LER und Moses Mendelssohn wollten den drei Pliilosophen der Akade-
mie Leibniz. Sulzer und La3ibert ein gemeinschaftliches Monument
auf einem öffentlichen Platze Berlins errichtet sehen und machten
deshalb eine Eingabe. Der König antwortete ihnen^ :
"Denkmäler von verdienstvollen INIännern sind von jeher als Aufmiuiterungen
zu ihrer Nachahmung gestiftet worden. Ein Freiherr von Leibniz. ein Sulzer. ein
Lambert verdienen nicht weniger, dass ihr Andenken durch eben dergleichen geehrt
und ihre Verdienste auf die Nachwelt gebracht werden. Vielleicht reizen auch ihre
Ehrenzeichen manchen zur Nachahmung. In dieser Hoifnung genehmige Ich nun-
mehro Euren gestrigen Antrag, ihnen eine Denksäule nebst ihren Bildnissen en me-
daillons zu setzen. In der Mitte des Platzes vor meinem grossen Bibliothek -Hause
wird solche am schicklichsten stehen. Daselbst verstatte ich Euch, ihnen solche er-
richten zu lassen."
Dieses Denkmal, welches das erste Jahrhundert der Akademie
in ausgezeichneter Weise verewigt und zugleich einen Markstein in
ihrer Geschichte gebildet hätte, ist nie errichtet worden"': aber sie
darf mit gutem Reclit in dem herrlichen Monument, das Rauch
geschaffen hat, auch ein Denkmal ihrer eigenen Geschichte als fride-
ricianischer Akademie erkennen; denn der König, dem es gilt, ist
nicht nur ihr erhabener Protector, sondern auch ihr wirklicher Cu-
rator, ja ihr erlauchter Mitarbeiter gewesen. Es Avar nicht unwürdige
Schmeichelei, sondern der einfache Ausdruck ihres grenzenlosen
Dankes, wenn sie Friedrich nicht nur als den Grossen und Hoch-
herzigen (»Magnanimus«) ? sondern auch als den Einzigen ge-
feiert hat.
Eine Gedächtnissrede auf den grossen König ist in der Akademie
nicht vorgetragen worden — wie wäre auch For3iey im Stande
gewesen, eine Gedenkrede auf ihn zu halten^ I — aber alljährlich
^ Qiiuvres T. 27, 3 ji. 237.
^ An der von dem Könige erwählten Stelle (auf dem Opernplatz) steht jetzt
das Denkmal der Kaiserin Augusta.
^ In der öffentlichen Sitzung vom 25. Januar 1787 sprach er einige schwülstige,
nichtssagende Worte, ^'or allem erinnerte er daran , dass er der einzige noch übrig
gebliebene Akademiker sei, der die Reorganisation der Akademie im Jahre 1744
erlebt habe. Dann gab von Hertzberg eine Übersicht über das letzte Jahr der Re-
gierung Friedrich's, recapitulirte sein Leben und las die Einleitung zu den hinter-
lasseuen "Memoires de mon temps« vor (eine Fortsetzung IrsWöllner in der Sitzung
vom 27. September 1787). Endlich beschloss Denina, der Gegner der französischen
Sprache, die Sitzimg durch den Vortrag einer Abhandlung »Sur la preference que
394 Die Avissonschaftliclie Bedeutung der Akademie Friedrich's IL
wird seiner in der Festsitzung des Monats Januar gedacht, und schon
in der Sitzung vom 25. Januar 1787^ verkündigte Bode, dass fortan
eine bisher unbenannte Constellation (zwischen den Sternbildern
Cassiopeia, Andromeda und Schwan) mit Zustimmung der Akade-
mieen von Paris, London, Petersburg und Kopenhagen den Namen
»Friedrich"s Ehre« tragen solle".
Drittes Capitel.
Die Arbeiten und die wissenschaftliche Bedeutung
der Akademie.
1.
Zahlreiche Arbeiten der Akademiker sind in den Memoires nieder-
gelegt, aber die wissenschaftliche Bedeutung der Körperschaft tritt
keineswegs nur in ihnen hervor. In Gutachten und litterarischen
Correspondenzen , in den Preisaufgaben, auch in öffentlichen Vor-
lesungen ist die Akademie für die Pflege und den Fortschritt der
Wissenschaft ausserdem thätig gewesen. Dazu kommen die besonders
erschienenen Werke ihrer Mitglieder.
le feu roi ])ai'aissait accorder a la Litterature FraiKjaise, et sur les progres qu"a
l'aits la Litterature Allemande sous son regne" — das war im Grunde eine Kritik
Friedrich's und keine Lobrede.
'■ ]Memoires 1786/87 p. 570*.
- Der Name ist jedoch nicht geblieben. — Einen Aufsatz "Sur la maniere de
rediger l'histoire du regne de Frkderic H" las am ii.]Märzi790 (jMemoires 1790/91
p. 551 ff.) Verdy du Vernois. — Sehr merkwürdig und ein Zeichen der Zeit ist es,
dass in der öffentlichen Sitzung am 27. Januar 1793 der Minister und Curator der Aka-
demie. Graf VON Hertzberg, eine lange vorher angekündigte Rede auf Friedrich
gelesen hat mit dem Titel: «Memoire sur le regne de Frederic II, Roi de Prusse,
pour faire la preuve cjue le gouvernement monarchique peut etre bon et meine
preferable ä, tout gouvernement republicain (abgedruckt in den Memoires
1788/89 p. 471 ff.). Kein Wunder, dass Hertzberg als Freund der französischen
Völkerfreiheit beargwöhnt wurde (vergl. auch seine Abhandlung über das 3. Jahr
Friedrich Wilhelm's H. »et pour prouver que le gouvernement Prussien n'est pas
despotique«, gelesen am i. October 1789, Memoires 1786/87 p.645ff.). Zwölf Jahre
später las Johannes von Müller (24. Januar 1805) »Über das Ideal einer Geschichte
Friedrich's des Grossen« (Abh. 1804/11 S. 3) und dann im Jahre 1807 (a. a. 0. S. 7)
die berüchtigte, durch den Verrath am Vaterland befleckte Rede »Über den Rulun
Friedrich's«, nachdem die Akademie für das Jahr 1800 die Jubel -Preisaufgabe ge-
stellt hatte: »Comment Frederic H a-t-il intlue sur le progres des lumieres et en
general sur l'esprit de son siecle?" (Den Preis erhielt der Prediger Gebhard an
der Jerusalemer Kirche in Berlin).
Die Vorlesungen inid Gutachten der Akademiker. 895
Zum Abhalten von Vorlesungen waren die Akademiker als solche
nicht verpflichtet. Zwar hat der König stets gew^ünscht, sie möge
sich auch als Lehranstalt dem Staate nützlich machen, aber ihre
Statuten, in denen nichts über Vorlesungen enthalten war, wurden
nicht gCcändert. Jedoch haben einzelne Akademiker — und zwar
gegen Ende der Regierung Friedrich"s immer zahlreicher — Vor-
lesungen gehalten. Verpflichtet waren dazu diejenigen, welche als
Professoren am Collegium Medicum (Anatomie und andere medici-
nische Disciplinen) und an der Ritterakademie (Grammatik, Fran-
zösisch, Litteratur, Geschichte, Mathematik) angestellt waren. Ausser-
dem wurden an der Sternwarte der Akademie jüngere Leute zu
Astronomen ausgebildet. Der Botaniker Gleditscii hielt seit 1770 im
Auftrag des Generaldirectoriums forstwissenschaftliche Vorlesungen
luid unterrichtete dazu die Mediciner in der Pflanzenkunde. Im
Jahre 1778 wurde eine Anstalt für »Berg -Eleven« gegründet; der
Akademiker Gerhard las an derselben über Mineralogie, Metallurgie
und Theorie des Bergbaus. Andere Akademiker betheiligten sich
an den privaten wissenschaftlichen Kursen , die regelmässig in Berlin
gehalten wurden. So las Aciiard über Chemie, Experimentalphysik
und Elektricität ; er hat auch einmal ein besonderes Colleg für die
Färber gehalten und dabei Untersuchungen über »inländische förbende
Pflanzen« angestellt. Bode hielt populäre astronomische Vorlesungen,
u. s. w. Die überwiegende Mehrzahl der Akademiker war somit als
Lehrer thätig, und Berlin besass eigentlich schon um 1780, was
Zahl und Vollständigkeit der jährlich gehaltenen Vorlesungen an-
langt, eine Universität; nur die Organisation fehlte ihr\
Indessen diese ganze Thätigkeit w^ar doch für die allgemeine
wissenschaftliche Stellung der Akademie ohne höhere Bedeutung.
Es ist nicht bekannt, dass Jemand nach Berlin gekommen wäre, um
akademische Vorlesungen zu hören. Ungleich wichtiger waren die
zahlreichen Gutachten, welche sie abzugeben hatte. Aus dem ge-
sammten Gebiet der theoretischen und der angewandten Wissen-
schaften wurden Fragen an sie gerichtet und ihr Erfindungen und
Entdeckungen aller Art zur Prüfung vorgelegt. Die Beurtheilung
kostete oft viel Mühe und Zeit: denn die Fehler und Irrthümer
^ VergL Nicolai. Berlin ^ Bd. 2 S. 7 23 ff. Für Vorlesungen über Gerichtsver-
fassung und Processe sorgte das Justizdejiartement. Vorlesungen über die schönen
Wissenschaften und die Philosophie wurden privatim gehalten, so von Ramler,
INIoRirz und Anderen. Theologische Vorlesungen sind meines Wissens niemals an-
uekündiüt worden.
31)G Dif wissen.solinl'tlielie Bedeutung der Akadr-iuie Friedkich"s II.
der eingereichten Arbeiten waren nicht immer so leicht zu durch-
schauen wie die »Lösungen« des Problems der Quadratur des Zirkels.
Jahr um Jahr liefen solche ein, und die grossen Mathematiker der
Akademie widerlegten sie unverdrossen^; noch war ja die Unmög-
lichkeit der Lösung nicht bewiesen. Auch das Problem der Uni-
versalsprache konnte in einer Zeit nicht zur Ruhe kommen, die
das Gewordene gering schätzte und überzeugt w^ar, dass die auf-
geklärte Vernunft des Einzelnen sicherer und besser arbeite als die
Geschichte.
Als das directe und eigentliche Mittel, den Fortschritt der Wissen-
schaften im Grossen zu befördern und in richtigen Bahnen zu halten,
galten die Preisaufgaben, welche die Akademieen jährlich stellten.
Ihre Bedeutung kann nicht hoch genug geschätzt werden. In einer
Zeit, der die Kräfte und die Organisation für grosse wissenschaft-
liche Unternehmungen — mit Ausnahme astronomischer — noch
fehlten, waren die Preisaufgaben, wie sie jährlich von den Akade-
mieen Europas verkündigt "w^urden, die Ziele des wissenschaftlichen
Wetteifers und der Gradmesser für die Haltung und Einsicht der
gelehrten Körperschaften. In diesen Aufgaben , die man mit Um-
sicht nach langen Berathungen auswählte, stellte sich fortschreitend
der Gang der Wissenschaften selbst dar; denn in der Regel sah
man von .Specialitäten ab und schrieb solche Themata aus, die eine
vollkommene Einsicht in den Stand einer ganzen Disciplin und ihre
Förderung an dem wichtigsten Punkte verlangten, oder die ein
Fundamentalproblem enthielten. Die Preisaufgaben waren gleichsam
die Hebel, mit denen Jahr um Jahr die verschiedenen Wissenschaften
um eine Stufe gehoben werden sollten, und sie hatten daneben
eine universale luid verbindende Bedeutung. Sie richteten sich an
die Gelehrten von ganz Europa und wiu-den überall in der wissen-
schaftlichen Welt bekannt. Mit der höchsten Spannung erwartete
man sie, ja diese Spannung war fast grösser bei der Ankündigung
der Fragen als bei der Mittheilung der Antworten; denn in der
Frage zeigte sich die Meisterschaft. Die Aufforderung richtete sich
auch nicht an die Rekruten der Wissenschaft, sondern an die Füh-
rer, und diese folgten gern dem Rufe zum Wettkampf. Die ersten
Denker und Gelehrten, ein Euler, Lagrange, d'Alembert, Condorcet,
ein Kant, Rousseau und Herder sind in die Arena gestiegen. Diese
^ Vergi. U.A. Lagrange in den Meaioires 1781 p. 17Ü'. , der erklärt, auch
wenn die Quadratur des Zirkels nachgewiesen würde, wäre damit nichts für die
Geometrie Gewonnen.
Die Preisaulgaben. 3i)/^
Thatsaclie, die uns heute fast fremd geworden ist, verlangt doch noch
eine besondere Erklärung. Sie ist nicht in der Natur der gestell-
ten Aufgaben, noch weniger in den lockenden Preisen bereits voll-
ständig gegeben: der grosse Denker und Gelehrte war im iS.Jahr-
liundert noch ein Universalphilosoph: sein Geist sah eine Fülle von
Problemen auf den verschiedenen Gebieten der Wissenschaften, die
ihn mit gleicher Stärke reizten und lockten. Welches sollte er
Jierausgreifen ? Da kamen ihm die Akademieen mit ihren Preis-
aufgaben zu Hülfe. Sie stellten ihm ein bestimmtes Thema, und
er war eines allgemeinen Interesses sicher. Heute lässt sich Nie-
mand in der Wissenschaft, der ein Lustrum gründlich gearbeitet
liat, so leicht Probleme stellen, weil nur Wenige über die Stufe
des höheren Kärrners herauskommen, der sein Avissenschaftliches
Handwerk methodisch gelernt hat und sich wohl hütet, es zu ver-
lassen. Und er thut Recht daran. Auch wird die Gemeinsamkeit
und Folgerichtigkeit des wissenschaftlichen Fortschritts niclit mehr
durch Preisaufgaben gewährleistet — wie viel Hunderte müsste
man jährlich stellen! — , sondern sie muss, soweit nicht der von
Akademieen geleitete Grossbetrieb der Wissenschaften eintritt, der
natürlichen Auswahl überlassen werden.
Seit dem Jahre 1744 folgte die Berliner Akademie dem von
Paris gegebenen Beispiel und stellte jährlich eine grosse Preisauf-
gabe \ Der Ruhm des Königs und das wissenschaftliche Ansehen
eines Maupertüis , Euler, Marggraf u. s. w. gaben ihnen eine euro-
päische Bedeutung. Das Berliner Thema wurde, wie das Pariser,
ein Mittelpunkt des allgemeinen wissenschaftlichen Interesses, zumal
nachdem der Pariser Geometer d'Alembert bei der zweiten Preis-
vertheilung (1746) gesiegt hatte ■. Man war bald gewohnt, von
der Berliner Akademie die kühnsten Fragen gestellt zu sehen, weil
sie eine philosophische Klasse besass und unter einem Könige arbei-
tete, der der Speculation keine Schranken zog. Allerdings haben
gerade die philosophischen Preisaufgaben mehrmals eine scharfe
Kritik bei den Auswärtigen herausgefordert; aber eben diese Kritik
zeiö'te auch, dass man £>'anz Besonderes von der Berliner Akademie
erwartete. Wie weit das Interesse an den Preis vertheilungen ging,
bis in die französischen und schweizerischen Tageszeitungen hinein,
^ Der Preis betrug 50 Ducaten, die seit 1747 in der Form einer goldenen
Denkmünze (von Hedlinger gestochen) ausgezahlt wurden.
^ Aber Euler und Lagrange haben mehr als zwölfmal den Pariser Preis
HOS Die wissensclial'tliche Bedeutiniii' dei' Akademie Friedricii'.s IT.
mag folgende Mittlioiluiig in den Züricher »Freimüthigen Nach-
rieliten« vom 26. Wintermonat 1755 beweisen. Dort liest man^:
"Den 5. Juni Naehuiittags hielt die k. Akademie der Wissenschaften und
Beiles -Lettres ihre ötrentliche Versammlung, welche sie jährlich wegen der Be-
steigung des Throns seiner jNIajestät, des Königs, anzustellen pflegt. Gedachte
Versammlung wurde mit der Gegenwart S. K. Hoheit des Prinzen Friedrich Hein-
rich Carls, zweiten .Sohns S. K. Hoheit des Prinzen von Preussen beehrt, Avie
sich denn auch verschiedne in- und ausländische Ministres, nebst andern vorneh-
men Herrn des Hofes und der Stadt dabei einzufinden beliebten. Der beständige
Secretär der Akademie, Hr. Prof. Formey. eröffnete die Sitzung dadurch, dass er
bekannt machte, wie der auf das jetzige Jahr von der Classe der tiefsinnigen Philo-
sophie zu vei'gebende Preis u. s. w.« [Folgt der Bericht über die Preisvertheilung.]
Der Antlieil der Zeitmigen ist ein sicherer Beweis dafür, dass
in allen Culturländern Gelehrte und Litteraten mit Interesse dieser
Bethätigung der Akademieen folgten. Wirklich giebt es kaum eine
Preisfrage, deren Sj^uren nicht im litterarischen Verkehr hervor-
ragender Männer des Zeitalters zu finden wären, ja. diese Spuren
sind so zahlreich, dass ihre vollständige Aufdeckung ein eigenes
Werk erfordern würde. Die Betheiligung an dem Wettkampf war
sehr bedeutend und legte der Akademie eine grosse Arbeitslast auf.
Wir wissen, dass ein Thema, das für das Jahr 1780 ge.stellte
(s. unten), nicht weniger als zweiund vierzig Bewerbungen ge-
funden hat; ein Dutzend scheint die Regel gewesen zu sein. Die
Nationalität der Bewerber lässt sich nicht sicher feststellen, da die
Verfasser der nicht gekrönten Arbeiten unbekannt blieben und nur
selten der Eine und Andere, der das »Accessit« erlangt hatte, sich
meldete. Mit dem Preise gekrönt wurden 26 deutsche Arlieiten,
10 französische (eingerechnet zwei Genfer), eine italienische und eine,
deren Verfasser Siebenbürge war. Hieraus darf man wohl schliessen,
dass die Zahl der deutschen Bewerber mindestens doppelt so gross
gewesen ist, als die der ausländischen. Gedruckt wurden mit dem
Imprimatur der Akademie nicht nur die gekrönten Arbeiten, sondern
mit ihnen zusammen manchmal auch die, Avelche das Accessit er-
langt hatten. Einige Fragen haben keine befriedigende Lösung
gefunden, so dass kein Preis zuerkannt werden konnte.
Nur in einer kurzen Übersicht kann hier die Arbeit der
Akademie, welche in den Preisaufgal)en enthalten ist, vorgeführt
werden". An einigen von ihnen aber haftet ein besonderes Interesse
und fordert zu näherer Betrachtung auf.
^ Mitgetheilt von L. Hirzel, Wieland und Künzli (1891) S. iiif.
^ Im Urkundenband Nr. 175 sind alle Preisthemata, die die Akademie unter
Friedrich dem Grossen gestellt hat, verzeichnet.
Die Preisaufgaben (naturwissenscliaftliclie). oJl'
Von den gestellten 45 Thematen gehören 20 der physikaliseli-
medicinisclien und der mathematischen Klasse, 25 der philosophi-
schen und der philologisch -litterarischen an. Das erste Thema war
ein physikalisches «Sur TElectricite« (1745)^ Waitz, Finanzrath
in Kassel, gewann den Preis; er ist gegen Ende der Regierung
Friedrich's preussischer Minister und Ehrenmitglied der Akademie
geworden. Bei der zweiten Preisvertheilung (1746) siegte, wie he-
reits oben S.303 imd 397 bemerkt, d'Ale.mbert in Paris. Das Thema
war ebenfalls ein physikalisches:
»Determiner l'ordre et la loi qne le vent devrait suivre si la terre etait en-
vironnee de tous cotes par l'Ocean, de sorte qu'on put en tout temps trouver la
direction et la vitesse du vent pour chaque endroit.«
Der mathematischen Physik sind ferner solche Aufgaben ent-
nommen, die sich an die Arbeiten von Euler und Lagrange an-
schlössen; auch sonst bemerkt man, dass die Themata nicht selten
aus wissenschaftlichen Erwägungen und Controversen entsprungen
sind, die die Akademie selbst lebhaft beschäftigt hatten. Preise
erhielten Adami in Aurich (1752)"", Gennert in Utrecht (zweimal,
1766 und 1772) und Le Gendre in Paris (1782: über die Curven,
welche Kanonenkugeln beschreil^en). Die Frage, ob die Umdrehung
der Elrde um ihre Achse sich stets gleich schnell vollzogen habe,
wurde von Frisi in Pisa beantwortet (1756); sie hat auch Kant zu
Studien angeregt. Eine andere Frage, über die Bahnen der Kometen,
blieb längere Zeit ungelöst; dann wurde der Preis verdoppelt und
(1778) zwischen Condorcet in Paris und dem preussischen Artillerie-
Hauptmann Tempelhoff getheilt. Die Aufgabe, eine klare und prä-
cise Theorie des Begriffs »Unendlich« in der Mathematik zu ent-
wickeln, löste Lhuilier in Genf (i 786). In der Chemie wurden Unter-
suchungen über den Salpeter (1749) und das Arsenik (1773) g'C'krönt
{PiETSCH in Mansfeld und Monnet in Paris). Die Frage nach der
Theorie der Gährung fand keine genügende Bearbeitung (zurückge-
zogen im Jahre 1786), sie kam noch zu früh, und auch die Aufgabe,
aus Sand Steine zu machen — in der Mark Brandenl)urg besonders
lohnend — , fand zwar Dilettanten genug, aber erweckte noch keinen
Erfinder. Wahrscheinlich von Gleditsch ist das Thema gestellt worden:
«Exposer les moyens determines de lier entr'elles la Pliysique et l'Qi^conoinie
rurale plus etroitement qu'elles ne l'out ete jusqu'a present, et en particulier de
^ Die Jahre bedeuten die Jahre der Preisertheihuig.
" d'Alembert hatte auch concurrirt (es handelte sich um ein Thema aus der
Theorie des Widerstandes), erhielt aber den Preis nicht; er sah darin eine Kabale
Euler's und beklagte sich darüber.
400 Die wissenschaftliclie Bedeutung der Akademie FRiEnRicii's II.
rapporter a des principes susceptibles d'application rintluence de la Physitjue sur les
diverses parties de rOEcononiie susditc."
Ein pommerscher Pastor, Meyen, löste sie zur Zufriedenheit der
Akademie. Die evangelischen Geistliehen haben sich überhaupt leb-
haft betheiligt: unter den 38 gekrönten Arbeiten sind zehn von
ihnen verfasst. In den ersten 20 Jahren nach Friedrich's Tode ist
der Procentsatz evangelischer Geistlicher unter den von der Aka-
demie Gekrönten noch grösser gewesen.
Von allgemeinerem Interesse sind die physiologisch -medicini-
schen Themata. Gekrönt v^urden drei Arbeiten: «Si la communi-
cation entre le cerveau et les muscles, par l'entremise des nerfs,
s'exeeute par une matiere fluide, qui fait gontler le muscle dans son
action? Quelle est la nature de ce fluide?« (1753, Le Cat in Ronen),
sodann eine Untersuchung über den inneren Bau des Ohres und den
Vorgang der Gehörempfindung (i 763 , Belz in Neustadt-Eberswalde)
und eine physiologisch -chemische Abhandlung über die Verände-
rungen der Nahrungsmittel im menschlichen Körper (Dueade in Genf).
Dagegen fand die Preisfrage, die seit den LEEUwENHOEK'schen Ent-
deckungen brennend geworden war und um die sich auch Mau-
PERTUis selbst bemüht hatte, nach der Natur der geschlechtlichen
Zeugung, keine ausreichende Beantwortung. Die Akademie hatte
die Frage scharf gestellt:
'>Si tous les etres vivants, tant du regne animal que du regne vegetal, sortent
d"un oeut' leconde par un germe, ou par une matiere prolifique, analogue au
germe ? "
Dass dieses Problem und die mit ihm verwandten damals weit
über die Kreise der Naturforscher hinaus die wissenschaftlich Inter-
essirten beschäftigten, erkennt man z. B. aus Moses Mendelssohn"s
Beiträgen zu den Briefen, die neueste Litteratur betreffend (s. Ges.
Werke, Bd. IV, i S. 5 i 2 fl'. vom Jahre 1759). Durch Lieberkühn's
Arbeiten w^ar das Interesse für diese Frage auch nach Berlin getragen
worden. Die akademische Preisaufgabe hat zu mehreren Abhand-
lungen, die im Druck erschienen, den Anstoss gegeben.
Grösser aber als die Gemeinde derjenigen, die mit Spannung die
naturwissenschaftlichen Preisthemata der Akademie erwarteten, war
die Zahl der Gelehrten und Litteraten, die den philosoj)hischen und
philologischen Aufgaben ein lebhaftes Interesse entgegenbrachten.
Nur geschichtliche Themata im strengen Sinne des Wortes hatten
ein wenig zahlreiches Publikum; denn der Geist des 18. Jahrhun-
derts war exacten historischen Studien nicht günstig. Dennoch hat
die Akademie sieben Mal Aufgaben aus der Geschichte gestellt, von
Die Preisauf gaben (geschichtliclie). 401
denen nur zwei nicht genügend beantwortet wurden: Wie weit sind
die Römer in das nördliche Deutschland vorgedrungen? (1748, Fein,
Prediger in Hameln). Wie hat sich die deutsche Colonisation im
Lande zwischen Elbe und Oder vollzogen? (1752, von Hertzberg).
Historische Geographie der alten Gaue von Brandenburg, Umfang
der Mark zu Zeiten der Anhaltiner, Bavern und Luxemburger?
(1760, BucHHOLTZ, Prediger zu Liehen). Über das Münzrecht im
Allgemeinen und über das alt-brandenburgische Münzrecht im
Besonderen (nicht beantwortet). Über die Ursachen, welche die
hervorragende Stellung der alten Markgrafen von Brandenburg er-
klären und die Entwicklung Brandenburgs zur Weltmacht vorbereitet
haben (unbeantwortet) \ Zeigen diese fünf Themata, dass die Aka-
demie die vaterländische Geschichte gepflegt sehen wollte — die
neuere preussische Geschichte hat Friedrich der Grosse selbst als
Akademiker bearbeitet — , so beweisen die Themata der Jahre 1764
und 1776, dass die Historiker der Akademie für die Probleme der
Weltgeschichte einen aufgeschlossenen Blick besassen. Jenes lautete:
"Quand est-ce qvie la puissance souveraine des Empereurs Grecs a totale-
ment cesse dans Rome'* Quel gouvernement les Romains eurent-iLs alors? Et dans
qiiel temps la souverainete des Papes fut-elle etablie?« (Sabbathier in Chalons).
Dieses verlangte eine Untersuchung über den Werth der Münzen
(des Geldes), bezogen auf die Lebensmittel, in der Zeit vom Tode
Konstantin"s bis zur Theilung des Reichs unter Theodosius L, mit
besonderer Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen dem
Schwanken des Geldwerthes und den politischen und socialen Ver-
änderungen im Reich (von Kessenbrink in Stettin).
Der Pulsschlag des 18. Jahrhunderts war die Philosophie, und
zwar im Sinne der Ermittelung der letzten und höchsten Principien
sowohl auf dem Gebiete der Naturwissenschaften als auf dem des
geistigen Lebens. Dort war es der Gegensatz der englischen Phi-
losophie zu der Leibniz-Wolff' sehen, in Avelchem sich das Interesse
bewegte; hier waren es die Grundfragen der Entstehung und Ent-
wicklung der Sprache, Moral und Cultur, um deren Lösung man
sich in kühner Zuversicht bemühte. Noch immer wirkte das epoche-
machende Erlebniss, dass man die Mechanik des Himmels kennen
gelernt hatte — nicht aus der wissenschaftlichen Tradition, son-
dern im Widerspruch zu ihr — , wie eine sichere Bürgschaft, dass
^ Dieses Thema hat 22 Jahre später ein Akademiker, de Ciiambrier, aufge-
nommen und seine Untersuchung in den Memoires (1794/95 p. 138 ff. und 1799
p. 188 ff.) veröffentlicht.
Geschichte der Akademie. I. 26
402 Die wissenscliaÜliclie Bedeutung der Akademie Friedrich's II.
avif die Dauer nichts Wissenwürdiges dem menscliliclien Verstände
verschlossen bleiben werde, sobald er sich von jeglicher Bevor-
mundung, also auch von der geschichtlichen Überlieferung, befreit
liabe. Auf das engste aber verbanden sich — und das erinnert
noch immer an die Renaissance, ja an die Antike selbst — mit
den philosophischen Fragen die litterarischen, der Sinn für die
Ausbildung des «Geschmacks« und für die Klarheit und Schön-
heit der Form. Eigentlich war noch immer der didaktische Poet
das höchste Ideal. Alle geistigen Interessen lagen so zu sagen noch
in einander: das Talent, das Genie durfte keines bei Seite schieben:
aber keines konnte sich noch mit eingeborener Kraft geltend machen.
Von diesem geistigen Zustande, wie er geherrscht hat, l)evor
Rousseau, Kant und der deutsche Idealismus eine neue Gedanken-
bildung erzeugten , legt eine grosse Anzahl der Preisaufgaben der
Akademie Zeugniss ab, und gerade diese Aufgaben w^aren es, die
mit dem lebhaftesten Interesse aufgenommen, besprochen und l)ear-
beitet wurden. Nur in einer gedrängten Übersicht dürfen wir über
sie berichten.
Bereits für das Jahr 1747 wurde eine Darstellung und Kritik
der Monadenlehre verlangt. In dieser physikalisch -metaphysischen
Hauptfrage war die Akademie selbst , wie wir bereits wissen , ge-
theilter Meinung. Maupektuis, der sich übrigens nie die Mühe ge-
nommen hat, die Werke A^on Leibniz und Wolff gründlich zu stu-
diren , stand mit Euler u. A. auf Seite der Engländer und hielt die
Monadenlehre für eine vorwitzige und unfruchtbare Speculation,
die beseitigt werden müsse. Mit höchster Besorgniss und Unruhe
blickte W^OLFF auf das gestellte Thema; er fürchtete für seinen Prin-
cipat in Deutschland und suchte durch Briefe auf Maupertuis in
einem seiner Sache günstigen Sinne einzuwirken\ In den zwei
Jahren (1745—47) ^'is zur Preis vertheilung wurde für und gegen
die Monadenlehre öffentlich in anonymen Broschüren auf's Leb-
hafteste gestritten. In scharfer Bekämpfung schritt Euler Allen
voran. Er veröffentlichte seine Dissertation »Considerations sur les
Clements des corps, dans lesquelles on examine la doctrine des
monades et Ton decouvre la A^eritable essence des corps«, und suchte
im Voraus die Frage zu entscheiden. Der anonyme Angriff wurde
von Formet (ebenfalls anonym) beantwortet in den »Recherches sur
les Clements de la matiere«, die Wolff selbst vor dem Druck durcli-
' Siehe Le Sueur, a. a. O. p. 430 ft".
Die Preisaiifgabea pionadenlehre). 403
gesellen hat. Die Akademie nahm die Concurrenz diesmal so wichtig,
dass sie die Entscheidung nicht der philosophischen Klasse über-
liess, sondern eine eigene Commission aus allen vier Klassen bil-
dete (vergl. auch Memoires 1788/89 p. 66). «Ganz Berlin räsonnirte«,
sagt Merian, «Gott weiss wie!« und l)lickte mit Spannung auf
das Ergebniss; aber weit über Berlin hinaus, in der gebildeten
Welt, nahm man lebhaften Antheil. Euler und Graf Dohna, die
Gegner Wolff's in der Commission, gewannen den Sieg, und ge-
krönt wurde die Abhandlung eines Bestreiters der Monadenlehre , des
Advocaten Justi in Sangerhausen. Unparteiisch war diese Ent-
scheidung nicht, und Euler selbst hat später anerkannt, dass einem
anderen Bewerber, einem bedingten Leibnizianer, Unrecht geschehen
sei und Justi den Preis hatte mit ihm theilen sollen. Aber die
Erbitterung der Newtonianer liess damals eine vermittelnde Ent-
scheidung nicht zu: sie stritten für den Sieg der exacten Wissen-
schaft über eine Speculation, die sie für phantastisch hielten.
Als nach vier Jahren die philosophische Klasse wiederum das
Preisthema zu stellen hatte, forderte sie (für 1751) zu einer Kritik
des LEiBNiz'schen Determinismus auf. So lautete das Thema zwar
nicht, aber diese Aufgabe war gemeint. Die von Heinius redigirte
Fassung war wenig glücklich, und d'Alesibert spottete, man könne
das akademische Thema auch so fassen: «In Erwägung, dass unsere
Freiheit sehr zweifelhaft ist, fragt man an, ob wir sie wirklich be-
sitzen^t. Allein kein Geringerer als der Mathematiker Kaestner in
Leipzig bemühte sich um die Aufgabe und gewann den Preis.
Kaestner ist zeitlebens ein treuer Schüler Wolff's geblieben , soweit
er auch in seiner Stimmung und seinem Lebensgefühl über ihn
hinauswuchs".
Die gewundene Fassung des Themas war nicht aus zufälliger
Ungeschicklichkeit entsprungen. Ihr tieferer Grund lag in den Span-
nungen, die die Akademie beherrschten: LEiBNizens Freunde Hessen
keine Formulirung zu, die dem Ansehen des grossen Philosophen
schädlich sein konnte, und auch die Gegner selbst mochten nicht
direct und unumwunden zu seiner Bekämpfung auffordern, wünschten
^ Vergi. seinen fast beleidigenden Brief an Forjiey in den Souvenirs T. II
p. 362 ff. Man erbat sich von Paris im Tone der Überlegenheit Auf klärungen über die
seltsame Fassung, die »tous les gens de lettres de Paris« in Erstaunen gesetzt habe.
^ Das Accessit ei'hielt bei der Preisvertheilung der junge Frankfurter Theologe
TÖLLXER. und seine Arbeit wurde mit der Kaestner's zusammengedruckt; sie ver-
schaffte ihm eine ausserordentliche Professur in Frankfurt.
26*
404 Die wissenschaftliche Bedeutung der Akademie Fkiedrich's II.
aber den Sturz seiner Philosophie. So geschah es, dass, als die
philosophische Klasse zum dritten Mal im Jahre 1753 (^*ür 1755)
die Preisaufgabe zu stellen hatte, die Formulirung wiederum zu
ernsten Bedenken Anlass gab — zu mn so ernsteren, als diesmal
unter der durchsichtigen Hülle einer Kritik des «Systems« von Pope
in Wahrheit eine Kritik der LEiBNiz'schen Lehre von der besten Welt
und damit seiner ganzen Weltanschauung verlangt wurde. Das
Thema lautete:
"On demande l'examen du Systeme de Pope, contenu dans la proposition:
Tout est bien. II s'agit: (i) de determiner le vrai sens de cette proposition,
conformement a riiypothese de son auteur. (2) De la comparer avec le Systeme de
l'optimisme, ou du clioix du meilleur, pour en inai'quer exactement les rapports
et les diiferences. (3) Enfin d'alleguer les raisons qu'on croira les plus propres
a etal)lir ou a detruire ce Systeme.«
SuLZER, der Verehrer LEiBNizens , hatte sich vergeblich gegen das
Thema ausgesprochen. Sobald es bekannt wurde, rührten sich
überall die Freunde des grossen Philosoph en\ Als erster erhob sich
Gottsched und erklärte mit Recht, hinter dem Thema verstecke
sich, wie schon früher bei der Preisaufgabe über die Monaden, die
geheime Absicht der Akademie, die LEiBNiz'sche Philosophie herab-
zusetzen". Ebenso ungehalten war man in Zürich , in dem Breitinger-
BoDMER'schen Kreise, in welchem damals Wieland lebte, und es be-
durfte kaum der Aufforderung Sulzers an seine Schweizer Freunde,
die Gelegenheit zu ergreifen, um durch die Bearbeitung der Frage
Leibniz einen Triumph und Maupertuis eine Niederlage zu bereiten.
M. KüNZLi, mit dem uns jüngst Ludwig Hirzel bekannt gemacht hat^,
entschloss sich zur Arbeit. Ein Aufenthalt in Berlin bestärkte ihn
in dieser Absicht. Sulzer glaubte dem Freunde den Sieg garantiren
zu können; denn «ich bin einer von Ihren Richtern und wenigstens
drei Viertel von diesen haben eben die Principia, die Sie unfehlbaT
auch haben. Ich kann es Ihnen sub rosa wohl sagen: Heinius, Formey,
Merian und ich machen eigentlich die ganze Klasse der Philosophen
^ In England fühlte man sich gesclimeiclielt, dass ein Engländer an LEiBNizens
Stelle gesetzt war; s. den Brief von Maiy an Forjiey vom 22. Februar 1755.
- Siebe seine Dissertation: «De optimismi macula diserte nu])er Alexandro
Popio Angelo, tacite autem G. G. Leibnizio, perperam licet, inusta« 1753. Ob
Maupertuis direct an der Fassung der Aufgabe betheiligt gewesen ist. lässt sicli nicht
mehr feststellen.
^ «Wieland und Martin und Regula Künzli« (Leipzig 1891). In diesem
Buche sind zum ersten Male die littei'arischen Bewegungen . welche die akademische
Preisaufgabe hervorgerufen hat, zum Theil nach ungedruckten Briefen und wieder-
aufgefundenen Actenstücken, umfassend dargestellt. A^or Allem hat man erst durch
HiRZEL "Wieland's uud KÜNZLi's Betheiligung an dem Streit kennen «ielernt.
Die Prt?i.saulgaben (PoPE-LEUiXiz). 405
bei der Akademie aus. Die zwei ersteren sind geschworene Leib-
nizianer, Merian Ivann allein nichts machen^«. Etwas weniger zu-
versichtlich schrieb er vier Wochen vor der Preisverth eilung: »Ich
Avill Ihnen noch keine gewisse Hoffnung machen; aber es ist wahr-
scheinlich, dassSie den Preis bekommen werden, und zwar von Rechts-
wegen. Ich bin nur noch über einen Punkt mit dem Dr. IIeinius nicht
eins u. s. w.'"«.
Allein es kam anders. Die Akademie krönte unter den einge-
laufenen Arbeiten^ die französisch geschriebene Dissertation eines
Herrn A.F.Reinhard, Strelitzschen Justiz -Secretars, welche den Op-
timismus auf"s Heftigste, aber in wenig wissenschaftlicher Weise an-
griff und LEiBNizens Philosophie mit ganz unzureichenden Mitteln zu
widerlegen versuchte. Wie es zu diesem Urtheil gekommen ist, hat
Sulzer in Briefen an die Schweizer Freunde verrathen: »die Stimmen
waren bei der Abstimmung zwischen Vernunft und Unvernunft ge-
theilt« , bis Formey aus Rücksicht auf Maupertuis seine Meinung änderte
und für Reinhard entschied \ Die Schw^eizer waren auf's Höchste er-
bittert. »Merian und Pre3iontval rasen wirklich und Formey ist ein
höchst geiziger und niederträchtiger Mann ; die zween ersten leugnen
das Principiurn rationis sufficientis in öffentlicher Schrift, und Formey
redet und schreibt um das Geld. Was hat man also von solchen
Männern anders zu erwarten, als dass sie die Rechte der Menschlich-
keit auf den Kopf stellen.« Es half der Akademie nichts, dass sie
neben Reinhard"s Arbeit dreien anderen, darunter auch der vonKüNZLi,
das Accessit ertheilte und die vier Abhandlungen zusammen noch im
Herbst des Jahres 1755 im Druck ausgehen Hess. Sie versuchte
damit ihre Unparteilichkeit zu erweisen, und diese Absicht hätte An-
erkennung finden müssen, wäre nur nicht die Schrift Reinhardts so
unbedeutend und rabulistisch gewesen ! So blieb der Makel auf ihr
sitzen, dass sie sich von Maupertuis beherrschen lasse, der die deutsch
geschriebene Abhandlung Künzli's nicht einmal lesen konnte und
überhaupt für eine ruhige wissenschaftliche Discussion nicht mehr
zugänglich war.
^ Brief vom 22. September 1754 bei Hirzel S. iio.
■^ Brief vom 3. Mai 1755 bei Hirzel S. iii.
^ Es wareu mindestens acht.
* Siehe Hirzel S. 114!?. Maupertuis selbst enthielt sich der Abstimmung.
Anders stellt Premontval, Viies philosoph.H 23.69 ff., den Verlauf dar. Er behauptet:
"Rien n'a ete plus rond et plus degage d'intrigue et de tracasseries que Taffäire du
Trix de i755"-
40 () Die wissensclial'tliche Bedeutuiig der Akademie Friedricu".s 11.
In der Saclie werden wir heute nicht so unbedingt für Leibniz
Partei nehmen können, Avie die damaligen Führer der deutschen Be-
wegung in BerUn und Zürich. Maupertuis und Mekian erkannten ganz
richtig, dass die LEiBNiz'schen Speculationen die Grenzen des wissen-
schaftlich Erweisbaren weit überschritten und zugleich von dogma-
tischen Vorurtheilen bestimmt waren. Für die Triebkraft der kühnen
Hypothese hatten sie freilich keinen Sinn, und weder sie noch ihre
Schildknappen Avaren fähig, einen Leibniz zu Aviderlegen.
Die Freunde der deutschen Philosophie waren nicht gewillt
sich zu beruhigen. Noch bevor Reinhard's Dissertation im Druck
erschienen war, wurde die Akademie durch eine kühne, anonyme
Abhandlung empfindlich berührt, Avelche die Aufschrift trug: «Pope
ein Metaphysiker!« (1755). Ihre Verfasser waren Mendelssohn und
Lessing. Sie hatten die Preisaufgabe bearbeitet, al)er ihre Schrift
aus guten Gründen der Akademie zur Beurtheilung nicht vorgelegt:
denn sie beanstandeten bereits die Fassung des Themas selbst, ja
der Nachweis, dass sie miA^erständig sei, bildete einen Haupttheil
ihrer Ausführungen.
Wer wollte gern mit Lessing anbinden, zumal wenn auch die
Nachwelt geurtheilt hat, dass in diesem Streit mit der Akademie
das volle Recht auf seiner Seite gestanden habe! Wer wird nicht
mit ihm em})finden, wenn er die Unaufrichtigkeit geisselt, mit welcher
die Akademie Pope genannt und Leibniz gemeint hat'I Wer Avird
nicht mit ihm lachen, AA^enn er am Schluss seiner Abhandlung, den
Haupttrumpf ausspielend, nachweist, dass Pope selbst seine Philo-
sophie als »falschen Bart« bezeichnet habe, »»den ich so lange tragen
Avill, bis ich ihn selbst ausrupfe und ein Gespötte daraus mache««.
»Wie sehr sollte er sich also Avundern, wenn er erfjihren könnte, dass
gleich Avohl eine berühmte Akademie diesen falschen Bart für Averth
erkannt habe, ernsthafte Untersuchungen darüber anzustellen!« Allein
prüft man die siegesgCAvisse Abhandlung genau, so Avird Aveder die
Mendelssohn' sehe Vertheidigung der besten W^elt bestehen bleiben,
noch das Lessing'scIic peremptorische Gebot der Trennung des Philo-
sophen A^on dem Dichter, so glänzend es begründet ist und so
nöthig es einem Geschlecht Avar, das sich in abgeschmackten Lehr-
^ Werke Bd. 18 (Berlin, Hempel) 8.48: »Wenn ich der Akademie andere
Absichten zuschreiben könnte, als man einer Gesellschaft, die zum Aufnehmen der
Wissenschaften bestimmt ist , zuschreiben kann, so würde ich fi-agen. ob man durch
diese befohlene Vergleichung mehr die PopE'schen Sätze für philosophiscli oder mehr
die LEiBNiz'schen Sätze für poetisch habe erklären wollen«.
Die Preisaufgaben (Pope-Leibniz -Lessing- Wieland). 40/
gedichten erging. Aber auch die Beliauptung ist einzuschränken,
dass die Akademie einen verhängnissvollen Übersetzungsfehler be-
gangen habe, indem sie das PoPE'sche »Whatever is , is right,«
durch »tout ce qui est, est bien « wiedergegeben hat. In Wahrheit
kommt jenes »right« bei Pope einem «bien« sehr nahe.
Der Züricher Kreis war mit der Lessing - MENDELSSoiiN'schen
Schrift nicht einverstanden \ Theils schien sie ihm zu viel, theils
zu wenig zu beweisen; auch »vergehet sich darinnen der Autor sehr
weit bis zum Chicaniren""«. Man beschloss — und das war das
Würdigste und für die Akademie Empfindlichste zugleich — die
REiNHAKü'sche Schrift einer scharfen Kritik zu unterziehen. W^aser
und Wieland wurden mit der Abfassung beauftragt, denn Hirzel
hat nachgewiesen, dass die im Jahre 1757 erschienene, anonyme
»Beurtheilung der Schrift, die im Jahre 1755 den Preis der Aka-
demie zu Berlin erhalten hat, nebst einem Schreiben an den Verfasser
der Dunciade für die Deutschen« (Frankfurt und Leij^zig [Zürich]),
von ihnen stammt^. Lessing und Wieland — beide später auswär-
tige Mitglieder der Akademie, Lessing schon seit 1760 ■ — haben
sie also in der Mitte der fünfziger Jahre scharf angegriffen. In
Wahrheit aber traten sie für die alte Societät ein, d. h. für Leibniz,
gegenüber der neuen französischen, d.h. Maupertuis, und damit zu-
gleich für den deutschen Idealismus gegenüber einer fremdländischen,
noch nicht gereiften Weltanschauung.
Waser's Abhandlung enthält eine scharfe , aber keineswegs aus-
reichende Kritik der REiNHARD*schen Schrift und mündet in eine
Verhöhnung der Akademie aus. Da es unmöglich sei , dass sie die
Schrift deshalb gekrönt habe, weil sie sie billige, so bleibe nur
die Annahme übrig, sie habe der gelehrten Welt ein Vergnügen
machen wollen und gerade diejenige Schrift gekrönt, der die Krone
am wenigsten ansteht, damit man desto deutlicher sehe, wie übel
sie ihr lässt. Allein »unsere deutsche Welt versteht die ironische
Sprache und ironische Handlungen noch sehr schlecht; sie glaubt
insbesondere, dass, w^enn es wirklich dergleichen giebt, sich doch
ein so angesehenes Corps, wie eine Königliche Akademie, derselben
^ ^Iendelssohn hat noch einmal zur Feder gegriffen, als die REiNHARo'sche
Schrift erschienen war (Ges. Schriften Bd. IV, i S. 508 ff.). In wenigen Worten hat
er ihre Schwäche aufgedeckt.
- Vergl. die zutreffende Kritik Künzli's in einem Brief an Bodmer vom
19. Juli 1756 bei Hirzel S. 116.
^ Die seltene Schrift ist von Hirzel S. 203 ff. wieder abgedruckt worden.
408 Die \\iss('ii.scli;irtliche Becleutiinii;' der AJv;i(leinie FiuEDRicirs IL
nicht bedienen sollte . , . Wir wünschten daher, dass es der Aka-
demie gelallen möchte, dieser unserer Sclnvachheit nachzugehen,
und dass sie künftig lieber gradezu und nicht durch ironische Um-
wege trachten möchte zu verhindern, dass Sätze und Systeme be-
fördert würden, welche die Schande ihrer Erfinder und das Argerniss
aller derer sind, die ihre Vernunft nicht gänzlich verschworen halben«.
In einem ähnlichen Tone ist Wieland's fictives Schreiben, das den
Anhang bildet, gehalten: «Berühmte Doctores in den vier Facul-
täten, geheime Räthe. Präsidenten, Akademieen und Gesellschaften
der schönen Künste sind als ööentliche imd geheiligte Personen
anzusehen, denen mehr erlaubt ist als uns andern Privatleuten: die
Präsumtion, dass die Wahrheit allezeit auf ihrer Seite sei, ist so
stark, dass wir in jedem Fall viel eher uns selbst als sie der Dumm-
heit anklagen müssen«. Von Reinhard aber heisst es: »Es ist in
der That eine lächerliche Scene, wenn dergleichen nichtsbedeutende
Geschöpfe ihre Frosch -Köpfe aus ihrem angebornen Sumpf hervor-
strecken und mit albernem Spott einen Leibniz an quäken ... die
Thoren lachen auch, aber nie zuletzt«.
Mendelssohn, obgleich in der Sache einverstanden, wies mit
zürnenden Worten die Maasslosigkeit dieser Replik zurück^: »die
philosophischen Stümper des vorigen Jahrhunderts haben ihre Gegner
verketzert, und die jetzigen bedienen sich einer Art von kahler
Ironie, wodurch sie den Pöbel der Leser ebenso gut einzunehmen
wissen, als jene durch ihre Verketzerung .... Wir können von der
gegenwärtigen kleinen Schrift weiter nichts sagen, als dass sie eine
gute Sache schlecht vertheidigt» so schlecht sie auch von Hrn. Rein-
hard ist angegriffen worden«. Die Schweizer Freunde dagegen waren
mit dem Pamphlet zufrieden"'. Die Akademie schwieg; für sie ist
1 Ges. Schriften Bd. IV, i S. 76 ff.
^ Siebe den Brief Künzli's an Budmer vom 25. April 1757 (Hirzel S. ii7f.).
Die liier beiläufig gegebene Charakteristik der inneren Spannungen in der Akademie
stammt aus vertraulichen Briefen Sulzer's an Künzli (Sulzer hatte z. B. geschrieben:
i'Premontval hat wieder einen Band Vues philosojDhiques herausgegeben. Er rühmet
sich darin, die Secte Wolfienne gänzlicli niedergeschlagen zu haben; es ist meist
unphilosophisclies und unsinniges Zeug» oder: »Wenn Sie oder Wieland etwas gegen
unsere philosophischen Dunse schreiben wollen, so hüten Sie sich, gewisse Umstände
zu berühren, die vei-rathen könnten, dass ich Ihnen einige Anekdoten hierüber ge-
schrieben habe. Denn man jnuss mit diesen Leuten leben und sie also
nicht zu sehr für den Kopf stossen«). Künzli schreibt : »Dieser Premontval
und sein Kamerad, der Merian, dienen unter den Ruthen des Franzosen Maupertiis,
der sich in Kopf gesetzt hat, sich an Leibniz und Wolff zu rächen, dass diese
Deutsche haben dürfen grössere Philosophen und Mathematici sein als sie, die
Die Preisaiif<>aljen (J. D. ^Michaelis). 40 J
meines Wissens auch Niemand eingetreten: aber eben die Maass-
losigkeiten des Angriffs wurden ihr bester Schutz. Gewiss. Mau-
PERTUis hatte sie in eine schUmme Situation gebracht; aber der
Feldzug wurde von den Gegnern nicht gUicldich geführt, und ihre
Stelhmg in der wissenschaftlichen Welt blieb unerschüttert. Als
Maupertuis nicht lange darnach starb, war die ganze peinliche Epi-
sode bereits vergessen, ja Wieland selbst bemühte sich nun (s.oben
S.347f.), eine Stelle in der Akademie zu erlmlten, und sie selbst hat
Niemanden so sehnlichst zum Mitgliede begehrt als — Mendelssohn.
Durch das für das Jahr 1759 gestellte Thema unterbrach die
Akademie ihre Bemühungen, vermittelst ihrer Preisaufgaben auf
eine Klärung der metaphysischen Hauptfragen einzuwirken , und
begab sich auf das sprachphilosophische und sprachgeschicht-
liche Gebiet, das sie von da ab noch mehrmals beschäftigen sollte.
Das neue Thema lautete: »Quelle est Tintluence reciproque des
opinions du peuple sur le langage et du langage sur les opinions'?»«
Es war in dem Ausschreiben noch näher bestimmt und schloss mit
der Aufforderung, praktische Mittel ausfindig zu machen, um den
Inconveinenzen der Sprachen , wo sie unter der Herrschaft ver-
alteter Vorstellungen stehen, abzuhelfen. Eine kühn gestellte Auf-
gabe, in der sich der muthige Geist des 18. Jahrhunderts offen-
bart, freilich auch mit seiner eigenthümlichen Schranke. Die Haupt-
aufgabe aber, die Wechselwirkung zwischen den populären Mei-
nungen und den Sprachen nachzuweisen und zu zeigen, wie die
Sprache nicht selten ein ernstes Hemmniss für den Fortschritt der
Gedanken bildet, ist richtig erfasst und höchst fruchtbar. Nicht
wenige Gelehrte bemühten sich um die Lösung; den Preis trug der
berühmte Orientalist J. D. Michaelis davon. Seine von der Aka-
demie, zusammen mit einigen anderen von ihr anerkannten Ab-
handlungen, gedruckte, schöne Arbeit gab den Anstoss zu zahl-
Franzosen selber; und so müssen izt immer diese .... Knaben mit den Wolfianern
schei'zen, und er hat seine Lust daran; wirklich ist er kein so grosser Denker als
diese zween Lohnknechte, die für ihre Sottisen bezahlt werden; doch braucht er
sie nicht bloss wie Könige ihre lustigen Räthe ; er denkt doch seinen grossen Zweck
durch sie zu erreichen mid die grobe Vernunft, die sich mit der französischen Höf-
lichkeit nicht wohl vertragen will, zu unterdrücken Die Beurtheilung der ge-
krönten Preisschrift und das »Schreiloen« u. s. w. konunen jetzt just zur rechten
Zeit, doch kann sie der Franzos [Premontval] nicht lesen, nescit, en gratia dei,
litteras! Ich bin begierig zu vernehmen, was der Deutsche [Merian] dazu sagen
werde; vermuthlich wird er sich hinter den langen Ohren kratzen und seufzen:
utinam nescirem litteras«.
^ Auch mit diesem Thema war man in Paris unzufrieden.
410 Die Avis-sensclinltlifhc Bedeutung der Akademie Friedkich"s II.
reichen wissenschaftlichen Discussionen \ In ihnen wurde bereits
die letzte Frage, die nach dem Ursprung der Sprache, vielfach ver-
handelt, die auch einige nndere Bearbeiter des Themas mit hinein-
gezogen hatten. Einer derselben hatte sich dabei beklagt, dass ein
Jahr eine zu kurze Spanne Zeit für solch ein Thema sei. In seiner
Weise wies ihn Mendelssohn zurecht. »Wir wollen hoffen, der Ver-
fasser werde sich die Zeit selber nehmen, die ihm die Akademie
nicht hat geben können. Er mag um ihren Beifall arbeiten, wenn
er um ihren Preis nicht mehr arbeiten kann.« Von Michaelis aber
safft er. er sei der einzige unter den Bewerbern, der der Sache
gewachsen gewesen. »Ihm ist gewiss seine Abhandlung saurer ge-
worden, als seiner Abhandlung der Sieg.«
Bereits mit der Preisaufgabe für 1763 kehrte die Akademie
wieder zur Kritik der WoLFr'schen Philosophie zurück und forderte
die Bearbeitung einer Fundamentalfrage, in der im Grunde die
ganze Erkenntnisstheorie steckt: »Sind die metaphysischen Wissen-
schaften derselben Evidenz fähig wie die mathematischen?« Be-
denkt man, dass das Thema im Jahre 1761 gestellt worden ist,
so darf man es eine wissenschaftliche That nennen und muss den
Scharfblick der Akademie bewundern'. Aber sie hatte auch die
Genugthuung, dass die führenden Philosophen Deutschlands, Kant
und Moses Mendelssohn, sich um die Lösung der Preisaufgabe be-
mühten, mit ihnen der jugendliche, glänzend begabte Thomas Abbt,
der Verehrer und Genosse Lessing's. Kant's Name tritt hier zum
ersten Mal in Verbindung mit der Akademie auf: aber seine Ab-
handlung: »Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der
natürlichen Theologie und der Moral« erhielt nur das »Accessit«,
1 Siehe z.B. Moses ^Mendelssohn, Ges. Sclu'iften Bd.lV,i S. 585!?. Premontval
übersetzte ]Michaelis' Abhandlung in's Französische. Der König und d'Alembert
lasen sie in dieser Gestalt und lernten sie schätzen. d'Alembert trat seitdem in Be-
ziehungen zu Michaelis (s. oben S. 369). Der König Hess diesen nach Berlin kommen
und unterhielt sicli mit ihm über die besten Mittel, Deutschland aufzuklären, aber
versuchte vergeblich, ihn für die Akademie zu gewinnen. In dieser hat unter
ausdrücklicher Verweisung auf Michaells' vorzügliche Schrift der ältere Erman
ähnliche Studien fortgesetzt (s. Mem. 1786/87 p. 634 ff", und in den folgenden Jahr-
gängen).
- Eine früher von der Akademie gestellte, auch in die Fragen der Erkennt-
nisstheorie einschlagende Aufgabe: »Si la verite des principes de la Statique et
de la Mechanique est necessaire ou contingente-' ist nicht gelöst worden. d'Alembert
schickte eine Abhandlung ein; sie wurde aber, Aveil sie Euler niclit genügte, nicht
gekrönt (s. Formey. Souv. T. IL p. 239). Mit welchem Interesse man der Lösung
der Preisaufgabe iilxM- die E\idenz in den metaphysischen Wissenschaften ent-
gegensah, zeigt F. H. Jacobi in dem Gespräch »David Hume« (Werke II S. 183).
Die Preisaufgaben (^Iendelssohn-Kaxt). -4 11
Mendelssohn" s Arbeit wurde gekrönt \ Sulzer, damals das Haupt
der philosophischen Klasse der Akademie, war Wolffianer und ent-
schied für die umsichtig ausgeführte und glänzend geschriebene
Untersuchung, die den metaphysischen Wahrheiten zwar nicht die
gleiche Deutliclikeit und Fasslichkeit wie den mathematischen bei-
legte, wohl aber dieselbe Evidenz. Heute ist kein Zweifel darüber,
dass Mendelssohn's Essay weder in die Tiefe der Frage eindringt
noch die Principien mit kritischer Schärfe untersucht, dass dagegen
Kant in seiner Abhandlung dem Dogmatismus der WoLFp'schen
Philosophie einen tödtlichen Streich versetzt hat. Schon damals hat
er nachgewiesen , dass die mathematische , synthetische Methode
sich auf die Philosophie nicht anwenden lasse, dass diese vielmehr
empirisch - analytisch vom Besonderen zum Allgemeinen vorgehen
müsse und ihre Sätze deshalb die Evidenz nicht erreichen können,
welche den mathematischen zukommt. Indem er aber ferner zeigte,
dass die Metaphysik und die Moral unzählige Urtheile einschliessen, die
streng genommen unerweislich sind , hat er bereits in dieser Schrift
die Unterscheidung der reinen Vernunft von der praktischen vorbe-
reitet. »Die Metaphysik ist ohne Zweifel die schwerste unter allen
menschlichen Einsichten: allein es ist noch niemals eine gesclirieben
worden« — in diesem Wort ist der LEiBNiz-WoLFF'schen Metaphysik
der Todtenschein ausgestellt, die Aufgabe selbst aber nicht für un-
lösbar erklärt, sie muss nur unter bisher noch niemals befolgten
Methoden und in eigenthümlicher Unterscheidung und Einschrän-
kung unternommen werden"'.
Noch einmal — im Jalire 1768 — krönte die Akademie eine
Preisarbeit »L'Eloge de Leibniz« (Bailly von der Academie des
Sciences in Paris) und schloss damit ihre Bemühungen um die Leibniz-
^ Beide AV)liaiidluiiiien erschienen zusammen im Jahre 1764.
'^ Die ])eiden Ahhandhmgen. die znsammen erschienen, wnrden durch INIeriax
in einem genauen Auszug auch dem französisch h^senden Publicum noch in dem-
selben Jahre bekannt gemacht. Überall wusste man es der Akademie Dank, dass
sie eine so ausgezeichnete Frage gestellt hatte, auch wo man keine der beiden
Lösungen befriedigend fand (s. Jacobi. Werke, Bd. II 8. 183 ff.). Gegen die de-
monsti'irte Vernunftmoral ist Kant in dieser Abhandlung schon skeptisch ; aber
der Ausweg der praktischen Vernunft neben der reinen ist noch nicht gefunden:
Kant ist noch Kosmologe und noch nicht ^Moralist. In der Folgezeit entfernte er
sich als erkenntnisstheoretischer Philosoph noch viel mehr von Mendelssohn , kam
ihm aber auf einem Umwege nur näher, was sie freilich Beide nicht merkten. In
der Wendung, die seine Philosophie genommen hat, mag es begründet gewesen
sein, dass Kant den Plan, die Abhandlung weiter auszuführen, später fallen ge-
lassen hat.
412 Die AvisseuschaÜ liehe Bedeutung der Akndeniie Fiuedkich"s II.
WoLFF'sclie Philosophie ab\ Die englische Philosophie fand in ihrer
Mitte keine Stätte mehr, doch war es eben Sulzer, der schon im
Jahre 1755 Deutschland mit Hume bekannt gemacht hatte. Noch
weniger erwarb sich die materialistische französische Philosophie An-
hänger in ihrem Kreise: Sieger blieb, wenn auch eklektisch erweicht,
die WoLFF'sche Philosophie.
In demselben Jahre, in welchem jenes Eloge auf Leibniz ge-
krönt wurde, wurde eine Schrift des Hofpredigers Cochius in Pots-
dam mit dem Preise belohnt, in der das Thema bearbeitet war,
»ob es möglich sei, natürliche Neigungen zu zerstören, und wie
man die guten zu stärken, die schlechten zu schwächen habe«.
Auch diese Preisaufgabe zeigt, dass die Akademie den Gang der
philosophischen Forschungen genau verfolgte und in ihren Thematen
die Hauptprobleme, welche die Zeit bewegten, sicher zu fassen ver-
stand. Die »Neigungen« (les penchants) — sie bildeten ja die dunkle
Macht, welche die Fortschritte der Vernunft hemmten und den
sonst so spielend leichten Aufstieg zur Aufklärung in unerklärlicher
Weise verzögerten. Jenes tiefe Problem , welches Kant, an alte
Überlieferungen anschliessend, durch seine Lehre vom radicalen
Bösen zu bestimmen versucJit hat, steckt in der Frage nach »der
Möglichkeit, natürliche Neigungen zu zerstören«. Von der »Herr-
schaft über die Neigungen« hatte Mendelssohn schon im Jahre 1755
gehandelt"-, und auch die übrigen Moralphilosophen und Paedagogen
des Zeitalters, z. B. Gellert, wandten der Frage das lebhafteste
Interesse zu. Aber die gekrönte Preisschrift des Hofpredigers —
neben ihm haben auch Garve und Meiners das Problem bearbeitet —
war doch nicht bedeutend genug, um einen kräftigen Anstoss zu
vertiefter Betrachtung zu geben. Mendelssohn begnügte sich damit,
sie und Garve's Abhandlung mit einigen Anmerkungen zu beglei-
ten^; tiefblickend erklärte der gescheite und witzige Deutschfranzose
Grimm, wer diese Frage in bejahendem Sinne zu lösen vermöge,
habe so ziemlich alle praktischen Probleme gelöst, die die Mensch-
heit interessiren ; erst der Königsberger Philosoph hat das Problem
so behandelt, dass er an und mit ihm das ganze Moralgebäude der
^ Die Pi-ei.ssclu'ift war nicht bedeutend; Barthülmess (IT p.268) nennt sie
>'un ouvrage qui n'etait entierement digne ni de Leibniz ni de Bailly«. Der Ge-
lehrte hatte sich die Aufgabe leicht gemacht und die Arbeit seines A^orgängers
DE Jaucourt nicht nur nicht übertrofFen, sondern nicht einmal erreicht.
2 Ges. Schriften Bd. IV, i S. 38 ff.
^ A.a.O. IV, I S. 102 ff.
Die Preisaufgaben (CüCHirs-GARVK). Jrlo
Aufkläruiigsphilosopliie über den Haufen Avnrf und die Ethik neu
begründete. An dieser That darf sich die Akademie einen Antheil
nicht zuschreiben, wohl aber darf sie sich rühmen, schon im Jahre
1766 die Fundamentalfrage der Ethik richtig gestellt zu haben\
Vier Aufgaben , Avelche die Akademie für die Jahre i 7 7 i , 1775,
1776 und I 780 gestellt hat, sind dadurch ausgezeichnet, dass Herder
sich um ihre Lösung bemüht und dreimal den Preis davongetragen
hat". Schon damit ist erwiesen, dass die Akademie der Entwick-
lung des deutschen Geistes in jenen Jahren nicht so fern gestanden
hat, wie das öfters behauptet worden ist. Hätte sich ein Herder
immer wieder durch die von ihr gestellten Fragen anregen lassen,
Avenn diese nicht die wichtigsten Probleme, wie sie gerade auch
den deutschen Geist damals beschäftigten, getroffen hätten?
Mit der Preisaufgabe für das Jahr 1771 kehrte die Akademie
zu einem Thema zurück , das sie selbst schon mehrmals in ihrer Mitte
behandelt und bereits im Jahre 1757 in begrenzterer Fassung zum
Gegenstand einer Preisbewerbung gemacht hatte". Jetzt stellte sie
^ CocHiüs — er wurde bald darauf in die Akademie aufgenommen — hatte
übrigens nicht geringe Verdienste: er war ein hervorragender Leibnizianer. der
sich bemiihte, die idealistische Philosophie auch auf empirischem Wege zu begrün-
den, und er war der beste lateinische Stilist in der Akademie. Seine Abhandlung
über die Neigungen erwarb ihm die Anerkennung d*Ale3ibert"s, die Gedanken
über den Selbstmord die des Königs. In seiner Untersuchung über die von Leibniz
gestellte Frage ».Si toute succession doit renfermer un commencement« (Mem. 1773)
handelt er von Raum und Zeit in einer Weise, die über Leibniz hinausgeht und
Kant's Ideen vorbereitet. Die beiden Concurrenten von Cochius, Garve und der
Göttinger Meiners. damals im jugendlichsten Alter, haben sich später rühmliph
bekannt gemacht. Dieser ist allerdings stark überschätzt worden. Garve hat als
^litglied der Akademie (Mem. 1788) in einem feinen Aufsatze über den Nutzen der
Akademieen seinen Collegen die verkannte Wahrheit gesagt, dass die Philosophie
besser durch einzelne einsame Denker betrieben werde als durch die vereinten
Bemühungen der gelehrtesten Gesellschaft.
- Siehe "\'ahlen"s Festrede vom 24. Januar 1895 in den Sitzungsberichten
S. 2 9ff".
•^ Durch Condillac's und Rousseau "s Abhandlungen (1754) war das Problem
in Fluss gekommen und beschäftigte sowohl die französischen wie die deutschen Ge-
lehrten (Mendelssohn). Der Akademie gab Maupertuis die Anregung durch einen
Aufsatz, den er am 13. Mai 1756 verlesen Hess (s. Akadem. Protokoll): "Sur les
difterents moyens dont les hommes se sont servis jjour exprimer leurs idees" (ab-
gedruckt in den Meinoires 1 754 p. 349 ff.). Die rationalistische Erklärung des Ursprungs
der Sprache aus thierischen Naturlauten und aus Übereinkunft, die er andeutete,
reizte den Akademiker Süssmilch zu energischem Widersp)ruch , den er in einer aus-
führlichen Dissertation (vorgelesen am 7. und 14. October 1756) zu begründen ver-
suchte: »Die Sprache ist ein unmittelbares göttliches Geschenk«. Aus dieser Contro-
verse im Schoosse der Akademie stammte die im Jahre 1757 für das Jahr 1759
414 I)i(' A\ isseiiscluiftliclic Redcutiiiig der Akndcinic Friedrich's II.
die Frage ganz allgemein, deutete al)er in ihrer Fassung zugleich an,
in welcher Richtung sie die Lösung suchte und für möglich hielt:
»En supposant les hommes abandonnes a leurs facultas naturelles, sont-ils en
etat d'inventer le langagel* Et par quels inoyens pai-viendront-ils d'eux- meines ä
cette invention? On demanderat une hypotliese qui expliquät la chose clairement,
et qui satisfit ä toutes les difficultes.«
Kein Zweifel — die Akademie dachte noch immer an die «Er-
ihidung« der Sprache, und sobald diese Art des Ursprungs sicher-
gestellt Avar, durfte man mit Recht hoffen, eine zweckmässigere
Sprache, die Universalsprache werden und alle anderen Idiome ver-
drängen könne, zu »erfinden«. Um so grössere Anerkennung ver-
dient es, dass sie unter den 31 Preisschriften, die eingelaufen waren,
die Abhandlung von Herder krönte , der zwar Süssmilch's Hypo-
these vom göttlichen Ursprung der Sprache scharf und siegreich
zurückwies, al)er ebenso bestimmt die Träumerei von »Erfindung« und
»Übereinkunft« ablehnte, auch den »thierischen« Ursprung nicht ein-
fach gelten Hess, sondern sich zu zeigen bemühte, dass die Sprache
ein allmählich gewordenes Erzeugniss der eigenthümlichen Natur des
Menschen sei. Wie unvollkommen auch Herder's sprachliche Kennt-
nisse waren und wie unzureichend seine positiven Erwägungen —
Jacob Grimm hat ihm, fast ein Jahrhundert später, doch das Zeugniss
ausstellen können, dass »die von ihm ertheilte Antwort immer noch
zutreffend bleibt, wenn sie gleich aus anderen Gründen, als ihm dafür
schon zu Gebote standen, aufzustellen und zu bestätigen ist^*.
Mit Herder's Abhandlung schloss die Akademie für mehrere
Jahrzehnte ihre Arbeiten über den Ursprung der Sprache, und sie
that recht daran; denn ein würdigerer Schluss konnte im 18. Jahr-
hundert nicht gefunden werden.
gestellte Pi^eisfrage über den Einfluss der JNIeinungen auf die Sprache . die jMichaelis
gelöst hat(s. oben S. 409). Man wollte augenscheinlich erst eine nothige Vorfrage stellen,
bevor man das Hauptproblem in Angriff nahm. Eine vorläufige Zusammenfassung
versuchte Formey in seiner Abliandlung: «Reunion des principaux moyens employes
pour decouvrir l'origine du langage, des idees et des connaissances des honunes«.
Auf's Neue kam die Sache in Fluss, als Süssmilch im Jahre 1766 seine Dissertation
vom Jahre 1756 drucken liess und den Mitgliedern der Akademie zueignete. Er selbst
zwar, dem der göttliche Ui'sprung der Sprache eine religiöse Gewissheit war, starb
noch in demselben Jahre; aber seine Schrift reizte Herder zum Widerspruch —
er hat sich bereits in den Jahren 1767 und 1768 um das Problem bemüht — , und
im Jahre 1769 entschloss sich die Akademie, die Frage zum Gegenstand einer aka-
denüschen Preisbewerbung zu machen.
^ Siehe J. Grimm's Abhandlung über den Ursprung der Sprache vom 9. Juni
185 1 und Vahlen a. a. O. S. 31 ff. Eine kurze, feine Anzeige der HEROER'schen Ab-
handlung hat Math. Claudius veröffentlicht (Werke 1879 i. Bd. S. 83ff.).
Die Preisaulgaben (Herder). 41»)
Für (las Jahr 1775 stellte sie zwei Preisaufgaben, von denen
die zweite, pliilosopliisclie, für das Jalir 1776 wiederholt wurde.
Um beide hat sich Herder bemüht, aber den Preis nur für die
erste gewonnen. Die Akademie hatte i . eine Untersuchung über die
Ursachen des Verfalls des Geschmacks bei den verschiedenen Völ-
kern und 2. eine Prüfung der beiden Grundkräfte der menschlichen
Seele, Erkennen und Empfinden, verlangt. Beide Aufgaben waren
nicht willkürlich gewählt, sondern hatten sich den Akademikern
bei ihren eigenen Studien aufgedrängt. Über den »Geschmack«,
diesen eigenthümlichen und wichtigen Begriff des Zeitalters der
Aufklärung, hatte Formey bereits in der Sitzung vom 22. Juli 1756
einen Vortrag gehalten^ und dann in den Sitzungsberichten des
Jahres 1760"" eine Analyse des Begriffs zu geben versucht. An
Herder's Arbeit vermisste die Akademie eine ausreichende princi-
pielle Begrifi'sbestimmung ; aber sie ertheilte ihr mit Recht den
Preis; denn gewiss kam keine andere Abhandlung ihr gleich an
Reichthum der geschichtlichen Kenntnisse, Feinheit der Beobachtung
und Verständniss für den verschiedenen Werth des »Geschmacks«,
je nach den Bedingungen (natürlichen oder künstlichen), unter denen
er entstanden ist, und den Verbindungen mit Überlieferung, Sitten
und Gewohnheiten, in denen er lebt. Vor allem aber lag die Be-
deutung der Abhandlung darin, dass sie den »Geschmack« der Zeit
selbst durch die Überleitung vom »Geschmack« zur Humanität
zu vertiefen suchte: »Je mehr wir die Humanität auf die Erde
rufen, desto tiefer arbeiten wir an Veranlassungen, dass der Ge-
schmack nie mehr eine blosse Nachahmung, Mode oder gar Hof-
geschmack, ... sondern mit Philosophie und Tugend gepaart ein
dauerndes Organum der Menschheit werde«. Die andere Preisfrage
über Erkennen und Empfinden als die Grundkräfte der Seele traf
einen Hauptpunkt der lange vernachlässigten Psychologie; allein
die Akademie besass selbst keinen Gelehrten, der als competenter
Richter hätte gelten können. So wurde die Abhandlung des Pastor
Eberhard in Charlottenburg, des Verfassers der »Neuen Apologie
des Sokrates«, gekrönt, die der Popularphilosophie jener Tage ent-
sprach^, aber das Problem zu fördern und aus den dogmatistischen
^ Siehe Akademisches Protokull.
^ Sie erschienen 1767, Forjiey's Abhandhing ist also vielleicht erst in diesem
Jahre niedergeschrieben oder redigirt worden.
^ Vergi. auch Mexdelssohx's Gesammelte Schriften Bd. IV. i S. i22fl". (vom
Jahre 1776).
416 Die wissenscliai'tliclic Bedentung der Akademie Friedrich's IL
Voi'urtlieilen lieraiiszutülireii nicht im Stjuide war. Herder's Unter-
sucliuiig", die, oliiie die Fesseln irgend einer Schule und in ausge-
sprochenem Gegensatz zu LEiBNiz-WoLFF'schen Speculationen, von
den einfachsten empirischen Erfahrungen ausgeht und bereits mit
physiologisch -psychologischen Mitteln arbeitet, unterlag zweimal \
Aber diese Niederlage entmuthigte doch den Genius nicht; in einer
dritten Fassung liess er die Abhandlung drucken und betheiligte
sich dann noch einmal an einem von der Akademie veranstalteten
wissenschaftlichen Wettkampf. Diesmal galt es einer von der Klasse
der Beiles -Lettres für das Jahr 1780 gestellten geschichtsphiloso-
phischen Frage, die im Zeitalter des aufgeklärten Despotismus sich
aufdrängen musste, zu deren Beantwortung aber doch nicht nur
vSachkunde und Takt, sondern auch Kühnheit gehörte:
»Quelle n vtv Tiniluence du Gouvernement sur les Lettres chez les nations
oü elles ont ileiiril' Et (jtielle a ete rintluence des Lettres sur le Gouvernement;'"
Herder, der unterdessen von Bückeburg nach Weimar über-
gesiedelt war, erhielt den Preis, Seine Abhandlung zeichnete sich,
wie die Arbeit über den Verfall des Geschmacks, durch eine tief-
sinnige und lebendige Betrachtung der Geschichte aus, wde sie die
Aufklärimg nicht kannte. Diese HERDER'schen Essays sind für den
grossen Umschwung der historischen Auffassung epochemachend ge-
wesen; heute noch stehen wir unter ihrem Eintluss. Was ihn zu der
Arbeit bestimmt hat, hat er in den Worten ausgesprochen: »Mein
Bestreben war, nicht leeren Wetteifer in Gelehrsamkeit, sondern
eine Gelegenheit zu suchen, w^o ich nach mancherlei Nachforschung
und Erfahrung zur Blüthe und Frucht der Wissenschaft auch in
unseren Staaten etwas Nützliches sagen könnte«.
Wie in Herder's Antwort, so schon in der Fragestellung der
Akademie selbst erkennt man auch den Einiluss der Regierung des
grossen Königs. W^ir brauchen nicht erst Nachforschungen anzu-
stellen, ob Friedrich die Frage gekannt und gebilligt hat: wir
wissen Aäelmehr, dass die Akademie sie ausgeschrieben, um den
Absichten ihres Monarchen und Curators entgegenzukommen. Gerade
damals, in dem Jahre 1777/78, hat er auf's Entschiedenste verlangt,
dass bedeutende Themata aus der Geschichts- und Moralphilosophie,
die ihn am Ende seines Lebens fast ausschliesslich beschäftigten, ge-
stellt würden. Einen besonderen Anlass zu dieser Forderung hatte ein
im Jahre 1777 von der Akademie gestelltes Thema über die »primi-
tive Kraft« geboten. Die umständliche Formulirung war nicht glück-
1 Veri»]. Vahlen. a.a.O. S. ^6ff.
Die Pi-eisaufgaben (Nutzen der Täuschung des Volkes). 41 i
lieh. d'Alembert bezeicliiiete sie sogar als lächerlich, schrieb, dass
sein Urtheil in Paris getheilt werde, und legte es dem Könige
nahe, die unzweckmässige Preisaufgabe zurückziehen zu lassen und
dafür das Thema zu stellen, das längst zwischen ihnen schwebte (s.
oben S.372): »S'il peut etre utile de tromper le peuple^?« Fried-
rich hatte sich bisher noch gescheut, diese Frage der Akademie
als Preisthema zu empfahlen, obgleich es ihm schmerzlich war,
dass der Pariser Freund sie anders beantwortete als er selbst, und
er deshalb eine vorurtheilslose Prüfung vor einem europäischen
Areopag wünschen musste. Jetzt, unter dem Eindruck, dass sich
die Akademie durch das Thema von der »primitiven Kraft« bloss-
gestellt habe und zur Zurückziehung desselben bestimmt werden
müsse, wurde er schwankend. Er schreibt d'Alembert, er wisse
nicht, wer in seiner Akademie fähig sei, die Frage zu beantworten,
nachdem Lambert gestorben, vielleicht Beguelin. Er geht dann
wieder auf die Sache selbst ein und sucht den frülier behaupteten
Standpunkt zu vertheidigen, dass zum Wohle des Volkes Täu-
schungen erlaubt seien. Dieser Brief ist am 5. October geschrieben".
Elf Tage später hat er sich entschieden. d'Alembert 's Hinweis,
dass nicht in Paris, sondern nur in Berlin eine so freimüthige
Frage unparteiisch und rein sachlich behandelt werden könne, mag
den Ausschlag gegeben haben. Am 16. October richtete er an die
Akademie eine Cabinetsordre^, in welcher er befalil, "questions
tres- interessantes et tres-utiles« statt unverständlicher auszuschrei-
ben*, und weiter anordnet, das Thema von der «primitiven Kraft«
zurückzuziehen und dafür die Preisaufgabe zu stellen: »S'il peut
etre utile de tromper le peuple^«.
Nur solange man diese Vorgeschichte des ominösen Themas
nicht kannte, konnte man behaupten, der König ha,be die Akademie
^ Bi'ief vom 22. September 1777 (OEuvres T. 25 ]).84ff.).
" Qiiuvres T. 25 p.88.
^ Akademisches Archiv, Fase. "Preisfragen«.
^ Der König sah in der »primitiven Kraft« die »schwangere Monade« wieder-
kehren , um die sich seine Akademiker zu Maupertuis' Zeiten gezankt hatten.
^ Ein vertraulicher Brief de Catt's an Formet (16. October 1777, CEuvres
T. 25 p.277), der die Gemüthei% soweit möglich, beruhigen sollte, begleitete die
Ordre. Hier heisst es: »Voici une lettre de S. M. que vous lirez dans votre prä-
miere assemblee. On a tronve la question proposee .... un peu difficile ä saisir,
et on y a substitue celle que vous lirez dans la lettre. J'ignore si ce changement
pourra se faire [damit deutete Catt an , dass des Königs Entschluss an diesem
Punkt nicht unwiderruflich sein dürfte] ; vous aurez la bonte de nie dire le resultat
de l'Academie«.
Geschichte der Akademie. I. 27
418 Die wiss(>iiscliaftliclie Bedeutmit!; der Akademie Friedrich's II.
in Verlegenheit setzen oder gar verspotten wollen. Niclits hat ihm
ferner gelegen. Man darf vielmehr nmgekehrt behaupten: damit,
dass Friedrich der Akademie dieses Thema empfahl und vorschrieb,
hat er ihr einen Beweis seines besonderen Vertrauens gegeben; denn
er hat sie für competent erklärt, eine Streitfrage entscheiden zu hel-
fen, die seit fast zehn Jahren ihn selbst und d'Alembert beschäftigt
hatte, und in der sich für ihn das hödiste Problem der Staats-
weisheit und Regierungskunst darstellte. Man darf nicht vergessen,
welchen Umfang für den alternden, in seinen Überzeugungen immer
herber werdenden König der Begriff «Täuschung« hatte! Das Ge-
biet der »Wahrheit« war in seinen Augen durch die engsten Grenzen
umschrieben und lag in eisigen Höhen — der Deismus, die Ptlicht
und die Naturphilosophie. Alles Übrige, alle concreten Religionen,
alle Culturmittel , die ganze bunte Welt des Lebens galt ihm als
«Täuschung«. Mit welcher unerbittlichen, schrecklichen CJewalt
musste da die Frage seine Seele bevv^egen: kann man ein Volk ohne
Täuschungen regieren? Wie stark musste sich dem Staatsmann die
Antwort aufdrängen: man kann es nicht; also muss man täuschen!
Aber wie niederschlagend war diese Antwort! Statt zu befreien,
verstrickte sie in Unwahrhaftigkeit und schien zugleich jeden Fort-
schritt zu lähmen. Der Optimismus des Aufklärers zerschellte an
dem harten Fels des «Volkes«, das für die reine Wahrheit unzu-
gänglich ist. Der Staatsmann musste dem Philosophen erklären , dass
er mit seiner »Wahrheit« nicht regieren könne. Aber vielleicht
giebt es doch einen Ausweg? man muss alles daransetzen, ihn zu
finden! Alle Denker müssen aufgefordert werden, ihn zu suchen: in
diesem Sinne übergab der König seiner Akademie das Thema.
Duo cum quaerunt idem , non est idem: das hatte der König
doch nicht genügend bedacht! Von der Kränkung abgesehen, die in
der Forderung lag, ein bereits gestelltes Thema zurückzuziehen — •
was wird man in Europa sagen, wenn die Akademie plötzlich die
Preisaufgabe stellt: »Kann es nützlich sein, das Volk zu täuschen?«
Will sie ihren König brüskiren? oder, wenn daran nicht gedacht
werden kann, will sie einen anderen Monarchen kritisirt sehen?
oder ist sie frivol geworden und spielt mit den Grundsätzen der
Moral? oder — wenn man den Ursprung des Themas erfuhr —
will der König seine Akademie verhöhnen? Die Akademie gerieth
durch die königliche Ordre in die höchste Aufregung. Die philo-
sophische Klasse, unter Sulzer's Führung, verlangte eine Plenar-
sitzung. Dem Willen des Königs Avagte Niemand zu widersprechen;
Die Preisaufgaben (Nutz(Mi der Täuschung des Volkes). 411)
aber vielleicht Hess sich durch eine Formuliruiig die fast brutal
klingende Frage mildern. Drei Fassungen wurden vorgeschlagen
und dem Könige eingereicht; zugleich bat die Akademie — das war
kein ungeschickter Einfall — dem Thema die Worte vorsetzen zu
dürfen: «auf Anordnung des Königs«.
Diesem waren unterdessen selbst gewisse Bedenken aufgestiegen.
Er Hess durch Catt am 5. November 1777 antworten^, die von der
Akademie aufgestellte Frage über die primitive Kraft solle bestehen
bleiben, aber auch bei dem von ihm vorgeschriebenen Thema habe
es zu verbleiben, nur sei es nicht für 1779, sondern für das fol-
gende Jahr auszuschreiben: was die Fassung anlange, so billige er
die dritte Form, welche die Akademie vorgeschlagen habe, allein
sein Name dürfe nicht erwähnt w^erden, endlich, Preisschriften,
in denen irgend eine Regierung, sei es welche auch immer, atta-
quirt werde, sollten bei der Beurtheilung unberücksichtigt bleiben.
Damit war doch Einiges erreicht, freilich nicht viel. Erspart
war der Akademie die Demüthigung, ihr Thema zurückziehen zu
müssen, und die besonnenste Fassung war gewählt worden". Allein
des Königs Name durfte nicht genannt werden, und ausserdem
legte die letzte Bestimmung der Akademie eine zwar nothwendige,
aber peinliche und verantwortungsvolle Beschränkung auf.
Das Ausschreiben machte das grösste Aufsehen. Dass der König
hinter der Aufgabe stehe , musste man vermuthen , zumal da sie doch
als eine ausserordentliche erschien, weil bald für das Jahr 1780 eine
zweite Aufgabe — eben jene, die Herder bearbeitet hat, über den
Einfluss der Regierung auf die Litteratur — gestellt wurde^. Nicht
w^eniger als 42 Bearbeitungen liefen ein: ein Beweis, dass das Thema
die Moralphilosophen und Politiker überall interessirte. Keine einzige
Schrift brauchte ihres staatsfeindlichen Inhalts wegen zurückgewiesen
^ Akademisches Archiv, a. a. O.
- Die endgültige Formulirung lautete: »Est-il utile au peuple d'etre trompe,
snit qu'on l'induise dans de nouvelles erreurs, ou (pi'on i'entretienne dans Celles oii
il est:'»
^ Beachtet man, dass diese Aufgabe die erste ist, die die Akademie gestellt
hat, nachdem sie die scharfe Mahnung, interessante und nützliche Themata auszu-
schreiben, vom Könige erhalten hatte, und vergleicht man die Aufgabe mit jener
anderen über die Täuschung, so kann man einen berechneten Zusammenhang hier
nicht verkennen. Auf die Absicht, die der König bei dem Täuschungsthema hatte,
ist die x\kademie ihrerseits mit der neuen Preisaufgabe eingegangen, aber so, dass
sie die wichtige Vorfrage stellt, wie sich »Gouvernement" und »Lettres« zu einander
verhalten. Darf man nicht sagen, dass die Akademie in feiner Weise das königliche
Thema kritisirt hat und doch dabei des Beifalls des Königs sicher sein konnte?
27*
420 Die Avissenschai'tliclie Bedeutung der Akademie Friedrich's II.
ZU werden; aber fünf liefen zu spät ein und in vier anderen hatten
sich die Verfasser genannt. So blieben 33 zur Beurtheilung übrig.
In zwanzig war die gestellte Frage verneint, in dreizehn bejaht.
Von jenen wurden vier, von diesen sieben als gut bezeichnet. Zwei
unter ihnen wurden gekrönt, indem man den Preis theilte, nämlich
die Abhandlung Becker's, Gouverneur des Baron Dachröden in Erfurt
(verneinend), und die des Prof. Castillon jun. in Berlin (bejahend)'.
Man verdenkt es der Akademie bis auf den heutigen Tag, dass
sie sich «so gesinnungslos aus der Affaire gezogen hat«*, um es
weder mit Friedrich dem Könige, noch mit Friedrich dem Philo-
sophen zu A^erderben. Allein dieses Urtheil zeigt wenig Sachkunde
imd ist höchst ungerecht. Der König liess die Akademie ganz frei
entscheiden — schon d'Alembert's wegen — : von ihm war also
nichts zu befürchten. Hätte sie die Wissenschaft um des Königs
willen beugen wollen, so hätte sie lediglich eine bejahende Antwort
krönen dürfen. Aber, sagt man, es liegt doch auf der Hand, dass
sie nur eine verneinende auszeichnen durfte, wenn sie nicht ihre
Moral und ihr Ansehen auf's Spiel setzen wollte? So scheint es,
aber man erwägt bei dieser Behauptung nicht, dass ihr das Thema
aufgedrängt war, und dass sie es eben durch die Art ihrer Ent-
scheidung in dieser seiner spröden Form für unlösbar erklärt hat.
Es ist oben darauf hingewiesen worden, was der König und mit
ihm gewiss viele Zeitgenossen als «Täuschung« und »Täuschungs-
mittel« betrachteten. Andere aber beurtheilten diese angeblichen
Täuschungen sehr anders. Somit führte die Frage mit Nothwendig-
keit auf eine Untersuchung des Begriffs der Täuschung und der
Täuschungsmittel selbst. In dem Momente aber war sie eigentlich
schon zerstört, bez. in eine ganze Reihe von Einzelfragen aufgelöst,
die entgegengesetzte Antworten nöthig machten: z. B. es ist nützlich,
dem Volke Wahrheiten in symbolischer Gestalt zu lassen und zu
geben, aber es ist schädlich, es mit hohlen oder unwahren Sym-
bolen zu belügen, u. s. w. Die Akademie that also nicht nur das
Klügste, sondern auch das Würdigste, was sie thun konnte, wenn
sie die eingereichten Abhandlungen nicht auf ihr Schlussergebniss
hin prüfte, sondern auf den Fleiss, die Sachkunde und die Umsicht,
die ihre Verfasser angewendet hatten. Den billigen Spott der Leicht-
fertigen, sie habe Ja und Nein zugleich gesagt, konnte sie leichter
ertragen als die ernste Vorhaltung der Moralisten, sie habe sich an
^ Der akademische Referent in dieser Sache ist Beguelin gewesen. Becker
hat sich später um die deutsche Volkshildung Verdienste erworben.
Die Preisaufgaben (Nutzen der Täusduuig des Volkes). 421
der Wahrheit versündigt. Allein mit gutem Gewissen durfte sie
auch diese Kritik zurückweisen: wenn die Frage keine einfache
Antwort zuliess, wie konnte da die Antwort Zeugniss ablegen für
die souveräne Geltung der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit?
Der König selbst hat später von der ganzen Sache nichts mehr
hören wollen. Formey erzählt, er habe sich bereits im Jahre 1780
unwissend gestellt, als die Rede auf die peinliche Preisfrage ge-
kommen sei^ Das ist wohl begreiflich.
Das königliche Monitum vom Jahre 1777 hatte die Folge, dass
die Akademie abstract- philosophische Preisfragen nicht mehr stellte.
Dem glücklichen Thema von den Wechselwirkungen zwischen «Gou-
vernement« und »Lettres« folgte für das Jahr 1784 das nicht minder
ausgezeichnete :
»Qu"est-ce qui a fait de la langue frangaise la langue universelle de l'Europe?
Par oü merite-t-elle cette prerogative? Peut-on presumer qu'elle la consei'vel'«
Eindringende und aufklärende Untersuchungen über den Sieges-
lauf der französischen Sprache Avaren hier gefordert; aber auch
universalhistorische, vergleichende Erwägungen über die Ursachen,
durch welche einst das Griechische und Lateinische zu Universal-
sprachen gew^orden sind, waren unvermeidlich. Der Preis wurde
zwischen einem Deutschen, dem Professor Schwab in Stuttgart, und
einem Franzosen, dem Grafen Rivarol in Paris, getheilt.
Für das Jahr 1785 stellte die Akademie eine Aufgabe, die noch
immer als eine Folge des Täuschungsthemas zu betrachten ist: man
sieht, wie die königliche Mahnung gewirkt hat und wie sich die
Akademie bemühte, den Absichten Friedrich's zu folgen, aber dabei
die Themata unzweideutig und fruchtbar zu formuliren. Die Auf-
gabe lautete:
»Quelle est la meilleure maniere de rappeler ä la raison les nations, tant
sauvages que policees, qui sont livrees ä l'erreur et aux superstitions de tout genre?"
Wir finden heute dieses volkspädagogische Thema zu allgemein ;
allein in einer Zeit, die unter dem Eindruck der Schriften Rousseau's
stand, von den principiellsten Fragen bewegt war und sich von der
mittelalterlichen Paedagogik losrang, gab es talentvolle Köpfe genug,
die diese Aufgabe aufklärend zu behandeln vermochten. Den Preis
erhielt Ancillon, französischer Prediger in Berlin, später Mitglied
der Akademie.
Es war zum letzten Mal, dass die Akademie Friedrich's ihr Ur-
theil über eine Frage aus dem Gebiete der Philosophie und der Lit-
^ .Souvenirs T. I p. r35f.
422 Die wissenscliaftliclie Bedeutuiii>- der Akademie Fkiedrich's 11.
teratur abgegeben hat. Zwar hat sie noch zweimal (für 1787 und
1788) solche Themata gestellt — das zweite in unverkennbarer Be-
rücksichtigung einer Abhandlung des Königs ; aber als die Antworten
einliefen, war es nicht mehr die alte Akademie, die sie beurtlieilte\
Übersieht man die ganze Reihe der Preisfragen von 1745 an, so
wird man behaupten dürfen, dass sich die Akademie niemals in
Kleinliches verloren hat, dass sie die ihr selbst in den Preisaufgaben
gestellte grosse Aufgabe würdig gelöst, die Zeichen der Zeit ver-
standen und sowohl der fortschreitenden Cultur als manchen Einzel-
Avissenschaften die Fackel vorangetragen hat. Missgrifte haben nicht
gefehlt, und durch ihre Zusammensetzung waren ihr gewisse Schran-
ken gezogen; aber sie war und blieb freier, weitsichtiger und sach-
kundiger als irgend eine andere Akademie Europas.
2.
Nur mit wenigen Strichen kann hier angedeutet werden , was ein-
zelne hervorragende Akademiker geleistet haben, und welche Stellung
ihnen , und mittelbar durch sie der Akademie , innerhalb der Gesammt-
gescliichte der Wissenschaften zukommt. Irreführend wäre es, wollte
man bei der Beantwortung dieser Frage von den einzelnen Wissen-
schaften ausgehen; denn der Begriff «Wissenschaft« war noch nicht
ein so loses Gefüge von Disciplinen, wie er es in unserem Jahr-
hundert geworden ist, sondern er schwebte als ein Ganzes vor
Augen, und die Ausbildung einer neuen Form wissenschaftlicher
Überlieferung und Mittheilung im Gegensatz zur scholastischen be-
schäftigte die höher Strebenden mindestens ebenso sehr wie die
Sache selbst. Dieses Werthlegen auf die Form entsprang einem
sehr lebhaften didaktischen und moralischen Bestreben: man wollte
nicht nur Wissen verbreiten, noch weniger todte Gelehrsamkeit
pflegen, sondern man wollte eine vernünftige Denkungsart durch-
setzen, überall die Aufklärung befördern und den sittlichen Zustand
der Gesellschaft bessern. So stark drängten sich diese Zwecke vor,
^ Das Thema für 1787 verlangte eine Darstellung der elterlichen Autorität,
ihrer Grundlagen und ihrer Grenzen, nach dem Naturrecht, mit besonderer XTnter-
scheidung der Reclite des Vaters und der Mutter, nebst einer Untersuchung, wie
das positive Recht hier zu gestalten sei. Das Thema für 1788 lautete: »Conunent
l'imitation des ouvrages de litterature etrangere, tant ancienhe que moderne, peut-
elle developper et perfectionner le goüt national?" Man vergleiche dazu das Thema
für 1784 und Friedrich"s Abhandhing über die deutsche Litteratur. Den Preis erhielt
1787 ViLLAUME (das Accessit Klein, bedeutender Jui-ist, später Mitglied der Akademie).
Die Philosophie Friedkich's des Grossen. 423
dass sie aucli den materiellen Betrieb der Wissenschaften eigen-
tliümlich zu begrenzen und zu beschränken suchten: gewiss — alles,
was der Verstand erarbeitet, die Vernunft gebilligt hat, soll gelten;
aber wissenswürdig ist eigentlich nur das, w^as den vernünftig-
moralischen Menschen belehrt: alles Übrige ist im besten Fall
Vorarbeit, sind Gerüste, die man wieder abbricht. Auch in das
"Wesen der Erscheinungen soll man nicht tiefer eindringen wollen,
als der gemeine Verstand zu folgen vermag, und vollends sind alle
paradoxen Hervorbringungen einer productiven Phantasie zu ver-
bannen. Nur als »Esprit« und als Waffe gegen den Aberglauben
hat die Phantasie des Genies Bürgerrecht in der Wissenschaft, die
zugleich Cultur ist: sie soll ihre Hervorbringungen eindrucksvoll
fassen, blitzend beleuchten und siegreich vertheidigen. Durch »Rai-
son« — klar und formvollendet an jedem wissenswürdigen Object
entwickelt — zur Moral und Toleranz: das ist die Aufgabe der
Wissenschaft. So dachte der Monarch, der die Akademie leitete,
und in diesem Sinne wollte er sie arbeiten sehend Dieses sein
Ideal aber ist in Wahrheit kein anderes als das Cicero's, genauer
bestimmt durch die grossen Franzosen des Zeitalters Ludwig's XIV.
und — durch Voltaire. Der König ist bei der ersten der drei
Hervorbringungen der französischen Aufklärung stehen geblieben ;
er ist weder mit La Mettrie und DmEROT zum Materialismus, noch
mit Rousseau zur Subjectivität fortgeschritten, sondern er beharrte
bei den älteren Franzosen und bei Voltaire. Neben ihnen übte
nur Bayle einen durchschlagenden Einlluss auf ihn aus.
Aber auch Voltaire's und Bayle's Einüuss darf man nicht
überschätzen. Jener entzückte ihn durch den Geist, die Klarheit
und die siegreiche Gewalt der Rede, mit der er die Schlachten wider
Aberglauben, Intoleranz und Verfolgungssucht leitete und gewann;
dieser imponirte ihm durch die unerschütterliche Ruhe, die kritische
Unparteilichkeit und die skeptische Zurückhaltung. Aber assimilirt
hat er sich beide doch nur so weit, als es die antiken Überliefe-
rungen, mit denen seine Seele verschmolzen war, zuliessen. Er
lernte von Voltaire, dass Newton der grösste Physiker sei, die
Mechanik des Himmels entdeckt und eine neue Centralwissensehaft
geschaffen habe; er liess sich von Maupertuis die mechanischen
^ Bartolmess, Histoire philos. de l'Acad. de Prusse T. I p. 247— 327: Fre-
deric II, Historien et Philosophe. Zeller, Friedrich der Grosse als Philosoph, 1886
(z. Th. vorher erschienen in der Deutschen Rundschau Bd. 44 Heft 12: «Friedrich
der Grosse in seinem Verhältniss zu der Philosophie seiner Zeit und der Vorzeit«).
424 Die wissensclinftliclie Bedeutung der Akademie Friedkich's 11.
Probleme erklären; er i)ries mit Beiden Locke als den maassge! »enden
Philosophen der geläuterten Empirie und der kritischen Aufklärung;
er las Montesquieu, der aus der englischen Geschichte die Uni-
versalgeschichte verstehen lehrte; aber bis in den Mittelpunkt seines
geistigen Wesens drangen alle diese Erkenntnisse nicht vor. Er
konnte unter Umständen sie alle — nicht etwa nur die Geometrie,
sondern auch die ganze moderne Naturphilosophie — ironisch be-
handeln und als Spielereien der Gelehrten abschütteln; denn er
glaul)te einen sicheren Schatz zu besitzen, in welchem bereits alle
geistigen Güter gegeben seien, die Alten. Er, der sie nur aus
Übersetzungen kannte, lebte in ihnen, nicht kraft gelehrter Über-
lieferung und Auswahl, sondern kraft fortwirkender Tradition. Die
französischen Klassiker des 17. Jahrhunderts, jene Popularphilo-
sophen , Poeten , Redner und Prediger, in denen das Zeitalter der
Renaissance eine gallische Nachblüthe erlebt hat, waren seine gei-
stigen Väter; sie haben ihm Cicero, Marc Aurel, die älteren Stoiker
und einige antike Historiker vermittelt und in ihm die Denk- und
Empfindungs weise, die Auffassungen von Wissenschaft, Moral, Re-
ligion und Poesie geptlanzt, die seine Seele bestimmten. Wahr-
scheinlich hat es im ganzen 18. Jahrhundert in Deutschland keinen
Denker gegeben, der so sehr und so ausschliesslich mit Epikur einer-
seits, mit den antiken Moralisten andererseits empfunden hat wie der
König. Alle ethischen Probleme blieben für ihn in dem Streit der
Stoiker und Epikureer beschlossen; alle metaphysisclien Fragen
interessirten ihn im Grunde nur so weit, als sie Cicero interessirt
hatten. Über das Verhäitniss von Theorie und Praxis in der Wissen-
schaft dachte er wie jener; wirkliches Griechen thum lag ihm so
fern wie dem Römer. Auch in der Poesie war ihm das Didak-
tische das Höchste. Die Welt der Gefühle warf er in das Pathos
des Redners und in die Freundschaft, aber verbannte sie sonst:
durch rein objective Darlegungen und durch krystallklare Formen
sollen die subjectiven Wirkungen erzeugt werden. Alles antik
gedacht und empfunden, freilich nach dem Maassstab einer latei-
nischen Antike von charakteristischer Beschränkung, aber nicht
einer künstlich erzeugten. Sie war in Frankreich gewachsen, in
natürlicher Abfolge von den Tagen Abälard's an und weiter zu-
rück, bis sie sicli in dem Staate Ludwig's XIV. zu voller Blüthe zu
entfalten vermochte. Und diese Denkweise complicirte sich bei dem
Könige nicht etwa im Laufe seines langen Lebens, im Gegentheil
— sie trat allmählich immer souveräner hervor, und die modernen
Die Philosopliie P'riedkicii".s des Grossen. 425
Pliilosoplien traten als blosse «Verbesserer« zurück. Mehr luid
mehr warf er als unnützen Ballast ab, was er unter dem bestim-
menden Einfluss von Freunden aufgenommen hatte, und stellte sieh
nur fester und entschiedener auf die antike Basis. In der theore-
tischen Philosophie blieb er Anhänger Epikur's ; denn dieser ist
der Philosoph, der allen theologischen und mythologischen Aber-
glauben abgeworfen und auf dem Boden der Erfahrung eine rein
natürliche Welterklärung zuerst gezeichnet hat — »die Philosophie
verdanken wir Epikur; Gassendi, Newton und Locke haben sie ver-
bessert; ich mache mir eine Ehre daraus, ihr Schüler zu sein, aber
nicht mehr«, schrieb er im Jahre 1775 an Voltaire^ (vergi. dazu die
Äusserung Friedrich's oben S.373). Die epikureische Ethik jedoch
genügte mit den Jahren immer weniger seiner herben Stimmung und
seinem unbeugsamen Pflichtgefühl : hier war und blieb 3Iarc Aurel
sein Ideal, sein Tröster, ja sein Heiland, und immer entschiedener
trat das moralisch -paedagogische Interesse aus allen anderen hervor
und drängte sie zurück: jeder Schriftsteller, der das Publicum nicht
bessern will, soll sich sagen, dass er umsonst geschrieben hat.
Diese Enge des Standpunkts des königlichen Philosophen —
der Staatsmann in ihm ging seine eigenen Wege und folgte Pufen-
DORF und Thomasius — wurde compensirt durch eine Reihe prak-
tischer Überzeugungen, an denen der König unverbrüchlich fest-
hielt. Erstlich dass jeder, der gegen die Verblendungen des Aber-
glaubens zu Felde zieht, als ein Bundesgenosse zu begrüssen sei,
einerlei in welchem Regimente er dient. Der Skeptiker, der Epi-
kureer, der Atheist, der Prediger, Alle waren sie ihm willkom-
men, wenn sie an der grossen Aufgabe, die kirchliche und philo-
sophische Barbarei zu bekämpfen , mitarbeiten wollten. Zweitens,
jede Überzeugung, mit Gründen vorgetragen, vernünftig entwickelt
und klar und gefällig dargestellt, respectirte der König, ja er er-
kannte in dem richtigen und eindrucksvollen Gebrauch der Dar-
stellungsmittel einen so hohen Vorzug, dass er bereit w^ar, über
die Anstösse des Inhalts hinwegzusehen: Aufklärung ist bereits
überall da, wo Geist und Klarheit, Zucht der Gedanken und An-
muth herrschen. In diesem Sinne las er die Predigten der grossen
französischen Oratoren mit Entzücken und rechnete die Verfasser
geistvoll geschriebener kirchlich -apologetischer Tractate ebenso zu
seiner Gemeinde, wie DroEROx und die Mitarbeiter der Encyklo-
^ QEuvres T. XXIII p.350 (8. September 1775).
420 Die wissenschaftliche Bedeutung der Akademie Friedkich's IL
pädie. Endlich — und das war eine schmerzliche Erkenntniss —
der Staatsmann lehrte den Philosophen , dass das «Volk« noch für
eine lange Zeit, vielleicht für immer, der Täuschungen, d. h. der
positiven Religionen, nicht enthehren könne. Von hier aus fiel
noch einmal ein besonderer Accent auf die Form: wenn es un-
möglich ist, eine vernünftige Denkungsart allgemein zu verbreiten,
wenn sell)st Männer wie Maupertuis und Euler in unbegreiflicher
Verblendung an dem Gedanken einer geoffenbarten Religion und
einer lebendigen Einwirkung der Gottheit festhalten, so soll wenig-
stens Alles, was vorgetragen wird, klar, in sich verständig und
anziehend sein. Wenn sich in diesem Medium der Theologe, der
Historiker und der Naturforscher, und wiederum der Olfenbarungs-
gläubige und die Anhänger aller Philosophenschulen zusammen-
finden, so ist zu hoffen, dass wenigstens die schlimmsten Wir-
kungen der Superstition, nämlich Barbarei, Zuchtlosigkeit und Fana-
tismus, schwinden.
In diesem Sinne wirkte der König in den Schriften, die er
als Akademiker geschrieben hat, imd hier liegt zugleich die her-
vorragendste Bedeutung, welche der Akademie in der Geschichte
der W^issenschaft und Cultur des i8. Jahrhunderts zukommt. Ihre
grössten Verdienste sind zunächst nicht in der Förderung der Einzel-
wissenschaften zu suchen, so bedeutend diese auch gewesen ist (s.
unten), sondern in der allgemeinen, umbildenden Einwirkung auf
den Zustand der Wissenschaften, auf die Aussprache ihrer Lehren
und auf die geistige Stimmung ihrer Vertreter'. Vergleicht man,
wie in Deutschland vor 1740 und nach 1780 über wissenschaftliche
Dinge geschrieben worden ist und welchen Antheil dort und hier die
Nation an wissenschaftlichen und auf die allgemeine Cultur bezüg-
lichen Fragen genommen hat, so springt der ungeheure Unterschied
in die Augen. Vorher schrieb man , um mit Mendelssohn zu reden,
in Deutschland nur für Professoren und für Schulknaben, und jede
wissenschaftliche Diseiplin bildete eine abgeschlossene Kaste von
Adepten. Die grossen nationalen und europäischen Denker und Ge-
lehrten um 1700, voran Leibniz, hatten noch vergebens diesen Zu-
^ Es ist jene Stimmung, der der jugendUche Göttinger Student Johannes
(von) Müller in einem Briefe an seinen Vater (177 1) einen so charakteristischen
Ausdruck gegeben hat: »Auf die Tafel meiner Seele haben Schlözer, die Theo-
logen in Berlin, Rousseau, Montesquieu, Mosheim, Abbt, Voltaire erhabene
Wahrheiten geschrieben, die keine Zeit, keine Gewalt der Menschen, kein Schicksal
austilgen soll«.
Allgemeine Bedeutung der Akademie. 427
stand für die mittleren Schichten zu durchbrechen versucht. Erst
allmählich lernte man, wie in Frankreich, für ein ideales Publicum
zu schreiben und bildete sich damit ein solches \ Die erste Voraus-
setzung hierfür war, dass ein Medium -wissenschaftlicher Stimmung-
erzeugt wurde, welches vermittelnd und versöhnend die verschie-
denen Standpunkte umgab, dass feste und anerkannte Formen wissen-
schaftlichen Austausches geschaffen wurden, und dass man die Pro-
bleme zu fassen und anziehend über sie zu schreiben lernte. In allen
diesen Beziehungen ist der Eintluss der Akademie im nördlichen
Deutschland unermesslich gross und durchschlagend gewesen. Man
mag jede einzelne Abhandlung eines Sulzer, Merian, Formet und
Beguelin und wiederum die der französischen Litteraten wie Franche-
A^LLE, PeEMONTVAL , ToUSSAINT, ThIEBAULT , BiTAUBE U. S. W. UOCll SO
gering taxiren — in ihrer Gesammtheit haben sie eine nicht leicht
zu überschätzende Bedeutung gehabt. Die theologischen und philo-
sophischen Standpunkte ihrer Verfasser sind ganz verschieden; die
Themata entstammen allen möglichen Wissenschaften, der Metaphysik,
der Geschichte, der Physik, der Aesthetik , der Litteratur u. s. w. ; die
Temperamente der Autoren zeigen die grössten Gegensätze — aber
dennoch sind sie von einem Geiste beherrscht und dienen einer
Aufgabe: ein strebsames, für die geistigen Fragen aufgeschlossenes
Publicum zu schaffen und zu erziehen, es von allen Einseitigkeiten
zu befreien, es an gesundes Denken zu gew^öhnen, und ihm Geschmack
und den lebendigen Sinn für die Wissenschaften zu geben. Nirgend-
wo in den A'ierzig Bänden akademischer Abhandlangen auch nur eine
Zeile ungehöriger, geschweige roher Polemik, nirgendwo pedantische,
todte Gelehrsamkeit oder abstruse Behauptungen, aber auch kein
^ ]\Ian vergleiche die Mahnung Mendelssohn's vom Jahre 1760 (Gesammelte
Schriften Bd. IV. ^2 S. 59):
"Mit dem guten Ton in den Schriften will es auf unsern hohen Schulen noch
nicht so recht fort. Man schreibt unter der Menge, die allda geschrieben wird, oft
sehr gute und zuweilen vortreffHche Sachen. Und gleichwohl wette ich. dass ihre
besten Schriften weder von Ausländern . noch von der grossen Welt in Deutschland
jemals würden gelesen werden. Desto schlimmer für die Ausländer, und für die
deutsche grosse Welt! sagen Sie vielleicht, dass sie dieser schönen Sachen entbehren
müssen! Schon recht! W'enn aber ein Gelehrter einmal schreibt, so braucht er ja
seine Absichten nicht bloss auf seine Zuhörer einzuschränken, und allenfalls, wenn
er auch dieses thun muss, so bilde er sich ein, es befinde sich ein Plato, Aristoteles
oder Locke unter seinen Zuhörern, denen er zu gefallen liat. Er wird alsdann Aveniger
an die Univei'sitätsverhältnisse denken, weniger \'on der Professorenhöhe herabreden,
und einen edlen und freien Ton annehmen, so wie er den Wissenschaften anständig
ist.« — Diese Mahnung ist freilich auch heute noch nicht übertlüssig.
428 Die wissciiscliaftliclK-' Bedeutung d(!r Akadeuiie Fkif.dricii's II.
Ausweiclien gegenüber den schwersten und einschneidendsten Pro-
blemen, keine feige Zurückhaltung der Kritik, dagegen überall das
energische Bestreben, der Wahrheit zu dienen, und die ernste Ab-
sicht, durch Sorgfalt im Ausdruck luid durch Klarheit, Wärme und
Geschlossenheit der Darstellung Beifall zu gewinnen. Auch lässt sich
bei aller Verschiedenheit der Standpunkte eine sachliche Gemein-
samkeit nicht verkennen: indem aller Schulzwang, der neue wie
der alte, vermieden wird , indem trotz aller Spannungen der Wolffia-
ner sich aufgeschlossen zeigt gegenüber der Philosophie Locke's,
und der Empirist auch von Leibniz und W^olff lernen will, indem
die uralten grossen Probleme nicht einer schnellfertigen Erfahrung
geopfert, aber auch nicht dogmatisch verfestigt und erkenntnisstheo-
retisch verschoben werden, entsteht wirklich in der Akademie un-
absichtlich eine akademische Philosophie^ — sie ist eklektisch und
bleibt durchweg >> vorkantisch « , d. h. sie glaubt zu wissen, was Em-
pirie und was Ratio ist, und verzichtet auf allen bohrenden Tiefsinn.
Dafür aber spricht sie eine jedem Gebildeten verständliche Sprache
und ist unermüdlich thätig, neue interessante Probleme aufzusuchen,
die alten in neuer Behandlung werthvoller zu machen, und den Zu-
sammenhang der Philosophie mit allen geistigen Fragen, mit der
Psychologie, der Religion, der Sprache, der Litteratur und der Ge-
schichte aufrecht zu erhalten. Sie will Wissenschaft treiben, wie
Cicero und Leibniz sie betrieben haben. So arbeitete die Akademie,
und in dieser Thätigkeit, formgebend, vermittelnd, aufklärend und
tolerirend, war sie ganz eigentlich die fridericianische Akademie.
Die Eloges und die Abhandlungen, die der König in ihren Sitzungen
hat vortragen lassen , bildeten in dieser Richtung das leuchtende Vor-
bild". Mit Recht hat ihn Maupertuis den besten Mitarbeiter der Klasse
der Beiles -Lettres genannt. Seine »Memoires pour servir ä Thistoire
^ Vergl. über die Signatur dieser Philosophie bez. philosoiDhischen Hahung die
Ausführung von Merian in den Memoires 1797 p. 94 ff. Sie gipfelt in den Worten:
»Je demande, que serait devenue notre classe de philosophie sous Wolff lui-nieme,
ou sous quekpie coryphee de sa tribu ou d'une tribu quelconque? Une secte, regen tee
par un chef de secte, tout ce qu'il y a de plus contraire ä une Academie, et d'oü le
vrai esprit philosophique et academique eüt ete totaleinent exile!« und: »J'oserais
encore affinner que ce meine Eclecticisme qui a rempli, en quelque facjon, Tintervalle
entre Wolff et Kant, a coule en grande partie de chez nous, ou du moins a ete
fortement encourage par nos philosophes: il regnait dans leur classe; et c'est la seule
secte ou non- secte qui doit respirer dans une Academie«.
^ Eine Zusammenstellung findet man im Urkundenband Xr. 177, vergl. da/.u
Kleinert"s Rede »Beziehungen Friedrich's des Grossen zur Stiftung der Universität
Berlhiu (Abhandl. u. \'orträge 1889 S. 151 ff. 158).
Allgemeine Bedeutung der Akademie (akademische Schriften Friedrich's). 429
de In Maison de Brandebourg« sind Muster freimiithiger und form-
vollendeter historiselier Darstellung \ Seine Eloges auf Jordan, La
Mettrie und Voltaire leliren, wie der eigene Standpunkt bei der Be-
urtlieilung bedeutender Männer zurückzutreten hat. und wie man
überall den Geist und das Gute aufsuchen soll. Seine fünf Essays
zur Culturgeschichte und Moral sind ebensoviel Beispiele , wie sich,
der Kritiker, der Philosoph, der Historiker und der Litterat die Hand
reichen müssen, um die schwersten Fragen, welche die Geschichte
der Menschheit bietet, in das richtige Licht zu stellen. Die Ein-
heitlichkeit aller geistigen Bethätigung ist noch immer die Voraus-
setzung wie für die Haltung Friedrich's so für die seiner Akademie,
trotz ihrer Theilung in Klassen. Noch bildete die Wissenschaft und
die Litteratur ein untrennbares Ganze, noch trat die Gesammtakade-
mie in wissenschaftlichen LIauptfragen — z. B. in dem Streit Leibniz-
LocKE — zusammen und überliess die Entscheidung nicht einer ein-
zelnen Klasse; noch verlangte man von dem Pliysiker, dnss er auch
Philosoph und Moralist sei, und umgekehrt; mindestens aber musste
er »lettre« sein und das Vermögen besitzen, die Probleme, die ihn
beschäftigten, gemeinfasslich und anziehend darzustellen. Es ist die-
sell)e Haltung, die als Letzter in Deutschland, aber zugleich als Zer-
störer, Kant behauptet hat. Doch schon in der Zeit von etwa 1775
an war sie nur noch diesem erstaunlichen Geiste möglich. Wer sie
neben ihm noch festhalten wollte, der verkümmerte und hemmte.
Die innere Bewegung, welche Rousseau entfesselt hat, zusammen-
treffend mit einer Entwicklung der Einzelwissenschaften, die volle
Hingebung verlangte, und mit einem neuen Klassicismus intensiver
Art, dem Graecismus, machte dem Zeitalter der Universalgelehrten
ein Ende.
Doch kehren wir zur fridericianischen Akademie zurück. Fragt
man, wo die Wirkungen sich besonders deutlich zeigen, die der
geschilderten Art ihrer Thätigkeit entsprechen, so dürfen wir vor
allem auf die Berliner Bewegung, auf Lessing, Mendelssohn, Nicolai
und ihre Anhänger und Jünger verweisen. Die eigenthümliche
Haltung dieses Kreises — sachlich und formell, in der Art, die
Probleme anzufassen, in dein Raisonnement, in der gefälligen
Schreibweise, dem leichten Witz, den Stilgattungen u. s. w. —
ist durchaus fridericianisch und durch die Haltung der Akademie
^ Wie unermüdlicli er an der Ausfeilung gearbeitet hat, haben die Briefe an
Maupertuis aufs Neue gezeigt (Geh. Staatsarchiv). Vorarbeiten lieferte ihm aus
den Archiven u. A. Hertzberg.
4B0 Die \vis.seiiscli;irilicli<' Bedeutun!^- der Akndciiiie P"iuedricu"s IT.
bestimmt, die sie vorfanden, und die unter dem Einfluss des Königs,
Maupertuis' und Voltaire"s ausgebildet worden war. Vielleicht liat
Voltaire selbst nicht so stark auf Lessing eingewirkt, wie alle geisti-
gen Elemente zusammen, die er in Berlin vorfand und die an der
Akademie ihren Mittelpunkt besassen^! Wie hätte sich ein Mendels-
sohn zum Philosophen entwickeln können, ohne die Voraussetzungen,
die die Akademie in Berlin geschaffen hat, und vor allem, wie hätte
sich die ganze Berliner Aufklärung bilden können , ohne die Grund-
lage und Stütze, die sie an jener führenden Körperschaft hatte?
Aber, wirft man ein, ein fragwürdiges Verdienst, diese Aufklärung
hervorgerufen und verbreitet zu haben mit ihrer oberflächlichen
Polyhistorie , ilirer seichten Philosophie und ihrem bornirten Selbst-
vertrauen! Das ist das Urtheil des 19. Jahrhunderts über jene
Bewegung, und es ist wohl verständlich, aber es ist parteiisch
und ungerecht. Sell:»st wenn man zugesteht, dass die «Aufklärung«
die Züge angenommen hat, die in jenen Vorwürfen enthalten sind".
^ Doch wer kann den Einiluss übei-scliätzen, den Voltaire aucli auf die
geistige Bewegung in Deutschland ausgeübt hat! Mit Recht hat Carlyle behauptet,
wollte man ihn und seine Thätigkeit aus der Geschichte des 18. Jahrhunderts hin-
wegnehmen, so würde dies einen grösseren Unterschied in der jetzigen Lage der
Dinge hervorbringen, als von irgend einem anderen Menschen der letzten Jalir-
hunderte gesagt werden könnte. 8eine Bedeutung liegt keineswegs nur auf dem
Gebiete der Gedanken- und Stil])ildung, sondern vor allem in dem siegreichen
Kampf für Freiheit und Menschenwürde gegenüber der Sclaverei und Barbarei des
»Feudalismus«. »Er hat in ganz Europa einen Bund gestiftet,« sagt treffend Con-
DORCET, »dessen Seele er war. Das Feldgeschrei dieses Bundes lautete: Vernunft
und Toleranz! Wurde irgendwo eine grosse Ungerechtigkeit verübt, vernahm man
von einer That blutiger Verfolgungssucht, wurde die Menschenwürde verletzt, da
stellte eine Schrift Voltaire's die Schuldigen vor ganz Europa an den Pranger.«
Li Preussen aber sind vornehmlich Friedrich der Grosse selbst lind die Akademie
die A^ermittler gewesen, durch welche Voltaire's Geist, d.h. der Geist der Dul-
dung und Humanität, wirksam geworden ist, obgleich er keine Zeile für die Aka-
demie geschrieben hat und die Akademiker ihm persönlich fast sämintlich abgeneigt
waren. Sofern sie Calvinisten und Deutsche waren , fühlten sie ihm gegenüber wie
Goethe, der nach der Leetüre der Denkwürdigkeiten Voltaire's an Frau von
Stein schrieb (1784): »Du wirst empfinden, es ist, als wenn ein Gott, etwa Mo-
inus, aber eine Canaille von einem Gott, über das Hohe der Welt schriebe«.
^ Die Überschätzung der »Bonnes Etudes« und » Beiles -Lettres« ist kein
specifischer Zug der deutschen Aufklärung, sondei-n ist mehr der französischen
zur Last zu legen, die freilich gerade in der preussischen Akademie auch vertreten
war. Die kleine scharfe Anzeige des TousSAiNT'schen »Discours sur les fruits des
Bonnes Etudes«, die Matthias Claudius (Werke 1879 Bd. 1 S. 59) geschrieben hat,
trifft die Abhandlungen der Berliner Akademie kaum: »Die Bonnes Etudes, ist der
ewige Gesang, machen das Herz ihrer Verehrer als Philosophen, Dichter u. s. w.
gut und tugendhaft; denn Pythagorns, Sokrates, Demokrit. Homer u. s. w. waren
"Ute und tuaendliafte Älänntn-«.
Allgemeine Bedeutung der Akademie. 4ol
SO blei])t ilir doch das ungeschmälerte Verdienst, den Scholasticis-
mus. das Abstruse und das Gebundene in der Wissenschaft in der
ganzen Breite ihrer Entwickkuig und Herrschaft abgethan , das
deutsche Bürgerthum aus Aberglauben und kirchlicher Bevormun-
dung herausgeführt und auf eine freie Bahn gestellt zu haben. Man
vergleiche nur, wie man auf Universitäten und hohen Schulen, auf
den Kanzeln und Kathedern noch um 1690 gesprochen hat und
wie um 1770! Um das ganze Verdienst der Aufklärung zu er-
messen, muss man erwägen, aus welchen Zuständen sie, und nicht
erst die deutschen Klassiker, uns befreit hat. In die allgemeine
Weltlitteratur ist Deutschland zuerst durch Leibniz, dann dauernd
durch die Aufklärung eingetreten. Doch , wir haben hier weder
zu entschuldigen noch anzuklagen. Es ist gewiss, dass es seit den
Tagen der Reformation keine Bewegung gegeben hat, die in Nord-
deutschland tiefer eingegriffen und kraftvoller umgebildet hat, als
die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, und in dieser war die fride-
ricianische Akademie, obgleich sie ausser Sulzer zur Zeit Friedrich's
noch keinen einzigen namhaften deutschen Aufklärer in ihrer Mitte
hattet ein wesentliches Element. Unverflochten mit den Tages-
fragen deutschen Kleiidebens, freilich auch abseits von der aufstre-
benden deutschen Litteraturbewegung, allen grossen Problemen der
wissenschaftlichen Entwicklung folgend , jeden philosophischen Stand-
punkt in ihrer Mitte duldend, aber alle an dieselbe Regel wissen-
schaftlicher Aussprache bindend, Jahr um Jahr durch gehaltvolle
und anziehende Abhandlungen Muster ruhiger, gelehrter Darstellung
bietend, eine Stätte der Vernunft und der Toleranz — so hat die
Academie Royale des Sciences et Beiles -Lettres vierzig Jahre ge-
wirkt, Preussen erziehen helfen und einem Kant und Herder Hoch-
achtung und Dank abgew^onnen.
Neben dieser allgemeinen Bedeutung der Akademie kommt vor
allem in Betracht, was sie für die Ausbildung und Verbreitung
der Lehre Newton's und was sie auf dem Gebiete der mathema-
tischen Physik und der Mathematik geleistet hat. Man braucht
nur die vier Namen Maupertuis, Euler, Lagrange und Lambert zu
nennen, um zu erkennen, dass sie im 18. Jahrhundert die Führer
der fortschreitenden Wissenschaft besessen hat, und dass sich keine
^ Die andern sind sämmtlich erst unter Frikdrich Wilhelji IL aufgenommen
worden.
432 Die wissenschaftliche Bedeutunii' di-r Akademie Friedricii's IT.
andere Akademie Europas damals mit ihr messen konnte — mü-
den Ruhm Euler's muss sie mit der Petersburger theilen.
Es ist für Berlin von höchster Bedeutung geworden , dass die
beiden Franzosen, die einen so grossen EinÜuss in Preussen aus-
üben sollten, Maupertuis und Voltaire, die entschiedensten An-
hänger Newton's waren. Jener hat als erster in Frankreich zwischen
1728 und 1732 die entscheidende Wendung zu Gunsten des Eng-
länders herbeigeführt, und das ist sein bleibendstes Verdienst. Als
er mit Friedrich in Beziehung trat, war er bereits der anerkannte,
siegreiche Gelehrte Frankreichs, der den Cartesianismus überwun-
den hatte. Neben ihm war Voltaire seit seinem englischen Auf-
enthalt unermüdlich thätig, Newton und Locke als die Führer der
Weltanschauung in Europa zu preisen und einzubürgernd Sobald
Maupertuis das Präsidentenamt in Berlin üV)ernommen hatte, setzte
er auf deutschem Boden den Kampf für Newton fort und gewann
in Euler einen Bundesgenossen, der ihn selbst weit überstrahlte.
So erhielt in der Akademie neben dem gallo -römischen Geist, den
Friedrich der Grosse nährte , die neue englische Wissenschaft Bürger-
recht — die englische, nicht nur die Lehre Newton's; denn mit
dieser hatten sich in der wissenschaftlichen Überlieferung gewisse
Hauptgedanken Locke's eng verknüpft.
Damit war aber ein Gegensatz zu Leibniz in die Akademie ge-
tragen, die ihre Existenz auf den grossen deutschen Philosophen zu-
rückführte. In der Mechanik als strenger Disciplin bestand zwischen
Newton und Leibniz kein unüberbrückbarer Unterschied; aber für
diesen war die Mechanik nur ein grosses Element der Weltanschau-
ung. Seine wissenschaftliche Speculation , von der Phantasie be-
flügelt, war weiter vorgedrungen; aber während sie die Monaden-
lehre entwarf und die Theodicee entwickelte, hatte sie sich nicht
die Zeit genommen , die Principien der Erkenntniss ausreichend zu
prüfen. .Sein vSchüler und Popularisator Wolff befestigte dann nach
dem Sturz der kirchlichen Weltanschauung das, was übrig geblieben
war und was Leibniz hinzugefügt hatte, mit dogmatistischen Mitteln.
So entwickelte sich ein wirklicher principieller Gegensatz zwischen
der LEiBNiz'schen Philosophie in WoLFF'scher Formgebung und der
auf Empirie sich stützenden Mechanik ^ Dieser Gegensatz aber war
^ Auch Algarotti kommt in Betracht, der den Newtonianismus populär zu
machen suchte.
2 Die Stellung zu den religiösen Fragen war aber dadurch nicht so bestimmt,
dass etwa alle Anhänger der empirischen Mechanik Skeptiker in der Religion ge-
Voltaire, Maupertuis, Euler. 43 H
auf dem Boden der Physik niclit aTisziifechten ; er führte auf das
Gebiet der speculativen Philosophie hinüber und hat die Akademie
dort beschäftigt. Soweit aber mit den Mittebi der reinen Mathe-
matik und der Mechanik gekämpft werden konnte, hatte Euler die
Führung. Maupertuis selbst, von dem krankhaften Streben beseelt,
den Deutschen Leibniz zu überstrahlen und als der Universalgelehrte
zu gelten, warf sich immerfort auf Probleme, denen er nicht ge-
wachsen war, und hat in Berlin kein Werk von Dauer geschaffen,
so viele Anregungen er gegeben hat \ Euler dagegen, von tiefem
Misstrauen gegen die LuiBNiz'sche Philosophie erfüllt, antipathisch
von ihrer nicht hinreichend exacten Methode berührt und vollends
WoLFF als unbedeutenden Mathematiker und voreingenommenen
Denker beurtheilend, hat durch Ausbildung der Mechanik den über-
all siegreich vordringenden Wolffianismus einzuschränken versucht.
Es hat etwas Tragisches, dass Leibniz, der als Präsident der Aka-
demie mit den grössten Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt hat,
nun auch so bald nach seinem Tode als Philosoph in der Akademie
bestritten worden ist. Für seine Grösse hatte man keine lebhafte
Empfindung, aber deutlich sah man seine Schwächen.
Was Euler für die Ausbildung der Mechanik gethan hat, be-
zeichnet nur einen sehr kleinen Theil der mathematischen Riesen-
arbeit, die er geleistet hat. Allein in den Memoires der Berliner
Akademie stehen 121, zum Theil sehr umfangreiche Abhandlungen ;
im Ganzen hat er mehr als 700 geschrieben, daneben 32 Quart-
bände und I 3 Octavbände selbständiger Werke: eine Gesammtausgabe
aller seiner Arbeiten wird auf 2000 Druckbogen veranschlagt. Dieser
von keinem Mathematiker erreichten Productivität entspricht auch
die Bedeutung; denn zwischen Newton und Gauss stehend, ist er
recht eigentlich der Begründer und der Lehrer der modernen Ma-
thematik geworden. Alle grossen Mathematiker der Folgezeit haben
sich direct an ihm gebildet und stehen auf seinen Schultern; denn
wesen wären. Im Gegentheil: nur die WoLFF'sche Philosophie schrieb hier eine
feste Haltung vor, nämlich die des supranaturalen oder des reinen Rationalismus.
Bei den Vertretern des Newtonianismus findet man dagegen sehr verschiedene reli-
giöse Standpunkte: Euler verstattete seiner Wissenschaft überhaupt keinen Einlluss
auf die Religion und blieb streng offenbarungsgläubig imd kirchlich gesinnt; !Mau-
PERTUis schwankte zwischen dem Oft'enbarungsglauben und dem Rationalismus;
Voltaire war Deist.
■^ Die Werke sind kurz beurtheilt von du Bois-Reymond in seiner Rede auf
Maupertuis (Sitzungsberichte 1892 S. 393ff.), vei'gl. Bartholmess, Hist. philos, T. I
p, 328-360.
Geschichte der Akademie. I. 28
434 Die wissensclinftliche Be(l(Mitinii>- der Akademie FKiEDiucirs II.
erst er hat durchgängig die synthetische Methode der Alten , die
seine Vorgänger noch vorzugsweise benutzt hatten , durch die ana-
lytische der Rechnung ersetzt, und in allen Zweigen der reinen
und der angewandten Mathematik sei es ganz neue Wege gewiesen,
sei es die überlieferten Lehren besser begründet, erweitert und
exacter ausgeführt. Seine grossen Lehrbücher der Arithmetik, der
Analysis, der Differentialrechnung, der Integralrechnung und der
Algebra werden noch heute, trotz des Fortschrittes der Wissen-
schaften, als Meisterwerke studirt, und nur darüber kann Streit
sein, ob diese Gebiete (unbestimmte Integrale, «EuLER'sche Integrale« ,
»EuLER'sche Constante«) oder die Variationsrechnung oder die ana-
lytische Geometrie oder die partiellen Differentialgleichungen ihm
mehr verdanken , und wie hoch die Erkenntnisse zu veranschlagen
sind, die er in der mathematischen Physik (Optik, Bewegung schwin-
gender Saiten) gewonnen hat/.
Nach fünfundzwanzigjähriger Thätigkeit musste der König den
grossen Mathematiker, der während der Abwesenheit Maupertuis'
und nach dessen Tode die Akademie geleitet hatte (s. oben S.344 ff*.),
ziehen lassen (1766). Aber er gewann den besten Ersatz, den es in
Euroj)a gab — Lagrange"". Lagrange hat nach Form und Inhalt das
von Euler begonnene Werk , die synthetische Methode der Alten
durch die Rechnung zu ersetzen, vollendet. Während aber Euler
für jedes einzelne Problem den Weg der Lösung sucht, der ihm
für den speciellen Fall der angemessenste scheint, geht Lagrange
mehr darauf aus , ganze Gebiete der Forschung von einem einzigen
Grundgedanken aus im Zusammenhang zu behandeln. Seine wich-
tigste Entdeckung, die er noch im jugendlichen Alter machte, war
die Variationsrechnung, eine allgemeine Methode, die Aufgaben über
Maxima und Minima zu lösen, die man vor ihm als isoperimetrische
bezeichnet hatte. Sein bedeutendstes Werk ist die analytische Mecha-
nik, worin er alle Sätze der Statik und Dynamik mittelst derselben
Methode, die er in der Variationsrechnung benutzt hatte, aus einem
^ Der Ver.suclmni>-, hier die Hülfe eines Fachmannes in Ansprach zu nehmen
und eine eingehendere Würdigung der EuLER'schen Verdienste einzurücken, musste
icli widerstehen , da eine solche nicht auf wenigen Seiten gegeben werden kann.
Auch die praktisclien Anwendungen der Mathematik und Mechanik haben Eui-er
interessirt, und er hat die Astronomie, die Schiffahrtskunde u. s. w. gefördert.
^ Das Folgende auf Grund gütiger Mittlieilung des Herrn Frobenius. In den
Memoires hat Lagrange (zwischen 1765 und 1803) 63 Abhandlungen veröffenthcht.
Seine gesanuiielten Werke gab Skrret unter den Auspicien des französischen Unter-
richtsministeriums in 12 (j)u;u'tbänden heraus.
Euler und Lagraxge. 435
einzigen Grundsatze herleitete , dem Prineip der virtuellen Geschwin-
digkeit. Ebenso hervorragend sind seine Verdienste um die Al-
gebra und Arithmetik: er prüfte die verschiedenen Methoden, die
man für die Auflösung der Gleichungen gefunden hatte, führte sie
auf allgemeine Principien zurück und zeigte, weshalb diese Metho-
den für die Gleichungen des dritten und vierten Grades zum Ziele
führen, für die Gleichungen der höheren Grade aber im Stiche
lassen. Er förderte auch die Lehre A'on der numerischen Auf-
lösung der Gleichungen und die Determinantentheorie. Die zahl-
reichen Sätze, die Ferjiat und Euler über unbestimmte Aufgaben
zweiten Grades gefunden hatte, leitete er aus einer gemeinsamen
Quelle her. Ebenso versuchte er, die ganze Theorie der analytischen
Functionen auf den TAVLOR'schen Satz als einziges Fundament zu
gründen. Doch haben diese Untersuchungen keinen nachhaltigen
Erfolg gehabt, wenn auch sein vStandpunkt in neuester Zeit durch
Weierstrass wieder zu Ehren gebracht ist. Nur sein Satz über
die Umkehrung der Reihen trägt noch heute seinen Namen. Unter
seinen ausserordentlich zahlreichen einzelnen Untersuchungen ist vor
allem die Arbeit über die Libration des Mondes, die ihn ganz jung
zu einem berühmten Gelehrten machte, und die über die Hydro-
dynamik, die er auf ein anderes System von Diiferentialgieichungen
gründete als Euler, zu erwähnen.
Auch Lagrange hat Berlin später wieder verlassen, aber erst
nach dem Tode des grossen Königs, und so hat die fridericianische
Akademie das Glück gehabt, 45 Jahre hindurch die beiden Meister
der Mathematik, erst Euler. dann Lagrange, zu besitzend
^ \"on Euler, dem Philosophen, handelt Bartholmess, a. a. 0. T. II p. 164!?.
und bemerkt: >>Si ses travaux philo.sophiques attestent aussi une intelligence ferme
et penetrante, un bon sens lucide et souvent ingenieux, une admirable nettete d'ex-
position (vergl. in dieser Hinsicht besonders seine »Lettres k une princesse d'Alle-
magne<' , in denen übrigens auch der antiAvolffsche Standpunkt hervortritt), une
erudition assez etendue, ils n'annoncent pas un esprit exempt de preventions et
inaccessible ä d'injustes accusations . . . Avec quel acharnement il poursuivait les
disciples de Leibniz, abaissant, rapetissant leurs docti-ines, et les mutilant meme,
pour les vouer plus sürement au ridicide! .... On eprouve un sentiment penible,
en le voyant meler ä de fortes objections contre I'idealisme tant de sarcasmes amers
ou Sans poi'tee, tant d'accusations aussi passionnees que banales«. In der That be-
sorgte Euler bei seinen Angriffen auf die Leibniz -WoLFr'sche Philosophie nicht
selten die Geschäfte eines Radicalismus, der ihm selbst sehr fei'ne lag. Sobald er
die JNIathematik verlässt, wird er zu einem etwas kindliclien Philosophen, der von
Erkenntnisstheorie kaum eine Ahnung hat (s. seine »Eellexions sur l'espace et le
temps« in den Memoires 1748).
28*
436 Die Avissenschaftliche Bedeutung der Akademie FriedrichVs IL
Endlicli miiss hier Lambert's gedacht werden. Sein Name ist
heute nicht so bekannt, wie er es verdient'; er ist überstrahlt
worden von dem Kant's. Aber Kant selbst schrieb (1770) an
Lambert, er halte ihn für das grösste Genie Deutschlands und für
den Mann, der am besten im Stande sei, die Philosophie zu refor-
miren; keine Zeile wolle er in seinen Werken stehen lassen, die
Lambert jiiclit klar und deutlich finde. Leider hat der früh voll-
endete Gelehrte (gest. den 25. September 1777, kaum 49 Jahre alt)
die »Kritik der reinen Vernunft« nicht mehr erlebt. Vielleicht wäre
das Werk etwas anders ausgefallen, wenn der wissenschaftliche Aus-
tausch zwischen Kant und ihm fortgedauert hätte".
Lambert, der Sohn eines kleinen Handwerkers im elsässischen
Mülhausen, hat sich aus ganz dürftigen Verhältnissen als Autodi-
dakt zu einer Universalität wissenschaftlicher Haltung emporgear-
beitet, die an Leibniz erinnert. Weder deutsch noch französisch
hat er je correct zu schreiben gelernt und die niedere Herkunft
In seiner Bedürfnisslosigkeit und Rauhheit nie verleugnet: aber
jeder Griff führte den genialen Mann sofort zum Produciren, und
überall drang er zum Kern der Probleme vor, die er in einer
so originellen (freilich auch krausen) Weise fasste, dass er ihnen
stets Förderung brachte. Der Ausgangspunkt seiner Studien war
und blieb die Geometrie und Astronomie — in die höhere Ana-
lysis drang er nicht tiefer ein — , aber er wusste von jenen
Disciplinen aus die umfassendsten Ausblicke zu gewinnen und mit
den geringsten Mitteln — er war auch ein praktisches Genie —
die fruchtbarsten Experimente anzustellen. Mit 16 Jahren versuchte
er die Bahn des Kometen von 1744 zu berechnen und fand auf
geometrischem Wege das Theorem, das seinen Namen trägt, dass
^ Doch s. die treffliche Würdigung des grossen Denkers bei Bartholmess (Hist.
philos. de l'Acad. T.II p. lyiff.) und Laas (Allg. Deutsche Biographie Bd. 17 S.552ff.).
Dazu JoH. Lepsius, Lambert, Eine Darstelhing seiner kosmologischen u. jihilosophi-
schen Leistungen. 1881.
^ Dass Lambert nicht ein "Vorläufer« Kant's ist, sondern stets fest auf dem
Boden der Newton -LocKE'schen Voraussetzung einer an sich realen, materiellen
Raum -Zeit -Welt gestanden hat, betont Laas. »Beständiger Schein ist fiir uns
Wahrheit«. Die Abhandlung »De mundi sensibilis et intelligibilis forma« hat Kant
an Lambert zur Prüfung gesandt, und dieser hat gegen die Annahme der Idealität
von Raum imd Zeit Einwendungen erhoben. Bartholmess (II p. 179) behauptet,
dass die philosophische Sprache Kant's »prescjue tout entier« das Werk Lambert's
ist. »Si Ton avait mieux connu les ecrits de Lambert, on n'aurait ni tant loue,
ni si fort bläme dans Kant ce qui appartenait ä son devancier et ä Tun de ses
maitres.«
Lambert. 437
in einer parabolischen Bahn die Zeit, in der ein Bogen durchlaufen
wird , allein von der Sehne desselben und von der Summe der
radii vectores nach ihren Endpunkten abhängig ist. Wie Jacob
Böhme durch die geringfügigsten äusseren Eindrücke zu tiefsinnigen
Meditationen angeregt wurde, so wurden unbedeutende Beobach-
tungen auch für Lambert die Ausgangspunkte überraschender und
treffender Reflexionen und Erfindungen. Im Jahre 1761 erschien
seine Photometrie, das Werk, mit dem er diese Methode überhaupt
erst l)egründet hat; liier Avird sein Name unvergessen bleiben. Noch
in demscll)en Jahr gab er die grosse Arbeit «Insigniores orbitae
cometarum proprietates« und ausserdem die kosmologischen Briefe
heraus, die ein philosophisches Gemälde des Universums enthalten.
»Das Apergu, dass das Fixsterngebäude nicht sphärisch, sondern
flach und sehr stark abgeplattet sei und dass die Milchstrasse aus
Fixsternsystemen bestehe, kam ihm bei einem Blick durch das
Fenster auf den Himmel. Eine algebraische Aufgabe , in der einer
seiner Schüler einen nicht sofort durchsichtigen Fehler gemacht hatte,
ward ihm Veranlassung, eine Maschine zur Erleichterung der per-
spectivischen Zeichnung zu erfinden \« Nur wenige Jahre hatte er der
Münchener Akademie angehört; dann zogen ihn Sülzer und Euler,
die neidlos sein ungeheures Talent bewunderten, nach Berlin, w^äh-
rend er sich eben rüstete, in Petersburg eine Stelle zu suchen, die
ihm Müsse gewährte. Vorher hatte er in Leipzig sein »Neues
Organon« (1764) erscheinen lassen". Mit diesem war er auf das
Gebiet der Philosophie übergetreten, für die er seine naturwissen-
schaftlichen Erkenntnisse fruchtbar machen wollte. Der Wurf war
zu kühn, um in dieser Gestalt zu gelingen: die formale Logik, die
Metaphysik , die wissenschaftliche Methodenlehre und Zeichensprache
sollten zugleich reformirt werden : aber überall schimmert schon
die Aufgabe der Erkenntnisstheorie durch. Lambert hatte Newton
^ Ein Fi-eund und Landsmann Lambert's, Christoph Heinrich Myller, hat
von ilim gesagt: »II etait ne logicien ä tel point qu'il examinait le moindre evene-
ment de la vie domestique d'apres les menies regies que las questions et les demon-
strations de la science. A propos d'un trou a ses bas , il lui echappait une figure
en »Barbara"; ä propos du pied d'une chaise, on le voyait construire nne »hypo-
these« . . . Toutes choses s'offraient a son esprit aA'ec l'appareil de la logique:
comme sujet, coinme attribut, comme proposition directe, comme proposition reii-
versee, comme raisonnement , comme syllogisme etc.".
^ Vergl. dazu die eingehende Recension von M. Mendelssohn in der AUg.
Deutschen Bibliothek 1766 Bd.3 St. i S. itf., Ges. Schriften Bd.4, 2 S.486-520:
"Herr Lambert, der sich in anderen Werken der "Welt schon als Erfinder gezeigt,
lässt in diesem Werke alle seine Vorgänger, Locke, Wolff, Malebranche, hinter sich«.
438 Die wissenschaftlielie Bedeutung der Akademie Fkikdrich's II.
und Locke einerseits, Wolff andererseits gelesen; »er war über-
zeiig't, dass die Vervollkommnung der Metaphysik von der Logik
abhänge, inid suchte den Weg zu einer Locke's und Eukijd's Metho-
den verbindenden , Wolff überholenden Ontologie zu ebnen«. Die
Kritik an der WoLFF'schen Philosophie und das Hinausstreben über
sie (»Was im eigentlichsten Verstände a priori sein soll, kann nur
Möglichkeiten enthalten«) bezeichnen die Bedeutung des Werks, das
trotz seiner ausbrüchigen Formalistik - — Lambert war ein Phantast
der Logik und ein Enthusiast des Maasses und der symmetrischen
Ordnungen — als ein Vorläufer der »Kritik der reinen Vernunft«
zu gelten hat, aber nicht die Richtung auf die Zweitheilung der
Vernunft einschlägt, in die Kant sich gerettet hat\
Am 24. Januar 1765 hielt dieser »Geometer der Logik« seine
Eintrittsrede in der Akademie »Sur la liaison des connaissances qui
sont l'objet de chacune des quatres classes de l'Academie«. Seit
Leibniz und Maupertuis war in ihrer Mitte so nicht mehr gesprochen
worden. In den knapp i 3 Jahren , die er der Akademie angehörte,
hat er für drei Klassen geschrieben und 52 Abhandlungen in den
Memoires veröffentlicht. Allein daneben hat er noch etwa 100
Arbeiten in anderen Zeitschriften und zehn grosse Werke, unter
Ihnen die »Architektonik «'■, erscheinen lassen: Physik, Farbenlehre,
Philosophie der Mathematik, Astronomie, physikalisch- technische
Probleme beschäftigten ihn in gleicher Weise. Zuletzt kehrte er zur
Pyrometrie zurück und führte die neue Bearbeitung (die erste war
1755 erschienen) in zehn Wochen durch. Wenige Monate darauf
starb er, weil er seinem dvu-ch Überarbeitung zerrütteten Körper bis
zuletzt keine Erholung gegönnt hatte. »Lambert«, schreibt Laas in
seiner schönen Charakteristik, »war gieichgiltig gegen Alles, was
das Leben sinnlich schön, reizend und behaglich macht. Sein Kopf
arbeitete unbehelligt durch feinere Culturbedürfnisse oder gar Leiden-
^ Kant hat spätei- das Novum Organon nicht günstig beurtheilt, was wohl
verständlich ist.
^ Das Novum Organon und die Architektonik sind Seitenstücke zu den kos-
mologischen Briefen. Beschreiben diese das Universum, so sollen in jenen gleich-
sam alle Provinzen des menschlichen Geistes dargestellt werden, aber nicht in
descriptiver Schilderung, sondern in der Richtung auf die Principien und Gesetze,
die ihn durchwalten, und auf die Mittel, durch welche der Geist seinen Inhalt
gewinnt, sicherstellt und zu erkennen giebt. So zerfällt das Novum Organon in
die «Dianoiologie, Alethiologie, Semiotik imd Phaenomenologie«. Bemerkenswerth
ist, dass noch Lambert, wie Lkibniz, sich um eine präcise, universale Sprache,
um ein neues, einfaches, charakteristisches System wissenschaftlichen Gedankenaus-
drucks bemüht hat.
Lambert, Johann Bernoulli, Bode. 431)
Schäften wie eine schwer zum Stehen zu bringende Maschine. Das
romantische Schwärmen für das unbewusste Weben des Geistes lag
weit von ihm entfernt. Seine Gefühlsweise war dabei kindlich,
harmlos und naturwüchsig. ... Er stand in der Mathematik, wie er
selbst einräumte ^ nicht auf der Höhe von Euler und Lac4range;
in der Astronomie war er kein Herschel, in der Physik kein
Newton; in der Philosophie gebrach es ihm an Leibnizcus Fülle
und Beweglichkeit und an Kant's bohrendem Tiefsinn. Aber dass
er alle Aier Disciplinen mit grundlegenden und fortbildungsfähigen
Arbeiten befruchtete, macht ihn doch den Grössten ähnlich. Er
hat vor Kant und Leibniz sogar den Vorzug, dass man weniger
als bei diesen nöthig hat, Gewebe wieder aufzutrennen. Er hatte
wissenschaftlich erseits vielleicht nur den einen Fehler, die Grenze
nicht immer zu merken, wo das Bedeutende vmd Fruchtbare in
das Unbedeutende, wohl gar F utile überging.«
Lambert hat auch als Astronom der Akademie grosse Dienste
geleistet. Seit 1772 gab er statt der bis dahin erschienenen acht
astronomischen Kalender genaue Ephemeriden heraus". Seit 1767
war der 22jährige Johann Bernoulli Director der Sternwarte. Aber
nicht von ihm in erster Linie wurde die Astronomie gepflegt — nur
in der rechnenden hat er gearbeitet; sonst hatte er eine besondere
Vorliebe für die Geographie und für zahlentheoretische Probleme — ,
sondern von Bode, der, zuerst rechnender Hülfsarbeiter, dann ordent-
licher Akademiker, zuletzt Director der Sternwarte (gest. 23. No-
vember 1826), nicht nur die LAMBERT'schen Ephemeriden fortgesetzt,
sondern überhaupt unter den astronomischen Autoren den ersten
Rang eingenommen hat. »Durch sein astronomisches Jahrbuch,
^ »Ich bin dei" dritte Geometer in meinem Zeitalter," sagte er selbst einmal
mit derselben wirklichen /Naivetät, mit der er sich einen grossen Mann nennen
konnte, « Euler und d'Alembert bilden zusammen den ersten, Lagrange ist der
zweite.«
- Mit ihren beobachtenden Astronomen hatte die Akademie nach des ältei'en
Grischow's Tode zunächst (1749) wenig Glück. Der jüngere Grischow ging 1750
nach Petersburg. Ebendorthin ging Aepinus, der von 1755 — 57 Professor der Astro-
nomie war. Der Verlust dieses Mannes, der sich als Elektriker einen bedeutenden
Namen gemacht hat, war sehr empfindlich. Im Jahre 1759 gab er sein »Tentamen
theoriae electricitatis et magnetismi« heraus, in welchem er zuerst die rechnende
Methode auf die Elektricität angewandt hat. Auch hat er zuerst die Theorie des
elektrischen Condensators und des Elektrophors gegeben. Der Astronom Kies, der
die Erwartimgen nicht erfüllt hatte, die man auf ihn gesetzt, ging nach längerer
Wirksamkeit in Berlin nach Tübingen. Euler, der Sohn (gest. 1800). verliess zu-
sammen mit seinem Vater (1766) die Akademie.
440 Die wisscMisclinftliclic Bcdrutiing' der Akadeniie Friedrich's II.
welclics für die anderen Epliemeriden /um Muster diente und das
er in 54 Bänden fortsetzte, liat er Epoehemaeliendes geleistet. Eine
Zeit hindurch waren in diesen Jahrbüchern die einzigen Nachrichten
über astronomische Beobachtungen und Entdeckungen enthalten.
Seine Sternkarten, die Darstellung der Sterne in 34 Blättern nebst
Einleitung und Katalog, 1782 herausgegeben, sowie sein grosser
Himmelsatlas in 20 Blättern nebst der allgemeinen Beschreibung und
einem Nachweis der Gestirne und einem Katalog von 17240 Sternen
(i 797-1 801), gehörten zu den besten Sternkarten, welche man
hatte'.«
»Unsere Chemiker stechen alle Chemiker Europas aus«, hatte
Maupertuis 1748 an den König berichtet", und in der That, so-
lange Pott rüstig arbeitete^ und, vor allem, solange Marggraf
auf der Höhe des Schaffens stand, behauptete Berlin diesen Ruhm.
Erst in den letzten Jahren Friedrich's fingen die schwedischen und
französischen Chemiker an, die deutschen zu überflügeln, und Achard,
obwohl kein untüchtiger Nachfolger Marggraf's, vermochte nicht
mehr mit Gelehrten wie vScheele und Lavoisier zu rivalisiren.
Marggraf ist der letzte l)edeutende Schüler Stahl's und Caspar
Neumann's und der letzte grosse Vertreter der phlogistischen Theorie
gewesen^ Seine Verdienste um die Chemie sind höchst bedeutend
und mannigfaltig — das bekannteste ist seine Entdeckung des Zuckers
in der Runkelrübe, die, wenn auch erst lange nach seinem Tode,
die ganze Landwirthschaft in Norddeutschland umwälzen sollte'. In
^ Sielie Encke's Rede auf Bode in den Abb. d. K. Preuss. Akad. d. Wiss. 1827
und Bruhns in dei- AUg. Deutseben Biograpbie Bd. 3 S. i f.
^ Siebe oben S. 325.
^ Siebe über ibn oben S. 237. Seine Hauptwirksamkeit fällt in die erste
Hälfte des 18. JaJu-bunderts. Mit Marggraf verfeindet, zog er sich seit den fünf-
ziger Jahren von der Akademie zurück.
* So glaubte er auch noch zeitlebens, dass alles Wasser, auch das reinste,
sieb beim Erhitzen in Erde verwandle.
° Die Entdeckung wurde der Akademie im Jahre 1747 vorgeti-agen. Sie steht
in den Memoires 1747 p. 79 — 90 unter dem Titel: »Experiences Cbymiques faites
dans le dessein de tirei' lui veiitable sucre de diverses plantes qui croissent dans
nos contrees [traduit du Latin]«. Marggraf theilt hier mit, dass mehrei-e einhei-
mische Pflanzen nicht nur einen dem Zucker ähnlichen Stoff enthalten, sondern eben
den Zucker des Zuckeri-ohrs. Er nennt drei, aus deren Wurzeln er reinen Zucker
dargestellt liabe, unter ihnen die Runkelrübe oder den rothen Mangold. P. 88
schreibt er: »C'e qui a ete rapporte jusqu'ä present fait voir en general, quels usages
economiques on pourrait tirer de ces experiences; il me suffira d'en indiquer an
seul, qui est ineme lemoindre: Le pauvre paysan, au lieu d'un sucre eher
ou d'un mauvais syrop, pourrait se servir de notre sucre des plan-
MAR(iGRAF. AcHARD. 441
virtuoser Weise wusste er die analytische Methode auf nassem Wege
anzuwenden ; aucli ist er vielleicht der erste Chemiker gewesen , der
sich des Mikroskops bedient hat; endlich besass er eine gründliche
berg- und hüttenmännische Bildung, die ihn zu tüchtigen chemisch-
geologischen Untersuchungen l^efähigte. So ist es ihm, unterstützt
von einem Itewunderungswürdigen Fleisse, gelungen, eine grosse
Reihe bleibender Arbeiten auszuführen und die Chemie mit neuen
Entdeckungen zu bereichern. Unter den Ergebnissen seiner analy-
tischen Forschungen werden besonders genannt: die Verschieden-
heit der Thonerde und der Magnesia von der Kalkerde, die Be-
stimmung der Natur des Thons, des Alauns und des Gypses, der
Nachweis der Präexistenz der Alkalien in den Ptlanzensäften, die
Ausführungen über die Natur des Salpeters und der Salpetersäure,
die Reaction auf Eisen mittelst Blutlaugensalzes, genauere Angaben
über Natron und Kali u. s. w. Er hat zuerst eine eingehende Unter-
suclumg über das Platin veröffentlicht (1752) und — freilich un-
bewusst — die Platindoppelsalze entdeckt. Von ganz besonderer
Bedeutung aber wurden seine und seiner Schüler zahlreiche Unter-
suchungen über den Phosphor, die Darstellung desselben aus dem
Plarn, seine Constatirung in den Pflanzen , die Bestimmung der Eigen-
schaften der Phosphorsäure, wobei er schon feststellte, dass die bei
Verbrennung des Phosphors sich bildende Säure mehr wiege als
der dazu verwandte Phosphor; aber er vermochte dies Problem nicht
zu deuten — für die phlogistische Theorie war es unlösbar. Auch
ül)er Hornsilber und Flussspath, über das Vorkommen der Magnesia
und wiederum über Ameisensäure in ihrem Unterschied von Essig-
säure hat er wichtige Nachweise geliefert \
Marggraf's Schüler Achard besass als Theoretiker nicht die Be-
deutung seines Lehrers; aber er hat im Chemisch -Technischen Vieles
gefördert. Ihm verdankt man die fabrikmässige Ausnutzung der
Entdeckung des Zuckers in der Runkelrübe, die in der Zeit der
Continentalsperre so wichtig wurde, aber auch nach ihrer Auf-
hebung an Bedeutung nicht verlor. Er war ferner einer der Ersten,
der Galvani's Versuche wiederholt hat — ein anderer Akademiker,
SuLZER, hat in Form eines Geschmacks Versuchs die erste galvanische
tes«. Er ist sich also der Tragweite seiner Entdeckung bewusst gewesen; aher er
hat die technische Ausbeutung x\nderen, vor allem seinem Schüler Achard, überlassen.
^ Vergl. über ihn Kopp , Geschichte der C hemie , Ladenbürg in der Allg.
Deutschen Biographie Bd. 20 S. 3840*. A.W. Hofjiann, Ein Jahrhundert chemischer
Forschung unter dem Schii'me der HohenzoUern. Berliner Rectoratsrede 1881.
442 Die wissensclinftliclie Bedeutung dev Akademie P'iuedrich's II.
Erscheinung beobachtet^ — , und wahrscheinlich hat Niemand vor
ihm einen Platintiegel hergestellt". Auch in der Färbungschemie
war er auf Verbesserung der Methoden und ihre praktische Durch-
führung bedacht. Wissenschaftlich hervorragender als er Avaren die
beiden Geognosten und chemischen Mineralogen , die die fridericia-
nische Akademie besessen hat, J. G. Lehmann und Geriiaed. Jener —
seine Aufnahme verfeindete Pott vollends mit Marggraf — hat
durch seine geognostischen und erdgeschichtlichen Arbeiten einem
Werner den Weg gebahnt, die chemische Untersuchung der Mine-
ralien mitbegründet und ihre Eintheilung gefördert"*. Dieser, ur-
sprünglich Mediciner, wandte sich später ganz dem Bergwerkswesen
zu, aber in wissenschaftlichem Geiste. Auch er förderte die Lehre
von der Gruppirung der Metalle und gal) nach l)ergtechnischen
Arbeiten, z. B. über den Steinkohlenbau, im Jahre 1781 ein Werk
heraus unter dem Titel: »Versuch einer Geschichte des Mineral-
reichs«, w^elches sowohl über die Natur und Entstehung der Metalle
als der Gebirge werthvolle Beobachtungen und Muthmaassungen ent-
hält, die zum Theil freilich noch von den ganz unhaltbaren Hypo-
thesen der älteren Zeit durchzogen sind'\
In der Zoologie hat die Akademie zur Zeit Friedrich's (nach
FRisrnens Tode) nichts geleistet, wohl aber in der Botanik und in
der Anatomie. Dort war es Gleditsch, der in langer, unermüdlicher
Arbeit (i 744-1 786, geb. 17 14) nicht nur den grossen botanischen
Garten der Akademie eigentlich erst geschaffen , mit den botanischen
Gärten anderer Länder in Beziehung gesetzt und zu einer Muster-
anstalt gemacht hat^, sondern auch durch zahlreiche Versuche und
Abhandlungen die Pllanzenkunde gefördert hat. Er hat u. A. den Ex-
^ Siehe du Bois-Reymond. Untersuchungen über thierische Elektricität Bd. I
(Berhn 1848) S. 54 Anmei-kung. Sülzer, der sich als praktischer Phj'siker auch
sonst Verdienste erworben hat, ist der Erste in Berhn gewesen, der, zusammen
mit Gerhard, einen Bhtzableiter hat errichten Lassen (1777, an der Könighchen
Montirungskamnier und der Kaserne des von PpuEL'schen Regiments am Köjinicker
Thor), s. Bruhns, Alexander von Humboldt, Bd. I S. 47.
- Über Achard s. Hofmann, a.a.O.; derselbe, Berliner Alchemisten und Che-
miker U.S.W., Berlin 1882. du Bois-Reyjiond, Reden Bd. 2 (1887) S. 516, Oppen-
heim in der Allg. Deutschen Biographie Bd. i S.2 7f. In Bezug auf die Herstellung
beweglicher optischer Telegraphen gebührt nicht ihm, sondern Chappe die Priorität.
^ Er gehörte der Akademie nur 7 Jahre an; 1761 berief ihn Katharina
nach Russland. Er starb aber schon 1767 im Laboratorium in Folge des Zer-
springens einer mit Arsenik gefüllten Retorte.
* Siehe über beide die Artikel von Guembel in der Allg. Deutschen Bio-
graphie Bd. 18 S. i4of. und Bd. 8 S.772f.
^ Vergl. Nicolai, Beschreibung von Berlin ^ (1786) S. 1035 ff. S. 1040 f.
Lehmann. Gerhard. Gleditsch. Lieberkühx und andere Mediciner. 443
perimentalbeweis für die Geschlechtlichkeit der Phanerogameii durch
Befruchtung der Palme des botanischen Gartens mit dem Blüthenstaub
einer Leipziger Palme geführt \ Ausser seiner streng botanischen Thä-
tigkeit war er auch Lehrer der Forstwissenschaft (s. o. S. 395), und
Hess bezeugt ihm, dass er mit zu den Ersten gehöre, welche dem
Forstwesen eine naturAvissenschaftliche Grundlage gegeben haben.
«Manche erklären seine »Forstwissenschaft« geradezu als das erste
wissenschaftliche Werk über diese Disciplin'«. Die Forstwissenschaft
bildete ihm die Brücke zur landwirthschaftlichen Botanik. Auch
auf diesem Gebiete ist er thätig gewesen und hat sich um den An-
bau und die Cultur nützlicher Ptlanzen grosse Verdienste erworben.
Durch N. LiEBEKKÜiiN wurde die anatomische Kunst und Wissen-
schaft aus Holland nach Berlin verpflanzt. Als er sich im Jahre 1740
in seiner Vaterstadt Berlhi als praktischer Arzt niederliess, hatte er
in Leyden die strenge Schule Boerhaave's, Albinus' und Gaub's
durchgemacht und war in London auf Grund seiner ausgezeichneten
anatomischen Präparate Mitglied der Königlichen Gesellschaft ge-
worden. Eben als Präparator, in virtuoser Ausbildung der mikro-
skopisch-histologischen Technik und Methode, ist er in seiner Zeit
und noch auf lange unübertroöen gewesen. Verewigt hat ihn in
der Wissenschaft die Abhandlung über die Darmzotten (»De fabrica
et actione villorum intestinorum tenuium« 1745); die hiervon ihm
zuerst beschriebenen drüsigen Organe tragen noch heute seinen
Namen^. Seine Gefässinjectionspräparate, für deren Studium er
zugleich besondere Mikroskope construirte, waren in der ganzen
anatomischen W^elt berühmt. Hätte er LI aller in Berlin zum
Collegen erhalten, so hätte sich keine andere medicinische Anstalt
mit der Berliner Akademie messen können; allein der grosse Göttinger
Physiolog Hess sich nicht bestimmen, dem Rufe zu folgen (s. oben
S. 324). Statt seiner kam sein tüchtiger Schüler J. F. Meckel, der,
zwar dem Meister an Bedeutung nicht gleich, doch die anatomische
Wissenschaft durch schöne Entdeckungen auf dem Gebiete des peri-
pheren Nervensystems bereichert hat (Ganglion [spheno palatinum]
Meckelii; Ganglion submaxillare : »Nova experimenta de finibus ve-
narum et vasorum lymphat. «). Ihm folgte an der Akademie Walter,
^ Siehe Memoires 1767 p. 3ff.
^ Hess in der AUg. Deutschen Biographie Bd. 9 S. 2 24 f.
^ Wie zahh'eich sind überhaupt die Entdeckungen oder Theoreme, die bis
heute mit dem Namen von fridericianischen Akademikern (Lieberkün, ]Meckel, Pott,
Euler, Lagrange, Lajibert u. s. w.) benannt werden!
444 Die wissenscliaftliclie Bedeutung der Akademie Friedrich's II.
Lieberkühn's und Meckel's Schüler, der eine anatomische Sammlung
im grössten Stil anlegte und sich so um den anatomischen Unter-
richt hoch verdient gemacht hat. Johannes Müller rühmt von ihm':
«Walter war als praktischer Anatom unübertrefflich gewesen, und
auch durch seine Schriften nimmt (^r den Rang unter den ersten
Anatomen ein; aber die mikroskopische Anatomie war ihm fremd
geblieben; er hatte so viel mit blossen Augen geleistet, dass er
die Anatomie beinahe für vollendet hielt«.
Überblickt man alle diese Entdeckungen und Arbeiten der Ma-
thematiker, Physiker, Chemiker, Astronomen , Botaniker und Ana-
tomen der Akademie, die in der kurzen Spanne von vier Jahrzehnten
hervorgetreten sind, so wird man sagen dürfen, dass die Königlich
Preussische Akademie in Hinsicht auf die Naturwissenschaften an
der Spitze der wissenschaftlichen Bewegung gestanden hat und
von keiner anderen Akademie übertroffen worden ist.
Nicht das Gleiche gilt von den speculativ-philosophischen, den
philologischen und den historischen Fachwissenschaften". Die hohe
^ Gedenkrede auf Rudolphi (Abb. d. K. Preuss. Akad. d.Wiss. 1835 p. XXI).
RuDüLPiu selbst hat die WALTEn'sche anatomische Sammhing tilso gepriesen (Abb.
d. K. Preuss. Akad. d.Wiss. 1820/21 p. Xlf.): »In Deutschland ist kein Cabinet, das
mit ihr vergbchen werden könnte, in Holland eben so wenig. Peter Camper's
und Beugman's Sammlungen dürfen nämlich nicht genannt werden, da ich nur von
menschlicher Anatomie rede. In Frankreich, in Italien ist kein Cabinet von dem
Umfang. In England bin ich nicht gewesen, allein Alles, was uns von sehr glaub-
würdigen Mäiuiei-n iiber das HuNiER'sche Museum gesagt ist, spricht dafür, dass
diese sehr geistreich angelegte Sammlung für menschliche Anatomie bei Weitem das
nicht enthält".
- Das hat schon Garve in seiner schönen Abhandlung: »Sur Tutilite des
Academies« bemei'kt und mit Freimuth in den IMemoires geäussei"t (1788/89 ]).466):
»Les Academies ou les societes litteraires n'ont produit des ouvi*ages superieiu's a
ceux des auteurs vivants isoles que dans les mathematiques et la philosophie natu-
relle. Les transactions de la Societe Roj'ale de Londres, les Memoires de l'Acade-
mie des Sciences de Paris n'ont jamais ete. meme dans leur epoque la jjlus bril-
lante, (jue des depots ju'ecieux povu' les mathematiciens et les physiciens. Le calcul
et l'histoire naturelle ont le plus gagne aux travaux reunis de ces societes. Les
grands oiivrages philosophiques ne sont pas sortis de leur sein. On recourt rare-
ment a ces recueils pour la Solution des problemes que presentent la morale et la
nature de l'homme. Des hommes de genie ont siege dans l'Academie frangaise,
et avant d'y etre admis ils avaient public des ouvrages de goüt dont le merite est
generalement reconnu. mais l'Academie en corps n'a jamais donne naissance ä un
ouvrage de ce gem-e . . . Le genie ne se communique par aucune espece d'associa-
tion«. Dieselbe Betrachtung, nur pointirter und bilderreicher ausgedrückt, stellt
auch Schleiermacher an in der Einleitung zu der ersten Abhandlung, die er in der
Akademie gelesen hat (Abhandlungen 1804/11, Philosophische Klasse S.79f.).
Die Pliilosoplien der Akadeniie (der Eklekticismus). 445
Bedeutung, welche die Akadeniie auch hier geliaLt hat, liegt ganz
wesentlich in jenen Wirkungen, die oben S. 4260*. beschrieben
worden sind. Eine geistesmächtige Schrift, eine epochemachende
Al)handlung, deren Gedächtniss bis heute fortwirkt, ist in den ge-
nannten Wissenschaften von keinem Akademiker, weder von einem
deutschen, noch von einem schweizerischen, noch von einem fran-
zösischen geschrieben worden — mit Ausnahme der bereits be-
sprochenen Arbeiten von Lambert. Weder Kant noch Herder,
weder Winckelmann noch Lessing, auch nicht Montesquieu oder
Voltaire haben Beiträge für die Memoires der Akademie geliefert.
Blicken , wir zunächst auf die speculative Philosophie. In fast
zahllosen Abhandlungen und Schriften haben Heinius\ Formey, Be-
guelin"'. Sülzer, Merian, Pernety, Premontval , Castillon, Cochius,
Beausobre, Moulines, Prevost und Andere philosophische Einzelfra-
gen aus den verschiedenen Disciplinen erörtert. Vor allem war es der
Gegensatz der Leibnizianer (Wolffianer) und der Anhänger Newton's
und Locke's, der neben Vermittelungsversuchen in den Arbeiten zum
Ausdruck kommt ^. Zuerst, solange Maupertuis regierte, hatten die
Newtonianer die Oberhand; aber sie waren bereits Eklektiker. Dann
drängte sich unter Sulzer's Einlluss der Wolffianismus wieder vor,
aber auch nicht der strenge Wolffianismus, sondern in eklektischer
Haltung. Endlich machte man aus der Noth eine 'Tugend und erklärte
mit Merian, der von Maupertuis und den Engländern ausgegangen
war: » L'Eclecticisme est la seule secte ou non-secte, qui doive res-
pirer dans une academie«, oder man pries sich selbst mit F. An-
cillon: "Cette Academie s"est toujours preservee de la contagion des
systemes, par l'esprit d'independance et d'examen, par cet esjDrit
philosophitiue qui est plus precieux que la philosophie eile -meine«.
Diese eklektische Haltung in der Philosophie, mit scharfer Abweisung
der materialistischen, mit principieller Zustimmung zur empirischen
Methode, aber mit dogmatischen Vorbehalten, charakterisirt die
letzten zehn Jahre der fridericianischen Akademie, und wir werden
sie auch in der Folgezeit fortwirken sehen. Gewiss ist etwas Wahres
an dem Satze, dass eine Akademie sich mit keinem philosophischen
^ Er hat ausschliesslich Probleme aus der Gescldchte der griechischen Philo-
sophie behandelt.
- Er hat ausserdem eine grosse Anzahl meteorologischer Beol)achtungen ver-
öffentlicht.
^ Eine Kritik des S])inozismus vei'öffentlichte de Jariges (Meni. 1745 p. 121 ff.
1746 p. 295 ff.).
446 Die wisseiiscliaftliclie Bcdciilunq,- der Ak;ulriui(; FRiicDRrcn's II.
System idcntificiron soll; allein weder darf diese Regel unter allen
Umständen gelten, nocdi ist sie ohne bedenkliche Folgen. Wo der
Eklekticismus zum Princip erlioben wird, da geräth die Philosophie
in Gefahr, ihren wissenschaftlichen . Charakter zu verlieren und in
die » Beiles -Lettres« überzugehen wie bei Cicero, und die eklekti-
schen Philosophen werden von den Wogen der wirklichen und
ernsthaften ])hilosophischen Bewegung an den Strand geworfen. In
der That, etwas Ahnliches ereignete sich mit den Philosophen
der Berliner Akademie , wenn die Folgen auch erst an der Wende
des Jahrhunderts offen zu Tage traten. Sie schrieben ihre umsich-
tigen , klaren , vorsichtig abwägenden und räsonnablen Abhandlungen
in französischer Sprache weiter fort^ und sahen sich auf einmal
durch Kant und seine Schüler auf's Trockene gesetzt. Nachdem
ihre Bemühungen, die wir oben als epochemachend bezeichnet
haben, ihr Ziel wesentlich erreicht hatten, die Erziehung eines
vorurtheilslosen , für geistige Fragen aufgeschlossenen Publicums,
nachdem mit durch ihr Verdienst Superstition und Pedanterie zu-
rückgedrängt waren, wurden sie selbst überflüssig. Die Art Philo-
sophie, welche sie gepflegt hatten, wurde von einer höher ge-
stimmten und tiefer forschenden Wissenschaft abgelöst. Mochte auch
der Eklekticismus ihr gegenüber in wichtigen Hauptpunkten im Rechte
sein — er bohrte nicht tief genug und wandte sich nicht, wie die
neue Philosophie, an den ganzen Menschen".
^ In der Geschichte der französischen Philosophie und Litteratur haben sie
eine Stelle behalten (s. die Werke von Villewain und Cousin), aber in den deut-
sclien Darstellungen der Geschichte der Philosophie werden sie kaum genannt.
^ Das Vorurtheil aber ist aufzugeben, als hätte der französische Geist in den
philosophischen Bemühungen der Akademie geherrscht. Nur die SjDrache war fran-
zösisch; in der Sache regierte die deutsche Philosophie, die mit aufgeschlossenem
Sinn der schottischen, englischen und französischen Bewegung folgte. »Vielleicht
war es das Charaktei'istische" , sagt Trendelenburg (Monatsberichte i. Juli 1852)
mit Recht, »dass sich in der Berliner Akademie die Philosophieen der fremden Nationen
begegneten, die Philosophie Neavton's undLEiBNizens, Christian Wolff's undLocKE's,
Gedanken des Helvetius und Adam Sbiith. Wenn in ihrer Mitte diese entgegen-
gesetzten Auffassungen zum Austrag gebracht wurden, so erfüllte darin die Akademie
den Beruf einer universellen Wirksamkeit, den Beruf einer über die Grenzen des
Nationalen hinausgehenden Verständigimg. Man sieht dies am deutlichsten, wenn
man die Männer, welche an den ^philosophischen x\rbeiten der Akademie Theil hatten,
nach ihren Richtungen gru])pirt. Die Vertreter der eigentlich französischen Philo-
sopliie sind nur ein kleiner Bruchtheil des Ganzen. Die Arbeiten der Akademie
standen nicht selten in einem geraden Gegensatz gegen die von Frankreich kom-
menden iMeinungeii". »Fi'anzösische« PhilosojDhen waren La Mettrie, d'Argens — ■
ül)er den ^''oLTAIRE spottete, er nehme bisweilen schon seine fünf Sinne für den
FORMEY, SuLZER UIkI ^MeRIAX. 44/
Unter solchen Umständen ist es eine Menig lohnende Aufgabe,
dem Einzelnen hier nachzugehen. Was sich selbst in seinen Wir-
kungen erschöpft, was nur als Gesammterscheinung eine Bedeutung
besessen hat — soll man es in seine Bestandtheile zerlegen? Dazu,
Avas sich hier leisten lässt, ist bereits in der »Histoire philosophique
de l'Academie de Prusse depuis Leibniz jusqu'ä Schelling, particu-
lierement sous Frederic -le- Grand« von Bartholmess mit so viel Hin-
gebung und Fleiss und mit so viel Wohlwollen und Liebe geleistet
worden, dass es völlig überflüssig wäre, hier noch ein Wort hinzu-
zufügen. Bartholmess als Deutsch-Franzose der Akademie Friedrich's
verwandt, als eklektischer Philosoph mit den Philosophen der Aka-
demie empfindend, ausgezeichnet unterrichtet in der Geschichte der
geistigen Bewegungen des i8. Jahrhunderts, hat in seiner »Histoire«
den Weltweisen Friedrich's ein Denkmal voll Anerkennung und Pietät
gesetzt. Jedem Einzelnen ist er nachgegangen, selbst den Philo-
sophen und philosophischen Belletristen zweiten und dritten Ranges,
und hat sich bemüht, die Gedanken und die Eigenthümlichkeiten jener
Eklektiker darzulegen. Man möchte fast sagen, die Bedeutung der
Sache selbst entspreche nicht ganz der Grösse und feinen Ausführung
des Monuments, das er aufgerichtet hat. Jedenfalls ist ein zweites
Denkmal für immer überflüssig.
Doch aus der grossen Anzahl der Philosophen und Belletristen
mögen wenigstens drei, die in der Geschichte der Akademie eine
hervorragende Rolle gespielt haben, mit einigen Strichen charak-
terisirt werden, Forme y, Sulzer und Merian'.
Von FoRMEY (geb. zu Berlin den 31. Mai 171 1, gest. den S.März
1797) ist schon wiederholt die Rede gewesen, und was über ihn
gesagt wurde, konnte nicht günstig lauten. Fast von der Reor-
ganisation der Akademie an ist er ihr ständiger Secretar gewesen,
Menschenverstand — ■ und, wenigstens nach einer Seite, der König. Aber Fried-
rich's specielle Philosophie hat auf die Akademie einen geringen EinÜuss ausgeübt.
^ Über Formet vergl. Bartholjiess T. I p. 361 ff. und AUg. Deutsche Biograpliie
Bd. 7 S. i56f. ; über Sulzer Bartholmess II p. yyff. und Allg. Deutsche Biographie
Bd. 37 S. i44ff. , dazu seine Lebensbeschreibung von ihm selbst aufgesetzt, herausge-
geben von Merian und Nicolai, Berlin 1809, und das Werk «Hirzel an Gleim über
Sulzer den Weltweisen«. 2 Bde. 1779; über Meriax Bartholmess II p. 32ff. und
Allg. Deutsche Biographie Bd. 2 1 S. 428 ff. Bartholbiess handelt ausserdem im 2. Band
von Beguelin, A. Achard, de Jariges, Heinius, L. de Beausobre, d'Anieres, d'Ar-
gexs, Francheville, Moulines, Bitaube, Borrelly, Dexixa, Thiebault, Toussaint,
de Catt, Pernety, Weguelin, Castillon und Premoxtval. Über alle diese Ge-
lehrten und Litteraten findet man auch kurze Nachrichten bei Dexixa. La Prusse
litteraire sous Frederic IL, 3 Bände, Berlin 1790 f.
448 Die wissenschaftliche Bedeutung der Akademie Friedru'ii"s IL
bliel) es über den Tod Friedrich's hinaus und wurde sogar nocli im
Jahre 1788 Director der philosophischen Klasse. Als Seeretar hat
er etwa vierzig Eloges verstorbener Akademiker gehalten und in die
Abhandlungen der Akademie eingerückt; ausserdem aber noch zahl-
reiche andere verfasst, die ausserhalb der Mcmoires erschienen sind\
Dazu hat er die officiellen Reden an den Festtagen der Akademie
gehalten und etwa dreissig Abhandlungen für die Memoires geschrie-
ben. Allein diese Arbeiten verschwinden hinter einer Fülle von
selbständig erschienenen Werken, xArtikeln, Aufsätzen u. s. w., die
er in die Welt gesetzt hat. Er rivalisirte nicht nur mit Euler und
Lambert an litterarischer Fruchtbarkeit, er übertraf sie noch weit".
Aber leider entsprach, im Gegensatz zu Euler, der Inhalt nicht der
überwältigenden und anspruchsvollen Production. Schon die Zeit-
genossen wussten, dass er um des Geldes willen schrieb, Jahre hin-
durch täglich einen Bogen, und dafür seinen Ducaten einstrich^. Von
Haus aus orthodoxer reformirter Theologe , schloss er sich schon
frühe der WoLFF'schen Philosophie an, und nachdem er seine »Belle
Wolffienne« in 6 Bänden 1741 — 53 geschrieben hatte, glaubte er
in den Stand gesetzt zu sein, sich spielend über alle möglichen
Fragen zu verbreiten und als vernünftiger Supranatm-alist , der ver-
ächtlich auf die scholastische Orthodoxie , aber auch auf die Em-
piriker, herabsah, alle abweichenden geistigen Erscheiimngen seines
Zeitalters zu kritisiren und mit breiten Bettelsuppen das Publikum
zu speisen^. So hat er gegen DmEROx sein System du vrai bon-
heur (1750 f.) und gegen Rousseau den kläglichen Anti- Emile (1763)
geschrieben. Ein unbedeutender Philosoph, ein recht mangelhafter
Stilist, konnte er immerhin Leichtigkeit und Flüssigkeit in der
Stoffbehandlung lehren — in dieser Richtung soll sein Einfluss
nicht unterschätzt werden — und sein grosses Vorbild Fontenelle
immer auf's Neue re^^roduciren. Maupertuls mochte ihn im Grunde
^ Diese Eloges, die alle nach einem Stile gearbeitet sind, bieten keine an-
ziehende Leetüre; immerhin aber bleibt es ein gewisses Vei-dienst Formey's, in seinen
Lobreden das Andenken an verdiente Männer erhalten zu liaben.
^ Bartholmess veranschlagt die »Werken Formey's auf etwa 600 Bände.
^ "Travailler uniquement pour l'honneur«, sagt selbst der milde Bartholmess
I p. 365 von ihm, »ce lui semblait sacrifier ä une gloriole risible«.
* Bartholmess (a. a. 0.) sagt: «Tous ses ecrits, ceux meme 011 la legerete
etait convenable, se sentent de la meme precipitation. A ce defaut si sensible
tenaient d'autres travers, tels qu'un assez mauvais ton, une certaine absence de
taet et de delicatesse, une sorte de petulance parfois etourdissante», und er spricht
von Formey's «manie de la polygraphie, qu'il attaquait chez tout le monde , excepte
chez lui -meme".
FORMEY. 449
nic'lit und der König nocli weniger; aber man liatte ihn nun einmal
und Hess ihn walten. Dadurch aber erhielt er, namentlicli im Ausland,
ein Ansehen, zu dem seine wirkliche Bedeutung in keinem A^erhält-
niss stand. Das steigerte sein Selbstbewusstsein ganz ungemessen
und befestigte in ilmi mehr und mehr die Überzeugung, die durch
wohlfeile Schmeicheleien seiner Correspondenten genährt -wurde,
dass er recht eigentlich die Säule der Akademie sei. Solche nicht
seltene Einl)ildung subalterner Naturen in büreaukratisch wichtigen
Stellungen wäre noch" erträglich gewesen, Avenn der Mann ehrlich
und zuverlässig gewesen wäre. Allein, obgleich er sich auf sein
Christenthum viel zu gut that und sich berufen glaubte, gegenüber
den Einllüssen des Königs und seines Kreises die Rolle des Apo-
logeten zu spielen, Hess er es an Charakterfestigkeit und edlem
Sinn nur zu sehr fehlen. Bei Abstimmungen war er unberechenbar
(s. oben sein Verhalten bei der Abstimmung über die Preisaufgabe
Pope-Leibniz), und alle kleinlichen und abstossenden Züge seines
Wesens zusammen mit einer lächerlichen Eitelkeit hat er dem Publi-
cum selbst zur Schau gestellt in seinen zwei Bänden »vSouvenirs d"un
citoyen«, die er drei Jahre nach dem Tode des grossen Königs ver-
öffentlicht hat. In diesen »Erinnerungen« schreibt er wie ein Kammer-
diener, der mit zahlreichen vornehmen Personen Verbindungen ge-
habt hat, bald schlecht behandelt, bald gut belohnt Avorden ist, und
der nun nach dem Tode seines Brotherrn mit seinen Verbindungen
prahlt und sich zugleich durcli Ausplaudern zahlreicher Geschicht-
chen und durch boshafte Mittheilungen rächt. Auch nicht eine Zeile auf
diesen 7—800 Seiten, die beweist, dass ihr Verfasser wirkliche Grösse,
auf welchem GeT)iet nur immer, zu empfinden vermocht hat. Fünf
Dutzend Eloges hat dieser Schriftsteller verfasst, darunter solche auf
die würdigsten und grössten Männer des Zeitalters , und ist doch
ganz ohne Gefühl für das Ausgezeichnete geblieben, ein Hand-
werker, der Lol)reden verfasst hat, weil es einmal sein Metier
war! Schlimm spielte er auch Friedrich IL mit\ versteckte aber
sein übelwollen hinter allerlei Malicen und Zweideutigkeiten. Dass er
sich in seinem langen Leben und durch fortgesetzte litterarische
Beschäftigung ein umfangreiches encyklopädisches Wissen erworben
^ Gegen die Behandlung des grossen Königs in diesen »Souvenirs« erschien
sehr bald eine anonyme (J. Ch. Laveaux) Gegenschrift, französisch und deutsch:
»Vertheidigung Friedrich's IL. Voltaire's, Rousseau's, d'Alejibert's und der Aka-
demie zu Berlin gegen die Beschuldigungen des beständigen Secretars derselben
oder Herr Formey din-ch sich selbst geschildert« (die deutsche Ausgabe Leipzig 1790).
Gescliichte der Akademie. L 29
450 Die wissenscliartliclie Bedeutung der Akademie Fiuedhicii's II.
hat, oder vielmehr, dass er von Allem wusste, ist wohl verständ-
lich und kann ihm nicht als Verdienst angerechnet werden. Führte
er doch die akademische Correspondenz und stand in so zahlreichen
litterarischen Beziehungen , wie sie vor ihm nur Leibniz besessen
hat\ Aber wenn Büsching behauptet: »Formey übertraf alle an Ge-
lehrsamkeit'«, so fragt es sich, w^as man unter »Gelehrsamkeit«
verstellt. Wie mangelhaft, oberflächlich und parteiisch er gearbeitet
hat, zeigt seine zum fünfzigjährigen Jubiläum der Akademie heraus-
gegebene »Histoire« jedem Kundigen. Die Wünsche eines eben
zum Denken reifenden grossen Publicums hat er wohl zu be-
rechnen verstanden, und so sind einige seiner Werke wiederholt
aufgelegt und als Werke des Secretars der Preussischen Akademie
auch in fremde Sprachen übersetzt worden. Wenn ihm aber Bar-
THOLMESS in seinen Schriften «un sens droit et ferme, un esprit
naturellement libre et gai, mais surtout un caractere sincere et
franc, toujours aimable et doux, et aussi modere qu'obligeant«
nachrühmt, so vergisst er, was er einige Seiten vorher selbst ge-
schrieben, und vergisst ausserdem, dass Formey sich einer Sprache
bediente, die für ihn dachte und seinen Productionen Eigenschaften
verlieh , die der Autor nicht besass. Er hat sich sehr frühe schon,
als es andern noch scliwer fiel, mit einigem Geschick — frei-
lich nicht selten fällt ihm die Maske ab, und der Gascogner er-
scheint — an den Ton der vornehmen französischen Schriftsteller
und Gelehrten anempfunden und täuschte damit über sein eigenes
Können, wie er durch seine Vielwisserei und seine Correspondenz
über sein Wissen täuschte. Dass die Akademie durch diesen ihren
Secretar in ihrem Zustande und in ihrem Ansehen nicht empfind-
licher geschädigt worden ist, verdankt sie ihrer Verfassung und
dem Umstände, dass sie wirkliche Grössen besass^.
' Sein Nachlass unifasste mehr als 20000 nn ihn gerichtete Briefe (Merian
fügte hinzu, im Ganzen dürfe man mindestens 40000 annehmen) und zeigte, dass
er mit mehr als fünfzig Buchhändlern in Verbindimg gestanden hat.
^ Büsching, Charakter Friedrich's IL (Halle 1788) S. 74.
^ Das Eloge Merian's auf Formey (Mem. 1788/89 p.49 — 82), — die Akademie-
Schriften enthalten nur wenige, die so umfangreich sind — verhehlt dem Kundigen
nicht , dass der berühmte Mann vor allem als virtuoser Journalist zu beurtheilen ist.
Als ein Hauptverdienst wird sodann hervorgehoben, dass er der Erste gewesen,
welcher die WoLFF'sche Philosophie in französischer Sprache behandelt und da-
durch in die grosse Welt eingeführt hat. Mit feiner Ironie spricht Merian über
das sechsbändige Werk »La Belle Wolffienne«. Um Kant, erfahren wir beiläufig,
hat sich Formey nie gekümmert; wie so viele aus der »Confrerie Wolffienne«
ignorirte er ihn einfach. Von seinen selbständigen philosophischen x\bhandlu7igen
Sulzer. 451
Von ganz anderem Schlage als Fokmey waren Sulzer und Merian,
obgleich auch sie heute zu den fast Vergessenen gehören. Sulzer (geb.
den lö.October 1720, gest. den 27. Februar 1779), das fünf'undzwan-
zigste Kind eines AVinterthurer Rathsherrn, hatte in demBoDMER-ßREi-
TiNGER'schen Kreise in Zürich die Grundlagen seiner Bildung empfan-
gen, sich als junger Prediger mit der WoLFp'schen Physikotheologie
vertraut gemacht und ist niemals über die hier empfangenen An-
regungen wirklich hinausgewachsen. Durch Beziehungen, die er in
Magdeburg, wo er als Hofmeister weilte, zu dem Hofprediger Sack
gcAvonnen hatte, kam er als Lehrer an das Joachimsthalsche Gym-
nasium, und zwar als Mathematiker (1747). Von Maupertuls und
Euler war ihm die Aufnahme in die Akademie versprochen wor-
den, aber sie verzögerte sich; denn Sulzer machte aus seinem
Wolffianismus kein Hehl und verscherzte dadurch das Wohlwollen
Maupertuls" wieder. Allein im Jahre 1750 wurde seine Aufnahme
durchgesetzt, und bald war er neben Heinius der Führer der
Wolffianer in der Akademie. Er setzte die Beziehungen zu seinen
Schweizer Landsleuten rege fort, und sein Bestreben, die Besten
unter ihnen nach Berlin zu ziehen , traf mit der Vorliebe Maupertuis'
für sie zusammen. Seine Bedeutung für Preussen und die Akademie
ist in einer doppelten Richtung zu suchen: in beiden bewährte er
sich als ein energischer und zäher Mann, der das auch durchsetzen
wollte, was ihm recht und heilsam schien. Erstlich war er ein hervor-
ragender Paedagog , der der herrschenden Schulweisheit und der pae-
dagogischen Hülflosigkeit gegenüber gesundere Grundsätze als Orga-
nisator und Lehrer vertrat \ Sodann war er der überzeugteste und
thätigste Anhänger der litterarischen und philosophischen Aufklärung
in der Combination Breitinger-Wolff und verstand es, diesen Stand-
sagt Merian, dass Klarheit, Pi'äcision und ein coulanter Stil ihr Hauptverdienst
gewesen seien. Dass Formey eine Reihe trefflicher Eigenschaften für das Amt
eines Secretars besessen habe, wird anerkannt; aber es sind nicht die höchsten
Eigenschaften, die Meriax (p. 72) nennt. Seine i> immense« Correspondenz, fährt
er fort, benutzte Forjiey, um die Journale, die er herausgab, zu speisen, und er
scheut sich nicht, Algarotii's witzige Bemerkung wiederzugeben, Formey sei ein
überall accreditirter Banquier, «qui influe partout sur la hausse et la baisse des
papiers de change et des actions, et sur tout ce qui se transige dans le monde
commergant". Unbedingt lobt Merian nur die Eloges Formey's — das ist wohl
verständlich; denn er selbst war sein Nachfolger und sollte es besser machen. Am
Schlüsse preist er ihn als einen der glücklichsten Menschen , dem auch ein sanfter
Tod beschieden gewesen sei.
' Dem verantwortungsvollen Amte eines Visitators des Joachimsthalschen
Gymnasiums hat er sich allerdings nicht gewachsen gezeigt.
29*
452 nie wissenscliaftliche Bedeutung der Akademie Friedrich's II.
puiikt in gut geschriebenen und viel gelesenen Schriften zu vertreten.
Dadurch gab er den Berlinern Ramler, Mendelssohn, Lessing und
Nicolai zunächst einen Rückhalt, der noch fortwirkte, als sie über
den didaktischen Schweizer Aufklärer — und zwar bald — hinaus-
wuchsen: Mendelssohn hat ihn stets mit hohem Respect behandelt,
und in dem Streite über Leibniz -Pope waren sie seine Bundesgenossen.
»Sulzer hat die Verdienste des unsterblichen Mannes, Wolff's, in we-
nigen Blättern ganz anders anzuzeigen gewusst, als der vielschrei-
bende Gottsched in seinen Quartanten«, rühmt Mendelssohn von ihm\
In der That hatte Sulzer in den 15 Jahren zwischen 1750 und 1765
dem norddeutschen und besonders dem Berliner Publicum Vieles zu
sagen und verstand es wirklich zu belehren. Sein einmal gewonnenes
Ansehen blieb ihm erhalten, ja verstärkte sich noch in der Folgezeit
für weitere Kreise; aber er selbst schritt nicht fort. Zwar bewährte
er sich stets als ein für die verschiedensten Gebiete der Erkenntniss
aufgeschlossener Kopf, aber als ein enger Kopf, und als in den
Jahren i 771 — 1774 sein Hauptwerk »Allgemeine Theorie der schönen
Künste« erschien — in alphabetischer Anordnung! — , enttäuschte
dieser Nachzügler strict BoDMER'scher Observanz zwar noch niclit
das grosse Publicum, wohl aber alle höher vStrebenden. Dass die
Hauptabsicht der schönen Künste auf die Erweckung eines lebhaften
Gefühls des Wahren und Guten gehe, dass der letzte Zweck überall
die moralische Verbesserung sei, dass auch die Poesie um so höher
stehe, je didaktischer sie ist, waren Behauptungen, die bereits über-
wunden waren. Lessing's Ausführungen existirten für Sulzer nicht,
und den Geist eines Herder ahnte er noch weniger. »Nachdem sich
die Wasser der epischen Sündfluth in Deutschland verlaufen, so
hätte man die Trümmer der BoDMER'schen Arche auf dem Gebirge
der Andacht weniger Pilgrime überlassen können«, spottete der junge
Goethe. Bereits im Jahrgang 1757 der Memoires hat Sulzer eine
Analyse des »Genies« veröffentlicht'^. Er definirt es als das Vermö-
gen, sich aller erkennenden Seelenkräfte mit Leichtigkeit und Ge-
schicklichkeit bedienen zu können, und findet dann , dass zum Genie
erstlich die vivida vis animi, die Lust zu einer Sache gehöre, so-
dann drei Stücke, nämlich Witz und Scharfsinnigkeit, Beurtheilungs-
kraft und — Besonnenheit. Kann man blinder über dieses Thema
reden ? Und doch hat die Abhandlung einen niclit geringen Eindruck
gemacht und einen Anstoss gegeben, der sich in verschiedenen
^ Gesammelte Sclu-iften, Bd. 4, i S. 572.
2 P. 392 ff.
SCLZER. 45 B
Riclitungen verfolgen lässt. In den Fragestellungen und in der räson-
nal)len und anziehenden Behandlung der höheren psychologischen
Probleme liegt das eigentliche A'erdienst solcher Philosophen wie
Sulzer. Sie haben damit das Interesse erweckt und weite Kreise aus
dumpfer Gedankenlosigkeit, aus Trägheit und Aberglauben herausge-
führt. Niemand war dazu geeigneter als der Schw^eizer Philosoph mit
der umfassenden Bildung, der Zuverlässigkeit des Charakters, der
Liebenswürdigkeit und der festen Zuversicht, dass es gelingen müsse,
die Menschen zu bessern und zu bekehren. »Sulzer den Welt-
weisen«, nannte man ihn feierlich nach seinem Tode, ja, verehrte
ihn in manchen Kreisen fast wie einen Heiligen. »Ce sage si ai-
mable« — rief Johannes von Müller aus — , »si universel, si ver-
tueux, l'ornement de notre nation, n'est plus! ... Sa mort de^'Tait
instruire les materialistes. Quoi! Dien eteindrait a jamais un genie
qui s'est eleve ä un tel degre de perfection! Quand je pense k
I'esprit de Sulzer, ä sa figure, ä sa serenite, ä son coeur, a son
amabilite, oh, combien alors j'aime davantage les sciences et la
vertu\« »Seine Yertheidigung »Gottes, der Freiheit und der Unsterb-
lichkeit« in einer dem grossen Publicum verständlichen, warmen und
eindrucksvollen Sprache hat ihm die Gemüther gewonnen"". Übrigens
war er doch vom Geist des Zeitalters zu stark afficirt, um Wolff's
Methode einfach zu reproduciren ; aber sie blieb die Grundlage aller
seiner Bemühungen, und in scharfer Abweisung französischer Schön-
redner erklärte er ffir die Landplage der Philosophie jene Philo-
sophen, »qui. plus accoutumes aux saillies d'esprit qu'ä des raisonne-
ments approfondis, pretendent ren verser par un bon mot des verites
qu'il n'est possible de connaitre qu'en combinant une multitude
d'observations assez difficiles et assez delicates pour n'etre saisies
^ Citirt nach Bartholmess, T. II p. 8i. Als der Genfer Tremblev am 2. Oc-
tober 1794 seine Receptionsrede als ordentliches Mitglied in der Akademie hielt,
bezeichnete er Sulzer, Merian imd Lagrange als die drei grossen akademischen
Lehrer (Memoires 1794/95 p. 43). Dass Friedrich der Gi^osse den Plan, Leibniz,
Lambert und Sulzer ein gemeinsames Denkmal in Berlin zu errichten, mit Sym-
pathie genehmigt hat. ist oben S. 393 erzählt worden. Herder hat Sulzer im
"Teutschen Merkur« (1781) neben Wixckelmann und Lessing ein litterarisches
Denkmal errichtet.
^ Bartholmess (T. II p. 107) bemüht sich zu zeigen, dass Sulzer durch sein
ästhetisches Hauptwerk einen Einiluss auf Kant's Kritik der Urtheilskraft ausgeübt
habe, »par ce qu'il le portait a rejeter. autant que pur ce qu'il lui donnait.« Das
Letztere ist wenig wahrscheinlich. — In den »Xenieu" wird Sulzer als moralisirender
Ästhetiker verspottet, als Mensch anerkannt (Nr. 352, vei"gl. Nr. 88) : »Hüben über
den Urnen ! Wie anders ist's als wir dachten I ^lein aufrichtiges Herz hat mir
Vero'ebuns: erlanjit ■< .
454 Die Avissenschaftliche Bedeutung der Akademie Friedrich's IL
qu'n Taide d'une attention tres forte^<. Wenn man sich die Be-
deutung der heute vergessenen deutschen Philosophen der Berliner
Akademie klar machen will, darf man das hohe Verdienst nicht
gering schätzen, dass sie sich der Herrschaft des «hon mot«, welche
von Frankreich her drohte, entgegengestemmt hahen"'.
Ohgleich von anderen Voraussetzungen ausgehend als Sulzer und
als kritischer Denker ihm bedeutend überlegen , bewegte sich Merian
(geb. den 28. September i 723 in Liestall, gest. den i 2. Februar 1807)
in seiner Wirksamkeit doch zu denselben Zielen. Der junge Schweizer
gewann in Amsterdam, wohin er sich begeben, Bernoulli's Vertrauen,
der ihn Maupertuis empfahl, und bereits im Jahre 1750 nahm ihn
dieser in die Akademie auf^. An ihn und Euler schloss sich Merian
eng an und nahm in allen Streitigkeiten gegen Wolff und für die
Engländer Partei , ja er arbeitete sich auch in Hume's Philosophie ein
und übersetzte dessen philosophische Schriften für Maupertuis in"s
Französische. Allein zu einer geschlossenen philosophischen Weltan-
schauung brachte er es nicht. Zwar setzte er in mehreren Abhand-
lungen die Polemik gegen Leibniz -Wolff fort und zeigte sich dabei
von der schottischen Philosophie beeinflusst; aber er suchte dann
wieder die verschiedenen Standpunkte, den kritischen und den Leib-
Nizischen, zu vermitteln und strebte nach einer empirisch -psycholo-
gischen Betrachtung der Probleme, ohne über einen mannigfach be-
stimmten Eklekticismus hinauszukommen. Es fehlte ihm der bohrende
Scharfsinn und die Energie, ein Problem vollständig durchzudenken:
^ Memoires 1775 p. 361 f.
- Anerkennend liat Justi (Winckelmaxn Bd. IL 2 1872 S. 302 ff.) über Sul/.er
geurtheilt. »Es lag in ihm der Trieb, alles Strebende zu fördern, alles Deplacirte
an seinen Posten zu bringen. Ein ganz encyklopädisch und teleologisch angelegter
Kopf von akademisch -administrativer Richtmig. vermochte er auch der Dichtung
und Kunst, wie bisher seiner Naturwissenschaft , nur durch moralische und gemein-
nützige Gesichtspunkte Werth abzugewinnen. Er studirte niclit nur in Bibliotheken
und im Buch der Natur, er fand Lehrstühle der Philosophie auch in den "Werk-
stätten und Ateliers, in den Comptoirs und Regierungscollegien. bei Gärtnern und
Bauern. ... Er hatte ein klares Bewusstsein von der Würde der Kunst und von
ihrer Bestimmung, ein Theil des Nationallebens, ein Element der öffentlichen Ev-
ziehung zu sein.« Aber auch Justi bestätigt Goethe's Urtheil über Sulzer: .Iu-
ist in's Land der Kunst nur gereist, nicht aber darin geboren und erzogen: er hat
nie darin gelebt, gelitten und genossen».
^ Merian hat ihr also 57 Jahre angehört. Die Akademie hat das Glück
gehabt, dass eine gr-össere Anzahl von ^Mitgliedern ihr ül)er 50 Jahre erhalten
geblieben sind, nämlich ausser Merian auch Pott, Formey, der Geolog Gerhard.
A. VON Humboldt, Grüson. Savigny, Böckh, Bekker und Ranke. Über 40 Jalire
Inno- haben ihr mehr als vierzig Mitglieder angehört.
Merian. 455
darum griff er nach allen zugleich. Er wollte noch immer, wie
Leibniz micl Maupertuis, der Universalgelehrte sein, der Erkennt-
nisslehre, Metaphysik, Physik, Psychologie, Moral und litteratur-
geschichtliche Fragen neben einander betrieb und sie in allgemein
fasslicher Darstellung bearbeitete. Er hat Untersuchungen über die
schwierigsten philosophischen und psychologischen Prol)leme ange-
stellt (»L'appercejition de sa propre existence«, «L'existence des
idees dans l'äme«, »L'action, la puissance et la liberte«, »Reflexions
philosophiques sur la ressemblance « , «Le principe des indiscer-
nables«, »Sur l'identite numerique«, »Parallele de deux principes de
Psychologie«, »Le sens moral«, »La crainte de la mort, le mepris
de la mort, le suicide«, »La duree et l'intensite du plaisir et de la
peine«, »Le probleme de Molyneux« [sieben Aufsätze]), und anderer-
seits zahlreiche Abhandlungen über den Einfluss der Wissenschaften
auf die Poesie verfasst — er spricht sich gegen die didaktisch-
wissenschaftliche Dichtung aus — , Claudian's Raptus Proserpinae in
französische Prosa übersetzt und die Frage, ob Homer der Dichter
der Ilias und Odyssee sei (1785), geprüft und verneint \ In den nach
dem Tode Friedeich's erschienenen Abhandlungen hat er Hujie's
Skepticismus als zu weit gehend abgelehnt, aber auch von Kant's
Philosophie vermuthet (»Parallele historique de nos deux philoso-
phies nationales« 1797), sie werde in einiger Zeit wahrscheinlich
ebenso vergessen sein, »wie jetzt die WoLFF'sche«. An diesem Aus-
spruch erkennt man am besten, dass die fortschreitende philoso-
phische Bewegung über den Secretar der Berliner Akademie — das
war er 1797 nach Formey's Tode geworden — hinweggeschritten
war". Sein Einlluss auf die Akademie war seit Euler's Weggang
^ Die Abhandlung, die ihm das Lob F. A. Wolf's eingetragen hat, stellt in
den Memoires 1788/89 p. 513 — 44 («Examen de la question, si Homere a ecrit ses
poemeS"). Merian hatte bereits in einer Abhandlung vom Jahre 1774 (^Memoires
p. 485 note 4) , überzeugt durch die Darlegungen Wood 's , die Frage verneint. Jetzt
prüfte er sie genauer mit besonderer Berücksichtigung der Inschriften und der
Hypothesen über den Ursprung der Schrift und Schreibekunst bei den Griechen. —
Über Kakt luid den «Äther der transcendenten Ideen« finden sich hin und her bei
Merian spitze Bemerkungen.
- Aber obgleich Merian die KANr'sche Philosophie verwarf, hatte er vor dem
philosophischen Genie Kant's den höchsten Respect. Da^ beweist schon der Titel
vind das ganze Unternehmen seiner Abhandlung: »Parallele historique de nos deux
Philosophies nationales« (Memoires 1797 p. 53 ff.); denn Leibniz und Kant sind
ihm die beiden grössten deutschen Philosophen, und ausdrücklich bemerkt er (p. 56):
«En comparant Kant avec Leibniz et Wolff. je serais tente de le placer sur la
meine ligne philosophique avec le pr emier, et plus haut que le second«. Halb
wehmüthig, halb ironisch beginnt er, indem er von der LEiBNizischen Metaphysik
45G Die wissenschaftliche Bedeutung dci- Akademie Friedrich's II.
sehr l)edeutend, ja er ist in der Zeit von 1770-86 und dann noch
weitere zwanzig Jalire unstreitig der wirksamste Akademiker inner-
halb der Körperschaft selbst gewesen. Das Vertrauen des alternden
Königs besass er wie kein Anderer \ wurde häufig, zumal nach dem
Tode d'Argens', dessen Stelle als Director der Klasse der Belles-
Lettres er 1771 erhielt, zu ihm berufen und vermittelte es, dass der
Monarch in persönliche Beziehungen zu einzelnen Akademikern trat.
Bei solchen Audienzen ist er stets zugegen gewesen. Es war ein
Vortheil, dass sich der König an Stelle d'Argens" nun mit Meeian
über litterarische und philosophische Fragen unterhielt ; denn der
Schweizer Avar an Kenntnissen und Ernst dem witzigen Südfranzosen
weit überlegen. Die Akademie aber konnte sich keinen besseren
Fürsprecher beim Könige wünschen als. diesen unparteiischen und
liebenswürdigen Mann, der mit ganzer Seele in der Akademie lebte
und nur für sie arbeitete und schrieb. Jeder Verein braucht min-
destens ein Mitglied, in welchem sich der Vereinsgedanke gleichsam
verkörpert und dessen ganzes Interesse in der Sorge für den ge-
meinsamen Zweck aufgeht — dieser Mann ist für die preussische
Akademie vom Jahre 1770 bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts
Merian gewesen. Er hat bereits vor 1750 und noch nach 1800
für die Akademie geschrieben"' und die Traditionen Maupertuis' bis
an die Schwelle der Akademie Humboldt"s geleitet. Er ist es auch
gewesen , der in der Regel die Beurtheilungen der philosophischen
und litterarischen Preisarbeiten verfasst und in den Memoires ver-
öffentlicht hat. Von ihm stammen die Gutachten über Mendelssohn
und Kant, über Herder, Garve, Michaelis, Meiners und Schwab.
Er hat Lambert's schwerfällig geschriebenen kosmologischen Briefen
durch seine französische Übersetzung ein Weltpublicum gewonnen,
zu Kant übergeht, mit den Woi'ten : «J'y cherche en vain notre chere Metaphysique ;
eile a disparu comme un songe: la science reine est descendue de son trone, et
ce trone est renversc". Er geht aber nicht auf die sachliche Kritik ein, sondern
verfolgt die Erscheinungsform, die Geschichte und die Wirkung beider Philo-
sophien. Er streift die übertriebenen Lobeserhebungen, die sich bis zu der Höhe
gesteigert haben, Kant habe das Werk Jesu Christi vollendet! »En verite Ton
m'excusera; mais le jugement le plus charitable que Ton puisse porter de tels pane-
gyi'istes, ne serait-ce pas de les croire echappes je ne sais d'oü?" Aber von Kant
selbst sagt er: »Le dessein louable du philosophe critique, c'est d'epurer nos fa-
cultes de tout alliage heterogene, d'assigner au juste leur portee, de decouvrir jus-
qu'oü elles vont, ce qu'elles donnent et ce qu'elles refusent".
^ Schon als den Schwiegersohn seines verewigten Freundes Jordan bevorzugte
ihn der König.
- Die erste Abhandlung ]Merian's steht in den Memoires von 1749. die letzte
(ein Eloge) in den Memoires von 1804.
Meriax. T)ie Historiker der Akademie. 45 /
wie er die schottische Philosophie auf dem Continent bekannt ge-
macht hat. Der grossen Conception, die ganze Philoso])hie in eine
»Naturgeschichte der Seele«, eine »Geschichte des innern Menschen«
zu verwandeln — er hat sogar schon von einer Psychometrie ge-
sprochen — • war er nicht gewachsen; aber er hat doch Momente
der älteren vorkantischen (englisch -schottischen) Philosopliie fest-
gehalten, die einige Jahrzehnte nacli Kant wieder siegreich hervor-
gebrochen sind. So mögen hier zum Schluss die Worte stehen , die
er in der Abhandlung: »Parallele historique de nos deux Philo-
sophies nationales ^< niedergeschrieben hat:
'■L'oljservatioii et Texperience demeureront tonjours les sources vraies
et primitives de tout ce que nous apprenons, de tout ce que nous savons.
Et, ä proprement parier, ce qui preexiste ou existe en nous a priori,
nous ne le decouvi'ons qu'a posteriori. L'on a beau vouloir decrier ce
que l'on nomme TEmpiiisme: il maintiendra ses droits imprescriptibles . . .
Le philosophe qui observe et experimente, peut sans crainte joroposer le
resultat de ses experiences et de ses observations : il peut y revenir, les
refaire, les changer, les varier ä son gre: au lieu que les fauteurs de
systemes excluent cette flexibilite. leur roideur y resiste: tout ou rien,
durer ou rompre, voilä leur devise^.«
Historische Abhandlungen haben in der fridericianischen Aka-
demie der König selbst und Pelloutier, Becmann, Küster, Hertz-
berg, Raynal, Heinius und Weguelin geschrieben. Der eigentliche Hi-
storiker war Hertzberg, der nicht nur die alte und neuere preussi-
sche Geschichte in nationalem Geiste beliandelte, sondern auch,
von Montesquieu beeinilusst, Fragen wie die bearbeitet hat: »Sur
les revolutions des Etats et particulierement sur Celles de l'AUe-
^ Memoii'es 1797 p.53lf.
^ Gegen den "Phänomenisnius« Hume's, «der Alles in Ruinen stiirzt". macht
Merian (Memoires 1792/93 p. 417 ff.), auf dem Boden Locke's verharrend, einige sehr
erhebliche Einwendungen und weist schliesslich darauf hin, dass es keine mensch-
liche Sprache giebt, in der sich Hume's Skepticismus ausdrücken und festhalten
lässt: die Sprache selbst verbietet den Phänomenisnuis. » Enfin, voici le probleme
que je vous donne a resoudre. Vous voulez une langue philosophique. Eh bienl
faites-vous-en une; ou purifiez inie de nos langues deja existantes de cette lie
d'Ego'ite, de Subjectivite, de Substantialite dont elles sont toutes infectees et ternies.
Forgez-en une, vous dis-je, exempte de tout pronom personnel, de toute intlexion
pronominale, de tout ce qui en porte le moindre vestige, et dans laquelle nos
phenomenes puissent correspondre ensemble sans aucun alliage etranger. Je serai
le premier ä applaudir ä ce rare chef- d'oeuvre , et ä l'admirer comme le plus curieux
de tous les jjhenomenes.« Über Meriax's ausgezeichneten Schiller und Rivalen
P. Prevost, der nur viei- Jahre der Berliner Akademie angehört hat , und über seine
Genfer Schule s. Bartholmess, a. a. 0. II p.2 25ft'. Prevost stai-b erst am S.April
1839; für die Memoires hat er treffliche Beiträge geliefert.
458 Die wissenscli;il'tliflie Bedeutung der Akademie Friedkkii's IL
magne« (1781), »Sur la population des Etats en general, et sur
Celles des Etats prussiens en particulier« (1783), »Sur la veritable
rieliesse des Etats, la balance du commerce et celle du pouvoir«
(1784). Neben Hertzberg ist Weguelin zu nennen, der über Tacitus,
Plutarch, Atlianasius und Pliotius nicht olme Verständniss und Geist
schrieb, auch fünf Abhandlungen zur Pliilosophie der Geschichte
(i 770-1 776) verfasste, Probleme behandelte, wie »die historische
Wahrscheinlichkeit« (1786), »der periodische Lauf der Begeben-
heiten« (1785), »die politische Nomenclatur« (1785) und u. a. auch
das paradoxe Thema erörterte: »Sur l'histoire consideree comme la
Satire des travers du genre humain« (1782)^ Indessen in den his-
torischen und philosophisch-politischen Abhandlungen lag doch niclit
die Stcärke der Akademie. Wir dürfen uns damit begnügen, sie im
Vorübergehen gestreift zu haben". Aber eines Akademikers müssen
wir am »Schluss unserer ITbersicht gedenken, der seines streng ortho-
doxen Standpunkts und seiner rein deutschen Haltung, vielleicht auch
seiner zum Theil seltsamen sprach geschichtlichen Hypothesen wegen
bei Lebzeiten nicht gebührend geschätzt, vom Könige zurückgesetzt
und nie mit einer Pension bedacht worden ist^, der aber heute als
Begründer einer ganzen wissenschaftlichen Discij)lin gefeiert wird
— des Oberconsistorialrathes und Propstes J. P. Süssmilch*.
^ Auch "Weguelin (Wegelix) war urs2:)rünglich Theologe. Durch Sulzer nach
Berlin an dieRitteralcademie berufen, sammelte er Materialien zu einer grossen »Histoire
universelle et diplomatique de l'Europe depuis Charlemagne jusqu'ä l'an 1740«. Drei
Bände erschienen, aber das vuiifangreiche Werk — es reichte im 3. Bande erst bis
zum Antritt der Capetinger — . Avelches mit politisch -moralischem Räsonnement
überladen war. dagegen die (Quellen nicht nannte, fand den erwarteten Beifall nicht
und musste abgebrochen werden. Es ist vergessen: aber als Geschichtsphilosoph
geniesst Weguelin noch immer Anerkennung. Er wies darauf hin, »dass das
Wesentliche und Bleibende in der Geschichte durch die Natur und Entwicklung
der Ideen bedingt ist. Immer betrachtete er die Erscheinungen von hohem, univer-
salhistorischem Standpunkt". (Allg. Deutsche Biographie Bd. 41 S.423f.)
-. Genannt sei auch der verdiente brandenburgische Historiker Kiister . der
von 1728— 1776 Mitglied der Akademie gewesen ist. Seine grossen Arbeiten ge-
hören ausschliesslich der brandenburgischen Geschichte an und sind als stoffreiche
Sammlungen geschätzt. In seinem monumentalen Werke «Altes und neues Berlin«
(4 Foliobände 1737. 1752. 1756. 1769) hat er den Grund zur Stadt- und Baugeschichte
Berlins gelegt. Der letzte Band ist leider nie gedruckt worden: denn Nicolais
bequemes und anziehend geschriebenes Buch verdrängte das ältere und viel gelehr-
tere, aber schwerfällige Werk. Siehe über Küster (seit 1732 Rector des Friedrich-
Werder'schen Gymnasiums) Allg. Deutsche Biographie Bd. 17 S.435f. ^"'"'^i Geiger,
Berlin Bd. I S.542f.
^ Siehe oben S.357.
* "\'ergl. über ihn die modernen Handbücher der Statistik, der Bevölkerungs-
statistik, der INIoralstatistik (von Oettingen) und der National -Oekonomie. sowie
SÜSS.MIIXH. 459
SüssMiLCH (geb. den 3. September 1707 in Zelilendorf bei Berlin,
gest. den 22. März ijOj), 1742 als Consistorialratli von einem Land-
pfarramt ^ nach Berlin berufen, wurde im Jahre 1745 in die Akademie
aufgenommen auf Grund seines Werkes »Die göttliche Ordnung in den
Veränderungen des menschlichen Geschlechts« (i 741 ff., bis 1775 vier
Auflagen)"". Die Akademie, die sich schon früher, Anregvmgen von
Neumann und Leibniz folgend, für social -biologische Fragen interessirt
hatte (s. oben S. i2of.), bewies durch seine Aufnahme , dass sie für die
Wichtigkeit dieser Probleme noch immer ein offenes Auge besass.
Die Bedeutung jenes Werkes an's Licht zu stellen, ist heute nicht
mehr nöthig, nachdem die ersten Nationalökonomen und Bevölke-
rungsstatistiker, DiETERICI, VON RÜMELIN, KnAPP, VON OeTTINGEN U. A.,
es einstimmig als das grundlegende und durch seine realistische
Behandlung der socialwissenschaftlichen Fragen bedeutendste Spe-
cialwerk seiner Zeit bezeichnet haben. Mit allen Empfindungen
eines Deutschen stand Süssmilch in der halbfranzösischen Akademie,
antipathiscli berührt von der Schönrednerei, dem Witz und der »mo-
dernen« Haltung der Franzosen, Aber der als unmodern geltende
Theologe begründete in Wahrheit die modernste Wissenschaft und
baute sie aus, in streng methodischer, empirischer Auffindung und
Bearbeitung der Bevölkerungsprobleme einem Montesquieu überlegen.
Li die Memoires der Akademie hat er nur wenige Aljhandlungen
eingerückt^ — augenscheinlich war ihm der Zwang zuwider, seine
Arbeiten französisch drucken lassen zu müssen, auch hielt er be-
scheiden mit seinen Ergebnissen zurück — , aber regelmässig hat
er (in deutscher Sprache) in den Sitzungen Vorträge gehalten. Den
Protokollen ist folgende Liste zu entnehmen: Ȇber die Zunahme der
Heirathen und Geburten in den preussischen Staaten« (1746), »Be-
obachtungen, in der Altmark gemacht« (1747), »Über die Stadt
Berlin, die Zahl ihrer Einwohner und Häuser, die Proportionen zu
den verschiedenen Zeiten« (1749), »Über das Alter der Städte Cöln
den Artikel in der Allg. Deutschen Biographie von John (Bd. 37 S. i88fF.), und
HoFFMAXX. Abhandlungen der Akademie 1836 S. 197 ff".
^ Kurz vorher war er Feldprediger gewesen; die Vorrede seiner "Göttlichen
Ordnung« ist unterschrieben »Auf dem Marsch zu Schweidnitz«.
^ In dem Eloge auf Süssjiilch (Memoires 1767 p. 496 ff.) schreibt Forjiey
p. 502: «Connu donc avantageusement par la i« edition de son livre, les portes de
TAcademie lui furent ouvertes peu apres son renouvellement, dans le cours de
l'anjiee i745".
^ Eine sprachwissenschaftliche im Jahrgang 1745 p. 188 ff. und den »Essai
dans lequel on se propose de determiner le nombre des habitants de Londres et de
Paris« im Jal)rgang 1759 p. 453 ff.
460 Die wissensoliaftliclie Bedeutung der Akademie Frif.dricii"s II.
und Berlin« (1750), »Über die Zahl der Sterbefälle in Berlin im
Jahre 1750 und Erörterung der Frage, wieviel Personen über 80 Jahre
Berlin haben dürfte« (1751), «Über die Proportionen in den mensch-
lichen Lebensaltern« (1751), «Gegen Montesquieu, dass das Christen-
thum keineswegs der Vermehrung des menschlichen Geschlechts ent-
gegen ist« (1753), »Über die Proportionen zwischen den Geburten,
Heirathen und Todesfällen« (1753), «Über die Einwohnerlisten von
London und Bristol« (1754), «Über den Ursprung der Sprache«
(1756, zwei A'^orträge), «Über die Ähnlichkeit zwischen den arith-
metischen Figiu'en und mehreren Worten der Sprachen von Llin-
dostan mit den deutschen Chiflfern und Worten« (1757), «Gedanken
über die besten Mittel, um die Einwohner in einem Staat zu ver-
mehren« (1757), «Nachweis, dass die Heruler weder in der Mark
Brandenburg noch in Mecklenburg und den l)enachbarten Gegenden
je gesessen haben« (1757), »Über die Zahl der Einwohner von
London« (1759), «Über Montesquieu's Behauptung, betreffs der Popu-
lation Deutschlands zur Zeit Julius Cäsar's« (1759), «Über die Pro-
pagation der Bevölkerung« (1760), »Ist es möglich, dass ein
Staat, der so blühend wie Frankreich erscheint, sich ent-
völkern kann durch innere Ursachen ohne Krieg und
Seuchen?« (1761), » Vertheidigung der deutschen Gelehrten gegen
das Urtheil, das die englischen Schriftsteller der Universal-Geschichte
gefällt haben« (1761), »Über etymologische Fragen« (1762), «Ein
Specimen eines Idioticons Prussicmn-Marchicum« (1763)^ «Über die
Zahl der Einwohner der verschiedenen Staaten des Königs von
Preussen und über die Ursachen der Verschiedenheit dieser Zahl«
(1764), » Vergleich ung der Kegeln der Ordnung der Providenz in
den Geburten und Todesfällen in Frankreich mit denen anderer
Länder« (1767).
Wohl verfolgte Süssmilch mit seinen Arbeiten apologetische
Zwecke", aber er l^lieb dabei der exacte Forscher. Über die im
^ Diese Aufgabe hatte seiner Zeit auch der Akademiker Frisch zu bearbeiten
unternommen. Dieser ausgezeichnete Forscher hat überhaupt bedeutend auf Süssmilch
eingewirkt, s, Formey, Memoires 1767 p. 498. Schon die alte Societas Regia hatte
sich — gewiss auf FRiscnens Betreiben — aus den verschiedenen Provinzen durch
die Regierungen regehnässig bevölkerungsstatistische Nachrichten schicken lassen,
besonders über alle Fälle von besonders hohem Lebensalter (s. Akademisches Archiv).
^ WoLFF hat die erste Auflage mit einem empfehlenden Vorwort eingeleitet
und das Werk als eine Probe bezeichnet. wi(^ die Wahrscheinlichkeitstheorien zum
Gebrauch im menschlichen Leben verwendet werden können. Auch die teleolo-
gische Haltung war in Wolff's Sinn. Angeregt worden ist Süssmilch, wie er
selbst bekennt, durch Derham"s Phvsico - Theology.
SÜSSMILCH. 461
Jahre 1761 erschienene, gänzlich neugearbeitete zweite Auflage der
«Göttlichen Ordnung«^ sagt Knapp: »Von einer nüchternen Theodicee
erhebt sie sich zu einem nationalökonomischen und politischen Werk,
dessen für jene Zeit allumfassende und erschöpfende Vollständigkeit
später nicht wieder erreicht worden ist«. Da Süssmilch auch die
Todesfälle und ihre Ursachen statistisch beleuchtet, ferner die Crimi-
nalität und die mit ihr zusammenhängenden Erscheinungen beachtet
hat, so hat er die medicinische und die Moral-Statistik mit begründen
helfen. Die »politische Arithmetik«, wie sie ihm vorschwebte, um-
fasste eben bereits alle menschlichen Massenerscheinungen. Im Jahre
1752 liess er zwei Abhandlungen drucken über das schnelle Wachs-
thum der Stadt Berlin und veröffentlichte kurz vor seinem Tode
die umgearbeitete Akademieschrift von 1756: »Versuch eines Be-
weises, dass die erste Sprache ihren Ursprung nicht von Menschen,
sondern vom Schöpfer erhalten hat« — • jene Untersuchung, die
Herder erst zum Widerspruch gereizt, deren Gedanken er sich
aber später genähert hat. Obgleich Süssmilch's Hauptwerk nach
seinem Tode noch einmal herausgegeben worden ist, gerieth es
doch bald in Vergessenheit. Soweit in den folgenden Jahrzehnten
überhaupt Interesse für bevölkerungsstatistische Fragen vorhanden
war, wurde es von Malthus' Arbeiten in Anspruch genommen. Erst
seit der Mitte unseres Jahrhunderts hat der grosse Vorgänger des.
Engländers den verdienten Ehrenplatz in der Wissenschaft erhalten.
Süssmilch musste es erfahren, dass es fast ein Unglück war, an
der Berliner Akademie nichts als ein deutscher Fachgelehrter zu
sein: sein Hauptwerk drang nicht in die Kreise der europäischen
wissenschaftlichen Bewegung, und er selbst galt nicht als »lettre«,
denn er schrieb nur über Dinge , die er gründlich verstand. Der
König hat ihn schwerlich anders beurtheilt als den ganz unbedeu-
tenden Hofprediger Sack. — Hier bedarf es zum Schluss noch einiger
^ Wie sie entstanden, erzählt Formey, a. a. 0. p.501: ^'L'Ordre de la Pro-
vidence dans les revolutions aiixquelles le genre humain est assujetti« — c"est lä
proprement l'occupation de toute sa vie, le bat de toutes ses recherches, le centre
de toutes ses reflexions; depuis qu'il eut fox'ine ce dessein, il ne le perdit pas an
instant de vue, il rassembla de tous cotes les secours qui pouvaient le mettre en
etat de le perfectionner, il consulta les savants dont les lumieres pouvaient etendre
les siennes, surtout notre celebre M. Evler; en un mot, jainais on n"a vu un auteur
plus rempli de son sujet, plus livre ä cette espece d'enthousiasme qui persuade
qu'il n'y a rien de niieux que ce qu'on fait, et qu"on le fait le niieux qu'il est
possible de le faire«.
4fi2 Die wissenscliaftliclie Bedeutung der Akademie Friedrich's II.
Andeutungen, die sicli auf das Verliältniss Frikdrich's zum deutschen
Geist beziehen und indirect auch die Akademie betreffen.
Obgleich der König nacli wie vor die in deutscher Sprache
geschriebenen Bücher ignorirte, oder sie nur eines llüchtigen Bücks
würdigte, beschäftigte ihn in den letzten zehn Jahren immer leb-
hafter das Problem , wie sich die deutsche Sprache und der deutsche
Geist in Zukunft entwickeln werde. Unverständlich ist das wahr-
lich nicht! Er, «die gekrönte Eealität«, er, der nach dem schönen
Worte Goethe's durch seine Thaten den wahren und höheren,
eigentlichen Lebensgehalt der deutschen Poesie gegeben, der ihr
eine Epopöe geschaffen hatte, wenn auch nicht in der Form eines
epischen Gedichts — er musste doch auf Wirkungen seiner Schöpfung
hoffen und sie suchen. Je mehr er den französischen Geist sinken
sah, desto natürlicher war es, dass sich seine Hoffnungen für die
Zukunft auf den deutschen richteten. Er hoff'te wirklich, aber ohne
zu wissen, wie Hülfe kommen könne; denn noch im Jahre 1775,
in dem berühmten Brief vom 24. Juli an Voltaire \ beurtheilte er die
deutsche Sprache als ein unvollkommenes und unverbesserliches In-
strument des Geistes und den deutschen Geschmack als barbarisch.
Aber dann, nachdem er die staatswissenschaftlichen Schriften der
Deutschen und ihren Leibniz gerühmt, fährt er fort:
* «L'Allemagne est actuellement comme etait la France du temps de
pRANgois I. Le goüt des lettres conimence a se repandre; 11 taut attendre que
la nation fasse naitre de vrais genies, conune sous les ministeres des
Richelieu et Mazarin. Le sol qui produit un Leibniz en peut jiroduire
d'autres. Je ne verrai pas ces heaux jours de ma patrie, mais j'en prevois
la possibilite.«
Dieser Ausblick der Hoffnung ging ihm nicht mehr verloren. Es
stand ihm fest — die deutschen Genies werden kommen, und, wenn
sie kommen, werden sie sich ihrer ungefügen Sprache bedienen und
deutsch schreiben! Sie werden diese Sprache verbessern; zu wün-
schen ist, dass sie sie schon als verbesserte finden. Gesichtspunkte
anzugeben, wie das geschehen könne, ist die Aufgabe der Abhand-
lung, mit der der König die Nation und das Ausland überraschte:
»De la litterature allemande, des defauts qu'on peut lui reprocher,
quelles en sont les causes, et par quels moyens on peut les corriger^«.
Dass dieser Tractat auf Grund einer ganz ungenügenden Kennt-
niss des Zustandes der deutschen Litteratur geschrieben ist, dass der
' Oeuvres T. 23 p. 335ft'.
^ ffiuvres T.7 p. 91 ff. (vom Jahre 1780); vergl.SuPHAN, Friedrich's des Grossen
Schrift über die deutsche Litteratur. 1888.
Dei' König und die deutsche Litteratur. 46 B
König" noch immer Poesie nur in den Formen der lateinischen und
französischen Kunsti:)oesie anzuerkennen vermag, dass ihm alles Natur-
%vüchsige, Volksthümliche , wahrhaft Geniale als ungebändigte Zucht-
losigkeit erscheint S ist nur zu deutlich. Deutlich ist auch, dass sich
seine Rath schlage und Correcturen grösstentheils auf einen Zustand
der deutschen Litteratur beziehen, wie er fünfzig Jahre früher be-
standen hat. Was der Abhandlung ihren Werth verleiht, ist ein
Doppeltes, erstlich ihr Schluss, die herrliche, Avahrhaft proplie-
tische Zuversicht zur deutschen Sprache und zum deutschen Geiste,
die der König ausspricht", sodann die Gegenwirkung, welche die
Kritik Friedrich's entfesselt hat. Eben weil der König ein ganz
kümmerliches Bild gezeichnet und dazu überlebten Anschauungen das
Wort geredet hatte, trat diesem Tractat gegenüber plötzlich der Welt
vor Augen, was der deutsche Geist in dem letzten Menschenalter
bereits geleistet hatte, und was die deutsche Sprache vermochte.
Die schärfste Beurtheilung kam aus Frankreich. Der Deutsch-
franzose, Baron von Grimm, erklärte, der König habe vom Deutschen
^ Man weiss, wie er das Nibelungenlied verurtheilt (duvres T. 27, 3 p. 233)
und wie er Shakespeare verworfen, bez. wohlwollend entscluildigt hat. In der
Abhandlung über die deutsche Litteratur nennt er Goethe's »Goetz« eine »imitation
detestable de ces mauvaises pieces anglaises«. Das erste anerkennende Woi-t über
Shakespeare in der Akademie ist übrigens meines Wissens von Forsiey in der
öffentlichen Sitzung am 23. August 1787 (Memoires 1786/87 j). 24) gesprochen worden,
freilich ist es noch sehr bedingt: »Le goüt national«, sagt er, »peut rendre certaines
preventions immuables et indestructibles. C'est, si je ne me trompe, le cas de
Shakespeare; mais , jjour etre equitable, il faut convenir que ce poete dramatique
rachete des defauts revoltants, de vrais delires, par des beautes superieures , par
des traits sublimes, qu'on peut comparer :i des eclairs qui sortent du sein d'une
nuee obscure«.
^ Die Worte lauten: "... Toutefois ceux qui viennent les derniers, surpassent
quelquefois leurs predecesseurs; cela pourra nous arriver plus promptement qu'on
ne le croit. . . . Nous aurons nos auteurs classiques; chacun, pour en profiter, voudra
les lire; nos voisins apprendront l'allemand; les cours le parlei'ont avec delice; et
il pourra arriver que notre langue polie et perfectionnee s'etende, en faveur de
nos bons ecrivains, d'un bout de l'Europe a l'autre. Ces beaux jours de notre
litterature ne sont pas encore venus; mais ils s'approchent. Je vous
les anno nee, ils vont paraitre; je ne les verrai pas, mon äge m'en interdit l'espe-
rance. Je suis comme ]Moise: je vois de loin la terre promise, mais je n'y entrerai
pas« (vergi. dazu den Brief an d'Alembert vom 6. Januar 1781, Oeuvres T. 25 p. 171).
Angesichts dieser Worte begreift man den Ausruf Denina's (Essai p. 404^): »Que
n'aurait-il pas fait, cet heureux genie, s'il se füt mis ä parier et ä ecrire dans cette
langue I On le citerait pour longtemps comme le premier auteur classique«. Un-
mittelbar vorher berichtet er, der Abt Jerusalem habe bezeugt, dass sich der König-
in der deutschen Unterredung mit hoher Eigenthümlichkeit und Kraft auszudrücken
vermocht habe.
4b4 Die wisseiischaftliclu' Bede,utung der xVkadeinic FRiEDRicir.s IL
Avie der Blinde von den Farben gesprochen, setze Zustände in
Deutschland voraus, wie sie vor 60-80 Jahren geherrscht hätten,
und verkenne völlig, dass »la pluj)art des ecrits de sa patrie valent
mieux que toutes ces brochures insipides qu'on voit paraitre a Paris,
et Oll les idees de quelques grandes tetes sont repetees en mille
manieres diverses«. Aber auch ein Akademiker, Hertzberg, hat
einen freimüthigen Protest erhoben. Er wiegt um so schwerer,
als ihn Hertzberg direct an den König gerichtet hat'. Bereits
kurz vor dem Erscheinen des Tractats hatte es der König ihm
gegenüber bezweifelt, dass sich Tacitus so genau und treffend in's
Deutsche übersetzen lasse, wie in das Französische. PIertzberg
hatte ihm darauf die Übersetzung eines Capitels übersandt, gegen
die der König nichts einzuwenden vermochte; er bezweifelte aber,
dass sich andere Capitel ebenso gut übersetzen liessen. Bald
darauf theilte ihm Friedrich den Tractat »De la litterature alle-
mande« mit und wünschte, dass Hertzberg ihn zum Drucke beför-
dere. Dieser, der die Kritik des Königs an der deutschen Sprache
ungerecht fand, übersandte zunächst die deutsche Übersetzung eines
sehr schwierigen Abschnitts bei Tacitus. räumte ein, dass die
deutsche Sprache einer Reinigung bedürfe , beharrte aber dabei,
dass sie jeden Gedanken treffend wiederzugeben vermöge. Friedrich
war von der Übersetzung in hohem Maasse befriedigt und erklärte,
seine Beurtheilung der deutschen Sprache sei vielleicht zu hart.
Allein er übergab dann doch den wesentlich unveränderten Tractat
Hertzberg zur Drucklegung und Übersetzung in's Deutsche. Die-
ser machte im Interesse der deutschen Nation einige thatsächliche
Ausstellungen, die dem Könige nicht angenehm waren — er ge-
nehmigte sie nicht. Als Hertzberg sie wiederholte, verbat er sie
sich in ärgerlichen Worten. Wenige Wochen später sandte er die
vorsichtige Apologie der deutschen Litteratur, die der Abt Jerusalem
gegen den Tractat verfasst hatte, an Hertzberg, damit er ihm be-
richte. Dieser schrieb dem Könige zurück (3. Januar 1781): »Le
Memoire de l'Abbe Jerusalem a son merite, et me parait ecrit avec
verite, modestie et purete ... II convient que la langue allemande
cede ä la langue frangaise en harmonie; mais il soutient qu'elle la
surpasse en force, et qu'elle est tont aussi harmonieuse que
la langue grecque ... II soutient enfin que, depiuis le regne de
V. M. et depuis le grand exemple qu'elle a donne ä toute l'Europe
^ Siehe die Correspondenz im 24. T. der GEuvres p. 341 ff.
Hertzberg's Beniüliungen um die deutsche Sprache und Litteratur. 465
de la culture de toutes les sciences , la litterature et la langue
allemande avait pris un essor qui liii promettait en peii
la preferenee sur Celles des autres nations.«
In diesen Worten hat Hertzberg in würdigster Weise auch
seine eigene Meinung ausgesprochen, und der König verübelte ihm
seinen Freimuth nicht \ Kein Zweifel, der deutsche Geist regte
sich und trat, wenn auch nicht aus der Mitte der Akademie her-
aus, so doch in einem Ehrenmitglied, dem Könige bescheiden aber
fest entgegen, jenem Könige, der, an die gallisch -lateinische Bil-
dungsform gekettet, doch die Fundamente eines wirklichen Deutsch-
lands gelegt und seine Nation geliebt hat. Nicht für immer soll
sie in die französische Schule gehen, auch nicht für immer soll
ihre Akademie französisch bleiben — Friedrich sah als Prophet die
Zeit voraus, da sie deutsch werden würde; dass diese Zeit bereits
gekommen sei, davon liess er sich nicht überzeugen. Die Erfah-
rungen der nächsten Folgezeit haben ihm Recht gegeben: in Berlin
waren zunächst die Bedingungen für eine führende, rein deut-
sche Akademie noch nicht vorhanden. Man versuchte, sie zu
schaifen: aber es dauerte noch fünfundzwanzig Jahre, bis man sie
heraufzuführen vermochte.
Viertes Capitel (Anhang).
Der Personalstand, die Publicationen, die äusseren Ein-
richtungen und der Etat der fridericianischen Akademie
(1746-1786).
1. Curatoren.
[Seit dem Jahre 1743/44 von Schmettau, von GorTER, von Viereck , von Borcke,
dann an Gotter's Stelle von Arnim.]
13. April 1747. Maupertuis zeigt an, dass der König an Stelle
VON Viereck's , der resignirt hatte , und von Borcke's (-|-) den
General von Stille und den Oberstlieutenant von Keith zu
Curatoren ernannt habe.
7. October 1751. An Stelle von Schmettau's (f) wird der Hofmar-
schall VON Redern ernannt.
' Es ist meines Erachtens unstatthaft, in der Antwort vom 4. Januar 1781
auch nur eine Spur von Ironie sehen zu wollen.
Geschichte der Akademie. I. 30
4()6 Dei- Pc^rsonalstand der AkndciuH' unter Fkiedrhji II.
23. November 1752. von Cagnoni tritt mii die Stelle von Stille's (f);
VON Gotter kehrt 1749 (1750) nach Berlin zurück und ninnnt
seine frühere Stellung wieder ein; von Arnim f 1753. Seit-
dem sind die vacanten Curatoren- Stellen nicht wieder be-
setzt worden (1757 sind es nur noch drei Curatoren [Keitii
fehlt], 1762 nur noch zwei: von Redern und von Cagnoni),
so dass von 1764/65 an Redern (f i. Juli 1789) der ein-
zige Curator der Akademie bis zu Friedrich' s Tode gewesen
ist. Übrigens bedeutete der Posten bereits seit 1747 wenig,
seit 1753 gar nichts melir.
2. Präsident.
[Maupertuis, seit dem i. Februar 1746.]
27. Juli 1759. Maupertuis f (geb. 28. September 1698). Nach seinem
Tode hat der König keinen Präsidenten ernannt. In den
letzten Jahren Maupertuis' und bis gegen 1765 hat Euler
den grössten Theil der Präsidialgeschäfte geführt. Heim-
licher Präsident war vom Herbst 1763 bis October 1783
d'Alembert in Paris. Nach ilim hat Condorcet kurze Zeit
den König berathen. Ein Theil der Präsidialcompetenzen
ging seit 1765 auf die Directoren und die »Oekonomische
Commission« über (s. unten sub Nr. 5).
3. Directoren l
[Seit 1743/44 Eller, Euler, Heinus, d'Argens, Elsxer-.1
8. October 1750. Nach Elsner's Tode ist d'Argens allein Director
der Klasse der Beiles -Lettres.
18. September 1760. Marggraf wird zum Director der physikalischen
Klasse gewählt an Eller's Stelle^ (f den 13. September 1760).
1 Die Curatoren und die vier Dii'ectoren unter Leitung des Präsidenten bil-
deten zusammen das ..Directorium.< — so zur Zeit Maupertuis'. Dann schrumpfte
es, als die Curatoren bis auf einen ausgestorben waren (der sein Amt als ein
nominelles betrachtete), zu einem Collegium der vier Klassen -Directoren zusammen.
Da ein Präsident fehlte, so steigerte sich die Competenz dieses Collegiums, aber
andererseits verlor es an Bedeutung, da der König in wissenschaftlichen und Per-
sonal-Fragen selbst die Leitung in der Hand behielt, und da die ökonomischen
Angelegenheiten einer besonderen Commission zugetheilt wurden.
2 Die Klasse der Beiles -Lettres hatte ursjn-ünglich zwei Directoren, einen
deutschen xmd einen französischen.
^ Gegen die Wahl Marggraf's reichte Pott am 16. October 1760 einen schrift-
lichen Protest ein. den Euler verlas. Am 30. October wurde er (zusammen mit
Francheville und Sack) (juiescii't. d. h. zum "Veteran« erklärt.
Der Personalstand der Akademie unter Friedrich II. 46/
2. October (6. November) 1766. Lagrange wird Director der mathe-
matischen Klasse, an Stelle Euler's, der nach Petersburg
zurückgekehrt war.
7. (8.) Februar ijji- Mekian (er hatte bisher der philosophischen
Klasse angehört) wird Director der Klasse der Beiles -Lettres,
d'Argens folgend, der am 13. Januar 1771 gestorben war.
1776. Sulzer wird Director der philosophischen Klasse an Heinius'
Stelle (f 8. August 1775). Nach Sulzer's Tode (25. Fe-
bruar 1779) lässt Friedrich die Stelle unbesetzt (das Nähere
s. oben S. 383).
1782. F. Ch. Achard wird Director der physikalischen Klasse (Marg-
graf war am 7. August 1782 gestorben).
4. Secretar.
{Seit dem 11. März 1733 von Jariges.]
Anfang 1748. Formey (Historiograph seit Juni 1745) wird Secretar
an VON Jariges' Stelle, der das Amt niedergelegt hatte und
am 27. November 1755 Ehrenmitglied wurde. Formey über-
lebte als Secretar den König.
5. Oekonomische Commission \
21. Februar 1765. Der König ordnete eine «Oekonomische Commis-
sion« an zur Reform der Administration der Akademie;
Euler, Merian, Sulzer, de Beausobre, de Castillon und
Lambert wurden gewählt. Die Stellen von Euler (1766),
Sulzer (i 779), de Beausobre (i 783) wurden in der Commis-
sion nicht wieder besetzt, wohl aber die Lambert's (i 777)
durch Lagrange.
6a. Ordentliche Mitglieder.
[Nach dem Tage ihrer Aufnahme geordnet.]
[Im Februar 1746 bildeten die Akademie: Eller (geb. 29. No-
vember 1689), Buddeus (geb. 7. August 1695), Carita (geb. 13. Oc-
tober 1676), Francheville (geb. 18. September i 704), Gleditsch (geb.
5. Februar 17 14), Lieberkühn (geb. 5. September 171 1), Ludolff sen.,
Ludolff jun. (geb. 5. März 1707), Marggraf (geb. 3. März 1709), Pott
(geb. 1692), Schaarschmidt, Sprögel (geb. 24. April 1699), Euler
^ Über die Umstände, die zur Niedersetzung dieser Commission geführt
haben, s. oben S. 363.
30*
468 Der Personalstand der Akademie unter Friedrich II.
(geb. 15. April njoj), Grischow seil. (geb. i3.December 1683), Hum-
bert (geb. April 1689), Kies (geb. 1 4. September 17 13), Heinius (geb.
6. Januar 1688), A. Aciiard , der Hofprediger (geb. 2 i . December 1 696),
F. Achard jun. (geb. 23. Juli 1699), Formey (geb. 31. Mai 171 1), von
Jariges (geb. 13. November 1706), Sack (geb. 4. Februar 1703), Stu-
benrauch, d'Argens (geb. 1704), Elsner (geb. März 1692), Hering,
Küster (geb. Jamiar 1695), Pelloutier (geb. 2 7.0ctober 1694), Süss-
MiLCH (geb. 3. September 1707).
2. November 1747. Beguelin (geb. 25. Juni 1714, f 3. Februar 1789).
4. Juli 1748. La Mettrie (geb. 1709, f 11. November 1751); Bec-
MANN (geb. 18. Januar 1694, f 3. December 1760); Battier (er
verliess die Akademie nach kurzer Zeit und ging zu den Herrn-
liutern); Passavant (er verlor seine Stelle am 26. April 1750).
S.Mai 1749 bez. Frühjahr 1750. Meckel (geb. 31. Juli 1724, resi-
gnirte im Herbst 1773, t 18. September 1774).
23. October 1749. Grischow jun. (geb. 29. September 1726, ging
1750 ohne Erlaubniss nach Petersburg und wurde auf Be-
fehl des Königs aus den Listen gestrichen, f 4. Juni 1760).
9. April I 750. Merian (geb. 28. September i 723 , f i 2. Februar i 807).
II. Juni 1750. d'Arnaud (er wurde auf Voltaire's Betreiben vom
König nach kurzer Zeit entlassen und kehrte nach Paris
zurück).
29. October 1750. Sulzer (geb. 16. October i 720, f 25. Februar i 779).
17. Juni 1751. Le Fevre, Ingenieur- Oberstlieutenant (wird 1752 bei
den Ehrenmitgliedern geführt, f vor 1770); Gh. L. de Beau-
soBRE (geb. 24. März 1690, -f 10. März 1753).
29. Juni 1752. DE Premontval (geb. 16. Februar 17 16, f 2. Septem-
ber 1764).
5. October 1752. Jacobi (geb. 8. Mai 1724, 7 im Felde bei Olmütz
1762).
18. September 1754. Lehmann (er ging 1761 nach Petersburg, f
22. Januar 1767); Kies, vorher Associe (geb. 14. September
17 13, ging im Jahre 1754 nach Tübingen, f 29. Juli 1781).
6. December 1754. Euler jun. (geb. 27. November 1734; er ging im
Mai 1766 mit seinem Vater nach Petersburg, f 6. Septem-
ber 1800).
27. Februar 1755. L. de Beausobre (geb. 22. August 1730, f 3. De-
cember I 783).
17. April 1755. Aepinus (geb. 13. December 1724, er ging 1757 nach
Petersburg, f 10. August 1802).
Der Persona Istaiid der Akademie unter Friedrich II. 469
15. Jainiar 1756. Huber (geb. 27. August 1733, er kehrte nacli we-
nigen Monaten in seine Vaterstadt Basel zurück , f 2 i . August
i798)\
7. Februar 1760. de Catt (geb. 14, Juni 1725, j 27. November 1795).
30. Oetober 1760. Brandes, vorher Associe [j 19. Mai 1776). Ro-
LOFF, vorher Associe (f 26. December 1800)"".
Am 6. Januar 1764 wurde der Akademie eröffnet, »que l'in-
tention de S. Maj. etait qu"on ne recüt a FAcademie aucun membre
jusqu'ä ce qu'Elle eüt nomme un President, et qu'EUe se reser-
vait pour le present le droit de nommer Elle seule jusqu'ä ce temps
les membres que l'Academie recevrait«. Der König aber ernannte
keinen Präsidenten, und somit sind die folgenden 21 Mitglieder
sämmtlich von ihm selbst erwählt worden.
5. Januar 1764. Quintus Icilius d.h. Guischard (geb. 24. September
1724, f 13. Mai 1775); J. Bernoulli (geb. 4. November 1744,
f 13. Juli 1807); DE Castillon sen. (geb. 15. Januar 1708, seit
4. September 1755 auswärtiges Mitglied, f 11. Oetober 1791).
8. November 1764. Toussaint (geb. 21. December 17 15, seit 4. März
I 7 5 I auswärtiges Mitglied ,722. Juni 1772).
10. Januar 1765. Lambert (geb. 26. August 1728, j 25. September
1777)-
18. April 1765. Thiebault (er ging 1785 nach Frankreich, f 5. De-
cember 1807).
29. Mai 1766. Bitaube (geb. um 1730; er ging nach Frankreich,
-|- 22. November 1808).
2. Oetober I 766. Lagrange (geb. 25. Januar i 736, seit 2. September
1756 auswärtiges Mitglied, er ging 1787 nach Paris, f
10. April 18 13).
13. November 1766. Weguelin (geb. 19. Juni 1721, f 7. September
1791).
23. September 1768. Pernety (geb. um 1720, er ging 1783 nach
Frankreich zurück, 7 1801): C. A. Gerhard (geb. 26. Februar
1738, f 9. März 182 i).
^ Diese 20 Mitglieder sind von Maupertuis aufgenommen worden; von ihnen
haben nicht weniger als neun die Akademie wieder verlassen (die meisten nach
kurzer Zugehörigkeit); ferner haben sechs (La Mettrie, Becmann, Jacobi, Le Fevre
und die beiden Beausobre) ihr nur geringe oder keine Dienste geleistet. Nur Beguelin,
Meckel, Merian, Premontval und Sulzer sind ihr treu geblieben und haben
geai'beitet.
- Diese drei Mitglieder sind unter Euler's Leitung aufgenommen woj-den.
470 T>or Persoii;i]st;ui(l dvy Akademie unter Friedrich II.
26. April 1770. CocHius (geb. 28. Januar 17 18, f 28. April 1779)'.
15. October 1772. Borrelly (geb. 1738. f 1792)-
2. December 1773. Walter sen. (geb. i. Juli 1734, f 4- J''^"uar 1818).
21. Juli 1775. Moulines (geb. 30. April 1728, f 14. März 1802).
15. Juni 1776. F. Ch. Achard (geb. 28. April 1753, f 20. April 1821).
4. Juli 1776. Henkel (geb. 4. März 171 2, f 2 i . Juli 1779).
16. October 1777. Jon. Carl Schulze (geb. 1749, f 9. Juni 1790).
7. Sei^tember 1780. Prevost (geb. 3. März 1751, kehrte 1784 nach
Genf zurück, f 8. April 1839).
7. November 1782. Denina (geb. 1731, f 5- December 18 13).
23. Februar 1783. d'Anieres (geb. 9. December i 736, f 6. April 1803).
Die Zahl der ordentlichen Mitglieder betrug nach dem Kniender
für das Jahr 1737 zweiunddreissig, für 1750 fünfunddreissig,
für 1756 dreiunddreissig; sie sank dann während des Sieben-
jährigen Krieges bis auf einundzwanzig, stieg wieder zwischen
1763 und 1775 bis auf siebenundzwanzig und fiel bis 1786 auf
achtzehn. Die physikalische und die philologische Klasse waren
stets die stärkeren; die mathematische und die philosophische sanken
^ In dem Sitzungsprotokoll vom 7. Februar 177 1 heisst es: »On proposera
au roi le juif Mosks [Mendelssohn] pour la place de membre ordinaire de la classe
de Philosophie speculative vacantC"; ferner in dem Protokoll vom 14. Februar 1771 :
der Secretar zeigt an, dass S. Maj. auf das letzte Schreiben der Akademie nicht
geantwortet habe. In der Sitzung vom 26. September 177 1 kam man wieder auf
die Frage der Besetzung der philosophischen Stelle zurück: i'Peut-on faire mention
de Moses Mendelssohn?« Die Majorität entschied sich dafür, ihn noch einmal zu
nennen. Allein man fand doch nicht den Muth, den Beschluss auszuführen, son-
dern schlug dem Könige Garve, Spalding und Gualtieri (Geheimrath bei der in
Köpenick residirenden verwittweten Prinzessin von Württemberg) zur Auswahl vor.
Weiteres enthalten die Protokolle nicht. Der König liess die Stelle bis 1783 un-
besetzt; dann erhielt sie d'Anieres. TIiiebault erzählt, Friedrich habe Mendels-
sohn nicht aufnehmen wollen, um die Kaiserin Katharina nicht zu beleidigen,
"hinter die Mendelssohn [in den Listen] sofort gekommen wäre«. Letzteres ist
nur richtig, wenn man die Kaiserin in die Reihe der ordentlichen einheimischen
Mitglieder einrechnet. Bartholmess (I p. 226) erzählt, ohne seine Quelle anzugeben,
auf der ersten Vorschlagsliste habe Mendelssohn's Name an erster Stelle gestanden;
»en la recevant, le roi se fache, repond brusquement par une lettre dure, recom-
mande de mettre plus de soin aux listes qu'on lui adresse, et ordonne d"en former
une nouvelle. Sur la seconde il n'y eut qu'un nom de change: Mendelssohn y
fut maintenu par l'Academie, mais il fut repousse par Frederic. »J'en serais fache «,
dit l'auteur des Matinees, «si c'etait TAcademie tpii n'eüt pas voulu me recevoir.«
Die Ablehnung des Königs erklärt sich lediglich aus Mendelssohn's Judenthum:
man hat daher nicht nöthig, darauf zu verweisen, dass der Philosoph ein Verth ei-
diger LEiBNizens und Wolff's gewesen ist und von Voltaire wenig wissen wollte.
Übrigens schätzte I'riedrich den Philosophen persönlich hoch und hat sich auch
mehrmals mit ihm freundlich unterhalten.
Der Personalstantl der Akademie unter Friedrich IL 471
bis auf je vier und drei, ja bis auf zwei Mitglieder herab. Die
Zahl der geborenen Franzosen war in der Akademie nie sehr be-
deutend; aber sie und die Franzosen der Berliner Colonie zusammen
bildeten doch ein gutes Drittel. Unter den Akademikern, die seit
1747 aufgenommen worden sind, ist ausserdem ein Fünftel Schweizer
gewesen. Im Todesjahr Friedrich's waren unter den 1 8 Mitgliedern
fünf Deutsche (Gerhard, Gleditsch, Roloff, Walter, Schulze), fünf
Schw^eizer (Bernoulli, Gatt, Merian, Weguelin, auch Castillon ist
hierher zu rechnen), vier preussische Hugenotten (Achard, d'Anieres,
For3iey, Moulines), drei Franzosen (Lac4range, Beguelin, Borrelly)
und ein Italiener (Denina).
6b. Ordentliche Mitglieder.
[Nach dem Todestage geordnet ^]
I. Vor Maupertuis' Präsidentschaft.
24. Juli 1744. DES ViGNOLEs, Elogc 1745, vou FoRMEY vcrfasst"'.
December 1744. Lamprecht, Eloge 1745.
17. Januar 1745. Naude, Eloge 1746.
23. Mai 1745. Jordan, Eloge 1746, vom Könige verfasst.
16. September 1745. Wagner, Eloge 1746.
2. Unter Maupertuis" Präsidentschaft.
17. Juni 1747. Schaarschmidt.
10. November 1 749. Grischow sen., Eloge in Formey's Hist. de l'Acad.
p. 222 ff.
8. October 1750. Elsner, Eloge 1750.
1 1. November 1751. La Mettrie, Eloge 1750, vom Könige verfasst.
10. März 1753. Gh. L. DE Beausobre, Eloge 1753.
25. December 1753. Buddeus, Eloge 1753.
30. Juli 1756. LuDOLFF jun.
7. December 1756. Lieberkühn. Eloge 1756.
1 6 . August 1756. Garita , Eloge 1756.
2. October 1757. Pelloutier, Eloge 1757.
3. Nach Maupertuis" Tode.
2 7 . Juli 1759. Maupertuis , Eloge 1759.
18. Mai 1760. Sprögel, Eloge 1760.
13. September 1760. Eller, Eloge 1761.
^ Die Todestage der ausgeschiedenen Mitglieder sind hier nicht verzeichnet.
^ Die Eloges, bei denen kein Verfasser angeführt ist, sind sämmtUcli von
FoRMEY. Die Jahreszahl giebt den Band der Memoires an, in denen das Eloge ab-
gedruckt ist.
472 Der Pers()ii;ilst;iii(l der Akademie unter Frieduicu 11.
3. Dcceml)er 1760. Becmann, Eloge 1761.
12. Januar 1761. Humbkrt, Eloge 1762.
1762. Jacobi, Eloge 1762.
22. October 1763. Christian Friedrich Ludolff sen., Eloge 1764.
2. September 1764. Premontval, Eloge 1765.
2 2 . März 1766. SussBiiLCH , Eloge 1767.
9. November 1770. de Jariges, Eloge 1771.
1 2. (13.) Januar 1771. d'Argens, Eloge 1771.
2. Mai 1772. A. Ach ARD, Eloge 1772.
2 2 . Juni 1772, ToussAiNT , Eloge 1773.
18. September 1774. Meckel, Eloge 1775.
13. Mai 1775. QuiNTüs IciLius (Guischard), Eloge 1776.
S.August 1775. Heinius, Eloge 1776.
28. März 1776. Küster, Eloge 1776.
19. Mai 1776. Brandes.
29. März 1777. Pott , Eloge 1777.
25. September 1777. Lambert, Eloge 1778.
25. Februar 1779. Sulzer, Eloge 1779.
28. April 1779. Cochius, Eloge 1780.
21. Juli 1779. Henkel, Eloge 1780.
9, Mai 1781. Francheville, Eloge 1782, von seinem Solme, Canonicus
in Glogau.
28. April 1782. Fr. Achard, Eloge 1782.
7. August 1782. Marggraf, Eloge 1783.
6. Januar 1783. Uhden, Fiscal, Eloge 1783.
3. December 1783. L. de Beausobre, Eloge 1784.
April 1786. Sack, Eloge 1786.
7. Ehrenmitglieder ^
Im Jahre 1746 ausser den vier (Vuratoren (von Schmetpau [1750], von Arnim
[1754], von Viereck I1760] und von Borcke [1747]) Graf von Gotter [1763],
Graf von Podewils [1761], Graf von Münchow [1754], Generalmajor von Goliz
[1747I, VON PÖLI.NIIZ, von KeVSERLINGK [1746], VON SwEER IS ll757l, VOCKERODI-
[1755], VON IvNor.ELSDORFF [1752], Graf VON FiNCKENsiEiN [1801], Gcueraladjutant
VON BoRCKE, VON Kehh [1756], General von Stim.e I1751], Duhan de Jandun [1746],
VON Bredow [1758], Gi'af von Dohna [1752], Darget, Bielfeld [1770].
30. Mai 1747. Graf Algarotti.
7. September 1747. von Redern.
^ Die in eckigen Klammern beigesetzte Zahl bezeichnet den Jahrgang der
Memoires, in welchem das Eloge steht. Von den 24 Eloges sind 14 von Forme v,
vier vom Könige ((roi/rz. Dihan, Spille . Knobelsdorff), drei von Maupertuis
Der Personalstaiid der Akadoinie unter Fuikdrich II. 47o
11. Juni 1750. VON Marschall.
4. September 1750. Marschall von Keith [1760].
7. October 1751. de Cagnonl
8. Juni 1752. Graf von Borcke.
7. September 1752. von Hertzberg.
6. December 1754. von Borcke; von Danckelmann [1765]; von Mas-
sow,
I. April 1756. Abbe de Prades (seit dem 10. Mai 1753 ^^'^^' ^^' ^^^'
wärtiges Mitglied); der Fürstbischof von Breslau, Graf
von Schaffgotsch.
18. September 1760. Cothenius (seit 9. April 1750 auswärtiges Mit-
glied) [1788/89].
20. December 1764. Prinz Friedrich August von Braunschweig;
Prinz WiLHELBi Adolf von Braunschweig [1771].
10. September 1767, Die Kaiserin Katharina II. von Russ-
land \
23. Juni 1775. Der Minister Waitz von Eschen [1777].
12. September 1776. Der Minister von Zedlitz.
Die Zahl der Ehrenmitglieder sank während der Regierung
Friedrich's II. von 1 7 allmählich auf 6 herab.
8. Auswärtige Mitglieder-.
Die neue Akademie übernahm bei ihrer Gründung am 24. Januar
1744 von der alten Societät 84 auswärtige Mitglieder; es befan-
den sich unter ihnen Barbeyrac, Celsius, Gottsched, Maupertuis,
(IVEYSERLINGK, SCHMET TAU , BoRCKe), silieS VOM ReDERN (BrEDOW), cilieS VOIl
MÖHSEN (Cothenius) und eines von Merian (Finckenstein).
^ Ob der 10. September der Tag ist, an welchem die Kaiserin die Annahme
der Wahl ausgesprochen hat oder an welchem ihr Antwortschreiben bei der Aka-
demie eingegangen ist. lässt sich nicht entscheiden (s. Memoires 1770 p. 19). Am
3. December 1767 empfing die Akademie die von der Kaiserin verfasste »Instruction
pour la reformation des lois de la Russic", welche die Kaiserin in deutscher Über-
setzimg dem Könige ühersandt hatte. Der Secretar legte zugleich den Entwurf eines
Dankschreibens vor. Am 21. Januar 1768 theilte derselbe mit, der König habe an-
geordnet, die Akademie solle der Kaisex'in die Qualität eines (wirklichen) Mitgliedes
ofteriren (Sitzungs -Protokolle). Weiteres über den Verlauf der Sache ist aus den
mir bekannten Acten nicht zu ersehen. In der That aber wurde die Kaiserin in
den Listen der Akademie nun nicht unter den Ehrenmitgliedern, sondern an der
S})itze der auswärtigen wirklichen Mitglieder geführt.
^ Vergl. besonders den Jahrgang 1770 der Memoires. Nur di-ei auswärtige
Mitglieder haben ein Eloge in der Akademie erhalten, nämlich Jean Bernoulli
[1747], Montesquieu [1754] und X'oltaire [1778]. jene beiden von Maupertuis,
dieser vom Könige.
474 Dri- Pcrsouiilstniid der AkadciiiiL' unter Friedrich II.
Michaelis, Reaumur, Sloane, Chr. Wolfe. Die Zahl der iiiclit-
(leutscheii Mitglieder war gering, die der berühmten Gelehrten nicht
gross.
1744 — 1746 (d.h. bis zu Maupertuis' Antritt als Präsident) wurden
von der neuen Akademie aufgenommen: der Marquis d'Ar-
GENSON in Paris; d'Arnaud in Dresden; Nie. Bernoulli in
Basel: Buefon in Paris; Clairault in Paris; Le Fevre in
Berlin ; Iken in Bremen : Krafft, von der Petersburger Aka-
demie; DE Lalande in Paris: Le Monnier in Paris; Waitz
in Cassel: Walmesley in Paris: Wernsdorff in Danzig\
2. Juni 1746. d'Alembert in Paris.
Q.Juni 1746. Voltaire [Eloge vom Könige 1778] und Condamine
in Paris.
30. Juni 1746. FoLKES, Präsident der Königliehen Gesellschaft in
London; Graf Carati, Prälat des Grossherzoglichen Ordens
in Florenz und Curator der Akademie von Pisa; Bradley,
Astronom des englischen Königs; Cassini sen., von der
Academie des Sciences zu Paris; Cassini jun., von der Aca-
demie des Sciences zu Paris; Nicole, von der Academie
des Sciences zu Paris; Marinoni, Kaiserlicher Astronom in
Wien; Deparcieux, von der Academie des Sciences zu
Paris; J. Bernoulli zu Basel [Eloge von Maupertuis 1747];
D. Bernoulli zu Basel; Abbe Sallier, von der Academie
Francaise und der Academie des Beiles -Lettres zu Paris;
Montesquieu, von der Academie Frangalse zu Paris [Eloge
A^on Maupertuis 1754]; Horrebow, Astronom des Königs
von Dänemark; Musschembroek , Professor der Mathematik
zu Utrecht; Bourdelin, von der Academie des Sciences zu
Paris; Le Monnier, von der Academie des Sciences zu
Paris; Gesner, Leibarzt des Herzogs von W^ürttemberg; Pem-
BERTON, von der Königlichen Gesellschaft zu London; Linne,
Professor zu Upsala; Stirling, von der Königlichen Gesell-
schaft zu London.
8. December 1746. du Perron de Castera, französischer Gesandter
in Warschau; von Kleist, Decan des Capitels zu Camin;
Zimmermann, Professor der Theologie in Zürich; Cramer,
Professor der Mathematik in Genf; Segner, Professor der
Mathematik in Göttingen ; Schütze , Pastor zu Altona.
^ Maupertuis hat später einigen von ihnen auf s Neue Diplome zugehen lassen:
denn er kümmerte sich weni»; um das, was früher in der Akademie "-eschehen war.
Der Personalstand der Akademie unter Friedrich II. 4/5
2. Februar 1747. Marquis de Paulmy d'Argenson in Paris.
16. Februar 1747. Graf von Keyserlingk, russischer Gesandter in
Dresden.
23. März 1747. Abbe Outhier.
4. Mai 1747. DE MoNCRiF, von der Academie Frangaise zu Paris.
2. November 1747. Fontaine, von der Academie des Sciences zu
Paris; Gresset, von der Academie Frangaise zu Paris.
2i.December 1747. Perard, Hofprediger zu Stettin.
27. Juni 1748. Cardinal Quirini, Bischof von Brescia, Bibliothekar
am Vatican ; Marquis SciPio Maffei zu Verona.
4. Juli 1748. Baumgarten in Halle; Hedelinger, schwedischer Hof-
intendant.
12. September 1748. Graf Zaluski, Grand -Referendaire des pol-
nischen Hofs; Mortimer, Secretar der Königlichen Gesellschaft
in London.
19. September 1748. Graf Rasumowsky, Präsident der Kaiserlichen
Akademie zu Petersburg.
8. Mai 1749. Henault, von der Academie Fran^aise zu Paris; Tru-
BLET. Canonicus zu St. Malo.
2 8 . August I 7 49. Fürst Lobkowitz zu Prag ; Graf von Lippe-Schaumburg.
4. September 1749. von Bilfinger in Stuttart; von Haller, Professor
in Göttingen; König, Professor im Haag [er hat im Juli 1752
sein Diplom der Akademie zurückgeschickt] ; Jacquier, Francis-
caner, Professor der Mathematik in Rom; Le Seur, Francis-
caner, Professor der Mathematik in Rom; Bianconi, Leibarzt
des Bischofs von Augsburg; Ploucket, Professor der Philo-
logie in Tübingen.
23. October 1749. Abbe Terrasson.
4. December 1749. Lord Macclesfield ; de Fontenelle , von der
Academie Francaise und der Academie des Sciences; Abbe
Condillac,
1 1. December 1749. Abbe de Guasco, von der Academie des Belles-
Lettres zu Paris; Abbe de l'Ecluse des-Loges.
5. Februar i 750. Marquis de Tressan, von der Academie des Sciences
zu Paris; Kästner, Professor der Mathematik zu Leipzig.
9. April 1750. Cothenius, Leibarzt des Königs zu Potsdam.
16. April 1750. Don George Juan d'Aliaga; Don Antonio d'Ulloa.
II. Juni 1750. Beris, Astronom zu London.
26. September 1750. de Torres-Castellanos, von der Akademie zu
Madrid.
47C) Der Personalstand der Akademie unter Friedrich II.
29. October 1750. Abbe Raynal.
14. Januar 1751. Mayer, Professor der Philosophie zu Halle ;. Lange,
Pastor zu Laubliugeii ; Gros de Boze, von der Academie Fran-
chise zu Paris.
4. März 1751. Dn)ER0T zu Paris; Tronchin, Arzt zu Amsterdam;
ToussAiNT, Advocat am Parlament von Paris.
17. Juni 1751. Gesner, Pfarrer zu Zürich,
4. November 1751. Unger, Bürgermeister zu Eimbeck ; Altmann, Pro-
fessor zu Bern.
23. December 1751. de Lalande, Astronom zu Paris ^; Baron von
Creutz; Springfeld, Arzt in Weissenfeis.
16, Mcärz 1752. GoDiN, von der Academie des Sciences zu Paris;
Jallobert, Professor der Physik zu Genf; Wetstein, Caplan
des Prinzen von Wales.
15. Juni 1752. ToscHi DE Fagnano, Marquis de S. Onorio; Duclos,
von der Academie Francaise zu Paris; d'Aubenton, von der
Academie des Sciences zu Paris; de Montigny, von der Aca-
demie des Sciences zu Paris; Wetstein, Professor der Ge-
schichte in Amsterdam.
29, Juni 1752. Bertrand, Pastor zu Bern.
5. October 1752. des Landes, Veteran der Academie des Sciences
zu Paris; Venturini, Leibarzt der verw. Königin von Spanien;
Zinn, Professor der Botanik in Göttingen.
19. October 1752. Boehmer, Professor der Medicin in Halle; Hee,
Professor am Marine -Colleg in Kopenhagen.
30. November 1752. von Bredow, Generallieutenant.
10. Mai 1753. Abbe de Prades; von Dreyhaupt, Geheimer Rath;
Ludwig, Professor in Leipzig; Tafinger, Doctor (in Württem-
berg).
28. Juni 1753. VON Kurdwanowski, Kammerherr des Königs von
Polen ; de Chabert , französischer Flottenofficier ; de Cahusac
zu Paris.
18. Juli 1754. Baron Holbach zu Paris; d'Aine, Königlicher Procu-
reur zu Paris; Morgagni, Professor der Anatomie zu Padua;
Collinson, von der Königlichen Gesellschaft zu London.
28. August 1754. Graf TuRPiN, französischer General; de Solignac,
1 Er war. neunzehn Jahre alt, von der Pariser Akademie zur Bestimmung der
Parallaxe des Mondes nach Berlin gesandt worden und hielt sieh bis zum Jahre
1752 dort auf.
Der Personalstand der Akadeinie unter Friedrich II. 4 M
Geheimer Secretär des polnischen Königs; Helvetius, Leib-
arzt der Königin von Frankreich; le Cat, Professor der
Anatomie zu Rouen.
1 8. September 1754. de Cogollin; L. Bertrand in Genf.
15. Januar 1755. A. Mayer, Professor der Mathematik zu Greifs-
wald; Soares de Barros, Astronom zu Lis.sabon; Maty,
Arzt in London ; Sauvages , Professor der Medicin in Mont-
pellier.
20. Februar 1755. de Robieü, Präsident des Parlaments der Bre-
tagne.
27. Februar 1755. Abbe de la Caille.
17. April 1755. DE Secondat, Präsident des Parlaments der Gu-
yenne.
3. Juli 1755. DE Montucla; Graf Roncalli, Präsident des medicini-
schen Collegs zu Brescia.
4. September 1755. de Castillon, Professor zu Utrecht (er wurde
am 5. Januar 1764 ordentliches Mitglied); de St. Albine.
16. October 1755. Der Cardinal Passionei.
23. October 1755. Brandes, Medieiner und Chemiker (er wurde am
30. October 1760 ordentliches Mitglied); Roloff, Mediciner
mit Chemiker (er wurde am 30. October 1760 ordentliches
Mitglied).
20. November 1755. Machnitzky, Kriegsrath in Glogau.
S.April 1756. Der Herzog von Nivernais.
2. September 1756. Salle, Advocat am Parlament von Paris; de la
Grange, Professor an der Artillerieschule zu Turin (er wurde
am 2. October 1766 Euler's Nachfolger als Director der
mathematischen Klasse).
7. September 1758. BL\Ncni, Arzt in Rimini; Schäfer, Pastor in
Regensburg.
Q.November 1758. Hanselmann, Archivar des Fürsten von Hohen-
LOHE.
16. November 1758. Cartheuser, Professor der Anatomie und Bo-
tanik zu Frankfurt a. 0. : Frisi, Professor zu Pisa; LEmEN-
FROST, Professor der Medicin zu Duisburg; Spielmann, Pro-
fessor der Medicin zu Strassburg.
5. April 1759. DE Bayard, Prälat zu Rom.
13. März 1760. J. E. Silberschlag, Pastor zu Magdeburg.
16. October i 760. Huber, Leibarzt des Landgrafen von Hessen-Cassel.
23. October 1760. Franz Zanotti vom Institut zu Bologna; Eusta-
478 Der Personnlstaiid der Akad(;iiiie unter Friedrich IL
cHius Zanotti vom Institut zu Bologna; Caldani, Professor
der Anatomie zu Bologna; de Machy, Chemiker zu Paris;
Lyonet, von der Königlichen Gesellschaft zu London, im
Haag; Lessing in Berlin; Zimmermann, Mediciner in der
Schweiz.
Am 2. April 1761 nahm man einige Wahlen vor und ersuchte
den König um Bestätigung; aber man erhielt bis zur Beendigung des
Krieges keine Antwort; dann antwortete der König am 12. Januar
1764, dass er sich die Auswahl der Mitglieder selbst vorbehalte.
Die Vorgeschlagenen waren Geleert und Lambert (s. das Sitzungs-
Protokoll und oben S. 351); Ersterer ist nie aufgenommen worden.
Letzterer wurde 1765 ordentliches Mitglied.
5. Januar 1764. de Jaucourt, Mitredacteur der Encyklopädie; Hel-
VETIUS.
28. Juni 1764. Watelet; Bourgelat; Abbe d'Expilly.
10. September 1767. Davila.
Januar/Februar 1768. Die Kaiserin Katharina von Russland (s. oben
S.473)-
14. April 1768. de Sozzi, Advocat am Parlament von Paris.
28. April 1768. DE Beaumont, Advocat am Parlament von Paris.
14. September 1769. Messier, Astronom zu Paris.
2. Juli 1772. Marquis Toschi-Fagnano, Archidiaconus in Sinigaglia.
26. August 1773. Graf de la Tour -Rezzonico, Secretar der König-
lichen Academie des Beaux-Arts in Parma.
31. December 1773. Melander, Professor der Astronomie in Upsala.
22. Juli 1774. deVilloison, von der Academie des Beiles -Lettres
zu Paris.
18. Januar 1776. Abbe Spallanzani zu Pavia.
11. Juli 1776. Abbe Toaldo, Professor der Astronomie zu Padua.
13. Februar 1777. Domaschnew, Director der Kaiserlich Russischen
Akademie zu Petersburg.
20. Februar 1777. Lorgna , Ingenieur -Oberst in Venedig.
10. April 1777. Raulin, Königlicher Leibarzt in Paris.
23. September 1779. Casati d'Acri, in Mailand.
22. Juni 1780. Marquis de St. Aubain in Paris: Barthez in Mont-
pellier; ScARPA in Modena.
29. November 1781. Selis, Professor de Beiles -Lettres in Paris.
? ? 1783. Chevalier Landriani.
3. Januar 1784. von Crell in Helmstädt.
14. Juli 1785. Graf Rivarol in Paris.
Der Personalstand der Akademie unter Friedrich IL 4/9
Die Zahl der auswärtigen Mitglieder betrug hei der Neugrün-
dung der Akademie 84, stieg sclmell, so dass sie am Anfang der
fünfziger Jahre 140 hetrug, und hielt sich bis 1764 auf dieser Höhe.
Dnnn sank sie stetig. Im Jahre 1786 waren es nur 64. Die Aus-
länder übertrafen an Zahl die Deutschen immer mehr, so dass diese
zuletzt kaum den 5. Theil der Auswärtigen bildeten. Unter den
65 Mitgliedern, die Maupeetuis von 1746 — 1750 aufgenommen hat,
befindet sich nur ein Dutzend Deutscher. Unter den 79, die von
I 751 — 1760 Mitglieder wurden, sind es 23 (darunter Lessing); unter
den 27, die von 1764 — 1786 aufgenommen worden sind, ist ein
einziger Deutscher.
9. Beamte der Akademie; der Personalstand von 1786.
Das Kalenderwesen leitete als Rendant beim Regierungsantritt
Friedrich's der (Jber-Commissarius David Köhler; es wurde ihm
auch von der neuen Akademie übertragen. Der Berliner Factor
der Akademie war 1744 Pesenecker, Aufwärter der Hof-Polirer
Ende. Bibliothekar war seit dem 7. November 1745 Pelloutier.
Als Copist — später als Secretarius, Registrator und Kanzlist be-
zeichnet — erscheint im Kalender seit 1747 Blume, seit 1749 neben
ihm Jouffroy (für das Französische); statt seiner 1755 Castagne.
Im Jahrgang 1752 ist zum ersten Mal im Personalstande und unter
den Einrichtungen der Akademie die Direction des Botanischen
Gartens aufgenommen; Director ist Gleditsch, Gärtner J. J. Müller.
Im Jahrgang 1753 wird zum ersten Mal ein »Geographus« der König-
lichen Akademie aufgeführt, Rhode; im Jahrgang 1760 erscheint ein
Akademie-Mechanicus, Ring. Als Justitiar der Akademie wird im
Jahrgang 1765 d'Anieres genannt. Im Jahrgang 1766 werden fol-
gende Beamten aufgeführt:
1 . der Justitiar ;
2. der Gärtner (ausser dem Director des Gartens);
3. der Archivar — - Instruction für ihn von 1766^; der erste
war der Akademiker Weguelin; die Stelle wurde neben der
des Bibliothekars geschaffen, die nach Pelloutier's Tode der
Akademiker Merian verwaltete und auch beibehielt, nach-
dem er Director geworden war";
^ Im Akademischen Archiv, Fase: "Pedelle, Anschaffung von Papier, Holz,
Licht, auch Besorgung der Opern -Loge".
- Ein Vorschlag von ihm zur Verwaltung der Bibliothek vom 2, Februar 1769.
480 Der Personalstand der Akademie unter Friedrich IL
4. der Ober-Commissarius und Tresorier ;
5. der Geograph;
6. der Mechaiiicus;
7. der Kanzlist;
8. der Aufwärter;
9. erscheint hier zum ersten Mal «Hr. J. G. Gravius, Hofrath und
Pächter des Kalender- Wesens und der Landkarten, und Hr.
MiTZLAFF, Ober-Commissarius und Pächter der Edicte« (s. unten).
Im Jahrgang 1768 erscheint ein »Naturalien -Maler« der König-
lichen Akademie, Happe; im Jahrgang 1769 ein »Dessinateur« der
Königlichen Akademie, Hopfer; im Jahrgang 1773 unter den Be-
amten zwei Astronomen -Gehülfen DAvm Naude und E. Bode.
Im Jahre 1783 wird Blume's Nachfolger als (Unter-) Secretar
und Registrator J. H. G. Schröder. —
Im Jahre 1786 war der (sehr reducirte) Personalstand der Aka-
demie folgender:
Protector: der König.
Curator: von Redern [»drei Stellen vacant«].
Ehrenmitglieder: der Prinz Friedrich August von Braun-
schweig, die drei Staatsminister Graf von Finckenstein,
VON Hertzberg, von Zedlitz, der Leibarzt Cothenius und
der General-Major Graf von Borcke.
Veteranen: Beguelin und der Ober-Consistorial-Rath Sack
(t 1786).
Physikalische Klasse: Director Achard, Geheimer Bergrath
Gerhard, Botaniker Gleditsch (f 1786), die Mediciner
RoLOFF und Walter.
Mathematische Klasse: Director Lagrange (verlässtBerlin 1787),
Bernoulli, von Castillon, J. C. Schulze.
Philosophische Klasse: Director vacat, d'Anieres und Formet,
Secret. perpet.
Philologische Klasse: Director Merian, Bitaube, Borrelly,
DE Gatt, Denina, Moulines, W^eguelin.
Bibliothekar: Merian ; Justitiar : d'Anieres ; Archivax: W^eguelin ;
Astronom: D. Naude und E. Bode; Tresorier: Lieutenant
^ Im Jahrgang 1773 heisst er: » General -Inspector über sämmtliche Adrefs-
Comtoirs, Obercommissarius und Tresorier der K. Akademie«. Die Stelle bekleidete
noch immer David Köhler; er war auch Kriegsrath geworden. Im Jahre 1757
folgte ihm W.Jordan, dann 1783 von Bailliodz.
Die Pablicationen der Akademie. 4(S1
VON Windheim: Secretär, Registrator und Kanzlist:
Schröder; Gärtner: Müller; Dessinateur: Hopfer;
Mechanieiis : Ring; Aufwärter: Eichholtz\
Auswärtige Mitglieder werden 64 aufgeführt, an ihrer Spitze
die Kaiserin Katharina.
10. Publicationen der Akademie,
I. Von I 746-1 771 für die Jahre 1745 — 1769 erschienen unter
Leitung Formey's 25 Bände unter dem Titel: Histoire de l'Aca-
demie Royale des Sciences et des Belles-Lettres. Annee . . . .,
ä Berlin cliez Haude et Spener I.ibraires de la Cour et de
l'Academie Royale. Der Jahrgang 1745 hat den Zusatz: »de
Berlin. Avec les Memoires pour la meme Annee, tirez des Regis-
tres de cette Academie«.
Die Einrichtung ist nicht gleichmässig. Der Jahrgang 1745
enthält nach einer Widmimg an den König und einer Vorrede eine
kurze Geschichte der Akademie und den Bericht über ihre Erneue-
rung, sodann ausführliche Sitzungsberichte und die Eloges. Daran
reihen sich, besonders paginirt, die Memoires. Der Jahrgang 1746
bringt zuerst eine Geschichte der Akademie für 1745/46 und. dann,
besonders paginirt, die Memoires, an deren Schluss (Classe de Belles-
Lettres) die Eloges stehen. Der Jahrgang 1747 beginnt mit einer
ganz kurzen »Geschichte«, der Ode des Königs und den Eloges,
dann folgen, besonders paginirt, die Memoires. Im Jahrgang 1748
und 1749 fehlt die »Histoire«, obgleich die ganze Publication als
^ Es ist für die Stadtgeschiclite nicht ohne Interesse, die Wohnungen der Aka-
demiker zu wissen. Hier ein Verzeichniss für das Jahr 1786 (nach dem dritten
Anhang S. iff. zu Nicolai's Besclu'eibung der Könighchen Residenzstädte Berhn
und Potsdam ^ Bd. 3):
AcHARD (im Akademiehause, der Sternwarte gegenüber), d'Anieres (Unter den
Linden . in seinem Hause), Beguelin (Hinter der Sternwarte, Stallgassenecke), Ber-
NOULLi (im Akademiehause, der Sternwarte gegenüber), Bitaube (Französische
Strasse, Simon'sches Haus), Bode (Unter den Linden, Tempelhof "sches Haus),
Borrelly (Heiligengeiststrasse, Ritterakademie), Castillion sen. et jun. (Ecke der
Markgrafen- und Französischen Strasse, AcHARo'sches Haus), de Catt (Potsdam),
CoTHEMius (Mühlendamm, Ephraim'sches Haus), Denina (in Begüelin's Haus,
s. oben), Formey (Behrenstrasse, im eigenen Haus), Gerhard (Unter den Linden,
in des Sattler Lilien Haus), Gi-EDrrscH (Unter den Linden, in des Bäcker Geoi-ge
Haus), DE LA Grange (Unter den Linden, im Hause der Präsidentin Görne), ^Iekiax
(Jägerstrasse, Pennavier'sches Haus), Moulines (Unter den Linden, in des D. Richter
Hause), Roloff (bei der Garnisonkirche, in seinem Hause), Sack (Dorotheen-
stadt, letzte Strasse, im eigenen Hause), J.C.Schulze (Neustadt, letzte Strasse),
Walter (LTnter den Linden, im Hessischen Hause), Wegüelin (Ritterakademie).
Geschichte der Akademie. I. 31
482 Die Publicationen dei- Akademie.
»Histoire de FAcadcmie« u. s.w. bezeichnet ist; die Bände enthalten
also nur Memoires. Der Jahrgang 1750 bringt wieder eine Histoire
und die Eloges am Anfang, sodann die Memoires, die aber nicht
besonders paginirt sind. Der Jahrgang 1751 enthält keine »Ge-
schichte« und das Eloge unter den Memoires am Schluss. Der Jahr-
gang 1752 stellt die Eloges voran, paginirt fort und enthält keine
»Geschichte«. Diese fehlt nun überhaupt, während die Eloges seit
1753 immer am Schluss stehen. Von den Antrittsreden der neu
aufgenommenen Mitglieder ist kaum eine gedruckt.
Erschienen ist der Band für 1745 im Jahre 1746, die Bände
1746 — 1757 und 1764 — 1769 immer je zwei Jahre später. Dagegen
hat der Siebenjährige Krieg das Erscheinen der Jahrgänge 1758 bis
1763 so verzögert, dass sie erst 1 765-1 770 erschienen sind; in
den Jahren 1 766-1 770 sind also je zwei Bände gedruckt worden,
während von 1760— 1764 nichts publicirt worden ist.
2. In grösserem Format, besserer Ausstattung und besserem
Druck erschienen von 1772-1788 für die Jahre 1770-1786 eben-
falls unter Forbiey's Leitung 17 Bände unter dem Titel: Nouveaux
Memoires de l'Academie Royale des Sciences et Belles-
Lettres. Annee . . . Avec l'histoire pour la meme annee^
Hier steht regelmässig und besonders paginirt die Geschichte der
Akademie in dem betreffenden Jahre voran nebst den Veränderun-
gen im Personalstatus, Preisvertheilungen , Berichten über feierliche
Sitzungen, Königlichen Ordres, Receptions- Reden, Auszügen aus
den Sitzungsberichten (auch wissenschaftlichen Bemerkungen) , An-
gaben über eingelaufene Bücher, den Antrittsreden und den Eloges,
dann folgen die Memoires. Im Jahrgang 1770 findet sich eine Über-
sicht über die Geschichte der Akademie von 1 746-1 769 als Fort-
setzung der Geschichte der Akademie von Formey, die bis 1750
reicht".
^ Diese «Nouveaux Memoires« werden mit der kurzen Bemerkung einge-
leitet, man folge dem Beispiel anderer Akademieen, indem man eine neue Reihe
begründe, »j)our rendre Tacquisition de ces ouvrages plus facilc". Ausserdem
werde man von nun an jährlich einen historischen Theil geben und für besseren
Druck sorgen.
^ Eine eigene Druckerei besass die Akademie zur Zeit Friedrich"s nicht.
Als das Grand Directoire des Kriegs und der Finanzen die Akademie nötliigen
AvoUte, eine Schi-iftgiesserei einzurichten und ihr dazu eine Summe von 397 Thlr.
überwies, wehrte sich Maupertuis heftig, bestimmte die Akademie, die Zumuthung
abzulehnen, und schrie!) in diesem Sinne an den König. Ihm schien es unwürdig,
dass eine gelehrte Körperschaft sich mit dieser Bürde belaste (Le Steur, Mau-
pertuis p. 9of., abgedruckt im Urkundenband Nr. 169, 8).
Die Publicationen der Akademie. 48 B
3. Im Jahre 1752 erschien zur Feier des fünfzigjährigen Be-
stehens der Akademie die »Histoire de l'Academie Royale des Sciences
et Belles-Lettres , depuis son origine jusqu'a present. Avec les pieces
originales, Berlin«, Ein Autor ist nicht genannt, und so erscheint
sie als officieller Bericht der Akademie. Ihr Verfasser ist der Historio-
graph der Akademie Formet, wie oben Iiemerkt worden ist.
4. Die Kalender: mit ihrer Herstellung waren nach wie vor
die Astronomen der Akademie bez. ihre Gehülfen, wie D. Naude,
und Subalternbeamte l)eschäftigt; speciell für Schlesien arbeitete
Frl. Kirch (über die Einnahmen s. unten). Der Staats- und Adress-
•Kalender machte besonders viel zu schaffen ^ , denn die richtige Dar-
stellung der auswärtigen Staatsverhältnisse, besonders auch der
Genealogieen, wurde immer scliAvieriger, z. B. im Jahre 1778 die von
Kurpfalz und Kurbayern (s. Geh. Staatsarchiv). Im Herbst 1765
(Geh. Staatsarchiv, 8. October 1765) pachtete der Hofrath Gravius
das von der Akademie bisher administrirte Kalenderwesen zum Ver-
trieb und zahlte sehr viel mehr dafür, als die Akademie bisher ein-
genommen hatte. Er trat in Bezug auf die Kalender, deren Her-
stellung sie selbst weiter besorgte, in alle Rechte der Akademie (vor
allem die Stempelfreiheit). Die Provinzial- Regierungen wollten das
zuerst nicht anerkennen, wurden aber in diesem Sinne bedeutet.
5. Besondere astronomische Publicationen: am 30. November
1773 l^gte die Akademie dem Könige den ersten Band selbständig
gearbeiteter »Astronomischer Ephemeriden« vor. Bisher hatte man
auswärtige Berechnungen übernommen; die Akademie entschuldigte
sich bei der Überreichung, dass das Buch in deutscher Sprache ver-
fasst sei (Geh. Staatsarchiv).
6. Am 18. November 1747 und 7. April 1748 erhielt die Akade-
mie das Privileg, dass die zum Gebrauch des Publicums bestimmten
Landkarten nur unter ihrer Aufsicht hergestellt werden dürften , bez.
von ihr zu stempeln seien. Das Privilegium lautete: ȟber den
privativen Verlag und Stempelung tüchtiger Landkarten, und dass
alle in Gebrauch kommenden Karten mit dem Stempel der Akade-
mie zu versehen seien«. Graf von Schmettau leitete zuerst das
Unternehmen. Der grosse Plan von Berlin in vier Blättern (1748)
erschien als akademische Unternehmung unter seiner Direction. Doch
^ In einem Brief Maupertuis' an den König (October 1755, Geh. Staats-
arcliiv) wird darum ersucht, in den Kalender auch eine genaue Übersicht über den
Hof und seine Ämter einrücken zu dürfen; bisher seien die Angaben lückenhaft
oder fehlten ganz, und so gerathe der Ahnanach mehr und mehr in Verfall.
31*
484 Die Publicationen der Akademie.
liat die Akademie das Privilegium anfangs nicht energisch ausge-
beutet, ja es fast ganz fallen lassen. Auf eine Anfrage der Ost-
friesischen Regierung vom lO. Januar 1753 lässt der König er-
widern, die Akademie habe Folgendes erklärt: »dass, um dem Pu-
blico nicht beschwerlich zu fallen, sie sich bereits in anno 1748
der Stempelung der Landkarten vor der Hand begeben, und, Aveil
noch kein genügsamer Vorrath von Landkarten fertig ist, auch noch
anietzo nicht auf gedachte Stempelung dringe« (Geh. Staatsarchiv).
Später hat die Akademie einen geringen Nutzen aus dem Privileg-
gezogen, in manchen Jahren aber auch bedeutend zugesetzt. Ein
Schulatlas von 44 Karten und eine Sammlung von Seekarten ver-
schiedener Länder ist von ihr (ausser dem Plan von Berlin und vom
Thiergarten) herausgegeben worden; s. Nicolai, Beschreibung der
Residenzstädte Berlin und Potsdam ^, Bd. 2 S. 708. Ein Brief Mau-
PERTUis' an den König ist noch erhalten (vom i.October 1755,
Geh. Staatsarchiv), welcher die Zusendung einer Karte begleitet,
die, so heisst es, in den von der Akademie herausgegebenen Atlas
aufgenommen werden soll. Sie stellte die vier grossen Untern e]i-
mungen dar, die zum Zweck der Ermittelung der Gestalt der Erde
in Frankreich, Peru, Lappland und am Kap der guten Hoffnung
ausgeführt worden waren. — Das Landkartenprivileg von 1748
ist im Urkundeiil)and Nr. 168 abgedruckt.
7. Die Akademie hat den Verlag der Continuationen der Constitu-
tiones Marchicae (Mylius) vom Könige übertragen erhalten^; seitdem
gab sie jährlich die Sammlung der Landesgesetze heraus und edirte
ausserdem ein Repertorium dazu (i 751 ff.), dessen Anschaffung allen
Regierungen, Richtern, Advocaten und Verwaltungsbeamten einge-
schärft wurde (am 4. September i 752 fragte das Directorium der Aka-
demie beim Könige an, ol) nicht der General-Fiscal auch Censor dieser
Edition sein müsse; in den Jahren 1772-74 führte sie eine Klage
wiegen Nachdrucks gegen den Königsberger Buchhändler Kanter).
Dennoch musste sich der Factor der Akademie immer wieder über zu
geringen Absatz beklagen. Daher erfolgten wiederholte Edicte an die
1 Im Jahre 1747; aLer da Mylius ältere Rechte besass, so einigte sich die Aka-
demie mit ihm daliin, dass sie erst vom Jahre 1751 an das Privileg ausnutzen wolle.
Im 8it/.ungsprotükoll der Akademie (22. April 1751) heisst es: »Dans un Directoire
tenu apres TAssemhlee il a ete resolu de proceder a la publication des Edits , dont
M. Mylius a donne le recueil jusqu'en 1750". — Über den Codex Fridericianus
Marchicus vei-gl. Stölzel, Brandenbm-g-Prenssens Rechtsverwaltung und Rechtsver-
iassung, 2 Bde. 1888, und J. Chr. Schwartz. Vierhundert Jahre deutscher Civilprocess-
Gesetzgebung (1898) S. 479 ff., dort auch über den Antheil des Akademikers Jariges.
Ge1);iude und Institute der Akademie. 485
Regierungen. Das vom 2 8. Februar i 761 lautet: »Unsere Akademie der
Wissenschaften hat den Druck des obgedachten Anhangs veranstaltet,
und es ist solcher nebst den Continuationibus Constitutionum vom
Jahre 1 751 — 1759 hei allen Factoren derselben zu bekommen. Wir
communiciren euch hiebei ein Exemplar davon mit dem gnädigsten
Befehl, euch in vorkommenden Fällen nach den darin angeführten
Verordnungen zu achten, auch des Endes die 4. Continuation des
Corp. Myliani de anno 1 748- 1 750, welche in der hiesigen Buch-
handhnig des Hallischen Waisenhauses zu bekommen, und die fort-
gesetzten Sammlungen Unserer Akademie, woferne solches nachUnsern
Rescriptis vom 3. und 8. April 1755 noch nicht geschehen, euch
fordersamst anzuschaffen, und die unter euch stehenden Magistrate,
Untergerichte, Gerichts -Obrigkeiten und Beamten sowohl dazu als
zur Beobachtung der im Anhange angefügten Verordnungen anzu-
weisen« (Geh. Staatsarchiv) \
11. Gebäude und Institute der Akademie.
Bis zum Januar 1744 tagte die alte Societät auf dem Obser-
vatorium an der Dorotheenstrasse; hier stand auch ihre Bibliothek
^ Die Büchercensur, welche der Akademie oblag, inachte ihr Verdruss, und
sie suchte diese Last abzuschütteln, obgleich sie ihr als Privileg und als Einnahme-
quelle vom Könige (18. November 1747) übertragen war. In dem Privileg hiess
es, dass um der eingerissenen Missbräuche willen in Berlin und im ganzen Lande
kein Buch, Hochzeits-, Trauer- oder andere Gedichte, Leichenpredigt und sonst der-
gleichen Sachen gedruckt werden sollen, bevor solche der Akademie der Wissen-
schaften überschickt und von ihr approbirt worden, und zwar seien für jeden Druck-
bogen eines Buchs zwei gute Groschen und für jedes Gelegenheitsgedicht und jede
Leichenpredigt sechs gute Groschen an die akademische Kasse zu bezahlen. Diese
Verordnung muss aber schlecht befolgt worden sein, und auch das allgemeine
Censuredict vom 11. Mai 1749 ist sehr nachlässig ausgeführt worden. Im Protokoll
der Sitzung vom 7. December 1758 heisst es: «Le rescript du Directoire, qui de-
mande ä TAcademie, qu'elle indique un censeiir ä la place de feu M. Pelloutier,
ayant ete lü, il a ete resolu de repondre, que TAcademie n'ayant point ete con-
sultee, lorsque M. Pelloutier fut nomme, et le projet qu'elle avait forme elle-meme
pour la censure des livres n'ayant point ete goute, eile demandait a etre dechargee
de cette nonünation, d'autant plus que parnii tous les membres presens dans cette
assemblee il ne s'en trouvait aucun qui put se charger de cette fonction« (vergl.
den Brief Euler's an Maupertuis vom 16. December 1758 bei Le Sueur y>. 165 f.). —
Auch mit einigen in Berlin erscheinenden populär -wissenschaftlichen Zeitungen
stand die Akademie in Verbindung; ein paar Mal nahm sie auch einen Anlauf,
selbst eine Zeitung herauszugeben; allein es blieb bei den Versuchen. Als sie im
Jahre 1772 dem Könige den ersten Theil eines Journal litteraire einreichte und «zu
ihrem Encouragement« seine A])probation für die Zeitschrift zu erhalten wünschte,
liess ihr der König den niedeivschlagenden Bescheid ertheilen: »Die retlexiones sind
sehr ordinär und der Stil nicht der beste « (Geh. Staatsarchiv).
48() Gebäude und Jnstitute der Akademie.
und ihr Naturaliencabinet : die Anatomie befand sich in einem Eck-
pavillon des Gebäudes , und in dem Hause dem Observatorium gegen-
über wohnte der Astronom.
Der «neuen litterarischen Gesellschaft« Schmettau's (1743) hatte
der König einen Saal im Schlosse für ihre Sitzungen eingeräumt,
und dieser Saal blieb das Sitzungszimmer der neuen Akademie
bis zum Mai 1752. So ehrenvoll es für sie war, im königlichen
Schlosse zu tagen, so unbequem war es doch, weil ihre Samm-
lungen weit davon entfernt lagen; denn diese blieben im Obser-
vatorium.
Am 21. August 1742 waren die Ställe (zwischen den Linden
und der Dorotheenstrasse) abgebrannt. Der König liess nach dem
zweiten Schlesischen Krieg an ihrer Stelle an der Front der Linden
ein neues stattliches Gebäude aufführen und bestimmte den westlichen
Flügel für die Akademie. Der östliche sollte, so behauptet wenigstens
Formey\ ursprünglich dem beständigen Secretar eingeräumt Averden,
aber aus Furcht vor Feuersgefahr sei das unterblieben; dennoch seien
nicht lange darnach die Räume an einen Cafetier vermiethet worden.
Die der Akademie überwiesenen Gemächer waren geräumig
und wurden vom Könige gut ausgestattet. «Outre la belle archi-
tecture de l'edifice qui contient ces appartements , le roi les a fait
decorer et meubler magnifiquement, en sorte que l'on peut les
regarder comme une des plus brillantes demeures que les sciences
aient jamais eues"".«
Am I. Juni 1752 konnte die Akademie einziehen — es sind die-
selben Räume , die sie heute noch besitzt und in denen sie sich ver-
sammelt. Forme Y hielt die Einweihungsrede^. Die ehrwürdigen
Räume in dem Observatorium verödeten nun allmählich*; aber die
Akademie konnte sich jetzt ausdehnen, und die Lage ihres neuen
Hauses war unvergleichlich^.
^ Souvenirs I p. 182 f.
" I'oRMEY in den Memoires 1752 p.4.
3 A. a. 0.
* Doch tagte in ihnen bis zum Tode Friedrich's des Grossen regehnässig
Donnerstags von 11 — i Uhr die ökonomische Commission der Akademie. Das
Archiv befand sich aucli daselbst. Ebenso blieben die Sternwarte und das Na-
turaliencabinet dort (s. Nicolai, Berlin ^ Bd. 2 S. 919 ff.).
'" Die Bibliothek wui'de auch in das neue Gebäude übergeführt und zwar
in die Räume, in denen sie jetzt noch stellt. Ihre Einkünfte waren seit 1766 ver-
grössert. Sie bestand aus zwei Abtheilungen, nämlich (i) aus der Schenkung Fried-
rich Wilhei.m's L, s. oben S. 234, (2) aus der allmählich vergrösserten Sammlung
dei- alten Societät; s. Nicolai, Berlin 3 ßd. 2 8.768!'.
Der Etat der Akademie. 487
Gleichzeitig aber wurde auch auf dem Platz hinter dem Ob-
servatorium, Avo bisher nur der Astronom gewohnt hatte, ein
Laboratorium für den Chemiker und eine bescheidene Wohnung-
gebaut \ Im Jahre 1753 konnte Marggraf sie und das »neue
Laboratorium« in Besitz nehmen. Nach dem Siebenjährigen Krieg
in den Jahren 1764 und 1765 wurde es ganz umgebaut und er-
-\veitert (s. unten). Ausser dem Astronomen und dem Chemiker hat
zeitweilig noch ein dritter Akademiker, Bernoulli, gleichzeitig dort
gewohnt. Der Umbau kostete der Akademie sehr viel Geld. Der
Baumeister Oberbaudirector Boumann hatte einen Anschlag von
7732 Thlr. gemacht; in Wahrheit aber hatte er 12954 Thlr. "^'^'i'"
baut. Die Akademie beklagte sich über ihn und behauptete , er
habe dazu noch schlecht gebaut und auch die sehr kostspieligen
Reparaturen des Observatoriums liederlich ausführen lassen (Geheimes
Staatsarchiv). — Der botanische Garten wurde 1751 auf's Beste
eingerichtet. Nach dem Siebenjährigen Krieg Hess die Akademie
dort Wirthschaftsgebäude und ein Treibhaus erbauen sowie die
grosse Mauer aufführen (der alte Zaun war von den Kroaten im
Jahre 1760 niedergerissen worden). Auch hier beschwerte sie sich
bitter über Boumann, der theuer und schlecht gearbeitet habe.
12. Etat der Akademie.
Die Einnahmen der alten Societät hatten im Jahre 1 7 1 8 ins-
gesammt kaum 6000 Thlr. betragen. Beim Regierungsantritt Fried-
rich's IL waren sie auf 9 — 10000 Thlr. gestiegen. Nach der Erwer-
bung Schlesiens und dem Siebenjährigen Krieg (1765) betrugen die
Einnahmen aus den Kalendern — sie kommen fast allein in Betracht"' —
etwa 1 3000 Thlr. und stiegen nach Einsetzung der ökonomischen
Commission^ bei der Verpachtung an Gravius (1765/66) sofort auf
16000 Thlr. Im Jahre 1778 betrugen sie bereits 23000 Thlr.*
Der König wachte über den Einnahmen und Ausgaben ebenso
streng wie sein Vater, war mehr als sparsam . und gab nur einigen
^ Auf Maupertuis" Vorschlag, s. die Briefe desselben an den König im Ge-
heimen Staatsarchiv Bd. I Nr. 54.
^ Der Seidenbau in Köpenick ging zwar noch immer fort, brachte aber so
gut wie nichts ein, s. den Brief Maupertuis' an den König bei Le Sueur, INIau-
PERTUis p. 91 und die Eingabe der Akademie vom 24. Juni 1773 (Geh. Staatsarchiv).
^ Die ökonomische Commission ist vom Könige niedergesetzt worden, weil
er mit der Verwaltung der Akademie während des Siebenjährigen Kriegs wenig zu-
frieden war. Näheres s. oben S. 363.
* Im Jahre 1800 betrug die Pacht 30400 Thlr.
488 r^pi" Etat dei' Akncleniic
grossen Gelehrten auskömmliche Gehälter, allen übrigen aber höchst
spärliche oder gar keine. Seit MAurERTUis' Tode^ bez. seit Euler's
Abgang bestimmte er alle Pensionen allein. Auch die 1765 nieder-
gesetzte ökonomische Commission konnte nichts ohne seine Zustim-
mung beschliessen , ja kaum etwas vorschlagen.
Während des »Siebenjährigen Kriegs waren mehrere Pensionen
durch den Tod der Inhaber erledigt und auf Befehl des Königs capi-
talisirt worden. Da ferner die Memoires 4 Jahre lang nicht erschie-
nen und die Zuschüsse zu den wissenschaftlichen Instituten eingestellt
waren, hatte man viel Geld erübrigt. Am 2 2.December 1763 machten
die Directoren eine Eingabe, dass 1900 Thlr. Pensionen Verstorbener
vacant seien, und dass folgende Akademiker überhaupt kein Gehalt
bezögen: Meckel, Roloff, Eüler jun., Bernoulli, Beguelin, Premont-
VAL, Sulzer, Süssmilch, Beausobre, de Catt. Sie berichten ausserdem,
dass die Akademie während des grossen Kriegs 2 5 000 Thlr. (!) erspart
habe (vergl. die Briefe Euler's an Maupertuis vom 16. September und
16. December 1758 vmd vom 30. Januar 1759 bei Le Sueur): «par la
vacance des pensions et par les soins des directeurs qui ont cesse de
payer les appoitments des Academiciens en vieux argent« — während
alle zugesetzt hatten, war die Akademie reich geworden, aber nicht
die Akademiker. Eigenhändig bemerkte der König dazu"':
»400 ecus a Eller [lies Euler] fils,
400 au jeune Bernoulli,
200 a Mekel,
200 a Sultzer.
Total I 200 ecus.
Frederic. «
Also die übrigen sechs erhielten nichts! Ausserdem befahl der
König , dass 1 5 000 Thlr. zu einer Mauer um den Botanischen Garten
— sie ist also aus ersparten akademischen Gehältern erbaut — und
einem neuen Wohnhaus für den Chymicum und Astronomum ver-
wendet (s. oben), die übrigen 10 000 Thlr. aber angelegt werden
sollten.
Am 23. Mai 1776 reichte die ökonomische Commission dem
Könige den Etat ein und machte darauf aufmerksam, dass sie in
ihrer zwölfjährigen Thätigkeit die Revenuen um etwa 9000 Thlr.
^ Mit dem »Grand DirectoirC", d. h. dem Finanzministerium ist Maupertuis
ein paar Mal in Conflict gekommen, (s. Urkundenband Nr. 169, 8. 9), doch waren
die Streitigkeiten nicht von Bedeutung.
^ Akademisches Archiv.
Der Etat der Akademie. 489
jährlich gesteigert und ein Capital von 5200 Thlr. erspart hahe
(welclies angelegt Avorden sei) . obgleich sie auf Befehl des Königs für
Gebäude mehr als 26000 Thlr. verbraucht habe. Der Illtat schliesst
mit einem Übersclmss von 2556 Thlr., und die Commission bittet,
dass der König ihr selbst — d. h. den 6 Mitgliedern der Commission^ —
diesen Überschuss bewilligen möge"'.
Etat.
Recette.
Interets de 15000 anciens capitaux 575 Thlr.
Interets de 5200 capitaux epargnes par la commission 260 »
Ferme des almanacs 20800 »
» des edits 650 »
'> des anciennes collections des edits 500 »
Loyer d'un magazin 5 »
Redevances du Commissaire des enterrements 500 ^^
Plantage de Coepnic 35 »
College de Medecine de Silesie 250 »
Cartes geographiques 200 «
Jardin botanique 80" »
23855 Thlr.
D e p e n s e s.
Pensions 15565 Thlr.
Jetons^ 1000 »
16565 Thlr,
^ Sulzer war von Berlin abwesend und hat die Eingabe nicht niitnnterzeichnet;
sie stammt von Merian, Beausobre, Lambert, Castillon.
" Das Schi-eiben und der Etat im Geh. Staatsarchiv, sowie im Akademischen
Arcliiv.
* Von den drei letzten Posten heisst es , sie schwankten sehr.
* Die Jetons haben sich eingeschlichen; die für sie ausgeworfene Summe von
1000 Thlr. ist erst nachträglich vom Könige bewilligt worden (die Bewilligung fehlt
nicht, wie Herizberg behauptet hat). Erst aus den Verhandlungen über sie aus
der Zeit Friedrich Wilhelm's II. erfährt man, wie es sich mit ihrem Ursprung ver-
hält (Akademisches Archiv). Maupertuis hatte den Plan gefasst, Jetons nach dem
Vorbild der Pariser Akademie einzuführen, und auch in der Münze ein Exemplar
(Werth I Thlr.) schlagen lassen; aber er kam nicht dazu, die Einrichtung wirklich
zu treffen. Während des Siebenjährigen Krieges fragte die INIünzverwaltung einmal
an, was mit dem Stempel zu geschehen habe. Da wurde auf Sulzer's Vorschlag-
beschlossen — man hatte in Folge der Erledigung mehrerer Pensionen Geld genug — ,
jetzt die Einführung zu bewirken und 1000 Thlr. jährlich dafür zu bestimmen.
So geschah es. In der Sitzung vom 8. Januar 1761 wurden die Jetons zum
ersten Mal vertheilt. Der König wurde zunächst nicht befragt; aber als ihm d"Ar-
490 Der Etat der Akademie.
[Übertrag. . . . 16565 Thlr.]
Prix 200 »
Anatomie 334 »
Chymie 250 »
Jardin botanique 600 »
Bibliotheque 200 »
01)servatoire 800 »
Experiences et instruments 800 »
Correspondance 150 «
Entretien des bätiments 300 »
Cartes geographiques 500 «
Memoires de rAcadeniie^ 200 »
Extraordinaire 400 »
2 I 299 Thlr."
Bei den Pensionen ist nur folgende Specifieation mitgetlieilt:
Physikalische Klasse 3550 Thlr., mathematische 2500, philosophische
1800, philologische 4400 Thlr., dazu Gehälter ausser den Klassen
3315 Thlr. Summa : 15565 Thlr.
Der König Hess /Auiächst (24. Mai) antworten, sie sollten war-
ten, bis er von seinen Reisen zurückgekehrt sei. Dann liess er
am 20. Juni sagen, er wünsche statt dieses General- Etats einen
Special -Etat, besonders ratione der Ausgaben, woraus deutlich er-
sehen w^erden könne, wohin und wofür solche eigentlich geschehen,
und wer Alles und wie viel ein Jeder an Tractament und Pension
aus der Akademie -Kasse bekomme.
GENS erzählte, die Berliner hätten die Jetons eingeführt, während die Pariser Aka-
demieen sie aus SpaT'samkeitsgründen in den Kriegszeiten eben jetzt hätten auf-
geben miissen, soll ihm das \"ergnügen gemacht haben. In einem Briefe d'Akgens',
der in der Sitzung vom 6. Januar 1763 verlesen wurde, empfing die Akademie die
Mittheilung, dass der König die Einrichtung billige. Die Jetons erhielten ursprüng-
lich Alle, die in einer Sitzung anwesend waren (auch Externe und Gäste), bald
aber nur die ordentlichen Mitglieder, die auf diese Weise sich ein nicht ganz ge-
ringes »Douceur" zubilligten. Bis 1765 stehen die Jetons in den Reclmmigen unter
"Prämien und Verehrung«; seit 1766 wurde eine besondere Reclmimg über sie
geführt, hn Januar 1779 wurde beschlossen, dass Niemand sie erhalten solle,
der vor Schluss die Sitzung verlässt (s. Protokolle). Hertzberg war ein Gegner
der Jetons und hat dem Könige Friedrich Wilhelm II. den Vorschlag unter-
breitet, sie abzuschaffen.
^ Die Memoires deckten also beinahe die Kosten.
^ Im Jahre vorher (Etat 1775 eingereicht am 20. Juli, Akademisches Archiv)
betrugen die Gesainmteinnahmen 22476 Tlilr. (davon aus den Kalendern 19200),
die Gesamintausga,beo 20999 Thh'., der Uberschuss also 1477 Thlr.
Der Etat der Akademie. 491
Bereits am 22. Juni überreichte die Commission folgenden spe-
cialisirten Etat:
«Note des depenses annuelles de l'Academie ordonnees
par S. M.«
P e n s i o II s :
]Marggraf comine Chymiste 700, comme Directeur 20oThlr., Franche-
VILLE 150, GlEDITSCH 65O . PoTT 55O, LaMBERT 7OO, WaLTER 200.
DE Lagrange 1700 [1500 et 200 comme Directeur], Bernoulli 600,
DE Castillon 200, Sulzer 900 [700 et 200 comme Directeur], Cochius
00. FoRjiEY 600.
]Meriax 900 [600 et 200 comme Directeur et 100 comme Bil^liothe-
caire], Beausobre 500. de Catt 400, Bhaübe 500, TniEBAULr 200,
BoRRELLY 400. ^Moulines 500. Summa: 10850 Thlr.
Gerhard en qualite de Conseiller aux min es 400.
Pernetti en qualite de Bibliothecaire de la Bibliotheque Royale 1000.
Summa: 12250 Thlr.
H o r s de C 1 a s s e s :
CorHENius 200. Fiscal general comme Justitiaire de l'Academie 100,
Jordan comme Tresorier 300, Demoiselle Kirch pour les almanacs de
Silesie 400. Naude pour les autres almanacs excepte ceux de la West-
preusse 350, Bode pour les ephemerides et adjoint pour les almanacs 400,
Blume , Secretaire allemand 200, Koch, Mecanicien 200, Hopfer, Dessina-
teur 200. PiTTELco. Calculateur et Reviseur des comptes 30, Eichholz
Bedeau 75, Archiviste 250, Directeur de rimprimerie 100, Garde des cartes
geographiques 50. Bedeau de TAnatomie 50, Vetter, Concierge de l'Ana-
tomie 110. Smiima 3315 Thlr.
Der König verfügte am 23. Juni 1776, dass der Uberschuss von
2556 Thlr. nicht unter die Mitglieder der ökonomischen Commission
zu vertheilen sei, sondern dass der Professor l:)ei der Ritterakademie
Weguelin 400 Thlr. Besoldung erhalten solle, Castillon und Merian
je 200 Thlr., Lambert 400 (Sulzer und Beausobre erhielten nichts).
Die übrig bleibenden 1356 Thlr. sollen zu Büchern, Instrumenten
u. s. w. verwendet werden, »aber mit aller Menage und Oekonomie«.
Nach dem dem Könige am 19. April 1782 eingereichten Etat
betrugen die Einnahmen bereits 26359 Thlr. (aus den Kalendern
23600 Thlr.), die Ausgaben nur 21924 Thlr., so dass ein Uber-
schuss von 4435 Thlr. verblieb, obgleich der botanische Garten
jetzt 795 Thlr. kostete. Die Memoires verlangten 500 Thlr. Zu-
schuss (dagegen steht allerdings eine Einnahme aus dem Verkauf
der Memoires von 305 Thlr.).
Streng band sich Friedrich IL so wenig wie sein Vater an
die Regel, die Einnahmen der Akademie nur ihr selbst zu Gute
kommen zu lassen. Zwar die Zuschüsse für das medicinisch-chirur-
492 Der Etat der Akademie.
gische Collegium hörten allmählich auf^; aber dafür musste die
Akademie die vom Könige 1765 gestiftete Ritterakademie mit unter-
halten , d. h. der König berief Lehrer, die ihm geeignet schienen,
an diese Schule, ernannte sie gleichzeitig zu Akademikern und liess
sie aus der Kasse der Akademie besolden. Doch darf man nicht
vergessen, dass Friedrich schon als Kronprinz eine Akademie in's
Auge gefasst hatte, die nicht «zur Parade« da sein, sondern auch
der Instruction dienen sollte (s. oben S. 254). Diesen Plan suchte
er jetzt durch Verbindung der Ritterakademie mit der Akademie
der Wissenschaften auszuführen. So erfüllte sich die Befürclituno:
des weitblickenden Philosophen Wolff, die Akademiker Avürden
genöthigt sein, «Kadetten zu informiren« (s. oben S.256). Auch
sein Vorleser Pernety, der zum Bibliothekar der Königlichen Biblio-
thek ernannt wurde, wurde Mitglied der Akademie, und es mussten
ihm als solchem 1 000 Thlr, jährlich gezahlt werden. Die Überschüsse
der jährlichen Einnahmen wurden auch nicht immer im Interesse der
Akademie verwendet. So erging am 2. October 1776 eine Königliche
Ordre (Geh. Staatsarchiv): »Dass die nach dem hiebei erfolgenden
Anschlag erforderlichen Kosten wegen Reparatur der Maler- und
Bildhauer- Akademie -Appartements von DeroAcademie der Wissensch.
aus denen besage Ordre vom 23. Juni zu vorfallenden extraord. Aus-
gaben noch übrig gebliebenen Geldern bezahlet werden sollen«.
^ Aus einer Eingabe der Akademie an den König- vom 14. Juni 1776 ersieht
man, dass die Professuren am medicinischen Collegium und die akademischen Stel-
len nicht mit einander verbunden sind (Geh. Staatsarchiv).